Phantasus . Eine Sammlung von Maͤhrchen, Erzaͤhlungen, Schauspielen und Novellen, herausgegeben von Ludwig Tieck . Erster Band . Berlin , 1812 . In der Realschulbuchhandlung . An A. W. Schlegel . ( Anstatt einer Vorrede .) E s war eine schoͤne Zeit meines Lebens, als ich Dich und Deinen Bruder Friederich zuerst kennen lernte; eine noch schoͤnere als wir und Novalis fuͤr Kunst und Wissenschaft vereinigt lebten, und uns in mannichfaltigen Bestre- bungen begegneten. Jetzt hat uns das Schick- sal schon seit vielen Jahren getrennt. Ich verfehlte Dich in Rom, und eben so spaͤter in Wien und Muͤnchen, und fortdauernde Krankheit hielt mich ab, Dich an dem Orte Deines Aufenthaltes aufzusuchen; ich konnte nur im Geist und in der Erinnerung mit Dir leben. Von verschiedenen Seiten aufgefordert, war ich schon seit einiger Zeit entschlossen, meine jugendlichen Versuche, die sich zerstreut haben, zu sammeln, diejenigen hinzuzufuͤgen, welche bis jetzt noch ungedruckt waren, und andre zu vollenden und auszuarbeiten, die ich schon vor Jahren angefangen, oder ent- worfen hatte. Diese Maͤhrchen, Schauspiele und Erzaͤhlungen, welche alle eine fruͤhere Periode meines Lebens charakterisiren, verei- nigt durch mannichfaltige Gespraͤche gleichge- sinnter Freunde uͤber Kunst und Literatur, machen den Inhalt dieses Buches. Man- ches, was ich in diesen Dialogen nur fluͤch- tig beruͤhren konnte, werde ich an andern Orten bestimmter darzustellen und auszufuͤh- ren suchen. Diejenigen Dichtungen, welche schon bekannt gemacht waren, erscheinen hier mit Verbesserungen, und in der Summe der sieben verschiedenen Abtheilungen wird man eben so viele neue, als in den Volksmaͤhr- chen, oder anderswo schon abgedruckte, an- treffen. Die groͤßeren Werke, wie der Zer- bino oder die Genoveva schließen sich von dieser Sammlung aus. Es war meine Absicht, meinen Freun- den diese Spiele der Phantasie, die sie fruͤ- her schon guͤtig aufgenommen haben, in einer annehmlichern Gestalt vorzulegen. Du warst unter diesen einer der ersten, die mein Talent erhoben und ermunterten, Dein maͤnn- lich heiterer Sinn findet auch im Scherze den Ernst, so wie er Gelehrsamkeit und gruͤndliche Forschung durch Anmuth belebt: Du wirst guͤ- tig diese Blaͤtter aufnehmen, die das Bild vo- riger Zeit und Deines Freundes in dir erneuern. Einleitung . I. [ I ] D ieses romantische Gebirge, sagte Ernst, erin- nert mich lebhaft an einen der schoͤnsten Tage meines Lebens. In der heitersten Sommerszeit hatte ich die Fahrt uͤber den Lago maggiore ge- macht und die Borromaͤischen Inseln besucht; von einem kleinen Flecken am See ritt ich dann mit dem fruͤhsten Morgen nach Belinzona, das mit seinen Zinnen und Thuͤrmen auf Huͤgeln und im engen Thal ganz alterthuͤmlich sich dar- stellt, und uns alte Sagen und Geschichten wun- derlich vergegenwaͤrtigt, und von dort reisete ich am Nachmittage ab, um am folgenden Tage den Weg uͤber den Sankt Gotthard anzutreten. Am Fuße dieses Berges liegt aͤußerst anmuthig Giar- nito, und einige Stunden vorher fuͤhrt dich der Weg durch das reizendste Thal, in welchem Weingebirge und Wald auf das mannigfaltigste wechselt, und von allen Bergen große und kleine Wasserfaͤlle klingend und wie musizirend nieder- tanzen; immer enger ruͤcken die Felsen zusam- men, je mehr du dich dem Orte naͤherst, und endlich ziehn sich Weinlauben uͤber dir hinweg von Berg zu Berg, und verdecken von Zeit zu Einleitung . Zeit den Anblick des Himmels. Es wurde Abend, eh ich die Herberge erreichte, beim Sternenglanz, den mir die gruͤnen Lauben oft verhuͤllten, rausch- ten naͤher und vertraulicher die Wasserfaͤlle, die sich in mannigfachen Kruͤmmungen Wege durch das frische Thal suchten; die Lichter des Ortes waren bald nahe, bald fern, bald wieder ver- schwunden, und das Echo, das unsere Reden und den Hufschlag der Pferde wiederholte, das Fluͤstern der Lauben, das Rauschen der Baͤume, das Brausen und Toͤnen der Wasser, die wie in Freundschaft und Zorn abwechselnd naͤher und ferner schwazten und zankten, vom Bellen wach- samer Hunde aus verschiedenen Richtungen un- terbrochen, machten diesen Abend, indem noch die gruͤnenden Borromaͤischen Inseln in meiner Phantasie schwammen, zu einem der wundervoll- sten meines Lebens, dessen Musik sich oft wa- chend und traͤumend in mir wiederholt. Und — wie ich sagte — dieses romantische Gebirge hier erinnert mich lebhaft an den Genuß jener schoͤ- nen Tage. Warum, sagte sein Freund Theodor, hast du nie etwas von deinen Reisen deinen nahen und fernen Freunden oͤffentlich mittheilen wollen? Nenn' es, antwortete jener, Traͤgheit, Zag- haftigkeit, oder wie du willst: vielleicht auch ruͤhrt es von einem einseitigen, zu weit getriebenen Ab- scheu gegen die meisten Reisebeschreibungen aͤhn- licher Art her, die mir bekannt geworden sind. Einleitung . Wenigstens schwebt mir ein ganz andres Bild einer solchen Beschreibung vor; den aͤltern, un- aͤsthetischen lasse ich ihren Werth: doch jene, in denen Natur und Kunst und Voͤlker aller Art, nebst Sitten und Trachten und Staatsverfas- sungen der witzig-philosophischen Eitelkeit des Schriftstellers, wie Affen zum Tanze, aufgefuͤhrt werden, der sich in jedem Augenblick nicht ge- nug daruͤber verwundern kann, daß er es ist, der alle die Gaukeleien mit so stolzer Demuth beschreibt, und der so weltbuͤrgerlich sich mit allen diesen Thorheiten einlaͤßt; o, sie sind mir von je so widerlich gewesen, daß die Furcht, in ihre Reihe gestellt, oder gar unvermerkt bei aͤhn- licher Beschaͤftigung ihnen verwandt zu werden, mich von jedem Versuche einer oͤffentlichen Mit- theilung abgeschreckt hat. Doch giebt es vielleicht, sagte Theodor, eine so schlichte und unschuldige Manier, eine so einfache Ansicht der Dinge, daß ich mir wohl nach Art eines Gedichtes die Beschreibung eines Landes, oder einer Reise, denken kann. Gewiß, sagte Ernst, manche der aͤltern Rei- sen, naͤhern sich auch diesem Bilde, und es ver- haͤlt sich ohne Zweifel damit eben so, wie mit der Kunst zu reisen selbst. Wie wenigen Menschen ist das Talent verliehn, Reisende zu sein! Sie verlassen niemals ihre Heimath, sie werden von allem Fremdartigen gedruͤckt und verlegen, oder bemerken es durchaus gar nicht. Wie gluͤcklich, Einleitung . wem es vergoͤnnt ist, in erster Jugend, wenn Herz und Sinn noch unbefangen sind, eine große Reise durch schoͤne Laͤnder zu machen, dann tritt ihm alles so natuͤrlich und wahr, so vertraut wie Geschwister, entgegen, er bemerkt und lernt, ohne es zu wissen, seine stille Begeisterung um- faͤngt alles mit Liebe, und durchdringt mit freund- lichem Ernst alle Wesen: einem solchen Sinn er- haͤlt die Heimath nachher den Reitz des Frem- den, er versteht nun einheimisch zu sein, das Ferne und Nahe wird ihm eins, und in der Vergleichung mannigfaltiger Gegenstaͤnde wird ihm ein Sinn fuͤr Richtigkeit. So war es wohl gemeint, wenn man sonst junge Edelleute nach Vollendung ihrer Studien reisen ließ. Der Mensch versteht wahrhaft erst das Nahe und Einheimische, wenn ihm das Fremde nicht mehr fremd ist. An diese Reisenden schließe ich mich noch am ersten, sagte Theodor, wenn du mir auch unaufhoͤrlich vorwirfst, daß ich meine Reisen, wie das Leben selbst, zu leichtsinnig nehme. Frei- lich ist wohl in meiner Sucht nach der Fremde zu viel Widerwille gegen die gewohnte Umgebung, und sehr oft ist es mir mehr um den Wechsel der Gegenstaͤnde, als um irgend eine Belehrung zu thun. Die zweite und vielleicht noch schoͤnere Art zu reisen, fuhr Ernst fort, ist jene, wenn die Reise selbst sich in eine andaͤchtige Wallfahrt Einleitung . verwandelt, wenn die jugendliche Neugier und die scharfe Lust an fremden Gegenstaͤnden schon gebrochen sind, wenn ein reifes Gemuͤth mit Kenntniß und Liebe gleich sehr erfuͤllt, an die Ruinen und Grabmaͤler der Vorzeit tritt, die Natur und Kunst wie die Erfuͤllung eines oft getraͤumten Traums begruͤßt, auf jedem Schritte alte Freunde findet, und Vorwelt und Gegen- wart in ein großes, ruͤhrend erhabenes Gemaͤlde zerfließen. Diese elegischen Stimmungen wuͤrden mich nur aͤngstigen, unterbrach ihn Theodor. Ihr andern, ihr ernsthaften Leute, verbindet so wi- derwaͤrtige Begriffe mit dem Zerstreutsein, da es doch in einfachen Menschen oft nur das wahre Beisammensein mit der Natur ist, wie mit einem frohen Spielkameraden; eure Sammlung, euer tiefes Eindringen sehr haͤufig eine unermeßliche Ferne. Auf welche Weise aber, mein Freund, wuͤrdest du deine Ansicht uͤber dergleichen Gegen- staͤnde mittheilen, im Fall du einmal deinen Wi- derwillen kuͤnftig etwas mehr bezwingen solltest. Schon fruͤh, sagte Ernst, bevor ich noch die Welt und mich kennen gelernt hatte, war ich mit meiner Erziehung, so wie mit allem Un- terricht, den ich erfuhr, herzlich unzufrieden. War es doch nicht anders, als verschwiege man ge- flissentlich das, was wissenswuͤrdig sei, oder er- waͤhnte es zuweilen nur, um mit hochmuͤthigem Verhoͤhnen das zu erniedrigen, was selbst in die- Einleitung . ser Entstellung mein junges Herz bewegte. Da- fuͤr aber suchte ich nachher auch, gleichsam wie zum Trotz der Zeit in dieser falschen Bildung, alles als ein Befreundetes und Verwandtes auf, was mir meine Buͤcher und Lehrer nur zu oft als das Abgeschmackte, Dunkle und Widerwaͤr- tige bezeichnet hatten; ich berauschte mich auf meinem ersten Ausfluge in allen Erinnerungen des Alterthums, begeisterte mich an den Denk- malen einer laͤngst verloschenen Liebe, ja that wohl manchem Guten und Nuͤtzlichen mit erwie- dertem Verfolgungsgeist unrecht, und stand bald unter meiner Umgebung selbst wie eine unver- staͤndliche Alterthuͤmlichkeit, indem ich ihr Nicht- begreifen nicht begriff, und verzweifeln wollte, daß allen andern der Sinn und die Liebe so gaͤnz- lich fehlten, die mich bis zum Schmerzhaften er- regten und ruͤhrten. Freilich, fiel Theodor lachend ein, erschienst du damals mit deiner Bekehrungssucht als ein hoͤchst wunderlicher Kauz, und ich erinnere mich noch mit Freuden des Tages, als wir uns vor vielen Jahren zuerst in Nuͤrnberg trafen, und wie einer deiner ehemaligen Lehrer, der dich dort wieder aufgesucht hatte, und fuͤr alles Nuͤtzliche, Neue, Fabrikartige fast fantastisch begeistert war, dich aus den dunkeln Mauern nach Fuͤrth fuͤhrte, wo er in den Spiegelschleifereien, Knopf- Manufakturen und allen klappernden und rumo- renden Gewerben wahrhaft schwelgte, und dein Einleitung . Nichtachten ebenfalls nicht begriff und dich fast fuͤr schlechten Herzens erklaͤrt haͤtte, da er dich nicht stumpfsinnig nennen wollte: endlich, bei den Goldschlaͤgern, lebtest du zu seiner Freude wieder auf, es geschah aber nur, weil du hier die Gelegenheit hattest, dir die Pergamentblaͤt- ter zeigen zu lassen, die zur Arbeit gebraucht wer- den; du bedauertest zu seinem Verdruß sogar die zerschnittenen Meßbuͤcher, und wuͤhltest herum, um vielleicht ein Stuͤck eines altdeutschen Ge- dichtes zu entdecken, wofuͤr der aufgeklaͤrte Leh- rer kein Blaͤttchen Goldschaum aufgeopfert haͤtte. Es ist gut, sagte Ernst, daß die Menschen verschieden denken und sich auf mannigfaltige Weise interessiren, doch war die ganze Welt da- mals zu einseitig auf ein Interesse hingespannt, das seitdem auch schon mehr und mehr als Irr- thum erkannt ist. Dieses Nord-Amerika von Fuͤrth konnte mir freilich wohl neben dem alt- buͤrgerlichen, germanischen, kunstvollen Nuͤrnberg nicht gefallen, und wie sehnsuͤchtig eilte ich nach der geliebten Stadt zuruͤck, in der der theure Duͤrer gearbeitet hatte, wo die Kirchen, das herrliche Rathhaus, so manche Sammlungen, Spuren seiner Thaͤtigkeit, und der Johannis- Kirchhof seinen Leichnam selber bewahrte; wie gern schweifte ich durch die krummen Gassen, uͤber die Bruͤcken und Plaͤtze, wo kuͤnstliche Brun- nen, Gebilde aller Art, mich an eine schoͤne Pe- riode Deutschlands erinnerten, ja! damals noch Einleitung . die Haͤuser von außen mit Gemaͤhlden von Rie- sen und alt deutschen Helden geschmuͤckt waren. Doch sagte Theodor, wird das jetzt alles dort, so wie in andern Staͤdten, von Geschmack- vollen angestrichen, um, wie der Dichter sagt: „zu mahlen auf das Weiß, ihr Antlitz oder ihren Steiß.“ — Allein Fuͤrth war auch bei alle dem mit seinen geputzten Damen, die gedraͤngt am Jahrmarktsfest durch die Gassen wandelten, nebst dem guten Wirthshause, und der Aussicht aus den Straßen in das Gruͤn an jenem war- men sonnigen Tage nicht so durchaus zu verach- ten. Behuͤte uns uͤberhaupt nur der Himmel, (wie es schon hie und da angeklungen hat) daß dieselbe Liebe und Begeisterung, die ich zwar in dir als etwas Aechtes anerkenne, nicht die Thor- heit einer juͤngeren Zeit werde, die dich dann mit leeren Uebertreibungen weit uͤberfluͤgeln moͤchte. Wenn nur das wahrhaft Gute und Große mehr erkannt und ins Bewußtsein gebracht wird, sagte Ernst, wenn wir nur mehr sammeln und lernen, und jene Vorurtheile der neuern Hoffarth ganz ablegen, und die Vorzeit und also das Vaterland wahrhafter und inniger lieben, so kann der Nachtheil einer sich bald erschoͤpfenden Thor- heit so groß nicht werden. — In jenen jugend- lichen Tagen, als ich zuerst deine Freundschaft gewann, gerieth ich oft in die wunderlichste Stim- mung, wenn ich die Beschreibungen unsers Va- terlandes, die gekannt und geruͤhmt waren, und Einleitung . welche auf allgemein angenommenen Grundsaͤtzen ruhten, mit dem Deutschland verglich, wie ich es mit meinen Augen und Empfindungen sah; je mehr ich uͤberlegte, nachsann und zu lernen suchte, je mehr wurde ich uͤberzeugt, es sei von zwei ganz verschiedenen Laͤndern die Frage, ja unser Vaterland sei uͤberall so unbekannt, wie ein tief in Asien oder Afrika zu entdeckendes Reich, von welchem unsichre Sagen umgingen, und das die Neugier unsrer wißbegierigen Lands- leute eben so, wie jene mythischen Gegenden reizen muͤsse; und so nahm ich mir damals, in jener Fruͤhlingsstimmung meiner Seele, vor, der Entdecker dieser unbekannten Zonen zu werden. Auf diese Weise bildete sich in jenen Stunden in mir das Ideal einer Reisebeschreibung durch Deutschland, das mich auch seitdem noch oft uͤberschlichen und mich gereizt hat, einige Blaͤt- ter wirklich nieder zu schreiben. Doch jetzt koͤnnt' ich leider Elegien dichten, daß es nun auch zu jenen Elegien zu spaͤt ist. Einige Toͤne dieser Elegie, sagte Theodor, klingen doch wohl in den Worten des Kloster- bruders. Am fruͤhsten, sagte Ernst, in den wenigen Zeilen unsers Dichters uͤber den Muͤnster in Straßburg, die ich niemals ohne Bewegung habe lesen koͤnnen, dann in den Blaͤttern von deut- scher Art und Kunst; in neueren Tagen hat unser Freund, Friedrich Schlegel, mit Liebe an das Einleitung . deutsche Alterthum erinnert, und mit tiefem Sinn und Kenntniß manchen Irrthum entfernt, auch hat sich die Stimmung unsrer Zeit auffallend zum Bessern veraͤndert, wir achten die deutsche Vorzeit und ihre Denkmaͤler, wir schaͤmen uns nicht mehr, wie ehemals, Deutsche zu sein, und glauben nicht unbedingt mehr an die Vorzuͤge fremder Nationen, das oͤkonomische Treiben, die Verehrung kleinlicher List, die Vergoͤtterung der neusten Zeit ist fast erstorben, eine hoͤhere Sehn- sucht hat unsern Blick in die Vergangenheit ge- schaͤrft, und Ungluͤck fuͤr vergangene große Jahr- hunderte den edlern Sinn in uns aufgeschlossen. In jenen fruͤheren Tagen aber hatten wir noch mehr Ueberreste der alten Zeit selbst vor uns, man fand noch Kloͤster, geistliche Fuͤrstenthuͤmer, freie Reichsstaͤdte, viele alte Gebaͤude waren noch nicht abgetragen oder zerstoͤrt, altdeutsche Kunst- werke noch nicht verschleppt, manche Sitte noch aus dem Mittelalter heruͤber gebracht, die Volks- feste hatten noch mehr Charakter und Froͤhlich- keit, und man brauchte nur wenige Meilen zu reisen, um andre Gewohnheiten, Gebaͤude und Verfassungen anzutreffen. Alle diese Mannigfal- tigkeit zu sehn, zu fuͤhlen und in ein Gemaͤhlde darzustellen war damals mein Vorsatz, was unsre Nation an eigenthuͤmlicher Mahlerei, Sculptur und Architektur besitzt, welche Sitten und Ver- fassungen jeder Provinz und Stadt eigen, und wie sie entstanden, zu erforschen, um den Miß- Einleitung . verstaͤndnissen der neuern kleinlichen Geschicht- schreiber zu begegnen; welche Natur jeden Men- schenstamm umgiebt, ihn bildet und von ihm ge- bildet wird: alles dieses sollte wie in einem Kunstwerke geloͤst und ausgefuͤhrt werden. Den edlen Stamm der Oesterreicher wollte ich gegen den Unglimpf jener Tage vertheidigen, die in ihrem fruchtbaren Lande und hinter reizenden Bergen den alten Frohsinn bewahren; die krie- gerischen und fromm glaͤubigen Bayern loben, die freundlichen, sinnvollen, erfindungsreichen Schwaben im Garten ihres Landes schildern, von denen schon ein alter Dichter singt: Ich hab der Schwaben Wuͤrdigkeit In fremden Landen wohl erfahren; die beruhrigen, muntern Franken, in ihrer roman- tischen, vielfach wechselnden Umgebung, denen damals ihr Bamberg ein deutsches Rom war; die geistvollen Voͤlker den herrlichen Rhein hin- unter, die biederben Hessen, die schoͤnen Thuͤrin- ger, deren Waldgebirge noch die Gestalt und den Blick der alten Ritter aufbewahren; die Niederdeutschen, die dem treuherzigen Hollaͤnder und starken Englaͤnder aͤhnlich sind: bei jeder merkwuͤrdigen Stelle unsrer vaterlaͤndischen Erde wollte ich an die alte Geschichte erinnern, und so dachte ich die lieben Thaͤler und Gebirge zu durchwandeln, unser edles Land, einst so bluͤhend und groß, vom Rhein und der Donau und alten Sagen durchrauscht, von hohen Bergen und alten Einleitung . Schloͤssern und deutschem tapfern Sinn beschirmt, gekraͤnzt mit den einzig gruͤnen Wiesen, auf denen so liebe Traulichkeit und einfacher Sinn wohnt. Gewiß, wem es gelaͤnge, auf solche Weise ein geliebtes Vaterland zu schildern, aus den unmittelbarsten Gefuͤhlen, der wuͤrde ohne alle Affektation zugleich ein hinreißendes Dich- terwerk ersonnen haben. Oft, fiel Theodor ein, habe ich mich dar- uͤber wundern muͤssen, daß wir nicht mit mehr Ehrfurcht die Fußstapfen unsrer Vorfahren auf- suchen, da wir vor allem Griechischen und Roͤ- mischen, ja vor allem Fremden oft mit so heili- gen Gefuͤhlen stehn und uns durch edle Erinn- rungen entzuͤckt fuͤhlen; so wie auch daruͤber, daß unsre Dichter noch so wenig gethan haben, diesen Geist zu erwecken. Manche, sagte Ernst, haben es eine Zeit- lang versucht, aber schwach, viele verkehrt, und ein hoher Sinn, der Deutschland so liebte und einheimisch war, wie der große Shakspear seinem Vaterlande, hat uns bisher noch gefehlt. Wir vergessen aber, rief Theodor, die herr- liche Gegend zu genießen, auf die Voͤgel aus dem Dickicht des Waldes und auf das Gemur- mel dieser lieblichen Baͤche zu horchen. Alles toͤnt auch unbewußt in unsre Seele hinein, sagte Ernst; auch wollten wir ja noch die schoͤne Ruine besteigen, die dort schon vor uns liegt, und auch mit jedem Jahre mehr ver- Einleitung . faͤllt: hier arbeitet die Zeit, anderswo die Nach- laͤssigkeit der Menschen, an vielen Orten der ver- achtende Leichtsinn, der ganze Gebaͤude nieder- reißt, oder sie verkauft, um alles Denkmal im- mer mehr dem Staube und der Vergessenheit zu uͤberliefern; indeß, wenn der Sinn dafuͤr nur um so mehr erwacht, um so mehr in der Wirk- lichkeit zu Grunde geht, so haben wir doch mehr gewonnen als verloren. Ist diese Gegend nicht, durch welche wir wandeln, fing Theodor an, einem schoͤnen roman- tischen Gedichte zu vergleichen? Erst wand sich der Weg labyrinthisch auf und ab durch den dich- ten Buchenwald, der nur augenblickliche raͤthsel- hafte Aussicht in die Landschaft erlaubte: so ist die erste Einleitung des Gedichtes; dann gerie- then wir an den blauen Fluß, der uns ploͤtzlich uͤberraschte und uns den Blick in das unvermu- thete frisch gruͤne Thal goͤnnte: so ist die ploͤtz- liche Gegenwart einer innigen Liebe; dann die hohen Felsengruppen, die sich edel und majestaͤ- tisch erhuben und hoͤher bis zum Himmel wuch- sen, je weiter wir gingen: so treten in die alten Erzaͤhlungen erhabene Begebenheiten hinein, und lenken unsern Sinn von den Blumen ab; dann hatten wir den großen Blick auf ein weit aus- gebreitetes Thal, mit schwebenden Doͤrfern und Thuͤrmen auf schoͤn geformten Bergen in der Ferne, wir sahen Waͤlder, weidende Heerden, Huͤtten der Bergleute, aus denen wir das Ge- Einleitung . toͤse heruͤber vernahmen: so oͤffnet sich ein gro- ßes Dichterwerk in die Mannigfaltigkeit der Welt und entfaltet den Reichthum der Charaktere; nun traten wir in den Hain von verschiedenem duftenden Gehoͤlz, in welchem die Nachtigall so lieblich klagte, die Sonne sich verbarg, ein Bach so leise schluchzend aus den Bergen quoll, und murmelnd jenen blauen Strom suchte, den wir ploͤtzlich, um die Felsenecke biegend, in aller Herrlichkeit wieder fanden: so schmilzt Sehnsucht und Schmerz, und sucht die ver- wandte Brust des troͤstenden Freundes, um sich ganz, ganz in dessen lieblich erquickende Fuͤlle zu ergießen, und sich in triumphirende Woge zu verwandeln. Wie wird sich diese reizende Land- schaft nun ferner noch entwickeln? Schon oft habe ich Lust gefuͤhlt, einer romantischen Musik ein Gedicht unterzulegen, oder gewuͤnscht, ein genialischer Tonkuͤnstler moͤchte mir voraus arbei- ten, um nachher den Text seiner Musik zu suchen; aber wahrlich, ich fuͤhle jetzt, daß sich aus sol- chem Wechsel einer anmuthigen Landschaft eben- falls ein reizendes erzaͤhlendes Gedicht entwickeln ließe. Zu wiederholten malen, erwiederte Ernst, hat mich unser Freund Manfred mit dergleichen Vorstellungen unterhalten, und indem du sprachst dachte ich an den unvergleichlichen Parceval und seine Krone, den Titurell. Jeder Spaziergang, der uns befriedigt, hat in unsrer Seele ein Ge- dicht Einleitung . dicht abgeloͤset, und wiederholt und vollendet es, wenn er uns immer wieder mit unsichtbarem Zauber umgiebt. Sehn wir die Entwickelung der romanti- schen Verschlingung! rief Theodor; Wald und Fluß verschwinden links, unser Weg zieht sich rechts, und viele kleine Wasserfaͤlle rauschen aus buschigen Huͤgeln hervor, und tanzen und jauch- zen wie muntre Nebenpersonen zur Wiese hinab, um jenem schluchzenden Bach zu widersprechen, und in Freude und Lust den glaͤnzenden Strom aufzusuchen, den schon die Sonne wieder be- scheint, und der so laͤchelnd zu ihnen heruͤber winkt. Sieh doch, rief Ernst, wenn mein geuͤbtes Auge etwas weniger scharf waͤre, so koͤnnte ich mich uͤberreden, dort staͤnde unser Freund An- ton! aber seine Stellung ist matter und sein Gang schwankender. Nein, rief Theodor, dein Auge ist nicht scharf genug, sonst wuͤrdest du keinen Augen- blick zweifeln, daß er es nicht selbst in eigner Person sein sollte! Sieh, wie er sich jetzt buͤckt, und mit der Hand Wasser schoͤpft, nun schuͤttelt er die Tropfen ab und dehnt sich; sieh, nur er allein kann nun mit solchem leutseligen Anstande die Nase in die Sonne halten, — und sein Auge hat uns auch schon gefunden! Die Freunde, die sich lange nicht gesehn hatten, und sich in schoͤner Einsamkeit so unver- I. [ 2 ] Einleitung . muthet wieder fanden, eilten mit frohem Ausruf auf einander zu, umarmten sich, thaten tausend Fragen und erwarteten keine Antwort, druͤckten sich wieder an die Brust und genossen im Tau- mel ihrer freudigen Verwunderung immer wieder die Lust der Ueberraschung. O der Freude, dich wieder zu haben, rief Theodor aus, du lieber, lieber Freund! Wie faͤllst du so unvermuthet (doch brauchts ja keine Motive) aus diesen allerlieb- sten Episoden hier in unsre Haupthandlung und Wandlung hinein! Aber du siehst matt und krank aus, sagte Ernst, indem er ihn mit Wehmuth betrachtete. So ist es auch, erwiederte Anton, ich habe mich erst vor einigen Wochen vom Krankenlager erhoben, fuͤhlte heut zum erstenmal die Schoͤn- heit der Natur wieder, und ließ mir nicht traͤu- men, daß ihr wie aus dem Himmel noch heut in meinen Himmel fallen wuͤrdet. Aber seid mir tausend und tausendmal willkommen! Man ging, man stand dann wieder still, um sich zu betrachten, sich zu befragen, und jeder erkundigte sich nun nach den Geschaͤften, nach den Absichten des andern. Meine Reise, sagte Ernst, hat keinen andern Entzweck, als mich in der Naͤhe, nur einige Meilen von hier, uͤber einige alte, sogenannte gothische Gebaͤude zu unterrichten, und dann in der Stadt ein alt- deutsches Gedicht aufzusuchen. Und ich, sagte Theodor, bin meiner Gewohn- Einleitung . heit nach nur so mitgenommen worden, weil ich eben weder etwas zu thun, noch zu versaͤumen hatte. Ich besuche unsern Manfred, sagte Anton, der mich auf sein schoͤnes Landgut, sieben Mei- len von hier, eingeladen hat, da er von meiner Krankheit und Genesung Nachricht bekommen. Wohnt der jetzt in diesem Gebirge? fragte Ernst. Ihr wißt also nicht, fuhr Anton fort, daß er schon seit mehr als zwei Jahren verheirathet ist und hier wohnt? Manfred verheirathet? rief Theodor aus; er, der so viel gegen alle Ehe deklamirt, so uͤber alle gepriesene Haͤuslichkeit gespottet hat, der es zu seiner Aufgabe zu machen schien, das Phan- tastische mit dem wirklichen Leben aufs innigste zu verbinden, der vor nichts solchen Abscheu aͤu- ßerte, als vor jener gesetzten, kaltbluͤtig morali- schen Philisterei? Wie ist es moͤglich? Ei! der mag sich denn nun auch schoͤn veraͤndert haben! Gewiß hat ihn das Dreherchen der Zeit so um- gedreht, daß er nicht wieder zu erkennen ist. Vielleicht, sagte Ernst, konnte es ihm gera- de am ersten gelingen, die Jugend beizubehal- ten, in welcher er sich scheinbar so wild beweg- te, denn sein Charakter neigte immer zum Ernst, und eben darum war sein Widerwille gegen den geheuchelten, laͤppischen Ernst unserer Tage oft so grotesk und bizarr: bei manchen Menschen Einleitung . dient eine wunderliche Außenseite nur zum noth- wendigen Gegengewicht eines gehaltvollen, oft fast melankolischen Innern, und zu diesen scheint mir unser Freund zu gehoͤren. Ich habe ihn schon im vorigen Jahre gesehn, sagte Anton, und ihn gar nicht veraͤndert gefun- den, er ist eher juͤnger geworden; seine Haus- haltung mit seiner Frau und ihrer juͤngern Schwester Clara, mit seiner eignen Schwester und Schwiegermutter ist die liebenswuͤrdigste, die ich noch gesehn habe, so wie sein Landgut die schoͤnste Lage im ganzen Gebirge hat: ihr thaͤtet klug, mich dahin zu begleiten, was sich auch sehr gut mit deinen gelehrten antiquarischen Untersuchungen vereinigen laͤßt. Er muß! rief Theodor, oder ich laß ihn im Stich der gothischen, oder, wie er will, alt- deutschen Spitzgewoͤlbe. Daruͤber laͤßt sich noch sprechen, sagte Ernst halb zweifelnd; da ihm aber Anton noch erzaͤhlte, daß sie im naͤchsten Staͤdtchen die beiden laͤngst gesuchten Freunde Lothar und Friedrich finden wuͤrden, die ihn erwarteten, um mit ihm zum gemeinschaftlichen Freunde Manfred zu reisen, und sich einige Wochen bei diesem aufzuhalten, so ließ sich Ernst bewegen, seine Antiquitaͤten, auch noch so lange beiseit zu thun, um nach vielen Jahren einmal wieder im Kreise seiner Geliebten eine neue Jugend zu leben, und die alten theuern Erinnerungen seinem Herzen zu erwecken. Einleitung . Die Freunde wanderten weiter, und nach geraumer Zeit fragte Theodor: wie hast du nur so lange krank sein koͤnnen? Verwundre dich doch lieber, antwortete der Kranke, wie ich so bald habe genesen koͤnnen, denn noch ist es mir selber unbegreiflich, daß meine Kraͤfte sich so schnell wieder hergestellt haben. Wie wird sich der gute Friedrich freuen, sagte Theodor, dich einmal wieder zu sehn; denn immer warst du ihm unter seinen Freunden der liebste. Sagt vielmehr, antwortete der Genesene, daß wir uns in manchen Punkten unsers Wesens am innigsten beruͤhrten und am besten verstanden; denn, meine Geliebten, man lebt, wenn man das Gluͤck hat, mehre Freunde zu besitzen, mit jedem Freunde ein eignes, abgesondertes Leben; es bil- den sich mannichfache Kreise von Zaͤrtlichkeit und Freundschaft, die wohl die Gefuͤhle der Liebe zu andern in sich aufnehmen und harmonisch mit ihnen fortschwingen, dann aber wieder in die alte eigenthuͤmliche Bahn zuruͤck kehren, daher eben so wie mir der Vertrauteste in vielen Ge- sinnungen fremd bleibt, so hebt eben derselbe auch vieles Dunkle in meiner eignen Natur bloß durch seine Gegenwart hervor, und macht es licht, sein Gespraͤch, wenn es diese Punkte trifft, erweckt es zum klarsten innigsten Leben, und eben so wirkt meine Gegenwart auf ihn zu- ruͤck. Vielleicht war manches in Friedrich und Einleitung . mir, was ihr uͤbrigen mißverstandet, was sich in uns ergaͤnzte und durch unsre Freundschaft zum Bewußtsein gedieh, so daß wir uns man- cher Dinge wohl sogar erfreuten, die andre uns lieber haͤtten abgewoͤhnen moͤgen. Was du da sagst ist sehr wahr, fuͤgte Ernst hinzu, der Mensch, der uͤberhaupt das Leben und sich versteht wird mit jedem seiner Freunde ein eignes Vertrauen, eine andre Zaͤrtlichkeit fuͤh- len und uͤben wollen. O das ist ja eben das Himmlische der Freundschaft, sich im geliebten Gegenstande ganz zu verlieren, neben dem Ver- wandten so viel Fremdartiges, Geheimnißvolles ahnden, mit herzlichem Glauben und edler Zu- versicht auch das Nichtverstandne achten, durch diese Liebe Seele zu gewinnen und Seele dem Geliebten zu schenken! Wie roh leben diejeni- gen, und verletzen ewig sich und den Freund, die so ganz und unbedingt sich verstehn, beurthei- len, abmessen, und dadurch nur scheinbar ein- ander angehoͤren wollen! das heißt Baͤume faͤl- len, Huͤgel abtragen und Baͤche ableiten, um allenthalben flache Durchsicht, Mittheilung und Verknuͤpfung zu gewinnen, und einen schoͤnen romantischen Park deshalb verderben. Nicht fruͤh genug kann der Juͤngling, der so gluͤcklich ist, einen Freund zu gewinnen, sich von dieser selbsti- schen Forderung unsrer roheren Natur, von die- sem Mißverstaͤndniß der jugendlichen Liebe ent- woͤhnen. Einleitung . Was du da beruͤhrst, sagte Anton, beruͤhrt zugleich die Wahrheit, daß es nicht nur erlaubt, sondern fast nothwendig sei, daß Freunde vor einander Geheimnisse haben, ja es erklaͤrt gewis- sermaßen die seltsame Erscheinung, daß man dem einen Freunde wohl etwas anvertrauen mag, was man gern dem verschweigt, mit dem man vielleicht in noch vertrautern Verhaͤltnissen lebt. Es ist eine Kunst in der Freundschaft wie in allen Dingen, und vielleicht daher, daß man sie nicht als Kunst erkennt und treibt, entspringt der Mangel an Freundschaft, uͤber welchen alle Welt jetzt klagt. Hier kommen wir ja recht, rief Theodor leb- haft aus, in das Gebiet, in welchem unser Friedrich so gerne wandelt! Ihn muß man uͤber diese Gegenstaͤnde reden hoͤren, denn er verlangt und sieht allenthalben Geheimniß, das er nicht gestoͤrt wissen will, denn es ist ihm das Element der Freundschaft und Liebe. Verarge doch dem Freunde nicht, sprach er einmal, wenn du ahn- dest, daß er dir etwas verbirgt, denn dies ist ja nur der Beweis einer zaͤrteren Liebe, einer Scheu, die sich aͤngstlich um dich bewirbt, und sittsam an dich schmiegt; o ihr Liebenden, ver- geßt doch niemals, wie viel ihr wagt, wenn ihr ein Gefuͤhl dem Worte anvertrauen wollt! was laͤßt sich denn uͤberall in Worten sagen? Ist doch fuͤr vieles schon der Blick zu ungeistig und koͤrperlich! — — O Bruͤder, Engelherzen, wie Einleitung . viel thoͤrichtes Zeug wollen wir mit einander schwatzen! Thoͤricht? sagte Anton etwas empfindlich; ja freilich, wie alles thoͤricht ist, was das Ma- terielle zu verlassen strebt, und wie die Liebe selbst in dieser Hinsicht Krankheit zu nennen ist, wie Novalis so schoͤn sagt. Hast du noch nie ein Wort bereut, daß du selbst in der vertrautesten Stunde dem vertrautesten Freunde sagtest? Nicht, weil du ihn fuͤr einen Verraͤther halten konntest, sondern weil ein Gemuͤthsgeheimniß nun in einem Elemente schwebte, das so leicht seine rohe Natur dagegen wenden kann: ja du trauerst wohl selbst uͤber manches, das der Freund in dein Herz nie- der legen will, und das Wort klingt spaͤterhin mißmuͤthig und disharmonisch in deiner inner- sten Seele wieder. Oder verstehst du dies so gar nicht und hast es nie erlebt? Nicht boͤse, du lieber Kranker, sagte Theo- dor, indem er ihn umarmte; du kennst ja meine Art. Schatz, warst du denn nicht eben einver- standen daruͤber, daß es unter Freunden Miß- verstaͤndnisse geben muͤsse? diese meine Dumm- heit ist auch ein Geheimniß, glaubt es nur, das ihr auf eine etwas zartere Art solltet zu ahnden oder zu entwirren streben. Alle lachten, worauf Anton sagte: das Lachen wird mir noch beschwerlich und greift mich an, ich werde muͤde und matt in unsre Herberge ankom- men. — Er schoͤpfte hierauf wieder aus einem Einleitung . voruͤberrollenden Bache etwas Wasser, um sich zu erquicken, und wies den Wein ab, den ihm Ernst anbot, indem er sagte: ihr koͤnnt es nicht wissen, wie erquickend, wie paradiesisch dem Gene- senden die kuͤhle Woge ist, schon indem sie mein Auge sieht und mein Ohr murmeln hoͤrt, bin ich entzuͤckt, ja Gedanken von frischen Waͤldern und Wassern, von kuͤhlenden Schatten saͤuseln immer- fort anmuthig durch mein ermattendes Gemuͤth und faͤcheln sehnsuchtvoll die Hitze, die immer noch dort brennt. Viel zu koͤrperlich und schwer ist dieser suͤße, sonst so labende Wein, zu heiß und duͤrr, und wuͤrde mir alle Traͤume meines Innern in ihrem lieblichen Schlummer stoͤren. Jeder nach seinem Geschmack, sagte Theo- dor, indem er einen herzhaften Trunk aus der Flasche that; es lebe die Verschiedenheit der Gesin- nungen! Womit aber hast du dich in deiner Krankheit beschaͤftigen koͤnnen? Der Arzt verlangte, sagte Anton, ich sollte mich durchaus auf keine Weise beschaͤftigen, wie denn die Aerzte uͤberhaupt Wunder von den Kran- ken fodern; ich weiß nicht, welche Vorstellungen der meinige von den Buͤchern haben mußte, denn er war hauptsaͤchlich gegen das Lesen eingenom- men, er hielt es in meinem Zustande fuͤr eine Art von Gift, und doch bin ich uͤberzeugt, daß ich dem Lesen zum Theil meine Genesung zu dan- ken habe. Unmoͤglich, sagte Ernst, kann im Zustand Einleitung . des Fiebers, des Ueberreizes und der Abspan- nung diese Anstrengung eine heilsame sein, und ich fuͤrchte, dein Arzt hat nur zu sehr Recht gehabt. Was Recht! rief Anton aus; er hatte einen ganz falschen Begriff von der deutschen Litera- tur, so wie von meiner Kunst des Lesens, denn ich huͤtete mich wohl von selbst vor allem Vor- trefflichen, Hinreißenden, Pathetischen und Spe- kulativen, was mir in der That haͤtte uͤbel bekom- men koͤnnen; sondern ich wandte mich in jene anmuthige Gegend, die von den Kunstverstaͤndi- gen meistentheils zu sehr verachtet und vernach- laͤssigt wird, in jenen Wald voll aͤcht einheimi- scher und patriotischer Gewaͤchse, die mein Ge- muͤth gelinde dehnten, gelinde mein Herz beweg- ten, still mein Blut erwaͤrmten, und mitten im Genuß sanfte Ironie und gelinde Langeweile zulie- ßen. Ich versichre euch, einen Tempel der Dank- barkeit moͤcht' ich ihnen genesend widmen; und wie viele auch vortrefflich sein moͤgen, so waren es doch hauptsaͤchlich drei Autoren, die ich studirt und ihre Wirkungen beobachtet habe. Ich bin begierig, sagte Ernst. Als ich am schwaͤchsten und gefaͤhrlichsten war, fuhr Anton fort, begann ich sehr weislich, gegen des Arztes ausdruͤckliches Verbot, mit un- serm deutschen La Fontaine. Denn ohne alles Lesen aͤngstigten mich meine Gedanken, die Trauer uͤber meine Krankheit, tausend Plane und Vor- Einleitung . stellungen so ab, daß ich in jener anbefohlnen Muße haͤtte zu Grunde gehen muͤssen. Kann man nun laͤugnen, daß dieser Autor nicht manches wahr und gut auffaßt, daß er manche Zustaͤnde, wie Charaktere, treffend schildert, und daß die meisten seiner Buͤcher sich durch eine gewisse Rein- lichkeit der Schreibart empfehlen? Ohne alle Iro- nie sei es gesagt, viele seiner kleinen Erzaͤhlun- gen haben mich wahrhaft ergoͤtzt und befriedigt. Seine groͤßeren Werke, denen die meisten dieser guten Eigenschaften abgehn, ersetzen diesen Man- gel durch die unerschoͤpfliche Liebe, die schon in Kinderseelen heroisch arbeitet, durch einige Ver- fuͤhrer im großen Styl und ansehnliche Graͤuel, oder gar durch Kunsturtheile, die mich vorzuͤglich inniglich erfreuten, und die er leider seinen Buͤ- chern nur zu selten einstreut. Wie war ich hin- gerissen, als ich in einem seiner Romane an die ausgefuͤhrte Meinung gerieth, mit welcher er den Hogarth uͤber Rafael setzt. Ja, meine Freunde, es giebt gewisse Vorstellungen, die unmittelbar uns Elasticitaͤt des Koͤrpers und der Seele zu- fuͤhren, und so schelte mir keiner die großartige Albernheit, denn ich war nach diesem Kapitel unverzuͤglich besser, und durfte doch noch keine China gebrauchen. So, sagte Theodor, wurde der ganz gesunde Spartaner durch Tyrtaͤus Hymnenklang zum Krie- gestanze befluͤgelt. Was folgte nun auf diese Periode? Einleitung . Diese suͤßen Traͤume der Kindheit und Sehn- sucht, fuhr Anton fort, lagen schon hinter mir, meine muͤndig werdende Phantasie forderte ge- haltvolleres Wesen. Treflich kamen meinem Be- duͤrfniß alle die wundervollen, bizarren und tol- len Romane unsers Spieß entgegen, von denen ich selbst die wieder las, die ich schon in fruͤ- heren Zeiten kannte. Die Tage vergingen mir un- glaublich schnell, und am Abend hatte ich freund- liche Besuche, in deren Gespraͤchen die Toͤne jener graͤßlichen, gespenstigen Begebenheiten wieder ver- hallten. So ward mein Leben zum Traum, und die angenehme Wiederkehr derselben Gegenstaͤnde und Gedanken fiel mir nicht beschwerlich, auch war ich nun schon so stark, daß ich einer guten Schreibart entbehren konnte, und die herzliche Abgeschmacktheit der Luftregenten, Petermaͤnn- chen, Kettentraͤger, Loͤwenritter, gab mir durch die vielfache und mannichfaltige Erfindung einen staͤrkern Ton; meine Ironie konnte sich nun schon mit der Composition beschaͤftigen, und der Arzt fand die staͤrkenden Mittel so wie eine Nachlas- sung der zu strengen Diaͤt erlaubt und nicht mehr gefaͤhrlich. Wieder eine Lebens-Periode beendigt, sagte Theodor. Nun war aber guter Rath theuer, sprach Anton weiter. Ich hatte die Schwaͤrmereien des Juͤnglings uͤberstanden, Geschichte und wirkliche Welt lockten mich an, zusammt der nicht zu ver- Einleitung . achtenden Lebens-Philosophie. Mein Fieber hatte zwar nachgelassen, konnte aber immer wieder ge- faͤhrlich werden, ich litt unaussprechlichen Durst, und durfte nicht trinken, was mein Schmachten begehrte, immer nur wenig und nichts Kuͤhles, und ich traͤumte nur von kalten Orangen, von Citronen, ja Essig, machte Salat in meiner Phan- tasie zu ungeheuern Portionen und verzehrte sie, trank aus Flaschen im Felsenkeller selbst den kuͤhl- sten Nierensteiner, und badete mich dann in Mor- genluft in den Wogen des gruͤn rauschenden Rheins. In dieser schwelgenden Stimmung begegnete mir nun der vortrefliche Cramer mit seinen Ritter- und andern Romanen, und wie soll ich wohl einem kalten, gefunden, vernuͤnf- tigen Menschen, der trinken darf, wann und wie viel er will, die Wonne schildern, die mich auf meinem einsamen Lager diese vortreflichsten Werke genießen ließen? Ich kann nun sagen: werdet krank, lieben Freunde und leset, und ihr unterschreibt alles, was neben euch gehender Re- zensent so eben behauptet. Maͤßige dich nur, sagte Theodor, sonst bist du gezwungen, wieder Wasser zu schoͤpfen, um dir den Kopf naß zu machen, und auf diesem anmuthigen Huͤgel haben wir keine Quelle in der Naͤhe. Ja, rief Anton aus, Dank diesem biedersten Deutschen fuͤr seine Kaͤmpen, fuͤr seinen Has- par a Spada und den Raugrafen zu Dassel! Einleitung . Wie saß ich mit ihnen allen zu Tische und sah und half die Kannen Ruͤdesheimer und Nieren- steiner leeren; wir verachteten es, in Bechern nur einzuschenken, nein, aus dem vollen Humpen selbst tranken wir Großherzigen das kuͤhle, herr- liche, duftende Naß, und ich lachte in dieser Gesellschaft meinen Arzt rechtschaffen aus: ent- zuͤckt war ich mit dir, und begleitete dich be- wundernd, du edelster Bomsen, ich zechte Zug fuͤr Zug mit dir, du Großer, der schon des Mor- gens um vier Uhr betrunken zu Rosse steigt, um Thaten eines deutschen Mannes adlich zu verrich- ten. Wie deine Gesinnungen, du großer Dichter, so ist auch dein Styl gediegen und deutsch, und alle die Pruͤgel und Puͤffe, die den Feinden oder schlechten Menschen zugetheilt werden, oder gar den boshaften Pfaffen, waren mir eben so viele Herzstaͤrkungen und Brownische Curmittel, und darum trug ich auch kein Bedenken, deine vor- zuͤglichsten Werke nach der Beendigung wieder von vorn zu beginnen, denn hier war ja Erfin- dung, Charakter, Essen, Trinken, Lebens-Philo- sophie, Wirklichkeit und Geschichte alles meiner draͤngenden Sehnsucht dargebracht, und alles gleich vortrefflich. Mein schmachtender Durst trieb sich nun nicht mehr in gigantischen Bildern zweck- los um, sondern fand seine Bahn vorgezeichnet und große Beispiele, denen er sich anschloß; nun traͤumte ich nicht mehr als Polyphem unter den steinernen Treppen eines Weinberges zu liegen, Einleitung . und daß sich vom Himmel herunter eine unge- heure Kelterpresse druͤcke, die mit Einem Wurf den ganzen Weinberg ausquetsche, so daß in Caskaden der Wein die Marmorstufen herunter rausche und wie in ein großes Bassin sich unten in meinen durstenden Schlund ergoͤsse. Von diesen Riesenbildern war ich geheilt, und schon durft' ich mit Vorsicht kuͤhlende Getraͤnke genie- ßen, schon widerstanden mir Fleischspeisen nicht mehr, und mein Arzt schrieb sich die Namen der vornehmsten Cramerschen Romane auf, um sie aͤhnlichen Kranken zu empfehlen; ich wandelte schon im Zimmer, sah bei der ersten Fruͤhlings- waͤrme aus dem Fenster, durfte wieder phanta- siren, und nach einigen Wochen konnt' ich schon die Hoffnung fassen, bald dies Gebirge zu be- treten, in welchem ich euch, ihr Lieben, zur Vol- lendung meiner Genesung, gefunden. — Aber eilt, man laͤutet schon die Abendglocke, wir sind vor dem Staͤdtchen, dort treffen wir die Freunde und vernehmen vielleicht wunderliche Dinge von ihnen. Im Baumgarten des Gasthofes saßen am andern Morgen die fuͤnf Vereinigten um einen runden Tisch, ihre Stimmung war heiter wie der schoͤne Morgen, nur Friedrich schien ernst und in sich gekehrt, so sehr auch Lothar jede Gelegenheit ergriff, ihn durch Scherz und Froh- sinn zu ermuntern. Einleitung . Wahrlich! rief Theodor aus, es giebt kein groͤßeres Gluͤck, als Freunde zu besitzen, sie nach Jahren in schoͤner Gegend in anmuthiger Fruͤh- lingszeit wieder zu finden, mit ihnen zu schwatzen, alle ihre Eigenheiten wieder zu erkennen, sich der Vergangenheit zu erinnern und mit dem Zu- trauen allen in die Augen zu blicken, wie ich es Gottlob! hier thun kann. Nur der Friedrich ist nicht, wie sonst. Hast du Gram, mein Lieber? Laß mich, guter heitrer Freund, sagte Frie- drich, es soll nicht lange waͤhren, so wirst du und ihr alle mehr von mir erfahren. Weißt du doch nicht, ob ich nicht vielleicht am Gluͤcke krank liege. Wenn das ist, sagte Theodor, so moͤge Gott nur den Arzt noch recht lange von dir entfernt halten. O waͤrst du doch lieber gar inkurabel! Aber leider ist die Heilung dieser Krankheit nur gar zu gewiß; o die Zeit, die boͤse, liebe, gute, alte, vergeßliche und doch mit dem unverwuͤst- lichen Gedaͤchtniß, das wiederkaͤuende große ernste Thier, die alles erzeugt und alles verwandelt, sie wird freilich machen, daß wir einer den an- dern und uns selbst nach wenigen Jahren mit ganz veraͤnderten Augen ansehn. Dadurch koͤnntest du ihn noch trauriger machen, fiel Lothar ein; freilich will uns alles uͤberreden, daß das Leben kein romantisches Lust- spiel sei, wie etwa Was ihr wollt, oder Wie es euch gefaͤllt, sondern daß es aus diesen Regio- nen Einleitung . nen entrinnt, wir moͤchten es auch noch so gerne so wollen und wenn es uns auch uͤber die Maßen gefiele; der Himmel verhuͤtet auch, daß es sel- ten in ein großes Trauerspiel ausartet, sondern es verlaͤuft sich freilich meist, wie viele unerquick- liche Werke mit einzelnen schoͤnen Stellen, oder gar wie der herrliche Rhein in Sand und Sumpf. O nein, sagte Friedrich, glaubt es mir, meine Freunde, das Leben ist hoͤheren Ursprungs, und es steht in unserer Gewalt es seiner edlen Ge- burt wuͤrdig zu erziehn und zu erhalten, daß Staub und Vernichtung in keinem Augenblicke daruͤber triumphiren duͤrfen: ja, es giebt eine ewige Jugend, eine Sehnsucht, die ewig waͤhrt, weil sie ewig nicht erfuͤllt wird; weder getaͤuscht noch hintergangen, sondern nur nicht erfuͤllt, damit sie nicht sterbe, denn sie sehnt sich im innersten Herzen nach sich selbst, sie spiegelt in unendlich wechselnden Gestalten das Bild der nimmer ver- gaͤnglichen Liebe, das Nahe im Fernen, die himm- lische Ferne im Allernaͤchsten. Ist es denn moͤg- lich, daß der Mensch, der nur einmal aus die- ser Quelle des heiligen Wahnsinnes trinken durfte, je wieder zur Nuͤchternheit, zum todten Zweifel erwacht? Bei alledem, sagte Theodor, waͤre ein Jung- brunnen, von dem die Alten gedichtet haben, nicht zu verschmaͤhn; waͤr' es auch nur der grauen Haare wegen. Wie koͤnntet ihr, fuhr Friedrich fort, doch I. [ 3 ] Einleitung . die Schoͤnheit nur empfinden, oder gar lieben, wenn sie unverwuͤstlich waͤre? Die suͤße Elegie in der Entzuͤcknng , die Wehklage um den Adonis und Balder ist ja der schmachtende Seufzer, die wolluͤstige Thraͤne in der ganzen Natur! dem Fluͤchtigen nacheilen, es festhalten wollen, das uns selbst in festgeschlossenen Armen entrinnt, dies macht die Liebe, den geheimnißvollen Zau- ber, die Krankheit der Sehnsucht, das vergoͤt- ternde Schmachten moͤglich. Und, fuhr Ernst fort, wie milde redet uns die Ewigkeit an mit ihrem majestaͤtischen Ant- litz, wenn wir auch das nur als Schatten und Traum besitzen, oder uns ihm naͤhern koͤnnen, was das Goͤttlichste dieser Erde ist? das muß ja unser Herz zum Unendlichen ermuntern und staͤrken, zur Tugend, zum Himmel, zu jener Schoͤne uns fuͤhren, die nie verbluͤht, deren Entzuͤckung ewige Gegenwart ist. Muͤßten wir nur nicht vorher aus dem Le- the trinken, sagte Anton, und zur Freude spre- chen: was willst du? und zum Lachen: du bist toll! Theodor sprang vom Tische auf, umarmte jeden und schenkte von dem guten Rheinwein in die Roͤmer: ei! rief er aus, daß wir wieder so beisammen sind! daß wir wieder einmal unsre zusammen gewickelten Gemuͤther durchklopfen und ausstaͤuben koͤnnen, damit sich keine Motten und andres Gespinst in die Falten nisten! Wie wohl Einleitung . thut das dem deutschen Herzen beim Glase deut- schen Weins! Ja, unsre Herzen sind noch frisch, wie ehedem, und daß sich auch keiner von uns das Tabackrauchen angewoͤhnt hat, thut mir in der Seele wohl. Immer der Alte! sagte Lothar, du pflegst immer die Gespraͤche da zu stoͤren, wo sie erst recht zu Gespraͤchen werden wollen; ich war begie- rig, wohin diese seltsamen Vorstellungen wohl fuͤhren, und wie diese Gedankenreihe oder dieser Empfindungsgang endigen moͤchte. Wie? sagte Theodor, das kann ich dir aufs Haar sagen: sieh, Bruderseele, stehn wir erst an der Ewigkeit und solchen Gedanken oder Wor- ten, die sich gleichsam ins Unendliche dehnen, so koͤmmt es mir vor, wie ein Abloͤsen der Schild- wachen, daß nun bald eine neue Figur auf der- selben Stelle auf und ab spatzieren soll. Ich wette, nach zweien Sekunden haͤtten sie sich ange- sehn, kein Wort weiter zu sagen gewußt, das Glas genommen, getrunken und sich den Mund abgewischt. „Weiter bringt es kein Mensch, stell er sich auch wie er will.“ O das ist das Erquickliche fuͤr unser einen, daß das Groͤßte wieder so an das Kleinste graͤnzen muß, daß wir denn doch Alle Menschen, oder gar arme Suͤnder sind, jeder, nachdem sein Genius ihn lenkt. Du scheust nur, sagte Anton, die liebliche Stille, das Saͤuseln des Geistes, welches in der Einleitung . Mitte der innigsten und hoͤchsten Gedanken wohnt und dessen heilige Stummheit dem unverstaͤnd- lich ist, der noch nie an den Ohren ist beschnit- ten worden. Ohren, antwortete Theodor, klingt im Deut- schen immer gemein, Gehoͤrwerkzeuge affektirt, Hoͤr- vermoͤgen philosophisch, und die Hoͤrer oder die Hoͤrenden ist nicht gebraͤuchlich, kurzum, man kann sie selten nennen, ohne anstoͤßig zu sein. Der Spanier vermeidet auch gern, so schlecht hin Ohren zu sagen. Am besten braucht man wohl Gehoͤr, wo es paßt, oder das Ohr einzeln, wodurch sie beide gleich edler werden. Dein Tabakrauchen hat aber das vorige Gespraͤch erstickt, sagte Lothar; freilich ist es die unkuͤnstlerischste aller Beschaͤftigungen und der Genuß, der sich am wenigsten poetisch erheben laͤßt. Mir ist es uͤber die Gebuͤhr zuwider, sagte Theodor, und darum betrachtete ich euch schon alle gestern Abend darauf, denn es giebt einen eignen Pfeifenzug im Winkel des Mundes und unter dem Auge, der sich an einem starken Rau- cher unmoͤglich verkennen laͤßt; deshalb war ich schon gestern uͤber eure Phystognomien beruhigt. Mir scheint die neuste schlimmste Zeit erst mit der Verbreitung dieses Krautes entstanden zu sein, und ich kann selbst auf den gepriesenen Compaß boͤse sein, der uns nach Amerika fuͤhrte, Einleitung . um dies Unkraut mit manchen andern Leiden zu uns heruͤber zu holen. Wie einige Zuͤge im Gesicht durch die Pfeife entstehn, sagte Lothar, so werden die feinsten des Witzes und gutmuͤthigen Spottes, so wie die Grazie die Lippen durchaus, durch die oft angelegte Pfeife vernichtet. Ich ließe noch die kalte Pfeife gelten, sagte Ernst, so hielt sich einer meiner Freunde eine von Thon, um sie in der gemuͤthlichsten Stim- mung zuweilen in den Mund zu nehmen, und dann recht nach seiner Laune zu sprechen; aber der boͤse, beizende, uͤbel riechende Rauch macht das Ding fatal. Ich lernte einmal einen Mann kennen, der mir sehr interessant war, und der sich auch in meiner Gesellschaft zu gefallen schien, wir sprachen viel mit einander, endlich, um uns recht genießen zu koͤnnen, zog er mich in sein Zimmer, ließ sich aber beigehn, zu groͤßerer Ver- traulichkeit seine Pfeife anzuzuͤnden, und von diesem Augenblick konnte ich weder recht hoͤren und begreifen, was er vortrug, noch weniger aber war ich im Stande, eine eigne Meinung zu haben, oder nur etwas anders als Fluͤche auf den Rauch in meinem Herzen zu denken, — „nicht laute, aber tiefe“ — wie Macbeth sagt. Lothar lachte: mit einem trostlosen Liebha- ber, fuhr er fort, ist es mir einmal noch schlim- mer ergangen, er hatte mich hingerissen und ge- ruͤhrt; bei einer kleinen Ruhestelle der Klage Einleitung . suchte er seine Pfeife, Schwamm und Stein, schlug mit Virtuositaͤt schnell Feuer, und ver- sicherte mich nachher in abgebrochenen rauchen- den Pausen seiner Verzweiflung. Ich muste lachen, und nur zum Gluͤck daß mich der Rauch in ein starkes Husten brachte, sonst haͤtt' ich dem guten Menschen als ein unnatuͤrlicher Barbar erschei- nen muͤssen. Es laͤßt sich wohl, sagte Theodor, alles mit Grazie thun, ich kenne wenigstens einen großen Philosophen, dem in seiner Liebenswuͤr- digkeit auch dies edel steht. Mit dem Caffee wird nach der Mahlzeit eine lange Pfeife gebracht, die der Bediente anzuͤndet, es geschehn ruhig und ohne alle Leidenschaft einige Zuͤge, und eh man noch die Unbequemlichkeit bemerkt, ist die Sache schon wieder beschlossen. Aber schrecklich sind freilich die kurzen, am Munde schwebenden Instrumente, die jede Bewegung mit machen muͤssen und sich jeder Thaͤtigkeit fuͤgen, die den ganzen Tag die Lippen pressen und selbst die Sprache veraͤndern. Mir ist es nicht unwahrscheinlich, sagte Anton, daß diese Gewohnheit, die so uͤberhand genommen, die Menschen passiver, traͤger und unwitziger gemacht hat. Wir sollen keinen Ge- nuß haben, der uns unaufhoͤrlich begleitet, der etwas Stetiges wird, er ist nur erlaubt und edel durch das Voruͤbergehende. Darum ver- achten wir den Saͤufer, ob wir alle gleich gern Einleitung . Wein trinken, und der Raͤscher ist laͤcherlich, der seine Zunge durch ununterbrochenes Kosten er- muͤdet; vom Raucher denkt man billiger, weil es eben Gewohnheit geworden ist, die man nicht mehr beurtheilt, doch begreif' ich es wenigstens nicht, wie selbst Frauen jetzt an vielen Orten da- gegen tolerant werden. Koͤnnt ihr euch, sagte Lothar, einen rauchen- den Apostel denken? Eben so wenig, sagte Ernst, als den adli- chen Tristan mit der Pfeife, oder den hochstre- benden Don Quixote. Dem Sancho aber, sagte Lothar, fehlt sie beinah; haͤtten manche umarbeitende Uebersetzer mehr Genie gehabt, so haͤtten sie diese lieber hinzu fuͤgen, als so manche Schoͤnheit weglassen duͤrfen. Vielleicht ist dieses Beduͤrfniß, fiel Friedrich ein, ein Surrogat fuͤr so manches verlorne Be- duͤrfniß, des oͤffentlichen Lebens der Galanterie der Gesellschaft, der Freiheit und der Feste. Vielleicht soll sich zu Zeiten der Mensch mehr betaͤuben, und dann ist es wohl moͤglich, daß er seinen alten verrufenen blauen Dunst fuͤr ein wirkliches Gut haͤlt. Nicht bloß Taback, auch philosophische Phrasen, Systeme, und manches andre wird heut zu Tage geraucht, und beschwert den Nichtrauchenden ebenfalls mit unleidlichem Geruch. Nicht so melankolisch, sagte Theodor, laßt Einleitung . uns diese tiefsinnige Betrachtung wenden, denn am Ende koͤmmt doch in keiner Tugend der ganze Mensch so rein zum Vorschein, als in den Thor- heiten. Die Berge rauchen oft und die Thaͤler sind voll Nebel, viele Gegenden verlieren ihn oft in Monaten nicht, die See dampft, und so laßt denn unserm guten Zeitalter auch seinen Dampf. Nur wir wollen unsrer Sitte treu blei- ben. Besorgt bin ich aber fuͤr Manfred, daß er sich diesen Zustand als Appendix der Ehe moͤchte angewoͤhnt haben, um seine weisen Lehr- spruͤche aus dampfendem Munde, wie Orakel aus rauchenden Hoͤlen, verehrlicher zu machen, und ich gestehe uͤberhaupt, daß ich mich ihm nur mit einer gewissen heimlichen Furcht wieder naͤhern kann. Du bist ohne Noth besorgt, sagte Lothar. Seit lange kenne ich unsern Freund in seinem haͤuslichen Zustande, und ich habe nicht bemer- ken koͤnnen, daß er seinen jugendlichen Frohsinn und seine muthwillige Laune gegen jene altkluge Hausvaͤterlichkeit vertauscht habe, im Gegentheil, kann er oft so ausgelassen sein, daß die Schwie- germutter im Hause so wenig laͤstig oder uͤber- fluͤssig ist, daß sie vielmehr zuweilen als kuͤhlende und besonnene Vernunft zum allgemeinen Besten hervortreten muß. Wenn alles uͤbrige, sagte Theodor, auf den- selben Fuß eingerichtet ist, so ist seine Haushal- tung die vollkommenste in der Welt. Einleitung . Noch mehr, fuhr Lothar fort, diese Frau ist noch anmuthig und reizend, und man glaubt es kaum, daß sie zwei erwachsene Toͤchter haben koͤnne. Sie hat selbst einige annehmlich schei- nende Parthieen ausgeschlagen, und Maͤnner haben sich um sie beworben, die an Jahren weit juͤnger sind. Wenn die Mutter schon so gefaͤhrlich ist, sagte Theodor, so muß der Umgang mit den Toͤchtern gar herz- und halsbrechend sein. Die Gattin unsers Manfred, erzaͤhlte Lothar weiter, ist sehr still und sanft, von zartem Ge- muͤth und ruͤhrend schoͤner Gestalt, er hat noch das Betragen des Liebhabers, und sie das bloͤde geschaͤmige Wesen einer Jungfrau; ihre juͤngere Schwester Clara ist der Muthwille und die Hei- terkeit selbst, launig, witzig, und fast immer lachend, im bestaͤndigem kleinen Kriege mit Man- fred; man sollte glauben, wenn man sie beisam- men sieht, er haͤtte diese lieben muͤssen, und die aͤltere, ihm so ungleiche Schwester, haͤtte ihn nicht ruͤhren koͤnnen, allein die Liebe fodert viel- leicht eine gewisse Verschiedenheit des Wesens und des Charakters. Ich komme darauf zuruͤck, sagte Ernst, daß wir immer noch nicht wissen koͤnnen, wie viel in Manfred angewoͤhnte Manier ist, und wie viel Natur; ich habe oft bemerkt, daß er ernst, ja traurig war, wenn die Umgebung ihn fuͤr ausschweifend lustig hielt. Er hat es von je Einleitung . gescheut, seine innersten Gefuͤhle kund zu thun, und so wirft er sich oft gewaltthaͤtig in eine Laune, die ihn quaͤlen kann, indem sie andre ergoͤtzt. Wie wird es aber, fragte Theodor weiter, mit den Kindern gehalten? Wahrscheinlich hat sich doch auch zu ihm die neumodische und weich- liche Erziehung erstreckt, jene allerliebste Confu- sion, die jeden Gegenwaͤrtigen im ununterbro- chenen Schwindel erhaͤlt, indem die Kinderstube allenthalben, im Gesellschaftszimmer, im Garten und in jedem Winkel des Hauses ist, und kein Gespraͤch und keine Ruhe zulaͤßt, sondern nur ewiges Geschrei und Erziehen sich hervor thut, eine unsterbliche Zerstreutheit im scheinbaren Acht- geben; jenes Chaos der meisten Haushaltungen, das mir so erschrecklich duͤnkt, daß ich die neuen Paͤdagogen, die es veranlaßt haben, und jene Entdecker der Muͤtterlichkeit gern als Verdammte in einen eignen Kreis der Danteschen Hoͤlle hin- ein gedichtet haͤtte, der nur eine solche neuer- fundene allgegenwaͤrtige Kinderstube mit all ihrem Wirwarr und Schariwari moderner Elternliebe darzustellen brauchte, um sich als ein nicht un- wuͤrdiger Beitrag jener furchtbaren Zirkel anzu- schließen. Auch von dieser neuen, fast allgemein ver- breiteten Krankheit, erzaͤhlte Lothar, findest du in seinem Hause nichts: seine junge Gattinn ist eine wahre Mutter, fast so, wie es unsre Muͤt- Einleitung . ter noch waren; sie liebt ihre beiden Kinder uͤber alles, und hat eben darum eine Art von Scham, in Gesellschaft die Mutter zu spielen, und die Kinder wie Dekorationen an sich zu haͤngen; die Wartung und alle Erziehung der Kleinen wird von ihr still im Heiligthum eines entlegenen Zim- mers besorgt, und weil sie ordentlich ist, und weiß, was sie befiehlt, so darf sie die Kinder zu Zeiten dem gehorsamen Gesinde uͤberlassen, und sie kann ruhig und heiter an der Gesellschaft Theil nehmen, weil sie die Stunde beobachtet; kurz, man nimmt an den allerliebsten Creaturen nur so viel Theil, als man selbst will, und ich, der ich die Kinder kindlich liebe, bin immer gezwungen, sie aufzusuchen. Vortrefflich! sagte Ernst, dies beweist am meisten fuͤr die Schwiegermutter, die die Toͤch- ter sehr gut und zur Ordnung muß erzogen haben. In deiner Beschreibung finde ich gerade die ehr- wuͤrdigsten Muͤtter wieder, die ich je gekannt habe. Alles Gute und Rechte soll nur so geschehn, daß es ein unachtsames Auge gar nicht gewahr wird. Unser Vaterland aber ist das Land der geraͤuschvollsten Erziehung, und die Nation wird bald nur aus Erziehern bestehen; fuͤr Muͤtter und Kinder sind Bibliotheken, und hundert Journale und Almanache geschrieben, alle ihre Tugenden und Pflichten hat man tausendfaͤltig in Kupfer gestochen und zur groͤßern Aufmunterung illumi- nirt, und aus dem Natuͤrlichsten und Einfach- Einleitung . sten, was kaum viele Worte zulaͤßt, haben wir mit Kunst einen Goͤtzen der vollstaͤndigsten Thor- heit geschnitzt, und es im ausgefuͤhrten System so weit gebracht, daß wir durch Beobachtung, Philosophie und Natur uns von allem Mensch- lichen und Natuͤrlichen auf unendliche Weite ent- fernt haben. Nicht genug, daß man die Kin- der fast von der Geburt mit Eitelkeit verdirbt, man ruinirt auch die wenigen Schulen, die etwa noch im alten Sinn eingerichtet waren; man zwingt die Kinder im siebenten Jahr, zu lernen, wie sie Scheintodte zum Leben erwecken sollen, man verschreibt Erzieher aus den Gegenden, in welchen diese Produkte am besten gerathen; ja die Staaten selbst verbieten das Buchstabiren, und machen es zur Gewissenssache, das Lesen anders als auf die neue Weise zu erlernen, und fast alle Menschen, selbst die bessern Koͤpfe nicht ausgenommen, drehen sich im Schwindel nach diesem Orient, um von hier den Messias und das Heil der Welt baldigst ankommen zu sehn; aber gewiß, nach zwanzig Jahren verspotten wir aus einer neuen Thorheit heraus diese jetzige. Dies sind auch nur Schildwachen, die sich abloͤ- sen, und so viel neue Figuren auch kommen, so bleiben sie doch immer auf derselben Stelle wan- deln. Jeder Mensch hat etwas, das seinen Zorn erregt, und ich gestehe, ich bin meist so schwach, daß die Paͤdagogik den meinigen in Bewegung setzt. Einleitung . So scheint es, sagte Lothar; ein geistreicher Mann sagte einmal: wir sind schlecht erzogen, und es ist nichts aus uns geworden, wie wird es erst mit unsern Kindern aussehn, die wir gut erziehn! Mir daͤucht, sagte Theodor, es waͤre nun wohl an der Zeit, auch einmal eine Wochenschrift „der Kinderfeind“ zu schreiben, um die Thor- heiten laͤcherlich zu machen, und der ehemaligen Strenge und Einfalt wieder Raum und Auf- nahme vorzubereiten. Du faͤndest keine Leser, sagte Ernst, unter dieser Ueberfuͤlle humaner Eltern und gereifter ausgebildter Erzieher. Friedrich war schon vor einiger Zeit vom Tisch und Gespraͤch aufgestanden, und auf sei- nen Wink hatte sich Anton zu ihm gesellt. Sie gingen unter einen Baumgang, von welchem man weit auf die Landstraße hinaus sehn konnte, die sich uͤber einen nahe liegenden Berg hinweg zog. Mich kuͤmmern alle diese Dinge nicht, sagte Friedrich, treib' es jeder, wie er mag und kann, denn mein Herz ist so ganz und durchaus von einem Gegenstande erfuͤllt, daß mich weder die Thorheiten noch die ernsthaften Begebenheiten unserer Zeit sonderlich anziehn. Er vertraute sei- nem Freunde, der seine Verhaͤltnisse schon kannte, daß es ihm endlich gelungen sei, alle Bedenk- lichkeiten seiner geliebten Adelheid zu uͤberwin- den, und daß sie sich entschlossen habe, auf ir- Einleitung . gend eine Weise das Haus ihres Oheims, des Geheimeraths, zu verlassen: dieser wolle einen alten Lieblingsplan fast gewaltthaͤtig durchsetzen, sie mit seinem juͤngeren Bruder, einem reichen Gutsbesitzer, zu vermaͤhlen, weil er sich so an die Gesellschaft des schoͤnen liebenswuͤrdigen Kin- des gewoͤhnt habe, daß er sich durchaus nicht von ihr trennen koͤnne, er sei gesonnen, nach der Heirath zu diesem Bruder zu ziehn, um in sei- nem kinderlosen Witwerstande gemeinschaftlich mit ihm zu hausen. Es scheint vergeblich, so endete Friedrich, diesem Plan unsre Liebe entgegen zu setzen, wenigstens haͤlt es Adelheid fuͤr unmoͤg- lich, und zwar so sehr, daß der Oheim noch gar nicht einmal von meinem Verhaͤltnisse zu ihr weiß; so erwarte ich nun bei Manfred morgen oder uͤbermorgen einen Boten, der unser Schicksal auf immer entscheiden wird. Eine druͤckende Lage wird oft am leichtesten durch eine Gewaltthaͤtig- keit geloͤst, und ich hoffe, daß Manfred mir durch seine Klugheit und seinen Muth beistehen wird. Ich wuͤrde mich unserm Ernst auch gern vertrauen, wenn er nicht gar zu gern tadelte, wo aller Rath zu spaͤt koͤmmt. Doch kann Vorsicht nicht schaden, sagte Anton, und huͤte dich nur, dich von Manfred, der alles Abentheuerliche uͤbertrieben liebt, in einen Plan verwickeln zu lassen, dessen Verdrieß- lichkeiten vielleicht dein ganzes Leben verwirren. Denn es ist gar zu anlockend, auf Unkosten eines Einleitung . andern muthig und unternehmend zu sein, der Mensch genießt alsdann das Vergnuͤgen des Wa- gehalses zugleich mit der Lust der Sicherheit. Mein Freund, sagte Friedrich, ich habe lange geduldet, gefuͤhlt und gepruͤft, und mich gereut, daß ich nicht schon fruͤher gethan habe, was du uͤbereilt nennen wuͤrdest. Sind wir ganz von einem Gefuͤhl durchdrungen, so handeln wir am staͤrksten und konsequentesten, wenn wir ohne Reflexion diesem folgen. Doch, laß uns jetzt davon abbrechen. Ich mißverstehe dich wohl nur, sagte Anton, weil du mir nicht genug vertraut hast. Auch dazu werden sich die Stunden finden, antwortete Friedrich. In der Entfernung hatte ich mir vorgesetzt, dir alles zu sagen, und nun du zugegen bist, stammelt meine Zunge, und jedes Bekenntniß zittert zuruͤck. Ihre Gestalt und Holdseligkeit toͤnt wie auf einer Harfe ewig in meinem Herzen und jede saͤuselnde Luft weckt neue Klaͤnge auf; ich liebe dich und meine Freunde inniger als sonst, aber ohne Worte fuͤhl' ich mich in eurer Brust, und jetzt wenigstens schiene mir jedes Wort ein Verrath. Traͤume nur deinen schoͤnen Traum zu En- de, sagte Anton, berausche dich in deinem Gluͤck, du gehoͤrst jetzt nicht der Erde; nachher finden wir uns wieder alle beisammen, denn irgend einmal muß der arme Mensch doch erwachen und nuͤchtern werden. Einleitung . Nein, mein lieber zagender Freund, rief Friedrich ploͤtzlich begeistert aus, laß dich nicht von dieser anscheinenden Weisheit beschwatzen, denn sie ist die Verzweiflung selbst! Kann die Liebe sterben, dies Gefuͤhl, das bis in die fern- sten Tiefen meines Wesens blitzt und die dun- kelsten Kammern und alle Wunderschaͤtze meines Herzens beleuchtet? Nicht die Schoͤnheit meiner Geliebten ist es ja allein, die mich begluͤckt, nicht ihre Holdseligkeit allein, sondern vorzuͤglich ihre Liebe; und diese meine Liebe, die ihr entgegen geht, ist mein heiligster, unsterblichster Wille, ja meine Seele selbst, die sich in diesem Gefuͤhl losringt von der verdunkelnden Materie; in die- ser Liebe seh' ich und fuͤhl' ich Glauben und Unsterblichkeit, ja den Unnennbaren selbst inmit- ten meines Wesens und alle Wunder seiner Of- fenbarung. Die Schoͤnheit kann schwinden, sie geht uns nur voran, wo wir sie wieder treffen, der Glaube bleibt uns. O, mein Bruder, gestor- ben, wie man sagt, sind laͤngst Isalde und Sy- gune, ja, du laͤchelst uͤber mich, denn sie haben wohl nie gelebt, aber das Menschengeschlecht lebt fort, und jeder Fruͤhling und jede Liebe zuͤndet von neuem das himmlische Feuer, und darum werden die heiligsten Thraͤnen in allen Zeiten dem Schoͤnsten nachgesandt, das sich nur scheinbar uns entzogen hat, und aus Kin- deraugen, von Jungfraunlippen, aus Blumen und Quellen uns immer wieder mit geheimniß- vollem Einleitung . vollem Erinnern anblitzt und anlaͤchelt, und darum sind auch jene Dichtergebilde belebt und unsterb- lich. An dieser heiligen Staͤtte habe ich mich selbst gefunden, und ich muͤßte mir selbst ver- loren gehn, ich muͤßte vernichtet werden koͤn- nen, wenn diese Entzuͤckung in irgend einer Zeit ersterben koͤnnte. Seinem Freunde traten die Thraͤnen in die Augen, weil ihn die Krankheit weicher gemacht hatte, und er ohnedies schon reizbar war; er um- armte den Begeisterten schweigend, als beide die Landstraße einen offenen Wagen mit vier geschmuͤck- ten huͤpfenden Pferden herunter kommen sahn, von einem mit Baͤndern und Federbuͤschen auf- geputzten Kutscher gefuͤhrt: in wunderlicher bun- ter Tracht folgte ein Reuter dem Wagen, und die Sprechenden nebst den andern drei Freun- den gingen vor das Thor des Gasthofes hin- aus, um das sonderbare Schauspiel naͤher in Augenschein zu nehmen. Ists moͤglich? rief ploͤtz- lich Theodor aus, er selbst, Manfred ist es! und eilte den brausenden Pferden entgegen. Diese standen, auf den Ruf ihres Fuͤhrers, er sprang vom Sitz, indem er die Leinen vorsichtig in der Hand behielt, und umarmte Theodor und die uͤbrigen Freunde nach der Reihe. Er war freu- dig uͤberrascht, auch Ernst zu finden, den er so wenig wie Theodor hatte erwarten koͤnnen. Ich komme, euch abzuholen; so steigt nur gleich ein! rief er in zerstreuter Freude aus. I. [ 4 ] Einleitung . Der Reuter war indeß abgestiegen und An- ton erkannte ihn zuerst: Wie? der verstaͤndige Wilibald laͤßt sich auch zu solchen bunten Mum- mereien gebrauchen? rief er verwundert aus. Muß man nicht, erwiederte dieser, mit den Thoͤrichten thoͤricht sein? Wir wollten euch recht glaͤnzend abholen, und euch zu Ehren seh ich fast so wie der Lustigmacher bei herumziehenden Comoͤdianten aus. Alle betrachteten und umarmten ihn, lach- ten, und stiegen dann ein, um in einer Wald- schenke einige Stunden vom Staͤdtchen anzuhal- ten, und dann noch bei guter Zeit die letzten Meilen bis zu Manfreds Wohnung zuruͤck zule- gen. Manfred begab sich ernsthaft auf seinen Sitz, Wilibald auf sein Pferd, und so rollten sie im Gallopp auf der Felsenstraße davon, indem ihnen aus jedem Fenster der Stadt ein verwun- dertes oder lachendes Angesicht nachblickte. Ist es nicht ein reizender Aufenthalt? fragte Wilibald, indem er mit Theodor in den Gaͤngen des anmuthigen Gartens auf und nieder schritt. Manfred ist sehr gluͤcklich, antwortete Theo- dor; aber wo ist unsre Gesellschaft? Ernst und Lothar sind ausgeritten, erwie- derte jener, um einen alten Thurm und Mauer- werk in der Naͤhe zu betrachten, Friedrich und Manfred haben sich eingeschlossen, und rath- schlagen, so scheint es, uͤber Herzensangelegen- Einleitung . heit, und Anton, duͤnkt mich, wandelte vor kur- zem noch in empfindsamen Gespraͤchen mit Ro- salien, der jungen Frau, und Manfreds Schwe- ster, Augusten. Ich fuͤrchte, das Ende vom Liede ist, daß wir uns hier alle verlieben. Und warum nicht? sagte Theodor. Ich sehe wenigstens kein Ungluͤck darin. Im Gegen- theil finde ich es natuͤrlich und schicklich, daß in jeder gemischten Gesellschaft, in welcher sich junge Maͤnner und anmuthige Frauen und rei- zende Maͤdchen befinden, kleine Romane gespielt werden, dies eben erweckt den Witz und belebt und schafft den feinern Geist der Unterhaltung; auch kleine Eifersucht kann nicht schaden und artige Verlaͤumdung, samt allen Kuͤnsten eines edlen Spiels und jener Laune, die den Wei- bern angeboren scheint und wodurch sie die Maͤn- ner so unwiderstehlich fesseln. Dadurch koͤnnen verlebte Tage von solchem poetischen Glanz be- strahlt werden, daß wir das ganze Leben hin- durch mit Freuden an sie denken, da sie uns außer- dem ziemlich trivial und langweilig verflossen waͤren. Es kann aber mit Anton bei seiner Reiz- barkeit Ernst werden, wandte Wilibald schuͤch- tern ein; nicht jeder hat die Geschicklichkeit be- hutsam genug mit der Flamme zu spielen. Dafuͤr laß du ihn sorgen, sagte Theodor; oder sollte etwa schon die Eifersucht aus dir sprechen, mein Theurer? O ja, wahrlich, deine Einleitung . graͤmliche Mine und dein suchender umschauen- der Blick sagen mir nichts geringeres. Nun, wer ist denn deine Schoͤne? Klara? oder die junge anmuthige Gattinn? oder Manfreds Schwe- ster, Auguste? oder die liebenswuͤrdige Schwie- germutter, die ihr alle lieber Emilie nennt, und die auch freundlich diesem Taufnamen entgegen horcht? oder liebst du sie gar alle? Du bleibst ein Thor, fuhr Wilibald halb lachend auf, und ihr alle seid so seltsame liebe und unausstehliche Menschen, daß man eben so wenig ohne euch, als mit euch leben kann. In der Ferne sehn' ich mich nach euch allen und bin ungemuth, und in der Naͤhe aͤrgre ich mich uͤber alle eure mannigfaltigen Thorheiten. Nun, fragte Theodor, was hast du denn Großes an uns auszusetzen? Du solltest mich nicht zu solchen Klagelie- dern auffordern, antwortete Wilibald: daß ihr alle immer nur so sehr vernuͤnftig und geistreich seid, wo es nicht hin gehoͤrt, und niemals da, wo ihr Vernunft zeigen muͤßtet! da ist der Man- fred, der sich fuͤr einen Heros der Maͤnnlichkeit haͤlt, welcher meint, sich und seine Empfindun- gen so ganz in der Gewalt zu haben, und sich heraus nimmt, jeden zu verachten, den irgend ein Kummer quaͤlt, und der doch selbst ohne alle Veranlassung so unertraͤglich melankolisch sein kann, daß er uͤber die ganze Welt die Schul- tern zuckt, weil sie eben schwach genug ist, nur Einleitung . zu existiren; so sitzt er in dieser Stimmung Ta- gelang im Winkel und findet jeden Scherz geist- los und jedes Gespraͤch albern, sein Blick und kuͤmmerliches Gesicht schlagen aber auch jede Freude und Heiterkeit aus seiner Gesellschaft zu- ruͤck; er ist zu traͤge, spazieren zu gehn, oder irgend etwas zu treiben: aber nun faͤllt ihn die Laune an, nun soll jedermann lustig sein, nun findet er es unbegreiflich, wenn irgend jemand nicht an seinen schwaͤrmenden Phantasieen Theil nimmt, nun ist jeder ein Philister, der nicht zum Zeitvertreib halb mit dem Kopf gegen die Felsen rennt, nun muß man mit ihm durch Garten und Gebirge laufen, fallen und klettern; oder er zwingt alles Musik zu machen und zu singen; oder, was das Schlimmste ist, er liest vor, und verlangt, jedermann soll an irgend einer Schnurre, oder einem alten vergessenen Buche denselben krampfhaften Antheil nehmen, zu welchem er sich spornt. So geschah es gestern, als er ploͤtz- lich den Philander von Sitenwald herbei holte, ewig lange las, und sich verwunderte, daß wir nicht alle mit demselben Heißhunger daruͤber her- fielen, wie er, der das Buch in Jahren viel- leicht nicht angesehn hat; und so bringt er wohl morgen den Fischart, oder Hans Sachs. Wobei er sich auch nicht einreden laͤßt, sondern auf seine Lebenszeit hat er sich verwoͤhnt, daß alle Men- schen ihm nur eben als Werkzeuge dienen, an welchen sich seine schnell wandelnde Laune offen- Einleitung . bart. Nur ein solcher Engel von Frau kann mit ihm fertig werden, und mit ihm gluͤcklich sein. Fahre fort, sagte Theodor; und Friedrich, der sich mit ihm eingeschlossen hat. O, ihr! — sagte Wilibald, waͤrt ihr nur nicht sonst so gute Menschen, so sollte euch ein Verstaͤndiger wohl so abschildern koͤnnen, daß ihr vielleicht in euch ginget, und ordentlicher und besser wuͤrdet. Dieser Friedrich, der immer in irgend einen Himmel verzuͤckt ist, und den Tag fuͤr verloren haͤlt, an welchem er nicht eine seiner verwirrten Begeisterungen erlebt hat, wie koͤnnte er sein Talent und seine Kenntnisse brauchen, um etwas Edles hervor zu bringen, wenn er sich nicht so unbedingt diesem schwel- genden Muͤssiggange ergaͤbe. Auch erschrickt er alle Augenblick selbst in seinem boͤsen Gewissen, wenn er von diesem oder jenem thaͤtigen Freunde hoͤrt, wenn er ihre Fortschritte gewahr wird. Will man nun recht von Herzen mit ihm zan- ken, so wirft er sich in seine vornehme hyper- poetische Stimmung, und beweist auch von oben herab, daß ihr andern die Taugenichtse seid, er aber bleibt der Weise und Thaͤtige. Man soll seinem Freunde nichts Boͤses wuͤnschen, aber so wie er sich nun, weiß Gott wegen welches raren Geheimnisses mit dem Manfred eingeschlossen hat, so waͤre es mir doch vielleicht nicht ganz unlieb, wenn dieser die Gelegenheit der Einsam- Einleitung . keit benutzte, um ihm auf prosaische Weise etwas der uͤberfluͤssigen Poesie auszuklopfen. Sacht! sacht! rief Theodor, woher diese Neronische Gesinnung? Ergieb dich der Billig- keit, Freund, oder du sollst so mit albernen Spaͤßen und Wortspielen, welche dir verhaßt sind, gegeißelt werden, daß du den Werth der Humanitaͤt einsehn lernst. Nun schau auf, geht druͤben nicht unser Anton einsam, sanft und stille, sein Gemuͤth und die schoͤne Natur be- trachtend? Wie unrecht haben wir ihm so eben gethan. Dieses mal, antwortete Wilibald, und wis- sen wir doch nicht, ob ihn die Weiber nicht so eben verlassen haben, denen er mit seinem sanf- ten, lieben, zuvorkommenden Naturell stets nach- schleicht, und die ihm gern entgegen kommen, weil sie ihm anfuͤhlen, daß er auch das Schwaͤchste und Verwerflichste in ihnen ehrt und verthei- digt; denn nicht in ein Individuum, sondern in das ganze Geschlecht ist er verliebt: macht er hier nicht Claren, ihrer Mutter, der jungen Frau und Augusten emsig den Hof? die uͤbrigen laͤcheln ihn auch stets an, nur sollte er es doch fuͤhlen, daß er der letztern zur Last faͤllt und sie in Ruhe lassen. Alle andere Menschen aͤndern sich doch von Zeit zu Zeit und legen ihre Albernheiten ab, ihn aber kannst du nach Jahren wieder antref- fen, und er traͤgt dir noch dieselben Kindereien und Meinungen mit seiner ruhigen Salbung ent- Einleitung . gegen, ja, wenn man ihn erinnert, daß er vor geraumer Zeit die und jene Angewoͤhnung gehabt, oder jene Sinnesart geaͤußert, so dankt er dir so herzlich, als wenn du ihm einen verlornen Schatz wieder faͤndest, und sucht beides von neuem hervor, im Fall er es vergessen haben sollte. Dann muß dir aber doch der wandelbare und empfaͤngliche Lothar ganz nach Wunsche sein, erwiederte Theodor. Noch weniger als Anton, fuhr Wilibald in seiner Kritik fort, denn eben seine zu große Em- pfaͤnglichkeit hindert ihn, sich und andre zu der Ruhe kommen zu lassen, die durchaus unent- behrlich ist, wenn aus Bildung oder Geselligkeit irgend etwas werden soll. Er kann weder in einer guten noch schlechten Gesellschaft sein, daß ihn nicht die Lust anwandelt, Comoͤdie zu spie- len, ex tempore oder nach memorirten Rollen; es scheint fast, daß ihm in seiner eigenen Haut so unbehaglich ist, daß er lieber die eines jeden andern Narren uͤber zieht, um seiner selbst nur los zu werden. Die heilige Stelle in der Welt, sein Tempel, ist das Theater, und selbst jedes schlechte Subjekt, das nur einmal die Bretter oͤffentlich betreten hat, ist ihm mit einer gewis- sen Glorie umgeben. Gestern den ganzen Abend unterhielt er uns mit seiner ehemaligen Bekeh- rungssucht und Proselytenmacherei, wie er jeden armen Suͤnder zum Shakspear wenden und ihn von dessen Herrlichkeit hatte durchdringen wol- Einleitung . len; er erzaͤhlte so lannig, wie und auf welchen Wegen er nach so manchen komischen Verirrun- gen von dieser Schwachheit zuruͤck gekommen sei, und, siehe, noch in derselben Stunde nahm er den alten Landjunker von druͤben in die Beichte und suchte ihm das Verstaͤndniß fuͤr den Ham- let aufzuschließen, der nur immer wieder darauf zuruͤck kam, daß man beim Auffuͤhren die Tod- tengraͤber-Scene nicht auslassen duͤrfe, weil sie die beste im ganzen Stuͤcke sei. Mir scheint es eine wahre Krankheit, sich in einen Autor, habe er Namen wie er wolle, so durchaus zu ver- tiefen, und ich glaube, daß durch das zu starre Hinschauen das Auge am Ende eben so geblen- det werde, wie durch ein irres Herumfahren von einem Gegenstande zum andern. Selbst bei Wei- bern, die Schmeicheleien von ihm erwarten, bricht er in Lobpreisungen des Lear und Macbeth aus, und die einfaͤltigste kann ihm liebenswuͤrdig und klug erscheinen, wenn sie nur Geduld genug hat, ihm stundenlang zuzuhoͤren. Gegen unsern Ernst kannst du wohl schwer- lich dergleichen einwenden? fragte Theodor. Er ist mir vielleicht der verdrießlichste von allen, fiel Wilibald ein; er, der alles besser weiß, besser wuͤrde gemacht haben, der schon seit Jahren gesehn hat, wohin alles kommen wird, der selten jemand aussprechen laͤßt, ihn zu verstehn sich aber niemals die Muͤhe giebt, weil er schon im voraus uͤberzeugt ist, er muͤsse Einleitung . erst hinzufuͤgen, was in der fremden Meinung etwa Sinn haben koͤnne. Er ist der thaͤtigste und zugleich der traͤgste aller Menschen; bald ist er auf dieser, bald auf jener Reise, weil er alles mit eigenen Augen sehen will, alles will er ler- nen, keine Bibliothek ist ihm vollstaͤndig genug, kein Ort so entfernt, von dem er nicht Buͤcher verschriebe; bald ist es Geschichte, bald Poesie oder Kunst, bald Physik, oder gar Mystik, was er studirt, und wieder von neuem studirt; er laͤ- chelt nur, wenn andre sprechen, als wollt' er sagen: laßt mich nur gewaͤhren, laßt mich nur zur Rede kommen, so sollt ihr Wunder hoͤren! Und wenn man nun wartet, und Jahre lang wartet, ihn dann endlich auffordert, daß er sein Licht leuchten lasse, so muß er wieder dieses Werk nachlesen, jene Reise erst machen, so fehlt es gerade am Allernothwendigsten, und so vertroͤ- stet er sich selbst und andre auf eine nimmer er- scheinende Zukunft. Die uͤbrigen aͤrgern mich nur, er aber macht mich boͤse; denn das ist das ver- druͤßlichste am Menschen, wenn er vor lauter Gruͤndlichkeit auch nicht einmal an die Oberflaͤche der Dinge gelangen kann: es ist die Gruͤndlich- keit der Danaiden, die auch immer hofften, der naͤchste Guß wuͤrde nun der rechte und letzte sein, und nicht gewahr wurden, daß es eben an Bo- den mangle. Wollt ihr mir nun nicht auch von mir ein liebes kraͤftig Woͤrtchen sagen? neckte ihn Theodor. Einleitung . An dir, sagte Wilibald, ist auch das ver- loren, denn so wie du mit jeder Feder eine andere Hand schreibst, klein, groß, aͤngstlich oder fluͤchtig, so bist du auch nur der Anhang eines jeden, mit dem du lebst; seine Leidenschaften, Liebhabereien, Kenntnisse, Zeitverderb, hast und treibst du mit ihm, und nur dein Leichtsinn ist es, welcher alles, auch das widersprechendste, in dir verbindet. Du bist hauptsaͤchlich die Ursach, daß wir, so oft wir noch beisammen gewesen sind, zu keinem zweckmaͤßigen Leben haben kom- men koͤnnen, weil du dir nur in Unordnung und leerem Hintraͤumen wohlgefaͤllst. Heute sind wir einmal recht vergnuͤgt gewesen! pflegst du am Abend zu sagen, wenn du die uͤbrigen verleitest hast, recht viel dummes Zeug zu schwatzen; bei einer Albernheit geht dir das Herz auf, — doch ich verschwende nur meinen Athem, denn ich sehe du lachst auch hieruͤber. Allerdings, rief Theodor im frohesten Muthe aus, o mein zorniger, mißmuthiger Camerad! du Ordentlicher, Bedaͤchtlicher, der die ganze Welt nach seiner Taschenuhr stellen moͤchte, du, der in jede Gesellschaft eine Stunde zu fruͤh kommt, um ja nicht eine halbe Viertelstunde zu spaͤt an- zulangen, du, der du wohl ins Theater gegan- gen bist, bevor die Caffe noch eroͤffnet war, der auch dann im ledigen Hause beim schoͤnsten Wet- ter sitzen bleibt, um sich nur den besten Platz auszusuchen, mit dem er nachher im Verlauf des Einleitung . Stuͤckes doch wieder unzufrieden wird. Ich habe es ja erlebt, daß du zu einem Balle fuhrst, und mich und meine Gesellschaft so uͤber die Gebuͤhr triebst, daß wir anlangten, als die Bedienten noch den Tanzsaal ausstaͤubten und kein einziges Licht angezuͤndet war. Diese deine Ordnung willst du in jede Gesellschaft einfuͤhren, um nur alles eine Stunde fruͤher als gewoͤhnlich zu thun, und gaͤbe man dir selbst diese Stunde nach, so wuͤrdest du wieder eine Stunde zu verlangen, so daß man, um mit dir ordentlich zu leben, immer im Zirkel um die vier und zwanzig Stunden des Tages mit Fruͤhstuͤck, Mittag- und Abendessen herum fahren muͤßte. Weil gestern die Gesell- schaft noch nicht versammelt war, als die Suppe auf dem Tische stand, und jeder nach seiner Ge- legenheit etwas spaͤter kam, daruͤber bist du noch heut verstimmt, du Heimtuͤckischer, Nachtragender! noch mehr aber daruͤber, daß wir aus Scherz die geheime Abrede trafen, dich durchaus von Au- gustens Seite wegzuschieben, zu der du dich mit oͤffentlichem Geheimniß so geflissentlich draͤngst, und meinst, wir alle haben keine Augen und Sinne, um deine feurigen Augen und wohl- gesetzten verliebten Redensarten wahrzunehmen. Sieh, Freund, man kennt dich auch, und weiß auch deine empfindliche Seite zu treffen. Wilibald zwang sich zu lachen und ging empfindlich fort; indem sah man Lothar und Ernst von der Straße des Berges, der uͤber dem Einleitung . Garten und Hause lag, herunter reiten. Der einsame Anton gesellte sich zu Theodor und beide sprachen uͤber Wilibald; es ist doch seltsam, sagte Anton, daß die Furcht vor der Affektation bei ei- nem Menschen so weit gehen kann, daß er da- ruͤber in ein herbes widerspaͤnstiges Wesen geraͤth, wie es unserm Freunde ergeht; er argwoͤhnt al- lenthalben Affektation und Unnatuͤrlichkeit, er sieht sie allenthalben und will sie jedem Freunde und Bekannten abgewoͤhnen, und damit man ihm nur nicht etwas Unnatuͤrliches zutraue, faͤllt er lieber oft in eine gewisse rauhe Manier, die von der Liebenswuͤrdigkeit ziemlich entfernt ist. So will er die Weiber auch immer maͤnn- lich machen, sagte Theodor, ging es nach ihm, so muͤsten sie gerade alles das ablegen, was sie so unbeschreiblich liebenswuͤrdig macht. Eine eigene Rubrik, fuͤgte Anton hinzu, haͤlt er, welche er Kindereien uͤberschreibt, und in die er so ziemlich alles hinein traͤgt, was Sehnsucht, Liebe, Schwaͤrmerei, ja Religion genannt wer- den muß. Wie die Welt wohl uͤberhaupt aus- saͤhe, wenn sie nach seinem vernuͤnftigen Plane formirt waͤre? Selbst Sonne und Mond, sagte Theodor, halten nicht einmal die gehoͤrige Ordnung, des Uebrigen zu geschweigen. Die Abweichung der Magnetnadel muß nach ihm entweder Affekta- tion oder Kinderei sein, und statt sich in den Euripus zu stuͤrzen, weil er die vielfache Ebbe Einleitung . und Fluth nicht begreifen konnte, haͤtte er ru- hig am Ufer gestanden, und bloß den Kopf ein wenig geschuͤttelt und gemurmelt: laͤppisch! laͤp- pisch! Bis zum Abentheuerlichen unnatuͤrlich sind die Cometen, versetzte Anton, ja alle Existenz hat wohl nur wie ein umgekehrter Handschuh die unrechte Seite herausgedreht, und ist dadurch existirend geworden. Zweifelt ihr daran, ihr armen Suͤnder? rief Wilibald aus dem naͤchsten Laubengange heraus, in welchem er alles gehoͤrt hatte; koͤnnt ihr euch euren doppelten unbefriedigten Zustand anders er- klaͤren? Habt ihr dies nicht schon oft im Ernst denken muͤssen, wenn ihr uͤberhaupt daruͤber ge- dacht habt, was ihr jetzt als Spaß aussprecht? Und wenn die Menschenseele sich selbst unvollen- det und umgedreht empfindet, warum soll denn alles uͤbrige Geschaffene richtiger und besser sein? Ihr hoffaͤrtigen Erdenwuͤrmer neigt euch in den Staub, und macht euch nicht uͤber Leute lustig, die, wenn es die Noth erfordert, auch wohl uͤber Milchstraßen und Trabanten und Sonnensysteme zu sprechen wissen. Ernst und Lothar traten hinzu und erzaͤhl- ten viel von der anmuthigen Lage der merkwuͤr- digen Ruine, und Ernst zuͤrnte uͤber den fre- velnden Leichtsinn der Zeit, der schon so viel Herrliches zerstoͤrt habe und es allenthalben zu vernichten fortfahre. Wie tief, rief er aus, wird Einleitung . uns eine bessere Nachwelt verachten, und uͤber unsern anmaßlichen Kunstsinn und die fast krank- hafte Liebhaberei an Poesie und Wissenschaft laͤ- cheln, wenn sie hoͤrt, daß wir Denkmale aus gemeinem, fast thierischen Nichtachten, oder aus klaͤglichem Eigennutz abgetragen haben, die aus einer Heldenzeit zu uns heruͤber gekommen sind, an der wir unsern erlahmten Sinn fuͤr Vater- land und alles Große wieder aufrichten koͤnnten. So braucht man herrliche Gebaͤude zu Wollspin- nereien und schlaͤgt duͤrftige Kammern in die Pracht alter Rittersaͤle hinein, als wenn es uns an Raum gebraͤche, um die Armseligkeit unsers Zustandes nur recht in die Augen zu ruͤcken, der in Pallaͤsten der Heroen seine traurige Thaͤtigkeit ausspannt, und große Kirchen in Scheuern und Rumpelkammern verwandelt. Ist ihnen doch die Vorzeit selbst nichts an- ders, sagte Lothar, und des Vaterlandes ruͤhrende Geschichte, eben so haben sie sich in diese mit ihren unersprießlichen Zwecken hinein geklemmt, und verwundern sich laͤchelnd daruͤber, wie man ehemals nur das Beduͤrfniß solcher Groͤße haben mochte. Jetzt zeigte sich die uͤbrige Gesellschaft. Man- fred fuͤhrte seine Schwiegermutter, Friedrich, wel- cher verweinte Augen hatte, die schoͤne Rosalie, Anton bot seinen Arm der freundlichen Clara, und Wilibald gesellte sich zu Augusten, indem er dem laͤchelnden Theodor einen triumphirenden Einleitung . Blick zuwarf. Man wandelte in den breiten Gaͤn- gen, welche oben gegen den eindringenden Son- nenstrahl gewoͤlbt und dicht verflochten waren, in heitern Gespraͤchen auf und nieder, und Lothar sagte nach einiger Zeit: wir sprachen eben von den Ruinen altdeutscher Baukunst, und bedauer- ten, daß viele Schloͤsser und Kirchen gaͤnzlich verfallen, die mit geringen Kosten als Denkmale unsern Nachkommen koͤnnten erhalten werden, aber indem ich den Schatten dieser Gaͤnge genieße, erinnere ich mich der seltsamen Verirrung, daß man jetzt vorsaͤtzlich auch viele Gaͤrten zerstoͤrt, die in dem sogenannten Franzoͤsischen Geschmack angelegt sind, um eine unerfreuliche Verwirrung von Baͤumen und Gestraͤuchen an die Stelle zu setzen, die man nach dem Modeausdrucke Park benamt, und so bloß einer todten Formel froͤhnt, indem man sich im Wahn befindet, etwas Schoͤ- nes zu erschaffen. Du erinnerst mich, sagte Ernst, an die Ere- mitags bei Bayreuth und manchen andern Gar- ten; wenn diese Einsiedelei auch manche aufge- mauerte Kindereien zeigt, so war sie doch in ih- rer alten Gestalt hoͤchst erfreulich, ich verwun- derte mich nicht wenig, sie vor einigen Jahren ganz verwildert wieder zu finden. Es fehlt unsrer Zeit, sagte Friedrich, so sehr sie die Natur sucht, eben der Sinn fuͤr Natur, denn nicht allein diese regelmaͤßigen Gaͤrten, die dem jetzigen Geschmacke zuwider sind, bekehrt man zum Einleitung . zum Romantischen, sondern auch wahrhaft ro- mantische Wildnisse werden verfolgt, und zur Re- gel und Verfassung der neuen Gartenkunst erzo- gen. So war ehemals nur die große wunder- volle Heidelberger Ruine eine so gruͤne, frische, poetische und wilde Einsamkeit, die so schoͤn mit den verfallenen Thuͤrmen, den großen Hoͤfen, und der herrlichen Natur umher in Harmonie stand, daß sie auf das Gemuͤth eben so wie ein vollen- detes Gedicht aus dem Mittelalter wirkte, ich war so entzuͤckt uͤber diesen einzigen Fleck unsrer deutschen Erde, daß das gruͤnende Bild seit Jah- ren meiner Phantasie vorschwebte, aber vor eini- ger Zeit fand ich auch hier eine Art von Park wieder, der zwar dem Wandelnden manchen schoͤ- nen Platz und manche schoͤne Aussicht goͤnnt, der auf bequemen Pfaden zu Stellen fuͤhrt, die man vormals nur mit Gefahr erklettern konnte, der selbst erlaubt, Erfrischungen an anmuthigen Raͤu- men ruhig und sicher zu genießen, doch wiegen alle diese Vortheile nicht die großartige und ein- zige Schoͤnheit auf, die hier aus der besten Ab- sicht ist zerstoͤrt worden. Hier wurde das Gespraͤch unterbrochen, in- dem der Bediente meldete, daß angerichtet sei. Man ging durch die großen offenen Thuͤren des Speisesaales, der unmittelbar an den Gar- ten stieß, und aus dem man den gegenuͤber lie- I. [ 5 ] Einleitung . genden Berg mit seinen vielfach gruͤnenden Ge- buͤschen und schoͤnen Waldparthieen vor sich hatte; zunaͤchst war ein runder Wiesenplan des Gartens, welchen die lieblichsten Blumengrup- pen umdufteten, und als Krone des gruͤnen Platzes glaͤnzte und rauschte in der Mitte ein Springbrunnen, der durch sein liebliches Getoͤn gleich sehr zum Schweigen wie zum Sprechen einlud. Alle setzten sich, Wilibald zwischen Auguste und Clara, neben dieser ließ Anton sich nieder, und ihm zunaͤchst Emilie, zwischen ihr und Ro- salien hatte Friedrich seinen Platz gefunden, an welche sich Lothar schloß, und neben ihm saßen die uͤbrigen Maͤnner. Auf dem Tische prang- ten Blumen in geschmackvollen Gefaͤßen und in zierlichen Koͤrben fruͤhe Kirschen. Wie kommt es, fing die aͤltere Emilie nach einer Pause an, daß es bei jeder Tischgesellschaft im Anfang still zugeht? Man ist nachdenkend und sieht vor sich nieder, auch erwartet Niemand ein lebhaftes Ge- spraͤch, denn es scheint, daß die Suppe eine gewisse ernste, ruhige Stimmung veranlaßt, die gewoͤhnlich sehr mit dem Beschluß der Mahlzeit und dem Nachtische kontrastirt. Vieles erklaͤrt der Hunger, sagte Wilibald, der sich meistentheils erst durch die Naͤhe der Speisen meldet, besonders, wenn man spaͤter zu Tische geht, als es festgesetzt war, denn War- ten macht hungrig, dann durstig, und wenn es Einleitung . zu lange spannt, erregt es wahre Uebelkeit, fast Ohnmacht. Sehr wahr, sagte Rosalie, und die Herren sollten das nur bedenken, die uns Frauen fast immer warten lassen, wenn sie eine Jagd, einen Spatzierritt, oder ein sogenanntes Geschaͤft vor- haben. Lassen denn die Damen nicht eben so oft auf sich warten, erwiederte Wilibald, und wohl laͤnger, wenn sie mit ihrem Anzug nicht einig oder fertig werden koͤnnen? Da uͤberdies die meisten niemals wissen, wie viel es an der Uhr ist, ja daß es uͤberhaupt eine Zeitabtheilung giebt. Recht! sagte Manfred; neulich wollten sie einen Besuch in der Nachbarschaft machen, noch vorher eine Oper durchsingen, und ein wenig spatzieren gehen, um dabei zugleich das kranke Kind im Dorfe zu besuchen, dann wollte man bei Zeiten wieder zu Hause sein und etwas fruͤ- her essen als gewoͤhnlich, weil wir den Nach- mittag einmal recht genießen wollten; als man aber, um doch anzufangen, nach der Uhr sah, fand sichs, daß es gerade nur noch eine halbe Stunde bis zur gewoͤhnlichen Tischzeit war, und die lieben Zeitlosen kaum noch Zeit sich umzu- kleiden hatten. Doch bitt' ich mich auszunehmen, sagte Ro- salie, tadelst du mich doch sonst immer, daß ich zu puͤnktlich, zu sehr nach der Stunde bin, sonst Einleitung . wuͤrde es auch mit den Einrichtungen der Wirth- schaft uͤbel aussehn. Dich nehm' ich aus, sagte Manfred, und einer Hausfrau steht auch nichts so liebenswuͤr- dig, als eine stille, unerschuͤtterliche Ordnung: aber auch nur die stille Ordnung, denn noch schlimmer als die Unordentlichen sind die fuͤr die Ordnung Wuͤthenden, in deren Haͤusern nichts als Einrichtung, Abrichten der Domestiken, Auf- raͤumen und Staubabwischen zu finden ist; eine solche Frau haben, waͤre eben so wie unter der großen Kirchenuhr und den Glocken wohnen, wo man nichts als den Perpendikel und das fuͤrchterliche Schlagen der Stunden hoͤrt: auch eine maͤnnlich ordentliche und unternehmende Therese ist widerwaͤrtig. Aber in aller liebens- wuͤrdigen weiblichen Unordnung schweift meine theure Schwester Auguste etwas zu sehr aus. Das weiß Gott! fuhr Wilibald etwas uͤber- eilt heraus; denn wenn ein Spatziergang abge- redet ist, so muß man wohl anderthalb Stun- den mit dem Stock in der Hand unten stehn und warten, und dann hat die liebenswuͤrdige Dame entweder den Spatziergang ganz vergessen, und besinnt sich erst darauf, wenn man einige- mal hat erinnern lassen, oder sie kommt auch wohl endlich, aber nun hat man nicht an Hand- schuh und Sonnenschirm und Tuch gedacht; man geht zuruͤck, man kramt, und faͤllt dabei nicht selten wieder in eine Beschaͤftigung, die Einleitung . den Spatziergang von neuem mit Schiffbruch bedroht. O Gott! und nach allen diesen Leiden soll unser eins nachher noch liebenswuͤrdig sein! Das ist ja eben die Liebenswuͤrdigkeit, sagte Auguste, denn wenn euch alles entgegen getra- gen, allen euren Launen geschmeichelt wird, wenn man euch so schlicht hin fuͤr Herrscher er- klaͤrt, daß ihr dann zuweilen ein wenig liebens- wuͤrdig seid, ist doch wahrlich kein Verdienst. Um wieder auf die Suppe zu kommen, die jetzt genossen ist, sagte Lothar, so ruͤhrt es wohl nicht so sehr von einem materiellen Beduͤrfniß her, daß man bei ihr wenig spricht, sondern mich duͤnkt jedes Mahl und Fest ist einem Schauspiel, am besten einem Shakspearschen Lust- spiel, zu vergleichen, und hat seine Regeln und Nothwendigkeiten, die sich auch unbewußt in den meisten Faͤllen aussprechen. Wie koͤnnte es wohl einem verstaͤndigen Menschen etwas anders sein? unterbrach ihn Wilibald mit Lachen; o wie oft ist doch unbe- wußt der Lustspieldichter selbst ein erfreulicher Gegenstand fuͤr ein Lustspiel! Laß ihn sprechen, sagte Manfred, magst du doch die Mahlzeit nachher mit einer Schlacht, oder gar mit der Weltgeschichte vergleichen; am Tisch muß unbedingte Gedanken- und Eßfreiheit herrschen. Daß die abwechselnden Gerichte und Gaͤnge, fuhr Lothar fort, sich mit Akten und Scenen Einleitung . sehr gut vergleichen lassen, faͤllt in die Augen; eben so ausgemacht ist es fuͤr den denkenden und hoͤheren Esser (ich ignorire jene gemeinere Naturen, die an allem zweifeln, und etwa in materieller Dumpfheit meinen koͤnnen, das Es- sen geschehe nur, um den Hunger zu vertreiben), daß eine gewisse allgemeine Empfindung ausge- sprochen werden soll, der in der ganzen Compo- sition der Tafel nichts widersprechen darf, sei es von Seiten der Speisen, der Weine, oder der Gespraͤche, denn aus allem soll sich eine romantische Composition entwickeln, die mich unterhaͤlt, befriedigt und ergoͤtzt, ohne meine Neu- gier und Theilnahme zu heftig zu spannen, ohne mich zu taͤuschen, oder mir bittre Ruͤckerinn- rungen zu lassen. Die epigrammatischen Ge- richte zum Beispiel, die manchmal zur Taͤuschung aufgetragen werden, sind gerade zu abgeschmackt zu nennen. Im noͤrdlichen Deutschland, sagte Ernst, sah ich einmal Zuckergebacknes als Torf auf- setzen, und es gefiel den Gaͤsten sehr. O ihr unkuͤnstlich Speisenden! rief Lothar aus; warum laßt ihr euch den Marzipan nicht lieber als die Physiognomien eurer Gegner backen, und zerschneidet und verzehrt sie mit Wohlge- fallen und Herzenswuth? duͤrften nicht Rezen- senten, oder sonst verhaßte Menschen, gleich so auf den Maͤrkten zum Verkauf ausgeboten werden? Von hoͤchst abentheuerlichen Festen, sagte Einleitung . Clara, habe ich einmal im Vasari gelesen, welche die Florentinischen Maler einander gaben, und die mich nur wuͤrden geaͤngstigt haben, denn diese trieben die Verkehrtheit vielleicht auf das aͤußerste. Nicht bloß, daß sie Pallaͤste und Tem- pel von verschiedenen Speisen errichteten und verzehrten, sondern selbst die Hoͤlle mit ihren Gespenstern mußte ihrem poetischen Uebermuthe dienen, und Kroͤten und Schlangen enthielten gut zubereitete Gerichte, und der Nachtisch von Zucker bestand aus Schaͤdeln und Todtenge- beinen. Gern, sagte Manfred, haͤtt' ich an diesen bizarren, phantastischen Dingen Theil genommen, ich habe jene Beschreibung nie ohne die groͤßte Freude lesen koͤnnen. Warum sollte denn nicht Furcht, Abscheu, Angst, Ueberraschung zur Ab- wechselung auch einmal in unser naͤchstes und alltaͤglichstes Leben hinein gespielt werden? Al- les, auch das Seltsamste und Widersinnigste hat seine Zeit. Freilich mußt du so sprechen, sagte Lothar, der du auch die Abentheuerlichkeiten des Hoͤllen- Breughels liebst, und der du, wenn deine Laune dich anstoͤßt, allen Geschmack gaͤnzlich laͤugnest und aus der Reihe der Dinge ausstreichen willst. Wuͤsten wir doch nur, sagte Manfred, wo diese Sphinx sich aufhaͤlt, die alle wollen gese- hen haben, und von der doch Niemand Rechen- schaft zu geben weiß: bald glaubt man an das Einleitung . Gespenst bald nicht, wie an die Dulcinea des Don Quixote, und das ist wohl der Spaß an diesem Tagegeiste, daß er zugleich ist und nicht ist. Seltsam, aber nicht selten, fiel Friedrich ein, ist die Erscheinung (die deinen Unglauben fast bestaͤtigen koͤnnte), daß Menschen, die von Jugend auf sich scheinbar mit dem Geiste des klassischen Alterthums genaͤhrt, die immer das Ideal von Kunst im Munde fuͤhren, und unbillig selbst das Schoͤnste der Modernen verachten, sich doch ploͤtz- lich aus wunderlicher Leidenschaft so in das Ab- geschmackte und Verzerrte der neuern Welt ver- gaffen koͤnnen, daß ihr Zustand sehr nahe an Verruͤcktheit graͤnzt. Weil sie die neue Welt gar nicht kannten, antwortete Lothar, war ihre Liebe zur alten auch keine freie und gebildete, sondern nur Aberglaube, der die Form fuͤr den Geist nahm. Mir kam auch einmal ein scheinbar gebildeter junger Mann vor, der, nachdem er lange nur den Sophokles und Aeschylus angebetet hatte, ziemlich ploͤtzlich und ohne scheinbaren Uebergang als aͤchter Pa- triot unsern ungriechischen Kotzebue vergoͤtterte. Ich bin deiner Meinung, so nahm Ernst das Wort: kein Mensch ist wohl seiner Ueberzeugung oder seines Glaubens versichert, wenn er nicht die gegenuͤber liegende Reihe von Gedanken und Empfindungen schon in sich erlebt hat, darum ist es nie so schwer gewesen, als es beim ersten Anblick scheinen moͤchte, die ausgemachtesten Frei- Einleitung . geister zu bekehren, weil von irgend einer Seite ihres Wesens sich gewiß die Glaubensfaͤhigkeit erwecken laͤßt, die dann, einmal erregt, alle Em- pfindungen mit sich reißt, und die ehemaligen Ansichten und Gedanken zertruͤmmert. Eben so wenig aber steht der Fromme, der nicht mit al- len seinen Kraͤften schon die Regionen des Zwei- fels durchwandert hat, seine Seele muͤste dann etwa ganz Glaube und einfaͤltiges Vertrauen sein, auf einem festen Grunde. Vorzuͤglich, sagte Friedrich, sind es die Lei- denschaften, die so oft im Menschen das zerstoͤ- ren, was vorher als sein eigenthuͤmlichstes We- sen erscheinen konnte. Ich habe Wuͤstlinge ge- kannt, wahre Gotteslaͤugner der Liebe und freche Verhoͤhner alles Heiligen, die lange mit der stol- zesten Ueberzeugung ihr veraͤchtliches Leben fuͤhr- ten, und endlich, schon an der Graͤnze des Al- ters, von einer hoͤhern Leidenschaft, sogar zu un- wuͤrdigen Wesen, wunderbar genung ergriffen wurden, so daß sie fromm, demuͤthig und glaͤubig wurden, ihre verlorne Jugend beklag- ten, und endlich noch einigen Schimmer der Liebe kennen lernten, deren Himmelsglanz sie in besse- ren Tagen verspottet hatten. Koͤnnte man nur immer, fuͤgte Anton hinzu, jungen Menschen, welche in die Welt treten, und sich nur zu leicht von den scheinbar Reichen und Freien beherrschen und stimmen lassen, die Ueber- zeugung mit geben, wie arm und welche gebun- Einleitung . dene Sklaven jene sind, die gern alle ihre fal- schen Flitterschaͤtze um ein Gefuͤhl der Kindlich- keit, der Unschuld, oder gar der Liebe hingeben moͤchten, wenn es sie so begluͤcken wollte, in ih- ren dunkeln Kerker hinein zu leuchten. Wie oft ist der uͤberhaupt in der Welt der Beneidete, der sich selb e r mitleidswuͤrdig duͤnkt, und weit mehr Schlimmes geschieht aus falscher Schaam, als aus wirklich boͤser Neigung, ein mißverstandner Trieb der Nachahmung und Verehrung fuͤhrt viel haͤufiger den Verirrten, als Neigung zum Laster. Wie aber das Boͤse nicht zu laͤugnen ist, sagte Ernst, eben so wenig in den Kuͤnsten und Neigungen das Abgeschmackte, und man soll sich wohl vor beiden gleich sehr huͤten. Vielleicht, daß auch beides genauer zusammen haͤngt, als man gewoͤhnlich glaubt. Wir sollen weder den moralischen noch physischen Eckel in uns zu ver- nichten streben. Aber auch nicht zu krankhaft ausbilden, wandte Manfred ein. — Ein Weltumsegler un- sers Innern wird auch wohl noch einmal die Rundung unsrer Seele entdecken, und daß man nothwendig auf denselben Punkt der Ausfahrt zuruͤck kommen muß, wenn man sich gar zu weit davon entfernen will. Dies fuͤhrt, sagte Theodor, indem er mit Wilibald anstieß, zur liebenswuͤrdigen Billigkeit und Humanitaͤt. Einleitung . Es fuͤhrt, antwortete dieser, wie alles, was die letzte Spitze und den wahrhaften Schwindel mit einem gewissen Witze sucht, zu gar nichts. Theurer Lothar, laß uns wieder vernuͤnftig spre- chen, und fuͤhre deine Vergleichung einer Mahl- zeit und des Schauspiels noch etwas weiter. Um deiner Wißbegier genug zu thun, fuhr Lothar fort, erklaͤr' ich also, daß bei einem Schau- spiele die Einleitung eine der wichtigsten Par- thieen ist; sie kann hauptsaͤchlich auf dreierlei Art geschehn. Entweder, daß in ruhiger Erzaͤh- lung die Lage der Dinge auf die einfachste und natuͤrlichste Weise auseinander gesetzt wird, so wie in den Irrungen, oder daß uns der Dich- ter sogleich in Getuͤmmel und Unruhe wirft, woraus sich nach und nach die Klarheit und das Verstaͤndniß eroͤffnen, so wie im Romeo und dem Oldcastle, die gar mit Schlaͤgerei beginnen, oder auf die dritte Weise, die uns zwar auch sogleich in die Mitte der Dinge fuͤhrt, aber mit ruhiger Besonnenheit, wie in Was ihr wollt. Es ist keine Frage, daß die letztere Art beim Gastmahl die vorzuͤglichere sei, und daß deshalb die zivilisirten Nationen, und Menschen, die nicht bizarr leben und essen wollen, ihre Mahl- zeit mit einer kraͤftigen, aber milden, ruhig bedaͤchtigen Suppe eroͤffnen. Weil nun alle Menschen Hang zum Drama haben, und dunkel die Ahndung in ihnen schlaͤft, daß alles Drama sei, so huͤten sie sich mit Recht, zu witzig, zu Einleitung . geistreich, oder auch nur zu gespraͤchig zu sein, so lange die Suppe vor ihnen steht. Emilie lachte und winkte ihm Beifall, und Lothar fuhr also fort: so wie sich in dem eben genannten Lustspiele nach der fast elegischen Ein- leitung die anmuthigen Personen des Junkers Tobias, der Maria und des Bleichenwang als reizende Episode einfuͤhren, so genießt man zum Anbeginn der Mahlzeit Sardellen, oder Kaviar, oder irgend etwas Reitzendes, welches noch nicht unmittelbar das Beduͤrfniß befriedigt, und so, um nicht zu weitlaͤufig zu werden, wechselt Be- friedigung und Reitz in angenehmen Schwin- gungen bis zum Nachtisch, der ganz launig, poetisch und muthwillig ist, wie jenes Lustspiel sich nach seinem Beschluß mit dem allerliebsten albernen, aber bedeutenden Gesang des liebens- wuͤrdigsten Narren beschließt, wie Viel Laͤrmen um nichts und Wie es euch gefaͤllt mit einem Tanze endigen, oder das Wintermaͤrchen mit der lebendigen Bildsaͤule. Ich sehe wohl, sagte Clara, man sollte das Essen eben so gut in Schulen lernen, als die uͤbrigen Wissenschaften. Gewiß, sagte Lothar, ziemt einem gebilde- ten Menschen nichts so wenig, als ungeschickt zu essen, denn eben, weil die Nahrung ein Be- duͤrfniß unserer Natur ist, muß hiebei entweder die allerhoͤchste Simplicitaͤt obwalten, oder An- stand und Frohsinn muͤssen eintreten und an- muthige Heiterkeit verbreiten. Einleitung . Freilich, sagte Ernst, stoͤrt nichts so sehr, als eine schwankende Mischung von Sparsam- keit und unerfreulicher Verschwendung, wie man wohl mit vortreflichem Wein zum Genuß gerin- ger und schlecht zubereiteter Speisen uͤberschuͤttet wird, oder zu schmackhaften leckern Gerichten im Angesicht treflicher Geschirre elenden Wein hinunter wuͤrgen muß. Dieses sind die wahren Tragikomoͤdien, die jedes gesetzte Gemuͤth, das nach Harmonie strebt, zu gewaltsam erschuͤttern. Ist das Gespraͤch solcher Tafel zugleich laͤrmend und wild, so hat man noch lange nachher am Mißton der Festlichkeit zu leiden, denn auch bei diesem Genuß muß die Scham unsichtbar regie- ren, und Unverschaͤmtheit muß in edle Gesell- schaft niemals eintreten koͤnnen. Dazu, sagte Anton, gehoͤrt das uͤbermaͤßige Trinken aus Ambition, oder wenn ein begeister- ter Wirth im halben Rausch zu dringend zum Trinken noͤthigt, indem er laut und lauter ver- sichert, der Wein verdien' es, diese Flasche koste so viel und jene noch mehr, es komme ihm aber unter guten Freunden nicht darauf an, und er koͤnne es wohl aushalten, wenn selbst noch mehr darauf gehn sollte. Dergleichen Menschen rech- nen im Hochmuth des Geldes nicht nur her, was dieses Fest kostet und jeder einzelne Gast verzehrt, sondern sie ruhen nicht, bis man den Preis jedes Tisches und Schrankes erfahren hat. Wenn sie Kunstwerke oder Raritaͤten besitzen, Einleitung . sind sie gar unertraͤglich, und ihr hoͤchster Ge- nuß besteht darin, wenn sie in aller Freund- schaftlichkeit ihren Gast koͤnnen fuͤhlen machen, daß es ihm, gegen den Wirth gerechnet, eigent- lich wohl an Gelde gebreche. Das fuͤhrt darauf, fuhr Lothar fort, daß so wie in den Gefaͤßen und Speisen Harmonie sein muß, diese auch durch die herrschenden Ge- spraͤche nicht darf verlezt werden. Die einlei- tende Suppe werde, wie schon gesagt, mit Stille, Sammlung und Aufmerksamkeit begleitet, nachher ist wohl gelinde Politik erlaubt, und kleine Geschichten, oder leichte philosophische Be- merkungen: ist eine Gesellschaft ihres Scherzes und Witzes nicht sehr gewiß, so verschwende sie ihn ja nicht zu fruͤh, denn mit dem Confekt und Obst und den feinen Weinen soll aller Ernst voͤllig verschwinden, nun muß erlaubt seyn, was noch vor einer Viertelstunde unschicklich gewesen waͤre; durch ein lauteres Lachen werden selbst die Damen dreister, die Liebe erklaͤrt sich unverhol- ner, die Eifersucht zeigt sich mit unverstecktern Ausfaͤllen, jeder giebt mehr Bloͤße und scheut sich nicht, dem treffenden Spott des Freundes sich hinzugeben, selbst eine und die andre aͤrger- liche Geschichte witzig vorgetragen darf umlaufen. Große Herren ließen ehemals mit dem Zucker ihre Narren und Lustigmacher herein kommen, um am Schluß des Mahls sich ganz als Menschen, hei- ter, froh und ausgelassen zu fuͤhlen. Einleitung . Jetzt, sagte Theodor, bringt man um die Zeit die kleinen Kinder herein, wenn sie nicht schon alle in Reih' und Glied bei Tische selber gesessen haben. Freilich, sagte Manfred, und das Gespraͤch erhebt sich zum Ruͤhrenden uͤber die hohen idea- lischen Tugenden der Kleinen und ihrer unnenn- baren Liebe zu den Eltern, und der Eltern hin- wieder zu den Kindern. Und wenn es recht hoch hergeht, sagte Theo- dor, so werden Thraͤnen vergossen, als die letzte und kostbarste Fluͤssigkeit, die aufzubringen ist, und so beschließt sich das Mahl mit den hoͤchsten Erschuͤtterungen des Herzens. Nicht genung, fing Lothar wieder an, daß man diese Unarten vermeiden muß, jede Tisch- unterhaltung sollte selbst ein Kunstwerk sein, das auf gehoͤrige Art das Mahl akkompagnirte und im richtigen Generalbaß mit ihm gesetzt waͤre. Von jenen schrecklichen großen Gesellschaften spreche ich gar nicht, die leider in unserm Va- terlande fast allgemeine Sitte geworden sind, wo Bekannte und Unbekannte, Freunde und Feinde, Geistreiche und Aberwitzige, junge Maͤdchen und alte Gevatterinnen an einer langen Tafel nach dem Loose durch einander gesetzt werden; jene Mahlzeiten, fuͤr welche die Wirthinn schon seit acht Tagen sorgt und laͤuft und von ihnen traͤumt, um alles mit großem Prunk und noch groͤßerer Geschmacklosigkeit einzurichten, um nur endlich, Einleitung . endlich der Fete los zu werden, die man schon laͤngst von ihr erwartet, weil sie wohl zwoͤlf und mehr aͤhnliche Gastmahle uͤberstanden hat, zu der sie nun zum Ueberfluß noch jeden einladet, dem sie irgend eine Artigkeit schuldig zu sein glaubt, und gern noch ein Dutzend Durchreisende in ih- rem Garne auffaͤngt, um ihrer Besuche nachher entuͤbrigt zu bleiben; nein ich rede nicht von je- nen Tafeln, an welchen Niemand spricht, oder alle zugleich reden, an welchen das Chaos herrscht, und kaum noch in seltnen Minuten sich ein ein- zelner Privatspaß heraus wickeln kann, wo jedes Gespraͤch schon als todte Frucht zur Welt kommt, oder im Augenblicke nachher sterben muß, wie der Fisch auf dem trocknen Lande; ich meine nicht jene Gastgebote, bei denen der Wirth sich auf die Folter begeben muß, um den guten Wirth zu machen, zu Zeiten um den Tisch wandeln, selbst einschenken und frostige Scherze in das Ohr albern laͤchelnder Damen nieder legen; kurz, schweigen wir von dieser Barbarey unserer Zeit, von diesem Tode aller Geselligkeit und Gastfrei- heit, die neben so vielen andern barbarischen Gewohnheiten auch ihre Stelle bei uns gefun- den hat. Die krankhafte Karikatur von diesen Anstal- ten, fuͤgte Wilibald hinzu, sind die noch groͤßern Theegesellschaften und kalten Abendmahlzeiten, wo das Vergnuͤgen erhoͤht wird, indem alles durch einander laͤuft, und wie in der Sprachverwir- rung Einleitung . rung die Bedienten gerufen und ungerufen mit allen moͤglichen Erfrischungen balanzirend dazwi- schen tanzen, jeder Geladene durch alle Zimmer schweift, um zu suchen, er weiß nicht was, und ein Ordnungsliebender gern am Ofen, oder an irgend einem Fenster Posto faßt, um in der all- gemeinen Flucht nur nicht umgelaufen, oder von der voͤlkerwandernden Unterhaltung erfaßt und mitgenommen zu werden. Dieses, sagte Manfred, ist der wahre hohe Styl unsers geselligen Lebens, Michel Angelo's juͤngstes Gericht gegen die Miniaturbilder alter Gastlichkeit und traulicher Freundschaft, der Be- schluß der Kunst, das Endziel der Imagination, die Vollendung der Zeiten, von der alle Prophe- ten nur haben weissagen koͤnnen. Vergessen wir nur nicht, unterbrach Ernst, die Festlichkeiten des Mittelalters, wo nicht sel- ten Tausende vom Adel als Gaͤste versammelt waren; doch hatte jener freimuͤthige frohe Sinn nichts von der Zerstreutheit unserer Zeit, und ihre glaͤnzenden Waffenkaͤmpfe, diese Spiele, bei denen die Kraft mit der Gefahr scherzte, verei- nigten alle Gemuͤther zu einem herrlichen Mittel- punkte hin. Die Schaͤtze der Welt sind wohl noch niemals so oͤffentlich und in so schoͤnem großen Sinne genossen worden. Wie soll denn nun aber nach deiner Vor- stellung ein Gastmahl endigen? fragte Wilibald; was sollte denn wohl auf diesen lustigen Leicht- I. [ 6 ] Einleitung . sinn folgen koͤnnen, um wuͤrdig zu beschließen, oder wieder in das gewoͤhnliche Leben einzu- lenken? Der orientalische Ernst des Caffee, ant- wortete Lothar, und nach diesem, wie neulich schon ausgemacht wurde, vielleicht sogar die Pfeife. Da befinden wir uns ploͤtzlich wieder in der Mitte eines herabgestimmten Lebens, und denken an unsere vorige Lust nur wie an einen Traum zuruͤck. Sollte man so bewußtvoll leben, essen und trinken, warf Clara ein, so waͤre es eben eine herzliche Last, sich mit dem Leben uͤberall ein- zulassen. Es koͤmmt wohl nur auf die Uebung an, sagte Theodor, haben doch Elephanten gelernt auf dem Seile tanzen. Die meisten Menschen machen sich außerdem ihr Leben noch viel be- schwerlicher, und sie leben es doch ab: o wahr- lich, haͤtten sie nur etwas Leichtsinn in den Kauf bekommen, so entschloͤssen sich viele, sich sterben zu lassen. Ich sage ja nur, antwortete Lothar, daß uns dunkel dergleichen Vorstellung eines Dra- ma vorschwebt, wie bei allen Dingen, in die wir uns bestreben Sinn und Zusammenhang hinein zu bringen. Da man sich schon dem Nachtische naͤherte, so ließ Manfred heißern Wein geben und ermun- terte seine Freunde zum Trinken. Du wolltest, Einleitung duͤnkt mich, noch uͤber die Tischgespraͤche etwas sagen, so wandte er sich nach einiger Zeit an Lothar. Ich wollte noch bemerken, antwortete die- ser, daß nicht jedes Gespraͤch, auch wenn es an sich gut ist, an die Tafel paßt, oder wenig- stens nicht in jede Gesellschaft. Beim stillen haͤuslichen Mahl darf unter wenigen Freunden oder in der Familie mehr Ernst, selbst Unter- richt und Gruͤndlichkeit herrschen, je mehr es sich aber dem Feste naͤhert, um so mehr muͤssen Geist und Frohsinn an die Stelle treten. Frage nun, sagte Wilibald, ob wir auch die gehoͤrigen Diskurse fuͤhren? Bist du, drama- tischer Lothar, in deinem Gewissen ganz beruhigt? Auch hiebei, erwiederte dieser, ist das gute Bestreben, alles was wir geben koͤnnen, auch hier muß jenes Gluͤck unsichtbar hinzutreten und die letzte Hand anlegen, um ein erfreuliches wahres Kunstwerk hervor zu bringen. Waͤhrend dieser Gespraͤche, sagte Manfred, ist mir eingefallen, daß ich wohl unsre Schrift- steller und Dichter nach meinem Geschmack mit den verschiedenartigen Gerichten vergleichen koͤnnte. Zum Beispiel? fragte Auguste; das waͤre eine Geschmackslehre, die mir sehr willkommen sein wuͤrde, und wonach ich mir alles am besten merken und eintheilen koͤnnte. Ein andermal, sagte Manfred, wenn du fuͤr dergleichen ernsthafte Dinge mehr gestimmt Einleitung . bist, jetzt wuͤrdest du es wohl nur sehr frivol aufnehmen, und ich bin doch uͤberzeugt, daß diese Vergleichungen sich eben auch so gruͤndlich durchfuͤhren lassen, wie alle uͤbrigen. Es war eine Zeit, sagte Emilie, in der es die Schriftsteller, die uͤber die Poesie schrieben, niedrig und gemein finden wollten, das Ge- schmack zu nennen, was in Werken der Kuͤnste das Gute von dem Schlechten sondert. Das war eben in jener geschmacklosen Zeit, sagte Theodor. Wer noch nie uͤber das Tiefe und Innige des Geschmacks, uͤber seine chemischen Zersetzun- gen und universellen Urtheile nachgedacht hat, versetzte Ernst, der duͤrfte nur einiges uͤber die- sen Gegenstand in den Schriften mancher My- stiker lesen, um zu erstaunen, und die Veraͤch- ter dieses Sinnes zu verachten. Er duͤrfte auch nur hungern, sagte Wili- bald, und dann essen. Lieber noch dursten, sagte Anton, und dann trinken, indem er selber bedaͤchtig trank. Am kuͤrzesten ist es' gewiß, antwortete Friede- rich, indeß wie selten werden wir darauf gefuͤhrt, das zu beobachten, und uns uͤber dasjenige zu unterrichten, was wir in uns Instinkt nennen, und doch ist der Philosoph nur ein unvollkom- mener, der in diese Gegend seinen spaͤhenden Geist noch niemals ausgesendet hat. So ist es freilich mit allen Sinnen, fuhr Einleitung . Ernst fort, auch mit denen, die schon dem Ge- danken verwandter scheinen, wie das Ohr und das noch hellere Auge. Wie wundersam, sich nur in eine Farbe als bloße Farbe recht zu ver- tiefen? Wie kommt es denn, daß das helle ferne Blau des Himmels unsre Sehnsucht erweckt, und des Abends Purpurroth uns ruͤhrt, ein helles goldenes Gelb uns troͤsten und beruhigen kann, und woher nur dieses unermuͤdete Ent- zuͤcken am frischen Gruͤn, an dem sich der Durst des Auges nie satt trinken mag? Auf heiliger Staͤtte stehen wir hier, sagte Friedrich, hier will der Traum in uns in noch suͤßeren, noch geheimnißvolleren Traum zerflie- ßen, um keine Erklaͤrung, wohl aber ein Ver- staͤndniß, ein Sein im Befreundeten selbst hin- ein zu wachsen und zu erbilden: hier findet der Seher die goͤttlichen ewigen Kraͤfte ihm begeg- nend, und der Unheilige laͤßt sich an der nem- lichen Schwelle zum Goͤtzendienste verlocken. Die Kunst, sagte Manfred, hat diese Ge- heimnisse wohl unter ihren vielfarbigen Mantel genommen, um sie den Menschen sittsam und in fliehenden Augenblicken zu zeigen, dann hat sie sie uͤber sich selbst vergessen, und phantasirt seitdem so oft in allen Toͤnen und Erinnerun- gen, um diese alten Toͤne und Erinnerungen wieder zu finden. Daher die wilde Verzweif- lung in der Luft mancher bacchantischen Dichter; es reißen sich wohl Laute in schmerzhafter uͤppi- Einleitung . ger Freude, in der Angst keine Scheu mehr achtend, aus dem Innersten hervor, und ver- rathen, was der heiligere Wahnsinn verschweigt. So wollten wild schwaͤrmende Corybanten und Priesterinnen ein Unbekanntes in Raserei ent- decken, und alle Luft die uͤber die Graͤnze schweift nippt von dem Kelch der Ambrosia, um Angst und Wuth mit der Freude laut tobend zu ver- wirren. Auch der Dichter wird noch einmal erscheinen, der dem Grausen und der Wollust mehr die Zunge loͤßt. Schon glaub' ich die Maͤnade zu hoͤren, sagte Ernst, nur Paukenton und Cymbelnklang fehlt, um dreister die Worte tanzen zu lassen, und die Gedanken in wilderer Geberde. Seyn wir auch im Phantasiren maͤßig, und auch im Aberwitz noch ein wenig witzig, bemerkte Wilibald. Ja wohl, fuͤgte Auguste hinzu, sonst koͤnnte man vor dergleichen Reden eben so angst, wie vor Gespenstergeschichten werden; das beste ist, daß keiner sich leicht dergleichen wahrhaft zu Gemuͤth zieht, sonst moͤchten sich vielleicht wun- derliche Erscheinungen aufthun. Du sprichst wie eine Seherinn, sagte Man- fred, dieser Leichtsinn und diese Traͤgheit erhaͤlt den Menschen und giebt ihm Kraft und Aus- dauer zu allem Guten, aber beide reißen ihn auch immerdar zuruͤck von allem Guten und Einleitung . hohen, und weisen ihn wieder auf die niedrige Erde an. Es gemahnt mir, bemerkte Theodor unhoͤf- lich, wie die Hunde, die, wenn auch noch so geschickt, nicht lange auf zwei Beinen dienen koͤnnen, sondern immer bald wieder zu ihrem Wohlbehagen als ordinaͤre Hunde zuruͤck fallen. Laßt uns also, erinnerte Wilibald, auch ohne Hunde zu sein, auf der Erde bleiben, denn gewiß ist alles gut, was nicht anders sein kann. Wir sprachen ja von Kuͤnsten, fuhr Theodor fort, und ich erinnere mich dabei nur mit Ver- druß, daß ein Mensch, der seine Hunde ihre mannigfaltigen Geschicklichkeiten oͤffentlich zeigen ließ, jeden seiner Scholaren mit der groͤßten Ernst- haftigkeit und Unschuld einen Kuͤnstler nannte. O welch liebliches Licht, rief Rosalie aus, breitet sich jetzt nach dem sanften Regen uͤber unsern Garten! So ist wohl dem zu Muthe, der aus einem schweren Traum am heitern Mor- gen erwacht. Ich werde nie, sagte Ernst, den lieblichen Eindruck vergessen, den mir dieser Garten mit seiner Umgebung machte, als ich ihn zuerst von der Hoͤhe jenes Berges entdeckte. Du hattest mir dort, in der Waldschenke, mein Freund Man- fred, nur im allgemeinen von dieser Gegend erzaͤhlt, und ich stellte mir ziemlich unbestimmt eine Sammlung gruͤner Gebuͤsche vor, die man so haͤufig jetzt Garten nennt; wie erstaunte ich, Einleitung . als wir den rauhen Berg nun erstiegen hatten, und unter mir die gruͤnen Thaͤler mit ihren blitzenden Baͤchen lagen, so wie die zusammen- schlagenden Blaͤtter eines herrlichen alten Ge- dichtes, aus welchem uns schon einzelne liebliche Verse entgegen aͤugeln, die uns auf das Ganze um so luͤsterner machen: nun entdeckt' ich in der gruͤnenden Verwirrung das hellrothe Dach dei- nes Hauses und die reinlich glaͤnzenden Waͤnde, ich sah in den viereckten Hof hinein, und dane- ben in den Garten, den gerade Baumgaͤnge bil- deten und verschlossene Lauben, die Wege so genau abgemessen, die Springbrunnen schim- mernd; alles dies schien mir eben so wie ein helles Miniaturbild aus beschriebenen Perga- mentblaͤttern alter Vorzeit entgegen, und befan- gen von poetischen Erinnerungen fuhr ich herun- ter, und stieg noch mit diesen Empfindungen in deinem Hause ab, wo ich nun alles so lieblich und reizend gefunden habe. Ich gestehe gern, ich liebe die Gaͤrten vor allen, die auch unsern Vorfahren so theuer waren, die nur eine gruͤ- nende geraͤumige Fortsetzung des Hauses sind, wo ich die geraden Waͤnde wieder antreffe, wo keine unvermuthete Beugung mich uͤberrascht, wo mein Auge sich schon im voraus unter den Baum- staͤmmen ergeht, wo ich im Freyen die großen und breiten Blumenfelder finde, und vorzuͤglich die lebendigen spielenden Wasserkuͤnste, die mir ein unbeschreibliches Wohlgefallen erregen. Einleitung . Mit derselben Empfindung, antwortete Man- fred, betrat ich zuerst diese Gegend, dieser Gar- ten lockte mich sogleich freundlich an. Ich liebe es, im Freyen gesellschaftlich wandeln zu koͤnnen, im ungestoͤrten Gespraͤch, die Blumen sehen mich an, die Baͤume rauschen, oder ich hoͤre halb auf das Geschwaͤtz der Brunnen hin; belaͤstigt die Sonne, so empfangen uns die dichtverfloch- tenen Buchengaͤnge, in denen das Licht zum Smaragd verwandelt wird, und wo die lieblich- sten Nachtigallen flattern und singen. Mit Entzuͤcken, so redete Ernst weiter, muß ich an die schoͤnen Gaͤrten bei Rom und in man- chen Gegenden Italiens denken, und sie haben meine Phantasie so eingenommen, daß ich oft des Nachts im Traum zwischen ihren hohen Myr- then- und Lorbeergaͤngen wandle, daß ich oft- mals, wie die unvermuthete Stimme eines lange abwesenden Freundes, das liebliche Sprudeln ihrer Brunnen zu vernehmen waͤhne. Hat sich irgendwo ein edles Gemuͤth so ganz wie in ei- nem vielseitigen Gedicht ausgesprochen, so ist es vor allen dasjenige, welches die Borghesische Villa angelegt und ausgefuͤhrt hat. Was die Welt an Blumen und zarten Pflanzen, an ho- hen schoͤnen Baͤumen besitzt, allen Reitz großer und freier Raͤume, wo uns labend die Luft des heitern Himmels umgiebt, labyrinthische Baum- gewinde, wo sich Epheu um alte Staͤmme im Dunkel schlingt, und in der suͤßen Heimlichkeit Einleitung . kleine Brunnen in perlenden Stralen klingend tropfen, und Turteltauben girren: der anmuthigste Wald mit wilden Hirschen und Rehen, Feld und Wiesen dazwischen, und Kunstgebilde an den bedeutendsten Stellen, alles findet sich in diesem elysischen Garten, dessen Reitze nie ver- alten, und der jetzt eben wieder wie eine Insel der Seligen vor meiner Einbildung schwebt. Doch hab' ich in vielen Buͤchern gelesen, wandte Emilie ein, daß die Gartenkunst der Italiaͤner noch in der Kindheit sei, und daß sie weit hinter den Deutschen zuruͤckstehen. In allen menschlichen Angelegenheiten, ant- wortete Ernst, herrscht die Mode, aus der sich, wenn sie erst weit um sich gegriffen hat, leicht Sektengeist erzeugt, welchen man oft genug als Fortschritt der Kunst oder Menschheit unter dem Namen des Geistes der Zeit muß preisen hoͤ- ren, und so gehoͤren auch diese Aeußerungen und Glaubensmeinungen in das System so mancher andern, gegen die ich mich fast unbedingt erklaͤ- ren moͤchte. Wo sind denn in Deutschland die vortreflichen Gaͤrten im sogenannten Englischen Geschmack, gegen die der gebildete Sinn nicht sehr Vieles einzuwenden haͤtte? Sprechen sie weiter! rief Clara lebhaft; schon einige empfindsame Reisende haben unsern muntern Garten als altfraͤnkisch getadelt und meiner Mutter auf vielfache Weise gerathen, ei- nen krummen, und wenn man den naͤchsten Huͤ- Einleitung . gel mit hinein zoͤge, auch auf- und absteigen- den Park mit allen moͤglichen Effekten, anzule- gen, und meine gute Mutter hatte sich schon vor einigen Jahren nicht abgeneigt gezeigt, so daß ich schon fuͤr meine Blumenbeete und fuͤr die Wasserkuͤnste, die selbst in der Stille der Nacht fortlachen, gezittert habe. Wir duͤrfen nur, fuhr Ernst fort, auf das Beduͤrfniß zuruͤck gehn, aus welchem unsre Gaͤr- ten entstanden sind, um auf dem kuͤrzesten Wege einzusehn, welche Anlagen im Allgemeinen die richtigeren sein moͤgen. Der Landmann hat ne- ben seiner einfachen Wohnung seinen Baumgar- ten, der ihm vor seiner Thuͤr Fruͤchte und Kuͤ- chengewaͤchse liefert, gern laͤßt er das Gras zwi- schen den Baͤumen wachsen, sowohl, weil er es ebenfalls nutzen kann, als auch weil es ihm Ar- beit erspart, indem er es schont. Sehn wir in dieser wilden gruͤnen Anstalt noch irgend ein Fleckchen den Gartenblumen besonders gewidmet und mit Liebe ausgespart, so hat diese natuͤr- lichste Anlage, im Gebirge wie im flachen Lande, einen gewissen Zauber, der uns still und ruͤh- rend anspricht, ja in der Bluͤthenzeit kann ein solcher Raum mit seinen dicht gedraͤngten Baͤu- men entzuͤckend sein. Diese sind unter den Gaͤr- ten die wahren Idyllen, die kleinen Naturge- dichte, die eben deswegen gefallen, weil sie von aller Kunst voͤllig ausgeschlossen sind. Ein Muͤhlbach, der an solchem Garten vor- Einleitung . uͤberrinnt, sagte Clara, und Laͤmmchen drinne huͤpfend und bloͤkend in der Fruͤhlingszeit, und krausbebuschte Berge dahinter, aus denen ein Holzschlag in den Gesang der Waldvoͤgel toͤnt, dies kann vorzuͤglich Abends, oder am fruͤhsten Morgen so himmlische Eindruͤcke von Ruhe, Ein- samkeit und lieblicher Befangenheit erregen, daß unser Gemuͤth in diesen Augenblicken sich nichts Hoͤheres wuͤnschen kann. Die Gaͤrten der alten Burgen und Schloͤs- ser waren auf ihren Hoͤhen gewiß nur beschraͤnkt, sagte Ernst, der jagdliebende Ritter lebte im Walde, oder auf Reisen und Turniren, oder in Fehden und Kriegen. Als die neueren Pallaͤste entstanden und die fuͤrstliche Architektur, als mit dem milderen Leben Kunst, Witz und heitere Ge- selligkeit in die Schloͤsser der Großen und Rei- chen zogen, wandte sich die architektonische Regel ebenfalls in die Gaͤrten; in ihnen sollte dieselbe Reinlichkeit und Ordnung herrschen, wie in den Saͤulengaͤngen und Saͤlen der Pallaͤste, sie soll- ten der Geselligkeit den heitersten Raum gewaͤh- ren, und so entstanden die regelmaͤßigen, weiten und vielfachen Baumgaͤnge, so wurde der un- ordentliche Wuchs zu gruͤnen Waͤnden erzogen, Huͤgel ordneten sich in Terrassen und bequemen breiten Treppen, die Blumen standen in Reihen und Beeten, und alles Wildscheinende, so wie alles, was an das Beduͤrfniß erinnert, wurde sorgfaͤltigst entfernt; auf großen runden oder vier- Einleitung . eckten Plaͤtzen suchte man gern die Fruͤhlings- sonne, die dichten Baumschatten waren zu Boͤ- gen gegen die Hitze gewoͤlbt, verflochtene Lau- bengaͤnge waren kuͤnstlich selbst mit unsichtbaren Kaͤfigen umgeben, in denen Voͤgel aller Art in scheinbarer Freiheit schwaͤrmten; die Springbrun- nen, die die Stille unterbrachen und wie Na- turmusik dazwischen redeten, und deren geord- nete Stralen und Stroͤme in vielfachen Linien aus Muscheln, Seepferden und Statuen von Wassergoͤttern sich ebenfalls nach Regeln erho- ben, dienten als phantastischer Schmuck dem wohl- berechneten Ganzen. Der bunte gruͤnende Raum war Fortsetzung der Saͤle und Zimmer, fuͤr viele Gesellschaften geeignet, den mannigfaltigsten Sin- nen zubereitet, dem Geraͤusch und Prunk anpas- send, und auch in der Einsamkeit ein lieblicher Genuß, denn der Frohwandelnde, wie jener, der sich in stille Betrachtung senkt, fand nichts, was ihn stoͤrte und irrte, sondern die lebendige Na- tur umgab sie zauberisch in denselben Regeln, in denen der Mensch von Verstand und Vernunft, und der innern unsichtbaren Mathematik seines Wesens ewig umschlossen ist. Siehst du, liebe Mutter, sagte Clara, welche philosophische Miene unser oft getadelte Garten anzunehmen weiß, wenn er nur seinen Sachwal- ter findet? Alles, was ich sagen kann, fuhr Ernst fort, steht schon im Woldemar viel besser und gruͤnd- Einleitung . licher, als Zurechtweisung eines einseitigen und mißverstandenen Hanges zur Natur. Finden Sie denn aber wirklich alle Gaͤrten dieser Art schoͤn? fragte Auguste. So wenig, antwortete Ernst, daß ich im Gegentheil viele gesehen habe, die mir durch ihre vollendete Abgeschmacktheit eine Art von Grau- sen erregt haben. Es giebt vielleicht in der gan- zen Natur keine traurigere Einsamkeit, als uns die erstorbene Formel dieser Gartenkunst in dem barocken uͤbertriebenen Hollaͤndischen Geschmack darbietet, wo es den Reitz ausmachen soll, die Baͤume nicht als solche wieder zu erkennen, wo Muscheln, Porzellan und glaͤnzende Glaskugeln um fuͤrchterlich verzerrte Bildsaͤulen auf gefaͤrb- tem Sande stehn, wo das springende Wasser selbst seine liebliche Natur eingebuͤßt hat, und zum Possenreißer geworden ist, und wo auch so- gar der heiterste blaue Himmel nur wie ein ern- stes mißbilligendes Auge uͤber dem vollendeten Unfug steht: Mond und Sterne uͤber diesen Fra- tzen leuchtend und schimmernd, sind furchtbar, wie die lichten Gedanken im Geschwaͤtz eines Verruͤckten. Vom Wasser, fiel Theodor ein, wird uͤber- haupt oft ein kindischer Mißbrauch gemacht, diese Vexirkuͤnste, um uns ploͤtzlich naß zu machen, sind den abgeschmackten neumodischen Gespensterge- schichten mit natuͤrlichen Erklaͤrungen zu verglei- chen; der Verdruß ist viel groͤßer als der Schreck. Einleitung . Da man nun so haͤufig, sprach Ernst wei- ter, diese Gespenster von Gaͤrten sah, so er- wachte zu derselben Zeit, als man in allen Kuͤn- sten die Natuͤrlichkeit forderte, auch in der Gar- tenkunst bei unsern Landsleuten ein gewisser Sinn fuͤr Natur. Wir hoͤrten von den Englischen Parks, von denen viele in der That in hoher Schoͤnheit prangen, und so fing man denn in Deutschland ebenfalls an, mit Baͤumen, Stau- den und Felsen auf mannichfache Weise zu ma- len, lebendige Wasser und Wasserfaͤlle mußten die springenden Brunnen verdraͤngen, so wie alle geraden Linien nebst allem Anschein von Kunst verschwinden mußten, um der Natur und ihren Wirkungen auf unser Gemuͤth Raum zu gewaͤh- ren. Weil man sich nun hier in einem unbe- schraͤnkten Felde bewegte, eigentlich keine Vor- bilder zur Nachahmung vor sich hatte, und der Sinn, der auf diese Weise malen und zusam- men setzen soll, vom feinsten Geschmack, vom zartesten Gefuͤhl fuͤr das Romantische der Na- tur geleitet werden muß, ja, weil jede Lage, jede Umgebung einen eigenthuͤmlichen Garten die- ser Art erfordert, und jeder also nur einmal existiren kann, so konnte es nicht fehlen, daß man von jenem aͤchten Natursinn verlassen, in Verwirrung gerieth, und bald Gaͤrten entstan- den, die nicht weniger widerlich, als jene Hol- laͤndischen waren. Bald genuͤgten die Effekte der Natur und der sinnigen Baͤume und Pflan- Einleitung . zen nicht mehr, dem bizarren Streben waren diese Wirkungen zu gelinde, man baute Felsen- massen, Labyrinthe, haͤngende Bruͤcken, chinesi- sche Thuͤrmchen auf steilen Abhaͤngen, gothische Burgen, Ruinen aller Art, und so waren diese verworrenen Raͤume am Ende mehr auf ein unangemehmes Erschrecken, oder unbehagliche Aengstlichkeit, als fuͤr einen stillen Genuß einge- richtet. Und dabei doch alles kleinlich, fiel Manfred ein, nicht phantastisch, sondern nur arm sind diese Tempel der Nacht und der Sonne, mit ihren bunten affektirten Lichtern, und kommen nicht einmal unsern gewoͤhnlichsten Theater-Ef- fekten gleich. Fuͤr das Erschrecken reizbarer oder traͤume- rischer Menschen ist oft hinlaͤnglich gesorgt, sagte Anton, wenn unvermuthet ein Bergmann aus einem Schacht neben dem Wege heraus zu stei- gen scheint, oder im einsamen Dikkicht eine an- dre widrige Puppe als Eremit vor einem Cru- cifixe kniet. Selbst Schaͤdel und Beingerippe muͤssen dem Wandelnden zum Ergoͤtzen dienen. Ohne weiteren Schreck, sagte Wilibald, er- regen schon die krummen, ewig sich verwickeln- den Wege Angst genug. Man sieht Menschen in der Ferne und vermuthet einen Freund unter diesen; aber wie in aller Welt soll man es an- stellen, sich ihnen zu naͤhern? Man nimmt die Richtung nach jenem Punkt, allein der Weg laͤßt sich Einleitung . sich nicht so gehn, wie du moͤchtest, bald bist du hinter deinem vorigen Standpunkte zuruͤck, und so ist es auch wahrscheinlich jenem druͤben er- gangen; tagelang rennt man sich aus dem Wege, wenn man sich nicht in einer albernen Moschee, oder Otahitischen Huͤtte, in die man gegen den Regen unterduckt, ganz unvermuthet findet. Eben so wenig, fuhr Theodor fort, kannst du aber dem ausweichen, dem du nicht be- gegnen willst, und das ist oft noch schlimmer. Nichts alberneres, als zwei Menschen, die sich nicht leiden moͤgen, und die sich ploͤtzlich in ge- zwungener Einsamkeit in einer dunkeln Grotte eng neben einander befinden, da brummt man was von schoͤner Natur und rennt aus einan- der, als muͤßte man die naͤchste Schoͤnheit noch eilig ertappen, die sich sonst vielleicht auf fluͤch- tigen Fuͤßen davon machen moͤchte; und, siehe da, indem du dich bald nachher eine enge Fel- sentreppe hinauf quaͤlst, kommt dir wieder die fatale Personage von oben herunter entgegen ge- stiegen, man muß sich sogar beim Vorbeidraͤn- gen koͤrperlich beruͤhren, eine nothgedrungene Freundlichkeit anlegen, und der lieben Humani- taͤt wegen recht entzuͤckt sein uͤber das herrlich romantische Wesen, um nur der leidigen Ver- suchung auszuweichen, jenen in den zauber- aber nicht wasserreichen Wasserfall hinab zu stoßen. Die Entdeckung und Anpflanzung der Lombardi- schen Pappel, die weder Gestalt noch Farbe hat, I. [ 7 ] Einleitung . ist den Verfertigern der schoͤnen Natur sehr zu statten gekommen, ihrem Wirrwarr recht eilig auf die Beine helfen zu koͤnnen. Das Zeug waͤchst fast zusehends, und nun haben unsre guten al- ten einheimischen Baͤume das Nachsehn. Diese Pappeln sind mir in geraden und krummen Gaͤn- gen gleich widerwaͤrtig. Wie schoͤn sind unsre alten Linden, die vormals so manche Landstraße zierten, wie erfreulich die ehrwuͤrdigen Nußbaͤume der Bergstraße, und wie melankolisch sind die Pappelgassen, die sich um Carlsruh nach allen Seiten in das Land so finster hinaus strecken. In gebirgigen Gegenden, sagte Friedrich, scheint mir ein Garten, wie dieser hier, nicht nur der angemessenste, sondern auch ohne Frage der schoͤnste, denn nur in diesem kann man sich von den erhabenen Reizen und großen Ein- druͤcken erholen, die die maͤchtigen Berge beim Durchwandeln in uns erregen. Jedes Bestreben hier etwas Romantisches erschaffen, und Baum und Waldgegenden malen zu wollen, wuͤrde jenen Waͤldern und Felsenschluften, den wun- dersamen Thaͤlern, der majestaͤtischen Einsamkeit gegenuͤber nur albern erscheinen. So aber liegt dieser Garten in stiller Demuth zu den Fuͤßen jener Riesen, mit ihren Waͤldern und Wasser- baͤchen, und spielt mit seinen Blumen, Lauben- gaͤngen und Brunnen wie ein Kind in einfaͤlti- gen Phantasien. Dagegen ist mir in einer der traurigsten Gegenden Deutschlands ein Garten Einleitung . bekannt, der allen romantischen Zauber auf die sinnigste Weise in sich vereinigt, weil er, nicht um Effekt zu machen, sondern um die inner- lichen Bildungen eines schoͤnen Gemuͤthes in Pflanzen und Baͤumen aͤußerlich zu erschaffen vollendet wurde; in jener Gegend, wo der edle Herausgeber der Arethusa nach alter Weise im Kreise seiner liebenswuͤrdigen Familie lebt; die- ser gruͤne, herrliche Raum schmuͤckt wahrhaft die dortige Erde, von ihm umfangen vergißt man das unfreundliche Land, und waͤhnt in lieblichen Thaͤlern und goͤttergeweihten Hainen des Alter- thums zu wandeln; in jedem Freunde der Na- tur, der diese liebliche Schatten besucht, muͤssen sich dieselben heitern Gefuͤhle erregen, mit denen der sinnvolle Pflanzer die anmuthigste Landschaft hier mit dem Schmuck der schoͤnsten Baͤume dichtete, die auf sanften Huͤgeln und in stillen Gruͤnden mannichfaltig wechselt, und durch ruͤh- rende Reize den Sinn des Gebildeten beruhigt und befriedigt. Denn ein wahres und vollkom- menes Gedicht muß ein solcher Garten sein, ein schoͤnes Individuum, das aus dem eigensten Gemuͤthe entsprungen ist, sonst wird ihm der Vorwurf jener oben geruͤgten Verwirrung und Unerfreulichkeit gewiß nicht entstehn koͤnnen. Die Damen machten schon Miene sich zu erheben, als Manfred rief: nur noch diese Fla- sche, meine Freunde, des lieblichen Constanzer- Einleitung . weins, jedem ein volles Glas, und mit ihm trinke jeder eine Gesundheit recht von Herzen! Ernst erhub das fluͤssige Gold, und sagte nicht ohne Feierlichkeit: Wohlauf, er lebe, der Vater und Befreier unsrer Kunst, der edle deut- sche Mann, unser Goͤthe, auf den wir stolz sein duͤrfen, und um den uns andre Nationen be- neiden werden! Alle stießen an, und als Theodor an ein neuliches Gespraͤch erinnern wollte, rief Man- fred: nein, Freunde, keine Kritiken jetzt, alle Freude unsrer Jugend, alles was wir ihm zu danken haben, vereinigen wir in unserer Erinn- erung in diesem Augenblick! Wilibald sagte: du hast Recht, der Mo- ment begeisterter Liebe kann nur Liebe sein, und darum laßt uns Schillers Andenken mit seinem Rahmen vereinigen, dessen ernster groß streben- der Sinn wohl noch laͤnger unter uns haͤtte ver- weilen sollen. Ich trinke dieses Glas, sprach Anton bewegt, dem edelsten und freundlichsten Gemuͤth, dem liebenswuͤrdigsten Greise, dem es wohl gehen moͤge, dem Weisen, der nie Sektirer war, dem kindlichen Jacobi, den uns ein sanftes Schick- sal noch viele Jahre goͤnnen moͤge! Wir endigen unser Mahl feierlich, sagte Emilie, man kann sich der Ruͤhrung nicht erweh- ren, auf diese Weise an geliebte Abwesende zu denken. Einleitung . Ergeben wir uns, rief Manfred lebhaft aus, dieser schoͤnen Bewegung, und darum stoßt an, und feiert hoch das Andenken unsers phantasie- vollen, witzigen, ja wahrhaft begeisterten Jean Paul! Nicht sollst du ihn vergessen, du deutsche Jugend. Gedankt sei ihm fuͤr seine Irrgaͤrten und wundervollen Ersinnungen: moͤchte er in diesem Augenblick freundlich an uns denken, wie wir uns mit Ruͤhrung der Zeit erinnern, als er gern und mit schoͤner Herzlichkeit an unserm Kreise Theil nahm! Nie sei vergessen, rief Theodor mit einem Ernst, der an ihm nicht gewoͤhnlich war, das bruͤderliche Gestirn deutscher Maͤnner, unser Fried- rich und Wilhelm Schlegel, die so viel Schoͤnes befoͤrdert und geweckt haben: des einen Tiefsinn und Ernst, des andern Kunst und Liebe sei von dankbaren Deutschen durch alle Zeiten gefeiert! So sei es denn erlaubt, sprach Lothar, einen Genius zu nennen, der schon lange von uns geschieden ist, der aber uns wohl umschweben mag, wenn alle Herzen mit innerlichster Sehn- sucht und Verehrung ihn zu sich rufen: der große Britte, der aͤchte Mensch, der Erhabene, der immer Kind blieb, der einzige Shakspear sei von uns und unsern Nachkommen durch alle Zeital- ter gepriesen, geliebt und verehrt! Alle waren in stuͤrmischer Bewegung und Friedrich stand auf und sagte: ja, meine Gelieb- ten, wie wir hier nun beisammen sind in Freund- Einleitung . schaft und Liebe und dadurch eins, so umgiebt uns auch aus der Ferne das Angedenken edler Freunde, und ihre Herzen sind vielleicht eben jetzt hierher gewendet; aber auch den Abgeschie- denen zieht unser Glaube andaͤchtig zu unsern Mahlen, Freuden und Scherzen, mit Sehnsucht, Liebe und Freudenthraͤnen herbei, und so be- schließt sich am wuͤrdigsten ein heitrer Genuß; der Tod ist keine Trennung, sein Antlitz ist nicht furchtbar: opfert diese letzten Tropfen dem viel- geliebten Novalis, dem Verkuͤndiger der Reli- gion, der Liebe und Unschuld, er ein ahndungs- volles Morgenroth besserer Zukunft. Rosalie stieß stillschweigend und geruͤhrt mit an: ihm sollen die Frauen danken, sprach sie leise und bewegt. Alle erhuben sich, die Freunde umarmten sich stuͤrmisch und jedem standen Thraͤ- nen in den Augen. Man ging schweigend in den Garten. Die Gesellschaft saß um den groͤßten Spring- brunnen, der in der Mitte des Gartens spielte, horchte auf das liebliche Getoͤn und fuͤhlte in dieser Pause kein Beduͤrfniß, das Gespraͤch fort zu setzen; endlich sagte Clara: von allen Na- turerscheinungen kommt mir das Wasser als die wunderbarste vor, denn es ist nicht anders, wenn man recht darauf sieht und hoͤrt, als wohne in ihm ein uns befreundetes Wesen, das uns ver- steht und sich uns mittheilen moͤchte, so klar Einleitung . und lockend schaut es uns an; es lacht mit uns, wenn wir froͤhlich sind, es klagt und schluchzt, wenn wir trauern, es schwatzt und plaudert kin- disch und thoͤricht, wenn wir uns zum Schwatzen aufgelegt fuͤhlen, kurz, es macht alles mit; auch toͤnt ein rauschender Bach in der Einsam- keit der Gebirge wohl wie ein Orakel, von dem wir die prophetischen, tiefsinnigen Worte gern verstehn lernen moͤchten. Wahrlich, kein Glaube ist dem Menschen so natuͤrlich, als der an Ni- xen und Wassernymphen, und ich glaube auch, daß wir ihn nie ganz ablegen. Anton, der neben ihr saß, sah sie mit einem freundlichen, fast begeisterten Blicke an, weil die- ses Wort die theuerste Gegend seines heimlichen Aberglaubens liebkosend besuchte; er wollte ihr etwas erwiedern, als Ernst das Wort nahm und sich so vernehmen ließ: nicht so willkuͤhr- lich, wie es auf den ersten Anblick scheinen moͤchte, haben die aͤltesten Philosophen, so wie neuere Mystiker, dem Wasser schaffende Kraͤfte und ein geheimnißvolles Wesen zuschreiben wollen, denn ich kenne nichts, was unsre Seele so ganz unmit- telbar mit sich nimmt, als der Anblick eines großen Stromes, oder gar des Meeres; ich weiß nichts, was unsern Geist und unser Bewußtsein so in sich reißt und verschlingt, wie das Schau- spiel vom Sturz des Wassers, wie des Teverone zu Tivoli, oder der Anblick des Rheinfalls. Dar- um ermuͤdet und saͤttigt dieser wundervolle Ge- Einleitung . nuß auch nicht, denn wir sind uns, moͤchte ich sagen, selbst verloren gegangen, unsre Seele mit allen ihren Kraͤften braust mit den großen Wogen eben so unermuͤdlich den Abgrund hin- unter: das ist es auch, daß wir vergeblich nach Worten suchen, mit Vorstellungen ringen, um aus unsrer Brust die erhabene Erscheinung wie- der auszutoͤnen, um in Ausdruͤcken der Sprache die gewaltige Leidenschaft, den furchtbaren Zorn, den Trieb zur Vernichtung, das heftige Toben im Schluchzen und Weinen, das harte gellende Lachen in der tiefsinnigen Klage, vermischt mit uralten Erinnerungen, verwirrt mit den Ahn- dungen seltsamer Zukunft zu bilden und auszu- malen, und keiner Anstrengung kann dieses Be- streben auch jemals gelingen. Da die Sprache schon so unzulaͤnglich ist, sagte Lothar, so sollten es sich die Kuͤnstler doch endlich abgewoͤhnen, Wasserfaͤlle malen zu wol- len, denn ohne ihr sinnvolles, in tausendfachen Melodieen abwechselndes Rauschen sehn auch die bessern in ihrer Stummheit nur albern aus. Dergleichen Erscheinungen, die keinen Moment des Stillstandes haben und nur in ewigen Wech- sel existiren, lassen sich niemals auf der Leinwand darstellen. Darum, fuhr Friedrich fort, sind Teiche, Baͤche, Quellen, sanfte blaue Stroͤme, fuͤr den Landschafter so vortrefliche Gegenstaͤnde, und die- nen ihm vorzuͤglich, jene sanfte Ruͤhrung und Einleitung . Sehnsucht hervor zu bringen, die wir so oft beim Anblick des ruhigen Wassers empfinden. Die Menge der lebendigen rauschenden Brun- nen, sagte Ernst, gehoͤrt zu den Wundern Roms, und sie tragen mit dazu bei, den Aufenthalt in dieser Stadt so lieblich zu machen. Entzuͤckt uns in freier Landschaft oder in Gaͤrten das Spiel des Wassers, so ergreift uns neben Pal- laͤsten und Kirchen, im Geraͤusch der Straßen und Maͤrkte, dieses toͤnende Rauschen und Spru- deln noch seltsamer. Ich kann nicht sagen, wie in der stillen Nacht der Abreise mich diese Brun- nen ruͤhrten, denn mir duͤnkte, daß sie alle Ab- schied von mir naͤhmen, mir ein Lebewohl nach- riefen, und mich an alle Herrlichkeiten dieser Hauptstadt der Welt so wehmuͤthig erinnerten; ich begriff in dieser Stunde nicht, wie ich mich vorher oft so innig nach Deutschland hatte seh- nen koͤnnen, denn schon bevor ich aus dem Thor gefahren war, sehnte ich mich herzlich nach Rom zuruͤck, wie viel mehr nicht seitdem! So ist der Mensch, fiel Theodor ein, nichts als Inkonsequenz und Widerspruch! So hat Lo- thar uns heut weitlaͤufig auseinandergesetzt, mit welcher Heiterkeit und mit welchem ausgelasse- nem Witze sich ein Mahl beschließen muͤsse, und wir endigten es hoͤchst unbedacht mit Ruͤhrung, was ganz gegen die Abrede war. Doch nicht minder gut, sagte Ernst, denn wir waren auch in dieser Bewegung froͤhlich. Einleitung . Ich verstehe uͤberhaupt die Freude der meisten Menschen nicht. Scheint es doch, als muͤßten sie alle Erinnerungen des wahren Lebens von sich entfernt halten, um nur in blinder Zerstreut- heit auf kuͤmmerliche Weise sich das anzueignen, was sie Ergoͤtzung und Froͤhlichkeit nennen. Die Fuͤlle des Lebens, ein gesundes kraͤftiges Gefuͤhl des Daseins bedarf selbst einer gewissen Trauer, um die Lust desto inniger zu empfinden, so wie diese Gesundheit die Tragoͤdie erfunden hat, und auch nur genießen kann. Je schwaͤcher der Mensch, je lebensmuͤder er wird, um so mehr hat er nur noch Freude am Lachen, und an dem kleinlichen Lustspiel neuerer Zeit. Geh dem aus dem Wege, der nur noch lachen mag und kann, denn mit dem Ernst und der edlen Trauer ist auch aller Inhalt seines Lebens entschwunden; er ist boͤs, wenn er etwas mehr als Thor sein kann. Je hoͤher wir unser Dasein in Lust und Liebe empfinden, je lauter wir in uns aufjauch- zen in jenen seltenen Minuten, die uns nur sparsam ein geizendes Schicksal goͤnnt, um so freigebiger und reicher sollen wir uns auch in diesen Sekunden fuͤhlen; warum also in die- sen schoͤnsten Lebensmomenten unsre ehemaligen Freunde und ihre Liebe von uns weisen? Hat der Tod sie denn zu unsern Feinden gemacht? Oder ist ihr Zustand nach unsrer Meinung so durchaus bejammernswerth, daß ihr Bild unsre Lust zerstoͤren muß? In jenen seligen Stimmun- Einleitung . gen moͤchte ich ausrufen: laßt sie zu uns, in unsre Arme, in unsre Herzen kommen, daß un- ser Reichthum noch reicher werde! Koͤnnt ihr euch aber mit dem Glauben vertragen, daß sie vielleicht huͤlflos, auf lange in Wuͤsten hinaus gestoßen sind, o so laßt ihnen einige Tropfen von der Ueberfuͤlle eurer Lust zufließen! Aber nein, du theurer geliebter Abgeschiedener, in die- sen Empfindungen fuͤhl' ich mich zu dir in den Zustand deiner Ruhe und Freude hinuͤber, und du bist mehr der meine, als nur je in diesem irdischen Leben, denn neben meiner ganzen Liebe gehoͤrt dir nun auch mein hoͤchster Schmerz um dich, jener namenlose, unbegreifliche, jenes angst- vollste Ringen mit dem fuͤrchterlichsten Zweifel, als ob ich dich auf ewig verloren haͤtte; da hat meine Liebe erst alle ihre Kraͤfte aufrufen und erkennen muͤssen, da hab ich dich erst im Triumph dem Tode abgewonnen, um dich nie mehr zu verlieren, und seitdem bist du ohne Wandel, ohne Krankheit, ohne Mißverstaͤnd- niß mein, und laͤchelst jedes Laͤcheln mit, und schwimmst in jeder Thraͤne: wo kann ich dich besser herbergen, als in diesem Herzen, wenn es der Freude geoͤffnet ist? Mit diesem Gaste sprech' ich nicht mehr zu ihr: was willst du? oder: du bist toll! denn sie ist durch deine holde Gegenwart edler, milder und menschlicher. Clara weinte, und Anton uͤberließ sich seiner Wehmuth. Hoͤre auf, rief dieser, ich fuͤhle diese Einleitung . Wahrheit trotz ihrer Freundlichkeit zu schmerz- lich, eben weil sie so ganz das Wesen meines Lebens ist. Was ist es nur, fing Clara nach einiger Zeit wieder an, das uns in der Heiligkeit des Schmerzes oft wie im Triumph hoch, hoch hin- auf hebt, und das uns, moͤcht' ich doch fast sagen, mit der Angst eines Jubilirens befaͤllt, eines tiefen Mitleidens, einer so innigen Liebe, eines solchen Gefuͤhls, das wir nicht nennen koͤnnen, sondern daß wir nur gleich in Thraͤnen untergehn und sterben moͤchten? So ist es mir oft gewesen, wenn ich im Plutarch von den großen Menschen las, wie sie ungluͤcklich sind und wie sie ihre Leiden und den Tod erdulden, oder wie Timoleon sein Gluͤck und Schicksal traͤgt. Das Leben moͤchte brechen vor Lust und Schmerz, und wenn dann ein Fremder fragt: was fehlt dir? so moͤchte man antworten: „ o ich habe eine Welt zu viel! Warum kann ich in Demuth als Seufzer nicht fuͤr den verwehen, den ich so innig verehren muß? “ Wer nicht auf diese Weise, sagte Friedrich, das Evangelium lesen kann, der sollte es nie lesen wollen, denn was kann er anders dort finden, als die hoͤchste Liebe und ihre heiligen Schmerzen? Diese Begier sich aufzuopfern, sich ganz, ganz hinzuwerfen dem geliebten Gegen- stande unsrer Verehrung, ist das Hoͤchste in uns; es ruft aus uns uͤber Jahrtausende hinuͤber: Einleitung . fuͤhlst du mich denn auch? Siehe, du hast nicht umsonst gelebt, ich weiß von dir, nur ein He- rold der Menschheit bin ich, nur ein Laut aus der unzaͤhlbaren Schaar! — Sollte ein solches Gefuͤhl nicht unmittelbare Gemeinschaft mit dem geliebten Wesen erzeugen koͤnnen? Und so ist die Welt unser, fuhr Lothar heftig fort, wenn wir dieser Welt nur wuͤrdig sind! Aber leider sind wir meist zu traͤge und todt, um die zu bewundern, deren Leben ein Wunder war; denn nicht was unser leeres Er- staunen erregt, was wir nicht begreifen, sollten wir so nennen, sondern die Kraft jener Welt- uͤberwinder, die uͤber Schicksal und Tod siegten, diese Helden sollten wir als Wunderthaͤter ver- ehren; unser aͤußerer Mensch versteht und faßt sie auch nicht, aber der innere fuͤhlt sie, und in Andacht und Liebe sind sie ihm vertraut und mehr als verstaͤndlich. Alles, was wir wachend von Schmerz und Ruͤhrung wissen, sagte Anton, ist doch nur kalt zu nennen gegen jene Thraͤnen, die wir in Traͤu- men vergießen, gegen jenes Herzklopfen, das wir im Schlaf empfinden. Dann ist die letzte Haͤrte unseres Wesens zerschmolzen, und die ganze Seele fluthet in den Wogen des Schmer- zes. Im wachenden Zustande bleiben immer noch einige Felsenklippen uͤbrig, an denen die Fluth sich bricht. Gewiß, fuhr Friedrich fort, sollten wir die Einleitung . Zustaͤnde des Wachens und Schlafens mehr als Geschwister behandeln, wir wuͤrden dann klarer wachen und bewußtvoller und leichter traͤumen. Suchen wir doch am Tage mit der Phantasie auf diesem Fuße zu leben, und wie viel koͤnn- ten wir von ihr als Nachtwandlerin lernen, wenn wir sie als solche mehr achteten und be- achteten. So finden wir auch in der alten Welt die Traͤume nicht so vernachlaͤßigt, son- dern aus ihren Ahndungen ging oft durch den Glauben der Menschen eine glaͤnzende Wirklich- keit hervor. Wir traͤumen ja auch nur die Natur, sagte Ernst, und moͤchten diesen Traum ausdeuten; auf dieselbe Weise entfernt und nahe ist uns die Schoͤnheit, und so wahrsagen wir auch aus dem Heiligthum unsers Innern, wie aus einer Welt des Traumes heraus. So koͤnnte man denn wohl, unterbrach Theodor, aus witziger Willkuͤhr mit der Wirk- lichkeit wie mit Traͤumen spielen, und die Ge- burten der Dunkelheit als das Rechte und Wahre anerkennen wollen. Thun denn so viele Menschen etwas anders? fragte Wilibald. Und thun sie denn so gar unrecht? ant- wortete Ernst mit neuer Frage. Wir gerathen auf diesem Wege, sagte Emi- lie, in das Gebiet der Raͤthsel und Wunder. Doch fuͤhrt uns vielleicht der Versuch, alles umkeh- Einleitung . ren zu wollen, am Ende von selbst wieder in das Gewoͤhnliche zuruͤck. Damit ich euch scheinbar kreuze, fiel Man- fred ein, so bleiben nach meinem Gefuͤhl Witz und Scherz immer etwas sehr Nuͤchternes, wenn sie nicht unter ihrer Verhuͤllung eine Wahrheit aussprechen koͤnnen, so wie ich auch glaube, daß es keine Wahrheit giebt, der Witz und Scherz nicht das Laͤcherliche abgewinnen moͤgen. La- chen wir doch auch nur recht herzlich und gemuͤth- lich, und wahrhaft nur ganz unschuldig, uͤber unsre Freunde die wir lieben, und derjenige, der sich noch nicht seinem Freunde zum Scherze gern hingegeben hat, hat noch keinen Freund recht von ganzer Seele geliebt; ja aus Aufopferungs- sucht hilft der Liebende selbst dem Spotte nach, und enthuͤllt freiwillig das Laͤcherliche in sich, um sich gleichsam dem Freunde zu vernichten; denn, um es heraus zu sagen, das Lachen ist den Thraͤnen wohl naͤher verwandt, als die mei- sten glauben, endigt es doch auch, wie die Ruͤh- rung, mit diesen. Ernst fuhr fort: der Satz, den wir so oft haben wiederholen hoͤren: daß die Menschen die Laͤcherlichkeit fuͤrchten, und daß deshalb der komi- sche Dichter, oder Satiriker, oder wie sie ihn nennen moͤgen, diese allgemeine hoͤchste Reizbar- keit der Menschen benutzen muͤsse, um sie zu bessern; dieser Satz ist gewiß in der Anwendung falsch, und an sich selbst nur einseitig wahr. Einleitung . Das Laͤcherliche, welches sich mit dem Veraͤcht- lichen verbindet, und welches so manche Dich- ter zur Verfolgung, und wo moͤglich Vernich- tung, dieser oder jener sogenannten Thorheit, oder einer Meinung, oder Verirrung haben brau- chen wollen, ist allerdings so gehaͤssig und bit- ter, daß wohl zu keiner Zeit ein edler Mensch sich diesem Laͤcherlichen hat bloß stellen moͤgen, denn ein feindliches Wesen, das irgend ein Le- ben zu vernichten strebte, kaͤmpfte in diesem wil- den, anmaßlichen Lachen; auch gestehe ich gern, daß ich diesen so genannten Satirikern, beson- ders der neuern Zeiten, niemals Freude und Lust habe abgewinnen koͤnnen, ich weiß auch nicht, ob ich eben bei ihren Darstellungen gelacht habe. Eben so wenig moͤgen wir uns an der Stelle des Narren befinden, der seine Mensch- heit wegwirft und sich unter den Affen ernie- drigt, um seinem rohen Herrn ein Schauspiel des Ergoͤtzens darzubieten, von welchen der Ed- lere sich mit Ekel hinweg wendet. Es gehoͤrt schon ein hoͤherer, ein wahrhaft menschlicher Sinn dazu, um auf die rechte Art und bei den richti- gen Veranlassungen zu lachen, und wenn die Thraͤne dich wohl hintergehn kann, so kann dich das Lachen eines Menschen schwerlich uͤber das Niedrige oder Edle seiner Gesinnung taͤuschen. Wie unterschieden ist aber von jener hassenden Bitterkeit und traurigen Veraͤchtlichkeit die Lust der Freude, das Entzuͤcken unsrer ganzen Seele, (in Einleitung . (in der sich wohl, wie Manfred waͤhnt, alle Urkraft des Wahren in uns ahndungsvoll mit erregen mag) wenn alle unsre Anschauungen und Erinnerungen in jenem wundersamen Stru- del der Wonne auf eine Zeit untergehn, wel- cher die Toͤne des Gelaͤchters aus der Verbor- genheit herauf erschallen laͤßt. Erregt ein wah- rer Schauspieler diesen Zustand in uns, so ist er uns ein hoch verehrtes Wesen, und so wenig gesellt sich ein Gefuͤhl der Verachtung zu unse- rer Freude, daß wir im Gegentheil ihn als un- sern Freund und Geliebten in unser innerstes Herz schließen; der Dichter, der diesen Strom der Lust in der Wuͤste aus dem Felsen schlaͤgt, erscheint uns wunderthaͤtig. Ja, ich behaupte, daß unsre Liebe, wenn sie einen Gegenstand wahrhaft lieben soll, an diesem irgend einen Schein des Laͤcherlichen finden muß, weil sie ihn dadurch gleichsam erst besitzt; auch daß wir keinen Freund oder keine Geliebte haben moͤch- ten, uͤber die wir in keinem Augenblick ihres Daseins lachen oder laͤcheln koͤnnten; der Held eines Gedichts ist erst dann unsers Herzens ge- wiß, wenn er uns einigemal ein stilles Laͤcheln abgenoͤthigt hat, und dies ist ein Theil der Zau- berkraft Homers und der Nibelungen Helden. Sogar (und ich sage wohl nichts Widersinni- ges, wenn ich diese Meinung ausspreche), sogar den heiligsten und erhabensten Gegenstaͤnden ist dieses Gefuͤhl so wie das des Mitleidens nicht I. [ 8 ] Einleitung . nachtheilig und feindlich, oder hebt unsre Liebe und hohe Ruͤhrung auf, sondern wir koͤnnen den heiligen Wahnsinn der großen Religionshel- den bewundernd beweinen, und doch kann ein geheimes Laͤcheln uͤber der Verehrung schweben, denn diese seltsame Regung erhebt sich zugleich mit allen Kraͤften aus den Tiefen der Seele; wir fuͤhlen, wie so vielen Gemuͤthern das, was wir anbeten, nur belachenswerth sein duͤrfte, und weil diese vor den Augen unsers aͤußern Verstandes nicht Unrecht haben, und sich fuͤr diesen Zweifel auch eine geheime Sympathie in unserm innersten Wesen regt, so eilen wir so dringender mit unserer Verehrung und unserem Mitleid huͤlfreich und rettend hinzu, um in angst- voller Liebe an dem Gegenstande unsrer Bewun- derung ein hoͤheres Recht auszuuͤben. Der alte Ausdruck von den Helden der Religion: „sie haben sich zu Thoren gemacht vor der Welt,“ ist vortreflich. Gewiß, sagte Manfred, ist das Laͤcherliche in seiner Tiefe noch niemals angeschaut und die wunderbare Natur des Witzes auch nur einiger- maßen erklaͤrt; wer wird uns denn noch einmal etwas deutlicheres daruͤber sagen koͤnnen, warum wir lachen? Das Lachen an sich selbst ist den meisten Menschen nur eine leichte Sache, aber woher es kommt und wohin es geht ist noch schwerer als vom Winde zu sagen. Hier hatte ich meinen Jean Paul in seiner Vorhalle zur Einleitung . Aesthetik erwartet, und gerade hier habe ich nur so wenig von ihm gefunden. Dieses Gespraͤch, sagte Theodor, erinnert mich an jene Unschuld des Komischen, welches ich immer allen andern bedeutenderen Arten des Laͤcherlichen vorgezogen habe. Ich meine jenes leichte Beruͤhren aller Gegenstaͤnde, jenes gemuͤth- liche Spiel mit allen Wesen und ihren Gedan- ken und Empfindungen, welches neben seiner kraftvollen kecken Darstellung einer der herrlich- sten Vorzuͤge Shakspears ist, den man nicht leicht demjenigen deutlich machen kann, der im Witz nur eine Charade oder ein sinnreiches Raͤth- sel sucht, und der aus der Anwendung und dem Treffenden nach Außen erst ruͤckwaͤrts das Komi- sche verstehen will, und dem es leere Albernheit ist, wenn es ohne eine solche prosaische Bedeu- tung auftreten will. Von hier aus, meinte Wilibald, muͤsse es eine vortrefliche Ausbeugung in das wahre Ge- biet der Albernheit und in die Gruͤnde ihrer Rechtfertigung geben, denn diese triebe die Un- schuld sogar so weit, daß sie selbst ohne alles Leben und also vielleicht am meisten poetisch le- bendig sei; doch Lothar, ohne auf diesen Angriff zu achten, oder ihn zu bemerken, bemeisterte sich des Gespraͤches und fuhr so fort: Da unser ganzes Leben aus dem doppelten Bestreben be- steht, uns in uns zu vertiefen, und uns selbst zu vergessen und aus uns heraus zu gehn, und Einleitung . dieser Wechsel den Reitz unseres Daseins aus- macht, so hat es mir immer geschienen, daß die geistigste und witzigste Entwickelung unserer Kraͤfte und unsers Individuums diejenige sei, uns selbst ganz in ein anderes Wesen hinein verloren zu geben, indem wir es mit aller Anstrengung un- srer geistigen Stimmung darzustellen suchen: mit einem Wort, wenn wir in einem guten Schau- spiel eine Rolle uͤbernehmen und uns bestreben, die Erscheinung des Einzelnen wie des Ganzen mit der hoͤchsten Wahrheit und in der vollkom- mensten Harmonie hervor zu bringen. Es giebt wohl auch nur wenige Menschen, die dem Reitz dieser Versuchung auf immer widerstehn koͤnnen, und wenn das Talent des Schauspielers auch selten sein mag, so ist die Lust zur Mimik doch fast in allen Menschen thaͤtig. Wir haben diesem Triebe, fuhr Ernst fort, gewiß unendlich viel zu danken, unser innerli- cher Mensch ahmt oft lange einen Gedanken, oder die Vortreflichkeit einer Gesinnung, ja selbst eine Empfindung nur mimisch nach, bis wir, gerade wie die Kinder lernen, uns die Sache selbst durch Wiederholung und Angewoͤhnung zu eigen machen koͤnnen. Vergessen wir nur nicht, sagte Wilibald verdruͤßlich, daß aus demselben Triebe auch alle Affektation, Ziererei, Unnatuͤrlichkeit, kurz, alles aͤffische Wesen im Menschen entspringt, so daß diese Sucht wenigstens eben so schaͤdlich ist, als Einleitung . sie, was ich nicht beurtheilen kann, wohlthaͤtig sein mag. Wir wollen diese Untersuchung fallen lassen, fuhr Lothar ungestoͤrt fort, da wir sie jetzt doch nicht erschoͤpfen koͤnnen, ich wollte nur auf die Bemerkung einlenken, wie es zu verwundern sei, daß es noch keinem von uns eingefallen ist, mit dieser zahlreichen und ohne Zweifel talentvollen Gesellschaft irgend ein dramatisches Werk, am liebsten eins der Shakspearschen, darzustellen. Welchen Genuß wuͤrde jedem von uns dieser Dichter gewaͤhren, wenn wir eins seiner Lust- spiele, zum Beispiel Was ihr wollt, bis ins In- nerste studirten, und neben dem Vergnuͤgen wel- ches das Ganze gewaͤhrt, auf das vertrauteste mit jeder einzelnen Schoͤnheit und ihrer Bezie- hung und Nothwendigkeit zum Ganzen bekannt wuͤrden, und so mit vereinigter Liebe eins seiner herrlichsten Gedichte auch aͤußerlich vor uns hin- zustellen suchten. Du hast ja diesen Einfall und Verstand fuͤr uns alle gehabt, versetzte Wilibald, auch kannst du zur Noth, wie Zettel, drei oder vier Rollen uͤbernehmen. Schade nur, daß kein roman- tisch bruͤllender Loͤwe in diesem Lustspiel auftritt, um dein ganzes Talent zu entwickeln. Die Eintheilung der Rollen, antwortete Lo- thar, habe ich schon ziemlich uͤbersehn: den Mal- volio wuͤrdest du selbst unvergleichlich darstellen, unser Manfred uͤbernaͤhme den Tobias und ich Einleitung . den Junker Christoph; den liebenswuͤrdigen Nar- ren Theodor, und Friedrich den Sebastian, Ernst den Antonio, Anton den Herzog; Auguste wuͤrde zierlich und witzig die Marie geben, Rosalia unvergleichlich die Viola und Clara hoͤchst anmu- thig die Olivia; alles uͤbrige findet sich von selbst. Wie kommt es nun, sagte Theodor, daß eine geistreiche Gesellschaft, ohne Rollen auswen- dig zu lernen, niemals auf den Gedanken ver- faͤllt, aus sich selbst unter gewissen angenomme- nen Bedingungen und Masken ein poetisches Lustspiel ohne vorgezeichnete Ver- und Entwik- kelung auszufuͤhren? Der eine waͤre der muͤr- rische, mit sich und aller Welt unzufriedene Lieb- haber, der andere der Eifersuͤchtige, jener der leichtsinnig Flatterhafte, dieser der Melancholi- sche; die Damen theilten sich in witzige und zaͤrtliche Charaktere, und alle suchten ihrer an- genommenen Rolle treu zu bleiben, um Heiter- keit und Geselligkeit zu erregen und zu befoͤrdern. Warum streben wir in unsern Gesellschaften im- mer das eine ermuͤdende Bild eines negativen wohlgezogenen Menschen darzustellen, oder uns in hergebrachter Liebenswuͤrdigkeit abzuquaͤlen? Die wahre gute Gesellschaft, sagte Ernst, thut schon unbewußt das, was du verlangst; und verwechselt auch mit Leichtigkeit die verschie- denen Rollen. Sonst erinnert deine Beschrei- bung an manche ehemaligen gelehrten Gesell- Einleitung . schaften, und an die verschiedenen charakteristi- schen Beinamen ihrer Mitglieder. Eine, wie die andre Darstellung, sagte Emi- lie, moͤchte fuͤr uns Frauen beschwerlich, wo nicht unmoͤglich sein, aber ich war schon gestern auf dem Wege, Ihnen einen andern Vorschlag zu thun. Ich weiß, daß Sie alle Dichter sind, und hoͤre von Manfred, daß Sie gluͤcklicherweise manche Ihrer Arbeiten mitgebracht haben, wie waͤre es also, wenn Sie uns diese nach Lust und Laune mittheilten, und so manche Stunde angenehm ausfuͤllten, die uns die Musik, oder die Besuche und Spaziergaͤnge uͤbrig lassen? O vortreflich! rief Clara aus, und dann wollen wir Maͤdchen und Frauen nach der Lek- tuͤr die Rezensenten spielen, und uns uͤber alles lustig machen, was wir nicht verstanden, oder was uns nicht gefallen hat. Rosalie fuͤgte ihre Bitten zu denen ihrer Mutter, auch Auguste vereinigte sich mit beiden, und als Lothar die Freunde stillschweigend ein Weilchen angesehn hatte, schlug sich auch Man- fred zu der Parthei der Damen und rief: o ich bitte euch so inbruͤnstig, als man nur bitten kann, schlagt uns diesen bittenden Vorschlag nicht ab, denn schon laͤngst habe ich Lust ge- habt, einige meiner Thorheiten euch und diesen guten wißbegierigen Frauen mitzutheilen, und keine Gelegenheit dazu gefunden; o ihr Edlen, wenn ihr eine Ahndung davon habt, wie sehr Einleitung . dem Dichter sein Manuskript in der Tasche bren- nen kann, wenn ihn Niemand darum befragt, so laut man es auch rascheln hoͤrt, wenn ihr selbst jemals gerne vorgelesen habt, o so seid nicht so grausam, mir diesen Genuß zu rauben, und mein poetisch beladenes Herz auszuschuͤtten. Aber vielleicht sind einige von euch in derselben Verfassung. Lothar lachte und sagte: der Dichter theilt sich gern mit, vorzuͤglich in einem Kreise, wie der gegenwaͤrtige ist. Wir fuͤhren wirklich einige Jugendversuche mit uns, die wir zum Theil vor kurzem vollendet und uͤbergearbeitet haben, und wenn unsre Rezensenten nicht zu strenge sein wollen, so uͤberwinden wir vielleicht die Furcht, diese Bildungen nach so manchem Jahre wieder auftreten zu lassen. Als die Frauen eifrig darauf antrugen, so- gleich mit irgend einer Erzaͤhlung den Anfang zu machen, rief Wilibald aus: halt! ich prote- stire mit aller Macht gegen diese Uebereilung und Anarchie! denn wie koͤnnte ein wahrer Ge- nuß entstehn, wenn wir es dem Zufall so ganz uͤberließen, in welcher Folge unsre Versuche auf- treten sollten? In allen Dingen ist die Ordnung zu loben, und so laßt uns nachdenken, auf welche Art und Weise wir dieser Unterhaltung durch eine gewisse Einrichtung etwas mehr Wuͤrze geben koͤnnen. So moͤge denn auch hier, sagte Lothar, Einleitung . eine Art von dramatischer Einrichtung statt fin- den. Sei jeder von uns nach der Reihe An- fuͤhrer und Herrscher, und bestimme und gebiete, welcherlei Poesien vorgetragen werden sollen, so steht zu hoffen, daß solche sich vereinigen wer- den, die durch eine gewisse Aehnlichkeit freund- schaftlich zusammen gehoͤren. Diese Einrichtung, wandte Manfred ein, ist vielleicht zu gefaͤhrlich, weil sie an den Boc- caccio erinnern duͤrfte. Sie erinnert, sagte Ernst, fast an alle Ita- liaͤnischen Novellisten, die mit minder oder mehr Gluͤck von dieser Erfindung Gebrauch gemacht haben. Doch werden Sie, sagte Emilie, uns in andrer Hinsicht nicht an diesen beruͤhmten Au- tor erinnern wollen, denn gewiß verschonen Sie uns mit dergleichen aͤrgerlichen und anstoͤßigen Geschichtchen, deren er nur zu viele erzaͤhlt. Wir koͤnnen dergleichen wohl nicht so ganz unbedingt versprechen, antwortete Manfred, wenn wir uns nicht daruͤber erst etwas verstaͤndigt ha- ben, was wir aͤrgerlich oder anstoͤßig nennen wollen. Davor, daß wir keine Erzaͤhlungen, die ihm aͤhnlich oder nachgeahmt sind, vortragen werden, sind Sie hinlaͤnglich gesichert, denn es erfordert das glaͤnzende Talent seiner gediegenen, scharfen und bestimmten Darstellung, welche nie zu viel oder zu wenig sagt, die nichts verhuͤllt und doch immer von den Grazien gelenkt wird, Einleitung . um dergleichen allerliebste Seltsamkeiten vorzu- tragen: alle seine Nachahmer, selbst der Ban- dello nicht ausgenommen — gar des ganz verun- gluͤckten La Fontaine oder des neueren Casti zu geschweigen — bleiben weit hinter ihm zuruͤck, sei nun von Styl, Erfindung, oder Schmuck des Gegenstandes die Rede. Doch abgesehn da- von, muß ich bezweifeln, daß der Dekameron gebildeten und freundlichen Gemuͤthern wirklich anstoͤßig sein koͤnnte. Diesen Zweifel verstehe ich nicht, sagte An- ton, da er das zartere Gemuͤth und die hoͤhere Stimmung doch nur zu oft verletzt. Wie man es eben nimmt, antwortete Man- fred. Wir stehn hier auf der Stelle, auf wel- cher sich der Dualismus unserer Natur und Empfindung am wunderbarsten, reichhaltigsten und grellsten offenbart. Sich den Witz und die Schalkheit der Natur im Heiligsten und Lieb- lichsten verschweigen wollen, ist vielleicht nur moͤg- lich, wenn man geradezu Karthaͤuser wird, und vom Schweigen und Verschweigen Profession macht. Wenn der Fruͤhling sich mit allen sei- nen Schaͤtzen aufthut, und die Blumen gedraͤngt um dich lachen, so kannst du dich in deiner ruͤh- renden Freude nicht erwehren, ihre Gestalten zu beobachten und manche Erinnerungen an diese zu knuͤpfen, ja selbst die holdselige Rose ruft dir erroͤthend die raͤthselhaften Reime alter Dichter entgegen, und sie wird dir darum nicht unlieber, Einleitung . so fallen dir wohl gar bei andern farbigen Kin- dern der Sonne die unbescheidenen Namen ein, welche die Koͤniginn im Hamlet verschweigt, — — crow — flowers, nettles, daisies, and long purples, That liberal shepherds give a grosser name, But our cold maids do dead men's fingers call them. Welche Verse, sagte Lothar, Schlegel nicht haͤtte auslassen sollen. Doch dies nur im Vor- beigehn: fahre fort. So wunderbar und noch mehr, begann Man- fred wieder, ist es mit der Liebe. Es giebt eine solche Heiligkeit dieses Gefuͤhls, eine so wun- dersame paradisische Unschuld, daß im Unbewußt- sein, in der Unkenntniß der gegenseitigen Liebe wohl oft die hoͤchste Seligkeit ruht; der erste erwachende, sich begegnende Blick hat diesen Fruͤhling entlaubt, und das erste Wort des Ge- staͤndnisses kann der Tod dieser stillen Wonne sein. Nirgend fuͤhlt der Mensch so sehr, wie er verlieren muß, um zu gewinnen, wie jedes Gluͤck ein Geheimniß ist, welches angeruͤhrt und aus- gesprochen seine Bluͤte abwirft. Friedrich stand schnell auf und schien von wunderbaren Gedanken ergriffen, man sah ihn im Buchengange auf und nieder wandeln, indem er sich oͤfter die Augen abtrocknete; Manfred aber fuhr so fort: wie es wohl Menschen mag gege- ben haben, die schon mit diesem ersten Seufzer Einleitung . die Blume ihres Lebens verloren, so ist es doch natuͤrlicher und wahrer, sich auch in dieser wun- dervollen Lebensgegend, so wie bei allen Dingen, mit einem gewissen Heroismus zu waffnen, und fruͤh zu erfahren, daß wir alles, was wir be- sitzen, nur durch den Glauben besitzen, und daß am wenigsten die Liebe eine bloße Begebenheit in uns sei, sondern daß sie, wie alles Gute von unserm Willen abhaͤngt; denn von ihm geht sie aus, nachher wird er zwar von ihr bezwungen und gebrochen, kann aber spaͤter hin nur durch ihn allein als Liebe dauern und bestehn. Ein solcher Sinn und kraͤftiger aber frommer Wille verliert des Herzens Unschuld nie, der Scherz ist ihm nur Scherz, und er wird nicht anstehn, auch mit dem zu taͤndeln, was ihm das Hei- ligste und Liebste ist, denn wahrlich, dem Rei- nen ist alles rein. Diese Beschreibung, sagte Ernst, charakteri- sirt die gesunde Zeit unsers deutschen Mittelal- ters, als neben den Nibelungen und dem Ti- turell der suͤße Tristan seinen Platz in aller Her- zen fand, und auch neben diesen großen Liebes- gedichten so viele muntre und schalkhafte Erzaͤh- lungen. Die spaͤter auftretende uͤbersinnliche, oder außersinnliche Liebe, war noch nicht von der sinnlichen getrennt, sondern sie waren wie Leib und Seele verbunden, in der hoͤchsten Ver- geistigung gesund, in dem freiesten Scherze un- schuldig. Einleitung . Warum, fuhr Manfred fort, wuͤrde denn die Liebe allmaͤchtig genannt? Sie waͤre ja ohn- maͤchtig, wenn sie nicht die scheinbar aͤußersten Enden freundlich verknuͤpfen koͤnnte. Koͤnnte sie den unendlich mannigfaltigen Zauber denn wohl ausuͤben, wenn sie nicht Alles besaͤße, und sich nicht, eben wie die Geliebte, mit allen Reizen dem sehnsuͤchtigen Herzen ergaͤbe? Der verdor- bene Mensch kann deshalb auch nicht den Scherz der Liebe und ihren Dichter verstehn, er faßt nicht das holde Wesen, welches sich dem Hoͤch- sten und Geistigsten zum scheinbaren Kampfe gegenuͤber stellt, so sehr er auch einzig diesem Spiele nachjagt, welches begeisterte Dichter damit trieben, und der Liebende kennt freilich nichts Verhaßteres als diese Menschen und ihre Ge- sinnungen, die im Herzen seines Lebens mit ihm zusammen zu treffen scheinen. Daher, sagte Ernst, der mißverstandene Spott dieser niedrigen Menschen uͤber die Hochgestimm- ten und ihre Liebe, daher die scheinbare Waffen- losigkeit dieser Unschuldigen, und bei ihrem Reich- thum ihre unbeholfene Beschaͤmung von jenen Bettlern. Diese Uneingeweihten laͤstern die Liebe und alles Goͤttliche, und sind von allem Scherz und Spiel, auch wenn sie witzig zu sein schei- nen, weit entfernt, denn sie sind in Kampf und Krieg gegen die Sehnsucht nach dem Ueberirdi- schen. Um nun auf das Vorige einzulenken, so lebte Boccaz freilich schon an der Graͤnze Einleitung . jener heroischen Zeit, als die Menschheit, weni- ger gesund, sich aus der Tragoͤdie und dem gro- ßen Epos schon mehr nach dem Lustspiel und der Parodie sehnte, als die Trennung des Ge- muͤthes sich schon schaͤrfer gegen uͤber stand, und eine kraͤftiger robuste Malerei den sanften Schmelz und die stille Harmonie der alten großsinnigen Gemaͤlde verdunkelte. Sein Dekameron ward deshalb nach einiger Zeit das Lieblingsbuch aller Nationen, und die komische, laͤcherliche und nie- drigere Natur der Liebe ward immer mehr gesun- gen, gepriesen und gefuͤhlt, ihr holdes Wesen schien immer tiefer zu entarten und immer mehr den Menschen dem Thiere naͤher zu fuͤhren, (indeß nun diesem Streben gegenuͤber schon die ganz reine, uͤberirdische Idee der Liebe, oft bis zum leeren Goͤtzendienste entstellt, sich auszubilden suchte) bis wir in Peter Aretins und Branto- me's Schriften endlich die kalte Frechheit ohne allen Reiz und Grazie auftreten sehn. Doch kann diese Beschuldigung nicht den Boccaz und seine freien Scherze treffen, denn in ihm regt sich und spricht der edle und vollstaͤndige Mensch, der zwar ohne aͤngstliche Zuͤchtigkeit, aber nicht ohne Scham ist, der wie Ariost immer die Schoͤn- heit fuͤhlt und singt, und der nur jene frecheren Blumen nicht zu seinem Kranze verschmaͤht, son- dern sie im Gegentheil gern so reicht und flicht, daß ihr symbolischer Sinn unverholen in die Augen faͤllt. Sein Buch kann uns also wohl Einleitung . nicht leicht verletzen; aber freilich muͤssen wir jetzt, da verdorbene Generationen und Buͤcher voran gegangen sind, und edlere Menschen die Verwerflichkeit mancher schamlosen Produkte eines Diderot, Voltaire und andrer einsahn, um nur den Ruhm der Zuͤchtigkeit zu empfangen, auch den Schein einer gewissen Pruͤderie beibehalten, die das Zeitalter einmal zum Kennzeichen der Sitte gestempelt hat. So hat der Mensch nach uͤberstandener Krankheit noch lange das Ansehn eines Kranken, und muß auf einige Zeit noch etwas von dessen Diaͤt beibehalten. Eben so verbreitete sich in England nach einem Zeitalter der Zuͤgellosigkeit, von der Sekte der Puritaner aus, eine Aengstlichkeit und steife Feierlichkeit der Sitte, die seitdem noch immer das Wort fuͤhrt, so daß ein gesittetes Maͤdchen oder eine zuͤchtige Frau von jetzt oder aus Shakspears Zeit zwei im Aeußern sehr verschiedene Wesen sein moͤgen. Die Reformation hatte in Deutschland schon fruͤ- her eine aͤhnliche Stimmung hervor gebracht, und auch die katholischen Provinzen bestrebten sich seitdem, eine strengere Sitte zur Schau zu tra- gen, um von dieser Seite die Vorwuͤrfe ihrer Gegner zu entkraͤften. Fast allenthalben aber werden wir nur Heuchelei statt der Zuͤchtigkeit gewahr, denn wenn die ehrbaren Herren unter sich sind, ergoͤtzen sie sich um so lebhafter an der rohesten und unsittlichsten Frechheit, und weil der oͤffentliche Scherz und die Gegenwart Einleitung . der Grazien und Musen, so wie die liebenswuͤr- digen Weiber von diesen Orgien voͤllig ausge- schlossen sind, so sind sie nun in ihrer Einsam- keit um so niedriger und veraͤchtlicher geworden, am schlimmsten, wenn sie das Gewand der Mo- ral umlegen, und wehe dem Zarteren, der das Ungluͤck hat einem Ottern- und Kroͤtenschmause beiwohnen zu muͤssen, den sich eine solche tu- gendhafte Gesellschaft giebt, die darauf ausgeht, recht vollstaͤndig ihren Haß gegen die Untugend an den Tag zu legen. Als in Spanien, sagte Lothar, ein etwas zu strenger Geist in der Poesie zu herrschen anfing, und Cervantes die fruͤhere Celestina als zu frei tadelte, als man in Frankreich und Italien die schamlosesten Werke las und schrieb, und in Deutschland sich kaum noch Spuren von Witz oder Unwitz antreffen ließen, erhob der edle Shak- spear, das, was so viele hatten veraͤchtlich machen wollen, wieder zum Scherz, geistreichen Witz und zur Menschenwuͤrde, und dichtete seine schalk- haften Rosalinden und Beatricen, die freilich unser jetziges verwoͤhntes Zeitalter ebenfalls an- stoͤßig findet. Was ist es denn, was uns wahrhaft anstoͤßig, ja als Menschen unertraͤglich sein soll? rief Fried- rich, der wieder zur Gesellschaft getreten war, im edlen Unwillen aus. Nicht der freieste Scherz, noch der kuͤhnste Witz, denn sie spielen nur in Unschuld; nicht die kraͤftige Zeichnung der thie- rischen Einleitung . rischen Natur im Menschen und ihrer Verir- rung, denn nur als solche gegeben, spricht sie niemals unserm edleren Wesen Hohn: sondern dann soll sich unser Unwille erheben und ohne alle Duldung aus uns sprechen, wenn ein So- phist uns sagen will, und in jeder Dichtung be- weisen, daß gegen die Sinnenlust keine Tugend, Andacht oder Seelenerhebung bestehn koͤnne. Ein solcher durchaus zu verwerfender ist der juͤngere Crebillon, und nicht ist jener Deutsche, der ihn so vielfaͤltig nachgeahmt und die edlere Natur des Menschen verkannt hat, von dem Vorwurf einer verdorbenen Phantasie und eines zu nuͤch- ternen Herzens frei zu sprechen: fuͤr schwache Wesen, (aber auch nur fuͤr solche) koͤnnen diese beiden Schriftsteller allerdings gefaͤhrlich werden, so sehr sich auch der letzte gegen diese Beschul- digung zu verwahren gesucht hat, denn nicht darin besteht das Verderbliche, daß man das Thier im Menschen als Thier darstellt, sondern darin, daß man diese doppelte Natur gaͤnzlich laͤugnet, und mit moralischer Gleißnerei und so- phistischer Kunst das Edelste im Menschen zum Wahn macht, und Thierheit und Menschheit fuͤr gleichbedeutend ausgiebt. Seine Buͤcher, sagte Emilie, haben mich immer zuruͤck geschreckt, und ich habe fruͤher meinen Toͤchtern lieber manche andre erlaubt, die nicht in so gutem Rufe stehn, denn gerade ihre weichliche Zierlichkeit habe ich fuͤr schaͤdlich ge- halten. Ich hoffe, jetzt koͤnnen sie auch diese I. [ 8 ] Einleitung . ohne allen Nachtheil lesen, da ihr Geist gestaͤrkt ist, und ihr Sinn das Edlere anstrebt. Mit Recht, sagte Manfred, macht Jean Paul Thuͤmmeln den Vorwurf, daß er zu un- sauber sei (denn dessen Reisen gehoͤren recht zu jenen eben geruͤgten Werken, und die Bekeh- rung des lockern Passagiers in den letzten Baͤn- den ist noch die schlimmste Suͤnde des Autors); ich aber moͤchte unserm witzigen Jean Paul mit demselben Rechte einen andern Vorwurf machen, daß er zwar nicht zu keusch, wohl aber zu pruͤde sei. Ein Autor, der so das Gesammte der Men- schennatur, das Seltsamste, Wildeste und Tollste in seinen humoristischen Ergießungen aussprechen will, darf in diesen Regionen des Witzes und der Laune kein Fremdling sein, oder aus miß- verstandner Moral neben der Unzucht und Un- sitte auch die Schalkheit verachten wollen. Noch seltsamer aber, daß er die medizinischen und wahr- haft ekelhaften Spaͤße liebt, die kaum Witz zu- lassen und meist nur Widerwillen erregen, wenn man nicht die Feder des Rabelais besitzt, der freilich wohl sein Kapital von der Gaya Ciencia schreiben durfte. Aber, theure Emilie, und Gat- tin und Schwestern, um auf das zuruͤck zu kom- men, wovon wir ausgingen, so mag freilich wohl hie und da in unsern Dichtungen (vielleicht nur in meinen, der ich ein oder zweimal das Haus- recht brauchen und den Wirth spielen moͤchte) etwas vorkommen, was die uͤbertriebene Delika- tesse kraͤnkelnder Menschen (ich meine dich, An- Einleitung . ton, nicht hiemit) anstoͤßig finden moͤchte, was aber, hoffe ich, nach dem in unserm Gespraͤch angegebenen Unterschied keinem gebildeten und heitern Menschen aͤrgerlich werden kann. Wir wollen aber weder zu viel versprechen noch dro- hen, sondern laßt uns vielmehr beginnen, und waͤhlt also, ihr Frauen, denjenigen aus, wel- cher zuerst der Anfuͤhrer und Gebieter im Felde unsrer poetischen Spiele und Wettkaͤmpfe sein soll. Clara gab ihren Blumenstrauß dem neben ihr sitzenden Anton und sagte: Sie haben fast immer geschwiegen, sprechen Sie nun. Anton verbeugte sich und heftete die Blumen an seine Brust: so wollen wir denn, sagte er, mit Maͤhr- chen der einfachsten Composition beginnen, und jeder bringe morgen das seinige vor unsre Richter. Mit Maͤhrchen, sagte Clara, faͤngt das Le- ben an; in ihnen entwickelt sich das Gefuͤhl der Kinder zuerst, und ihre Spiele und Puppen, ihre Lehrstunden und Spatziergaͤnge werden vor ihrer Phantasie zu Maͤhrchen, die ich noch immer ganz vorzuͤglich liebe, das heißt, wenn sie so sind, wie ich sie liebe. So gebe die Muse, daß Ih- nen die unsrigen wohl gefallen, sagte Anton. Indem stand die Gesellschaft auf, um vom naͤchsten Huͤgel den schoͤnen Untergang der Sonne zu genießen. Auch ein Maͤhrchen, sagte Rosalie, indem sie die Hand vor die Augen hielt, und dem blendenden Scheine nachsah; so wie der Fruͤh- ling und die Pracht der Blumen, es bluͤht auf in Einleitung . aller Fuͤlle und Herrlichkeit, der Schatten faßt den Glanz und zieht ihn hinab, und wir schauen ihm sehnsuchtsvoll nach. So wie dem Maͤhrchen-Gedicht der Schoͤn- heit, sagte Anton; und Friedrich fuͤgte hinzu: doch bleibt unser Herz und seine Liebe die un- wandelbare Sonne. — Ein glaͤnzender Sternenhimmel stand uͤber der Landschaft, das Rauschen der Wasserfaͤlle und Waͤlder toͤnte in die ruhige Einsamkeit des Gartens heruͤber, in welchem Theodor auf und niederging und die Wirkungen bewunderte, welche das Licht der Sterne und die letzten goldnen Streifen des Horizontes in den springenden Quel- len hervorbrachten. Jetzt ertoͤnte Manfreds Wald- horn aus dessen Zimmer und die melankolischen durchdringlichen Toͤne zitterten vom Gebirge zuruͤck, als Ernst, der von den Huͤgeln herunter kam, durch das Thor des Gartens trat, und sich zu dem einsamen Theodor gesellte. Wie schoͤn, fing er an, schließt diese heitre Nacht die Genuͤsse des Tages; die Sonne und unsre Geliebten sind zur Ruhe, Waͤlder und Wasser rauschen fort, die Erde traͤumt, und unser Freund gießt noch einen herzlichen Abschied uͤber die entschlummerte Na- tur hin. Anton, sagte Theodor, schlaͤft auch noch nicht, er sitzt im Gartensaale und schreibt ein Gedicht, welches unsern Vorlesungen als Ein- Einleitung . leitung oder Vorrede dienen soll. Seine Gene- sung wird sich hier ganz vollenden. Ich hoffe, sagte Ernst, auch Friedrich soll genesen, ich hege das schoͤne Vertrauen, daß unser aller Freundschaft sich hier noch fester knuͤp- fen und fuͤr die Ewigkeit haͤrten wird. Sieh, mein Geliebter, das Flimmern in lauer Luft die- ser vergaͤnglichen, fluͤchtigen Leben, die wie Dia- manten durch das dunkle Gruͤn der Gebuͤsche zucken, und bald in zitternden Wolken, bald ein- zeln schimmernd, wie sanfte Toͤne, unsre Ruͤh- rung wecken, — und uͤber uns den Glanz der ewigen Gestirne! Steht nicht der Himmel uͤber der stillen dunkeln Erde wie ein Freund, aus dessen Augen Liebe und Zuversicht leuchten, dem man so recht mit ganzem Herzen in allen Le- bensgefahren und allem Wandel vertrauen moͤchte? Diese heilige ernste Ruhe erweckt im Herzen alle entschlafenen Schmerzen, die zu stillen Freuden werden, und so schaut mich jetzt groß und milde mit seinem menschlichen Blick der edle Novalis an, und erinnert mich jener Nacht, als ich nach einem froͤhlichen Feste in schoͤner Gegend mit ihm durch Berge schweifte, und wir, keine so nahe Trennung ahndend, von der Natur und ihrer Schoͤnheit und dem Goͤttlichen der Freund- schaft sprachen. Vielleicht, da ich so innig sei- ner gedenke, umfaͤngt mich sein Herz so liebend, wie dieser gluͤhende Sternenhimmel. Ruhe sanft, ich will mich auf mein Lager werfen, um ihm im Traum zu begegnen. Einleitung . Die Freunde trennten sich. Da erhub eine Nachtigall ihr klagendes Lied aus voller Brust, und zuͤndete, wie eine Feuerflamme, rings in den Gebuͤschen die Toͤne andrer Saͤngerinnen an, aus einer Jasminlaube erklangen die Laute einer Guitarre, und der gluͤckliche Friedrich wollte sein Leid, diese Phantasie singend, besaͤnftigen: Wenn in Schmerzen Herzen sich verzehren, Und im Sehnen Thraͤnen uns verklaͤren, Geister: Huͤlfe! rufen tief im Innern, Und wie Morgenroth ein seliges Erinnern Aufsteigt aus der stillen dunkeln Nacht, Alle rothen Kuͤsse mitgebracht, Alles Laͤcheln, das die Liebste je gelacht, O dann sangt mit ihrem Purpurmunde Himmels-Wollust unsre Wunde, Sie entsaugt das Gift Das vom Bogen dunkler Schwermuth trifft. Wie die kleinen fleißgen Bienen Gehn, um Blumenlippen zu benagen, Wie sich Schmetterlinge jagen, Wie die Voͤgel in dem gruͤnen Dunkeln Springen, und die Lieder toͤnen, Also gaukeln, flattern, funkeln Alle Worte, alle Blicke, suͤße Mienen Von der schoͤnsten einzgen Schoͤnen, Und in tiefer Winternacht Lacht und wacht um mich des Fruͤhlings Pracht, Und die Schmerzen scherzen mit den Zaͤhren, Und im Weinen scheinen mild sich zu verklaͤren Leiden in den Freuden, Wonnen in dem Gram, Wie in der holden Braut die Liebe kaͤmpft mit Scham, Und Leid und Lust nun muß vereinigt ziehen Und schweben nach der Liebe suͤßen Harmonien. Erste Abtheilung . D ie Gesellschaft stand vom Tische auf und ging in den Garten, um die Luft zu genießen, welche am Morgen ein Gewitter lieblich abgekuͤhlt hatte. Nun, sagte Clara, sind Sie alle Ihres Verspre- chens eingedenk gewesen? Wo sind die Maͤhrchen? Du bist sehr eilig, sagte Manfred, weißt du doch nicht, ob sie dir wirklich Freude machen werden. Sie muͤssen, antwortete sie lachend, wenn ich nicht auf die Autoren sehr ungehalten wer- den soll. Es ist schwer, sagte Anton, zu bestimmen, worin denn ein Maͤhrchen eigentlich bestehen und welchen Ton es halten soll. Wir wissen nicht, was es ist, und koͤnnen auch nur wenige Rechen- schaft daruͤber geben, wie es entstanden sein mag. Wir finden es vor, jeder bearbeitet es auf eigne Weise und denkt sich etwas anderes dabei, und doch kommen fast alle in gewissen Dingen uͤber- ein, selbst die witzigen nicht ausgenommen, die jenes Colorit nicht ganz entbehren koͤnnen, jenen wundersamen Ton, der in uns anschlaͤgt, wenn Erste Abtheilung . wir nur das Wort Maͤhrchen nennen hoͤren. Die witzigen, sagte Clara, sind mir von je verhaßt gewesen. So habe ich den Hamilton- schen nie viel Geschmack abgewinnen koͤnnen, so beruͤhmt sie auch sind; die dahlenden im Feen- Cabinet zogen mich vor Jahren an, um mich nachher desto gruͤndlicher zu ermuͤden und zuruͤck zu stoßen, und unserm Musaͤus bin ich oft recht boͤse gewesen, daß er mit seinem spaßhaften Ton, mit seiner Manier, den Leser zu necken und ihm queer in seine Empfindung und Taͤuschung hin- ein zu fallen, oft die schoͤnsten Erfindungen und Sagen nur entstellt und fast verdorben hat. Da- gegen finde ich die Arabischen Maͤhrchen, auch die lustigen, aͤußerst ergoͤtzlich. Es scheint, sagte Anton, Sie verlangen einen still fortschreitenden Ton der Erzaͤhlung, eine gewisse Unschuld der Darstellung in diesen Gedichten, die wie sanft phantasirende Musik ohne Laͤrm und Geraͤusch die Seele fesselt, und ich glaube, daß ich mit Ihnen derselben Mei- nung bin. Darum ist das Goͤthische Maͤhrchen ein Meisterstuͤck zu nennen. Gewiß, sagte Rosalie, insofern wir mit ei- nem Gedicht zufrieden sein koͤnnen, das keinen Inhalt hat. Ein Werk der Phantasie soll zwar keinen bittern Nachgeschmack zuruͤck lassen, aber doch ein Nachgenießen und Nachtoͤnen, dieses verfliegt und zersplittert aber noch mehr als ein Traum, und ich habe deshalb das herrliche Erste Abtheilung . Maͤhrchen von Novalis, so weit ich es verstehn konnte, diesem weit vorgezogen, welches auch alle Erinnerungen anregt, aber uns zugleich ruͤhrt und begeistert und den lieblichsten Wohllaut in der Seele noch lange nachtoͤnen laͤßt. Du hast hiemit zugleich, sagte Manfred, die große Maͤhrchenwelt des Ariost getadelt, den es auch an einem Mittelpunkte und wahrem Zu- sammenhange gebricht. Die Frage ist nur, ob ein Gedicht schon vollendet ist, dessen einzelne Theile es sind, und in wie fern die Seele dann bei einer so vielseitigen Composition jene Fode- rung eines innigeren Zusammenhanges vergessen kann. Diese Frage, fiel Ernst ein, kann gar nicht Statt finden, denn diese Theile sind ja nur durch das organische Ganze Theile zu nennen, koͤnnen aber ohne dieses im strengeren Sinne nur Fragmente von und zu Gedichten heißen und als solche geliebt werden. Bei aller dieser scheinbaren Vortrefflichkeit fehlt die beherrschende, ordnende Seele, die der fluͤchtigen Schoͤnheit den ewigen Reiz geben muß. Der Dichter will Es soll sich sein Gedicht zum Ganzen ruͤnden, Er will nicht Maͤhrchen uͤber Maͤhrchen haͤufen, Die reizend unterhalten und zuletzt Wie lose Worte nur verklingend taͤuschen. Ich kenne dich und Friedrich schon, sagte Manfred, als Rigoristen und Ketzermacher, aber ich und Theodor werden euch zu gefallen den Erste Abtheilung . Ariost nicht anders wuͤnschen, als er nun ein- mal ist, die Reise nach dem Monde und den Evangelisten Johannes ausgenommen, denn beide sind fuͤr diese so kuͤhne Fiktion etwas zu matt ausgefallen. Ueber diesen Dichter, sagte Anton, duͤrfte sich ein langer Streit entspinnen, der sich nur schwer beilegen ließe; sein Werk besteht, strenge genommen, nur aus Novellen, von denen er die laͤngsten an verschiedenen Stellen mit schein- barer Kunst durchschnitten hat, dasjenige, was alle verbindet, ist ein gleichfoͤrmiger Ton liebli- chen Wohllauts; ich moͤchte also ebenfalls be- haupten, daß sein Gedicht eigentlich weder An- fang, Mitte noch Ende hat, so wie ich davon fest uͤberzeugt bin, daß nur wenige Verehrer, selbst in Italien, ihn oftmals von Anfang zu Ende durchgelesen haben, so sehr auch alle mit den einzelnen beruͤhmten und anlockenden Stel- len vertraut sind. Es giebt, sagte Lothar, eine Gattung der Poesie, welche ich, ohne damit ihrer Vortreff- lichkeit zu nahe treten zu wollen, die bequeme oder erfreuliche nennen moͤchte, und in dieser stelle ich den Ariost oben an. Sehn wir auf großer Ebene den hohen weit ausgespannten blauen Himmel uͤber uns, so erschreckt und er- muͤdet in seiner Reinheit dieser Anblick, doch wenn Woͤlkchen mit verschiedenen Lichtern in diesem blauen Kristalle schwimmen, wenn die Erste Abtheilung . Sonne sich neigt, und unten am Horizont wie uͤber uns die lebendigen Duͤfte in vielfachen Schimmer sich tauchen, dann erfuͤllt ein liebli- ches Ergoͤtzen unsre Seele. So wollen wir die große Wiese mit Gebuͤschen und Baͤumen unter- brochen sehn, und auf gleiche Weise fuͤhlen wir in unsrer naͤchsten Umgebung, in unserm Hause, am dringendsten das Beduͤrfniß einer gewissen Kunst. Die weißen leeren Waͤnde unsrer Zim- mer und Saͤle sind uns unleidlich, Arabesken, Blumen, Thiere und Fruͤchte umgeben uns in gefaͤrbten und vielfach durchbrochenen Linien und Flaͤchen mit mancherlei Gestalt, und selbst der Fußboden muß sich zum Schmuck und zur an- staͤndigen Zier zusammen fuͤgen. Alles soll den aͤußern Sinn erregen und dadurch auch den in- nerlichen beschaͤftigen, und Rafaels Wandge- maͤhlde im Vatikan sind fuͤr Wohnzimmer viel- leicht schon zu erhaben, und also als immer- waͤhrende Gesellschaft unbequem. Dieses durch- aus edle Kunstbeduͤrfniß des gebildeten Men- schen erfuͤllt Ariost, er ist mehr Gefaͤhrte und Freund als Dichter, und wir thun wohl nicht Unrecht, wenn wir uͤber die vollendete Schoͤn- heit des Einzelnen, uͤber diese Fuͤlle der Ge- stalten, uͤber diesen zarten blumenartigen Witz, uͤber diese ernste und milde Weisheit eines hei- tern Sinnes die Zusammensetzung vergessen. Es scheint mir sehr richtig, fuhr Anton fort, daß diese gesellige Kunst auch in der Poesie Erste Abtheilung sich zeigen duͤrfe, und hier finde ich Gelegenheit, an unser gestriges Gespraͤch uͤber die Gaͤrten zu erinnern, welche nach meiner Meinung abbrach, ohne zu beschließen. Die hohe Empfindung, welche uns der Anblick der Natur gewaͤhrt, sei es das Gefuͤhl des Waldes, des Meeres oder Gebirges, laͤßt sich in keinen Garten ziehn, denn diese Gefuͤhle sind wechselnd, unbeschraͤnkt, un- aussprechlich. Diejenigen, welche in Parks das Seltsam-Schauerliche, oder das Erhaben- Ma- jestaͤtische erregen wollten, haben sich im groͤß- ten Irrthume befunden, und es war natuͤrlich, daß ihre Bestrebungen in Fratzen ausarten muß- ten. Das Schoͤne und Ruͤhrende ist es, wel- ches Huͤgel, Baumgruppen, kleine Fluͤsse Was- serfaͤlle und Seen erregen koͤnnen, ein schwaͤrmen- des musikalisches Gefuͤhl, welches ziemlich deut- lich den Kuͤnstler, welcher den Garten anlegen will, bewegen muß, und welches im Beschauen eben so widertoͤnt. Dieser Gaͤrtner wird also wohl die Natur, aber nicht das Natuͤrliche aus- schließen, und darum zieht der Englaͤnder gern kleine Saatfelder in seinen Park, um eine ganz bestimmte Empfindung von der beschraͤnkten Be- schaͤftigung der Landwirthschaft zu erregen, ein kleiner Weinberg zeigt sich wohl auch, als ein reizendes Widerspiel der Haine und Baumgrup- pen. Wie mich nun zwar alles an die Natur erinnert, so kann ich sie doch hier so wenig wie im Gedicht oder in der Mahlerei unmittelbar Erste Abtheilung . empfinden, sondern ich soll die Kunst in jedem Augenblicke genießen. Wenden wir uns nun zu der sogenannten Franzoͤsischen Gartenkunst, so finden wir hier eine dieser natuͤrlichen voͤllig widersprechende. Wie sie alle Natur aus ihren Graͤnzen entfernt, eben so die Erinnerung an das Natuͤrliche, denn so wenig Getreide und Obst ihren Platz hier finden, eben so wenig Baum-Parthien, die die Durchsicht decken, oder abwechselnd reizende Gebuͤsche, und jene suͤße Schwaͤrmerei und musikalische Empfindung ver- schlungener Haine und mahlerischer Ansichten. Alles dient hier einer Empfindung, die ich am liebsten im Gegensatz jener musikalisch schwaͤr- merischen Gefuͤhle eine pathetische Entzuͤckung nennen moͤchte, alles erhebt die Seele zur Be- geisterung, alles ist klar und unverworren; gleich vom ersten Eintritt fuͤhle und uͤbersehe ich den Plan des Ganzen, und aus jedem Punkte finde ich mich unmittelbar in den Mittelpunkt der großartigen Composition zuruͤck. Dazu dienen die großen freien Plaͤtze, die geraden Baumgaͤnge, die bedeckten und verflochtenen Lauben. Sta- tuen und Wasserkuͤnste verhalten sich zu diesem Garten so, wie gegenuͤber Saatfelder und Weinberge, sie wollen recht bestimmt das Ge- bildete aussprechen und darstellen, und wie man den Park mit Unrecht die Nachahmung einer ge- mahlten Landschaft nennen wuͤrde, da der Gaͤrt- ner und Mahler vielmehr aus einer gemein- Erste Abtheilung . schaftlichen poetischen Quelle schoͤpfen, so thaͤte man auch diesem Kunstgarten Unrecht, ihn aus der Architektur abzuleiten, da auch der Architekt nur aus jener mathematischen Poesie des Ge- muͤthes seine Erfindungen nimmt. Daher scheint es mir auch geradezu unmoͤglich, in Bergen einen Park anzulegen, weil die Natur die un- mittelbar hinein blickt, die Kunst-Effekte, die ihr hier verwandt sein sollen, vernichtet. Nach der Natur aber selbst sehnt sich gewiß jeder aus beiderlei Gaͤrten vielmals hinaus und Niemand kann sie entbehren. Der regelmaͤßige Garten schließt vielleicht im Hintergrunde am angenehm- sten mit einem parkaͤhnlichen, so wie der Eng- lische am schicklichsten nahe am Hause freie Raͤume und eine gewisse Regelmaͤßigkeit aus- spart. Es ergiebt sich auch von selbst, daß der regelmaͤßige Kunstgarten eine allgemeinere Form hat und leichter, vom Geschmack geleitet, zweck- maͤßig nachgeahmt werden kann, daß aber der Park sich nicht leicht wiederholen laͤßt, sondern in jeder neuen Gestalt als ein anderes Indivi- duum auftreten muß. Es ist aber wohl moͤg- lich, daß es demohngeachtet nur wenige Haupt- formen giebt, unter welche alle Gaͤrten dieser Art sich vereinigen lassen, und trotz der anschei- nenden Einsamkeit duͤrften dann die Franzoͤsi- schen Gaͤrten wohl eben so viele Gattungen auf- weisen koͤnnen. Ist es erlaubt ein Ding durch ein vergleichendes Bild deutlich zu machen, so moͤchte Erste Abtheilung . moͤchte ich am liebsten den Park mit einem Shakspearschen, und den regelmaͤßigen Garten mit einem Calderonschen Luftspiel vergleichen. Scheinbare Willkuͤhr in jenem, von einem un- sichtbaren Geist der Ordnung gelenkt, Kuͤnstlich- keit, in anscheinender Natuͤrlichkeit, der Anklang aller Empfindungen auf phantasirende Weise, Ernst und Heiterkeit wechselnd, Erinnerung an das Leben und seine Beduͤrfnisse, und ein Sinn der Liebe und Freundschaft, welcher alle Theile verbindet. Im suͤdlichen Garten und Gedicht Regel und Richtschnur, Ehre, Liebe, Eifersucht in großen Massen und scharfen Antithesen, eben so Freundschaft und Haß, aber ohne tiefe oder bizarre Individualitaͤt, oft mit den nehmlichen Bildern und Worten wiederholt, Kuͤnstlichkeit und Erhabenheit der Sprache, Entfernung alles dessen, was unmittelbar an Natur erinnert, das Ganze endlich verbunden durch einen begeister- ten hohen Sinn, der wohl trunken, aber nicht berauscht erscheint. Ich lasse das Gegenbild des Gartens unausgemahlt, aber man koͤnnte selbst die Reden in Stanzen oder andern kuͤnstlichen Versmaßen, (die sich gewiß ganz von dem, was die Naturalisten Natur nennen wollen, entfer- nen) mit den beschnittenen glaͤnzenden Taxus- und Buxus-Waͤnden vergleichen, wenn man witzig im Bilde fortspielen wollte. Auch diese, sagte Manfred, duͤrfen in einem Kunstgarten nicht fehlen, auch vertragen diese I. [ I0 ] Erste Abtheilung . Baumarten die Scheere am besten, da ihr festes glaͤnzendes Laub nur langsam wieder nachwaͤchst, und sie sich uͤberhaupt weit mehr als empfind- same Linden und jugendlich kuͤhne Buchen dar- ein fuͤgen. Doch glaub' ich koͤnnen geschnizte Pyramiden und aͤhnliche Figuren fuͤglich aus jedem Garten ausgeschlossen werden. Unser Garten, liebe Mutter, rief Clara, ist nun hoffentlich auf alle Zeiten gerettet, denn es steht vielleicht zu erwarten, daß man in der Zu- kunft manche der natuͤrlichen Parks wieder in dergleichen kuͤnstliche Anlagen umarbeiten moͤchte. — Nicht wahr, mein Freund, (so wandte sie sich gegen Anton) es ist uͤberhaupt wohl schwer zu sagen, was denn Natur oder natuͤr- lich sei? Vielen Mißbrauch, erwiederte dieser, hat man oft mit diesen Worten getrieben, am mei- sten in jener Zeit, als man sich von einem stei- fen Ceremoniell zu befreien strebte, welches man irrigerweise Kunst nannte, und nun gegenuͤber ein Wesen suchte, welches uns unter allen Be- dingungen das Richtige und die Wahrheit geben sollte. Kunst und Natur sind aber beide, rich- tig verstanden, in der Poesie wie in den Kuͤn- sten, nur ein und dasselbe. Am seltsamsten, sagte Theodor, ist mir das Geschlecht der Naturjaͤger vorgekommen, welches noch nicht ausgestorben ist, vor einigen Jahren aber noch mehr verbreitet war; diejenigen meine Erste Abtheilung . ich, welche auf Sonnenauf- und Untergaͤnge von hohen Bergen, auf Wasserfaͤlle und Naturphaͤ- nomene wahrhaft Jagd machen, und sich und andern manchen Morgen verderben, um einen Genuß zu erwarten, der oft nicht koͤmmt, und den sie nachher erheucheln muͤssen. Diese Leute behandeln die Natur gerade so, wie sie mit den merkwuͤrdigen Maͤnnern umgehn, sie laufen ihnen ins Haus und stellen sich ihnen gegenuͤber, da stehn sie nun an der bekannten und oftmals besprochenen Stelle, und wenn in ihrer Seele nun gar nichts vorgeht, so sind sie nachher wenigstens doch dort gewesen. Die Natur, fuhr Anton fort, nimmt nicht in jeder Stunde jedweden vorwitzigen Besuch an, oder vielmehr sind wir nicht immer gestimmt, ihre Heiligkeit zu fuͤhlen. In uns selbst muß die Harmonie schon sein, um sie außer uns zu finden, sonst behelfen wir uns freilich nur mit leeren Phrasen, ohne die Schoͤnheit zu genießen: oder es kann auch wohl ein unvermuthetes Ent- zuͤcken vom Himmel herab in unser Herz fallen, und uns die hoͤchste Begeisterung aufschließen; dazu aber koͤnnen wir nichts thun, wir koͤnnen dergleichen nicht erwarten, sondern eine solche Offenbarung begiebt sich in uns nur. So viel ist gewiß, daß jeder Mensch wohl nur zwei oder dreimal in seinem Leben das Gluͤck haben kann, wahrhaft einen Sonnen-Aufgang zu sehn: der- gleichen geht auch dann nicht, wie Sommerwol- Erste Abtheilung . ken, unserm Gemuͤth voruͤber, sondern es macht Epoche in unserm Leben, wir brauchen lange Zeit, um uns von solcher Entzuͤckung wieder zu erholen, und viele Jahre zehren noch von die- sen erhabenen Minuten. Aber nur Stille und Einsamkeit vergoͤnnen diese Gaben; eine Gesell- schaft, die sich zu dergleichen auf einem Berge versammelt, steht nur vor dem Theater, und bringt auch gewoͤhnlich dieselbe alberne Freude und leere Kritik wie dort mit herunter. Noch seltsamer, sagte Ernst, daß so wenige Menschen den wundervollen Schauer, die Be- aͤngstigung empfinden, oder sich gestehn, die in manchen Stunden die Natur unserm Herzen erregt. Nicht bloß auf den ausgestorbenen Hoͤ- hen des Gotthard erregt sich unser Gemuͤth zum Grauen, nicht bloß — wenn es hin zur Flut euch lockt, — — zum grausen Wipfel jenes Felsen, Der in die See nicht uͤber seinen Fuß, — Der Ort an sich bringt Grillen der Verzweiflung Auch ohne weitern Grund in jedes Hirn, Der so viel Klafter niederschaut zur See, Und hoͤrt sie unten bruͤllen; sondern selbst die schoͤnste Gegend hat Gespen- ster, die durch unser Herz schreiten, sie kann so seltsame Ahndungen, so verwirrte Schatten durch unsre Phantasie jagen, daß wir ihr entfliehen, und uns in das Getuͤmmel der Welt hinein ret- ten moͤchten. Auf diese Weise entstehn nun wohl Erste Abtheilung . auch in unserm Innern Gedichte und Maͤhr- chen, indem wir die ungeheure Leere, das furcht- bare Chaos, mit Gestalten bevoͤlkern, und kunst- maͤßig den unerfreulichen Raum schmuͤcken; diese Gebilde aber koͤnnen dann freilich nicht den Cha- rakter ihres Erzeugers verlaͤugnen. In diesen Natur-Maͤhrchen mischt sich das Liebliche mit dem Schrecklichen, das Seltsame mit dem Kin- dischen, und verwirrt unsre Phantasie bis zum poetischen Wahnsinn, um diesen selbst nur in unserm Innern zu loͤsen und frei zu machen. Sind die Maͤhrchen, fragte Clara, die Sie uns mittheilen wollen, von dieser Art? Vielleicht, antwortete Ernst. Doch nicht allegorisch? Wie wir es nennen wollen, sagte jener. Es giebt vielleicht keine Erfindung, die nicht die Al- legorie, auch unbewußt, zum Grund und Boden ihres Wesens haͤtte. Gut und boͤse ist die dop- pelte Erscheinung, die schon das Kind in jeder Dichtung am leichtesten versteht, die uns in jeder Darstellung von neuem ergreift, die uns aus jedem Raͤthsel in den mannichfaltigsten Formen anspricht und sich selbst zum Verstaͤndniß rin- gend aufloͤsen will. Es giebt eine Art, das gewoͤhn- lichste Leben wie ein Maͤhrchen anzusehn, eben so kann man sich mit dem Wundervollsten, als waͤre es das Alltaͤglichste, vertraut machen. Man koͤnnte sagen, alles, das Gewoͤhnlichste wie das Wunderbarste, Leichteste und Lustigste habe nur Erste Abtheilung . Wahrheit und ergreife uns nur darum, weil diese Allegorie im letzten Hintergrunde als Halt dem Ganzen dient, und eben darum sind auch Dan- te's Allegorien so uͤberzeugend, weil sie sich bis zur greiflichsten Wirklichkeit durchgearbeitet haben. Novalis sagt: nur die Geschichte ist eine Ge- schichte, die auch Fabel sein kann. Doch giebt es auch viele kranke und schwache Dichtungen dieser Art, die uns nur in Begriffen herum schlep- pen, ohne unsre Phantasie mit zu nehmen, und diese sind die ermuͤdendste Unterhaltung. — Allein Anton mag uns jetzt sein einleitendes Gedicht vorlesen, welches er uns versprochen hat. Anton zog einige Blaͤtter hervor und las: Phantasus . B etruͤbt saß ich in meiner Kammer, Dacht' an die Noth, an all den Jammer Der rund um druͤckt die weite Erde, Daß man nur schaut Trauergeberde, Daß Luft und Sang und frohe Weisen Gezogen weit von uns auf Reisen, Daß Argwohn, Mißtraun unsre Gaͤste, Und Furcht und Angst bei jedem Feste, Daß jedermann nur fraͤgt in Sorgen: Wie wird es mit dir heut und morgen? Dazu war ich noch schwach und krank, Mir war so Tag wie Nacht zu lang; Phantasus . Ich sorgte, was mein Arzt ermessen, Was ich nicht trinken durft' und essen, Wie meine Pein zu lindern waͤre, Was mir den Schlaf, die Ruh nicht stoͤre; So saß ich still in mich gebuͤckt, Den Kopf in meine Hand gedruͤckt, Als ich so sinnend es vernahm Daß jemand an die Thuͤre kam, Es klopfte, und ich rief: herein! Da oͤffnet schnell ein Haͤndelein So weiß wie Baumesbluͤth, herfuͤr Trat dann ein Knaͤblein in die Thuͤr, Das Haupt gekraͤnzt mit jungen Rosen, Die eben aus den Knospen losen, Wie Rosengluth die Lippen hold, Das krause Haar ein funkelnd Gold, Die Augen dunkel, violbraun, Der Leib gar lieblich anzuschaun. Er trat vor mich und thaͤt sich neigen, Und sprach alsdann nach kurzem Schweigen: Wie koͤmmts, mein lieber kranker Freund, Daß ihr hier sitzt, da Sonne scheint? Der Fruͤhling geht umher mit Pracht, Hat Laub des Waldes angefacht, Es brennt das gruͤne Feuer wieder, Und drein ertoͤnen tausend Lieder, Die Erde traͤgt ihr Sommerkleid Der Plan erglaͤnzt von Blumen weit, Es spielt der Fisch in blauem See, Vom Obstbaum haͤngt der Bluͤthenschnee, Die Lieb- und Seegen-schwangre Luft Erste Abtheilung . Durchspielt in Wogen Kraft und Duft, Das Kindlein lacht die Bluͤthen an Aus rothem Mund mit weißem Zahn, Der Juͤngling sieht sein Herz und Lieben In Blumenschrift mit Glanz geschrieben, Sich hebt der Jungfrau schoͤne Brust In ahndungsvoller Liebeslust, Der Greis erfrischt die alten Glieder Und duͤnkt sich in der Kindheit wieder, Und jedermann fuͤhlt freudenschwanger Den dunkeln Wald, den lichten Anger. Du nur willst sitzen hier gekauert, In deinen Sorgen eingebauert, Von Schwermuths-Wolken rings umhaͤngt, In Noth und Zweifeln eingeengt? Ich kenne dich nicht wieder schier; Hinaus mach' straks dich vor die Thuͤr, Und thu dein menschlich Angesicht Hinein in holdes Himmelslicht, Laß nicht die Stirn dir so verrunzeln, Der Lippen Frische ganz verschrunzeln, Das Auge, das sonst Strahlen scharf Von seinem lichten Bogen warf, Ist tief hinein zum Haupt geschmolzen Und schießt nur schwer' und stumpfe Bolzen, Entzweit hat sich dein Mund mit Lachen Scherz, Kuß sind ihm wildfremde Sachen, In deiner gelb verschrumpften Haut Der Kummer sich im Spiegel schaut; Nicht, Creatur, mach' Schand' und Spott, Wer dich geschaffen, deinem Gott, Phantasus . Schau aus, als seist nach seinem Bilde Formiret edel, heiter milde, Verbruͤmmelt nicht und ungelachsen, Als seyn in dir zusamm gewachsen All Unkraut, Stacheln, Disteln, Dorn, Mit Schimmel, Pilzen fest verworrn; Frisch auf, laß dich von mir regieren, Ins Fruͤhlings-Reich will ich dich fuͤhren. Er schwang in seiner Rechten zart Die Tulpenblum seltsamer Art, Wie er sie auf und nieder regte Ein farbig Feuer sich bewegte, Und lichte Sterne kreisten, welche Sich schuͤttelten aus goldnem Kelche, Die flogen wie die Voͤglein munter Mir um das Haupt herauf herunter Und neckten mich mit ihrem Leuchten, Daß ich zu thun sie fort zu scheuchen. Ich sprach halb zornig: wer bist du, Der mich gestoͤrt in meiner Ruh, Du Knaͤblein laut, vorwitziglich, Der du also bespoͤttelst mich, Und willst, weil du ein Kindlein frei, Daß alle Welt auch kindisch sei? Ich habe mehr gelernt, erfahren, Bin auch jetzund was mehr bei Jahren, Daß Spiel, unnuͤtzer Zeitvertreib Nicht mehr gefallen meinem Leib, Auch ist umher die ganze Welt Auf Ernst, Nachdenklichkeit gestellt, Daß der nur Thor jedwedem scheint Erste Abtheilung . Der sich nicht hoͤherm Zweck vereint, Du aber, Knaͤblein, bist inmitten Der Bildung nicht mit fortgeschritten, Meinst noch, daß man nach Blum' und Kraut Und all den Kinderein ausschaut, Das haͤlt man jetzt fuͤr Rauch und Dunst, Mein Sohn, die Zeit ist nicht wie sunst. Der Knabe lacht', daß sich das Gold Der Locken in einander rollt, Und sprach: sonst hast mich wohl gekannt, Ich bin der Phantasus genannt, Heimathlich war ich sonst bei dir, Dein Spielgefaͤhrte fuͤr und fuͤr, Als du mich noch am Herzen hegtest Und vaͤterlich und freundlich pflegtest, Da war dein Sinn anders gestellt, Mit dir zufrieden und der Welt War dir die Arbeit Luft und Scherz, Frisch und gesund dein junges Herz. Mein Auge, sprach ich, ist wohl blind; Du also bist dasselbe Kind, Das taͤglich Blumen mir gebracht, Holdseliglich mich angelacht, Das mir verscherzt die muntern Stunden, Vielfaͤltig Spielzeug mir erfunden? Seitdem bist du von mir entwichen Und anderwaͤrts umher gestrichen, Da kamen Ernst, Vernunft, Verstand, Und gaben mir in meine Hand Der Buͤcher viel und mancherlei Voll tiefen Sinns, Philosophei, Phantasus . Ich strebte, mich aus rohem Wilden Zum wahren Menschen umzubilden; Drauf ich auch zur Geschichte kam Die Noth der Welt zu Herzen nahm, Die Chronikbuͤcher unverdrossen Hab' ich in Naͤchten aufgeschlossen, Die Vorzeit kam zu mir heruͤber Und immer ernster wards und truͤber: Bald schien mich an ein fluͤchtig Blitzen, Dann glaubt' ich Wahrheit zu besitzen, Dann kam die Daͤmmrung, faßt' es wieder Und taucht' es in die Finstre nieder; Die Nacht ward wieder Lichtes schwanger, Das neue Licht macht' mich noch banger, Wohl ahndend, daß, wenns ausgegohren Die Finstre neu draus wird erboren: So wies Histori mir nur Noth, Im Leben auch nur Grab und Tod, Das Schoͤne stirbt, der Glanz loͤscht aus, Das Irdisch-Schlechte baut sein Haus, Und spricht von seinem Felsenthron Den hohen Goͤttersoͤhnen Hohn: Natur hab' ich ergruͤnden wollen, Da kam ich gar auf seltsam' Schrollen, Verlor mich in ein steinern Reich, Ich glaubte all's nichts doch zugleich, Wollt Pflanz, Metall und Stein verstehn, Mußt' mir doch selbst verloren gehn, Hatt' viel Kunstworte bald erstanden, Ich selbst gekommen nur abhanden, Um endlich wieder zu gelangen Erste Abtheilung . Noch dummer wo ich ausgegangen: Vielleicht weil du, mein Sohn, gefehlt, Hab' ich in Angst mich abgequaͤlt, Verstehst du wohl die alten Schriften, Wandelst wohl auch auf Weisheits-Triften? Doch laß, ich will dich jetzt nicht plagen, Komm, laß uns in den schoͤnen Tagen So spielen, wie wir sonst gepflogen, Wenn du mir etwas noch gewogen. Der Kleine schmeichelt' sich an mich, Druͤckt' an mein Knie mit Laͤcheln sich, Wandt' sich hieher und dorthin nun, Fast wie die jungen Kaͤzlein thun. Da gehn wir aus dem Haus, und warm Nimmt Sommer mich in seinen Arm, Die Lerch' in Luͤften jubilirt, Haͤnfling und Drossel musizirt, Das Gruͤn schmiegt sich um Plan und Huͤgel, Der Schmetterling wiegt Purpurfluͤgel, Die Blumen roth, braun, gold und blau Stehn dicht gedraͤngt auf gruͤner Au, Die Bienen summen luftig, nippen Den Honigseim von Blumenlippen, Duft, roͤthlich Glanz kreucht aus dem Baum, Haͤngt von dem Zweig, ein suͤßer Traum. Wie ist, sprach ich, die Welt so bunt, Von neuem toͤnt und schwazt der Mund Der kindschen Quellen, Fruͤhlings Hand Nahm von den Zungen ab das Band, Das Winter jaͤhrlich um sie legt, Das sich kein lautes Woͤrtchen regt, Phantasus . Die Sommergaͤst' auch sind mit Schalle Ins Land zuruͤck gekommen alle. Indem wand sich der Buchenhain Vom Plane ab den Weg hinein, Der Glanz mit Gruͤn schoͤn war gemischt, Die stille Luft vom Wind erfrischt, Die wilden Tauben hoͤrt' ich girren, Zeisig und Fink in Nestern schwirren, Ein Duft suͤß aus den Baͤumen floß, Ein Rieseln saͤnftlich sich ergoß Aus Tannenbaͤumen, die vom Winde Sanft angespielt erklangen linde, Das all war meinem kranken Leben Als Labsal und Arznei gegeben. Wo sind wir, Liebster? rief ich aus, Sei mir gegruͤßt, du gruͤnes Haus, Gegruͤßt ihr frischen Bogengaͤnge, Willkommen mir ihr Waldesklaͤnge! Ich war noch nie in den Revieren, Sprich, wohin willst du mich denn fuͤhren? Er sagte nichts, nur freundlich winkt Sein Aug' das mir ins Auge blinkt. Einsamer ward der dichte Hain, Gespaltener des Lichtes Schein, Der sich in Gattern um uns legte Und mit des Luftes Zug bewegte, Da hoͤrt' ich Wild von ferne schrein, Da sangen fremde Voͤgel drein Mit wundersamen Ton, es klangen Viel Baͤchlein, die aus Felsen sprangen, Wie Schatten zog es her und hin, Erste Abtheilung . Ein Schauer flog durch meinen Sinn. Nun wars, als hoͤrt' ich Kinder plaudern, Hin lief ich ohne laͤnger Zaudern, Und als ich nach dem Ort gekommen Von wo ich erst den Ton vernommen Da that sich auf des Waldes Dunkel, Und vor mir lag ein hell Gefunkel, Roth sah ich wilde Nelken bluͤhn, Sammt lichten Sternen von Jasmin, Und duftend Kraut Je laͤnger lieber, Das rankte eine Grott' hinuͤber, An die sich hoch die Epheu schlang, Und aus der Hoͤhle kam Gesang. Da schaut ich in den Fels hinein, Da saß ein Bild mit lichtem Schein, Guͤldnes Gewand den Leib umfloß, An den sich Spang' und Guͤrtel schloß, Das Antlitz bleich, entfaͤrbt die Wange, Sie schien in Furcht und Zittern bange Und schloß sich an ein Mannsgebild, Das schaute aus den Augen wild, Doch laͤchelt' er mit Freundlichkeit, Er war in schwarz Gewand gekleidt, Ein dunkles Haar hing um das Haupt, Er trug von wildem Wein umlaubt Den guͤldnen Stab in seiner Hand, Geflochten war um sein Gewand Epheu und Tannenzweig' in Kraͤnzen, Wozwischen rothe Rosen glaͤnzen; Er sprach und sang der Schoͤnen vor, Und fluͤsterte ihr oft ins Ohr. Phantasus . Da fragt ich: Kind, wer sind die beide? Der Knabe sprach: im schwarzen Kleide Der ist der Schreck, von Maͤhrchen alten Beschreibt er gern die Schaurgestalten; Das Maͤgdlein da im lichten Kleid Ist meine liebe Albernheit, Sie aͤngstet sich und um so gerner Hoͤrt sie den andern reden ferner, Sie fuͤrchtet sich vor dem Erschrecken, Laͤßt sich doch spielend davon necken, Sie laͤchelt, und vor Schauder weint Ihr Lachen, das in Thraͤnen scheint, Sie freut sich und wird voraus bleich, So spielt sie mit dem Geisterreich, Wenn Schreck ihr sagt: nun kommt es, jetzt, Was dich recht durch und durch entsetzt! Dann bittet sie: laß es voruͤber, — Nein, spricht sie dann, erzaͤhl' es, Lieber: Dann rauscht der schwarze Tannenhain, Dann weinen Felsenbaͤche drein, Sie meint sie stirbt vor Angst und Schmerz Und druͤckt dem Schreck sich mehr ans Herz. Da sah ich einen Kleinen gaukeln Und sich in allen Blumen schaukeln, Ein herzigs Kind, das auf und nieder Im Tanze schwang die zarten Glieder, Bald klettert' es in Epheuranken Und ließ sich kuͤhn vom Winde schwanken, Bald stand oben am Fels der Lose Und duckte sich in eine Rose, So eilig, daß der Stengel knickte Erste Abtheilung . Wie er sich in die Roͤthe buͤckte, Dann fiel er lachend auf die Au Und war benetzt vom Rosenthau: In Blaͤttern, aus Jasmin gezogen, Beschifft' er dann des Baches Wogen, Und bracht' als Kriegsgefangne heim Die Bienen mit dem Honigseim; Dann sucht' er Muscheln sich im Sande Und Stein' und Kiesel vielerhande, Und putzte drinn das Felsenhaus Mit vielen artgen Schnoͤrkeln aus: Auf einmal ließ er alles liegen Und schien durch Luͤfte schnell zu fliegen, Dann auf dem hoͤchsten Tannenbaum Stand er und uͤbersah den Raum, Mit Riesenstaͤrke bog er dann Das Baumes Wipfel auf den Plan Und ließ ihn dann zuruͤcke schießen, Des Baches Wogen musten fließen In Wasserfaͤllen laut und brausend, Der maͤchtge Wald dazwischen sausend, Ein furchtbar Echo, das von oben Hin durch den Thalgrund sprach mit Toben, Dazu des Donners Krachen viel, Schien alles ihm nur Harfenspiel. Er selbst, der erst ein kleiner Zwerg War jetzt so maͤchtig wie ein Berg, Und sprang so schnell wie Blitzes Lauf Zur Hoͤhe des Gebirgs hinauf, Riß aus der Wurzel maͤchtge Felsen, Die ließ er sich zum Thale waͤlzen Mit Phantasus . Mit lautem Donnern, furchtbarm Krachen, Das machte ihn von Herzen lachen, Wie sie im Puͤrzen, Springen, Kollern, So ungeschlacht zur Ebne schollern, Wie sie die nackten Hauer fletschen Und Wald und Berg im Sturz zerquetschen. Da war ich bang und furchtsam fast, Ich sprach: wer ist der schlimme Gast, Der erst ein Kindlein thoͤricht spielte, An Bienen nur sein Muͤthlein kuͤhlte, Ein Tandmann schien, doch nun erwachsen So ungeheuer, ungelachsen, Daß kaum noch so viel Kraft der Welt, Daß sie ihn sich vom Halse haͤlt? Das ist der Scherz, so sprach mein Freund, Der groß und klein in sich vereint, Oft ist er zart und lieb unschuldig, Doch wird er wild und ungeduldig So kuͤhlt er seinen Muth den frechen Und all's muß biegen oder brechen. — Kann man nicht, fragt' ich, Sitt' ihm lehren? — Das hieß ihn nur, sprach der, verkehren, Er acht't kein noch so klug Gebot, Und schreit nur: das thut mir nicht noth! So lassen sie ihm seinen Willen. — Da schlug urploͤtzlich aus dem Stillen Der Sang von tausend Nachtigallen, Die ließen ihre Klage schallen, Und aus dem gruͤnen Waldesraum Erglaͤnzt' ein leuchtend goldner Saum, Von Purpurkleidern, die erbeben I. [ II ] Erste Abtheilung . In Gluth, wie sich die Glieder heben Vom schoͤnsten weiblichen Gebilde, Sie schritt nun laͤchelnd zum Gefilde, Und kam aus dunkelm Wald hervor Wie Sonne durch des Morgens Thor, Das goldne Haar in Wellen fließend, Das lichte Aug' die Welt begruͤßend, Das rothe Laͤcheln Wonne streuend, Des Leibes Glanz rings all erfreuend; So wie die Augen leuchtend gingen Die Blumen an zu bluͤhen fingen, Das Gras ward gruͤner, Wonnebeben Schien Stein und Felsen zu beleben, Die Wasser jauchzten, und im Innern Bewegt' ein seliges Erinnern Der Erbe allertiefstes Herz, Demant erwuchs und Goldes-Erz. Wer ist, fragt' ich, die dort regiert, So zart und edel gliedmasirt, Die Klare, Holde, Minniglich'? Nenn' ihren Namen, Knabe, sprich! Dir ist es also nicht bewußt, Sprach Phantasus, in deiner Brust, Was Thier' und Pflanzen, Stein' empfinden, Ich muß dir ihren Namen kuͤnden? Die Liebe ist sie! Und alsbald Kannt' ich die goͤttliche Gestalt, Ich sprach im Flehn zu ihr: demuͤthig Komm' ich zu dir, o sei mir guͤtig, Wie du die ganze Welt begluͤckst, In jedes Herz die Wonne schickst, Phantasus . Gedenke mein, laß nicht mein Leben Als liebeleeren Traum verschweben. Gebietend hob sie auf die Hand, Da kamen aus dem gruͤnen Land, Von Bergen, aus dem niedern Thal, Die Geister wimmelnd ohne Zahl, Aus Baͤchen huben sie sich schnell Und leuchteten von Schimmern hell, Die Baͤume thaten all sich auf, Es sprangen vor mit munterm Lauf Die zarten Elfen, und aus kleinen Bluͤmlein wollten sie auch erscheinen, Gar klein gestalt, in Farben bunt, Da sang ein tausendfacher Mund Der hohen Goͤttin Lob und Dank, Gar wundersam war der Gesang, Sie sonnten sich in ihren Laͤcheln Berauscht von ihres Othems Faͤcheln. Da wandt' sich Phantasus zu mir: Nun, Werther, wie gefaͤllts dir hier? Ich wollte sprechen: seeliglich Duͤnkt mir dies Leben sicherlich, — Doch nahm der allergroͤßte Schreck Mir ploͤtzlich Stimm' und Othem weg: Was ich fuͤr Grott' und Berg gehalten, Fuͤr Wald und Flur und Felsgestalten, Das war ein einzigs großes Haupt, Statt Haar und Bart mit Wald umlaubt, Still laͤchelt' er, daß seine Kind In Spielen gluͤcklich vor ihm sind, Er winkt, und ahndungsvolles Brausen Erste Abtheilung . Wogt her in Waldes heilgem Sausen, Da fiel ich auf die Kniee nieder, Mir zitterten in Angst die Glieder, Ich sprach zum Kleinen nur das Wort Sag' an, was ist das Große dort? — Der Kleine sprach: Dich faßt sein Graun, Weil du ihn darfst so ploͤtzlich schaun, Das ist der Vater, unser Alter, Heißt Pan, von allem der Erhalter. — Ein maͤchtger Schauder faßte mich, Mit Zittern schnell erwachte ich, Und so bewegt von dem Gesicht Verkuͤnd' ichs euch, verschweig' es nicht. — Nach einer Pause sagte Clara: ich glaube Ihren Sinn zu verstehn, aber unartig, ja grau- sam finde ich es, daß Sie uͤber Ihre Krankheit scherzen, und zur Strafe dafuͤr sollen Sie uns ohne auszuruhen sogleich das erste Maͤhrchen mittheilen, denn ich hoͤrte gestern, daß Ihnen der Beginn dieser Erzaͤhlungen zugefallen sei. Anton fing an zu lesen. Der blonde Eckbert . Der blonde Eckbert . I n einer Gegend des Harzes wohnte ein Ritter, den man gewoͤhnlich nur den blonden Eckbert nannte. Er war ohngefaͤhr vierzig Jahr alt, kaum von mittler Groͤße, und kurze hellblonde Haare lagen schlicht und dicht an seinem blassen eingefallenen Gesichte. Er lebte sehr ruhig fuͤr sich und war nie- mals in den Fehden seiner Nachbarn verwickelt, auch sah man ihn nur selten außerhalb den Ring- mauern seines kleinen Schlosses. Sein Weib liebte die Einsamkeit eben so sehr, und beide schienen sich von Herzen zu lieben, nur klagten sie gewoͤhnlich daruͤber, daß der Himmel ihre Ehe mit keinen Kin- dern segnen wolle. Nur selten wurde Eckbert von Gaͤsten besucht, und wenn es auch geschah, so wurde ihretwegen fast nichts in dem gewoͤhnlichen Gange des Lebens geaͤndert, die Maͤßigkeit wohnte dort, und die Sparsamkeit selbst schien alles anzuordnen. Eck- bert war alsdann heiter und aufgeraͤumt, nur wenn er allein war bemerkte man an ihm eine gewisse Ver- schlossenheit, eine stille zuruͤckhaltende Melankolie. Niemand kam so haͤufig auf die Burg als Philipp Walther, ein Mann, an welchen sich Eck- bert geschlossen hatte, weil er an ihm ohngefaͤhr dieselbe Art zu denken fand, der auch er am mei- sten zugethan war. Dieser wohnte eigentlich in Franken, hielt sich aber oft uͤber ein halbes Jahr Erste Abtheilung . in der Naͤhe von Eckberts Burg auf, sammelte Kraͤuter und Steine, und beschaͤftigte sich damit, sie in Ordnung zu bringen, er lebte von einem klei- nen Vermoͤgen und war von Niemand abhaͤngig. Eckbert begleitete ihn oft auf seinen einsamen Spa- ziergaͤngen, und mit jedem Jahre entspann sich zwischen ihnen eine innigere Freundschaft. Es giebt Stunden, in denen es den Men- schen aͤngstigt, wenn er vor seinem Freunde ein Geheimniß haben soll, was er bis dahin oft mit vieler Sorgfalt verborgen hat, die Seele fuͤhlt dann einen unwiderstehlichen Trieb, sich ganz mitzuthei- len, dem Freunde auch das Innerste aufzuschlie- ßen, damit er um so mehr unser Freund werde. In diesen Augenblicken geben sich die zarten See- len einander zu erkennen, und zuweilen geschieht es wohl auch, daß einer vor der Bekanntschaft des andern zuruͤck schreckt. Es war schon im Herbst, als Eckbert an einem neblichten Abend mit seinem Freunde und seinem Weibe Bertha um das Feuer eines Kamines saß. Die Flamme warf einen hellen Schein durch das Gemach und spielte oben an der Decke, die Nacht sah schwarz zu den Fenstern herein, und die Baͤume draußen schuͤttelten sich vor nasser Kaͤlte. Walther klagte uͤber den weiten Ruͤckweg den er habe, und Eckbert schlug ihm vor, bei ihm zu bleiben, die halbe Nacht unter traulichen Gespraͤchen hinzubrin- gen, und dann noch in einem Gemache des Hau- ses bis am Morgen zu schlafen. Walther ging den Vorschlag ein, und nun ward Wein und die Der blonde Eckbert . Abendmahlzeit herein gebracht, das Feuer durch Holz vermehrt, und das Gespraͤch der Freunde heitrer und vertraulicher. Als das Abendessen abgetragen war, und sich die Knechte wieder entfernt hatten, nahm Eckbert die Hand Walthers und sagte: Freund, Ihr soll- tet euch einmal von meiner Frau die Geschichte ihrer Jugend erzaͤhlen lassen, die seltsam genug ist. — Gern, sagte Walther, und man setzte sich wieder um den Kamin. Es war jetzt gerade Mitternacht, der Mond sah abwechselnd durch die voruͤber flatternden Wol- ken. Ihr muͤßt mich nicht fuͤr zudringlich halten, fing Bertha an, mein Mann sagt, daß Ihr so edel denkt, daß es unrecht sey, euch etwas zu ver- helen. Nur haltet meine Erzaͤhlung fuͤr kein Maͤhrchen, so sonderbar sie auch klingen mag. Ich bin in einem Dorfe geboren, mein Vater war ein armer Hirte. Die Haushaltung bei mei- nen Eltern war nicht zum besten bestellt, sie wusten sehr oft nicht, wo sie das Brod hernehmen sollten. Was mich aber noch weit mehr jammerte, war, daß mein Vater und meine Mutter sich oft uͤber ihre Armuth entzweiten, und einer dem andern dann bittere Vorwuͤrfe machte. Sonst hoͤrt' ich bestaͤndig von mir, daß ich ein einfaͤltiges dummes Kind sei, das nicht das unbedeutendste Geschaͤft auszurichten wisse, und wirklich war ich aͤußerst ungeschickt und unbeholfen, ich ließ alles aus den Haͤnden fallen, ich lernte weder naͤhen noch spin- nen, ich konnte nichts in der Wirthschaft helfen, Erste Abtheilung . nur die Noth meiner Eltern verstand ich außeror- dentlich gut. Oft saß ich dann im Winkel und fuͤllte meine Vorstellungen damit an, wie ich ihnen helfen wollte, wenn ich ploͤtzlich reich wuͤrde, wie ich sie mit Gold und Silber uͤberschuͤtten und mich an ihrem Erstaunen laben moͤchte, dann sah ich Geister herauf schweben, die mir unterirdische Schaͤtze entdekten, oder mir kleine Kiesel gaben, die sich in Edelsteine verwandelten; kurz, die wun- derbarsten Phantasien beschaͤftigten mich, und wenn ich nun aufstehn mußte, um irgend etwas zu hel- fen, oder zu tragen, so zeigte ich mich noch viel ungeschickter, weil mir der Kopf von allen den selt- samen Vorstellungen schwindelte. Mein Vater war immer sehr ergrimmt auf mich, daß ich eine so ganz unnuͤtze Last des Haus- wesens sey, er behandelte mich daher oft ziemlich grausam, und es war selten, daß ich ein freund- liches Wort von ihm vernahm. So war ich unge- faͤhr acht Jahr alt geworden, und es wurden nun ernstliche Anstalten gemacht, daß ich etwas thun, oder lernen sollte. Mein Vater glaubte, es waͤre nur Eigensinn oder Traͤgheit von mir, um meine Tage in Muͤssiggang hinzubringen, genug, er setzte mir mit Drohungen unbeschreiblich zu, da diese aber doch nichts fruchteten, zuͤchtigte er mich auf die grausamste Art, und fuͤgte hinzu, daß diese Strafe mit jedem Tage wiederkehren sollte, weil ich doch nur ein unnuͤtzes Geschoͤpf sey. Die ganze Nacht hindurch weint' ich herzlich, ich fuͤhlte mich so außerordentlich verlassen, ich Der blonde Eckbert . hatte ein solches Mitleid mit mir selber, daß ich zu sterben wuͤnschte. Ich fuͤrchtete den Anbruch des Tages, ich wußte durchaus nicht, was ich anfan- gen sollte, ich wuͤnschte mir alle moͤgliche Geschick- lichkeit und konnte gar nicht begreifen, warum ich einfaͤltiger sey, als die uͤbrigen Kinder meiner Be- kanntschaft. Ich war der Verzweiflung nahe. Als der Tag graute, stand ich auf und eroͤff- nete, fast ohne daß ich es wußte, die Thuͤr unsrer kleinen Huͤtte. Ich stand auf dem freien Felde, bald darauf war ich in einem Walde, in den der Tag fast noch nicht hinein blickte. Ich lief immer- fort, ohne mich umzusehn, ich fuͤhlte keine Muͤdig- keit, denn ich glaubte immer mein Vater wuͤrde mich noch wieder einholen, und durch meine Flucht gereizt mich noch grausamer behandeln. Als ich aus dem Walde wieder heraus trat, stand die Sonne schon ziemlich hoch, ich sah jetzt etwas dunkles vor mir liegen, welches ein dichter Nebel bedeckte. Bald mußte ich uͤber Huͤgel klet- tern, bald durch einen zwischen Felsen gewundenen Weg gehn, und ich errieth nun, daß ich mich wohl in dem benachbarten Gebirge befinden muͤsse, wor- uͤber ich anfing mich in der Einsamkeit zu fuͤrch- ten. Denn ich hatte in der Ebene noch keine Berge gesehn, und das bloße Wort Gebirge, wenn ich davon hatte reden hoͤren, war meinem kindischen Ohr ein fuͤrchterlicher Ton gewesen. Ich hatte nicht das Herz zuruͤck zu gehn, sondern eben meine Angst trieb mich vorwaͤrts; oft sah ich mich erschrok- ken um, wenn der Wind uͤber mir weg durch die Erste Abteilung . Baͤume fuhr, oder ein ferner Holzschlag weit durch den stillen Morgen hintoͤnte. Als mir Koͤhler und Bergleute endlich begegneten und ich eine fremde Aussprache hoͤrte, waͤre ich vor Entsetzen fast in Ohnmacht gesunken. Ich kam durch mehrere Doͤrfer und bettelte, weil ich jetzt Hunger und Durst empfand, ich half mir so ziemlich mit meinen Antworten durch, wenn ich gefragt wurde. So war ich ohngefaͤhr vier Tage fortgewandert, als ich auf einen kleinen Fuß- steig gerieth, der mich von der großen Straße immer mehr entfernte. Die Felsen um mich her gewannen jetzt eine andre, weit seltsamere Gestalt. Es waren Klippen, so auf einander gepackt, daß es das Ansehn hatte, als wenn sie der erste Wind- stoß durch einander werfen wuͤrde. Ich wußte nicht, ob ich weiter gehn sollte. Ich hatte des Nachts immer im Walde geschlafen, denn es war gerade zur schoͤnsten Jahrszeit, oder in abgelege- nen Schaͤferhuͤtten; hier traf ich aber gar keine menschliche Wohnung und konnte auch nicht ver- muthen in dieser Wildniß auf eine zu stoßen; die Felsen wurden immer furchtbarer, ich mußte oft dicht an schwindlichten Abgruͤnden vorbeigehn, und endlich hoͤrte sogar der Weg unter meinen Fuͤßen auf. Ich war ganz trostlos, ich weinte und schrie, und in den Felsenthaͤlern hallte meine Stimme auf eine schreckliche Art zuruͤck. Nun brach die Nacht herein, und ich suchte mir eine Moosstelle aus, um dort zu ruhn. Ich konnte nicht schlafen; in der Nacht hoͤrte ich die seltsamsten Toͤne, bald Der blonde Eckbert . hielt ich es fuͤr wilde Thiere, bald fuͤr den Wind, der durch die Felsen klage, bald fuͤr fremde Voͤgel. Ich betete, und schlief nur spaͤt gegen Morgen ein. Ich erwachte, als mir der Tag ins Gesicht schien. Vor mir war ein steiler Felsen, ich klet- terte in der Hoffnung hinauf, von dort den Aus- gang aus der Wildniß zu entdecken, und vielleicht Wohnungen oder Menschen gewahr zu werden. Als ich aber oben stand, war alles, so weit nur mein Auge reichte, eben so, wie um mich her, alles war mit einem neblichten Dufte uͤberzogen, der Tag war grau und truͤbe, und keinen Baum, keine Wiese, selbst kein Gebuͤsch konnte mein Auge ent- decken, einzelne Straͤucher ausgenommen, die ein- sam und betruͤbt in engen Felsenritzen empor geschos- sen waren. Es ist unbeschreiblich, welche Sehn- sucht ich empfand, nur eines Menschen ansichtig zu werden, waͤre es auch, daß ich mich vor ihm haͤtte fuͤrchten muͤssen. Zugleich empfand ich einen peinigenden Hunger, ich setzte mich nieder und beschloß zu sterben. Aber nach einiger Zeit trug die Lust zu leben dennoch den Sieg davon, ich raffte mich auf und ging unter Thraͤnen, unter abgebrochenen Seufzern den ganzen Tag hindurch; am Ende war ich mir meiner kaum noch bewußt, ich war muͤde und erschoͤpft, ich wuͤnschte kaum noch zu leben, und fuͤrchtete doch den Tod. Gegen Abend schien die Gegend umher etwas freundlicher zu werden, meine Gedanken, meine Wuͤnsche lebten wieder auf, die Lust zum Leben erwachte in allen meinen Adern. Ich glaubte jetzt Erste Abtheilung . das Gesause einer Muͤhle aus der Ferne zu hoͤren, ich verdoppelte meine Schritte, und wie wohl, wie leicht ward mir, als ich endlich wirklich die Graͤn- zen der oͤden Felsen erreichte, ich sah Waͤlder und Wiesen mit fernen angenehmen Bergen wieder vor mir liegen. Mir war, als wenn ich aus der Hoͤlle in ein Paradies getreten waͤre, die Einsamkeit und meine Huͤlflosigkeit schienen mir nun gar nicht fuͤrch- terlich. Statt der gehofften Muͤhle stieß ich auf einen Wasserfall, der meine Freude freilich um vieles minderte; ich schoͤpfte mit der Hand einen Trunk aus dem Bache, als mir ploͤtzlich war, als hoͤre ich in einiger Entfernung ein leises Husten. Nie bin ich so angenehm uͤberrascht worden, als in die- sem Augenblick, ich ging naͤher und ward an der Ecke des Waldes eine alte Frau gewahr, die aus- zuruhen schien. Sie war fast ganz schwarz geklei- det und eine schwarze Kappe bedeckte ihren Kopf und einen großen Theil des Gesichtes, in der Hand hielt sie einen Kruͤckenstock. Ich naͤherte mich ihr und bat um ihre Huͤlfe, sie ließ mich neben sich niedersitzen und gab mir Brod und etwas Wein. Indem ich aß, sang sie mit kreischendem Ton ein geistliches Lied. Als sie geendet hatte, sagte sie mir, ich moͤchte ihr folgen. Ich war uͤber diesen Antrag sehr erfreut, so wunderlich mir auch die Stimme und das Wesen der Alten vorkam. Mit ihrem Kruͤckenstocke ging sie ziemlich behende, und bei jedem Schritte verzog sie ihr Gesicht so, daß ich im Anfange daruͤber Der blonde Eckbert . lachen mußte. Die wilden Felsen traten immer weiter hinter uns zuruͤck, wir gingen uͤber eine angenehme Wiese, und dann durch einen ziemlich langen Wald. Als wir heraus traten, ging die Sonne gerade unter, und ich werde den Anblick und die Empfindung dieses Abends nie vergessen. In das sanfteste Roth und Gold war alles ver- schmolzen, die Baͤume standen mit ihren Wipfeln in der Abendroͤthe, und uͤber den Feldern lag der entzuͤckende Schein, die Waͤlder und die Blaͤtter der Baͤume standen still, der reine Himmel sah aus wie ein aufgeschlossenes Paradies, und das Rie- seln der Quellen und von Zeit zu Zeit das Fluͤstern der Baͤume toͤnte durch die heitre Stille wie in wehmuͤthiger Freude. Meine junge Seele bekam jetzt zuerst eine Ahndung von der Welt und ihren Begebenheiten. Ich vergaß mich und meine Fuͤh- rerin, mein Geist und meine Augen schwaͤrmten nur zwischen den goldnen Wolken. Wir stiegen nun einen Huͤgel hinan, der mit Birken bepflanzt war, von oben sah man in ein gruͤnes Thal voller Birken hinein, und unten mit- ten in den Baͤumen lag eine kleine Huͤtte. Ein munteres Bellen kam uns entgegen, und bald sprang ein kleiner behender Hund die Alte an, und wedelte, dann kam er zu mir, besah mich von allen Seiten, und kehrte mit freundlichen Geberden zur Alten zuruͤck. Als wir vom Huͤgel hinunter gingen, hoͤrte ich einen wunderbaren Gesang, der aus der Huͤtte Erste Abtheilung . zu kommen schien, wie von einem Vogel, es sang also: Waldeinsamkeit Die mich erfreut, So morgen wie heut In ewger Zeit, O wie mich freut Waldeinsamkeit. Diese wenigen Worte wurden bestaͤndig wie- derholt, wenn ich es beschreiben soll, so war es fast, als wenn Waldhorn und Schallmeyn ganz in der Ferne durch einander spielen. Meine Neugier war außerordentlich gespannt; ohne daß ich auf den Befehl der Alten wartete, trat ich mit in die Huͤtte. Die Daͤmmerung war schon eingebrochen, alles war ordentlich aufgeraͤumt, einige Becher standen auf einem Wandschranke, fremdartige Gefaͤße auf einem Tische, in einem glaͤnzenden Kaͤfig hing ein Vogel am Fenster, und er war es wirklich, der die Worte sang. Die Alte keichte und hustete, sie schien sich gar nicht wieder erholen zu koͤnnen, bald streichelte sie den kleinen Hund, bald sprach sie mit dem Vogel, der ihr nur mit seinem gewoͤhnlichen Liede Antwort gab; uͤbri- gens that sie gar nicht, als wenn ich zugegen waͤre. Indem ich sie so betrachtete, uͤberlief mich mancher Schauer, denn ihr Gesicht war in einer ewigen Bewegung, indem sie dazu wie vor Alter mit dem Kopfe schuͤttelte, so daß ich durchaus nicht wissen konnte, wie ihr eigentliches Aussehn beschaffen war. Als sie sich erholt hatte, zuͤndete sie Licht an, Der blonde Eckbert . deckte einen ganz kleinen Tisch und trug das Abend- essen auf. Jetzt sah sie sich nach mir um, und hieß mir einen von den geflochtenen Rohrstuͤhlen neh- men. So saß ich ihr nun dicht gegenuͤber und das Licht stand zwischen uns. Sie faltete ihre knoͤcher- nen Haͤnde und betete laut, indem sie ihre Ge- sichtsverzerrungen machte, so daß es mich beinahe wieder zum Lachen gebracht haͤtte; aber ich nahm mich sehr in Acht, um sie nicht boshaft zu machen. Nach dem Abendessen betete sie wieder, und dann wies sie mir in einer niedrigen und engen Kammer ein Bett an; sie schlief in der Stube. Ich blieb nicht lange munter, ich war halb betaͤubt, aber in der Nacht wachte ich einigemal auf, und dann hoͤrte ich die Alte husten und mit dem Hunde sprechen, und den Vogel dazwischen, der im Traum zu seyn schien, und immer nur einzelne Worte von seinem Liede sang. Das machte mit den Birken, die vor dem Fenster rauschten, und mit dem Ge- sang einer entfernten Nachtigall ein so wunderba- res Gemisch, daß es mir immer nicht war, als sey ich erwacht, sondern als fiele ich nur in einen andern noch seltsamern Traum. Am Morgen weckte mich die Alte, und wies mich bald nachher zur Arbeit an. Ich mußte spin- nen, und ich begriff es nun auch bald, dabei hatte ich noch fuͤr den Hund und fuͤr den Vogel zu sor- gen. Ich lernte mich schnell in die Wirthschaft finden, und alle Gegenstaͤnde umher wurden mir bekannt; nun war mir, als muͤßte alles so seyn, ich dachte gar nicht mehr daran, daß die Alte etwas Erste Abtheilung . Seltsames an sich habe, daß die Wohnung aben- theuerlich und von allen Menschen entfernt liege, und daß an dem Vogel etwas Außerordentliches sey. Seine Schoͤnheit fiel mir zwar immer auf, denn seine Federn glaͤnzten mit allen moͤglichen Farben, das schoͤnste Hellblau und das brennendste Roth wechselten an seinem Halse und Leibe, und wenn er sang, blaͤhte er sich stolz auf, so daß sich seine Federn noch praͤchtiger zeigten. Oft ging die Alte aus und kam erst am Abend zuruͤck, ich ging ihr dann mit dem Hunde entge- gen, und sie nannte mich Kind und Tochter. Ich ward ihr endlich von Herzen gut, wie sich unser Sinn denn an alles, besonders in der Kindheit, gewoͤhnt. In den Abendstunden lehrte sie mich lesen, ich begriff es bald, und es ward nachher in meiner Einsamkeit eine Quelle von unendlichem Ver- gnuͤgen, denn sie hatte einige alte geschriebene Buͤ- cher, die wunderbare Geschichten enthielten. Die Erinnerung an meine damalige Lebens- art ist mir noch bis jetzt immer seltsam: von kei- nem menschlichen Geschoͤpfe besucht, nur in einem so kleinen Familienzirkel einheimisch, denn der Hund und der Vogel machten denselben Eindruck auf mich, den sonst nur laͤngst gekannte Freunde hervor brin- gen. Ich habe mich immer nicht wieder auf den seltsamen Nahmen des Hundes besinnen koͤnnen, so oft ich ihn auch damals nannte. Vier Jahre hatte ich so mit der Alten gelebt, und ich mochte ohngefaͤhr zwoͤlf Jahr alt sein, als sie mir endlich mehr vertraute, und mir ein Ge- heimniß Der blonde Eckbert . heimniß entdeckte. Der Vogel legte nehmlich an jedem Tage ein Ey, in dem sich eine Perl oder ein Edelstein befand. Ich hatte schon immer bemerkt, daß sie heimlich in dem Kaͤfige wirthschafte, mich aber nie genauer darum bekuͤmmert. Sie trug mir jetzt das Geschaͤft auf, in ihrer Abwesenheit diese Eyer zu nehmen und in den fremdartigen Gefaͤßen wohl zu verwahren. Sie ließ mir meine Nahrung zuruͤck und blieb nun laͤnger aus, Wochen, Monathe; mein Raͤdchen schnurrte, der Hund bellte, der wunder- bare Vogel sang und dabei war alles so still in der Gegend umher, daß ich mich in der ganzen Zeit keines Sturmwindes, keines Gewitters erin- nere. Kein Mensch verirrte sich dorthin, kein Wild kam unserer Behausung nahe, ich war zufrieden und arbeitete mich von einem Tage zum andern hinuͤber. — Der Mensch waͤre vielleicht recht gluͤck- lich, wenn er so ungestoͤrt sein Leben bis ans Ende fortfuͤhren koͤnnte. Aus dem wenigen, was ich las bildete ich mir ganz wunderliche Vorstellungen von der Welt und den Menschen, alles war von mir und meiner Gesellschaft hergenommen: wenn von lustigen Leu- ten die Rede war, konnte ich sie mir nicht anders vorstellen, wie den kleinen Spitz, praͤchtige Damen sahen immer wie der Vogel aus, alle alte Frauen wie meine wunderliche Alte. Ich hatte auch von Liebe etwas gelesen, und spielte nun in meiner Phantasie seltsame Geschichten mit mir selber. Ich dachte mir den schoͤnsten Ritter von der Welt, ich schmuͤckte ihn mit allen Vortreflichkeiten aus, ohne I. [ 12 ] Erste Abtheilung . eigentlich zu wissen, wie er nun nach allen meinen Bemuͤhungen aussah: aber ich konnte ein rechtes Mitleid mit mir selber haben, wenn er mich nicht wieder liebte; dann sagte ich lange ruͤhrende Re- den in Gedanken her, zuweilen auch wohl laut, um ihn nur zu gewinnen. — Ihr laͤchelt! wir sind jetzt freilich alle uͤber diese Zeit der Jugend hinuͤber. Es war mir jetzt lieber, wenn ich allein war, denn alsdann war ich selbst die Gebieterin im Hause. Der Hund liebte mich sehr und that alles was ich wollte, der Vogel antwortete mir mit sei- nem Liede auf alle meine Fragen, mein Raͤdchen drehte sich immer munter, und so fuͤhlte ich im Grunde nie einen Wunsch nach Veraͤnderung. Wenn die Alte von ihren langen Wanderungen zuruͤck kam, lobte sie meine Aufmerksamkeit, sie sagte, daß ihre Haushaltung, seit ich dazu gehoͤre, weit ordent- licher gefuͤhrt werde, sie freute sich uͤber mein Wachsthum und mein gesundes Aussehn, kurz, sie ging ganz mit mir wie mit einer Tochter um. Du bist brav, mein Kind! sagte sie einst zu mir mit einem schnarrenden Tone; wenn Du so fort faͤhrst, wird es dir auch immer gut gehn: aber nie gedeiht es, wenn man von der rechten Bahn abweicht, die Strafe folgt nach, wenn auch noch so spaͤt. — Indem sie das sagte, achtete ich eben nicht sehr darauf, denn ich war in allen meinen Bewegungen und meinem ganzen Wesen sehr leb- haft; aber in der Nacht fiel es mir wieder ein, und ich konnte nicht begreifen, was sie damit hatte sagen wollen. Ich uͤberlegte alle Worte genau, Der blonde Eckbert . ich hatte wohl von Reichthuͤmern gelesen, und am Ende fiel mir ein, daß ihre Perlen und Edelsteine wohl etwas Kostbares sein koͤnnten. Dieser Ge- danke wurde mir bald noch deutlicher. Aber was konnte sie mit der rechten Bahn meinen? Ganz konnte ich den Sinn ihrer Worte noch immer nicht fassen. Ich war jetzt vierzehn Jahr alt, und es ist ein Ungluͤck fuͤr den Menschen, daß er seinen Ver- stand nur darum bekoͤmmt, um die Unschuld seiner Seele zu verlieren. Ich begriff nemlich wohl, daß es nur auf mich ankomme, in der Abwesenheit der Alten den Vogel und die Kleinodien zu neh- men, und damit die Welt, von der ich gelesen hatte, aufzusuchen. Zugleich war es mir dann vielleicht moͤglich, den uͤberaus schoͤnen Ritter an- zutreffen, der mir immer noch im Gedaͤchtnisse lag. Im Anfange war dieser Gedanke nichts wi- ter als jeder andere Gedanke, aber wenn ich so an meinem Rade saß, so kam er mir immer wi- der Willen zuruͤck, und ich verlor mich so in ihm, daß ich mich schon herrlich geschmuͤckt sah, und Ritter und Prinzen um mich her. Wenn ich mich so vergessen hatte, konnte ich ordentlich betruͤbt werden, wenn ich wieder aufschaute, und mich in der kleinen Wohnung antraf. Uebrigens, wenn ich meine Geschaͤfte that, bekuͤmmerte sich die Alte nicht weiter um mein Wesen. An einem Tage ging meine Wirthin wieder fort, und sagte mir, daß sie diesmal laͤnger als gewoͤhnlich ausbleiben werde, ich solle ja auf alles Erste Abtheilung . ordentlich Acht geben und mir die Zeit nicht lang werden lassen. Ich nahm mit einer gewissen Ban- gigkeit von ihr Abschied, denn es war mir, als wuͤrde ich sie nicht wieder sehn. Ich sah ihr lange nach und wuste selbst nicht, warum ich so beaͤng- stigt war; es war fast, als wenn mein Vorhaben schon vor mir staͤnde, ohne dessen deutlich mir be- wußt zu sein. Nie hab' ich des Hundes und des Vogels mit einer solchen Aemsigkeit gepflegt, sie lagen mir naͤher am Herzen als sonst. Die Alte war schon einige Tage abwesend, als ich mit dem festen Vor- satze aufstand, mit dem Vogel die Huͤtte zu ver- lassen, und die sogenannte Welt aufzusuchen. Es war mir enge und bedraͤngt zu Sinne, ich wuͤnschte wieder da zu bleiben, und doch war mir der Ge- danke widerwaͤrtig; es war ein seltsamer Kampf in meiner Seele, wie ein Streiten von zwei wi- derspenstigen Geistern in mir. In einem Augen- blicke kam mir die ruhige Einsamkeit so schoͤn vor, dann entzuͤckte mich wieder die Vorstellung einer neuen Welt, mit allen ihren wunderbaren Man- nigfaltigkeiten. Ich wußte nicht, was ich aus mir selber ma- chen sollte, der Hund sprang mich unaufhoͤrlich an, der Sonnenschein breitete sich munter uͤber die Felder aus, die gruͤnen Birken funkelten: ich hatte die Empfindung, als wenn ich etwas sehr Eiliges zu thun haͤtte, ich griff also den kleinen Hund, band ihn in der Stube fest, und nahm dann den Kaͤfig mit dem Vogel unter den Arm. Der blonde Eckbert . Der Hund kruͤmmte sich und winselte uͤber diese ungewohnte Behandlung, er sah mich mit bitten- den Augen an, aber ich fuͤrchtete mich ihn mit mir zu nehmen. Noch nahm ich eins von den Gefaͤ- ßen, das mit Edelsteinen angefuͤllt war, und steckte es zu mir, die uͤbrigen ließ ich stehn. Der Vogel drehte den Kopf auf eine wunder- liche Weise, als ich mit ihm zur Thuͤr hinaus trat, der Hund strengte sich sehr an, mir nachzukom- men, aber er mußte zuruͤck bleiben. Ich vermied den Weg nach den wilden Felsen und ging nach der entgegengesetzten Seite. Der Hund bellte und winselte immerfort, und es ruͤhrte mich recht inniglich; der Vogel wollte einigemal zu singen anfangen, aber da er getragen ward, mußte es ihm wohl unbequem fallen. So wie ich weiter ging, hoͤrte ich das Bellen immer schwaͤcher, und endlich hoͤrte es ganz auf. Ich weinte und waͤre beinahe wieder umgekehrt, aber die Sucht etwas Neues zu sehn, trieb mich vorwaͤrts. Schon war ich uͤber Berge und durch einige Waͤlder gekommen, als es Abend ward, und ich in einem Dorfe einkehren mußte. Ich war sehr bloͤde als ich in die Schenke trat, man wies mir eine Stube und ein Bette an, ich schlief ziemlich ruhig, nur daß ich von der Alten traͤumte, die mir drohte. Meine Reise war ziemlich einfoͤrmig, aber je weiter ich ging, je mehr aͤngstigte mich die Vor- stellung von der Alten und dem kleinen Hunde; Erste Abtheilung . ich dachte daran, daß er wahrscheinlich ohne meine Huͤlfe verhungern muͤsse, im Walde glaubt' ich oft die Alte wuͤrde mir ploͤtzlich entgegen treten. So legte ich unter Thraͤnen und Seufzern den Weg zuruͤck; so oft ich ruhte, und den Kaͤfig auf den Boden stellte, sang der Vogel sein wunderliches Lied, und ich erinnerte mich dabei recht lebhaft des schoͤnen verlassenen Aufenthalts. Wie die mensch- liche Natur vergeßlich ist, so glaubt' ich jetzt, meine vormalige Reise in der Kindheit sey nicht so truͤb- selig gewesen als meine jetzige; ich wuͤnschte mich wieder in derselben Lage zu sein. Ich hatte einige Edelsteine verkauft, und kam nun nach einer Wanderschaft von vielen Tagen in einem Dorfe an. Schon beim Eintritt ward mir wundersam zu Muthe, ich erschrack und wuste nicht woruͤber; aber bald erkannt' ich mich, denn es war dasselbe Dorf, in welchem ich geboren war. Wie ward ich uͤberrascht! Wie liefen mir vor Freuden, wegen tausend seltsamer Erinnerun- gen, die Thraͤnen von den Wangen! Vieles war veraͤndert, es waren neue Haͤuser entstanden, an- dre die man damals erst errichtet hatte, waren jetzt verfallen, ich traf auch Brandstellen; alles war weit kleiner, gedraͤngter als ich erwartet hatte. Unendlich freute ich mich darauf, meine Eltern nun nach so manchen Jahren wieder zu sehn; ich fand das kleine Haus, die wohlbekannte Schwelle, der Griff der Thuͤr war noch ganz so wie damals, es war mir, als haͤtte ich sie nur gestern erst ange- lehnt; mein Herz klopfte ungestuͤm, ich oͤffnete sie Der blonde Eckbert . hastig, — aber ganz fremde Gesichter saßen in der Stube umher und stierten mich an. Ich fragte nach dem Schaͤfer Martin, und man sagte mir, er sey schon seit drey Jahren mit seiner Frau ge- storben. — Ich trat schnell zuruͤck, und ging laut weinend aus dem Dorfe hinaus. Ich hatte es mir so schoͤn gedacht, sie mit meinem Reichthume zu uͤberraschen; durch den selt- samsten Zufall war das nun wirklich geworden, was ich in der Kindheit immer nur traͤumte, — und jetzt war alles umsonst, sie konnten sich nicht mit mir freuen, und das, worauf ich am meisten immer im Leben gehofft hatte, war fuͤr mich auf ewig verloren. In einer angenehmen Stadt miethete ich mir ein kleines Haus mit einem Garten, und nahm eine Aufwaͤrterin zu mir. So wunderbar, als ich es vermuthet hatte, kam mir die Welt nicht vor, aber ich vergaß die Alte und meinen ehemaligen Aufenthalt etwas mehr, und so lebt' ich im Gan- zen recht zufrieden. Der Vogel hatte schon seit lange nicht mehr gesungen; ich erschrack daher nicht wenig, als er in einer Nacht ploͤtzlich wieder anfing, und zwar mit einem veraͤnderten Liede. Er sang: Waldeinsamkeit Wie liegst du weit! O dich gereut Einst mit der Zeit. — Ach einzge Freud Waldeinsamkeit! Erste Abtheilung . Ich konnte die Nacht hindurch nicht schlafen, alles fiel mir von neuem in die Gedanken, und mehr als jemals fuͤhlt' ich, daß ich Unrecht gethan hatte. Als ich aufstand, war mir der Anblick des Vogels ordentlich zuwider, er sah immer nach mir hin, und seine Gegenwart aͤngstigte mich. Er hoͤrte nun mit seinem Liede gar nicht wieder auf, und er sang es lauter und schallender, als er es sonst gewohnt gewesen war. Je mehr ich ihn betrach- tete, je baͤnger machte er mich; ich oͤffnete endlich den Kaͤfig, steckte die Hand hinein und faßte sei- nen Hals, herzhaft druͤckte ich die Finger zusam- men, er sah mich bittend an, ich ließ los, aber er war schon gestorben. — Ich begrub ihn im Garten. Jetzt wandelte mich oft eine Furcht vor mei- ner Aufwaͤrterin an, ich dachte an mich selbst zu- ruͤck, und glaubte, daß sie mich auch einst berauben oder wohl gar ermorden koͤnne. — Schon lange kannt' ich einen jungen Ritter, der mir uͤberaus gefiel, ich gab ihm meine Hand, — und hiermit, Herr Walter, ist meine Geschichte geendigt. Ihr haͤttet sie damals sehn sollen, fiel Eckbert hastig ein, — ihre Jugend, ihre Schoͤnheit, und welch einen unbegreiflichen Reiz ihr ihre einsame Erziehung gegeben hatte. Sie kam mir vor wie ein Wunder, und ich liebte sie ganz unbeschreiblich. Ich hatte kein Vermoͤgen, aber durch ihre Liebe kam ich in diesen Wohlstand; wir zogen hieher, und unsre Verbindung hat uns bis jetzt noch keinen Augenblick gereut. — Der blonde Eckbert . Aber uͤber unser Schwatzen, fing Bertha wie- der an, ist es schon tief in die Nacht geworden, — wir wollen uns schlafen legen. Sie stand auf und ging nach ihrer Kammer. Walther wuͤnschte ihr mit einem Handkusse eine gute Nacht, und sagte: Edle Frau, ich danke Euch, ich kann mir Euch recht vorstellen, mit dem selt- samen Vogel, und wie Ihr den kleinen Stroh- mian fuͤttert. Auch Walther legte sich schlafen, nur Eckbert ging noch unruhig im Saale auf und ab. — Ist der Mensch nicht ein Thor? fing er endlich an; ich bin erst die Veranlassung, daß meine Frau ihre Geschichte erzaͤhlt, und jetzt gereut mich diese Ver- traulichkeit! — Wird er sie nicht mißbrauchen? Wird er sie nicht andern mittheilen? Wird er nicht vielleicht, denn das ist die Natur des Menschen, eine unselige Habsucht nach unsern Edelgesteinen empfinden, und deswegen Plane anlegen und sich verstellen? Es fiel ihm ein, daß Walther nicht so herzlich von ihm Abschied genommen hatte, als es nach einer solchen Vertraulichkeit wohl natuͤrlich gewesen waͤre. Wenn die Seele erst einmal zum Argwohn gespannt ist, so trift sie auch in allen Kleinigkeiten Bestaͤtigungen an. Dann warf sich Eckbert wieder sein unedles Mißtrauen gegen seinen wackern Freund vor, und konnte doch nicht davon zuruͤck kehren. Er schlug sich die ganze Nacht mit diesen Vor- stellungen herum, und schlief nur wenig. Bertha war krank und konnte nicht zum Fruͤh- Erste Abtheilung . stuͤck erscheinen; Walther schien sich nicht viel dar- um zu kuͤmmern, und verließ auch den Ritter ziem- lich gleichguͤltig. Eckbert konnte sein Betragen nicht begreifen; er besuchte seine Gattin, sie lag in einer Fieberhitze und sagte, die Erzaͤhlung in der Nacht muͤsse sie auf diese Art gespannt haben. Seit diesem Abend besuchte Walther nur selten die Burg seines Freundes, und wenn er auch kam, ging er nach einigen unbedeutenden Worten wieder weg. Eckbert ward durch dieses Betragen im aͤußersten Grade gepeinigt; er ließ sich zwar gegen Bertha und Walther nichts davon merken, aber jeder muste doch seine innerliche Unruhe an ihm gewahr werden. Mit Berthas Krankheit ward es immer be- denklicher; der Arzt ward aͤngstlich, die Roͤthe von ihren Wangen war verschwunden, und ihre Augen wurden immer gluͤhender. — An einem Morgen ließ sie ihren Mann an ihr Bette rufen, die Maͤgde mußten sich entfernen. Lieber Mann, fing sie an, ich muß dir etwas entdecken, das mich fast um meinen Verstand ge- bracht hat, das meine Gesundheit zerruͤttet, so eine unbedeutende Kleinigkeit es auch an sich schei- nen moͤchte. — Du weißt, daß ich mich immer nicht, so oft ich von meiner Kindheit sprach, trotz aller angewandten Muͤhe auf den Namen des klei- nen Hundes besinnen konnte, mit welchem ich so lange umging; an jenem Abend sagte Walther beim Abschiede ploͤtzlich zu mir: ich kann mir euch recht vorstellen, wie Ihr den kleinen Strohmian fuͤt- Der blonde Eckbert . tert. Ist das Zufall? Hat er den Namen erra- then, weiß er ihn und hat er ihn mit Vorsatz ge- nannt? Und wie haͤngt dieser Mensch dann mit meinem Schicksale zusammen? Zuweilen kaͤmpfe ich mit mir, als ob ich mir diese Seltsamkeit nur einbilde, aber es ist gewiß, nur zu gewiß. Ein gewaltiges Entsetzen befiel mich, als mir ein frem- der Mensch, so zu meinen Erinnerungen half. Was sagst du, Eckbert? Eckbert sah seine leidende Gattinn mit einem tiefen Gefuͤhle an, er schwieg und dachte bei sich nach, dann sagte er ihr einige troͤstende Worte und verließ sie. In einem abgelegenen Gemache ging er in unbeschreiblicher Unruhe auf und ab. Wal- ther war seit vielen Jahren sein einziger Umgang gewesen, und doch war dieser Mensch jetzt der ein- zige in der Welt, dessen Daseyn ihn druͤckte und peinigte. Es schien ihm, als wuͤrde ihm froh und leicht sein, wenn nur dieses einzige Wesen aus seinem Wege geruͤckt werden koͤnnte. Er nahm seine Armbrust, um sich zu zerstreuen und auf die Jagd zu gehn. Es war ein rauher stuͤrmischer Wintertag, tie- fer Schnee lag auf den Bergen und bog die Zweige der Baͤume nieder. Er streifte umher, der Schweiß stand ihm auf der Stirne, er traf auf kein Wild, und das vermehrte seinen Unmuth. Ploͤtzlich sah er sich etwas in der Ferne bewegen, es war Wal- ther, der Moos von den Baͤumen sammelte; ohne zu wissen was er that legte er an, Walther sah sich um, und drohte mit einer stummen Gebehrde, Erste Abtheilung . aber indem flog der Bolzen ab, und Walther stuͤrzte nieder. Eckbert fuͤhlte sich leicht und beruhigt, und doch trieb ihn ein Schauder nach seiner Burg zu- ruͤck; er hatte einen großen Weg zu machen, denn er war weit hinein in die Waͤlder verirrt. — Als er ankam, war Bertha schon gestorben; sie hatte vor ihrem Tode noch viel von Walther und der Alten gesprochen. Eckbert lebte nun eine lange Zeit in der groͤß- ten Einsamkeit; er war schon sonst immer schwer- muͤthig gewesen, weil ihn die seltsame Geschichte seiner Gattin beunruhigte, und er irgend einen ungluͤcklichen Vorfall, der sich ereignen koͤnnte, befuͤrchtete: aber jetzt war er ganz mit sich zerfal- len. Die Ermordung seines Freundes stand ihm unaufhoͤrlich vor Augen, er lebte unter ewigen innern Vorwuͤrfen. Um sich zu zerstreuen, begab er sich zuweilen nach der naͤchsten großen Stadt, wo er Gesellschaf- ten und Feste besuchte. Er wuͤnschte durch irgend einen Freund die Leere in seiner Seele auszufuͤl- len, und wenn er dann wieder an Walther zuruͤck dachte, so erschrack er vor dem Gedanken, einen Freund zu finden, denn er war uͤberzeugt, daß er nur ungluͤcklich mit jedweden Freunde sein koͤnne. Er hatte so lange mit Bertha in einer schoͤnen Ruhe gelebt, die Freundschaft Walthers hatte ihn so manches Jahr hindurch begluͤckt, und jetzt waren beide so ploͤtzlich dahin gerafft, daß ihm sein Leben Der blonde Eckbert . in manchen Augenblicken mehr wie ein seltsames Maͤhrchen, als wie ein wirklicher Lebenslauf erschien. Ein junger Ritter, Hugo , schloß sich an den stillen betruͤbten Eckbert, und schien eine wahrhafte Zuneigung gegen ihn zu empfinden. Eckbert fand sich auf eine wunderbare Art uͤberrascht, er kam der Freundschaft des Ritters um so schneller ent- gegen, je weniger er sie vermuthet hatte. Beide waren nun haͤufig beisammen, der Fremde erzeigte Eckbert alle moͤglichen Gefaͤlligkeiten, einer ritt fast nicht mehr ohne den andern aus, in allen Gesell- schaften trafen sie sich, kurz, sie schienen unzer- trennlich. Eckbert war immer nur auf kurze Augenblicke froh, denn er fuͤhlte es deutlich, daß ihn Hugo nur aus einem Irrthume liebe; jener kannte ihn nicht, wußte seine Geschichte nicht, und er fuͤhlte wieder denselben Drang, sich ihm ganz mitzuthei- len, damit er versichert seyn koͤnne, ob jener auch wahrhaft sein Freund sey. Dann hielten ihn wie- der Bedenklichkeiten und die Furcht verabscheut zu werden, zuruͤck. In manchen Stunden war er so sehr von seiner Nichtswuͤrdigkeit uͤberzeugt, daß er glaubte, kein Mensch koͤnne ihn seiner Achtung wuͤrdigen, fuͤr den er nicht ein voͤlliger Fremdling sey. Aber dennoch konnte er sich nicht widerstehn; auf einem einsamen Spazierritte entdeckte er sei- nem Freunde seine ganze Geschichte, und fragte ihn dann, ob er wohl einen Moͤrder lieben koͤnne. Hugo war geruͤhrt, und suchte ihn zu troͤsten; Eck- bert folgte ihm mit leichterm Herzen zur Stadt. Erste Abtheilung . Es schien aber seine Verdamniß zu seyn, gerade in der Stunde des Vertrauens Argwohn zu schoͤ- pfen, denn kaum waren sie in den Saal getreten, als ihm beim Schein der vielen Lichter die Mienen seines Freundes nicht gefielen. Er glaubte ein haͤmi- sches Laͤcheln zu bemerken, es fiel ihm auf, daß er nur wenig mit ihm spreche, daß er mit den An- wesenden viel rede, und seiner gar nicht zu achten scheine. Ein alter Ritter war in der Gesellschaft, der sich immer als den Gegner Eckberts gezeigt, und sich oft nach seinem Reichthum und seiner Frau auf eine eigne Weise erkundigt hatte; zu diesem gesellte sich Hugo, und beide sprachen eine Zeitlang heimlich, in dem sie nach Eckbert hindeuteten. Die- ser sah jetzt seinen Argwohn bestaͤtigt, er glaubte sich verrathen, und eine schreckliche Wuth bemei- sterte sich seiner. Indem er noch immer hinstarrte, sah er ploͤtzlich Walthers Gesicht, alle seine Mi- nen, die ganze, ihm so wohl bekannte Gestalt, er sah noch immer hin und ward uͤberzeugt, daß Nie- mand als Walther mit dem Alten spreche. — Sein Entsetzen war unbeschreiblich; außer sich stuͤrzte er hinaus, verließ noch in der Nacht die Stadt, und kehrte nach vielen Irrwegen auf seine Burg zuruͤck. Wie ein unruhiger Geist eilte er jetzt von Ge- mach zu Gemach, kein Gedanke hielt ihm Stand, er verfiel von entsetzlichen Vorstellungen auf noch entsetzlichere, und kein Schlaf kam in seine Augen, Oft dachte er, daß er wahnsinnig sey, und sich nur selber durch seine Einbildung alles erschaffe; dann Der blonde Eckbert . erinnerte er sich wieder der Zuͤge Walthers, und alles ward ihm immer mehr ein Raͤthsel. Er beschloß eine Reise zu machen, um seine Vorstel- lungen wieder zu ordnen; den Gedanken an Freund- schaft, den Wunsch nach Umgang hatte er nun auf ewig aufgegeben. Er zog fort, ohne sich einen bestimmten Weg vorzusetzen, ja er betrachtete die Gegenden nur wenig, die vor ihm lagen. Als er im staͤrksten Trabe seines Pferdes einige Tage so fort geeilt war, sah er sich ploͤtzlich in einem Gewinde von Felsen verirrt, in denen sich nirgend ein Ausweg entdecken ließ. Endlich traf er auf einen alten Bauer, der ihm einen Pfad, einem Wasserfall vor- uͤber, zeigte: er wollte ihm zur Danksagung einige Muͤnzen geben, der Bauer aber schlug sie aus. — Was gilts, sagte Eckbert zu sich selber, ich koͤnnte mir wieder einbilden, daß dies Niemand anders als Walther sei? — Und indem sah er sich noch einmal um, und es war Niemand anders als Wal- ther. — Eckbert spornte sein Roß so schnell es nur laufen konnte, durch Wiesen und Waͤlder, bis es erschoͤpft unter ihm zusammen stuͤrzte. — Unbe- kuͤmmert daruͤber setzte er nun seine Reise zu Fuß fort. Er stieg traͤumend einen Huͤgel hinan; es war, als wenn er ein nahes munteres Bellen vernahm, Birken saͤuselten dazwischen, und er hoͤrte mit wun- derlichen Toͤnen ein Lied singen: Waldeinsamkeit Mich wieder freut, Erste Abtheilung . Mir geschieht kein Leid, Hier wohnt kein Neid, Von neuem mich freut Waldeinsamkeit. Jetzt war es um das Bewußtseyn, um die Sinne Eckberts geschehn; er konnte sich nicht aus dem Raͤthsel heraus finden, ob er jetzt traͤume, oder ehemals von einem Weibe Bertha getraͤumt habe; das Wunderbarste vermischte sich mit dem Gewoͤhnlichsten, die Welt um ihn her war verzau- bert, und er keines Gedankens, keiner Erinnerung maͤchtig. Eine krummgebuͤckte Alte schlich hustend mit einer Kruͤcke den Huͤgel heran. Bringst du mir meinen Vogel? Meine Perlen? Meinen Hund? schrie sie ihm entgegen. Siehe, das Unrecht bestraft sich selbst: Niemand als ich war dein Freund Walther, dein Hugo. — Gott im Himmel! sagte Eckbert stille vor sich hin, — in welcher entsetzlichen Einsamkeit hab' ich dann mein Leben hingebracht! — Und Bertha war deine Schwester. Eckbert fiel zu Boden. Warum verließ sie mich tuͤckisch? Sonst haͤtte sich alles gut und schoͤn geendet, ihre Probezeit war ja schon voruͤber. Sie war die Tochter eines Ritters, die er bei einem Hirten erziehn ließ, die Tochter deines Vaters. Warum hab' ich diesen schrecklichen Gedanken immer geahndet? rief Eckbert aus. Weil du in fruͤher Jugend deinen Vater einst davon Der blonde Eckbert . davon erzaͤhlen hoͤrtest; er durfte seiner Frau wegen diese Tochter nicht bei sich erziehn lassen, denn sie war von einem andern Weibe. — Eckbert lag wahnsinnig und verscheidend auf dem Boden; dumpf und verworren hoͤrte er die Alte sprechen, den Hund bellen, und den Vogel sein Lied wiederholen. Nach einer Pause sagte Clara: Sie sehn, lieber Anton, daß uns alle jenen Thraͤnen eines heimlichen Grauens in den Augen stehen, und ich denke, Sie haben großentheils das Verspre- chen Ihres Phantasus erfuͤllt. Aber erlauben Sie mir zu fragen: ist diese Erzaͤhlung Ihre eigene Erfindung, oder eine nachgeahmte? Ich darf sie, antwortete Anton, wohl fuͤr meine Erfindung ausgeben, da ich mich nicht erinnere, eine aͤhnliche Geschichte anderswo ge- lesen zu haben, auch denke ich, ist es in der Aufgabe begriffen gewesen, daß nur selbst erson- nene Maͤhrchen vorgetragen werden sollen, we- nigstens habe ich es so verstanden, und ich hoffe, daß auch alle meine Freunde meinem Beispiele heute folgen werden. Versprich dies nicht so im Allgemeinen, wandte Friedrich ein. Wollte man freilich, fuhr Anton fort, ge- nau erzaͤhlen, aus welchen Erinnerungen der I. [ 13 ] Erste Abtheilung . Kindheit, aus welchen Bildern, die man im Lesen, oder oft aus ganz unbedeutenden muͤnd- lichen Erzaͤhlungen aufgreift, dergleichen soge- nannte Erfindungen zusammengesetzt werden, so koͤnnte man daraus wieder eine Art von seltsa- mer, maͤhrchenartiger Geschichte bilden. Es ist aͤngstlich, sagte Ernst, dergleichen Kleinigkeiten zu gruͤndlich zu nehmen. Ich er- innere mich mancher Gesellschaft, in der spitz- und salzlose Anekdoten schlecht vorgetragen wur- den, die man nachher eben so unwitzig kritisirte, mit Schrecken, und wenn auch etwas aͤhnliches hier nicht zu besorgen steht, so wuͤnschte ich doch wohl, daß unsre schoͤnen Richterinnen sich nicht zu eifrig um den Grund und Boden bekuͤmmern moͤchten, auf welchen unsre Poesien gewachsen sind; ein wesenloser Traum buͤßt durch geringe Stoͤrung zu leicht seine ganze Wirkung ein. Daß ich fragte, antwortete Clara, geschah nicht aus kritischem Interesse, sondern weil ich, was vielleicht Schwaͤche sein mag, auf die ur- spruͤngliche Erfindung einer Dichtung sehr viel halte, denn die Kraft des Erfindens scheint mir, mit aller Ehrfurcht von der uͤbrigen Kunst ge- sprochen, etwas so eigenthuͤmliches, daß ich mich fuͤr denjenigen Dichter besonders interessire, wel- cher nicht nachahmt, sondern zum erstenmal ein Ding vortraͤgt, welches unsre Imagination er- greift. Beim dramatischen Dichter, wenn er es wahrhaft ist, tritt wohl eine andere Erfindungs- kunst ein, als beim erzaͤhlenden, denn freilich Erste Abtheilung . moͤchte ich lieber eine Scene in „Wie es Euch gefaͤllt“ geschrieben haben, als die Novelle er- funden, aus welcher dies Lustspiel entsprungen ist. Der Erzaͤhler kann seinen Gegenstand, wenn dieser interessant ist, schmuͤcken und erheben, sei- nen Geschmack und seine Kunst in der Umbil- dung beweisen, ich frage aber immer gern: wer hat diese Sache zuerst ersonnen, falls sie sich nicht wirklich zugetragen hat? Ich gebe Ihnen gern Recht, sagte Ernst, und um so lieber, weil ich Ihnen mit meinem Gedichte dann etwas dreister nahen darf, weil ich es wenigstens fuͤr eigene Erfindung ausge- ben kann. In sofern freilich nicht, als die Vorstellung vom verzauberten Berge der Venus im Mittelalter allgemein verbreitet war, aber das Gedicht vom Tannenhaͤuser hatte ich, da- mals so wie jetzt, noch nicht gelesen, eben so wenig kannte ich damals die Niebelungen, son- dern nur das Heldenbuch, in dessen Vorrede ein getreuer Eckart erwaͤhnt wird, der die jungen Harlungen beschuͤtzt, und der nachher beim Hans Sachs und andern Dichtern oftmals sprichwoͤrt- lich vorkoͤmmt, und immer vor dem Berge der Venus Wache haͤlt. Aus diesen allgemeinen, unbestimmten Vorstellungen in welche ich noch die Sage von dem beruͤchtigten Rattenfaͤnger von Hameln aufgenommen und verkleidet habe, ist folgendes Gedicht entstanden. Erste Abtheilung . Der getreue Eckart und der Tannenhaͤuser . In zwei Abschnitten . Erster Abschnitt . D er edle Herzog groß Von dem Burgunder Lande Litt manchen Feindesstoß Wohl auf dem ebnen Sande. Er sprach: mich schlaͤgt der Feind, Mein Muth ist mir entwichen, Die Freunde sind erblichen, Die Knecht' geflohen seynd! Ich kann mich nicht mehr regen, Nicht Waffen fuͤhren kann: Wo bleibt der edle Degen, Eckart der treue Mann? Er war mir sonst zur Seite In jedem harten Strauß, Doch leider blieb er heute Daheim bei sich zu Haus. Es mehren sich die Haufen, Ich muß gefangen sein, Mag nicht wie Knecht entlaufen, Drum will ich sterben sein! — Der getreue Eckart . So klagt der von Burgund, Will sein Schwerdt in sich stechen: Da kommt zur selben Stund Eckart, den Feind zu brechen. Geharnischt reit't der Degen Keck in den Feind hinein, Ihm folgt die Schaar verwegen Und auch der Sohne fein. Burgund erkennt die Zeichen, Und ruft: Gott sei gelobt! Die Feinde mußten weichen Die wuͤthend erst getobt. Da schlug mit treuem Muthe Eckart ins Volk hinein, Doch schwamm im rothen Blute Sein zartes Soͤhnelein. Als nun der Feind bezwungen, Da sprach der Herzog laut: Es ist dir wohl gelungen, Doch so, daß es mir graut; Du hast viel Mann geworben, Zu retten Reich und Leben, Dein Soͤhnlein liegt erstorben, Kanns dir nicht wieder geben. — Der Eckart weinet fast, Buͤckt sich der starke Held, Und nimmt die theure Last, Den Sohn in Armen haͤlt. Wie starbst du, Heinz, so fruͤhe, Und warst noch kaum ein Mann? Mich reut nicht meine Muͤhe, Ich seh' dich gerne an, Erste Abtheilung . Weil wir dich, Fuͤrst, erloͤsten, Aus deiner Feinde Hohn, Und drum will ich mich troͤsten, Ich schenke dir den Sohn. Da ward dem Burgund truͤbe Vor seiner Augen Licht, Weil diese große Liebe Sein edles Herze bricht. Er weint die hellen Zaͤhren Und faͤllt ihm an die Brust: Dich, Held, muß ich verehren, Spricht er in Leid und Luft, So treu bist du geblieben Da alles von mir wich, So will ich nun auch lieben Wie meinen Bruder dich, Und sollst in ganz Burgunde So gelten wie der Herr, Wenn ich mehr lohnen kunnte, Ich gaͤbe gern noch mehr. Als dies das Land erfahren, So freut sich jedermann, Man nennt den Held seit Jahren Eckart den treuen Mann. Die Stimme eines alten Landmannes klang uͤber die Felsen heruͤber, der dieses Lied sang, und der getreue Eckart saß in seinem Unmuthe auf dem Berghang und weinte laut. Sein juͤngstes Soͤhnlein stand neben ihm und fragte: Warum weinst du also laut, mein Vater Eckart? Wie bist du doch so groß und stark, hoͤher und kraͤftiger, Der getreue Eckart . als alle uͤbrige Maͤnner, vor wem darfst du dich denn fuͤrchten? Indem zog die Jagd des Herzoges heim nach Hause. Burgund saß auf einem stattlichen, schoͤn geschmuͤckten Rosse, und Gold und Geschmeide des fuͤrstlichen Herzogs flimmerte und blinkte in der Abendsonne, so daß der junge Conrad den herrli- chen Aufzug nicht genug sehn, nicht genug preisen konnte. Der getreue Eckart erhob sich und schaute finster hinuͤber, und der junge Conrad sang, nach- dem er die Jagd aus dem Gesichte verloren hatte: Wenn du willt Schwerdt und Schild, Gutes Roß, Speer und Geschoß Fuͤhren: Muß dein Mark In Beinen stark, Dir im Blut Mannesmuth Gar kraͤftiglich regieren! Der Alte nahm den Sohn und herzte ihn, wobei er geruͤhrt seine großen hellblauen Augen anschaute. Hast du das Lied jenes guten Mannes gehoͤrt? fragte er ihn dann. Wie nicht? sprach der Sohn, hat er es doch laut genug gesungen, und bist du ja doch der getreue Eckart, so daß ich gern zuhoͤrte. Derselbe Herzog ist jetzt mein Feind, sprach der alte Vater; er haͤlt mir meinen zweiten Sohn gefangen, ja hat ihn schon hingerichtet, wenn ich dem trauen darf, was die Leute im Lande sagen. Erste Abtheilung . Nimm dein großes Schwerdt und duld' es nicht, sagte der Sohn, sie muͤssen ja alle vor Dir zittern, und alle Leute im ganzen Lande werden dir beistehn, denn du bist ihr groͤßter Held im Lande. Nicht also, mein Sohn, sprach jener, dann waͤre ich der, fuͤr den mich meine Feinde ausgeben, ich darf nicht an meinem Landesherren ungetreu werden; nein, ich darf nicht den Frieden brechen, den ich ihm angelobt und in seine Haͤnde ver- sprochen. Aber was will er von uns? fragte Conrad ungeduldig. Der Eckart setzte sich wieder nieder und sagte: mein Sohn, die ganze Erzaͤhlung davon wuͤrde zu umstaͤndlich lauten, und du wuͤrdest es dennoch kaum verstehn. Der Maͤchtige hat immer seinen groͤßten Feind in seinem eigenen Herzen, den er so Tag wie Nacht fuͤrchtet: so meint der Burgund nunmehr, er habe mir zu viel getraut, und in mir eine Schlange an seinem Busen auferzogen. Sie nennen mich im Land den kuͤhnsten Degen, sie sagen laut, daß er mir Reich und Leben zu dan- ken, ich heiße der getreue Eckart, und so wenden sich Bedraͤngte und Nothleidende zu mir, daß ich ihnen Huͤlfe schaffe; das kann er nicht leiden. So hat er Groll auf mich geworfen, und jeder, der bei ihm gelten moͤchte, vermehrt sein Mißtrauen zu mir: so hat sich endlich sein Herz von mir abge- wendet. Hierauf erzaͤhlte ihm der Helb Eckart mit Der getreue Eckart . schlichten Worten, daß ihn der Herzog von seinem Angesichte verbannt habe, und daß sie sich ganz fremd geworden seyen, weil jener geargwohnt, er wolle ihm gar sein Herzogthum entreißen. In Betruͤbniß fuhr er fort, wie der Herzog ihm sei- nen Sohn gefangen genommen, und ihm selber, als einem Verraͤther, nach dem Leben stehe. Con- rad sprach zu seinem Vater: so laß mich nun hin- gehn, mein alter Vater, und mit dem Herzoge reden, damit er verstaͤndig und dir gewogen werde; hat er meinen Bruder erwuͤrgt, so ist er ein boͤser Mann, und du sollst ihn strafen, doch kann es nicht sein, weil er nicht so schnoͤde deiner großen Dienste vergessen kann. Weißt du nicht den alten Spruch, sagte Eckart: Wenn der Maͤchtge dein begehrt, Bist du ihm als Freund was wehrt, Wie die Noth von ihm gewichen, Ist die Freundschaft auch erblichen. Ja, mein ganzes Leben ist unnuͤtz verschwen- det: warum machte er mich groß, um mich dann desto tiefer hinab zu werfen? Die Freundschaft der Fuͤrsten ist wie ein toͤdtendes Gift, das man nur gegen Feinde nuͤtzen kann, und womit sich der Eig- ner aus nbedacht endlich selbst erwuͤrgt. Ich will zum Herzoge hin, rief Conrad aus, ich will ihm alles, was du gethan, was du fuͤr ihn gelitten, in die Seele zuruͤck rufen, und er wird wieder seyn, wie ehemals. Du hast vergessen, sagte Eckart, daß man uns fuͤr Verraͤther ausgerufen hat, darum laß uns mit Erste Abtheilung . einander fluͤchten, in ein fremdes Land, wo wir wohl ein besseres Gluͤck antreffen moͤgen. In deinem Alter, sagte Conrad, willst du dei- ner lieben Heimath noch den Ruͤcken wenden? Nein, laß uns lieber alles andere versuchen. Ich will zum Burgunder, ihn versoͤhnen und zufrieden stellen; denn was kann er mir thun wollen, wenn er dich auch haßt und fuͤrchtet? Ich lasse dich sehr ungern, sagte Eckart, denn meine Seele weissagt mir nichts Gutes, und doch moͤcht' ich gern mit ihm versoͤhnt seyn, denn er ist mein alter Freund, auch deinen Bruder erretten, der in gefaͤnglicher Haft bei ihm schmachtet. Die Sonne warf ihre letzten milden Strah- len auf die gruͤne Erde, und Eckart setzte sich nach- denkend nieder, an einem Baumstamm gelehnt, er beschaute den Conrad lange Zeit und sagte dann: wenn du gehen willst, mein Sohn, so gehe jetzt, bevor die Nacht vollends herein bricht; die Fenster in der herzoglichen Burg glaͤnzen schon von Lich- tern, ich vernehme aus der Ferne Trompetentoͤne vom Feste, vielleicht ist die Gemahlin seines Soh- nes schon angelangt und sein Gemuͤth freundlicher gegen uns. Ungern ließ er den Sohn von sich, weil er seinem Gluͤcke nicht mehr traute; der junge Con- rad aber war um so muthiger, weil es ihm ein leichtes duͤnkte, das Gemuͤth des Herzoges umzu- wenden, der noch vor weniger Zeit so freundlich mit ihm gespielt hatte. Kommst du mir gewiß zuruͤck, mein liebstes Kind? klagte der Alte; wenn Der getreue Eckart . du mir verloren gehst, ist keiner mehr von mei- nem Stamme uͤbrig. Der Knabe troͤstete ihn, und schmeichelte mit Liebkosungen dem Greise; sie trenn- ten sich endlich. Conrad klopfte an die Pforte der Burg und ward eingelassen, der alte Eckart blieb draußen in der Nacht allein. Auch diesen habe ich verloren, klagte er in der Einsamkeit, ich werde sein Ange- sicht nicht wieder sehn. Indem er so jammerte, wankte an einem Stabe ein Greis daher, der die Felsen hinab steigen wollte, und bei jedem Schritte zu fuͤrchten schien, daß er in den Abgrund stuͤrzen moͤchte. Wie Eckart die Gebrechlichkeit des Alten wahrnahm, reichte er ihm die Hand, daß er sicher herunter steigen moͤchte. Woher des Weges? fragte ihn Eckart. Der Alte setzte sich nieder und fing an zu wei- nen, daß ihm die hellen Thraͤnen die Wangen hin- unter liefen. Eckart wollte ihn mit gelinden und vernuͤnftigen Worten troͤsten, aber der sehr bekuͤm- merte Greis schien auf seine wohlgemeinten Reden nicht zu achten, sondern sich seinen Schmerzen noch ungemaͤßigter zu ergeben. Welcher Gram kann euch denn so gar sehr niederbeugen, fragte er endlich, daß Ihr gaͤnzlich davon uͤberwaͤltigt seid? Ach meine Kinder! klagte der Alte. Da dachte Eckart an Conrad, Heinz und Dietrich, und war selbst alles Trostes verlustig; ja, wenn eure Kin- der gestorben sind, sprach er, dann ist euer Elend wahrlich sehr groß. Schlimmer als gestorben, versetzte hierauf der Erste Abtheilung . Alte, mit seiner jammernden Stimme, denn sie sind nicht todt, aber ewig fuͤr mich verloren. O wollte der Himmel, daß sie nur gestorben waͤren! Der Held erschrack uͤber diese seltsamen Worte, und bat den Greis, ihm dieses Raͤthsel aufzuloͤ- sen, worauf jener sagte: Wir leben wahrlich in einer wunderbarlichen Zeit, die wohl die letzten Tage bald herbei fuͤhren wird, denn die erschreck- lichsten Zeichen fallen draͤuend in die Weit herein. Alles Unheil macht sich von den alten Ketten los, und streift nun frank und frei herum; die Furcht Gottes versiegt und verrinnt, und findet kein Strombett, in das sie sich sammeln moͤchte, und die boͤsen Kraͤfte stehn kecklich in ihren Winkeln auf, und feyern ihren Triumph. O mein lieber Herr, wir sind alt geworden, aber fuͤr dergleichen Wundergeschichten noch nicht alt genug. Ihr wer- det ohne Zweifel den Cometen gesehen haben, die- ses wunderbare Himmelslicht, das so prophetisch hernieder scheint; alle Weit weissagt Uebles, und keiner denkt daran, mit sich selbst die Besserung anzusahn und so die Ruthe abzuwenden. Dies ist nicht genug, sondern aus der Erde thun sich Wun- derwerke hervor und brechen geheimnißvoll von un- ten herauf, wie das Licht schrecklich von oben her- niederscheint. Habt Ihr niemals von dem Berge gehoͤrt, den die Leute nur den Berg der Venus nennen? Niemalen, sagte Eckart, so weit ich auch her- um gekommen bin. Daruͤber muß ich mich verwundern, sagte der Der getreue Eckart . Alte, denn die Sache ist jetzt eben so bekannt, als sie wahrhaftig ist. In diesen Berg haben sich die Teufel hinein gefluͤchtet und sich in den wuͤsten Mittelpunkt der Erde gerettet, als das aufwach- sende heilige Christenthum den heidnischen Goͤtzen- dienst stuͤrzte. Hier, sagt man nun, solle vor allen Frau Venus Hof halten, und alle ihre hoͤl- lischen Heerscharen der weltlichen Luͤste und ver- botenen Wuͤnsche um sich versammeln, so daß das Gebirge auch verflucht seit undenklichen Zeiten ge- legen hat. Doch nach welcher Gegend liegt der Berg? fragte Eckart. Das ist das Geheimniß, sprach der Alte, daß dieses Niemand zu sagen weiß, als der sich schon dem Satan zu eigen gegeben, es faͤllt auch keinem Unschuldigen ein, ihn aufsuchen zu wollen. Ein Spielmann von wunderseltner Art ist ploͤtzlich von unten hervor gekommen, den die Hoͤllischen als ihren Abgesandten ausgeschickt haben, dieser durch- zieht die Welt, und spielt und musizirt auf einer Pfeifen, daß die Toͤne weit in den Gegenden wie- der klingen. Wer nun diese Klaͤnge vernimmt, der wird von ihnen mit offenbarer, doch unerklaͤrlicher Gewalt erfaßt, und fort, fort in die Wildniß ge- trieben, er sieht den Weg nicht, den er geht, er wandert und wandert und wird nicht muͤde, seine Kraͤfte nehmen zu wie seine Eile, keine Macht kann ihn aufhalten, so rennt er rasend in den Berg hinein, und findet ewig niemals den Ruͤckweg wie- der. Diese Macht ist der Hoͤlle jetzt zuruͤck gege- Erste Abtheilung . ben, und von entgegenesetzter Richtung wandeln nun die ungluͤckseligen verkehrten Pilgrimme hin, wo keine Rettung zu erwarten steht. Ich hatte an meinen beiden Soͤhnen schon seit lange keine Freude mehr erlebt, sie waren wuͤst und ohne Sit- ten, sie verachteten so Eltern wie Religion; nun hat sie der Klang ergriffen und angefaßt, sie sind davon und in die Weite, die Welt ist ihnen zu enge, und sie suchen in der Hoͤlle Raum. Und was denkt Ihr bei diesen Dingen zu thun? fragte Eckart. Mit dieser Kruͤcke habe ich mich aufgemacht, antwortete der Alte, um die Welt zu durchstreifen, sie wieder zu finden, oder vor Muͤdigkeit und Gram zu sterben. Mit diesen Worten riß er sich mit großer An- strengung aus seiner Ruhe auf, und eilte fort so schnell er nur konnte, als wenn er sein Liebstes auf der Welt versaͤumen moͤchte, und Eckart sah mit Bedauern seiner unnuͤtzen Bemuͤhung nach, und achtete ihn in seinen Gedanken fuͤr wahnwitzig. — Es war Nacht geworden und wurde Tag, und Conrad kam nicht zuruͤck, da irrte Eckart durch das Gebirge und wandte seine sehnenden Augen nach dem Schlosse, aber er ersah ihn nicht. Ein Getuͤmmel zog aus der Burg daher, da trachtete er nicht mehr, sich zu verbergen, sondern er be- stieg sein Roß, das frei weidete, und ritt in die Schaar hinein, die froͤlich und guter Dinge uͤber das Blachfeld zog. Als er unter ihnen war, er- Der getreue Eckart . kannten sie ihn, aber keiner wagte Hand an ihn zu legen, oder ihm ein hartes Wort zu sagen, son- dern sie wurden aus Ehrerbietung stumm, umga- ben ihn in Verwunderung, und gingen dann ihres Weges. Einen von den Knechten rief er zuruͤck, und fragte ihn: Wo ist mein Sohn Conrad? O fragt mich nicht, sagte der Knecht, denn es wuͤrde euch doch nur Jammer und Wehklagen erregen. Und Dietrich? rief der Vater. Nennt ihre Na- men nicht mehr, sprach der alte Knecht, denn sie sind dahin, der Zorn des Herrn war gegen sie ent- brannt, er gedachte Euch in ihnen zu strafen. Ein heißer Zorn stieg in Eckarts Gemuͤth auf, und er war vor Schmerz und Wuth sein selber nicht mehr maͤchtig. Er spornte sein Roß mit al- ler Gewalt und ritt in das Burgthor hinein. Alle traten ihm mit scheuer Ehrfurcht aus dem Wege, und so ritt er vor den Pallast. Er schwang sich vom Rosse und ging mit wankenden Schritten die großen Stiegen hinan. Bin ich hier in der Woh- nung des Mannes, sagte er zu sich selber, der sonst mein Freund war? Er wollte seine Gedanken sam- meln, aber immer wildere Gestalten bewegten sich vor seinen Augen, und so trat er in das Gemach des Fuͤrsten. Der Herzog von Burgund war sich seiner nicht gewaͤrtig, und erschrack heftig, als er den Eckart vor sich sah. Bist du der Herzog von Bur- gund? redete dieser ihn an. Worauf der Herzog mit Ja antwortete. Und du hast meinen Sohn Erste Abtheilung . Dietrichen hinrichten lassen? Der Herzog sagte Ja. Und auch meinen juͤngstes Soͤhnlein Conrad, rief Eckart im Schmerz, ist dir nicht zu gut ge- wesen, und du hast ihn auch umbringen lassen? Worauf der Herzog wieder mit Ja antwortete. Hier ward Eckart uͤbermannt und sprach in Thraͤnen: O antworte mir nicht so, Burgund, denn diese Reden kann ich nicht aushalten, sprich nur, daß es dich gereut, daß du es jetzt ungeschehen wuͤnschest, und ich will mich zu troͤsten suchen; aber so bist du meinem Herzen uͤberall zuwider. Der Herzog sagte: entferne dich von meinem Angesichte, ungetreuer Verraͤther, denn du bist mir der aͤrgerlichste Feind, den ich nur auf Erden ha- ben kann. Eckart sagte: Du hast mich wohl ehedem dei- nen Freund genannt, aber diese Gedanken sind dir nunmehr fremd; nie hab' ich dir zuwider ge- handelt, stets hab' ich dich als meinen Fuͤrsten geehrt und geliebt, und behuͤte mich Gott, daß ich nun, wie ich wohl koͤnnte, die Hand an mein Schwerdt legen sollte, um mir Rache zu schaffen. Nein, ich will mich selbst von deinem Angesichte verbannen, und in der Einsamkeit sterben. Mit diesen Worten ging er fort, und der Bur- gund war in seinem Gemuͤthe bewegt, doch erschie- nen auf seinen Ruf die Leibwaͤchter mit den Lan- zen, die ihn von allen Seiten umgaben, und den Eckart mit den Spießen aus dem Gemache treiben wollten. Es Der getreue Eckart . Es schwang sich auf sein Pferd Eckart, der edle Held, Und sprach: in aller Welt Ist mir nun nichts mehr werth. Die Soͤhn' hab ich verloren, So find' ich nirgends Trost, Der Fuͤrst ist mir erbost, Hat meinen Tod geschworen. Da reitet er zu Wald Und klagt aus vollem Herzen Die uͤbergroßen Schmerzen, Daß weit die Stimme schallt: Die Menschen sind mir todt, Ich muß mir Freunde suchen In Eichen, wilden Buchen, Ihn'n klagen meine Noth. Kein Kind, das mich ergoͤtzt, Erwuͤrgt vom schlimmen Leuen Blieb keiner von den dreien, Der Liebste starb zuletzt. Wie Eckart also klagte Verlor er Sinn und Muth, Er reit't in Zorneswuth, Als schon der Morgen tagte. Das Roß, das treu geblieben Stuͤrzt hin im wilden Lauf, Er achtet nicht darauf Und will nun nichts mehr lieben. Er thut die Ruͤstung abe, Wirft sich zu Boden hin, Auf Sterben steht sein Sinn, Sein Wunsch nur nach dem Grabe. I. [ 14 ] Erste Abtheilung . Niemand in der Gegend wußte, wohin sich der Eckart gewendet, denn er hatte sich in die wuͤ- sten Waldungen hinein verirrt, und vor keinem Menschen ließ er sich sehen. Der Herzog fuͤrch- tete seinen Sinn, und es gereute ihn nun, daß er ihn von sich gelassen, ohne ihn zu fangen. Da- rum machte er sich an einem Morgen auf, mit einem großen Zuge von Jaͤgern und anderm Ge- folge, um die Waͤlder zu durchstreifen und den Eckart aufzusuchen, denn er meinte, daß dessen Tod nur ihn voͤllig sicher stellte. Alle waren un- ermuͤdet, und ließen sich den Eifer nicht verdrießen, aber die Sonne war schon untergegangen, ohne daß sie von Eckart eine Spur angetroffen haͤtten. Ein Sturm brach herein, und große Wolken flogen sausend uͤber dem Walde hin, der Donner rollte, und Blitze fuhren in die hohen Eichen; von einem ungestuͤmen Schrecken wurden alle angefaßt, und einzeln in den Gebuͤschen und auf den Fluren zerstreut. Das Roß des Herzogs rannte in das Dickicht hinein, sein Knappe vermochte nicht, ihm zu folgen; das edle Roß stuͤrzte nieder, und der Burgund rief im Gewitter vergeblich nach seinen Dienern, denn es war keiner, der ihn hoͤren mochte. Wie ein wildes Thier war Eckart umher ge- irrt, ohne von sich, von seinem Ungluͤcke etwas zu wissen, er hatte sich selber verloren und in dumpfer Betaͤubung seinen Hunger mit Kraͤutern und Wurzeln gesaͤttigt; unkenntlich waͤre der Held jetzt jedem seiner Freunde gewesen, so hatten ihn Der getreue Eckart . die Tage seiner Verzweiflung entstellt. Wie der Sturm aufbrach, erwachte er aus seiner Betaͤu- bung, er fand sich in seinen Schmerzen wieder und erkannte sein Ungluͤck. Da erhub er ein lautes Jammergeschrei um seine Kinder, er raufte seine weißen Haare und klagte im Brausen des Stur- mes: Wohin, wohin seid Ihr gekommen, ihr Theile meines Herzens? Und wie ist mir denn so alle Macht genommen, daß ich euren Tod nicht mindestens raͤchen darf? Warum hielt ich denn meinen Arm zuruͤck, und gab nicht dem den Tod, der meinem Herzen den toͤdtlichsten Stich zutheilte? Ha, du verdienst es, Wahnsinniger, daß der Ty- rann dich verhoͤhnt, weil dein unmaͤchtiger Arm, dein bloͤdes Herz nicht dem Moͤrder widerstrebt! Jetzt, jetzt sollte er so vor mir stehn! Vergeblich wuͤnsch' ich jetzt die Rache, da der Augenblick voruͤber ist. So kam die Nacht herauf, und Eckart irrte in seinem Jammer umher. Da hoͤrte er aus der Ferne wie eine Stimme, die um Huͤlfe rief. Er richtete seine Schritte nach dem Schalle, und traf endlich in der Dunkelheit auf einen Mann, der an einen Baumstamm gelehnt, ihn wehmuͤthig bat, ihm wieder auf die rechte Straße zu helfen. Eckart erschrack vor der Stimme, denn sie schien ihm bekannt, und bald ermannte er sich und er- kannte, daß der Verirrte der Herzog von Bur- gunden sey. Da erhub er seine Hand und wollte sein Schwerdt fassen, um den Mann nieder zu hauen, der der Moͤrder seiner Kinder war; es Erste Abtheilung . uͤberfiel ihn die Wuth mit neuen Kraͤften, und er war des festen Willens, jenem den Garaus zu ma- chen, als er ploͤtzlich inne hielt, und seines Schwu- res und des gegebenen Wortes gedachte. Er faßte die Hand seines Feindes, und fuͤhrte ihn nach der Gegend, wo er die Straße vermuthete. Der Herzog sank darnieder Im wilden dunkeln Hain, Da nahm der Helde bieder Ihn auf die Schultern sein. Er sprach: gar viel Beschwerden Mach' ich dir, guter Mann; Der sagte: auf der Erden Muß man gar viel bestahn. Doch sollst du, sprach Burgund, Dich freun, bei meinem Worte, Komm ich nur erst gesund Zu einem sichern Orte. Der Held fuͤhlt Thraͤnen heiß Auf seinen alten Wangen, Er sprach: auf keine Weis' Trag' ich nach Lohn Verlangen. Es mehren sich die Plagen, Sprach der Burgund in Noth; Wohin willst du mich tragen? Du bist wohl gar der Tod? — Tod bin ich nicht genannt, Sprach Eckart noch im Weinen, Du stehst in Gottes Hand, Sein Licht mag dich bescheinen. Der getreue Eckart . Ach, wohl ist mir bewußt, Sprach jener drauf in Reue, Daß suͤndvoll meine Brust, Drum zittr' ich, daß er draͤue. Ich hab' dem treusten Freunde Die Kinder umgebracht, Drum stebt er mir zum Feinde In dieser finstern Nacht. Er war mir recht ergeben, Als wie der treuste Knecht, Und war im ganzen Leben Mir niemals ungerecht. Die Kindlein ließ ich toͤdten, Das kann er nie verzeihn, Ich fuͤrcht', in diesen Noͤthen Treff' ich ihn hier im Hain: Das sagt mir mein Gewissen Mein Herze innerlich, Die Kind hab ich zerrissen, Dafuͤr zerreißt er mich. Der Eckart sprach: empfinden Muß ich so schwere Last, Weil du nicht rein von Suͤnden Und schwer gesuͤndigt hast, Daß du den Mann wirst schauen Ist auch gewißlich wahr, Doch magst du mir vertrauen So kruͤmmt er dir kein Haar. So gingen sie in Gespraͤchen fort, als ihnen im Walde eine andre Mannsgestalt begegnete, es war Wolfram, der Knappe des Herzogs, der sei- Erste Abtheilung . nen Herrn schon seit lange gesucht hatte. Die dunkle Nacht lag noch uͤber ihnen, und kein Stern- lein blickte zwischen den schwarzen Wolken hervor. Der Herzog fuͤhlte sich schwaͤcher, und wuͤnschte eine Herberge zu erreichen, in der er die Nacht schlafen moͤchte, dabei zitterte er, auf den Eckart zu treffen, der wie ein Gespenst vor seiner Seele stand. Er glaubte nicht den Morgen zu erleben, und schauderte von neuem zusammen, wenn sich der Wind wieder in den hohen Baͤumen regte, wenn der Sturm von unten herauf aus den Berg- schluften kam und uͤber ihren Haͤuptern hinweg ging. Besteige, Wolfram, rief der Herzog in sei- ner Angst, diese hohe Tanne, und schaue umher, ob du kein Lichtlein, kein Haus, oder keine Huͤtte erspaͤhst, zu der wir uns wenden moͤgen. Der Knappe kletterte mit Gefahr seines Le- bens zum hohen Tannenbaum hinauf, den der Sturm von einer Seite zur andern warf, und je zu- weilen fast bis zur Erde den Wipfel beugte, so daß der Knappe wie ein Eichkaͤtzlein oben schwankte. Endlich hatte er den Gipfel erklommen und rief: Im Thal da unten seh' ich den Schein eines Lich- tes, dorthin muͤssen wir uns wenden! Sogleich stieg er ab und zeigte den beiden den Weg, und nach einiger Zeit sahen alle den erfreulichen Schein, woruͤber der Herzog anfing, sich wieder wohl zu gehaben. Eckart blieb immer stumm und in sich gekehrt, er sprach kein Wort und schaute seinen innern Gedanken zu. Als sie vor der Huͤtte stan- den klopften sie an, und ein altes Muͤtterlein oͤff- Der getreue Eckart . nete ihnen die Thuͤr; so wie sie hinein traten, ließ der starke Eckart den Herzog von seinen Schul- tern nieder, der sich alsbald auf seine Knie warf und Gott in einem bruͤnstigen Gebete fuͤr seine Rettung dankte. Eckart setzte sich in einen finstern Winkel nieder und traf dort den Greis schlafend, der ihm unlaͤngst sein großes Ungluͤck mit seinen Soͤhnen erzaͤhlt hatte, welche er aufzusuchen ging. Als der Herzog sein Gebet vollendet, sprach er: Wunderbar ist mir in dieser Nacht zu Sinne geworden, und die Guͤte Gottes wie seine Allmacht haben sich meinem verstockten Herzen noch niemals so nahe gezeigt; auch daß ich bald sterbe, sagt mir mein Gemuͤth, und ich wuͤnsche nichts so sehr, als daß Gott mir vorher meine vielen und schweren Suͤnden vergeben moͤge. Euch beide aber, die ihr mich hieher gefuͤhrt habt, will ich vor meinem Ende noch belohnen, so viel ich kann. Dir, meinem Knappen, schenk' ich die beiden Schloͤsser, die hier auf den naͤchsten Bergen liegen, doch sollst du dich kuͤnftig, zum Gedaͤchtniß dieser grauenvollen Nacht, den Tannenhaͤuser nennen. Und wer bist du, Mann, fuhr er fort, der sich dorten im Winkel gelagert hat? Komm hervor, damit ich auch dir fuͤr deine Muͤhe und Liebe lohnen moͤge. Da stand der Eckart von der Erden Und trat herfuͤr ans helle Licht, Er zeigt mit traurigen Gebehrden Sein hochbekuͤmmert Angesicht. Erste Abtheilung . Da fehlt dem Burgund Kraft und Muth Den Blick des Mannes auszuhalten, Den Adern sein entweicht das Blut, In Ohnmacht ist er festgehalten. Es stuͤrzen ihm die matten Glieder Von neuem auf den Boden nieder. Allmaͤcht'ger Gott! so schreit er laut, Du bist es, den mein Auge schaut? Wohin soll ich vor dir entfliehn? Mußt du mich aus dem Walde ziehn? Dem ich die Kinder hab' erschlagen, Der muß mich in den Armen tragen? So faͤhrt der Burgund fort zu sprechen, Und fuͤhlt das Herz im Busen brechen, Er sinkt dem Eckart an die Brust, Ist sich sein selber nicht bewußt. — Der Eckart leise zu ihm spricht: Der Schmach gedenk' ich fuͤrder nicht, Damit die Welt es sehe frei, Der Eckart war dir stets getreu. So verging die Nacht. Am andern Morgen kamen andre Diener, die den kranken Herzog fan- den. Sie legten ihn auf Maulthiere und fuͤhrten ihn in sein Schloß zuruͤck. Eckart durfte nicht von seiner Seite kommen, oft aber nahm er seine Hand und druͤckte sie sich gegen seine Brust, und sah ihn mit einem flehenden Blicke an. Eckart umarmte ihn dann, und sprach einige liebevolle Worte, mit denen sich der Fuͤrst beruhigte. Er versammelte alle seine Raͤthe um sich her, und sagte ihnen, daß Der getreue Eckart . er den Eckart, den getreuen Mann, zum Vormunde uͤber seine Soͤhne setze, weil dieser sich als den edelsten erwiesen. So starb er. Seitdem nahm sich Eckart der Regierung mit allem Fleiße an, und jedermann im Lande mußte seinen hohen maͤnnlichen Muth bewundern. Es waͤhrte nicht lange, so verbreitete sich in allen Ge- genden das wunderbare Geruͤcht von dem Spiel- manne, der aus dem Venusberge gekommen, das ganze Land durchziehe und mit seinen Toͤnen die Menschen entfuͤhre, welche verschwaͤnden, ohne daß man eine Spur von ihnen wieder finden koͤnne. Viele glaubten dem Geruͤchte, andre nicht, und Eckart gedachte des ungluͤcklichen Greises wieder. Ich habe Euch zu meinen Soͤhnen angenom- men, sprach er zu den unmuͤndigen Juͤnglingen, als er sich einst mit ihnen auf dem Berge vor dem Schlosse befand; Euer Gluͤck ist jetzt meine Nach- kommenschaft, ich will in Eurer Freude nach mei- nem Tode fortleben. Sie lagerten sich auf dem Abhange, von wo sie weit in das schoͤne Land hin- ein sehn konnten, und Eckart unterdruͤckte das An- denken an seine Kinder, denn sie schienen ihm von den Bergen heruͤber zu schreiten, indem er aus der Ferne einen lieblichen Klang vernahm. Kommt es nicht wie Traͤumen Aus den gruͤnen Raͤumen Zu uns wallend nieder, Wie Verstorbner Lieder? Erste Abtheilung . So spricht er zu den jungen Herrn, Vernimmt den Zauberklang von fern. Wie sich die Toͤn heruͤberschwungen Erwachet in den frommen Jungen Ein seltsam boͤser Geist, Der sie nach unbekannter Ferne reißt. Wir wollen in die Berge, in die Felder, Uns rufen die Quellen, es locken die Waͤlder, Gar heimliche Stimmen entgegen singen, Ins irdische Paradies uns zu bringen! Der Spielmann kommt in fremder Tracht Den wilden Kindern ins Gesicht, Und hoͤher schwillt der Toͤne Macht, Und heller glaͤnzt der Sonne Licht, Die Blumen scheinen trunken, Ein Abendroth nieder gesunken, Und zwischen Korn und Graͤsern schweifen Sanft irrend blau und goldne Streifen. Wie ein Schatten ist hinweg gehoben Was sonst den Sinn zur Erden zieht, Gestillt ist alles ird'sche Toben, Die Welt zu Einer Blum' erbluͤht, Die Felsen schwanken lichterloh, Die Triften jauchzen und sind froh, Es wirrt und irrt alles in die Klaͤnge hinein Und will in der Freude heimisch sein Des Menschen Seele reißen die Funken, Sie ist im holden Wahnsinn ganz versunken. So wurde Eckart rege Und wundert sich dabei, Er hoͤrt der Toͤne Schlaͤge Und fragt sich, was es sei. Der getreue Eckart . Ihm duͤnkt die Welt erneuet, In andern Farben bluͤhn, Er weiß nicht, was ihn freuet, Fuͤhlt sich in Wonne gluͤhn. Ha! bringen nicht die Toͤne, So fragt er sich entzuͤckt, Mir Weib und liebe Soͤhne, Und was mich sonst begluͤckt? Doch faßt ein heimlich Grauen Den Helden ploͤtzlich an, Er darf nur um sich schauen Und fuͤhlt sich bald ein Mann. Da sieht er schon das Wuͤthen Der ihm vertrauten Kind, Die sich der Hoͤlle bieten Und unbezwinglich sind. Sie werden fortgezogen Und kennen ihn nicht mehr, Sie toben wie die Wogen Im wildempoͤrten Meer. Was soll er da beginnen? Ihn ruft sein Wort und Pflicht, Ihm wanken selbst die Sinnen, Er kennt sich selber nicht. Da koͤmmt die Todesstunde Von seinem Freund zuruͤck, Er hoͤret den Burgunde Und sieht den letzteu Blick. So schirmt er sein Gemuͤthe Und steht gewappnet da, Indem kommt im Gewuͤthe Der Spielmann selbst ihm nah. Erste Abtheilung . Er will den Degen schwingen Und schlagen jenes Haupt: Er hoͤrt die Pfeife klingen, Die Kraft ist ihm geraubt. Es stuͤrzen aus den Bergen Gestalten wunderlich, Ein wuͤstes Heer von Zwergen, Sie nahen grauerlich. Die Soͤhne sind gefangen Und toben in dem Schwarm, Umsonst ist sein Verlangen, Gelaͤhmt sein tapferer Arm. Es stuͤrmt der Zug an Vesten, An Schloͤssern wild vorbei, Sie ziehn von Ost nach Westen Mit jauchzendem Geschrei. Eckart ist unter ihnen, Es reißt die Macht ihn hin, Er muß der Hoͤlle dienen, Bezwungen ist sein Sinn. Da nahen sie dem Berge, Aus dem Musik erschallt, Und alsogleich die Zwerge Stillstehn und machen Halt. Der Fels springt von einander, Ein bunt Gewimmel drein, Man sieht Gestalten wandern Im wunderlichen Schein. Da faßt er seinen Degen Und sprach: ich bleibe treu! Und haut mit Kraft verwegen In alle Schaaren frei. Der getreue Eckart . Die Kinder sind errungen, Sie fliehen durch das Thal, Der Feind noch unbezwungen Mehrt sich zu Eckarts Qual. Die Zwerge sinken nieder, Sie fassen neuen Muth, Es kommen andre wieder, Und jeder kaͤmpft mit Wuth. Da sieht der Held schon ferne Die Kind in Sicherheit, Sprach: nun verlier' ich gerne Mein Leben hier im Streit. Sein tapfres Schwerdt thut blinken Im hellen Sonnenstrahl, Die Zwerge niedersinken Zu Haufen dort im Thal. Die Kinder sind entschwunden Im allerfernsten Feld, Da fuͤhlt er seine Wunden, Da stirbt der tapfre Held. So fand er seine Stunde Wild kaͤmpfend wie der Leu, Und blieb noch dem Burgunde Im Tode selber treu. Als nun der Held erschlagen Regiert der aͤltste Sohn, Dankbar hoͤrt man ihn sagen: Eckart hat meinen Thron Erkaͤmpft mit vielen Wunden Und seinem besten Blut, Und alle Lebensstunden Verdank' ich seinem Muth. Erste Abtheilung . Bald hoͤrt man Wundersagen Im ganzen Land umgehn, Daß, wer es wolle wagen Der Venus Berg zu sehn, Der werde dorten schauen Des treuen Eckart Geist, Der jedem mit Vertrauen Zuruͤck vom Felsen weist. Wo er nach seinem Sterben Noch Schutz und Wache haͤlt. Es preisen alle Erben Eckart den treuen Held. Zweiter Abschnitt . E s waren mehr als vier Jahrhunderte seit dem Tode des getreuen Eckart verflossen, als am Hofe ein edler Tannenhaͤuser als kaiserlicher Rath im großen Ansehen stand. Der Sohn dieses Ritters uͤbertraf an Schoͤnheit alle uͤbrigen Edlen des Lan- des, weswegen er auch von jedermann geliebt und hochgeschaͤtzt wurde. Ploͤtzlich aber verschwand er, nachdem sich einige wunderbare Dinge mit ihm zugetragen hatten, und kein Mensch wußte zu sagen, wohin er gekommen sey. Seit der Zeit des getreuen Eckart gab es vom Venusberge eine Sage im Lande, und manche sprachen, daß er dorthin gewandert und also auf ewig verloren sey. Einer von seinen Freunden, Friedrich von Wolfsburg, haͤrmte sich von allen am meisten um Der getreue Eckart . den jungen Tannenhaͤuser. Sie waren mit einan- der erwachsen und ihre gegenseitige Freundschaft schien jedem ein Beduͤrfniß seines Lebens geworden zu sein. Tannenhaͤusers alter Vater war gestor- ben, Friedrich vermaͤhlte sich nach einigen Jahren, schon umgab ihn ein Kreis von froͤlichen Kindern, und immer noch hatte er keine Nachricht von sei- nem Jugendfreunde vernommen, so daß er ihn auch fuͤr gestorben halten mußte. Er stand eines Abends unter dem Thor seiner Burg, als er aus der Ferne einen Pilgrim daher kommen sah, der sich seinem Schlosse naͤherte. Der fremde Mann war in seltsame Tracht gekleidet, und sein Gang wie seine Geberden erschienen dem Ritter wunderlich. Als jener naͤher gekommen, glaubte er ihn zu kennen, und endlich war er mit sich einig, daß der Fremde kein anderer als sein ehemaliger Freund der Tannenhaͤuser sein koͤnne. Er erstaunte und ein heimlicher Schauer bemaͤch- tigte sich seiner, als er die durchaus veraͤnderten Zuͤge deutlich gewahr wurde. Die beiden Freunde umarmten sich, und erschra- ken dann einer vor dem andern, sie staunten sich an, wie fremde Wesen. Der Fragen, der verwor- renen Antworten gab es viele; Friedrich erbebte oft vor dem wilden Blicke seines Freundes, in dem ein unverstaͤndliches Feuer brannte. Nachdem sich der Tannenhaͤuser einige Tage erholt hatte, erfuhr Friedrich, daß er auf einer Wallfahrt nach Rom begriffen sey. Die beiden Freunde erneuerten bald ihre ehe- Erste Abtheilung . maligen Gespraͤche und erzaͤhlten sich die Geschichte ihrer Jugend, doch verschwieg der Tannenhaͤuser noch immer sorgfaͤltig, wo er seitdem gewesen. Friedrich aber drang in ihn, nachdem sie sich in ihre sonstige Vertraulichkeit wieder hinein gefun- den hatten, jener suchte sich lange den freundschaft- lichen Bitten zu entziehen, doch endlich rief er aus: Nun, so mag dein Wille erfuͤllt werden, du sollst alles erfahren, mache mir aber nachher keine Vor- wuͤrfe, wenn dich die Geschichte mit Bekuͤmmerniß und Grauen erfuͤllt. Sie gingen ins Freie und wandelten durch einen gruͤnen Lustwald, wo sie sich nieder setzten, worauf der Tannenhaͤuser sein Haupt im gruͤnen Grase verbarg und unter lautem Schluchzen sei- nem Freunde abgewandt die rechte Hand reichte, die dieser zaͤrtlich druͤckte. Der truͤbselige Pilgrim richtete sich wieder auf, und begann seine Erzaͤh- lung auf folgende Weise: Glaube mir, mein Theurer, daß manchem von uns ein boͤser Geist von seiner Geburt an mitge- geben wird, der ihn durch das Leben dahin aͤng- stigt und ihn nicht ruhen laͤßt, bis er an das Ziel seiner schwarzen Bestimmung gelangt ist. So geschahe mir, und mein ganzer Lebenslauf ist nur ein dauerndes Geburtswehe, und mein Erwachen wird in der Hoͤlle sein. Darum habe ich nun schon so viele muͤhselige Schritte gethan, und so manche stehn mir noch auf meiner Pilgerschaft bevor, ob ich vielleicht beim heiligen Vater zu Rom Vergebung erlangen moͤchte: vor ihm will ich die schwere Der getreue Eckart . schwere Ladung meiner Suͤnden ablegen, oder im Druck erliegen und verzweifelnd sterben. Friedrich wollte ihn troͤsten, doch schien der Tannenhaͤuser auf seine Reden nicht sonderlich Acht zu geben, sondern fuhr nach einer kleinen Weile mit folgenden Worten fort: Man hat ein altes Maͤhrchen, daß vor vielen Jahrhunderten ein Rit- ter mit dem Namen des getreuen Eckart gelebt habe, man erzaͤhlt, wie damals aus einem seltsa- men Berge ein Spielmann gekommen sei, dessen wunderbarliche Toͤne so tiefe Sehnsucht, so wilde Wuͤnsche in den Herzen aller Hoͤrenden auferweckt haben, daß sie unwiderstreblich den Klaͤngen nach- gerissen worden, um sich in jenem Gebirge zu ver- lieren. Die Hoͤlle hat damals ihre Porten den armen Menschen weit aufgethan, und sie mit lieb- licher Musik zu sich herein gespielt. Ich hoͤrte als Knabe diese Erzaͤhlung oft und wurde nicht son- derlich davon geruͤhrt, doch waͤhrte es nicht lange, so erinnerte mich die ganze Natur, jedweder Klang, jedwede Blume an die Sage von diesen herzergrei- fenden Toͤnen. Ich kann dir nicht ausdruͤcken, welche Wehmuth, welche unaussprechliche Sehn- sucht mich ploͤtzlich ergriff, und wie in Banden hielt und fortfuͤhren wollte, wenn ich dem Zug der Wolken nachsahe, die lichte herrliche Blaͤue erblickte, die zwischen ihnen hervordrang, welche Erinnerun- gen Wies' und Wald in meinem tiefsten Herzen erwecken wollten. Oft ergriff mich die Lieblichkeit und Fuͤlle der herrlichen Natur, daß ich die Arme ausstreckte und wie mit Fluͤgeln hineinstreben wollte, I. [15] Erste Abtheilung . um mich wie der Geist der Natur uͤber Berg und Thal auszugießen, und mich in Gras und Buͤ- schen allseitig zu regen und die Fuͤlle des Seegens einzuathmen. Hatte mich am Tage die freie Land- schaft entzuͤckt, so aͤngstigten mich in der Nacht dunkle Traumbilder und stellten sich grauenhaft vor mich hin, als wenn sie mir den Weg zu allem Le- ben versperren wollten. Vor allen ließ ein Traum einen unausloͤschlichen Eindruck in meinem Ge- muͤthe zuruͤck, ob ich gleich nicht die Bilder deut- lich wieder in meine Phantasie zuruͤck rufen konnte. Mir duͤnkte, als waͤre ein großes Gewuͤhl in den Gassen, ich vernahm undeutliche Gespraͤche durch- einander, darauf ging ich, es war dunkle Nacht, in das Haus meiner Eltern, und nur mein Vater war zugegen und krank. Am naͤchsten Morgen fiel ich meinen Eltern um den Hals, umarmte sie inbruͤnstig und druͤckte sie an meine Brust, als wenn uns eine feindliche Gewalt von einander reißen wollte. Sollt' ich dich verlieren? sprach ich zum theuren Vater, o wie ungluͤcklich und einsam waͤre ich ohne dich in dieser Welt! Sie troͤsteten mich, aber es gelang ihnen nicht, das dunkle Bild aus meinem Gedaͤchtnisse zu entfernen. Ich ward aͤlter, indem ich mich stets von andern Knaben meines Alters entfernt hielt. Oft streifte ich einsam durch die Felder, und so geschah es an einem Morgen, daß ich meinen Weg verlor, und in einem dunkeln Walde, um Huͤlfe rufend, herum irrte. Nachdem ich so lange Zeit vergeblich nach einem Wege gesucht hatte, stand ich endlich ploͤz- Der getreue Eckart . lich vor einem eisernen Gatterwerk, welches einen Garten umschloß. Durch dasselbe sah ich schoͤne dunkle Gaͤnge vor mir, Fruchtbaͤume und Blu- men, voran standen Rosengebuͤsche, die im Schein der Sonne glaͤnzten. Ein unnennbares Sehnen zu den Rosen ergriff mich, ich konnte mich nicht zuruͤck halten, ich draͤngte mich mit Gewalt durch die eisernen Staͤbe, und war nun im Garten. Als- bald fiel ich nieder, umfaßte mit meinen Armen die Gebuͤsche, kuͤßte die Rosen auf ihren rothen Mund, und ergoß mich in Thraͤnen. Als ich mich eine Zeit in dieser Entzuͤckung verloren hatte, kamen zwei Maͤdchen durch die Baumgaͤnge, die eine aͤlter, die andre von meinen Jahren. Ich erwachte aus meiner Betaͤubung, um mich einer hoͤheren Trunkenheit hinzugeben. Mein Auge fiel auf die juͤngere, und mir war in diesem Augen- blicke, als wuͤrde ich von allen meinen unbekann- ten Schmerzen geheilt. Man nahm mich im Hause auf, die Eltern der beiden Kinder erkundigten sich nach meinem Namen, und schickten meinem Vater Bothschaft, der mich gegen Abend selber wieder abholte. Von diesem Tage hatte der ungewisse Lauf meines Lebens eine bestimmte Richtung gewonnen, meine Gedanken eilten immer wieder nach dem Schlosse und dem Maͤdchen zuruͤck, denn hier schien mir die Heimath aller meiner Wuͤnsche. Ich ver- gaß meiner gewohnten Freuden, ich vernachlaͤssigte meine Gespielen, und besuchte oft den Garten, das Schloß und das Maͤdchen. Bald war ich dort Erste Abtheilung . wie ein Kind vom Hause, so daß man sich nicht mehr verwunderte, wenn ich zugegen war, und Emma ward mir mit jedem Tage lieber. So ver- gingen mir die Stunden, und eine Zaͤrtlichkeit hatte mein Herz gefangen genommen, ohne daß ich es selber wußte. Meine ganze Bestimmung schien mir nun erfuͤllt, ich hatte keine andere Wuͤn- sche, als immer wieder zukommen, und wenn ich fortging, dieselbe Aussicht auf den kuͤnftigen Tag zu haben. Um die Zeit ward ein junger Ritter in der Familie bekannt, der auch zugleich ein Freund mei- ner Eltern war, und sich bald eben so, wie ich, an Emma schloß. Ich haßte ihn von diesem Au- genblicke wie meinen Todfeind. Unbeschreiblich aber waren meine Gefuͤhle, als ich wahrzunehmen glaubte, daß Emma seine Gesellschaft der meinigen vorziehe. Von dieser Stunde an war es, als wenn die Musik, die mich bis dahin begleitet hatte, in meinem Busen unterginge. Ich dachte nur Tod und Haß, wilde Gedanken erwachten in meiner Brust, wenn Emma nun auf der Laute die bekann- ten Gesaͤnge sang. Auch verbarg ich meinen Wi- derwillen nicht, und bezeigte mich gegen meine El- tern, die mir Vorwuͤrfe machten, wild und wider- spenstig. Nun irrte ich in den Waͤldern und zwischen Felsen umher, gegen mich selber wuͤthend: den Tod meines Gegners hatte ich beschlossen. Der junge Ritter hielt nach einigen Monden bei den Eltern um meine Geliebte an, sie wurde ihm zugesagt. Der getreue Eckart . Was mich sonst wunderbar in der ganzen vollen Natur angezogen und gereizt hatte, hatte sich mir in Emmas Bilde vereiniget; ich wußte, kannte und wollte kein anderes Gluͤck als sie, ja ich hatte mir willkuͤhrlich vorgesetzt, daß ihren Verlust und mein Verderben ein und derselbe Tag herbei fuͤhren solle. Meine Eltern graͤmten sich uͤber meine Ver- wilderung, meine Mutter war krank geworden, aber es ruͤhrte mich nicht, ich kuͤmmerte mich wenig um ihren Zustand, und sah sie nur selten. Der Hochzeitstag meines Feindes ruͤckte heran, und mit ihm wuchs meine Angst, die mich durch die Waͤl- der und uͤber die Berge trieb. Ich verwuͤnschte Emma und mich mit den graͤßlichsten Fluͤchen. Um die Zeit hatte ich keinen Freund, kein Mensch wollte sich meiner annehmen, weil mich alle verloren gaben. Die schreckliche Nacht vor dem Vermaͤhlungs- tage brach heran. Ich hatte mich unter Klippen verirrt und hoͤrte unter mir die Waldstroͤme brau- sen, oft erschrack ich vor mir selber. Als es Mor- gen war, sah ich meinen Feind von den Bergen hernieder steigen, ich fiel ihn mit beschimpfenden Reden an, er vertheidigte sich, wir griffen zu den Schwerdtern, und bald sank er unter meinen wuͤ- thenden Hieben nieder. Ich eilte fort, ich sah mich nicht nach ihm um, aber seine Begleiter trugen den Leichnam fort. Nachts schwaͤrmte ich um die Wohnung, die meine Emma einschloß, und nach wenigen Tagen ver- nahm ich im benachbarten Kloster Todtengelaͤute Erste Abtheilung . und den Grabgesang der Nonnen. Ich fragte: man sagte mir, daß Fraͤulein Emma aus Gram uͤber den Tod ihres Braͤutigams gestorben sei. Ich wußte nicht zu bleiben, ich zweifelte, ob ich lebe, ob alles Wahrheit sey. Ich eilte zuruͤck zu meinen Eltern, und kam in der folgenden Nacht spaͤt in die Stadt, in der sie wohnten. Alles war in Unruhe, Pferde und Ruͤstwagen erfuͤllten die Straßen, Lanzenknechte tummelten sich durchein- ander und sprachen in verwirrten Reden: es war gerade an dem, daß der Kaiser einen Feldzug gegen seine Feinde unternehmen wollte. Ein einsames Licht brannte in der vaͤterlichen Wohnung als ich herein trat; eine druͤckende Beklemmung lag auf meiner Brust. Auf mein Anklopfen kommt mir mein Vater selbst mit leisem bedaͤchtigen Schritte entgegen; sogleich erinnerte ich mich des alten Trau- mes aus meinen Kinderjahren, und fuͤhle mit innig- ster Bewegung, daß es dasselbe sey, was ich nun erlebe. Ich bin bestuͤrzt, ich frage: Warum, Va- ter, seid Ihr so spaͤt noch auf? Er fuͤhrt mich hinein und spricht: Ich muß wohl wachen, denn deine Mutter ist ja nun auch todt. Die Worte fielen wie Blitze in meine Seele. Er setzte sich bedaͤchtig nieder, ich mich an seine Seite, die Leiche lag auf einem Bette und war mit Tuͤchern seltsam zugehaͤngt. Mein Herz wollte zerspringen. Ich halte Wache, sprach der Alte, denn meine Gattin sitzt noch immer neben mir. Meine Sinne vergingen, ich heftete meine Augen in einen Winkel, und nach kurzer Weile regte es Der getreue Eckart . sich wie ein Dunst, es wallte und wogte, und die bekannte Bildung meiner Mutter zog sich sichtbar- lich zusammen, die nach mir mit ernsten Mienen schaute. Ich wollte fort, ich konnte nicht, denn die muͤtterliche Gestalt winkte und mein Vater hielt mich fest in den Armen, welcher mir leise zufluͤsterte: sie ist aus Gram um mich gestorben. Ich umfaßte ihn mit aller kindlichen Bruͤnstigkeit, ich vergoß brennende Thraͤnen an seiner Brust. Er kuͤßte mich, und mir schauderte, als seine Lip- pen kalt wie die Lippen eines Todten mich beruͤhr- ten. Wie ist dir, Vater? rief ich mit Entsetzen aus. Er zuckte schmerzhaft in sich zusammen und antwortete nicht. In wenigen Augenblicken fuͤhlte ich ihn kaͤlter werden, ich suchte nach seinem Her- zen, es stand still, und im wehmuͤthigen Wahn- sinn hielt ich die Leiche in meiner Umarmung fest eingeklammert. Wie ein Schein, gleich der ersten Morgenroͤ- the, flog es durch das dunkle Gemach, da saß der Geist meines Vaters neben dem Bilde meiner Mut- ter, und beide sahen nach mir mitleidig hin, wie ich die theure Leiche festhielt. Seitdem war es um mein Bewußtsein geschehn, wahnsinnig und kraft- los fanden mich die Diener am Morgen in der Todtenkammer. Bis hieher war der Tannenhaͤuser mit seiner Erzaͤhlung gekommen, indem ihm sein Freund Frie- drich mit dem groͤßten Erstaunen zuhoͤrte, als er ploͤtzlich abbrach und mit dem Ausdruck des groͤßten Schmerzes inne hielt. Friedrich war verlegen und Erste Abtheilung . nachdenkend, die beiden Freunde gingen in die Burg zuruͤck, doch blieben sie in einem Zimmer allein. Nachdem der Tannenhaͤuser eine Weile ge- schwiegen hatte, fing er wieder an: Immer noch erschuͤttert mich das Andenken dieser Stunden tief, und ich begreife nicht, wie ich sie habe uͤberleben koͤnnen. Nunmehr schien mir die Erde und das Leben voͤllig ausgestorben und verwuͤstet, ich schleppte mich ohne Gedanken und Wunsch von einem Tage zum andern hinuͤber. Dann gerieth ich in eine Ge- sellschaft von wilden jungen Leuten, und in Trunk und Wollust suchte ich den pochenden boͤsen Geist in mir zu besaͤnftigen. Die alte brennende Unge- duld erwachte in meiner Brust von neuem, und ich konnte mich und meine Wuͤnsche selber nicht verstehn. Ein Wuͤstling, Rudolf genannt, war mein Vertrauter geworden, der aber immer meine Klagen wie meine Sehnsucht verlachte. So mochte ein Jahr verflossen sein, als meine Angst bis zur Verzweiflung stieg, es draͤngte mich weiter, weiter, hinein in eine unbekannte Ferne, ich haͤtte mich von den hohen Bergen hinab in den Glanz der Wiesen- farben, in das kuͤhle Gebrause der Stroͤme stuͤr- zen moͤgen, um den gluͤhenden Durst der Seele, die Unersaͤttlichkeit zu loͤschen; ich sehnte mich nach der Vernichtung und wieder wie goldne Morgen- wolken schwebten Hofnung und Lebenslust vor mir hin und lockten mich nach. Da kam ich auf den Gedanken, daß die Hoͤlle nach mir luͤstern sei, und mir so Schmerzen wie Freuden entgegen sende, um mich zu verderben, daß ein tuͤckischer Geist alle Der getreue Eckart . meine Seelenkraͤfte nach der dunkeln Behausung richte und mich hinunter zuͤgle. Da gab ich mich gefangen, um der Qualen, der wechselnden Entzuͤ- ckungen los zu werden. In der dunkelsten Nacht bestieg ich einen hohen Berg und rief mit allen Herzenskraͤften den Feind Gottes und der Men- schen zu mir, so daß ich fuͤhlte, er wuͤrde mir ge- horchen muͤssen. Meine Worte zogen ihn herbei, er stand ploͤtzlich neben mir und ich empfand kein Grauen. Da ging im Gespraͤch mit ihm der Glaube an jenen wunderbaren Berg von neuem in mir auf, und er lehrte mich ein Lied, das mich von selbst auf die rechte Straße dahin fuͤhren wuͤrde. Er verschwand, und ich war zum ersten- mal, seit ich lebte, mit mir allein, denn nun ver- stand ich meine abirrenden Gedanken, die aus dem Mittelpunkte heraus strebten, um eine neue Welt zu finden. Ich machte mich auf den Weg, und das Lied, das ich mit lauter Stimme sang, fuͤhrte mich uͤber wunderbare Einoͤden fort, und alles uͤbrige in mir und außer mir hatte ich vergessen; es trug mich wie auf großen Fluͤgeln der Sehn- sucht nach meiner Heimath, ich wollte dem Schat- ten entfliehen, der uns auch aus dem Glanze noch draͤut, den wilden Toͤnen, die noch in der zarte- sten Musik auf uns schelten. So kam ich in einer Nacht, als der Mond hinter dunklen Wolken matt hervor schien, vor dem Berge an. Ich setzte mein Lied fort, und eine Riesengestalt stand da und winkte mich mit ihrem Stabe zuruͤck. Ich ging naͤher. Ich bin der getreue Eckart, rief die uͤbermensch- Erste Abtheilung . liche Bildung, ich bin von Gottes Guͤte hieher zum Waͤchter gesetzt, um des Menschen boͤsen Fuͤr- witz zuruͤck zu halten. — Ich drang hindurch. Wie in einem unterirdischen Bergwerke war nun mein Weg. Der Steg war so schmal, daß ich mich hindurch draͤngen mußte, ich vernahm den Klang der verborgenen wandernden Gewaͤsser, ich hoͤrte die Geister, die die Erze und Gold und Silber bildeten, um den Menschengeist zu locken, ich fand die tiefen Klaͤnge und Toͤne hier einzeln und verborgen, aus denen die irdische Musik ent- steht; je tiefer ich ging, je mehr fiel es wie ein Schleier vor meinem Angesichte hinweg. Ich ruhte aus und sah andre Menschengestal- ten heran wanken, mein Freund Rudolf war un- ter ihnen; ich begriff gar nicht, wie sie mir vor- bei kommen wuͤrden, da der Weg so sehr enge war, aber sie gingen mitten durch die Steine hindurch, ohne daß sie mich gewahr wurden. Alsbald vernahm ich Musik, aber eine ganz andre, als bis dahin zu meinem Gehoͤr gedrungen war, meine Geister in mir arbeiteten den Toͤnen entgegen; ich kam ins Freie, und wunderhelle Far- ben glaͤnzten mich von allen Seiten an. Das war es, was ich immer gewuͤnscht hatte. Dicht am Herzen fuͤhlte ich die Gegenwart der gesuchten, endlich gefundenen Herrlichkeit, und in mich spiel- ten die Entzuͤckungen mit allen ihren Kraͤften hin- ein. So kam mir das Gewimmel der frohen heid- nischen Goͤtter entgegen, Frau Venus an ihrer Spitze, alle begruͤßten mich; sie sind dorthin ge- Der getreue Eckart . bannt von der Gewalt des Allmaͤchtigen, und ihr Dienst ist von der Erde vertilgt; nun wirken sie von dort in ihrer Heimlichkeit. Alle Freuden, die die Erde beut, genoß und schmeckte ich hier in ihrer vollsten Bluͤthe, uner- saͤttlich war mein Busen und unendlich der Genuß. Die beruͤhmten Schoͤnheiten der alten Welt waren zugegen, was mein Gedanke wuͤnschte war in mei- nem Besitz, eine Trunkenheit folgte der andern, mit jedem Tage schien um mich her die Welt in bunteren Farben zu brennen. Stroͤme des koͤstlich- sten Weines loͤschten den grimmen Durst, und die holdseligsten Gestalten gaukelten dann in der Luft, ein Gewimmel von nackten Maͤdchen umgab mich einladend, Duͤfte schwangen sich bezaubernd um mein Haupt, wie aus dem innersten Herzen der seligsten Natur erklang eine Musik, und kuͤhlte mit ihren frischen Wogen der Begierde wilde Luͤ- sternheit, ein Grauen, das so heimlich uͤber die Blumenfelder schlich, erhoͤhte den entzuͤckenden Rausch. Wie viele Jahre so verschwunden sind, weiß ich nicht zu sagen, denn hier gab es keine Zeit und keine Unterschiede, in den Blumen brannte der Maͤdchen und der Luͤste Reiz, in den Koͤrpern der Weiber bluͤhte der Zauber der Blumen, die Farben fuͤhrten hier eine andre Sprache, die Toͤne sagten neue Worte, die ganze Sinnenwelt war hier in Einer Bluͤthe fest gebunden, und die Geister drinnen feyerten ewig einen bruͤnstigen Triumph. Doch wie es geschah kann ich so wenig sagen wie fassen, daß mich nun in aller Suͤndenherrlich- Erste Abtheilung . keit der Trieb nach der Ruhe, der Wunsch zur alten unschuldigen Erde mit ihren duͤrftigen Freu- den eben so ergriff, wie mich vormals die Sehn- sucht hieher gedraͤngt hatte. Es zog mich an, wie- der jenes Leben zu leben, das die Menschen in aller Bewußtlosigkeit fuͤhren, mit Leiden und ab- wechselnden Freuden, ich war von dem Glanz ge- saͤttigt und suchte gern die vorige Heimath wieder. Eine unbegreifliche Gnade des Allmaͤchtigen ver- schaffte mir die Ruͤckkehr, ich befand mich ploͤtzlich wieder in der Welt, und denke nun meinen suͤn- digen Busen vor den Stuhl unsers allerheiligsten Vaters in Rom auszuschuͤtten, daß er mir ver- gebe und ich den uͤbrigen Menschen wieder zuge- zaͤhlt werde. — Der Tannenhaͤuser schwieg still, und Friedrich betrachtete ihn lange mit einem pruͤfenden Blicke, dann nahm er die Hand seines Freundes und sagte: Immer noch kann ich nicht von meinem Erstaunen zuruͤck kommen, auch kann ich deine Erzaͤhlung nicht begreifen, denn es ist nicht anders moͤglich, als daß alles, was du mir vorgetragen hast, nur eine Einbildung von dir sein muß. Denn noch lebt Emma, sie ist meine Gattin, und nie haben wir gekaͤmpft, oder uns gehaßt, wie du glaubst, doch verschwandest du noch vor unsrer Hochzeit aus der Gegend, auch hast du mir damals nie mit einem einzigen Worte gesagt, daß Emma dir lieb sei. Er nahm hierauf den verwirrten Tannenhaͤuser bei der Hand und fuͤhrte ihn in ein anderes Zim- mer zu seiner Gattin, die eben von einem Besuch Der getreue Eckart . ihrer Schwester, bei der sie einige Tage verweilt, auf das Schloß zuruͤck gekommen war. Der Tan- nenhaͤuser war stumm und nachdenkend, er beschaute still die Bildung und das Antlitz der Frau, dann schuͤttelte er mit dem Kopfe und sagte: bei Gott, das ist noch die seltsamste von allen meinen Bege- benheiten! Friedrich erzaͤhlte ihm im Zusammenhange alles, was ihm seitdem zugestoßen war, und suchte seinem Freunde deutlich zu machen, daß ihn ein seltsamer Wahnsinn nur seit manchem Jahre beaͤng- stigt habe. Ich weiß recht gut wie es ist, rief der Tannenhaͤuser aus, jetzt bin ich getaͤuscht und wahnsinnig, die Hoͤlle will mir dies Blendwerk vor- gaukeln, damit ich nicht nach Rom gehn und mei- ner Suͤnden ledig werden soll. Emma suchte ihn an seine Kindheit zu erin- nern, aber der Tannenhaͤuser ließ sich nicht uͤberre- den. So reiste er schnell ab, um in kurzer Zeit in Rom vom Papste Absolution zu erhalten. Friedrich und Emma sprachen noch oft uͤber den seltsamen Pilgrim. Einige Monden waren verflossen, als der Tannenhaͤuser bleich und abge- zehrt, in zerrissenen Wallfahrtskleidern und barfuß in Friedrichs Gemach trat, indem dieser noch schlief. Er kuͤßte ihn auf den Mund und sagte dann schnell die Worte: Der heilige Vater will und kann mir nicht vergeben, ich muß in meinen alten Wohnsitz zuruͤck. Hierauf entfernte er sich eilig. Friedrich ermunterte sich, der ungluͤckliche Pil- ger war schon verschwunden. Er ging nach dem Erste Abtheilung . Zimmer seiner Gattin, und die Weiber stuͤrzten ihm mit Geheul entgegen; der Tannenhaͤuser war hier fruͤh am Tage herein gedrungen und hatte die Worte gesagt: diese soll mich nicht in meinem Laufe stoͤren! Man fand Emma ermordet. Noch konnte sich Friedrich nicht besinnen, als es ihn wie Entsetzen befiel; er konnte nicht ruhn, er rannte ins Freie. Man wollte ihn zuruͤck hal- ten, aber er erzaͤhlte, wie ihm der Pilgrim einen Kuß auf die Lippen gegeben habe, und wie dieser Kuß ihn brenne, bis er jenen wieder gefunden. So rannte er in unbegreiflicher Eile fort, den wunder- lichen Berg und den Tannenhaͤuser zu suchen, und man sah ihn seitdem nicht mehr. Die Leute sag- ten, wer einen Kuß von einem aus dem Berge bekommen, der koͤnne der Lockung nicht widerstehn, die ihn auch mit Zauber-Gewalt in die unterirdi- schen Kluͤfte reiße. — Alle waren nach geendigter Erzaͤhlung still und in sich gekehrt, worauf Manfred sagte: ohne alle Vorbereitung und einleitende Vorrede will ich sogleich die Vorlesung meines Werkes begin- nen, das, wie ich wohl nicht erst zu versichern brauche, Original und eigne Erfindung ist. Da unsre schoͤne Clara auf die Originalitaͤt so viel giebt, so hoffe ich, daß sie auch diesem Maͤhr- chen ihren Beifall nicht wird versagen koͤnnen. Er las hierauf folgende Erzaͤhlung. Der Runenberg . Der Runenberg . E in junger Jaͤger saß im innersten Gebuͤrge nach- denkend bei einem Vogelheerde, indem das Rau- schen der Gewaͤsser und des Waldes in der Ein- samkeit toͤnte. Er bedachte sein Schicksal, wie er so jung sey, und Vater und Mutter, die wohl- bekannte Heimath, und alle Befreundeten seines Dorfes verlassen hatte, um eine fremde Umgebung zu suchen, um sich aus dem Kreise der wiederkeh- renden Gewoͤhnlichkeit zu entfernen, und er blickte mit einer Art von Verwunderung auf, daß er sich nun in diesem Thale, in dieser Beschaͤftigung wie- der fand. Große Wolken zogen durch den Him- mel und verloren sich hinter den Bergen, Voͤgel sangen aus den Gebuͤschen und ein Wiederschall antwortete ihnen. Er stieg langsam den Berg hin- unter, und setzte sich an den Rand eines Baches nieder, der uͤber vorragendes Gestein schaͤumend murmelte. Er hoͤrte auf die wechselnde Melodie des Wassers, und es schien, als wenn ihm die Wo- gen in unverstaͤndlichen Worten tausend Dinge sag- ten, die ihm so wichtig waren, und er mußte sich innig betruͤben, daß er ihre Reden nicht verstehen konnte. Wieder sah er dann umher und ihm duͤnkte, er sey froh und gluͤcklich; so faßte er wie- der neuen Muth und sang mit lauter Stimme einen Jaͤgergesang. Erste Abtheilung . Froh und lustig zwischen Steinen Geht der Juͤngling auf die Jagd, Seine Beute muß erscheinen In den gruͤnlebendgen Hainen, Sucht' er auch bis in die Nacht. Seine treuen Hunde bellen Durch die schoͤne Einsamkeit, Durch den Wald die Hoͤrner gellen, Daß die Herzen muthig schwellen: O du schoͤne Jaͤgerzeit! Seine Heimath sind die Kluͤfte, Alle Baͤume gruͤßen ihn, Rauschen strenge Herbstesluͤfte Find't er Hirsch und Reh, die Schluͤfte Muß er jauchzend dann durchziehn. Laß dem Landmann seine Muͤhen Und dem Schiffer nur sein Meer Keiner sieht in Morgens Fruͤhen So Aurora's Augen gluͤhn, Haͤngt der Thau am Grase schwer, Als wer Jagd, Wild, Waͤlder kennet Und Diana lacht ihn an, Einst das schoͤnste Bild entbrennet Die er seine Liebste nennet: O begluͤckter Jaͤgersmann! Waͤhrend dieses Gesanges war die Sonne tie- fer gesunken und breite Schatten fielen durch das enge Thal. Eine kuͤhlende Daͤmmerung schlich uͤber den Boden weg, und nur noch die Wipfel der Baͤume, wie die runden Bergspitzen waren vom Schein des Abends vergoldet. Christians Gemuͤth ward Der Runenberg . ward immer truͤbseliger, er mochte nicht nach sei- nem Vogelheerde zuruͤck kehren, und dennoch mochte er nicht bleiben; es duͤnkte ihm so einsam und er sehnte sich nach Menschen. Jetzt wuͤnschte er sich die alten Buͤcher, die er sonst bei seinem Vater gesehn, und die er niemals lesen moͤgen, so oft ihn auch der Vater dazu angetrieben hatte; es fie- len ihm die Scenen seiner Kindheit ein, die Spiele mit der Jugend des Dorfes, seine Bekanntschaften unter den Kindern, die Schule, die ihm so druͤk- kend gewesen war, und er sehnte sich in alle diese Umgebungen zuruͤck, die er freiwillig verlassen hatte, um sein Gluͤck in unbekannten Gegenden, in Ber- gen, unter fremden Menschen, in einer neuen Be- schaͤftigung zu finden. Indem es finstrer wurde, und der Bach lauter rauschte, und das Gefluͤgel der Nacht seine irre Wanderung mit umschweifen- dem Fluge begann, saß er noch immer mißvergnuͤgt und in sich versunken; er haͤtte weinen moͤgen, und er war durchaus unentschlossen, was er thun und vornehmen solle. Gedankenlos zog er eine hervor- ragende Wurzel aus der Erde, und ploͤtzlich hoͤrte er schreckend ein dumpfes Winseln im Boden, das sich unterirdisch in klagenden Toͤnen fortzog, und erst in der Ferne wehmuͤthig verscholl. Der Ton durchdrang sein innerstes Herz, er ergriff ihn, als wenn er unvermuthet die Wunde beruͤhrt habe, an der der sterbende Leichnam der Natur in Schmer- zen verscheiden wolle. Er sprang auf und wollte entfliehen, denn er hatte wohl ehemals von der seltsamen Alrunenwurzel gehoͤrt, die beim Ausrei- I. [16] Erste Abtheilung . ßen so herzdurchschneidende Klagetoͤne von sich gebe, daß der Mensch von ihrem Gewinsel wahnsinnig werden muͤsse. Indem er fortgehen wollte, stand ein fremder Mann hinter ihm, welcher ihn freund- lich ansah und fragte, wohin er wolle. Christian hatte sich Gesellschaft gewuͤnscht, und doch erschrack er von neuem vor dieser freundlichen Gegenwart. Wohin so eilig? fragte der Fremde noch einmal. Der junge Jaͤger suchte sich zu sammeln und er- zaͤhlte, wie ihm ploͤtzlich die Einsamkeit so schreck- lich vorgekommen sey, daß er sich habe retten wol- len, der Abend sey so dunkel, die gruͤnen Schat- ten des Waldes so traurig, der Bach spreche in lauter Klagen, die Wolken des Himmels zoͤgen seine Sehnsucht jenseit den Bergen hinuͤber. Ihr seyd noch jung, sagte der Fremde, und koͤnnt wohl die Strenge der Einsamkeit noch nicht ertragen, ich will euch begleiten, denn ihr findet doch kein Haus oder Dorf im Umkreis einer Meile, wir moͤgen unterwegs etwas sprechen und uns erzaͤhlen, so verliert ihr die truͤben Gedanken; in einer Stunde kommt der Mond hinter den Bergen hervor, sein Licht wird dann wohl auch eure Seele lichter machen. Sie gingen fort, und der Fremde duͤnkte dem Juͤnglinge bald ein alter Bekannter zu seyn. Wie seyd ihr in dieses Gebuͤrge gekommen, fragte je- ner, ihr seid hier, eurer Sprache nach, nicht ein- heimisch. — Ach daruͤber, sagte der Juͤngling, ließe sich viel sagen, und doch ist es wieder keiner Rede, keiner Erzaͤhlung werth; es hat mich wie mit frem- der Gewalt aus dem Kreise meiner Eltern und Der Runenberg . Verwandten hinweg genommen, mein Geist war seiner selbst nicht maͤchtig, wie ein Vogel, der in einem Netz gefangen ist und sich vergeblich straͤubt, so verstrickt war meine Seele in seltsamen Vor- stellungen und Wuͤnschen. Wir wohnten weit von hier in einer Ebene, in der man rund umher kei- nen Berg, kaum eine Anhoͤhe erblickte; wenige Baͤume schmuͤckten den gruͤnen Plan, aber Wie- sen, fruchtbare Kornfelder und Gaͤrten zogen sich hin, so weit das Auge reichen konnte, ein großer Fluß glaͤnzte wie ein maͤchtiger Geist an den Wie- sen und Feldern vorbei. Mein Vater war Gaͤrt- ner im Schloß und hatte vor, mich ebenfalls zu seiner Beschaͤftigung zu erziehen; er liebte die Pflanzen und Blumen uͤber alles und konnte sich tagelang unermuͤdet mit ihrer Wartung und Pflege abgeben. Ja er ging so weit, daß er behauptete, er koͤnne fast mit ihnen sprechen; er lerne von ih- rem Wachsthum und Gedeihen, so wie von der verschiedenen Gestalt und Farbe ihrer Blaͤtter. Mir war die Gartenarbeit zuwider, um so mehr, als mein Vater mir zuredete, oder gar mit Drohun- gen mich zu zwingen versuchte. Ich wollte Fischer werden, und machte den Versuch, allein das Leben auf dem Wasser stand mir auch nicht an; ich wurde dann zu einem Handelsmann in die Stadt gege- ben, und kam auch von ihm bald in das vaͤterliche Haus zuruͤck. Auf einmal hoͤrte ich meinen Vater von Gebuͤrgen erzaͤhlen, die er in seiner Jugend bereiset hatte, von den unterirdischen Bergwerken und ihren Arbeitern, von Jaͤgern und ihrer Be- Erste Abtheilung . schaͤftigung, und ploͤtzlich erwachte in mir der be- stimmteste Trieb, das Gefuͤhl, daß ich nun die fuͤr mich bestimmte Lebensweise gefunden habe. Tag und Nacht sann ich und stellte mir hohe Berge, Kluͤfte und Tannenwaͤlder vor; meine Einbildung erschuf sich ungeheure Felsen, ich hoͤrte in Gedan- ken das Getoͤse der Jagd, die Hoͤrner, und das Geschrei der Hunde und des Wildes; alle meine Traͤume waren damit angefuͤllt und daruͤber hatte ich nun weder Rast noch Ruhe mehr. Die Ebene, das Schloß, der kleine beschraͤnkte Garten meines Vaters mit den geordneten Blumenbeeten, die enge Wohnung, der weite Himmel, der sich ringsum so traurig ausdehnte, und keine Hoͤhe, keinen er- habenen Berg umarmte, alles ward mir noch be- truͤbter und verhaßter. Es schien mir, als wenn alle Menschen um mich her in der bejammerns- wuͤrdigsten Unwissenheit lebten, und daß alle eben so denken und empfinden wuͤrden, wie ich, wenn ihnen dieses Gefuͤhl ihres Elendes nur ein einziges mal in ihrer Seele aufginge. So trieb ich mich um, bis ich an einem Morgen den Entschluß faßte, das Haus meiner Eltern auf immer zu verlassen. Ich hatte in meinem Buche Nachrichten vom naͤch- sten großen Gebirge gefunden, Abbildungen einiger Gegenden, und darnach richtete ich meinen Weg ein. Es war im ersten Fruͤhlinge und ich fuͤhlte mich durchaus froh und leicht. Ich eilte, um nur recht bald das Ebene zu verlassen, und an einem Abende, sah ich in der Ferne die dunkeln Umrisse des Gebirges vor mir liegen. Ich konnte in der Der Runenberg . Herberge kaum schlafen, so ungeduldig war ich, die Gegend zu betreten, die ich fuͤr meine Heimath ansah; mit dem Fruͤhesten war ich munter und wieder auf der Reise. Nachmittags befand ich mich schon unter den vielgeliebten Bergen, und wie ein Trunkner ging ich, stand dann eine Weile, schaute ruͤckwaͤrts, und berauschte mich in allen mir fremden und doch so wohlbekannten Gegen- staͤnden. Bald verlor ich die Ebene hinter mir aus dem Gesichte, die Waldstroͤme rauschten mir entgegen, Buchen und Eichen brausten mit beweg- tem Laube von steilen Abhaͤngen herunter; mein Weg fuͤhrte mich schwindlichten Abgruͤnden voruͤber, blaue Berge standen groß und ehrwuͤrdig im Hin- tergrunde. Eine neue Welt war mir aufgeschlos- sen, ich wurde nicht muͤde. So kam ich nach eini- gen Tagen, indem ich einen großen Theil des Ge- birges durchstreift hatte, zu einem alten Foͤrster, der mich auf mein instaͤndiges Bitten zu sich nahm, um mich in der Kunst der Jaͤgerei zu unterrichten. Jetzt bin ich seit drei Monaten in seinen Dien- sten. Ich nahm von der Gegend, in der ich mei- nen Aufenthalt hatte, wie von einem Koͤnigreiche Besitz; ich lernte jede Klippe, jede Schluft des Gebirges kennen, ich war in meiner Beschaͤftigung, wenn wir am fruͤhen Morgen nach dem Walde zogen, wenn wir Baͤume im Forste faͤllten, wenn ich mein Auge und meine Buͤchse uͤbte, und die treuen Gefaͤhrten, die Hunde zu ihren Geschicklich- keiten abrichtete, uͤberaus gluͤcklich. Jetzt sitze ich seit acht Tagen hier oben auf dem Vogelheerde, Erste Abtheilung . im einsamsten Gebirge, und am Abend wurde mir heut so traurig zu Sinne, wie noch niemals in meinem Leben, ich kam mir so verloren, so ganz ungluͤckselig vor, und noch kann ich mich nicht von dieser truͤben Stimmung erhohlen. Der fremde Mann hatte aufmerksam zuge- hoͤrt, indem beide durch einen dunkeln Gang des Waldes gewandert waren. Jetzt traten sie ins Freie, und das Licht des Mondes, der oben mit seinen Hoͤrnern uͤber der Bergspitze stand, begruͤßte sie freundlich: in unkenntlichen Formen und vielen gesonderten Massen, die der bleiche Schimmer wie- der raͤthselhaft vereinigte, lag das gespaltene Ge- birge vor ihnen, im Hintergrunde ein steiler Berg, auf welchem uralte verwitterte Ruinen schauerlich im weißen Lichte sich zeigten. Unser Weg trennt sich hier, sagte der Fremde, ich gehe in diese Tiefe hinunter, dort, bei jenem alten Schacht ist meine Wohnung: die Erze sind meine Nachbarn, die Berggewaͤsser erzaͤhlen mir Wunderdinge in der Nacht, dahin kannst du mir doch nicht folgen. Aber siehe dort den Runenberg mit seinem schrof- fen Mauerwerke, wie schoͤn und anlockend das alte Gestein zu uns herblickt! Bist du niemals dorten gewesen? Niemals, sagte der junge Christian, ich hoͤrte einmal meinen alten Foͤrster wundersame Dinge von diesem Berge erzaͤhlen, die ich thoͤricht genug wieder vergessen habe, aber ich erinnere mich, daß mir an jenem Abend grauenhaft zu Muthe war. Ich moͤchte wohl einmal die Hoͤhe besteigen, denn die Lichter sind dort am schoͤnsten, das Gras muß Der Runenberg . dorten recht gruͤn seyn, die Welt umher recht selt- sam, auch mag sichs wohl treffen, daß man noch manch Wunder aus der alten Zeit da oben faͤnde. Es kann fast nicht fehlen, sagte jener, wer nur zu suchen versteht, wessen Herz recht innerlich hingezogen wird, der findet uralte Freunde dort und Herrlichkeiten, alles, was er am eifrigsten wuͤnscht. — Mit diesen Worten stieg der Fremde schnell hinunter, ohne seinem Gefaͤhrten Lebewohl zu sagen, bald war er im Dickicht des Gebuͤsches verschwunden, und kurz nachher verhallte auch der Tritt seiner Fuͤße. Der junge Jaͤger war nicht verwundert, er verdoppelte nur seine Schritte nach dem Runenberge zu, alles winkte ihm dorthin, die Sterne schienen dorthin zu leuchten, der Mond wies mit einer hellen Straße nach den Truͤmmern, lichte Wolken zogen hinauf, und aus der Tiefe redeten ihm Gewaͤsser und rauschende Waͤlder zu und sprachen ihm Muth ein. Seine Schritte waren wie befluͤgelt, sein Herz klopfte, er fuͤhlte eine so große Freudigkeit in seinem Innern, daß sie zu einer Angst empor wuchs. — Er kam in Gegenden, in denen er nie gewesen war, die Fel- sen wurden steiler, das Gruͤn verlor sich, die kah- len Waͤnde riesen ihn wie mit zuͤrnenden Stim- men an, und ein einsam klagender Wind jagte ihn vor sich her. So eilte er ohne Stillstand fort, und kam spaͤt nach Mitternacht auf einen schma- len Fußsteig, der hart an einem Abgrunde hinlief. Er achtete nicht auf die Tiefe, die unter ihm gaͤhnte und ihn zu verschlingen drohte, so sehr spornten Erste Abtheilung . ihn irre Vorstellungen und unverstaͤndliche Wuͤn- sche. Jetzt zog ihn der gefaͤhrliche Weg neben eine hohe Mauer hin, die sich in den Wolken zu verlieren schien; der Steig ward mit jedem Schritte schmaler, und der Juͤngling mußte sich an vorra- genden Steinen fest halten, um nicht hinunter zu stuͤrzen. Endlich konnte er nicht weiter, der Pfad endigte unter einem Fenster, er mußte still stehen und wußte jetzt nicht, ob er umkehren, ob er blei- ben solle. Ploͤtzlich sah er ein Licht, das sich hin- ter dem alten Gemaͤuer zu bewegen schien. Er sah dem Scheine nach, und entdeckte, daß er in einen alten geraͤumigen Saal blicken konnte, der wunderlich verziert von mancherley Gesteinen und Krystallen in vielfaͤltigen Schimmern funkelte, die sich geheimnißvoll von dem wandelnden Lichte durch- einander bewegten, welches eine große weibliche Gestalt trug, die sinnend im Gemache auf und nie- der ging. Sie schien nicht den Sterblichen anzu- gehoͤren, so groß, so maͤchtig waren ihre Glieder, so streng ihr Gesicht, aber doch duͤnkte dem ent- zuͤckten Juͤnglinge, daß er noch niemals solche Schoͤnheit gesehn oder geahndet habe. Er zitterte und wuͤnschte doch heimlich, daß sie zum Fenster treten und ihn wahrnehmen moͤchte. Endlich stand sie still, setzte das Licht auf einen krystallenen Tisch nieder, schaute in die Hoͤhe und sang mit durch- dringlicher Stimme: Wo die Alten weilen, Daß sie nicht erscheinen? Die Krystallen weinen, Der Runenberg . Von demantnen Saͤulen Fließen Thraͤnenquellen, Toͤne klingen drein; In den klaren hellen Schoͤn durchsichtigen Wellen Bildet sich der Schein, Der die Seelen ziehet, Dem das Herz ergluͤhet. Kommt ihr Geister alle Zu der goldnen Halle, Hebt aus tiefen Dunkeln Haͤupter, welche funkeln! Macht der Herzen und der Geister, Die so durstig sind im Sehnen, Mit den leuchtend schoͤnen Thraͤnen Allgewaltig euch zum Meister! Als sie geendigt hatte, fing sie an sich zu ent- kleiden, und ihre Gewaͤnder in einen kostbaren Wandschrank zu legen. Erst nahm sie einen gol- denen Schleyer vom Haupte, und ein langes schwar- zes Haar floß in geringelter Fuͤlle bis uͤber die Huͤften hinab; dann loͤste sie das Gewand des Busens, und der Juͤngling vergaß sich und die Welt im Anschauen der uͤberirdischen Schoͤnheit. Er wagte kaum zu athmen, als sie nach und nach alle Huͤllen loͤste; nackt schritt sie endlich im Saale auf und nieder, und ihre schweren schwebenden Locken bildeten um sie her ein dunkel wogendes Meer, aus dem wie Marmor die glaͤnzenden For- men des reinen Leibes abwechselnd hervor strahl- ten. Nach geraumer Zeit naͤherte sie sich einem andern goldenen Schranke, nahm eine Tafel her- Erste Abtheilung . aus, die von vielen eingelegten Steinen, Rubinen, Diamanten und allen Juwelen glaͤnzte, und betrach- tete sie lange pruͤfend. Die Tafel schien eine wun- derliche unverstaͤndliche Figur mit ihren unterschied- lichen Farben und Linien zu bilden; zuweilen war, nachdem der Schimmer ihm entgegen spiegelte, der Juͤngling schmerzhaft geblendet, dann wieder besaͤnf- tigten gruͤne und blau spielende Scheine sein Auge: er aber stand, die Gegenstaͤnde mit seinen Blicken verschlingend, und zugleich tief in sich selbst versun- ken. In seinem Innern hatte sich ein Abgrund von Gestalten und Wohllaut, von Sehnsucht und Wollust aufgethan, Schaaren von befluͤgelten Toͤ- nen und wehmuͤthigen und freudigen Melodien zogen durch sein Gemuͤth, das bis auf den Grund bewegt war: er sah eine Welt von Schmerz und Hoffnung in sich aufgehen, maͤchtige Wunderfelsen von Vertrauen und trotzender Zuversicht, große Wasserstroͤme, wie voll Wehmuth fließend. Er kannte sich nicht wieder, und erschrack, als die Schoͤne das Fenster oͤffnete, ihm die magische stei- nerne Tafel reichte und die wenigen Worte sprach: Nimm dieses zu meinem Angedenken! Er faßte die Tafel und fuͤhlte die Figur, die unsichtbar sogleich in sein Inneres uͤberging, und das Licht und die maͤchtige Schoͤnheit und der seltsame Saal waren verschwunden. Wie eine dunkele Nacht mit Wol- kenvorhaͤngen fiel es in sein Inneres hinein, er suchte nach seinen vorigen Gefuͤhlen, nach jener Begeisterung und unbegreiflichen Liebe, er beschaute Der Runenberg . die kostbare Tafel, in welcher sich der untersinkende Mond schwach und blaͤulich spiegelte. Noch hielt er die Tafel fest in seine Haͤnde gepreßt, als der Morgen graute und er erschoͤpft, schwindelnd und halb schlafend die steile Hoͤhe hin- unter stuͤrzte. — Die Sonne schien dem betaͤubten Schlaͤfer auf sein Gesicht, der sich erwachend auf einem anmuthigen Huͤgel wieder fand. Er sah umher, und erblickte weit hinter sich und kaum noch kenn- bar am aͤußersten Horizont die Truͤmmer des Ru- nenberges: er suchte nach jener Tafel, und fand sie nirgend. Erstaunt und verwirrt wollte er sich sammeln und seine Erinnerungen anknuͤpfen, aber sein Gedaͤchtniß war wie mit einem wuͤsten Nebel angefuͤllt, in welchem sich formlose Gestalten wild und unkenntlich durch einander bewegten. Sein gan- zes voriges Leben lag wie in einer tiefen Ferne hinter ihm; das Seltsamste und das Gewoͤhnliche war so in einander vermischt, daß er es unmoͤg- lich sondern konnte. Nach langem Streite mit sich selbst glaubte er endlich, ein Traum oder ein ploͤtz- licher Wahnsinn habe ihn in dieser Nacht befallen, nur begriff er immer nicht, wie er sich so weit in eine fremde entlegene Gegend habe verirren koͤnnen. Noch fast schlaftrunken stieg er den Huͤgel hin- ab, und gerieth auf einen gebahnten Weg, der ihn vom Gebirge hinunter in das flache Land fuͤhrte. Alles war ihm fremd, er glaubte anfangs, er wuͤrde in seine Heimath gelangen, aber er sah eine ganz verschiedene Gegend, und vermuthete endlich, daß Erste Abtheilung . er sich jenseit der suͤdlichen Graͤnze des Gebirges befinden muͤsse, welches er im Fruͤhling von Nor- den her betreten hatte. Gegen Mittag stand er uͤber einem Dorfe, aus dessen Huͤtten ein friedli- cher Rauch in die Hoͤhe stieg, Kinder spielten auf einem gruͤnen Platze festtaͤglich gepuzt, und aus der kleinen Kirche erscholl der Orgelklang und das Singen der Gemeine. Alles ergriff ihn mit unbe- schreiblich suͤßer Wehmuth, alles ruͤhrte ihn so herz- lich, daß er weinen mußte. Die engen Gaͤrten, die kleinen Huͤtten mit ihren rauchenden Schorn- steinen, die gerade abgetheilten Kornfelder erinner- ten ihn an die Beduͤrftigkeit des armen Menschen- geschlechts, an seine Abhaͤngigkeit vom freundlichen Erdboden, dessen Milde es sich vertrauen muß; da- bei erfuͤllte der Gesang und der Ton der Orgel sein Herz mit einer nie gefuͤhlten Froͤmmigkeit. Seine Empfindungen und Wuͤnsche der Nacht erschienen ihm ruchlos und frevelhaft, er wollte sich wieder kindlich, beduͤrftig und demuͤthig an die Menschen wie an seine Bruͤder anschließen, und sich von den gottlosen Gefuͤhlen und Vorsaͤtzen entfernen. Rei- zend und anlockend duͤnkte ihm die Ebene mit dem kleinen Fluß, der sich in mannigfaltigen Kruͤm- mungen um Wiesen und Gaͤrten schmiegte; mit Furcht gedachte er an seinen Aufenthalt in dem einsamen Gebirge und zwischen den wuͤsten Stei- nen, er sehnte sich, in diesem friedlichen Dorfe wohnen zu duͤrfen, und trat mit diesen Empfin- dungen in die menschenerfuͤllte Kirche. Der Gesang war eben beendigt und der Prie- Der Runenberg . ster hatte seine Predigt begonnen, von den Wohl- thaten Gottes in der Erndte: wie seine Guͤte alles speiset und saͤttiget was lebt, wie wunderbar im Getraide fuͤr die Erhaltung des Menschengeschlech- tes gesorgt sey, wie die Liebe Gottes sich unauf- hoͤrlich im Brodte mittheile und der andaͤchtige Christ so ein unvergaͤngliches Abendmahl geruͤhrt feyern koͤnne. Die Gemeine war erbaut, des Jaͤ- gers Blicke ruhten auf dem frommen Redner, und bemerkten dicht neben der Kanzel ein junges Maͤd- chen, das vor allen andern der Andacht und Auf- merksamkeit hingegeben schien. Sie war schlank und blond, ihr blaues Auge glaͤnzte von der durch- dringendsten Sanftheit, ihr Antlitz war wie durch- sichtig und in den zartesten Farben bluͤhend. Der fremde Juͤngling hatte sich und sein Herz noch nie- mals so empfunden, so voll Liebe und so beruhigt, so den stillsten und erquickendsten Gefuͤhlen hinge- geben. Er beugte sich weinend, als der Priester endlich den Seegen sprach, er fuͤhlte sich bei den heiligen Worten wie von einer unsichtbaren Gewalt durchdrungen, und das Schattenbild der Nacht in die tiefste Entfernung wie ein Gespenst hinab ge- ruͤckt. Er verließ die Kirche, verweilte unter einer großen Linde, und dankte Gott in einem inbruͤn- stigen Gebete, daß er ihn ohne sein Verdienst wie- der aus den Netzen des boͤsen Geistes befreyt habe. Das Dorf feyerte an diesem Tage das Ernd- tefest und alle Menschen waren froͤhlich gestimmt; die gepuzten Kinder freuten sich auf die Taͤnze und Kuchen, die jungen Burschen richteten auf dem Erste Abtheilung . Platze im Dorfe, der von jungen Baͤumen um- geben war, alles zu ihrer herbstlichen Festlichkeit ein, die Musikanten saßen und probirten ihre In- strumente. Christian ging noch einmal in das Feld hinaus, um sein Gemuͤth zu sammeln und seinen Betrachtungen nachzuhaͤngen, dann kam er in das Dorf zuruͤck, als sich schon alles zur Froͤhlichkeit und zur Begehung des Festes vereiniget hatte. Auch die blonde Elisabeth war mit ihren Eltern zugegen, und der Fremde mischte sich in den frohen Haufen. Eli- sabeth tanzte, und er hatte unterdeß bald mit dem Vater ein Gespraͤch angesponnen, der ein Pachter war und einer der reichsten Leute im Dorfe. Ihm schien die Jugend und das Gespraͤch des fremden Gastes zu gefallen, und so wurden sie in kurzer Zeit dahin einig, daß Christian als Gaͤrtner bei ihm einziehen solle. Dieser konnte es unterneh- men, denn er hoffte, daß ihm nun die Kenntnisse und Beschaͤftigungen zu statten kommen wuͤrden, die er in seiner Heimath so sehr verachtet hatte. Jetzt begann ein neues Leben fuͤr ihn. Er zog bei dem Pachter ein und ward zu dessen Familie gerechnet; mit seinem Stande veraͤnderte er auch seine Tracht. Er war so gut, so dienstfertig und immer freundlich, er stand seiner Arbeit so fleißig vor, daß ihm bald alle im Hause, vorzuͤglich aber die Tochter, gewogen wurden. So oft er sie am Sonntage zur Kirche gehen sah, hielt er ihr einen schoͤnen Blumenstrauß in Bereitschaft, fuͤr den sie ihm mit erroͤthender Freundlichkeit dankte; er ver- mißte sie, wenn er sie an einem Tage nicht sah, Der Runenberg . dann erzaͤhlte sie ihm am Abend Maͤhrchen und lustige Geschichten. Sie wurden sich immer noth- wendiger, und die Alten, welche es bemerkten, schienen nichts dagegen zu haben, denn Christian war der fleißigste und schoͤnste Bursche im Dorfe; sie selbst hatten vom ersten Augenblick einen Zug der Liebe und Freundschaft zu ihm gefuͤhlt. Nach einem halben Jahre war Elisabeth seine Gattin. Es war wieder Fruͤhling, die Schwalben und die Voͤgel des Gesanges kamen in das Land, der Gar- ten stand in seinem schoͤnsten Schmuck, die Hoch- zeit wurde mit aller Froͤhlichkeit gefeyert, Braut und Braͤutigam schienen trunken von ihrem Gluͤcke. Am Abend spaͤt, als sie in die Kammer gingen, sagte der junge Gatte zu seiner Geliebten: Nein, nicht jenes Bild bist du, welches mich einst im Traum entzuͤckte und das ich niemals ganz verges- sen kann, aber doch bin ich gluͤcklich in deiner Naͤhe und seelig in deinen Armen. Wie vergnuͤgt war die Familie, als sie nach einem Jahre durch eine kleine Tochter vermehrt wurde, welche man Leonora nannte. Christian wurde zwar zuweilen etwas ernster, indem er das Kind betrachtete, aber doch kam seine jugendliche Heiterkeit immer wieder zuruͤck. Er gedachte kaum noch seiner vorigen Lebensweise, denn er fuͤhlte sich ganz einheimisch und befriedigt. Nach einigen Monaten fielen ihm aber seine Eltern in die Ge- danken, und wie sehr sich besonders sein Vater uͤber sein ruhiges Gluͤck, uͤber seinen Stand als Gaͤrtner und Landmann freuen wuͤrde; es aͤngstigte Erste Abtheilung . ihn, daß er Vater und Mutter seit so langer Zeit ganz hatte vergessen koͤnnen, sein einziges Kind erinnerte ihn, welche Freude die Kinder den Eltern sind, und so beschloß er dann endlich, sich auf die Reise zu machen und seine Heimath wieder zu besuchen. Ungern verließ er seine Gattin; alle wuͤnsch- ten ihm Gluͤck, und er machte sich in der schoͤnen Jahreszeit zu Fuß auf den Weg. Er fuͤhlte schon nach wenigen Stunden, wie ihn das Scheiden peinige, zum erstenmal empfand er in seinem Leben die Schmerzen der Trennung; die fremden Gegen- staͤnde erschienen ihm fast wild, ihm war, als sey er in einer feindseligen Einsamkeit verloren. Da kam ihm der Gedanke, daß seine Jugend voruͤber sey, daß er eine Heimath gefunden, zu der er ge- hoͤre, in die sein Herz Wurzel geschlagen habe; er war fast im Begriff den verlornen Leichtsinn der vorigen Jahre zu beklagen, und es war ihm aͤußert truͤbselig zu Muthe, als er fuͤr die Nacht auf einem Dorfe in dem Wirthshause einkehren mußte. Er begriff nicht, warum er sich von seiner freundlichen Gattin und den erworbenen Eltern ent- fernt habe, und verdrießlich und murrend machte er sich am Morgen auf den Weg, um seine Reise fortzusetzen. Seine Angst nahm zu, indem er sich dem Ge- birge naͤherte, die fernen Ruinen wurden schon sichtbar und traten nach und nach kenntlicher her- vor, viele Bergspitzen hoben sich abgeruͤndet aus dem blauen Nebel. Sein Schritt wurde zaghaft, er Der Runenberg . er blieb oft stehen und verwunderte sich uͤber seine Furcht, uͤber die Schauer, die ihm mit jedem Schritte gedraͤngter nahe kamen. Ich kenne dich Wahnsinn wohl, rief er aus, und dein gefaͤhrliches Locken, aber ich will dir maͤnnlich widerstehn! Eli- sabeth ist kein schnoͤder Traum, ich weiß, daß sie jetzt an mich denkt, daß sie auf mich wartet und liebevoll die Stunden meiner Abwesenheit zaͤhlt. Sehe ich nicht schon Waͤlder wie schwarze Haare vor mir? Schauen nicht aus dem Bache die bliz- zenden Augen nach mir her? Schreiten die großen Glieder nicht aus den Bergen auf mich zu? — Mit diesen Worten wollte er sich um auszuruhen unter einen Baum nieder werfen, als er im Schat- ten desselben einen alten Mann sitzen sah, der mit der groͤßten Aufmerksamkeit eine Blume betrachtete, sie bald gegen die Sonne hielt, bald wieder mit seiner Hand beschattete, ihre Blaͤtter zaͤhlte, und uͤberhaupt sich bemuͤhte, sie seinem Gedaͤchtnisse genau einzupraͤgen. Als er naͤher ging, erschien ihm die Gestalt so bekannt, und bald blieb ihm kein Zweifel uͤbrig, daß der Alte mit der Blume sein Vater sey. Er stuͤrzte ihm mit dem Ausdruck der heftigsten Freude in die Arme; jener war ver- gnuͤgt, aber nicht uͤberrascht, ihn so ploͤtzlich wie- der zu sehen. Koͤmmst du mir schon entgegen, mein Sohn? sagte der Alte, ich wußte, daß ich dich bald finden wuͤrde, aber ich glaubte nicht, daß mir schon am heutigen Tage die Freude widerfah- ren sollte. — Woher wußtet Ihr, Vater, daß Ihr mich antreffen wuͤrdet? — An dieser Blume, I. [ 17 ] Erste Abtheilung . sprach der alte Gaͤrtner; seit ich lebe habe ich mir gewuͤnscht, sie einmal sehen zu koͤnnen, aber nie- mals ist es mir so gut geworden, weil sie sehr selten ist, und nur in Gebirgen waͤchst: ich machte mich auf dich zu suchen, weil deine Mutter gestor- ben ist und mir zu Hause die Einsamkeit zu druͤ- ckend und truͤbselig war. Ich wußte nicht, wohin ich meinen Weg richten sollte, endlich wanderte ich durch das Gebirge, so traurig mir auch die Reise vorkam; ich suchte beiher nach der Blume, konnte sie aber nirgends entdecken, und nun finde ich sie ganz unvermuthet hier, wo schon die schoͤne Ebene sich ausstreckt, daraus wußte ich, daß ich dich bald finden mußte, und sieh, wie die liebe Blume mir geweissagt hat! Sie umarmten sich wieder, und Christian beweinte seine Mutter; der Alte aber faßte seine Hand und sagte: laß uns gehen, daß wir die Schatten des Gebirges bald aus den Au- gen verlieren, mir ist immer noch weh ums Herz von den steilen wilden Gestalten, von dem graͤßli- chen Gekluͤft, von den schluchzenden Wasserbaͤchen; laß uns das gute, fromme, ebene Land besuchen. Sie wanderten zuruͤck, und Christian ward wieder froher. Er erzaͤhlte seinem Vater von seinem neuen Gluͤcke, von seinem Kinde und seiner Hei- math; sein Gespraͤch machte ihn selbst wie trun- ken, und er fuͤhlte im Reden erst recht, wie nichts mehr zu seiner Zufriedenheit ermangle. So kamen sie unter Erzaͤhlungen, traurigen und froͤhlichen, in dem Dorfe an. Alle waren uͤber die fruͤhe Be- endigung der Reise vergnuͤgt, am meisten Elisa- Der Runenberg . beth. Der alte Vater zog zu ihnen, und gab sein kleines Vermoͤgen in ihre Wirthschaft; sie bildeten den zufriedensten und eintraͤchtigsten Kreis von Men- schen. Der Acker gedieh, der Viehstand mehrte sich, Christians Haus wurde in wenigen Jahren eins der ansehnlichsten im Orte; auch sah er sich bald als den Vater von mehreren Kindern. Fuͤnf Jahre waren auf diese Weise verflossen, als ein Fremder auf seiner Reise in ihrem Dorfe einkehrte, und in Christians Hause, weil es die an- sehnlichste Wohnung war, seinen Aufenthalt nahm. Er war ein freundlicher, gespraͤchiger Mann, der vieles von seinen Reisen erzaͤhlte, der mit den Kin- dern spielte und ihnen Geschenke machte, und dem in kurzem alle gewogen waren. Es gefiel ihm so wohl in der Gegend, daß er sich einige Tage hier aufhalten wollte; aber aus den Tagen wurden Wo- chen, und endlich Monate. Keiner wunderte sich uͤber die Verzoͤgerung, denn alle hatten sich schon daran gewoͤhnt, ihn mit zur Familie zu zaͤhlen. Christian saß nur oft nachdenklich, denn es kam ihm vor, als kenne er den Reisenden schon von ehemals, und doch konnte er sich keiner Gelegen- heit erinnern, bei welcher er ihn gesehen haben moͤchte. Nach dreien Monaten nahm der Fremde endlich Abschied und sagte: Lieben Freunde, ein wunderbares Schicksal und seltsame Erwartungen treiben mich in das naͤchste Gebirge hinein, ein zaubervolles Bild, dem ich nicht widerstehen kann, lockt mich; ich verlasse euch jetzt, und ich weiß nicht, ob ich wieder zu euch zuruͤck kommen werde; Erste Abtheilung . ich habe eine Summe Geldes bei mir, die in euren Haͤnden sicherer ist als in den meinigen, und des- halb bitte ich euch, sie zu verwahren, komme ich in Jahresfrist nicht zuruͤck, so behaltet sie, und nehmet sie als einen Dank fuͤr eure mir bewiesene Freundschaft an. So reiste der Fremde ab, und Christian nahm das Geld in Verwahrung. Er verschloß es sorg- faͤltig und sah aus uͤbertriebener Aengstlichkeit zu- weilen wieder nach, zaͤhlte es uͤber, ob nichts da- ran fehle, und machte sich viel damit zu thun. Diese Summe koͤnnte uns recht gluͤcklich machen, sagte er einmal zu seinem Vater, wenn der Fremde nicht zuruͤck kommen sollte, fuͤr uns und unsre Kinder waͤre auf immer gesorgt. Laß das Gold, sagte der Alte, darinne liegt das Gluͤck nicht, uns hat bisher noch gottlob nichts gemangelt, und ent- schlage dich uͤberhaupt dieser Gedanken. Oft stand Christian in der Nacht auf, um die Knechte zur Arbeit zu wecken und selbst nach allem zu sehn; der Vater war besorgt, daß er durch uͤbertriebenen Fleiß seiner Jugend und Ge- sundheit schaden moͤchte: daher machte er sich in einer Nacht auf, um ihn zu ermahnen, seine uͤber- triebene Thaͤtigkeit einzuschraͤnken, als er ihn zu seinem Erstaunen bei einer kleinen Lampe am Ti- sche sitzend fand, indem er wieder mit der groͤßten Aemsigkeit die Goldstuͤcke zaͤhlte. Mein Sohn, sagte der Alte mit Schmerzen, soll es dahin mit dir kommen, ist dieses verfluchte Metall nur zu unserm Ungluͤck unter dieses Dach gebracht? Be- Der Runenberg . sinne dich, mein Lieber, so muß dir der boͤse Feind Blut und Leben verzehren. — Ja, sagte Christian, ich verstehe mich selber nicht mehr, weder bei Tage noch in der Nacht laͤßt es mir Ruhe; seht, wie es mich jetzt wieder anblickt, daß mir der rothe Glanz tief in mein Herz hinein geht! Horcht, wie es klingt, dies guͤldene Blut! das ruft mich, wenn ich schlafe, ich hoͤre es, wenn Musik toͤnt, wenn der Wind blaͤst, wenn Leute auf der Gasse spre- chen; scheint die Sonne, so sehe ich nur diese gel- ben Augen, wie es mir zublinzelt, und mir heimlich ein Liebeswort ins Ohr sagen will: so muß ich mich wohl naͤchtlicher Weise aufmachen, um nur seinem Liebesdrang genug zu thun, und dann fuͤhle ich es innerlich jauchzen und frohlocken, wenn ich es mit meinen Fingern beruͤhre, es wird vor Freu- den immer roͤther und herrlicher; schaut nur selbst die Glut der Entzuͤckung an! — Der Greis nahm schaudernd und weinend den Sohn in seine Arme, betete und sprach dann: Christel, du mußt dich wieder zum Worte Gottes wenden, du mußt flei- ßiger und andaͤchtiger in die Kirche gehen, sonst wirst du verschmachten und im traurigsten Elende dich verzehren. Das Geld wurde wieder weggeschlossen, Chri- stian versprach sich zu aͤndern und in sich zu gehn, und der Alte ward beruhigt. Schon war ein Jahr und mehr vergangen, und man hatte von dem Fremden noch nichts wieder in Erfahrung bringen koͤnnen; der Alte gab nun endlich den Bitten seines Sohnes nach, und das zuruͤckgelassene Geld wurde Erste Abtheilung . in Laͤndereien und auf andere Weise angelegt. Im Dorfe wurde bald von dem Reichthum des jungen Pachters gesprochen, und Christian schien außerordentlich zufrieden und vergnuͤgt, so daß der Vater sich gluͤcklich pries, ihn so wohl und heiter zu sehn: alle Furcht war jetzt in seiner Seele ver- schwunden. Wie sehr mußte er daher erstaunen, als ihn an einem Abend Elisabeth beiseit nahm und unter Thraͤnen erzaͤhlte, wie sie ihren Mann nicht mehr verstehe, er spreche so irre, vorzuͤglich des Nachts, er traͤume schwer, gehe oft im Schlafe lange in der Stube herum, ohne es zu wissen, und erzaͤhle wunderbare Dinge, vor denen sie oft schau- dern muͤsse. Am schrecklichsten sey ihr seine Lustig- keit am Tage, denn sein Lachen sey so wild und frech, sein Blick irre und fremd. Der Vater erschrack und die betruͤbte Gattin fuhr fort: Immer spricht er von dem Fremden, und behauptet, daß er ihn schon sonst gekannt habe, denn dieser fremde Mann sey eigentlich ein wunderschoͤnes Weib; auch will er gar nicht mehr auf das Feld hinaus gehn oder im Garten arbeiten, denn er sagt, er hoͤre ein unterirdisches fuͤrchterliches Aechzen, so wie er nur eine Wurzel ausziehe; er faͤhrt zusammen und scheint sich vor allen Pflanzen und Kraͤutern wie vor Gespenstern zu entsetzen. — Allguͤtiger Gott! rief der Vater aus, ist der fuͤrchterliche Hunger in ihn schon so fest hinein gewachsen, daß es dahin hat kommen koͤnnen? So ist sein verzaubertes Herz nicht menschlich mehr, sondern von kaltem Metall; Der Runenberg . wer keine Blume mehr liebt, dem ist alle Liebe und Gottesfurcht verloren. Am folgenden Tage ging der Vater mit dem Sohne spatzieren, und sagte ihm manches wieder, was er von Elisabeth gehoͤrt hatte; er ermahnte ihn zur Froͤmmigkeit, und daß er seinen Geist heiligen Betrachtungen widmen solle. Christian sagte: gern, Vater, auch ist mir oft ganz wohl, und es gelingt mir alles gut; ich kann auf lange Zeit, auf Jahre, die wahre Gestalt meines In- nern vergessen, und gleichsam ein fremdes Leben mit Leichtigkeit fuͤhren: dann geht aber ploͤtzlich wie ein neuer Mond das regierende Gestirn, wel- ches ich selber bin, in meinem Herzen auf, und besiegt die fremde Macht. Ich koͤnnte ganz froh seyn, aber einmal, in einer seltsamen Nacht, ist mir durch die Hand ein geheimnißvolles Zeichen tief in mein Gemuͤth hinein gepraͤgt; oft schlaͤft und ruht die magische Figur, ich meine sie ist ver- gangen, aber dann quillt sie wie ein Gift ploͤtzlich wieder hervor, und wegt sich in allen Linien. Dann kann ich sie nur denken und fuͤhlen, und alles umher ist verwandelt, oder vielmehr von dieser Ge- staltung verschlungen worden. Wie der Wahnsin- nige beim Anblick des Wassers sich entsetzt, und das empfangene Gift noch giftiger in ihm wird, so geschieht es mir bei allen eckigen Figuren, bei jeder Linie, bei jedem Strahl, alles will dann die inwohnende Gestalt entbinden und zur Geburt befoͤr- dern, und mein Geist und Koͤrper fuͤhlt die Angst; wie sie das Gemuͤth durch ein Gefuͤhl von außen Erste Abtheilung . empfing, so will es sie dann wieder quaͤlend und rin- gend zum aͤußern Gefuͤhl hinaus arbeiten, um ihrer los und ruhig zu werden. Ein ungluͤckliches Gestirn war es, sprach der Alte, das dich von uns hinweg zog; du warst fuͤr ein stilles Leben geboren, dein Sinn neigte sich zur Ruhe und zu den Pflanzen, da fuͤhrte dich deine Ungeduld hinweg, in die Gesellschaft der ver- wilderten Steine: die Felsen, die zerrissenen Klip- pen mit ihren schroffen Gestalten haben dein Ge- muͤth zerruͤttet, und den verwuͤstenden Hunger nach dem Metall in dich gepflanzt. Immer haͤttest du dich vor dem Anblick des Gebirges huͤten und bewahren muͤssen, und so dachte ich dich auch zu erziehen, aber es hat nicht seyn sollen. Deine De- muth, deine Ruhe, dein kindlicher Sinn ist von Trotz, Wildheit und Uebermuth verschuͤttet. Nein, sagte der Sohn, ich erinnere mich ganz deutlich, daß mir eine Pflanze zuerst das Ungluͤck der ganzen Erde bekannt gemacht hat, seitdem ver- stehe ich erst die Seufzer und Klagen, die allent- halben in der ganzen Natur vernehmbar sind, wenn man nur darauf hoͤren will; in den Pflanzen, Kraͤu- tern, Blumen und Baͤumen regt und bewegt sich schmerzhaft nur eine große Wunde, sie sind der Leichnam vormaliger herrlicher Steinwelten, sie bie- ten unserm Auge die schrecklichste Verwesung dar. Jetzt verstehe ich es wohl, daß es dies war, was mir jene Wurzel mit ihrem tiefgeholten Aechzen sagen wollte, sie vergaß sich in ihrem Schmerze und verrieth mir alles. Darum sind alle gruͤnen Der Runenberg . Gewaͤchse so erzuͤrnt auf mich, und stehn mir nach dem Leben; sie wollen jene geliebte Figur in mei- nem Herzen ausloͤschen, und in jedem Fruͤhling mit ihrer verzerrten Leichenmiene meine Seele gewinnen. Unerlaubt und tuͤckisch ist es, wie sie dich, alter Mann, hintergangen haben, denn von deiner Seele haben sie gaͤnzlich Besitz genommen. Frage nur die Steine, du wirst erstaunen, wenn du sie reden hoͤrst. Der Vater sah ihn lange an, und konnte ihm nichts mehr antworten. Sie gingen schweigend zuruͤck nach Hause, und der Alte mußte sich jetzt ebenfalls vor der Lustigkeit seines Sohnes entsetzen, denn sie duͤnkte ihm ganz fremdartig, und als wenn ein andres Wesen aus ihm, wie aus einer Ma- schine, unbeholfen und ungeschickt heraus spiele. — Das Erndtefest sollte wieder gefeyert werden, die Gemeine ging in die Kirche, und auch Elisa- beth zog sich mit den Kindern an, um dem Got- tesdienste beizuwohnen; ihr Mann machte auch Anstalten, sie zu begleiten, aber noch vor der Kir- chenthuͤr kehrte er um, und ging tiefsinnend vor das Dorf hinaus. Er setzte sich auf die Anhoͤhe und sahe wieder die rauchenden Daͤcher unter sich, er hoͤrte den Gesang und Orgelton von der Kirche her, geputzte Kinder tanzten und spielten auf dem gruͤnen Rasen. Wie habe ich mein Leben in einem Traume verloren! sagte er zu sich selbst; Jahre sind verflossen, daß ich von hier hinunter stieg, unter die Kinder hinein; die damals hier spielten sind heute dort ernsthaft in der Kirche; ich trat Erste Abtheilung . auch in das Gebaͤude, aber heut ist Elisabeth nicht mehr ein bluͤhendes kindliches Maͤdchen, ihre Ju- gend ist voruͤber, ich kann nicht mit der Sehnsucht wie damals den Blick ihrer Augen aufsuchen: so habe ich muthwillig ein hohes ewiges Gluͤck aus der Acht gelassen, um ein vergaͤngliches und zeit- liches zu gewinnen. Er ging sehnsuchtsvoll nach dem benachbarten Walde, und vertiefte sich in seine dichtesten Schat- ten. Eine schauerliche Stille umgab ihn, keine Luft ruͤhrte sich in den Blaͤttern. Indem sah er einen Mann von ferne auf sich zukommen, den er fuͤr den Fremden erkannte; er erschrack, und sein erster Gedanke war, jener wuͤrde sein Geld von ihm zuruͤck fordern. Als die Gestalt etwas naͤher kam, sah er, wie sehr er sich geirrt hatte, denn die Umrisse, welche er wahrzunehmen gewaͤhnt, zerbrachen wie in sich selber; ein altes Weib von der aͤußersten Haͤßlichkeit kam auf ihn zu, sie war in schmutzige Lumpen gekleidet, ein zerrissenes Tuch hielt einige greise Haare zusammen, sie hinkte an einer Kruͤcke. Mit fuͤrchterlicher Stimme redete sie Christian an, und fragte nach seinem Namen und Stande, er antwortete ihr umstaͤndlich und sagte darauf: aber wer bist du? Man nennt mich das Waldweib, sagte jene, und jedes Kind weiß von mir zu erzaͤhlen; hast du mich niemals gekannt? Mit den letzten Worten wandte sie sich um, und Christian glaubte zwischen den Baͤumen den gol- denen Schleier, den hohen Gang, den maͤchtigen Bau der Glieder wieder zu erkennen. Er wollte Der Runenberg . ihr nacheilen, aber seine Augen fanden sie nicht mehr. Indem zog etwas Glaͤnzendes seine Blicke in das gruͤne Gras nieder. Er hob es auf, und sahe die magische Tafel mit den farbigen Edelgesteinen, mit der seltsamen Figur wieder, die er vor so man- chem Jahr verloren hatte. Die Gestalt und die bunten Lichter druͤckten mit der ploͤtzlichsten Gewalt auf alle seine Sinne. Er faßte sie recht fest an, um sich zu uͤberzeugen, daß er sie wieder in seinen Haͤnden halte, und eilte dann damit nach dem Dorfe zuruͤck. Der Vater begegnete ihm. Seht, rief er ihm zu, das, wovon ich euch so oft erzaͤhlt habe, was ich nur im Traum zu sehn glaubte, ist jetzt gewiß und wahrhaftig mein. Der Alte betrach- tete die Tafel lange und sagte: mein Sohn, mir schaudert recht im Herzen, wenn ich die Linea- mente dieser Steine betrachte und ahnend den Sinn dieser Wortfuͤgung errathe; sieh her, wie kalt sie funkeln, welche grausame Blicke sie von sich geben, blutduͤrstig, wie das rothe Auge des Tiegers. Wirf diese Schrift weg, die dich kalt und grausam macht, die dein Herz versteinern muß: Sieh die zarten Bluͤthen keimen, Wie sie aus sich selbst erwachen, Und wie Kinder aus den Traͤumen Dir entgegen lieblich lachen. Ihre Farbe ist im Spielen Zugekehrt der goldnen Sonne, Deren heißen Kuß zu fuͤhlen, Das ist ihre hoͤchste Wonne, Erste Abtheilung . An den Kuͤssen zu verschmachten, Zu vergehn in Lieb' und Wehmuth; Also stehn die eben lachten Bald verwelkt in stiller Demuth. Das ist ihre hoͤchste Freude, Im Geliebten sich verzehren, Sich im Tode zu verklaͤren, Zu vergehn in suͤßem Leide. Dann ergießen sie die Duͤfte, Ihre Geister, mit Entzuͤcken, Es berauschen sich die Luͤfte Im balsamischen Erquicken. Liebe kommt zum Menschenherzen, Regt die goldnen Saitenspiele, Und die Seele spricht: ich fuͤhle Was das Schoͤnste sey, wonach ich ziele Wehmuth, Sehnsucht und der Liebe Schmerzen. Wunderbare, unermeßliche Schaͤtze, antwortete der Sohn, muß es noch in den Tiefen der Erde geben. Wer diese ergruͤnden, heben und an sich reißen koͤnnte! Wer die Erde so wie eine geliebte Braut an sich zu druͤcken vermoͤchte, daß sie ihm in Angst und Liebe gern ihr Kostbarstes goͤnnte! Das Waldweib hat mich gerufen, ich gehe sie zu suchen. Hier neben an ist ein alter verfallener Schacht, schon vor Jahrhunderten von einem Berg- manne ausgegraben; vielleicht, daß ich sie dort finde! Er eilte fort. Vergeblich strebte der Alte, ihn zuruͤck zu halten, jener war seinen Blicken bald entschwunden. Nach einigen Stunden, nach vie- Der Runenberg . ler Anstrengung gelangte der Vater an den alten Schacht; er sah die Fußstapfen im Sande am Ein- gange eingedruͤckt, und kehrte weinend um, in der Ueberzeugung, daß sein Sohn im Wahnsinn hin- ein gegangen, und in alte gesammelte Waͤsser und Untiefen versunken sey. Seitdem war er unaufhoͤrlich betruͤbt und in Thraͤnen. Das ganze Dorf trauerte um den jun- gen Pachter, Elisabeth war untroͤstlich, die Kinder jammerten laut. Nach einem halben Jahre war der alte Vater gestorben, Elisabeths Eltern folg- ten ihm bald nach, und sie mußte die große Wirth- schaft allein verwalten. Die angehaͤuften Geschaͤfte entfernten sie etwas von ihrem Kummer, die Er- ziehung der Kinder, die Bewirthschaftung des Gu- tes ließen ihr fuͤr Sorge und Gram keine Zeit uͤbrig. So entschloß sie sich nach zwei Jahren zu einer neuen Heirath, sie gab ihre Hand einem jun- gen heitern Manne, der sie von Jugend auf geliebt hatte. Aber bald gewann alles im Hause eine andre Gestalt. Das Vieh starb, Knechte und Maͤgde waren untreu, Scheuren mit Fruͤchten wur- den vom Feuer verzehrt, Leute in der Stadt, bei welchen Summen standen, entwichen mit dem Gelde. Bald sah sich der Wirth genoͤthigt, einige Aecker und Wiesen zu verkaufen; aber ein Mißwachs und theures Jahr brachten ihn nur in neue Verlegen- heit. Es schien nicht anders, als wenn das so wunderbar erworbene Geld auf allen Wegen eine schleunige Flucht suchte; indessen mehrten sich die Kinder, und Elisabeth sowohl als ihr Mann wur- Erste Abtheilung . den in der Verzweiflung unachtsam und saumse- lig; er suchte sich zu zerstreuen, und trank haͤufi- gen und starken Wein, der ihn verdrießlich und jaͤhzornig machte, so daß oft Elisabeth mit heißen Zaͤhren ihr Elend beweinte. So wie ihr Gluͤck wich, zogen sich auch die Freunde im Dorfe von ihnen zuruͤck, so daß sie sich nach einigen Jahren ganz verlassen sahn, und sich nur mit Muͤhe von einer Woche zur andern hinuͤber fristeten. Es waren ihnen nur wenige Schafe und eine Kuh uͤbrig geblieben, welche Elisabeth oft selber mit den Kindern huͤtete. So saß sie einst mit ihrer Arbeit auf dem Anger, Leonore zu ihrer Seite und ein saͤugendes Kind an der Brust, als sie von ferne herauf eine wunderbare Gestalt kom- men sahen. Es war ein Mann in einem ganz zerrissenen Rocke, baarfuͤßig, sein Gesicht schwarz- braun von der Sonne verbrannt, von einem lan- gen struppigen Bart noch mehr entstellt; er trug keine Bedeckung auf dem Kopf, hatte aber von gruͤnem Laube einen Kranz durch sein Haar ge- flochten, welcher sein wildes Ansehn noch seltsa- mer und unbegreiflicher machte. Auf dem Ruͤcken trug er in einem fest geschnuͤrten Sack eine schwere Ladung, im Gehen stuͤtzte er sich auf eine junge Fichte. Als er naͤher kam, setzte er seine Last nieder, und holte schwer Athem. Er bot der Frau guten Tag, die sich vor seinem Anblick entsetzte, das Maͤdchen schmiegte sich an ihre Mutter. Als er ein wenig geruht hatte, sagte er: nun komme ich Der Runenberg . von einer sehr beschwerlichen Wanderschaft aus dem rauhesten Gebirge auf Erden, aber ich habe dafuͤr auch endlich die kostbarsten Schaͤtze mitge- bracht, die die Einbildung nur denken, oder das Herz sich wuͤnschen kann. Seht hier, und erstaunt! — Er oͤffnete hierauf seinen Sack und schuͤttete ihn aus; dieser war voller Kiesel, unter denen grosse Stuͤcke Quarz, nebst andern Steinen lagen. Es ist nur, fuhr er fort, daß diese Juwelen noch nicht polirt und geschliffen sind, darum fehlt es ih- nen noch an Auge und Blick; das aͤußerliche Feuer mit seinem Glanze ist noch zu sehr in ihrem in- wendigen Herzen begraben, aber man muß es nur herausschlagen, daß sie sich fuͤrchten, daß keine Verstellung ihnen mehr nuͤtzt, so sieht man wohl, wes Geistes Kind sie sind. — Er nahm mit diesen Worten einen harten Stein und schlug ihn heftig gegen einen andern, so daß die rothen Funken her- aussprangen. Habt ihr den Glanz gesehen? rief er aus; so sind sie ganz Feuer und Licht, sie erhel- len das Dunkel mit ihrem Lachen, aber noch thun sie es nicht freiwillig. — Er packte hierauf alles wieder sorgfaͤltig in seinen Sack, welchen er fest zusammen schnuͤrte. Ich kenne dich recht gut, sagte er dann wehmuͤthig, du bist Elisabeth. — Die Frau erschrack. Wie ist dir doch mein Name bekannt? fragte sie mit ahndendem Zittern. — Ach, lieber Gott! sagte der Ungluͤckselige, ich bin ja der Christian, der einst als Jaͤger zu euch kam, kennst du mich denn nicht mehr? Sie wußte nicht, was sie im Erschrecken und Erste Abtheilung . tiefstem Mitleiden sagen sollte. Er fiel ihr um den Hals, und kuͤßte sie. Elisabeth rief aus: O Gott! mein Mann kommt! Sey ruhig, sagte er, ich bin dir so gut wie gestorben; dort im Walde wartet schon meine Schoͤne, die Gewaltige, auf mich, die mit dem goldenen Schleier geschmuͤckt ist. Dieses ist mein liebstes Kind, Leonore. Komm her, mein theu- res, liebes Herz, und gieb mir auch einen Kuß, nur einen einzigen, daß ich einmal wieder deinen Mund auf meinen Lippen fuͤhle, dann will ich euch verlassen. Leonore weinte; sie schmiegte sich an ihre Mutter, die in Schluchzen und Thraͤnen sie halb zum Wandrer lenkte, halb zog sie dieser zu sich, nahm sie in die Arme, und druͤckte sie an seine Brust. — Dann ging er still fort, und im Walde sahen sie ihn mit dem entsetzlichen Waldweibe sprechen. Was ist euch? fragte der Mann, als er Mut- ter und Tochter blaß und in Thraͤnen aufgeloͤst fand. Keiner wollte ihm Antwort geben. Der Ungluͤckliche ward aber seitdem nicht wieder gesehen. Manfred endigte und sah auf: ich merke, sagte er, meine Zuhoͤrer, noch auffallender aber meine Zuhoͤrerinnen, sind blaß geworden. Gewiß, sagte Emilie , denn der Schluß ist zu schrecklich; es ist aber dem Vorleser nicht besser Liebeszauber . besser ergangen, denn er hat waͤhrend seinem Vortrage mehr als einmal die Farbe gewechselt. Vielleicht, sagte Lothar , kann die Erzaͤh- lung, die ich Ihnen nun vorzutragen habe, durch ihr grelles Colorit jene zu truͤbe Empfindung unterbrechen, wenn auch nicht erheitern. Ich erbitte mir also einige Aufmerksamkeit fuͤr den Inhalt dieser Blaͤtter. Liebeszauber . T ief denkend saß Emil an seinem Tische und er- wartete seinen Freund Roderich. Das Licht brannte vor ihm, der Winterabend war kalt, und er wuͤnschte heut seinen Reisegefaͤhrten herbei, so gern er wohl sonst dessen Gesellschaft vermied, denn an diesem Abend wollte er ihm ein Geheimniß entdecken und sich Rath von ihm erbitten. Der menschenscheue Emil fand bei allen Geschaͤften und Vorfaͤllen des Lebens so viele Schwierigkeiten, so unuͤbersteigliche Hindernisse, daß ihm das Schicksal fast in einer ironischen Laune diesen Roderich zugefuͤhrt zu ha- ben schien, der in allen Dingen das Gegentheil seines Freundes zu nennen war. Unstaͤt, flatter- haft, von jedem ersten Eindruck bestimmt und be- geistert, unternahm er alles, wußte fuͤr alles Rath, war ihm keine Unternehmung zu schwierig, konnte ihn kein Hinderniß abschrecken: aber im Verlaufe eines Geschaͤftes ermuͤdete und erlahmte er eben so I. [ 18 ] Erste Abtheilung . schnell, als er anfangs elastisch und begeistert gewe- sen war, alles was ihn dann hinderte, war fuͤr ihn kein Sporn, seinen Eifer zu vermehren, son- dern es veranlaßte ihn nur, das zu verachten, was er so hitzig unternommen hatte, so daß Roderich alle seine Plane eben so ohne Ursach liegen ließ und saumselig vergaß, als er sie unbesonnen unter- nommen hatte. Daher verging kein Tag, daß beide Freunde nicht in Krieg geriethen, der ihrer Freundschaft den Tod zu drohen schien, doch war vielleicht dasjenige, was sie dem Anscheine nach trennte, nur das, was sie am innigsten verband; beide liebten sich herzlich, aber beide fanden eine große Genugthuung darin, daß einer uͤber den an- dern die gegruͤndetsten Klagen fuͤhren konnte. Emil, ein reicher junger Mann von reizba- rem und melankolischem Temperament war nach dem Tode seiner Eltern Herr seines Vermoͤgens; er hatte eine Reise angetreten, um sich auszubil- den, befand sich aber nun schon seit einigen Mo- naten in einer ansehnlichen Stadt, die Freuden des Carnevals zu genießen, um welche er sich nie- mals bemuͤhte, um bedeutende Verabredungen uͤber sein Vermoͤgen mit Verwandten zu treffen, die er kaum noch besucht hatte. Unterwegs war er auf den unsteten allzubeweglichen Roderich gestoßen, der mit seinen Vormuͤndern in Unfrieden lebte, und um sich ganz von diesen und ihren laͤstigen Ver- mahnungen los zu machen, begierig die Gelegenheit ergriff, welche ihm sein neuer Freund anbot, ihn als Gefaͤhrten auf seiner Reise mitzunehmen. Auf Liebeszauber . dem Wege hatten sie sich schon oft wieder trennen wollen, aber beide hatten in jeder Streitigkeit nur um so deutlicher gefuͤhlt, wie unentbehrlich sie sich waͤren. Kaum waren sie in einer Stadt aus dem Wagen gestiegen, so hatte Roderich schon alle Merk- wuͤrdigkeiten des Orts gesehen, um sie am folgen- den Tage zu vergessen, waͤhrend Emil sich eine Woche aus Buͤchern gruͤndlich vorbereitete, um nichts aus der Acht zu lassen, wovon er doch nach- her aus Traͤgheit vieles seiner Aufmerksamkeit nicht wuͤrdigte; Roderich hatte gleich tausend Bekannt- schaften gemacht und alle oͤffentlichen Oerter be- sucht, fuͤhrte auch nicht selten seine neu erworbe- nen Freunde auf Emils einsames Zimmer, wo er diesen dann mit ihnen allein ließ, wenn sie anfin- gen ihm Langeweile zu machen. Eben so oft brachte er den bescheidenen Emil in Verlegenheit, wenn er dessen Verdienste und Kenntnisse gegen Gelehrte und einsichtsvolle Maͤnner uͤber die Ge- buͤhr erhob, und diesen zu verstehn gab, wie vie- les sie in Sprachen, Alterthuͤmern, oder Kunst- kenntnissen von seinem Freunde lernen koͤnnten, ob er gleich selbst niemals die Zeit finden konnte, uͤber diese Gegenstaͤnde seinen Gefaͤhrten anzuhoͤren, wenn sich das Gespraͤch dahin lenkte. War nun Emil ein- mal zur Thaͤtigkeit aufgelegt, so konnte er fast da- rauf rechnen, daß sein schwaͤrmender Freund sich in der Nacht auf einem Balle, oder einer Schlit- tenfahrt erkaͤltet habe, und das Bett huͤten muͤsse, so daß Emil in Gesellschaft des lebendigsten, un- Erste Abtheilung . ruhigsten und mittheilsamsten aller Menschen in der groͤßten Einsamkeit lebte. Heute erwartete ihn Emil gewiß, weil er ihm das feyerliche Versprechen hatte geben muͤssen, den Abend mit ihm zuzubringen, um zu erfahren, was schon seit Wochen seinen tiefsinnigen Freund ge- druͤckt und beaͤngstigt habe. Emil schrieb indeß fol- gende Verse nieder. Wie lieb und hold ist Fruͤhlingsleben, Wenn alle Nachtigallen singen, Und wie die Toͤn' in Baͤumen klingen In Wonne Laub und Bluͤthen beben. Wie schoͤn im goldnen Mondenscheine Das Spiel der lauen Abendluͤfte, Die, auf den Fluͤgeln Lindenduͤfte, Sich jagen durch die stillen Haine. Wie herrlich glaͤnzt die Rosenpracht, Wenn Liebreiz rings die Felder schmuͤcket, Die Lieb' aus tausend Rosen blicket, Aus Sternen ihrer Wonne-Nacht. Doch schoͤner duͤnkt mir, holder, lieber, Des kleinen Lichtleins blaß Geflimmer, Wenn sie sich zeigt im engen Zimmer, Spaͤh' ich in Nacht zu ihr hinuͤber, Wie sie die Flechten loͤst und bindet, Wie sie im Schwung der weißen Hand Anschmiegt dem Leibe hell Gewand, Und Kraͤnz' in braune Locken windet. Wie sie die Laute laͤßt erklingen, Und Toͤne, aufgejagt, erwachen, Beruͤhrt von zarten Fingern lachen, Und scherzend durch die Saiten springen; Liebeszauber . Sie einzufangen schickt sie Klaͤnge Gesanges fort, da flieht mit Scherzen Der Ton, sucht Schirm in meinem Herzen, Dahin verfolgen die Gesaͤnge. O laßt mich doch, ihr Boͤsen frey! Sie riegeln sich dort ein und sprechen: Nicht weichen wir, bis dies wird brechen, Damit du weißt, was Lieben sey: Emil stand ungeduldig auf. Es ward finsterer und Roderich kam nicht, dem er seine Liebe zu einer Unbekannten, die ihm gegen uͤber wohnte und ihn tagelang zu Hause, und Naͤchte hindurch wa- chend erhielt, bekennen wollte. Jetzt schallten Fuß- tritte die Treppe herauf, die Thuͤr, ohne daß man anklopfte, eroͤffnete sich, und herein traten zwei bunte Masken mit widrigen Angesichtern, der eine ein Tuͤrke, in rother und blauer Seide gekleidet, der andre ein Spanier, blaßgelb und roͤthlich, mit vielen schwankenden Federn auf dem Hute. Als Emil ungeduldig werden wollte, nahm Roderich die Maske ab, zeigte sein wohl bekanntes lachen- des Gesicht und sagte: ei, mein Liebster, welche graͤmliche Miene! Sieht man so aus zur Carne- valszeit? Ich und unser lieber junger Offizier kom- men dich abzuholen, heut ist großer Ball auf dem Maskensaale, und da ich weiß, daß du es ver- schworen hast, anders, als in deinen schwarzen Kleidern zu gehn, die du taͤglich traͤgst, so komm nur so mit, wie du da bist, denn es ist schon ziemlich spaͤt. Emil war erzuͤrnt und sagte: du hast, wie es Erste Abtheilung . scheint, deiner Gewohnheit nach ganz unsre Abrede vergessen; sehr leid thut es mir, (indem er sich zum Fremden wandte) daß ich Sie unmoͤglich be- gleiten kann, mein Freund ist zu voreilig gewesen, es in meinem Namen zu versprechen; ich kann uͤberhaupt nicht ausgehn, da ich etwas Wichtiges mit ihm abzureden habe. Der Fremde, welcher bescheiden war und Emils Absicht verstand, entfernte sich; Roderich aber nahm hoͤchst gleichguͤltig die Maske wieder vor, stellte sich vor den Spiegel und sagte: nicht wahr, man sieht eigentlich ganz scheußlich aus? Es ist im Grunde eine geschmacklose widerwaͤrtige Erfindung. Das ist gar keine Frage, erwiederte Emil im hoͤchsten Unwillen. Dich zur Carikatur machen, und dich betaͤuben gehoͤrt eben zu den Vergnuͤgun- gen, denen du am liebsten nachjagst. Weil du nicht tanzen magst, sagte jener, und den Tanz fuͤr eine verderbliche Erfindung haͤltst, so soll auch Niemand anders lustig seyn. Wie verdruͤßlich, wenn ein Mensch aus lauter Eigen- heiten zusammen gesetzt ist. Gewiß, erwiederte der erzuͤrnte Freund, und ich habe Gelegenheit genug, dies an dir zu beob- achten; ich glaubte, daß du mir nach unsrer Ab- rede diesen Abend schenken wuͤrdest, aber — Aber es ist ja Carneval, fuhr jener fort, und alle meine Bekannten und einige Damen erwarten mich auf dem heutigen großen Balle. Bedenke nur, mein Lieber, daß es wahre Krankheit in dir Liebeszauber . ist, daß dir dergleichen Anstalten so unbillig zu- wider sind. Emil sagte: wer von uns beiden krank zu nen- nen ist, will ich nicht untersuchen, dein unbegreif- licher Leichtsinn, deine Sucht, dich zu zerstreuen, dein Jagen nach Vergnuͤgungen, die dein Herz leer lassen, scheint mir wenigstens keine Seelenge- sundheit; auch in gewissen Dingen koͤnntest du wohl meiner Schwachheit, wenn es denn einmal derglei- chen sein soll, nachgeben, und es giebt nichts auf der Welt, was mich so durch und durch verstimmt, als ein Ball mit seiner fuͤrchterlichen Musik. Man hat sonst wohl gesagt, die Tanzenden muͤsten einem Tauben, welcher die Musik nicht vernimmt, als Rasende erscheinen; ich aber meine, daß diese schreckliche Musik selbst, dies Umherwirbeln we- niger Toͤne in widerlicher Schnelligkeit, in jenen vermaledeyten Melodien, die sich unserm Gedaͤcht- nisse, ja ich moͤchte sagen unserm Blut unmittel- bar mittheilen, und die man nachher auf lange nicht wieder los werden kann, daß dies die Toll- heit und Raserey selbst sey, denn wenn mir das Tanzen noch irgend ertraͤglich seyn soll, so muͤste es ohne Musik geschehn. Nun sieh, wie paradox! antwortete der Mas- kirte; du koͤmmst so weit, daß du das Natuͤrlichste, Unschuldigste und Heiterste von der Welt unna- tuͤrlich, ja graͤßlich finden willst. Ich kann nicht fuͤr mein Gefuͤhl, sagte der Ernste, daß mich diese Toͤne von Kindheit auf ungluͤcklich gemacht, und oft bis zur Verzweiflung Erste Abtheilung . getrieben haben: in der Tonwelt sind sie fuͤr mich die Gespenster, Larven und Furien, und so flattern sie mir auch ums Haupt, und grinsen mich mit entsezlichem Lachen an. Nervenschwaͤche, sagte jener, so wie dein uͤber- triebener Abscheu gegen Spinnen und manch ande- res unschuldiges Gewuͤrm. Unschuldig nennst du sie, sagte der Verstimmte, weil sie dir nicht zuwider sind. Fuͤr denjenigen aber, dem die Empfindung des Ekels und des Ab- scheus, dasselbe unnennbare Grauen, wie mir, bei ihrem Anblick in der Seele aufgeht und durch sein ganzes Wesen zuckt, sind diese graͤßlichen Unthiere, wie Kroͤten und Spinnen, oder gar die widerwaͤr- tigste aller Creaturen, die Fledermaus, nicht gleich- guͤltig und unbedeutend, sondern ihr Daseyn ist dem seinigen auf das feindlichste entgegen gesetzt. Wahrlich, man moͤchte uͤber die Unglaͤubigen laͤcheln, mit deren Imagination sich Gespenster und grau- enhafte Larven, sammt jenen Geburten der Nacht nicht vereinigen lassen, die wir in Krankheiten sehn, oder die uns Dantes Gemaͤhlde zeigen, da die gewoͤhnlichste Wirklichkeit um uns her die fuͤrchter- lichen verzerrten Musterbilder dieser Schrecken uns vorhaͤlt. Sollten wir in der That das Schoͤne lieben koͤnnen, ohne uns vor diesen Fratzen zu entsetzen? Warum entsetzen? fragte Roderich, warum soll uns das große Reich der Gewaͤsser und der Meere gerade diese Furchtbarkeit vorhalten, an die sich deine Vorstellung gewoͤhnt hat, und nicht viel- mehr seltsame, unterhaltende und poßirliche Ver- Liebeszauber . kleidungen, so daß das ganze Gebiet nicht anders, als etwa wie ein komischer Ballsaal anzusehn waͤre? Deine Eigenheiten aber gehn noch weiter, denn so wie du die Rose mit einer gewissen Abgoͤtterei liebst, so sind dir andre Blumen eben so lebhaft verhaßt; was hat dir nur die gute liebe Feuerli- lie gethan, wie so manch andres Kind des Som- mers? So sind dir manche Farben zuwider, manche Duͤfte und viele Gedanken, und du thust nichts dazu, dich gegen diese Stimmungen zu verhaͤrten, sondern du giebst ihnen weichlich nach, und am Ende wird eine Sammlung von dergleichen Selt- samkeiten die Stelle einnehmen, die dein Ich be- sitzen sollte. Emil war im tiefsten Herzen erzuͤrnt und ant- wortete nicht. Er hatte es nun schon aufgegeben, sich jenem mitzutheilen, auch schien der leichtsin- nige Freund gar keine Begier zu haben, das Ge- heimniß zu erfahren, welches ihm sein melankoli- scher Gefaͤhrte mit so wichtiger Miene angekuͤndigt hatte; er saß gleichguͤltig im Lehnsessel, mit seiner Maske spielend, als er ploͤtzlich ausrief: sey doch so gut, Emil, und leih mir deinen großen Mantel. Wozu? fragte jener. Ich hoͤre druͤben in der Kirche Musik, ant- wortete Roderich, und habe schon alle Abend diese Stunde versaͤumt, heut koͤmmt sie mir recht gele- gen, unter deinem Mantel kann ich diese Kleidung verbergen, auch Maske und Turban darunter ver- stecken, und wenn sie geendigt ist, mich sogleich nach dem Balle begeben. Erste Abtheilung . Murrend suchte Emil den Mantel aus dem Schranke, gab ihn dem Aufgestandenen, und zwang sich zu einem ironischen Laͤcheln. Da hast du mei- nen tuͤrkischen Dolch, den ich gestern gekauft habe, sagte Roderich, indem er sich einhuͤllte, heb' ihn auf; es taugt nicht, dergleichen ernsthaftes Zeug als Spielerei bei sich zu haben, man kann denn doch nicht wissen, wozu es gemißbraucht wuͤrde, wenn Zank oder anderer Unfug die Gelegenheit herbei fuͤhrte; morgen sehn wir uns wieder, lebe wohl und bleibe vergnuͤgt. Er wartete auf keine Erwiederung, sondern eilte die Treppe hinunter. Als Emil allein war, suchte er seinen Zorn zu vergessen und das Betragen seines Freundes von der laͤcherlichen Seite zu nehmen. Er betrach- tete den blanken schoͤn gearbeiteten Dolch, und sagte: wie muß es doch dem Menschen seyn, der solch scharfes Eisen in die Brust des Gegners stoͤßt, oder gar einen geliebten Gegenstand damit verlezt? Er schloß ihn ein, lehnte dann behutsam die Laͤ- den seines Fensters zuruͤck und sah uͤber die enge Gasse. Aber kein Licht regte sich, es war finster im Hause gegenuͤber; die theure Gestalt, die dort wohnte und sich um diese Zeit bei haͤuslicher Be- schaͤftigung zu zeigen pflegte, schien entfernt. Viel- leicht gar auf dem Balle! dachte Emil, so wenig es auch ihrer eingezogenen Lebensart ziemte. Ploͤz- lich aber zeigte sich ein Licht, und die Kleine, welche seine unbekannte Geliebte um sich hatte, und mit der sie sich am Tage wie am Abend vielfaͤltig ab- gab, trug ein Licht durch das Zimmer und lehnte Liebeszauber . die Fensterlaͤden an. Eine Spalte blieb hell, groß genug, um von Emils Standpunkt einen Theil des kleinen Zimmers zu uͤberschauen, und dort stand oft der Gluͤckliche bis nach Mitternacht wie bezau- bert, und beobachtete jede Bewegung der Hand, jede Miene seiner Geliebten; er freute sich, wenn sie dem kleinen Kinde lesen lehrte, oder sie im Naͤ- hen und Stricken unterrichtete. Auf seine Erkun- digung hatte er erfahren, daß die Kleine eine arme Waise sey, die das schoͤne Maͤdchen mitleidig zu sich genommen hatte, um sie zu erziehn. Emils Freunde begriffen nicht, warum er in dieser engen Gasse wohne, in einem unbequemen Hause, wes- halb man ihn so wenig in Gesellschaften sehe, und womit er sich beschaͤftige. Unbeschaͤftigt, in der Einsamkeit, war er gluͤcklich, nur unzufrieden mit sich und seinem menschenscheuen Charakter, daß er es nicht wage, die naͤhere Bekanntschaft dieses schoͤ- nen Wesens zu suchen, so freundlich sie auch einige- mal am Tage gegruͤßt und gedankt hatte. Er wußte nicht, daß sie eben so trunken zu ihm hinuͤber spaͤhte, und ahndete nicht, welche Wuͤnsche sich in ihrem Herzen bildeten, welcher Anstrengung, wel- cher Opfer sie sich faͤhig fuͤhlte, um nur zum Be- sitz seiner Liebe zu gelangen. Nachdem er einigemal auf und nieder gegan- gen war, und das Licht sich mit dem Kinde wie- der entfernt hatte, faßte er ploͤtzlich den Entschluß, seiner Neigung und Natur zuwider, auf den Ball zu gehen, weil es ihm einfiel, daß seine Unbe- kannte eine Ausnahme von ihrer eingezogenen Le- Erste Abtheilung . bensweise koͤnne gemacht haben, um auch einmal die Welt und ihre Zerstreuungen zu genießen. Die Gassen waren hell erleuchtet, der Schnee knisterte unter seinen Fuͤßen, Wagen rollten ihm voruͤber, und Masken in den verschiedensten Trachten pfif- fen und zwitscherten an ihm vorbei. Aus vielen Haͤusern ertoͤnte die ihm so verhaßte Tanzmusik, und er konnte es nicht uͤber sich gewinnen, auf dem kuͤrzesten Wege nach dem Saale zu gehn, zu welchem aus allen Richtungen die Menschen stroͤm- ten und draͤngten. Er ging um die alte Kirche, beschaute den hohen Thurm, der sich ernst in den naͤchtlichen Himmel erhub, und freute sich der Stille und Einsamkeit des abgelegenen Platzes. In der Vertiefung einer großen Kirchenthuͤr, deren man- nichfaltiges Bildwerk er immer mit Lust beschaut und sich dabei der alten Kunst und vergangener Zeiten erinnert hatte, nahm er auch jetzo Platz, um sich auf wenige Augenblicke seinen Betrachtun- gen zu uͤberlassen. Er stand nicht lange, als eine Figur seine Aufmerksamkeit an sich zog, die unru- hig auf und nieder ging, und jemand zu erwarten schien. Beim Schein einer Laterne, die vor einem Marienbilde brannte, unterschied er genau das Ge- sicht, so wie die wunderliche Kleidung. Es war ein altes Weib von der aͤußersten Haͤßlichkeit, die um so mehr in die Augen fiel, weil sie gegen ein scharlachrothes Leibchen, das mit Gold besetzt war, hoͤchst abentheuerlich abstach; der Rock, den sie trug, war dunkel, und die Haube ihres Kopfes glaͤnzte ebenfalls von Gold. Emil glaubte anfangs Liebeszauber . eine geschmacklose Maske zu sehn, die sich hieher verirrt habe, aber bald war er beim hellen Scheine uͤberzeugt, daß das alte braune und runzlichte Ge- sicht ein wirkliches und kein nachgeahmtes sey. Es waͤhrte nicht lange, so erschienen zwei Maͤnner, in Maͤnteln gehuͤllt, die sich dem Orte mit behutsa- men Schritten zu naͤhern schienen, indem sie oͤfter von den Seiten schauten, ob ihnen Niemand folge. Die Alte ging auf sie zu. Habt ihr die Lichter? fragte sie hastig und mit einer rauhen Stimme. Hier sind sie, sagte der Eine, der Preis ist euch bekannt, macht die Sache gleich richtig. Die Alte schien Geld zu geben, welches der Mann unter seinem Mantel nachzaͤhlte. Ich verlasse mich da- rauf, fing die Alte wieder an, daß sie ganz nach der Vorschrift und Kunst gegossen sind, damit die Wirkung nicht ausbleibt. Seid ohne Sorgen, sagte jener, und entfernte sich schnell. Der andre, wel- cher zuruͤck geblieben, war ein junger Mann, er nahm die Alte bei der Hand, und sagte: ist es moͤglich, Alexia, daß dergleichen Ceremonien und Formeln, diese seltsamen alten Sagen, an welche ich nie habe glauben koͤnnen, den freien Willen des Menschen fesseln, und Liebe und Haß erregen koͤnn- ten? So ist es, sprach das rothe Weib, aber eins muß zum andern kommen, nicht bloß diese Lichter, in der Mitternacht des Neumonden gegos- sen, mit Menschenblut getraͤnkt, nicht die Zauber- formeln und Anrufungen allein koͤnnen es ausrich- ten, sondern noch manches andre gehoͤrt dazu, das der Kunstverstaͤndige wohl kennt. So verlaß ich Erste Abtheilung . mich auf dich, sagte der Fremde. Morgen nach Mitternacht bin ich euch zu Diensten, antwortete die Alte; ihr werdet ja nicht der erste seyn, der mit meiner Kundschaft unzufrieden ist; heute, wie ihr gehoͤrt habt, bin ich fuͤr jemand anders bestellt, auf dessen Sinn und Verstand unsere Kunst gewiß nachdruͤcklich wirken soll. Die letzten Worte sagte sie mit halbem Lachen, und beide gingen aus ein- ander und entfernten sich nach verschiedenen Rich- tungen. Emil trat schaudernd aus der dunkeln Nische hervor und erhob seine Blicke zum Bilde der Jungfrau mit dem Kinde; vor deinen Augen, du Holdselige, sagte er halb laut, erfrechen sich die Greuel ihre Abrede zu treffen, um ihren ab- scheulichen Betrug zu verhandeln, doch so, wie du dein Kind in Liebe umfaͤngst, so haͤlt uns alle die unsichtbare Liebe in fuͤhlbaren Armen, und unser armes Herz klopft in Freude wie in Angst einem groͤsseren entgegen, das uns niemals verlassen wird. Wolken zogen uͤber die Spitze des Thurms und das schroffe Dach der Kirche hinweg, die ewigen Sterne schauten funkelnd und mit freundlichem Ernst hernieder, und Emil wandte sich entschlossen von diesen naͤchtlichen Schauern und gedachte der Schoͤnheit seiner Unbekannten. Er betrat wieder die belebten Gassen, und lenkte nach dem heller- leuchteten Ballhause ein, von welchem ihm Stim- men, Wagengerassel, und in einzelnen Pausen die laͤrmende Musik entgegen schallten. Im Saale verlor er sich sogleich im fluten- den Getuͤmmel, Taͤnzer umsprangen ihn, Masken Liebeszauber . schossen an ihm hin und her, Pauken und Trom- peten betaͤubten sein Ohr, und ihm war, als sei das menschliche Leben selber nur ein Traum. Er ging durch die Reihen, und nur sein Auge blieb wach, um jene geliebten Augen und jenes schoͤne Haupt mit den braunen Locken aufzusuchen, nach dessen Anblick er sich heut inniger sehnte als sonst, und dem angebeteten Wesen doch innerlich Vor- wuͤrfe machte, daß es sich in diesem stuͤrmenden Meer der Verwirrung und Thorheit untertauchen und verlieren koͤnne. Nein, sprach er zu sich selbst, kein Herz welches liebt, wird sich diesem wuͤsten Brausen oͤffnen wollen, in welchem Sehnsucht und Thraͤnen verhoͤhnt und mit dem schmetternden Ge- laͤchter wilder Trompeten verspottet werden. Das Saͤuseln der Baͤume, das Rieseln der Quellen, Lautenschlag und edler Gesang, welcher voll aus dem bewegten Busen stroͤmt, sind die Toͤne in welchen Liebe wohnt. So aber donnert und jubelt die Hoͤlle in der Raserei ihrer Verzweiflung. Er fand nicht, was er suchte, denn zu dem Glauben, daß sein geliebtes Angesicht sich vielleicht unter eine widrige Maske verborgen habe, konnte er sich unmoͤglich bequemen. Schon war er drei- mal den Saal auf und abgewandert und hatte alle sitzenden und unmaskirten Damen vergeblich gemustert, als sich der Spanier zu ihm gesellte und sagte: schoͤn, daß sie doch noch gekommen sind; Sie suchen vielleicht Ihren Freund? Emil hatte ihn ganz vergessen; er sagte aber beschaͤmt: in der That, ich wundre mich, ihn hier Erste Abtheilung . nicht zu treffen, denn seine Maske ist kenntlich genug. Wissen Sie, was der wunderliche Mensch treibt? antwortete der junge Offizier; er hat weder getanzt noch sich lange im Saale aufgehalten, denn er fand sogleich seinen Freund Anderson, der vom Lande herein gekommen ist, ihr Gespraͤch fiel auf die Literatur, und da dieser das neulich heraus- gekommene Gedicht noch nicht kannte, so hat Ro- derich nicht eher geruht, bis man ihm eins der hin- tern Zimmer aufgeschlossen hat, dort sitzt er mit seinem Gefaͤhrten bei einer einsamen Kerze und liest ihm das ganze Werk vor. Das sieht ihm aͤhnlich, sagte Emil, denn er besteht ganz aus Laune. Ich habe alles angewandt, und selbst freundschaftliche Zwistigkeiten nicht ge- scheut, um es ihm abzugewoͤhnen, immer ex tem- pore zu leben und sein ganzes Daseyn in Im- promptus auszuspielen: allein diese Thorheiten sind ihm so ans Herz gewachsen, daß er sich eher vom liebsten Freunde, als von ihnen trennen wuͤrde. Das nemliche Werk, welches er so liebt, daß er es immer bei sich traͤgt, hat er mir neulich vorle- sen wollen, und ich hatte ihn sogar dringend darum gebeten, wir waren aber kaum uͤber den Anfang, indeß ich ganz den Schoͤnheiten hingegeben war, als er ploͤtzlich aufsprang, mit der Kuͤchenschuͤrze umgethan zuruͤck kehrte, mit vielen Umstaͤnden Feuer anschuͤren ließ, um mir Beefsteaks zu roͤsten, zu welchen ich kein Verlangen trug, und die er sich Liebeszauber . sich am besten in Europa zu machen einbildet, ob sie ihm gleich die meisten Male verungluͤcken. Der Spanier lachte. Ist er nie verliebt gewe- sen? fragte er. Auf seine Weise, erwiederte Emil sehr ernst; so, als wollte er uͤber sich und die Liebe spotten, in viele zugleich, und nach seinen Worten bis zur Verzweiflung, die er aber insgesamt in acht Ta- gen wieder vergessen hatte. Sie trennten sich im Getuͤmmel, und Emil begab sich nach dem abgelegenen Zimmer, aus wel- chem er seinen Freund schon von fern laut dekla- miren hoͤrte. Ah, da bist du ja auch, rief ihm dieser entgegen; das trifft sich gut, ich bin nur eben uͤber die Stelle hinuͤber, bei der wir neulich unterbrochen wurden, setze dich, so kannst du mit zuhoͤren. Ich bin jetzt nicht in der Stimmung, sagte Emil, auch scheint mir diese Stunde und dieser Ort wenig geschickt zu einer solchen Unterhaltung. Warum nicht? antwortete Roderich; es muß sich alles nach unserm Willen bequemen, jede Zeit ist gut dazu, sich auf eine edle Weise zu beschaͤfti- gen. Oder willst du lieber tanzen? Es fehlt an Taͤnzern, und du kannst dich heut mit einigen Stunden Herumspringens und einem Paar ermuͤ- dender Beine bei vielen dankbaren Damen ziemlich beliebt machen. Lebe wohl, rief jener schon in der Thuͤr, ich gehe nach Hause. Noch ein Wort! rief ihm Roderich nach: ich I. [19] Erste Abtheilung . verreise morgen in aller Fruͤhe mit diesem Herrn auf einige Tage uͤber Land; ich spreche aber noch bei dir vor, um Abschied zu nehmen. Schlaͤfst du, wie es wahrscheinlich ist, so bemuͤhe dich nur nicht, aufzuwachen, denn in drei Tagen bin ich wieder bei dir. — Der wunderlichste aller Menschen, fuhr er fort, gegen seinen treuen Freund gewandt, so schwerfaͤllig, mißlaunig, ernsthaft, daß er sich jede Freude verdirbt, oder vielmehr, daß es fuͤr ihn keine Freude giebt. Alles soll edel, groß, erhaben seyn, sein Herz soll an allem Antheil nehmen, und wenn er selbst vor einem Puppenspiele staͤnde; wenn sich dergleichen nun nicht zu seinen Praͤten- sionen verstehen will, die wahrlich ganz unsinnig sind, so wird er tragisch gestimmt, und findet die ganze Welt roh und barbarisch; da draußen ver- langt er ohne Zweifel, daß unter den Masken einem Pantalon und Policinell das Herz voll Sehnsucht und uͤberirdischer Triebe gluͤhe, und daß der Arlechin uͤber die Nichtigkeit der Welt tiefsin- nig philosophiren soll, und wenn diese Erwartun- gen nicht eintreffen, so treten ihm gewiß die Thraͤ- nen in die Augen, und er wendet dem bunten Schauspiel zerknirscht und verachtend den Ruͤcken. Er ist also melankolisch? fragte der Zuhoͤrer. Das eigentlich nicht, antwortete Roderich, son- dern nur von zu zaͤrtlichen Eltern und sich selbst verzogen. Er hatte sich angewoͤhnt, regelmaͤßig wie Ebbe und Fluth sein Herz bewegen zu lassen, und bleibt diese Ruͤhrung einmal aus, so schreit er Mirakel und moͤchte Praͤmien aussetzen, um Liebeszauber . Physiker aufzumuntern, diese Naturerscheinung ge- nuͤgend zu erklaͤren. Er ist der beste Mensch unter der Sonne, aber alle meine Muͤhe, ihm diese Ver- kehrtheit abzugewoͤhnen, ist ganz umsonst und ver- loren, und wenn ich nicht fuͤr meine gute Mei- nung Undank davon tragen will, muß ich ihn ge- waͤhren lassen. Er sollte vielleicht den Arzt gebrauchen, be- merkte jener. Es gehoͤrt mit zu seinen Eigenheiten, antwor- tete Roderich, die Medizin durch und durch zu ver- achten, denn er meint, jede Krankheit sei in jeg- lichem Menschen ein Individuum, und koͤnne nicht nach aͤltern Wahrnehmungen, oder gar nach soge- nannten Theorien geheilt werden; er wuͤrde eher alte Weiber und sympathetische Kuren gebrauchen. Eben so verachtet er auch in andrer Hinsicht alle Vorsicht und alles was man Ordnung und Maͤßig- keit nennt. Von Kindheit auf ist ein edler Mann sein Ideal gewesen, und sein hoͤchstes Bestreben, das aus sich zu bilden, was er so nennt, das heißt hauptsaͤchlich eine Person, die die Verachtung der Dinge mit der des Geldes anfaͤngt; denn um nur nicht in den Verdacht zu gerathen, daß er haushaͤlterisch sey, ungern ausgebe, oder irgend Ruͤcksicht auf Geld nehme, so wirft er es hoͤchst thoͤricht weg, ist bei seiner reichlichen Einnahme immer arm und in Verlegenheit, und wird der Thor von jedweden, der nicht ganz in dem Sinne edel ist, in welchem er es sich zu seyn vorgesetzt hat. Sein Freund zu seyn, ist aber die Aufgabe Erste Abtheilung . aller Aufgaben, denn er ist so reizbar, daß man nur husten, nicht edel genug essen, oder gar die Zaͤhne stochern darf, um ihn toͤdtlich zu beleidigen. War er nie verliebt? fragte der Freund vom Lande. Wen sollte er lieben? antwortete Roderich, er verachtete alle Toͤchter der Erde, und er duͤrfte nur bemerken, daß sein Ideal sich gern putzte, oder gar tanzte, so wuͤrde sein Herz brechen; noch schreck- licher, wenn sie das Ungluͤck haͤtte, den Schnu- pfen zu bekommen. Emil stand indessen wieder im Getuͤmmel; aber ploͤzlich uͤberfiel ihn jene Angst, der Schreck, der so oft schon in solcher erregten Menschenmenge sein Herz ergriffen hatte, und jagte ihn aus dem Saale und Hause, uͤber die oͤden Gassen hinweg, und erst auf seinem einsamen Zimmer fand er sich und seine ruhige Besinnung wieder. Das Nachtlicht war schon angezuͤndet, er hieß dem Bedienten sich nieder legen; druͤben war alles still und finster, und er setzte sich, um in einem Gedichte seine Empfin- dungen uͤber den Ball auszustroͤmen. — Im Herzen war es stille, Der Wahnsinn lag an Ketten; Da regt sich boͤser Wille, Vom Kerker ihn zu retten, Den Tollen los zu machen; Da hoͤrt man Pauken klingen, Da bricht hervor mit Lachen Trommeten-Klang und Krachen, Dazwischen Floͤten singen, Liebeszauber . Und Pfeifentoͤne springen Mit gellendem Geschrei Zwischen droͤhnenden toͤnenden Geigen In rasender Wuth herbei, Das wilde Gemuͤth zu zeigen, Und grimmig zu morden das stille kindliche Schwei- gen. — Wohin dreht sich der Reigen? Was sucht die springende Menge Im windenden Gedraͤnge? — Voruͤber! Es glaͤnzen die Lichter, Wir tummeln uns naͤher und dichter, Es jauchzt in uns das bloͤde Herz; Lauter toͤnet Grimmer droͤhnet Ihr Cymbeln, ihr Pfeifen! betaͤubet den Schmerz, Er werde zum Scherz! — Du winkst mir, holdes Angesicht? Es lacht der Mund, der Augen Licht; Herbei, daß ich dich fasse, Im Schweben wieder lasse; Ich weiß, die Schoͤnheit bald zerbricht, Der Mund verstummt, der lieblich spricht, Dich faßt des Todes Arm. Was winkst du, Schaͤdel, freundlich mir? Kein Kummer mir, nicht Angst und Harm, Daß du so bald erbleichest hier, Wohl heut, wohl morgen. Was sollen die Sorgen? Ich lebe und schwebe im Reigen voruͤber vor dir. — Heut lieb ich dich, Jetzt meinst du mich; Ach, Noth und Angst sie lauern Erste Abtheilung . Schon hinter diesen Mauern, Und Seufzer schwer und thraͤnend Leid Stehn schon bereit, Dich zu umstricken; Froh laß uns blicken Vernichtung an und grausen Tod; Was will die Angst, was will uns Noth? Wir druͤcken Im Taumel die Hand, Mich ruͤhrt dein Gewand, Du schwebest dahin, ich taumle zuruͤck — Auch Verzweiflung ist Gluͤck. Aus diesem Entzuͤcken, Und was wir heut lachten, Entsprießt wohl Verachten Und giftiger Neid; O herrliche Zeit! Wenn ich dich verhoͤhne, Winkt dort mir die Schoͤne, Und wird meine Braut; Die andere schaut Noch kuͤhner darein; Soll dies' es denn sein? — So taumeln wir alle Im Schwindel die Halle Des Lebens hinab, Kein Lieben, kein Leben, Kein Seyn uns gegeben, Nur Traͤumen und Grab: Da unten bedecken Wohl Blumen und Klee Noch grimmere Schrecken, Noch wilderes Weh; Liebeszauber . Drum lauter ihr Cymbeln, du Paukenklang, Noch schreiender gellender Hoͤrnergesang! Ermuthiget schwingt, dringt, springt ohne Ruh, Weil Lieb uns nicht Leben Kein Herz hat gegeben, Mit Jauchzen dem greulichen Abgrunde zu! — Er hatte geendigt und stand am Fenster. Da kam sie gegen uͤber herein, so schoͤn, wie er sie noch nie gesehn hatte, das braune Haar aufgeloͤst wogte und spielte in muthwilligen Locken um den weißesten Nacken; sie war nur leicht bekleidet und schien noch vor Schlafengehn zu spaͤter Nachtzeit einige haͤusliche Arbeiten verrichten zu wollen, denn sie stellte zwei Lichter in zwei Ecken des Zimmers, ordnete den Teppich auf dem Tische, und entfernte sich wieder. Noch war Emil in seinen suͤßen Traͤu- mereien versunken, und wiederholte sich in seiner Phantasie das Bild seiner Geliebten, als zu sei- nem Entsetzen die fuͤrchterliche, die rothe Alte durch das Zimmer schritt; graͤßlich leuchtete von ihrem Haupt und Busen das Gold im Widerschein der Lichter. Sie war wieder verschwunden. Sollte er seinen Augen trauen? War es kein Blendwerk der Nacht, welches ihm seine eigne Einbildung gespenstisch voruͤber gefuͤhrt hatte? Aber nein, sie kehrte zuruͤck, noch graͤßlicher als zuvor, denn ein langes greises und schwarzes Haar flog wild und ungeordnet um Brust und Ruͤcken; das schoͤne Maͤdchen folgte ihr, blaß, ent- stellt, die schoͤnsten Bruͤste ohne Huͤlle, aber das ganze Bild einer Statue von Marmor aͤhnlich. Erste Abtheilung . Sie hatten zwischen sich das kleine liebliche Kind, welches weinte und sich an die Schoͤne bittend schmiegte, die nicht zu ihm hernieder sah. Das Kindlein hielt flehend die Haͤndchen empor, strei- chelte Hals und Wange der blassen Schoͤnen. Sie aber hielt es fest am Haar und mit der andern Hand ein silbernes Becken; die Alte zuckte mur- melnd das Messer und durchschnitt den weißen Hals der Kleinen. Da wand sich hinter ihnen etwas hervor, das beide nicht zu sehen schienen, sonst haͤtten sie sich wohl eben so inniglich wie Emil entsetzt. Ein scheußlicher Drachenhals waͤlzte sich schuppig laͤnger und laͤnger aus der Dunkel- heit, neigte sich uͤber das Kind hin, das mit auf- geloͤsten Gliedern der Alten in den Armen hing, die schwarze Zunge leckte vom sprudelnden rothen Blut, und ein gruͤn funkelndes Auge traf durch die Spalte hinuͤber in Emils Blick und Gehirn und Herz, daß er im selben Augenblick zu Boden stuͤrzte. Leblos traf ihn Roderich nach einigen Stunden. Am heitersten Sommermorgen saß in gruͤner Laube eine Gesellschaft von Freunden um ein schmack- haftes Fruͤhstuͤck versammelt. Man lachte und scherzte, alle stießen freudig oft mit den Glaͤsern auf die Gesundheit des jungen Brautpaares an, und wuͤnschten ihm Heil und Gluͤck. Braͤutigam und Braut waren nicht zugegen, denn die Schoͤne Liebeszauber . war noch mit ihrem Schmucke beschaͤftiget, und der junge Ehemann lustwandelte, seinem Gluͤcke nachsinnend, einsam in einem entfernten Baum- gange. Schade, sagte Anderson, daß wir keine Musik haben sollen; alle unsere Damen sind unzu- frieden und haben noch nie so sehr zu tanzen ge- wuͤnscht, als gerade heut, da es nicht geschehn kann; aber es ist ihm zu sehr zuwider. Ich kann es euch wohl verrathen, sagte ein junger Offizier, daß wir dennoch einen Ball haben werden, und zwar einen recht tollen und geraͤuschi- gen; alles ist schon eingerichtet und die Musikan- ten sind schon heimlich angekommen und unsichtbar einquartirt. Roderich hat alle diese Einrichtungen getroffen, denn er sagt, man muͤsse ihm nicht zu viel nachgeben, und am wenigsten heut seine wun- derlichen Launen anerkennen. Er ist auch schon viel menschlicher und umgaͤng- licher als ehemals, sagte der Offizier, und darum glaube ich, wird ihm diese Abaͤnderung nicht ein- mal unangenehm auffallen. Ist doch diese ganze Heirath so ploͤtzlich gegen unser aller Erwarten eingetreten. Sein ganzes Leben, fuhr Anderson fort, ist so sonderbar, wie sein Charakter. Ihr wißt ja alle, wie er im vorigen Herbst auf einer Reise, die er machen wollte, in unsrer Stadt ankam, sich den Winter hier aufhielt, wie ein Melankolischer fast nur in seinem Zimmer lebte, und sich weder um unser Theater noch andre Vergnuͤgungen kuͤmmerte. Er war beinah mit Roderich, seinem vertrautesten Erste Abtheilung . Freunde, zerfallen, weil dieser ihn zu zerstreuen suchte, und nicht jeder seiner finstern Launen nach- geben wollte. Im Grunde war seine uͤbertriebene Reizbarkeit und Verstimmung wohl Krankheit, die sich in seinem Koͤrper zubereitete; denn, wie euch nicht unbekannt ist, wurde er vor vier Monaten vom heftigsten Nervenfieber befallen, so, daß wir ihn alle schon aufgeben mußten. Nachdem seine Phantasien ausgeraset hatten, und er wieder zu sich kam, hatte er sein Gedaͤchtniß fast ganz einge- buͤßt, nur seine fruͤheren Kinder- und Jugendjahre waren ihm gegenwaͤrtig, und er konnte sich durch- aus nicht erinnern, was waͤhrend seiner Reise oder vor seiner Krankheit sich mit ihm zugetragen habe. Er mußte alle seine Freunde, selbst den Roderich, von neuem kennen lernen; nur nach und nach ward es lichter in seinem Innern, und die Vergangen- heit und was ihm widerfahren trat wieder, jedoch immer nur schwach beleuchtet, in sein Gedaͤchtniß zuruͤck. Sein Oheim hatte ihn zu sich in das Haus genommen, um ihn besser zu verpflegen, und er war wie ein Kind, und ließ alles mit sich ma- chen. Als er zum erstenmal ausfuhr, und bei der Fruͤhlingswaͤrme den Park besuchte, sah er abseits vom Wege ein Maͤdchen in tiefen Gedanken sitzen. Sie sah auf, ihr Blick traf den seinigen, und wie von einer unbegreiflichen Begeisterung ergriffen, ließ er anhalten, stieg aus, setzte sich zu ihr, faßte ihre Haͤnde, und ergoß sich in einem Strom von Thraͤnen. Man war von neuem fuͤr seinen Ver- stand besorgt; aber er wurde ruhig, heiter und Liebeszauber . gespraͤchig, ließ sich bei den Eltern des Maͤdchens vorstellen, und hielt sogleich beim ersten Besuch um ihre Hand an, die sie ihm auch zusagte, da die Eltern ihre Einwilligung nicht verweigerten. Er war gluͤcklich und ein neues Leben ging in ihm auf; mit jedem Tage ward er gesunder und zufriedener. So besuchte er mich vor acht Tagen auf meinem Landgute hier; es gefiel ihm uͤber die Maßen, und zwar so, daß er nicht ruhte, bis ich es ihm ver- kaufen mußte. Es lag nur an mir, seine Leiden- schaftlichkeit zu meinem Vortheil und seinem Scha- den zu benutzen, denn was er will, will er heftig und ploͤtzlich vollendet. Sogleich machte er seine Einrichtungen, ließ Geraͤthe herschaffen, um hier noch die Sommermonate zu wohnen, und so sind wir denn alle heut zu seiner Hochzeit in meinem ehemaligen Wohnsitze versammelt. Das Haus war groß und lag in der schoͤnsten Gegend. Die eine Seite sah nach einem Flusse und angenehmen Huͤgeln hinuͤber, rund um von mannichfaltigen Gebuͤschen und Baͤumen umgeben, unmittelbar davor lag ein Garten mit duftenden Blumen. Hier waren die Orangen und Citronen- Baͤume in einem großen offenen Saale aufgestellt, nur kleine Thuͤren fuͤhrten zu Vorrathskammern, Kellern und Speisegewoͤlben. Von der andern Seite breitete sich ein gruͤnender Wiesenplan aus, an welchen ohne andre Verbindung ein Park graͤnzte; hier bildeten die beiden langen Fluͤgel des Hauses einen geraͤumigen Hof, und auf dreien uͤber ein- ander stehenden Saͤulenreihen verbanden breite of- Erste Abtheilung . fene Gaͤnge alle Zimmer und Saͤle des Gebaͤudes, wodurch der Wohnsitz von dieser Seite einen reizen- den, ja wunderbaren Charakter erhielt, indem sich bestaͤndig Figuren in mannigfaltigen Geschaͤften in diesen geraͤumigeren Hallen bewegten; zwischen den Saͤulen und aus jedem Zimmer traten neue Ge- stalten hervor, und erschienen oben oder unten wie- der, um sich in andern Thuͤren zu verlieren; auch versammelte sich Gesellschaft dort zum Thee oder Spiel, und dadurch gewann von unten das Ganze das Ansehn eines Theaters, vor welchem jedermann mit Lust verweilte, und in Gedanken die seltsam- sten und anziehendsten Begebenheiten oben erwar- tete. Die Gesellschaft der jungen Leute wollte eben aufstehn, als die geschmuͤckte Braut durch den Gar- ten ging und zu ihnen trat. Sie war in violettem Sammet gekleidet, ein funkelnder Halsschmuck wiegte sich auf dem glaͤnzenden Nacken, kostbare Spitzen liessen den weißen schwellenden Busen durchschimmern, das braune Haar ward durch den Myrthen- und Blumenkranz reizender gefaͤrbt. Sie gruͤßte alle freundlich, und die Juͤnglinge waren von der hohen Schoͤnheit uͤberrascht. Sie hatte Blumen im Garten gepfluͤckt, und wandte sich jetzt nach dem innern Hause, um nach der Ordnung des Mahles zu sehen. Man hatte in dem untern offnen Gange die Tafeln hingestellt: blendend schimmerten die Tische mit den weißen Gedecken und Kristallen, eine Fuͤlle mannichfarbiger Blumen glaͤnzte aus zierlichen Gefaͤßen herunter, Liebeszauber . duftende gruͤne und bunte Kraͤnze schlangen sich um die Saͤulen, und reizend war der Anblick, als die Braut sich jetzt mit holdseliger Bewegung zwi- schen dem Schimmer der Blumen, neben den Ti- schen und Saͤulen wandelnd bewegte, das Ganze pruͤfend uͤberschaute, und dann verschwand, und hoͤher hinauf noch einmal wieder erschien, um ihr Zimmer zu oͤffnen. Sie ist das reizendste und schoͤnste Maͤdchen, das ich je gekannt habe! rief Anderson aus: unser Freund ist gluͤcklich! Selbst ihre Blaͤsse, nahm der Offizier das Wort, erhoͤht ihre Schoͤnheit; die braunen Augen blitzen uͤber den bleichen Wangen und unter den dunkeln Haaren so maͤchtiger hervor, und diese wunderbare, fast brennende Roͤthe der Lippen macht ihr Angesicht zu einem wahrhaft zauberischen Bilde. Der Schein stiller Melankolie, sagte Ander- son, welcher sie umgiebt, umfließt sie wie mit ho- her Majestaͤt. Der Braͤutigam trat zu ihnen, und fragte nach Roderich; sie hatten ihn alle schon laͤngst vermißt und konnten nicht begreifen, wo er sich aufhalten moͤchte. Alle gingen, um ihn zu suchen. Er ist unten im Saal, sagte endlich ein junger Mensch, den sie ebenfalls fragten, zwischen allen Bedienten und Kutschern, denen er Kartenkuͤnste macht, die sie nicht genug bewundern koͤnnen. Sie traten hinein und unterbrachen die schallende Verwunde- rung der Dienerschaft, indeß sich Roderich nicht stoͤren ließ, sondern frei in seinen magischen Kunst- stuͤcken fortfuhr. Als er geendigt hatte ging er Erste Abtheilung . mit den uͤbrigen in den Garten und sagte: ich thue es nur, um diese Menschen im Glauben zu staͤr- ken, denn diese Kuͤnste bringen ihrer Kutscher- Freigeisterei auf lange einen Stoß bei, und helfen zu ihrer Bekehrung. Ich sehe, sagte der Braͤutigam, daß mein Freund unter seinen uͤbrigen Talenten auch das eines Charlatans nicht zu geringe achtet, um es auszubilden. Wir leben in einer wunderlichen Zeit, antwor- tete jener; man soll heut zu Tage nichts verachten, denn man weiß nicht, wozu es zu gebrauchen ist. Als die beiden Freunde sich allein befanden, wandte sich Emil wieder in den dunkeln Baum- gang und sagte: Warum bin ich an diesem Tage, welcher der gluͤcklichste meines Lebens ist, so truͤbe gestimmt? Aber ich versichere dich, so wenig du es auch glauben willst, es paßt nicht fuͤr mich, mich in dieser Menge von Menschen zu bewegen, fuͤr jeden Aufmerksamkeit zu haben, keinen dieser Verwandten von ihrer und meiner Seite zu ver- nachlaͤssigen, den Eltern Ehrfurcht zu beweisen, die Damen bekomplimentieren, die Ankommenden em- pfangen, und die Dienstboten und Pferde gehoͤrig zu versorgen. Das macht sich ja alles von selbst, sagte Ro- derich; sieh, dein Haus ist recht auf dergleichen eingerichtet, und dein Haushofmeister, der alle Haͤnde voll zu thun und alle Beine voll zu lau- fen hat, ist recht wie dazu geschaffen, alles ordent- lich zu betreiben, um die allergroͤßte Gesellschaft Liebeszauber . aus Verwirrung zu erretten und mit Anstand zu bewirthen. Ueberlaß das ihm und deiner schoͤnen Braut. Heute Morgen, noch vor Sonnenaufgang, sagte Emil, wandelte ich durch das Gehoͤlz; mir war feierlich zu Muthe, ich fuͤhlte recht im In- nern, wie mein Leben nun bestimmt sey und ernst werde, wie diese Liebe mir Heimath und Beruf erschaffen hat. Ich kam dort der Laube voruͤber; ich hoͤrte Stimmen: es war meine Geliebte in einem traulichen Gespraͤch. Ist es nun, sagte eine fremde Stimme, nicht so gekommen, wie ich gesagt hatte? Gerade so, wie ich wußte, daß es gesche- hen wuͤrde? Ihr habt euren Wunsch, darum seid nun auch froh. Ich mochte nicht zu ihnen treten; nachher ging ich der Laube naͤher, doch hatten sich beide schon entfernt. Aber ich sinne und sinne: was wollen diese Worte bedeuten? Roderich sagte: sie mag dich vielleicht schon laͤngst geliebt haben, ohne daß du es wußtest; du bist desto gluͤcklicher. Eine spaͤte Nachtigall erhub jezt ihren Gesang und schien dem Liebenden Heil und Wonne zuzu- rufen. Emil wurde tiefsinniger. Komm mit mir, um dich aufzuheitern, sagte Roderich, in das Dorf hinunter, da sollst du ein zweites Brautpaar sehn, denn du mußt dir nicht einbilden, daß du heut allein Hochzeit feyerst. Ein junger Knecht ist in Langeweile und Einsamkeit mit einer aͤltern garsti- gen Magd zu vertraut geworden, und der Pinsel haͤlt sich nun fuͤr verpflichtet, sie zu seiner Frau Erste Abtheilung . zu machen. Jezt muͤssen sie beide schon geputzt seyn; diesen Anblick wollen wir nicht versaͤumen, denn er ist ohne Zweifel interessant. Der Trauernde ließ sich von dem schwatzenden heitern Freunde fortziehn, und sie kamen bald zu der Huͤtte. Eben trat der Zug heraus, um sich nach der Kirche zu begeben. Der junge Knecht war in seinem gewoͤhnlichen leinenen Kittel, und prangte nur mit einem Paar ledernen Beinkleidern, die er so hell als moͤglich angestrichen hatte; er war von einfaͤltiger Miene und schien verlegen. Die Braut war von der Sonne verbrannt, nur wenige lezte Spuren der Jugend waren an ihr sichtbar; sie war grob und arm aber reinlich geklei- det, einige rothe und blaue seidne Baͤnder, schon etwas entfaͤrbt, flatterten von ihrem Mieder, am meisten aber war sie dadurch entstellt, daß man ihr die Haare steif mit Fett, Mehl und Nadeln aus der Stirn gestrichen und oben zusammen geheftet hatte, auf dieser Spitze des aufgethuͤrmten Haars stand der Kranz. Sie laͤchelte und schien froͤlich, doch war sie verschaͤmt und bloͤde. Die alten El- tern folgten; der Vater war auch nur Knecht auf dem Hofe, und die Huͤtte, der Hausrath so wie die Kleidung, alles verrieth die aͤußerste Armuth. Ein schielender schmutziger Musikant folgte dem Zuge, der greinend auf einer Geige strich und da- zu schrie, diese war halb aus Pappe und Holz zu- sammen geleimt, und statt der Saiten mit drei Bindfaͤden bezogen. Der Zug machte Halt, als der neue gnaͤdige Herr zu den Leuten trat. Einige muth- Liebeszauber . muthwillige Dienstboten, junge Bursche und Maͤg- de, schaͤkerten und lachten, und verspotteten das Brautpaar, vorzuͤglich die Kammerjungfern, die sich schoͤner duͤnkten und sich unendlich besser geklei- det sahen. Ein Schauer erfaßte Emil; er blickte nach Roderich um, dieser war aber schon wieder entlaufen. Ein naseweiser Bursche mit einem Ti- tuskopf, der Bedienter eines Fremden, draͤngte sich, um witzig zu erscheinen, an Emil und rief: Nun, gnaͤdiger Herr, was sagen Sie zu dem glaͤnzenden Brautpaar? Beide wissen noch nicht, wo sie mor- gen Brod hernehmen sollen; und heut Nachmittag werden sie doch einen Ball geben, der Virtuos dort ist schon bestellt. — Kein Brod? sagte Emil; giebt es so etwas? — Ihr ganzes Elend ist dem Volke bekannt, fuhr jener schwatzend fort, aber der Kerl sagt, er bleibe dem Wesen dennoch gut, wenn sie auch nichts zubraͤchte; o ja freilich, die Liebe ist allgewaltig! das Lumpenpack hat nicht einmal Betten, sie muͤssen sogar diese Nacht auf der Streu schlafen; das Duͤnnbier haben sie sich zusammen gebettelt, worin sie sich besaufen wol- len. Alle umher lachten laut, und die beiden ver- spotteten Ungluͤcklichen schlugen die Augen nieder. Emil stieß zornig den Schwaͤtzer von sich; nehmt! rief er aus, und warf in die Hand des erstarrten Braͤutigams hundert Dukaten, welche er am Mor- gen eingenommen hatte. Die Alten und die Braut- leute weinten laut, warfen sich ungeschickt auf die Kniee und kuͤßten ihm Haͤnde und Kleider. Er wollte sich losmachen. Haltet euch damit das I. [ 20 ] Erste Abtheilung . Elend vom Leibe, so lange ihr koͤnnt! rief er be- taͤubt. O auf zeitlebens, mein gnaͤdigster Herr, sind wir gluͤcklich! schrien alle. Er wußte nicht, wie er fort gekommen war; er fand sich allein, und eilte mit wankenden Schrit- ten in den Wald. Die dichteste, einsamste Stelle suchte er auf, und warf sich auf einen Rasenhuͤgel nieder, indem er den ausbrechenden Strom seiner Thraͤnen nicht mehr zuruͤckhielt. Mir ekelt das Leben! schluchzte er in tiefer Bewegung; ich kann nicht froh und gluͤcklich seyn, ich will es nicht! Empfange mich bald du freundlicher Boden, ver- birg mich in deinen kuͤhlen Armen vor den wilden Thieren, die sich Menschen nennen! O Gott im Himmel! wie verdien' ich es, daß ich auf Daunen ruhe und Seide trage, daß mir die Traube ihr kostbarstes Blut spendet, und alles mir Ehre und Liebe dringend anbietet und darbringt? Dieser Arme ist besser und edler als ich, und das Elend ist seine Amme, und Hohn und giftiger Spott sein Gluͤck- wunsch. Suͤndlich duͤnkt mir jeder Leckerbissen, den ich genieße, jeder Trunk aus geschliffenem Glase, mein Ruhen auf weichen Betten, das Tragen von Gold und Geschmeide, da die Welt viel tausend mal tausend Ungluͤckliche umher jagt, die nach dem weggeworfenen vertrockneten Brode hungern, die nicht wissen, was Labsal ist. O jetzt versteh ich euch, ihr frommen Heiligen, ihr Verschmaͤhten, ihr Verhoͤhnten, die ihr Alles, bis auf euer Ge- wand der Armuth, ausstreutet, einen Sack um eure Lenden guͤrtetet, und selbst als Bettler die Schmaͤh- Liebeszauber . ungen und Fußstoͤße erdulden wolltet, mit denen roher Uebermuth und reiche Schwelgerei das Elend von ihren Tafeln weisen, um nur diese Suͤnde des Ueberflusses von euch zu werfen. Alle Gebilde der Welt schwankten wie ein Ne- bel vor seinen Augen; er nahm sich vor, die Ver- stoßenen als seine Bruͤder anzusehn, und sich von den Gluͤcklichen zu entfernen. Lange hatte man schon im Saale seiner zur Trauung gewartet, die Braut war besorgt, die Eltern suchten ihn im Garten und Park; endlich kam er ausgeweint und leichter zuruͤck, und die feyerliche Handlung ward vollzogen. Man begab sich aus dem untern Saal nach der offnen Halle, um sich zu Tische zu setzen. Braut und Braͤutigam gingen voran, und die uͤbrigen folgten im Zuge; Roderich bot seinen Arm einem jungen Maͤdchen, die munter und geschwaͤtzig war. Warum nur die Braͤute immer weinen und bei der Trauung so ernsthaft aussehn, sagte diese, in- dem sie zur Gallerie hinauf stiegen. Weil sie in diesem Augenblick am lebhaftesten von der Wichtigkeit und dem Geheimnißvollen des Lebens durchdrungen werden, antwortete Roderich. Aber unsre Braut, fuhr jene fort, uͤbertrifft noch an Feierlichkeit alle, die ich jemals gesehn habe; sie ist uͤberhaupt immer schwermuͤthig, man sieht sie nie recht heiter lachen. Dies macht ihrem Herzen um so mehr Ehre, antwortete Roderich, gegen seine Gewohnheit ver- stimmt. Sie wissen vielleicht nicht, mein Fraͤulein, Erste Abtheilung . daß die Braut vor einigen Jahren ein allerliebstes verwaistes Kind, ein Maͤdchen, zu sich genommen hatte, um es zu erziehn. Dieser Kleinen widmete sie alle ihre Zeit, und die Liebe des zarten Ge- schoͤpfes war ihr suͤßester Lohn. Dieses Maͤdchen war sieben Jahr alt geworden, als sie sich auf einem Spaziergange in der Stadt verlor, und aller angewandten Muͤhe ohngeachtet, noch nicht wieder hat aufgefunden werden koͤnnen. Diesen Unfall hat sich das edle Wesen so zu Gemuͤth gezogen, daß sie seitdem an einer stillen Melankolie leidet, und durch nichts von dieser Sehnsucht nach ihrer kleinen Gespielin kann abgezogen werden. Wahrhaftig, recht interessant! sagte das Fraͤu- lein; das kann sich in der Zukunft recht roman- tisch entwickeln, und zum angenehmsten Gedichte Gelegenheit geben. Man ordnete sich an der Tafel; Braut und Braͤutigam nahmen die Mitte ein, und sahen in die heitere Landschaft hinaus. Man schwatzte und trank Gesundheiten, die munterste Laune herrschte; die Eltern der Braut waren ganz gluͤcklich, nur der Braͤutigam war still und in sich gekehrt, genoß nur wenig, und nahm an den Gespraͤchen keinen Antheil. Er erschrack, als sich musikalische Toͤne durch die Luft von oben hernieder warfen, doch beruhigte er sich wieder, da es sanfte Hoͤrnertoͤne blieben, die angenehm uͤber die Gebuͤsche hinweg rauschten, sich durch den Park zogen, und am fer- nen Berge verhallten. Roderich hatte sie auf die Gallerie uͤber die Speisenden gestellt, und Emil Liebeszauber . war mit dieser Einrichtung zufrieden. Gegen das Ende der Mahlzeit ließ er seinen Haushofmeister kommen, und sagte zur Braut gewendet: liebe Freundin, laß auch die Armuth an unserm Ue- berflusse Theil nehmen. Er befahl hierauf, eine Anzahl Flaschen Wein, Gebackenes, und verschie- dene Gerichte in reichlichen Portionen dem armen Brautpaar hinuͤber zu senden, damit ihnen dieser Tag auch ein Freudentag sein koͤnne, dessen sie sich nachher gern erinnern moͤchten. Sieh, Freund, rief Roderich aus, wie schoͤn alles in der Welt zusammen haͤngt! Mein unnuͤtzes Umtreiben und Schwatzen, das du so oft an mir tadelst, hat doch nun diese gute Handlung veranlaßt. Viele wollten dem Wirthe uͤber sein Mitleid und gutes Herz etwas Artiges sagen, und das Fraͤulein sprach von schoͤner Gesinnung und Edelmuth. O schweigen wir! rief Emil zornig: es ist keine gute Handlung, ja uͤberhaupt keine Handlung, es ist nichts! Wenn Schwalben und Haͤnflinge sich von den weggewor- fenen Brosamen dieses Ueberflusses naͤhren, und sie zu ihren Jungen in die Nester tragen, sollte ich nicht eines armen Mitbruders gedenken, der mein bedarf? Wenn ich meinem Herzen folgen duͤrfte, so wuͤrdet ihr mich eben so gut wie manchen andern verlachen und verspotten, der in die Wuͤste zog, um nichts mehr von der Welt und ihrem Edelmuth zu erfahren. Man schwieg, und Roderich erkannte in den gluͤhenden Augen seines Freundes den heftigsten Unwillen; er besorgte, daß er sich in seiner Ver- Erste Abtheilung . stimmung noch mehr vergessen moͤchte, und suchte schnell das Gespraͤch auf andre Gegenstaͤnde zu lenken. Doch Emil war unruhig und zerstreut geworden; hauptsaͤchlich wendeten sich seine Blicke oft nach der obersten Gallerie, auf welcher die Bedienten, die das letzte Stockwerk bewohnten, vie- lerlei zu schaffen hatten. Wer ist die widerliche Alte, die dort so geschaͤftig ist, und so oft in ihrem grauen Mantel wieder kommt? fragte er endlich. Sie gehoͤrt zu meiner Bedienung, sagte die Braut; sie soll die Aufsicht uͤber die Kammerjungfern und juͤngeren Maͤgde fuͤhren. Wie kannst du solche Haͤßlichkeit in deiner Naͤhe dulden? erwiederte Emil. Laß sie, antwortete die junge Frau, wollen die Haͤßlichen doch auch leben, und da sie gut und redlich ist, kann sie uns von großem Nutzen seyn. Man erhob sich von der Tafel, und alles um- gab den neuen Gatten, wuͤnschte nochmals Gluͤck, und draͤngte dann mit Bitten um die Erlaubniß zum Ball. Die Braut umarmte ihn aͤußerst freund- lich und sagte: meine erste Bitte, Geliebter, wirst du mir nicht abschlagen, denn wir haben uns alle darauf gefreut: Ich habe so lange nicht getanzt, und du selbst hast mich noch niemals tanzen sehn. Bist du denn gar nicht neugierig darauf, wie ich mich in dieser Bewegung ausnehme? So heiter, sagte Emil, habe ich dich noch nie- mals gesehn. Ich will kein Stoͤrer eurer Freude seyn, macht, was ihr wollt; nur verlange keiner von mir, daß ich mich selbst mit linkischen Spruͤn- gen laͤcherlich machen soll. Liebeszauber . Wenn du ein schlechter Taͤnzer bist, sagte sie lachend, so kannst du sicher seyn, daß dich jeder- mann gern in Ruhe lassen wird. Die Braut ent- fernte sich hierauf, um sich umzuziehn und ihr Ball- kleid anzulegen. Sie weiß es nicht, sagte Emil zu Roderich, mit dem er sich entfernte, daß ich aus einem andern Zimmer in das ihrige durch eine verborgene Thuͤr kommen kann, ich werde sie beim Umkleiden uͤber- raschen. Als Emil fortgegangen war, und viele der Damen sich auch entfernt hatten, um die zum Tanz noͤthigen Veraͤnderungen des Putzes zu treffen, nahm Roderich die juͤngeren Leute beiseit und fuͤhrte sie auf sein Zimmer. Es wird schon Abend, sagte er hier, bald ist es finster; jetzt geschwind jeder in seine Verkleidung, um diese Nacht recht bunt und toll zu verschwaͤrmen. Was ihr nur ersinnen koͤnnt, genirt euch nicht, je aͤrger, je besser! Je scheußli- cher die Fratzen sind, die ihr aus euch hervor bringt, je mehr will ich euch loben. Da muß es keinen so widerlichen Hoͤcker, keinen so ungestalten Bauch, keine so widersinnige Kleidung geben, die nicht heute paradirt. Eine Hochzeit ist eine so wundersame Begebenheit, ein ganz neuer ungewohnter Zustand wird den Verheiratheten so ploͤtzlich wie ein Maͤhr- chen uͤber den Hals geworfen, daß man dieses Fest nicht verwirrt und unklug genug anfangen kann, um nur irgend fuͤr die Eheleute die ploͤtzliche Veraͤnderung zu motiviren, so daß sie wie in einem phantastischen Traum in die neue Lage hinuͤber Erste Abtheilung . schwimmen, und darum laßt uns nur recht in diese Nacht hinein wuͤthen, und nehmt keine Einrede von denen an, die sich verstaͤndig stellen moͤchten. Sey ohne Sorge, sagte Anderson, wir haben einen großen Koffer voll Masken und toller bun- ter Kleidungsstuͤcke aus der Stadt mitgebracht, du wirst dich selbst daruͤber verwundern. Aber seht her, sagte Roderich, was ich von meinem Schneider eingekauft habe, der diesen kost- baren Schatz schon in Laͤppchen verschneiden wollte! Er hat diese Tracht von einer alten Gevatterinn erhandelt, die damit gewiß bei Lucifer auf dem Blocksberge Galla gemacht hat. Seht dieses schar- lachrothe Mieder, mit diesen goldenen Tressen und Franzen, und diese goldglaͤnzende Haube, die mir unendlich ehrwuͤrdig stehn muß, dazu nehm ich diesen gruͤnseidnen Rock mit safrangelbem Besatz und diese scheußliche Maske, und fuͤhre nachher als altes Weib den ganzen Chor der Carikaturen in das Schlafzimmer. Macht, daß ihr fertig werdet! wir wollen dann feierlich die junge Frau abholen. Die Hoͤrner musizirten noch, die Gesellschaft wandelte im Garten, oder saß vor dem Hause. Die Sonne war hinter truͤben Wolken untergegangen, und die Gegend lag im grauen Daͤmmer, als ploͤtzlich unter der Wolkendecke der scheidende Stral noch einmal hervor brach, und rings die Gegend, vorzuͤglich aber das Gebaͤude mit seinen Gaͤngen, Saͤulen und Blumengewinden, wie mit rothem Blute besprengte. Da sahen die Eltern der Braut, und die uͤbrigen Zuschauer den abentheuerlichsten Liebeszauber . Zug nach dem obern Corredor schweben: Roderich als die rothe Alte voran, und ihr nachfolgend Buck- lichte, dickbauchige Fratzen, ungeheure Perucken, Tartaglias, Policinells und gespenstische Pierrots, weibliche Figuren in ausgespannten Reifroͤcken und ellenhohen Frisuren, die widerwaͤrtigsten Gestalten, alle wie aus einem aͤngstlichen Traum. Sie zogen gaukelnd und sich drehend und wackelnd, trippelnd und sich bruͤstend uͤber den Gang, und verschwan- den dann in eine der Thuͤren. Nur wenige der Zuschauer waren zum Lachen gekommen, so hatte sie der seltsamste Anblick uͤberrascht. Ploͤtzlich brach ein gellender Schrei aus den innern Zimmern, und hervor stuͤrzte in das blutige Abendroth die bleiche Braut, im weißen kurzen Kleide, um welches Blu- menranken flatterten, der schoͤne Busen ganz frei, die Fuͤlle der Locken in Luͤften schwebend. Wie wahnsinnig, die Augen rollend, das Gesicht ent- stellt, stuͤrzte sie uͤber die Gallerie, und fand in ihrer Angst verblindet keine Thuͤr und Treppe, und gleich darauf, ihr nachrennend, Emil, den blan- ken tuͤrkischen Dolch in hoch erhobener Faust. Jetzt war sie am Ende des Ganges, sie konnte nicht weiter, er erreichte sie. Die maskirten Freunde und die graue Alte waren ihm nach gestuͤrzt. Aber schon hatte er wuͤthend ihre Brust durchbohrt, und den weißen Hals durchschnitten, ihr Blut stroͤmte im Glanz des Abends. Die Alte hatte sich mit ihm umfaßt, ihn zuruͤck zu reißen; kaͤmpfend schleu- derte er sich mit ihr uͤber das Gelaͤnder, und beide fielen zerschmettert zu den Fuͤßen der Verwandten Erste Abtheilung . nieder, die mit stummem Entsetzen der blutigen Scene zugeschaut hatten. Oben und im Hofe, oder von den Gallerien und Treppen herunter eilend, standen und rannten die scheußlichen Larven in mannichfaltigen Gruppen, hoͤllischen Daͤmonen aͤhnlich. Roderich nahm den Sterbenden in seine Arme. Mit dem Dolche spielend hatte er ihn im Zimmer seiner Gattinn gefunden. Sie war fast angekleidet, bei seinem Eintreten; beim Anblick des rothen widrigen Kleides hatte sich seine Erinnerung belebt, das Schreckbild jener Nacht war vor seine Sinne getreten; knirschend war er auf die zitternde, flie- hende Braut zugesprungen, um den Mord und ihr teuflisches Kunststuͤck zu bestrafen. Die Alte bestaͤtigte sterbend den veruͤbten Frevel, und das ganze Haus war ploͤtzlich in Leid, Trauer und Ent- setzen verwandelt worden. Alle Zuhoͤrer waren bewegt, am meisten aber Clara, die schon fruͤher Zeichen von Ungeduld gegeben hatte. Nein! rief sie aus und erhob sich: es ist nicht auszuhalten! Diese Geschichten gehn zu schneidend durch Mark und Bein, und ich weiß mich vor Schauder in keinen meiner Ge- danken mehr zu retten. Es ist geradezu abscheu- lich, dergleichen zu erfinden. Ich zittre und aͤngste mich, und vermuthe, daß aus jedem Busche, aus jeder Laube ein Ungeheuer auf mich zutreten Erste Abtheilung . moͤchte, daß die theuersten bekanntesten Gestal- ten sich ploͤtzlich in fremd gespenstische Wesen verwandeln duͤrften, und man ist und bleibt thoͤricht, und hoͤrt zu, laͤßt sich von den Worten immer weiter und weiter verlocken, bis das un- geheuerste Grauen uns ploͤtzlich erfaßt, und alle vorigen Empfindungen wie in einen Strudel ge- waltthaͤtig verschlingt. Es faͤngt an Abend zu werden, laßt uns hinein gehn und aufhoͤren. Das ist aber ganz gegen die Abrede, sagte Manfred, wollt ihr Weiber einer Akademie vor- stehn und die Talente aufmuntern, so muͤßt ihr auch mehr Muth und Ausdauer haben. Kannst du den guten Lothar mit dieser unbilligen Kri- tik so kraͤnken? Habt ihr es denn nicht vorher gewußt, daß man euch wuͤrde zu fuͤrchten machen? Woruͤber beklagt ihr euch also? Mir hat seine Erzaͤhlung so wohl gefallen, daß ich, in Nach- ahmung Alexanders, ausrufen koͤnnte: ich moͤchte diesen Liebeszauber geschrieben haben, wenn ich nicht meinen Runenberg gedichtet haͤtte! Darum, ihr Besten, laßt die Narrheit fahren und bleibt huͤbsch thoͤricht und in der Ordnung. Diese Geschichte und die deinige, Bruder Manfred, sagte Auguste, haben uns eben alle Lust genommen, noch etwas anzuhoͤren, denn sie sind zu graͤßlich. Et tu, Brute? rief Manfred aus; Schwe- ster, du bist ja meine Schwester, wir sind ja hoffentlich Ein Blut! nicht gegen die eigne Fa- Erste Abtheilung . milie und das verwandte Fleisch richte dein Re- zensenten-Wuͤthen. Und du, Clara, warum nicht deinen Zorn gegen unsern Anton wenden, der mit seinem Maͤhrchen zuerst diesen Ton angegeben hat? Aber ich sehe wohl, wir Autoren stehen so wenig hier, wie irgend wo, vor einem unpartheiischen Richterstuhl, die Leidenschaften, Vorliebe und Haß regen sich bei jeder Rezensir-Anstalt. O wohin entfliehen aus dieser verderbten Welt? Ich werde von nun an gar kein Publikum mehr anerkennen! Wir sollen also, sagte Rosalie sanft und er- roͤthend, auch nicht einmal die kleine Genugthu- ung haben, zu schelten, wenn man uns durch die Mittel der Dichtkunst fast aus unsern Sin- nen geaͤngstigt hat? Laßt es euch doch fuͤr diesmal so gefallen, sagte Manfred, wir wollen euch ein andermal einschlaͤfern und Langeweile genug machen. Habt ihr aber was zu klagen, so klagt uͤber Anton, den ihr selbst zum Koͤnige dieses Tages erwaͤhlt habt, und der uns befohlen hat, dergleichen Zeug an den Tag zu foͤrdern. Es waͤre unbillig, sagte Emilie, ihn zu schel- ten, der uns so anmuthig unterhalten hat, und der nur mit leisem Schreck, wie aus der Ferne, die Schilderung der stillen Einsamkeit wunder- barer und anziehender machte. Wie ihr nun seid, fuhr Manfred fort, das eine ist vielleicht gut, und das andre darum noch nicht schlimm. Die Phantasie, die Dichtung Erste Abtheilung . also wollt ihr verklagen? Aber eure Wirklichkeit! Thut doch nur die Augen auf, angenehme Geg- ner und Widersacher, und seht, daß es dort, vor euren Augen, hinter eurem Ruͤcken, wenn ihr euch nur erkundigt, weit schlimmer hergeht. Schlimmer und herber, und also auch viel graͤß- licher, weil das Schrecken hier durch nichts Poe- tisches gemildert wird. Soll ich euch dergleichen Dinge aus dem alltaͤglichsten Leben, oder aus der Geschichte erzaͤhlen? Ich bin nicht von den schwaͤchsten Nerven, aber ich weiß noch wohl, daß ich einige Naͤchte nicht schlafen konnte, weil mich das Bild des armen gefolterten Grandier die Tage hindurch bei allen meinen Geschaͤften verfolgte, so daß ich selbst das Buch, worin ich sein Schicksal gelesen, mit Grauen betrachtete. Dieser Mann, ein Geistlicher, ward durch den gemeinsten abgeschmacktesten Neid der Zauberei beschuldigt, unkluge Nonnen stellten sich besessen und klagten ihn als den Urheber ihres Zustan- des an; Richelieu, der sich irrigerweise von dem gebildeten und nicht unwitzigen Manne beleidigt glaubte, ging in die veraͤchtliche Kabale ein. Grandier lachte anfangs, aber er ward vor Ge- richt gezogen, unmenschlich, bis zum Sterben fast, zermartert, und dann auf die grausamste Weise verbrannt. Alle seine Richter waren von seiner Unschuld uͤberzeugt, sein hoher Verfolger am in- nigsten; eine aufgeklaͤrte witzige Nation spottete uͤber den Prozeß, man besuchte von Paris die Erste Abtheilung . besessenen Nonnen als eine unterhaltende Aben- theuerlichkeit: und doch wurde diese Abscheulich- keit veruͤbt, unsern Tagen ziemlich nahe, in den Tagen der Philosophie (nicht etwa im sogenann- ten barbarischen Mittel-Alter), die ehrwuͤrdige Form der Gerechtigkeit wurde gemißbraucht und geschaͤndet, die Religion verhoͤhnt, und alles dies, woruͤber unser Eingeweide entbrennt und Rache schreit, hatte weiter keine Folgen, als daß die Pariser den Zermarterten gutmuͤthig bedauerten. Soll ich euch aus den causes celèbres diese un- geheure Begebenheit vorlesen? Oder jene Trauer- geschichte, welche erzaͤhlt, wie ein Familien-Va- ter unschuldig auf die Galeeren gesandt wird und dort stirbt, sein Weib und seine unmuͤndige Tochter aber lange im Kerker schmachten muͤssen, weil ein Prozeß uͤber einen bedeutenden Diebstahl schlecht eingeleitet ward, und die Richter sich vom Stande des Klaͤgers verleiten ließen, uͤbereilt zu verfahren; der unschuldig Beklagte aber Vermoͤ- gen, Ehre und Leben auf das schmaͤhlichste ein- buͤßte? Die Collekte die das junge Maͤdchen nachher fuͤr ihre Mutter und sich erhielt und er- bettelte, konnte ihnen den Vater nicht wieder geben, noch den ungeheuren Jammer von ihrer Seele nehmen. Nicht wahr, diese sind die aͤch- ten Gespenstergeschichten? Und wer lebt denn wohl, der nicht dergleichen zu erzaͤhlen wuͤßte, von der Grausamkeit der Menschen, der Bestech- lichkeit der Aemter, der Unterdruͤckung des Ar- Erste Abtheilung . men? Von dem Elend, welches große und kleine Tyrannen erschaffen? Hier koͤnnt ihr euch nir- gend troͤsten und euch sagen: es ist nur erson- nen! die Kunstform beruhigt euer Gemuͤth nicht mit der Nothwendigkeit, ja ihr koͤnnt oft in die- sem Jammer nicht einmal ein Schicksal sehn, son- dern nur das Blinde, Schreckliche, das was sagt: so ist es nun einmal! In dergleichen maͤhrchen- haften Erfindungen aber kann ja dieses Elend der Welt nur wie von vielen muntern Farben gebrochen hineinspielen, und ich dachte, auch ein nicht starkes Auge muͤßte es auf diese Weise er- tragen koͤnnen. Und wenn du auch Recht haͤttest, sagte Clara, so bleibe ich doch unerbittlich! Nun gut, sagte Manfred, Sey ganz ein Weib und gieb Dich hin dem Triebe, der dich zuͤgellos Ergreift und dahin oder dorthin reißt. Wie macht ihr Zarten, Weichen, Sanftgestimm- ten, es aber nur in unsern Theatern? Ich habe mich oft verwundern muͤssen, daß eure Nerven die Abscheulichkeiten aushalten koͤnnen, die wir doch fast taͤglich dorten sehen und hoͤren muͤssen. Ich rede nicht von jenen verfehlten Tragoͤdien, die, um erhaben zu seyn, das Oberste im Men- schen zu unterst kehren, denn uͤber diese kann man laͤcheln und sich an ihnen unterhalten, im- mer wird doch irgend eine That, Begebenheit oder Schicksal dargestellt, welches mich beruhigt, auch Erste Abtheilung . ist hie und da wohl ein Zug oder eine Scene gelungen, die fuͤr das Ganze dann gut stehn muͤssen; sondern von jenem kleinlichen Zwitter- schauspiele spreche ich, von jenen Familiengemaͤhl- den und Hofrathsstuͤcken, von den Hunger- und Elends-Festen, von der Noth und Angst, die bis in den fuͤnften Akt die Seelen zerdruͤckt, und ein edles Maͤdchen fast dahin bringt, einen Lump zu heirathen und das brillanteste Herz sitzen zu lassen; oder wo ein hochstrebender Sohn den Vater bestiehlt und zur Verzweiflung bringt, oder Bruͤder mißhellig sind, Frauen den Schweiß des Gatten verschwenden, und so weiter: denn wer vermoͤchte die unendliche Variation des großen Einerlei auszusprechen? Bei diesen Jammer-Luft- spielen, kann ich nicht laͤugnen, bin ich ein zu nervenschwacher Zuschauer, um nicht auf das Aeu- ßerste verstimmt und im Innern ungluͤcklich zu werden. Denn diese Dichter haben nicht daran genug, dergleichen Elend nach der Wahrheit zu schildern, wodurch ihre Compositionen bloß un- kuͤnstlich wuͤrden, sondern sie ziehn mit einem Handgriff, den sie sich alle zu eigen gemacht ha- ben, das Edelste und Hoͤchste der Menschheit, Kindes- und Elternliebe, Freundschaft, die theu- ersten Verhaͤltnisse, die menschlichsten, natuͤrlich- sten und herzlichsten Ruͤhrungen in ihre Carika- turen hinein, und schlagen die Toͤne an, die im- mer anklingen muͤssen, wenn ein gutmuͤthiges Pu- blikum kein heitres Kunstwerk, sondern nur eine pre- Erste Abtheilung . prekaire Wahrheit verlangt, und erregen dadurch die Thraͤnenschauer, auf welche sie in ihren Vor- reden so stolz sind. Dieser Thraͤnen (ich muß sie selbst vergießen, gesteh ich) sollten wir uns aber schaͤmen, sie sollten uns gerade am meisten in Zorn gegen den Dichter entzuͤnden, der das Hoͤchste und Theuerste zum Niedrigsten macht, und auf dem Troͤdelmarkt ausbietet. Nicht wahr, es wuͤrde uns alle empoͤren, ein Erbstuͤck eines ge- liebten Vaters, das wir nur unserm kostbarsten Schranke anvertrauen, ploͤtzlich in der schmuzigen Judengasse oͤffentlich ausstehn zu sehn? Gerade so empoͤren mich jene Dinge, von denen sich un- ser Publikum so oft erhoben und gebessert fuͤhlt, denn eben die unwuͤrdigste Taschenspielerei jener Autoren ist es, an ihr Machwerk die Empfin- dungen zu knuͤpfen, die uns als Menschen ewig heilig und unverletzlich seyn sollen. Ich verstehe jetzt, sagte Emilie, ihren Zorn etwas mehr, der mir oft genug paradox erschien, indem ich sah, daß Sie sich einer gewissen Ruͤh- rung nicht erwehren konnten. Wie koͤnnt ihr Weiber, fuhr Manfred in seinem Eifer fort, es nur dulden, daß man eure Muͤtterlichkeit, eure Liebe, euer zartes Hingeben, eure ehelichen Tugenden, eure Keuschheit, dort als verzerrte Bilder so oͤffentlich an den Pranger stellt? denn das ist es eigentlich, wie sehr sich alle diese Herrn auch die Miene geben wollen, euch und euren Beruf zu verherrlichen. Und eben I. [21] Erste Abtheilung . so mit den Romanen. In mein Haus soll mir gewiß kein Buch fuͤr Muͤtter, oder Gattinnen, oder Weiber wie sie seyn sollen, und dergleichen Un- kraut kommen, aus der Verkehrtheit unsers Trei- bens erwachsen und von der Eitelkeit des Zeitalters genaͤhrt. Und dieselben Herren, die dergleichen wahrhaft unmoralisches Zeug schreiben und prei- sen, wollen dem Bauer seinen Siegfried, Okta- vian und Eulenspiegel nehmen, um die Morali- taͤt der niedern Staͤnde nicht verderben zu las- sen! Kann es etwas Tolleres und Verkehrteres geben? Sollte denn aber, sagte Anton, meine Regie- rung gleich so verstuͤmmelt beginnen, zum gefaͤhr- lichen Beispiel aller meiner Thronfolger, und diese Abtheilung, die mir zugefallen ist, gar nicht vol- lendet werden? Was werden dazu unsre Freunde Friedrich, Wilibald und Theodor sagen? Wahr- lich, wenn ich meiner Pflicht nur irgend nachle- ben will, darf ich es nicht zugeben. Die lie- benswuͤrdige Clara wird also hiemit fuͤr eine Re- bellin erklaͤrt, und ihr eine Minute Frist gestat- tet, sich zu besinnen, widrigenfalls sie sich der Strafe aussetzen wird, daß man ihr ganz allein in der Einsamkeit die Oktavia, oder Armuth und Edelsinn, oder irgend etwas dem Aehnliches, Großartiges vorlesen soll. Ich ergebe mich, sagte Clara; der furcht- bare Herrscher sehe ich, hat zu schreckliche Stra- fen in seiner Hand, er will uns zwar nicht mit Erste Abtheilung . Skorpionen, aber doch mit boͤsem Gewuͤrm gei- ßeln, und darum ziehe ich es vor, mich dem Le- sen dieser Maͤhrchen zu ergeben, wenn denn doch einmal gelesen werden soll. Nur lebe ich der Hofnung, daß die drei Erzaͤhlungen, welche noch zuruͤckbleiben, nicht crescendo dieses Grauen er- hoͤhen, sondern uns decrescendo wieder in den ersten Ton zuruͤck fuͤhren werden. Vor allem laßt uns in den Saal treten, sagte Emilie; es ist ungewoͤhnlich kuͤhl geworden, und unser genesender Beherrscher duͤrfte von der Abendluft mehr, wie wir von der Poesie zu be- fuͤrchten haben. Als man den Garten verlassen und sich im offnen Saale wieder geordnet hatte, sagte Theo- dor: ich kann wenigstens versichern, daß dasje- nige, was ich mitzutheilen habe, schwerlich Schrek- ken erregen kann. Von meiner Erfindung kann ich das nehm- liche zusagen, fuͤgte Wilibald hinzu. Wenn Friedrich uns dasselbe verspricht, sagte Clara, so moͤge denn also diese Maͤhrchenwelt wieder erscheinen. Nur mit Beschaͤmung, sagte Friedrich, kann ich Ihnen diese Blaͤtter mittheilen, da ich der einzige bin, der seine Erzaͤhlung nicht erfunden hat, sondern mich gezwungen sehe, Ihnen einen Jugendversuch vorzulegen, welcher nur eine alte Geschichte nacherzaͤhlt. Auch ist die Darstellung so gefaßt, daß ich fuͤrchten muß, dem Gedicht Erste Abtheilung . das groͤßte Unrecht gethan zu haben. Doch er- lauben Sie mir ohne weitere Entschuldigung an- zufangen. Friedrich las: — Liebesgeschichte der schoͤnen Magelone und des Grafen Peter von Provence . 1. Vorbericht . I st es dir wohl schon je, vielgeliebter Leser, so recht traurig in die Seele gefallen, wie betruͤbt es sey, daß das rauschende Rad der Zeit sich immer weiter dreht, und daß bald das zu unterst gekehrt wird, was ehemals hoch oben war? So faͤhrt Ruhm, Glanz, Pracht und weltberuͤhmte Schoͤn- heit hin, wie goldene Abendwolken, die hinter fer- nen Bergen nieder sinken, und nur auf kurze Zeit noch schwachen gelblichen Schimmer hinter sich las- sen: die Nacht tritt ernst und feierlich herauf, die schwarzen Heere von Wolken ziehn unter Ster- Die schoͤne Magelone . nenglanz auf und ab, und der letzte Schein erloͤscht furchtsam; Wind faͤhrt durch den Eichenforst und kein Huͤttenbewohner denkt an die Roͤthe des Abends zuruͤck. Im Winkel sitzt wohl ein Knabe in sich versunken und sieht im daͤmmernden Widerschein der Lampe ein Bild der froͤhlichen Morgenroͤthe; ihm duͤnkt, er hoͤre schon die muntern Haͤhne kraͤhen, und wie ein kuͤhler Wind durch die Blaͤtter rauscht und alle Blumen der Wiese aus ihrem stil- len Schlafe weckt; er vergißt sich selbst und nickt nach und nach ein, indem das Feuer ausbrennt. Dann kommen Traͤume uͤber ihn, dann sieht er alles im Glanze der Sonne vor sich: die wohl- bekannte Heimath, uͤber die wunderbare fremde Gestalten schreiten, Baͤume wachsen hervor, die er nie gesehn, sie scheinen zu reden und menschli- chen Sinn, Liebe und Vertrauen zu ihm ausdruͤk- ken zu wollen. Wie fuͤhlt er sich der Welt befreun- det, wie schaut ihn alles mit zaͤrtlichem Wohlge- fallen an! die Buͤsche fluͤstern ihm liebe Worte ins Ohr, indem er voruͤbergeht, fromme Laͤmmer draͤngen sich um ihn, die Quelle scheint mit locken- dem Murmeln ihn fort fuͤhren zu wollen, das Gras unter seinen Fuͤßen quillt frischer und gruͤ- ner hervor. Unter diesem Bilde mag dir, geliebter Leser, der Dichter erscheinen, und er bittet, daß du ihm vergoͤnnen moͤgest, dir seinen Traum vorzufuͤhren. Jene alte Geschichte, die manchen sonst ergoͤtzte, die vergessen ward, und die er gern mit neuem Lichte bekleiden moͤchte. Erste Abtheilung . Der Dichter sieht bemooste Leichensteine, Die keiner seiner Freunde kennt, Dann fuͤhlt er daß beim Mondenscheine Im Busen fromme Ahndung brennt; Er steht und sinnt, es rauschen alle Haine, Es flieht, was ihn von den Gestorbnen trennt, Freudigen Schrecks er sie als alte Freunde kennt. Gern wandl' ich in der stillen Ferne, In unsrer Vaͤter frommen Zeit, Ich seh, wie jeder sich so gerne Der alten guten Maͤhrchen freut, Oft wiederholt ergoͤtzen sie noch immer, Sie kehren wieder wie dasselbe Mahl, Der Hoͤrer fuͤhlt des Lebens Lust und Quaal, Der Liebe holden Fruͤhlingsschimmer. Ob Ihr die alten Toͤne gerne hoͤrt? Das Lied aus laͤngst verfloßnen Tagen? Verzeiht dem Saͤnger, den es so bethoͤrt, Daß er beginnt das Maͤhrchen anzusagen. 2. Wie ein fremder Saͤnger an den Hof des Grafen von Provence kam . I n der Provence herrschte vor langer Zeit ein Graf, der einen uͤberaus schoͤnen und herrlichen Sohn hatte, welcher als die Freude des Vaters und der Mutter erwuchs. Er war groß und stark, und glaͤnzende blonde Haare flossen um seinen Nak- Die schoͤne Magelone . ken und beschatteten sein zartes jugendliches Ge- sicht; dabei war er in aller Waffenuͤbung wohl erfahren, keiner fuͤhrte im Lande und auch außer- halb die Lanze und das Schwerdt so wie er, so daß ihn Jung und Alt, Groß und Klein, Adel und Unadel bewunderte. Er war oft gern in sich gekehrt, als wenn er irgend einem geheimen Wunsche nachhinge, und viele erfahrene Leute glaubten und schlossen daher, er sey in Liebe; es wollte ihn darum keiner aus seinen Traͤumen aufwecken, weil sie wohl wußten, daß die Liebe ein suͤßer Ton ist, der im Ohre schlaͤft und wie aus einem Traume seine phantasiereiche Melodie fortredet, so daß ihn der Beherberger selbst nur wie ein dunkles Raͤthsel versteht, ge- schweige denn ein Fremder, und daß er oft nur allzuschnell entflieht, und seine Wohnung in dem Aether und goldenen Morgenwolken wieder sucht. Aber der junge Graf Peter kannte seine eige- nen Wuͤnsche nicht; es war ihm, als wenn ferne Stimmen unvernehmlich durch einen Wald riefen, er wollte folgen, und Furcht hielt ihn zuruͤck, doch Ahndung draͤngte ihn vor. Sein Vater gab ein großes Turnier, zu wel- chem viele Ritter geladen wurden. Es war ein Wunder anzusehn, wie der zarte Juͤngling die Er- fahrensten aus dem Sattel hob, so daß es auch allen Zuschauern unbegreiflich schien. Er ward von allen geruͤhmt und fuͤr den besten und staͤrk- sten geachtet; aber kein Lob machte ihn stolz, son- dern er schaͤmte sich manchmal selber, daß er so Erste Abtheilung . alte und wuͤrdige Rittersmaͤnner sollte uͤberwunden haben. Unter andern war auch ein Saͤnger mit her- bei gekommen, der viele fremde Laͤnder gesehen hatte, er war kein Ritter, aber an Einsicht und Erfahrung uͤbertraf er manchen Edlen. Dieser gesellte sich zu Graf Peter und lobte ihn unge- mein, schloß aber seine Rede mit diesen Worten: Ritter, wenn ich Euch rathen sollte, so muͤßt ihr nicht hier bleiben, sondern fremde Gegenden und Menschen sehn und wohl betrachten, auf daß sich eure Einsichten, die in der Heimath nur immer einheimisch bleiben, verbessern, und Ihr am Ende das Fremde mit dem Bekannten verbinden koͤnnt. Er nahm seine Laute und sang: Keinen hat es noch gereut Der daß Roß bestiegen, Um in frischer Jugendzeit Durch die Welt zu fliegen. Berge und Auen, Einsamer Wald, Maͤdchen und Frauen Praͤchtig im Kleide, Golden Geschmeide, Alles erfreut ihn mit schoͤner Gestalt. Wunderlich fliehen Gestalten dahin, Schwaͤrmerisch gluͤhen Wuͤnsche im jugendlich trunkenen Sinn. Ruhm streut ihm Rosen Schnell in die Bahn, Die schoͤne Magelone . Lieben und Kosen, Lorbeer und Rosen Fuͤhren ihn hoͤher und hoͤher hinan. Rund um ihn Freuden, Feinde beneiden, Erliegend, den Held, — Dann waͤhlt er bescheiden Das Fraͤulein das ihm nur vor allen gefaͤllt. Und Berge und Felder Und einsame Waͤlder Mißt er zuruͤck. Die Eltern in Thraͤnen, Ach alle ihr Sehnen, — Sie alle vereinigt das lieblichste Gluͤck. Sind Jahre verschwunden, Erzaͤhlt er dem Sohn In traulichen Stunden, Und zeigt seine Wunden, Der Tapferkeit Lohn. So bleibt das Alter selbst noch jung, Ein Lichtstrahl in der Daͤmmerung. Der Juͤngling hoͤrte still dem Gesange zu; als er geendigt war, blieb er eine Weile in sich gekehrt, dann sagte er: ja, nunmehr weiß ich, was mir fehlt, ich kenne nun alle meine Wuͤnsche, in der Ferne wohnt mein Sinn, und mancherlei wechselnde buntfarbige Bilder ziehn durch mein Gemuͤth. Keine groͤßere Wollust fuͤr den jungen Rittersmann, als durch Thal und uͤber Feld dahin ziehn: hier liegt eine hoch erhabene Burg im Glanz der Morgensonne, dort toͤnt uͤber die Wiese durch Erste Abtheilung . den dichten Wald des Schaͤfers Schallmey, ein edles Fraͤulein fliegt auf einem weißen Zelter vor- uͤber, Ritter und Knappen begegnen mir in blan- ker Ruͤstung und Abentheuer draͤngen sich; unge- kannt zieh ich durch die beruͤhmten Staͤdte, der wunderbarste Wechsel, ein ewig neues Leben um- giebt mich, und ich begreife mich selber kaum, wenn ich an die Heimath und den stets wieder kehren- den Kreis der hiesigen Begebenheiten zuruͤck denke. O ich moͤchte schon auf meinem guten Rosse sitzen, ich moͤchte sogleich dem vaͤterlichen Hause Lebe- wohl sagen. Er war von diesen neuen Vorstellungen erhitzt, und ging sogleich in das Gemach seiner Mutter, wo er auch den Grafen seinen Vater traf. Peter ließ sich alsbald demuͤthig auf ein Knie nieder und trug seine Bitte vor, daß seine Eltern ihm erlau- ben moͤchten zu reisen und Abentheuer aufzusuchen; denn, so schloß er seine Rede: wer immer nur in der Heimath bleibt, behaͤlt auch fuͤr seine Lebens- zeit nur einen einheimischen Sinn, aber in der Fremde lernt man das Niegesehene mit dem Wohl- bekannten verbinden, darum versagt mir Eure Er- laubniß nicht. Der alte Graf erschrack uͤber den Antrag sei- nes Sohnes, noch mehr aber die Mutter, denn sie hatten sich dessen am wenigsten versehn. Der Graf sagte: mein Sohn, deine Bitte koͤmmt mir unge- legen, denn du bist mein einziger Erbe; wenn ich nun waͤhrend deiner Abwesenheit mit Tode abginge, was sollte da aus meinem Lande werden? Aber Die schoͤne Magelone . Peter blieb bei seinem Gesuch, woruͤber die Mut- ter anfing zu weinen und zu ihm sagte: Lieber, einziger Sohn, du hast noch kein Ungemach des Lebens gekostet und siehst nur deine schoͤnen Hof- nungen vor dir; allein bedenke, daß es gar wohl seyn kann, daß, wenn du abreisest, tausend Muͤhse- ligkeiten schon bereit stehn, um dir in den Weg zu treten; du hast dann vielleicht mit Elend zu kaͤm- pfen, und wuͤnschest dich zu uns zuruͤck. Peter lag noch immer demuͤthig auf den Knien und antwortete: Vielgeliebte Eltern, ich kann nicht dafuͤr, aber es ist jezt mein einziger Wunsch, in die weite fremde Welt zu reisen, um Freud und Muͤhseligkeit zu erleben, und dann als ein bekann- ter und geehrter Mann in die Heimath zuruͤck zu kehren. Dazu seid ihr ja auch, mein Vater, in eurer Jugend in der Fremde gewesen, und habt euch weit und breit einen Namen gemacht; aus einem fremden Lande habt ihr euch meine Mutter zum Gemahl geholt, die damals fuͤr die groͤßte Schoͤnheit geachtet wurde; laßt mich ein gleiches Gluͤck versuchen, seht, mit Thraͤnen bitte ich euch darum. Er nahm eine Laute, die er sehr schoͤn zu spie- len verstand, und sang das Lied, das er vom Har- fenspieler gelernt hatte, und am Schlusse weinte er heftig. Die Eltern waren auch geruͤhrt, besonders aber die Mutter; sie sagte: nun, so will ich dir meinerseits meinen Seegen geben, geliebter Sohn, denn es ist freilich alles wahr, was du da gesagt hast. Der Vater stand gleichfalls auf und seegnete Erste Abtheilung . ihn, und Peter war im Herzen vergnuͤgt, daß er so die Einwillignng seiner Eltern erhalten hatte. Es ward nun Befehl gegeben, alles zu seinem Zuge zu ruͤsten, und die Mutter ließ Petern heim- lich zu sich kommen. Sie gab ihm drei kostbare Ringe und sagte: Siehe, mein Sohn, diese drei kostbaren Ringe habe ich von meiner Jugend an sorgfaͤltig bewahrt; nimm sie mit dir und halte sie in Ehren, und so du ein Fraͤulein findest, daß du liebst und das dir wieder gewogen ist, so darfst du sie ihr schenken. Er kuͤßte dankbar ihre Hand, und es kam der Morgen, an welchem er von dan- nen schied. 3. Wie der Ritter Peter von seinen Eltern zog . A ls Peter sein Pferd besteigen wollte, seegnete ihn sein Vater noch einmal, und sagte zu ihm: mein Sohn, immer moͤge dich das Gluͤck begleiten, so daß wir dich gesund und wohlbehalten wieder sehen; denke stets meiner Lehren, die ich deiner zarten Ju- gend einpraͤgte: suche die gute und meide die boͤse Gesellschaft; halte immer die Gesetze des Ritter- standes in Ehren, und vergiß sie in keinem Augen- blicke, denn sie sind das edelste, was die edelsten Maͤnner in ihren besten Stunden erdacht haben; Die schoͤne Magelone . sei immer redlich, wenn du auch betrogen wirst, denn das ist der Probierstein des Wackern, daß er selten auf rechtliche Menschen trifft, und doch sich selber gleich bleibt. — Lebe wohl! — Peter ritt fort, allein und ohne Knappen, denn er wollte allenthalben, wie es oft die jungen Ritter zu thun pflegten, unbekannt bleiben. Die Sonne war herrlich aufgegangen, und der frische Thau glaͤnzte auf den Wiesen. Peter war frohen Mu- thes und spornte sein gutes Roß, daß es oft mu- thig aufsprang. Es lag ihm ein altes Lied im Sinne und er sang es laut: Traun! Bogen und Pfeil Sind gut fuͤr den Feind, Huͤlflos alleweil Der Elende weint; Dem Edlen bluͤht Heil Wo Sonne nur scheint, Die Felsen sind steil, Doch Gluͤck ist sein Freund. Er kam nach vielen Tagereisen in die edle und vornehme Stadt Neapolis. Schon unterwegs hatte er viel vom Koͤnige und seiner uͤberaus schoͤnen Toch- ter Magelone reden hoͤren, so daß er sehr begierig war, sie von Angesicht zu Angesicht zu sehn. Er stieg in einer Herberge ab, und erkundigte sich nach Neuigkeiten; da hoͤrte er vom Wirthe, daß ein vornehmer Ritter, Herr Heinrich von Carpone angekommen sey, und daß ihm zu Ehren ein schoͤ- nes Turnier gehalten werden solle. Er erfuhr zu- gleich, daß auch den Fremden der Zutritt erlaubt Erste Abtheilung . sey, wenn sie nach den Turniergesetzen geharnischt erschienen. Da nahm sich Peter sogleich vor, auch dabei zu seyn, und seine Geschicklichkeit und Staͤrke zu versuchen. 4. Peter sieht die schoͤne Magelone . A ls der Tag des Turniers erschienen war, legte Peter seine Waffenruͤstung an, und begab sich in die Schranken. Er hatte sich auf seinen Helm zwei schoͤne silberne Schluͤssel setzen lassen, von ungemein feiner Arbeit, so war auch sein Schild mit Schluͤsseln geziert, auch die Decke seines Pfer- des. Dies hatte er seinem Namen zu Gefallen gethan und zu Ehren des Apostels Petrus, den er sehr liebte. Von Jugend auf hatte er sich ihm zum Schirm und Schutz empfohlen, und deswe- gen waͤhlte er sich auch jetzt dieses Wahrzeichen, da er unbekannt bleiben wollte. Unter Trompetenschall trat ein Herold auf, der das Turnier ausrief, das zu Ehren der schoͤ- nen Magelone eroͤffnet wurde. Sie selbst saß auf einem erhabenen Soͤller und sah auf die Versamm- lung der Ritter hinab. Peter schaute hinauf, er konnte sie aber nicht genau betrachten, weil sie zu entfernt war. Herr Heinrich von Carpone trat zuerst in die Die schoͤne Magelone . Schranken und gegen ihn stellte sich ein Ritter des Koͤniges. Sie trafen auf einander und der Koͤnigsche wurde buͤgellos, aber er traf zufaͤlliger- weise mit seiner Lanze das Pferd des Herrn Hein- rich vorn an den Schienbeinen, so daß das Roß mit seinem Reuter zu Boden stuͤrzte. Daruͤber wurde dem Diener des Koͤniges der Sieg zuge- sprochen, als einem, der den Herrn Heinrich um- gerennt haͤtte. Das verdroß Petern gar sehr, denn Herr Heinrich war ein nahmhafter Renner; dazu so beruͤhmte sich der Diener laut und oͤffentlich seines Sieges, den er doch nur dem Zufall zu dan- ken hatte. Peter stellte sich also gegen ihn in die Schranken und rannte ihn vom Pferde hinunter, daß sich alle uͤber seine Kraft verwundern mußten; er that aber zu aller Erstaunen noch mehr, denn er machte auch bald die uͤbrigen Saͤttel ledig, so daß sich in kurzer Zeit kein Gegner vor ihm mehr finden ließ. Daruͤber waren alle begierig, den Na- men des fremden Ritters zu wissen, und der Koͤ- nig von Neapel schickte selbst seinen Herold an ihn ab, um ihn zu erfahren; aber Peter bat in Demuth um die Erlaubniß, daß man ihm noch ferner erlauben moͤchte, unbekannt zu bleiben, denn sein Name sei dunkel und von keinen Thaten ver- herrlicht; dazu so sey er ein armer geringer Edel- mann aus Frankreich, er wolle seinen Namen daher so lange verschweigen, bis er es durch Thaten werth geworden sey, sich nennen zu duͤrfen. Den Koͤnig freute diese Antwort, weil sie ein Beweis von der Bescheidenheit des Ritters war. Erste Abtheilung . Es waͤhrte nicht lange, so wurde ein zweites Turnier gehalten, und die schoͤne Magelone wuͤnschte heimlich im Herzen, daß sie des Ritters mit den silbernen Schluͤsseln wieder ansichtig werden moͤchte; denn sie war ihm zugethan, hatte es aber noch Nie- mand anvertraut, ja sich selber kaum, denn die erste Liebe ist zaghaft, und haͤlt sich selbst fuͤr einen Verraͤther. Sie ward roth, als Peter wieder mit seiner kenntlichen Waffenruͤstung in die Schranken trat, und nun die Trommeten schmetterten, und bald darauf die Spieße an den Schilden krachten. Unverwandt blickte sie auf Peter, und er blieb in jedem Kampfe Sieger; sie verwunderte sich endlich daruͤber nicht mehr, weil ihr war, als koͤnne es nicht anders seyn. Die Feierlichkeit war geendigt, und Peter hatte von neuem großes Lob und große Ehre eingesammelt. Der Koͤnig ließ ihn an seine Tafel laden, wo Peter der Prinzessin gegenuͤber saß und uͤber ihre Schoͤnheit erstaunte, denn er sah sie jezt zum er- stenmal in der Naͤhe. Sie blickte immer freundlich auf ihn hin, und dadurch kam er in große Ver- wirrung; sein Sprechen belustigte den Koͤnig, und sein edler und kraͤftiger Anstand setzte das Hofge- sinde in Erstaunen. Im Saale kam er nachher mit der Prinzessin allein zu sprechen, und sie lud ihn ein, oͤfter wieder zu kommen, worauf er Ab- schied nahm, und sie ihn noch zuletzt mit einem sehr freundlichen Blicke entließ. Peter ging wie berauscht durch die Straßen, er eilte in einen schoͤnen Garten, und wandelte mit ver- Die schoͤne Magelone . verschraͤnkten Armen auf und nieder, bald langsam, bald schnell, und die Zeit verfloß, ohne daß er be- greifen konnte, wie die Stunden voruͤber waren. Er hoͤrte nichts um sich her, denn eine innerliche Musik uͤbertoͤnte das Fluͤstern der Baͤume und das rieselnde Plaͤtschern der Wasserkuͤnste. Tausendmal sagte er sich in Gedanken den Namen Magelone vor, und erschrack dann ploͤzlich, weil er glaubte, er habe ihn laut durch den Garten ausgerufen. Gegen Abend erscholl in der Gegend eine suͤße Mu- sik, und nun setzte er sich ins frische Gras hinter einem Busche und weinte und schluchzte; es war ihm, als wenn sich der Himmel umgewendet und nun seine Schoͤnheit und paradisische Seite zum erstenmal herausgekehrt haͤtte; und doch machte ihn diese Empfindung so ungluͤcklich, unter allen Freu- den fuͤhlte er sich so gaͤnzlich verlassen. Die Mu- sik floß wie ein murmelnder Bach durch den stillen Garten, und er sah die Anmuth der Fuͤrstin auf den silbernen Wellen hoch einher schwimmen, wie die Wogen der Musik den Saum ihres Gewandes kuͤßten, und wetteiferten, ihr nachzufolgen; gleich einer Morgenroͤthe schien sie in die daͤmmernde Nacht hinein, und die Sterne standen in ihrem Laufe still, die Baͤume hielten sich ruhig und die Winde schwie- gen; die Musik war jezt die einzige Bewegung, das einzige Leben in der Natur, und alle Toͤne schluͤpften so suͤß uͤber die Grasspitzen und durch die Baumwipfel hin, als wenn sie die schlafende Liebe suchten und sie nicht wecken wollten, als I. [ 22 ] Erste Abtheilung . wenn sie, so wie der weinende Juͤngling, zitterten, bemerkt zu werden. Jezt erklangen die lezten Accente, und wie ein blauer Lichtstrom versank der Ton, und die Baͤume rauschten wieder, und Peter erwachte aus sich sel- ber und fuͤhlte, daß seine Wange von Thraͤnen naß sey. Die Springbrunnen plaͤtscherten staͤrker und fuͤhrten von den entferntesten Gegenden des Gartens her laute Gespraͤche. Peter sang leise folgendes Lied: Sind es Schmerzen, sind es Freuden, Die durch meinen Busen ziehn? Alle alten Wuͤnsche scheiden, Tausend neue Blumen bluͤhn. Durch die Daͤmmerung der Thraͤnen Seh ich ferne Sonnen stehn, — Welches Schmachten! Welches Sehnen! Wag ichs? soll ich naͤher gehn? Ach, und faͤllt die Thraͤne nieder Ist es dunkel um mich her, Dennoch koͤmmt kein Wunsch mir wieder Zukunft ist von Hofnung leer. So schlage denn, strebendes Herz, So fließet denn Thraͤnen herab, Ach Lust ist nur tieferer Schmerz, Leben ist dunkeles Grab. — Ohne Verschulden Soll ich erdulden? Wie ists, daß mir im Traum Alle Gedanken Auf und nieder schwanken! Ich kenne mich noch kaum. Die schoͤne Magelone . O hoͤrt mich ihr guͤtigen Sterne, O hoͤre mich, gruͤnende Flur, Du, Liebe, den heiligen Schwur: Bleib ich ihr ferne, Sterb ich gerne. Ach! nur im Licht von ihrem Blick Wohnt Leben und Hofnung und Gluͤck! Er hatte sich selber etwas getroͤstet, und schwur sich, Magelonens Liebe zu erwerben, oder unter- zugehn. Spaͤt in der Nacht ging er nach Hause und setzte sich in seinem Zimmer nieder, und sprach sich jedes Wort wieder vor, das sie ihm gesagt hatte; bald glaubte er Ursach zu finden, sich zu freuen, dann wurde er wieder betruͤbt, und war von neuem in Zweifel. Er wollte seinem Vater schreiben und richtete in Gedanken die Worte an Magelonen, und trauerte dann uͤber seine Zerstreu- ung, daß er es wage, ihr zu schreiben, die er nicht kenne. Nun erschrack er vor dem Gedanken, daß ihm das Wesen fremd sey, welches er vor allen uͤbrigen in der Welt so unaussprechlich theuer liebe. Ein suͤßer Schlummer uͤberraschte ihn endlich und durchstrich seine Zweifel und Schmerzen, und wunderbare Traͤume von Liebe und Entfuͤhrun- gen, einsamen Waͤldern und Stuͤrmen auf dem Meere, tanzten in seinem Gemach auf und nieder, und bedeckten wie schoͤne bunte Tapeten die leeren Waͤnde. Erste Abtheilung . 5. Wie der Ritter der schoͤnen Magelone Bothschaft sandte . I n derselben Nacht war Magelone eben so bewegt als ihr Ritter. Es daͤuchte ihr, als koͤnne sie sich auf ihrem einsamen Zimmer nicht lassen; sie ging oft an das Fenster und sah nachdenklich in den Garten hinab, und alles war ihr truͤbe und schwer- muͤthig; sie behorchte die Baͤume, die gegen einan- der rauschten, dann sah sie nach den Sternen, die sich im Meere spiegelten; sie warf es dem Unbe- kannten vor, daß er nicht im Garten unter ihrem Fenster stehe, dann weinte sie, weil sie gedachte, daß es ihm unmoͤglich sey. Sie warf sich auf ihr Bett, aber sie konnte nur wenig schlafen, und wenn sie die Augen schloß, sah sie das Turnier und den geliebten Unbekannten, welcher Sieger ward und mit sehnsuͤchtiger Hofnung zu ihrem Al- tan hinauf blickte. Bald weidete sie sich an diesen Phantasien, bald schalt sie auf sich selber; erst ge- gen Morgen fiel sie in einen leichten Schlummer. Sie beschloß, ihre Zuneigung ihrer geliebten Amme zu entdecken, vor der sie kein Geheimniß hatte. In einer traulichen Abendstunde sagte sie daher zu ihr: Liebe Amme, ich habe schon seit lange etwas auf dem Herzen, welches mir fast das Herz zerdruͤckt; ich muß es dir nur endlich sagen und du mußt mir mit deinem muͤtterlichen Rathe bei- stehn, denn ich weiß mir selber nicht mehr zu ra- Die schoͤne Magelone . then. Die Amme antwortete: vertraue dich mir, geliebtes Kind, denn eben darum bin ich aͤlter und liebe dich wie eine Mutter, daß ich dir guten An- schlag geben moͤge, denn freilich weiß sich die Ju- gend nie selber zu helfen. Da die Prinzessin diese freundlichen Worte von ihrer Amme hoͤrte, ward sie noch dreister und zutraulicher, und fuhr daher also fort: o Gertraud, hast du wohl den unbekannten Ritter mit den sil- bernen Schluͤsseln bemerkt? Gewiß hast du ihn gesehn, denn er ist der einzige, der bemerkenswerth war, alle uͤbrigen dienten nur, ihn zu verherrli- chen, allen Sonnenschein des Ruhms auf ihn zu haͤufen, und selbst in dunkler einsamer Nacht zu wohnen. Er ist der einzige Mann, der schoͤnste Juͤngling, der tapferste Held. Seit ich ihn gesehn habe, sind meine Augen unnuͤtz, denn ich sehe nur meine Gedanken, in denen er wohnt, wie er in aller seiner Herrlichkeit vor mir steht. Wuͤßte ich nur noch, daß er aus einem hohen Geschlechte sey, so wollte ich alle meine Hofnung auf ihn setzen. Aber er kann aus keinem unedlen Hause stammen, denn wer waͤre alsdann edel zu nennen? O ant- worte mir, troͤste mich, liebe Amme, und gieb mir nun Rath. Die Amme erschrack sehr, als sie diese Rede verstanden hatte; sie antwortete: liebes Kind, schon seit lange waren meine Erwartungen so wie meine Neugier darauf gerichtet, daß du mir gestehn soll- test, welchen von den Edlen des Koͤnigreichs, oder welchen Auswaͤrtigen du liebtest, denn selbst die Erste Abtheilung . Hoͤchsten und sogar Koͤnige begehren dein. Aber warum hast du nun deine Neigung auf einen Un- bekannten geworfen, von dem Niemand weiß, wo- her er gekommen? Ich zittre, wenn der Koͤnig, dein Vater, deine Liebe bemerkt. Nun und warum zitterst du? fiel ihr Mage- lone mit heftigem Weinen in die Rede. Wenn er sie bemerkt, so wird er zuͤrnen, der fremde Ritter wird den Hof und das Land verlassen, und ich werde in treuer hofnungsloser Liebe sterben; und sterben muß ich, wenn der Unbekannte mich nicht wieder liebt, wenn ich auf ihn nicht die Hofnung der ganzen Zukunft setzen darf. Alsdann bin ich zur Ruhe, und weder mein Vater noch du, keiner wird mich je mehr verfolgen. Da die Amme diese Worte hoͤrte, ward sie sehr betruͤbt und weinte ebenfalls. Hoͤre auf mit deinen Thraͤnen, liebes Kind, so rief sie schluchzend aus; alles will ich ertragen, nur kann ich dich un- moͤglich weinen sehn, es ist mir, als muͤßte ich das groͤßte Elend der Erden erdulden, wenn dein liebes Gesicht nicht freundlich ist. Nicht wahr, man muß ihn lieben? sagte Ma- gelone, und umarmte ihre Amme. Ich haͤtte nie einen Mann geliebt, wenn mein Auge ihn nicht gesehn haͤtte; waͤr es also nicht Suͤnde, ihn nicht zu lieben, da ich so gluͤcklich gewesen bin, ihn zu finden? Gieb nur Acht auf ihn, wie alle Vor- treflichkeiten, die sonst schon einzeln andre Ritter edel machen, in ihm vereinigt glaͤnzen; wie einneh- mend sein fremder Anstand ist, daß er die hiesige Die schoͤne Magelone . Italiaͤnische Sitte nicht in seiner Gewalt hat, wie seine stille Bescheidenheit weit mehr wahre Hoͤflich- keit ist, als die studirte und gewandte Galanterie der hiesigen Ritter. Er ist immer in Verlegenheit, daß er Niemand besseres ist, als er, und doch sollte er stolz darauf seyn, daß er niemand anders ist, denn so wie er ist, ist er das Schoͤnste, was die Natur nur je hervor gebracht hat. O such ihn auf, Gertraud, und frage ihn nach seinem Stand und Namen, damit ich weiß, ob ich leben oder sterben muß; wenn ich ihn fragen lasse, wird er kein Geheimniß daraus machen, denn ich moͤchte vor ihm kein Geheimniß haben. Als der Morgen kam ging die Amme in die Kirche und betete; sie sah den Ritter, der auch in einem andaͤchtigen Gebete auf den Knien lag. Als er geendet hatte, naͤherte er sich der Amme und gruͤßte sie hoͤflich, denn er kannte sie und hatte sie am Hofe gesehn. Die Amme richtete den Auf- trag des Fraͤuleins aus, daß sie ihn um seinen Stand und Namen ersuche, weil es einem so edlen Manne nicht gezieme, sich verborgen zu halten. Peter bekam eine große Freude und das Herz schlug ihm, denn er sah aus diesen Worten, daß ihn Magelone liebe; worauf er sagte: man erlaube mir, meinen Namen noch zu verschweigen, aber das koͤnnt Ihr der Prinzessin sagen, daß ich aus einem hohen adelichen Geschlechte bin, und daß der Name meiner Ahnherrn in den Geschichtsbuͤ- chern ruͤhmlich bekannt ist. Nehmt indeß dies zum Angedenken meiner, und laßt es einen kleinen Lohn Erste Abtheilung . seyn fuͤr die froͤhliche Bothschaft, so Ihr mir wi- der alles Verhoffen gebracht habt. Er gab hierauf der Amme einen von den dreien koͤstlichen Ringen, und Gertraud eilte sogleich zur Prinzessin, ihr die erhaltene Kundschaft anzusagen, auch zeigte sie ihr den koͤstlichen Ring, der allein schon bewies, daß der Ritter aus einem vorneh- men Hause stammen muͤsse. Er hatte der Amme zugleich ein Pergamentblatt mitgegeben, in Hof- nung, daß Magelone die Worte lesen wuͤrde, die er im Gefuͤhl seiner Liebe niedergeschrieben hatte. Liebe kam aus fernen Landen Und kein Wesen folgte ihr, Und die Goͤttin winkte mir, Schlang mich ein mit suͤßen Banden. Da begonn ich Schmerz zu fuͤhlen, Thraͤnen daͤmmerten den Blick: Ach! was ist der Liebe Gluͤck, Klagt' ich, wozu dieses Spielen? Keinen hab' ich weit gefunden, Sagte lieblich die Gestalt, Fuͤhle du nun die Gewalt, Die die Herzen sonst gebunden. Alle meine Wuͤnsche flogen In der Luͤfte blauen Raum, Ruhm schien mir ein Morgentraum, Nur ein Klang der Meereswogen. Ach! wer loͤst nun meine Ketten? Denn gefesselt ist der Arm, Mich umfleugt der Sorgen Schwarm; Keiner, keiner will mich retten? Die schoͤne Magelone . Darf ich in den Spiegel schauen, Den die Hofnung vor mir haͤlt? Ach, wie truͤgend ist die Welt! Nein, ich kann ihr nicht vertrauen. O und dennoch laß nicht wanken Was dir nur noch Staͤrke giebt, Wenn die Einzge dich nicht liebt, Bleibt nur bittrer Tod dem Kranken. Dieses Lied ruͤhrte Magelonen; sie las es und las es von neuem, es war ganz ihre eigene Em- pfindung, wie von einem Echo nachgesprochen. Sie betrachtete den koͤstlichen Ring, und bat die Amme flehentlich, ihr denselben gegen ein andres Kleinod auszutauschen; die Amme wurde betruͤbt, da sie sahe, daß das Herz der Prinzessin so ganz von Liebe eingenommen sey, sie sagte daher: mein Kind, es schmerzt mich innig, daß du dich einem Frem- den gleich so willig und ganz hingeben willst. Ma- gelone wurde sehr zornig, als sie diese Worte hoͤrte. Fremd? rief sie aus; o wer ist dann meinem Her- zen nahe, wenn er mir fremd ist? Wehe muͤsse dir deine Zunge auf lange thun, fuͤr diese Rede, denn sie hat mein Herz gespalten. Wie kann er mir denn fremd seyn, wenn ich selbst mein eigen bin, da er nichts ist, als was ich bin, da ich nur das seyn kann, was er mir zu seyn vergoͤnnt? Die Luft, den Athem, das Leben, alles, alles, darf ich ihm nur danken, mein Herz gehoͤrt mit selbst nicht mehr, seit ich ihn kenne; o, liebe Gertraud, was waͤr ich in der Welt, und was waͤre die Erste Abtheilung . ganze unermeßliche Welt mir, wenn er mir fremd seyn muͤßte? Gertraud troͤstete sie, und die Prinzessin legte sich schlafen, vorher aber hing sie an einer seinen Perlenschnur den Ring um den Nacken, daß er ihr auf der Brust zu liegen kam. Im Schlafe sah sie sich in einem schoͤnen und luftigen Garten, der hellste Sonnenschein flimmerte auf allen gruͤnen Blaͤttern, und wie von Harfensaiten toͤnte das Lied ihres Geliebten aus dem blauen Himmel her- unter, und goldbeschwingte Voͤgel staunten zum Himmel hinauf und merkten auf die Noten; lichte Wolken zogen unter der Melodie hinweg und wur- den rosenroth gefaͤrbt und toͤnten wieder. Dann kam der Unbekannte in aller Lieblichkeit aus einem dunkeln Gange, er umarmte Magelonen und steckte ihr einen noch koͤstlichern Ring an den Finger, und die Toͤne vom Himmel herunter schlangen sich um beide wie ein goldenes Netz, und die Lichtwolken umkleideten sie, und sie waren von der Welt ge- trennt nur bei sich selber und in ihrer Liebe woh- nend, und wie ein fernes Klagegetoͤn hoͤrten sie Nach- tigallen singen und Buͤsche fluͤstern, daß sie von der Wonne des Himmels ausgeschlossen waren. Als Magelone von ihrem schoͤnen Traume er- wachte, erzaͤhlte sie alles der Amme, und diese sah jezt ein, daß sie ihren ganzen Sinn auf den Unbekannten gesetzt haͤtte, und daß er ihr Gluͤck oder Ungluͤck seyn muͤsse, woruͤber sie sehr nachdenklich wurde. Die schoͤne Magelone . 6. Wie der Ritter Magelonen einen Ring uͤbersandte . D ie Amme wandte vielen Fleiß an, den Ritter wieder anzutreffen, und es geschah, daß sie sich in derselben Kirche wieder fanden. Peter war froh, als er die Amme ansichtig wurde, und ging sogleich auf sie zu und erkundigte sich nach dem Fraͤulein. Sie erzaͤhlte ihm alles, wie sie fuͤr großer Liebe den Ring fuͤr sich behalten, und die geschriebenen Worte gelesen, und wie sie in der Nacht von ihm getraͤumt. Peter ward roth vor Freuden, als er diese Umstaͤnde erzaͤhlen hoͤrte und sagte: Ach, liebe Amme, sagt ihr doch die Empfindungen meines Herzens, und daß ich vor Sehnsucht verschmachten muß, wenn ich sie nicht bald sprechen kann; spreche ich sie aber muͤndlich, so will ich ihr, wie ich sonst Niemand thue, meinen Stand und Namen ent- decken; aber ich liebe sie mit einer Liebe, wie kein andres Herz es faͤhig ist, und alle meine Gebete zum Himmel sind nur der Wunsch, daß ich sie zum ehelichen Gemahl uͤberkommen moͤchte, und daß ihre Gedanken nur etlichermaßen so nach mir gerichtet waͤren, wie die meinigen zu ihr. Gebt ihr auch diesen Ring, und bittet sie, ihn als ein geringes Andenken von mir zu tragen. Die Amme eilte schnell zu Magelonen zuruͤck, die vor uͤbergroßer Liebe krank war und auf ihrem Ruhebette lag. Sie sprang auf, als sie ihre Kund- Erste Abtheilung . schafterin erblickte, umarmte sie und fragte nach Neuigkeiten. Die Amme erzaͤhlte ihr alles und gab ihr auch den kostbaren Ring. Sieh! rief die Prinzessin aus, das ist eben der Ring, von dem ich getraͤumt habe; o! so muß auch das uͤbrige in Erfuͤllung gehn. Ein Blatt enthielt dieses Lied: Willst du des Armen Dich gnaͤdig erbarmen? So ist es kein Traum? Wie rieseln die Quellen, Wie toͤnen die Wellen, Wie rauschet der Baum! Tief lag ich in bangen Gemaͤuern gefangen, Nun gruͤßt mich das Licht; Wie spielen die Strahlen! Sie blenden und mahlen Mein schuͤchtern Gesicht. Und soll ich es glauben? Wird keiner mir rauben Den koͤstlichen Wahn? Doch Traͤume entschweben, Nur lieben heißt leben: Willkommene Bahn! Wie frei und wie heiter! Nicht eile nun weiter, Den Pilgerstab fort! Du hast uͤberwunden, Du hast ihn gefunden, Den seligsten Ort! Die schoͤne Magelone . Magelone sang das Lied, dann kuͤßte sie den Ring, und dann auch den ersten, um ihn nicht zu kraͤnken; dann las sie die Worte von neuem, und sprach sie laut, und so trieb sie es in der Ein- samkeit bis spaͤt in die Nacht. 7. Wie der edle Ritter wieder eine Bothschaft empfing von der schoͤnen Magelone. D er Ritter befand sich am folgenden Morgen wie- der in der Kirche, weil er hofte, von der Geliebten seiner Seele dort eine Nachricht zu uͤberkommen. Die Amme fand ihn, und es traf sich, daß sie beide in der Kirche allein waren. Er erkundigte sich nach Magelonen und die Amme Gertraud er- zaͤhlte ihm alles. worauf sie sagte: Wenn Ihr mir versichert, Herr Ritter, daß Ihr mein Fraͤu- lein in aller Zucht und Tugend lieben wollt, so will ich euch auch nunmehr sagen, wo Ihr sie sprechen koͤnnt. Peter ließ sich auf ein Knie nieder und hob seine Finger in die Hoͤhe. Ich schwoͤre, sagte er, daß meine reinsten Gedanken stets um Magelone sind; ich liebe sie in aller Zucht und An- staͤndigkeit, wie es dem ehrbaren Ritter ziemt, und so dies nicht wahr ist, so verlasse mich Gott in meiner allergroͤßten Noth. Amen! Die Amme war mit diesem Schwure wohl zufrieden, sie ver-‒ Erste Abtheilung . traute ihm nun gaͤnzlich und sagte: ich sehe, daß ihr nicht nur der tapferste, sondern auch der edelste Ritter seid auf Gottes weiter Erde; Ihr sollt euch daher auch alles Beistandes von mir gewaͤr- tiget seyn. Ihr seid gluͤcklich in Magelonen und sie ist gluͤcklich in euch; macht euch daher morgen Nachmittag fertig, durch die heimliche Pforte des Gartens zu gehn, und sie dann auf meiner Kam- mer zu sprechen. Ich will euch allein lassen, da- mit ihr ganz unverholen eure Herzensmeinungen ausreden koͤnnt. Sie nannte ihm die Stunde, und verließ ihn. Der Ritter stand noch lange und sah ihr im trun- kenen Staunen nach, denn er vertraute dem nicht, was er gehoͤrt hatte. Das Gluͤck, das er so sehn- lichst erharrt, ruͤckte ihm nun so unerwartet naͤher, daß er es im frohen Entsetzen nicht zu genießen wagte. Der Mensch erschrickt uͤber den Zufall, selbst wenn er ihn gluͤcklich macht; wenn unser Schicksal sich ploͤtzlich zur Wonne umaͤndert, so zweifeln wir in diesem Augenblicke gar zu leicht an der Wirklichkeit des Lebens. Dies dachte auch Peter bei sich, als er alle seine Sinne in truͤber Verwirrung bemerkte. Wie bin ich so vom Gluͤcke uͤberschuͤttet, rief er aus, daß ich gar nicht zu mir selber kommen kann! Wie wohl wuͤrde mir jetzt ein Besinnen auf meinen Zustand thun, aber es ist unmoͤglich! Wenn wir unsre kuͤhnen Hofnun- gen in der Ferne sehn, so freuen wir uns an ih- rem edlen Gange, an ihren goldnen Schwingen, aber jezt flattern sie mir ploͤtzlich so nahe ums Die schoͤne Magelone . Haupt, daß ich weder sie noch die uͤbrige Welt wahrzunehmen vermag. Er ging nach Hause, und glaubte in manchen Augenblicken, die Zeit stehe seit der Stunde still, in der er die treue Amme gesprochen hatte, denn es wollte nicht Abend werden; als es Abend war, saß er ohne Licht in seiner Kammer und betrachtete die Wolken und Sterne, und sein Herz schlug ihm ungestuͤm, wenn er dann ploͤtzlich an sich und Ma- gelonen dachte. Er glaubte nicht, daß es wieder Tag werden koͤnne, und daß es die bezeichnete Stunde wagen werde, herauf zu kommen. Einge- daͤmmert von Erwartungen, banger Sehnsucht und aͤngstlicher Hofnung, schlief er auf seinem Ruhe- bette ein, und erwachte, als muntre Sonnenstrah- len in seine Kammer herein spielten, und hell und froͤhlich an den Waͤnden zuckten. Er raffte sich auf, und dachte, was er ihr sagen wolle; er erschrack jezt vor dem Gedanken, daß er sie sprechen muͤsse; dennoch war es sein herzinniglichster Wunsch, er konnte sich nicht be- saͤnftigen, darum nahm er die Laute und sang: Wie soll ich die Freude, Die Wonne denn tragen? Daß unter dem Schlagen Des Herzens die Seele nicht scheide? Und wenn nun die Stunden Der Liebe verschwunden, Wozu das Geluͤste, In trauriger Wuͤste Erste Abtheilung . Noch weiter ein lustleeres Leben zu ziehn, Wenn nirgend dem Ufer mehr Blumen entbluͤhn? Wie geht mit bleibehangnen Fuͤßen Die Zeit bedaͤchtig Schritt vor Schritt! Und wenn ich werde scheiden muͤssen, Wie federleicht fliegt dann ihr Tritt! Schlage, sehnsuͤchtige Gewalt, In tiefer treuer Brust! Wie Lautenton voruͤber hallt, Entflieht des Lebens schoͤnste Lust. Ach, wie bald Bin ich der Wonne mich kaum mehr bewußt. Rausche, rausche weiter fort, Tiefer Strom der Zeit, Wandelst bald aus Morgen Heut, Gehst von Ort zu Ort; Hast du mich bisher getragen, Lustig bald, dann still, Will es nun auch weiter wagen, Wie es werden will. Darf mich doch nicht elend achten, Da die Einzge winkt, Liebe laͤßt mich nicht verschmachten, Bis dies Leben sinkt; Nein, der Strom wird immer breiter, Himmel bleibt mir immer heiter, Froͤhlichen Ruderschlags fahr ich hinab, Bring Liebe und Leben zugleich an das Grab. 8. Die schoͤne Magelone . 8. Wie Peter die schoͤne Magelone besuchte . J ezt war die Zeit da, und die Stunde gekommen, in welcher der Ritter seine geliebte Magelone be- suchen sollte. Er ging heimlicherweise durch die Pforte des Gartens und auf die Kammer der Amme, wo er die Prinzessin fand. Magelone saß auf einem Ruhebett und wollte aufstehn, als sie den Ritter eintreten sah, und ihm um den Hals fallen, und ihn mit Thraͤnen und Kuͤssen in die Wette bedecken. Doch maͤßigte sie sich und blieb sitzen, aber eine scharlachene Roͤthe uͤberzog ihr ganzes Gesicht, so daß sie aussah wie eine Rose, die sich noch nicht entfaltet hat und die jetzt der warme Sonnenschein badet, und ihre Blaͤtter aus einander lockt. Eben so war auch der Ritter, der mit verschaͤmtem Gesichte vor ihr stand, auf wel- chem holdselige Freude und Verwirrung sich wech- selsweise abloͤsten. Die Amme verließ das Gemach, und Peter warf sich ohne zu sprechen auf ein Knie nieder; Magelone reichte ihm die schoͤne Hand, hieß ihn aufstehn und sich neben sie nieder setzen. Peter that es, und zitterte an ihrer Seite; seine Augen waren wie zwei glaͤnzende Sterne, so trunken war er vor Entzuͤckung, daß er nun die Geliebteste sei- ner Seele so dicht vor seinen Augen sah. Lange wollte kein Gespraͤch in den Gang kommen, ihre zaͤrtlichen Blicke, die sich verstohlen begegneten, stoͤr- I. [ 23 ] Erste Abtheilung . ten die Worte; aber endlich entdeckte sich ihr der Juͤngling, und sagte, daß er sich ihr ganz zu eigen ergeben habe, seit er sie zuerst gesehn, daß ihr sein ganzes Leben gewidmet sey, und daß er sich durch ihre Liebe wie von Engelshaͤnden beruͤhrt, aus ei- nem tiefen Schlafe erwacht fuͤhle. Er schenkte ihr den dritten Ring, welcher der kostbarste von allen war, wobei er ihre lilienweiße Hand kuͤßte. Sie war uͤber seine Treue innig be- wegt, stand auf und holte eine koͤstliche guͤldene Kette, die sie ihm um den Hals legte und sagte: hiemit erkenne ich euch fuͤr mein und mich fuͤr die eurige, nehmt dieses Andenken und tragt es im- mer, so lieb ihr mich habt. Dann nahm sie den erschrockenen Ritter in die Arme und kuͤßte ihn herzlich auf den Mund, und er erwiederte den Kuß und druͤckte sie gegen sein Herz. Sie mußten scheiden, und Peter eilte sogleich nach seinem Zimmer, als wenn er seinen Waffen- stuͤcken und seiner Laute sein Gluͤck erzaͤhlen muͤsse; er war so froh, als er noch nie gewesen war. Er ging mit großen Schritten auf und ab und griff in die Saiten, kuͤßte das Instrument und weinte heftig. Dann sang er mit großer Inbrunst: War es dir, dem diese Lippen bebten, Dir der dargebotne suͤße Kuß? Giebt ein irdisch Leben so Genuß? Ha! wie Licht und Glanz vor meinen Augen schwebten, Alle Sinne nach den Lippen strebten! In den klaren Augen blinkte Sehnsucht, die mir zaͤrtlich winkte, Die schoͤne Magelone . Alles klang im Herzen wieder, Meine Blicke sanken nieder, Und die Luͤfte toͤnten Liebeslieder! Wie ein Sternenpaar Glaͤnzten die Augen, die Wangen Wiegten das goldene Haar, Blick und Laͤcheln schwangen Fluͤgel, und die suͤßen Worte gar Weckten das tiefste Verlangen: O Kuß! wie war dein Mund so brennend roth! Da starb ich, fand ein Leben erst im schoͤnsten Tod. 9. Turnier zu Ehren der schoͤnen Magelone . D er Koͤnig Magelon von Neapel wuͤnschte jetzt, daß seine schoͤne Tochter in kurzer Zeit mit Herrn Heinrich von Carpone vermaͤhlt wuͤrde, der sich in dieser Absicht schon seit lange am Hofe aufhielt. Es ward daher wieder ein glaͤnzendes Turnier aus- geschrieben, welches alle vorhergehenden an Pracht uͤbertreffen sollte, und viele beruͤhmte Ritter aus Italien und Frankreich versammelten sich. Ein Oheim Peters kam auch aus der Provence, um dem Turniere beizuwohnen: es war derselbe, der den jungen Grafen zum Ritter geschlagen hatte. Das Kampfspiel nahm seinen Anfang, und alle die großen Ritter zogen auf den Plan, und Erste Abtheilung . hielten sich maͤnnlich. Peter war ungeduldig und einer der ersten, welche aufzogen. Er hielt sich so wacker, daß er viele Ritter, von ihren Rossen stach, unter andern auch den Herrn Heinrich. Ma- gelone stand oben auf dem Altane, und wurde vor Furcht und herzinnigen Wuͤnschen bald roth und bald blaß. Gegen Peter stellte sich endlich sein Oheim, der ihn nicht kannte; aber Peter kannte ihn gar wohl, er rief deshalb den Herold zu sich, und schickte ihn mit diesen Worten an seinen Vet- ter: er habe ihm einst in der Ritterschaft einen großen Dienst erwiesen, deshalb moͤchte er nicht gegen ihn rennen, sondern er erkenne ihn ohnedies fuͤr den besseren Ritter. Aber der alte Ritters- mann ward uͤber den Antrag zornig, und sagte: habe ich ihm je einen Dienst erwiesen, so sollte er um so lieber eine Lanze mit mir brechen, um auch mir zu Gefallen zu leben; meint er denn, daß ich seiner nicht werth sey. Denn er wird hier fuͤr einen uͤberaus tapfern Ritter geachtet, wie auch seine Thaten genugsam an den Tag legen, daß dem wirklich so sey. Blieb also mit seinem Rosse auf der Bahn stehn, und dem jungen Ritter ward vom Herolde die zornige Antwort uͤberbracht. Sie rannten gegen einander, aber Peter trug seine Lanze in der Quere, um seinen Verwandten nicht zu verletzen. Jener, Herr Jakob genannt, rannte den Peter so an, daß die Lanze zersplitterte, und er selber fast buͤgellos wurde. Alle verwunderten sich und die beiden Gegner maßen noch einmal die Bahn zuruͤck, dann ritten sie wieder gegen einan- Die schoͤne Magelone . der, und Peter trug seine Lanze wie das erstemal; alle waren in Erstaunen, nur Magelone sah die Ursach ein, und wußte wohl warum es geschah. Herr Jakob rannte wieder mit heftiger Gewalt auf seinen Gegner, seine Lanze traf auf Peters Brustharnisch, aber der junge Ritter blieb unbe- weglich im Sattel sitzen, und der Stoß war so gewaltig, daß Herr Jakob dadurch von sich selber vom Pferde abfiel. Da das Jakob merkte, zog er sich zuruͤck, und hatte keine Lust mehr mit dem jungen Ritter zu stechen. Peter besiegte auch die uͤbrigen Ritter, so daß ihm der Preis mußte zu- erkannt werden; der Koͤnig und alle vom Hofe waren in Erstaunen, und die uͤbrigen Herren zo- gen ergrimmt nach ihrer Heimath zuruͤck, da sie den Namen des unbekannten Siegers durchaus nicht erfahren konnten. — Peter hatte seine Geliebte indessen schon zum oͤftern heimlich besucht, und so nahm er sich ein- mal vor, ihre Liebe auf die Probe zu stellen. Als er sie daher wieder sah, that er sehr betruͤbt, und sagte mit klaͤglicher Stimme, daß er bald scheiden muͤsse, denn seine Eltern wuͤrden seinetwegen in der groͤßten Betruͤbniß leben, da sie ihn so lange nicht gesehn, auch keine Nachricht von ihm bekom- men haͤtten. Als Magelone diese Worte hoͤrte, ward sie blaß, dann fing sie heftig an zu weinen, und sank in den Sessel zuruͤck. Ja, reiset nur ab, sagte sie, und alle meine traurigen Ahndungen sind dann im Erfuͤllung gegangen, ich sehe euch nicht wieder und mein Tod ist gewiß. Was kuͤmmert Erste Abtheilung . er euch? Nun also, was kuͤmmert er mich? — O verzeiht, mein Geliebter, nein, es ist wahr, Ihr muͤßt eure Eltern wieder sehn, ihr habt euch meinetwegen schon zu lange hier aufgehalten; wie werden sie um euch trauern, wie sehr nach eurer Anwesenheit seufzen, Ja, lebt dann wohl, auf ewig wohl! Peter sagte: nein, meine theuerste Magelone, ich bleibe; wie koͤnnte ich fortziehn, und dich nicht mehr sehn, nicht mehr diese theuren Augen erblik- ken und Hofnung und Staͤrke in ihnen finden, diese liebe Stimme nicht mehr hoͤren, die wie ein Gesang aus dem Paradiese in mein Ohr dringt? Nein, ich bleibe; kein Gedanke nach meiner Hei- math und meinen Eltern, denn alle meine Gedan- ken wohnen hier. Magelone wurde wieder froͤhlicher, dann be- sann sie sich eine Weile. Wenn ihr mich liebt, fing sie wieder an, so sollt ihr dennoch reisen. Eure Worte haben einen Gedanken in mir erweckt, der schon seit lange in meiner Seele schlummert, denn ich muß euch sagen, es ist jetzt an dem, daß mich mein Vater mit dem Herrn Heinrich von Carpone vermaͤhlen will. Darum flieht von hier, und nehmt mich mit euch, denn ich traue eurem Edelmuthe; haltet morgen in der Nacht mit zwei starken Pfer- den vor der Gartenpforte, aber laßt es Pferde seyn, die eine weite und schnelle Reise wohl ver- tragen koͤnnen, denn so man uns einholte, waͤren wir alle elend. Der Juͤngling hoͤrte mit frohem Erstaunen Die schoͤne Magelone . diese Worte. Ja, rief er aus, wir fliehen schnell zu meinem Vater, und das schoͤnste Band soll uns dann auf ewig verbinden. Er eilte sogleich fort, um die noͤthigen Anstal- ten schnell und heimlich zu treffen. Magelone be- sorgte ihrerseits auch das Noͤthige, sagte aber ihrer Amme kein Wort von ihrem Entschlusse, aus Furcht, daß sie alles verrathen moͤchte. Peter nahm Abschied von seiner Kammer, von den Gegenden der Stadt, durch die er so oft in seliger Trunkenheit gewandelt war, und die er alle als Zeugen seiner Liebe betrachtete. Es war ihm ruͤhrend, als er die getreue Laute auf seinem Tische liegen sah, die so oft von seinen Fingern geruͤhrt die Gefuͤhle seines Herzens ausgesprochen hatte, die eine Mitwisserin des suͤßen Geheimnisses war. Er nahm sie noch einmal und sang: Wir muͤssen uns trennen, Geliebtes Saitenspiel, Zeit ist es, zu rennen Nach dem fernen erwuͤnschten Ziel. Ich ziehe zum Streite Zum Raube hinaus, Und hab ich die Beute Dann flieg ich nach Haus. Im roͤthlichen Glanze Entflieh ich mit ihr, Es schuͤtzt uns die Lanze, Der Stahlharnisch hier. Kommt, liebe Waffenstuͤcke, Zum Scherz oft angethan, Erste Abtheilung . Beschirmet jezt mein Gluͤcke, Auf dieser neuen Bahn. Ich werfe mich rasch in die Wogen, Ich gruͤße den herrlichen Lauf, Schon mancher ward nieder gezogen, Der tapfere Schwimmer bleibt oben auf. Ha! Lust zu vergeuden Das edele Blut! Zu schuͤtzen die Freuden, Mein koͤstlichstes Gut! Nicht Hohn zu erleiden, Wem fehlt es an Muth? Senke die Zuͤgel, Gluͤckliche Nacht! Eil deine Fluͤgel, Daß uͤber ferne Huͤgel Uns schon der Morgen lacht! 10. Wie Magelone mit ihrem Ritter entfloh . D ie Nacht war gekommen. Magelone schlich mit einigen Kostbarkeiten durch den Garten; der Him- mel war mit Wolken bedeckt, und ein sparsames Mondlicht drang durch die Finsterniß. Sie ging mit wehmuͤthigen Empfindungen ihren lieben Blu- men voruͤber, die sie nun auf immer verlassen wollte. Ein feuchter Wind wehte durch den Garten und Die schoͤne Magelone . ihr war, als wenn die Gestraͤuche winselten und klagten, und ihr ein zaͤrtliches Lebewohl nachriefen. Vor der Pforte hielt Peter mit drei Pferden, darunter war ein Zelter von einem leichten und be- quemen Gange fuͤr das Fraͤulein, auf einem an- dern Pferde waren Lebensmittel, damit sie auf der Flucht nicht noͤthig haͤtten in Herbergen einzukeh- ren. Peter hob das Fraͤulein auf den Zelter, und so flohen sie heimlicherweise und unter dem Schutze der Nacht davon. Die Amme vermißte am Morgen die Prin- zessin, und so fand sich auch bald, daß der Ritter in der Nacht abgereiset sey; der Koͤnig merkte daraus, daß er seine Tochter entfuͤhrt habe. Er schickte daher viele Leute aus, um sie aufzusuchen; diese forschten fleißig nach, aber alle kamen nach verschiedenen Tagen unverrichteter Sache zuruͤck. Peter hatte die Vorsicht gebraucht, daß er nach den Waͤldern zugeritten war, die in der Naͤhe des Meeres lagen; dort waren die Wege am ein- samsten und fast gar nicht besucht, hier floh er mit seiner Geliebten sicher unter dem dichten Schutze der Nacht hinweg. Der Tritt von den Pferden hallte im Forste weit hinab, die Wipfel der Baͤume rauschten furchtbar in der Dunkelheit, aber Mage- lonens Herz war frei und froͤhlich, denn sie hatte immer ihren Geliebten neben sich. Sie weidete sich an seinem Antlitze, wenn sie uͤber einen freien Platz trabten; sie fragte ihn mancherlei von seinen Eltern und seiner Heimath, und so verging ihnen Erste Abtheilung . unter banger Erwartung, Gespraͤch und schoͤnen Hofnungen die langwierige Nacht. Beim Anbruch des Morgens zogen dichte weiße Nebel durch den Wald, wie Gottes Seegen, der seine Reise antrat und durch unwegsame Buͤsche den Saatfeldern zueilte, wo er als Thau nieder- regnete. Sie zogen durch den Flug des Nebels weiter, und durch den Morgenwind, der die ganze Natur aus ihrem tiefen Schlafe wach schuͤttelte. Magelone klagte uͤber keine Beschwer, denn sie empfand keine. Jetzt brach die liebliche Sonne hervor, und aͤugelte mit gluͤhendem Funkeln durch den dichten Wald; das gruͤne Gras schien am Boden zu bren- nen, und der wankende Thau erbebte mit tausend blendenden Strahlen. Die Roße wieherten, die Voͤgel erwachten und sprangen mit ihren Liedern von Zweig zu Zweig, gelbbeschwingte badeten sich im Thau der Wiesen und flatterten im Glanz des jungen Lichtes dicht uͤber dem Boden hinweg; durch den blauen Himmel zogen goldene Streifen herauf und bahnten der aufgegangenen Sonne den Weg; Gesaͤnge ertoͤnten aus allen Buͤschen, die muntern Lerchen flogen empor und sangen von oben in die rothdaͤmmernde Welt hinein. Auch Peter stimmte ein froͤhliches Lied an, und der schoͤnen Magelone ging daruͤber das Herz vor Freuden auf. Seine Stimme zitterte durch alle Baͤume hinab, und ein ferner Widerhall sang ihm nach. Die beiden Reisenden sahen in der Gluth des Himmels, im Glanz des frischen Wal- Die schoͤne Magelone . des nur einen Widerschein ihrer Liebe; jeder Ton rief ihr Herz an, und erfuͤllte es mit wehmuͤthiger Freude. Die Sonne stieg hoͤher hinauf, und gegen Mit- tag fuͤhlte Magelone eine große Muͤdigkeit; beide stiegen daher an einer schoͤnen kuͤhlen Stelle des Waldes von ihren Pferden. Weiches Gras und Moos war auf einer kleinen Anhoͤhe zart empor geschossen, hier setzte sich Peter nieder und breitete seinen Mantel aus, auf diesen lagerte sich Mage- lone und ihr Haupt ruhte in dem Schooße des Ritters. Sie blickten sich beide mit zaͤrtlichen Au- gen an, und Magelone sagte: Wie wohl ist mir hier, mein Geliebter, wie sicher ruht sichs hier unter dem Schirmdach dieses gruͤnen Baums, der mit allen seinen Blaͤttern, wie mit eben so vielen Zungen, ein liebliches Geschwaͤtze macht, dem ich gerne zuhoͤre; aus dem dichten Walde schallt Vo- gelgesang herauf, und vermischt sich mit den rie- selnden Quellen; es ist hier so einsam und toͤnt so wunderbar aus den Thaͤlern unter uns, als wenn sich mancherlei Geister durch die Einsamkeit zuriefen und Antwort gaͤben; wenn ich dir ins Auge sehe, ergreift mich ein freudiges Erschrecken, daß wir nun hier sind, von den Menschen fern und einer dem andern ganz eigen. Laß noch deine suͤße Stimme durch dieses harmonische Gewirr er- toͤnen, damit die schoͤne Musik vollstaͤndig sey, ich will versuchen ein wenig zu schlafen; aber wecke mich ja zur rechten Zeit, damit wir bald bei dei- nen lieben Eltern anlangen koͤnnen. Erste Abtheilung . Peter laͤchelte, er sah wie ihr die schoͤnen Au- gen zufielen, und die langen schwarzen Wimper einen lieblichen Schatten auf dem holden Angesichte bildeten; er sang: Ruhe, Suͤßliebchen im Schatten Der gruͤnen daͤmmernden Nacht, Es saͤuselt das Gras auf den Matten Es faͤchelt und kuͤhlt dich der Schatten, Und treue Liebe wacht. Schlafe, schlaf ein, Leiser rauschet der Hain, — Ewig bin ich dein. Schweigt, ihr versteckten Gesaͤnge, Und stoͤrt nicht die suͤßeste Ruh! Es lauscht der Voͤgel Gedraͤnge, Es ruhen die lauten Gesaͤnge, Schließ, Liebchen, dein Auge zu. Schlafe, schlaf ein, Im daͤmmernden Schein, — Ich will dein Waͤchter seyn. Murmelt fort ihr Melodien, Rausche nur, du stiller Bach, Schoͤne Liebesphantasien Sprechen in den Melodien, Zarte Traͤume schwimmen nach. Durch den fluͤsternden Hain Schwaͤrmen goldene Bienelein, Und sumsen zum Schlummer dich ein. Die schoͤne Magelone . 11. Wie Peter die schoͤne Magelone verließ . P eter war durch seinen Gesang beinahe auch ein- geschlaͤfert, aber er ermunterte sich wieder, und betrachtete das holdselige Angesicht der schoͤnen Ma- gelone, die im Schlafe suͤß laͤchelte. Dann sah er uͤber sich und bemerkte, wie eine Menge schoͤner und zarter Voͤgel oben in den Zweigen sich ver- sammelten, die nicht scheu thaten, sondern hin und her huͤpften, auch jezuweilen auf den kleinen Gras- platz zu ihm herunter kamen. Es ergoͤtzte ihn, daß diese unvernuͤnftigen Creaturen an der schoͤnen Ma- gelone ein Wohlgefallen zu bezeigen schienen. Da sah er aber in dem Baume einen schwarzen Ra- ben sitzen, und dachte bei sich: wie kommt doch dieser haͤßliche Vogel in die Gesellschaft dieser bun- ten Thierchen, es duͤnkt mir nicht anders, als wenn sich ein grober ungeschliffener Knecht unter edle Ritter eindraͤngen wollte. Ihm daͤuchte, als wenn Magelone mit Ban- gigkeit Athem holte, er schnuͤrte sie daher etwas auf, und ihr weißer schoͤner Busen trat aus den verhuͤllenden Gewaͤndern hervor. Peter war uͤber die unaussprechliche Schoͤnheit entzuͤckt, er glaubte im Himmel zu seyn und alle seine Sinne wandten sich um; er konnte nicht aufhoͤren, seine Augen zu weiden und sich an dem Glanze zu berauschen. Mit jedem Athemzuge hob sich die zarte Brust und sank wieder. Der Ritter fuͤhlte, daß er Magelonen Erste Abtheilung . noch nie so geliebt habe, daß er noch niemals so gluͤcklich gewesen sey. Zwischen den Bruͤsten ver- steckt bemerkte er einen rothen Zindel; er war neu- gierig zu erfahren, was es seyn moͤchte, er nahm ihn und wickelte ihn aus einander. Da fand er die drei kostbaren Ringe, die er seiner Geliebten geschenkt hatte, und er war innig geruͤhrt, daß sie sie so liebevoll und sorgfaͤltig bewahrte. Er wickelte sie wieder ein, und legte sie neben sich in das Gras; aber ploͤtzlich flog der Rabe vom Baume hernieder und fuͤhrte den Zindel hinweg, den er fuͤr ein Stuͤck Fleisch ansehn mochte. Peter erschrack sehr und besorgte, daß Magelone unwillig werden moͤchte, wenn ihr beim Erwachen die Ringe fehlten. Er legte ihr also sorgfaͤltig seinen Mantel unter das Haupt zusammen, und stand leise auf, um zu sehn, wo der Vogel mit den Ringen bleiben wuͤrde. Der Rabe flog vor ihm her, und Peter warf nach ihm mit Steinen, in der Meinung ihn zu toͤdten, oder ihn wenigstens zu zwingen, seinen Raub wie- der fallen zu lassen. Aber der Vogel flog immer weiter, und Peter verfolgte ihn unermuͤdet, doch keiner von den Steinwuͤrfen wollte den Raben treffen. So war ihm Peter schon eine ziemliche Weile gefolgt, und kam jetzt an das Meerufer. Nicht weit vom Ufer stand im Meere eine spitzige Klippe, auf diese setzte sich der Rabe, und Peter warf von neuem nach ihm mit Steinen; der Vo- gel ließ endlich den Zindel fallen, und flog mit gro- ßem Geschrei davon. Peter sah im Meere nicht weit vom Ufer roth den Zindel schwimmen; er ging Die schoͤne Magelone . am Lande hin und her, um etwas zu finden, wo- rauf er die wenigen Schritte in das Wasser hinein fahren koͤnne. Er fand auch endlich einen kleinen, alten, verwitterten Kahn, den die Fischer hier hat- ten stehen lassen, weil er ihnen nichts mehr nuͤtzte. Peter stieg rasch hinein, nahm einen Zweig, und ruderte damit, so gut er nur konnte, nach dem Zindel hin. Aber ploͤtzlich erhob sich vom Lande her ein starker Wind, die Wellen jagten sich uͤber einander und ergriffen den kleinen Kahn, in welchem Peter stand. Peter sezte sich mit allen Kraͤften dagegen, aber das Schiff ward dennoch der Klippe voruͤber, ins Meer hinein getrieben, und weiter und immer weiter. Peter sah zuruͤck, und kaum bemerkte er noch den rothen Flecken, den der Zindel im Meere machte, und jetzt verschwand er voͤllig, auch das Land lag schon ziemlich entfernt. Nun gedachte Peter an seine Magelone zuruͤck, die er im wuͤsten Holze schlafend verlassen hatte; das Schiff trug ihn wider Willen immer weiter in die See hinein, und er kam in Angst und Verzweiflung. Er war im Begriff, sich in das Meer zu stuͤrzen, er schrie und klagte, und alle seine Toͤne gab ein Echo zu- ruͤck, und die Wellen plaͤtscherten laut dazwischen. Das Land lag nun schon weit zuruͤck in einer unkenntlichen Ferne, die Daͤmmerung des Abends brach herein. Ach theuerste Magelone! rief Peter in der hoͤchsten Betruͤbniß seiner Seelen heftig aus: wie wunderlich werden wir von einander geschieden! Eine schwarze Hand treibt mich von deiner Seite Erste Abtheilung . in das wuͤste Meer hinaus, und du bist allein und ohne Huͤlfe. Was willst du Ungluͤckselige im wuͤ- sten Walde beginnen? Ach! ich bin Schuld an dei- nem Tode! Mußte ich dich darum, dich Koͤnigs- tochter, von deinen Eltern entfuͤhren, um dich der haͤrtesten Noth Preis zu geben? Bist du darum so zart und edel erzogen, daß du nun vielleicht eine Beute der wilden Thiere werden mußt? Was wird sie nun machen, wenn sie erwacht, und den ver- mißt, den sie fuͤr den Getreuesten auf der ganzen Erde hielt? Warum mußte mein Vorwitz nur die Ringe hervor suchen, konnte ich sie nicht an ihrem schoͤnsten Platze lassen, wo sie so sicher waren? O weh mir, nun ist alles verloren und ich muß mich in mein Verderben finden! Solche Klagen trieb er, und gebehrdete sich auf dem wuͤsten Meere aͤußerst truͤbselig. Er verlor alle Hofnung, und gab sein Leben auf. Der Mond schien vom Himmel herab und erfuͤllte die Welt mit goldener Daͤmmerung; alles war still, nur die Wellen seufzten und plaͤtscherten, und Voͤgel flat- terten zu Zeiten mit seltsamen Toͤnen uͤber ihn da- hin. Die Sterne standen ernst am Himmel und die Woͤlbung spiegelte sich in der wogenden Fluth. Pe- ter warf sich nieder, und sang mit lauter Stimme: So toͤnet dann, schaͤumende Wellen, Und windet euch rund um mich her! Mag Ungluͤck doch laut um mich bellen, Erbost seyn das grausame Meer! Ich lache den stuͤrmenden Wettern, Verachte den Zorngrimm der Fluth, O Die schoͤne Magelone . O moͤgen mich Felsen zerschmettern! Denn nimmer wird es gut. Nicht klag ich, und mag ich nun scheitern, In waͤßrigen Tiefen vergehn! Mein Blick wird sich nie mehr erheitern, Den Stern meiner Liebe zu sehn. So waͤlzt euch bergab mit Gewittern, Und raset ihr Stuͤrme mich an, Daß Felsen an Felsen zersplittern! Ich bin ein verlorener Mann. Er lag im Kahne ausgestreckt, und eine dumpfe Betaͤubung ergriff ihn; er wußte vor Uebermaß des Schmerzes nicht mehr, wo er war, und ließ sich gleichguͤltig von Wind und Wellen weiter trei- ben; endlich verfiel er in einen Zustand, der fast einem Schlafe glich. 12. Die Klagen der schoͤnen Magelone . M agelone erwachte, nachdem sie sich durch einen suͤßen Schlaf erquickt hatte, und meinte, daß ihr Geliebter noch bei ihr saͤße. Sie erschrack, als sie sich aufrichtete und ihn nicht mehr fand; sie wartete erst eine Weile, ob er nicht wieder kom- men moͤchte, dann ging sie hin und her, und rief seinen Namen mit lauter Stimme aus. Da sie keine Antwort vernahm, fing sie an zu weinen und I. [ 24 ] Erste Abtheilung . zu schluchzen, wandte sich dann im Holze nach al- len Orten hin, und rief so lange, bis sie heiser war, aber sie erhielt keine Antwort. Da wurde sie so betruͤbt, daß sie einen heftigen Schmerz im Haupte empfand, sie sank auf den Boden nieder, und lag eine Weile in einer schmerzlichen Ohnmacht. Als sie wieder zu sich erwachte, daͤuchte ihr, daß es ein Leichtes seyn muͤsse, jetzt gar zu sterben; nun sah sie nicht mehr auf die Voͤgel, die scher- zend um sie huͤpften, denn wenn sie die Augen aufschlug, war es ihr zu Sinne, daß jede Kreatur, die sich regte und bewegte, gluͤcklicher sey, als sie. Mit vieler Muͤhe stieg sie auf einen Baum, um sich in der Gegend umzusehn, ob sie nichts entdecken koͤnne, aber sie sah nichts als Waͤlder auf der einen Seite, keine Wohnung, kein Dorf, so weit ihr Auge reichte; auf der andern Seite das wuͤste unabsehliche Meer. Trostlos stieg sie wieder herab, und weinte und klagte von neuem: O ungetreuer Ritter, rief sie aus, warum hast du deine unschuldige Geliebte verlassen? Hast du mich darum meinen Eltern geraubt, damit ich hier in der Wuͤstenei verschmachten soll? Was hab ich dir gethan? Hab ich dich zu sehr geliebt? Bist du mein uͤberdruͤßig, weil ich dir mein schwaches Herz zu fruͤh zu erkennen gab? O, so bist du der Elen- deste unter den Menschen! Sie ging wie wahnsinnig im Walde hin und her; da traf sie die Rosse, die noch so angebunden standen, wie Peter sie fest gemacht hatte. O ver- gieb mir, mein Geliebter! rief sie aus, jetzt werde Die schoͤne Magelone . ich wohl gewahr, daß du unschuldig bist und daß du mich nicht vorsaͤtzlicherweise verlassen hast. Wel- ches Abentheuer hat uns denn von einander ge- trennt? Die Finsterniß brach mit der Nacht herein, und der Mond warf gebrochene Strahlen durch den Wald; seltsame fremde Stimmen ließen sich in der Ferne hoͤren, und Magelone fuͤrchtete, daß es das Geschrei wilder Thiere sey. Muͤhsam stieg sie wie- der auf einen Baum. Die Wolken wechselten am Himmel wunderlich vom Monde beglaͤnzt, und jag- ten sich durch einander; bald sah sie in diesen Luft- erscheinungen ihren Ritter, der mit Ungeheuern kaͤmpfte und sie besiegte; dann verwandelte sich im Zuge das Wolkengebilde in ein andres; ihr daͤm- merndes Auge glaubte dann am Himmel Staͤdte mit hohen Thuͤrmen zu erblicken, oder Berge, auf denen feurige Castelle brannten, Reuter, die in Geschwadern auszogen, und dem Feinde im Thale begegneten. Wie Blitze flatterte es dann durch die Landschaft, und die hellgruͤne Himmelsebene lag praͤchtig zwischen den getrennten Wolkenbildern; dann fuͤhlte sie, daß sie nur geschwaͤrmt habe, und mit bangem Grauen warf sie den Blick auf die Waͤlder unter sich, die schwarz in ernsten unbe- weglichen Gestalten ruhten; sie sah nach der See hinab, die in unermeßlicher Flaͤche vor ihren Au- gen bebte und daͤmmerte. In der stillen Nacht kam das Plaͤtschern der Wellen zu ihrem Ohre, das bald wie Gewinsel, bald wie zuͤrnende Schelt- worte klang; dann glaubte sie die Stimme ihres Erste Abtheilung . Vaters und ihrer Mutter zu hoͤren, und so trieb sich ihr Gemuͤth unter Phantasien auf und ab, bis der Morgen empor kam. Wie verschieden war diese Morgenroͤthe von der gestrigen! Wie weit stand jetzt die Hofnung weg, die gestern noch mit leichten Fluͤgeln wie ein blauer Schmetterling vor ihr hintanzte, die ihr den Weg nach einer lieben Heimath wies, und alle Blumen am Wege auf- suchte und auf sie hindeutete. Das Waldgefluͤgel ließ seine Gesaͤnge wieder klingen, das fruͤhe Roth arbeitete sich durch den dichten Wald, schlich gebuͤckt und wundersam durch die niedrigen Gestraͤuche, und weckte Gras und Blumen auf; der Wald brannte in dunkelro- then Flammen und der Nebel wand sich in golde- nen Saͤulen um die Baumstaͤmme. Magelone hatte in der Nacht beschlossen, nicht zu ihrem Vater zu- ruͤckzukehren, denn sie fuͤrchtete seinen Zorn, sie wollte irgend eine stille Wohnung aufsuchen, von den Menschen abgesondert, dort immer an ihren Geliebten denken und so in Froͤmmigkeit und Treue hinsterben. Sie stieg daher vom Baum herunter und ging wieder zu den treuen Pferden, die noch angebunden standen, und den Kopf betruͤbt zur Erde senkten. Sie loͤste ihre Zuͤgel, so daß sie gehn konnten, wohin sie wollten, indem sie sagte: so wandert nun auch hin durch die weite traurige Welt, und suchet euren Herren wieder, so wie ich ihn suchen will. Die Rosse gingen betruͤbt fort, jedes einen andern Weg. Magelone wanderte durch die dichten Waͤlder, Die schoͤne Magelone . sie hatte einige Nahrung mit sich genommen. Um sich unkenntlich zu machen, verbarg sie ihre lan- gen goldenen Haare und zog einen Schleier uͤber ihr Gesicht; sie suchte auch ihre Kleidung zu ver- aͤndern. So kam sie durch manche Doͤrfer und Staͤdte und blieb immer betruͤbt. Nach einer Wanderung von vielen Tagen stand sie gegen Abend auf einer freundlichen stillen Wiese, gegenuͤber lag eine kleine Huͤtte, und Vieh wei- dete auf den nahen Huͤgeln, das mit seinen Klok- ken ein angenehmes Getoͤne durch die Ruhe des Abends machte; auf der andern Seite lag ein Wald, und Magelonens Seele wurde hier zum erstenmale noch langer Zeit ruhig und heiter. Sie faßte da- her den Wunsch, in dieser friedlichen Gegend zu wohnen. Sie ging auf die Huͤtte zu, aus der ihr ein alter Schaͤfer entgegen trat, der hier mit seiner Frau sich angesiedelt hatte, und fern von der Welt und den Menschen fromme Laͤmmer groß zog, und einen kleinen Acker baute. Sie redete ihn an, und flehte als eine Ungluͤckliche um Schutz und Huͤlfe. Er nahm sie gerne auf, und sie unterzog sich den Diensten willig, die sie leisten konnte, dabei aber verschwieg sie ihrem Wirthe ihre Geschichte. Es geschah manchmal, daß sie einem Ungluͤcklichen bei- stehn konnten, wenn ihn der Schiffbruch an die nahgelegene Kuͤste trieb, und dann zeigte sich be- sonders Magelone huͤlfreich und thaͤtig. Wenn die Alten ausgingen, bewachte sie das Haus, und sang dann manchmal in der Einsamkeit mit der Spindel vor der Thuͤre sitzend: Erste Abtheilung . Wie schnell verschwindet So Licht als Glanz, Der Morgen findet Verwelkt den Kranz, Der gestern gluͤhte In aller Pracht, Denn er verbluͤhte In dunkler Nacht. Es schwimmt die Welle Des Lebens hin, Und faͤrbt sich helle, Hats nicht Gewinn; Die Sonne neiget, Die Roͤthe flieht, Der Schatten steiget Und Dunkel zieht: So schwimmt die Liebe Zu Wuͤsten ab, Ach! daß sie bliebe Bis an das Grab! Doch wir erwachen Zu tiefer Qual; Es bricht der Nachen, Es loͤscht der Strahl, Vom schoͤnen Lande Weit weggebracht Zum oͤden Strande, Wo um uns Nacht. Die schoͤne Magelone . 13. Peter unter den Heiden . P eter erholte sich aus seiner Betaͤubung, als die Sonne eben in aller Majestaͤt uͤber die große Meeresfluth herauf stieg. Ein furchtbarer Glanz schwang sich durch den Himmel und loͤschte Mond und Sterne mit gluͤhenden Strahlen aus; die Was- ser erklangen und verwandelten sich in Purpur, Wolkenzuͤge trieben vor der Sonne her und segel- ten, wie von der Majestaͤt geschreckt, uͤber das Meer hinweg, und ein spruͤhender Regen von Fun- ken verbreitete sich weit umher, und ergoß sich in Bogen uͤber die Fluth. Peter fuͤhlte wieder maͤnn- lichen Muth in seiner Brust, die Qualen des Le- bens so wie seine Freuden zu erdulden. Ein großes Schiff segelte auf ihn zu, das von Mohren und Heiden besetzt war; sie nahmen ihn ein und freuten sich uͤber diese Beute, denn Peter war gar schoͤn und herrlich von Gestalt, dazu gab ihm seine Jugend ein zartes und einnehmendes Wesen, so daß niemand sein Feind seyn konnte. Der Anfuͤhrer des Schiffes beschloß, ihn dem Sul- tan als ein Geschenk mitzubringen. Man landete, und Peter ward sogleich dem Sultan vorgestellt, der einen großen Gefallen an ihm fand, und ihn bei der Tafel aufwarten ließ, ihm auch die Aufsicht uͤber einen schoͤnen Garten anvertraute. Peter war allgemein beliebt, weil er vom Sultan so gnaͤdig angesehn wurde. Oft ging Erste Abtheilung . er einsam zwischen den Blumen des Gartens, und dachte an seine geliebte Magelone, oft nahm er auch in der Abendstunde eine Zither und sang: Muß es eine Trennung geben, Die das treue Herz zerbricht? Nein, dies nenne ich nicht leben, Sterben ist so bitter nicht. Hoͤr ich eines Schaͤfers Floͤte, Haͤrme ich mich inniglich, Seh ich in die Abendroͤthe, Denk ich bruͤnstiglich an dich. Giebt es denn kein wahres Lieben? Muß denn Schmerz und Trauer seyn? Waͤr ich ungeliebt geblieben, Haͤtt ich doch noch Hofnungsschein. Aber so muß ich nun klagen: Wo ist Hofnung, als das Grab? Fern muß ich mein Elend tragen, Heimlich stirbt das Herz mir ab. 14. Die Heidin Sulima liebt den Ritter . P eter mochte hier vergnuͤgt leben, wenn die Liebe nicht seine Jugend verzehrt haͤtte. Er war nun schon seit lange am Hofe des Sultans und von ihm und den uͤbrigen geschaͤtzt; er hatte viele Frei- heit und ward von manchem Hofdiener beneidet, Die schoͤne Magelone . aber er verdiente diesen Neid nicht, denn er ward von seiner Unruhe hin und her getrieben, er seufzte und klagte laut, wenn er sich im Gar- ten allein befand. So verstrich eine Woche nach der andern und er war nun beinahe zwei Jahr unter den Heiden, ohne daß er Hofnung hatte, jemals in sein gelieb- tes Vaterland zuruͤck zu kehren, denn der Sultan liebte ihn so sehr, daß er ihn durchaus nicht von sich entfernen wollte. Dies zog sich Peter auch zu Sinne und ward daruͤber mit jedem Tage be- truͤbter, denn er dachte unaufhoͤrlich an seine Eltern und seine Geliebte. Nichts machte ihm Freude, und da der Fruͤhling wieder kam, weinte er bei seiner Ankunft, und trauerte tief, indem die ganze Natur ihr holdseligstes Fest beging. Der Sultan hatte eine Tochter, die im gan- zen Lande ihrer Schoͤnheit wegen beruͤhmt war, mit Namen Sulima. Sie fand oft Gelegenheit den Fremden zu sehn, und ohne daß sie es anfangs wußte, hatte sich eine heftige Liebe zu ihm in ihr Herz geschlichen. Die Traurigkeit des Ritters zog sie vorzuͤglich an, sie wuͤnschte, ihn troͤsten zu koͤn- nen, ihm naͤher zu kommen, und mit ihm zu re- den. Die Gelegenheit dazu fand sich bald. Eine vertraute Sklavin fuͤhrte den Juͤngling heimlich in einen Saal des Gartens zu ihr. Peter war erstaunt und in Verlegenheit; er verwunderte sich uͤber die Schoͤnheit der Sulima, aber sein Herz hing an Magelonen fest. Doch der suͤße Trieb, sein Vaterland wieder Erste Abtheilung . zu sehn, bemeisterte sich bald aller seiner Sinnen so sehr, daß er einem kuͤhnen Anschlage nachdachte. Er sah das Heidenmaͤdchen oͤfter, und sie sagte ihm, daß sie aus Liebe zu ihm mit ihm entfliehen wolle, erst zu einem Verwandten, der ein Schiff segelfertig liegen habe, das auf ihren Wink sogleich die Anker lichten wuͤrde; sie wolle ihm in der be- stimmten Nacht durch eine Laute und ein kleines Lied ein Zeichen geben, wann er kommen und sie abholen solle. Peter uͤberlegte diesen Vorschlag und willigte endlich ein, denn er uͤberzeugte sich, daß Magelone gewiß gestorben sey, und er komme doch so in die Christenheit und zu seinen Eltern zuruͤck. Der Garten des Sultans lag am Ufer des Meeres, und die bestimmte Nacht war jetzt herbei gekommen. Gegen Abend hatte Peter ein wenig unter den kuͤhlen Baͤumen geschlummert, und Ma- gelone war ihm in aller Herrlichkeit, aber mit einer drohenden Gebehrde, im Traum erschienen. Die ganze Vergangenheit zog mit den lebhaftesten Bil- dern durch seinen Busen, jede Stunde seiner gluͤck- lichen Liebe kam mit allen seeligen Empfindungen zuruͤck, und als er nun erwachte, erschrack er vor sich selber und seinem Vorsatze. Er haͤtte sich sel- ber entfliehen moͤgen, und das Andenken an sich und sein Bewußtseyn aus seinem Busen vertilgen. Die Nacht brach indeß herein, und alle Sterne glaͤnzten schon am Himmel; der Mond ging auf und warf sein goldenes Netz uͤber das Meer hin, als Peter nachdenklich am Ufer auf und nieder ging. Ein frischer Wind blies vom Lande her Die schoͤne Magelone . durch den Garten, und die Baͤume rauschten mun- ter und froͤhlich, aber Peter ward dadurch nur desto betruͤbter. O ich Treuloser! ich Undankbarer, rief er aus, will ich so ihre Liebe belohnen, will ich als ein Meineidiger in mein Vaterland zuruͤck kehren? Das waͤre mir ein schlechter Ruhm unter meinen Ver- wandten und der ganze Ritterschaft; und wie sollte ich gegen Magelonen die Augen aufschlagen duͤrfen, wenn sie noch lebt? Und warum sollte sie nicht leben, da ich so wunderbar erhalten bin? O ich bin ein feiger Sklave, daß ich fuͤr mich selber noch nichts gewagt habe! Warum uͤberlaß ich mich nicht dem guͤtigen Schicksal, und fahre in einem dieser Nachen in das Meer hinein? Ueberließ ich mich nicht auf einem zerbrochenen Brette der em- poͤrten Fluth, und kam an dies Gestade? Soll ich nicht auf Gott vertraun, wenn von Vaterland, wenn von meiner Liebe die Rede ist? Er stieg beherzt in ein kleines Boot, das er vom Lande abloͤste, dann nahm er ein Ruder und arbeitete sich in die See hinein. Es war die schoͤnste Sommernacht; alle Gestirne sahen freundlich in die mondbeglaͤnzte Welt hinein, das Meer war eine stille ebene Flaͤche, und warme Luͤfte spielten uͤber dem ruhigen Spiegel hin. Peters Herz ward groß von Sehnsucht, er uͤberließ sich dem Zufall und den Sternen, und ruderte muthig weiter; da hoͤrte er das verabredete Zeichen, eine Zither erklang aus dem Garten her, und eine liebliche Stimme sang dazu: Erste Abtheilung . Geliebter, wo zaudert Dein irrender Fuß? Die Nachtigall plaudert Vor Sehnsucht und Kuß. Es fluͤstern die Baͤume Im goldenen Schein, Es schluͤpfen mir Traͤume Zum Fenster herein. Ach! kennst du das Schmachten Der klopfenden Brust? Dies Sinnen und Trachten Voll Qual und voll Lust? Befluͤgle die Eile Und rette mich dir, Bei naͤchtlicher Weile Entfliehn wir von hier. Die Seegel sie schwellen, Die Furcht ist nur Tand: Dort, jenseit den Wellen, Ist vaͤterlich Land. Die Heimath entfliehet; — So fahre sie hin! Die Liebe sie ziehet Gewaltig den Sinn. Horch! wolluͤstig klingen Die Wellen im Meer, Sie huͤpfen und springen Muthwillig einher, Und sollten sie klagen? Sie rufen nach dir! Sie wissen, sie tragen Die Liebe von hier. Die schoͤne Magelone . Peter erschrack im Herzen, als er diesen Ge- sang vernahm; das Lied rief ihm seine Untreue und seinen Wankelmuth nach. Er ruderte staͤrker, um sich vom Lande zu entfernen und dem Kreise zu entfliehen, den die lieblich lockenden Toͤne in der stillen Abendluft bildeten. Der Geist der Liebe schwang sich durch den goldenen Himmel; Liebe wollte ihn ruͤckwaͤrts ziehn, Liebe trieb ihn vor- waͤrts, die Wellen murmelten melodisch dazwischen, und klangen wie ein Lied in fremder Sprache, dessen Sinn man aber dennoch erraͤth. Der Gesang vom Ufer her ward immer schwaͤ- cher. Schon sah Peter die Baͤume am Gestade nicht mehr; es war, als wenn sich ihm die Musik uͤber das Meer nacharbeitete, und endlich matt und kraftlos nicht weiter zu schwimmen wagte, sondern zum einheimischen Ufer zuruͤck schlich; denn jetzt hoͤrte er den Gesang nur noch wie ein leises Wehen des Windes, und jetzt erlosch auch die letzte Spur, und die Wellen rieselten nur, und der Ru- derschlag ertoͤnte durch die einsame Stille. 15. Wie Peter wieder zu Christen kam . W ie der Gesang verschollen war, faßte Peter wieder frischen Muth; er ließ das Schifflein vom Winde hintreiben, setzte sich nieder und sang: Erste Abtheilung . Wie froh und frisch mein Sinn sich hebt, Zuruͤckbleibt alles Bangen, Die Brust mit neuem Muthe strebt, Erwacht ein neu Verlangen. Die Sterne spiegeln sich im Meer, Und golden glaͤnzt die Fluth. — Ich rannte taumelnd hin und her, Und war nicht schlimm, nicht gut. Doch niedergezogen Sind Zweifel und wankender Sinn, O tragt mich, ihr schaukelnden Wogen, Zur laͤngst ersehnten Heimath hin. In lieber daͤmmernder Ferne, Dort rufen einheimische Lieder, Aus jeglichem Sterne Blickt sie mit sanftem Auge nieder. Ebne dich, du treue Welle, Fuͤhre mich auf fernen Wegen Zu der vielgeliebten Schwelle, Endlich meinem Gluͤck entgegen! Als das Morgenroth aufging, sah er das Land nur noch wie eine unkenntliche blaue Wolke weit hinunter liegen, und er erschrack beinah, als ihn das allmaͤchtige Meer und der gewoͤlbte Himmel so unermeßlich umgab. In der Ferne seegelte ein Schiff auf ihn zu, und er haͤtte beinah geglaubt, daß er sein ehemaliges Ungluͤck nur von neuem traͤume; aber als es naͤher gekommen, sah er, daß die Schiffer Christen waren, die ihn sogleich willig aufnahmen. Er freute sich, als er hoͤrte, daß sie nach Frankreich segelten. Die schoͤne Magelone . 16. Der Ritter auf der Reise . U m die Zeit war der Graf von der Provence nebst seiner Gemahlin sehr betruͤbt, weil sie noch gar keine Nachrichten von ihrem geliebten Sohne bekommen hatten. Besonders aber war die Mut- ter in Angst, denn sie hatte eine große Sehnsucht, ihren einzigen Sohn nach so langer Zeit wieder zu sehn. Sie sprach oft mit dem Grafen von ih- rem Kummer, und daß ihr schoͤner Sohn wahr- scheinlich umgekommen sey. Da sollte ein Fest ge- geben werden, und ein Fischer brachte einen großen Fisch in die graͤfliche Kuͤche; als ihn der Koch auf- schnitt, fand er drei Ringe in dessen Bauche, die er der Graͤfin uͤberbrachte. Die Graͤfin verwun- derte sich uͤber die Maßen, denn sie erkannte sie fuͤr eben diejenigen, die sie ihrem Sohne gegeben hatte. Sie sagte daher zu ihrem Gemahl: jetzt bin ich getroͤstet, denn da ich so unvermuthet und auf so wunderbare Weise Kundschaft von meinem Sohn bekommen habe, so bin ich auch uͤberzeugt, daß Gott ihn nicht verlassen hat, sondern daß er ihn nach vielen uͤberstandenen Muͤhseligkeiten in unsre Arme zuruͤck fuͤhren wird. — Peter stand im Schiffe und sah immer nach der Gegend hin, wo die erwuͤnschte Heimath lag. Die Fahrt war gluͤcklich, und man landete an einer kleinen unbewohnten Insel, um suͤßes Wasser ein- zunehmen. Alles Schiffsvolk stieg an das Land, Erste Abtheilung . und auch Peter. Er ging durch ein anmuthiges Thal und verlor sich hinter einigen Huͤgeln in das Land hinein; da setzte er sich nieder und sah viele schoͤne Blumen um sich stehn. Alle blickten ihn wie mit freundlichen, lieblichen Augen an, und er dachte innig an Magelonen, und wie sie ihn ge- liebt hatte. Wie kann der Liebende, rief er aus, sich nur jemals einsam fuͤhlen? Erinnern mich nicht diese blauen Kelche an ihre holdseligen Augen, dieses goldene Blatt an ihr Haar, die Pracht die- ser Lilie und Rose neben einander, an ihre zarten Wangen? Ist es doch, als wenn der Wind in den Blumen sich bewegt, und es, wie auf Saiten versuchen will, ihren suͤßen Namen auszusprechen; Quellen und Baͤume nennen ihn, fuͤr die uͤbri- gen Menschen unverstaͤndlich, aber mir laut und vernehmlich. Er erinnerte sich eines Gesanges, den er vor langer Zeit gedichtet hatte, und wiederholte ihn jetzt: Suͤß ists, mit Gedanken gehn, Die uns zur Geliebten leiten, Wo von blumbewachsnen Hoͤhn, Sonnenstrahlen sich verbreiten. Lilien sagen: unser Licht Ist es, was die Wange schmuͤcket; Unsern Schein die Liebste blicket: So das blaue Veilchen spricht. Und mit sanfter Roͤthe laͤcheln Rosen ob dem Uebermuth, Kuͤhle Abendwinde faͤcheln Durch die liebevolle Gluth. All Die schoͤne Magelone . All ihr suͤßen Bluͤmelein, Sei es Farbe, seis Gestalt, Mahlt mit liebender Gewalt Meiner Liebsten hellen Schein, Zankt nicht, zarte Bluͤmelein. Rosen, duftende Narzissen, Alle Blumen schoͤner prangen, Wenn sie ihren Busen kuͤssen Oder in den Locken hangen, Blaue Veilchen, bunte Nelken, Wenn sie sie zur Zierde pfluͤckt, Muͤssen gern als Putz verwelken, Durch den suͤßen Tod begluͤckt. Lehrer sind mir diese Bluͤthen, Und ich thue wie sie thun, Folge ihnen, wie sie riethen, Ach! ich will gern alles bieten, Kann ich ihr am Busen ruhn. Nicht auf Jahre sie erwerben, Nein, nur kurze, kleine Zeit, Dann in ihren Armen sterben, Sterben ohne Wunsch und Neid. Ach! wie manche Blume klaget Einsam hier im stillen Thal, Sie verwelket eh es taget, Stirbt beim ersten Sonnenstrahl: Ach, so bitter herzlich naget Auch an mir die scharfe Qual, Daß ich sie und all mein Gluͤcke, Nimmer, nimmermehr erblicke. Er weinte heftig, indem er die letzten Worte sang, denn er glaubte sein Herz zu verstehn, das I. [ 25 ] Erste Abtheilung . ihm ein Ungluͤck vorhersagte. Er betrachtete mit thraͤnenden Blicken das Blumenlabyrinth um sich her, und es war ihm ein Ergoͤtzen, die Blumen in seiner Einbildung so zu ordnen, daß sie den Na- menszug Magelonens ausdruͤckten. Dann horchte er auf das lispelnde Gras, das ihm etwas zu sa- gen schien, auf die Bluͤten, die sich oft zaͤrtlich zu einander neigten, als wenn sie ein herzliches Gespraͤch von Liebe fuͤhren wollten. In der gan- zen Natur sah er liebevolle Eintracht, und jedes Geraͤusch klang seinem Ohre wie ein melodischer Gesang. Daruͤber verlor er sich immer mehr in Traͤumen; von den Thraͤnen ermuͤdet schlief er endlich unter den Blumen ein, und es war ihm im Traum, als wenn er laut den Namen Mage- lone ausrufen hoͤrte; daruͤber ging ihm sein Herz wie eine zugeschlossene Knospe auf, und er fuͤhlte eine uͤbergroße Freude. 17. Peter wird von Fischern aufgefunden . A ber der Wind blies indeß luftig in die Seegel, und das Schiffsvolk eilte wieder in das Schiff, um abzufahren, nur Peter blieb aus; man rief ihn, aber da er nicht kam, fuhren die uͤbrigen fort. Als sie schon weit vom Ufer entfernt waren, erwachte Peter aus seinem erquickenden Schlafe; er erschrack, als er gewahr ward, daß er geschlafen Die schoͤne Magelone . hatte. Er eilte an das Ufer, aber Niemand war da, und das Schiff nirgend zu sehn. Da senkte sich eine große Traurigkeit in sein Herz, alle seine Hofnungen waren wieder verschwunden: er stuͤrzte nieder und lag am Ufer des Meeres ohne Besin- nung und in tiefer Ohnmacht, so daß es finstre Nacht wurde und er es nicht bemerkte. Als es nach Mitternacht kam, ging der Mond auf, und einige Fischer fuhren mit einem Kahne an die Insel, um ihre Arbeit hier vorzunehmen; sie fanden den Juͤngling, der fuͤr todt auf der Erde ausgestreckt lag. Das feste Land war nicht weit von dieser Insel, sie luden ihn daher in ihr kleines Schiff, und fuhren wieder ab, um ihn ins Leben zuruͤck zu bringen. Schon unterwegs er- wachte Peter; es duͤnkte ihm seltsam, als ihm der Mond ins Angesicht schien und er die Ruder seuf- zen hoͤrte, und wie er vernahm, daß zwei fremde Maͤnner mit einander verabredeten, wie sie ihn zu einem alten Schaͤfer bringen wollten, der sein pflegen wuͤrde. Oft kam es ihm vor wie ein Traum, oft wieder wie Wahrheit, und er zwei- felte so lange, bis sie endlich mit dem Aufgang der Sonne landeten. Als Peter eine Weile in den erquickenden Son- nenstrahlen gelegen hatte, ward er wieder munter und richtete sich auf; er dankte in einem Gebete Gott, daß er ihm wieder von der menschenleeren Insel geholfen habe, dann gab er den guten Fi- schern eine Menge Goldes, und ließ sich den Weg nach der Huͤtte des Schaͤfers beschreiben. Erste Abtheilung . Er ging durch einen dichten, angenehmen Wald, durch dessen dunkle Schatten der Morgen noch daͤmmerte. Er folgte einem geschlaͤngelten Fuß- pfade, und uͤberdachte schwermuͤthig sein Schicksal; alles Ungemach, das er erlitten, kam frisch in seine Seele, und er ward daruͤber so unmuthig, daß er von Herzen wuͤnschte, endlich zu sterben. Mit diesen Gedanken trat er aus dem Walde und stand vor einer schoͤnen gruͤnen Wiese, die im Morgenlicht glaͤnzte; gegenuͤber lag eine kleine einsame Huͤtte, und Schaafe wurden von einem alten Manne einen Huͤgel hinan getrieben. Alles schimmerte roth und freundlich, und die stille Ruhe umher brachte auch in Peters Seele Ruhe zuruͤck. Er merkte, daß dies die Huͤtte sey, die ihm die Fischer bezeichnet hatten, und er wuͤnschte, hier einige Tage zu rasten und sich zu erquicken. Er ging daher uͤber die Wiese, auf der viele wilde Blumen roth und gelb und himmelblau bluͤhten, der kleinen Huͤtte naͤher. Vor der Thuͤre saß ein schlankes schoͤnes Maͤgdlein, zu deren Fuͤßen ein Lamm im Grase spielte, diese sang, indem er uͤber die Wiese schritt: Begluͤckt, wer vom Getuͤmmel Der Welt sein Leben schließt, Das dorten im Gewimmel Verworren abwaͤrts fließt. Hier sind wir all befreundet, Mensch, Thier und Blumenreich, Von keinem angefeindet Macht uns die Liebe gleich. Die schoͤne Magelone . Die zarten Laͤmmer springen Vergnuͤgt um meinen Fuß, Die Turteltauben singen Und girren Morgengruß. Der Rosenstrauch mit Gruͤßen Beut seine Kinder dar, Im Thale dort der suͤßen Violen blaue Schaar. Und wenn ich Kraͤnze winde Ertoͤnt und rauscht der Hain, Es duftet mir die Linde Im goldnen Mondenschein. Die Zwietracht bleibt dahinten, Und Stolz, Verfolgung, Neid, Kann nicht die Wege finden Hieher zur goldnen Zeit. Vor mir stehn holde Scherze Und truͤbe Sorge weicht; Allein mein innres Herze Wird darum doch nicht leicht. Weil ich die Liebe kannte Und Blick und Kuß verstand, So bin ich nun Verbannte Weit ab im fernen Land. Die Freude macht mich truͤbe, Dunkelt den stillen Sinn, Denn meine zarte Liebe Ist nun auf ewig hin. — Erinnre und erquicke Dich an vergangner Lust, Am schwermuthsvollen Gluͤcke, Denn sonst zerspringt die Brust. Erste Abtheilung . Die Morgenroͤthe laͤchelt Mir zwar noch ofte zu, Und matte Hofnung faͤchelt Mich dann in schoͤnre Ruh: Daß ich ihn wieder finde, Den ich wohl sonst gekannt, Und daß nun uns sich winde Ein gluͤckgewirktes Band. Wer weiß, durch welche Schatten Sein Fuß schon heute geht, Dann koͤmmt er uͤber Matten Und alles ist verweht, Die Seufzer und die Thraͤnen, Sie loͤscht das neue Gluͤck, Und Hoffen, Fuͤrchten, Sehnen Verschmilzt in Einen Blick. 18. Beschluß . P eter fuͤhlte sich von dem Gesange wie von einer lieblichen Gewalt nach der Huͤtte hingezogen. Die Schaͤferin, welche vor der Thuͤr saß, nahm ihn freundlich auf, und ließ ihn in der Huͤtte ausruhn und sich erquicken. Die beiden Alten kamen auch bald zuruͤck, und hießen ihren edlen Gast von Her- zen willkommen. Magelone ging indessen im Felde nachdenklich auf und ab, denn sie hatte auf den ersten Blick den Ritter erkannt; alle ihre Sorgen waren nun Die schoͤne Magelone . wie Schnee vor der Fruͤhlingssonne hinweg ge- schmolzen, und ihr Lebenslauf lag gruͤn und er- frischt vor ihr, so weit nur ihr Auge reichte. Sie ging in die Huͤtte zuruͤck, und gab sich noch nicht zu erkennen. Nach zweien Tagen war Peter wieder ganz zu Kraͤften gekommen. Er saß mit Magelonen, ohne daß er sie kannte, vor der Thuͤr der Huͤtte. Bie- nen und Schmetterlinge schwaͤrmten um sie, und Peter faßte ein Zutrauen zu seiner Verpflegerin, so daß er ihr seine Geschichte und sein ganzes Un- gluͤck erzaͤhlte. Magelone stand ploͤtzlich auf und ging in ihre Kammer, da loͤste sie ihre goldenen Locken auf, und machte sie von den Banden frei, die sie bisher gehalten hatten, dann zog sie ihre koͤstliche Kleidung an, die sie eingeschlossen hielt, und so kam sie ploͤtzlich wieder vor die Augen Pe- ters. Er war vor Erstaunen außer sich, er um- armte die wiedergefundene Geliebte, dann erzaͤhl- ten sie sich ihre Geschichte wieder, und weinten und kuͤßten sich, so daß man haͤtte ungewiß seyn sollen, ob sie vor Jammer oder uͤbergroßer Freude so herz- brechend schluchzten. So verging ihnen der Tag. Dann reiste Peter mit Magelonen zu seinen Eltern, sie wurden vermaͤhlt, und alles war in der groͤßten Freude; auch der Koͤnig von Neapel ver- soͤhnte sich mit seinem neuen Sohne, und war mit der Heirath wohl zufrieden. Auf dem Orte, wo Peter seine Magelone wieder gefunden hatte, ließ er einen praͤchtigen Sommerpallast bauen, und setzte den Schaͤfer zum Erste Abtheilung . Aufseher hinein, den er mit vielem Lohne uͤber- haͤufte. Vor dem Pallast pflanzte er mit seiner jungen Gattin einen Baum; dann sangen sie fol- gendes Lied, welches sie nachher auf derselben Stelle in jedem Fruͤhjahre wiederholten: Treue Liebe dauert lange, Ueberlebet manche Stund, Und kein Zweifel macht sie bange, Immer bleibt ihr Muth gesund. Draͤuen gleich in dichten Schaaren, Fodern gleich zum Wankelmuth Sturm und Tod, setzt den Gefahren Lieb entgegen treues Blut. Und wie Nebel stuͤrzt zuruͤcke Was den Sinn gefangen haͤlt, Und dem heitern Fruͤhlingsblicke Oeffnet sich die weite Welt. Errungen Bezwungen Von Lieb ist das Gluͤck, Verschwunden Die Stunden Sie fliehen zuruͤck; Und seelige Lust Sie stillet Erfuͤllet Die trunkene wonneklopfende Brust, Sie scheide Von Leide Auf immer, Und nimmer Entschwinde die liebliche, seelige, himmlische Lust! Erste Abtheilung . Es war indessen finster geworden. Rosalie klingelte, um Lichter bringen zu lassen, worauf sie sich gegen Friedrich wandte und sagte: Mir ist seit meiner fruͤhen Jugend schon diese Geschichte bekannt, aber ich danke Ihnen dafuͤr, daß Sie das Spital und die Verpflegung der Kran- ken auf diese Weise unnoͤthig gemacht haben; das laͤndliche Gemaͤhlde der heitern Wiese und stillen Einsamkeit sind der Imagination weit an- genehmer. Ich dachte vor Jahren eben so, antwortete Friedrich, und habe mir deshalb diese Umaͤn- derung erlaubt, mit der ich jetzt aber um so un- zufriedener bin; auch hoffe ich, daß ich Sie wohl noch einmal zu meiner Meinung, und zur alten Erzaͤhlung zuruͤck fuͤhren werde. Wenn es aber gar nicht erlaubt seyn sollte, wandte Auguste ein, alte bekannte Geschichten nach Gutduͤnken und Laune abzuaͤndern, und sie unserm Geschmack zuzubereiten, so wuͤrden wir ohne Zweifel viel verlieren, denn manches ginge ganz unter, das uns so erhalten bleibt. Sind dergleichen Erfindungen schon ehemals umgeschrie- ben und neu erzaͤhlt worden, so begreife ich nicht, warum diese Freiheit nicht jedem neuern Dichter ebenfalls vergoͤnnt seyn sollte. In Arabien, wo sie so viele Maͤhrchen erzaͤhlen, bleibt man ge- wiß nicht immer der Sache treu, denn in jedem Erzaͤhler regt sich die Lust, die Umstaͤnde anders zu wenden, sie wunderbarer oder anmuthiger zu Erste Abtheilung . machen, und sich dadurch die fremde Erfindung anzueignen. Sie moͤgen nicht Unrecht haben, antwortete Friedrich; wenn aber eine alte Erzaͤhlung einen so herzlichen Mittelpunkt hat, der der Geschichte einen großen und ruͤhrenden Charakter giebt, so ist es doch wohl nur die Verwoͤhnung einer neu- ern Zeit und ihre Beschraͤnktheit, diese Schoͤn- heit ganz zu verkennen, und sie mit einer will- kuͤhrlichen Abaͤnderung verbessern zu wollen, durch welche das Ganze eben so wohl Mittelpunkt als Zweck verliert. Ich bin Ihrer Meinung, sagte Clara. Giebt es etwas Ruͤhrenderes (und zwar nicht von der Art des Ruͤhrenden, welches man gewoͤhnlich so nennt), als daß sie sich in treuer Liebe und Hof- nungslosigkeit dem Dienst der Kranken fromm und andaͤchtig widmet? Lange hat sie dem selbst- gewaͤhlten Berufe mit edler Treue vorgestanden, da kommt er selbst, von Liebe und Sehnsucht er- mattet, an der Trennung sterbend, in ihre Pflege (nicht, wie hier erzaͤhlt wird, halb ungetreu); sie kennt ihn nicht, sie nimmt ihn auf wie jeden Kranken; da faͤngt er an zu genesen, er faßt ein Zutrauen zu der guten, alt scheinenden Waͤrte- rin und erzaͤhlt ihr seine Geschichte; sie, vor Schrecken und Wonne wie vernichtet, geht in die Kammer, loͤst die rollenden goldgelben Lok- ken auf, wirft das Gewand der Buͤßenden ab, und tritt so im Jugendglanz dem wieder vor Erste Abtheilung . Augen, der mit dem Fruͤhling der Gesundheit den Lenz der Liebe von neuem aufbluͤhen sieht. Das alte Gedicht ist eine Verherrlichung der Liebe und frommen Demuth, die neuere Erzaͤhlung ist suͤß freigeisterisch und unglaͤubig. Lope de Vega hat unter den Namen der drei Diamanten die Geschichte fuͤr das Theater bearbei- tet, bemerkte Lothar, und sie in seiner etwas lok- kern Manier ausgefuͤhrt; auf dasjenige, was nach unserer Meinung der Hauptpunkt seyn sollte, hat er auch nur wenig Gewicht gelegt. Die Sage selbst scheint mir aber auch voͤllig undramatisch. Mir nicht, erwiederte Friedrich. Wissen wir doch uͤberhaupt noch nicht recht, was wir drama- tisch oder undramatisch nennen sollen. Nach un- sern gewoͤhnlichen Ansichten gehn die Novelle und Erzaͤhlung oft von selbst in das Drama uͤber, und viele Novellen sind Comoͤdien nach dieser Meinung, so wie wir auch nicht wenige Comoͤdien besitzen, selbst beruͤhmte, die durchaus nur dialogisirte Novellen sind. Diese koͤnnen sehr geistreich und witzig seyn, wie die des Machiavell zum Bei- spiel, sind aber darum doch noch keine Schau- spiele. Damit Erzaͤhlung oder Sage Schauspiel werde, muß ein neues Element hinzu treten, welches das Ganze allseitig durchdringt, und im Mittelpunkte des Gedichtes seine Beglaubi- gung findet: dazu Individualitaͤt und scheinbare Willkuͤhr, zugleich eine Aufopferung alles dessen, was die Novelle reizend macht, so daß es dem Erste Abtheilung . ungeuͤbten Auge sogar scheint, als sey eine gute Novelle im Drama nur verdorben worden. Nicht selten hat man Shakspears Lustspiele so angesehn und beurtheilt. Haͤufig aber, wenn wir vom Dramatischen sprechen, verwechseln wir dieses mit dem Theatralischen, und wiederum ein moͤg- liches besseres Theater mit unserm gegenwaͤrtigen und seiner ungeschickten Form; und in dieser Verwirrung verwerfen wir viele Gegenstaͤnde und Gedichte als unschicklich, weil sie sich frei- lich auf unsrer Buͤhne nicht ausnehmen wuͤrden. Sehn wir also ein, daß ein neues Element erst das dramatische Werk als ein solches beurkun- det, so ist wohl ohne Zweifel eine Art der Poe- sie erlaubt, welche auch das beste Theater nicht brauchen kann, sondern in der Phantasie eine Buͤhne fuͤr die Phantasie erbaut, und Compo- sitionen versucht, die vielleicht zugleich lyrisch, episch und dramatisch sind, die einen Umfang gewinnen, welcher gewissermaßen dem Roman un- tersagt ist, und sich Kuͤhnheiten aneignen, die kei- nem andern dramatischen Gedichte ziemen. Diese Buͤhne der Phantasie eroͤffnet der romantischen Dichtkunst ein großes Feld, und auf ihr duͤrfte diese Magelone und manche alte anmuthige Tra- dition sich wohl zu zeigen wagen. Ernst sagte hierauf: unter den gelehrten Ita- liaͤnern ist es eine alte hergebrachte Meinung, daß diese Geschichte, so wie wir sie jetzt als Volks- buch besitzen, die fruͤheste Uebung des Petrarka Erste Abtheilung . gewesen sey, der sie so nach einem Manuskript aus dem zwoͤlften Jahrhundert umgearbeitet habe. Die Erzaͤhlung ist so schoͤn und einfach, daß die Sache an sich selbst nicht unwahrscheinlich ist. Manfred schlug ein lautes Gelaͤchter auf, und sagte nach einiger Zeit: O vortreflich! Die Autoren, die uns den Oktavian und die Hey- monskinder in ihrer alten treuherzigen Gestalt gaben, waren gewiß auch keine Stuͤmper, und wer weiß, ob nicht einst entdeckt wird, daß un- ser Eulenspiegel nichts als eine Umwandlung des beruͤhmten verlohrenen Margites ist. Wie recht hat Wilhelm Schlegel, wenn er einmal sagt: die gebildeten Staͤnde in Deutschland haben noch keine Literatur, aber der Bauer hat sie. Denn wohl sind in diesen unscheinbaren schlecht ge- druckten Schriften fast alle Elemente der Poesie, vom Heroischen bis zum Zaͤrtlichen und hinab zum kraͤftig Komischen, ausgesprochen. Ich muß hier auf meine Verwunderung zuruͤck kommen: was meinen nehmlich nur die Herren, die mit fanatischer Vernuͤnftigkeit und Mangel alles poe- tischen Sinnes diese Buͤcher verfolgen, sie dem Bauer nehmen und Strafen auf ihre Verbrei- tung setzen? Wenn ich nicht irre, war vor eini- gen und dreißig Jahren, der gute alte Buͤsching der erste, welcher auf diesen Krieg antrug; seine Stimme wurde damals nicht gehoͤrt, jetzt aber dringt seine gut gemeinte Thorheit durch, zu ei- ner Zeit, wo man sich doch zugleich bemuͤht, Pa- Erste Abtheilung . triotismus und die alten verstorbenen Tugenden, die den Aufgeklaͤrteren ja auch nur Aberglaube waren, wieder aufzupflanzen. Ich moͤchte mir doch nur das Boͤse nennen und aufzeigen lassen, welches diese unschuldigen Poesien schon hervor- gebracht haben. Oder haͤtten diese Herren diese Buͤcher vielleicht gar nicht gelesen? Der Druck ist nicht der beste, die Vignetten sind nicht in punktirter Manier, auch hat sich weder Petrarka noch ein andrer beruͤhmter Name bei ihrer Her- ausgabe genannt, und das ist freilich verdaͤchtig genug. Sollten denn wirklich etwa die paar freien Spaͤße im Eulenspiegel und den Schild- buͤrgern die Nation verderben koͤnnen? Wird man denn die Schenken verschließen, oder einen Polizeiwaͤchter hinein setzen, der jeden nicht sitt- lichen Spaß eines lustigen Bruders aufzeichnet und der Behoͤrde einreicht? Oder hofft man wirklich durch das alberne moralische Gewaͤsch, welches sie jetzt als Volksbuͤcher drucken lassen, von gutgearteten Gatten und saubern Kindern, Birnenmost, Giftkraͤutern und Wohlthaͤtigkeit, die niederen Staͤnde so tief in die edle Gesinnung hin- ein und unterzutauchen, daß keiner mehr eine Zwei- oder Eindeutigkeit spricht und denkt? O der glorreichen Ausscht in das kuͤnftige Jahr- hundert! Suchte man nur etwa, sagte Wilibald, die astrologischen und Zauberbuͤcher, deren es noch hie und da, aber auch nur selten giebt, zu verban- Erste Abtheilung . nen, so haͤtte die Sache Sinn, aber so ist sie freilich eine Erscheinung, die im grellsten Wider- spruche mit der Zeit steht, die dieselben verfolg- ten Buͤcher zu achten und zu studiren anfaͤngt. Im Gegentheil, fuhr Ernst fort, sollten wir dem gemeinen Manne nicht nur diese Poesien lassen, sondern ihm auch eine ihm verstaͤndliche Bearbeitung der Niebelungen und der Helden- buͤcher in die Haͤnde zu spielen suchen, damit er sich vor der weichlichen leeren Leserei bewahre, die auch ihn zu ergreifen und auszuhoͤhlen droht. Der Spanier hat, zu unsrer Beschaͤmung, eine hoͤchst wohlfeile Ausgabe seines vortrefflichen Don Quixote, mit schlechten Holzschnitten und auf grobem Papier. Aber bei uns ist es kei- nem, auch in der ersten Begeisterung eingefallen, dem deutschen Bauer etwa den Goͤtz von Berli- chingen so anzubieten. Ließe man doch uͤberhaupt das Bewachen des Volks, und lernte es erst ken- nen, waͤre dann selber erzogen, um andre zu er- ziehn, und suchte nicht eine falsche, schwaͤchliche Bildung Nationen aufzupraͤgen. Mit Verlaub, sagte Theodor, daß ich die- sen Diskurs unterbreche, es wird sonst Mitter- nacht, ehe wir unsre Vorlesungen geendigt haben. Er fing an. Erste Abtheilung . Die Elfen . W o ist denn die Marie, unser Kind? fragte der Vater. Sie spielt draußen auf dem gruͤnen Platze, antwortete die Mutter, mit dem Sohne unsers Nachbars. Daß sie sich nicht verlaufen, sagte der Vater besorgt; sie sind unbesonnen. Die Mutter sah nach den Kleinen und brachte ihnen ihr Vesperbrodt. Es ist heiß! sagte der Bur- sche, und das kleine Maͤdchen langte begierig nach den rothen Kirschen. Seid nur vorsichtig, Kinder, sprach die Mutter, lauft nicht zu weit vom Hause, oder in den Wald hinein, ich und der Vater gehn aufs Feld hinaus. Der junge Andres antwortete: o, sey ohne Sorge, denn vor dem Walde fuͤrch- ten wir uns, wir bleiben hier beim Hause sitzen, wo Menschen in der Naͤhe sind. Die Mutter ging und kam bald mit dem Va- ter wieder heraus. Sie verschlossen ihre Wohnung und wandten sich nach dem Felde, um nach den Knechten und zugleich auf der Wiese nach der Heu- ernte zu sehn. Ihr Haus lag auf einer kleinen gruͤnen Anhoͤhe, von einem zierlichen Stakete um- geben, welches auch ihren Frucht- und Blumen- garten umschloß; das Dorf zog sich etwas tiefer hinun- Die Elfen . hinunter, und jenseit erhob sich das graͤfliche Schloß. Martin hatte von der Herrschaft das große Gut gepachtet, und lebte mit seiner Frau und seinem ein- zigen Kinde vergnuͤgt, denn er legte jaͤhrlich zuruͤck, und hatte die Aussicht durch Thaͤtigkeit ein ver- moͤgender Mann zu werden, da der Boden ergie- big war und der Graf ihn nicht druͤckte. Indem er mit seiner Frau nach seinen Feldern ging, schaute er froͤlich um sich, und sagte: wie ist doch die Gegend hier so ganz anders, Brigitte, als diejenige, in der wir sonst wohnten. Hier ist es so gruͤn, das ganze Dorf prangt von dichtge- draͤngten Obstbaͤumen, der Boden ist voll schoͤner Kraͤuter und Blumen, alle Haͤuser sind munter und reinlich, die Einwohner wohlhabend, ja mir duͤnkt, die Waͤlder hier sind schoͤner und der Him- mel blauer, und so weit nur das Auge reicht, sieht man seine Lust und Freude an der freigebi- gen Natur. So wie man nur, sagte Brigitte, dort jenseit des Flusses ist, so befindet man sich wie auf einer andern Erde, alles so traurig und duͤrr; jeder Rei- sende behauptet aber auch, daß unser Dorf weit und breit in der Runde das schoͤnste sey. Bis auf jenen Tannengrund, erwiederte der Mann; schau einmal dorthin zuruͤck, wie schwarz und traurig der abgelegene Fleck in der ganzen hei- tern Umgebung liegt; hinter den dunkeln Tannen- baͤumen die rauchige Huͤtte, die verfallenen Staͤlle, der schwermuͤthig voruͤber fließende Bach. Es ist wahr sagte die Frau, indem beide still I. [ 26 ] Erste Abtheilung . standen, so oft man sich jenem Platze nur naͤhert, wird man traurig und beaͤngstigt, man weiß selbst nicht warum. Wer nur die Menschen eigentlich seyn moͤgen, die dort wohnen, und warum sie sich doch nur so von allen in der Gemeinde entfernt halten, als wenn sie kein gutes Gewissen haͤtten. Armes Gesindel, erwiederte der junge Pach- ter, dem Anschein nach Zigeunervolk, die in der Ferne rauben und betruͤgen, und hier vielleicht ih- ren Schlumpfwinkel haben. Mich wundert nur, daß die gnaͤdige Herrschaft sie duldet. Es koͤnnen auch wohl, sagte die Frau weich- muͤthig, arme Leute seyn, die sich ihrer Armuth schaͤmen, denn man kann ihnen doch eben nichts Boͤses nachsagen, nur ist es bedenklich, daß sie sich nicht zur Kirche halten, und man auch eigent- lich nicht weiß wovon sie leben, denn der kleine Garten, der noch dazu ganz wuͤst zu liegen scheint, kann sie unmoͤglich erhalten, und Felder haben sie nicht. Weiß der liebe Gott, fuhr Martin fort, in- dem sie weiter gingen, was sie treiben moͤgen, kommt doch auch kein Mensch zu ihnen, denn der Ort wo sie wohnen ist ja wie verbannt und ver- hext, so daß sich auch die vorwitzigsten Bursche nicht hingetrauen. Dieses Gespraͤch setzen sie fort, indem sie sich in das Feld wandten. Jene finstre Gegend, von welcher sie sprachen, lag abseits vom Dorfe. In einer Vertiefung, welche Tannen umgaben, zeigte sich eine Huͤtte und verschiedene fast zertruͤmmerte Die Elfen . Wirthschaftsgebaͤude, nur selten sah man Rauch dort aufsteigen, noch seltener wurde man Men- schen gewahr; jezuweilen hatten Neugierige, die sich etwas naͤher gewagt, auf der Bank vor der Huͤtte einige abscheuliche Weiber in zerlumptem Anzuge wahrgenommen, auf deren Schooß eben so haͤß- liche und schmutzige Kinder sich waͤlzten; schwarze Hunde liefen vor dem Reviere, in Abendstunden ging wohl ein ungeheurer Mann, den Niemand kannte, uͤber den Steg des Baches und verlor sich in die Huͤtte hinein; dann sah man in der Finsterniß sich verschiedene Gestalten, wie Schatten um ein laͤndliches Feuer bewegen. Dieser Grund, die Tannen und die verfallene Huͤtte machten wirk- lich in der heitern gruͤnen Landschaft, gegen die weißen Haͤuser des Dorfes und gegen das praͤchtige neue Schloß den sonderbarsten Abstich. Die beiden Kinder hatten jetzt die Fruͤchte ver- zehrt; sie verfielen darauf, in die Wette zu laufen, und die kleine behende Marie gewann dem lang- sameren Andres immer den Vorsprung ab. So ist es keine Kunst! rief dieser endlich aus; aber laß es uns einmal in die Weite versuchen, dann wol- len wir sehen, wer gewinnt! Wie du willst, sagte die Kleine, nur nach dem Strome duͤrfen wir nicht laufen. Nein, erwiederte Andres, aber dort auf jenem Huͤgel steht der große Birnbaum, eine Viertelstunde von hier, ich laufe hier links um den Tannengrund vorbei, du kannst rechts in das Feld hinein rennen, daß wir nicht eher als oben Erste Abtheilung . wieder zusammen kommen, so sehn wir dann, wer der beste ist. Gut, sagte Marie, und fing schon an zu laufen, so hindern wir uns auch nicht auf demsel- ben Wege, und der Vater sagt ja, es sei zum Huͤgel hinauf gleich weit, ob man disseits, ob man jenseits der Zigeunerwohnung geht. Andres war schon vorangesprungen und Ma- rie, die sich rechts wandte, sah ihn nicht mehr. Er ist eigentlich dumm, sagte sie zu sich selbst, denn ich duͤrfte nur den Muth fassen, uͤber den Steg, bei der Huͤtte vorbei, und druͤben wieder uͤber den Hof hinaus zu laufen, so kaͤme ich gewiß viel fruͤher an. Schon stand sie vor dem Bache und dem Tannenhuͤgel. Soll ich? Nein, es ist doch zu schrecklich, sagte sie. Ein kleines weißes Huͤndchen stand jenseit und bellte aus Leibeskraͤf- ten. Im Erschrecken kam das Thier ihr wie ein Ungeheuer vor, und sie sprang zuruͤck. O weh! sagte sie, nun ist der Bengel weit voraus, weil ich hier steh und uͤberlege. Das Huͤndchen bellte immer fort, und da sie es genauer betrachtete, kam es ihr nicht mehr fuͤrchterlich, sondern im Ge- gentheil ganz allerliebst vor: es hatte ein rothes Halsband um, mit einer glaͤnzenden Schelle, und so wie es den Kopf hob und sich im Bellen schuͤt- telte, erklang die Schelle aͤußerst lieblich. Ei! es will nur gewagt seyn! rief die kleine Marie, ich renne was ich kann, und bin schnell, schnell jen- seit wieder hinaus, sie koͤnnen mich doch eben nicht gleich von der Erde weg auffressen! Somit sprang Die Elfen . das muntere muthige Kind auf den Steg, rasch an den kleinen Hund voruͤber, der still ward und sich an ihr schmeichelte, und nun stand sie im Grunde, und rund umher verdeckten die schwarzen Tannen die Aussicht nach ihrem elterlichen Hause und der uͤbrigen Landschaft. Aber wie war sie verwundert. Der bunteste, froͤhlichste Blumengarten umgab sie, in welchem Tulpen, Rosen und Lilien mit den herrlichsten Far- ben leuchteten, blaue und goldrothe Schmetterlinge wiegten sich in den Bluͤten, in Kaͤfigen aus glaͤn- zendem Drath hingen an den Spalieren vielfar- bige Voͤgel, die herrliche Lieder sangen, und Kin- der in weißen kurzen Roͤckchen, mit gelockten gel- ben Haaren und hellen Augen, sprangen umher, einige spielten mit kleinen Laͤmmern, andere fuͤt- terten die Voͤgel, oder sie sammelten Blumen und schenkten sie einander, andere wieder aßen Kirschen, Weintrauben und roͤthliche Aprikosen. Keine Huͤtte war zu sehn, aber wohl stand ein großes schoͤnes Haus mit eherner Thuͤr und erha- benem Bildwerk leuchtend in der Mitte des Rau- mes. Marie war vor Erstaunen außer sich und wußte sich nicht zu finden, da sie aber nicht bloͤde war, ging sie gleich zum ersten Kinde, reichte ihm die Hand und bot ihm guten Tag. Kommst du uns auch einmal zu besuchen? sagte das glaͤnzende Kind; ich habe dich draußen rennen und springen sehn, aber vor unserm Huͤndchen hast du dich ge- fuͤrchtet. — So seid ihr wohl keine Zigeuner und Spitzbuben, sagte Marie, wie Andres immer Erste Abtheilung . spricht? O freilich ist der nur dumm, und redet viel in den Tag hinein. — Bleib nur bei uns, sagte die wunderbare Kleine, es soll dir schon ge- fallen. — Aber wir laufen ja in die Wette. — Zu ihm kommst du noch fruͤh genug zuruͤck. Da nimm, und iß! — Marie aß, und fand die Fruͤchte so suͤß, wie sie noch keine geschmeckt hatte, und An- dres, der Wettlauf, und das Verbot ihrer Eltern waren gaͤnzlich vergessen. Eine große Frau: in glaͤnzendem Kleide trat her- zu, und fragte nach dem fremden Kinde. Schoͤnste Dame, sagte Marie, von ohngefaͤhr bin ich her- ein gelaufen, und da wollen sie mich hier behalten. Du weißt, Zerina, sagte die Schoͤne, daß es ihr nur kurze Zeit erlaubt ist, auch haͤttest du mich erst fragen sollen. Ich dachte, sagte das glaͤnzende Kind, weil sie doch schon uͤber die Bruͤcke gelassen war, koͤnnt ich es thun; auch haben wir sie ja oft im Felde laufen sehn, und du hast dich selber uͤber ihr muntres Wesen gefreut; wird sie uns doch fruͤh genug verlassen muͤssen. Nein, ich will hier bleiben, sagte die Fremde, denn hier ist es schoͤn, auch finde ich hier das beste Spielzeug und dazu Erdbeeren und Kirschen, drau- ßen ist es nicht so herrlich. Die goldbekleidete Frau entfernte sich laͤchelnd, und viele von den Kindern sprangen jetzt um die froͤhliche Marie mit Lachen her, neckten sie und ermunterten sie zu Taͤnzen, andre brachten ihr Laͤm- mer oder wunderbares Spielgeraͤth, andre machten auf Instrumenten Musik und sangen dazu. Am Die Elfen . liebsten aber hielt sie sich zu der Gespielin, die ihr zuerst entgegen gegangen war, denn sie war die freundlichste und holdseligste von allen. Die kleine Marie rief einmal uͤber das andre: ich will immer bei euch bleiben und ihr sollt meine Schwestern seyn, woruͤber alle Kinder lachten und sie umarm- ten. Jetzt wollen wir ein schoͤnes Spiel machen, sagte Zerina. Sie lief eilig in den Pallast und kam mit einem goldenen Schaͤchtelchen zuruͤck, in welchem sich glaͤnzender Saamenstaub befand. Sie faßte mit den kleinen Fingern, und streute einige Koͤrner auf den gruͤnen Boden. Alsbald sah man das Gras wie in Wogen rauschen, und nach we- nigen Augenblicken schlugen glaͤnzende Rosengebuͤ- sche aus der Erde, wuchsen schnell empor und ent- falteten sich ploͤtzlich, indem der suͤßeste Wohlge- ruch den Raum erfuͤllte. Auch Maria faßte von dem Staube, und als sie ihn ausgestreut hatte, tauchten weiße Lilien und die buntesten Nelken her- vor. Auf einen Wink Zerinas verschwanden die Blumen wieder und andre erschienen an ihrer Stelle. Jetzt, sagte Zerina, mache dich auf etwas Groͤße- res gefaßt. Sie legte zwei Pinienkoͤrner in den Boden und stampfte sie heftig mit dem Fuße ein. Zwei gruͤne Straͤucher standen vor ihnen. Fasse dich fest mit mir, sagte sie, und Marie schlang die Arme um den zarten Leib. Da fuͤhlte sie sich em- por gehoben, denn die Baͤume wuchsen unter ihnen mit der groͤßten Schnelligkeit; die hohen Pinien bewegten sich und die beiden Kinder hielten sich hin und wieder schwebend in den rothen Abendwolken Erste Abtheilung . umarmt und kuͤßten sich; die andern Kleinen klet- terten mit behender Geschicklichkeit an den Staͤm- men der Baͤume auf und nieder, und stießen und neckten sich, wenn sie sich begegneten, unter lau- tem Gelaͤchter. Stuͤrzte eins der Kinder im Ge- draͤnge hinunter, so flog es durch die Luft und senkte sich langsam und sicher zur Erde hinab. Endlich fuͤrchtete sich Marie; die andre Kleine sang einige laute Toͤne, und die Baͤume versenkten sich wieder eben so allgemach in den Boden, und setzten sie nieder, als sie sich erst in die Wolken geho- ben hatten. Sie gingen durch die erzene Thuͤr des Pal- lastes. Da saßen viele schoͤne Frauen umher, aͤl- tere und junge, im runden Saal, sie genossen die lieblichsten Fruͤchte, und eine herrliche unsichtbare Musik erklang. In der Woͤlbung der Decke wa- ren Palmen, Blumen und Laubwerk gemahlt, zwi- schen denen Kinderfiguren in den anmuthigsten Stel- lungen kletterten und schaukelten; nach den Toͤnen der Musik verwandelten sich die Bildnisse und gluͤh- ten in den brennendsten Farben, bald war das Gruͤne und Blaue wie helles Licht funkelnd, dann sank die Farbe erblassend zuruͤck, der Purpur flammte auf und das Gold entzuͤndete sich; dann schienen die nackten Kinder in den Blumengewinden zu leben, und mit den rubinrothen Lippen den Athem einzu- ziehn und auszuhauchen, so daß man wechselnd den Glanz der weißen Zaͤhnchen wahrnahm, so wie das Aufleuchten der himmelblauen Augen. Aus dem Saale fuͤhrten eherne Stufen in ein Die Elfen . großes unterirdisches Gemach. Hier lag viel Gold und Silber, und Edelsteine von allen Farben fun- kelten dazwischen. Wundersame Gefaͤße standen an den Waͤnden umher, alle schienen mit Kostbarkeiten angefuͤllt. Das Gold war in mannichfaltigen Ge- stalten gearbeitet und schimmerte mit der freund- lichsten Roͤthe. Viele kleine Zwerge waren beschaͤf- tigt, die Stuͤcke auseinander zu suchen und sie in die Gefaͤße zu legen; andre, hoͤckricht und krummbeinicht, mit langen rothen Nasen, trugen schwer und vorn uͤber gebuͤckt Saͤcke herein, so wie die Muͤller Getraide, und schuͤtteten die Gold- koͤrner keuchend auf dem Boden aus. Dann spran- gen sie ungeschickt rechts und links, und griffen die rollenden Kugeln, die sich verlaufen wollten, und es geschah nicht selten, daß einer den andern im Eifer umstieß, so daß sie schwer und toͤlpisch zur Erde fielen. Sie machten verdruͤßliche Gesich- ter und sahen scheel, als Marie uͤber ihre Geber- den und Haͤßlichkeit lachte. Hinten saß ein alter eingeschrumpfter kleiner Mann, welchen Zerina ehr- erbietig gruͤßte, und der nur mit ernstem Kopf- nicken dankte. Er hielt ein Zepter in der Hand und trug eine Krone auf dem Haupte, alle uͤbri- gen Zwerge schienen ihn fuͤr ihren Herren anzuer- kennen und seinen Winken zu gehorchen. Was giebts wieder? fragte er muͤrrisch, als die Kinder ihm etwas naͤher kamen. Marie schwieg furcht- sam, aber ihre Gespielin antwortete, daß sie nur gekommen seyen, sich in den Kammern umzuschauen. Immer die alten Kindereien! sagte der Alte; wird Erste Abtheilung . der Muͤßiggang nie aufhoͤren? Darauf wandte er sich wieder an sein Geschaͤft und ließ die Gold- stuͤcke waͤgen und aussuchen; andre Zwerge schickte er fort, manchen schalt er zornig. Wer ist der Herr? fragte Maria; unser Metallfuͤrst, sagte die Kleine, indem sie weiter gingen. Sie schienen sich wieder im Freien zu befin- den, denn sie standen an einem großen Teiche, aber doch schien keine Sonne, und sie sahen keinen Himmel uͤber sich. Ein kleiner Nachen empfing sie, und Zerina ruderte sehr aͤmsig. Die Fahrt ging schnell. Als sie in die Mitte des Teiches gekom- men waren, sah Marie, daß tausend Roͤhren, Ca- naͤle und Baͤche sich aus dem kleinen See nach al- len Richtungen verbreiteten. Diese Wasser rechts, sagte das glaͤnzende Kind, fließen unter euren Gar- ten hinab, davon bluͤht dort alles so frisch; von hier koͤmmt man in den großen Strom hinunter. Ploͤtzlich kamen aus allen Canaͤlen und aus dem See unendlich viele Kinder auftauchend angeschwommen, viele trugen Kraͤnze von Schilf und Wasserlilien, andre hielten rothe Carallenzacken, und wieder an- dre bliesen auf krummen Muscheln; ein verworre- nes Getoͤse schallte lustig von den dunkeln Ufern wieder; zwischen den Kleinen bewegten sich schwim- mend die schoͤnsten Frauen, und oft sprangen viele Kinder zu der einen oder der andern, und hingen ihnen mit Kuͤssen um Hals und Nacken. Alle be- gruͤßten die Fremde; zwischen diesem Getuͤmmel hindurch fuhren sie aus dem See in einen kleinen Fluß hinein, der immer enger und enger ward. Die Elfen . Endlich stand der Nachen. Man nahm Abschied und Zerina klopfte an den Felsen. Wie eine Thuͤr that sich dieser von einander, und eine ganz rothe weibliche Gestalt half ihnen aussteigen. Geht es recht lustig zu? fragte Zerina. Sie sind eben in Thaͤtigkeit, antwortete jene, und so freudig, wie man sie nur sehn kann, aber die Waͤrme ist auch aͤußerst angenehm. Sie stiegen eine Wendeltreppe hinauf, und ploͤtzlich sah sich Marie in dem glaͤnzendsten Saal, so daß beim Eintreten ihre Augen vom hellen Lichte geblendet waren. Feuerrothe Tapeten bedeckten mit Purpurgluth die Waͤnde, und als sich das Auge etwas gewoͤhnt hatte, sah sie zu ihrem Erstaunen, wie im Teppich sich Figuren tanzend auf und nie- der in der groͤßten Freude bewegten, die so lieblich gebaut und von so schoͤnen Verhaͤltnissen waren, daß man nichts Anmuthigeres sehn konnte; ihr Koͤrper war wie von roͤthlichem Kristall, so daß es schien, als floͤsse und spielte in ihnen sichtbar das bewegte Blut. Sie lachten das fremde Kind an, und begruͤßten es mit verschiedenen Beugungen; aber als Marie naͤher gehen wollte, hielt sie Ze- rina ploͤtzlich mit Gewalt zuruͤck, und rief: du ver- brennst dich, Mariechen, denn alles ist Feuer! Marie fuͤhlte die Hitze. Warum kommen nur, sagte sie, die allerliebsten Creaturen nicht zu uns heraus, und spielen mit uns? Wie du in der Luft lebst, sagte jene, so muͤssen sie immer im Feuer bleiben, und wuͤrden hier draußen verschmachten. Sieh nur, wie ihnen wohl ist, wie sie lachen und Erste Abtheilung . kreischen; jene dort unten verbreiten die Feuerfluͤsse von allen Seiten unter der Erde hin, davon wachsen nun die Blumen, die Fruͤchte und der Wein; die rothen Stroͤme gehn neben den Wasser- baͤchen, und so sind die flammigen Wesen immer thaͤtig und freudig. Aber dir ist es hier zu heiß, wir wollen wieder hinaus in den Garten gehn. Hier hatte sich die Scene verwandelt. Der Mondschein lag auf allen Blumen, die Voͤgel wa- ren still und die Kinder schliefen in mannigfaltigen Gruppen in den gruͤnen Lauben. Marie und ihre Freundin fuͤhlten aber keine Muͤdigkeit, sondern lustwandelten in der warmen Sommernacht unter vielerlei Gespraͤchen bis zum Morgen. Als der Tag anbrach, erquickten sie sich an Fruͤchten und Milch, und Marie sagte: laß uns doch zur Abwechselung einmal nach den Tannen hinaus gehn, wie es dort aussehen mag. Gern, sagte Zerina, so kannst du auch zugleich dorten unsre Schildwachten besuchen, die dir gewiß gefal- len werden, sie stehn oben auf dem Walle zwischen den Baͤumen. Sie gingen durch die Blumengaͤr- ten, durch anmuthige Haine voller Nachtigallen, dann stiegen sie uͤber Rebenhuͤgel, und kamen end- lich, nachdem sie lange den Windungen eines kla- ren Baches nachgefolgt waren, zu den Tannen und der Erhoͤhung, welche das Gebiet begraͤnzte. Wie kommt es nur, fragte Marie, daß wir hier inner- halb so weit zu gehn haben, da doch draußen der Umkreis nur so klein ist? Ich weiß nicht, ant- wortete die Freundin, wie es zugeht, aber es ist so. Die Elfen . Sie stiegen zu den finstern Tannen hinauf, und ein kalter Wind wehte ihnen von draußen entge- gen; ein Nebel schien weit umher auf der Land- schaft zu liegen. Oben standen wunderliche Gestal- ten, mit mehligen bestaͤubten Angesichtern, den widerlichen Haͤuptern der weißen Eulen nicht un- aͤhnlich; sie waren in faltigen Maͤnteln von zotti- ger Wolle gekleidet, und hielten Regenschirme von seltsamen Haͤuten ausgespannt uͤber sich; mit Fle- dermausfluͤgeln, die abentheuerlich neben dem Rok- kelor hervor starrten, wehten und faͤchelten sie un- ablaͤssig. Ich moͤchte lachen und mir graut, sagte Marie. Diese sind unsre guten fleißigen Waͤchter, sagte die kleine Gespielin, sie stehen hier und we- hen, damit jeden kalte Angst und wundersames Fuͤrchten befaͤllt, der sich uns naͤhern will; sie sind aber so bedeckt, weil es jetzt draußen regnet und friert, was sie nicht vertragen koͤnnen. Hier un- ten kommt niemals Schnee und Wind, noch kalte Luft her, hier ist ein ewiger Sommer und Fruͤh- ling, doch wenn die da oben nicht oft abgeloͤst wuͤr- den, so vergingen sie gar. Aber wer seid ihr denn, fragte Marie, indem sie wieder in die Blumenduͤfte hinunter stiegen, oder habt ihr keinen Namen, woran man euch erkennt? Wir heißen Elfen, sagte das freundliche Kind, man spricht auch wohl in der Welt von uns, wie ich gehoͤrt habe. Sie hoͤrten auf der Wiese ein großes Ge- tuͤmmel. Der schoͤne Vogel ist angekommen! rie- Erste Abtheilung . fen ihnen die Kinder entgegen; alles eilte in den Saal. Sie sahen indem schon, wie Jung und Alt sich uͤber die Schwelle draͤngte, alle jauchzten und von innen scholl eine jubilirende Musik heraus. Als sie hinein getreten waren, sahen sie die große Rundung von den mannigfaltigsten Gestalten ange- fuͤllt, und alle schauten nach einem großen Vogel hinauf, der in der Kuppel mit glaͤnzendem Gefie- der langsam fliegend vielfache Kreise beschrieb. Die Musik klang froͤhlicher als sonst, die Farben und Lichter wechselten schneller. Endlich schwieg die Musik, und der Vogel schwang sich rauschend auf eine glaͤnzende Krone, die unter dem hohen Fenster schwebte, welches von oben die Woͤlbung erleuch- tete. Sein Gefieder war purpurn und gruͤn, durch welches sich die glaͤnzendsten goldenen Streifen zo- gen, auf seinem Haupte bewegte sich ein Diadem von so hellleuchtenden kleinen Federn, daß sie wie Edelgesteine blitzten. Der Schnabel war roth und die Beine glaͤnzend blau. Wie er sich regte, schim- merten alle Farben durcheinander, und das Auge war entzuͤckt. Seine Groͤße war die eines Adlers. Aber jetzt eroͤffnete er den leuchtenden Schnabel, und so suͤße Melodie quoll aus seiner bewegten Brust, in schoͤnern Toͤnen, als die der liebesbruͤn- stigen Nachtigall; maͤchtiger zog der Gesang und goß sich wie Lichtstrahlen aus, so daß alle, bis auf die kleinsten Kinder selbst, vor Freuden und Entzuͤckungen weinen mußten. Als er geendigt hatte, neigten sich alle vor ihm, er umflog wieder in Kreisen die Woͤlbung, schoß dann durch die Die Elfen . Thuͤr und schwang sich in den lichten Himmel, wo er oben bald nur noch wie ein rother Punkt er- glaͤnzte und sich den Augen dann schnell verlor. Warum seid ihr alle so in Freude? fragte Marie, und neigte sich zum schoͤnen Kinde, das ihr kleiner als gestern vorkam. Der Koͤnig kommt! sagte die Kleine, den haben viele von uns noch gar nicht gesehn, und wo er sich hinwendet ist Gluͤck und Froͤhlichkeit; wir haben schon lange auf ihn gehofft, sehnlicher, als ihr nach langem Win- ter auf den Fruͤhling wartet, und nun hat er durch diesen schoͤnen Bothschafter seine Ankunft melden lassen. Dieser herrliche und verstaͤndige Vogel, der im Dienst des Koͤniges gesandt wird, heißt Phoͤ- nix, er wohnt fern in Arabien auf einem Baum, der nur einmal in der Welt ist, so wie es auch keinen zweiten Phoͤnix giebt. Wenn er sich alt fuͤhlt, traͤgt er aus Balsam und Weihrauch ein Nest zusammen, zuͤndet es an und verbrennt sich selbst, so stirbt er singend, und aus der duftenden Asche schwingt sich dann der verjuͤngte Phoͤnix mit neuer Schoͤnheit wieder auf. Selten nur nimmt er seinen Flug so, daß ihn die Menschen sehn, und geschieht es einmal in Jahrhunderten, so zeich- nen sie es in ihre Denkbuͤcher auf, und erwar- ten wundervolle Begebenheiten. Aber nun, meine Freundin, wirst du auch scheiden muͤssen, denn der Anblick des Koͤniges ist dir nicht vergoͤnnt. Da wandelte die goldbekleidete schoͤne Frau durch das Gedraͤnge, winkte Marien zu sich und ging mit ihr unter einen einsamen Laubengang; Erste Abtheilung . du mußt uns verlassen, mein geliebtes Kind, sagte sie; der Koͤnig will auf zwanzig Jahr, und viel- leicht auf laͤnger, sein Hoflager hier halten, nun wird sich Fruchtbarkeit und Seegen weit in die Landschaft verbreiten, am meisten hier in der Naͤhe; alle Brunnen und Baͤche werden ergiebiger, alle Aecker und Gaͤrten reicher, der Wein edler, die Wiese fetter und der Wald frischer und gruͤner; mildere Luft weht, kein Hagel schadet, keine Ue- berschwemmung droht. Nimm diesen Ring und gedenke unser, doch huͤte dich, irgend wem von uns zu erzaͤhlen, sonst muͤssen wir diese Gegend fliehen, und alle umher so wie du selbst entbehren dann das Gluͤck und die Seegnung unsrer Naͤhe: noch einmal kuͤsse deine Gespielin und lebe wohl. Sie traten heraus, Zerina weinte, Marie buͤckte sich, sie zu umarmen, sie trennten sich. Schon stand sie auf der schmalen Bruͤcke, die kalte Luft wehte hinter ihr aus den Tannen, das Huͤndchen bellte auf das herzhafteste und ließ sein Gloͤckchen ertoͤ- nen; sie sah zuruͤck und eilte in das Freie, weil die Dunkelheit der Tannen, die Schwaͤrze der ver- fallenen Huͤtten, die daͤmmernden Schatten sie mit aͤngstlicher Furcht befielen. Wie werden sich meine Eltern meinethalb in dieser Nacht geaͤngstigt haben! sagte sie zu sich selbst, als sie auf dem Felde stand, und ich darf ihnen doch nicht erzaͤhlen, wo ich gewesen bin und was ich gesehn habe, auch wuͤrden sie mir nimmer- mehr glauben. Zwei Maͤnner gingen an ihr vor- uͤber, die sie gruͤßten, und sie hoͤrte hinter sich sagen: das Die Elfen . das ist ein schoͤnes Maͤdchen! Wo mag sie nur her seyn? Mit eiligeren Schritten naͤherte sie sich dem elterlichen Hause, aber die Baͤume, die gestern voller Fruͤchte hingen, standen heute duͤrr und ohne Laub, das Haus war anders angestrichen, und eine neue Scheune daneben erbaut. Marie war in Verwunderung, und dachte, sie sey im Traum: in dieser Verwirrung oͤffnete sie die Thuͤr des Hau- ses, und hinter dem Tische saß ihr Vater zwischen einer unbekannten Frau und einem fremden Juͤng- ling. Mein Gott, Vater! rief sie aus, wo ist denn die Mutter? — die Mutter? sprach die Frau ahndend, und stuͤrzte hervor; ei, du bist doch wohl nicht, — ja freilich, freilich bist du die verlorene, die todt geglaubte, die liebe einzige Marie! Sie hatte sie gleich an einem kleinen braunen Mahle unter dem Kinn, an den Augen und der Gestalt erkannt. Alle umarmten sie, alle waren freudig bewegt, und die Eltern vergossen Thraͤnen. Ma- rie verwunderte sich, daß sie fast zum Vater hin- auf reichte, sie begriff nicht, wie die Mutter so veraͤndert und geaͤltert seyn konnte, sie fragte nach dem Namen des jungen Menschen. Es ist ja un- sers Nachbars Andres, sagte Martin, wie kommst du nur nach sieben langen Jahren so unvermuther wieder? Wo bist du gewesen? Warum hast du denn gar nichts von dir hoͤren lassen? — Sieben Jahr? sagte Marie, und konnte sich in ihren Vor- stellungen und Erinnerungen nicht wieder zurecht finden; sieben ganzer Jahre? Ja, ja, sagte An- dres lachend, und schuͤttelte ihr treuherzig die Hand; I. [ 27 ] Erste Abtheilung . ich habe gewonnen, Mariechen, ich bin schon vor sieben Jahren an dem Birnbaum und wieder hie- her zuruͤck gewesen, und du Langsame, kommst nun heut erst an! Man fragte von neuem, man drang in sie, doch sie, des Verbotes eingedenk, konnte keine Antwort geben. Man legte ihr fast die Erzaͤhlung in den Mund, daß sie sich verirrt habe, auf einen vorbeifahrenden Wagen genommen, und an einen fremden fernen Ort gebracht sey, wo sie den Leu- ten den Wohnsitz ihrer Eltern nicht habe bezeich- nen koͤnnen; wie man sie nachher nach einer weit entlegenen Stadt gebracht habe, wo gute Men- schen sie erzogen und geliebt; wie diese nun gestor- ben, und sie sich endlich wieder auf ihre Geburts- gegend besonnen, eine Gelegenheit zur Reise er- griffen habe und so zuruͤck gekehrt sey. Laßt alles gut seyn, rief die Mutter; genug, daß wir dich nur wieder haben, mein Toͤchterchen, du meine Einzige, mein Alles! Andres blieb zum Abendbrod, und Marie konnte sich noch in nichts finden. Das Haus duͤnkte ihr klein und finster, sie verwunderte sich uͤber ihre Tracht, die reinlich und einfach, aber ganz fremd erschien; sie betrachtete den Ring am Finger, des- sen Gold wundersam glaͤnzte und einen roth bren- nenden Stein kuͤnstlich einfaßte. Auf die Frage des Vaters antwortete sie, daß der Ring ebenfalls ein Geschenk ihrer Wohlthaͤter sey. Sie freute sich auf die Schlafenszeit, und eilte zur Ruhe. Am andern Morgen fuͤhlte sie sich be- Die Elfen . sonnener, sie hatte ihre Vorstellungen mehr geord- net, und konnte den Leuten aus dem Dorfe, die alle sie zu begruͤßen kamen, besser Red und Ant- wort geben. Andres war schon mit dem Fruͤhe- sten wieder da, und zeigte sich aͤußerst geschaͤftig, erfreut und dienstfertig. Das funfzehnjaͤhrige auf- gebluͤhte Maͤdchen hatte ihm einen tiefen Eindruck gemacht, und die Nacht war ihm ohne Schlaf vergangen. Die Herrschaft ließ Marien auf das Schloß fordern, sie mußte hier wieder ihre Ge- schichte erzaͤhlen, die ihr nun schon gelaͤufig gewor- den war; der alte Herr und die gnaͤdige Frau be- wunderten ihre gute Erziehung, denn sie war be- scheiden, ohne verlegen zu seyn, sie antwortete hoͤflich und in guten Redensarten auf alle vorge- legten Fragen; die Furcht vor den vornehmen Men- schen und ihrer Umgebung hatte sich bei ihr verlo- ren, denn wenn sie diese Saͤle und Gestalten mit den Wundern und der hohen Schoͤnheit maß, die sie bei den Elfen im heimlichen Aufenthalt gese- hen hatte, so erschien ihr dieser irdische Glanz nur dunkel, die Gegenwart der Menschen fast ge- ringe. Die jungen Herren waren vorzuͤglich uͤber ihre Schoͤnheit entzuͤckt. Es war im Februar. Die Baͤume belaubten sich fruͤher als je, so zeitig hatte sich die Nachtigall noch niemals eingestellt, der Fruͤhling kam schoͤner in das Land, als ihn sich die aͤltesten Greise erin- nern konnten. Aller Orten thaten sich Baͤchlein hervor und traͤnkten die Wiesen und Auen; die Huͤgel schienen zu wachsen, die Rebengelaͤnder er- Erste Abtheilung . huben sich hoͤher, die Obstbaͤume bluͤhten wie nie- mals, und ein schwellender duftender Seegen hing schwer in Bluͤthenwolken uͤber der Landschaft. Al- les gedieh uͤber Erwarten, kein rauher Tag, kein Sturm beschaͤdigte die Frucht; der Wein quoll er- roͤthend in ungeheuern Trauben, und die Einwoh- ner des Ortes staunten sich an, und waren wie in einem suͤßen Traum befangen. Das folgende Jahr war eben so, aber man war schon an das Wundersame mehr gewoͤhnt. Im Herbst gab Ma- rie den dringenden Bitten des Andres und ihrer Eltern nach: sie ward seine Braut und im Winter mit ihm verheirathet. Oft dachte sie mit inniger Sehnsucht an ihren Aufenthalt hinter den Tannenbaͤumen zuruͤck; sie blieb still und ernst. So schoͤn auch alles war, was sie umgab, so kannte sie doch etwas noch Schoͤne- res, wodurch eine leise Trauer ihr Wesen zu einer sanften Schwermuth stimmte. Schmerzhaft traf es sie, wenn der Vater oder ihr Mann von den Zigeunern und Schelmen sprachen, die im finstern Grunde wohnten; oft wollte sie sie vertheidigen, die sie als die Wohlthaͤter der Gegend kannte, vor- zuͤglich gegen Andres, der eine Lust im eifrigen Schelten zu finden schien, aber sie zwang das Wort jedesmal in ihre Brust zuruͤck. So ver- lebte sie das Jahr, und im folgenden ward sie durch eine junge Tochter erfreut, welche sie El- friede nannte, indem sie dabei an den Namen der Elfen dachte. Die jungen Leute wohnten mit Martin und Die Elfen . Brigitte in demselben Hause, welches geraͤumig genug war, und halfen den Eltern die ausgebrei- tete Wirthschaft fuͤhren. Die kleine Elfriede zeigte bald besondere Faͤhigkeiten und Anlagen, denn sie lief sehr fruͤh, und konnte alles sprechen, als sie noch kein Jahr alt war; nach einigen Jahren aber war sie so klug und sinnig, und von so wunder- barer Schoͤnheit, daß alle Menschen sie mit Er- staunen betrachteten, und ihre Mutter sich nicht der Meinung erwehren konnte, sie sehe jenen glaͤn- zenden Kindern im Tannengrunde aͤhnlich. Elfriede hielt sich nicht gern zu andern Kindern, sondern vermied bis zur Aengstlichkeit ihre geraͤuschvollen Spiele, und war am liebsten allein. Dann zog sie sich in eine Ecke des Gartens zuruͤck, und las oder arbeitete eifrig am kleinen Naͤhzeuge; oft sah man sie auch wie tief in sich versunken sitzen, oder daß sie in den Gaͤngen heftig auf und nieder ging und mit sich selber sprach. Die beiden Eltern ließen sie gern gewaͤhren, weil sie gesund war und ge- dieh, nur machten sie die seltsamen verstaͤndigen Antworten oder Bemerkungen oft besorgt. So kluge Kinder, sagte die Großmutter Brigitte viel- mals, werden nicht alt, sie sind zu gut fuͤr diese Welt, auch ist das Kind uͤber die Natur schoͤn, und wird sich auf Erden nicht zurecht finden koͤnnen. Die Kleine hatte die Eigenheit, daß sie sich hoͤchst ungern bedienen ließ, alles wollte sie selber machen. Sie war fast die fruͤheste auf im Hause, und wusch sich sorgfaͤltig und kleidete sich selber an; eben so sorgsam war sie am Abend, sie ach- Erste Abtheilung . tete sehr darauf, Kleider und Waͤsche selbst einzu- packen, und durchaus Niemand, auch die Mutter nicht, uͤber ihre Sachen kommen zu lassen. Die Mutter sah ihr in diesem Eigensinne nach, weil sie sich nichts weiter dabei dachte, aber wie er- staunte sie, als sie sie an einem Feiertage, zu ei- nem Besuch auf dem Schlosse, mit Gewalt um- kleidete, so sehr sich auch die Kleine mit Geschrei und Thraͤnen dagegen wehrte, und auf ihrer Brust an einen Faden haͤngend, ein Goldstuͤck von selt- samer Form antraf, welches sie sogleich fuͤr eines von jenen erkannte, deren sie so viele in dem un- terirdischen Gewoͤlbe gesehn hatte. Die Kleine war sehr erschrocken, und gestand endlich, sie habe es im Garten gefunden, und da es ihr sehr wohlge- fallen, habe sie es so aͤmsig aufbewahrt; sie bat auch so dringend und herzlich, es ihr zu lassen, daß Marie es wieder auf derselben Stelle befestigte und voller Gedanken mit ihr stillschweigend zum Schlosse hinauf ging. Seitwaͤrts vom Hause der Pachterfamilie la- gen einige Wirthschaftsgebaͤude zur Aufbewahrung der Fruͤchte und des Feldgeraͤthes, und hinter die- sen befand sich ein Grasplatz mit einer alten Laube die aber kein Mensch jetzt besuchte, weil sie nach der neuen Einrichtung der Gebaͤude zu entfernt vom Garten war. In dieser Einsamkeit hielt sich Elfriede am liebsten auf, und es fiel Niemanden ein, sie hier zu stoͤren, so daß die Eltern oft in halben Tagen ihrer nicht ansichtig wurden. An einem Nachmittage befand sich die Mutter in den Die Elfen . Gebaͤuden, um aufzuraͤumen und eine verlorene Sache wieder zu finden, als sie wahrnahm, daß durch eine Ritze der Mauer ein Lichtstrahl in das Gemach falle. Es kam ihr der Gedanke, hindurch zu sehn, um ihr Kind zu beobachten, und es fand sich, daß ein locker gewordener Stein sich von der Seite schieben ließ, wodurch sie den Blick gerade hinein in die Laube gewann. Elfriede saß drinnen auf einem Baͤnkchen, und neben ihr die wohlbe- kannte Zerina, und beide Kinder spielten und er- goͤtzten sich in holdseliger Eintracht. Die Elfe um- armte das schoͤne Kind und sagte traurig: Ach, du liebes Wesen, so wie mit dir habe ich schon mit deiner Mutter gespielt, als sie klein war und uns besuchte, aber ihr Menschen wachst zu bald auf und werdet so schnell groß und vernuͤnftig; das ist recht betruͤbt: bliebest du doch so lange ein Kind, wie ich! Gern thaͤt ich dir den Gefallen, sagte Elfriede, aber sie meinen ja alle, ich wuͤrde bald zu Ver- stande kommen, und gar nicht mehr spielen, denn ich haͤtte rechte Anlagen, altklug zu werden. Ach! und dann seh ich dich auch nicht wieder, du liebes Zerinchen! Ja, es geht wie mit den Baumbluͤ- ten: wie herrlich der bluͤhende Apfelbaum mit seinen roͤthlichen aufgequollenen Knospen! der Baum thut so groß und breit, und jedermann, der drun- ter weg geht, meint auch, es muͤsse recht was Besonderes werden; dann kommt die Sonne, die Bluͤte geht so leutselig auf, und da steckt schon der boͤse Kern drunter, der nachher den bunten Erste Abtheilung . Putz verdraͤngt und hinunter wirft; nun kann er sich geaͤngstigt und aufwachsend nicht mehr helfen, er muß im Herbst zur Frucht werden. Wohl ist ein Apfel auch lieb und erfreulich, aber doch nichts gegen die Fruͤhlingsbluͤte: so geht es mit uns Menschen auch; ich kann mich nicht darauf freuen, ein großes Maͤdchen zu werden. Ach, koͤnnt' ich euch doch nur einmal besuchen! Seit der Koͤnig bei uns wohnt, sagte Zerina, ist es ganz unmoͤglich, aber ich komme ja so oft zu dir, Liebchen, und keiner sieht mich, keiner weiß es, weder hier noch dort; ungesehn geh ich durch die Luft, oder fliege als Vogel heruͤber; o wir wol- len noch recht viel beisammen seyn, so lange du klein bist. Was kann ich dir nur zu Gefallen thun? Recht lieb sollst du mich haben, sagte Elfriede, so lieb, wie ich dich in meinem Herzen trage; doch laß uns auch einmal wieder eine Rose machen. Zerina nahm das bekannte Schaͤchtelchen aus dem Busen, warf zwei Koͤrner hin, und ploͤtzlich stand ein gruͤnender Busch mit zweien hochrothen Rosen vor ihnen, welche sich zu einander neigten, und sich zu kuͤssen schienen. Die Kinder brachen die Rosen laͤchelnd ab, und das Gebuͤsch war wie- der verschwunden. O muͤßte es nur nicht wieder so schnell sterben, sagte Elfriede, das rothe Kind, das Wunder der Erde. Gieb! sagte die kleine Elfe, hauchte dreimal die aufknospende Rose an, und kuͤßte sie dreimal; nun, sprach sie, indem sie die Blume zuruͤck gab, bleibt sie frisch und bluͤhend bis zum Winter. Ich will sie wie ein Bild von dir auf- Die Elfen . heben, sagte Elfriede, sie in meinem Kaͤmmerchen wohl bewahren, und sie Morgens und Abends kuͤssen, als wenn du es waͤrst. Die Sonne geht schon unter, sagte jene, ich muß jetzt nach Hause. Sie umarmten sich noch einmal, dann war Ze- rina verschwunden. Am Abend nahm Marie ihr Kind mit einem Gefuͤhl von Beaͤngstigung und Ehrfurcht in die Arme; sie ließ dem holden Maͤdchen nun noch mehr Freiheit als sonst, und beruhigte oft ihren Gatten, wenn er, um das Kind aufzusuchen, kam, was er seit einiger Zeit wohl that, weil ihm ihre Zuruͤckgezogenheit nicht gefiel, und er fuͤrchtete, sie koͤnne daruͤber einfaͤltig, oder gar unklug wer- den. Die Mutter schlich oͤfter nach der Spalte der Mauer, und fast immer fand sie die kleine glaͤn- zende Elfe neben ihrem Kinde sitzen, mit Spielen beschaͤftigt, oder in ernsthaften Gespraͤchen. Moͤch- test du fliegen koͤnnen? fragte Zerina einmal ihre Freundin. Wie gerne! rief Elfriede aus. Sogleich umfaßte die Fee die Sterbliche, und schwebte mit ihr vom Boden empor, so daß sie zur Hoͤhe der Laube stiegen. Die besorgte Mutter vergaß ihre Vorsicht, und lehnte sich erschreckend mit dem Kopfe hinaus, um ihnen nachzusehn, da erhob aus der Luft Zerina den Finger und drohte laͤchelnd, ließ sich mit dem Kinde wieder nieder, herzte sie, und war verschwunden. Es geschah nachher noch oͤfter, daß Marie von dem wunderbaren Kinde gesehen wurde, welches jedesmal mit dem Kopfe schuͤttelte oder drohte, aber mit freundlicher Geberde. Erste Abtheilung . Oftmals schon hatte bei vorgefallenem Streite Marie im Eifer zu ihrem Manne gesagt: du thust den armen Leuten in der Huͤtte Unrecht! Wenn Andres dann in sie drang, ihm zu erklaͤren, wa- rum sie der Meinung aller Leute im Dorfe, ja der Herrschaft selber entgegen sey und es besser wissen wolle, brach sie ab, und schwieg verlegen. Heftiger als je ward Andres eines Tages nach Tische und behauptete, das Gesindel muͤsse als landesverderb- lich durchaus fortgeschafft werden; da rief sie im Unwillen aus: schweig, denn sie sind deine und unser aller Wohlthaͤter! Wohlthaͤter? fragte An- dres erstaunt; die Landstreicher? In ihrem Zorne ließ sie sich verleiten, ihm unter dem Versprechen der tiefsten Verschwiegenheit die Geschichte ihrer Jugend zu erzaͤhlen, und da er bei jedem ihrer Worte unglaͤubiger wurde und verhoͤhnend den Kopf schuͤttelte, nahm sie ihn bei der Hand und fuͤhrte ihn in das Gemach, von wo er zu seinem Erstau- nen die leuchtende Elfe mit seinem Kinde in der Laube spielen, und es liebkosen sah. Er wußte kein Wort zu sagen; ein Ausruf der Verwunde- rung entfuhr ihm, und Zerina erhob den Blick. Sie wurde ploͤtzlich bleich und zitterte heftig, nicht freundlich, sondern mit zorniger Miene machte sie die drohende Geberde, und sagte dann zu Elfrieden: du kannst nichts dafuͤr, geliebtes Herz, aber sie werden niemals klug, so verstaͤndig sie sich auch duͤnken. Sie umarmte die Kleine mit stuͤrmender Eil, und flog dann als Rabe mit heiserem Geschrei uͤber den Garten hinweg, den Tannenbaͤumen zu. Die Elfen . Am Abend war die Kleine sehr still und kuͤßte weinend die Rose, Marien war aͤngstlich zu Sinne, Andres sprach wenig. Es wurde Nacht. Ploͤtzlich rauschten die Baͤume, Voͤgel flogen mit aͤngstli- chem Geschrei umher, man hoͤrte den Donner rol- len, die Erde zitterte und Klagetoͤne winselten in der Luft. Marie und Andres hatten nicht den Muth aufzustehn; sie huͤllten sich in die Decken und erwarteten mit Furcht und Zittern den Tag. Gegen Morgen ward es ruhiger, und alles war still, als die Sonne mit ihrem heitern Lichte uͤber den Wald hervor drang. Andres kleidete sich an, und Marie bemerkte, daß der Stein des Ringes an ihrem Finger ver- blaßt war. Als sie die Thuͤr oͤffneten, schien ihnen die Sonne klar entgegen, aber die Landschaft um- her kannten sie kaum wieder. Die Frische des Wal- des war verschwunden, die Huͤgel hatten sich ge- senkt, die Baͤche flossen matt mit wenigem Wasser, der Himmel schien grau, und als man den Blick nach den Tannen hinuͤber wandte, standen sie nicht finstrer oder trauriger da, als die uͤbrigen Baͤume; die Huͤtten hinter ihnen hatten nichts Abschrecken- des, und mehrere Einwohner des Dorfes kamen und erzaͤhlten von der seltsamen Nacht, und daß sie uͤber den Hof gegangen seyen, wo die Zigeuner gewohnt, die wohl fortgegangen seyn muͤßten, weil die Huͤtten leer staͤnden, und im Innern ganz ge- woͤhnlich wie die Wohnungen andrer armen Leute aussaͤhen; einiges vom Hausrath waͤre zuruͤck ge- blieben. Elfriede sagte zu ihrer Mutter heimlich: Erste Abtheilung . als ich in der Nacht nicht schlafen konnte, und in der Angst bei dem Getuͤmmel von Herzen betete, da oͤffnete sich ploͤtzlich meine Thuͤr, und herein trat meine Gespielin, um Abschied von mir zu nehmen. Sie hatte eine Reisetasche um, einen Hut auf ihren Kopf, und einen großen Wander- stab in der Hand. Sie war sehr boͤse auf dich, weil sie deinetwegen nun die groͤßten und schmerz- haftesten Strafen aushalten muͤsse, da sie dich doch immer so geliebt habe; denn alle, so wie sie sagte, verließen nur sehr ungern diese Gegend. Marie verbot ihr, davon zu sprechen, und indem kam auch der Faͤhrmann vom Strome her- uͤber, welcher Wunderdinge erzaͤhlte. Mit einbre- chender Nacht war ein großer fremder Mann zu ihm gekommen, welcher ihm bis zu Sonnen - Auf- gang die Faͤhre abgemiethet habe, doch mit dem Bedingniß, daß er sich still zu Hause halten und schlafen, wenigstens nicht aus der Thuͤr treten solle. Ich fuͤrchtete mich, fuhr der Alte fort, aber der seltsame Handel ließ mich nicht schlafen. Sacht schlich ich mich ans Fenster und schaute nach dem Strome. Große Wolken trieben unruhig durch den Himmel und die fernen Waͤlder rauschten bange; es war als wenn meine Huͤtte bebte und Klagen und Winseln um das Haus schlich. Da sah ich ploͤtzlich ein weißstroͤmendes Licht, das breiter und immer breiter wurde, wie viele tausend nieder ge- fallene Sterne, funkelnd und wogend bewegte es sich von dem finstern Tannengrunde her, zog uͤber das Feld, und verbreitete sich nach dem Flusse hin. Die Elfen . Da hoͤrte ich ein Trappeln, ein Klirren, ein Fluͤ- stern und Saͤuseln naͤher und naͤher; es ging nach meiner Faͤhre hin, hinein stiegen alle, große und kleine leuchtende Gestalten, Maͤnner und Frauen, wie es schien, und Kinder, und der große fremde Mann fuhr sie alle hinuͤber; im Strome schwam- men neben dem Fahrzeuge viel tausend helle Ge- bilde, in der Luft flatterten Lichter und weiße Ne- bel, und alles klagte und jammerte, daß sie so weit, weit reisen muͤßten, aus der geliebten ange- woͤhnten Gegend fort. Der Ruderschlag und das Wasser rauschten dazwischen, und dann war wie- der ploͤtzlich eine Stille. Oft stieß die Faͤhre an, und kam zuruͤck und ward von neuem beladen, auch viele schwere Gefaͤße nahmen sie mit, die graͤßliche kleine Gesellen trugen und rollten; waren es Teu- fel, waren es Kobolde, ich weiß es nicht. Dann kam im wogenden Glanz ein stattlicher Zug. Ein Greis schien es, auf einem weißen kleinen Rosse, um den sich alles draͤngte, ich sah aber nur den Kopf des Pferdes, denn es war uͤber und uͤber mit kostbaren glaͤnzenden Decken verhangen; auf dem Haupt trug der Alte eine Krone, so daß ich dachte, als er hinuͤber gefahren, die Sonne wolle von dorten aufgehn, und das Morgenroth funkle mir entgegen. So waͤhrte es die ganze Nacht; ich schlief endlich in dem Gewirre ein, zum Theil in Freude, zum Theil in Schauder. Am Morgen war alles ruhig, aber der Fluß ist wie weg ge- laufen, so daß ich Noth haben werde mein Fahr- zeug zu regieren. Erste Abtheilung . Noch in demselben Jahre war ein Mißwachs, die Waͤlder starben ab, die Quellen vertrockneten, und dieselbe Gegend, die sonst die Freude jedes Durchreisenden gewesen war, stand im Herbst ver- oͤdet, nackt und kahl, und zeigte kaum hie und da noch im Meere von Sand ein Plaͤtzchen, wo Gras mit fahlem Gruͤn empor wuchs. Die Obstbaͤume gingen alle aus, die Weinberge verdarben, und der Anblick der Landschaft war so traurig, daß der Graf im folgenden Jahre mit seiner Familie das Schloß verließ, welches nachher verfiel und zur Ruine wurde. Elfriede betrachtete Tag und Nacht mit der groͤßten Sehnsucht ihre Rose und gedachte ihrer Gespielin, und so wie die Blume sich neigte und welkte, so senkte sie auch das Koͤpfchen, und war schon vor dem Fruͤhlinge verschmachtet. Marie stand oft auf dem Platze vor der Huͤtte und be- weinte das entschwundene Gluͤck. Sie verzehrte sich, wie ihr Kind, und folgte ihm in einigen Jah- ren. Der alte Martin zog mit seinem Schwieger- sohne nach der Gegend, in der er sonst gelebt hatte. Die Damen waren mit dieser Erzaͤhlung zu- frieden. Wilibald war noch uͤbrig, um sein Maͤhrchen vorzutragen, und er fing sogleich ohne Einleitung an. Der Pokal . Der Pokal . V om großen Dom erscholl das vormittaͤgige Ge- laͤute. Ueber den weiten Platz wandelten in ver- schiedenen Richtungen Maͤnner und Weiber, Wa- gen fuhren voruͤber und Priester gingen nach ihren Kirchen. Ferdinand stand auf der breiten Treppe, den Wandelnden nachsehend und diejenigen betrach- tend, welche herauf stiegen, um dem Hochamte beizuwohnen. Der Sonnenschein glaͤnzte auf den weißen Steinen, alles suchte den Schatten gegen die Hitze; nur er stand schon seit lange sinnend an einen Pfeiler gelehnt, in den brennenden Stralen, ohne sie zu fuͤhlen, denn er verlor sich in den Erinnerungen, die in seinem Gedaͤchtnisse aufstie- gen. Er dachte seinem Leben nach, und begeisterte sich an dem Gefuͤhl, welches sein Leben durchdrun- gen und alle andern Wuͤnsche in ihm ausgeloͤscht hatte. In derselben Stunde stand er hier im vo- rigen Jahre, um Frauen und Maͤdchen zur Messe kommen zu sehn; mit gleichguͤltigem Herzen und laͤchelndem Auge hatte er die mannichfaltigen Ge- stalten betrachtet, mancher holde Blick war ihm schalkhaft begegnet und manche jungfraͤuliche Wange war erroͤthet; sein spaͤhendes Auge sah den nied- lichen Fuͤßchen nach, wie sie die Stufen herauf schritten und wie sich das schwebende Gewand mehr oder weniger verschob, um die feinen Knoͤchel zu Erste Abtheilung . enthuͤllen. Da kam uͤber den Markt eine jugend- liche Gestalt, in Schwarz, schlank und edel, die Augen sittsam vor sich hin geheftet, unbefangen schwebte sie die Erhoͤhung hinauf mit lieblicher An- muth, das seidene Gewand legte sich um den schoͤn- sten Koͤrper und wiegte sich wie in Musik um die bewegten Glieder; jetzt wollte sie den letzten Schritt thun, und von ohngefaͤhr erhob sie das Auge und traf mit dem blauesten Strale in seinen Blick. Er ward wie von einem Blitz durchdrungen. Sie strau- chelte, und so schnell er auch hinzu sprang, konnte er doch nicht verhindern, daß sie nicht kurze Zeit in der reizendsten Stellung knieend vor seinen Fuͤ- ßen lag. Er hob sie auf, sie sah ihn nicht an, sondern war ganz Roͤthe, antwortete auch nicht auf seine Frage, ob sie sich beschaͤdiget habe. Er folgte ihr in die Kirche und sah nur das Bildniß, wie sie vor ihm gekniet, und der schoͤnste Busen ihm entgegen gewogt. Am folgenden Tage besuchte er die Schwelle des Tempels wieder; die Staͤtte war ihm geweiht. Er hatte abreisen wollen, seine Freunde erwarteten ihn ungeduldig in seiner Hei- math; aber von nun an war hier sein Vaterland, sein Herz war umgewendet. Er sah sie oͤfter, sie vermied ihn nicht, doch waren es nur einzelne und gestohlene Augenblicke; denn ihre reiche Familie bewachte sie genau, noch mehr ein angesehener ei- fersuͤchtiger Braͤutigam. Sie gestanden sich ihre Liebe, wußten aber keinen Rath in ihrer Lage; denn er war fremd, und konnte seiner Geliebten kein so großes Gluͤck anbieten, als sie zu erwarten berech- Der Pokal . berechtigt war. Da fuͤhlte er seine Armuth, doch wenn er an seine vorige Lebensweise dachte, duͤnkte er sich uͤberschwaͤnglich reich, denn sein Daseyn war geheiligt, sein Herz schwebte immerdar in der schoͤnsten Ruͤhrung; jetzt war ihm die Natur be- freundet und ihre Schoͤnheit seinen Sinnen offen- bar, er fuͤhlte sich der Andacht und Religion nicht mehr fremd, und betrat dieselbe Schwelle, das geheimnißvolle Dunkel des Tempels jetzt mit ganz andern Gefuͤhlen, als in jenen Tagen des Leicht- sinns. Er zog sich von seinen Bekanntschaften zu- ruͤck und lebte nur der Liebe. Wenn er durch ihre Straße ging und sie nur am Fenster sah, war er fuͤr diesen Tag gluͤcklich; er hatte sie in der Daͤm- merung des Abends oftmals gesprochen, ihr Gar- ten stieß an den eines Freundes, der aber sein Ge- heimniß nicht wußte. So war ein Jahr voruͤber gegangen. Alle diese Scenen seines neuen Lebens zogen wieder durch sein Gedaͤchtniß. Er erhob seinen Blick, da schwebte die edle Gestalt schon uͤber den Platz, sie leuchtete ihm wie eine Sonne aus der verworrenen Menge hervor. Ein lieblicher Gesang ertoͤnte in seinem sehnsuͤchtigen Herzen, und er trat, wie sie sich annaͤherte, in die Kirche zuruͤck. Er hielt ihr das geweihte Wasser entgegen, ihre weißen Finger zitterten, als sie die seinigen beruͤhrte, sie neigte sich holdselig. Er folgte ihr nach, und kniete in ihrer Naͤhe. Sein ganzes Herz zer- schmolz in Wehmuth und Liebe, es duͤnkte ihm, als wenn aus den Wunden der Sehnsucht sein I. [ 28 ] Erste Abtheilung . Wesen in andaͤchtigen Gebeten dahin blutete; je- des Wort des Priesters durchschauerte ihn, jeder Ton der Musik goß Andacht in seinen Busen; seine Lippen bebten, als die Schoͤne das Crucifix ihres Rosenkranzes an den bruͤnstigen rothen Mund druͤckte. Wie hatte er ehemals diesen Glauben und diese Liebe so gar nicht begreifen koͤnnen. Da er- hob der Priester die Hostie und die Glocke schallte, sie neigte sich demuͤthiger und bekreuzte ihre Brust; und wie ein Blitz schlug es durch alle seine Kraͤfte und Gefuͤhle, und das Altarbild duͤnkte ihm leben- dig und die farbige Daͤmmerung der Fenster wie ein Licht des Paradieses; Thraͤnen stroͤmten reich- lich aus seinen Augen und linderten die verzehrende Inbrunst seines Herzens. Der Gottesdienst war geendigt. Er bot ihr wieder den Weihbrunnen, sie sprachen einige Worte und sie entfernte sich. Er blieb zuruͤck, um keine Aufmerksamkeit zu erregen; er sah ihr nach, bis der Saum ihres Kleides um die Ecke verschwand. Da war ihm wie dem muͤden verirrten Wande- rer, dem im dichten Walde der letzte Schein der untergehenden Sonne erlischt. Er erwachte aus seiner Traͤumerei, als ihm eine alte duͤrre Hand auf die Schulter schlug, und ihn jemand bei Na- men nannte. Er fuhr zuruͤck, und erkannte seinen Freund, den muͤrrischen Albert, der von allen Menschen sich zuruͤck zog und dessen einsames Haus nur dem jungen Ferdinand geoͤffnet war. Seid ihr unsrer Abrede noch eingedenk? fragte die heisere Stimme. Der Pokal . O ja, antwortete Ferdinand, und werdet Ihr euer Versprechen heut noch halten? Noch in dieser Stun- de, antwortete jener, wenn ihr mir folgen wollt. Sie gingen durch die Stadt und in einer ab- gelegenen Straße in ein großes Gebaͤude. Heute, sagte der Alte, muͤßt ihr euch schon mit mir in das Hinterhaus bemuͤhn, in mein einsamstes Zim- mer, damit wir nicht etwa gestoͤrt werden. Sie gingen durch viele Gemaͤcher, dann uͤber einige Treppen; Gaͤnge empfingen sie, und Ferdinand, der das Haus zu kennen glaubte, mußte sich uͤber die Menge der Zimmer, so wie uͤber die seltsame Einrichtung des weitlaͤufigen Gebaͤudes verwundern, noch mehr aber daruͤber, daß der Alte, welcher un- verheirathet war, und der auch keine Familie hatte, es allein mit einem einzigen Bedienten bewohne, und niemals an Fremde von dem uͤberfluͤßigen Raume hatte vermiethen wollen. Albert schloß endlich auf und sagte: nun sind wir zur Stelle. Ein großes hohes Zimmer empfing sie, das mit rothem Da- mast ausgeschlagen war, den goldene Leisten einfaß- ten, die Sessel waren von dem nehmlichen Zeuge, und durch rothe schwerseidene Vorhaͤnge, welche nieder gelassen waren, schimmerte ein purpurnes Licht. Verweilt einen Augenblick, sagte der Alte, indem er in ein anderes Gemach ging. Ferdinand betrachtete indeß einige Buͤcher, in welchen er fremde unverstaͤndliche Charaktere, Kreise und Li- nien, nebst vielen wunderlichen Zeichnungen fand, und nach dem wenigen, was er lesen konnte, schie- nen es alchemistische Schriften; er wußte auch, Erste Abtheilung . daß der Alte im Rufe eines Goldmachers stand. Eine Laute lag auf dem Tische, welche seltsam mit Perlmutter und farbigen Hoͤlzern ausgelegt war und in glaͤnzenden Gestalten Voͤgel und Blu- men darstellte; der Stern in der Mitte war ein großes Stuͤck Perlmutter, auf das kunstreichste in vielen durchbrochenen Zirkelfiguren, fast wie die Fensterrose einer gothischen Kirche, ausgearbeitet. Ihr betrachtet da mein Instrument, sagte Albert, welcher zuruͤck kehrte, es ist schon zweihundert Jahr alt, und ich habe es als ein Andenken meiner Reise aus Spanien mitgebracht. Doch laßt das alles und setzt euch jetzt. Sie setzten sich an den Tisch, der ebenfalls mit einem rothen Teppiche bedeckt war, und der Alte stellte etwas Verhuͤlltes auf die Tafel. Aus Mitleid gegen eure Jugend, fing er an, habe ich euch neulich versprochen, euch zu wahrsagen, ob ihr gluͤcklich werden koͤnnt oder nicht, und dieses Versprechen will ich in gegenwaͤrtiger Stunde loͤ- sen, ob ihr gleich die Sache neulich nur fuͤr einen Scherz halten wolltet. Ihr duͤrft euch nicht ent- setzen, denn was ich vorhabe, kann ohne Gefahr geschehn, und weder furchtbare Citationen sollen von mir vorgenommen werden, noch soll euch eine graͤßliche Erscheinung erschrecken. Die Sache, die ich versuchen will, kann in zweien Faͤllen mißlin- gen: wenn ihr nehmlich nicht so wahrhaft liebt, als ihr mich habt wollen glauben machen, denn alsdann ist meine Bemuͤhung umsonst und es zeigt sich gar nichts; oder daß ihr das Orakel stoͤrt und Der Pokal . durch eine unnuͤtze Frage oder ein hastiges Auffah- ren vernichtet, indem ihr euren Sitz verlaßt und das Bild zertruͤmmert; ihr muͤßt mir also verspre- chen, euch ganz ruhig zu verhalten. Ferdinand gab das Wort, und der Alte wik- kelte aus den Tuͤchern das, was er mitgebracht hatte. Es war ein goldener Pokal von sehr kuͤnst- licher und schoͤner Arbeit. Um den breiten Fuß lief ein Blumenkranz mit Myrthen und verschiede- nem Laube und Fruͤchten gemischt, erhaben ausge- fuͤhrt mit mattem oder klaren Golde. Ein aͤhn- liches Band, aber reicher, mit kleinen Figuren und fliehenden wilden Thierchen, die sich vor den Kin- dern fuͤrchteten oder mit ihnen spielten, zog sich um die Mitte des Bechers. Der Kelch war schoͤn gewunden, er bog sich oben zuruͤck, den Lippen entgegen, und inwendig funkelte das Gold mit ro- ther Gluth. Der Alte stellte den Becher zwischen sich und den Juͤngling, und winkte ihn naͤher. Fuͤhlt ihr nicht etwas, sprach er, wenn euer Auge sich in diesem Glanz verliert? Ja, sagte Ferdi- nand, dieser Schein spiegelt in mein Innres hin- ein, ich moͤchte sagen, ich fuͤhle ihn wie einen Kuß in meinem sehnsuͤchtigen Busen. So ist es recht! sagte der Alte; nun laßt eure Augen nicht mehr herum schweifen, sondern haltet sie fest auf den Glanz dieses Goldes, und denkt so lebhaft wie moͤglich an eure Geliebte. Beide saßen eine Weile ruhig, und schauten vertieft den leuchtenden Becher an. Bald aber fuhr der Alte mit stummer Geberde, erst langsam, Erste Abtheilung . dann schneller, endlich in eilender Bewegung mit streichendem Finger um die Glut des Pokals in ebenmaͤßigen Kreisen hin. Dann hielt er wieder inne und legte die Kreise von der andern Seite. Als er eine Weile dies Beginnen fortgesetzt hatte, glaubte Ferdinand Musik zu hoͤren, aber es klang wie draußen, in einer fernen Gasse; doch bald ka- men die Toͤne naͤher, sie schlugen lauter und lau- ter an, sie zitterten bestimmter durch die Luft, und es blieb ihm endlich kein Zweifel, daß sie aus dem Innern des Bechers hervor quollen. Immer staͤr- ker ward die Musik, und von so durchdringender Kraft, daß des Juͤnglings Herz erzitterte und ihm die Thraͤnen in die Augen stiegen. Eifrig fuhr die Hand des Alten in verschiedenen Richtungen uͤber die Muͤndung des Bechers, und es schien, als wenn Funken aus seinen Fingern fuhren und zuk- kend gegen das Gold leuchtend und klingend zer- sprangen. Bald mehrten sich die glaͤnzenden Punkte und folgten, wie auf einen Faden gereiht, der Be- wegung seines Fingers hin und wieder; sie glaͤnz- ten von verschiedenen Farben, und draͤngten sich allgemach dichter und dichter an einander, bis sie in Linien zusammen schossen. Nun schien es, als wenn der Alte in der rothen Daͤmmerung ein wun- dersames Netz uͤber das leuchtende Gold legte, denn er zog nach Willkuͤhr die Stralen hin und wieder, und verwebte mit ihnen die Oeffnung des Pokales; sie gehorchten ihm und blieben, einer Bedeckung aͤhnlich, liegen, indem sie hin und wieder webten und in sich selber schwankten. Als sie so gefesselt Der Pokal . waren, beschrieb er wieder die Kreise um den Rand, die Musik sank wieder zuruͤck und wurde leiser und leiser, bis sie nicht mehr zu vernehmen war, das leuchtende Netz zitterte wie beaͤngstiget. Es brach im zunehmenden Schwanken, und die Stralen reg- neten tropfend in den Kelch, doch aus den nieder- tropfenden erhob sich wie eine roͤthliche Wolke, die sich in sich selbst in vielfachen Kreisen bewegte, und wie Schaum uͤber der Muͤndung schwebte. Ein hellerer Punkt schwang sich mit der groͤßten Schnel- ligkeit durch die wolkigen Kreise. Da stand das Gebild, und wie ein Auge schaute es ploͤtzlich aus dem Duft, wie goldene Locken floß und ringelte es oben, und alsbald ging ein sanftes Erroͤthen in dem wankenden Schatten auf und ab, und Ferdi- nand erkannte das laͤchelnde Angesicht seiner Ge- liebten, die blauen Augen, die zarten Wangen, den lieblich rothen Mund. Das Haupt schwankte hin und her, hob sich deutlicher und sichtbarer auf dem schlanken weißen Halse hervor und neigte sich zu dem entzuͤckten Juͤnglinge hin. Der Alte be- schrieb immer noch die Kreise um den Becher, und heraus traten die glaͤnzenden Schultern, und so wie sich die liebliche Bildung aus dem goldenen Bett mehr hervor draͤngte und holdselig hin und wieder wiegte, so erschienen nun die beiden zarten, gewoͤlbten und getrennten Bruͤste, auf deren Spitze die feinste Rosenknospe mit suͤß verhuͤllter Roͤthe schimmerte. Ferdinand glaubte den Athem zu fuͤh- len, indem das geliebte Bild wogend zu ihm neigte, und ihn fast mit den brennenden Lippen beruͤhrte; Erste Abtheilung . er konnte sich im Taumel nicht mehr bewaͤltigen, sondern draͤngte sich mit einem Kusse an den Mund, und waͤhnte, die schoͤnen Arme zu fassen, um die nackte Gestalt ganz aus dem goldenen Gefaͤngniß zu heben. Alsbald durchfuhr ein starkes Zittern das liebliche Bild, wie in tausend Linien brach das Haupt und der Leib zusammen, und eine Rose lag am Fuß des Pokales, aus deren Roͤthe noch das suͤße Laͤcheln schien. Sehnsuͤchtig ergriff sie Ferdinand, druͤckte sie an seinen Mund, und an seinem brennenden Verlangen verwelkte sie, und war in Luft zerflossen. Du hast schlecht dein Wort gehalten, sagte der Alte verdruͤßlich, du kannst dir nur selber die Schuld beimessen. Er verhuͤllte seinen Pokal wie- der, zog die Vorhaͤnge auf und eroͤffnete ein Fen- ster, das helle Tageslicht brach herein, und Fer- dinand verließ wehmuͤthig und mit vielen Entschul- digungen den murrenden Alten. Er eilte bewegt durch die Straßen der Stadt. Vor dem Thore setzte er sich unter den Baͤumen nieder. Sie hatte ihm am Morgen gesagt, daß sie mit einigen Verwandten Abends uͤber Land fah- ren muͤsse. Bald saß, bald wanderte er liebetrun- ken im Walde; immer sah er das holdselige Bild, wie es mehr und mehr aus dem gluͤhenden Golde quoll, jetzt erwartete er, sie heraus schreiten zu sehn im Glanze ihrer Schoͤnheit, und dann zer- brach die schoͤnste Form vor seinen Augen, und er zuͤrnte mit sich, daß er durch seine rastlose Liebe Der Pokal . und die Verwirrung seiner Sinne das Bildniß und vielleicht sein Gluͤck zerstoͤrt habe. Als nach der Mittagsstunde der Spaziergang sich allgemach mit Menschen fuͤllte, zog er sich tie- fer in das Gebuͤsch zuruͤck; spaͤhend behielt er aber die ferne Landstraße im Auge, und jeder Wagen, der durch das Thor kam, wurde aufmerksam von ihm gepruͤft. Es naͤherte sich dem Abende. Rothe Schim- mer warf die untergehende Sonne, da flog aus dem Thor der reiche vergoldete Wagen, der feurig im Abendglanze leuchtete. Er eilte hinzu. Ihr Auge hatte das seinige schon gesucht. Freundlich und laͤchelnd lehnte sie den glaͤnzenden Busen aus dem Schlage, er fing ihren liebevollen Gruß und Wink auf; jetzt stand er neben dem Wagen, ihr voller Blick fiel auf ihn, und indem sie sich weiter fahrend wieder zuruͤck zog, flog die Rose, welche ihren Busen zierte, heraus, und lag zu seinen Fuͤßen. Er hob sie auf und kuͤßte sie, und ihm war, als weissage sie ihm, daß er seine Geliebte nicht wieder sehn wuͤrde, daß nun sein Gluͤck auf immer zerbrochen sey. Auf und ab lief man die Treppen, das ganze Haus war in Bewegung, alles machte Geschrei und Laͤrmen zum morgenden großen Feste. Die Mutter war am thaͤtigsten so wie am freudigsten; die Braut ließ alles geschehn, und zog sich, ihrem Erste Abtheilung . Schicksal nachsinnend, in ihr Zimmer zuruͤck. Man erwartete noch den Sohn, den Hauptmann mit seiner Frau und zwei aͤltere Toͤchter mit ihren Maͤnnern; Leopold, ein juͤngerer Sohn, war muth- willig beschaͤftigt, die Unordnung zu vermehren, den Laͤrmen zu vergroͤßern, und alles zu verwir- ren, indem er alles zu betreiben schien. Agathe, seine noch unverheirathete Schwester, wollte ihn zur Vernunft bringen und dahin bewegen, daß er sich um nichts kuͤmmerte, und nur die andern in Ruhe lasse; aber die Mutter sagte: stoͤre ihn nicht in seiner Thorheit, denn heute kommt es auf et- was mehr oder weniger nicht an; nur darum bitte ich euch alle, da ich schon auf so viel zu denken habe, daß ihr mich nicht mit irgend etwas behel- ligt, was ich nicht hoͤchst noͤthig erfahren muß; ob sie Porzellan zerbrechen, ob einige silberne Loͤf- fel fehlen, ob das Gesinde der Fremden Scheiben entzwei schlaͤgt, mit solchen Possen aͤrgert mich nicht, daß ihr sie mir wieder erzaͤhlt. Sind diese Tage der Unruhe voruͤber, dann wollen wir Rech- nung halten. Recht so, Mutter! sagte Leopold, das sind Gesinnungen, eines Regenten wuͤrdig! Wenn auch einige Maͤgde den Hals brechen, der Koch sich be- trinkt und den Schornstein anzuͤndet, der Keller- meister vor Freude den Malvasier auslaufen oder aussaufen laͤßt, Sie sollen von dergleichen Kinde- reyen nichts erfahren. Es muͤßte denn seyn, daß ein Erdbeben das Haus umwuͤrfe; Liebste, das ließe sich unmoͤglich verhelen. Der Pokal . Wann wird er doch einmal kluͤger werden! sagte die Mutter; was werden nur deine Geschwi- ster denken, wenn sie dich eben so unklug wieder finden, als sie dich vor zwei Jahren verlassen haben. Sie muͤssen meinem Charakter Gerechtigkeit widerfahren lassen, antwortete der lebhafte Juͤng- ling, daß ich nicht so wandelbar bin wie sie oder ihre Maͤnner, die sich in wenigen Jahren so sehr, und zwar nicht zu ihrem Vortheile veraͤndert haben. Jetzt trat der Braͤutigam zu ihnen, und fragte nach der Braut. Die Kammerjungfer ward ge- schickt, sie zu rufen. Hat Leopold Ihnen, liebe Mutter, meine Bitte vergetragen? fragte der Verlobte. Daß ich nicht wuͤßte, sagte dieser; in der Unordnung hier im Hause kann man keinen ver- nuͤnftigen Gedanken fassen. Die Braut trat herzu, und die jungen Leute begruͤßten sich mit Freuden. Die Bitte, deren ich erwaͤhnte, fuhr dann der Braͤutigam fort, ist diese, daß Sie es nicht uͤbel deuten moͤgen, wenn ich Ihnen noch einen Gast in Ihr Haus fuͤhre, das fuͤr diese Tage nur schon zu sehr besetzt ist. Sie wissen es selbst, sagte die Mutter, daß, so geraͤumig es auch ist, sich schwerlich noch Zim- mer einrichten lassen. Doch, rief Leopold, ich habe schon zum Theil dafuͤr gesorgt, ich habe die große Stube im Hin- terhause aufraͤumen lassen. Ei, die ist nicht anstaͤndig genug, sagte die Erste Abtheilung . Mutter, seit Jahren ist sie ja fast nur zur Pol- terkammer gebraucht. Praͤchtig ist sie hergestellt, sagte Leopold, und der Freund, fuͤr den sie bestimmt ist, sieht auch auf dergleichen nicht, dem ist es nur um unsre Liebe zu thun; auch hat er keine Frau und befin- det sich gern in der Einsamkeit, so daß sie ihm gerade recht sein wird. Wir haben Muͤhe genug gehabt, ihm zuzureden und ihn wieder unter Men- schen zu bringen. Doch wohl nicht euer trauriger Goldmacher und Geisterbanner? fragte Agathe. Kein andrer als der, erwiederte der Braͤuti- gam, wenn Sie ihn einmal so nennen wollen. Dann erlauben Sie es nur nicht, liebe Mut- ter, fuhr die Schwester fort; was soll ein solcher Mann in unserm Hause? Ich habe ihn einigemal mit Leopold uͤber die Straße gehen sehn, und mir ist vor seinem Gesicht bange geworden; auch be- sucht der alte Suͤnder fast niemals die Kirche, er liebt weder Gott noch Menschen, und es bringt keinen Seegen, dergleichen Unglaͤubige bei so fei- erlicher Gelegenheit unter das Dach einzufuͤhren. Wer weiß, was daraus entstehn kann! Wie du nun sprichst! sagte Leopold erzuͤrnt, weil du ihn nicht kennst so verurtheilst du ihn, und weil dir seine Nase nicht gefaͤllt, und er auch nicht mehr jung und reizend ist, so muß er, dei- nem Sinne nach, ein Geisterbanner und verruch- ter Mensch seyn. Gewaͤhren Sie, theure Mutter, sagte der Der Pokal . Braͤutigam, unserm alten Freunde ein Plaͤtzchen in ihrem Hause, und lassen Sie ihn an unserer allgemeinen Freude Theil nehmen. Er scheint, liebe Schwester Agathe, viel Ungluͤck erlebt zu haben, welches ihn mißtrauisch und menschenfeindlich ge- macht hat, er vermeidet alle Gesellschaft, und macht nur eine Ausnahme mit mir und Leopold; ich habe ihm viel zu danken, er hat zuerst meinem Geiste eine bessere Richtung gegeben, ja ich kann sagen, er allein hat mich vielleicht der Liebe meiner Julie wuͤrdig gemacht. Mir borgt er alle Buͤcher fuhr Leopold fort, und, was mehr sagen will, alte Manuskripte, und was noch mehr sagen will, Geld, auf mein bloßes Wort; er hat die christlichste Gesinnung, Schwe- sterchen, und wer weiß, wenn du ihn naͤher ken- nen lernst, ob du nicht deine Sproͤdigkeit fahren laͤssest, und dich in ihn verliebst, so haͤßlich er dir auch jetzt vorkommt. Nun so bringen Sie ihn uns, sagte die Mut- ter, ich habe schon sonst so viel aus Leopolds Munde von ihm hoͤren muͤssen, daß ich neugierig bin, seine Bekanntschaft zu machen. Nur muͤssen Sie es verantworten, daß wir ihm keine bessere Wohnung geben koͤnnen. Indem kamen Reisende an. Es waren die Mitglieder der Familie; die verheiratheten Toͤch- ter, so wie der Offizier, brachten ihre Kinder mit. Die gute Alte freute sich, ihre Enkel zu sehn; alles war Bewillkommnung und frohes Gespraͤch, und als der Braͤutigam und Leopold auch ihre Gruͤße Erste Abtheilung . empfangen und abgelegt hatten, entfernten sie sich, um ihren alten muͤrrischen Freund aufzusuchen. Dieser wohnte die meiste Zeit des Jahres auf dem Lande, eine Meile von der Stadt, aber eine kleine Wohnung behielt er sich auch in einem Gar- ten, vor dem Thore. Hier hatten ihn zufaͤlliger- weise die beiden jungen Leute kennen gelernt. Sie trafen ihn jetzt auf einem Caffehause, wohin sie sich bestellt hatten. Da es schon Abend geworden war, begaben sie sich nach einigen Gespraͤchen in das Haus zuruͤck. Die Mutter nahm den Fremden sehr freund- schaftlich auf; die Toͤchter hielten sich etwas ent- fernt, besonders war Agathe schuͤchtern und ver- mied seine Blicke sorgfaͤltig. Nach den ersten all- gemeinen Gespraͤchen war das Auge des Alten aber unverwandt auf die Braut gerichtet, welche spaͤter zur Gesellschaft getreten war; er schien entzuͤckt und man bemerkte, daß er eine Thraͤne heimlich abzutrocknen suchte. Der Braͤutigam freute sich an seiner Freude, und als sie nach einiger Zeit abseits am Fenster standen, nahm er seine Hand und fragte ihn: Was sagen Sie von meiner ge- liebten Julie? Ist sie nicht ein Engel? — O mein Freund, erwiederte der Alte geruͤhrt, eine solche Schoͤnheit und Anmuth habe ich noch niemals ge- sehn; oder ich sollte vielmehr sagen, (denn dieser Ausdruck ist unrichtig) sie ist so schoͤn, so bezau- bernd, so himmlisch, daß mir ist, als haͤtte ich sie laͤngst gekannt, als waͤre sie, so fremd sie mir ist, Der Pokal . das vertrauteste Bild meiner Imagination, das meinem Herzen stets einheimisch gewesen. Ich verstehe Sie, sagte der Juͤngling; ja das wahrhaft Schoͤne, Große und Erhabene, so wie es uns in Erstaunen und Verwunderung setzt, uͤber- rascht uns doch nicht als etwas Fremdes, Uner- hoͤrtes und Niegesehenes, sondern unser eigenstes Wesen wird uns in solchen Augenblicken klar, un- sre tiefsten Erinnerungen werden erweckt, und un- sre naͤchsten Empfindungen lebendig gemacht. Beim Abendessen nahm der Fremde an den Gespraͤchen nur wenigen Antheil; sein Blick war unverwandt auf die Braut geheftet, so daß diese endlich verlegen und aͤngstlich wurde. Der Offizier erzaͤhlte von einem Feldzuge, dem er beigewohnt hatte, der reiche Kaufmann sprach von seinen Ge- schaͤften und der schlechten Zeit, und der Gutsbe- sitzer von den Verbesserungen, welche er in seiner Landwirthschaft angefangen hatte. Nach Tische empfahl sich der Braͤutigam, um zum letztenmal in seine einsame Wohnung zuruͤck zu kehren, denn kuͤnftig sollte er mit seiner jungen Frau im Hause der Mutter wohnen, ihre Zim- mer waren schon eingerichtet. Die Gesellschaft zer- streute sich, und Leopold fuͤhrte den Fremden nach seinem Gemach. Ihr entschuldigt es wohl, fing er auf dem Gange an, daß ihr etwas entfernt hausen muͤßt, und nicht so bequem, als die Mut- ter wuͤnscht; aber Ihr seht selbst, wie zahlreich unsre Familie ist, und morgen kommen noch andre Verwandte. Wenigstens werdet ihr uns nicht ent- Erste Abtheilung . laufen koͤnnen, denn Ihr findet gewiß nicht aus dem weitlaͤufigen Gebaͤude heraus. Sie gingen noch durch einige Gaͤnge; endlich entfernte sich Leopold und wuͤnschte gute Nacht. Der Bediente stellte zwei Wachskerzen hin, fragte, ob er den Fremden entkleiden solle, und da dieser jede Bedienung verbat, zog sich jener zuruͤck, und er befand sich allein. Wie muß es mir denn be- gegnen, sagte er, indem er auf und nieder ging, daß jenes Bildniß so lebhaft heut aus meinem Her- zen quillt? Ich vergaß die ganze Vergangenheit und glaubte sie selbst zu sehn. Ich war wieder jung und ihr Ton erklang wie damals, mir duͤnkte, ich sey aus einem schweren Traum erwacht; aber nein, jetzt bin ich erwacht, und die holde Taͤu- schung war nur ein suͤßer Traum. Er war zu unruhig, um zu schlafen, er be- trachtete einige Zeichnungen an den Waͤnden und dann das Zimmer. Heut ist mir alles so bekannt, rief er aus, koͤnnt' ich mich doch fast so taͤuschen, daß ich mir einbildete, dieses Haus und dieses Ge- mach seyen mir nicht fremd. Er suchte seine Erinne- rungen anzuknuͤpfen, und hob einige große Buͤcher auf, welche in der Ecke standen. Als er sie durch- blaͤttert hatte, schuͤttelte er mit dem Kopfe. Ein Lautenfutteral lehnte an der Mauer; er eroͤffnete es und nahm ein altes seltsames Instrument her- aus, das beschaͤdigt war und dem die Saiten fehl- ten. Nein, ich irre mich nicht, rief er bestuͤrzt: diese Laute ist zu kenntlich, es ist die Spanische meines laͤngst verstorbenen Freundes Albert; dort stehn Der Pokal . stehn seine magischen Buͤcher, dies ist das Zimmer, in welchem er mir jenes holdselige Orakel erwecken wollte; verblichen ist die Roͤthe des Teppichs, die goldene Einfassung ermattet, aber wundersam leb- haft ist alles, alles aus jenen Stunden in meinem Gemuͤth; darum schauerte mir, als ich hieher ging, auf jenen langen verwickelten Gaͤngen, welche mich Leopold fuͤhrte; o Himmel, hier auf diesem Tische stieg das Bildniß quellend hervor, und wuchs auf wie von der Roͤthe des Goldes getraͤnkt und er- frischt; dasselbe Bild lachte hier mich an, welches mich heut Abend dorten im Saale fast wahnsinnig gemacht hat, in jenem Saale, in welchem ich so oft mit Albert in vertrauten Gespraͤchen auf und nieder wandelte. Er entkleidete sich, schlief aber nur wenig. Am Morgen stand er fruͤh wieder auf, und betrachtete das Zimmer von neuem; er eroͤffnete das Fenster, und sah dieselben Gaͤrten und Gebaͤude vor sich, wie damals, nur waren indeß viele neue Haͤuser hinzu gebaut worden. Vierzig Jahre sind seitdem verschwunden, seufzte er, und jeder Tag von da- mals enthielt laͤngeres Leben als der ganze uͤbrige Zeitraum. Er ward wieder zur Gesellschaft gerufen. Der Morgen verging unter mannigfaltigen Gespraͤchen, endlich trat die Braut in ihrem Schmucke herein. So wie der Alte ihrer ansichtig ward, gerieth er wie außer sich, so daß keinem in der Gesellschaft seine Bewegung entging. Man begab sich zur Kirche und die Trauung ward vollzogen. Als sich I. [ 29 ] Erste Abtheilung . alle wieder im Hause befanden, fragte Leopold seine Mutter: nun, wie gefaͤllt Ihnen unser Freund, der gute muͤrrische Alte? Ich habe ihn mir, antwortete diese, nach eu- ren Beschreibungen viel abschreckender gedacht, er ist ja mild und theilnehmend, man koͤnnte ein rech- tes Zutrauen zu ihm gewinnen. Zutrauen? rief Agathe aus, zu diesen fuͤrch- terlich brennenden Augen, diesen tausendfachen Runzeln, dem blassen eingekniffenen Mund, und diesem seltsamen Lachen, das so hoͤhnisch klingt und aussieht? Nein, Gott bewahr mich vor sol- chem Freunde! Wenn boͤse Geister sich in Men- schen verkleiden wollen, muͤssen sie eine solche Ge- stalt annehmen. Wahrscheinlich doch eine juͤngere und reizen- dere, antwortete die Mutter; aber ich kenne auch diesen guten Alten in deiner Beschreibung nicht wieder. Man sieht, daß er von heftigem Tempe- rament ist, und sich gewoͤhnt hat alle seine Em- pfindungen in sich zu verschließen; er mag, wie Leopold sagt, viel Ungluͤck erlebt haben, daher ist er mißtrauisch geworden, und hat jene einfache Of- fenheit verloren, die hauptsaͤchlich nur den Gluͤck- lichen eigen ist. Ihr Gespraͤch wurde unterbrochen, weil die uͤbrige Gesellschaft hinzu trat. Man ging zur Tafel, und der Fremde saß neben Agathe und dem reichen Kaufmanne. Als man anfing die Ge- sundheiten zu trinken, rief Leopold: haltet noch inne, meine werthen Freunde, dazu muͤssen wir Der Pokal . unsern Festpokal hier haben, der dann rundum gehn soll! Er wollte aufstehen, aber die Mutter winkte ihm, sitzen zu bleiben; du findest ihn doch nicht, sagte sie, denn ich habe alles Silberzeug anders gepackt. Sie ging schnell hinaus, um ihn selber zu suchen. Was unsere Alte heut geschaͤftig und munter ist, sagte der Kaufmann, so dick und breit sie ist, so behende kann sie sich doch noch be- wegen, obgleich sie schon sechszig zaͤhlt; ihr Ge- sicht sieht immer heiter und freudig aus, und heut ist sie besonders gluͤcklich, weil sie sich in der Schoͤn- heit ihrer Tochter wieder verjuͤngt. Der Fremde gab ihm Beifall, und die Mutter kam mit dem Pokal zuruͤck. Man schenkte ihn voll Weins, und oben vom Tisch fing er an herum zu gehn, indem jeder die Gesundheit dessen ausbrachte, was ihm das liebste und erwuͤnschteste war. Die Braut trank das Wohlseyn ihres Gatten, dieser die Liebe seiner schoͤnen Julie, und so that jeder nach der Reihe. Die Mutter zoͤgerte, als der Becher zu ihr kam. Nur dreist! sagte der Offizier etwas rauh und voreilig, wir wissen ja doch, daß sie alle Maͤnner fuͤr ungetreu und keinen einzigen der Liebe einer Frau wuͤrdig halten; was ist Ihnen also das Liebste? Die Mutter sah ihn an, indem sich uͤber die Milde ihres Antlitzes ploͤtzlich ein zuͤrnender Ernst verbreitete. Da mein Sohn, sagte sie, mich so genau kennt, und so strenge meine Gemuͤths- art tadelt, so sey es mir auch erlaubt, nicht aus- zusprechen, was ich jetzt eben dachte, und suche er nur dasjenige, was er als meine Ueberzeugung Erste Abtheilung . kennen will, durch seine ungefaͤlschte Liebe unwahr zu machen. Sie gab den Becher, ohne zu trin- ken, weiter, und die Gesellschaft war auf einige Zeit verstimmt. Man erzaͤhlt sich, sagte der Kaufmann leise, indem er sich zum Fremden neigte, daß sie ihren Mann nicht geliebt habe, sondern einen andern, der ihr aber ungetreu geworden ist; damals soll sie das schoͤnste Maͤdchen in der Stadt gewesen seyn. Als der Becher zu Ferdinand kam, betrachtete ihn dieser mit Erstaunen, denn es war derselbe, aus welchem ihm Albert ehemals das schoͤne Bild- niß hervor gerufen hatte. Er schaute in das Gold hinein und in die Welle des Weines, seine Hand zitterte; es wuͤrde ihn nicht verwundert haben, wenn aus dem leuchtenden Zaubergefaͤße jetzt wie- der jene Gestalt hervor gebluͤht waͤre und mit ihr seine entschwundene Jugend. Nein, sagte er nach einiger Zeit halblaut, es ist Wein, was hier gluͤht! Was soll es anders seyn? sagte der Kaufmann lachend, trinken Sie getrost! Ein Zucken des Schrecks durchfuhr den Alten, er sprach den Na- men Franziska heftig aus, und setzte den Pokal an die bruͤnstigen Lippen. Die Mutter warf einen fragenden und verwundernden Blick hinuͤber. Wo- her dieser schoͤne Becher? sagte Ferdinand, der sich seiner Zerstreuung schaͤmte. Vor vielen Jah- ren schon, antwortete Leopold, noch ehe ich gebo- ren war, hat ihn mein Vater zugleich mit diesem Hause und allen Mobilien von einem alten einsa- men Hagestolz gekauft, einem stillen Menschen, Der Pokal . den die Nachbarschaft umher fuͤr einen Zauberer hielt. Ferdinand mochte nicht sagen, daß er jenen gekannt hatte, denn sein Daseyn war ihm zu sehr zum seltsamen Traum verwirrt, um auch nur aus der Ferne die uͤbrigen in sein Gemuͤth schauen zu lassen. Nach aufgehobener Tafel war er mit der Mut- ter allein, weil die jungen Leute sich zuruͤck gezo- gen hatten, um Anstalten zum Balle zu treffen. Setzen Sie sich neben mich, sagte die Mutter, wir wollen ausruhen, denn wir sind uͤber die Jahre des Tanzes hinweg, und, wenn es nicht unbeschei- den ist zu fragen, so sagen Sie mir doch, ob Sie unsern Pokal schon sonst wo gesehn haben, oder was es war, was Sie so innerlichst bewegte. O gnaͤdige Frau, sagte der Alte, verzeihen Sie meiner thoͤrichten Heftigkeit und Ruͤhrung, aber seit ich in Ihrem Hause bin, ist es, als ge- hoͤre ich mir nicht mehr an, denn in jedem Augen- blicke vergesse ich es, daß mein Haar grau ist, daß meine Geliebten gestorben sind. Ihre schoͤne Toch- ter, die heute den frohesten Tag ihres Lebens fey- ert, ist einem Maͤdchen, das ich in meiner Jugend kannte und anbetete, so aͤhnlich, daß ich es fuͤr ein Wunder halten muß; nicht aͤhnlich, nein, der Ausdruck sagt zu wenig, sie ist es selbst! Auch hier im Hause bin ich viel gewesen, und einmal mit diesem Pokal auf die seltsamste Weise bekannt geworden. Er erzaͤhlte ihr hierauf sein Abentheuer. An dem Abend dieses Tages, so beschloß er, sah ich draußen im Park meine Geliebte zum letzten Erste Abtheilung . mal, indem sie uͤber Land fuhr. Eine Rose entfiel ihr, diese habe ich aufbewahrt; sie selbst ging mir verloren, denn sie ward mir ungetreu und bald darauf vermaͤhlt. Gott im Himmel! rief die Alte und sprang hef- tig bewegt auf, du bist doch nicht Ferdinand? So ist mein Name, sagte jener. Ich bin Franziska, antwortete die Muter. Sie wollten sich umarmen, und fuhren schnell zuruͤck. Beide betrachteten sich mit pruͤfenden Blik- ken, beide suchten aus dem Ruin der Zeit jene Lineamente wieder zu entwickeln, die sie ehemals an einander gekannt und geliebt hatten, und wie in dunkeln Gewitternaͤchten unter dem Fluge schwar- zer Wolken einzeln in fluͤchtigen Momenten die Sterne raͤthselhaft schimmern, um schnell wieder zu erloͤschen, so schien ihnen aus den Augen, von Stirn und Mund jezuweilen der wohlbekannte Zug voruͤberblitzend an, und es war, als wenn ihre Jugend in der Ferne laͤchelnd weinte. Er bog sich nieder und kuͤßte ihre Hand, indem zwei große Thraͤnen herab stuͤrzten, dann umarmten sie sich herzlich. Ist deine Frau gestorben? fragte die Mutter. Ich war nie verheirathet, schluchzte Ferdinand. Himmel! sagte die Alte, die Haͤnde ringend, so bin ich die Ungetreue gewesen! Doch nein, nicht ungetreu. Als ich vom Lande zuruͤck kam, wo ich zwei Monden gewesen war, hoͤrte ich von allen Menschen, auch von deinen Freunden, nicht bloß den meinigen, du seyst laͤngst abgereist und in dei- Der Pokal . nem Vaterlande verheirathet; man zeigte mir die glaubwuͤrdigsten Briefe, man drang heftig in mich, man benutzte meine Trostlosigkeit, meinen Zorn, und so geschah es, daß ich meine Hand dem ver- dienstvollen Manne gab, mein Herz, meine Ge- danken blieben dir immer gewidmet. Ich habe mich nicht von hier entfernt, sagte Ferdinand, aber nach einiger Zeit vernahm ich deine Vermaͤhlung. Man wollte uns trennen, und es ist ihnen gelungen. Du bist gluͤckliche Mutter, ich lebe in der Vergangenheit, und alle deine Kin- der will ich wie die meinigen lieben. Aber wie wunderbar, daß wir uns seitdem nie wieder ge- sehen haben. Ich ging wenig aus, sagte die Mutter, und mein Mann, der bald darauf einer Erbschaft we- gen einen andern Namen annahm, hat dir auch jeden Verdacht dadurch entfernt, daß wir in der- selben Stadt wohnen koͤnnten. Ich vermied die Menschen, sagte Ferdinand, und lebte nur der Einsamkeit; Leopold ist beinah der einzige, der mich wieder anzog und unter Men- schen fuͤhrte. O geliebte Freundin, es ist wie eine schauerliche Geistergeschichte, wie wir uns verloren und wieder gefunden haben. Die jungen Leute fanden die Alten in Thraͤ- nen aufgeloͤst und in tiefster Bewegung. Keines sagte, was vorgefallen war, das Geheimniß schien ihnen zu heilig. Aber seitdem war der Greis der Freund des Hauses, und der Tod nur schied die beiden Wesen, die sich so sonderbar wieder gefun- Erste Abtheilung . den hatten, um sie kurze Zeit nachher wieder zu vereinigen. Es war uͤber dem Vorlesen dieser Maͤhr- chen viele Zeit verflossen, und man setzte sich sehr spaͤt zu Tische. Der Abend war wieder so warm, daß man die Fluͤgel des Saales eroͤffnen konnte, um die anmuthige Luft zu genießen. Man sprach noch vielerlei uͤber die vorgetragenen Erzaͤhlun- gen, und es schien, daß die uͤbrigen Frauen der Meinung Claras beitraten, welchen die Geschichte vom blonden Eckbert allen uͤbrigen vorzog. Emi- lie wollte im getreuen Eckart eine Disharmonie bemerken, Rosalie nahm die Magelone in Schutz und Wilibalds Erzaͤhlung, Auguste lobte die El- fen; nur in Ansehung des Runenberges und Lie- beszaubers blieben alle bei ihrer vorgefaßten Mei- nung, und verwarfen sie gaͤnzlich. Mein theurer Freund, sagte Manfred, zu Lothar gewandt, troͤ- sten wir uns daruͤber, daß die gegenwaͤrtige Zeit uns nicht versteht, ich appellire an eine bessere Nachwelt, die mich dankbar anerkennen wird. Wo ist die? fragte Lothar lachend. Dorten schlaͤft sie schon, sagte Manfred, nach der Kinderstube hinauf deutend, meine bei- den Jungen meine ich; so wie sie nur ein weni- ges bei Kraͤften sind, lese ich ihnen meine Werke vor, und belohne ihren Beifall mit Zuckerwerk, Erste Abtheilung . und ich will sehn, ob sie mich nicht auf lange fuͤr den ersten aller Dichter halten sollen. Wir sind aber unserm Freunde Lothar eine Verguͤtigung schuldig, sagte Clara, und da er heute als Autor so wenig Gluͤck gemacht hat, so versuche er es einmal mit der Koͤnigswuͤrde, er uͤbernehme die naͤchste Abtheilung und bestimme sie nach seiner Willkuͤhr. Lothar verneigte sich, und nahm aus dem Blumenkorbe eine Lilie, um sie als Scepter zu gebrauchen. So befehle ich denn, sprach er, daß wir diese Maͤhrchenwelt noch nicht verlassen, nur wollen wir den Dichtern die Muͤhe der Erfin- dung schenken; moͤgen sie allgemein bekannte Geschichten nehmen, wo moͤglich ganz kindische und alberne, und damit den Versuch machen, diesen durch ihre Darstellung ein neues Interesse zu geben; jedes dieser Maͤhrchen soll aber ein Drama seyn. Wilibald hustete und Auguste sagte: nur bitten wir Maͤdchen, daß es auch hie und da etwas lustig darinn zugehn moͤge, und nicht all- zu poetisch. Mir erlaube man auch eine Bitte, fuͤgte Emilie hinzu, und zwar diejenige, daß wir mit der Zeit etwas oͤkonomischer umgehn und berech- nen moͤgen, was sich vortragen und von den Zuhoͤrern erdulden laͤßt, denn heute haben wir uns offenbar uͤbersaͤttigt, und der Genuß ist fast zur Pein geworden; Sie muͤssen bedenken, daß Erste Abtheilung . wir Frauen nicht so an das Verschlingen der Buͤcher gewoͤhnt sind, wie die Maͤnner. Auch dieses ist gewaͤhrt, sagte Lothar, ich werde mit meinen Raͤthen eine billige und zweck- maͤßige Einrichtung treffen, besonders bei diesen Dramen, von denen einige laͤnger ausfallen duͤrf- ten, als die meisten der heutigen Erzaͤhlungen. Gute Nacht, sagte Manfred, ich bin so muͤde, und durch Beifall so wenig aufgemun- tert, daß ich am besten thun werde, mich in die Dunkelheit meines Bettes zuruͤck zu ziehn. Als er sich entfernt hatte, sprach man noch uͤber die seltsame Erscheinung, daß im Schreck- lichen eine gewisse Lieblichkeit wohnen koͤnne, die dem Reiz des Grauenhaften eine Art von Ruͤh- rung und Wehmuth beigeselle. Die letzte der heutigen Erzaͤhlungen, sagte Emilie, hat zwar nichts Furchtbares, kommt man aber darin uͤber- ein, wie doch die meisten Menschen zu glauben scheinen, daß die Liebe die Bluͤte des Lebens sey, so ist sie vielleicht die traurigste und ruͤh- rendste von allen, weil die erzaͤhlte Begebenheit fast durchaus moͤglich ist und sich an das All- taͤgliche knuͤpft. Anton bemerkte, daß die stille Lieblichkeit an sich leicht ermuͤde und einschlaͤfre, wie die meisten neueren Idyllen, und daß man ihnen wohl einen Zusatz wuͤnschen muͤsse, entweder von Schreck, oder Bosheit, oder irgend einem an- dern Ingrediens, um durch diese Wuͤrze den Ge- Erste Abtheilung . schmack des Lieblichen selber hervor zu heben, wie durch den Firniß die Farben mancher Ge- maͤhlde. Darum, sagte Lothar, hat man in Frank- reich mit Recht etwas Wolf in manche Schaͤ- fereien hinein gewuͤnscht. Die reine Unschuld, als solche, vertraͤgt keine Darstellung, denn sie liegt außer der Natur, oder falls sie natuͤrlich ist, ist sie hoͤchst unpoetisch; ich meine nemlich jene hohe, sentimentale, die uns die Dichter so oft haben mahlen wollen. Ich sah einmal eine franzoͤsische Operette, zwar nur von einem, aber desto laͤngeren Akte, in welcher ein junger Mensch von Anfang bis zu Ende nichts weiter in der Welt wollte, als seinen Papa lieben, den er be- kraͤnzte, als er schlief, und Fruͤchte vorsetzte, als er erwachte, worauf beide sich umarmten und geruͤhrt waren. Ich will nicht sagen, daß der- gleichen nicht loͤblich seyn koͤnnte; aber was in aller Welt ging es denn die Zuschauer an, die unten standen, und hoͤchst uͤberfluͤßige Zeugen dieser Zaͤrtlichkeit waren? Die Idyllen der Neueren, sagte Ernst, sind fruͤh sentimental geworden, oder allegorisch, in der letzten Zeit bei Franzosen und Deutschen meist fade und suͤßlich. Zwei Gedichte eines Deutschen aber sind mir bekannt, die ich vielen der schoͤn- sten Poesien an die Seite setzen moͤchte, den Sa- tyr Mopfus nemlich und Bacchidon und Milon vom Mahler Muͤller; die frische sinnliche Na- Erste Abtheilung . tur, der lyrische Schwung der Gesaͤnge, die schoͤn gewaͤhlten und kraͤftig ausgefuͤhrten Bil- der haben mich jedesmal bis zur Entzuͤckung hin- gerissen. Trefflich, wenn gleich nicht von dieser Vollendung, ist seine Schaafschur, reicher als dieses Gemaͤhlde aus unserer Zeit, sein Nußker- nen. In dem Gedicht „Adams erstes Erwa- chen“ befindet er sich freilich auch zuweilen in jener Leere, die sich nicht poetisch bevoͤlkern laͤßt, aber einzelne Stellen sind von großer Schoͤn- heit, und in der Darstellung der Thiere scheint er mir einzig; ich weiß wenigstens keinen Dich- ter, der sie uns mit dieser geistigen Lebendigkeit vor die Augen fuͤhrte. Wie Schade, daß dieses wahre Genie, welches sich so glaͤnzend ankuͤn- digte, nicht nachher das Studium der Poesie fortgesetzt hat! Sein Geist scheint mir mit dem des Julio Romano innig verwandt; dieselbe Fuͤlle und Lieblichkeit, das Scharfe und Bizarre der Gedanken, und dieselbe Sucht zur Ueber- treibung. Nach einigen Wendungen des Gespraͤches kam man auf die Seltsamkeit der Traͤume, und wie wunderbar sich, das Ahndungsvermoͤgen des Menschen oftmals in ihnen offenbare, und nach- dem einige Beispiele erzaͤhlt waren sagte Anton: mir ist eine Geschichte dieser Art bekannt, die mir glaubwuͤrdige Freunde als eine unbezwei- felt wahre mitgetheilt haben, und die ich Ihnen noch vortragen will, da sie uns nicht lange auf- Erste Abtheilung . halten wird. Ein Landedelmann ruhte neben sei- ner Frau in einem Zimmer des Schlosses. Mit- ternacht war schon voruͤber, als er ploͤtzlich aus dem Schlafe auffuhr, und seine Gattin weckte. Was ist dir, mein Lieber? fragte diese verwun- dert. Mich hat ein seltsamer Traum auf eine eigne Art bewegt, antwortete der Mann. Mir war, als ginge ich auf den Saal hinaus, und wie ich mich umsah, stand dein Kammermaͤdchen vor mir, aber so geputzt und aufgeschmuͤckt, wie ich sie niemals gesehn habe, auch trug sie einen gruͤnen Kranz in den Haaren; sie warf sich vor mir nieder, umfaßte meine Knie, und beschwor mich, ich solle ihr beistehn, denn ihr Leben schwebe in der groͤßten Gefahr. Ich habe sie so deutlich vor mir gesehn, und bin von ihren Thraͤnen und Bitten so geruͤhrt, daß ich nicht weiß, was ich davon denken soll. Wer wird, sagte die Frau, uͤber einen zufaͤlligen Traum gruͤbeln! Schlafe wohl und stoͤre mich nicht wieder. Beide schliefen ein. Nach einer halben Stunde erwachte der Mann in noch groͤßerer Beaͤngstigung; er rief seiner Gattin und sagte ihr, daß der nemliche Traum mit denselben Um- staͤnden ihm wieder vorgekommen sey, und das Maͤdchen habe noch dringender gefleht, noch schmerzlicher geweint. Die Frau schalt dieses Wichtignehmen eines leeren Traumes, Grille, fand die Widerholung der nemlichen Scene sehr na- tuͤrlich und begreiflich; nach einem kurzen Ge- Erste Abtheilung . spraͤche war auch der Mann derselben Meinung, und beide hatten sich wieder dem Schlafe uͤber- lassen. Sie erstaunte, als sie nach einiger Zeit von dem Geraͤusch erwachte, welches der Mann erregte, den sie angekleidet, und mit einem Lichte, welches er angezuͤndet hatte, vor dem Bette ste- hen sah. Was ist dir nur heut? fragte sie halb unwillig. Sey es wie es sey, antwortete ihr Gatte, ich will diesesmal einem Traume glau- ben, wenn auch sonst nie wieder, denn das Maͤd- chen ist mir jetzt zum dritten male eben so er- schienen, hat ihre Bitte wiederholt und mit aͤngstlichem Schreien hinzu gefuͤgt: nun ist es die hoͤchste Zeit, in einigen Minuten ist es zu spaͤt! Ich will jetzt hinauf gehn, und sehn was sie macht. Ohne eine Antwort zu erwarten ver- ließ er das Schlafzimmer. Wie erstaunte er, in- dem er sich die Treppe hinauf begeben wollte, daß die breiten Stiegen herunter das Maͤdchen ihm gerade so entgegen schritt, wie er sie im Traume gesehen hatte, im seidenen Kleide, wel- ches ihr nur vor wenigen Tagen die gnaͤdige Frau geschenkt hatte: mit Myrthen und Blumen in den Haaren, eine kleine Laterne in der Hand; das Licht, welches er trug, warf einen vollen Schein uͤber die erschrockene Gestalt, die auf die Anrede, wohin sie gehe, und was sie vorhabe, anfangs in ihrer Verwirrung nichts zu antwor- ten wußte. Endlich sammelte sie sich etwas und fiel ihrem Gebieter zu Fuß, dessen Knie sie mit Erste Abtheilung . Thraͤnen umfaßte. O Vergebung, mein gnaͤdiger Herr! rief sie aus, vergeben Sie, und machen Sie, daß die gnaͤdige Frau mir verzeiht: in die- ser Stunde wollte ich draußen im Garten hinter der Lindenallee den Gaͤrtner treffen, der mir schon seit lange die Ehe versprochen hat, und mit dem ich verlobt bin; heute Nacht wollten wir uns heimlich in der Capelle hier neben an trauen lassen, denn ich Ungluͤckliche bin seit fuͤnf Monden von ihm guter Hofnung. Gehe ruhig in dein Zimmer zuruͤck, sagte der Herr; ich will den Gaͤrtner selber aufsuchen, ich habe gegen eure Verbindung nichts, nur diese Heimlichkeit ist mir anstoͤßig. Er hat es durchaus so gewollt, antwortete sie, weil er der Ueberzeugung war, daß Sie uns beide nicht in Ihren Diensten be- halten wuͤrden, wenn Sie die Sache erfuͤhren. Gieb dich fuͤr heut zufrieden, sagte der Herr; morgen wollen wir vernuͤnftig daruͤber sprechen. O Gott, schluchzte sie, so habe ich doch heute mein Brautkleid umsonst angelegt! Mit diesen Worten ging sie die Treppe wieder hinauf. Der Baron ließ im Saale die Kerze stehn, und begab sich in den Garten. Die Nacht war finster und ohne Sterne, ein feuchter Herbstwind schlug ihm entgegen, die Baͤume sausten winterlich. Er schritt durch die bekannten Gaͤnge, und hinter den Linden, an der einsamsten und entferntesten Stelle des Gartens sah er aus dem Boden ein Lichtlein schimmern. Als er naͤher ging, sah er, Erste Abtheilung . daß sein Gaͤrtner in einer ausgehoͤlten Grube stand, und beim Schein einer kleinen Blendla- terne eifrig die Hoͤle wie zu einem Grabe erwei- terte. Ein Beil lag neben ihm. Ein Schauder ergriff den Herrn. Was macht ihr da? rief er ihn ploͤtzlich an. Der Gaͤrtner erschrack und ließ den Spaten fallen, indem er die Gestalt seines Gebieters gerade uͤber sich erblickte. Ich will hier Fruͤchte fuͤr den Winter einlegen, stotterte er verwirrt. Kommt mit mir in mein Zimmer, sagte der Baron, ich habe mit euch zu sprechen. Sogleich, gnaͤdiger Herr, erwiederte der Gaͤrt- ner. Er hob die Laterne auf, und stieg aus der Grube; aber statt sich nach dem Schlosse zu wen- den, blies er ploͤtzlich das Licht aus, sprang uͤber die Gartenhecke, und lief in den nahen Wald hinein. Seitdem hatte ihn Niemand in der dortigen Gegend wieder gesehn. — O weh! rief Clara, die schrecklichen Ge- schichten fangen von neuem an, und nun ist es gar Nacht und finster! Sie faßte ein Licht, und dasselbe thaten die uͤbrigen Frauen, um sich auf ihre Zimmer zu begeben, als ein ungeheurer Schlag ploͤtzlich gegen die Thuͤre erklang. Alle sahen sich schweigend an, und herein trat mit zentnerschwerem Schritt die Gestalt des steiner- nen Gastes. Er begab sich bis in die Mitte des Saales, indem noch keiner ein Wort aus- zusprechen wagte. Ich bin es ja, ihr Narren, rief ploͤtzlich Man- Erste Abtheilung . Manfreds bekannte Stimme, indem er mit seinem natuͤrlichen Gange naͤher kam. O er ist unertraͤg- lich, sagte Rosalie; glaubst du denn, daß ich nicht eben so stark schaudre, wenn ich gleich erkenne, daß das Gespenst nur eine weiße Maske ist, ge- rade deshalb, weil du, der Bekannte der Be- freundete, mir so grauenvoll erscheinst? Diese Vermischung dessen, was uns lieb und entsetzlich ist, ist gerade das Widerwaͤrtigste. So will er auch immer nicht begreifen, daß ich mich vor ihm fuͤrchte, wenn er, wandelt ihn einmal die Laune an, den Betrunkenen so natuͤrlich spielt, und daß ich eben so gern einen wirklich Berausch- ten oder Wahnsinnigen vor mir sehen moͤchte. Geh, du Ungezogener, und wische dir den Pu- der aus dem Gesichte. Nicht eher, sagte Manfred, bis du, und Auguste, und Clara, mir jede einen Kuß gege- ben haben. Er ging auf sie zu, die drei Frauen aber flohen mit den Lichtern, die sie in den Haͤnden hielten, durch den offenen Saal in den Garten, und die weiße behelmte Gestalt rannte ihnen nach. Man hoͤrte sie kreischen, und sah die drei Lichter und schlanken Gestalten durch den Buchengang schweben, dann um die Laube biegen, und dem Springbrunnen voruͤber sich in den großen Baumgang verlieren. Ploͤtzlich ver- nahm man ein lautes Aufrauschen im groͤßten Brunnen, wie wenn eine große Wucht hinein stuͤrzte, und das Wasser klatschend daruͤber zu- I. [ 30 ] Erste Abtheilung . sammen schluͤge. Die Geaͤngstigten stuͤrzten mit ihren Lichtern herzu, und Manfred, welcher hin- ein gesprungen war, gab der zunaͤchst stehenden Clara einen fluͤchtigen Kuß, dann seiner Gattin, und auch Auguste durfte sich nicht weigern, weil er schwur, widrigenfalls die ganze Nacht im Bassin zu verharren. Nun habe ich meinen Willen gehabt, sagte Manfred ruhig, und nun wird es wohl an der Zeit seyn, mich umzuklei- den oder vielmehr zu entkleiden, und mich im Bette zu erwaͤrmen. Man schalt und lachte, und Emilie war be- sonders unzufrieden. Die Frauen und Manfred gingen hinauf. Die uͤbrigen Freunde blieben noch im Garten, wo sie nach einiger Zeit von dem obern Zimmer Gesang ertoͤnen hoͤrten, der lieb- lich durch den Garten scholl. Es war ein Sin- gestuͤck von Palestrina, welches die drei Frauen ohne Begleitung eines Instruments ausfuͤhrten. Friedrich sagte: alle Empfindungen, schoͤne wie unangenehme, verschuͤtten sie jetzt in diese Wogen des Wohllauts. So wird der Tag am schoͤnsten beschlossen, und die Nacht am wuͤrdig- sten gefeyert. Ich halte es fuͤr ein Gluͤck meines Lebens, sagte Ernst, daß ich zeitig genug nach Rom kam, um noch oftmals den Gesang der paͤpstlichen Capelle hoͤren zu koͤnnen. Die Musik, die man Weihnachten in Maria Maggiore und in der Charwoche im Vatikan hoͤrte, vielmals auch im Erste Abtheilung . paͤpstlichen Pallast auf Monte Cavallo, war eben so einzig, als es das juͤngste Gericht von Mi- chael Angelo, oder die Stanzen Rafaels sind; man konnte diesen Genuß auch nur in dem ein- zigen Rom haben, und wie diese Hauptstadt der Welt, der Mittelpunkt der Mahlerei und Skulp- tur war, so war sie auch die wahre hohe Schule der Musik. Diese Herrlichkeit ist nun auch zer- truͤmmert, und man kann davon nur wie von einer alten wunderbaren Sage erzaͤhlen. Schon fruͤher war es fuͤr mich eine Epoche meines Le- bens gewesen, diesen alten wahren Gesang ken- nen zu lernen: ich hatte immer nach Musik, nach der hoͤchsten, geduͤrstet, und geglaubt, keinen Sinn fuͤr diese Kunst zu besitzen, als mit der Kennt- niß des Palestrina, Leo, Allegri, und jener Al- ten, die man jetzt von den Liebhabern selten oder nie nennen hoͤrt, mein Gehoͤr und mein Geist erwachte. Seitdem weiß ich wohl, was ich vor- her suchte, und warum ehemals mich nichts be- friedigen wollte. Seitdem glaube ich eingesehen zu haben, daß nur dieses die wahre Musik sey, und daß der Strom, den man in den weltlichen Luxus unserer Oper hinein geleitet hat, um ihn mit Zorn, Rache und allen Leidenschaften zu ver- setzen, truͤbe und unlauter geworden ist: denn unter den Kuͤnsten ist die Musik die religioͤseste, sie ist ganz Andacht, Sehnsucht, Demuth, Liebe; sie kann nicht pathetisch seyn, und auf ihre Staͤrke und Kraft pochen, oder sich in Verzweif- Erste Abtheilung . lung austoben wollen, hier verliert sie ihren Geist, und wird nur eine schwache Nachahmerin der Rede und Poesie. Du scheinst mir jetzt zu einseitig, sagte Lo- thar; erinnere ich mich doch der Zeit recht gut, wo du den Mozart hoch verehrtest. Ich muͤßte ohne Gefuͤhl seyn, antwortete Ernst, wenn ich den wundersamen, reichen und tiefen Geist dieses Kuͤnstlers nicht ehren und lie- ben sollte, wenn ich mich nicht von seinen Wer- ken hingerissen fuͤhlte. Nur muß man mich kein Requiem von ihm wollen hoͤren lassen, oder mich zu uͤberzeugen suchen, daß er, so wie die meisten Neueren, wirklich eine geistliche Musik habe setzen koͤnnen. Aber er ist einzig in seiner Kunst. Als die Musik ihre himmlische Unschuld verlo- ren, und sich schon laͤngst zu den kleinlichen Lei- denschaften der Menschen erniedrigt hatte, fand er sie in ihrer Entartung, und lehrte ihr aus bewegtem Herzen das Wundersamste, Fremdeste, ihr Unnatuͤrlichste austoͤnen; zugleich jene tiefe Leidenschaft der Seele, jenes Ringen aller Kraͤfte in unaussprechlicher Sehnsucht, nicht fremd so- gar blieb ihr das gespenstische Grauen und Ent- setzen. Ich sehe hierinn die Geschichte des Or- pheus und der Eurydice. Sie ist gestorben; bei den Schatten, in der dunkeln Unterwelt weilt die Geliebte; er fuͤhlt Kraft und Muth genug, das Licht der Sonne zu verlassen, sich der schwar- zen Flut und Daͤmmerung anzuvertrauen; sein Erste Abtheilung . Zauberspiel ruͤhrt den ernsten, sonst unerbittlichen Gott, die Larven und Verdammten genießen in seinen Toͤnen einer schnell voruͤber fliehenden Seeligkeit; Eurydice folgt seinem Saitenspiel, aber nicht ruͤckwaͤrts soll er blicken, ihr nicht ins Angesicht schauen, sie nur im Glauben be- sitzen; sie lockt, sie ruft, sie weint, da wendet sich sein Auge, und blasser und blasser zittert die geliebte Gestalt in den gaͤhnenden Orkus zuruͤck. Der Saͤnger tritt mit der Kraft seiner Toͤne wie- der in die Oberwelt, sein Lied singt und klagt die Verlorene, alle Melodien suchen sie, aber er hat aus dem tiefen Abgrund, den kein Saͤn- ger vor ihm besucht, das schwermuͤthige Rollen der unterirdischen Waͤsser, das Aechzen der Ge- marterten, das Stoͤhnen der Geaͤngstigten und das Hohnlachen der Furien, samt allen Graͤueln der dunkeln Reiche mit herauf gebracht, und alles klingt in vielfach verschlungener Kunst in der Lieblichkeit seiner Lieder. Himmel und Hoͤlle, die durch unermeßliche Kluͤfte getrennt waren, sind zauberhaft und zum Erschrecken in der Kunst vereinigt, die urspruͤnglich reines Licht, stille Liebe und lobpreisende Andacht war. So erscheint mir Mozarts Musik. Es war den neusten Zeiten vorbehalten, fuhr Lothar fort, den wundervollen Reichthum des menschlichen Sinnes in dieser Kunst, vor- zuͤglich in der Instrumental-Musik auszuspre- chen. In diesen vielstimmigen Compositionen Erste Abtheilung . und in den Symphonien vernehmen wir aus dem tiefsten Grunde heraus das unersaͤttliche, aus sich verirrende und in sich zuruͤck kehrende Sehnen, jenes unaussprechliche Verlangen, das nirgend Erfuͤllung findet und in verzehrender Leidenschaft sich in den Strom des Wahnsinns wirft, nun mit allen Toͤnen kaͤmpft, bald uͤber- waͤltigt bald siegend aus den Wogen ruft, und Rettung suchend tiefer und tiefer versinkt. Und wie es dem Menschen allenthalben geschieht, wenn er alle Schranken uͤberfliegen und das Letzte und Hoͤchste erringen will, daß die Leiden- schaft in sich selbst zerbricht und zersplittert, das Gegentheil ihrer urspruͤnglichen Groͤße, so ge- schieht es auch wohl in dieser Kunst großen Talenten. Wenn wir Mozart wahnsinnig nen- nen duͤrfen, so ist der genialische Beethoven oft nicht vom Rasenden zu unterscheiden, der selten einen musikalischen Gedanken verfolgt und sich in ihm beruhigt, sondern durch die gewaltthaͤ- tigsten Uebergaͤnge springt und der Phantasie gleichsam selbst im rastlosen Kampfe zu entflie- hen sucht. Alle diese neuen tiefsinnigen Bestrebungen, sagte Anton, sind meinem Gemuͤthe nicht fremd, sie toͤnen wie das Rauschen des Lebensstromes zwischen Felsenufern, der uͤber Klippen und hemmendem Gestein in romantischer Wildniß musikalisch braust; nur das ist mir unbegreiflich geblieben, wie die Schoͤpfung und die Tages- Erste Abtheilung . zeiten unsers Haydn fast allenthalben haben Gluͤck machen koͤnnen, deren kindische Mahle- rey gegen allen hoͤheren Sinn streitet. Seine Symphonien und Instrumental-Compositionen sind meist so vortreflich, daß man ihm diese Verirrung niemals haͤtte zutrauen sollen. Friedrich wandte sich zu Ernst und sagte: Lieber, ehe wir jetzt scheiden, sage uns noch die drei Sonette vor, welche du dichtetest, als dir jene alte große Singe-Musik zuerst bekannt wurde. Diese Verse sind mir immer vorzuͤglich lieb gewesen, weil sie mir nicht so wohl gedich- tet als eingegeben scheinen. Ich kann wenigstens sagen, erwiederte Ernst, daß ich sie damals niederschreiben mußte, und daß ich von den oft besprochenen Schwierigkei- ten des Sonetts nichts erlitt. Von dreierlei Art kann die geistliche Musik hauptsaͤchlich seyn. Entweder ist es der Ton selbst, der durch seine Reinheit und Heiligkeit die Andacht erweckt, durch jene einfache edle Sympathie, welche har- monisch die befreundeten Klaͤnge verbindet und miteinander ausstralen laͤßt, wodurch jene hohe Musik entsteht, welche sinnige Alte dem Um- schwung der Gestirne ebenfalls zuschreiben woll- ten. Dieser Gesang, ausgehalten, ohne rasche Bewegung, sich selbst genuͤgend, ruft in unsre Seele das Bild der Ewigkeit, so wie der Schoͤp- fung und der entstehenden Zeit: Palestrina ist der wuͤrdigste Repraͤsentant dieser Periode. Oder Erste Abtheilung . die Musik ist mit dem Menschen und der Schoͤp- fung schon von dieser heiligen reinen Bahn gewichen: alles verstummt; da ergreift die Sehn- sucht aus dem Innersten hervor den Ton, und will in jene alte Unschuld zuruͤck stuͤrmen und das Paradies wieder erobern. Leo, und viel- leicht Marcello, so wie viele andre, charakterisi- ren diese Epoche. An diese schon mehr leiden- schaftliche Kunst schlossen sich nachher die welt- lichen Musiker. Drittens kann die geistliche Musik ganz wie ein unschuldiges Kind spielen und taͤndeln, arglos in der Suͤßigkeit der Toͤne wuͤhlen und plaͤtschern, und auf gelinde Weise Schmerz und Freude vermischt in den lieblich- sten Melodien ausgießen. Der oft von den Gelehrteren verkannte Pergolese scheint mir hierin das Hoͤchste erreicht zu haben, den seine Nach- ahmer wohl eben so wenig verstanden, als Cor- reggio von denen gefaßt wurde, die sich nach ihm bilden wollten. Das aͤhnliche sagen fol- gende Sonette, welche die Musik selber spricht. Im Anfang war das Wort. Die ewgen Tiefen Entzuͤndeten sich bruͤnstig im Verlangen, Die Liebe nahm das Wort in Lust gefangen, Aufschlugen hell die Augen, welche schliefen, Sehnsuͤchtge Angst, das Freudezittern, riefen Die seelgen Thraͤnen auf die heilgen Wangen, Daß alle Kraͤfte wollustreich erklangen, Begierig, in sich selbst sich zu vertiefen. Erste Abtheilung . Da brachen sich die Leiden an den Freuden, Die Wonne suchte sich im stillen Innern, Das Wort empfand die Engel, welche schufen; Sie gingen aus, entzuͤckend war ihr Scheiden. Auf, Gottes Bildniß, deß dich zu erinnern Vernimm, wie meine heilgen Toͤne rufen. Nacht, Furcht, Tod, Stummheit, Quaal war ein- gebrochen, Ihr Banner wehte auf besiegten Reichen, Erschrocken flohen vor dem giftgen Zeichen Mit stummer Zunge, welche erst gesprochen. So ist denn ganz das Liebeswort zerbrochen? Es sucht im Wasserfall, will sich erreichen, Aus Baͤumen strebt es, Quellen, gruͤnen Straͤuchen, In Wogen klagt es: was hab ich verbrochen? Die Wasser gehn und finden keine Zungen, Dem Wald, dem Fels ist wohl der Laut gebunden, Die Angst entzuͤndet sich im Thiere schreiend. In Menschenstimme ist es ihm gelungen, Nun hat das ewge Wort sich wieder funden, Klagt, betet, weint, jauchzt laut sich selbst befreiend. Ich bin ein Engel, Menschenkind, das wisse, Mein Fluͤgelpaar klingt in dem Morgenlichte, Den gruͤnen Wald erfreut mein Angesichte, Das Nachtigallen-Chor giebt seine Gruͤße. Erste Abtheilung . Wem ich der Sterblichen die Lippen kuͤsse, Dem toͤnt die Welt ein goͤttliches Gedichte, Wald, Wasser, Feld und Luft spricht ihm Geschichte, Im Herzen rinnen Paradieses-Fluͤsse. Die ewge Liebe, welche nie vergangen, Erscheint ihm im Triumph auf allen Wogen, Er nimmt den Toͤnen ihre dunkle Huͤlle, Da regt sich, schlaͤgt im Jubel auf die Stille, Zur spielnden Glorie wird der Himmelsbogen, Der Trunkne hoͤrt, was alle Engel sangen. Zweite Abtheilung . Lothar . E s war am folgenden Tage schon spaͤt gewor- den, und Emilie zweifelte, ob es noch Zeit seyn wuͤrde, eine Vorlesung anzufangen. O meine verehrte Freundinn, rief Lothar aus, soll denn die Gesellschaft, die uns heut aufgehalten und uns alle unruhig gemacht hat, auch auf meine Regierung und unsre Unterhaltung so schlimmen Einfluß aͤußern! Es wird gerade am besten seyn, durch ein Gedicht, welches von keinem großen Umfange ist, die Ruhe wieder zu finden, die jene flatternden Fraͤulein uns entfuͤhrt haben, welche unermuͤdet aus einem Zimmer in das andre, und vom Garten in den Saal und wie- der aus dem Saal in den Garten zuruͤck wogten, um irgendwo Spaß und Zeitvertreib anzutreffen, welche sich nirgend wollten erhaschen lassen. Anton zog ein Buͤchelchen aus der Tasche, indem er sagte: ich muß wieder der erste seyn, der voran geschickt wird, um meinen Freunden die Bahn zu brechen, damit sie nachher ihre Verirrungen mit meinem Beispiel entschuldigen koͤnnen. Unser Zeitalter ist durchaus dramatisch, und um den allerfruͤhesten Forderungen des Her- zens zu genuͤgen, habe ich den Versuch gemacht, ein Maͤhrchen von der hoͤchsten Albernheit, mit welchem die Waͤrterinnen fast zuerst die Kinder zu fuͤrchten machen, in einer Tragoͤdie darzustellen. Zweite Abtheilung . Leben und Tod des kleinen Rothkaͤppchens . Eine Tragoͤdie . Personen: Die Großmutter. Rothkaͤppchen. Hanna, ein Bauermaͤdchen. Der Jaͤger. Zwei Rothkehlchen. Der Wolf. Der Hund. Ein Bauer. Peter. Dessen Braut. Die Nachtigall. Der Kuckuck. Rothkaͤppchen . Erste Scene . (Stube.) sitzt und liest. I st heute gar ein schoͤner Tag, An dem man gern Gott dienen mag, Das Wetter ist hell, scheint die Sonne herein, Da muß das Herz andaͤchtig seyn. Ich hoͤre von ferne das Gelaͤute, Es ist ein lieblicher Sonntag heute, Vor dem Fenster die Baͤume sich rauschend neigen, Als wollten sie sich gottsfuͤrchtig bezeigen. Ich wohn allhier vom Dorf abseitig, Sonst ging ich gern zur Kirche zeitig, Doch ich bin alt, dazu krank gewesen, Da thu ich im lieben Gesangbuch lesen, Der Herr muß damit zufrieden sich geben, Eine arme Frau kann nicht mehr thun eben. — (gaͤhnt und macht das Buch zu.) Ach Gott! so geht es in der Welt! Ja, ja, es ist recht schlimm bestellt. Meine Tochter Elsbeth backt heute Kuchen, Da wird mich wohl klein Rothkaͤppchen besuchen. Es geht die Thuͤr oder es ist der Wind, Ich glaube da kommt das kleine Kind. Zweite Abtheilung . tritt herein. Guten Morgen, lieb Großmutter, wie geht es dir? Großen Dank, mein Kind, es geht so so — was matt. Ich kam so sachtchen durch die Thuͤr; Ich dachte: wenn sie nicht gut geschlafen hat, So mag sie wohl jetzt ein bischen nicken, Da mußt du sie nicht aus dem Schlummer wecken. Ich bin schon heut fruͤh munter gewesen Und habe in Gottes Wort gelesen. Du bist recht fromm. Die Mutter hat heut Einen schoͤnen großen Kuchen gebacken, Da schickt sie dir auch ein Stuͤck. Du liebe Zeit! Ei, Dank, mein Kind! Der schaut recht wacker. Wo sind denn die lieben Eltern dein? Sie werden jetzt in der Kirche seyn, Ich ging vorbei, die Orgel klung Recht lustig, der Kanter maͤchtig sung. Mit der Kirch ist es heut besonders bewendt, Es predigt drinn der Superdent, Der Pastor ist noch krank, deswegen Ists heute drinn recht dick voll Leut; Sie Rothkaͤppchen . Sie meinen, der koͤnnte recht den Text auslegen. — Du hast ja schoͤnen frischen Sand gestreut. Man muß doch auch wissen, daß Sonntag ist, Sonst lebt man wie'n Heide und nicht wie ein Christ. Sie haben mich auch heute weiß angezogen, Sieh nur die bunten Blumen, das neue Kleid! Dem Kaͤppchen bin ich besonders gewogen, Das du mir schenktest zur Weihnachtszeit. Sie sagen alle, es thaͤte Noth, Daß ich das Kaͤppchen ließe liegen Und es nicht alle Tage truͤge; Aber es geht doch keine Farbe uͤber Roth. Ei, liebes Kind, trag du sie dreist, Ich hab sie dir geschenkt zum heiligen Christ, Sie kleidt dich huͤbsch, und wie du weißt, Du seitdem Rothkaͤppchen geheißen bist; Ist die aufgetragen, schafft man wohl Rath zu 'ner neuen. Wie wollt ich mich von Herzen freuen Wenn sie mich erst koͤnnten konfirmiren! Dazu mußt du mir wieder 'ne rothe Kappe schenken. Daran ist jetzt noch nicht zu denken, Du bist kaum sieben Jahr, da fuͤhren Sie noch kein Kind an den Tisch des Herrn, Da koͤnnen sie noch nichts von Religion verstehn, I. [ 31 ] Zweite Abtheilung . Du duͤrftest auch nicht in 'ner rothen Muͤtze gehn, Muͤßtest schwarz und ehrbar dich tragen, Einen Muff, 'nen hohen Kragen; Das kann Gott der Herr nicht vertragen, Daß man zu ihm wie zum Tanzboden springt, Sein Wort mit rothen Muͤtzen in der Kirche singt. Bin doch schon so in die Kirche gegangen, Und hat mir keiner was drum gethan. Als Kind ist dirs so hingegangen, Die Unmuͤnd'gen sieht er so genau nicht an. Was hat aber Gott an so schoͤnen rothen Muͤtzen Denn so gar Großes auszusetzen? Ei schweig, du boͤses Kind! Vor der Hand Hast du davon noch keinen Verstand; Wer da will in sein Himmelreich eingehen, Muß sich wohl zu schwereren Dingen verstehen. Ließe mich Gott nur so lange leben, Daß ich dir zum Abendmahl koͤnnt' ein Muͤffchen schenken! Doch ist daran nicht zu gedenken, Ich muß wohl bald den Geist aufgeben. Großmutter, nein, das thut nicht Noth. Hin geht die Zeit, her kommt der Tod. — Ich befehle mich in deine Haͤnde! — Wer weiß, wie nahe mir mein Ende. Rothkaͤppchen . Großmutterchen, willst du mich lieben Mußt du mich auch nicht so betruͤben. Du sollst noch recht huͤbsch bei mir bleiben, Wir wollen uns noch schoͤn die Zeit vertreiben; Ein andermal bring ich mein Puͤppchen mit, Da sollst du gewiß brav lustig werden. Ach, liebes Kind, auf dieser Erden Ist man vom Grab oft nur zwei Schritt, Und meint, man soll noch weit gelangen. — Sieh, wie schoͤn der Kuchen aufgegangen. Was macht denn der Vater? Warum koͤmmt er nicht mal her? Er hats in den Beinen, das Gehn wird ihm schwer, Das eine Knie ist ganz geschwollen. Da haͤtt' er was zu brauchen sollen. Er hat auch mancherlei eingenommen, Doch will es ihm nicht recht bekommen. Der Kantor meint, vom Trinken kaͤm es, Das muͤßt er lassen bei Medicin; Doch will er sich dazu nicht bequemen, Er sagt, der Kantor vexire ihn, Der traͤnke wohl dreimal mehr als er, Und haͤtte doch keine Beine schwer. Die boͤsen Leut'! Der Brantewein Muß immer ihre erste Freude seyn. Zweite Abtheilung . Ja, es hat manchen Zank gesetzt; Aber die Mutter hat Recht, denn sie versetzt, Das Trinken waͤr ihm an Arbeit hinderlich. Der Vater ist ganz boͤs und wunderlich. Sei still, mein Tochter, es schickt sich weder Daß Kinder dergleichen merken noch reden. Das hat ihm Mutter auch zu Gemuͤth gefuͤhrt, Daß er sich nicht ein bischen vor mir genirt, Wenn er des Abends betrunken heime schwaͤrmt Und ohne Ursach zankt und laͤrmt. — Ich habe dir schoͤnen Blumen mitgebracht, Bald haͤtt ich daran nicht gedacht, Es lacht von rother Bluͤthe der ganze Wald, Von tausend Voͤgeln das gruͤne Dickicht schallt. Ei sieh, wie du in deiner Tasche fast Die lieben Bluͤmchen ganz zerknittert hast! Du bist und bleibst ein wildes Ding. Als ich so auf dem Fußsteig ging, Wars, als haͤtt ich sie pfluͤcken muͤssen, So lachten sie zu meinen Fuͤßen; Ich dachte, du koͤnntest sie vors Fenster stellen. — Horch! was muͤssen denn wohl die Hunde so bellen? Man spricht, daß sich seit ein'gen Tagen Ein Wolf hier zeigt, den moͤgen sie wohl jagen. Rothkaͤppchen . Hier ist es recht lustig vor deinem Haus, So dicht am Fenster der Wald da draus, Voͤgel springen und singen ohne Rast Und zwitschern munter von Ast zu Ast; Magst du wohl die kleinen Voͤglein leiden? Ich sehe sie an mit vielen Freuden, Sie sind schon immer recht fruͤhe munter Und singen den gruͤnen Wald hinunter, Sie musiziren mit solcher Pracht, Daß einem das Herz im Leibe lacht. Was ist das fuͤr ein Baum da, dessen Blaͤtter So hastig flispern, als wenn sie zittern? Der wird der Espenbaum genannt. Aha! Mir ist ein Sprichwort bekannt: Er zittert wie 'ne Espe; das kommt daher! Wovon zittert aber wohl der Baum so sehr? Das will ich dir gern sagen, mein Kind, Nur schlag es nicht gleich wieder in den Wind Als unser Herr Christus in Menschengestalt Hatt' auf der Erde seinen Aufenthalt, Da wandelt' er oft durch Berg und Wald. Er hat auch in der Wuͤsten gereist Und da fuͤnf tausend Mann gespeist; Zweite Abtheilung . Dann hat er viele Quaal erfahren, Ist endlich gar gen Himmel gefahren. Recht! es ist viel in deinen Jahren Daß du schon so viel Gottes Wort weißt. Im Katechismus steht es Wort fuͤr Wort. Herr Christus reiste von Ort zu Ort, Seine Lehr zu predigen, Kranke zu heilen, Und uns sein Evangelium zu ertheilen. So ging er auch einst durch einen Wald, Die Baͤum' erkannten ihn alsbald, In ihrer Unvernunft fingen sie an sich zu neigen Und bis auf die Erde herunter zu beugen, Rauschten dazu, als wenn sie gruͤßten Und seine heiligen Fußstapfen kuͤßten, Die Eiche, die Buche, und wie man sie nennt, Machen vor Gottes Sohn ihr schoͤn Compliment. Wie sich nun jeder Baum in Demuth wendt, Sieht der Herr Jesus, daß das Espenholz Grad aufrecht steht in seinem dummen Stolz, Ihm auch durchaus will keine Ehr erzeigen, Den steifen Ruͤcken nicht zur Demuth neigen. Da sprach der Herr: du willst mich nicht begruͤßen, Du stellst dich an, als waͤr ich nicht zugegen, Dafuͤr sollst du bestaͤndig rauschen muͤssen Und dich in allen deinen Zweigen regen, Und selbst im allerstillsten Wetter Mit deinen gruͤnen Laͤubern zittern! Rothkaͤppchen . Die Angst befiel den Baum, als er so sprach, Er zittert fort bis an den juͤngsten Tag. Ja, ja, wer nicht bei Zeiten hoͤrt, der fuͤhle! — Leb wohl, ich geh zuruͤck, noch ist es kuͤhle. Mein Kind, eh du dich nun entfernt, Sing noch das Lied, das du gelernt. (singt). Misekaͤtzchen ging spazieren Auf dem Dach am hellen Tag, Macht sich an den Taubenschlag, Eine Taub' zu attrapiren. Miau! Miau! Schluͤpft wohl in das Loch hinein, Aber kaum ist sie darein, Ist der Appetit vergangen: Eine Falle, siehst du, faͤllt, Fuͤr den Marder aufgestellt, Und das Kaͤtzchen muß drin hangen, Und im Sterben schreit sie: trau Nicht auf Diebstahl je, Miau! Das ist ein schoͤnes Lied, das nimm in Acht, Untugend hat noch nie was eingebracht. — Gruͤß deine Mutter, ich lasse mich bedanken, Daß sie nicht vergißt die Alten und Kranken. Leb wohl, Großmutter! ich komme wohl wieder, Und bringe Nachmittag noch Essen heruͤber. (geht.) Da laͤßt der Ruschel die Hofthuͤr auf! Zweite Abtheilung . Nun kann jeder zu mir den Hof hinauf; Sie bleibt so wild wie sie nur war Und koͤmmt doch in die erwachsene Jahr: Doch hat es eben nichts zu bedeuten, Es koͤmmt ja keiner zu mir heute. Es ist wahr, nichts uͤber das Maͤdchen geht, Und wie ihr das rothe Muͤtzchen steht! Zweite Scene . ( Der Wald .) Der Jaͤger tritt auf. I mmer und ewig ein Jaͤger zu seyn, Das will mir gar nicht den Kopf hinein; Bei Tag und Nacht den Wald durchrennen, Wenn andre zu Hause sitzen koͤnnen, Im Schnee, in der Kaͤlt' und Hitze, Ist dem gesundesten Koͤrper nicht nuͤtze. Heut ist im Dorfe kein so armer Flegel, Der nicht seine etliche Staͤmme kegelt, Am Abend sitzet bei den Wenzeln, Und ich muß mich hier im Wald rum haͤnseln, Einem Wolf auf die Spur zu gerathen, Was noch am Ende dient zu meinem Schaden. — Rothkaͤppchen . Waͤrst du nicht, Toback, Waͤr das Leben gar aͤrmlich, Es staͤnde um uns Lumpenpack, Dann wahrlich gar zu erbaͤrmlich. (er schlaͤgt sich Feuer zur Pfeife an.) Wunderlich! wie das Feuer im Stein Und Stahle muß verborgen seyn! Worauf der Mensch doch nicht gekommen! Wie alle Kunst ihren Ursprung genommen! Es ist erstaunlich, was im Menschen liegt, Und wie er alles zu seinem Nutzen fuͤgt; Und alle Tage bringt mans weiter, Unsre Kinder werden noch gescheidter, Der Kopf wird den Leuten gar zu voll, Man begreift nicht, wo's mit all dem Verstande hin soll. Rothkaͤppchen koͤmmt. Ei Rothkaͤppchen, sey tausendmal willkommen! Bist du schon so fruͤh ausgegangen? Ich bin von meiner Großmutter gekommen. Ihr jagt heut? Ja, es gilt dem Rangen, Dem Wolf, der hier im Walde ist, Und manch unschuldig Laͤmmchen frißt. So ists doch wahr, was die Leute sagen? So duͤrfte sich ein Wolf so nahe wagen? Zweite Abtheilung . Sie sind unverschaͤmte Gesellen, Die sich gern aller Orten einstellen. Fuͤrcht't ihr euch nicht, ihm zu nahe zu kommen? Ich hab' ihn schon laͤngst aufs Rohr genommen. Ihn fuͤrchten? Da waͤr' ich ein rechter Wicht! Ich fuͤrchte den leibhaftgen Teufel nicht. O sprecht nicht so, wenn er nun kaͤme, Und euch so unversehens naͤhme. Ein Jaͤger muß haben firmen Muth, Ein großes Herz, ein braves Blut, Keine Gefahr nicht achten, kein Wetter scheun, Sonst sollt' er zum Ofensitzer besser seyn. Ihr seyd heut in der neuen Jacke, Darzu glaͤnzt auch der Hirschfaͤnger schoͤn. Wenn ich den Monsieur Wolf nur packe, So ists gewiß um ihn geschehn. Kleidt michs nicht gut, das neue Tuch? Es ist fuͤr so was gut genug. Was hast du daran auszusetzen? Die Jacke wuͤrde euch noch besser sitzen, Waͤr' sie schoͤn roth, wie meine Muͤtze. Rothkaͤppchen . Die ganze Welt kann doch nicht wie deine Muͤtze seyn, Es muß auch andre Farben geben; Die gruͤne Farbe, bei meinem Leben, Die macht einen allerliebsten Schein. Gruͤn ist ganz gut und dient zur Noth, Doch geht keine Farbe uͤber Roth. Der Wald ist gruͤn, die Erde ist gruͤn, Wo du nur wendest dein Auge hin, — Es ist was in der Farbe, — ein Wesen, — Ein Glanz, — versteh, — ein gewisses Wesen — Das Gruͤn ist wie geringe Leut, Man findet es so allerwege, Auf jedem Busch, jedwed Gehege Da waͤchst es; ach du liebe Zeit! Doch ist von da zu Roth noch weit. Das Roth macht gleich die Augen rege; Wie viel bekoͤmmt ein Kind nicht Schlaͤge, Daß ihn das Naschen wohl gereut. Wo sich was Rothes laͤßt erblicken Ist auch die rothe Lippe da Und ißt, und waͤrs ein unreif Haͤppchen. Wie selig, wem es mochte gluͤcken, Daß er auf seinem Kopfe sah Wie ich, ein schoͤnes rothes Kaͤppchen. Du bist ein Naͤrrchen, gieb mir einen Kuß. Zweite Abtheilung . O geht der Toback macht mir nur Verdruß. Du Schelm, willst du nicht Toback riechen, Wirst du nimmermehr einen Ehmann kriegen. (geht ab.) Die meinen immer, daß wenn man sie nicht nimmt, Man eben gar keinen Mann bekoͤmmt, Hat einer nun vollends eine neue Jacke angezogen, So denkt er gar, ihm ist jeder gewogen. fliegen vom Baum und springen um sie her. Rothkaͤppchen! Rothkaͤppchen! Was wollen die Voͤgel von mir? Schoͤn guten Tag! Wo gehst du von hier? Nach Hause. Ei sieh die artigen Dinger, Wie sie auf den kleinen Beinchen springen! Die haben auch Roth um den Hals und die Brust; So'n Voͤgelchen ist eine herrliche Lust! Du bist ein Rothkehlchen, Wir sind wie Rothkaͤppchen, Das macht uns Freuden: Wir sind dir gut, Freundliches Blut, Magst du uns leiden? Rothkaͤppchen . Ach, ihr lieben Gesellen, Hat euch nicht Gott der Herr eben Selbst rothe Muͤtzchen gegeben? Wer wollte solch Urtheil faͤllen, Daß er an den lieblichen hellen Bunt Farben und lustigem Leben, Nicht haͤtte Gefallen so eben Wie an dem Traurig stellen? Den Kummer laß ich fahren, Ich glaube dreist daran, Ich darf es immer wagen: Komm ich zu erwachsenen Jahren, Zieh ich, wie es beliebt, mich an, Will auch dann ein rothes Kaͤppchen tragen! (sie geht ab.) Rothkaͤppchen, Rothkaͤppchen ist unser Freund! Wie lieblich warm die Sonne scheint! (fliegen fort.) Dritte Scene . (Dickicht im Walde). M uß nun hier in den dichtesten Gestraͤuchen Wie ein Vertriebener auf und nieder schleichen, Und bin verstoßen und ausgetrieben. Zweite Abtheilung . Da ist kein Wesen, das mich moͤchte lieben; Keiner koͤmmt mir nah, keiner mag mir traun, Sie alle mit Abscheu auf mich schaun. Und warum wird mir dies alles gethan? Weil ich nicht heucheln und schmeicheln kann. Weil ich mich nicht erniedern will zum Knecht, So denkt ein jeder von mir schlecht. — Wie oft bin ich gekraͤnkt und verkannt, Und umgetrieben von Land zu Land, Vergeblich suchend die Sympathie, Wohl Schlaͤge fand ich, doch nimmermehr die; Nach mir geworfen, mit Pulver geschossen, Und Fallen gestellt, und dergleichen Possen; Man schrie, wo ich mich ließ sehn bei Tageshelle: Da geht der Wolf! den nehmt beim Felle! Und dennoch reden sie von Toleranz, Und duͤnkt sich duldend jeder Alfanz Wenn er des Sonntags im ordinaͤren Rocke geht, Bei Aermern auch Gevatter steht. Und noch menschlicher als der Mensch ist der Hund, Mein Geschwisterkind, und doch im Bund Mit unserm gemeinschaftlichen Tyrannen. Da kommt ja Spitz, mein Freund! von wannen Des Weges, guter, edler Spitz? tritt auf. Sieh da! ist hier dein Sommersitz? Ich geh ein wenig rum spatzieren, Ein Kaninchen oder Hasen zu attrappiren, Nur fuͤrcht' ich mich vor des Jaͤgers Buͤchsenschuß, Rothkaͤppchen . Denn so ein Kerl versteht uͤber Jagd keinen Spaß. Bist du noch bei Rothkaͤppchens Vater in Dienst? O ja, ich habe da guten Gewinnst, Die Wirthschaft ist groß, und manches bleibt uͤber Was sie mir als andern goͤnnen lieber, Das Kind im Hause ist mir auch gut Und steckt mir heimlich manches zu, Wofuͤr ich denn die Katze vexire, Auch Stoͤckchen aus dem Wasser apportire, Lege mich auf den Ruͤcken und stelle mich todt. Gottlob! ich leide jetzt keine Noth. Das sind die Kuͤnste, die finden ihr Brod! Jetzt ist seit vierzehn oder zwanzig Tagen Im Wald mit Essen ein vieles Tragen, Die Großmutter ist krank und wird gepflegt, Fuͤr mich mancher Knochen beiseit gelegt. Die Alte stirbt vielleicht, zum Lohn Erbt ihr Vermoͤgen der Schwiegersohn; Der kann es brauchen, er saͤuft gern viel, Verliert auch sein Geld im Kartenspiel. Nur ein gewisser philosophscher Trieb Ist mir in meinem Wesen nicht lieb: Letzt schleppt das Kind einen Stein herbei, Der wiegt wohl mehr als ihrer drei, Und wirft mir den vor meine Fuͤße, Mir wars, als ob ich ihn apportiren muͤsse, Zweite Abtheilung . Ich konnt' ihn nicht regen und nirgend fassen, Und mußt' ihn auf der Erde liegen lassen; Doch immer wieder, geh ich dort vorbei Ist mirs, als ob es moͤglich sey, Ich will ihn tragen, ich will ihn heben, Ich knurr', es verkuͤmmert mir mein Leben; Bald muß ich hier, bald dort probiren, Ich kanns schon in den Zaͤhnen spuͤren. Der Alte lacht mich aus; ja von Natur versteht er Wohl nichts, er spricht: seht doch den dummen Koͤter! Ich moͤchte nicht seyn in deiner Lage, Du lebst doch nur erbaͤrmliche Tage, Hast keinen eignen Willen, bist nicht frei, Kriegst auch Schlaͤg' ohn' Ursach. Verzeih, Daß ich dir alle deine Freude Und deinen edlen Stand verleide! Sprich immer, denn ich kenne dich schon, Weiß auch, daß man die Spekulation, Selbst die beste, und alle Theorie, Muß mengen ins praktische Leben nie. Ei sieh, du bist uͤber alles getroͤstet, Wie ein Braten von beiden Seiten geroͤstet. Du gehst am Ende und giebst mich an. Nein, wisse, ich bin ein ehrlicher Mann, Du bist von vordem mein lieber Kumpan, Waͤrst du ein klein wenig human Und Rothkaͤppchen . Und ließest die wilde Gesinnung fahren, So wuͤrde was aus dir mit den Jahren. Nein, Freund, wir wollen uns so was ersparen. In der Kindheit, ich denke noch immer mit Thraͤnen An jene Tage der Unschuldzeit, Wie hatt' ich da ein inniges Sehnen, Wie trug ich von Wirken und Nuͤtzen ein Waͤhnen, Wie war ich zu herrlichen Thaten bereit! Es kann sich keiner in Idealen So weit versteigen, so praͤchtig sie mahlen, Wie ich alle Talente und alle Kraͤfte Nur widmen wollte dem Menschheitsgeschaͤfte, Dem herrlichen Fortruͤcken des Jahrhunderts, Versprach von meinem Wirken mir viel Wunders, Und alles lief gar lausig ab, Wie ich dir schon sonst erzaͤhlet hab. Erzaͤhle noch einmal, ich hoͤre dir zu, Es sitzt sich hier gut in der stillen Ruh. Du weißt, wie damals, als ich dich kennen lernte Beim Bauer Hans, wo du dientest als Knecht, Ich mich aus meinem Wald entfernte Und alle Kuͤnste des Hundes lernte, Verlaͤugnete ganz mein eigen Geschlecht, Um nur dem Staate zu werden recht. Ich verscheuchte die Diebe, bewachte den Hof, Im Regen lag ich, daß der Pelz mir troff, Erlitt oft Hunger, der Pruͤgel nicht wenig, Doch war ich in meinen Gedanken ein Koͤnig; I. [ 32 ] Zweite Abtheilung . Ich nutzte, und war mit meiner Bestimmung zu- frieden, Mir schien ein herrliches Loos beschieden. Still! mir ist, als ob ich Hasen spuͤre. Sei ruhig, du Narr, hoͤr zu und verstoͤre Mir meine tragische Leidensgeschicht Durch derlei platten Egoismus nicht. Vernimm denn, wie es ein Ende nahm, Und wie ich durch Erfahrung dazu kam, Die Menschen zu hassen, die ich wie Bruͤder Geliebt, die ich meine Freunde geheißen; Jetzt sind sie mir in den Tod zuwider, Ich moͤchte sie alle mit den Zaͤhnen zerreißen! — Meine Phantasie stand damals in ihrer Bluͤte Und jugendlich schoͤn war mein Gemuͤthe, Ich ging im Walde zuweilen spatzieren, Mußt mir das Gluͤck eine Woͤlfin zufuͤhren. O Freund! was lernt ich da erst kennen, Einen Leib, so unbeschreiblich hold, Einen Geist, mit keinen Worten zu nennen, Verstand, nicht zu bezahlen mit Gold, Man haͤtte von ihr ein Buch schreiben koͤnnen, Elisa, oder die Woͤlfin wie sie seyn sollt! Erspare dir das Entzuͤcken, mein Freund, Du haͤltst mich auch fuͤr verliebt, wies scheint. Was soll ich dir sagen? Ich liebte sie, sie mich, Unsre Wonnemonde waren so wonniglich; Rothkaͤppchen . Ich sah sie im Wald, sie besuchte mich heimlich, Wir wuͤnschten, wir waͤren unzertrennlich. Eines Morgens verspaͤtet sich die Theure, Die Bauren kommen zum Dreschen in die Scheure, Finden da das unvergleichliche Weib, Drauf mit den Dreschflegeln uͤber den zarten Leib, Und hast du nicht gesehn, von Wuth gezuͤgelt, Die Geliebte vom Hofe herunter gepruͤgelt! Da war dir wohl die Petersilie verregnet? Ist es so, daß ihr der Liebe begegnet, Ihr Menschen? dacht ich in meinem Sinn, Doch unterdruͤckt ich meinen Grimm, Ich lernte mich unter der Noth bequemen, Die Leidenschaft meines Herzens zaͤhmen. Es waͤhrte nicht lange, so merkten's im Dorf Ich sey kein Hund nicht, sondern ein Wolf. Was liegt am Namen? da sie mich kannten, Da ich so treue Dienste gethan? Doch war ich seitdem ein verlorner Mann, Weil sie dies Vorurtheil nicht verbannten. Man traut mir nicht, man legt mich an die Kette, Als wenn ich ein Verbrechen begangen haͤtte. Ich fuͤgte mich mit O! und Ach! Auch wieder in die neue Schmach; Doch Nachts vernahm ich einen Plan, Vor dem mein ganzes Blut gerann: Man beschloß, mich so in Fesseln zu legen, Daß ich nicht Hand nicht Fuß koͤnnte regen; Hernach, so hoͤrt' ich sie sich besprechen, Zweite Abtheilung . Wollten sie mir ungesaͤumt die Zaͤhne ausbrechen, So koͤnnten sie mit mir machen, was sie wollten, Und wenn sie mich auch schinden sollten; Koͤnnten mich auch an Baͤrenfuͤhrer verkaufen, So muͤßt ich als Narr die Maͤrkte durchlaufen, Und waͤr man meiner satt, koͤnnte man ohne Gefahr Mich augenblicklich todtschlagen gar. O Spitz, wie das mein Herz durchschnitt! Sie spielen einem kuriose mit. Meiner Wuth riß die Kette bald, So rannte ich in den naͤchsten Wald. Ich will schweigen, was ich seitdem erfuhr, Denn es empoͤrt die geduldigste Natur; Kugeln summten oft dicht um die Ohren, Eisen waren mir moͤrderlich gestellt, Hunde hatten mich oft beim Fell: O Freund, nirgends ist eine Creatur. So schlimm in aller weiten Welt Als wie ein armer Wolf geschoren. Seitdem ist aber auch mein Plan, Unheil zu stiften, so viel ich nur kann; Seitdem thut mir nichts gut, Als nur der Anblick von Blut. Ich will alles Gluͤck ruiniren, Dem Braͤutigam seine Braut massakriren, Die Kinder von den Eltern trennen, Und was man Ungluͤck nur kann nennen, Darauf soll dieser Kopf auch sinnen. Man hat mich so weit endlich getrieben, Rothkaͤppchen . Ich will sie fressen, da sie mich nicht lieben, Und waͤrst du nicht mein Vertrauter eben, Ich haͤtte dir schon den Rest gegeben. Gehorsamer Diener, fuͤr die guͤtige Ausnahm! Doch hast du denn keine Schand' noch Schaam, Daß dich nicht dein boͤser Vorsatz gereut? Glaubst du denn nicht an Unsterblichkeit? An Bestrafung nach dieser Zeitlichkeit? Nein, Kerl, ich halte alles fuͤr Aberglauben! Die Freuden dort sind gewiß nur Trauben Die uns zu hoch haͤngen, mein dummer Freund, In gar zu weitem Felde das scheint: Was ich fresse in meinen Leib hinein, Das ist gewiß und wahrhaftig mein! Kann mich zu keiner andern Lehr bequemen. Ei pfui! ich muß mich fuͤr euch schaͤmen, Will auch nicht mit euch Umgang weiter pflegen, Ich geh, aus Furcht der Ansteckung wegen. (ab.) Das sind die Koͤpfe, so dumm und seicht, Die jede Furcht und Beklemmung erreicht, Die nichts von Kraft und Selbstaͤndigkeit wissen; Haͤtt' ich ihn doch lieber in Stuͤcke zerrissen! Doch will ich sein liebes Rothkaͤppchen fangen, Das ist seit lange schon mein Verlangen; Ihr Vater ist uͤberdies ein Mann Der mir schon tausend Drangsal angethan. Zweite Abtheilung . Will mich auch auf den Weg gleich machen, Hungert mich recht nach ihr in meinem Rachen. (geht ab.) Vierte Scene . (Fußpfad im Wald.) Rothkaͤppchen, Hanne . E s wird schon finster, ich gehe nicht weiter. Nicht doch, die Sonne scheint noch so heiter. Es wird dunkle und finstre Nacht Eh' ich den Weg zuruͤck gemacht. Peter tritt mit seiner Braut auf. Ei Rothkaͤppchen? gehst du auch noch spatzieren? Ich muß die Kleine immer vexiren, Es ist ein allerliebstes Kind. — Nun, Rothkaͤppchen, wie bist du denn gesinnt, Willst du noch mein Braͤutchen seyn? Schweig still, du hast ja schon die dein. Rothkaͤppchen Das nehmen wir nicht so genau, Du wirst dann meine zweite Frau. Glaubs nicht, er spricht nur wie ein Tropf! Peter, setz dem Kinde nichts in den Kopf. Laß ihn nur reden, Anne Marie, Ich naͤhme doch den Peter nie, Er gefaͤllt mir schon jetzt nicht sonderlich, Dann waͤr er gar alt und kruͤppelich; Wird mich schon, ohne mich an ihn zu hangen, Ein beßrer Braͤutigam zur Braut verlangen. Siehst du, das kommt von deinem Vexiren, Die weiß die Leute abzufuͤhren, Die ist so klug wie wir jetzt wohl sind Und ist noch ein kleines buttiges Kind. (gehn beide.) Sie sagte, du waͤrst ein buttiges Kind. O laß sie nur, denn beide sind So er wie sie etwas duͤmmerlich, Drum antworten sie so kuͤmmerlich. Er haͤtte keine andre Braut getroffen, Sie durfte auf keinen andern Braͤutigam hoffen, Drum halten sie viel von einander mit Recht, Und meinen nun jetzt, sie waͤren nicht schlecht. Hier steht eine Butterblume, die will ich blasen, Zu sehn wie lang ich noch soll leben. Zweite Abtheilung . geht vorbei. Mich wundert, daß man die Kinder laͤßt so rum rasen, Die kaͤmen dem Wolf gerade gelegen. Geht nach Hause, Kinder, das ist gescheidt, Es wird schon Abend, da ist es Zeit. Ich geh zu Großmutter, bring ihr Abendbrod, Mit eurem Wolf hats keine Noth. Wenn er dich erst wird massakriren, Wirst du wohl 'ne andre Sprache fuͤhren. Das ist jetzt bei Kindern 'ne dumme Weis, Sie werden gar zu naseweis (geht ab.) Sieh da, ich lebe wohl noch hundert Jahr. (hinter der Scene). Kuckuck! Kuckuck! Kuckuck! Das waͤre doch ein bischen gar zu lang. Ne, ne, es trift dir auf ein Haar. Nun ist mir nicht vor dem Wolfe bang. So will ich doch auch mein Gluͤck erproben. (sie blaͤst auf die Blume.) Sieh, da ist alles rein weg gestoben. Rothkaͤppchen . Ach, armes Kind! So bald zu sterben! So sollst du mein roth Kaͤppchen erben. Doch leb ich wohl laͤnger wie du mit Luft, Denn man sieht ich hab' eine bessere Brust, Drum sind die Haare so weg geflogen. Meine Mutter hat mich zu gut erzogen, Als daß ich an so was glauben sollte, Ich wuͤßte auch nicht, wie es die Blume wissen wollte; Erst ist sie gelb, und wird dann greis, Wie ein kindlicher Mann, der von sich nicht weiß, Da steht sie am Wege und koͤmmt ein Wind Ihr alle Haare ausgerissen sind. Kuckuck! Kuckuck! Kuckuck! Das glaubst du nicht? So weiß ich noch was: Frag den Kuckuck, wie lang du zu leben hast; Wenn ders nicht weiß, so weiß es keiner. Ja solchen Voͤgeln trau nur einer, Der sitzt in seiner Dunkelheit, Wo er aus Langeweile schreit. Kuckuck! wie lange hab ich zu leben? — — Siehst du! er will keine Antwort geben. Ach, armes Kind! so lebe wohl, Und wenn ich dich nicht wieder sehen soll, Zweite Abtheilung . So gedenke im Tode zuweilen meiner, Dafuͤr gedenk ich im Leben deiner. (geht ab.) Das kleine Maͤdchen ist nicht recht klug Und fuͤr ihr Alter noch dumm genug. Kuckuck kommt auf die Scene. Was will der Vogel von mir haben? Kuck um dich! Kuck! Kuck! sollst Vorsicht haben! Kuck! Kann nicht sprechen, wie ich wollt; — Kuck! Kuck! Kuck um dich der Wolf, — Kuck! Kuck! (fliegt ab.) Kuck! kuck! der hats im Reden nicht weit gebracht, Ich haͤtte beinah uͤber den Narren gelacht. kommt. Ei, Hund! Wo kommst du her? Wie er schmeichelt, Wie er sich an der Seite streichelt, Wo er merkt, daß ich das Essen trage. Bau, bau nicht zu sehr auf Sicherheit. Wenn ich nach Hause komme, dann frage Nur nach, dann ist deine Essenszeit. Bau, bau auf deinen Muth nicht zu sehr, Ich komm, bau, bau, und knie vor dir her, Kann nicht recht sprechen; Rothkaͤppchen . Bau, bau, trau, bau nicht zu sehr, Der Wolf kann dich fressen. Geh, alberner Hund, nun ist es Zeit, Du bist im Kopf nicht recht gescheidt! (geht ab.) Bau, bau und trau nicht zu sehr! Kuck, kuck, kuck um dich mehr! hinter der Scene. Tirili! von allen Voͤgeln hoch und tief Gesaͤnge schallen, schallen, Sie lallen In tausend Zungen, Wird von allen gesungen, Doch ist es keinem als mir gelungen, Honetten, netten Leuten zu gefallen, allen, schallen. Kuck, kuck den Hochmuth! Fuͤnfte Scene . (Stube.) im Bett. S o war ich gluͤcklich herein gekommen Und habe der alten Frau das Leben genommen, Zweite Abtheilung . Die Thuͤr stand, gegen mein Verhoffen Im Hof' und auch im Hause offen; Die Alte war erzuͤrnt und wollte sich wehren, Doch durft' ich mich daran nicht kehren, Nun ist sie erwuͤrgt, liegt unter dem Bette; Wuͤnscht' nur, daß ich Rothkaͤppchen hier haͤtte. Doch will ich schlau die Sache anstellen Und mich als das alte Weib jetzt stellen; Ich setze die Haube auf, es wird schon finster, Es kommt nicht viel Licht durch die Fenster, So lieg' ich im Bett, als waͤr' ich kraͤnklich. Ich hoͤre sie schon, sie kommt nachdenklich. tritt herein. Großmutter, bist du schon zu Bett gegangen? Schon seit einer Stunde, ich hatte Verlangen Dich, liebes Kind, wieder zu sehn, mir ist nicht wohl. Ich dich von der Mutter schoͤn gruͤßen soll, Sie schickt dir ein gekochtes Huhn, Das wird dir wohl in der Schwachheit thun. Der Vater war nicht gut aufgelegt, Ich lief schnell fort, weil er manchmal schlaͤgt, Er will nicht immer, daß ich zu dir gehe Und dir in deiner Noth beistehe. — Du liegst zu Bett, doch am verkehrten Ende. Ei, Großmutter, was hast du fuͤr naͤrrische Haͤnde? Wolf . Rothkaͤppchen . Sie sind gut, damit was fest zu halten. Es wollten zu Hause die beiden Alten, Daß ich die Nacht bei dir bleiben sollte. Das war es, was ich selber wollte. Sie sagen, es ist nicht gut in der Nacht zu gehn, Man koͤnnte mir da nicht fuͤr Schaden stehn. — Ei, Großmutter, was hast du fuͤr große Ohren! Ich kann damit desto besser hoͤren. Das Fenster steht auf, es zieht kalt herein. Laß nur, im Bett wird dir waͤrmer seyn. Ich hatte so zu dir zu kommen Verlangen, Nun wird mir hier in der Stube so bange. Ei, Großmutter, was hast du fuͤr große Augen! Desto besser sie zum Sehen taugen. Auch die Nase sitzt dir nicht so wie immer. Mein Kind, das macht der Abendschimmer. Ei Herr Je! was hast du fuͤr'nen großen Mund! Desto besser er dich fressen kunnt! I. [ 33 ] Zweite Abtheilung . Ach! Huͤlfe! Huͤlfe! kommt, helft meiner Noth! Du schreist vergebens, du bist schon todt! (Der Vorhang des Bettes faͤllt zu.) fliegen durch das Fenster. Komm, laß uns durch das Fenster fliegen. Rothkaͤppchen ist drinne, unser Vergnuͤgen. Sie liegt wohl im Bett, ich seh' nach ihr. (huͤpft hinter den Vorhang.) Die Luft zieht huͤbsch durch Fenster und Thuͤr. (kommt zuruͤck.) O weh! O weh! O Jammer und Noth! Was giebts? Der Wolf ist da, Rothkaͤppchen schon tobt. O weh! o weh! der großen Noth! sieht zum Fenster herein. Was schreit ihr denn so gar erbaͤrmlich? Rothkaͤppchen ist todt ganz Gotts erbaͤrmlich! Rothkaͤppchen . Der wilde Wolf hat sie zerrissen, Und auch zum Theil schon aufgefressen. Daß Gott erbarm! ich schieße zum Fenster hinein.— (er schießt hinein.) Da liegt der Wolf und ist auch todt, So muß fuͤr alles Strafe seyn, Er schwimmt in seinem Blute roth. Es kann einer wohl ein Verbrechen begehn, Doch kann er nie der Strafe entgehn. Man sprach bei Tisch uͤber die fruͤhe Lust der Kinder an der Furcht, und man stritt, ob man diesen Trieb in ihnen unterhalten solle, oder nicht. Manfred war mit Einschraͤnkungen dafuͤr, so wie Emilie dagegen. Als man nicht einig werden konnte, sagte Clara: lassen wir diesen Kampf, die Kinder werden sich doch fuͤrchten, wir moͤgen es anstellen, wie wir wollen; Anton soll uns lieber noch jenes Gedicht mittheilen, von welchem er heut Morgen sprach, und das er vor einigen Jahren in einer melankolischen Stimmung geschrieben hat. Noch krank kam ich von einer Reise zuruͤck, sagte Anton; die gewohnte Umgebung druͤckte mit Bangigkeit auf mein Gemuͤth, und doch schien dem Genesenen alles so lieb und hold, ich schloß mich so inniger an meine Freunde und schrieb diese Verse: Zweite Abtheilung . Die Heimath . I ch seh die Heimath wieder, Die lange ferne blieb, Sie traͤufelt Wonne nieder, Sie hat ihr Kind so lieb. Voll Liebe reichen Baͤume Mir froh die gruͤne Hand, Ich steh und sinn' und traͤume, Und alles thut bekannt. Verspaͤt'te Bluͤmchen ragen Neugierig aus dem Gras, Es ist als ob sie fragen Recht zaͤrtlich: wer ist das? Ich muß sie alle gruͤßen Und wieder traulich seyn; Laß, Blumen, dich noch kuͤssen, Wie oft gedacht ich dein! Da sind die gruͤnen Gaͤnge, Die Steine wohl bekannt, Und wunderbare Klaͤnge Sind hier noch fest gebannt. Es ist die Nachtigalle, Sie blieb an diesem Ort, Sie sagt mit suͤßem Schalle Mir noch ein scheidend Wort. Zweite Abtheilung . Wie treu ist dieser Saͤnger, Daß er noch mein gedacht. — Mir wird im Herzen baͤnger Hier in der gruͤnen Nacht. Sie fliegen fort die Toͤne, Die Erde nimmt das Laub, Was gestern gruͤnte schoͤne Ist heut des Windes Raub. O Fruͤhling, hintergangen Hast du die arme Welt, Erst schlaͤgst du auf mit Prangen Und lachend dein Gezelt. Es stehn wie Dienerschaaren Mit blitzendem Gewehr, Vor Unfall dich zu wahren, Die Blumen um dich her. Die Wasser wie Herolde Rufen dein Kommen aus, Ganz ausgeschmuͤckt mit Golde Ist deine Flur und Haus. Die Voͤgel fliehn und ziehen, Mit Wolken spielen sie, Und alle Blumen bluͤhen Und duften spaͤt und fruͤh. Die Rose kommt mit Scheinen, Und ruft: nun liebet all! Wer sollte wohl nicht weinen Bei diesem suͤßen Schall? Zweite Abtheilung . Und wie man sich besinnet, Das Auge thraͤnenschwer, Die Bluͤte Frucht gewinnet Und ruft den Sommer her. Was hilft es doch, zu fluͤchten Zum gruͤnen, kuͤhlen Wald, Wenn hier aus allen dichten Zweigen ein Klaglied schallt? Die Nachtgall will verkuͤnden Was Schmerz und Liebe sey, Sie kann den Ton wohl finden Und singt ihr Herze frei. Bald werden stumm die Baͤume, Die Blumen bluͤhen ab, Erwachen alle Traͤume Und sehn vor sich ein Grab. Es fallen wie die Todten Wunsch, Luft und Leben hin, Verlieren gern den Othem, Nach Sterben geht ihr Sinn. Da wird erzeugt in Schmerzen zuletzt der heiße Wein, Er ist ein wildes Scherzen Vom Tod sich zu befrein. Nun fuͤhl ich mich verloren In finstrer Einsamkeit, Es wird der Tod geboren, Er bringt mir tiefes Leid. Zweite Abtheilung . Die Erde ungeschmuͤcket, Blumlos und ohne Gras, — Wohl hab ich dich erblicket, Die Heimath ist nun das. Du rufst mit stillem Winken Mich wie das Laub herab, Und gern will ich versinken In dieses offne Grab. Doch kommt nicht Fruͤhling wieder? Bleibt nicht die Liebe neu? Es stehn ja muntre Lieder Mir baldigst wieder bei. Hab ich nicht trost gegeben? Ist nicht mein Blick erkannt? So bin ich auch dem Leben Von neuem zugewandt. Die Himmelsluͤfte spielen Mild durch mein Herz dahin, Das ist ein seelig Fuͤhlen, Als ob im May ich bin. Wie fliehen viele Wogen Hinab in Strom und Meer, Und muthig angeflogen Schwimmt neue Flut daher. Liebe kann nicht versiegen, Sie ist ein ewger Quell, Will jedes Bild verfliegen Bleibt doch ihr Antlitz hell. Zweite Abtheilung . Drum will ich nicht verzagen, Nun singe, neues Herz, Und will ich Leiden klagen Verschoͤnt Gesang den Schmerz. — Friederich und Lothar sahen sich stillschwei- gend an, denn es schien ihnen, als habe Anton die letzten Strofen neuerdings hinzu gefuͤgt. In- dem hoͤrte man ein Getuͤmmel naͤher, das sich schon waͤhrend des Lesens in der Ferne hatte spuͤren lassen, und man erfuhr, daß jener Bote, den Friedrich seit dreien Tagen erwartet hatte, eben jetzt in dunkler Nacht und ermuͤdet angekommen sey. Friedrich eilte zitternd hinaus, seine Bothschaft zu vernehmen und Briefe von ihm zu empfangen; die uͤbrige Gesellschaft trennte sich, um sich der Ruhe zu uͤberlassen. Ende des ersten Bandes .