Die Büchse der Pandora Frank Wedekind Die Büchse der Pandora Tragödie in drei Aufzügen Verlag von Bruno Cassirer in Berlin Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Uebersetzung. Das Aufführungsrecht ist vom Verlage Bruno Cassirer in Berlin W. , Derfflingerstraße 16, zu erwerben Personen . Lulu Alwa Schön , Schriftsteller Rodrigo Quast , Athlet Schigolch Alfred Hugenberg , Zögling einer Korrektionsanstalt Die Gräfin Geschwitz Graf Casti-Piani Banquier Puntschu Journalist Heilmann Madelaine de Marelle Kad é ga di Santa Croce , ihre Tochter Bianetta Gazil Ludmilla Steinherz Armande , Zimmermädchen Bob , Liftjunge Ein Polizeikommissär Mr. Hopkins Kungu Poti , kaiserlicher Prinz von Uahubee Dr. Hilti , Privatdozent Jack Der erste Akt spielt in einer deutschen Großstadt, der zweite in Paris, der dritte in London. Erster Aufzug. Prachtvoller Saal in deutscher Renaissance mit schwerem Plafond aus geschnitztem Eichenholz. Die Wände sind bis zur halben Höhe mit dunklen Holzskulpturen bekleidet; darüber an beiden Seiten verblaßte Gobelins. Nach hinten oben ist der Saal durch eine verhängte Galerie abgeschlossen, von der rechts eine monumentale Treppe bis zur halben Tiefe der Bühne herabführt. In der Mitte unter der Galerie befindet sich die Eingangsthür mit gewundenen Säulen und Frontespic e . An der linken Seitenwand ein geräumiger hoher Kamin, weiter vorne ein Balkonfenster mit geschlossenen schweren Gardinen; an der rechten Seitenwand vor dem Treppenfuß eine geschlossene Porti è re. Vor dem Fußpfeiler des freien Treppengeländers steht eine leere dekorative Staffelei; rechts vorn befindet sich eine breite Ottomane, in der Mitte des Saales ein vierkantiger Tisch, um den drei hochlehnige Postersessel stehen. Links vorn ein kleiner Serviertisch, daneben ein Lehnsessel. Der Saal ist durch eine auf dem Mitteltisch stehende, tiefverschleierte Petroleumlampe matt erhellt. Alwa Schön geht vor der Eingangs- thür auf und nieder. Auf der Ottomane sitzt Rodrigo , als Bedienter gekleidet. Links in dem Lehnsessel, in schwarzem enganliegenden Kleid, tief in Kissen gebettet, einen Plaid über den Knien, sitzt die Gräfin Geschwitz . Neben ihr auf dem Tisch steht eine Kaffeemaschine und eine Tasse mit schwarzem Kaffee. Er läßt auf sich warten wie ein Konzert- meister! Ich beschwöre Sie, sprechen Sie nicht! Es soll Einer die Klappe halten, wenn er den Kopf so voll Gedanken hat wie ich! — Es will mir ganz und gar nicht einleuchten, daß sie sich dabei sogar noch zu ihrem Vorteil verändert haben soll! Sie ist herrlicher anzuschauen als ich sie je gekannt habe! Behüte mich der Himmel davor, daß ich mein Lebensglück auf Ihre Geschmacksrichtungen gründe! Wenn ihr die Krankheit ebensogut angeschlagen hat, wie Ihnen, dann bin ich pleite! Sie verlassen die Isolierbaracke, wie eine verunglückte Kautschukdame, die sich aufs Kunsthungern geworfen hat. Sie können sich kaum mehr die Nase schneuzen. Erst brauchen Sie eine Viertelstunde, um Ihre Finger zu sortieren, und dann bedarf es der größten Vorsicht, damit Sie die Spitze nicht abbrechen. Was uns unter die Erde bringt, gibt ihr Kraft und Gesundheit wieder. Das ist alles schön und gut. Ich werde aber doch vermutlich heute abend noch nicht mitfahren. Sie wollen Ihre Braut am Ende gar allein reisen lassen? Erstens fährt doch der Alte mit, um sie im Ernstfalle zu verteidigen. Meine Begleitung kann sie nur verdächtigen. Und zweitens muß ich hier noch abwarten, bis meine Kostüme fertig sind. — Ich komme immer noch früh genug nach Paris. Hoffentlich legt sie sich derweil auch noch etwas Embonpoint zu. Dann wird geheiratet, vorausgesetzt, daß ich sie vor einem an- ständigen Publikum produzieren kann. Ich liebe an einer Frau das Praktische; welche Theorien sich die Weiber machen, ist mir vollkommen egal. Ihnen nicht auch, Herr Doktor? Ich habe nicht gehört, was Sie sagten. Ich hätte meine Person gar nicht in das Komplott verwickelt, wenn sie mir nicht vor ihrer Verurteilung schon immer die Plautze gekitzelt hätte. Wenn sie sich in Paris nur nicht gleich wieder zu viel Bewegung macht! Wenn ich nicht in die „Follies Berger“ engagiert wäre, nähme ich sie auf ein halbes Jahr mit nach London und ließe sie Plumkakes futtern. In London geht man schon allein durch die Seeluft auf. Außerdem fühlt man in London auch nicht bei jedem Schluck Bier immer gleich die Schicksalshand an der Gurgel. Ich frage mich seit acht Tagen, ob sich jemand, der zu Zuchthausstrafe verurteilt war, wohl noch zur Hauptfigur in einem modernen Drama eignen würde. Käme der Mensch nur endlich mal! Ich muß hier auch meine Requisiten noch aus dem Pfandleihhaus auslösen; sechshundert Kilo vom besten Eisen. Der Transport kostet mich immer dreimal mehr als mein eigenes Billet. Dabei ist die ganze Ausrüstung keinen Hosenknopf wert. Als ich schweißtriefend damit im Pfandhaus ankam, fragten sie mich, ob die Sachen auch echt seien. — Die Kostüme hätte ich mir eigentlich richtiger in Paris anfertigen lassen sollen. Der Pariser merkt auf den ersten Blick, wo man seine Vorzüge hat. Da dekolletiert er tapfer darauflos. Aber das lernt sich nicht mit untergeschlagenen Beinen; das will an klassisch gebildeten Menschen studiert sein. Hier haben sie eine Angst vor der bloßen Haut wie in Paris vor den Dynamitbomben. Vor zwei Jahren wurde ich im Alhambra-Theater zu fünfzig Mark Strafe verknallt, weil man sah, daß ich ein paar Haare auf der Brust habe, nicht so viel wie zu einer anständigen Zahnbürste nötig sind. Aber der Kultusminister meinte, die kleinen Schulmädchen könnten darüber die Freude am Strümpfestricken verlieren. Seitdem lasse ich mich jeden Monat einmal rasieren. Wenn ich jetzt nicht meine ganze geistige Spannkraft zu dem „Weltbeherrscher“ nötig hätte, möchte ich das Problem wohl auf seine Tragfähigkeit erproben. Das ist der Fluch, der auf unserer jungen deutschen Literatur lastet, daß wir Dichter viel zu literarisch sind. Wir kennen keine anderen Fragen und Probleme als solche, die unter Schriftstellern und Gelehrten auftauchen. Unser Gesichtskreis reicht über die Grenzen unserer Zunftinteressen nicht hinaus. Um wieder auf die Fährte einer großen gewaltigen Kunst zu gelangen, müßten wir uns möglichst viel unter Menschen bewegen, die nie in ihrem Leben ein Buch gelesen haben, denen die einfachsten animalischen Instinkte bei ihren Handlungen maßgebend sind. In meinem „Totentanz“ habe ich schon aus voller Kraft uach diesen Prinzipien zu arbeiten gesucht. Das Weib, das mir zu der Hauptfigur des Stückes Modell stehen mußte, atmet heute seit einem vollen Jahr hinter vergitterten Fenstern. Dafür wurde das Drama sonderbarer Weise allerdings auch nur von der freien literarischen Gesellschaft zur Aufführung ge- bracht. Solange mein Vater noch lebte, standen meinen Schöpfungen sämtliche Bühnen Deutschlands offen. Das hat sich gewaltig geändert. Ich habe mir Trikots im zartesten Blau-Grün anfertigen lassen. Wenn die in Paris keinen Succeß haben, dann will ich Mausefallen ver- kaufen. Die Trußhöschen sind so graziös, daß ich mich damit auf keine Tischkante setzen kann. Der vorteilhafte Eindruck wird nur durch meine fürchterliche Plautze gestört, die ich meiner tätigen Mitwirkung in dieser großartigen Verschwörung zu danken habe. Bei gesunden Gliedern drei Monate lang im Krankenhaus liegen, das muß den heruntergekommensten Landstreicher zum Mast- schwein machen. Seit ich heraus bin, futtere ich nichts als Karlsbader Pastillen; Tag und Nacht habe ich Orchesterprobe in den Gedärmen. Bis ich nach Paris komme, werde ich so ausgeschwemmt sein, daß ich keinen Flaschenstöpsel mehr hochheben kann. Wie ihr im Krankenhaus das Wachtpersonal aus dem Wege ging, das war ein erquickender Anblick. Der Garten war ausgestorben. In der herrlichsten Mittagssonne wagten sich die Rekon- valeszenten nicht aus den Haustüren. Ganz hinten bei der Isolierbaracke trat sie unter den Maulbeerbäumen vor und wiegte sich auf dem Kies in den Knöcheln. Der Portier hatte mich wiedererkannt und ein Assistenzarzt, der mir im Korridor begegnete, fuhr zusammen, als hätte ihn ein Revolverschuß getroffen. Die Krankenschwestern huschten in die Säle oder blieben an den Wänden kleben. Als ich zurückkam war weder im Garten noch unter dem Portal eine Seele zu sehen. Die Gelegenheit hätte ich nicht schöner finden können, wenn wir die ver- fluchten Pässe gehabt hätten. Und jetzt sagt der Mensch, er fahre nicht mit! Ich verstehe die armen Spitalbrüder. Der eine hat einen wehen Fuß, der andere hat eine geschwollene Backe; da taucht die leibhaftige Todes- versicherungsagentin mitten unter ihnen auf. In den Rittersäulen — so heißt die gesegnete Abteilung, von der aus ich meine Spionage organisierte, — als sich da die Kunde verbreitete, daß die Schwester Theophila mit Tod abgegangen sei, da war keiner der Kerle im Bett zu halten. Sie kletterten an den Fenstergittern hinauf, und wenn sie ihre Leiden zentnerweise mitschleppten. Im Leben habe ich kein solches Fluchen gehört. Erlauben Sie mir, Fräulein von Geschwitz, noch einmal auf meinen Vorschlag zurückzukommen. Die Frau hat in diesem Zimmer meinen Vater erschossen; trotzdem kann ich in dem Morde wie in der Strafe nichts anderes als ein entsetzliches Unglück sehen, das sie betroffen hat. Ich glaube auch, mein Vater hätte, wäre er mit dem Leben davon gekommen, seine Hand nicht vollständig von ihr abgezogen. Ob Ihnen Ihr Befreiungs- plan gelingen wird, scheint mir immer noch zweifelhaft, obschon ich Sie nicht entmutigen möchte. Aber ich finde keine Worte für die Bewunderung, die mir Ihre Auf- opferung, Ihre Thatkraft, Ihre übermenschlische Todes- verachtung einflößen. Ich glaube nicht, daß je ein Mann soviel für eine Frau, geschweige denn für einen Freund auf’s Spiel gesetzt hat. Ich weiß nicht, Fräulein von Geschwitz, wie reich Sie sind; aber die Ausgaben für diese Bewerkstellungen müssen Ihre Vermögensverhält- nisse zerrüttet haben. Darf ich Ihnen ein Darlehen von zwanzigtausend Mark anbieten, dessen Herbeischaffung in barem Gelde für mich mit keinerlei Schwierigkeiten ver- bunden wäre? Wie wir gejubelt haben, als die Schwester Theophila glücklich tot war! Von dem Tage an waren wir ohne Aufsicht. Wir wechselten nach Belieben die Betten. Ich hatte ihr meine Frisur ge- macht und ahmte in jedem Laut ihre Stimme nach. Wenn der Professor kam, redete er sie per gnädiges Fräulein an und sagte zu mir: Hier lebt sich’s besser als im Gefängnis! — Als die Schwester ausblieb, sahen wir einander gespannt an; wir beide waren fünf Tage krank; jetzt mußte es sich entscheiden. Am nächsten Morgen kam der Assistenzarzt. — „Wie geht es der Schwester?“ — „Tot!“ — Wir verständigten uns hinter seinem Rücken und als er hinaus war, sanken wir uns in die Arme: „Gott sei Dank! Gott sei Dank!“ — Welche Mühe es kostete, damit mein Liebling nicht ver- riet, wie gesund er schon war! — „Du hast neun Jahre Gefängnis vor Dir!“ rief ich von früh bis spät. — Man läßt sie jetzt auch wohl keine drei Tage mehr in der Isolierbaracke. Ich habe volle drei Monate im Kranken- haus gelegen, um das Terrain zu sondieren; nachdem ich mir die Qualitäten zu einem so ausgedehnten Aufent- halt erst mühsam zusammenhausiert hatte. Jetzt spiele ich hier bei Ihnen, Herr Doktor, den Kammerdiener, damit keine fremde Bedienung ins Haus kommt. Wo hat je ein Bräutigam mehr für seine Braut getan. Meine Vermögensverhältnisse sind auch zerrüttet. Wenn es Ihnen gelingt, die Frau zu einer anständigen Künstlerin auszubilden, dann haben Sie sich um Ihre Mitwelt verdient gemacht. Mit dem Temperament und der Schönheit, die sie aus dem Innersten ihrer Natur heraus zu geben hat, kann sie das blasierteste Publikum in Atem halten. Dabei wäre sie durch die Wiedergabe der Leidenschaft davor geschützt, zum zweitenmal in Wirklichkeit zur Verbrecherin zu werden. Ich will ihr ihre Zicken schon aus- treiben! Da kommt er! (Auf der Galerie werden Schritte laut; dann teilt sich der Vorhang über der Treppe und Schigolch in langem schwarzen Gehrock, einen weißen Entoutcas in der Rechten, tritt heraus.) Vermaledeite Finsternis! — Draußen brennt einem die Sonne die Augen aus. (sich mühsam aus der Decke wickelnd). Ich komme schon! Gräfliche Gnaden haben seit drei Tagen kein Tageslicht mehr gesehen. Wir leben hier wie in einer Schnupftabaksdose. Seit heute früh um neun fahre ich bei allen Lumpensammlern herum. Drei nagelneue Koffer, vollgestopft mit alten Hosen, habe ich über Bremerhaven nach Amerika spediert. Die Beine baumeln mir wie Glockenschwängel am Leib. Das soll ein anderes Leben in Paris werden! Wo wollt Ihr denn in Paris absteigen? Hoffentlich nicht gleich wieder im Hotel „Ochsenbutter“! Ich kann Euch das Hotel „Montespant“ am Boulevard Rochechouart empfehlen. Ich wohnte dort mit einer Löwenbändigerin. Die Leute sind geborene Berliner. (sich im Rohrstuhl aufrichtend). Helfen Sie mir doch! (eilt herbei und stützt sie). Dabei seid Ihr dort sicherer vor der Polizei als auf dem hohen Turmseil! Er will Sie nämlich heute Nachmittag allein mit ihr reisen lassen. Er leidet wohl noch an seinen Frost- beulen! Verlangt Ihr denn von mir, daß ich den Follies Berger in Schlafrock und Pantoffeln debütiere? Hm — die Schwester Theophila wäre auch nicht so prompt gen Himmel gefahren, wenn sie sich für unsere Patientin nicht so liebevoll erwärmt hätte. Wenn Einer den Honigmond bei ihr abzudienen hat, wird sie sich noch ganz anders zur Geltung bringen. Es kann ihr jedenfalls nicht schaden, wenn sie sich vorher noch etwas auslüftet. (eine Brieftasche in der Hand, zur Geschwitz, die auf eine Stuhllehne gestützt am Mitteltisch steht). Diese Tasche enthält zehntausend Mark. Ich danke, nein. Ich bitte Sie, sie zu nehmen. (zu Schigolch). Kommen Sie doch endlich! Geduld, mein Fräulein. Es ist ja nur der Katzensprung über die Spitalstraße. — In fünf Minuten bin ich mit ihr hier. Sie bringen sie her? Ich bringe sie her. — Oder fürchten Sie für Ihre Gesundheit? Das sehen Sie doch, daß ich nichts fürchte. Der Herr Doktor ist nach dem letzten Drahtbericht auf der Reise nach Konstantinopel begriffen, um seinen „Totentanz“ von Haremsdamen und Kastrierten vor dem Sultan zur Aufführung bringen zu lassen. (die Mittelthür unter der Galerie öffnend). Sie gehen hier näher. (Schigolch und die Gräfin Geschwitz verlassen den Saal. Alwa ver- schließt die Thür hinter ihnen.) Sie wollten der verrückten Rakete noch Geld geben. Was geht Sie das an?! Mich honoriert man wie einen Lampen- putzer, obschon ich sämtliche Schwestern im Spital habe demoralisieren müssen. Dann kamen die Herren Assistenten und Geheimräte an die Reihe. Und dann … Wollen Sie mir im Ernste weiß machen, daß sich die Assistenzärzte durch Sie haben beeinflussen lassen? Mit dem Gelde, das mich diese Hunde gekostet haben, könnte ich in Amerika Präsident der Vereinigten Staaten werden. Fräulein von Geschwitz hat Ihnen doch jeden Pfennig, den Sie ausgegeben haben, zurückerstattet. So viel ich weiß, beziehen Sie außerdem noch ein monat- liches Salair von fünfhundert Mark von ihr. Es fällt einem manchmal ziemlich schwer, an Ihre Liebe zu der unglücklichen Gefangenen zu glauben. Wenn ich eben Fräulein von Geschwitz darum bat, meine Hilfe anzu- nehmen, so geschah es gewiß nicht, um Ihre unersätt- liche Goldgier aufzustacheln. Die Bewunderung, die ich vor Fräulein von Geschwitz in dieser Sache hegen ge- lernt, empfinde ich Ihnen gegenüber noch lange nicht. Es ist mir überhaupt unklar, was Sie an mich für An- sprüche geltend machen. Daß Sie zufällig bei der Er- mordung meines Vaters zugegen waren, hat zwischen Ihnen und mir noch nicht die geringsten verwandtschaft- lichen Bande geschaffen. Dagegen bin ich fest davon überzeugt, daß Sie, wenn Ihnen das heroische Unter- nehmen der Geschwitz nicht zugute gekommen wäre, heute ohne einen Pfennig irgendwo betrunken im Rinn- stein lägen. Und wissen Sie, was aus Ihnen ge- worden wäre, wenn Sie das Käseblatt, das Ihr Vater redigierte, nicht um zwei Millionen veräußert hätten? — Sie hätten sich mit dem ausgemergeltsten Ballett- mädchen zusammengetan und wären heute Stallknecht im Zirkus Humpelmeier. Was arbeiten Sie denn? — Sie haben ein Schauerdrama geschrieben, in dem die Waden meiner Braut die beiden Hauptfiguren sind und das kein anständiges Theater zur Aufführung bringt. Sie Nachtjacke Sie! Ich habe auf diesem Brustkasten noch vor zwei Jahren zwei gesattelte Kavalleriepferde balanciert. Wie das jetzt mit der Plautze werden soll, ist mir allerdings rätselhaft. Die Französinnen bekommen einen schönen Begriff von der deutschen Kunst, wenn sie mir bei jedem Kilo mehr den Schweiß aus den Trikots tröpfeln sehen. Ich werde den ganzen Zuschauerraum verpesten mit meiner Ausdünstung. Sie sind ein Waschlappen. Wollte Gott, Sie hätten recht! Oder wollten Sie mich vielleicht beleidigen? — Dann setze ich Ihnen die Fußspitze unter die Kinnlade, daß Ihnen Ihre Zunge an der Tapete spazieren geht. Versuchen Sie das doch! (Tritte und Stimmen werden von außen hörbar.) Was ist das …? Es ist ein Glück für Sie, daß wir hier kein Publikum haben. Wer kann das sein? Das ist meine Geliebte! Seit einem vollen Jahre haben wir uns jetzt nicht mehr gesehen. Wie wollten denn die schon zurück sein! — Wer mag da kommen! — Ich erwarte niemanden. Zum Henker, so schließen Sie doch auf! Verstecken Sie sich! Ich stelle mich hinter die Porti è re. Da habe ich vor einem Jahr auch schon einmal gestanden. (Rodrigo verschwindet hinter der Porti è re rechts vorn. Alwa öffnet die Mittelthür, worauf Alfred Hugenberg, den Hut in der Hand, eintritt.) Mit wem habe ich … Sie? — Sind Sie nicht …? Alfred Hugenberg. Was wünschen Sie? Ich komme von Münsterberg. Ich bin heute morgen geflüchtet. Ich bin augenleidend. Ich bin gezwungen die Jalousien geschlossen zu halten. Ich brauche Ihre Hilfe, Sie werden sie mir nicht versagen. Ich habe einen Plan vorbereitet. — Hört man uns? Wovon sprechen Sie? — Was für einen Plan? Sind Sie allein? Ja. — Was wollten Sie mir mitteilen? Ich habe zwei Pläne nacheinander wieder fallen lassen. Was ich Ihnen jetzt sage, ist bis auf jeden möglichen Zwischenfall durchgearbeitet. Wenn ich Geld hätte, würde ich Sie nicht ins Vertrauen ziehen. Ich dachte zuerst lange daran — — Wollen Sie mir nicht erlauben, Ihnen meinen Entwurf auseinander- zusetzen? Wollen Sie mir bitte sagen, wovon Sie denn eigentlich sprechen? Die Frau kann Ihnen unmöglich so gleichgültig sein, daß ich Ihnen das sagen muß. Was Sie vor dem Untersuchungsrichter zu Protokoll gaben, hat ihr mehr genützt, als alles, was der Verteidiger sagte. Ich verbitte mir eine derartige Unterstellung. Das sagen Sie so; das verstehe ich natürlich. Aber Sie waren doch ihr bester Ent- lastungszeuge. Sie waren der! Sie sagten, mein Vater habe sie zwingen wollen, sich selbst zu erschießen. Das wollte er auch. Aber man glaubte mir nicht; ich wurde nicht vereidigt. Wo kommen Sie jetzt her? Aus einer Besserungsanstalt, aus der ich heute Morgen ausgebrochen bin. Und was beabsichtigen Sie? Ich erschleiche mir das Vertrauen eines Gefängnisschließers. Wovon wollen Sie denn leben? Ich wohne bei einer Prostituierten, die ein Kind von meinem Vater hat. Wer ist Ihr Vater? Er ist Polizeidirektor. Ich kenne das Gefängnis, ohne daß ich jemals drin war; und mich wird, so wie ich jetzt bin, kein Aufseher erkennen. Aber darauf rechne ich gar nicht. Ich weiß eine eiserne Leiter, von der man vom ersten Hof aus aufs Dach und durch eine Dachluke unter den Dachboden gelangt. Vom Innern aus führt kein Weg dorthin. Aber in allen fünf Flügeln liegen Bretter und Latten unter den Dächern und große Haufen Späne. Ich trage die Bretter und Latten und Späne an fünf Enden zusammen und zünde sie an. Ich habe alle Taschen voll Zünd- material, wie es zum Feuermachen gebraucht wird. Dann verbrennen Sie doch! Natürlich, wenn ich nicht gerettet werde. Aber um in den ersten Hof zu kommen, muß ich den Schließer in meiner Gewalt haben und dazu brauche ich Geld. Nicht daß ich ihn bestechen will; das würde nicht gelingen. Ich muß ihm das Geld vorher leihen, damit er seine drei Kinder in die Sommerfrische schicken kann. Dann drücke ich mich morgens um vier, wenn die Sträflinge aus geachteten Familien entlassen werden, zur Thür hinein. Er schließt hinter mir ab. Er fragt mich, was ich vorhabe; ich bitte ihn, mich am Abend wieder hinauszulassen. Und eh’ es hell wird, bin ich unter dem Dachboden. Wie sind Sie aus der Besserungsanstalt entkommen? Ich bin zum Fenster hinaus- gesprungen. Ich brauche zweihundert Mark, damit 2 der Kerl seine Familie in die Sommerfrische schicken kann. (aus der Porti è re tretend). Wünschen der Herr Baron den Kaffee im Musikzimmer oder auf der Veranda serviert? Wo kommt der Mensch her?! — Aus derselben Thüre! — Er sprang aus derselben Thüre heraus! Ich habe ihn in Dienst genommen. Er ist zuverlässig. (sich an die Schläfen greifend). Ich Dumm- kopf! — Ich Dummkopf! Ja, ja, wir haben uns hier schon ge- sehen! Scheren Sie sich zu Ihrer Frau Vize-Mama! Ihr Brüderchen möchte seinen Geschwistern gerne Onkel werden. Machen Sie Ihren Herrn Papa zum Groß- vater seiner Kinder. Sie haben uns gefehlt! Wenn Sie mir in den nächsten vierzehn Tagen noch einmal unter die Augen kommen, dann schlage ich Ihnen den Kürbis zu Brei zusammen. Seien Sie doch ruhig! Ich Dummkopf! Was wollen Sie mit Ihren Brenn- materialien! — Wissen Sie denn nicht, daß die Frau seit drei Wochen tot ist? Hat man ihr den Kopf abgeschlagen? Nein, den hat sie noch. Sie ist an der Cholera krepiert. Das ist nicht wahr. Was wollen Sie denn wissen! — Da, lesen Sie; hier! (Zieht ein Zeitungsblatt hervor und deutet auf eine Notiz darin) „Die Mörderin des Dr. Schön …“ (Gibt das Blatt an Hugenberg.) (liest). „Die Mörderin des Dr. Schön ist im Gefängnis auf unbegreifliche Weise an der Cholera erkrankt.“ — Da steht nicht, daß sie gestorben ist. Was will sie denn sonst gethan haben? Sie liegt seit drei Wochen auf dem Kirchhof. In der Ecke links hinten, hinter den Müllhaufen, wo die kleinen Kreuze sind, an denen kein Name steht, da liegt sie unter dem ersten. Sie erkennen den Platz daran, daß kein Gras darauf wächst. Hängen Sie einen Blechkranz hin und dann machen Sie, daß Sie wieder in Ihre Kinder- bewahranstalt kommen, sonst denunziere ich Sie der Polizei. Ich kenne das Frauenzimmer, das sich durch Sie ihre Mußestunden versüßen läßt. Ist es wahr, daß sie tot ist? Gott sei Dank, ja! — Ich bitte Sie, mich nicht länger in Anspruch zu nehmen. Mein Arzt ver- bietet mir, Besuche zu empfangen. Meine Zukunft ist so wenig mehr wert! Ich hätte das letzte bißchen, das mir das Leben noch gilt, gerne an ihr Glück hingegeben. Pfeif drein! Auf irgend eine Art werde ich nun doch wohl zum Teufel gehen! Wenn Sie sich unterstehen und mir oder dem Herrn Doktor hier oder meinem ehrenwerten Freund Schigolch noch in irgend welcher Weise zu nahe zu treten, dann verklage ich Sie wegen beabsichtigter Brandstifterei. Ihnen thun drei Jahre Zuchthaus not, damit Sie wissen, wo Ihre Finger nicht hinein gehören. — Und jetzt hinaus! Ich Dummkopf! Hinaus!! (Wirft Hugenberg zur Thür hinaus. Nach vorne kommend.) Nimmt mich Wunder, daß Sie dem Lümmel nicht auch Ihr Portemonnaie zur Verfügung gestellt haben. 2* Ich verbitte mir Ihre Unflätigkeiten! Der Junge ist im kleinen Finger mehr wert als Sie! Ich habe an dieser Geschwitz schon Genossenschaft genug. Soll meine Braut eine Gesell- schaft mit beschränkter Haftpflicht werden, dann mag ein anderer vorangehen. Ich gedenke die pompöseste Luftgymnastikerin aus ihr zu machen und setze deshalb gerne meine Gesundheit aufs Spiel. Aber dann bin ich Herr im Hause und bezeichne selber die Kavaliere, die sie bei sich zu empfangen hat. Der Junge hat das, was unserem Zeit- alter fehlt. Er ist eine Heldennatur. Er geht deshalb natürlich zu Grunde. Erinnern Sie sich, wie er vor Verkündigung des Urteils aus der Zeugenbank sprang und dem Vorsitzenden zurief: „Woher wollen Sie wissen, was aus Ihnen geworden wäre, wenn Sie sich als zehn- jähriges Kind die Nächte barfuß hätten in den Caf é s herumtreiben müssen?!“ Hätte ich ihm nur gleich Eine dafür in die Fresse hauen können! — Gottlob gibt es Zwangs- erziehungsanstalten, in denen man solchem Pack Respekt vor dem Gesetz einflößt. Er wäre so Einer, der mir im „Weltbeherrscher“ Modell stehen könnte. Seit zwanzig Jahren bringt die dramatische Literatur nichts als Halbmenschen zustande; Männer, die keine Kinder machen und Weiber, die keine gebären können. Das nennt man „Modernes Problem“. Wenn ich bedenke, mit welch traurigen Jammergestalten sich mein Jugendfreund die Ehre erkämpft hat, der größte deutsche Dichter zu sein, dann wird es mir schwer, ihn um seinen Lorbeer zu beneiden. Seine Helden be- gehen Selbstmord, weil sie im Lauf von fünf Akten nicht bis drei zählen lernen. Und dafür begeistert sich ein in Gummiwäsche und Jägerhemden gekleidetes, von Schmutz starrendes Publikum von Klavierlehrerinnen, das an Häßlichkeit jeden Kehrrichthaufen überbietet, der sich an den Hinterpforten eines Palastes aufstaut. Ich müßte nicht unter Exemplaren, wie es mein Vater und seine zweite Frau waren, groß geworden sein, wenn ich ihm seinen Lorbeer nicht sachte vom Haupte nehme. Ich habe mir eine zwei Zoll dicke Nilpferdpeitsche bestellt. Wenn die keinen Succeß bei ihr hat, dann will ich Kartoffelsuppe im Hirnkasten haben. Ist es Liebe, oder sind es Prügel, danach fragt kein Weiberfleisch; hat es nur Unterhaltung, dann bleibt es stramm und frisch. Sie steht jetzt im zwanzigsten Jahr, war dreimal verheiratet, hat eine kolossale Menge Liebhaber befriedigt, da melden sich auch schließlich die Herzensbedürfnisse. Aber dem Kerl müssen die sieben Todsünden auf der Stirn geschrieben stehen, sonst verehrt sie ihn nicht. Wenn der Mensch so aussieht, als hätte ihn ein Hundefänger auf die Straße gespuckt, dann hat er bei solchen Frauenspersonen keinen Prinzen zu fürchten. Ich miete eine Remise an der Rue Lafontaine; da wird sie dressiert; und hat sie den ersten Taucher- sprung exekutiert, ohne den Hals zu brechen, dann ziehe ich meinen schwarzen Frack an und rühre bis an mein Lebensende keinen Finger mehr. Bei ihrer praktischen Einrichtung kostet es die Frau nicht halb so viel Mühe, ihren Mann zu ernähren, wie umgekehrt. Wenn ihr der Mann nur die geistige Arbeit besorgt und den Familien- sinn in die Puppen gehen läßt. Ich habe die Menschheit beherrschen und als eingefahrenen Viererzug vor mir im Zügel führen gelernt; aber der Junge will mir nicht aus dem Kopf. Ich kann bei diesem Gymnasiasten wirklich noch Privat- unterricht in der Weltverachtung nehmen. Sie soll sich das Fell mit Tausend- markscheinen tapezieren lassen! Den Direktoren zapfe ich die Gagen mit der Zentrifugalpumpe ab. Ich kenne die Bande. Brauchen sie Einen nicht, dann darf man ihnen die Stiefel putzen, und wenn sie eine Künstlerin nötig haben, dann schneiden sie sie mit den verbindlichsten Komplimenten vom lichten Galgen herunter. In meinen Verhältnissen habe ich außer dem Tod nichts mehr in dieser Welt zu fürchten — im Reich der Empfindungen bin ich der ärmste Bettler. Aber ich bringe den moralischen Mut nicht mehr auf, meine befestigte Position gegen die Aufregungen des wilden Abenteurerlebens einzutauschen. Sie hatte Papa Schigolch und mich auf den Strich geschickt, damit wir ihr ein kräftiges Mittel gegen Schlaflosigkeit aufstöbern. Jeder bekam ein Zwanzigmarkstück für Reiseunkosten. Da sehen wir den Jungen im Caf é „Nachtlicht“ sitzen. Er saß wie ein Verbrecher auf der Anklagebank. Schigolch beroch ihn von allen Seiten und sagte: „Der ist noch Jungfrau.“ (Oben auf der Galerie werden schleppende Schritte hörbar.) Da ist sie! — Die zukünftige, pompöseste Luftgymnastikerin der Jetztzeit! (Ueber der Treppe teilt sich der Vorhang und Lulu im schwarzen Kleid, auf Schigolchs Arm gestützt, schleppt sich langsam die Treppe herunter.) Hü, alter Schimmel! Wir müssen heute noch nach Paris. (Lulu mit blöden Augen anglotzend). Himmel, Tod und Wolkenbruch! Langsam! Du klemmst mir den Arm ein. Woher nimmst Du die Schamlosig- keit, mit einem solchen Wolfsgesicht aus dem Gefängnis auszubrechen?! Halt die Schnauze! Ich laufe nach der Polizei! Ich mache Anzeige! Diese Vogelscheuche will sich in Paris in Trikots sehen lassen. Da kosten schon die Wattons zwei Monatsgagen. — Du bist die perfideste Hoch- staplerin, die je im Hotel Ochsenbutter Logis be- zogen hat! Ich bitte Sie, die Frau nicht zu be- schimpfen! Beschimpfen nennen Sie das?! — Ich habe mir dieser abgenagten Knochen wegen meinen Wanst angefressen! Ich bin erwerbsunfähig! Ich will ein Hanswurst sein, wenn ich noch einen Besenstiel hoch- stemmen kann! Aber mich soll hier auf dem Platze der Blitz erschlagen, wenn ich mir nicht eine Lebensrente von zehntausend Mark jährlich aus Ihren Gemeinheiten her- ausknoble! Das kann ich Ihnen sagen! Glückliche Reise! Ich laufe nach der Polizei! — (Ab.) Lauf, lauf! Der wird sich hüten! Den sind wir los. — Und jetzt schwarzen Kaffee für die Dame! (am Tisch links vorn). Hier ist Kaffee; man braucht nur einzuschenken. Ich muß noch die Schlafwagenbillete besorgen. O Freiheit! — Herr Gott im Himmel! In einer halben Stunde hole ich Dich. Abschied feiern wir im Bahnhofsrestaurant. Ich bestelle ein Souper, das bis Paris vorhält. — Guten Morgen, Herr Doktor! Guten Abend! Angenehme Ruhe! — Danke, ich kenne hier jede Thürklinke. Auf Wiedersehen! Viel Ver- gnügen! — (Durch die Mittelthür ab.) Ich habe seit anderthalb Jahren kein Zimmer gesehen — Gardinen, Sessel, Bilder … Willst Du nicht trinken? Ich habe seit fünf Tagen schwarzen Kaffee genug geschluckt. Hast Du keinen Schnaps? Ich habe Elexier de Spa. Das erinnert an alte Zeiten. (Sieht sich, während Alwa zwei Gläschen füllt, im Saal um.) Wo ist denn mein Bild? Das habe ich in meinem Zimmer, damit man es hier nicht sieht. Hol doch das Bild her. Hast Du Deine Eitelkeit auch im Gefängnis nicht verloren? Wie angstvoll einem ums Herz wird, wenn man Monate lang sich selbst nicht mehr gesehen hat. Dann bekam ich eine nagelneue Kehrichtschaufel. Wenn ich morgens um sieben ausfegte, hielt ich sie mir mit der Rückseite vors Gesicht. Das Blech schmeichelt nicht, aber ich hatte doch meine Freude. — Hol das Bild aus Deinem Zimmer. Soll ich mitkommen? Um Gottes Willen, Du mußt Dich schonen! Ich habe mich jetzt lang genug geschont. (geht durch die Thüre rechts ab, um das Bild zu holen). (allein). Er ist herzleidend; aber sich vierzehn Monate mit der Einbildung plagen müssen — wer er- trägt das! Er küßt mit Todesbangen, und seine beiden Kniee schlottern, wie bei einem ausgefrorenen Handwerks- burschen. Aber in Gottes Namen! — — Hätte ich in diesem Zimmer nur seinen Vater nicht in den Rücken geschossen! (kommt zurück mit Lulus Bild im Pierrotkostüm). Es ist ganz verstaubt. Ich hatte es mit der Vorderseite gegen den Kamin gelehnt. Du hast es nicht angesehen, während ich fort war? Ich hatte infolge des Verkaufs unserer Zeitung so viel geschäftliche Dinge zu erledigen. Die Geschwitz würde es gerne bei sich in ihrer Wohnung aufgehängt haben, aber sie hatte Haussuchungen zu ge- wärtigen. (Er hebt das Bild auf die Staffelei.) Nun lernt das arme Ungeheuer das Freuden- leben im Hotel „Ochsenbutter“ auch aus eigener Er- fahrung kennen. Ich begreife noch jetzt nicht, wie die Er- eignisse eigentlich zusammenhängen. Sie war als Diakonissin nach Hamburg gereist und hatte die Unterwäsche einer Cholerakranken nach deren Tod gegen ihre eigene gewechselt. Sie schickte sie mir, als sie zurück war. Wir verständigten uns durch Briefe, in denen immer nur das letzte Wort auf jeder Seite galt. Ich wurde ins Lazaret transportiert und lag schon nach zwei Tagen mit ihr zusammen in der Isolierbaracke. Da machte sie sich mir in allem so ähn- lich wie möglich und wurde dann als geheilt entlassen. Heute kam sie noch einmal, um mich zu besuchen. Jetzt liegt sie dort als die Mörderin des Doktor Schön. Mit dem Bilde kannst Du es, soweit es die äußere Erscheinung betrifft, immer noch aufnehmen. Im Gesicht bin ich etwas schmal, aber sonst habe ich nichts verloren. Man wird nur unglaublich nervös im Gefängnis. Du sahst schrecklich elend aus, als Du hereinkamst. Das mußte ich, um uns den Springfritzen vom Halse zu schaffen. — Und Du, was hast Du in den anderthalb Jahren gethan? Ich hatte mit einem Stück, das ich über Dich geschrieben, einen Achtungserfolg in der literarischen Gesellschaft. Wer ist Dein Schatz? Eine Schauspielerin, der ich eine Wohnung in der Karlstraße gemietet habe. Liebt sie Dich? Wie soll ich das wissen! Ich habe die Frau seit sechs Wochen nicht gesehen. Erträgst Du das? Das wirst Du nie begreifen. Bei mir be- steht die intimste Wechselwirkung zwischen meiner Sinn- lichkeit und meinem geistigen Schaffen. So z. B. bleibt mir Dir gegenüber nur die Wahl, Dich künstlerisch zu gestalten oder Dich zu lieben. Mir träumte alle paar Nächte einmal, ich sei einem Lustmörder unter die Hände geraten. — Komm, gieb mir einen Kuß! In Deinen Augen schimmert es wie der Wasserspiegel in einem tiefen Brunnen, in den man einen Stein geworfen hat. Komm! (küßt sie). Deine Lippen sind allerdings etwas schmal geworden. Komm! (Sie drängt ihn in einen Sessel und setzt sich ihm aufs Knie.) Graut Dir vor mir? — Im Hotel „Ochsen- butter“ bekamen wir alle vier Wochen ein lauwarmes Bad. Die Aufseherinnen benutzten dann die Gelegen- heit, um uns, sobald wir im Wasser waren, die Taschen zu durchsuchen. Oh, oh! Du fürchtest, Du könntest, wenn ich fort bin, kein Gedicht mehr über mich machen? Im Gegenteil, ich werde einen Dythirambus über Deine Herrlichkeit schreiben. Ich ärgere mich nur über das scheußliche Schuhwerk, das ich trage. Das beeinträchtigt Deine Reize nicht. Laß uns der Gunst des Augenblickes dankbar sein. Mir ist heute gar nicht darnach zu Mut. — Erinnerst Du Dich des Kostümballes, auf dem ich als Knappe gekleidet war? Wie mir damals die betrunkenen Frauen nachrannten! Die Geschwitz kroch mir um die Füße herum und bat mich, ich möchte ihr mit meinen Zeugschuhen ins Gesicht treten. Komm, süßes Herz! Ruhig; ich habe Deinen Vater erschossen. Deswegen liebe ich Dich nicht weniger. Einen Kuß! Beug den Kopf zurück. Du hältst meine Seelenglut durch die ge- schicktesten Künste zurück. Dabei atmet Deine Brust so keusch. Und trotzdem, wenn Deine beiden großen dunklen. Kinderaugen nicht wären, müßte ich Dich für die abge- feimteste Dirne halten, die je einen Mann ins Verderben gestürzt hat. Wollte Gott, ich wäre das! Komm heute mit nach Paris. Dort können wir uns sehen, so oft wir wollen, und werden mehr Vergnügen als jetzt an- einander haben. Durch dieses Kleid empfinde ich Deinen Wuchs wie eine Symphonie. Diese schmalen Knöchel, dieses Cantabile; dieses entzückende Anschwellen; und diese Kniee, dieses Capriccio; und das gewaltige Andante der Wollust. — Wie friedlich sich die beiden schlanken Rivalen in dem Bewußtsein aneinanderschmiegen, daß keiner dem andern an Schönheit gleichkommt — bis die launische Gebieterin erwacht und die beiden Nebenbuhler wie zwei feindliche Pole auseinanderweichen. Ich werde Dein Lob singen, daß Dir die Sinne vergehn! Derweil vergrabe ich meine Hände in Deinem Haar. Aber hier stört man uns. Du hast mich um meinen Verstand gebracht! Kommt Du nicht mit nach Paris? Der Alte fährt doch mir Dir! Der kommt nicht mehr zum Vorschein. — Ist das noch der Divan, auf dem sich Dein Vater ver- blutet hat? Schweig — schweig … Zweiter Aufzug. Paris. Ein geräumiger Salon in weißer Stuckatur mit breiter Flügel- thür in der Hinterwand. Zu beiden Seiten derselben hohe Spiegel. In beiden Seitenwänden je zwei Thüren; dazwischen rechts eine Ro- kokokonsole mit weißer Marmorplatte, darüber Lulus Bild als Pierrot in schmalem Goldrahmen in die Wand eingelassen. In der Mitte des Salons ein schmächtiges, hellgepolstertes Sofa Louis XV. Breite hell- gepolsterte Fauteuils mit dünnen Beinen und schmächtigen Armlehnen. Links vorn ein kleiner Tisch. Die Mittelthür steht offen und läßt im Hinterzimmer einen breiten Bakkarattisch, von türkischen Polstersesseln umstellt, sehen. Alwa Schön, Rodrigo Quast, der Marquis Casti-Piani, Bankier Puntschu, Journalist Heilmann, Lulu, die Gräfin Geschwitz, Madelaine de Marelle, Kad é ga di Santa Croce, Bianetta Gazil, Ludmilla Stein- herz bewegen sich im Salon in lebhafter Konversation. Die Herren sind in Gesellschaftstoilette. Lulu trägt eine weiße Direc- toirerobe mit mächtigen Puffärmeln und einer vom oberen Taillen- saum frei auf die Füße fallenden weißen Spitze; die Arme in weißen Glac é s, das Haar hochfrisiert mit einem kleinen weißen Federbusch. — Die Geschwitz in hellblauer, mit weißem Pelz verbrämter, mit Silber- borten verschnürter Husarentaille. Weißer Shlips, enger Stehkragen und steife Manschetten mit riesigen Elfenbeinknöpfen. — Madelaine de Marelle in hellem regenbogenfarbigen Changeantkleid mit sehr breiten Aermeln, langer schmaler Taille und drei Volants aus spiralförmig gewundenen Rosabändern und Veilchenbouquets. Das Haar in der Mitte gescheitelt, tief über die Schläfen fallend, an den Seiten gelockt. Auf der Stirn ein Perlmutterschmuck, von einer feinen unter das Haar gezogenen Kette gehalten. — Kad é ga di Santa Croce, ihre Tochter, 12 Jahre alt, in hellgrünen Atlasstiefeletten, die den Saum der weiß- seidenen Socken freilassen; der Oberkörper in weißen Spitzen; hell- grüne, enganliegende Aermel; perlgraue Glac é s; offnes schwarzes Haar unter einem großen hellgrünen Spitzenhut mit weißen Federn. — Bianetta Gazil in dunkelgrünem Sammt; perlenbesetzter Göller, Blusen- ärmel, faltenreicher Rock ohne Taille, der untere Saum mit großen, in Silber gefaßten falschen Topasen besetzt. — Ludmilla Steinherz in einer grellen, blau und rot gestreiften Seebadtoilette. Armande und Bob reichen Champagner. — Armande in knappem schwarzen Kleid, rechtwinklig ausgeschnitten, mit weißem Fichu Maria Antoinette. — Bob, 14 Jahre alt, in rotem Jackett, prallen Lederhosen und blinkenden Stulpstiefeln. (das volle Glas in der Hand). Mesdames et Messieurs — excusez — Mesdames et Messieurs — vous me permettez — soyes tranquilles — c’est le — (zu Ludmilla Steinherz) Was heißt Geburtstagsfest? L’anniversaire! Heißen Dank. C’est le — c’est l’anni- versaire de notre bien aimable hôtesse — comtesse, qui nous a réuni ici — ce soir. Permettez, Mesdames et Messieurs — c’est à la santé de la comtesse Adélaïde d’Oubra — Verdammt und zugenäht! — que je bois, à la santé de notre bien aimable hôtesse, la comtesse Adélaïde — dont c’est aujourd’hui l’anni- versaire … (Alle umringen Lulu und stoßen mit ihr an.) (zu Rodrigo). Ich gratuliere Dir. Ich schwitze von oben bis unten. — Il vous faut bien m’excuser, que je ne parle pas mieux le Français parce que je ne suis pas Parisien. De quel pays êtes-vous? Je suis Autrichien. Vous maniez les poids, Monsieur? Parfaitement. Madame. Moi, en général, je n’aime pas les athlètes. Je préfère les tireurs. Il-y-avait un tireur, il-y-a quinze mois, au Casino, chaque fois, qu’il faisait boum, moi je faisais … (sie zuckt mit dem Leib). Dites donc, chère belle, comment se fait’il que ce soit la première fois, qu’on ait le plaisir de rencontrer votre charmante petite princesse? Vous la trouvez telle- ment charmante? — Elle vit dans son convent. Elle n’est à Paris que pour vingt-quatre heures. Elle rentrera demain soir. Tu dis, petite mère? Mon bijou — je viens de raconter à ces messieurs, que l’autre semaine tu as ue le premier prix de géométrie. Quels jolis cheveux elle a! Regardez ces pieds! Cette manière de marcher! — Certes, elle est de race! Ayez donc pitié, Messieurs! Elle est encore tellement enfant. Voilà ce qui ne me gênerait pas! Je donnerais dix ans de ma vie, si je pouvais introduire mademoiselle dans les grands mystères de notre évangile. Eh bien, Monsieur, je ne consentirais pas pour un million. Je ne veux pas lui gâter son heureuse enfance comme on a gâté la mienne. Belle âme! Vous n’y consentiriez pas non plus pour une petite parure en vrais diamants? Pas de blagues! Vous ne m’achterez pas de vrais diamants, ni à moi ni à ma fille. Vous n’en êtes que trop sûr. (zur Gräfin Geschwitz). Die Pariser Malerschulen, wissen Sie, sind alle gut. Dafür sind wir schließlich in Paris. Ich rate Ihnen zu Julian. Wenn Sie in die Passage Panorama eintreten, der erste Seitengang links. Da sehen Sie dann gleich mit großen Buchstaben angeschrieben Ecole Julian. Ich weiß noch nicht, ob ich in eine Schule gehen werde. Es nimmt so viel Zeit weg. Est ce qu’on ne joue pas ce soir? Mais si, Madame, on jouera; je l’espère bien! Allons donc prendre nos places. Je voudrais gagner. Une petite seconde, Mesdames; j’ai à dire deux mots à mon amie. (der Gazil den Arm bietend). Madame — vous m’accorderez la faveur d’être de moitié avec vous. Vous avez la main si heureuse. (Er führt sie ins Spielzimmer, Ludmilla Steinherz folgt ihnen.) Au déjeûner, ce matin, la servante me demande: Desirez-vous du pissenlit, Monsieur? Eh bien, mon cher; qu’est ce que vous lui avez répondu? Je disais: Merci, ma belle; je n’en ai pas l’habitude. Ce qu’il est bête! Vous faites de l’esprit, Monsieur. Ce serait à peu près, comme si vous me demandiez des actions de la Société du Funicu- laire de la Jung-Frau et si je vous répondais, moi: Elle ne l’est plus maintenant! Je ne comprends pas Monsieur. Parce que vous ne savez pas l’Alle- mand, Madame. Jung-Frau c’est un mot allemand, qui veut dire Vierge. Est ce que vous en avez encore, de ces actions là? J’en ai quelques milles, moi; mais je les garde. Il n’y aura guère d’occasion semblable, pour se faire une petite fortune. Moi, je n’en ai qu’une seul jusqu’à present. Je voudrais en avoir d’autres. Si vous voulez, Monsieur, j’essayerai de vous les procurer. Mais je vous en préviens, vous les payerez des prix exorbitants. J’ai ue de la chance, moi, dans cette affaire. Je m’y suis prise de bonne heure. J’y ai mis toutes mes économies. — Si ça ne réussit pas, gare à vous! Je suis tout-à-fait sur de moi. Un jour, Madame, vous me baiserez les mains. Vous ferez un petit pélérinage en Suisse, avec Mademoiselle votre fille, vous monterez avec ce Funiculaire et vous bénirez du haut de la montagne ce pays fertile, la source de vos richesses. Vous n’avez rien à craindre, Madame. Moi aussi, j’y ai engagé ma fortune jusqu’au dernier sou. Je les ai payées fort cher, mes actions, mais je ne le regrette pas. Elles montent d’un jour à l’autre; c’est extraordinaire. Eh bien, tant mieux. (Seinen Arm nehmend.) Allons au jeu! (Madelaine de Marelle, Alwa, Puntschu, Lulu, Heilmann und Kad é ga gehen ins Spielzimmer. Armande und Bob nach links ab. — Rodrigo und die Gräfin Geschwitz bleiben zurück.) (kritzelt etwas auf einen Zettel und faltet denselben zusammen; die Geschwitz bemerkend). Hm, gräfliche Gnaden … (Da die Geschwitz zusammenzuckt.) Seh’ ich denn so gefährlich aus? (Für sich.) Ich muß ein Bonmot machen. (Laut.) Darf ich mir vielleicht etwas herausnehmen? Scheren Sie sich zum Henker! (Lulu in den Salon führend). Sie erlauben mir nur zwei Worte. 3 (während ihr Rodrigo unbemerkt einen Zettel in die Hand drückt). Bitte, soviel sie wollen. Ich habe die Ehre, mich zu empfehlen. (Ins Spielzimmer ab.) (zur Geschwitz). Lassen sie uns allein! (zu Casti Piani). Habe ich Sie wieder durch irgend etwas gekränkt? (da sich die Geschwitz nicht vom Fleck rührt). Sind Sie taub? (Die Geschwitz geht tiefaufseufzend ins Spielzimmer ab.) Sag’ es nur gleich heraus, wieviel Du haben willst. Mit Geld kannst Du mir nicht mehr dienen. Wie kommst Du auf den Gedanken, das wir kein Geld mehr haben. Weil Du mir gestern Euren letzten Rest ausgehändigt hast. Wenn Du dessen sicher bist, wird es ja wohl so sein. Ihr seid auf dem Trocknen, Du und Dein Schriftsteller. Wozu denn die vielen Worte? — Wenn Du mich bei Dir haben willst, brauchst Du mir nicht erst mit dem Henkerbeil zu drohen. Das weiß ich. Ich habe Dir aber schon mehrmals gesagt, daß Du gar nicht mein Fall bist. Ich habe Dich nicht ausgeraubt, weil Du mich liebtest, sondern ich habe Dich geliebt, um Dich ausrauben zu können. Bianetta Gazil ist mir von oben bis unten angenehmer als Du. Du stellst die ausgesuchtesten Leckerbissen zusammen, und wenn man seine Zeit ver- plempert hat, ist man hungriger als vorher. Du liebst schon zu lang, auch für unsere Pariser Verhältnisse. Einem gesunden jungen Menschen ruinierst Du nur das Nervensystem. Um so vorteilhafter eignest Du Dich für die Stellung, die ich Dir ausgesucht habe. Du bist verrückt. — Habe ich Dich gebeten, mir eine Stellung zu verschaffen? Ich sagte Dir doch, daß ich Stellen- vermittlungsagent bin. Du sagtest mir, Du seiest Polizeispion. Davon allein kann man nicht leben. Ursprünglich war ich Stellenvermittlungsagent, bis ich über ein Pfarrerstöchterchen stolperte, dem ich eine Stellung in Val Paraiso verschafft hatte. Das Holdchen hatte sich in seinen kindlichen Träumen das Leben noch berau- schender vorgestellt und beklagte sich bei Mama. Darauf wurde ich festgesetzt. Durch charaktervolles Benehmen gewann ich mir aber rasch das Vertrauen der Kriminal- polizei. Mit einem Monatswechsel von hundertfünfzig Mark schickte man mich hierher, weil man wegen der ewigen Bombenattentate unser hiesiges Kontingent ver- dreifachte. Aber wer kommt hier mit hundertfünfund- achtzig Franks im Monat aus? — Meine Kollegen lassen sich von Kokotten aushalten. Mir lag es natürlich näher, meinen früheren Beruf wieder aufzunehmen. Die Französin geht, wenn sie das Herz auf dem rechten Fleck hat, allerdings nicht ins Ausland. Aber von den un- zähligen Abenteurerinnen, die sich hier aus den besten Familien der ganzen Welt zusammenfinden, habe ich schon manches lebenshungrige junge Geschöpf an den Ort seiner natürlichen Bestimmung befördert. Ich tauge nicht für diesen Beruf. Deine Ansichten über diese Frage sind mir vollkommen gleichgültig. Die Staatsanwaltschaft 3* bezahlt demjenigen, der die Mörderin des Doktor Schön der Polizei in die Hand liefert, tausend Mark. Ich brauche nur den Sergeant de Ville heraufzupfeifen, der unten an der Ecke steht, dann habe ich tausend Mark verdient. Dagegen bietet das Etablissement Oikonomo- pulos in Kairo sechzig Pfund für Dich. Das sind fünf- zehnhundert Franks, das sind zwölfhundert Mark, also zweihundert Mark mehr als der Staatsanwalt bezahlt. Übrigens bin ich immerhin noch soweit Philantrop, um meinen Lieben lieber zum Glück zu verhelfen, als daß ich sie ins Unglück stürze. Das Leben in einem solchen Haus kann ein Weib von meinem Schlag nie und nimmer glücklich machen. Als ich fünfzehn Jahr alt war, hätte mir das gefallen können. Damals verzweifelte ich daran, daß ich jemals glücklich werden würde. Ich kaufte mir einen Revolver und lief nachts durch den tiefen Schnee über die Brücke in die Anlagen hinaus, um mich zu erschießen. Dann lag ich aber glücklicher Weise drei Monate im Spital, ohne einen Mann zu Gesicht zu bekommen. In jener Zeit gingen mir die Augen über mich auf und ich erkannte mich. In meinen Träumen sah ich Nacht für Nacht den Mann, für den ich geschaffen bin und der für mich geschaffen ist. Und als ich dann wieder auf die Männer losgelassen wurde, da war ich kein dummes Gänschen mehr. Seither sehe ich es jedem bei stockfinsterer Nacht auf hundert Schritt Entfernung an, ob wir für einander bestimmt sind. Und wenn ich mich gegen meine Erkenntnis versündige, dann fühle ich mich am nächsten Tage an Seele und Leib beschmutzt und brauche Wochen, um den Ekel, den ich vor mir empfinde, zu überwinden. Und nun bildest Du Dir ein, ich werde mich jedem Lumpenkerl hingeben! Lumpenkerle verkehren bei Oikono- mopulos in Kairo nicht. Seine Kundschaft setzt sich aus schottischen Lords, aus russischen Würdenträgern, indischen Gouverneuren und unseren flotten rheinischen Groß- industriellen zusammen. Ich muß nur dafür garantieren, daß Du Französisch sprichst. Bei Deinem eminenten Sprachtalent wirst Du übrigens auch rasch genug soviel Englisch lernen, wie Du zu Deiner Tätigkeit nötig hast. Dabei residierst Du in einem fürstlich ausgestatteten Appartement mit dem Ausblick auf die Minarets der El Azhar-Moschee, wandelst den ganzen Tag auf faust- dicken persischen Teppichen, kleidest Dich jeden Abend in eine märchenhafte Pariser Balltoilette, trinkst so viel Sekt, wie Deine Kunden bezahlen können; und schließlich bleibst Du ja auch bis zu einem gewissen Grad Deine eigene Herrin. Wenn Dir der Mann nicht gefällt, dann brauchst Du ihm keinerlei Empfindung entgegenzubringen. Du läßt ihn seine Karte abgeben und damit holla! Wenn sich die Luder darauf nicht einübten, dann wäre die ganze Sache überhaupt unmöglich, weil jede nach den ersten vier Wochen mit Sturmschritt zum Teufel ginge. Ich glaube wirklich, seit gestern ist in Deinem Gehirn irgend etwas nicht mehr wie es sein soll! Soll ich mir einreden lassen, daß der Ägypter für eine Person, die er gar nicht kennt, fünfzehnhundert Francs bezahlt? Ich habe mir erlaubt, ihm Deine Bilder zu schicken. Die Bilder hast Du ihm geschickt, die ich Dir gab? Du siehst, daß er sie besser zu wür- digen weiß, als ich. Das Bild, auf dem Du als Eva vor dem Spiegel stehst, wird er, wenn Du dort bist, wohl unter der Hausthür aufhängen. Dann kommt für Dich noch Eins in Betracht. Bei Oikonomopulos in Kairo bist Du vor Deinen Henkern sicherer, als wenn Du Dich in einen kanadischen Urwald verkriechst. Man überführt so leicht keine ägyptische Courtisane in ein deutsches Gefängnis, erstens schon aus Sparsamkeits- rücksichten und zweitens aus Furcht, man könnte dadurch der ewigen Gerechtigkeit zunahetreten. Was schert mich Eure ewige Gerechtigkeit! Du kannst Dir an Deinen fünf Fingern abzählen, daß ich mich nicht in ein solches Vergnügungslokal sperren lasse. Dann erlaubst Du, daß ich den Polizisten heraufpfeife. Warum bittest Du mich nicht einfach um fünfzehnhundert Francs, wenn Du das Geld nötig hast? Ich habe gar kein Geld nötig! — Übrigens bitte ich Dich deshalb nicht darum, weil Du auf dem Trocknen bist. Wir haben noch dreißigtausend Mark. In Jungfrau-Aktien! Ich habe mich nie mit Aktien abgegeben. Der Staatsanwalt bezahlt in deutscher Reichswährung und Oikonomopulos zahlt in englischem Gold. Du kannst morgen früh in Marseilles sein. Die Mittelmeerfahrt dauert nicht viel mehr als fünf Tage. In spätestens vierzehn Tagen bist Du in Sicherheit. Hier in Paris stehst Du dem Gefängnis näher als irgendwo. Es ist ein Wunder, das ich als Polizeiorgan nicht fasse, daß Ihr hier ein volles Jahr unbehelligt habt leben können. Aber so gut wie ich Euren Antecedentien auf die Spur kam, kann bei Deinem starken Verbrauch an Männern jeden Tag einer meiner Kollegen die glückliche Entdeckung machen. Dann darf ich mir den Mund wischen und Du verbringst Deine genußfähigsten Lebensjahre in der Einsamkeit. Willst Du Dich bitte gleich entscheiden. Um halb ein Uhr fährt der Zug nach Marseilles. Sind wir bis elf Uhr nicht handelseinig, dann pfeife ich den Sergeant de Ville herauf. Andernfalls packe ich Dich, so wie Du dastehst, in einen Fiacre, fahre Dich nach der Gare de Lion und begleite Dich morgen Abend aufs Schiff. Es kann Dir damit doch unmöglich ernst sein?! Begreifst Du nicht, daß es mir nur um Deine leibliche Rettung zu tun ist? Ich gehe mit Dir nach Amerika, nach China; aber ich kann mich selbst nicht verkaufen lassen! Das ist schlimmer als Gefängnis. Lies einmal diesen Herzenserguß! (Er zieht einen Brief aus der Tasche.) Ich werde ihn Dir vor- lesen. Hier ist der Poststempel „Kairo“, damit Du nicht glaubst, ich arbeite mit gefälschten Dokumenten. Das Mädchen ist Berlinerin, war zwei Jahre verheiratet, und das mit einem Mann, um den Du sie beneidet hättest, einem ehemaligen Kameraden von mir. Er reist jetzt in Diensten einer Hamburger Kolonialgesellschaft. Dann besucht er seine Frau ja vielleicht ge- legentlich. Das ist nicht ausgeschlossen. Aber höre diesen impulsiven Ausdruck ihrer Seligkeit! Mein Mädchenhandel erscheint mir durchaus nicht ehrenvoller, als ihn der erste beste Richter taxieren würde; aber solch ein Freudenschrei läßt mich für den Augenblick eine ge- wisse sittliche Genugtuung empfinden. Ich bin stolz darauf, mein Geld damit zu verdienen, daß ich das Glück mit vollen Händen ausstreue. (Er liest.) „Lieber Herr Meier!“ — So heiße ich als Mädchenhändler. — „Wenn Sie nach Berlin kommen, gehen Sie bitte sofort in das Kon- servatorium an der Potsdamer Straße und fragen Sie nach Gusti von Rosenkron — das schönste Weib, das ich je in Natur gesehen habe; entzückende Hände und Füße, von Natur schmale Taille, gerader Rücken, strotzender Körper, große Augen und Stumpfnase — ganz so, wie Sie es bevorzugen. Ich habe ihr schon geschrieben. Mit der Singerei hat sie keine Aussicht. Die Mutter hat keinen Pfennig. Leider schon zweiund- zwanzig, aber verschmachtend nach Liebe. Kann nicht heiraten, weil vollkommen mittellos. Habe mit Madame gesprochen. Man nimmt mit Vergnügen noch eine Deutsche, wenn gut erzogen und musikalisch. Italienerinnen und Französinnen können mit uns nicht wetteifern, weil zu wenig Bildung. Wenn Sie Fritz sehen sollten …“ — Fritz ist der Mann; er läßt sich natürlich scheiden — „.... dann sagen Sie ihm, alles war Langeweile. Er wußte es nicht besser, ich wußte es auch nicht ....“ — Jetzt folgt die Aufzählung ihrer Glückseligkeiten .... Ich kann nicht das Einzige verkaufen, das je mein eigen war. Laß mich doch weiter lesen! Ich liefere Dir heute Abend noch unser ganzes Vermögen aus. Glaub mir doch um Gottes willen, daß ich Euren letzten Sou schon bekommen habe. Wenn wir nicht bis elf Uhr das Haus verlassen haben, dann transportiert man Dich morgen mit Deiner Sippschaft per Schub nach Deutschland. Du kannst mich nicht ausliefern! Meinst Du, das wäre das Schlimmste, was ich in meinem Leben gekonnt habe? — Ich muß für den Fall, daß wir heute Nacht nach Marseilles fahren, nur rasch noch ein Wort mit Bianetta reden. (Casti Piani geht ins Spielzimmer, die Thür hinter sich auflassend. Lulu starrt vor sich hin, das Billett, das ihr Rodrigo zusteckte und das sie während des ganzen Gespräches zwischen den Fingern hielt, mecha- nisch zerknitternd. Alwa erhebt sich hinter dem Spieltisch, ein Wert- papier in der Hand, und kommt in den Salon.) (zu Lulu). Brillant! Es geht brillant! Die Geschwitz setzt eben ihr letztes Hemd. Puntschu hat mir noch zehn Jungfrau-Aktien versprochen. Die Steinherz macht ihre kleinen Profitchen. (Er geht nach links vorne ab.) (allein). Ich soll in ein Bordell? — — (Sie liest den Zettel, den sie in der Hand hält, und lacht wie toll.) (kommt von links zurück, eine Kassette in der Hand). Machst Du denn nicht mit? Gewiß, gewiß. Warum nicht! Apropos, im „Berliner Tageblatt“ steht heute, daß sich der Alfred Hugenberg im Gefängnis aus dem dritten Stockwerk ins Treppenhaus hinunter gestürzt hat. Ist denn der auch im Gefängnis? Nur in einer Art von Preventivhaft. Ge- rüchtweise verlautet, sein Vater, der Polizeidirektor, habe, während der Junge beerdigt wurde, Selbstmordversuch gemacht. (Alwa geht ins Spielzimmer ab. Lulu will ihm folgen. In der Thür tritt ihr die Gräfin Geschwitz entgegen.) Du gehst, weil ich komme? Weiß Gott, nein. Aber wenn Du kommst, dann gehe ich. Du hast mich um alles betrogen, was ich an Glücksgütern auf dieser Welt noch besaß. Du könntest in Deinem Verkehr mit mir zum aller- wenigsten die äußerlichen Anstandsformen wahren. Ich bin gegen Dich so anständig, wie gegen jede andere Frau. Ich bitte Dich nur, es auch mir gegenüber zu sein. Hast Du die leidenschaftlichen Be- teuerungen vergessen, durch die Du mich, während wir zusammen im Krankenhaus lagen, dazu verführtest, daß ich mich für Dich ins Gefängnis sperren ließ?! Wozu hast Du mir denn vorher die Cholera angehängt?! Ich habe während des Prozesses noch ganz andere Dinge beschworen, als was ich Dir ver- sprechen mußte. Mich schüttelt der Ekel bei dem Ge- danken, daß das jemals Wirklichkeit werden sollte. Dann betrogst Du mich also mit vollem Bewußtsein?! Um was bist Du denn betrogen? Deine körperlichen Vorzüge haben hier einen so begeisterten Bewunderer gefunden, daß ich mich frage, ob ich nicht noch einmal Klavierunterricht geben muß, um mein Da- sein zu fristen. Kein siebzehnjähriges Kind macht einen Mann liebestoller, als Du Ungeheuer den braven Kerl durch Deine Widerspenstigkeit machst! Von wem sprichst Du? Ich ver- stehe kein Wort. Ich spreche von Deinem Kunstturner, von Rodrigo Quast. Er ist Athlet; er balanciert zwei ge- sattelte Kavalleriepferde auf seinem Brustkasten. Kann sich eine Frau etwas Herrlicheres wünschen? Er sagte mir eben noch, daß er diese Nacht in die Seine springe, wenn Du Dich seiner nicht erbarmst. Ich beneide Dich nicht um Deine Geschicklichkeit, die hilflosen Opfer, die Dir durch uner- forschliche Bestimmung überantwortet sind, zu martern. Ich kann Dich überhaupt nicht beneiden. Ein Bedauern, wie ich es mit Dir fühle, hat mir mein eigener Jammer noch nicht abgerungen. Ich fühle mich frei wie ein Gott bei dem Gedanken, welcher Kreaturen Sklavin Du bist! Von wem sprichst Du denn? Ich spreche von Casti Piani, dem die verworfenste Niederträchtigkeit in lebenden Buchstaben auf der Stirne geschrieben steht. Schweig! Ich gebe Dir Tritte in den Leib, wenn Du schlecht von dem Jungen sprichst. Er liebt mich mit einer Aufrichtigkeit, gegen die Deine abenteuer- lichsten Aufopferungen die reine Bettelei sind. Er giebt mir Beweise von Selbstverleugnung, die mir Deine Zu- mutungen erst in ihrer ganzen Abscheulichkeit zeigen. Was gibt man nicht hin, wenn man Gelüste hat wie Du! Du bist im Leib Deiner Mutter nicht ganz fertig ge- worden, weder als Weib noch als Mann. Du bist kein Mensch wie wir anderen. Für einen Mann war der vorhandene Stoff nicht ausreichend und zum Weib hast Du zu viel Hirn in den Schädel bekommen. Deshalb bist Du verrückt! Wende Dich mit Deinen Gefühlen an Fräulein Bianetta Gazil. Die ist gegen Bezahlung zu allem zu haben. Drück’ ihr zwanzig Francs in die Hand, dann gehört sie Dir. (Bianetta Gazil, Madelaine de Marelle, Ludmilla Steinherz, Rodrigo, Casti Piani, Puntschu, Heilmann und Alwa kommen aus dem Spielzimmer in den Salon.) Um Gottes willen, was ist passiert? Mais rien du tout, ma chère. On va se rafraîchir. Tout le monde a gagné, c’est épatant! Moi, j’ai gagné au moins quarant louis … Il ne faut pas s’en vanter, mon amie! C’est vrai; ça ne porte pas bonheur. Mais la Bauque aussi a gagné! Es ist pyramidal, wo das Geld herkommt! Tant mieux; on n’a pas besoin, de se priver de Champagne. J’ai au moins, moi, de quoi me payer un diner au Café de Paris. Venez, Mesdames, au buffet! (Die ganze Gesellschaft begiebt sich nach rechts ins Spielzimmer. — Lulu wird von Rodrigo zurückgehalten.) Une petite seconde, Madame. — Hast Du mein Billetdoux schon gelesen? Droh’ mir mit Anzeigen, soviel Du Lust hast! Ich habe keine zwanzigtausend Francs mehr. Lüg’ mich nicht an, Du Kanaille! Ihr habt noch vierzigtausend Mark; der Lämmerschwanz hat mir das eben noch bestätigt. Dann wende Dich mit Deinen Erpressungen doch an ihn! Mir ist es egal, was er mit seinem Gelde thut. Ich danke Dir! Bei dem Hornochsen brauche ich zweimal vierundzwanzig Stunden, bis er be- greift, wovon die Rede ist. Und dann kommen seine Erläuterungen und Auseinandersetzungen, denen gegen- über einem sterbensübel wird. Derweil schreibt mir meine Braut: „Tout est fini entre nous!“ und ich kann den Leierkasten umhängen. Hast Du Dich denn hier in Paris verlobt? Ich hätte Dich wohl erst um Erlaubnis fragen sollen? Was war hier mein Dank dafür, daß ich Dich auf Kosten meiner Gesundheit aus dem Ge- fängnis befreit habe? — La misère noire! Ihr habt mich preisgegeben! Ich hätte Packträger werden können, wenn mich dieses Mädchen nicht aufgenommen hätte. In den Follies Berg è re warf man mir gleich am ersten Abend einen Sammetfauteuil an den Kopf. Die fran- zösische Nation ist zu heruntergekommen, um noch ge- diegene Kraftleistungen zu würdigen. Wäre ich ein boxendes Känguruh, dann hätten sie mich interviewt und in allen Journalen abgebildet. Gott sei Dank hatte ich auf der Toilette schon die Bekanntschaft meiner C é lestine gemacht. Als ich ihr meine zwei Sous in die Hand drückte, erklärte sie mir, sie beabsichtigte, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Sie hat die Ersparnisse zwanzigjähriger Arbeit auf dem Cr é dit Lionnais deponiert. Dabei liebt sie mich um meiner selbst willen. Sie geht nicht wie Du nur auf Gemeinheiten aus. Sie hat drei Kinder von einem englischen Bischof, die alle zu den schönsten Hoffnungen berechtigen. Übermorgen früh werden wir uns auf der Mairie des ersten Arrondissements standesamtlich trauen lassen. Meinen Segen hast Du dazu. Dein Segen kann mir gestohlen werden! Ich habe meiner Braut gesagt, ich hätte zwanzigtausend Francs auf der Bank liegen. Dabei prahlt der Kerl noch, daß ihn das Mädchen um seiner selbst willen liebt! Meine C é lestine verehrt den Gemüts- menschen in mir, und nicht den Kraftmenschen, wie Du das getan hast und all die anderen. Das ist jetzt über- standen! Erst rissen sie einem die Kleider vom Leib und dann wälzten sie sich mit der Femme de Chambre herum. Ich will ein Totengerippe sein, wenn ich mich noch jemals auf solche Belustigungen einlasse! Warum zum Henker verfolgst Du denn die unglückliche Geschwitz mit Deinen schmutzigen Anträgen? Weil das Frauenzimmer von Adel ist. Ich bin Homme du Monde und verstehe mich besser als irgendeiner von Euch auf den Pariser Konversationston. — Aber jetzt bitte ich um eine bündige Antwort. Wirst Du mir bis morgen Abend das Geld verschaffen oder nicht? Ich habe kein Geld. Ich will Hühnerdreck im Kopf haben, wenn ich mich damit abspeisen lasse! Er giebt Dir den letzten Sou, den er hat, wenn Du nur einmal Deine verdammte Pflicht und Schuldigkeit thust und ihn nicht umsonst vor Deiner Thür winseln läßt. Du hast den armen Jungen hierher gelockt. und jetzt kann er sehen, wo er ein passendes Engagement für seine Ver- vollkommnung auftreibt. Was schert es Dich, ob er das Geld mit Weibern oder am Spieltisch verthut?! Wollt Ihr denn mit Gewalt den letzten Pfennig, den sich sein Vater an der Zeitung verdient hat, diesem wildfremden Pack in den Rachen jagen?! Du machst vier Menschen glücklich, wenn Du fünfe gerad sein läßt und Dich einem wohlthätigen Zweck opferst! Muß es denn immer und immer nur Casti Piani sein! Soll ich ihn vielleicht bitten, daß er Dir die Treppe hinunterleuchtet? Comme vous voulez, ma chère! Wenn ich bis morgen Abend die zwanzigtausend Francs nicht habe — Du kannst sie auf dem Postbureau an der Avenue de l’Op é ra deponieren — dann erstatte ich An- zeige bei der Polizei und Euer Luderleben hat ein Ende. — Au plaisir de vous revoir! (Journalist Heilmann kommt atemlos von links hinten.) Sie suchen Madelaine de Marelle? — Sie ist nicht hier. Nein, ich suche etwas anderes. (ihm den Weg weisend). Die zweite Thür links, bitte. (zu Rodrigo). Hast Du das schon von Deiner Braut gelernt? (stößt in der Thür links auf Bankier Puntschu). Pardon, mein Engel. Ach Sie sind’s! Madame de Marelle erwartet Sie im Lift. Fahren Sie bitte mit ihr hinauf. Ich bin gleich zurück. (Heilmann eilt nach links ab. Lulu geht ins Speisezimmer; Rodrigo folgt ihr.) (allein). Quelle chaleur! — — Schneid’ ich Dir die Ohren nicht ab, schneidst Du sie mir! — — Muß man sich durchquetschen zwischen Juden, Christen und Sirenen! — — Kann ich nicht vermieten mein Josaphat, muß ich mir helfen mit meinem Verstand! — Wird er nicht runzlich, mein Verstand; wird er nicht avachi; braucht er sich nicht zu baden in Eau de Cologne! (Bob überbringt ein Telegramm.) A Monsieur Puntschu! (erbricht es und murmelt). Les actions du Funiculaire de la Jung-Frau tombées . . . . Attends! (Giebt Bob ein Trinkgeld.) Comment t’appelles-tu? Gaston Tarnaud, Monsieur; mais on m’a baptisé Bob parce que ça se prononce plus court comme ça. Es-tu né à Paris. Oui, Monsieur. Quel âge? . . . . (Kad é ga di Santa Croce tritt von rechts hinten ein.) Maman n’est pas ici? Non. — Quel charmante fille, mon dieu! Je la cherche partout; je ne puix pas la trouver. Attendez donc; Maman va revenir. — Ist sie weiß Gott . . . . . (Auf Bob sehend.) Und das Paar Kniehosen! — Weiß man nicht — Gott der Gerechte! — Wird mir unheimlich … (Nach rechts hinten ab.) Ecoutez, Monsieur, vous n’avez pas vu ma mère? Non, Mademoiselle; je ne l’ai pas vue. J’ai tellement peur. Madame doit être montée. Si Mademoiselle veut me suivre? Qu’est ce qu’il-y-a là haut? Vous allez voir. Nous nous cacherons dans l’escalier. Venez! Vous ne voulez pas? A quoi faire; dites? Ça vous amusera. Eh bien, faites voir. Pas ici. Je n’y monte pas. On va me gronder. Eh bien, Mademoiselle. Après vous, Monsieur! (Madelaine de Marelle stürzt in heilloser Aufregung herein und bemächtigt sich Kad é gas.) La voilà, mon Dieu! N’a-tu pas honte, vilaine garce; hein? Oh, maman; je t’ai cherchée! Tu m’as cherchée! — T’ai-je envoyée me chercher? — Qu’as-tu à faire avec ce haiduck là?! — Ah, tu me connaîtras! (Alwa, Heilmann, Ludmilla Steinherz, Puntschu, die Gräfin Geschwitz und Lulu treten aus dem Speisezimmer ein. — Bob hat sich gedrückt.) (zu Kad é ga). Ne pleure pas; tu sais! (zu Kad é ga). Qu’est ce que tu as? Pourquoi pleures-tu, mon enfant? (zu Kad é ga). Vous-avez pleuré, Made- moiselle? La pauvre petite! Ce sont les nerfs. Il n’y faut pasfair attention. Mais vous êtes trop sevère, Madame! Voilà l’âge le plus difficile. Je voudrais bien, qu’on retour- nât au jeu. (Die Gesellschaft begiebt sich ins Spielzimmer. Lulu wird an der Thür von Bob zurückgehalten, der ihr etwas zuflüstert.) Eh bien, qu’il entre. (Bob öffnet die Thür zum Korridor und läßt Schigolch eintreten. Schigolch trägt Frack, weiße Halsbinde, schiefgetretene Lackstiefel und einen schäbigen Klapphut, den er aufbehält.) (mit einem Blick auf Bob). Wo hast Du den her? Aus dem Nouveau Cirque. Er ist etwas breit in den Hüften. Er ist breiter als ich. — Gefällt Dir das nicht? Wieviel Lohn bekommt er bei Dir? Frag’ ihn, wenn Dich das so interessiert. Dazu reichen meine französischen Sprach- kenntnisse noch nicht aus. (zu Bob). Allez fermer les portes. (Bob geht ins Spielzimmer und schließt die Thür hinter sich.) Ich brauche nämlich notwendig fünf- hundert Francs. Ich habe meiner Geliebten ein Apparte- ment gemietet. Elle veut se mettre dans ses meubles. Hast Du Dir hier auch noch eine Geliebte genommen? 4 Sie ist Münchnerin. In ihrer Jugend war sie die Frau des Königs von Neapel. Sie sagt mir jeden Tag, daß sie früher einmal sehr hübsch ge- wesen sei. Braucht sie die fünfhundert Francs sehr nötig? Elle veut se mettre dans ses meubles. Solche Summen spielen doch bei Dir keine Rolle. (in einen Sessel zusammenbrechend). O Du allmäch- tiger Gott! Nun? — Was gibt es denn wieder? (schluchzt krampfhaft). Es ist zu grauenhaft! Hm — Du übernimmst Dich, mein Kind. — Du mußt Dich zuweilen mit einem Roman zu Bett legen. — Weine nur; weine Dich nur recht aus. — So hat es Dich auch schon vor fünfzehn Jahren geschüttelt. Es hat seitdem kein Mensch mehr so ge- schrien, wie Du damals hast schreien können. — Da- mals trugst Du noch keinen weißen Federbusch auf dem Kopf und hattest auch keine durchlöcherten Strümpfe an Deinen Beinen. Du hattest weder Stiefel noch Strümpfe daran. Nimm mich mit Dir nach Haus! Nimm mich diese Nacht mit zu Dir an den Quai de la Gare! Ich bitte Dich! Wir finden unten Wagen genug! Ich nehme Dich mit; ich nehme Dich mit. — Was gibt es denn? Es geht um meinen Hals! Man zeigt mich an! Wer? — Wer zeigt Dich an? Der Springfritze. Dem besorg’ ich es! Besorg’ es ihm! Ich bitte Dich, besorg’ es ihm! Dann thu mit mir, was Du willst. Wenn er zu mir kommt, ist er abgethan. Mein Fenster geht auf die Seine. — Aber er kommt nicht; er kommt nicht. Welche Nummer wohnst Du? Vingt cinq, Quai de la Gare. Ich schicke ihn hin. Er kommt mit der ver- rückten Kröte, die mir um die Füße kriecht; er kommt noch heute Abend. Geh’ nach Haus, damit sie es be- haglich finden. Laß sie nur kommen. Morgen bring’ mir seine goldenen Ringe, die er in den Ohren trägt. Hat er Ringe in den Ohren? — Das habe ich noch gar nicht bemerkt. Du kannst sie abschneiden, bevor Du ihn hinunter läßt. Er merkt es nicht, wenn er besoffen ist. Und dann, mein Kind? Was dann? Dann gebe ich Dir fünfhundert Francs für Deine Geliebte. Das nenne ich geizig. Hast Du sonst nichts? Was Du magst! Was ich habe! Bald sind es zehn Jahre, daß wir uns nicht mehr kennen. Wenn es weiter nichts ist? — Komm so oft Du willst! — Aber Du hast doch eine Geliebte. Meine Vroni trägt keine Brillanten. Sie ist auch nicht mehr von heute. Aber dann schwöre! Aber habe ich Dir je nicht Wort ge- halten? Schwöre, daß Du es ihm besorgst! Ich besorge es ihm. 4* Schwöre es mir! Schwöre es mir! (legt seine Hand auf ihr Knie). — Bei allem, was heilig ist! — Heute Nacht, wenn er kommt. — Bei allem, was heilig ist! — — Wie das kühlt! (macht seine Hand frei). Wie das glüht! Fahre nur gleich nach Haus. Sie kommen in einer halben Stunde! Nimm einen Fiacre! Ich gehe schon. Rasch! Ich bitte Dich! — — — All- mächtiger … Was starrst Du mich jetzt schon wieder so an? Nichts … Nun? — Ist Dir Deine Zunge an- gefroren? Mein Strumpfband ist aufgeg angen … Nun ja denn! Was bedeutet das? Was das bedeutet? — Ich binde es Dir, wenn Du still hältst. Das bedeutet ein Unglück! Nicht für Dich, mein Kind. Sei ge- trost, ich besorg es ihm. — (Ab.) (Lulu setzt den linken Fuß auf einen Schemel, bindet ihr Strumpf- band und geht ins Spielzimmer ab. — Rodrigo wird von Casti Piani in den Salon gepufft.) Behandeln Sie mich doch wenigstens anständig! Was könnte mich denn dazu ver- anlassen?! — Ich will wissen, was Sie vorhin mit der Frau hier gesprochen haben! Dann können Sie mich gern haben! Willst Du Hund mir Rede und Antwort stehen! — Du hast von ihr verlangt, sie soll mit Dir im Lift hinauffahren! Das ist eine unverschämte, perfide Lüge! Sie erzählt es mir selbst! Du hast ihr gedroht, sie zu denunzieren, wenn sie nicht mit Dir kommt! — Soll ich Dich über den Haufen schießen?! Die schamlose Person! — Als könnte mir so etwas einfallen! — Wenn ich sie selber haben will, brauche ich ihr weiß Gott im Himmel nicht erst mit Gefängnis zu drohen! Danke schön. Weiter wollte ich nichts wissen. (Nach rechts hinten ab.) So ein Hund! — Ein Kerl, den ich an die Decke werfe, daß er kleben bleibt, wie ein Limburger Käse! — — Komm her, wenn ich Dir die Därme um den Hals wickeln soll! — — Das wäre noch schöner! (Lulu kommt aus dem Spielzimmer.) Wo bleibst denn Du? — Man muß Dich suchen wie eine Stecknadel. Dem habe ich gezeigt, was es heißt, mit mir anzufangen! Wem denn? Deinem Casti Piani! Wie kannst Du Canaille dem Kerl erzählen, ich hätte Dich verführen wollen?! Hast Du nicht von mir verlangt, daß ich mich für zwanzigtausend Francs dem Sohn meines ver- storbenen Mannes hingebe? Weil es Deine Pflicht ist, Dich des armen Jungen zu erbarmen! Du hast ihm seinen Vater in den schönsten Lebensjahren vor der Nase weggeschossen! Aber Dein Casti Piani überlegt es sich, bevor er mir wieder unter die Augen kommt. Dem gebe ich eins vor den Bauch, daß ihm die Kaldaunen wie Leuchtkugeln zum Himmel fliegen. Wenn Du keinen besseren Ersatz für mich hast, dann bedaure ich, jemals Deine Gunst genossen zu haben! Die Geschwitz hat die fürchterlichsten Zu- stände. Sie windet sich in Krämpfen. Sie ist imstande und springt in die Seine, wenn Du sie noch länger warten läßt. Worauf wartet das Vieh denn? Auf Dich, daß Du sie liebst. Dann sag’ ihr, ich lasse sie grüßen und sie soll in die Seine springen. Sie leiht mir zwanzigtausend Francs, um mich vor dem Verderben zu retten, wenn Du sie selber davor bewahrst. Wenn Du sie heute mit Dir nimmst, deponiere ich morgen zwanzigtausend Francs für Dich auf dem Postbureau an der Avenue de l’Opéra. Und wenn ich sie nicht mitnehme? Dann zeig’ mich an! Alwa und ich sind auf dem Trockenen. Himmel, Tod und Wolkenbruch! Du machst vier Menschen glücklich, wenn Du fünfe gerad sein läßt und Dich einem wohlthätigen Zweck opferst. Das wird nicht gehn; ich weiß es im voraus. Ich habe das jetzt genug ausprobiert. Wer rechnet bei dem Schirmgestell auch auf solch ein deutsches Gemüt! Was die Person für mich hatte, war der Um- stand, daß sie Aristokratin ist. Mein Benehmen war so gentlemanlike, wie man es bei deutschen Artisten überhaupt nicht findet. Hätte ich ihr nur jemals unter die Röcke gegriffen! Sie ist noch Jungfrau. Wenn es einen Gott im Himmel giebt, dann werden Dir Deine Witze noch einmal heimgezahlt! Das prophezeie ich Dir! Die Geschwitz wartet. Was soll ich ihr sagen? Meine ergebenste Empfehlung und ich sei kastriert. Das werde ich ausrichten. Warte noch! — Ist es sicher, daß ich zwanzigtausend Francs von ihr erhalte? Frag’ sie selbst! Dann sag’ ihr, ich sei bereit. Ich erwarte sie in der Salle à manger. Ich muß nur erst noch eine Tonne Kaviar versorgen. (Rodrigo geht ins Speisezimmer. Lulu öffnet die Thür zum Spiel- zimmer und ruft „Martha!“, worauf die Gräfin Geschwitz in den Salon tritt und die Thür hinter sich schließt.) Mein liebes Herz, Du kannst mich heute vor dem Tode retten. Wie kann ich das? Wenn Du den Springfritzen nach dem Quai de la Gare bringst. Wozu das, mein Lieb? Er sagt, Du müssest ihm heute noch an- gehören, sonst zeigt er mich morgen an. Du weißt, daß ich keinem Manne gehören kann; ich bin von meinem Verhängnis nicht dazu bestimmt. Wenn Du ihm nicht zusagst, dann hat er das mit sich selbst auszumachen. Warum verliebt er sich in Dich! Aber er wird brutal werden wie ein Henkersknecht. Er wird sich für seine Enttäuschung rächen und mir die Schläfen einschlagen. Ich habe das schon erlebt. — Ist es nicht möglich, daß Du mir diese schwerste Prüfung ersparst? Was gewinnst denn Du dabei, wenn er mich anzeigt? Ich habe in meinem Vermögen noch fünfhundert Francs. Damit könnten wir beide als Zwischendeckpassagiere nach Amerika fahren. Dort wärst Du vor all’ Deinen Verfolgern in Sicherheit. Ich will in Paris bleiben; ich kann in keiner anderen Stadt mehr glücklich sein. Du mußt ihm sagen, daß Du ohne ihn nicht leben kannst. Dann fühlt er sich geschmeichelt und wird lammfromm. Du mußt auch den Kutscher bezahlen. Sag’ dem Kutscher „Vingt cinq, Quai de la Gare“ . Das ist ein Hotel sechsten Ranges, in dem man Dich mit ihm heute Abend erwartet. Soll ich Dir die Adresse aufschreiben? Wie soll Dir eine solche Ungeheuer- lichkeit das Leben retten? — Ich verstehe das nicht. — Du hast, um mich zu martern, das furchtbarste Ver- hängnis heraufbeschworen, das über mich Geächtete herein- brechen kann. Vielleicht kuriert Dich die Begegnung. O Lulu, wenn es eine ewige Ver- geltung giebt, dann möchte ich nicht für Dich einstehen müssen! Ich kann mich nicht darein finden, daß kein Gott über uns wacht. Und doch wirst Du wohl recht haben, daß es nichts damit ist. Denn womit habe ich unbedeutendes Wurm seinen Zorn gereizt, um nur Entsetzen zu erleben, wo die ganze lebendige Schöpfung vor Seligkeit die Besinnung verliert! Du hast Dich nicht zu beklagen. Wenn Du glücklich wirst, dann bist Du hundert- und tausendmal glücklicher, als es einer von uns gewöhnlichen Sterb- lichen jemals wird. Das weiß ich auch; ich beneide niemanden! Aber ich warte noch darauf. Du hast mich nun schon so oft betrogen. Ich bin Dein, mein Liebling, wenn Du den Springfritzen bis morgen beruhigst. Er will nur seine Eitelkeit befriedigt sehen; Du mußt ihn beschwören, daß er sich Deiner erbarme. Und morgen? Ich erwarte Dich, mein Herz. Ich werde die Augen nicht aufschlagen bevor Du kommst. Ich sehe keine Kammerfrau, ich empfange keinen Friseur, ich werde die Augen nicht aufschlagen, bevor Du bei mir bist. Dann laß ihn kommen. Aber Du mußt Dich ihm an den Hals werfen, mein Lieb! Weißt Du die Hausnummer noch? Vingt cinq, Quai de la Gare. — Jetzt aber rasch! (ruft ins Speisezimmer). Voyons, viens, cheri! (kommt aus dem Speisezimmer). Die Damen entschuldigen, daß ich das Maul voll habe. (ergreift seine Hand). Ich bete Sie an! Erbarmen Sie sich meiner Not! A la bonne heure! Besteigen wir das Schaffot! (Er bietet der Gräfin Geschwitz den Arm und verläßt mit ihr den Salon.) Bonne nuit, chers enfants! (Sie begleitet das Paar auf den Korridor hinaus und kommt gleich darauf mit Bob zurück.) (zu Bob). Vite, mon enfant! Nous partirons à l’instant. Tu m’accompagneras. Mais nous allons nous déguiser. Tu ma donneras tes vêtements et tu metteras les miens. — Vite, vite! A votre service, Madame! (Lulu und Bob ins Speisezimmer ab. Im Spielzimmer entsteht Lärm. Die Thüren werden aufgerissen. Bankier Puntschu, Journalist Heilmann, Alwa Schön, Bianetta Gazil, Madelaine de Marelle, Kad é ga di Santa Croce und Ludmilla Steinherz kommen in den Salon.) (ein Wertpapier in der Hand, auf dessen Titelkopf ein Alpenglühen zu sehen ist, zu Puntschu). Il vous faut l’ac- cepter, Monsieur! Mais ça n’a pas cours, mon cher! Sie Spitzbube! Vous refuser de me donner ma revanche! Ah ces Prussiens! Est ce que vous y comprenez quelque chose? Il lui a pris son argent. Et le voilà maintenant, qui quitte le jeu, ce filou! Ah, ce n’est pas propre! Moi qui quitte le jeu? — Que sa mise soit de l’argent, que Diable! Je ne suis pas ici dans mon bureau de change. Qu’il vienne demain à dix heures, m’offrir son papier! Mon papier?! — Voici seize cents francs, les actions que vous m’avez vendues! Mais pour jouer il vous faut de l’argent comptant! Wenn Sie einen bis auf den letzten Sou ausgeraubt haben, dann hat es plötzlich pas cours! Qu’est ce qu’ils disent, maman? Je n’en sais rien, moi — Sie Halsabschneider! Sie Saujude! Mais voyons, mon ami, soyons rai- sonnable! Il n’a pas de valeur, votre titre. Les actions du Funiculaire de la Jung-Frau sont tombées, ce soir, jusqu’à quinze. Je viens d’en recevoir la nouvelle par télégramme. Je n’en voulais rien dire d’abord … Mais comment ça se fait-il? Nous voilà sur le pavé! Et moi, qui perds toute une fortune! Demain, à la Bourse, on va nous en offrir pour cent sous la douzaine! Grand Dieu! Dix huit ans de peines et de travail! (Sie sinkt in Ohnmacht.) Oh, maman! Reveille-toi! — Elle meurt! Elle meurt! Où allez vous, ce soir, prendre votre diner, Monsieur Puntschu? Je suis pressé; je vais prendre ma voiture. M’offrez vous à souper chez Maxime, puisqu’ vous venez de perdre toute une fortune? Si vous voulez. On y sera mieux, peut-être. Il ne reste rien à faire ici. (Puntschu und Bianetta Gazil verlassen den Salon.) (ballt seine Aktie zusammen und wirft sie zu Boden). Das hat man von dem Pack! Warum spekulieren Sie auf die Jungfrau! — Vous enverrez quelques petites notes à Berlin et le mal sera réparé. Vous avez beau dire, Madame! Ich habe das Handwerk noch nicht so los wie Sie. Wollen Sie mich nicht als Ihren Geheimsekretär in Dienst nehmen? Connaissez-vous le Mouton à cinq pattes? — Venez, allons au Mouton à cinq pattes! C’est tout près des Halles. Nous y sommes chez nous. Jusqu’au petit jour nous aurons fait un joli petit article. Vous ne dormez donc pas? La nuit? — Jamais! (Journalist Heilmann und Ludmilla Steinherz verlassen den Salon.) (über Madelaine de Marelle gebeugt). Elle a les mains glacées. Qu’elle est belle, cette femme! Il faudrait ouvrir son corsage, afin qu’elle puisse respirer plus librement. (Lulu kommt aus dem Speisezimmer in Jockeymütze, rotem Jackett, weißen Lederhosen und Stulpstiefeln, einen Radmantel um die Schultern.) Hast Du noch etwas Geld, Alwa? Bist Du verrückt geworden? In zwei Minuten kommt die Polizei. Wir sind verraten. Bleib’ hier, wenn Du Lust hast! Barmherziger Himmel! (Lulu und Alwa verlassen den Salon.) Maman, reveille-toi! Tout le monde s’enfuit! (zu sich kommend). Et la jeunesse et les beaux jours passés! Oh cette vie! Mais c’est moi, qui gagnera de l’argeant pour nous deux. Je ne veux plus rentrer dans mon convent. Dieu te bénisse! Sais- tu bien ce que tu dis! — J’aurai peutêtre un engage- ment au Concert Parisien. J’y chanterai mon désastre; voilà ce qui les amusera! Mais tu n’as pas de voix, maman. Ah oui, c’est vrai! Ne veux-tu pas m’y mener avec toi? Dans ta jupe de bébé?! Ca non, par exemple! Mais justement! Suis-je pas gentille comme ca? Eh bien, soit donc! Dieu me le pardonne! Demain soir nous irons à l’Olympia, si tu le veux. Si je veux, petite mère! Alors tu auras de quoi vivre. (vom Korridor eintretend). Au nom de la loi — Madame, vous êtes arretée! (ihm folgend). Mais non, mais non! Dritter Aufzug. London. Eine Dachkammer ohne Mansarden. Zwei große Scheiben in der Flucht des Daches öffnen sich nach oben. Rechts und links vorn je eine schlechtschließende Thür. Im rechten Proscenium eine zerrissene graue Matratze. Links vorn ein wackliger Blumentisch, auf dem eine Whiskyflasche und eine qualmende Petroleumlampe stehen. Links hinten in der Ecke eine alte Chaiselongue; neben der Mittelthür ein durchsessener Strohsessel. Man hört den Regen aufs Dach schlagen; er träufelt durch die Luke, so daß die Diele unter Wasser steht. Vorn auf der Matratze liegt Schigolch in langem grauen Paletot. Auf der Chaiselongue links in der Ecke liegt Alwa Schön, in einen Plaid gewickelt, dessen Riemen über ihm an der Wand hängt. Der Regen trommelt zur Parade. Ein stimmungsvolles Wetter für ihr erstes Auftreten! (Lulu in halblangem Haar, das ihr offen über die Schulter fällt, tritt barfuß in abgerissenem schwarzen Kleide von links vorn ein mit einer Waschschüssel, die sie unter den Tropfenfall setzt.) Wo bleibst Du denn, mein Kind? — Hast Du Dir erst noch die Hände gewaschen? Reinlichkeit ist der Schmuck der Armut. (sich aufrichtend, ihr Haar zurückschlagend). Wenn nur Du erst hier aus dem Wege wärst. Mir träumte eben, wir dinierten zusammen chez Maxime. Bianetta Gazil war noch mit dabei. Ich hatte fers de cheval bestellt. Das Tischtuch triefte auf allen vier Seiten von Champagner. Yes, yes; und mir träumte von einem Stück Christmaß-pudding. Wenn man sich an einem von Euch wenigstens etwas wärmen könnte. Willst Du denn Deine Pilgerfahrt barfuß antreten? Der erste Schritt kostet immer allerhand Geächz und Gestöhn. Vor zwanzig Jahren was das mit ihr um kein Haar besser; und was hat sie seitdem gelernt! Die Kohlen müssen nur erst gehörig angefacht sein. Wenn sie acht Tage dabei ist, halten sie keine zehn Lokomotiven mehr hier in unserer ärmlichen Dachkammer. Die Schüssel läuft schon über. Wo soll ich denn hin mit dem Wasser? Gieß es zum Fenster hinaus. (steigt auf einen Stuhl und leert die Waschschale durch die Dachluke hinaus). Es scheint doch, der Regen will endlich nachlassen. Du vertrödelst die Stunde, wo die Commis vom Abendessen nach Hause gehen. Wollte Gott, ich läge schon irgendwo, wo mich kein Fußtritt mehr weckt! Das wünschte ich mir auch. Wozu dieses Leben noch in die Länge ziehen! Laßt uns lieber heute Abend noch in Frieden und Eintracht zusammen ver- hungern. Es ist ja doch die letzte Station. Warum gehst denn Du Faultier nicht hin und schaffst uns was zu essen?! Du hast in Deinem ganzen Leben noch keinen Pfennig verdient! Bei diesem Wetter, bei dem man keinen Hund vor die Thüre jagt?! Aber mich! Ich soll Euch mit dem bißchen Blut, das ich noch in den Gliedern habe, das Maul stopfen. Ich rühre keinen Happen an von dem Geld. Laß sie nur gehen. Sie hat mit fünf- zehn Jahren ihre Familie ernährt. Ich sehne mich noch nach einem Christmaß-pudding; dann habe ich genug. Und ich sehne mich noch nach einem saftigen Steak und einer Cigarette; dann sterben! — Mir träumte eben von einer Cigarette, wie ich sie noch nie geraucht habe. Sie sieht uns lieber vor ihren Augen krepieren, als daß sie sich zu unserer Erlösung ein Ver- gnügen macht. Die Menschen auf der Straße lassen mir eher Mantel und Rock in den Händen, ehe sie umsonst mitgehen. Hättet Ihr meine Kleider nicht verkauft, dann brauchte ich wenigstens das Laternenlicht nicht zu scheuen. Ich möchte das Weib sehen, das in den Lumpen, die ich am Leib trage, noch was verdient. Ich habe nichts Menschliches unversucht ge- lassen. Solange ich noch Geld hatte, brachte ich Nächte damit hin, Tabellen aufzubauen, mit denen man den perfektesten Falschspielern gegenüber hätte gewinnen müssen. Und dabei verlor ich Abend für Abend mehr, als wenn ich die Goldstücke eimerweise zum Fenster hinausgeschüttet hätte. Dann bot ich mich den Courtisanen an; aber die nehmen keinen, den ihnen die Justiz nicht vorher ab- gestempelt hat. Und das sehen sie einem auf den ersten Blick an, ob man Beziehungen zum Galgen hat oder nicht. Yes, yes. Ich habe mir keine Enttäuschung erspart; aber wenn ich Witze machte, dann lachten sie über mich selbst; wenn ich mich so anständig gab, wie ich bin, dann wurde ich geohrfeigt; und wenn ich es mit Gemeinheiten versuchte, dann wurden sie so keusch und jungfräulich, daß mir vor Entsetzen die Haare zu Berge standen. Wer die menschliche Gesellschaft nicht überwunden hat, der findet kein Vertrauen bei ihnen. Willst Du nicht vielleicht endlich Deine Stiefel anziehen, mein Kind? — Ich glaube, ich werde in dieser Behausung nicht mehr viel älter werden. Von den Zehenspitzen aufwärts habe ich schon seit Paris kein Gefühl mehr. Nachgerade wird es auch Zeit für mich. — Und dann die Reiselust, die mich in Atem hält. Gegen Mitternacht werde ich im Kosmopolitan-Klub doch wohl noch einen Sodom-Whisky trinken. Gestern sagte mir die Bar-Maid, ich hätte noch Aussicht, ihr Geliebter zu werden. In des drei Teufels Namen, ich gehe hin- unter! (Sie nimmt die Whiskyflasche vom Blumentisch und setzt sie an den Mund.) Damit man Dich auf eine halbe Stunde weit kommen riecht! Ich trinke nicht alles. Du gehst nicht hinunter, mein Weib! Du gehst nicht hinunter! Ich verbiete es Dir! Was willst Du Deinem Weibe verbieten, das Du nicht ernähren kannst? Wer ist daran schuld?! Wer anders als meine Frau hat mich auf das Krankenlager gebracht. Bin ich krank? Wer hat mich in den Kot geschleift? — Wer hat mich zum Mörder meines Vaters gemacht? Hast Du ihn erschossen? — Er hat nicht viel verloren; aber wenn ich Dich dort liegen sehe, dann möchte ich mir beide Hände dafür abhacken, daß ich mich so gegen meine Vernunft versündigt habe! — (Sie geht nach links in ihre Kammer.) Sie hat es mir von ihrem Casti Piani übermacht. Sie selbst ist allerdings längst nicht mehr dafür erreichbar. Solche Teufelsracker können gar nicht früh genug mit dem Erdulden anfangen, wenn noch Engel daraus werden sollen. 5 Sie hätte als Kaiserin von Rußland ge- boren werden müssen. Da wäre sie an ihrem Platz ge- wesen. Eine zweite Katharina die Zweite. (Lulu kommt mit einem Paar ausgetretener Stiefeletten aus ihrer Kammer zurück und setzt sich auf die Diele, um sie anzuziehen.) Wenn ich nur nicht kopfüber die Treppe hinunterstürze! — Hu, wie kalt! — — Giebt es etwas Traurigeres auf dieser Welt als ein Freudenmädchen! Geduld, Geduld! Es muß nur erst der richtige Zug ins Geschäft kommen. Mir soll’s recht sein; um mich ist es nicht mehr schade. (Sie setzt die Whiskyflasche an.) Ça me chauffe! Ça m’excite! — Oh verflucht! (Sie geht wankend durch die Mittelthür ab.) Wenn wir sie kommen hören, müssen wir uns so lange in meinen Verschlag verkriechen. Es ist ein Jammer um sie! — Wenn ich zurückdenke — ich bin doch gewissermaßen mit ihr zu- sammen aufgewachsen. Solange ich lebe, hält sie jedenfalls noch vor. Wir verkehrten anfangs miteinander wie Bruder und Schwester. Mama lebte damals noch. Ich traf sie eines Morgens zufällig bei der Toilette. Doktor Goll war zu einer Konsultation gerufen worden. Ihr Friseur hatte mein erstes Gedicht gelesen, das ich in der „Gesellschaft“ hatte drucken lassen —: „Hetz Deine Meute weit über die Berge hin; sie kehrt wieder von Schweiß und von Staub bedeckt …“ Oh yes! — Und dann kam sie in Rosa-Tüll — sie trug nichts darunter als ein weißes Atlasmieder — auf den Ball beim spanischen Gesandten. Doktor Goll schien seinen nahen Tod zu ahnen. Er bat mich, mit ihr zu tanzen, damit sie keine Tollheiten anstellte. Derweil wandte Papa kein Auge von uns und sie sah während des Walzers über meine Schulter weg nur nach ihm. Nachher hat sie ihn erschossen. Es ist unglaublich. Ich zweifle nur stark daran, daß noch einer anbeißt. Ich möchte es auch niemandem raten! Dieses Rindvieh! — Sie hatte damals, obgleich sie als Weib schon vollkommen entwickelt war, den Ausdruck eines fünf- jährigen munteren, kerngesunden Kindes. Sie war damals auch nur drei Jahre jünger als ich; aber wie lang ist das nun schon her! Trotz ihrer fabelhaften Überlegenheit in Fragen des praktischen Lebens ließ sie sich von mir den Inhalt von „Tristan und Isolde“ erklären; und wie entzückend verstand sie sich dabei aufs Zuhören. — Aus dem Schwesterchen, das sich in seiner Ehe noch wie ein Schulmädchen fühlte, wurde dann eine unglückliche hysterische Künstlersfrau. Aus der Künstlersgattin wurde dann die Frau meines seligen Vaters; aus der Frau meines Vaters wurde meine Geliebte. Das ist nun einmal so der Lauf der Welt; wer will dagegen aufkommen. Wenn sie im entsprechenden Augenblick nur nicht Reißaus nimmt und uns statt dessen einen Obdachlosen heraufbringt, mit dem sie ihre Herzens- geheimnisse ausgetauscht hat. — Ich küßte sie zum erstenmal in ihrer rauschenden Brauttoilette; aber nachher wußte sie nichts mehr davon. Trotzdem glaube ich, daß sie in den Armen meines Vaters schon an mich gedacht hat. Oft kann es ja nicht gewesen sein. Er hatte seine Zeit hinter sich und sie betrog ihn mit Kutscher und Stiefelputzer. Aber 5* wenn sie sich ihm gab, dann stand ich vor ihrer Seele. Dadurch hat sie auch, ohne daß ich mich dessen versehen konnte, diese furchtbare Gewalt über mich erlangt. Da sind sie! (Man hört schwere Tritte die Treppe heraufkommen.) (emporfahrend). Ich will das nicht erleben! Ich werfe den Kerl hinaus! (rafft sich mühsam auf, nimmt Alwa am Kragen und pufft ihn nach rechts). Vorwärts, vorwärts! Wie soll ihr der Junge seinen Kummer beichten, wenn wir zwei uns hier herumsielen. Aber wenn er ihr Gemeinheiten zumutet! Und wenn, und wenn! Was will er ihr denn noch zumuten! Er ist auch nur ein Mensch wie wir. Wir müssen die Thür auflassen. (Alwa in den Verschlag stoßend). Wozu die Thür auflassen! — Kusch Dich! (im Verschlag). Ich werde schon hören, was vorgeht. Gnade ihm der Himmel! (schließt die Kammerthür. Von innen). Jetzt still! (von innen). Der soll sich vorsehen. (Lulu öffnet die Mittelthür und läßt Mr. Hopkins eintreten. Mr. Hopkins ist ein Mann von hünenhafter Gestalt, glattrasiertem, rosigen Gesicht, himmelblauen Augen und freundlichem Lächeln. Er trägt Havelock und Cylinder und hält in der Hand den triefenden Schirm.) There is my little room. (legt den Zeigefinger auf den Mund und sieht Lulu bedeutungsvoll an. Darauf spannt er seinen Schirm auf und stellt ihn im Hintergrund zum Trocknen auf die Diele.) It’s not just too comfortable here. (kommt nach vorn und hält ihr die Hand vor den Mund). What do you mean? (legt ihr die Hand vor den Mund und hält den Zeigefinger an die Lippen). I don’t understand that. (hält ihr den Mund zu). (sich freimachend). We are alone. — There is nobody. (legt den Zeigefinger an die Lippen, schüttelt verneinend den Kopf, zeigt auf Lulu, öffnet den Mund wie zum Sprechen, zeigt auf sich und dann auf die Thüre). Mon Dieu, quel monstre! (hält ihr den Mund zu. Darauf geht er nach hinten, faßt seinen Havelock zusammen und legt ihn über den Stuhl neben der Thür. Dann kommt er mit grinsendem Lächeln nach vorne, nimmt Lulu mit beiden Händen beim Kopf und küßt sie auf die Stirn). (hinter der halboffenen Thür rechts vorn). Der hat den Spleen. Er soll sich vorsehen! Etwas Trostloseres hätte sie uns nicht heraufbringen können! (zurücktretend). I hope you will give me some money. (hält ihr den Mund zu und drückt ihr ein Zehn- schillingstück in die Hand). (besieht das Geldstück und wirft es aus einer Hand in die andere). (sieht sie unsicher fragend an). (das Geldstück in die Tasche steckend). Allright! (hält ihr rasch den Mund zu, giebt ihr ein Fünfschillingstück und wirft ihr einen gebieterischen Blick zu). You are generous! (springt wie wahnsinnig im Zimmer umher, fuchtelt mit den Armen in der Luft und starrt verzweiflungsvoll gen Himmel). (nähert sich ihm vorsichtig, schlingt den Arm um ihn und küßt ihn auf den Mund.) (macht sich lautlos lachend von ihr los und blickt fragend im Zimmer umher.) (nimmt die Lampe vom Blumentisch, wirft Mr. Hopkins einen verheißungsvollen Blick zu und öffnet die Thür zu ihrer Kammer). (tritt lächelnd ein, indem er unter der Thür seinen Hut lüftet) (folgt ihm). Die Bühne ist finster bis auf einen Lichtstrahl, der von links durch die Thürspalte dringt. — Alwa und Schigolch kriechen auf allen Vieren aus ihrem Verschlag. Sie sind drin. (hinter ihm). Warte noch! Hier hört man nichts. Das hat man doch oft genug gehört! Ich will vor ihrer Thüre knien. Dieses Muttersöhnchen! (Er drückt sich an Alwa vorbei, tappt über die Bühne, nimmt Mr. Hopkins Havelock vom Stuhl und durchsucht die Taschen.) (hat sich vor Lulus Kammerthür geschlichen). Handschuhe — sonst nichts! (Er kehrt den Havelock um, durchsucht die inneren Taschen und zieht ein Buch her- aus, das er an Alwa giebt). Sieh mal nach, was das ist! (hält das Buch in den Lichtstrahl, der durch die Thür dringt, und entziffert mühsam das Titelblatt). Lessons for those — who are — and those who want to be — Christian Workers — with a preface — by Rev. W, Hay. M. H. — Very helpful. — Price three shillings six. Der scheint ganz von Gott verlassen zu sein. (Legt den Mantel über den Stuhl und tastet sich nach dem Verschlag zurück.) Es ist nichts hier in London. Die Nation hat ihre Glanzzeit hinter sich. Das Leben ist nie so schlimm, wie man es sich vorstellt. (Er kriecht ebenfalls nach dem Verschlag zurück.) Nicht einmal ein seidenes Foulard hat der Kerl! Und dabei kriechen wir in Deutschland vor dem Pack auf dem Bauch! Laß uns wieder verschwinden. Vielleicht giebt er ihr beim Abschied noch was. Sie denkt an nichts als an ihr Ver- gnügen und nimmt den ersten, der ihr in den Weg läuft. Hoffentlich vergißt der Hund sie Zeit seines Lebens nicht. (Schigolch und Alwa verkriechen sich in ihr Kämmerchen und schließen die Thüre hinter sich. Darauf kommt Lulu mit Mr. Hopkins aus ihrer Kammer. Sie setzt die Lampe auf den Blumentisch, während Mr. Hopkins sie sinnend betrachtet.) Do you think to come again? (hält ihr den Mund zu). (etwas verklärt, blickt in einer Art Verzweiflung gen Himmel und schüttelt den Kopf). (hat seinen Havelock übergeworfen und nähert sich ihr mit grinsendem Lächeln. Sie wirft sich ihm an den Hals, worauf er sich sachte losmacht, ihr die Hand küßt und sich zur Thüre wendet. Sie will ihn begleiten, er winkt ihr aber, zurückzubleiben und verläßt geräuschlos das Gemach. Schigolch und Alwa kommen aus ihrem Verschlag). Hat mich der Mensch erregt! Wieviel hat er Dir gegeben? Fünfzehn Schillinge. Hier sind sie! Nimm sie! Ich gehe wieder hinunter. Wir können noch wie die Prinzen hier oben leben. Er kommt zurück! Dann laß uns nur gleich wieder ab- treten. Er sucht sein Gebetbuch; hier ist es. Es muß ihm aus dem Mantel gefallen sein. (aufhorchend). Nein, das ist er nicht. Das ist jemand anders. Es kommt jemand herauf. Ich höre es ganz deutlich. Jetzt tappt jemand an der Thür. — Wer mag das sein? Wahrscheinlich ein guter Freund, dem er uns empfohlen hat. — Herein! (Die Gräfin Geschwitz tritt ein. Sie ist in ärmlicher Kleidung und trägt eine Leinwandrolle in der Hand.) Wenn ich Dir ungelegen komme, dann kehre ich wieder um. Ich habe allerdings seit zehn Tagen mit keiner menschlichen Seele gesprochen. Ich muß Dir nur gleich sagen, daß ich kein Geld bekommen habe. Mein Bruder hat mir gar nicht geantwortet. Jetzt möchten gräfliche Gnaden gerne ihre Füße unter unsern Tisch strecken? Ich gehe wieder hinunter! Wo willst Du in dem Aufzug hin? — Ich komme trotzdem nicht mit ganz leeren Händen. Ich bringe Dir etwas anderes. Auf dem Wege hierher am Leicester Square bot mir ein Trödler noch zwölf Schillinge dafür. Ich brachte es nicht übers Herz, mich davon zu trennen. Aber Du kannst es ver- kaufen, wenn Du willst. Was haben Sie denn da? Lassen Sie doch mal sehen. (Er nimmt ihr die Leinwandrolle ab und entrollt sie). Ach ja, mein Gott, das ist ja Lulus Porträt! (aufschreiend). Und das bringst Du Ungeheuer hierher? — Schafft mir das Bild aus den Augen! Werft es zum Fenster hinaus! Warum nicht gar! Diesem Porträt gegen- über gewinne ich meine Selbstachtung wieder. Es macht mir mein Verhängnis begreiflich. Alles wird so natür- lich, so selbstverständlich, so sonnenklar, was wir erlebt haben. Wer sich diesen blühenden schwellenden Lippen, diesen großen unschuldsvollen Kinderaugen, diesem rosig- weißen strotzenden Körper gegenüber in seiner bürgerlichen Stellung sicher fühlt, der werfe den ersten Stein auf uns. Man muß es annageln. Es wird einen ausgezeichneten Eindruck auf unsere Kundschaft machen. Da drüben steckt schon ein Nagel dafür in der Wand. Wie kommmen Sie denn zu der Aquisition? Ich habe es in Eurer Wohnung in Paris heimlich aus der Wand geschnitten, nachdem Ihr fort wart. Schade, daß am Rande die Farbe abge- blättert ist! Sie haben es nicht vorsichtig genug aufge- rollt. (Er befestigt das Bild mit dem oberen Rande an einem Nagel, der in der Wand steckt.) Es muß unten noch einer durch, wenn es halten soll. Die ganze Etage bekommt ein eleganteres Aussehen. Laßt mich nur; ich weiß schon, wie ich es mache. (Er reißt verschiedene Nägel aus der Wand, zieht sich den linken Stiefel aus und schlägt die Nägel mit dem Stiefelabsatz durch den Rand des Bildes in die Mauer.) Es muß nur erst wieder eine Weile hängen, um richtig zur Geltung zu kommen. Wer sich das angesehen hat, der bildet sich nachher ein, die seligsten Wonnen zu genießen. (seinen Stiefel wieder anziehend). Ihr Körper stand auf dem Höhepunkt seiner Entfaltung, als das Bild ge- malt wurde. Die Lampe, liebes Kind! Mir scheint, es ist außergewöhnlich stark nachgedunkelt. Es muß ein eminent begabter Künstler gewesen sein, der das gemalt hat. (mit der Lampe vor das Bild tretend). Hast Du ihn denn nicht gekannt? Nein; das muß lange vor meiner Zeit gewesen sein. Ich hörte nur zuweilen noch abfällige Bemerkungen von Euch darüber, daß er sich in seinem Verfolgungswahn den Hals abgeschnitten habe. (das Porträt mit Lulu vergleichend). Der kindliche Ausdruck in den Augen ist trotz allem, was sie seitdem genossen hat, noch ganz derselbe. Aber der frische Tau, der die Haut bedeckt, der duftige Hauch vor den Lippen, das strahlende Licht, das sich von der weißen Stirne aus verbreitet, und diese herausfordernde Pracht des jugend- lichen Fleisches an Hals und Armen … Alles das ist mit dem Kehrichtwagen gefahren. Sie kann wenigstens sagen: Das war ich mal! Wem sie heute in die Hände gerät, der macht sich keinen Begriff mehr von unserer Jugendzeit. Gott sei Dank merkt man den fortschreitenden Verfall nicht, wenn man fortwährend miteinander verkehrt. Das Weib blüht für uns in dem Moment, wo es den Menschen auf Lebenszeit ins Verderben stürzen soll. Das ist nun einmal so eine Naturbestimmung. Unten im Laternenschimmer nimmt sie es noch mit einem Dutzend dieser englischen Windmühlen auf. Wer um diese Zeit noch eine Bekanntschaft machen will, der sieht überhaupt nicht auf körperliche Qualitäten. Er fragt nach den seelischen Vorzügen. Er entscheidet sich für diejenige Person, von der er am wenigsten Diebesgelüste zu fürchten hat. Ich werde es ja sehen, ob Du recht hast. Adieu. Du gehst nicht mehr hinunter, so wahr ich lebe! Wo willst Du hin? Sie will sich einen Kerl heraufholen. Lulu! Sie hat es heute schon einmal gethan. Lulu, Lulu, ich gehe mit, wohin Du gehst! Wenn Sie Ihre Knochen auf Zinsen legen wollen, dann suchen Sie sich bitte Ihr eigenes Trottoir. Lulu, ich gehe Dir nicht von der Seite! Ich habe Waffen bei mir. Verflucht noch mal! Gräfliche Gnaden legen es darauf an, mit unserem Speck zu fischen! Ihr bringt mich um! Ich halte es hier nicht mehr aus! Du brauchst nichts zu fürchten. Ich bin bei Dir! (Lulu mit der Gräfin Geschwitz durch die Mitte ab.) Sakerment, Sakerment, Sakerment! (wirft sich auf eine Chaiselongue). Ich glaube, ich habe vom Diesseits nicht mehr viel Gutes zu erwarten. Man hätte das Frauenzimmer an der Kehle zurückhalten müssen. Sie vertreibt alles, was Odem hat, mit ihrem aristokratischen Totenschädel. Sie hat mich aufs Krankenlager geworfen und mich von außen und innen mit Dornen gespickt! Dafür hat sie allerdings auch genug Courage für zehn Mannsleute im Leib. Keinen Verwundeten wird der Gnadenstoß jemals dankbarer finden als mich! Wenn sie den Springfritzen nicht nach dem Quai de la Gare gelockt hätte, dann hätten wir ihn heute noch auf dem Hals. Ich sehe ihn über meinem Haupte schweben, wie Tantalus den Zweig mit goldenen Äpfeln. (Pause) (auf seiner Matraze). Willst Du die Lampe nicht ein wenig hinaufschrauben? Ob wohl ein schlichter Naturmensch in seiner Wildnis auch so unsäglich leiden kann? — Mein Gott, was habe ich aus meinem Leben gemacht? — Was hat das Hundewetter aus meinem Havelock gemacht! — Mit fünfundzwanzig Jahren wußte ich mir zu helfen! Es hat nicht jeder meine herrliche, sonnige Jugendzeit gekostet! Ich glaube, sie geht gleich aus. — Bis sie zurückkommen, wird es hier dunkel wie im Mutterleib. Ich suchte mit klarstem Zielbewußtsein den Verkehr mit Menschen, die nie in ihrem Leben ein Buch gelesen haben. Ich klammerte mich mit aller Selbst- verleugnung und Begeisterung daran, um zu den höchsten Höhen dichterischen Ruhmes emporgetragen zu werden. Die Rechnung war falsch. Ich bin der Märtyrer meines Berufes. Seit dem Tode meines Vaters habe ich nicht einen einzigen Vers mehr geschrieben. Wenn sie nur nicht zusammengeblieben sind. — Wer kein dummer Junge ist, geht so wie so nicht mit zweien. Sie sind nicht zusammengeblieben! Das hoffe ich. Sie hält sich die Person im Notfall mit Fußtritten vom Leib. Der Eine, aus der Hefe des Volkes hervor- gegangen, ist der gefeiertste Dichter seiner Nation; und der andere, im Purpur geboren, liegt in London in der Grundhefe und kann nicht sterben. Jetzt kommen sie. Und wie selige Stunden gemeinsamer Schaffensfreude hatten sie miteinander erlebt! Das können sie jetzt erst recht. — Wir müssen uns wieder verkriechen. Ich bleibe hier. Was bedauerst Du sie? — Wer sein Geld ausgiebt, hat auch seine Gründe dafür! Ich habe den moralischen Mut nicht mehr, um mich wegen einer Summe von fünfzehn Schillingen in meiner Behaglichkeit stören zu lassen. (Er verkriecht sich unter seinem Plaid.) Ein anständiger Mensch thut, was er seiner Stellung schuldig ist. (Verbirgt sich in dem Verschlag.) (die Thür öffnend). Come in, come in! (Kungu Poti, Erbprinz von Uahube, in hellem Überrock, hellen Bein- kleidern, weißen Gamaschen, gelben Knopfstiefeln und grauem Cylinder tritt ein.) It’s very dark in the stair-case. Come in, darling. Here is more light. Is that your sittingroom? Yes, Sir. I feel cold. Take you a drink? Well. Have you any brandy? Yes. Come on. (Ihm die Flasche gebend.) I don’t know, where the glass is. That does not matter. (Setzt die Flasche an.) Well. You are a nice young man. My father is Sultan of Uahube. I have six women in London, three English, and three French. Well, I don’t like to see them. They are too stylish for me. Will you stay longtime in London? Well. When my father is dead, I must go to Uahube. My kingdom is twice size of England. How much will you give me? I give you a sovereign. Yes, I will give you one pound. I give always a sovereign. You may give me afterwards, but you must show it to me first. Never I pay beforehand! Allright, but show me your money. No Daisy. Come on! (Sie um den Leib fassend.) Come on! Let me go, I say! (greift ihr in die Haare). Come on, Daisy; where is the bed? No, no; don’t that! (reißt sie zu Boden). Well! (springt vom Lager auf und packt Kungu Poti von hinten an der Kehle). Well, that’s a den! That’s a murderhole! (Er versetzt Alwa eins mit dem Todschläger über den Kopf.) (bricht stöhnend zusammen). Well. I am going. (Ab.) — — Ich bleibe auch nicht hier. — In eine Kaserne! — — Why look you so sorrowful, my dear? (Ab. Schigolch kommt aus seinem Verschlag.) (über Alwa gebeugt). — — Blut! — Alwa! — — Man muß ihn beiseite schaffen. — Hopp! — Sonst nehmen unsere Freunde Anstoß an ihm. — Alwa! Alwa! — Wer da nicht mit sich im Klaren ist —! — Entweder oder; sonst wird’s leicht zu spät! — — Ich will ihm Beine machen. (Er zündet ein Streichholz an und steckt es ihm unter den Kragen. Da sich Alwa nicht regt.) Er will seine Ruhe haben. — Aber hier wird nicht geschlafen. (Er schleift ihn am Genick in Lulus Kammer. Darauf versucht er die Lampe hinaufzuschrauben.) Für mich wird es nun auch bald Zeit, sonst kriegt man im Cosmopolitan Club keinen Christmaß- Pudding mehr. Weiß Gott, wann die von ihrer Ver- gnügungstour zurückkommen. — (Lulus Bild ins Auge fassend.) Die versteht die Sache nicht. Die kann von der Liebe nicht leben, weil ihr Leben die Liebe ist. — Da kommt sie! Ich werde ihr ins Gewissen reden … (Die Thür geht auf und die Gräfin Geschwitz tritt ein.) Wenn Sie Nachtquartier bei uns nehmen wollen, dann geben sie bitte ein wenig acht, daß nichts gestohlen wird. Wie dunkel es hier ist! Es wird noch viel dunkler. — Der Herr Doktor haben sich schon zur Ruhe begeben. Sie schickt mich voraus. Das ist vernünftig. — Wenn jemand nach mir fragt, ich sitze unten im Cosmopolitan Club. — (Ab.) (allein). Ich will mich neben die Thüre setzen. Ich will alles mitansehen und nicht mit der Wimper zucken. (Sie setzt sich auf den Strohsessel neben die Thür.) — Die Menschen kennen sich nicht; sie wissen nicht, wie sie sind. Nur wer selber kein Mensch ist, der kennt sie. Jedes Wort, das sie sagen, ist unwahr und erlogen. Das wissen sie nicht, denn sie sind heute so un morgen so, je nachdem ob sie gegessen, getrunken und geliebt haben oder nicht. Nur der Körper bleibt auf einige Zeit, was er ist, und nur die Kinder haben Ver- nunft. Die Großen sind wie die Tiere; keines weiß, was es thut. Wenn sie am glücklichsten sind, dann jammern und stöhnen sie und im tiefsten Elend freuen sie sich eines jeden winzigen Happens. Es ist sonderbar, wie der Hunger den Menschen die Kraft zum Unglück raubt. Wenn sie sich aber gesättigt haben, dann machen sie sich die Welt zur Folterkammer und werfen ihr Leben für die Befriedigung einer Laune weg. — Ob es wohl einmal Menschen gegeben hat, die durch Liebe glücklich geworden sind? — Was ist denn ihr Glück anders, als daß sie besser schlafen und alles vergessen können? — Herr Gott, ich danke Dir, daß Du mich nicht geschaffen hast, wie diese. — Ich bin nicht Mensch; mein Leib hat nichts Gemeines mit Menschenleibern. Habe ich eine Menschen- seele? — Zerquälte Menschen tragen ein kleines enges Herz in sich; ich aber weiß, daß es nicht mein Verdienst ist, wenn ich alles hingebe, alles opfere … (Lulu öffnet die Thür und läßt Doktor Hilti eintreten. Die Geschwitz bleibt, ohne von beiden bemerkt zu werden, regungslos neben der Thür sitzen.) Whence are you coming so late, Sir? I have been in the theatre. There are two thousand ladies lifting up the right leg at the same time; and then the two thousand ladies are lifting up the left leg at the same time. I never saw such handsome girls before. Didn’t you? But you are not English? No. I am only here the last two weeks. Are you borne in London? No Sir. I am French. Ah, vous êtes Française? Oui monsieur, je suis Parisienne. I am coming from Paris, where I was staying for eight days. On s’y amuse mieux qu’ici. Vous ne trouvez pas? Oui. I was everyday in the Louvre. I admired the pictures. But I am no French. I am from Zurich in Switzerland. Est-ce de la Suisse Française, ça? No. Zurich is in German Schwitzerland. Alors vous parlez l’Allemand? Sprächän Sie töütsch? Un petit peu seulement, parce que mon ancien amant était Allemand. Il était de Berlin, je crois. Tonnärwättär, wia miach tas fröüt, taß Sie töütsch sprächän! Du bleibst bei mir die Nacht? Abär iach habä niacht mähr, dän fühnf Schielingä bei miar; iach nämmä nia mähr miet, wän iach ausgähä. It’s enough — parce que c’est toi! Tu as les yeux si doux. Viens, embrasse moi! Hiemäl, Härgoht, Töüfäl, Kräuz- patadiohn . . . . Je t’en prie, ferme ça. Beim Töüfäl, äs ischt nämliach tas ärschte Mol, tas iach miet einäm Mädachän gähä. Tu kchanscht miar gloubän. Sakchärmänt, iach hätä miar tas gahnz andärsch gädahcht! Bist Du verheiratet? Hiemäl, Hagäl, worum meinscht tu, iach sei värheurotet? — Nein, iach bien Prifot-Tozänt; iach läsä Philossoffie ahn der Unifärsität. Sakchärmänt, iach bien nämliach ous oinär oltän Bodriziär-Fomiliä; iach ärhielt als Studänt nur zwoi Frankchen Toschängält und tas kchohntä iach bässär anwänden als füar Mädachän. Deshalb warst Du nie bei einer Frau? Äbän ja! Äbän! Abär iach brouchä äs itzt; iach habä miach heutä Obänd värsprochän miet oinär Basler Bodriziärsdochtär. Sie ischt hiär Nursery governeß. Ist Deine Braut hübsch? Ja, sie hat zwoi Millionän. — Jach bien sähr gespahnt, wia äs miach dunkchän wird. 6 (ihr Haar zurückwerfend). Quelle chance! (Sie erhebt sich und nimmt die Lampe.) Eh bien, viens, mon philosophe! (Sie führt Dr. Hilti in ihre Kammer und verriegelt von innen die Thür.) (zieht einen kleinen schwarzen Revolver aus ihrer Tasche und hält ihn sich gegen die Stirn). … Comme on, darling! (reißt von innen die Thür auf und stürzt heraus). O verreckchte Chaib — do lit Eine drin! (die Lampe in der Hand, hält ihn am Ärmel). Bleib bei mir! Ä Todtnige! — Ä Liach! Bleib bei mir, bleib bei mir! (sich losmachend). Ä Liach lit do in — Himmel, Stärne, Chaib! Bleib bei mir! Wo got’s do usse? (Die Geschwitz erblickend.) Und das isch de Tüfel! Ich bitte Dich, bleib! Chaibe, verchaibeti Chaiberei — Oh Du ewige Hagel! — (Durch die Mitte ab.) Bleib! — Bleib! (Sie stürzt ihm nach.) (allein, läßt den Revolver sinken). Lieber erhängen! — Wenn sie mich heute in meinem Blute liegen sieht, weint sie mir keine Thräne nach. Ich war ihr immer nur das gefügige Werkzeug, das sich zu den schwierigsten Arbeiten gebrauchen ließ. Sie hat mich vom ersten Tage an aus tiefster Seele verabscheut. — Springe ich nicht lieber von der Towerbrücke hinunter? Was mag kälter sein, das Wasser oder ihr Herz? — Ich würde träumen, bis ich ertrunken bin. — — Lieber erhängen! — — Erstechen? — Hm, es kommt nichts dabei heraus. — — Wie oft träumte mir, daß sie mich küßt! Noch eine Minute nur; da klopft eine Eule ans Fenster, und ich erwache. — — Lieber erhängen! — Nicht in die Themse; das Wasser ist zu rein für mich. (Plötzlich auffahrend). Da! — Da! — Da ist es! — Rasch noch, bevor sie kommt! (Sie nimmt den Plaidriemen von der Wand, steigt auf den Sessel, befestigt den Riemen an einem Haken, der im Thürpfosten steckt, legt sich den Riemen um den Hals, stößt mit den Füßen den Stuhl um und fällt zur Erde.) — — Verfluchtes Leben! — Verfluchtes Leben! — — Wenn es mir noch bevorstände? — Laß mich einmal nur zu Deinem Herzen sprechen, mein Engel! Aber Du bist kalt! — Ich soll noch nicht fort! Ich soll vielleicht auch einmal glücklich gewesen sein. — Höre auf ihn, Lulu; ich soll noch nicht fort! — (Sie schleppt sich vor Lulus Bild, sinkt in die Knie und faltet die Hände.) Mein angebeteter Engel! Mein Lieb! Mein Stern! — Erbarm’ Dich mein, erbarm’ Dich mein, erbarm’ Dich mein! (Lulu öffnet die Thür und läßt Jack eintreten. Er ist ein Mann von gedrungener Figur, von elastischen Bewegungen, blassem Gesicht, entzündeten Augen, hochgezogenen, starken Brauen, hängendem Schnurrbart, dünnem Knebelbart, zottigen Favorits und feuerroten Händen mit vernagten Fingernägeln. Sein Blick ist auf den Boden geheftet. Er trägt dunklen Überrock und kleinen runden Filzhut.) (die Geschwitz bemerkend). Who is it? It’s my sister, Sir. She is mad; she is always on my heels. You have a beautiful mouth, when you are speaking. Don’t go, please! You understand your business! Yes, Sir. You are no English? No, Sir. I am German, Sir. Where did you get your beautiful mouth? From my mother, Sir. 6* I do know that. — How much you want? — I cannot waste money. Will you not stay all night with me, Sir? No. I haven’t time. I am married man. You say, you missed the last bus and that you have spent the night with one of your friends. How much do you want? Pound. Good evening. (Will gehen.) (hält ihn zurück). Stay, stay! (geht an der Geschwitz vorbei und öffnet den Verschlag). Why wish you, that I stay here all night? — That is suspicious! When I am sleeping, you will file my pockets! I don’t do that. Don’t leave, Sir! I im- plore you! How much do you want? Give me eight shillings. That is too much. — You are a beginner? I am just starting to-day. (Sie wirft die Geschwitz, die sich gegen Jack aufgerichtet hat, zu Boden.) Let her go! — That is not your sister. She loves you. (Streichelt der Geschwitz den Kopf.) Poor beast! — O, I would like, you would stay with me all night! Did you ever have a child? No, Sir. Never. But I was a nice looking woman. Have you a friend living with you? We are all alone, Sir. (mit dem Fuß stampfend). Who is living down below? Nobody. That room is to let. I judged you after your way of walking. I saw, your body is perfectly formed. I said to myself, she must have a very expressive mouth. It seems, you took a fancy in my mouth. Yes. Indeed. What are you staring at me? I have only a shilling. Come on, give me the shilling. I must get six pence change. I have to take a’bus tomorrow morning. I have no penny. Come on. Look in your pocket. (ihre Tasche durchsuchend). Nothing — nothing. Just let me see. That’s all, what I have. (Sie hält ein Zehn- schillingsstück in der Hand.) I want have the half sovereign. I will change him to-morrow morning. Give it to me! (giebt ihm das Geld und nimmt die Lampe vom Blumentisch). (vor Lulus Bild). You are a society-woman. You did take care of yourself. (den Vorhang öffnend). Come on, come on. We don’t need any light. The moon is shining. As you like, Sir. (Ihm um den Hals fallend.) I wouldn’t do you any harm. I love you. Don’t let me beg go any longer. Allright! (Er folgt ihr nach dem Vorhang.) (Die Lampe erlischt. Auf der Diele unter den beiden Fenstern er- scheinen zwei viereckige grelle Flecke. Im Zimmer ist alles deutlich erkennbar.) (allein, spricht wie im Traum). Dies ist der letzte Abend, den ich mit diesem Volke verbringe. — Ich kehre nach Deutschland zurück. Meine Mutter schickt mir das Reisegeld. — Ich lasse mich immatrikulieren. — Ich muß für Frauenrechte kämpfen, Jurisprudenz studieren. (barfuß in Hemd und Unterrock, reißt schreiend die Thür auf und hält sie von außen zu). Hilfe! — Hilfe! (stürzt nach der Thür, zieht ihren Revolver und richtet ihn, Lulu hinter sich drängend, gegen die Thür; zu Lulu). Laß los! (reißt, zur Erde gebückt, die Thür von innen auf und rennt der Geschwitz ein Messer in den Leib). (Die Geschwitz knallt einen Schuß gegen die Decke und bricht wimmernd zusammen.) (entreißt ihr den Revolver und wirft sich gegen die Aus- gangsthür). Goddam! There is no finer mouth within the four seas! — (Der Schweiß trieft ihm aus den Haaren, seine Hände sind blutig. Er keucht aus tiefster Brust und starrt mit aus dem Kopf tretenden Augen zu Boden.) (zitternd an allen Gliedern, blickt wild umher. Plötzlich er- greift sie die Whiskyflasche, zerschlägt sie am Tisch und stürzt, den ab- gebrochenen Hals in der Hand, auf Jack los). (hat den rechten Fuß emporgezogen und schleudert Lulu auf den Rücken. Darauf hebt er sie vom Boden auf). No, no! Have pity! — Murder! — They rip me up! — Police! Shut up! I have you save! (Er trägt sie in den Verschlag.) (von innen). O don’t! — Don’t! — No! (kommt nach einer Weile zurück und setzt die Waschschale auf den Blumentisch). It was a hard piece of work! — (Sich die Hände waschend.) I am a lucky dog, to find this Unicum! (Sieht sich nach einem Handtuch um.) No so much as a tovel is in this place! It looks aw’ful poor here! — (Trocknet seine Hände am Unterrock der Geschwitz ab.) Well! This monster is quite safe from me! — It will be all over with you in a second. (Durch die Mitte ab.) (allein). — Lulu! — Mein Engel! — Laß Dich noch einmal sehen! — Ich bin Dir nah! Bleibe Dir nah in Ewigkeit! (In die Ellbogen brechend.) O verflucht! — (Sie stirbt.)