Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Vaterländischer Roman von W. Alexis (W. Häring) . Zweiter Band. Berlin. Verlag von Carl Barthol. 1852 . Erstes Kapitel. Staub . „Und wir behalten Frieden, und Alles bleibt beim Alten,“ schloß der Geheimrath Lupinus, dies¬ mal aber der in der Jägerstraße, und schob den grünen Augenschirm zurecht. Es lag eine sonntägliche Heimlichkeit über der geweihten Stube. Kein Dienstbote durfte sie aus freien Stücken betreten. Die Frau Geheimräthin besorgte selbst das Abstäuben der Bücher, und wenn sie der Hülfe einer gröberen Hand bedurfte, mußte der Fuß, der zu dieser Hand gehörte, die Schuhe zurücklassen. Aber das Abstäuben und Reinemachen war ein Festtag, zu dem man die günstige Stunde ablauschen mußte. Der Geheimrath behauptete, nichts sei so gefährlich der Gesundheit als der Staub; in demselben sammelten sich die Atome, die der or¬ ganische Lebensproceß nicht zu absorbiren vermöge, also das Todte, vielleicht das Tödtende. Warum also das aufregen, künstlich in Bewegung setzen, was sich selbst bereits, nach dem Gesetz der Schwere, vom Leben abgesetzt hat? II. 1 Die Geheimräthin hatte dagegen nur zwei Ein¬ wendungen. Es sei doch besser, den Staub mit allen Vorsichtsmaßregeln für die Gesundheit, als da sind nasse Tücher, Handbesen, feuchter Sand und geöffnete Fenster, durch einen raschen, wohlgeleiteten Angriff bewältigen, als abzuwarten bis eine zufällige Gelegenheit diesen Feind der Gesundheit von selbst in Aufruhr bringt. Demnächst, wenn er immer liegen bleibt, verderbe er die Bücher selbst, und darunter Raritäten, die unersetzlich wären. Das letztere Argument hatte angeschlagen. Wenn Menschen sterben, werden andere dafür geboren, sel¬ tene Ausgaben, Incunabeln, gehen unter, um nie wieder geboren zu werden. Hinsichts des ersteren Argumentes hatte er manche Bedenken gehabt. Die Vorsicht, die man beim ge¬ fährlichen Ausstäuben anwende, könne besser darauf verwandt werden, daß man jeden Anlaß vermeide, der den Staub aufregt: wenn man leise gehe, leise spreche, sich jeder heftigen Bewegung enthalte, was überhaupt zur Conservation des Lebens zuträglich sei. Denn das eigentliche Gift des Lebensorganismus seien die Affecte, weit gefährlicher als üble Ange¬ wöhnungen, selbst als Laster. Deshalb hatte er an den Fenstern doppelte Reiber anbringen und Tuch¬ ecken an die Seiten anschlagen lassen, auch eine Doppelthür vor das Vorzimmer, und die gesteppte Tuchdecke verhinderte jede Erschütterung beim Gehen. „Sie vergessen nur, hatte die Geheimeräthin er¬ widert, daß Ihre Fußdecke mit dem Heu darunter selbst ein Staubreservoir ist, und daß Sie beim lei¬ sesten Auftreten diese feinen Atome aufrühren, und gerade die, welche am gefährlichsten auf die Lunge fallen.“ Der Geheimerath sparte im Leben die lau¬ ten Worte, da ein Wortwechsel auch mit sich selbst zu Affecten führen kann, aber wenn ein Thema ihn angeregt, was ihn interessirte, oder andere es in ihm angeregt, ergossen sich auch die lang gesperrten Schleu¬ sen in langen Sermonen. Er erinnerte daran, daß die Müller und Steinsetzer ein verhältnißmäßig kurzes Leben führten und gewöhnlich an der Auszehrung stürben, weil der feine Mehlstaub von den zerklopften und gefeilten Sandsteinen auf die Lunge falle. Es gebe auch einen Staub von gewissen Vegetabilien, Steinerden und Metallen, so feiner Art, daß ihn das unbewaffnete Auge nicht zu entdecken vermöge, und doch sei er höchst schädlich. So wirke der Arsenik in den Gruben. Gewöhnlich sage man, die Verbrecher, die dort arbeiten, stürben an der vergifteten Luft, das sei aber uneigentlich gesagt, denn sie kämen um an dem atomisirten Staub des Metalls. Im Mittel¬ alter und aus den Höhlen des Jesuitismus seien da¬ raus grauenhafte Künste hervorgegangen, man habe durch künstlich präparirte Stoffe einen Staub erzeugt, der plötzlich oder langsam nach einer gewissen Be¬ rechnung die dazu erwählten Opfer getödtet. Dieser habe einen Brief eröffnet, und der Streusand, der 1 * ihm entgegen spritzte, sei Gift gewesen. Einem an¬ dern — und er nannte sogar einen Kaiser-Namen — habe man die Kerzen, die in seinem Zimmer brann¬ ten, mit Arsenik versetzt, und das aussprühende Licht habe allmälig den vergiftet, der nach der Meinung einer Hofpartei, die das Dunkel liebte, zu viel Licht geliebt hatte. Die Geheimeräthin hatte aufmerksam zugehört: „Und doch wollen Sie sich mit dem Staube ver¬ tragen?“ Er hatte gelächelt: „Das sind Ausnahmen, meine Liebe, aus den Zeiten der Barbarei und Finsterniß. Feinde und Staub sind nur Produkte unruhiger Thätigkeit.“ Dann wäre eigentlich das Beste, sein ganzes Leben lang schlafen! hatte seine Frau gedacht. Er aber hatte fortgefahren: „Wenn wir alles ruhen ließen, was liegt, wäre das Leben noch ein Mal so glücklich. Weil die Menschen alles besser machen wollen, rühren sie das auf, was die Vernunft und die Geschichte längst beseitigt hatte, und es kommt in neuer Form und Färbung zum Vorschein und quält uns auf's neue, was unsre Väter und Urgroßväter schon gequält hatte. Die Geschichte des Menschen¬ geschlechts, meine Theure, pflegte er lächelnd hinzu¬ zusetzen, ist in einem kleinen Buch geschrieben, wenn wir das immer und immer wieder läsen, kennt n wir alle seine Bestrebungen in das vetitum nefas , alle seine eitlen Hoffnungen und Thorheiten und die Lehre, welches der einzige Weg zum Glück ist, sich zu finden in das was ist und — nicht unnöthig Staub auf¬ rühren.“ Alsdann pflegte eine Lobrede auf den Horaz zu folgen, die aber von der Geheimräthin an einem bestimmten Wendepunkte mit einer praktischen Bemer¬ kung auf etwas anderes übergeleitet ward. Der Ge¬ heimrath wußte es, lächelte, schwieg und war eigentlich zufrieden. In der Hauptsache aber waren sie zu einem Accord gekommen. Seine Ausgaben des Horaz, die auf einer Reihe niedrigerer Regale wie eine Art Schirmwand um den Arbeitstisch standen, durfte die Frau wöchentlich einmal abstäuben; aber nur sie selbst und mit einem weichen Pfauenwedel. Sie nahm jeden Band einzeln heraus, trug ihn in das Vor¬ zimmer und fegte ihn am geöffneten Fenster. Da lächelte er zufrieden, die andern Bücher, die großen schweinsledernen Folianten, die hinten bis an die Decke die Zimmerwände füllten, sollten nur dann und wann, und nur ganz oberflächlich abgestäubt werden. Auch sollten dazu sonnige Tage abgewartet werden, weil die Sonne den Staub niederdrückt. Die Horaz¬ regale sollten dabei mit Leinentüchern überdeckt, und der Geheimrath selbst jedesmal vorher avertirt werden, um zu untersuchen, ob es nöthig sei. — Ob diese Bedingungen streng inne gehalten wurden, bleibt ein häusliches Geheimniß. Die letzte gewiß nicht, denn der Geheimrath hätte es nie für nöthig gefunden. Aber der Eifer der Geheimräthin mußte nachge¬ lassen haben; die Luft verrieth, daß die Fenster sehr lange nicht geöffnet worden. Der chromatische Far¬ benspiegel der Scheiben, und die Spinneweben an den Fensterecken gaben den vollgültigsten Beweis dafür, daß, wie alle Passionen, auch die des Rein¬ lichkeitssinnes einem Wechsel unterworfen sind. Oder es waren andere Gründe? Gerade diese Spinnen, der schillernde Glanz der Scheiben, der Duft des Unberührtseins war es, was dem Zimmer den Cha¬ racter sonntäglicher Heimlichkeit gab. Wohlverstan¬ den der sonntäglichen Heimlichkeit einer alten deut¬ schen Gelehrtenstube, in welche der Qualm des Ta¬ backs noch nicht eingedrungen und den Büchergeruch noch nicht niedergedrückt hat. Und ganz zu dieser Stube, will man sagen wie die Seele zum Körper, oder die Spinne in ihrem Netze, paßte die Gestalt des Geheimrathes, der den Kopf im Ellenbogen und den Ellenbogen auf einem Folianten in ihrer Mitte saß, wohlgefällig, zufrieden, schlau lächelnd. So hatte er das Wort gesprochen: „Und wir behal¬ ten Frieden und Alles bleibt beim Alten!“ als ein Seuf¬ zer aus der tiefen Stille des Zimmers ihm antwortete. Der Geheimrath glaubte an keine Gespenster, er sah auch nach keinem, als sein schlauer Blick über das Regal, welches die Zweibrückner Horaze trug, auf die schweinslederne Hinterwand fiel, wo jemand auf der Leiter einen Folianten in der Hand wiegte. „Gehören Sie auch zur Kriegspartei, mein Herr van Asten?“ „Ich bin ein stiller Civilist, Herr Geheimrath,“ war die Antwort. „Wozu beschweren Sie sich denn aber da mit dem Hugo Grotius? Sein de jure gentium gehört doch sonst nicht zu Ihren Studien.“ Wenn der Geheimrath so weit sehen können, würde er eine leichte Röthe auf des jungen Mannes Gesicht bemerkt haben. „Nehmen Sie's nur runter, fuhr er fort. Sie können's auch mit nach Hause nehmen, wenn's Ihnen nicht zu schwer ist, die Edition ist nicht selten, man kann sie bei den Antiquaren bekommen. Der Mon¬ tesquieu steht auch noch angeschrieben.“ Der junge Mann war von der Leiter gestiegen, den Folianten im Arm: „Wenn Sie mir also erlauben —“ „Aber nehmen Sie sich in Acht, Ihr blauer Frack ist von dem Grotius ganz staubig. Der hat zwar auch mal in einer Kiste gesteckt, wenn ich mich recht entsinne, einer Bücherkiste, und da wird er noch stau¬ biger rausgekrochen sein, aber er wollte nur in Frei¬ heit kommen, nicht zu einer jungen schönen Demoi¬ selle. Aber Sie wollen doch nicht der Mamsell Alltag aus dem Hugo Grotius Vorlesungen halten? Das Kind ist zwar gescheit, aber ich zweifle doch, daß ihr die Lectüre sehr plaisant sein wird.“ Der Geheimrath war in ungewöhnlich guter Laune, der junge Mann schien außer Gewohnheit befangen. Indessen hatte er sich schnell gesammelt, während er den Staub vom Rock abklopfte. „Herr Geheimrath sind heiterer, seit Mamsell Alltag hier ist. Ihr Haus ward belebter. Stören Sie aber die vielen Gesellschaften nicht?“ „ Au contraire ! Was so jetzt die Menschen allar¬ mirt und sonst auch wohl bis zu mir drang, bleibt nun außer meinem Rayon. Die Herrschaften können das nun bequemer unter sich und mit meiner Frau ab¬ machen.“ „Sollte es nie in Ihren Rayon dringen!“ sagte van Asten sehr ernst. „Wenn ich mich einschließe, das wollte ich doch mal sehen. Aber ei, ei, Herr van Asten, will die Romantik Sie nicht verlassen! Sie sehen da wieder eine Geistererscheinung.“ „Die, welche ich sehe, Herr Geheimrath, sehen viele mit mir. Dieser Herbst wird die Fluren, wo fröhliche Saaten gereift, mit Leichen und Blut decken.“ „Sehn Sie mal, sagte der Geheimrath, was Sie nicht alles sehen!“ und wischte mit dem Läppchen die Dinte aus der Feder, die er dann sorgsam vor sich auf das Papier legte. Sein Gesicht bekam dabei einen immer, was man nennt, glaueren Ausdruck, wie ein kluger Mann, wenn er einen, der sich auch für klug hält, auf eine Sandbank abgesetzt zu haben glaubt. „Und diese Vielen, die mit Ihnen diese er¬ schreckliche Geistererscheinung sehen, sind, curios genug, dieselben, die vor Freude damals zitterten, als der Herr General Bonaparte, wie sie es nannten, die Hydra der Revolution niedergetreten hatte. Da sollten wir andern mit ihnen hüpfen und springen vor Ent¬ zücken, denn sie sagten uns, er wäre ein Messias der neuen Weltordnung. Sehn Sie mal, wir thaten das nun nicht, denn wir entsannen uns, daß dieselben spring- und hüpflustigen jungen und alten Herren ein Zehn Jahr vorher ebenso gesprungen und gesun¬ gen hatten, als diese Hydra in Paris den Kopf erhob, und sie hatten damals auch darin einen neuen Messias und Weltbeglücker, und wer weiß was, entdeckt. Wir sprangen nicht, weil wir mit König Salomo wissen, es giebt nichts Neues unter der Sonne, aber wir ließen sie springen, weil wir wußten, sie werden schon müde werden. — Es ist mancher müde geworden, mehr als müde. Da ich nun nicht in Verzückungen gerathen bin, nicht damals bei der ersten, und nicht damals bei der zweiten Menschenbeglückung, warum soll ich denn jetzt in Ravissements des Zorns oder Patriotismus gerathen, weil diese selben Herren in ihrem Götzen nun plötzlich das Thier der Apokalypse entdeckt haben! Was kümmert mich Hannover. Im siebenjährigen Kriege waren die französischen Mar¬ schälle oft darin und brandschatzten, aber gerade nur so lange, als der große Friedrich besseres zu thun hatte. Und wenn sie's ihm zu arg machten und er verdrießlich wurde, schickte er seinen Seydlitz oder einen Braunschweiger hinüber, und ließ sie wieder fortjagen.“ „Es sind andere Zeiten. Wir haben keinen Friedrich mehr, und die Constellationen sind furcht¬ bar, Herr Geheimrath!“ „Und der alte Lupinus weiß nichts davon! Nicht wahr?“ Der Geheimrath nahm mit großem Wohl¬ gefallen eine lange Prise. „Der Mortier, oder wie sein General heißt, hat Hannover mir nichts dir nichts besetzt, ohne uns zu fragen, und wir hatten es doch so halbweges, noch vom Baseler Frieden her, garantirt. Und er hat es gethan, um uns mit England aneinander zu bringen. Er sperrt die Flu߬ häfen gegen die Colonialwaaren, und die Engländer sperren sie uns, daß wir unser Holz und unsre Leinwand nicht rausschicken können. Das giebt nun viel Jammer und Geschrei, aber das ist alles nichts als das Stroh¬ feuer, womit man die Bienen aus dem Baume und die Fische aus dem Wasser lockt. Die ganze deutsche Nation hat auf uns gewartet, daß wir doch nun los¬ schlagen würden. Man kann's in allen Zeitungen lesen, daß alle Biedermänner auf uns warten. Aber es giebt noch viel ungeduldigere Leute. Der Schweden¬ könig ist wie toll umhergelaufen, und hat überall angeklingelt: Macht doch Krieg! Der russische Kaiser rüstet: Krieg partout ! ruft er. Und ganz in der Stille rüstet Oestreich. Darum sollen wir auch in die Falle gehn und auch rüsten. Aber wir gehn nicht in die Falle, und rüsten nicht. Denn rüsten kostet Geld, und der Krieg bringt nichts ein, und was gehts uns an. Sehn Sie, der alte Lupinus hat doch auch etwas in die Zeitungen geguckt.“ „Und wir, eingekeilt in diese Mitte! Ganz Eu¬ ropa in Waffen gegen einander, und wir —“ „Sehen zu — wie sie sich schlagen und vertragen, und denken mit König Salomo: Alles ist eitel!“ Walters Brust hob sich; es waren ernste Gefühle, die heraus wollten, aber er überwand sich —, es war hier nicht der Ort dazu. Nur ein Stoßseufzer brach es hervor: „Und der Brand in unsern eignen Eingeweiden!“ „Ein Eimer Wasser drauf, lieber Walter. Ist probat!“ Hatte der Gelehrte heute ein Sonntagsge¬ sicht? Er der nichts sah, was um ihn vorging, blickte er heut in die Seelenzustände eines andern und fand sein Vergnügen darin das Verborgene heraus zu schöpfen? — „Da steht wieder auf Ihrem Gesicht: Ach Gott, der gute Geheimrath Lupinus! Er weiß, woran die Verfassungen in Rom und Athen zu Grunde gingen, aber wie es im Preußischen Staat gährt und stockt, das sind ihm Böhmische Dör¬ fer. — Wer wird denn gleich Einen verdammen, junger Herr, ohne daß er ein bischen versucht hat, ihn zu bessern! — Oder zu untersuchen, ob denn nicht doch ein Lichtchen der Erkenntniß in ihm flackert! — Manche Fahne, die vor dem Heer des großen Königs flatterte, ist von den Motten zerfressen, das weiß ich, und die Monturen im Zeughause gehen in Plunder, wenn man sie ausklopft. Weiß auch noch mehr. Unsre Soldaten sind nicht Bonaparte's Sol¬ daten. Und unsre Officiere, — weiß ich auch, man muß aber nicht alles sagen, was man weiß. Die eisernen Ladstöcke, durch die wir bei Mollwitz siegten, sind jetzt Gemeingut geworden, die Räder von unserm Fuhrwesen gehen aber noch in dem Geleise von Anno ehemals. Unser Schatz ist ausgepumpt, das weiß ich auch, und das Bischen, was unser junger König durch Sparsamkeit wieder hineinfließen läßt, löscht noch nicht den Durst. Es sieht auch in den Finan¬ zen gar curios aus; unter dem Schimmel werden wohl noch manche harte Thaler liegen, aber man kratzt den Schimmel nicht ab, weil manches andre damit bloß gelegt würde. Ja ja die Blöße fürchtet man, und hat daran ganz recht. Viele Schlösser sehn blank geputzt aus, schließen aber nicht mehr, und manche Mühlen klappern wohl, mahlen aber nicht mehr. Auch die große Staatsmühle macht noch dasselbe Geräusch, daß man's in weiter Ferne hört, und wunders denkt, was sie mahlen muß, aber wer in die Mehlkammern sieht, merkt, daß es kaum zur Noth hinreicht. Das kann nun von mancherlei her¬ kommen. Etwa davon, daß man niemals vorher weiß, woher der Wind kommt, und, wenn er da ist, erschrocken links und rechts rennt, und was links stehen soll, rechts stellt, und was rechts links. Auch kann die Mühle von alter Construction sein, und in Holland und Amerika haben sie seitdem bessere Gänge erfunden. Und dann spricht man auch von der großen Staatsuhr, deren Räderwerk erst gar quer und ver¬ kehrt wäre, denn wenn einer nicht täglich sie stellte, so zeigte sie nie die rechte Stunde an. Das käme aber daher, weil kein Rad mehr ins andre griffe, große und kleine, es ginge jedes für sich, die Räder der Minister, und kein Oberminister, der sie regulirte, und wenn sie auch mal regulair gingen, so hätten die Geheimen Kabinetsräthe wieder ihren aparten Schlüssel, und die Oberpräsidenten in den Provinzen wohl auch; und wäre mal, rara avis , alles egal und conform, dann schöbe ein Finger von ganz oben den Zeiger um eine Viertelstunde zurück, wodurch denn das ganze Räderwerk in Unordnung geriethe. Das ist nur etwas, es ist aber noch viel mehr.“ Walter hatte mit steigender Verwunderung zugehört. „Und was ich nun thue? wollen Sie fragen. Da will ich Ihnen mit einem Dichter antworten, keinem alten, nein, einem allerneuesten, den ich auf meiner Frau Tisch fand, das ist der Herr Bürde aus Schlesien. Da lesen Sie es: Glücklich, wer im engbegrenzten Raume Seiner Heimath tiefe Wurzeln schlägt, Und, gleich einem wohlgediehnen Baume, Fest steht, und die Aeste nur bewegt! Der die Lebens-Nothdurft nur begehret, Und, allein auf Gegenwart beschränkt, Was er heut erworben, heut verzehret, Und sich weder heftig freut noch kränkt; Den die Welt zu sehen nicht gelüstet, Der mit Beßrem Gutes nicht vergleicht, Und, zur letzten Reise stets gerüstet, Sich geräuschlos aus dem Leben schleicht Nur umsonst verdoppeln wir die Schritte, Nie erreichen wir das Ziel der Bahn; Immer stehn wir in des Cirkels Mitte, Und der Umkreis weicht, so wie wir nahn. Das sind noch Gefühle eines Dichters,“ sprach er, das Buch fortlegend. „Der einer ersterbenden Welt angehört, wie sein Horaz,“ sprach Walter für sich. Er nahm die Vorlesung als Zeichen zum Abschied, der Geheime¬ rath hatte es aber nicht so gemeint: „Wenn eine Mühle in's Stocken geräth, glauben Sie, daß wir darum kein Brod mehr zu essen be¬ kommen, und wenn alle Uhren unrichtig gingen, daß die Sonne sich darum auch einmal verspätet, auf¬ zugehen?“ Walter meinte, es sei doch eines Jeden Pflicht, dafür zu sorgen, daß seine Uhr richtig gehe. „Für seine eigne mag er sorgen, lieber Herr van Asten, aber nicht um die Rathhausuhr.“ Lupinus sah ihn dabei sehr pfiffig an. Walter erröthete wieder: „Sie möchten unsern Staat wieder auf die Beine bringen.“ „Wer wünscht das nicht.“ „Warum denn nicht! Wer jung ist! Einer sam¬ melt Schmetterlinge, der andre Mineralien, Wappen. Mancher möchte auch gern ein Taschenspieler werden. Alles unschädlich, so lange wir jung sind. Die Welt liegt ja vor uns wie ein Feld mit Blumen. Weil wir noch nicht dran denken, wie sauer es uns wird, bis an's Ende zu kommen, flattern wir von einer zur andern. Warum denn da nicht auch Collecta¬ neen machen aus den Maximen großer Staatsmänner, warum nicht auch aus eigenen Gedanken etwas ein¬ flicken! Die Classiker haben auch Lücken. Hatte schon Homer, als sie ihn in Alexandria herausgaben, und wie haben sie den Livius geflickt! Wo's Ganze Flick¬ arbeit, merkten sie oft gar nicht die eignen Lumpen der Editoren. A propos ! Da ließen Sie neulich einen Zettel fallen — Warten Sie, wo hab ich ihn gleich hingelegt? — Hier! Das ist wohl kein Excerpt, so mit frischer Dinte, recht frisch aus dem Herzen ge¬ schrieben: „„Daß ein Staat, der bestehen will, der Sitten, oder, wo diese fehlen, kräftiger Männer zur Ausführung kräftiger Maßregeln bedürfe, gewahrt Niemand. Die Augen gehn erst in der Noth auf.““ Walter steckte hastig den Zettel in die Brust¬ tasche: „Zu einem Briefe —“ „So, also ein Brief! Da wollte ich Sie nur bitten, sich an den zu erinnern, welchen der junge Herr Gentz bei der Thronbesteigung an Seine Ma¬ jestät den König schrieb. Das war mal genial! Wie riß man sich darum! Da lag's doch klar, wie ein umgestürzter Pudding auf der Schüssel, wo's bei uns manquirte, was anders, besser nun gemacht werden sollte. Man brauchte nur zuzugreifen, gar keine Mühe sich zu geben, nur zu thun, zu decretiren, wie's der junge Herr Gentz den Ministern wies. — Haben sie's gethan? Haben sie zugegriffen? Nichts angerührt, 's ist Alles beim Alten geblieben. Und Herr Gentz? Ist er Minister, Kabinetsrath, Präsident geworden? Er blieb Kriegs- und Domainenrath, hatte niemals Geld, aber immer Schulden. Bis es ihm hier zu langweilig ward, und er fortlief, nach Oestreich. Seine Sachen brauchte er nicht zu ver¬ kaufen, dafür sorgten schon seine Gläubiger; aber seine Grundsätze, die waren lange vorher schon ver¬ silbert. Na, an wen ist denn Ihr Brief gerichtet?“ Da lag sein Geheimniß trocken an der Luft. Walter hatte bis da nur einen Stolz, als freier Mann unter den drängenden Verhältnissen zu stehen. Mußte ihm der, von dem er es am wenigsten ver¬ muthete, ablauschen, was er sich selbst noch nicht vollkommen eingestand! Lupinus mußte seine innersten Bewegungen verstanden haben. „Junger Freund! Warum denn gegen sich selbst unwahr sein! Was die Freiheit ist, hat weder Plato noch Seneca erklärt, gewiß ist aber, sie giebt nichts zu beißen und zu brechen. Ein Dichter wollen Sie nicht werden, und ein Kaufmann auch nicht. Ganz recht, der eine kann Bankerott machen und der andere verhungert, wenn nicht ganz, doch beinah. Also was bleibt Ihnen, als eine Anstellung suchen. Den Staat verbessern wollen, ist aber der schlechteste Anfang von einer Carriere.“ Walter hatte sich wieder gesammelt: „Wenn ich aber nun doch so thöricht wäre, anmaßend, geben Sie meinem Willen einen Namen, welchen Sie wollen, ich protestire nicht dagegen, aber wenn ich denn doch in mir den Ruf fühlte, nach diesem Ziele zu streben, warum nicht anfangen, wie ich enden will?“ Der Gelehrte sah ihn scharf an: „Weil Sie dann nicht zum Ziele kommen, hub er nach einer Pause an. Ein Mann, der seine Frau erziehen will, muß es ihr ja nicht sagen, so sagt man wenigstens, und wer den Staat verbessern will, muß es ja nicht merken lassen. Wollen Sie mein Recept wissen? 'S ist kein neues, uralt wie die Welt. Wenn man groß ist, muß man sich klein ducken, sich anschlängeln an das, was gilt. Meistens an Personen, zuweilen an Gedanken. Wenn's auch recht dumm ist, und man von Herzen drüber lacht, oder sich ärgert! — Lachen Sie immer und ärgern sich, nur bei zuge¬ schlossenen Thüren! — Ohr und Auge aufhaben, aufgepaßt auf alle Falten und Fältchen, und da bei guter Zeit ein Zeichen zwischen gelegt! Was kann man nicht in schwachen Stunden belauschen, und hat man erst die Schwächen eines großen Mannes weg, dann mit einiger Klugheit wird man ihm bald noth¬ wendig. Und ist man ihm erst nothwendig, so ist man auch sein Herr. Vor dem Brausewind, der alles besser wissen, alles wegfegen will, verschließen sich solche Herren, auch wenn ihnen seine Ansichten ge¬ fallen. Sie denken, der kann dich mal selbst fortfegen. — Und die Herren am Ruder hier sind so affabel. An Protectionen soll's Ihnen nicht fehlen, Schrei¬ II . 2 ben Sie eine Vertheidigung der Politik der Herren Kabinetsräthe.“ „Ich!“ „Liebster Herr van Asten, wie Vieles hat Cicero vertheidigt, was er im Grund der Seele verdammte. Ganz partheilos, versteht sich, und sehr patriotisch müssen Sie schreiben: Eine Stimme aus dem Volke! oder so was. So recht biedermännisch, daß man glaubt, es kommt aus dem Herzen, daß es den Herren wie Honig beim Frühstück herunterläuft. Wenn sie mal einen recht dummen Streich gemacht, daß sie sich selbst schämen, und Alles thun möchten, ihn ungeschehen zu machen, dann dreist los auf die Gegner, aus der Defensive in die Offensive, gefragt sie: Was würdet Ihr denn gethan haben? Werden wieder schimpfen. Schadet nichts. Kriegen vielleicht einen Hacks ab. Schadet noch weniger. Ueber den Spektakel ist am Ende vergessen, um was es los ging, die Herren Räthe haben freie Luft bekommen, und —“ „Und was ist das Ziel?“ „Na, man wird Sie nicht gleich zum Kriegs¬ und Domainenrath machen, aber ein kleines Pöstchen giebt's schon, vielleicht ein besseres, als mit einem Titel, so ein Secretair in secretis —“ „Und wohin führt das?“ „Warten Sie doch! Ein klein Bischen Geduld nur, und ein Bischen mehr noch. Haben Sie erst Posto gefaßt, Ihre Fühlfäden ausgestreckt, kennen Sie die Menschen und ihre Gedanken, was sich an¬ zieht und was sich abstößt, wissen Sie, was noch feststeht und was schwankt, dann ist ja noch immer Zeit.“ „Wozu?“ „Was Sie wollen. Meinethalben, Sie werden schon was Gutes gewollt haben. Sind Sie der Mann am Steuer, und an Capacitäten, fehlt es Ihnen nicht, und ästimire auch Ihren Charakter, aufrichtig, dann — einen Schub, einen Fußstoß! Wie Sie's anfangen, daß der alte Plunder zusammen bricht, darum ist mir nicht bange. Nicht wie Coriolan und Catilina muß man anfangen. Cicero wußte, wo er sich bücken mußte, und wo er grad aufrecht stehen durfte. —“ Walter hatte seinen Hut ergriffen: „Daß Cicero's Name auf der Proscriptionsliste stand und sein Kopf aus der Portechaise fiel, würde mich vielleicht nicht abhalten, wie Cicero zu handeln, aber — mein Herr Geheimerath, ich habe ein anderes Vorbild aus dem Alterthume, von dem Ihr großer Horaz gesungen hat: Integer vitae —“ „Scelerisque purus , fiel der Gelehrte ein, und nahm wieder eine lange Prise. Auch ein schönes Vorbild. Gar nichts dagegen zu sagen. Au con¬ traire , aber dieser Integer vitae war nicht verliebt.“ Da war abermals ein zweites Geheimniß, und von den poesielosesten Lippen trocken in die Luft ge¬ setzt, ein so still in der Brust gehütetes, kaum sich 2* selbst gestandenes, ein so zartes Kind, daß es in dieser rauhen Luft erstarren konnte. War dieser Bücherwurm heute ein Magier! „Sie sind in die Mamsell Alltag verliebt, fuhr er fort. Verdenk's Ihnen gar nicht. Ein hübsches und gescheidtes Mädchen. Sie möchten sie einmal heirathen. Noch besser. Zum Heirathen braucht man Brod, sicheres Brod, und sicheres Brod giebt nur eine Anstellung. Darum wollen Sie Ihre Freiheit hingeben und Carriere machen.“ In dem Augenblick öffnete sich die Thüre, und der Kopf der Geheimräthin blickte herein: „Ehe Sie gehen, Herr van Asten, auf ein Wörtchen!“ Die Thüre ging wieder zu. Der Blick mußte eine eigenthümliche Wirkung haben. Ihr Gespräch war unterbrochen, aber auch die sonntägliche Stille des Zimmers war gestört. Der Kater hatte sich knurrend aufgerichtet, und Staub wirbelte durch den Sonnenschein. Es blieb noch eine Weile still. Es war, als ob der Gelehrte sich schämte. Dem Ein¬ dringling hätte er nicht zurufen können: Noli turbare circulos meos ! er selbst war ja aus seinen Kreisen getreten; das machte ihn befangen. Walter war es auch. Vor dem alten freund¬ lichen Manne, der mit der Wünschelruthe seinen ver¬ borgenen Schatz berührt, hätte er sprechen mögen, wie ihm zum Herzen war. Es lag schon auf der Zunge. Da war es plötzlich erstarrt vor dem stechenden Blicke, das süße Geheimniß schien ihm vergiftet, ein Nebelschauer hatte einen Mehlthau auf die Blüthen gelagert. Er besann sich und sprach schöne Worte, die nicht der Ausdruck seines Gefühls waren: „Seine Träume gehören nicht dem Menschen allein, es sind gaukelnde Kinder aus anderen Welten. Sie haben einen berührt, der, lieblich gaukelnd, Einlaß forderte. Aber — auch die süßesten Träume muß der Mann verscheuchen können, wo die Pflicht gebietet. Ich glaube meinen Gönner nicht versichern zu dürfen, daß dies schöne Mädchen, dem Sie gast¬ lich ihr Haus geöffnet, dem Ihre Gattin Muttersorge widmet, ihres Unglücks wegen mir heilig ist. Sie und ich, das ist ein langer Weg, den wir zu gehen hätten, bis wir uns träfen, und sie selbst ahnt viel¬ leicht noch nicht —“ Der Geheimrath wehrte mit beiden Händen: „Ist nicht mein Departement. Ist meiner Frau ihres. Da sprechen Sie, da schweigen Sie, wie Sie's für gut finden.“ Er faßte seine Hand und sah ihn ver¬ traulich, fast bittend an: „Lieber Walter, schweigen Sie lieber, es ist besser, daß Niemand etwas davon erfährt. Wir haben hier vielerlei Allotria getrieben. Gott weiß, wie ich mich fortreißen ließ So ist's mit unsrer Stärke und unsern Entschüssen! Rühmte mich, nichts solle in meine Kreise dringen, wenn ich meine Thür verschlösse, und plötzlich stand drinnen der Bonaparte, unsre Monturen, Finanzen, und gar eine Liebschaft von Ihnen, und rannten mich beinahe um unter meinen Büchern. — Vergessen Sie, daß Sie einen alten Mann in einer schwachen Stunde betroffen haben!“ „Also das bleibt Alles unter uns,“ schien das letzte Wort, als er Waltern gleichsam an die Thüre gedrängt, aus Besorgniß, daß von den Allotriis doch noch etwas über die Lippen kommen könnte. Aber dort legte er die Hand ihm noch einmal auf die Schulter: „Lieber Herr van Asten, um Sie ist mir nicht bange. So oder so, aus Ihnen wird was. Bleiben Sie ein vir integer . Rühren Sie nicht mehr Staub auf, als absolut nöthig ist. Aber das kann ich Ihnen wohl sagen: Wer nie in Italien war, nie das Al¬ baner-Gebirge gesehen hat, mit keinem Fußtritt am See gestanden, und doch wie Sie den Tractus von Albalonga, die alte Latinerstadt in dem länglichen Bergrücken herausfand, der ist auch zu mehr berufen. Heyne und Wolf und Alle, im Grunde genommen, was sind sie uns! Graeca sunt , non leguntur ; es hat etwas für sich. Aber Latium! Rom ist ewig. Und nun will ich's Ihnen sagen, habe Ihre Disser¬ tation an Herrn Niebuhr geschickt. Er findet Sen¬ timent darin — ästimirt Ihre Conjecturalkritik, wird einmal selbst an Ort und Stelle untersuchen — jetzt kommt er her und wird wahrscheinlich Bancodirector. Ist das, dann können Sie auf eine Anstellung bei der Bank rechnen, und Ihr Schicksal ist gemacht.“ Zweites Kapitel. Unterricht in der Erziehung. Wir waren nur am späten Abend, bei einem flüchtigen Besuch, in den Zimmern der Geheimräthin. Es sah jetzt anders darin aus. Die Möbel hatten neue Ueberzüge erhalten, manches Veraltete war einem neu Angeschaffenen gewichen. Die Schildereien waren ge¬ schmackvoller geordnet, das Silberzeug glänzte frisch aufgeputzt, und die Geheimräthin war selbst beim Drapieren der Gardinen beschäftigt, als van Asten eintrat. „Sie finden mich in einer ungewohnten Beschäf¬ tigung. Aber wenn man etwas ordentlich gemacht haben will, kann man es den Leuten nicht überlassen. Es hält schwer, unseren Ouvriers Geschmack beizu¬ bringen.“ „Frau Geheimräthin erwarten Gesellschaft?“ „Eine ganz kleine. Sie wissen, wie die großen, glänzenden mir zuwider sind, wo alles auf den Ap¬ parat abgesehen ist, und Geist und Herz sich ver¬ stecken müssen.“ Die geöffneten Flügelthüren einer Reihe Apar¬ tements, die ausgelegten Teppiche und die Wachs¬ kerzen auf den Kronleuchtern, schienen indeß mit dieser Angabe nicht zu stimmen. Die Lupinus mochte den beobachtenden Blick des Lehrers bemerkt haben, als sie hinzusetzte: „Aber es wird nicht gespielt. Daß diese geist¬ tödtende Unterhaltung im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts sich noch erhalten kann, und in Kreisen, die durch ihre Bildung hervorstechen! Man wird es späterhin kaum begreifen.“ Van Asten meinte, es wäre wenigstens eine harmlose Schattenseite. „Der Geistreiche kann doch nicht immer sprudeln und sich ausgeben, und der Geistarme findet ein sicheres Versteck. Welt und Gesellschaft sind nun einmal zusammengewürfelte Kunststücke von Reichen und Armen. Den bunten Schleier, der den Unterschied verbirgt, sollte man nicht muthwillig zerreißen.“ Der Geheimräthin mißfiel diese Auslegung nicht: „Es freut mich, daß Adelheid sich in diesem Kreise zu gefallen anfängt. Im Anfang war ich besorgt. Aber sie gewöhnt sich schon —“ „Sie gewöhnt sich!“ wiederholte van Asten und schwieg doch wieder. „Sie gewöhnt sich an die edlere, feinere Art, nachdem sie inne wird, daß ihre naiven Antworten nur ihrer Neuheit wegen gefielen und wirkten. Das ist der Takt des Kindes, den ich admirire. Daß man bei der zweiten, dritten naiven Antwort schon anders lacht, als bei der ersten, hat sie gemerkt. O es ist ein höchst gelehriges Kind. Man braucht nur anzutippen. Sie müssen eine wahre Freude an sol¬ cher Schülerin haben.“ Van Asten schien die Freude nicht in dem Maaße zu empfinden, als die Geheimräthin es erwartete. „Man spricht schon in der Stadt von Ihren geistvollen Cirkeln.“ Die Geheimräthin zuckte die Achseln: sie möchte wünschen, daß man weniger davon spreche, man könne sein Haus doch auch nicht für jedermann offen halten. Dennoch wehrte sie die Elogen schon schwächer ab, als Walter van Asten die Aeußerung einer geistvollen Prinzessin wiederholte, die sich gefreut, daß doch end¬ lich einmal das Haus eines Officianten sich der Bil¬ dung und Kunst erschlossen, da wer nach Geist und Intelligenz verlangt, sie bis jetzt fast nur in den reichen Judenhäusern suchen mußte. Die Geheimräthin lächelte: „Zu gütig von dieser geistreichen Prinzessin. Der Prinz, ihr Bruder, macht allerdings keinen Unterschied, ob er in der haute volée oder in den Judenhäusern ist; nur im Schooß seiner Familie sieht man ihn am seltensten.“ Die Bemerkungen waren so hingeworfen, daß Walter darin die Aufforderung las, noch mehr zu erzählen, obwohl ihre Worte dagegen protestirten. Dieselbe Prinzessin hatte geäußert, es sei doch eine wirkliche Beschämung für unsern Adel, daß er der Kunst und Wissenschaft und dem Umgange mit den Geistern der Nation sich verschließe, die ihre Ehre ausmachen. Da hätte eine Fremde, die Stael, nach Berlin kommen müssen, um ästhetische Cirkel zu bil¬ den, und jetzt usurpire Prinzeß Biron von Kurland, was die Pflicht des einheimischen Adels sei. Die Geheimräthin machte einige Bemerkungen über die Herzogin von Kurland, daß sie sich merk¬ würdig conservirt habe, schöner eigentlich noch als ihre Töchter, die doch auch sehr liebenswürdig wären. Aber ihre Gedanken waren wohl nicht bei der Her¬ zogin, noch den Gelehrten und Dichtern, die sie in ihren Bann gezogen. „Prinzeß Radziwill hatte auch gefragt, wer denn Schiller gefeiert, als er hier war? Ebenfalls wieder Juden, Fremde, Diplomaten, einige bürgerliche Häuser.“ „Ich habe mir Schiller doch anders gedacht, sagte nach einer Pause die Lupinus. Er war so schweigsam. An Ehrenbezeugungen hat es ihm doch wirklich nicht gefehlt, aber es blitzte so selten das in¬ nere Feuer auf. Ich sprach zwei Mal mit ihm, und beide Mal redete er wie ein gewöhnlicher Mensch. Ob er uns vielleicht der erhabenen Sentiments, der berauschenden Gedanken nicht werth hält, die doch bei jeder geistigen Berührung aus einem Geiste wie der seine aufsteigen, emporwirbeln müssen, denke ich, wie die Lerche in den Aether!“ „Es ist vielleicht nicht gut, daß man die Dichter mit Lerchen vergleicht.“ „Sie wollen sie lieber mit Nachtigallen ver¬ gleichen, sagte die Lupinus spitz, die aus der Nacht ihrer Einsamkeit ihre Töne schmettern lassen, wenn es ihnen eben bequem ist, eigensinnig, qu'importe wer sie hört!“ „Es mag auch manches Andere ihn verstimmt haben, sagte Walter, noch ungewiß, wohin die Ge¬ heimräthin steuerte. Ihre Majestät die Königin hätte ihn gern hierher gezogen.“ „Meinen Sie nicht auch, ein Genius wie seiner wäre in unserem Staube, unserer Kritik, an unserer Hofluft untergegangen. In Weimar thront er in einem Tempel, hier hätte er Tempeldienste verrichten müssen. Es fehlt hier an der rechten Sonne, meinen Sie nicht auch? Und noch immer so viel Rücksichten, Bedenklichkeiten. Es sieht Einer den Andern an, wenn er in die Gesellschaft tritt, und wenn er ihn noch nicht gesehen, fragt er zuerst, ob er auch zu ihm ge¬ hört? Mein Gott! Diese Geburts- und Standesun¬ terschiede müßten doch verschwinden, wenn die rechte Sonne des Geistes in einem Centralpunkt auf alle schiene, gleich wie in einem Saal die Kerzen an den Seitenwänden keinen Schatten werfen, wenn ein voller Kronenleuchter Alle von oben beleuchtet. So könnte ich mir das Haus der Herzogin denken. Aber sie ist nur eine passagere Erscheinung, und dann ladet sie doch auch nur eine gewisse Elite ein, es ist auch noch manches andre da, doch passons là dessus . Ebenso können die Kreise der geistreichen Jüdinnen nicht do¬ minirend werden, es stößt sich doch Mancher daran.“ Jetzt wußte van Asten, wohin die Geheimräthin steuerte. Er hatte ja selbst dahin das Schiff der Un¬ terhaltung gelenkt, und nur nicht gemerkt, daß sie durch ein Scheinmanöver es abgelenkt, nur damit er mit noch mehr Nachdruck die Richtung wieder einschlage. Warum sollte er nicht in ihre Wünsche eingehen! Es war keine Sünde gegen die Wahrheit, daß er es für verdienstlich erklärte, wenn eine Dame ihr Haus als Vereinigungspunkt für die Notabili¬ täten der Intelligenz öffne, eine Dame, die mit klarem Verstande, Belesenheit, feiner Sensualität, und durch den Stand ihres Gatten und ihre eigne Geburt dazu wie berufen scheine. „Sie scherzen! Das könnte eine Jede, wenn sie wollte. Im Uebrigen, was ist es denn auch be¬ sonderes, wenn man etwas anders aussieht, als diese ehrbaren Hausfrauen, die vom Bügeln und Kinder¬ wiegen noch echauffirt scheinen, wenn sie ihr Gesell¬ schaftskleid angelegt haben. Denn allerdings kommt mir Manche vor, wenn sie nach dem Kuchenteller den Arm ausstreckt, als mache sie eine Bewegung, um ein Stück Wäsche über die Leine zu werfen. Und dann, lieber van Asten, Sie spielen auf meine Her¬ kunft an. Ich bitte Sie, um Gottes Willen, nur davon nichts, daß ich von Adel bin. Ueber diese Unterscheidungen sind wir doch hinaus. Sie wissen, daß ich meinen Namen ohne Thränen einem Bürger¬ lichen hingeopfert habe. Lassen wir die Todten ruhen! Ja, ich will gern meine Schwäche bekennen, es ist mir manches Mal recht angenehm, ja es schmeichelt mir, wenn ich mich als den Mittelpunkt dieser heitern, von Geist und Witz funkelnden Kreise betrachte. Aber, — sie hielt einen Augenblick inne — aber, wenn sie gegangen, die Lichter ausgelöscht sind, überfällt mich doch wieder, ich weiß nicht was, ein inneres Gähnen, eine Hohlheit.“ „Verlangen Sie von einem Spiel ein Re¬ sultat?“ „Aber von all dem schwirrenden Geschwätz, von den Händedrücken, den zärtlichen Betheuerungen, was bleibt denn andres als — eine Lüge! Ich weiß recht gut, daß einige von den jungen Leuten, die am Tisch die Mäßigen gespielt, noch ins Weinhaus eilen, um sich zu restauriren. Es thun es auch noch andere, Johannes Müller, Herr Dedel, auch vom Prinzen weiß ich es. In ihren Symposien machen sie sich herzlich über uns lustig. Und ich verdenke es ihnen nicht. Gährt und lacht es doch auch in mir, und wenn meiner Natur die erhitzenden Getränke nicht entgegen wären, könnte ich mit ihnen Vergessenheit trinken wollen. — Sie sehen mich verwundert an. Nein, nein, ich versichere Sie, ich empfinde das ganze Unbehagen, von dem man mir erzählt, daß es die Schweiger nach ihrem Rausche fühlen.“ Van Asten sah sie betroffen an. „Warum stür¬ zen Sie sich denn in die Lüge, wenn Sie ihre Wir¬ kungen kennen?“ Er verschluckte es. „Und wenn die Leute sich auch wirklich amüsirt haben, fuhr sie nach einer Pause fort, wie sie ver¬ sichern, worüber war es! Die in der Ecke am lu¬ stigsten schienen, lachten vielleicht über mich, über mein Bestreben, ihnen einen angenehmen Abend zu bereiten. Vielleicht über den Geheimrath, unsre Be¬ wirthung, Einrichtung, Gott weiß worüber. Alle sind meine Feinde, Neider, und ich mußte doch beim Abschied die Hand ihnen drücken, und sie versichern, wie unendlich ich mich gefreut, sie bei mir zu sehen, warum sie so schnell forteilten. Darum Embrasse¬ ments, nachgewinkte Küsse, Betheuerungen, daß sie seit lange keinen so vergnügten Abend verlebt. Und wenn sie auf der Straße sind, kaum in den Wagen gestiegen, gähnen sie, wie ich gähne: Gott sei Dank, daß der langweilige Abend vorüber ist.“ Welcher Dämon war plötzlich in die seltsame Frau gefahren! Mit der Gefallsucht, über die er nicht Richter sein wollte, hatte sie begonnen, und aus ihrem Innersten quoll heraus, was sie ihm nicht sagen wollen. War er der Magnet, der ihre verbor¬ genen Gedanken und Qualen wider ihren Willen ent¬ lockte, oder welche unsichtbare Macht zwang sie, noch eben in der geschmückten Lüge sich schaukelnd, den häßlichsten Grund der Wahrheit herauszukehren! Es war eine Wahrheit der Empfindung; dieser verknif¬ fene Zug um den Mund, dieser böslächelnde Blick konnten nicht heucheln. „Es ist das Mysterium der Natur, sagte er, daß oft, wo wir sie nicht säen, wir Liebe erndten.“ „Und doch sind Liebe, Freundschaft, Entzücken und Begeisterung nur Masken für den Egoismus. Mit ihnen will jeder so viel für sich herauspressen, als er kann. So lange es ihm gelingt ein Ver¬ gnügen sich zu verschaffen, so lange dauert die Freund¬ schaft, die Liebe, der Fanatismus, die er auch grade so lange für echt und wahr hält, als der Reiz dauert. Ist der hin, das Thema erschöpft, wird uns die liebste Freundin, der beste Freund gleichgültig, Anstands halber führen wir noch eine Weile die Täuschung fort, bis wir die Puppen fallen lassen, herzlich froh, wenn ein Zufall uns trennt.“ Damit war das Gespräch zu Ende. Statt eines eitlen geistvollen Weibes stand neben ihm eine Salz¬ säule. Es war eine Verwandlung, zu der sie so wenig gethan als Lots Frau zu der ihren; nur ein Naturprozeß. Es wehte ihn kühl an; er hatte nichts mehr mit ihr zu reden, und doch forderte die Con¬ vention, daß er nicht schweigend ging: „Wenigstens, äußerte er, werde die Tochter des Kriegsraths Alltag, davon sei er überzeugt, nie vergessen, was sie der Geheimräthin Lupinus verdankt.“ „Meinen Sie!“ Die Salzsäule sah ihn mit einem ihrer eigenthümlichen Blicke an, und ihre Mund¬ winkel verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. „Grade so lange wird sie mich als die Schöpferin ihres Glückes enthusiastisch lieben, als sie sich in meinem Hause amüsirt und vergöttert wird. Viel¬ leicht auch nicht einmal so lange. Nur bis sie auf eigenen Füßen steht, und von mir nichts mehr pro¬ fitiren kann.“ Er verbeugte sich: „Frau Geheimräthin haben sonst mir nichts zu befehlen?“ „Adieu — doch! Warten Sie. Ich hatte ja einen Auftrag für Sie. Richtig. — Springen Sie doch im Vorübergehen bei Alltags an. Die Kriegs¬ raths werden sich vielleicht wundern, wenn sie von der Gesellschaft heut Abend hören und nicht einge¬ laden sind. Aber das geht doch nicht immer. Sie passen ja nicht.“ „Ihre Eltern —“ „Eben darum; nur Adelheid zu Liebe! — Wenn sie sehen, daß das Mädchen solche gewöhnliche El¬ tern hat!“ „Der Vater ist doch ein geachteter Mann —“ „Wer redet von den Aeußerlichkeiten. Sie passen nicht zu der gebildeten Gesellschaft. Wenn auch etwa Schadow und Hirt mit solchen Kern und Natur¬ menschen sich zu unterhalten einen Spaß finden, so sind doch andere, die daran keinen Spaß finden. Die Russische Fürstin hat zugesagt, und ich — Sie sehen mich in einer kleinen Aufregung und Spannung — ich hoffe auch Jean Paul wird kommen.“ „Jean Paul Friedrich Richter!“ „Ich hoffe wenigstens. Man reißt sich so um ihn, daß man es wirklich einen glücklichen Augen¬ blick nennen kann, wo man ihn frei trifft. — Indessen — wie gesagt also, gehn Sie zu den Eltern, und Sie werden schon die beste Art finden, es ihnen be¬ greiflich zu machen. Es hätte sich erst heute so zufällig gemacht —“ „Es wird schwer sein, die Art zu finden, die nicht beleidigt.“ „So sagen Sie, — nein sagen Sie, was Sie wollen, es ist mir im Grunde ganz gleichgültig. Was gehören Alltags zu Jean Paul!“ Van Asten verneigte sich wieder, aber an der Thür rief ihn die Geheimräthin wieder zurück: „ A propos, ich habe doch ganz vergessen, was ich Ihnen sagen wollte. Mein Compliment dem Lehrer, sie lernt un¬ begreiflich schnell, aber Sie müssen ihr etwas mehr ästhetischen Elan geben.“ Van Asten sah sie erstaunt an: „Ich finde in ihr ein Verständniß der Dichter —“ „Ja, ja, das ist schon recht — das ist es aber nicht —“ „Ihr Gedächtniß für alle wahrhaft schönen Stellen —“ „Ist bewunderungswürdig. Das Fischerlied von Goethe hörte sie nur ein Mal von Ihnen, und am Abend recitirte sie es mir vorm Zubette¬ gehen. Admirabel! Das ist alles recht schön, auch kann sie die Glocke beinahe auswendig. Schiller war enchantirt davon. Ich hatte es nämlich so ein¬ zurichten gewußt, daß er sich mit der Berg an der Thür im Nebenzimmer unterhielt, als sie, von den jungen Mädchen wie zufällig aufgefordert, einige II . 3 Partieen draus declamirte. Aber Sie hätten ihr Gesicht sehen sollen, als Schiller plötzlich in die Hände klatschte. Glauben Sie, daß, wenn ich sie vorher ihm vorgestellt, sie nur den Mund aufgethan hätte! Mit Schiller passirte das noch, aber wie be¬ nahm sie sich gegen Jean Paul! Da von der Ge¬ sellschaft unter den Linden will ich nichts sagen. Es war ja ein Gedränge um ihn, beinahe ein Scandal.“ Walter lächelte. Der böse Leumund erzählte von zwei Freundinnen, die in derselben Absicht nach dem Sessel eilten, von dem der Dichter eben aufgestanden. Der Natur der Dinge nach konnte nur eine die glückliche sein und sitzen, wo der Dichter gesessen. Man behaup¬ tete, daß beide seitdem nicht mehr Freundinnen wären. Die Geheimräthin las aus Walters Lächeln den Sinn: „So seid Ihr alle, und keiner besser als der andre. Die Huldigungen edler Frauen für eine Größe, wenn sie Euch selbst nicht gelten, sind nur gut für Euren Spott. Nicht wahr, das charmante Triolett, was durch die Stadt läuft, ist von einem Ihrer Freunde, von dem Herrn Tieck oder Bernhardy, oder einem der Herren Schlegel?“ „Unsre Freunde, sagte er, erkennen das echte Feuer, das aus diesem Genius in so wunderbaren Flammenwirbeln der Phantasie und des Humors gen Himmel prasselt, wenngleich der krause irdische Troß, den es mitnimmt, vielen das Verständniß sei¬ ner Seelenaccorde erschwert.“ „Wir nun bemerken nicht diesen Troß und sind darin glücklicher als die Herren der Schöpfung, denen so oft der Sinn über die verletzte Form verloren geht. — Das aber ist es, ja ja, Herr van Asten, Sie wollen Ihrer Schülerin einen zu classischen Sinn einimpfen. Sie dämpfen Ihre Entzückungen — aber was ich sagen wollte, — ich habe ihn nachher mit Adelheid besucht —“ „Jean Paul?“ „Ja wir sahn ihn im Heiligthum seiner Häus¬ lichkeit. Es war doch etwas ganz anderes als bei der albernen Ihlendorf unter den Linden. Mein Gott, wie wird diese unglückliche Frau von dem einen glücklichen Hang wieder aufgebläht werden! Ihr sil¬ berner Theekessel soll manchen Abend ganz umsonst rauchen, und die arme Baronin in fieberhafter Angst auf jeden Klingelzug hören! Und nun war Jean Paul einmal bei ihr, ihre Säle vollgestopft und ganz Berlin spricht davon! — Aber, ich sage Ihnen, unter seinen Penaten muß man einen großen Mann sehen.“ „Sie waren in seiner Wohnung — und mit Adelheid?“ „Die Russische Fürstin war eben fortgefahren. Wir trafen nur noch vier Damen, die ihm einen Teppich gebracht, denn der Fußboden ist sehr kalt, weil er über einem Stall wohnt. Sie ließen es sich nicht nehmen ihn selbst anzunageln, und während dem hatten wir die schönsten Minuten. Ach wie ganz anders ist Jean Paul als Schiller! Jeden Moment, jedes Blitzen eines Sonnenstrahls, weiß er zu benutzen, 3* es sprüht immer etwas Sinnvolles, Angenehmes. Wenn eine der Damen sich auf die Finger klopfte, beneide¬ ten die Genien sie um den Schmerz, den eine edle Seele bei einem Liebeswerk empfindet.“ „Und die Damen erwiderten die Galanterieen?“ „Es scheint wirklich ein Pfingstgeist in unsre Lands¬ männinnen gefahren. Denken Sie, selbst die Eitel¬ bach, wie berauscht von seiner Nähe, ward witzig. Sie sprach etwas, was im Hesperus stehen könnte.“ „Oder vielleicht schon darin steht.“ „Gleich viel, es ist eine Magie, die Alle in seiner Gegenwart über sich selbst erhebt. Ich ließ ihm durch Adelheid ein Bouquet überreichen.“ „Gewiß mit Worten, die im Titan ihren Ehren¬ platz fänden.“ „Es war, meine ich, keine üble Phrase, eine Phan¬ tasie, die mir am Morgen eingefallen war. Sie hatte sie auch ganz gut auswendig gelernt, eine Art Streck¬ vers — Sie trug einen Kornblumenkranz im Haar.“ „Kornblumen! —“ „Natürlich künstliche. Die Kornblumenzeit ist ja vorüber. Sie sollte mir recht natürlich kind¬ lich aussehen. Aber sie sprach so hölzern, ich möchte sagen gedehnt. Mir ward schon ängstlich zu Muthe, und sie war kaum in der Mitte, als die Eitelbach den Schrei ausstieß. Sie nämlich war es, die sich mit dem Hammer auf den Finger geklopft hatte. Da sprang Jean Paul vom Sopha und küßte ihr das Blut vom Finger.“ „Was eine unangenehme Unterbrechung gab.“ „Stellen Sie sich vor, Adelheid war nun so in Confusion, oder was war es, sie hatte den Streck¬ vers vergessen, überreichte ihm, wie ein Bauermäd¬ chen, den Strauß und sagte: Die Blumen bleiben ja, was sie sind, auch ohne Worte.“ „Der Dichter wird durch ein Impromptu die Verlegenheit ausgeglichen haben.“ „Das ist es eben, er sprach so wunderschön, in lauter gewählten, ich möchte sagen selbst in Streck¬ versen; aber sie antwortete ihm als wäre er ein Mann wie andere, ganz offen, naiv, dreist. Es schnitt mir durch die Seele. Das Mädchen empfand so gar nichts von der Veneration. Jeder giebt sich doch Mühe, so viel er wenigstens kann, sie an den Tag zu legen.“ „Jean Paul wird ihr verziehen haben.“ „Ich aber nicht, fiel die Geheimräthin scharf ihn anblickend, ein. Was soll er von mir denken, wenn nicht einmal meine Umgebung das Interesse an den Tag zu legen weiß, das er bei den unbedeutendsten Frauen erregt. Unbedeutend ist Adelheid nicht, es muß also doch etwas an ihren Lehrern liegen —“ „Oder an ihrem Character.“ „Den ich in diesem einen Punkte zu biegen mir erlauben werde, mein Herr van Asten. Uebrigens wird sie Gelegenheit haben, ihn in diesem Augenblick zu zeigen. Da ich heut Morgen durch Doctor Selle er¬ fuhr, daß die Gesellschaft der Kurland ausfällt — sie ist an den Hof geladen — also Jean Paul frei ist, schickte ich Adelheid zu ihm, ihn zu invitiren.“ „Das junge Mädchen —“ „Mit dem Bedienten.“ „Aber — er logirt — was man gewöhnlich eine Kneipe nennt.“ „Ich weiß es, unten ist eine Bierstube, auf dem Hofe eine Hufschmiede. Ist er darum weniger der Dichter?“ „Und in der frühen Stunde. In Pantoffeln und Schlafrock, die Pfeife im Munde —“ „Empfängt er Fürstinnen, denen die Stunde und das Costüm nicht unanständig erscheint, wenn es gilt, dem Genius die Huldigungen darzubringen, würdig des Mannes, welcher so die wahre Frauen¬ würde erkannt hat. Adelheid wird davon nicht ster¬ ben, beruhigen Sie sich, wenn sie sich einmal selbst überwindet. Wir müssen uns alle überwinden, das — ist die Aufgabe unseres Lebens. Morgen aber kommen Sie etwas später zur Lection, Herr van Asten. Wir müssen ausschlafen.“ Als er die Thüre öffnen wollte, trat Adelheid ein. „Kommt er?“ rief die Geheimräthin. „Er kommt.“ Sie flog der Geheimräthin an den Hals, die ihre Locken streichelte und ihre Stirn küßte. „Ich wußte es, einem so schönen Mädchen konnte er nichts abschlagen.“ „Ach hätten Sie ihn gesehen, wie ich ihn sah, liebe — Mutter — das Wort kam etwas zögernd über die Lippen. Mit welchem Herzklopfen ich die kleine, steile Treppe hinaufstieg, aber es war heut alles ganz anders. Wie er mir schon entgegentrat! Er ist ein herrlicher Mann! — Ach Herr van Asten, bald hätte ich Sie übersehen! O gehn Sie noch nicht fort, blei¬ ben Sie, Sie müssen es auch hören —“ Sie reichte ihm die Hand: „Ja, wie man sich in dem Menschen täuschen kann. Neulich kamen mir alle seine Reden so künstlich vor, und daß er das zuließ von den Damen. Mir fiel einer von den Götzen ein, von denen Sie mir aus Indien erzählt, die sich umherrollen lassen, und ihre Sclaven liegen auf der Erde. Verzeihen Sie mir, Mama, ich konnte mich kaum zurückhalten aufzulachen, er kam mir so unmännlich, albern vor, wie er auf dem Sopha ruhig die Huldigungen hinnahm, und nichts dafür gab, als blumigte Reden. Aber heut trat er mir mit einem frischen, kräftigen „Herein!“ entgegen, schon ange¬ kleidet. Er faßte meine Hand, als ich Ihre Bitte kurz aussprach, aber nicht so süß wie neulich, es war wie ein Mann dem andern die Hand schüttelt. Er hörte mich freundlich an, und sprach dann: „„Sagen Sie Ihrer Pflegemutter, ich nehme ihre Einladung mit Dank an und werde kommen, ich danke Ihnen aber, mein liebes Kind —““ doch das thut nichts zur Sache —“ Rasch abbrechend küßte sie noch einmal die Mutter, schüttelte van Asten zutraulich die Hand: „Freuen Sie sich, er kommt!“ und legte Umschlagetuch und Hut fort. Aber die Geheimräthin wollte mehr, sie wollte alles wissen, was Adelheid nicht wieder sagen wollte. Vor einem Genius verstummen alle Rücksichten. „Er fuhr mit der Hand über meine Stirn. Dabei sah er mich ungemein freundlich an. Sie sind ein wahrhaftes deutsches Mädchen! Das kann ich wohl wiedersagen ohne zu erröthen, aber was er nachher sprach, wie er sich ein deutsches Mädchen, und wie er sein großes Vaterland sich denke und es liebe, ach da müßte ich ja selbst eine Dichterin sein. Ich dachte an Sie, Herr van Asten, wissen Sie noch, als Sie bei der Geschichte der alten Kaiser aus Schwaben in Feuer geriethen, es war wie ein großes Bild, das Sie in die Luft malten, und ich sah alles leuch¬ ten wie Flammen und Abendroth, wenn Sie mit Ihrem Finger Kreise durch die Luft zogen: Da be¬ ginnt die deutsche Glorie auf dem Berge Hohen¬ staufen, dann fuhren Sie mit dem Finger im Zickzack durch ganz Deutschland, jetzt nach Italien, nach Asien, ich sah deutlich den reißenden Fluß mit den schönen Bäumen, in dem der Kaiser Barbarossa ertrank, dann fuhren Sie hinüber nach Sicilien, Sie zeigten das Blutgerüst, auf dem der edle Konradin verblutete, und endlich wiesen Sie nach dem Berge in Thüringen, und schlossen: Das war Deutschland und da ruht seine Zukunft! Ich werde es nie vergessen. Und was Jean Paul sprach von der Auferstehung der freien, großen Nation, der wir freudig entgegen leben sollten, uns vorbereitend in Tugend und Sitte und reinem Natursinn, da stand mir Ihr Bild wieder klar vor der Seele.“ „Daß es Ihnen nie untergehe, sprach rasch der junge Mann. Ich irrte mich nicht in ihm. Leben Sie wohl!“ „Auf Wiedersehen, heute Abend. Ich selbst will Sie ihm vorstellen.“ Der Lehrer sprach einige undeutliche Worte. Die Geheimräthin stotterte: „Herr van Asten sei wohl heute behindert, da er von ihrem Manne so lange aufge¬ halten worden.“ „Mama, haben Sie ihn nicht eingeladen?“ fragte Adelheid verwundert als sich die Thüre schloß. „In die Gesellschaft paßt er doch nicht.“ „Mein Lehrer, den Sie selbst so schätzen?“ „Es ist nicht deswillen. Aber er ist zu unan¬ sehnlich.“ „Unansehnlich!“ „Jean Paul freut sich an schönen Gesichtszügen. Van Asten ist doch eigentlich häßlich.“ „Häßlich!“ rief Adelheid mit Zaudern und schien sich zu besinnen. Das ist mir nie eingefallen, daß van Asten häßlich sei. Daran habe ich überhaupt nie gedacht.“ „Was auch recht gut ist, liebes Kind, entgegnete lächelnd die Geheimräthin. Und überdem ist er nichts in der Gesellschaft.“ Drittes Kapitel. Man muß gelten wollen. Die Vorbereitungen zu dieser Gesellschaft schienen uns vorhin doch schon fertig; es mußte indeß nicht so sein, wenn wir gegen Mittag eine Scene im Speisesaal der Geheimräthin belauschen. In der Mitte am Tische stand Adelheid vor einem Salatnapf und neben ihr, mit prüfendem Blicke jede ihrer Bewegungen beobachtend, die Geheimräthin. Um Adelheids Augen war eine Binde geknüpft. Sie übte sich, den Salat zu mischen, die Eier zu zer¬ drücken, Oel und Essig aufzugießen, ohne diese In¬ gredienzien zu sehen. Aber die Geheimräthin hatte Flaschen und Eierteller an einen bestimmten Ort ge¬ stellt und wenn Adelheids Arm irrte, gab sie durch leise Töne ihr ein Zeichen. Einige Schüsseln zur Seite gesetzt, deuteten darauf, daß dies Experiment schon mehrmals versucht war. Jetzt schien es zu gelingen. Der Salat kräuselte sich im Napf, doch verriethen Adelheids Bewegungen noch immer eine innere Aengstlichkeit, und wer unter die Binde sehen können, würde eine Thräne in ihrem Auge entdeckt haben. „Nur etwas ruhiger, sagte die Wirthin, und dann geht es vortrefflich.“ „Aber ich werde doch nicht mit der Binde zu Tische gehen,“ entgegnete das junge Mädchen. „Du wirst aber, wenn Du den Salat machst, gen Himmel, das heißt an die Decke blicken. Es wird sich irgend eine Gelegenheit finden, Dich auf¬ zufordern ein Gedicht, am besten eines von ihm her¬ zusagen, Du geräthst von der Schönheit hingerissen, in Affect, und blickst in die Wolken. Während Du recitirst, stellt der Bediente den Salatnapf vor Dich und flüstert Dir zu: Fräulein der Salat! Du läßt Dich nicht stören und unterbrechen, greifst aber un¬ willkührlich nach Löffel und Gabel, und ohne einen Blick hinunter zu werfen, verrichtest Du mechanisch die Arbeit.“ „Aber die Liane aus dem Titan ist ja, wie Sie mir gestern vorlasen, wirklich in dem Augenblick blind, und der häßliche Minister, ihr Vater, zwingt sie nur zu der Komödie, damit die Gesellschaft glauben soll, seine Tochter könne noch sehen. Herr Richter und alle unsre Gäste wissen aber, daß ich sehen kann, warum soll ich denn nun eine Fertigkeit zeigen, von der jeder Mensch weiß, daß sie eine außerordentliche Abrichtung kostet. Die Gäste werden wahrscheinlich den Titan gelesen haben.“ Adelheid hatte die Binde abgerissen. „Das setze ich sogar voraus, sagte lächelnd die Lupi¬ nus. Sie werden sogleich wissen, was es bedeutet. Ach eine Liane! wird es von Mund zu Munde gehn. Du liebst ja nicht die groben Complimente, dies, hoffe ich, soll eines der feinsten sein, die ihm in Berlin begegnet.“ Adelheid kam das Ganze mehr wie eine Belei¬ digung als wie ein Compliment vor gegen den gro¬ ßen Mann. „Du kennst nicht die Welt und noch nicht die großen Männer, seufzte die Geheimräthin. Grade wer übersättigt ist von Lob und Bewunderung, ist am empfänglichsten für die kleinen Aufmerksamkeiten. Kann man Jean Paul noch mehr mit Huldigungen überschütten, als es die Damenwelt hier gethan! Der Hausknecht schimpft schon, wo er wohnt, über die vielen verwelkten Blumen, die er täglich in die Müll¬ grube kehren muß, und glaubst Du, daß wir ihm eine Freude machten, wenn wir ihn wieder mit einem Blumenregen überschütteten! Er würde das hinneh¬ men als etwas, was sein muß, und denken, wenn Ihr nichts weiter könnt! Aber eine solche versteckte Anspielung muß ihm schmeicheln, eben weil er recht gut weiß, welche große Vorbereitungen es gekostet hat.“ „Und warum muß ihm denn geschmeichelt werden?“ „Weil er ein Mensch ist wie andere.“ „Und warum muß man überhaupt schmeicheln?“ „Weil wir leben wollen.“ Adelheid sah sie groß an. Sie schien sagen zu wollen, ich schmeichle Niemand und lebe doch. „Weil Du jung und hübsch bist, antwortete die Geheimräthin auf den unausgesprochenen Gedanken, darum ist man gegen Dich aufmerksam. Wenn Du nicht mehr jung und hübsch bist, wirst Du Dich schminken müssen. Es giebt mancherlei Schminke. Je älter man wird, mein liebes Kind, um so mehr Arbeit hat der Mensch, denn um so mehr muß man die Schwächen der andern studiren, um vor ihnen zu gelten.“ „Warum muß man denn gelten wollen!“ Es entfuhr ihren Lippen; sie wußte sich kaum den Sinn der Worte zu sagen, und hätte sie gern wieder ver¬ schluckt, als die Pflegemutter sie anschielte. „Ja warum lebt man! Der Philosoph fehlt noch, der uns die Frage beantwortet.“ Es entstand eine Pause. Die Salatnäpfe wur¬ den vom Dienstmädchen fortgeschafft, die Geheimräthin brachte die Tafel wieder in Ordnung, putzte die Möbel und richtete oder vertauschte die Kupferstiche an der Wand. Adelheid war emsig über eine weib¬ liche Arbeit gebeugt, es schien um ihr Gesicht zu verbergen. Vielleicht hatte der scharfe Ton der Pflegemutter sie verwundet. Es klang davon noch etwas in der kurzen Frage wieder: „Kam das auch von Deinem Lehrer?“ „Was, Mama?“ „Daß man nicht soll gelten wollen! Herr van Asten ist ein Philosoph, der sich die Welt construirt, wie ein Dichter sie ansieht. Nicht wahr, hat er Dir nicht gesagt, jeder Mensch soll gar nicht scheinen wol¬ len, sondern nur sein was er ist? Das klingt hübsch, aber die Menschen sähen sehr häßlich aus, wenn sie nichts thäten, um sich zu verschönern. Davon, mein Kind, macht keiner eine Ausnahme.“ „Er selbst will gewiß nicht mehr scheinen als er ist — “ „Sprich es nur aus, was Du verschluckst, Du meinst, er wäre sogar noch besser als er scheinen will. Nicht wahr, denkst Du es nicht bisweilen, wenn er in einer begeisterten Rede plötzlich inne hält, als wolle er etwas nicht sagen aus Bescheidenheit, wenn er die Augen abwendet, rasch auf ein anderes Thema übergeht! — Und wenn er nun damit nichts wollte, als daß Du glauben solltest, er wäre und wisse noch weit mehr, als Du denkst?“ Adelheid sah sie groß an: „Dann wäre er ja ein abscheulicher Mensch!“ „Nicht schlimmer als andere. Ja er thäte ge¬ wissermaaßen nur seine Pflicht. Ein Arzt, ein Pre¬ diger und Lehrer, wenn sie wirken sollen, müssen einen Glauben an ihre Vortrefflichkeit um sich ver¬ breiten, damit ihre Patienten und Schüler an sie glauben.“ „Er brauchte es gewiß nicht,“ sagte Adelheid. „Da hast Du gewissermaßen wieder Recht. Er war ein guter Lateiner, wie mein Mann sagt, er hätte nur einen gewissen Classiker zu ediren brauchen, und eine Anstellung und Anerkennung hätte ihm nicht gefehlt. Aber man sagt, das gilt jetzt nicht mehr viel. Da wandte er sich den jüngern Geistern zu, die aus der Natur, veralteten Poeten und der Mystik, Gott weiß, welche Schätze zu graben vermeinten. Abgestandene Aufklärung nannten diese jungen Genies die Werke, durch welche jene Männer, die vor ihnen berühmt waren, ihren Ruhm gewonnen. Auf dem Wege war kein Platz mehr für sie zur Geltung zu kommen. Van Asten wollte auch Dichter sein.“ „Das hat er wieder aufgegeben, liebe Mutter. Er sagte mir, wer fühlt, daß seine Begabung für die Poesie nicht ausreicht, soll davon bei Zeiten ab¬ stehen.“ „Sehr vernünftig. Von der ganzen jungen Schule hat noch kein einziger eine Anstellung erhal¬ ten. Herr Iffland will auch ihre Theaterstücke nicht zur Aufführung bringen. Es hat einen glänzenden Schein, mein Kind, aber es gilt nicht. Darum hat Dein Herr van Asten sich auch wieder auf anderes geworfen. Er will ein selbstständiger Mann, ein Character sein. Er hat sich von seinem Vater ge¬ trennt, der ein angesehener reicher Mann ist, und will sich selbst sein Fortkommen verschaffen. Wenn es ihm gelingt, hat er recht. Das ist die Aufgabe des Genius, aus sich heraus seine Welt sich zu er¬ schaffen. Sein Anfang ist recht hübsch. Er tritt nicht auf wie ein junger Candidat, der mit gekrümm¬ tem Rücken um die Erlaubniß bittet, ein Wort mit¬ sprechen zu dürfen, sondern er geht aufrecht, und spricht wenig, kurz, aber entschieden. Das frappirt auch Vornehmere, und man fragt, wer er ist? Ich will ihm nur wünschen, daß es ausreicht. Aber ich fürchte, es wird nicht ausreichen. Gute Privatstun¬ den geben, und dann und wann eine gute Abhand¬ lung in den Journalen drucken lassen, damit erlangt ein junger Mann keine Bedeutung. Er thäte noch immer am gescheitesten, wenn er zu seinem Vater ins Comtoir zurückkehrte. Wenn man einmal der Erbe von van Asten und Compagnie wird, kann man sich schon bequemen ein paar Jahre am Ladentisch zu stehen.“ „Walter!“ „Dann würde er Dir wohl weniger gelten?“ „Das nicht, aber —“ „Vor den Leuten würde er an Geltung verlieren. Ach mein Kind, es steht keiner so hoch, daß er nicht Alles verliert, wenn er vor den Leuten nicht mehr gilt; Kaufleute und Könige, Gelehrte und junge Mädchen. Warst Du etwa eine andre, als Du in dem schlechten Hause betroffen wardst? Benahmst Du Dich wie die Mädchen dort, trugst Du Kleider wie sie, blicktest Du frech die Männer an? Nichts von alledem, Du warst die tugendhafte sittsame Adel¬ heid, die Du vorher warst und jetzt bist, aber Du galtest vor den Leuten für ein Mädchen wie die andern, und aller Deiner trefflichen Eigenschaften ungeachtet, wärst Du auf ewig verloren gewesen —“ „Wenn Sie nicht meiner sich erbarmt hätten.“ Man thäte der Geheimräthin Unrecht, wenn man glaubte, daß sie mit dem langen Eingang nur eine neue Dankopferung bezweckt habe. Im Gegentheil, sie liebte nicht Affectscenen, wo das Herz auf dem Prä¬ sentirbrett liegt. „Ich habe nichts für Dich gethan damals, sprach sie mit einer Ruhe, welche die Aufwallung entschie¬ den zurückwies. Du wurdest nur dadurch gerettet, weil der Zufall Dich in mein Haus führte. Das Deiner Eltern ist gewiß ein sehr ehrbares, aber Dein Vater und Deine Mutter haben wenig Umgang mit der Gesellschaft. Wenn sie Dich auch noch so behütet und eingeschlossen, Du hättest doch einen Flecken be¬ halten. Die Dich gekannt, wußten freilich, was Du warst, die andern aber hätten gedacht: schade um das arme Mädchen, sie lebt nun so zurückgezogen, führt sich so sittsam auf, und thut alles was sie kann den Verstoß wieder gut zu machen, sie ist auch vielleicht ohne eigne Schuld, aber sie war doch ein Mal in dem Hause, und das vergißt man nicht.“ „Aber, Mama, warum nennen Sie es Zufall? Es war Ihr edles Herz, Ihre Großmuth, die mich aufnahm.“ „Es war der ausgezeichnete Mann, den der Zufall Dich finden ließ. Mit bewunderungswürdigem Scharfsinn erkannte er im Augenblick die ganze Lage. Hier ist nichts zu vertuschen und durch Flicken nichts zu retten, sagte er. Was verloren ist, muß man ver¬ II . 4 loren geben, und dafür Neues erobern. Sie muß aus ihrer Sphäre entrückt, in eine andere höhere versetzt werden. Das muß mit einem gewissen Eclat geschehen, der die Klatschcirkel verblüfft, durch einen leuchtenden Akt der Anerkennung muß man ihnen auf den Mund schlagen, daß sie an ihrem Urtheil irre werden. Und das ist nicht schwer, denn die Menge murrt zwar über die Vornehmen, richtet ihr Urtheil aber immer instinctartig nach dem ein, was dort gilt. Ist das schöne junge Mädchen in den Kreisen, ich sage nicht retablirt, sondern mit vollen Ehren aufge¬ nommen, wird sie gehätschelt, so sinkt das Urtheil der Menge über sie von selbst zusammen, und am Ende schämt sich jeder, der über sie geurtheilt und leugnet es ab, denn er will doch nicht dümmer erscheinen als die vornehmen Leute. So argumentirte der Lagations¬ rath, und ich gab mich gefangen, und Deine Eltern endlich auch. Und hatte der Treffliche nicht Recht? Ist nun nicht Alles gut? Man reißt sich um Dich. Bist Du eine andere geworden als damals in der kleinen Wohnung am Gensd'armenmarkt? Habe ich Dich besser gemacht, erzogen? Ich bin weit von der Eitelkeit entfernt, mir das anzumaßen; ich weiß so¬ gar, daß Du ein Character bist, der sich eigentlich nicht erziehen läßt, der sich aus sich selbst heraus¬ bildet. Was Du nach meinem Willen thust, geschieht nur aus Dankbarkeit, und Du behältst doch Deinen Willen. Aber vor der Welt bist Du eine andre, Du giltst, ich sage nicht für tugendhaft, davon ist nicht mehr die Rede, aber vielleicht für mehr als Du jetzt schon bist, Du bist ein enfant gaté der Modewelt, alles, weil Du in einem Hause lebst, was Geltung hat. Ja, mein liebes Kind, wer unter den Menschen leben will, muß vor ihnen gelten wollen.“ Die Geheimräthin wühlte mit einem kalten Eisen in einem warmen Herzen. Es war nicht das erste Mal, es geschah auch nicht zufällig; sie meinte auch, nicht mit grausamer Absicht. Um fest zu werden für das Leben vor uns, muß man jeden Augenblick über das hinter uns klar sein, war ihr Argument. Auch Adelheid wiederholte nur, was sie schon tausendmal gesagt, von dem Schutzengel, den sie ge¬ funden, dem neuen Leben, welches sie in diesem Hause angefangen, wie sie sich selbst jedesmal strafe, wenn sie dem Willen ihrer Retterin entgegen handelte, wie Alles hier zu ihrem Glücke ausschlage. „Und doch wünschtest Du dich schon fort!“ So eiskalt der durchdringende Blick der Lupinus war, der auf ihr ruhte, eine so hohe Röthe übergoß Adelheids Stirn und Wangen; sie senkte die Augen: sie sei vielleicht zu glücklich, darum wünsche sie manchmal, es wäre alles ein Traum. „Das sind idyllische Stimmungen, die ich Dei¬ nen Jahren gönne, aber Dein Verstand überflügelt schon Deine Jahre. Dir mißbehagt manches, Du fühlst Dich nicht ganz zu Hause; ich verdenke es Dir nicht, aber Du mußt klar mit Dir werden. Ich weiß es sehr wohl, liebes Kind, manche Besucher, die Ge¬ 4* sellschaftsformen, mein Verhältniß zum Geheimrath, auch das zu Deinen Eltern, die ich nicht als zu meiner Familie gehörig betrachten kann, das verstimmt Dich. Auch stimmen unsere Sentiments nicht immer zu einander. Das beklemmt Dich; ich verarge es Dir nicht. Aber es ist nun einmal so. Der Ka¬ narienvogel findet sich in seinem glänzenden Käfigt auch beklommen. Aber wenn man ihn hinaus ließe erstarrte er an der rauhen Luft. Du wirst einmal hinaus, wenn sich eine gute Partie für Dich findet, was in meiner Gesellschaft sich bald machen dürfte, und dann bist Du frei.“ „Nicht doch! nicht doch!“ Adelheid küßte mit Heftigkeit die Hand der Lupinus. „Du bist unruhig. Hättest Du wieder beleidigende Aeußerungen gehört?“ „Im Gegentheil, liebe Mutter, das ist alles überwunden, selbst der schreckliche Gedanke, daß ich in die Zeitungen kommen mußte, auch das ist nun vorüber. Als wir neulich durch die Nebel auf der Wiese fuhren, und die Sonne ging dann auf, und sie verdampften, bis alles, alles klar war, da fühlte ich mich wie aufgelebt. Das Gras, die Büsche und die Blumen sind doch nicht Schuld daran, dachte ich, daß der häßliche Nebel sie belegt.“ Der Geheimräthin prüfender Blick war noch derselbe: „Und Dir ist doch etwas! Du kamst so echauffirt zurück. Du kannst Dich nicht verstellen. Ist er Dir wieder begegnet?“ Adelheid nickte nur mit dem Kopf. „Wo?“ „Als ich in den Thorweg zu Herrn Richter ein¬ bog, glaubte ich ihn um die andre Ecke kommen zu sehen, ich hoffte, er hätte mich nicht bemerkt. Und darum war es mir lieb, daß Herr Richter mich länger aufhielt. Aber als ich heraustrat, und wirklich, ich hatte ihn in dem Augenblick ganz vergessen über den herrlichen Mann, da —“ „Unterstand er sich, Dich auf offener Straße anzutreten!“ „Nein, eigentlich nicht. Er stand am Eckhause, wo ich vorbei mußte, mit gekreuzten Armen, wie ein Träumender.“ „Und als Du vorbei gingst?“ „Mama, ich glaube beinahe, ich hüpfte vorbei, so wohl war mir in dem Augenblick und ich sah ihn erst, und er gewiß mich auch, als ich beinahe an ihn stieß.“ „Und —“ „Ich weiß nicht, stieß ich einen Schrei aus, aber es war gewiß nicht laut, ich fuhr zurück —“ „Und er?“ „Vielleicht sagte er auch etwas. Das weiß ich nicht mehr. Aber der Blick, den er auf mich warf, verfolgte mich.“ „Ich freue mich, daß es nur sein Blick war.“ „Nein, — er ging mir nach.“ „Unerhört! Ließest Du ihn nicht durch den Be¬ dienten zurecht weisen! Er ist ja ein fürchterlicher Mensch.“ „Den armen kranken Johann, der sich nur so hinschleppt —“ „Du hättest den ersten besten Polizeimann oder Soldaten anrufen sollen.“ „Nein, theuerste Mutter, lassen Sie mich lieber nie mehr ausgehen, ohne Ihre Begleitung. Ich bitte Sie recht dringend, inständigst darum. Ich hätte wohl den Muth, ihm Rede zu stehen, wie er verdient, aber —“ „Drei Mal hatte er ja wohl die Unverschämtheit, sich anmelden zu lassen, seit er aus dem Arrest ist?“ „Das dritte Mal grade als Sie zum Polizei¬ präsidenten gefahren waren.“ „Da ist auch keine Abhülfe, sagte die Geheim¬ räthin kopfschüttelnd. Der Präsident meinte die paar Wochen, die man ihn wieder eingesperrt, seien das Aeußerste, was man thun könne. Denn von der Insulte gegen Dich ist nicht die Rede gewesen, nur weil er maskirt auf der Straße erschienen und mit der Wache seinen Spott trieb! — Aber, mit uns treibt er täglich seinen Spott, sagte ich, er verfolgt im Theater, auf der Straße meine Pflegetochter, er dringt in mein Haus. Wer schützt uns? Der Herr Präsident hatten keine Antwort, als, er bedaure, daß wir keine Bastille hätten, und keine lettres de cachet für Personen, die uns unbequem sind.“ Adelheid senkte die Augen: „Was that er uns auch eigentlich, was die Obrigkeit verbieten kann? Andre fixiren mich auch im Theater. Er wollte in unser Haus, aber bei hellem Tage, er klingelte und ließ sich ordentlich melden. Er schrieb einen Brief an mich, aber wir schickten ihn uneröffnet zurück. Wir können dem Richter nicht ein Mal angeben, was er will.“ „Sollen wir warten bis er eine Leiter anlegt, oder nachts übers Dach einbricht?“ „Neulich, als sie fortgefahren waren, hatte er mich durch das Flurfenster gesehen, und doch respec¬ tirte er die Unwahrheit, die der Bediente auf Ihren Befehl sagte: ich sei nicht zu Hause. Johann hatte die Thür schon geöffnet, er brauchte nur den Fuß vorzusetzen, ihn mit dem Ellenbogen zurückstoßen und wenn er seiner Tollheit nachgehen wollte, war er Herr im Hause. Es mag in dem Augenblick auch so etwas in seinen Sinnen umgegangen sein. Die Arme auf der Brust verkreuzt, stand er eine Weile auf dem Flur und sein Auge schien in die Dielen zu brennen. Da hab ich auch einen Augenblick gezittert. Plötzlich rief er: „ich werde sie ein ander Mal zu Hause finden!“ und ohne sich umzusehen, stürzte er die Treppe hin¬ unter. Es kann doch also keine böse Absicht sein.“ „Seine Absicht ist, meinem Hause einen Affront anzuthun. Es ist eine Beleidigung jetzt mir zuge¬ fügt. Sein Vater hat den Taugenichts zwar des¬ avouirt, nichts desto weniger bleibt sein Vater der Herr Geheimrath Bovillard, der am Ende noch Ge¬ fallen daran findet, wenn sein ungerathener Sohn eine Dame insultirt, die er schon mit seinen Plaisan¬ terien verfolgt. Aber das soll, muß anders werden. Wir werden einen Beschützer finden. Dein Erretter, der Legationsrath, der unglücklicher Weise bald nach jener Affaire Berlin verlassen mußte, um seine Güter zu revidiren, wird bald zurückkehren. Er weiß, wie man uns Ruhe verschafft. Er ist jetzt der Mann, der gilt, der Stern der Gesellschaften, und ich hoffe von seinem Einfluß auf den alten Bovillard, daß er selbst endlich müde wird und den Vaurien auf gute Art aus der Stadt schafft.“ Die Lupinus hatte in ihrem Eifer übersehen, daß Adelheid den Mund zu einer Mittheilung geöff¬ net: „Herr von Wandel ist ja zurück.“ Die Geheimräthin hätte jetzt ebenso Grund ge¬ habt, in Adelheids Art etwas Auffälliges, eine Auf¬ geregtheit zu finden, aber weil sie selbst aufgeregt war, merkte sie es nicht. „Er zurück! — Woher weißt Du das?“ „Als ich vor ihm — vor jenem — in einen Laden flüchten wollte, trat er heraus.“ „Wandel — und — mein Gott, das Wichtigste sagst Du mir jetzt erst!“ „Ich war so überrascht, verwirrt — “ „Und —“ „Ja, was eigentlich geschehen, weiß ich nicht. Ich glaube, ich habe ihm die Hand gereicht.“ „Du glaubst —“ „Mama, ich glaube, ich hätte jedem sie ge¬ reicht, der mir entgegentrat, es war eine Angst, ich sah nichts mehr vor mir.“ „Und der Legationsrath! — Haben sich beide wieder erkannt?“ „Ich weiß es nicht. Der Legationsrath sah nur meine Angst. Aber — dann hat er mich nach Haus geführt.“ „Er — Dich? Hierher? Wo ist er — Was sagte er?“ „Liebe Mutter, zürnen Sie mir, ich weiß nichts von dem Gespräch. Ich horchte nur immer, ich bebte, ob er noch hinter uns wäre. Er wird mich für sehr kindisch gehalten haben.“ „Ich will es Dir vergeben, weil Du beschämt warst, nicht mehr Muth gezeigt zu haben. Und vor dem herrlichen Mann, dessen Gegenwart schon Deine gesunkenen Geister erheben mußte! — Aber mein Gott, wo ist er? Er hat Dich hergeführt. Warum kam er nicht mit herauf?“ Adelheids Geister waren nicht gehoben. Auf alle Fragen der Geheimräthin über ihren Begleiter, wußte sie kaum sich zu entsinnen, daß er beim Ab¬ schied gesagt, wenn er nicht zu einem Minister be¬ rufen, würde er sich sofort das Vergnügen gemacht haben, bei ihrer gütigen Pflegemutter anzusprechen. Adelheid ward mit dem Befehl entlassen, für ihre Toilette zu sorgen. Die Geheimräthin war in sichtlicher Unruhe zurück¬ geblieben. Ihre Gedanken machten Kreuz- und Quer¬ sprünge: „Was ist denn wichtig, und was sind nicht Bagatellen! Nur das, was grade gilt. Und sie gilt, weil — weil gestern die Frivolität Mode war und heute die Unschuld. Auf wie lange? Und wenn man auch Unschuld und Schönheit conserviren könnte wie Mumien, so würden es doch abgestandene Dinge werden, denn der Reiz ist nur beim Neuen. Und wer ihnen immer Neues, immer Pikantes vorsetzen, wer sich wie das Chamäleon umwandeln könnte, in jedem Jahr und Monat ihnen neu sein, der würde ihnen am Ende auch gewöhnlich und alt werden, weil er es kann, weil man es von ihm erwartet, und sie würden ihn bei Seite schieben, wenn er nichts anders kann, und ihn wegwerfen, wenn er es nicht mehr kann.“ Als der Blumenstrauß, den sie aus der Vase genommen, von ihr gedankenlos zerpflückt war, er¬ schrak sie über die bittre Richtung, die ihre Gedanken genommen. Eine schlechte Vorbereitung zu dem heu¬ tigen Abend. Es sollte ein Fest der feinsten Heiter¬ keit sein. Wenn sie den Legationsrath präsentiren konnte, ihn, den neuesten Lion der Gesellschaft, den bewunderten, räthselhaften Mann, der aber als er, eine neue Sonne, aufgegangen, plötzlich wieder ver¬ schwunden war! Wenn er, nach seiner langen Ab¬ wesenheit, zuerst in ihrer Gesellschaft wieder erschien! Wenn er jetzt anklopfen sollte, sein erster Besuch bei ihr? Wenn — Niemand kannte den geheimen Grund seines Aufenthalts in Berlin, und welches Vertrauen hatte er grade ihr gezeigt, als ihn ein dringendes Geschäft plötzlich auf seine Güter rief! — Wenn er sich gedrungen fühlte, sie zur Mitwisserin seiner Ideen zu machen. Ihre Phantasie malte sich eine Reihe angenehmer Situationen, als eine kalte Frage da¬ zwischenfuhr: Wird er denn überhaupt kommen? Hat er dem Mädchen nicht vielleicht etwas aufgebunden, nur um sie los zu werden? Ist er nicht vielleicht ab¬ gereist, um seine Verbindungen hier zu brechen? Er kehrt zurück, Gott weiß warum, aber nicht, um die wieder anzuknüpfen, deren er überdrüßig ist. Er ist ein Mann, der der Welt angehört, Berlin ihm ein Stationsort, um sich auszuruhen, nicht länger als nöthig, und die Personen, mit denen er umgeht, zum Zeitvertreib zu gebrauchen. Zum Thor hinaus, in der nächsten Stadt, hat er uns vergessen — Aus diesem neuen peinlichen Selbstgespräch riß sie ein fester Klingelzug und gleich darauf meldete der Diener den Legationsrath von Wandel. Viertes Kapitel. Der Legationsrath. Man hätte eine der chamäleonischen Verwand¬ lungen, von denen sie sprach, in der Geheimräthin selbst erblickt, als sie auf dem Kanapee dem gefeierten Manne gegenüber saß. Ihre Wangen waren ange¬ haucht, ihr Auge glänzte lebhafter, die Schärfe ihm Züge hatte sich gemildert; wie sanft klang ihre Stimme, während ihre Finger sich mit den Polsterquasten der Sophalehne beschäftigten. Er war derselbe. Sein Gesicht schien sich nicht verwandeln zu können. Die dunkeln Augen konnten dominiren; ihr gewöhnlicher Ausdruck aber war der des Observirens. Er las, was in der Seele stand, aber man konnte, was er gelesen, im Spiegel seines Auges nicht wieder lesen. Leidenschaften hatten dies Auge entzündet und ihre Spuren waren auf dem edel geformten Gesichte unverkennbar, allein er hatte die Ruhe der Betrachtung gewonnen, die sich von kleinen Emotionen nicht mehr irren läßt. Die Geheimräthin war in der Regel die Erste in den Kreisen, in welchen sie sich bewegt, sie war sich dieses Uebergewichts bewußt, dennoch glaubte sie den rohen Kitzel überwunden zu haben, welcher sich darin gefällt, dies Uebergewicht auch die Anderen empfinden zu lassen. Dem Legationsrath gegenüber fühlte sie diesen Zauberbann zerstört. Aber grade gegen eine geistige Uebermacht anzukämpfen, ist inte¬ ressant. Eine Frau hat so viele kleine Künste, mit denen sie unvermerkt in das feste System des Mannes Bresche legt, wenn es der Mühe verlohnt. Er stand auf der Höhe, wo man nur wenig auszugeben braucht, aber man reißt sich um die Münze, wie um eine Seltenheit. Dann sieht man auch wohl nicht immer genau nach, ob die Münze echt ist. Er saß nachlässig im Fauteuil, doch mit dem Anstand des vornehmen Mannes einer Dame gegenüber, die er auch dafür anerkennt. Ihre Unterhaltung hatte sich weit entfernt aus den Kreisen, in welchen wir die Lupinus zu Hause wissen. „Einer Frau von Ihrem Geist ist keine Region verschlossen, in die sie dringen will ,“ hatte er auf eine Bemerkung der Geheimräthin erwiedert, daß sie die Sphären des Staats für, ihrem Geschlecht wenn nicht unzugänglich, doch geschlossen halte. „Man sagt uns doch so oft, wir sollen uns nicht aus unserer Sphäre verlieren.“ „Wer das uns auf sich beziehen will! Ist die Stael keine Frau! Mich dünkt, man braucht nicht so weit zu suchen. Sind nicht die höchsten Damen an unserem Hofe die eifrigsten Partisaninnen der Politik! Und wer sagt uns, ob nicht die ganze Politik der Zukunft in den Händen der Frauen ruhen wird!“ „O, wer in diese Zukunft blicken könnte, ob sie uns Aufschlüsse, Lichter, Befriedigung bringt, oder das alte Einerlei des Zweifels, der getäuschten Hoff¬ nungen, der immer neuen Erwartungen, die nie er¬ füllt werden!“ „Die Zukunft, gnädige Frau, wird sein wie die Gegenwart, wenn wir sie nicht zu ergreifen verstehen.“ „Und wer ergreift diese! Wir Frauen scheinen wenigstens nicht dazu bestimmt.“ „Auch Frauen ergriffen sie und blieben Sie¬ gerinnen grade so lange als der Mann es bleibt, das ist so lange als er sich selbst beherrscht.“ „Die Enthaltsamkeit soll uns doch nicht zum Siege führen!“ „Die Kraft, das Ziel unverrückt im Auge zu behalten, die Wege, die die kürzesten und sichersten, nie zu verlieren und die Mittel zu handhaben, wie man Rosse zügelt und spornt, deren Natur wir kennen.“ „Das ist nur an den Männern.“ „Warum! Der Mann ist bei der Umfassenheit seiner Bildung, Bezüge zum Leben, weit leichter der Verführung ausgesetzt.“ „Das sind Paradoxien.“ „Nichts weniger. Er ist zugänglicher den Leidenschaften, weil er sie leichter befriedigen kann, dem Ehrgeiz, den Illusionen aller Art; und giebt er ihnen sich hin, hört er auf zu berechnen, verfolgt er eine Phantasie, ist er schon verloren. Das Weib in seiner anscheinend beschränkteren Sphäre kann ihre ganze Kraft weit leichter auf einen bestimmten Ge¬ genstand concentriren, und wie sie den Mann be¬ herrscht, wenn sie will, warum nicht die Welt!“ „Spötter!“ „Dem Weibe gab die Natur die feine Beo¬ bachtungskraft, die wir nur mit unendlicher Anstrengung uns aneignen, die Gabe aus Symptomen, die un¬ serem in die Ferne schweifenden Blick entgehen, Seelenzustände, vergangene und künftige Begeben¬ heiten zu entziffern. Vermag sie's, Herrin zu werden über ihre Neigungen, Vorurtheile, ihre Liebe und ihren Haß, ihre Impulse und abergläubige Vor¬ stellungen; vermag sie's, ihre Bestrebungen, ihre Liebe und ihren Haß auf größere Dinge zu richten, als den Untergang einer Rivalin, die Protection eines Günstlings, dann, sage ich Ihnen, kann sie mit ihren außerordentlichen Mitteln Großes, Außerordent¬ liches, warum nicht das Größte.“ Die Geheimräthin schwieg nachsinnend. Sie hielt es für den Moment geeignet, seitwärts ab¬ zuspringen: „Sie wollen die Begeisterung nicht gel¬ ten lassen,“ sagte sie wieder aufblickend. „Ich kann einen Trunkenen beneiden, aber nur so lange er es ist.“ „Damit streichen Sie aus der Geschichte ihre schönsten Thaten.“ „Aus der Geschichte nicht, meine Gnädigste. Sie ist ein großes Quodlibet, wo Platz ist für vieles. Nur aus dem Katechismus der Wenigen, streiche ich sie, welche wissen, was sie wollen.“ „Und wie wenige Größen bleiben dann übrig,“ erwiederte die Geheimräthin. „Wenige, aber zum belehrenden Exempel genug. Cäsar blieb sich gleich bis zum Gipfelpunkt.“ „Und fiel durch Mörderhand.“ „Der rohe Zufall liegt außer unserer Berech¬ nung; er fiel, nachdem er erreicht, was er erstrebt. Und doch vielleicht war's auch nicht ganz Zufall!“ „Wie hätte Cäsar den Arm des Brutus hem¬ men können, wenn er keine Ahnung seines Vorsatzes hatte!“ Der Legationsrath lächelte: „Cäsar hatte Ver¬ trauen, wo er nur Argwohn haben durfte. Cäsar war der große Mann, weil er sich selbst Alles ver¬ dankte, weil er im Siegerglück nicht glaubte, daß er nun genug gehandelt, daß nun das Schicksal für ihn wieder handeln müsse, weil er nicht, von der eignen Größe trunken, an eine Mission glaubte. Aber er irrte, als er glaubte, daß ein großer Mann auch so¬ genannte menschliche Regungen haben, daß er, ohne ein bestimmtes Interesse, großmüthig sein dürfe. Er durfte nur auf die Schlechtigkeit der Menschen spe¬ culiren, und er speculirte auf ihren Edelsinn. Er, in seiner Lage, durfte nicht hoffen und lieben, nur beobachten und rechnen, und ihm war der Argwohn eine Tugend und Nothwendigkeit. Er schloß das scharfe Auge, er rechnete falsch und vertraute. Ein Cäsar darf auf nichts vertrauen!“ Es trat eine Pause ein. Das Gespräch hatte eine Wendung genommen, die vermuthlich an den Anfang desselben wieder anknüpfte. Man hatte von den Ereignissen des Tages gesprochen, von dem Stern, über den die Meinung sich noch theilen konnte, ob er ein leuchtendes Tages-Gestirn sei oder ein nächtliches Meteor? „Und er ist Kaiser, hub die Geheimräthin an, er hat sich selbst dazu erklärt! Es liegt etwas so wunderbar die Sinne Berauschendes darin, ein gewesener Artillerielieutenant! Und die altgekrönten Mächte beeilen sich, ihn anzuerkennen!“ „Sie müssen wohl!“ „Nehmen Sie sich in Acht, Herr Legationsrath. Man darf ihn hier nicht ungestraft in allen Kreisen bewundern. Und Sie besuchen —“ „Die verschiedensten,“ fiel er rasch ein. Es war das gewesen, wofür der Gast es nahm, ein Klopfen auf den Busch. „Ich bewundere nichts, fuhr er fort, ich beobachte nur, und mein Facit der Anerkennung ziehe ich erst, wenn ich einen Mann am Ziele sehe.“ „Wird er es erreichen?“ fragte die Geheim¬ räthin leiser. „Wenn Sie mir sagen könnten, was sein Ziel ist, würde ich versuchen, auf die Frage zu ant¬ worten.“ II . 5 „Sein Ziel!“ — die Geheimräthin sah ihn groß an, aber sie verstummte vor seinem abmessenden Blicke. Mit einem Seufzer sagte sie: „War es denn ein Verbrechen, in ihm einen Beglücker der Mensch¬ heit zu erblicken!“ „Ein Verbrechen ist Unsinn, und der Wahn, daß Einer für Alle etwas schaffen könne, eine Thor¬ heit. Jeder schafft für sich. Ich weiß nicht, ob der junge Bonaparte in seiner Jugend wirklich diesem Wahne nachhing, der Kaiser der Franzosen wird ihn belächeln. Man muß die Menschen kennen gelernt haben, wie wir, gnädige Frau, um zum Resultat gekommen zu sein, daß, was man so die Menschheit nennt, nicht werth ist, sein Bestes für sie zu opfern.“ „Aber mein Gott für wen soll man sich denn opfern!“ Der Gast schien es überhört zu haben, oder seine Gedanken hatten unwillkürlich einen andern Gang genommen: „Es ist zu bedauern, daß die Kaiserin ihm keine Hoffnung auf Nachkommen ge¬ währt. Eine wahre Zierde ihres Geschlechts!“ „Sie kennen die Kaiserin Josephine!“ „Ihre Majestät, Königin Louise, ist gewiß die personificirte Huld und Schönheit, aber diese Creolin in der sichtlich noch das tropische Blut pulst, hat etwas Bestechendes, Fortreißendes. Man muß sie gesehen haben — ach schon als Josephine Beauhar¬ nais!“ — „Sie kannten sie damals schon?“ „Es rühmen sich Viele, doch wer kann sagen, daß er sie kennt! Kennt man nur ihren Einfluß auf den Kaiser!“ „Sie hat vieles Blutvergießen verhindert.“ „Sagt man. Wer diese on dit's geschickt aus¬ zustreuen weiß, der commandirt über Armeecorps. Und beide, der Kaiser und die Kaiserin, sind darin geschickt, es fragt sich eben nur wie lange beide zu¬ sammen operiren werden?“ „Mein Gott, Sie scheinen auch mit den häus¬ lichen Verhältnissen des Kaiserpaares vertraut.“ „Ich lese nur, was jeder lesen kann, der die Augen aufhat. Will er ein Reich gründen, was ihn überlebt, muß er einen Sohn haben, der ihn beerbt. Wer arbeitet mit voller Kraft für einen andern Dritten! Was ist ihm der adoptirte Stiefsohn! Erinnern Sie sich was die sentimentalen Seelen von ihm hofften, nachdem er die Revolution besiegt?“ „Ich habe nie geglaubt, daß Napoleon sich zu einem Monk herabwürdigen könne,“ sagte die Ge¬ heimräthin. „Gewiß, wer die Kraft hat ein Egoist zu sein, wird sich nie mit einer Livree begnügen.“ „Egoist!“ „Alle großen Männer sind es, eigentlich alle wahren Männer. Wer schaffen will, muß für sich schaffen, und wer ein Weltreich gründen will, für eine Dynastie, die seine ist. Die Kaiserin Josephine ist aber auch eine kluge Frau. Sie sieht das ein; 5 * wie weit sie voraussieht, wissen wir nicht, aber sie hat einen Sohn. Es ist nun ein recht kluger Anfang, daß sie die Maske der Milde, Liebe und besänftigen¬ den Güte vornimmt, und ob es von ihrem Gatten klug ist, sie ihr zu lassen — das ist eine andere Frage, die — uns beide wenigstens, meine theuerste Geheim¬ räthin, glücklicherweise nichts angeht.“ Er war aufgestanden. Die Geheimräthin hätte die Unterhaltung gern fortgesetzt: „Sie sind gewiß sehr affairirt. Eine so ehrenvolle Sendung muß Ihre ganze Zeit in Anspruch nehmen.“ „Ich bitte Sie, kein Wort von der Bagatelle. Natürlich wird man nicht gerade zur Thür hinaus¬ geworfen, wenn man als Ueberbringer solcher Ehren¬ zeichen ankommt, indessen, wie gesagt, ich wünschte, daß man in den Cirkeln hier kein Aufhebens davon machte.“ „Indessen sehen wir auch wohl bald Ihre eigne Brust mit einem dieser Ehrenzeichen geschmückt.“ „Für einen Briefträgerdienst! Monsieur Laforest, der Gesandte, lachte über die Mission, und das ver¬ dient sie auch; haben wir doch jeder für wichtigeres zu sorgen! Ich freue mich nur, daß die Demoiselle Alltag Ihre Liebe und Sorgfalt lohnt. Sie haben sich da eine ungemein schwierige Aufgabe aufge¬ bürdet.“ „Ich freue mich, daß alle Ihre Berechnungen so richtig eintrafen. Adelheids Renommee ist nicht allein hergestellt, sie ist — nun Sie erfuhren es schon. Möchte sie nie den Dank gegen den vergessen, dem sie ihr Alles verdankt.“ „Dank, meine Gnädige! Es giebt keine Sub¬ stanz in der Chemie, die so schnell verflüchtigt! Wer darauf bauen wollte —“ „Sie brauchen nicht zu bauen, denn Ihr Haus steht fest. Freilich, was ist Ihnen daran gelegen, daß man Sie in Berlin vergöttert! Indessen es ist doch auch für einen Philosophen nicht ganz unange¬ nehm, wenn ihn die Leute auf der Straße kennen und feiern. Ach, mein Gott, warum mußten Sie damals so schnell abreisen. Das war ein Erkundigen, ein Fragen nach Ihnen. Der Hausknecht, die Ouvriers, die für Sie gearbeitet, wer nur das Glück gehabt, Sie in Gesellschaft, in seinem Hause zu sehen, mußte Auskunft geben, wie Sie aussähen, sprächen, welche Ihre Freunde, ob Sie verheirathet wären, ob Sie hier Ihr Domicil aufschlagen würden? Man wußte Sie in kleine Theile zu zerlegen, und meinte der kleinste wäre doch noch etwas, was der Betrachtung Stoff giebt. Einige meinten, es sei doch eine Art Koketterie, daß Sie durch Ihre schnelle Abreise der allgemeinen Bewunderung sich entzögen, ich indeß meinte etwas anderes —“ „Und darf ich fragen, was meine Freundin meinte?“ „Sie leben sich selbst, und fühlen einen andern Beruf, als der Neugier der Menge Räthsel aufzu¬ geben, die Sie nicht lösen wollen, vor ihr wenigstens. Wahrhaftig, ich verdenke es Ihnen nicht.“ Der Legationsrath ließ einen seiner undurch¬ dringlichen Blicke an der Diele haften, einen der Blicke, welche die tiefste Absorbirung der Gedanken ausdrücken; man will indeß behaupten, daß auch die Kunst solche Blicke gebrauche, um den Mangel an Gedanken zu verbergen: „Ach, meine Freundin, was verräth uns mehr welche Leerheit rings um uns ist, als dieses Haschen nach Geheimnissen, die nicht da sind. Weil sie aus sich heraus nichts schaffen können, weil sie sich selbst nichts sind, darum haschen sie nach einem Spielwerk, und ein unbekannter Fremder wird zu einem Räthsel, weil er vielleicht seinen Rock anders zuknöpft, anders den Hut abnimmt, einen andern Ton auf die Worte legt als hier alltäglich ist.“ „Da ich immerwährend bestürmt werde, sagen Sie mir was ich den Leuten sagen, oder wenigstens, was ich ihnen verschweigen soll —“ „Verschweigen! Mein Gott, ist denn zwischen uns ein Geheimniß! Malen Sie mich Ihren Be¬ kannten, wie Sie wollen. Eine solche Meisterin wird immer das Richtige treffen. Warum ich hier bin, das ist ja wohl das interessanteste Räthsel. Ich soll Emissair sein, Gott weiß von welchen Illumi¬ naten- oder Freimaurer-Orden, obgleich diese Albern¬ heiten längst aus der Mode sind! Ich bin geheimer Envoy é einer Macht, man weiß nur nicht welcher. Nicht wahr? Natürlich soll ich Staatsgeheimnisse ausspioniren! Ja wenn nur deren hier wären! Und da ich an der Tafel der Minister, der Prinzen speise, da ich ziemlich offen mit ihnen conversire, ist es doch nicht meine Schuld, wenn ich Dinge erfahre, an denen mir wirklich nichts gelegen ist. Ich soll ja auch wohl ein Crösus sein, und bald wieder ein Glücksritter! Soll ich nicht auch nach einer reichen Ehe mich umsehen! — Er seufzte: Und die Geister einer unaussprechlich geliebten Gattin schweben noch um ihren Grabeshügel! Doch genug davon. Meinethal¬ ben lassen Sie mich einen Cagliostro sein. Im Uebri¬ gen habe ich noch Niemand verhehlt, daß der Zustand meiner Güter in Thüringen mich hergeführt hat. Treffliche Güter, aber verwildert unter meinem Vor¬ besitzer. Es bedarf einer wissenschaftlichen Agricultur¬ behandlung, um ihre Ertragsfähigkeit auf die Höhe zu bringen, die ich mir zum Ziel gesetzt. Ich besitze chemische Kenntnisse, wer aber kann alles wissen, wer braucht nicht des Rathes, fremder Einsicht! In Berlin finde ich einen Hermbstädt, Klaproth, Flittner. Sie sind meine Lehrer, Freunde, ich consultire sie, experi¬ mentire mit ihnen in der Zersetzung von Kalkerde, Mergel, in allen Arten künstlicher Dungarten. Das meine Beschäftigung hier. — Sie selbst aber sehen mich ungläubig an. Ach, ich versichere Sie, in dieser Wissenschaft allein ist mein Trost. Hier ist Wahrheit, hier lern' ich kennen, was sich bindet, was sich ab¬ stößt, hier ist Folgerung, Zusammenhang, hier lös ich mir Räthsel, welche der Ballsaal der Menschen¬ welt mit seinen tausendfachen bunten Umhüllungen und Masken so verwirrend umhüllt, daß oft das schärfste Auge, wenn es die Wahrheit glaubt gefun¬ den zu haben, doch nur beschämt vor einer neuen Larve steht. Vor der Chemie gilt keine Täuschung. Während sie Farben und Formen zaubert, zersetzt sie Alles in seine Urstoffe. Das Kräuseln des Dampfes in der Retorte, im Tiegel, der Geruch, den sie ent¬ wickelt, der Lichtglanz, die schimmernde Farbe auf der brodelnden Essenz ist das Leben, flüchtige Mo¬ mente, während wir doch nur den Tod produciren, Schlacke, Asche, Staub, Luft in Luft. Der Tod nur ist dauernd. Leben Sie wohl.“ „Mein Gott, was ist Ihnen? Sie betonen das Wort Tod so besonders.“ „Mit jeder Stunde, die wir leben, bereiten wir ja den Tod. Ich hoffe also heut Abend auf Wiedersehn.“ „Sie hoffen nur? Vorhin sagten Sie bestimmt zu. Sie erwarten heut keinen Befehl eines Prin¬ zen mehr.“ „Nein; wenn indeß ein Hinderniß —“ „Sie müssen doch nicht wieder fortreisen?“ „Ich hoffe nicht, daß es so schlimm ausfallen wird.“ „Sie spannen meine Neugier. Jetzt müssen Sie sprechen.“ „Es ist nur eine der Kleinigkeiten, die das Leben pikant machen. Den jungen Bovillard, den ich in der That auf meiner Reise vergessen hatte, traf ich vorhin auf der Straße, und wenn meine Physiog¬ nomik mich nicht täuscht, finde ich zuhause das, was ich längst erwarten durfte. Indessen wird er sich doch nicht so überhasten, daß er mir nicht noch das Ver¬ gnügen gönnt, einen vergnügten Abend in Ihrer liebenswürdigen Gesellschaft zu verbringen.“ „Allmächtiger Gott! rief die Geheimräthin er¬ blassend. — Eine Herausforderung! — Und dieser Taugenichts darf sich unterstehen einen Mann wie Sie — und um die edelste Handlung —“ „Vor seine Kugel zu fordern.“ „Das darf nicht sein. Bester Freund, Sie kennen nicht seinen Ruf. Mit Ihrer Ehre verträgt es sich nicht —“ „Er saß noch nicht im Zuchthause, ward nicht ertappt auf dem Volteschlagen, auch hat er seine Spielschulden, wie ich höre, noch immer bezahlt, und ein Dutzend Duelle als Cavalier bestanden; das, meine gütige Freundin, giebt dem Sohn des Geheim¬ rath Bovillard nach den Ehrengesetzen unserer Welt das Recht, auch Bessere wie ich, vor die Geschicklichkeit seines Arms zu laden, und wenn seine Kugel dies Herz durchbohrt, so versichre ich Sie, ist sein Re¬ nommee nicht schlimmer, sondern besser.“ „Abscheulich! Wer bessert das!“ „Ein Mirabeau hatte einmal den Muth. Er sprach es aus, daß man einem Dummkopf nicht das Recht lassen dürfe, dem genialsten Mann Frankreichs mit einem Stück Blei seinen Kopf zu zerschmettern. — Die Revolution ist überwunden und die Dummköpfe haben wieder ihr Recht.“ „Aber um Gottes willen, es muß doch Mittel geben —“ „Ein Cäsar Borgia würde freilich in solchem Falle Mittel finden; auch haben sehr kluge Köpfe sich da¬ durch der Welt erhalten, die allerdings mehr von ihrem Ingenium profitirt hat, als von zehn Hau¬ degen, welche die Weinhäuser mit ihren Radomon¬ taden erfüllen. Indessen, wir sind keine Borgias und das neunzehnte Jahrhundert verträgt keine Sti¬ lets und Banditen.“ „Aber es muß seine edelsten Männer schützen. Es giebt auch andre Mittel, eine höhere Polizei, eine Justiz. Bovillard der Vater muß es erfahren, er muß endlich etwas thun, dem Unwesen seines Sohnes zu steuern. Der König selbst ist entsetzt über diese blutigen Raufereien —“ Der Gast hatte ihren Arm ergriffen: „Um des Himmels willen, meine gütigste Freundin, soll ich bereuen, daß ich im Vertrauen die Lippen öffnete. Es war Alles Scherz —“ „Nein, es ist Ernst.“ „Wenn Sie dem Dinge den Namen gönnen, so beschwöre ich Sie, kein Sterbenswörtchen davon! Sie werden mich verstehen. Was ist das Leben? Eine Anweisung auf Geltung. Wird dieser Wechsel zurückgewiesen, was bleibt uns davon! Wer mag der Lebensluft, in der wir nur athmen können, den Rücken kehren! Ich rechne also auf Ihre Dis¬ cretion. Jedes Wörtchen, jeder Wink könnte von meinen Feinden anders gedeutet werden. Es ist ja auch möglich, daß der junge Mann sich eines Besseren besinnt. Ach Gott, der Möglichkeiten sind so viele, daß ich es aufrichtig bereue, Sie nur einen Augenblick geängstigt zu haben. Keinenfalls darf die Vorstellung Ihre Heiterkeit stören. Meine soll es wenigstens ge¬ wiß nicht, denn ich freue mich aufrichtig den neuen Abgott der Residenz kennen zu lernen.“ „Sie kennen Jean Paul noch nicht?“ „Ich begegnete ihm wohl irgendwo.“ Die Geheimräthin sah etwas verlegen vor sich hin: „Ich hoffe, Sie disapprobiren nicht —“ „Was sich versteht in Credit zu setzen. Der Werth eines Staatsmanns, meine Freundin, und der eines Dichters, was sind sie an und für sich, es kommt allein ihr Courswerth in Betrachtung, gleichviel, ob der Dichter ihn sich selbst gemacht, oder andere so gütig waren. A propos , da kann ich Ihnen eine Neuigkeit mittheilen. Bei Hofe ist eine lebhafte In¬ trigue. Nachdem es nicht gelungen Schillern hier zu fesseln, versucht man Herrn Richter uns ein zu impfen. Die Parteien sind getheilt. Ihre Majestät die Kö¬ nigin wünscht ihm eine Präbende zuzuwenden. Beim Könige fürchtet man auf Schwierigkeiten zu stoßen. Um deswillen spielen alle Maschinen. Die Berg läuft von diesem zu jenem. Herr Jean Paul soll von der allgemeinen Gunst gehoben und getra¬ gen werden, bis er dem Throne so ins Auge gerückt ist, daß Seine Majestät sich zu einer Aus¬ zeichnung gleichsam gezwungen fühlen. Daher werden die Kunstgärtner bis zum Exceß um ihre seltenen Blumen geplündert, daher die Damendeputationen an den neuen Frauenlob. Die Königin lüde ihn gern selbst ein, aber er muß erst gewisse Leiterstufen der Einladungen durchgemacht haben, bis das in einem petit circle möglich wird. Man ist daher auch sehr zufrieden mit den Arrangements unsrer theuren Freun¬ din, und die Stufe der Ehre, die Sie ihm heut erweisen — “ „Mein Gott, wie kann man wissen — “ „Man weiß Alles. Aber bedenken Sie wohl, daß die Gunst der Königin nicht jedesmal zur Gunst Seiner Majestät führt. Er ist kein Freund der Ab¬ götterei. Doch qu'importe, aber hüten Sie sich, daß unsre Schönheit hier, wenn sie ihm den Lorbeer¬ kranz auf die Schläfe drückt, nicht zu tief ins Auge des Dichters sieht. Man sagt zwar, er wäre in alle Huldinnen Berlins verliebt, und in seinen Entzückun¬ gen weiß er nur noch nicht, welcher er das Tuch zu¬ werfen soll; aber nur nicht unsrer Adelheid! Ihre Natur ist zu schön, um sie mit einem Dichter zu ver¬ träumen. A revoir !“ Der Legationsrath ließ die Geheimräthin in einem Meer von Gedanken. Sie paßten nicht alle zu dem Fest des heutigen Abends und schienen ihre Lust etwas zu trüben. Fünftes Kapitel. Mars mit dem Zopf. Eine Gesellschaft, zur Zeit als Gesellschaften die Blüthe des geistigen Lebens repräsentirten, mag man mit einem Sonnensystem vergleichen. Wenn aber viele Sonnen mit gleichen Ansprüchen da sind, kann sie uns wie ein Universum erscheinen, das, nicht fer¬ tig, noch nach einem Centralpunkt sucht. Ein solches meteorisches Wogen ist für Viele unbehaglich, für den Beobachter interessant, für den Maler aufzufassen unmöglich. Er muß sich mit Segmenten genügen lassen. Die Wirthin wäre gern die Sonne gewesen. Aber eine Sonne muß nicht allein scheinen und leuch¬ ten, sie muß auch wärmen. Sie war eine Frau von Verstand und selbst Witz, eine Erscheinung, die nicht ohne Eindruck blieb, aber es war nicht der Verstand und Witz, der fesselt, nicht die Erscheinung, die zugleich imponirt und anzieht. Sie durchdrang die Gespräche, sie wußte sie zu leiten, abzubrechen, aber ihnen nicht den Hauch und die Färbung zu geben, daß sie sich von selbst fortspannen. Sie war die liebenswürdigste Wirthin, die für Jeden etwas An¬ genehmes in Bereitschaft hatte, aber es schien so spitz zugeschnitten, daß die Oekonomie dem Geschmeichelten nicht entging. Es blitzte, wo sie erschien, die Con¬ versation wogte in sanften Wellenlinien einer gewähl¬ ten Sprache, aber sie stockte plötzlich, wenn sie zu andern Kreisen sich wandte. Man fühlte sich genirt, wo sie hinzutrat, und frei, wenn sie den Rücken ge¬ dreht. Das wird freilich in allen Gesellschaftskreisen sein, wo eine an Geist und Bildung überragende Erscheinung der Unterhaltung ihr Siegel aufdrückt, die minder Gebildeten fühlen das unsichtbare Joch, die Magie des Geistes, gegen die sie, ohne sich selbst bloß zu geben, nicht rebelliren dürfen, sie fühlen sie sogar doppelt, wo der Geist sich zu ihren Vorstel¬ lungen herabläßt, und sie würdigt, in ihrer Sprache zu reden. Ader diese Gesellschaft war eine ungleich andere, als die gemischte, in der wir neulich die Ge¬ heimräthin zu beobachten Gelegenheit hatten. Sie war eine gewählte. Die Geheimräthin kannte Alle, sie wußte was man vermeiden, was man andeuten dürfe, und doch traf sie es nicht, daß es den Leuten wohl ward. Eine liebenswürdige Wirthin, eine geist¬ volle Frau! war das allgemeine Urtheil; wohlver¬ standen das, was zwei sich sagten, die sich und ihre Meinungen noch nicht kannten. Wenn sie sich ver¬ ständigten, kamen einige „Aber“ hinterher. „Aber sehr scharf.“ — „Geistreich, sehr geistreich, aber ihr Geist schneidet.“ — „ Enfin , sagte ein Dritter, sie hat Alles, um eine Gesellschaft zu entzücken, nur fehlt ihr der Aplomb.“ Es waren Wandelsterne und Fixsterne. Zu jenen gehörten die Wirthin und ihre Pflegetochter. Wenn jene mit ihrem leisen Tritt die Kreise durchwandelte, konnte man sie mit einer Gespenstererscheinung ver¬ gleichen. Das ist ein gewagtes Gleichniß; aber eben so gewagt ist es doch, wenn andre Adelheid mit dem aufgehenden Morgenstern verglichen, oder gar mit einer Sonne, die Frohsinn und Lust verbreite. Wer schärfer gesehen, hätte vielleicht auch die große An¬ strengung des jungen Mädchens bemerkt, so zu er¬ scheinen, wie die Pflegemutter es wünschte, immer munter, naiv, geistreich. Es war noch ein anderer weiblicher Stern von sehr verschiedener Natur, auf den wir später treffen werden. Jean Panl war noch nicht da, auch Herr von Wandel ließ noch auf sich warten. Dagegen schien an dem großen Ofen eines Nebenzimmers einer der Fixsterne zu stehen in der Person des französischen Gesandten Laforest. Der Diplomat brauchte seine Kreise sich nicht aufzusuchen, oder er wollte es nicht, aber er zog magnetisch die kleinen Lichter an sich. Er war heute sehr aufgeräumt und liebenswürdig, behauptete man. Ein Bonmot ging schon durch die Zimmer. Auf eine unbescheidene Frage: was ihm in Berlin am besten gefalle, hatte er geant¬ wortet: die Oefen. Andere hatten schon gehört, daß er gesagt: es sei das einzige Gute, was er in Ber¬ lin gefunden. Noch andere, er habe gesagt: in einer Stadt, wo er nichts kalt und warm gefunden, sei eine Maschine, die man nach Belieben heizen und kühlen könne, der preiswürdigste Gegenstand. In einer Herrengruppe musterten einige die Ge¬ sellschaft. Man wunderte sich den Geheimrath Lu¬ pinus von der Vogtei unter den Gästen zu sehen. „Was wundert Sie das, sagte der Regierungs¬ rath von Fuchsius. Er ist völlig freigesprochen und Alles bleibt ja beim Alten.“ „Aber sein Leben auch dasselbe. Es ist doch ein Scandal, wie ich hörte,“ bemerkte ein Major noch in jüngeren Jahren; er hatte nicht den preußischen Pli. „Wir bleiben Alle, was wir sind, sagte aufseuf¬ zend Fuchsius. Seit Lombard zurück, die Anstren¬ gungen der Königin, neue Lebensgeister ins Mini¬ sterium zu bringen, gescheitert sind, ist es mit allen den guten Vorsätzen und den schönen Ansätzen vor¬ über. Welche trefflichen Reden und Memoiren sind umsonst geschrieben.“ „Zum Teufel mit den Reden!“ sagte ein Ge¬ neral, den grauen Schnurrbart streichend; aber es leuchtete noch ein Feuer aus seinen lebhaften Augen. „Das denkt vermuthlich der Geheimrath Lupinus auch, fuhr der Rath fort. Warum soll er sich ge¬ niren? Es schwimmt ja Alles wieder in diesem Sumpfe süßer Gewohnheit weiter. Und wenn der Staat selbst sich auf dem Lotterbette weiter streckt und wiegt, was darf er vom Einzelnen fordern, daß er sich aufrafft! Der König, das gebe ich Ihnen zu, wünschte es —“ „Wenn er nur wenigstens die französischen Orden nicht angenommen hätte!“ rief der General, der sich auf einen Stuhl gesetzt, und preßte die Brust auf der Rabate zusammen. „Schimpf und Schande! Mag er sie der Clique austheilen, aber der preußische Ehren¬ rock ist beschimpft, wenn auch Militairs sie tragen müssen!“ „Das kommt auf Ansichten an! erlaubte sich der jüngere Militair zu entgegnen. Der feindliche Ge¬ neral, den Napoleon in seinen Bulletins lobt, fühlt sich doch mehr geschmeichelt, als selbst durch die Orden, die ihm sein eigener Fürst ertheilt.“ „Spitzfindigkeiten, mein Herr von Eisenhauch! fiel der General ein. Sie gerade würden sich am meisten schämen. — Alliancen, wo sie natürlich und möglich sind, ein Entschluß, wo die Ehre gebietet, und Krieg, wo es die Existenz gilt.“ „Vergebung, meine Herren, sagte der Major. Sie wissen, ich bin kein geborner Preuße und habe erst seit kurzem die Ehre Ihrer Armee anzugehören. Vielleicht gab mir aber meine Stellung als Beo¬ bachter von außen Gelegenheit, unbefangener in man¬ chen Dingen die Politik Ihres Staates zu betrachten. Schleudern Sie nicht zu heftige Bannstrahlen gegen die Männer am Ruder.“ „Die Politik, daß wir uns an der Nase herum¬ ziehen lassen, mein Herr Major!“ II . 6 „Preußen fühlt sich groß, und hat doch den In¬ stinkt, daß es nicht so groß ist, um das Gewicht in die Wagschaale der Weltbegebenheiten zu werfen, wie damals als ein jugendlicher Kriegsheld, der Genius des Jahrhunderts, an seiner Spitze stand. Daher die natürliche Scheu herauszutreten, ein entscheidendes Wort mitzusprechen. Wenn es nun nicht gehört würde? Dann ist der Nimbus hin. Wenn es unter¬ läge? Dann ist seine Existenz hin. Wenn es sich aber den vielfachen Coalitionen unbedingt jedesmal angeschlossen, die seit der Pilnitzer den Europäischen Brand statt zu löschen vermehrt haben? Es hätte sich der Selbstständigkeit begeben, die ihm Friedrich hinterließ, es wäre kein Körper mehr, eine mit fort¬ gerissene Partikel. Es kämpft, und ringt, und ver¬ handelt eben so um seinen Schein, als um sein Wesen. Darum das Laviren, die unleugbaren Zwei¬ deutigkeiten seiner Politik, die ihm die Herzen ent¬ fremdeten, welche erwartend, hoffnungsvoll ihm in Deutschland entgegen schlugen. Meine Herren, wer unter uns lobt das! Aber nachdem wir so lange den Frieden uns eingehandelt, eingetauscht, ertrotzt oder erbeten, was sollen nicht Männer, die der gro¬ ßen Aufgabe nicht gewachsen sind, vor dem Augen¬ blick der Entscheidung erschrecken! Leugnen wir uns nicht, es heißt jetzt Alles einsetzen, Alles in die Schanze schlagen, um nicht mehr zu gewinnen als Preußen hatte, ja vielleicht nicht das einmal, denn wir wissen nicht, was die mächtigen Verbündeten, denen wir uns hingeben müssen, uns davon lassen! Wundern Sie sich, daß diese Männer auf andere warten, die es ihnen abnehmen, daß sie nicht selbst wagen, die Toga zu schütteln: Hier habt ihr Krieg!“ „Wenn man Sie nicht besser kennte, sagte der General, nicht wüßte, daß Sie Ihre Dienste von Staat zu Staat tragen, wo nur Aussicht ist zum Kriege gegen die Franzosen!“ Fuchsius sagte, sich vorsichtig umblickend: „Neh¬ men Sie sich etwas in Acht. Man weiß in Saint Cloud, daß Sie ein militairischer Ideologe und ich weiß, daß Laforest Sie beobachten läßt. Aus Enghiens Beispiel wissen wir wenigstens, wie der neue Kaiser zu schrecken versteht.“ „Pah! rief der General. Wir sind nicht in Ba¬ den. Zügeln Sie indeß Ihre Advokaten-Beredtsamkeit, Herr von Eisenhauch. Es könnte Sie mancher mi߬ verstehen. Ich aber sage Ihnen, wer jetzt nicht herbeieilt, um am Brande mitzulöschen, ist so schlimm, als wer Feuer hinzuträgt. Wonach Bonaparte trach¬ tet, liegt klar zu Tage. Oestreich soll erdrückt, zer¬ malmt werden. Ein Thor, wer jetzt noch glaubt, daß Oestreichs Vernichtung Preußens Erhebung ist. Das Schicksal hat bestimmt, daß beide Feinde zu¬ sammen handeln. Nur darin sollen sie rivalisiren, wer am tüchtigsten los schlägt. Zaudern wir jetzt wieder —“ „So sind wir isolirt und — verloren!“ rief Fuchsius. 6* Ein stolzer Commandoblick des Generals traf den Sprecher: „Wer sagt das!“ „Wenn wir alle unsere Bundesgenossen von uns gestoßen —“ „Sind wir noch wir selbst.“ Der General hatte sich erhoben, die beiden Her¬ ren folgten, sie blickten sich bedeutungsvoll an. „Ja, meine Herren, fuhr der General fort, es wäre ein namenloses Unglück, man könnte uns der Frechheit, des Verrathes, beschuldigen, wenn wir wieder die Gelegenheit entwischen lassen, wie vor sechs Jahren, aus Eigensinn oder Eigennutz. Ein Unglück ja, wenn wir nicht losschlagen, aber ver¬ loren sind wir nicht, wenn wir allein stehen.“ Die jüngeren Zuhörer senkten die Augen. Der Veteran aber fuhr mit leuchtenden Blicken und ge¬ hobener Stimme fort: „Nein, meine Herren, vielleicht fügt es das Schicksal so, damit wir noch größer einst dastehen. Sie sind kein Preuße, Herr von Eisenhauch, Herr von Fuchsius ist kein Militair, ich bin beides, und mein Herz pocht laut und froh bei dem Gedanken: wir allein ihm gegenüber! Dann Alles in die Wag¬ schale geworfen, und, ich sage Ihnen, wir schnellen nicht in die Luft! Braunschweig, Möllendorf, Hohen¬ lohe, Kalkreuth! sind das nicht Namen, vor denen die Davoust und Bernadotte, und wie sie heißen, er¬ bleichen! Einer genügte schon; denn welcher Ruhm und welche Erfahrung sind da aufgespeichert. Und nun denken Sie, alle diese Namen vor einer Armee, deren Officiere zur Hälfte noch unter Friedrich sieg¬ ten, vor graubärtigen Soldaten, die noch sein Auge anfunkelte. Und die Generale, die zum Felddienst zu alt, pflanzen ihre Fahnen auf die Mauern un¬ serer stolzen Festungen. Denken Sie sich dies Cor¬ pus von altem Ruhm, unvergleichlicher Taktik, von preußischem Muthe beseelt, von Wuth entflammt, zehnjährige Unbilden zu rächen, und gegenüber — die zusammengestoppelten, gepreßten Schaaren der windigen Franzosen, die nur siegten, weil sie schneller sich bewegen konnten, — dies räumen wir ihnen ein, — denken Sie ihn anpreschen mit solchen Schwär¬ men gegen ein Quarr é , ein Quarr é aus der ganzen Preußischen Armee, und fragen Sie sich dann, wie viel Napoleon Bonaparte's Name wiegen, wie viel Ueberzahl er haben muß, welche taktische Künste aus¬ reichen, damit er diese Eisenmauer durchbricht. Er wird sie nicht durchbrechen, und wir, wir wollen sehen, wie Friedrichs Geist von Leuthen auf uns herabblickt!“ Es war etwas hinreißendes in dem Feuer, dem der alte Kriegsmann sich überlassen. Man wußte, als Cornet hatte er unter Friedrich seine Sporen er¬ worben, der große König selbst hatte den Jüngling mit seiner Gnade beglückt. Es war Wahrheit in der Rede, wenn auch nur die des Glaubens. Man schwieg. Der General that einige Schritte auf und ab. Dann zog er die Befreundeten zu sich in eine Ecke, und sprach mit leiserer Stimme: „Meine Herren, das ist noch keine Entscheidung und wir dürfen die Hoffnung noch nicht aufgeben. Wir müs¬ sen zusammenhalten, arbeiten, miniren, wir müssen Tag und Nacht auf der Hut stehen, dieser Clique auf die Finger zu sehen; wir müssen, zur Ehre un¬ seres Königs, den Hahn gespannt, die Lunte in der Hand halten, und unsere tägliche Losung muß sein: Kein Nachgeben mehr! Und wenn der Allianztraktat mit Frankreich zur Unterschrift auf des Königs Tische läge, dann grade, dann noch zaudert er. Er zau¬ dert, wenn er ein Todesurtheil unterschreiben soll; was, wo so viele Tausende durch einen Federzug decretirt werden! Die Hoffnung, sage ich, nicht auf¬ gegeben, denn ein Lüftchen kann alles ändern. Da¬ rin sind wir einig. Im andern nicht. Sie sind beide jung, auf Schulen gewesen, glauben Systeme zu haben. Ich tadle es nicht, ich war auch einmal jung, aber die beste Schule ist das Leben.“ „Aber Herr General geben mir zu, —“ was der Major sagen wollte, ward vom General unter¬ brochen. „Daß einige Reformen nothwendig sind. Ja, einige, Herr Major.“ Er hatte ihn am Rock gefaßt, und fuhr vertraulicher fort. „Die reitende Artillerie, das bedenken Sie wohl, war Friedrichs Schöpfung. In einem Lieblingskinde sehen die gescheitesten Väter oft nicht die Fehler. Auch ein großer Mensch ist ein Mensch, und darum keinen Vorwurf auf den großen König! Ihre Construktion der Laffetten, ich sage es grade heraus, trotz Tempelhofs Autorität, ist ad¬ mirabel; sie muß eingeführt werden, was auch der Kriegsminister opponirt. Auch Ihre Ideen über die Bespannung zeigen von dem Scharfsinn, den ich ästi¬ mire. Selbst zugeben will ich, daß in unserm Ge¬ schützgießen Verbesserungen möglich sind, aber ich denke, daß unsre Kanonen noch, wie sie sind, einen Preußischen Donner orgeln sollen, der die Franzosen an Roßbach erinnern wird. Nicht alles auf ein Mal! Gegen Ihre Propositionen hinsichts der Spontons bin ich; das sage ich Ihnen jetzt offen raus. Das Spontonexercitium mag immerhin andern närrisch erscheinen, Narren werden Sie in der Welt überall finden. Das Präsentiren mit dem Sponton ist das Präsentiren der Armee vor sich selbst. Der Fähnrich, der, vor die Front springend, es balancirt, jetzt senkrecht, nun verquer, macht die Honneurs vor dem Feldherrn, dem General, vor dem Bataillon, vor sich selbst, nicht vor dem Publicum. Das halten Sie fest. Der Franzos mag darüber sich moquiren, so viel er will, er hat Recht, für ihn ist's Narretheidung, weil er das nicht hat, was wir haben, — verstehn Sie mich recht — unsre Essenz, meinethalben Existenz. Das Sponton ist das Residium des alten Ritter¬ geistes im Preußischen Militair. Wenn ich so sagen darf, er betrachtet sich als eine geschlossene Zunft und ist das Symbolum des Respectes vor sich selbst. Und meine Herren, schaffen Sie erst die Spontons ab, so fällt auch der Ringkragen, warum nicht auch die Schärpe und der Federhut, und wo ist das Ende!“ Fuchsius und der Major hatten sich angesehen. „Sie wollen auch gern die Kamaschen fort haben, fuhr der General freundlich fort. Der Preußische Soldat ohne die Kamasche sage ich Ihnen, ist nicht mehr der Preußische Soldat. So kennen sie uns, so sollen sie uns wieder kennen lernen, anders nicht. Weiß wohl, liebster Major, was Sie in Ihrem Me¬ moire über die Massenbewegungen sagen. Charmant exprimirt, fein beobachtet. Durch diese schnellen Evo¬ lutionen, daß er gleichsam aus einem Sack die leicht¬ füßigen Massen schüttelte, seinen Feind flankirte, von allen Seiten scheinbar zugleich angriff, sofort die Geworfenen durch neue Massen ersetzte, dadurch hat Bonaparte in den meisten Bataillen gesiegt. Richtig! Aber gegen welche Feinde! Sehn Sie, offenherzig gesprochen, ich admirire auch seinen Erfolg und sein Genie, aber was sagt Friedrich in seinen Memoiren? Wenn sich zwei Feldherrn in langen Campagnen gegenüberstanden, lernen sie sich dermaßen kennen, daß jeder die Manier und die Finten des andern auswendig weiß. Wir sind nun in der Lage, daß wir durch bald zehn Jahr ihn aus der Ferne beo¬ bachtet haben, und ich sage Ihnen, dieses großen Taschenspielers Kunststücke kennen wir nun, er aber kennt uns nicht und kann uns nicht überraschen. Seine Chocs werden an uns abprallen, wie die Schwärme der Parther an den Römischen Triariern, und was unsre Cavallerie anlangt, so braucht Niemand in Sorge zu sein. Die Ziethen und Seydlitze werden sich finden zur poursuite , wenn wir einmal die Ca¬ naille geworfen. Freilich im Laufen kommen wir ihnen nicht gleich.“ Der General glaubte gesiegt zu haben. Der Major aber sah ihn wieder fragend an: „Indessen, mein Herr General, es waren doch auch andere Punkte —“ Der Veteran lächelte mit der Freundlichkeit eines Gönners, der einen Clienten nicht zu herb in die Grenzen des Respectes zurückweisen will. „Ich habe das auch wohl gelesen, und mich über die Intentionen, und die wohlarrangirte Explication gefreut. Aber, meine Herren, — er schien auch den Rath in seine Belehrung hineinziehen zu wollen — mit Theorien hätte Friedrich Schlesien nicht erobert; unsere Armee ist nun einmal so und nicht anders, Herr von Eisenhauch. Und so war sie gut, und ob sie dann noch gut bleiben wird, wenn Ihr Recrutirungs¬ system durchginge? Um Gottes willen keine neuen Flicken auf ein alt Kleid. Draußen Unruhe, aber Ruhe, Ruhe, Ruhe im Innern. Nichts angerührt! Friedrichs Seele steckt in den Trommeln und den Grenadiermützen so gut als in dem point d'honneur der Officiere und der Cantonpflicht der Rekruten. Ich räume Ihnen ein, ein Etwas muß anders wer¬ den, das Verhältniß der Capitaine mit Compagnie, zu den Capitains ohne Compagnie. Diese sechshundert Thaler, und jene mit vielen Tausenden, mit Equipagen, Reitpferden, Fourgons, Dienerschaft. Das schadet der Disciplin. Das muß anders werden. Die Zahl der zu Beurlaubenden muß den Herren Compagniechefs genau bestimmt werden und kein Mann darüber.“ „Würde diese Bestimmung genügen?“ „Für jetzt, Herr Major, wenn wir das durch¬ setzen, können wir zufrieden sein. Wenn Sie mich aber nicht verrathen wollen, in meinen Ideen gehe ich weiter. Es wird eine Zeit kommen, wo der Ca¬ pitain nichts mit dem Traktement seiner Leute zu schaffen haben darf, wo sie nur in einem Connex reiner Disciplin zu einander stehen. So muß es einst kommen, sag ich Ihnen, aber diese Zeit erleben nicht wir, vielleicht nicht unsre Kinder. Denn — der Mensch muß nicht zu klug sein wollen, oder es ist vorüber mit aller Autorit é .“ Der General ging. „Eine aus lauter Preußenthum concentrirte Säure!“ sagte der Major. „Und doch immer noch einer der bessern, ent¬ gegnete der Rath. Er wird sich auch, wenn es gilt, in seiner verrosteten Rüstung noch mit einem gewissen Geschick rütteln.“ „Was hilfts den andern! rief der Major, der sich in den Armstuhl mit einem Schmerzensseufzer niederwarf. — Ist dies die Hauptstadt des großen Genius, von dem das Licht nicht über sein, nein, über unser aller Deutschland aufging! Deutschland glaubt wenigstens noch, daß es hier hell sei; es ist der Anker, an den seine letzte, schmerzliche, krampf¬ hafte Hoffnung sich klammert.“ „Hat man es Ihnen draußen anders geschildert?“ „Nein! Aber der Tand, das Spiel und die Ei¬ telkeit hielt ich für die Maske, unter der der männ¬ liche Entschluß, die Vorbereitung zur That, sich ver¬ birgt. Der blonde Arminius ließ auch die schönen Römerinnen lange mit seinen Locken spielen. Mit dieser Selbsttäuschung reiste ich durch Ihre Pro¬ vinzen. Es sieht knöchern aus, überall ausge¬ wachsene Kleider, schlotternde Glieder, eine Maschine, die klappert. Der Geist nur kann das zusammen halten, tröstete ich mich; der Nimbus um Friedrichs Thron flimmert noch in so wunderbarem Flammen¬ glanz von fern gesehen. Und nun hier zur Stelle! Aus Kreisen in Kreise, aus Gesellschaften in Gesell¬ schaften werde ich geschleppt. Irgendwo hoffe ich wird ein Vorhang sich lüften, die Stimme von Sais ertönen. Aber ein Vorhang nach dem andern reißt —“ „Und Sie sehen nur Draht, Stricke und Ku¬ lissenschieber, der Dirigent fehlt.“ „Sie haben doch einen König, der nüchtern blieb unter den Taumelnden, der nicht blasirt ist, ein schar¬ fes Auge hat für das Unziemliche, der nicht den Esprit fort spielen will um seine Frivolität zu ent¬ schuldigen und seine Unwissenheit zu verbergen. Er will das Gute —“ „Gewiß! Und es überkommt ihn oft ein Schauer, in mancher Morgenstunde fühlt er, es kann so nicht mehr lange gehen. Aber von wem soll er erfahren, wie es gehen muß? — Keine Stände, keine Mag¬ naten, kaum etwas, was einem Adel ähnlich sieht. Die Prinzen, was sind sie ihm? Die Polterer ver¬ trägt er nicht, die Genies sind seiner Natur zuwider. Unsre Minister kennen Sie, unsre Kabinetsräthe noch besser. Sie leben nur in den Tag hinein, zufrieden wenn sie bis Morgen gesorgt haben. Er ist fried¬ fertig und alle Morgen präsentiren sie ihm eine Schüssel: Ruhe! Mit Maaslieb und Vergißmeinnicht geschmückt: „„So sieht es bei uns aus, Majestät, und sehen Sie, wie es draußen aussieht, wo sie alles bessern wollten.““ „Aber er ist Friedrichs Enkel!“ „Grade der ist sein Spukbild. Wo es ihm zu arg wird, wo er darunter fahren möchte, es anders haben, sagt man ihm: das hat doch unter Friedrich bestanden und es ging ganz gut! Oder gar: Maje¬ stät, das hat Friedrich selbst eingerichtet. Dann erschrickt er; in seiner Bescheidenheit getraut er sich nicht, es besser machen zu können. Und dies heilige Gespenst wird dem jungen Fürsten grade von denen citirt, welche vor seinem Geist in Staub und Asche versinken müßten. Es sollte mich nicht wundern, wenn der König einen förmlichen Widerwillen gegen seinen Großoheim einsaugte, so störend wird sein Bild ihm überall vorgehalten, wo er etwas Selbst¬ eigenes durchsetzen will.“ „Aber, mein Gott, Ihr großer König nannte sich Rex Borussorum , König der Preußen! Wo sind denn seine Preußen! Hat denn das Volk gar keine Stimme mehr, das ihn einst auf seinen Schildern trug? Oder war der Schmerzenslaut auf seinem Sterbebett eine Wahrheit? War der Große wirklich müde über Scla¬ ven zu herrschen?“ Der Rath zückte die Achseln: „Das ist eine Frage, mein Herr, über die wir die Antwort der Zukunft überlassen.“ „Aber wenn keine Stimme, hat Ihr Volk auch keine Sinne mehr? Wo die Sturmglocken über den Continent läuten, wo der nächtliche Feuerschein von allen Seiten, der Brannstgeruch den Siebenschläfer aufwecken muß, schläft das Preußische Volk allein da fort, begreift es nicht, was selbst jener verrostete Ge¬ neral ahnt, daß es sich um Sein und Nichtsein han¬ delt! — Wo der Geist schläft, wacht doch das In¬ teresse. Für die Nothdurft, den Vortheil ist auch im Sclaven der Sinn rege.“ Der Eifer des Majors verwandelte das halb¬ laute Gespräch oft in ein lautes. Der Regierungs¬ rath hatte mit vorsichtigem Blicke Wache haltend, den Eifer zu dämpfen versucht. Er setzte sich jetzt dicht neben ihn: „Mein theuerster Freiherr, rufen Sie Alles hier an, nur nicht das Interesse. Wer soll denn wün¬ schen, daß es anders wird? Sie befinden sich ja noch erträglich wohl, und die Kette klinkt auch noch in einander, wenn man nicht zu stark dran reißt. Der Ertrag der großen Güter steigt, ihre adligen Besitzer zahlen keine Steuern und ihr Werth läßt sich durch die bekannten Künste im Hypothekenbuch ins Enorme hinaufschrauben. Ein Krieg und dieser Werth sinkt. Und sollen die Junker ihn wünschen, denen im Heere, am Hofe, selbst in der Regierung die obersten Stellen nach wie vor reservirt sind! So viel Bürgerliche sich auch dazu im Laufe eines Jahrhunderts aufgeschwun¬ gen, sie blieben Ausnahmen, oder gingen da oben in die Klasse der Bevorzugten über. Sollen die Kauf¬ leute einen Krieg wünschen, oder auch nur eine Aen¬ derung? — Sie seufzen unter starken Abgaben, aber der Handel blüht und sie werden reich. Die übrigen Staatsdiener werden zwar kärglich bezahlt, aber pünkt¬ lich. Wenn ein Krieg die Kassen leert, woher dann die Besoldung nehmen.“ „Ist das Ihre ganze Nation! Haben Sie nicht Künstler, Handwerker, Männer der Wissenschaft, kleinere Grundbesitzer, Bauern, die unter einer drückenden Eintheilung der Lasten seufzen?“ „Sie seufzen wohl, aber sie sprechen nicht mit. Und wenn sie zu sprechen Lust hätten, so haben sie noch nicht zu denken gelernt. Mein Herr Major, Preußen's Volkssinn steckt noch immer unter dem blauen Rocke. Und nun betrachten Sie auf den Wachtparaden diese schwer¬ fälligen, alten Officiere, diese Pontacsnasen, diese Ca¬ pitaine, die kaum die Schärpe um den Leib pressen, in der sie drei Viertel ihrer Compagnie verschluckten. Sollen die Besserung wünschen, nach Neuerung ver¬ langen? Ich gebe Ihnen zu, es sind nicht alle so, die Armee zählt schon viel jüngere Officiere, voll Feuer, Eifer, Begeisterung —“ „Aber die Begeisterung ist eine Fuchtelklingen¬ begeisterung, unterbrach der Major, und ihr Herz schlägt nicht für's Vaterland, nur für das point d'honneur und den esprit de corps —“ „Halt, mein Herr, es giebt auch —“ „Ich sah, ich hörte sie auf meiner Reise. Mir ward bange, wenn ich dachte, daß Preußen auf diesen Säulen allein ruht, und die Säulen sind unterspült und gelöst von der Erde, die sie tragen soll. Ich schauderte, wenn ich hörte, wie man überall vor den Soldaten die Schubläden und Thüren verschließt, als wären es nur geworbene Landsknechte, nicht des Landes Söhne. Doch sei das, mögen sie noch Leib¬ eigene sein, nicht dem Vaterlande, ihrem Capitaine. Aber, allmächtiger Gott, welche Sprache mußte ich unter diesen hören, in den Wachtstuben der Herren Officiere. Wäre das Deutschlands Adel, so wäre er verloren, nur schmähliger als der Frankreichs; nicht unter der Guillotine, er stürbe an einem inneren fressenden Schaden. In den kleinen Städten, wenn der Bürger dem Fuchtelexercitium zusah, welche Ur¬ theile! Sie gönnen es den Junkern, daß sie recht tüchtig mal von den Franzosen geklopft würden. Und das mußte ich von guten Patrioten hören. Weiß man denn nichts davon hier? Ist man blind, taub, stumpf? Ist das nicht ein Zersetzungsprozeß, der den Blut¬ lauf erstarrt?“ Der Major empfand einen Stoß an seinem Ellen¬ bogen: „Pst! Laforest wirft schon lange von seinem Ofen her beobachtende Blicke.“ „Mag er es! rief der Major aufstehend. Lieber ihm in den Rachen, als da dem neuen Rhino¬ ceros.“ Das neue Rhinoceros war der eben eingetretene Legationsrath von Wandel, eine Sonne, die sofort ihre Trabanten hatte. „Ich kann den Menschen nicht leiden, ich weiß nicht warum,“ sagte der Major. „Das geht anderen auch so, Herr von Eisenhauch, zum Exempel unserm Minister. Bovillard möchte ihn gar zu gern in unsern Staatsdienst ziehn, Ex¬ cellenz haben aber eine unwiderstehliche Aversion.“ „Ist es denn wahr, daß er die sieben Adler von Napoleon hergebracht hat?“ „So ist es.“ „Dann ist's ja klar, er ist eine französische Creatur.“ „An dem Herrn ist mir noch nichts klar.“ „Mir scheint er gefährlich.“ „Ist's Ihnen darum zu thun, Aufklärung über den Punkt zu erhalten, lassen Sie uns zu Laforest gehen. Der Kreis um ihn lichtet sich.“ „Sie warnten mich eben vor ihm.“ „In seinem Rayon ist man wenigstens vor seinen Spionen geschützt. Es ist sogar gut, daß Sie sich ihm arglos zeigen.“ „Wie sollte er aber dazu kommen, uns Auf¬ schlüsse zu geben?“ „Er gehört nicht zu den zugeknöpften Diplo¬ maten. Ueberdem ist er jetzt satt. Bonapartes Ge¬ sandter hat, was er will, hier erreicht. Er kann den nonchalanten Plauderer spielen. Er kann nicht allein den Rock aufknöpfen, auch das Hemde auf¬ reißen, damit wir seine Brust schlagen sehen. Die gewinnende Vertraulichkeit wird auch wohl noch zum Leimstock für eine harmlose Fliege. Wie vergnügt Alle von ihm fortgehen! Trauen Sie keinem seiner Worte, und doch ist es möglich, daß er uns die reinste Wahrheit schenkt. Denn ob er mit ihr, oder mit der Lüge uns täuscht, ist ihm gleichgültig. Uebri¬ gens weiß er alles was hier geschieht, und früher und genauer als der Polizeipräsident. Was der Kö¬ nig beim Frühstück geäußert, läßt er schon am Mittag chiffriren. Er kennt die Anträge der Minister, die nicht bis zum Könige durchgedrungen sind, weil die Ka¬ binetsräthe Widerstand leisten, und ehe noch Seine Majestät eine Sylbe davon erfahren, fliegt der Cou¬ rier damit schon nach Paris.“ „Warum macht man Laforest nicht zum Minister des Auswärtigen.“ „Besser des Innern. Der russischen Fürstin ward vorgestern ein Brillanthalsband gestohlen. Die Polizei suchte umsonst. Er hat es gefunden. Ge¬ II . 7 stern erhielt die Fürstin das Band, heut die Gerech¬ tigkeit die Diebe!“ „O wer den Dieb, der Deutschlands Heilig¬ thum gestohlen, der Gerechtigkeit überlieferte! seufzte der Major. Ob wir uns auch an die fremde Di¬ plomatie werden wenden müssen!“ — Sechstes Kapitel. Der Diplomat. Die Unterhaltung mit Laforest ward natürlich französisch geführt. Der Gesandte pikirte sich dann und wann, eine baroke deutsche Phrase einzuschalten. Es klang so vertraulich und so abscheulich; er war von der besten medisirenden Laune. „Excellenz scheinen sich zu amüsiren.“ „Vortrefflich, où peut-on être mieux qu'au sein der illüstren Geister dieser Residenz.“ „Die Dame des Hauses kann von besonderem Glück sagen, wenn Herr von Laforest so lange in ihrer Gesellschaft verweilt,“ sagte Herr von Fuchsius. „Ein Gesandter muß beobachten.“ „Da Preußen in den letzten Monaten in Brüssel und Paris war, bemerkte der Major, hatte Frank¬ reichs Gesandter allerdings wenig aus dem ver¬ lassenen Berlin zu berichten.“ „Sagen Sie das nicht, mein Herr Baron. Den Kaiser interessiren die inneren Bewegungen ihrer Ka¬ 7* pitale mehr, als Sie denken. Vor seinem durch¬ dringenden Blicke ist kein Winkel in Madrid und Constantinopel verborgen, aber in Deuschland, diesem Land der Ideen und Schulen, sind ihm überall Querzäune, Hecken und Gräben gezogen. Er hat sich oft darüber geäußert. Wenn er über Reuß- Greitz im Klaren zu sein glaubt, gewahrt er plötzlich, daß es in Reuß-Schleitz ganz anders aussieht. Hier verehren sie Schiller, dort Goethe. Dort Kant, hier Fichte. Hier gilt schon etwas für Dummheit und Aberglauben, was dort noch gefährliche Aufklärung ist. Feine Conjecturalpolitik, logische Schlüsse rei¬ chen auf dies Land der Mannigfaltigkeiten nicht aus. Da stampft er mit dem Fuß, schreibt eigenhändig Marginal-Bemerkungen: Warum dies? Warum das? — Ein französischer Gesandter an einem deut¬ schen Hose müßte eigentlich erst auf deutsche Schulen gehen, wenn er alle Fragen des genialen Mannes beantworten wollte.“ „Allerdings bequemer, wenn man auch Deutsch¬ land über einen Leisten scheeren könnte.“ Der Gesandte lächelte beifällig. „Er hat ein gutes Scheermesser, wie Sie wis¬ sen, und was das übrige Deutschland betrifft, so kommt es ihm auf einige Höcker mehr oder weniger nicht an. Aber warum Ihr specielles Vaterland sich noch zu Deutschland rechnet, das interessirt ihn. Diese intensiven Bande der Sprache, des Gefühls, der Poesie und Philosophie.“ „Was ihm gewiß ungleich interessanter ist als die Situation unserer Festungen und Straßen zu erhalten.“ „Unbedenklich,“ sagte der Gesandte, eine Prise nehmend, die verbergen sollte, daß er recht wohl be¬ merkte, wie der Rath umsonst dem Major einen Wink gab, sein Invectiven zu lassen. „Denn wenn es zum Kriege mit Preußen käme, was der Himmel verhüte und ich für unmöglich halte, so läßt der Kaiser, mein Herr, weder durch Terrain-Schwierigkeiten noch Festungen sich aufhalten. Der Continent liegt vor ihm wie eine Specialkarte, er hat die Risse aller Festungen und die Kataster Ihrer Zeughäuser. Er weiß, wo er die Elbe passiren muß, um nach Berlin zu marschiren, er kennt sogar die Straßen, durch die er einrücken würde; aber Ihre Parteien, das muß ich gestehen, kennt er nicht.“ „Auch nicht, wo ein solcher Beobachter ihn davon in Kenntniß setzt?“ „ Ma foi , ich kenne sie auch nicht. Denn Sie meinen doch nicht jene unruhigen Geister, die von der ehemaligen Herrlichkeit des Reiches deklamiren, von Arminius und Wittekind und — Thusnelda und deutschem Adel, zuweilen von Freiheit, zuweilen von der Liebe zu den angestammten Herrscherhäusern, und die überall conspiriren möchten, im Namen der Religion und Tugend für ein Etwas, was nie gewesen ist! Verzeihen Sie, darüber berichte ich ihm wirklich nicht; er würde mich auslachen.“ „Sind Seine Majestät, der Kaiser, so scherzhaft gestimmt?“ „Er lachte wenigstens eines Tages, als Talley¬ rand ihn auf die gefährlichen Tendenzen dieser adligen Tugendritter aufmerksam machte. „„Soll ich mich etwa um Commis-Voyageurs bekümmern, welche die verlegene Waare des feudalistischen Patriotismus an den Mann zu bringen suchen?““ Aber als Freund möchte ich Ihnen, meine Herren, anrathen, wo Sie etwa einen dieser Reisenden träfen, ihn zu warnen, daß er es nicht zu arg treibt. Der Kaiser, einmal in Harnisch gebracht, versteht keinen Spaß mehr.“ Der Rath hatte die Hand des Majors rasch er¬ griffen, ehe dieser den Mund öffnen konnte: „Excellenz haben ganz Recht, es giebt unter uns keine Par¬ teien, da wir alle dasselbe wollen, das Glück unseres Vaterlandes.“ „Ganz wie in Frankreich! sagte der Gesandte. Wenn die Nationen sich nur verständen, so wäre die Erde ein Paradies.“ „Und Diplomaten können viel dazu beitragen.“ „Wie ich von Herrn von Laforest überzeugt bin, daß er nur Gutes und Wohlmeinendes über uns nach Paris berichtet.“ „Was könnte ich anders! A propos , da fällt mir ein, neulich konnte ich ihm nur Stoßseufzer berichten. Sagen Sie, was ist das für ein Weg von hier nach Tegel! Knietiefer Sand und Steine! Aus Erbarmen für meine Pferde mußte ich aus dem Wagen springen.“ „Was führte Excellenz nach Tegel?“ „Sein expresser Auftrag.“ „Napoleon sollte dies unbedeutende Dorf kennen?“ „Im Kreise der Kaiserin war von der Stael die Rede gewesen, Madame Josephine suchte sie zu ver¬ theidigen gegen den sprudelnden Zorn ihres Ge¬ mahls — unter uns, Napoleon ist darin etwas kleinlich — dabei kam man auf ihre Studien in Deutschland, auf Herrn von Goethe, der ein roman¬ tischer Poet und Minister zugleich sei, was Napoleon wieder nicht begriff, auf ein didaktisches oder dra¬ matisches Poem desselben, Doctor Faust, auf die Illustra¬ tion eines Hexensabbats, ich glaube Walpurgisnacht, wo ein Vers vorkommt, der ja wohl heißt: Und dennoch spukt's in Tegel! Irgend ein Germanomane muß wohl in der kleinen Societät gewesen sein, wie dem nun sei, der Kaiser ließ sich die Worte übersetzen und erklären. Das Spuken kann er nicht leiden, er meinte, es spuke überall in Deutschland, warum in dem Orte, von dem man ihm gesagt, daß er dicht bei Berlin liegt, was das zu bedeuten habe, was Tegel sei? Kurz, das Ende vom Liede, eine Anfrage an mich, ein Befehl, an Ort und Stelle zu untersuchen und zu berichten.“ „Und Sie entdeckten nur den stillen Ruhesitz des großen Gelehrten, der wohl nicht auf den Cordilleres mit Ihrem Bonpland gegen den Kaiser conspirirt haben wird.“ „Ein großer Mann pikirt sich in seiner Laune oft auf Kleines. Er traut Ihrem Könige, wie seinem Busenfreunde, aber bei einem Spukhaus in Deutsch¬ land denkt er sogleich an Höllenmaschinen und Con¬ spirationen des Herrn Pitt. Den Baron Humboldt ästimirt er sehr.“ Der Major bemerkte: „Wahrscheinlich war dies das letzte Wichtige, was Excellenz aus Berlin zu melden hatten.“ „Im Gegentheil, Herr von Eisenhauch, was gab es nicht in den letzten Monaten zu berichten: Die Ansichten, die bedenkliche Stimmung im Publikum bei der Hinrichtung der Kindesmörderin. Es handelte sich dabei um Abschaffung der Todesstrafe, im Volk glaubte man es wenigstens. Wenn Preußen die Initiative ergriffe, glauben Sie nicht, daß der Kai¬ ser mit Vergnügen darauf einginge? Dann die Frage, ob der Geheimrath Lupinus abzusetzen sei oder nicht? Welche anderen Fragen knüpfen sich nicht daran! Unter uns, Napoleon würde vielleicht kür¬ zeren Prozeß gemacht haben; freilich je nachdem. Und dann die Excesse in dem Hause der Obristin. Wie viele feine Hoffäden spielen da hinein, und ich muß gestehen, man hat es mit Takt applanirt. Der Kaiser war, wie ich Ihnen im Vertrauen sagen kann, darüber erfreut; an einem andern Hofe würde man in der verdächtigen Dame eine seiner Emissairinnen gewittert haben. Auch die Anwesenheit der vielen vornehmen Fremden genirt ihn gar nicht. Ginge es freilich nach Talleyrand, so hätten wir längst auf die Ausweisung der Fürstin Gargazin gedrungen. Sagt man nicht im Publikum, sie intriguire für Rußland! Immerhin. Wir kennen Ihren König, Ihren Hof, Ihr Volk und Land, und sind vollkommen ruhig.“ „Was kann uns schmeichelhafteres gesagt werden.“ „Und was habe ich jetzt zu berichten über den Empfang des Monsieur Jean Paul. Muß ich nicht aus Gesellschaft in Gesellschaft, um nur Zeuge zu sein der Huldigung und Vergötterung des Poeten.“ „Wenn Troubadoure, wie die Rattenfänger von Hameln durch den Continent zögen, würde Seine Majestät Kaiser Napoleon sparen können an — Diplomaten, die beobachten, vielleicht auch an Ar¬ meen, die für ihn erobern.“ „Mein Kaiser ist ein Eroberer, Sie haben recht, Major. Er ist dazu geboren. Glauben Sie aber nicht, daß er es vorzöge, wenn er den Embarras der Waffen sparen, und die Herzen erobern könnte? Wenn die Deutschen doch ihre wahren Interessen verständen. Theilen wir! Der Kaiser erobert die Reiche dieser Welt und läßt dafür Ihre Nation schaffen und erobern allein in dem der Ideale und der Schönheit. Die Deutschen haben Ueberfluß an Pro¬ dukten, und ihnen fehlt nur der Markt dafür. Den eröffnet er ihnen in seinem Weltreiche.“ „Unser Dichter Friedrich Schiller sang schon von dieser Theilung.“ „Ah, ich weiß, ein schönes Lied, vom Parnaß.“ „Indessen hat uns Seine Majestät, Ihr Kaiser auch schon mit etwas Irdischem beglückt. Sieben seiner höchsten Ordenszeichen, allein für unsern Hof!“ „Ich bin beschämt eben zu hören, daß Seine Majestät Ihr König so schnell sich revanchiren will. Auch sieben seiner schwarzen Adlerorden gehen nach Paris.“ „In der That! sagte der Major. Ich möchte der glückliche Ueberbringer sein.“ „Wie der Ueberbringer der Kaiserlichen Aus¬ zeichnungen auch hier einer glücklichen Entree sicher ist,“ setzte Herr von Fuchsius hinzu. „Nein, er hat das Bein gebrochen,“ sagte der Gesandte. Rath und Major sahen sich verwundert an und dann nach dem andern Zimmer, wo der Legations¬ rath der Russischen Fürstin eben die Pflegetochter des Hauses vorstellte. „Er scheint doch in voller Gesundheit auf seinen Beinen zu stehen.“ „Ach, ein kleiner Irrthum, meine Herren! Ein Adjutant von Mortier war als Cabinetscourier her¬ geschickt. Er brach in einem Hohlweg unglücklicher¬ weise Wagen und Bein, und da ihm zur Pflicht gemacht war, Depeche und Beilage an einem be¬ stimmten Tage mir einzuhändigen, glaubte er ihr zu genügen, wenn er beides jemand überlieferte, auf den er sich verlassen könnte. Der arme Debeleyme liegt noch auf seinem Schmerzenslager auf dem Gute des Herrn von Wandel, der wirklich mit aufopfernder Güte und Courierpferden den Auftrag statt seiner ausgeführt hat.“ Rath und Major hatten aus der Antwort nicht erfahren, was sie wissen wollten. „Der Adjutant konnte sich also auf Herrn von Wandel verlassen?“ sagte nach einer Pause der Major. „Ein Paket von Erfurt nach Berlin zu tragen! Das übergebe ich dem ersten besten Landreiter, der ein anständiges Trinkgeld einem gefährlichen Angriff auf bunte Blechwaaren vorzieht.“ Laforest lächelte: „Meine Freunde, wozu unter uns ein Versteckspiel, wo jeder dem Andern in die Karten sieht! Sie wünschen zu erfahren, ob und in welchem Connex ich mit Herrn von Wandel stehe? Wenn ich nun feier¬ lich dagegen protestirte, würden Sie mir glauben? — Sie würden wenigstens sehr unrecht thun. Ich pro¬ testire aber gar nicht dagegen.“ „Sie geben ihn nur durch Ihre Erklärung bloß.“ „Ich überlasse ihn Ihrer Divinationsgabe, denn meine ist bis dato noch an ihm gescheitert.“ „So muß er Ew. Excellenz beschäftigen?“ „En passant. Der Fürstin Gargazin drängt er sich auf, also gehört er nicht zu ihr. Ein Oest¬ reichischer Agent ist er auch nicht, er spricht zu viel von seinen vertrauten Bekanntschaften am Wiener Hofe. Für Englische Spione habe ich einen beson¬ dern Takt. Aber —“ „Vielleicht aus Spanien oder Schweden,“ warf der Major ironisch hin. „Ein eigenes Lächeln schwebte um die Lippen des Gesandten: „Warum nicht auch aus Frankreich. Ich bin nur der officielle Gesandte, mag Talleyrand nicht auch einen geheimen für nöthig halten, der mich beobachtet?“ Hier war die Möglichkeit einer Wahrheit. Die Blicke der Beiden gestanden es sich, und Fuchsius er¬ wähnte, daß der Legationsrath, seiner Angabe nach, bedeutende Güter in Thüringen besitze. Interessirte er wirklich in der angegebenen Art den Gesandten, so mußte dieser sich darüber Aufklärung verschafft haben. Laforest ging auch sofort darauf ein: „Allerdings hat er sich dort angekauft; in einer Subhastation erstand er nicht unbedeutende Güter¬ strecken, man sagt indeß solche, die nie lange in der Hand ihres Besitzers blieben, weil sie, schwer belastet, kaum die Mühe der Cultur lohnen. Hier in Berlin will er sein, um mit den Männern der Wissenschaft einen Meliorationsplan zu entwerfen. Warum nicht! Er kann aber auch zu allerhand andern Geschäften da sein: um die Quadratur des Cirkels zu finden, Geister zu citiren, — das Wahrscheinlichste ist mir aber immer, um Geld zu machen. D'ailleurs Mes¬ sieurs , diese Mysticismus duftenden Personen sind meiner Natur entgegen. Ich überlasse daher den Le¬ gationsrath, auf parole d'honneur , ganz wie er ist Ihren Recherchen.“ Wenn Wahrheit überhaupt in einem Diploma¬ ten möglich ist, dachte der Major, so ist sie dies. Der Rath mußte dasselbe denken: „Da Bovillard ihn protegirt, lag es sehr nahe zu glauben, daß er auch Excellenz bekannter wäre, als wir jetzt hören.“ „Wer steht denn dafür, wenn er ein Magier ist, daß nicht Bovillard der Protegirte ist und er der Protector! Aber da fällt mir ein — wissen Sie schon, daß der junge Bovillard ihn heut auf Pistolen ge¬ fordert hat?“ „Den Legationsrath! — Ach, es ist richtig, we¬ gen jener alten Geschichte.“ „Meine Herrn, ist der junge Bovillard vielleicht Ihr Freund?“ „Nichts weniger als das!“ sagte der Rath, der über die Aufmerksamkeit verwundert schien, mit wel¬ cher Laforest den Gegenstand ihres Gesprächs zu be¬ obachten schien. „Man findet es sonderbar, daß Herr von Wandel gleich nach der Affaire abreiste, und grade damals an Ort und Stelle seine Güter und so lange amelioriren mußte.“ Auch der Major hatte während des Gesprächs die betreffende Person scharf ins Auge gefaßt: „Ich sehe keine Veränderung in diesem eisernen Gesichte.“ „Möglich. Naturen dieser Art sind mir, wie gesagt, fremd. Die Präparationen des Duells aber sollen mit der strengsten Verschwiegenheit vorgenom¬ men werden. Beobachten Sie doch gefälligst, meine Herren, wenn Sie sich nachher in die Gesellschaft verlieren, ob schon Andere davon wissen, ob der Le¬ gationsrath bekannte Personen in den Winkel zieht? Das sind freilich Bagatellen, aber aus Bagatellen lernt man einen Menschen kennen.“ Der Seitensprung schien auf beide Herren keinen besondern Eindruck gemacht zu haben; die Person des jungen Bovillard war ihnen gleichgültig. Auch die Aufmerksamkeit des Gesandten schien rasch auf andere Dinge übergegangen. Er sprach etwas von Sym¬ pathieen und Antipathieen, jene weil sie sich chemisch auf ihre Elemente zerlegen lassen, kümmerten ihn nicht, woher aber komme die Idiosynkrasie, jener an¬ geborne Widerwille, den die Vernunft umsonst be¬ kämpfe? Wie alles Wunderbare finde er auch ihn in diesem Lande zuhause. Aber er schien jetzt nur der Sympathie zu huldigen, indem er die Frauen die Musterung passiren ließ. „Herr von Fuchsius scheint mit besonderer Sym¬ pathie die schöne Pflegetochter des Hauses zu beo¬ bachten. Allen Respect Ihrem Geschmack. Oder flat¬ tern Ihre Augen weiter; denn, man muß gestehen, es entfaltet sich ein unvergleichlicher Blumenflor. Das sind ja wohl Reichards Töchter? Kann man anmu¬ thigere Bilder sehn! Dieser frische Hauch der Jugend, diese schwellende Rosenfülle! Wenn es zu einem Nationalkriege käme, sollten Sie Ihre Frauen in die Vorderreihen stellen. Der französische Soldat ergäbe sich aus Galanterie. Wer ist die junonische Schön¬ heit dort?“ „Excellenz meinen die Herz?“ „Nein, die den halben Rücken uns zugedreht.“ „Baronin Eitelbach?“ „Die!“ Der Gesandte schielte mit sardonischem Lächeln über das Ofengesims. „Schön ist sie.“ „Auch tugendhaft.“ „Nous le verrons.“ „Zweifeln Sie nicht daran, Excellenz! die arme schöne Frau hat keine andern Eigenschaften.“ „ Messieurs ! Die Gelegenheit macht Diebe und Intriguen den Verstand. Geben Sie einer Deut¬ schen die Erziehung einer Pariserin, versetzen Sie sie täglich in die Salons, wo der Verstand sich reiben und schleifen muß. — Der Witz sprießt von selbst heraus und — Ihre Landsmänninnen werden so lie¬ benswürdig und intriguant wie eine Pariserin.“ „Was die Baronin betrifft, so haben wir Grund es zu bezweifeln.“ „Meine Herren, was gilt die Wette, diese Dame, die jetzt für dumm gilt, hat in Jahr und Tag Esprit, sie wird interessant, witzig, das Stadtge¬ spräch, vielleicht sie Beaut é , die Sonne der Gesell¬ schaften.“ Man sah Laforest verwundert an. „Die neuesten Mysterien von Berlin. Und es ist exakte Wahrheit.“ Er zog sie hinter den Ofen, und flüsterte, die Hand am Munde, etwas, was ihn selbst wenigstens angenehm kitzeln mußte, denn das Gesicht verlor im Erzählen den diplomatischen Ausdruck. „Qu'en dites-vous? Aber es bleibt ein My¬ sterium.“ „Was sagen Sie dazu?“ fragte der Regierungs¬ rath, als Laforest sie verlassen. „Daß Berlin auf gutem Wege ist Paris zu werden. Aber das riecht sogar nach Byzanz. Im Augenblick des höchsten Ernstes ein solches Spiel niederträchtiger Frivolität!“ „Diese Menschen können nicht aus ihrer Natur.“ „Was solls mich denn kümmern, ob Einer mehr noch einen Faden treibt in das Gewebe verstockter Thorheit, niederträchtiger Gesinnung und liederlichen Willens!“ „Sie müssen spielen um zu leben.“ „Man naht doch mit heiliger Scheu der Stätte, die ein großer Geist geweiht hat. Noch sind's nicht zwanzig Jahr, daß sein Auge leuchtete, seine Stimme tönte, und nur solche Creaturen wimmelnd im Dunst¬ kreis seines Grabes! Sind das die Würmer, die an des Riesen Leichnam nagten? Oder, fragt man sich unwillkürlich, erschien auch der Riese uns nur so gigan¬ tisch in seinem Dunstkreise? Und war es anders, wenn man ihn im Schlafrock sah.“ „Das ist eine fürchterlich ernste Frage, mein Herr von Eisenhauch. Seine Atmosphäre war viel¬ leicht nicht angethan, um Männer zu erzeugen. Er sehnte sich nach ihnen in seiner tiefen Einsamkeit, aber sein scharfer Athem, das Feuer seines Auges ließ die Embryonen nicht aufkommen. Friedrichs Tafelrunde war für blitzende Geister und kühne Ritter, aber für Charactere war doch kein Platz.“ „Und wir brauchen sie, Männer — wenn nur einen , und der Eine ist es auch nicht — eine ver¬ glaste Ruine, an der die Flamme nur noch zuwei¬ len emporleckt, um die ungeheure Verwüstung zu zeigen.“ Der Rath drückte ihm die Hand: „Trösten wir uns, daß die Zeiten verschieden sind. Eine jede ge¬ biert das, dessen sie bedarf, also auch ihre Männer.“ Sie verloren sich in der Gesellschaft. Fuchsius stieß an der Thür mit Laforest wieder zusammen, der, den Hut in der Hand, die Versammlung rasch ver¬ lassen zu wollen schien. „Wohin Excellenz?“ „Zum Berichten.“ „Was, wenn das Herz des Diplomaten noch geöffnet ist?“ „Was Sie mehr interessirt als mich.“ „Geht die Eitelbach in die Falle?“ Der Gesandte flüsterte ihm ins Ohr: „Stein wird doch Minister.“ „Eine Attrape?“ II . 8 „Für den es trifft, übrigens eine neueste wirk¬ liche Neuigkeit?“ „Von Engeln Ihnen zugeraunt?“ „Der Russischen Fürstin.“ „Und warum jetzt?“ „Weil man keinen andern Finanzminister auf¬ treiben kann. Nutzen Sie es, Herr von Fuchsius. Ein neuer Minister verspricht alles und gewährt zuweilen einiges, wenn man schnell dahinter ist.“ Laforest verschwand. Siebentes Kapitel. Die russische Fürstin. Einfacher konnte man für eine große Gesellschaft nicht gekleidet sein, als die russische Fürstin. Ihr Kleid schimmerte ins Graue, nichts von Brillanten, kein Geschmeide. Die glänzend schwarzen Haare schei¬ telten sich schmucklos um ein feines, ausdrucksvolles Gesicht, in dessen breiter als europäisch geschlitzten Augen zuweilen ein stilles Feuer glühte, das seine Strahlen aus einer schönern Welt zu borgen schien, und ein süß harmonisches Lächeln spielte dazu um die wohlgeformten Lippen. Sie mußte Jedem etwas Angenehmes oder Interessantes zu sagen wissen, denn ein solcher Eindruck strahlte vom Gesicht derer, die von ihr gingen. Seit Laforest den Schauplatz verlassen, schien sie der Magnet geworden, welcher die Wandelsterne anzog. „Was hat die nordische Sybille meiner Freun¬ din vertraut? fragte die Wirthin die Baronin Eitel¬ bach. Sie lächeln ja so vergnügt.“ 8* „I Gott bewahre, ich lache nicht. Sie hat mir nur gesagt — o es ist zum Todtlachen!“ „Gewiß eine Wahrheit. Das sehe ich auf Ihrem Gesicht.“ „Sehn Sie auch in die Gesichter rein, Geheim¬ räthin? Ich wäre sterblich verliebt, hat sie gesagt, oder wenn noch nicht, so würde es bald zum Aus¬ bruch kommen. Ist das nicht zum Todtlachen!“ „Prüfen Sie Ihr Herz,“ sprach die Geheim¬ räthin, den Zeigefinger erhebend, und entfernte sich in der Richtung nach dem neuen Zauberkreise. Die Anwesenheit der Fürstin war ihr zwar angenehm, sogar sehr angenehm, es war die vornehmste Frau in ihrer Societät. Aber was sie Laforest vergab, war ihr hier nicht mehr angenehm; die Fürstin zau¬ berte zu viel. Herr von Wandel stand neben der schönen Frau, die an ihrer Schärpe zupfte. Er hatte das Gespräch behorcht: „Prüfen Sie Ihr Herz!“ wiederholte er mit sanfter Stimme. Sie fuhr etwas zusammen. Ein Wort des Vor¬ wurfs schien auf ihren Lippen bereit, aber mit so Zutrauen erweckendem Blicke sah der ernste Mann sie an. Er hatte es nicht böse gemeint, und er spaßte nicht. „Wir stehen den jungen Leuten hier im Wege,“ sagte er, und bot der Baronin den Arm, um sie von der Thür in das nächste Zimmer zu führen. Sie ließ sich führen. „Was Sie da sagen, sagte sie nach einer Weile, ist sehr schön gesagt, aber —“ „Sie wollen mich nicht verstehen. Die wahre Tugend hat das mit der wahren Schönheit gemein, daß sie ihren Werth nicht kennt und weil sie ihn nicht kennt, begreift sie nicht die Wirkungen, die sie auf Andere ausübt.“ „Das hat mir aber noch kein Mensch gesagt, sagte sie, und mein Mann am wenigsten.“ „Ei, wer wird denn zum Verräther werden! — Die Knospe weiß nicht, daß sie zur Blume sich ent¬ falten wird, und wenn es ein Zauberer ihr verriethe, wer weiß ob die Rosenblätter dann so roth aufgingen! Das Nichtbewußtsein ist es, was der Blumen Farbe und Duft nährt, die süße Scham, daß sie sich selbst dem Lichte zeigen werden. Dies das Mysterium der Natur und der Liebe, meine Gnädige.“ „Sie sprechen ja ganz wie Jean Paul!“ „Wäre der vielleicht der Glückliche!“ Die Baronin bat ihn, mit seinen Ueberschweng¬ lichkeiten inne zu halten, und wollte sich doch aus¬ schütten vor Lachen. „In Jean Paul sind wir Alle verliebt.“ „Eine doch vielleicht mehr als die andere. Prüfen Sie Ihr Herz!“ wiederholte der Legationsrath mit einem ernsten Tone. „Na, ich bitte Sie, Herr Legationsrath. Sie denken doch nicht, im Ernst? Man macht es mit wie die Andern. Jean Paul —“ „Wer spricht von Jean Paul! Er reitet nicht und macht nicht Fensterparade.“ Die Baronin öffnete ihren schönen Mund, was ein Zeichen des Erstaunens war, dem die Worte fehlten, weil eigentlich der Gedanke fehlte. Er drückte ihre Finger an seine Lippen, und indem er sich mit ihr erhob, sagte er leise: „Wenn dies Herz am Altar der Grausamkeit geopfert hat, so sein Sie wenigstens menschlich grau¬ sam, zeigen sich nicht immer Mittags am Fenster, ihr Köpfchen zwischen den Balsaminentöpfen. Das nährt die Hoffnung, die Sie nicht erfüllen können.“ „Das thue ich ja immer.“ „Und weil er das weiß, reitet er immer vor¬ über.“ „Wer? — Sie meinen doch nicht die Dragoner und die Gensd'armen, die marschiren immer nach der Parade durch unsre Straße. Ihre Musik ist gar zu schön und die Uniformen —“ „Der Dragoner — und auch der Gensd'armen,“ setzte der Legationsrath mit Betonung hinzu. „Herr Gott, Sie ängstigen mich, Legationsrath, wer sieht denn nach mir rauf?“ „Machen Sie eine Badereise. Vielleicht vergißt er Sie.“ „Wer? Wer? Sie Quälgeist!“ Der Legationsrath hielt die schöne Hand noch immer in seiner, und blickte so sinnig fragend zu ihr herab: „Sollte das Verstellung sein? Nein, dies seelenvolle Auge kann nur der Spiegel der innern Wahrheit sein.“ „Sie meinen doch nicht den Lieutenant Kleist oder den Fähndrich Kaphengst? Mit dem hab ich ja noch gespielt als Kind, und der ist mein Neveu.“ „Sie spielten ein gefährlich Spiel mit ihm — das Spiel des Zornes, gnädige Frau. Eine Frau darf nicht hassen.“ „Wen hab ich denn gehaßt, ich wüßte Niemand.“ „Nennen Sie es Antipathie, Widerwillen, wie Sie wollen; sobald die Abneigung zur Leidenschaft wird, hat sie etwas — Interessantes, Lockendes. Mancher Kranke, der eine Medicin mit Widerwillen nahm, schlürft sie zuletzt mit Leidenschaft. Ja hätten Sie ihm gleichgültige Verachtung gezeigt! Aber Sie exponirten ja Ihre Antipathie. Das darf eine Frau nie thun! Sie ließen ihm merken, wie schon seine Gegenwart, sein Anblick Ihnen zuwider war. Das, von einem Weib, reizt den Mann. Er kann sich rächen wollen. Das sind unedle Naturen. Aber gehaßt zu werden von einer schönen Frau ist ein be¬ rauschendes Gefühl. Es stachelt unsre Eitelleit, wir sinnen nach, welche unsrer Eigenschaften denn diese Leidenschaft in dem schönen Gegenstande geweckt haben kann?“ „Herr Gott, Sie meinen doch nicht!“ „Namen nenne ich nie. Wenn Sie ihm den Rücken kehren, sieht er nur Ihre schöne Taille, wenn Sie die Schleppe verächtlich um den Arm schlagen, nur den gerundeten Ellenbogen. So wissen Sie nicht, daß Sie in jeder Bewegung, die Ihre Abneigung deployiren soll, einen Köder auswerfen, und statt Ihn abzustoßen, fesseln Sie ihn.“ Die schöne Frau warf einen Blick ins Leere und er traf die Wahrheit. Momente giebt es, wo sie in jeder Natur durchschlägt; aber es sammel¬ ten sich zugleich eine Masse Erinnerungen, die ihr Auge jetzt trübten, jetzt einen Strahl des Zornes entzündeten, und es platzte heraus: „Wie das Porzellanservice aus Meißen ankam, und der Spediteur es so schlecht verpackt hatte, und mehr als die Hälfte war auf dem Transport zer¬ schlagen, vierhundertfunfzig Thaler der Schaden, und Gott weiß, welche Mühe es gekostet, daß ich meinen Mann dazu gekriegt! Und war nicht versichert! Da sollten einem wohl nicht die Thränen in's Auge treten, ich möchte heute noch weinen, und er — lachte, ja das hat er, sich ordentlich geschüttelt! O er hat ein schlechtes Herz. Ich hab's ihm aber gesagt, das kam aus einem boshaften Gemüth. Und voriges Jahr noch in der Gesellschaft bei den Leuten — i mein Gott, Sie kamen ja auch noch nachher — da nahm er mir ja den Stuhl vor der Nase weg. Ich begreife gar nicht, wie man so grob sein kann und so maliciös.“ „Vor andern. Wer sieht ins Herz!“ „Er pustet ja ordentlich vor Selbstgefälligkeit. Glaubt er, alle Frauen müßten sich in ihn verlieben, wenn er den Bart streicht?“ „Das ist ein eigen Kapitel, meine Freundin, von der Sympathie und der Antipathie. Ich kenne den Herrn Rittmeister nicht, ich weiß nur —“ „Daß mir ordentlich wohl ist, wenn ich ihn in einer Gesellschaft nicht treffe.“ „Ob ihm aber wohl ist! — Sie sahen nicht, wie er nach jener Gesellschaft, wo er Sie so auffal¬ lend beleidigt, Ihnen immer von fern folgte, wie er wartete, um Sie einsteigen zu sehen; wie er, als der Wagen vor Ihrem Hause vorfuhr, schon durch Quer¬ gassen schneller dahin gekommen war, und an der Ecke, im Mantel verhüllt, sah er Sie aussteigen! Mich dünkt, Sie sahen sich um, und wandten schnell den Kopf —“ „Ich erinnere mich nicht.“ „Sie müssen ihn gesehen haben. Wenn da grade nicht, doch ein ander Mal. Entsinnen Sie sich nur. Man kann sagen, er folgt Ihnen auf Schritt und Tritt, vielleicht unwillkürlich.“ „Sie erschrecken mich, Herr von Wandel. Der Mensch lauert mir auf, um mir einen Affront an¬ zuthun.“ „Das will ich nicht hoffen.“ „Aber, ich bitte Sie, 's ist ja rein unmöglich. Wer sich so vor den Menschen beträgt, was kann der Gutes im Schilde führen!“ „Der unerklärte Trieb unserer Natur, der ewige Zwiespalt unserer selbst, das Licht und der Schatten, der Ahriman und der Ormuz, daß wir schaffend ver¬ nichten, vernichtend schaffen. Wenige, die sich über diesen Zwiespalt erheben, die dies Räthsel der Natur gelöst. Sie selbst, meine theure Freundin, werden dies oft empfunden haben. Ihr sinnend Auge giebt mir die Antwort.“ Darüber sann nun zwar die Baronin nicht nach, aber sie entsann sich, wo der Rittmeister ihr in den Weg getreten war, und sie kam zum Resultat, daß es in letzter Zeit öfter geschehen als früher. Sie glaubte auch sich zu entsinnen, daß er sich nicht so grob benommen, wie früher. „Sie meinen also, er wird jetzt höflicher sein?“ „Im Gegentheil. Er wird um so kälter und schroffer sich zeigen, als er in sich glüht und weich ist. Weil er sich, in seinem falschen Stolze, dieser Affection noch schämt, setzt er einen Trumpf drauf sie in schlimmern Trotz zu verstecken.“ „Mein Gott, aber was soll ich da thun?“ „Wenn Sie klug handeln wollen, nichts.“ „Wenn er mich, aber wirklich verfolgt! — Am Ende haben Sie mich doch zum Besten!“ „Seh ich wie ein Spötter aus! Wenn Sie in seinen Leiden einen Ersatz suchen für die Kränkungen, so wird Ihre Rache bald gesättigt sein. Ein solcher innerer Kampf verzehrt. Mich dünkt, Herr von Doh¬ leneck sieht schon jetzt blasser aus. Es wird Ihnen nicht entgangen sein, daß er in seiner Kleidung nach¬ lässiger ist. Wie unstät ist sein Blick! Wenn er krank würde, das wäre noch das Beste. Oder das Feuer bricht plötzlich heraus. Einen Exceß besorge ich nicht, weder ein Attentat gegen Ihre Person — auch keinen Selbstmord. Nein, er ist von zu guter Familie. Und wenn er plötzlich mit einer Liebeserklärung vorbricht, so werden Sie ja selbst am besten wissen, wie ihm antworten. — Aber, wie gesagt, meine Gnädigste, ängstigen Sie sich ja nicht. Es kann ja Alles besser werden, als wir denken, die Zeit heilt viele Wunden, und sein Penchant geht vorüber. Mein Gott, ich kann mich ja auch irren. Nur würde ich Ihnen, wenn es mir erlaubt ist, anrathen, mehr die Unbefangene zu spielen. Heiter, heiter! als bemerkten Sie nichts, railliren Sie ihn, das bringt Verliebte am besten aus der Fassung; und dann beobachten Sie, Ihrem feinen Blick kann es nicht entgehen. Wie gesagt, ich kann mich ja geirrt haben.“ „Dieser Mensch begegnet mir überall, sagte der Major an einer andern Stelle zum Regierungsrath, wie ein eiskalter Luftzug. Undurchdringlich im Ge¬ spräch, alles wissend, jedem Gefühl verschlossen. Ich bin jetzt zu glauben geneigt, daß Laforest wirklich kein Bohrloch in dieser glatten Wand gefunden.“ „Und doch sehen Sie, welches Leben er in die schöne Bildsäule gehaucht! Man möchte erfahren, was der Magus mit ihr sprechen konnte.“ „Sollte er in der frivolen Intrigue mitspielen? Sie waren nachher in eifriger Conversation mit ihm.“ „Eifrig?“ „So war seine Miene.“ Fuchsius lächelte: „Er fragte mich, ob das Ver¬ mögen von ihr, oder von ihm käme? Von Heyms neuer Wunderkur, von der Legirung des Platina und von der neuesten Liaison der Unzelmann. Das war ein Theil unseres Gesprächs, das glatt wie ein Aal hingleitete. Nähern wir uns der Sybille. Jetzt spricht er mit ihr.“ „Auch nur en passant .“ Die Sybille schien einen Köcher von Liebes¬ pfeilen ausgeschossen zu haben; oder waren es wirk¬ lich sybillinische Sprüche, was der Physiognomie der Andern einen so besondern Ausdruck gab! Doch hatte jene plötzlich allen den Rücken gekehrt, um der Wir¬ thin ihre ganze Aufmerksamkeit zu schenken. „Elle est une merveille d'amabilité! versicherte der Geheimrath Lupinus von der Vogtei, beide Hände als Schallrohr vor dem Mund, denen, die ihm ent¬ gegen kamen. Pleine de grâce, et d'une sagesse, s'il m'est permis de m'exprimer ainsi presque éthé¬ rée. Et un savoir-faire!“ „Na warum denn?“ sagte der Doctor Marcus Herz, der ihm in den Weg getreten kam, und nicht Platz machte. „ Mon ami ! rief Lupinus. Elle a une pénétra¬ tion parfaite, elle lit dans votre coeur comme dans un livre ouvert.“ „Auch in Ihrem, Geheimrath?“ fragte der Arzt, seine Hand auf Lupinus Schulter legend. „Elle connaît tout le monde, elle enchante tout et est enchantée de tout.“ „Auch von Ihnen! Na hören Sie, dann ist sie mehr als ein Wunder — ein Meerwunder.“ „Immer der liebenswürdige Satyriker. Mais quant à la beauté , Madame Herz kein Vergleich. Elle est la beauté même et aussi pleine de sagesse.“ Die Fürstin hatte ihren schönen Arm halb um die Wirthin geschlungen, ihr für den vergnügten Abend zu danken: „Aber das Beste entziehen Sie mir so lange.“ Die Lupinus bedauerte, daß der Dichter noch immer auf sich warten lasse; gewiß sei es ein plötz¬ liches Hinderniß, was die Ankunft, der alle Herzen entgegen schlügen, nur verzögere. „Ich kann die Spannung begreifen, entgegnete die Fürstin, ob er aber die Erwartung befriedigen wird! Es kommt sehr auf die Laune an, in der er ist. Aber ich meine jetzt unsre theure Wirthin, die freilich der Gesellschaft angehört, und ein einzelner Gast wäre unbescheiden, wenn er mehr fordert, als auf seinen Theil ihm zukommt.“ Die Geheimräthin meinte, sie habe nicht den an¬ dern im Lichte stehen wollen, und besonders vor einem, nach dem alle unwiderstehlich sich gezogen fühlten. Ohne auf das Bittere zu achten, was sich dem Compliment unwillkürlich beimischte, sah mit einem innigem Blick die Fürstin sie an: „Wozu diese Ge¬ meinplätze zwischen uns! Sie sind eine Märtyrin, und Ihr ganzes Leben ist ein Opfer. Ich weiß ja alles und ich betrachte mit einer bewundernden Theil¬ nahme Ihr stilles Wirken der Resignation. Was kann Ihnen diese Gesellschaft sein? Sind Sie nicht mit sich selbst, mit Ihren Büchern immer in einer bessern? Und alle diese Embarras nur um Andern Freude zu machen!“ Die Lupinus protestirte dagegen. Sie kannte die Fürstin noch zu wenig. Sie wußte nur, daß sie vertrauten Umgang mit Elise von der Reck gepflogen, daß die Jünger der romantischen Schule bei ihr Zutritt hatten, man sagte auch, daß sie der katholi¬ sirenden Richtung dieser Schule huldige. Sie ant¬ wortete mit der Banalphrase, daß Andern Freude bereiten selbst Freude schaffe. Die Fürstin streifte darüber hinweg, wie über ein etwas, was keiner Erwiedrung bedurfte. Aber es lag keine Beleidigung in ihrem Blick. „Ihr ganzes Opferleben fühl ich in mir selbst wieder, sprach sie, sich in die Ottomane zurückleh¬ nend, auf der beide in einer Nische Platz genommen. Ich fühle es wieder, obgleich mir, was die Welt ein glücklicheres Loos nennt, beschieden war. Der Fürst, mein Gatte, verstand mich, ich verstand ihn. Ich brauchte nicht ängstlich vor der Welt den Schirm vorzuhalten, damit man seine Schwächen nicht gewahre. Er war kein eminenter Geist, kein Gelehrter, er liebte das Leben und trank seine Genüsse, wie den Schaum des Weines, er war, was die Welt nennt, ein vollkomm¬ ner Lebemann; aber ohne Arg, grade wie er war gab er sich. Da mußte die Vorsehung nach einem kurzen Glück — Wozu Elegieen an einem so frohen Tage! Es war so besser, für ihn, für mich.“ Wo sollte das hinaus! dachte die Geheimräthin. „Mein Mann ist —“ Die Fürstin unterbrach sie aber mit einem sanften Händedruck: „Ich frage mich oft, warum müssen diese Kräfte durch Anstrengungen gehemmt werden, die nie eine andre Frucht tragen können, als einen Schein? Denn Ihren sonst so trefflichen Mann werden Sie doch nicht gesund machen, ich meine so gesund, daß er sich wieder ins Leben taucht!“ „Ich versuche wenigstens, es ihm so angenehm wie möglich zu machen. Seine Ansprüche sind so bescheiden!“ „Das weiß ich. Aber ist das eine Aufgabe für eine Frau Ihres Geistes! Sein Glück ist gemacht, indem Sie ihn in seiner Assiette sich selbst überlassen. Sie könnten doch frei, sich mehr Ihren eigenen, edle¬ ren Trieben überlassen. Freilich haben Sie sich eben wieder eine neue Sorge auferlegt, die Sie ganz ab¬ sorbirt, doch wer wollte da ein Wort gegen sagen! — Aber nun bewundere ich Sie wieder, wie Sie sich auch der Familie Ihres Mannes annehmen. Dies Festin ist doch auch gegeben, um Ihren Schwager gewissermaßen in der Gesellschaft wieder zu re¬ tabliren.“ Die Geheimräthin seufzte: „Man muß doch für seine Familie leben!“ „Das ist ein schöner Zug im deutschen Gemüths¬ leben!“ „Wo der Staat seine Ehre anerkannt hat, darf die Familie sie nicht sinken lassen.“ „Hoffen Sie, daß er wieder den rechten Weg finde, der arme Irrende.“ „Das hoffe ich nicht —“ „Man muß nie eine Hoffnung aufgeben. Aber sehn Sie da — sie ist reizend! Und welche Gruppe diese beiden Frauen! Zum Malen!“ Ihre Blicke hafteten auf Adelheid, die mit der Doctor Herz im Nebenzimmer sich unterhielt. Die Fürstin schwärmte in dem Lobe ihrer Schönheit. Es war mehr als Malerei, sie lebte in der Schilderung mit, ihre nervösen Bewegungen verriethen es. „Hier kann man den Unterschied von Schönheit und Schönheit studiren. Madame Herz ist gewiß eine vollkommne, aber ihr fehlt etwas.“ „Der Kopf ist zu klein für die junonische Ge¬ stalt,“ sagte die Geheimräthin. „Ich betrachte sie nicht als Sculpteur. Die Psyche ists, die mich interessirt, wie das innerste Sein knospet und blüht in der Erscheinung! Aber Sie mögen Recht haben, liebe Frau, aus dieser edlen, großen Gestalt, schoß nicht mehr auf als ein kleiner Kopf, weil es an dem Feuer gebrach, das eine gebietende Stirn, eine Jupitersnase, schwellende Lippen, das schwimmende, überwältigende Auge schafft.“ „Die Herz ist passiv, aber sehr intensiv.“ „Qu'importe!“ „Und tugendhaft.“ „C'est ça. Par son naturel. Aber sehn Sie, trotz des orientalischen Nimbus, ich frage Sie, könnte ein Maler aus dem Gesicht eine Heilige machen? Nimmermehr, ihm fehlt die Sinnlichkeit. — Sie be¬ wegt sich — jetzt recht lebhaft — drückt ihre Lippe es aus? Verräth es das Auge? — Und nun da¬ gegen Adelheid! Eine unwillkührliche Bewegung ihres Füßchens, und die Lippe spricht es aus, das Grüb¬ chen am Kinn. Elastisch die ganze Figur, aber das Gesicht die Blüthe. Wenn ich nichts als das Ge¬ sicht sähe, wollte ich mir ihre ganze Gestalt con¬ struiren. O Sie müssen eine wahre mütterliche Freude an dieser Acquisition haben.“ „Wenn sie meinen Erwartungen entspricht. Ihre Erziehung entsprach den beschränkten Sphären ihres elterlichen Hauses. Es müssen viele Gewöhnungen, vulgäre Ansichten ausgetrieben werden —“ „Nichts austreiben, um Gottes willen nichts austreiben, theure Frau!“ „Ihr fehlt das Sublime. Ich sehe noch immer durch alle ihre Reize den Thon, aus dem sie ge¬ bildet. Aus ihren ästhetischen Urtheilen platzt zu¬ weilen eine Natürlichkeit, über die ich erschrecke. Daß die Herz sich für sie interessirt ist mir lieb; ich hoffe, II . 9 sie soll aus ihrer Conversation lernen. Manches Eckige, Erdige wird sich abschleifen, um dem Sinni¬ gen Platz zu machen.“ Die Fürstin sah sie verwundert an, aber die Mißbilligung, die in ihrem Blicke lag, ging in ein Lächeln über: „Nicht die Herz! Keine Hofmeisterin! Die Herz würde ihr schöne Maximen predigen! O keine Predigten! — Sie zur Tugendpuppe erziehen, das heißt eine Natur verderben, wie sie nicht oft aus Gottes Schöpfung hervorgeht.“ „Ich meinte auch nicht grade eine Kloster¬ erziehung.“ „Dies pulsende Blut will sein Recht. Der Schöpfer träufte es in unsre Adern, wie er die Sonne in den Aetherbogen warf, wie er der Traube würzi¬ ges Blut gab, uns zu berauschen. Wer nie berauscht war, nie im Wirbel der Leidenschaft taumelte, wer nie die Wonne dieser Erde kostete, der kann auch nicht die Wonne der himmlischen Seligkeit empfinden.“ Ihr schönes Auge glänzte so seltsam dabei, wäh¬ rend sie starr nach der Decke sah. Nach einer langen Pause stand sie auf, und strich tief aufathmend ihren Scheitel mit beiden Händen. Sie lächelte schelmisch die Geheimräthin an: „Nicht wahr, ich habe recht viel dummes Zeug gesprochen? Vergessen Sie es und entschuldigen mich. — Aber als ob ich mich vor Ihnen zu entschuldigen brauchte, vor einer Frau, die ja auch weiß, wie der Geist so oft sich von dem Körper trennt, und die Seele hinfliegt in Räume, wohin das Auge nicht dringt. — Aber kommen Sie schnell unter die An¬ dern, wir kommen ins Gerede. Wenn man auch etwas anders ist als die andern, um Gottes willen man muß es ihnen nicht verrathen!“ „Wo sehen Durchlaucht plötzlich hin?“ „Ich —“ Die Fürstin erröthete leicht und flüsterte ihr ins Ohr: „Mir war's, als sähe ich Jean Paul dort über den Gensdarmenmarkt kreuzen, um schneller hier zu sein. — Da unterhält sich ja der Herr von Fuchsius sehr lebhaft mit Ihrer Tochter. — Ei, ei, selbst der ernste Major Eisenhauch widersteht dem Magnete nicht und vergißt auf einen Augenblick seine großen Vaterlandsgedanken. Ich besorge, meine Freundin, Ihr Haus wird bald wie Troja aussehen —“ „Sehn Sie eine Zerstörung voraus?“ fragte die Lupinus. Der Clairvoyantenblick der Fürstin hatte sie etwas verstimmt. „Nur die Helena, um die ein trojanischer Krieg entbrennen wird. Sorgen Sie bald, wenn Sie dem entgehen wollen, für eine anständige Partie. Der Regierungsrath ist ein junger Mann, dem eine gute Carriere bevorsteht.“ „Herr von Fuchsius sieht nach Vermögen. Es ist nur Galanterie. Ich werde indeß ein wachsames Auge haben.“ „Wozu! Laßt doch die Schmetterlinge spielen. Die Jugend ist so kurz! Und was sagen Sie zum Legationsrath?“ 9* „Der —!“ Das Wort schien der Geheimräthin auf der Lippe zu ersterben. „Er und das Kind?“ „Sie haben nicht daran gedacht. Es ist auch so besser.“ „Durchlaucht kennen ihn? Er wird von so Vie¬ len verkannt.“ „Die Bestimmung jeder Größe! Sie fühlt sich nur zu Gleichgesinnten hingezogen. Es täuschten mich auch vorhin wohl nur einzelne Blicke. Es war Elise, die mir ihre Beobachtungen mittheilte. Ach die gute Recke dachte vielleicht an ihr eigenes Ver¬ hältniß mit Cagliostro.“ „Cagliostro!“ wiederholte die Lupinus. „Cagliostro war doch vielleicht mehr, als wofür die Welt ihn jetzt erkannt haben will, meine Freundin. Er mußte fallen, wie Viele gefallen sind, weil — passons là-dessus! — Unsre große Katharina war in diesem Punkte eifersüchtig. — Es ist mir recht ver¬ drießlich, daß Herr von Wandel der Affaire wegen mit dem jungen Manne — nicht wahr Bovillard heißt er? — in Verwickelung gekommen ist. Und wie ich höre, stellt er Adelheid nach. Das muß für Sie doppelt peinlich sein.“ „Ich hoffe, Durchlaucht, das wird nichts auf sich haben. Der wüste Mensch soll uns nicht länger stören.“ Die Fürstin sah sie fragend an: „Blutdürstig, meine sanfte Freundin! Der Lauf der Kugeln ist zweifelhaft. — Das war auch nicht Ihre Meinung.“ „Durchlaucht, dieser Mensch ist incorrigibel.“ „Desto besser. Lassen Sie ihn fortsündigen. Grade über diese Sünder, die ihr Ohr der Stimme der Vernunft verschlossen haben, zuckt schon ein an¬ derer Strahl. Da thun wir nichts bei, das kommt mit einem Male. Was wäre die Welt mit ihren gaukelnden Marionettenpuppen, die das grelle Schau¬ spiel von Eitelkeit, Verkehrtheit, Ungerechtigkeit und Sünde vor uns aufführen, wenn wir nicht wüßten, daß plötzlich eine unsichtbare Hand aus den Wolken fährt, und zerstört ist ihr Spiel. Ein Licht zückt herab und die Irrenden sehen den Abgrund, vor dem sie stehen. Warum den jungen Wüstling gleich aufgeben, opfern wollen; da giebt es ja tausend Mittel. — Nur keine öffentlichen Schritte. Es läßt sich so Vieles unter Hand abthun, eben wenn man Freunden vertraut. Freunden haben Sie ja nur zu winken. Commandiren Sie auch über mich. A propos, ich habe viel von dem jungen Lehrer gehört, ein ori¬ gineller Charakter, sagt man. Wo ist er? Stellen Sie mir ihn vor.“ „Er ist nicht hier. — Für unsre Gesellschaft —“ „Würde er keine Augen haben, nur für seine schöne Schülerin. — Sie sehen mich an. Wie? Soll er sein Blut in Eis verwandeln, oder spielt die Ge¬ schichte von Abälard und Heloise nur in der grauen Vorzeit! Ach eine reizende Geschichte, aber wenn Sie dieselbe nicht wiederholt sehen wollen, müssen Sie auch da Acht haben, mehr als nach Außen das Auge wach! Ja, theure Frau, die Obliegenheiten einer Mutter sind groß. Sie haben eine halb Gefallene aufgerichtet, aber wer sich vor dem Fallen noch fürch¬ ten kann, ist stets dem Fallen nah — O weh! da fällt Ihr Diener — ein Glück, daß der andere ihm das Präsentirbrett hielt. Der arme Mensch ist krank —“ „Aber Johann, wie konnte er auch!“ fuhr die Geheimräthin auf. Der Diener hatte sich wieder erhoben, und, es schien, erholt. Er versicherte es wenigstens, und wollte sich nicht hinausschicken lassen; es sei eben nur ein Schwindel gewesen. Die Geheimräthin versicherte der Fürstin, sie habe so viel Lohnbedienten angenom¬ men, daß Johann gar nicht nöthig gehabt, selbst zu serviren; er habe es nur aus Eigensinn gethan.“ „Oder Furcht, daß seine Herrschaft ihn für ent¬ behrlich hält, sagte die Fürstin. — Wie liebreich Adel¬ heid ihm zuspricht! Sie hat ihn überredet, sie schickt ihn hinaus. Bravo! Hören Sie! Herren und Da¬ men sind entzückt, sie muß etwas Seelenvolles gesagt haben.“ Die Geheimräthin fand sich allein. Auch die Fürstin war zu denen geeilt, die Adelheid mit ihrem Beifall überhäuften. Die Geheimräthin fand sich sehr allein. Nur Diener, auf den Tag gemiethet, in Livreen, frisirt oder noch in Perrücken, bewegten sich in den Zimmern, mit den Vorbereitungen für die Abendtische beschäftigt. Sie kannte mehre von ihnen nicht. Der eine schien im Vorübergehen einen selt¬ samen Blick auf sie zu werfen, zwei dunkle Augen, aber er wandte sie rasch auf die Teller, die er trug. Ward sie beobachtet, hatte man auch in ihre Gesell¬ schaft Lauscher geschickt, von Seiten der clairvoyanten Gesandten oder Gesandtinnen? — Sie wollte in den Saal. Aber der Fürstin nacheilen, welche ihr eben so brüst den Rücken gedreht! Sie umfaßte Adelheid. So hatte die Gargazin auch sie vorhin umfaßt. Sie zog sie auf ein Kanape, sie spielte mit ihrer Hand; sie sagte, sie flüsterte ihr tausend schöne Dinge ins Ohr. Adelheids Gesicht glühte. O sie war weit liebenswürdiger, lebhafter, zuvorkommender gegen die Tochter als gegen die Mutter. Alle gruppirten sich, näher oder ferner, um diesen Mittelpunkt. Nach der Wirthin sah Niemand, es kam Niemand in den Sinn, daß sie abgeschlossen war. Der Legationsrath stand in einer Fensternische, weit jenseits, die Arme unter¬ schlungen, und beobachtete die Gruppen, sein Gesicht unbeweglich wie immer; aber als der Strahl seines Auges sie traf, glaubte sie in dem Auge eine an sie gerichtete Bemerkung zu lesen. War es ein Vorwurf, Bedauern, Mitleid? „Warum sich der Gesellschaft entziehen, ma belle- soeur ?“ rief der Geheimrath Schwager, der zufällig aus einem hinteren Zimmer kommend, der Wirthin entgegentrat, als sie die beste Partie ergriff, weil kein Mensch sich um sie, sich auch nicht um die Menschen zu kümmern, sondern um die Teller und Tische. „Weil ich überflüssig bin,“ war die kurze Ant¬ wort, mit der sie an ihm vorüberstreifte. Wenn er an Ton und Art noch nicht gemerkt, daß sie auch ihn für überflüssig hielt, ward er auf der Schwelle zum Saal daran gemahnt, als die Fürstin, am Arm des Legationsrathes, über diese Schwelle rauschte. Wenn es nicht grade mit dem Ellenbogen geschah, fühlte er sich doch durch Blick und Bewegung mit seiner ganzen Persönlichkeit bei Seite geschoben. Die Fürstin verließ die Gesellschaft. Den Lega¬ tionsrath hatte sie gewürdigt, sie als Cavalier an den Wagen zu begleiten; aber nicht einmal eines Blickes würdigte sie den Mann, der vorhin ihre Lie¬ benswürdigkeit ausposaunt. War er ein Anderer geworden? Sie gewiß! Einen Kopf größer schien sie ihm. Fort waren die Rollen der Liebenswürdigen, der nervös Irritirten, der Bescheidenen und der Schwärmerin geworfen, als Fürstin hielt sie ihren Ausgang. „Ach, unsere emsige Wirthin. Immer wie eine Biene für den Honig sorgend.“ „Durchlaucht wollen uns doch nicht verlassen?“ „Leider, eine heftige Migraine! O, bitte, nehmen Sie nicht auf mich Rücksicht. Ich verschwinde wie ein Schatten, um Licht und Heiterkeit zurückzulassen.“ Die Geheimräthin öffnete den Mund, um da¬ gegen zu demonstriren, aber unwillkürlich kehrte ihr die Erinnerung an jene Gesellschaft vom vorigen Sommer zurück, — da war sie es ja, welche die Rolle der Fürstin gespielt. Sie verstummte. Mi¬ grainen sind oft angenehm für die, welche sie vor¬ schützen, nicht immer für die, welchen sie vorgeschützt werden. „ A propos ! rief die Fürstin. Herr von Wandel, nur einen Augenblick, zwei Worte mit unserer Freundin.“ Sie zog diese bei Seite: „Wissen Sie schon, Jean Paul — “ „Kommt nicht? Vielleicht hat er von einer Clair¬ voyanten gehört, daß er Fürstin Gargazin nicht mehr trifft.“ „Nein, er kommt, aber in welcher Laune! Es ist mir wirklich recht leid. Nur Ihretwillen.“ „Ist ihm etwas passirt?“ „Er ward bei der Berg so lange aufgehalten. In der besten Absicht, denn wer konnte anders denken, bei der besondern Vorliebe, mit der die Königin sich der Sache angenommen. Da um neun erst bringt der Fourier die Hiobspost.“ „Eine Hiobspost!“ „Der König will die Präbende nicht geben.“ „Und Ihre Majestät die Königin hatte doch —“ „Nichts gespart, was Klugheit und Liebenswür¬ digkeit vermögen. Bis acht Uhr gaben sie im Palais die Hoffnung nicht auf. Man paßte nur auf den günstigen Augenblick und er schien gekommen. Ma¬ jestät brachen eben ein Stückchen von dem Kuchen, den Sie besonders lieben, und versicherten, so vor¬ trefflich sei er noch nie gebacken. Das benutzte Ihre Majestät, und der König lächelte ihr auch mit der liebenswürdigsten Laune zu, aber eben so liebens¬ würdig schüttelten Sie den Kopf und sagten: Herr Jean Paul mag ein sehr guter Romanschreiber sein, aber darum ist er noch kein guter Domherr.“ „Hat Ihre Majestät nicht Lafontaines Beispiel eingewandt? Der hat doch auf ihre Vorstellung die Präbende erhalten.“ „Ihre Majestät sind zu klug, um nach solcher Erklärung noch ein Mal anzufangen. Und es giebt wichtigeres zu bitten.“ „Der arme Jean Paul also gänzlich aufge¬ geben?“ „Für Berlin verloren. Ich wollte Sie nur aver¬ tiren. Noch weiß Niemand hier davon. Sie thun also gut, liebe Frau, die Sache auch zu ignoriren. Die Verehrung für den Dichter hängt mit der Auf¬ merksamkeit zusammen, die ihm der Hof erzeigt. Er¬ fahren Sie, daß der ihn aufgiebt, ist der Lustre fort.“ „Nein, es gilt nichts mehr,“ sagte die Geheim¬ räthin bitter. „Es thut mir nur um Sie leid, aufrichtig, meine liebe Geheimräthin. So viel Embarras! Sie würden die Gesellschaft auch nicht gegeben haben, wenn Sie das voraus gewußt. Adieu et au revoir !“ „Jean Paul kommt!“ ging ein Gemurmel durch die Zimmer. Die Geheimräthin meinte, der Legationsrath hätte doch in zu ehrerbietiger Entfernung auf die Fürstin gewartet, als er sie hinausführte. „Fürstin Gargazin liebt Herrn Jean Paul nicht?“ bemerkte Herr von Wandel, als er auf einen raschen Armdruck sie seitwärts in ein Zimmer geführt, damit sie dem Dichter, der die Treppe heraufkam, nicht begegne. „Ich liebe nicht den Cultus für sogenannte große Menschen, antwortete die Fürstin beim Hinuntergehen. Die Lupinus wird sich mit diesem Zauberfest wieder lächerlich machen.“ „Ein Erbstück der Familie.“ „Sagen Sie dieser Menschen, dieser Stadt, dieser Zeit. Weil jeder aus seiner Sphäre treten möchte —“ „Ohne den Character zu haben, die neue sich unterthänig zu machen.“ „Wenn jeder die Sphäre des Andern durchschauen könnte! erwiederte die Fürstin langsam, den Blick auf den Begleiter gerichtet. Uebrigens thut mir die arme Frau leid. Prinz Louis wird nie zu ihr kom¬ men. Sie läßt alle ihre Minen umsonst springen.“ Die Fürstin drückte beim Einsteigen dem Legations¬ rath die Hand: „Ich werde nichts vergessen.“ Achtes Kapitel. Eine schlimme Nacht. „Wie er sich hätscheln läßt!“ „Daß eine solche Weibervergötterung einem Manne nicht widerwärtig wird,“ sagte der Major. — „Und daß man uns dazu eingeladen hat!“ der General. „Sehn Sie mal, rief Baron Eitelbach, und öffnete eine Kapsel, in der einige Haare sich befan¬ den. Das soll ich in Gold fassen lassen. Meine Frau hat sie ihm selbst abgeschnitten.“ „Frau Baronin wollen sie als Medaillon tragen?“ „Versteht sich. Ich habe sie gefragt, ob ich ihr auch die Scheere soll vergolden lassen? Da hat sie gleich einen Scheerenorden drunter.“ „Thun Sie das ja nicht, Baron, sagte der General, man fände Anspielungen. Sie scheeren unser Armeetuch genug.“ „Und er ist doch ein Mann, äußerte der Major. Welche Gedankenfülle, welche Jugendkraft, welches Morgenroth für unser Vaterland!“ „Sahn Sie, mit welcher Unbefangenheit die Alltag ihn empfing! sagte der Regierungsrath. Wie an¬ ders, ungenirt unterhält sie sich mit ihm.“ Ein Geflüster war durch die Gesellschaft gegan¬ gen. Die schöne Baronin arbeitete sich zu der Gruppe, in der wir uns befinden: „Wissen Sie schon? 'S ist nichts mit ihm. Er bleibt nicht hier. Der König will ihn nicht. 'S ist doch schrecklich!“ Man steckte die Köpfe zusammen, und das Ge¬ heimniß, welches die Fürstin der Wirthin anvertraut, war längst ein Gemeingut, als die Gesellschaft zu Tische ging. Vorher aber sah man ein Schauspiel, es war ein Impromptu. Adelheid hatte von der Tafel einen Blumenkranz ergriffen, und ihn plötzlich auf die Stirn des Dichters gedrückt: „Nun sind Sie ein freier Mann!“ Es war alles anders geworden, als die Ge¬ heimräthin gewollt. Die Bekränzung sollte stattfinden, aber in andrer Art, später, an der Tafel selbst. Sie hatte Figuranten geworben, die bei jedem Gespräch mit Phrasen aus des Dichters Schriften ihm ant¬ worten sollten; das mußte jetzt rückgängig gemacht werden, es paßte nicht mehr. Die Empfindsameren umringten ihn, statt mit Siegeshymnen, mit Condo¬ lenzversicherungen. Es sah nicht wie bei einem Freu¬ denfeste aus. Während die Mehrzahl nicht laut genug ihr Bedauern an den Tag legen zu können glaubte, schlichen andere fort. Die Geheimräthin begegnete dem General, der seinen Hut zum Gehen ergriffen. „Auch Sie uns verlassen?“ „Man weiß nicht, was im Palais vorgegangen ist, sagte der Officier mit seiner soldatischen Offenheit, nicht in wie weit Seine Majestät sich über die Person des Herrn aus Baireuth ausgesprochen haben.“ „Aber ein Character wie mein Herr General —“ „Hat auch Rücksichten zu nehmen. Der König, meine liebe Frau Geheimräthin, erfährt jeden Mor¬ gen genau, wer bei Rüchel war und wer bei Blücher war. Und Sie wissen gar nicht, wie diese Rapportements gemacht werden. Hat er sich nun wirklich ungnädig über den Poeten ausgedrückt, so wird auch von Ihrem Festin ihm berichtet und Sie wissen nicht wie. Ihnen kann das nun nichts schaden, wenn Einer sagt: Es ist doch auffällig, daß die Lupinus dem Fremden ein Fest giebt, als wenn er ein Potentat wäre, und grade in dem Augenblick, wo Eure Majestät sich so nach¬ drücklich über die Stellung ausgesprochen haben, die er nur beanspruchen kann. Beyme setzt vielleicht hinzu: Und jetzt, wo Eure Majestät eben einen solchen Gna¬ denakt gegen ihren Schwager ausgeübt. Wer weiß denn, wer zwischen den Lippen murmelt: Undank ist der Welt Lohn! Und wenn Lombard dabei ist, wird er sich die Gelegenheit entgehen lassen mir einen kleinen Freundschaftsstoß zu versetzen? Ich höre ihn schon hinwerfen: Es ist doch noch sonderbarer, daß grade unser General dabei sein mußte. Er ist doch sonst kein Admirateur von Poeten. — Sollte das andere Gründe haben? fügt vielleicht noch ein guter Freund hinzu, denn Sie glauben nicht, wie viel gute Freunde jedermann am Hofe hat, der eine gute Stellung hat, die andern zu gut für ihn dünkt.“ „General, aber bei Ihrem Renommee!“ „Je höher der Kornhaufen, so mehr Mäuse na¬ gen unten. Mein Commando wird mir Seine Ma¬ jestät darum nicht nehmen, aber wird mir vielleicht das nächste Mal sagen: „„Sind auch ein so großer Verehrer von dem Herrn Romanschreiber? Meinte die Lorbeerkränze schickten sich nur für Generale.““ Und das wäre noch das Beste, dann ist es ausge¬ schüttet. Ohnedem bleibt etwas, denn der König hat ein vortrefflich Gedächtniß. Und wissen wir, von wem und wann daran weiter gebohrt wird! Ein wunder Fleck hat anziehende Kraft. Und weiß ich, was noch hier geschieht bei Tisch von den Admira¬ teurs, welche Gesundheiten sie ausbringen! Kann nicht Einer beim Wein eine Beleidigung gegen Seine Majestät aussprechen! Hör ich's ruhig mit an, so heißt's im Palais, ich habe eingestimmt, und red ich drein — nein, meine gnädige Frau, ich will Ihr schönes Festin nicht stören.“ Sie selbst aber wollte es stören. Die Salat¬ scene sollte nun unterbleiben. Sie war, als der General ihr begegnete, eben auf dem Wege zum kranken Johann gewesen, um ihm Contreordres zu geben. Sie hatte aber auch vorhin den Befehl zum Serviren gegeben und in dem Augenblick brach die Gesellschaft, um zu Tisch zu gehen, auf. Es ent¬ wickelte sich heut Alles gegen ihren Willen. Jean Paul hatte ihr seinen Arm reichen sollen. Ihrer Zweifel, ob es nicht jetzt passender sei, diese Ehren¬ pflicht dem vornehmsten Gast zu übertragen, ward sie überhoben, als der Dichter schon ihre Tochter ent¬ führte. Sie mußte, um nicht allein zu gehen, ihren Arm nothgedrungen dem reichen, welcher allein ledig an der Thür stand, es war der Schwager, und sie mußte zufrieden sein, daß es ihr wenigstens gelang eine Tafelordnung so ziemlich herzustellen. Wenigstens saß Jean Paul neben ihr. Wenn er von dem Fehlschlag seiner Hoffnungen verstimmt gewesen, hatte er unter so viel Theilnahme und beim Klang der Gläser es überwunden. Der gute Wein wirkt nach einer Aufregung doppelt. Er sprach oder sang in Worten die wie Streckverse klangen. Die Lüfte in den märkischen Pinien hätten ihm zugerauscht das alte Lied: Wo es dir wohl geht, ist dein Va¬ terland! aber da sei aus dem blauen Aether eine Taube niedergerauscht mit einem Lorbeerzweig und habe ihm zugeflüstert: Der Dichter muß frei sein! Und ein frischer Morgenwind habe seine Stirn, seine heiße Brust gekühlt, er sei erwacht und wieder arm, aber frei, frei wie der Vogel in der Luft, und dies Glas bringe er aus auf die Taube mit dem leuch¬ tenden Fittich. Nur ein Theil der Gesellschaft verstand es. Der Geheimrath von der Vogtei, der auch sein Glas ge¬ füllt hatte und sich für verpflichtet hielt, als nächster Anverwandter der Wirthin, die Gesundheit des Gastes zu übernehmen, unterbrach den Dichter: die erste Ge¬ sundheit gebühre ihm selbst. In einer Rede, die, wenn auch sonst nichts, doch verrieth, daß er von dessen Schriften nichts gelesen, gratulirte er dem Poeten, der nun mit Piron sich die Grabschrift setzen könne: Ci-gît Piron, qui ne fut rien, Pas même académicien. Aber wie Piron ein aimabler Poet geblieben, obgleich er sonst nichts gewesen, so werde auch ohne Präbende für sie Alle hier: Unser herrlicher Jean Paul Friedrich Richter Bleiben ein ihnen unvergeßlicher Dichter! Im Gläserklang erhob sich der Gast: „Unser Auge blickt nach den blauen Bergen, und unser Herz schwillt vor Sehnsucht, weil der Himmel sie küßt. Aber oben weht es uns zu rein an, wir athmen zu bang in der Nähe des Unaussprechlichen, und die Thäler ver¬ schwimmen vor unsern Augen. So sehnt des Dich¬ ters Brust sich nach dem Schönsten und Höchsten, wie Semele nach Zeus wahrhaftiger Gestalt. Aber in der Feuergluth zerspringt sein Herz, er kann nur leben im Thal, athmen im Duft der Kräuter, und die Berge über ihm, die Fußschemel des Unnenn¬ baren, sind die Säulen der Ewigkeit, an denen sein Geist sich aufrankt. „Wer ein Mal dort oben vom Lichte getrunken, habe genug für's Leben. Nun möge man ihn beglückt zurückkehren lassen in die stillen II . 10 Thäler seines Fichtelgebirges. Wenn seine Waldbäche über die bemoosten Steinblöcke rieselten, die Fichten säuselten, die Veilchen aus dem feuchten Grün duf¬ teten, und wenn dann wieder an des Dichters Seele edle schöne Frauen vorüber schwebten, Lianen und Natalien, im Diadem des Morgenrothes, wenn ihre Füße im Thau sich badeten, ihre seelenvollen Augen das Blau des Aethers saugten, um Huld und Wohl¬ wollen für tausend blutende Herzen wiederzustrahlen, — dann kämen sie von den Bergen, die er einmal bestiegen, wo auch er Seligkeit getrunken. In seiner Eremitage nun kein Einsiedler mehr, umschwebten ihn Berlins edle Frauen, beim Frühroth böten sie aus der Krystallschaale ihm den Morgentrank und wenn die Königin des Tages hinter die Berge sinke, sollte den Dichter einlullen die Harmonie ihrer Silberstim¬ men. Dies Glas leere er auf Berlins schönere Hälfte. Unter dem Gläserklang der Herren, unter den Verzückungen der Damen war Adelheid aufgestanden. Den Wink der Geheimräthin hatte sie nicht bemerkt. Ihre Augen gegen den Plafond gerichtet, tönte ihre metallreiche Stimme durch den Saal: „Aber die Sterne oben sind nicht stumm, sie tönen, im Festsaal des Ewigen kreisend, die Sphärensprache der Har¬ monie, und der Geweihte versteht sie. Der blasse Geweihte, der am Schmerzenslager überwindet, der Geweihte, dessen Stirn die Freude des Sieges röthet, und er der Geweihte, der der Aeolsharfe ihre Klage¬ töne abgelauscht, den Vögeln ihren Gesang, er der die summenden Stimmen der Völker versteht, Phöbus geweihter Priester hört den Gesang der Sterne —“ „Mamsell der Salat!“ flüsterte Johanns zitternde Stimme, aber er getraute sich nicht mehr den Napf zu tragen. Die Geheimräthin war beim Anfang der Tafel wieder umgestimmt geworden, denn die Stim¬ mung der Gesellschaft war entschieden für den Dichter, und die Lupinus theilte nicht die Besorgniß des Ge¬ nerals. Im Gegentheil schien ihr eine derartige Ma¬ nifestation jetzt als ein Ehrenpunkt. Aber Jean Paul hatte ihr bei Tafel gar keine Aufmerksamkeit erwiesen. Er schwärmte in eignen Gefühlen, seine Compli¬ mente waren nur an ihre Tochter gerichtet. Sie wollte es ihn empfinden lassen, und ihre Lippen hatten sich zu einigen spitzen Worten gespitzt, die mit dem Stichwort schließen sollten, auf welches Adelheid ein¬ zufallen hätte, als diese unerwartet, gegen die Ver¬ abredung von einem Impuls sich hinreißen ließ. Un¬ glücklich fügte sich auch hier alles, der kranke Johann stotterte zur Linken die Worte, während einer der so¬ genannten „Ausgestopften,“ das heißt der gemietheten Lakaien, ihr zur Rechten den Salatnapf überreichte. Es war derselbe Lakai, dessen funkelnde Augen sie vorhin erschreckt. Adelheid ergriff in ihrer Extase den Napf und statt ihn niederzustellen, hob sie ihn wie eine Opfervase empor — „Und er der geweihte Priester hebt die Schaale den Göttern entgegen“ — fuhr sie in der Rolle fort, entnommen aus irgend einer Dithyrambe der Jean Paul'schen Poesie, die 10 * wir wieder vergessen haben, vielleicht auch aus denen, die von der Geheimräthin zu diesem Zweck compo¬ nirt waren, als der „Ausgestopfte“ ihr etwas zu¬ flüsterte. Die Worte hörte man nicht, aber die Ge¬ sellschaft konnte nicht anders denken, als daß der Sinn von dem, was der Lohnlakai sprach, nichts anderes sei, als was der kranke Bediente ziemlich vernehmlich zur selben Zeit sprach: „Auf den Tisch, Mamsell, 's ist ja der Salatnapf!“ Adelheids Stimme stockte plötzlich. Als sie nach der Seite blickte, stieß sie einen Schrei aus. Dar¬ über entfiel ihr der Napf. Viele Arme wollten helfen. Ein Armleuchter war umgestoßen. Die Kerzen fielen auf das Tischtuch; eine streifte an den Fruchtkorb, der mit künstlichen Papierblättern ausstaffirt war. Das Papier brannte, das Tischtuch brannte. Man schlug zu, man schlug ungeschickt zu. Man riß am Tisch¬ tuch und noch ein Leuchter fiel. Es flammte und floß, man schrie: Hülfe! Feuer! Die Stühle schlugen um, die Damen in den leichten, feuerfangenden Kleidern schrieen am lautesten und stürzten fort, Herren und Bedienten rissen am Tischtuch. Es brannte schon lichterloh, die Kerzen vom Kronleuchter träuften, als einige entschlossene Arme die Tischtuchenden über die gesammte Verwüstung zusammenschlugen. Der Brand ward so erstickt, aber auch das Porzellan, Glaswerk, Torten und alles was zerbrechlich war, in dem Chaos zusammengeschüttet und vernichtet. So konnte man vermuthen, daß es hergegangen, denn der Brand war gelöscht, ehe die Nachtwächter Berlin in Allarm versetzten. Im Uebrigen wußte Nie¬ mand später über den Hergang klare Auskunft zu geben. Es lag auch in mancher Interesse, es im Dunkeln zu belassen. Die Entschlossensten hatten schnell ihre Damen fortgerissen, um den Abschied unbeküm¬ mert, nur Garderobe und Straße galt es erreichen. Wenn sie dem Feuerschaden auswichen, entgingen einige Damen dem des andern Elements nicht. Die Wassereimer, mit welchen die Diener ihnen entgegen¬ stürzten, verdarben manche Toilette. Das Gedränge kam einer Verstopfung nahe. Man sprach von Ohn¬ machten. Die ohnmächtig gesagten, leugneten es. Am Boden gelegen wollte Niemand haben, nur viel¬ leicht auf einem Stuhl. Viele ließen es sich nicht nehmen, daß die Wirthin wirklich im Gedränge ohn¬ mächtig geworden. Nach ihren eigenen Aeußerungen später konnte man es glauben, sie sprach von einem Schleier, der über sie gekommen, eine wohlthätige Macht hätte die Schreckensscene vor ihr verhüllt. Es wäre allerdings eine doppelte Schreckensscene für sie gewesen, wenn sie alle Urtheile wirklich hören müssen, welche in der Aufregung über sie und ihr Fest laut wurden. Die erste Gerettete war die Baronin Eitelbach. Als ihr Gemahl sie in den Wagen heben wollte, rief sie aus: „Herr Gott, die Mamsell Alltag brennt ja.“ Sie wollte zurück. Der Gemahl aber stieß sie in den Wagen: „Entweder ist sie jetzt verbrannt oder sie ist gelöscht; wir ändern's nicht.“ Der Lärm hatte auch den Geheimrath aus seiner Studirstube gelockt. Als er im Schlafrock und Pan¬ toffeln in die Vorzimmer drang, war die Gesellschaft schon entflohen. Nur ein branstiger Qualm drang durch die Thüren, Wasserrinnen ergossen sich über die Dielen, und Wirrwar, Gedränge und Getreibe überall. Aus der Thür des Speisesaals trug ein Lakai Adelheid und legte die Ohnmächtige auf ein Sopha. Brust und Schultern waren in ein nasses Tuch eingeschlagen. Ihr Musselinkleid war von der Flamme ergriffen worden. Sie hätte mit einem Druck der Hand die Flamme löschen können, aber sie hatte wie eine Bildsäule dagestanden, regungslos. Der Bediente Johann hatte eine Serviette ergriffen, aber seine Hände zitterten, die Serviette gerieth selbst in Brand. Da hatte einer der fremden Lakaien ihn fortgestoßen, und mit Tüchern, die er schon in einen Wassereimer getaucht, das Feuer erdrückt. Aber jetzt war sie ohnmächtig geworden, und der Lakai, ein kräftiger, junger Mann, hatte sie in das Entree¬ zimmer getragen, als der Geheimrath dazu kam. Das war das Resultat einer kurzen Untersuchung, welche der Gelehrte angestellt, und bei dem er sich, als er später in seine Arbeitsstube zurückkehrte, voll¬ kommen beruhigte. „Jetzt muß man ihr die nassen Tücher abnehmen, sie erkältet sich sonst,“ hatte er ge¬ sagt, der Lakai aber gerufen: „Man muß einen Arzt holen!“ und war nach der Thür gestürzt. „Das wird nicht nöthig sein, hatte der Legationsrath Wan¬ del gesagt, der aus der dampfenden Stube trat. Es ist nur eine Affection der Nerven.“ Er hatte mit dem Geheimrath die nassen Tücher abgezogen und gefunden, daß keine Brandverletzung statt gefunden, selbst der Brandfleck am leichten Oberkleide war ge¬ ringfügig, die Flamme hatte nicht einmal das festere Unterkleid ergriffen. Der Legationsrath steckte das Essenzenbüchschen, welches er geöffnet, wieder in die Tasche, murmelnd: „Hydor ariston!“ Das hatte eine freundliche Falte auf die Stirn des Geheimraths ge¬ lockt. Er redete den Legationsrath lateinisch an, und dieser antwortete lateinisch. Herr von Wandel hatte eine schöne, reine Aussprache, nicht ganz ciceronianisch, aber er applicirte sehr geschickt einige Feinheiten der Latinität: „Es ist nichts als eine psychische Aufregung, vielleicht Exaltation für den Dichter, vielleicht etwas anderes — aber es geht schnell vorüber, sie wird sich von selbst erholen!“ Und so geschah es, auf einige Tropfen, die er aus einem Wasserglase auf ihr Gesicht sprühte, schlug Adelheid die Augen auf. Sie erkannte die Gegenstände, athmete und machte eine Bewegung mit der Hand, daß die Herren sich ent¬ fernen möchten: „Das übrige wird weibliche Pflege und ein Camillenthee thun,“ beruhigte der Gast den Wirth. Der Geheimrath hatte dem Legationsrath die Hand gereicht, und den Wunsch seiner näheren Be¬ kanntschaft ausgedrückt. Er that dies selten. Im Speisesaal grinste ihn die Verwüstung an. Es dampfte, fluthete, er mußte über umgeworfene Stühle, Tische, Scherben steigen. Wenn das in seiner Studirstube passirt wäre! Der blasse Geisterschreck, den dieser Gedanke auf sein Gesicht zauberte, trieb ihn zu einer ungewohnten Thätigkeit. Er rief den Dienern, den Mägden, er legte selbst Hand mit an. Da flog ein erstes Lächeln über die weißen Lip¬ pen der Geheimräthin, und es zückte etwas von Leben in ihrem starren Blicke. Sie hatte bis da regungs¬ los auf dem Canap é halb gesessen, halb gelegen, vielleicht im Gedränge von den Fortstürzenden dahin gestoßen. Das Eau de Cologne, was Lisette ihr in's Gesicht gesprengt, war ohne Wirkung geblieben. Jetzt, beim Anblick der Thätigkeit ihres Mannes kehrte das Leben zurück. Die Zunge löste sich, sie konnte sprechen, es platzte heraus wie ein Lachen: „Mit den Pan¬ toffeln! Sie erkälten sich ja im Wasser die Füße.“ Der Geheimrath fühlte jetzt, was ihm ein Un¬ behagen verursacht, für das er sich keinen Grund anzugeben gewußt. Er ging im Wasser, seine Füße waren ganz naß. „Aber es muß doch Ordnung geschafft werden, meine Liebe.“ Er sah sich um. „Dafür wird Lisette sorgen, die versteht es besser. Gehn Sie in Ihre Stube und ziehen sich andere Strümpfe an, morgen ist alles wieder wie sonst.“ „Aber — ich hoffe die Incommodität wird Ihnen nicht schlecht bekommen?“ „Ganz und gar nicht, sagte die Geheimräthin, die aufgestanden war. Eine kleine Störung in den Gewohnheiten des Lebens. Weiter nichts. Morgen ist's vergessen. Ich hoffe, daß in Ihrer Stube nichts derangirt ist.“ Das hoffte der Geheimrath auch; er hatte hier nichts mehr zu thun. Die Geheimräthin ließ sich von Johann führen. Mit jedem Schritte, den sie that, ging sie fester. Der Bediente hielt sich an dem Thürpfosten, als er sie in ihr Schlafzimmer gebracht. Sie maaß ihn mit einem durchdringenden Blicke: „Was soll das werden mit ihm, Johann?“ Er verstand es: „Um Gottes Erbarmen, gnä¬ dige Frau Geheimräthin, stürzen Sie mich nicht in mein Elend.“ Ihm war es, als bohrte ihr Blick in sein Herz aber sie sprach kein Wort: „Morgen früh soll Hof¬ rath Heim kommen.“ Er ging. Sie rief ihn zurück: „Nein, nicht Heim! Der ist zu nichts zu brauchen — murmelte sie. Selle, rufe er den Geheimrath Selle, ich lasse ihm meine dringende Empfehlung machen — Sie stockte und hub wieder an: Nicht zu Selle, zum alten Geheimrath Mucius, ich ließe ihn dringend bitten.“ Johann war gegangen. Sie schellte wieder: „Es soll mich Niemand stören. Was auch vorfalle. Ich werde mich selbst ausziehen. Lisette soll mit den andern die Sachen fortschaffen, aber sie soll sich nicht unterstehen Lärm zu machen. Ich will nichts mehr wissen, versteht Er mich.“ „Johann ging. Sie rief ihn doch wieder zurück: „Morgen früh wird Niemand vorgelassen. Niemand.“ „Herr Jean Paul Richter fragten wann er seine Aufwartung machen könne, um Abschied zu nehmen?“ „Ich bin nie, wenn er sich meldet, zuhause.“ Sie stand noch eine Weile, nachdem der Be¬ diente fort war, die Blicke auf die Diele geheftet. Ihr mußte sehr heiß sein, sie schöpfte tief Athem, riß Tuch und Kleidungsstücke auf und warf sich auf das Sopha, den Kopf im Arm gestützt. Sie wollte nichts von dem Geräusch hören, und hörte doch alles, das Aufheben jedes Stuhls, das Klappern der Teller, so leise Mägde und Diener ihr Geschäft verrichteten. Sie gab sich Mühe die Tritte jedes einzelnen zu erkennen, und indem sie sich darüber ärgerte, horchte sie nur immer schärfer. Sie haderte innerlich, diese Magd sollte einen Verweis erhalten, jene entlassen werden. Was glühte in ihren Adern, was war die trockene Hitze, die ihr alle Spannkraft raubte, was die Un¬ ruhe, die jede Anwandlung von Schlaf verscheuchte? Ein verlorener Tag? Es war nur ein Tag unter vielen. Eine verlorene Schlacht in einem Kriege, in einem langen, trostlosen mit dem Leben. — Und von wem war sie geschlagen? — Von allen. Heut, wo sie so sicher auf einen Sieg gerechnet. Sie kannte die Gesellschaft, die bösen Zungen, die Macht des Lächerlichen. Ihre Niederlage war eine auf lange Jahre hinaus. Sie hörte schon die Fragen mit spöttischem Lächeln: „Waren Sie auch bei dem Zau¬ berfest der Geheimräthin?“ Die eben so lächenden Antworten: „Sie hat es sich etwas kosten lassen. Recht schade, wozu das?“ — „Sie hat einmal kein Geschick dazu,“ — „Die Apotheose Jean Pauls war doch au comble du ridicule .“ — „Und dazu das Unglück noch! Die arme Frau. Warum wird sie aber nicht klug!“ Oder die bittersten: „Es ist ihr schon recht, daß sie mal die Lection bekom¬ men hat!“ Sie war unerschöpflich in der Selbstmarterung, sie vertheilte diese Sarkasmen und Bonmots, zu deren Zielscheibe sie sich selbst machte, unter ihre Bekannten, ihre besten Freunde. Und hatte sie es denn von ihnen anders erwartet? Sie lachte auf. Ach das Lachen half nichts. Sie empfand einen ungeheuren Durst, aber nicht Wasser, nicht Wein konnte den stillen. Aber an wem diesen Durst kühlen? — Laforest, warum mußte er das erste Zeichen zum Aufbruch geben, er, der nur gekommen schien, um Audienz zu geben, Huldigungen zu empfangen. Der General, der feige davon lief? Mochte er laufen. Jean Paul, der, erstickt von Eitelkeit, nur im Lobe sich berauscht, nur mit den jungen Mädchen getändelt, ohne ihr, die sie mit so raffinirter Sinnigkeit das ganze Fest für ihn bereitet, nur ein Wort des Dankes zu sagen, nur die gewöhnlichste Aufmerksamkeit zu erweisen. Alle, alle hatten sich nur um sich bekümmert, um andre Gestirne, sie war eine Einsiedlerin gewesen in ihrer Gesellschaft. Die Dienerschaft draußen mußte mit ihrer Ver¬ richtung zu Ende sein. In der Stille hörte man nur noch vereinzeltes Thürenklappen und hin- und her¬ laufen. Sie lauschte aufmerksamer. Den Tritt kannte sie. Der Legationsrath war noch im Hause geblieben? Er kam grade auf ihre Thür zu. Endlich ein Mensch, ein Geist, der sich ihrer annehmen, mit dem sie ihre Gedanken austauschen könnte. Sie war aufgesprungen. Sie wollte die Thür aufreißen. — Nein, es war an ihm. Gleichviel, wollte er sich melden lassen, klopfen, eintreten. Er blieb stehen. Sie glaubte ihn gähnen zu hören. Er zog sich den Ueberrock an. Er sprach leise mit Lisetten. Es war von Tropfen und andern Hausmitteln die Rede, für eine Magd, die der Schreck niedergeworfen, von einem Thee, den sie dem Ge¬ heimrath kochen sollte. Auch dem Johann sollte sie davon eine Tasse geben — von ihr kein Wort! — Er fragte nicht nach ihr. War sie kein menschlich Wesen? Hatte der Schreck auf sie keine Einwirkung? Hatte er sie vergessen? Er war fort, sie lag wieder auf dem Sopha. Ihre Stirn war so heiß, so heiß — ein kühlender Tropfen nur! Aber vor dieser Stirn tanzten Bilder in erschreckender Klarheit. Sie wußte jetzt, wer ihre Feindin war. Wen hatte Wandel hinausgeführt, wem seinen Cavalierdienst erwiesen, die gewöhnlichsten Regeln der Artigkeit gegen die Wirthin, wer diese auch gewesen, verletzend. Weil sie die Vornehmre, die Vornehmste war? O dahinter steckte mehr. Die Fürstin war es, welche, unter der Maske der an¬ spruchlosesten Holdseligkeit ihr den Abend verdorben, welche ihr auf ihrem eigenen Grund und Boden eine totale Niederlage beigebracht. Sie hatte das Fest beherrscht, sich Huldigungen darbringen lassen, durch ihr Gespräch sie selbst gefesselt, daß sie ihr Auge der Gesellschaft entzog. Dann, nachdem sie ihr durch die böse Nachricht den Todesschlag versetzt, war sie trium¬ phirend fortgegangen. Aber nicht Zufall war es, — nein Plan; ein weit hinausreichender Plan. Der Fürstin, die einen Kreis um sich zaubern wollte, waren die angenehmen Cirkel der Geheimräthin im Wege. Hatte sie nicht in einem langen Gespräch sie nach allen Verhältnissen, Personen ausgefragt! Wozu das? Sie wollte auskundschaften was den Zauber dieses Kreises bilde. Was konnten die fremde, vornehme Frau sonst die Verhältnisse eines bürgerlichen Hauses in Berlin interessiren! Und jetzt wußte, kannte sie alles, und hatte vielleicht alles zerstört. — Wer würde denn noch ihre Gesellschaften besuchen? Nicht weil der König sich gegen den Dichter ausgesprochen. O nein, das konnte ihrer Societät grade einen neuen Reiz geben, die freien muthigen Geister locken, aber vor dem Fluch des Lächerlichen flieht die Geisterwelt. Und er — sollte, könnte ihr dabei hülfreiche Hand geleistet haben! Unmöglich! Eine unaussprechliche Bitterkeit ergriff die Ge¬ quälte. Kann eine Frau einen Mann fordern? Was kann überhaupt eine Frau, und wenn sie den Muth einer Judith und Herodias besaß, in dieser Welt der Conventionen! Ihr Haß mag glühen wie der Aetna, den Athem muß sie in sich zurück pressen, sonst ver¬ wundet sie sich selbst. Die Macht des Lächerlichen umstarrt sie wie himmelhohe Eisfirnen, die auf ihrem Spiegel nur die verzerrten Züge ihrer Wuth als Karikaturen wiedergeben. Giebt es denn keine Mittel für ein Weib, der Welt den Krieg zu erklären? Sie erinnerte sich, was Wandel von den großen Frauen gesprochen, die ihre Welt beherrscht, von den Fabel¬ königinnen Semiramis und Zenobia bis zu den Katharinen von Medicis und der großen Czarin auf dem Russischen Thron. — Thorheit an solche Mög¬ lichkeit zu denken! Und wenn die Revolution fort¬ gährte über die Welt, sie erhöbe nur Männer, und die Weiber blieben Sklavinnen und Intriguantinnen. Nur das kleine Spiel der Ränke, um hie und da mit giftigen Nadeln zu stechen, ihnen vergönnt! Einen Verhaßten — mag eine Frau, die einen Mächtigen beherrscht, verfolgen, vernichten; wenn nun aber ihr Haß nicht an Einzelnen sich genügen läßt, wenn die Vernichtungslust ihre Adern wie ein wildes Feuer durchglüht, wenn sie die Armseligen, Gemeinen, Un¬ dankbaren von der Erde wegspülen möchte, wie Pharaonis Schaaren das rothe Meer — wenn sie fühlt, mit diesem Rachekitzel der Menschheit selbst einen Dienst zu leisten! — Sie kann nur morden im Traume! Sie preßte ihre Hände an die heiße Stirn, als sie wieder ein Geräusch hörte. — Das war Adelheids Stimme, hell — wie ein Aufschrei. Es kam von weitem her, aber nicht weit genug, daß es von ihrem Zimmer sein konnte. Da kam ihr das Mädchen wieder in den Sinn. Sie hatte gar nicht an sie gedacht. Was war aus ihr geworden? Sie sann nach. Eine dunkle Vorstellung, daß man Hülfe! Sie brennt! gerufen. Sie durfte sich versengt haben. Von ihren Feinden war ja alles geschehen, der Sache einen Eclat zu geben. Aber der Ton kam wieder; nicht mehr ein Schrei, aber der bange tönende Schall, den die Menschenstimme annimmt, wenn etwas Unge¬ wöhnliches uns überkommt. Sie hörte noch eine andre Stimme. Auch ein Schrei, wie wenn man Geister erblickt. Das war keiner von der Diener¬ schaft, auch nicht ihr Mann. Wie ein tiefes Schluchzen! Eine heftige Bewegung. Sie hörte Männertritte. An Muth fehlte es der Geheimräthin nicht. Sie ergriff den Leuchter und trat hinaus. Die Kerze warf nur ein schwaches Licht in den verwüsteten Saal. Ihr: „Wer ist da?“ hallte ohne Antwort durch die Räume, aber aus dem Cabinet daneben war eine Gestalt bei ihrem Eintritt fortgeeilt. Sie schlüpfte durch die Thür nach dem Entree. Sehen konnte sie nur einen Schatten, sie hörte das leise Klinken der Thür draußen, sie hörte deutlicher Tritte, die auf der Treppe allmälig verhallten. Im Cabinet stand Adelheid, die zugedrückten Hände an der Stirn. Sie athmete schwer; ein inten¬ sives Zittern schüttelte ihre Glieder. Sie erschrak aber nicht, als sie die Hände allmälig vom Gesicht fortzog, nicht vor dem Glanz des Lichtes, und nicht vor dem Anblick, und dem forschenden Blick der Ge¬ heimräthin. „Was war das, Adelheid? Wer war hier?“ „Fragen Sie mich nicht, antwortete das Mäd¬ chen. Es war alles wie ein Traum.“ „In dem noch ein anderer mit träumte!“ Das Mädchen schöpfte nach Luft. Aber ihr Blick hatte doch eine Sicherheit, welche die Geheimräthin frappirte. Adelheid sank auf einen Stuhl und stützte den Kopf im Arme: „Es war fast zu viel! schluchzte sie, zu viel für mich. Und, mein Gott, warum komme ich dazu. Warum ich dazu ausersehen!“ Die Geheimräthin setzte sich neben sie: „Hat Dich jemand gekränkt, beleidigt? —“ „Ich weiß es nicht.“ „Ein Mensch entschlüpfte durch jene Thür, er war bei Dir —“ „O mein Gott, er war bei mir, und nun ist er fort — “ „Und wer war es?“ „Das ist ein Geheimniß, lassen Sie es mir. Es sprengt mir die Brust, aber ich werde schon stark werden! Er ist fort, er wird nicht wieder kommen.“ „Ein Geheimniß vor der , die Mutterstelle an Dir vertritt! — Bedenke, liebes Mädchen, es darf kein Geheimniß zwischen der sein, für deren Ehre ich durch Deine Aufnahme in meinem Hause Bürgschaft vor der Welt leistete —“ „Die Sie — von da aufhoben,“ fiel Adelheid schaudernd ein. „Und der geringste Verdacht, ein Geheimniß, was ich verdecken, ein Fleck, den ich beschönigen hülfe —“ „Wäre mein Verderben! rief Adelheid aufsprin¬ gend. Ich weiß es, ich weiß Alles — o Gott, ich bin unglücklich, aber es ist nicht mein Geheimniß.“ „Wessen denn?“ „Dem ich auf seinen Knieen versprach, es zu bewahren.“ „Auf seinen Knieen!“ Hätte die Lupinus der Beruhigung über einen Punkt bedurft, so war sie jetzt durch Adelheids Exaltation und durch die Sicher¬ heit ihrer Sprache beruhigt. Aber dieser bedurfte sie nicht. „Verstoßen Sie mich, gütige Frau! Ich weiß ja welchen Undank ich auf mich lade. Stoßen Sie mich aus Ihrem Hause, zurück in meine unge¬ wisse Lage, — nein mehr als das, es kostet Ihnen nur ein Wort, wenn Sie mich aufgeben, so fällt der ganze Fluch wieder auf mich, alle die bösen Er¬ II . 11 innerungen, das Gerede erhält neue Kraft, dann bin ich vor der Welt verloren.“ — „Exaltire Dich nicht, sagte die Geheimräthin, mich kümmert das Urtheil der Welt nicht, ich ver¬ lange nur Wahrheit zwischen uns.“ „Und ich — darf Sie Ihnen — heut nicht geben.“ „ Heut nicht — wiederholte langsam die Ge¬ heimräthin. Da es kein Dieb und Räuber war, denn es ist doch nichts entwendet, und er floh vor dem Anblick einer schwachen Frau, kann es nur ein leiden¬ schaftlicher Mensch gewesen sein. Da Du aufschriest, war es auch kein Rendezvous, sondern er überraschte Dich, und vielleicht aus Mitleid oder Schonung willst Du seinen Namen jetzt nicht nennen. Nun das pressirt ja auch nicht. Du willst ihn nicht wiedersehen, und wenn Du es ihm selbst schon gesagt, überhebst Du mich der Mühe, ihm mein Haus zu verbieten. Auch wirst Du klug sein, um Dich und mich nicht in De¬ mel é s zu verwickeln, und die Vorsicht gegen Andere beobachten, die Du gegen mich übst. Im Uebrigen könnte es mich wenig kümmern, wer es ist, da es an thörichten Menschen in der Stadt nicht fehlt, die Dich auf Tritt und Schritt angaffen und uns beiden Incommoditäten verursachen, wenn ich nicht besorgen müßte, daß es einer der Freunde unseres Hauses wäre. Wenn das ist, müßte ich Mamsell Alltag bitten, bis morgen sich zu besinnen, ob Sie mir den Namen nennen will, denn Personen, welche hinter meinem Rücken das Recht der Gastfreundschaft verletzen, müßte ich den Stuhl vor die Thür setzen.“ Sie hatte sich umgewandt. An der Thür holte Adelheid sie ein. Sie preßte die Hand der Geheim¬ räthin an die Lippen und bedeckte sie mit heißen Thränen: „O verzeihen Sie mir, ich bin ein undank¬ bares Geschöpf, aber — nicht so undankbar, — nein aus Ihrem Hause ist er nicht, er ist nie über Ihre Schwelle getreten, er darf nicht über Ihre Schwelle treten.“ Mit dem Lichtstrahl, der plötzlich in der Lupinus aufschoß, fiel ein schwerer Stein von ihrem Herzen. Es war ein erstes, wohlgefälliges Lächeln, das über ihre Lippen schwebte. Sie hatte an den Legations¬ rath gedacht, jetzt schämte sie sich fast, daß sie an ihn denken können. Sie zupfte Adelheid am Ohr: „Nimm Dich in Acht! — So verräth man sich. — Ich hoffe, Du hast Dich gegen ihn nicht verrathen? — Doch wie kam er ins Haus?“ — Plötzlich stand der fremde Bediente vor ihren Augen, dessen blitzende Augen sie am Abende erschreckt. „Ich werde künftig dafür sorgen, daß man keine Verkleidungen in meinem Hause aufführt, und Du — nun das hängt von Dir ab — Es ist spät, wir wollen zu Bette gehen.“ Dem späten Einschlafen der Geheimräthin gingen Träume vorauf, die wir nicht begleiten. Nur ein¬ mal schrie und fuhr sie auf. Sie hatte von der Folter geträumt; ihre Glieder wurden zerschlagen. 11 * Sie befühlte ihren Arm. Sie hörte ein stilles Weinen. Die Wände sanken nieder, die ihr und Adelheids Schlafzimmer trennten. Adelheid lag auf ihrem Bett, mit den schlaflosen Augen ins Wüste starrend: „Es leidet noch eine hier,“ flüsterte der Dämon, und eine wohlthätige Wärme verbreitete sich wieder durch ihre Adern. Sie lächelte als sie einschlief. Neuntes Kapitel. Scheiden und Meiden. Jülli weinte, den Kopf auf den Tisch gelegt, still vor sich hin. Vor ihr lag ein kleiner Beutel mit Geld. Am Tisch stand Louis Bovillard, mit unterschlagenen Armen, den Hut auf dem Kopf, der beinahe die Decke des engen Hofstübchens berührte. Es war nichts Freundliches in der Stube, bis auf die Resedatöpfe im Fensterbrett, auf welche grade ein durch zwei hohe Hinterhäuser sich drängender Sonnen¬ strahl fiel. „Damit willst Du mich abkaufen,“ schluchzte sie. Er antwortete nicht. „Du willst verreisen, nicht wieder kommen.“ „Ich verreise nicht,“ sagte er nach einer Pause. „Aber Du willst mich nicht wieder sehen. Wa¬ rum giebst Du mir mehr, als Du geben kannst? Dein Vater giebt Dir nichts, Du hast Schulden, ich weiß es. — Wozu brauchte ich denn so viel Geld!“ Plötzlich war sie aufgesprungen, die Thränen brachen ihr aus den Augen, und sie stürzte mit wilder Heftigkeit ihm um den Hals: „Nein, Louis, verzeih' mir Louis, ich weiß nicht, was ich sage, Du hast mich nicht abkaufen wollen. Was hättest Du abzukaufen! Du bist die Großmuth selbst. Nur aus Mitleid, aus purem Mitleid hast Du mich aus dem Staube aufgerafft, bloß um die dumme Schmarre da am Halse. O hätte der Herr seinen spitzen Degen mir doch durch's Herz gestoßen, dann wären meine Schmerzen aus, und ich machte Dir nicht so viele. Du hast Recht, stoße mich fort, ich bin eine Last an Deinen Hacken. Du liebst mich nicht, Du hast mich nie geliebt. Sag's raus, grade raus, das wirkt vielleicht wie die Degenspitze — und dann ist alles gut.“ „Mädchen, sei nicht närrisch.“ „Närrisch bin ich nicht. Ich hab's wohl über¬ legt, Du hast unrecht gethan, daß Du mich hier in das Haus brachtest, wo Du selbst wohnst. Das schadet Deinem Ruf.“ Er lachte auf: „Ich habe keinen zu verlieren.“ „Doch! O mein Gott, ja, ich habe es selbst von den Herren gehört: Wenn er wenigstens die Schick¬ lichkeit beobachtet hätte, das Geschöpf auswärts ein¬ zumiethen. Man kann ja nicht mehr mit Anstand über seine Schwelle.“ „Zur Thür hinaus mit den anständigen Freunden!“ „Sage das nicht, Louis. O wenn ich Freunde gehabt hätte, damals, einen nur wie Dich, ich wäre jetzt nicht, was ich bin. — Mein alter Vater, der blinde Conrector, der war so gut, er hätte sich meiner erbarmt, wenn Einer ihm nur zugesprochen. Aber die Leute und die Stiefmutter! — Ach mein Herz brannte, mehr von dem Schimpf als von der Schande! — Wie sie mich in den Korbwagen pack¬ ten, und die halbe Stadt darum — die höhnischen Gesichter, die Finger und die spitzen Reden: Nun kann sie mit seidenen Kleidern gehen, — nun kann sie Romane lesen! Als es zum Thor hinausrollte, wie schnitt mir's in's Herz!“ „Kammermädchenphantasieen!“ „Die gnädige Frau hätte es auch gut mit mir ge¬ meint — aber — ich war noch stolz wie Du, ich wollte mich nicht ihr zu Füßen werfen. — Aus Schaam stürzte ich fort und in's Elend. — Louis, glaube mir, es braucht jeder Freunde, sonst fällt er.“ „Ich nicht mehr,“ murmelte er zwischen den Lippen. Sie riß die Augen weit auf, sie faßte ihn krampf¬ haft an der Weste: „Allmächtiger Himmel, ist's das! — Als ich vorgestern in Dein Zimmer kam, — es war unrecht von mir, ich weiß es, und Du thatst recht, daß Du auffuhrst; Du packtest mich am Arm, und fragtest, so bös hab ich Dich nie sprechen hören, was ich mich unterstehe, Du stießest mich zur Thür hinaus, und schlugst sie mit einem Schimpfwort zu — es war ein häßlich Wort, aber es hat mich nicht beleidigt; es hatte mich auch nicht beleidigt, als sie mich Geschöpf nannten, nein ich bin stolz darauf, wenn sie mich Dein Geschöpf nennen, ich wollte auf Deiner Schwelle schlafen, wenn Du mich mit Füßen trätest, wenn Du mich todt trätest, und nur dabei sprächest: ich thue es aus Liebe, das wäre ein seliger Tod. Aber ich habe etwas gesehen, Louis, ehe Du mich raus warfst, und darum warfst Du mich raus — Du putztest Pistolen auf dem Tische.“ „Was kümmert's Dich!“ „Louis! Geh' nicht allein aus der Welt. Wenn Du gehst, nimm mich mit.“ „Ich denke einen mitzunehmen, sprach er vor sich hin. Im Uebrigen sei ruhig, Mädchen, die Pistolen sind nicht für mich geladen.“ „Das ist nicht wahr. Für wen denn? — Ich lasse Dich nicht so fort. Willst Du in den Krieg? Es ist ja kein Krieg. Sie sagen, wir behalten Frieden.“ „Krieg! Alles ist in Krieg mit einander, Tu¬ gend und Vernunft, Wahnsinn und Laster; Alles be¬ trügt sich, schlägt sich ein Bein, kuppelt, stiehlt, spielt falsch; nur die Schurken und Memmen leben in Frie¬ den und Eintracht, und wenn sie in der Stille den Sündenbecher der Niederträchtigkeit geleert, wenn sie satt sind, predigen sie uns Honnetität.“ „Sprich nicht so häßlich. Ich kann's nicht leiden. Spaße lieber. Sag's mir im Spaß, daß Du mich nicht mehr magst, daß ich Dir unausstehlich bin, daß Du das Geld nur giebst, um mich los zu werden, hörst Du, Louis, sag's im Spaß, und thu's dann im Ernst. Aber sag' es mir ja nicht vorher. Lache mich aus, nenne mich ein dummes Gänschen, wie Du sonst wohl thatest; so geh' fort, daß ich denken kann, daß ich träumen kann, Du kommst wieder. Und wenn Du dann auch nicht wieder kommst, so erwarte ich Dich noch immer, und wenn ich Dich er¬ warte, bin ich glücklich — bis, bis — thu' mir den einzigen Gefallen —“ Er fuhr mit der Hand in ihre Haare: „Bist Du so ein verzogenes Kind, das vor dem rauhen Lüftchen Wahrheit zittert? Das solltest Du den fei¬ nen Damen überlassen, die sich überglätten mit der Politur der Tugend. Eine wie Du müßte doch vor dem Nackten nicht erschrecken, nicht vor dem nackten Laster, dem nackten Elend — auch nicht vor dem nackten Tode.“ „Wenn Du mich so recht schmähst und schlecht machst, glaub ich zuweilen, daß Du mich doch lieb hast. Wenn ich Dir gleichgültig wäre, thätest Du es nicht.“ „Hast recht! Wen man lieb hat, kann man quälen, martern, man wird ein wildes Thier. Da am letzten Abend bei der Malchen. Nicht wahr! Und ich bin seitdem nicht besser geworden. Gott bewahre! Wer Dir das sagt, belügt Dich.“ „Kaum daß Du frei kamst, erkundigtest Du dich nach mir, Du hast für mich gesorgt, daß ich nicht auf die Straße gerieth.“ „Einbildung! Pure Einbildung. Ich wollte nur ein Geschöpf haben, an das ich mein schwarzes Blut, meine tolle Laune auslasse. Warf ich Dich nicht zur Thüre hinaus, schimpfte ich Dich nicht, drückte ich Dir nicht mal die Kehle, daß Du zu er¬ sticken glaubtest, — aus purem Muthwillen? Und habe ich Dich nicht auch geschlagen?“ „Nein, Louis, das hast Du nicht. Du hast mich nie geschlagen.“ „Dann war's eine Andre. Und Eine, der ich das größte Herzeleid angethan. Wenn ich ein guter Mensch wäre, hätte ich auf meinen Knieen rutschen müssen, bis ich es gut gemacht. Beleidigt hatte ich sie, daß ich ihr nicht vor's Gesicht treten durfte, und ich hatte auch gute Vorsätze, — aber das wilde Thier bäumte sich gegen das Gute, und ich war rasend, toll vor Scham. — Da habe ich sie gequält, daß sie auch in Thränen ausbrach — aber das waren andre Thränen — und das war der Dämon, das Unge¬ heuer, das die zerstört, die es zu lieben vorgiebt. — Darum sei froh, Mädchen, ich erwürgte Dich noch einmal in der Nacht —“ Er drückte ihr abgewandt die Hand und wollte hinaus. „Louis! Das ist wider Abrede. Du wolltest mir noch was vorlügen.“ „Was?“ „Befiehl mir, ich solle, wenn ich zu Bett geh, die Thür offen lassen, Du wolltest hereinschleichen, mich im Schlaf erwürgen. Ach Louis, wenn Du das thätest! Ich könnte wieder beten zum lieben Gott. Wie ruhig würde ich einschlafen.“ „Bete! sagte er, ihr die Hand reichend. Das andere findet sich. Wenn ich — es ist doch möglich, daß ich — vielleicht in ein Weinhaus geriethe, nicht nach Hause käme, dann setz Dich morgen auf die Post. Zu Deinem alten Vater! Die Stiefmutter ist ja todt. Er braucht eine Pflege für seine alten Tage.“ „Weil er blind ist, sieht er meine Schande nicht, denkst Du. — Ach die Leute da —“ „Das Nest! Erzähl ihnen von den vornehmen Damen hier, auf die sie nicht mit Fingern weisen. — Dummheit, ward kein Mädchen dort verführt, lief keine mit ihrem Geliebten fort, und kehrte wie¬ der. Du hast Dich mit ihm überworfen, und willst solide werden. In dem Beutel ist genug, damit kannst Du einen Putzladen anfangen. Putzen will sich jede, auch in einem Nest. Vielleicht machst Du auch die Lehmkabache Deines Vaters damit schulden¬ frei, und dann ist Alles gut.“ „Adieu, Louis, sprach sie, ich danke Dir auch recht schön. — Ja es wird Alles gut werden.“ Sie hatte sich nach dem Fenster umgewandt, und stopfte heftig mit dem Finger die Erde im Resedatopf. Sie durchstach die Wurzeln. „Auf Wiedersehn!“ sagte er, die Klinke in der Hand. Er sah sich noch einmal um. Die volle Gluth der Sonne fiel auf ihr Gesicht; dennoch war es todtenblaß, die Zähne klappten unmerklich unter den fest geschlossenen Lippen. Sie verließ plötzlich die Blumentöpfe und kam auf ihn zu, aber nicht stür¬ misch, sie zitterte nur etwas als sie sprach: „Ich muß Dir doch noch danken, lieber Louis, daß Du so gut warst, selbst zu mir zu kommen. Du hättest mir ja das Geld durch einen andern schicken können, und schreiben. Das wäre Dir viel leichter geworden. Du hast es Dir nicht leicht gemacht, um mir noch eine Freude zu machen. Das nehme ich dafür, daß Du mir doch gut bist. Gott lohn es Dir.“ Sie schüttelte ihm die Hand; er drückte einen Kuß auf ihre eiskalte Stirn. „Also — ich komme wieder,“ sagte er, auch seine Stimme schien zu zittern. „Nimm Dich nur in Acht auf der steilen Treppe, daß Du nicht fällst.“ Sie sah ihm nach. Als sie die Thür zudrückte, vergingen ihr die Kräfte. Sie wollte nach dem kleinen alten Sopha, sie streckte die Arme danach aus, aber sie kam nur bis in die Mitte der Stube. Mit einem erstickten Schrei schlug sie besinnunglos auf die Dielen. „Daß uns das Abschiednehmen so schwer gemacht ist! Selbst dieser! sprach Bovillard für sich auf dem Rückwege. Und doch woraus besteht das Leben? Nur aus einer langen Reihe von Trennungen. Jeder Moment der Abschied von dem vorangegangenen. Und die Menschheit erfand sich keinen andern Trost als die Illusion des Wiedersehens. Als ob je Einer wieder¬ fand, was er verließ! Den Trunk aus dem Becher, den süßen Blick; den Kuß, den sprudelnden Witz? Und wenn es stehen geblieben, kein andres geworden wäre, so wärs ein abgestandener Wein, eine ekle Wieder¬ holung. Und des Daseins Losung bleibt doch — weiter! Bis — und da hoffentlich auch weiter.“ In seiner Stube fand er zwei versiegelte Briefe. Ein verächtliches Lächeln schwebte über seine Lippen, als er den ersten durchflog. Er zerriß ihn: „Dacht ichs doch!“ Er öffnete den zweiten, ihm widerfuhr dasselbe Schicksal: „Eine Copie! Süße Harmonie edler Seelen! Sie hätten das doppelte Schreiben sparen können.“ Seine beiden Secundanten, die endlich zugesagt, nachdem er vergebens bei andern angefragt, mußten mit dem größten Bedauern sich wieder lossagen, der Eine wegen einer unvermeidlichen Dienstreise, dem Andern war eine zärtlich geliebte Schwester erkrankt. „O diese zärtlichen und pflichteifrigen Menschen! Könnten sie nicht auch aus Diensteifer für das Ge¬ meinwohl, aus Zärtlichkeit für unsern zartpulsirenden Staat, Hülfe leisten wollen, wo ein verrufener Rauf¬ bold aus dieser harmonischen Gesellschaft ausgestoßen werden soll! Zittern sie vor Angst, daß man sie für meine Freunde hält! — Jülli hat Recht, es giebt Momente, wo man noch Freunde braucht — zum Sterben. Sonst — er wog seine Pistolen in der Hand — sind das die zuverlässigsten Freunde, und einen von uns beiden, wenn nicht beide, liefern sie ins Jenseits ohne viele Umstände. Aber auch dazu fordert man Umstände!“ Er ging aus, sich einen Secundanten zu suchen! Wen? — Er sann umsonst nach. Den ersten besten, der ihm auf der Straße nicht ausweichen würde, mit einem Gesicht, auf dem geschrieben stände: Tritt mir nicht in den Weg! Der Zufall führte ihn vor das Haus, wo Walter van Asten wohnte. Er blieb zau¬ dernd stehen. Schon wollte er, kopfschüttelnd, weiter, als er den Thorweg geöffnet hatte: „Er war in Halle ein guter Schläger, und als Senior der Marchia stand ich ihm oft zur Seite. Er ist mir noch Re¬ vanche schuldig und solche Auffrischung unter seinem Bücherstaub wird ihm ganz zuträglich sein.“ Die Freunde hatten sich lange nicht gesehen. Walter sah jünger, frischer aus. Sein Händedruck war elastisch, ein kräftiges Willkommen! tönte Louis entgegen. „Du siehst ja wie das Morgenroth aus! Und doch unter Büchern verpackt. — Und da eine neue literarische Arbeit!“ „Dazu ist nicht Zeit jetzt!“ „Nu, wozu denn?“ Louis warf sich auf den Stuhl am Arbeitstisch und ergriff das Concept. Er las — las weiter, und warf plötzlich den Hut vom Kopf, daß er auf die Erde rollte: „Plagt Dich der —! Lasten der Bauern, Vorspann, Naturalverpflegung der Cavallerie! „„Und alles das noch auf das verkümmerte Dasein einer Menschenklasse geworfen, welche unter dem Joch der Leibeigenschaft seufzt, die, wie milde sie auch immer¬ hin gehandhabt werde, das Gefühl der Menschen¬ würde niederdrückt. Unter Hand- und Spanndiensten für den Edelmann, gemessenen und ungemessenen Frohnen, ohne Selbstgefühl, Freiheitsgefühl, ohne Eigenthum, ohne Liebe zur Scholle, an die er ge¬ fesselt, ohne Sicherheit für die Vortheile, welche sein Fleiß erringt, wie soll da das heiligste Gefühl, die aufopfernde Liebe fürs große Vaterland erstarken!““ — Was hast Du denn mit den Gefühlen der Bauern zu thun?“ „Unsre Gefühle werden darin dieselben sein!“ „Wir machten uns wenigstens beide über Iff¬ lands tugendhafte Bauern lustig.“ „Ich rede von unserm realen Bauernstande.“ „Wahrhaftig! rief Louis weiterblätternd. Willst Du ein Thomas Münzer, oder ein Grache werden.“ „Wir brauchen nicht so weit zurückzublättern. Was gab Frankreich die Elasticität! Was schaffte ihm gegen diese Masse Alliirter eine solche Allianz von Jugendkraft, von Muth, Begeisterung, Material, als die Freigebung aller Arbeitskräfte. Nur dadurch, daß es alle Bann-Stapel-Zunftfesseln sprengte, daß es dem Landmann den Boden zurückgab, den der Fleiß seiner Arme durch Jahrhunderte erworben, daß es ihm Rechte gab, wo er nur Pflichten gekannt, ward ein solches kampffreudiges Heer aus der Erde gezau¬ bert, nur dadurch ward es möglich, daß das junge Frankreich einer Welt von Feinden siegreich wider¬ stand. Und was hat uns in der Rheincampagne, was Oestreich in so vielen Kriegen, was sie alle unterliegen lassen? Daß wir nur geworbene, gepreßte Söldnerheere ihm entgegenführten, daß unsere Taktik, Kriegskunst, daß unser ganzes Sein, unser Denken und Athmen, veraltet und verrottet war. Es ist nicht Napoleons Adlerblick, nicht Tollkühnheit, Genie und Talent seiner jugendlichen Feldherrn, auch Oestreich und Rußland stellten große Talente und eiserne Ge¬ nerale vor ihre tapfern Heere, aber die Welt ward eine andere, und weder mit Condottieribanden, und Wallensteins Schwärmen, noch mit Friedrichs Pha¬ langen läßt sich mehr ein bewaffnetes großes Volk überwinden. Ein Volk wird nur noch durch ein Volk, Ideen werden nur durch Ideen überwunden.“ Bovillard hatte, ohne genau aufzuhören, in dem Papier weiter geblättert. „Ein ganzes, neues Rekrutirungssystem!“ „Nenne es ein Regenerationssystem. Wenn wir nicht von Grund und Boden anfangen, wenn nicht den Stand frei machen, auf den die ganze Last des Staates zurückdrückt, wenn wir nicht dem Bauern die Halseisen und Fußschellen lösen, wenn wir nicht in dem einzig noch gesunden Theil unsers Körpers, aus dem der andere verwitterte und blasirte sich frisches Blut holen kann, wenn wir in ihm nicht den natür¬ lichen Blutumlauf herstellen, so sind alle Veranstal¬ tungen und Besserungen von oben herab umsonst. Dahin zu wirken ist unsre Aufgabe.“ „Aufgabe! rief Bovillard, das Papier hinwer¬ fend. Unsre Aufgabe ist, uns vom Strom treiben zu lassen. Einige wirft er ans Ufer aus, andere spült er bis ins Meer — und das ist die Ver¬ gessenheit.“ „Und noch andre —“ „Stemmen in kindischem Uebermuthe den Fuß gegen ihn, und hoffen seinen Lauf hemmen zu können. Solche stierhautstirnmauerbrechende Thoren zerdrückt er zu Atomen, oder er hebt sie federleicht auf seinem spritzenden Schaum zum Gespött des Pöbels.“ „Hast Du auch den Glauben an Missionen ab¬ geschworen?“ „Dazu gehört andre Luft, andrer Boden, ein ander Volk. Vulkane, Gebirge, deren Gipfel die Wolken küssen, Steppen vielleicht, wo der Samum haust, wo der Odem der Allmacht in dem ungeheuren Nichts die Seele ergreift. Wir hier sind nicht Nichts und nicht Etwas. Friedrich, ja, er hatte eine Mission. Willst Du noch einen Friedrich auf Friedrich impfen? Klopf nicht zu stark den Staub aus den Purpur¬ mänteln; sie werden selbst Zunderlappen und Staub unter der Purification.“ „Drüben ist eine Mission, fiel Walter ein, ein Attila, eine Geißel Gottes, ein Hunnenschwarm, voran eine Feuersäule mit drei wunderbar leuchten¬ den Farben. Warum nicht hier? Sollen wir's ruhig abwarten, was über uns kommt? Der germanischen Nation alle Fähigkeit, Kraft absprechen? Eintreten im alten Schlendrian, in Reih und Glied, gewärtig wie der Feind eins um das andre wirft und zertritt.“ II. 12 „ Wir ! Bovillard lachte, aber nicht höhnisch. Nu laß uns mal ohne Poesie sprechen, denn ich kam zu einem sehr prosaischen Geschäfte. Was willst Du eigentlich?“ „Es interessirt Dich heut wohl nicht. Ein ander Mal.“ „Das könnte dann zu spät werden.“ „Weil Alle zu spät handeln, ist's jedes Recht¬ lichen Pflicht, zu sprechen, so lange es noch Zeit ist.“ „Ja! Du schreibst eine Dissertation, willst wohl promoviren, ein Cameralisticum in Halle lesen. Steck's nur den Jungen in die Köpfe, dann schießt's wild auf als Unkraut, und reif wird's grade, wenn's nicht mehr Zeit ist. Das ist der deutsche Entwickelungsgang.“ „Ich will nicht dociren. Ich will's deutsch sagen, was ich denke. Und ich denke nicht an die Zuhörer, an die Sache. Und die Sache ist nicht mein, sie ist unser Aller. Diese Gedanken fluctuiren in tausend Geistern. Sie stöhnten und ächzten schon längst selbst in der trägen Masse. Nach einer Besserung, Er¬ lösung sehnten sich Alle. Weil die Gräuel in Frank¬ reich seitdem auch die Besten in bleichen Schreck versetzt, ist darum das Licht nicht Licht, weil es ein¬ mal geblendet hat? Sollen wir das Feuer nicht mehr nutzen zum Wärmen, Sieden, Schmelzen, weil es einmal zur Feuersbrunst aufloderte? Diese Ideen leben noch in unserer Nation, und wo kein anderer ihm zuvorkommen will, ist der Schwächste stark genug, er ist berufen, er hat die Pflicht, mit ihnen hervorzutreten. Mag dann draus werden, mag aus ihm werden, was da will!“ „Wenn sie's nur läsen! — Hast Du noch nicht die Hoffnung auf diese Zöpfe und Perrücken auf¬ gegeben? Das beste noch, wenn ein Minister aus¬ ruft: Da ist auch wieder Einer, der's besser verstehen will als wir!“ „Es sind nicht Alle, wie —“ „Mein Vater. Kennst Du die Andern? Der Beste wird Dir zurufen: Das ist alles recht schön, aber nicht an der Zeit. Im Augenblick, wo die Renner zum Wettlauf gesattelt werden, ist nicht Zeit eine Vorlesung anzuhören über die Veredlung der Pferderacen.“ „Und Du auch meinst, wie die Tausende und Abertausende, daß wir nur berufen sind, über Schiller und Goethe zu streiten, nur in die Tiefen der Mystik und der Metaphysik uns zu versenken! Andere für uns handeln lassen, das wäre unsre Destination. Louis, wir hatten einen Wartburg-Krieg von Minne¬ sängern, aber von derselben Wartburg leuchtete Luthers Fackel über Europa! —“ „Das war ein Mirakelmann, aus der Zeit der Wunder. Wir leben unter Wichtelmännern; in einem verschütteten Bergwerk suchen sie mit der Laterne nach Glimmer und Spiesglas. Die edlen Erze sind längst gefördert und coursiren als Scheidemünze.“ „Wir hier haben noch Kräfte, nur ungeordnete, sie sind überlastet, man hat sie aus dem Auge ver¬ 12* loren. Nur drauf hinzuweisen braucht es, daß sie gähren, kochen, zum hellen Krystall aufschießen. Dazu ist kein Mirakelmann, nur ein guter Schürmeister nöthig. Wir haben einen jungen Fürsten, der das Rechte will und bange ahnt, wo das Schlechte liegt, aber eine dicke Atmosphäre, nenn's eine elastische Mauer, hat sich um ihn gesetzt. O Gott, daß die frischen Lüfte, die Lichtblitze endlich zu ihm drängen! Da ist's Jedes Pflicht, da ist Niemand zu gering, zu schwach, der eine Stimme hat, zu sprechen; wer malen kann, der male, wer meißeln, meißle in Stein, daß er das Auge aufreißt vor der Gefahr. Und rasch, denn sie rückt mit Riesenschritten näher, sie ist nicht zu ermessen, wie stehen an einem Ab¬ grunde, der Alle verschlingt. Und aus diesem Grunde heraus, könnten wir eine Festung bauen, unnehmbar! Jetzt das Volk aus seiner Erstarrung, seiner Gleich¬ gültigkeit, seiner Entfremdung gegen das Höchste und Heiligste auf Erden, jedes Glied zum mitfühlenden Glied der großen Kette zu erheben, Volk und Fürst in Eins zu verschmelzen, das wäre die Aufgabe des Gesendeten. Ich sehe ihn nicht, Du siehst ihn nicht, keiner sieht ihn, aber ist er darum nicht da? Hat nicht Jeder, dem ein Funken durch die Adern zückt, die Aufgabe, Steine dem künftigen David zuzutragen? Wenn er die Steine sieht, wird er nach der Schleu¬ der greifen.“ Louis Bovillard hatte ihm mit verschränkten Armen zugehört. Die Wimpern der schönen Augen zückten zuweilen auf, und warfen ihm einen theil¬ nehmenden Blick zu. Aber die Saiten seiner Seele waren nicht gestimmt für die Töne, die Walter's Bogen strich. — Er schwieg einen Augenblick, dann entstieg ein gähnender Seufzer der Brust, der Ko¬ bold saß auf der Lippe, und griff das letzte Wort auf: „Zum Steinewerfen haben sie allenfalls noch Muth; wenn's auch nicht Schädel trifft, doch Fensterscheiben. Wenn nicht die des französischen Gesandten, doch der Schauspielerin ihre, die er unterhält“ Walter sah ihn wehmüthig an: „Haften, schwe¬ ben, kräuseln denn Louis Bovillards sämmtliche Ge¬ danken heut nur noch bei den Gensd'armerieofficieren? Der Louis Bovillard, der einmal auf der Winds¬ braut reitend, nach den Strahlen der Sonne griff! Und heut noch an persönliches sich klammern, in einer Zeit, wo der Einzelne nur Luft zum Athmen findet, wenn er sich versenkt ins Allgemeine.“ „Das ist Lüge, glaub's mir, pure Lüge. Wir kriechen nicht aus unserer Haut. Es ist alles per¬ sönlich, unser Appetit und unsre Begeisterung, unser Haß und unsre Liebe. — Auch Dir ist was Ange¬ nehmes im Traum begegnet, darum träumst Du jetzt für die Menschheit und für den Staat Seiner Ma¬ jestät des Königs von Preußen.“ Der frohe Zug um Walters Lippen, sein heller Blick sprach für Louis Behauptung. Ein deutliches Ja beantwortete sie: „Ich träume einen schönen Traum, und darum gehe ich mit Muth an mein Werk.“ „Laß es aber nicht drucken,“ sagte Bovillard. „Warum?“ „Es sind verteufelt gute Gedanken darin; ge¬ druckt sind sie Allgemeingut. Irgend Einer schmeißt sie etwas um, gießt seine Sauce drauf. So laufen sie durchs Publikum und Du gehst Deinen Profit quitt.“ „Sie sollen wirken. Auf diesem Wege gelangen Sie an ihr Ziel. Wenn auch verrückt, verfälscht, es haftet etwas. Will ich etwas für mich?“ Bovillard sah ihn scharf an, und sagte: „Ja!“ Walter erröthete. „Du willst wirken, das heißt selbst eine Wirk¬ samkeit haben. Zünden Deine Gedanken, so wärst Du ein Narr, wenn Du am Feuer nicht Deinen Topf wärmen wolltest. Du hoffst noch und hast ein ver¬ söhnlich Gemüth. — Purpurrother Freund der Wahr¬ heit, wenn Du im Amte bist, lerne Dich etwas ver¬ stellen, nur zum Besten des Allgemeinen , in das der Einzelne sich versenken muß . Wer dem realen Staat dienen will, muß lügen können.“ Walter hatte nicht gesehen, wohin Bovillard sah. Indem er ihn zu fixiren schien, hatte er über seinen Kopf weg auf der Wand einen Kranz vertrockneter Kornblumen entdeckt, die künstlerisch mit einem blau¬ seidnen Bande verschlungen waren. „Und außerdem bist Du verliebt, und wünschest eine anständige Versorgung, um heirathen zu können.“ Die Purpurröthe auf Walters Gesicht wich einer Blässe, doch nicht auf lange. In seinem Auge sam¬ melte sich wieder der milde Glanz der Zuversicht von vorhin. „Weshalb vor dem Freunde ein Geheimniß. Ich liebe und ich hoffe. — Nun schütte Deine Phi¬ lippica aus gegen meinen Egoismus, ich will ver¬ suchen ob ich dem Hagelschauer widerstehe und doch noch etwas von mir rette —“ „Wenn wir auch ein verschieden Facit zögen, die letzte Rechnung schließt jeder doch nur mit sich ab. Du thust recht. Dir steht's an der Stirn ge¬ schrieben, daß Du zum guten Bürger geboren bist, an meiner stand etwas von Cains Zeichen. — Hast Du Dich mit Deinem Vater ausgesöhnt?“ „Unsere Trennung ist wohl keine fürs Leben.“ „Fandst Du die Cousine, Mamsell Schlarbaum, jetzt liebenswürdiger?“ „Ein gutes Mädchen, aber noch weniger, als der Dichter in ihrer Brust einen Wiederhall gefunden hätte, würden es die Töne, die jetzt in meiner klingen.“ „Eine politische Schwärmerin hast Du doch nicht zur Hausfrau gewählt?“ „Sie ist ein deutsches Mädchen —“ „Und liebt Dich?“ Walter schwieg, dann reichte er dem Freunde die Hand: „Ich hoffe es. — Nun von Dir. Du kamst in Geschäften. Womit kann ich Dir zu Dienst sein?“ „Mit nichts.“ „Du wolltest von mir?“ „Was ich jetzt nicht mehr will.“ „Und warum nicht?“ „Weil Du verliebt bist.“ „Die Liebe tödtet nicht die Freundschaft.“ „Weil Du glücklich bist.“ „Liebende und Glückliche sind freigebig. Sie möchten die ganze Menschheit ans Herz drücken.“ „Und ich — ihr den Hals brechen.“ Mit einem raschen Händedruck ging er aus der Thür. Zehntes Kapitel. Wachtstuben-Abenteuer. „Hol Euch alle der —“ rief der eine Spieler und warf die Karten auf den Tisch. Das Tarock¬ spiel war beendet. Er zog die lange seidene Börse, um die letzten Goldstücke dem Gewinner hinzuschleu¬ dern. Bei der Berechnung ergab sich, daß sie nicht reichten. Er ließ sie zurück gleiten, machte einen Knoten und steckte die Börse in die Tasche. „Am nächsten Gagetag!“ Ein höhnisches Gelächter antwortete darauf. Es waren Officiere, der Ort des Spiels eine Wachtstube. Der Verlierende war in einer Parüre, die auf den ersten Anblick allerdings Zweifel ließ, ob er der Mann sei, um einen bedeutenden Spielverlust durch die Ein¬ nahme eines Gagetages aufzubringen. In einem nicht mehr ganz reinlichen Kamisol, das zerknitterte Hemde nur durch eine leichte Binde um den Hals festgehalten, die Füße in Pantoffeln, im Munde eine Thonpfeife, verrieth nur die gelbe Weste unter dem Kamisol, und die auch etwas vernachlässigte Frisur den Officier. Aber der Capitain war ein Arrestat; die Wachtstube sein Gefängniß. „Ihre nächste Gage, Herr Bruder, gehört ja dem Schneider,“ sagte der Wachthabende, der einzige unter den Spielern, dessen Parüre in parademäßigem Zu¬ stande war. Das vielstündige Spiel hatte bei den andern manche Manquements in der Adrettität zur Folge gehabt. „Den schmeißt er wieder zur Treppe runter,“ sagte der Cornet auf dem Schemel kippend. „Und dann kommt der Ephraim und der Levi.“ „Die bestellt er auf dieselbe Stunde, wie neulich, und sie müssen warten, bis er raus rufen läßt: Einer soll rein, denn Einer kann heut nur bezahlt werden. Dann fallen sie sich in die Bärte, prügeln sich, und er läßt sie wegen Ruhestörung arretiren. Onkel und Herr von Kniewitz, schade daß Sie nicht dabei waren. Es war ein capitales Stück. Ich sehe noch die blanken Thaler und die Judengesichter, neu geprägt, auf dem Tische; die Sonne schien drauf. Freilich der Regi¬ mentsquartiermeister stand dabei. Hatte sie ihm nur auf eine Viertelstunde geliehen. Aber die Juden! wie sie sie zu Gesicht kriegten; sie trauten zuerst ihren Augen nicht. Nu einer dem andern vor, wie Wasser aus 'ner Schleuse, und eh einer die Hand an den Tisch gebracht, einer den andern zurück, an Brust und Kragen, beide auf der Erde, kopfüber, das stram¬ pelte und schrie.“ „Wenn sie sich nun vertragen und getheilt hätten?“ „War mir gar nicht bange, Onkel! Der Capi¬ tain verstehts. Du hättst ihn sehn sollen. Nicht die Miene verrückt, und mit einem Mal schoß er auf, Augen wie der alte Dessauer: „„Schafft mir die Bestien aus den Augen. Auf die Wache mit den Schuften, die so den Respect vor dem Rock des Königs verletzen.““ „Dafür soll er leben!“ der Wachthabende stieß an. Die Gläser klangen. „Und die Straßenjungen hinter den Juden her, setzte der Cornet hinzu, es war ein Schauspiel für Götter!“ „Eigentlich ists contre façon, sagte der Capi¬ tain, daß christliche Officiere einem Kameraden aus¬ ziehen, was die Juden übrig lassen! Und noch dazu einem gefangenen, den Ihr in Eurer Gewalt habt.“ „Hört den Fuchs! Du müßtest doppelt blechen, weil wir unser Renommee aufs Spiel setzen. Mit einem spielen, der mißliebig ward, sich vergangen hat an einem Kaiserlich Russischen Gesandten!“ „Sitz ich etwa darum, daß ich den auf der Maskerade emitirt habe? — Euretwillen, Ihr Herren Gensd'armen, allein um Euretwillen! Weil Ihr da¬ mals dem Pfaffen bei der Malchen das Katzenständ¬ chen brachtet. Majestät waren fuchswild; aber Ihr wurdet durchgeschwatzt. Das kennt man schon, wenn's nur an die Cavallerie gehn soll. Für den nächsten wars aufgehoben, und das war ich. Und nicht um den Alopeus, sondern um den Pfaffen bin ich der Sündenbock.“ Der Cornet strich seinen Milchbart, als wäre es wirklich schon ein Knebelbart, sein Oheim, der Ritt¬ meister, lächelte und drehte seinen vollen roth schim¬ mernden mit stillem Vergnügen in die Höhe: „Nicht wahr, Fritz, das war auch ein capitales Vergnügen?“ „Kostet mich baare hundert Friedrichsd'or, die ich dem Onkel pumpen mußte nachher in der Wein¬ stube. Aber, Onkel, weißt Du, ich hätte Dir noch hundert zugepumpt, wenn Du hättest: Absitzen! blasen lassen.“ „Ich glaubs dem Jungen, sagte der Rittmeister, der hätte gern oben Ordnung gemacht.“ „Die Prediger-Mädels sahen wir noch. Na die passirten; aber die Bescheerung nachher hätte ich sehn mögen.“ „Glaubs auch, sagte der Onkel, und wirbelte noch immer am Bart. Na, davon muß man jetzt nicht reden. Du vor allem nicht. Wie stehst Du denn mit der Comteß Laura?“ „Davon redet man nicht!“ erwiederte der Cornet, sich gemächlich, ein Bein übers andre, im Schemel wiegend, und aus den übermüthigen Lippen den Rauch blasend. „Verfluchter Junge der! sagte der Onkel. Dem ists Glück mit der Muttermilch angeblasen. Solchem Milchbart, der kaum flügge ist, muß sie winken.“ „Fortuna ist ein Weibsbild!“ seufzte der Ge¬ fangene. „Und wenn man den General nicht fängt, ist man zuweilen mit dem Cornet zufrieden,“ bemerkte der Wachthabende. „Werde Sie um Erklärung nachher bitten lassen, Herr Lieutenant!“ sagte der Cornet, ohne seine Stel¬ lung zu ändern. „Kik in die Welt! rief der Rittmeister. Cornet Wolfskehl genannt zu Ritzengnitz, ein Cornet kann keinen Officier um Erklärung bitten lassen.“ „Der wäre im Stande, und forderte den Prinzen selbst, sagte der Arrestat. Gefällt mir an ihm. Solche lieben die Damen. Plaudert nicht am Morgen in der Wachtstube die Eroberungen der Nacht aus.“ „Fritz, merkst Du was! Der Capitain speculirt auf Deinen Beutel. Lob ist nicht umsonst. Revan¬ chire Dich, bezahl seine Schulden. — Er rührt sich wahrhaftig nicht. So ein junger Glückspilz! Das war das pfiffigste Stück meiner seligen Schwester, daß sie ihren Alten beschwatzen mußte, ihn mit ein¬ undzwanzig mündig zu erklären. Um 'ne halbe Million das Pupillencollegium betrügen! Als ob die Weiber das nicht wüßten, auch ohne Pupillencolle¬ gium, und nun bildet sich der Junge ein, 's ist um sein glattes Gesicht.“ „Onkel, wir stehn in Relationen.“ „Halt's Maul! Willst Du dem Herrn Capitain seine Spielschuld vorstrecken? Das ist das vernünf¬ tigste, was Du thun kannst.“ „Mit Vergügen, lieber Onkel, sobald Du Deine Wechsel bei mir eingelöst hast.“ „Kinder, nun bitte ich Euch, ist das nicht gegen die Moralität, daß ein Neffe von seinem Onkel Wechsel hat! — Hast neulich erst in der Garnison- Kirche gehört, was der Prediger von der Sitten¬ verderbniß sprach. Pfui!“ „Herr Bruder haben Recht, sagte der Wacht¬ habende. Ueberhaupt solche Papierwische. Wär' ich König, ich ließe alle Wechsel verbrennen.“ „Fritz, nimm also Raison an, willst Du?“ „Bin nicht bei Kasse.“ „Bin ich's etwa!“ „Laßt den Horstenbock nur erst los kommen, sagte der Wachthabende. Er findet auch noch einen Salomon Schmuel, der ihm fünf und vierzig Procent auf den fünf und vierzigsten Gagetag vorschießt. 'S sind christliche Gemüther unter der löblichen Judenschaft.“ „Reinen Tisch! rief plötzlich der Rittmeister. quit ou double!“ Auf dem unreinen, wie eine Wachtstube ihn mit sich bringt, mischte er die zergriffenen Karten, und blickte fragend den Arestaten an. Er nickte Zustimmung: „In sechs Monat.“ „Quit ou quadrupel —“ „Was?“ Alle sahen ihn verwundert an. „Quit ou quadrupel, à payer, wenn Horstenbock 'ne Compagnie hat!“ Alle lachten; das Interesse steigerte sich, sie rück¬ ten wieder näher an den Tisch. Darin war Ver¬ nunft. Die vervierfachte Summe des Spielgewinn¬ stes war ein Capital, aber eine Compagnie war auch ein Capital. Der Capitain schlug ein. „Und meinem Neffen, dem Cornet, verkauf ich sie für neunzig. Nutzt der Junge wieder sein Geld mit zehn Procent.“ „Was ein guter Onkel nicht thut! lachte der Lieutenant. Aber wenn nun Krieg wird?“ „ Tant mieux ! rief der Arrestat. Wenn mich 'ne Kugel trifft, lach' ich Euch Alle aus.“ „Roth oder schwarz?“ rief der Wachthabende, die Karten noch einmal zu dem wichtigen Spiel häufelnd. „Roth!.“ rief der Rittmeister. Also „Schwarz!“ der Capitain. „Verloren! jubelte der Cornet auf, mit den Fin¬ gern schnaltzend. Onkel verloren!“ Der Arrestat warf diesmal nicht die Karten auf den Tisch, er trocknete die Nässe, nämlich vom Wein, der auf dem Tische reichlich floß, mit dem Aermel ab, und legte sie sorgfältig zusammen: „Rittmeister, ein andermal bin ich zur Revanche bereit.“ „Die hat Dohleneck nicht nöthig. Wer so viel Glück in der Liebe hat, hat's nicht im Spiel.“ Es prustete unter den Anwesenden auf, der Cornet wollte sich überschlagen. „Herr Bruder, Sie haben Unrecht, sagte der Wachthabende, als eine Wolke auf der immer hei¬ teren Stirn des Rittmeisters sich zusammenzog, die Geschichte mit der Tänzerin noch immer als eine particulaire zu betrachten. Sie ist eine Corps¬ angelegenheit.“ „Eine verflucht kniffliche Geschichte, erinnre ich mich, sagte der Arrestat, sie kam ja bei allen Officier¬ corps zur Sprache. Die Meinungen waren sehr ge¬ theilt.“ „Kinder! rief der Rittmeister. Ueber die Sache ist längst Gras gewachsen. Laßt die Todten ruhen.“ „Den Teufel auch, rief der Wachthabende. Der Louis Bovillard ist noch lebendig, und wie! Die Sache muß noch mal zu Ende kommen.“ „Die Hetzpeitsche!“ jubelte der Cornet. „Man wäre auch schon einig darüber geworden, wenn nicht —“ „Der Vater wäre.“ „Der sollte uns nicht geniren. Wenn man nur wüßte, ob er nicht doch ein Edelmann ist?“ „Das müßten ja die Listen der Refugi é s er¬ geben.“ „Sind nachgeschlagen, so weit wir zukonnten; da muß sich der Alte, oder Lombard zwischen gelegt haben, und unsre fanden verschlossene Schränke. Zwei verschiedene ältere Listen hatten wir nachgesehen. In der einen war ein Pierre Bovillard aufgeführt, mit dem Zusatz confiseur ; in der andern ein Sieur Pierre Bertolet Fulcrand de Bovillard, maitre de Cerisé. Da standen wir nun am Berge. Der Obrist wollte es mal unter der Hand von Lombard erfahren, der Fuchs mußte aber Lunte riechen, und antwortete: alle Refügi é s stammten direct von Adam, und alle unsre Väter wären einmal Perrückenmacher ge¬ wesen!“ „Ein Scandal!“ Der Arrestat spuckte. „Aber kriegen wir's raus, daß er vom Con¬ ditor ist —“ „Die Hetzpeitsche! jubelte der Cornet. Ich habe ein Paar Bursche aus der Neumark, die wissen sie zu appliciren. So halb polnische Race. Haben's an ihrem eigenen Rücken gelernt, und theilen herzlich gern Anderen ihre Erfahrung mit.“ „Modération! meine Herren Brüder! sagte der Rittmeister aufstehend. Wenn einer von uns den Bo¬ villard vor die Klinge fordern könnte, tant mieux, von Herzen gern, so wäre der Geschichte mit einem Mal der Kopf abgeschnitten. Bis dahin aber — vergessen Sie nicht, daß es anders ist, als es war —“ „Muß wieder werden wie's war! trumpfte der Arrestat mit der Faust auf den Tisch. Wenn sie uns die Fuchtelklinge nehmen, ist's mit der Disciplin aus. Aber kommt noch mehr eingeschobene Canaille in die Armee, Adieu dann esprit de corps , Adieu Friedrichs Geist, Adieu Preußens Ehre!“ Eine Ordonnanz überbrachte ein Rosabillet, mit Vergißmeinnicht sauber verschlungen; es schien ein Spott auf die dampfende Wachtstube: „Herrn Ritt¬ II . 13 meister Stier von Dohleneck eigenhändig zu über¬ geben.“ Der Empfänger mußte es an das trübbrennende Talglicht halten, um in dem Tabacksrauch die fein¬ gekritzelte Adresse zu lesen: „Von wem?“ „Ein Frauenzimmer brachte es. Sie wollte aber nicht bleiben.“ „Ein Rendez-vous! — Warum ist sie nicht selbst gekommen, das liebe Kind? — Kann nicht mal ab¬ warten, bis er von der Wache zurück ist.“ Der Rittmeister hörte nicht auf die Raillerien. „Hier ist's zu dunkel. Herr Bruder von Horstenbock er¬ lauben wohl, daß ich's bei ihm am Fenster lese.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, war er in die daran stoßende Kammer getreten, die Thüre hinter sich zu¬ werfend. „Vielleicht von der Jenny! rief der Cornet. Sie hat Reue gekriegt, und ist zurück.“ Der Arrestat fragte nach dem eigentlichen Zu¬ sammenhang der Geschichte, die ihrer Zeit so viel zu reden gemacht. Er hatte damals in der Provinz gestanden und nur Widersprechendes darüber gehört. Dohleneck hörte jetzt nicht zu, es sei also kein Grund hinterm Berge zu halten. „Herr von Dohleneck war nur unser Deputirter, sagte der Wachthabende, es ist daher thöricht, wenn er sich die Sache persönlich zu Herzen nimmt. Das Persönliche verschwand bei der Sache gänzlich und er war nur der Vertreter für das Allgemeine. Wie der Prinz zuletzt mit dem Blitzmädchen stand, weiß jedes Kind. Ob er aber wirklich so vernarrt war, wie er vorgab, das weiß der Himmel. Eines Abends beim Champagner verschwor er sich gegen ein zehn von uns, die er invitirt, die Hexe wäre so speciell in ihn verliebt, daß sie auf keinen andern hören würde. Nun müssen Sie gestehen, meine Herren, daß das für uns eine directe Herausforderung war. Wer wußte nicht, wie's um die Jenny stand. Also wir hielten im Geheimen eine Art Kriegsrath, und es war auch nicht eine Stimme dagegen. Es war eine Corps- Sache. Auf der Stelle ward zusammengeschossen, baar, es kam eine erkleckliche Summe zusammen, und zwei wurden ausgeloost. Sie müssen auch gestehen, Herr Bruder von Horstenbock, daß das loyal und cavaliermäßig gegen den Prinzen gehandelt war.“ „Und klug auch. Die Liebenswürdigsten und Hübschesten zu wählen, wär doch eine kitzliche Sache für die Cameradschaft gewesen.“ „Es fiel auf Dohleneck und einen andern. — Ein Billet an die Tänzerin bat um die Erlaubniß, bei ihr ein Souper en trois nach der Oper zu ar¬ rangiren, und dies kleine Souvenir mit dem Vergi߬ meinnicht als Angebinde anzunehmen. Drin lagen hundert Ducaten. Die Antwort war: sie werde das Vergißmeinnicht zum ewigen Andenken bewahren und den Tisch decken lassen. Unser Koch hatte während der Oper ein kaltes Souper, exquisite Sachen von Sala Tarone, arrangirt, und die Jenny sprang ihnen 13* schon an der Treppe entgegen. War auch keine Sylbe die Rede von Tugend und Treue, sie war ausge¬ lassen lustig, und sagte, sie wäre schrecklich hungrig. Unsre Cameraden waren's auch. Aber kaum fliegt der erste Pfropfen an die Decke, als ein Wagen vor die Thür rasselt. Sie erschrickt: „Er wird doch nicht.“ Kaum hat sie das Tüchlein wieder um den Hals ge¬ nestelt, als es die Treppe rauf knarrt. Nu aufge¬ sprungen, als die Kammerkatze reinstürzt: „Herr Je¬ mine, der Prinz, Mamsell!“ — „Retten Sie sich!“ ruft die Jenny, und wirft das eine Couvert in den Waschkorb. Die Officiere wollen ins Nebenzimmer fliehen, da holt sie die Katze zurück: „Meine Herren um Gotteswillen, da kommt er ja durch.“ Retour also, und wollen zur Stubenthür auf den Flur. Da klirren seine Sporen und er klopft. Hannchen mach auf! ruft die Jenny und hat derweil schon den großen Kleiderschrank aufgerissen: „Meine Herren, ist's ge¬ fällig?“ Platz hatten sie drin, das ist wahr, und die süßesten Erinnerungen an alle Schäferinnen, und Göttinnen, die in den Cotillons gesteckt, aber — nun das Uebrige ist kaum nöthig zu erzählen. Verschlossen waren sie, und der Schlüssel steckte in Jennys Tasche, und Jenny hing am Halse des Eintretenden, und bat ihren herzgeliebten Louis und schönsten Louis, und einzigen Louis um Verzeihung, daß sie nicht auf ihn gewartet, aber sie wäre zu durstig gewesen vom Schauffement.“ „Merkten sie's da?“ „Auf parole d'honneur haben sie vor unserm Ehrengericht versichert, der Kerl hätte täuschend den Prinzen gespielt.“ „Sie konnten Alles hören?“ „Jedes Anstoßen, jeden Kuß, das Kritzeln mit dem Messer auf dem Teller.“ „Donner und Wetter!“ „Zwei Pfropfen hörten sie gegen die Decke knallen, selbst durstig zum Verkommen und hungrig auch. Zwei Stunden saßen sie am Tisch.“ „Bloß am Tisch?“ „Meine Herren, bedenken Sie, es waren Of¬ ficiere, die da für ihre Cameraden standen. Ja sie haben eingeräumt, zuletzt entdeckten sie durch eine Ritze, daß es Bovillard war. Was aber war zu thun? Ich frage Sie, Capitain, hätten sie poltern sollen?“ „Eine verfluchte Situation und eine Frage, daß einem der Kopf schwindelt. Wenn ich für mich da¬ gestanden —“ „Hätten Sie die Thür gesprengt. Sehr richtig. Aber in dem Schranke stand das ganze Officiercorps; das erwägen Sie.“ „Nein, da durften sie's nicht.“ „So entschied auch unser Ehrengericht.“ „Aber was ward nachher daraus?“ „Sie hörten rutschen, packen, Kisten und Kasten aufreißen — man sprach unter Gekicher davon, auf den Apolloball zu gehen.“ „Und nachher?“ „Keiner schloß auf. Blieben sitzen.“ „Kam denn nicht die Kammerkatze?“ „Nicht Katze, nicht Maus; die war mit der Jenny fort. Kurz um, wie Ihnen bekannt sein wird, die Tänzerin war mit Extrapost nach Leipzig gefahren. Ist heut noch nicht zurück. Nicht einmal austrommeln lassen konnte man sie. Die Wirthin mußte endlich, als sie zu poltern anfingen, das Schloß aufbrechen lassen. Frei waren sie da freilich, aber —“ „Von wem nun Satisfaction!“ „Meine Herren, ich versichre Sie, die Sache hat uns Allen schwere Nächte gemacht. Was sollten wir thun? Bovillard fordern? Wenn es damals noch ging! Aber die Raison? Hatten sie's denn mit ihm zu thun gehabt? — Er stellte sich gegen Dritte als die pure Unschuld. War bei der hübschen Tänzerin gewesen, hatte sich ungemein amüsirt. Sollten wir uns nun blamiren und ihm mit dürren Worten sagen, daß wir uns nicht amüsirt hätten? Durften wir über¬ haupt an die große Glocke schlagen? Durften wir es vor dem Prinzen! Wer wußte denn, ob er nicht mit im Spiele steckte? Ob er's nicht eingeleitet, um mit guter Manier die Jenny los zu werden! Es war ja ein Labyrinth, ein Wespennest, in das wir stachen. Gott weiß, was draus geworden wäre. Dohleneck und der Andre wollten ihren Abschied fordern. Das ging auch nicht. Sie waren ja wir . Das ganze Officiercorps hätte den Abschied nehmen müssen. Meine Herren, ich versichere Sie, es war eine Hundegeschichte, und dazu den Bovillard ansehen müssen, der wie der Sonnenschein über die Parade spazierte.“ „Sag' ich doch, man hat zuweilen im Leben Pech und weiß nicht wo's herkommt.“ Der Rittmeister hatte die Worte des Arrestaten noch gehört, als er eintrat, den Rosabrief auf den Tisch warf, und sich auf den Schemel: „Ist das Pech, oder nicht, oder was ist es! Ich weiß es nicht.“ „Onkel, ein Rendez-vous? Will's Dir abkaufen, unbesehens. Bin generös. Den ersten Wechsel dafür.“ „Lest mal das Zeug. Ich kriegs nicht klar.“ Der Arrestat las: „„Wenn ein menschliches Herz in Ihnen schlägt, so setzen Sie Ihr Betragen nicht fort. Mein Gott im Himmel, ist es denn möglich, daß ein Cavalier, ein Officier des Königs, ein Mann, dem man sonst gute Eigenschaften nicht abspricht, im Martern eines weiblichen Herzens sein Vergnügen finden kann! Wenn Sie auf unsre Bitten nicht hören wollen, wenn Sie Ihre Schwadron täglich vorüber reiten lassen müssen, treiben Sie den Hohn wenig¬ stens nicht so weit, immer vor ihrem Fenster den Bart zu streichen. Sie sehen freilich nicht die Dolch¬ stiche, die es in das Herz der Armen drückt, denn die Balsaminen verbergen sie Ihren Augen. Wir vertheidigen die Arme nicht, sie ist ein schwaches Weib. Sie verspricht uns wohl am Abend, morgen will sie sich in die Hinterstube verschließen, aber wenn Ihre Trompeter um die Ecke blasen, reißt es sie mit unwiderstehlicher Gewalt an's Fenster. Wenn sie dann schluchzend, ohnmächtig in unsre Arme sinkt, verspricht sie uns freilich, es soll das letzte Mal ge¬ wesen sein, aber — vielleicht wird es ein Mal das letzte Mal sein. — Bietet denn eines Mannes Brust eine so unerschöpfliche Höhle für das Rachegefühl, daß er nie vergeben kann, und einer Frau, einer schönen Frau? Sie hat Sie beleidigt, ja, das geben wir zu, aus Uebermuth gekränkt, aber das Herz des Weibes gehört den Impulsen. Was wären wir, wenn wir ihnen nicht mehr gehorchten! — Damit Sie es denn wissen, ja dies Gefühl, Sie gekränkt zu haben, ist es, was an ihrem zarten Dasein nagt, diese Vor¬ würfe, die krampfhaft ihre Brust durchschütteln, die sie im Schlaf aufschreien lassen, die Wermuth in den Becher der Freude träufeln. Und das könnte ein Mann ruhig ansehn, und sich durch die Qualen, die er einer Frau bereitet, geschmeichelt fühlen! — Nein, mein Herr, es kämpft noch immer mit mir der Gedanke, daß unter diesem brüsken, zur Schau getragenen Affront — ein andres Gefühl sich nur gewaltsame Selbsttäuschung erheuchelt! — Ich wiederhole meine Bitte, besinnen Sie sich, nehmen Sie Urlaub; ent¬ fernen Sie sich einige Zeit aus Berlin. Die Zeit heilt viele Wunden. Es ist alles vorbereitet; man wird Ihnen bereitwillig Urlaub ertheilen. Auch wenn Sie augenblicklich der Mittel entbehrten, soll dafür gesorgt werden. Es gilt ja das Glück einer der edelsten Seelen. — Bleiben Sie aber doch dann, dann — nein ich lasse es mir nicht abstreiten, was ich ahne — Dann hören Sie mehr von mir.““ „Na was ist das, Dohleneck?“ „Ja, was ist's! So soll doch Gott den Teufel todtschlagen, wenn ich 'ne Sterbenssilbe von verstehe!“ „Der Brief deutet auf andres, was voranging?“ „Freilich, schon zwei solche Wische, und neulich auf der Maskerade ward mir was ins Ohr geflüstert. Ich glaube, ich bin in einem Tollhause.“ „Herr Bruder besinnen Sie sich, sagte der Wacht¬ habende. Da sind ja viele Indicien im Briefe: — eine schöne Frau, also ist's kein Mädchen, eine Frau, die Sie beleidigt hat, eine Frau, an deren Fenster Sie täglich vorbeireiten. An welcher Ecke lassen Sie die Trompeter blasen? Und Balsaminen stehn am Fenster.“ „Onkel, übertrags mir, ich kriegs raus. Du bist immer so commode. Hast's lieber, wenn's Mäd¬ chen zu Dir kommt, als daß Du zu ihm gehst.“ „Herr Bruder haben wahrscheinlich einige Avan¬ cen nicht bemerkt, sagte der Arrestat, so was nimmt das Frauenzimmer übel.“ „Das will ich meinen, rief der Cornet. Aber Onkel ist auch jetzt sehr interessant geworden, seit der Geschichte mit der Jenny.“ Der Rittmeister hörte ihn nicht, er saß den Ellenbogen auf dem Tisch, die Faust an die Stirn gedrückt. Der Arrestat überflog das Billet: „Es muß eine Frau von Distinction sein.“ „Das will ich meinen, rief der Cornet. 'S ist ja mein Onkel. Wie wird sich was Ordinaires an den hängen! — Onkel, noch einmal, überlaß mirs. Parole d'honneur , ich handle nur für die Familien¬ ehre, nicht für mich. Eines Abends bring ich sie Dir im dichten Schleier in die Kaserne. Schubs in die Thür hinein: Nun versöhnt Euch! — Nachher will ich sie auch wieder nach Hause bringen. Kann ein Neffe mehr für 'nen Onkel thun!“ Der Rittmeister war aufgesprungen. Ein Licht schien auf seiner Stirn zu leuchten, und doch glänz¬ ten die Augen nicht wie eines Liebenden, der im Morgenschein ein lieblich Bild sieht, sondern wie eines aufgeschreckten Schläfers, dem ein Gespenst an der Wand vorübergleitet: „Donnerwetter! Schock-Schw — —!“ wenn die es wäre!“ Da öffnete sich die Thüre und der Gefreite schritt gravitätisch auf den Wachthabenden los. Eilftes Kapitel. Ein Satz in die Löwenhöhle. Der Gefreite schulterte: „Herr Lieutenant, ich rapportire.“ „Was?“ „Es schleicht ein Verdächtiger um die Wache.“ „Was hat er gethan?“ „Er hat in's Fenster gekuckt, und dann ist er fort.“ „Warum ist er verdächtig?“ „Acht Zoll, Haare ohne Puder, kleiner Kopf, verfluchte Augen, und am Ellenbogen ein Loch, oder ist's ein Kalkfleck.“ „Und sonstens?“ „Der Vorpahl und Schlagebohm haben ihn schon gesehen. Zwei Mal ist er eingebracht worden auf dem Molkenmarkt. Einmal war er Bandit. — Da kommt er all wieder. Soll'n wir'n rein schmeißen, Herr Lieutenant?“ Der Cornet war an's Fenster gesprungen: „Höll und Teufel, das ist Bovillard!“ „Was! rief der Wachthabende, sollte der Kerl es wagen —“ „Eine Peitsche!“ schrie der Cornet, als Louis Bo¬ villard schon in der Stube stand und mit ihm bei¬ nahe zusammenprallte. Der Eintretende war nicht der, welcher zurückwich. „Eine Peitsche wünschen Sie, Cornet? Für Pferde oder für Hunde? Das muß man wohl unter¬ scheiden. Pferdegerten bekommen Sie am besten bei Conradi an der Schleusenbrücke, aber wenn Sie Hundepeitschen wollen, gehn Sie ja nicht anders, als zu Krilow, Spandauerstraße. Echtes Juchtenleder, elastisch, fein gearbeitet. Aber nehmen Sie sich in Acht, nie zu stark geschlagen. Der bestdressirte Hund knurrt, wenn man ihn mit Juchtenleder zu stark traktirt. Also merken Sie, Cornet von Wolfskehl, bei Krilow, Spandauerstraße, Eckhaus nach dem neuen Markt zu.“ Bovillard war beinahe um einen Kopf größer als der Cornet, und es schien sehr natürlich, als er ihn mit der Hand dabei auf die Schulter klopfte. Aber es war nicht natürlich, daß der Cornet es sich gefallen ließ. War's die Magie des Auges, oder was bewirkte nach solcher Ausgelassenheit solche Ein¬ schüchterung? „Was suchen Sie hier?“ trat ihm der Wacht¬ habende entgegen. „Männer von Ehre.“ Was dem Cornet geschehen, geschah jetzt mit der ganzen ehrenwerthen Versammlung. Sie schwiegen. Als wär's eine electrische Berührung, die Alle in einem Moment umgewandelt hatte! Ein Dritter würde es ein Gefühl der Geschlagenheit genannt haben. Sie wußten nicht, was sie zu thun hatten. Bovillard war wie ein Geist aus der Mauer in ihre Mitte gedrungen; ein Züscheln oder selbst nur ein Verständigen durch Blicke war nicht mehr thun¬ lich. Indessen nahm der Wachthabende das Wort: „Sie kommen in welcher Absicht?“ „Ihren Schutz und Beistand anzusprechen.“ Die Sache war auf's Neue vollständig verrückt. „Werden Sie von der Populace verfolgt?“ „Die Populace kümmert mich nicht.“ „Oder wollen Sie sich freiwillig in Arrest über¬ liefern, weil Sie —“ Der Officier hielt inne. — „Nichts weniger als das.“ „So muß ich den Herrn auffordern, sich deut¬ licher zu expliciren.“ „Mit dem größten Vergnügen.“ Der Wachthabende hatte, um seine Autorität aufrecht zu erhalten, sich auf den Schemel nieder gelassen, was der Arrestat und der Rittmeister schon vor ihm gethan. Auch der Cornet schien Willens, dem Beispiel zu folgen, als Bovillard mit einer raschen Schwenkung den vierten und letzen Schemel vor dem Wachthabenden niedersetzte, und sich selbst darauf: „Ich komme um einer Ehrensache halb.“ Alle sahen unwillkürlich den Sprecher, dann sich unter einander an. „In solchen Angelegenheiten pflegt ein Cavalier nicht selbst zu kommen, sondern durch einen Ver¬ mittler — wenn überhaupt davon die Rede sein kann,“ setzte der Wachthabende trocken hinzu. „Diesen Vermittler hoff' ich hier zu finden.“ „Donnerwetter! brummte der Arrestat. Glaubt der Herr da, oder wer's ist, den ich nicht kenne, daß wir hier solches Gelichters sind! Vermitteln! Pestilenz! Wer mir das anböte —“ „Ist wohl ein Mißverständniß,“ sagte der Ritt¬ meister. „Gewiß, fuhr Bovillard ruhig fort, wenn die Herren an Beilegen denken. Ich will nichts beige¬ legt wissen, da ich vielmehr einen Gang auf Leben und Tod vorhabe. Wo man a tempo auf zehn Schritt schießt, pflegt der Tod näher zu sein als das Leben. Diese Rücksicht bestimmt auch mich, über andere Rücksichten weg zu sehen.“ „So weit schon? Was wollen Sie denn noch?“ „Nur einen Secundanten. Auf Morgen Abend steht die Promenade an. Die Bekannten, auf die ich fest gerechnet, haben mich nachträglich im Stich ge¬ lassen, Freunde habe ich nicht, also muß ich an — Nichtfreunde mich wenden. Unter den Civilisten war meine Bemühung vergebens, ich wende mich daher an das Militair.“ „Wie — ich meine, wie kommen Sie zu uns?“ „Weil Sie auf der Wache sind. — Meine Herren, ich betrachte Sie nicht als Individuen und Personen, sondern als Vertreter Ihres Standes, und Ihren Stand als den, welcher die Ehre zu vertreten hat. In einer Universitätsstadt würde ich mich an die Senioren der Landsmannschaften gewandt haben, hier wende ich mich an Sie. — Auf der Wache stehen Sie wie im Felde. Käme ein feindlicher Of¬ ficier zu Ihnen, um eine Ehrenangelegenheit ab¬ zumachen, so würden Sie, als Cavaliere und Of¬ ficiere doch keinen Augenblick anstehen, die nöthigen Arrangements zu treffen.“ Die Officiere sahen sich wieder, halb befremdet, halb zustimmend, an. Der Rittmeister strich vergnügt seinen Bart. Der Wachthabende sagte nach einer Pause: „In solchen Dingen kommt doch Alles auf die Verhältnisse und Personen an, mit denen man zu thun hat.“ „Gewiß, entgegnete Bovillard, und ich habe keinen Grund, vor den Herren den Namen meines Adversaire zu verschweigen, Ihr Wort vorausgesetzt, daß Sie Namen und Sache bis zum Austrag ver¬ schwiegen halten wollen.“ Der Wachthabende blickte sich nach seinen Ca¬ meraden um: „Ich kann in Ihrem Namen die Ver¬ sicherung geben.“ „Was kaum noth thäte. Die Herren wür¬ den doch nicht eine Ehrensache rückgängig machen wollen!“ „Hol mich der Teufel, nein!“ brach es von den Lippen des Rittmeisters, derselbe freudig verächtliche Ausdruck stand auf den Gesichtern der andern. „Mein Adversaire ist der Ihnen wahrscheinlich nicht unbekannte Legationsrath von Wandel.“ „ Der !“ Alle sahen wieder befriedigt, fast ver¬ gnügt ihn an. „Die Sache ist contrahirt, und er hats ange¬ nommen?“ „Contrahirt, angenommen, Ort, und Waffen, Zeit bestimmt.“ Der Werth des Fremden war in der Wachtstube sichtlich gestiegen. Der Wachthabende hatte sich wieder vom Schemel erhoben. „Der Bonapartes schwarze Nachteulen hergebracht hat? Die sieben Stück Ehrenlegionen!“ schrie der Cornet. „Derselbe.“ „Na da ist nun wohl keine Frage mehr!“ rief der Rittmeister mit seiner breiten Hand auf sein Knie schlagend. Nur der Arrestat war sitzen geblieben und zün¬ dete mit dem Fidibus die Pfeife: „Kenn ihn nicht von Person. Müßten doch aber erst nähere Recherchen halten. Wie ich gehört, treibt sich der Monsieur de Wandel viel um mit dem Geheimrath — Bo¬ villard heißt er ja wohl? — Ist das nicht ein Ver¬ wandter von — ich meine von Ihnen da?“ „Ist egal,“ rief der Rittmeister, der in einen immer angenehmeren Rosenharnisch zu gerathen schien; vielleicht um die störenden Gedanken von vorhin abzuschütteln. „Wers auch sei, mit dem schleichenden Fuchs, der die Weisheit verschluckt hat, loszugehen, ist ja ein Plaisir.“ „Meine Herren, sagte der Wachthabende, sich umschauend, das ist ein eigener Casus.“ „Gegen den Kerl, der um den Bonapartege¬ sandten schwänzelt, muß man jedem beistehn,“ meinte der Cornet. „Man muß ihn aber doch auch kennen, sagte der Arrestat. Es kommt auf die Verhältnisse und Personen an, mit denen man zu thun hat, äußerten Herr Bruder vorhin.“ „Der Grund ihres Disputes ist?“ fragte der Wachthabende.“ „Gründe unter Cavalieren!“ rief Bovillard jetzt auch aufstehend. Die Hand in der Brust ver¬ neigte er sich leicht. — „Verzeihung, meine Herren, wenn ich mich getäuscht hatte. Es war nicht meine Absicht Sie zu incommodiren.“ Es war aber jetzt durchaus nicht die Ab¬ sicht der andern, sie wollten sich incommodiren lassen. „Es frägt sich eben nur mit wem wir —“ Der Redner stockte. Bovillard fiel ein: „Die Ehre haben zu thun zu haben. Sehr be¬ greiflich. Da ich nicht so glücklich bin von Ihnen II . 14 gekannt zu sein, wünschen Sie meinen Stammbaum einzusehn.“ „Das Wort Stammbaum schien wieder eine Wir¬ kung hervorzubringen. Dennoch blieb dem Wacht¬ habenden die Frage im Munde stecken. Der Arrestat fragte über den Tisch: „Sie heißen — Bovillard?“ „Wie meine Ahnen.“ „Da war auch mal hier ein Pastetenbäcker, pâtis¬ sier et confiseur Louis Bovillard .“ „Ich habe die Ehre sein Urenkel zu sein. Man rühmt ihn als einen der trefflichsten Männer in un¬ serm Hause, ein Character und ein seltner Esprit.“ „Es gab aber auch unter den Refugi é s, fiel der Wachthabende ein, einen Sieur Louis Bertolet Fulc¬ rand de Bovillard, der als Maitre de Ceris é in den Listen eingetragen steht.“ „War auch mein lieber Urgroßvater, ein excel¬ lenter Mann.“ „Wie paßt das zusammen?“ „Sie waren ein und dieselbe Person.“ „Mein Herr, wir sprechen hier in einer serieusen Angelegenheit.“ „Die serieuseste von der Welt. Mein Anherr konnte die Güter von Ceris é nicht mitnehmen, als er vor Louis Dragonern bei Nacht und Nebel über die Grenze schlüpfte, aber sein Talent Pasteten zu backen, hat er mitgebracht. Er befand sich auch ganz wohl dabei. Ein jovialer Mann. Ich bin nicht stolz auf Verdienste meiner Vorfahren, die mir abgehen, aber ich darf mit Ruhm sagen, daß seine Confituren am Hofe des nachmaligen König Friedrich im besten Renommee standen. Sonst wäre er auch nicht auf kurfürstliche Durchlaucht Befehl mit nach Königsberg beordert worden.“ „Er ward mit zur Krönung befohlen!“ „Und mit zur Tafel gezogen?“ fragte der Arrestat. „Allerdings. Die große Pastete an der Krönungs¬ tafel war sein Werk. Sie nimmt in der Geschichte keinen unrühmlichen Platz ein. Wir besitzen in der Familie eine Abbildung davon. Wenn es den Herren gefällig wäre, sie zu sehen, stehe ich immer zu Diensten.“ „Und in die Pastete hat Ihr Urgroßvater seinen Adel eingebacken?“ „Wie Sie's nehmen wollen, Herr Capitain. Als sie aufgeschnitten ward, kam der bekannte Zwerg heraus. Mein Ahnherr ward gerufen, mit Lob über¬ schüttet. Ihre Majestät, die geistreiche Königin So¬ phie Charlotte setzte ihm eigenhändig einen kleinen Lorbeerkranz auf. Leibnitz erwähnt seiner und der Pastete in einer Epistel; Gundling schrieb später eine Abhandlung darüber, auch Morgenstern.“ „Und für diese Verdienste —“ „Ward er persönlich von der Perrückensteuer befreit.“ „Man muß gestehen, Ihre Familie hat eine historische Entr é e in unserm Staat gemacht.“ 14 * „Wie viele andre. Bekanntlich fällt in jene Zeit die Blüthe des Königsberger Marzipans. Gewöhn¬ lich schreibt man die Erfindung einem Schweizer Kuchenbäcker zu. Mit welchem Rechte, und ob ich Traditionen in unsrer Familie Glauben schenken darf, das bleibt für immer in den Nebeln des Alterthums verhüllt.“ „Aber da Ihre Väter in den Staatsdienst ge¬ treten sind, erkannten muthmaaßlich die Preußischen Könige durch Briefe Ihren französischen Adel an?“ „Die Bovillards haben nie etwas auf den Brief¬ adel gegeben. Kann man etwas geben, was nicht ist, und etwas vernichten was ist? So hat einer meiner Vorfahren gesagt, dem man einige Schwierig¬ keiten machte, als er aus den Kreuzzügen zurück¬ kehrte. Louis der Heilige sagte lächelnd zu ihm, als er's erfuhr: Das kommt mir vor, als wenn Martell Deinen Ahnherrn in der Mohrenschlacht nach seinem Recht gefragt hätte, den Mohren den Schädel einzu¬ schlagen. Mein Ahnherr, sagte jener zu König Louis, hätte Karl Martell antworten können: Die Römer fragten bei Zülpich nicht danach, als mein Urahn hinter Chlodwig in ihr Speerquaree einhieb.“ Bis zu den Kreuzzügen konnten ihm weder die Stiere von Dohleneck und die Kniewitze, noch die Hor¬ stenbock und Wolfskehlen genannt zu Ritzengnitz folgen. Aus Besorgniß, daß er sie nicht noch bis zur Schöpfung der Welt incommodire, erklärte man schnell das Ver¬ hör für beendet, und der Rittmeister schätzte es sich zum Vergnügen, den Herrn von Bovillard in seiner Ehrensache mit dem fremden Legationsrath zu be¬ gleiten. Bovillard bat den Wachthabenden, ihn mit dem Herrn, den er noch nicht zu kennen die Ehre habe, bekannt zu machen. Er bat es mit Ruhe und feinem Anstande. Mit demselben Anstande erfolgte die Prä¬ sentation. „Von einem Officiere Ihres Rufes konnte ich diese ritterliche Gesinnung erwarten.“ „Hol' mich der und jener, sagte der Rittmeister, ich freue mich, daß ich Sie anders kennen lerne, als ich — dachte.“ „Sei keusch wie Eis, und rein wie Schnee, du wirst der Verleumdung nicht entgehen, sagte ein Poet zu Ophelia, und es ist auch so geschehen.“ „Die sprang ja wohl in's Wasser, sprach der Rittmeister, den Pallasch umschnallend. Herr von Bovillard, wir gehn in's Feuer; da wird es anders.“ „Hat sich magnifique benommen, ganz als ein Cavalier, sagte der Wachthabende, als beide die Stube verlassen. Man muß es ihm lassen.“ Der Arrestat paffte Gedanken in die Luft, die er nicht nöthig fand, in Worten zu äußern. Sie mochten nicht ganz mit denen des Wachthabenden harmoniren. „Donnerwetter! rief der Cornet am Fenster. Sie gehen Arm in Arm!“ „Was soll nun daraus werden!“ „Die Hetzpeitsche kann er nicht mehr bekommen. —“ „Das kommt davon, wenn man einen leicht¬ sinnigen Onkel hat!“ Der neue Cavalier mochte die Gedanken der Herren in der Wachtstube mit empfinden, denn auf der Straße hatte er den Rittmeister gefragt, ob er sich nicht fürchte, in seiner Gesellschaft ge¬ sehen zu werden. Der Rittmeister konnte das Wort fürchten nicht leiden, er hatte sich mit einem um so festeren Druck an Bovillard's Arme ge¬ hängt. „Wer sich schlagen will und zum Sterben bereit ist —“ „Ueber den ist die Fahne geschwenkt, fiel Bo¬ villard in's Wort, und er ist ehrlich, wie des Scharfrichters Schwerdt den armen Sünder ehrlich macht.“ In der Caserne, wo Dohleneck wohnte, hatten beide eine lange Unterhaltung. Unmöglich konnte das Gespräch allein die Arrangements des morgen¬ den Ganges betreffen. Sie schieden mit einem Hände¬ druck, wie Freunde, die sich herzlich über Vieles aus¬ gesprochen haben. „Wissen Sie, was ich möchte? — Philosophie stu¬ diren!“ sagte der Rittmeister, als die Hände noch in einander lagen. „Warum?“ „Damit ich auf die vielen verfluchten Warum, die Einem aufstoßen, immer ein Darum wüßte. Wa¬ rum haben wir uns nun heute erst kennen gelernt? Warum haben wir uns so viele Jahre gefoppt und geärgert? — Sympathien nennen sie's. Wir stecken Beide in Schulden, sind Beide ehrliche Kerls, lie¬ ben Beide mal 'nen tollen Spaß, werden beide ge¬ plackt und gestoßen, von Schuften, die wir gründlich hassen, warum, sagen Sie, warum stecken die Sym¬ pathien nicht an der Stirn wie die Ringkragen am Hals. — Und dann — er athmete tief auf — wa¬ rum placken wir uns selbst? Warum ist nun das? Exerciren, Parade, Liebschaften, Komödie, ein Spiel¬ chen, auf die Wache kommen und wieder 'raus kommen? Wie ein Schnürchen, wenn's zu Ende fängt's wieder von vorn an. Warum leg ich mich Abends zu Bette, um Morgens aufzustehen? Und warum stehe ich Morgens auf, da ich weiß, daß ich Abends wieder zu Bette gehen muß?“ Louis Bovillards Hand faßte die des Anderen etwas höher nach dem Gelenk und er sah ihn scharf an: „Dieser Drang nach Philosophie deutet auf eine Krankheit.“ „Na, krank bin ich nicht.“ „Das Kriterium der gefährlichsten Krankheit ist der Glaube, gesund zu sein. Sie sehnen sich auf Augenblicke hinaus aus diesem Leben?“ „Weiß der Henker — zuweilen wünsche ich, es wäre aus.“ „Und Sie haben immer Appetit? „Vollkommen.“ „Alle Funktionen in Ordnung?" „Regulair.“ „Dann ist's — Sie sind verliebt.“ „Nein — nein — 's ist Eine in mich verliebt! Das ist's.“ „Das Warum?“ „Ein Andermal.“ Zwölftes Kapitel. Iphigenia. Der Unterricht, den Walter im Lupinus'schen Hause ertheilte, war einige Tage ausgefallen, weil Mamsell Alltag sich unpäßlich befand. Doch hatte der Bediente hinzugefügt, es habe nichts zu bedeuten. Walter war zufrieden, obgleich er nie zufriedener war, als wenn an den Gensd'armenthürmen die Glocke schlug, die ihn zur Stunde rief; er hatte in diesen Tagen seine Arbeit fertig machen können. Adelheid sah heute wirklich noch etwas blaß aus, aber nie hatte Walter sie reizender gesehen. Ein Häubchen umschloß ihre Locken, ein leichtes, bis unter dem Halse schließendes Morgenkleid ihre elastischen Glieder. Den griechischen Schnitt, in den die Ge¬ heimräthin sie nöthigte, hatte er nie geliebt. Der schöne Arm erschien ihm heut schöner unter dem fal¬ tigen Ueberrock, als wenn er in leuchtender Fülle aus den kurz geschnittenen Aermeln schoß. Sie war ihm rasch entgegen geeilt, sie hatte seine Hand so herzhaft gedrückt, und doch zitterte sie. Sie hatte ihr Guten Morgen! nie mit einem so festen Tone gesprochen, und doch war ihre Stimme etwas belegt. Sie hatte ihn herzlich angesehen, und doch sogleich wieder die Augen gesenkt. „Wir haben viel nachzuholen, lieber van Asten, hatte sie gesagt, darum müssen wir rasch anfangen.“ Sie saß am Tisch, er ihr gegenüber. Es war ein wunderschöner Morgen. Die Linden auf dem Hofe spielten im Sonnenschein. Der Schatten der Blätter spielte durch das geöffnete Fenster auf die Tischplatte. Es funkelte auch golden auf den Blättern des Buches. Daher mochte es kommen, daß er sich verlas; auch sie las oft falsch. Und dazu zwitscherten die Sper¬ linge, gewohnt am Fenster die Krumen zu stehlen, welche Adelheids Hand ihnen hinstreute, und eine Wespe verirrte sich in die Stube und trieb Unfug, bis man sie mit den Tüchern hinausgescheucht. Es war viel Störung in der heutigen Lection. Walter schlug vor, das Fenster zu schließen. Adel¬ heid fand die freie Luft so schön, ihr sei noch so be¬ klommen. Aber es würde schon vorübergehen — „ich werde schon Muth bekommen,“ setzte sie leiser hinzu. Sie hatten heute die Iphigenia beendet. Adel¬ heid hatte den letzten Akt gelesen. „Sie müssen mir später ein Mal die ganze Iphi¬ genia hinter einander vorlesen, wenn Sie bei voller Stimme sind, sagte Walter. Das Gedicht klingt und dringt ganz anders ins Herz mit Ihrer schönen Stimme. Das Parzenlied —“ „Heut könnte ich es nicht lesen, fiel Adelheid ein, es ist zu schrecklich.“ „Für den schönen Morgen! Sie haben Recht. Wir müssen uns heut allein mit dem Character der Iphigenia beschäftigen. Iphigenia ist der leuchtende Gedanke der Versöhnung, der in der alten Welt wie ein Strahl auf dunklem Meere erscheint, aber er fand noch nicht die eigentliche Verkörperung. Was die griechischen Dichter noch als einen Torso hinstell¬ ten, hat der Deutsche, der aus anderer Quelle sein Licht schöpfte, zur Erscheinung gebracht. Dieses Atri¬ dengeschlecht — “ „Um Gottes Willen, rief Adelheid, wie konn¬ ten die alten Dichter so etwas ersinnen! Sie sagten doch, die Griechen hätten immer der Schönheit ge¬ huldigt, und selbst dem Häßlichen wußten sie eine Wendung zu geben, daß es das Gefühl nicht ver¬ letzte. Wie ist es nun möglich, daß sie solche Gräuel erfanden, die doch unmöglich sind?“ „Unmöglich? fragte der Lehrer. Die erste Ge¬ schichte des Hellenenthums ist nur eine Verkörperung des Kampfes, den die Cultur mit der Barbarei ge¬ führt. Der Barbarei ist alles möglich, und wenn der finstre religiöse Wahn hinzutritt, ist sie zu Gräueln fähig, für die uns Begriff und Worte fehlen. Er¬ tödten wir aber die Cultur, reißen wir die edle Hu¬ manität an der Wurzel aus, welche Kunst, Wissen¬ schaft, der Geist des Christenthums jetzt durch Jahr¬ tausende gepflanzt und gepflegt, so sinken wir Alle wieder in den Naturzustand, in die Barbarei zurück, wo die Thaten der Atreus und Thyestes möglich sind.“ Sie schauderte, vor sich niederblickend. Hatte er zu viel gesagt? „Vor einer andern Schülerin würde ich das nicht sagen, aber Ihr Geist, Adelheid, ist stark. Sie selbst haben, so jung noch, Prüfungen zu überstehen gehabt, Sie haben Blicke in die wüste Verworfenheit gethan. Ist z. B. eine Mutter, die ihr Kind ermordet, nur um mit Anstand noch in der Gesellschaft weiter zu erscheinen, so viel besser, als jene rohen Barbaren, die ihrem Rache¬ trieb alles opferten! Und sind es die vielen hier, welche aus falscher Empfindsamkeit die entsetzliche That be¬ schönigten? Wissen Sie, weiß ich, welche Prüfungen auch meiner Freundin noch aufgespart sind, wie viele von denen, die Sie jetzt mit Aufmerksamkeiten über¬ häufen, die so liebenswürdig, edel, sprechen und zu handeln scheinen, Ihnen in einem ganz andern Lichte erscheinen werden!“ Adelheid sah ihn verwundert an. Er war in Gedanken vertieft. — „Es war Unrecht von mir, rief er plötzlich auf. Die Vorsehung hat uns die schönen Illusionen als Pathengeschenk mitgegeben, damit wir Muth behalten. Sie selbst lüftet für jeden nur so viel von dem Schleier, als er ertragen kann. Und Niemand hat das Recht, dem andern die schirmende Decke fortzureißen. Vergebung! Kehren wir zur Iphi¬ genia zurück.“ Er hielt die Hand zur Vergebung über den Tisch, sie schlug, ohne zu zaudern ein, und beide mußten vergessen haben, daß sie eingeschlagen hatten, denn als er in seiner Rede fortfuhr, blieben die Hände noch immer auf dem Tisch. „Das Schrecklichste hat sich nun erfüllt, das Schicksal der Atriden liegt wie ein wüster Traum im Hintergrunde. Ein sonst edler Jüngling, der den letzten Blutschlag gethan, Orestes ist der Träger des Fluches. Er wird von den züngelnden Furien ge¬ peitscht, die nur in der Nähe des Heiligthums, wo der reine Gedanke, der Geist des Gottes herrscht, vor dem Zerrissenen weichen. Er ist geflohen von der Blutstätte, von den heimathlichen Gestaden, wo jeder Stein an die Geschichte seiner Ahnen mahnt, über Meere und Berge. Aber wie der Psalmist sagt, und nähme er Flügel der Morgenröthe und flöge an's äußerste Meer, die Erinnyen folgen ihm. Da tritt Iphigenia auf, die, zum Opfer bestimmt, die Göttin schon früh mit gnädiger Hand aus dem Gräuelhause forttrug und zur Priesterin sich weihte. Sie ist das außerordentliche Weib, das den Fluch ihrer Geburt überwunden hat. Selbst längst entsühnt, ist sie bestimmt als versöhnende Priesterin zu walten. Schon hat die Macht der reinen, edlen Weiblichkeit sogar die Sitte der Barbaren gemildert und Thoas muß von ihr sagen: — es fehlt, seitdem du bei uns wohnst, Und eines frommen Gastes Recht genießest, An Segen nicht, der uns von oben kommt. Aber diesen Segen soll sie auch dem verlornen Bruder mittheilen. Der Athem ihrer reinen Brust soll den Wahnsinn auf seiner glühenden Stirne kühlen, die wüsten Bilder aus seiner zerrissenen Brust vertreiben. Er bekennt ihr den ganzen, vollen, entsetzlichen Fluch, der auf ihm lastet, er stürzt vor ihr nieder, als er sie erkennt —“ Walter mußte inne halten. Adelheid hatte plötz¬ lich die Hand zurückgezogen und hielt sich die Brust. Dann fuhr sie sich über die Stirn. „Ist Ihnen wieder unwohl?“ „Nichts, lieber Walter. — Fahren Sie nur fort, Sie erzählen so schön.“ „Es ist doch wohl besser, wir setzen heut noch die Stunde aus.“ „Nein, um Gottes Willen nein, heute muß es sein. Nicht bis Morgen wieder verschoben. Ich werde gewiß Muth bekommen. Es war nur die Vorstellung der Furien — ich möchte das Stück nie auf dem Theater sehen, so schön es ist.“ „Aber Orest wird ja geheilt.“ „Wer seine Mutter todt schlug!“ „Lesen Sie, liebe Adelheid, irgend eine heitre Rede der Iphigenia. Sie kann wie Balsam wirken.“ Adelheid las, was sie zufällig aufschlug: „Das ist's, warum mein blutend Herz nicht heilt. In erster Jugend, da sich kaum die Seele An Vater, Mutter und Geschwister band; Die neuen Schößlinge, gesellt und lieblich, Vom Fuß der alten Stämme himmelwärts Zu dringen strebten; leider faßte da Ein fremder Fluch mich an und trennte mich Von den Geliebten. — Selbst gerettet, war Ich nur ein Schatten mir, und frische Luft Des Lebens blüht in mir nicht wieder auf.“ Er nahm das Buch und schlug eine andre Stelle auf. Er suchte nicht viel, die Situation war ihm peinlich, er nahm die erste beste dithyrambische und sie las den Anfang des vierten Actes: „Denken die Himmlischen, Einem der Erdgebornen Viele Verwirrungen zu, Und bereiten sie ihm Von der Freude zu Schmerzen Und von Schmerzen zur Freude Tief erschütternden Uebergang: Dann erziehen sie ihm In der Nähe der Stadt, Oder am fernen Gestade, Daß in Stunden der Noth Auch die Hülfe bereit sey, Einen ruhigen Freund.“ Sie hatte das Buch fallen lassen, sie war aufge¬ standen. An der Tischecke schwankte sie, sie wandte sich ab, dann rasch auf Walter zueilend, ergriff sie seine Hand: „Ich habe den Freund gefunden. Walter, Sie haben mich lieb?“ Er umfaßte, aufspringend, ihre Hand, er bog den Kopf zurück, er starrte sie wie eine Erscheinung an: „Ists Traum oder Wahrheit?“ „Walter, Walter, sprechen Sie, sonst wird's ein Traum, und mein Muth verläßt mich.“ Er preßte die Hand heftig an seine Brust: „Ja — um Gottes Willen. Adelheid, Du —“ Er erdrückte den tiefen Seufzer, den er zu hören glaubte, indem er sie an die Brust schloß. Ihr Herz schlug an seinem, sie weinte an seinem Halse, aber still, nicht wie die Leidenschaft, nicht wie die Seligkeit der Liebe weint. Er sank auf den Stuhl zurück, er hielt ihre Hände gefaßt. So be¬ schaute er sie. „Es ist des Glücks zu viel, zu viel auf ein Mal. Laß mich Dir ins Gesicht sehen, ob es nicht doch nur ein Traum ist?“ „Jetzt nicht, es könnte aussehn wie die Lüge, sagte sie, nicht bis ich alles gesagt. Das Schwerste ist heraus, aber — Sie müßten ja roth werden über mich, wenn — wenn nicht alles so gekommen wäre, wie es ist.“ „Wie es ist! wiederholte er. Du sahst in mein Herz. Du erbarmtest Dich meiner, um mich nicht länger in Hangen und Bangen zu lassen.“ Sie schüttelte den Kopf: „Nein, Walter. Sie müssen sich nicht anklagen, um mich zu entschuldigen. Sie waren nicht in Hangen und Bangen, Sie sind ein Mann.“ „Nun fort das kalte Sie, rief er. Ich nehme Besitz von meiner Eroberung.“ „Du wußtest recht gut, daß, wenn Du mich fragtest, ich nicht nein sagen könne. Und, weiß Gott, nicht um Dir das Herz zu erleichtern, habe ich ge¬ sprochen.“ Er wollte sie noch einmal an sein Herz drücken. Aber sie entwandte sich sanft seinen Armen. „Keinen Kuß auf eine Unwahrheit. Es muß jetzt volle Wahrheit zwischen uns sein.“ „Unwahrheit!“ Sie nickte mit einem thränenfeuchten Blick. „Laß mich nur einen Augenblick Athem schöpfen.“ Sie hatte sich an den Tisch gesetzt, der Kopf gleitete in die Arme. Er hatte sich leise an ihren Stuhl gestellt und legte sanft den Arm auf ihre Schulter. „Ich habe Dich lieb und bin bei Dir und Du hast mich auch lieb. Was hindert Dich noch?“ „Ich habe Dich lieb gehabt, seitdem ich Dich gekannt, sagte sie ruhig sich zurücklehnend, wie einen Bruder, vor dem ich mein Herz offen legen konnte. Habe ichs nicht gethan? Und wenn ichs nicht that, war es, weil ich dachte, Du läsest ja schon in meiner Seele wie in einem offenen Buche. Aber seit der — der fürchterlichen Geschichte ward es noch anders. Du allein bliebst immer derselbe gegen mich. Die andern — erst wußten sie nicht, wie sie mich ansehn sollten, und wichen mir aus. Nachher überschütteten sie mich mit Liebkosungen und Bewunderung, und machten aus mir wunder was, was ich nicht bin. Ich war doch nicht schlechter, nicht besser, Gott weiß es — aber was ich nun bin, nun ja, was ich besser II . 15 bin, bin ich durch Dich. Seit ich das fühlte, ward mir bange. Du hattest es mir vorausgesagt, durch große Leiden werde der Mensch geläutert, seine Sinne gehen auf für das Edle und Schöne und sein inneres Auge für das Ewige und Wahre. Und da sah ich, wie Du viel sorgsamer und liebevoller wardst, und mit jeder Schülerin würdest Du Dir nicht so viel Mühe geben. Und Dein Unterricht ward auch so besonders. Und da, Walter, da kam dann — ich weiß nicht wie — der Gedanke, daß es so sein müßte —“ „Und erschrakst Du vor dem Gedanken?“ Sie schwieg einen Augenblick: — „Nein gewiß nicht, Walter. — Wo konnte ich besser aufgehoben sein, dachte ich, wer sollte mich besser zum Rechten führen und schützen! Ich gewöhnte mich so daran, daß —“ „Du gewöhntest Dich nur daran!“ Jetzt erschrak sie vor dem Ton der Frage. Sie legte sanft die Hand auf seine, und blickte ihn klar an: „Hast Du nicht zuweilen gemerkt, daß ich lächelte? Ich dachte dann an das, was Du oft gesagt, der Mensch erzieht sich selbst, und man kann keine Natur ändern. Und Du wolltest mich doch ändern, so wie Du mich wünschtest. Und dann widersprach ich aus Uebermuth. Nur aus Schelmerei, ich nahm mir im Herzen doch vor, zu werden, wie Du es wünschtest.“ „Das hattest Du Dir vorgenommen und ich war der Gegenstand Deiner Gedanken!“ „Und da kam ich auf curiose Dinge. Ob ich Dir auch würde auf die Schulter klopfen, wie Mutter thut, wenn sie den Vater freundlich haben will. Wenn Vater auffährt, ob Du auch zornig werden könntest? Und ob ich dann auch so machen dürfte, wie Mutter thut, um ihn wieder gut zu machen. Ich muß Dir sagen, es kam mir nicht ganz recht vor, wenn auch Mutter sagt: so muß man die Männer behandeln, wenn man Friede im Hause haben will. Du bist doch ein ganz andrer Mann, und ich meinte, wir müßten uns jeder dem andern grad heraus sagen, was er denkt. Ach und tausend Dinge. Aber, Walter, das dachte ich alles weit entfernt.“ „Hast Du nicht auch gedacht, daß Du jetzt in einem glänzenden Hause bist, eine gefeierte Schönheit, von Bewerbern umschwirrt, die von ihrer Anbetung sprechen? Hast Du nicht an Dein Herz gefühlt, ob, wenn der Eine oder der Andre ernst spräche —“ „Nein, fiel sie rasch ein. Sie sind mir alle gleichgültig.“ „Aber die Geheimräthin! Du bist ihr Augapfel. Sie wünscht, daß Du eine gute Partie machst, sie sucht vielleicht schon nach einem passenden Gatten, der Dich über Deinen Stand erhebt. Vielleicht auch, sie ist kinderlos, reich, das große Vermögen kommt von ihr —“ Sie faßte mit Heftigkeit seine Hand. „Nein Wal¬ ter, das denke um Gottes Willen nicht. Ich habe nie daran gedacht.“ 15 * „Und der Gedanke ist so natürlich. Du schau¬ derst ja fast.“ „Ich begreife es oft nicht, warum ich nicht mehr Dank für sie fühle, aber — aber lassen wir das! Walter, verrathe mich nicht, und deute es mir nicht schlimm, es ist mir oft, als möchte ich je eher je lieber aus diesem Hause fort. Es ist mir so heiß, so bang oft —“ „Aber weißt Du, in welches ich Dich führen könnte? Ein armer Gelehrter, — würdest Du aus Deinem Reichthum mir in eine Hütte folgen?“ „Sie sah ihn mit ihrem klaren Lächeln an: „Ja, Walter. Ich bin ja nicht für den Reichthum geboren. Wer weiß, wenn sie meiner überdrüssig wird, setzt sie mich hinaus. Da müßte ich mir vorsorglich ein Ob¬ dach suchen. — O pfui! keinen Scherz. — Aber ich habe mir es auch gedacht, daß Du zu stolz sein könn¬ test, weil Du arm bist. O ich liebe Dich so stolz, wenn Du den reichen und vornehmen Herren kein Wort, keinen Blick schuldig bleibst. Wie viele bücken sich und kriechen, Du gehst grade. — Nein, Walter, auch darum nicht, nicht, weil ich Dir zu Hülfe kom¬ men wollte — Ach, hilf mir doch — das Schwerste ist heraus, und das Allerschwerste steckt noch in der Brust.“ Sie barg ihr Gesicht an seinem Halse. Er strich über ihre Stirn; er bat sie zu denken, sie sei in der Kirche wie die fromme Katholikin, von der sie neulich ge¬ lesen, und er ihr Beichvater. „Neulich, nach unsrem Feste — Du weißt von dem unglücklichen Zufall. Ich verlor meine Besin¬ nung, Jemand trug mich aus dem brennenden Zim¬ mer. Häßliche, gleichgültige Menschen kamen und gingen; aber in der Nacht, als es still ward, halb wachte ich, halb träumte ich — die andern hatten mich wohl vergessen in dem Wirrwar, und die Nacht¬ lampe brannte dunkel, da schlich es herein. Er über¬ raschte mich —“ „Gerechter Gott!“ „Nein Walter, erschrick nicht.“ „Wer?“ „Ich kannte ihn, und darf ihn doch nicht nennen. Er umfaßte meine Knie, wie der Orest das Bild der Göttin, und seine schönen Augen rollten, wie eines Wahnsinnigen. Ich wollte aufschreien, mich los¬ machen, aber ich konnte nicht, wenn ich ihm ins Auge sah. Ihn peinigten ja auch, wie den Sohn des Agamemnon — die Furien.“ „Was wollte der Freche?“ „Er bat mich, daß ich vergessen, vergeben sollte.“ „Was solltest Du ihm vergeben?“ „Das ist aus der alten schrecklichen Geschichte —“ „Von der kein Wort! — Die Geheimräthin er¬ wähnte neulich eines Unverschämten, der Dich auf der Straße verfolgt —“ „Ach, Walter, jetzt verstehe ich erst, was wir in den Gedichten lasen. Ist das Liebe, so ist ja Liebe eine Krankheit, vor der Gott Dich und mich bewahre. So muß Orest krank gewesen sein.“ „Er sprach seine Leidenschaft aus, er quälte, marterte Dich? — Weiß jemand darum?“ „Keiner soll davon wissen, außer Dir. Dich nehm ich aus.“ „Du versprachst ihm Verschwiegenheit?“ „Ihm nicht, mir gelobte ich sie aus — einem Mitleid, das ich noch nie empfunden. Walter, o hät¬ test Du ihm in das Gesicht gesehen, das schöne, fürchterliche Gesicht. Bald ein wildes Thier, das mich zerreißen konnte, bald wie ein Kind so sanft. — Ich bedurfte keines Beistandes, keiner Hülfe, glaube es mir, gewiß nicht. Ich wäre ihm wie eine Heilige, eine Göttin, eine Priesterin, deren Wünsche ihm Befehle sind. —“ „Das ist die Sprache der Wüsten! Du kennst diese Menschen noch nicht. Wo ihre gewöhnlichen Künste nichts fruchten, sie einen Widerstand finden, den sie damit nicht bewältigen, stehlen sie aus der Seele ihres Opfers die edelsten Gefühle, um sie zu über¬ listen. Mit Thränen, empfindsamen Reden nesteln sie sich wie der Mehlthau an die Fasern und Fäden einer edlen Seele. Sie reißen die Brust auf, um Schmer¬ zen zu zeigen, die sie erheuchelt, und indem sie das Mitleid aufrufen, spritzen sie Gift in die arglose Seele der Theilnehmenden.“ Sie sah ihn ruhig an, und schüttelte den Kopf: „Du kennst ihn nicht; der nicht. Nein, Walter, das war keine Täuschung. Er schüttete seine volle Seele, seinen brennenden Schmerz, seine Selbstanklagen aus. Und dahinter blieb nichts zurück, kein Fältchen. — Wie eines Wahnsinnigen Reden klang es, ja; aber wie die Wahnsinnigen im Alterthum, sagtest Du, die Wahrheit verkündeten. So spricht keiner, daß er unwürdig sei, so entsagt keiner dem, was ihm das Liebste ist — so spricht keiner von dem Stern, der ihm zu spät geleuchtet. So nicht vom Vaterlande, das untergeht. So klagt sich keiner an, daß er zu früh verzweifelt und darum selbst in dem Sumpfe versank, wo keine Rettung ist. Ich reichte ihm meine Hand, ich sagte, ich wollte ihn aufziehen, er rief, berühre mich nicht, es ist zu spät! Walter, das vergeß' ich nie, das klang wie das Parzenlied. Da ist ein edler Mensch verloren gegangen.“ „Verloren! rief Walter, in sich hinbrütend, das ist ein schrecklich Wort.“ Sie ergriff seine Hand: „Und darum, Walter, darum habe ich gesprochen, wie ein Mädchen nicht sprechen soll. Und nun betrachte mich wie Dein Eigenthum; ich bin ganz ruhig und zufrieden. Schalte und walte damit, wie Du willst, schilt mich, züchtige mich, daß ich den Schleier der Schicklichkeit zerriß, daß ich nicht abwartete, bis Du gesprochen. Bin ich nicht auch, wie die griechische Fürstentochter, fortge¬ rissen aus dem Hause der Eltern, in die Welt ge¬ stoßen. Mein Gott hat es so gewollt, daß das Schrecklichste, Unerhörteste an einem armen Mädchen vorüberging. Da ward sie eine andere. Und Du bist der Mann, an den sich das schwache Mädchen lehnt, Du der Einzige, den ich werth fand, mich ihm zu geben, wie ich bin. War's Recht oder Unrecht, nun ist's an Dir, zu entscheiden. Du aber bist nun die Säule, an die der Epheu sich rankt, Du der Freund, den mir die Götter erzogen. Du sprichst nun für mich. So an Dich mich schmiegend, will ich stehen, wenn neue Stürme drohen, und der Un¬ glückliche, der Verlorene, wenn er wieder kommt, Deine Verlobte, Walter, wird, ruhig und heiter, nicht mehr erschrecken.“ Die Schwalben und die Bienen, und die Sonne in der Linde schauten auf einen Glücklichen und eine still Zufriedene. Ein Moment, von dem Dichter jener Zeit gesagt hätten, daß Götter die Sterblichen darum beneiden könnten. Der Neid der Götter war immer gefährlich, aber auch jene Götter täuschten sich und wurden getäuscht. Sie schaukelten über den Spiegel auf der See und sahen nicht den Sturm, der schon ihre Tiefe aufwühlte. — Ueber die Dächer tönte es vom Gensd'armenthurm. Die Lehrstunde war wohl zu Ende. Sie hörten mit Schrecken die Schläge. Es waren aus der einen Stunde drei geworden. Das süße Geheimniß, was es für andre noch bleiben sollte, durfte es nicht vor der Pflegemutter. Walter hatte es so gewollt. Adelheid erkannte seine Gründe an, aber sie seufzte, als sie aufstanden. Es war ein schwerer Gang. An der Thür der Geheimräthin hörten Sie ein Gespräch. Es war Wandels Stimme. Lisette, die hinzukam, sagte: Frau Geheimräthin wolle nicht ge¬ stört sein. — Adelheid athmete auf. Walter drückte ihre Hand: „Also ein andermal, theures Fräulein.“ — „Die sind auch einig,“ sagte Lisette, nach dem sie die Flurthür hinter ihm zuschloß. Dreizehntes Kapitel. Auch eine Lehrstunde. In dem Gespräch zwischen der Geheimräthin und dem Legationsrath mochte auch schon weit über eine Stunde verstrichen sein. Es war gewissermaßen auch eine Lehrstunde, aber vom ursprünglichen Gegen¬ stande mochten sie ebenfalls weit abgeschweift sein. Wir fanden neulich die Geheimräthin in aigrirter Stimmung auf den bewunderten Mann. Jetzt saßen sie beide im intimsten Seelenverkehr auf dem Kanap é . Die Aussöhnung war längst erfolgt. Am Morgen nach der Gesellschaft war er schon vor Mucius und vor Selle dagewesen, er hatte ihr von dem präpa¬ rirten Aether gebracht, der sie wunderbar schnell ge¬ stärkt und hergestellt? Er hatte Mucius durch seine Kenntnisse, die er in bescheidene Fragen einkleidete, überrascht, daß der Doctor beim Weggehen geäußert: „Das ist ein Tausendkünstler, Madam! Den müßten wir setzen lassen, daß er nicht ins Handwerk pfuscht!“ Hatte er nicht Selle, der durch das Versehen des Dieners auch bestellt worden, so geschickt in die Con¬ sultation zu ziehen gewußt, daß er die Verlegenheit der Geheimräthin nicht merkte! Wie gesagt, es war alles ausgeglichen, — zwischen ihnen, aber nicht die tiefe Falte auf ihrer Stirn. Noch heut verrieth sie den Riß in der Brust. „Ich werde gar keine Gesellschaften mehr geben,“ hatte sie gesagt. „Gott sei Dank!“ sagte er. „Warum?“ „Weil Sie endlich zur Ueberzeugung kamen, daß man das für die Menschheit sich opfern den Narren überlassen muß.“ „Sie meinen doch nur für die reale Menschheit, die in ihren Flitterkleidern ihre Armseligkeit zu ver¬ bergen sucht.“ „Und was ist die nicht reale Menschheit? Sollen wir uns für den Begriff begeistern, der zwischen Adam und dem jüngsten Wiegenkinde liegt?“ „Aber was ist der Mensch, der sich für nichts interessirt! Für irgend etwas muß er doch der Opfer fähig sein, er muß leben, oder er kehrt zum Thier zurück.“ „Physiologen behaupten, daß jedes Menschen¬ gesicht eine Aehnlichkeit mit einer Espe ç e derselben hat.“ „So wäre es an uns, zu entdecken, mit welchen wir Verwandschaft haben. Und wenn wir's wissen, sind wir am Rande unsrer Erkenntniß.“ „Moralisten behaupten, daß es alsdann unsre Aufgabe sei, dieses Thier zu bekämpfen.“ „Mit welchem haben Sie zu kämpfen?“ fragte die Lupinus. „Sie sind in aigrirter Laune, theuerste Frau. Das ist eigentlich die beste. Mit diesem moralischen Scheidewasser spülen wir am schnellsten die sensualen Auswüchse ab, die uns an unserm Glück hindern.“ „Was verstehen Sie unter diesen Auswüchsen?“ „Die sogenannten wohlwollenden Gefühle, die die ärgste Lüge sind, der Selbstbetrug, der uns am klaren Denken, am folgerechten Handeln hindert.“ „Sie lenken von meiner Frage ab. Für was lebt der Mensch?“ „Nur für sich selbst.“ „Aber in dies Selbst schließen Sie die Ideen, Bestrebungen, Illusionen, wie Sie es nennen wollen, ein, die unser Dasein über das Vegetiren der Pflanze, über den Instinct der Thiere erheben?“ „Vielleicht.“ „Warum nur bedingt? Sie wollen ihn noch nicht bewundern, aber Sie anerkennen Napoleon.“ Er hatte mit unterschlagenen Armen, im Sopha zurückgelehnt, gesessen. Er sah sie scharf an: „Wollen Sie ein Napoleon werden?“ „Thorheit!“ „Fühlen Sie Beruf, eine Semiramis, Zenobia zu sein, oder eine Maria Theresia, Katharina?“ „Das liegt ganz außer meiner Sphäre.“ „Das ist das Lösewort. Wer die Gränzen seiner Sphäre erkennt, weiß wofür er lebt. Er weiß auch, wie er leben soll, das heißt, er kennt die Mittel, mit denen er wirkt, bis wohin er wirken kann. Wenn er aber das weiß, weiß er auch, daß nichts ihn hin¬ dern darf, so zu wirken, wie er kann , sagen wir muß . Was man will und kann , muß man; es giebt keine höhere Aufgabe. Das aber ist die Krank¬ heit unserer Zeit, das Siechthum unserer Halbwollen¬ den, daß sie den großen Männern ihre großen End¬ ziele abstehlen wollen. Haben sie Adlerflügel, Ti¬ tanenkräfte? So flattern sie, wie die Motten, ins Licht und zerstoßen ihre blutwarmweichen Hirnschädel, mit denen sie Mauern einbrechen wollten, am ersten besten Zaunpfahl. Daher diese Idealisten, Staats¬ künstler, Menschheitsverbesserer! Was war es, das sie den Großen abstehlen sollten? — Die richtige Erkenntniß ihrer Sphäre, die sie füllen, der Kräfte, über die sie gebieten können. Der achtzehnte Brü¬ maire wäre ein Verbrechen, nein eine Dummheit ge¬ wesen, wenn der Lieutenant von Toulon ihn gewagt, für den Sieger an den Pyramiden ward es eine Tugend, die Europa und die Welt bewunderte; er wußte was er konnte.“ „Und was können wir, die wir nicht wissen, was wir wollen, können?“ „Kein Mensch ist so gering, daß er nicht etwas will, was scheinbar über die Verhältnisse, über seine unentwickelten Kräfte hinausgeht. Aber wenn er den Muth hat, es sich zu gestehen, so wachsen schon da¬ durch unvermerkt diese Kräfte. Liegt das Ziel im Kreise des Möglichen, wohlverstanden für ihn, so ist es auch für ihn erreichbar. — Ich bin entfernt davon, in Ihre geheimen Wünsche dringen zu wollen; aber denken Sie sich, meine Freundin, einen solchen Wunsch, den Sie bisher für unerreichbar hielten, verkörpern Sie ihn sich, und überrechnen Sie dann die Mittel, die Ihr Geist, Ihr Vermögen, Ihre physische Kraft, Ihre Freunde Ihnen bieten. Reichen diese Mittel aus, so sind Sie am Ziel; denn es ist allein Ihre Schuld, wenn sie es nicht erreichen.“ „Das ist ein gefährlicher Gedanke.“ „Warum? — Gesetzt, Sie fühlten sich unglück¬ lich mit Ihrem Gatten —“ „Ich bitte Sie, Herr Legationsrath — “ „Nun Sie wünschten ihn zu einem lebenslustigen Mann zu machen. Ist das etwas Unrechtes? — Doch es ist ein indiscretes Beispiel, Verzeihung! Also um¬ gekehrt — Sie wollten sich ganz der Armenpflege widmen, Ihr Haus zum Hospital umschaffen, selbst Krankenwärterin werden. Ihre Mittel wären end¬ lich erschöpft, ja, meine Freundin, die Möglichkeit wäre da, daß Sie ihm auch seine Stube nähmen, seine Bibliothek verkauften — “ „Ach, der arme Mann!“ „Nur nicht Mitleid! Wer etwas will, muß diese Rücksichten verbannen. Sehn Sie, die Fürstin Gar¬ gazin möchte uns alle zu Convertiten machen, sie scheut keine Mittel — gar keins, wenn sie nur Einen bekehren kann.“ „Mein Mann stürbe, wenn er von seinen Bü¬ chern lassen müßte.“ „Und wird von ihnen lassen müssen, wenn er von Allem läßt! Doch, um wieder auf Bonaparte zu kommen, wie viel Peripherien hat er, eine nach der andern, um seinen jeweiligen Standpunkt gezogen, weit, weiter, und das ist das Bewunderungswürdige, nicht seine gewonnenen Schlachten, sondern daß er, im Mittelpunkt des Kreises, nie über den Kreis hin¬ ausgriff! So ward er Consul, Kaiser —“ „O ich bin ungemein begierig, Ihre Ansichten darüber zu erfahren.“ „Wozu das, Freundin? Wozu die eigne Kraft anstrengen und uns vergessen?“ „Aber es ist so interessant —“ „Sie haben Recht — seine Familienverhältnisse! Da liegt der Hemmschu für den Giganten.“ „Die Familie erhebt er mit sich.“ „Aber Josephine hat keine Kinder. — Sie muß fort.“ „Wie! Sie hob ihn. Er kann sie doch nicht verstoßen.“ „Ei, seine Bewunderin hält ihn für so klein. Gefühle der Dankbarkeit sollen ihn an seinem Welt¬ beruf hindern.“ „Aber das Urtheil der Welt würde —“ „Den Titanen regieren! Da habe ich keine Skru¬ pel. Aber die Creolin ist eigensinnig, reizbar. Wenn sie sich nun nicht scheiden lassen will?“ „Sie meinten neulich, daß Josephine gegen ihren Mann contre operiren könnte?“ „Darüber bin ich hinaus. Sie ist nur eine Frau mit den gewöhnlichen Affecten eines Weibes. Groß im Kleinen, zu klein zu einer That, zu weich, gutherzig. Nein, nein, von der Seite ist nichts zu besorgen, aber er — Napoleon muß sich von ihr scheiden, er muß Söhne haben, er ist in voller Mannes¬ kraft, er ist durch die Verhältnisse wie von selbst zu einer Ehe gedrängt, die seine Nachkommenschaft vor der Meinung legitim macht, welche aus dem Schutt und Staub der Revolutionen aufsteigt und die Throne wieder mit einem Nimbus umzieht. Das ist ganz unabänderlich, das muß er. Und wenn sie sich nun nicht scheiden lassen will, was muß er thun? Was wird er thun? Da, Freundin, wird sichs bewähren, ob er — er ist.“ „Mein Gott, Sie meinen —“ „Bisher war er sich immer klar. Aber diese Differenz —“ „Er liebt Josephinen!“ „Was ist Liebe? Verstehn wir uns! Wir beide meinen nicht jene Veilchenduft-, jene Vergißmeinnichts¬ schwärmerei zartgeschaffener Seelen, noch jene dämo¬ nische Leidenschaft, die Mauern einreißt, um im Ge¬ nuß sich zu tödten. Das sind Kinderspiele. Ich meine die Liebe, vor der Jahre und Verhältnisse wie Plunder versinken, das in den Mysterien der Natur geborne Bündniß derer, die sich verstehen, sich das Zeugniß der Ebenbürtigkeit Einer dem Andern ausstellen. Diese Liebe bedarf keiner Besiegelung durch Lieder, Be¬ theuerung und Schwüre. Sie ist da von selbst. Die Geister wie die Blicke brauchen sich nur zu finden, und im Moment ist der Bund geschlossen, ohne Worte.“ Die Geheimräthin seufzte: „Das ist eine Vor¬ stellung, erhaben wie die Ewigkeit!“ „Und nun, frage ich, herrscht zwischen ihm und ihr ein solcher Bund? Begreift sie ihn nur? Freilich möchte sie sich sonnen in seinem Diademen-Glanze, die immer liebenswürdige Kaiserin und Französin sein, entzückend in Toilettenkünsten, Intriguen, brilli¬ rend von Esprit in der Conversation, bezaubernd die Herzen durch ihr weiches Herz, wenn er zuschlagen muß, ihm in den Arm fallend: Ach thu's doch lieber nicht! Was ist sie ihm? — Eine Last, die er ab¬ streifen muß. Er muß, sage ich, wenn er vorwärts will, und er kann es, es kommt nur darauf an, ob er Muth hat es zu wollen.“ „Mein Kopf schwindelt.“ „Traf dies Loos nicht auch solche, die er wahr¬ haft liebte? Und er vernichtete sie, weil er sie liebte.“ „Ich verstehe sie nicht.“ „Jene graubärtigen Krieger, seine Veteranen, die Säulen seines Ruhmes, die ihm nach Afrika gefolgt. Im Sonnenbrande der syrischen Wüsten war seine Mission erfüllt, er huldigte nicht der Thor¬ heit, ein romantischer Alexander sein zu wollen, er II . 16 dürstete nicht nach Eroberungen, die sich nicht halten lassen. Er mußte zurück. Konnte er die Kranken, die Verwundeten durch die glühende Sandwüste mit¬ schleppen; kaum seine Gesunden hielten die Strapatzen aus! Sollte er die Unglücklichen dem Grimm barbari¬ scher Feinde zurücklassen? Er war rasch entschlossen —“ „Sie nehmen das Gerücht für wahr an?“ „So wahr ich ihn ehre. Gewiß nach einem schweren Kampf. Wer trennt sich leichten Herzens von denen, die uns die Theuersten sind. Aber als es in ihm klar war, daß es sein mußte, zauderte er keinen Moment Hand ans Werk zu legen. Durfte er sie erschießen, erschlagen lassen? Das durfte er nicht vor dem Urtheil der unmündigen Welt, nicht vor ihnen selbst. In süße Illusionen ließ er sie ein¬ wiegen durch Opium bis — bis sie in süßen Träu¬ men von dieser Welt schieden. Wie mancher der Soldaten mag auf dem sauren Rückweg, unter Durst und Sonnenstichen erliegend, hülflos vielleicht zurück¬ gelassen, weil er sich von der Colonne verirrt, im Angesicht des Tigers, der Hyäne, deren Geheul seiner Witterung nachging, wie mancher mag an die schnell und glücklich Gestorbenen in Accum zurückgedacht, ihr Loos beneidet haben! Napoleon ging an ihren Lagerstätten umher, seine Augen blitzten sie an; dem nickte er, dem drückte er die Hand, dem rief er ein baldiges Wiedersehn auf dem Felde der Ehre zu. Sie Alle richteten sich begeistert auf, und riefen ihrem großen General ein Vivat!“ „Und im Leibe des —“ Sie hielt zusammen¬ schaudernd inne. Er spielte ein bedeutungsloses Fingerspiel. Er hatte sehr wohlgeformte aristokratisch weiße Hände. Ein sanftes Lächeln spielte um die Augen, die auf die Hände niedersahen: „Wenn wir uns nur gewöhnen könnten die Dinge anzusehen nicht wie die Leute, sondern wie sie sind! Wir würden viel glücklicher sein, und weit mehr Glück um uns verbreiten. — Hätte der große Mann sich um den Katechismus, und die Morallehrer und Gott weiß welche Gevattern und Muhmen gekümmert, was hätte er dann thun sollen? Etwa um die hunderte oder tausende Kranke nicht zu verlassen, selbst zurück bleiben, mit seinem schon geschmolzenen Heere, ohne Vorräthe, der wachsenden Zahl seiner Feinde, der Hitze, den neuen Krankheiten gegenüber? Er wäre so wahr zwei mal zwei gleich vier ist als Opfer gefallen. Dann hätten freilich alle alten Weiber und alle ro¬ mantischen Seelen sein Lob gesungen, als Märtyrer, der sich selbst geopfert für Nothleidende, und wie viel Tausende mit, das ist ihnen gleichgültig; es ist doch eine edle That. Aber daß er alsdann eine andre Mission vergessen hätte, daß es galt sein großes Frankreich aus der Anarchie zu retten, die aufs Neue ihre Polypenarme ausstreckte, daran denken diese senti¬ mentalen Gemüther nicht. Lieber die arme Fliege retten, die im Netz der Spinnen sich gefangen hat, als zugreifen, wo die Gardine Feuer fängt, und das 16* Haus kann verbrennen. Das ist die Moral, welche die sanften Seelen uns predigen.“ Er war aufgesprungen: „O wie glücklich könnte die Welt sein, wenn die Menschen es verständen, frei zu sein!“ Er war sichtlich in einer Gemüthsbewegung. Man hörte Adelheids Stimme am Klavier. „Was würden Sie thun? wandte er sich plötzlich zur Lupinus. Hier wäre Ihr Johann erkrankt, zu Ihren Füßen hingestürzt, und dort hörten Sie einen Schrei Ihrer Tochter — der tolle Mensch, durch's Fenster gestiegen, überfiele sie am Klavier. Oder, — er ist zwar zu allem fähig, — aber setzen wir nur den Fall Sie wüßten, daß er wieder zu ihr einge¬ drungen, daß er sie mit seinen Verführungskünsten zu umgarnen sucht, was würden Sie, frage ich, zuerst thun? Dort nach Ihrem Schrank mit den Essenzen springen, um den Diener zu soulagiren, oder da nach dem Zimmer zu Ihrer Tochter? Ginge Ihnen der Diener oder die Tochter vor, der kranke Mensch, der doch über kurz sterben muß, oder das blühende junge Wesen?“ „Meine Tochter natürlich, sagte die Lupinus. Aber wenn der Mensch, der Johann, inzwischen stürbe? Was würde die Welt dazu sagen?“ „Was würden Sie dazu sagen? Das ist allein die Frage. Doch nichts anderes, als: dort droht ein unersetzlicher Verlust, hier kann ein Mensch ster¬ ben, für den der Tod eine Wohlthat ist. — Leben Sie wohl!“ „Habe ich Sie beleidigt?“ „Mich?“ „Sie raunen mir da eine entsetzliche Möglichkeit ins Ohr.“ „Possen! Phantasiestücke. — A propos , haben Sie Ihre kleine Apotheke arrangirt? — Den Aether brauchen Sie, ich bitte nochmals, nur im äußersten Nothfall.“ Er war an das Glasschränkchen getreten, und übersah die Etiketten der Gläser. „Ich werde noch Ihres Unterrichts in manchen Mixturen bedürfen.“ „Nur mit keiner Sylbe gegen Jemand davon erwähnt. Doctor Mucius und die Andern wären im Stande einen Ausweisungsbefehl gegen mich zu erwirken. Die Herren Aerzte vertragen es nicht, wenn man in ihr Amt pfuscht.“ Mit einem zweiten Händedruck hatte er die Thür erfaßt, als Adelheids volltönende Stimme im Zimmer hinter dem Entree die Reichardtsche Com¬ position des Freudvoll und leidvoll, Gedankenvoll sein am Fortepiano sang. „Die Kleine singt recht hübsch.“ „Reichardt ist zufrieden. Dusseck war neulich entzückt.“ „Weil Sie gut zu essen geben — und Ihr Wein vortrefflich ist.“ „Lachen Sie nicht so abscheulich.“ „Eine gute Figur. Sie könnte auch auf dem Theater Ihr Glück machen.“ „Pfui! Darum hätte ich sie —“ „Wie Sie wollen. Aber sie genirt Sie doch wohl zuweilen. Nicht wahr? Bekennen Sie es nur.“ „Sie kann recht impertinent sein.“ „Offenherzig! Ich verdenke es ihr nicht.“ „Hat sie ein Recht dazu?“ „Wird ihr nicht hundertfach gesagt, daß sie hier der Glanzpunkt ist? Sie allein der Magnet, der die Leute in dies Haus zieht? Sagen Sie es nicht selbst, Freundin? Ich könnte mir ein Gewissen draus machen, sie zu Ihnen gebracht zu haben, wenn ich nicht wüßte, daß auch eine Philosophin zuweilen eine Narrenschule um sich braucht.“ „Einige finden sie geistreich.“ Jetzt hätte die Geheimräthin mehr Recht gehabt, sein Lächeln abscheulich zu nennen. „Es wird sich ja wohl bald für das geistreiche Mädchen eine gute Partie finden.“ „Wer weiß! Die jungen Leute sehen nach Geld.“ „Der Herr Bovillard würde vielleicht auch nicht so toll verliebt sein, wenn er nicht an eine Mariage dächte, um seine Schulden zu bezahlen.“ „Wie! Sie denken, es ist sein Ernst —“ „Wenn es Ihr Ernst ist, sie zur Erbin ein¬ zusetzen.“ „Wer denkt daran!“ „Außer sehr Vielen Adelheids Eltern, und sehr ernstlich.“ „Impertinent! Am Ende wünschen sie, daß ich noch bei meinen Lebzeiten meines Vermögens mich entäußere, um das aufgenommene Mädchen aus¬ zustatten.“ „Solche Wünsche spricht man wenigstens nicht laut aus.“ „O sie sollen sich getäuscht sehen. Ich will —“ „Keinen Eclat, meine Freundin. Keine Affecte in solcher gleichgültigen Sache. Ihr Wille ist ja genug. Sie hatten also nie im Sinne, sie wirklich an Kindesstatt anzunehmen?“ „Und wenn ich einmal daran dachte —“ „So sind Sie bei reiferer Ueberlegung von der Thörigkeit dieses Entschlusses überzeugt, und Sie sind die Frau, die in einer Aufwallung nichts ändert. Was braucht es denn mehr, die Sache ist zwischen uns — ich meine in Ihrem Geiste klar. Aber wozu das auszusprechen. Ich würde es auch nicht merken lassen. Laß die Gimpel sich doch täuschen. Wozu gab Gott jedem sein Maaß Klugheit? Warum sol¬ len wir mit dem, was wir übrig haben, den Thoren beispringen. Und vielleicht verschafft der Glaube dem Mädchen doch eine gute Partie. Und ist es einmal so weit, dann springt auch nicht gleich jeder darum ab. Das Point d'Honneur ist eine Erfindung, um die Mittelmäßigen zu reguliren. Und giebt es nicht mariages d'inclination ? Und — wer weiß, wie Sie das Mädchen auf andre Art wieder los werden? Es fügt sich so manches. — Ich lache ordentlich, daß ich Ihnen darüber Instruktionen geben will. Lassen Sie sie freudvoll und leidvoll, unter Hangen und Bangen, ihrem Schicksal entgegenhüpfen. Wir ha¬ ben doch wahrhaftig für anderes als dafür zu sorgen.“ „Der abscheuliche junge Mensch will mir nicht aus dem Sinn,“ sagte die Geheimräthin. „Er wird Sie bald nicht mehr beunruhigen,“ entgegnete der Legationsrath, indem er ein versiegeltes Päckchen in den Schrank gelegt, den Schlüssel ab¬ gezogen, und ihn in die Hand der Geheimräthin gedrückt hatte: „Bewahren Sie ihn wohl.“ „Was haben Sie hinein gethan?“ „Etwas, was Sie nur eröffnen dürfen nach meinem Tode.“ Sie starrte ihn an. Er drückte ihre Finger an die Lippen: „Auch davon still, still! Es ist nur mein Testament.“ Sie preßte krampfhaft ihre Hand auf seinen Arm: „Was haben Sie mir gesagt?“ „Daß ich einen festen Arm habe, einen sichern Blick, daß meine Kugel nie geirrt; daß — das wilde Blut des Leidenschaftlichen nicht zielen kann, und — so gewiß Sie vor mir stehen, ich werde nicht fallen . Ich habe Ihnen noch mehr gesagt, mit kaltem ruhigen Blute werde ich ihn zu Boden stürzen sehen. Das Bewußtsein, die Gesellschaft von einem Ruhestörer zu befreien, wird mir Befriedigung sein — wenn es dazu kommt!“ „Aber —“ „Weil der Zufall dämonisch ist, schrieb ich das auf.“ „Mein Freund, was soll ich mit Ihrem Testa¬ ment.“ „Es lesen — annehmen, oder verwerfen.“ Er wollte mit umgewandtem Gesichte hinaus. „Nicht so! Ich muß wissen, ob ich nichts Ge¬ fährliches im Schrank verschließe.“ „Gefährliches! — Ich hatte eine Freundin, eine theure Freundin, sie war mein Alles, ich war es ihr. Sie verstand mich, sie ging nicht in meine Ideen ein, sie ging ihnen voraus —“ „Angelica, Ihre Gattin —“ „Auch dies äußere Band sollte das unlösbare unserer Geister befestigen, — wenn das nöthig, sagen Sie möglich gewesen wäre! — als eine andere rauhe Hand es zerriß. In ihrem Testamente hatte sie mir ihr Vermögen hinterlassen, mit den Worten: „es ist ja nicht meines, es ist Deines, denn was mein war, war Dein, ich war Du, Du ich. Wirke es in Deiner Hand für mich. —“ Sollte ich es etwa nun nicht annehmen, weil die Verwandten lamentirten und Gott weiß was für Klagen wegen Uebervortheilung, Erbschleicherei, vorbrachten? — In ihrer Hand war es vergeudet, in meiner lebte es zu den großen Zwecken der Seligen. — So wird auch meine Freundin keinen Anstand nehmen, wenn ich das mir Anvertraute ihr wieder vertraue. Sie kannten mich, Sie wissen, was damit zu wirken, und wenn die Spanne Zeit zu kurz war, um unsre Geister ganz in einander aufgehn zu lassen — in dem Papiere — wozu Schrift, wo der Geist lebendig bleibt! Ihrer wird klären, wo es dunkel scheint; wo es dunkel ist, werden Sie Licht bringen. Die Verwaltung meiner Güter braucht Sie nicht zu erschrecken, es ist dafür gesorgt. Verwandte werden Sie nicht stören, die Welt der Blutsbande ist hinter mir in aschgraue Nebel versunken, — ich stand allein in dieser — die Zukunft war mein Reich — ich hoffte vielleicht neue — doch wozu das! Pfui über diese angeborne Na¬ tur, die uns immer wieder in die Sackgasse der Sentimentalität treibt.“ „Wie komme ich dazu?“ „Wie! — Er lächelte. Nein, Sie sind im Recht, Sie mußten sich darüber täuschen; es mußte Sie frappiren, daß ich in erster Zeit mich in scheuer Ferne hielt. — Ach die Entschlafene schwebte ja noch immer an meiner Bettwand — und wer ist stark genug, wenn er Doppelgängerinnen sieht. — Aber seit auch der Geist der Seligen nicht todt ist, seit — Ge¬ nug. Wir werden uns ganz verstehen lernen, und wenn nicht, wenn unter einem schrillen Accord Sie plötzlich die Saite springen hörten, dann — würden sich unsre Geister erst recht gefunden haben.“ Mit einem langen, brennenden Kuß auf ihre Hand war er rasch verschwunden. Sie betrachtete eine Weile die Hand. Ent¬ weder weil sie brannte, oder weil sie zitterte, oder fragte sie sich, warum denn die Schwägerin auf ihrem Sterbebette gesagt, daß sie spitze Finger hätte? Vierzehntes Kapitel. Im Grunewald. „Sie waren zu eilig.“ „Ich lasse nie auf mich warten,“ entgegnete der Legationsrath dem noch sehr jungen Manne, welcher diese Frage that, und dessen Aeußeres unverkennbar den Franzosen verrieth; wir setzen hinzu: auch den Diplomaten, wenn gleich die Diplomatie jener Zeit noch nicht ganz wieder die Parure der untergegan¬ genen angenommen hatte, und die moderne noch nicht erfunden war. Der junge Franzos stand unter einem Baum. Zwei Paar Pistolen lagen auf einem über dem Erd¬ reich ausgebreiteten Mantel, daneben eine Pulverbüchse, ein Kugelbeutel und was sonst zu den Vorbereitungen eines Geschäfts gehört, welches unzweifelhaft am Aus¬ gange des Kiefernwaldes im Werke war. Die Pi¬ stolen waren noch nicht geladen; der junge Mann prüfte, den Hahn abdrückend, die Schärfe der Feuer¬ steine. Sie schlugen helle Funken, Alles war im guten Stande. Der Legationsrath ging, mit gemessenen Schritten unter den Bäumen auf und ab. In der Ferne hinter dem Kieferngebüsch, in welches der hochstämmige Nadelwald auslief, bemerkte man eine leichte Kalesche, vor der zwei muthige Hengste ungeduldig den Sand stampften. Der Legationsrath sprach ab und zu, wenn er vorüber kam, seinen Secundanten an. Zuweilen schien er in Gedanken versunken ihn zu übersehen. „Wie weit rechneten Sie die Gränze?“ „Wenn Ihre Pferde in gestrecktem Gallopp auf den Seitenwegen die zweite Station erreichen, sind Sie mit dem Postrelais morgen früh auf sächsischem Grund und Boden. Es ist nur der fatale Sand.“ Der Fragende schien, während er die Antwort hörte, den Gegenstand schon vergessen zu haben: „Wenn die Sonne hinter den Hochwald sinkt, wer¬ den Sie die Position ändern müssen, Vicomte.“ „Sein Sie unbesorgt. Die Sonne wird getheilt.“ Der Spaziergänger war nach einer weitern Pro¬ menade wieder zurückgekehrt. Die Falten aus seinem Gesicht waren verschwunden, er schien sogar zu lächeln, als er an der schweren goldenen Kette die Uhr aus der Hosentasche zog: „Die Uhren können differiren. Ich vergaß meine nach der Academie zu stellen.“ „Auch ist der Rittmeister ein pünktlicher Mann, sagte der Vicomte. Nur empfahl er Vorsicht. Lieber Verspätung, als was Verdacht erregen kann.“ „Ich hoffe doch nicht, sagte Wandel, und sein Auge blitzte, daß unsrer Seits etwas versehen ist! Die Polizei hat Luchsaugen.“ „Verlassen Sie sich auf mich und den Rittmeister. Ihm ist's ein Vergnügen und mir auch.“ „Sie sollten sich in Ihrer Vergnügungslust etwas moderiren, Vicomte, sprach leiser der Legationsrath mit einem halb vertraulichen, halb strafenden Tone. Man hat hier andre Ansichten als in Paris.“ „Pah!“ „Und Sie würden nicht immer Jemand finden, der Sie aus solchen delicaten Verwicklungen heraus¬ reißt.“ „Thut es Ihnen etwa leid?“ „Mir thut nie etwas leid, was ich gethan.“ „Dann soll es mir auch nicht leid thun, daß ich Ihnen aus Dankbarkeit secundire.“ „Bereueten Sie es schon?“ „Halb und halb. — Nur aus Zärtlichkeit für meinen Chef.“ „Laforest hat viel Aufmerksamkeit für mich.“ „Weil er Sie fürchtet.“ „Fürchtet er mich wirklich?“ „Er fürchtet, was er nicht kennt.“ „Aber den Vicomte Marvilliers de la Motte Calvy fürchtet er doch nicht?“ „Was er nicht hat, macht ihn verdrießlich, und was er nie erwerben kann, bissig.“ „Die adligen Familien tauchen wieder auf am Hofe Ihres Kaisers. Er wünscht seinen neuen Thron mit alten Namen zu decoriren. Es wird manches wieder oben schwimmen, was man auf immer im Abgrund versunken glaubte.“ „ Vive la bagatelle ! rief der muntre Franzos. Es ist immer besser, als vive la canaille! Tant mieux, wenn er das Alte wieder vorzieht. Alles, nur nicht die alten Frauen!“ Herr von Wandel zog wieder die Uhr: „Ich kann mir das Unbehagen eines so ausgezeichneten Diplomaten, wie Herr von Laforest, denken, wenn man ihm junge Männer attachirt, die er für Kund¬ schafter seiner Rivalen hält, vielleicht selbst schon für künftige Rivalen, denn in der Diplomatie tritt der alte Adel unbedingt wieder in seine vorigen Rechte. Da würde es mir doppelt leid thun, Vicomte, wenn Ihre Gefälligkeit gegen mich sein Mißtrauen aufs Neue anregte. Doch läßt er Sie wohl ohnedies seine wichtigern Depeschen nicht chiffriren.“ Der junge Mann sah auf: „Meine Finger sind noch stumpf von dem Figurenmachen.“ „Die Antwort, die Hardenberg an Duroc er¬ theilte, kann ihm unmöglich schon bekannt sein.“ „Ich will sie Ihnen auswendig sagen: Preußen werde unwandelbar bei seinen bisherigen Grundsätzen verharren und treu seinem Programm: die Ruhe des nördlichen Deutschlands wahrzunehmen und zu schützen wissen. Duroc zieht mit einer langen Nase ab, wenn er Ihren König zu überreden meinte, daß er mit seinen Truppen wieder in Hannover einrücke, um es für uns gegen die Alliirten in Schutz zu neh¬ men.“ „Es ist nicht mein König,“ sagte Wandel kurz.“ „Und daß Preußen, fuhr der Attach é fort, rüstet.“ Wenn auf Wandels Gesicht einige Verwunderung sich ausgesprochen, ging sie in einen sarkastischen Zug über: „Preußen rüstet gegen Frankreich! Ei, ei, Herr Vicomte, Sie geben uns überraschende Aufschlüsse!“ „Nur für sich. Achtzig Tausend Mann zur be¬ waffneten Neutralität.“ „Man weiß doch, entgegnete Wandel, daß Ge¬ neral Buxhövden hier ist, um für die russische Armee einen Durchzug durch Schlesien zu fordern.“ „Ja, in diesem Augenblick kann er wohl noch hier sein,“ sagte schlau der Attach é . „Und — “ „Und er hat gewiß, wie wir Alle, geglaubt, die Regierung wäre so schwach oder franzosenfeindlich, oder dämlich, daß es nur eines Anstoßes bedürfe, um sie zu zwingen, sich öffentlich gegen Napoleon zu er¬ klären. Er hat auch angestoßen —“ „Und es hat eine Dröhnung gegeben.“ „Man will nicht dämlich sein, nicht absolut fran¬ zosenfeindlich, nicht eingestandnermaßen schwach und keine officielle Gliederpuppe, man empfindet die Krän¬ kung, und übermorgen bricht die Armee nach der Weichsel auf, um den Russen die Zähne zu weisen.“ Der Legationsrath hatte hier offenbar Dinge erfahren, die ihn überraschten, die neuesten Neuig¬ keiten des heutigen Mittags. Wenn er die Ueber¬ raschung auf seinem Gesichte verrieth, so merkte we¬ nigstens der Attach é nichts davon, und es stellte sich auf dem eisernen Gesichte das feine Lächeln der Ueberlegenheit wieder ein, wie des Meisters der einen Schüler auf die Probe gestellt hat, als er in gleichgültigem Tone sagte: „Die Feldkessel wurden beim Gouverneur schon gepackt, als ich vorhin ansprach. Das wird keine ernste Campagne werden. Die Ansichten, welche in der gestrigen Ministerconferenz siegten —“ „Kennen wir!“ unterbrach der Attach é . „Ich zweifle nicht an der Divinationsgabe des Herrn von Laforest. Indessen sind hier Viele so glücklich diese Ansichten im Allgemeinen zu kennen.“ „Und wir im Besondern . — Was sehn Sie mich so verwundert an, Herr von Wandel? — Ich meine das Circularschreiben an die Gesandtschaften nach Wien und Petersburg.“ Es war in der That ein so skeptischer Blick, de haut en bas , wie ein Duellant seinen Secundanten nicht anzusehn pflegt, als der Legationsrath die Hand auf die Schulter des Vicomte legend, sprach: „Ja, Herr von Marvilliers, die diplomatische ist eine an¬ genehme Carriere für einen Anfänger, wenn man uns nur nicht immer die Brosamen vom Tische als Geheimnisse aufpackte. Wenn Ihr Gesandter eine II. 17 Copie dieser Rundschrift sich zu verschaffen gewußt hat, so versichre ich Sie, er chiffrirt sie selbst um Mitternacht bei verschlossenen Thüren und in Cha¬ racteren, wozu — kaum Talleyrand den Schlüssel hat.“ Der Attach é fühlte sich gar nicht angenehm durch die Armauflegung des Legationsrathes berührt. Mit einer raschen Bewegung hatte er die Brieftasche aus der Brust gerissen und sich zugleich des Armes ent¬ ledigt, zu dessen Stütze er keinen Beruf fühlte. „Hier hören Sie! Er las von einem Papier: „„Sie werden bemerklich zu machen haben, Preußen sei von Frankreich noch nicht beleidigt, im Gegentheil bei der Theilung Deutschlands gut bedacht worden. Warum solle man einen Krieg beginnen, nicht für sich, sondern für andere? Die Verbindung, werden Sie einfließen lassen, mit Oestreich und Ru߬ land habe Preußen nie Segen gebracht. Sollte es vom Rhein her angegriffen werden, finde es in seinem eigenen, unüberwundenen Heere hinlängliche Verthei¬ digungsmittel. Schön sei es allerdings für Freunde zu kämpfen, und wenn man für Freunde, so kämpfe man für sich selbst; nur sei es Schade, daß Niemand in Deutschland so recht wisse, wer Freund und Feind sei? Und wer danke uns denn unsre Erhebung? Vielmehr fordere Klugheit und Gerechtigkeit: Zurück¬ ziehen in sich und Beobachtung strenger Unparteilich¬ keit. — Die Demonstrationen, die wir machen werden, seien nur bestimmt, um die Stimmung im Volk zu beschwichtigen. Hannover würden wir nicht besetzen, aber keinen Durchmarsch der vom König von Schweden in Stralsund gesammelten Truppen gestatten, auch nicht den Durchmarsch der Völker Seiner Majestät des Kaisers von Rußland durch Schlesien, um Oest¬ reich Hülfe zu bringen, und ebensowenig den von Truppen des französischen Kaisers durch welche Pro¬ vinzen unsres Staates es sei, um einen Angriff gegen die Staaten Seiner Majestät des Kaisers von Oest¬ reich zu effectuiren, wir würden vielmehr jedes Unter¬ nehmen der Art als casus belli betrachten, getreu dem so lange bewährten Grundsatz unseres Staates, unsre Unterthanen vor jeder Unruhe, von innen wie von außen zu bewahren.““ „Ich habe es selbst chiffrirt,“ setzte der Vicomte hinzu, das Papier wieder einsteckend. Die triumphi¬ rende Miene des jungen Mannes verzog sich als er das lauernde Gesicht des Legationsrathes sah, der mit angestrengter Aufmerksamkeit, das Auge halb zu, das Ohr vorgebeugt, hingehorcht hatte. Er hatte sich induciren lassen. Wandel hatte indeß ebenso schnell sein Gesicht in die gewohnten Formen zurück gezwängt, und auch er zog die Brieftasche heraus, hielt sie vors Auge und las — fast wörtlich dasselbe, was der Vicomte gelesen. Gleichgültig schloß er nach dem letzten Worte den Stahldrücker und steckte das Etui in die Brusttasche: „Ich wollte Ihnen nur zeigen, daß es auch andre Quellen giebt, um aus den preußischen Staats¬ geheimnissen zu schöpfen. — Nun aber wünschte ich 17* wahrhaftig, daß die Herren sich beeilten. Ich hatte mir mit dem Englischen Gesandten ein Rendezvous in der Oper gegeben.“ Er wandte dem Secundanten den Rücken, um mit raschen Schritten wieder einen Streifzug durch die Bäume zu machen. Er hatte Grund gehabt, rasch die Brieftasche zu schließen, denn wenn der Attach é einen Blick hinein gethan, würde er nur ein leeres Blatt gesehen haben. Wandel las aus der Luft; vermöge seines außerordentlichen Gedächtnisses konnte er den kaum aus dem Munde des Attach é vernommenen Brief fast Wort für Wort recitiren. Der Vicomte blies die Melodie eines neuesten Chansons in die Luft, nicht ganz mit sich zufrieden, als der Legationsrath auch unzufrieden zurückkehrte, und versicherte, daß er auch von der Höhe, wo man die Straße übersieht, keinen Staub entdeckt habe: „Wenn Sie sich geirrt hätten, Vicomte! Man kann sich in diesen Kiefernwäldern, wo die Ausgänge sich so frappant ähnlich sehen, leicht täuschen! Wenn die Herren an einer andern Seite des Grunewalds auf¬ gestellt wären, und uns dort eben so sehnsüchtig er¬ warteten, als wir sie hier!“ Der Attach é versicherte, daß er sich beim heutigen Morgenritt mit dem Rittmeister genau orientirt habe. Er wies auf einen aus der Rinde des Baumes aus¬ gehauenen Spahn. Um die Stelle genau zu be¬ zeichnen, hatte der Officier mit seinem Pallasch vom Pferde herab die Marke gemacht. Er wies auf eine Reihe von Bäumen, an denen dasselbe Zeichen sich fand. „Ich denke so ungern Uebles von meinen Geg¬ nern“ sprach der Legationsrath nach einer Weile vor sich hin. Der Attach é summte sein Lied fort und lud dabei eine Pistole. „Was wollen Sie thun, Marvilliers?“ „Die Krähe da vom Ast putzen.“ „Warum?“ „Mich zu amüsiren.“ „Verzeihung, wenn meine Meditationen Sie langweilen. Indessen wer mit einem Schritt am Rande der Ewigkeit steht —“ Der Franzos lachte auf: „Würde nicht zuschnap¬ pen wie ein Hayfisch nach einer politischen Neuigkeit, die er auf der Stelle gern an den Mann brächte, oder richtiger gesagt an eine Dame. Denn zu ma¬ dame la conseillère in der Jägerstraße reiten Sie doch gewiß, wenn die Affaire hier beendet, auf Flü¬ geln der Liebe.“ „Herr Vicomte!“ „Ich soll mich doch nicht durch die Hengste da täuschen lassen! Sie denken nicht nach Sachsen, Sie denken nicht zu sterben. Sie wollen leben bleiben, hier bleiben, und sich amüsiren.“ „Ich habe allerdings, wie ich Ihnen sagte, das Präsentiment, daß ich von seiner Kugel nicht fallen werde.“ „Solche Präsentiments in Ehren, aber was Ihren Geschmack anbetrifft —“ „Mein Herr!“ „Sie wollen doch nicht mit mir eine Kugel wechseln! Da Sie das Präsentiment haben, leben zu bleiben, müßte ich fallen, und wenn ich fiele, was würde aus den Liebesbriefen, die ich zu be¬ stellen habe, aus den Seufzern, die ich affectiren, aus den Vermummungen und Händedrücken, die ich am stillen Abend effectuiren soll? Parbleu, Herr von Wandel, wissen Sie, daß Sie mir einen Cri¬ minalprozeß auf die Schultern laden? Das wird ja eine Halsbandgeschichte. Wie die La Mothe können Sie mich an den Pranger stellen. Solche Comödienfarcen en vue und ich soll glauben, daß Sie an den Rand der Ewigkeit denken!“ „ Ce ne sont que des services d'amitié . Nichts von Eigennutz.“ „Eigennutz, ein abscheuliches Wort, wo wir nur des intérêts kennen. Von Interessen und Nutznießung ist die Rede, est-ce qu'on parle d'un mariage —! Und warum einem Fremden, dem Rittmeister, ein Glück aufdringen, und mit dreifacher Anstrengung, was Sie mit halber Anstrengung selbst genießen könnten! Und eine beauté sans pareille pour s'amuser , und ein Leierkasten, den man nur zu stimmen braucht, und er flötet Liebeslieder, wie Sie wollen, von Dur bis Moll. Warum denn nun für einen Dritten ihn stimmen! Ein Götterspaß, ein solches Weib für sich schmachten lassen, nachlaufen, unsre Schulden be¬ zahlen; um einen freundlichen Blick abzustehlen, in Schleier und Enveloppe auf unsre Stube schleichen, um sich zu erkundigen, warum wir uns so lange nicht sehen ließen, ob wir unpäßlich sind, grollen? Denken Sie sich, sie zündet Ihnen die Pfeife an. Ist das nicht auch für die Phantasie eines Deutschen ein entzückender Gedanke!“ „Ist das schon die Libertinage Ihres neuen Hofes!“ „Alt wie die Welt ist das Vergnügen. Etwas jünger vielleicht die Kunst, es sich so pikant zu machen, als möglich.“ Der Legationsrath nahm ihm mit einer ent¬ schiedenen Bewegung die Pistole aus der Hand: „Schießen Sie nicht nach Krähen, wo es eines Men¬ schen Leben gilt. Vicomte, ein guter Jäger schießt nur auf ein bestimmtes Ziel, Dilettanten feuern auch nach Sperlingen. — Halt! sie kommen.“ Um die Waldecke flogen Staubwirbel auf. Ein Reiter sprengte in gestrecktem Galopp heran. Er winkte ihnen schon von fern. „Das ist nicht der Rittmeister; er ist in Civil.“ — „Wenn ich recht sehe, sprach Wandel, sein Neffe, der Cornet.“ „Machen Sie sich aus dem Staube, meine Herren! rief der Reiter. Wir sind abgefaßt. Schon vor'm Jagdschloß. Alles verrathen.“ „Ich fliehe nicht.“ „Wie es Ihnen beliebt. Bovillard wird nach der Stadt gebracht. Ich fürchte mein Oheim auch. Ich schwenkte, ehe sie mich erkannt, um Sie zu avertiren.“ Der Vicomte sah den Legationsrath fragend an, als der Reiter bereits in der Schonung ver¬ schwand. „Packen Sie die Pistolen ein, wenn's Ihnen beliebt, wir fahren —“ „Nach Sachsen?“ „Nach der Stadt. Dem Schicksal, das meinen Gegner trifft, werde ich mich nicht entziehen.“ „Das kann eine lange Verhaftung nach sich ziehen; je nachdem —“ „Sie sind frei, Herr Vicomte. Ich überliefre mich der Behörde.“ Der Wagen war noch nicht vorgefahren, als eine andre leichte Jagdchaise heran rollte. Der Ritt¬ meister sprang heraus, ein Zeuge und ein Wundarzt folgten. Man erfuhr, was eigentlich keiner Verständigung mehr bedürfte. „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, tröstete der Rittmeister. Und wozu hilft eine Unter¬ suchung, mein Herr, auf die Sie dringen, wer eine Unbesonnenheit und gar einen Verrath beging. Die Polizei giebt ihre Quellen nicht an.“ „Aber wie begnügte man sich damit, den einen Duellanten zu verhaften, warum suchte man nicht den andern? Verdanke ich das etwa Ihrer Güte, mein Herr Rittmeister?“ „Nur Ihrer eigenen Position, sagte der Ritt¬ meister sich officiös verbeugend. Wir wußten ja nicht, mit wem wir die Ehre hatten. — Ausdrücklich ist Herr von Bovillard verhaftet worden, weil er sich einer Thätlichkeit und Herausforderung gegen eine diplomatische Person zu Schulden kommen lassen, welche in expressen Angelegenheiten ihres Souverains in Berlin war. Wegen Verletzung des Völker¬ rechts.“ Der Attach é sah verwundert auf seinen Be¬ gleiter, während der Rittmeister ein höhnisches Lächeln kaum unterdrücken konnte.“ „Wäre es möglich, rief Herr von Wandel, leicht an die Stirn schlagend. Ich bin allerdings auch hier so zu sagen im Character eines Envoy é , um die Beschleunigung einer Prozeßangelegenheit zu ver¬ suchen. Indeß wer konnte das wissen, und die ganze Sache ist ja eine Bagatelle. Der Fürst —“ „Von Bentheim-Schlotz-Baben-Oberstein,“ sagte der Rittmeister. „Der zu mediatisiren vergessen ward! lachte Herr von Marvilliers auf. Was hat denn der hier für Geschäfte, wenn er nicht inzwischen mediati¬ sirt ist!“ „Das sind die diplomatischen Geheimnisse Ihres Freundes, in die wir kein Recht haben, einzudringen, sagte der Rittmeister. Die indeß unserem Freunde einige Wochen Haft kosten werden. Was man nicht alles der Diplomatie verdankt!“ setzte er hinzu, auf den Wagen springend. Beim Heimwege war der Legationsrath ver¬ stimmt. Der Attach é konnte es nicht unterlassen, ihn als Collegen zu railliren. Er hatte herausgebracht, daß die Angelegenheit des Fürsten von Bentheim- Schlotz-Baben-Oberstein keine andre sein könne, als der Erlaß der Transitosteuer wegen tausend Kruken Schlotz-Baben-Obersteiner Mineralwasser, welche bei der Accise mit Beschlag belegt worden, zu erwirken. Wer aber konnte sich für das Mineralwasser und die unangetastete Ehre seines Regocianten so lebhaft interessiren, daß er, um zu retten, das Duell der Polizei denuncirte — wer anders als die Geheim¬ räthin Lupinus. „Sie haben ganz recht, sagte der Legationsrath, als er auf dem Gensd'armenmarkt halten ließ und ausstieg, ich gehe auch eben, um ihr zu danken, oder zu zürnen.“ Aber der Legationsrath bog nur scheinbar in die Jägerstraße ein, als der Wagen weiter rollte. Er eilte rasch um die Ecke und durch die Markgrafen¬ straße nach den Linden, wo er im Hotel der Fürstin Gargazin verschwand. Die Fürstin schrieb an ihrem Secretair an mehren Briefen, für welche die Boten warteten. Niemand sollte gemeldet werden, der Legationsrath ward aber dennoch durch einen vertrauten Kammer¬ diener die Hintertreppe heraufgelassen und sogleich empfangen. Sie hatten ein langes Zwiegespräch. Die Fürstin schrieb, was Wandel dictirte: „Das Uebrige war mir schon heut Nachmittag bekannt, sagte sie. Buxhövden ist fort, aber die Depesche wird ihn überholen. Wir sind also für heute quitt.“ Beim Abschied drückte er ihre Hand an die Lippen, und verschwand auf dem Wege, den er gekommen. Funfzehtes Kapitel. Gehn sie nach Karlsbad. „Ruhe!“ sagte der Minister. Ein andrer als der, welchen wir in seinem Tus¬ culum gesehen. — Trug der hohe stattliche Mann auch nicht Stern und Ordensband, so gehörten sie doch zu dieser Miene, dieser Frisur, dieser Gestalt, wie dazu geboren. Das Wort Ruhe, das er zum Ge¬ heimrath Bovillard gesprochen, paßte ebenso zu der ganzen Erscheinung des im Vollgefühl seiner Würde aufrecht dastehenden Mannes, ein König in seinem Zimmer. Bovillard lehnte sich, den Hut in der Hand, in die Fensterbrüstung. Er war, im Gehen begriffen, nur noch durch eine Wendung des Gespräches zurück¬ gehalten. Am Tische blätterte der Rath von Fuchsius in einer der aufliegenden Druckschriften, die er später in die Tasche steckte. „Die Oestreicher concentriren sich zwischen Ulm und Memmingen, sagte er, durch eine Bemerkung im Gespräch der beiden dazu aufgefordert Nach den letzten Nachrichten aber nicht in einer Stärke; um einen Angriff wagen zu können. Sie warten offen¬ bar auf Kutusow und die Russen, die von der Donau her kommen sollen —“ „Wenn Napoleon ihnen Zeit läßt,“ fiel Bovil¬ lard ein. „Wenn wir Kutusow durch Schlesien lassen,“ sagte der Minister. „Das soll nun freilich jetzt nicht geschehen,“ warf der Geheimrath hin. „Buxhövden ist eben so unverrichteter Dinge abgereist wie vor ihm Duroc.“ „Wir nehmen wirklich die Miene einer respec¬ tablen Selbstständigkeit an,“ bemerkte der Rath. „Sie meinen, weil wir Alle vor den Kopf stoßen, und keinen zum Freunde behalten.“ „Ei, Herr von Bovillard, von Ihnen das! sagte der Minister. Ist das jetzt auch Lombards Meinung? — Haugwitz war freilich beim Lhombre neulich ganz consternirt. Aber er leidet am Magen.“ „Excellenz, ich muß gestehen, die Sachen wachsen mir über den Kopf. Eine Bewegung wie eine Völker¬ wanderung. Und wir so ganz allein in der Mitte!“ „Sollen wir darum auch wandern!“ „Napoleon läßt seine Truppen von Boulogne, vom Rhein heranrücken. Marmont führt sein Corps von Mainz her, Wrede eins von der obern Donau, Davoust aus Schwaben. Das ist genug um die Oestreicher zu erdrücken. Und nach Allem, was man aus Paris schreibt, genügt es ihm diesmal nicht, seinen Feind zu schlagen, er will ihn vernichten. Sie studirten vorhin die Karte, sind Sie nicht der An¬ sicht, Herr von Fuchsius?“ „Wenn die Russen nicht zu ihm stoßen, sei Mack geliefert, war Herrn von Eisenhauchs Meinung. Napoleon d é veloppirt Kräfte wie nirgend zuvor.“ „Kann er nicht,“ warf der Minister ein. „Wer hindert ihn?“ „Wir. Bernadotte steht mit Hunderttausend in Hannover. Lassen wir ihn nicht durch, so ist Bona¬ parte ohne ihn nicht stärker als die Oestreicher.“ „Und wenn er nun doch stärker wäre!“ rief Bovillard. „So laßt sie sich die Köpfe zerschlagen. Wir haben Profit tout clair .“ „Excellenz, warum mußte Durocs Antrag so hochmüthig zurückgewiesen werden? Er ließ sich an¬ hören. Wenn wir Hannover für ihn besetzt, so zog Napoleon seine Truppen heraus. Für wen wir es besetzten, blieb der Zukunft zu entscheiden. Einstweilen hatten wir das ganze nördliche Deutschland damit in Händen, wir nahmen eine respectable Position ein. In der konnten wir allerdings zusehen, wie Excellenz mit Recht bemerken und konnten auch lachen, wenn sie sich die Köpfe zerschlugen. Können wir das jetzt noch, nach dem wir Napoleon durch unsre Weigerung erzürnt? Nachdem wir T ê te gegen Rußland an der Weichsel, und auch gegen ihn in Anspach und Bai¬ reuth machen? Wenn er siegt, wie wird er's uns gedenken? Wenn die Alliirten siegen, wie werden sie uns Buxhövdens Abweisung nachtragen?“ Der Minister sagte lächelnd: „Bernadotte lassen wir nicht durch Franken und Kutusow nicht durch Schlesien. Voilà , das hebt sich, und wir bleiben im Equilibrium.“ Man schwieg. „Wozu sich Sorgen machen, mein Herr Ge¬ heimrath? Haben Dinge genug, die uns kümmern“ „Wenn aber Napoleon unsre Neutralität nicht respectirte!“ „Lassen wir die Russen durch. Sie sind doch sonst ein so ruhiger Mann. Alteriren Sie die Vor¬ würfe, die man Herrn Lombard macht? Oder küm¬ mert Sie Ihr Sohn? Das ist ja nun auch abge¬ macht.“ „Ich weiß nicht, Excellenz, es ist mir zuweilen wie in einer Gewitterluft.“ „Gehn Sie nach Karlsbad, sag ich Ihnen. Hilft von Allem. Pure Hypochondrie.“ „Ich muß gestehen, daß ich sonst nicht zur, Hypochondrie neige. Indessen diese Stimmen im Publicum —“ „Da höre ich nie drauf. Ist reine Magenver¬ stimmung. Sprechen Sie doch mit Hufeland.“ „Lombard, das gebe ich zu, — in vertrauten Stunden giebt er es selbst zu, — hat sich durch Na¬ poleons enchantirendes Wesen, ich will nicht sagen, bestechen lassen, aber, er hat mit zu günstiger Stim¬ mung für seine Persönlichkeit die Dinge betrachtet. Napoleon ist undurchdringlich, er ist auch gefährlich. Mein Gott, wer leugnet das! Jetzt nun überall diese Stimme hören, diese Blicke ertragen zu müssen, als wären wir an alle dem schuld, was sich nicht än¬ dern ließ!“ „Was ist's denn, mon ami ! Werden die Inte¬ ressen der Pfandbriefe nicht mehr gezahlt? Ist Hungers¬ noth? Die Weber in Schlesien fangen an etwas zu lamentiren. Können wir dafür, daß sie nicht mehr mit Ducaten Kegel schieben? Es geht ja sonst bei uns alles in seinem Geleise fort.“ „Und mir ist, als drehte sich Alles im Wirbel.“ „Gehn Sie nach Karlsbad. Zwei Becher Sprudel täglich, nachher drei. Drei Wochen lang. Ist alles vorbei, ist alles nur Imagination.“ „Excellenz mögen recht haben, sagte Bovillard, sich zum Gehen anschickend. Nochmals meinen Dank, daß Sie sich meines fils perdu angenommen.“ „Nicht der Rede werth. Aber, wie gesagt, fort muß er, wenn er abgesessen hat. Leidet auch an Imaginationen. Die Reden, die er führt, sollen ja execrabel sein.“ „Er hat sie nicht von mir.“ „ Assurément ! Aber eben darum. Ist für Sie selbst am besten.“ „Gewiß! Aber wie?“ „Ihr Herr Sohn, sagte Fuchsius, benimmt sich diesmal weit gefaßter im Gefängniß, ja er hat selbst erklärt, es wäre ihm lieb, Berlin und Preußen auf immer zu verlassen.“ „Charmant! sagte der Geheimrath. Aber wo¬ hin? Wenn wir Colonien hätten!“ „Wenn wir die hätten! sagte der Minister und legte seufzend seine Hand auf Bovillards Schulter. Dann wäre vieles besser. Das waren die Herren von der Theorie unter den vorigen Königen! Ge¬ stehn Sie mir, Geheimrath, ist das ein kluger Staats¬ mann, der eine Domaine, weil sie nur Tausend ein¬ bringt und er hoffte 'ne Million, der sie darum für 'nen Spottpreis fortgiebt! Brauchten wir unser Korn, Holz den Engländern zu verkaufen, uns von ihnen Preise machen lassen? Müßten wir noch von ihren Colonialwaaren nehmen? Hätten wir Noth, wo unsre schlesische Leinwand lassen? Brauchten wir Rußland zu bitten, wie neulich, unsere incorrigiblen Verbrecher nach Sibirien zu schaffen! Colonien, Herr Geheimrath, und wir schafften unsre Verbrecher hin, unsre Rohproducte, unsre Fabrikwaare, Ihren Herrn Sohn auch, wir machten allein die Preise, und die Colo¬ nisten müßten kaufen und bezahlen. Wenn das wäre, könnten wir doppelt lachen über die Calamitäten um uns her; wir können es aber auch so. Sie schlagen sich, plündern, brennen, verwüsten, und wir cultivi¬ ren unser Land, protegiren unsre Fabriken. Dann halten wir Markt und machen auch die Preise. Wie steigen jetzt schon unsre Güter mit den Friedens¬ II. 18 aussichten! Wissen Sie, was man mir für Schöneichen geboten hat? — Der van Asten in der Spandauer¬ straße möchte es gern. Will das Holz schlagen lassen, Brettermühlen anlegen; aber ich lasse es ihm nicht. A propos — der Minister zog den Geheimrath bei Seite und sprach leiser — kennen Sie den van Asten?“ „Er gilt für einen sehr respectablen Mann.“ „Ja, ja, aber das intus ! Er hat viel in fran¬ zösischen Weinen gemacht. Seit dem Lager von Bou¬ logne ist das Holz in Frankreich theuer. Will nun in Brettern hinmachen und in Wein retour. Entre nous soit dit , warum soll man den Vortheil nicht mitnehmen! Warum soll ich nicht selbst mein Holz zu Brettern und die Bretter zu Geld machen, oder auch Wein. Wein im Keller ist baares Geld.“ „Und der Wein aus Excellenz Kellern unter Freunden doppeltes Geld werth.“ „Also Sie meinen, man kann ihm trauen? Aber Schöneichen laß ich ihm jetzt nicht. Wissen Sie, wie hoch es der Legationsrath taxirt?“ „Herr von Wandel ist ein Kenner.“ „Hat mir Mergellagerungen nachgewiesen, an die kein Mensch gedacht. Hat sich auch sehr nobel bewiesen gegen Ihren Sohn, seine sogenannte di¬ plomatische Qualit é ganz desavouirt.“ „Von einem so edel gesinnten Manne konnte ich es erwarten.“ „Er meinte, ob man Ihren Sohn nicht auf eine schonende Weise, etwa durch einen Courierritt nach Petersburg oder Madrid entfernen könnte? Was meinen Sie dazu? Können's ja mit Lombard abmachen.“ „Ich will darüber nachdenken.“ „Reiten ist sehr gut. Treibt auch das finstre Blut aus. Sollten auch reiten, Geheimrath, Ihr Embonpoint — aber besser, wie gesagt, ist Karlsbad. — Haben Sie solche Eile?“ „Zu Herrn von Wandel, dem ich noch meinen Dank schulde. Man trifft ihn so selten zu Hause.“ „Verschließt sich auch viel in seinem Laboratoire.“ „Oder bei der Lupinus,“ lächelte Bovillard. „Inclination!“ „Wer hätte das denken sollen!“ „ De gustibus — wissen Sie. Ueberhaupt, was der Mann prästiren kann! Sagt mir der Präsident vom Pupillencollegium, tagelang sitzt er in der Registratur ohne Refraichement.“ „Was macht er denn da?“ „Liest die Akten durch. Ich hab ihn empfohlen.“ „Wozu die Pupillenakten?“ „Was der Mann sich für Agricultur interessirt!“ „Der Grund und Boden der märkischen Güter ist doch nicht in den Pupillenakten verzeichnet.“ „Er findet Ihnen im kleinsten Umstand Ren¬ seignements. Sie glauben nicht, wie merveillös er im Diviniren ist. Aus einer Gutsrechnung, was an Gerste, Korn, Waizen gewonnen ist, zu welchen Preisen das Holz fortging, wie viel Torf gestochen 18 * ist, daraus macht er Schlüsse, zum Etonnement. Sein Kopf ist voll Verbesserungspläne für unsere Land¬ wirthschaft.“ „Um so mehr zu bedauern, daß Haugwitz einen Degout gegen ihn hat. Was könnte er im Staats¬ dienst nützen!“ „Hat er denn Gout dafür?“ „Der kommt von selbst, wenn man unter Mi¬ nistern wie Excellenz arbeitet.“ „Ich ästimire ihn sehr. Hat geniale Gedanken, zum Beispiel über Schaafzüchterei. Wie ich mich mit meinen Bauern separirt habe, das möchte er allen Gutsbesitzern zum Exempel hinstellen. Hat mir eine Rechnung aufgemacht, wie viel der Gutsherr eigent¬ lich Schaden hat bei den Frohndiensten. Ich ver¬ sichre Sie, die Augen gingen mir über —“ „Vor Freude, daß Ihr Genie ein so glückliches Arrangement getroffen. Die Bauern sind gewiß auch zufrieden. —“ „Sie wissen, wie Bauern sind.“ „Aber das Publikum verehrt Excellenz als einen Wohlthäter der unterdrückten Menschenklasse, und als der Staat für Ihre Verdienste Ihnen Schöneichen schenkte, hat er nicht daran gedacht, daß es so viel mehr werth war, als Excellenz daraus gemacht. In der Taxe, die Seiner Majestät damals vorgelegt wurde, war es ja wohl nur geschätzt auf —“ Der Minister unterbrach ihn: „Ich ästimire, wie gesagt, Herrn von Wandel sehr, indessen —“ „Seine Relationen mit der französischen Am¬ bassade?“ „Was kümmert mich das! Möchte er den Tür¬ ken dienen oder wem draußen. Aber —“ „Haugwitzs Abneigung —“ „Kümmere ich mich um Haugwitzs äußere Af¬ fairen! Was braucht er von meinen inneren zu wissen! Auch solche modernen Ideen! Jeder Mi¬ nister trägt Seiner Majestät vor, oder läßt vortragen, was er für nöthig hält, im übrigen Herr in seinem Departement, und kümmert sich nicht, was ein an¬ derer Minister will und denkt, oder nicht will und nicht denkt, und wenn ich Jemand anstelle, der Haug¬ witzs Pläne contrecarriren oder Lucchesini vergiften wollte, das ginge doch nur mich an, ob ich einen solchen Menschen behalten will oder nicht. Also 's ist nicht um Haugwitz noch um irgend Jemand.“ „Dann wüßte ich in der That nichts, was man Herrn von Wandel vorwerfen kann, als daß er keine Din é s giebt. Gewisse Personen choquirt das aller¬ dings.“ „Er hat nicht von unten auf avancirt. Ver¬ stehen Sie mich wohl, was ich damit meine. Kann das Hereingeblasene nicht leiden. Der Pli muß durch die Schule kommen. Es ist mir nicht sowohl um die Examina, denn wäre er von guter, ich meine von sicherer Extraction, so — aber — die Familie Wandel, sie mag sehr respectabel sein, je n'en doute pas, indessen im Rüxner und in Kaiser Caroli Land¬ buch finden wir keinen Wandel. Comprenez-vous? Wie gesagt ein genialischer Mann, sehr unterrichtet, generös — ich werde ihn Morgen zu Tisch einladen.“ Die Einladung war die Entlassung, oder der Wink zum Gehen für Bovillard. An der Thüre winkte ihn noch ein A propos zurück. Der Minister ging dem Rückkehrenden noch um einige Schritte entgegen, und mit einem faunischen Augenblinzeln flüsterte er in einem Tone, zwischen Herablassung und Cordialität: „ A propos , Herr Ge¬ heimrath haben ja wohl interessante Staatsconfe¬ renzen jetzt bei St. Real?“ „Verstandesspiele, Recreations in der Gewitter¬ schwüle,“ entgegnete Bovillard und war hinaus. „Wer war denn das im Vorzimmer? fragte er, als Fuchsius ihn noch im Flur des Hotels einholte. Die Physiognomie muß ich schon gesehen haben.“ „Der Sohn des reichen Kaufmann van Asten.“ „Der! — Ist ja ein Genie. Was will der beim Minister?“ Fuchsius zückte die Achseln: „Was eigentlich, weiß ich nicht. Vielleicht eine Anstellung.“ Bovillard lachte: „Sehn Sie! Hab ich's Ihnen nicht gesagt. Auch diese Genies kriechen zu Kreuz. Wenn der Vater die Tasche zuhält, soll der Staat sie öffnen. Uebrigens ist der Alte gar nicht so reich. Ein Schrullenkopf auch.“ „Beim Sohn hat es doch vielleicht andre Gründe.“ „Lieber Rath, warum kriecht Jemand zu Kreuze? Nur weil die Noth ihn drückt. Das ist das große Geheimniß der Staaten, der Zauberstab, womit die freien Geister der Obrigkeit unterthan gemacht wer¬ den. Zu hungrig muß man sie nicht werden lassen, dann beißen sie, wie der beste Hund, wenn der Herr zu stark schlägt. Aber auch nicht zu satt; sie beißen dann aus Uebermuth. Wenn man nur immer mer¬ ken läßt, daß man das Seil zum Brodkorb in der Hand hat, wedeln die bissigsten Köter uns um die Beine.“ „Ich möchte das bei dem jungen Mann bezwei¬ feln. Er kommt mit Ideen zum Minister.“ „Und will eine Anstellung! Machen Sie Berlin nicht zu einem Tollhause.“ „Der Einfluß des Herrn Fichte ist doch vielleicht größer, als der Staat denkt.“ „Der Staat denkt nicht, wir denken für ihn. Herrn Fichte's Staat und Menschheit liegt im Monde. Das wäre für Preußen jetzt freilich eine charmante Situation. — Was kann der junge van Asten für andre Gründe haben?“ setzte er im Hinausgehen hinzu. „Man spricht von einer Verlobung mit der Pflege¬ tochter der Lupinus.“ „Ah, der famosen Schönheit! Nun, da wird der junge Mann seine Fortune machen, wenn die Ge¬ heimräthin sie adoptirt.“ „Man zweifelt, daß sie dazu gewillt ist.“ „Freilich, in dem Fall würden andre Freier zugegriffen haben. Nicht wahr, Herr von Fuchsius? Eine reiche und schöne Frau ist auch für den Staats¬ dienst eine bessere Mitgift, als der Fichte unterm Kopfkissen. Din é s und eine brillante, geistreiche Gemahlin, ich sage Ihnen, das hilft in der Carriere. Nun was nicht ist, kommt wohl noch.“ Es sei nicht Zeit zum Hochzeitszuge, wenn die Gewitter am Himmel rollen, sagte der Rath. „Nun wozu ist denn Zeit!“ rief der Geheimrath, als er mit einem „Excusez , lieber Rath!“ dem Le¬ gationsrath, der um die Ecke trat, mit offenen Ar¬ men entgegen eilte. „Dazu ist Zeit! sprach Fuchsius für sich. Sich wieder in den Schlamm zu werfen, um Seifenblasen in die Luft zu spritzen! Was klagen wir die Zeit an, wenn die Menschen ihre Wahrzeichen nicht verstehen wollen. Die arme Zeit, was soll sie mit solchen Menschen!“ Im Weitergehen begegnete er dem Rittmeister, der, in Gedanken versunken, ihn nicht sah. Der Rath blickte ihm nach: „Ob es nicht Pflicht wäre, dieser Puppe den Stahr zu stechen, daß er sähe, an welchem Draht er gezogen wird. Es ist doch eine Natur in ihm!“ Er hatte es unwillkürlich halb laut gesprochen. Der Major Eisenhauch, der hinter ihm gekommen, klopfte ihm auf die Schulter: „Laßt die Puppen noch eine Weile nach der Drehorgel tanzen. Der Blitz züngelt schon, der die Drähte schmelzen wird, alle mit einem Schlage. Dann laßt uns sehen, was auf den Resonnanzboden fällt, was steht!“ „Ihre Augen glühen.“ „Die Wolken rollen; das Gewitter muß sich entladen. Abermaliger Aufschub ist unmöglich. Die zuverlässigsten Nachrichten, sagte er leiser und sich vorsichtig umblickend, kamen eben an. Napoleon darf, kann, wird die Oestreicher an der Donau nicht eher angreifen, als bis Bernadotte aus Hannover zu ihm stößt. Er darf keinen Umweg nehmen, die Stunde brennt, Napoleon muß schnell zuschlagen, bevor die Oestreicher sich verstärken; Bernadotte muß also durch die fränkischen Lande, um zur Stunde zu kommen. Wissen Sie, was es heißt, wenn Napoleon sagt, es muß sein?“ „Wenn doch ein Mensch bei uns dies Muß ausspräche!“ stöhnte der Rath. „Wo die Menschen zu schwach sind, donnern die Umstände. Er wird die Traktaten verletzen, er wird durch preußisches Gebiet brechen und wir —“ „Was werden wir thun?“ „Wenn noch ein Funke preußischen Muthes ist, zündet er und die Mine springt. Sie zweifeln noch! — Sie glauben, auch diesen Hohn könne unsre Lang¬ muth dulden! Herr, ich schelte Sie einen Hochver¬ räther an sich selbst. Ich hoffe, auch Haugwitz läßt seine Lhombrekarten fallen; auch Lombard blitzt es in einem lichten Momente, daß er eine dupe war. Wer nicht! Oder wäre der Nerv schon ausgezogen diesem eisernen Volke, Glanz und Elasticität diesem Herr¬ schergeschlechte, jene Wunderkraft, die dies Reich aus einem Nichts geschaffen, wäre lungenkrank im letzten Stadium!“ „Sei unser Genius wach!“ „Und wir auf sein Commando! Darauf kommt es an.“ „Stein ist fest. Er wird auf Hardenbergs eben so feste Unterstützung rechnen dürfen.“ „Keiner darf ruhen, wir alle müssen einheizen, schüren, jeder an seiner Stelle. Brandstifter sein wird jetzt zur Tugend und Pflicht. Keine Parteimeinungen mehr, Civil und Militair, die traurige Spaltung muß verschwinden. Die Prinzen unterstützt! Die Königin! Vor allem Prinz Louis! Die Regimenter angejubelt auf der Parade beim Marsch. Haben wir denn keine Kriegslieder, keine Dichter! Auf dem Theater Stücke, die das Blut entzünden! Wozu ha¬ ben wir Federn, Papier, Druckerschwärze, Zeitungen, wenn sie nur da sind, um Räthsel und Anektoten zu drucken. Das wäre das Mittel um Blitze —“ „Sie vergessen —“ „Die für die Gebildeten schreiben! Ins Volk die Blitze geschleudert! Das gilt es. Haß, Grimm muß die Massen durchwühlen, die Rachewuth zum Opfermuth werden. Erfinde man Gräuelgeschichten, wenn die wirklichen noch nicht zünden vom Franzosen¬ übermuth, von Schande und Schändungen, Er¬ pressungen, Hohn und Höllenlust; diese Dichtung ist heilig, es gilt ja das Volk, nicht uns. Ihm sein Alles zu retten, seine Sitte, Sprache, Geschichte, sein selbst eigenes Leben, seine Zukunft. Denn alles das steht auf dem Spiel, nicht wenn wir geschlagen werden, wenn wir nicht schlagen. Wir gehn unter in uns, und vor uns selbst. Wem dies Schrecklichste der Schrecken klar ist, der kennt keine Rücksichten mehr!“ Während Fuchsius auf der Straße seinen Freund bitten mußte, sich zu mäßigen, um keine Aufmerksam¬ keit zu erregen, stand Walter van Asten vor dem Minister. Wenn er mit Feuer gekommen war, ver¬ loderte es vor dem aufrechten Mann, der ohne eine Miene zu verziehen seine Anrede angehört hatte. Er war ins Stocken gerathen, er hatte wenigstens nicht das gesagt, nicht alles, was noch auf der Schwelle zum H ò tel, noch im Vorzimmer in seiner Brust, ein wohlgeordneter Strom der Ueberzeugung, fertig lag. „Was wollen Sie eigentlich?“ sagte der Minister. „Ich habe es in der Druckschrift, welche ich meiner ehrfurchtsvollen Bitte um diese Audienz beilegte, dargelegt.“ „Ich lese nichts Gedrucktes,“ sagte der Minister. Es war ein kalter Blitzschlag. Aber er zündete in Walters Brust. Eine Pause, dann verbeugte er sich: „So bitte ich um Verzeihung, daß ich an die unrechte Stelle mich wandte.“ Walter hatte übersehen, daß der Olymp, aus dessen Wolken der Blitz kam, seine Stirn nicht kräu¬ selte. Auch nach dieser Antwort blieb er unbeweglich. Er gab nicht das Zeichen zur Entfernung. Nach einer neuen Pause kam aus denselben Lippen dieselbe Frage: „Was wollen Sie eigentlich?“ „Jetzt nur meine Dreistigkeit bereuen.“ „Sie sind der Sohn von van Asten und Com¬ pagnie?“ „Zur Compagnie gehöre ich nicht.“ „Ein respectables Haus. Macht nur in Ge¬ schäften, die es versteht.“ Abermals eine Pause, und noch kein Zeichen der Entlassung. Aber der Olymp bewegte sich. Die Hände auf dem Rücken, ging der Minister einige Mal auf und ab: „Der Tausend noch mal wie kommen Sie denn zu dem Zeug!“ „Also hatte er sich doch vortragen lassen, von Jemand, der Gedrucktes las. Der Schluß war richtig, und Waltern ich sage nicht der Muth, aber die Lust zurückgekehrt: „Weil ich in Eurer Exellenz den Mann erkannte, welcher durch die That dem, was nothwendig wird, vorausgekommen ist. Sie sind es, der mit seinen Bauern sich gesetzt hat, der ihnen Freiheit, Eigen¬ thum zurückgab, Sie der erste, der dies glänzende Beispiel —“ „Ach also darum! unterbrach der Minister. Ich glaubte von wegen Ihres Vaters —“ „Nein, weil Excellenz erkannt, wo uns der Schuh drückt, weil Excellenz erkannt, daß diese Säule, auf welcher der germanische Staat ruht, der Bauernstand, kein Helotenstand länger bleiben darf —“ „Ja, ja, ja, also darum! wiederholte der Mi¬ nister ihn unterbrechend, und nahm eine Prise, viel¬ leicht ein Zeichen der Zufriedenheit, jedenfalls eines, daß er fürs erste nichts weiter hören wollte. — Was geht Sie denn der Bauernstand an? Sie haben doch keine Güter.“ „Erlauben Sie mir zu fragen, was ging er Excellenz an —“ „Weil meine Bauern faules Volk sind, weil der Meier sie aus dem Kruge treiben mußte, weil mein Inspector gut rechnen kann, und mir wie's Ein mal Eins bewies, daß die Frohnarbeit uns theurer zu stehn kam, als der Tagelohn, weil ich meine Aecker durch die Bauernäcker arrondirte, die sie mir als Abkaufssumme hergaben, weil ich ein guter Land¬ wirth bin, und sie zwei Mal besser nutze als sie, weil ein großer Complex sich besser bewirthschaftet als ein kleiner. Darum mein junger Herr —“ „Und wenn auch nur diese, gelten diese Gründe nicht für Alle!“ „Was gehn mich die andern an! Fege jeder vor seiner Thür, und wer sich im Mist betten will, warum soll ichs hindern!“ Walters Brust hob, seine Lippen öffneten sich, der vorhin unterdrückte Strom der Rede floß heraus in kurzen, schlagenden Sätzen, und die Excellenz hatte die Güte ihn nicht zu unterbrechen. Sie beschäftigte sich, einen Fleck auf ihrer Emailedose abzuwischen. Er hatte gesprochen; das Was wissen wir schon, oder wir erfahren es noch. Da war der Fleck wirklich gereinigt und der Minister sagte recht freundlich: „Eine hübsche Elaboration. Wenn Sie das geschrieben hätten, könnte man's ad acta nehmen. Aber Drucksachen, das ist nichts; es schickt sich nicht für einen Geschäftsmann. — Was wollen Sie nun eigentlich, ich meine Sie für sich?“ „Ich leugne nicht, Excellenz, wenn diese Ansich¬ ten vor unsern erleuchteten Staatsmännern Eingang finden, und man an die Ausführung ginge, daß ich mich wohl befähigt fühlte, mit Hand anzulegen. Ich würde eine Freiheit opfern, die ich mir lange als ein köstliches Gut bewahrt, und würde gern eine Anstellung annehmen.“ „Sehn Sie, das lieb ich, das ist vernünftig gesprochen. Sie gehn auf eine Anstellung aus, um das Uebrige kümmern Sie sich nicht.“ „Dies dürfte doch von meiner Ansicht differiren.“ „Drauf kommt es nicht an. Wird Ihren Vater sehr freuen. Ist ein braver Mann, und wird es Ihnen an Unterstützung nicht fehlen lassen, wenn ich ein Wort einlege. Denn Unterstützung werden Sie noch eine ganze Weile brauchen. Die große Carriere, die geben Sie natürlich auf, haben ja nicht Came¬ ralia studirt. Und die Examina! Schadet nichts. Das von unten Anfangen ist das solideste. Erst in der Kanzlei ein Jahr, höchstens ein Paar als Copist. Dann machen wir einen Versuch mit dem Expediren, Secretair! An Connexionen wird es Ihnen ja wohl bei guter Conduite nicht fehlen — lächelte der Mi¬ nister — dann Geheimsecretair, Kanzleiinspector!“ Der junge Mann stand sprachlos da. „Der Kriegsrath Alltag, sehn Sie dessen Car¬ riere! Noch nicht voll sechszig und war schon Kanzlei¬ director mit dem Titel Kriegsrath, und Sie wissen nicht, was er noch wird! — Aber nun etwas, mein junger Herr, die Flausen lassen Sie aus dem Kopf. Nie etwas besser wissen wollen als Ihre Vorgesetzten. Wenn's auch mal falsch wäre, nie den Mund aufge¬ than. Sie wissen nicht, warum Sie's falsch machen. Keine Sylbe mehr gedruckt, das versteht sich von selbst. Wenn Sie Bücher lesen müssen, thun Sie's für sich. Nöthig ist's nicht. Stört immer im Dienst. Gelehrte sind schlechte Officianten. Und — der Minister faßte mit holdseliger Miene den Knopf seines Rockes — und am Copistentisch sollen Sie nicht zu lange sitzen, Sie schreiben ja eine saubre, präcise Hand, habe mich wirklich gefreut, die Grundstriche so grade und voll. Daran sieht man den Character. Da dispen¬ siren wir Sie wohl schon nach einem halben Jahre!“ Walter hatte die volle Sprache und Ruhe wieder gewonnen: „Gerührten Herzens habe ich Ew. Excellenz gü¬ tige Intentionen vernommen, die ich wohl nur der guten Meinung verdanke, welche Excellenz für meinen Vater hegen. Da aber meine Ansichten von der Art, wie der Staat die Kräfte seiner Bürger nutzen muß, von der Ansicht Deroselben abweichen, so glaubte ich unrecht zu thun, wenn ich Dero wohlwollende Ge¬ sinnung Solchen entzöge, welche williger und befä¬ higter zu den Diensten sind, für die ich meinen Willen und meine Kraft unausreichend bekennen muß.“ Der Minister sah ihn weder verwundert, noch erzürnt an. Er liebte wohlgesetzte Kanzleiphrasen. Dann nickte er ihm freundlich Abschied. „Also Sie wollen nicht. Grüßen Sie Ihren Vater von mir und gehn Sie nach Karlsbad, lieber Herr van Asten. Nach Karlsbad sage ich Ihnen. Wenn wir alle Staatsverbesserer dahin schicken könn¬ ten, würde es mit unserm Staate besser. Nicht nach der Festung, dafür bin ich nicht. Simpel nach Karls¬ bad, drei Becher täglich am Sprudel, die gehörige Promenade darauf, drei Monat, und wir hätten Ruhe im Lande.“ Sechzehntes Kapitel. Eine wichtige Conferenz in Staatsgeschäften. „Der Herr Geheimrath sind nicht zu Hause —“ „Der Herr Geheimrath ertheilen heut keine Audienz“ — lauteten die verschiedenen Antworten, mit denen der Kammerdiener die verschiedenen Personen, welche in der Wohnung des Geheimraths Bovillard nach ihm fragten, abgewiesen hatte. Auch Herrn von Fuchsius war dasselbe begegnet, „wegen einer wichtigen Con¬ ferenz in Staatsgeschäften.“ Bei Conferenzen in wichtigen Staatsgeschäften war der Rath immer zugezogen. Der Diener zückte lächelnd die Achseln: „Herr Geheimrath haben heut expreß befohlen keine Ausnahme zu machen —“ Fuchsius sah aus dem Thorweg den Wagen des Ministers fahren: „Wenn die entsetzlichste Rathlosig¬ keit wirklich zum Rath — und wenn sie zur That führte! sprach er aufseufzend. Es ist spät, aber doch vielleicht noch nicht zu spät!“ „Excellenz waren nicht aufgelegt,“ bemerkte der II . 19 Kammerherr von St. Real in der kleinen Hinterstube, wo sich die Conferenz versammelt hatte. „Leidet am Magen,“ sagte Bovillard mit dem moquanten Lächeln, das seine Freunde kannten, wenn er die Worte eines nicht gegenwärtigen Freundes citirte. „Am Magen?“ „Excellenz halten nicht Diät. Mischen zu viel, Trüffelwürste und Rhabarber, Sonnenaufgänge und nächtliche Promenaden, Tugend und Tänzerinnen — “ „Die auswärtigen Angelegenheiten liegen in seinem Magen wie Kraut und Rüben.“ „Wir sind indeß, meines Wissens nicht hier wegen der affaires étrangères ,“ bemerkte der Kam¬ merherr. „ Mais qu'est-ce qu'on peut faire, mon ami , wenn der Leiermann vor der Thür von Morgen bis Abend sie aborgelt, Hardenberg mit so schönem Dis¬ cant singt und Lombard und Beyme und Voß, und dazwischen brummt der Baß des Herrn von Stein, und Johannes Müller zwitschert, und Herr von Massenbach giebt seine unmaaßgebliche Meinung, und Luchesini räuspert sich, und Rüchel trommelt und Prinz Louis schmettert mit Trompeten, und seine Schwester und die Prinzeß Mariane accompagniren mit Jeremiä Klagegesang. Da bleibe ein vernünftiger Mensch unaffi¬ cirt! Ich will in allem Respect noch gar nichts sagen von der Venus Urania, die in der Stille vor ihrem Spiegel die Haube der Bellona probirt, und wie ihrem himmlischen Gesichte der Blick des Zornes und der Entrüstung steht, den sie auf den Monstre¬ pilz bei Gelegenheit werfen will.“ „ Monsieur de Bovillard braucht uns nicht zu versichern, daß er nie ein Admirateur der Venus Urania war.“ „Offenherzig, ich halte es mit dem edlen Schiller, — der ist nun auch todt, alles Edle stirbt, meine Freunde, — als er sang: Ach, da euer Wonnedienst noch glänzte, Wie ganz anders, anders war es da! Da man deine Tempel noch bekränzte Venus Amathusia!“ Der Dritte im Bunde, der kein anderer war als der Legationsrath Wandel, meinte, er könne die Besorgniß nicht theilen, so viel er wisse, sei doch gestern beschlossen: der König wolle, die besondere Lage seiner fränkischen Lande erwägend, jeder der kriegführenden Mächte den Durchzug gewähren. Damit schiene denn doch alles ausgeglichen, und die äußern Angelegenheiten dürften dem excellenten Freunde seines edlen Freundes kein Kopfbrechen mehr verursachen. „Gestern, Theuerster! Aber heute nicht mehr. Man hat angeführt, das verrathe Schwäche. Darum wollen wir heute Stärke verrathen, und erklären, daß wir Niemand durchlassen. Brauchen uns aber darum nicht zu ängstigen, morgen haben wir uns wieder anders besonnen, und lassen durch. Dieser Durchlaß nun liegt Christian im Magen, ein Aderlaß 19* an seinem Humor, und darum lief er fort, eh wir an¬ fingen.“ Der Legationsrath sagte: „Ich glaube eher, daß ich die unschuldige Ursach bin. Als er mich sah, sah ich an seinem Gesicht, daß er nicht bleiben würde. Warum mußten die Herren mich in ihr Vertrauen ziehen?“ „Haben Sie wirklich einen Basiliskenblick? sagte der Geheimrath. Theuerster Freund, warum sind Sie, wie Sie sind? Die Uneigennützigkeit selbst, um Freunden einen Dienst zu leisten und wo Sie für sich etwas wollen sollten, karg wie ein Harpagon.“ „Was soll ich denn für mich wollen?“ „Scherz bei Seite, im Monde leben Sie so wenig als wir. Was Reelles sollen Sie wollen. Sie haben Klaproth bezaubert, Hermbstädt schwört auf Sie, von den Frauen rede ich gar nicht, warum verschmähen Sie es absolut, unsre Excellenz in Ihren Bann zu ziehen? — Die Gelegenheit liegt auf dem Präsentirbrett. Sie sind jetzt sein Vertrauter in diesem Divertissement kann er Jemand fallen lassen, den er nicht plaudern lassen darf? Auf Ehre, Sie brauchen nur zu wollen, und Sie sind ein gemachter Mann.“ Wandel schwieg eine Weile, die Augen in dem unbeweglichen Gesichte fern auf einen Punkt in der Diele geheftet. Dann brach es mehr heraus, als daß er es sprach: „Aber wie lange wird er selbst es sein!“ Es war ein disharmonischer Klang. Bovillard schien es zu überlaufen, was man nennt mit einer Gänsehaut. Es dauerte eine Weile, ehe Herr von Wandel zu merken schien, was er angerichtet. „Nicht wahr, sprach er, Sie glauben nicht an Ahnungen. Sie bestreiten die Magie; und Sie ha¬ ben recht, sehr recht. Fort damit, sie drückt unsern Ma¬ gen. Hätte die Natur denn umsonst diese Bretterwände, Mauern, Körper, die Distancen vor uns aufge¬ führt, damit unser Auge nicht durch, nicht drüber hinaus sehen soll? Das Drüben ist nichts für unsre Nerven. Ein Thor, ein Narr, ein Rasender, ein Selbstmörder, der ein schönes Weib, wenn es endlich in seine Arme sinken will, statt es feurig zu umschlie¬ ßen, festhält, und mit dem Aug in die Zukunft bohrt, wo auch diese letzte entzückende Hülle zu Plunder und Asche sinkt, und Modergeruch das Gerippe umhaucht. Nein, meine Herren, das ist Krankheit, häßliche Krankheit. Hören Sie nicht auf mich. Ich bin's zuweilen, aber ich weiß mich zu curiren. — Ein Glas Wein, feurigen Wein. Nur um zu genießen gab die Natur uns die Sinne.“ Er hatte dies rasch, wie in einer Art Schauer, heraus gesagt, und stürzte eben so rasch ein Glas Ungar, das Bovillard ihm geschenkt, herunter. „Tokayer Essenz! Uebrigens — Ihren Seherblick in Ehren, Ihr Gespenst schreckt mich nicht. Fort müssen wir Alle, wenn der Vorhang fällt, aber er fällt erst, wenn das Stück ausgespielt ist.“ „Die Philosophie, die uns zu glücklichen Men¬ schen macht.“ „Und was ein Riese in der Entfernung schien, setzte Bovillard hinzu, wird oft in der Nähe zu einer mittelmäßigen Creatur. — Was besorgten wir nicht von Stein! Und was ist er? Pah, er brummt, pol¬ tert, übrigens — “ „Lassen wir ihn in den Akten vergraben sein! fiel der Legationsrath rasch ein, entschuldigen Sie mein Intermezzo, eine Aufwallung der Gefühle. Lassen Sie mich aus dem Spiel und — gehn wir an unsre Geschäfte.“ Wandel hatte sich an den kleinen Tisch gesetzt, auf dem, wie zum Spott, für vier Personen vier Aktenhefte, Papier und Federn lagen; das wichtigere Aktenstück oder Corpus delicti stand unter dem Tische, der Champagnerkorb. „Von nun an wird Niemand, wer es sei, eingelassen,“ rief Bovillard, als der Kammerdiener die Leuchter auf den Tisch gesetzt. „Also, meine Herren, wir standen bei Artikel zwei — “ rief er noch mit einer Stimme, welche der abtretende Diener im Nebenzimmer hören können. Als die äußere Thür zuklang, erhob sich der Flaschenkorb, ein Pfropfen knallte gegen die Decke und drei Gläser stießen gegen einander: „Auf guten Fortgang!“ „Der scheint gesichert,“ sagte Wandel. „Und wir verdanken ihn, was ich als Präsident hier auszusprechen mich für verpflichtet halte, insbe¬ sondre der unermüdlichen Thätigkeit unseres theuren Collegen. Herr Legationsrath von Wandel, wiewohl gleichsam nur als Experter zugezogen, hat sich doch der Sache als Amateur angenommen. Gehn wir demnächst zur Sache über. Wir standen also —“ „Ich erlaube mir, ehe wir fortfahren, eine prä¬ judicielle Bemerkung, hub der Kammerherr an. Ich weiß für gewiß, daß der französische Gesandte von unseren Verhandlungen Kenntniß hat. Sollte durch die unverzeihliche Indiscretion eines Kanzleibeamten demselben ein Aktenstück in die Hände gespielt sein? Wenn dem so wäre, erlaube ich mir, bei unserm würdigen Herrn Präsidenten den Antrag auf strengste Recherche deshalb.“ „Das Collegium hat den Antrag vernommen, sagte Bovillard. Ich muß präjudiciell bemerken, daß ich dagegen stimmen werde. Wenn das Collegium erlaubt, erkläre ich meine Gründe. Pro primo haben wir keine Aktenstücke, denn es ward nichts geschrieben, logischer Schluß: sie können nicht abgeschrieben werden. Pro secundo haben wir keine Kanzlei, was nicht ist kann keine Indiscretion begehen, pro tertio würde eine solche Untersuchung den Verdacht der Indiscre¬ tion auf ein oder das andere Mitglied unsres hoch¬ verehrten Collegii werfen, was wir aus besonderen und höheren Rücksichten vermeiden müssen. Herr College von Wandel wünscht uns seine Ansicht mitzutheilen.“ „Was das Factum anlangt, sagte der Legations¬ rath, so muß ich dem geehrten Collegen von St. Real beistimmen. Laforest weiß es; aber was folgt daraus? — Laforest weiß Alles. Warum sollte er dies nicht wissen. Wer es ihm zuträgt, —“ „Vermuthlich der Champagnergeist, rief Bovil¬ lard, sein Glas füllend, daß der Schaum über den Rand stieg. Landsleute plaudern gern weiter!“ „Aber es schadet unsrer Sache nichts. Diplo¬ matische Berichte bleiben versiegelte Geheimnisse, und wenn die Archive sich für Historiker lüften, kümmert es keinen Lebendigen mehr. Ferner was Laforest weiß, weiß er nur für Napoleon oder Talleyrand. Beide werden unsre Pläne nicht contrecarriren. End¬ lich wenn das Geheimniß auf dem Wege nach Paris auch hier durchgeschwitzt hätte, was ich nicht in Ab¬ rede stellen will, ist die Sache doch zu pikant, als daß der ehrliche Finder den Verräther spielen sollte. Aus diesen Gründen, meine Herren, erblicke ich in dem hingestellten Factum weder Gefahr, noch etwas Hinderliches, und stimme, salvo meliori , unmaaßgeb¬ lich über den Einwand hinweg zu gehen.“ Der Präsident blickte, die Feder in der Hand, sich um. Es war einstimmiges Conclusum. Der Wein fing an die Zunge zu lösen, und man warf den Curialstyl mit den Akten in den Winkel. „Sie also tout à fait ébloui ?“ rief Bovillard nach dem Bericht des Legationsraths. Der Kammerherr anerkannte mit gebührenden Lobsprüchen die Diligenz, welche Herr von Wandel bewiesen, bestand indeß darauf, daß die Baronin, wenn die Schwadron vorübermarschirte, sich jetzt osten¬ sibler am Fenster zeige. Es sei zu viel gefordert, wenn sein Pflegebefohlener, der Amandus, sich jedes Mal einbilden solle, daß der Kopf der Amanda hin¬ ter den Balsamintöpfen versteckt sei. Die Imagi¬ nationskraft eines Cavallerieofficiers sei aber nicht die eines Poeten; er müßte ihn also dann und wann leibhaftig sehen, um im Glauben zu verharren. „Unser Operationsplan aber forderte Bedacht, entgegnete Wandel. Wir mußten als Psychologen zu Werke gehen. Wer ist schwerer zu erobern? Sie oder Er? Das war die Frage. Es galt eine Bildsäule zur Galathee zu erweichen, und aus der Galathee eine Potiphar zu machen. Haben wir erst eine Madame Potiphar, so ist doch keine Sorge darum, daß ein Gardecavallerie-Officier den Joseph spielen sollte. Diese zweite Eroberung machte sich vielmehr dann von selbst. — A propos , warum ich Herrn Kammerherrn so oft ersucht, der Amandus, Ihr Client, darf nicht mehr den Knebelbart streichen.“ Der Kammerherr versprach, daß es unterblei¬ ben solle. „Sie haben auch gewiß schon eine kleine Entre¬ vue in petto , sagte Bovillard. Sie etwa im Negligee von ihm überrascht!“ „Wer setzt auf eine Karte sein Ganzes, wenn er im Gewinnen ist! Wer spielt überhaupt ein ge¬ wagtes Spiel, wenn er durch arithmetische Pro¬ gressionen zum Ziele kommen muß! Der beste Zauber, meine Herren, ist, der sich selbst wirkt, auf organischem Wege. Neugier und Eitelkeit operiren wunderbar in der Psyche des Weibes. Die gespannte Erwar¬ tung entzündet die Phantasie. Um zu erfahren, ob es so sei, wie ich angab, gab sie sich alle Mühe, den Amandus zn beobachten, und entdeckte nun mit weib¬ lichem Scharfsinn weit mehr, als ein Mann mit seiner roheren Wahrnehmungsgabe nur erfinden kann.“ „Und die Uhr geht fort?“ „Eine schlechte, die man jede Stunde anstoßen muß. Sie geht so normal, daß ich alle Intermezzos und gewaltsame oder nur freundliche Hülfe von draußen wegwünsche.“ Bovillard wiegte sich, beide Hände in den Seiten¬ taschen, behaglich im Stuhl, und fixirte schlau den Redner: „Wenn der Schalk ihm nicht im Nacken säße! Allen Respect für seine Intuitionen in die Psyche des Weibes, aber er weiß eben so gut, wie man Weiber durch Weiber behandelt, und uns möchte er doch einbilden, daß wir seine Agentinnen nicht kennen. In der Jägerstraße hängt freilich ihr Agenturschild nicht heraus, aber die Zwirnsfäden sieht man doch, mit denen Sie Ihre Mirakel weben. Ueberhaupt, cher ami, wozu denn diese Myst è res! Ist gar nicht Ihr Profit, Legationsrath. An Talismänner und Wün¬ schelruthen glauben wir hier nicht, aber je mehr zweibei¬ nige Maschinen Einer für sich in Bewegung zu setzen ver¬ steht, ein um so größerer Wunderthäter wird er für uns.“ Auf Wandels Stirn lagerte sich eine officiöse Falte und die Augenbraunen drückten sich zusammen: „Prätendire ich, ein St. Germain zu sein! Aber der ausgezeichneten Frau thun Sie unrecht. Eine Dame, deren Verstand in so anderen höheren Re¬ gionen schweift, würde sich nie zu einer mesquinen Intrigue bequemen; Verzeihung, meine Herren, aber nennen wir die Sache bei ihrem Namen und man muß seine Menschen kennen. Ich hätte nicht einmal gewagt, ihr von der Sache zu sprechen. Meine Herren, ich wiederhole es, Sie kennen diese seltene Frau nicht.“ „Holla! Also offen ausgesprochen Ihr Ritter. Und uns den Handschuh hingeworfen! Kennen Sie sie denn?“ Nach einigem Schweigen antwortete Wandel: „Nein! — Es giebt Erscheinungen, wo der Augen¬ aufschlag die Seele uns erschließt, andere, wo der geschickteste Psychologe sein Senkblei umsonst ge¬ braucht. Ich fühle nur, daß dies Seelengewebe aus so zarten, ätherischen Fasern zusammengesetzt ist, daß die leiseste Berührung unharmonischer Töne es zu¬ sammenschrecken macht; und hinwiederum ist es von einer Elasticität, daß ein rauher Anstoß diese Fühl¬ fäden zu hartem Stahl verwandelt.“ „Lassen Sie sich nicht erdrücken von dem Stahl. Heim sagte mal, in der Frau wäre eine cachirte Sinnlichkeit. Gegen die Sinnlichkeit habe ich nichts, aber das Cachirte liebe ich nicht.“ „Diese rohen Aerzte, die die Schwungfedern der Seele nur empirisch betasten! Da wollen sie ihren Mann mit Assa foetida und Valeriana behandeln, und seine Krankheit ist rein eine des Gemüthes. Der Geheimrath lebte längst nicht mehr, wenn sie nicht eine geistige Atmosphäre um ihn zu bereiten wüßte, worin er athmet.“ „So schlimm stünde es mit dem Bücherwurm?“ „Sie sahen ja auch wohl ihren Bedienten, einen Moribundus. Was quält sie sich ab, diesen Men¬ schen wieder auf die Beine zu bringen! Ich gebe Ihnen zu, es ist vielleicht ein krankhafter Instinct, der Natur in den Arm greifen zu wollen, aber sie will's — sie muß probiren. Die Doctoren haben ihn längst aufgegeben, er ist ja nur ein Bediente, aber denken Sie — neulich fand ich sie, wie sie von dem theuren Lebensäther, den Herr Flittner präparirt, dem Menschen einflößte. Mein Gott, sagte ich, der Aether ist immer nur ein Palliativ, er läßt die Le¬ bensflamme noch einmal auflodern, aber um so schneller verzehrt sie. Man wendet ihn bei hohen Personen an, wo die letzten Momente kostbar sind; aber dieser Bediente, was kommt es da auf eine Spanne Leben und Bewußtsein an. Er kann Ihnen unter den Händen zusammensinken. Was würden Sie dann sagen? — Ich kann Ihnen das wunder¬ bare Lächeln nicht beschreiben, mit dem sie ant¬ wortete: Ich habe mir dann selbst genügt. So ist sie —“ „Eine Schwärmerin! Gehn Sie mir vom Leibe mit ihrem Lebensäther.“ „Ich gebe Ihnen gewissermaaßen recht, Herr von Bovillard. Das Verhalten zu ihrem Pflegekind könnten strenge Moralisten auch eine Schwärmerei nennen. Sie opfert sich ihm ganz und warum? und wie wird es ihr belohnt! Sie wissen von der soit disant Verlobung mit dem jungen Schulmeister. Eine andre Frau würde außer sich sein. Welche Pläne sind ihr vereitelt. Sie lächelt als Philosophin.“ „Es giebt Personen, auf die alles Mißgeschick zusammenstürmt,“ fuhr er den Kopf schüttelnd nach einer Pause fort, wo die andern geschwiegen; der Abstecher, in welchem der Legationsrath sich so zu gefallen schien, kam Beiden ungelegen. „Der Vater des Lehrers, der alte van Asten, höre ich, brummt über die Sache, und ist sogar auf die Geheimräthin ungehalten.“ Bovillard fiel ein: „Die Ehrbarkeit seines alten Hauses fühlt sich touchirt. Was ist natürlicher, er sah sie mal aus einem andern Hause kommen. Um das Renomm é e eines Hauses und die Ehrbarkeit ist's doch eine köstliche Sache! Was macht der Alte für Geschäfte damit, mit dem verräucherten Steinhaufen in der Spandauerstraße, mit dem glatt gepuderten Kopfe, der Catomiene, die sich nie verzieht, auch nicht wenn er das große Loos gewinnt, mit seinen rinds¬ ledernen Schuhen, die schon eine Viertelmeile weit knarren! Das ist ein Respect auf dem Markte, an der Börse, wenn der alte van Asten mit seinem Bambusstocke heranhustet. Und das nennt die Ca¬ naille nicht Diplomatie.“ Der Geheimrath schien vergnügt, von dem ihm sichtlich unangenehmen Gegenstande abgelenkt zu ha¬ ben, während der Kammerherr mit eben so sicht¬ licher Ungeduld meinte, man komme ja ganz von der Hauptsache ab. „Mademoiselle Alltag bleibt indeß immer eine sehr interessante Nebensache,“ lächelte der Legationsrath. Bovillard stichelte, er hege den Verdacht, daß sein Freund eine noch vornehmere Agentin in Con¬ tribution gesetzt. Wandels Stirn legte sich dies¬ mal nicht in officiöse Falten, sie blieb ganz glatt, als er erwiederte: „Herr von Bovillard will damit andeuten, was Herr von Laforest dazu sagen dürfte, wenn ich mit der russischen Fürstin communicire. Laforest weiß, daß ich Kosmopolit, und die Prinzeß, daß ich ein Sünder bin. Der Unterschied ist nur, daß Herr von Laforest es aufgiebt, die Fürstin aber noch nicht, mich zu ihrem Glauben zu bekehren.“ „O der Verräther! Nun ist er auch geständig, unsre Geheimnisse an Rußland verrathen zu haben!“ „Hat aber damit den Beistand seiner Diplomatie er¬ kauft. Schlagen Sie diesen Beistand nicht zu gering an, meine Herren. Ihre Erlaucht interessirt sich wirk¬ lich en passant für die Baronin Eitelbach.“ „Sie will sie zur Sünderin machen, um sie nachher zur Heiligen zu bekehren. Delicieur! Mag¬ nisique der Gedanke!“ „Meine Herren, sagte der Legationsrath sich ver¬ neigend, ich habe nun das Meine gethan. Die nächste Action muß vom Rittmeister ausgehen.“ Man ließ die Gläser auf den Strategen und seine Agentinnen klingen. St. Real's Bericht war kürzer: „Sie glauben nicht, wie schwer es uns ward, den Stier auf die Spur zu bringen. Als es indeß so weit war, ging es auch wie ein Brummtriesel, der nicht mehr zu sich kommt. Oder es überschauerte ihn wie ein Donnerwetter mit Platzregen. Der Mann ist vollkommen ausgetauscht, weich sage ich Ihnen, wie Wachs. Sein Gewissen gerührt; er delirirt, ver¬ wünscht zuweilen seinen Knebelbart, ja es giebt Augenblicke, wo er ihn abschneiden möchte. Nach dem letzten Billet wollte er wirklich Urlaub nehmen. Wir hatten Mühe, ihm begreiflich zu machen, daß das jetzt als Feigheit ausgelegt werden könnte. Mit einem Wort, er ist zu allem bereit, was das ver¬ ehrte Collegium über ihn beschließt. Nur muß man ihm zu Hülfe kommen. Er ward ordentlich jung¬ fräulich schüchtern aus Gewissensbissen, daß er eine schöne Dame, die ihn liebt, so lange und grausam beleidigt hat.“ Man schmunzelte stillen Beifall. Die moquante Miene des Geheimraths sprach von einem aufsteigen¬ den Wetterleuchten: „Ein superber Mensch! Läßt sich stellen und schicken, wo man will, alles aus Pflicht¬ gefühl. Statt solche Talente nun zu nutzen, läßt sie der Staat in Wachtstuben verkommen!“ Doppelte Pflicht für uns, meine Freunde, ihn zu poussiren.“ „Aber was nun weiter?“ sagte der Kammerherr. Der Geheimrath nahm die Präsidentenmiene an: „Unser Thema also war, sie sollen und müssen sich verlieben. In der Ausführung sind wir auf den Punkt angelangt: sie stehen im Begriff sich zu ver¬ lieben. Die nächste Frage ist nun: wie soll dieser Prozeß weiter geführt werden? und die darauf fol¬ gende, welchen Ausgang soll er nehmen?“ „Als Tragödie oder als Komödie?“ „Nur keine Tragödie! Haben draußen Trauer¬ spiele genug. Höchstens etwas Sentimentales, ein wenig Jammer, unterbrochen durch einige Affect¬ blitze, Verzweiflungsseufzer, einige Thränen, etwas Menschenhaß und Reue, pour décorer la situation , aber so wenig wie möglich.“ „Eine Zwischenfrage, meine Herren. Wünschen Sie die Sache schnell zum Resultat geführt?“ „Legationsrath, was fällt Ihnen ein! Wir führen ja das Stück zu unserer Recreation auf.“ „In diesem Falle wird es nöthig einen Hemm¬ schuh anzulegen; denn lassen wir die Dinge sich jetzt entwickeln, so platzt über kurz die Erklärung heraus und endet in einer Liaison oder einem stillen Seelenbündniß.“ „Zum Geier mit Ihrem Seelenbündniß! Auf Eclat kommt's an, Schauspiele soll's geben, einen Scandal, daß die Stadt die Hände zusammenschlägt.“ „Excellenz meinten nicht so —“ warf St. Real ein. „Excellenz ist ein Hypochonder geworden. Wer A gesagt muß B sagen. Keine Retiraden! Hemmschuhe meinethalben. Ersinnen Sie was. Warum ging Ihr verfluchter psychologischer Prozeß auch mit Sieben¬ meilenstiefeln? Etwas von Rendezvous auf Redouten, oder im Mondenschein, wo man zusehen kann. Dann Hindernisse! Wenn Eitelbach nicht will, so werden Sie ja schon Ehrenwächter finden. Kann man nicht eine Prinzessin, oder die Königin für die Tugend der Baronin interessiren. Grausame Trennungen, überraschendes Wiedersehen!“ „Er könnte wie Leander zur Hero schwimmen! Die Spree ist nur nicht breit genug.“ „Imagination, meine Herren! Sie können sich in einer Kutsche ein Rendezvous geben, sie wird als verdächtig angehalten, beide auf die Wache gebracht.“ „Nur nicht auf die Wache! Das ist ein zu hä߬ licher Eclat!“ rief der Kammerherr. „Oder er steigt zu ihr ein. Der Nachtwächter entdeckt die Leiter, Lärm wird gemacht, man sucht nach Dieben.“ „Wünschen Sie, daß er mit Madames Bewil¬ ligung eingestiegen ist?“ fragte Wandel. „Besser nicht. Nein, er muß es in toller Leiden¬ schaft thun. Sie muß außer sich sein. Man kann sie ja vorher wieder ein Bischen gegen ihn einge¬ nommen haben. Sie wird empört, daß er ihren Ruf aufs Spiel setzt. In tugendhafter Entrüstung befiehlt sie ihm, sich nie wieder vor ihr sehen zu lassen. Er stürzt ihr zu Füßen, hilft nichts, er muß wieder zum II . 20 Fenster raus. — Da fehlt die Leiter, der Lärm geht los. Denken Sie sich die pikante Situation! Sie in Zorn, er in Verzweiflung. Je größer die Gefahr, je näher die Tritte, so mehr schwindet ihr Zorn, das Mitleid siegt, das Bekenntniß ihrer Liebe platzt her¬ aus. —“ „Und? —“ „Zur Zärtlichkeit ist da nicht Zeit. Immer Auf¬ schub. Die Polizei schlägt an die Thür. Sie muß ihn verstecken — in den Kleiderschrank.“ „Da kriegen Sie den Rittmeister nicht mehr rein!“ lächelte St. Real. „Es wird sich ja ein Versteck finden. Lassen Sie ihn auf den Boden springen, auf's Dach klettern.“ „Und! — Er muß doch auch vom Dach wieder herunter. Ich meine, was das Ende vom Liede sein soll?“ „Kommt Zeit, kommt Rath, Legationsrath; schlagen Sie einen alten Roman nach. Vom Dach werden wir ihn nicht fallen lassen.“ „Mit einem Worte, verlangen Sie eine Ent¬ führung oder nur —“ „Prächtig! eine Entführung. Göttermensch, Sie stehlen mir's aus der Seele. Wie lange ist in Ber¬ lin keine entführt worden. Das giebt ein Gerede, Kinder, einen Spaß! Ich will selbst die Postrelais bezahlen, mit Seegebarth sprechen, die schnellsten Postpferde sollen sie haben.“ St. Real schüttelte den Kopf: „Alles sehr schön. Wer soll sie aber verfolgen?“ „Nun, ihr Mann!“ Kaum war es über die Lippen, als er selbst in das stille Gelächter der Andern einstimmen mußte. „Er lacht sich vor Vergnügen todt, wenn er's hört.“ Es war ein unerwarteter Querstrich. Bovillard riß die gekreuzten Arme aus einander, mit denen er eine Weile vor sich sinnend gesessen. „Er thut's doch vielleicht!“ „Der Baron! Er schämte sich in den Tod, daß man ihn für eifersüchtig hält.“ „Wer spricht von Eifersucht, St. Real! Neunzigtau¬ send Thaler gehn ihm durch. Kann er neunzigtausend Thaler mir nichts dir nichts über die Gränze lassen!“ „Neunzigtausend Thaler,“ wiederholte der Le¬ gationsrath. „Sie haben freilich getrennte Gütergemeinschaft, sagte der Kammerherr. Ihn schätzt man eben so hoch.“ Hundert achtzigtausend Thaler unter Brüdern, meine Herren, fuhr Bovillard fort, die zerreißen wir. Bedenken Sie das wohl.“ „Hundert achtzigtausend Thaler!“ wiederholte der Legationsrath. „Was so ernsthaft, Wandel?“ „Die Sache ist es. Er müßte sich nach dem Eclat scheiden lassen, sie würde den Rittmeister hei¬ 20* rathen, und wir verschaffen ihm eine Frau mit neun¬ zigtausend Thalern. Meine Herren, Sie räumen mir ein, daß die Sache dadurch ein ganz anderes Fundament gewinnt. Es ist kein Divertissement mehr, es wird zu einem reinen Geschäft, und wir müßten uns fragen — das heißt, ich bitte Sie, sich darüber zu entscheiden, welche Raison Sie haben, den Herrn von Dohleneck zu einem reichen Mann zu machen?“ „Raison! Pah, was kommt's drauf an! Und hab ich keine! Der Rittmeister hat sich nobel gegen meinen Taugenichts benommen. Blutvergießen verhindert. Sie auch, Legationsrath. Wollen Sie sie entführen? Hätte nichts dagegen. Neunzig tausend Thaler, wir sind ja in einer generösen Laune und er hat Schulden wie Haare auf dem Kopf.“ Die vierte Flasche war entkorkt und die Ge¬ sichter leuchteten. „Handeln wir wie die Vorsehung, welche die Güter dieser Welt ausgleicht. Ange¬ stoßen auf den großen Gedanken, Freunde! Für die Menschheit —“ „Das heißt für Stiers Gläubiger.“ „Das Gefühl uneigennützigen Handelns für die Zwecke der Humanität stärke uns. Reine Liebe edler Seelen, neunzigtausend Thaler in ersten Hypotheken und schlesischen Pfandbriefen, und eine wunder¬ schöne Frau und dumm! Was Götter selbst beneiden könnten, wir schenken's einem verschuldeten Cavallerie¬ officier.“ Der Legationsrath stimmte nicht in die Ausge¬ lassenheit: „Sie zerstören Ihre eigenen Beschlüsse, wenn Sie zu hastig losgehen.“ „Legationsrath, ein edler Entschluß darf nicht Runzeln bekommen.“ „Aber ein Witz nicht zur Speculation werden, sonst bricht seine Spitze. Conclusum est —“ „Sie sollen sich noch eine Weile quälen,“ sagte der Kammerherr. „Hatte ich es beinah vergessen! 'S ist mein gutes Herz. Ich kann nun einmal Unglückliche nicht leiden sehn. Alle Menschen sind ja Brüder —“ „Und alle Frauen Schwestern! sagte Wandel aufstehend. Aber ich muß Contreordre geben, wenn's nicht schon zu spät ist.“ Er zog die Uhr, und stampfte auf. „Wahrhaftig, es ist schon zu spät.“ „Was ist's?“ Sie standen nicht mehr ganz fest, als sie jetzt aufstanden. Der Legationsrath strich über die Stirn. „Unser Joseph geht heut an Madame Potiphars Haus vorüber. Ein leises Schluchzen sollte seine Schritte fesseln —“ „Ei, Herr von Wandel, mir ins Gehege! rief der Kammerherr. Der Joseph war zu meiner Dis¬ position.“ „Verzeihung! Ich wollte Sie überraschen; es war gut gemeint. Eine schluchzende Gestalt am Bal¬ saminenfenster sollte ein Bouquet auf seine Brust fallen lassen; — eine rasche Entwickelung stand dann in Aussicht. Wer konnte den heutigen Beschluß ahnen! Um zehn Uhr war's bestellt, und es ist ein Viertel auf eilf. Vielleicht kann ich noch retten.“ Bovillard fiel ihm in den Arm: „Bleiben Sie, laßt sie glücklich sein, wir sind's ja auch. Glückliche Menschen machen, was giebt es Schöneres unterm Sternenzelt. Fand einmal meine Selige in Thränen über Lafontaines neuesten Roman: Kriegen sie sich nicht? frage ich. — Nein, schluchzt sie, er ist so grau¬ sam. — Pfui! sage ich. — Er ist erst am Ende des ersten Bandes, sagt sie. — Er muß! sage ich. — Wie kannst Du's? — Da klopft es. Wer tritt ein? Herr Lafontaine. Ich riß meine Selige auf, ich zeigte ihm ihre rothen Augen: Barbar, das ist Ihr Werk; können Sie's ruhig ansehen? Eine Thräne der Rührung, eine Thräne der Versöhnung. — Er küßte ihre Hand. — Sie sollen sich kriegen, Madame! — Auf der Stelle ließ ich ihn zu Herrn Sander fahren, dem Buchhändler. Zwei Bogen wurden maculirt, und nach acht Tagen kriegte sie die ersten des zwei¬ ten Theils. Schon im ersten Kapitel hatten sie sich gekriegt. — Den Jammer sparte er nachher für die Ehe — zwei Bände voll!“ „Das nenne ich einen exemplarischen Ehemann!“ sagte Wandel. „Und Herr Lafontaine kriegte die Präbende!“ bemerkte St. Real. „Eine gute That belohnt die andre.“ Schon als Bovillard den Dichter Lafontaine klopfen ließ, hatte man ein starkes Pochen an der Hausthür gehört, darauf einen Lärm von mehren Stimmen; die des Kammerdieners war deutlich zu erkennen, welche Eindringenden den Zutritt verwehren wollte. Eine andre Stimme tönte aber scharf hin¬ durch, welche den Legationsrath zu frappiren schien, auch der Kammerherr horchte aufmerksam. Nur der Geheimrath hörte in seiner Aufregung erst darauf, als feste Männertritte die kleine Hintertreppe herauf¬ stürmten. „Sie dürfen nicht, ich darf Niemand rein¬ lassen,“ schrie der Kammerdiener, der um die Wette mit dem Stürmenden zu laufen schien. „Aber mich!“ rief es. Darauf ein Fall, der Diener mußte zurück¬ gestoßen sein, und die Thür sprang auf. „Was bedeutet das!“ rief der Geheimrath, einen Leuchter ergreifend, und wollte ins Kabinet. „Das Vaterland!“ rief die Stimme im selben aufgeregten Tone, als der Geheimrath schon, wie von einer Erscheinung erschreckt, zurückprallte. Der Leuchter entfiel ihm. Der Legationsrath hatte hastig den Hut gefaßt, als er den Eintretenden erblickte, der Kammerherr folgte ihm eben so schnell. Der Geheimrath Bovillard blieb mit der Erscheinung allein im Zimmer. Siebenzehntes Kapitel. Vater und Sohn. Wer den jungen blassen Mann gesehen, der in vernachlässigtem Anzuge, unfrisirtem Haar, die Hände auf dem Rücken, durch die Straßen schlenterte, von der frühen Nachmittagsstunde bis zum späten Abend, bald die Augen in den Himmel, bald auf das Pflaster gerichtet, wäre versucht gewesen, in ihm ein unheim¬ liches Wesen zu entdecken, das losgerissen aus den Kreisen einer Ordnung, denen es in anderen Zeiten angehört, nun spukhaft durch sie wandelt, neugierig, gleichgültig, schadenfroh, wie man will. Entweder einen Bummler oder ein Hoffmannisch Gespenst. Jene gab es noch nicht; an Gespenster durfte damals kein Gebildeter in der Residenz des Staates der In¬ telligenz glauben. Und doch war es etwas Ver¬ wandtes. Louis Bovillard war entlassen. Er war ein stiller Gefangener gewesen; die Beamten waren er¬ staunt darüber, er hatte diesmal keinen Streit an¬ gefangen, keine Scheibe zerschlagen, keinen Wärter zur Thür hinausgeworfen. Er hatte, in sich ver¬ sunken, da gesessen, bis die Stunde der Befreiung schlug. Nichts von der Außenwelt war zu ihm ge¬ drungen; da war es doch natürlich, daß er sich jetzt orientiren wollte in der ihm fremd gewordenen. Wohl hatte es durch die dicken Mauern geklungen von außerordentlichen Dingen, von einer Stimmung, die nie da gewesen, von einem heißen Fieber, das die Glieder schüttle, von einem Geist im Volke, der den langen Winterschlaf von den Lidern streife. Im Gefängniß träumt man lebendiger von der Freiheit. Er aber hatte auf seinem Holzbett stumm gelächelt; seine Träume waren anderwärts. Und jetzt lächelte er wieder, wenn er durch die bewegten und stillen Straßen ging. Sie waren so breit, so todt und so geräuschvoll, wie immer; die Mühlen klapperten, die Menschen schwatzten wie immer. „Was suchen Sie, Bovillard?“ fragte ein Bekannter, der ihm nicht ausweichen können. — „Die Stimmung,“ war seine Antwort. Der Calculator stutzte, aber er erinnerte sich, daß Bovillard Klavier spielte. „Sie suchen einen Stimmer? Ihr Klavier“ — „Ist total verstimmt,“ antwortete der junge Mann und wandte ihm den Rücken. Ein Plakat an der Ecke! Vielleicht ein Aufruf des Königs an sein Volk? — Nein, verlorne Sachen, drei Auktionen! Doch, auf der andern Seite eine obrigkeitliche Bekanntmachung: eine Warnung vor falschen Zweigroschenstücken, die sich in Ostfriesland bedenklicherweise gezeigt, und eine Einschärfung von Gouvernement und Polizei, wie die unter den vo¬ rigen Königen erlassene Verordnung noch jetzt in voller Kraft sei: daß die sogenannten Zelte und Ge¬ bäude im Thiergarten nach wie vor nicht massiv, vielmehr nur von Brettern gebaut werden dürften. — Auf dem Papier stand das Gesetz, im Thiergarten baute man, wie man Lust hatte. Er trat an eines der noch seltenen und sehr be¬ scheidenen Schaufenster, wo Kupferstiche aushingen. Vielleicht die großen Generale des letzten Krieges. Würden endlich Erzherzog Karl und die Andern die Bilder der französischen Generale verdrängt haben? — Gar keine Generale! Nur König und Königin, wie sich's gebührt; Schauspieler und Schauspielerinnen, der Jubelgreis Erman, der Astronom Bode mit einem Sternenkranz um die Schläfe. Er hatte ja einen neuen Kometen am großen Bären entdeckt. Willenlos führten ihn seine Schritte in einen Buchladen. Er fragte nach Novitäten für die Zeit¬ geschichte. „Warum sind des Kanzleidirektors Kist¬ macher in Breslau Gedichte merkwürdig?“ — „Haben Sie nicht in der Bossischen gelesen? Er zeigt sei¬ nen Freunden an, daß er mit Gott und seinem König heut gesund und munter in sein neun und fünfzigstes Dienstjahr tritt. Das hat denn gleich Nachfrage nach den Gedichten gemacht.“ — Der Buch¬ händler hatte noch einen interessanten Beitrag für „unsre Zeitgeschichte!“ „Zuverlässige Nachrichten von der Sack'schen Familienstiftung zu Glogau, zum Unterricht für Stiftsberechtigte.“ Sie hatten eben die Presse verlassen. „Die Lectüre soll mich heut Nacht erquicken!“ sagte Bovillard und steckte das Heft in die Tasche. Er maß die Schritte von der Quadriga bis zu Prinz Heinrichs Palais; sieben Mal hatte er die Länge der Linden gemessen und nichts gesehen, als welke Blätter. Die Gesichter, denen er begegnete, die Blätter, die der Staubwind um seine Füße kräu¬ selte, verschmolzen sich. Seine Phantasie schweifte in eine Wüste; er grübelte, warum die Natur ihnen die Quellen versagt, warum keine Erdbeben die Sahara erschüttern; Vulcane erheben sich doch aus dem Meere. Er saß in einer Weinstube. Er hörte viele Stimmen. Viele Stimmen machen eine Stimmung. Männer der Wissenschaft zu seiner Linken, Männer der Praxis zur Rechten, Männer der Kunst kamen, als das Theater aus war. Man sprach links und rechts vom Fortschritt. Wie viel öffentliche Vor¬ lesungen befriedigten nicht die Wißbegier! Klaproth über Chemie für Jedermann, Fischer über Expe¬ rimentalphysik und der gelehrte Bendavid las gar über Geschmackslehre! Aber dann brauste der Streit von der Rechten zur Linken, und im Centrum über das Stück des Tages: „Die Organe des Gehirns.“ Wer war größer, Kotzebue oder Iffland? Kotzebue, der mit beißender Kritik, mit übersprudelnder Laune, die neue Chimäre der Wissenschaft geißelte, der Gall auf immer vernichtet hatte, oder der unvergleichliche Mime, der heute den Lear und morgen den Kanne¬ gießer mit gleicher Virtuosität spielte? Iffland drückte Kotzebue zu Boden. Alle Lippen bebten vom Lobe des Mimen; man anatomisirte den kleinen Finger seiner linken Hand, mit dem er ein widerstrebendes Gefühl ausgedrückt, man zerschnitt seine carrirte Weste, welche die Zersetzung eines sublimen Gedankens in eben so viel Theile darlegte. „Und Fleck ist doch größer!“ trumpfte ein stabiler Gast auf den Tisch. — Warum, Renommist? „Er schafft, Iffland co¬ pirt.“ — Kunst und Natur, ein ewiger Streit, man überschrie sich; die Gläser klirrten, die Köpfe wurden heiß. „Und alle Eure Kunst ist doch nur Chemie, schrie der Renommist. Die Pest auf Dichter, die nur die Schädel¬ lehre zersetzen, aber keinen Schädel lebendig machen.“ Er setzte sich von den Genialen zu den Phi¬ listern; doch es waren Philister des Fortschritts. Die Emdener Heringsfischerei hatte zum ersten Mal Di¬ videnden ausgetheilt. Und die Chaussee von Pots¬ dam nach Brandenburg war ehegestern fertig geworden. „Meine Herren, das erwägen Sie, man kann von nun an in neun, ja vielleicht künftig in sieben Stun¬ den von Berlin nach Brandenburg fahren! Und wie lange ist es her, wo wir einen Tag brauchten durch den Sand, um nur nach Potsdam zu kommen! Das war ja schon ein ungeheures Evenement. Wenn das der alte Fritz erlebt hätte! Bis Potsdam wie auf einer Diele! Und das hat unsre Regierung ge¬ than, und doch sind sie nicht zufrieden! Ich frage Sie, was verlangt man denn noch? Sollen wir fliegen? Ja schöne fliegen, wenn Krieg kommt!“ — „Nur die unruhigen Köpfe, Herr Hofrath!“ — „Ganz richtig, Herr Nachbar, was geht uns Oestreich, was geht uns der Napoleon an!“ — „Jetzt will jeder Mensch eine Meinung haben, und alle Welt soll man fragen.“ — „Der alte Fritz fragte Niemand, und es ging doch.“ — „Ganz recht, Herr Geheim¬ secretair, es ginge auch noch, wenn nur eben nicht die unruhigen Köpfe wären.“ — „Und werden die Em¬ dener wieder Dividenden zahlen, wenns losgeht?“ — „Werden sich hüten, Herr Hofrath! Mit Handel und Verkehr, mit Fabriken und Allem ist's aus.“ — „Friede! Friede!“ war das Losungswort in der Ecke. Ein Zeitungsleser, der zugehört, lächelte. Da hö¬ ren Sie das allerliebste Gedicht: „Pensées sur la position d'àprésent.“ — „Die Vossische Zeitung hat immer allerliebste Gedichte.“ Er mußte es vorlesen: „Je souhaite la paix en tout Entre l'amante et son amant, et la femme et son époux. Beaucoup de pleurs seroient épargnées Si Mars sauvage encor vouloit se reposer. L'éspérance consolante me reste encore, Que les mères et les épouses ne pleureront De leurs fils et maris la mort. Et que le transport des canons Et toutes ces préparations A la paix universelle serviront.“ „Charmant!“ — „Allerliebst!“ — „Das ist Poesie!“ — „Das ist noch ein Dichter, der Gefühl hat.“ — „Nein, eine Dichterin; es steht drunter Philippine de B.“ — Die poetische Entzückung hatte die andre Seite der Gesellschaft aufmerksam gemacht, Einer das Zeitungsblatt ergriffen und in anderem Pathos die Poesie vorgelesen: „Von Bovillard! rief er, das riecht nach seiner Poesie!“ und ein schallen¬ des Gelächter bestätigte im Chor. Louis Bovillard hörte es nicht mehr. Er hatte sogleich den Verfasser errathen. Sein Vater liebte seine zarteren Gedanken, wie er es nannte, unter weib¬ lichen Namenschiffren ins Publikum zu schicken. Er irrte wieder durch die dunklen Straßen. Verspätete Theatergänger. Iffland und immer Iffland! — Verliebte Pärchen; süßes Geflüster, aufgeschreckt durch seinen rauhen Fußtritt. — „O Liebe, du Zauberin, lachte der Dämon in ihm, nur in die laue Nacht brauchst Du den Arm zu strecken, und die Herzen setzen an, wie die Fliegen an die Leimstange.“ In der einsamen Straße, durch die er einbog, stand ein Militair an ein Haus gelehnt in horchender Stellung. Aus dem geöffneten Fenster oben blickte ver¬ stohlen eine weibliche Gestalt sich um, und als sie Nie¬ mand zu sehen glaubte, fiel ein Blumenstrauß auf den Lauscher. Als der Militair das Geschenk an seine Brust drücken wollte, fühlte er seinen Arm gepackt. Ein Halt! dröhnte durch die Stille, im selben Au¬ genblick klirrte das Fenster zu. Zorn und Schreck hatten nicht Zeit über den Vorrang zu streiten, als die Erkennung schon er¬ folgt war. „Bovillard! — Plagt Sie der Teufel! — Wo kommen Sie her?“ „Aus meinen Banden.“ „Wohin soll's?“ fragte Dohleneck schon mit ge¬ runzelter Stirn. „In die Freiheit.“ „Sie brauchten Andere nicht mit sich zu reißen.“ „Nur die ich liebe.“ Der Rittmeister hatte sich eine Weile in der ersten Ueberraschung von ihm fortziehen lassen. Jetzt erst, nachdem sie um die Ecke waren, hatte er Posto gefaßt: „Himmel, Sakkerment, Bovillard, Red und Ant¬ wort, was war das! Wenn einer bis über die Ohren verliebt ist —“ „Einen Eimer Wasser ihm über den Kopf. Was sich liebt auseinander zu scheuchen, ist heut mein Plaisir.“ „Sie kommen aus dem Tollhause, oder —“ „Ich ging aus mir selbst, wollen Sie sagen.“ „Warum?“ „Weil es mir zu eng drin ward.“ Der Rittmeister hatte sich erholt: „Wenn Sie es nicht wären! Wissen Sie, was Sie thaten?“ „Zur Hälfte.“ „Sie störten —“ „Einen halben Ernst, das ist möglich, gewiß, eine ganze Posse.“ „Neulich vertraute ich Ihnen —“ „Ein namenloses Liebesabentheuer zur Hälfte. Und wenn es dies war, gratulire ich Ihnen, wenn ich auch die andere Hälfte verdarb.“ „Kennen Sie das Haus?“ „Nein, weiß wahrhaftig nicht mal, welche Straße es war. Aber auf das Soubrettengesicht fiel grade ein Lichtschein aus dem Fenster drüben.“ „Ein Soubrettengesicht! Eine majestätisch schöne Frau!“ Bovillard lachte: „Ein durchtrieben Schelmen¬ gesichtchen, und hinter ihr guckte ein Bedientengesicht — für so was hab ich Augen. So wahr der Wol¬ kenstreif eben durch die Mondsichel geht, man wollte Sie foppen!“ „Nein, Sie täuschen sich.“ Ein sanfter aber fester Händedruck antwortete ihm: „Darin täusch ich mich nie. — Sie sind be¬ trogen — von wem? Das ist gleichgültig — dies¬ mal von denen da oben am Fenster —“ Er hatte ihm das Bouquet aus der Hand ge¬ nommen: „Fort mit dem Bettel! Wer weiß in wel¬ cher Hand er war!“ Er schleuderte es über die Straße. Sie gingen schweigend neben einander. Was in der Brust des Officiers arbeitete, konnte nicht heraus. „Laßt die Motten ins Licht fliegen, es ist ihre Be¬ stimmung. Sie, Dohleneck, sind zu gut dazu, zu arglos.“ „Sie sollen darüber richten, sprach der Rittmeister plötzlich stehen bleibend. Grade Sie, Gott weiß woher, ich traue Ihnen, obgleich — verteufelter Gedanke, wenn man mich wieder in den April geschickt!“ „Sie spielen alle Komödie! rief Bovillard in die Wolkenzüge am Himmel blickend. Das ist ihre Bestimmung. Warum träufte die Natur diesen Reiz in unser Blut, diese Mottenlust in unser Hirn! Aber so wollen sie uns vielleicht! Daß unser Auge schwimmt, unser Mark weich wird, unsre Spannkraft erschlafft, das Hirn unfähig einen Gedanken festzu¬ halten, der Geist zittert vor dem Entschluß, der Arm vor dem Schlag. Diesen goldenen Semeleregen sehn sie mit stillem Vergnügen auf das Geschlecht rieseln, damit die Titanenenkel ausgehn sollen aus dem lebendigen Geschlecht. — Rittmeister! rief er. Soldat des Königs! Wenn die Welt in Brand steht, ist's dann Zeit wie Schmetterlinge um die Flammen wir¬ beln! Wollen Sie das Haus stürmen, auf einer Leiter durchs Fenster brechen. Mein Wort, da helf ich Ihnen. Kommen Sie, fordern Sie Wahrheit! Wollen Sie ein schönes Weib entführen, das Sie genarrt, erzürnt hat, ich bin dabei. Gewalt, Gewalt! Das ist noch ein Wort, ein Sturmglockenlaut, der in den Himmel dröhnt. Wollen Sie? Auf der Stelle — nur nicht Seufzer, nur nicht Liebesblicke, kein Buh¬ len um Gunst, keine Küsse. Ja — ein Weib, was mich haßte, mit einem Fußtritt mich von sich stieße —“ II . 21 In dem Augenblick rasselte eine staubbedeckte Ka¬ lesche um die Ecke. Bei der raschen Wendung mochte das Hinterrad an einen Stein gestoßen sein, das Rad brach und der leichte Wagen stürzte um. Schon im nächsten Augenblick hatte der darin Sitzende mit einem Fluch sich aus dem Wagen gearbeitet. Der Fluch galt den Pferden, oder dem Kutscher, eine barsche Zurechtweisung den Beiden, welche zum Helfen hinzugesprungen waren. Auf ihre Frage, ob er keinen Schaden gelitten, antwortete der Mann, der seinen militairischen Mantel in die Kalesche zurückwarf und hastig nach einer Ledertasche griff: „Das wäre das Wenigste!“ „Verfluchter Kerl, warum hier grade! rief er sich umsehend dem Kutscher zu. Es ist ja noch eine Viertelstunde bis zum —“ Er nannte den Namen eines Ministers. „Wenn es Ihnen darauf ankommt, führe ich Sie auf kürzerem Wege dahin?“ sagte Bovillard. Es war ein Courier. Der Rittmeister, im Schein der Laterne, bei welchem der Reisende die Ledertasche besah, erkannte einen befreundeten jüngern Officier. „Was bringen Sie in Ihrer Tasche, Schmi¬ linsky?“ „Brennend Feuer,“ antwortete der Feldofficier, indem er die Tasche wieder zuschloß. „Ja auf dem nächsten Weg, meine Herren, zum Minister.“ Der wohlbeleibtere Cavallerieofficier hatte Mühe, den Beiden nachzukommen. „Was brennt denn?“ fragte Bovillard, als sie ihre Schritte mäßigten, um Athem zu schöpfen. „Ich habe keinen Grund, sagte der Courier, ge¬ heim zu halten, was mir auf dem Fuße nachkommen muß. Ja, ich wundre mich, daß das Gerücht mir nicht voraufgeeilt ist, weil ein ähnlicher Unfall mich unterwegs aufhielt. Ich glaubte Berlin selbst in Aufruhr, und finde eine Kirchhofsruhe. Am Thor wußte man noch nichts.“ „Was ist's?“ „Die Franzosen sind eingebrochen.“ „Wo?“ fragte es mit einem Munde. „Wie ein Platzregen in's Anspachsche — Ber¬ nadotte — mit neunzig Tausend Mann wenigstens wälzt er in Sturmmärschen durch — die Baiern hau¬ sen wie in Feindes Land —“ „Krieg!“ jauchzte der Rittmeister. „Und die preußischen Truppen?“ „Was dastand machte Platz oder nicht, wie es kam. — Sie wissen nicht, vor Ordre und Contreordre, was zu thun —“ Sie waren am Hotel angelangt, und rissen an der Schelle. Der Courier lehnte sich erschöpft am Pfeiler: „Er wird doch fester halten als der, sagte er. Meine Herren, wer das mit ansehn mußte! — Sie spuckten auf unsre Gränzpfähle; ich sah einen um¬ gerissen — aus purem Uebermuth —“ „Wer?“ rief der Rittmeister. „Franzosen oder Baiern, gleichviel. Der preu¬ 21* ßische Adler im Koth, die Tapfen ihrer schmutzigen Füße auf Friedrichs zerbrochenem Adler. Meine Herren, es war ein Stoß ins Herz für einen preu¬ ßischen Militair.“ „Das muß der Langmuth den Hals brechen!“ jauchzte Bovillard und stürmte an der Hausglocke. Der Portier hatte endlich den Schieber des Seiten¬ fensterchens geöffnet. „Ein Courier! Depeschen!“ riefen drei Stimmen zugleich. „Excellenz haben sich bereits zur Ruhe verfügt.“ „Der Secretair! Aus dem Bureau, wer es sei.“ „Alles schläft schon.“ „In Teufels Namen so weckt sie!“ schrie der Rittmeister. „Ich muß Excellenz persönlich sprechen, der Courier! Ein Courier aus dem Anspachschen, De¬ peschen von äußerster Wichtigkeit.“ „Nach zehn Uhr wird nichts angenommen. Mor¬ gen früh um acht Uhr. Wenn's sehr wichtig ist, können Sie schon um sieben klingeln.“ Der Laden klappte, das Schiebefenster ging zu. „Was ist da zu thun?“ „Zum Gouverneur!“ Er wird noch von der Schnepfenjagd nicht zurück sein, entsann sich Dohleneck. — Es waren wohl Ad¬ jutanten und Officiere da, aber sie waren für außer¬ ordentliche Fälle nicht instruirt. Es müßte doch wahr¬ scheinlich ein Ministerconseil berufen werden. Also rieth man einen andern Minister aufzusuchen, es werde doch einer wachen. Es wachte aber zufällig keiner. Hier wurden sie angeschrieen, dort höflich zur Ruhe vermahnt. Sie sollten wissen, daß Excellenz jeden Sonnabend zu transpiriren einnehmen. Dann werde Niemand, wer es auch sei, vorgelassen. „Er spielt L'hombre! Man darf ihn nicht stören!“ rief Bovillard und unterschlug die Arme. Sie waren vom letzten Hotel abgewiesen. „Was sehn Sie da, Bovillard?“ „Nach dem neuen Kometen, den Herr Bode am großen Bären entdeckt hat. Der Mann hat sich doch ein großes Verdienst um den preußischen Staat er¬ worben.“ „Wenn Kometen auf Krieg deuten! sagte Doh¬ leneck. Wohin? Wohin?“ Bovillard stürzte ihnen vorauf. „Ich sehe Licht, Funken schlagen. Es gilt einen Sturm.“ Die Erscheinung, welche durch die Hintertreppe ins Arbeitszimmer des Geheimraths gedrungen, war sein Sohn. Es waren Jahre vergangen, seit Louis Bovillard seinen Fuß in diese Räume gesetzt. Die auf des Vaters Seite waren entflohen, die auf des Sohnes unten geblieben, oder sie hatten ihm die Sache übergeben und waren auch fortgegangen. Der Vater und der Sohn waren allein. Der Vater hatte sich wieder gewonnen. Wenn der erste Anblick ihn erschreckt, wenn er hinter den Tisch getreten auf dem die Flaschen rollten, wenn er an die Glocke ziehen wollen, so war der wüste Traum¬ eindruck so schnell vergangen, als er aufschoß. Dieser Sohn kam nicht mit der Pistole in der Brust; er floh nicht vor seinen Verfolgern, er war nicht eingedrun¬ gen, um des Vaters Beutel oder Schutz; aber wie wild auch das Auge rollte, wie starr und wüst das Haar um seine Stirne spielte, wie vernachlässigt sein Anzug, Louis kam auch nicht als verlorner Sohn, der die Träber gegessen, und zerknirscht vor des Va¬ ters Füßen den Boden küssen will. Er blieb aufrecht an der Thür stehen: Ein verlorner Sohn hält auch kein Portefeuille in Händen. „Mein Vater! Vergessen Sie auf einen Augen¬ blick Ihren Sohn, dem Sie diese Schwelle verboten. Sehn Sie nur den Sohn des Vaterlandes. Es gilt dessen Ehre, vielleicht sein Dasein.“ Er hatte in kurzen abgestoßenen Sätzen erzählt, — was wir bereits wissen. „Und was geht es Dich an?“ Louis trat um einen Schritt näher: „Das ist nicht Ihr Ernst, es kann nicht Ihr Ernst sein. Auch Ihr Auge blitzte auf, ich sah es. Vergessen Sie, daß Ihr Sohn Zeuge ist dieser Bewegung, die Ihnen keine Schande bringt. Herr Gott — Sie müssen —“ Der Geheimrath war in Bewegung; es gelang ihm nicht ganz, sie zu verbergen. „Der Du nicht mein Sohn sein willst, Du weißt doch, daß ich nicht Minister bin, und die De¬ peschen sind nicht an mich.“ Louis war noch um einen Schritt näher getreten, er hatte des Vaters Arm ergriffen, er sah ihn mit einem Blick an, den der Geheimrath nicht ertrug: „Wenn ihr Kind in's Wasser fiel, springt die Mut¬ ter nach, auch wenn sie nicht schwimmen kann. Der Naturtrieb ist's, sie kann nicht ohne das Kind leben; sie will mit ihm untergehen. Hier handelt sich's um Untergang; unser Vaterland geht an der Donau unter. Wie Gebirgsbäche nach einem Platzregen ein Thal überschwemmen, so stampfen des Feindes Hufen auf unserem eigenen theuren vaterländischen Boden die Quellen auf. Aus unserem Blut, aus unseren Brüdern recrutirt er sein Heer. Der Baier zieht mit ihm, wie der Schakal dem Löwen folgt, Baden ist längst gezwungen; in diesem Augenblick, der Courier bringt die Nachricht, schließt auch Würtem¬ berg sich an; die Kleinern, die Größern, die Größten reißt er, er reißt alle mit sich. Nur wir glaubten uns von besserer Natur, zu groß, wir schrieben Friedrichs Namen mit Ellenbuchstaben an unsre Gränze. Da liegt die falsche Rechnung. Eine Tra¬ dition war's, ein Nebelschild, ein Dunstbild. Seine Sappeurs haben unseren Gränzpfahl niedergehauen, seine Kanonen rollen, seine Reiter sprengen darüber. Der schwarzweiße Pfahl liegt im Graben, der Adler zertreten, es giebt keine Preußische Gränze mehr, es giebt kein Preußen mehr, wenn wir das ruhig hin¬ nehmen.“ „Wenn das Factum sich als richtig ausweist, wird Preußen wegen des Gränzpfahls Satisfaction verlangen. Dessen darf man sich versichern.“ „Und der große Kaiser, fiel Louis ein, wird sie ihm gewähren, o gewiß eine glänzende Satisfaction, wenn wir ruhig bleiben und uns nicht kümmern um was uns nichts angeht. Er wird uns auf seine Kosten einen neuen Pfahl aufstecken lassen. O es wird ihm eine Lust sein, uns Gränzen zu stecken. Wenn wir ihm nur Zeit lassen, unsere deutschen Brü¬ der zu erdrücken und erwürgen, läßt er uns auch wohl zur Genugthuung die dummen Sappeure füsi¬ liren die's gethan. — Seine Bülletins werden uns cajoliren. O süße Harmonie der Geister, wenn das ganze Deutschland zertreten ist, Oestreich ins Herz gestoßen, verblutet, wenn uns dann der große Kaiser belobt, wegen unsrer weisen Mäßigung — Nur jetzt fordern Sie es nicht, mein Vater, jetzt hat er anderes zu thun. Seine Colonnen wälzen sich, schwarze Rauch¬ säulen, über das blühende Schwaben und Franken, er durchbricht die Donau, die Feuerschlünde und die Bajonette, die Roß und Mann, die es ihm nehmen sollten, er umzingelt Mack und den Erzherzog. Von Schwaben aus, von Franken, von den Alpen her, umgarnt, eisern umarmt schon, ist die östreichsche Armee durch eine Uebermacht, gegen welche die Tapfer¬ keit umsonst ist, wenn keine Hülfe erscheint. Ja, bei Nördlingen oder Ulm ist's vielleicht schon in diesem Mo¬ ment entschieden, und wir— wir sehen zu und schlafen.“ Der Geheimrath hatte sich ganz wieder gewonnen. „Du weißt, ich liebe nicht Exaltation, am we¬ nigsten in Staatsangelegenheiten.“ Er hatte sich auf einen Stuhl niedergelassen und fuhr mit einem Tuch über seine Stirn: „Wer leug¬ net, daß unsre Lage kritisch ist. Sie ist sehr bedenk¬ lich; ich will ernsthaft mit Dir sprechen, weil ich aus Deinem Affect heraus sehe, daß es Dir ernst ist. Es ist mir nicht unlieb, denn wer weiß, was noch kommt, wo Ernst noththut. Wir haben uns täuschen lassen, es ist sogar möglich, daß wir nicht zu rechter Zeit uns entschieden, uns nicht bei Zeiten wahre Alliirte verschafften. Es ist noch schlimmer, daß, wenn wir es jetzt wollten, man uns nicht mehr traut. Ja ich fürchte, Napoleon grollt uns im Innern mehr als einem seiner Gegner. So ist's, mein Herr Sohn, rief er aufstehend, ja so ist es. Und weil es so ist, dürfen wir grade jetzt nicht anders handeln, als wir gehandelt. Sollen wir, wo das Schicksal von Eu¬ ropa auf der Messerschneide schwebt, mit einem Mal außer uns gerathen, uns selbst verlieren, und dem Theil, der auf dem Punkt steht, zu verlieren, uns in die Arme werfen! Wir gingen mit ihm unter.“ „Wenigstens wäre es ein männliches Ende — “ „Eines, der sich selbst verloren giebt. So weit sind wir noch nicht. Aber wir sind in einer Lage, wo man nicht vorsichtig genug sein kann, wo man behutsam jeden Schritt, jedes Wort, jeden Blick, den Hauch des Mundes abwägen muß. Unsre Politik ist, und kann, sie darf nicht anders sein, als hin¬ zaudern, abwarten, wie draußen die Würfel fallen —“ „Das ist Ihre Politik, Vater!“ „Aller Vernünftigen. Sieh Dich um, und höre die Stimmen in Berlin —“ „Das Ihre vernünftigen Freunde demoralisirt haben. Die Krämer- und Schreiberseelen zittern frei¬ lich vor jedem Feuerhauch. Er könnte diese Stickluft in Brand stecken. Ihr Ich ist ihr Vaterland, die Kunden, die morgen ausbleiben, wenn die Kriegs¬ trompete schmettert, sind ihre Brüder. Aber die Pro¬ vinzen, das Land urtheilt anders. Auch hier —“ „Giebt es Brauseköpfe, wie Du, Phantasten, Patrioten, leider sehr hohe und sehr gefährliche dar¬ unter, die das Schicksal des Staats auf eine Karte setzen möchten. Das Blut von Tausenden ist ihnen nichts, der Wohlstand und das häusliche Glück von Millionen, die Verwüstung und Vernichtung des Landes auf eine lange Zukunft hinaus, wenn sie nur ihrem Götzen Ehre opfern können. Der Krieg ist ihnen ein ritterliches Spiel, und um einzuhauen, um Lorbeern zu erndten, als Sieger zurück zu kehren —“ „Genug, mein Vater, sagte Louis Bovillard und nahm das Portefeuille vom Tische. Sie wollen nicht. Diese Depeschen sollen auch ruhen, wie des Königs Minister bis — es morgen zu spät ist.“ „Halt! mein Sohn, was ist denn zu spät? Ich habe Alles zwischen uns vergessen und rede wie zu einem, der mir gleich ist. Dieser Courier bringt uns nichts Neues. Verstehe mich wohl, wir sahen, was jetzt geschehen ist, seit Wochen voraus. Es konnte nicht anders kommen. Seit acht Tagen er¬ warteten wir jede Stunde, daß es geschehen wird. Wir waren darum nicht müßig. Der weise Vorschlag, daß unser Staat, was er nicht ändern konnte, frei¬ willig zugebe, die Erlaubniß des Durchmarsches für alle kriegführenden Mächte, scheiterte leider. Wir sannen auf anders. Ehe das Auskunftsmittel ge¬ funden ward, ist das Uebel eingetreten —“ „Das zum Himmel schreit.“ „Die Diplomatie hat Mittel, die Schreier stumm zu machen. Nur weil die Hitzigen hier das Ober¬ wasser hatten, ward die Ausgleichung verspätet. Wir haben noch nichts an unsrer Ehre verloren, wenn Bernadottes Einbruch von Napoleon als ein Mi߬ verständniß desavouirt wird. An der Bereitwilligkeit dazu wird es ihm nicht fehlen, denn mit dem Siege an der Oberdonau hat er weder Oestreich noch Ru߬ land vernichtet. Es kann ihm nicht gleichgültig sein, wenn Preußen mit seiner ganzen Kriegsmacht hinter den Verbündeten grollend ihm im Rücken steht. Ja, wir wissen, er wird Alles thun, dem bösen Schritt einen guten Schein zu geben. Laforest erwartet schon einen außerordentlichen Gesandten. Napoleon opfert auch Bernadotte, wenn es sein muß. Nur muß er wissen, daß wir bereit sind, auch die Hand zu reichen, um das Mißverständniß zu constatiren. Siegen aber in diesem Augenblick bei uns die Feuerköpfe, so ist Alles verloren; und wenn im Schrecken der Nacht ein Ministerrath gehalten wird, weiß wer, ob ein Schlaftrunkener nicht die Fackel ins Pulverfaß wirft.“ „Haben Sie mir noch mehr zu sagen, mein Vater?“ „Dein Herzenswunsch ist es, und Dir verzeih ich's und den jungen Leuten und patriotischen Frauen, die keinen Blick in unsre Verhältnisse haben, und ob wir können, was wir wollen.“ „Wenn der Eroberer schon mit Angst uns auf¬ marschirt in seinem Rücken erblickt!“ „So wird er Kehrt machen, wenn er uns in die Zähne sieht, meinst Du!“ — Der Geheimrath blickte sich um, wie wenn er einen Lauscher fürchtete. Mit gedämpfter Stimme sprach er: — „Wir sind nicht gerüstet, da hast Du die Wahrheit, die man nicht aussprechen darf. Die Schulden der Rhein¬ campagne sind noch nicht ganz gedeckt, die Mobil¬ machung nach der Weichsel hat ein neues Loch in den Schatz gefressen. Wir haben kein Geld, auf keine Subsidien zu rechnen, da wir mit England blank stehen, es sieht so schlimm in unserer Kasse aus, daß Herr von Stein drauf dringt, Papier¬ geld zu machen. Wer wird das in Zahlung an¬ nehmen?“ „Die Millionen, Vater, die unser Kriegswesen jährlich — “ „Sind ausgegeben, um den Schein, den äußern Anstrich von Friedrichs Heer zu erhalten. Polirt und frisch gestrichen ist Alles, aber das Holz morsch und faul. Die Schilderhäuser blinken und funkeln, in den Magazinen stockt es. Unsre Festungen sind verfallen, unsre Generale Greise, unser Fuhrwesen verrottet, von unsren Truppen standen die Wenigsten im Feuer, unser Exercitium ist veraltet, und drüben steht ein Feind, flink wie der Wind, mit dem Genie, aus allem Stoff den er findet, Soldaten zu machen, aus Pflastersteinen Kugeln, aus einem Lande, in dem wir verhungern würden, Vorräthe in Ueberfluß zu pressen, ein Feind, sage ich Dir, der alle unsre Schwächen kennt, und wir kennen sie nicht, und das ist das schlimmste. Wir schaukeln uns im Uebermuth, wir schreien wie Kinder, die durch ein dunkel Zim¬ mer müssen, um sich Muth zu machen, wir taumeln, wie Machtwandler auf den Dächern, um, wenn man unsern Namen ruft, herabzustürzen. Das wissen wir, die wenigen, die man schimpft und verlästert, mein Sohn, und darum ist unsre Politik, den Krieg ver¬ meiden um jeden Preis.“ „Um jeden! rief der Sohn. Mein Vater auch um den Preis Ihres eignen Rufes, die Ehre des Namens, den Ihre Väter trugen. Bedenken Sie, er gehört Ihnen nicht allein. Mir ist's nicht gleich¬ gültig, wenn sie mit dem Finger auf meinen Vater weisen, wenn einst in der Geschichte auch sein Name unter denen genannt wird —“ „Louis! fiel der Geheimrath ihm ins Wort, ich könnte Dir heut viel vergeben.“ „Nicht wenn ich gleichgültig bliebe zu meines Vaters Schmach. Auf die Gefahr hin Ihres letzten Zorns, ich will, muß reden! Kennen Sie das Urtheil des Publikums? Ganz verhallt so was nicht, ganz läßt es sich nicht übertäuben in Späßen und in Lustig¬ keit. In einsamen Stunden, wenn Sie Nachts auf¬ wachen, die Wanduhr tickt, der Wurm im Holze bohrt, der Wind gegen die Fenster klappt, schreit es Ihnen da nicht zu, was man von Ihnen und Ihren Freunden flüstert, lächelt. — Nein, man spricht, man schreit es laut auf dem Markt, mein Vater! — Man schilt Sie Verräther am Vaterlande. Mehr noch, man glaubt Sie gewonnen vom Feinde, bestochen. Für Napoleons Geld gäbe diese Verrätherklique dem Könige Rathschläge, die das Vaterland ins Verder¬ ben stürzen.“ „Ich kenne unsre Feinde.“ „Sie kennen Sie; das ist mir lieb. Verachten Sie die giftigen Zungen, so wünsche ich es. Aber nicht durch stummes Achselzücken, nicht indem Sie die Hände vornehm in den Schooß legen. Dazu ist nicht mehr die Zeit. Sie können sie nur verachten durch helles offnes Handeln. Hier ist ein Moment; hier gilt es rasch handeln. Was der Courier gebracht, ist kein Geheimniß; morgen weiß es Jeder, er weiß auch, daß er verschlossne Thore fand, daß die Mi¬ nister schliefen, oder schlafen wollten. Der Lieutenant Schmilinsky, ein Soldat von rohem Schrot und Korn, nimmt kein Blatt vor den Mund, ja er speit schon Feuer und Flamme. Er weiß jetzt, daß seine De¬ peschen in Ihren Händen ruhen, daß es an Ihnen wäre, die Minister zusammen zu rufen. Geschieht es nicht, so fallen, mein Vater, die Verwünschungen, die jene treffen, auf Ihr Haupt zuerst.“ „Das hast Du gethan.“ „Ich, und mit freiem Willen —“ „Louis — Deinen Vater in eine Lage zu bringen, die —“ „Ihm Gelegenheit verschafft, den Makel abzu¬ waschen. Ich freue mich, ich bin stolz darauf. — Zum Minister — befehlen Sie, daß der Kutscher anspannt — befehlen Sie, ich begleite Sie, be¬ befehlen Sie, was Sie wollen, ich bin zu Allem bereit. Nur keinen Augenblick gezaudert —“ „Und nach alledem, was ich Dir — nur Dir — vertraute —“ „Will ich meinen Vater rein sehen, von der Anklage, wie von der Schuld.“ — Er griff nach des Vaters Hand. — „Enterben Sie mich, aber das thun Sie mir zu Liebe. Beim allmächtigen Gott, ich glaube nicht, was der Argwohn spricht, nicht von Ihnen, auch nicht von den Andern — aber ich lechze, ich sehne mich nach Beweisen, nach einer schlagenden That, damit, was ich wünsche und glaube, zur Ueber¬ zeugung wird, damit ich stolz jedem die Stirn weisen, damit ich ihm ins Gesicht schauen, und ihn einen Lügner strafen kann, der meinen Vater — schilt.“ Der Geheimrath war in einer Aufregung, die sich nicht verbergen ließ, auf und ab gegangen. Jetzt plötzlich riß er an der Schelle. Er ergriff das Porte¬ feuille, er drückte Louis Hand: „Rufe den Courier, wir fahren zum Grafen.“ Druck von Eduard Krause in Berlin.