F. C Laukhards, vorzeiten Magisters der Philosophie, und jetzt Musketiers unter dem von Thaddenschen Regiment zu Halle, Leben und Schicksale, von ihm selbst beschrieben , und zur Warnung fuͤr Eltern und studierende Juͤnglinge herausgegeben. Ein Beitrag zur Charakteristik der Universitaͤten in Deutschland. Erster Theil . Mit einem Titelkupfer . Halle , bei Michaelis und Bispink 1792. Dem Durchlauchtigsten Fuͤrsten und Herrn, Herrn Friedrich August , Herzogen zu Braunschweig und Luͤneburg, General der Infanterie der Preußischen Heere und Ritter des Preußischen Schwarzen- Adler-Ordens. Meinem Gnaͤdigsten Fuͤrsten und Herrn. Durchlauchtigster Herzog, Gnaͤdigster Fuͤrst und Herr, A ls ich vor zwei Jahren das unschaͤzbare Gluͤck hatte, Ew . Hochfuͤrstl . Durch - laucht persoͤnlich bekannt zu werden, hatten Hoͤchstdieselben die Gnade, mir einen Aufsatz von meinen Begebenheiten zu befeh- len: und als ich nach diesem mir so theuren Befehl, Hoͤchstdenselben einen franzoͤ- sischen Aufsatz dieses Inhalts unterthaͤnigst uͤberreichte, bezeugten Ew . Hochfuͤrstl . Durchlaucht Dero Hoͤchste Billigung meiner kleinen Schrift. Diese erhabene mir bewiesene Hoͤchste Huld Ew . Hochfuͤrstl . Durchlaucht machten den Gedanken bei mir rege, daß Hoͤchstdieselben meiner Lebensgeschichte eine gnaͤdige Aufnahme nicht verweigern wuͤrden: und daher nehme ich die unterthaͤ- nigste Kuͤhnheit, Ew . Durchlaucht diese Schrift zuzueignen. Die Vorsicht lohne die erhabenen Tu- genden, welche die Welt an dem großen Helden, an dem Menschenfreunde, an dem ruhmvollen Kenner und Befoͤrderer der Wissenschaften — an Friedrich August bewundert und verehrt. Dies ist der hoͤch- ste Wunsch Ew. Hochfuͤrstlichen Durchlaucht unterthaͤnigsten Knechts Friedrich Christian Laukhard, Soldaten bei dem Koͤnigl. Preuß. Regiment von Thadden. An den Leser . I ch uͤbergebe dem Publikum den ersten Theil meiner Lebensgeschichte, wobei ich einiges zum voraus sagen muß, damit man meinen Zwek kennen lerne, und uͤber das ganze Buch richtig urtheilen koͤnne. Der verstorbene Doktor Semler , des- sen Asche ich nie genug verehren kann, gab mir im Jahr 1784 den Rath, meine Bege- benheiten in lateinischer Sprache heraus zu geben. Ich hatte dem vortreflichen Mann mehrere davon erzaͤhlt, und da glaubte er, die Bekanntmachung derselben wuͤrde in man- cher Hinsicht nuͤtzlich werden. Ich fing wirk- lich an zu arbeiten, und schrieb ohngefaͤhr acht Bogen, welche ich ihm vorwies. Er billigte sie, und rieth mir, den Herrn Professor Eberhard um die Censur zu bitten. Ich that dies schriftlich: denn damals scheute ich mich, weil ich kurz vorher Soldat geworden war, es muͤndlich zu thun. Auch Eber - hard lobte mein Unternehmen; nur rieth er mir, um der mehrern Leser Willen, deutsch zu schreiben. Ich folgte ihm, und zeigte mein Vorhaben oͤffentlich an. Aber weil da- mals mein Vater noch lebte, so mußte ich, um ihn nicht zu beleidigen, oder ihm gar durch meine Nachrichten in der hyperortho- doren Pfalz und bei den dasigen Bonzen und Talapoinen nicht zu schaden, vieles weglassen, was doch zum Faden meiner Geschichte ge- hoͤrte. Daher war jener Aufsaz mangelhaft und unvollstaͤndig. Mein Vater erfuhr in- dessen durch die Briefe des Herrn Majors von Muffling , daß ich mein Leben schrie- be, und befuͤrchtete, ich moͤchte Dinge erzaͤh- len die ihm Verdruß bringen koͤnnten. Er schrieb mir daher und befahl mir, von mei- nen Lebensumstaͤnden ja nichts eher, als nach seinem Tode drucken zu lassen. Der Brief meines guten Vaters war voll derber Aus- druͤcke: er stellte mir das Uebel, das fuͤr ihn daraus folgen koͤnnte, so lebhaft vor, daß ich mein Manuskript ins Feuer warf. Einige Jahre hernach starb mein Vater, und ich konnte nun freimuͤthig zu Werke ge- hen: aber der Feldzug im Jahr 1790 und andre Geschaͤfte, welche ich ums liebe Brod uͤbernehmen mußte, hinderten mich, meinen laͤngst gefaßten Vorsatz eher ins Werk zu rich- ten: nachdem ich aber mehr Muße und thaͤ- tige Unterstuͤtzung redlich gesinnter Maͤnner, die ich zu seiner Zeit nennen will, erhielt, so ging ich neuerdings ans Geschaͤft, und so entstand die gegenwaͤrtige Schrift. Jeder Leser wird ohne mein Erinnern gleich schließen, daß das, was der Dichter von seinen Versen sagt: — — — paupertas impulit audax, Ut versus facerem; auch von meinem Buche gelte; und ich wuͤr- de sehr zur unrechten Zeit wollen diskret seyn, wenn ichs nicht bekennte. Ich bin ein Mann, welcher keine Huͤlfe hat, kein Vermoͤgen be- sitzt, und keinen Speichellecker machen kann: folglich wuͤrde ich sehr kuͤmmerlich leben muͤs- sen, wenn ich mir keinen Nebenverdienst su- chen wollte. Und wer kann mir das ver- denken? Allein ob gleich der erste Grund der Er- scheinung gegenwaͤrtiges Buches im Magen liegt; so ist er doch nicht der einzige. Ich war ein junger Mensch von guten Faͤhigkeiten, und von gutem Herzen. Falsch- heit war nie mein Laster; und Verstellung habe ich erst spaͤterhin gelernt, und geuͤbt, nachdem ich vieles schon gethan und getrieben hatte, dessen ich mich schaͤmen mußte. Mein Vater hatte mir guten Unterricht verschaft, und ich erlangte verschiedene recht gute Kennt- nisse, welche ich meiner immer fortwaͤhrenden Neigung zu den Wissenschaften verdanke. Meine Figur war auch nicht haͤßlich. Da war es denn doch Schade, daß ich verdorben und ungluͤcklich ward. Aber ich wurde es, und fiel aus einem dummen Streich in den andern, trieb Dinge, worunter auch wirkli- che groͤbere Vergehungen sind, bis ich endlich aus Noth und Verzweiflung an allem Er- dengluͤck die blaue Uniform anzog. — Wenn nun ein Erzieher, ein Vater, oder auch ein Juͤngling meine Begebenheiten liest: muß er da nicht manche Regel fuͤr sich und fuͤr seinen Zoͤgling abstrahiren? Muß er nicht oft stutzen und sich selbst auf unrechtem Wege finden? Wird er dann nicht, wenn er klug ist, einen andern und bessern Weg einschlagen? Muß er nicht aufmerksamer auf die Folgen seines Denkens und Handelns werden, und folglich mehr Harmonie und Kon- sequenz in sein Leben zu bringen suchen? — Meine Ungluͤcksfaͤlle sind nicht aus der Luft gerissen, wie man sie in Romanen liest: sie haben sich in der wirklichen Welt zugetragen, haben alle ihre wirklichen Ursachen gehabt, und lehren, daß es jedem eben so gehen kann, der es so treibt, ‒ wie ich. Ich glaube daher mit Recht, daß mein Buch einen nicht unebnen Beitrag zur prak- tischen Paͤdagogik darbietet, und daß niemand ohne reellen Nutzen dasselbe durchlesen wird: und das ist doch nach meiner Meinung sehr viel. Auf diese Art werde ich, der ich durch meine Handlungen mein ganzes Gluͤck verdor- ben habe, doch durch Erzaͤhlung derselben ge- meinnuͤtzig, und das sey denn eine Art von Entschaͤdigung fuͤr mich. Außerdem hoffe ich auch, daß die Erzaͤh- lungen selbst niemanden lange Weile machen werden; daß also meine Schrift auch zu de- nen gehoͤren wird, welche eine angenehme Lektuͤre darbieten. Und so haͤtte ich, wenn ich mich nicht uͤberall irre, einen dreifachen recht guten Zweck erreicht. Aber einigen Vorwuͤrfen muß ich hier im voraus begegnen, welche man ohne allen Zweifel meinem Werkchen machen wird. Ich habe viele angesehene Maͤnner eben nicht im vortheilhaftesten Lichte aufgestellt — von unwuͤrdigen Menschenkindern, einem Kammerrath Schad, einem Brandenburger, und andern dergleichen, ist hier die Rede nicht: die haben die Brandmarkung ver- dient! — warum hab' ich das gethan? — Deswegen meine lieben Leser, weil ich glaube und fuͤr unumstoͤßlich gewiß halte, daß die Be- kanntmachung der Fehler angesehener Maͤn- ner sehr nuͤtzlich ist. Die Herren muͤssen nicht denken, daß ihr Ansehen, ihr Reich- thum, ihre Titel, selbst ihre Gelehrsamkeit und Verdienste ihre Maͤngel bedecken, oder gar rechtfertigen koͤnnte. Diese Maͤnner, von welchen ich erzaͤhle, haben theils mit mir im Verhaͤltniß gestanden, und haben mir nach ihrem Vermoͤgen zu schaden gesucht, und wirklich geschadet: theils aber schadeten sie der guten Sache, den Rechten der Mensch- heit, besonders jenem unumstoͤßlichen ewigen Recht, uͤber alle intellectuelle Dinge voͤllig frei zu urtheilen, und seine Gedanken dar- uͤber zu entdecken. Wenn ich also die Pro- fessoren zu Mainz, Heidelberg und sonstige Meister als intolerante Leute beschreibe, wel- che gern Inquisitoren werden, und den hei- ligen Bonifacius, oder jenen abscheulichen Menschen, den Abschaum aller Boͤsewichter, den Erfinder der Inqusition und Hexenpro- zesse, ich meine den Pabst Innocentius III. nachmachen moͤchten: thu ich dann Unrecht, da die Sache sich durch Thaten bestaͤtiget? Vielleicht schaͤmen sich andre, und werden toleranter, und waͤre das nicht herrlich? Haͤtte ich da nicht mehr Gutes gestiftet, als mancher Verfasser dicker Baͤnde von Predig- ten und andern theologischen, philosophischen oder juristischen Unsinn? Ferner, sagen Sie sichs selbst, lieber Leser, ob ich recht habe: darf ich den nicht beschreiben, der mir wehe that? Rache schreien zwar die Moralisten (in ihren Theorien) sey uͤberhaupt ein schaͤndliches Laster, dem kein Weiser nachgeben muͤsse: ja, ich sage irgendwo selbst, daß sie groͤßtentheils unter der Wuͤrde der Menschheit sey. Allein ich gestehe es, daß ich ihr Gebot nicht ganz ein- sehe; ich bin ein Mensch, so gut wie der Pabst und der Fuͤrst: ich hab' auch meine Galle, und es kraͤnkt mich auch, wenn man mir unrecht thut, und mich armen ohnmaͤch- tigen Menschen druͤckt, und seine Freude dran hat. Ich suche mich nun zu raͤchen, wie ich kann, und das kann ich auf keine an- der erlaubte Art, als daß ich die Leute von der Art nenne, und ihren Karakter bekannt mache. Ich werde das auch in der Zukunft so halten, und Anekdoten von der Art mehr sammeln, um einmal Gebrauch davon zu machen. Urtheilen Sie ferner, meine Leser, ob Sie es nicht auch so machen wuͤrden, wenn Sie in meinen Schuhen staͤnden? Ich brenne mich nirgends weis, und erdenke an mir keine Gesinnungen, die ich nicht habe. Daher gestehe ichs, daß die Großmuth, wel- che alle Neckereien uͤbersieht, und sich ohnge- ahndet hudeln laͤßt, meine Tugend nicht ist. Wer besser in diesem Stuͤck ist; nicht der, welcher blos besser spricht, verdamme mich: ich habe nichts dawider. Und wer uͤbeln Nachreden entgehen will, der thue nichts uͤbles. Schwachheiten abgerechnet, ist Pub- licitaͤt fuͤr Thorheit und Laster ein weit zutraͤg- licheres Heilmittel, als das Maͤntelchen der christlichen Liebe – das freilich gerade von denen am fleisigsten empfohlen wird, die es am mei- sten beduͤrfen. Ich zweifle nicht, daß meine Biographie, so wie die des verstorbenen D. Bahrdt, mehrere andre Buͤchleins von Bei- traͤgen, Berichtigungen und vielleicht gar von Schimpfereien im Gefolge haben wird. Das soll mir auch wegen des bekannten Spruͤchelchens: contraria contrariis magis elucescunt recht lieb seyn. Aber die Herren Beitraͤgeschreiber werdens auch nicht fuͤr Uebel nehmen, wenn ich ihnen nach Befinden antworte. Mir soll jeder Ton, der sanfte und grobe, gleichviel gelten: denn ich bin dergleichen schon etwas gewohnt. Wo ich aber vielleicht aus Gedaͤchtnißfehler wirklich geirrt habe, will ich mich herzlich gern belehren lassen, und wie billig, widerrufen. Aber ich hoffe, daß dergleichen Fehler nicht sollen untergelau- fen seyn. Im zweiten Theile, der auch schon unter der Presse ist, erzaͤhle ich meine Geschichte bis auf die jetzige Zeit. Er hat einige wichtigere Nachrichten als der erste, und wird hoffent- lich die Neugierde der Leser befriedigen, und ihnen mancherlei Genugthuung leisten. Und so viel habe ich Ihnen, meine Leser, zum voraus sagen wollen. Ich wuͤnsche, daß Sie alle, das Gluͤck genießen, welches mir das Schicksal wegen meiner eignen Ver- irrungen versagt hat. Geschrieben zu Halle den 5ten Mai 1792. Erstes Kapitel. Nicht alle Prediger sind, was mein Vater war! U m meine Lebensgeschichte etwas methodisch ein- zuleiten, muß meine Erzaͤhlung doch wol von der Zeit und dem Orte anfangen, wo ich geboren bin. Das ist geschehen im Jahre 1758 zu Wendelsheim, einem Orte in der Unterpfalz, der zur Grafschaft Grehweiler gehoͤrt. Mein Vater war Prediger die- ses Orts, und genoß einer ganz guten Besoldung bei einem sehr ruhigen Dienste. Das ist nun freilich in der Pfalz eine seltene Sache, indem die lutherischen Pfarrer durchaus schlecht besoldet und dabei mit Ar- beit uͤberladen sind. Dies ist aber nur von den ei- gentlichen Pfaͤlzer Pfarreien zu verstehen: denn die graͤflichen und ritterschaftlichen befinden sich besser. Leider aber werden diese bessern Stellen auch jedes- mal, wenn eine erledigt wird, an den meistbietenden verkauft oder ordentlich versteigert. Mein Vater war jedoch so gluͤcklich gewesen, seine Stelle ohne einen Erster Theil. A Kreuzer Ausgabe dafuͤr, zu erhalten, und dies von dem Kurfuͤrsten zu Mainz, der daselbst Patron ist, und der, als Erzbischof einer heiligen Kirche, eine ketzerische Pfarrstelle wol nicht ohne Geld hingegeben haͤtte, wenn nicht andere Gruͤnde da gewesen waͤren. Mein Vater hat mir diese Gruͤnde zwar niemals ent- deckt; daß sie aber da gewesen seyn muͤssen, erhellet daraus, daß alle und jede gute protestantische Pfarren, welche der Kurfuͤrst zu Mainz vergiebt, von alten Zeiten her bis auf den heutigen Tag, ver- kauft werden Der jetzige Inhaber der Pfarrei zu Wendelsheim hat, wie ich aus Briefen weis, 1000 Gulden rheinisch das fuͤr bezahlen muͤssen. Meine Leser werden es nicht ungern sehen, wenn ich eine kurze Beschreibung von meinem Vater lie- fere, der sich ohne Ruhm zu melden, von den uͤbri- gen protestantischen Herren Pfarrern in der Pfalz merklich unterschieden hat. Er hatte in seiner Jugend sehr fleißig studirt, und hatte besonders die Wolffische Philosophie zu seinem Lieblingsstudium gemacht. Er bekannte mir oft, daß ihn die Grundsaͤtze der Wolffischen Meta- physik Besonders den ontologischen Satz: quaecunque sunt in ente, vel essentialia sunt, vel attributa, vel modi, vel modi analogici. dahin gebracht haͤtten, daß er an den Haupt- dogmen der lutherischen Lehre gezweifelt haͤtte. In der Folge, da er sein Studium nicht nach Art so vie- ler geistlichen Herren, an den Nagel henkte, unter- suchte er alle Dogmen seines Kompendiums, und verwarf sie alle, da er sie mit den Saͤtzen seiner lieben Metaphysik unvereinbar fand. Endlich fiel er gar auf die Buͤcher des beruͤchtigten Spinosa , wodurch er ein vollkommner Pantheist ward. Ich kann dieses meinem Vater jetzt getrost nach- sagen, da er todt ist, und wol nicht zu vermuthen steht, daß ihn die hyperorthodoxen Herren in der Pfalz werden ausgraben lassen, wie dies vor ohn- gefaͤhr vierzig Jahren dem redlichen Bergmeister Schittehelm von Moͤrsfeld geschehen ist. Es liessen naͤmlich die protestantischen Geistlichen zu Kreuznach diesen hellsehenden Kopf als einen Edel - mannianer herausgraben, und so nahe an den Nohfluß einscharren, daß ihn der Strom beim er- sten Anschwellen heraus und mit sich fort riß. Der- gleichen Barbarei wird man doch, hoffe ich, am Ende dieses Jahrhunderts nicht mehr begehen! Sonst war mein Vater sehr behutsam in seinen Reden uͤber die Religion: nur seinen besten Freun- den vertraute er dann und wann etwas von seinen Privatmeinungen, und bekannte mir oft in traulichen Gespraͤchen, daß er gar nicht wuͤnschte, daß sein Sy- stem Leuten bekannt wuͤrde, welche einen moralischen Misbrauch davon machen koͤnnten. Vielleicht ge ich einmal eine Handschrift heraus, die er unter dem Titel: Geschichte meiner Zweifel und Ueberzeugungen , hinterlassen hat: da wird man recht wuͤrdige Gedanken uͤber diesen Punkt finden! Mein Vater hatte in den Sprachen und Wis- senschaften viel geleistet. Er verstand recht gut Latein, und war in den morgenlaͤndischen Sprachen, wie auch in der griechischen, gar nicht unerfahren. Ich erinne- re mich noch lebhaft, wie er den Propheten Ma - lachias mit mir las, und in Herrn D. Bahrdts Kommentar uͤber diesen Propheten, die Schnitzer ruͤgte, welche dieser artige Meister in der orienta- lischen Litteratur da wider die gemeinsten Regeln der hebraͤischen und arabischen Grammatik gemacht hat, oder wenn er Herrn D. Bahrdts lateinische Barba- rismen und Soloͤcismen herzlich lachend durchging. Die Predigten meines Vaters waren nicht aus- geschrieben; und das heißt in der Pfalz viel, sehr viel! Denn da reiten die Herren, was das Zeug haͤlt, die alten Postillen zusammen: ja, das ist schon ein rechter Mann, welcher aus Martin Jockisch sel. expe- ditem Prediger, aus Pastor Goͤzens Dispositionen, aus Dunkels Skiagraphie oder aus einem andern Troͤster von der Art, eine Predigt zu fabriciren im Stande ist. Den meisten Herren muß alles von Wort zu Wort vor der Nase stehen; sonst verlieren sie gleich den Zusammenhang. So war aber mein Vater nicht: er arbeitete seine Dispositionen und Pre- digten selbst aus, und trug weit mehr Moral als Dogmatik vor. Niemals konnte er sich entschliessen, die Sabellianer, Arianer, Eutychianer, Pelagianer, Apollinaristen, Deisten, und andere alte und neue Ketzer auf der Kanzel zu befehden, nach Art seiner Herren Amtsbruͤder: und dieses wollte man eben von Seiten dieser Herren nicht sehr loben. Sogar begieng er den Fehler, daß er die Katholiken und Re- formirten ihr Kirchenwesen ruhig fuͤr sich treiben ließ: ein Benehmen, welches ihn bei den dortigen contro- verssuͤchtigen Herren vollends in Miskredit brachte. Aber er bekuͤmmerte sich um die Herren nichts, und wandelte seinen Pfad getrost fuͤr sich fort. Ausserdem war mein Vater ein unerschuͤtterli- cher Freund jeder buͤrgerlichen und gesellschaftlichen Tugend. Seine Ehrlichkeit kannte eben so wenig Graͤnzen, als sein Bestreben, gegen jederman gefaͤl- lig zu seyn und jedem Nothleidenden zu helfen. Bei diesem Karakter mußte mein Vater noth- wendig bei jederman beliebt seyn: niemand haßte ihn, als vielleicht die, welchen er dann und wann die Wahrheit sagte, wovon ich unten ein mehreres berichten werde. Von allen andern, welche ihn kann- ten, wurde er geliebt und geschaͤzt als ein biederer, ehrlicher Mann, auf den man sich in allen Stuͤcken verlassen konnte. Herr D. Bahrdt meldet irgendwo in seiner Lebensbeschreibung, daß er viele freundschaftliche Brie- fe von der verstorbenen Frau Landgraͤfin von Hessen- Darmstadt aufbewahre. Dieses ist, wie man ihm oͤffentlich vorgeworfen hat, erdichtet: er kann keine Zeile von der Hand dieser vortrefflichen Fuͤrstin vor- zeigen. Allein unter den Papieren meines Vaters finden sich noch Briefe, welche die verewigte Hen - riette an ihn geschrieben hat: Briefe, in welchen der Geist und die Herzensguͤte der großen Mutter der Koͤnigin von Preussen recht sichtbar hervorglaͤnzt. Ich fuͤhre dieses nicht aus Ruhmredigkeit oder aus der Absicht an, mir einige Vortheile durch Erwaͤh- nungen von der Art zu erschleichen: es geschieht blos, um meinem Vater die Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, welche das Andenken eines ehrlichen Mannes verdient. — Der Fuͤrst Moriz von Salm Kyr - burg , und die vortreffliche Luise , seine Gemahlin, schaͤtzten meinen Vater nicht weniger: sie beehrten ihn mit einem recht freundtchaftlichen traulichen Um- gange bis in seinen Tod. Seht, Ihr Herren Prediger! auch Große schaͤtzen euren Stand, wenn Einsicht und Verdienst Euch selbst nur ehrwuͤrdig machen! Dabei hatte mein Vater indeß auch seine großen Schwachheiten; aber doch auch nur Schwachheiten und keine Laster. Er war — daß ich nur etwas davon anfuͤhre — ein großer Kenner der Alchymie, und wollte durchaus Gold machen. Ein gewisser Musjeh Fuchs , welcher um das Jahr 1760 we- gen Geldmuͤnzerei und anderer Hallunkenstreiche in Schwaben gehangen worden, hatte ihn mit den Ge- heimnissen dieser edlen Kunst bekannt gemacht. Er fieng an zu laboriren, und las dabei die herrlichen Buͤcher des Basilius Valentinus , Baptist Helmontius , und seines noch tollern Sohns, Meister Merkurius Helmontius , Paracel - sus , Becher , Sendirogius — den er be- sonders hoch hielt — und anderer theosophischer al- chymistischer Narren und Spitzbuben. Die Lektuͤre dieser Skarteken verwirrte ihm den Kopf, und mach- te, daß er Jahr aus Jahr ein den Stein der Wei- sen suchte, und betraͤchtliche Summen bei dieser un- seligen Bemuͤhung verschwendete. Meine Mutter machte dem verblendeten Mann die triftigsten Vorstellungen, welche nicht selten in Zank und Specktakel ausarteten; aber alles umsonst! Er laborirte frisch weg, und versicherte mehr als ein- mal, daß er das große Magisterium nunmehr gefun- den haͤtte, und naͤchstens Proben davon geben wuͤr- de. Der Apotheker Eschenbach in Flonheim war meines Vaters treuer Gehuͤlfe. Dieser war bankrott geworden, zwar nicht durch Alchymie, sondern durch sein Saufen, und durch die Spitzbuͤbereien eines Ab- schaums aller Spitzbuben, des verstorbenen Raths Stutz in Flonheim. Eschenbach, welcher arm war, und keinen Unterhalt wußte, war froh, daß ihn mein Vater zu seinem Kalefaktor, oder wie sie es nannten, Kollaboranten und Symphilosophen aufnahm. Er half nicht nur treulich laboriren, sondern schafte noch alle alte vermoderte Buͤcher herbei, welche die Kunst, Gold zu machen, lehren sollten. Haͤtte mein ehrlicher Vater statt der Wolffischen Metaphysik die physischen Werke dieses Philosophen studirt; so wuͤrde viel Geld erspahrt und manches Nachgerede unterblieben seyn. Er hat einige Jahre vor seinem Tode aufgehoͤrt zu laboriren: aber noch 1787, als ich ihn zum lezten- mal besuchte, behauptete er, daß die Goldkocherei allerdings eine ausfuͤhrbare Kunst sey. „Es ist nur Schade, fuͤgte er hinzu, daß man so viel Lehr- geld geben muß, und doch keinen erfahrnen Lehrmei- meister haben kann.“ Meine Mutter, welche noch lebt, ist eine ganz brave Frau, und so habe ich sie immer gekannt. Sie ist eine Enkelin des ehemals beruͤhmten Rechtsgelehr- ten Johann Schilter von Strasburg . Mein Vater hatte sie aus Liebe geheurathet, und sie schien immer eingedenk zu seyn, daß sie ihm nichts zuge- bracht hatte. Sonst hat sie, wie alle Weiber, ihre kleinen und großen Maͤngel, die ich eben hier nicht angeben mag! Zweites Kapitel. Soviel vermoͤgen Tanten und Gesinde: V on meinen ersten Jahren und fruͤhern Erziehung kann ich nur wenig anfuͤhren. — Mein Vater hatte eine Schwester bei sich im Hause, welche niemals — wer weis, warum? — verheurathet gewesen ist. Diese fuͤhrte die besondere Aufsicht uͤber uns Kinder; war aber dabei so nachgiebig, daß sie alle unsre klei- nen Teufeleien nicht nur vor den Augen unsrer El- tern fein tantisch verbarg, sondern selbigen nicht selten noch gar Vorschub that. Und so ward ich fruͤh un- ter den Bauern als ein Bube Nach der Pfaͤlzer Sprache heißen alle Jungen Buben : die Bauern nennen ihre Soͤhne so, bis sie heurathen. „Hanes Henrich,“ sagte der alte Gerheim zu seinem 25jaͤhrigen Sohne, „Hans Henrich, wann dau Vatter „werrschst un eich werre Bub, dann bestellscht dau „die Maͤuwe. Hoscht d'es gehoͤrt, Hanes Henrich?“ bekannt, der es, mit den Pfaͤlzern zu reden, faustdick hinter den Oh- ren haͤtte, und ein schlimmer Kunde werden wuͤrde. Noch jezt erinnere ich mich mit Unwillen oder manch- mal mit Wohlgefallen, je nachdem meine Seele ge- stimmt ist, an die Possen und Streiche, welche ich in meiner ersten Jugend gespielt habe. Ich muß ei- nige erzaͤhlen. Der alte Eschenbach hatte sich einmal ent- setzlich besoffen, und saß schlafend auf einem Stroh- stuhl in unsrer Scheune. Ich war allein zugegen, und bemerkte, daß Wasser von dem Stuhle herab- lief: husch! nahm ich ihm die Peruͤke vom Kopfe, hielt sie darunter, ließ sie volllaufen, stuͤrzte sie ihm wieder auf den Kopf, doch so, daß der Haarbeutel uͤber das Gesicht zu haͤngen kam, und entfernte mich. Der alte Saͤufer erwachte daruͤber, lief, wie ich ihn gemustert hatte, auf den Hof, und schrie einmal uͤbers andere: wer thut mich mit Wasser schuͤtten! — Mein Vater erfuhr den Vorgang, und, statt mich zu zuͤchtigen, sagte er nichts als: 's ist ein Blitzbu- be! hat er den alten Saufaus nicht bezahlt! habeat fibi! Noch eins von dieser Art! Meister Trippenschneider handelte mit Es- sig, Zwiebeln und Salz, welches alles er auf einem Esel herumfuͤhrte. Einst kam er in unsern Flecken, und ging in meines Vaters Haus, um da seine Waa- ren anzubieten. Fluchs steckte ich dem Thier ange- zuͤndeten Schwamm hinters Ohr. Der Esel ward wild, warf seine Ladung ab, wobei das Salz ver- schuͤttet und die Essigfaͤßchen zerbrochen wurden. Man untersuchte genau, woher das Thier so wild geworden war; aber man fand auch keine Spur von Ursache. Meister Trippenschneider erklaͤrte endlich den Zufall aus der Feindschaft der Schlampin , einer alten Frau, welche bei uns fuͤr eine Hexe galt. Diese sollte den Esel durch ihre Hexereien so in Har- nisch gejagt haben. — Ich fuͤr mein Theil freute mich; konnte aber nicht schweigen: und so erfuhr mein Vater den Urheber des Spektakels. Ich er- hielt Ohrfeigen zur Belohnung, und Meister Trip- penschneider — Ersatz seines Schadens. Meine Tante pflegte hernach dieses Stuͤckchen als einen Be- weis meiner Faͤhigkeiten anzufuͤhren, wenn sie fuͤr gut fand, ihre Affenliebe gegen mich durch Lob zu aͤussern. Meine Tante war eine große Freundin vom Trunk, und diese Neigung ging so weit, daß sie sich nicht nur oft schnurrig machte, sondern auch dann und wann recht derb besoff. Mein Vater schloß also, wenn er mit meiner Mutter uͤber Feld ging, den Keller zu, und ließ der Tante blos ihr Be- stimmtes. Meine Tante machte die Entdeckung, daß eins von den Kellerfenstern ohne eiserne Barren und blos mit einem hoͤlzernen Gitter verwahrt war. Das Gitter konte leicht weggenommen werden: ich mußte mich also an einem oben befestigten Seile hinablassen. Inwendig oͤffnete ich sodann die Kellerthuͤr, und Mamsell Tante konnte sich nach Herzenslust Wein holen. Fuͤr sie selbst haͤtte es hingehen moͤgen: denn sie war einmal ans Trinken gewoͤhnt Zur Schande des Frauenzimmers in der Pfalz muß ich anmerken, daß sehr viele unter ihnen sich dem Saufen recht unziemlich ergeben. Alle Frauenzimmer trinken Wein, und viele dergestalt, daß sie die Manns- personen darin uͤbertreffen. — Meine schoͤne Lands- maͤnninnen werden freilich uͤber mich zuͤrnen: denn bei solchen Nachrichten moͤchten Auslaͤnder eben nicht son- derliche Lust spuͤren, ein Pfaͤlzer-Maͤdel zu heurathen; aber ich kann leider nicht gegen die Wahrheit. ; daß sie aber auch mich, — mich einen Knaben von sechs Jahren zum Weintrinken anfuͤhrte, war im hoͤchsten Grade unrecht: ich wuͤrde sagen, daß es schaͤndlich war, weil sie dadurch den Grund zu vielen meiner folgenden Unfaͤlle gelegt hat. Aber ihre Affenliebe zu mir, ließ sie blos auf Mittel sinnen, wie sie mir Vergnuͤgen machen koͤnnte. An nachtheilige Folgen dachte sie nicht. Auf diese Art wurde ich also in der zartesten Jugend ein — Saͤuffer. Oft war ich durch den Trunk meiner Sinnen beraubt; und dann entschul- digte mich meine Tante, wenn ja die Eltern nach mir fragten, durch Vorgeben: daß mir der Kopf wehe thaͤte, daß ich schon schliefe u. s. w. Mein Vater erfuhr demnach von meinen Saufereien nichts. Ich fuͤhre diese Umstaͤnde deswegen an, damit ich einen Erfahrungs-Grund zu der Vorschrift gebe: „daß Eltern ihre Kinder auch ihren naͤchsten Ver- „wandten nicht anvertrauen sollen, so lange sie an „deren regelmaͤßigem Leben auch nur im geringsten „zweifeln koͤnnen.“ Eben dies gilt von Freunden und Freundinnen, und vorzuͤglich vom Gesinde. Man wird gleich sehen, warum. Zu den schoͤnen Tugenden, womit meine Ju- gend ausgeruͤstet war, gehoͤrt auch das Fluchen und Zotenreißen. Unser Knecht, Johann Ludwig Spangenberger unterrichtete mich in diesen sau- bern Kuͤnsten zu fruͤh und zu viel. Er erklaͤrte mir zuerst die Geheimnisse der Frauenzimmer, und brach- te mir leider so viel Theorie davon bei, daß ich in Stand gesetzt wurde, zu den schaamlosen Neckereien und Gespraͤchen des Gesindes In der Pfalz scheinen die Zoten wie zu Hause zu seyn: besonders herrscht unter den gemeinen Leuten eine sol- che Schaamlosigkeit im Reden, daß auch ein Preußischer Musketier uͤber die unlautern Schaͤckereien der Pfaͤlzer Haͤnsels und Gretels erroͤthen wuͤrde. mein Kontingent allemal richtig und mit Beifall zu liefern. Und seit- dem der Knecht mich so unterrichtete, suchte ich seine Gesellschaft mit aller Emsigkeit, und versah ihn mit Taback aus meines Vaters Buͤchse: es war natuͤr- lich, daß sein Unterricht hierdurch zunahm. Da auch Meister Hans Ludwig wie ein Landsknecht fluchen konnte; so ahmte ich ihm auch hierin so treulich nach, daß jedesmal, wenn ich redete, das zweite Wort eine Zote und das dritte ein Fluch war. In meiner Eltern Gegenwart entfuhren mir anfaͤnglich auch dergleichen Unflaͤtereien; da ich aber bald merk- te, daß sie das nicht leiden konnten, ward ich vor- sichtiger, und sprach bescheiden; aber nur in ihrer Gegenwart. Es laͤßt sich denken, daß es nicht blos bei Lud- wigs Theorie geblieben ist: ich bekam bald Lust, auch das zu sehen und das zu erfahren, wovon ich so viel gehoͤrt hatte. Dazu fand ich Gelegenheit bei einer unsrer Maͤgde, welche gern zugab, daß ich bei ihr alles das untersuchte, was mir Hans Lundwig als das non plus ultra der hoͤhern Kenntnisse angewie- sen hatte. — So war meine erste Erziehung beschaffen, oder vielmehr, so wurde das wenige Gute, welches mein Vater durch Unterricht und Ermahnen in mich zu bringen suchte, durch Verfuͤhrung und boͤses Beispiel Anderer verhunzt und vernichtet! Drittes Kapitel. Auch Vaͤter versehens oft . I ch muß es meinem guten Vater zwar nachruͤhmen, daß er mich oft und mit aller Herablassung und Sanftmuth unterrichtet hat: ja, er hielt mir an- fangs keinen Lehrer, weil er glaubte, daß der Un- terricht eines Vaters jenem eines Lehrers weit vorzu- ziehen sey: und darin hatte er nun freilich Recht! Allein er haͤtte mehr auf meinen Verstand und mein Betragen, als auf mein Gedaͤchtniß Ruͤcksicht neh- men, und das letztere nicht blos mit einseitigen Kent- nissen ausfuͤllen sollen. Denn da unsre Lehrstunden nicht lange dauerten, und ich das, was ich außer denselben auswendig zu lernen hatte, mit meinem ziemlich gluͤcklichen Gedaͤchtniß bald faßte; so entzog ich mich seiner Aufsicht, und benuzte meine uͤbrige Zeit, da mein Vater in seiner Studierstube oder im alten Hause mit Gold Laboriren beschaͤftigt war, zu allerhand kleinen Teufeleien. Meine Mutter gab vollends noch weniger auf die Auffuͤhrung ihrer Kin- der acht: und so waren wir groͤßtentheils uns selbst uͤberlassen. Mein Vater setzte ferner, wie viele Vaͤter, die Erziehung in den Unterricht: lernen hieß bei ihm er- zogen werden, und ein junger wohlgezogener Mensch bedeutete ihm blos einen Juͤngling, der seinen Ci - cero und Virgil lesen, die Staͤdte, Fluͤsse und dergleichen, auf der Landkarte anzeigen, die Namen der großen Herren, die Schlachten bei Marathon, Canna u. a. auf dem Nagel herzaͤhlen, und dann endlich franzoͤsisch plappern konnte. „Dies, sagte er, ist fuͤr einen Knaben genug: das Uebrige gehoͤrt fuͤr die hoͤhern Schulen!“ Wie sehr er hierin geirrt habe darf ich nicht erst sagen: das haben unsre Herren Paͤdagogen schon bis zum Eckel gesagt. Aber diese Herren haben wieder auf der andern Seite darin ge- irrt, daß sie die Geschichte und alles Studium der aͤltern Sprachen, besonders der lateinischen, die ih- nen Jalappenharz zu seyn scheint Man sehe die Edukationsschriften hin und wieder, und vergleiche damit des trefflichen Dresdner Krebs Vannus Critica in inanes paleas Basedowii : desgl. den zweiten Theil des herrlichen Romans – Hille - brand . , versaͤumen. Vom Schoͤnschreiben war mein Vater kein Freund: docti male pingunt, sagte er: und so war es hinlaͤnglich, wenn ich nur schreiben, d. i. Kratzfuͤße machen konnte. Er gieng hierbei in seiner Pedanterie so weit, daß er den Verfas- ser eines von Seiten der Schriftzuͤge schoͤn geschrie- benen Briefes, jedesmal fuͤr einen Ignoranten er- klaͤrte. Diesem Vorurtheile meines Vaters verdanke ich es, daß ich immer elend und unleserlich geschrieben, und dadurch schon mehrere Fluͤche und Verwuͤnschun- gen der Drucksetzer verdient habe. Ich habe mich zwar selbst geuͤbt, nach Vorschriften zu schreiben; aber was ich dadurch gewann, ging hernach durch das Nachschreiben in den Kollegien auf den Univer- sitaͤten wiederum verloren. In die deutsche Schule zum Katechismus oder zum Religionsunterricht, wollte mich mein Vater aus guten Gruͤnden nicht schicken. Er war, wie meine Leser schon wissen, ein Pantheist, mußte folg- lich die Art, wie man Kindern in den Schulen von der Religion vorschwazt, von Herzen verabscheuen: ich durfte also den Katechismus nicht lernen, und habe ihn auch nie gelernt. Erst in Gießen, als ich D. Benners Vorlesungen uͤber die Symbolik hoͤrte, las ich den Katechismus Lutheri mit allem Ernst. Dagegen wurde schon in meinen fruͤhern Jah- ren das Latein mit mir angefangen, und zwar aus Amos Comenius bekanntem Buche, dem Orbis pictus Herr Adelung hat das Leben des braven Comme - nius seiner Geschichte der menschlichen Narrheit ein- verleibt. Das haͤtte er nicht thun sollen: Comme - nius hatte Verdienste, und war wenigstens kein Narr. Aber Herr Adelung hat auch andere Maͤnner in die Klasse der Narren gebracht, die es nicht verdienten, z. B. den Jordan Brunus , wobei ihm das Bailtsche Woͤrterbuch haͤtte aushelfen koͤnnen. . Ich muß gestehen, daß ich diesem Buche vieles verdanke: es ist das beste Buch, welches ich kenne, um Kindern eine Menge Vokabeln und latei- nische Redensarten spielend und ohne allen Eckel bei- zubringen. Ein Knabe, der den Orbis pictus Erster Theil. B treibt, kommt in drei Monaten im Latein wei- ter, als er durch den Gebrauch der so genannten Chrestomathien und Lesebuͤcher der Herren Stroth , Gedike , Wolfram und anderer, in einem Jah- re kommen kann. Neben dem Orbis pictus, wur- den die Trichter des Muzelius getrieben, und dadurch ward ich nach dem gewoͤhnlichen Schlage in der Grammatik fest. Mein Vater hatte den guten Grundsatz, daß die Grammatik das Fundament der Sprachlehre ausmachen muͤsse. Als ich ohngefaͤhr acht Jahre alt war, wurde mein Vater in einen Handel verwickelt, der ihn ganz niederschlug: es war folgender. Viertes Kapitel. So machens Priester und Grafen! D er Rheingraf zu Grehweiler, meines Vaters hochgebietender Herr, hatte einen Hofprediger, Jo - hannes Herrenschneider , von Strasburg, ehemaligen Konrektor der Schule zu Gruͤnstadt, ei- nen Mann, der franzoͤsisch parlirte, sich taͤglich mit Lavendelwasser einbalsamirte, und immer durch die Fistel sprach. Dieser Mann hatte in Strasburg studirt, einem Orte, wo die krasseste Orthodoxie von Zeiten der Reformation an, fuͤrchterlich geherrscht hat und noch herrscht. Daher war er denn auch uͤber- trieben orthodox, und roch, wie D. Bahrdt sagt, die Ketzer von weitem. Uebrigens wußte er gar nichts, und war ein truͤbseliger unwissender Schuͤler. Und dennoch ließ sich dieser saubere Herr beigehen, ein Buch zum Unterrichte der Kinder in der Rhein- grafschaft herauszugeben. Er sudelte zu dem Ende ein Ding aus seinen dogmatischen Heften zusammen, welches das non plus ultra alles Unsinns und aller Grillenfaͤngerei war: ein Ding, worin sogar von Mittheilung der Eigenschaften, von der Hoͤllenfahrt Christi Auf die Frage: warum Christus zur Hoͤlle gefahren sey? heißt die Antwort: daß er predigte ewige Ver- dammniß den verdammten Geistern, und sich seines Sieges an ihrer Quaal und Marter erfreute. – Pfui der Schadenfreude! , vom Antichrist und von allen Raritaͤten des Systems weitlaͤuftig gefaselt wird. Am Ende des Wisches steht obendrein ein Anhang von der Verschiedenheit der Religionen, oder eine Nachricht fuͤr Bauerkinder , — von den Gnostikern, Arianern, Nestorianern, Eutychianern, Monothe- leten, Schwenkfeldern, Majoristen, Atheisten, De- isten, u. dgl. Das Buch wurde ganz in der Stille zu Stras- burg abgedrukt, und sollte auf Befehl des Herrn Grafen in alle Schulen der Grafschaft eingefuͤhrt werden. Mein Vater widersetzte sich der Einfuͤh- rung dieses elenden Wisches mit aller Gewalt, und schrieb deswegen an den verstorbenen Herrn D. Toͤllner nach Frankfurth an der Oder, der immer sein Freund gewesen ist, wie auch an Herrn D. Walch nach Goͤttingen. Diese Maͤnner erklaͤrten den Wisch fuͤr das, was er war, fuͤr die Geburt eines elenden Gruͤtzkopfs, die sich zum Schulunter- richt durchaus nicht schicke. Mein Vater uͤbergab dem Grafen die Briefe seiner Freunde, legte ihm die Maͤngel des Buches, dem der Verfasser den Na- men Heilsordnung gegeben hatte — deutlich vor Augen; aber was halfs? Das Ding wurde eingefuͤhrt, und von den Schulkindern auswendig gelernt. — Daß der Hofprediger von nun an meines Vaters erklaͤrter Feind wurde, versteht sich von selbst. Ich bin zwar nicht gewohnt, die Geistlichen als Maͤnner anzusehen, welche die menschlichen Schwachheiten abgelegt haben, ja, wenn ich etwas Skandaloͤses von einem Schwarzrok hoͤre; so bin ich allemal geneigt, es zu glauben: die Erfahrung hat mich so weit gebracht. Doch bin ich uͤberzeugt, daß man meinem Vater Unrecht gethan hat, als man ihn in puncto fexti beschuldigte. Man urtheile selbst! Mein Vater hatte sich einen benachbarten Geistlichen zum Feinde gemacht, den nahen Anver- wandten eines Einwohners unsers Ortes. Einige Unvorsichtigkeiten meines Vaters gaben hierauf seinen Feinden Gelegenheit, dem Meister Bran - denburger — so hieß der Vetter des benachbar- ten Geistlichen, der meines Vaters Feind war — alles zuzutragen, einen schmutzigen Umgang zwischen ihm und einem Frauenzimmer des Ortes, welches eben nicht im besten Rufe stand, zu supponiren, und ihn, nachdem sie vorher alles fein eingefaͤdelt hatten, foͤrmlich anzuklagen. Die Beweise fehlten gaͤnzlich, und ob man gleich viele Eide schwoͤren ließ; so konnte man doch nicht das geringste herausbrin- gen, das meinen Vater auch nur aus der Ferne wirklich gravirt haͤtte. Dennoch wurde er suspendirt: denn der Graf selbst war sein Feind. Ich muß den Grund dieser Feindschaft anfuͤhren. Der Graf von Grehweiler hatte ohngefaͤhr nur 40000 Thaler Einkuͤnfte, und fuͤhrte doch einen fuͤrstlichen Hofstaat, hielt sogar Heyducken und Husa- ren, eine Bande Hofmusikanten, einen Stallmeister, Bereuter und noch viel anderes unnoͤthiges Gesinde. Dazu gehoͤrte nun Geld, und seine Einkuͤnfte reich- ten nicht zu. Die Unterthanen durfte er aus Furcht vor dem Lehnsherrn, dem Kurfuͤrsten von der Pfalz, nicht mit neuen Auflagen belaͤstigen; daher blieb blos der einzige Weg uͤbrig, Schulden zu machen. Dieser modus acquirendi ging Anfangs recht gut; aber bald wollte niemand mehr dem Hrn. Grafen auf sein hochgraͤfliches Wort borgen: was war zu thun! Man nahm Geld auf die Dorfschaften auf; und die Unterthanen musten sich unterschreiben. Auf diese Art wurde nach und nach eine Summe von 900000 rheinischer Gulden geborgt. Die Procedur bei diesem Anleihen war oft mit den groͤßten Spitzbuͤbereien verbunden. So wurde zum Beispiel an den Grafen von Lamberg in Mainz, ein Wald zwischen Bokkenheim und Wons- heim versezt, von 500 Acker; und doch ist in der ganzen Gegend keine Staude zu sehen. — Die Be- dienten des Grafen ließen sich alle zu den Absichten ihres Herrn willig finden: sie sahen ihren Vortheil dabei. Ich muß doch diese ehrlichen Leute nennen, ob sie gleich schon in oͤffentlichen Schriften als Erz- betruͤger gebrandmarkt dastehen. So etwas warnet! Es waren folgende! Herr Kammerrath Schad Kammerrath Schad ist erst vor einigen Jahren als ein Bettler gestorben, nachdem er uͤber zehn Jahre im Gefaͤngniß zugebracht hatte. Folgendes Epigram auf den alten Schind - Hannes , welchen der Kammer- rath um Haab und Gut gebracht hatte, charakterisirt ihn nicht uͤbel. Es heißt: , Kammersekretaͤr Arnoldi , Renntmeister Breken - feld , den die Bauern hernach den Verreck-im-Feld nannten, Oberschulz Haͤfner , nebst Gemahlin, der Maͤtresse des Grafen, Kammerdiener Rohard , Baumeister Biel , Gastwirth Brann , eine Menge Juden und andrer Helfershelfer, welche sammt und sonders sich auf des Grafen Unkosten, oder vielmehr auf Unkosten der Glaͤubiger zu bereichern suchten. Mein Vater sah das Unwesen, und sprach davon so deutlich, wie er es seiner Pflicht angemessen hielt. Er ermahnte seine Pfarrkinder, sich nicht ferner zu unterschreiben, weil sie einmal doch wuͤrden bezahlen muͤßen. Dies wirkte: die Leute wider- setzten sich: die Schuld davon fiel auf meinen Vater. Das entflammte den Grafen zur Rache: was konnte ihm daher erwuͤnschter seyn, als eine Gelegenheit, sich an ihm zu raͤchen? Diese both ihm die erzaͤhlte Beschuldigung dar. Mein Vater wurde also suspen- dirt. Aber da dieser den Proceß am Kammergericht zu Wetzlar anhaͤngig machte; so wurde er nach neun Monaten fuͤr unschuldig erklaͤrt, und erhielt einen Ehrenersatz. Wie sehr aber der Proceß seine oͤkono- mischen Umstaͤnde in Unordnung gebracht habe, kann man denken. Ich war ein alter armer Schinder, Jedoch im Schinden viel gelinder Als der Herr Kamm'rrath Schad, Der mich, den Schinder selbst geschunden hat. Ich schund nur todtes Vieh, und meist krepirte Hunde, Indeß Herr Kamm'rrath Schad lebend'ge Menschen schunde. Waͤhrend der Zeit dieser Suspension war ich zu Dolgesheim in dem Institut des Inspektors Kratz , der nachher Leiningischer Superintendent geworden ist. Wenn meine Leser die Nachrichten von dem Rheingrafen zu Grehweiler nicht mit Langerweile gelesen haben; so werde ich ihnen keinen uͤblen Dienst leisten, wenn ich die Tragikomoͤdie auserzaͤhle. Nachdem sich also die Schulden des Grafen zu sehr gehaͤuft hatten; so forderten die aͤltern Glaͤu- biger ihr geliehenes Geld zuruͤck. Man hatte auch die vielen Bubenstuͤcke entdeckt, welche bei den Bor- gereien waren begangen worden. Man hatte naͤm- lich Schulknaben die Namen ihrer Vaͤter unter die Obligationen schreiben lassen oder Namen hingeschrie- ben, die nicht existirten, u. s. w. Alles das bewog die Glaͤubiger, ihre Zahlung mit Ungestuͤm zu for- dern. Unter diesen befand sich auch der Mainzische Staatsminister, Graf von Lamberg . Dieser ließ durch den Mainzischen Amtsverwalter Heim - bach , einige graͤfliche Unterthanen und drei Juden nach Neubamberg locken, anhalten und nach Mainz ins Gefaͤngniß bringen, wo sie uͤber fuͤnf Jahre ge- blieben sind. Der Graf hielt sich bei diesem Vorfall ganz ruhig; doch unterstand er sich nicht, seine Graf- schaft zu verlassen. Endlich kam eine kaiserliche Kommission, welche die ganze Wirthschaft untersuchte, und zuvoͤrderst den Herrn Grafen mit seinen Bedienden fest- setzte. Die meisten dieser saubern Finanziers hatten sich aus dem Staube gemacht. Oberschulz Haͤfner war nach Holland und von da nach Amerika gegangen. Eben so waren Brekenfeld und Arnoldi ent- wischt; aber die Frau des Oberschulzen, der Kam- merrath Schad und mehrere wurden festgesetzt, und erst lange hernach losgelassen. Der Fuͤrst von Nassau Weilburg war Kommissarius. Nach mehrern Jahren kam das Endurtheil von Joseph II. Die Unterthanen, welche sich unter- schrieben hatten, wurden von der Bezahlung losge- sprochen. Der Graf sollte wegen seiner Betruͤgereien auf zehn Jahre nach der Festung Koͤnigsstein bei Frankfurt gebracht, und der Regierung unfaͤhig er- klaͤrt werden. Die Succession sollte nicht auf den noch lebenden Bruder des Grafen, den Ludwig , sondern auf eine Seitenlinie von Gumenbach fal- len. Die Kommission sollte so lange bleiben, bis die Schuldener bezahlt waͤren, welche aber keine Inte- ressen zu fordern haͤtten. Alle andere, welche an der Sache mala fide Antheil gehabt haͤtten, sollten nach Befinden von dem Kommissar zur Strafe gezogen werden. — Dies war das Urtheil, welches den Einsichten, und der Denkungsart des vortreflichsten Kaisers wah- re Ehre gemacht hat! — und so — endigte sich die Grehweilerische Komoͤdie mit Schrecken! Der Graf hat seine vollen zehn Jahre ausge- sessen. Seine Tochter, die Gemahlin des Grafen von Ortenburg, reisete zwar selbst zum Kaiser, und bath fußfaͤllig um die Loslassung ihres Vaters; aber der gerechte Fuͤrst antwortete: „der Graf haͤtte sich „einer weit schaͤrfern Ahndung schuldig gemacht. „Danken Sie Gott, Madame, setzte er hinzu, daß „ich mir, wie ich anfangs willens war, in dieser „Sache nicht das Gutachten der Kurfuͤrsten und der „Reichsstaͤnde ausbath: waͤre dieses geschehen, Ihr „Vater wuͤrde so nicht weggekommen seyn.“ Mit diesem Troste muste sich die gute Graͤfin abfuͤhren. Jetzt ist die Sache dahin gebracht, daß der Graf Karl von Grumbach die Regierung der Graf- schaft fuͤhrt, und die Schulden bezahlen muß. Er hat sich mit der juͤngsten Tochter des Rheingrafen vermaͤhlet. Der Bruder des Grafen hat ein Fraͤulein in der Lausitz geheurathet, und ist da ge- storben. Fuͤnftes Kapitel. An dem Schulwesen in der Pfalz giebt es noch viel zu verbessern! D er Inspektor Kratz in Dolgesheim hatte schon vor mehrern Jahren eine Art Erziehungsinstitut an- gelegt, und manche junge Leute so weit gebracht, daß sie die Universitaͤt beziehen konnten. Unter andern war auch der Nachfolger des theuren Herrn Sigis - mundus , weiland Professors der Theologie und Moral auf dem Bahrdtischen Philanthropin zu Hei- desheim Von diesem herrlichen Manne handeln die Beitraͤ - ge zu Doktor Bahrdts Lebensgeschichte in Briefen eines Pfaͤlzers . S. 97. ff. , der ehrwuͤrdige Herr Schukmann , Alumnus des Kratzischen Instituts, bis er die hohe Schule in Giessen bezogen hat. Kratz war wirklich ein geschickter Mann im Latein und im Griechischen: er wußte viele Vocabeln, war stark in der Gramma- tik, und konnte ganze Reden des Cicero woͤrtlich hersagen: sonst war er steif orthodox. Als daher Hr. D. Bahrdt in der Pfalz 1777 seine Komoͤ- die spielte, predigte er tapfer wieder ihn los. Im Unterricht war er ein rechter Orbilius, der immer cum baculo et annulo dastund, und seinen Schuͤ- lern das Zeug eingerbte. Ich kann mich vorzuͤglich ruͤhmen, die schwere Hand des Hrn. Kratz oft und derb empfunden zu haben. Seine Eleven waren meistentheils uͤbelgezogene Jungen; und wie vorbereitet ich in diese Gesellschaft gekommen bin, wissen meine Leser. Die Schuͤler, an der Zahl vierzehn, behandelten mich als einen kleinen Buben, der ihren Komment (Kommang) nicht verstuͤnde, und den sie also in die Lehre nehmen muͤßten. Aber sie wurden bald inne, daß sie sich ge- irrt hatten. Ich fing an, das praktisch zu zeigen, was ich in Wendelsheim von meinem Mentor, dem Ludwig Spangenberger, theoretisch gelernt hatte: und da sahen die Dolgesheimer Jungen, daß ich in manchen Stuͤcken noch haͤtte ihr Lehrmeister seyn koͤn- nen. Ich ward jetzt der Theilnehmer an allen ihren Vergnuͤgungen, und bald die Seele der Gesellschaft. Kein Lumpenstreich wurde ausgefuͤhrt — Mosjeh Fritz war dabei, und nicht selten der Anfuͤhrer. Unsern Lehrmeister, oder wie wir ihn nannten, Lehrprinzen (Principalen) schonten wir nicht, und schabernakten ihn, wo wir nur konnten. Ich muß doch so einen Streich erzaͤhlen! Der Inspektor Kratz hatte einen Knecht, Na- mens Hans. Diesen Kerl wollte der Inspektor zwingen, ein Privet im Garten auszuraͤumen. Der Knecht, welcher diese Arbeit unter seiner Wuͤrde hielt, wollte durchaus nicht, und als der Herr In- spektor ihm mit Schlaͤgen drohte, versetzte er dem- selben einen solchen Stoß, daß er ruͤcklings ins Pri- vet fiel, und sich schrecklich besudelt. — Von diesem schmutzigen Handel machten wir eine Komoͤdie, und fuͤhrten sie mehrmalen auf: da kamen noch andre Personen dazu: eine Hexe, ein Jude, sogar der Teufel. Hr. Kratz erfuhr endlich, daß er den Stoff zu einer Komoͤdie seiner Schuͤler hergab, und da regnete es nun Pruͤgel mehr als zu viel. Drei Tage waͤhrte die Exekution, bis wir alle, wie man sagt, unser Fett reichlich bekommen hatten. Die Bauern in Dolgesheim fuͤrchteten sich or- dentlich vor uns: denn es vergieng kein Tag, daß wir die Leute nicht geneckt oder sonst gehudelt haͤtten. Ich wohnte bei dem Bruder meines Vaters, der sich in Dolgesheim aufhielt, und Kammersekre- taͤr bei dem Grafen von Leuningen Gundersblum Emmerich war. Dieser Graf hat sich nachher selbst erschossen. Mein Onkel hatte einen Sohn, Jakob, welcher eben so lustig lebte als ich, und es trotz mir, in der Schelmerei weit genug gebracht hatte. Meine Leser werden nun schon fuͤr sich selbst einsehen, daß meine Sitten in Dolgesheim eher verschlimmert, als verbessert wurden. Im Latein kam ich freilich weiter. Ich lernte den Cellarius auswendig, und fieng an, den Cor - nelius zu exponiren. Auch fing ich an, griechisch zu kaͤuen. Aber der ganze Unterricht wollte mir nicht recht behagen: ich fuͤhlte den Unterschied zwischen der Lehr- und Behandlungsart meines Vaters und der des Herrn Kratz . Jener war immer liebreich, fluchte und schalt nie; Hr. Kratz war ganz anders. Der fluchte, wenn er tuͤckisch war, wie ein Boots- knecht, und gab uns immer die garstigsten Zunah- men: Flegel, Esel, Schlingel, Buͤffel, Ofenlochs- gabel, Hache — waren die gewoͤhnlichen Titel, wo- mit er uns begruͤßte; und darauf pflegte eine derbe Pruͤgelsuppe zu folgen. Selten war Herr Kratz freundlich. Konnte ein Schuͤler seine Vocabeln ohne Anstoß hersagen; so bestand der ganze Beifall in einem muͤrrischen hm, hm! fehlten aber einige Woͤr- ter, dann klang die Musik anders. Kurz, die Schul- stunden waren allemal, wie ein Fegefeuer, und doch durften wir sie bei schwerer Strafe nicht versaͤumen. Herr Kratz hatte keine Kinder, und seine liebe Haͤlfte war ein wahres Konterfait von der Hexe zu Endor. Es ist schwer, sich etwas abscheulichers vor- zustellen: ihr Schmutz ging uͤber alle Beschreibung. Sie soll sogar einmal eine Reissuppe von einer Juͤdin fuͤr einige Kreuzer gekauft haben, weil sie Trefe, d. i. unrein, und folglich ungenießbar fuͤr Juden geworden war. Der Inspektor liebte seine Frau nicht: wen befremdet es, daß der Mangel an ehelicher Liebe die Liebe gegen Andere, nicht verfeinerte, nicht erhoͤh- te. — Er lebte fuͤr sich, er war fuͤr sich auf seiner Stube; wo er seine Buben — so nannte er die Schuͤler — unterrichtete, seine Tauben fuͤtterte, und in seinen Buͤchern herumblaͤtterte: uͤbrigens ließ ers gehen, wie es ging, und die ganze Wirthschaft hing von der Frau Inspektorin ab. Ich hatte ohngefaͤhr anderthalb Jahr in Dol- gesheim zugebracht, als mich mein Vater zuruͤck hohl- te. Ein Baugefangener, der nach zehn Jahren saurer Festungsarbeit, wieder frei wird, kann nicht froher seyn, als ich es war, da es hieß — es ginge nach Hause! Beinahe haͤtte ich vor lauter Jubel vergessen, bei meinem Lehrprinzen, dem Hrn. Kratz , Abschied zu nehmen, und ihm fuͤr seinen Unterricht, wie auch fuͤr die vielen Schlaͤge, u. dergl. aufs verbindlichste zu danken. — Ich war also wieder im Schooß meiner Fami- lie, erneuerte meine alten Bekanntschaften, und fings wieder da an, wo ich es gelassen hatte. Mein Vater wuͤrde mich jetzt auf eine oͤffentliche Schule geschickt haben, wenn ihn nicht die elende Beschaffenheit der Pfaͤlzischen Schulen daran gehin- dert haͤtte. Da die drei Hauptpartheien der Chri- sten in der Pfalz beinahe gleiche Rechte praͤtendiren — obgleich die Katholiken, als die herrschende Kirche alle Arten der groͤbsten Intoleranz, mit aller moͤgli- chen Insolenz gegen die andern Religionsverwandten ausuͤben — so haben auch Lutheraner, Reformirten und Katholiken in jeder Pfaͤlzischen Stadt ihre Schu- len; aber die sehen auch aus, daß es ein Greuel ist! Zur Zeit der Jesuiten gab es noch einige bessere ka- tholische Schulen; jedoch nur wenige. Die andern sind von jeher das rechte Gegentheil eines vernuͤnfti- gen Unterrichts gewesen. Fuͤr die katholische Jugend ist Meisters Cani - sius Katechismus mit Pater Matthaͤus Vogels Erlaͤuterungen das Orakel der Religion. Das Latein lernt man aus Emanuel Alvari 's trefflichem Ru- dimente, und aus einigen verstuͤmmelten Autoren. Die Geschichte wird aus einem Lehrbuche vorgetragen, wo auf der einen Seite im abgeschmacktesten Latein und auf der andern im fuͤrchterlichsten Deutsch die Begebenheiten nach wahren jesuitischen Grundsaͤtzen, mit einer Menge Fabeln und Verdrehungen erzaͤhlt sind. Ganz fruͤh sucht man den zarten Gemuͤthern allen nur moͤglichen Haß gegen Ketzer, und recht re- gen Abscheu gegen Neuerungen, profane Litteratur, Lesung Protestantischer Buͤcher, u. s. w. einzutrich- tern. Kommt daher so ein Mensch aus einer Pfaͤl- zischen katholischen Schule; so ist er kraß, wie ein Hornochse, und unwissend in allen noͤthigen Kennt- nissen; spricht aber doch Latein. Aber was fuͤr La- tein? Solches: Ex mandato Domini Ballivii ve- stra dominatio hodie vel cras tenetur, extra- dere pecuniam, quam apud illam deposuit Dominus N. Ex post videbimus u. s. w. das ist phaͤlzisch-katholisches Latein! Die Pfaͤlzischen lutherischen und reformirten Schulen sind noch zehnmal elender! Da Do- ciren nicht einmal Leute, die ein Bissel Latein ver- stuͤnden: und daher kommt es, daß die Schuͤler, wenn sie die Universitaͤt beziehen sollen, weder den Cornelius uͤbersetzen, noch ein griechisches Verbum analysiren koͤnnen. Ein mir bekannter Schaffner Namens Job, gab einmal dem Rektor Paniel in Kreuznach folgende deutsche Redensart, ins Latein zu uͤbersetzen auf, wozu er ihm die Vocabeln dictir- te: „ich zweifle nicht, du werdest deiner Pflicht „Genuͤge thun.“ Herr Paniel , ohne sich lange zu besinnen, uͤbersetzte frisch weg non dubito, quin sat acturus sis officio tuo. Wenn ein Rector so ein Schaͤcher in der Grammatik ist, was kann aus den Schuͤlern werden? — Die einzige gute Schule in der Pfalz ist die zu Gruͤnstadt, welche der Graf von Leiningen Westerburg anlegen ließ, und die bis- her immer brave Maͤnner zu Lehrern gehabt hat. Ich will nur die Herren Seybold , Heyler und Balz davon nennen. Wer in der Pfalz auf Schu- len etwas gelernt hat, hat es gewiß in Gruͤnstadt Erster Theil. C gelernt: auf den andern Schulen ist das unmoͤglich. Doch hier ist der Ort nicht, von den Pfaͤlzer Schulen weiter zu schreiben: wolt' ich das thun; so muͤßt' ich ein ganzes Buch fuͤllen, und koͤnnte doch nur Jere- miaden anstimmen. Mein Vater hatte also wohl Ursach, mich nicht auf eine vaterlaͤndische Schule zu schicken: weit ent- fernen wollte er mich auch nicht. Da er nun wirk- lich Gaben und Geschick zum Unterrichten hatte; so entschloß er sich, mich noch eine Zeitlang bei sich zu behalten. Auch nach Gruͤnstadt sollte ich nicht, und zwar deswegen nicht, weil ein Bruder seines aͤrgsten Feindes, des Pastors Rodrian , damals an dieser Schule Unterlehrer war. Ich blieb also in Wendels- heim, und der Unterricht wurde wieder angefangen. So brachte ich noch einige Jahre zu Hause zu, und da wir sehr fleißig anhielten; so las ich unter der Anfuͤhrung meines Vaters mehrere lateinische und griechische Autoren. Zugleich kam ich in der Erdbe- schreibung und Geschichte, welche zu allen Zeiten mei- ne liebsten Wissenschaften gewesen sind, so ziemlich weit. Ich erinnere mich noch, mit welcher Freude ich mit den Herren Pastoren in unsrer Gegend uͤber Stellen aus diesem und jenem Schriftsteller dispu- tirt, und sie in gewaltige Verlegenheit gesetzt habe, wenn sie die besprochenen Stellen nicht recht verstun- den: denn sehr bald merkte ich, daß ich ihnen uͤberle- gen war. Sechstes Kapitel. Merckt's euch, ihr Volks- und Kinderlehrer! I ch habe mir nicht vorgesetzt, ein curriculum vitae aus meiner Lebensgeschichte zu machen, wie ihn die Studenten auf einigen Universitaͤten einreichen muͤs- sen, wenn sie ein Testimonium von der Fakultaͤt ha- ben wollen: denn in einem solchen Curriculum ist es hinlaͤnglich, daß die gehoͤrten oder nicht gehoͤrten Collegien, wenn sie nur bezahlt sind, angefuͤhrt werden. Ich will aber das nicht thun: ich erzaͤhle nicht, wie ich studirt, und was ich etwa gelernt habe: denn einmal bin ich kein Gelehrter, und fuͤhle nur zu sehr, wie manches ich versaͤumt habe — und dann soll mein Buͤchlein Nutzen stiften im Publikum. Ich werde daher nur das angeben, was dem Paͤda- gogen, dem Schulmanne, dem Beobachter und vor- zuͤglich dem unverdorbenen und verdorbenen Juͤng- linge Stoff zum Nachdenken geben kann. Und aus dieser Absicht muß alles, was ich hier schreibe, be- urtheilt werden. Meine Tante nahm mich nun noch mehr, als vorhin in Schutz: ihre Neigung zu mir hatte durch meine lange Abwesenheit viel leiden muͤssen. Sie bewies mir ihre Affenliebe bei jeder Gelegenheit jezt dergestalt, daß ich weiter keine Ruͤcksicht auf sie nahm, wenn ich einen Streich vorhatte: vielmehr muste sie oft die Haͤnde dazu bieten. So muste sie z. B. die Juͤdin Brendel unterhalten, indeß ich in deren Stube schlich, und Schweinsgedaͤrme um die Scha- bes-Ampel oder Sabbatslampe wand, woruͤber ein entsetzlicher Spektakel ausbrach. Sie war es auch, die mich lehrte, auf dem Eise glandern, und Schritt- schuhe laufen. Diese Kunst hatte sie als Maͤdchen getrieben, und suchte sie wieder hervor, um ihren lieben Neffen darin zu unterrichten. Mein Vater sah wohl, daß die Tante mir zu gut war; aber da er nichts Boͤses, oder doch nicht viel Boͤses, von mir hoͤrte; so schwieg er, und ließ es gut seyn. Die Mutter war vollends froh, daß ich nicht viel um sie war, und ihre Geschaͤfte nicht stoͤhrte. Die gute Tante war abscheulich aberglaͤubig. Ueberhaupt ist das Volk in der Pfalz diesem Fehler ausserordentlich ergeben. Es giebt zwar aller Orten Spuren von dieser Seuche; aber nirgends auffallen- der, als in der Pfalz . Daß es dort viele tausend Schock Teufel, Hexen, Gespenster, feurige Maͤn- ner — u. s. f. giebt: daß es sich anzeigt, daß das Maar — wie man den Alp in der Pfalz nennt — auf Anstiften boͤser Leute druͤckt, und tausend derglei- chen Herrlichkeiten, sind bei mei en lieben Landes- leute ganz ausgemachte Wahrheiten: wer eine davon leugnen wollte, wuͤrde gewiß fuͤr einen Ketzer, oder fuͤr einen Dummkopf angesehen werden. Jede Stadt, jedes Dorf hat seine oͤffentlichen Dorfgespenster, ohne die Hausgespenster. So geht z. B. in meinem Ge- burtsorte das Muhkalb und der Schlappohr im Dor- fe: im Felde spuckt der alte Schulz Hahn: item in der Adventszeit laͤßt sich ein feuriger Mann im Felde sehen. Beinahe alle Wendelsheimer schwoͤren, diese Ungeheuer gesehen zu haben. Die Haͤuser sind auch nicht frei von Uhuhus: selbst im Pfarrhaus — im Hinterhaus — geht ein Moͤnch mit einem schrecklich langen Bart: in der Pfarrscheune, wie die Drescher oft versichert haben, laͤßt sich der Sanktornus sehen, u. s. w. Daß der Poͤbel an dergleichen Schnurren glaubt, ist ihm zu verzeihen; aber in der Pfalz glauben auch angesehene Leute oder so genannte Honoratiores alles das eben so einfaͤltig, wie der Poͤbel. Ich bin mehr- mals in Gesellschaften gewesen, wo Geistliche, Be- amte und Officire sich in vollem Ernst mit Gespen- sterhistoͤrchen unterhielten, und einander ihre Erfah- rungen mittheilten. Keine Seele unterstand sich zu widersprechen; und wenn ich manchmal widersprach, nachdem ich diesen und noch mehr andern Unsinn hatte einsehen lernen; so erschrak man uͤber meinen Un- glauben, und versicherte mich, ich wuͤrde schon ein- mal mit Schaden klug werden. Ja, dieser Aber- glaube sitzt den dortigen Einwohnern so praktisch fest in den Koͤpfen, daß der herrschaftliche Hofmann in Wendelsheim, dem Gesinde weit mehr Lohn geben muß, als man gewoͤhnlich giebt, blos darum, weil der Schlappohr in seinem Revier stark spuckt, wie man vorgiebt, und weil sich immer eine weiße Frau im Kuhstalle sehen laͤßt. — Das abscheulichste ist, daß die dortigen Geist- lichen selbst den Aberglauben zu unterhalten und zu vermehren suchen. Mein Vater predigte zwar stark gegen diese Fratzen; aber er war auch der einzige Herr Chelius in Ilbesheim, Fresenius in Nie- derwiesen, Wehsarg in Eichloch, Simon zu Jop- weiler und noch einige wenige andre, wohin auch der katholische Pastor in Erbesbuͤdesheim, Herr Hofmann , gehoͤrt, sind Maͤnner, welche Balthasar Beckers Geist haben. Gott lohne sie dafuͤr! , der dergleichen Ungereimtheiten oͤffentlich hernahm. Doch dafuͤr raͤchen sich nun auch die von ihm verwor- fenen Gespenster, indem ihn die Hausleute des jetzi- gen Pfarrers Schoͤnfeld selbst haben spuken sehen wie mir ein guter Freund schon vor einem Jahre ge- schrieben hat. Herr Schoͤnfeld haͤtte billig dergleichen uͤble Nachreden wider seinen wuͤrdigen Vorfahr ernstlich zu nichte machen sollen; aber er ist vielleicht selbst zu sehr von der Existenz der Gespenster uͤberzeugt, als daß er dergleichen zu widerlegen wagen duͤrfte. In- dessen fordere ich ihn hiermit auf, wenn ihn anders diese Geschichte in die Haͤnde kommen sollte, den guten Namen meines Vaters in dieser Hinsicht zu rechtfertigen, oder zu erwarten, daß ich ihn noch bei lebendigem Leibe auch spuken lasse. Herr Schoͤnfeld versteht ohne Zweifel meinen Wink: und damit mags fuͤr diesmal gut seyn! Ich wurde von meiner Tante mit allen Arten des Aberglaubens bekannt gemacht. Jeden Abend erzaͤhlte sie mir und dem Gesinde Histoͤrchen von Hexen und Gespenstern — alles in einem so krassen, herzlichen Tone, daß es uns gar nicht einfiel, ihre Erzaͤhlungen im mindesten zu bezweifeln. Unvermerkt ward ich dadurch so furchtsam, das ich mich nicht getrauete, des Abends allein zur Thuͤr hinaus zu ge- hen. Mein Vater merkte endlich das Unwesen, und fing an, wider die Gespenster loszuziehen, so oft er in dem Zirkel seiner Familie erschien. Er nahm mich des Abends, auch spaͤt in der Nacht, mit auf den Kirchhof, und erzaͤhlte mir bei seiner Pfeife Tabak, allerhand Anekdoten, wie der und der durch Betrug der Pfaffen — mein Vater kleidete seine skandaloͤsen Histoͤrchen allemal so ein, daß ein Pfaffe dabei ver- wickelt war: daher mein unbezwinglicher Haß gegen alles, was Pfaffe heißt — mit Gespenstern waͤren ge- neckt worden. Sofort vertroͤstete er mich auf die Zukunft, wo ich wuͤrde einsehen lernen, daß alles, was man so hinschwatzte, und was er zum Theil selbst hinschwatzen muͤßte, erdichtet und erlogen waͤre: daß die Leute, welche von abgeschiedenen Seelen, von Gespenstern, Geistern und Erscheinungen u. dergl. viel Wesens machten, nicht wuͤßten, was sie trie- ben. — Auf diese Art legte damals mein Vater den Grund zu der Irreligion, welcher in der Folge mei- nen Kirchen-Glauben gluͤcklich vernichtet hat. Meine orthodoxen Leser werden doch nicht boͤse, daß ich so geradezu mich zu denen bekenne, die von Priester-Grillen nichts glauben? Die Gruͤnde lege ich ihnen noch zum Theil in meiner Biographie histo- risch vor; und zwar ganz andre Gruͤnde, als jene, welche Hr. D. Bahrdt aufgetischet hat. Jeder hat indeß so seinen eignen Gott, seine eigne Welt, seinen eignen Himmel, Hoͤlle, Glauben, seine Meinungen, seine Narrheit, seine Philosophie, seine — und wer ihn darin irre macht, ohne ihm etwas Brauchbarers dafuͤr an die Hand zu geben, hat Unrecht — er sey, wer er wolle. In der Pfalz ist zwar keine Inquisition; aber die Herren Geistlichen wissen es doch so huͤbsch zu karten, daß der, welcher sich wider ihre Alfanzereien auflehnt, zwar nicht widerlegt, aber doch gedruͤckt und verfolgt wird. So nahm ich es mir einmal heraus, nachdem ich meine sogenannten Studien ge- endigt und Erlaubniß zu predigen erhalten hatte, eine Predigt gegen den Aberglauben zu halten; aber da stach ich in ein fuͤrchterliches Wespennest: ich haͤtte eher sollen Vorsehung und Fortdauer des Seelenwe- sens leugnen, als die leiblichen Besitzungen des Sa- tans, die Hexereien und die Existenz der Gespenster: das wuͤrde mir nicht so vielen Verdruß erregt haben. Doch genug hiervon! Ich hatte nun ohngefaͤhr das dreizehnte Jahr erreicht, als mich mein Vater endlich nach Gruͤnstadt schickte. Hier genoß ich bis ins sechszehnte Jahr den Unterricht verschiedener braver und gelehrter Maͤn- ner, insbesondere des Hrn. Professors Seybold . Ich nahm wuͤrklich in den Schulwissenschaften sicht- bar zu, wenigstens wuste ich so viel latein, griechisch und franzoͤsisch, als man in der Pfalz zu wissen pflegt, und wohl noch etwas mehr. Auch war ich in der Geschichte, Erdbeschreibung und Mathematik nicht ganz fremde, wie meine lieben Landesleute ge- meiniglich zu seyn pflegen. Ich blieb nicht in einem fort in Gruͤnstadt: denn da mein rechter Fuß, welchen ich vorher zer- brochen hatte, um diese Zeit wieder aufbrach, so nahm mich mein Vater nach Hause, um mich da unter seinen Augen heilen zu lassen. Das geschah im Herbst, wenn ich nicht irre, des Jahres 1771. Und gerade zu der Zeit hatte der nunmehrige Super- intendent Kratz meinem Vater einen sehr geschick- ten Hauslehrer, wofuͤr er ihn hielt, empfohlen, der denn auch zu uns zog, und seine Lectionen mit mir und meinem zwei Jahre juͤngern Bruder anfing. Der Mensch hieß Weichselfelder , und hat- te ehemals in Jena studirt: hernach war er Pfar- rer geworden in einem Dorfe des Grafen von Solms Roͤdelheim; aber sein unbaͤndiges Saufen und an- dere Ausschweifungen hatten ihn vom Dienst ge- bracht. Darauf hatte er sich nach Gießen begeben mit einem Sohn von vier Jahren, und dort ange- fangen, medicinische Kollegia zu hoͤren. Nachdem er so weit gekommen war, ein Recept zu schreiben, und kein Geld mehr hatte, um in Gießen weiter auszudauern; so ging er auf gut Gluͤck in alle Welt, salbaderte und quacksalberte in den kleinen Herrschaf- ten am Rhein und Main herum In den unzaͤhligen kleinen Herrschaften und Territo- rien in jenen Gegenden, sieht es mit der medicinischen Einrichtung schrecklich aus. Jeder Quacksalber und Marktschreier, jedes altes Weib hat daselbst das Privi- legium zu mediciniren, und die Leute nach Wohlgefal- len in die andere Welt zu schicken. Der Kuhdoctor Herr Thomas zu Schwabenheim, der meistens mit Sympathie kurirt, und ein andrer Charlatan, Ma- , und kam so auch ins Leiningische zum Superintendenten Kratz , welcher damals einen Schaden am Fuß hatte. Kratz ließ sich von ihm behandeln, und der Schaden heilte. Nun nahm ihn Kratz in seinen Schutz, und empfahl ihn meinem Vater, als einen sehr gelehrten Lingui- sten, zum Lehrmeister fuͤr seine Soͤhne, auch als ei- nen sehr geschickten Arzt. Mein Vater, welcher vor kurzem den Apotheker Eschenbach, seinen Calefactor, oder Symphilosophen verlohren hatte, war froh, jemanden ins Haus zu bekommen, der Eschenbachs Stelle in seinem Laboratorium ersezzen koͤnnte. Er versuchte also zufoͤrderst seine chemischen Faͤhigkeiten, fand aber zu seinem Aerger, daß Hr. Weichsel - felder ein Erzignorant in der edlen Kunst der Goldmacherei war, daß er nicht einmal wußte, die Grade des Feuers nach dem Thermometer zu bestim- men, und was des Dinges mehr ist. In den Schulwissenschaften, wenn man ein wenig franzoͤsisch ausnimmt, war Weichselfelder gerade so weit gekommen, als die ehemaligen Pro- fessoren auf dem Heidesheimer Philanthropin. Da- her muste mein Vater den Unterricht mit mir wieder gnus Kaspar Koͤhler , Bauer in Wendelsheim, sind durch ihre Wunderkuren und Spitzbubereien be- ruͤhmt und reich geworden. Indessen mundus vult decipi! – Aber je eingeschraͤnkter das Reich scharfsich- tiger Aerzte ist, desto ausgedehnter ist das Reich des Aberglaubens und der — Pfaffen. Mein Vaterland beweiset es. selbst uͤbernehmen; nur mein Bruder blieb unter der Disciplin des theuren Paͤdagogen. Bald bemerkten wir die groͤßten Fehler des Lehr- meisters: beinahe taͤglich war er berauscht, und machte auf den benachbarten Doͤrfern in den Schen- ken allerhand Excesse: er pruͤgelte sich mit den Bau- ern, und lief den Menschern in den Kuhstaͤllen u.s.w. nach. Da Signor Weichselfelder viel Neigung zu dergleichen bei mir wahrnahm; so machte er mich zu seinem Vertrauten. Seine und meine Streiche blie- ben durch die Vermittelung meiner Tante, welcher er doch den Unnamen Kobold gegeben hatte, eine Zeitlang verborgen. Allein in der Laͤnge wollte es doch nicht gehen: mein Vater erfuhr alles, filzte ihn derb aus, und da dies bei dem im Grunde verderb- ten Menschen nicht fruchten wollte; so gab er ihm den Laufzettel, und schickte mich von neuem zur Schule. Weichselfelder ist hernach Schullehrer in Gla- denbach ohnweit Gießen geworden. Ob er noch lebe, und wo er sich jetzt herumtreibe, weiß ich nicht. Er hat zu Frankfurt am Main einen elenden Wisch ge- gen den beruͤhmten Abt Schubert uͤber die Wirk- samkeit der heil. Schrift herausgegeben, der aber gleich nach seiner Erscheinung auf die heimlichen Ge- maͤcher wandern mußte. Siebentes Kapitel. Auch die Liebe ist ein Krypto-Jesuit, und im Proselyten- machen oft ein maͤchtiger Apostel. I n den Ferien war ich gewoͤhnlich zu Hause, und suchte mich durch lustige ausgelassene Streiche fuͤr die ausgestandenen Muͤhseligkeiten und Arbeiten auf der Schule, in vollem Maaße zu entschaͤdigen. Noch hatte ich, so sehr ich ein theoretischer Zotologe war, in Praxi nichts gethan, einige Handgriffe abgerech- net, welche ich bei den Dorfmenschern, und auch wohl bei einigen sogenannten Mamsellen — an- brachte. Aber nun kommt die Periode, wo ich an- fing, das foͤrmlich auszuuͤben, wozu mir unser Knecht schon fruͤhe Anleitung gegeben hatte. Ich war einst im Herbst zu Hause, gerade da meine Mutter ihre große Waͤsche besorgen ließ. Das Zeug mußte uͤber Nacht auf der Bleiche liegen blei- ben, und wurde von den Waschweibern nebst eini- gen Knechten bewacht. Ich stieg in der Nacht aus meinem Fenster, weil die Hausthuͤr verschlossen war, und begab mich zu den Bleichern. Ich fand eine recht lustige Gesellschaft, welche mir damals baß be- hagte. So luͤstern, saft- und wortreich ich war, schaͤkerte ich mit, und uͤbertraf an Ungezogenheit die Knechte und die Menscher, so sehr sie sich auch be- muͤhten, kraͤftig zu sprechen. Endlich kettete sich eine Dirne, welche schon ein Kind von einem Muͤhl- burschen gehabt hatte, an mich, ließ mich neben sich liegen, fragte sodann nach diesem und jenem, wor- aus ich ihre Absicht leicht merken konnte, und fuͤhrte mich hinter eine Hecke von Bandweiden, wo wir uns hinlagerten und — Ich bin nicht im Stande, die Angst zu be- schreiben, worin ich mich nach dieser Ausschweifung befunden habe: ich zuͤndete meine Pfeife an, trank Wein; aber nichts wollte mir schmecken: ich wollte Spaß machen; aber es hatte keine Art: endlich lief ich nach Hause; konnte aber auch nicht schlafen. Den folgenden Tag sah ich die naͤmliche Dirne: ich schaͤmte mich; aber sie wußte so gut zu schaͤkern, daß ich alle Schaam hintansetzte, und sie selbst er- suchte, mir Gelegenheit zur Fortsetzung unsers Um- gangs zu verschaffen. Dies geschah, und zwar so, daß meine Eltern nicht das geringste davon erfuh- ren. — Alle Begierden waren nun in mir rege und geschaͤrft; und von dem Augenblick des ersten Ge- nusses an, betrachtete ich die Frauenzimmer mit ganz andern Augen, als vorher. Jede reitzte meine Sin- nen; aber sehr wenige, oder, wenn ich eine einzige ausnehme, gar keine, machte ferner bleibenden Ein- druck auf mich. Die Anmerkungen, welche sich hier anbieten, moͤgen die Leser selbst machen: ich will in meiner Geschichte fortfahren. Der Amtmann zu . . . . — man verzeihe mir, daß ich hier die Namen verschweige, so sehr ich es mir zum Gesetz gemacht habe, die Leute mit Namen zu nennen. Ich habe fuͤr den Amtmann und seine Familie viel Ehrfurcht, besonders fuͤr seine Tochter: und diese Ehrfurcht verbietet mir, diese guten Menschen zu beleidigen. — Also der Amtmann zu . . . . hatte eine Tochter, welche ohngefaͤhr ein Jahr juͤnger war, als ich. Das Maͤdchen hieß Therese , war ziemlich huͤbsch, aber katholisch, und zwar streng jesuitisch-katholisch, wie ihre ganze Familie. Ich lernte sie auf einem Jahrmarkte ken- nen, und suchte von der Zeit an, mit ihr naͤher be- kannt zu werden. Es war im Herbst, als ich sie zum erstenmal sahe. Ich sollte auf die naͤchsten Ostern die Universitaͤt beziehen. Ich hatte daher, als angehender Student, schon mehr Freiheit, und mein Gesuch, Thereschen naͤher kennen zu lernen, war sehr leicht auszufuͤhren. Ich besuchte sie her- nach oͤfters. Der alte Amtmann konnte mich wohl leiden: denn ich suchte mich nach seinen Grillen zu bequemen und widersprach ihm niemals. Therese war auch allemal froh, und sehr merklich froh, wenn sie mich kommen sah. Ich muß gestehen, daß jene drei oder vier Monate, welche ich in diesem Umgang zubrachte, die seligste Zeit meines Lebens gewesen ist. Immer, wenn ich mich allein untersuchte, fand ich, daß ich dem Maͤdchen sehr viel zu sagen hatte; aber sobald ich bei ihr war, hatte ich nicht Muth genug, das zu offenbaren, was mir die Brust druͤck- te, so oft ich mich auch entschlossen hatte, alles ge- rade heraus zu bekennen, es moͤchte auch werden, wie es wollte. Endlich machte ichs, wie alle unerfahrnen Lieb- haber: ich schrieb ihr einen Brief, und gab ihrer Magd einen Gulden, damit sie das Geschaͤfte einer Unterhaͤndlerin uͤbernehmen moͤchte. Einige Tage schwebte ich zwischen Furcht und Hoffnung, und war wie im Fegefeuer: endlich brachte mir ein Bauer ei- nen Brief von Thereschen, worin sie sich uͤber meine lange Abwesenheit — ich war drei Tage weggeblie- ben! — beklagte, und mir alle Ursache gab, das Beste zu hoffen. Nun flog ich nach.... traf mein Maͤdchen allein in ihrer Stube, und hatte das erstemal Herz genug, sie mein Maͤdchen, mei- nen Engel zu nennen, und ihre Wangen zu kuͤssen. Das war ein Tag, lieben Leser, wie ich Ihnen recht viele goͤnnen moͤchte! Groͤßere Seligkeit laͤßt sich nicht denken, als ich an diesem schoͤnsten Tage mei- nes Lebens genoß! Von diesem Tage an wuchs unsre Vertraulich- keit immer mehr, und wir wechselten bestaͤndig Briefe, welche, wenn sie mein Vater nicht verbrannt hat, sich noch unter dessen hinterlassenen Papieren befin- den werden. Ich machte auch Verse; und so we- nig Geschick ich auch immer zur Poeterei gehabt habe, gefielen sie meiner Geliebten doch besser, als die besten unsrer Dichter. Das ist so in der Natur der Liebenden gegruͤndet, und daher erklaͤrt sich auch zum Theil die Verschiedenheit des Geschmacks. Der alte Amtmann entdeckte auf irgend eine Art — auf welche gerade, weiß ich nicht — unser Verstaͤndniß, und hielt mir deshalb eine derbe Straf- predigt. So ein Umgang, meinte er, schikte sich fuͤr junge Leute, als wir waͤren, nicht: ich haͤtte keine Aussichten, kein Vermoͤgen, u. d. gl. Beson- ders stieß er sich an meiner Religion: ich waͤre luthe- risch, und er wuͤrde nimmermehr zugeben, daß sich seine Tochter mit einem Menschen behinge, der nicht ihres Glaubens waͤre. In diesem Gespraͤch gedach- te er auch, daß die Lutheraner den Satz vertheidig- ten, daß der Pabst der Antichrist, und die katho- lische Kirche die babylonische Hure sei. — Nun moͤchte ich selbst bedenken, ob er, auch von allem, andern abgesehn, sich nur koͤnnte einfallen lassen, sein liebes Kind einem Menschen anzuvertrauen, der dergleichen Grundsaͤtzen beipflichte? — Er bath mich darauf, sein Haus sparsamer zu besu- Erster Theil. D chen, um seine Tochter nicht ins Gerede zu bringen. Das war ein Donnerschlag fuͤr mich! Ich wußte nicht, was ich dem Manne antworten sollte: ich stammelte einiges Unverstaͤndliches, faßte mich kurz, und fuͤhrte mich ab, ohne diesen Tag meine Therese gesehen zu haben. Ich machte mir allerhand Grillen: bald wollte ich an den Herrn Amtmann schreiben; aber da war die Frage, was ich schreiben sollte? Bald wollte ich zu Theresens Base laufen, welche einige Meilen davon wohnte, und ihr meine Noth klagen: bald wollte ich sonst was thun. Aber von allen meinen Anschlaͤgen wurde auch kein einziger ausgefuͤhrt, ich wußte naͤmlich nicht, wozu ich mich entschließen soll- te. — Zwei Tage nach diesem harten Stand erhielt ich ein kleines franzoͤsisches Zettelchen von meiner Therese, worin sie mir meldete, daß sie zu ihrer Base nach.... reisen wuͤrde: daß sie mich da- selbst auf den Sonntag unfehlbar erwartete. Ich hatte Muͤhe, von meinem Vater die Erlaubniß zu erhalten, nach Kreuznach zu gehen, als wohin ich gehen zu wollen vorgab. Vielleicht hat ihm so was von einem quid pro quo geahnet; indessen erhielt ich die gesuchte Erlaubniß, und flog mehr als ich ging, nach dem Orte hin, wo mein Thereschen sich aufhielt. Die Base empfing mich sehr hoͤflich, doch mit einer Zuruͤckhaltung, die mich schmerzte. Von der Sache selbst wurde kein Wort gesprochen. Endlich kam Therese aus der Kirche, und that sehr zuruͤck- haltend gegen mich in Beiseyn der Base. Sie that gleichsam, als waͤre ich ihr ein unerwarteter Besuch. Und so saßen wir beinahe eine halbe Stunde, bis endlich die Base mich fragte: ob ich ihnen die Ehre thun wollte, zum Mittagsessen bei ihnen zu bleiben? Ich konnte nicht anders, als mich entschuldigen, und gab vor, daß ich nur haͤtte sehen wollen, wie sie sich befaͤnden: daß mein Weg eigentlich nach Kreuznach ginge, daß ich dort zu Mittag mit Hrn. Licentiaten Macher essen wuͤrde, und was des Geschwaͤzzes mehr war. „Sie haben nach Tische noch Zeit, nach Kreuznach zu gehen, wo Sie doch uͤber Nacht blei- ben werden,“ fing nun Therese an: „bleiben Sie immer noch, und wenn es die Frau Base erlaubt; so begleite ich Sie eine Strecke: ich will die Mam- sellen auf der Saline diesen Nachmittag besuchen.„ — Das war nun Wasser auf meiner Muͤhle: ich blieb, und nach Tische ging ich mit meinem Maͤdchen auf die Saline zu. Kaum waren wir allein, als Thereschen mir der Laͤnge nach erzaͤhlte, daß ihr Vater unsers Um- gangs wegen boͤse waͤre: daß er sich hauptsaͤchlich an meiner Religion stieße, und daß, nach Wegraͤumung dieses Steins des Anstoßes, ihr Vater keinen An- stand nehmen wuͤrde, unsre Liebe ferner nicht zu stoͤh- ren: daß er mich fuͤr einen braven Menschen hielte, aus welchem noch was werden koͤnnte, u. s. w. Ich fing wieder an, Athem zu schoͤpfen. „Wenns wei- ter keinen Anstand hat, erwiederte ich, so wollen wir schon Rath schaffen. Die Religion liegt mir nicht sehr am Herzen; und um Dich zu erhalten, Engel Gottes! wollt ich wol einen Glauben anneh- men, bei welchem ich ewig verdammt werden koͤnn- te.“ — Ich beredete mich sofort mit meinem Maͤd- chen, und versprach ihr, die katholische Religion naͤher zu pruͤfen, und mich ganz von ihr und ihrem Vater leiten zu lassen. Manche Leser werden hier gewiß recht auf mich zuͤrnen; aber wer einmal wuͤrklich verliebt ist, wuͤrde gewiß alles thun, was ich that, wenn er auch viel weniger Leichtsinn besitzen sollte, als Mutter Natur mir mitgetheilt hat: — Kurz! recht seelenvergnuͤgt schieden wir von einander, und Therese versprach, mich in ihr Gebet einzuschließen, damit der liebe Gott meine Augen oͤffnen, und mir die Wahrheit recht sichtbar machen moͤchte. Sobald ich nach Hause kam, besuchte ich den katholischen Pfarrer Neuner , in Erbesbudesheim, den ich schon lange kannte, und der in ziemlich ver- trautem Umgange mit meinem Vater stand. Ich fing recht geflissentlich an, von der Religion zu spre- chen, und erinnere mich: daß unser Gespraͤch die Rechtmaͤßigkeit der lutherischen' und uͤberhaupt der protestantischen Geistlichen betraf. Herr Neuner setzte mir starke Gruͤnde entgegen, daß ich bald selbst gestehen mußte — und gern gestand ichs ja! — daß unsre lutherischen Geistlichen nicht gesetzlich geweiht und berufen waͤren; daß sie folglich nicht ordentlich und guͤltig konsekriren koͤnnten. Daher leitete er mehrere Folgen, und bewies mir augenscheinlich, daß die katholische Kirche einen unendlichen Vorzug vor allen andern Kirchen haͤtte. Das Ding gefiel mir unendlich, obs mir gleich nicht wenig auffiel: denn dergleichen hatte ich in meinem Leben noch nicht gehoͤrt. Ich ersuchte sogar den Hrn. Neuner , sich die Muͤhe nicht verdrießen zu lassen, mir mehrere Auskunft uͤber das eine und andre Stuͤck der Reli- gion zu geben: denn mir sei es wirklich darum zu thun, die Wahrheit zu erkennen, und hernach auch zu bekennen, wenn ich sie nur einsaͤhe. Herr Neuner borgte mir beim Abschied ein Buch, das den Titel hatte: Religio prudentum, seu sola fides catholica fides prudens , von einem gewissen Augspurger Jesuiten, Namens Neumeyer . Er versicherte mich, daß ich in diesem Buche die Haupt- beweise der katholischen und die Hauptwiderlegungen der unkatholischen kirchlichen Lehrsaͤtze finden wuͤrde. Herr Neuner haͤtte mir kein angemesseneres Buch geben koͤnnen. Neumeyer hat schoͤn latein und so verfuͤhrerisch geschrieben, daß auch ein Mensch ohne Interesse haͤtte irre dabei werden koͤnnen. Ich hatte niemals viel von theologischen Kontroversien gehoͤrt, und verstand die Lehren meiner eignen Secte nur so obenhin. Da uͤberdies mein Vater sehr tole- rant war; so hatte er mir auch keinen Haß gegen an- dre Kirchensysteme eingefloͤßt. Auf diese Art war also meine Seele des Eindrucks recht empfaͤnglich, welchen die Vorstellung von der Guͤte des Glaubens meiner Geliebten auf sie erregte. Kaum hatte ich demnach die Religio prudentum durchgelesen; so bekannte ich mir selbst, daß das katholische Kirchen- system besser, als das Meinige waͤre, und wurde recht ernstlich boͤse auf die Reformatoren, welche den unseligen Kirchenspalt bewirkt hatten, der mir jetzt mein ganzes Gluͤck zu rauben drohte. Mit aller Freude besuchte ich nun meinen lieben Neuner — denn damals schien er mir mein bester Freund zu seyn — und entdeckte ihm ohne Umschwei- fe, daß die Religio prudentum mich auf ganz an- dere Gedanken gebracht haͤtte: daß ich gestehen muͤß- te, die katholische Kirche habe recht, unsre hingegen unrecht. — Neuner laͤchelte mit proselytensuͤchti- ger Zufriedenheit; aber da er ein Jesuiterschuͤler war, so konnte er mit einem so raschen Bekenntniß nicht zufrieden seyn. Er muthmaßete ein Nebeninteresse von meiner Seite, und fragte mich geradezu: ob ich reine Absichten bei meiner vorhabenden Bekeh- rung haͤtte? — Ich stutzte: doch antwortete ich ihm: daß mir nichts naͤher am Herzen laͤge, als die Wahrheit. Darauf erklaͤrte er mir den Ausspruch Christi: wer Vater oder Mutter mehr liebt, als mich, der ist mein nicht werth. Er stellte mir bei der Auslegung dieser Stelle vor, daß ich bei dem Be- kenntniß der Wahrheit auf meine Eltern keine Ruͤck- sicht nehmen duͤrfte: daß der liebe Gott ein solches Opfer fuͤr sehr verdienstlich ansaͤhe, und folglich ge- wiß auch fuͤr mich sorgen wuͤrde, u. d. gl. Diese Rede des Hrn. Pastors erbaute mich gar sehr, und ich schied zufrieden von dannen. Inzwischen besuchte ich wieder einmal den alten Amtmann, und fand seine Gesinnungen gegen mich besser, als das letztemal. Ich erzaͤhlte ihm, daß ich jetzt die Religio prudentum studierte, und beinahe von der Wahrheit der katholischen Religion uͤberzeugt waͤre. Er fiel mir ins Wort, und sagte, daß er um mein gutes Geschaͤfte schon wuͤßte, und zwar durch den Capuziner, Pater Hermenegild von Alzey , der es vom Pfarrer Neuner gehoͤrt haͤtte. Uebrigens duͤrfte ich nicht fuͤrchten, verrathen zu werden, indem niemanden die Sache bekannt waͤre, der Vortheil davon haben koͤnnte, sie auszuschwaz- zen. Er versicherte mich endlich, wenn ich der Wahrheit getreu bleiben, und dieselbe oͤffentlich be- kennen wuͤrde, daß man bereit waͤre, mich auf der Universitaͤt zu Heidelberg etwas rechts lernen zu las- sen und mir mit der Zeit auch eine Versorgung zu verschaffen: und so wuͤrde schon alles gut werden. Dieses zuͤndete wieder neue Hoffnung in meiner Seele an, und der Himmel hing mir voll Geigen, wie man in der Pfalz zu sprechen pflegt. — Ich durfte seit dieser Zeit mit meinem Maͤdchen unter den Augen des Vaters vertraut umgehen, durfte sie her- zen und kuͤssen, ohne daß er uns je etwas anders ge- sagt haͤtte, als: Leutchen, macht, daß ihr nicht in wuͤste (schaͤndliche) Maͤuler kommt! — Noch dank' ich es dem guten Schicksal — denn meinen Grund- saͤtzen habe ich es wahrlich nicht zu danken — daß unser Umgang nicht in eine allzu große und schaͤdliche Vertraulichkeit ausgeartet ist. Gelegenheit war uͤber- fluͤßig da; aber so ausschweifend ich auch sonst schon bei andern gefaͤlligen Maͤdchen gewesen war, so fiel mir doch niemals der Gedanke ein, etwas mit meiner lieben Therese vorzunehmen, das wider die Ehr- barkeit gestritten haͤtte. So viel vermag ein be- stimmter, ehrbarer Gegenstand der Liebe, auch bei verwoͤhnten feurigen Juͤnglingen! — Dem Pastor Neuner und hernach dem Pater Hermenegild versprach ich, nicht auf eine prote- stantische Universitaͤt zu gehen, sondern katholisch zu werden, und ohne weitere Ruͤcksicht auf meinen Va- ter, mit Unterstuͤtzung einiger angesehener, reicher und eifriger Katholiken in Heidelberg die Rechtsge- lehrsamkeit zu studieren. Ob das Ding so haͤtte koͤn- nen ausgefuͤhrt werden, uͤberlegte ich damals nicht hinlaͤnglich: mir schien es moͤglich, und wenn ich es noch jetzt uͤberlege; so finde ich keinen Widerspruch. Mein Vater, dem im Herzen alle Kirchensysteme, als solche, gleich waren, wuͤrde sich wieder, wenn der Schritt einmal geschehen waͤre, mit mir ausge- soͤhnt haben: eine Versorgung haͤtte mir auch nicht entgehen koͤnnen, da ich ein Neubekehrter gewesen waͤre, welches in der Pfalz von jeher eine große Em- pfehlung gewesen ist, und es leider noch ist. The- reschen waͤre mir am wenigsten entgangen. — Doch es hat nicht seyn sollen: mein Schicksal hatte es an- ders mit mir beschlossen. Achtes Kapitel. Schon wieder ein Pfaffenstreich! – und dann ein Strich durch meine Rechnung. M ein Vater merkte bald, daß ein Liebesverstaͤnd- niß zwischen mir und der Mamsel Therese....auf dem Tapete war; aber er hielt das Ding fuͤr eine Kinderei, die ihn nichts anginge, und die er also nicht zu stoͤren noͤthig haͤtte. Es wuͤrde sich schon alles von selbst geben, dachte er, wenn ich auf Ostern die Akademie bezoͤge. Zu dieser toleranten Gesinnung meines Vaters trug das regelmaͤßige und ordentliche Betragen nicht wenig bei, welches ich seit dem Anfange meiner neu- ern Liebschaft annahm. Ich ließ alle meine ehemali- gen schlechtern Bekanntschaften fahren, war, wenn ich nicht in....oder zu Buͤdesheim war, bestaͤn- dig zu Hause, und studirte besonders fleißig den Quintilian und den Plutarch, meines Vaters erste Lieblinge. Ausserdem hatte ich mich bei ihm durch eine lateinische Elegie in starken Kredit gesetzt, welche ich auf den tragischen Tod der Tochter des Hofpre- digers, Herrenschneider , gemacht hatte, und die man als ein Meisterstuͤck — so schlecht sie sonst wohl seyn mochte — bewunderte. — Meine Leser moͤgen es nicht uͤbel nehmen, wenn ich ihnen die Veranlassung zu dieser Elegie erzaͤhle: sie ist einzig in ihrer Art, und giebt zu manchen Anmerkungen Stoff an die Hand. Der Hofprediger Herrenschneider , dessen ich oben schon gedacht habe, hatte den Grehweileri- schen Pfarrer Valentin zu Muͤnster bei Kreuznach beleidiget, und dieser ihm aus Rachsucht einen toͤdt- lichen Haß geschworen. Der Hofprediger wohnte so, daß man aus dem Schloßgarten gerade durch ein Fenster in seine Wohnstube sehen konnte. Das wußte Meister Valentin , welcher ehemals in Grehweiler Hofkaplan gewesen war. Um nun seine Sache aus- zufuͤhren, begab er sich an einem Winterabend in den Schloßgarten, und schoß eine Flinte mit gehacktem Blei durch das gedachte Fenster ab, als der Hofpre- diger mit seinen Kindern zu Tische saß. Seine zweite Tochter, ein Maͤdchen von eilf oder zwoͤlf Jahren wurde von einem Stuͤck Blei ins Herz getroffen, und starb auf der Stelle: der Hofprediger selbst wurde nur an der Schulter beschaͤdiget. Diese Begebenheit erregte in der dortigen wei- ten Gegend fuͤrchterliches Laͤrmen; aber den wahren Thaͤter errieth niemand. Das ganze Publikum fiel auf den Rheingrafen, welcher den Hofprediger da- mals schlangenartig verfolgte. Valentin verrieth sich aber selbst: auf dem Nachhauseweg ging er zu Kalkofen in eine Schenke. Es war um Mitternacht, und also schon verdaͤchtig. Hiezu kam, daß er einige Tage vor der grausamen That Blei und Pulver in Kreuznach hatte holen lassen, und mehrmalen dem Hofprediger den Tod geschworen hatte. Auf diese und mehr andere Anzeigen ließ ihn die Obrigkeit einziehen; allein er kam dem Richter dadurch zuvor, daß er selbst sein Leben mit Gift unterbrach, welches er zu diesem Gebrauch vielleicht schon lange bei sich gefuͤhrt hatte. Er starb in schrecklichen Konvulsionen, und gestand demohngeachtet, daß er sich freuete, daß ihm seine Rache an dem Schurken, dem Hofprediger Herrenschneider, gelungen waͤre. So italiaͤnisch- unversoͤhnlich haßte dieser Mann Gottes in Deutsch- land! — Er mußte uͤber vier Wochen uͤber der Erde liegen bleiben, weil die pfaͤlzische Justiz ihren gewoͤhn- lichen Schneckengang auch hierbei ging: endlich ver- dammte ihn die Kammer zu Wezlar, nebst zwei Universitaͤten, zu einem Begraͤbniß unter — dem Galgen!! Der Hofprediger verließ bald darauf Grehweiler, ward Pfarrer zu Rappoltsweiler im Elsaß, und hernach zu Strasburg. — Jezt wieder zu meiner eignen Ge- schichte! Also, wie gesagt, mein Vater hinderte meine Liebschaft nicht: er ging sogar so weit, daß er mir von Landau, wohin er wegen seiner Alchymie gereiset war, ein Paar seidene Pariser Frauenzimmer-Hand- schuh mitbrachte, und sie mir mit den Worten uͤber- reichte: „da hast'e was vor (fuͤr) dein Mensch!“ Die Sprache in der Pfalz ist, wie meine Leser hier sehen, eben nicht delikat: eine Geliebte heißt da, auch unter den Honoratorien – Mensch ; der Liebhaber — Borsch (Bursche). . Aber die Freude dauerte nicht lange: mein Va- ter entdeckte meinen Briefwechsel, und sahe da zu seinem Erstaunen, daß meine Liebschaft die Veraͤn- derung der Religion zum Mittelzweck hatte. Ich war naͤmlich unvorsichtig genug gewesen, den ersten Aufsatz meiner Briefe an Herr Neuner nnd Pater Hermenegild nicht zu zernichten. Einer dersel- ben fiel meinem Vater in die Haͤnde, und bewog ihn, mein Schraͤnkchen naͤher zu durchsuchen. Er fand also die ganze Geschichte mit allen ihren Urkun- den und Belegen. Daß er jetzt nicht ganz gleichguͤltig geblieben sey, errathen meine Leser ohne mein Erin- nern: er verbarg aber seinen Unwillen, und ließ alle Briefe, wie er sie gefunden hatte. Ich war am selbigem Tage in Flonheim bei dem Vikarius Grim Es ist eben der Grim , der hernach Rektor zu Alzey ward, und sich zum Professor bei D. Bahrdt ange- boten hat. Man lese die Beitraͤge zu D. Bahrdts Le- bensgeschichte. S. 120. , und kam erst spaͤt nach Hause. Meine Tante nahm mich gleich auf die Seite und steckte mir, daß der Vater meine Schreibereien untersucht haͤtte. Ich erschrack nicht wenig, lief an mein Schraͤnkchen, fand aber alles in der gewoͤhnli- chen Lage, und war zufrieden. Nach dem Abend- essen warf mein Vater die Frage auf: ob der Chur- fuͤrst von Sachsen recht gethan haͤtte, daß er um die Polnische Krone zu erhalten, katholisch geworden waͤre? — Es wurde uͤber diese Frage viel hin und her gesprochen; doch ohne sich etwas merken zu las- sen, was eigentlich zur Sache gehoͤrt haͤtte. Den andern Tag nahm er mich mit nach Stein- bockenheim zum Pfarrer Dietsch . Erst auf dem Ruͤckwege nach Hause machte er mich auf mein Vor- haben aufmerksam, und zeigte mir das Vernunftwi- drige, worein ich verfallen wuͤrde, wenn ich die ge- ringere Thorheit des Lutherthums gegen die groͤßere des Pabstthums vertauschen wollte. Ueberdem gab er mir nicht undeutlich zu verstehen: daß ich meine Ab- sicht ohnehin nicht erreichen wuͤrde, wenn ich auch mei- nen Sectennamen oder meine Confession veraͤnderte. Die Leser koͤnnen sich schon einbilden, was mein Vater als Vater, als lutherischer Prediger und als Pantheist hier weiter sagen konnte und mußte: ich uͤbergehe also das Ausfuͤhrliche seines Gespraͤchs. Schimpfen und Schelten fiel indeß nicht vor. Ich mußte ihm nur versprechen, mein Vorhaben aufzu- geben: und dabei schien er sich zu beruhigen. — Zu Hause wurde weiter nichts davon erwaͤhnt, und selbst meine Mutter war wenig von der Sache unterrichtet, weil er sie nicht kraͤnken wollte. Nach Verlauf von drei Wochen kuͤndigte mir endlich mein Vater an, daß ich mich anschicken sollte, in einigen Tagen eine Universitaͤt zu beziehen: „hier, sagte er, „wird aus dir nichts, hier verdirbst du an Leib und Seele, und aͤrgerst mich noch zu Tode!“ — Ich stellte ihm vor, daß noch lange nicht Ostern waͤ- ren, daß es Aufsehn erregen wuͤrde, ausser der An- trittszeit sich zur Universitaͤt zu begeben, u. s. w. Aber alle meine Vorstellungen waren vergebens: es blieb bei seinem Entschluß: kaum konnte ich noch acht Tage Aufschub erhalten, um von meinen naͤchsten Bekannten Abschied zu nehmen; – meine Therese sollt' ich durchaus nicht weiter besuchen. — Das that mir freilich sehr wehe; aber die Erwartung der Dinge, welche ich nun bald auf der Universitaͤt erle- ben sollte, milderte meinen Schmerz, erheiterte meine Mine. Mein Vater wollte mich selbst nach Gießen — denn dahin sollte ich — begleiten, damit ich unter- wegs keine dummen Haͤndel vornehmen moͤchte. Trotz aller dieser Strenge schrieb ich aber doch einige Tage vor meinem Abzug noch an meine Therese, und erhielt eine recht zaͤrtliche Antwort. Von Frankfurt am Main hab ich noch einmal an sie geschrieben. Unterwegs gab mir mein Vater viele vortreffli- che Lehren; und ich wuͤrde gut gefahren seyn, wenn ich sie befolgt haͤtte: aber leider schon in Frankfurt vernachlaͤssigte ich eine seiner Hauptvorschriften. In dieser Stadt diente ein Barbiergeselle aus meiner Gegend, den ich aufsuchte, weil mir seine Anver- wanten einen Auftrag an ihn gegeben hatten. Der Mensch war froh, daß er mich sah, und both sich an, mich auf den Abend in die Komoͤdie zu fuͤhren. Mein Vater erlaubte es. Da ich dergleichen schon mehr gesehen hatte, und ohnedies ein sehr bekanntes Stuͤck gegeben wurde; so bath ich meinen Fuͤhrer, mir lieber sonst etwas Merkwuͤrdiges in dieser schoͤnen Stadt zu zeigen. Um meinen Vater hernach zu be- ruhigen, verabredeten wir, ihm zu sagen, daß wir in der Komoͤdie gewesen waͤren. Gesagt, gethan! Mein Landsmann nahm mich mit, und fuͤhrte mich — ins Bordell, zur Madame Agricola . In mei- nem Leben war ich noch in keinem Hause gewesen, welches der Venus geweiht war: ich erstaunte also nicht wenig, als ich die zuͤgelloseste Wollust sich hier in ihrer abscheulichsten Reizbarkeit entwickeln sah. Mein Kamerad machte sich mit den Maͤdchen viel zu schaffen; mich aber hinderte meine Bloͤtigkeit, zu machen, wie man vielleicht erwartet. Ohngefaͤhr um eilf Uhr verließen wir dieses luͤ- sterne Haus Zu Frankfurt am Main sind viele Bordelle; aber keins ist oͤffentlich privilegirt. Der Magistrat schickt eben darum zuweilen die Haͤscher hin, welche visitiren, und die Maͤdchen wegbringen muͤssen: die Visitationen bleiben aber ohne Folgen, die zweibeinigen ausgenom- men: denn wie Juvenal sagt: – – Quis custodiet ipsos Custodes? – . Ich machte meinem Vater eine Beschreibung von dem Schauspiel, das ich wollte gesehen haben, und er war zufrieden. Des andern Tages besuchte er einen Freund, der ihn zum Abend- essen dabehielt. Nun konnte ich wieder ausgehen, und meine Leser errathen schon, daß mein Gang zur Madam Agricola gegangen ist. Ich war jetzt drei- ster: mein Begleiter war nicht bei mir. Ich blieb bis nach Mitternacht, und verzehrte uͤber eine Karo- line von dem Gelde, das mir meine Mutter und einer meiner Verwandten zur Universitaͤt geschenkt hatten. Ich Thor wußte noch nicht, wie sauer Geld erworben wird! Die Maͤdchen waren fuͤrchterlich aufgeraͤumt, und kirrten mich so zuckersuͤß heran, daß ich ihnen Wein, Chokelade, Gebacknes u. d. gl. bringen ließ. Cetera non curat praetor. Mein Vater war ungehalten auf mich, daß ich so lange ausblieb; aber ich wußte ihm so viel vorzunebeln, daß er sich endlich zufrieden gab. Neuntes Kapitel. So elend fand ich die Gießer Universitaͤt. I n einem Tage reiseten wir von Frankfurt nach Gießen, welches ohngefaͤhr zwoͤlf starke Stunden da- Erster Theil. E von liegt. — Mein Vater uͤberließ es unterwegs meiner Wahl, ob ich Jura oder Theologie studiren wollte; er stellte mir aber auch vor, daß ich in der Pfalz als Jurist keine Versorgung, oder doch nur sehr schwerlich zu erwarten haͤtte. Er fuͤgte hinzu, daß P otestanten wegen ihrer Religion wenig An- spruͤche auf kurfuͤrstliche Bedienungen machen duͤrften. Er rieth mir also zur Theologie, ob er gleich im Her- zen die meisten Saͤtze des Kompendiums fuͤr Erdich- tungen oder erzwungene Lehrvorschriften hielt. Ich versprach demnach, Theologie zu studiren; aber im Ernst hatte ich das nicht im Sinne. Ich wollte naͤmlich noch sehen, wie es mit meinem Maͤdchen und ihrem Anhang werden wuͤrde. In Beiseyn meines Vaters versprach ich zwar hoch und theuer, an Theresen nicht mehr zu denken, und noch weniger an sie zu schreiben; aber mein Herz hing noch fest an ihr, so fest naͤmlich, als es fuͤr das Herz eines aͤus- serst leichtsinnigen und unerfahrnen jungen Menschen moͤglich ist: — und noch hatte ich keine andre Vorstel- lung von Gluͤck, als von dem in ihrem Besitz. Ich wollte also, wie schon gesagt ist, zusehen, wie es noch werden wuͤrde. In Gießen ließ ich mich inmatrikuliren, und meinen Hut nach der neuesten Mode zustutzen. So- dann suchte ich mir auf dem Lektions-Katalog einige Collegien aus, praͤnumerirte sie, kaufte die Kompen- dien, stattete meinen Besuch auf den Doͤrfern ab, und verschafte mir einen neuen blauen Flausch mit rothen Kragen und Aufschlaͤgen. Mein Vater blieb nicht lange: er gab mir noch gute Lehren in Menge, und reisete zu Hause. Hier muß ich dem Leser eine Beschreibung von der Gießer Universitaͤt liefern, wie diese damals war, als ich dahin kam. Ich wuͤnschte, daß diese Be- schreibung weder langweilig noch laͤppisch scheinen moͤchte. Aber bei der Beschreibung einer Universitaͤt muß doch nothwendig manches Laͤppische mit vorkom- men, wenn sie anders die noͤthige Vollstaͤndigkeit ha- ben soll. — Gießen selbst ist ein elendes Nest, worin auch nicht eine schoͤne Straße, beinahe kein einziges schoͤnes Gebaͤude hervorragt, wenn man das Zeug- haus und das Universitaͤts-Gebaͤude ausnimmt. Es fuͤhrt den Namen einer Festung; die aber unter allen Festungen, welche ich je gesehen habe, die elendeste ist. Zudem wird sie von einem Berge kommandirt, von woher man sie recht gut beschießen kann. Es steht ein Regiment Soldaten darin, das aber gar nicht stark ist, und nur, wenn ich nicht sehr irre, sechs Kompagnien zaͤhlt. Das Regiment ist das Darmstaͤdtische Kreisregiment, und muß zu der Reichsarmee stoßen, wenn dieses Heldenkorps zu Felde zieht. Bei Rosbach sind die Darmstaͤdter recht exemplarisch gelaufen! Die Officiere des Regiments haben meistens von der Muskete an gedient, und sind endlich zu Chargen gelangt, aus keinem andern Grunde, als weil sie lange gedient hatten. Ihre Lebensart ist eben nicht die beste. Außer Dienst sitzen sie auf den Dorfschenken, auf dem Schießhaus, bei Eberhard Busch oder sonst in einer Kneipe, machen mit Gnoten oder Philistern So werden die Buͤrger auf den Universitaͤten von den Studenten genannt. und mit Studenten Bruͤderschaft, und spielen Tarock, sechs Marken zu einem Pfennig. Sehr wenige dieser Herren sind von Adel. Unter den Soldaten giebt es sehr viel alte Invaliden: sonst sind sie lauter Landeskinder. Unter den Buͤrgern giebt es mehrere wohlha- bende; uͤberhaupt aber ist Gießen kein Ort, wo es viel Reiche giebt. Die Ursache liegt wohl darin, daß die Stadt wenig Verkehr, und gar keine Manufak- turen hat. Ob sie dergleichen nicht haben koͤnnte, ist eine andre Frage; aber daran denkt man vielleicht nicht. Die Stadt liegt wenigstens auf einem guten Boden, und an einem ziemlich schiffbaren Fluß — doch das geht mich nichts an! Die Universitaͤt hatte zu meiner Zeit sechszehn besoldete und etwa drei unbesoldete oder außerordent- dentliche Lehrer. Herr D. Bahrdt hat einige dieser Herren in seiner Lebensbeschreibung die Revuͤe passi- ren lassen: ich habe in meinen Beitraͤgen und Berichtungen zu dieser Schrift einiges hinzuge- fuͤgt: daruͤber hat Herr Schmid ein klaͤgliches Ge- schrei erhoben, und fuͤr gut befunden, mich in der 153ten N des Intelligenzblatts der Litteratur - zeitung von 1791, zu befehden. Ich kann nun nicht umhin, die Gießer Herren abermals zu beschrei- ben, gerade so, wie ich sie gefunden habe. Viel- leicht sehen unpartheiische Leser, daß Herr Schmid mit seiner Apologie mein Vorgehen noch nicht ganz vernichtet hat. — Herr Koch mag den Anfang machen. Koch ist ein Jurist von Ansehen und nicht ge- meinen Kenntnissen, wenn man ihm naͤmlich und seinen Schuͤlern glauben will. Ich habe wohl wenig Maͤnner gesehen, die die Kunst verstanden, ihre Kenntnisse so geltend zu machen, als dieser Herr Kanzler. Sein Ton ist im Kollegium und im ge- meinen Gespraͤch so diktatorisch, so zuversichtlich, daß es scheint, er habe, gleich dem Vicegott zu Rom, alle Weisheit allein, und befinde sich im Besitz, im ausschließenden Besitz der ganzen juristischen Gelehr- samkeit. Es giebt aber andre Gelehrte, die ihm die- sen Vorzug nicht lassen wollen. Herr Schott in Leipzig will in den Kochischen Schriften nichts als oberflaͤchliche Kenntnisse, und schales Raͤsonnement gefunden haben. Kochs Latein soll vollends gar nichts taugen: man soll sogar in seinem Jus crimi- nale grammatikalische Schnitzer finden. Dieses Buch hat, wie ein großer Jurist urtheilt, ich meyne den Herrn Professor Woltaͤr in Halle, mehr Gluͤck gehabt, als es verdient. Dafuͤr ist es aber jetzt aller Orten abgeschafft, und wird nur noch in Gießen von Herrn Koch zum Leitfaden seiner eignen Vorlesungen gebraucht, vielleicht auch noch auf jenen Universitaͤten, wo man noch an Hexen glaubt, oder Ketzereien fuͤr ein Hauptverbrechen ausgiebt: denn dieses lustige Buch enthaͤlt einen Artikel de Magia, und einen — de Haeresi. Wenn es wahr waͤre, was Herr Schmid in seiner Apologie gegen mich anfuͤhrt, daß Koch ein großer Verehrer des großen Leysers sey; so muͤßte er gewiß auch von diesem sehr vernuͤnftigen Juristen gelernt haben, uͤber K. Carl V. Halsgerichts - ordnung vernuͤnftig zu urtheilen: aber aus dem criminale des Herrn Koch erhellet gerade das Ge- gentheil. Leyser urtheilte von dieser Compilation sehr unvortheilhaft; Koch aber, Duce Kress, macht sie zum Repertorium aller kriminalischen Ein- sicht. Indessen mag ich doch nicht leugnen, daß Herr Koch den Leyser gelesen hat: Leyser ist ein herrliches Huͤlfsmittel zu Vorlesungen uͤber die Pan- dekten des seel. Boͤhmers : auch zu Hellfelds Pandekten giebt er Stoff genug her, so reichlich, daß man eben nicht noͤthig hat, die alten ohnehin so schwerfaͤllig g e schriebenen Schmoͤcher nachzuschlagen, und sich bei ihnen den Kopf zu zerbrechen. Wie stolz uͤbrigens Herr Koch auf seine Kan- zlerwuͤrde halte, erhellet daraus, daß er auch im Franzoͤsischen den Titel Excellence fordert. Herr Chastel , franzoͤsischer Sprachmeister zu Gießen, de- dicirte ihm im Jahr 1778. eine Sammlung prosai- scher Aufsaͤtze zum Gebrauch der Anfaͤnger. In der Dedikation hieß es: dediè très humblement à Monsieur Koch u. s. w. Herr Koch nahm diesen Titel schroͤklich uͤbel, und Herr Chastel mußte, um ihn zu befriedigen, hinzusetzen: à son Excel- lence, Monsieur Koch . Jeder Kenner der fran- zoͤsischen Sprache, der den Gebrauch des Wortes Excellence im Franzoͤsischen wußte — in Deutsch- land kann ihn niemand fuͤhren, nach Richelet und de la Laine , als wer auch den Titel Monsei- gneur fuͤhren kann — lachte freilich uͤber die laͤppi- sche Titulatur; aber der Herr Kanzler Koch hieß doch einmal son Excellence Monsieur Koch, und damit war es gut. In Gießen fuͤrchtet sich jederman vor dem Herrn Koch : was Er auf dem akademischen Se- nate spricht, muß gelten, und wenn Rector und alle Professoren andrer Meinung waͤren. Wer da- her den Herrn Koch zum Freunde hat, darf thun, was er will: kein Haar darf ihm gekruͤmmt werden. Er ist eben darum fuͤrchterlich stolz, gebietherisch nnd grob gegen die Studenten, welche er, wenigstens zu meiner Zeit, wie Schulknaben behandelte. Dabei macht er ein Gesicht — wie ein fuͤrstlicher Befehl. Eben so despotisch verfaͤhrt er in seinem Hause. Zu meiner Zeit bewohnte es sein Schwager, ein alter Kandidat der Rechte, Herr Rolle, dem es aber stark an der secunda Petri An der Beurtheilungskraft . Dies Sprichwort kommt daher, daß Petrus Ramus im zweiten Theil seiner Logik De ludicio handelt. fehlte. Dieser Mann durfte nicht mit an seinem Tische essen, obgleich Herr Koch sein ganzes Vermoͤgen in Haͤnden hatte. Freund Rolle hat nicht selten uͤber die Haͤrte und den uͤbertriebnen Stolz seines Herrn Schwa- gers geklagt. Mit den uͤbrigen Professoren hat Herr Koch wenig Umgang. Die Juristen sind ihm besonders ein Dorn im Auge, so bald sie etwas mehr verstehen, als Heineccii Institutionen. Der Regierungsrath Hoͤpfner lehrte zu meiner Zeit mit vielem Beifall die Rechte in Gießen. Er war ein Mann, der nicht nur den Leyser, sondern auch jene aͤltern Re- stauratoren der Juristerei, einen Alciatus , Au - gustinus und Cujacius fleißig studirt hatte — der in der alten Litteratur zu Hause war, und aͤchtes Latein schrieb. Das war hinlaͤnglich, daß Herr Koch den guten Herrn Hoͤpfner fuͤrchterlich haßte und neckte. Herr Hoͤpfner nahm hernach eine Stelle in Darmstadt an, blos um aus Kochs Collegenschaft zu kommen. Ich habe in meinen Beitraͤgen S. 49. gesagt, Herr Kanzler Koch sey zu Bahrdts Zeiten ein großer Zotenreißer gewesen: und Herr Schmid hat sich daruͤber sehr aufgehalten. Allein jeder Gießer weis ja, wie Herr Koch sogar in Gegenwart der Frauenzimmer loszieht. Auf der Doktorpromotion des Herrn Lobsteins , der jetzt Professor in Stras- burg ist, riß Freund Koch vor der Frau Doktorin solche Zoten, daß diese aufstand und fortgieng. Herr Koch entschuldigte sich ganz kurz mit dem bekannten Weidspruch: naturalia non funt turpia! Uebri- gens habe ich nicht selten gefunden, daß viele sonst angesehene große Gelehrte auch große Zotenreißer waren — welches doch wol Herr Schmid nicht leugnen wird? Ich komme nun auf einen Punkt von mehrerer Wichtigkeit. In den erwaͤhnten Beitraͤgen steht S. 20. Herr Koch habe in Jena eine Tochter ge- habt, welche Hannchen geheißen, und im Jahr 1775 nach Gießen gekommen sey. Da habe ihr Va- ter sie schlecht aufgenommen, und ihr gedroht, er wolle sie durch den Rathsdiener, sonst Haͤscher, Neeb Ich hatte Nepp geschrieben, weil ich die Orthographie der Haͤschernamen nicht so gut studirt habe, als Herr Schmid. , zum Thor hinaus bringen lassen. Herr Schmid widerlegt meine Angabe mit ermuͤdender Weitschweifigkeit; laͤßt sich aber auf die Hauptsache gar nicht ein, wie ich sogleich beweisen will. Zum voraus muß ich erinnern, daß ich von der Jenaischen Historie des Hrn. Kochs nichts aus eigner Erfahrung sagen kann. Ich habe das alles vom Hoͤ- rensagen: denn vor dem Herbst 1776 habe ich Jena nicht besucht; aber 1775 habe ich wirklich ein Maͤd- chen in Gießen gesehen, auch in Lollar bei dem Wirth Menges , linker Hand, wenn man ins Dorf kommt, das sich fuͤr Herrn Kochs Tochter aus Jena ausgab, und ihre Entstehungsgeschichte so erzaͤhlte, wie ich sie erzaͤhlt habe. Ich habe auch gleich damals den ganzen Hergang dem noch in Gießen lebenden Hrn. Prof. Koͤster entdeckt, der mir aber rieth, ihn als eine skandaloͤse Geschichte zu unterdruͤcken. Allein diesen Rath befolgte ich aus natuͤrlichem Leichtsinn und auch deswegen nicht, weil ich damals der Meinung war: Hobbesische Inquisitoren verdienten keine Scho- nung. — Auch sprach man schon vorher merklich laut von Kochs Hannchen aus Jena . Das Ding war also gar kein Geheimniß. Soll ich mich auch noch auf Andere berufen? Allerdings! aber auf welche? Auf Leute, welche da- mals in Gießen studirt, und jetzt in Darmstaͤdtischen Aemter haben? — Die werden mir den Henker thun, und Zeugniß ablegen in einer Sache, wie diese ist! Aber es sind doch noch Leute in der Welt, welche Jungfer Hannchen gekannt haben, und zur Steuer der Wahrheit meine Behauptung unterstuͤtzen koͤnnen. Diese Leute sind Herr Henrici von Kusel, Herr Hahn von Stutgard, Herr Luk aus dem Erbachi- schen, Herr Schmid , Doktor der Medicin in Saar- bruͤck, und Herr Muͤller von Zweybruͤck: — alle diese sind Auslaͤnder, alle haben damals in Gießen studirt, haben das huͤbsche Hannchen so gut gekannt als ich — und koͤnnen, wenns seyn muß, meine Aussage durch ihr Zeugniß bestaͤtigen. Kann Herr Schmid mehr verlangen? Aber der Haͤscher Neeb weis von Hannchen nichts, spricht Herr Schmid. Wie elend dies Argu- ment sey, faͤllt in die Augen. Ich habe ja auch nicht gesagt, Meister Neeb habe sie wirklich zum Thor hinaus geschmissen, sondern nur: daß Herr Koch dem armen Hannchen gedroht habe: er wolle sie, wenn sie sich nicht selbst gutwillig abfuͤhrte, durch Meister Neeb hinaus schmeißen laßen! Uebrigens hat Herr Schmid in seiner Apologie nicht geleugnet, daß Herr Koch so ein Hannchen in Jena gehabt habe. Ich will also auch diesen Punkt nicht weiter beweisen, so leicht es mir sonst, seyn wuͤrde. Die andere Anekdote, welche Herr Schmid angreift, betrift die Absetzung des Rectors Ouvrier . Diese soll nicht Koch, sondern der damalige Praͤsi- dent von Moser bewirkt haben. Gesetzt, das waͤre so; warum versprach denn Herr Koch den Stu- denten Genugthuung? warum sagte er zu Koch aus dem Usingischen, und zu Boly von Muͤmpelgard, sie sollten Genugthuung haben , und wenn auch der hoͤllische Satan Rektor waͤre ? Warum sagte er oͤffentlich: „ohne mich kann „der Rektor nichts thun! thut ers doch; so solls „der Rektor nichts thun! thut ers doch; so solls „ihm klaͤglich gehen: er pfeift so schon auf dem letz- „ten Loche?“ — Sonst soll, nach Herr Schmids Angabe, der Schwiegervater des Rektors, Herr Miltenberg in Darmstadt, Kochs großer Freund und was weis ich noch mehr gewesen seyn; das ist aber, mit Herr Schmids gnaͤdiger Erlaubniß — nicht wahr: die waren wie canis et anguis! Aber ich befuͤrchte, meine Leser zu ermuͤden: sonst wuͤrde ich meine Bemerkungen uͤber Herrn Koch und sein Wesen fortsetzen koͤnnen. Indessen werde ich des Herrn Kanzlers im Verlauf dieser Geschichte noch oͤfter gedenken. Zehntes Kapitel. Schlechtere Professoren gab es wohl nirgends! H err Schmid mag nun vorruͤcken! Er war vor- her Professor in Leipzig, und wurde nach Gießen berufen — durch welchen Canal? weiß ich nicht. Er ist eigentlich von Profession ein Jurist; hat aber auch die schoͤnen Wissenschaften begruͤßt, und daher ein sehr feines Weibchen geheirathet — die Schwester des Professors Schulz . Herr Schmid hat das mit Herrn Koch gemein, daß er sich fuͤr einen Matador unter den deutschen Gelehrten haͤlt. Was Wunder, daß er sich in alle Wissenschaften gemischt; aber auch von den Recensen- ten derbe Hiebe bekommen hat — nach dem Sprich- wort: lascivienti ferula puero! Er ist auch der Redacteur des Leipziger Musenalmanachs, des fade- sten Zeugs der ganzen poetischen Leserei, gewesen, welcher eben seinem Geschmack wenig Ehre gemacht hat. Ich erinnere mich, daß Herr Deinet in Frankfurt der dortigen gelehrten Zeitung einst ein Epigram einverleibte, aus welchem ich einige Verse zur Curiositaͤt behalten habe. Hier sind sie: Herr Schmid in Gießen bestach die Diener der trefflichsten Dichter: Gebt mir, so sprach unser Schmid zu Leuten von diesem Gelichter, Was eure Herren insgesammt Zur Straf auf heimliche Gemaͤcher verdammt! Die Schurken ließen sich bestechen – – – Hier sind mir einige Zeilen entfallen. Und so entstund denn nach und nach Der Leipziger Musenalmanach. In Gießen hieß man ihn, als ich mich da auf- hielt, den Reimenschmid, nach Aehnlichkeit des Hef- tenschmids in Jena: Wuͤrklich war auch nichts trau- riger, als Herrn Schmids Gedichte. Seine Trink- lieder klangen, wie seine Trauergedichte, erbaͤrm- lich, — alles nach der Melodie: ich liebte nur Is- menen. Er verfertigte einmal ein Gedicht auf die Vermaͤhlung des Erbpbinzen von Darmstadt fuͤr die Handwerker in Gießen: das Ding war so tiefsinnig gelehrt, daß es kein Mensch verstehen konnte. Zu meiner Zeit las Herr Schmid folgende Col- legia, und zwar alle publice, damit er nur Zuhoͤ- rer bekam: uͤber Heineccii fundamenta stili — uͤber Peter Muͤllers Buͤcherkenntniß — uͤber Ovidii fastos Bei diesem Buche hat sich Herr Schmid oft geschnitten. Klaͤglicher hat wohl noch kein Docent einen alten Schriftsteller erklaͤrt. uͤber Gatterers Universalhistorie — uͤber Sulzers Encyklopaͤdie. Nicht selten verließen ihn seine Gratis Zuhoͤrer mitten im halben Jahr: und er hatte sodann Muße genug, Leipziger Musenalma- nache zusammen zu tragen. Wenn ich gern skandaloͤse Histoͤrchen auftischte; so sollte es mir leicht seyn, eine dergleichen von Herrn Schmids Frau Gemahlin anzubringen. Aber die Gießer verstehen mich so schon. Herr Schulz war zu meiner Zeit Professor der orientalischen Sprachen, und Extraordinarius bei der theologischen Fakultaͤt. Das ist so ein Mann Kelebh Adonai, wie David Nach dem Herzen Gottes , d. i. wie es schon ein alter Rabbiner erklaͤrt das der sich, in die Zeit zu schicken weis, auf deutsch, ein Manteltraͤger. . Er wollte zu D. Bahrdts Zeiten auch sein Schaͤrflein zur Auf- klaͤrung beitragen, und fing an, etwas freier uͤber das System zu raͤsonniren. Nachdem er aber inne ward, daß dergleichen Heterodoxien dem Landgrafen nicht lieb waͤren; so lenkte er ein, und betete die Konkordienformel eben so wieder nach, wie sein Schwiegervater, der alte Doktor Benner . Der verstorbene Ritter Michaelis hat von Schul - Tempora cum causis Latium digesta per annum. Ca ae bedeuteten hier, — wie Schmid erklaͤrte – die Ursachen , weshalb der Consu das Jahr in ge- wisse Abtheilungen brachte. – Sehr gelehrt! zens Gelehrsamkeit eben nicht sehr vortheilhaft geur- theilt, ob er gleich sein Schuͤler gewesen war. Sonst ist Herr Schulz ein reicher Mann, dabei aber auch so geitzig, daß er auf Pfaͤnder geliehen hat. Ich weiß es noch, daß der Tambour Hofmann — ich muß doch die Leute nennen, die man sogleich in Gießen fragen kann — oft Kleider, Schnallen, Uh- ren, Pfeiffenkoͤpfe u. d. gl. hintrug, und bei dem Herrn Professor versetzte. Einst geschah eine wahre Schnurre. Die Studenten hatten eine maskirte Schlittenfahrt, die sonst in Gießen sehr gemein wa- ren, und es vielleicht noch sind. Einer davon war als Jude maskirt, saß zu Pferde, und hatte alte Kleider, Hosen, Hembden u. d. gl. bei sich. Herr Schulz war am Fenster: der verkappte Jude ritt hin zu ihm, und fragte, ob er nichts zu schachern haͤtte? Der Herr Professor antwortete, nein. Der Jude both ihm darauf seinen ganzen Troͤdel zum Versatz an, und versprach ihm dreissig Procent. Herr Schulz schmiß das Fenster zu, und die Zuschauer lachten. Weiter ward nichts daraus. Seine Frau Gemahlin ist die Tochter des ver- storbenen D. Benners — ein Frauenzimmer von sel- tener Fleischigkeit, wie Herr Bahrdt sagt. Aber nicht der Fleischigkeit, sondern des Geldes wegen hat Herr Schulz sie geehliget. Schon vorher war ihr Ruf sehr zweideutig, und so ist er auch geblieben. Einigemal hat sie ihren Mann verlassen, und mit Studenten communem caussam gemacht. Aber Herr Schulz ließ sich alles gefallen, weil sie Erbin eines betraͤchtlichen Vermoͤgens war. Nun dann Herr Bechtold ! — Ich weiß nicht, ob ich von diesem Ehrenmann etwas noch sa- gen soll, da man schon aus Bahrdts Lebensbe- schreibung und meinen Anmerkungen zu derselben sich einen nicht unrechten Begriff von diesem großen Kir- chenlicht machen kann. Aber die Leser dieser gegen- waͤrtigen Schrift, lesen jene vielleicht nicht, und die- sen zu Gefallen muß ich doch wenigstens eins und das andre von Herrn Bechtold anfuͤhren. Als Gelehrter, sagt Herr Bahrdt im Kezzer- almanach, ist Bechtold unter aller Kritik. Dieses Urtheil ist so wahr, das selbst die Gießer Fuͤchse So nennt man die Neulinge auf der Universitaͤt. sich uͤber ihn lustig gemacht haben. Das Epigram auf den Herrn Stax Siehe die Beitraͤge zu Bahrdts Leben, S. 29. : die Beinamen, die er in Gießen hatte, Quodammodarius, Grundsuppen- schwabe, und mehrere dergleichen, sind hiervon Be- weis genug. Wegen des letzten Namens dient fol- gendes zur Erlaͤuterung. Er las ein Collegium uͤber Erster Theil. F die dogmatischen Beweisstellen: dieses Collegium nannte er fundamentale biblicum; die Studenten aber hießen es, seines seltenen elenden Lateins wegen, fundamentalitium biblicanum, die dictas classi- cas, das Grundfundament, und endlich gar die Grundsuppe. Daher der Grundsuppenschwabe. Waͤre Bechtold nicht Ephorus der Stipendiaten gewesen, er haͤtte nie einen Zuhoͤrer bekommen: niemand be- suchte seine uͤber allen Glauben erbaͤrmlichen Vorle- sungen als Stipendiaten, oder solche, die es werden wollten. Die Bedaurungswuͤrdigen! — Seine Or- thodoxie war ehedem so stark, daß er in dem Ton ei- nes Philipp Nicolai War ein lutherischer Theolog aus dem 16ten Jahr- hundert. Er hat einen Aufsatz geschrieben: Der Cal- vinisten Gott , der Teufel , worin er unter andern sagt: „Der calvinische Herrgott ist ein leicht- „fertiger, geiler, unkeuscher, blutduͤrstiger Moloch: „ein Bruͤllochse, ein Ochsengott, der hoͤllische Bruͤlloch- „se, der alte boͤse Feind, und verfluchte Leviathan.“ Siehe G. Arnolds Kirchen- und Ketzerhistorie B. 16. Kap. 21. §. 10. – Schade, daß zu der Zeit weder ein Hume , noch ein Pastor Schulz in Gielsdorf, noch ein Kant etwas uͤber den lieben Gott geschrieben hatten! , einige Wische wider die Reformirten hinsudelte, unter dem allerliebsten Titel: Calvinianorum Deus, scripturae ignotus et a sana ratione abhorrens. Seine Beweise wa- ren, wie die des Philipps Nicolai. — Aber jetzt ist Freund Bechtold von seiner theologischen Duͤsterheit zuruͤckgekommen, und wundert sich, daß er sonst so einen vernebelten Kopf hat haben koͤnnen. Er raͤson- nirt, wie ich vor einigen Jahren bei meiner Durch- reise zu Gießen gehoͤrt habe, uͤber die heiligen Dogmen sehr hoͤrbar, und lacht uͤber das alte Sy- stem — das kluͤgste, was er auch thun kann, we- nigstens zehnmal kluͤger, als uͤber das neue System rosenkreuzerisch zu lamentiren. Sonst ist Bechtold ein schlauer Politikus, und ein Schadenfroh, der seines Gleichen sucht. Er und Koch waren besonders Ursache, daß Lobstein von Gießen weg muste. Unter seinem Rectorate waren die Eulerkappereien im Flor, ja sie nahmen zu, weil er ihnen nicht steuerte, oder vielmehr es gern sah, daß der arme Eulerkapper recht gepeinigt wurde. — Bechtolds Toͤchter sind brevi manu weggegan- gen: — sie hatten — Geld! Von Herrn D. Bahrdt , den ich auch in Gie- ßen gekannt habe, sage ich hier nichts: ich habe in meinen Beitraͤgen von ihm genug gesagt. Den alten Dogmaticus, den D. Benner , will ich ebenfalls in Ruhe lassen. Aber von Herrn Ouvrier einige Worte! Er war vorher Hofmeister oder Informator bei den fuͤrstlichen Kindern in Darmstadt gewesen, und zur Dankbarkeit, aus Gnade nach Gießen als Professor der Theologie gesetzt worden Wie ein gewisser P — r vor einiger Zeit nach H — —. Moͤchten doch die Großen nicht auf Kosten des Publi- kums ihre Dankbarkeit aͤußern wollen! Die Schande faͤllt doch zuletzt auf ihr eignes Haupt; aber der Nach- theil — aufs Publikum. Doch Mancher steht selbst auf einem zu sehr verfehlten Posten, um den ange- meßnen fuͤr Andere nicht wieder zu verfehlen! — Und daraus pflege ich so nach meiner Art zu folgern: daß entweder die Goͤtter sich um das Irdische nicht bekuͤm- mern, oder daß noch ein Zeitpunkt seyn muͤsse, wo das alles (der allgemeinen Gerechtigkeit wegen) wieder ins Gerad gebracht werden wird. — Es ist freilich hierbei das Seltsame, daß man erst manchen dummen Streich erleben muß, um – zur Schadloshaltung – dereinst einen klugen zu erleben. – So zirkuloͤs denkt vielleicht kein Otaheiter! Indeß die Schulen lehren es so – und was die Schulen lehren, muß doch wohl wahr seyn! – . Er ist, als Gelehr- ter, gar keiner Ruͤcksicht werth, hat auch nicht das geringste geschrieben, woraus man auch nur einen Schein von gelehrter Einsicht erzwingen koͤnnte. Er las, als ich in Gießen war, uͤber des Jenaͤischen D. Danovs Dogmatik: weil ihm das Latein dieses Buches zu hoch war — machte er manches quid pro quo. In der Frankfurter gelehrten Zeitung ist ihm einmal ein lateinisches Exercitium, dem er den Titel Programm gegeben hatte, haͤßlich korrigirt worden. Da gab es mehr als vierzig derbe Gram- matikalien! Er ist uͤberhaupt ein Mann, der sich zum Professor durchaus nicht schickt. Auf der Kan- zel ist sein Vortrag elend, wie im Kollegium; daher ist seine Kirche und sein Auditorium gleich leer. Von seinem Karakter weiß ich nichts zu sagen: wer ihn zwar so sieht und hoͤrt, sollte ihn fuͤr einen schleichenden Jesuiten halten; aber davon muß ich ihn frei sprechen: denn zum Jesuiten fehlt ihm alles. Sonst hoͤrt er gern Stadtmaͤhrchen, und erzaͤhlt der- gleichen gern, wie alle Muͤßiggaͤnger oder Kleingei- ster und Schadenfrohe. Er ist aber von daher in manche Klatscherei verwickelt worden, die ihm man- che truͤbe Stunde gemacht hat. Zu den Juristischen Professoren gehoͤrten ausser Koch und Hoͤpfner noch die Herren Gatzert und Jaup . Herr Gatzert ist jetzt in Darmstadt, und Herr Jaup spielt gern l'Hombre. Seine Schwestern zaͤhlte man zu meiner Zeit in die Zahl der Gießer Schoͤnheiten. In der Medicinischen Facultaͤt kannte ich nur den Bergrath Baumer , und den Professor Ne - bel . Letzterer war ein rechtschaffener Mann, der an keinen Kabalen der Universitaͤt Theil nahm, und ein guter Geburtshelfer. Baumer war ehemals Geistlicher gewesen; hatte aber aus guten Gruͤnden die liebe Theologie mit der Medicin vertauscht, und in der letztern viel geleistet. Sonst war er ein Mann, der einen massiven Ton fuͤr deutsche Freimuͤthigkeit hielt. Unter den Philosophen muß ich hier einen Mann nennen, der so viel und wohl noch mehr wehrt war, als die uͤbrige ganze Universitaͤt, sowohl in Absicht der Gelehrsamkeit, als auch der Rechtschaffenheit und des Bidersinns. Dieser Mann war der verstor- bene Professor Boehm . Wenig Maͤnner habe ich gekannt, die mit diesem trefflichen Manne zu verglei- chen waͤren. Ob er orthodox war, kann ich nicht sagen, wenigstens zog er in seinen Vorlesungen nicht selten auf die Theologen und Pfaffen los, ließ sich aber weiter nichts merken, wahrscheinlich aus Furcht vor den — Juden. Daß Boͤhm eine gruͤndliche Kennt- niß, besonders in der Mathematik gehabt hat, beweisen seine Schriften: daß er der redlichste Mann gewesen sey, muͤssen alle gestehen, die ihn gekannt haben. Der Professor Koͤster war vor Zeiten Pastor zu Wallertheim in der Pfalz, und hernach Prorector zu Weilburg. Ich muß gestehen, daß er viel histo- rische Kenntnisse besitzt, welches seine Schriften auch bezeugen. Um nicht partheiisch zu scheinen, enthalte ich mich alles weitern Urtheils uͤber ihn: er ist mein Vetter. Die uͤbrigen Herren Professoren der Philoso- phie, als Herr Klevesahl , Herr Link , Herr Piehl , wie auch Herr Doctor Snell , waren sammt und sonders truͤbselige Ignoranten, die sehr selten ein Kollegium zu Stande brachten, und gaͤnz- lich in Dunkeln vegetirten. Herr Link hatte arabisch buchstabiren gelernt, und fing an, uͤber des Erpe- nius Grammatik ein Arabicum zu lesen. Da kam ein Student, welcher den Ritter Michaelis in Goͤt- tingen uͤbers Arabische gehoͤrt hatte, und widersprach ihm oͤffentlich im Kollegium — und die Arabische Lektion hatte ein Ende. Link ist hernach Dorfpastor geworden. Das waͤre nun eine kurze Nachricht von jenen Professoren, welche ich in Gießen kennen gelernt ha- be. Nimmt man alles zusammen; so ergiebt sich, daß (auch die luscos reges inter coecos mitge- zaͤhlt) in der theologischen Fakultaͤt nur Ein Mann war, der etwas leisten konnte, und dieser Mann war — ich muß es gestehen — Herr D. Bahrdt . Der alte Benner konnte vor hohem Alter beinahe nicht mehr lesen, und was es las, war so alt-moͤn- chisch-orthodox, daß es sich auch fuͤr unsre ortho- doxern Zeiten nicht so recht mehr schicken wuͤrde. D. Bechtold und Ouvrier waren theologische Kruͤppel, immer einer truͤbseliger, als der andre. Herr Schulz fing erst nach Bahrdts Abschied an, eigentliche Theologie vorzutragen, ja man konnte recht merken, daß er erst damals anfing, Theologie zu studiren. Er schrieb ganze Stellen aus Gru - ners deutscher Dogmatik und andern dergleichen Buͤchern woͤrtlich ab, und trug sie seinen Zuhoͤrern huͤbsch wieder vor. In der philosophischen Fakultaͤt wuͤßte ich aus jener Zeit niemanden vorzuͤglich zu nennen, als die Herren Boͤhm und Koester , obgleich diese auch von sehr betraͤchtlicher Verschiedenheit waren. Noch zu meiner Zeit kam Herr Schlettwein in diese Fakultaͤt, und ward ihre Zierde. Von den Medicinern will ich noch anmerken, daß innerhalb den drei Jahren, und druͤber, die ich in Gießen verlebt habe, nur ein einziger Kadaver auf dem anatomischen Theater ist secirt worden. Der- gleichen herrliche Anstalten sind da getroffen, die Wis- senschaften in Flor zu bringen! Der Grund von der aͤusserst elenden Besetzung der Professorstellen — ich rede noch immer von der Zeit, als ich nach Gießen kam — ist nicht schwer zu entdecken. Die Professoren sind meistens Landeskin- der, welche ausser Gießen nicht studirt haben. Sie kennen also nur den hergebrachten Schlendrian der Gießer Universitaͤt: und da wird denn das Ding fort- gesetzt, wies von alten Zeiten her gewoͤhnlich war. Selten wird ein Auslaͤnder dahin berufen, oder wird es ja einer; so hat er seine liebe Noth. Die ehrli- lichen Maͤnner Bahrdt, Kartheuser, Koͤster, selbst Koch und mein Panegyrist, Signor Schmid, haben erfahren, was es heißt, in Gießen Professor zu seyn, ohne seinen Stammbaum von denen herleiten zu koͤnnen, welche unter Philipp , dem Groß - muͤthigen , der Reformation beigetreten sind. Zu Heidelberg ist das noch aͤrger, wie auch zu Mainz: doch davon zu seiner Zeit. Daß auch Auswaͤrtige, um diese Zeit, die Gie- ßer Universitaͤt nicht hoch geachtet haben, zeigt eine Anekdote, welche mir der jetzige Professor zu Gießen, Herr Roos, erzaͤhlt hat, als ich vor einigen Jah- ren da war. Ich will sie hier anbringen. Nach dem Absterben des Professors Wolff wur- de der Lehrstuhl der orientalischen Sprachen erledigt. Das Kuratorium glaubte, daß der Professor Klotz zu Halle auch in diesem Fache gelehrt sey, und both ihm die Stelle an. Klotz dankte fuͤr die Ehre aus guten Gruͤnden. Er verstuͤnde, schrieb er in seiner Antwort, zwar kein Hebraͤisch, noch sonst etwas Orientalisches; doch ceteris paribus sollte ihn das nicht abhalten, die Professur anzunehmen, indem er, binnen vier Wochen, soviel von dergleichen zu ler- nen gedaͤchte, als die Gießer Studenten nimmermehr brauchen wuͤrden. — Wenn es uͤbrigens wahr ist — wie es nur ein Strohkopf, ein wahrer Quodammodarius leugnen kann — daß aͤchtes Studium der Philologie, der Philosophie und der Geschichte die Grundfeste aller wahren Gelehrsamkeit ausmachen; so muß jeder ohne mein Erinnern einsehen, daß in Gießen zu der Zeit, als ich mich daselbst aufhielt, blutwenig Gelehrsamkeit zu holen war. Der alte Boͤhm las zwar philosophi- sche Kollegien; aber das war weiter nichts, als Wolffische Logik und Wolffische Metaphysik: uͤber die uͤbrigen Theile der Weltweisheit las kein Mensch, das Jus naturae ausgenommen, welches Herr Hoͤpfner fuͤr Juristen erklaͤrte nach Achenwall: die Geschichte der Philosophie, die Aesthetik und die zu diesen Wis- senschaften gehoͤrige Litteratur waren ganz unbekannte Dinge. In der Philologie sah es noch scheußlicher aus. Herr Schmid docirte zwar einmal gratis, oder wie man sagt, publice , die fundamenta Styli ; ver- stand aber selbst den lateinischen Styl so wenig, daß er alle Augenblicke wider die Grammatik verstieß, wenn er als Professor der Eloquenz eine lateinische Rede — vorm lateinisch Schreiben nahm er sich in Acht — halten mußte. So hielt er einst eine Rede auf die Vermaͤhlung des Erbprinzen, woraus ich mir einige Floskeln bemerkt, und mich hernach mit meinen Be- kannten daruͤber lustig gemacht habe. Dergleichen waren: benedicat Deus principi juventutis (Gott segne den Erbprinzen!) Et nostram olim curam geres, o Princeps. Quis est, qui vocem no- stram jubeat obmutescendam? — Neque est operae pretium, commemorandi. Freilich sind diese Schnitzer nicht so grell, als die, welche Herr Deinet in dem Ouvrierschen Exercitium korrigirt hat; aber fuͤr einen Professor der heiligen Eloquenz sind sie doch immer grell genug. Eben dieser Herr Schmid erklaͤrte auch dann und wann einen lateinischen Classiker; da war aber nichts von dem Geist, der in den Vorlesungen eines Heyne zu Goͤttingen oder eines Wolfs zu Halle sichtbar ist: da wurden die Anmerkungen Anderer z. B. die des Baxters und Geßners uͤber den Horatz, und Lubini notae zum Juvenal — geritten, daß es eine Art hatte. Wer den Baxter hatte, konnte Herr Schmids Lectionen gar wohl entbehren. Ueber griechische Skribenten wurde vollends gar nicht gelesen, auch nicht uͤber einen einzigen. Da hieß es, und es heißt vielleicht noch so in Gießen: graeca sunt: non leguntur. Der jetzige Profes- sor Roos las damals, als Student, fuͤr sich den Homer und andre Griechen: und die Studenten sahen ihn als ein Monstrum der Gelehrsamkeit an. Eben so ging es mir, weil ich Xenophons Kyropaͤdie und den Anakreon las. — Aber wer haͤtte auch da- mals Griechische Autoren erklaͤren sollen! Benner verstand wohl Griechisch, wie man aus seinen recht guten Anmerkungen zu Lucians somnium de lon- graevis sieht; aber der war zu alt und zu stolz dazu: alle andre waren nicht weiter gekommen, als ans neue Testament: und da liest sichs nicht so leicht uͤber griechische Skribenten. In der Geschichte gings nicht viel besser. Herr Koͤster erbot sich zwar immer, uͤber alle Theile der Geschichte zu lesen; aber selten konnte er einige Kol- legia zu Stande bringen. Der Geschmack war ein- mal verdorben: wer seine Brodlectionen gehoͤrt hatte, fragte viel nach derlei Nebensachen. Koͤster mußte sogar die Kirchengeschichte in einem halben Jahre endigen, wenn er Zuhoͤrer haben wollte. Das mag hinlaͤnglich seyn, um meine Leser in den Stand zu setzen, ein richtiges Urtheil uͤber die damalige zweckwidrige Einrichtung der ganzen Gießer Universitaͤt zu faͤllen. Daß sie auch noch zu jetziger Zeit nicht viel besser ist, habe ich erst 1787 er- fahren. Manche Eltern glauben noch immer, man koͤnne auf jeder Universitaͤt das Seine lernen, — welches freilich in Ansehung einiger guter Koͤpfe wahr ist — man muͤsse daher den wohlfeilsten Ort aussuchen, und den Herrn Sohn da studiren lassen. Aber diese gu- ten Eltern verrechnen sich haͤßlich: vielmehr sollten sie eine Universitaͤt waͤhlen, auf welcher die groͤßte Anzahl der beruͤhmtesten Maͤnner das Fach lehren, fuͤr dessen Erlernung ihr Sohn entschieden ist, es sey nun Medicin, Jurisprudenz, Theologie oder ein anderes — und wo bei angemessenen Besoldungen, Bibliotheken und Curatoren die ausgedehnteste Schreib- Lehr- und Preßfreiheit herrschet. Freilich wird auch da aus Manchem nichts; aber an einem Orte, wie Gießen, Heidelberg, Rinteln, Mainz, Strasburg und auf m ehr dergleichen Universitaͤten, wo Sub- jekte lehren, die kaum auf einer Trivialschule lehren sollten, oder wo ein Landesherr oder ein Curator ohne Kopf den Vorsitz fuͤhrt, und alles so engbruͤstig schematisirt, daß man den Verstand daruͤber verlie- ren koͤnnte — wird es vollends gar nichts. Die Anmerkung ist freilich bitter, sie ist aber wahr, und deswegen sage ich sie gerade hin, wenn sich auch Herr Schmid in Gießen, nebst Konsorten weit und breit, noch so sehr darob aͤrgern sollte. Eilftes Kapitel. So commersirten damals die Gießer Bursche! Z u meiner Zeit waren ohngefaͤhr 250 Studenten in Gießen, obgleich in allen Zeitungen herumstand, es waͤren uͤber 500 da. Aber man darf von dergleichen nur die Haͤlfte glauben. Im Durchschnitt trifft das so bei allen Universitaͤten ein, z. B. gegenwaͤrtig sol- len in Halle 1600, in Jena 1000, in Goͤttingen 1200 Studenten seyn — wenigstens sagens die so, welche von so einer Universitaͤt herkommen. — Un- tersucht man aber das Ding genauer; so muß man die Summe merklich vermindern. — Wem das Blut noch hoch huͤpft, der macht es nicht anders: er er- hoͤht und dehnt objectivisch aus, um selbst subjectivisch dabei zu gewinnen. Machten es die aͤltern Herren Geschichtschreiber nicht besser! Die Gießer Studenten waren meistens Landes- kinder; doch befanden sich auch viele Pfaͤlzer, Zwei- bruͤcker und andre daselbst. Der Ton der Studenten oder der Bursche war ganz nach dem Jenaischen eingerichtet: die vielen relegirten Jenenser, welche dahin kamen, um auszustudiren, machten damals das fidele Leben der Bruͤder Studio von Jena in Gießen zur Mode. Zudem ist Gießen auch so recht der Ort, wo man auf gut Mosellanisch hausiren kann. Das Maaß Bier, ein volles Rheinisches, kostet zwei Kreuzer, oder sechs Pfennige Saͤchsisch. Freilich ist es jaͤmmerliches Bier; aber es fuͤllt doch den Bauch, und macht endlich — uͤbermaͤßig gesoffen — den Kopf heroisch. — Wer leugnen wollte, daß der Hauptkom- ment zu Jena im Biersaufen bestehe, wenigstens noch vor Kurzem darin bestanden habe, ist in Jena nicht gewesen. Zu Gießen borgen die Hauswirthe nicht, oder sie geben, studentisch gesprochen, keinen Pump ; hoͤchstens bekommt auf die Art der Student nur Milch zum Kaffee. Alles andre muß er sich selbst holen lassen, auch selbst fuͤr sein Bier sich im Wirths- hause Pump verschaffen. Auf den Stuben wird da- her selten gejubelt; vielmehr setzt man sich zusammen ins Bierhaus, und zecht auf Rechnung. Das ist auch die Ursache, warum alle Kneipen oder Bier- schenken, wo sonst Bursche hingehen, zu allen Zeiten, voll Studenten sind. In meinen Tagen besuchte man besonders den Rappen, den Stern, die Rei- berei, die beiden Buschereien, das Schießhaus den Stangenwirth Balthasar, und einige andre. Wein- haͤuser besuchte man seltener. Wer nun ein honoriger Bursch heißen wollte, ging des Abends wenigstens in eine dieser Bierkneipen, soff bis zehn oder eilf Uhr, und schob hernach ab. Und daß es noch jetzt so ist, hab ich erst vor einigen Jahren selbst wieder gesehen. Da man es fuͤr Pedanterie hielt, von gelehr- ten Sachen zu sprechen; so wurde von Burschen Af- fairen diskurirt, und groͤßtentheils wurden Zoten ge- rissen. Ja, ich weis noch recht gut, daß man in Eberhards-Busch-Kneipe ordentliche Vorlesungen uͤber die Zotologie hielt, woruͤber ein Kompendium im Manuscript da war. Herr Schmid erwaͤhnt in seinem Pamphlet, ich selbst habe in Gießen Professor Zotarum geheißen: davon werde ich zum Jahr 1777 mehr sagen. In Gießen sind die Kommerse erlaubt: wir haben mehrmals auf der Straße kommersirt, und das Ecce quam bonum zur großen Freude der Gie- ßer Nymphen hingebruͤllt. Herr Schmid muß das recht gut wissen: er bewohnte damals des Schusters Best Haus auf dem Kirchenplatz. — Man stellt sich also leicht vor, daß die Kommerse bei den taͤglichen Saufgelagen der Studenten sehr frequent werden gewesen seyn: und so war es auch wirklich. Ich habe oft vierzehn Tage nach einander alle Tage einem Hospitz oder einem commersirenden Saufgelage bei- gewohnt. Die Hauptbestandtheile eines damaligen Gießer Burschen oder Renommisten findet man in einer Be- schreibung, welche man der poetischen Laune des Herrn Hild von Saarbruͤcken zu danken hat. Ich will sie meinen Lesern mittheilen. Die Verse sind zwar elend; aber man kann doch hinlaͤnglich daraus ersehen, was fuͤr Eigenschaften man an einem hono- rigen Gießer Burschen gefordert hat. Man hoͤre nur! Wer ist ein rechter Bursch? – Der, so am Tage schmauset, Des Nachts herum schwaͤrmt, wetzt D. i. Mit dem Degen ins Pflaster haut, daß die Fun- ken heraus spruͤhen. – – Der die Philister schwaͤnzt Nicht bezahlt, anfuͤhrt. , die Professores prellt, Und nur zu Burschen sich von seinem Schlag gesellt: Der staͤts im Carcer sitzt, einher tritt wie ein Schwein, Der uͤberall besaut, nur von Blamagen rein, Und den man mit der Zeit, wenn er gnug renom- miret, Zu seiner hoͤchsten Ehr' aus Gießen relegiret. Das ist ein firmer Bursch: und wers nicht also macht, Nicht in den Tag 'nein lebt, nur seinen Zweck betracht, Ins Saufhaus niemals kommt, nur ins Collegium, Was ist das fuͤr ein Kerl? – das ist ein Drasti- kum! Ein damals bekannter Schimpfnamen, womit man Bursche belegte, die anderwaͤrts Thekessel genannt werden. Was meynen meine Leser zu diesem Ideal? Ich kann sie aber auf Ehre versichern, daß alle unsre so- genannten honorigen Bursche demselben so aͤhnlich waren, wie ein Ey dem andern: nur das Philister- schwaͤnzen und Professoresprellen wollte nicht immer so recht gelingen: die meisten Studenten waren sehr nahe zu Hause, und folglich hielt es nicht schwer, sie nach ihrem Abzuge zum Bezahlen gerichtlich anzu- halten. Erster Theil. G Wer den Gießer Studenten Petimaͤterei schuld giebt, thut ihnen wahrlich Unrecht. Die meisten tra- ten einher — nach dem Liedchen — wie die Schwei- ne. Ein gewisser Noͤllner aus dem Elsaß hatte keine Lust, das Burschikose mitzumachen; er kam also sel- ten in die Gelage, und ließ sich auch ein gutes Kleid machen. Dies war Losung genug, ihn nicht schlecht zu verfolgen: in allen Kollegien wurde ihm Musik gemacht, und auf der Straße nachgeschrieen. Das wurde so lange getrieben, bis er endlich abzog, und nach Goͤttingen gieng: hier konnte er nun freilich ohne Gefahr, ausgepfiffen zu werden, in seinem ro- then Kleide mit dem seidnen Futter spanisch einher- treten. In Kleidern verthut der Bursche in Gießen da- her blutwenig: ein Flausch ist sein Kleid am Sonn- tag und am Werktag: selten hat einer neben dem Flausch noch einen Rock. Dann traͤgt er lederne Beinkleider und Stiefeln: weil aber die ledernen Beinkleider selten gewaschen werden; so sehen sie ge- meiniglich aus, wie die der Fleischer. Nur wenig Studenten in Gießen machen Knoͤpfe Knopfmachen heißt dem Frauenzimmer aufwarten: daher Knopfmacher. Diese Phrasis ist auch in Wezlar bekannt, und schon in einem Stuͤck des deutschen Mu- seums erklaͤrt worden. : das wird uͤberhaupt daselbst fuͤr petimaͤ- trisch und unburschikos gehalten. Vielmehr giebt es, oder gabs doch zu meiner Zeit einige, welche das gute Frauenzimmer bei jeder Gelegenheit prostituir- ten. So zogen sie z. B. auf dem Walle, wenn sie spatzieren giengen, hinter ihnen her, und wiederhol- ten laut ein Kapitel aus der Zotologie. Herr Hand- werk, Oekonom der Universitaͤt, hatte eine ganz huͤbsche Tochter, Minchen, welche was ehrliches ge- neckt wurde. Die Studenten kamen des Abends vor ihr Haus, und schrien: Minchaͤ as de ham gießt, as de die Schwernuth kriest Mienchen, willst du nach Hause gehen, oder du sollst die Schwerenoth kriegen. . Mit diesen Worten hatte sie ihr Vater einmal nach Hause geholt. Noch eins! Die Tochter des R.Raths Reuß hatte sich mit einem Musensohn zuweit eingelassen. Zum Ungluͤck erfuhren die Studenten, daß die Heb- amme zu ihr gerufen sey: Fluchs zogen sie vor das Haus, und machten eine Katzenmusik, wobei die schaͤndlichsten Lieder gesungen wurden. Der R.R. beschwerte sich bei dem Rektor; aber der freute sich selbst uͤber den schnurrigen Einfall seiner Bursche, und ließ es gut seyn. Schlaͤgereien sind in Gießen gar nicht selten. So klein die Universitaͤt ist, so viel Balgereien fallen vor: manchmal haben sie einen gefaͤhrlichen Aus- gang. Zu meiner Zeit war es gewoͤhnlich, sich auf der oͤffentlichen Straße zu schlagen, und dies als- dann, wenn man zum voraus gewiß war, daß es wuͤrde verrathen werden. In diesem Falle gieng der Herausforderer vor das Fenster seines Gegners, nahm seinen Hieber Der Stoͤßer diente zu geheimen Schlaͤgereien. , hieb damit einigemal ins Pflaster, und schrie: pereat N. N. der Hundsfott, der Schweinekerl! tief! pereat! pereat! Nun erschien der Herausgeforderte: die Schlaͤgerei gieng vor sich, endlich kam der Pedel, gab Inhibition, und die Raufer kamen aufs Carcer: und so hatte der Spaß ein Ende. Bordelle giebt es in Gießen nicht; aber doch unzuͤchtige Menscher, und folglich auch — wie jetzt leider auf jeder Universitaͤt — venerische Krankhei- ten. Was fuͤr fuͤrchterliche Folgen hieraus entstehen, lehrt die taͤgliche Erfahrung. Der luͤsterne Juͤng- ling laͤßt sich hinreißen, zumal der, den der kurz- sichtige Vater oder Lehrer von allem Umgang mit Maͤdchen entfernt gehalten hat. Er wird inficirt. Sein irriges Ehrgefuͤhl haͤlt ihn zuruͤck, sich einem geschickten Arzte zu entdecken. Dieser ist ihm zu be- ruͤhmt, zu ansehnlich. Um sich weniger schaͤmen zu muͤßen, vertraut er sich einem noch studierenden Me- diciner, oder einem Feldscheerer an — und wird — verpfuschert. Denn wenn je in einer Krankheit ge- pfuschert wird; so geschieht es in der venerischen nach allen ihren Aesten und schoͤnen Abstufungen. Und doch ist in keiner Krankheit das Pfuschern gefaͤhrli- cher, als eben in dieser. Jeder Bartkratzer, jeder Junge, der kaum zur Ader lassen kann, giebt sich hier fuͤr einen erfahrnen Doktor aus. Einige Infi- cirte sind gar so kuͤhn, ihre Kur nach Buͤchern oder ausposaunten Zeitungs-Arkanen selbst zu uͤbernehmen. Wer kann hier genug warnen! Mehr als fuͤnfhun- dertmal habe ich es erlebt, daß unwissende Quacksal- ber oder voreilige Bloͤdlinge aus einem kleinen Uebel von der Art, ein rechtfuͤrchterliches, ja unheilbares gemacht haben Sonderbar ist es, daß der groͤßte Theil der inficirten Studenten gerade Theologen — Schullehrer- und Prediger-Soͤhne — gewesene Waysenhaͤusler oder — uͤberhaupt solche seyn sollen , die man zu Hause oder auf Paͤdagogien, und andern eingeschraͤnkten Schulanstalten zur Universitaͤt vorbereitet hat. — Noch sonderbarer ist es, inficirte Stipendiaten — man merke dies fuͤr Halle! — so bald sie entdeckt werden, des Stipendiums verlustig zu erklaͤren. Zur Schaam, sich einem geschickten Arzte zu entdecken, kommt hier ja noch Furcht vor Verlust hinzu! und das erschwert die Kur noch mehr. Er mag nun wollen oder nicht — er faͤllt Pfuschern in die Haͤnde, und verpflanzt, als halbgeheilter, uͤber kurz oder lang, sein Gift weiter: ja, er bringt es nach Gegenden, wo es vorhin viel- leicht noch unbekannt war, und macht auf diese Art seine wuͤrkliche Suͤnde zur Erbsuͤnde, wider die weder . Die fieberhafte Hitze, brav Hefte nachzuschmie- ren, plagt die Gießer Studenten nicht, wenigstens zu meiner Zeit nicht, wenn man die Pandecten- Schuͤler des Kanzlers Koch ausnimmt. Dieser hielt keinen Studenten fuͤr fleißig, welcher die vorgetra- gne Weisheit nicht schriftlich eintrug, oder doch we- nigstens einige Bemerkungen daruͤber nachschrieb. Auf andern Universitaͤten hab ich immer ruͤstige Hef- tenschreiber gefunden; nirgends aber aͤrger als in Halle. Hier fuͤllen die Studenten viele Quartbaͤnde mit akademischer Kollegien-Weisheit an, und schrei- ben oft Dinge nach, welche in dem Kompendium weit besser stehen, als in ihren Heften, oder gar nicht zur Sache gehoͤren. Das macht aber in Gies- sen, daß die Professoren alle uͤber gedruckte Buͤcher lesen, und durchaus nicht dictiren, und dadurch das Heftesudeln verhindern. Einige Zuhoͤrer moͤgen wohl auch den Vortrag ihrer Lehrer keiner schriftli- chen Bemerkung werth finden, — und andern mag es an Vorkenntnissen fehlen, um Spreu von Korn zu unterscheiden. In Goͤttingen wird freilich auch nachgeschrieben, aber doch nicht so, wie in Halle. Dies Unwesen Taufe noch Exorcismus etwas vermoͤgen. — Hierauf mit Ernst Ruͤksicht zu nehmen, ist wahrlich mehr Ver- dienst, als mit spanischer Inquisitionswuth auf theolo- gischen Unsinn zu dringen! hat auch die vorige Herbstmesse eine sehr uͤble Folge fuͤr einen Hallischen Professor gehabt. Ein Student hatte naͤmlich die juͤdische Geschichte, so wie sie Hr. D. Knapp vortrug, nachgeschmiert, und sie her- nach in Leipzig drucken lassen. Und das wird, wie ich befuͤrchte, noch oͤfter geschehen. Mit den exege- tischen Heften des Hn. D. Noͤsselt , und der The- rapie des seel. Oberbergraths Goldhagen Herr Boͤhm , ein Arzt und Herr Hecker , jetzt Pro- fessor der Medicin zu Erfurt, haben sich hieran zu Rit- tern geschlagen; doch der letztere mit mehr Verdienst, als der erstere. ist es nicht besser gegangen. — Außerdem rechnet der Nach- schmierer auf das Bleibende seiner Hefte, und verschiebt eben darum das Durchdenken und Wiederholen — oft bis zur Ewigkeit. Einige schreiben auch zu schnell nach, um ihr Gekratztes dereinst nicht selbst eckelhaft oder unleserlich zu finden. In Gießen moͤchte der Abdruck der Hefte freilich nicht zu befuͤrchten seyn, wenn auch alles nachgeschrieben wuͤrde: denn wel- cher Verleger wuͤrde wohl die Vorlesungen eines Hrn. Bechtolds, Schmids u. a. in Verlag nehmen? Zwoͤlftes Kapitel. Leider auch ich ward burschikos! I ch fand zu Gießen einige Landsleute, welche mich zustutzten und mit dem Kommang, so wie ich ihn hier beschrieben habe, vertraut machten. Ich sah die Bursche, ich bewunderte sie und machte so recht affenartig alles nach, was mir an ihnen als heroisch auffiel. Da ich bemerkte, daß die meisten den Hut queer trugen; so trug ich meinen auch so, und gefiel. Zum Ungluͤck war gleich nach der Abreise meines Va- ters in Wiesek ein Kommers: ich wohnte demselben bei, mußte uͤber zehn Maaß Bier zur Strafe aus- leeren, weil ich die Kommerslieder nicht auswendig wußte, und erwarb uͤber dreißig Dutzbruͤder! Wer war froher als ich! Dreißig honorige Bursche, die ich von dem Augenblick an Du heißen durfte! Calvin mag sich kaum so gefreut haben, uͤber die Quaalen des braven Servets in den Flammen, als ich mich freuete, da ich den Degen am Balken be- trachtete, woran die Huͤte und mit ihnen die Bruͤ- derschaften angespießt waren! Ich sahe mich nun mit ganz andern Augen an, als zuvor, und ward um so eifriger in dem edlen Vorsatz, ein recht hono- riger Bursch zu werden. Hierzu zeigte sich auch bald Gelegenheit. Es studirte ein gewisser von Avemann in Gießen, ein Erzrenommist und Schlaͤger, vor dem man gewissen Respekt aͤußerte, ob er gleich an Liederlichkeit seines gleichen nicht mehr hatte. Es schien ihm sogar der gesunde Menschenverstand zu fehlen. Dieser Avemann nannte oder schalt mich einst auf dem Schießhaus — Fuchs . Ich nahm das Wort haͤßl ch auf: denn meine Kameraden hatten mir auf- gebunden, mich durchaus nicht Fuchs , krassen Kerl u. s. w. nennen zu lassen. Also trat ich zu ihm, und verbath mir den Ehrentitel. Avemann lachte mir ins Gesicht, woruͤber ich so erboßte, daß ich ihn einen dummen Jungen nannte. Hierauf hob er die Hand auf, um mich zu maulschelliren. Meine Freunde hielten ihn zuruͤck, und erklaͤrten dem Großsprecher, daß er Desavantage sey, und daher von mir Satisfaktion fordern muͤßte. Avemann ergrimmte schrecklich: denn nichts konnte ihm em- pfindlicher seyn, als daß er, ein Erzrenommist, von einem Fuchs Genugthuung fordern sollte. Aber es mußte einmal so seyn! Der uͤbermorgige Tag wurde also zur Balgerei festgesetzt. Ich hatte mich zwar schon vorhin etwas im Fechten geuͤbt; jetzt aber ga- ben sich meine Freunde alle Muͤhe, mich ein wenig mehr einzuschustern in diese edle Kunst, um doch nicht ganz als Naturalist aufzutreten. Wir schlugen uns nun wirklich. Avemann ver- letzte mir ein klein wenig den Arm; ich ihm aber derber sein Collet — und der Skandal hatte ein En- de. Nachdem wir Frieden gemacht hatten, sahen alle Anwesende mich mit Augen an, die vor Freude und Beifall funkelten: da war Bruder Laukhard hinten und Bruder Laukhard vorn! jeder wuͤrdig- te mich seiner besondern Freundschaft — und ich Thor war uͤber den Ausgang dieses Handels so be- geistert, als kein General es seyn kann, wenn er eine Menschen-Schlacht gewonnen hat! Ich weiß nicht, ob der Rektor den Vorfall klagbar erfahren hat: ich wenigstens bin deshalb nicht zur Verantwortung oder Strafe gezogen wor- den. Daß aber doch etwas davon entdeckt worden sey, folgere ich aus den Vorwuͤrfen daruͤber, die der Kanzler Koch mir kurz darauf vor dem akademischen Gerichte gemacht hat. Genug, man hat wahrschein- lich von der Sache gerichtlich nichts wissen wollen, und das vielleicht wegen der Mutter meines Ge- gners, der Frau Geheime-Raͤthin von Avemann, die damals sich zu Gießen aufhielt. Waͤre auch eben diese Dame hernach nur nicht in des Herrn Prof. Hoͤpfners Haus gezogen, ihr Sohn waͤre wahrlich nicht relegirt worden, so sehr tolle Streiche er auch weiterhin getrieben haͤtte. Allein kaum war sie ein- gezogen; so fiel auch gleich ein Theil des Grolls, womit Herr Kanzler Koch den Herrn Prof. Hoͤpfner verfolgte, auf sie, und Avemann wurde relegirt. — So gerecht verfuhr dieser Inhaber der Gerechtigkeit zu Gießen! Herr Schmid mag das nun leugnen, wenn er kann: die Leute in Gießen wissen aber das alles recht gut, und die Frau von Avemann kann be- zeugen, wie diskret der Kanzler Koch in Ruͤcksicht auf sie verfahren ist. Doch was kuͤmmern uns die, die draußen sind! Nach meiner ritterlichen That wurde ich in eine geheime Gießer-Studenten-Gesellschaft aufgenom- men, die nun glaubte, ein sehr respektables Mitglied in meiner Person zu acquiriren. Die Geschichte da- von ist lang: ich will sie aufsparen. Ich hatte in meinem Vaterlande zwar derb ler- nen Wein trinken, wie meine Leser aus dem vorher- gehenden wissen koͤnnen; aber Schnapps war nie in meinen Mund gekommen. Das Brandtweintrinken wird uͤberhaupt in der Pfalz gleichsam fuͤr schaͤndlich gehalten Ein guͤnstiges Vorurtheil! Es foͤrdert den Absatz und Anbau des Weins, und beuget dort dem Kornmangel vor, der aus stark betriebner Brandtweinbrennerei ent- stehen wuͤrde. Und dann ein Pfaffenland!! . Die Trunkenheit haͤlt man nicht fuͤr schaͤndlich; nur das Vehikel, wodurch sie entsteht! Ich hatte zwar einen ganz artigen Wechsel; aber der wuͤrde nicht zugereicht haben, wenn ich haͤtte taͤglich Wein trinken wollen. Also da doch manchmal eine Schnurre passiren sollte; so ahmte ich meinen hono- rigen Bruͤdern nach, und trank — Schnapps. Der Gießer Schnapps ist, wie das Bier, sehr elend: er hat einen Geschmack, wie wenn er mit Rauch von Nußlaub geraͤuchert waͤre. Dabei ist er sehr wohlfeil: wer fuͤr sechs Kreuzer oder achtzehn Pfennige trinkt, ohne ganz berauscht zu werden, muß ein kapitaler Saͤufer seyn Zu Gießen ist das Brandtweintrinken mehr als viel- leicht an einem Ort in Deutschland Mode: daher giebt es dort auch die groͤßten Saͤufer. Ein gewisser Husa- ren Korporal, Fasian , konnte drei Schoppen (etwas uͤber anderthalb Kannen) einschieben, ohne zu taumeln. Habeat sibi! . Eines Tages kommersirten wir in Schnapps auf dem Schießhaus bei Balzer. Mein vieles pro poena trinken brachte mich von Sinnen. Eben dies widerfuhr noch vier andern von der Gesellschaft. In der Besoffenheit trieben wir allerhand Muthwil- len. Endlich taumelten wir in die Stadt herein — es war noch heller Tag — und setzten unser baechan- tisches Wesen fort. Auf der Straße fiel ich hin nebst noch einem, und man mußte uns zu Hause tragen. Am folgenden Tag wurden wir auf den Senat vorgefordert zur Untersuchung der Sache. Das war schon recht: denn solchen Excessen sollte billig jedes- mal gesteuert werden. Der damalige Rektor der Universitaͤt, Herr Schulz, hielt es fuͤr hinlaͤnglich, uns unsere Ausschweifung zu verweisen, und unter der Androhung einer schaͤrfern Ahndung im Wieder- holungsfall zu entlassen. Allein der Kanzler Koch war andrer Meinung. Man vernehme — warum? Einer von uns vieren, Namens Schacht aus Dil- leburg — ich muß die Leute recht genau beschreiben, blos um des Herrn Schmids willen, damit der Mann doch wisse, wo er die Belege zu meinen Be- hauptungen finden kann — also Schacht aus Dille- burg, Student der Medicin, hatte kurz vor unserm Tumulte den aͤltesten Sohn des Kanzlers, einen ausgelassenen Jungen, der Schachten geneckt hatte, derb maulschellirt, und einen dummen Buben ge- scholten. Das war in den Augen des Kanzlers ein crimen laesae majestatis, welches er gewiß mit Carcer und Arrest geraͤcht haͤtte, wenn die groͤßte Schuld nicht selbst auf seinen Sohn Ich spreche noch mehr von dem guten Menschen: er hat seinem Vater tausend Verdruß gemacht, ist endlich franzoͤsischer Soldat geworden u. s. w. gefallen waͤre. Er mußte also die Beleidigung fuͤr dasmal einstecken. Aber hier nun zeigte sich eine Gelegenheit, seine Rach- sucht scheinrechtlich zu befriedigen. Er sagte also dem Rektor vor Gericht gerade heraus: „Ein Ver- weis waͤre nicht hinlaͤnglich, wir muͤßten exemplari- scher bestraft werden — Schacht insbesondere.“ — Der Rektor, der sich vor Kochs Allmachtswort fuͤrch- tete, gab nun nach, und so kamen wir jeder zwei Tage, Schlacht aber vier Tage ins Carcer. Ausser- dem mußten wir noch die Relegation unterschreiben, das heißt, versprechen schriftlich, daß wir uns gern wollten relegiren lassen, wenn wir uns wieder gegen die Gesetze vergehen wuͤrden. — So exemplarisch raͤchte sich Herr Koch! — Ich stellte mir diese Unterschrift als etwas vor, das wichtige Folgen haben koͤnnte; aber meine Be- kannten erklaͤrten mir das Ding anders: sie nannten es eine akademische Spiegelfechterei, und so vergieng mir die Furcht. Nicht lange nach meiner Ankunft zu Gießen wohnte ich auch einem Kreuzzuge bei. Das Ding war so: Sechs derbe Bursche bewaffneten sich mit Flinten und dem Zugehoͤr, und marschirten gegen Abend auf ein Dorf, etwa zwei Stunden von der Stadt. In diesem Dorfe wurde derb gezecht, und dann gieng der Zug auf ein anderes. In jedem Dorfe wurden die Bauern perirt, die Flinten losgeschos- sen, dem Nachtwaͤchter das Horn genommen, wild darauf geblasen: kurz, ein Spektakel verfuͤhrt, daß alle Bauern in Harnisch geriethen. Wagten sie es dann, sich uns zu widersetzen; so wurde ihnen ge- droht, daß, sobald sie sich weiter mokirten, wir scharf auf sie feuren wuͤrden, ohne die Ankunft unsrer uͤbri- gen Kameraden abzuwarten: wir waͤren, wer weis wie stark! Wuͤrden sie aber Friede machen; so woll- ten wir abziehen und dergl. In einigen Doͤrfern wurde wirklich auf diese Art Friede gemacht; aber in Buseck , wohin wir gegen Tages Anbruch kamen, und wo wir weit aͤrger tobten, als vorher irgendwo, wollten die Bauern von kapituliren so wenig wissen, daß sie uns, nachdem wir eine blinde Salve auf sie gegeben hatten, dergestalt durchkeilten, daß es uns vergieng, den Kreuzzug fortzusetzen. Freilich haͤtte mich dies witzigen sollen, dergleichen Kreuzzuͤgen nicht wieder beizuwohnen: gefaͤhrlich waren sie immer und sehr tief unter der Wuͤrde eines Universitaͤters, aber — wie man ist! Mein Leichtsinn, mein stu- dentischer Heroismus verleiteten mich noch dreimal dazu! Dreizehntes Kapitel. Thereschen kommt wieder zum Vorschein. I n dem wilden Leben vergaß ich ganz meines The- reschens, oder besser zu sagen, die Burschenphrene- sie bemaͤchtigte sich aller meiner Sinne so sehr, daß ich an sie nicht denken konnte. Freilich fiel sie mir mehrmals ein: allein der staͤrkere Gedanke, daß ich Bursch waͤre, und nun als Bursch leben muͤßte, verscheuch- te sogleich das Bild des guten Kindes, und jagte mich zum Balzer oder zum Eberhardt-Busch. An einem Sonntage, — es war der Sonntag Exaudi 1775, — wollte ich eben mit meinem Freund Diefenbach nach Reiskirchen gehen, wo er zu Hause war, drei Stuͤndchen von Gießen. Diefenbach und ich waren die innigsten Freunde. Er war, ob ich gleich Fuchs, und er schon ein alter Bursche war, doch mein Schuͤler im Lateinischen und Hebraͤischen. Da nun einige Tage Vacanz einfielen; so wollten wir diese bei seinem Vater, ei- nem altem kreutzbraven Manne, zubringen. Wir waren schon beinahe am Thor, als der Postbote Linker Herr Schmid meint, ich habe so ein ungetreues Ge- daͤchtniß: aber sehen Sie, Herr Schmid, daß ich sogar den Namen des Gießer Postboten noch weis — mir zwei Briefe uͤberreichte: den einen von meinem Vater, mit etwas Geld von mei- ner Mutter; den andern, wie ich aus der Hand der Aufschrift schloß, von meinem Onkel, dem Pfarrer zu Oppenheim. Ich gab dem Linker seine Gaben, und steckte die Briefe zu mir, um sie in Reiskirchen mit voller Muße zu lesen. In Reiskirchen konnte ich erst den Abend beim Schlafengehen Zeit dazu ge- gewinnen: der ganze Tag wurde mit lauter erhei- ternden Zerstreuungen hingebracht, und dann hatte die Schwester des Herrn Diefenbachs, ein liebens- wuͤrdiges Landmaͤdchen, jetzt die wuͤrdige Gattin des Herrn Rectors Roͤmheld in Geudern, mich entzuͤckt, so sehr entzuͤckt, daß ich beinahe vergessen haͤtte, daß ich Bursche war. Auf meinem Schlafzimmer oͤffnete ich meine Briefe, und las den meines Vaters zuerst: er war lateinisch mit vielen griechischen Versen aus dem Ho- mer, Theokrit u. a. nach seiner Gewohnheit ausge- schmuͤckt. Nachher oͤffnete ich den meines Onkels; aber Himmel, wie ward mir, als ich mich getaͤuscht fand, als ich meines Thereschens Hand erkannte! Lange Zeit konnte ich vor Zittern und Verwirrung keinen Buchstaben weiter heraus bringen: endlich sucht' ich mich zu fassen, las mit Besinnung, und wurde jetzt nur noch tiefer geruͤhrt. Therese meldete mir, daß sie sich in Manheim bei der Frau B.... ihrer Base, aufhalte, und machte mir uͤber mein Still- schweigen Vorwuͤrfe. Sie wisse, schrieb sie, daß wir verrathen waͤren, daß mein Vater alles erfahren haͤtte, und daß er mir nicht haͤtte erlauben wollen, von ihr Abschied zu nehmen: daß also dies nicht ge- schehen sey, waͤre leicht zu verzeihen; daß ich aber von Gießen aus auch nicht einmal an sie schriebe, Erster Theil. H waͤre ihr ein Raͤthsel. Ob ich sie vielleicht nicht mehr liebte? u. s. w. Wenns uͤbrigens nicht gar zu weit waͤre, fuͤgte sie hinzu, so wuͤrde sie mich bitten, sie in Mannheim zu besuchen.— Ich bedaure, daß ich diesen Brief nicht mehr in Haͤnden habe; sonst wuͤrde ich ihn meinen Lesern mittheilen. Es war ein naiver Brief eines unschul- dig verliebten Maͤdchens, den kein Romanschreiber nachahmen kann — Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen: hundertmal wollte ich aufstehen, und gerade hin nach Mannheim laufen: tausend andere Gedan- ken fuhren mir durch den Kopf: mein ganzes Ich war von meinem Maͤdchen eingenommen, und nicht ein Schatten von Gedanken an Kommers und Bur- schenkomment blieb in meiner Seele. Ich redete mit dem lieben Maͤdchen, als waͤre sie gegenwaͤrtig, klagte ihr meine Noth, bath um Verzeihung, schwur ihr von neuem ewige Treue, und was der Verlieb- ten Schwindelei mehr war. Den Brief uͤberlas ich — wer weis wie oft! — und lernte ihn fast auswendig. Endlich ward es Tag, und Diefenbach kam, mich zum Koffe abzuholen. Er bemerkte anfaͤnglich meine Verwirrung nicht; aber seine Schwester sah mir gleich an, daß ich nicht der mehr war, der ich am vergangenen Tage gewesen war. Sie fragte mich, ob ich vielleicht nicht gut geschlafen haͤtte? Niemals besser, war meine Antwort. — Diefenbach hatte sich auf eine halbe Stunde entfernt, und nach seiner Zuruͤckkunft bat er mich, ihn in den Garten zu begleiten. Ich thats, und nachdem wir unsere Pfeiffen gestopft hatten, fragte Diefenbach ernstlich: Hoͤre Laukhard! wie siehst du aus? du machst ja ein Gesicht, wie eine verhunzte Grundbirnen-Pastete! sag', was ist dir? Ich : nichts Lieber, gar nichts: ich wuͤßte nicht, was mir fehlen sollte! Diefenbach : das must du einem Narren weis machen! dir ist was begegnet, es sey nun, was es wolle! Ich : sey versichert, mir fehlt gar nichts. Diefenbach : bist verliebt Kerl, gesteh's nur; was hilft das leugnen! Nicht wahr, bist verschossen? Ich : In wen denn? Ich glaube, du willst mich zum Narren haben! Diefenbach : (indem er Theresens Brief hervorzieht) Sieh, Freund, du must deine Korre- spondenz kuͤnftig besser verwahren! Meine Schwester hat den Brief da droben in der Stube gefunden, und hat ihn auch gelesen, und ich hab ihn auch ge- lesen. — Schau, nun leugne, daß du ein verscham- merirter Hase bist! Ich : (wie vom Blitz getroffen) du wirsts doch in Gießen nichts sagen? Diefenbach : da muͤßte mich der Gukkuk pla- gen! meynst du denn, daß ich ein Drastikum bin? Sey nur getrost: von mir erfaͤhrt der Teufel selbst kein Wort, und von meiner Schwester auch nicht. — Waͤhrend dieses Gespraͤchs war auch Mamsel Diefenbach in den Garten gekommen, und fing nun an, mich aufzuziehen; als sie aber sah — und so was sehen die Frauenzimmer eher, als der feinste Kritiker ein mendum , — daß sie mich tief kraͤnkte, aͤnderte sie ihren Ton, und theilte meine Empfin- dung. Nichts ist labender fuͤr einen Verliebten, als ein schoͤnes Frauenzimmer, das in seine Gefuͤhle ein- stimmt. Ich schwamm in Seligkeit und gerieth uͤber dem Lob meines Maͤdchens so in Enthusiasmus, daß ich vergaß, daß das Lob des einen Frauenzimmers beinahe allemal die Eitelkeit des andern beleidiget. Mamsell Diefenbach bestaͤrkte mich in meinem Vorhaben, nach Manheim zu reisen, um Theres- chen zu besuchen. Ich blieb noch einige Tage in Reiskirchen; aber dann konnt' ichs nicht mehr aus- halten vor lauter Sturm und Drang, wie Meister Klinger spricht: ich gieng nach Gießen zuruͤck, ruͤstete mich, gab vor, ich wollte meine Bekannten in Weilburg besuchen, und begab mich auf die Wan- derschaft der Liebe. Ich machte in einem Tage die Strecke von Gießen nach Frankfurt, und das zu Fuße. — Nun, meine Herrn Psychologen, will ich Ihnen was sa- gen, das Ihnen vielleicht nicht so leicht zu erklaͤren seyn moͤchte, als die Ideen-formen. Ich war doch voll von Theresens Bild, war ihr von ganzer Seele wieder ergeben: rege Sehnsucht trieb mich zu ihr hin, kein Gedanke stund in mir auf, an dem die Idee meines Maͤdchens sich nicht sogleich ange- kettet haͤtte; und doch besuchte ich den Abend, als ich zu Frankfurt angekommen war, die beruͤchtigte Ma- dam Agrikola. Wie gieng das zu? – Den folgenden Tag fuhr ich mit dem Marktschiffe nach Mainz, am dritten setzte ich mich in eine Re- tourchaͤse, war schon um eilf Uhr in Worms, und kam des Abends noch vor dunkel in Manheim an. Ich logirte im goldnen Stern, wo ich den Wirth kannte, der sich nicht wenig wunderte, mich bei sich zu sehen. Sogleich fertigte ich ein Billet in das Haus der Madame B.... des Inhalts, daß je- mand aus der Gegend der Mamsel .... da waͤre, und sich erkundigte, ob sie nichts an ihren Herrn Vater zu bestellen haͤtte? Absichtlich gab ich mir ei- nen falschen Namen. Der Bothe kam zuruͤck, brachte mir ein Kompliment von der Mamsel, mit dem Zusatz: man wuͤrde sich freuen, wenn ich sie des andern Tages zum Koffe besuchen wollte. Wer war froher als ich? Ich ließ mich fruͤh à la mode de Manheim frisiren, buͤrstete meinen Rock fein aus, und marschirte mit tausend Herz- klopfen nach dem Hause der Madam B.... in der Nachbarschaft der Dominikaner. Therese empfing mich an der Hausthuͤr, gab mir einen Wink, mach- te mir ein gleichguͤltiges Kompliment auf franzoͤsisch, und sagte sodann: je vous donnerai une lettre; onvrez-la, quand vous ferez hors d'ici Ich werde Ihnen einen Brief geben; oͤffnen Sie ihn, wenn Sie von hier weg sind. . Die alte Base empfieng sehr hoͤflich, und erkundigte sich nach dem Befinden ihres Herrn Vetters, den sie noch vor einem Monate; ich aber seit einem hal- ben Jahre nicht gesehen hatte. Therese gab mir waͤhrend des Koffeetrinkens den Brief, den ich ihrem Vater uͤberreichen sollte; ich merkte aber wohl, daß er fuͤr mich war. Ich blieb lange da, und es wur- de vielerlei gesprochen. Einmal aber haͤtte ich den ganzen Spaß bald verrathen: denn ich fing an, eine Gießer Historie aufzutischen, und von Burschenkom- ment zu unterhalten. Therese ward feuerroth: da merkte ich erst, wie dumm ich gewesen war, und lenkte ein; erzaͤhlte aber doch weiter, nur sagte ich, ein guter Freund, der vor kurzem von Gießen ge- kommen waͤre, haͤtte mir den Jux (Spaß) mitge- theilt. Die Alte merkte auf die Art nichts. — Endlich kam ein Schneider, welcher Thereschen das Maaß zu einem Schlender nehmen wollte. Sie ging mit ihm ins Nebenzimmer, und da hob sich folgendes Gespraͤch an: Base : Sind Sie denn auch katholisch? Ich : O ja! — Mein Vater ist ja Oberfoͤrster. Base : Nun, so darf ich Sie ja um etwas be- fragen! Kennen Sie den jungen Laukhard? Ich : (bestuͤrzt) O ja, warum solte ich den nicht kennen! Base : Nun, wie ists denn mit dem? Ich : (gefaßter) Er ist jetzt in Gießen: erst vor einigen Tagen habe ich einen Brief von ihm er- halten, worin er mir schreibt, daß es ihm recht gefalle, daß er sich das Burschenleben recht zu Nutze mache, und den Burschenkomment schon ziemlich verstehe. Ich muß Ihnen doch einen Begriff machen vom Burschenkomment, wie Laukhard mir ihn be- schrieben hat. Sehen Sie, ein rechter Bursch — Base : Lassen Sie jetzt die Bursche und ihren Comment — wir haben uͤber wichtigere Dinge zu sprechen. Sie wissen doch, daß Laukhard auf Therese ein Auge geworfen hat? Ich : davon weis ich nichts! Base : Nicht? die ganze dortige Gegend ist davon voll. Sie werdens gewiß auch wissen! Doch dem mag seyn, wie's will; meynen Sie denn im Ernst, daß Laukhard es ehrlich meynt? Ich : Laukhard hat mir immer ein ehrlicher Kerl zu seyn geschienen. Base : Ja, geschienen — aber seine Auffuͤh- rund beweiset ja, daß er ein Schlingel ist, ein recht undankbarer Gukkuk, ders gute Maͤdel hat in der Leute Maͤuler gebracht, versprochen, er wollte katho- lisch werden, und dann einmal Thereschen heura- then: Und jetzt geht der Schlingel hin, und studirt lutherisch geistlich — pfui! Ich : Hoͤren Sie, Sie thun vielleicht dem Menschen unrecht. Sein Vater ist ein strenger Mann: der hat ihn gezwungen, nach Gießen zu gehen. Base : Ach, was gezwungen! Glauben Sie denn, daß der Esel nur einmal geschrieben haͤtte? — Das gute Naͤrrchen, die Therese, hat sich bald die Augen ausgeheult, und der Flegel sitzt zu Gießen, und denkt nicht mehr an sie. Von Komment kann er Briefe schreiben; aber an das gute Maͤdel auch nicht eine Zeile! Ich : Aber wenn er nun auch geschrieben haͤtte, das waͤre ja doch vergebens gewesen! Base : Ih, warum nicht gar! — Man haͤtte doch noch Mittel und Wege finden koͤnnen, wenn nur der Schliffel nicht so ein Schuft gewesen waͤre. Mit dem kam Therese wieder, und unser Ge- spraͤch hatte ein Ende. Wer war froher als ich! Zwar hatte ich nun meine Ehren Titel gehoͤrt; sah aber doch auch, daß noch Hoffnung fuͤr mich uͤbrig war. Ich eilte darauf weg, um zu sehen, was The- rese geschrieben haͤtte. Ehe ich in mein Quartier kam, begegnete mir Herr Emons, jetzt Stadtschreiber in Oppenheim, und noͤthigte mich, mit ihm auf ein Koffehaus zu gehen. Wir spielten eine Parthie Billard; ich ent- fernte mich aber auf einige Augenblicke, um den In- halt von Thereschens Brief zu erfahren. Der war sehr kurz! Ich sollte, schrieb sie, um vier Uhr jen- seits des Neckers in der Aue seyn, da wuͤrde sie mich sprechen: ich sollte nur am rothen Haͤuschen verwei- len. Das war viel Trost fuͤr mich! Auf dem Koffehaus wurde onze et demi ge- spielt: ich wollte einige Gulden wagen, die ich ent- behren konnte — ich hatte von Gießen uͤber vier Louisd'or mitgenommen — war aber gluͤcklich, und gewann gegen dreißig Gulden. Gegen Mittag hoͤrte das Spiel auf. Ich bin niemals ein Freund vom Spiel gewesen; aber wenn ich spielte, hatte ich mei- stens Gluͤck. Um vier Uhr — o wie bleiern langsam schleppte sich diese so sehnlich gewuͤnschte Stunde heran! — war ich schon lange am rothen Haͤuschen jenseits des Neckers. Endlich erschien auch Therese, und fuͤhrte mich hinter die Baͤume, wo wir ungestoͤrt kosen konn- ten. Das Gespraͤch bestand aus Vorwuͤrfen, Ent- schuldigungen, Nachrichten, und Betheurungen ewi- ger Liebe u. dergl. Leser von Erfahrung wissen, was wir reden konnten. Zuletzt offenbarte ich Theres- chen das Gespraͤch ihrer Base. Sie war sehr froh daruͤber, und sagte mir, daß ich am folgenden Tage unter meinem eignen Namen in ihrer Wohnung erscheinen sollte. Die Base soll doch sehen, setzte sie hinzu, daß Laukhard kein Schuft ist: kommen Sie, wir wollen nach der Stadt gehen. Ich begleitete mein Maͤdchen bis an ihre Woh- nung, wo die Base zum Fenster heraus sahe, und mich bat, herein zu kommen; aber das war wider unsre Abrede. Ich entschuldigte mich, gab Geschaͤfte vor, und ging — weiter. Ein Hanswurst hatte einige Tage vorher in Manheim durch seine sieben Kuͤnste die Beutel der Muͤßiggaͤnger, der Domherren und des uͤbrigen hei- ligen und unheiligen Poͤbels in Contribution gesetzt, und hielt sich jetzt in Frankenthal auf, um seine Possen auch da zu benutzen. Eine große Menge Manheimer, — so erbaulich ist auch da der Ge- schmack! — fuhren, ritten und gingen nach Fran- kenthal, und auch ich ließ mich von Herrn Emons bereden, in einer Kalesche ihn dahin zu begleiten. Der Hanswurst balansirte auf dem Drath, ließ Ma- rionetten spielen u. s. f. wobei das Zuschauervolk sein Zwerchfell maͤchtig voltigiren ließ. Wir speiseten den Abend im Wirthshaus; aber wie fuhr ich zusammen, als ich den Kupferschmid Keßler von Alzey gewahr wurde! er logirte im naͤmlichen Gasthofe. Er fragte mich nach der Ursach meines dortigen Aufenthalts: Herr Dietsch von Frankfurt, antwortete ich, hat mich zu dieser Reise bewogen, und Keßler fragte nicht weiter. Nachts um eilf Uhr war ich wieder bei meinem Freund Sternwirth. Fruͤh kam die Magd der Madam....und bat mich im Namen ihrer Herr- schaft, doch gegen neun Uhr zum Fruͤhstuͤck zu er- scheinen. Ich flog um die bestimmte Stunde dahin. „Ach, sagte die Base, Sie haben mich schoͤn ange- „fuͤhrt! aber dafuͤr haben Sie gestern Ihren Text „hoͤren muͤssen! — Wir wollen es gegen einander „aufheben, und gute Freunde seyn!“ Mit diesen Worten nahm sie mich bei der Hand, und setzte mich neben sich. Nun ward das Gespraͤch sehr ernsthaft, so ernsthaft, daß Thereschen sich wegbegab. Es wur- de, damit ichs kurz mache, der Entschluß gefaßt, daß ich zwar fuͤr jetzt in Gießen bleiben, aber in den Herbst-Ferien meine Eltern besuchen sollte. In- zwischen wuͤrde sich schon ein Mittel zeigen, unsern großen Zweck auszufuͤhren. Das war die ganze Ab- rede. — Ich blieb noch zwei Tage in Manheim, sah alle Tage mein liebes Maͤdchen, und reisete dann mit schwerem Herzen wieder ab. Meinen Ruͤckweg nahm ich durch die Bergstraße, und kam nach einer Abwesenheit von ohngefaͤhr zwoͤlf oder dreizehn Ta- gen in Gießen wieder an. Vierzehntes Kapitel. Nichts zu voreilig , meine Herren ! M eine Kameraden ließen sich leicht bereden, daß ich in Weilburg gewesen waͤre, und waren fideel froh , daß sie mich wieder sahen. Ich hatte einige Kollegia bei Hn. Boͤhm, naͤm- lich die Logik und reine Mathematik, welche letztere er zwar nach Wolffs Auszug, aber doch mehr nach dem vortrefflichsten aller mathematischen Lehrbuͤcher des Herrn Kaͤstners Seit Kaͤstners Lehrbuch haͤtte billig kein anderes uͤber diese Wissenschaft sollen geschrieben werden. Alle an- dere, das Karsteusche selbst nicht ausgenommen, blei- ben weit hinter ihm. sehr gruͤndlich lehrte. Dann besuchte ich das Grammatikale Hebraͤum des Herrn Link , welches aber so traurig war, daß ich es schon mit der sechsten Stunde aufgab. Die allgemeine Geschichte hoͤrte ich bei Herrn Koͤster, und die Dog- matik bei Hrn. Schulz. Letzterem gab ich nun auch den Abschied, weil ich seit meiner Conferenz mit der Base meines Thereschens fest entschlossen war, blos schoͤne Wissenschaften, Mathematik und Geschichte zu treiben, um meinen großen Zweck desto eher zu erreichen. Ich war ziemlich fleißig, schwaͤnzte Schwaͤnzen heißt, nach der Studenten-Sprache, die Vorlesungen versaͤumen. nie, und ließ es an guter Repetition nur selten fehlen. Herr Koͤster borgte mir manches gute Buch, aus dem ich viel lernen konnte. So las ich damals schon die treffliche Theodicee des unsterblichen Leibnitz, und ge- rieth oft in gewaltigen Enthusiasmus, wenn ich eins seiner Argumente gefaßt zu haben glaubte. Beiher habe ich auch im ersten Sommer meines Aufenthalts zu Gießen den ganzen Ovidius und den ganzen Taci- tus gelesen. Beim Tacitus hatte ich eine franzoͤsische Uebersetzung zu Huͤlfe, die zwar sehr alt, aber zum Verstehen des Schriftstellers sehr dienlich war. — Auch legte ich mich aufs Italiaͤnische, und brachte es unter der Anleitung eines gewissen Exkapuziners von Modena, Paters Brunelli, innerhalb drei Mo- naten so weit, daß ich ohne Muͤhe ein italiaͤnisches Buch, auch wohl einen italiaͤnischen Dichter lesen konn- te. Herr Schmid hat mir damals die Komoͤdien des Goldoni, und den Tasso geborgt, wofuͤr ich ihm hiermit oͤffentlich danke, damit er mich nicht auch in Absicht Seiner des Undanks beschuldige, wie er in Absicht des Herrn Kochs gethan hat. Es mochten wol vier Wochen seit meiner Rei- se nach Manheim verflossen seyn, als ein Brief von meinem Vater ankam. Das war ein Brief! Schrecklicher, als er darin auf mich loszog, kann ein Musketier-Kapitaͤn nicht auf einen Soldaten los- ziehen, der die Parade verschlafen hat. Er hatte von dem Alzeyer Keßler meine Donkischotts-Reise erfahren; — und die Ursache davon konnte er sich leicht hinzudenken. Er wußte, daß Therese in Man- heim war, und mußte also auch schließen, daß ich sie da gesehen und gesprochen hatte. Er drohte mir, mich von Gießen wegzunehmen, und nach Koppen- hagen auf die Universitaͤt zu schicken: da sollte es mir wol vergehen, nach Manheim zu reisen! Er wollte mit aller Gewalt meine unwuͤrdige Liebschaft stoͤren: da muͤßte sonst der Henker drein sitzen u. s. w. Sogleich sollte ich antworten, und den Verlauf mei- ner Reise aufrichtig und ohne Umschweife erzaͤhlen: er wisse doch schon alles, und wenn ich nicht aufrich- tig waͤre; so wuͤrde er selbst nach Gießen kommen, und mich nach Koppenhagen hinfuͤhren — in eigner Person. Diese Drohung schlug mich gewaltig nieder: denn ich fuͤrchtete nichts so sehr, als nach Daͤnemark geschickt zu werden. Um also diesem Uebel vorzu- beugen, antwortete ich, daß ich zwar in Manheim gewesen, aber blos mit einem guten Freunde dahin gereiset sey, der im Elsaß zu Hause waͤre, und zu Gießen studiert haͤtte. Ich leugnete geradezu, The- resen gesehen zu haben: ich wuͤßte ja nicht einmal, daß sie sich in Manheim aufhielte! Uebrigens raͤum- te ich ein, einen erzbummen Streich gemacht zu ha- ben; versprach aber, mich zu bessern, und bat um Verzeihung. Ich hatte meinen Brief lateinisch ge- schrieben und brav mit griechischen Stellen ausstaf- firt, welches meinem Vater denn dergestalt behagte, daß er mir verzieh, und mich nur noch zum Gehor- sam anwieß. Nun war ich wieder getroͤstet! Aber der an- gelobte Gehorsam blieb aus: ich wechselte von der Zeit an bestaͤndig mit Mamsell Thereschen Briefe, und schrieb auch von Zeit zu Zeit an den Pastor Neuner. Dieser gute Mann ermahnte mich, fleißig gute katholische Buͤcher zu lesen; und dem zufolge hohlte ich mir auf der Universitaͤts-Bibliothek das Manuale Controversiarum Becani, eines gelehr- ten Jesuiten. Ich habe mich hernach oft gewundert, wie ich schon damals im Stande war, einen alten polemischen Klopfechter, wie Becani Manuale ist, mit Aufmerksamkeit und Lernbegierde zu lesen. Die Folge zu seiner Zeit. Funfzehntes Kapitel. Die Musensoͤhne sind oft sehr boͤsartige Kinder! O hngefaͤhr im Monat August dieses Jahrs entstan- den in Gießen die Eulerkappereien , welche mir und vielen andern zu schaffen gemacht haben: sie verdienen daher allerdings eine Stelle in meiner Biographie. Ich muß aber zum voraus den Ur- sprung dieser Benennung erklaͤren. Zu Gießen am Wagengaͤßchen, wohnte ein ge- wisser Euler , welcher in seiner Jugend Theologie studiert hatte, hernach aber wegen eines illegalen Beitrags zur Bevoͤlkerung, der durch seines Vaters Magd zum Vorschein gekommen war, die Hoffnung verlohr, ein geistliches Amt zu bekleiden. Er hatte die Maͤdchenschule in Gießen angenommen, war da- bei Leichenbitter, Kantor in der Zuchthauskirche, und Klingelbeuteltraͤger in der Stadtkirche. Dieser Euler, oder nach dem Eckelnamen, den ihm die Studenten gegeben hatten, Eulerkapper, war ein aͤußerst laͤcherlicher Mensch: seine Minen, sein An- zug, sein Gang, kurz, alles war so auffallend beschaf- fen, daß ihn niemand ansehen konnte, ohne uͤber- laut zu lachen. Er war eben darum der allgemeine Gegenstand fuͤr die Neckereien der Gießer Studenten: und diese Neckereien nannte man — Eulerkap- pereien. Was man alles mit ihm vorgenommen hat, lehrt unter andern folgendes. Neben Eulerkappern wohnte ein Student, welcher aus seinem Kammerfenster gerade in dessen Putzstube sehen konnte. Der Student nahm einmal den Zeitpunkt in Acht, als das Fenster dieser Putz- stube offen stand, befestigte seinen Kammertopf an eine Stange, langte dieselbe hinuͤber und leerte den Topf — es war Unrath von verschiedener Gattung darin — in der Putzstube aus. Euler mußte das Ding bald erfahren, mußte auf den Urheber schließen, und nun war es ganz natuͤrlich, daß er ihn beim Rector verklagte. Der Student wurde vorgefordert, er lehnte aber die Beschuldigung von sich ab, durch Vorgeben: Erster Theil. I daß manche Bursche in seiner Abwesenheit auf seine Stube zu gehen pflegten, und da koͤnnte es immer seyn, daß sie den Muthwillen veruͤbt haͤtten. Er fuͤr seine Person waͤre von dergleichen schmutzigen Affaͤren weit entfernt. — Auf diese Art kam Bru- der Schacht — eben der, von dem oben gesprochen ist — ohne Strafe davon, und der Rector lachte blos uͤber den Einfall, einen Kammertopf in ein fremdes Visitenzimmer auszuleeren. Den folgenden Sonntag versammelte Herr Schacht eine große Menge Studenten auf seine Stu- be. Kaum war Euler mit Frau und Tochter zur Kirche, so wurde sein Fenster mit einer Stange ein- gestoßen, und auf die vorhin beschriebene Art eine Menge Ladungen in die Putzstube transportirt. Eu- ler erfuhr schon auf dem Ruͤckweg nach Hause, was vorgefallen war. Er klagte; aber nun halfen dem guten Schacht seine Ausfluͤche nicht: er mußte vier Tage ins Karcer, mußte Eulern das Fenster neu einscheiben lassen, und dreißig Kreutzer zur Reinigung der Putzstube hergeben. Zu Gießen war es damals Mode, daß ein in- karcerirter Student einen andern des Nachts zur Ge- sellschaft bei sich haben konnte. Herr Schacht waͤhlte mich dazu: ich ging hin, und hier verbanden wir uns, den Euler forthin auf alle moͤgliche Art zu necken und zu beschimpfen. Ich hielt redlich Wort, wie ich denn uͤberhaupt bei dergleichen Versprechun- gen niemals wortbruͤchig geworden bin. Waͤre ich nur in andern Dingen auch so genau gewesen!! Ich hielt Wort, und perirte den Eulerkapper gleich am folgenden Abend, und warf ihm die Fenster ein. Aber das Ungluͤck wollte, daß ich erkannt und beim Prorector angegeben wurde. Dieser dictirte mir zwei Tage Karcer, und die Unkosten fuͤr die einge- worfenen Fensterscheiben. Einige andre Freunde, welche den Eulerkapper auch perirt hatten, kamen gleichfalls aufs Karcer, oder wie man in Gießen spricht, nach Cordanopolis Der damalige Karcerknecht — eine recht gute Anstalt ist das mit dem Gießer Karcerknecht! — hieß Conrad. Diesen Namen veraͤnderten die Studenten in Corda- nus, und das Karcer hieß daher, und heißt noch Cor- danopolis. . Daruͤber ergrimmte die ganze Burschenschaft, und schwur dem Eulerkapper den Tod. Schacht indicirte nun ein Parlament, wel- ches sich im Rappen versammelte, und ein Urtheil uͤber den Eulerkapper sprechen sollte. Das Parla- ment kam zusammen, Schacht redete, nachdem jeder seinen Bierkrug vor sich, und seine Pfeiffe angesteckt hatte, die Versammlung an, und stellte ihr vor, wie Euler, der Maͤdchenschulmeister, bisher Ursache gewesen sey, daß so manche brave honorige Bursche ins Karcer gekommen und sonst gestraft worden waͤ- ren; daß also eine allgemeine Entscheidung zu fassen sey, wie man es in Zukunft mit dem Euler halten sollte. Er fuͤr sein Theil faͤnde nothwendig, daß man ihm einen angemeßnen Eckelnamen beilegte. — Hierauf wurde debattirt und endlich beschlossen: daß der Maͤdchenschulmeister Euler in Zukunft Eulerkap- per heißen und jeder Bursche ihn wenigstens einmal die Woche periren sollte. Die Perificationsformel wurde auch durch die meisten Stimmen folgender- maßen angegeben: „Es leben Ihre Magnifizenz, der Herr Johann Heinrich Eulerkapper, Ritter von Fellago, des heiligen Roͤmischen Reichs Großkron- eselsohrtraͤger, Hunzfott und Schwerdtfeger, hoch und abermal hoch und noch einmal hoch! Pereat Eulerkapper!“ — Dabei sollte, wenn sichs sonst thun ließe, der Perifikant dem Eulerkapper auch die Fenster einwerfen. Das loͤbliche Parlament gab gleich denselben Abend ein Beispiel der Befolgung der sancirten Ge- setze. Alle Assessoren, nachdem sie sich derb benebelt hatten, zogen vor des armen Mannes Haus und perirten ihn in der besten Form. Der Eulerkapper, welcher sich nicht getrauete, vor seine Thuͤr zu treten, mußte dem Laͤrmen ohngeraͤcht zuhoͤren: denn er kannte niemanden, war also nicht im Stande, einen Perifikanten bei der Obrigkeit anzugeben. Seit dem Parlamentstage hatten die Kappe- reien kein Ende: alle Abende wurde von mehr als hundert Studenten, pereat Eulerkapper, gegroͤlt, und eine Fensterkanonade vorgenommen. Ja, einst perirten ihn gar zwei junge Frauenzimmer. Es blieb aber nicht beim Periren und Fenstereinschmeißen allein: es wurden auch Pasquille, Liedchen und scheußliche Gemaͤlde gemacht, und aller Orten, be- sonders in der Gegend des Hauses dieses geplagten Schulmeisters, angeklebt. Da so oft Studenten vom Kapper erkannt wurden; so kamen auch nicht wenige aufs Karcer. Freilich war diese Strafe niemals scharf: ein, hoͤch- stens zwei, bei oͤfterer Wiederholung auch drei oder vier Tage Arrest, war die ganze Zuͤchtigung — nebst der Bezahlung der zerschmissenen Fensterscheiben. Der Rector lachte allemal, wenn er jemanden wegen Kapperei vorhatte. Vorzuͤglich gefielen diese Possen dem Herrn Bechtold, welcher mich besonders, frei- lich im Spaß und mit großem Gelaͤchter, des Satans Engel hieß, der Eulerkappern mit Faͤusten schluͤge. Dafuͤr muste ich indeß doch nach Cordanopolis wan- dern. Ehemals war das Karcer in Gießen so wie die Karcer auf andern Universitaͤten, blos mit dem Na- men derer bemalt, welche in demselben kampirt hat- ten; aber seit der Eulerkappereien fings auch an, an den Waͤnden tapezirt zu werden. Anfangs wurde blos der Eulerkapper gerade der Thuͤr gegen uͤber ge- malt mit schwarzem Rock, gelber Weste, rothen Beinkleidern u. s. w. Bald hernach wurde ein Teu- fel in scheußlicher Gestalt vor ihm hingestellt, der ihm Bruͤderschaft zutrank. Die Malerei blieb nicht beim Eulerkapper stehen: es wurden noch mehr Personen mit Epigrammen abkonterfeiet, — und auf diese Art wurden alle Waͤnde so voll, daß innerhalb Jah- resfrist kein Platz zu Portraͤts uͤbrig blieb. Ein gewisser Student, Namens Anaker sollte einmal eingesteckt werden; er stellte aber gleich am ersten Abend bei Herrn Bechtold vor, daß er sich vor den vielen im Karcer abgemalten Teufeln fuͤrchte, und wurde losgelassen. Als ich vor einigen Jahren durch Gießen reisete, waren noch die meisten dieser Gruppen im Karcer sichtbar. Doch genug hiervon! Man muß die Nachsicht seiner Leser nicht mis- brauchen. Sechszehntes Kapitel. Illiacos intra muros peccatur et extra! D ie Stadt Wezlar habe ich bald nach meiner An- kunft in Gießen besucht. Sie liegt kaum drei Stun- den von da, und ist ein ungleiches, rustiges, schlecht gebautes Nest. Die Stadt ist gemischter Religion. Die Geistlichkeit derselben ist so bigot, daß man wohl schwerlich in der Welt bigotteres Grob antref- fen wird. Nur ein Proͤbchen hiervon. Kurz vor meiner Zeit hatte sich der Sekretaͤr Jerusalem , der Sohn des beruͤhmten Abts Jeru- salem aus Haß gegen einen Gesandten und aus Liebe zur Tochter des Amtmanns Buff , erschossen. Man sagte damals in Gießen und Wetzlar, daß eine Belei- digung, welche Jerusalem in dem Hause des Praͤsi- denten, Grafen von Spauer, habe erdulden muͤßen, bei dem sehr empfindlichen und stolzen Juͤngling das meiste zu diesem traurigen Entschluß gewirkt habe. Genug, Jerusalem erschoß sich: und nun hatte es Schwierigkeit mit seiner Begraͤbnißstaͤtte. Der Amt- mann Buff, ein redlicher Mann, bath den Pfarrer Pilger um die Erlaubniß, die Leiche des Ungluͤck- lichen auf den Gottesacker zu begraben: aber der Pfaffe, der leider in dieser Sache zu befehlen hatte, sah jeden Selbstmoͤrder als ein Aas an, das eigent- lich fuͤr den Schinder gehoͤre, und versagte die Er- laubniß. Kaum konnte der Graf v. Spauer , der sich recht thaͤtlich fuͤr Jerusalems ehrliche Beerdigung interessirte, soviel erhalten, daß der Erblaßte auf einer Ecke des Gottesackers durfte begraben werden. Der Pastor Pilger hat hernach mehreer Predigten wider den Selbstmord gehalten, und den guten Je- rusalem so kenntlich beschrieben, daß jederman merk- te, er sey es, der nun in der Hoͤlle an eben dem Orte ewig brennen muͤße, wo Judas der Verraͤther brennt, der sich erhenkte, mitten entzwei barstete und all sein Eingeweide ausschuͤttete. ( Act. 1, 18) So elend Wezlar sonst ist, so volkreich ist es wegen des dortigen Reichskammergerichts. Da giebt es außer den vieler Assessoren, Prokuratoren, Advo- katen, Notarien und Skribaxen, wovon alle Gassen wimmeln, und welche sich alle gewoͤhnlich schwarz kleiden, auch noch eine Menge von Fremden, wel- che dahin kommen, den Gang ihrer Processe zu be- foͤrdern, d. i. die Referenten auszuspaͤhen, denen ihre Acten uͤbergeben sind, und diese dann mit baa- rem schweren Gelde, oden sonst etwas zu beste- chen Daß dieses und noch vielmehr in Wezlar gaͤng und gaͤbe sey, lehrt die vor 20 Jahren angestellte Visitation, wobei Herr von Nettelbla, Herr von Papius, und mehr andere Herrn von und nicht von als Schelme sich aus dem Staube machen musten, um dem Galgen, den ihnen Kaiser Joseph II. gedrohet hatte, zu entge- hen. Mosers Staastrecht giebt Auskunft daruͤber. . Bei dieser großen Volksmenge fehlt es nicht an allerhand Vergnuͤgungen, an anstaͤndigen und unan- staͤndigen, wie einer Lust hat. Oft halten sich, zum Beispiel, Komoͤdianten da auf, welche aber meistens so elend spielen, wie weiland Signor Schmettau in Passendorf, oder der Signor, welcher diesen Win- ter, 1792, in Merseburg die besten Stuͤcke so fein radebrechen konnte. Mein Geschmack ist wahrlich nicht fein; aber von den vielen Schauspielen, wel- chen ich in Wetzlar beiwohnte, hat mir auch nicht eins gefallen. Einst sah ich Leßings Emilia Ga- lotti: da agirte Odoardo wie ein besoffener Korporal, Marinelli wie ein Hanswurst, und der Prinz natuͤr- lich wie ein Schuhknecht. Klaudia sah aus, wie eine Pastorswittwe, Emilia wie ein Hockenmaͤdchen, und die Graͤfin Orsina endlich wie eine kuraschirte derbe Burschen-Aufwaͤrterin. Schreien konnten die Kerls und die Menscher, als wenn alle halb taub gewesen waͤren. So war die Komoͤdie! dem aber ohngeachtet klatschten die Wezlarische Herren und Da- men, als spielte ein Garrik ! Das Entree kostete indessen auch nicht viel — drei Batzen auf dem Parterr! Und fuͤr kupfer-Geld kriegt man auch nur kupferne Seelmessen! Daher ist das Theater immer schlecht erleuchtet, und die Musik ganz abscheulich. Nirgends kann eine Musik elender seyn, als sie dort im Schauspielhause und auf den Baͤllen ist. Ordentliche Konzerte hoͤrt man da nicht, wenigstens zu meiner Zeit nicht; dann und wann, eben wie in Gießen, kommt ein Fremder, und laͤßt sich hoͤren. Sonst giebts Karrussel u. d. g, in Wez- lar, auch einige Gaͤrten, wo man sich so ziemlich zerstreuen kann. Die Gießer Studenten besuchen Wezlar sehr oft, wie denn uͤberhaupt die Studenten gewohnt sind, außerhalb des Ortes, wo sie sich aufhalten, ihre Vergnuͤgungen aufzusuchen, gesetzt auch, sie koͤnnten dergleichen in ihrer Heimath weit besser an- treffen. Daß ich nicht lange wartete, diesen Ort zu besuchen, laͤßt sich schon aus dem Vorhergehenden abnehmen, da ich uͤberhaupt gern alles das nach- machte, was Leute meines Zirkels und meines Glei- chens zu thun pflegten. Allein mir gefiel das alte Nest nicht; desto besser aber behagte mir die Tischge- sellschaft im Adler, weil da Leute aus allerlei Pro- vinzen speißten, und ihre Avantuͤren beim Glas Wein erzaͤhlten, so unwahrscheinlich einige auch klin- gen mochten. Ich habe hernach noch viermal, von Gießen aus, Wezlar besucht, und mich allemal ge- freut, wenn ich mit Deputirten von Doͤrfern und Staͤdten aus allen Theilen desjenigen deutschen Reichs, woruͤber die Kammer zu Wezlar noch etwas zu sagen hat, kannegießern konnte. Da in Gießen keine Bordelle sind, und doch die Bursche daselbst den Stachel der Sinnlichkeit eben so gut fuͤhlen, wie an jedem andern Orte; so ziehen die meisten nach Wezlar, um das Vergnuͤgen zu genießen, sich mit dem Auswurf des weiblichen Geschlechts zu unterhalten. Freilich sind außer der Geldzersplitterung, die uͤbrigen Folgen oft sehr trau- rig: denn die Wezlarischen Nymphen sind groͤßten- theils franzoͤsisch, und begaben ihre Liebhaber mit einer Galanterie, die alle andere Vergnuͤgungen ver- giftet, so lange sie dauert. Ich selbst — warum sollt' ichs nicht gestehen, da ich alles gestehen will, was mir begegnet ist, es sey gut oder boͤse? Hat ja doch Herr Schubart auch dergleichen von sich ge- standen? Ich selbst habe die boͤsen Folgen eines Um- gangs mit dergleichen gefaͤlligen Menschern empfun- den. Im zweiten Halbenjahre meines Aufenthalts in Gießen, ritt ich einmal nach Wezlar in Beglei- tung einiger Bursche. Des Abends gingen wir zu einer gewissen Makerelle, welche da unter dem Na- men der Postmeisterin bekannt war, und divertirten uns. Ich hatte nicht Lust, mich weiter einzulassen, als es unter aller Augen geschehen konnte: ich be- gnuͤgte mich daher mit der Zotologie u. dgl. Allein da meine Kammeraden alle, einer nach dem andern, mit den Maͤdchen verschwanden, und hernach hoͤchst vergnuͤgt, wie es schien, zuruͤckkamen, da besonders ein ganz artiges Geschoͤpfchen sich mir mehr, als dienlich war, naͤherte; so ließ ich mich denn auch vom Satan blenden, und gieng mit ihr in ein Apar- tement, wohin schon viele große Maͤnner, auch theologische Professoren, Doctoren u. d. gl. gegan- gen waren. Einige Tage hernach empfand ich das Geschenk, welches das Wezlarische Mensch mir ge- macht hatte. Ich war gleich anfangs so gluͤcklich, in die Haͤnde eines geschickten Studenten der Medi- cin, des jetzigen Herrn Doctor Adrian Diels von Gladenbach, der sich seither durch einige gute Schriften bekannt gemacht hat, zu gerathen. Die- ser ließ mich eine angemessene Diaͤt halten, und ku- rirte mich innerhalb vier Wochen aus dem Grunde. Waͤre ich ungluͤcklich genug gewesen, einem Gießer Quacksalber, deren es dort viele giebt, in die Kral- len zu fallen, vielleicht waͤre meine sonst dauerhafte Gesundheit in ihrer Grundfeste erschuͤttert und zer- stoͤhrt worden. Ehe ich mein Kapitel von Wezlar schließe, muß ich noch etwas von dem Ton, welcher daselbst herrscht, sagen, und dann eine empfindsame Procession zum Grabe des jungen Werthers erwaͤhnen. Nirgends in ganz Deutschland, selbst in Lauch- staͤdt nicht, in Eisenach nicht, und in Merseburg nicht, ist der Ton in den vornehmen Gesellschaften steifer, als eben in Wezlar. Ich habe dieses zwar nicht aus unmittelbarer Erfahrung: denn der Gießer Student hat wenig Zutritt zu den vornehmen Gesell- schaften daselbst; allein jeder, den ich daruͤber habe sprechen hoͤren, — und ich habe mehrere Sachkun- dige gehoͤrt, — haben mir das so gesagt. Der Adeliche, und besonders die adelichen Damen, wis- sen es gar zu gut, daß sie adlich sind, und lassen es jedem, der mit ihnen umgeht, recht empfin- den. Beiher muß man wissen, daß der Adel in Wezlar eben nicht durch die Bank stiftsmaͤßig ist, daß viel funkelneue darunter sind, auch wohl solche, welche gar nicht von Adel, aber unverschaͤmt genug sind, sich fuͤr solche auszugeben. Haben sie einen Ball; so wird er mit folgenden Worten angezeigt: den und den, ist im Hause des und des Herrn oͤf- fentlicher Ball, woran jeder adeliche Herr und jedes adeliche Frauenzimmer Theil nehmen kann. — Einige adeliche Damen nehmen es indes- sen nicht uͤbel, wenn ein buͤrgerlicher, der klingende Muͤnze hat, und sonst robust ist, ihnen die Kur macht, und sich die Muͤhe nimmt, dem hochwohlge- bornen Eheherrn Hoͤrner aufzusetzen. Beispiele sind verhaßt. — Die Procession nach dem Grabe des armen Jerusalems wurde im Fruͤhlinge 1776 gehalten. Ein Haufen Wezlarischer und fremder empfindsamer Seelen beiderlei Geschlechts beredeten sich, dem un- gluͤcklichen Opfer des Selbstgefuͤhls und der Liebe eine Feierlichkeit anzustellen, und dem abgefahrnen Geiste gleichsam zu parentiren. Sie versammelten sich an einem zu diesen Vigilien festgesetzten Tage des Abends, lasen die Leiden des jungen Wer - thers von Herrn von Goͤthe vor, und sangen alle die lieblichen Arien und Gesaͤnge, welche dieser Fall den Dichterleins entpreßt hat. Nachdem dies geschehen war, und man tapfer geweint und geheult hatte, gieng der Zug nach dem Kirchhof. Jeder Begleiter trug ein Wachslicht, jeder war schwarz ge- kleidet, und hatte einen schwarzen Flor vor dem Ge- sicht. Es war um Mitternacht. Diejenigen Leute, welchen dieser Zug auf der Straße begegnete, hiel- ten ihn fuͤr eine Procession des hoͤllischen Satans, und schlugen Kreutze. Als der Zug endlich auf den Kirchhof ankam, schloß er einen Kreis um das Grab des theuren Maͤrtyrers, und sang das Liedchen „ Ausgelitten hast du , ausgerungen .“ Nach Endigung desselben trat ein Redner auf, und hielt eine Lobrede auf den Verblichnen, und bewies beiher, daß der Selbstmord — versteht sich aus Liebe, — erlaubt sey. Hierauf wurden Bluͤmchen aufs Grab geworfen, tiefe Seufzer herausgekuͤnstelt, und nach Hause gewandert mit einem Schnupfen — im Her- zen. Die Thorheit wurde nach einigen Tagen wieder- holt; als aber der Magistrat es ziemlich deutlich merken ließ, daß er im abermaligen Wiederholungs- fall thaͤtlich gegen den Unfug zu Werke gehen wuͤrde; so unterblieb die Fortsetzung. Haͤtten lauter junge Laffen, verschossene Hasen und andere Firlefanze, wie auch Siegwartische Maͤdchen, rothaͤugige Kusinchen und vierzigjaͤhrige Tanten dieses Possenspiel getrieben; so koͤnnte mans hingehen lassen: aber es waren Maͤn- ner von hoher Wuͤrde, Kammerassessoren, und Da- men von Stande. Das war doch unverzeihlich! Und alle die Thorheit hat das sonst in seiner Art mei- sterhafte Buͤchlein des Herrn von Goͤthe verursacht! So relativ wirksam sind Vorstellungen, wenn ein Mann von Ansehen sie so oder so stafiret! Das Grab des jungen Werthers wird noch immer besucht, bis auf den heutigen Tag. Siebzehntes Kapitel. Wer einmal Don Quixote gegen sich selbst ist, wird es auch gegen Vater und Geliebte! I ch hatte den Sommer fideel und burschikos zuge- bracht, hatte mich zweimal geschlagen, war drei oder viermal im Karzer gesessen, und hatte nach den Sta- tuten des eben erwaͤhnten Parlaments den Eulerkap- per bis aufs Leben geketzert. Da freute sich nun meine Seele, als ich gegen das Ende des Halbjahrs meine Thaten so uͤberlegte, und keine einzige fand, warum ich mir — wie ich damals dachte — haͤtte Vorwuͤrfe machen duͤrfen. Das waren aber meine tollen Streiche noch nicht alle. Einmal war es mir gar eingefallen, einem Ball am Ludwigstage als dem Namenstage des Landgrafen, beizuwohnen. Ich ließ mich deswegen chapeaubas frisiren, zog seidne Struͤmpfe an — und ging nach dem Rathhause zu, wo der Ball gegeben wurde. Unterwegs begegnete mir ein gewisser Brumhard , welcher eben dahin wollte. Wir beredeten uns, vor- her zum Stangenwirth — so hieß der Wirth Bal- thasar bei den Studenten — zu gehen, und da einige Stangen Doppelbier auszuleeren. Als wir ins Bierhaus kamen — man stelle sich eine erzraucherige Stube, voll Tabacksqualm vor, wo Studenten, Philister und Soldaten beisammen sitzen, und Bier trinken: und dann denke man sich uns beide, ball- maͤßig gekleidet und chapeaubas auf der Bierbank mit einer Stange — einem großen Paßglase in der Hand: — genug, als wir hinkamen, fanden wir so viel Bekannte, daß wir bis zehn Uhr verweilten, und uns derb benebelten. Dann fiel es uns ein, auf den Ball zu gehen. Wir gingen hin; aber gleich merkte jederman, daß uns der Kopf schwer war. Brumhard hoͤrte, daß man sich uͤber ihn aufhielt, er fing daher an zu spektakeln, bis man ihn endlich zur Thuͤr hinaus transportirte. Er trat hierauf vors Rathhaus und perirte den ganzen Ball: dafuͤr mußte er auf einige Tage nach Cordanopolis wan- dern. Ich war, als dieses vorgieng, in einem Ne- benzimmer, wo ein gewisses Frauenzimmer, welches ich kannte, mir Thee einschenkte. Es war die De- moiselle Langsdorf , welche mir besonders gewo- gen war, weil ich einem dummen Jungen (Musje Lauer hieß er), der ihr einen Eckelnamen einst gab, derbe Ohrfeigen zugetheilt hatte. Diese Heldenthat hatte sie erfahren, und belohnte mich dafuͤr mit ihrer Freundschaft Woraus sich die Regel ergiebt: daß man sich beim Frauenzimmer stark in Gunst setzt, wenn man ihrent- wegen Ohrfeigen austheilt. Die alten Ritter waren warlich nicht dumm: sie wagten noch mehr; aber auch — wie's sich versteht — gegen etwas mehr, als eine Tasse Thee. . Mamsel Langsdorf hatte wohl gesehen, daß es mit mir nicht richtig war: sie sorgte also dafuͤr, daß ich im Nebenzimmer blieb, und kei- nen Skandal machte, wie mein Kamerad. Endlich ging ich doch in den Tanzsaal, und tanzte einige Menuets; wie aber — das kann man schon denken! Kurz darauf schrieb ich meinem Vater, daß jetzt bald Ferien waͤren: er moͤchte mir also erlauben, ihn zu besuchen. Meine Leser errathen, ohne daß Erster Theil. K ich es sage, daß nicht die Begierde, meine Eltern zu sehen, sondern ein aufwiegelnder Drang, mein Maͤdchen zu sprechen, Ursache war, warum ich um diese Erlaubniß anhielt. Thereschen war wieder von Manheim nach Hause gereiset, und daß mußte ich: denn ich hatte wohl ein halbes Dutzend Briefe von ihr erhalten, und lauter Briefe, so lang, als immer einer aus Sophiens Reisen seyn mag. Mein Vater mochte das Ding merken: wenig- stens schrieb er mir: „ich sollte fein huͤbsch in Gie- ßen bleiben, und die Ferien zur Repetition meiner Kollegien anwenden: es schicke sich nicht, daß der Student alle Augenblick von der Universitaͤt zu Hause lief: das saͤhe ja aus, als wollte er seiner Mutter Katz' noch einmal sehen.“ — So haͤtte ich also blei- ben muͤssen, und waͤre auch wirklich geblieben, wenn nicht ein Vetter von mir, Herr Boͤhmer , damals Hofmeister bei einem Herrn von Breidenbach in Mar- burg, seine Reise durch Gießen genommen, und mich zum Mitreisen in die Pfalz aufgefodert haͤtte. Von der Reise selbst will ich nichts erwaͤhnen: es ist mir nichts Merkwuͤrdiges dabei aufgestoßen, außer dem folgenden. Eine halbe Stunde von Wendelsheim wird jaͤhrlich ein beruͤhmter Jahrmarkt unter dem Namen Bellermarkt gehalten, und zwar im blanken Felde, woran mehrere Ortschaften Theil nehmen. Dahin kommen Kaufleute und Kraͤmer viele Meilen her — von Mainz, Worms, Manheim, ja sogar von Frankfurt und Strasburg. Es werden auch eine Menge Weinhuͤtten, ohngefaͤhr 50, errichtet, und von allen Bierfiedlern aus dem ganzen Umkreis her bemusicirt. Daher besucht die dortige Gegend von weit her den Jahrmarkt. Da findet man Graͤfliche und Adeliche, Civilbediente und Prediger, Frauenzimmer von Stande, auch Hans und Gretel, Creti und Plethi, nebst einer ansehnlichen Menge Toͤchter der Freude, und die Anzahl dieser letztern soll sich, wie man sagt, noch jaͤhrlich vermehren. Ich hoͤrte in Flonheim, daß heute eben der erste Bellermarktstag waͤre. Das war mir eine er- wuͤnschte Nachricht. Ich hatte von Alzey aus ein Pferd mitgenommen, und nun statt nach Wendels- heim zu reiten, ritt ich à la Bursch angezogen, mit einem derben Hieber versehen, auf den Bellermarkt. Gleich vorne an traf ich den chen Toͤpfer Engel aus Wendelsheim, der da sein irdenes Geschirr feil hatte. Engel : Ei Herr Jeh! Musche Fritz, will- kum! Ach um Gottes Wille, wo kumme Sie dann her? Ich : Heute nicht weiter, als von Alzey. Hoͤr Er, Meister, ist mein Vater hier? Engel : Noch nit: er werd abber doch bal kumme. Die Mammese kimt och, un och die Tan- tese, (Mamma und Tante.) Ich : Ist sonst kein Bekannter hier? Engel : (vertraulich) Musche Fritz, Ehr Mensch, (Ihre Geliebte) es schun da mit ehrem Babe (Papa). Ich : Das waͤre! Und wo sind die, mein lie- ber Meister? Engel : Da unne in Bremshuͤtt. Ich : Da muß ich gleich hin! à propos Lie- ber! ich habe eine Bitte an Ihn. Engel : Wann eichs (ich es) thu kan, mit Froͤde. Ich : Kann er mir einige Gulden vorstrecken, bis wir nach Hause kammen? Engel : (sehr freudig) Ei warum nit! Eich will Ehne zehn Gulle gebe: hun Se damet genuk? Ich : Mit der Haͤlfte! wenn ich nur fuͤnf Gul- den habe. Engel : (zaͤhlt Geld) Naͤ, da seyn Zehn Gulle, Es eß schun gut. Se (zu) Wennelshem gebe Se mer se wedder. Auf diese Weise war mein Beutel wieder in Ordnung, welcher auf der Reise, besonders zu Frankfurt, ziemlich schwindsuͤchtig geworden war. Hierauf band ich mein Pferd an den Wagen des ehr- lichen Engels, und ging, mein Maͤdchen aufzusu- chen. Ich fand sie bald; aber wie roth ward sie uͤber und uͤber, als sie mich erblickte! Ihr Vater schuͤttelte mir indeß traulich die Hand, und bewill- kommte mich, als waͤre ich sein Sohn gewesen. Aber wegen der Herumstehenden konnten wir nichts reden, was zur Sache gehoͤrte. Vielmehr ermahn- te er mich, ihn und seiner Tochter zu verlas- sen, damit uns mein Vater, der wahrscheinlich auch kommen wuͤrde, nicht zusammen faͤnde, und hernach von neuem laͤrmte. Ich fand diesen Grund vernuͤnf- tig, empfahl mich, versprach aber, den folgenden Morgen sie wieder zu besuchen, und ging. Weit von Bremshuͤtte setzte ich mich in eine andere, worin ich einige geistliche Herren, die ich kannte, sah, und fing an, à la Bursch zu zechen. Kaum hatte ich einen Schoppen Wein geleert, als mein Vater mit einer starken Gesellschaft vorbeiging. Ich lief auf ihn zu, gruͤßte ihn: und der gute Mann, so unerwartet ihm auch mein Hervortreten war, gab doch sein Vergnuͤgen zu erkennen, daß er mich sah. Ich meldete ihm die Veranlassung zu dieser Reise durch Herrn Boͤhmer, und er glaubte alles, oder schien es doch zu glauben, was ich ihm sagte. Wir waren recht vergnuͤgt: es war da alles so philanthro- pinisch! keiner nahm dem andern etwas uͤbel. Den Abend ging es nach Wendelsheim: mein Vater und seine Gesellschaft zu Fuße; ich aber ritt ganz burschikos neben her, und sprach vom Kom- ment. Meinem Vater misfiel dies, wie ich aus seiner verdrieslichen Mine merkte; die andern schie- nen aber ganz Ohr zu seyn. Endlich kamen wir an, und die Bauern und Nachbarn liefen alle zusammen, den Musche Fritz, den sie seit dem Jaͤnner nicht ge- sehen hatten, zu beschauen, ob er auch recht benge- lich (stark und robust) geworden waͤre. Mein Va- ter fragte mich, woher ich das Roß haͤtte, und da log ich ihm vor, ich habe es zu Flonheim genommen, wo noch ein Bekannter von mir sich aufhielte: ich wuͤrde es den folgenden Morgen wieder dahin reiten: und so fragte er nicht weiter. Ich war freilich sehr muͤde, und haͤtte gern den andern Tag geschlafen bis 8 Uhr; aber ich wollte ja Thereschen besuchen! Das weckte mich schon um fuͤnfe. Ich stand auf, zog mich an, und frisirte mich, so gut ach konnte; sodann mußte unser Knecht das Pferd satteln, und darauf gings fort, noch lange vorher, ehe mein Vater aufstand. Als ich zu Theresen kam, war sie eben aufge- standen, und noch ganz im Neglischee. Ich genoß da wieder selige Augenblicke! Es wurde alles in Bei- seyn ihres Vaters wiederholt, was schon mehrmals war verabredet worden, besonders an Pfingsten in Manheim. Das Pferd schickte ich durch einen Bo- ten nach Alzey, und begab mich bald zu Fuße zuruͤck, um wenigstens zum Mittags-Essen zu Hause zu seyn, und meinem Vater Argwohn zu ersparen. Der gute Alte hat auch nicht gemerkt, daß ich ihn gleich am ersten Tage hintergangen hatte. So leichtsinnig ist man, so lange man noch unstaͤtig ist! Der Bellermarkt ging ganz in Jubel voruͤber, und ich sah mein Maͤdchen noch einmal daselbst. Aber wenn ich mich nun so untersuchte; so fand ich, daß meine sonst so feurige Liebe, viel von ihrer Staͤrke verloren hatte. Die lange Abwesenheit hatte sie wahrlich nicht geschwaͤcht: denn noch, als ich mit dem Toͤpfer Engel redete, war Theresens Bild so in meiner Seele, daß es dieselbe ganz und gar aus- fuͤllte: nur als ich sie in der Weinhuͤtte sah, nahm das Bild an Lebhaftigkeit ab, und wurde jedesmal, so oft ich nachher bei ihr war, schwaͤcher. Ob die kleinlichen Verhaͤltnisse ihres Aufenthalts in der Huͤt- te, sie selbst bei mir verkleinert, oder ob die vielen und rauschenden Zerstreuungen meine Empfaͤnglichkeit fuͤr sie vermindert hatten, weiß ich nicht: genug, ich fuͤhlte nach acht Tagen Aufenthalt in der Pfalz, keinen allgewaltigen Drang mehr, mein Maͤdchen zu besuchen, und war in ihrer Abwesenheit sogar auf- geraͤumt. Eine neue Liebschaft hatte hieran keinen Antheil: denn ich kann schwoͤren, daß damals kein Maͤdchen außer Theresen meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Kurz, mein Enthusiasmus in der Liebe hatte nachgelassen. Der Versuch also, mich uͤber die- sen Punkt auszuspaͤhen, mislang meinem Vater: er fragte mich naͤmlich, ob ich nicht Lust haͤtte, den Amtmann.....zu besuchen? Er sey immer ein Freund unserer Familie gewesen: auch wuͤrde hoffent- lich die Lapperei mit seiner Tochter — so nannte er unsre Liebschaft — nun ihr Ende erreicht haben. — Ich sagte ihm ganz unbefangen: wenn er es haben wollte, so wuͤrde ich ihn besuchen, wenn er aber im geringsten besorgt waͤre, daß ich wieder in meine vorigen Schwachheiten zuruͤckfallen moͤchte; so sollte es nicht geschehen. Mein Vater war damit zufrie- den, und versprach mir, daß er selbst mit mir zum Amtmann gehen wollte. Das geschah auch einige Tage hernach; aber unsere Zusammenkunft war so ziemlich kalt und gleichguͤltig. Therese selbst schien mich nicht mehr als ihren Einzigen zu betrachten. Vielleicht hatte sie einige Erkaͤltung in meiner Liebe gegen sich bemerkt: und Bemerkungen von der Art, ziehen etwas aͤhnliches nach sich: vielleicht — Doch die Zeiten aͤndern sich mit uns, und wir mit ihnen. Ich hab einmal gelesen, ich glaub' es war in der Mariane von Mariveaux , daß Liebe so lange ihre Herrschaft ausuͤbe, bis ein anderer Ge- genstand, oder bis Eckel, Alter oder grobe Belei- digung andre Leidenschaften rege machten, oder sie vertilgten. Das ist aber nicht wahr: Liebe vergehet wie hitzige Krankheit. Heftig ist ihr Anfall, und heftig sind ihre ersten Paroxismen: diese lassen nach, und hoͤren endlich gar auf. Dann brauchts nur ein klein wenig Arzenei: und die ganze Krankheit ist ge- hoben. — Aber freilich ist die erste Leidenschaft dieser Art von wunderbar langer Dauer, wenn man sie gegen andre Liebschaften haͤlt, die mancher hernach in der Welt angiebt. Vielleicht theile ich derer noch mehrere mit: einige muß ich schon mittheilen, denn ohne sie zu kennen, wuͤrden einige meiner Begeben- heiten nicht leicht zu erklaͤren seyn. Doch genug davon. Waͤhrend meines damaligen Auffenthalts in der Pfalz, hatte ich auch einigemal Gelegenheit, mit einigen Herren Pastoren und andern orthodoxen Her- ren uͤber Gegenstaͤnde der Theologie zu disputiren, von der ich freilich damals noch blutwenig wußte. Ich hatte aber doch gehoͤrt, daß die Gottheit des Herrn Christus anfinge, stark bezweifelt zu werden: daß Bahrdt die Eiwigkeit der Hoͤllenstrafen, die Kraft der Taufe bei kleinen Kindern u. s. w. leug- nete: daß Semler in Halle ganz neue Grundsaͤtze uͤber den Kanon aufgestellt haͤtte, und was der- gleichen Weisheiten mehr waren. Ich brachte meine Saͤtze, die ich noch so vom Hoͤren-sagen hatte, und eben darum nur halb vertheidigen konnte, aller Or- ten vor: man widersprach mir maͤchtig; ich war aber immer gluͤcklich genug, meine Gegner in die Enge zu treiben, und freute mich allemal in der Seele, wenn so ein Herr Pastor nicht weiter fortkonnte, und seine Zuflucht zu Machtspruͤchen, und Schim- pfereien nehmen mußte. Herr Pfarrer Mach - wirth von Morschheim wurde einst uͤber Tische gleich nach der Suppe, so uͤber mich erboßt, als ich behauptete, das Hohelied des Salomo sey nichts, als eine Sammlung von Fragmenten aus Liebeslie- dern, und sey noch obendrein schmutziges Inhalts, wenn man es nach unsern Zeiten betrachtete, — daß er keinen Bissen weiter zu sich nehmen konnte: so sehr hatte ihn der Eifer fuͤr die reine Lehre er- griffen! Mein Vater sah mit Vergnuͤgen, daß ich nach seinem Ausdruck, anfing zu erkennen, wo Barthel Most hohlt. Er empfahl mir zugleich das Buͤchel- chen des Samuel Crellius de uno Deo Patre, welches er mir mit nach Gießen gab, das ich ihm aber nach einigen Monaten zuruͤckschicken mußte. Ich habe diesem Buche wahrlich zu verdanken, daß ich anfing, uͤber die von der Kirche und den Theolo- gen geheiligten Fratzen ganz anders zu denken, als man so gewoͤhnlich denkt. Crellius hat das soge- nannte Geheimniß der Dreieinigkeit nach meiner Einsicht gruͤndlich untergraben, und dessen Ungrund sogar aus dem neuen Testamente so buͤndig bewiesen, daß kein Theologe bisher auf seine achilleischen Ar- gumente hat antworten koͤnnen. Sociniani pflegte mein Alter zu sagen, in eo reliquis Christianis praestant, quod ibi philosophantur, ubi ceteri credunt. Ich glaube, der Alte hatte vollkommen recht. Er empfahl mir zwar das Buch des Crellius nicht, daß ich blos auf sein Wort glauben und an- nehmen sollte, was darin staͤnde, sondern um zu sehen, wie noͤthig theologische und philosophische und andre Gelehrsamkeit waͤre, um das System der Kirche nur einigermaßen zu vertheidigen, wenn Geg- ner von Crellius Art dagegen auftraͤten. Hier im ganzen Lande, und auch im Darmstaͤdtischen, sagte mein Vater, wird niemand so leicht den Crellius widerlegen. Waͤhrend dieses meines Auffenthalts bei meinen Eltern, machte ich eine Acquisition, die mir in der Folge unendliches Vergnuͤgen gemacht hat. Das war die Bekanntschaft und Freundschaft des Pfaͤlzischen Foͤrsters, Herrn Haags , dieses von Bonzen und Talapoinen in der Pfalz genug verketzer- ten Mannes. Ich werde fernerhin mehr von diesem aufgeklaͤrten Manne sagen, und da muß ich denn freilich vom katholischen Pastor zu Woͤllstein und den Alzeier Kapucinern einiges anbringen, das diesen Derwischen nicht gefallen wird. Aber dergleichen Dermische und Kalender lesen ja mein Geschriebe- nes nicht! Achtzehntes Kapitel. Siehe da einen Ordensbruder ! D ie Ferien waren schon acht Tage zu Ende, als ich nach Gießen zuruͤck kam. Ich ordnete meine Kollegia, und fing an, fleißig zu studiren. Ich fand jetzt mehr als jemals, daß Kenntnisse ein wah- res Beduͤrfniß fuͤr meinen Kopf waren. Ich habe auch, ohne mich zu ruͤhmen, blos aus innerm Trieb, und niemals deswegen gelernt, weil ich einmal mein Brod damit verdienen wollte. Meine Weisheit ist niemals weit her gewesen, und in keiner einzigen Wissenschaft hab ich mich uͤber das sehr Mittelmaͤßige erhoben; doch habe ich ohne Unterlaß studirt, und studire noch recht gern; nur muß mir ein Buch in die Haͤnde fallen, worin mehr erzaͤhlt, als raͤsonnirt wird. Denn gegen das Raͤsonnement hab ich von jeher einen gewissen Widerwillen gehabt: und das ist auch der Grund, daß ich in der Philosophie ein jaͤm- merlicher Stuͤmper geblieben bin. Vielleicht war aber das auch so uͤbel nicht! Ich hatte bisher bei einem gewissen Schneider Klein gewohnt; nun aber quartirte ich mich zum Eberhard Busch, beruͤhmten Bierschenken zu Gie- ßen, ein. Dies Logis war in der ganzen Stadt bekannt, und das Bier war da wenigstens so gut, als man es in Gießen haben konnte. Mein Haus- wirth war ein lustiger braver Mann, bei dem ich ausgehalten habe, bis ich von Gießen abzog. Ohngefaͤhr zwei Jahre vor meiner Universitaͤts- zeit, waren die Orden auch zu Gießen eingefuͤhrt. Diese unsinnigen Verbindungen sind eigentlich in Jena entstanden. Die Mosellaner Landmannsschaft hat zuerst dergleichen ausgebruͤtet. Nach und nach haben sie sich an mehreren Orten eingeschlichen, so daß schon 1778. viele deutsche Universitaͤten von ihnen inficiret waren, besonders Jena, Goͤttingen, Halle, Erlangen, Frankfurt, Gießen, Marburg, u. a. Einige Jenenser hatten den Orden der sogenanten Amicisten L'ordre de l'amitiè auf franzoͤsisch genannt: denn die Devise war: Amitiè , welche durch dieses Zeichen XX ( vivat Amicitia! ) angezeigt wurde. , nach Gießen gebracht. Anfaͤnglich blieb das Ding geheim: nachdem aber die Ritter, ich wollte sagen, die Herren Ordensbruͤder inne wur- den, daß man in Gießen alles thun durfte; so machten sie ihre Sache publik. Sie trugen auszeich- nende Kokarden, und litten nicht, daß die Profa- nen So nennen Ordensbruͤder diejenigen, welche keine Ordensbruͤder sind. Den Profanen steht aber, wie jeder weis, das Heilige entgegen. Wofuͤr sich doch die Herren halten muͤssen! O sancta simplicitas!! dergleichen nachmachten. Den andern Stu- denten gefiel das Ding: sie rotteten sich also zusam- men, und stifteten der Orden mehrere. Und so ent- stand der Hessen-Orden, ja sogar der Renommisten- Orden oder der Orden des heiligen Fensters, welcher aber leider, wegen der großen Schifitaͤt, der schiefe Orden und der Lause-Orden benannt wurde. So war die Lage der Orden, als ich nach Gie- ßen kam. Ich gerieth gleich Anfangs in Bekannt- schaft mit mehrern Ordensbruͤdern; aber doch konnte ich mich nicht entschließen, ihrer Verbindung beizu- treten. Ich war einmal versichert, daß ich bei Haͤn- deln fremder Huͤlfe nicht bedurfte: zum andern fing man von Seiten der Universitaͤt an, auf die Orden aufmerksam zu werden, und drittens mochte ich mit einer ganzen Bande keine genaue Freundschaft auf- richten, von welcher mich viele nach dem Gießer Ausdruck, laxirten, d. i. mir hoͤchst unausstehlich waren. So blieb ich also vom Orden frei, auf eine Zeitlang naͤmlich. Indessen hatten die Pfaͤlzer ein Kraͤnzchen unter sich errichtet, welches herumgieng, und uns viel Vergnuͤgen machte. Wir hatten freilich unsere Ge- setze und Statuten, die den Gesetzen der Orden ziemlich nahe kamen: unser Zweck war auch der Zweck aller Or- den, naͤmlich ein gewisses Ansehn auf der Akademie zu behaupten. Aber wir waren weder eidlich, noch auf sonst eine Art an einander gekettet, und es stand einem jedem frei, uns zu verlassen, sobald es ihm beliebte. Uebrigens herrschte unter uns die groͤßte Freundschaft und Harmonie, und da wir lauter solche zu Mitglie- dern hatten, die als honorige Bursche auf der Uni- versitaͤt angesehen waren; so wagte es niemand, das Pfaͤlzer-Kraͤnzchen zu beleidigen, oder schlecht davon zu sprechen. So blieben die Sachen eine geraume Zeit, bis endlich ich und noch zwei andere aus un- serm Kraͤnzchen uns in den Amicisten Orden aufneh- men ließen. Haͤtte ich vor meiner Aufnahme das eigentliche Wesen einer solchen Verbindung gekannt; ich wuͤrde wahrlich niemals hineingetreten seyn. Das Ding ist ein Gewebe von Kindereien, Absurditaͤten und Praͤsumtionen, uͤber welche ein kluger Mann bald unwillig werden muß. Die Gesetze sind alle so elend abgefaßt, und so kauderwaͤlsch durch einander gewor- fen, daß man Muͤhe hat, sich aus dem Labyrinthe derselben heraus zu winden. Ueberhaupt ist es ein erztoller Gedanken, daß ein Haufen junger Leute eine geheime Gesellschaft stiften wollen, deren Zweck ist, sich ausschließlich das hoͤchste Ansehen zu verschaf- fen: deren Oberhaupt ein Bursche ist, welcher eine Gewalt in seinem Orden ausuͤbt, wie weiland der Jesuiten General in der Gesellschaft Jesu. So un- gern es manche hoͤren werden, muß ich doch die Wahrheit bekennen, und gerade heraussagen: daß akademische sogenannte Orden Orden sind bei Leuten, welche den Sprachgebrauch nicht verhunzen wollen, oͤffentiche Societaͤten, oder oͤffentliche Ehrenzeichen Der Studenten-Orden aber ist eine geheime Gesellschaft, und niemand gesteht gern, daß er ein Mitglied davon ist: das ist contradictio im- plicita. , unsinnige Insti- tute sind. Ich muß die Sache naͤher beleuchten. Als ich hineintrat, las man mir die Gesetze vor, welche in gewisse Titel, z. B. von Schlaͤge- reien, vom Borgen und Bezahlen, vom Fluchen und Zotenreißen – abgetheilt waren. Die Sprache der Gesetze war aͤusserst legal, das ist, undeutsch und unverstaͤndlich. Da die Gesetze nach und nach ge- macht sind; so fehlt es ihnen nicht an Widerspruͤchen, Wiederholungen und ganz unbrauchbaren Vorschrif- ten. Doch das ist ja auch der Fall im Corpus ju- ris und in mancher andern heiligen und unheiligen Sammlung von Gesetzen. Ich erinnere mich noch an viele Gesetze des gedachten Ordens, wovon ich meinen Lesern einige der vornehmsten mittheilen will. Der Zweck des Ordens ist, sich auf der Uni- versitaͤt Ehre und Ansehn zu verschaffen, d. h. sich in solche Positur zu setzen, daß alle Studenten, ja selbst die Professoren und die Vorgesetzten sich vor den Herren Ordensbruͤdern fuͤrchten moͤchten. Daher ist die engste Verbind g noͤthig. Diese erfordert natuͤrlicher Weise, daß kein Mitglied das andere beleidigen darf. Alle Beleidigungen, die vor- fallen, muͤssen vom Senior geschlichtet werden. Ue- berhaupt sind viele Gesetze da, welche Freundschaft, Vertraͤglichkeit u. d. gl. gebieten. Da aber Freund- schaft ein Ding ist, das sich nicht gebieten laͤßt; so giebt es im Orden immer so viele Disharmonien, daß gewiß stets Schlaͤgerei seyn wuͤrde, wenn nicht andere praͤgnante Gruͤnde Ruhe heischten. Das Oberhaupt des Ordens ist der Senior, welchem die andern gehorchen muͤssen. Er hat ihnen zwar nur in Ordenssachen zu befehlen: da sich aber da- hin allerlei ziehen laͤßt; so ist der Senior gleichsam der Herr der Mitglieder, und die Mitglieder sind, wenn er es verlangt, seine gehorsamen Diener. So wird man Sklave, um frei zu seyn! Neben dem Senior ist noch ein Subsenior, der auch etwas zu sagen hat, vorzuͤglich in Abwesenheit des großen Moguls, ich meyne, des Seniors: dann Erster Theil. L folgt das fuͤnfte Rad am Wagen, — der Herr Se- kretaͤr. Ordnung muß seyn: wer also gegen den Senior spricht, ihn schimpft, und sich seinen Befehlen fre- ventlich widersetzt, wird ohne alle Gnade, wenns naͤmlich der Herr Senior befiehlt, aus dem Orden herausgeschmissen. An Satisfaction darf er nicht denken. Die vom Senior angegebne Kontribution muß richtig bezahlt werden. Fuͤgt es sich, daß Ausgaben zu einer Zeit vorfallen, wo nicht alle Glieder bei Gelde sind; so muͤssen die, welche Geld haben, vor- schießen; das Vorgeschossene muß aber promt ersetzt werden, unter Strafe der Verbannung aus dem Orden. Um die Kosten zu bestreiten, muß eine Kasse angelegt werden, welche unter der Aufsicht des Se- niors steht, und woruͤber ordentlich Rechnung ge- fuͤhrt werden muß. Wenn ein Mitglied Haͤndel bekommt; so muß er sich schlagen: doch aus guten Gruͤnden, schlaͤgt sich auch der Senior oder ein anderes Mitglied fuͤr ihn. Ueberhaupt muͤssen in diesem Fall die Glieder dafuͤr sorgen, daß sie und nicht ihre Gegner in Avantage sind. Lieber eine Niedertraͤchtigkeit be- gangen, lieber sich à la mode der Gassenjun- gen herumgebalgt, als den Vortheil und die Ehre der Avantage aus den Haͤnde gelassen. Bei den Zusammenkuͤnften muß der, an dem die Reihe ist, rechtschaffen aufwichsen: Geht aber die Zeche auf gemeinschaftliche Kosten; so zahlt jeder seinen Antheil, ausser dem Senior, der immer frei ist, weil er der Herr ist. Eine Klugheitsregel hieß es: keine arme Ver- wachsene, Muthlose u. dergl. aufzunehmen. Der Orden haͤtte von diesen Menschenkindern keinen Vor- theil, und nichts als Kosten, Schande und Ver- druß. So soldatisch-amikabel dachten die Ami- cisten! — Und von dieser Art waren die Regeln, oder die Gesetze des wohlloͤblichen Ordens der Herren Ami- cisten. Ihre Anzahl ließe sich noch stark vermehren, wenn ich nicht befuͤrchten muͤßte, meinen Lesern zur Last zu fallen. Einige ihrer Gesetze waren aber doch gut, z. B. daß die Mitglieder fleißig seyn, die Kol- legia nicht versaͤumen, nicht fluchen oder Zotenreißen sollten, u. dergl. Allein diese Vorschriften wurden nicht befolgt, vielmehr wurde in unsern Zusammen- kuͤnften geflucht und gezotologirt, wie auf keiner Hauptwache. — Die meisten andern Gesetze waren aͤusserst unsinnig und laͤppisch, z. B. die, uͤber die Aufnahme, uͤber das Zeichen, wodurch ein Glied sich dem andern entdecken konnte, uͤber die Art, sich zu gruͤßen, uͤber das Einzeichnen in den Stammbuͤ- chern u. s. w. Herr Professor Isenflamm in Er- langen hat, wenn ich nicht irre, 1780 auf der dor- tigen Universitaͤt den Amicisten Orden zerstoͤrt, und ihre Gesetze drucken lassen. Ich habe hernach mehrere akademische Orden kennen gelernt, und alle kamen in der Hauptsache mit einander uͤberein: nur daß jeder seine besondern Geheimnisse, das heißt, seine besondern Zeichen und andre Alfanzereien vorgiebt. In Halle gab es ein- mal einen Orden der Inviolabilisten , und ei- nen andern der Desperatisten . Wer dergleichen Namen hoͤrt, sollte meynen, das waͤren gewisse Secten oder Ketzereien, wie die Interimisten, Adia- phoristen, Antinomisten u. s. w., wenigstens koͤnnte man leicht Unitarier in Polen und Unitisten auf Uni- versitaͤten fuͤr eins halten. Obgleich der Hauptzweck der Orden, vorzuͤglich nach einer neuern Einrichtung bei einigen, auf eine unzertrennliche Freundschaft und gegenseitige Befoͤr- derung hinauslaufen soll; so ist doch das Ding zuletzt lauter Wind oder kindische Speculation. Auf der Universitaͤt hindert oder verdirbt einer den andern, und hernach verabscheuen sie sich oft um so mehr, je mehr sie an Reife zunehmen, und nun den Nachtheil einsehen, der aus dieser Spiegelfechterei fuͤr sie ent- standen ist. Herr Clemens in Hersfeld, wollte mich vor fuͤnf Jahren gar nicht mehr kennen, und doch war ich lange sein Ordensbruder gewesen, und hatte mich sogar einmal fuͤr ihn, oder doch wegen seiner, herumgebalgt. Die uͤbrigen Zwecke werden auch sehr selten er- reicht. Ich habe selten gesehen, daß ein Ordens- bruder vor andern Profanen einen Vorzug gehabt haͤtte: es geht ihnen, wie allen hochmuͤthigen Schwaͤchlingen, die ihren Werth nicht von sich, son- dern von Andern hernehmen wollen. Und dies gilt vom Innern, wie vom Aeußern. Mir sind Faͤlle bekannt, wo Ordensbruͤder von sogenannten Pro- fanen verachtet, derb ausgepruͤgelt und hernach mit Schande bestanden sind. Einmal hat sogar ein Herr Senior auf oͤffentlicher Straße beinahe alle Zaͤhne verloren. Fuͤr manchen Professor, Sprachmeister, Stie- felwichser, Schneider, Pferdeverleiher, Feldschee- rer, Gastwirth und Haarkrauseler haben die Orden allerdings Vortheile. Diese guten Leute — zumal die groͤßten Fuscher darunter, stecken sich hinter an- gesehne Mitglieder derselben, und nun werden alle uͤbrigen ihre Kunden. Die Beispiele davon sind freilich verhaßt; sie finden sich aber leider mehr, als zu viel. Es ist wohl nicht zu hoffen, daß die Orden auf Universitaͤten durch die Kraft der Gesetze werden vertilgt werden. Es sind immer einige angesehne und reiche junge Leute in denselben; und diese haben Anhang. Nun mag das Curatorium oder der Lan- desherr noch so scharfe Edicte wider sie ergehen las- sen — man stellt wohl Untersuchungen an; aber die endigen sich mit Geldstrafen, und der Orden wird staͤrker, als zuvor. Auch hiervon hat man Beispiele die Menge. Aber da doch der Schaden, welchen die Orden unter jungen Leuten stiften, unermeßlich ist: da diese Verbindungen die Juͤnglinge von Fleiß und Subor- dination abbringen: da sie ihnen aufwiegelnde Grundsaͤtze von Ehr' und Schande einfloͤßen, da- durch sie einen Staat im Staate bilden lehren, un- vertraͤglicher machen und so gleichsam ein Bellum omnium contra omnes unterhalten: da sie sich einander auf Abwege fuͤhren, in Gefahren stuͤrzen, und schaͤndlich ums Geld prellen, und dabei auch nicht den geringsten wahren Nutzen aufweisen koͤn- nen; so waͤre es durchaus der Muͤhe werth, ein Mittel auszusinnen, wie diese Art von Verbindun- gen koͤnnte gestoͤhrt werden. Gesetze, Verbote, Strafen, Karcer und Relegation enthalten dies Mit- tel nicht; noch weniger die so haͤufig angewandten Geldstrafen: das hat die Erfahrung gelehrt. Es giebt aber doch eins dergleichen; nur ist hier der Ort nicht, davon weiter zu reden. Vielleicht liegt auch den Akademischen Senaten wenig daran; diese sehen vielleicht aus oͤkonomischen Ruͤcksichten gern, daß das Unwesen fortdaure. Wenigstens weis ich, daß Herr Isenflamm in Erlangen sich manchen von der Akademie daselbst zum Feinde gemacht hat, als er etwas unsaͤuberlich mit den hochloͤblichen Herren Or- densbruͤdern umgieng. Aber genug von den Orden: ich habe vielleicht schon mehr davon gesagt, als mein Zweck mit sich bringt. Neunzehntes Kapitel. Weiber Sinn und Mondesschein Koͤnnen nie bestaͤndig seyn! D ie Universitaͤt Marburg habe ich einigemal be- sucht, und da sowohl den Burschen-Komment als auch einige Gelehrte kennen gelernt. Die Universitaͤt war damals sehr schwach: sie hatte kaum 180 Stu- denten, deren Komment elend genug war, naͤmlich Burschikos zu reden. Die Studenten waren meist Landeskinder, und man hielt sie in gar strenger Zucht. Die Universitaͤt soll sich seit der Regierung des jetzi- gen Landgrafen merklich zu ihrem Vortheil vermehrt und verbessert haben. Dieses bestaͤtigte mir vor kur- zen noch Hr. Dambmann aus Darmstadt, den ich in Halle daruͤber gesprochen habe. Als ich von Gießen aus da war, machten die Marpurger Studenten eine Figur, wie ohngefaͤhr die Schuͤler auf dem Hal- lischen Waisenhaus. Sie waren den Gießer Studen- ten nur darin aͤhnlich, daß sie derb Bier trinken und schnappsen konnten. In Kleidern gingen sie etwas galanter, als die Gießer; dafuͤr wusten sie aber auch keinen Komment. Wir kommersirten einst — ver- steht sich ein Schwarm Gießer — in einem Gast- hause zu Marburg. Einige Marburger sahen uns zu; wurden aber nicht eingeladen zum mitmachen. Wir sangen aus dem erbaulichen Liede ça donc ça donc folgende Verse sehr oft zur Erbauung der Her- ren Marburger: Rien, Rien :,: So spricht der dumme Teufel Der noch nicht den Comment versteht. Seht doch den dummen Marburger an, Der noch nicht kommersiren kann! Courage, Courage :,: So spricht der Gießer Bursche Der da recht den Comment versteht Seht doch den Gießer Burschen an, Wie er brav kommersiren kann! Die Marburger hatten nicht das Herz, uns et- was uͤbel zu nehmen: Vielleicht waren sie zu klug dazu. Als wir sie fragten- wie ihnen unser Kom- mers gefallen haͤtte, und sie mit einem: sehr schoͤn antworteten, sagte Bruder Henrici : „Ja, Ihr „muͤßt auch wissen, Ihr Marburger, daß die Gießer „den Komment erst recht verstehen. Das sind ganz „andre Kerls, als ihr! Schwerenoth, zu uns muͤßt „ihr kommen! Ein Fuchs bei uns weis mehr Kom- „ment, als eure ganze Universitaͤt! Gott straf mich, „das ist wahr!“ — Die Herren Marburger laͤchel- ten und gingen ihrer Straße. Sie waren kluͤger, als wir. In einigen Kollegien hospitirte ich, und be- suchte auch selbst einige gelehrte, bei denen mich mein Vetter Boͤhmer, der Hofmeister bei Herrn von Brei- tenbach, einfuͤhrte. Es waren die Herren Wyt- tenbach , Coing , Seip und Curtius . Herr Curtius ist ein herrlicher Mann, so viel ich naͤmlich nach der kurzen Bekanntschaft urtheilen konnte. Er sprach sehr huͤbsch und gruͤndlich uͤber Litteratur und Philologie, und machte auch einige Anmerkungen uͤber Herrn Schmid in Gießen, die mir baß behagten. Coing ist ein finsterer Mann, so recht von der Mine eines Dorfschulmeisters: dabei ist er schroͤcklich orthodox, und im hohen Grade impertinent. Er hat auch allerhand geschrieben, aber niemand hat es lesen wollen. Die Titel seiner Buͤcher stehen im ge- lehrten Deutschland; die Buͤcher selbst findet man stuͤckweise bei den Gewuͤrzkraͤmern. Wyttenbach ist schon lange todt. Er war ein Mann, auf dem Calvins Geist dreifach ruhte: ich meyne den Geist der Intoleranz, der Rechtha- berei und des theologischen Stolzes. Er war ein strenger Verfechter des herrlichen decreti absoluti, woruͤber er einige Streitschriften mit dem Abt Schubert gefuͤhrt hat. Er war schon damals ein alter Mann, doch aber noch ruͤstig zu heiligen Katz- balgereien. Mit mir gab er sich auch ab, und dispu- tirte de omnipraesentia carnis Christi. Ich sagte ihm zwar, daß ich selbst die Allgegenwart des Leibes Christi nicht glaubte, und bath ihn, sich nicht weiter mit seinen Argumenten zu bemuͤhen. Aber wie? fuhr er auf, Sie glauben nicht omnipraesentiam, oder wie die Herren Lutheraner reden, ubiquitatem carnis domini? — So sind Sie auch nicht γνηοιως ein Lutheraner. Ich : Diese Lehre gehoͤrt gar nicht zur lutheri- schen eigentlichen Dogmatik: das ist eine scholastische Grille einiger Privatlehrer. Er : Privatlehrer? Ist es nicht die Lehre der heiligen formula concordiae, die die Herren Lu- theraner dem Worte Gottes an die Seite setzen? Ich : Das kann ich nicht sagen: ich habe die Formula Concordiaͤ noch nicht gelesen: aber das weis ich, daß die Ubiquitaͤt so wenig Lehre unsrer Kirche ist, als das absolutum decretum eine wesentliche Lehre der Reformirten. Er : Ei, sieh doch: absolutum decretum! Ih nun, wie mans nimmt! Aergert Sie das Wort absolutum decretum; das kann man aufgeben: aber die Sache ist doch certa sub limitatione rich- tig, und ein wesentlicher Artikel des Glaubens. Nun folgte eine fuͤrchterliche Erlaͤuterung des Artikels von den goͤttlichen Rathschluͤssen, wobei der alte Doctor so sehr in die Hitze gerieth, daß er seine Pfeife — daruͤber zerbrach. Dieser Zufall machte, daß er sich wieder erholte. Hernach ging der Laͤrmen von neuem los. Einigemal gedachte er des Sankt Calvins mit großen Lobspruͤchen, nannte ihn einen frommen treuen Arbeiter im Weinberge Jesu u. s. w. Allein ich war dem Sankt schon seit langer Zeit spinne feind, weil ich die Hinrichtung des Servetus in Mos- heims Geschichte schon zu Hause gelesen hatte. Ich nahm mir daher die Freiheit dem Herrn Doctor zu erwiedern: Calvin sey ein Mann von sehr haͤmi- schen, heimtuͤckischen, erzboshaften Character gewe- sen, so ungefaͤhr wie der Sankt Dominik oder sein Ebenbild Meister Hochstraten. Da fing Wyttenbach Feuer, vertheidigte den Calvin, und behauptete ge- radezu, daß man gotteslaͤsterliche Ketzer, wie Ser- vet, der die Trinitaͤt einen dreikoͤpfigen Cerberus ge- heißen haͤtte Nichts ist abgeschmackter, als wenn die Verfechter Calvins von Servetus Gotteslaͤsterungen was daher plappern! Servet laͤugnete die Trinitaͤt: sie war ihm ein Non-Ens; wie konnte er sie also laͤstern? Oder warum verbrannte man nicht auch den Luther , als Blasphemanten, da er die Messe einen Drachenschwanz, Teufelopfer u. s. w. nannte? Hier ist ja alles relativer Ideenkrieg! Und wenn der liebe Gott selbst Philosoph genug ist, die Queergrillen der Menschenkinder uͤber sich zu dulden: wer gibt denn uns Thoren das Recht, statt seiner zu haͤschern, oder zu dominiciren? – Aber freilich, die Herren Feuer- und Schwerd-Apostel waren von jeher unausstehliche, selbstsuͤchtige Grillenfaͤnger, die fuͤr ihre Rechthaberei und Verfolgungssucht keinen glaͤnzernden Deckmantel finden konnten, als die Auf- rechthaltung der Ehre Gottes, oder der – reinen Lehre. , hinrichten koͤnnte. Calvin haͤtte recht gehabt. Dieser Freund Wyttenbach haͤtte sich ganz vor- treflich zu einem Ketzermeister oder Inquisitor ge- schickt. Hier will ich nur so im Vorbeigehen bemer- ken, daß man bei den Reformirten weit mehr Into- leranz und Geist der Verfolgung antrift, als bei den Lutheranern. Woher das kommen mag, weis ich nicht; es ist aber in der That so. Auch fand ich bei ihnen in der Pfalz immer mehr Rechthaberei und geistlichen Stolz, als bei den Lutheranern. Ich denke je spitzfuͤndiger ein System ist, desto mehr Schulfuͤchserei, Schlupfwinkel, Ausfluͤchte, Recht- haberei, Intoleranz — desto mehr Sache der Phan- tasie, mehr Indolenz u. s. w. Da ich gegen alle Sekten so ziemlich gleichguͤltig bin: so wird man mir auf mein Wort glauben, daß ich nicht aus Partheisucht diese Anmerkungen herschreibe. Doch weiter! Das erste Jahr hatte mein Wechsel huͤbsch zugereicht, und ich war um Ostern 1776 keinen Pfennig schuldig. Ich hatte zwar lustig gelebt, doch hatte ich meine Oekonomie so eingerichtet, daß ich mit meinem Bestimmten auskam. Auch hatte ich mir einige gute Buͤcher, unter andern die Boussuet- Cramersche Historie, Mosheims Institutiones Hist. Eccles. majores, le siécle de Louis XIV. und einige andre angeschaft. Meine Mutter gab mir das Geld dazu her, und bezahlte mir auch den Italiaͤ- nischen Sprachmeister. Auf Ostern zog ich wieder nach Hause, meine Eltern zu besuchen, und beiher auch Thereschen zu sehen. Freilich sehnte ich mich nach ihr nicht mehr so sehr, als vorhin. Mein Vater wollte jetzt durchaus, daß ich ein- mal predigen sollte: ich lernte also eine auswendig: denn selbst konnte ich noch keine machen, hatte auch nicht Lust dazu, und hielt sie mit vieler Dreistig- keit in Moͤrsfeld vor Bergknappen und Bauern. Mein Vater hatte mir vor der Kirche zugehoͤrt, ohne daß ich es wußte, und war hernach ganz ent- zuͤckt uͤber meine Eloquenz, — nur meinte er, ich muͤßte kuͤnftig meine Predigten huͤbsch selbst ausar- beiten, und mich ja nicht, wie sonst die Herren, aufs Reiten legen. In der Folge habe ich zwar manche Predigt selbst gemacht; die meisten aber schrieb ich ab, und hielt sie. Ich glaubte das naͤmliche Recht zu haben, was ein Professor der Geschichte hat, welcher sie woͤrtlich abschreibt, und hernach seinen Herren Zuhoͤrern dahin kanzelt. Meine Therese bekam ich fuͤr diesmal nicht zu se- hen: sie war in Manheim, und mir war die Lust ver- gangen, mich einem Wischer von meinem Vater da- durch auszusetzen, daß ich dahin haͤtte fahren moͤgen. Beiher hatte ich auch ein anderes Maͤdchen kennen gelernt, welches mir meinen Aufenthalt zu Hause ziemlich angenehm machte. Verliebt in sie — bin ich wahrlich nicht gewesen, bin auch seit Theresens Zeiten es in keine mehr geworden, hab' gar hernach uͤber die verliebten Thorheiten oft weidlich gelacht! Doch hatt' ich so mein Behagen an huͤbschen Gesich- tern, aber auch blos an Gesichtern, d. i. am Koͤr- perlichen: denn fuͤr die Seelen der Weiber hab' ich von jeher blutwenig Respect gehabt. Es sind, so nach meiner Meinung, welche ich aber niemanden aufdringen will, die sich indeß schon von selbst in der leidigen Erfahrung aufdringt — eitle, einge- bildete, aberglaͤubische, neidische Dinger, die gern wollen brilliren, die sich blos am Schein belustigen, in Kleinigkeiten Kabalen spielen, sich durch Nach- aͤffung formen, keinen Karakter haben, Gottes- und Pfaffengunst durch geistliche Coquetterie zu erschlei- chen suchen, und wie's Wetter im April bald gut und sanft, bald stuͤrmisch und tigermaͤßig grausam sind. — Das ist so mein Glaubensbekenntniß vom lieben Frauenzimmer, wozu ich mir die Gruͤnde aus der Erfahrung abstrahirt habe. Ich habe sie gesehen in vornehmen Zirkeln, und in Buffkellern: sie waren aber da wie dort: immer gleiche Gesinnungen, nur bestand der Unterschied in einigen Schattirungen, welche groͤber und feiner sind, und die Frauenzimmer von Qualitaͤt von denen ohne Qualitaͤt unterschei- den. — Ja meine liebe Dame, daß es auch hierbei Ausnahmen gebe, weis ich; daß aber diese selten sind, weis ich eben so gut, als daß Sie sich zu diesen Ausnahmen rechnen werden, oder mein Buch mit Verachtung hinwerfen. Der groͤßte Theil von Ihnen ist nun so! Das Maͤdchen, von dem ich zuvor redete, hieß Lorchen, und war die Tochter eines ehrlichen Pfarrers, der in der Folge mein bester Freund ge- worden ist. Wenn ich nicht das Ungluͤck gehabt haͤtte, welches ich weiterhin berichten werde; so waͤre ich laͤngst Pfaffe, und Lorchen waͤre meine Frau geworden. Aber so wollte mein Misgeschick das nicht. Und wenn ichs so recht bedenke, aͤrgere ich mich auch daruͤber nicht. Wer weis, wie ungluͤcklich ich mich mit meiner Familie noch gemacht haͤtte! Zum Pfaffen war ich verdorben, und wuͤrde gewiß uͤber kurz oder lang wegen Ketzerei seyn kassirt wor- den. Wenn ich also im Ungluͤck bin — und ich bin meiner Meinung und meiner Empfindung zu Folge nicht ganz darin — so bin ich allein darin. Ich habe bei meiner Biographie gar den Zweck nicht, dem Leser eine mitleidige Thraͤne abzulocken, und dem Publikum so was vorzuwinseln: nein, mei- ne Begebenheiten sollen nur den Beweis erneuern: „ daß man bei sehr guter Anlage und „ recht gutem Herzen ein kreuzliederli - „ cher Kerl werden und sein ganzes Gluͤck „ ruiniren kann .“ Da wird nun vielleicht Man- cher, der das ließt, vorsichtiger in der Welt handeln, damit er nicht auch anrenne, wie ich angerennet bin! Der Pastor Neuner besuchte uns fleißig in Wendelsheim, und da ich mehrmals Gelegenheit hatte, mit ihm allein zu sprechen; so ermangelte er nicht, mir vorzustellen, daß es bald Zeit waͤre, das große Vorhaben des Katholischwerdens auszufuͤhren. Er erschrack aber nicht wenig, als er hoͤrte, daß ich den Lehren, welche ich sonst fuͤr gewiß zu halten schien, jetzt geradezu widersprach, und mit Gruͤn- den dawider disputirte. Ich hatte naͤmlich nach dem Manuale controversiarum Becani auch das Buch von dem verstorbenen Gießer Kanzler Pfaffen : Réponse aux douze lettres du R. P. Scheffma- cher gelesen, und war dadurch in den Stand gesetzt worden, den Katholischen Kirchenplunder etwas richtiger zu beurtheilen. Ich fand damals Wohlgefallen an dergleichen Kontroversen, und disputirte gern: hernach aber, als ich in Absicht der ganzen heiligen Religion andere Gedanken bekam, verlohr ich auch die Lust, dogma- tische Kontroversbuͤcher zu lesen: doch haben mir die Histoͤrchen dieser Katzbalgereien immer gefallen, und gefallen mir noch. Mein Pastor Neuner richtete also nichts bei mir aus, und gab schon die Hoffnung halb auf, daß ich mich jemals bekehren wuͤrde. Freilich stellte er mir vor, daß ich nun ein haereticus formalis waͤre, und wenn ich stuͤrbe, schlechterdins, ohne allen Par- don schibes d. i. verloren gehen muͤßte. Erster Theil. M Zwanzigstes Kapitel. Ein Maͤusekrieg in Gießen ! A uf den Neujahrstag 1776 war Freund Ouvrier Rector der Universitaͤt geworden. Er verwaltete sein Rectorat nach gewissen Grundsaͤtzen, die ihn aͤus- serst verhaßt machten, und ihm manches pereat zu- zogen. Der Kanzler Koch haßte ihn aus vielen Ursachen, vorzuͤglich wegen seines Schwiegervaters, des Geheimen Raths Miltenberg zu Darmstadt. Herr Schmid sagt zwar in der dickbelobten Apologie: Millenberg sey immer ein vorzuͤglicher Freund und Goͤnner von Kochen gewesen; das ist aber mit Herrn Schmids Erlaubniß, nicht wahr: wenigstens haßte Koch im Jahr 1776 den Geheimen Rath Miltenberg von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemuͤthe, und aus allen seinen Kraͤften, und hielt diesen Haß fuͤr sein erstes und groͤstes Gebot. Freilich sehr unevangelisch; aber Herr Koch ist nicht sehr orthodox, was die Moral betrift — wie das gewoͤhnlich der Fall bei vielen Orthodoxen ist! — In der Dogmatik ist er aller- dings rechtglaͤubig, geht aber nicht in die Kirche, als am Neujahrstage, wenn der neue Rector in der Kirche inaugurirt wird. Von den uͤbrigen Professoren waren nur wenige dem guten Ouvrier geneigt, und so war er als Rec- tor nicht in der besten Lage. Im Fruͤhlinge dieses Jahres kam der Bruder des regierenden Herzogs von Wuͤrtenberg durch Gie- ßen, mit seiner Tochter, die fuͤr den Russischen Groß- fuͤrsten zur Gemahlin bestimmt war. Der Herzog logirte uͤber Nacht im Posthause. Die Studenten wußten das vorher, und machten Anstalt zu einer Serenade, so gut man dergleichen in Gießen haben kann. Die Gießer Hautboisten, die sich freilich un- ter Meister Wittichs Anfuͤhrung, wenig uͤber gemei- ne Bierfiedler erheben, wurden in Beschlag genom- men; und damit alles recht feierlich herginge, wur- den Pechfackeln bestellt, fuͤr jeden ein Paar. Der Herr Rector wußte um alles, und ließ uns machen, bis an dem Tage, fuͤr den die Serenade bestimmt war. Da erschien ploͤtzlich des Nachmittags um drei Uhr ein Edict am schwarzen Bret unter dem Ru- brum: Rector Universitatis Ludovicianae cum Senatu Mir ist aus guten Gruͤnden das cum Senatu immer als ein Schnitzer vorgekommen. Die Roͤmer schrieben: Senatus Consule C Fannio et C. Messala. Doch man muß das nicht so genau nehmen. , worin den Studenten durchaus verbo- then wurde, der Prinzessin von Wuͤrten - berg Musik zu bringen: sonst moͤchten sie Musik bringen, wem sie wollten: man wolle ihnen ihre Gerechtsame nicht schmaͤlern. Die Studenten lasen den Anschlag: viele ge- riethen daruͤber in Furcht, weil Meister Ouvrier dabei gesetzt hatte: sub poena relegationis in per- petuum Meinen lateinischen Lesern, die nicht auf Universitaͤten gewesen sind, muß ich sagen, daß das akademisches La- tein ist. Freilich stehts so nicht im Cicero. ; allein die Entrepreneurs der Serenade, Herr Lang aus dem Nassauischen und Herr Bohy aus Muͤmpelgard setzten auf dem Billard, wo eine Zusammenkunft war, fest, daß das infame Hunds- foͤtter, Drastika und Laxierpillen seyn sollten Gießische Studenten-Terminologie. , die sich an des Roͤckels Befehle kehren wuͤrden: wer ein rechtschaffner honoriger Bursch waͤre, kaͤme auf den Abend, das Trifolium, den Rector und die verfluch- ten Pedelle Moͤser und Stein tief zu periren!— Das war das concluium, welchem streng nachge- lebt wurde. Ich selbst hatte viel zu laͤppische Be- griffe von akademischer Freyheit, als daß ich diese Gelegenheit nicht haͤtte ergreifen sollen, mich zu zei- gen, und uͤbernahm eine Adjutanten Stelle. Gegen Abend versammelten sich alle Bursche auf dem Kir- chenplatz, und nach acht Uhr warteten wir dem Her- zog mit der Serenade auf. Er schien mit dieser Ach- tung gegen ihn ausserordentlich zufrieden zu seyn, und dankte nebst der Prinzessin sehr hoͤflich. Auch ließ er im Posthause so viel Wein auftischen, als uns zu trinken beliebte. Da die meisten ohnehin schon bei- nahe zu viel hatten; so kam es jetzt dahin, daß der ganze Haufen sehr bezecht wieder abzog. Auf dem Kirchenplatz wurden die uͤbrigen Fak- keln und Fackelstummel verbrannt, der akademischen Freiheit ein Vivat und den Unterdruͤckern derselben ein helles Pereat geschrieen. Sofort wurde das schwarze Bret, woran das Edict geheftet war, her- abgerissen, in Stuͤcken zerschlagen und ins Fackel- feuer geworfen. Das war nun das voͤllige Signal zum Tumulte. Die ganze Nacht ging der Spektakel nach Panduren Art fort, bis an den hellen Tag: der arme Eulerkapper mußte schrecklich herhalten: dem Schuster Wannich Das war ein sogenannter Pietist oder Separatist in Gießen, der immer betete; aber auch alle Jahr wenig- stens ein Hurenkind fabricirte. Die Studenten zuͤch- tigten ihn aber auch dafuͤr ganz separat. wurde das Haus gestuͤrmt, und alle Fenster eingeschmissen. Dem Rector er- scholl manches wilde Pereat. Den andern Tag fruͤh setzten sich die Hauptan- fuͤhrer Lang und Bohy zu Pferde, und ritten nach Butzbach, wo damals Herr Koch sich auf dem Land- tage aufhielt. Sie stellten vor, was geschehen war. Koch ermahnte sie zur Ruhe, und versprach ihnen Genugthuung, und wenn auch der hoͤllische Satan Rector waͤre. Das waren seine eignen Worte. Obgleich die Hauptanfuͤhrer nicht in Gießen waren, so fehlte es doch nicht an solchen, welche den Aufruhr verbreiteten und unterhielten. Kein Mensch wollte weiter ins Kollegium, bis nach ausgemachter Sache. Der Rector ließ in aller Eile wieder ein schwarzes Bret verfertigen, ermahnte zum Frieden, und hielt ein Concilium, worauf sich Lang und Bohy, die jetzt von Butzbach zuruͤck waren, mit aller moͤg- lichen Insolenz und Grobheit vertheidigten. Herr Ouvrier wurde nun noch mehr aufgebracht, und da er sich von Darmstadt aus Unterstuͤtzung versprach; so ließ er die Relegation der beiden Anfuͤhrer anschla- gen: den Andern wurde die Carcerstrafe zuerkannt. Aber nun gings auch vollends loß. Den folgenden Tag sahe man an verschiedenen Orten der Stadt Zettel angeheftet, worin von Seiten der Bur - sche verboten wurde, in ein Collegium zu gehen, und wer hineinginge, bekam nicht nur die allerschoͤn- sten Beinamen, sondern man wollte ihn auch mit der Hundspeitsche begruͤßen, und er sollte ein blamirter Junge seyn und bleiben. Das schwarze Bret litte aber- mals Noth. Ich selbst beging zu der Zeit den dummen Streich, mich an meinem Freunde und wahren Goͤn- ner, dem Bergrath Boͤhm zu versuͤndigen. Er las von 8 bis 9 die Metaphysik, welche ich sonst selbst hoͤrte. Nun wollte ich doch sehen, ob welche da waͤren, und fand ohngefaͤhr vier oder fuͤnf Zuhoͤ- rer, welche vielleicht vom Interdict nichts wissen mochten. Diese preschte ich mit starken Worten her- aus, und machte solchen Laͤrmen, daß der Sohn des wuͤrdigen Mannes, Herr Assessor Boͤhm, dazu kam, und mir meine Impertinenz verwies. Aber da war fuͤr dasmal weder Gefuͤhl noch Besinnung: ich ant- wortete grob, und das Kollegium ward leer. Nach- her hab ich mich freilich geschaͤmt, und beide um Ver- zeihung gebeten: allein der dumme Streich aͤrgert mich noch bis auf die heutige Stunde. Ouvrier hielt von neuem ein Concilium; woran aber nur wenig Professoren Theil nahmen, und be- staͤtigte die zuerkannten Strafen. Dies war Oel ins Feuer gegossen: es empoͤrte noch mehr. Aber warum verfuhr denn Herr Ouvrier so? Man muß wissen, daß er ehemals Lehrer der fuͤrstli- chen Kinder in Darmstadt gewesen war, und folglich auch die erste Gemahlin des Russischen Großfuͤrsten unterrichtet hatte. Nun schien es ihm nicht recht zu seyn, daß man im Darmstaͤdtischen zu eben der Zeit, wo man noch uͤber den Tod jener Fuͤrstin trauerte, Freude uͤber derselben Nachfolgerin feierlich beweisen wollte. Das war so seine Empfindung, und da glaubte er denn durchzudringen. Beiher rechnete er auch auf den Beistand seines Schwiegervaters, und aͤrgerte sich, daß sich die Bursche an den Kanzler ge- wandt hatten, und ihm auf dem Concilium grob begegnet waren: und so beging er eine Uebereilung, welche ihm so viel Unlust und so wenig Ehre gebracht hat. Nachdem man gewiß war, daß Lang und Bohy relegirt waren; so versammelten sich alle Studenten auf den groͤßern Plaͤtzen in Gießen, und berath- schlagten, was zu thun waͤre. Kurz, es wurde einhellig beschlossen, auszuziehen, und sich auf die Doͤrfer zu begeben, bis man Genugthuung erhalten haͤtte. Der Rector bath den General von Rothberg und den Obristen Zangen um einige Patrouillen, welche den Skandal stillen sollten, den die Studen- ten durch ihr wildes Herumlaufen und Toben auf den Straßen erregten. Aber die Herren erwieder- ten: „die Sache ginge sie nichts an: die Studenten „vertheidigten ihre Rechte, und darin koͤnnte man „sie nicht stoͤren.“ Gegen ein Uhr ging der Zug zum Thor hinaus. und keine zehn Studenten blieben in dir Stadt. Die Hautboisten bließen vorn weg, und dann folgten die Bursche. Viele hatten sich mit Kienruß große Baͤrte in die Gesichter gemalt, und trugen Husaren- pelze, und große Husarensaͤbel, welche sie von den Gießischen Husaren geborgt hatten. Sie saßen zu Pferde, und machten die Anfuͤhrer, Schließer und Adjutanten. Ich schloß den ganzen Zug, und hatte mich so verstellt und verkienrußt, daß mich niemand erkennen konnte. Auf dem naͤchsten Dorfe wurde Halt gemacht, gezecht, dann auf ein anderes marschirt, und dabei alle moͤgliche Possen veruͤbt, wie man leicht denken kann. Am andern Morgen kamen Lang und Bohy von Butzbach, und verkuͤndigten uns den naͤhern Willen des Kanzlers. Er wuͤrde, so hieß es, uns vollkommene Satisfaction schaffen: keinem Menschen sollte ein Haar gekruͤmmt werden; nur sollten wir ruhig nach Gießen zuruͤckkehren, und das Laͤrmen einstellen. Auf diese Versicherung bezogen wir wie- der die Stadt; aber die Gaͤhrung dauerte noch uͤber acht Tage fort, so daß auch kein Professor Kollegien lesen konnte. Der Kanzler machte indeß einen Be- richt nach Pirmasens an den Landgrafen — nach seiner Art — worin er das Vergehen der Studen- ten entschuldigte; hingegen den Rector als die ein- zige Ursache des Tumultes, und des Schadens und Schimpfes fuͤr die Universitaͤt schilderte. Auf diesen Bericht wurde der Rector sogleich abgesetzt, und sein Amt auf den D. Bechtold uͤbertragen. So endigte sich dieser Maͤusekrieg; aber die Katastrophe zog dem verschwaͤrzten Herrn Ouvrier ein Gallenfie- ber zu. Herr Schmid will in seiner Apologie die Schuld dieser Absetzung ganz vom Kanzler Koch abwelzen, und sie blos dem damaligen Praͤsidenten Herrn von Moser zuschieben. Dieser war zu der Zeit zwar auch in Butzbach; allein wie sollte der Herr von Moser , der niemals in Gießen gewesen war, der den Rector nicht kannte, und von der Verfassung der Universitaͤt nichts wußte, an den endlich kein Deputirter geschickt war, der mit keinem Studenten gesprochen hatte: der ferner in der Sache nicht einmal berichten konnte, da das Ding dem Kanzler oblag, wie sollte, frage ich, dieser Mann dem Landesherrn den Vorfall berichtet, und ganz allein, wie Herr Schmid vorgiebt, so berichtet haben, daß darauf ein Mann gestuͤrzt waͤre, der ihn nie beleidiget hatte? — Wer das alles uͤberlegt, und das vorsichtige bis zur Grillenfaͤngerei behutsame Verfahren des Herrn von Mosers kennt, der muß das Vorgeben des Herrn Schmids ungegruͤndet, das Meinige hingegen nicht nur wahrscheinlich, sondern beinahe ausgemacht ge- wiß finden. Was aber fuͤr ein schiefes Licht aus dieser ver- zerrten Geschichte auf den Karakter des Herrn Kanz- lers falle, moͤgen andre beurtheilen. Mich geht das hier weiter nicht an. Unter Bechtolds Regierung blieb der Zustand der Gießer Universitaͤt ziemlich ruhig. Man ging vorsichtiger zu Werke, und die akademischen Kinder hatten, fuͤr ihr Theil, nun einmal ausgetollt! — Ein und zwanzigstes Kapitel. Wer zu Hause nicht klug ist, ist es in der Fremde auch nicht. L ange hatte ich den Wunsch genaͤhrt, die ihres Komments wegen hochberuͤhmte Universitaͤt zu Jena kennen zu lernen. Diesen Wunsch befriedigte ich im Herbst 1776. Ich machte mich auf, nachdem ich meinen Wechsel schon in der ersten Frankfurter Meß- woche erhalten hatte, und wanderte ganz allein zu Fuße dahin. Meinen Weg nahm ich uͤber Gruͤnberg, Alsfeld, Hersfeld, Eisenach, Gotha, Erfurt und Weimar. Ich waͤhlte mit Fleiß diesen Weg, um einige Staͤdte mit zu besehen, welche mir schon aus Beschreibungen bekannt waren. Auf dieser Fahrt hatte ich nun so recht Gelegen- heit, die niedere Klasse der Einwohner dieser Laͤnder kennen zu lernen, eine Klasse, welche ich immer so gern kennen lernte. Im Hessenkasselschen hatte ich hierzu vorzuͤglich Gelegenheit. Ich merkte es gar zu genau, daß ich in ein Land kam, wo ziemlich uͤber- spannte Grundsaͤtze herrschten. Die Bauern waren durchaus arme Leute, und eben damals hatte der verstorbene Landgraf seine Unterthanen nach Amerika verhandelt. Da liefen einem die halbnackten Kin- der nach, baten um ein Allmosen, und klagten, daß ihre Vaͤter nach Amerika geschickt waͤren, und daß ihre armen verlaßnen Muͤtter und ihre alten abge- lebten Großvaͤter das Land bauen muͤßten. Das war ein trauriger Anblick! Dergleichen empoͤrt tau- sendmal mehr, als alle sogenannten aufruͤhrerischen Schriften: jenes ergreift und erschuͤttert das Herz; diese beschaͤftigen meist blos den Kopf. Aber von diesen will man nichts wissen, um jenes desto unge- stoͤhrter treiben zu koͤnnen — wie wenn es nicht weit aufruͤhrerischer waͤre, aufruͤhrerisch zu regieren, als aufruͤhrerisch zu schreiben, zumal, da dieses groͤß- tentheils eine Folge von jenem ist! Ist das conse- quent? — Ist es im Ganzen klug, den Thurm- huͤtern und Nachtwaͤchtern das Laͤrmenmachen uͤber Brand und Einbruch zu verbieten? Heißt das fuͤr das oͤffentliche Wohl besorgt seyn? — Einsichtige, vaͤterliche Regenten denken hierbei weit vernuͤnftiger: man uͤberdenke die Regierung Friedrichs des Einzigen ! — Ich gab soviel von meiner Baarschaft her, als ich entbehren konnte. Ich sprach in allen Hessischen Schenken ein, und hoͤrte da nichts als Klagen und Verwuͤnschungen. Ich stehe dafuͤr, wenn ein Fuͤrst zu Fuße und unbekannt eine Reise durch seine Laͤnder vornaͤhme: es wuͤrde manches geaͤndert werden; aber so sitzen die guten Herren in Schloͤssern und in Zirkeln, wo Noth und Armuth fremde Namen sind; und da lernen sie die Beulen und Wunden nicht kennen, an denen ihre armen Unterthanen krank liegen. Ganz anders sieht es im Gothaischen und Wei- marschen aus und noch besser im Erfurthischen. Zu Erfurth selbst lernte ich einige Studenten kennen, welche aber meinem damaligen Geschmack weit weni- ger entsprachen als die Marburger. Ich hospitirte auch in den Vorlesungen zweier Professoren, des Paters Grant — nicht le Grand, wie Herr D. Bahrdt schreibt — und des Professors Froriep, welcher damals schon allerlei Specktackel und Haͤn- del machte. Herr Grant hat mir sehr gefallen: er las Physik. — Der Herr Froriep behagte mir gar nicht. Gern haͤtte ich auch einen katholischen Theo- logen hoͤren moͤgen; aber da war niemand, der mich in ein solches Auditorium haͤtte fuͤhren koͤnnen, oder wollen. Das Hospitiren ist uͤberhaupt in den katho- lischen Theologischen Hoͤrsaͤlen gar nicht Mode. Zu Jena kam ich gegen Abend an, und trat im halben Mond ab. Da ich hier gar keine Bursche antraf, ließ ich mich nach dem Abendessen auf den Fuͤrstenkeller fuͤhren, wovon ich schon vieles gehoͤrt hatte. Ich fand da einen ganzen Haufen Studen- ten, welche mir alle unbekannt waren. Ich forderte Bier, und rauchte meine Pfeiffe an. Ein Student trat zu mir, und fragte; Der Herr ist gewiß Bursch? Ich : Natuͤrlich! Er : Woher? — von Halle? Ich : Nein, von Gießen! Er : Das ist brav: wie ists denn in Gießen? Alles noch fluͤchtig? Ich : O ja, fidel! Er : Recht so! Wollen Sie hier bleiben? Ich : Nein, ich will mich hier nur besehen. Er : Schoͤn! — Hier koͤnnen Sie den Kom- ment recht lernen. Sapperment! Sie werden die Reise nicht bereuen! Ich : Das glaub ich auch: hab' immer viel vom Jenaischen Komment gehalten! Er : (nimmt seinen Krug) à bonne! Ich : (gleichfalls m it dem Krug) Schmollis! Ich empfehle mich deiner Freundschaft, heiß Lauk- hard, und bin aus der Pfalz. Er : Gleichfalls: heiße Kroͤber, und bin aus der Pfalz So macht man die akademische Bruͤderschaft! . — Also Landsleute: Pardid! das ist ja exellent! Komm Bruder, setz dich hierher! — Nun hatte ich schon Einen Bruder in Jena, aber noch ehe ich den Fuͤrstenkeller verließ, zaͤhlte ich derer uͤber zwanzig. Die Bursche wetteiferten, mir nach ihrer Art Hoͤflichkeiten zu bezeugen. Man muß es den Jenaischen Studenten lassen daß sie alle sehr freundlich gegen Fremde sind, und die Gastfreiheit in einem hohen Grade ausuͤben. Das findet in Halle und Erlangen wenig und in Goͤt- tingen gar nicht statt. Zu Mainz, Heidelberg, Strasburg, Fulda und Wuͤrzburg ist auch nicht ein Schatten von akademischer Gastfreiheit. Die Gießer kommen den Jenensern darin an naͤchsten. Vielleicht traͤgt die Wohlfeilheit des Unterhalts zu Jena und Gießen vieles dazu bei; doch scheint mir der Haupt- grund in den Gelagen zu liegen, welche auf den ge- dachten Universitaͤten mehr oder weniger im Gange sind. Gelage machen herzliche Freundschaften, we- nigstens auf einige Zeit; und herzliche Freundschaft erzeugt Gastfreiheit. „Freude laͤßt uns unsere „Nebenmenschen im vortheilhaften Lichte erscheinen: „sie macht wohlwollend und zutraulich, oͤffnet das „Herz und besonders den jugendlichen Busen fuͤr „Freundschaft und Liebe. Niemand, als der Froͤh- „liche, ist bereitwilliger, Fehler zu verzeihen, Freund- „schaften zu schließen, selbst seine Geheimnisse Andern „zu vertrauen. Daher sind Heiterkeit der Seele, „und Gemuͤthsruhe, wegen der wohlwollenden Ur- „theile und Gefuͤhle, die sie fuͤr Andere in uns er- „wecken, die reichhaltigsten Quellen der geselli - „ gen Tugend!“ So schreibt Hr. Prof. Maaß in seinem Versuch uͤber die Einbildungskraft (1792.) S. 160: ein Versuch, der, nach meiner Einsicht, in der Hand eines jeder Psychologen, Ae- sthestikers und Paͤdagogen seyn sollte. Als die Jenaischen Studenten hoͤrten, daß ich im halben Mond logirte, untersagten sie mir, laͤn- ger dort zu bleiben, und einer von ihnen both sich sogleich an, mich in seiner Wohnung so lange aufzu- nehmen, als ich in Jena verweilen wuͤrde. Ich nahm dies an, und wohnte jetzt in der Laͤuterstraße bei einem Becker, aber so schrecklich hoch, daß mir allemal die Beine wehe thaten, wenn ich die Treppen steigen mußte. Der Ton der Jenenser behagte mir sehr: er war blos durch mehrere Roheit von dem der Gießer unterschieden. Der Jenenser kannte — wenigstens damals — keine Komplimente: seine Sitten hießen Petimaͤterei, und ein derber Ton gehoͤrte zum rech- ten Komment. Dabei war der Jenenser nicht be- leidigend grob, oder impertinent; vielmehr zeigte sich viel Trauliches und dienstfertiges in seinem Betragen. Ich habe hernach den viel feinern Ton in Goͤttingen, und den superfeinen Leipziger kennen gelernt: da lobe ich mir denn doch meinen Jenischen. Vielleicht war mein Geschmack verdorben, und zu sehr an groͤbere Speisen gewoͤhnt: aber bei dem allen scheint es doch der Sache angemessen zu seyn, daß der Student auf Universitaͤten sich, so viel er kann, von allem verzaͤr- telten und verfeinerten Wesen abhalte. Dieses hat sichtbare boͤse Folgen, wie es bei einer andern Gele- genheit erhellen wird, naͤmlich da, wo ich das glaͤnzende Elend der Studenten zu Leipzig beschrei- ben werde. Man hatte mir schon gesagt, daß Schlaͤgereien in Jena haͤufig vorfielen: und in der That fand ich, daß es gar leicht war, in Haͤndel zu gerathen. Sie wurden zwar mit dem Degen ausgemacht; da aber immer fuͤr gute Sekundanten gesorgt wurde; so wa- ren die Balgereien selten gefaͤhrlich. Doch ist noch vor ohngefaͤhr zwoͤlf Jahren ein gewisser Baron von Herstal auf der Rasenmuͤhle erstochen worden Dieser Vorfall machte, daß der Besuch der genannten Muͤhle den Studenten verboten wurde. . Erster Theil. N Seit kurzem sollen jetzt in Jena alle Duelle durch eine recht artige Konvenienz der Studenten selbst ab- geschaft seyn. In Kiel soll man etwas Aehnliches vorhaben. Auch soll der Herzog von Weimar, die- ses edle Muster aller Humanitaͤt an einem Fuͤrsten, sich auf die liberaleste Art bemuͤhen, die Denkungs- und Lebensart der Studenten zu Jena so zu modi- ficiren, daß die akademische Freiheit auf eine ange- messene Art dabei bestehen koͤnne. Heil diesem Vater seiner Laͤnder! Die Professores lasen damals gerade nicht, weil die Ferien eben angegangen waren. Doch besuchte ich den Professor Danovius , dessen Dogmatik, im schwerfaͤlligsten Latein, ich schon in Gießen gele- sen hatte. Der Mann war sehr zuruͤckhaltend, und wollte nicht recht mit der Sprache heraus, als ich mit der Weisheit hervorplatzte, die ich aus Crellius Buch geschoͤpft hatte. Er sagte mir, das Lesen der Schriften von Socinianern sey sehr verfuͤhrerisch, und einem jungen Menschen hoͤchlich zu misrathen. Als ich ihn bath, mir ein Buch anzugeben, worin des Socinismus vollkommen widerlegt, und die Lehre von der Trinitaͤt und der Satisfaction hinlaͤnglich bewiesen waͤre, bedaurete er, daß er mir keine Schrift von der Art anzeigen koͤnnte, weil man nicht so wohl auf die Lehre selbst, als vielmehr auf den Beweis der kirchlichen Bestimmungen gesehen haͤtte. Doch empfahl er mir Reusch 's Introductio in Theo- logiam revelatam. Ich habe zwar hernach dieses Buch auch gelesen: aber da ich schon weiter mit mei- nem System gekommen war, und es damals schon durch Tindals bekanntes Buch „Erweis, daß „das Christenthum so alt ist, als die Welt“ berich- tiget hatte; so konnte keine Erlaͤuterung und Modi- fikation eines so genannten Geheimnisses bei mir wei- ter Statt finden. Danovius empfahl mir vor allen Dingen das Studium der alten Sprachen und der Geschichte: sonst meinte er, koͤnne aus allem Studiren nichts werden, auch aus dem Theologischen nichts. Die- ser rechtschaffene Mann hat nachgehends, weil er sein Hauskreutz nicht laͤnger tragen konnte, sich in der Saale ersaͤuft! Meine Freunde suchten mir meinen Aufenthalt so angenehm zu machen, als sie vermochten. Die Doͤrfer Ammerbach, Lichtenhein, Loͤbstaͤdt, Ziegen- hein, wie auch die Muͤhlen, hab ich in ihrer Ge- sellschaft fleißig besucht: auch in der Oelmuͤhle in ei- ner Bataille mit den Gnoten derbe Kopfnuͤsse davon getragen. Auf der Schneidemuͤhle und in Wenig- Jena habe ich einige unsaubere Nymphen angetrof- fen, welche den Beutel, die Gesundheit und die Sitten der Juͤnglinge so schaͤndlich verwuͤsten. Da- mals war eine gewisse Hanne in Wenig- Jena, der ein Student die Ehe durch einen schriftlichen Auf- satz versprochen hatte. Seine Kameraden mochten seine Reue daruͤber wissen, und um ihn zu be- ruhigen, stuͤrmten sie nach seinem Abzuge das Haus der Dirne, und zwangen sie, den Aufsatz heraus zu geben. So war also das Maͤdel geprellt! — Wenn ich daͤchte, daß es etwas fruchten wuͤr- de, so erzaͤhlte ich in einem eignen Kapitel einige auf- fallende Beispiele von Maͤdchen, auch sonst nach ih- rer Art recht guten Maͤdchen, die von leichtsinnigen Studenten auf den Universitaͤten durch Eheverspre- chungen an der Nase herumgefuͤhrt, hernach vom Poͤbel beklatschet und endlich ungluͤcklich geworden sind. Ich habe in der langen Zeit, die ich unter Studenten verlebt habe, eine solche Menge von der- gleichen Beispielen erfahren, daß ich wohl eine ganze Chronik damit fuͤllen koͤnnte. Aber was wuͤrde eine Nachricht der Art nutzen? Mannsuͤchtige Maͤdchen werden sich so lange anfuͤhren lassen, als es noch neugierige Verfuͤhrer und wollustgierige Wuͤstlinge geben wird: und an diesen fehlt es niemals. Den Orden der Amicisten fand ich auch in Je- na im besten Flor: er behauptete damals den Vor- zug auf der ganzen Universitaͤt, und bestand vorzuͤg- lich aus Mosellanern. Die Ordensbruͤder hielten sich aber jetzt stille, weil kurz vor meiner Ankunft eine Untersuchung wider sie ergangen war. Die Mosel- laner waren zu der Zeit die angesehnsten Bursche, wenigstens die fideelsten, welche das meiste Bier sof- fen, und am wenigsten ins Konvikt gingen. Dieses ist ein herrschaftlicher Freitisch, den aber auch solche benutzen, die den Freitisch nicht haben, und doch einen wohlfeilen Tisch suchen muͤssen. Es ist sonder- bar, daß der Jenenser die Studenten, welche das Konvikt besuchen, nicht fuͤr voll ansieht. Der Stu- dent an allen Orten verachtet zwar keinen wegen sei- ner Armuth; aber so recht leiden er es doch nicht, daß ein Armer, um wohlfeil durch zu kommen, die Mittel benutzt, welche auf den Universitaͤten fuͤr Un- bemittelte dazu da sind. So gilt einer, der in Halle das Waisenhaus, in Jena das Konvikt, in Heidel- berg die Sapienz besucht, schon darum etwas weni- ger. Lieber verzeiht mans, daß einer Schulden ma- che, und die Philister prelle. Ich glaube dies ruͤhrt von dem Contrast her, den man nach einem gewis- sen Wuͤrdigungsgefuͤhl der Studenten zwischen einer liberalen Jovialitaͤt und der Scheinheiligkeit oder dem sonderbaren abgeschmackten Wesen antrift, dessen sich die Benefiziaten befleißen muͤssen, um zu dergleichen freilich ohnehin sehr kuͤmmerlichen Anstalten nur Zu- tritt zu haben. Der groͤßte Theil dieser Duͤrftigen sind armer Prediger, oder Schullehrer Soͤhne, de- ren gerader, offener Sinn schon durch den Druck der Duͤrftigkeit zu Hause verstimmt, oft gar zur Unempfindlichkeit gegen herabwuͤrdigende Behan- dlungen, oder zu allerhand Tuͤcken, Schleichwegen, und Niedertraͤchtigkeiten verwoͤhnt, und deren Ehr- gefuͤhl eben darum groͤßtentheils abgestumpft oder gar erstickt ist. Geht es ihnen hernach auf der Uni- versitaͤt nicht besser: wie werden sie den Ekelnamen und der damit verknuͤpften Verachtung entgehen koͤnnen? — Das eine erzeugt das andere! Und doch sind diese beinahe durchgaͤngig diejenigen, denen man die Erziehung und Bildung der kuͤnftigen Ge- nerationen in Kirchen, Schulen und anderwaͤrts an- vertraut! Aber unsere Zeiten sind finanzioͤs, und das Wohlfeilste haͤlt man fuͤrs Beste! — Außer der Mosellaner Landmannschaft spielten die Lieflaͤnder und Meklenburger eine ansehnliche Rol- le. Die Landeskinder waren wie uͤberall, wo sehr viel Fremde sind, und das Land klein ist, am wenig- sten geachtet. Die Naͤhe oder die Aufsicht der El- tern haͤlt sie etwas knapp: sie koͤnnen also nicht so recht mitmachen, und dadurch sinkt ihr Ansehn. Auch wirkt hier das Vorurtheil, nach welchem man von extensiver Groͤße auf intensive schließt — von Menge auf Werth. — Es hat auch jemand, als ich in Jena war, fuͤr den medicinischen Doktor disputirt; aber so elend, wie ichs schon oft gesehn und gehoͤrt habe. Kochs Hannchen — denn so hieß sie — hab ich damals zwar nicht gesehn; wohl aber viel von ihr gehoͤrt. Sie fing um diese Zeit schon an, gemeinnuͤtzig zu werden. Noch etwas von Jenischer Policei! Es war den Schenken verboten, nach zehn Uhr in der Stadt Bier und dergleichen herzugeben. Wenn nun die Bursche beisammen saßen, und nach zehn Uhr blei- ben wollten — und das wollten sie immer, — so ließ sich ein jeder so viel Bier geben, als er zu trin- ken gedachte, zwei, drei und mehr Stuͤbchen: her- nach konnte ihn doch niemand zwingen, eher wegzu- gehen, als bis er sein Bier ausgeleert hatte! Und so saß er dann bis nach Mitternacht. Fuͤrs hinein- kommen in sein Qaartier durfte er nicht sorgen: die Haͤuser standen meistens die ganze Nacht uͤber auf. Die Aufwaͤrterinnen sind eben darum in Jena mehr geplackt, als auf irgend einer Universitaͤt. In Goͤt- tingen sind sie es am wenigsten. — Ein Maaßstab der Cultur im Kleinen! Nachdem ich ohngefaͤhr drei Wochen in Jena zugebracht hatte, trat ich meinen Ruͤckweg an. Zu Weimar sprach ich den Hofrath Wieland , oder vielmehr, ich sah ihn nur: denn kaum hatte ich und ein Lieflaͤnder Platz genommen, als ein Fremder sich anmelden ließ, welcher allein den Diskurs fortfuͤhrte. Ich habe seinen Namen vergessen: es war aber einer von denen, die von sich so sehr eingenommen sind, daß sie niemanden als sich selbst gern reden hoͤren. Ich war aber doch froh, daß ich nun den herrlichen Wieland in Person kannte! — Groß und beruͤhmt zu seyn, ist indeß doch etwas Laͤstiges: jeder will da- von participiren auf diese oder jene Art: und so ist ein solcher Mann selten ganz Herr von sich und dem Seinen, am wenigsten von dem ungestoͤhrten Ge- brauch seiner Zeit. Jeder Eingriff in dieselbe, ohne vollguͤltigen Ersatz, sollte man aber billig fuͤr eine Suͤnde wider den heiligen Geist halten. Ich ging nicht wieder uͤber Hersfeld, sondern uͤber Fulda, wo auch ein Stuͤck von Universitaͤt ist. Ich fand einige Studenten in einer Schenke vor der Stadt, die man die Moschee hieß: aber die Leut- chen waren zu sehr mit ihrem Regeln beschaͤftigt, als daß sie mich haͤtten unterhalten sollen. Ich schloß, sie muͤßten wenig Komment verstehen. Wohl ihnen! Zwei und zwanzigstes Kapitel. Opinionum commenta deler dies: Naturae confirmat. A ls ich wieder nach Gießen kam, waren die Win- tervorlesungen schon einige Tage angegangen. Ich waͤhlte mir gute Kollegia, und fing an, recht emsig zu studiren. Der Professor Koͤster , mein Vetter, und der Bergrath Boͤhm setzten mir besonders zu, ja recht fleißig zu seyn. Ich faßte auch wirklich den festen Vorsatz, zwar burschikos zu leben, doch aber meine Wissenschaften immer daneben zu treiben, um einmal etwas leisten zu koͤnnen, oder vielmehr, weil mir die Litteratur von je her behagt hat. Haͤtte ich in der gehoͤrigen Ordnung studirt; so glaube ich, daß ich es in einigen Kenntnissen ziemlich weit gebracht haͤtte. Ich gerieth diesen Winter in die Bekanntschaft des Prof. Lobstein . Dieser Mann war an Hrn. D. Bahrdts Stelle gekommen, hatte aber bei weitem Bahrdts Geist, und hellen Kopf nicht. Lobstein war ein Mann von einiger Gelehrsamkeit; er hatte in Strasburg und Paris studirt, und sein Gedaͤcht- niß nicht uͤbel angefuͤllt; sein Verstand war aber lei- der unkultivirt geblieben. Zu Strasburg hatte er sich den orthodoxen pietistischen Ton angewoͤhnt, der dort Mode war, und den wollte er nun auch in Gießen einfuͤhren. Er warf sich also zum unbefug- ten Sittenrichter der Studenten auf, und verdarb dadurch seinen ganzen Credit. Wenn er seine Lehr- stunden anfing, so betete er allemal eine Viertelstun- de, und wenn er sie endigte, so empfahl er seine Zu- hoͤrer in die allgewaltige Hand des Herrn, und ließ sie im Frieden Jesu gehen. Kam ein Student zu ihm; so fragte er ihn, ob er auch ein Regeni- tus vereque Conversus waͤre? Dabei tobte und schimpfte er auf die Theologen und Heterodoxen, so wie auf die Baͤlle, Schlittenfahrten und den Kopfputz der Damen. In seinen Predigten war er uͤber die maßen abgeschmackt, und handelte lauter Fratzen ab, z. B. die Suͤnde in den heil. Geist, die Ewigkeit der Hoͤllenstrafen, den thaͤtigen Gehorsam Jesu, und dergleichen. Durch solches Betragen mußte nun Lob- stein laͤcherlich werden: er ward es auch, und sein Hoͤrsaal blieb leer. Er hatte ein Collegium uͤber den Jesaias ange- schlagen, welches ich gern hoͤren wollte, da ich wußte, daß der Mann im Hebraͤischen nicht uͤbel zu Hause war. Ich besorgte also eine Anzahl von 16 Zuhoͤrern: und Lobstein ward von dem Augen- blick an mein Freund und Goͤnner. Seine ganze Bibliothek stand mir offen, und taͤglich hatte ich freien Zutritt zu ihm Durch nichts kann man sich bei den Herren Professoren mehr insinuiren, als wenn man fuͤr sie wirbt: das schmeichelt zugleich ihrem Ehrgeiz und ihrer Kasse. . Lobstein disputirte sehr oft mit mir, welches mir aber allemal ungelegen war: denn ich woll- te ihn gern zum Unterricht und nicht zur Bekeh- rung gebrauchen: er sollte mich im Hebraͤischen weiter bringen, und wenigstens arabisch lesen leh- ren Der groͤßte Theil unsrer Herren Orientalisten weiß vom Arabischen ja auch nicht mehr! In keinem Theil der Gelehrsamkeit wird aͤrger aufgeschnitten, als in der morgenlaͤndischen. . Ich wich daher immer aus, wenn er ein Gespraͤch von der Bekehrung anfing, und fuͤhrte eine Stelle an, die er erst erklaͤren, das ist, nach der Grammatik durchgehen muste. Da er keine schlechten historischen Kenntnisse im Gedaͤchtniß hatte, besonders in der Geschichte von Frankreich; so war sein Gespraͤch daruͤber unterhal- tend und lehrreich. Er borgte mir aus seiner Bi- blothek das beruͤhmte Werk des August von Thou ( Thuanus ) woraus ich wirklich manches Nuͤtzliche gelernt habe. Um mich, wie er sagte, wider den neuen Unglauben zu sichern, gab er mir des beruͤhm- ten Lardners Werk uͤber die Glaubwuͤrdigkeit — zu lesen. Ich las es; fand aber selten etwas, das mir behagt haͤtte. Nun sollte ich auch die Einwuͤrfe der Gegner kennen lernen, und zu dem Ende borg- te er mir die deutsche Uebersetzung von dem verrufe- nem Erweis — des Englaͤnders Matthias Tindal . Gott, mit welchem Vergnuͤgen und An- halten las ich dies merkwuͤrdige Buch! wie aͤnderten sich nun auf einmal alle meine Gedanken uͤber Ge- heimnisse und Offenbarung. Alle Zweifel vergingen mir ploͤtzlich, und sind seitdem auch nicht wieder in meine Seele gekommen. Ich uͤberzeugte mich gleich- sam mit mathematischer Gewißheiß: daß Geheim- nisse nicht einmal der Gegenstand des Glaubens seyn koͤnnen: daß sie als unbegreifliche Dinge, den Wil- len nicht bestimmen, und folglich die Moralitaͤt nicht befoͤrdern helfen: daß sie vielmehr eine Mis- stimmung in dem Gebrauch unsrer Vorstellungskraft hervorbringen, den gesunden Menschenverstand noth- zuͤchtigen, und den Weg zum Wahn und Aberglau- ben bahnen: daß eben darum Jesus und die Apo- stel dergleichen auch nicht gelehrt haben; sondern blos natuͤrliche Religion, hier und da geschmuͤckt mit Bil- dern aus der aͤltern orientalischen Bildersprache, woraus hernach die finstere hierarchische christliche Kirchenparthei solche Raritaͤten, wie die Geheimnisse sind, gebildet, und zu Glaubensartikeln erhoben hat: daß die moralische Religion, wie die Einsicht der Menschen, eines staͤten Fortschrittes und folglich der Verbesserung faͤhig sey: daß es also gar nicht noͤthig, ja pflichtwidrig sey, bei den Lehren des neuen Te- staments und den kirchlichen Bestimmungen daruͤber stehen zu bleiben: daß eben dies Buch nur localen und temporellen Werth gehabt habe, und der Ethik des Aristoteles, den Pflichtbuͤchern des Cicero, und andern moralischen Schriften der sogenannten Heiden nachstehen muͤsse. — Das war so das Resultat von meiner Lectuͤre der Tindalischen Schrift. Ich habe hernach eine Widerlegung derselben vom Abt Schu - bert gelesen, welche er seinem Buche oder vielmehr Werke von der Wahrheit der christlichen Religion an- gehenkt hat; aber die begnuͤgte mich nicht: vielmehr wurde ich in meinem naturalistischen Denken be- staͤtiget. Da ich schon seit meiner Jugend die Hierarchie der Pfafferei gehaßt hatte; so mußte mir ein Buch dieser Art sehr willkommen seyn. Ich sah jezt die heiligen Dogmen mit ganz andern Augen an, und las nach ganz andern Grundsaͤtzen die Kirchenhisto- rienschreiber. Das ganze Kirchensystem erschien mir nun als ein Gebaͤude, welches auf Fratzen, Aber- glauben, Unwissenheit, Herrschsu t und Betrug sich stuͤtzte: und einige naͤhere Bekanntschaft mit der Geschichte, besonders der Kirchengeschichte, welche ich mir in der Folge verschaffte, hat mir die Beweise fuͤr diesen Glauben, in Menge dargeboten. — Mei- ne Leser moͤgen mir mein freimuͤthiges Glaubensbe- kenntniß verzeihen: ich sage nur, was ich denke, und will keine Proselyten machen. Prof. Lobstein wollte gern Doktor der Theo- logie werden, und waͤhlte mich zu seinem Responden- ten. Ich hatte also die Ehre, daß mein Name auf einer Disputation gedruckt stand, und daß ich selbst mit den Herren Benner , Bechtold und Ou - vrier disputiren konnte In Gießen ist es Mode, daß jedesmal, auch bei den Disputationen der Mediciner, nicht Studenten, son- dern die Fakultisten, d. i. die Professores ordinarii der Fakultaͤt opponiren. Bei den theologischen Doktor Promotionen mag das gut seyn; aber bei andern sollte billig den Studenten die Gelegenheit gelassen werden, sich ein Bissel im Latein zu uͤben: denn das thut doch heutzutage warlich Noth. . Ich machte meine Sache ziemlich gut, und erhielt allgemeinen Beifall. Lobstein gab nach dieser Fehde einen kostspieligen Schmaus, worauf die ganze Gießer Noblesse zuge- gen war. Die Herren waren alle seelenlustig, ließen sichs wohl schmecken, und machten dem Herrn Doktor freundschaftliche Komplimente, und hatten doch den Schalk im Busen, zum Theil naͤmlich: denn schon hatte der damalige Prorektor Hoͤpfner , und der Kanzler Koch , welche sich nun, um einen Dritten zu stuͤrzen, versoͤhnt hatten, einen Bericht nach Pirmasens gemacht, und den Professor Lobstein als einen Mann geschildert, welcher der Universitaͤt Schande mache, und sich zum Lehrer durchaus nicht schicke Zum Doktor der Theologie war er also dennoch . Der Landgraf war Lobsteinen gewogen, und ließ die Sache liegen; allein die Gießer Herren, die den guten Mann aus vielen Gruͤnden, und auch besonders deswegen haßten, weil er ein Auslaͤnder, ein Strasburger, war, behelligten den Fuͤrsten so lange, bis er ihn auf Butzbach versetzte. Lobstein arbeitete zwar aus allen Kraͤften dagegen, und sup- plicirte; aber es half einmal nichts: er muste gegen den Herbst abziehen. Gießen hat freilich an diesem Manne nichts, gar nichts verlohren: denn er hatte wirklich keinen Beifall, und stiftete wenig Nutzen: aber doch haͤtte der Kanzler und der Prorektor nicht so heimlich zu Werke gehen, und die Lobsteinische Sache vielmehr der ganzen Universitaͤt und dem Kuratorium uͤberlas- sen sollen. Lobstein ist vor einiger Zeit Professor in Strasburg geworden Die jetzigen Lutherischen Professoren in Strasburg muͤssen doch gar huͤbsch neben den beiden Katholischen, Schneider und Dorsch , paradiren! . Bei aller seiner Pietiste- rei und uͤbertriebenen Orthodoxie hatte er doch das Gluͤck, das schoͤnste Maͤdchen in Gießen, die Toch- ter des Professors Diez , zur Frau zu bekommen. Man wird gemeiniglich finden, daß die Pietisten das huͤbsche Frauenzimmer sehr gern haben. Das ge- hoͤrt so zum beschaulichen Leben! Liebte doch der Schwaͤrmer und Polemiker Sankt Hieronymus auch huͤbsche Gesichter! — Ich komme wieder auf mich. Seit dem Herbst 1776 bis in den Sommer 1777 habe ich sehr fleißig studirt, und nicht nur meine Wissenschaften, beson- ders Geschichte und Geographie, letztere nach Cel - larius und Buͤsching , stark getrieben, sondern auch die Lebensbeschreibungen des Plutarchs , mehrere Schriften des Cicero und den Athe - naͤus durchgegangen. Auch hatte ich von den grie- chischen Dichtern, außer der Iliade, wenig gelesen; nun aber las ich den Theokrit , den Bion , Mo - schus und einiges in der Chrestomathia Tragica. Daß sich durch diese Lectuͤre meine Kenntnisse stark mehrten, ist gewiß; daß ich aber nicht aͤcht schmecken lernte, machte der Mangel an vernuͤnftiger Anfuͤh- rung, die ich in Gießen gaͤnzlich vermißte. Meine philologischen Kenntnisse haben daher immer einem Chaos aͤhnlich gesehen, wo alles wie Kraut und Ruͤ- ben durch einander liegt: Viel Materie; aber keine Verbindung! Vielleicht liegt auch ein Theil dieser Schuld in der Verabsaͤumung einer vernuͤnftigen ge- laͤuterten Philosophie: denn die Wolffische Logik und Metaphysik, welche ich bei Herrn Boͤhm lernte, mag ich doch nicht gute Philosophie nennen. Drei und zwanzigstes Kapitel. Neuer Krieg . Ruin der Gießer Universitaͤt . I n den Ferien des Jahres 1777 kam ein ge- wisser Wittenberg nach Gießen Er war ein Genie, — focht unverbesserlich auf Hieb und Stich, und spielte die Geige und den Baß meisterhaft; war aber dabei der liederlichste Kerl, den man sich vor- stellen kann. Durch diesen Menschen, der sich zu den Amicisten gesellte, entstand allerlei Unruhe, und manche Schlaͤgerei. Die Amicisten bekamen daher eine Menge Gegner und Feinde, und die Gaͤhrung ward allgemein. Endlich trafen einmal einige vor der Stadt am Wasser zusammen, und behandelten sich, wie besoffene Bauern: sie schossen sogar auf ein- ander; und ein gewisser Lange aus dem Elsaß, wurde durch einen Schuß so gefaͤhrlich verwundet, daß man an seinem Leben lange zweifelte. Er mu- ste uͤber fuͤnf Monate die Stube huͤten. Einer, Namens Conradi , hieb einen andern dergestalt zusammen, daß man mehr als zwoͤlf Wunden vor- fand. Dieser Auftritt endigte den Spektakel noch nicht, und so klein die Universitaͤt war, fielen doch innerhalb acht Tagen mehr als dreißig Schlaͤge- Erster Theil. O reien vor. Die Antagonisten der Orden wollten die Ordensbruͤder und die Orden herunter haben; und diese suchten ihren Vorzug, den sie sich einmal angemaßt hatten, zu behaupten. Endlich, nachdem die Haͤndel schon sehr lange gedauert hatten, fing der Prorector an, zu inquiri- ren. Einige wurden relegirt, z. B. Wittenberg : andere mußten aufs Karzer; und einen gewissen Breithaupt fuͤhrte man nach Pirmasens ab, und steckte ihn daselbst unter die Soldaten. Aber durch diese Proceduren ward der Raufereien noch kein En- de: taͤglich hoͤrte man von neuem Skandal, und neuen Strafen. Ich war bei der Sache nicht ruhig geblieben: der Senior meines Ordens war weggejagt, und der Senior von unsrer Landmannschaft war auch be- straft worden. Ich ermahnte daher, so viel ich konnte, die guten Freunde zur Standhaftigkeit, und legte selbst hand an, so viel ich konnte. Der Prorek- tor schickte mir einmal den Pedell Moͤser ; da er mir aber grob zusprach, warf ich ihn zur Thuͤr hinaus, und maulschellirte ihn zur Treppe hinunter. Nun brannte alles gegen mich. Ich wurde abermals ci- tirt, erschien aber nicht: endlich beschloß man, mich zu relegiren, oder vielmehr mir das Consilium abeun- di zu geben. Man hatte damals gewiß Ursache, mich fort zu schicken: das kann ich nicht leugnen. Einmal hatte ich mich geschlagen, dann Fenster eingeworfen, den Spektakel nach Vermoͤgen vermehrt: auch war ich nicht erschienen, als man mich zum zweiten und gar zum drittenmal citirt hatte: endlich hatte ich ein skandaloͤses Lied auf den Rektor und Kanzler ge- macht, welches die Studenten des Abends auf der Gasse absungen. Dieses alles zusammen genommen, war schon hinlaͤnglich, mir die Relegation zuzuziehen, die mir indeß doch, als Auslaͤnder, wenig geschadet haͤtte. Ich wuͤschte aber in Gießen zu bleiben. Als ich nun hoͤrte, daß man mich relegiren wollte, und daß einer meiner Freunde schon wirklich relegirt sey, gieng ich zum Rektor, und gab gute Worte. Die- ser sagte mir, daß ich sehr gravirt waͤre, besonders wegen eines Pasquills, welches ich aber ableugnete. Darauf gab er mir zu verstehen, daß ich eine kleine Bittschrift an ihn aufsetzen moͤchte: er wuͤrde die- selbe schon empfehlen. Ich that dieses, und meine Relegation wurde aufgehoben; ich aber doch auf vier Wochen ins Carzer gesetzt. Herr Schmid — daß ich doch mit dem Eh- renmann so oft zusammen komme! Herr Schmid gibt vor: ich waͤre wegen schaͤndlicher Lebensart relegirt worden; diese Strafe aber haͤtte der Kanzler Koch in Karzerstrafe verwandeln helfen. Das ist mit Hrn. Schmids kritischer und poetisch-musenal- manachischer Erlaubniß, nicht wahr. Er setzt hin- zu: das waͤre auf mein Bitten bei Hrn. Koch ge- schehen; da ich doch den Kanzler niemals um etwas gebeten habe, und auch gewiß — haͤtte ich es jezt thun wollen — bei dem gegen mich aͤußerst aufge- brachten Mann fehl gebeten haͤtte. — Das al- les ist nicht wahr, und die noch in Gießen lebenden Professoren, Herr Jaup , Herr Koͤster und Herr Dietz muͤssen mir bezeugen, daß es nicht wahr ist. Denn an dem Tage, woran die Vota uͤber meine Bestrafung gesammelt wurden, stimmten beinahe alle Professoren auf Karzerstrafe, und nur Hr. Koch drang auf meine Relegation: er haͤtte mich gar zu gern fortgejagt. Wenn also Hr. Schmid mir Un- dank gegen meinen Retter, Hern Koch, vorwirft; so hat er wahrlich Unrecht: Koch hat mich niemals leiden koͤnnen. Ich hatte seinem Jungen Ohrfeigen gegeben, ich hatte gegen den damaligen Exkaplan, jezt Professor in Jena, Schnaubert Im andern Theil dieser Biographie rede ich von die- sem Herrn weiter. , eben nicht zum Besten gesprochen: und Schnaubert war so quasi der Maͤhrchen- und Neuigkeitskontrolleur des Kanzlers; daher sich auch die Studenten gewal- tig vor ihm in Acht nahmen: und endlich hatte ich dem Hrn. Koch das Latein in seinem Kompendium des Criminalrechts korrigirt. Lauter Ursachen, wel- che mich bei einem stolzen egoistischen, rachgierigen Manne hoͤchst verhaßt machen musten. So haͤtte ich denn abermals einen Vorwurf, den Herr Schmid mir macht, widerlegt! Auf dem Karzer studirte ich fleißig, und Herr Boͤhm versah mich mit Buͤchern aus seiner Bi- bliothek. Aber indessen ich auf dem Karzer war, entstand ein gefaͤhrlicher Aufstand. Der Rektor wollte naͤmlich die uͤberall schaͤdlichen Geldstrafen einfuͤhren, welche mehr eine Strafe fuͤr die Eltern, als fuͤr ihre studierenden Soͤhne sind, und die bisher in Gießen unerhoͤrt waren. Daruͤber kam nun alles in Harnisch: die feindseligen Gesellschaften und In- nungen versoͤhnten sich mit einander, machten ge- meinschaftliche Sache, laͤrmten, tobten, und zo- gen aus, so wie sie im vorigen Jahre ausgezo- gen waren. Sie zogen wieder auf darmstaͤdtische Doͤrfer, bis sie merkten, daß man Mine machte, sie von da nach einigen Tagen weg zu holen, und mit Gewalt nach Gießen zuruͤck zu schleppen. Jetzt begaben sie sich ins Weilburgische, wo die meisten in Aßbach und Gleiberg den ganzen Sommer uͤber zubrachten. Die Universitaͤt sah sehr traurig aus, und mehrere Pro- fessoren mußten ihre Vorlesungen aussetzen. In Gleiberg lagen sie in den Scheunen und Bauernstu- ben auf dem Stroh, und sahen aus, wie die Hot- tentotten. Wie viel Unordnungen und Skandale da vorgegangen sind, kann man denken. Dem Kanzler und Rektor war es bei der Sache nicht wohl zu Muthe: sie befuͤrchteten, wenn der- gleichen Possen vor den Landesherrn kaͤmen — in Darmstadt hatten sie schon alles zu ihrem Vortheil eingelenkt — so moͤchte man sie zur Rede stellen: denn sie waren es doch, die durch eine unzeitige Einfuͤhrung ganz neuer Strafen, die erste Gelegen- heit zu den Haͤndeln gegeben hatten, und recht wohl wußten, daß die Geldstrafen ihre und nicht des Fuͤr- sten Erfindung, waren. Um indeß den uͤbeln Fol- gen vorzubeugen, suchten sie um eine Komission bei dem Kuratorium an, und der Kurator, Herr Ge- heime-Rath Heß , erschien selbst in Gießen, inqui- rirte, und hob die Geldstrafen auf. Einige schon in die Kassen der Herren gefallne Gelder wurden auch wieder zuruͤck gegeben. Aber Herr Heß war nicht im Stande, den Tumult zu stillen, und die Universitaͤt zu beruhigen. Die meisten Bursche blie- ben auf den Doͤrfern bis zum Herbst, wo sie entwe- der abgingen, oder andere Universitaͤten bezogen; einige brachten den Winter in Gleiberg zu. Die Frankfurter Zeitungen meldeten sehr oft Neuigkeiten vom Gießer Kriege, und die Universitaͤt gerieth daruͤber in einen gewaltigen Miskredit, oder vielmehr wurde der Miskredit, worin sie sich schon seit langer Zeit befunden hatte, dadurch sehr vermehrt. Unter andern las man folgenden Artikel darin Naͤmlich der Sache nach: denn einige Worte moͤgen wohl anders gelautet haben. Es war sonst ein derber Artikel, welcher den Gießer Herren gar nicht gefiel. Aber die Frankfurter Zeitungen, besonders die Gelehr- ten, waren so der Satansengel, welcher die Herren mit Faͤusten schlug. Wie froh muß doch Herr Schmid seyn, daß Herr Deinet keine gelehrte Zeitung mehr heraus- giebt! : „ Gleiberg den 4ten August . Die Uni- „versitaͤt ist von Gießen hieher verlegt worden. „Wir haben unsern Rector, Kanzler und Professo- „ren. Zu den vier Fakultaͤten ist noch eine fuͤnfte „gekommen, naͤmlich die Zotologische, worin sich „die Lehrer ganz besonders verdient machen. Alle „Gemeinschaft mit Gießen ist abgeschnitten: die da- „sigen Herren moͤgen den Schuͤlern vom Pihjo Kol- „legia lesen.“ — Pihjo — so heißt das Paͤdago- gium in Gießen. Hier sehen meine Leser zugleich, was Herr Schmid mit seinem Professor Zotarum — soll ei- gentlich Zotologia heissen: heißt doch Herr Schmid auch Professor Poeseos und nicht Poeticorum! — haben will. In Gleiberg ließ ich mich naͤmlich zum Professor dieser edlen Kunst ernennen, und las uͤber ein von mir selbst geschriebenes Kompendium, dem ich den Titel Elementa Zotologiae sive Ae- schrologiae tam theoreticae quam practicae gegeben hatte, und das damals haͤufig abgeschrieben wurde. So war ich also in Gleiberg Professor der Zotologie geworden: aber Herrn Schmids eigner Schwager war ja mein Kollege in dieser saubern Fa- kultaͤt! Die Universitaͤt suchte auch in Weilburg darum an, daß man die Gießer Studenten von den Weil- burgischen Doͤrfern entfernen moͤchte; aber das ge- schah nicht: vielleicht dachte m n Weilburg; ha- ben die Gießer Herren den in den Koth ge- schoben, so moͤgen sie selbst sehen, wie sie ihn wie- der herausziehen! Bei allem diesem Laͤrmen vergaßen wir indeß den Eulerkapper in Gießen nicht: es wurden von Zeit zu Zeit Deputirte nach der Stadt geschickt, die den armen Mann periren, und Pasquille auf ihn an- schlagen mußten. Um der Verfolgung zu entgehen, veraͤnderte er seine Wohnung; aber es blieb beim alten. Nach den Michaelis Ferien wurde es zwar wie- der ruhig; allein die arme Universitaͤt hatte eine an- sehnliche Anzahl Studenten verlohren, und mußte obendrein denen, die geblieben waren, nun mehr noch auch zu verscheuchen. Aus der Bereitwilligkeit dazu, haben wir hernach geschlossen, daß die Herren Freiheit verstatten, als vorhin, um sie nicht einen derben Verweis von Pirmasens aus muͤßten bekommen haben. Auch der Komment hatte sehr gelitten. Die besten Schlaͤger waren fort, und die wenigen, wel- che etwa noch geblieben waren, scheuten die Strafen, welche nun freilich nicht mehr in Geld bestunden, aber doch in Relegation und Karzer; und im Karzer sitzt sichs im Winter nicht gut, besonders in dem zu Gießen nicht, wo der Ofen ganz moͤrderisch zu rau- chen pflegte. Zu den groben Unanstaͤndigkeiten, welche um diese Zeit in Gießen Mode wurden, gehoͤrt die Ge- neralstallung, uud das wuͤste Gesicht. Jene wurde so veranstaltet, daß zwanzig, dreissig Studenten, nachdem sie in einem Bierhause ihren Bauch weidlich voll Bier geschlungen hatten, sich vor ein vornehmes Haus, worin Frauenzimmer waren, hinstellten, und nach ordendlichem Kommando und unter einem Gepfeife, wies bei Pferden gebraͤuchlich ist, — sich auch viehmaͤßig, ich meyne, ohne alle Ruͤcksicht auf Wohlstand — erleichterten. Das garstige, oder wuͤste Gesicht war eine Larve von scheuslichem Ansehen, welche an einem Buͤndel zusammengeroll- ter Lappen auf einer hohen Stange befestiget ward. Diese Larve nahm ein Student — ich selbst hab eine dergleichen gehabt — trat des Abends spaͤt vor ein Haus, wo die Leute, wies in Gießen sehr gewoͤhnlich ist, wegen der Feuchtigkeit, im zweiten Stock logirten, und klingelte oder klopfte. Kam nun jemand ans Fenster, um zu sehen, wer da waͤre; so hielt man ihm das wuͤste Gesicht vor, wor- uͤber dann die guten Leute zu Tode erschracken. Wir gaudirten uns aber baß daruͤber. Schusterjungen sind heutzutage delikater und gesetzter! Ich gerieth diesen Winter in starke Schulden, ob ich gleich nicht sehr fideel lebte. Es ging aber ganz natuͤrlich zu. Ich hatte in den Herbstferien eine Reise nach Oppenheim gemacht, wo meines Va- ters Bruder Prediger war, der mich noch einmal vor seinem Tode zu sehen wuͤnschte. Auf dieser Rei- se empfing ich mein Geld zu Frankfurt am Main, und brachte, besonders in Mainz, wo ich und Herr Lony, der von Jena gekommen war, und nach Hau- se reisete, den Komment einfuͤhrten, eine ziemliche Summe durch. Ich muß doch meinen Lesern diese Komments-Schnurre mittheilen. Vier und zwanzigstes Kapitel. Burschenkomment in Mainz. W ir waren gegen Abend in Mainz angekommen, und in den Gasthof, die Pfalz, eingekehrt. Da wir daselbst alles thek und drastisch fanden, gingen wir zum Abendessen vors Muͤnsterthor, auf ein an- sehnliches Gartenhaus, welches damals einem ge- wissen Dillmann zugehoͤrte, und wegen seiner schoͤnen Tochter fleißig besucht wurde. Die Tochter hieß in Mainz die huͤbsche Gretel . Hier trafen wir Mainzer Juristen an. Juristen heißen hier ei- gentlich, im Gegensatz der Seminaristen, oder Theo- logen, diejenigen Studenten, welche ganz so zu sagen von den uͤbrigen abgesondert sind, und ihr Wesen fuͤr sich haben. Diese Herren waren artig und ließen sich mit uns ins Gespraͤch ein. Ihre Hoͤflichkeit machte, daß wir uns ihrer erbarmten, und beschlos- sen, ihnen den Komment beizubringen: denn wir sa- hen wohl, daß sie in diesem Stuͤck arme Suͤnder waren. Ich fragte daher den ersten besten: wie siehts denn hier mit dem Komment aus? Student : Komment? — was ist das, wenn ich gehorsamst bitten darf? Ich : Je nun, Komment ist Komment: das ist so die rechte Art, das rechte Avec, wie der Bursche auf Universitaͤten leben soll! Student : Ja, liebster Freund, die ist hier sehr verschieden. Einige unserer Studenten — von den Seminaristen will ich nichts sagen: die liegen so nur auf der faulen Haut — sind recht fleißige Leute, und von feinen Sitten und Lebensart, — Ich : (einfallend) Ei, wer Teufel fraͤgt denn nach Sitten und Lebensart und Fleiß! Ich frage nach dem Komment! Lony : Du mußt mit dem Herrn ins Detail gehen, Bruder Herz, damit er das Ding recht fasse. Ich : Hast recht! Sagen Sie mir mein Bester, wird hier oft kommersirt? Student : Kommersirt? — Nun erfolgte von meiner Seite eine weitlaͤuftige Erklaͤrung des Kommersirens: darauf sangen Lony und ich einige Kernstrophen aus dem Liede Ecce quam bonum. Das Ding gefiel den Mainzer-Stu- denten, und es wurde beschlossen, sogleich eine Pro- be davon zu machen. Also praͤsidirte ich; Lony praͤ- sidirte kontra, und der Kommers ging vor sich. Freilich war's ein sehr schofeler Kommers, weil kei- ner von den Mainzern mitsingen konnte; jedoch wur- den sie alle so betrunken in dem Doppel-Bier- daß sie kaum noch stehen konnten. Den andern Gaͤsten, welche uns zusahen, wie auch der huͤbschen Gretel behagte das Ding gar sehr, und sie wuͤnschten nur, daß auch ihre Herren dergleichen Komment verstehen und ausuͤben moͤchten. Nach dem Kommers gingen wir zur Stadt, und schrieen auf den Straßen, gleich Unsinnigen, ein Lurrah uͤber das andere. Wer uns nicht weit auswich, den schuppten wir, daß er wie weit auf die Seite flog. Unsre Herren Mainzer gingen nach ihrem Logis, bis auf einen, der uns in die Pfalz begleitete. Den andern Morgen nahm uns der Student, ich glaube er hieß Blumers, mit auf ein Kaffeehaus, und traktirte uns mit Aquavit: vorher hatte er sich von uns die besten Burschenlieder Zu jener Zeit waren die Burschenlieder meist schaͤnd- liche Zoten, und abgeschmackte Reime, worin oft wenig Verstand war. Z. B. Die Welt mag immer brummen, Die alten Weiber summen! Brumme die Welt, Das gilt mir gleich viel. Hab ich kein Geld, So hab' ich kein Spiel. Hast du nicht gesehn des Teufels fein Spiel? Die Melodien zu diesen Raritaͤten waren noch abge- schmackter, als der Text selbst. Der Geschmack aber dik- tiren lassen, und sie nachgeschrieben. Nachmittags kamen noch mehrere auf Dillmanns Garten, und es wurde abermals kommersirt. Nun wollten wir auch einen Orden in Mainz stiften, wenigstens wollten wir daselbst so eine Gestalt von Amicistenklupp aufbringen. Auch das gelang uns. Wir entwarfen, weil wir die aͤchten Gesetze nicht bei uns hatten, eine Art von Gesetzbuch, er- klaͤrten alles, recipirten neun Studenten im Namen der Mutterloge in Jena, liessen einen Senior, Sub- senior, und Sekretaͤr waͤhlen, lehrten sie die Zeichen und Merkmale, und verpflichteten die Mitglieder des hochloͤblichen Amicisten Ordens durch einen Hand- schlag und eine Art von Eidesformel, dem Orden getreu zu bleiben, die Gesetze zu beobachten, und was dergleichen Tollheiten mehr waren. So wurde denn auch das Ordensgift nach Mainz gebracht. Ob sich die Thorheit daselbst erhalten und ausgebreitet habe, kann ich nicht sagen. So viel ist gewiß, daß noch im Jahr 1781 Amicisten in Mainz gewesen sind, aͤchte oder unaͤchte, darauf kommt bei einem akademischen Orden gar nichts an: jeder kann der- gleichen stiften, wenn er nur Leute findet, die dumm oder leichtsinnig genug sind, seine naͤrrischen Grillen gut zu heißen, und ihnen nachzuahmen. ist auch hierin viel feiner geworden, wenn sonst guter Geschmack uͤberhaupt beim Kommersch statt finden kann. Wir hielten uns uͤber acht Tage in Mainz auf, wonach Lony in sein Vaterland, und ich zu meinem kranken Onkel nach Oppenheim, und von da uͤber Darmstadt wieder nach Gießen zuruͤckkehrte. Die Universitaͤt zu Mainz hat nie viel getaugt. Man giebt zwar vor, daß mehrere Protestanten da- selbst studiren; aber das ist nicht wahr. Ich habe noch im verwichnen Sommer einen Studenten in Halle gesprochen, der von Mainz kam, und mich versicherte, es seyen gar keine Protestanten da. Vor drei Jahren wollte ein Vetter von mir, Herr Vi - triarius von Partenheim bei Mainz, der in Jena Medicin studirt hatte, daselbst Doctor werden: die medicinische Fakultaͤt war es zufrieden; aber die The- ologen, besonders Herr Hettersdorf und Freund Goldhagen , der Exjesuit, widersprachen: „der „Eid rede ja — gaben sie vor — von der immacu- „lata conceptione B. Virginis Diesen frommen Glaubensartikel hat die Mainzer Uni- niversitaͤt angenommen, zum Beweise ihrer erbaulichen Herablassung zu den Galanterie-Grillen der Franzis- kaner uͤber — die liebe Maria! , und den koͤnne „kein Protestant ablegen.“ So wurde denn Herr Vitriarius abgewiesen, und mußte in Gießen sich promoviren lassen. Das ist ein ganz neues Proͤb- chen von der sonst hochgelobten Mainzer Toleranz! Der Jesuit oder Exjesuit Goldhagen ist quasi das Haupt der theologischen Fakultaͤt. Ich hatte im Jahr 1781 Gelegenheit, diesen Herrn nebst einem andern sehr korpulenten Theologen, dem Herrn Het- tersdorf kennen zu lernen, als ich fuͤr den Pfarrer Thiels in Undenheim bei ihnen sollicitirte, wie ich an seinem Ort berichten werde. Goldhagen hat nicht das einnehmende We- sen, das man sonst bei Jesuiten bemerkt, oder viel- mehr bemerkt haben will: denn die ich gesehen habe, waren meist grobe ungeschliffene Menschen: und Goldhagen ist nichts anders. Er versprach mir da- mals zwar, fuͤr Herrn Thiels bei dem Herrn von Koͤth zu intercediren; wollte aber durchaus nicht zu- geben, daß ich den Herrn Thiels Pfarrer nannte, noch weniger Priester: Praͤdikant muͤsse er heis- sen! Und nun mußte ich eine weitlaͤufrige Demon- stration anhoͤren, daß die unkatholischen — so glimpflich nannte er die Protestanten — obgleich auf diese Art auch jeder Jude, Muhamedaner u. s. w. unkatholisch und folglich Protestant ist — keine aͤch- ten Priester haͤtten, die konsekriren koͤnnten. Er fuͤhrte noch mehr Kontroversen mit mir, halb latein und halb deutsch, nach aͤchter Jesuiter- Methode, und nannte mir hundertmal die Namen des heiligen Augustins, Hieronymus, Athanasius, Bernhardus und andrer Pseudoheiligen, welche ich besser kannte, und von ganzer Seele verabscheute Voltaire sagt im Maͤdchen von Orleans, oder laͤßt vielmehr den Pater Grisburdon sagen: die ganze Hoͤlle sey voller Heiligen. Die hier genannten finden sich ge- wiß auch da. Ihr Leben war, ihrer sonstigen Heilig- keit unbeschadet, voller Greuel. . Er mußte um drei Uhr eine Vorlesung halten, und er erlaubte mir, derselben beizuwohnen. Es waren ohngefaͤhr acht Seminaristen gegenwaͤrtig. Er las Scripturi- stik; aber ich konnte leider von der heillosen Postillen- Exegese, wobei auch nicht ein gescheuter Gedanke, nicht ein liberales Urtheil vorkam, nichts verstehen, noch weniger gebrauchen. Dieser Herr Goldhagen hat Gellerts Moral mit den Schluͤssen der Trientischen Synode zu ver- einigen gesucht, und hat eine Ausgabe des neuen Testaments veranstaltet, wo er aus den Varianten, die Mill und Wetstein gesammelt haben, bewei- sen will, daß die Vulgata latina aͤchter sey, als der griechische Text Wie wenn der auch so aͤcht waͤre! Wo sollten die Verfasser des Neuen Testaments, die groͤßtentheils Ju- den vom gemeinen Schlage waren, so viel auslaͤndi- sche Sprachkenntniß gesammelt haben, um ihre Denk- wuͤrdigkeiten in griechischer Sprache aufzuzeich- nen? – . O sancta simplicitas! Er ist Erster Theil. P aber auch daß dafuͤr ausgezischt worden! Jetzt hoͤre ich, daß er vom Erzbischof oder Kurfuͤrsten Diese Wuͤrden trennte der vorige Kurfuͤrst Emmerich Joseph stark, und war selten Erzbischof: der jetzige ist taͤglich beides. zum Großinquisitor bei einer Kommission gegen die Illu- minaten ernannt sey. Der wird abermals sauberes Zeug von den Illuminaten herausbringen, ohngefaͤhr solches, wie Herr von Einen in seinem Ketzerlexi- kon, unter dem Artikel Illuminaten aus den einseitigen Berichten einiger baierischer Bonzen auf- getischt hat. Wer weis auch, was das fuͤr giftige gottlose Ketzer seyn moͤgen! Sie haͤngen ja der ge- faͤhrlichsten Ketzerinn an, die es fuͤr Katholiken geben kann — der Vernunft! – Was uͤbrigens Herr Goldhagen fuͤr ein ruͤstiger Klopffechter in Sachen des Vicegotts zu Rom, und dessen Anhangs sey — erhellet aus der Mainzer Monatsschrift in geistlichen Sachen, und aus Winkopps Bemerkungen uͤber dieselbe. Herr Hettersdorf ist zwar, oder scheint wenigstens nicht so intolerant zu seyn, als Goldhagen: doch merkt mans ihm sehr an, daß er ein Schuͤler der Jesuiten ist, und blutwenig Weltkenntniß be- sizt. Er ist, ehe er Professor, und Vikariatsrath ward, Pastor in Niedersaulheim gewesen, wo er fleißig Kontrovers predigte; aber noch fleißiger die Raͤnke des Mainzer Vikariats studirte. Der jetzige Kurfuͤrst lernte ihn kennen, und glaubte, das waͤre der Mann, welcher ihm dienen koͤnnte, das Vika- riat zu demuͤthigen. Er machte ihn daher zum geist- lichen Rath, und einen gewissen Heimes zum Weih- bischof. Ob der Kurfuͤrst wirklich durch diese Krea- turen das Ansehen des Vikariats geschwaͤcht haben mag? — Es ist gar schwer, so ein Vikariat herun- ter zu bringen: eher geht das mit allen Kollegien in einem Koͤnigreiche an, als mit dem Vikariat des geringsten Bisthums Sehr natuͤrlich! Denn das Vicariat behandelt seine Didcesan- Rechte nach dem allgemeinen paͤpstlichen Kirchenrechte, dem auch der Herr Kurfuͤrst als Erzbischof und Katholik unterworfen ist. Ueberdem da es nur Einen Gott, Eine Taufe und Eine Kirche giebt: da ferner jeder anathematisirt ist, der es sich herausnimmt, an jenen Bestimmungen etwas zu aͤndern, die die liebe Mutter Kirche, zu ihrem eignen Vortheil in ihrer eignen Sache festzusetzen fuͤr gut gefunden hat: da endlich das Geistliche dem Leiblichen, das Ewige dem Zeitlichen vorzuziehen ist, so wie die Seele dem Koͤrper; so muͤßten die Handhaber der Geistlichen Gerichts- barkeit ihren Vortheil wenig verstehen, wenn sie der weltlichen nachgeben wollten. Ja vielmehr wollen sie, als Stellvertreter Gottes, dessen doch Himmel und . Die Exempel hat das Main- zer und Wormser in Ueberfluß hergegeben: sonst kenne ich keine. Uebrigens ist Mainz gar die Stadt nicht, wo eine Universitaͤt gedeihen koͤnnte. Der Student, wenn etwas liberales aus ihm werden soll, muß ei- nen gewissen Ton angeben, und sich an dem Orte, wo er ist, bemerkbar machen koͤnnen. In Leipzig z. B. ist es mit den Studenten nichts: da richtet er sich nach dem Kaufmannsdiener, der reicher ist, als er: und in Mainz bemerkt man ihn vollends ganz und gar nicht. Diese Stadt steckt voller Kaufleute, voller reichem Adel, und voller vornehmer Geistlich- keit. Da herrscht Pracht und Ueppigkeit in vollem Maaße, und der Student, der nicht mitmachen kann, gafft und staunt so eine hochwuͤrdige Excellenz oder Gnaden an, und fuͤhlt seine eigne Vernichtung so sehr, daß er sichs gar nicht einfallen laͤßt, selbst Erde ist, daß die weltliche Regierung sich nach der geist- lichen richte — der Staat nach der Kirche. In katho- lischen Bisthuͤmern mag das fuͤr diese hingehen: denn die guten Leute wissen, und wollen das nun einmal nicht anders; aber wie denn da, wenn Maͤnner von dieser Denkungsart einen Posten bekleiden, auf welchem es ihnen moͤglich wird, nach diesen Grundsaͤtzen Con- clusa herauszubringen, die der Gewissensfreiheit der Protestanten Eintrag thun, indem sie es ihnen zum Gesetz machen, sich nach Axiomen und Postulaten der Katholischen Kirche zu richten, oder behandeln zu las- sen? — Man denke an neuere Vorfaͤlle! – In diesem Falle hat es der Protestant aͤrger, als der Schutzjude. Doch Intelligenti pauca, so wie Vigilantibus jura! – etwas vorzunehmen, um sich zu erheben. Nebenher sind die Professores, wie unter dem Zuchtmeister. Sagt einer etwas auf dem Katheder, das vielleicht dem oder jenem geistlichen Herrn misfaͤllt; wie ein Blitz, ist die Sache beim Vikariat, und der Pro- fessor hat Spectakel. Die Geschichte des ehrlichen Isenbiehls , der sich an einer Stelle des Jesaias vergriff, d. i. sie anders auslegte, als sie Cornelius a Lapide oder sonst ein kontrackter Ausleger ausge- legt hatte, ist davon, nebst dem ehrlichen Molitor , ein derber Beweis. Der verstorbene Kurfuͤrst schuͤtzte die Maͤnner gegen die Kabalen der Pfaffen; aber der jetzige fand fuͤr gut, den Isenbiehl den 13. Dec. 1777 einzustecken, und sein Buch zu Rom von Pius den Sechsten verdammen zu lassen. Das ist erst in der That nur so genannte Aufklaͤrung! Mit der Mainzer Toleranz sieht es nicht besser aus. In Niederolm, wo Herr Dorsch Amtsver- walter ist, wurde vor zehn Jahren eine neue Kirche fuͤr die dortigen Katholiken gebauet. Der Maurer, der den Bau im Verding hatte, nahm protestantische Gesellen dabei an. Das verdroß den Herrn Jacobi und er forderte vom Maurer, daß er die ketzerischen Gesellen fortjagen sollte. Der Meister that das nicht, und Herr Dorsch, ein gescheuter Kopf, wollte sich auch vom Pfaffen nicht bewegen lassen, den Maurer zu einer solchen Abgeschmacktheit zu zwingen. Was hatte Jacobi zu thun? – Er berichtete die Sache nach Mainz, und siehe da, es erschien der Befehl, daß der Maurer die protestantischen Gesellen vom Kirchenbau entfernen, oder selbst den Akkord aufgeben sollte. Nun wars alle! die Gesellen muß- ten fort. In dergleichen unbedeutenden Stuͤckchen offenbart sich der Geist der Intoleranz und der Dummheit oft mehr, als in großen Vorfaͤllen. Die Ursachen sind nicht schwer zu entdecken. Fuͤnf und zwanzigstes Kapitel. Noch endlich gar ein Komoͤdiant ! I ch habe so viel von Gießen geschrieben, daß ich beinahe befuͤrchte, meine Leser ermuͤdet zu haben. Aber dafuͤr soll nun auch alles kurz gefaßt werden, damit ich Raum uͤbrig behalte, mich als Kandidaten der hochheiligen Theologie zu produciren. Eine ganze Geschichte von anderthalb Jahren soll nur wenige Blaͤtter einnehmen. Mein letzter Winter in Gießen ging ziemlich ru- hig voruͤber, das heißt, ich wurde nicht mehr citirt, schlug mich nicht, kam nicht ins Karzer, und besoff mich nur hoͤchst selten. Ein Marionettenspieler, Joseph Wieland, brach- te mich, Tenner und Dern auf den Gedanken, auch Komoͤdien zu spielen. Aber wie, wo und durch welche Mittel? das war die Frage. Ich besprach alles mit dem Herr Professor Schmid. Er erboth sich gleich, die Direction zu uͤbernehmen, und rieth mir, einen Aufsatz cirkuliren zu lassen, und Beitraͤge von Geld bei den Honoratioren einzusammeln. Ge- rathen, gethan! Der Tambour Hofmann und der Karzerknecht Cordanus, mußten kontrolliren, und in einigen Tagen hatten wir so viel Geld, als noͤthig war, ein Theater zu bauen, und Kulissen nebst andern Beduͤrfnissen anzuschaffen. Zum Theater schlug Herr Schmid das theologische Auditorium vor: denn das große Juristische war zu Disputationen und Promo- tionen bestimmt. Ich hielt beim Dekan darum an: aber der alte D. Benner hielt dies fuͤr Entheili- gung, und schlug das Gesuch ab. Also mußte das philosophische Auditorium dazu herhalten. Dieses war seit langer Zeit der Heustall der Pedellen gewe- sen!! Wir ließen es reinigen, und bauten ein Theater fuͤr 80 Gulden. Kulissen, Vorhang, Lichter zur ersten Vorstellung und dergleichen kosteten beinahe eben so viel. So waren wir denn im Stande, unsre Kunst zu zeigen. Ich war Rollenmeister, Tenner Aufseher der Kasse, und Dern Theater- meister: uͤber uns alle war der dux gregis ipse ca- per, Herr Schmid, velut inter ignes Inna mi- nores. Das erste Stuͤck, welches wir gaben, war Brandes Trau , schau , wem . Unsre Actri- zen waren anfangs huͤbsche milchbaͤrtige Studenten; nachher aber spielten auch wirkliche Frauenzimmer mit. So wurde noch die Zeit uͤber, die ich in Gie- ßen war, Lessings junger Gelehrter, der Zerstreute aus dem komischen Theater der Franzosen, Ste - phanis Deserteur aus Kindesliebe, der Bramar- bas von Hollberg , und der Postzug u. a. aufge- fuͤhrt. Herr Schmid ließ jedesmal in der Darm- staͤdter Zeitung ein großes Wesen von der Vortref- lichkeit unsrer Action machen. Anfangs spielte ich selbst mit, war z. B. der Graf von Werlingen im Trau, schau, wem, und Magister Stifelius im Bramarbas. Aber da ich bald merkte, daß ich zum Theater verdorben war; so gab ich das Mitspielen auf, behielt aber mein Amt, als Rollenmeister, bis zu meinem Abzug aus Gießen. Dieses Komoͤdienspielen hat wenig gutes gestif- tet. Unsre Bursche fanden einen so starken Geschmack am Specktakel, daß alles ernsthaftere Studiren dar- uͤber vernachlaͤssigt wurde, und jeder nur Komoͤdien las. Die mitspielenden Personen konnten vollends gar nicht studiren. Nach meinem Abschied hat der Landgraf die Komoͤdie verbieten lassen. Man haͤtte ihm vorgestellt, daß sie die ganze Universitaͤt zerruͤt- ten wuͤrde. Nichts hat aber durch das Schauspiel mehr gelitten, als der Komment, und die Orden. Denn die Verbindungen der Spielenden waren nun viel fester, als die der Orden, und uͤber den Kom- ment wurde gelacht. Eulerkapper hatte auch mehr Ruhe. Der Ton war Frivolitaͤt. Bei Gelegenheit der Komoͤdie lernte ich ein ge- wisses Buͤrgermaͤdchen naͤher kennen, welches von der Zeit an mein Umgang wurde. Dieser Umgang hat mir viel Geld gekostet: ich mußte bald dieses, bald jenes fuͤr sie kaufen, und ihr bald so, bald an- ders ein Vergnuͤgen machen. Dadurch gerieth ich immer tiefer in Schulden. Ich rathe jedem, der dies lieset, ja nicht auf Universitaͤten eine Liebschaft zu unterhalten: es kommt nichts dabei heraus, als Skandal, und wenn ja das Ding ohne Skandal ab- geht; so sind Schulden allemal das Ende vom Lie- de. Die meisten Nymphen, welche sich mit Stu- denten abgeben, wollen von ihnen ziehen, halten es eben darum mit mehrerern, und lachen hernach die geprellten Mosjees in die Faust aus. Ich wußte das Ding recht gut, und ließ mich doch prellen: denn meine Liebschaft mit Gretchen Krauskopf war nichts weniger, als solide. An dem Hrn. Regierungsrath Schlettwein , welcher diesen Sommer nebst dem armen Suͤnder, Breitenstein , Professor in Gießen geworden war, erhielt ich einen wahren Freund, der mir tau- send Gefaͤlligkeiten erwiesen, und mich zu einer et- was solidern und konsequentern Lebensart angehalten hat. Seine Frau, welche eine sehr einsichtsvolle Dame ist, erzeigte mir alle Freundschaft. Ich war gewoͤhnlich in diesem Hause zu Gaste; und haͤtte ich das Gluͤck gehabt, den Umgang dieser edlen Men- schen noch lange zu genießen, ich glaube, daß ich mich bekehrt haͤtte, und ein gesetzter ordentlicher Mann geworden waͤre. Allein das leidige Schicksal wollte, daß ich im Taumel meines Leichtsinns noch schreckliche Begebenheiten erleben sollte: und so habe ich jetzt leider nichts, als schmerzhafte Erinnerungen an etwas Gutes, das mir vielleicht zu theil gewor- den waͤre, wenn nicht ein verkehrter Studentensinn mich verleitet haͤtte, da mein kuͤnftiges Ungluͤck vor- zubereiten, wo meine lieben Eltern mich hinschickten, um mein kuͤnftiges Gluͤck fuͤr sie und mich zu gruͤn- den. — Doch geschehene Dinge lassen sich nicht aͤn- dern, sagt man im Sprichwort, und dabei will und muß ich mich beruhigen. Du aber, Juͤngling auf dem Irrwege — Principiis obsta: sero medicina paratur! Und so waͤre ich mit meiner Geschichte, in so fern diese Gießen betrift, fertig. Sie ist mir unter der Hand weitlaͤuftiger geworden, als ich selbst willens war, sie zu schreiben. Da aber Gießen eine ganz obskure Universitaͤt ist; so war vielleicht eine etwas genauere Beschreibung derselben nicht uͤberfluͤßig, we- nigstens fuͤr manchen Leser nicht ganz unangenehm. Sechs und zwanzigstes Kapitel. Abzug von Gießen . Haͤndel in Frankfurt . I ch hatte meinem Vater meine Schulden, welche sich auf 180 Gulden beliefen, ehrlich gemeldet. Der gute Mann mußte freilich stutzen, da er mir immer hinreichenden Wechsel geschickt, und zur rechten Zeit geschickt hatte, daß ich jetzt mit einer so großen Nach- rechnung auftrat! Zu dem hatte er beschlossen, mich nach Goͤttingen noch gehen zu lassen: und da konnte er schon ausrechnen, daß ihm mein Studiren eine ansehnliche Summe kosten wuͤrde. Bezahlt mußte indeß einmal seyn: er schickte mir also das Geld, und obgleich sein Brief viele Vorwuͤrfe enthielt; so hatte ich doch nicht Ursache, daß ich mich fuͤrchtete, vor ihm zu erscheinen. Nachdem das Geld in meinen Haͤnden war, bezahlte ich meinen Glaͤubigern, doch so, daß ich ein ansehnliches Reisegeld uͤbrig behielt. Um dies zu bewerkstelligen, kontrahirte ich mit ihnen, blieb dem 6, dem 8, dem 12 Gulden schuldig, und die Leute liessen das gern geschehen, da ich sie die drei Jahre hindurch immer ehrlich befriedigt hatte. Es war ohngefaͤhr acht Tage vor Ostern, als ich von Gießen abgieng. Da ich auf die erwaͤhnte Art mit Gelde versehen war, so machte ich mich in Frankfurt ausschweifend lustig: und meine Baar- schaft nahm zusehends ab, so daß nach Verlauf von vier Tagen, die ich da zubrachte, nicht viel uͤber einen Louisd'or uͤbrig war. Ich hatte vorher vor lauter Lustbarkeit nicht Zeit, meine Kasse zu un- tersuchen: denn ich war — zu meiner Schande muß ich dergleichen bekennen — wenig nuͤchtern gewor- den, und noch weniger von der Madam Agrikola weg- gekommen. Ich dachte: Jetzt ists mit dem Studen- tenleben alle — bist nun Philister — nach Goͤttin- gen kommst du nicht: weil dein Vater dir befohlen hat, geradesweges nach Hause zu kommen — mußt nun pauken (predigen), mußt dich also, da du's noch haben kannst, noch einmal zu guter lezt recht lustig machen. Dieser schoͤnen Reflexion folgte ich denn treulich nach, und lebte in Frankfurt einige Tage das wuͤsteste, roheste Leben. Gott! wenn mein gu- ter Vater mich da gesehen haͤtte! Um wieder Geld zu bekommen, wendete ich mich an einen gewissen Hrn. Gebhard , der meine Familie kannte, und bath ihn, mich mit 18 Gul- den Reisegeld auszuhelfen. Der ehrliche Mann that es gern, und erst vier Jahre hernach ist er be- zahlt worden, weil er nicht mahnte, und ich mei- nem Vater von dieser Schuld nichts sagen, aber auch, wenn ich Geld hatte, von dem Meinigen nicht bezahlen wollte. Nun nahm ich mir im Ernste vor, den andern Tag Frankfurt zu verlassen; doch sollte den Abend Madam Agrikola noch einmal besucht werden. Ich ging zeitig hin, und erklaͤrte, daß ich morgen abrei- sein wuͤrde. Ein gewisser Mensch von etwa dreissig Jahren, den ich einigemal in diesem berufenen Loche gesehen hatte, war zugegen, und fragte mich, ob ich uͤber Darmstadt oder Mainz gehen wuͤrde? Ich antwortete ihm: daß ich uͤber Mainz muͤste, weil ich dahin meinen Koffer von Gießen aus geschickt haͤtte. „So waͤren wir ja Reisegefaͤhrten: ich gehe Morgen auch dahin,“ sagte er, und trank mir zu. Ich freute mich, jemanden zu haben, mit dem ich unterwegs auf dem Marktschiffe vom Jubel in Frankfurt schwa- tzen koͤnnte, und draͤngte mich naͤher an den — Spitzbuben. Gegen neun Uhr wollte ich fort. Mein saube- rer Kumpan begleitete mich: ich hatte schon eine Schnurre, und so wars ihm leicht, mich noch ein- mal in ein Wirthshaus zu verfuͤhren. Er sagte mir, da gaͤb es herrlichen Wein, und wohlfeilen, und ganz kapitale Menscher. Das war Einladung genug fuͤr mich: doch sagte ich ihm gleich, daß ich nicht viel verzehren koͤnnte: denn ich muͤßte mein Geld zu Rathe halten, weil ich einige Tage in Mainz zubrin- gen wollte. Ei was, sagte er, was wird's denn kosten? drei oder sechs Batzen, das ist's all! seyen Sie doch artig! — Der Kerl fuͤhrte mich in ein Weinhaus, wel- ches, wie ich hernach erfuhr, der rothe Ochse hieß, und das oͤsterreichische Werbhaus war. Wir kamen in eine artige Stube, wo allerlei Leute waren, mei- stens oͤsterreichische Soldaten, und Musik. Mein Begleiter ging sogleich zur Thuͤr hinaus, um wie er sagte, etwas noͤthiges auszufuͤhren, kam hernach zu- ruͤck und trank mit mir, einen Schoppen nach dem andern. Endlich als er merkte, daß es mir im Kopfe warm war, fragte er, ob ich nicht tanzen wollte? Ich schlug es ab. So wollen wir, er- wiederte er, uns wenigstens dort oben an den Tisch setzen: da ist doch Gespraͤch! das war ich zufrieden, und wir veraͤnderten unsern Platz. Ich kam neben einem Unterofficier zu sitzen, welcher ganz artig von gleichguͤltigen Dingen sprach. Er trank mir einige- mal zu, und ich that Bescheid. Der Wein stieg mir endlich so stark in den Kopf, daß ich Bruͤder- schaft mit dem Unterofficier und meinem Begleiter, und wer weis, mit wem noch mehr, trank, daß ich tanzte, und bei den anwesenden Maͤdchen Gewoͤhnlich werden in den Werbhaͤusern Maͤdchen ge- halten: durch diese traͤgt mancher den rothen, weißen, blauen oder gruͤnen Rock. Mags wohl große Ehre seyn, durch Kunstgriffe, welche jederman verabscheut, z. B. vermittelst niedertraͤchtiger Huren, Besoffenheit, Be- truͤgerei u. s. w. junge Leute wo nicht zu verfuͤhren doch zu betruͤgen! herum- schaͤkerte. Das Ding mag bis nach Mitternacht ge- dauert haben: denn bis halb zwoͤlf Uhr hatte ich meine Besinnungskraft: was aber hernach mit mir vorgegangen ist, weis ich nicht. Den andern Morgen erwachte ich erst um 10 Uhr, und hatte schrecklichen Durst. Ich lag noch voͤllig gekleidet im Bette, außer, daß man mir den Ueberrock ausgezogen hatte. Doch war ich ordent- lich zugedeckt, und hatte ein Tuch um den Kopf. Meine Uhr, Stock und Huth lagen auf dem Tisch, wie auch der Siegwart, den ich in Gießen zum Zeitvertreib zu mir gesteckt hatte: Er war damals die Modelektuͤre. Das Zimmerchen, worin ich lag, war sehr klein, doch reinlich. Ich wußte nicht, wo ich mich befand, ging also nach der Thuͤr: aber wie erschrack ich, als diese verschlossen war! Ich pochte stark an: endlich erschien ein Unterofficier mit einem Maͤdchen, welches Koffe herauftrug. „Guten Mor- gen Herr Bruder, sagte er, wie hast du geschlafen? Ich : Gut; aber mir thut der Kopf weh, und Durst hab ich wie'n Pferd. Er : Glaub's halter Ein oͤsterreichisches Provinzialwort, welches die oͤster- reichischen Herren Werber jeden Augenblick anbringen, und daher im Reiche vom Poͤbel auch nur schlechthin die Halters genannt werden. gern: trink du nur Koffe: es wird schon vergehen. Ich : Ja, ja. Was kostet der Koffe? will gleich bezahlen, auch das Logis. Er : Ist halter alles bezahlt, Herr Bruder! trink du nur. Das Maͤdchen : Je nun mein Herzchen, du warst gestern Abend recht selig. Schaͤm dich, du hast bei mir schlafen sollen; aber da warst du besoffen wie ein Kater. Der Unterof . Kann ja noch geschehen: will hinunter gehn! Ich : Bleiben Sie nur, und sagen mir, wo ich bin. Der Unterof . Im rothen Ochsen, Herr Bruder. Ich : Gut! wie viel Uhr ists? Der Unterof . Halb elf. Ich : Potz tausend, dann muß ich fort. Der Unterof . Ha, ha, daraus wird halter nichts: du bist ja Soldat, dienst dem Kaiser! Ich : Was, Soldat? Der Unterof . Ja, komm nur mit hinunter. Ich mußte mit ihm hinabgehen. In der großen Stube fanden wir eine Menge Leute; aber mein sau- berer Begleiter war nicht darunter. Hoͤren Sie, meine Herren, fing mein Unterofficier an, ist der Herr da halter nicht Soldat? — Alle bejahten dies. Hat er halter nicht Handgeld genommen? — Auch diese Frage wurde bejahet. Ich laͤugnete das alles, aber man befahl mir, meine Boͤrse zu untersuchen. Ich that es und fand, außer meinem Gelde, noch vier Kremnitzer Dukaten. Ich erschrack zu Tode, da ich den Beweis sahe, von dem, was der Unter- officier mir gesagt hatte. Doch faßte ich mich, und fragte, ob kein Officier da waͤre: ich muͤste mit ihm sprechen. Das soll schon halter geschehen, war die Antwort: er wird bald kommen. Ich setzte mich in eine Ecke des Zimmers, stieß jeden, der mit mir reden wollte, von mir, forderte ein Glas Brandtewein, und las vor lauter Aerger in mei- nem Siegwart. So leerte ich zwei oder drei Glaͤser, und da der Spiritus vom vorigen Tage noch nicht ganz verraucht war; so wurde mein Kopf wieder verwirrt. Es schlug zwoͤlf, und noch kam kein Officier. Ich ließ mir etwas zu essen geben, und muste vieles Erster Theil. Q von den Herrlichkeiten anhoͤren, welche bei der Ar- mee auf mich warten sollten. Endlich riß mir die Geduld: ich forderte, daß man einen Officier holen sollte. Man lachte. Ich wollte mit Gewalt zur Thuͤr hinaus, aber man hielt mich auch mit Gewalt zuruͤck: und indem wir uns so balgten, trat ein Officier in die Stube, der, wie ich hernach erfuhr, Major war. Major : Was giebts denn da? rief der an- sehnliche Mann, ich glaub ihr habt Haͤndel? Ein Unterof . Verzeihens halter, Ihr Gna- den, da ist ein Rekrute, der will ausreissen. Major : (zu mir) Haben Sie Sich anwer- ben lassen? Ich : Nein, mein Herr! Major : Aber die Leute da, die Unterofficiere sagens doch? Ich : Mein Herr, ich kam gestern Abend hier her und — Major : (einfallend) und soffen sich so voll, daß Sie noch nicht nuͤchtern sind. Hab' davon hoͤ- ren muͤssen! Wer sind Sie? Ich : Ein Student von Gießen. Major : Wie lange studiren sie schon? Ich : Seit drei Jahren. Major : So, so! — Aber was nehmen Sie denn Handgeld? — Haben wahrscheinlich nichts ge- lernt? Nicht wahr? Ich : Sie beleidigen mich — Major : Daß ich naͤmlich bei einem Menschen von Ihrem Betragen keine Kenntnisse voraussetze! Nun, wie hieß der erste Kaiser aus dem osterreichi- schen Stamme? Ich : Rudolph von Habspurg. Major : Und der letzte? Ich : Carl der Sechste. Major : Wann haben beide regiert? Ich : Jener kam 1273 zur Regierung, und dieser starb 1740. Major : Schoͤn! Ich bin kein Gelehrter, sonst setzte ich das Examen fort. Es thut mir leid, daß Sie ihr Gluͤck verscherzen. — Doch ich will sehen, was sich thun laͤßt. Ich moͤcht Ihnen gern helfen. Haben Sie Bekannte hier? Ich : Ja, den Herrn Bucher, Stadtchirur- gus, den Gastwirth Tennemann und — Major : Schon gut: wollen sehen, was zu thun ist. Ich komme hernach wieder. Unterdessen halten Sie sich ruhig: aber sauffen muͤssen Sie nicht mehr, hoͤren Sie? — Der rechtschaffene Mann ging fort, und die Unterofficiere waren gleich weit hoͤflicher gegen mich, als zuvor: keiner sagte mehr Du zu mir. „Den kriegen wir halter nicht!“ sagten sie unter einan- der. Nach ohngefaͤhr drei Stunden kam der Major zuruͤck mit noch zwei jungen Officieren. Der eine war der Sohn eines lutherischen Predigers aus Schwaben, und hieß Funk . Der Major trat ganz hoͤflich zu mir „Mein Freund sagte er, Sie geben die vier Dukaten heraus!“ — Ich that dieses mit Freuden — „der Spektakel hier, fuhr er fort, hat „ohngefaͤhr zwoͤlf Reichsthaler Unkosten gemacht: aber „da Sie wahrscheinlich nicht so viel bei sich haben; „so habe ich mit Herrn Bucher gesprochen, und der „haftet dafuͤr. Sie schicken aber innerhalb sechs „Wochen zwoͤlf Thaler an den ehrlichen Mann, da- „mit er sie sonst nicht aus seinem Beutel bezahlen „muͤsse. Uebrigens sind Sie frei: denn unser Kai- „ser will nicht, daß man besoffene Leute anwirbt: „ja, wenn Sie auch jetzt Dienste nehmen wollten; „so muͤßten Sie erst Ihren Rausch ausschlafen.“ Ich : Herr Major, wie soll ich Ihnen meinen Dank — Major : Stille, mein Freund: ich thue, was Menschenliebe erfordert, und vollbringe den Willen meines Herrn, der edel denkt. Danken Sie Gott, daß der Emissaͤr Sie nicht in ein Paar andere der hiesigen Werbhaͤuser gefuͤhrt hat. Da waͤren Sie, so wahr ich lebe, nicht wieder weggekommen. Diese Herren scheeren sich den Henker um Menschenliebe und Menschenrechte, wenn sie nur Leute kriegen: obs ehr- lich oder unehrlich dabei zugehe, darum bekuͤmmern sie sich nicht. Aber huͤten Sie sich vor aͤhnlichen Haͤndeln: Sie moͤchten sonst nicht so gluͤcklich wieder heraus kommen. Mit diesen Worten verließ mich der edle Major, ohne meine Danksagung abzuwarten. Ich bin seinen Namen vergessen, und das aͤrgert mich in der Seele. Sollte er aber noch leben, und diese Blaͤtter zu sehen bekommen; so wird er sich dieser Geschichte erinnern, und dann versichere ich ihn, daß ich, so oft ich an ihn denke, und das geschieht sehr oft, es nie ohne das innigste Gefuͤhl von Hochachtung und Dankbar- keit thue. Moͤchte ich doch erfahren, daß er die hoͤchste Stufe der Ehre und des Gluͤcks erstiegen haͤtte: wie sollte mich das freuen! — Aber dem braven Mann muͤssen die schoͤnen Handlungen, deren er sich bewußt ist, schon vollkommene Belohnung seyn! So war ich also durch einen Schurken ins Un- gluͤck gebracht, und durch einen rechtschaffnen Mann wieder errettet worden. — Aber in solchem Wasser faͤngt man solche Fische! Was hatte ich noͤthig mich in solche Loͤcher zu begeben, wo Gesundheit, Ehre, Geld und Freiheit aufs Spiel gesetzt wird! So oft gewitzigt und doch nicht klug! Es geschah mir also recht, daß ich in diese Verlegenheit gerietht: wohl mir, und mehr, als ich verdiente, daß ein Men- schenfreund sich meiner annahm! Wer war froher, als ich! Tages darauf verließ ich Frankfurt, und kam wohlbehalten nach einigen Tagen bei meinen Eltern an. Sieben und zwanzigstes Kapitel. Examen . Goͤttingen . M ein Vater haͤtte wohl viel Ursache gehabt, mich mit einem tuͤchtigen Wischer zu bewillkommen, um so mehr, da ich eine weit staͤrkere Summe zum Ab- schiedswechsel gefordert hatte, als er erwartete: aus- serdem waren ihm auch mehrere meiner Stuͤckchen bekannt geworden, besonders die Eulerkappereien. Aber mein Vater erklaͤrte gern alles aufs beste, und so machte ers auch hier: er entschuldigte mich bei sich selbst, und empfing mich mit freundlichem Ge- sicht. Die ersten Tage gingen ruhig vorbei: dann nahm er mich auf sein Stuͤbchen, um, wie er sagte, zu sehen, ob ich was wuͤßte, oder ob Oehl und Ar- beit verloren sey? Ich bestund aber in seinem Exa- men so gut, daß er mehrmals ausrief: non me poenitet pecuniae, quam in tua studia impendi In der einzigen Metaphysik kam ich nicht recht fort, und konnte ihm z. B. nicht beweisen, daß die Monaden eine Kraft haben, sich die Welt dunkel vorzustellen, und daß in dem Beweise dieses Satzes eine Petitio Principii stecke, und folglich zu den Schwachheiten der Leibnitzisch-Wolffischen Metaphysik gehoͤre. Du wirst schon noch, setzte er hinzu, die Metaphysik kennen lernen: nimm dir aber das Esse zum ersten Grund: posse esse et tamen non esse widerspricht sich, si sermo est de realitate activa, wenn man aber von der wirklichen Subsistenz redet, kann man wohl sagen, potest esse, sed non est . Ich verstand das alles nicht, fand aber spaͤterhin, daß es sich auf die Philosophie des Spinosa bezog. Da mein Vater mit meinen Kenntnissen sowohl zufrieden war, war ich selbst froh, und dachte an nichts, als wie ich mich einrichten wollte, um auch zu Hause meine Tage vergnuͤgt hinzubringen. Mein Vater hatte aber nach unserm Examen sich eines an- dern besonnen und jetzt neuerdings beschlossen: daß ich noch auf ein Jahr die Goͤttingische Universitaͤt beziehen sollte, und das deswegen, damit ich mehr in den orientalischen Sprachen leisten, und uͤberhaupt mich in Absicht meiner Sitten bessern moͤchte, welche in Gießen ganz verwildert waren. Goͤttingen stand schon damals im Rufe sehr feiner Sitten. Mein Vater entdeckte mir seinen Vorsatz, und befahl mir mich zur Abreise in wenigen Tagen anzuschicken. Man stelle sich meine Freude vor, abermals eine Universitaͤt zu besuchen, welche die, wo ich gewesen war, unendlich uͤbertraf. Mein Gepaͤcke wurde in etwas ausgebessert, und mit neuer Waͤsche versehen, und dann fuhr ich ab. Ich darf meine Reise wohl nicht beschreiben: sie ging uͤber Gießen, Marburg, Kassel und Minden. Mein Vater hatte mich aber- mals bis Frankfurt begleitet. Meine Leser werden es schon glauben, daß ich die Universitaͤt Goͤttingen mit ganz andern Augen angesehen habe, als die zu Gießen. In Goͤttingen lehrten damals sehr viele beruͤhmte Maͤnner: ein Walch , Muͤller , Boͤhmer , Klaproth , Puͤtter , Selchow , Baldinger , Richter , Murray , Michaelis , Heyne , Feder , Lich - tenberg , Kaͤstner , Meister , Gatterer , Schloͤtzer , und einige andre sehr gelehrte, ver- dienstvolle Maͤnner. Quanta nomina! Und wie hervorstechend groß werden nicht erst diese Namen, wenn man zwischen ihnen und den Gießer-Professo- ren einen Vergleich anstellt! wenn man z. B. einen Walch mit Bechtolden oder Ouvrier, einen Boͤhmer mit Kochen, einen Heyne mit Herrn Schmid ver- gleicht! Wenn es wahr ist, daß das Ansehen und die Celebritaͤt der Lehrer einen maͤchtigen Einfluß auf den Eifer und die Fortschritte der Schuͤler in den Wis- senschaften hat, so versteht es sich von selbst, daß der Student in Goͤttingen nach Voraussetzung alles Uebrigen, weit fleißiger studiren, und folglich weit mehr lernen muß, als der in Gießen, Heidelberg, Rinteln oder sonst einem Orte, wo die großen Mu- ster so selten sind. Und so ist es auch in der That, ob ich gleich herzlich gern gestehe, daß sehr viele un- fleißige Studenten zu meiner Zeit auch in Goͤttingen waren. Ich war an den seligen D. Walch empfohlen, welchen mein Vater in Jena genau gekannt, und seine Freuudschaft genossen hatte. Walch war ein vortreflicher Mann, sowohl von Seiten der Kennt- nisse und Gelehrsamkeit, als in Ansehung des Bie- dersinns, und der Redlichkeit. Man findet der Maͤnner wenige, welche verdienen, mit einem Walch verglichen zu werden. Ich habe viel Gutes von ihm genossen: manchen Gefallen, manche Freundschaft hat er mir erwiesen, und mit manchen Kenntnissen hat er mich bereichert; dafuͤr danke ich ihm noch jetzt. — Man weis, daß Walchs Staͤrke in der Litteratur und Geschichtskunde bestand: alles hieher gehoͤrige hatte er gelesen, gepruͤft, und zur Verbes- serung der historischen Vorstellungen und Begriffe nach seiner Arr, sorgfaͤltig benutzt. Einige Theile der Kirchengeschichte waren vor seiner Zeit noch ganz unbearbeitet: er bearbeitete sie zuerst — freilich nur in so fern, als man es von einem orthodoxen Manne erwarten darf. Was haͤtte Walch nicht aus der Geschichte der Ketzereien machen koͤnnen, wenn er Semlers Freimuͤthigkeit gehabt haͤtte! Eine Haͤre- siologie von einem Manne, der ganz von den Fesseln der Kirchenreligion entladen waͤre, der aber Walchs entsetzliche Belesenheit und eiserne Geduld haͤtte, muͤßte wahrlich mehr fruchten, als alle Dogmatiken mit und ohne Dogmengeschichte, und als alle Bestreitun- gen oder Rechtfertigungen der Symbolischen Buͤcher u. s. w. Eine Haͤresiologie von der Art wuͤrde au- genscheinlich einen jeden uͤberzeugen: daß die meisten kirchlichen Dogmen , wie sie da im Katechismus vorliegen, zu gewissen Zeiten und in gewissen Laͤndern Ketzerei, und zu andern gewissen Zeiten und in an- dern gewissen Laͤndern wieder Orthodoxie gewesen sind. Und wer das so ansieht, und erkennt, muß ja doch wahrhaftig das Gehirn erfroren haben, wenn er das Gewebe von Dogmen — von Christi Per- son, von der Erbsuͤnde, Gnade, Praͤdestination u. s. w. — noch fuͤr Gottes Wort und Offenbarung zur Seligkeit noͤthig halten kann Wie dergleichen Vorstellungen nach dem Gesetz der Ein- bildungskraft und des Vernunftaͤhnlichen allmaͤlig fa- bricirt sind, zeigt sehr einleuchtend Herr Prof. Maaß . Das heißt doch den lieben Gott zum Hottentottischen Tyrannen her- abwuͤrdigen! Ob Walch sehr orthodox gewesen sey — dar- an zweifle ich; ob ich gleich gewiß dafuͤr halte, daß er kein freier oder liberaler Theologe war. Denn in der Kirchengeschichte trug er mehrmals ziemlich freie Amerkungen vor, und bekannte sogar, daß in den aͤrgerlichen Pelagianischen Specktakeln, Augustin und die Orthodoxen sich mehrerer Fehler schuldig ge- macht haͤtten, als selbst die Ketzer: aber in seinen Vorlesungen uͤber die Dogmatik hing er ganz an den Bestimmungen der Orthodoxen. Herr Leß war der Mann bei weitem nicht. Ich will ihm Gelehrsamkeit nicht absprechen; aber sein Ton, seine Thraͤnen bei dem Vortrage der Mo- ral haben mich nie geruͤhrt, da ich hingegen, wenn Walch bei der Erzaͤhlung der Grausamkeiten des Dschinkiskan , oder des Timurs weinte, gern mitgeweint haͤtte. Leß ist ein pietisches Quodlibet, so recht nach den Umstaͤnden, und hat etwas an sich von dem Wesen der Betschwestern in Frankreich, die in der Jugend — nicht beten, und im Alter — die Religion, als eine entschaͤdigende Galanterie behan- deln. Dafuͤr hat man ihn aber auch tuͤchtig geschul- in seinem Versuch uͤber die Einbildungs - kraft . meistert — und das nach Verdienst — in dem Sendschreiben des jetzigen Thorschreibers zu G. vormaligen Kandidaten der Theologie — be- treffend des Herrn D. Leß Entwurf eines philoso- phischen Kursus der christlichen Religion, im 10ten Stuͤck des Braunschweigischen Journ. 1791. Muͤller war der beste Mann, ein wahrer Menschenfreund, der gern alles that, um frohe Menschen zu machen. Ossa quieta precor tuta requiescere in urna Et sit humus cineri non onerosa suo! Herr Meiners ist gewaltig gelehrt: er hat fast alles gelesen, und das Gelesene ziemlich alle be- halten: und doch lernt man aus seinen Vorlesungen gar wenig. Da er kein philosophischer Kopf ist; so wirft er alles durcheinander wie Kraut und Ruͤben. Aber ich will keine Karakteristik der Goͤttingischen Lehrer aufstellen: dazu bin ich zu schwach, und die Maͤnner sind ohnehin zu bekannt, als daß meine Beschreibung noch noͤthig waͤre. Von zwei Maͤnnern aber muß ich doch noch ein Paar Worte sagen. Herr Puͤtter ist, wie jedermann weis, ein großer Publicist, und ein großer Kenner der Va- terlaͤndischen Geschichte: in dieser Ruͤcksicht verdient er alle Hochachtung. Daß aber Herr Puͤtter den frommen Andaͤchtling, und den Hyperorthodoxen macht, und dabei immer, wie ein Milzsuͤchtiger, andrer Leute Sitten speculirt, kann nicht gefallen. Wie juristisch-positiv er sich den lieben Gott in Ruͤck- sicht auf das Wohl seiner vernuͤnftigen Geschoͤpfe vor- modle, zeigt sein einziger Weg zur Gluͤckse - ligkeit , den man aber in Goͤttingen nicht anders, als die Himmelspost beniehmte. Wenn Herr Puͤtter die Reichsgeschichte vortraͤgt; so haͤlt er sich bei den wichtigsten Sachen nur kurz auf; hingegen bei D. Luthern und den Symbolen bringt er mehrere Wo- chen zu. Selten versaͤumt er eine Kirche, geht auch regelmaͤßig zum Abendmal, und betet ohne Unterlaß; beiher jagt er aber sein Gesinde uͤber das kleinste Ver- sehen fort, und laͤßt seinen frommen Stolz jeder- man empfinden, der zu ihm kommt: besonders soll er denen, welche Huͤlfe und Unterstuͤtzung bei ihm suchen, ausserordentlich streng und grob begegnen. Das ist denn so der rechte Weg zur Gluͤckselig- keit! Der andre Mann, den ich noch nennen will, ist der verstorbene Ritter Michaelis . Die großen Verdienste dieses Gelehrten um die morgenlaͤndische Litteratur weisen ihm billig einen Platz unter den groͤßten Maͤnnern seines Jahrhunderts an, und sichern seinen Namen vor jener Vergessenheit, welche auf so manchen wartet, der sich jetzt fuͤr ein Licht der Welt haͤlt. Aber sein bis an Niedertraͤchtigkeit graͤn- zender Geitz, sein haberechtiges Wesen, und seine Verachtung aller andern Gelehrten neben sich, wer- fen ein sehr gehaͤssiges Licht auf seinen Karakter. Man hat viel Anekdoten von ihm erzaͤhlt, welche ich aber aus Achtung fuͤr seine sonstigen Verdienste gern unterdruͤcke, und vielmehr auf meine Geschichte zuruͤck komme. Ich logirte bei der Prof. Koͤhlerin , einer recht braven Frau. Walch hatte mir sehr gute Re- geln des Verhaltens gegeben, und hinzu gesetzt, daß, da ich schon laͤnger auf Universitaͤten gewesen waͤre, ich gewiß gesetzt seyn muͤßte: er wolle mir also nicht weiter sagen, was ich als Student zu thun haͤtte. Der gute Mann hat sich nicht wenig geirrt! Ich war noch so frivol, als ich vor drei Jahren gewe- sen war. Ein gewisser Sturm war in Goͤttingen, den ich in Gießen gekannt hatte: das wußte ich, und suchte ihn auf. Nun Bruder, sagte ich zu ihm, wie siehts denn hier aus mit den Komment? Sturm : Schofel Bruder, sehr schofel! Die Kerls wissen dir den Teufel, was Komment ist: hal- ten ihre Kommerse in Wein und Punsch, saufen ih- ren Schnapps aus lumpigen Matierglaͤsern, lassen sich alle Tage frisiren, schmieren sich mit wohlriechen- der Pommade und Eau de Lavende, ziehn seidne Struͤpfe an, gehn fleissig ins Conzert zum Professor Gatterer, kuͤssen den Menschern die Pfoten; kurz Bruder Herz, der Komment ist hier schofel. Ich : Aber doch nicht allewege? Sturm : Nein Bruͤderchen! es giebt noch derbe Kerls; aber die stehn wenig in Ansehn: man haͤlt sie fuͤr liederlich, und deswegen muͤssen sie fuͤr sich leben, und mit einander ihre Sachen allein treiben. Ich : Hoͤr' Bruder, so viel an uns ist, muͤssen wir den Komment wieder herstellen, oder gar ein- fuͤhren à la Jena — Sturm : Hast Recht: aber das wird schwer halten: wollen indeß sehen, quid virtus et quid sapientia possit. Du gehst den Abend doch mit zum Schnapps-konradi? Nicht? — Wir begaben uns wirklich denselben Abend zum Schnapps-konradi, einem Bruder des Schnapps- konradi in Halle. Wir fanden einige Studenten da, welche aus kleinen Bolen Punsch und aus Finger- hutsglaͤschen Schnapps tranken. Ich forderte ein Glas Schnapps, und Sturm auch eins. Man brachte es uns, aber in kleinen Glaͤschen; ich ließ mir also einen Bindfaden geben, um das Glas an- zubinden, damit wenn es, wie ich sagte, die Kehle hinein wischte, ich es herausziehen koͤnnte. Man lachte uͤber meinen Einfall, beklatschte ihn, und wir ließen uns ein Noͤßel Schnapps geben, leerten es aus und gingen so wohlbezecht nach Hause. Wir fuhren fort den Schnapps- konradi fleißig zu besuchen; wa- ren aber doch nicht im Stande, die Mode aus Noͤ- ßeln zu Schnappsen, einzufuͤhren, obgleich einige es nachmachten: denn man kann nichts so sehr naͤrri- sches anfangen, das nicht einige Nachahmer finden sollte. Herr Walch erfuhr diese Wirthschaft, und gab mir deshalb einen derben Wischer. Ich unterließ hierauf das haͤufige Besuchen des Konradi's, des Kellers und der Doͤrfer, und fing an, ernstlich zu studiren. Meine Kollegien hatte ich, so lange ich mich in Goͤttingen aufhielt, so eingetheilt, daß ich bei Mi- chaelis die Psalmen, das Mosaische Recht und den Hiob hoͤrte: bei Schloͤzern die Staatengeschichte, bei Walchen Kirchengeschichte und Dogmatik, bei Herrn Leß Moral, aber nicht ganz aus, bei Heyne eini- ge Philologica, bei Kaͤstner Mathematik u. s. w. Den Herrn Kulenkamp konnte ich in der Erklaͤ- rung des Theokrits nicht ausstehen: da wußte ich mehr als er, ob ich gleich blutwenig wußte. Es ist wunderbar, daß ein Kulenkamp es sich heraus- nimmt, auf einer Universitaͤt zu dociren, wo ein Heyne aͤhnliche Vorlesungen haͤlt! Der verstorbene Geheimerath Klotz hat ihm mehrmals die Exerci- tia korrigirt. Die vortreffliche Bibliothek zu Goͤttingen, die wohl leicht die beste Universitaͤtsbibliothek in Deutsch- land ist, habe ich zu meinem wahren Vortheil fleißig benutzt, und bin uͤberhaupt in Goͤttingen anhalten- der und ordentlicher im Studiren gewesen, als in Gießen: einmal waren da nicht so viel herrschende Reitze zur Renommisterei und zur Liederlichkeit, und fuͤrs andere hatte ich Maͤnner von Ansehn und Ge- wicht vor mir, fand mehr Muster und mehr Gele- genheit, etwas rechts zu lernen. Acht und zwanzigstes Kapitel. Jung gewoͤhnt; alt gethan! I ch fand auch in Goͤttingen einen gewissen Italiaͤ- ner, Badiggi , einen Exjesuiten, mit dem ich schon in Gießen Umgang gepflogen hatte. Dieser Badiggi war ein Mensch von viel Kopf und viel Er- fahrung; aber auch ohne Religion, ohne Sitten und ohne Gesetze, kurz, ein wahres moralisches Unge- heuer. Er erzaͤhlte von sich alle moͤgliche Schand- thaten, ohne Erroͤthen, und schrieb gewoͤhnlich in die Stammbuͤcher den Denkspruch des Pabstes Ale- xanders VI. Erster Theil. R Chi a dieci otto anni, e non é pazzo, O buzzera, o fotte, o si mena il cazzo. Latein konnte Badiggi reden wie Wasser, und Latein, das sich immer hoͤren ließ, das keine Schnitzer hatte. Beiher hatte er eine große Belesenheit in jenen freiern Schriften der Italiaͤner, welche das sechzehn- te Jahrhundert erleuchtet haben, z. B. in denen des Aretin , Pulci , Ariosto , Pallavicino , u. a. m. Einen groͤßern Zotenreisser und Laͤsterer aller Religion, aller Sitten und aller Moral hab ich nie gehoͤrt. Das waren aber in meinen Augen damals Tugenden, und verbanden mich um so mehr mit Badiggi, oder um besser zu sagen, sie machten, daß ich seinen Umgang fleißig suchte, ohne jedoch seine Person zu lieben oder zu schaͤtzen. Dieser Mensch genoß allerhand Unterstuͤtzungen, sowohl von Pro- fessoren als von Studenten, welche letztern er mit seinen Schwaͤnken belustigte. Er erhielt auch Geld von Auswaͤrtigen. Endlich ist er heimlich entwichen, nachdem er viele Leute geprellt, die Universitaͤtsbi- bliothek um 100 Thaler Buͤcher betrogen, und mehr andre Lumpenstreiche begangen hatte. Ich fuͤr mein Theil gewoͤhnte mir in dem Um- gange mit diesem Menschen einen aͤußerst freien und schluͤpfrigen Ton, in Ruͤcksicht auf die Religion und ihre Lehren an: einen Ton, der mir, wie ich bald erzaͤhlen werde, in meinem Vaterlande sehr viel ge- schadet, und mein ganzes theologisches Gluͤck verdor- ben hat. Herr Walch merkte diesen Ton, und ver- wies mir ihn, „Hoͤren Sie, sehen Sie, sagte er zu mir, das ist einfaͤltig gesprochen. Was Sie nicht glauben, muͤssen Sie mit Gruͤnden widerlegen; aber nicht beschimpfen.“ — Klug war das wohl gera- then; aber wo sollt ich so viel Klugheit hernehmen, einem klugen Rath zu folgen? — Obgleich Walch mich fuͤr einen Religionsspoͤtter hielt; so entzog er mir seine Freundschaft doch nicht: und das war sehr tolerant! Nun muß ich noch einen Narren beschreiben, dessen Gleichen ich nicht weiter gefunden habe. Der Mensch hieß Dippel oder Timbel — ich habe den Namen nicht recht behalten: man hieß ihn gewoͤhn- lich Mosjeh Kilian, oder Bruder Kilian. — Er lebte als theologischer Student, von der Gutherzig- keit anderer Studenten. An einem gewissen Tische, wo ohngefaͤhr einige dreissig Studenten speiseten, ging er herum, so daß ihn alle Tage ein anderer fuͤt- terte. Sein Logis hatte er umsonst beim Kauff- mann Backhaus , ich glaube, so hieß er — hin- ten im Hof uͤber dem Pferdestall und unter dem Taubenschlag. Da er sich von jederman gebrau- chen ließ, wozu man nur wollte; so waren die Bursche freigebig gegen ihn, wenn er etwas noͤ- thig hatte. Hier einige Proͤbchen zur Erschuͤtte- rung des Zwerchfells. In einer Gesellschaft von Studenten war Mei- ster Dippel auch. Einer davon sagte: „wenn ich doch nur mit Heynen nicht uͤbern Fuß gespannt waͤ- re, so ließ ich mir seine Ausgabe von Horazens he- braͤischen Georgicis und seiner griechischen Ueberse- tzung des Eulenspiegels geben. Sie kommen erst auf die Messe in den Buchlaͤden; aber Heyne hat sie schon an mehrere verborgt.“ Dippel erboth sich also- bald, er wolle zu Heynen gehen, und sich die Buͤ- cher ausbitten. Man stelle sich nun Heynen vor, wie Dippel vor ihm stand und Horazens hebraͤische Georgica und den griechischen Eulenspiegel aus- bath! Es waren gerade Fremde zugegen, und Heyne, der sich sehr aͤrgerte, schmiß den guten Dip- pel zur Thuͤr hinaus, und schalt ihn einen dum- men Esel. Ein andermal machte ein Englaͤnder dem Men- schen weiß, man truͤge jezt nach der neuesten Mode Halsbinden von bundem Stroh, mit einer Schelle vorn am Hals, stroͤherne Kokarden und eben solche Roͤschen hinten auf dem Zopf. Er schenkte ihm so- gleich eine solche Garnitur, deren er etliche hatte machen lassen, um den Einfaltspinsel anzufuͤhren: und dieser legte den Ornat auch an, wanderte so lan- ge damit durch die Straßen, bis die hinter ihm her- schreienden Jungen deutlich genug zu verstehen gaben, daß er ein Geck sey. Die Studenten nahmen ihn in allerhand erdich- tete Orden auf, z. B. in den Orden der heiligen Ge- noveva, des heil. Krispinus u. a. m. machten ihm hernach weiß, er sey nun zum Großmeister des Or- dens ernannt worden: und Dippel unterschrieb sich so in den Stammbuͤchern. Aber nicht selten wurden Komoͤdien mit ihm gespielt, von denen die Spielen- den wenig Ehre hatten. So brachte man ihn einst in Einbeck mit einem uͤber und uͤber inficirten Mensch zusammen, woher der arme Teufel ein Uebel abkrieg- te, welches ihn uͤber zwei Monate gequaͤlt hat, so fleißig die Feldscheerer ihn auch besuchten. Das Geld zu dieser Kur wurde an den Tischen und an- dern oͤffentlichen Orten gesammelt. Mit dem Herrn Luther, Superintendent in Goͤt- tingen, habe ich und Sturm eine kleine Fehde ge- habt: wir schrieben ihm naͤmlich seine uͤber allen Glauben elende Predigten nach, und hielten sie in lustigen Gesellschaften. Sturm konnte seine Gestus so treffend nachmachen, daß man dachte, man haͤtte Luthern selbst vor sich. Der Ehrenmann erfuhr die Neckerei, verklagte Sturm und mich; und der Prorektor verboth uns das Halten der Lutherischen Predigten. Da unterblieb denn auch das Nach- schreiben. Die Studenten haben zu meiner Zeit auch ei- nen Krieg mit den Schneidern gefuͤhrt, der aber ausging, wie alle Studentenkriege. Es sind Lappe- reien, woruͤber der gescheute Mann — der man lei- der als Akademist so selten ist — die Achsel zuckt. Bei Gelegenheit dieses Krieges kamen auch verschie- dene Schriften heraus, wie vor einigen Jahren zu Halle wegen der beruͤhmten Fensterkanonade. Es wurde auch ein schoͤnes Lobgedicht auf die Schneider komponirt, und einige Zeit uͤber von den Studen- ten auf den Straßen abgesungen. In Goͤttingen konnte ich bei weitem die Figur nicht spielen, welche ich in Gießen gespielt hatte: dazu hatte ich nicht Geld genug. Mein Vater gab mir zwar so viel, als ich brauchte, um ordentlich zu leben, und nicht noͤthig zu haben, Wasser zu trin- ken, wie er sagte: aber ich koͤnnte doch nicht aus- reuten, ausfahren, nach Kassel reisen, alle en Wichs erscheinen, wie so viel andre, welche G hatten. Daher blieb ich immer im Dunkeln, und war blos meinen Freunden naͤher bekannt. Ich will nicht sagen, daß ich mich geaͤrgert haͤtte, daß ich kei- ne Rolle spielen konnte: ich stand damals in den Ge- danken, daß Concerte, Baͤlle, Assambieen, Spatzier- fahrten u. d. g. gar nicht zum Wesen des Studen- ten gehoͤrten: daß der Bursch eben nicht gerade im Briefwechsel mit Mamsell Philippine G — — — stehen muͤsse, und das es nicht noͤthig sey, bei der Frau Magister V — —, oder der schoͤnen Nichte des Professors P — — seine Aufwartung dann und wann zu machen, und diese Aufwartung mit baarem Gelde, oder mit theuren Geschenken zu erkauffen. Und doch waren die, welche dieses konnten, die an- gesehnsten auf der Akademie. Da es hier nicht sel- ten geschieht, daß Professoren die Studenten auf ihren Stuben besuchen; so gehoͤrt es auch zum guten Ton, dergleichen Herren dann und wann zu sich zu bitten, und sich in große Unkosten zu stecken. Ich halte nichts davon, wenn Professores die Studen- ten in ihrer Wohnung heimsuchen. Wollen sie Um- gang mit ihnen haben; so sey es an einem driften Ort. Der Professor verliert nach und nach sein An- sehen, und der Student macht sich schwere unnuͤtze Kosten. Am besten ist es, wenn beide in einer ge- wissen Entfernung von einander bleiben. Ich muß doch ein klein Woͤrtchen vom Goͤttin- ger Frauenzimmer sagen. Diese sind mit gnaͤdiger und großguͤnstiger Erlaubniß der Goͤttinger Damen durch die Bank — nicht schoͤn. Ich weis es selbst nicht: sie haben so was widerliches im Gesicht, welches durchaus misfaͤllt: und ihre Farbe, oder der Teint, wie man sagt, ist weit entfernt von je- nen Lilien und Rosen, von denen unsre Herren Reimemacher so viel zu sagen wissen. Unter den gemeinen Maͤdchen findet man auch sehr wenig rares. Es stehen einige Kompagnien Soldaten in Goͤt- tingen, roth mit weissen Aufschlaͤgen, welche eben so, wie in Gießen und Halle ihren Kommers mit den Studenten treiben, ihnen die Stifeln wichsen, fuͤr sie marschandiren, kuppeln — und sich so eini- ges nebenher zu ihrer Loͤhnung zu verdienen suchen. Ich haͤtte uͤber den Umgang der Studenten mit Sol- daten verschiedenes nicht undienliches zu sagen; allein ich mag niemanden schaden, der auch eine Uniform traͤgt, wie ich. Die Doͤrfer um Goͤttingen werden nicht so oft besucht, als die um Gießen, Jena und Halle; doch giebt es da auch Dorfbruͤder, und diese laufen ge- woͤhnlich nach Bosten oder Doͤppeltshausen: am letztern Orte ist alle Freiheit, weil er Hessisch ist. Man findet keine Bordelle in Goͤttingen, we- nigstens fand man zu meiner Zeit keine; aber an Nymphen, welche fuͤr einige Groschen, und an Ma- damen und Mamsellen, welche fuͤr einige Thaler nach advenant feil sind, fehlt es auch da nicht. Es soll sogar einige Damen daselbst geben, die ihre Lieb- haber bezahlen. Auf den Doͤrfern halten sich dann und wann auch Lustdirnen auf: und daher lassen sich die haͤufigen Galanteriekrankheiten erklaͤren, welche in Goͤttingen grassiren. Ich glaube nicht, daß die- ses seit meiner Zeit besser geworden ist. Auf dem Keller waren die Maͤdchen recht fideel: man hieß sie schlechtweg die Kellermenscher. In Jena hat der Bursch seine sogenannte Scharmante : das ist ein gemeines Maͤdchen, mit welcher er so lange umgeht, als er da ist, und das er dann, wenn er abzieht, einem andern uͤberlaͤßt. In Goͤttingen hingegen sucht der Student, der's zwingen kann, das heißt, der Geld hat, bei einem vornehmern Frauenzimmer anzukommen, und macht dem seinen Hof. Gemeiniglich bleibt es beim Hof- machen, und hat keine weiteren Folgen, als daß dem Galan der Beutel tuͤchtig ausgeleert wird. Man- chesmal geht das Ding freilich weiter, und es folgen lebendige Zeugen der Vertraulichkeit, die eine Rit- terstochter oft eben so bezaubernd fesselt, als eine ge- faͤllige busenreiche Aufwaͤrterin. Man hat es als einen Vorzug der Goͤttinger Universitaͤt angesehen, daß daselbst der Student Ge- legenheit habe, in Umgang mit Familien zu kom- men. Man hat gesagt, das waͤre ein Mittel, wo- durch er die Roheit der Sitten ablegen, und sich verfeinern koͤnnte. Ich weiß aber einmal nicht, ob der Familienton in Goͤttingen so fein sey, daß sich ein junger Mensch daran auspoliren koͤnne: und dann steht gewoͤhnlich nur da die Thuͤr auf, wo man gern auf Unkosten der Studenten sich vergnuͤgen macht. In andern Haͤusern wird der Student so, wie an andern Orten, ausgeschlossen. Dafuͤr raͤchen sich dann die Herren mit Pasquillen, welche man in Goͤttingen alle Tage lesen kann, und worauf nie- mand mehr achtet, weils gewoͤhnliche Dinge sind. Neun und zwanzigstes Kapitel. Ich bin nun Kandidat. M einen Lesern habe ich vielleicht lange Weile ge- macht, da ich ihnen so viel von Universitaͤten vorge- schwaͤtzt habe. Daß ich das selbst muͤsse gefuͤhlt ha- ben, beweisen die so ins Enge gepreßten Erzaͤhlungen der Begebenheiten von vollen zwei Jahren. Aber nun sollen sie auch Begebenheiten von einer andern Art lesen, welche freilich in so fern, als wieder dum- me Streiche mit vorgefallen sind, meinen Burschen- streichen gleich kommen, und sie vielleicht noch uͤber- treffen. Ich wuͤnsche nur, daß wenn dem Leser der Student nicht zuwider war, es der Kandidat auch nicht seyn moͤge. Ich kam im Fruͤhling 1779 nach Hause. Mein Vater stellte abermals ein Examen mit mir an, und war zufrieden. Ich predigte mit Beifall: denn ich predigte Moral, und nicht vom Satan oder vom Blut Jesu Christi, das uns rein macht von allen Suͤnden. Genug die Bauern und die Buͤrger hoͤrten, wo ich auftrat, etwas neues. Ich bin nie ein Red- ner gewesen; allein in der Pfalz braucht man nur eine reine Aussprache zu haben, und nicht abzulesen, um des Beifalls beim Predigen sicher zu seyn. Da die Herren Prediger auch da, wie uͤberall, kommode sind, und gern fuͤr sich kanzeln lassen; so hatte ich uͤberfluͤssig Gelegenheit, mich im Kanzelvortrage zu uͤben, und that es auch. Besonders predigte ich gern fuͤr den Pfarrer Stuber zu Flonheim, der mein wahrer Freund, auch in meinen Muͤhseligkeiten gewesen ist. Herr Stuber gehoͤrt unter die wenigen Kirchenlehrer in der Pfalz, die man, ohne daß es einem uͤbel wird, nennen kann, wenn man sie kennt. Ich kam bald in Bekanntschaft mit dem Amt- mann Schroͤder in Grehweiler, einem Manne von seltner Ehrlichkeit, und nicht gemeinen Kennt- nissen; der aber, weil er sich mit dem faselhaften Kammerrath Fabel und andern dieses Gesichters nicht vertragen, das heißt, dieser Herren Schleich- wege nicht billigen konnte, tausend Verdruͤßlichkei- ten ausstehen mußte. Herr Schroͤder oͤffnete mir seine wohlversehene Bibliothek, und da las ich in- nerhalb einigen Jahren fast alle Werke des Vol - taires, den Esprit des Loix von Montesquieu , Rousseau 's Novelle Heloise, dessen Emile , und andere, freilich sehr unorthodoxe Buͤcher, wo- mit die Bibliothek des Amtmanns versehen war. Ich lernte aus Voltaire nichts, als spotten: denn andere Buͤcher, besonders Tindals Werk, hatten mich schon in den Stand gesetzt, richtig — naͤmlich wie ich die Sache ansehe — uͤber Dogmen und Kirchenreligion zu urtheilen. Gewiß habe ich unendliches Vergnuͤgen genossen bei der Lesung des franzoͤsischen Dichters, der der Priesterreligion mit seinem feinern und groͤbern Witz vielleicht mehr ge- schadet hat, als alle Buͤcher der Englischen und Deutschen Deisten. Die englischen gehen von Gruͤn- den aus, und suchen ihre Leser durch philosophische Argumente zu uͤberzeugen: die Deutschen machen es beinahe eben so, und habens auch mit unter mit der Philosophie zu thun. Zudem reduciren letztere alles auf Geschichte, und verursachen dadurch, daß die Le- ser ihre gelehrten Werke nicht anders verstehen, als wenn sie selbst gelehrt sind. Der franzoͤsische Deist hingegen wirft einige fluͤchtige Gruͤnde leicht hin, schluͤpft uͤber die Streitfrage selbst weg, und spoͤt- telt hernach uͤber das Ganze, als wenn er seine Be- hauptungen noch so gruͤndlich demonstrirt haͤtte. Ich weis wohl, daß das nicht uͤberzeugt; aber Tausende, die es lesen, halten sich von nun an fuͤr uͤberzeugt, und beehren den Philosophen mit ihrem ganzen Bei- fall. So war es auch moͤglich, daß Voltaire so viel Proselyten des Unglaubens anwarb. Er schrieb nicht fuͤr Gelehrte: die, dachte er, moͤgen die Berichtigung ihrer Denkungsart anderwaͤrts suchen, wenn sie klug sind. Er schrieb fuͤr Ungelehrte, fuͤr Frauenzimmer, fuͤr Fuͤrsten und fuͤr Kaufmannsdie- ner: diesen sollten die Schuppen von den Augen weg- fallen. Und wenn das so Voltaire's Zweck war, so hat er seine Sachen wirklich klug eingerichtet. Alles Geschrei der Gegner, von einem abgeschmackten Non- notte an bis auf Herrn Leß , hat dem Manne an seinem Kredit nicht schaden koͤnnen. Den Nonnotte liest kein Mensch mehr: Herr Leß wird nur von eini- gen Geistlichen gelesen; Voltaire's Schriften aber sind in allen Haͤnden, sind beinahe in alle Sprachen uͤbersetzt, und werden dann auch noch mit Vergnuͤ- gen gelesen werden, wenn man laͤgst vergessen hat, daß solche Gegner in der Welt gewesen sind. Doch weiter im Text! Ich hatte anfangs wenig Umgang. Herr Haag , Amtskellner Job von Erbesbuͤdesheim, Pfrarer Stuber und einige andre machten meine Gesellschaft aus. Ich ging auf die Jagd, vergnuͤgte mich mit dem Feld- und Gartenbau, und lebte so vollkommen vergnuͤgt. Aber bald kam ich eine groͤs- sere Verbindung, die mich wie ein Strom fortriß, und mir selten Zeit ließ, mich zu besinnen. Ich ge- rieth in die Gesellschaft des Amtsverwalters Schoͤn - burg zu Neubamberg, seines Aktuars Metz , des Licentiaten Machers zu Kreuznach, Amtschreibers Boger , Oberschulz Baumann von Woͤllstein, und anderer lustigen Bruͤder. Diese Menschenkinder hatten sichs zum Gesetz gemacht, das steife Wesen, welches in den vornehmern Gesellschaften in der Pfalz herrschte, aufzugeben und einen freiern Ton einzufuͤh- ren. Sie sprachen daher, wie es ihnen in den Sinn kam, ohne darnach zu fragen, wer sie anhoͤrte, mach- ten keine Komplimente, und bekuͤmmerten sich gar nichts darum, was Andre von ihnen urtheilten. Freilich fielen diese Urtheile sehr unguͤnstig aus! Wenn man von ihnen sprach; so hieß es nur schlechtweg: der liederliche Amtsverwalter, der liederliche Macher u. s. w. Mein Vater sah es eben nicht gern, daß ich mich so sehr an diese Leute anschloß; aber da es doch Leute waren, welche in Karakter stunden, so ließ er es geschehen, ohne mir anfangs ernsthafte Vorstellungen dawider zu machen. Daß ich in dieser Societaͤt nicht wenig werde brillirt haben, laͤßt sich denken. Meine Zotologie war in Goͤttingen gleichsam verrostet; ich hohlte sie aber hier wieder hervor, und erlangte solchen Beifall daß kein Gelag ohne den Großen , so nannte man mich Κατ᾽εξοχὴν, gehalten werden konnte. Unsre Gesellschafter dutzten sich alle, und nahmen einander durchaus nichts uͤbel. Unsre Gelage waren wenig- stens so lustig und ausschweifend, wie die Studenten- gelage in Jena oder Gießen. Ein Umstand machte mich doch ein wenig auf- merksam. Der Amtsschreiber Boger trieb Liebelei mit der Tochter des reformirten Schulmeisters zu Wonsheim , und ich, als sein fideler Kumpan, begleitete ihn oft dahin, und blieb selbst oft ganze Naͤchte mit ihm da, wo wir denn soffen und aller- hand Zeug vornahmen. Nicht lange hernach hieß es, das Maͤdchen sey schwanger, was es auch in der That war; man wisse aber nicht, wer eigentlich Urheber davon sey, Boger oder Laukhard: die Freun- de moͤgten es wohl selbst nicht wissen. So wurde ich also ausgetragen, und mein Ruf litte gewaltig bei dieser scandaloͤsen Relation. Endlich bekannte sich Boger, auf des Maͤdchens Aussage, zum Vater des Kindes, und ich war frei; doch wurde ich noch manchmal damit geschoren, bis endlich die ganze Sache einschlief. Boger versuͤndigte sich bald darauf am Amts- verwalter Schoͤnburg, und durfte nicht mehr in un- sere Cirkel kommen. Er hat hernach Baumanns Tochter geheurathet, und sich kurz nach der Hochzeit todt gesoffen. Die skandaloͤse Chronik in der Pfalz hat aber sein Ende noch garstiger erzaͤhlt. In der Gesellschaft dieser Leute ward ich nun voͤllig liederlich, und fuͤhrte eben so ein asotisches Leben, wie sie; doch nahm ich mich anfangs in Acht, daß man mich nicht oͤffentlich einen dummen Streich begehen sah: und so hatte ich noch immer den Ruhm, daß ich im Roͤckelskollegium — diesen Namen hat- ten die Herren der Gesellschaft selbst gegeben — noch bei weitem der Gesitteste sey. Ueberhaupt muß man in der Pfalz sehr merklich ausschweifen, wenn man den Namen eines Liederlichen fuͤhren soll: denn die Sitten waren da mein Tage so delikat eben nicht. Jeder von uns hatte sein Liebchen. (Meine Leser denken hier ja nicht an Tereschen: von dieser mach' ich ein eigen Kapitel noch, aber vielleicht nicht in diesem Theile). Der Amtsverwalter karessirte oder nach Pfaͤlzer Ausdruck, machte er verliebte Nas- loͤcher bei der Tochter des lutherischen Pfarrers Koͤster in Woͤllstein. Das Maͤdchen sah huͤbsch aus; aber wie ich merkte, konnte sie den wuͤsten Menschen vor ihren Augen nicht leiden, allein ihres Vaters wegen, vor der Schoͤnburgen wohl wollte, mußte sie ihn dul- den, und seine Zoten anhoͤren. Ueberhaupt wurde die Liebe von uns recht zotologisch behandelt. Da der Amtsverwalter katholisch war; so machte man endlich dem Pfarrer Koͤster Vorwuͤrfe, und gab ihm zu verstehen, daß er seine Tochter in uͤblen Kredit brin- gen wuͤrde, wenn er diesen Umgang ferner gestattete, besonders da Herr Schoͤnburg als der groͤßte Schwein- ygel in der ganzen Gegend bekannt war. Er ließ sich bewegen, und schickte seine Tochter nach Darmstadt zu einer Base. Schoͤnburg war vor Aerger ausser sich, da seine Liebschaft fort war. Ich begleitete ihn nach Mainz, wo er seine Rechnung ablegen muste, und von da aus machten wir eine donquischottische Reise nach Darmstadt. Aber nun war die Frage, wie Schoͤnborn die Mamsell Koͤster zu sprechen kriegen sollte. Ich ver- sprach es zu bewirken, besuchte sie also, welches nicht auffallend seyn konnte, da ich mit ihr verwandt war. Hier ist unser Gespraͤch, das wir hielten, so bald wir im Garten allein waren. Ich : Wissen Sie was neues, Mamsell Ku- sine? der naͤrrische Amtsverwalter ist hier! Sie : Mein Gott, Herr Vetter, was sagen Sie! was will denn der hier? Ich : Er will Sie sprechen. Er wird noch verruͤckt, wenn er Sie nicht bald sehen darf. Sie : (erschrocken) Er wird doch nicht hieher kommen! Gott! was wuͤrde die Base sagen! Ich : Er wird gewiß zu Ihnen kommen; ich habe ihn noch abgehalten, sonst waͤre er schon da. Wissen Sie was, ich will Ihnen Rath geben: Ver- Erster Theil. S sprechen Sie mir, daß Sie Heute Nachmittag um 3 Uhr im Schloßgarten seyn wollen, da soll er an der Landgraͤfin Begraͤbniß auf Sie warten. Wollen Sie? Sie : Das kann ich nicht. Ich : So koͤmmt wahrlich der naͤrrische Amts- verwalter hieher. Sie kennen ihn, und haben nichts als Schimpf und Schande davon. Ich daͤchte, Sie machtens, wie ich Ihnen gesagt habe. Das gute Kind sann hin und her, und wußte nicht, wozu sie sich entschließen sollte: nachdem ich ihr aber betheuert hatte, daß der Amtsverwalter ganz gewiß selbst kommen, und Skandal machen wuͤrde; so versprach sie endlich, um 3 Uhr in den Schloßgarten zu kommen. Ich berichtete diesen Trost meinem Schoͤnburg, und der flog schon gleich nach zwei Uhr in den Schloßgarten. Als er wieder zu- ruͤck kam, war er ganz ausser sich vor Freuden, soff vor lauter Jubel drei Buteillen Burgunder ganz allein aus, und ward so selig, daß er nicht mehr ste- hen konnte. Aber, werden meine Leser fragen, blieben Sie denn so nuͤchtern? — Hoͤren Sie nur an, lieben Leser. Ich war nicht zu Hause, als das vorging, und hatte einen guten Freund besucht, der mich nun eben zum Trinken nicht forcirte. Als ich nach dem Gasthofe zuruͤck kam, war mein Schoͤnburg schon im Bette. Ich trat daher in die Gaststube, um mir da die Zeit zu vertreiben. Es waren mehrere Darm- staͤdter Herren zugegen, unter andern auch Herr Maier , ein Sohn des Pfarrers Maier von Kup- ferzell, der so viel von Oekonomie geschrieben hat. Der Sohn stund in Darmstadt als Sekretaͤr bei dem Praͤsidenten von Moser , und war ein eingemachter Hasenfuß. Er trallierte in der Stube herum, und ich fand ihn so aͤrgerlich, daß ich nur auf Gelegenheit paste, ihm eine Sottise zu sagen. Diese zeigte sich bald. Er unterstand sich, mich in einem schnippigen Ton zu fragen: „Sind Sie der Kompagnon des Mosje Firlefanz, der hier logirt? Ich : Was fuͤr'n Mosje Firlefanz, meint der Herr? Er : Je nun, den Menschen mit der gruͤnen Wildschur, der Gestern hier neben Ihnen saß. Ich : So? Und das war ein Mosje Firle- fanz? — Herr Sie moͤgen wohl selbst Firlefanz seyn, verdammtes Fratzengesicht! Er : (erhitzt) Reden Sie nicht so, oder — Ich : Nun dann (aufstehend) oder? — Er : (zuruͤcktretend) Gott strafe mich! haͤtt' ich nichts zu riskiren, Sie sollten Maulschellen haben, daß Sie hinsaͤnken. Ich : (ihm hinter die Ohren schlagend) Ver- fluchter Kerl, Du willst mir Maulschellen biethen? Du? Er setzte sich natuͤrlich zur Wehr, ich aber konnte leicht dem kleinen Maͤnnchen einen Stoß geben, daß er weit weg fuhr, und zu Boden stuͤrzte. Die An- wesenden legten sich alle dazwischen, und brachten uns auseinander. Mosje Maier lief fort, und schwur, daß mir die Sache so nicht hingehen sollte. Der Wirth selbst, Herr Peter im Trauben, rieth mir, mich aus dem Staube zu machen: Maier sey ein rach- gieriger Mensch, und gelte alles bei seinem Herrn: ich wuͤrde gewiß arretirt werden, und viel Verdruß haben. Ich ließ mir das nicht zweimal sagen, ver- ließ den Trauben, und begab mich noch des Abends um neun Uhr zu meinem Freund Panzerbieter , dem jetzigen Prorector am Gymnasium zu Darmstadt, schrieb da einen Zettel an den Amtsverwalter, und meldete ihm, daß ich noch Heute nach Arhelgen ge- hen wuͤrde, wo er mich den folgenden Tag abholen koͤnnte. Ich bat Herrn Panzerbieter um die Bestel- lung des Billets, und marschirte zur Stadt hinaus: im Thor sagte ich, daß ich auf die Kaͤmmerei gehen wollte. In Arhelgen kam ich erst nach zehn Uhr an, schlief recht gut, und hoffte den folgenden Morgen meinen Schoͤnburg zu sehen. Allein ich mußte in der Schenke bei den Bauern einen ganzen langen Tag, und zwei Naͤchte harren. Am dritten Tage gegen Mittag kam Schoͤnburg mit einem so genann- ten ungrischen Waͤgelchen, dergleichen auf jenen Po- sten sehr gewoͤhnlich sind, holte mich ab, erzaͤhlte mir, daß es noch großen Laͤrmen meiner Haͤndel wegen gegeben haͤtte, und lobte bei dem allen meine Entschlossenheit. — Wir kamen des andern Tages wieder in Mainz an, wo aber weiter nichts Merk- wuͤrdiges vorfiel. Dreißigstes Kapitel. Ich soll Pfarrer werden. D ie Bauern in Kriegsfeld hatten mich zum Seel- sorger — so hießen die dortigen Herren Geistlichen gewoͤhnlich, und hoͤren den Titel auch gern — haben wollen; weil aber die Pfarre daselbst gar sehr schlecht ist; so wollte mein Vater nicht, daß ich sie annehmen sollte. Ich muß hier mit Erlaubniß meiner Leser eine kleine Beschreibung von den lutherischen Pfarreien in der Kurpfalz einschalten. Vorzeiten hatten die Lutheraner in der Pfalz gute Pfarreien; nachdem ihnen aber die Katholicken, verbunden mit den Reformirten Die Reformirten haben bestaͤndig mit den Katholicken in der Pfalz gemeinschaftliche Sache gemacht, um die Lutheraner zu unterdruͤcken. Hier ist der Ort nicht, dieses weiter auszufuͤhren. Ich merke nur noch an, daß der Verfasser eines sonst recht guten Buchs: „Ge- schichte der Reformirten Kirche in der Pfalz“ (Dessau 1791.) vieles zum Vortheil der Reformirten Pfaͤlzer ganz falsch vorgestellt hat. Der Pfaͤlzische Lutheraner weiß wirklich nicht, wer ihn mehr druͤckt, der Katholik, oder der Reformirte? Jener hat die Macht, und han- delt gerade zu; dieser bedient sich statt der Gewalt haͤ- mischer Raͤnke, und ist nicht minder gefaͤhrlich und schaͤdlich. , ihre Kirchenguͤ- ter genommen, und unter sich getheilt haben; so muͤssen die armen lutherischen Geistlichen seit der Zeit blos von dem Leben, was ihnen ihre Pfarrkinder aus Gnade und Barmherzigkeit geben wollen. Da aber der Kurpfalzer Bauer selbst nicht viel hat, und also nicht viel geben kann — so sind die Predigerstellen ungemein schlecht, und die Inhaber derselben haben oft kaum das liebe Brod. Doch sind die Lutheraner in der Pfalz, wie jede ecclesia pressa, streng auf ihren Glauben, so, daß sie beinahe in jedem Dorf eine Kirche haben, und auch einen Pastor. Was das aber auch fuͤr Pastoͤre sind! Kaum kann man sich, ich weis nicht, ob ich sagen soll, des Weinens oder des Lachens enthalten, wenn man so einen Pfaͤl- zischen lutherischen Gottesmann einhertreten sieht, mit einem alten verschabten Rock, der ehedem schwarz war, nun aber wegen des marasmus senilis, wie D. Bahrdt von seinem Hut sagt, ins rothe faͤllt — mit einer Peruͤcke, die in zehn Jahren nicht in die Haͤnde des Friseurs gekommen ist — mit Hosen, die den Hosen eines Schusters in allem gleich kommen, sogar in Absicht des Glanzes, und mit Waͤsche, wie sie die Bootsknechte tragen. — Aber freilich der Mann kann sich nichts besseres anschaffen: es ist der Anzug, welcher bei seiner Ordination neu war, und ihm sein ganzes Leben hindurch dienen muß. Das Innere dieser Herren stimmt vollkommen mit ihrem Aeußern uͤberein, und wenn je das Sprich- wort wahr ist: „man siehts einem an den Federn „an, was er fuͤr ein Vogel ist;“ so ist es gewiß von den lutherischen Herren Pfarrern in der Pfalz wahr. Darunter findet man die allerkrassesten Ignoranten, welche kaum ihren Namen schreiben und lateinisch lesen koͤnnen. Sie sind zwar auf Universitaͤten ge- wesen, weil sie aber schlecht unterrichtet dahin kamen; so lernten sie auch da nichts: und der gaͤnzliche Man- gel an Buͤchern — einige alte Schunken und Postil- len, welche vom Vater auf den Sohn fort erben, ausgenommen — verbietet ihnen weiter zu studieren. Aber wenn man ihnen auch Buͤcher geben wollte; so wuͤrde ihre krasse Orthodoxie, welche allemal bei Ignoranten und Dummkoͤpfen krasser ist, als bei Gelehrten, nebst ihrer natuͤrlichen Traͤgheit sie hin- dern, irgend einen Gebrauch von einem guten Buche zu machen. Die Lebensart dieser Leutchen ist — abscheu- lich. Sauffen — das karakteristische Laster der Pfalz — ist auch ihre Sache: da sitzen sie in den Dorfschenken, lassen sich von den Bauern tractiren, saufen sich voll, und pruͤgeln sich mit unter sehr er- baulich. So bekam der Pfarrer Weppner zu Alsheim einst so viel Pruͤgel in der Schenke, daß er in drei Wochen nicht predigen konnte. In einem andern Lande wuͤrden dergleichen Skandale auf ver- druͤßliche Konsequenzen ziehen; aber in der Pfalz nimmt mans so genau nicht. Ich rede aber, welches sich von selbst versteht, nicht von allen und jeden, sondern vom groͤßten Hau- fen. Giebt es daher noch nige, welche besser sind von Kenntnissen und Sitten – und daß es derglei- chen gebe, weis ich selbst — so habe ich diese nicht gemeint. Es ist hier nur die Rede von dem, was gemeiniglich geschieht. Und wer koͤnnte fuͤr so schlechte Stellen auch wohl etwas besseres verlan- gen! — Die Reformirten und Katholischen Herreu sind nicht viel besser, was naͤmlich ihre Sitten und Kennt- nisse betrifft, ob sie gleich besser gekleidet gehen, bes- sern Wein trinken, und der guten Atzung wegen, auch dickere Baͤuche haben, als die lutherischen. Mein Vater wollte nun nicht haben, daß ich in der Kurpfalz Pfarrer werden sollte: dazu, meinte er, haͤtte ich zu viel gelernt. Ich hatte auch nicht Lust, mich dem traurigen Joch des Pfaͤlzischen Kon- sistoriums und der Tirannei der Oberamtmaͤnner zu unterwerfen: uͤberhaupt verlangte mich damals nicht nach einem Amte, welches nur meine Vergnuͤgungen wuͤrde erschwert haben. In unsrer Grafschaft war zwar eine nicht schlechte Stelle aufgegangen, welche mir als einem Landeskinde gebuͤhrt haͤtte: allein der Herr Konsisto- rialrath Dietsch , ein sonst braver Mann, und der damalige Administrator der Grafschaft Herr von Zwirlein , waren von einem Auslaͤnder durch Geld praͤoccupirt worden, der denn auch die Pfarre er- hielt. Aber da starb im Herbst 1779 der Pfarrer Ritterspacher in Badenheim, einem dem Gra- fen Schoͤnborn, Heusenstamscher Linie, zugehoͤrigem Dorfe. Ritterspracher war mein Freund und Uni- versitaͤtsbruder gewesen, und hatte die Wittwe seines Vorgaͤngers geheurathet. Weil er aber auf der Aka- demie sehr akademisch gelebt hatte; so bekam er die Schwindsucht und muste abfahren. Waͤhrend seiner Kraͤnklichkeit hatte ich einigemal fuͤr ihn gepredigt, und alles Lob der Bauern davon getragen. Diese lagen mir nun, nach seinem Absterben aͤusserst an, mich zur Pfarre zu melden. Ich wollte anfangs nicht: weil es aber eine sehr gute Stelle war; so drang auch mein Vater darauf, daß ich mich melden sollte. Ich that es, und gab eine Bittschrift bei dem Gra- fen, oder vielmehr des Grafen Beamten, dem Hof- rath Schott zu Mainz ein. Dieser Hofrath ist ein ruͤder unwissender Mensch, welcher vorher hinter der Kutsche gestanden hatte. Er sagte mir gerade heraus: „Herr, Sie muͤssen die Frau nehmen, sonst „kriegen Sie die Pfarre schwerlich.“ Ich gab ihm zu verstehen, daß es wider meine Grundsaͤtze waͤre, je ein Frauenzimmer zu heurathen, das mich an Al- ter uͤbertraͤfe, und schon zwei Maͤnner gehabt haͤtte. Der Hofrath bedaurte meine Delikatesse; versprach aber doch, die Sache beßtens zu besorgen. Ich traute dem Menschen nicht recht, und schrieb gerade an den Grafen nach Wien, der mir zwar auch sehr artig antwortete; aber zugleich zu verstehen gab, daß die Sache nicht mehr ganz von ihm abhinge, indem er dieselbe bereits einem andern uͤbergeben haͤtte; doch wollte er sehen, was sich fuͤr mich noch thun ließe. Als mein Vater diesen Brief gelesen hatte, rieth er mir, alle Hoffnung aufzuge- ben: weil ich durchfallen wuͤrde. Er hatte recht: denn nicht lange darauf heurathete die Frau einen Pfaͤlzer Pfarrer, so einer von denen, die ich so eben beschrieben habe: und der wurde Pfarrer in Baden- heim. Freilich rebellirten die Bauern ein wenig daruͤber, aber Bauernrebellion hat selten Bestand. Der erste Mann der Pfarrin, die eine Schwester des bekannten Malers Muͤller von Kreuznach ist, hatte 1000 Gulden fuͤr die Stelle gegeben: weil er aber, so wie der zweite bald starb, ohne fuͤr sein vie- les Geld die Pfarrei benutzt zu haben; so ließ ihr der Graf die Freiheit sich zur Schadloshaltung noch einen dritten zum Nachfolger des zweiten zu waͤhlen. Allein auch der ist bald hernach gestorben, und da soll man die Pfarrei an Herrn Straͤuber, einen Menschen, der es im Saufen mit jedem Matrosen aufnimmt, abermals fuͤr 1000 Gulden verkauft haben. Ich koͤnnte nicht sagen, daß diese fehlgeschlage- nen Aussichten mich sehr geaͤrgert haͤtten: aber desto mehr aͤrgerte sich mein Vater, daß man das Ding angefangen hatte. Er wuͤnschte indeß gar sehr, mich versorgt zu sehen, um mich aus dem unbestimmten wuͤsten Leben heraus zu reißen, wie er sagte. Als demnach eine sehr elende Pfarre in der kaiserlichen Grafschaft Falkenstein aufging: so mußte ich mich auch da melden, aber vergeblich: ein Landeskind wurde mir vorgezogen. Indessen gab man mir bei dem Oberamte zu Winweiler zu verstehen, daß wenn ich etwas daran wenden wollte, das Ding sich so karten ließe, daß das Landeskind seinem Vater ad- jungirt wuͤrde, und ich die Pfarre bekaͤme. Dieser Vorschlag war so unrecht nicht: denn weil viel alte Pfarrer in der Grafschaft waren; so haͤtte ich Hoff- nung gehabt, bald weiter zu ruͤcken: allein er stand mit einem Schurkenstreich in Parallelle: und so wollte mein Vater durchaus nichts weiter davon wissen. Diese mislungenen Versuche, mir in der Kur- pfalz eine Pfarrstelle zu verschaffen, brachten meinen Vater auf den Entschluß, mich zu Heidelberg exa- miniren und in die Zahl der Pfaͤlzischen Kandidaten, deren es wenige giebt daß hier die Rede von lutherischen Kandidaten sey, versteht sich von selbst: denn der Name der Reformir- ten heißt Legion, die lutherischen Pfarrstellen werden auch meistens mit Auslaͤndern, und zwar mit verlauffe- nen Auslaͤndern besetzt. , aufnehmen zu lassen. Ich hatte freilich keine Lust in der Pfalz angestellt zu werden; doch mußte ich meinem Vater fuͤr sein oͤfte- res Nachgeben, wohl auch einmal wieder nachgeben, und nach Heidelberg reisen, um mich da einstweilen zu erkundigen, wie mir wohl die Thuͤr zum pfaͤlzi- schen Schaafstall offen stehen moͤchte, oder ob ich so sonst irgendwo hineinsteigen muͤßte. Ich hatte einen Vetter im Heidelberger Kon- sistorium, den Rath Zehner : ich glaube der Mann lebt noch. An diesen hatte mir mein Vater einen Brief mitgegeben. Der Rath war, welches sonst seine Gewohnheit nicht ist, ziemlich hoͤflich, und be- hielt mich zum Essen. Es wuͤrde, meinte er, mit meinem Unterkommen in der Pfalz keine Schwierig- keit haben, wenn ich mich einem rigoroͤsen Examen unterwerfen wollte und — koͤnnte. Das Ding aͤr- gerte mich, und ich sagte meinem Herrn Rath, daß er an mir nicht verzweifeln sollte: ich haͤtte meine Sache ehrlich gelernt, und wuͤrde gewiß so gut be- stehen, als Weppner , Georgi , und viel andre Herrchen, die man doch auf dem Konsistorium zu Heidelberg approbirt und mit herrlichen Zeugnissen versehen haͤtte. Zehner laͤchelte, und fing an, mich zu tentiren; doch nur so gewandsweise: er brachte das Gespraͤch auf die Reformirte Gnadenwahl. Aber da kam er mir eben recht: denn obgleich ich mich in der Kirchen Geschichte nicht verstiegen hat- te, so wuste ich doch recht gut, was Augustin, die Praͤdestinatianer, Gottschalk und Luther, von dieser Lehre gesagt hatten, kannte die Haͤndel des Amyral- dus, der Remonstranten, Jansenisten und Jesuiten weit besser, als Herr Zehner, und war daher im Stande, eine Gelehrsamkeit auszukramen, woruͤber der alte Rath staunte. Er ließ es daher gleich gut seyn, leitete das Gespraͤch auf die Weinlese, und ent- ließ mich, mit dem Versprechen, daß er fuͤr mich sorgen, und mir den Tag bestimmen wuͤrde, wo ich mich zum Examen stellen sollte. Aber es wurde nichts daraus: denn es oͤffneten sich fuͤr mich andre Aussichten, und da dachte ich nicht mehr an die Pfaͤlzer Versorgungen. Weil ich bei dieser Gelegen- heit zuerst die antiquissima Heidelbergensis, oder die rostige Universitaͤt zu Heidelberg habe kennen ler- nen; so mag ein Kapitel daruͤber nicht am unrechten Orte hier stehen. Ein und dreißigstes Kapitel. Universitaͤt zu Heidelberg . W enn sich eine Stadt in Deutschland zu einer Uni- versitaͤt schickt; so ists gewiß Heidelberg. Sie liegt in einer der schoͤnsten Gegenden: alles ist wohlfeil da; und da weder Hof noch Regie- rung die Stadt verfuͤhrerisch und brillant macht, auch wenig Soldaten da sind; so koͤnnte der Studen- daselbst eine angemeßne Rolle fuͤr sich spielen und ceteris paribus den Zweck seiner Ausbildung da weit wohlfeiler und ungestoͤhrter erreichen, als in Mainz, Halle oder Leipzig. Vorzeiten hat diese Universitaͤt große beruͤhmte Maͤnner unter ihre Lehrer gezaͤhlt: aber das achtzehn- te Jahrhundert hat auch nicht einen einzigen da auf- kommen lassen, dessen Name mehr verdiente, als eine Stelle im gelehrten Deutschland, wo freilich die theuren Namen eines Brumbeys, Cranz, Roͤnn- bergs, Pater Merz, und hundert und neun und neunzig andrer Strohkoͤpfe und Distelkoͤpfe eben so gut genannt zu werden pflegen, als dit eines Wie - lands , Kants , Schulz , Amelangs und Semlers . — Herr Succow lehrt aber doch jetzt in Heidelberg, und das soll ein gelehrter Chemi- kus seyn. Ist es indeß wahr, daß er fleißig Gold laborire, so macht es seinen chemischen Einsichten eben nicht viel Ehre. Niemand sagt Herr Professor Gren in Halle, kocht Gold, als ein Erzstuͤmper in der Physick und Chemie. Die Universitaͤt besteht aus katholischen und re- formirren Lehrern; doch hat die pfaͤlzische Ketzerin- quisition, welche am Hofe besonders maͤchtig ist, dafuͤr gesorgt, daß die Statuten hintangesetzt, und beinahe alle Lehrstuͤhle mit Rechtglaͤubigen besetzt sind. So besteht die Juristenfakultaͤt aus lauter Ka- tholiken: die Medicinische hat nur einen Reformir- den D. Nebel: und in der Philosophischen dociren nur wenige Protestanten, damals z. B. Herr Buͤt- tingshausen. Die Katholicken sind zwar keine Hexen- meister in den Wissenschaften; aber die Reformirten sind noch zehnmal elender: lauter homines obscuri nominis. Die Katholischen Theologen sind Exje- suiten Ich rede immer in tempore praesenti, weil sich seit 1779 nichts in Heidelberg verbessert hat. , und lehren die Theologie, wie mans von Exjesuiten erwarten kann. Sonst haͤlt ein gewisser Exjesuit, Signor Bissing, ein Dickwanst, dem das Feist beinahe die Augen zudruͤckt, und der in gar keiner Verbindung mit der Universitaͤt steht, dann und wann Vorlesungen uͤber die Kunst Beicht zu sitzen , gerade als wenn die andern Herren diese große Kunst nicht auch genug dociren koͤnnten. Die Reformirten Theologen sind, besonders Herr Mieg , Herr Heddaͤus und Herr Wund . Ersterer war sonst Inspector in Kreutznach: er hat ganz und gar keine litterarischen Kenntnisse: versteht weder hebraͤisch noch griechisch, so das er, wenn er ja einmal einen hebraͤischen Spruch anfuͤhren will, ihn erst mit Muͤhe buchstabirt, und das buchstabirte hernach mit lateinischen Lettern aufschreibt, und auf dem Katheder abließt. Uebrigens gehoͤrt Herr Wund zu denen, welche doch nicht kraß seyn wollen, und daher, da sie selbst nicht Kenntnisse genug haben, um den Ungrund des krassen Systems einzusehen, sich an neuere Buͤcher machen, und ihren Katechismus ut- cunque reformiren. Aber auch dieses ist fuͤr Hei- delberg schon genug: denn da florirt der Ursinische Katechismus neben den Schluͤssen der Dortrechter Synode so schoͤn, wie immer in Holland. Hr. Wund schaͤtzt die Schriften des beruͤhmten Steinbarts, und was er auf dem Katheder gutes sagt, ist aus Stein- barts Gluͤckseligkeitslehre. Er hat endlich auch ein- mal ein gescheides Kompendium eingefuͤhrt, naͤmlich das von Mursinna , woruͤber aber die Herren Kirchenraͤthe nicht das freundlichste Gesicht gemacht haben, weil Herr Mursinna alles Disputiren uͤber das decretum absolutum fuͤr Spiegelfechterei und theologischen Abersinn ausgiebt. — Da man eine deutsche Uebersetzung dieses Kompendiums hat; so haben die Universitaͤtsbachhaͤndler zu Heidelberg, die Herren Pfaͤhler, auch nicht Ein lateinisches Exemplar verkaufen koͤnnen. O des lieben Lateins! Doktor Heddeus ist ein finstrer, stoͤrriger Orthodoxe, ein aͤchter Anhaͤnger der Synode von Dortrecht, der Euch die Meinung der Supralapsa- rier vertheidiget, wie einst Meister Gomarus, und der den Heidelberger Katechismus fuͤr inspirirt haͤlt. Er liest noch jetzt 1792 uͤber das Kompendium Pie- teti. Wie doch der Mann muß studirt haben, daß er noch ein solch finsteres, und nach unsern Zeiten Erster Theil. T abgeschmacktes Lehrbuch zum Leitfaden gebrauchen kann! Deswegen lebt er aber auch mit seinem Kol- legen, dem Hrn. Wund, in staͤter Feindschaft, wel- che sich durch niedertraͤchtige Klatschereien Luft macht. Sonst hat er einige Sprachkenntnisse, d. i. er kann Jakob Altings hebraͤische Grammatik Diese konfuse, im vorigen Jahrhundert fabricirte Gram- matik ist auf den Pfaͤlzer Schulen noch gebraͤuchlich. Man muß indeß den Ketzern, den Lutheranern, die Freude nicht machen, auf einer rechtglaͤubigen Refor- mirten Schule eine lutherische Grammatik einzufuͤhren. Sie sollten aber uͤberhaupt das Hebraͤische abschaffen: denn die Herren lernen ja doch keins! auswen- dig, kann die Bibel durch Huͤlfe eines Woͤrterbuchs von Wort zu Wort uͤbersetzen, und schreibt Latein ohne grobe Schnitzer, welches in Heidelberg schon fuͤr gar maͤchtige Philologie angesehen wird. Des- wegen spottet er bei jeder Gelegenheit auf den Pro- fessor Wund, welchem er den Namen eines deut - schen Michels giebt. Von Heddeus Toleranz vernehme man folgen- des Proͤbchen. Einer meiner Freunde, der dama- lige Vikarius zu Gundersblum, Hr. Simon , hat- te ein Geschaͤft in Heidelberg, zu dessen Ausfuͤhrung ihm der Reformirte Inspektor zu Oppenheim ein Empfehlungsschreiben an den Ehrenmann Heddeus mit- gab. Simon bestellte seine Kommission, und Hed- deus war sehr freundlich, so freundlich, daß er ihn zum Mittagsessen einlud. Hr. Simon nahm die Einladung an, und kurz vor Tische ward Freund Hed- deus erst inne, daß sein Gast ein lutherischer Vikarius sey! Da pochte ihm sein orthodoxes Herz, er verlohr die Sprache, und nachdem er oft gejaͤhnt, und 200 Prisen Tabak genommen hatte, versicherte er Hrn. Simon, daß er Geschaͤfte haͤtte, und ihn unmoͤglich bewirthen koͤnnte. Simon, ein Pfiffikus, versetzte: daß wenn S. Hochwuͤrden zu thun haͤtten; so wollte er sich an der Gesellschaft der Jungfer Muhme be- gnuͤgen, welche damals der Hr. Doktor bei sich hat- te. Gesagt, gethan! Heddeus muste nachgeben, und Simon blieb. Der Doktor entfernte sich unter dem Vorgeben, daß er, ich weiß nicht, bei wem, den uͤbrigen Tag zubringen muͤßte. Ueber Tische verschnapte sich aber Mamsell Muhme und verrieth, daß ihr Herr Vetter auf seiner Stube sey. Ei, fragte der Vikarius, warum speist denn der Hr. Vetter nicht mit uns? Je nun, erwiederte das Muͤhmchen, ohne zu uͤberlegen, was sie sagte, weil Sie eben lutherisch sind: der Herr Vetter kann einmal die Lutheraner nicht leiden. — Hab ich nun genug gesagt, lieber Leser, vom Gottesmann Heddeus? — Seine Frau Gemalin hatte vor ihrer Verheurathung einen ge- nauen Umgang mit einem Dragonerofficier, und muste den Doktor wider ihren Willen heirathen. Die skandaloͤse Kronik in der Pfalz giebt viel Nachrichten von ihr. — Der Prof. Buttinghausen las historische Sa- chen: aber da er wenig wußte, und alles durch ein- ander vortrug; so glichen seine Lektionen einem Quod- libet. Er ist nun todt. Der reformirte Prof. der Philosophie, Herr Fauth , ist, wie ihn selbst die heidelberger Studenten beschreiben — man denke sich heidelberger Stu- denten, als Kritiker eines Philosophen! — ein elender Schwaͤtzer, der das Kompendium abkanzelt, und hin und wieder seinen schalen Witz dazu setzt. Er liest auch Kirchengeschichte, zwei Stunden die Woche. Das mag eine Kirchengeschichte seyn! Ueberhaupt ist die ganze philosophische Fakultaͤt zu Heidelberg eine Gesellschaft unphilosophischer hirn- loser Gruͤtzkoͤpfe, die lieber Vorlesungen uͤber Eulen- spiegel, als uͤber Philosophie halten sollten. Das ist ein harter Satz, den ich aber augenscheinlich bewei- sen werde. Man hoͤre! Herr Wiehrl , ein katho- lischer Weltpriester, und sehr belesner gelehrter Mann, ward 1778 Professor zu Baden. Er las uͤber des Goͤttingischen Feders — Buͤcher, und das mit Beifall. Die schleichenden Exjesuiten fanden bald, daß Hr. Wiehrl ketzerische Saͤtze vortruͤge, und mach- ten beim Bischof zu Speier, der in Bruchsal wohn- te, so ein abscheuliches Spektakel, als wenn Hol- land in Noth waͤre. Was geschah? der Bischof wollte Hn. Wiehrl zuruͤck haben, aber der dankte da- fuͤr, vielmehr schickte er seine fuͤr ketzerisch ausgege- benen Saͤtze, nebst den Federischen Kompendien an die katholische Universitaͤt zu Freiburg im Bries- gau. Diese erklaͤrte, daß weder die Saͤtze des Hrn. Wiehrls, noch die Buͤcher des Hrn. Feders etwas ketzerisches enthielten. Die Bruchsaler Exjesuiten zo- gen hierauf die hochloͤbliche philosophische Fakultaͤt zu Heidelberg zu Rathe, und siehe da, diese erklaͤrte die Buͤcher des Goͤttingers, und die Saͤtze des Bader Professors fuͤr ketzerisch, gefaͤhrlich, den guten Sit- ten, (man denke doch!) zuwiderlaufend und fuͤr aͤrgerlich. Diese Censur wurde gedruckt, und die Freiburger balbirten nun die elenden Heidelberger nach Herzenslust, und zeigten ihnen, daß sie das ABC der Philosophie noch nicht gelernt haͤtten. Endlich kam die Sache gar nach Rom: aber die Beisitzer der Congregation des Indicis waren viel kluͤger, als die Heidelberger Distelkoͤpfe. Sie schickten naͤmlich dem Hrn. Wiehrl eine Exposition zu, welcher er gern unter- schrieb, weil sie weiter nichts enthielt, als eine Er- laͤuterung seiner Saͤtze. So mußten denn die Her- ren Heidelberger sich schaͤmen, und stille seyn. Das war so ein Proͤbchen von der Heidelberger Weisheit und Orthodoxie. Außer den Katholischen und Reformirten Theo- logen sollen auch die lutherischen Konsistorialraͤthe fuͤr lutherische Landeskinder theologische Vorlesungen hal- ten. So will es wenigstens der Kurfuͤrst; allein da die lutherischen Raͤthe Leute sind, denen es an Kennt- nissen fehlt, so hat kein Mensch von Lutheranern da- hin gehen wollen: und das Projekt ist mißlungen. Es war auch uͤberhaupt ein seltsamer Gedanke, die dortigen Herren Michaelis, Zehner u. d. g. Colle- gien halten zu lassen! Nun noch ein Wort von den Heidelberger Stu- denten. Diese sind lauter Landeskinder: denn sehr selten verlaͤuft sich ein Auslaͤnder dahin, und selbst diejenigen Landeskinder, welche etwas rechts lernen wollen, gehen auf andre Schulen und Universitaͤten. So besuchten Hr. Abbeg, jetzt Rektor zu Heidelberg, die Schule in Gruͤnstadt, und studirte hernach in Halle, wo er unter der Leitung des vortreflichen Wolfs sich so bildete, daß er mit Recht fuͤr den groͤß- ten Philologen am Rheinstrom gehalten wird. Die beiden Hrn. Weikom haben es eben so gemacht: aber das sind seltene Beispiele. Da die Pfaͤlzer Schulen uͤber allen Glauben elend sind; so kommen die Herren Fuͤchse ohne alle Vorkenntnisse nach Heidelberg, nehmen die Lehrstun- den an, welche ihnen der Herr Kirchenrath, an den sie empfohlen sind, vorschlaͤgt, und hoͤren dann zu. Hefte werden in Heidelberg bei den Reformirten gar nicht geschrieben: bei den Katholiken aber wird alles Vorgesagte von den Zuhoͤrern schriftlich aufgezeichnet. Wenn ein Student zehn Stunden woͤchentlich zu hoͤ- ren hat, so denkt er wunder, welche Arbeit er habe! Nach drei Jahren zieht er wieder ab, laͤßt sich exa- miniren, und zwar bei seinen Lehrern, die ihn dann freilich nicht abweisen, und er wird mit der Zeit Pastor, Schaffner, Amtmann, Doktor oder sonst etwas. Der Komment ist zu Heidelberg elend, auch nur wenn man ihn nach eingefuͤhrten akademischen Regeln mißt. Die Studenten unterscheiden sich in Absicht ihrer Auffuͤhrung wenig von Gymnasiasten: es fehlt ihnen allen das sonst bei Studenten gewoͤhn- liche freie unbefangene Wesen. Doch saufen die Leut- chen wie die Buͤrstenbinder, denn der Wein ist sehr wohlfeil da. Schlaͤgereien sind gar nicht Mode, ob- gleich den Studenten erlaubt ist, Degen zu tragen. Aber en Revanche nehmen die Herren allerhand Zeug vor, welches sonst Schuͤler aus Muthwillen oder Langerweile zu thun pflegen: sie spielen Ball, gehen auf Stelzen, suchen Vogelnester, spielen mit Weinschrotern, welche sie zusammenjochen, und an ein kleines Waͤgelchen spannen u. d. g. Das Pasquil- liren ist auch ihnen gar gewoͤhnlich. Die Studenten zu Heidelberg werden abge- theilt in Seminaristen, Juristen und Sapienzkna- ster. Seminaristen sind katholische Theologen, meist Kinder armer Eltern: denn wer Geld hat, und geistlich werden will, den schnappen die Kuttenpfaf- fen (so heissen die Moͤnche in der Pfalz) weg, und machen einen Heiligen aus ihm. Sie, die Semi- naristen, werden von Exjesuiten und Piaristen unter- richtet, lernen Jesuitische Theologie kennen, und se- tzen das liebliche System des Jesuitismus fort, wenn sie mit der Zeit Pfarreien erhalten. Unter dem Namen Juristen begreift man alle wuͤrklich Jura Studirende, sodann die Mediciner und Protestanti- sche Theologen. Diese sind eigentlich der Kern der Universitaͤt, und alleinige Inhaber des Komments. Sapienzknaster endlich heissen diejenigen armen reformirten Theologen, welche auf der sogenann- ten Sapienz, einem mit Einkuͤnften, zur Erhaltung duͤrftiger Studenten, errichteten Kollegium woh- nen, und also von der Gnade des Hrn. Kirchen- raths leben muͤssen. Diese Sapienzknaster sind sehr verachtet, und duͤrfen sich nirgends sehen lassen, wo Juristen hinwandern: sonst bekommen sie Na- senstuͤber. In den Kollegien wird ihnen Musik ge- macht, und wer des Nachts bei der Sapienz vorbei geht, der schreiet: heraus ihr lumpigen Sapienz- knaster! pereant! Die Anzahl der Studenten belief sich ohngefaͤhr vor zwoͤlf Jahren auf zwei hundert: nachher hat sich diese Zahl sehr verringert und muß, wenn keine bessere Einrichtung getroffen wird, sich noch immer mehr verringern. Die Regierung scheint sich ganz und gar nicht um die Verbesserung der Akademie zu bekuͤmmern. Das Reformirte Wesen ist dem Kirchenrath uͤber- lassen, und fuͤr die Besetzung der Katholischen Stellen sorgt der berufene Exjesuit Frank , dieser Malleus Haereticorum, d. i. der Antijesuiten, Illuminaten und aller Vernunftfreunde zu Muͤnchen! Man hat den jetzigen Kurfuͤrsten von der Pfalz geruͤhmt, daß er fuͤr die Aufnahme der Heidelberger Universitaͤt ge- sorgt habe. Wenn ich aber die Anstellung einiger Ka- meralisten ausnehme, so kann ich nicht begreifen, worin diese Fuͤrsorge bestanden habe. Indessen — was ruͤhmt man nicht alles an Fuͤrsten! So viel von Heidelberg! Zwei und dreißigstes Kapitel. Mein Apostolat des Deismus . I ch habe schon oben gemeldet, daß ich durch Crel - lius Buch um meinen Glauben an Dreieinigkeit, und durch Tindals Schrift vollends um allen Glauben gekommen war. In der Pfalz suchte ich nun Prose- lyten zu machen, und fand mehrere Anhaͤnger. An- faͤnglich erstreckte sich mein Bekehrungseifer blos auf meine Freunde: mit diesen sprach ich oft uͤber heilige Dogmen, und das Resultat war jedesmal, daß das Dogma falsch und laͤppisch waͤre. Da unter meinen Freunden mehrere Katholiken waren; so huͤtete ich mich, Unterscheidungslehren anzutasten: denn so wuͤrde ich sie niemals gewonnen haben; vielmehr griff ich die sogenannten Grundlehren des Christen- thums an, und widerlegte sie mit Argumenten, wel- che bei meinen Leuten fangen mußten. Gewoͤhnlich schlug ich den Weg ein, daß ich die ganze Historie der Bibel suchte verdaͤchtig zu machen, und das gelang mir allemal, weil ich die Widerspruͤche der Schriftsteller grell genug darstellte, und dann fragte, ob man einem Buche glauben koͤnnte, welches sich so oft widerspraͤche? Bald beschrieb ich den Abraham, Moses, David, Samuel, Elias und andre in der Bibel als Heilige dargestellte Personen, als Erzschur- ken, Spitzbuben und Rebellen, deren Stuͤckchen ich erzaͤhlte, und mit Anmerkungen erlaͤuterte. Sofort ging ich ans neue Testament, machte mich uͤber die Lehrart Jesu und der Apostel lustig, und bewies, daß die weisen Heyden, Sokrates , Plato , Xeno - phon , Zeno , Plutarch , Cicero und Se - neka die Moral oder die eigentliche ewige allgemeine Religion weit schoͤner und gruͤndlicher gelehrt haͤtten, als die Stifter der Kirchlichen Secten. Da ich merk- te, daß die Historien der unendlichen christlichen Zaͤnkereien, Spaltungen, Verfolgungen und Pfaf- fenspitzbuͤbereien den meisten Eindruck auf meine Freunde machten; so blieb ich bei diesem Kapitel im- mer recht lange stehen, und erlaͤuterte alles, so gut ich konnte. Voltaire kam mir, wie man denken kann, recht wohl zu statten. Dabei gab ich mir ein sehr gelehrtes Air, und blickte mit Verachtung auf die herab, welche die Kirchen- Religion vertheidigten. Mußte ich dem einen und andern dieser Vertheidiger die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daß er ein ge- lehrter Mann und heller Kopf sey; so gab ich vor: der Mann sey nur einseitig aufgeklaͤrt, sey ein Heuch- ler, rede anders, als er denke, oder dergleichen. Ich weis es recht wohl, daß ich nicht allemal redlich zu Werke gegangen bin: denn ich brauchte oft Argu- mente, deren Schwaͤche ich selbst einsah; allein ich hatte mit Leuten zu thun, die alles, was ich sagte, fuͤr baare Muͤnze annahmen, und da dachte ich, sey eine pia fraus erlaubt. In diesem Falle machte ich es gerade so, wie die heiligen Kirchenvaͤter, ja selbst wie die Apostel, welche kat anthropon bewie- sen, und zufrieden waren, daß ihre Zuhoͤrer glaubten, sie mochten nun uͤberzeugt, oder uͤbertoͤlpelt seyn. Endlich erhielt ich die beruͤhmten Fragmente, die Lessing herausgegeben hat. Jetzt war ich vol- lends recht in meinem Elemente. Bisher hatte ich die christliche Religion noch immer als eine gute mo- ralische Stiftung fuͤr ihre ersten Anhaͤnger, vorzuͤg- lich aus den Juden, angesehen, und verehrte den Urheber derselben, so wie seine ersten Nachfolger, als brave ehrliche Maͤnner, die hoͤchstens Fanatiker und Feinde des Priester- Despotismus gewesen waͤ- ren. Aber von nun an erblickte ich in dem ganzen christlichen System nichts als Betrug und zwar Be- trug, der sich auf die abscheulichsten Absichten gruͤn- dete. Ich theilte meinem Vater die Dinge mit. Er las sie durch, und gab sie mir mit den Worten wie- der: haec et ego dudum cogitaram: nil inveni novi! Dabei rieth er mir, da ich nun gescheut genug seyn muͤste, alles das fuͤr mich zu behalten, und nichts davon ins Publikum zu bringen. Aber das war kein Rath fuͤr mich. Ich las meinen Freunden die Fragmente, besonders das uͤber die Auferstehung Jesu und dessen Zweck und seiner Juͤnger mehrmals vor. Letzteres Buch wurde, weil ich es wieder zu- ruͤck geben muste, von uns abgeschrieben, und war von nun an unsre Bibel. Auf diese Art hatte ich eine kleine deistische Gesellschaft gestiftet, wovon ich der Matador war: jeder konsulirte mich, trug mir seine Zweifel vor, und bath sich meine Orakelspruͤche aus. Ich nenne die Namen meiner Glaubensbruͤder nicht: denn es moͤchte ihnen in einem Lande schaden, wo man so inquisitorisch denkt, wie in der Pfalz. Es waren uͤbrigens Leute von ziemlich guter Auffuͤhrung, unter welchen ich — zu meiner Schande muß ichs gestehen! — wegen meiner Sauferei der liederlichste war. Die uͤbrigen tranken zwar auch, wie alle Pfaͤlzer, und wurden oft schnurrig: ich aber, vom Gießer Komment und Commers ganz und gar ver- woͤhnt, trieb die Sache weit staͤrker, als die andern. Unsre Disputationen wurden meistens beim Wein- glase gefuͤhrt, und da disputirt sichs freilich ganz allerliebst. Ob wir gleich unsre Sache ziemlich geheim an- fangs hielten; so waren doch verschiedene Pfaffen auf unsre Spur gekommen, und hatten uns, beson- ders mich und meinen ehrlichen Haag , als Erzfrei- geister ausgeschrieen. Um diesem uͤblen Geruͤchte zu entgehen, fertigte ich auf Anrathen meines Vaters eine kleine Schrift aus, und ließ sie im Manuskript zirku- liren. Das Ding war lateinisch und hieß: Disser- tatiuncula de veritate Religionis Christ. argu- mentum morale. Es enthielt die gewoͤhnlichen moralischen Beweise fuͤr die Wahrheit der christlichen Religion, und that ziemlich gute Wuͤrkung. In meinen Zirkeln widerlegte ich, nach Art so man- ches andern gezwungenen Schriftstellers, mein eignes Schriftchen, und machte es laͤcherlich. Mein redlicher Freund, der Inspector Birau zu Alzey, den ich sehr oft und auf mehrere Tage be- suchte, ermahnte mich fleißig, mein freies Reden uͤber die Religion einzustellen. „Sauft, lieber „Freund,“sagte er oft zu mir, „macht Hurkinder, „schlagt und rauft Euch, kurz, treibt alle Excesse: das „wird Euch nicht so viel schaden, als Eure Freigei- „sterei.“ — Er hatte Recht: denn Saufen, Hu- ren u. d. gl. sind peccatilia , Herrn Simons Suͤn- den, wie D. Luther sagte, die der Kuͤster vergiebt; aber uͤber die Dreifaltigkeit zweifelhaft reden, ver- dient alle Anathemen. Ich ließ diese Ermahnungen im Ganzen vorbei gehen, und ward nur dann und wann behutsamer, warf mich auch zuweilen zum Apologeten des Christenthums in Gesellschaften auf, aber man merkte gar gut, daß es mir nicht Ernst war. Da ich in der Rheingrafschaft Kandidat war, so kam das Ding von meiner Ketzerei vor das hoch- wuͤrdige Ohr des Grehweilerischen Consistoriums, welches mir dann ein Monitorium zuschickte, und mich ad diem — ich weis nicht mehr welchen — vor sich beschied. Ich erschien. Herr Rath Dietsch ließ mich doch niedersetzen, raͤusperte sich dann, und fing in einem gravitaͤtischen Ton also an: „Mein lie- „ber Herr Kandidat, Sie sind in Verdacht gera- „then, als ob Sie an verschiedenen Orten, nament- „lich zu Flonheim im Bock, zu Buͤdesheim beim „Herrn Schulz, zu Wonsheim gleichfalls im Bock, „und neulich auf dem Bellermarkt in der Weinhuͤtte „verschiedene freigeistische Reden gefuͤhrt, und da- „durch nicht geringes Aergerniß gegeben haben.“ Ich : Verzeihen Ew. Hochwuͤrden: davon weiß ich gar nichts! Dietsch : Und doch hat mans nicht nur ge- sagt, sondern uns sogar geschrieben. Wollen Sie Briefe sehen? — Hier lesen Sie! Er reichte mir einen Brief, dessen Unterschrift mit einem Papier beklebt war. Ich fand darin die fuͤrchterlichsten Beschuldigungen, und Anklagen. Es hieß, daß ich zu Flonheim im Bock in großer Gesellschaft uͤber die Gottheit Christi disputirt und behauptet habe, sie sey eine Erfindung der Pfaffen aus dem vierten Jahrhundert: die aͤltern Vaͤter haͤtten ganz anders davon gelehrt, und uͤberhaupt nicht gewußt, was sie damit machen sollten. Ferner gab mir der Verfasser Schuld, uͤber Taufe und Abendmal gespot- tet und diesen heiligen Gnadenmitteln alle Kraft ab- gesprochen zu haben. Das alles, und noch mehr haͤtte ich mit starken Gruͤnden unterstuͤtzt, und daher sey zu befuͤrchten, durch mich moͤchten in den Irrthum gefuͤhrt werden, wenns moͤglich waͤre, auch die Aus- erwaͤhlten. Daher bat der Schreiber das Consisto- rium, dem Unwesen zu steuren: er habe das Seine gethan, wasche seine Haͤnde in Unschuld u. s. w. Ich schloß aus der Handschrift, daß der Pfarrer Flieb - ner zu Bornheim der Schreiber des Briefs waͤre. Nachdem ich den Brief gelesen hatte, sagte ich, daß das nur halb wahr, und vom Schreiber boshafter Weise falsch vorgestellt sey. Aber Herr Dietsch erwiederte „das ist nicht das einzige, was Sie gravirt. Sie koͤnnen doch nicht laͤugnen, daß Sie uͤber die Religion gespottet haben zu Wons- heim im Bock, zu – Ich : Lassen Sie mich Ihnen die Wahrheit sagen. Ich habe mehrmals, das ist wahr, uͤber ei- nige Dogmen geredet, aber nur so pro und contra. Ich wollte nur zeigen, daß ich auch was gelesen haͤtte. Dietsch : Ey, ey, wenn man nur pro und contra redet, so disputirt man nicht im Wirthshaus. Und zu dem sah man es Ihnen recht wohl an, daß sie im vollem Ernst die Parthei der Freigeister er- griffen. Sie sprachen da von nichts als von dum- men Pfaffen, von unwissenden Geistlichen, und so fort. Ich : Das ist wahr: ich habe wenig Theolo- gen kennen gelernt, welche gescheute Maͤnner gewe- sen waͤren. Dietsch : (erboßt) Und doch haben Sie de- ren Buͤcher nicht gelesen: ich werte, Hrn. Seilers Apologie der christlichen Religion ist Ihnen nicht in die Haͤnde gekommen. Ich : O doch. Ich kenne das Buch; aber es behagt mir nicht: es ist ein dummer Wisch, und wei- ter nichts! Alles ist aus Lardner ausgeschmiert. Sie wissen das doch selbst, Herr Rath? Dietsch : (betroffen) Wohl wahr! (sanfter) Sie sind also kein Freigeist? Ich : Behuͤte Gott! Aber, wie Sie selbst wissen: man kann heut zu Tage nicht alles mehr glauben, was in der formula concordiae steht. Zum Beispiel die Genugthuung Christi. — Dietsch : Genugthuung Christi? — das ist ja dogma stantis et cadentis ecclesiae! Ich : Erlauben Sie. Man muß das Ding recht verstehen: in gewissem Sinn hat Christus fuͤr das nicht genug gethan, naͤmlich in dem Sinn nicht, wie es der Erzbischof Anselm von Canterbury nahm. Aber im moralischen Sinn ist es wahr. Haben Sie die neue Apologie des Sokrates von Eberhard gelesen? Dietsch : Nein! das Buch kenne ich nur aus den Danziger Berichten, als ein erzgottloses Buch, das alle Religion ruiniren soll. Ich : Dann will ich die Ehre haben, Ihnen damit aufzuwarten. Sie sind ein Mann von Ein- Erster Theil. U sichten, und Gelehrsamkeit, Sie muͤssen also schon finden, daß der Verfasser, einer der groͤßten Philo- sophen unsrer Zeit, die Sache in das schoͤnste Licht gesezt, und eine Menge von Wahrheiten aufgestellt hat, deren Beherzigung viel gutes stiften kann. Nun hatte ich den Herrn Rath an der Ambi- tion angegriffen: er wurde sehr sanft, und war zu- frieden, daß ich ihn versicherte, ich sey kein Freigeist, und ihm versprach, nie wieder in Wirthshaͤusern von der Religion zu sprechen. Ich war froh, daß ich so weg kam; auch mein Vater freute sich uͤber den Aus- gang der Sache: denn er befuͤrchtete schon, man moͤchte mir das Predigen verbieten. Sonntags drauf muste ich in Flonheim fuͤr den Pfarrer Stuber auftreten. Da nahm ich Gelegen- heit die Gottheit Christi zu beweisen, das heist, ich schrieb alle Beweise aus Schuberts Kompendium ab, brachte sie in Form einer Predigt, und warnte am Ende meine Zuhoͤrer vor dem im finstern schlei- chenden Gift der Freigeister. So wollten es die Umstaͤnde! — Nach der Kirche stellte mich der Kantor, Herr Herrmann Dieser Herrmann ist ein recht guter Musiker, oder viel- mehr der einzige Kantor in der ganzen Gegend, welcher Musik versteht. Er hat einige Klaviersonaten drucken lassen, welche den Beifall der Kenner erhalten haben. mein guter Freund, zur Rede: wie ich eine Lehre vertheidigen koͤnnte, uͤber die ich schon so oft in seinem Beiseyn gespottet haͤtte? Ich er- zaͤhlte ihm aber den Vorfall mit dem Konsisto- rium, und bat ihn: er moͤchte den Inhalt mei- ner Predigt so bekannt machen, als er koͤnnte. Hr. Herrmann bat sich mein Konzept aus, schrieb es fein ab, und ließ es zirkuliren. Dieses Beneh- men brachte meine Rechtglaͤubigkeit wieder zu ei- nem gewissen Kredit, der aber leider nicht sehr lan- ge waͤhren wollte. Denn Hr. Hahn, Pfarrer zu Kirchheim Po- landen, verhunzte denselben bei dem Administrator der Rheingrafschaft, dem Herrn von Zwirnlein. Hahn ist ein Mensch ohne Kopf, das Hirn voll duͤ- sterer Orthodoxie, welche er aus D. Seilers herr- lichen Schriften geschoͤpft hat. Dabei liest er einige Zeitschriften, welche man dort haben kann: und ob dieser Leserei haͤlt er sich fuͤr gelehrt. Uebrigens ist er stolz, rachsuͤchtig und haͤmisch im hoͤchsten Grade, so wie er kriechend und bis zur Niedertraͤchtigkeit de- muͤthig bei Vornehmen ist. Mit diesem feinen Ka- rakter hat er sich in die Gunst der Herren gesezt, womit der kleine Nassau-Weilburgische Hof verse- hen ist. Bei den Hrn. von Botsheim, Zwirnlein, Geispizheim, Normann u. a. ist er immer zu Gaste, weil er gern neue Maͤhren erzaͤhlt, und gut Tarok spielt. Diesen Mann Gottes fand ich einmal beim Hrn. Balleyrath Alefeld zu Oberfloͤrsheim. Bei Tische fing er an, uͤber gelehrte Dinge zu reden; ich mischte mich ins Gespraͤch und bald saß mein Herr Hahn auf dem Mist. Ich konnte ihm sogar weiß machen, daß Cromwell (es wurde von England gesprochen) mit Peter dem Großen und Ferdinand dem Katholischen in vertrautem Briefwechsel gestan- den, und Paraguay, welches zwischen Persien und China liegt, an die Jesuiten fuͤr sechs Millionen Pfund Sterling verkauft habe. Nachher kam das Gespraͤch auf D. Bahrdt . Hahn verdammte ihn, als einen Erzketzer, ob er ihm gleich sonst seinen Hof gemacht hatte. Er stuzte nicht wenig, als ich ganz kalt behauptete, Bahrdt habe gar kein Verdienst um die Aufklaͤrung: denn nicht mehr sagen, als er ge- sagt haͤtte, sey gar nichts gesagt: die englischen und franzoͤsischen Deisten seyn andre Kerls u. s. w. Als nun Herr Hahn mit seiner Seilerischen Weisheit an- gestochen kam, kappte ich ihn ab, und ließ ihn mar- schiren. Der Hofmeister des Balleyraths, Herr Otto, den wir in Gießen, auch wegen seiner armen Suͤnderschaft, den S ur nannten, begleitete mich eine Strecke, als ich fortging – ich ging nach Worms — und da erklaͤrte ich ihm, daß Hahn ein gewaltiger Ignorant seyn muͤste, da er die groben Anachronismen und geographischen Schnitzer, die ab- sichtlich von mir gemacht waͤren, nicht gemerkt haͤtte. Hier machte ich mich uͤber den Herrn Hahn nicht we- nig lustig. Ich dachte, Otto wuͤrde schweigen, aber der war niedertraͤchtig genug, gleich darauf dem theuren Herrn Pastor meine Gespraͤche bruͤhheis zu hinterbringen. Nun hatte ich einem giftigen Pfaffen auf die Fuͤße getreten, und der muste sich nun raͤchen. Er that es auch. Da er bei dem Hrn. v. Zwirnlein, welcher Administrator Subdelegatus der Rhein- grafschaft war, manchmal Tarok spielte, und der gnaͤdigen Frau Stadtmaͤhrlein zutragen durfte; so bediente er sich dieser Gelegenheit, mich dem Admi- nistrator als einen hoͤchst aͤrgerlichen und gefaͤhrlichen Menschen von den schlechtesten Sitten vorzustellen. Alles, was er von mir wuste, brachte er an, und dichtete und log noch auf gut pfaffisch brav dazu! Der orthodoxe Administrator, erschrak uͤber die Be- schreibung des Pfaffen, und befahl bei seiner Anwe- senheit in Grehweiler dem Rath Dietsch , mich vorzunehmen, und die Sache zu untersuchen. Der Herr Rath berichtete ihn, daß dieses schon geschehen sey: daß ich ein leichtsinnige Mensch und kein Frei- geist waͤre u. s. w. Da besaͤnftigte sich der Herr von Zwirnlein, und trug dem Rath nichts weiter auf, als mich zu ermahnen, vom Saufen zu lassen, die Wirthshaͤuser sparsamer zu besuchen, und mich aller Reden uͤber Religion und Gottesdienst zu enthalten. Dabei blieb es fuͤr dasmal. Wenn ich einen Roman schreiben wollte, so koͤnnte ich alle meine Ungluͤcksfaͤlle ganz kommode, wie Herr Bahrdt, den Pfaffen in die Schuhe schuͤt- ten, und mich schneeweis brennen. Allein, ob mich gleich giftige orthodoxe Ochsen von Pfaffen genug ge- druckt und gestoßen haben; so muß ich doch bekennen daß die Hauptschuld meiner Unfaͤlle auf mich kommt. Waͤre ich behutsamer gewesen, und haͤtte ich das Weinglas weniger geliebt, — alle Pfaffen, alle Hahns, Wagner, Fliedner, Schukmann, und der- gleichen Gesindel wuͤrden mir nichts geschadet haben. Aber so. — Doch ich muß nur weiter erzaͤhlen, nachdem ich mit Fleiß in diesem Kapitel mehrere Dinge zusammen gestellt habe, welche in mehrere Jahre, naͤmlich in die 1780 und 1781 gehoͤren. Alles that ich, um nicht jeden Augenblick von mei- ner Ketzerei sprechen zu muͤssen. Zwei und Dreissigstes Kapitel. Aussichten ins Darmstaͤdtische ! M ein Vater war ein geborner Darmstaͤdter und hatte in diesem Lande viel Freunde und Verwandten, er sollte auch einmal eine Stelle in diesem Fuͤrsten- thum bekleiden: allein sein Wendelsheim war ihm lieber. Nun aber dachte er daran, ob er mich vielleicht an eine Stelle bringen koͤnnte, etwa an eine Schul- stelle, deren es in dem Darmstaͤdtischen manche giebt. Er schrieb daher an seinen Freund den Hof- prediger Kremer . Dieser antwortete, er duͤrfe sich deshalb gerade an den Landgrafen wenden: der waͤre ein guter Herr, und wenn er bei dem Re- gierungs-Rath Stauch Eingang finden koͤnnte; so waͤren die Sachen so gut, wie fertig. Stauch war seines Handwerks ein Schneider von Kyrn an der Nohe, und ein Vetter meines Freundes, des ehr- lichen Pfarrers Stuber zu Flonheim. Da er gut schreiben konnte, auch franzoͤsisch auf der Wander- schaft gelernt hatte, so ward er erst Schreiber bei dem Rath Kappes Dieser Kappes war ein Erzfilou, von welchem die guten Darmstaͤdter noch lange ein Liedchen singen wer- den: der Landgraf hat ihn 1776 als einen Schelmen weggejagt. zu Pirmasens. Nach Rath Kappes Kassirung kam er in Landgraͤfliche Dienste, benutzte die aͤusserst schwachen Seiten des Landgrafen zu seinem Vortheil, und ward Regierungsrath, pro titulo naͤmlich, denn im Grunde regierte er das ganze Land. Ich bat Herr Stubern um eine Em- pfehlung an diesen Herrn Stauch; und der war auch sogleich bereit mir, das beste Zeugniß zu geben, und mich seinem Vetter de optima nota zu empfeh- len. Sein Brief wuͤrkte; Herr Stauch versprach, sich fuͤr mich zu verwenden, nur moͤchte er mich erst sehen, und seinem Herren vorstellen. Ich reisete also nach Pirmasens, wo der Landgraf Ludwig IX. seine Residenz hatte. Pirmasens liegt in der Graf- schaft Lichtenberg ohnweit der franzoͤsischen Graͤnze. Es ist ein kleiner Ort, den der Landgraf voll Solda- ten gesteckt hat. Man muß wissen, daß dieser Fuͤrst eben so in Soldaten verliebt war, wie der Herzog von Zweibruͤcken in seine Jagdhunde und Katzen. Nach Darmstadt kam der Landgraf niemals, und die Regierungsgeschaͤfte waren gaͤnzlich in den Haͤnden seiner Bedienten und seiner Kreaturen. Er hatte immer Maͤtressen, freilich gegen das Ende seines Lebens blos zum Spiel und Zeitvertreib. Die, welche er damals hatte, war ein gemeines Maͤdchen von Rheims, die lange in Paris als fille de joie gelebt hatte. Der Fuͤrst hatte die Gnade gehabt, ihr den Titel einer Comtesse von Lemberg zu geben. In Pirmasens logirte ich bei meinem Vetter, dem reichen Gerber Boͤhmer, welcher bei Herrn Stauch gut stand, und mich auch da einfuͤhrte. Herr Stauch parlirte franzoͤsisch mit mir, und war ausserordentlich hoͤflich. Es war ihm, meinte er, une satisfaction insinie, einen braven Mann, einen homme de merite zu poussiren. Das freute mich, und ich insinuirte mich besonders dadurch bei Herrn Stauch, daß ich ihm erzaͤhlte, wie, seitdem er am Ruder waͤre, die Klagen nicht mehr so gehoͤrt wuͤrden, als vorher: das muͤste durchaus von den guten Anschlaͤgen herkommen, die er seinem Herrn dem Landgrafen gaͤbe. Und in diesem Stuͤck hatte ich auch nicht gelogen: denn obgleich Stauch nicht studiert hatte, und ein gelernter Schneider war; so machte er doch weit kluͤgere Anstalten im Lande, als viele seiner studierten Vorfahren, welche Schurken gewesen waren, und die Noth der mitlern und un- tern Volksklassen vielleicht nicht so gut gekannt hatten, als er. Herr Stauch stellte mich auf der Parade dem Landgrafen vor, welcher sehr freundlich und herab- lassend nach seiner staͤten Gewohnheit, mit mir redete, und mir ganz treuherzig auf die Achsel klopfte. Er befahl mir, eine Schrift bei ihm einzugeben, und ihm meine Wuͤnsche bekannt zu machen; hernach wollte er schon sehen, was man thun koͤnnte, das hieß denn, er wollte es Herrn Stauch uͤberlassen, wie ich koͤnnte placirt werden. Die herablassende Guͤte des ehrlichen Fuͤrsten ruͤhrte mich, und ich bedauerte ganz aufrichtig, daß ein Regent von so gutem Karacter und Herzen so wenig Regent war. Ich besuchte, auf Herrn Stauchs Rath, auch den Feldprobst Venator , einen erzorthodoxen duͤstern Kopf, der mir alsobald auf den Zahn fuͤhlte, und mich aus einen dogmatischen Kapitel examinirte. Ich hielt Farbe und behauptete das absurdeste Zeug mit allen Gruͤnden, die ich aus dem Kompendium behalten hatte. Das behagte dem guten Herrn, welcher uͤber die einreissende Ketzerei heftig klagte, und mich ermahnte, die Buͤcher des David Hollaz fleissig zu lesen: Hollaz habe das System recht aufs reine gebracht u. s. w. Uebrigens konnte Venator bei dem Landgrafen viel ausrichten, und wer daher etwas zu suchen hatte, durfte es mit ihm nicht ver- derben. Er war des Landgrafen geistlicher Konsu- lent, und mußte seine geistlichen Grillen aufs reine bringen. Der Landgraf hatte dergleichen mehrere. Z. B. wenn er des Nachts nicht schlafen konnte; so dachte er an dies und jenes, und wenn ihm etwas einfiel, worin er sich nicht zu finden wußte; so ließ er jemanden holen, der ihm ein kompetenter Richter zu seyn schien, und sollte es auch Mitternacht seyn. In geistlichen Sachen war Herr Venator sein gehei- me Rath und sein Orakel. Zum Beispiel mag folgendes dienen, das mir Herr Venator selbst erzaͤhlt hat. Dem Landgrafen fiel einst die wichtige Frage ein: ob der hohe Prie- ster im alten Testament mit bedecktem oder unbedeck- tem Haupte ins Allerheiligste eingegangen sey? Dar- uͤber konnte er sich nun nicht finden, und Venator muste herbei des Nachts zwischen zwoͤlf und eins, um ihm diese wichtige Frage auseinander zu setzen. Bei einer solchen naͤchtlichen Consultation ergriff auch ein- mal Venator die Gelegenheit, den D. Bahrdt, der von 1771 bis 1775 in Gießen Professor war, dem Landgrafen als einen Socinianer verdaͤchtig zu machen, und so — orthodox zu stuͤrzen. Mir schien Venator gewogen zu seyn: warum? weis ich selbst nicht: der Auditeur Reinhard gab mir von weitem zu verstehen, daß der Herr Feld- probst eine Absicht mit mir im Sinne haͤtte. Es kann seyn, daß das wahr war: aber da aus der ganzen Sache nichts geworden ist: so hab ich niemals erfahren koͤnnen, was das fuͤr eine Absicht gewesen sey. Meine Supplike an den Landgrafen wurde von Herrn Stauch so gut unterstuͤtzt, daß ich 14 Tage nach meiner Zuruͤckkunft, ein Dekret erhielt, darin mir Versorgung versprochen wurde, wenn ich mich in Darmstadt examiniren ließe, und bestuͤnde. Ich schrieb deswegen an den Hofprediger Kremer und an den Superintendenten Olf . Beide antworteten mir, und bestimmten mir einen Tag, wo sie einen Kandidaten-Examen halten wuͤrden. Ich erschien, und wurde in der besten Form examinirt. Es waren ausser mir noch sechs Kandidaten, deren einige ich noch von Gießen aus kannte: und da staͤrkte sich mein Muth gewaltig, weil mir die große Unwissenheit die- ser Herren recht gut bekannt war. Der Superin- tend hielt eine lange aufgeschriebene lateinische Rede, worin er den Spruch des Apostels erklaͤrte: „Wer „ein Bischofsamt begehrt, begehrt ein koͤstliches „Werk.“ Nachher gings an die liebe Dogmatik, und zwar an den Artikel vom Abendmal, wo die ganze Orthodoxie ausgekramt wurde. Ich antwor- tete fertig, und hatte die Ehre, die hieher gehoͤrigen Stellen aus dem 10ten und 11ten Kapitel des ersten Briefes an die Korinther auszulegen. Es wurden noch mehr Artikel, und besonders der von der heil. Schrift mit uns durchgegangen, wobei man die liebe Inspiration sehr vertheidigte. Ich wuͤrde meine Leser beleidigen, wenn ich ihnen das Darmstaͤdtische Examen weitlaͤuftiger beschreiben wollte: es war erz- orthodox, so orthodox, d aß Albertus Grauerus oder Pastor Goͤtz ihre Freude haͤtten haben muͤssen, wenn sie dabei gewesen waͤren. — Alle Kandidaten wur- den approbirt, obgleich einige keine drei Worte her- vorbringen konnten. Von den Examinatoren fehlte nur einer, naͤmlich der Hofprediger Stark , welcher eben damals, oder doch nicht lange vorher nach Darmstadt berufen war, und zwar auf Betrieb des Erbprinzen: denn sonst wuͤrde Herr Stark , dessen Orthodoxie schon damals sehr verdaͤchtig roch, gewiß in dieser rechtglaͤubig Stadt nicht angekommen seyn. Allein da der Erbprinz darauf drang, weil er eben, wie Herr Stark, ein Freimaurer ist, so hatten die Herrn Raͤthe das Herz nicht, zu widersprechen, und der neue Hofprediger wurde eingefuͤhrt. Herr Stark hat mir gar nicht gefallen: ich wollte ihn sprechen, mußte aber viermal wiederkom- men, ehe Seine Hochwuͤrden mich vorliessen. End- lich kam ich vor, und erblickte eine Physionomie, die mich gleich zuruͤckscheuchte: ich fand auch nicht einen Zug im ganzen Gesicht, der etwas gutes verspro- chen haͤtte. Die Unterhaltung war aͤusserst kalt, und von Seiten des Herrn Stark sehr nachlaͤssig. Ich lenkte mit Fleiß das Gespraͤch auf den Hephaͤstio; aber Herr Stark wollte mir nicht Rede stehen: er sagte blos, daß man ihn in Koͤnigsberg widerrechtlich gedruͤckt und verfolgt haͤtte; doch gehorche er der Vorsehung, und hoffe auf bessere Zeiten. — Ich bat ihn, da ich einige deistische Schriften gelesen haͤtte, mir eine gute Widerlegung des deistischen Systems vorzuschlagen; — und Herr Stark, der große Litterator, empfahl mir — Nonnotte's Er- reurs de Ms. de Voltaire. Ich staunte, dieses Buch, als eine gute Widerlegung der Deisten von einem Manne nennen zu hoͤren, den ich fuͤr sehr aufgeklaͤrt hielt, und gab ihm zu verstehen, daß Non- notte, dessen Buch ich auch schon in Haͤnden gehabt haͤtte, der Mann gar nicht sey, den ich wuͤnschte. Je nun, versetzte Herr Stark gaͤhnend, wenn Ih- nen der keine Genuͤge leistet; so lesen Sie Lessen : der ist auch gut. Ich daͤchte aber, Sie haͤtten auf Universitaͤten in den Lektionen uͤber Dogmatik genug wider die Freigeister gehoͤrt: damit koͤnnten Sie zu- frieden seyn. — Ich glaube nicht, daß der Mann im Ernst so sprach: vielleicht hatte er seine Ruͤcksich- ten: vielleicht wollte er meiner los seyn. — Ich ging auch bald weg, und aͤrgerte mich uͤber das un- freundliche Wesen des Ehrenmannes, hernach habe ich mehrere gesprochen, welche eben so von Herrn Stark waren empfangen worden. Seine Predigt habe ich auch besucht; aber eben nichts sonderbares gehoͤrt: das Koncept und die Aktion waren beide sehr mittelmaͤßig. In Darmstadt fuͤhrte er ein Leben, wie ein Einsiedler, ging mit keiner Seele um, und wurde von Niemanden besucht: man hielt ihn fuͤr stolz und leutscheu. Und so ist er noch, wie man mir gesagt hat. Der Kryptojesuitismus hat dem armen Mann viel Verdruß, und seine dabei bewiesene Hef- tigkeit viel Schande gemacht, eben so wie dem Buch- haͤndler Fleischer zu Frankfurt am Main — großen Schaden. Das geht mich aber weiter nicht an. Auf diese Art gehoͤrte ich nun in die Zahl der Darmstaͤdter Kandidaten, und erhielt ein vortreffli- ches Testimonium vom Consistorio, worin die Woͤr- ter praeclare und optime mehrmals angebracht waren. Indeß auch die Hoffnung, die ich nun schoͤpfen konnte, bald versorgt zu werden, ging durch Kabale verloren, wie man bald hoͤren wird. Drei und dreissigstes Kapitel. Meine Vikariate . D er Pfarrer Thiels in Udenheim, drei Stunden von Mainz, war nicht recht kapitelfest. Er war eben kein vollstaͤndiger Narr; aber doch ein Hasenfuß, bei dem es stark rappelte. Das Dorf gehoͤrte dem Baron von Koͤth zu Mainz, der sich wenig um den lutherischen Pfarrer bekuͤmmerte, und anfangs die Bauern fortjagte, wenn sie mit einer Klage wider ihn einkamen. Endlich wurde der Spekta- kel zu arg. Der Pfarrer lief manchmal im Dorfe herum, pruͤgelte die Jugend, und fluchte wie ein Landsknecht. Seine Schwester, welche ihm die Wirthschaft be- sorgte, jagte er von sich, und drohte ihr, sie zu er- stechen, wenn sie ihm wieder vor Augen kommen wuͤrde. Auch gab er dem Koͤthischen Amtmann He- bel, der ihn einmal zurechte wies, derbe Ohrfeigen. In die Kirche ging er gar nicht mehr, und ein abge- setzter Schulmeister Namens Knoch von Obersaul- heim, welcher ehedem ein Bischen Theologie studirt hatte, versah seine Dienste. Da konntens dann die Bauern nicht mehr ausstehen, und kamen alle Au- blicke mit Schriften und Klagen bei ihrem Edelman- ne ein. Herr von Koͤth sah sich also genoͤthiget dem Pfarrer einen Vikarius beizufuͤgen und Herr von Wallbrun zu Partenheim schlug mich dazu vor. Mein Vater, welcher denken mochte, daß das so ein Posten fuͤr mich werden koͤnnte, gab gern seine Einwilligung, und ich wurde ordentlich instal- lirt. Die Bauern waren auch wirklich sehr mit mir zufrieden, und machten mir gleich anfangs ein ange- nehmes Geschenk mit zwei Ohm Udenheimer Wein. Aber eben dieser Wein haͤtte mich ohne meine Schuld beinahe in den ersten acht Tagen um Ansehn und Kredit gebracht. Denn der Oberschulz Brug von Niedersaulheim, ein Erzspaßvogel, sonst aber ein gescheuter Kopf, schmiedete ein Gedicht auf den Udenheimer Wein, welches er das goldne A B C titulirte. In diesem Karmen, das aus lauter Knit- telversen bestand, wurde der Udenheimer Wein ganz erbaͤrmlich mitgenommen, und als die elendeste Bruͤ- he in der dasigen Gegend vorgestellt. Ich will einige Strophen davon hersetzen: Ya, Ya, schreits Eselein; Doch gebt ihm Udenheimer Wein Es wird vor aller Angst und Pein, Nicht ferner mehr sein Ya schrein. Pabst Pius thu doch in den Bann, Wer diese Bruͤh verdauen kann: Denn es geschieht, bei meiner Treu, Durch Teufels Huͤlf und Hexerei. Dies Zeug wurde abgeschrieben, und kam so auch zu den Udenheimer Bauern, deren einige es fuͤr meine Arbeit ausgaben. Die Bauern ergrimmten nun sehr, und schwuren, daß ein Mensch, der so schlecht von ihrem Wein Der vornehmste Nahrungszweig der Bauern in jener Gegend besteht im Anbau des Weins, welcher sehr wohlfeil, aber auch, wie auf dem ganzen Saulgau, den man vom Rheingau wohl unterscheiden muß, sehr ge- ring und schwach ist. Zu meiner Zeit kostete das Rhei- nische Maaß Wein – zwei Bouteillen – sechs Kreuzer, oder 18 Pfennige schreiben koͤnnte, ihr Vi- karius nicht seyn duͤrfte. Der Kirchen-Vorsteher, Jaun , dachte aber ehrlich gegen mich, und behaup- tete, man muͤsse die Sache erst untersuchen. Er kam auch wirklich zu mir, und konstituirte mich. Hoͤren Saͤ aͤmal, sagte er zu mir, do hun saͤ ge- saat, Saͤ haͤttaͤ aͤ grausam Ding gemacht uf unsere Wei. Eß das ach wohr? Erster Theil. X Ich : Da weis ich kein Wort von! Was ist denn das fuͤr ein Ding? Jaun : Do seyn daͤ Versch uf unsere Wei. Eß eß was grausames, wie der Wei erunner gemacht eß. Wonn das die Leute hoͤraͤ, saͤ kofe uns ach kaͤn Troppaͤ maͤh ab. Ich las die Knittelverse, und konnte mich des Lachens nicht enthalten. Dann versicherte ich den Vorsteher, daß ich das Gedicht nicht gemacht haͤtte und es jetzt das erstemal saͤhe: ich daͤchte aber den Urheber herauszubringen: denn ich muͤßte mich sehr irren, oder der Oberschulz Bruͤg waͤre Verfas- ser. Jaun gab mir Recht, und ich schrieb noch denselben Tag an Bruͤg , und erhielt zur Antwort, daß er die Verse schon vor langer gemacht haͤtte, und recht froh waͤre, daß es die Udenheimer Grobians wuͤßten, und sich baß aͤrgerten. So kam ich bei meinen Bauern wieder in Kredit, und der Jaun , ein Bruder des Kirchenvorstehers, bat mich im Na- men der ganzen Gemeinde um Nachsicht mit ihrer Uebereilung. Mit dem Pfarrer Thiels ward ich ziemlich gut fertig: ich gab ihm in allem Recht und disputirte mit ihm brav aus den Zeitungen. Wir lebten sehr friedlich zusammen, und wenn er manchmal mit mir zanken wollte; so ging ich fort, und ließ ihn sitzen. Er kam gar nicht aus seiner Stube; ich aber lief flei- ßig in der Gegend herum, und machte mich so lustig, als ich konnte. Zu meinem Vater kam ich selten; aber den Amtsverwalter Schoͤnburg besuchte ich oft, und fand mich auch oft in meinem Deisten- Klubb ein. Im Sommer 1781 entstand eine andere Ka- bale, welche mich vom Vikariat, und den Pfarrer Thiels von seinem Dienst brachte. Der Hergang der Sache war folgender: Der Pfarrer Wagner zu Werrstadt, in jener Gegend der Jesuit genannt In keinem Lande sind die Ekelnamen haͤufiger als eben in der Pfalz. Die Geistlichen haben deren beinahe alle einen. So heißt der eine Curtius Rufus, der andere der Hanebuͤchene; dieser Langhals, jener Gaͤnsehals u. s. w. Ich erinnere mich nicht, daß jemals we- gen solcher Benennungen ein Injurienproceß gefuͤhrt waͤre. , hatte vier Soͤhne, welche alle vier Erzignoranten und schiefe Prisen wa- ren. So wenig scharf die Consistorien dort herum sind, wurden doch die jungen Wagner allemal ab- gewiesen. Der Vater sah sich also genoͤthigt, ihnen eine Pfruͤnde zu kaufen, und sie auf die Art unter- zubringen. Der juͤngste davon, Namens Ernst Wa- gner, welchem man den Beinamen Magister Weit - maul gegeben hatte, stand damals in Wendersheim, einem dem Mainzischen Grafen von Elz gehoͤrigen Doͤrfchen, als Pfarrer. Hier hatte er eine schlechte Besoldung, und suchte Gelegenheit zu einer bessern. Er hoͤrte, daß der Pfarrer Thiels nicht recht bei Gelde sey, und glaubte, durch seine Bekannte in Mainz dessen Stelle erhalten zu koͤnnen. Diese Be- kannte waren der Vikariats-Rath Hettersdorf , der Karthaͤuserpater Heinrich Das scheint ein Widerspruch zu seyn, da die strenge Regel der Kathensermoͤnche bekannt ist. Aber diese Herren bekuͤmmern sich in ihren Zellen auch noch ums Sekulum, und wissen gut genug, was darin vorgeht. Pater Heinrich war einer von denen, die sich ums memento mori blutwenig bekuͤmmern. das Orakel des Herrn von Koͤth , der Amtmann Hebel und ein Erzschuft, Namens Brandenburger . Alle diese Leute waren bei dem Herrn von Koͤth sehr angese- hen: den Hettersdorf und P. Heinrichen hielt er gar fuͤr Heilige! Hebel war sein Beamter, dem er alle seine Geschaͤfte uͤberließ. Denn der Herr Kammer- herr waren schwachen Geistes, und Brandenburger sorgte so fuͤr seine menus plaisirs : er ist naͤmlich als ein großer Hurenspediteur in Mainz bekannt, ich meyne den Brandenburger, und versieht Hochwuͤrdige Gnaden, Excellenzen und Kaufmannsdiener mit leich- ter Waare, wenn er nur Geld bekoͤmmt. Das mag denn nun seyn; daß aber Leute von Karakter diesen Schuft in ernsthaften Geschaͤften gebrauchen konn- ten, war mir zu begreifen unmoͤglich, besonders da der nichtswuͤrdige Kerl nicht schweigen konnte, und alles, was er wußte, ausplapperte und es noch mit seinen Luͤgen ansehnlich vermehrte. Die gedachten vier Herren in Mainz, welche man freilich mit Geld gewinnen mußte, arbeiteten nun gemeinschaftlich an dem Sturz des Pfarrers Thiels , um dem Ernst Wagner Platz zu machen. Man wollte aber bei meiner Anwesenheit in Uden- heim nichts vornehmen, weil ich, als Freund des Pfarrers, mich gewiß den Machinationen der nieder- traͤchtiger Kabale widersetzt haͤtte. Allein zum Un- gluͤck fuͤr Thiels verreißte ich auf einige Tage zu mei- nem Vater. Gleich den folgenden Tag kam Herr von Koͤth , Hettersdorf und Hebel nach Udenheim, und brachten es theils durch Drohungen, theils durch gute Worte dahin, daß Thiels gegen 800 Gulden seine Pfarrei resignirte, und dies eigenhaͤndig unter- schrieb. Als ich zuruͤck kam, erfuhr ich den dummen Streich, den Thiels gemacht hatte, und aͤrgerte mich nicht wenig. Selbst Thiels bereute seine Toll- heit, und heulte wie ein armer Knabe, der seinen Kreuzer verloren hat. Ich lief den andern Tag nach Mainz, und sagte dem Herrn von Koͤth , und sei- nem Amtmann gerade heraus, daß die Resignation des Pfarrers unguͤltig sey, weil er nicht recht bei Sinnen waͤre. Herr von Koͤth erschrak uͤber meine Vorstellung; der Amtmann aber sagte mir gerade heraus, daß ich die Rechte nicht verstuͤnde, und da- her zur Sache nichts sagen koͤnnte. Den Vikariats- rath Hettersdorf besuchte ich auch; aber das ist ein kalter Jesuitenschuͤler, der mich ohne Trost fuͤr den Pfarrer gehen ließ. Nun fragte ich den Assessor Schad , meinen Freund, den ich bei Schoͤnburgen hatte kennen lernen, und der ein vollkommner Rechtsgelehrter war, was in dieser Sache Rechtens waͤre? Dieser versicherte mich, daß die Resignation des Pfarrers unstatthaft sey, daß man aber doch ei- nen geschickten Juristen annehmen muͤßte, der die Sache erst bei Hn. von Koͤth betriebe, und wenn das nichts helfen wuͤrde, zu Wezlar anhaͤngig machte. Dieser Rath gefiel mir, und als ich ihn dem Pfarrer entdeckte, uͤberließ er mir die ganze Sache, und bath mich, einen geschickten Advokaten fuͤr ihn anzu- nehmen. Dergleichen Maͤnner sind nun in der Pfalz sehr selten, ob es gleich an Rabulisten nicht fehlt: doch fand ich einen in der Person des Leiningischen Amtmanns Hn. Suͤssenmiehl zu Bechtheim, eines Juristen, der in der Pfalz, wenige seines glei- chen hat. Ich stellte diesem braven Mann das Un- recht vor, welches man dem guten Thiels anthun wollte, und er nahm sich seiner auf eine so thaͤtige Weise an, daß das Ding bald eine andere Wendung nahm. Mein Vater, welcher inzwischen ein Dekret fuͤr mich zum Gymnasium in Darmstadt von Pirma- sens erhalten hatte, wovon ich im naͤchsten Abschnitt reden werde, trug mir auf, mein Vikariat in Udenheim aufzugeben, welches ich auch that, obgleich die Bau- ern sehr unzufrieden damit waren. Doch fuhr ich fort, den Pfarrer Thiels zu unterstuͤtzen, und alles, was ich vermochte, wider den unwissenden intrigan- ten Wagner in Aktivitaͤt zu setzen. Weil ich aber nicht in den Schranken der Klugheit und Behutsam- keit blieb; so hezte ich mir eine eine Menge Feinde auf den Hals, und zog mir eine Art von Injurien- prozeß zu. Die Sache war diese. Wagner hatte sich mit der Tochter des Post- halters Specht von Duͤrkheim an der Hardt, der auch zugleich Gastwirth und Pfennigskraͤmer war, versprochen. Ich und der Oberschulz Bruͤg nahmen daher Gelegenheit, zwei Episteln in Versen zu fabri- ciren, und sie so einzurichten, als wenn die eine von Wagnern an seine Braut, die andre aber von der Braut an Wagner geschrieben waͤre. Ich muß doch meinen Lesern eine davon, die ich noch auswen- dig weis, mittheilen, naͤmlich die der Jungfer Braut an ihren Geliebten. An den Herrn Magister Weitmaul . Herr Gott behuͤte! welche Freud Schoͤpf ich aus Ihrem Karmen heut! Sie wollen, daß ich lieben soll: Ach, ich war laͤngstens Maͤnnertoll! Kyrieleis ! Ich hab' manch liebe lange Nacht, Mit Mannsgedanken zugebracht, Mit Hand und Fuͤßen staͤts gezuckt: Denn grausamlich hat's mich gejuckt. Kyrieleis ! – – – – – – – – – – – – Mein goldnes Herr Magisterlein, Ich will Ihr Schaͤfchen werden fein; Sie sollen seyn mein Troͤster werth, Den mir der Himmel hat bescheert. Kyrieleis ! Ich will mich heben aus dem Staub, Und tragen eine hohe Haub, Und ziehen einen Reifrock an, Da nun Herr Weitmaul wird mein Mann. Kyrieleis ! Nur machen Sie sich bald herbei, Denn in drei Wochen ist es Mai Da lassen Sie die Hochzeit seyn, Und nehmen mich ins Bettelein. Kyrieleis ! Gewiß, daß mich der Teufel hol', Wenn ich noch laͤnger warten soll, Und nicht bald Ihnen werd getraut, So fahr ich wahrlich aus der Haut. Kyrieleis ! Es geht mir grad, wie meiner Katz, Drum sputen Sie sich lieber Schatz, Und machen mich fein bald zur Frau, Sonst werden mir die Haare grau. Kyrieleis ! Diese Knittelverse machten sehr viel Aufsehen, und waren in kurzer Zeit in der ganzen Gegend weit und breit bekannt. Die Jungen sangen sie auf der Gasse. Daß ich Antheil daran haͤtte, muthmaß- te man, und auf diese Muthmaßung gab Wagner eine Klagschrift zu Grehweiler wider mich ein; aber der Rath Dietsch war zufrieden, daß ich erklaͤrte, ich sey nicht Verfasser, und so hatte der Proceß ein Ende. Ich habe es aber doch nachher bedauret, daß ich diese Schnurre hatte machen helfen: denn ich ver- mehrte nur meine Feinde; und selbst Leute, die mir sonst gut waren, lachten zwar uͤber die Possen, aber verachteten doch den Urheber derselben. Es ist un- glaublich, auf welchen Grad man seinen Kredit durch Pasquillen verlieren, und sich gehaͤssig machen kann! Das bischen boshaften Witz muß man wahrlich theuer bezahlen! Ohnerachtet aber aller Bemuͤhungen des Amt. manns Suͤssemiehl , und andrer Freunde, wollte doch das Misgeschick, daß Thiels seine Pfarre ver- lohr. Denn die Magd des Thiels ward schwanger. Sie war, wie ich selbst bezeugen kann, eine erzlieder- liche Kreatur, und ich habe Bauernkerls genug bei ihr gesehen. Zu dem hing sie an einem Kerl von Niedersaulheim, den sie auch anfangs als den Urhe- ber ihrer Entjunferung angab, bis — der vorhin- genannte Brandenburger sie durch Geld beredete, auf den Pfarrer Thiels zu bekennen. Das that der Schuft auf Anstiften des Pfarrers von Vendersheim, wie er selbst mehrmals bekannt hat. So machens aber schlechte Menschen, wenn sie zum Zweck gelangen wollen! Alsdann gelten ihnen alle Mittel gleich: sie bedienen sich der schurkischten Raͤnke, und werden dabei nicht einmal roth. Nun konnte Herr Suͤssemiehl den armen Thiels nicht ferner durchhelfen, besonders da dieser selbst vor Angst und Narrheit, die erkaufte Aussage der Magd bestaͤtigte. Der redliche Suͤssemiehl war von der abscheulichen Kabale des Brandenburgers nicht unterrichtet: Er zog sich also zuruͤck, und ließ es ge- schehen, daß dem beaͤngstigten Thiels jaͤhrlich 200 Gulden von den Pfarr-Einkuͤnften lebenslaͤnglich zu- gesichert wurden. Wagner wurde demnach instal- lirt, Thiels zog ab, und seine Sachen verauktionir- te man unter allerlei Betruͤgereien. Als ich vor fuͤnf Jahren in der Pfalz war, hoͤrte ich, daß Wagner immer Zank und Spektakel mit der Gemeinde haͤtte und uͤberhaupt der Gegen- stand der allgemeinen Verachtung waͤre. Das ist auch schon recht: er hat es durch seine schuftigen Ka- balen wohl verdient, und der Name Magister Weitmaul wird ihm bleiben, so lang er lebt. Thiels ist immer naͤrrischer geworden, und hielt sich meistens in den Kneipen auf, wo er von gewis- sen Insecten so voll ward, daß er zu keinem ehrbaren Menschen mehr kommen durfte. Die 200 Gulden werden ihm, wie ich gehoͤrt habe, nicht mehr aus- gezahlt: denn der Herr von Koͤth ist ohne Erben gestorben, und Udenheim ist Pfaͤlzisch geworden. Da hat Wagner Wege gefunden, sich von dieser Last loszumachen. Freilich wirds beim Hn. Gehei- merath Koch zu Alzey Geld genug gekostet haben: denn ohne Geld richtet man in der Pfalz nichts aus; aber mit Geld dringt jeder durch, er mag nun ge- rechte Sache haben, oder einen schuftigen Handel aus- machen wollen. Da heißt es: — — venalia nobis Templa, sacerdotes, altaria, sacra, deusque. Vier und Dreissigstes Kapitel. Ich soll Konrektor werden. H err Stauch hatte gut fuͤr mich gesorgt, und als Herr Klein , bisheriger Konrektor in Darmstadt versetzt wurde, wuͤrkte er mir ein Dekret vom Land- grafen zu dieser Stelle aus. Mein Vater war uͤber meine so nahe scheinende Versorgung fast ausser sich vor Freude, und um so mehr, da ich nicht Prediger, sondern Schulmann werden sollte. In diesem Stande, sagte er, brauchst du nichts contra con- scentiam zu lehren, wie leider! der Volkslehrer oft thun muß, um die Schwachen nicht zu zertreten, und das nicht einzureissen, was sich vermoͤge des Al- terthums und der langen Gewohnheit entweder gar nicht, oder doch wenigstens ohne viel Muͤhe und Einsicht nicht wieder aufbauen laͤßt. — Ich selbst fand bei einer solchen Stelle mein ganzes Behagen: denn zum Verkuͤndigen des goͤttlicheu Worts verspuͤr- te ich wenig Neigung. Anfangs arbeitete ich zwar meine heiligen Reden selbst und sorgfaͤltig aus, so daß ich oft drei bis vier Tage darauf verwandte; hernach ward ich kluͤger. Ich folgte dem Beispiele der meisten meiner geistlichen Reisegefaͤhrten: ich be- stieg den sanftmuͤthigen Eselsruͤcken, und ritt, statt zu Fuße zu gehen, die Postillen meiner Vorgaͤnger und Vorreiter, ganz bequem und erbaulich. Unter andern Bruͤcken dieses Bequemern Apostolisirens, haben mir die Dispisitionen des Doktor Muͤnters viel Dienste geleistet. Im Grunde, dachte ich, sey es einerlei, ob ich oder ein anderer den Leuten die christliche Glaubens- und Sittenlehre predige; und mir war es um so mehr einerlei, da ich von dem, was ich vortrug, wenig oder gar nichts glaubte. Ich behandelte das Predigtamt, wie ein Handwerk, bei dem man sich aller kleinen Vortheile und Kunst- griffe bedienen duͤrfte. So dachte und handelte ich, und so denken und handeln, wie mich duͤnkt, jetzt die mehresten! Ich begab mich nach Darmstadt, und glaubte, da ich die Hand des Landgrafen hatte, daß meine Anstellung keine weitere Schwierigkeit haben koͤnnte. Allein wie kann der Mensch sich truͤgen! — Der Superintendent Olf und der Rektor Wenk hatten ein anderes Subjekt im Sinne, welches ein gewisser Kandidat Zimmermann war. Dieser hatte sich, ausser andern schoͤnen Kuͤnsten, auch im Versificiren geuͤbt und durch gereimte und ungereimte Gratula- tionen bei den vornehmern Darmstaͤdtern in große Gunst gesetzt. Der Superintendent verlangte daher, daß ich mich erst pro re scholastica , wie er sich ausdruͤckte, examiniren lassen muͤßte. — Ich un- terzog mich der Pruͤfung, welche Olf und Wenk mit uns beiden anstellten, willig, und bewunderte dabei nichts mehr, als die große Pedanterie und Scharla- tanerie der beiden Examinatoren. Der Superintendent diktirte unter andern ein Exercitium, ohngefaͤhr folgendes Inhalts: „Lieber „Bruder! meine Struͤmpfe sind zerrissen; bitte des- „halb die liebe Mutter, daß sie mir neue schickt. „Auch habe ich neulich meine Kappe verlohren, und „muß eine andere haben. Meine Hosen wollen „auch nicht mehr halten u. s. w.“ — Ich lachte uͤber dies laͤppische Exercitium uͤberlaut; allein dies Mokkiren nahm Herr Olf so uͤbel auf, daß er mir einen recht derben Verweis gab. — Ich mußte ihn hinnehmen: warum ließ ichs mir einfallen, uͤber einen Geistespruͤfer zu lachen! — Meine Version wurde zwar nicht gelobt, aber auch nicht getadelt; allein Zimmermann hatte mehrere grammatikalische Schnitzer in seinem Thema gemacht, und dies war Wasser auf meine Muͤhle. Ich freute mich schon innerlich uͤber die Maaße, als Wenk sie bemerkte und urgirte; aber wie es die Dummkoͤpfe zu machen pflegen, Zimmermann gab sie fuͤr Schreibfehler aus So ohngefaͤhr, wie Herr Prof. P. in der litteratur Zeitung 1791 die lieblichen Schnitzer: ostendidir, . Unter diesen Umstaͤnden glaubte ich, gut bestan- den und tuͤchtig befunden zu seyn, die Stelle zu er- halten; aber mein Freund, der Hofprediger Kre - mer , aͤusserte doch große Bedenklichkeit, und rieth mir, auf meiner Huth zu seyn, da man Kabalen wider mich schmieden wuͤrde. In der Meinung, daß doch der Fuͤrst sein Wort halten muͤsse, schien mir diese Muthmaßung unwahrscheinlich, und ließ mich daher weder durch ihn, noch durch andere irre ma- chen. Allein Kremers Vermuthungen waren nicht ohne Grund gewesen: dies lehrte der Ausgang der Sache. — Rektor Wenk, ein eben so geschickter Schulmann als gruͤndlicher Historiker, welches letz- tere, wie mich duͤnkt, er in seiner Hessischen Ge- schichte hinlaͤnglich bewiesen hat, war sehr freundlich gegen mich, gab mir indeß doch zu verstehen, daß er es lieber saͤhe, wenn Zimmermann die Stelle er- hielte. Damals gefiel mir dies Benehmen nicht; allein uͤberlege ichs jetzt nun kaltblutig, und bedenke ich, daß der verstorbene Landgraf meist Auslaͤnder quarundarum, provinciam offertam, tota orbis lit- teraria, und andere mehrere als Schreibfehler ange- sehen wissen will: Denn Druckfehler koͤnnen dies eben so wenig seyn, als das rationem obmutescendam esse in einem sonst guten Compendium der Dogmatik S. 3. lin. 9. Oder der ganze Mann ist ein Druckfehler, und dann laͤßt sichs entschuldigen! und wenig Inlaͤnder befoͤrderte; so kann ichs weder ihm noch dem Superintendenten verdenken, daß sie die Stelle lieber mit einem Landskinde als mit mir besetzen wollten. Nur haͤtte keiner von beiden sich niedertraͤchtiger Kabalen bedienen sollen, um den Zimmermann zu befoͤrdern und mich hintan zu setzen. Dergleichen ist schlecht; und doch thaten sie es. Ich hatte im Darmstaͤdtschen einige Feinde. Da- hin gehoͤrt Mosje Jawand , damals Buͤchsenspan- ner beim Erbprinzen, welchem ich einmal auf die Fuͤße getreten hatte. Dieser Mosje Jawand, der, wie die Leute seines Geschlechts, viel bei Hofe galt, und der Zimmermanns Goͤnner war, brachte es bei seinem Prinzen dahin, daß dieser nach Pirmasens schrieb, und Zimmermannen zu der Stelle empfahl, die mir zugedacht war. Das war eins aus dem Kapitel der Vorsehung und Regierung Gottes in der Menschenwelt! Ferner hatte ich Wagenern von Udenheim beleidigt, und dadurch seine Feindschaft mir zugezogen. Wagener war, wie alle kleinen Seelen, auf niedrige Rache bedacht. Man hoͤre, wie ers anfing! — Der jetzige Amtmann von Niedersaulheim wollte damals eben die Schwester des Wageners heirathen. Jener war ehemals Hofmeister des jun- gen Herrn von Wallbrunn in Darmstadt gewesen, hatte mich in Gießen kennen gelernt, und trieb sich nachher unstaͤt und unversorgt herum, bis Herr von Wallbrunn seinen bisherigen Amtmann Wolf in Niedersaulheim, einen Mann ohne Vermoͤgen, einen Vater mit sechs Kindern, einen braven gelehrten Mann, einen nahen Anverwandten des Herrn Prof. Schloͤzers in Goͤttingen, blos deshalb absetzte, um den Hofmeister — sein Name ist mir nicht ganz mehr erinnerlich; allein den wenigen Spuren meiner Ge- daͤchtnißkraft zu folge, heißt er Walther — ins Brodt bringen zu koͤnnen. So war denn dieser unwissende Mensch, wel- chen der Oberschulz Brug nicht selten geketzert hat, in die Pfalz gekommen; Wagener hatte ihn wider mich aufgebracht und die Procedur ging folgender- maßen. Der neue Amtmann steckte sich hinter seinem Herrn, und dieser, vom Apellationsrathe Hoͤpf - ner , ehemaligen Professor in Gießen, und einem Kandidaten, Namens Baumann , der mich noch von Giessen aus haßte, unterstuͤtzt, verfertigte eine sehr schlimme Schilderung von meinem Charakter, und schickte selbige nach Pirmasens an den Feldprobst Venator . — Bisher hatte sich Herr Stauch meiner angenommen; allein da dieser durch Venator Nachricht davon erhielt, und der Landgraf ihn mer- ken ließ, daß er gern den Zimmermann befoͤrdert Erster Theil. Y saͤhe; so nahm er sich meiner nicht weiter an. — Ich benahm mich hierbei so ziemlich leidlich. Die Nachricht, daß Zimmermann an die per decretum Serenissimi mir zuerkannte Stelle gekommen sey, er- trug ich ohne viele Kraͤnkung; allein die vom Hof- prediger, Herrn Kremer , jetzigen Oberpfarrer zu Rheinheim, nach der Hoͤpfner und der Baron von Wallbrunn vermoͤge ihrer elenden Relationen an mei- nem Durchfall Schuld gewesen waren, aͤrgerte mich ganz grimmig. Ich sah indeß den Zusammenhang der ganzen Kabale sehr gut ein, und fand in meinem unbesonnenen Betragen gegen den Pfarrer Wagener, sonst Magister Weitmaul genannt, mancherlei Ursache dazu; allein, statt kluͤger zu werden, suchte ich mich durch neue auf ihn verfertigte Schmaͤhschrif- ten zu raͤchen, die theils den vatinianischen Haß der ganzen Wagenerischen Familie vermehrte, theils bei ihrem Anhange mir neuen zuzog. — Ich verfer- tigte naͤmlich eine genealogische Tabelle der Wage- ners, welche ich von dem Famulus des beruͤchtigten Schwarzkuͤnstlers, Doktor Fausts , der auch Wa- gener geheißen haben soll, abstammen ließ. Dies Ding wurde fleißig gelesen, und wurde sogar mit Beifall beklatscht und belacht. So angenehm ich aber andern dadurch geworden war, so vielen Ver- druß und so viele Vorwuͤrfe zog ich mir deshalb bei meinem Vater und meinen Anverwandten zu. Ich schaͤme mich fast, hier zu gestehen, daß ich ein sehr unedles Mittel anwandte, mich an den Wa- genern zu raͤchen: aber ich muß aufrichtig seyn. — Der aͤlteste Bruder des Pfarrers von Udenheim mit sei- nem Schimpfnamen, in jener Gegend der Hosenknopf genannt, hatte sich die Pfarre zu Mommenheim, einem katholischen Edelleuten zugehoͤrigen Dorfe, fuͤr baar Geld gekauft. Die Bauern, welche die krasse Ignoranz des Menschen aus den Nachrichten anderer, deren sie in diesem Stuͤcke gern glaubten, schon kannten, und nun noch seine niedrigen Sitten und seine saͤuische Lebensart mit Augen sahen, fingen einen Prozeß wider ihn an, und forderten von ihren Edelleuten, daß das uͤber allen Glauben elende Sub- jekt sollte removirt werden. Der Prozeß kam nach Wezlar; allein das Kammergericht ging, wie die Justiz nach alter Gewohnheit immer zu gehen pflegt, den langsam kriechenden Schneckengang, und so ver- gingen mehrere Jahre, bis endlich die Bauern des Prozessirens uͤberdruͤssig wurden, und die Sache lie- gen ließen. Dies aͤrgerte mich. Ich feuerte also die Bauern von neuem an, schanzte ihnen einen recht beissigen Advokaten zu, und brachte es durch meine Veranstaltung endlich dahin, daß die Mommenhei- mer Gemeinde Deputirte nach Wezlar schickte, wel- che so lange dableiben mußten, bis der Prozeß zu Wageners Nachtheil entschieden ward. — Ich ge- stehe gern, daß diese meine Handlungsart unedel und niedrig, und vielleicht Folge von dem Ausspruche Juvenals war: At vindicta bonum, vita jucundius ipsa, und daß ich die Vorwuͤrfe, die mir mein Vater, der alle Kabalen haßte und verabscheuete, deshalb machte, wohl verdient hatte; indeß dem Wagener, der der allgemeine Gegenstand der Verachtung und des Spot- tes aller klugen Leute in dasiger Gegend war, geschah hierdurch keinesweges Unrecht. Es war unedel von mir in sofern, da mich die Sache nichts anging, und Rachsucht, gesetzt sie beabsichtet auch keine Schurke- rei, groͤßtentheils unter der Wuͤrde des Menschen ist. Mancher skandaloͤsen Auftritte beschuldigte man mich ausserdem, woran ich aber auf Ehre nicht Schuld war. So ist z. B. der Udenheimer Pfarrer, kurz vor meiner Abreise nach Halle, zwischen Werrstadt und seinem Dorfe von einem Bauernkerl, — so hat es ihm wenigstens geschienen, — jaͤmmerlich ausgepruͤgelt worden, und man schob das Ding auf mich, als haͤtte dergleichen nur auf meinen Betrieb und auf meine Veranstaltung geschehen koͤnnen. Das war nun falsch geschlossen! Ich habe keinen Antheil daran gehabt, sonst wuͤrde ichs, da mir ein Gestaͤndniß solcher Art jetzt nicht schaden koͤnnte, frei gestehen. Das Ding laͤßt sich erklaͤren, ohne mich zum Schluͤssel zu nehmen. Wagener hatte viele Feinde, die ihm aufpaßten, folglich war eine Pruͤgelsuppe gar kein ungewoͤhnliches und auslaͤndi- sches Gericht fuͤr ihn, zumal in der Pfalz, wo der- gleichen Auftritte nichts Neues sind. Dies macht aber der Wein, der hier gesoffen und nicht getrun- ken wird. Man kann sich leicht vorstellen, daß mein Va- ter auf die Nachricht, daß ich wegen meines in Gie- ßen und sonst gefuͤhrten Lebens Repulse erhalten und die Konrektorstelle in Darmstadt nicht erlangt haͤtte, recht ernstlich boͤse auf mich geworden sey. Er hielt mir eine recht derbe Strafpredigt deshalb, und er- mahnte mich bei allem, was ihm theuer und heilig war, anders zu leben, und gesetzt zu werden. Ich versprach alles, und mein Vater troͤstete mich, daß dann noch alles gut werden wuͤrde. Ich schoͤpfte hierzu um so mehr Muth, da der Pfarrer Stuber an Herrn Stauch schrieb, und meinem Lebenswandel eine lange Apologie hielt. Er gab die Berichte der Darmstaͤdter Herren fuͤr lauter Laͤsterungen aus, und bat, daß Stauch sich ferner meiner annehmen moͤchte. Dies geschah auch, und ich bekam abermals ein De- kret vom Landgrafen, daß ich naͤchstens sollte befoͤr- dert werden. Ich habe aber von diesem letztern Dekret niemals Gebrauch gemacht; und wenn ichs auch haͤtte thun wollen, so wuͤrde ich doch deshalb nie reuͤssirt haben, weil Meister Olf, der Super- intendent zu Darmstadt, bei der Besetzung des Kon- rektorats mein erklaͤrter Feind geworden war. Ich hatte naͤmlich in dem Hause des Fasanenmeisters Jawand zu Dornberg diesen Herrn Olf als den abscheulichsten Dummkopf beschrieben, und eine ge- druckte Predigt von ihm gemustert und mit allerlei spoͤttischen Anmerkungen versehen. Dieser leichtsin- nige Streich war dem theuren Mann bei Gelegenheit der Konrektorei hinterbracht worden, und er hatte in heiligem Grimm geschworen, daß er sein Haupt nicht gesund tragen wolle, wenn ich in seinem Lande Speise und Trank bekaͤme fuͤr die Weidung geistli- cher Schaafe und Laͤmmer. Fuͤnf und dreißigstes Kapitel. Ein Schuft wird mein Patron . N achdem ich in Darmstadt durchgefallen war, durch- irrte ich aus Langerweile und Unlust gegen das Da- heimsitzen die ganze umliegende Gegend unstaͤt und fluͤchtig, fast wie Kain. Meine vielen Bekannten in dem Kreise erleichterten mir mein Leben, und oft verflossen drei bis vier Wochen, ehe ich wieder der Wohnung meines Vaters zueilte. Dieser war zwar mit meinem Umherlaufen wenig zufrieden, weil er es aber der Mißmuth zuschrieb, die ich, seiner Mei- nung nach, uͤber mein Misgeschick empfand, so ließ ers unter der vaͤterlichen Einschraͤnkung, keine Excesse zu machen, gut seyn. Freilich in den Haͤusern des Inspektors Birau zu Alzey, meines Stubers , Fresenius und anderer gingen auch keine Excesse vor; aber wenn ich beim Chirurgus L., im Bock zu Flonheim oder sonst in einer Kneipe kampirte; so wurde nicht nur sehr scharf gesoffen, sondern auch anderer Unfug getrieben. — Ich verlohr durch dieses rohe und unbestimmte Leben nach und nach alle Ach- tung fuͤr meinen Kandidatenstand, und da galt es mir gleich viel, mit wem ich umging, wovon ich redete, und wie ich mich betrug. Ich saß oft ganze Naͤchte in den Bauernkneipen, und raisonnirte mit den besoffenen Kerls uͤber allerlei. Die Leute hoͤrten mich immer gern schwatzen, und da ich in jener Ge- gend fuͤr einen Gelehrten passirte, so schaͤtzten sichs fast alle fuͤr eine Ehre, wenn ich bei ihnen saß und mit ihnen zechte. Dieses Betragen schwaͤchte meinen Kredit bei dem geistlichen Stande noch mehr, und ich sank so sehr in meiner besondern Achtung, daß meine Freunde, besonders mein ehrlicher Haag und mein guter Job , mich oft und angelegentlich baten und ermahnten, anders und besser zu werden, we- nigstens den Besuch der Wirthshaͤuser einzustellen. Allein es half nichts: ich aͤstimirte mich selbst nicht mehr, wie sollte ich also fuͤr meine Reputation sor- gen! — dies war fuͤr mich nicht moͤglich, meine Lebensart war andere Natur, und ich ließ mich bis zu den gemeinsten Geschoͤpfen herab. Der Wirth im Bock zu Wonsheim hatte eine Magd, mit welcher ich bei der Gelegenheit in Be- kanntschaft gerathen war, weil ich, wenn ich zu Schoͤnburg nach Neubamberg gehen wollte, Wons- heim passiren mußte. Diese Bekanntschaft stieg bis zur Vertraulichkeit, und ward der Gegenstand der muͤßigen Schwaͤtzerzungen, welche, ausser vielem andern naͤrrischen Zeuge, auch das von mir aus- sprengten, daß das Maͤdchen von mir schwanger sey. Ich bekuͤmmerte mich um das Geruͤcht der skandaloͤsen Chronik nicht; denn es war falsch. Schon seit einigen Jahren war ich auch mit einem gewissen Baron von F. aus M. bekannt. Die- ser Edelmann war zwar katholisch der Profession nach, aber seiner Praxis zu folge, war er ein Freigeist; zwar mehr aus Leichtsinn und Spottsucht, wie viele dergleichen Helden, denn auch der Unglaube hat seine blinden Anbeter, als aus Grundsaͤtzen. Dieser F. war ein eingemachter Wolluͤstling, der ganze Tage bei Wein und in Gesellschaft feiler Menscher, nach denen er ohne alle Delikatesse jagte, zubrachte. Zo- tenreissen und fluchen waren seine schoͤnen Kuͤnste: und seine einzige Wissenschaft, da er von allen uͤbri- gen Kenntnissen entbloͤßt war, bestand darin, daß er Tag und Nacht auf den Strich ging, Maͤdchen, wie Lerchen, fing, und diesen die Taille verdarb. Sonst war er ein ganz guter Mensch, d. h. ganz so, wie wolluͤstige und kreuzliederliche Leute zu seyn pfle- gen: sie theilen mit was sie haben, und freuen sich, wenn sie fuͤr ihr Geld einen Zirkel gleichgesinnter Menschen errichten koͤnnen, die eben so ausschweifen und tolliren als sie. Ich hatte diesen Herrn von F. zwar bei dem Amtsverwalter Schoͤnburg kennen ler- nen; allein unsere wechselseitige Hauptfreundschaft war waͤhrend meines Vikariats in Udenheim zu Nie- derolm, im Hause des Wirthes Noll auf folgende Weise gestiftet worden. Der Pastor Jacobi in Niederolm, einem zwei Stunden von Mainz gelegenen Dorfe, hatte eine Base oder Nichte bei sich, welche zwar nicht schoͤn war, uͤbrigens doch Reize genug hatte, jun- ge Leute luͤstern zu machen. Herr Dorsch mein Freund, Amtsverwalter daselbst, verschafte mir zuerst Bekanntschaft in dem Hause dieses Pastors, den ich denn nachher von selbst, da uͤberdem Udenheim nur eine Stunde weit davon liegt, oͤfters besuchte. Einst, da ich dahin geritten war, und nach abgelegter Visite meinen Gaul aus Noles Wirthshause, wo ich logirte, wieder abholen wollte, rief mich der Baron F. an, und noͤthigte mich, auf sein Zimmer zu kommen. Ich thats, und es wurden zuerst einige Glaͤser Wein versenkt. Hernach fragte er sogleich, wen ich be- sucht haͤtte, und auf meine Antwort, daß ich beim Hrn. Pastor gewesen waͤre, kam er ausser sich und rief: „ei! Schwerenoth! da haben Sie ja auch das huͤbsche Fratzchen gesehen? — Schwerenoth! wenn ich doch auch da koͤnnte bekannt werden! — — “ Ich : Das koͤnnen Sie leicht. Gehen Sie nur hin: der Pastor ist ein hoͤflicher freundlicher Mann. Er : Herr schaffen Sie mir Bekanntschaft und — ich verschreibe Ihnen Leib und Seele, wie man sie dem Teufel verschreibt. — Ich : Die Verschreibung ist unnoͤthig. Wissen Sie was? auf den Sonntag kommt Mamsel Jacobi mit der Tochter des Chirurgus nach Udenheim zu mir — kommen Sie auch und — Ihre Bekannt- schaft ist gemacht. Er: Topp! Freund! Ihr seyd mein Mann! — (greift nach dem Glase) Auf gute Freundschaft, du und du! — Ich : Blox! — Da hab ich wieder einen neuen Dutzbruder. — Er : Kerl! hol mich der Teufel — bist mein Mann! — Nur halt Wort, und sey gescheut! — Auf den Sonntag puncto ein Uhr bin ich bei dir! — — Nach dieser Abrede ritt ich nach Udenheim, und mein Herr Baron F.... nach Mainz. Sonntags Vor- mittags kamen die Mamsellen, und um ein Uhr war Bruder F.... da. Er spielte den Unschenirten so huͤbsch, daß das Frauenzimmer seine innige Freude uͤber ihn empfinden mußte. Ich merkte bald, daß Mamsell Jacobi eben nicht boͤse ward, wenn der Ritter ihr nahe kam, und Handgriffe wagte. Es wurde ge- lacht und geschaͤkert, bis gegen sechs Uhr hin, wo die Maͤdchen aufbrechen wollten. Der Baron hatte, wahrscheinlich absichtlich, eine Kalesche bei sich, und war also im Stande, sowohl seinen eigenen, als den Wuͤnschen der beiden Schoͤnen ein Genuͤge zu lei- sten. — Ich war daruͤber nicht eifersuͤchtig und neidisch — Dies ist mein Zug nicht — vielmehr freuete ich mich, daß ich einem jungen Menschen zum Anfange einer Liebschaft geholfen hatte. Einige Zeit hernach bekannte mir F...., daß seine Liebschaft gut von statten ginge: und das dies keine Luͤge war, be- wies das allgemeine Geruͤcht, welches in der dortigen Gegend von dem aͤrgerlichen Umgange der Nichte seiner Hochwuͤrden, des Herrn Pastors Jacobi, mit dem Baron von F.... zirkulirte. Aber das taugte nicht und war intolerant, daß die Leute dasiger Ge- gend zuviel und gerade das Schlimmste supponirten. So gehts indeß in der Welt! — Huͤbsch und artig zeigte sich der Baron auch nicht. Er machte es, wie die meisten seines Gleichen: er ließ das buͤrgerliche Ding, was er karressirt hatte, sitzen, heurathete eine aus adlichem Blut entsprossene, und Mamsel Jacobi mußte, um nur mit Ehren unter die Hau- be zu kommen, den oben genannten Gastwirth Noll heurathen. Dies war nun kein Cavalier Streich! — Meine Acquisition war indeß doch gut; denn Herr von F.... hat mir, so lange ich mit ihm um- gegangen bin, viel Freundschaft erwiesen. Ich wuͤrde seinen Namen ausschreiben; da ich aber noch meh- rere Streiche und Schwaͤnke mittheilen will, die wir gemeinschaftlich mit einander ausfuͤhrten; so mag der erste Buchstabe hinreichen. In jenen Gegen- den, wie ich glaube, versteht man doch, wen ich meine. Nachdem ich in Darmstadt nicht hatte reuͤssiren koͤnnen, und ich mich nachher, wie schon gesagt, in der Gegend unstaͤt umhertrieb, traf ich einst meinen treuen Baron F... beym Licenciaten M...... in Kreuznach, der ein sehr fideler Bruder war. „Ei! „du infamer Schlingel, schrie er mir entgegen, als „ich ins Zimmer trat, wo kommst du her? Hab „ja dich, wer weis wie lange, nicht gesehen! — „Wollt, der Teufel holte dich!“ — Das war nun so ein Compliment; aber in unsern Zirkeln waren sie nicht besser gebraͤuchlich. Ich erzaͤhlte ihm mein in Darmstadt gehabtes Malheur, die Kabalen daselbst und deren wahrscheinliche Ursachen. Er fuͤhlte stark das Haͤßliche darin, verfluchte die Kabbalisten bis in den tiefsten Abgrund, und versicherte mich, daß, wenn er einen solchen politischen und moralischen Moͤrder ertappen wuͤrde, er ihn zusammenschießen und, wie das angeschossene Wild, krepiren lassen wolle. Dis klingt zwar hart, aber der Baron hatte auch Gefuͤhl und rechtes Gefuͤhl fuͤr das Schickliche und Menschliche. — Nun, fuhr er fort, mußt du mit nach Mainz: ich hoffe, fuͤr dich alten Schweden etwas thun zu koͤnnen. — Ich mußte auch wirklich mit nach Mainz. Hier lebten wir mehrere Tage fidel und gedachten des uns getroffenen Ungluͤcks nicht. Der Baron machte mir Vergnuͤgen allerlei Art, wozu auch dieser Auftritt gehoͤrt. Er sagte unter andern, er wolle einen Kerl kommen lassen, mit dem man den Teufel im freien Felde fangen koͤnnte. Einen solchen Menschen mocht ich gern ein- mal sehen, und siehe da, dieser Teufelsjaͤger war der schon oben beschriebene Mosje — Brandenburger. Hier ist unser Gespraͤch. Baron F.: Hoͤre du Hoͤllenbrand, du ordent- licher und ausserordentlicher Ambassadeur des Satans, willst du mir zu Diensten seyn? Brandenburger : Von Herzen gern, gnaͤ- diger Herr, mit meinem Blute. — Baron F.: Hat den Henker von deinem Blut! Glaub, hast so nur Wagentheer in den Adern. — Zwei Dinge sollst du mir ausrichten. Einmal besorgst du einige ordentliche Menscher auf den Abend in Dillmanns Garten. Brandenburger : Blox! gnaͤdiger Herr, da hab ich Waare! — Mein Seel Waare, wie Sie noch nicht gesehen haben! — Herrliche Maͤ- del! — Blox! wenn Sie sie sehen, die Augen ste- hen Ihnen auf, wie einem abgestochenen Kalbs- kopfe. Baron F.: Gut! aber Kerl, wenn die Ca- naillen nicht koscher sind, so brech ich dir deinen ver- fluchten Hals, und schicke dich einige Tage fruͤher zum Teufel, Verstehst du mich? — Fuͤrs andere will ich dich fragen, ob du keine lutherische Pfarre vakant weißt, da fuͤr den (auf mich zeigend.). Brandenburger : O Herr Baron, dazu soll Rath werden. Blox, wenn der Herr Geld an- wenden kann und will, so wirds nicht fehlen. Mor- gen sag ich Ihnen davon mehr. (ab) Wir marschirten gegen Abend nach Dillmanns Garten, und der Bube hatte Wort gehalten: es waren wirklich einige Maͤdchen da, dem Gesicht und der Taille nach ganz niedliche Nymphen, welche, so bald wir ankamen, sich zu uns setzten, und uns die Zeit so vertrieben, wie man es nur von dergleichen Geschoͤpfen erwarten kann. Wir blieben die ganze Nacht in diesem Garten, und Herr von F.... wel- cher die Zeche allein gut machen wollte, mußte den Morgen gegen 18 Gulden bezahlen, die Gratiale abgerechnet, welche die Maͤdchen ausserdem nebenher bekommen hatten. Wie viel kostet doch Wollust und Ausschweifung nicht! — Brandenburger besuchte uns den andern Tag und berichtete, daß der Graf Schoͤnborn , Wie- senheitscher Linie, der seine Guͤter in Franken, ober- halb Aschaffenburg hat, eine lutherische Pfarre zu vergeben haͤtte; daß aber der Prediger noch lebe, jedoch den Tod schon auf der Zunge habe, und bald abfahren muͤsse u. s. w. Die Pfarre habe der Graf dem Domvikar Stark uͤbergeben, und diesem er- laubt, ein Subjekt zu waͤhlen, und sich von diesem die Gebuͤhren bezahlen zu lassen. Mein F.... fand die Sache etwas unglaublich und drohte, dem Bran- denburger Nasen und Ohren abzuhauen, und ihn noch obendrein zu kastriren, wenn er uns hinterginge; aber Brandenburger blieb dabei, es sey wahr. Wir zogen Erkundigung ein, und Herr Stark versicherte, daß Brandenburger wahr geredet habe, daß er es auch wohl zufrieden sey, wenn ich die Pfarrei mit 200 Dukaten bezahlte und erhielte, da sie jaͤhrlich 600 Gulden eintruͤge u. s. w. Ich aͤus- serte meine Verwunderung gegen Baron F...., das ein angesehner Geistliche, wie Herr Stark, gegen einen Hurenspediteur, wie Herr Brandenbur- ger, vertraut seyn koͤnnte. Ja, war Herrn von F.... Antwort, da verstehst du den Henker da- von! — die Pfaffen muͤssen dergleichen Gesindel auf ihrer Seite haben: denn woher bekaͤmen sie sonst ihre Menscher? Ich schrieb nun an meinen Vater den Vorfall; doch ließ ich den schuftigen Brandenburger aus dem Bericht. Er antwortete mir wieder, daß er es herzlich gern saͤhe, wenn ich koͤnnte befoͤrdert werden, damit ich einmal aus dem liederlichen und wuͤsten Leben herausgerissen, und in eine bestimmte Renn- bahn versetzt wuͤrde. Ich sollte die Sache mit Herrn Stark gewiß machen, aber auch mit dem Grafen in Mainz reden, damit das Ding am Ende nicht auch wieder schief ginge: er wuͤrde dann, im Fall die Pfarrei mir wirklich conferirt seyn wuͤrde, das Geld schon be za hlen. Nun wurde ein Aufsatz gemacht, Stark und ich unterschrieben ihn und Baron F.... signirte ihn qua testis . F.... schlug mir nun vor, eine Tour nach Franken zu machen, wohin er mich begleiten wollte, um die Pfarrei zu besehen, und naͤhere Nachrichten davon einzuziehen. Mir behagte der Vorschlag, und — die Reise ging vor sich. Sechs und dreissigstes Kapitel. Reise nach Franken à la Don Quixote . W ir reisten bis nach Aschaffenburg auf dem Main zu Wasser, und nahmen von da aus Pferde. Wir kamen innerhalb drei Tagen in dem Orte an, wo ich nach Brandenburgers Anstalten fuͤr die Zukunft den Bauern das Evangelium predigen sollte. Das Dorf hieß, wenn ich nicht sehr irre, Uthoffen, und war eben keins von den angesehnsten, ob es gleich auch nicht zu den schlechtesten gehoͤrte. Wir stiegen im Wirthshause ab, und ließen uns auftischen, was das Zeug hielt, oder vielmehr, was des Wirths Kuͤche und Keller vermochten. Fruͤh Morgens fragte der Baron den Wirth nach dem Befinden des Pfarrers, ob er noch huͤbsch gesund sey u. s. w., und die Antwort war, daß er zwar gesund, aber schon aͤusserst alt waͤre, und er es wol nicht lange mehr machen koͤnnte. Diese Nachricht war mir eben nicht sehr unangenehm. So geh er hin, sagte F... zum Wirthe, und sage er dem Herrn Pastor: der Baron (ich weiß nicht mehr, was F... sich fuͤr einen Namen gab) und sein Schloßprediger Herr (auch Erster Theil. Z mein cognomen ist mir entfallen) waͤren hier, und wuͤnschten ihn zu sprechen. Dictum factum . Der Wirth kam zuruͤck und sagte, der geistliche Herr wuͤrde es sich fuͤr eine hohe Ehre schaͤtzen, wenn so vornehme Herren bei ihm einsprechen wollten. Wir fanden an dem Pfarrer einen Greis, der zwar kein gelehrter aber doch ein sehr ehrlicher, aufrichtiger und freundschaftlicher Mann war. Er suchte uns nach seiner Art so gut als moͤglich zu bewirthen, mit warmen Bier und — Schnaps: denn Wein ist in dasiger Gegend selten, obgleich er weit wohlfeiler als in Sachsen ist. Wir zogen den letztern vor. Der ehrliche Alte, welcher uns beide fuͤr Pro- testanten hielt, kam auf das Kapitel der Katholiken, und da war des Klagens kein Ende. Er erzaͤhlte mit dem groͤsten Feuer, wie die Protestanten von diesen in Franken auf alle Weise geneckt und gedruͤckt wuͤrden, und wie besonders der Fuͤrstbischof zu Bam- berg viel Intoleranz ausuͤbe. Ich gab mein Befrem- den daruͤber zu erkennen, da ich das Gegentheil gehoͤrt hatte, und der Pfarrer erzahlte mehrere Beispiele von Neckereien und Unterdruͤckungen, daß ich meine vortheilhaften Begriffe von der Religionsduldung dieses Fuͤrsten fahren ließ. Ich fand, was ich im- mer erlebte, auch hier bestaͤtigt. Die roͤmischkatho- lische Religion bleibt immer dieselbe, d. h. immer intolerant, nur daß sie an diesem oder jenem Orte sich mehr oder weniger schaͤmt, Menschen des Glau- bens wegen oͤffentlich zu necken und zu druͤcken. Wir entdeckten in Uthoffen die Absichten unsrer Reise nicht, und reisten nach zwei Tagen wieder mit Bauerpferden ab. F.... ein kreuzbraver Junge, der gern seinen Freunden Vergnuͤgen machte, und bei dem ich so gut stand, that mir hierauf den Vor- schlag, eine Tour nach Bamberg und Wuͤrzburg mit zu machen, unter der Versicherung, mich sollte die Reise auch nicht einen Kreuzer kosten. Vielleicht wußte ers, daß meine Boͤrse kaum zur Ruͤckreise von Uthoffen nach Mainz hinreichen wuͤrde. Ich ließ mir den Vorschlag unter der Einschraͤnkung, daß ich ihm an Ort und Stelle das ausgelegte Geld wieder ersetzen duͤrfte, gefallen. Das wollen wir schon se- hen, sagte er, und so gings nach Wuͤrzburg, Bam- berg, Anspach, Erlangen, Nuͤrnberg, und den an- dern Staͤdten, welche in der dortigen Gegend herum liegen. Ich schrieb hier weder Reisekunden noch Topographien, folglich darf man hier nichts weiter erwarten, als was mich betrifft. In Bamberg blie- ben wir nicht lange; ich hatte also keine Gelegenheit dies Ding, was misbraͤuchlich Universitaͤt genannt wird, naͤher kennen zu lernen. So viel weiß ich, daß hier nur der katholische Priester ausstudiren kann, ob gleich auch dieser dies eben so gut in jedem Kapu- cinerkloster beim Pater Lektor thun koͤnnte. Wuͤrzburg ist ohne Zweifel die beste katholische Universitaͤt in Deutschland. Sie hat besonders ei- nige recht gute Maͤnner in der Geschichte, den Rech- ten, der Arzeneikunde, und sogar in der Philologie aufzuweisen. Die Studenten, welche hier auch Ju- risten heißen, und deren Anzahl damals an 400 war, die sogenannten Seminaristen abgerechnet, sind mei- stens artige, gutgesittete junge Maͤnner, und ganz anders, als jene in Heidelberg, Straßburg und Mainz. Weil ich ganz nach Burschen Art gekleidet war, und einen gruͤnlichen Flausch trug, welchen ich noch in Halle verschenkt habe, nebst gestreifter Weste, gelben ledernen Beinkleidern, großen großen Stiefeln, nebst einem derben Hieber an der Seite; so ward es mir leicht, mich fuͤr einen Jenaischen Studenten auszugeben. Auch mein Reisegefaͤhrte, oder viel- mehr mein Reisepatron that dies, und es hatte die gute Wirkung, daß sich die Herren Wuͤrzburger um die Wette beeiferten, uns recht viel Vergnuͤgen zu machen. Aber bald haͤtten wir doch Haͤndel bekom- men. Die Burschen erfuhren, daß F.... kein Je- naischer Student seyn koͤnne: daß er vor mehrern Jahren selbst in Wuͤrzburg studirt habe, und mit mehrern Domherren und Adlichen daselbst, deren Namen hier, wie an allen geistlichen Stiftern, Legion ist, verwandt sey: sie setzten uns also deshalb zu Rede. Ich vertheidigte meinen Kameraden, brach in hitzige Worte aus, und bald bald waͤre es zu Schlaͤgereien gekommen, wenn nicht der Student eben so hitzig, als gutmuͤthig und vertraͤglich waͤre. Wir versoͤhnten uns bald, und ich wurde wegen mei- ner maͤnnlichen Entschlossenheit als Bruder Studio von Jena anerkannt. Ich bemerkte viel gute Zuͤge an diesen Leuten. So hab ich unter den Wuͤrzbur- ger Studenten nur wenige gefunden, die sich daran stießen, daß ich lutherisch war, obgleich einige des- halb, weil ich nicht den rechten Glauben hatte, kalt gegen mich thaten. Doch diese Kaͤlte ersetzte der dasige vortreffliche Steinwein, der, wie mich duͤnkt, wegen seiner Guͤte eben so weit und breit beruͤhmt zu seyn verdient, als der Hochheimer, Niersteiner oder Riedesheimer. Einigemal hat mich dieser koͤstliche Rebensaft um all mein Besinnen gebracht. Ehe ich weiter gehe, noch eine Statistisch politische Bemer- kung. Das Wuͤrzburgische ist ungleich besser be- voͤlkert und kultivirt, als das Bayreuthische. Die Bauern klagen dort nicht so sehr uͤber Abgaben, als hier. Der Grund ist leicht. Unter einem katholi- schen Bischof darf man freilich nicht alles sagen, was man uͤber Religion denkt, wie unter einem lutherischen Markgrafen; allein der katholische Bi- schof braucht auch nicht so viel Ausgaben als der lu- therische Markgraf; folglich braucht auch jener nicht so viel Abgaben aufzulegen, als dieser. Die To- leranz allein macht die Unterthanen noch nicht gluͤcklich. Als wir beinahe eine Woche in Wuͤrzburg zu- gebracht hatten, ohne daß es uns viel gekostet hatte, zogen wir weiter, durchstrichen einige Staͤdte als: Bayreuth, Schweinfurth und andere, und gingen nach Erlangen. Ich traf hier einige meiner Landesleute an, unter denen vorzuͤglich Herr Kiefer von Saar- bruͤcken mir viel Vergnuͤgen gemacht hat. Die Universitaͤt ist zwar klein; aber die Lebensart und der Ton der Studenten vortreflich und zweckmaͤßig. Ich traf viele wilde Christen und recht ausgelernte Schlaͤger unter ihnen an — indeß die meisten begehr- ten den lieben Frieden und hielten sich ruhig. — Nicht lange vorher hatte Herr Isenflamm den Amicisten - Orden zerstoͤhrt, aber nicht ausgerot- tet. Denn da die Burschen erfuhren, daß ich auch zu dieser loͤblichen Gesellschaft gehoͤrte; so brachten sie mich in eine feierliche geheime Gesellschaft, wol von zwoͤlf Ordensbruͤdern, trieben ihre Possen, und hielten auf die Observanz ihrer Gesetze so streng, als waͤre ihr Klupp mit einem Kaiserlichen Privilegium fundirt gewesen. Was gings mich an! ich logirte, wie uͤberhaupt, so auch hier, auf diese Art bei Or- densbruͤdern, und ließ meinen Baron, wenn er den Studententummel verließ, in den Gasthof gehen. In Erlangen lernte ich auch einige Professoren kennen, naͤmlich die Herren Seiler , Rosenmuͤl - ler , Harles , Hufnagel , und Meusel . Nur einiges von ihnen. D. Seiler ist ein krasser und dabei ganz ab- scheulich intoleranter Orthodox. In seinen Schrif- ten schimpft er zwar nicht; allein desto aͤrger macht ers in seinem Kollegio. Er schaͤndet die Semlere , Tellers , Steinbarte , und sogar die Lesse , was das heilige Zeug haͤlt. Sonst scheint mir Herr Seiler kein großer Gelehrter; und daß ers uͤberhaupt nicht ist, das haben ihm auch andere, vorzuͤglich Bahrdt in seiner Apologie der Vernunft recht derbe gesagt. — Freund Harles ist ein Grammatiker; und da denkt er denn so in seinem Sinn, wie viele seiner Bruͤder, nun sey er ein Philologe! Ich hoͤrte ihn uͤber den Theophrast lesen; das war mir aber eine Leserei, wobei mir angst und bange ward. Die Herren Studiosi schrieben indeß diese philologische Weisheit von Wort zu Wort nach. Das waren mir auch Wichte! – Hufnagel war damals noch Professor extra- ordinarius , und las Exegetica . Wenn ich je ei- nen Mann habe kennen lernen, der mit blutwenig Gelehrsamkeit sich breit machen, und den Meister aller Meister spielen konnte; so war es gewiß Herr Professor Hufnagel in Erlangen. Ich wurde durch einen Studenten mit ihm selbst bekannt, und fand einen jungen raschen Mann an ihm von unbeschreib- lichem Duͤnkel, der uͤber die groͤßten Maͤnner so rai- sonnirte, als wenn sie kaum seine Schuͤler seyn koͤnnten. So redete er mit Verachtung von Leß, Muͤller und Walch, — fand an Doͤderlein, Sem- ler, Ernesti, und vielen andern Matadoren der deutschen Litteratur viel auszusetzen, — allegirte fleißig seinen Hiob und seine uͤbrigen kleinen Schrift- chen, und machte durch Faͤllung seiner Urtheile, daß ich anfing, stark an seiner Gelehrsamkeit zu zweifeln. Meine Vermuthungen bestaͤtigten auch mehrere An- dere durch Erfahrung. — Ich hoͤrte damals in Er- langen, daß Doktor Seiler Herrn Hufnagel gern seine Tochter habe anhaͤngen wollen; dieser habe aber die Ehre ausgeschlagen, und daher komme es, daß Seiler den Hufnagel hasse, und dieser an jenem durch bittern Spott und Raisonnirerei in allen Ge- sellschaften sich zu raͤchen suche. Doktor Seiler hatte wenig Freunde, und dies nicht sowohl wegen seiner Orthodoxie, als vielmehr wegen mancher Fraubase- reien, wozu er die Haͤnde geboten hatte. Aber an Herrn Meusel hab ich einen rechten Mann getroffen. Dies ist ein Mann, dessen heller Kopf, gesunde und freimuͤthige Urtheile, dessen aus- gebreitete Gelehrsamkeit und edles Herz jeder, der sich ihm naͤhert, bewundern muß. Ich bin drei bis viermal bei ihm gewesen, und jedesmal mit einer Art von Bezauberung von ihm gegangen. Er war ehedem Professor in Erfurt und zwar zu der Zeit, als D. Bahrdt diese Universitaͤt zierte; allein er huͤtete sich recht sehr, in das von den Herren, Bahrdt, Riedel, Bollmann und einigen andern errichtete col- legium zotologicum einzutreten. Nuͤrnberg sah ich bei dieser Gelegenheit auch, und freuete mich uͤber die allgemeine Industrie, wel- che in dieser Stadt herrscht. Ohngefaͤhr sechs Wochen nach unsrer Abfahrt von Mainz, trafen wir endlich nach vielen Umschwei- fen und lustigen Streichen daselbst wieder ein. Doch ehe ich weiter erzaͤhle, muß ich noch ein Anekdoͤtchen nachholen. In einem Dorfe oͤhnweit Aschaffenburg mußten wir uͤbernachten, theils weil wir uns unter Weges zu lange in den Dorfkneipen aufgehalten hat- ten, theils weil uns unser Bote versicherte, daß wir fuͤr den Tag Aschaffenburg nicht erreichen koͤnnten. Es war an einem Sonntage, und die Bauern, maͤnn- lichen und weiblichen Geschlechts, machten sich beim duͤrren Holze fuͤrbaß lustig. Ein Maͤdel unter den Baͤurinnen zog des Herrn von F.... Aufmerksamkeit auf sich — er nahm es und schaͤkerte mit ihm bis in die Mitternacht. Er schien von demselben gleichsam angeschossen zu seyn: denn den folgenden Morgen hatte er Pferde und Boten wieder zuruͤck geschickt, ohne mir ein Wort davon zu sagen. Ich trieb; allein er erklaͤrte mir, daß er diesen Tag schlechter- dings noch dableiben muͤßte. Warum er mußte, sah ich bald ein. Baͤrbel, so hieß das Maͤdchen, er- schien kurz nachher, und blieb den ganzen Tag bei uns. Ich mochte predigen, bitten, und schelten wie ich wollte; — F.... war nicht zum Abmarsch zu bewegen, und erst den Mitwochen konnt ichs dahin bringen, daß er mit mir abreisete. Ich bin einige- mal Zeuge ganz vertrauter Auftritte gewesen; ich habe zwar nichts erfahren, aber wundern sollt es mich doch, wenn diese Vertraulichkeit keine weitern Folgen gehabt haͤtte. Nun das wird Baͤrbel am be- sten wissen! Als wir wieder in Mainz angelangt waren, statteten wir dem Herrn Grafen von Schoͤnborn und dem Vikarius Stark Bericht von unsrer Reise ab, und erhielten von beiden die troͤstliche Antwort: daß, wenn der alte Praedikant So nennen die Katholiken die protestantischen Geistli- chen, indem sie diese fuͤr keine Priester gelten lassen. Ihrer Meinung nach, soll es ein Unname seyn; allein dies ist er eben so wenig, als die Benennungen von Protestanten und Dissidenten, die immer an große Be- gebenheiten erinnern, und denen, die sie fuͤhren, keine Schande ondern Ehre machen. abfahren wuͤrde, keiner als ich die Pfarre, versteht sich, gegen Erlegung von 200 Dukaten, oder 1000 Rheinischen Gulden, erhalten sollte. — Brandenburger besuchte mich gleich den Tag nach meiner Ankunft in Mainz, und erzaͤhlte mir mit Entzuͤcken, daß er, wie er sich aus- druͤckte, ein gewaltiges Mensch fuͤr mich aufgetrieben haͤtte, dessen Vermoͤgen an barem Gelde sich an 6000 Gulden beliefe. Es war eine Muͤllerstochter im In- gelheimer Grund. Brandenburger wollte haben, daß ich, um die Sache bald in Richtigkeit zu brin- gen, sogleich mit ihm herausgehen sollte; aber ich hatte keine Lust dazu, weil er als mein Freiwerber und Unterhaͤndler ein zu jaͤmmerlicher Schuft war. Besprochen hatte er den Muͤller wirklich meinetwe- gen, auch fuͤrchterlich von mir aufgeschnitten: dies hoͤrte ich nachher von andern. Das Band der Ehe muß mir damals aber eben so wenig als jetzt bestimmt gewesen seyn; sonst waͤre aus der Sache wohl etwas geworden. Doch ich muß nun weiter gehen. So stand die Sache mit der Pfarrei in Fran- ken, die ich haͤtte erlangen und bei der ich ein be- stimmtes und ruhiges Leben haͤtte fuͤhren koͤnnen, wenn nicht eigener Leichtsinn, Verabsaͤumung guͤn- stiger Gelegenheiten, und endlich Kabalen Anderer mich immer weiter und weiter, wie die Folge meiner Geschichte zeigen wird, von meinem irrdischen Ziele entfernt haͤtten. Sieben und dreissigstes Kapitel. Ein neues Vikariat M ein Vater war mit meiner donkischottischen Reise nach Franken sehr uͤbel zufrieden, und er hatte Recht. Er kannte mich, und mußte sichs schon zum voraus vorstellen, daß ich auf meiner Wallfahrt viele und mannigfaltige Suiten gespielt habe. Um aber so viel als moͤglich seinen Unwillen von mir abzuleiten, be- schrieb ich ihm die zuruͤckgelegte Reise nach meiner Art, d. h. ich ließ aus, was er nicht wissen sollte, und sagte blos das, was ich, ohne Wischer zu be- kommen, getrost erzaͤhlen konnte. Daß ich in Erlan- gen gewesen war, verschwieg ich; und mein Vater haͤtte es vielleicht nie erfahren, wenn es ihm nicht vom Herrn von Meiern gemeldet waͤre, der es vom D. Seiler, seinem ehemaligen Hofmeister, gehoͤrt hatte. Mein Vater filzte mich deshalb sehr derbe aus, besonders da Herr Seiler, nach seiner theolo- gischen Humanitaͤt, gar schief von mir geurtheilt, und mich als einen heillosen Menschen beschrieben hatte, an dem auch nicht Ein Haar gut waͤre. Wahrscheinlich that dies der theologische Ehrenmann, um sich an mir zu raͤchen. Als eine eingemachte Frau Base, die gern Stadtmaͤhrchen hoͤrt und giebt, hatte er vermuthlich auch meine freimuͤthigen Raisonne- ments uͤber sich und seine Gelehrsamkeit erfahren, aber selbige sehr unguͤtig aufgenommen. Herr von Meiern haßte mich, das wußte ich; er suchte mir also bei meinem Vater einzuhauen. Der Groll kam daher. Ich entdeckte meiner Freundin, dem Fraͤulein Henriette von Hunoltstein zu Niederwiesen, die wahren Umstaͤnde dieses Mannes. Er wollte dies tugenthafte und schoͤne Fraͤulein heurathen, mehr aus Gier zu ihren 30000 Thalern, als aus Liebe zu ihrer Person. Denn im Punkte der Liebe war er ein Stoiker: er nahms, wie ers vorfand, nach Art vieler seines Gleichen. Er war von Zwingenberg im Darmstaͤdtischen, hatte auch wirklich als R. Rath in Darmstadt gestanden, und war wegen verbrannter Akten schon vom Praͤsident Moser fortgeschickt wor- den. Dem Fraͤulein Jettchen und deren Bruder hatte er nun viel weis gemacht von seinem Vermoͤgen, und so fuͤrchterlich bramarbasirt, daß man haͤtte glau- ben sollen, wer weis wie viel Tausende er besitze! — Ich demuͤthigte diesen Großsprecher, der nachher ka- tholisch wurde, und vor zehn Jahren zu Lemberg im Kaiserlichen sich aufhielt. Mein Vater begehrte, daß ich dem Baron F.... sein fuͤr mich ausgelegtes Geld — das sich immer auf 60 Gulden belaufen konnte — ersetzen sollte; allein der Baron schlug diese Erstattung groß- muͤthig aus. Ich bin sein Schuldner, und werde es auch wahrscheinlich bleiben bis an den juͤngsten Tag. Waͤhrend meiner Abwesenheit aus der Pfalz hatte der alte Pfarrer Koͤster zu Obersaulheim, ei- nem Rheingraͤflichen Dorfe, um einen Substituten oder Vikarius angehalten, und das Consistorium zu Grehweiler hatte mich zu dieser Stelle ausersehen, und mein Vater drang darauf, daß ich sie annehmen sollte. Sie war auch wirklich des Annehmens werth. Ich hatte da freie Station, d. h. meinen Koffee, der aber in jenen Gegenden nicht so frequent geschluͤrft wird, als in Sachsen und Preussen, meinen Toback und Wein, mein Reitpferd zum Vergnuͤgen, mo- natlich sechs Gulden Geld, und endlich alle bei der Pfarrei einlaufenden Accidenzien. Dafuͤr hielt ich nur Sonntags vormittags eine Predigt, und Nach- mittags entweder Kinderlehre oder eine sogenannte Betstunde. Kurz, diese Stelle war nicht unrecht. Ich sistirte mich daher bei dem Consistorium. Rath Dietsch hielt mir eine derbe, jedoch freundschaft- liche Strafpredigt, welche meine Ketzerei, meinen schlechten Umgang, meine Trunkenheit, und endlich mein liederliches Leben mit Frauenzimmern von der niedrigsten Klasse betraf. — Ich wollte mich ver- theidigen; allein Herr Dietsch empfahl mir, statt der Apologie meines Lebens, behutsames und kluges Be- tragen, und sagte, ich moͤchte mich nur nach Ober- saulheim begeben und mein Amt daselbst so verrichten, wie ich es zu verantworten, mir getrauete. In diesem Vikariate hab ich viel Vergnuͤgen genossen. Der Pfarrer Koͤster , ein alter Mann von beinahe achtzig Jahren, und dessen Frau, die nicht viel juͤnger war, machten mir nebst ihrem Sohn, der Apotheker in demselben Dorfe war, mein Leben angenehm und vergnuͤgt. Dieser junge Mann hatte zwar keine Medicin studirt, d. h. war nicht auf Uni- versitaͤten gewesen, hatte da fuͤr schweres Geld keine Collegia gehoͤrt, hatte sich endlich auch keine mit Griechisch verhraͤmte, und mit hundert und neun und neunzig Citaten versehene, Dissertation von ei- nem expediten allzeit fertigen Dissertationsfabrikanten fuͤr bares Geld zusammenschmieren lassen, (derglei- chen Dinge einem solchen um so leichter werden, wenn er die absurdesten Saͤtze hinsudeln, und die lateinische Sprache mit neuen barbarischen Woͤrtern und Phra- sen bereichern kann z. B. praetervidere uͤbersehen) hatte auch keine stumme Person auf dem Katheder agirt, war auch endlich nicht auctoritate impera- toria et regia zum Doktor geschaffen worden — das alles hatte Herr Koͤster nicht gethan. Aber en revanche besaß er eine tiefe Kenntniß der Physio- logie, der Therapie, Pathologie und Semiotik, hatte ein hell sehendes Auge, that die gluͤcklichsten Kuren, und war in der ganzen Gegend weit angesehener, als jene mit Privilegien und Diplomen der Universitaͤt versehene Pfuscher. Dieser, junge Mann ward mein innigster Freund, so wie sein Bruder, der Pfarrer zu Niedersaulheim. Waͤre ich nicht schon zu sehr verdorben gewesen, oder haͤtte ich nur Muth genug gehabt, mich von meinen lustigen Verbindungen los- zureißen; ich glaube, diese Leute haͤtten mich noch auf bessere Wege bringen koͤnnen. Obersaulheim ist nur eine halbe Stunde von Udenheim entfernt, wo ich Vikarius gewesen war. Die Udenheimer Bauern hatten noch viel Liebe zu mir, wenigstens liebten sie mich weit mehr, als ihren Pastor, den sie nur schlechtweg den Magister Weit - maul und den Zundermann titulirten. Daher kam es, daß die Udenheimer fleißig nach meinen Predigten liefen, und Wageners Kirche leer stehen ließen. Daruͤber aͤrgerte sich nun Mosje Wagener ganz abscheulich, und eiferte in allen seinen heiligen Reden uͤber gewisse Leute, die zwar Gottes Wort lehren wollten; aber von dem, was sie sagten, auch kein Wort glaubten, und uͤberdem noch ein lieder- liches Leben fuͤhrten u. s. w. — — Der Schulmei- ster Tautfeß von Udenheim, gab mir von diesen erbaulichen Reden Nachricht, und ich — war so un- klug, daß ich gegen den Menschen, den ich haͤtte verachten sollen, eben solche Waffen ergriff, und phi- lippische Reden hielt. Ich suchte alles auf, was ich von dem Herrn Magister Weitmaul wußte, und setzte moralische Karaktere zusammen, welche so kennt- lich waren, daß selbst die Bauern, wenn sie aus der Kirche gingen, zu einander sagten: „Heut hott der Vikaries dan Magischter Weitmaul wedder amol „racht herunner kefummelt; es keschieht am aber „schone racht!“ In die Laͤnge thats doch kein gut mit diesen Controverspredigten. Ich bekam ein Monitorium von Herrn Dietsch , mich aller Anzuͤglichkeiten auf der Kanzel zu enthalten, weil, wenn die Sache zur Klage kaͤme, ich nicht mehr predigen duͤrfte. — Jetzt wurde ich erst klug, oder vielmehr, jetzt fuͤrchtete ich mich, und ließ das Ding seyn. Meine Bauern zu Obersaulheim waren mir sehr gewogen; denn ich war gegen sie freundlich, und that auf das Ansehen eines Gelehrten, in welchem Rufe, ohne mich zu ruͤhmen, ich bei ihnen stand, Verzicht. Bauern dulden an ihrem Pastor gern alle Fehler, wenn er nur, wie sie sagen, was gelernt hat. Sie entschlossen sich, mich dahin zu bringen, die Tochter des Pfarrer Koͤsters zu heurathen, und mir auf diese Art die Hofnung der Nachfolge zu sichern. Der Schulz, und noch einige andere Bau- ern, baten mich daher in einer dazu angestellten Zu- Erster Theil. Aa sammenkunft, ihnen einen Weg zu zeigen, wie dies Ding am besten zu bewerkstelligen waͤre. Ich schlug vor, daß sie meinetwegen eine Bitt- schrift beim Konsistorium zu Grehweiler eingeben moͤchten. — Freilich hatte mein Herz gegen die Verbindung mit der Mamsell Koͤster gar sehr viel einzuwenden. Einmal war das Maͤdchen, wenig- stens sechszehn Jahr aͤlter als ich, und dann hatte sie auch nicht die geringste Spur von Schoͤnheit. Sonst schien es ein gutes und stilles Geschoͤpf zu seyn; aber mir wollte sie nicht gefallen, ohnerachtet ich doch auch gar nicht der Kerl war, der viel Wahl vor sich hatte. Dies mein Zuruͤckziehen von dem Maͤd- chen, konnte ich mir ganz gut erklaͤren. Bei dem Vorschlage, sie zu nehmen, stellten sich mir die Bilder meiner vorigen Bekannt- und Liebschaften wieder dar, und sobald sich mir Theres- chen Vielleicht haben schon manche meiner Leser gefragt, warum ich denn so ganz und gar von diesem herrlichen Geschoͤpfe schweige? Aber warten Sie nur meine Her- ren, im andern Theile dieser Historie soll Thereschen schon wieder auftreten, und ihre Rolle ausspielen. Sa- chen, so zusammen gehoͤren, zerstuͤck ich nicht gern. wieder vor die Augen mahlte, so empoͤrte sich alles in meiner Vorderbrust. Ich hatte schon mehrmals eine beinahe festge- gruͤndete Hoffnung verloren, war als ein Libertiner bekannt, und hatte blutwenig Freunde von Einfluß. Da dachte ich dann, es sey besser, in einen sauren Apfel zu beissen, als gar Hungers zu sterben — und so faßte ich den heldenmuͤthigen Entschluß, durch den Canal der Mamsel Katharine in den Schafstall der Heerde Christi einzugehen, und mein Kreuz, als Juͤnger und Apostel Jesu, geduldig auf mich zu neh- men und zu tragen. Ich notificirte meinem Vater diesen Vorschlag und meinen Entschluß; aber der hatte eben soviel da- wider zu erinnern, als ich im Anfange der Sache. Er meinte, das sei eine ungluͤckliche Heurath, welche auf ein Lamy, verdollmetscht Lamentiren, hinaus- laufen wuͤrde. Ein junger Mann muͤsse seine aͤltere Frau verachten und extra steigen: das koͤnne gar nicht anders seyn. Bei dieser Gelegenheit erklaͤrte er mir allerlei Geheimnisse des Ehestandes. Doch wollt er mir nicht zuwider seyn, fuͤgte er zuletzt hin- zu: Er saͤhe wohl, daß, wenn ich laͤnger ohne feste Station bliebe, mein ganzes Wesen noch voͤllig ver- dorben werden wuͤrde, wenn ja noch etwas Gutes in mir stecken sollte. Wie mein Vater, eben so dachten auch die Bruͤder der Mamsel, ohne es gerade mir unter die Augen zu sagen; allein die Mamsel selbst, dachte weit anders, als wir alle. Sie fand, daß sie fuͤr mich, und ich fuͤr sie von Gott gemacht waͤren: daß ein junger Mensch von drei und zwanzig, und ein zahnloses Frauenzimmer von vierzig Jahren, ein allerliebstes Paͤrchen machen wuͤrden: und bei die- ser Voraussetzung fing sie an, nachdem der Herr Schulz seinen Sermon, die Sache betreffend, bei ihr abgelegt hatte, die Verliebte und Zaͤrtliche zu spie- len. — Was man so im gemeinen Leben sagt, hab auch ich, oft und Besonders an dieser Katharine wahr gefunden. Das Frauenzimmer laͤßt sich, we- gen seiner natuͤrlichen Eitelkeit, die uͤber alles geht, gern, von jedermann, er sei geliebt oder gehaßt, huͤbsch oder garstig, jung oder alt, von Qualitaͤt oder ohne Qualitaͤt, flattiren und karessiren. Auch Katharine war so. Ihr Schoͤnthun kam aber sehr naͤrrisch heraus, und quaͤlte mich ganz abscheulich. Und ich glaube, fuͤr jeden braven deutschen Kerl ist nichts unertraͤglicher und ekelhafter, als Schmeiche- leien, Kuͤsse, und zaͤrtliches Necken eines verliebten und empfindsamen Weibesbildes, fuͤr welches man nichts empfindet. Das Aergste bei der ganzen Sache war dies. Wenn ich nicht alle absurden Zaͤrtlichkeiten und alle haͤufigen und vollmaͤuligen Kuͤsse sogleich mit allem Ernst erwiederte; so ward die Mamsel boͤse, und klagte recht ernstlich uͤber meinen Kaltsinn. Ich war also allemal, so oft ich um und neben ihr seyn mußte, auf der Folterbank, und lief, um mir doch einigermaßen meinen Unmuth und Langeweile zu vertreiben, sast taͤglich spatzieren, durchstrich die da- siege Gegend, und stiftete endlich wieder eine Art von Liebesverstaͤndniß mit der Tochter eines Refor- mirten Pfarres: dies Liebesbuͤndniß hab ich selbst noch von Halle aus fortgesetzt und bei meiner Nachhaus- reise vor fuͤnf Jahren sogar wieder erneuert. So wenig Wahrscheinlichkeit auch daseyn mochte, daß die Sache zu Stande kommen wuͤrde, so betrach- tete sich doch Mamsell Katharinchen schon als meine wirkliche Braut, und verlangte daher, eifersuͤchtig wie alle alte Jungfern, von allen meinen Tritten und Schritten genaue Rede und Antwort, spuͤrte ihnen nach, und siehe, sie witterte meine Gaͤnge zu dem Reformirten Pfarrer. Sie hoͤrte, daß da huͤb- sche Maͤdchen waͤren: daß ich mit Karolinchen fidel umginge u. s. w., und nun hatt' ich meine liebe Noth. Ich mochte sagen, was ich wollte, mochte schwoͤren, so hoch ich wollte, und meine arme Seele auch neun und neunzig mal in den Abgrund der Hoͤlle verfluchen, es half alles nichts: sie kiff und schmollte, daß es eine Art hatte. Und wollt' ich sie ja gut machen; so mußt' ich sie auf den Schooß nehmen, sie necken, druͤcken und kuͤssen, und alle Thorheiten treiben, die der allerverliebteste Junge mit seinem Maͤdchen nur treiben kann. Die Bauern ließen indeß eine Bittschrift verfer- tigen, und reichten selbige beim Konsistorium zu Greh- weiler ein. Der Rath Dietsch war mir nicht abge- neigt, und waͤre es blos auf ihn angekommen, so haͤtt' ich die Pfarre erhalten; allein auch heiraus sollte nichts werden, wie die naͤhere Beschreibung meiner damaligen Lage zeigen wird. Acht und dreissigstes Kapitel. O weh mir armen Korydon ! I ch schaͤme mich beinah, meinen Lesern die Geschichte dieses Kapitels mitzutheilen. Ich weis es, daß ich ihnen Achtung schuldig bin, und war deshalb lange unschluͤssig, ob ich ihnen dieselbe erzaͤhlen duͤrfte oder nicht. Jedoch, da ich alles angeben will, was Grund zu meinen Verirrungen gab, oder was in meinen Verirrungen gegruͤndet war; so kann ich doch wirklich diese Passage nicht auslassen. Es kommt mir freilich etwas hart an, frei herauszugestehen; allein ich muß einmal hereinbeissen in den sauren Apfel, da dies uͤberdem, wie ich glaubte, eben so gut, wie mancher Spruch in der Bibel, manchem zur Lehr' und Warnung geschrieben seyn kann. Daß ich den Baron F.... in Mainz mehrmals waͤhrend meines Auffenthalts daselbst besucht habe, daß ich ihn auch oft im erwaͤhnten Pastorhause zu Niederolm antraf, und ich allemal, wenn ich in seiner Gesellschaft war, in Freund und Wonne schwamm, kann jeder sich schon von selbst denken, wer das Harmonische und Gleiche unter beider Denkungsart in den vorigen Kapitel bemerkt hat. Einst besuchte ich ihn, und er bat mich, da ich gewoͤhnlich diese Vergnuͤgenstour hin und her in einem Tage machte, die Nacht bei ihm zu bleiben: denn er wolle mich auf den Abend an einen Ort bringen, wo es recht flott und fidel herginge. Ich erkundigte mich nach diesem Orte, und erfuhr, daß daselbst einige Nymphen sich aufhielten, welche nicht boͤse wuͤrden, wenn junge Mannspersonen sie besuch- ten. Zu Deutsch war also dieser fidele Ort weiter nichts, als ein Bordel, welches nur das Schild und das Privilegium nicht aushangen durfte: denn so viel oͤffentliche Huren es auch sonst in Mainz giebt, welche des Abends alle Straßen durchkreuzen, so ist doch da kein oͤffentliches Haus, wo man unterm Schutz der Obrigkeit huren koͤnnte. — Ich stellte meinem Freunde vor, daß dergleichen mir als Theo- logen nachtheilig werden koͤnnte, zumal wenn ich verrathen, oder erkannt wuͤrde, „Narr, erwie- „derte der Baron, bist nicht klug! — wer kennt dich „denn — machst die Haare auf — nimmst einen „Mantel um, und der hoͤllische boͤse Feind entdeckt „dich nicht! Komm nur und sey gescheut! —“ Ich ging auch wirklich mit: denn wozu konnte man mich nicht bringen, bei sothanen Umstaͤnden! — Wahr- haftig, zu einer solchen Zeit konnte man leicht aus und mit mir machen, was man Lust hatte. Wir begaben uns nach der Gaugasse , und gingen ohnweit der Kaserne in ein Haus, in dessen oberm Stockwerke drei recht charmante Nymphen sich aufhielten. Anfangs ging alles recht keusch und zuͤchtig zu: wir ließen Kaffe machen, Gebackenes und Wein holen, und die Maͤdchen participirten wie wir. — Dies Schmausen dauerte bis zwoͤlf Uhr, und wir hatten bis jetzt noch weiter nichts gethan, als geschaͤkert, Handgriffe gewagt, und Zoten und zweideutige Reden mancherlei Art reichlich in ihren Schooß ausgeschuͤttet. — Die Maͤdchen verstanden die Liebeskuͤnste besser. Die eine entfernte sich, und zwei blieben bei uns, von denen die eine nicht lange darauf so zu uns redete: „Meine Herren! wir muͤs- „sen schlafen gehen, es ist schon spaͤt! (hier rieb sie „sich die Stirn und die Augenlieder) entweder leisten „Sie uns Gesellschaft, oder entfernen Sie sich, es „schlaͤgt den Augenblick zwoͤlf! —“ „Ei was, hob „die andere an, so huͤbsche Herren nach Hause gehen „lassen: die Herren bleiben bei uns, nicht wahr?“ Wir waren beide von Wein und wolluͤstigen Bildern erhitzt, sahen den Tisch gedeckt, und, weil wir des- halb gekommen waren, unsere Wuͤnsche erfuͤllt: was sollten wir also auf das Nicht wahr des Maͤdchens antworten? Nichts weiter, als daß wir blieben: nicht wahr? — Und so war es auch wirklich. Ehe wir uns mit unsern Maͤdchen auf die Sei- te machten, hielten wir Abrede, nach zwei Stunden diesen Ort zu verlassen, weil ich fuͤrchtete, wenn ich laͤnger oder bis an den Tag an diesem Orte des Ver- gnuͤgens weilte, ein Bekannter mich sehen und die ganze Geschichte ausposaunen moͤchte. F... gab mir hierin Recht, und setzte hinzu: „Ich scheere mich „zwar den Teufel drum, ob man mich sieht, oder „nicht; aber du mußt dich schon wegen der Leute ein „Bissel scheniren, wenn du zu'n Menschern gehst. „Du bist'n Pfaff, und die Pfaffen duͤrfen diese „Sache nicht so kommode haben, als die Welt- „kinder.“ Es war auch wirklich noch nicht Tag, als wir unsere Nymphen verließen; der Baron zwar ungern, denn er kehrte oft in der Thuͤr um, und sprach noch mit dem Maͤdchen leise. Wir marschir- ten sogleich nach dem Kranich, einem vornehmen Wirthshause, pochten den Hausknecht daselbst her- aus, und schliefen auf diese Motion bis zehn Uhr. Nachmittags wollt' ich gleich fort, aber F.... war dawider. Ich reite, sagte er, mit nach Nie- derolm: gegen sechs oder sieben Uhr muͤssen wir da seyn — fressen mit dem Pfaffen — holen zu Nacht die Balbierschuͤssel Die Frauenzimmer in jener Gegend haben so gut ihre Schimpfnamen als die Mannspersonen. Die Tochter des Chirurgus in Niederolm hieß Balbierschuͤssel . Vor einigen Jahren fing ein lustiger Zeisig auch in Halle an, dem Frauenzimmer schimpfliche Beinamen zu geben; allein das Ding fand keinen Beifall, wahr- scheinlich weils gar ein dummes Ding war. heruͤber — schaͤkern bis elf Uhr, schlafen hernach beim Fellsack (so hieß der Wirth Noll) und Morgen reisest du nach Obersaulheim, und ich mache Retour nach Mainz. — Wie gesagt, so gethan. Ich blieb bis nach vier Uhr in Mainz, dann wurde mein Brauner ge- sattelt, welcher immer, wenn ich in Mainz war, die Ehre hatte, in dem Stalle eines Domherrn, der mit dem Hn. F.... sehr nahe verwandt war, (naͤmlich des Herrn Domprobstes von F.) zu stehen, und da auf Unkosten der heiligen Kirche gefuͤttert zu wer- den. Am Schosseehause, eine Stunde von Mainz, stieg F.... ab: ich mußte nolens volens folgen, und erschrack nicht wenig, als ich unsere beiden Maͤd- chen da wieder antraf. N'est ce pas, mon cher, sprach F...., que je prens bie n des soins pour vos plaisirs? l'ai fait en sorte, que ces silles sont venues içi, pour vous amuser encore. Ich erwiderte ihm, um von den Anwesenden nicht verstanden zu werden, franzoͤsisch, daß dieser Auf- tritt mir gewaltig schaden koͤnnte, und bat ihn bei allen Teufeln, bei denen er sich einzig und allein erbit- ten ließ, mich fortreiten zu lassen: sonst wuͤrde ich in des Henkers Kuͤche kommen. Nach vielem Bitten ließ er mich endlich fort, und so kam ich noch gegen neun Uhr in meiner Station an. Er blieb zuruͤck bei den Maͤdchen, und reiste erst den folgenden Tag wieder nach Mainz. Einige Tage vergingen, und ich hatte die Main- zer Auftritte fast schon wieder vergessen, als ich zu meinem Schrecken auf einmal die abscheulichsten Folgen meiner Ausschweifung an meinem Koͤrper in sehr sichtbaren Zeichen gewahr wurde. Ich hatte zwar noch nie dergleichen Ungluͤck recht erlebt; allein nach den gemachten Erfahrungen an meinen Bekannten, konnt' ich mich in Absicht der Natur meiner Krank- heit nicht irren. Nun fiel mir aller Muth, und ein wuͤthender Schmerz vergaͤllte mir Wachen und Schlaf, kurz, ich war in der schrecklichsten Lage. Was war zu thun? — einen Arzt mußt' ich haben, aber welchen? — Meinem guten Koͤster durft' ich mich nicht anvertrauen, nicht, als wenn er mich nicht haͤtte kuriren koͤnnen: er war uͤberhaupt geschickt, und verstand die Heilung venerischer Krank- heiten, die in dortiger Gegend gar keine seltene Er- scheinungen sind, aus dem Fundament, sondern weil ich mit seiner Schwester in einem solchen Ver- haͤltnisse stand, nach welchem die Entdeckung aͤusserst delikat ward. — Ich ging also zu dem Feldscheer Kissel nach Schornsheim, einem Manne, der wenigstens den Ruf der Verschwiegenheit hatte, und entdeckte ihm mein Malhoͤr. Er sah das Ding fuͤr eine Kleinigkeit an, gab mir Arzenei und versprach mir, in wenig Wochen meine Gesundheit wieder herzustellen. Allein Meister Kissel war ein Igno- rant in seiner Kunst, dessen Gleichen Legion heißt: er verstand das Uebel nicht, und machte es durch seine reizenden Mittel so schlimm, daß ich die hoͤllisch- sten Schmerzen empfand, und endlich gar im Bette bleiben mußte. Koͤster mochte wol merken, wo es mir fehlte; da ich aber nichts gestand, sondern blos uͤber Magendruͤcken klagte, so ließ ers gut seyn, und gab mir Arzenei fuͤrs Magendruͤcken. — In dieser Noth schrieb ich nach Mainz, und bat den Baron, mich zu besuchen, aber in einem Wagen, weil ich mit ihm hereinfahren wollte und muͤßte. Er kam, und nachdem ich ihm meine Um- staͤnde entdeckt hatte, schuͤttelte er den Kopf gewal- tig, doch sprach er mir Trost ein: Doktor Strack wuͤrde mich schon kuriren. Sobald ich nach Mainz kam, besuchte ich so- gleich diesen vortrefflichen Arzt. „Herr! fing er an, „nachdem er das Uebel untersucht hatte, was ha- „ben Sie fuͤr einen Doktor gebraucht?“ — Ich : Den Barbier Kissel von Schornsheim. Strack : Das ist ein Schurke — ein wahrer Spitzbube ist das! — denn jeder Doktor ist ein Hallunke und Spitzbube, der Krankheiten uͤbernimmt, die er nicht versteht! — die Canaille haͤtte Sie hin- liefern koͤnnen! — Doch es ist noch Zeit — dies da muß geheilt und jenes wieder hergestellt werden! — Heute, Morgen und Uebermorgen bleiben Sie hier — dann wird der Schmerz weg seyn, und Sie koͤnnen wieder gehen. Ich will Ihnen Arznei ver- schreiben, bei deren rechtem Gebrauch nebst strenger Diaͤt Sie bald wieder hergestellt seyn sollen. Die Worte des rechtschaffenen Mannes gingen in Erfuͤllung: innerhalb drei Wochen war ich voll- kommen gesund; haͤtte ich aber den Ignoranten, den Meister Kissel fortgebraucht, ich glaube, ich laͤge schon laͤngst in Obersaulheim auf dem Kirchhofe begra- ben. — — Herr Strak lebt noch, und sollte ihm diese Schrift zu Gesichte kommen; so versichere ich ihn hier oͤffentlich, daß ich nie des ihm schuldigen Danks vergessen werde. Moͤchten doch recht viele seines Gleichen seyn, besonders dort uͤbern Rhein, wo alles saalbadert, und alles kurirt! — Einige Zeit hernach bekannt' ich Koͤstern die ganze Sache, und erzaͤhlte ihm die Art, wie Strack mit mir verfahren waͤre. Er lobte diese Procedur, und versicherte, daß sie die einzig vernuͤnftige sey, dergleichen Uebel zu heben, und daß die, welche hier das Messer gebrauchten, nur auf den Namen der Af- teraͤrzte und Kuhdoktoren Anspruch machen koͤnnten. Quod nocet, docet optime. Seit jener Zeit bin ich in Absicht des naͤhern Umgangs mit fei- len Maͤdchen sehr behutsam geworden, und die Lust, mich auf eine so grobe Art zu vergnuͤgen, ist mir ver- gangen, so bald ich das augenblickliche Angenehme mit dem vielen moͤglichen und wirklichen Unangeneh- men genau berechnete. Schade nur, daß bei den meisten jungen Leuten, wie bei mir, Ciceros Aus- spruch eintrifft: Eventus Stultorum Magister. Ich hoͤre hier einige, ja sehr viele fragen, ob ich Suͤnder mich denn nicht gefuͤrchtet und ge- schaͤmt habe, mit einer solchen Krankheit behaftet, noch das Wort Gottes zu verkuͤndigen? — Freilich schaͤmte ich mich; indeß meine Reflexionen uͤber an- dere meines Gleichen, welche mit der schwarzesten, boshaftesten Seele, mit raͤuberischen Haͤnden, und mit giftiger Zunge auch hintreten und Tugend predi- gen, machten mich glauben, daß ich, wo nicht besser, doch wenigstens, meiner koͤrperlichen Krankheit ungeachtet, eben so gut waͤre als sie, die noch dazu fuͤr Heilige galten, und — mein Gewissen schwieg. Ob mein Schluß ganz richtig war, weiß ich in der That selbst nicht; genug aber, er beruhigte mich und legte meinem Gewissen Stillschweigen auf. Neun und dreissigstes Kapitel. Ich falle wieder durch . Nachwehen . D as Konsistorium zu Grehweiler konnte auf die Bittschrift der Bauern nichts resolviren, sondern mußte die Sache dem Administrator, Herrn von Zwirnlein uͤberlassen, meinem Feinde. Ich hatte diesen Mann, meines Wissens, nicht beleidigt; allein ich stand wegen der Verlaͤumdungen des Pastor Hahns zu Kirchheim, wie ich schon oben erzaͤhlt habe, bei ihm in einem sehr uͤbeln Kredit. Hiernach ließ sich schon vermuthen, daß mein unmittelbares Gesuch nicht durchgehen wuͤrde: indeß, da die Bau- ern supplicirten, so gab ich nicht alle Hofnung auf. Die Antwort der Commission erfolgte bald und erklaͤrte: daß die Pfarre Obersaulheim schon laͤngst an den Prediger Wagner vom Minister versprochen sey, und ich keine Hofnung dazu bekommen koͤnnte. Wagner, auch ein Sohn des Jesuiten zu Werrstadt, hatte naͤmlich Herrn von Zwirnlein einige Dutzend Fuͤchse zugeschickt, und also die Exspektanz auf Ober- saulheim dafuͤr erhalten, wofuͤr man damals fast alle Bedienungen erhielt — fuͤr Geld. Also auch diese meine Hofnung war verschwun- den, und mit ihr meine Anhaͤnglichkeit an Mamsel Katharinchen, der ich bisher blos als moͤglichem Ka- nale zur Pfarre geschmeichelt hatte. Sie machte mir anfangs zaͤrtliche, hernach groͤbere Vorwuͤrfe, und endlich sprach sie zu meiner Freude gar nicht mehr mit mir. Mein Vater war hoͤchst unzufrieden mit meiner Lage, noch viel unzufriedener als ich selbst. Wenn du, sagte er oft zu mir, noch lange ohne Versor- gung bleibst, so gehst du an Leib und Seele verlo- ren. — Ich troͤstete ihn mit meiner Hofnung, eine Pfarre in Franken zu erhalten; aber diese beruhigte ihn nicht. Das Ding, meinte er, verzoͤgere sich — mit unter machte ich auch wohl einen dummen Streich, und dann waͤre alles verloren. Ich sollte mich in Heidelberg zu einer Stelle melden, und gaͤb' es gleich nicht viel dabei zu speisen, so stuͤrbe doch auch keiner Hungers. Ich schrieb also nach Heidelberg, und erinnerte Herrn Zehnern an das mir schon vor mehrerer Zeit gethane Versprechen, mit der Bitte, mir eine Zeit zu bestimmen, wo ich etwa mich zum Examen stel- len solte. Allein Herr Zehner schrieb wieder zuruͤck: fuͤr mich waͤre in der Kurpfalz nichts zu machen — ich haͤtte an der Hundelschen Schrift Theil ge- habt — man wuͤßte sogar, welche Nachrichten in derselben von mir herkaͤmen — das Konsistorium duͤrfe durchaus beim Kurfuͤrsten nicht anstoßen, und bedauerte endlich am Ende seines Briefes, daß er mir nicht dienen koͤnnte. — — — Also war mein Gluͤcksstern auch in der Kurpfalz, wo jeder Schuft Pfarrer werden kann, untergegangen! — Wenn ich sage jeder Schuft , so soll das nicht so viel heißen, als wenn alle lutherischen Prediger in der Kurpfalz Schufte waͤren, sondern daß laut der Er- fahrung ausserordentlich viel Schufte da Pfarrer ge- worden sind und noch werden. Nur ein Paar Beispiele. Ein gewisser Homann , der in seiner Ju- gend etwas studiert, hernach aber sich durchs Korb- machen ernaͤhrt hatte, erhielt die Pfarre zu Kriegs- feld, wo er so viel dumme und grobe Streiche machte — er ganfte sogar Homann stahl einst dem Grafen von Grehweiler eine goldene Tabatiere. Der Graf wurde den Verlust ge- wahr, und sagte ganz kalt zu Homann: „Herr Pfarrer, — daß ihn das Kon- Erster Theil. Bb sistorium absetzen mußte. Er lief hernach als Bettler im Lande herum. Nach diesem erhielt diese Stelle ein gewisser Ernesti , ein getaufter Jude aus dem Waldeckischen, der, nachdem er in Halle Theologie studiert, und dem Schuster Sauer daselbst sein Schuldbuch vergroͤßert hatte, (er steht noch in seiner Kreide) post varios casus in die Pfalz gekommen war. Dieser Mensch legte sich aufs Saufen, lief den Menschern in die Kuhstaͤlle nach, und wurde ebenfalls von den Bauern beim Konsistorium verklagt. Allein Mosje Ernesti spielte das praevenire und wandte den Magen um, das heißt nach der Pfaͤlzer Sprache, er wurde Katholisch. — Nachdem er nun den rech- ten Glauben hatte, halfen ihm die Alziger Kapuziner zu einer eintraͤglichen Gerichtsschreiberstelle, wo er seine Bubenstuͤcke als Rechtglaͤubiger ungescheut und ungeahndet fortsetzt. — Ich koͤnnte die Liste der Schufte, welche in der Pfalz Pfarren bekommen haben, noch ansehnlich vermehren, wenn hier der Ort dazu waͤre, die dortigen Herren uͤberm Rhein die Revue passiren zu lassen. Vielleicht zeigt sich bald „erlauben Sie mir eine Prise aus meiner Dose.“ Dieser entschuldigte sich, der Graf griff ihm aber gerade nach dem Hosenlatze und entdekte die Tabatiere. Nun rief er geschwind dem Bedienten zu, welcher die Dose herausholen, und den Pfarrer vors Schloß fuͤhren mußte. eine andere und bessere Gelegenheit, und dann soll ihnen das Ihrige schon werden. Mein natuͤrlicher Leichtsinn kam mir bei allen diesen widrigen Vorfaͤllen sehr gut zu statten. Ich zerstreuete mich, und vergaß in frohen Gesellschaften, bei Trinkgelagen und im Zirkel guter Freunde all mein Ungemach. Meinem Symbolum: nunquam traurig, semper lustig, hab ich treulich nachgelebt. — Ich hatte seit einiger Zeit den Amtsverwalter Schoͤn - burg , den Licenciat Macher , und andere fidele Bruͤder weniger als gewoͤhnlich besucht, und war deshalb oft von ihnen zur Rede gesetzt worden. Jetzt fing ich wieder an, ganze Tage, ja mehrere Tage nach einander bei ihnen zuzubringen, und die Grillen durch Zotologie und ein gut Glas Wein zu ver- scheuchen. Mein redlicher Haag war zwar keiner von meinen ausschweifenden Freunden, aber desto solider war seine Freundschaft. Er ließ es an gutem Rath und an Ermahnungen nicht fehlen, und wenn ich ihm gefolgt waͤre, so wuͤrde vielleicht noch alles recht gut gegangen seyn. Ich war erst drei und zwanzig Jahr, und konnte meine Versorgung wohl abwarten, allein der Rath dieses braven Freundes gefiel mir nicht. Denn wollte ich ihm folgen, so durfte ich nicht mehr saufen, mußte den Umgang mit Schoͤn- burg und dessen Freunden meiden, durfte nicht mehr in allen Weinhaͤusern und Kneipen herumliegen, mit den Baurendirnen und andern nicht unanstaͤndig scherzen, und endlich nicht mehr so frei uͤber Religion spotten. Und doch machten diese Dinge mein hoͤch- stes Gut aus, sie mir nehmen wollen, hieß mich vernichten. Was insbesondere meine Religionsgespraͤche be- trifft, so waren sie aͤcht deistisch, d. h. ich suchte mit Gruͤnden darzuthun, daß die im neuen Testament enthaltene Lehre nichts sey, wenigstens nichts anders seyn koͤnne als natuͤrliche Religion, daß folglich die Wunder, Geheimnisse und dergleichen, erdichtete Fabeln waͤren. Nachdem ich die Fragmente studiert hatte, fand ich in der christlichen Historie nichts als boshaften Betrug, und raͤsonnirte nun aus einem andern Tone. Ich hielt es jetzt uͤberhaupt nicht mehr der Muͤhe werth, die christliche Religion mit Gruͤnden zu widerlegen, betrachtete sie blos als einen wuͤrdigen Gegenstand des Spottes, und brachte die- sen Spott bei jeder Gelegenheit an, ohne auf Zeit, Ort und Person zu sehen, mit denen ich zu thun hatte. Auf diese Art verlohr ich sogar bei denen den Kredit, welche mich bis jetzt, meiner verdorbenen Sitten und meines Deismus ungeachtet, noch geliebt und vertheidigt hatten. Die Kandidaten in jener Gegend, die sonst gern mit mir umgingen, weil sie etwas von mir zu profitiren glaubten, flohen mich nun wie die Pest, um nicht in den Ruf der Freigei- ster- und Religionsspoͤtterei zu gerathen. Selbst mein trefflicher Haag mußte meinetwegen leiden. Er ist, wie ich schon gesagt habe, katholisch, und steht als Pfarrkind unter dem Pastor von Woͤllstein, ei- nem Erzgruͤtzkopfe und impertinenten Kanzelschwaͤ- tzer Hier ein Proͤbchen seiner Beredsamkeit: Meine Freun- de! nehmt ein Beispiegal (Beispiel) an dem frommen Samaritan, und vergedemuͤthigt euch unter die Demuth. Der fromme Samaritan war mit ein polirten Stifal- len, mit silbernen Sporenen, mit schoͤnen Stifallen- manschetten angethan, und gezieret: da vergedehmuͤ- thigte er sich aber, als er u. s. w. Man denke sich hierzu, noch die fuͤrchterlichsten Gestus, und die fuͤrch- terlichste Stimme, und — man hat das Bild dieses Herrn Pastors. . Dieser Pfaffe, dem ich auch bekannt ge- worden war, koramirte meinen Haag, wegen des Umgangs mit mir, und gebot ihm denselben aufzu- geben, oder er wuͤrde ihm die Absolution versagen, und die Sache hoͤheres Orts anzeigen. Eben so macht' es auch der Oberforstmeister Martin zu Kriegsfeld. Haag aber antwortete, daß er sich um meine Grundsaͤtze nicht bekuͤmmere und blieb mein Freund nach wie vor. Ich muß aufrichtig gestehen, einen ehrlichern Freund, der es besser mit mir ge- meint haͤtte als Haag, hab ich in der Pfalz nicht ge- funden. Ich hatte zwar noch mehrere Freunde ausser ihm, allein das Spruͤchwort: viel Hunde sind der Hasen Tod, traf auch bei mir ein. Die Zahl mei- ner Feinde war weit groͤßer, man druͤckte mich, und ich mußte hoͤren, daß man sich in Gesell chaften von mir und meiner skandaloͤsen Chronik unterhielt. — Statt stillzuschweigen, und die Laͤsterungen der Frau- basen in der Pfalz, eines elenden Oberschulz An - dreaͤ zu Woͤllstein, der kaum seinen Namen schrei- ben kann, eines Pfarrers Fliedner , Mach - wirth , Wagner , und andere schiefe Menschen- kinder zu verachten, gerieth ich in Zorn, und suchte mich, gerade auf die schlechteste Art, muͤndlich durch haͤmische Raisonnements, und schriftlich durch Pas- quillen und Knittelverse aͤrgerlichen Inhalts an ihnen zu raͤchen. Ich schrieb unter andern Briefe aus Uto - pien (Schlaraffenland), worin ich die Leute gewal- tig heruntermachte. Sie fanden Beifall, und wur- den unzaͤhlichemal abgeschrieben. Ich wuͤnschte, meinen Lesern etwas daraus mittheilen zu koͤnnen; denn so aͤusserst plump auch meine Schilderungen der Pfaͤlzer Herren und Damen seyn mochten, so waren sie doch getreu, treffend und grob deutlich, daß man sogleich die gemeinten Personen, der fingirten Namen ungeachtet, erkannte. Keiner ließ sich auf diese Art des Streits mit mir ein, ausser ein gewisser Mosje Varena , Schrei- ber zu Odernheim. Dieser Mensch fabricirte ein uͤber allem Begriff elendes Ding in Versen auf mich, was seiner wuͤrdig, ganz ohne Kopf, Magen und Schwanz war. Jedoch replicirte ich darauf durch ein Ding, betitelt: Valentin Pillendrechs - lers Medicinae Doctoris Nachricht von einer venerischen Kur. Mit dem Stock hab ich mich nur einmal revan- schirt. Der Amtsaktuar Haas zu Sprendlingen hatte meinen Umgang mit der Tochter des dasigen reformirten Predigers bemerkt, und war deshalb eifersuͤchtig ge- worden, oder er hatte es vielleicht uͤbel genommen, daß ich ihm einigemal ins Angesicht gesagt: bei ihm traͤfe nomen et omen zusammen. — Er fing also an, meine Histoͤrchen im Pfarrhause vorzutragen, und mich da aufs aͤrgste zu blamiren. Mamsel Karoline, so hieß die Tochter des Pfarrers, sagte mir alles treulich wieder, und ich schwur, den Kerl durchzu- gerben, wo ich ihn auch treffen wuͤrde. Nicht lange hernach traf ich ihn im Wirthshause zu Baden- heim an. A propos, sagt' ich zu ihm, Mosje Windsack, was untersteht er sich denn, von mir zu raisonniren? Was hat er im Pfarrhause zu Sprendlin- gen von mir gesagt? O kein Wort, erwiederte er. Wie! kein Wort? — Du bist ein Schlingel, Kerl, ein elender Laͤsterer! — bald moͤcht' ich dich aus- schmieren, daß du den Priester begehren solltest! — Hier stand er auf, ich griff ihn aber beim Kollet, schleuderte ihn an die Erde, und gerbte ihm das Fell rein aus. Der Wirth, der Haasen ohnehin nicht hold seyn mochte, ließ mich geruhig fortpruͤgeln; endlich aber brachte er uns aus einander. Haas schwur mir die empfindlichste Rache, von der ich aber bis jetzt nicht das Geringste gefuͤhlt habe. Auch diese Geschichte wurde in der Gegend be- kannt, und machte — neues Aufsehen. Vierzigstes Kapitel. Dem Fasse geht der Boden aus , M ein Vater, benachrichtigt von meiner Auffuͤhrung, kraͤnkte sich sehr, daß alle seine Ermahnungen nicht fruchteten, und prophezeihte mir im voraus den gaͤnz- lichen Ruin meines Gluͤcks. Er bat mich mit Thraͤ- nen, eine andere Lebensart anzufangen, huͤbsch auf meinem Vikariate zu bleiben, fleissig zu studiren, und so die boͤsen Geruͤchte nach und nach verrauchen zu lassen; allein er predigte tauben Ohren. Theils hatte ich Selbst keine Achtung mehr vor mir, theils hatten mir eine falsche Eigenliebe und ein unkluger Duͤnkel den Kopf so verruckt, daß ich blos mir folgte, keinen, weder Vater noch Freund, hoͤrte, und gegen alles, was man von mir sagte und dachte, verachtend und unempfindlich wurde. So gleichguͤltig ich indeß gegen die Censuren meiner Feinde war, so lieb war es mir doch, wenn ich auch an ihnen Fehler entdecken konnte. Ich wuß- te, Zwirnlein wollte mir nicht wohl, und druͤckte mich durch den Pfaffen Hahn von Kirchheim. Dis war mir schon Sporn genug, die Conduite und die Proceduren desselben, womit er die Rheingrafschaft administrirte, auszuspioniren. Ich erkundigte mich bei den Bauern nach ihren Klagen, und fand so viel krumme Wege und Gaͤnge der Zwirnleinschen Justiz, daß selbst Ich daruͤber erschrak. Die kaiserlichen Commissionen werden, der In- tention des Kaisers und der Reichsgerichte nach, des- halb gesetzt, damit ein Land nach bessern Grundsaͤtzen regiert werde; allein dieser Zweck wird selten erreicht, und am wenigsten durch Herrn von Zwirnlein. Es ist ein Gluͤck fuͤr ihn, daß die Preussische Censur mir die einzeln data gestrichen hat, sonst laͤse er hier Din- ge, ob deren Bekanntschaft er bei den bedenklichen Krisen unsrer Zeiten stutzen muͤßte. Ausser vielen andern Ungerechtigkeiten der schrecklichsten Bedruͤ- ckung und der Simonie nur dies. Die Gemahlin des auf die Festung gebrachten Rheingrafen, und seine damals noch unverheurathete Tochter Luise, wie auch des Grafen Schwester, muß- ten allen Drang und alle Insolenzien von diesem stolzen Administrator leiden, der besonders die letztere seine schwere Hand dadurch fuͤhlen ließ, daß er der- selben oft ihr Geld vorenthielt, unter dem Vorwande: es sey nichts in der Kasse. Die gute Charlotte mußte daher oft darben, und von ihren groben Glaͤubigern sich schrecklich quaͤlen lassen. Ich war sehr eifrig, alles dies zu verbreiten und meine Glossen daruͤber zu machen, welche alle- mal zum Nachtheil des Herrn Administrators aus- fielen. Ich griff auch seinen intimsten Freund, den Kammerrath Fabel zu Grehweiler an. Dieser Mensch, gelehrt bis an den Hosenknopf und stolz wie Goliath, hatte einen gewissen Schneidermeister Eckel gedruͤckt, und ihm Unrecht gethan. Dieser Mann war mein Gevatter; ich machte ihm also eine Schrift an die Commission, worin ich des Kammerraths In- triguen schilderte, wies sich gebuͤhrte, und dessen Ungerechtigkeiten ruͤgte. Fabel erfuhr den Verfasser, und ward mir — spinnefeind. Nun erhielt ich um Martini 1781 ein Schrei- ben von der Kommission des Inhalts: „daß Seine „Durchlauchten, der Herr Fuͤrst von Nassau-Weil- „burg, mit hoͤchstem Unwillen vernommen habe, „wie der Kandidat Laukhardt noch immer das Vika- „riat in Obersaulheim verwalte, welches ohne großes „Aergerniß und Skandal der christlichen Gemeinde „nicht mit angesehen werden koͤnnte. Der Kandidat „sey als ein Mensch bekannt, der ganz und gar keine „Religion habe — der uͤber die heiligsten Geheim- „nisse der christlichen Lehre oͤffentlich spotte — uͤber- „dies ausschweifend lebe — dem Trunk sich ergebe — „Pasquillen auf andere schmiede, und sogar die Kan- „zel zum Tummelplatz seiner skandaloͤsen Auftritte „mache: deshalb truͤgen Seine Durchlauchten dem „Konsistorio auf, den bisherigen Vikarius Laukhardt „zu removiren, und ein anderes unbescholtenes Sub- „jekt an die Stelle zu setzen.“ Herr von Zwirnlein hatte mir diesen Befehl des Fuͤrsten, den er aber selbst geschmiedet und diesem Herrn zur Unterschrift vorgelegt hatte, abschriftlich zugeschickt, und mir es freigestellt, ob ich entweder freywillig, oder gezwungen durch das Konsistorium meinen Posten verlassen wollte. Ich waͤhlte natuͤr- lich das Erste, schrieb dem Administrator, daß er einen Vikarius schicken koͤnnte, welchen er wollte — ich ginge gern weg; denn die Freiheit uͤber alles reden zu koͤnnen, was mir mißfiele, und ein Zustand, worin ich mich vor keinen Kabalisten und Dumm- koͤpfen zu fuͤrchten brauchte, sey mir theurer als das Predigervikariat zu Obersaulheim. Dann hielt ich zu guter Letzt noch eine Predigt uͤber den Vorzug des Suͤnders vor dem Gerechten, die ich selbst ausge- arbeitet, und aͤusserst anzuͤglich zugerichtet hatte. Auf diese Art war nun auch mein Gluͤcksstern in unserer Grafschaft untergegangen. Sobald diese Nacht des Mißgeschicks mein Vater wahrnahm, schrieb er mir einen Brief und bat mich, Seiner fuͤr jetzt zu schonen, und ihm nicht eher wieder vors Angesicht zu kommen, als bis ers erlauben wuͤrde. Ich koͤnnte indeß nach Strasburg zu unserm Vetter d'Autel reisen, weshalb er mir auch Geld mit- schicke. — Dieser Brief kraͤnkte mich wahrlich in allem Ernste mehr als alle Neckereyen der Commis- sion, und alle uͤbeln Nachreden meiner Feinde; allein machte er mich auch vorsichtiger, kluͤger und gluͤckli- cher? — Nein! mein Schicksal verschlimmerte sich von dieser Zeit an immer mehr und mehr, und fast immer durch meine eigene Schuld, wie die Fortse- tzung zeigen wird. Ende des ersten Theils. Gedrukt bei Fr. Wilh. Michaelis. Bei den Verlegern dieses Werks sind zur Ostermesse 1792 auch noch folgende Ar- tikel herausgekommen: Briefe eines Englaͤnders uͤber den gegenwaͤrtigen Zu- stand der deutschen Litteratur und besonders der Phi- losophie, an seinen Freund in Edinburg. Aus dem Englischen uͤbersetzt und herausgegeben von H. v. B. Gemaͤhlde des menschlichen Herzens in Erzaͤhlungen von Miltenberg. Erstes Baͤndchen. Der Naturmensch. Mit einem Titelkupfer. (Dieses Werkchen ist auch einzeln unter dem Titel: Der Naturmensch, zu haben.) Versuch uͤber die Einbildungskraft. Von Johann Geb- hard Ehrenreich Maaß, Professor der Philosophie zu Halle.