William Lovell . Zweyter Band . Berlin und Leipzig , bey Carl August Nicolai . 1796 . Geschichte des Herrn William Lovell . Erstes Buch . A 2 1. Willy an seinen Bruder Thomas . Rom . G ottes Seegen moͤge zu Dir kommen, lieber Bruder, so wie er mich nun ganz verlassen hat. Wenn Du in Deinem Herzen noch an den ar- men Willy denkst, so bete fuͤr mich, daß ich bald unser gutes Englisches Ufer wiedersehe, und Dich mitten drinn’ im schoͤnen gottesfuͤrch- tigen Lande, wo alle Menschen meinen frommen, einfaͤltigen Glauben haben, und die ganze Chri- stenheit einen stillen, eintraͤchtigen Wandel fuͤhrt. Hier scheint zwar die Sonne schoͤner und waͤrmer, weil es Gottes gnaͤdiger Wille ist, daß sie auch uͤber die Gottlosen scheinen soll: aber nach meiner Einsicht thut er daran gar nicht ganz recht. Du bist noch immer beim alten Lord Bnrton , nicht wahr Thomas? — Der Garten in Bon- street ist noch schoͤn und frisch, und der Fischer Peter spielt noch jeden Abend auf der Schall- mey? — Ach mir ist, als koͤnnt ich Dich jetzt so mit Deinen uͤbereinandergeschlagenen krum- men Beinen vor dem Thor des Hofes sitzen sehn, wo ich sonst immer ehemals saß und den lustigen Schallmeyklang anhoͤrte, der alle Bau- ren und selbst das liebe Vieh froͤhlich machte, wenn es von der Weide zuruͤck kam: — hier sitz’ ich jetzt in meinem kleinen dunkeln Kaͤm- merchen, und weine, daß ich nicht bei Dir bin. Nun, Gott wird alles zum Besten lenken. Du wirst mir abmerken, daß ich in der Fremde gar nicht mehr so vergnuͤgt bin, wie ehemals; Lachen hat seine Zeit und Weinen hat seine Zeit. Freilich wohl! Aber es ist doch nicht Recht, daß man einen alten Mann so zur Betruͤbniß zwingt, der sich wegen der Seelen anderer Menschen abhaͤrmt, daß ihm kein Bissen Brod und kein Tropfen Wein mehr schmeckt. Wir sind hier jetzt so lustig, Bruder, daß wir sogar auf dem Rande von Felsen tanzen und springen; — ich sah einmal einen Jungen, der aus purem liebem Muthwillen in einen tiefen Brunnen fiel und elendiglich ersaufen mußte. Ich kann nicht schwimmen, Thomas, ich bin zu alt, um jemand wieder aus dem Wasser ans Tageslicht zu ziehn. Was Herr William denkt, kann ich nicht wissen, aber Gott mag ihm bei- stehn, wenn er ganz verlassen ist. Du wirst aus meinen Jammerliedern nicht recht klug werden koͤnnen, lieber Bruder! — Ach, wohl dem Manne, dem das Elend eine Wallisische Mundart spricht, und der nicht sitzet, wo die Spoͤtter sitzen, noch wandelt den Weg der Gottlosen, den ich jetzt alle Tage mit mei- nem Herrn gehn muß. Er ist nicht mehr derselbe, er ist voͤllig ausgetauscht, er bringt sein Geld durch, als wenn er die Schatzkammer haͤtte; — aber das Geld ist doch am Ende immer nur ein irdisches Gut, an dem Gott keinen Wohlgefal- len hat, aber seine Seele, Tom, seine Seele, die er von Gott geliehen bekommen hat, und die er ihm dereinst wieder bezahlen sollte, ver- schwendet er auch, als wenn Seelen nur so auf allen Jahrmaͤrkten zum Kaufe staͤnden. — Wenn er sich nicht bald wieder aͤndert, wird es mit seiner Rechnung an dem großen Wechseltage uͤbel aussehen. Doch richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Ja, Bruder, unsre heilige Schrift ist jetzt noch mein einziger Trost in meinen truͤben Jammerstunden; Du glaubst gar nicht, was fuͤr Kraft in dem Buche steckt. Ich packte es so sorgfaͤltig mit in meinen Koffer ein, und ich sitze nun oft ganze Stunden und lese so andaͤch- tig, als wenn ich bald vor Gott gefuͤhrt und ein Engel aus mir gemacht werden sollte. Man kann nicht wissen, wie schnell sich manchmal etwas fuͤgt; es ist noch nicht aller Tage Abend, und sollte ich den großen Schritt thun muͤssen, so denke ich in meinem Examen nicht ganz schlecht zu bestehen. Sage mir einmahl, lieber Bruder, warum manche Menschen so dumm, und bei allem ih- ren eingebildeten Verstande vor Dummheit or- dentlich wie vor den Kopf geschlagen sind? daß sie die große breite Heerstraße des goͤttlichen Worts durchaus nicht sehn wollen, die ihnen vor den Fuͤßen steht, und sich lieber durch ei- nen dichten wildverwachsenen Wald einen Weg hauen, sich immer in dem Gestraͤuche reissen, und stehen und sich weiß machen, sie haben die schoͤnste Chaussee von der Welt vor sich! Mein Herr und Herr Rosa bilden sich immer ein, ich verstehe ihre hohen freigeisterischen Reden gar nicht, die sie manchmal fuͤhren, wenn ich dabey bin. — Ach, ich verstehe alles recht gut, wie sie es gerne moͤgen wollen; wenn man in seinem dummen einfaͤltigen Herzen den Gedanken an Gott, und den Glauben an ihn so recht warm und kraͤftiglich fuͤhlt, so faßt man auch recht gut den Sinn von all’ den irdischen Irrlehrern, die in der Finsterniß wandeln, und da aus den Haͤnden ihre Augen machen muͤssen. — — Aber wir sind besser dran, Thomas, die wir vom Herrn erleuchtet sind, wir sehn mit unsern ei- genen Augen, wir fuͤhlen mit unserm eigenen Herzen, die Gott uns mit auf die Welt gab und seinen Stempel drein setzte: sie haben nach- gemachte Herzen, die im Sturm und Ungewit- ter nicht ausdauern, die in der Hitze zergehen und in der Kaͤlte zusammenschrumpfen. Gott hat mir einen Glauben gegeben, der fuͤr alle Tage in der Woche aushaͤlt, und des Sonntags schenkt er mir zuweilen noch eine fromme christ- liche Erleuchtung, daß es mir wie ein Magnet durch meine Seele geht und sie wieder jung und frisch macht: nicht solche Erscheinungen, Tho- mas, die bei uns manche naͤrrische Leute haben; so eine sanfte, stille Waͤrme, wie das erste Thau- wetter im Fruͤhjahr. — Darum koͤnnt ich mich auch immer noch troͤsten, wenn das ganze Un- gluͤck nicht grade meinen Herrn betraͤfe, den ich so ausserordentlich von ganzer Seele lieb habe, daß ich fuͤr ihn sterben koͤnnte, wenn es seyn muͤßte; aber er macht sich aus dieser Liebe gar nichts mehr: ich wuͤrde gegen einen Hund, der aus meiner Hand lieber, als von einem andern sein Stuͤckchen Brod aͤße, mehr Andaͤchtigkeit haben. Die Maͤdchen und Weiber hier mit ih- rem gezierten und hochfahrenden Wesen sind ihm lieber, so ein Herr Rosa, der nicht an Gott und Ewigkeit glaubt, ist sein Herzensfreund, solche Leute, die ihren Verstand fuͤr thurmgroß halten, wenn sie den Himmel mit allen seinen Sternen nicht sehen wollen, und sich einbilden, sie koͤnnten dies alles auch so und noch besser machen, wenn sie nur Zeit und Handwerkszeug haͤtten. Gott mag ihnen vergeben und ein Ein- sehn in ihre Narrheit haben; die Hunde bellen den Mond an, und wenn der Mond so denkt wie ich, so nimmt er es ihnen gewiß nicht uͤbel. Ein Traum, sagt man freilich wohl, ist nur ein Schaum; aber ein Schiffer hat mir doch ein- mal erzaͤhlt, daß es auf dem Meere einen ge- wissen kuriosen Schaum gebe, der ordentlich Sturm und Schiffbruch voraus prophezeihe! — Koͤnnt’ es denn nicht auch mit manchen Traͤu- men dieselbe Bewandniß haben? — So hatt’ ich schon in Frankreich einen gar bedenklichen Traum, damals, als der gute Herr Mortimer von uns wieder nach England zuruͤckreiste. Wir alle standen nehmlich unten an einem hohen, ho- hen Berge, ich, mein Herr, Herr Mortimer, Herr Balder und der Italiaͤner Rosa; oben wollten sie alle gerne hinauf, aber Herr Mor- timer wurde muͤde und setzte sich unten in einer schoͤnen gruͤnen Stelle nieder. Mit einemmale war ich weg und ich konnte gar nicht klug dar- aus werden, wo ich geblieben waͤre; die drei uͤbrigen gingen den Berg hinauf, und Herr Balder hatte einen sehr wunderlichen Gang; als sie fast oben waren, fiel Herr Balder herunter, und aus dem Italiaͤner ward ein ganz fremder, unbekannter Mensch. Jetzt ging nun ein schwar- zer, alter Pudel dicht hinter meinem Herrn, hielt immer den Kopf dicht uͤber der Erde, und ging so recht aufmerksam und liebreich; Du kennst wohl die naͤrrische Art an den Pudeln, Thomas, wenn sie so zutraulich und gesetzt hin- ter einem hergehen. Oben stand Herr William und sah so recht dreist in den tiefen fuͤrchterli- chen Abgrund hinein, als wenn er da in den Steinklippen zu Hause gehoͤrte: ich kann es nicht leiden, Thomas, wenn ein Mensch so recht oben auf einer Felsenklippe nicht etwas schwind- licht wird, denn es liegt in der Natur und es ist eine Art von Frechheit, sich nicht da oben ein bischen zu fuͤrchten. Nein, wie gesagt, Herr William that das gar nicht, sondern gra- de umgekehrt, er buͤckte sich noch so recht muth- willig uͤber. Der Hund, der mein Gemuͤth haben mußte, faßte ihn beim Rockschooß, um ihn fest zu halten; Herr William sah sich so mit seinen großen Augen um, und gab dem redlichen Pudel, einen tuͤchtigen Stoß mit dem Fuße, daß der Hund sich zusammenkruͤmmte, umkehrte und mit einem recht klaͤglichen Gewinsel den Berg hinunter trabte, so langsam, als wenn er zur Leiche ginge. In der Mitte sah sich der Hund noch einmal um, und so, wie ich es voraus ge- dacht hatte, fiel der Herr William jetzt ploͤtzlich in das Felsenthal hinunter. — Nun, Thomas, moͤgt’ ich wohl ein groß Stuͤck Geld darauf wetten, daß Niemand anders als Ich der Pudel gewesen ist? Herr Mortimer wollte auf diesen Traum damals gar nicht ach- ten; aber er ist mir heute wieder recht lebhaft eingefallen. — Wie gesagt, ich wollte, ich koͤnnte nach Eng- land zuruͤckreisen; gebe Gott, daß sich bald dazu eine Gelegenheit findet, denn es gefaͤllt mir nun in den fremden Laͤndern hier gar nicht mehr. — Vielleicht geht aber noch alles wieder gut: lebe recht wohl, lieber Bruder, und bleibe Du mein guter Freund, ich bin gewiß zeitlebens der Deinige. 2. William Lovell an seinen Freund Eduard Burton . Rom . D ein Brief, lieber Freund, der mich troͤsten, der mir den Zusammenhang der Dinge im wah- ren Gesichtspunkte zeigen sollte, ist zu spaͤt ge- kommen. Ich war vielleicht schon ruhig, als Du die Feder ansetztest, um mich zu beruhigen. Es ist so etwas Jaͤmmerliches in allen Bekuͤm- mernissen dieser Sterblichkeit, daß der Gram schon von selbst verschwindet, wenn man ihn nur genauer ins Auge faßt. Sollt’ ich jammern und klagen, weil nicht jeder meiner uͤbereilten Wuͤn- sche in Erfuͤllung geht? Da muͤßt’ ich mein ganzes Leben verklagen und ich waͤre ein Thor. Das Flehen der Sterblichen schlaͤgt gegen die tauben Gewoͤlbe des Himmels, weil alles sich in einem nichtigen schwindelnden Zirkeltanz dreht, nach Genuͤssen greift, die nur der Wiederschein von wuͤrklichen Guͤtern sind, und so jeder fuͤhlt, wie ihm sein getraͤumtes Gluͤck aus den Haͤnden entschwindet. Wer aber vorher weiß, welche Gerichte er an dieser Tafel findet, der waͤhlt klug aus und kostet von jedem, wenn die Nach- barn hungrig vom Tische gehn, indem sie auf ei- ne Lieblingsspeise warteten, die nicht aufgetra- gen wurde. — Und ist es nicht so leicht, den Kuͤchenzettel von diesem Leben zu erhalten? Du wirst mir schon nach diesem Tone mei- nes Briefes glauben, daß ich voͤllig getroͤstet bin, ich glaube jetzt, oder bilde mir es ein, alle Par- thien dieses Lebens uͤberblicken zu koͤnnen, daß mich keine Anlage dieses seltsam geordneten Parks uͤberrascht, daß ich es weiß, wenn ich durch krumme Labyrinthe auf meine Fußstapfen zuruͤckgekehrt bin, und den Zaun recht gut be- merke, der sich hinter Gebuͤsche verstecken soll. Ich bin sogar seitdem in eine muthwillige Lau- ne gefallen, in einen gewissen humoristischen Rausch, in welchem mir die Freuden und Leiden dieses Lebens weder wuͤnschenswuͤrdig noch ver- abscheuungswerth erscheinen, es ist alles um mich her ein breiter, muͤhsam erfundener Scherz, der, wenn man ihn zu genau beobachtet und anato- mirt, nuͤchtern erscheint: aber wenn man sich auf dieser Maskerade dem Lachen und der gu- ten Laune gutwillig hingiebt, so verfliegt der Spleen, und wir fuͤhlen es, daß wir auch im Lachen weise seyn koͤnnen. Ist denn uͤberhaupt nicht alles auf dieser Erde ein und eben dasselbe? Wir druͤcken uns selbst die Augen fest zu, um nur nicht diese Wahrheit zu bemerken, weil dadurch die Schran- ken einfallen, die Menschen von Menschen tren- nen. Ich koͤnnte hier viel wieder erzaͤhlen, was ich vordem meinem guten Mortimer nicht glau- ben wollte , denn bloß durch diesen Eigensinn unterscheiden sich die Charaktere der Menschen; wir wuͤrden alle einen Glauben haben, wenn wir uns nicht von Jugend auf ein Schema machten, in das wir uns nach und nach muͤh- sam hineintragen, das Geruͤst und Sparrwerk eines Systems, und daraus unsere eingebildete Wahrheit herausschreien, und dem Nachbar ge- genuͤber nicht glauben wollen, der in einem an- dern Kaͤfig steckt und eine andre Lehre predigt. Frei stehe der kuͤhnere Mensch, ohne Stangen und Latten die ihn umgeben, in der hohen Na- tur da, aus Baumwipfeln und Morgenroth zie- he er seine Philosophie, und schreite wie ein Riese uͤber die Zwerge hinweg, die wie Ameisen zwischen seinen Fuͤßen kriechen und sich mit klaͤg- licher licher Emsigkeit mit Sandkoͤrnern schleppen, um den gewaltigen Bau aufzufuͤhren, den ein einzi- ger Fußtritt aus seinen Wurzeln hebt. Was wollt ich nun mit mir selber, als ich jene Briefe an Dich und an meinen Vater schrieb, in welchem ich so flehentlich um Ama- lien bat? — Bin ich denn in diesem Namen, in diesem Laut eingekerkert, daß meine Seele nach ihrem Besitz und nach Freiheit schmachtet? Denn was ist unsre sogenannte Liebe anders, als diese nichtswuͤrdige Einbildung, daß wir ein Wesen, das erste beste zu unsrer Gottheit stem- peln, und alle Gebete und Gedanken nach ihm hinrichten? — Kannte ich denn Amaliens See- le hinglaͤnglich in den paar Wochen, in welchen ich sie sah, um ihre Freundschaft zu wuͤn- schen? — Und wenn ich nun auch ihr Freund bin, wenn mein Verstand auch ihre Vorzuͤge er- kannt, — welcher Unsinn, daß ich mit kindischen Gefuͤhlen diese Achtung zu sinnlicher Liebe aus- dehne? — daß ich verlange, Amalie soll meine Frau werden? — Ich muß uͤber mich und meinen Zustand la- chen, wenn ich laͤnger fortfahre, mir ihn deutlich zu entwickeln. — Daß wir Sinnlichkeit haben, Lovell. 2r Bd. B ist keineswegs veraͤchtlich und kann es nicht seyn, — und doch streben wir unaufhoͤrlich, sie uns selber abzuleugnen und sie mit unserer Ver- nunft in eins zu schmelzen, um nur in jedem der voruͤberfliegenden Gefuͤhle uns selbst achten zu koͤnnen. Denn freilich ist nichts als Sinnlich- keit das erste bewegende Rad in unserer Ma- schine, sie waͤlzt unser Daseyn von der Stelle, und macht es froh und lebendig; ein Hebel, der in uns hineinreicht, und mit kleinen Gewich- ten große Lasten zieht. Alles, was wir als Schoͤn und Edel traͤumen, greift hier hinein, Sinnlichkeit und Wollust sind der Geist der Musik, der Mahlerei und aller Kuͤnste, alle Wuͤnsche der Menschen fliegen um diesen Pol, wie Muͤcken um das brennende Licht. Schoͤn- heitssinn und Kunstgefuͤhl sind nur andere Dia- lekte und Aussprachen, sie bezeichnen nichts wei- ter, als den Trieb des Menschen zur Wollust; an jeder reizenden Form, an jedem Bilde des Dichters weidet sich das trunkene Auge, die Gemaͤhlde, vor denen der Entzuͤckte niederkniet, sind nichts als Einleitungen zum Sinnengenuß, jeder Klang, jedes schoͤngeworfene Gewand winkt ihn dorthin; daher sind Boccaz und Ariost die groͤßten Dichter, und Titian und der muth- willige Correggio stehen weit uͤber Domi- nichino und den frommen Raphael . Ich halte selbst die Andacht nur fuͤr einen abgeleiteten Kanal des rohen Sinnentriebes, der sich in tausend mannichfaltigen Farben bricht, und auf jede Stunde unsers Lebens Einen Funken wirft. — Da mir die Augen nun dar- uͤber geoͤfnet sind, will ich mich geduldig in mein Schicksal ergeben, ich darf kein Engel seyn, aber ungestoͤrt will ich als Mensch da- hin wandeln, ich will mich huͤten, mir selbst um mein Daseyn aͤngstigende Schranken zu ziehn. — So ist mir der Name Amalie fremd geworden; war meine hohe, taumelnde, hingegebene Liebe, etwas anders, als das rohe Streben nach ih- rem Besitze? ein Gefuͤhl, das wir uns von Ju- gend auf verkuͤnsteln, und uns das simple Ge- maͤhlde unsers Lebens mit unsinnigen Arabesken verderben. — Darum eben verachtet der Greis diese jugendlichen Aufwallungen und wilden Spruͤnge des Gefuͤhls, weil er zu gut erfahren hat, wohin sich alle diese glaͤnzende Meteore am Ende senken; sie fallen wieder wie Raketen zur Erde und verloͤschen. — Aber diese Greise B 2 sind zugleich fuͤr Kuͤnste und Enthusiasmus todt, weil die Bluͤthe der Sinnlichkeit fuͤr sie abge- bluͤht ist, die Seele ist in ihnen ausgeloschen, und sie sind nur noch die matte Abbildung eines Lebendigen. Ich will dem Pfade folgen, der sich vor mir ausstreckt, die Freuden begegnen uns, so lange die Spitzen in unsern Sinnen noch scharf sind. Das ganze Leben ist ein taumelnder Tanz; schwenkt wild den Reigen herum, und laßt alle Instrumente noch lauter durcheinander klingen! Laßt das bunte Gewuͤhl nicht ermuͤden, damit nns nicht die Nuͤchternheit entgegen koͤmmt, die hinter den Freuden lauert, und so immer wilder und wilder im jauchzenden Schwunge, bis uns Sinne und Athem stocken, die Welt sich vor unsern Augen in Millionen flimmernde Regen- bogen zerspaltet, und wir wie verbannte Geister auf sie von einem fernen Planeten herunterblik- ken. Eine hohe bachantische Wuth entzuͤnde den frechen Geist, daß er nie wieder in den Armse- ligkeiten der gewoͤhnlichen Welt einheimisch werde! 3. William Lovell an Rosa . Rom . W arum schwaͤrmen Sie schon wieder in Nea- pel herum und verlassen Ihren Freund? — Ich mag nicht Ihr Begleiter seyn, weil ich Baldern fuͤrchte, sein Anblick und seine Art des Wahn- sinns schneiden durch mein Herz. Ich fuͤhle mich hier in manchen Stunden ausserordentlich einsam, ich gehe aus, um Sie zu sehen und ver- gesse, daß Sie nicht in Rom sind. Ich habe so eben einen Brief an meinen Freund Eduard gesiegelt und die Thraͤnen stehen mir noch heiß in den Augen; alles, was ich je empfand, kam ungestuͤm, wie ein Waldstrom in meine Seele zuruͤck, ich unterdruͤckte dis Gefuͤhl, das immer heftiger in mir emporquoll und schrieb endlich in einer Angst, die zur Wuth ward, ich trotzte mir selber und ergab mich einer blinden Sucht zu uͤbertreiben, mußte aber den Brief ploͤtzlich abbrechen, weil die Thraͤnen endlich ihrer Fes- seln ledig wurden und ich laut schluchzend und klagend in meinen Sessel sank. Wie aus den Wolken schwindelte ich herunter, alles, was mich aufrecht erhielt, verließ mich treulos; — der Mensch ist ein elendes Geschoͤpf! Ja das Blendwerk der jugendlichen Phanta- sie ist jetzt von meinen Augen genommen, ich habe mich uͤber meine Empfindungen belehrt, und verachte mich jetzt eben da, wo ich mir einst als ein Gott erschien, — aber ach, Rosa, ich wuͤnsche mir jetzt in manchen Stunden dis kin- dische Blendwerk zuruͤck. Was ist aller Genuß der Welt am Ende, und warum wollen wir die Taͤuschung nicht beibehalten, die uns auf jedem Felsen einen Garten finden laͤßt? — Und ist denn meine jetzige Meinung nicht vielleicht eben so wohl Taͤuschung, als meine vorhergehende? — Mir faͤllt es erst jetzt ein, daß beide Ansichten der Welt und ihrer Schaͤz- ze einseitig sind und es seyn muͤssen, — alles liegt dunkel und raͤthselhaft vor unsern Fuͤßen, wer steht mir dafuͤr ein, daß ich nicht einen weit groͤßeren Irrthum gegen einen kleineren eingetauscht habe? Als ich mich so meiner vorigen Existenz er- innerte, als ich alle Scenen, die mich sonst ent- zuͤckten, meinen Augen voruͤbergehen ließ, als ich an die Anssichten des Lebens dachte, wie sie damals vor mir lagen, — o Rosa, wie eine unter- gehende Sonne beschien mich der blasse Strahl, ohne mich zu erwaͤrmen; es fiel eine seltsame, raͤthselhafte Ahndung meine schwankende Seele an, — ich kann Ihnen meinen Zustand unmoͤg- lich deutlich machen. — Mir war’s, als kaͤme es wie eine goͤttliche Offenbarung auf mich her- ab, es gingen die verschlossenen Thuͤren in mei- nem Innersten auf, und ich schaute in die selt- same verworrene Werkstatt meiner Seele. Wie wuͤst und ungeordnet lag alles umher, was ich so schoͤn und zierlich aufgepackt glaubte, in al- len Gedanken fand ich ungeheure Kluͤfte, die ich aus trunknem Leichtsinn vorher uͤbersehen hatte, das ganze Gebaͤude meiner Ideen fiel zusammen, und ich erschrak vor der leeren Ebene, die sich durch mein Gehirn ausstreckte. Nun stiegen al- le Erinnerungen noch schoͤner und goldener in mir auf, die Vergangenheit stand noch frischer und lebendiger vor mir, und ich sah nur, wie viel ich verloren hatte und konnte keinen Ge- winn entdecken. Ist in jeglichem Lebenslaufe nicht vielleicht eine schoͤne blumenreiche Stelle, aus der sich ein Bach ergießt, und dem Wanderer durch sein ganzes Daseyn frisch und erquickend nachfolgt? Hier muß er dann anfangen sein Gluͤck zu gruͤnden; Liebe, Freundschaft und Wohlwollen wandeln in dieser schoͤnen Gegend, und warten nur darauf, daß er ihre Hand ergreife, um ihn zu begleiten. Wenn nun der Mensch hindurchgeht und nicht auf den Gesang der Voͤgel horcht, die ihn an- rufen, daß er hier verweilen solle, — wenn er wie ein nuͤchterner Traͤumer einen oͤden Pfad sucht, und der Quelle voruͤbergeht, — wenn ihm Liebe und Freundschaft, alle zarten Empfindun- gen vergebens nachwinken, und er lieber nach dem Gekraͤchze des heisern Raben hinhorcht, — ach, so verliert er sich endlich in Wuͤsten von Sand, in verdorrte Gegenden des Waldes; — alles hinter ihm ist zugefallen und er kann den Ruͤckweg nicht entdecken; er erwacht endlich und fuͤhlt die Einsamkeit um sich her. — — Lieber Rosa, was sagen Sie zu diesem Brie- fe und zu Ihrem Freunde? — so weit hatte ich geschrieben, als ich unwillig die Feder nieder- warf, und im rothen Abendschein durch die Straßen ging. Bald floß mein Blut schneller durch meine Adern, als mir so manche von den bekannten Gesichtern begegneten, als ich unsre Donna Bianka an ihrem Fenster sah. Die Einsamkeit, die engen Waͤnde sind es, die uns verdruͤßlich und melancholisch machen; mit der freieren Luft athmet der Mensch eine freiere Seele ein, und fuͤhlt sich wie der Adler, der sich mit regerem Fluͤgelschlag uͤber die finstern Wolken hinaushebt. — Ich komme jetzt eben von der schoͤnen Bianka zuruͤck, und mein Brief ist mir unverstaͤndlich. Ich bin oft dar- auf gefallen, daß man nur immer suchen sollte, recht viele Menschen und ihre Gemuͤthsart und Ansicht der Dinge kennen zu lernen, wir verlie- ren uns sonst gar zu leicht in klaͤgliche Traͤume- reien: aber jedes neue Gesicht und jedes fremde Wort eroͤfnet uns die Augen uͤber unsre Irrthuͤmer. Ich kann oft einem ein- faͤltigen Menschen wie einem Orakel zuhoͤ- ren, weil er mich durch seine Reden in einen ganz neuen Gesichtspunkt stellt, weil ich mich so in ihn hineindenken kann, und dabei zugleich meine eigene Gemuͤthsstimmung vergleiche, daß ich selbst in seinem einfaͤltigsten Geschwaͤtz einen tiefen gedankenreichen Sinn entdecke. Bei Wei- bern vorzuͤglich habe ich aus jedem gesproche- nen Worte, selbst aus dem unbedeutendsten etwas gelernt. Bianka laͤßt gruͤßen; sie ist ein liebenswuͤr- diges Geschoͤpf. Wir sprachen heute lange dar- uͤber, wie ich sie zuerst durch Sie haͤtte kennen lernen; ich finde sie jetzt noch schoͤner als da- mals, ihr großes feuriges Auge hat einen Strahl in seiner Gewalt, der bis ins Innerste des Her- zens dringt, sie hat alle meine Sinne in Auf- ruhr gesetzt, und ich habe sie verlassen, auf die schoͤnste gluͤcklichste Art beruhigt. Ich werde von ihr und von Ihnen traͤumen; antworten Sie mir bald. 4. Rosa an William Lovell . Neapel . I hr Brief hat mich sehr amuͤsirt, lieber Freund; er macht so ein wahres Gemaͤhlde des Menschen aus, daß ich ihn oft gelesen habe. — Vorzuͤg- lich lustig ist die Schwermuth, mit der er an- hebt; und der Uebergang aus diesem Adagio in das gesetzte und feste Andante ist so uͤberra- schend und doch so natuͤrlich, daß mir alles so deutlich war, als haͤtte ich es selbst geschrieben. Ich denke, Sie werden noch oͤfter aͤhnliche Er- fahrungen an sich machen, und die Klagen wer- den sich, wenn Sie sonst wollen, eben so kalt und philosophisch schließen, wie dieser Brief es thut. Es ist leider eben so demuͤthigend als wahr, daß bei Ihrer Melancholie nicht die phi- losophische, sondern die medicinische Untersu- chung die richtigere war. Bianka hat sie von ei- ner Krankheit geheilt, die kein Weiser, kein Dichter, kein Spaziergang, kein Gemaͤhlde, kei- ne Musik heilen konnte. Die klemmende unbekannte Sehnsucht, die so oft den Busen des Juͤnglings und des auf- keimenden Maͤdchens zusammenzieht, was ist sie anders, als das Vorgefuͤhl der Liebe? Und was ist die Liebe mit allen ihren froͤhlichen Qualen und ihren peinigenden Freuden weiter, als das Draͤngen nach dem Genusse, dem Ziele, nach wel- chem jeder rennt, ohne es zu glauben? Meinen Sie nicht, daß wenn man den Petrarka in sei- ne Muttersprache uͤbersetzte, seine langweiligen Gedichte die lustigste Lektuͤr von der Welt seyn muͤßten? Gruͤßen Sie Bianka von mir und weihen Sie ihr eine Ihrer feurigsten Oden, denn sie hat es um Sie verdient. Diese Maͤdchen ver- dienen nicht nur mit dem Rosenkranze der Liebe, sondern auch mit der eichenlaubigen Buͤrgerkro- ne geschmuͤckt zu werden. Dante war gewiß eben so enthaltsam, als Sie, sonst haͤtte er sein finsteres Gedicht nicht geschrieben, an dessen Existenz wir nichts gewonnen haben: folgen Sie meinem Rathe, denn nur der Phlegmatische wird nicht bei einer aͤhnlichen Art zu leben duͤ- ster und melancholisch. Ich sehe die Gegenden um Neapel und die Maͤdchen der Stadt mehr, als den finstern Bal- der , der wie eine Mumie in einer Katakombe in seinem Zimmer liegt, und selbst das Licht der Sonne verachtet, weil es ihm ein Bild der Froͤhlichkeit ist. — Ich moͤchte, wenn ich ein Dichter waͤre, nichts als lachende Satyren schrei- ben, ohne Bitterkeit und schiefe Spitzen; wenn man die Menschen genauer ansieht, so giebt es keinen, den man bemitleiden kann, sie erschuͤttern nur das Zwergfell und die Thraͤnen sind bei den Menschen nur eine andre Art zu lachen, eben so wolluͤstig, ohne traurig zu machen. Beides Schwaͤche, aber liebenswuͤrdige Schwaͤche der Muskeln, ein Krampf, ohne den die Gesichter ganz ihre Mannichfaltigkeit verlieren wuͤrden. Ihr Shakspear hat nie so etwas wahres ge- sagt, als wenn er den Puck zum Oberon sagen laͤßt: Lord, what fools these mortals be! Lesen Sie die Stelle und den ganzen Zusam- menhang im Mod summer — nights dream, sie ist der beste Kommentar uͤber meine Meinung. 5. Balder an William Lovell . Neapel . I ch will Worte schreiben, William, Worte, — das, was die Menschen sagen und denken, Freund- schaft und Haß, Unsterblichkeit und Tod — sind auch nur Worte . — Wir leben jeder einsam fuͤr sich, und keiner vernimmt den an- dern, antwortet aber wieder Zeichen aus sich heraus, die der Fragende eben so wenig ver- steht; — aber so wie unser ganzes Leben ein un- nuͤtzes Treiben und Draͤngen ist, das elendeste und veraͤchtlichste Possenspiel, ohne Sinn und Bedeutung, so will ich Dir in einer schwermuͤ- thig lustigen Stimmung einen Brief schreiben, uͤber den Du lachen sollst. Ich weiß selbst nicht, warum ich schreibe, — aber eben so wenig weiß ich, warum ich Athem schoͤpfe. — Es ist alles nur um die Zeit aus- zufuͤllen und etwas zu thun, die elende Sucht das Leben mit sogenannten Geschaͤften auszufuͤl- len, — Laͤnder erobern, Menschen bekehren, oder Seifenblasen machen, eine Sucht, die bei der Geburt unserer Seele eingeimpft ist, — denn sonst wuͤrde schon der Knabe die Augen zu- machen, sich vom langweiligen Schauspiel ent- fernen und sterben; diese Wuth also etwas zu thun macht, daß ich Papier und Feder nehme und Gedanken schreiben will, — das un- sinnigste, was der Mensch sich vorsetzen kann. Ich wette Du lachst schon jetzt, so wie ich uͤber den Anfang meines Briefes gelacht habe, daß mich die Brust schmerzt. — Du liesest den ganzen Brief nehmlich nur aus Dir heraus und ich schreibe Dir im Grunde keinen Buchstaben. Aber mags seyn. Bin ich doch auch wohl ehe- dem ein Thor gewesen, ganze Buͤcher mit Ver- gnuͤgen durchzulesen, und mir einzubilden, daß ich den Geist des Verfassers dicht vor meinen Augen habe. Mein Bedienter ist gutwillig ge- nug und so geschaͤftig, mir Papier, Dinte, Fe- der und alles uͤbrige zu besorgen, als wenn von diesem meinem Schreiben das Heil ganzer Laͤn- der abhinge. Daß es noch Menschen giebt, die das, was man Geschaͤfte nennt, ernsthaft treiben koͤnnen, ist das wunderbarste in der Welt: — oder, ob sie noch gar nicht darauf gefallen sind, sich selbst und andre naͤher zu betrachten, wie laͤcherlich, possenhaft und weinerlich alles, alles, selbst Sterben und Verwesen ist? — Manche von den Menschen, die mich besu- chen, geben sich viele Muͤhe sich zu meinem kran- ken Verstande herabzulassen, wenn sie von ihren wichtigen Armseligkeiten sprechen. Sie glau- ben, ich verstehe sie nicht, wenn ich uͤber dem duͤstern Abgrunde meiner Seele bruͤte, und setzen mir dann auf eine ekelhafte Art ihre Zwergge- danken auseinander. Ich hoͤre sie in meiner Spannung zuweilen wie aus einer tiefen Ferne in meine Seele hineinreden, wie ein unartiku- lirter Wasserfall, der gegen die Ufer schlaͤgt, ich antworte ihnen mit Worten, ohne sie zu uͤberle- gen, und sie verlassen mich mit tiefem Bedauern und halten mich fuͤr hoͤchst ungluͤckselig, weil ich ihre tiefen Ideen nicht verstehe, wie sie meinen. Neulich war ich in einer Gesellschaft von ei- nigen Menschen, die sich untereinander Freunde nannten. Es waren Kuͤnstler, und zwei darun- ter hielten sich fuͤr Dichter. Man hatte mich aus Mitleid gebeten, um mich zu zerstreuen und meinen truͤben Geist aufzuheitern. Ich saß wie eine Statuͤe unter ihnen, und hoͤrte dabei jedes Wort, das sie sprachen. Man machte sich gegen- gegenseitige Komplimente, einer sprach von den ungeheuern Talenten des andern, ließ aber da- bei doch seinen Neid ziemlich deutlich hervor- blicken. Der eine sprach von seinen Idyllen, die einer seiner Feinde in einer gelehrten Schrift heruntergesetzt habe, weil er ihm seinen großen Ruhm beneide, er bat die andern Dichter eine Satyre auf diese Zuruͤcksetzung zu schreiben, und man sprach mit einem Eifer und Feuer von der ganzen Kinderei, als wenn das Wohl der Welt darauf beruhe. Der Dichter sprach immer lang- sam und accentuirte jedes Wort hart und feier- lich; der andere bildete sich wieder ein lebhafter zu seyn, und schrie und sprach schneller, jeder hielt es fuͤr nothwendig, irgend etwas Charak- teristisches an sich zu haben, damit nicht die großen Seelen so leicht miteinander verwechselt wuͤrden. Ach das Brausen von Muͤhlraͤdern ist verstaͤndiger und angenehmer als das Klappern der menschlichen Kinnbacken, der Mensch steht unter den Affen, eben deswegen, weil er die Sprache hat, denn sie ist die klaͤglichste und un- sinnigste Spielerei; — mir gingen hundert wil- de Gedanken mit harten Tritten durch den Kopf, alle diese Menschen wurden ploͤtzlich so Lovell. 2. Bd. C weit von mir weggeruͤckt, daß ich sie nur noch wie Larven in einem fernen Nebel daͤmmern sah, daß ich ihr Gekreisch wie Sumsen von Grillen hoͤrte, ich stand in einer fernen Welt und gebot herrschend uͤber die niedrigen Schwatz- thiere, tief unter mir. — Ich ward begeistert und stand prophetisch auf und rief den Fleisch- massen zu: O ihr Armseligen! — ihr Ver- blendeten! — Merkt ihr denn nicht auf eure Nichtigkeit und bedenkt nicht, was ihr seyd? — Klumpen von todter Erde, die uͤber kurzem wie- der in Staub verwehen; deren Andenken wie Schatten von Wolken voruͤberfliegen, — euer Leben faͤhrt wie ein Rauch dahin und euer Ruhm ist eine halbe Stunde, in der ein muͤssiger Schwaͤtzer von euch spricht und euch verachtet. Und ihr steht, als wenu ihr Erde und Himmel beherrschtet, du haͤltst dich fuͤr Gott und betest dich selber an, weil du jaͤmmerliche Verse ge- zimmert hast! — Ihr werdet sterben, ster- ben: — die Verwesung empfaͤngt euch und fragt nicht nach eurem uͤberirdischen Genie! Die Hunde wuͤhlen einst eure Gebeine aus, und fragen nicht darnach, ob daß derselbe Kopf war, der einst Stanzen schrieb! — O Eitelkeit, du nichtswuͤrdigster Theil des Menschen! — Thie- re und Baͤume sind in ihrer Unschuld vereh- rungswuͤrdiger, als die veraͤchtliche Sammlung von Staub, die wir Mensch nennen! Ich kann mich nicht erinnern, was ich ohn- gefaͤhr weiter gesagt haben mag: aber ich ver- achtete sie so tief, daß ich sie mit den Fuͤßen haͤtte zertreten koͤnnen, daß ich es fuͤr eine Wohlthat an ihnen selbst hielt, sie zu vernich- ten. — Als ich zum gewoͤhnlichen Leben zu- ruͤckkehrte, fand ich mich von ihren Armen fest gehalten, man hatte meine Wuth gefuͤrchtet und man schafte den uͤberlaͤstigen Redner nach Hause. Koͤnnt’ ich nur Worte finden, um die Ver- achtung zu bezeichnen, in der mir alles erscheint, was Mensch heißt! — Mein Arzt ist sehr fuͤr meine Gesundheit besorgt, weil es sein Gewerbe mit sich bringt. Wenn ich nicht gern vom Wet- ter mit ihm spreche, findet er meine Umstaͤnde bedenklicher, will es mich aber nie merken las- sen, daß er mich fuͤr wahnsinnig erklaͤrt. Er giebt mir viele kuͤhlende Mittel nnd behandelt mich wie eine todte Maschine, ob er mir gleich selber so erscheint. Er schuͤttelt zu allen mei- nen verwirrten Gedanken den Kopf, weil er sie C 2 nicht in seinen Buͤchern gefunden hat, und im Grunde bin ich wahnsinnig, weil ich nicht dumm und phlegmatisch bin. Daß Gewohnheit und Dummheit die Menschen so wie ein dicker Ne- bel umgeben kann, aus dem sie nie herauszu- schreiten vermoͤgen! Lag er nicht von Jugend auf wie eine Gewitterwolke in mir, die ich mir selbst mit Armseligkeiten verdeckte und mir log, ich sei froh? Kuͤndigte sich nicht oft der innerste dunkle Genius durch einen Ton an, dem ich ei- gensinnig mein Ohr verstopfte? — Ich verstel- le mich nicht mehr und bin wahnsinnig! — Wie vernuͤnftig die Menschen doch sind! O ich muß fort, fort, ich will in wilden Waͤldern die Seelen suchen, die mich mehr ver- stehn, ich will Kinder erziehn, die mit mir sym- pathisiren: es ist nur nicht Mode so zu denken, wie ich, weil es nicht eintraͤglich ist. Ich spiele mit den Menschen, die zu mir kommen wie mit bunten Bildern. Ich gab mir neulich die Muͤhe, mich zu dem dummen Ge- schwaͤtze meines Arztes herunter zu lassen; wir sprachen uͤber Stadtneuigkeiten, uͤber Anekdo- ten, die er ungemein laͤcherlich fand; ich lieh ihm meine Zunge zum Dreinklingen und er fand, daß ich mich ungemein bessere. Mit Selbst- zufriedenheit verließ er mich und ich konnt’ es nicht unterlassen, ihm nach unsrer feierlichen Unterhaltung ein so lautes Gelaͤchter nachzu- schicken, daß er sich erblassend umsah und wie- der alle Hofnung verloren gab. Ich habe ehedem einen Menschen gekannt, der taub, stumm und blind war. Keine Seele schien sich in ihm zu offenbaren, und er war vielleicht der Weiseste unter den Sterblichen. Rosa haͤlt sich fuͤr sehr klug und sieht mich immer mit Mitleid an, und ich moͤchte nicht er seyn; ein Narr, den jeder Blick eines Maͤd- chens entzuͤckt, der immer, wenn er spricht, Epi- gramme drechselt und seine Worte nur fuͤr ein dankbares Laͤcheln verkauft; dessen Lebenslauf kleine Zirkel sind, die er unaufhoͤrlich von neuem durchlaͤuft. Wenn er stirbt, wird ihm die Schaam gewiß am meisten weh thun, daß er ordentlich verwesen muß. Ich wohne jetzt in meinem Garten vor dem Thore. Wie auf der See treiben meine Ge- danken ungestuͤm hin und wieder, ich fuͤrchte mich vor dem blauen gewoͤlbten Himmel uͤber mir, der dort gebogen wie ein Schild uͤber der Erde steht, unter welchem wir Gewuͤrme wie gefangene Muͤcken sumsen und nichts sehen und nichts kennen und fuͤhlen. — Ich mag auch gar nichts mehr denken und ersinnen. — Es geht ein Sturm durch die Woͤlbung und die fernen Waͤlder zittern rauschend, die See fuͤrch- tet sich und murmelt leise und verdrossen, es donnert fern ab im Himmel, als wenn ein Ge- witter zurecht gelegt wird, und der Werkmeister unachtsam den Donner zu fruͤh aus der Hand fallen laͤßt. — — Ich schreibe beim heftigsten Gewitter. — Es braust mit Hagel und Regenguͤssen und der Sturmwind und Donner stimmen sich, und einer singt dem andern den tobenden Wechselgesang nach. Wie fliehende Heere jagen Wolken Wol- ken, und die Sonne flimmert bleich auf fernen Bergen, die ganz weit weg wie goldene Kinder- jahre in der Sturmfinsterniß dastehen; das Meer schlaͤgt hohe Wogen und donnert in seinem ei- genthuͤmlichen Ton. — Ich lache und wuͤnsche das Wetter immer lauter und lauter, und schreie dazwischen und schelte den Donner furchtsam — brause und stuͤrme wirbelnd, und reibe die Er- de und ihre Gebilde zusammen, damit ein an- dres Geschlecht aus ihren Ruinen hervorgehe!! — Die Alltaͤglichkeit koͤmmt wieder und das Wetter fliegt weiter. Wie eine reisende Komoͤ- diantentruppe spielen die Wolken in einer an- dern Gegend nun dasselbe Schauspiel, dort zit- tern andre Menschen jetzt, wie vor kurzem hier viele bebten, — und alles verfliegt und ver- schwindet und kehrt wieder, ohne Absicht und Zusammenhang. — Ich fuͤrchte mich des Nachts nicht mehr. — Als ich neulich allein um Mitternacht in mei- nem Zimmer stand und aus dem Fenster den Zug der truͤben Wolken sah, und mir alles wie Menschengedanken und Empfindungen am Him- mel dahinzog, als ich sichtbarlich in Dunstgestalt manche Erinnerung vor mir fliegen sah, — und ich zu ruhen und zu sterben wuͤnschte, — da drehte ich mich ploͤtzlich leise um, wie wenn mich ein Wind anders stellte. Und alle meine Vor- fahren saßen, still und in Maͤnteln eingehuͤllt an meinem Tische, sie bemerkten mich nicht und aßen mit den nackten Gebissen von den Speisen, heimlich reckten sie die duͤrren Todtenarme aus den schwarzen Gewaͤndern hervor, um kein Ge- raͤusch zu machen und nickten gegenseitig mit den Schaͤdeln. Ich kannte sie alle, aber ich weiß nicht woran. Als ich meinen Vater bemerkte und daran dachte, wie vielen Kummer, wie vie- len Verdruß ich ihm gemacht haͤtte, mußte ich weinen, daß er jetzt so abgehaͤrmt und jaͤmmer- lich aussah, und verschaͤmt das nackte Gerippe mehr verdeckte als die andern. Sie hoͤrten mich schluchzen und gingen still wie mit boͤsem Ge- wissen zur Thuͤr hinaus, aber doch so langsam und gesetzt, daß sie glauben mußten, ich haͤtte sie nicht bemerkt. — Wenn wir ohne Schau- der unter unsern Moͤbeln sitzen, warum wollen wir uns denn vor Todtengerippen fuͤrchten? — Aus dem Gebeine der Thiere arbeiten sich die Menschen Putz heraus, und entsetzen sich vor den naͤher verwandten Knochen. Ich durchstrich noch in derselben Mitternacht das todte Gefilde, und rief alle Gespenster her- bei und gab ihnen Gewalt uͤber mich. Ich rief es in alle Winde, aber ich ward nicht gehoͤrt. — Die Klocken schlugen aus der Ferne und spra- chen so langsam und feierlich wie betende Prie- ster, Waͤlder und Winde sangen Grabgesang, und prophezeiten allem, was da lebt, den unaus- bleiblichen Tod, aber alle Geschoͤpfe schliefen fest und hoͤrten nichts davon, der Mond sah weinend in die verschleierte Welt hinein; — es giebt nichts mehr, das mich entsetzt; und das macht mich betruͤbt. Der menschliche Geist kann alle Ideen sehr schnell erschoͤpfen, weil er nur weni- ge fassen kann. Er hat wie ein Monochord nur sehr wenige Toͤne. Lebe wohl, wenn es in dieser Welt moͤglich ist; sei recht gluͤcklich, mag ich nicht hinzufuͤgen, weil es kein Gluͤck giebt, als zu sterben, und ich weiß, daß Du den Tod fuͤrchtest. — Ich habe schon oft heimliche Verwuͤnschungen ausgestoßen und graͤßliche Spruͤche versucht, um die Gegen- staͤnde um mich her in andre zu verwandeln. Aber noch hat sich mir kein Geheimniß enthuͤllt, noch hat die Natur nicht meinen Bezauberun- gen geantwortet: — es ist graͤßlich, nichts mehr zu lernen und keine neue Erfahrung zu machen, — ich muß fort, in die Wildnisse der Appenninen und Pyrenaͤen hinein, — oder einen noch kuͤr- zern Weg in das kalte wuͤrmervolle Grab. 6. William Lovell an Rosa . Rom . D ie kleinen Bitterkeiten in Ihrem Briefe ha- be ich recht gut verstanden, und ich gebe zu, daß Sie im Ganzen Recht haben moͤgen. Der Scherz eines Freundes kann auf keine Weise beleidigen. Balder hat mitten in den Ausbruͤchen seines Wahnsinns einen Brief an mich geschrieben, in dem mir manche Ideen dunkel sind, er ist ent- weder seiner Heilung nahe, oder gefaͤhrlicher krank, als je. Was ich in seinem Briefe ver- standen habe, hat mich betruͤbt. Lassen Sie doch ja etwas Acht auf ihn geben, er scheint die Idee zu haben, sich von Neapel zu entfernen. Er gewinnt freilich wenig, wenn man ihm das Leben erhaͤlt, — aber es sollte mir leid um ihn thun, wenn er ganz zu Grunde ginge. — 7. Rosa an William Lovell . Neapel . I hr Rath, lieber Freund, ist zu spaͤt gekom- men, Balder ist fort, Niemand weiß wohin. Ob er entflohen ist, ob er sich ermordet hat, al- les ist ungewiß. — Ich weiß nicht, ob Sie sich noch so wie ehemals fuͤr ihn interessiren; wenn dis der Fall waͤre, so wuͤrde mir diese Entfernung Ihrentwegen sehr schmerzhaft seyn. Er ist in den letzten Tagen zuweilen bis auf die hoͤchste Stufe der Raserei gekommen, in einer Gesellschaft von Fremden hat er neulich alle mit den veraͤchtlichsten Reden beschimpft, ge- schaͤndet und endlich bewußtlos mit dem Messer nach ihnen gestochen. — Er ist zu beklagen, sein Tod waͤre Gewinn fuͤr ihn. — Gruͤßen Sie Bianka und Ihre uͤbrigen schoͤnen Freundinnen von mir, nur keine von den sproͤden Tugendhaf- ten, die uns so oft zur Last gefallen sind. — Le- ben Sie recht wohl und vergessen Sie Balder. 8. Karl Willmont an seinen Freund Mortimer . Bonstreet . D u wunderst Dich gewiß uͤber diesen Brief, besonders wenn Du bemerkst, von wo aus er datirt ist. Wundre ich mich doch selbst daruͤ- ber, ich kann es Dir also nicht uͤbel nehmen. Du hast mich nun gewiß spaͤtestens in diesen Tagen in London vermuthet, und ich selbst war fest uͤberzeugt, daß ich morgen dort seyn wuͤrde, und nun sitz’ ich ploͤtzlich hier auf Burtons Gut und fange einen Brief an Dich an, der eine Entschuldigung, Erzaͤhlung, wie es gekom- men, und das Versprechen, daß Du mich nun ehestens sehen wirst, enthalten soll. Die Entschuldigung, Mortimer, magst Du mir erlassen. — In Glasgow saß ich wochen- lang in dem Hause eines alten Onkels, ohne zu wissen, wie ich die Zeit hinbringen sollte. — Wie wir uns gewundert haben! Ich dachte un- aufhoͤrlich an Emilien und an die Zukunft. Man wollte mich gern lustig haben, aber ich hatte al- le Elektricitaͤt verlohren, und war dumm und gefuͤhllos; selbst der Wein konnte nur auf einzelne Minuten meine frohe Laune zuruͤck- bringen. Langeweile ist gewiß die Qual der Hoͤlle, denn bis jetzt habe ich keine groͤßere kennen ge- lernt; die Schmerzen des Koͤrpers und der See- le beschaͤftigen doch den Geist, der Ungluͤckliche bringt doch die Zeit mit Klagen hinweg, und unter dem Gewuͤhl stuͤrmender Ideen verfliegen die Stunden schnell und unbemerkt: aber so wie ich dasitzen und die Naͤgel betrachten, im Zim- mer auf und niedergehn, um sich wieder hinzu- setzen, die Augenbraunen reiben, um sich auf ir- gend etwas zu besinnen, man weiß selbst nicht worauf; dann wieder einmal aus dem Fenster zu sehen, um sich nachher zur Abwechselung aufs Sopha werfen zu koͤnnen, — ach Mortimer, nenne mir eine Pein, die diesem Krebse gleich kaͤme, der nach und nach die Zeit verzehrt, und wo man Minute vor Minute mißt, wo die Ta- ge so lang und der Stunden so viel sind, und man dann doch nach einem Monate uͤberrascht ausruft: Mein Gott, wie fluͤchtig ist die Zeit! Wo sind denn diese vier Wochen geblieben? Oft aͤrgerte ich mich, daß ich noch in Schott- land war, und machte doch nicht die kleinsten Anstalten zur Abreise, ich fuͤhrte mit meinen Verwandten das elendeste und platteste Leben von der Welt; ein Viehverkaͤufer genießt es auf eine gesundere Art, ja ein Mensch, der mit einem armseligen Schattenspiel von einem Dor- fe zum andern wandert und in jedem seine elen- den Spaͤße wiederholt, beschaͤftigt sich geistrei- cher, als ich in dieser ganzen unermeßlichen lan- gen Zeit gethan habe. Mein Blut war so traͤ- ge und phlegmatisch, daß ich manchmal meine Finger gegen die Tischecke schlug, um mir nur Schmerz zu machen, mich zu aͤrgern und zu er- hitzen, denn nichts ist niedriger, als wenn in der Sanduhr unsers Koͤrpers so recht gemach ein Tropfen nach dem andern langsam und zoͤgernd unser Leben abmißt, je mehr die Stroͤme des Bluts durcheinander rauschen, und freilich die Maschine etwas mehr abnutzen, um so heller und deutlicher lebt der Mensch. — Ich wuͤnsche oft in Glasgow mit Sehnsucht, daß ein Gezaͤnk oder Schlaͤgerei auf der Gasse vorfallen moͤgte, damit ich nur etwas haͤtte, wofuͤr ich mich in- teressiren koͤnnte, es ward mir am Ende wichtig, wenn der dicke Mann im benachbarten Hause einen andern Rock als gewoͤhnlich trug. Ich schaͤme mich noch jetzt dieses Lebens, so qualvoll und langsam, so schleichend und doch so ohne Ruhe, wie eine Schnecke leben muß, die bei ih- ren Wanderungen ihr Schaalenhaus verlohren hat, und es im heißen Sonnenschein wiedersucht. Endlich dacht ich an Dich und an London, an die Zerstreuungen dort, an alle die philosophi- schen Gespraͤche, die wir miteinander fuͤhren koͤnnten: ich unterdruͤckte es gewaltsam, wenn mir auch diese Aussicht manchmal langweilig vorkommen wollte. Ich entschloß mich kurz, nahm von allen meinen Freunden und Bekann- ten zaͤrtlichen Abschied, setzte mich zu Pferde, und ritt mit frischem Leben erfuͤllt davon. Mein Herz schlug immer gewaltiger, je mehr Meilen ich auf Englischem Boden zuruͤcklegte. Ei! dacht ich, ein paar Tage mehr oder weni- ger! und beschloß dicht vor Bonstreet voruͤber- zureiten, aber ja niemand da zu besuchen, es koͤnne doch von ohngefaͤhr seyn, daß ich Emilien durch das Gartenthor erblickte. Ich machte gar keinen Plan, wie ich mich nehmen wuͤrde, wenn dis der Fall seyn wuͤrde, denn ich handle sehr gern aus dem Stegereif und habe mich von je- her besser dabei befunden, denn meine duͤmmste n Streiche waren immer die, die aus einem weit- laͤuftigen recht vernuͤnftigen Plan entstanden. Ich ritt so in Gedanken vertieft hin und naͤ- herte mich dem Landhause Burtons fruͤher als ich geglaubt hatte. Ein junger Mensch zu Fuß fragt mich ploͤtzlich, wo der Weg nach Bon- street gehe, er sei bis zur naͤchsten Stadt ge- fahren und habe sich nun verirrt. Ich fuͤhrte ihn auf den Weg und ritt gedankenvoll neben ihm hin. Warum sollt’ ich nicht den jungen Burton auf einen halben Tag besuchen duͤrfen? sagt’ ich zu mir selbst. Am Ende sieht mich selbst der Vater gern. Und koͤnnte mich nicht jemand von ohngefaͤhr durch das Dorf reiten sehn, Emilie es erfahren und fuͤr die groͤßte Gleichguͤltigkeit auslegen? — Ich koͤnnte uͤber- dis zum Lord sagen, daß ich deßwegen einen klei- nen Umweg genommen haͤtte, um den Bothen, der ihn sprechen wollte, gewiß und sicher nach Bonstreet zu bringen. — Ach ich hatte noch hundert andre Vorstellungen, tausend Stimmen in mir, die alle laut riefen: ich solle und muͤsse im Schlosse absteigen! — Ich gehorchte, denn was was thut man nicht alles, um nur eines solchen Laͤrmens los zu werden? Ich sprach den jungen Burton, den Vater und Emilien . — Sie ist doch sehr schoͤn, und so gut, so liebenswuͤrdig! Ist es hier Suͤnde, wenn man wuͤnscht? — Alle Federn meines Wesens haben neue Spannkraft erhalten, ich denke mit Schrecken an meinen Aufenthalt in Schottland. Hier leb’ ich doch, noch hab’ ich nicht ein einzigmal gegaͤhnt; die Stunden verfliegen mir wie Minuten, und ich erobre ein Laͤcheln, einen freundlichen Blick nach dem an- dern von Emilien! — O heiliger Lovell , stehe mir in meiner Liebe bei! — Eduard hat mir seltsame Sachen von ihm erzaͤhlt, er muß sich sehr geaͤndert haben; indeß ich gebe auf diese Aenderungen nicht viel, je mehr er auf der an- dern Seite uͤbertreibt, um so eher kann er zu derselben Narrheit zuruͤck kommen, in der er ehmals zu Hause war. — Ich kann mir aber jetzt seinen ehmaligen Zustand recht lebhaft den- ken, ich habe ihm damals doch etwas Unrecht gethan. Emilie scheint sehr auf sich Acht zu geben; ich kann manchmal nicht klug daraus werden, Lovell. 2r Bd. D ob diese Kaͤlte und Zuruͤckgezogenheit erzwungen oder natuͤrlich ist. Schreibe mir ja, denn sonst habe ich noch einen Vorwand laͤnger hier zu bleiben, als ich sollte, weil ich dann noch auf Deinen Brief warten wuͤrde. — Ednard laͤßt Dich gruͤßen; er ist ein vortrefflicher, herzensguter Mensch, und der Vater ist wieder ganz freundlich gegen mich und dann wieder ploͤtzlich fremde, abwechselnd wie Herbstwetter; ich habe schon diese Gesichter bei mehreren reichen Leuten gefunden, sie setzen mich leicht in Verlegenheit. — Lebe wohl und antworte bald. 9. Mortimer an seinen Freund Karl Willmont . London . W enn du noch nicht bald des seltsamen Her- umtreibens uͤberdruͤßig bist, so weiß ich nicht, was ich von Dir denken soll. Ich habe Dich schon sehnlich erwartet, so sehr, daß ich es erst jetzt erfahren habe, wie sehr Du mein Freund bist. Ich kann nichts rechts thun und denken, weil ich noch immer Deine Ankunft als einen Abschnitt ansehe, hinter welchem mein Leben von neuem beginnen soll. Oft ist es mir selt- sam, daß Du nach einer so langen Entfernung nun wieder da seyn sollst; ich bin Dir schon vor dem Thore entgegen gegangen; ich laufe ans Fenster, wenn ich den Trab eines Pferdes hoͤre. Tausend Ideen moͤcht’ ich Dir gern mittheilen und Deine Meinung erfahren. William Lovell ist sich selbst kaum mehr aͤhn- lich, und es ist wuͤrklich seltsam, wenn man be- denkt, daß ein Mensch nichts Fremdartiges in sich hineinnehmen kann, und daß dieser Leicht- D 2 sinn, diese epikurische Freigeisterei schon damals in ihm unentwickelt lagen, als wir ihn kann- ten. — Manches stimmt mich oft recht melancholisch, so unrecht es auch seyn mag, wenn man es ist: der alte Melun ist in Paris an einer Auszeh- rung gestorben, die Comtesse mit ihrem Liebha- ber entlaufen, niemand weiß wohin. Daß so viele von den Leuten, die ich gekannt habe, schon begraben sind! daß sich schon so manche dem Ver- derben in die Arme geworfen haben! Was ist es uͤberhaupt fuͤr ein armseeliges Ding um das, was man gewoͤhnlich Ausbil- dung nennt. In den meisten Faͤllen ist es nur Veraͤnderung . Wie weise habe ich mich so oft in meinem zwanzigsten Jahre gefuͤhlt, daß ich mich uͤber manche Narrheiten des Menschen- geschlechts erhaben fuͤhlte: und jetzt ruͤcken mir manche der Thorheiten so nahe, daß sie sich, wenn das Verhaͤltniß so fortschreitet, bald mit meinem innersten Selbst vereinigen werden. Du wirst bemerken, daß ich hier vorzuͤglich von meiner Liebe zu Amalien spreche. Eine Liebe, die vielleicht noch gluͤhender ist, als die, mit der Lovell sie einst begluͤckte. Er hat sie vergessen, und fuͤhlt sich groͤßer; ich habe meine Unempfindlichkeit abgelegt, und fuͤhle mich edler. Sie ist mir weit ergebener als ehemals, aber es thut mir sehr leid, daß sie fuͤr meinen Verstand Achtung, eine viel zu uͤbertriebene Achtung em- pfindet. Alle Gefuͤhle, die ich ihr zeige, haͤlt sie nur fuͤr Spiele meines Witzes, und sie behaͤlt sich daher bestaͤndig in ihrer Gewalt. Auch sie hat den leichtsinnigen William etwas mehr vergessen; nur seh’ ich, wie zuweilen die alten Erinnerungen in ihrer Seele wieder aufwachen, und sie dann meinen Umgang ploͤtzlich fade und abgeschmackt findet. Die Seelen sind viel werth, die sich noch nicht ganz der Mode und der sogenannten Le- bensart zum Opfer gebracht haben. Sie sind sehr selten, und man sollte sie darum koͤstlich achten. Gruͤße Eduard Burton und komme bald nach London. 10. Der Lord Burton an den Advokaten Jackson . Bonstreet . I ch bin Ew. Wohledlen fuͤr die Nachrichten, die mir Dieselben durch den jungen Fenton ha- ben zukommen lassen, außerordentlich verbunden. Ich freue mich uͤber den Eifer und uͤber die Thaͤ- tigkeit, mit welchem Sie unaufhoͤrlich zu mei- nem Besten beschaͤftigt sind, ich gebe Ihnen von neuem die Versicherung meiner ewigen unveraͤn- derlichen Dankbarkeit. Ich bin uͤberzeugt, daß Ihre Bemuͤhungen nun bald sichtbarere Folgen haben werden, die bis jetzt ein unguͤnstiger Zu- fall immer noch zuruͤckgehalten hat. Eilen Sie aber, damit meine Hoffnungen nicht immer nur Hoffnungen bleiben, damit ich endlich aufhoͤre, mit jedem Tage wieder meinen Genuß auf viele Tage aufzuschieben. Ich bin alt, und nicht mehr so fuͤr Hoffnungen gemacht, wie der juͤn- gere Mann, die Unentschiedenheit aͤngstigt mich, und je gewisser ich meiner Sache zu seyn glau- be, um so mehr Einwuͤrfe und Zweifel fallen mir wieder ein: alles dies beschaͤftigt meine Seele zu sehr, und macht sie unruhig. Das Alter kann diese Wogen nicht so leicht in Ruhe legen, als es der Juͤngling kann. Vor zwanzig Jahren wuͤrde mich dieser Prozeß beschaͤftigt und zugleich unterhalten haben; aber jetzt kann ich nur in dem entscheidenden Moment einen freu- digen Moment erblicken. Sie sehen, wie fest ich darauf vertraue, daß sich alles zu meinem Vortheile entscheiden wird, aber Sie sehn auch zugleich, wie noͤthig es ist, daß Sie meinen Besorgnissen so fruͤh als moͤglich ein Ziel setzen. Denn ich finde es sehr natuͤrlich und billig, daß Sie in Ihrer Lage durch Aufschub und Verlaͤn- gerung meine Dankbarkeit verlaͤngern und meine Verbindlichkeit vermehren wollen. Sie glauben, daß ich jetzt in einer gewissen Abhaͤngigkeit von Ihnen existire, bey der Sie unvermerkt einen Theil meiner Schwaͤchen nach dem andern fuͤr sich erobern koͤnnen. Ich finde an dieser Klug- heit nichts zu tadeln, sondern sie ist lobenswuͤr- dig, und der ist ein Thor, der in dem verwor- renen Wechsel des Lebens nicht die wiederkeh- rende Fluth geschickt benutzt, um sein Fahrzeug flott zu machen. Sie sehen, wie sehr ich Ih- ren Verstand schaͤtze; nur muß ich Ihnen sagen, daß Ihre Klugheit bey mir unnuͤtz ist, der ich mich Ihnen außerordentlich verbunden erkenne, wenn der Prozeß auch morgen geendigt ist, und der ich Sie grade eben so belohnen wuͤrde, als wenn das Endurtheil noch einige Jahre hindurch von einem Tage zum andern aufgeschoben wuͤrde. Sie koͤnnen auf die Art alle Interessen, die Sie gewinnen wollen, auf eine weit schnellere und entschiedenere Art zusammenziehn, als wenn Sie auf ein langweiliges Sparen ausgingen das am Ende denn doch ungewiß seyn duͤrfte. Fuͤr Ihre Sorgfalt mir den jungen Fenton zu schicken, muß ich Ihnen Dank sagen; nur gestehe ich Ihnen zugleich, daß ich die Nothwendigkeit die- ser Abgesandschaft nicht eingesehen habe. Durf- ten Sie alle diese nicht außerordentlich bedeu- tende Nachrichten keiner Post vertrauen? In diesem Falle treiben Sie die Besorglichkeit zu weit, und kein Mann handelt gut und richtig, wenn er aͤngstlich handelt. Sie duͤrfen also nur kuͤnftig dreister verfahren, und nicht einen Mit- wisser unsers Geheimnisses erschaffen, der uns beiden auf jeden Fall zur Last faͤllt. Wenigstens kommt es meinem Verstande so vor, und ich denke, auch Sie werden mir darin vollkommen recht geben, denn jeder andre, als ich, wuͤrde dadurch in Ihrer Hand stehn, und einem so billigen Manne, wie Sie, muß es weh thun, wenn man auch nur auf einen Augenblick einen solchen Gedanken von ihm hegen koͤnnte. Ich wuͤrde mich aber auf keinen Fall abhalten las- sen, so zu handeln, wie ich mir zu handeln vorgesetzt habe. Ich habe schon oft mit meinen Freunden uͤber den Satz gestritten, daß es so gut wie unmoͤglich sey, einem Manne, dem seine Plane ernst sind, das Kleinste oder das Groͤßte in den Weg zu legen, das er nicht wieder fort- schaffen, oder selbst zu seinem Vortheile brauchen koͤnnte. Ich habe schon manchen meiner Ver- folger mit seinen eigenen Waffen geschlagen, denn nichts ist dem Manne von Kopf unertraͤg- licher, als zu sehn, wie jeder nach den Faͤden greifen will, an denen er regiert wird, ich halte es nicht fuͤr unmoͤglich, sie alle durchzuschnei- den, so daß dann der Mensch frey und unge- hindert seinen Weg fortgeht. Ew. Wohledlen sind mir auch noch den letzten meiner Briefe schuldig, den Sie mir nach unserm Ueberein- kommen sogleich haͤtten zuruͤckschicken sollen. Sie verzeihen, daß ich Sie an diese Zerstreuung er- innert habe, eben so, daß ich Ihnen mit ei- nem so weitlaͤuftigen Briefe zur Last gefallen bin. Die Zeit eines jeden Geschaͤfftmannes ist edel und fast unbezahlbar, ich bitte um Vergebung, wenn ich Ihre bessere Gedanken mit meinen schlech- tern unterbrochen habe; sollte ich aber so gluͤck- lich gewesen seyn, Ihren Eifer von neuem zur Beschleunigung des Prozesses etwas anzufeuren, so haben wir beide bei diesem kleinen Stillstan- de gewonnen, und in dieser Hoffnung bin ich Ihr Goͤnner und Freund Lord Burton. 11. Rosa an Andrea Cosimo . Rom . D eine Meinung ist auch vollkommen die mei- nige. So sonderbar das klingen mag, wenn ein junger Mensch dies einem alten Manne sagt, so ist es mir doch wahrscheinlich, daß ich hierin recht habe. Es ist schwer, sich in den Stand- punkt zu stellen, aus welchem ein Greis die Welt ansieht, allein gewiß nicht unmoͤglich. Ich finde es so wahr, was Du in Deinem neulichen Brief sagst, es ist so schwer und wieder so leicht, die Seelen der Menschen zu beherrschen, wenn man nur etwas die Faͤhigkeit besitzt, sich in die Gesinnungen anderer zu versetzen, ihre Verschiedenheiten zu bemerken, und dann Fas- sung und Gleichmuͤthigkeit genug zu behalten, um in keinem Augenblicke ihnen sein eignes Selbst darzustellen. So wie die Sprache nur in konventionellen Zeichen besteht, und jeder- mann doch mit dem andern spricht, ob er gleich recht gut weiß, daß jener durch seine Worte vielleicht keinen Begriff so bekoͤmmt, wie er es wuͤnsche: eben so sollte aller unser Umgang beschaffen seyn. Ich spreche mit dem Franzosen franzoͤsisch und mit dem Italiaͤner seine Mutter- sprache; eben so rede ich mit jedermann nur die Meinungen, die er versteht, das heißt, die ich ihm zutraue, ich suche mich selbst ihm niemahls aufzudraͤngen, sondern ich locke seine Seele all- gemach uͤber seine Lippen, und gebe ihm seine eigne Worte anders gewandt in’s Ohr zuruͤck. Welche Gesinnungen stehen dann in uns so fest und hell, um sie fremden Gemuͤthern aufzudraͤn- gen? Und wenn es der Fall seyn koͤnnte, wo finde ich Bruͤcken, um sie nach fremden Ufern hinuͤberzuschlagen? welchen Haken soll der Geist auswerfen, um mit einer fremden Seele zu en- tern? — So ging ich lange Zeit mit Lovell um, ohne daß er es wußte, ich sprach mich ganz in ihn hinuͤber, und er erstaunte nicht wenig uͤber die Sympathie unsrer Seelen, und traute mir nun jeden seiner fluͤchtigsten Gedanken, jede seiner seltsamen Empfindungen zu. Diejenigen, die er nicht bey mir wahrzunehmen glaubte, hielt er bald von selbst fuͤr unreif und thoͤrigt, dagegen fing er emsig einen hingeworfenen Wink von mir auf, und dachte lange uͤber den darin lie- genden Sinn. In kurzer Zeit taͤuschte er sich selbst so, daß er unsre Seelen fuͤr verschwistert hielt, nur daß ihm die meinige einige Jahre voraus sey. Nichts ist dem Menschen so natuͤrlich, als Nachahmungssucht. Lovell ward in einigen Mo- nathen eine bloße Kopie nach mir. Jeder Aus- spruch, jedes Wort, das wir fuͤr klug nehmen, ruͤckt an der Form unsrer Seele, und so hat sich Lovell ganz von selbst die Philosophie er- schaffen, die ich gern fuͤr ihn bilden wollte. Er ist feurig und lebhaft, daher ist es ihm nicht moͤglich, so wie viele Menschen thun, unent- schieden zwischen zwey Meinungen zu stehn, und sich im Schwanken fuͤr keine zu interessiren. Was er fuͤr Wahrheit nimmt, ergreift er mit einem Eifer, wie der andaͤchtige Enthusiast die Bildsaͤule der Madonne umfaͤngt. Er verachtet jetzt tief alle Meinungen, die seinen jetzigen wi- dersprechen, und die beste Art allen Ruͤckfaͤllen vorzubeugen, scheint mir die, ihn mit allen moͤg- lichen Einwuͤrfen selber bekannt zu machen; nur stelle ich immer die guten und schlechten Ideen ganz neben einander, und indem er diese uͤber- sieht, erscheinen ihm auch jene geringfuͤgiger: oder wenn wir zuweilen uͤber Gedanken und Charaktere uninteressanter oder stupider Men- schen sprechen, lege ich diesen alles in den Mund, was ihn vielleicht in manchen einsamen Stun- den beunruhigen moͤchte. So kann ihn keine Idee uͤberraschen, und seine fruͤhern Gefuͤhle stehn in einer zu großen Entfernung, als daß sie ihn wieder erreichen koͤnnten. Die Eitelkeit ist gewiß das Seil, an wel- chem die Menschen am leichtesten zu regieren sind; sobald man es nur dahin bringen kann, daß sie sich ihrer gestrigen Empfindung schaͤmen, handeln sie morgen gewiß anders; ein Freund oder Bekannter darf ihnen nur zu verstehen ge- ben, was er fuͤr groß haͤlt, und morgen suchen sie sich ihm in dieser Groͤße unvermerkt zu praͤ- sentiren. Die Sucht sich auszubilden, ist im Grunde nur die Sucht zu gefallen, und zu erst denen, die uns umgeben; so formt sich der Mensch wider seinen Willen, und steht am Ende seiner Wanderschaft schwer behangen mit einem Troͤdelkram erlogner Meinungen und Gefuͤhle. Ich habe Dir meine Auslegung uͤber Deine Ideen zu geben gesucht, und uͤberreiche Dir er- roͤthend meine Uebung; eine Verbesserung von Dir wird mehr werth seyn, als mein ganzer Brief, nur laß mich es wissen, wo ich Dich vielleicht mißverstanden habe. 12. Andrea Cosimo an Rosa . Neapel . D ein Brief hat mir gefallen, weiter kann ich Dir gar nichts daruͤber sagen. Nicht eben des- wegen, weil ich so ganz Deiner Meinung bey- trete, oder weil ich glaubte, daß Du alles, was ich Dir neulich schrieb, ganz so, wie ich es wuͤnschte, gefaßt habest, sondern weil ich in diesem Briefe Dich so ganz wieder finde. O ihr Menschenkenner! die ihr aus der Seele der Menschen ein Exempel macht, und dann mit euren armseeligen fuͤnf Specien hineinaddirt und dividirt! Ihr wollt einen Aufriß von einem Gebaͤude machen, das Ihr nicht kennt. Ich habe von je die freche Hand bewundert, die mit dem Raͤthselhaftesten und Unbegreiflichsten gewoͤhnlich so umgeht, wie ein Bildhauer mit seinem Marmor; er wird geschlagen und ge- schliffen, als wenn alle die heruntergerissenen Stuͤcke nun wirklich von dem Wesen getrennt waͤren, und am Ende ein Bild daraus entstuͤn- de, wie man es zu seinem Wohlgefallen, oder zu zu seiner Bequemlichkeit haben wollte. Wenn nun ploͤtzlich eine lange zuruͤckgehaltene Empfin- dung wie ein Waldstrom in die Seele zuruͤck- schießt? O biete denn einmahl im Moment der Ueberraschung deine Rednerkuͤnste auf, suche die Schleuse, die ihn wieder zuruͤckdraͤngt! — Dankt Gott, daß der Mensch die Konsequenz nicht hat, auf die ihr eure Berechnungen gruͤndet, denn dadurch allein trifft er oft zufaͤlliger Weise mit euren Exempeln zusammen. Du sprichst uͤber die Eitelkeit gut und rich- tig, weil Du uͤber Dich selbst sprichst. Es ist gar nicht noͤthig, daß die Menschen aufrichtig sind, man findet ihre Meinung doch unter dem Wust von Luͤgen heraus. Aber glaube mir, daß bey Dir nur ein Paar Zufaͤlle noͤthig waͤren, um Dich aus Deiner Philosophie, oder Ueber- zeugung, oder Stimmung (nenn es wie Du willst) herauszuwerfen. Die meisten Menschen gehoͤren gern zu irgend einer Schule, alle Vor- zuͤge und Vortrefflichkeiten ihrer Vorgaͤnger ziehn sie dann stillschweigend auf sich, weil sie den Nahmen ihrer Anhaͤnger tragen: sie haben es gern, wenn sie alle Meinungen und Empfindun- gen wie in einem Schema vor Augen haben, Lovell. 2r Bd. E daß sie in vorkommenden Faͤllen nur unter den gemachten Linien und Eintheilungen nachsuchen duͤrfen, um nicht im Zweifel zu bleiben; daher sind sie aber auch meistentheils so leicht aus ih- ren Ueberzeugungen herauszuschrecken. Bey Lovell magst Du uͤbrigens im Ganzen Recht haben, aber er ist auch unter den Men- schen einer von denen, die ich die Scheidemuͤnze nennen moͤchte. Er gehoͤrt nicht zu den freyen Geistern, die jede Einschraͤnkung der Seele verachten, er verachtet nur die, die ihm grade unbequem ist, und seine Verachtung ist dann Haß. Er findet sich und alles was er denkt, viel zu wichtig, als daß es nicht sehr leicht seyn sollte, auch seine innersten Gedanken von ihrem Throne zu stoßen. Wenn er die Menschen aber wie voruͤbergehende Bilder, und ihre Ge- sinnungen, wie das zufaͤllige Kolorit ansaͤhe, dann sollte es dir gewiß unmoͤglich werden, ir- gend etwas auf ihn zu wirken. Jeder Mensch ist im Grunde gescheidter wie der andere, nur will dies keiner von ihnen glau- ben. Die Ecke des einen greift in die Fuge des andern, und so entsteht die seltsame Ma- schinerie, die wir das menschliche Leben nennen. Verachtung und Verehrung, Stolz und Eitel- keit, Demuth und Eigensinn: alles eine blinde, von Nothwendigkeiten umgetriebene Muͤhle, de- ren Gesause in der Ferne wie artikulirte Toͤne klingt. Vielleicht ist es keinem Menschen gege- ben, alles aus dem wahren Standpunkte zu be- trachten, weil er selbst irgendwo als umgetrie- benes und treibendes Rad steckt. E 2 13. Amalie Wilmont an ihre Freundinn Emilie Burton . London . S ie sind es schon gewohnt, liebe Emilie, mei- ne uninteressanten Briefe zu lesen, ich habe also nicht viel zu besorgen, wenn ich Ihnen noch einmal schreibe. Es ist gewiß nicht Eitelkeit oder Stolz, wenn ich niemals von Neuigkeiten oder wichtigen Vorfaͤllen, sondern immer nur von mir spreche, und von dem, was mir zu- stoͤßt. Ich habe mich leider von Jugend auf daran gewoͤhnt, mich nur mit mir selbst und mit dem kleinen Zirkel zu beschaͤfftigen, der mich umgiebt. Wenn mir eine Krankheit meiner Eltern, eine Reise meines Bruders, oder das Ungluͤck eines Freundes wichtig ist; so vergesse ich daruͤber die ganze uͤbrige Welt, und weine oder freue mich, ganz fuͤr mich, wenn indeß auch in einem entfernten Erdtheile vielleicht eine ganze Nation untergeht. Ach, liebe Freundinn, wenn ich doch bey Ihnen waͤre, oder Sie bey mir seyn koͤnnten! Das ist die wiederholte Klage in allen meinen Briefen; ich sehne mich, wenn ich allein bin, mit einem unbeschreiblichen Gefuͤhle nach Ihrem Garten hin, ich gehe in Gedanken durch alle Gaͤnge spatzieren, und hoͤre Ihr angenehmes und unterrichtendes Gespraͤch. Ach, in Ihrer Ge- sellschaft wuͤrde ich gewiß froͤhlicher seyn, denn Sie wuͤrden mir zeigen, wie ungereimt mein Schmerz ist, es wuͤrde mir manches gleichguͤlti- ger werden, was mir jetzt so außerordentlich wichtig vorkoͤmmt: an Ihrer Seite habe ich im vorigen Jahre so viel gelernt; ach, ich wuͤrde gewiß ruhig werden, und Sie wuͤrden viele mei- ner Zweifel aufloͤsen, die mich jetzt aͤngstigen. Lovell hat mich vergessen, ich muß es mit jedem Tage mehr glauben, und alle Nachrich- ten von ihm bestaͤtigen es. Ach und es ist auch recht gut, daß ich nicht eine Ursache mehr wer- de, seinem kranken Vater Kummer zu machen. Er koͤmmt mir jetzt nur vor, wie ein Bild aus einem Traume der Kindheit, schoͤn und glaͤn- zend, aber entfernt und unkenntlich. — Mortimer spricht oft uͤber alle diese Gegen- staͤnde sehr klug, und uͤberredet mich manchmal auf ganze Tage; nur sagt er denn zuweilen wie- der etwas, das meiner Seele ganz fremd und zuwider ist. In den recht verstaͤndigen Men- schen liegt zuweilen eine zuruͤckstoßende Kaͤlte, man schaͤmt sich oft etwas zu sagen, was man fuͤr wahr haͤlt, weil man nicht gleich die pas- sendsten Worte dazu findet. Ich glaube, daß Mortimer mir nur in manchen Sachen recht giebt, um mir nicht zu widersprechen, weil er mich fuͤr zu einfaͤltig haͤlt, ihn ganz zu verstehen. Sein Herz ist nicht warm genug, er hat zu sehr die Welt und die Menschen kennen gelernet. Und doch fuͤhl ich mich ihm zuweilen so geneigt, er koͤmmt mir oft wieder besser und edler als Lovell vor, dessen Enthusiasmus so unstaͤt und ohne Ausdauer war; ich denke denn daruͤber nach, wie ich mit Mortimer leben wuͤrde, und gewoͤhne mich ordentlich an diese Vorstellung. Es kann auch seyn, daß er sich sehr nach mir bequemte, wenigstens thut er es jetzt auffallend, und wir lebten so vielleicht recht gluͤcklich mit einander. — Wenn mir nur nicht immer wieder so manches von meinen vorigen Empfindungen zuruͤckkaͤme! dann ist mir, wie wenn man von großen Schaͤtzen traͤumt, und ploͤtzlich in der stillen duͤrftigen Nacht aufwacht: man sucht mit den Haͤnden nach den Perlen und Diaman- ten, und stoͤßt sich an der harten Wand. Bin ich nicht thoͤrigt? Was sagen Sie da- zu, liebe, nachsichtige Freundinn? — Ich bin ein Kind, nicht wahr, das ist Ihre ganze Mei- nung? — 14. Emilie Burton an Amalie Willmont . Bonstreet . I hre Briefe, theuerste Freundinn! sind mir um so lieber, je mehr Sie darin von sich spre- chen. Ich wollte, ich koͤnnte bey Ihnen seyn, oder Ihnen in Ihrer Lage Rath ertheilen, aber leider ist mir beides unmoͤglich. Das Herz des Menschen liegt mit dem Verstande so oft im Kampfe, heute scheint uns das thoͤricht, was uns gestern edel vorkam, daß ich eben so wenig sagen mag: Handeln Sie nach Ihrem Herzen — als: ziehn Sie die Vernunft zu Rathe. Ihr Bruder ist jetzt hier, und will morgen abreisen, ich wuͤnschte ich koͤnnte ihn begleiten, statt daß ich ihm jetzt nur diesen unbedeutenden Brief mitgeben kann. Er hat mir viel von Ih- nen erzaͤhlen muͤssen, viel von Ihren Kinderjah- ren und Ihren fruͤhern Spielwerken; es giebt nichts Reitzenders, als die Kleinigkeiten genau kennen zu lernen, an denen sich schoͤne Seelen hinaufranken, um schoͤn zu wachsen. Mit Wohl- gefallen denke ich oft daran, welche Kindereyen ich mit meinem Bruder trieb, und welchen wich- tigen Einfluß diese auf uns beide gehabt haben. Schon in der Kindheit hatte mein Bruder den ernsten festen Blick, mit dem er jetzt in’s Leben sieht; schon als Kind war Ihr Karl so muth- willig und liebenswuͤrdig, und Sie eben so weich, als Sie beide jetzt sind. — Ich hoffe, Ihr Bruder wird auch so gut seyn, Ihnen von mir vieles zu wiederholen, was ich mit ihm gespro- chen habe, und so kann ich mich eines weitlaͤuf- tigen und ermuͤdenden Briefes uͤberheben, in den ich doch nichts von der Herzlichkeit legen kann, mit der ich Sie umarmen wuͤrde. Mein Bruder laͤßt herzlich gruͤßen; o wir sehn uns gewiß und bald einmahl wieder! — 15. William Lovell an Rosa . Rom . M ir scheint es, als zoͤgen Sie sich jetzt, wenn Sie hier sind, mehr von mir zuruͤck. Die Ur- sache davon kann ich nicht auffinden, und ich wuͤnsche sehr, daß es nur Schein seyn moͤge. Ich lebe hier in einem Taumel von einem Tage zum andern, ohne Ruhepunkt oder Still- stand fort. Mein Gemuͤth ist in einer ewigen Empoͤrung, und alles vor meinen Augen hat eine tanzende Bewegung. Durchschwaͤrmte Naͤch- te und wiederholte Trunkenheit machen, daß mir die Welt ganz anders erscheint, nicht froͤh- licher oder betruͤbter, aber weit seltsamer und unwichtiger. Man urtheilt nur denn uͤber das Leben am richtigsten, wenn man im eigentlichen Sinne recht viel lebt, nicht nur den Becher ei- ner jeden Freude kostet, sondern ihn bis auf die Hefen leert, und so durch alle Empfindungen geht, deren der Mensch faͤhig ist. — Mein Blut fließt unbegreiflich leicht, und meine Ima- gination ist angefrischt, und erstreckt sich auf alle Ideen des menschlichen Geistes. Mit der ersten Gelegenheit denke ich meinen Willy nach England zuruͤckzuschicken; mit sei- nem altvaͤterschen Wesen und seiner gutgemein- ten Ueberklugheit faͤllt er mir zur Last. Er will mit aller Gewalt mein Freund seyn, und es moͤchte hingehn, wenn er nur nicht den Bedien- ten ganz daruͤber vergaͤße. Als ich neulich spaͤt in der Nacht, oder vielmehr fchon gegen Mor- gen mit dem froͤhlichsten Rausche nach Hause kam, hielt er mir eine pathetische Rede, und verdarb mir meine Laune. Er will gern fort, und sein Wille soll geschehn. — Sie munterten mich ehedem auf, das Leben zu genießen, und jetzt sind Sie zuruͤckgezogener als ich. Kommen Sie her, damit ich den ver- worrenen Rausch in Ihrer Gesellschaft genieße, und meine Sinne noch trunkener werden. Ich bin eben bey unsrer Signora Bianca gewesen, die das Muster der Zaͤrtlichkeit ist, sie kann den theuren Rosa immer noch nicht vergessen, und spricht mit Enthusiasmus von ihm; Sie thun unrecht, das zaͤrtliche Geschoͤpf so ganz zu vernachlaͤssigen, Ich habe noch viele andre Gruͤße zu bestellen, die Sie mir erlassen moͤgen, genug, Sie stehn bey allen unsern schoͤnen Bekanntschaf- ten im besten Angedenken. Ich bin auf heut Abend zur schwarzaͤugigen wolluͤstigen Laura hin- bestellt, die jetzt schon meine ganze Phantasie beschaͤfftigt. Wer kann bie unbegreiflichen Launen zaͤhlen und beschreiben, die im Menschen wohnen? Die seit einigen Wochen in mir erwacht sind, und aus meinem Leben das bunteste und wunder- lichste Gemaͤhlde bilden? Frohsinn und Melan- cholie, seltsame Ideen in der ungeheuersten Ver- bindung, schweben und gaukeln vor meinen Au- gen, ohne sich meinem Kopfe oder Herzen zu naͤhern. Man nenne doch die schoͤne Erweckung der innersten Gefuͤhle nicht Rausch ! Man sehe nicht mit Verachtung auf den Menschen hinab, dem sich ploͤtzlich in der gluͤcklichsten Er- hitzung neue Thore der Erfahrungen aufthun, dem neue Gedanken und Gefuͤhle wie schießende Sterne durch die Seele fliegen, und einen blau- goldnen Pfad hinter sich machen. O Wein! du herrliche Gabe des Himmels! fließt nicht mit dir ein Goͤttergefuͤhl durch alle unsre Adern? Flieht nicht dann alles zuruͤck, was uns in so manchen unsrer kalten Stunden demuͤthigt? Nie stehn wir in uns selbst auf einer so hoch erhabnen Stufe, als wenn die Augen wie Sterne funkeln, und der Geist, wie eine Maͤnade wild durch alle Regionen der frechsten und wildesten Gedanken schwaͤrmt. Dann pochen wir auf unsre Groͤße, und sind unser Seele und Unsterblichkeit gewiß, kein lahm- kriechender Zweifel holt den fliegenden Geist ein; wir durchschauen wie mit Seherblicken die Welt, wir bemerken die Kluͤfte in unsern Gedanken und Meinungen, und fuͤhlen mit lachendem Wohlbehagen, wie Denken und Fuͤhlen, Traͤu- men und Philosophiren, wie alle unsre Kraͤfte und Neigungen, alle Triebe, Wuͤnsche und Ge- nuͤsse nur Eine, Eine glaͤnzende Sonne ausma- chen, die nur in uns selbst zuweilen so tief hin- untersinkt, daß wir ihre verschiedene Strah- lenbrechung fuͤr unterschiedene getrennte Wesen halten. Spotten Sie nicht, Rosa, wenn ich Ihnen sage, daß jetzt eben diese Gluth des Weins aus mir spricht: oder spotten Sie vielmehr, so viel Sie wollen, denn auch das gehoͤrt zu den Vor- trefflichkeiten des Menschen. Ich fuͤhle es jetzt lebhaft, wie alles, alles was mich umgiebt, in Einem Range steht. — Der Wein laͤßt mich so fuͤhlen und sprechen, ein andres Nahrungs- mittel, das dem Menschen die sogenannte Nuͤch- ternheit laͤßt, aͤußert sich in andern Ideen, und der quaͤlende Hunger legt dem Menschen wieder andere Gesinnungen in den Mund. Wer von allen hat nun Recht? — Ha! welche Wesen sind es, die das Thor Der dunkeln Ahndungen entriegeln? Was hebt den Geist auf goldbeschwingten Flügeln Zum sternbesäten Himmelplan empor? — Es schlägt der schwarze Vorhang sich zurücke, Und wundervolle Scenen thun sich auf, Seltsame Gruppen meinem starren Blicke: Wie Traumerinnrung stehn sie da! mit frischem Glücke Beginn ich froh den neuen Lebenslauf! Ich fühle mich von jeder Schmach entbunden, Die uns vom schönen Taumel rückwärts hält, Die jämmerlichen Ketten sind rerschwunden , Mit Freudejauchzen stürzen goldne Stunden Rasch auf mich ein, und ziehn mich tanzend durch die Welt. Es sammlen sich aus den verborgnen Klüften Die Freuden, wie Mänaden um mich her, Es klingen ungesehne Lieder in den Lüften, Es wogt um mich ein ungestümes Meer, Und Töne, Jauchzen, Wonne schwebt auf Blu- mendüften, Und alles stürmt um mich, so wie ein wildes Heer. Ich steh im glanzgewebten Feenlande, Und sehe nicht zur dürren Welt zurück, Es fesseln mich nicht irrdischschwere Bande, Entsprungen bin ich kühn dem meisternden Ver- stande, Und taumelnd von dem neugefundnen Glück! — Hinweg mit allen leeren Idealen, Mit Kunstgefühl und Schönheitssinn, Die Stümper quälen sich zumahlen, Und nagen an den dürren Schaalen Und stolpern über alle Freuden hin. Hinweg mit Kunstgeschwätz und allen Musen, Mit Bilderwerk, leblosen Puppentand, — Hinweg! ich greife nach der warmen Lebenshand, Mich labt der schön geformte lebensvolle Busen. Ach, alles flieht wie trübe Nebelschatten Was ihr mit kargem Sinne schenken wollt; Nur der besucht Elysiums schöne Matten, Nur dem ist jede Gottheit hold, Der keinem Sinnentrug sein Leben zollt. Der nicht in Lustgefilden schweift, Und sich an Dunstphantomen weidet, Durch kranke Wehmuth und Begeistrung streift, — Nein, der die schlanke Nymphe rasch ergreift, Die sich zum kühlen Bad’ entkleidet. Ihm ist’s vergönnt zum Himmel sich zu schwingen. Es sinkt auf ihn der Götter Flammenschein, Er hört das Chor von tausend Sphären klingen, Er wagt es zum Olymp hinauf zu dringen, Und wagt es nur, ein Mensch zu seyn. Sie haben schon oft uͤber meine Verse ge- spottet, und hier gebe ich Ihnen eine neue und noch bessere Gelegenheit, denn ich habe die Syl- ben und ihre Laͤngen und Kuͤrzen nicht nachzaͤh- len moͤgen; ein so korrekter Kritiker, wie Sie, findet also fuͤr seine Bemerkungen Stoff genug. — Ich durchschweife oft in meinen abentheuer- lichen Stimmungen die Stadt, und labe mich in der magischen Nacht an den wunderbaren und raͤthselhaften Bildern der aͤußern Gegenstaͤnde. Oft schwebt die Welt mit ihren Menschen und Zufaͤlligkeiten wie ein bestandloses Schattenspiel vor meinen Augen. — Oft erschein ich mir dann selbst, wie ein mitspielender Schatten, der koͤmmt und geht, und sich wunderlich geberdet, ohne zu wissen warum. Die Straßen kommen mir dann nur vor, wie Reihen von nachgemach- ten Haͤusern mit ihren naͤrrischen Bewohnern, die Menschen vorstellen; und der Mondschein, der sich mit seinem wehmuͤthigen Schimmer uͤber die Gassen ausstreckt, ist wie ein Licht, das fuͤr andere Gegenstaͤnde glaͤnzt, und durch einen Zufall auch in diese elende laͤcherliche Welt hineinfaͤllt. Denn Dann schweif ich im wundervollsten Genuß der Phantasie auf den freyen Plaͤtzen und zwi- schen den Ruinen umher, und ergoͤtze mich an den Gestalten, die voruͤbergehn und mein Ge- fuͤhl nicht kennen, und von mir nichts wissen. — Am liebsten aber begleite ich irgend eines der voruͤberstreifenden Maͤdchen, oder besuche eine meiner Bekantinnen, und traͤume mir, wenn mich ihre wolluͤstigen Arme umfangen, ich liege und schwelge an Amaliens Busen. — Nichts macht mir dann meine eingebildete, alte schwaͤr- merische Liebe so abgeschmackt und laͤcherlich, als dieser vorsaͤtzliche Betrug. Wie seltsam wird mir oft, wenn ich einem Maͤdchen nachfolge, die mich in ihre finstre enge Wohnung fuͤhrt, wo ein Krucifix uͤber dem Bette haͤngt, und die Bilder der Madonne und von Maͤrtyrern neben Schminktoͤpfen und schmutzi- gen Glaͤsern mit Schoͤnheitswassern; oder wenn ich im Gedraͤnge von Lazaroni’s und Handar- beitern in einer Herberge hinter einer andern stehe, und mit eben so vieler Andacht den poͤ- belhaften Spaͤßen eines Pulicinello zuhoͤre, mit der ich ehedem den Shakspear sah. — Das Leben ist nichts, wenn man es nicht auf die Lovell. 2r Bd. F sinnlichroheste Art genießt; der Widerschein der Wollust faͤllt auf alle Gegenstaͤnde, und faͤrbt auch die uninteressantesten mit einem goldenen Schimmer. — Amalie ist auch nur einer von den wandelnden Schatten, die Zeit ergreift sie eben so, wie mich, und wirft das abgenutzte, veraltete Bild in ihre dunkeln Tiefen, in die kein Auge dringt, und wo die Marionetten von tausend Jahrhunderten in bunter Vermischung aufgehaͤuft uͤbereinander liegen. Leben Sie wohl, und kommen Sie nach Rom, es ist endlich Zeit, kommen Sie gleich nach Empfang dieses Briefes; ein wiederkehrender Freund erregt eben die Empfindung in uns, wie dem Kinde der wiederkehrende Fruͤhling. 16. Willy an seinen Bruder Thoma’s . Rom . J etzt muß ich fort, Thomas, ich muß nach England, oder der Gram macht, daß ich mich hier in dem fremden, fatalen Lande muß begra- ben lasseu . Ach, wer haͤtte das wohl noch vor einem Jahre gedacht! Wer mir es gesagt haͤtte, den haͤtte ich fuͤr einen Luͤgner gescholten, oder ihn wohl gar geschlagen, wenn es sich sonst haͤtte thun lassen. Aber kein Mensch kann auf solche Sachen fallen, das ist gewiß, weil bey der ganzen Geschichte der boͤse Feind sein Spiel haben muß, das glaube ich nunmehr gewiß und ganz festiglich. Ach Thomas, wenn man jetzt noch nach Dir schlagen und stoßen wollte, Leu- te, die Du hast groß werden sehn, es wuͤrde mir wie kalt Wasser durch die ganze Seele gehn, ja, und so muß Dir nun auch als einem red- lichen Bruder zu Muthe werden, wenn Du so was von mir hoͤrst, da ich noch aͤlter bin, als Du bist. — Mein Herr, — ach, denke Dir, letzt kam er ganz betrunken nach Hause, wie er F 2 fast alle Tage oder Naͤchte thut, und ich hatte die ganze lange kalte Nacht auf ihn wachen muͤs- sen, ich dachte an seinen alten kranken Vater, und die Thraͤnen kamen mir daruͤber in meine beiden Augen. Ich stellte ihm also seinen gan- zen Lebenswandel vor, und daß er sich bessern und aͤndern solle, ich sagte ihm alles so recht aus meinem alten ehrlichen Herzen heraus, und da, Thomas, lachte er mich aus, wie ein wah- rer Heide. Da wurde ich denn auch hitzig, denn ich bin auch nur ein Mensch, lieber Bru- der, und jetzt schon alt und schwaͤchlich, gebrech- lich und baufaͤllig, ich fuhr so mit etlichen gott- seeligen Redensarten und Kernspruͤchen heraus, und da — lieber Bruder, seit der Zeit ist mir, wie einem armen Suͤnder zu Muthe, da schlug er mit dem kleinen Stocke nach mir, den er noch aus unserm lieben England mitgenommen hat, mit demselben Stocke, den ich ihm noch in London gekauft habe; haͤtt’ ich das wohl da- mahls denken koͤnnen! — Nun laͤßt es mir hier keine Ruhe mehr, ich habe viel geweint, denn ich bin einmahl etwas weibisch, ich kann es immer nicht vergessen, und der junge Lovell kommt mir nun ganz an- ders vor; ich kann ihn nicht mehr mit dersel- ben Liebe ansehn, ich bin so kleinmuͤthig und so gedemuͤthigt, als wenn ich Jemand ermordet haͤtte, welches Gott Zeit meines Lebens verhuͤ- ten moͤge. Und sollt’ ich zu Fuße nach England gehn, so muß ich jetzt fort, und sollt’ ich heimlich wie ein Schelm fortlaufen, so kann ich nicht hier bleiben. Ach Bruder, stirb mir ja nicht vor- her, denn sonst haͤtt’ ich ja gar keine Freunde auf dieser Erde mehr, sondern lebe im Gegen- theil recht wohl, bis Dich muͤndlich wiedersieht Dein armer Bruder Willy . 17. Andrea Cosimo an Rosa . Neapel . D u haͤttest immer noch hier bleiben koͤnnen, und nicht mit der Eile die Bitte Deines Lovell zu erfuͤllen noͤthig gehabt. Ich melde Dir nur, daß sich der junge Valois in England erschos- sen hat. Man sollte sich mit solchen armseeli- gen Seelen gar nicht einlassen, die am Ende nicht einmal Muth genug haben, ihr Daseyn zu ertragen. Das ist wieder der Ausgang eines Deiner klugen und fein ersonnenen Projekte; entschuldige Dich nun, oder gestehe Deine Be- schaͤmung, je nachdem Du es am natuͤrlichsten findest. 18. Eduard Burton an William Lovell . Bonstreet . D eine Briefe, so wie der Gedanke an Dich betruͤben mich seit einiger Zeit außerordentlich. Ach William, ich moͤchte Dir alles schicken, was Du mir ehemahls geschrieben hast, dann solltest Du Dich selbst wie in einem Gemaͤhlde betrachten, und Dich fragen: bin ich diesem Bilde noch aͤhnlich? Aber ich fuͤrchte, Du wirfst alles ungelesen ins Feuer, obgleich die That wahrlich, wenigstens halb so strafbar waͤre, als wenn Du einen lebenden Zeugen Deiner Thorheiten vernichtetest. Koͤnnt’ ich doch eben so warm sprechen, und die Feder mit eben der Knnst der Ueberredung fuͤhren, wie Du! Aber alle Talente, die auch ehedem vielleicht in mir lagen, sind jetzt durch Deine Abtruͤnn i gkeit von unserm Bunde gede- muͤthigt, ich fuͤhle mich wie verstoßen und ent- erbt, und seh, indem ich schreibe, uͤber die Wiese nach der mittaͤgigen fernen Gegend, als wenn Du dort vom Huͤgel herunter kommen muͤßtest, als wenn dann die ganze ehemalige Zeit wieder da waͤre. — Ich traͤume und phan- tasire wie ein Kind, und weiß nicht, was ich mit meiner uͤbeln Laune anfangen soll. Sollten wir denn nun wirklich ganz von ein- ander gerissen seyn? Ach ja, es ist, denn ich erkenne in Deinem Briefe den Lovell nicht wie- der, den ich ehemals liebte. Damals war Dein Leben und Deine Art zu fuͤhlen, wie ein sanfter, leise murmelnder Bach, den meine Wel- len mit einer stillern und unmusikalischern Melo- die begleiteten — jetzt erscheinst Du wie ein Was- sersturz, dem ich erschrocken aus dem Wege trete. Ach, William, ich gebe Dir ja zu, daß Du in manchen Ruͤcksichten jetzt kluͤger seyn magst, als vordem, aber ich beschwoͤre Dich, kehre, wenn es moͤglich ist, zu jener kindlichen Einfalt zuruͤck. Ach ja wohl, wenn es moͤg- lich ist ! Eine schwarze Ahndung geht mir durch die Seele, daß Du vielleicht den altvaͤterischen lah- men Ton in meinem Briefe belachst, und mir mit einer neuen, noch frechern Dithyrambe ant- wortest. Aber wenn Du es nun deutlich be- merkt hast, wie vieles, was man wahr und groß nennt, in sich selbst zusammen faͤllt, wenn man den Grund des Gebaͤudes untersuchen will; so wage es nun auch, Dich selbst wie ein Mann anzuruͤhren, und den Stoff Deiner eigenen Ge- danken naͤher zu betrachten. Sey aufrichtig ge- gen Dich selbst, und Du findest denn vielleicht, daß Du in denselben Fehler gefallen bist, den Du so hitzig vermeiden wolltest, daß Du ein eifriger Systematiker bist, indem Du auf alle Systeme schimpfst. Hast Du wohl den wahren Gesichtspunkt, wenn Du jetzt mit so vielem Muthwillen, mit solcher verachtenden Ereiferung uͤber Dein vori- ges Wesen sprichst? Wir sollten doch immer daran denken, duß jede unsrer jetzigen Meinun- gen mit einer fruͤheren zusammenhaͤngen muß , daß die vorhergehende die spaͤtere erzeugt, und daß aus unsern jetzigen Ideen wieder neue her- vorgehen werden und muͤssen, und daß wir uns so durch unmerkliche Abstufungen endlich wieder einer laͤngst veralteten Vorstellungsart naͤhern koͤnnen: — alles dies sollte uns bewegen, nicht immer aus den vorigen Wohnungen unsrer See- len Ruinen zu schlagen, um aus dem jetzigen Pallaste mit lachendem Spotte auf sie hindeuten zu koͤnnen. Wie den Aufenthalt meiner Kind- heit, wie meine alten Bilderbuͤcher liebe ich al- les, was ich einst dachte und empfand, und oft draͤngt sich eine Vorstellung aus den fruͤhsten Knabenjahren auf mich ein, und belehrt mich uͤber meine jetzigen Ideen. Der Mensch ist so stolz, sich fuͤr vollendet zu halten, wenn er sein ganzes voriges Leben fuͤr verworfen an- sieht, — und wie ungluͤckseelig muͤßte der seyn, der nicht mit jedem Tage etwas Neues an sich auszubessern faͤnde, der das schoͤnste und interes- santeste Kunstwerk gaͤnzlich aufgeben muͤßte, mit dem sich die menschliche Seele nur immer be- schaͤfftigen kann: die allmaͤhlige hoͤchstmoͤgliche Vollendung ihrer selbst . Was soll ich Dir sagen, William? Ich fuͤhl’ es, daß alle Worte vergebens sind, wenn sich der Gegner einer eigensinnigen, rechthaberischen Sophisterey ergeben hat, die am Ende doch nur einseitig ist. Diese mit der Leidenschaft verbun- den ist der Syrenengesang, dem vielleicht kein Sterblicher widerstehen kann, wenn er nicht wie der griechische Held von der Unmoͤglichkeit zu- ruͤckgehalten wird. Und es kann seyn, daß auch dann die giftigen Toͤne durch das ganze Leben nachklingen, daß die Seele bestaͤndig wie eine versengte Aehre, selbst im Wachsthume, die Spur davon behaͤlt. — Dein Vater ist sehr krank, und ich fuͤhle, daß ich es auch werden kann, wenn ich recht lebhaft an Dich denke; wir gewoͤhnen uns so leicht daran, das Ungluͤck, das wir nicht wuͤrklich vor uns sehen, als eine poetische Fiktion zu betrachten, daß alle Jam- mertoͤne gleichsam unbefiedert in uns anschlagen. Aber wenn ich mich dann zu Dir hinversetze, wenn mir die Buͤcher in die Hand fallen, die wir ehemals zusammen lasen, und ich noch ein- zelne Papierzeichen finde, oder angestrichne Stel- len von Dir entdecke. — — O komm zuruͤck, komm zuruͤck, William! Gedenke der suͤßen Har- monien, die Dich sonst umschwebten, ein from- mer kindlicher Sinn wohnte Dir im Busen, Du machtest Dir das Kleinste groß, und vergaßest daruͤber das Große; eine Blume war fuͤr Dich bedeutend, und ihr Verwelken merkwuͤrdig, in- dem Dich politische Streitigkeiten und Parthey- kaͤmpfe nicht kuͤmmerten: ach vergieb, daß ich Dich damals so oft dieses zarten Kunstsinns wegen schalt, ich sehe jetzt mit Bedauern ein, daß die Seelen feinere Fuͤhlfaͤden haben, die sich um Thautropfen und Lilien mit Wohlbeha- gen legen, als die sich an Felsen ansaugen muͤs- sen, um mit einer ungeheuren Masse Ein We- sen zu werden, damit sie sich selber interessiren. Ich dachte Dich dahin zu lenken, wo ich zu stehen glaubte, und Du bist nun, wie mit zu stark gewachsenen Fluͤgeln unwissend uͤber das Ziel hinausgeflogen, das ich Dir setzen wollte. Wenn Dir jetzt Amalie und ihre Liebe so abgeschmackt erscheint, in welchem Lichte muß dann unsre Freundschaft vor Dir stehn? War sie nicht auch ein Werk jugendlicher Begeiste- rung, das Beduͤrfniß einer schoͤnen Eingeschraͤnkt- heit des Gemuͤthes? War ich nicht etwas ei- fersuͤchtig, als ich zuerst Deine Neigung zu Amalien bemerkte? Betruͤbte ich mich nicht in- uerlich , daß Deine Liebe zu einem andern We- sen sich nun unendlich hoͤher hob, als zu mir? — Ach Lieber, untersuche doch ums Himmelswillen nicht die kleinen Widerspruͤche, die Kindereyen und Albernheiten, die so oft in unsern edelsten Neigungen und Gefuͤhlen liegen. Es ist der gruͤne duftlose Stengel der Blume, aber beide koͤnnen nur zusammen existiren. — Was ist der Mensch nach Deinen Ideen, die sich doch in sich selber widersprechen? Die nichtswuͤrdigste Verbindung seelenloser Glieder, — was giebt Dir denn nun diesen feurigen Enthusiasmus fuͤr Deine Meinung, wenn Du nichts mehr, als diese verworfene Maschine bist? Und koͤnntest Du ihn ohne jene edlere Gefuͤhle haben; so waͤrst Du eben durch diese trunkene Schwaͤr- merey das veraͤchtlichste unter allen denkbaren Wesen. Ueberlege, daß das Leben eines so reizbaren Geistes, als der Deinige ist, nur einer magi- schen Laterne gleicht, die an der Wand die bun- ten Gegenstaͤnde abspiegelt, die ihr vorgehalten werden: daß es nur Sinnenreiz ist, was aus Dir spricht, nicht die innere, durch Gefuͤhl und Nachdenken gereifte Ueberzeugung. Gieb mir wenigstens zu, daß dies moͤglich seyn kann, und untersuche Dich genauer, und kehre zuruͤck, wenn Du es so findest. — Ach es sind viel- leicht nur die wiederholten Spruͤche eines kal- ten, verschlossenen Freundes, der mich aus Deinem Herzen verdraͤngt hat, dessen Philoso- phie nichts als ein blendendes Feuerwerk seyn soll, das seine Eitelkeit seinen Freunden giebt, und die Du, thoͤrichter Juͤngling, aus uͤbel- verstandener Anhaͤnglichkeit in Dein Herz auf- nimmst. — — O, vergieb mir, William, es ist wahrlich nicht Haͤrte, die aus mir spricht, nur mein herzliches Gefuͤhl, das ich mir und Dir unmoͤglich verbergen kann. Gieb Deiner Seele einmahl das traurige Fest, laß die wehmuͤthigen tragischen Empfin- dungen ungehindert zu Dir kommen, und denke recht lebhaft mich, Deinen Vater und Ama- lien ! denke sie mit der Fruͤhlingsempfindung wieder, wenn Du jemals fuͤr sie empfunden hast, und Deine ganze Liebe nicht Affektation war. Mir schien es, als wuͤrde Dir in einem Deiner letzten Briefe die Entsagung Amaliens gar zu leicht, weil Du nun um so erlaubter Deine neue Lebensbahn antreten konntest. — — Wie komme ich zu diesem Argwohn gegen mei- nen William? — Ach, in manchen Augenblicken tritt es, wie der boͤse Feind, zwischen uns, und will mein Herz ganz dem Deinigen abwendig machen; aber es soll gewiß nicht geschehn. Waͤrest Du mir nicht zu wichtig; so koͤnnte ich Dir noch von meinem und Deinem Vater manche Umstaͤnde schreiben, Dich auf manches vorbereiten, Dir zeigen, wie oft mit dem Un- gluͤcke das Gluͤck des Menschen zusammenhaͤngen koͤnne; aber ich will lieber schließen. Findest Du noch einiges Interesse fuͤr Deine ehemali- gen Wuͤnsche; so soll Dich der naͤchste Brief von mir weitlaͤuftig daruͤber unterrichten. Lebe wohl, lebe wohl, theurer William! ant- worte mir bald, und zeige mir, daß Du noch etwas von Deinem ehemaligen Gefuͤhle fuͤr Dei- nen Eduard uͤbrig hast. — Es ist mir aͤngst- lich den Brief zu schließen, weil ich nicht weiß, ob ich Dich im mindesten uͤberzeugt habe, aber ich kann kein Wort mehr hinzusetzen. In man- chen Rechtshaͤndeln des Lebens kann nur das Gefuͤhl allein das Wort fuͤhren, ein Haͤndedruck, eine Thraͤne ersetzt eine ganze Abhandlung, — ach und meine Thraͤnen kannst Du ja nicht sehn, die Seufzer hab’ ich nicht niedergeschrieben. — Lebe wohl. — 19. William Lovell an Eduard Burtou . Rom . J a, Freund, Geliebter, Einziger, ich will, ich muß Dir antworten. — Welchen Eindruck hat Dein Brief auf mich gemacht! — O wie ein Gewitter ist jedes Wort durch meinen Busen gegangen, und die Fruͤhlingssonne ist auf ein- zelne Momente zwischen den Regenschauern zu- ruͤckgekehrt. — Ich wollte Dir so vieles sagen, und weiß nun keine Worte zu finden. Ich bin beklemmt, die Angst draͤngt mein Blut nach der Kehle, — ach, ein Blutsturz wuͤrde mir Lin- derung schaffen, und meinem Herzen ein Lab- sal seyn. — Und doch koͤnnt’ ich nicht froh seyn, ich moͤchte mein ganzes Daseyn in stuͤrzenden Thraͤnenguͤssen dahin weinen, um nur der druͤcken- den Buͤrde des Lebens los zu werden. — Wenn ich an mein voriges Gluͤck denke, und der ge- strige Taumel noch wie ein Dampf voll unge- heurer Gestalten vor meinen truͤben Augen zit- tert, — Du hast gewaltig an die Kette gerissen, die unsre Seelen an einander bindet, die Wunde, die die sich gespaltet hat, ist schmerzhafter, als jene, die Du hast heilen wollen. Ach Eduard, wenn ich nicht meinen Vater fuͤrchtete, so floͤg ich jetzt nach England zuruͤck, und stuͤrzte als reuiger und beschaͤmter Suͤnder vor Amaliens Fuͤßen nieder, daß sie mir ver- gaͤbe, oder ich den Tod von ihrer Hand em- pfinge. — Es ist wie Wetterleuchten am Horizont mei- nes Lebens, — wie Klocken, die aus der Ferne den Goͤtterlaͤsterer zur Kirche und zur Strafe ru- fen. — Vergieb Du mir zuerst, mein Eduard, — ach, weiß ich denn nicht, daß, wenn mein Schicksal in Deiner Hand staͤnde, ich der Gluͤcklichste der Menschen waͤre! Moͤcht’ ich wenigstens nicht wieder von die- sem Taumel der Angst erwachen, die mich all- maͤchtig ergriffen hat, — ach ich fuͤhle schon jetzt die duͤstere entsetzliche Leere, die ihr folgen wird. — Lebe wohl, Theurester meiner Seele, und erquicke mich durch Deine Briefe, so wie Du mir durch diesen den letzten Muth entrissen hast. Ich kann nicht weiter. — Lovell. 2r Bd. G 20. Der Advokat Jackson an den Lord Burton . London . Hochwohlgebohrner Herr, I ch bin den Befehlen, die mir Ew. Gnaden neulich zukommen ließen, auf das treullchste ge- folgt. So viel es von mir abhaͤngen konnte, habe ich den Gang des Prozesses beschleunigt, und ich bin fest uͤberzeuget, daß ich jetzt so viel gethan habe, als nur in meinen Kraͤften stand. Dieselben werden auch Ihre neulichen Briefe allbereits zuruͤck erhalten haben, so daß ich den Befehlen, die Sie mir ertheilten, die genauste Folge geleistet habe. Jetzt hat sich nun ein Vorfall ereignet, der den ganzen Prozeß in kurzer Zeit voͤllig beendi- gen koͤnnte, aber leider zu Ew. Gnaden Nach- theil. Neulich saß ich noch spaͤt in der Nacht in einem Zimmer auf dem Lovellschen Landgute, das mir der Lord eingeraͤumt hat, um dort zu arbeiten. Man hat mir die Erlaubniß gegeben, alles zu durchsuchen, wo ich irgend nur Belege und Papiere zur Aufklaͤrung der Sache zu fin- den hoffte. Ich hatte schon ganz, so wie der Lord, die Hoffnung aufgegeben, die bewußten Dokumente, die die Bescheinigung der Bezah- lung enthalten, jemahls aufzufinden, ich hatte schon alles durchforscht, was mir zu meinem Endzwecke nur irgend merkwuͤrdig schien. Jetzt gerieth ich in der Nacht uͤber eine Schublade, die ich schon oft aufgezogen habe, und entdecke in dieser einen verborgenen Kasten, ich oͤffne ihn mit zitternder Hand, und finde, daß mich meine Ahndung nicht betrogen hatte. Die be- wußten wichtigen Dokumente sind nunmehr in meiner Hand. Ich wuͤrde es fuͤr Ungerechtigkeit halten, wenn ich nunmehr sogleich den Prozeß zu Lo- vells Vortheil beendigte, wie es jetzt allerdings nur eine Kleinigkeit waͤre. Ich glaubte, ich sey es Ew. Hochwohlgebohrn schuldig, Denen- selben zuvor wenigstens von dieser Begebenheit Nachricht zu ertheilen, um zu erfahren, ob Sie G 2 nicht noch vielleicht neue und wichtige Gruͤnde vorzubringen haͤtten, die nachher etwas von ih- rer Kraft verlieren moͤchten; oder ob Dieselben nicht uͤberhaupt zuvor die Dokumente in Au- genschein nehmen wollten, um ihre Rechtmaͤßig- keit zu pruͤfen. Ich darf sie aber auf keinen Fall der Post anvertrauen, und Ew. Gnaden haben mir, einen Bothen zu senden, ausdruͤck- lich untersagt: es bleibt mir also kein andrer Weg uͤbrig, als Ew. Gnaden zu ersuchen, die Reise hieher selber zu machen, oder mich nach Bonstreet kommen zu lassen; oder ich koͤnnte Ihnen auch auf dem halben Wege bis Not- tingham entgegen kommen. Ganz, wie Sie es befehlen. Bis ich das Gluͤck gehabt habe, Ew. Gna- den persoͤnlich zu sprechen, bleibt dieser ganze Vorfall uͤbrigens ein Geheimniß. Daß ich es nicht am Diensteifer habe fehlen lassen, wird ein so scharfsichtiger Beobachter, als Ew. Herrlichkeiten sind, gewiß nicht zu be- merken unterlassen haben; wie sehr ihn Die- selben werden zu schaͤtzen wissen, dies zu erfah- ren, haͤngt von der ersten muͤndlichen Unterre- dung ab, der ich mit großen Erwartungen ent- gegen sehe. — In der tiefsten Verehrung habe ich die Ehre mich zu nennen. Ew. Herrlichkeiten treuergebenster Diener Jackson . 21. William Lovell an Rosa . Rom . S ie fragten mich gestern, was mir fehle. — Was hilft es mir, wenn ich nicht ganz aufrich- tig bin. — Ich will es Ihnen gestehen, daß ein Brief des jungen Burton mir allen Muth und alle Laune genommen hatte. Die Vergangen- heit kam so freundlich auf mich zu, und war so glaͤnzend, wie mit einem Heiligenschein umge- ben. Sie werden sagen: Das ist sie immer, und zwar aus keinem andern Grunde, als weil sie Vergangenheit ist. Aber nein, es lag noch etwas anders darin, ein Etwas, das ich nicht beschreiben kann, und das ich um alles nicht noch einmahl fuͤhlen moͤchte. Sie werden vielleicht die Erfahrung an sich gemacht haben, daß nichts uns so sehr demuͤ- thigt, als wenn uns ploͤtzlich uͤber irgend eine Sache oder Person die Augen aufgethan wer- den, die wir bis dahin mit Enthusiasmus ver- ehrt, ja fast angebetet haben. Der nuͤchterne Schwindel, der dann durch unsern Kopf faͤhrt, die Nichtswuͤrdigkeit, in der wir uns selbst er- scheinen, alles dies und Reue und Mißbehagen, alle uͤble Launen in Einem truͤben Strome, al- les stuͤrzte auf mich zu, und ergriff mich und riß mich mit sich fort. — Alles, was ich empfun- den und gedacht hatte, gieng wie in einem al- les verschlingenden Chaos unter, alle Kennzei- chen, an denen ich mich unter den gewoͤhnlichen Menschen heraushob, giengen wie Lichter aus und ploͤtzlich verarmt, ploͤtzlich zur Selbstverach- tung hinabgesunken, war ich mir selbst zur Last, und Himmel und Erde lagen, wie die Mauern eines engen Gefaͤngnisses, um mich. Ich erinnerte mich jetzt der truͤbseligen Au- genblicke, die mich so oft im heftigsten Taumel der Sinne ergriffen hatten; der widrigen Em- pfindungen, die so oft schon mein Herz zusam- menzogen, so vieler Vorstellungen, die mich un- ablaͤßig wie Gespenster verfolgt hatten. — Wo- zu bin ich so umstaͤndlich? Blos um Ihnen zu zeigen, wie aufrichtig ich bin; ich weiß, Sie werden meine Schwaͤche verachten, aber dem Freunde muß man keine Thorheit verbergen. Heilen Sie mich von meinen Albernheiten, und beweisen Sie dadurch, daß ich Ihnen nicht ganz gleichguͤltig bin. Doch ich eile zu einer Begebenheit, die wich- tiger ist, und die mich im Grunde schon alles hat vergessen lassen. Ich versuchte meinen Lieb- lings, Zeitvertreib, der mich am ersten troͤstet; ich streifte in der Daͤmmerung durch enge und unbekannte Gassen; ergoͤtzte mich, wenn ich ei- ner Kirche vorbeygieng, an dem Gedanken, daß ich jetzt mitten in der Stadt gehe, deren Nahme mir in den Knabenjahren so schoͤn und aben- theuerlich geklungen hatte. Ich verirrte mich endlich in den kreuzenden Straßen, und gerieth, als es schon ziemlich spaͤt war, an die Porta Capena. Ich gieng hindurch. Sie kennen dort vor dem Thore die seltsa- men und an manchen Stellen schauerlichen Rui- nen. Es ward dunkler, und ich fuͤrchtete mich endlich; ich erinnerte mich eines Menschen, von dem ich glaubte, ich weiß aber nicht warum, daß ich ihn nothwendig hier treffen muͤßte. Ich wollte umwenden, und sah seitwaͤrts einige kleine unbedeutende Huͤtten in einer ziemlichen Ent- fernung; in einer von diesen brannten die Fen- ster hell und freundlich. Ich hatte einen unwi- derstehlichen Trieb nach diesem Hanse hin, und fand nach vieler Muͤhe einen kleinen Fußsteig, der mich dorthin fuͤhrte. — Die Toͤne einer Laute kamen mir silbern durch die stille Nacht entgegen, und ich wagte nicht, den Fuß hoͤrbar aufzusetzen. Baͤume fluͤsterten geheimnißvoll da- zwischen, und vor dem Hause goß sich ein gold- ner Lichtstreif durch das kleine Fenster auf den gruͤnen Rasen. Es war, als wenn ich mich ei- nem Feenpallaste naͤherte. Jetzt stand ich dicht vor dem Fenster, und sah in eine kleine, nett aufgeputzte Stube hinein. Eine alte Frau saß in einem abgenutzten Lehnstuhle, und schien zu schlummern, ihr Kopf, mit einem reinen weißen Tuche umwickelt, nickte von einer Seite zur an- dern. Auf einem niedrigen Fußschemmel saß ein Maͤdchen mit einer Laute, ich konnte nur das freundliche Gesicht sehen, die kastanienbraune Locken, die unter einer Kopfbinde zuruͤckgepreßt waren, die freundlichen hellen Augen, die fri- sche Roͤthe der Lippen — Ich stand wie bezaubert, und vergaß ganz, wo ich war. Mein Ohr folgte den Toͤnen, und mein Auge jeder, auch der unmerklichsten Be- wegung des Maͤdchens. Ich sah wie in eine neue Welt hinein, und alles kam mir so schoͤn und reizend vor, es schien mir das hoͤchste Gluͤck in dieser Huͤtte zu leben, und dem Saitenspiele des Maͤdchens zuzuhoͤren, dem Geschwaͤtze der Alten und den kleinen Grillen in den Waͤn- den. — Das Maͤdchen stand auf, das Licht zu putzen, das heruntergebrennt war, und ich gieng scheu zuruͤck, denn sie trat dicht an’s Fenster. — Der schlankeste Wuchs, die Umrisse, wie von dem Busen der Grazien entlehnt, sogar den weißesten Arm konnte ich noch auf meinem schnel- len Ruͤckzuge bemerken. — Ich wagte es nicht, naͤher zu kommen, und sah nur Schatten hin und her fahren und uͤber den Rasen hinzittern. Ich stand da, wie ein Suͤnder im Orkus, der sich fuͤrchtet, jetzt vor den ernsten Minos geru- fen zu werden. Die Lautentoͤne waren jetzt verstummt, und als ich endlich wieder naͤher trat, sah ich eben die Alte durch eine kleine Thuͤr in die angraͤn- zende Kammer wanken. Das Maͤdchen stand mit herabrollenden Locken in der Mitte des Zim- mers, und loͤste halbschlaͤfrig das Busentuch auf. — O Rosa, ich habe bis jetzt noch gar kein Weib gesehn, ich habe nicht gewußt, was Schoͤnheit ist; gehen Sie mit Ihren Antiken und Gemaͤhlden; diese lebendigen, schoͤngeschlun- genen zarten Umrisse hat noch kein Mahler dar- zustellen gewagt. — Ploͤtzlich sah sie auf, wie aus einer Zerstreuung erwachend, und trat an’s Fenster. In demselben Augenblicke thaten sich Fensterladen vor, und das Licht und die herr- liche Scene, die es beleuchtet hatte, verschwand. Ich fuhr wie aus einem Traume auf; wie man im Bette nach dem Gegenstande faßt, von dem man getraͤumet hat, so sah ich mich be- taͤubt nach allen Seiten um, sie zu entdecken. — Wie oͤde kam mir alles umher vor! Die Baͤu- me erschienen mir wie Ruinen, nur das kleine Haus war fuͤr mich bewohnt und freundlich. — Ich taumelte in die Stadt, und traͤumte die ganze Nacht nur von dem schoͤnen unbekannten Maͤdchen. Heute am Morgen war mein erster Weg durch die Porta Capena . Es war mir schwer, die Haͤuser zu entdecken, so verdummt war ich gestern. Endlich fand ich sie auf. — Aber es war mir doch alles anders. Ein kleiner Gar- ten, fast nicht groͤßer, als mein Zimmer, ist neben dem Hause mit einem baͤuerischen Staket umgeben, darin stand das Maͤdchen, o ich kann- te sie gleich wieder, und mein Herz schlug schon, noch ehe sie mein Auge sah. — Aber aller Ver- stand und alle Ueberlegung verließ mich, ich wagte es kaum, das goͤttliche Geschoͤpf zu gruͤßen, sie dankte fremd, — warum laͤchelte sie mich nicht an? — Ihr Laͤcheln muß wohlthun, wie die Fruͤhlingssonne. — Ich habe tausend Plane im Kopfe. — Sie war fort, als ich wieder umkehrte. — Ich habe keine Ruhe, ich werde heut am Abend wieder dort seyn; wenn ich in der Gegend stehe, ist mir zu Muth, wie in meiner Kindheit, wenn ich die schoͤnen und abentheuerlichen Maͤrchen hoͤrte, die die jugend liche Phantasie gaͤnzlich aus dieser Welt ent- ruͤcken. — 22. Emilie Burton an Amalie Wilmont . Bonstreet . S ie verlangen also durchaus und unbedingt meine Meynung? — Nun gut, so kann ich nichts weiter thun, als Ihnen sagen, wie ich an Ihrer Stelle handeln wuͤrde. Ich darf Sie wohl nicht erst daran erinnern, liebe Freundinn, daß das im Grunde sehr wenig gesagt ist, denn der wichtigste Umstand ist eben der, daß Sie nicht Emilie sind. Indeß wir wollen den Ver- such wagen, da es Ihr Wille ist. Lovell hat Sie gaͤnzlich vergessen, und Mor- timer liebt sie: beides gestehn Sie selber ein. Mortimer kann durch Sie gluͤcklich werden, Lo- vell nicht mehr: Sie schaͤtzen Lovell nicht mehr, wie ehedem, sondern lieben im Grunde Morti- mer aufrichtiger, als ihn; — mich duͤnkt, hier sollte keine lange Untersuchung der Frage ent- stehen: Was zu thun sey? Die Erinnerungen, die Sie quaͤlen, sollten Sie vielmehr durch Ihre Vernunft unterdruͤcken, als ihnen nachhaͤngen; denn alles, was uns und andern zur Last faͤllt, sollte man nie recht nahe auf sich zukommen lassen. Wir verderben uns durch kraͤnkliche Ein- bildungen so oft unser Leben; ich habe es nur gar zu oft bemerkt, wie jene sogenannten fei- nern Empfindungen nur eine Art von Eigensinn sind, mit welchem man sich auf gewisse Ideen heftet, daß ich von je gewuͤnscht habe, ich und alle meine Freunde moͤchten von dieser Krank- heit verschont bleiben. Schelten Sie mich keine Vernunftschwaͤtze- rinn, liebste Freundinn, ich sage nur, wie ich denke, und denke vielleicht nur so, weil ich die Erfahrungen nicht gemacht habe, mit denen Sie bekannt geworden sind: ich bin auch vielleicht weniger reizbar, ich habe vielleicht nie geliebt, — kurz, ich kann am Ende nur meine bisher ge- sammelten Ideen vortragen, und das Laͤcherliche liegt blos darin, daß ein Frauenzimmer so ernst- haft und zusammenhaͤngend schreiben will. Meine Amalie wird dieses Vorurtheil nicht haben, und Ihre herzlichste Freundinn daher billiger beur- theilen. Aber wenn Sie nun einen schaͤtzbaren und verstaͤndigen Mann durch Ihre Hand wuͤrklich gluͤcklich machen koͤnnten? Und wenn es nun auch durch eine kleine Aufopferung geschehen muͤßte? — Wuͤrden Sie sich wirklich so lange bedenken? — Sie liebten vielleicht Lovell nur, weil Ihr wohlwollendes zartes Gemuͤth einen Gegenstand noͤthig hatte, an dem es sich aͤußern konnte. Tragen Sie jetzt alle diese Gefuͤhle auf Mortimer uͤber, und Sie werden beide gluͤck- lich seyn. Mein Vater hat eine Geschaͤfftsreise nach London gemacht, ich glaube, er wird Sie und Ihren Bruder besuchen. Leben Sie recht wohl, und nehmen Sie meinen Brief ja nicht wichtiger, als er seyn soll. — Gruͤßen Sie Ihren Bruder. 23. Mortimer an Karl Willmont . London . M it Erstaunen hab ich von Deiner Schwester gehoͤrt, daß Du schon wieder, und zwar von neuem nach Bonstreet gereis’t bist! O du un- steter Landstreicher! Moͤchtest Du doch auch erst einen Ort gefunden haben, wo Du Lust bekaͤ- mest, Dich anzusiedeln. So bist Du mir nun schon wieder entlaufen, ehe ich noch angefangen habe, Dich recht zu genießen. Wuͤnsche mir Gluͤck, Karl, denn alles was ich wuͤnschte, ist nun in Erfuͤllung gegangen. Deine Schwester hat sich ploͤtzlich entschlossen; sie will die Meinige werden. Ich danke Gott, daß es endlich so weit gekommen ist. — Die Verlobung ist bey Deinen Eltern gestern ge- feyert, und in einem Monathe ohngefaͤhr zieh ich nach dem kleinen Landgute in der Naͤhe von Southampton, und seyre dann meine Hochzeit mit Amalien. — Ich versetze mich schon ganz in die stillen haͤuslichen Scenen, und ertraͤume mir nicht das Gluͤck aus einem Feenlande, son- dern dern rechne nur auf ein kleines, irdisches Gluͤck, und das wird mir nun gewiß nicht fehlen. Mein Landhaus liegt angenehm, und hat umher die reizendsten Spatziergaͤnge, ich will nun dort nach meinem Herumstreifen den laͤnd- lichen Freuden leben. Was Deine Schwester so ploͤtzlich bestimmt hat, weiß ich nicht. Meine ausdauernde Liebe, mein Gefuͤhl, das sich immer gleich blieb, scheint sie endlich uͤberzeugt zu haben, daß nur dies die wahre Liebe sey. — Ich habe Dir heute nichts mehr zu sagen. Lebe wohl. Lovell. 2r Bd. H 24. Karl Willmont an Mortimer . Bonstreet . J a wohl bin ich wieder Dir und der Stadt entlaufen. Aber ich verdiente auch wahrhaftig nicht den unbedeutendsten Blick von Emilien, wenn ich eine so schoͤne Gelegenheit ungenutzt gelassen haͤtte. — Du weißt, daß der alte Bur- ton seines Prozesses wegen in London war: da er grade einige Haͤuser in der Nachbarschaft be- suchte, kam er auch zu uns. Er war außeror- dentlich vergnuͤgt, und dann sind die Menschen gewoͤhnlich hoͤflich und freundlich; er ließ sich mit mir in ein weitlaͤuftiges Gespraͤch ein, und da ich ihm unter andern erzaͤhlte, ich haͤtte schon laͤngst die schoͤnen Seen in Northumber- land besuchen wollen; so schlug er mir vor, es jetzt beym schoͤnsten Fruͤhlingswetter zu thun, und ihn bis Bonstreet zu begleiten. Ich ver- sprach es, ohne mich zu bedenken, und mußte Wort halten; und so rollte ich schon am fol- genden Morgen mit leichtem Herzen durch das Thor von London. Und wie verguuͤgt bin ich daruͤber, daß ich nicht ein so großer Narr gewesen bin, zuruͤck zu bleiben. Emilie freute sich sehr, als sie mich so unerwartet wiedersah. Wir haben viel mit einander gesprochen, wir sind sehr zaͤrtlich ge- wesen, und es koͤmmt mir nun ganz naͤrrisch vor, daß ich ordentlich wieder abreisen soll. Indessen darf ich doch nicht zu lange hier blei- ben, um mir kein Dementi zu geben, ich muß sogar nach Northumberland reisen, um dem Lord und allen Menschen nicht wie ein Narr vorzukommen. Wie manches in der Welt muß man nicht blos andern Leuten zu Gefallen thun! — In- deß mag auch dies unangenehme Geschaͤfft noch voruͤbergehn, wie so viele andere; es ist hier schoͤn, ich will die paar Tage, die ich hier zu- bringe, recht geizig genießen, und fuͤr die Zu- kunft den Himmel sorgen lassen. Denn wie es am Ende noch mit meiner Liebschaft ablaufen soll, kann ich wahrhaftig nicht einsehn. Wer weiß aber, wie wunderbar sich manch- mal alles fuͤgt! — Ich habe Leute gekannt, H 2 die auf einen Gewinnst, den sie im Lotto hof- ten, Schulden machten. Sie waren weise, und ich will Ihnen nachahmen. Aus den Bergen in Northumberland erhaͤltst Du wieder einen Brief von mir. 25. Amalie Wilmont an Emilie Burton . London . I ch bin Ihrem Rathe gefolgt, liebste Freun- dinn, um nur endlich der marternden Unruhe los zu werden. Ich bin mit Mortimer verlobt, und fuͤhle mich recht froh und leicht. — Sie haben recht, es sind meistentheils nur kraͤnkliche Einbildungen, mit denen wir uns aͤngstigen, Sorgen, deren zehnter Theil nur aus Wirklich- keit besteht, das uͤbrige ist Traumgestalt. Ich denke mir jetzt mein zukuͤnftiges Leben recht schoͤn und froh. Mortimer ist weit herzlicher, als ich je von ihm geglaubt haͤtte, denn er freute sich uͤber meine Einwilligung so sehr, daß es mich bey einem so gescheuten Manne ordent- lich uͤberraschte. — Er findet mich gewiß viel zu gut und verstaͤndig, ich weiß es zu gut, daß ich kindisch und voller Thorheiten bin: ach, wenn er sich nur nicht so mit mir betrogen fin- det, wie ich mich an Lovell geirrt habe. Wir werden beide kuͤnftig recht einsam woh- nen, in keiner großen Stadt, selbst von einer großen Heerstraße abgelegen. Ach, so wird ja nun endlich doch mein Lieblingswunsch erfuͤllt, in der freyen Natur zu leben. Ich bedarf um froh zu seyn keiner Zerstreuung und keiner großen Gesellschaften; ich wuͤnsche, daß uns Niemand besuche, als gute Freunde, so wie Sie und Ihr Bruder, dann wollten wir dort einmal das schoͤne Leben von neuem fuͤhren, das ich bey Ihnen im vorigen Fruͤhjahre genoß, als ich zu- erst Lovell kennen lernte. Doch, ich wollte ja nicht mehr an ihn den- ken. Ich soll mich ja mehr in meiner Gewalt haben, wie Sie mir selbst gerathen haben. Ich finde auch, daß ich es so ziemlich gelernt habe; nur manchmal widerstreben mir thoͤrichte Erinnerun- gen. — O ich werde gewiß, auch wenn ich zu- weilen an Lovell denke, an Mortimers Seite gluͤcklich seyn. — Er koͤmmt mir jetzt immer vor, wie ein gestorbener Bruder, und ich muß noch manchmal weinen, aber es sind nicht mehr die brennenden Thraͤnen, die ich ehemals vergoß. Sie sehen, daß ich immer bleibe, wie ich war. Ich habe Sie schon oft um diesen schoͤ- nen graden Sinn beneidet, den ich nie erlangen werde. — Mein Bruder hat Ihren Vater nach Bon- street begleitet, und mich duͤnkt, ich habe die Ursache errathen. — Sind Sie gar nicht be- gierig, sie zu wissen? — Doch still, ich darf wohl uͤber meine, aber nicht uͤber die Geheim- nisse andrer Leute schwatzen. Das letztere ist unerlaubt, wenn das erste nur kindisch ist. 26. Rosa an William Lovell . Tivoli . S ie dauern mich mit Ihrer neuen Liebschaft. Rosaline mag nach Ihrer Beschreibung ein ganz huͤbsches Maͤdchen seyn, aber Sie sind und blei- ben doch wahrhaftig ein Schwaͤrmer. — Und die Noth bekannt mit ihr, und von ihr erhoͤrt zu werden! — Lieber Lovell, haben Sie denn Ihren ganzen Cursum mit so geringem Nutzen gemacht? — Es ist hoͤchst unrecht, daß Sie noch von irgend einem Maͤdchen koͤnnen in Ver- legenheit gesetzt werden! Wenn Sie einmal so sehr von ihr entzuͤckt sind, so muͤssen Sie alles versuchen, ihr naͤher zu kommen. Es giebt nichts verdrießlichers, als Leute zu sehn, die ein Gut uͤber alles wuͤn- schen, und nicht die kleinsten Mittel anwenden, seiner habhaft zu werden. Ich wollte, ich koͤnn- te Troclus seyn, um meinen armen Pandaͤus zu beruhigen. Wenn gar nichts helfen sollte (wor- an ich zweifle) muͤssen Sie ihr die Ehe verspre- chen; am dritten Tage glaubt sie das Maͤhrchen, und am vierten ist sie die Ihrige. Am zehnten spaͤtestens wird sie Ihnen denn doch nicht mehr wie eine Gottheit erscheinen. Nehmen Sie meinen Brief nicht uͤbel, ich bin hier durch einen Zufall in eine Stimmung versetzt, in welcher mir Ihre Anbetung eines kleinen unbedeutenden Maͤdchens nothwendig kin- disch erscheinen muß. Wenn mancher von unsern armseligen Be- kannten dies Billet saͤhe, wuͤrde er mich mit hochweiser Miene Ihren Verfuͤhrer nennen, und Wunder meinen, wie viel er dabey daͤchte. Ich hoͤre von so manchen Menschen dies unschuldige Wort auf so unschuldige Leute anwenden, daß ich jetzt immer daruͤber lachen muß. Es giebt keinen groͤßern Unsinn, als zu glauben, daß der Verstand auf unsre Gefuͤhle und Hand- lungen Einfluß habe, und nun gar, daß eine fremde Idee jemals die meinige werden koͤnne, wenn ich sie nicht schon vorher gehabt habe. — Leben Sie wohl, und geben Sie mir von Ihren Progressen Nachricht. Ich werde dieses Abentheuer als den guten oder schlechten Plan einer Komoͤdie ansehn; zeigen Sie sich daher im dramatischen Fache, wenigstens als ein eben so guter, wo moͤglich noch besserer Dichter, als Sie bis jetzt im Lyrischen gethan haben. 27. William Lovell an Rosa . Rom . E s ist alles vergebens. Ich bin mir in mei- nem Leben noch nicht so einfaͤltig vorgekommen, als seit einigen Tagen. — Oder sollte das seltsame Ding, was in einem Lande Schande, im andern Ehre bringt, woran keiner glaubt, und wogegen die ganze Natur sich empoͤrt, — sollte die so- genannte weibische Tugend hier wirklich ein- mal kein Vorurtheil seyn? Und doch ist es nicht moͤglich, mein Benehmen ist nur linkisch und ungeschickt. Das Maͤdchen mit diesen glaͤnzen- den Augen muß Temperament haben, nur ver- steh ich nicht die Kunst, Sinnlichkeit, Eigen- liebe und Eigennutz bey ihr auf die wahre Art in Bewegung zu setzen. Spotten Sie uͤbrigens, wie Sie wollen, es ist gewiß ein himmlisches Geschoͤpf! 28. William Lovell an Eduard Burton . Rom . I ch bin Dir noch die Nachricht schuldig, daß ich mich jetzt besser befinde, und daß ich nun- mehr bey kaͤlterem Blute Deinen Brief gruͤnd- licher zu verstehen glaube. Was Du gegen mei- ne Ideen sagst, ist sehr wahr und gegruͤndet; allein jeder Mensch hat seine eigene Philosophie, und die langsamere oder schnellere Cirkulation des Blutes macht im Grunde die Verschieden- heit in den Gesinnungen der Menschen aus. Daher hast Du in Deiner Person voͤllig Recht, und ich in der meinigen nicht Unrecht. Das ist eben das Hohe in der menschlichen Seele, daß sich ihr einfacher Strahl in so unendlich mannigfaltige Farben brechen kann; ich gebe Dir zu, daß keine von allen die wahre sey, aber eben so wenig kannst Du behaupten, jene ist ganz verwerflich, weil jedes Auge jede Farbe anders sieht, und Du das vielleicht Blau nennst, was mir als Roth erscheint. Doch wir wollen daruͤber nicht weiter dispu- tiren. Du irrst aber darin voͤllig, wenn Du meinst, daß meine Gedanken nur Wiederholun- gen von fremden sind. Von Jugend auf habe ich die Menschen gehaßt und verachtet, die nur das Echo andrer sind, denn ihnen fehlt das Kennzeichen der Menschen; in die Klasse dieser klaͤglichen Geschoͤpfe wirst Du mich hoffentlich niemals geworfen haben; und dann ließe sich wohl immer noch die Frage aufwerfen, ob es bey einem Menschen von einigem Verstande moͤg- lich sey, ihn zu einer andern Denkungs- oder Handelsweise zu verleiten, bey der seine soge- nannte Moralitaͤt litte. Schilt mich nicht wieder einen Sophisten, denn ich will nun einmal recht kalt und ge- maͤßigt sprechen. — Denke Dir den Fall, daß man einen guten unbefangenen Menschen nach und nach so betaͤubt, daß er unvermerkt in ir- gend eine Handlung hineintaumelt, die unsere strengere Moral nicht gut heißen kann; bey die- sem Umstande ist nur zweyerley moͤglich. Ent- weder er ist nach begangener That eben so un- schuldig, als vorher, er hat sie, ohne den Vor- satz Boͤses thun zu wollen, ausgefuͤhrt: nun so ist er zwar im Angesichte des buchstaͤblichen Ge- setzes schuldig, aber wahrlich nicht in den Au- gen der Vernunft, die nicht blos die grobe aͤußere, meistentheils nur zufaͤllige Erscheinung, sondern den innern boshaften Sinn bestraft, selbst wenn dieser keine Handlungen hervor b ringt. — Der zweyte Fall ist also nun dieser: daß schaͤnd- liche Handlungen aus einem schaͤndlichen Vor- haben entstehen. — Wie kann aber meine Seele fremde Ueberzeugung wirklich als die ihrige annehmen? Wo willst Du den Punkt, den Mo- ment auffinden, in welchem eine reine Seele zu einer schlechten wird? Geschieht es durch einen Zufall: wie ist es moͤglich, daß sich da- durch ein Flecken im Geiste erzeugt, da er nur immer gute Gedanken und Vorsaͤtze fassen kann? — Durch die Meinung eines andern? Er wird mit reinem Sinne den fremden nicht begreifen, und wenn er ihn begreift, so setzt dies schon voraus, daß er selbst verdorben sey. — Du wirst Dich aus diesem Labyrinthe von Wider- spruͤchen nicht herausfinden koͤnnen; nimm also meine Meinung an, und gieb mir zu, daß Deine Furcht gaͤnzlich ungegruͤndet ist. Aber unmoͤglich kann mein verstaͤndiger Eduard zu den Thoren gehoͤren, die nur ihres Gleichen lieben koͤnnen; ich weiß, wie entfernt er von diesem Sektirergeiste ist, daher brauch ich nicht zu heucheln, wenn ich von seiner Meinung ab- weiche, um nur seine Freundschaft nicht zu ver- lieren. Ich darf mich daher eben so dreist wie sonst unterschreiben, meines geliebten Freundes zaͤrtlicher Freund William Lovell . 29. Walter Lovell an seinen Sohn William . London . Lieber Sohn, I ch weiß nicht, ob Du noch immer auf Dei- nen ungluͤcklichen Vater zuͤrnest, Deine sparsa- men und wortkargen Briefe lassen es mich be- fuͤrchten. Ich habe Dir bis jetzt unausgesetzt das verlangte Geld geschickt, ohne bisher ein Wort daruͤber zu verlieren, ob Du gleich in je- dem Vierteljahre mehr als im vorigen gebraucht hast. Du findest hierbey auch den Wechsel, den Du so ungestuͤm gefordert hast; nur zwingen mich diesmal die aͤußern Umstaͤnde, einige Wor- te hinzuzufuͤgen, die Dir und mir gleich unan- genehm seyn muͤssen. Ich habe seit mehrern Jahren nur in Dir und in der Aussicht einer schoͤnen Zukunft ge- lebt: aber seit einem halben Jahre hat sich Dein Herz von Deinem Vater abwendig gemacht; ich wuͤßte kaum, daß Du noch lebtest, wenn Deine Briefe, in denen Du mich, wie ein ungestuͤmer Glaͤu- Glaͤubiger um Geld mahnest, mich nicht mittel- bar davon benachrichtigt haͤtten. Ich gab Dir alles gern, denn ich habe mein Vermoͤgen von je als ein Mittel angesehn, Dich gluͤcklich zu machen; ich war dabey uͤberzeugt, daß sich das Herz meines William wieder erweichen wuͤrde, und so ließ ich Deinen Thorheiten freyen Lauf. Wenn Du aus diesem Briefe schließest, daß ich wieder krank bin, so irrst Du nicht. Ich bin es, und vielleicht gefaͤhrlicher, als je. Ich fuͤhle die Lebenskraft gleichsam nur noch tro- pfenweise durch meinen Koͤrper rinnen, darum kehre bald nach England zuruͤck, theurer Sohn, damit ich Dich noch wiedersehe, und mir we- nigstens noch Ein Gluͤck auf dieser Erde uͤbrig bleibt. Ich kann nicht nmhin , meine anfaͤngliche Drohung zu erfuͤllen, denn Du mußt ja doch einmal alles erfahren. Meine schoͤne ertraͤumte Zukunft, der Glanz unsers Hauses, Deine Groͤße, — alle meine Hoffnungen sind dahin, und auf ewig zernichtet! — Ich habe meinen Prozeß verlohren, und Burton ist jetzt Herr meiner Laͤndereyen. Wie es moͤglich geworden, auf welchen Wegen er dahin gekommen ist, das Lovell. 2r Bd. J alles kann ich nicht begreifen: aber genug, daß es geschehen ist! — Mir bleibt nun nichts wei- ter uͤbrig, als die kleinen beiden Guͤter in Hamp- shire, wo ich in dem alten verfallenen Hause freylich noch zum Sterben Raum genug finde. — Ich sehe es schon voraus, wie sich alle meine Bekannten, die mir bisher schmeichelten, zu- ruͤckziehen werden. Man kuͤmmert sich so wenig um den Ungluͤcklichen, der sich aus der großen Welt verliert, alles ist kalt und empfindungs- los, wie die Lichter am Firmamente, wenn ein Stern heruntersinkt. Dies ist das passendste Bild meines Ungluͤcks. Burton besuchte mich schadenfroh einige Ta- ge vorher, ehe das Urtheil meines Prozesses ge- sprochen ward. Er war ungewoͤhnlich freund- lich, er betrachtete das Haus und den Garten aufmerksam, schon als sein Eigenthum, — und ich will ihm auch mein hiesiges Gut verkaufen, um nicht in der Naͤhe von London zu leben. Troͤste Dich, mein Sohn, und wenn Du viel- leicht von diesem Schlage weniger getroffen seyn solltest, als ich, so versuche Deinen Vater zu troͤsten. Ich ziehe in zwey Wochen von hier fort, Du weißt also, wohin Du Deinen Brief zu addressiren hast. Daß Du jetzt weniger Aufwand machen mußt; daß es das letztemal ist, daß ich Dir einen so ansehnlichen Wechsel schicke, brauche ich wohl nicht erst hinzuzufuͤgen. — Ach mein Sohn! staͤnde Dein Gluͤck in meiner Hand! — Doch ich will abbrechen; ich befinde mich sehr uͤbel. — Lebe wohl. J 2 30. William Lovell an Rosa . Rom . I ch habe mancherley Nachrichten aus Eng- land, die mich interessiren sollten, allein ich kann einzig an die schoͤne Rosaline denken. Him- mel! welch ein Maͤdchen! Ich sehe unaufhoͤr- lich die hellen braunen Augen vor mir, ich kann nichts anders denken, als ihren Gang und ih- ren schlanken Wuchs. Ich habe sie seitdem mehr als einmal gesprochen; aber alles ist ver- gebens. Sie hat eine Menschenscheu, die un- uͤberwindlich ist, sie geht mir aus dem Wege, und wenn ich vor ihr stehe, schlaͤgt sie die Au- gen zur Erde, und sieht mich nicht einmal an. — Es ist, als wenn ich zu dem Maͤdchen hinge- zaubert waͤre, ich habe noch nje ein Geschoͤpf mit dieser Heftigkeit, ich moͤchte sagen, mit diesem Wahnsinne geliebt. So wie ich nur die Augen schließe, steht sie vor mir; ich bin seit einigen Tagen wie verruͤckt. Ich mag weder Bianka noch Laura sehen; jedes andre Maͤdchen erscheint mir langweilig und abgeschmackt. — Ach Rosaline! Ich moͤchte nach ihrem Hause hinuͤberfliegen, oder unsicht- bar neben ihr seyn. — Sie spotten blos, weil Sie kaͤlteres Blut haben, weil Sie sie nicht kennen. Ich habe jetzt eine Idee, die sich gewiß aus- fuͤhren laͤßt, und die mir ganz ohne Zweifel weiter hilft. — Naͤchstens ein mehreres davon; dann will ich Ihnen alles weitlaͤuftig auseinan- der setzen. Ja es soll foͤrmlich der intriguante Plan einer Komoͤdie werden. O wie lebt man anders, wenn man ein We- sen kennt, fuͤr das man lebt! Alles steht in meinem Kopfe in Bezug mit Rosalinen. — Die menschliche Seele ist doch ein kleines, armseli- ges Ding: denn ganz dasselbe sagt der Dichter und der religioͤse Schwaͤrmer auch von seiner Kunst. Der Philosoph findet allenthalben seine Systeme wieder, der Gelehrte zieht alles nach seinem Mittelpunkte. — O, so will ich denn einzig fuͤr sie leben! Sie soll die Sonne seyn, um die wie Planeten meine Gedanken und Sy- steme laufen. — Leben Sie wohl. 31. Willy an seinen Bruder Thomas . Rom . I ch bin jetzt hier, Thomas, so Gott will, et- was besser dran, darum werde ich auch wohl noch eine Zeitlang hier bleiben. Mit meinem Herrn steh ich wieder auf einem recht guten Fuß, er hat mir alles ganz ordentlich abgebeten, und er ist seit etlichen Tagen weit freundlicher mit mir, als er Zeit seines Lebens gewesen ist. Es ist gar nicht moͤglich, Thomas, daß man auf ihn recht boͤse seyn kann, ich habe sogleich alles vergessen und vergeben. — Mir ist wieder ganz wohl und leicht, aber doch gar nicht so, wie im vorigen Jahre, ich reise doch sobald als moͤglich fort, ich kann nicht hier bleiben. Sieh, Thomas, die ganze Geschichte hat, so wie man zu sagen pflegt, ihren Haken. Mein Herr ist da vor dem Thore einem Maͤd- chen gut, da wohn ich jetzt, — ach, nein Tho- mas, glaube nichts Boͤses von mir. Ich kann wahrhaftig nicht dafuͤr, daß ich es meinem Herrn versprochen habe, das ich mich so sehr weit eingelassen habe. Ich stellte ihm alles ganz ordentlich und christlich vor, aber da half kein Reden und Ermahnen, er wußte mir auf alle meine Worte sehr schoͤn Bescheid zu geben, so daß ich am Ende gar nicht mehr wußte, was ich sagen sollte, und wie ein alter Narre vor ihm stand, so weichherzig hatte er mich gemacht. Er sagte, daß er dem Maͤdchen so ganz wun- dersehr gut sey, daß er sterben wuͤrde, wenn ich ihm nicht den Gefallen thaͤte, und, da konnt’ ich’s denn nicht uͤber’s Herz bringen. Nun war mir die Freude auch noch etwas Neues, daß ich wieder gut Freund mit ihm war; das hat denn auch viel dabey gethan. Nun wohn’ ich hier vor dem einen Thore recht huͤbsch, recht wie auf dem Lande, und mir ist manchmal, als wenn ich in Bonstreet waͤre. Aber ich weiß doch auch recht gut, daß es nicht ganz recht ist, und ich graͤme mich in manchen Stunden recht sehr daruͤber, daß ich den Schritt gethan habe; aber der Mensch ist doch ein gar zu schwaches Geschoͤpf, und denn bin ich meinem Heern Lovell gar zu gut, als daß ich ihm was abschlagen koͤnnte, wenn er mich so recht herzbrechend darum bittet. — Je nun, Gott muß ja bey so vielen Sachen ein we- nig durch die Finger sehn, so mag er mir denn auch einmal von seiner Gnade etwas zukommen lassen. Lebe wohl, lieber Bruder. Du hast mir lange nicht geschrieben, thu es doch naͤchstens einmal wieder, und sage mir Deine Bedenklich- keiten daruͤber, und wie man es aͤndern muͤßte. — Bis dahin lebe wohl. 32. William Lovell an Rosa . Rom . I ch habe Ihnen seit einigen Tagen keine Nach- richten gegeben, weil ich so vielerley einzurich- ten und zu besorgen hatte, daß mir wirklich kei- ne Zeit uͤbrig blieb. Ich habe nach vielen Umstaͤnden meinen al- ten Willy beredet, in die benachbarte leerste- hende Huͤtte neben Rosalinen einzuziehen; dort gilt er fuͤr meinen Vater, einen alten Venetia- ner, der hieher gekommen ist, um in Rom sein duͤrftiges Auskommen zu finden. Ich heiße An- tonio. — Ich bin nun den groͤßten Theil des Tages in einer gemeinen Tracht, die mich recht gut verstellt, bey Willy. Wir haben schon mit unsern Nachbarinnen Bekanntschaft gemacht, die gegen Leute, die, so arm wie sie scheinen, außerordentlich zuvorkommend sind. So ist al- les im schoͤnsten Zuge, und ich verspreche mir den gluͤcklichsten Fortgang. Was das Maͤdchen naͤrrisch ist! Sie hat nun schon viel mit mir gesprochen, und ist außer- ordentlich zutraulich und redselig. Sie hat eine bezaubernde lebhafte Laune, und hat mich, wenn ich nicht sehr irre, gern. Doch ich zweifle noch, denn in nichts in der Welt irrt man so leicht. Wenn ich ein Mahler waͤre, schickt’ ich Ih- nen ihr Bild, und Sie sollten dann selbst ent- scheiden, ob ich wohl zu viel von ihr spreche. Wie versteinert betracht’ ich oft die reizendste Form, die je aus den Haͤnden der schaffenden Natur gieng, den sanften, zartgewoͤlbten Bu- sen, der sich manchmal bey einer haͤuslichen Be- schaͤfftigung halb enthuͤllt, den schoͤnsten klei- nen Fuß, der kaum im Gange die Erde be- ruͤhrt. — O weh! ich bemerke, daß ich woͤrt- lich wiederhole, was schon die abgeschmacktesten Dichter gesagt haben. Ich lebe hier gewiß so romantisch, als es nur moͤglich ist; es kommt mir oft gar nicht vor, wie ein ordentliches Leben auf dieser Erde. Einen großen Theil des Tages bin ich in der kleinen Huͤtte, und sehe Rosalinen im kleinen Garten arbeiten; ich sehe in der Ferne Leute, die stolz voruͤber fabren und reiten, und ich be- daure sie, denn sie kennen Rosalinen nicht; sie jagen muͤhsam nach Vergnuͤgen, und denken nicht daran, daß die hoͤchste Seligkeit hier in einer seitwaͤrts gelegenen Huͤtte wohnt. Mittags und Abends ess’ ich bey Rosalinen, das haben wir gleich am zweyten Tage mit einander richtig ge- macht; wir sparen, wie die Alte bemerkte, bei- de dabey. — Ach, Rosa, wie wenig braucht der Mensch, um gluͤcklich zu seyn! Ich gebe, seit- dem ich hier wohne, nicht den hundertsten Theil von meinem Gelde aus, und bin froh. — Dar- an denkt man so selten in jenem Taumel; — aber wie viel gehoͤrt auch wieder zum Gluͤcke! — Wuͤrd’ ich diese dumpfe Eingeschraͤnktheit ertra- gen, wenn mir Rosaline nicht diese Huͤtte zum Pallaste machte? O jetzt versteh’ ich erst diesen so oft gebeauchten und gemißbrauchten Ausdruck. Es thut mir leid, wenn ich fortgehen muß, um zu thun, als wenn ich irgendwo arbeitete. Einmal habe ich schon auf den einsamen Spatzier- gaͤngen, die ich dann mache, die Alte getroffen, die in einem Korbe duͤrre Reiser sammlete. Ich muß mich also in Acht nehmen, und ich kleide mich daher oft bey Willy um, und schleiche mich nach der Stadt. Mir ist alles duͤrre und unangenehm, jedes Gesicht widrig. Und warum liebt sie mich nicht so, wie ich sie anbete? — Mein Leben ist ein rastloses Treiben ungestuͤmer Wuͤnsche, wie ein Wasserrad vom heftigen Strome umgewaͤlzt, jetzt ist das unten, was eben noch oben war, und der Schaum der Wogen rauscht und wirbelt durch einander, und macht den Blick des Be- trachtenden schwindlicht. 33. Rosa an William Lovell . Tivoli . S ie fangen an mit Ihrer Geschichte recht amuͤ- sant zu werden. Es ist ja alles so schoͤn, wie man es nur im besten Romane verlangen kann. Ich wuͤnsche Ihnen Gluͤck, denn es ist gewiß, daß nichts uns unser trocknes, prosaisches Le- ben so poetisch macht, als irgend eine seltsame Situation, in die wir uns selber versetzen. Im Grunde besteht unser ganzes Leben nur aus sol- chen Situationen, und ich tadle Sie daher gar nicht, wenn Sie sich Ihre Empfindungen so lebhaft als moͤglich machen. Fahren Sie nur fort, eben so aufrichtig gegen mich zu seyn, als bisher, so werden mir Ihre Nachrichten viel Vergnuͤgen machen. Seyn Sie aber auch, wenn es irgend moͤglich ist, aufrichtig gegen sich selbst: denn sonst entsteht am Ende eine gewisse fade Leere, die man sich mit Enthusiasmus auszufuͤl- len zwingt; dies sind die widrigsten Epochen des Lebens. Man quaͤlt sich dann, das Interesse noch an denselben Gegenstaͤnden zu finden, weil es uns scheint, als machten sie unsern Werth aus. Jede Illusion aber, die kein Vergnuͤgen macht, muß man emsig vermeiden. Man sollte sich uͤberhaupt von Jugend auf daran gewoͤhnen, die aͤußern Gegenstaͤnde um sich nur als Spie- gel zu betrachten, in denen man sich selber wahr- nimmt, um in keinem Augenblicke des Lebens von ihnen abzuhaͤngen. Je mehr alles um uns her von uns abhaͤngt, um so sklavischer es uns gehorcht, um so hoͤher steht unser Verstand. Denn darin kann die Vernunft des Menschen unmoͤglich bestehen, seltsame Dinge zu erfinden, oder zu begreifen, sondern damit er durch sie ihm gleichgeschaffne Wesen nach seiner Willkuͤhr lenke. Auf die Art kann der kluge Mensch Al- len gebieten, mit denen er nahe oder fern in Verbindung sieht. Die Herrschaft des Verstan- des ist die unumschraͤnkteste, und Rosaline wird gewiß bald unter dem Gebote meines verstaͤndi- gen Freundes stehn, wenn er sich nicht von ihr beherrschen laͤßt, und selbst seine Vernunft un- terdruͤckt. Ich wuͤnsche Ihnen Gluͤck, um nie in diesen Fall zu kommen. 34. William Lovell an Rosa . Rom . E s ist gewiß, daß man unter unschuldigen Menschen selbst wieder unschuldig wird. Jetzt kommen mir manche meiner Ideen zu gewagt vor, die mir sonst so natuͤrlich schienen; ich bin hier in der kleinen Huͤtte demuͤthiger, ja ich fuͤhl’ es, daß ich ganz einer von den Menschen werden koͤnnte, die ich mir bisher gar nicht deutlich denken konnte; die in einer engen dun- keln Stube geboren, nur so weit ihre Wuͤnsche richten, als sie um sich sehen koͤnnen; die mit einem Gebete erwachen und schlafen gehen, Maͤhr- chen hoͤren und im Stillen uͤberdenken, mit ei- nem dumpfen, langsamen Fleiße eine Handarbeit lernen, und nichts so sehnlich als den Abend und die Schlafstunde erwarten. O Rosa, wenn man dies Leben naͤher kennen lernt, so verliert es sehr viel von seiner druͤckenden Beklemmung. Wir machen aus unserm Leben so gern Ein un- unterbrochnes Vergnuͤgen, und suchen Unan- nehmlichkeiten muͤhsam auf, um die Freude durch den Kontrast zu wuͤrzen: bey diesen Menschen aber ist jedes unerwartete Vergnuͤgen ein Weih- nachtsfest, wie ein ploͤtzlicher Sonnenblick an ei- nem kalten Regentage scheint es hell und frisch in ihre Seele hinein. Ich werde mich kuͤnftig huͤten, die Menschen mit dumpferen Sinne so sehr zu verachten. Ich komme am Ende auf den Gedanken, daß alle Menschen im Grunde gleich gluͤcklich sind. Wenn ich in meinem kleinen Besitzthume jetzt auf, und abgehe, uͤber das Feld und nach der Stadt hinuͤber sehe, Rosalinens Stimme von neben an hoͤre, und ich mich so recht ruhig und gluͤcklich fuͤhle, der Tag ohne Verdruß und Wi- derwillen sich schließt; so komme ich manchmal auf den Gedanken, in dieser Lage zu bleiben, hier ein Bauer zu werden, und das reinste, fri- scheste Gluͤck des Lebens zu genießen. — Viel- leicht bliebe ich hier immer froh nnd zufrieben , — vielleicht! — ach, die Wuͤnsche, die Neigungen des Menschen! — Welcher boͤse Genius hat diesem Bilde, als es vollendet war, so viel der widersprechenden Triebe beygemischt! Doch hinweg davon. O Rosa, nennen Sie mir ein Schauspiel, das dem an Reiz gleich kaͤme, kaͤme, wenn sich eine schoͤne, unbefangne Seele mit jeder Stunde mehr entwickelt. Wir sind jetzt bekannter mit einander, ich und Rosaline, ich habe sie taͤglich gesehn und gesprochen, mein anscheinendes Ungluͤck hat sie geruͤhrt. — Sie ist so das reine Bild einer Maͤdchenseele, ohne die feinere Ausbildung, die die Erscheinung zu- gleich verschoͤnert und entstellt. Da uns die Verschiedenheit des Standes kein Hinderniß in den Weg gelegt hat, so sind wir auf einem recht vertrauten Fuße mit einander. — Wir sitzen oft im finstern Winkel, und sprechen uͤber unser Schicksal, sie erzaͤhlt mir Familiengeschichten, oder wunderbare Maͤhrchen, die sie mit außer- ordentlicher Lebhaftigkeit vortraͤgt; dann singt sie wieder ein kleines Volkslied, und begleitet es mit den Toͤnen der Laute. — Es giebt kei- ne Musik weiter, als diese kleinen, taͤndelnden, fast kindischen Lieder, die so gleichsam im sim- peln Gang des Gesanges das Herz auf der Zun- ge tragen, und wo nicht Toͤne, wie ungeheure Wogen steigen und fallen, und sich in einen wilden Zug mischen, der kreischend sich durch alle Tonarten schleppt, und dann in ein Chor aller stuͤrmenden Instrumente versinkt. Das Herz Lovell. 2r Bd. K bleibt um so leerer, je voller das Ohr ist; die Seele kann nur diesen stillen Gesang so recht aus dem Grunde genießen, hier schwimmt sie mit dem silbernen Strome in ferne dunkle Ge- genden hinunter, die leisesten Ahndungen erwa- chen in den Winkeln, und gehn still durch das Herz und Ruͤckerinnerung eines fruͤhern Daseyns, wunderbares Vorgefuͤhl der Unsterblichkeit ruͤhrt die Seele an. Wenn ich ihr gegenuͤber sitze, — o wie Feuer weht mich ihr Athem an! Ich habe ihr schon an den Busen stuͤrzen wollen, und diese Reize mit unzaͤhligen Kuͤssen bedecken; ich traͤume oft so lebhaft vor mir hin, daß ich nachher unge- wiß bin, ob ich es nicht schon gethan habe. Es reißt mich eine unbekannte Kraft zu ihr hinuͤber, die Toͤne ihrer Laute klingen mir oft schmerzhaft im Kopfe nach — und bald, bald muß es sich aͤndern, oder ich verliere den Verstand. Der Arme, er merkt nicht, daß es schon geschehn ist! werden Sie ausrufen. Sie sehn, daß ich Ihnen selhst die Waffen gegen mich in die Hand gebe. Ach ich mag an keine witzigen Einfaͤlle denken, ich mag mir nicht meine heißen Gefuͤhle zerlegen, um ihre Bestandtheile kennen zu lernen, — ich mag es nicht, und selbst wenn es wahr seyn sollte. Und alles zugegeben, so glaͤnzt in dieser Sinnlichkeit so viel erhabner Geist , daß ich keine andre platonische Liebe brauche. Als ihre Mutter neulich schlafen gegangen war, und ich mit ihr vor der Thuͤre saß, ent- deckt’ ich ihr meine Liebe. Sie war geruͤhrt und zaͤrtlich, und sagte mir sehr naiv, daß sie schon einen Braͤutigam habe, und mich daher nicht lieben duͤrfe, wenn sie auch herzlich gern wolle. Es ist ein armer Fischer, der jetzt einer kleinen Erbschaft wegen zu Fuße nach Calabrien gegangen ist; sie beschrieb ihn mir sogleich, und gestand mir ganz unverholen, daß er so huͤbsch nicht sey, als ich. Dasselbe Maͤdchen, das mich vor einigen Wochen keines freundlichen Blickes wuͤrdigte! O ihr Menschenkenner, wann wer- det ihr das Herz der Weiber ergruͤnden koͤnnen! Sie ruͤhrte mich, als sie mir die Einrich- tung ihrer kuͤnftigen kleinen Wirthschaft be- schrieb. Wie beschraͤnkt sind die Wuͤnsche die- ser Menschen! Wenn ich an meine Verschwen- dung denke, wie ein weggeworfner oder verspiel- K 2 ter Theil meines Vermoͤgens dies herrliche Ge- schoͤpf gluͤcklich machen wuͤrde! — Ich lerne viel in diesen Huͤtten, Rosa, ich glaube, ich lerne hier mehr ein Mensch seyn, und mich fuͤr das Ungluͤck der Menschen interessiren. — Und sie sollte hier fuͤr einen armseligen Schiffer aufgebluͤht seyn? Fuͤr einen Verworfenen, der sich vielleicht gluͤcklich schaͤtzen wuͤrde, wenn er mein Bedienter werden koͤnnte? — Nimmer- mehr! — Dagegen muß ich Vorkehrungen tref- fen, und ich denke, das Beste ist schon geschehen. Wir nennen uns Du, und zuweilen, wenn sie ausgehen muß, oder ich in der Stadt bin, giebt sie bey meinem Willy Briefe fuͤr mich ab. — Neulich saß sie auf einem niedrigen Schemel, und schaukelte sich waͤhrend dem Erzaͤhlen ein wenig, ploͤtzlich wollte sie fallen, ich fing sie auf, und meine Hand kam durch eiuen Zufall auf ihre schoͤne, feste Brust zu liegen. Wir sprachen weiter, ich zog die Finger nicht zuruͤck, sondern spielte an dem Busentuche wie in Ge- danken, sie sah mich erroͤthend und halblaͤchelnd an, und ließ es geschehen, indem sie in der Rede fortfuhr. Sie ist sich mit ihren dunkeln Trieben selbst ein Raͤthsel: sie kommt mir in manchen Augen- blicken mit ihrer Unschuld wie eine heilige Prie- sterinn, oder wie eine unverletzliche Gottheit vor; — und dann wieder die feurigen Augen! Der muthwillige Zug um den Mund! — Ich habe neulich in der Ferne fuͤr mich ein paar schalkhafte italiaͤnische Liedchen gesungen, und ich ertappte sie gestern, wie sie eben, wie unwillkuͤhrlich, die ersten Takte griff, und den Anfang sang. — Ploͤtzlich hielt sie inne, ward ohne zu lachen roth, und legte die Laute fort, gleichsam wie eine gefaͤhrliche, nicht genug ver- schwiegene Freundinn. — Ich kenne nichts schoͤ- ners, als diese ungeschminkte Natur zu studi- ren; o sie wird, sie muß die Meinige werden! — Stammelnd hab’ ich ihr die Ehe versprochen, und, das weiß Gott! wenigstens halb im Ernst. — So eben seh ich sie vor die Thuͤre treten, ich gehe zu ihr; — leben Sie wohl. 35. Rosaline au Anthonio . D u bist schon wieder fort, Lieber, und ich glaubte Dich so gewiß zu treffen. Ich ließ Dich gestern gern die Laute mitnehmen, und that, als merkt’ ich es nicht, weil ich sie heut wieder abholen wollte. — Du boͤser Mensch! mich vergebens kommen zu lassen! — Dein Vater sieht immer so verdrießlich aus, ich glaube, es will ihm noch gar nicht bey uns gefallen: ich scheue mich vor ihm, weil er mich immer so ernsthaft ansieht. — Komm doch ja heut Abend, ich will Dir ein neues Lied spielen, das ganz wie auf Dich gemacht ist. Komm ja und bleib huͤbsch lange. Die Abende sind jetzt so schoͤn, und wir wollen denn noch mit einander singen. Aber Du mußt nicht wieder boͤse werden, ich will ja auch kein Wort wieder vom armen Pietro sprechen. 36. Anthonio an Rosaline . N ein, Liebe, sprich nicht wieder von ihm, denn sein Nahme geht mir immer wie ein Dolch- stoß durch’s Herz. Ich hoffe immer noch, daß er nie wieder zuruͤck kommen wird; wer weiß was ihm begegnet ist, da er gar keine Nach- richten von sich giebt. — Thut es mir nicht selber weh, daß ich so oft von Deiner Seite muß? Du haͤttest mich aber gewiß getroffen, wenn ich daran gedacht haͤtte, daß Du kommen koͤnntest. O Rosaline, laß die Gesaͤnge, die den kran- ken Rest meines Herzens zerschmelzen, und mei- ne Seele ganz mit sich nehmen. Leb’ ich nicht schon ganz bey Dir, nur allein in Deiner Ge- genwart? Keine Arbeit will mir jetzt von der Hand gehn, da ich immer nach der Gegend hin- sehe, in welcher Dein Haus steht. — Ach, wenn Du mich doch so lieben koͤnntest, wie ich Dich liebe! o Rosaline, welche Aussicht wuͤrde sich mir eroͤffnen! — O ja, ja, singe das Lied- chen, wenn es so wie auf mich gemacht ist, und wenn von einem weichherzigen Maͤdchen und einem erhoͤrten Liebhaber darin die Rede ist, o so laß es auch denn noch auf mich passend wer- den. Ich sehe Dich gewiß heut Abend, ich blei- be mit Dir vor der Thuͤre sitzen, — ach, koͤnnt’ ich zeitlebens nur um Dich seyn, koͤnnt’ ich ewig den suͤßen Ton Deiner Stimme hoͤren! Alles, was ich vernehme, klingt mir wie Dein Gesang, so tief bin ich in Traͤume versunken, ich fahre auf, wenn man meinen Namen nennt, wenn jemand mich ruft. — O glaub’ es, glaub’ es theures Maͤdchen, daß ich nie ohne Dich wuͤrde leben koͤnnen: daß ich fuͤr Dich alles, selbst das Gewagteste und Schrecklichste ausfuͤhren koͤnnte. 37. Rosaline an Anthonio . U nd warum wurdest Du denn nun doch so ver- drießlich, als ich gestern das Liedchen sang? — Was willst Du von mir? — Seh ich Dich nicht gern kommen und ungern fortgehen? Denk’ ich nicht fleißig an Dich? Hab’ ich nicht gestern die versprochenen Kuͤsse gewissenhaft abbezahlt, und sogar noch einige, ich weiß nicht wie viel, mehr gegeben? Was kannst Du denn noch ver- langen? — Aber Du machst mich immer mit traurig, und ich weiß gar nicht, was ich Dir zu Gefallen thun kann; Dir ist nichts recht, und Du weißt gewiß selbst nicht, was Du willst. — Siehst Du, ich kann auch einmal boͤse werden, aber gewiß nur jetzt, nicht, wenn ich Dich vor mir sehe, dann hab’ ich alles ver- gessen, woruͤber ich klagen koͤnnte. Meine Mutter hat heute schon ein ernsthaf- tes Gespraͤch mit mir gehabt, ich soll nicht so viel bey Dir seyn, hat sie gesagt. Ich seh aber nicht, warum. Sie ist alt und ein wenig ei- gensinnig, fast so ein Gemuͤth, wie Dein Va- ter; Du gefaͤllst ihr nicht recht, denn Du bist ihr etwas zu leichtsinnig. Du mußt daruͤber nicht boͤse werden, sie ist schon alt, und das macht es, denn wer moͤgte Dich wohl sonst nicht gern leiden? Jeder Mensch, der Dich sieht, muß Dein Freund seyn. Nur das ernsthafte, finstre Wesen kleidet Dich gar nicht, das kann ich Dich versichern, Du koͤmmst mir dann mit einemmal ganz fremd vor; schaff’ es ab. Auch mit Deinem Vater bist Du nicht recht gut, der meint es mit seinen Ermahnungen doch gewiß sehr rechtschaffen. Mach’ es, wie ich, ich lasse meine Mutter oft lange reden, und thu, als hoͤr’ ich ihr zu, und denke unterdessen an Dich. Aber wie viel hab ich nun an Dir getadelt! Ach glaube nur nichts davon, das ist grade so, als wenn ich ein Lied von boͤsen Menschen singe, ich kann immer nicht daran glauben. Ich habe meine Altklugheit nur vom Hoͤrensagen. — Noch eins, sey heut Abend etwas artiger, als gestern, denn sonst werd’ ich noch den Hund abrichten, daß er Dich beißen soll. — Adieu, und komm huͤbsch fruͤh. 38. William Lovell an Rosa . Rom . O Rosa, warum bin ich nicht zufrieden und gluͤcklich? Warum bleibt ein Wunsch nur so lange Wunsch, bis er erfuͤllt ist? Hab’ ich nicht alles, wvs ich verlangte? und dennoch werd ich immer weiter vorgedraͤngt, und auch im hoͤch- sten Genusse lauert gewiß schon eine neue Be- gierde, die sich selbst nicht kennt. Welcher boͤse Geist ist es, der uns so durch alle Freuden an- winkt? Er lockt uns von einem Tage zum an- dern hinuͤber, wir folgen betaͤubt, ohne zu wis- sen, wohin wir treten, und sinken so in einer veraͤchtlichen Trunkenheit in unser Grab. Ich schwoͤre Ihnen, daß mir in manchen Momenten aller Genuß der Sinne verabscheunngswuͤrdig erscheint, daß ich mich vor mir selber schaͤme, wenn ich diese holden Zuͤge betrachte, diese Un- schuld, die sich auf der weißen reinen Stirn abspiegelt; es ist mir manchmal, als wenn mich eine Gottheit durch ihre hellen Augen anschaute, und ich erroͤthe dann wie ein Knabe. Neulich war ich in der hoͤchsten Verwirrung; sie hatte eines von den neuern Liedern gehoͤrt, und spielte es mir in ihrer Unbefangenheit am Abende vor, weil es ihr so passend auf mich schien. Fuͤhlen Sie, wie mir zu Muthe ward, wie gedemuͤthigt. Es war wirklich das Lied, welches mich durch einen Zufall zuerst auf die Idee meiner Verkleidung fuͤhrte, und ans dem ich sogar meinen Nahmen Anthonio entlehnt habe. Kann die bitterste Satyre mich tiefer er- niedrigen, als dieses kindliche, fromme, un- schuldige Wesen? Nie hab ich vor einem Men- schen so in aller Nacktheit gestanden, nie bin ich so durch und durch beschaͤmt worden. Bey jedem andern Maͤdchen wuͤrd’ ich uͤberzeugt seyn, sie habe mich vollkommen errathen; allein ich schwoͤre Ihnen, daß es hier nicht der Fall ist. Und was ist denn nun von einer andern Sei- te mein ganzes aͤngstliches Gefuͤhl? Wozu alle diese seltsamen Windungen? Ich liebe sie, und sie liebt mich. Ich kann ja kein Gluͤck eines fremden Wesens berechnen, oder mir vorstellen; folglich ist das Aufsuchen meines eigenen Gluͤcks die einzige Regel, die wir in diesem Leben an- wenden koͤnnen. Ich glaube, das Mißvergnuͤ- gen, noch nicht ganz gluͤcklich zu seyn, ist es, was mir meine Lage verbittert: die Armselig- keit, nicht irgend einen Schluß recht lebhaft zu fassen, und ungestoͤrt nach ihm zu handeln. Sie haben nie ein Wesen, wie diese Rosa- line, gekannt, und Sie kennen daher auch die schoͤnste Bluͤthe des Vergnuͤgens nicht. Sie soll- ten sie sehn, wie sie mir entgegen laͤuft, und denn wieder stille steht, und ploͤtzlich thut, als habe sie nur irgend einen Gegenstand gesucht; die List, die sie bey aller frommen Unschuld hat, und die jedem Maͤdchen mit auf die Welt gegeben wird, und die, wenn ich so sagen darf, die Unschuldigen noch unschuldiger macht. Die Mutter schlief neulich in ihrem Lehnstuhle, und ich kuͤßte sie, indem sie neben mir saß; von ohngefaͤhr schallte der Kuß etwas staͤrker, und die Mutter wachte auf; in demselben Augen- blicke aber hatte sie ihren kleinen Hund schon ein wenig gezwickt, so daß er schreien mußte, und die Mutter keinen Argwohn schoͤpfte. Ich erhitze sie oft lebhaft durch boshaft ge- schlungene Umarmuugen und wolluͤstige Kuͤsse, die sie erwiedert, ohne zu wissen, was sie thut. Sie preßt sich denn aͤngstlich an meine Brust, und stoͤßt beklemmte Seufzer aus. Ja, ich mache sie selbst gluͤcklich, wenn ich sie uͤber ihr eignes Wesen aufklaͤre, sie wird sich selbst im Kelche der Wonne berauschen, und mir noch fuͤr mein hoͤchstes Gluͤck Dank sagen. Werden Sie nicht bald nach Rom zuruͤck- kehren? Ich vermlsse taͤglich Ihre Gesellschaft, vorzuͤglich, wenn ich nicht bey Rosalinen bin. In Rom fang’ ich an, allen Leuten fremd zu werden, ich mag Niemand besuchen, ich mag nichts thun: schon seit lange aͤngstigt mich ein Brief, den ich an meinen Vater schreiben muß, ich kann nichts anders denken und sprechen. — 39. Walter Lovell an seinen Sohn William . Kensea in Hampshire . I ch bekomme keine Antwort auf meinen Brief, und ich werde mit jedem Tage schwaͤcher. Der Arzt findet es jetzt bedenklich, und ich fuͤhl’ es, daß die Uhr meines Lebens zu Ende gelaufen ist. — Alles wird mir gleichguͤltig, was mir sonst wichtig war, meine ehemaligen Plane ha- be ich voͤllig vergessen, komm also ohne alle Scheu nach England zuruͤck, lieber Sohn, heirathe, wenn Du durchaus willst, Amalien, ich will und kann nichts weiter dagegen einwenden, nur brich Dein Schweigen und komm. Ach, wenn Du willst, muß ich Dich freilich auch noch we- gen einer meiner Briefe um Vergebung bitten, ich meinte es gut mit Dir, und damals war auch die Lage der Sachen anders. Wenn der Wind hier durch den Wald blaͤs’t, und die losgegangenen Tapeten im Nebenzimmer rauschen und klatschen, o dann, lieber William, fuͤhl’ ich mich so einsam, so heimathlos. Ich sehe trostlos dem truͤben Beschluß eines truͤben Le- bens entgegen. Ich sehe keine Freunde, keine andre Gesichter, als die meiner Bedienten, alle haben sich von mir zuruͤckgezogen, und ich be- finde mich wohl dabey. Nur Dich wuͤnsch’ ich bey Tage und in der Nacht zu mir her; ich war ein Thor, daß ich muͤhsam erst ein Gebaͤu- de meines Gluͤckes auffuͤhren wollte, und nicht die Freuden annahm, die mir das Schicksal an der Brust meines Sohnes, in den Armen einer guten Tochter, vielleicht in einem Zirkel von froͤhlichen Enkeln anbot. Jetzt ist mir die Binde geloͤst, und es ist vielleicht zu spaͤt. — Doch nein, mein William giebt mir gewiß Freude und Trost zuruͤck; wer weiß, welche einsamen Gegenden er schon durcheilt, um seinen alten kranken Vater noch wieder zu sehn! Wo Du auch seyst, Gott sey mit Dir! 40. 40. Rosaline an Anthonio . D ie ganze, ganze lange Nacht hab’ ich nicht schlafen koͤnnen. Und daran bist blos Du Schuld! Immer war mir, als schliefest Du neben mir, ich hatte Dich in meinen Armen, und wachte von Deinen Kuͤssen auf. Als der Mond durch eine Ritze der Fensterladen in meine Stube schien, und der Strahl sich so uͤber den Boden goß und an der Decke schimmerte, hab’ ich recht herzlich geweint, weil ich mich zum erstenmal im Leben so einsam fuͤhlte. O Du boͤser Mensch kannst die Noth gar nicht verantworten, die Du mir machst. Mein Vater ist todt und meine Mutter stirbt auch vielleicht bald; wenn nun Pietro nicht zuruͤck koͤmmt, so bist Du der ein- zige Mensch auf der Welt, der mir noch bey- stehn kann. Aber wenn Du alle meine Liebe nicht verdientest! Ach Anthonio, Du hast Dich so oft uͤber meine Lustigkeit gefreut, ich bin nur froͤlich, wenn ich Dich sehe, Du siehst, wie betruͤbt ich werde, wenn ich allein bin. Drum Lovell. 2r Bd. L sollten wir uns gar nicht trennen, dann wuͤr- den wir beide immer recht vergnuͤgt seyn. Du bleibst jetzt oft viel laͤnger weg, als an- fangs. Du freust Dich nicht mehr wie sonst daruͤber, wenn ich Dir einen Kuß gebe; sage mir, was hab’ ich Dir gethan, du Unzufried- ner? Oder ist es die Sitte in Eurem Lande, daß man immer so ernst und verdrießlich ist? 41. Anthonio an Rosaline . W as Du mir gethan hast, liebstes, bestes Maͤd- chen? Nichts, als daß Du mich nicht eben so sehr liebst, wie ich Dich liebe. — Warum ver- laͤßt Du mich oft so ploͤtzlich? Warum darf ich nicht in der Nacht bey Dir bleiben, wenn Du Dich ohne mich so einsam fuͤhlst? Die wahre Liebe ist mit diesem Eigensinne unbekannt. Wenn Du mich nur hier saͤhest, wie ich oft in der Nacht nach Deinem Hause hinuͤber blicke, wie ich nicht schlafen kann, und mir schweigend Deine Lieder wiederhole, um mich nur etwas zu beruhigen, wie ich Dein Bild tausend und tausendmal kuͤsse, das ich neulich bey Dir zeich- nete! Das Papier ist von meinen Thraͤnen naß; das Haus wird mir zu enge, und ich schweife im truͤben Mondlichte dann zwischen den Rui- nen umher, und Deine Gestalt begleitet mich allenthalben. O Rosaline, dieses Zagen, diese Angst kennst Du nicht, denn sonst wuͤrdest Du meinen Zustand mehr bemitleiden. Nein, Hart- herzige! Du kennst die Liebe nicht, denn Du L 2 verhoͤhnst meine Empfindung. Undankbare! Du weidest Deine Eitelkeit an meinem Gram, und wirst Dich uͤber meine Verzweiflung freuen! — Stand ich nicht gestern noch eine Stunde laͤn- ger vor Deiner Thuͤre, und Du kamst nicht wie- der, wie Du mir versprochen hattest? Spieltest Du nicht, um mich zu kraͤnken, dies verhaßte Lied von dem Anthonio? — Nein, Du betruͤgst mich nur mit einem Schein von Liebe, Du freust Dich daruͤber, daß Du mich gedehmuͤthigt hast, und alle Deine Kuͤsse, Deine Umarmun- gen sind Heucheley. Labe Dich an meinem An- blicke, wenn Du mich wahnsinnig gemacht hast! O vergieb mir, Theure, wenn ich Dir Un- recht thue! Betruͤben moͤcht ich Dich nicht. 42. Rosaline an Anthonio . D u kannst das Lied vom Anthonio nicht lei- den? Mein liebstes Lied, weil es Deinen Nah- men fuͤhrt? Ach, Lieber, wie unrecht thust Du mir! Dir zum Possen soll ich es singen, und ich will mich dadurch troͤsten, weil ich nicht wieder herausgehn konnte. Die Mutter war boͤse und hatte mir es streng verboten, und ich muß ihr doch gehorchen. Sie will nicht gern, daß ich so viel bey Dir bin. Nein, wenn es Dir nicht gefaͤllt, will ich das Lied nie mehr spielen, so sehr ich es auch liebe. Ich Dich kraͤnken! Ach, Anthonio, wie sollt ich das koͤn- nen? — Wenn Du da bist, schaͤm’ ich mich nur immer zu sagen, wie gut ich Dir bin: man hat keine Worte dazu, ich muͤßte neue ausden- ken, unb das geht denn nicht. Aber wenn Du so weggegangen bist, und ich Dir nun nachsehe, oder wenn ich einen Deiner Briefe lese, sieh, so kehrt sich mir das ganze Herz um, und ich moͤchte Dir nachrennen, Dich vor der ganzen Welt in meine Arme druͤcken, Dein liebes Ge- sicht kuͤssen, und in Thraͤnen vergehn, und ru- fen: Ja, Menschen seht es, Baͤume und Berge hoͤrt es, so, so lieb’ ich ihn; was kuͤmmert ihr mich alle, wenn er mir nur, der einzig Theure in der Welt, uͤbrig bleibt? Sieh, wenn Du nichts nach mir fragtest; so koͤnnt’ ich zu Dei- nen Fuͤßen niederknien, und um Deine Liebe bitten; ich koͤnnte meine Religion verlassen und nicht mehr zur goͤttlichen Madonne beten, wenn Du es wolltest: ich koͤnnte mit Dir in fremde, wuͤste Laͤnder ziehn, wo man andre Sprachen spricht, wo, wie man mir einst erzaͤhlt hat, Eis und Winter fast immer die Luft zusammen zieht; o ich koͤnnte fuͤr Dich sterben, — alles, alles, nur Dich nicht vergessen, nur nicht Deinen Tod, oder Deine Verachtung uͤberleben. — Ach, kannst Du mich noch unempfindlich und undankbar schelten? Kannst Du noch auf mein liebes Lied boͤse seyn? 43. Anthonio an Rosaline . N ein, ich will Dein Lied nicht mehr schelten, liebe Rosaline. Ich habe Dir und ihm Unrecht gethan, und ich will es ihm abbitten: Schicke mir zur Versoͤhnung die Abschrift, die Du da- von hast, ich will es zu Deinen Briefen, zu Deinem Bilde legen, neben Deiner Locke; mehr kann ich ihm zur Ehre doch nicht thun. — Wie hat mich Dein lieber Brief geruͤhrt! O, ich habe ihn um Vergebung gebeten, und will es muͤndlich bey Dir wiederholen. Bin ich Dir wirklich so theuer, als Du da schreibst? Ich kann es nicht glauben, und glaub’ es doch so gern. Deine Stimme klingt mir, wie ein Ton aus einem Traume, der mir die Schaͤtze der Erde verspricht, und dem die wirkliche Natur nicht Wort halten kann. Ach nein! die Liebe macht das Unmoͤgliche leicht. Sie ersetzt uns jedes Gluͤck der Erde. — 44. Rosaline an Anthonio . S iehst Du nun wohl, daß ich Recht habe? Dafuͤr will ich Dir nun auch das Lied so zier- lich und schoͤn abschreiben, als es mir nur im- mer moͤglich ist. — Der Arme und die Liebe . Es kam an einem Pilgerstab Wohl uͤber’s graue Meer Ein Wandersmann in’s Thal hinab, Von fremden Landen her. Erbarmt euch meiner, rief er aus, Ich komm aus fernem Land, Verlohren hab’ ich Gut und Haus, Anthonio genannt. Die Eltern starben mir schon lang’, Ich war noch schwach und klein, War ohne Gut, war ohne Rang, Und Niemand dachte mein. Da nahm ich diesen Wanderstab Und trat die Reise an, Stieg hier ins frische Thal hinab, Fleh’ euer Mitleid an. — Da ging er wohl von Thuͤr zu Thuͤr, Ging hier und wieder dort, Ward abgewiesen dort und hier, Und schlich sich weinend fort. »Was suchst Du in der Fremde Gluͤck? »Wir sind Dir nicht verwandt! »Geh, wo Du her koͤmmst, nur zuruͤck, »Bist nicht aus unserm Land. — »Genug der Freunde leiden Noth, »Der Landsmann sucht hier Trost, »Fuͤr sie waͤchst unser schoͤnes Brodt, »Fuͤr ste der suͤße Most.« — Still und beschaͤmt mit Ach und O! Schlich er die Straße hin, Da ruft es sanft: Anthonio! Ein Maͤdchen winkt ihn hin. O nimm von meiner Armuth an, Spricht sie mit frommen Sinn, Ich gebe was ich geben kann, Nimm alles, alles hin. Lucindes blaues Auge weint, Er dankt mit heißem Kuß, Und sieh! die Liebenden vereint Ein rascher Thraͤnenguß. Ach nein, Du bist mir nicht verwandt, Dennoch erbarm ich mich, Und bist Du gleich aus fremden Land’, So lieb ich dennoch Dich. Die Liebe kennt nicht Vaterland, Sie macht uns alle gleich. Ein jedes Herz ist ihr verwandt, Sie macht den Bettler reich! Ich habe schon oft versucht, statt Lucinde Rosaline zu singen, allein es will nicht in den Takt passen, und das thut mir sehr leid. — Wir wollen heut Abend einmal versuchen, ob wir das Lied nicht noch ein wenig abaͤndern koͤnnen. Du mußt mir helfen, denn Du weißt ja damit Bescheid. Ich lese Deine Verse alle Tage, und versteh sie jedesmal etwas besser. — O ich bin in manchen Stunden ordentlich stolz auf Dich, und daß Dn unter den tausend, tau - send Maͤdchen grade mich nur einzig und allein liebst. Und doch wieder nicht stolz, nur so froh, daß ich dann dem Himmel mit weinenden Au- gen danke, daß er es so gelenkt hat, daß Du mich aufgefunden hast. — — Warum meine Mutter nicht ganz so denken will, wie ich? Ich kann gar nicht begreifen, wie man etwas gegen Dich haben kann. Alle Menfchen sollten so seyn, wie Du, so waͤre das die schoͤnste Welt. — Adieu, und bleibe ja heut laͤnger. 45. Anthonio an Rosaline . A lso heut, wuͤrklich nun heut ! — So ist denn doch endlich die zoͤgernde Stunde herange- schlichen, die mich vollkommen gluͤcklich machen soll. — O wie dank ich Dir! Aber Du wirst doch Wort halten? — 46. William Lovell an Rosa . Rom . E s ist wunderbar, wie lange ich in dem Vor- hofe der Seeligkeit aufgehalten werde; tausend Zufaͤlle vereinigen sich, um mich immer wieder von der hoͤchsten Wonne zu entfernen. Rosaline ist mein, unbedingt mein. — Sie hatte sich neulich fuͤr meine Bitten erweicht, und mir versprochen, mich in der Nacht heimlich zu sich kommen zu lassen, aber die Mutter wurde krank, und sie mußte bey ihrem Bette wachen. Welche Nacht hatt’ ich! Die Sehnsucht regte sich mit allen ihren Gefuͤhlen in mir, ich kounte nicht eine Minute schlafen, und doch auch nicht wa- chen. Ich lag in einer Art von Betaͤubung, in der sich Bilder auf Bilder draͤngten, und mein kleines Zimmer zum Tummelplatze der verwor- rensten Scenen machten. Es war eine Art von Fieberzustand, in welchem mir hundert Sachen einfielen, uͤber die ich noch lange werde denken und traͤumen koͤnnen. Sie hat sich mir gaͤnzlich dahin gegeben, sie steht in meiner Willkuͤhr. — Aber verdammte Kleinigkeiten, die sich nicht berechnen lassen, werfen sich immer wieder dazwischen. — Aber ich muß den letzten und vollkommenen Sieg er- fechten, oder ich verdiene es nicht, Ihr Freund zu seyn. 47. William Lovell an Rosa . Rom . E s ist um rasend zu werden! Alles ist dahin! Alle meine Ruhe, alle meine Liebe, ist gaͤnzlich, durchaus verlohren! Ich kenne mich kaum wie- der, ich verachte und hasse mich selbst, ob ich gleich nur auf den Zufall fluchen sollte. Den- ken Sie nur selbst, alles war bestimmt und fest gemacht, Rosaline war so zaͤrtlich gegen mich, wie sie noch nie gewesen ist, sie war voͤllig da- von uͤberzeugt, daß ich sie heirathen wollte, und bey Gott ich haͤtt’ es auch gethan; sie hatte mir die gestrige Nacht zugesagt, und ich erwar- tete mit Ungeduld die Adendroͤthe; tausend Ideen gingen durch meinen traͤumenden Sinn, ich konnte mir meine Phantasien und Hoffnungen gar nicht als wuͤrklich denken, — o und sie sind es auch nun nicht geworden! Ich stehe hier wie ein Schulknabe, der seinen Lehrer fuͤrchtet, ich bin beschaͤmt und verworfen: gestern kam noch bey Tische ein alter Mann als Bothe, der Pie- tro’s, des armseligen Fischers, des Braͤutigams Zuruͤckkunft ansagte. In wenigen Tagen wird er hier seyn. Ich war wie vom Schlage getroffen, alle meine Sinne waren gelaͤhmt, bleich, und wie aus der Ferne hoͤrt’ ich nur die genaueren Nachrichten, die der Schurke mit- brachte. Schon das verdammte Gesicht des Kerls, als er zur Thuͤre hereintrat, kuͤndigte mir nichts Gutes an. Es war eine von den Physiognomien, die dazu gemacht sind, Un- gluͤcksbothschaften zu bringen. Uud dann die Freude der Mutter! Die stille Beschaͤmung Rosalinens, die mir ploͤtzlich durch die bloße Nachricht ganz abgewandt wurde! O mich wundert, daß ich nicht den Verstand ver- lohren habe! Sie weicht mir seitdem aͤngstlich aus, sie ist kalt und fremde, und ich stehe auf demselben Punkte, auf dem ich mich am ersten Tage unsrer Bekanntschaft befand. — Ich koͤnn- te den Kerl ermorden, der sich so ungerufen zwischen uns draͤngt, und all mein Gluͤck und meine schoͤnen Traͤume vernichtet. — Warum haͤngen wir so oft von nichtswuͤrdigen Zufaͤllig- keiten ab! — Und nun jetzt, jetzt, da sich so eben alle meine Wuͤnsche kroͤnen wollten. — Wenn ich sie sehe, mit all ihren Reizen, und die die Phantasie mir die heiligen von keinem Blicke entweihen vor die Angen zaubert! Wenn ich mich in ihre nackten Arme, an ihren entbloͤßten Busen denke, die keusche Schaam im Streite mit der wolluͤstigen Begierde, alles mir so ganz hingegeben, ich im hoͤchsten Taumel versunken — und nun geht sie mir voruͤber, und kennt mich nicht, und heut Abend war das letzte Ziel mei- nes Gluͤcks! — Ich koͤnnte sie ergreifen, und im Gefuͤhle der Begierde erwuͤrgen, und wuͤ- thend an ihrem Busen sterben. — Rathen Sie mir, Rosa, was ist zu thun? Ich habe allen Verstand, alle Besinnung voͤllig verlohren. Lovell. 2r Bd. M 48. Rosa an William Lovell . Tivoli . I ch kann Ihnen keinen Rath ertheilen, lieber Freund, denn ich habe mich noch nie in einer aͤhn- lichen Lage befunden; ich kann daher auch nicht einmal wissen, wie ich an Ihrer Stelle handeln wuͤrde. Freilich sollte es nicht moͤglich seyn, daß ein Zufall uns das ploͤtzlich naͤhme, was wir fuͤr unser hoͤchstes Gluͤck halten, in dessen Besitz wir schon sind: indessen es geschieht alle Tage, und dies ist der Inhalt der meisten mensch- lichen Klagen. Ihre Wuth gegen den Braͤuti- gam, der so ploͤtzlich aus den Wolken faͤllt, ist sehr verzeihlich. Aber Sie sollten doch Mittel dagegen versuchen; unser ganzes Leben erscheint mir immer als ein Kampf mit dem Schicksale, es uͤberlistet uns in jedem Augenblicke, aber wir muͤssen uns nicht sogleich fuͤr uͤberwunden erkennen, sondern List gegen List setzen. Dieser Streit macht unser Daseyn interessant, er macht, daß wir uns niche so demuͤthig abhaͤngig von einer blinden unbekannten Macht fuͤhlen. — Doch ich weiß, Sie haben zwar Staͤrke genug, diese Ideen zu denken, aber nicht nach ihnen zu handeln. Ihre Gefuͤhle bleiben immer nur innerlich in Ihnen. M 2 49. William Lovell an Rosa . Rom . I hren Brief habe ich erst jetzt bey meiner Zu- ruͤckkunft gefunden. Sie haben Recht, und ich habe nach Ihrem Rathe gehandelt, ohne ihn zu kennen. Ich bin noch wie im Traume, es ist Nacht, indem ich Ihnen schreibe, und ich weiß noch immer nicht, was morgen geschehen wird. Seit einer Stunde bin ich von einer kleinen Reise zuruͤck gekommen, ich bin muͤde und kann doch nicht schlafen. — Die Ankunft Pietro’s hatte mir alle Laune verdorben; ich wußte den Weg, den er kommen, und wann er anlangen wuͤrde. Ich ritt auf die Straße nach Neapel; bey Ro- salinen schuͤtzte ich eine nothwendige Arbeit vor, die ich in der Stadt zu Ende bringen muͤßte. Hinter Sezza liegt ein einzelnes einsames Haus, dort erwartete ich den Boͤsewicht, den ich schon im innersten Herzen haßte, noch ehe ich ihn gesehn hatte. Er wollte gestern Abend dort ankommen, und kam nicht. Endlich that sich nach Mitternacht die Thuͤr auf, und er trat herein, er hatte noch gegenuͤber ein kleines Dorf besucht, und hatte sich jetzt bey unruhi- gem Wetter uͤber den Fluß setzen lassen; dadurch war er so lange aufgehalten. — Nun ich ihn vor mir sah, war er mir noch mehr zuwider. — Ein ganz gemeiner Mensch, der kaum sprechen kann, verdruͤßlich oben drein, und zwar deswe- gen, weil die gehoffte Erbschaft nicht so ansehn- lich ist, als er erwartet hatte. Das widrigste Gemisch von baͤurischem und schurkischem We- sen, schmutzig und gefraͤßig; dieses Thier ging jetzt dem Besitze der goͤttlichen Rosaline entge- gen, von der er in seinem ganzen Leben nicht die kleinste ihrer Vortrefflichkeiten verstehen wird. Er brach auf, weil er gern bald nach Rom wollte; es war Mondschein, und er fuͤhlte sich noch frisch. Ich ritt dieselbe Straße, und stieg vom Pferde, um mit ihm zu sprechen. Der Schaͤndliche sprach von Rosalinen, wie er von einem Mittagsessen sprach, ohne alle Theilnah- me, er wolle sie blos des ganz kleinen Vermoͤ- gens wegen heirathen, das ihre Mutter besitze. — Ich weiß nicht, wie es kam, alles umher um- gab mich, so wie ein Traum, ich zog ploͤtzlich einen Dolch und stieß nach ihm, verfehlte aber, und streifte ihn bis zur Haͤlfte hinunter. — Ich stieg wieder zu Pferbe und jagte davon, indem ich immer noch seine Stimme hinter mir, bald lauter, bald schwaͤcher hoͤrte. — Es war ganz unwillkuͤhrlich geschehn, und wie leicht haͤtte es kommen koͤnnen, daß ich ihn ermordet haͤtte! — Die Nacht und der heutige Tag sind mir in einem ununterbrochenen Schwindel verflossen. Ich erwarte den Schurken in jeder Minute. — Ich haͤtte vielleicht einen Handel mit ihm tref- fen koͤnnen, daß er weiter keine Anspruͤche auf Rosalinen machen solle, wenn ich bey kaltem Blute gewesen waͤre; ich weiß nun nicht, wie alles sich endigen wird. — O ich bin boͤse auf mich selbst; ich muß es Ihnen gestehn, Rosa, ich freue mich inniglich, daß mir der toͤdtliche Streich mißgluͤckte, ich fuͤhle es, daß ich ewig diese rasche That bereuen wuͤrde. Sagen Sie mir dagegen, was Sie wollen, es empoͤrt sich das Gefuͤhl, die Menschen, so wie die leblosen Gegenstaͤnde zu gebrauchen, und sie nur fuͤr Mit- tel anzusehn, uns selbst froh zu machen. Waͤre Pietro nicht dazwischen gekommen, so haͤtt’ ich Rosalinen geheirathet, waͤre mit ihr nach England gezogen, und haͤtte ihr und der Natur gelebt. — Wenn ich es noch thun koͤnnte! Was hin- dert mich, mich der Mutter zu entdecken? Aber der Braͤutigam koͤnnte einen Verdacht auf mich werfen: er wird nun vielleicht etwas laͤnger bleiben, da ihn die Wunde wahrscheinlich am Gehen hindert, und diese paar Tage will ich noch in Rosalinens Gesellschaft genießen. — Ich bin zu muͤde, leben Sie wohl. 50. William Lovell an Rosa . Rom . I ch habe mehrere Tage hindnrch in einer Ver- worrenheit aller Begriffe und Empfindungen ge- lebt; ich mochte Ihnen nicht schreiben, weil ich zu traͤge war. Jetzt aber will ich Ihnen den Verfolg meiner Liebschaft melden, und ich bin auf Ihre Antwort aͤußerst begierig. Ich habe so eben eine halbe Flasche Cyper- wein getrunken, und meine Hand zittert, in- dem ich schreibe; ich bin aͤußerst froh und zu- frieden, und mir ist so leicht, daß ich bey je- dem Absatze aus vollem Halse lachen muß. Wil- ly sieht mich von der Seite mit mißtrauischen Augen an, und scheint dabey halb eingeschlafen. Das Leben ist das allerlustigste und laͤcherlichste, was man sich denken kann; alle Menschen tum- meln sich wie klappernde Marionetten durch ein- ander, und werden an plumpen Draͤthen regiert, und sprechen von ihrem freyen Willen. — Heut am Morgen kam die Nachricht von Pietro’s Tode, man hatte den Leichnam an der Land- straße gefunden, und ein Voruͤbergehender hatte ihn zufaͤlliger Weife erkannt. Sagen Sie, was Sie wollen, es ist nicht moͤglich, daß ich Schuld an seinem Tode seyn sollte, wenigstens kann ich es nicht glauben. Er ist von Natur gestorben, und was kuͤmmert er mich nun weiter? An jener unbedeutenden Streifwunde kann unmoͤglich ein so rauher, eisenfester Mensch verbluten: und wenn es der Fall seyn koͤnnte, so wuͤrde ich es wahrhaftig nur sehr laͤcherlich finden, daß wir, wie eine gesprungene Flasche, auslaufen koͤnnen, und mit den wenigen rothen Tropfen alle un- sere Plane und Gedanken, die ganze Zukunft, in der wir leben konnten, alles was wir noch haͤtten thun koͤnnen. Aber wie gesagt, ich glau- be es nicht, und kein Mensch wird mich davon uͤberreden. Es war ein groß Geheul im Hause, vorzuͤg- lich von der Alten; Rosaline graͤmte sich auch, aber ich bemerkte deutlich, wie sie sich im Stil- len von leisen Gedanken troͤsten ließ. Ich ging fort, weil mir die Scene zur Last fiel, und fand Nachmittag Rosalinen allein, in Thraͤnen gebadet. Die Alte war ausgegangen, und kam vor dem Abende nicht wieder. O wie sie schoͤn war, als sie auf dem Fußschemel saß, und den Kopf auf den weißen Arm auf dem Sessel stuͤtz- te! Wie sich die Umrisse aller Glieder an ein- ander schmiegten, und das reizendste Bild, wie hingegossen, da lag! Ich vergaß alles, und verschlang die vereinigte Schoͤnheit mit gierigen Blicken. Sie sank weinend in meine Arme, und ihre Thraͤnen lockten die meinigen hervor. Ich fuͤhlte ihr Herz klopfen, ich kuͤßte sie, sie war ganz Schmerz, und ließ mich alles thun, was ich wollte. Meine Phantasie war erhitzt, und ich loͤs’te leise und behende des Busentuch ab, sie wehrte sich nur halb, und verbarg sich an meiner Brust. Meine Augen verschlangen die Reize, meine Finger beruͤhrten den schoͤnsten elastischen Busen, und sie sah mich seufzend, halb drohend und halb laͤchelnd, an. O Rosa, ich werde von neuem trunken, wenn ich mich nur dieser Scene erinnre. — Wir sprachen da- bey immer von ihrem Ungluͤcke, und eben durch die Thraͤnen war sie weicher geworden, und ihre Sinnlichkeit mehr als sonst gereizt. — Bald wurden ihr meiue Scherze zu dreist, sie stand auf und lief in ihre Kammer, ich folgte ihr nach. Sie bat, sie weinte von neuem, und druͤckte mich dann heftig in ihre Arme, indeß ich mich ungestoͤrt damit beschaͤfftigte, sie aus- zukleiden. Welche himmlische Reize entwickel- ten sich nach und nach unter meinen geschaͤffti- gen Haͤnden! Die letzte Huͤlle sank, und sie stand nun nackt mit schamhafter Roͤthe und bren- nendem Auge vor mir. — O Rosa, ich werde es nie, nie vergessen; diesen weißen Busen und diesen zarten Lilienhals, die schlanken Seiten und die blendend weißen Schenkel, alles im schoͤnsten Ebenmaaße, in einer gruͤnen Daͤmme- rung die mediceische Venus vor mir, indem vor dem Fenster das gruͤne Weinlaub zitterte, und einen Flimmerschein durch das Gemach warf. Mein Busen kochte, meine Haͤnde zitterten. — In zwey Minuten war auch ich entkleidet, sie hatte sich ganz vergessen, und flehte mein Mit- leid an und stuͤrzte zu meinen Fuͤßen. Ich druͤck- te sie an mich, sie zitterte, die zarten Muskeln des Koͤrpers spielten wie die leisesten Wellen eines Baches durcheinander. Unvermerkt sank sie auf ihr Bette und ich mit ihr, und nun verlohr ich alle Besinnung, ich sah nur den schoͤnen Busen, unter dem zum Halse hinauf die feinsten blauen Adern liefen, ich versank in ein Meer von Wollust, und dachte nichts, ich empfand nur sie, die holde, himmlische Rosa- line, ein jeder Pulsschlag in mir jauchzte, wie Geistergesaͤnge klang es um mich her, und wie ein wilder Orkan von lauter Wonne und Wohl- laut stuͤrmte es durch meinen Geist. O mag alles um mich dunkel und ungewiß liegen, kein ander Gefuͤhl giebt uns Befriedi- gung, kein Genuß des Geistes erquickt uns. Nur hier, hier versammlet sich alles, was durch unser ganzes Leben an Freuden und seeligen Em- pfindungen bey einzelnen Gelegenheiten zerstreut liegt. Nur dies ist der einzige Genuß, in wel- chem wir die kalte, wuͤste Leere in unserm In- nern nicht bemerken, wir versinken in Wollust, und die hohen rauschenden Wogen schlagen uͤber uns zusammen, dann liegen wir im Abgrunde der Seeligkeit, von dieser Welt und von uns selber abgerissen. — Nein, nur fuͤr sie, fuͤr Rosalinen allein will ich jetzt leben; Pietro ist ausgeblieben, und ich nehme sie mit mir, ich hab’ es versprochen, nur ihr zu leben, und ich will ihr und mir mein Versprechen halten. Alles daͤmmert vor meinen Augen, und ich sehe sie immer noch vor mir stehen, halb in sich geschmiegt, halb an mich gedruͤckt. Nein, keine andre Erinnerung verdient seit diesem Augen- blicke einen Platz in meiner Seele, — ich moͤch- te zu ihr hinuͤber stuͤrzen, aber die Mutter ist jetzt dort. — Ueber die elende Narrheit! daß es unsre sogenannte Tugend, unsre Lebensweise mit sich bringt, daß wir nicht so gluͤcklich seyn duͤrfen, als wir seyn koͤnnten! — Die Men- schen haben ordentlich darauf studiert, alle ihre Freuden schon in der Geburt zu ersticken; da muß erst Hochzeit, Trauung gehalten werden, tausend unangenehme und widrige Sachen um sich her versammlet, Gluͤckwuͤnsche von alten Narren und Muhmen, damit ja das allerhoͤch- ste, der himmlischste Genuß im Menschen zum niedrigsten und langweiligsten Spaße herabgewuͤr- digt werde, damit wir uns ja auf keinen Au- genblick von dieser jaͤmmerlichen Erde entfernen, und aus ihrem Dunstkreise von Armseligkeiten mit den Fluͤgeln der Wonne hinuͤber heben. Sie haͤtten sie sehn sollen, Rosa, wie Schaam und Wonne in den hellen Augen kaͤmpften: wie sie mich zuruͤckstoßen wollte, und doch nur fester an sich druͤckte; wie sie klagen wollte, und doch ihren Mund meinen wolluͤstigen Kuͤssen darbot. — Nein, bis jetzt hab ich noch nie diesen Genuß empfunden; das Vergnuͤgen an anderen Weibern ist nur wie ein Vorgefuͤhl, eine Ahndung dieser Seeligkeit. In den Armen der Blainville fuͤhlt’ ich nur den Anfang des Rausches, und log mir eine Entzuͤckung der Goͤtter; Reue und Ueber- druß bemeisterten sich meiner sehr bald. Laura, Bianka und alle uͤbrigen dieser Zunft sind ver- worfene Geschoͤpfe, die ihre Entzuͤckungen heu- cheln, und nach dem Preise erhoͤhn. — Rosa- line, Rosaline ist das einzige Weib in der Welt, die uͤbrigen sind ihr nur gleichsam nachgemacht. — Ich fange jetzt wuͤrklich an, schlaͤfrig zu wer- den; die Traumbilder, die mich begruͤßen wol- len, tanzen schon jetzt um mich herum, und necken mich. Alle haben die entkleidete Rosa- line in ihrer Mitte. — Ich werfe mich aufs Lager. Willy, sey’ ich, ist schon zu Bette gegan- gen; in Rom schlaͤgt es drey Uhr. — Leben Sie recht wohl, lieber Rosa; ich beneide jetzt keinen Menschen, sondern bedaure sie alle. Noch nie hab’ ich mich so daruͤber gefreut, daß ich Lovell hin. — 51. Rosaline an Anthonio . A ch, Anthonio, Anthonio! Komm doch so- bald, als moͤglich. Ich getraue mich gar nicht, meine Mutter anzusehn; alles was ich sonst gern that, ist mir jetzt zur Last, mir ist, als gehoͤrt ich gar nicht mehr in dieses Haus. — Ich moͤchte einsam und unbemerkt im Winkel sitzen, und den ganzen Tag uͤber weinen. Ach, An- thonio! was hast Du aus mir gemacht? — Ich lebte so still vor mich hin, und war mit allem zufrieden, und jetzt ist mir das ganze Haus zu enge, ich denke unaufhoͤrlich an Dich und an gestern, und mit einer quaͤlenden Unruhe; mein Herz schlaͤgt schwer und gewaltsam. O komm heut recht fruͤh, damit ich nur wieder ein paar Augen finde, die ich ansehn darf, und die ich, ach! so gern betrachte. 52. Rosaline an Anthonio . U nd war das nun wohl recht gestern auf dem Spatziergange! Ich war in mir so froh und heiter, recht still und zufrieden, — und Du, — ach, Anthonio, Du weißt es gar zu gut, daß ich Dir nichts abschlagen kann, und das macht Dich so stark und dreist, weil ich nur zu schwach bin. Aber habe Mitleid mit mir. — Ach, was kann mir nun alles noch helfen? Meine Laute macht mir keine Freude mehr, meine Mutter ist mir oft in der Seele zuwider; und doch moͤcht’ ich ihr manchmal um den Hals fallen, und ihr al- les, alles sagen. Aber es haͤlt mir die Zunge fest, es draͤngt mir in der Kehle, daß mir die Sprache versagt. Ich weiue viel, und sie meynt, es sey um den armen Pietro. — Ach Antho- nio, halte nur Dein Versprechen, ich beschwoͤre Dich bey der Mutter Gottes, denn sonst bin ich gaͤnzlich verlohren. 53. 53. William Lovell an Rosa . Rom . W enn man recht froh und zufrieden lebt, in einer schoͤnen Einfoͤrmigkeit, den einen Tag, so wie den andern, so schreibt man ungern, weil man nichts zu schreiben hat. Ich habe mich mit Rosalinen nun ganz gut eingerichtet, und ich fuͤhle nach langer Zeit die schoͤne Behaglich- keit wieder, die Erfuͤllung aller Wuͤnsche zu sehn, ohne jenen Sturm des Bluts, ohne jenes aͤngstliche Herzklopfen, das aus unserm Leben unangenehme Abschnitte macht. Jetzt aber fließt mir die Zeit ruhig voruͤber, und jeder Spazier- gang, fast jeder Besuch bey Rosalinen macht uns eine Gelegenheit, der Goͤttinn der Liebe ein Opfer zu bringen. Ich waͤre ganz gluͤcklich, wenn mich der Eigensinn und die Launen Rosa- linens nicht zuweilen stoͤrten. Daß sich doch keine von den Armseligkeiten ihres Geschlechtes losmachen kann! Wir streiten zuweilen, und es ist nichts widriger, als ein Zank mit einem Maͤdchen, das man gern hat; alle wollen be- Lovell. 2r Bd. N lehren; alle, selbst die unbedeutendsten, wollen hofmeistern. Bald bin ich ihr zu ernsthaft, bald zu vergnuͤgt, an meinem Willy hat sie großen Antheil genommen, ich soll mit ihm, als mei- nem Vater, freundschaftlicher umgehn. Indeß, ich will mir meine angenehme Lage nicht ver- bittern. — Leben Sie wohl. 54. William Lovell an Rosa . Rom . I ch habe nach langer Zeit wieder einmal Lau- ra und die schoͤne Bianka besucht. Mich wun- dert sehr, daß ich nicht schon eher darauf ge- fallen bin, meine Ergoͤtzungen mannichfaltiger zu machen. Warum mnß der Mensch selbst in seinen Vergnuͤgungen einseitig und eigensinnig seyn? — Rosaline dringt jetzt in mich, daß ich sie heirathen soll, und ich glaube, unter solchen Umstaͤnden kann einem ein jedes Maͤdchen zuwi- der werden; dabey hat sie ihr kindliches unbe- fangenes Wesen verlohren, und spricht jetzt so altklug und uͤberlegt. Lieber Freund! Wodurch entsteht doch die Philosophie unsrer Weiber? — Mein Willy will nach England, und jetzt waͤre die beste Gelegenheit, seiner los zu wer- den: einer meiner Bekannten reist dorthin, und will ihn herzlich gerne mitnehmen. Aber frey- lich wuͤrde denn mein ganzes Verhaͤltniß mit Rosalinen gestoͤrt! Ich weiß noch gar nicht, wie ich das alles einrichten soll. — Kommen Sie doch nach Rom, ich beschwoͤre Sie, ich vermisse Sie bey jeder Gelegenheit. N 2 55. Rosa an William Lovell . Tivoli . J a ich will nur endlich kommen, denn es scheint mir selbst, als wenn Sie meiner beduͤrf- teu . Lieber Freund, Sie sind in Ihren Brie- fen nicht mehr so aufrichtig, als Sie es an- fangs waren; Sie fangen an, sich zu maskiren, aber ich sehe gar nicht warum. Schaͤmen Sie sich zu gestehen, daß Ihre Leidenschaft nun nach dem Genusse nicht mehr jenes stuͤrmende, draͤn- gende Gefuͤhl ist, voller Ahndung und Ungewiß- heit? Sagen Sie es nur dreist heraus, denn die Schuld davon liegt nicht an Ihnen, son- dern an der Einrichtung unsrer Natur, der wir uns unbedingt unterwerfen muͤssen. — Erinnern Sie sich, was ich Ihnen mit prophetischem Geiste schon in einem meiner fruͤhern Briefe sagte, daß man sich nie zwingen muͤsse, mit Enthusiasmus die Leere auszufuͤllen, die sich oft ploͤtzlich in alle unsre Gefuͤhle reißt, denn dies ist die hoͤchste Quaal des Lebens, die wahre Tortur der Seele. Geben Sie sich und Ihren Empfindungen nach, denu alle Ihre Schwuͤre, alle Ihre poetischen Betheurungen haben Sie im Grunde gar nicht gethan, sondern es sind nur nothwendige Aeußerungen des Gefuͤhls, das Sie damals hatten; Sie haben nicht gesprochen, sondern Ihre Leidenschaft; diese ist jetzt fort, und mit ihr das Wesen, das Sie so sprechen ließ. — Doch muͤndlich ein Mehreres. In we- nigen Tagen bin ich selbst in Rom; dann will ich doch auch Ihre Gottheit sehn und sprechen. — 56. Willy an seinen Bruder Thomas . Rom . G ottlob, Bruder, der Tag der Erloͤsung ist nun endlich da. Ach, mir ist recht froh und leicht, fast so, wie wenn ich manchmal von ei- nem recht schlimmen Traume aufwache, und mich im warmen sichern Bette wieder finde; ich kann nun doch endlich nach England zuruͤck rei- sen. Ein Franzose, ein Bekannter meines Herrn, auch so einer von den Herzensfreunden, reis’t nach England; je nun, er ist immer noch gut genug, daß ich mit ihm reisen kann, und doch nun meinen lieben Bruder wiedersehe. Ich haͤt- te auch hier das gotteslaͤsterliche Leben nicht mehr aushalten koͤnnen, das kannst Du mir glauben, lieber Thomas; ich war hier ganz, wie unter Heyden und Tuͤrken gerathen, und hatte keinen einzigen frohen Augenblick. Mein Herr ist verlohren, der boͤse Feind hat ihn gaͤnzlich und ganz und gar eingenommen: lauter Ungluͤck hat er angestiftet. Da ist hier ein armes, blut- armes und unschuldiges Kind, ein huͤbsches Maͤdchen, die hat er verfuͤhrt, das merk’ ich so aus ihrem stillen, jammernden Wesen. Ich mag Dir nur nicht alles schreiben, wie ich es denke, und es ist Unrecht von mir, daß ich so denke: aber ich kann nicht dafuͤr, lieber Bruder, die Gedanken kann man sich nicht geben und nicht nehmen, sie kommen ganz ungerufen, und quaͤ- len uns oft eben so, wie Muͤcken und Stechflie- gen. Die sind sehr haͤufig, und auch so bey mir die schlimmen Gedanken. — Nun ich den- ke, Gott wird mich schon wieder zurecht brin- gen, sobald ich nur wieder auf unserm from- men, vaͤterlichen Boden stehe. O wie freue ich mich, Dich und meinen alten Herrn, den gu- ten Lord Lovell wieder zu sehn! — Grade, wie sich ein Kind auf den heiligen Christ freut, so ist mir zu Muthe. — Lebe wohl bis dahin, bester Bruder. 57. Rosaline an Anthonio . W o bleibst Du doch, Anthonio, daß ich Dich gestern gar nicht gesehn habe? Willst Du mich denn ganz allein lassen? — Ach, ich habe viel zu Gott und seinen Engeln gebetet, aber mir ist keine Erhoͤrung geworden, recht ohne Trost bin ich vom Himmel, wie eine Suͤnderin, ab- gewiesen. — Die Saiten auf meiner Laute sind gesprungeu , und ich mag keine neue auf- ziehn: meine Laute, die ich von Kindheit auf kenne, die ich sonst so innig liebte. Siehst Du, so weit ist es schon mit mir gekommen. Die Thraͤnen sind eine Gabe des Himmels, ich kann manchmal ordentlich gar nicht weinen, wenn ich es auch so gerne moͤchte. — O komm, komm, Anthonio, ich bin sonst wie ein Kind, das sich im Walde verirrt hat. Alles erschreckt mich, aber wenn Du da bist, ist es wieder wie ein Fruͤhlingsschein um mich her. — Wenn ich Dich heut nicht sehe, kann ich wieder die ganze Nacht nicht schlafen; mir faͤllt so mancherley ein, wovor mir graut. — Ach, wohl dem ar- men Pietro, daß er todt ist! — 58. Rosaline an Anthonio . J a wohl moͤcht’ ich sterben, sterben, Anthonio. Du koͤmmst also nicht und siehst nach der kran- ken Rosaline, der Du sonst so viel von Deiner innigen Liebe vorgesprochen hast? — Ach, bleib noch ein paar Tage laͤnger, und Du koͤmmst dann vergebens, um sie zu suchen. — Wer ist nun treulos? Hab ich es nicht immer gefuͤrch- tet, daß Du so seyn wuͤrdest? — Wenn ich erst todt bin, so will ich Dir erscheinen, Dich gewiß auffinden, und Deine Seele martern. — Dein Vater ist auch fort; Gott, wie mag das alles zusammenhaͤngen? — Ich will den Brief zu Dir hinuͤbertragen, ich weiß nicht, ob Du ihn erhalten wirst. Ach, was kann es mir auch helfen? — Mein Bild, das Du gezeichnet hat- test, lag bey Dir auf dem Boden, man hatte schon darauf getreten, es war ganz unkenntlich, ach, und es sieht mir jetzt gewiß sehr aͤhnlich. — Siehst Du, so ist Deine Liebe! Ach Anthonio, wenn Du schon so bist, welche Ungeheuer muͤs- sen dann die uͤbrigen Maͤnner seyn! — Ich habe Dein Halstuch mitgenommen, und bewahr’ es wie ein Heiligthum. — Ach Du geliebter Boͤsewicht, wohl versteh’ ich es jetzt, was ich sonst nicht begreifen konnte, wenn Menschen sich vom Boͤsen versuchen ließen; Deine Gestalt, Dein Wesen hat er dann angenommen. — Ich kann nicht weiter, ich muß laut schluchzen; sollt’ ich Dich denn auch heut nicht wieder sehn? 59. Rosaline an William Lovell . J a, ja, nun ist mein Ungluͤck gewiß. — Gott, ich werd’ es nicht uͤberleben. — Welche Ostern hab’ ich gefeyert! es sind die letzten, das fuͤhl’ ich. — Du bist also nicht der, fuͤr den Du Dich ausgiebst? O Himmel! Mein Anthonio ist ein Betruͤger! — Mein Anthonio? — Nein, Du bist nicht mein; Du bist mir fremd, Du bist vornehm, Du kannst nie der Meinige werden. Und jetzt koͤnnt’ ich Dich auch nicht mehr lieben. — Ach, wo ist alles, alles so ploͤtzlich hingekommen, was ich fuͤr Dich em- pfand? — Hast Du mich denn wirklich nicht in dem Hofe der Peterskirche gesehn? O ge- wiß, denn Deine Augen waren immer nach mir hingerichtet. Aber Du schaͤmst Dich jetzt mei- ner, — Du, — ich sollte Dich nichr so nen- nen, denn Du bist nicht meines Gleichen, Du liebst mich nicht. — Mein Herz klopfte aͤngst- lich, — ich kannte Dich gleich am Ziehen der rechten Augenbraune, an der Art zu laͤcheln, — an dem kleinen Flecke am Munde, ich wollte mich zu Dir draͤngen, ich konnte nicht; ich dachte in Ohnmacht zu sinken. — Ich konnte nicht den heiligen Vater ansehn, als er den Seegen sprach, denn ich sahe nur Dich, Dich einzig und allein in der ungeheuren Volksver- sammlung; meine Mutter stand hinter mir, und blieb zuruͤck, als ich mich vordraͤngte. — Ach wohin wollt’ ich mich draͤngen? — Lebe wohl, ich sterbe bald, der Seegen des heiligen Vaters ist meine Einseegnung zum Grabe gewesen. — Und Du warst so froh, — ach Anthonio, — vergieb, daß ich Dich immer noch bey diesem schoͤnen Nahmen nenne, — Anthonio, — o was kann ich sagen! Mein Kopf schwindelt. — So eben sang meine Mutter still vor sich hin eins von unsern alten Liedern. — Ach, diese Lieder kennen mich nicht mehr, sie wollen mich nicht mehr troͤsten. — Nein, ich will auch nicht ge- troͤstet seyn, ich will verzweifeln, ich will wahn- sinnig werden, und so zu Dir rennen, so Dir mit fliegenden Haaren wild vor die Augen tre- ten, und Dich verlachen, wenn Du mich dann nicht mehr kennst. — Ich glaube, mir ist im Kopfe eine Ader gesprungen, ich blute heftig, und bin wie betaͤubt. O Ungetreuer, mit die- sem Blatte empfaͤngst Du zugleich meine Bluts- tropfen; bald soll man meine Leiche vor Dir voruͤber tragen; freue Dich dann Deines Werks! — 60. Rosaline an William Lovell . V erwuͤnschungen, Fluͤche hinter Dir her! — Sie werden Dich ereilen und ergreifen. — Nein, ich kann nicht laͤnger im Hause bey meiner Mut- ter bleiben, ich kann nicht laͤnger in dieser Welt bleiben, wo jeder Baum, jeder Grashalm mich an Dich erinnert. — Mir ist seltsam, ich will durch die Welt wandern, und Dich suchen, und wenn ich sterbe, sieh! dann treff ich Dich doch jenseits, denn Du mußt auch sterben; da kannst Du meinen Vorwuͤrfen nicht entlaufen. — O weh Dir, Anthonio, daß Du sterben mußt; dann wird Dir das Verzeichniß Deiner Suͤn- den, aller, von der kleinsten, bis zur groͤßten, verlesen. Mir ist der Tod ein Trost, Dir wird er wehe thun. — Ich hab’ es schon lange heim- lich geglaubt, aber keinem Menschen und auch Dir nicht sagen moͤgen, daß Du an Pietro’s Tode Schuld bist. — O wehe Dir, wenn es so ist! — Ich werde hingejagt vom unbekann- ten Geiste in Tod und Grab, es brennt in meinen Eingeweiden, und die Fluthen der Ti- ber sollen diese Flammen loͤschen. — Aber ich muß Dich noch sehn vorher, ich will Dir Deine Briefe zuruͤck bringen; — ich will — ach, ich weiß selbst nicht, was ich will; sterben gewiß. 61. Leonore Silva an William Lovell . A ch, gnaͤdiger Herr! Sie verzeihen es wohl einer alten Frau, wenn sie sich untersteht, Ih- nen zur Last zu fallen. — Meine Tochter, die letzte Stuͤtze meines Alters, ist todt; Gott mag ihrer Seele gnaͤdig seyn! Sie ist in die Tiber gesprungen, gestern am Abend; vorher ist sie die ganze Stadt durchlaufen, und hat immer nach Ihnen gefragt. Auf der Bruͤcke nach St. An- gelo stand sie endlich still, und sah in’s Wasser, sie deutete auf den Mondschein, und sagte: sie wolle jetzt in das goldene Paradies; ein Mann, der dort stand, hat es ganz deutlich gehoͤrt: so stuͤrzte sie sich vom Gelaͤnder hinunter. — Man zog sie todt ans Land. — Ach, lieber gnaͤdiger Herr, nun bin ich ganz verlassen, erzeigen Sie mir doch die Ehre, mich noch einmal zu be- suchen, und eine arme, alte, verlaßne Frau et- was zu unterstuͤtzen. — Verzeihen Sie meine Dreistigkeit, der Kummer hat mich ganz nieder- gebeugt. Gott sey Rosalinens Seele gnaͤdig; ich bete fleißig einen Rosenkranz zu ihrem Heil. Wil- William Lovell . Zweytes Buch . Lovell. 2r Bd. O 1. William Lovell an Rosa . Rom . W enn man sich noch einige Zeit nach dem ge- endigten Schauspiele verweilt, wie dann der Vorhang wieder in die Hoͤhe geht, und einzelne Stuͤcke von Dekorationen an den kahlen Waͤn- den haͤngen, Waffen und Ruͤstungen zerstreut auf dem Boden liegen, die emsigen Aufseher die Lich- ter ausloͤschen und sammeln, hin und wieder ein schlechter Schauspieler noch mit tragischem Schrit- te auf- und niedergeht, und seine Rolle nicht vergessen kann: so, Rosa, in diesem armseligen Lichte erscheint mir jetzt das Leben. Alles sieht mir so abgetragen und duͤrftig aus. Die Menschen sind mir nichts als schlechte Komoͤdianten, Tugend- helden oder witzige Koͤpfe, Liebhaber oder zaͤrt- liche Vaͤter, nachdem es ihre Rolle mit sich bringt, die sie so schlecht, wie es nur immer O 2 eine wandernde Truppe thun kann, zu Ende spielen. Auch ich bin unter dem Haufen einer der Mitspieler, und so wie ich die andern ver- achte, werde ich wieder von ihnen verachtet. Warum schlagen so oft die hoͤchsten Wogen in unsrer Seele, und dann so ploͤtzlich ein traͤ- ger dumpfer Stillstand? So wie das moosige, schlammige Gestade bey der Ebbe. — O ich moͤchte mir wieder Stuͤrme in diese traͤge Blut- masse wuͤnschen, Gefuͤhle, die die Thraͤnen aus ihren tiefen Kerkern reißen, Seufzer und Schmerz, Quaal und Wollust, um wieder in den Kreis der uͤbrigen Menschen zu treten, den ich jetzt aus der Ferne anschaue und verachte. Willy und sein altes, gutmuͤthiges Gesicht fehlt mir in jeder Stunde, er war sehr froh, daß er sein Vaterland wieder sehen sollte. Wie gern sich der Mensch doch an Erinnerungen und leblose Gegenstaͤnde fesselt, und jeden Berg und einheimischen Baum fuͤr einen Freund und Wohl- thaͤter ansieht! Rosalinens Mutter ist befriedigt, und alles mit ihr abgethan, ich glaube, sie wird nicht lange leben, und also auch meiner Unterstuͤtzung nicht auf lange beduͤrfen, sie war sehr schwach, als ich sie sah. — Wie die Faͤden eines We- berstuhls flimmert und zittert das menschliche Leben vor meinen Augen, ein ewiges Wechseln und Durcheinanderschießen, und dabey doch das langweilige, ewige Einerley! 2. Rosa an William Lovell . Rom . J a wohl, lieber Freund, es ist um die Men- schen ein seltsames Ding! Ein Raͤthsel, das keiner je ganz aufloͤsen wird. Es quaͤlt und aͤngstigt den Geist; indessen muͤssen wir wenig- stens so viel zugeben, daß es ihn eben deswegen auch beschaͤfftigt und unterrichtet, wir muͤssen uns nur nie scheuen, einen Gedanken ganz zu Ende zu denken, unbekuͤmmert, wohin er uns fuͤhren koͤnnte. Sie fuͤhlen es jetzt recht leb- haft, wie alles, was wir wissen und glauben, Nichts sey, aber bemerken Sie nur auch, wie Ihre Zweifel und Ihre nuͤchternen Gefuͤhle, die daraus entstehen, ebenfalls nichts Festes, Un- wandelbares sind. — Alles geht und zieht durch unsern Busen, alle Eindruͤcke existiren fuͤr uns nur, in sofern sie ihre Spuren zuruͤck lassen: aber eben dies sollte uns bewegen, nie ganz und einzig in der Gegenwart zu leben; denn sie ist in unsrer Existenz das Unzuverlaͤßigste. Besuchen Sie mich heut wieder vor dem Thore in meinem Garten, wir wollen muͤndlich ein Mehreres daruͤber sprechen, seit ich neulich Rom verlassen habe, habe ich vieles gelernt und erfahren, und manches ist in meiner Seele wan- kend gemacht, was ich noch vor kurzem fuͤr fel- senfest hielt. Ich habe Ihnen noch einen kleinen Vorfall nicht erzaͤhlt, den ich jetzt in der Eile nachho- len will. Ich sprach Rosalinen im heftigsten Ausbruche ihres Kummers; sie war wirklich schoͤn: bald ward sie zutraulicher, da sie hoͤrte, ich sey Ihr Freund, und so gelang es mir un- vermerkt, sie von ihrem Kummer etwas abzu- ziehn, und eben die Freuden bey ihr zu genießen, die Sie mir damals so poetisch beschrieben ha- ben. — Ich mag nichts weiter hinzusetzen. Lie- ber Freund, was ist der Mensch? Auch davon heut Abend ein Mehreres. 3. Eduard Burton an William Lovell . Bonstreet . I ndem ich diesen Brief anfange, William, weiß ich nicht recht, was ich Dir sagen will, noch weniger, wie ich es Dir sagen soll. In meinem Sinn und Herzen liegt alles hell und klar, meine Meinung ist nicht Sophisterey oder Leidenschaft, die mir der Moment eingiebt, son- dern meine Ideen sind gleichsam Ein Strom, der in der fernsten Kindheit entspringt, und so in gerader Richtung durch mein Leben fließt. Deine Gedanken sind einzelne Fragmente, die Dir vielleicht in der jedesmaligen Stimmung unumstoͤßlich scheinen, weil sie eben durch diese Stimmung hervorgebracht sind, die Dir aber vielleicht selbst am folgenden Tage unverstaͤnd- lich sind. Du verachtest mich gewiß, wenn ich von Grundsaͤtzen rede, nach denen man handeln muͤsse, aber seit ich Dich genauer kenne, ist diese Ueberzeugung eben durch Dich bey mir um so lebendiger geworden: diese Grundsaͤtze muͤssen gleichsam der Faden seyn, an den wr unsre uͤbrigen Gedanken und unsteten Empfin- dungen reihen, und der sie alle regiert. — Wi- derlegen kann ich Dir Deinen Beweis nicht, daß kein Mensch den andern verfuͤhren koͤnne, aber, so wie mich duͤnkt, bedarf er auch keiner Widerlegung. Der Mensch fuͤhlt den Einfluß andrer, ja selbst der leblosen Natur auf sein Herz und seinen Verstand viel zu sehr, als daß er sich je diesen Einfluß ablaͤugnen koͤnnte. Du behauptest zwar, daß Alles, was der Mensch denkt und empfindet, schon von je in ihm gele- gen habe, und daß die aͤußern Gegenstaͤnde nur veraͤchtliche Zufaͤlligkeiten sind, daß alles dies grade jetzt, und zu keiner andern Zeit in ihm geweckt werde: daß ein unschuldiger Mensch nie schuldig werden koͤnne, so wie der eigentliche Boͤsewicht nie rein gewesen sey: — bist Du wirklich gar nicht darauf gefallen, daß Du hier mit Deiner sophistischen Freygeisterey die graͤß- liche orthodoxe Praͤdetermination der Seelen vertheidigest? Du gestehst immer, und es ist Dein Glaubensbekenntniß, daß der Mensch nichts wissen koͤnne, und doch willst Du dies so ge- nau wissen? Wenn Du an allem zweifelst, so muͤssen Dir eben deswegen auch Deine Zweifel verdaͤchtig werden, und so kaͤmest Du denn viel- leicht auf einem muͤhseligern Wege zu demselben Punkte, auf welchem ich stehe: daß sich der bloͤd- sichtige Mensch gewissen Gesetzen, die ihm sein Genius aus dem Herzen zurnft, blind unterwer- fen muͤsse. Glaube wenigstens, daß der Mensch unmoͤglich so seyn koͤnne, wie er Dir erscheint, wenn Du ihn mit Deinen Sophismen anato- mirst, Du siehst dann zwar lauter wirkliche Be- standtheile, aber eben deswegen, weil Du ein Ganzes in Theile zerlegt hast, ist es nicht das Ganze mehr. Daher sind alle Deine Folgerun- gen gar nicht auf den Menschen anwendbar, er ist nicht so, trotz dem, das Du behauptest, er muͤsse so seyn, und darum kann ich mich von Deinem neulichen scharfsinnigen Beweise so we- nig uͤberzeugen, daß ich Dich vielmehr vom Gegentheile uͤberzeugen moͤchte. Vergieb mir meine Weitschweifigkeit, und daß ich, um Dich zu uͤberfuͤhren, selbst in den spitzen getadelten Ton Deiner Briefe falle: ich weiß, alles, was ich sage, ist unnoͤthig, denn Du glaubst Deine Behauptung nicht, ich sage alles dies blos, weil mich eben Dein neulicher Brief von der Sache uͤberzeugt hat, die er wi- derlegen sollte, daß Deine Gedanken nur die Wiederholung fremder sind; schon daß Du uͤber eine blos hingeworfene Idee einen eigenen Brief schreibest, hat mich davon uͤberfuͤhrt. — Aber vergieb mir, denn ich will Dir nicht gern wehe thun. Ach ich sollte in einem ernstern Tone, mit tiefer Trauer sprechen, denn welche Nachricht hab’ ich Dir zu hinterbringen! — Dein Vater ist nicht mehr, Gram und Krankheit haben end- lich seinem muͤrben Leben ein Ende gemacht, das gleichsam nur noch an Einem Faden hing. — Ach, William, ich kann Dir unmoͤglich alles sagen, was ich denke. — Mit weinenden Au- gen habe ich die Papiere gesiegelt, die ich Dir hierbey uͤberschicke, halte sie in Ehren, denn es sind die letzten Federzuͤge Deines Vaters, er muß oft in seinen einsamen Stunden nach Dir hinuͤbergedacht, nach Dir sich hingesehnt ha- ben. — Auch mein Vater ist jetzt krank, und ich habe viel mit seiner Pflege zu thun; ach, William, wenn man fuͤrchtet, daß jemand, den wir so wohl kannten, nun von uns scheiden will, nach einem unbekannten Lande hin, und er selbst uns dann fremde wird, — o dann ma- chen wir unsre Liebe und Sorgfalt doppelt, wir vergessen uns selbst, und eben deswegen vieles, was wir ehedem an ihm tadelten, — — Amalie Wilmont ist mit Deinem Freunde Mortimer verheirathet. Ich weiß nicht, wie Du diese Nachricht aufnehmen wirst; mir ist oft wie einem melancholischen Zuschauer zu Muthe, der im Schauspiele mit Widerwillen den Schluß des Stuͤcks herannahen sieht, wie sich alles ver- laͤuft, die Hauptpersonen ausbleiben, die mun- tern Scherze schon erstorben sind, — endlich faͤllt der Vorhang, und unsre Freuden, unsre Theilnahme, unser Leben, alles, was wir hat- ten, ist dahin! — 4. Einlage des vorigen Briefes. D ie groͤßte Schwachheit des Menschen ist, Plane fuͤr die Zukunft zu machen, und doch be- steht darin das Leben: auf nichts sollte man vertrauen, denn nie entspricht die Zukunft un- sern Erwartungen, wenn sie zur Gegenwart wird, und wir selbst und unsre innersten Empfindun- gen sind eben so gut dem Wechsel unterworfen, wie alles, was uns umgiebt. Reut mich nicht jetzt, was mir vordem Freude machte? Ach mein Sohn, koͤnnt’ ich Dich nur in meine Ar- me schließen, wie froh wollt’ ich denn daruͤber seyn, daß ich von meinem Traume erwacht bin! — Wie alles von mir zuruͤck weicht, was mich sonst aufrecht erhielt! Meine Haͤnde zittern, mein Gedaͤchtniß wird schwach, und alle schoͤ- nen Vorstellungen verfliegen, wie die Duͤnste ei- nes Rausches. Mein ganzes Leben liegt wie ein dunkler Abgrund da, in den ich hineintau- melte, ohne Besinnung da lag, und mich jetzt muͤhsam an den feuchten Waͤnden zum Lichte empor arbeite. Nein, ich kann den Tod nicht fuͤrchten, der mir in jeder Stunde naͤher tritt, ich sehe ihm mit festen Augen, ja mit einer Art von Sehn- sucht entgegen. Jeder Klang ist versunken, nur eine innige Wehmuth schlaͤgt unermuͤdet ihre Toͤne in mir an, so wie sich jedes froͤhliche Ge- raͤusch in den ziehenden ernsten Kirchengesang verliert. Alle Gedanken sind nach dem Grabe hingerichtet, Sonnenaufgang und Untergang, alle Erscheinungen der Natur sind mir Bothen, die mich dorthin rufen. — Ich begreife die Veraͤndrung nicht, die in mir vorgegangen ist, vieles steht verjuͤngt, wie in der Kindheit vor mir, ja ich bin wieder zum Kinde geworden, und gehe nun durch dasselbe rosenrothe Thor wieder aus dem Leben hinaus, durch welches ich eintrat. So ist mein ganzer Lebenslauf nur ein Kreis gewesen, indem ich immer glaubte, in gradet Richtung fortzugehen. Die Welt mit allen Freuden und Leiden liegt hinter mir, wie ein weites Gebirge, das der Nebel unkenntlich macht, nur das Thal, in welchem ich Ruhe fiudtn soll, seh ich deutlich vor mir. Schwarze, im Winde flatternde Todtengewaͤnder mit tiefen steifen Falten, Graͤber und Todtengerippe stehn vor meinen Augen, ohne daß ich mich, wie sonst, davor entsetze: ist nicht alles um uns her Tand und Spiel, womit wir uns so ernsthaft beschaͤfftigen? Wie wir die Truͤmmern alter Pallaͤste besuchen und ausmessen, so sollten wir mit Kuͤnstleraugen das Knochengebaͤude des Men- schen betrachten, und das erhabene Kunstwerk bewundern, von dem uns dort in nackter Ent- bloͤßung gleichsam die Latten und Grundlinien hingelegt sind, wie die Contoure einer Zeich- nung neben dem Menschen, dem vollendeten Ge- maͤhlde. Wie ein veraltetes Kleid legen wir den Koͤrper ab, Blumen, Graͤser und Insekten naͤhren sich von unserm Stoff, so wie wir von der Pflanzennatur unser Daseyn erbetteln, aber der Geist schwingt sich aufwaͤrts, und sieht mit Ruhe auf die Verwesung seines Koͤrpers hinab. O koͤnnt’ ich den raschen Juͤngling, koͤnnt’ ich Dich lieber Sohn nur einen Blick so in die Welt und ihren durch einander gezogenen ver- wirrten Wirbel hinein werfen lassen, wie ich jetzt alles sehe. Der Kuͤnstler wirft oft eine wunderbare Erleuchtung in unsre Seele, indem er laͤngst bekannte und oft gesehene Gegenstaͤnde in seinem Gemaͤhlde so ordnet und zusammen stellt, ein eignes Kolorit und seltsame Zufaͤllig- keiten hinzufuͤgt, daß seine Darstellung eine neue und wundersame Bedeutung erhaͤlt. Aber fuͤr meine Gefuͤhle und Ideen hat die gewoͤhnliche Sprache, das fuͤhl’ ich, gar keine Worte, ich muͤßte eine Art von Gedicht schreiben, um Dich etwas naͤher in meine Atmosphaͤre zu ziehn, so wie vielleicht alles recht Gute und Verstaͤndige immer ein Gedicht seyn muͤßte, weil das, was den Menschen ganz befriedigen soll, sein Gefuͤhl und seinen Verstand zugleich ausfuͤllen muß. Reine Saͤtze der Vernunft auf die gruͤndlichste Weise hintereinander gestellt, lassen die groͤßere Haͤlfte im Menschen leer, und noch Niemand ist auf diese Weise geaͤndert oder gebessert wor- den. Koͤnnt’ ich Dir doch, wie durch tausend Hohlspiegel, das Bild so zuwerfen, wie ich es vor mir sehe, o William, Du wuͤrdest es nicht der Muͤhe werth finden zu leben, alles das tief verachten, was die gewoͤhnlichen Menschen Froͤh- lichkeit lichkeit und Lebensgenuß nennen. Nichts macht mich ernsthafter, als ein lachendes Gesicht, als jene hohe Festtage im menschlichen Leben, wo man recht darauf sinnt, und sich zwingt, alles Gewoͤhnliche abzulegen; aber die alten Kleider veralten ebenfalls, und werden veraͤchtlich in ei- nen Winkel hingeworfen. Die Zeit rinnt Tropfen fuͤr Tropfen unmerklich und unaufhaltsam fort, und alles ist dann leer und voruͤber, in den Wind zerstreut und verflogen, daß der Mensch sich wie berauscht umsieht, und nicht begreifen kann, wo alles ihm unter den Haͤuden fortge- kommen ist, was er innig an sein Herz geheftet glaubte. — Ein Bauer hat heute hier in mei- nem Dorfe Hochzeit gemacht, der Zug ging vor meinem Hause voruͤber, und ich mußte ihnen aus dem Fenster Gluͤck wuͤnschen, ja die freude- trunkenen Menschen ließen mir nicht eher Ruhe, bis ich mich in ihre Wohnung tragen ließ, um an dem Getuͤmmel, an den Anstalten, die schon seit Wochen gemacht waren, und nun endlich, endlich gebraucht und verbraucht wurden, Theil zu nehmen. Fuͤr die beiden Neuvermaͤhlten war dieser Tag nun der wichtigste, seit die Welt steht; sie meynen, daß von diesem Tage ein Lovell. 2r Bd. P Abschnitt durch die Zeit in ganz Europa gehe, daß alles um ihre Hochzeit wisse, und jede Seele sie beneide: sie geben sich der stuͤrmenden Freude und dem lauten Lachen Preis, ach! und beden- ken nicht, daß sich alle Empfindungen, frohe und traurige, in uns, wie in einem Behaͤltnisse sammlen, daß dies Vermoͤgen ihrer Froͤhlichkeit in einigen Stunden verschwendet wird, und daß sie dann in einer nuͤchternen Leerheit darben, und froͤhliche Minuten erbetteln, die sie jetzt wegwer- fen. Wenn ihr bey der Feldarbeit schwitzt, und un- ter dem Joche der Duͤrftigkeit seufzt, ach so werdet ihr sehr bald den heutigen Tag verges- sen, eure Kinder werden euch nicht so entzuͤcken, als an dem Tage ihrer Geburt, wenn sich nach und nach die Leiden entwickeln, die ihr um ih- rentwillen duldet; die seidnen schoͤngeschuͤrzten Quaͤste auf eurem Bette werden alt und un- kenntlich, und den Kindern zum Spiele herun- tergerissen werden, die die Braut gestern mit so emsiger Zierlichkeit aufsteckte, die neugeweißte Stube wird von der Lampe und vom Feuer schwarz geraͤuchert, eure glatten Gesichter legen sich in Falten, Zwietrvcht und Zank, Krank- heit und Gram hemmen den Strom eures Le- bens, der euch jetzt so eben und glaͤnzend er- scheint. — Ach William, ich dachte an den frohen Tag zuruͤck, der mich mit Deiner Mut- ter verband; wie alles sich verwandelt hat, und nichts in mir dem Lovell aͤhnlich sieht, der ich an jenem Tage war. Und doch, William, wenn ich Dir nur die Anstalten zu Deiner Hochzeit haͤtte besorgen helfen, ach ich waͤre gewiß schwach genug gewesen, alles zu vergessen, und in der Einfalt des menschlichen Herzens zu glauben, die Natur schließe uns von ihren harten Ge- setzen aus, und alles werde so golden und freund- lich bleiben. — Und ist dies auf der andern Seite nicht vielleicht die hoͤchste Weisheit des Menschen? Muß ich nicht vielleicht alle Zirkel um mich her aus meinem Mittelpunkte ziehen? — Ich will immer anfangen einen Brief an Dich zu schreiben, und nehme die Feder und schreibe mancherley nieber , und vergesse Dich dabey. Dann faͤllst Du mir ploͤtzlich wieder ein, und der ganze Brief wird dann durch einen Zu- fall abgebrochen, und es ist mir unmoͤglich den Faden wieder zu finden. So habe ich schon ei- nige Blaͤtter vollgeschrieben, aber ich habe sie P 2 vergebens gesucht. — Wenn ich die Augen zu- mache, unterrede ich mich mit Dir und trage Dir allen Gram und alle Sorgen vor. Ich finde dabey nichts zu lachen, denn was thun unsre Briefe denn anders? Vielleicht daß sich in einem andern Leben die entfernten Gedanken schneller und edler zusammenfinden, als durch Sprache und todte Zeichen; vielleicht daß wir dann erst besitzen, was wir jetzt nur zum Lehn erhalten haben; vielleicht thut sich uns dann das Verstaͤndniß auf, daß alle, alle Menschen das Gute wollten und hatten, aber daß die grobe unbeholfene Außenseite nicht gelenk genug war; und so finde ich denn, William, daß Du mir auch jetzt nicht entfremdet bist. Der Ge- danke beruhigt mich, und macht mich heiter. — Keine Antwort von Dir! Kein Laut aus der fernen Gegend heruͤber! — Wie ich mich hinsehne, wie sich oft mein Geist in mir aus- streckt, als wenn er zu Dir hinuͤberreichen woll- te. Ich erinnre mich mancher Kindermaͤrchen, und kann Stundenlang an das Wuͤnschhuͤtchen denken, das einen ploͤtzlich von einem Orte zum andern versetzt; dann koͤnnt’ ich Dich sehn und an Deinen Hals fliegen. Aber es ist unrecht, daß Du mir nicht schreibst; wodurch hab’ ich das um Dich verdient? — Kannst Du noch immer jenes Briefes wegen auf Deinen Vater zuͤrnen? — Ich habe Dich schon um Verzei- hung gebeten, und will es noch einmal thun. — Mir sind die Schilderungen der Schlachten nicht fuͤrchterlich, die sonst so leicht unsre Phan- tasie erschrecken. Hier faͤllt ein Mann zur Rech- ten, dort zur Linken, streifende Kugeln quet- schen ganze Glieder nieder, Koͤpfe und blutbe- spruͤtzte Arme liegen umher, und der Soldat marschirt mit geradem Sinn den Gefahren ent- gegen, sieht nicht nach seinem Kameraden links, nicht nach seinem gefallenen Bruder zur Rech- ten, tritt auf den Leichnam, der vor ihm liegt. — Ich kann diesen Muth nicht bewundern, denn thun wir alle etwas anders im gewoͤhnlichen Leben? — Freunde sterben zur Rechten und zur Linken, und wir gehn dreist und grade fort, als wuͤrde uns der Tod niemals ereilen: wir erschrecken nicht vor dem Gifte, das diesen und jenen wohl von uns Gekannten hinrichtete. Wir haben nur unsre Plane und Entwuͤrfe im Auge, ach und bemerken es nicht, daß die Zeit hinter uns schleicht, und uns unvermerkt in Staub und Asche verwandelt. O wehe der menschlichen Eitelkeit! Wohl dem, der sich aus dem Stru- del rettet, der uns alle mit sich fortwaͤlzt! — Die hoͤchste einzige Weisheit des Menschen ist: nicht diesem elenden Goͤtzen zu opfern, dem, wie dem Molach , alle unsre Kinder in die gluͤhen- den Arme gelegt werden. — Ach William, es giebt kein einziges ernsthaftes Geschaͤfft in die- ser Zeitlichkeit, als zu sterben. Ach ja wohl koͤnnte der Mensch viel besser seyn, wenn er immer in sich den kurzen Raum des Lebens bedaͤchte. — Wie wuͤrden wir alles mit Liebe umfangen, wie warm jedem Gegen- stande, dem wir nahe sind, die Hand druͤcken, wenn wir immer bedaͤchten: ach, auch dieses Gebild zerfaͤllt in kurzem, und Du weißt dann nicht, wohin es gekommen ist; es sehnt sich nach Deiner Liebe, o gieb sie ihm, so lange Du es noch vor Dir siehst. — Mein Vater steht jetzt vor mir, und mahnt mich an allen Gram, den ich ihm so oft ohne Ursache machte, wie wenig ihm mein Herz in so manchen Stun- den entgegen kam. Auf seinem Sarge und jetzt hab’ ich es recht lebhaft gefuͤhlt, wie viel ich ihm haͤtte seyn koͤnnen. — Auch Du, William, wirst einst nach wir in den Wind seufzen, und meinen Grabhuͤgel fragen, ob ich Dir denn auch ganz und aus vollem Herzen vergeben habe; ja, ja, geliebter Sohn, laß keinen Seufzer der Reue dann in Deinem Busen aufsteigen; ach freylich habe ich in manchen Stunden sehr auf Dich ge- zuͤrnt, aber alles, alles ist jetzt fort, und mein Herz ist nur mit reiner Liebe angefuͤllt. Ich habe einen Blick hinab ins Thal des Todes gethan, und nun taumeln alle Wesen dieser Welt nuͤchtern und leer meinen Augen voruͤber. Alles sind nur Larven, die sich ein- ander selbst nicht kennen, wo einer dem andern voruͤbergeht, und ihm ein holes Wort giebt, das jener durch ein unverstaͤndliches Zeichen be- antwortet. — Wie wuͤst’ ist mir seitdem, und wie alles durch einander verworren! alles wie truͤbe und unkenntliche Schatten eines veralte- ten Gemaͤhldes. — Ich weiß mich kaum noch des gestrigen Tages zu erinnern, in der Zukunft wandelt mein Geist, wie einen Fremden betrach- te ich mich selbst, und wuͤnsche den Augenblick meines Todes. Nur Dich, William, vermiß ich noch, sonst nichts in der Welt, ich uͤbersehe mein Leben und alle meine Erfahrungen gleichsam in einem Register. Unsre heftigen Begierden, unsre Ent- zuͤckung und Verzweiflung entsteht nur daher, weil wir uns selbst und den kleinen Punkt un- sers Lebens, auf dem wir grade stehen, zu sehr vor Augen haben, uͤber unser kleines Ungluͤck denken wir nicht daran, daß in demselben Mo- mente viele Tausende unendlich elender sind, als wir, daß sich der Nachbar indessen freut, und in dieser Froͤlichkeit vielleicht schon unbe- merkt die Quelle kuͤnftiger Truͤbsale sprudelt. — Alles ist mir jetzt gleich, nur nach Dir sehnt sich noch mein schwaches, vaͤterliches Herz. — Du bist krank, mein Sohn, es leidet keinen Zweifel, sonst wuͤrdest Du schon vor mir stehen. — Mein Herz arbeitet schwer in mir, — nur unwillig thut es die letzten muͤhseligen Schlaͤge, der Tod hat es mit seiner kalten Hand beruͤhrt, und die Lebenskraft hinweggenommen, — das Licht des Tages flieht. — Lebe wohl. — 5. William Lovell an Eduard Burton . Rom . J a wohl verfliegt alles und geht hinweg, und ich bin der betruͤbte Zuschauer des Possenspiels. Mein Vater ist also todt, und Amalie verhey- rathet? — O moͤge es beyden gutgehen, das ist alles, was ich zu dieser Nachricht sagen kann. — Was ist es denn nun mehr? Ist es nicht so, und muß es nicht so seyn? — Der Tho- ren, die sich die Haare ausraufen, wenn ein Vorfall eintrifft, der nothwendig ist, und der in der Natur der Dinge gegruͤndet liegt! Tod koͤnnte nicht ohne Leben und Leben nicht ohne Tod seyn. — Mag es dahin gehn, was mir einst so werth und theuer war, denn was koͤn- nen wir in dieser Welt unsern Besitz nennen? O ihr Menschen mit euren gepriesenen Grund- saͤtzen! den Pfeilern, an denen ihr euch lehnt, und die sogenannten schwaͤcheren Menschen um euch her verachtet! — Was ist denn diese eure gepriesene Vernunft? Diese Seelenstaͤrke, mit der ihr euch bruͤstet? Alles ist nur Feigheit, weil ihr euch selbst und euren Gefuͤhlen nicht vertraut; oder vielmehr ihr habt kein Gefuͤhl, aller menschliche Instinkt ist in euch untergegan- gen, und ihr behelft euch nun mit elenden For- meln, die ihr muͤhsam erfunden habt, um eure Bloͤße zu deckeu ! Welcher Mensch ist denn der edlere — derje- nige, der stets nach dem Gefuͤhle handelt, das ihn grade in diesem Momente beseelt und er- greift, das ihn wie ein Gott im Busen vor- waͤrts treibt, und er nun geht, ohne mit feiger Aengstlichkeit hinter sich zu blicken? Oder der, der nur als ein Sklave nach einem Gesetze sucht, nach dem er handeln muͤsse, weil es ihm laͤstig faͤllt, frey zu seyn, und er also auch die Frey- heit nicht verdient? Der Mensch ist nur denn geadelt, wenn er aus stillen unbewußten Gefuͤh- len auf die Art gut ist, wie das Thier durch Instinkt, Nahrung und Gesundheit erwirbt, wie die Pflanze von innen herauswaͤchst, wider ih- ren Willen. — Die Grundsaͤtze werden von den Menschen nur erfunden, um in einer traͤgen Bequemlich- keit ihr Leben so vor sich hin zu treiben, und in jedem Moment das Ganze uͤbersehn zu koͤn- nen. Sie haben es in irgend einem Augenblicke ihres Daseyns recht lebendig gefuͤhlt, daß kein Gedanke und keine Vorstellung fest und uner- schuͤtterlich in uns stehen, daß eine stroͤmende Empfindung, die oft ploͤtzlich hereinbricht, das niederreißt und hinwegfuͤhrt, was oft seit Jah- ren muͤhsam aufgebaut wurde; darum haben sie etwas erfinden wollen, was die Gefuͤhle wie mit eisernen Klammern an einander haͤlt, sie haben die meisten Saiten der Laute zerrissen, um alle Toͤne im Gedaͤchtnisse zu behalten, und sich durch keinen Klang uͤberraschen und verwir- ren zu lassen. — Aber wohl dem Menschen, der diese duͤrre Bahn verlaͤßt, auf der er sich erniedrigt fuͤhlen muß, der sich vor keinem Ge- fuͤhl und Gedanken in sich selber entsetzt, der alle Seegel seines Geistes anspannt, und alle Flaggen im Winde fliegen laͤßt, ihm allein ist es vergoͤnnt, sich selber und seine geheimen Wunder in der Brust kennen zu lernen; er fin- det tansend Widerspruͤche in sich selber, alle Toͤne schlagen in ihm an, und er bildet aus allen eine reiche Harmonie, die freylich dem groͤberen Ohre unverstaͤndlich ist; er sammlet alle die Tausend der seltsamen Erfahrungen, um sich endlich uͤber sein eignes Wesen zu be- ruhigen. Ich habe mit Andacht die Blaͤtter von der Hand meines Vaters gelesen; seine Stimme toͤnt wie die Stimme eines unsichtbaren Geistes jenseit eines breiten Stromes zu mir heruͤber; er sagt in seiner Verklaͤrung mit andern Wor- ten eben das, was ich so eben behauptet habe. — O Du, der Du so sicher stehst, mit so vieler Eitelkeit Dich selbst und Deine Vollendung be- trachtest, bedenke, daß wir allgesammt nur schwache Sterbliche sind, und so wie Du glaubst, daß ich endlich noch zu Deiner Meinung uͤber- treten werde, so bin ich uͤberzeugt, daß Dich nur Dein Eigensinn hindert, meine Gedanken fuͤr richtiger zu halten, als Du bisher gethan hast. Ihr Edlen und Vollendeten! die ihr aus dem verklaͤrten Himmel mit Hohn auf die Welt hinunterseht, und doch so sehr den gefallenen Engeln aͤhnlich seyd! — Glaubst Du nicht, daß ich Deinen ganzen Brief verstanden habe, selbst die Stellen, von denen Du vielleicht glaubtest, ich wuͤrde den Sinn, der sie niederschrieb, nicht entdecken? — Warum hast Du mir keine Sylbe von dem verlohrnen Prozesse meines Vaters ge- schrieben? — Er ist verlohren, und mein Va- ter und Amalie sind mir auch verlohren! — Du konntest es aber nicht unterlassen, mir die Krankheit Deines Vaters zu melden, weil Dir die Hoffnung Deiner baldigen unumschraͤnkten Freyheit zu sehr im Sinne lag; eine heimliche Freude fuͤhrte bey dieser Stelle Deine Feder, das wirst Du mir nie ablaͤugnen koͤnnen, wenn Du aufrichtig bist. Um Dich aber vor Dir selbst zu rechtfertigen, gebieten Dir Deine Grund- saͤtze die Wartung des Kranken, die Liebe eines Sohnes fuͤr ihn, — o mehr kannst Du ja gar nicht thun, Du beweinst dann noch seinen Tod, — und welch ein vortrefflicher Mensch bist Du nicht bey alle dem! — O hinweg mit diesen Grundsaͤtzen, mit allen aͤhnlich klingendem Galimathias! — Larven, die den Eigennutz verbergen sollen, die der Duͤnkel erfunden hat, um sich zu verschoͤnern. O glaube mir, man kennt die Menschen, wenn man sich selbst kennt. — Und ich kann Dir auch diesen Eigennutz, diese heimliche Freude nicht veruͤbeln, nur hin ich ver- druͤßlich, daß Du alles so absichtlich zu verstecken suchst, und mit glaͤnzendem Firniß anzustreichen. Du ziehst Dich von mir zuruͤck, seit unsre Meinungen sich getrennt haben, und Deine Freundschaft fuͤr mich entstand vielleicht blos, weil ich Deine Eitelkeit naͤhrte. Ich schien ein so schoͤnes Echo von Dir zu werden, eine Kopie von Dir, die das Original nur um so mehr he- ben sollte, Deine ganze Liebe aͤußerte sich im Hofmeistern, und eben darum wurdest Du ei- fersuͤchtig, weil Du in dem irrigen Wahne stan- dest, ich spreche jetzt die Worte eines andern nach. — O welche Wuth hat die Menschen denn besessen, daß sie stets ihre Meinungen ver- breiten wollen! — Daß sie aus allen, mit de- nen sie umgehen, Spiegel zu schleifen suchen, in denen sich ihre eigne werthe Person praͤsen- tirt! — Wo ist denn hier die reine, gepriesene Liebe? O ihr Prahler, die ihr euch selber so augenscheinlich widersprecht! Ach, wenn ich den truͤben Strom meiner Erfahrungen hinuntergehe, und daran denke, aus wie seltsamen Vorfaͤllen sich so oft mein Leben zusammenfuͤgte! Wie gedemuͤthigt stehe ich dann an denselben Plaͤtzen, an denen ich mich ehemals so groß und edel fuͤhlte, blos weil ich mir selber meine innern Empfindungen ab- stritt. — Eitelkeit, sagt’ ich, verband uns viel- leicht, und ich moͤchte jetzt hinzusetzen, daß ich nicht mehr daran zweifle. Erinnerst Du Dich noch des Tages, an wel- chem zuerst aus einer langweiligen Bekanntschaft unsre sogeuannte Freundschaft entstand? — Wir waren auf einem Spatziergange, es war ein schoͤner Tag, und wir bestiegen den Berg, auf welchem schauerlich und wild die Ruinen eines alten Schlosses liegen. — Du klettertest mir mit jugendlichem Muthe voran, um mich in der Kuͤhnheit zu uͤbertreffen, und mein Wettei- fer vermehrte sich mit Deiner Geschicklichkeit. Wir standen oben, und sahen mit Entzuͤcken in die romantische Gegend hinab; ich hatte Dich bewundert, aber Dir war es noch nicht genug, Du stelltest Dich jetzt auf den aͤußersten Punkt eines hervorragenden, zerbroͤckelten Gesteins, so daß mir hinter Dir schwindelte. Ich sah Dich frey in der Luft schweben, und eine unbegreif- liche Lust ergriff mich, Dich von der Spitze des Felsen in die Tiefe hinunterzustoßen; je mehr ich mich dieser Begierde erwehren wollte, desto heftiger ward sie in mir; endlich um mich selbst zu uͤberwaͤltigen, riß ich Dich mit gewaltigen Armen Armen zuruͤck, und schloß Dich an meine Brust, und weinte laut; Du weintest mit, denn Du glaubtest, meine Thraͤnen waͤren nur Zeugen meiner Liebe, meiner Besorglichkeit fuͤr Dich; — und so band Dich ein bloßer, schrecklicher Irr- thum an mich. Haͤtte ich Dir mein Gefuͤhl ge- standen; so haͤttest Du mich mit Abscheu zu- ruͤckgestoßen, und einen verworfenen Menschen genannt: Du waͤrest von dem Augenblicke an mein Feind geworden. — Aber jetzt gesteh ich Dir dies Gefuͤhl, weil Du doch immer so stren- ge Wahrheit verlangst; wie sich dieser ganze Brief in dem verkleinernden Glase Deiner Seele abspiegeln wird, kann ich nicht berechnen. — Wer sich selbst etwas naͤher kennt, wird die Menschen fuͤr Ungeheuer halten. — Lebe wohl. — Lovell. 2r. Bd. Q 6. Mortimer an Eduard Burton . Roger — place in Hampshire . I ch vereinige meine mit Amaliens Bitten, um Sie zu bewegen, uns mit Ihrer Schwester hier auf einige Tage zu besuchen. Ich finde mich hier außerordentlich gluͤcklich und froh. — Ach, lieber Freund, folgen Sie meinem Beyspiele, verlieben Sie sich, und heirathen Sie dann, dies ist die schoͤnste Epoche, das fuͤhl’ ich jetzt innig, die der Mensch erleben kann. Mag man doch vom Genusse der Philosophie und von den wunderbaren Empfindungen, die uns das Stu- dium der schoͤnen Wissenschaften gewaͤhren soll, sprechen, was man will, es giebt immer Au- genblicke im Leben, in denen der Mensch die Leere fuͤhlt, die ihn dabey umgiebt, wie wenig alle seine Beschaͤfftigungen mit ihm selbst zusam- menhaͤngen. Aber wenn zwey Seelen mit ein- ander verbunden sind, und der eine den andern mit jedem Tage mehr versteht, und sich ihr Band immer fester schlingt, wenn man selbst neue Schwachheiten entdeckt, und dabey doch sieht, wie innig diese mit den Vortrefflichkeiten zusammenhaͤngen, — o so fuͤhlt man sich fest an diese Erde gekettet, auf der man vorher nur Gast und Fremdling war. Der Baum, der schon verdorren will, und den der Gaͤrtner nun ploͤtz- lich in andere fruchtbare Erde setzt, so daß sich seine Wurzeln mit neuer Kraft ausstrecken und durch den Boden schlagen, diesem Baume muß ohngefaͤhr so zu Muthe seyn, wie mir jetzt ge- gen ehedem in meinem freyen Stande war, als ich mich noch fuͤr nichts, als fuͤr mich selbst interessirte. Laͤcheln Sie immerhin uͤber mich, was thut es mir? Nennen Sie mich einen Schwaͤrmer, und ich will Ihnen danken. Zeigen Sie mir den Menschen, der im Grunde nicht schwaͤrmt, wenn er sich froh und gluͤcklich fuͤhlt. Ich weiß es selbst recht gut, daß, so wenig ich auch eigentlicher enthusiastischer Verliebter bin, ich doch selbst nach einigen Monathen noch etwas kaͤlter sprechen werde, als jetzt; aber wahr- lich blos darum, weil ich mich dann an mein Gluͤck schon etwas gewoͤhnt habe, nicht, weil ich es weniger innig fuͤhlen werde. — Ach, wir wol- Q 2 len lieber die ganze Untersuchung fahren lassen, so sehr der Mensch auch dahin neigt, alle seine Empfindungen zu zergliedern, ob sie es gleich nicht vertragen wollen. Daß die meisten Leute in einem bejammerns- wuͤrdigen Irrthume ihre Sinnlichkeit fuͤr hohe Liebe und fuͤr das Ebenbild der Gottheit hal- ten, ist gewiß, und hat mir selbst ehedem zu manchen witzigen Einfaͤllen Gelegenheit gegeben: aber die Zeit ist jetzt voruͤber, wo mir der hoͤ- here Mensch nicht denkbar war, der beide Em- pfindungen in eine verbindet, und eben dadurch beyde veredelt. Wenn der Mensch sich in kei- ner Stunde durch diese Verbindung gestoͤhrt fuͤhlt, dann glaub’ ich hat er seine schoͤnste Vol- lendung als Mann erhalten, er ist uͤber niedri- ger Wollust und uͤber schaaler, fein ausgespon- nener und langweiliger Zaͤrtlichkeit gleich weit erhaben. Mein Landsitz begruͤßte uns mit einem der schoͤnsten Tage, als wir hieher zogen, und das Wetter ist sich seitdem fast gleich geblieben. Ich lerne mich jetzt in die Reize des Landlebens und einer schoͤnen Einfoͤrmigkeit ein, die in der Ferne oft so langweilig aussieht, aber nur des- wegen, weil sie nicht wie eine Weyhnachtspy- ramide mit Freuden ausgeputzt ist, die ins Au- ge fallen; aber der stille, leise Genuß, der un- ser Herz ausfuͤllt, ohne daß es selbst der Ge- genstand unserer Liebe weiß, dies ist eigentlich die reinste Freude dieser Erde, durch keine Wor- te und durch kein Klapperwerk entweiht. Can- daules fuͤhlte sich gewiß nicht gluͤcklich, als er durchaus einen Zeugen seines Gluͤckes haben wollte: in den meisten Faͤllen ist eine solche stuͤr- mende Prunkgluͤckseligkeit nur Eitelkeit; wir sind nur gluͤcklich, damit uns andere beneiden sol- len. — Hinweg damit, und hinweg mit aller Deklamation daruͤber! — Kommen Sie und sehn Sie mich selbst und mein kleines Paradies um mich her; Neid, mehr zu besitzen, Widerstreben gegen eine Eingeschraͤnkt- heit, die uns doch so wohlthaͤtig und noͤthig ist, diese Laster sind es, die jeden Menschen aus seinem Paradiese vertreiben, das er sonst unge- stoͤrt genießen koͤnnte: ach, und wer einmal uͤber die gluͤckliche Graͤnze gekommen ist, dem stellt sich auch ein Engel mit einem feurigen Schwerdte entgegen, daß er nicht zuruͤck kann. Unsere vo- rige Seeligkeit sieht dann in der Ferne so duͤrf- tig aus, wie mit entblaͤtterten Baͤumen und verdorrten Gebuͤschen. — Leben Sie wohl, Sie sehn schon, daß ich zum Poeten gewor- den bin. 7. Amalie Wilmont an Emilie Burton . Roger — place . M ortimer schreibt nach Bonstreet, und ich will also einen Brief an Sie, liebste Freundin, mit einlegen. Ich bin hier außerordentlich froh und gesund, ich wuͤnsche, daß Sie uns hier be- suchten, und mit uns die frische Luft und an- genehme Gegend genoͤssen. Kommen Sie, so- bald Sie koͤnnen. — Ich bin in große Ver- suchung gekommen, Ihnen meinen hiesigen Auf- enthalt zu beschreiben, weil ich gern schwatze, wenn ich mich so recht gluͤcklich fuͤhle. — Sehn Sie, vor unserm Hause ist eine große Allee von schoͤnen Baͤumen, die weit hinunter gehn, bis sie sich in ein angenehmes Waͤldchen verlieren; unter den Baͤumen trinken wir des Morgens Thee, und gehn dann spazieren. Auf der andern Seite des Hauses hat man eine schoͤne weite Aussicht uͤber Wiesen und Ebenen, die alle so frisch, wie hingegossen da liegen: ich kenne schon alle Doͤrfer in der Naͤhe, und so weit mein Auge sieht, bin ich nun zu Hause. Bey unsrer Wohnung ist zugleich ein sehr schoͤ- ner Garten mit Teichen und niedlichen Bruͤcken, alles so huͤbsch hell und natuͤrlich, nicht mit Felsen vollgepackt, oder voll aͤngstlicher dunkler Alleen bergauf und ab, die einen nur ermuͤden und aͤngstigen, und aus denen man sich oft gar nicht wieder herausfinden kann; nein, dieser Garten sieht recht aus wie das Leben eines gluͤck- lichen Menschen; dunkle Alleen mit hohen Baͤu- men, die sich oben wie das Dach einer Kirche woͤlben, die wie seine ernsten schoͤnen Tage da- stehu, in denen er sich und die Zukunft jenseits des Grabes denkt; Blumenstuͤcke, in denen sich immer die Winde jagen, und blaue und rothe Schmetterlinge mit ihren breiten Fluͤgeln sich herumtreiben, das Bild seiner launigen Stun- den, in denen ohne Zusammenhang Eine frohe Empfindung die andre draͤngt; kleine Gebuͤsche, die zerstreut wie die heitern Tage umher stehen, wo man sich schon im voraus auf einen andern freut, der so nahe ist, daß man ihn und viele andre bequem mit den Augen abreichen kann. Und denn die Menschen hier! — Ich gehe Sonntags mit großer Andacht in die Kirche, was ich in der dumpfen Stadt niemals konnte. Dort war mir immer, als wenn ich von Einem Gefaͤngnisse in das andre ginge. — Aber hier ist alles, selbst die Art, wie man zu Gott be- tet und ihm dankt, weit natuͤrlicher; man kann sich hier die alten Erzaͤhlungen von der großen Froͤmmigkeit, von der hohen Liebe der Men- schen zu Gott und unter einander recht lebhaft denken. — O liebe Freundinn! ich fuͤhle, daß ich hier nach und nach weit besser werde, als ich sonst war, ich lerne die Menschen mehr ken- nen, und liebe sie mehr, ich bin nicht so eitel auf mich, wie wohl sonst in manchen Stunden, weil man sich gar zu leicht von seinen Bekann- tinnen drehen und verdrehen laͤßt, aber ich ach- te mich hier in der freyen Natur mehr, und bin, wenn ich so sagen darf, manchmal ordent- lich wie stolz auf mich. — Ich sollte meynen, der gluͤckliche Mensch muͤßte sich immer so fuͤh- len. — In den ersten Tagen war mir alles hier so einsam, von Eltern und vom Bruder entfernt, alles kam mir, wie eine Wildniß vor. — Mortimer, der viel gereist ist, und sich nicht mehr erinnern kann, wie lieb man das Haus hat, wo man gebohren ist, laͤchelte uͤber mich, und dies truͤbselige Gefuͤhl verlohr sich auch sehr bald. Was mich am meisten froh macht, ist, daß ich nun doch oft Gelegenheit habe, manchen Armen zu troͤsten, und auf Tage gluͤcklich zu machen. — Ach, wie viel hab’ ich oft in Lon- don gelitten, wenn ich aus dem Fenster, aus dem warmen Zimmer das Elend der Menschen sah, und gern helfen wollte und nicht konnte. Ich verschenkte oft alles, was ich hatte, und schaͤmte mich innerlich, wenn ich berechnete, wie viel mir mein unnuͤtzer Putz, Tapeten, Spitzen und dergleichen Kindereyen kosteten, die ich noch alle haͤtte entbehren koͤnnen. Ich wein- te oft, wenn ich nichts mehr wegzugeben hatte, und gelobte kindisch, wie viel ich einst thun wollte, wenn ich einmal durch einen Zufall reicher wuͤrde. — Jetzt sind mir die Gemaͤhlde des Jammers aus den Augen geruͤckt, und ich bilde mir ein, daß ploͤtzlich alle getroͤstet sind, und im Ueberflusse leben, weil ich sie nicht mehr vor mir sehe. Hier hab’ ich freyere Hand, weil ich mehr dazu anwenden darf, und weniger Ge- genstaͤnde meines Mitleids finde. Es ist das schoͤnste Gefuͤhl, einen Armen wieder auf einen Tag beruhigt zu haben, der wie eine lange Wuͤste vor ihm lag, durch die er noch wandern muͤste . Die Maͤnner sind doch seltsame Wesen! Mein Mortimer gehoͤrt nicht zu den haͤrtesten, und doch scheint er in manchen Stunden fuͤr die kleinern Empfindungen ganz gefuͤhllos. Ich hatte neulich einen ordentlichen Streit mit ihm. Schon seit einigen Wochen trieb sich hier eine arme Franzoͤsinn herum, sie schien aus einem guten buͤrgerlichen Hause, und erzaͤhlte viel von ihren Eltern, die ihr fruͤh in der Jugend ge- storben waren, und von mancherley Ungluͤcksfaͤl- len, die sie seitdem erduldet hatte. Ich will gerne glauben, daß manches davon erdichtet war; aber verdient ein Ungluͤcklicher darum we- niger unser Mitleid, weil er es nicht jedem Fremden vertrauen will, durch welche Schwaͤ- chen er so ungluͤcklich ward? Ich dachte mich in die Lage der Frau hinein, und wollte sie in meine Dienste nehmen, aber Mortimer setzte sich dagegen, und zwar aus keinem bessern Grun- de, als weil sie ausgezeichnet haͤßlich und dabey einaͤugig sey, er sagte, daß er einem solchen Wesen nie trauen koͤnne. — Bedenken Sie, liebe Emilie, blos weil sie haͤßlich war! — Aber ich gab mich nicht eher zufrieden, bis mein klei- ner Eigensinn die Oberhand behalten hatte; und so ist jetzt die Duͤpuͤis, oder Charlotte, wie wir sie auch nennen, Aufwaͤrterinn in meinem Hau- se. — Wollten wir alle Physiognomien, die uns nicht anziehen, als fremde, widerwaͤrtige Wesen betrachten, wie oft wuͤrden wir da un- gerecht seyn! — Aber ich muß aufhoͤren zu schwatzen; leben Sie wohl, theure Freundinn. — 8. Eduard Burton an Mortimer . Bonstreet . I ch beneide Ihnen Ihr ruhiges, anspruchloses Gluͤck, und wuͤnschte, ich koͤnnte ein Zeuge da- von seyn, aber die Krankheit meines Vaters, die mit jedem Tage bedenklicher wird, vernich- tet alle aͤhnliche Pla ͤ ne und Entwuͤrfe. Sein muͤrrisches Wesen, mit seiner Schwachheit ver- bunden, der Groll, den er auf die ganze Welt geworfen hat, verderben mir alle Laune; indes- sen trag’ ich diese Schwaͤchen des Alters gern, und sehe alles nur als eine nothwendige Aeuße- rung seiner Krankheit an. — Aber dann hat mir noch ein Brief von Lovell so alle Munter- keit, alle Energie des Herzens genommen, daß ich mich recht innig bedraͤngt fuͤhle, von tau- send Empfindungen angefallen, die ich bisher gar nicht kannte. Ich bemerke jetzt zuerst einen ungeheuren Irrthum, der mich durch mein gan- zes Leben begleitet hat, der jetzt zum erstenmale in seiner ganzen Graͤßlichkeit auf mich zutritt; ich fuͤhle es, daß ich bisher einsam gelebt habe, und meinen Schatten fuͤr meinen Freund hielt, und ihn liebte; sind wir denn alle nicht vor die- ser Selbsttaͤuschung gesichert, daß wir unsere Empfindungen in andre uͤbertragen, und so uns nur selbst aus ihnen herauslesen? — Ich lege Ihnen Lovells Brief bey; bis jetzt konnte ich mir ihn bey jedem Briefe recht lebhaft vorstel- len, ich sah im Geiste alle den jugendlichen Leichtsinn, gepaart mit der Reue und einer in- nern Langeweile, wie er dann von neuem noch lauter in seine Harfe schlug, und mir noch poe- tischer schrieb, um sich selbst zu betaͤuben; ich sah jede Mine und Geberde, und nahm darum nicht alles ganz so ernsthaft, wie es auf dem Papiere stand. Aber ploͤtzlich ist mir Lovell ganz fremd geworden, er hat gleichsam die ganze Lar- ve abgenommen, und erscheint nun in seiner na- tuͤrlichen Gestalt: dieser Menschenhaß, diese Ver- achtung seiner Selbst, die nur aus Bewnßtseyn der Verworfenheit entstehen kann, dies Gestaͤnd- niß — o sagen Sie, wuͤrden Sie fuͤr einen sol- chen Menschen je einen freundschaftlichen Zug empfinden koͤnnen? Diesen Brief kann ich unmoͤglich beantworten, denn ich wuͤrde keine Worte finden koͤnnen; und wozu auch die Ant- wort, da ich es innig fuͤhle, daß er mich ganz und auf ewig von Eduard getrennt hat? Eine Frau, die ihren Mann geliebt hat, kann den Scheidebrief nicht mit einer tieferen Ruͤhrung betrachten, als mit der ich diesen Brief an- sehe. — Oder, sagen Sie, Mortimer, sollte es moͤglich seyn, daß dies nur ein Gemaͤhlde des Menschen sey, und daß jeder nur die Seiten zeige, die der Zufall bey ihm herausgetrieben hat? — Aber nein, es ist nicht moͤglich, koͤnnt’ ich mich davon uͤberzeugen, o so wuͤrd’ ich mich still und beschaͤmt niedersetzen, und heiße Thraͤ- nen daruͤber vergießen, daß ich ein Mensch bin, und dann sterben. Aber nein, es ist nicht moͤg- lich, kein aͤhnliches Gefuͤhl hat sich je in mir geregt, nein, die Menschen sind besser, denn ich bin besser, und welche Anmaßung, daß ich eine Ausnahme vom Geschlechte seyn sollte? — Und doch will immer noch die Liebe gegen Lo- vell wieder zu mir zuruͤck! — Ich bin voller Schmerzen und Unruhe; leben Sie recht wohl; den besten Gruß an Ihre Gattinn. 9. William Lovell an Rosa . Rom . S ie haben Recht, Rosa, daß uns das Unge- woͤhnliche und Seltsame sehr oft naͤher liegt, als wir gemeiniglich glauben, ja, daß es oft mit dem Gewoͤhnlichen ganz dasselbe ist, nur daß es sich hier in einer andern Beziehung zeigt, als dort. Ich habe so eben den Brief Balders vor mir, und ver- gleiche ihn mit einigen Ideen meines Vaters, die er kurz vor seinem Tode niederschrieb, und ich finde, daß beide dasselbe nur mit andern Worten sagen, daß ich alles selbst schon außerordentlich oft gedacht, nur niemals ausgedruͤckt habe. Die verschiedenartigsten Meinungen der Menschen, zwischen denen ungeheure Kluͤfte befestigt schei- nen, vereinigen sich wieder im Gefuͤhle, die Worte, die aͤußern Kleider der Seele, sind es nur, die sie verschieden erscheinen lassen. Unsre kuͤhnsten Gedauken , unsre frechsten Zweifel, die alles vertilgen, und gleichsam durch eine unge- heure Leere streifen, durch ein Land, das sie selbst entvoͤlkert haben, beugen sich wieder unter einem einem Gefuͤhle, das die verlaßne Wuͤste wieder anbaut. Die verschiedenen Gedankensysteme der Menschen sind nur zufaͤllige Kunstwerke, die je- der sich so oder so aufbaut, und mit diesen oder jenen Zierrathen aufputzt, je nachdem es ihm gutduͤnkt. So wie dieser die Tragoͤdie, jener die Komoͤdie liebt, ein andrer das lyrische, ein andrer das didaktische Gedicht; so macht sich der eine die stoische, der andre die akademische oder epikurische Philosophie zu eigen; aber alles sind nur die Außenwerke des Menschen, das Gefuͤhl ist er selbst, das Gefuͤhl ist die Seele, der Geist, die Philosophie der Buchstabe die- ses Geistes; todte Zeichenschrift, wenn der Mensch sich nicht am Ende uͤber alle Philoso- phie und Systeme, selbst uͤber das System der Systemlosigkeit erhebt. Dieses Gefuͤhl stoͤßt so Zweifel als Gewißheit um, es sucht und bedarf keiner Worte, sondern befriedigt sich in sich selbst, und der Mensch, der auf diesen Punkt gekom- men ist, kehrt zu irgend einem Glauben zuruͤck, denn Glaube und Gefuͤhl ist eins: so wird selbst der wildeste Freygeist am Ende religioͤs, ja er kann selbst das werden, was die Menschen ge- woͤhnlich einen Schwaͤrmer nennen, und wobey Lovell. 2r Bd. R sich die meisten, die das Wort aussprechen, nichts denken. Irgend ein Glaube draͤngt sich der Seele auf, bey allen Menschen ein und eben derselbe, nur erscheint er verschieden, weil ihn die grobe, unbeholfene Sprache entstellt. — Und wenn es kein Gefuͤhl in uns geben kann, das uns nicht auf Wirklichkeit hinweist, das nicht mit dem wirklichen Dinge gleichsam kor- respondirt, so laͤßt sich aus dem Hange zum Wunderbaren gewiß weit mehr folgern, als man bißher gethan hat. Das Bewußtseyn unsrer Seele und der tiefe innige Wunsch nach Un- sterblichkeit, das Gefuͤhl, das uns in ferne un- bekannte Regionen hinuͤber draͤngt, so daß wir uns eine Nichtexistenz gar nicht denken koͤnnen, diese Gefuͤhle sprechen am lautesten und innig- sten fuͤr das Daseyn der Seele, so wie fuͤr ihre Fortdauer. — Aber wenn ich nun diesen uͤber- zeugendsten von allen Beweisen auch auf die Existenz der Gespenster, auf das Daseyn von ungeheuren Wundern und Schrecklichkeiten an- wenden wollte? Und lasse ich ihn hier fallen, so faͤllt er dort von selbst. — Und was nennen wir denn Wunder ? Die Menschen bezeichnen damit blos das Ungewoͤhnliche, nicht das an sich Wunderbare, denn in manchen Stunden koͤnnt’ ich mich vor einem Baume, einem Thie- re, ja vor mir selbst innerlich entsetzen. — Wer sind die fremden Gestalten, die mich umgeben und so bekannt mit mir thun? Mein Auge hat sich von meiner Kindheit an sie gewoͤhnt, und mein Sinn sich vertraulich an ihre Formen ge- schmiegt; aber wenn ich diese Bekanntschaft auf- hebe, und sie mir als neu und zum erstenmale ge- funden vorstelle? — O und wer bin ich selbst? — Wer ist das Wesen, das aus mir heraus spricht? Wer das Unbegreifliche, das die Glieder mei- nes Koͤrpers regiert? Oft kommt mir mein Arm, wie der eines Fremden entgegen; ich erschrak neulich heftig, als ich uͤber eine Sache denken wollte, und ploͤtzlich meine kalte Hand an mei- ner heißen Stirn fuͤhlte. — Ich erinnre mich aus meiner Kindheit, daß uns die weite Natur mit ihren Bergen in der Ferne, mit dem ho- hen gewoͤlbten blauen Himmel, mit den tausend belebten Gegenstaͤnden wie mit einem gewalti- gen Entsetzen ergreifen kann; dann streift der Geist der Natur unserm Geiste voruͤber, und ruͤhrt ihn mit seltsamen Gefuͤhlen an, die wan- kenden Baͤume sprechen in verstaͤndlichen Toͤnen R 2 zu uns, und es ist, als wollte sich das ganze Gemaͤhlde ploͤtzlich zusammen rollen, und das Wesen unverkleidet hervortreten und sich zeigen, das unter der Masse liegt und sie belebt; wir wagen es nicht den großen Moment abzuwarten, sondern entfliehn, ohne hinter uns zu sehen, und halten uns an einer von den tausend Kin- dereyen fest, die uns in den gewoͤhnlichen Stun- den interessiren. — Oft ist mir jetzt, als woll- te das Gewand der Gegenstaͤnde entfliehen wie von einem Sturmwinde ergriffen und ohnmaͤch- tig faͤllt mein Geist zu Boden, und die Gewoͤhn- lichkeit kehrt an ihre Stelle zuruͤck. In uns selber sind wir gefangen und mit Ketten zuruͤck- gehalten; der Tod zerreißt vielleicht die Fesseln, und die Seele des Menschen wird gebohren. — Aber sagen Sie mir, Rosa, warum mir sonst diese Gedanken fern blieben, ob sie gleich in mir lagen? Warum ich Balders Worte da- mals nicht verstand, ob sie ihm gleich im Stil- len mein Geist nachsprach, so wie er sie schon lange vor ihm so gesprochen hatte? Warum sind wir uns selbst oft so fremd, und das Naͤchste in uns so fern? Wir sehn oft in uns hinein, wie durch ein kuͤnstlich verkleinerndes Glas, das die Hand, die ich mir vorhalte, tausendma l kleiner macht, und wie auf hundert Fuß von mir entruͤckt. — 10. Rosa an William Lovell . Rom . I ch kann Ihre Frage nicht so beantworten, lieber Freund, daß Sie mit meiner Antwort zufrieden seyn werden. Die Gedanken und Em- pfindungen drehen sich im Menschen wie zwey Zirkel herum, die sich in Einem Punkte beruͤh- ren, an diesem wissen wir nicht zu unterschei- den, was Idee und Gefuͤhl ist, und wir halten uns dann fuͤr vollendet. Die Zirkel drehn sich weiter, und wir glauben uns dann wieder ver- staͤndiger, weil wir beydes zu sondern wissen. Der Mensch ist sich selbst so raͤthselhaft, daß er entweder gar nicht uͤber sich nachdenken, oder aus diesem Nachdenken sein Hauptstudium ma- chen muß: wer in der Mitte stehen bleibt, fuͤhlt sich unbefriedigt und ungluͤcklich. — Ich sinne oft dem Gange meiner Ideen nach, und ver- wickele mich nur um so tiefer in diese Labyrin- the, je mehr ich nachsinne. So viel ist gewiß, daß wir gewoͤhnlich viel zu sehr den gegenwaͤr- tigen Moment vor Augen haben, und daruͤber unser ganzes voriges Leben außer Acht lassen; die gegenwaͤrtige Empfindung verschlingt alle fruͤheren, und die jetzige Idee macht, daß uns alle vorhergehenden nicht mehr als Ideen, son- dern als kindische ungeschickt entworfene Skitzen erscheinen. Daher laͤugnen wir uns so oft un- sre innerste Ueberzeugung ab; und so wie der Moͤrder den noch halbbelebten Leichnam aͤngst- lich mit Erde bedeckt, so verscharren wir muth- willig Empfindungen, die sich in uns zum Be- wustseyn empor arbeiten wollen. — O, wenn wir doch Teleskope erfinden koͤnnten, um in das tiefe Firmament unsrer Seele zu schauen, die Milchstraße der Ahndungen zu beobachten, die nie unserm eigentlichen Geiste naͤher ruͤcken, sondern wie Nebelflor die Sonne in uns ver- dunkeln, ohne daß man sagen kann: jetzt ge- schieht es! Die Traͤume sind vielleicht unsre hoͤchste Phi- losophie, die Schluͤsse der Schwaͤrmer sind fuͤr uns deswegen vielleicht unverstaͤndlich und luͤcken- voll, weil wir es nicht begreifen, wie in ihnen Vernunft und Gefuͤhl vereinigt ist. So koͤmmt mir das jetzt ehrwuͤrdig vor, was ich noch vor einem halben Jahre belachte, und ich moͤchte jetzt manchmal uͤber das laͤcheln, was mir da- mals so wichtig erschien. — Es ist nichts in uns Festes, lieber William, mit unsrer veraͤn- derten Nahrung werden wir andere Menschen; je nachdem unser Blut schnell oder langsam fließt, sind wir ernsthaft oder lustig; sollten alle diese Erscheinungen von gar keinem Gesetze in oder außer uns abhaͤngen, wie wenig Werth haͤtten dann die jedesmaligen Resultate! — Doch oft scheint das aͤußerlich Zufall, was eine lange berechnete innerliche Nothwendigkeit war; und so gleicht der Mensch vielleicht den Trauerspie- len ihres Shackspear, wo, wie Sie mir selber oft gesagt haben, der Schluß so oft von einem ploͤtzlich eintretenden Vorfalle abzuhaͤngen scheint, da er doch schon in den ersten Versen des Stuͤcks, in allen Kombinationen gegruͤndet liegt, und daher nothwendig war. Wir uͤbersehn immer nur die Stelle unsers Lebens, auf der wir stehn, und alle unsre Ge- danken, Empfindungen und Handlungen sind nur auf dieser Stelle einheimisch, jeder steht anders, alle Gesinnungen brechen sich in verschiedenen Richtungen, und laufen nur fuͤr den gerade aus, in dem sie sind; daher wollen wir, wenn wir nichts anders seyn koͤnnen, nachsichtig seyn, und nicht den Nachbar beurtheilen und tadeln, der uns von unserm Standpunkte vielleicht in einer seltsamen Verkuͤrzung erscheint. — 11. William Lovell an Rosa . Rom . E s muͤßte nichts schoͤner seyn, als sich selbst recht genau kennen zu lernen, und, lieber Frennd , wenn man sich recht fleißig beobachtet, warum sollte es der Mensch nicht auch hierin zu einer gewissen mechanischen Fertigkeit bringen koͤnnen, wie in so manchen andern Sachen, die uns doch so durchaus geistig vorkommen? so daß wir am Ende eine Festigkeit des Blickes erhal- ten, der die ungewissen, flatternden Gestalten fest und stehend werden laͤßt. Mir sind wenig- stens seit einiger Zeit tausend Sachen aus den fernsten Jahren, aus den verworrensten Gemuͤths- stimmungen eingefallen, an die ich bisher ent- weder gar nicht dachte, oder sie mir doch nicht so deutlich aus einander setzen konnte. Man steigt vielleicht immer hoͤher, alles erscheint dann immer mehr als Zufaͤlligkeit, was wir jetzt als unser Wesen betrachten, bis wir uns unserm eigentlichen Selbst immer mehr naͤhern, je mehr wir unser jetziges Selbst aus den Augen ver- liehren. — Wenn ich manchmal in der Abend- daͤmmerung sitze und uͤber mich sinne, da ist es manchmal, als schwingt sich mir etwas im Her- zen empor, ein Gefuͤhl, das mich uͤberrascht und erschreckt und dabey doch so still und see- lig befriedigt: ich greife dann mit dem Gedaͤcht- niß, wie mit einer Hand darnach, um es mir selber aufzubewahren. Aber sonderbar, Rosa, es ist in mir , und verschwindet mir dann doch gaͤnzlich wieder, so daß ich seiner nicht habhaft werden kann. Alle meine Gedanken stehn mir zu Gebot, alle meine Erinnerungen und An- schauungen; aber dies ist ein Gefuͤhl, das fei- ner und geistiger ist, als alles uͤbrige; aber was ist es und woher koͤmmt es und wohin geht es, wenn es nicht mehr in mir bleibt? — Sollten diese Zustaͤnde vielleicht eben so in uns seyn, wie das Sonnenlicht in einer glaͤsernen Flasche, das koͤmmt und geht, so wie die Wolken ziehn; sie kann nichts dazu thun, und bildet sich doch vielleicht ein, alles waͤren nur Erleuchtungen, die sie willkuͤhrlich in sich selbst hervorbraͤchte. Wie mag es uͤberhaupt wohl um unsre Will- kuͤhr stehn? Wer weiß, was es ist, was uns regelt und regiert, welcher Geist, der außer uns wohnt, und nur allmaͤchtig und unwiderstehlich in uns hineingreift. Aus meinen Kinderjahren fallen mir manche Tage ein, wo ich unaufhoͤr- lich etwas Graͤuliches und Entsetzliches denken mußte, wo ich statt meinem stillen Gebete Gott mit den graͤßlichsten Fluͤchen laͤsterte und daruͤber weinte, und es doch nicht unterlassen konnte, wo es mich unwiderstehlich draͤngte, meine Ge- spielen zu ermorden, und ich mich oft schlafen legte, blos um es nicht zu thun, — nun Rosa, damals war ich gewiß unschuldig und unverdor- ben, und doch war diese Entsetzlichkeit in mir einheimisch, — was war es denn nun, das mich trieb, und mit graͤßlicher Hand in mei- nem Herzen wuͤhlte? — Mein Wille und mei- ne Empflndung straͤubten sich dagegen, und doch gewaͤhrte mir dieser Zustand wieder innige Wollust. — O wir sollten uͤberhaupt zu unsern Kinder- jahren in die Schule gehn, und das lernen, was wir so gern verlernen, und es dann mit nichtiger Eitelkeit die Ausbildung unserer Seele nennen. Es ist, als wenn noch ein fluͤchtiger Schein einer fruͤheren Existenz in die zarten Kinderjahre hineinspiegelte, wie der Widerschein eines Glanzes, bedeutend und doch raͤthselhaft; wie Toͤne klingt es heruͤber, durch die der Wind faͤhrt, die einzeln schallen, und in denen man doch Zusammenhang wahrnimmt. Als Kind traͤumt’ ich einst, die ganze Welt ginge unter, und aus allen den ungeheuren Mas- sen schmolzen einzelne Toͤne heraus, die sich nun durch den leeren Raum spielend bewegten und um einander gaukelten, und sich verschlan- gen und bunt durch einander wuͤhlten. Bald versank der helle Ton in den tiefern, und denn erklang ein wunderbares Gemisch; bald spaltete sich ein dumpfer tiefer Klang, wie ein Farben- strahl in viele helle Streifen, die wie Sonnen- strahlen hochklingend ausfuhren, und wieder in den muͤtterlichen Ton zuruͤckfielen. Ich hoͤrte das wunderbarste Konzert, das mich in der un- geheuren Leere mit Schwindel erfuͤllte, so daß ich bald nichts mehr hoͤrte, und in einen tiefen bewußtlosen Schlaf versank. Ich weiß, daß dies fuͤr die meisten Men- schen Unsinn ist, aber vielleicht ließe sich in die- ser Ahndung der Wahrheit (denn das sind ge- wiß immer diese Spiele der Phantasie) ein sehr tiefer Sinn erforschen, wenn meine Beobach- tung eben so fein waͤre, als der Sinn, der diese Erscheinung hervorbrachte, wenn ich nicht von den Armen des Irdischen zu fest gehalten wuͤr- de, und sich immer wieder neue Bilder zwischen mein Auge und den beobachteten Gegenstand schoͤben: kurz, wenn ich mich in einer eben so gluͤcklichen Himmelsverklaͤrung, in einem aͤhn- lichen Traume kommentiren koͤnnte. 12. Karl Willmont an Emilie Burton . Roger—place . E rschrecken Sie nicht, ums Himmels willen nicht, theuerste Freundinn, wenn Sie diesen Brief eroͤffnen und die Unterschrift gewahr wer- den; lesen Sie ihn lieber zu Ende, und thun Sie, als wuͤßten Sie nicht von wem er kaͤme; o erstaunen Sie wenigstens so sehr, daß Sie in Gedanken immer weiter lesen, und sich nur beym Schlusse von Ihrer Verwunderung erho- len koͤnnen. Hoͤren Sie mich wider Ihren Wil- len, so wie ich wider meinen Willen unaufhoͤr- lich an Sie denken muß. — Und doch, — was werde ich Ihnen nun sagen? — Meine Feder und mein Kopf stockt; ich hatte keine Ruhe, ich wurde hin- und hergetrieben, und eine unbekannte Gewalt mahnte mich, an Sie zu schreiben, — nun gut, und hier sitze ich, und weiß wahrhaftig nicht eine Sylbe, nach- dem ich den Anfang niedergeschrieben habe. — Meine Gedanken wandern von Osten nach Westen und von Suͤden nach Norden, und gehn nach allen Richtungen, und kommen aus allen Richtungen, wie die Ameisen in den Stock meines Kopfes zuruͤck, und alle schleppen so schwer und muͤhsam, ich denke wunder welche neue Systeme und Erfindung, welche unendliche Rechnungen und Aufloͤsungen von algebraischen Raͤthseln sie mit sich fuͤhren, die Entdeckung vielleicht, die Meereslaͤnge zu messen, oder den Luftball zu dirigiren, — und wenn ich sie nun am Eingange mustere, so schleppt sich dieser mit ihrem Bilde, dieser mit einer lahmen Son- nette, jener mit einem kuͤnstlichen Seufzer, die- ser mit einer Anekdote, die Sie irgend einmal erzaͤhlt haben, — ach, und koͤnnen Sie mir et- was schoͤners bringen? Ich lege alles auf den Winter und die theure Zeit hin, und denke mich in der Einsamkeit daran zu erquicken. Ach, eine bittersuͤße Erquickung! Ich moͤchte manchmal alle Leute, die das Ungluͤck und unsre verdammten Verhaͤltnisse er- funden haben, zum Henker wuͤnschen! Muͤssen wir denn in dieser oͤden lumpigen Welt noch so thun, als wenn wir wunder wie viel gewonnen haͤtten, wenn man uns die schwarzen Brand- stellen zeigt, an denen vorher so herrliche Baͤume standen? standen? Es ist jetzt in der ganzen Welt ein ungluͤckliches Jahr, ein Mißwachs an Gluͤck, das Unkraut, das zwar auch Bluͤthen hat, hat den Weitzen verdraͤngt, — und keiner von den Arbeitern will es merken, und wenn einer hie und da uͤber die herrliche Erndte die Achseln zuckt, so wird er noch obenein fuͤr einen Feld- dieb erklaͤrt, und mit Hunden gehetzt und mit Verwuͤnschungen verfolgt. Ich reiste von London hieher, um ruhiger zu werden, und ich bin nun unzufriedener, als je. O Emilie, yerzeihen Sie den rauhen Ton meines Briefes, verzeihen Sie den ganzen Brief, ach verzeihen Sie mir, daß ich so un- beschreiblich an Ihnen hange. — Wir sprechen taͤglich von Ihnen und von Ihrem lieben Bruder, wir ersetzen uns durch haͤufige Erzaͤhlungen von Ihnen Ihre Gegen- wart, so gut wir es koͤnnen: aber ich denke leider nur desto oͤfter an Sie, je mehr von Ih- nen gesprochen wird, um so mehr fuͤhl’ ich Ihre Entfernung. — Wir pflanzen und saͤen im Garten, und ha- ben alle eine gluͤckliche Hand. Meine Schwe- ster wird hier ganz zur Baͤuerinn, und lebt in Lovell. 2r Bd. S ihren Stauden und Blumen, und pflegt jeder mit einer muͤtterlichen Sorgfalt; ich suche in- deß von einem Ende des Gartens zum andern, im Felde und im berachbarten Walde ein Et- was, das ich selbst nicht kenne; ich strebe Sie zu vergessen, und mich Ihrer recht lebhaft zu erinnern. — Neulich saͤeten wir alle Kresse, und recht zierlich die Nahmen unsrer ganzen Fami- lie; ich saͤete ein E, und gab vor, es sey Ihr Bruder Eduard, Ihnen aber will ich gestehn, daß es Emilie war, und sehn Sie meine Freu- de: mein E steckte zuerst seine kleinen gruͤnen Koͤpfchen aus der lockern Erde hervor, und sah sich nach mir um, und nun steht es in voller frischer Gruͤne, schoͤn geschlungen und sanft; ich werde schon sorgen, daß es nicht abgeschnitten werde, sondern mir einbilden, die kleinen Stau- den lernen Ihren Nahmen saͤuseln, wenn sie groͤßer werden. — Wie kindisch Ihnen mein ganzer Brief vor- kommen mag! Ich schaͤme mich, denn es ist gewiß der schlechteste, den ich in meinem Leben geschrieben habr , und daß der nun gerade in Ihre Haͤnde gerathen muß! Es wird Abend, und mein Truͤbsinn nimmt zu, je mehr die Sonne hinuntergeht; o noch eine Bitte, theuerste Freundinn, wenn Sie die- seu Brief zu Ende gelesen haben, so wuͤrdigen Sie mich einer kleinen Antwort, wenn es auch nur einige Worte sind, die Sie meiner Schwe- ster einlegen, damit ich doch so stolz seyn kann, daß ich etwas von Ihrer Hand besitze, das ein- zig und allein an mich gerichtet ist. Ich siegle schnell, und schicke den Brief fort, damit ich mich nicht von neuem schaͤme. S 2 13. Emilie Burton an Karl Willmont . Bonstreet . I ch fuͤhle es zwar recht gut, daß ich nicht schreiben sollte, allein es ist derselbe Fall, wie mit Ihnen, ich thu’ es wider meinen Willen. Lieber, seltsamer Freund, warum machen Sie sich muthwillig Ihr Leben so unruhig und freu- denleer? Wenn ich Sie uͤberfuͤhren koͤnnte, daß Sie unrecht haben, so sollte mich ein sehr lan- ger Brief gar nicht gereuen, aber ich glaube, daß Sie sich selbst alles eben so gut und noch besser sagen, was ich Ihnen sagen koͤnnte, da- her ist meine Weisheit uͤberfluͤßig. Es ist zwar schon eine alte Bemerkung, daß die Menschen nie so sind, wie sie seyn sollten und koͤnnten; allein versuchen Sie es einmal, diese Bemer- kung durch Ihre Handlungen zu widerlegen, und Sie werden finden, daß es weit leichter ist, als man gemeiniglich glaubt. Wenn ich muͤnd- lich mit Ihnen sprach, waren Sie oft gutmuͤ- thig genug, mir Recht zu geben und zu thun, als hielten Sie sich fuͤr uͤberzeugt, aber ich wette, daß Sie jetzt, indem ich Sie nicht sehe, die Achseln uͤber mich zucken. — So sind die Maͤnner, ihre Freundschaft ist Galanterie, und diese Galanterie verbietet ihnen, offenherzig zu seyn, weil sie uns fuͤr so thoͤrigt und schwach halten, daß wir nur Schmeicheleyen und Kom- plimente ertragen koͤnnea . — Mein Vater ist sehr schwach, und ich bin sehr um ihn besorgt: dieser Kummer hat mir alle gute Laune geraubt. Sehn Sie, wie freygebig ich bin! Sie ver- langten nur einige Worte, nnd ich schicke Ih- nen einen ganzen Brief, der noch uͤberdies mo- ralischen Inhalts ist. — Gruͤßen Sie Ihre lie- be Schwester, und leben Sie recht wohl. 14. Willy an seinen Bruder Thomas . Paris . L ieber Bruder, mir koͤmmt nun unser liebes England schon ganz nahe vor, so weit es mir auch bey meiner ersten Reise war. Ich bin jetzt schon wieder in Paris, und meine uͤbrige Reise ist mir nur noch wie ein Traum. Ach lieber Bruder, es war mir alles recht sonderbar, als ich wieder durch dieselben Gegenden und Stein- gebirge reiste, durch die ich mir meinem Herrn Lovell gefahren bin; oft war ich so in Gedan- ken, daß ich meinte, ich reise noch mit ihm, und dann war ich so zutraulich und behende mit dem Franzosen, wie mit meines gleichen. Ich wurde recht betruͤbt, wenn ich dann beym hel- len Scheine der Lichter das fremde Gesicht sah, und ich hatte dann ein ordentliches Heimweh nach meinem Herrn, wenn er mich auch nicht mehr liebt. Sey nicht boͤse uͤber mich, lieber Bruder, wenn ich mich so gar sehr darauf freue, Dich wieder zu sehn; ich kann es eben so wenig lei- den, wie Du, wenn alte Leute sich wie die Kinder gebaͤrden, es ist auch gar nicht mein Fall, und ich mache immer nur so viel unnuͤtzes Geschwaͤtz, weil ich zu dem Rechten, was ich Dir sagen will, die Worte nicht finden kann. Es ist doch mit dem Menschen eine kuriose Ein- richtung! Ich kann uͤberhaupt mit dem Spre- chen und Schreiben noch immer nicht recht ins Reine kommen, es laufen mir immer tausend Worte aus dem Munde heraus, die ich nicht haben wollte, und das sind die unnuͤtzen Wor- te, die ich so wenig wie ein andrer Mensch ge- brauchen kann, die aͤchten und gediegenen aber sitzen mir inwendig fest, und wollen sich nicht los arbeiten. Noch naͤrrischer ist es, daß ich manchmal wohl auch so einen recht vernuͤnfti- gen Brocken herausbringen koͤnnte, aber dann ist mir, als wenn ich mich ordentlich schaͤmte, so gescheut wie andre Menschen zu seyn, und ich rede denn lieber dumm, um nur die Last wieder los zu werden. Ich glaube, Thomas, es giebt mehr solche Leute, wie ich bin, und die Anzahl der Dummen ist nicht so groß, als man gewoͤhnlich glaubt, drum hab’ ich auch immer einen ordentlichen Respekt vor jedem ein- faͤltigen Menschen, weil ich immer meyne, er traͤgt unter seinem schlechten Ueberrocke ein kost- bares Unterfutter. Wenn ich erst zu Hause bin, und Dich be- suche, will ich Dir sehr viel von meiner Reise erzaͤhlen. Das ist denn doch am Ende meine ganze Freude, die ich in der langen Zeit ge- habt habe. Hier in Paris bin ich ordentlich wie zu Hau- se, so bekannt ist mir noch alles, und alles ist noch gerade so, wie damals, als ich hier war. Es ist eine naͤrrische Gotteswelt, in der wir le- ben, und sie koͤnnte gewiß besser seyn, wenn alle Menschen sich nur fuͤr Arbeiter in dem Weinberge hielten, aber alle wollen essen, und viele thun doch gar nichts, sondern verderben noch im Gegentheile die Reben, und stoͤren an- dre Menschen in der Arbeit; und das soll denn heißen, daß sie den ganzen Weinberg regieren und in Ordnung halten. In mehr die Menschen nach obenhin klettern, je mehr vergessen sie, daß sie auch nur Men- schen sind, sie kennen dann ihre armen Bruͤder nicht mehr, und Gott nicht mehr. Die Got tesfurcht wohnt uͤberhaupt nur bey den armen und geringen Leuten, die haben sie als ein or- dentliches Privilegium und wie ein Schmerzen- geld, weil sie viel irdische Uebel zu leiden ha- ben; sie duͤrfen sich auch in ihrem Stande der Furcht des Herrn nicht schaͤmen; sie ist ihr ein- ziger Hausrath und bestes Einkommen. — Ich denke an alle die Sachen, weil ich Dir schon damals schrieb, lieber Bruder, daß es mir hier nicht gefalle. Jetzt geh ich nun in keine Komoͤ- die, aber es thut mir auch gar nicht leid. Wenn die Leute, die da so mit Bequemlichkeit uͤber eine Prinzessinn weinen, die ihren Galan nicht heirathen soll, nur wuͤßten, wie viel und groͤße- res Elend es in der Welt giebt. Aber darum wollen sie sich nicht bekuͤmmern, und es ruͤhrt keinen, weil die armen Menschen nicht so ge- putzt sind, und sich nicht mit so schoͤnen Reden aussteuern koͤnnen. In die Kirchen darf ich nicht allzugut hin- eingehn, sonst wuͤrd’ ich es oͤfter thun; aber ich koͤnnte mir bey Gott eine Verantwortung zuziehn, und die Musik, das Messelesen und die abgoͤttischen Gebraͤuche koͤnnten auch meinem Glauben einen heimlichen Schaden beybringen; denn welcher Mensch kann so ganz und gar fuͤr sich gut sagen? Meidet das Boͤse, so werdet ihr mit ihm in keine Bekanntschaft gerathen; und so haͤtte mein Herr William nur immer denken sollen, so waͤre er gewiß noch derselbe fromme Herr, der er war. Sieh, lieber Bru- der, da hast Du nun wieder solch weitlaͤuftiges und einfaͤltiges Geschwaͤtz von mir, wie ich es nicht besser habe machen koͤnnen. Gott segne Dich und erhalte Dich gesund, denn in einigen Wochen bin ich bey Dir! Willy , Dein Bruder. 15. William Lovell an Rosa . Rom . I ch war durch unser gestriges Gespraͤch außer- ordentlich erhitzt, und ging, wie berauscht, nach Hause. Es waren so viele der fernsten Erinne- rungen in mir geweckt, die noch immer in wie- derholten Gaͤngen durch meinen Busen zogen. Es ist manchmal, als wollte sich das Raͤthsel in uns selber aufschließen, als sollten wir ploͤtz- lich die Anwendung aller unsrer Empfindungen und seltsamen Erfahrungen kennen lernen. Die Nacht umgab mich mit hundertfachen Schauern, der monderhellte durchsichtige Himmel woͤlbte sich wie ein Krystall uͤber mir, und spiegelte die seltsamsten Empfindungen wie Schatten in diese Welt hinein. — Rosalinens wehmuͤthige Gestalt war mit unter den bunten Schatten, sie ging neben mir, und verlohr sich im krausen Dunkel jedes Baums, und stand im hellen Mondscheine wieder da: wie Tapeten voll selt- samer Geschichten gewirkt, hing die ganze Na- tur um mich her. Vergangenheit und Zukunft waren auf eine wnuderbare Weise dargestellt, ich ahndete eine Menge von truͤben und froͤh- lichen Empfindungen gleichsam im voraus. Es faͤllt mir oft ein, warum ich gerade so und nicht anders empfinde, und warum ich vor- zuͤglich auf diese Frage gefuͤhrt bin, die mir ge- wiß in keiner andern Seelenstimmung beyfallen wuͤrde. Die Vorstellung unsrer Individualitaͤt ist die seltsamste, die uns uͤberraschen kann. Ich bin aͤußerst begierig, nun endlich den wunderbaren Mann kennen zu lernen, von dem wir fast taͤglich gesprochen haben. Ich kann mir sehr gut einen Menschen vorstellen, der ei- ne unumschraͤnkte Gewalt uͤber alle Gemuͤther hat, die ihn umgeben; aber es muß das inter- essanteste Studium seyn, einen solchen naͤher kennen zu lernen, selbst zu fuͤhlen, auf welche Art er an unsern Ideen und Gefuͤhlen reist, und sich so gleichsam zu ihm hinaufzuheben, in dem wir lernen, wie er auf uns wuͤrkt, und er begreift, wie er auf uns wuͤrken kann. Ich wuͤnsche seine Bekanntschaft, und fuͤrchte mich doch vor unsrer ersten Unterredung. Sie haben gewiß viel zu freundschaftlich das Wort gefuͤhrt, und er findet mich vielleicht einfaͤltig und abge schmackt, denn so sehr ich auch eine Zeitlang die hoͤhere Achtung vor allen Menschen hatte, so war es mir doch leichter, mit ihnen umzu- gehn, und mein Benehmen freyer, als jetzt, da ich die meisten verachte. Wenn ich einen Mann von Verstand zum erstenmale sehe, bin ich leicht in Verlegenheit, ich fuͤhle mich so entfernt von ihm, die fremde Art, dieselben Gedanken, die ich habe, zwar auch zu denken, aber in seinen Begriffen anders zu ordnen, macht mich ver- wirrt, und durch die Bemuͤhung, mich ihm recht verstaͤndlich zu machen und naͤher zu brin- gen, werd’ ich immer weiter von ihm entfernt, vorzuͤglich aber, wenn ich noch obenein bemerke, daß er sich nach mir bequemen will. — Ich wollte, man koͤnnte sich immer erst nach eini- gen Vorreden kennen lerneu, so wie man manche Schriftsteller nur nach einigen vorausgeschickten, allgemeinen Ideen verstehen kann. — Leben Sie wohl. 16. Rosa an William Lovell . I hre Besorgnisse, lieber Freund, sind unge- gruͤndet; der Mann, von dem wir gesprochen haben, gehoͤrt nicht zu jenen verstaͤndigen Leu- ten, die mit dem Fragmente ihrer Vernunft so ungeschickt umgehn, es so linkisch handhaben und widerwaͤrtig regieren, daß man von ih- rer Aufklaͤrung keinen Genuß empfaͤngt, sondern nur Verworrenheit der Begriffe, und Resultate, die fremd und unpassend unter den eigenen Mo- bilien unsers Gehirnes stehen. Diesem Manne wird es leicht, sich alle Gedanken, selbst die entferntesten, zu vergegenwaͤrtigen, und sie zu seinen eigenen zu machen, fuͤr ihn giebt es keine fremde Seele, und darum behandelt er keine mit der Verachtung, die wir so oft an andern sogenannten verstaͤndigen Menschen, mit so tie- fem innerlichen Widerstreben gewahr werden. Wenn ich Ihnen sage, daß er Sie vielleicht schon besser kennt, als Sie glauben, so ist da- durch wahrscheinlich alle Ihre Furcht gehoben, und damit Ihre Bekanntschaft nicht beym erstenmale jene steife, widerwaͤrtige Art erhalte, mit der man nach hergebrachten Formeln, wie in einem Spiele, sich seltsam genug die gegenseitige Ver- traulichkeit abgewinnen will, so sollen Sie ihn auf einem Spatziergange treffen, wenn Sie heut Abend nach Sonnenuntergange die Ruinen vor dem Kapenischen Thore besuchen. Leben Sie wohl. 17. William Lovell an Rosa . O Freund, welche seltsame Nacht hab’ ich ge- habt! welche Empfindungen hab’ ich kennen ge- lernt! — Wie verhuͤllte Spiegel hing es in meinem Innern, heut ist der Vorhang hinun- tergezogen, und ich erblicke mich selbst in ver- aͤnderter Gestalt, und tausend seltsame Gegen- staͤnde um mich her. Ich kann immer noch nicht zur Ruhe und zur Besinnung kommen; ich weiß noch immer nicht, was ich denke oder schreibe; ich liege noch wie in einem Traume, und hefte mein Auge auf das Papier und die hingeschriebenen Worte, um zu erwachen. Ein andermal, morgen will ich Ihnen er- zaͤhlen, wenn ich etwas beruhigter bin. Ich werfe mich ins Bette, um mich vor dem Grauen zu verbergen, das mir nachschleicht. 18. 18. William Lovell an Rosa . Rom . I ch habe zu Ihnen geschickt, und vom Bothen leider vernehmen muͤssen, daß sie schon wieder nach Tivoli abgereist sind, ich haͤtte Sie so gern gesprochen und Ihren Rath und Beystand erbeten. Ich habe in dieser Nacht nur wenig geschla- fen, und bin im Schlafe von unangenehmen Traͤumen verfolgt. Ach Freund, ich kann Ih- nen unmoͤglich sagen, was ich alles empfunden und gelitten habe, mir ist, als wenn sich vom gestrigen Abende eine Epoche durch mein ganzes kuͤnftiges Leben ausstrecken wuͤrde, viele Ahn- dungen sind mir naͤher getreten, und tausend ungewisse Zweifel haben sich inniger mit meiuer Natur verbnnden . Ich gieng vor das Kapenische Thor. Der letzte Schimmer der Abendroͤthe glaͤnzte in dem durchsichtigen Moose, das an den Ecken der Gebaͤude haͤngt, alles umher vereinigte sich zu großen Massen, und die Schatten kamen immer Lovell. 2r Bd. T groͤßer von Osten her, ich wandelte mit stillem Erstaunen und vorbereitender Furcht unter den Ruinen, und dachte an meinen Vater und Ro- salinen, und an jene Zeit, als diese Truͤmmern hier stattliche Landhaͤuser waren. — O ich bin heut ruhig genug, um Ihnen alles weitlaͤustig zu beschreiben, das helle Morgenlicht glaͤnzt uͤber mein Papier, und ich schildere Ihnen mei- ne gestrige Empfindung nur wie eine poetische Fiktion. Ach ist nicht alles nur Erfindung und Ge- dicht, was vergangen ist? Die Gegenwart ist nur ein Traum, die Vergangenheit dunkle Er- innerungen aus dem Traume, die Zukunft eine Schattenwelt, deren wir uns einst auch nur mit Muͤhe erinnern werden. In Rosalinens Fenstern brannte kein Licht, keine Lautentoͤne erklangen durch die Nacht, kei- ne Schatten bewegten sich auf dem gruͤnen Ra- sen. Ich konnte es nicht unterlassen, dicht zum verlassenen Hause hinzugehn, und meine Arme, wie in Gedanken, nach dem veroͤdeten Gebaͤude auszustrecken: ich konnte es nicht begreifen, war- um die Huͤtte jetzt unbewohnt war, alles in meinen Erinnerungen war so ungewiß und doch so quaͤlend, ich trat schnell vom Hause hinweg, und die Welt lag so duͤrr und ausgestorben da, ich hoͤrte Menschenschritte, die dumpf und unerquicklich in der Einsamkeit wiederhallten, Voͤgel mit ziehenden Gesaͤngen und rauschende Baͤume, alles, alles umher, wie muͤhsam zu- sammengebracht, um die Todtenstille zu unter- brechen. Jeder Ton hatte seinen Klang verloh- ren, der uns entzuͤckt und begeistert, jeder Ge- genstand die Bedeutung, die ihm unsre erhitzte Phantasie beylegt. Die Berge standen fern hin- auf wie Todtenhuͤgel, das ganze Menschenge- schlecht kam mir arm und bejammernswuͤrdig vor, wie sie alle mit den Fuͤßen schon in ihren Graͤbern wandeln, und immer tiefer und tiefer untersinken, nach Huͤlfe schreyen, und klaͤglich die Haͤnde ausstrecken, aber kein Voruͤbergehen- der sie hoͤrt und keiner sich der armen Verlasse- nen erbarmt. — Keine Daͤmmerung und Mor- genroͤthe wollte sich an meinem Horizonte em- porringen, unermuͤdet lag die melancholische Nacht mit ihren Fluͤgeln uͤber mir, ach und ich konnte nicht weinen und schluchzen, ich konn- te meinen heißen duͤrren Jammer nicht in Thraͤ- nen und Toͤne aufloͤsen, kein Mitleid mit mir T 2 selbst stieg wie eine Blume in meinem Herzen auf, um mich mit ihrem poetischen Dufte zu laben, keine goldene Taͤuschung kam meinen muͤden Sinnen zu Huͤlfe; ich fuͤhlte mich wie in einem Gefaͤngnisse unter Millionen Elenden ver- riegelt, duͤrr und kalt die Mauern um uns her, ach ich glaubte nicht der einzig Verstoßene zu seyn, und konnte mich darum nicht troͤsten. Ich hatte vergessen, wen ich erwartete, als mir eine schreckliche, ach nur zu bekannte Gestalt naͤher trat. Die Furchtbarkeit meiner Em- pfindung kam in sichtbarer Bildung auf mich zu, und ich entsetzte mich innig. — Was soll ich hier von kindischen Traͤumereyen reden, an die ich selbst nicht glauben kann, warum soll ich mich wie ein Knabe geberden, wenn mich ein seltsamer oder auch nicht seltsamer Zufall uͤber- rascht? — Aber es mag seyn, mir ist als habe mein Vater schon diesen wundervollen Andrea gekannt, den ich nun zum drittenmale mit in- nigem Entsetzen und in immer naͤhern Beziehun- gen auf mich gesehen habe. Ich weiß nicht, was ich gesprochen haben mag, ich weiß eben so wenig, was jener sagte, und was mich umgab. Wie wenn alle meine seltsamsten Traͤume wirklich wuͤrden, wie wenn ich jetzt zum eigentlichsten Leben erwachen woll- te, wie wenn die ganze Natur mich ploͤtzlich festhielte, und jeder Baum und jeder Stern mit geheimnißvollen Winken auf mich hindeutete, — wie wenn sich jetzt jedes Raͤthsel von der Kette, die es lange zuruͤckhielt, losreißen wollte, — so Rosa, — o ich habe keine Worte fuͤr dies Ge- fuͤhl, — so wie einem Verbrecher, der sich ploͤtzlich in seinen widersprechenden Luͤgen gefan- gen fuͤhlt, und dem nun das Wort im Munde erstarrt, — so war mir in meinem Innern. Im innersten Grausen sprach ich beherzt, ja frech, so wie im Rausche; der Alte schien ver- wnndert . Ich sagte tausend Dinge, die ich nie gedacht habe, und die ich auch nur in diesen Augenblicken zur Haͤlfte dachte; ich war mir meiner selbst nur dunkel und ungewiß bewust, und es stand kein fremder Mann vor mir; ich sprach nur zu mir selber, und wie Wolken, Lich- ter und Schatten flatterten Gedanken durch mei- nen Kopf, wie wunderbare Toͤne von fremden ziehenden Voͤgeln erscholl es in meinem Innern, wie Mondschein, mit dem der Glanz der Mor- genroͤthe kaͤmpft, und beide ihre strahlenden Ge- webe durch einander spinnen, so seltsam erleuch- tet war mein Gemuͤth. Wir gingen auf und ab, und ich hoͤrte ihn sprechen wie einen fernen Wasserfall, wie raͤth- selhafte Donner, die beym Sonnenschein aus der Ferne den gerundeten Himmel hinan- klimmen. — Wir verließen die Ruinen, und ich folgte ihm schweigend nach seiner Wohnung. Ein blasses Licht erhellte sein altes, abge- zehrtes Gesicht, in dem jede Falte und jeder Zug eine andere Sprache redeten. Wie wenn sich ploͤtzlich der wohlbekannte Bruder an der Seite des Bruders in einen alten Mann um- wandelt, so muͤßte jener die Empfindungen ha- ben, die mich peinigten. Er ward mir so be- kannt, und blieb mir doch so fremd, ich mußte ihn lieben und hassen, o ich haͤtt’ ihn erwuͤrgen moͤgen, um nur des Kampfes, um nur der Zwei- fel los zu werden. — Und ich kannte ihn den- noch, und sein Bild war von Jugend auf tief meiner Phantasie eingepraͤgt! Es ist ein muͤhsames Geschaͤfft zu leben, un- aufhoͤrliche Zweifel und Furcht, Pein und Angst, das ganze Heer der Erinnerungen, alle jagen uns durch furchtbare Waldlabyrinthe, wo wir in jedem dunklern Gange, in jeder neuen Kruͤm- mung ein seltsames und grauenvolles Unding er- warten, wir haben nicht Zeit zu uͤberlegen, nicht Zeit, vor uns zu sehn, nicht Athem, um zu klagen, — bis wir niederstuͤrzen, und alle Furchtbarkeiten zugleich uͤber uns herfallen, und das ereilte Wild zerfleischen. Bis man erwacht, heißen unsre Phantasien Traͤume, bis dahin un- ser Daseyn Leben. Ich trat ans Fenster. Ein kleiner Rasen- platz und Rosalinens Huͤtte gerade vor mir; ich sah in dem kleinen Garten deutlich die wanken- den Malven stehn, und der Mond stieg jetzt dunkelroth herauf, und sah zuerst in ihr Fenster hinein, und fand sie nicht. — Der Alte muß mich hier oft gesehn haben, wie ein Geist hat er mich umgeben, ich schaͤmte mich nicht vor ihm, sondern sah ihm nur um so unbefangener ins Auge. Dann flog ich mit meinen Gedan- ken zu Rosalinen hinuͤber, und ich sah sie sitzen, und stumm und zwecklos in die Saiten der Laute schlagen, ich troͤstete sie uͤber ihren Tod, und sah ein bitteres Laͤcheln auf ihrem Gesichte; dann hoͤrt’ ich mich von meinem Vater rufen, mit denselben Toͤnen, mit denen er mich in der Kindheit zu sich lockte, ich hoͤrte den großen Hund, den treusten Freund meiner Knabenjahre, bellen, — und alles verschwand dann, und ich saß dem alten freundlich melancholischen An- drea und seinem gruͤbelnden Auge gegenuͤber. — Und jetzt sitz ich hier und bin einsam, und sehe ihn doch im nebenstehenden Stuhle sitzen. Ich werde ihn wiedersehn und werde anders fuͤhlen, und er wird vergehen, so wie ich, und keiner wird nnsrer denken. — 19. Bianca an Lovell den Liebling ihrer Seele. Rom . I st es Dir denn moͤglich, mich so ganz zu ver- gessen? Unsere munteren Gesellschaften haben an Dir ihre Seele verlohren, und jede Freude ist stumm und sitzt verlassen im Winkel. Denkst Du gar nicht mehr an unsere heiligen Bachana- le zuruͤck und an die stuͤrmende Froͤhlichkeit, die uns so wild und goͤttergleich begeistert? Sind Dir Deine schwermuͤthige Traͤumereyen und dein leeres Nachsinnen lieber als das Maͤdchen das Dich so innig liebt? — Schenke uns wenigstens den heutigen Abend, den wir allen Scherzen gewidmet haben und laß mich durch ein paar Worte die Du mit dem Boten zuruͤckschicken kannst Deinen Entschluß erfahren. — Bianca . Ich komme. W. Lovell . 20. Rosa an Andrea Cosimo . Tivoli . D aß meine Reise hieher eine Art von Ver- bannung ist, faͤllt mir immer schwerer auf das Herz, je mehrere Tage ich von Rom entfernt bin. Daß ich gerade in diesem Zeitpunkte Dei- nen Umgang entbehren muß! Zu einer Zeit, wo ich mich immer mehr zu Dir hingedraͤngt fuͤhle, wo sich gleichsam die Fluͤgel meiner Seele von einander falten, um mich desto inniger an Dein Herz zu schließen. Du hast mich seit einiger Zeit mit neuen Ideen und Gefuͤhlen uͤberschuͤt- tet und eine neue Welt hat sich in mir eroͤff- net, eine Schaubuͤhne, die unaufhoͤrlich mit den wunderbarsten Scenen wechselt. Ich be- trachte mein Leben seit jenem merkwuͤrdigen Abende als ein neues, es hat sich mir ein Weg zu deiner Seele gebahnt, den ich weiter zu verfolgen brenne. Aber warum verwirfst Du mich und wuͤrdigst mich nicht Deines fernern Vertrauens? Darf ich den Argwohn schoͤpfen, daß Du Dich dem jugendlichen Lovell inniger hingiebst? Was kannst du jezt noch ferner mit ihm wollen, da sein Vater todt ist? Ist es mir uͤberhaupt erlaubt, zuweilen uͤber Deine Plane im Stillen nachzugruͤbeln, und zuweilen einen wuͤrklichen Eigensinn und weitlaͤuftige mir un- nuͤtz scheinende Maschinerie anzutreffen? Doch ich will schweigen, um mir nicht Dein Mißfal- len zuzuziehn. 21. Andrea Cosimo an Rosa . Rom . E s kann und soll nicht anders seyn als es ist, uͤberlaß es mir meine Plane zu ersinnen und zu regieren, wenn sie Dir gleich noch wunderlicher erscheinen sollten. Was kuͤmmert es Dich, wenn ich mir ein seltsames Spielwerk erlese, das mir die Zeit ausfuͤllt und auf meine eigene Art meinen Geist beschaͤftigt? Wenn ich bemerke, auf welche sonderbare Art die eine Seele auf die andere wirken kann? Du hast wohl mehre- re Naͤchte unter Karten und Wuͤrfeln hinge- bracht; so vergoͤnne mir, daß ich mir aus Men- schen ein Gluͤcksspiel und ernsthaft laͤcherliches Lotto bilde, daß ich ihre Seelen gleichsam ent- koͤrpert vor mir spielen lasse, und ihre Ver- nunft und ihr Gefuͤhl wie Affen an Ketten hin- ter mir fuͤhle, und danke dann dem Himmel, daß ich Dich als Freund und nicht als Spiel zeug gebrauche. 22. William Lovell an Rosa . Rom . S ie fragen mich: wie ich lebe. Ich bin seit langer Zeit in einer Verfassung, daß ich nicht ohne Sie leben kann. Ich habe Sie immer noͤthig, um jeden Gedanken und jedes Gefuͤhl in Ihren Busen auszuschuͤtten. — Mir ist jetzt oft zu Muthe als waͤren Fluͤgel an mei- ne Brust gewachsen die mich immer hoͤher und hoͤher heben und durch die ich bald die Erde mit ihren Armseligkeiten aus den Augen ver- lieren werde. Ich sehe jetzt den alten Andrea taͤglich; ich habe noch nie einen Menschen mit dieser hohen Bewunderung betrachtet, ich habe aber auch noch nie eine Seele angetroffen, die alles, was sonst schon einzeln die Menschen vortreflich macht, so in sich vereinigte. Die Erinnerung macht mir jetzt eine seltsame Empfindung, daß ich ehedem vor seiner Gestalt zuruͤckschauder- derte ; und doch will sich noch zuweilen ein quaͤlendes dunkles Andenken in mir empor ar- beiten. — O Rosa, koͤnnte man sich doch in manchen Stunden vor sich selber verbergen! Ach was kann uns nicht betruͤben, und uns mit scharfen Empfindungen anfallen, da wir alle so nackt und wehrlos sind? Je mehr man die Menschen lieben moͤchte, um so mehr wird man mißtrauisch seyn, ob sie es auch verdienen; kei- ner kennt den andern, jede Gesinnung geht ver- larvt durch unsern eigenen Busen: wer ver- mag es, das Edle vom Unedlen zu sondern? Schon seit lange hatte mir Andrea verspro- chen mich in eine Gesellschaft von Maͤnnern zu fuͤhren, die sich um ihn, wie um einen Mittel- punkt versammelt haben, und so gleichsam eine Schule bilden; ich brannte, um sie kennen zu lernen. Gestern wurde ich dort eingefuͤhrt. Mir war waͤhrend der Zeit manches durch den Sinn gegangen, der Argwohn als wenn Andrea das Haupt irgend einer geheimen Ge- sellschaft sey, da man sagt, daß unser Zeitalter von der Wuth besessen sey, auf diese Art selt- sam und geheimnißvoll zu wirken. Ich hatte so manches von abentheuerlichen und unsinnigen Ce- remonien sogar in Buͤchern gelesen, und alles war mir immer als aͤußerst abgeschmackt erschie- nen; ich machte mich daher gegen Gebraͤuche und Einweihungsfeyerlichkeiten gleichsam fest, und als ich Andrea hinbegleitete, war mir das Gefuͤhl sehr gegenwaͤrtig, daß nichts auf mich wirken wuͤrde, was sonst unsre Phantasie so leicht in Aufruhr setzt. Ich erstaunte und schaͤmte mich zu gleicher Zeit als ich ohne wei- tere Umstaͤnde in ein Haus und dann in einen geraͤumigen Saal gefuͤhrt ward, in welchem sich die Gesellschaft schon versammelt hatte. Ich hatte mich gegen Abentheuerlichkeiten gewaffnet und doch uͤberlief mich nun ein feyerliches Grauen als mir jeder von ihnen auf eine simple Art die Hand gab und mich als Freund und Bruder begruͤßte. Ich stand versteinert unter ihnen wie damals, als ich das erste große Ra- phaelsche Gemaͤhlde betrachtete, denn noch nie habe ich so viele charaktervolle Koͤpfe neben ein- ander gesehn, noch nie hab’ ich in einer großen Gesellschaft ein so ruhiges und gedankenreiches Gespraͤch gehoͤrt. Als ich mich etwas genauer umsah, entdeck- te ich bald mehrere Bekannte, die mit mir Naͤchte durchschwaͤrmt, oder beym Spiele durch- wacht hatten. Sie kennen ja auch den launi- gen witzigen Francesco , der uns mit seinen Einfaͤllen so oft unterhalten hat, aber in dieser Gesellschaft war es mir nicht moͤglich, uͤber ihn zu lachen, oder einen Spaß von ihm zu fordern, so ernst und ehrwuͤrdig saß er unter den uͤbri- gen, vou denen manche ihm aufmerksam zuhoͤr- ten. Adriano , an dessen Einfalt wir uns so oft belustigt haben, hatte einen großen Zirkel um sich her versammelt und sprach mit großem Enthusiasmus und eben so vielem Verstande; ich konnte nicht muͤde werden ihn anzuhoͤren, und mich uͤber meinen bisherigen Irrthum zu verwundern. Es war mir, als waͤre ich ploͤtz- lich in die Gesellschaft von abgeschiedenen Gei- stern entruͤckt, die im Tode alles Irrdische von sich werfen, und selbst ihren Bruͤdern unkennt- lich sind. — Alle begegneten dem alten Andrea mit der ausgezeichnetsten Achtung, alle beugten sich vor ihm, wie vor einem hoͤheren Wesen, und meine Ehrfurcht vor meinem alten Freun- de ward dadurch nur um so groͤßer. Es Es ist, als wenn uns in der stillen Nacht tiefere Gedanken und ernstere Betrachtungen be- gruͤßten, denn mit jeder Stunde ward die Ge- sellschaft feyerlicher, der Gegenstand ihres Ge- spraͤchs erhabener. Ich habe nie mit dieser An- dacht in einem Tempel gestanden, noch in kei- nem Buche habe ich diese Gedanken gefunden, die mich hier durchdrangen. In solchen Stun- den vergißt man seine vorige Existenz gaͤnzlich, und nur die Gegenwart ist deutlich in unserer Seele. Ich werde diese Nacht nie vergessen. Wir gingen erst am Morgen auseinander. Ein gluͤhendes Roth streckte sich am Horizont empor und faͤrbte Daͤcher und Baumwipfel; die freye Morgenluft und der helle Himmel kontra- stirten seltsam mit dem dunklen naͤchtlichem Zim- mer. Schaaren von Voͤgeln durchflatterten die Luft mit muntern Toͤnen, die Bewohner der Stadt schliefen fast noch alle und unsere Schrit- te hallten die Straßen hinab. — Koͤnnt’ ich begreifen warum diese sinnlichen Eindruͤcke mich stets so innig ruͤhren! Der frische Morgen ist mir immer das Bild eines frohen und thaͤtigen Lebens, die Luft ist gestaͤrkt und theilt uns ih- Lovell. 2r Bd. U re Staͤrke mit, das wunderbare Morgenroth stroͤmt eine Erinnerung der fruͤhesten Kindheit herauf und faͤllt in unser Leben und unsere ge- woͤhnlichen Empfindungen hinein, wie wenn ein rother Strahl an den eisernen Staͤben eines Kerkers zittert, in dem ein Gefangener nach Freyheit seufzt. 23. Rosa an William Lovell . Tivoli . A uch ich, lieber Lovell, fuͤhle mich jetzt, ohne ihre Gesellschaft, einsam. Die Freundschaft wird unserer Seele schon darum ein unentbehrliches Beduͤrfniß, weil sie immer ein Herz sucht, dem sie sich ganz und in jeder Stunde mittheilen darf. Die Trennung unterbricht diese schoͤne Harmonie, denn die Briefe sind nur lahme und ungeschickte Boten, sie wissen die Stimmung nicht, in der sie uns antreffen, wenn sich im muͤndlichen Gespraͤche die Seelen fast unmittel- bar beruͤhren. Ich kann mir Sie und den al- ten Andrea recht lebhaft bey einander denken, ich sehe Ihren Enthusiasmus, denn ich weiß es aus eigener Erfahrung, wie viel dieser Greis nur durch einige Worte auf unsere Seele ver- mag. Ich kenne auch das Raͤthselhafte und fast Furchtbare das ihn umgiebt, er erscheint uns in jeder Stunde in einer veraͤnderten Gestalt und es kostet ihn nichts, sich und eine ganze Ge- U 2 sellschaft ploͤtzlich in einen andern Ton zu stim- men; alle Ideen des menschlichen Geistes stehen ihm ausserordentlich behende zu Gebote, er kann sich in jede Meynung kleiden, und es ist daher schwer, ja beynahe unmoͤglich, seine wahre von seinen erborgten abzusondern. Ich habe schon oft den Argwohn gehegt, daß er fuͤr jeden Men- schen mit dem er umgeht, eine eigne Maske hat, er ist alle Ideen und Stimmungen des Menschen durchlaufen, ein jeder findet sich daher in ihm selber wieder. Seltsam aber ist es, daß ein solcher Mann alles, nur nicht einen ge- wissen Eigensinn verbergen kann, den zu mas- kiren selbst dem Unerfahrensten nur wenig kostet, er verachtet die Menschen im Allgemeinen und jeden insbesondere, und in manchen Stunden ist er schwach genug, daß er sich diese Verach- tung merken laͤßt, um einen recht vollkomme- nen Triumph zu genießen. Ich glaube, auch Sie werden bald diese Bemerkungen an ihm machen, und dies wuͤrde mir dann um so mehr eine Bestaͤtigung seyn, daß ich mich nicht ge- irrt haͤtte. Es klingt freylich etwas anmaßend, daß ich einen so tiefen Menschen durchschauen und beurtheilen will, indeß kann ich es viel- leicht eben darum, weil ich seine Vortreflichkei- ten verstehe und bewundere, und wie Sie in Ihrem Briefe sagen: man ist vielleicht um so argwoͤhnischer, je mehr man wuͤnscht, die Men- schen zu lieben. 24. William Lovell an Rosa . Rom . S oll ich es Ihnen gestehen, Rosa, daß mir Ihr Brief gewissermaßen wehe gethan hat? Denn es ist einmal eine Schwaͤche der mensch- lichen Seele die sie vielleicht nie ablegen kann, daß ihr gewisse Bemerkungen Schmerzen ma- chen. Beim Anblicke aller Vortreflichkeiten scheint das menschliche Herz mit der Bewundrung zugleich einen gewissen Neid zu fuͤhlen: ist der Eifer, irgend einem Muster aͤhnlich zu werden, wohl etwas anders? Wir suchen daher gern bey vorzuͤglichen Menschen eine Seite heraus, die unserm Tadel unterworfen seyn koͤnnte, bloß um uns selbst als besser zu achten. Dieser Neid ist der Quell von allem, was wir in den gewoͤhnlichen Bedeutungen im Menschen Gut und Schlecht nennen, und eben darum, weil ich dies einsehe, sollte mich Ihr Brief auf keine Weise unzufrieden gemacht haben. Ich kann uͤber meinen alten Freund durchaus nicht Ihrer Meynung seyn, am wenigsten kann ich jene Schwaͤche an ihm finden, die Sie bemerkt ha- ben wollen. Er ist fuͤr mich eine Kolossalstatue unter den gewoͤhnlichen Menschenbildern, ich finde stets in ihm einen Hauptgedanken und die- selbe erhabene Gemuͤthsstimmung; er versetzt mich jedesmal, oft wider meinen Willen in die seltsamsten Empfindungen, wie es sonst zuweilen wohl nur wunderbare Toͤne koͤnnen, die unsre Seele gewaltsam nach dunklen, seltsamen Ge- genden entfuͤhren. Wenn ich mich oft betrachte und mich stumm in Gedanken verliere, so moͤcht’ ich ihn in man- chen Stunden fuͤr ein fremdes, uͤbermenschliches Wesen halten, ich habe mir im Stillen manche wunderbare Traͤume ausgesponnen, die ich mich schaͤmen wuͤrde, Ihnen so mit kaltem Blute niederzuschreiben, so sehr sie auch meine Phan- tasie gefangen halten. Er begegnet oft auf eine unbegreifliche Weise meinen Schwaͤrmereyen mit einem einzigen Worte, das sie mir deutli- cher macht, und in ein helleres Licht stellt. Neulich war ich durch seine Reden in eine ungewoͤhnlich feyerliche Stimmung versetzt, er sprach von meinem gestorbenen Vater und schil- derte ihn genau nach seiner Gesichtsbildung und Sprache. Ich war geruͤhrt und er fuhr fort, ja er sprach endlich ganz mit seinem Tone und sagte einige Worte, die sich mein Vater ange- woͤhnt hatte, und die ich unendlich oft von ihm gehoͤrt habe. Ich fuhr auf, weil ich dach- te, mein Vater sey wirklich zugegen, ich frag- te ihn, ob er ihn gekannt habe und er betheu- erte das Gegentheil; ich war in die Jahre mei- ner Kindheit entruͤckt und sah starr auf die Wand, um nicht in meiner Taͤuschung gestoͤrt zu werden. Ploͤtzlich fuhr wie ein Blitz ein Schatten uͤber die Wand hinweg, der ganz die Bildung meines Vaters hatte, ich erkannte ihn und er war verschwunden, seltsame Toͤne, wie ich sie nie gehoͤrt habe, klangen ihm nach, das ganze Gemach ward finster und der alte Andrea saß gleichguͤltig neben mir, als wenn er nichts bemerkt haͤtte. Ein gewaltiger Schauder zog meine Seele heftig zusammen, alle meine Nerven zuckten maͤchtig, und mein ganzes Wesen kruͤmmte sich erschrocken, als wenn ich unvorsichtig an die Thore einer fremden Welt geklopft haͤtte, und sich zu meiner Vernichtung die Fluͤgel oͤffneten und tausend Gefuͤhle auf mich einstuͤrzten, die der gewoͤhnliche Mensch zu tragen zu schwach ist. — Andrea erscheint mir jetzt als ein Thuͤrhuͤter zu jenem unbekannten Hause, als ein Uebergang al- les Begreiflichen zum Unbegreiflichen. Vielleicht loͤst Ein Aufschluß alle Raͤthsel in und ausser uns, unser Gefuͤhl und unsre Phantasie reichen vielleicht mit unendlichen Hebeln da hinein, wo unsre Vernunft schier zuruͤckbleibt; am En- de verschwindet alle Taͤuschung, wenn wir auf einen Gipfel gelangen, der der uͤbrigen Welt die hoͤchste und unsinnigste Taͤuschung scheint. Balder koͤmmt mit seinen Erscheinungen in mei- ne Seele zuruͤck, — o Rosa, was ist Unsinn und was Vernunft? Alles Sichtbare haͤngt wie Teppiche mit gaukelnden Farben und nachge- ahmten Figuren um uns her, was dahinter liegt wissen wir nicht, und wir nennen den Raum, den wir fuͤr leer halten, das Gebiet der Traͤume und der Schwaͤrmerey, keiner wagt den dreisten Schritt naͤher, um die Tapeten wegzuheben, hinter den Coulissen zu blicken und das Kunstwerk der aͤussern Sinne so zu zerstoͤ- ren, — aber wenn, — o Rosa, nein ich schwin- dele, es ist mir innerlich alles so deutlich und ich kann keine Worte finden; aber ich mag sie auch nicht suchen. Sie werden ebenfalls diese Gefuͤhle kennen und mir alles uͤbrige erlassen. 25. Rosa an William Lopell . Tivoli . S ie haben zum Theil recht, lieber Freund. Ihre Gefuͤhle kann ich auf keine Weise tadeln, denn ich bin zu gut mit diesen bekannt, aber lieber Freund, kann denn der große Mensch nicht das Groͤste und Kleinste in sich vereinigen und liegt nicht eben darinn seine hoͤchste Groͤße? Doch ich will lieber abbrechen, denn wir strei- ten beyde am Ende nur uͤber Worte. Manche Ihrer Gedanken uͤber Andrea sind mir aus der Seele geschrieben, in seiner Ge- genwart fuͤhle ich mich immer wie in der Naͤhe eines Ueberirrdischen. Auch manches ist mir be- gegnet, was ich mir auf keine Art zu erklaͤren weiß. Als ich neulich mit ihm hier in Tivoli war, waren wir fast taͤglich zusammen und un- ser Gespraͤch fiel vorzuͤglich auf den Aberglau- ben und die wunderbare Welt, vor der unser Geist so oft steht, und dringend Einlaß begehrt. Meine Phantasie ward mit jedem Tage mehr erhitzt, alle meine bisherigen Zweifel verlohren immer mehr von ihrem Gewicht; Sie koͤnnen sich vorstellen, welchen seltsamen Eindruck Ihre Briefe damals auf mich machen mußten, in denen Sie immer mit so vielem Eifer von Ro- salinen sprachen. An einem schoͤnen Abende schweiften wir vor den Thoren umher, unsre Gespraͤche wurden immer ernsthafter und ich vergaß es daruͤber ganz, zur engen unange- nehmen Stadt zuruͤckzukehren. Es war indeß dunkle Nacht geworden und wir trennten uns. Alle meine Begriffe waren verwirrt, die Fin- sterniß ward noch dichter und ich naͤherte mich, wie es schien, immer noch nicht der Stadt. Ich versuchte einen neuen Weg, weil ich glaub- te, ich habe mich verirrt, und so ward ich immer ungewisser. Die Einsamkeit und die Todtenstille umher, erregte mir eine gewisse Bangigkeit; ich strengte mein Auge noch mehr an, um ein Licht von der Stadt her zu ent- decken, aber vergebens. Endlich bemerkt’ ich, daß ich einen Huͤgel hinanstiege und nach eini- ger Zeit befand mich oben, neben der Kirche des heiligen Georgs. Der Wind zitterte in den Fenstern und pfiff durch die gegenuͤberliegenden Ruinen, ich glaubte in der Kirche gehn zu hoͤ- ren und ich irrte mich nicht; mit hallenden Tritten kamen zwey unbekannte Maͤnner aus dem Gewoͤlbe und fragten mich, was ich suche. Ihre unbekannte Gestalt, der feyerliche Ton ih- rer Stimme und eine kleine Blendlaterne, die nur mich und den einen von ihnen beleuchtete, machte mich schaudern. Ich fragte furchtsam nach dem Wege zur Stadt, und der eine von ihnen erbot sich, mich bis an das Thor zu bringen, der andre versprach so lange bey der Kirche zu warten. Die kleine Laterne erhellte sparsam unserm Weg und Baͤnme und Stauden glitten uns, mit einem durchsichtigen Gruͤn bekleidet, voruͤber, mein Begleiter war stumm und ich ging wie im Traume hinter ihm. Jetzt waren wir nahe am Thore und der Mann mit der Laterne stand still; wir nahmen mit wenigen Worten Abschied nnd ein breiter Schimmer fiel auf sein Gesicht. Ich fuhr zusammen, denn es war ganz das blei- che Antlitz einer Leiche, die Augen waren wie weit hervorgetrieben, die Lippen blaß und wie in einem Todtenkrampfe verzerrt: ich glaubte ein Gespenst zu sehn, und erschrak nur noch inni- ger, als ich nach einigen Augenblicken die Zuͤge Andrea’s erkannte. Jetzt wandte er sich um, und ging zuruͤck, ich stand noch wie versteinert, und rief endlich laut und halb wahnsinnig: Andrea! — In demselben Augenblicke ver- schwand die Gestalt und das Licht, und betaͤubt und zitternd ging ich in die Stadt. Aber wie fuhr ich zusammen, als mir Andrea vor meiner Wohnung entgegentrat und mich fragte, wo ich so lange geblieben sey. Ich konnte ihm nur wenige Worte sagen und die ganze Nacht hindurch lag ich in einem ab- wechselnden Fieber. Und war es nicht eben die Gestalt unsers Andrea, mit Schrecken denke ich daran, die der ungluͤckliche Balder so oft in den Exaltatio- nen seiner Phantasie beschrieb? — Und doch hatte er ihn niemals gesehen. — Wer weiß, ob er mich nicht jetzt umgiebt, indem ich die- sen Brief schrieb, und jeden Gedanken kennt, den ich denke! — 26. Andrea Cosimo an Rosa . Rom . W arum hab’ ich von Dir Argwoͤhnischen, nicht schon einen zweiten Brief erhalten? Ich bin auf Nachrichten von Dir begierig, weil ich mich von je fuͤr Dich interessirt habe. Ob Du es in dem Grade, wie ich Dich schaͤtze und lie- be, verdienst, ist eine andre Frage; indessen muß man sich darum bey den Menschen nie bekuͤm- mern; mein Eigensinn, den Du an mir neulich getadelt hast, besteht bloß darin, daß ich nie einen Gegenstand wieder fahren lasse, den mei- ne Zuneigung einmal ergriffen hat; nur unter- laß die Forderung, daß ich Dir, wie ein Kind, von meinen Gedanken Rechenschaft ablegen soll. Erwarte erst das Ende jeder Pruͤfung, um mei- nes ganzen Vertrauens werth zu seyn und be- gnuͤge Dich jetzt damit, daß Du von allen der Erste bist, der Anspruͤche darauf machen kann. Wenn Dir also meine Liebe oder Achtung noch irgend etwas werth ist, so verschone mich mit aͤhnlichen Briefen, als Dein letzter war. 27. William Lovell an Rosa . Rom . I ch habe nie, Rosa, mit diesem Blicke ins Le- ben gesehn; wie voruͤbereilendes Schattenwerk, wie wandelnder Rauch, der uͤber die Heide schreitet, so nichtig fliegt alles durcheinander. Ich weiß nicht, ob ich wache oder traͤume, den- ke oder rase, die widerwaͤrtigsten Gedanken und Gestalten haben sich innig mit einander ver- knuͤpft, und tausend Zweifel und Irrthuͤmer, Schrecken und Truggestalten haͤngen wie ein Netz um mich her, das mich nicht wieder frey giebt. Mein Herz ist die Hoͤle des Aeolus gewor- den, in dem alle Stuͤrme durch einander mur- ren und sich mit wildem Grimme von ihren Ket- ten losreißen wollen. O, lassen Sie mich die- sen Andrea begreifen, und ich will mich zu- frieden geben und ich will alles uͤbrige ver- gessen. Ist die Welt nicht ein großes Gefaͤngniß, in dem wir alle wie elende Missethaͤter sitzen, und und aͤngstlich auf unser Todesurtheil warten? O wohl den Verworfenen, die bey Karten oder Wein, bey einer Dirne oder einem langweili- gen Buche sich und ihr Schicksal vergessen koͤnnen! Doch der schwarze Tag bricht endlich, end- lich herein. Er kann nicht ausbleiben. Alle vorhergehenden Tage waren nur Vorbereitungen zum letzten schrecklichen. Die finstre Parze fin- det endlich die Stelle, wo sie den Faden zer- reißt. — O wehe uns, Rosa, daß wir geboren wurden! O des klagenden Thoren! mit ohnmaͤchtiger Kraft sperrt sich das arme Thier, in den Stall zu gehn, wo das schlachtende Messer seiner war- tet. Die Zeit, dieser unbarmherzige Henkers- knecht, schleppt Dich hinein, das Thor schlaͤgt hinter Dir zu und Du stehst einsam unter dei- nen Moͤrdern. Was kann der Mensch wollen und vollbrin- gen? Was ist sein Thun und Streben? — O daß wir wandern koͤnnten in ein frem- des, andres Land; ausziehn aus der Knecht- schaft, in der uns unsre Menschheit gefangen haͤlt! Lovell. 2r Bd. X Graͤßlich werden wir zuruͤckgehalten, und die Kette wird immer kuͤrzer und kuͤrzer. Alle taͤu- schenden Freuden schlagen rauschend die Fluͤgel aus einander und sind im Umsehn entflogen. Der Putz des Lebens veraltet und zerfaͤllt in Lumpen; alle Gebrechen werden sichtbar. Einsam steh ich, mir selbst meine Qual und mein Henker, in der Ferne hoͤr’ ich die Ketten der andern rasseln. — Schauder stehn vor un- serm Gefaͤngnisse zur Wacht. — Da laͤßt sich keiner bestechen, — eisenfest und unwandelbar stehn sie da. — — Ich habe den Ruf vom jenseitigen Ufer ge- hoͤrt; ich habe den seltsamen Wink verstanden, und das Boot eilt schon heruͤber, mich abzu- holen; ich trage meine Suͤnden in meiner Hand und gebe sie als Faͤhrgeld ab. — — Die Wo- gen rauschen, es schwankt das Boot, das Steuer aͤchzt, und bald tret ich an das duͤstre fremde Gestade, und in doppelter Vereinigung kommen mir alle meine Schmerzen entgegen. Gestern war ich bey Andrea und seiner Ge- sellschaft. Sie sprachen viel durcheinander und saßen in Reihen hinab, wie gefuͤllte Bilder aus Erde. Alle waren mir fremd und armseelig, mit allen, selbst mit dem wunderbaren Andrea hatt’ ich ein inniges Mitleiden. Sie waren ernst und feierlich, und mir war, als muͤßt’ ich la- chen. — Daß Gedanken und Vorstellungen den sogenannten Frohsinn aus unserm Gesichte ver- jagen koͤnnen, ist bejammernswuͤrdig. Ich streckte meine Hand aus und beruͤhrte den naͤchstsitzenden; und wie ins Reich der Ver- nichtung griff ich hinein und war ein Glied der zerbroͤckelnden Kette. Ich gehoͤrte nun mit zum Haufen, und war mir selber fremd und armseelig, so wie die uͤbrigen. Aller Augen waren starr auf die Wand ge- heftet, in allen spiegelte sich der Widerschein des Todes. Die Kerzen brannten dunkler, die Vorhaͤnge rauschten geheimnißvoll, das Blut in meinen Adern wollte aufsieden und erstarrte. Toͤne schlugen das Ohr mit seltsamer Be- deutung, wie Arabeskengebilde fuhr es durch meinen Sinn; ich erwartete etwas Fremdgestal- tetes und lechzte nach etwas Ungeheuerm. Und ich vergaß hinter mir zu sehn und stand unter meinen Freunden einsam, wie in einem Walde von verdorrten Baͤumen. Schatten fielen von oben herunter und san- X 2 ken in den Boden. Daͤmpfe standen wie Saͤu- len im Gemache, Daͤmmerung wankte hin und wieder wie ein Vorhang. Die Seele vergaß sich selbst und ward ein Bild von dem, was sie umgab. Es kreiste und wogte gewaltig durch einan- der, wie ein Unding das zum Entstehen reif wird, so kaͤmpfte die Masse gegen sich selbst. — Es schritt naͤher und glich einer Nebelgestalt; vor mir voruͤber wie ein pfeifender Wind, — und o, — Rosaline ! Sie war es, ganz, wie sie lebte. Sie warf einen Blick auf mich und wie ein Messer traf er meine Augen, wie ein Berg mein Herz. Ich straͤubte mich gegen meine innerliche Empfin- dung und es zog mich ihr nach; — ich stuͤrzte laut schreiend nach ihrem Gewande und stieß mit dem Kopfe an die Mauer. Ich erschrak nicht, verwunderte mich nicht und erwachte auch nicht. Wie andre Elemente umgab mich alles, ich sah die Freunde wieder, ich hoͤrte wieder die Baͤume und Wasser, die ganze Muͤhle der gewoͤhnlichen Welt, mit allen ihren Gaͤngen. Andrea und die uͤbrigen waren stumm und kalt, aber sie standen fern, fern von mir hinun- ter, ich kannte sie alle und verstand sie nicht, ich kam zuruͤck und war nicht unter ihnen. Man oͤffnete die Fenster; die Morgenluft brach herein, der Himmel war wie eine Platte buntgestreifter Marmor, die Waͤnde der Welt waren wie immer mit ihren seltsamen Gewaͤch- sen ausgelegt, und wie ein wildes Thier, so fiel eine nuͤchterne Empfindung mein Herz an. Wo steht die letzte Empfindung, daß ich zu ihr gehe? Wo wandeln die seltsamsten Gefuͤhle, daß ich mich unter sie mische? Daß ich von diesem Traume erwache und einen andern noch fester traͤume! Wolken fliehn und kommen wieder, das selt- samste Morgenroth wird Tagesschein. — So wird es mit diesem Herzen gehn. — Leider, daß ich das schon jetzt empfinde! 28. William Lovell an Rosa . Rom . W ie alles mich immer bestimmter zu jenen Schrecken hinwinkt, denen ich entfliehen wollte! Wie es mich verfolgt und draͤngt, und doch die graͤßliche Leere in mir nicht ausfuͤllt! — Wie in einem Ocean schwimm ich mit unnuͤtzer Anstrengung umher; kein Schiff, kein Gestade, so weit das Auge reicht! unerbittlich streckt sich das wilde Meer vor mir aus, und Nebel strei- chen verspottend wie Ufer herum, und ver- schwinden dann wieder. Nebelbaͤnke sind unser Wissen und alles, was unsere Seele zu besitzen glaubt; der Zwei- fel rauft das Unkraut zusammt dem Getraide aus, und in der leeren Wuͤste schießen andre Pflanzen mit frischer Kraft hervor, deren Far- ben noch schoͤner und glaͤnzender spielen. Der Mensch muß denken und eben darum glauben, schlafen und also traͤumen; es ist moͤglich, daß alle Gestalten nur in mir wandeln, alles zie- hende Schattenbilder in der Hoͤlung meines Au- ges, Schwingungen meiner Gehirnfibern, die ich nach dem allgemeinen Uebereinkommen die aͤußern Gegenstaͤnde benenne. Der Wechsel der Jahreszeiten zerstoͤrt die Berge und Felsen, die ewigen Pfeiler der Erde zerbroͤckeln sich durch Regenguͤsse, der Mensch durch den Lauf seines Bluts, ein Todtenwurm in ihm, der ihn von innen heraus zernagt. Je- des Ding ist Bild und Gegenbild zugleich, es erklaͤrt sich selbst und man sollte nie fragen: Wie haͤngt diese Erscheinung mit jener zusam- men? — Der Geist des Forschens ist die Erb- suͤnde, die uns von unsern ersten gefallenen Eltern angestammt ist. Alles, was ich sonst meine Gefuͤhle nannte, liegt todt und geschlachtet um mich her, zer- pfluͤcktes Spielzeug meiner unreifen Jugend, die zerschlagene magische Laterne, mit der ich meine Zeit vertaͤndelte; bunte Farben und Schattenspielwerk! Ich nenne mir manchmal den Nahmen Amalte oder Rosaline , um alles, wie mit einem Zauberspruche, wieder zum Leben zu er- wecken, aber auch die Erinnerung ist abgebluͤht, und wenn ich mein ganzes Leben hinuntersehe, so ist mir, als wenn ich uͤber ein abgemaͤhtes Stoppelfeld blicke; ein truͤber Herbst wandelt naͤher, der Nebel wird dichter, und der letzte Sonnenschein erlischt auf den fernen Bergen. Ich moͤchte in manchen Stunden von hier reisen und eine seltsame Natur mit ihren Wun- dern aufsuchen, steile Felsen erklettern, und in schwindelnde Abgruͤnde hinunterkriechen, mich in Hoͤlen verirren, und das dumpfe Rauschen unterirrdischer Wasser vernehmen, ich moͤchte Indiens seltsame Gestraͤuche besehen, und aus den Fluͤssen Wasser schoͤpfen, deren Nahme mich schon in den Kindermaͤrchen erquickte, Stuͤrme moͤcht’ ich auf dem Meere erleben, und die Aegyptischen Pyramiden besuchen; — o Rosa, wohin mit dieser Ungenuͤgsamkeit? und wuͤrde sie mir nicht selbst zum Orkus und in Elysium folgen? — Und lern’ und erfahr’ ich denn nicht hier in Rom genug? Genuͤgt mir nicht dies tiefe wun- derbare Leben, in dem die Wunder mit den Stunden wechseln? Wohin von hier? Das Ge- wand der ganzen Erde ist kahl und duͤrftig, — o Balder, ich moͤchte dich in den tiefen Ge- birgen aufsuchen, um von Dir zu lernen und mit Dir zu leben. Sollte es moͤglich seyn, daß ich schon hin- ter dem Vorhang staͤnde, der die jenseitige Welt von den hiesigen Menschen sondert? Es ist viel- leicht und ich erschrecke nicht mehr vor dem Gedanken. — Mein Geist knuͤpfet sich immer vertrauter an Andrea, ich verstehe ihn, so viel sich zwey Menschen verstehen koͤnnen, die immer das Nehmliche meynen und ganz etwas anders spre- chen; in jedem Koͤrper liegt die Seele, wie ein armer Gequaͤlter in dem Stiere des Phalaris, sie will ihren Jammer und ihre Schmerzen aus- druͤcken, und die Toͤne verwandeln sich und die- nen zur Belustigung der umgebenden Menge. — Sein feiner Sinn vermischt stets die Vernunft mit seinem innersten Gefuͤhle, er baut sich kei- ne Ueberzeugungen, um bequem in ihnen zu wohnen, er sucht nichts in sich zu veraͤndern und auszurotten. — Doch ich vergesse ganz, was ich erzaͤhlen wollte. Man vergißt uͤber Worte sich und al- les uͤbrige, wir sprechen selten von uns selbst, sondern meist nur daruͤber, wie wir von uns sprechen koͤnnten, jeder Brief ist eine Abhand- lung voll erlogener Saͤtze mit einem falschen Titel uͤberschrieben, und so moͤcht’ ich denn gern fortfahren zu schwatzen, wenn mich mein Gefuͤhl nicht zu sehr aͤngstigte und zur Erzaͤhlung einer seltsamen Begebenheit hinrisse. Es war vorgestern, als ich wit einer großen Gesellschaft zu einem praͤchtigen maskirten Bal- le fuhr. Ich liebe diese Maskeraden, weil sie mich stets in eine froͤlich wehmuͤthige Stim- mung versetzen. Das Rauschen der seltsamen Gestalten durch die Saͤle und auf den Treppen, das raͤthselhafte Gezische und Gefluͤster, die Unbekanntschaft mit allen Menschen umher, al- les ist fuͤr mich ein stilles Gedicht uͤber das menschliche Leben, ein Schauspiel, worin die Schauspieler selbst ihre Rollen nicht verstehn, und sie dennoch meisterhaft darstellen. — Ich sah hier Pantalons und Pierrot’s durcheinander springen, die Musik klang verworren in das bunte Geraͤusch hinein, die Kerzen flimmerten durch die Saͤle und glaͤnzten gegen den Putz von schoͤnkoeffirten Damen, ich stand an einen Pfeiler gelehnt und sah ohne Sehnsucht und ohne Ruhe in das große Findelhaus der mensch- lichen Narrheiten hinein. Von je hat mich die Maske, die mich nach und nach erhitzt, die gezwungene Art, aus den ausgeschnittenen Au- gen hervorzusehn, in eine Art von Trunkenheit versetzt; es waͤhrte daher nicht lange, so spielte alles nur, wie eine Traumgestalt um mich her- um, und ich fuhr manchmal heftig auf, um mich nur wach zu erhalten; ich konnte in man- chen Momenten gar nicht glauben, daß ich wirklich lebe, so seltsam umgab mich alles; wie den Kindern war mir, die durch einen rothen geschliffenen Stein die Sonne und die wunder- bar gespaltene Welt umher betrachten. Es war als saͤhe ich in einen schiefhaͤngenden Spiegel hinein, der mir eine andere weit entfernte Welt darstellte, die unser Geist nur zuweilen fluͤchtig besucht, wenn unser Koͤrper in tiefen Traͤumen liegt. Eine weibliche Gestalt strich kokettirend zu wiederholtenmalen bey mir voruͤber. Ich hatte schon oft das Rauschen ihres seidnen Gewandes gehoͤrt und ward jetzt erst aufmerksamer. Mir war, als wenn sie mich recht geflissentlich vor allen uͤbrigen Masken auszeichnete und eine Bekanntschaft mit mir suchte. Wir naͤherten uns mit den gewoͤhnlichen Formeln, und mir ward es wunderbar leicht, recht abgeschmackt zu seyn; es sammleten sich daher bald mehrere Karrikaturmasken, die mich ungemein witzig fanden. Die Eitelkeit, (die gewiß wie ein elektrischer Drath bis in das tiefste Fundament der Seele geht) ward in mir wach, und die Gegenstaͤnde umher erhielten eine bestimmtere Form, ich bemuͤhte mich nun, die Lobspruͤche meiner Bewunderer zu verdienen und mir die Zuneigung der unbekannten schoͤnen Maske zu erhalten. Das Gelaͤrm umher war lauter, mir aber bedeutender als bis jetzt, ich sah wieder mit freyen Blicken umher und fand mich willig in die Thorheiten der bunten Bilder, die wie ein belebtes magisches Kartenspiel um mich sprangen. O was ist der Mensch mit seinen Empfln- dungen, die so oft an den letzten Grundstein seines Gebaͤudes ruͤhren und dann wieder ver- schwinden und sich vielleicht nie wieder anmel- den? Meine Sinnlichkeit erwachte und ich ver- folgte die unbekannte Maske bald durch das dickste Gedraͤnge, ich begleitete sie, als sie in eins der Zimmer ging, um sich mit Eis zu er- quicken. Hier sah ich den schoͤnen Wnchs genauer und die zarten Arme, ich bat und flehte, aber sie wollte um keinen Preis die Maske vom Ge- sichte nehmen. — Ich verlohr sie im Saale wieder aus den Augen, dessen Getoͤn und Gebrause mir jetzt nach der augenblicklichen Ruhe, nach der stil- lern Erleuchtung des Zimmers innig zuwider war. Ich ging noch ein paarmal auf und ab, verlohr mich wieder in Traͤumereyen, und ging dann fort, um in meinen Wagen zu steigen. Zu meinem Erstaunen finde ich die oft gesuchte Maske vor der Thuͤr, sie vermißt ihren Wagen ich biete ihr den meinigen an, und, o welche Freude! sie schlaͤgt das Anerbieten nicht aus. — Nun waren wir allein im Wagen, und ich wandte alle meine Beredsamkeit an, um sie zu bewegen, die entstellende Maske abzunehmen. Sie thut es endlich mit einer kaltbluͤtigen Be- wegung, — und o, — die Haare richten sich mir noch empor, — — Rosaline sitzt ne- ben mir ! Sie warf mir einen drohenden Blick zu, und wie ein lauter Donnerschlag warf es sich in in den Wagen hinein. — Nun hoͤrt ich bloß das Rasseln der Raͤder, wie eine ganz ferne Kaskade, — ich fand mich am Morgen in mei- nem Zimmer wieder. — Alles ist Trug und Schein um uns her, aber warum wir uns selbst Phantasien erschaffen, die unser Inneres so gewaltig umruͤtteln, o wer kann das ergruͤnden? — Meine Haͤnde zittern noch, wenn ich daran denke, und doch ist es voruͤber und ich zweifle jetzt selbst daran, daß es war. Weiß ich doch kaum, was ich jetzt thue und denke. — 29. William Lovell an Andrea Cosimo . Rom . I n manchen Stunden, wenn ich so recht in- nig fuͤhle, wie alles umher und in uns nur Dunst und Rauch ist, moͤcht’ ich Dich fragen: aber was ist denn der Mensch und sein eigentli- ches Selbst? Was koͤnnen wir in ihm gut und boͤse, thoͤricht und verstaͤndig nennen? — Alles ist ein voruͤberaehend Raͤthsel, fades Wortspiel und langweiliger Zeitvertreib. 30. Andrea Cosimo an William Lovell . Rom . J edermann hat seine eigene Stimme und nur wenige wissen, was sie mit dieser sagen wollen. Die ganze Welt ist nichts als ein Gemaͤhlde, wo jedes Auge die Farben anders sieht. Auch meine Worte gehoͤren nur mir zu und passen im Munde keines andern. — Warum suchen wir immer nur Unterschiede zu machen? Alles in der Natur hat seinen na- hen und fernen Endzweck, wenn wir ihn auch nicht gewahr werden, weil wir Menschen sind, und immer wider unsern Willen uns selbst zur Axe des Universums machen und machen muͤs- sen. Eben so ist es in uns selber. — Die Unterschiede erfand nur der bloͤdere Sinn, um die Menschen in Reihen zu stellen; welcher Edle hatte nicht dieselben Neigungen und Triebe, dieselben Vorsaͤtze, die der faßte, den wir ei- nen Boͤsewicht nennen? Der Mensch kann nur unterscheiden nach den Erscheinungen, die aͤu- ßer- ßerlich und zufaͤllig aus seinem Bruder heraus- treten. Ich moͤchte keinen verdammen und kei- nen vergoͤttern, es ist alles Ein Gefolge, in dieselben Gewaͤnder eingehuͤllt, mir alle gleich unkenntlich und gleich gut, ein Trauerzug, der auf Bergeswegen dahin geht, und hinter einem dunkeln Walde verschwindet. Lovell. 2r Bd. Y 31. Andrea Cosimo an William Lovell . Rom . F reylich, lieber William, taͤuscht uns alles in und außer uns, aber eben deswegen sollte uns auch nichts hintergehen koͤnnen. Wo sind denn nun die Quaalen, von denen ich so oft muß re- den hoͤren, die unsre Irrthuͤmer, unsre Zwei- felsucht, der erste Sonnenstrahl unserer Ver- nunft uns erschaffen? Es ist die Zeit, die auf ihrem Wege durch die große weite Welt auch durch unser Inneres zieht, und dort alles auf eine wunderbare Weise veraͤndert. Veraͤnderung ist die einzige Art, wie wir die Zeit bemerken, und weil wir die Faͤhigkeit haben zu denken, haben wir auch zugleich die Fertigkeit verschie- denartige Gedanken hervorzubringen. Weil ei- ne Gedankenfolge uns ermuͤdet und am Ende nicht mehr beschaͤftigt, so macht eben dies eine andere nothwendig; und dies nennen die Men- schen gewoͤhnlich eine Veraͤnderung ihres Cha- rakters und ihrer Seele, weil sie sich immer viel zu wichtig finden, und sich gern uͤber und uͤber so mit Lichtern bestecken moͤchten, daß man sie aus dem Glanze gar nicht heraus finden kann. Kann sich denn aber das Wesen veraͤn- dern, das wir unsre Seele nennen? Hat es Theile, die von ihm losgerissen, oder die ihm angesetzt werden? Wechselt es sich mit einem andern aus? — O Freund, wir wechseln mit den Federn mit denen wir schreiben, die Seele mit ihrem Spielzeuge, den Gedanken, die von ihr selbst ganz unabhaͤngig und nur ein feineres Spiel der Sinne sind. Alles, was wir in uns kennen, ist Sinn- lichkeit, dorthin fuͤhren alle Fußtapfen, die wir in der einsamen Wuͤste entdecken, zu dieser ein- zigen Hoͤle werden wir immer wieder zuruͤckge- fuͤhrt, so seltsam sich der Weg auch kruͤmmen mag. Nur in der Sinnlichkeit koͤnnen wir uns begreifen, und sie regiert und ordnet das Ge- webe, das wir immer von unserm Geiste ge- trieben glauben. Bloß hierauf koͤnnen sich alle Plane und Entwuͤrfe, Wuͤnsche und stille Ahn- dungen gruͤnden; in dieser Koͤrperwelt bin ich mir selbst nur mein erstes und letztes Ziel, denn der Koͤrper ordnet alles nur fuͤr seinen Koͤrper an, er findet bloß Koͤrper in seinem Wege, und Y 2 eine Verbindung zwischen ihm und dem Geiste ist fuͤr unser Fassungsvermoͤgen unbegreiflich. Die Seele stehet tief hinab in einem dunkeln Hintergrunde und lebt im weiten Gebaͤude fuͤr sich, wie ein eingekerkerter Engel: sie haͤngt mit dem Koͤrper und seinen vielfachen Theilen eben so wenig zusammen, wie der Verbrecher mit der Stadt in der er gefangen sitzt; wie man eben so wenig glauben wuͤrde, daß alle Straßen mit den Thoren und Thuͤrmen umher bloß fuͤr den Gefangenen angelegt waͤren. Was kann ich also fuͤr meine Seele thun, die wie ein unaufgeloͤstes Raͤthsel in mir wohnt? die dem sichtbaren Menschen die groͤßte Will- kuͤhr laͤßt, weil sie ihn auf keine Weise beherr- schen kann? und wie kann ein Koͤrper gut oder boͤse seyn? — Er ist , das ist sein Verbrechen und seine Tugend, sein Daseyn ist seine Stra- fe, und seine Wohlthat, und wer hat dies nicht schon in sich selber empfunden? Damit die veraͤchtlichen Maschinen sich bruͤ- sten koͤnnen, haben sie Nahmen und Unterschie- de wie bunte, klaͤgliche Ordenszeichen erfun- den; nur der Poͤbel hat die tiefe Achtung vor diesen. Was bleibt uns uͤbrig, William, wenn wir alle leere Nahmen verbannen wollen? — Frei- lich nichts zu philosophiren und mit Enthusias- mus fuͤr die Tugend und gegen das Laster zu reden, kein Stolz, kein Gepraͤnge mit Redens- arten, aber immer noch eben so viel Raum um zu leben. Die Empfindung geht daher einen kuͤrzern und richtigern Weg, als der gruͤbelnde Ver- stand; denn das Gefuͤhl ist der Haushofmeister unserer Maschine, der erste Oberaufseher, der dem alten pedantischen Verstande alles uͤberlie- fert, der es weitlaͤuftig und auf seine ihm ei- gene Art bearbeitet. Gefuͤhl und Verstand sind zwey nebeneinander laufende Seiltaͤnzer, die sich ewig ihre Kunststuͤcke nachahmen, einer ver- achtet den andern und will ihn uͤbertreffen. Wenn wir nicht bloße Maschinen sind, so reißt sich die Seele einst gewiß von allem los, was sie so laͤstig gefangen haͤlt, sie wird nicht schließen und unterscheiden, nicht ahnden und glauben, sondern im raschen, reißenden Fluge nach ihrem ungekannten Vaterlande eilen, wo sie wirken und ungefesselt dauern kann. Wenigen wundervollen Menschen war es vielleicht gegoͤnnt, sich schon hier, von den Gauklern, ihren Sinnen, noch umgeben, ken- nen zu lernen, und in ihre innerste, verbor- genste Tiefe zu schauen. Aber die Natur wi- derstrebt mit allen ihren Kraͤften, sie sind selt- same Wunderdinge, die sich vor sich selber ent- setzen; die Fugen sind gerissen, der Geist sieht unmittelbar, ohne Sinne und ohne das Mittel- glas des Verstandes, in das Daseyn und die Gegenstaͤnde hinein und der Koͤrper schaudert unter heftigen Zuckungen. 32. Balder an William Lovell . H eut scheint die Sonne freundlich und ich den- ke an Deinen Nahmen, denn er ist wie blauer Himmel. Da war mir, als hoͤrt’ ich Deinen Gang hinter mir in den Gebuͤschen und ich sah mich um. Aber der Wind kletterte nur in den Baͤumen umher, und pfluͤckte einige reife Blaͤt- ter, die er der Erde, seiner Mutter, zum Ver- zehren hinlegte. Nun hab’ ich noch in meiner Schreibtafel ein Blatt Papier und ich will es nehmen, und jetzt mit Dir sprechen; vielleicht findet sich einst ein Mann, der es zu Dir hin- uͤbertraͤgt. Wechselnd gehn des Baches Wogen Und er fließet immer zu, Ohne Rast und ohne Ruh, Fühlt er sich hinabgezogen, Seinem dunkeln Abgrund zu. Also auch des Menschen Leben, Liebe, Tanz und Saft der Reben Sind die Wellenmelodie, Sie verstummt spa ͤ t oder früh. Ewig gehn die Sterne unter, Ewig geht die Sonne auf, Taucht sich roth ins Meer hinunter, Roth beginnt ihr Tages-Lauf. Nicht also des Menschen Leben, Seine Freuden bleiben aus, Ist er nur dem Tod gegeben, Er behält ihn dort im dunkeln Haus. — So werd’ ich jetzt gezwungen, nach einem gewissen Klange zu reden, der wie ein Wasser- fall in meiner Seele auf- und niedersteigt. Mich besuchen oft Leute in meiner einsamen Wald- wohnung, und sagen es ganz laut, so daß ich es hoͤre, ich sey ein Prophet von Gott gesandt. Die guten Leute meinen es aber in ihrem Sin ne recht gut, nur schieben sie das meiste auf meinen Bart, der mir wider meinen Willen so lang gewachsen ist. Die Sonne spielt froͤhlich zwischen den dun- kelgruͤnen Zweigen herab und ich sehe, wie je des Thier sich in ihr goldnes Netz so gern und willig faͤngt. Die ganze Natur ist begeistert und die Waldvoͤgel singen lange und schoͤne Lie- der, und die Baͤume stimmen drein mit lautem ehrwuͤrdigem Rauschen und wie Harfensaiten zittert und klingt alles nm mich her, und ich singe innerlich Gesaͤnge, ohne daß ich es weiß. Alte graue Helden treten So vertraulich zu mir her, Ehrfurchtsvolle Priester beten, Und es rauscht das griech’sche Meer. Circe’s Weberstühle sausen, Die Charybdis strudelt wild, Pan erwacht, die Wälder brausen, Jäger starren und es flieht das Wild. Lanzenkämpfer taumeln rüstig, Sich auf Rossen auf und her, Und Ariost ersinnet listig, Seine wundervolle Mähr Vom Orlando, Rodomant, Ach in seinen Liedern sonnt Sich der Dichter, plötzlich bricht er ab Ihn verschlingt das offne Grab. Ach und keine Verse sprechen Sanften Trost dem Armen zu, Alle Harfensaiten brechen Um ihn her die fürchterlichste Ruh. Ich denke noch daran, daß wir oft uͤber al- les sprachen, was ich jetzt immer wirklich vor mir sehe. Alle diese Leute sind nicht todt, sondern nur verdunkelt, sie kommen, wenn ich sie rufe, und vertragen sich bruͤderlich mit mir. Denkst Du noch zuweilen an mich, wie ich an Dich und Deine Thorheiten denke? Es ist mir jetzt ein neues ruhiges Leben angegangen, ich weiß es nicht zu sagen, wie sehr ich inner- lich froh bin. Eine andere stillere Seele ist in mich eingegangen, und die hat uͤber mich eine bessere Herrschaft angefangen. Ich weiß nicht in welchem Waldgebirge ich wohne, denn ich erkundige mich nie mehr nach Nahmen. Es sieht um meine Wohnung wun- derlich und doch schoͤn aus. Felsen stehn hoch und ernsthaft da, und Ulmen und Pappeln, und an den senkrechten Waͤnden haͤngt der Epheu dick wie Riesenlocken herunter. Es ist alles hier um mich lebendig und voll Freundschaft, die Baͤume gruͤßen mich, wenn ich aufwache, der Himmel zieht purpurroth uͤber meinen Kopf weg und seine bunten Lichter spielen um mich herum und necken mich. — Ach Freund, wenn man die Blumen und Pflanzen naͤher kennen lernt, was sie dann anders sind, als man ge- woͤhnlich glaubt, sie sind kluͤger als die Leute denken, und haben auch mehr Gewalt, als man meint. Die Menschenwissenschaft kennt nur ei- nen Theil ihrer geheimen Kraft. Blumen sind uns nah befreundet, Pflanzen unserm Blut verwandt, Und sie werden angefeindet, Und wir thun so unbekannt. Unser Kopf lenkt sich zum Denken Und die Blume nach dem Licht, Und wenn Nacht und Thau einbricht Sieht man sich die Blätter senken. Wie der Mensch zum Schlaf’ einnickt, Schlummert sie in sich gebückt. Schmetterlinge fahren nieder, Summen hier und summen dort, Summen ihre träge Lieder, Kommen her und schwirren fort, Und wenn Morgenroth den Himmel säumt, Wacht die Blum’ und sagt, sie hat geträumt, Weiß es nicht, daß voll von Schmetterlingen Alle Blätter ihres Kopfes hingen. O was wuͤrden die Menschen in der Nacht erblicken, wenn sie ploͤtzlich in ihren Traͤumen aufwachen koͤnnten. Der Traum steht vor ih- nen und weiß wenn der Mensch nicht mehr schlaͤft, der gewoͤhnliche Betrug giebt auf den ersten Wink Acht und rennt wieder an seine Stelle. — Aber ich war einmal krank und sah alles mit Augen, und griff es mit diesen Haͤn- den, mit denen ich jetzt schreibe, ich weiß selbst nicht warum; da hielt ein jedes Wunder or- dentlich stand und ich lachte uͤber die andern Menschen. Auch die Voͤgel und die Thiere, die Berge und die Felsen sind anders, als die Menschen sich einbilden wollen es zu wissen. Es ist nur zu weitlaͤuftig, sonst koͤnnt’ ich hier viel davon schreiben und es wuͤrde doch weder Dir noch einem andern Menschen nuͤtzen, denn wer’s nicht schon vorher weiß, kann mich doch immer nicht verstehn. So geht es mit allem Guten. Jeder Mensch spielt sein eigenes Instrument und hat einen andern Takt und ein anderes Lied abzuspielen. Da hab’ ich hier in einem Felsen einen Menschen gefunden, der alles so sehn kann, wie ich. Daß sich die Klugen doch so gern aus der Welt zuruͤckziehn! Aber in der Einsamkeit denkt und fuͤhlt die Seele anders, sie wird nicht durch das unordentliche Gezwitscher und Gepolter unterbrochen. In der freyen Natur ist alles mit der Seele verwandt und auf einen Ton gestimmt, in jedes Lied stimmt sie frey- willig ein und ist das Echo und eben so oft der Vorsaͤnger von allem was ich denke: ein kleiner Vogel kann mir vielen Verstand in mei- nen Kopf hereinlocken. Der Mensch ist taub und kann mich nicht reden hoͤren; aber wozu brauchen Menschen die Sprache? Sie ist unnuͤtz und eine seltsame Erfindung. Sie ist erfunden, um zu luͤgen, nicht um die Wahrheit zu reden, denn sonst waͤre sie besser und verstaͤndlicher; ein boshafter Luͤgner weiß alles damit zu ma- chen, dem Verstaͤndigen faͤllt sie zur Last. Wir leben wie Bruͤder bey einander und er hat gar kluge Einfaͤlle. Uns beiden kommt die Welt anders vor, wie den uͤbrigen Leuten, und doch ist die Kunst nur so klein und einfach. Ich halte mir auch Tauben, die ganz zahm geworden sind und doch ihren natuͤrlichen Muth und Verstand behalten haben. Ich habe sehr viel von ihnen gelernt, wenn sie manchmal so unter sich mit dem Kopfe nickten und girrten und sich ihre Zeichen machten, mit denen sie manchmal uͤber den Menschen spotten. Diese und die Laͤmmer, die mit mir essen, sind die unschul- digsten und besten Geschoͤpfe von der Welt, und wenn sie Dich kennten, wuͤrden sie Dich gruͤßen lassen. Es ist nur um die Reise zu thun, so koͤnntest du hier mit mir leben. Von den großen Dingen, die ich weiß, kann und darf ich Dir nichts schreiben. Es ist bloß darum ein Geheimniß, weil Du es nicht ver stehn wuͤrdest. Den Nahmen Gottes denen nennen, Die ihn nicht mit dem Herzen kennen, Ist Missethat. Es hängen um mich Geisterchöre, Und sprechen laut, daß ich es höre; — Sie halten Rath. »Laß Mensch jetzt deine Zunge schweigen, »Bis sich die runden Jahre neigen,« So tönt’s herab; »Was willst du vor der Zeit enthüllen? »Den Durst nach dieser Weisheit stillen »Ja Tod und Grab!« Und so will ich denn lieber enden, um mir kein Mißfallen zuzuziehn. Lebe wohl, William, so schreibe ich hier in meinen Bergen. — Die Stauden winken mir, zu ihnen zu kommen, und ein Wort mit ihnen zu sprechen, denn sie halten alle viel von mir; meinen Rosen muß ich noch Wasser zu trinken geben, und dann muß ich die kranke Pappel besuchen, die der Wind eingeknickt hat. Es ist ganz mein freyer Wille, aber ich habe es mir selbst zum Gesetze gemacht; ich helfe ihnen in vielen Sachen, und die Blumen und Baͤu- me hier wuͤrden sich sehr graͤmen, wenn ich einmal fortzoͤge. Die Laͤmmer wundern sich, weil ich schrei- be, was sie von mir noch nicht gesehn haben. Die unschuldigen Thiere koͤnnen nur auf ihre Art sprechen, und es ist auch eben so gut. Lebe recht wohl, ich will das Blatt einem fremden Manne geben. 33. William Lovell an Rosa . Rom . W ohin soll ich mich mit meinen Gedanken und Empfindungen wenden? Ueberall bin ich mir fremd, und uͤberall find’ ich mit meinen Ideen einen wundervollen Zusammenhang. Der hoͤchste Klang des Schmerzes und der Quaal fließt wieder in den sanften Wohllaut der Freu- de ein, das Veraͤchtliche steht erhaben und die Erhabenheit faͤllt zu Boden. Wie im Abgrunde der See Geschmeide und Kostbarkeiten unter Schlamm und neben verweseten Gerippen glaͤn- zen, so seltsam liegt alles in meinem Innern durcheinander. Es funkelt Gold in wilden Trümmern, Tief im verborgenen Gestein, Ich sehe ferne Schätze schimmern, Mich lockt der räthselhafte Schein. Und hinter mir fällt es zusammen, Ha! um mich her ein enges Grab, Die Welt, der Tag entflieht, die Flammen Der Kerzen sinken, sterben ab. Die Die Hand klopft zitternd an die Wände, Der unterirrd’sche Wandrer schaut Nach Licht und Rettung, ohne Ende Das Dunkel! — Ihn erquickt kein Laut. Er hämmert in den Felsgemächern Mit einer dumpfen Lebensgier, Gefangen von den dunkeln Rächern, Zur Strafe seiner Wißbegier. Da äugelt aus der fernsten Ritze Ein blaues Lichtchen nach mir hin, Ich krieche zu der schroffen Spitze, Und taste mit entzücktem Sinn, Und ach, es ist das Goldgestein, Das mich zuerst hieher versucht, Nun labt mich nicht der Flimmerschein, Der boshaft mich zuerst versucht. Es sehnt der Geist sich nach dem Bande, Das ihn mit zarter Fessel hielt, Als er sich wie im Vaterlande In seiner stillen Brust gefühlt. Doch fern ach! liegt das heimische Gestade, Am wilden Taurien verirrt, Kniet er umsonst und flehet Gnade, Das blut’ge Opfermesser klirrt! Doch Blumen blühn in diesen Schrecken, Die hell mit rothem Purpur glühn, Die Todesschatten, die ihn decken, Sie lassen prächt’ge Funken sprühn. Lovell. 2r. Bd. Z Liegt alles nur im Sinnenglücke? Vereint sich jeder Ton zum Chor? Für tausend Ströme eine Brücke? Gehn alle Pilger durch dasselbe Thor? So öffnet mir die dunkeln Reiche, Daß ich ein Wandrer drinnen geh, Daß ich nur einst das Ziel erreiche Und jedes Wunder schnell versteh. Eröffnet mir die finstern Pforten, An denen schwarze Wächter stehn, Laßt alle gräßlichen Kohorten, Mit mir durch jene Pfade gehn! Je wildre Schrecken mich ergreifen, Je höher mich der Wahnsinn hebt, So lauter alle Stürme pfeifen, Je ängstlicher mein Busen bebt, So inniger heiß ich willkommen Was gräßlich sich mir näher schleift, Dem irrd’schen Leben abgenommen, Zum Geisterumgang nun gereift. Alles Wilde, was ich je gedacht, Alle Schrecken, die ich je empfunden, Rückerinn’rung aus der trübsten Nacht, Grauen meiner schwärzsten Stunden, O vereinigt euch mit meinen Freuden, Stürmet alle um mich her, Schlinget euch an alle meine Leiden, Fluthet um mich gleich dem wilden Meer, Daß das Morgenroth sich in dem Abgrund spiegle, Graun und Schrecken meine Heymath sey, Daß der Wahnsinn immer rascher mich beflügle, Und zum dunkeln Thor der Hölle zügle, Nur Erynnen! giebt mich von den Zweifeln frey! O Rosa, hier haͤtten Sie nun von neuem Gelegenheit, uͤber mich zu spotten, aber ich fin- de immer mehr, daß man manches nur in Ver- sen und in einer Art von Wahusinn sagen koͤn- ne, die prosaische Sprache widerspricht diesem Unsinn in jeder Zeile. Lesen Sie doch aufmerksam Balders wun- derbaren Brief, der wie der Gesang eines frem- den, verirrten Vogels zu uns heruͤbertoͤnt. Ich moͤchte Ihnen gern noch so vieles schrei- ben und kann keine Worte und keine Begriffe finden, es ist alles in mir wuͤst und verlassen, wie eine Gegend nach einem Erdbeben. — Ich kann in mir selber keine Ruhe finden. Geben Sie mir nur Eine Ueberzeugung und ich bin zufrieden. Dieser Zweifel ist der Henker, der unsre Seele auf die Folter legt. Andrea mag mir dagegen sagen, was er will: es ist die Arbeit der Danaiden in der Unterwelt, immer wieder von neuem und stets von neuem dieselben Gedanken ohne Erfolg durch unsern Kopf rin- nen zu lassen. Z 2 34. Willy an seinen Bruder Thomas . Kensen . Lieber Bruder. I ch habe Dich also doch nun wirklich endlich gesehen, und ich bin nun wieder umgekehrt, und sitze und denke hier in Kensea wieder an Dich, wo ich nach dem Willen meines lieben verstorbenen Herrn als ein Verwalter bleiben soll, bis mein Herr William aus Italien zuruͤckkoͤmmt. Wie ist die Zeit und das menschliche Leben doch so gar fluͤchtig! Es ist nicht anders, als wenn wir nur solche Bilder waͤren, die auf den Schießplaͤtzen den Schuͤtzen oft vorbeygezogen werden, man sieht sie kaum, so sind sie auch schon wieder weg. Hier leb’ ich nun recht ruhig und von der ganzen Welt abgesondert. Ich denke oft an den guten alten Lord Lovell, der nun auch gestor- ben ist, und an alles, was ich so Zeit meines Lebens erfahren habe. Ich bin innerlich recht zur Ruhe gekommen und es ist mir, als wenn ich mich immerfort im Stillen graͤmte. Das ist nun hier dasselbe Haus, in das ich als ein junger Bursche so munter und flink eintrat und mir alles in der Welt so herrlich und wie an- geputzt vorkam; ich dachte immer: Ey, Willy, du bist jung, wie vieles Gluͤck kann Dir noch begegnen, nur frisch und munter! Ich schrieb Dir damals auch einen langen und recht uͤber- muͤthigen Brief, denn ich bildete mir auf die blanken Tressen auf meinem Rocke nicht wenig ein; es war mir mein Blut so warm, daß ich ordentlich glaubte, die ganze Welt sey nur mir zu Gefallen erschaffen. — Und nun, lieber Bru- der, wenn ich daran denke, wie manche schwe- re Krankheit ich seitdem uͤberstanden habe, wie oft es Dir so recht schlecht gegangen ist, daß ich herzlich weinen mußte, was alles der gute Lord Lovell gelitten hat, wie wir uns beyde nur im Grunde wenig gesehn hatten, wie ich mit der Herrschaft bald hier und bald da ge- wohnt habe, und wie ich nun als ein alter ab- gelebter Mann wieder uͤber dieselbe Schwelle schritt, uͤber die ich als ein junger Bursche sprang, — o lieber Bruder, so kann ich Dir gar nicht sagen, wie seltsam mir dabey zu Mu- the wird. Ich moͤchte sagen, ich haͤtte mich damals bloß in einen jungen Menschen verklei- det, oder mich nur jung angestellt, so unnatuͤr- lich koͤmmt es mir von damals vor. Herr Mor- timer und seine Frau ist einmal hier durchge- fahren und er hat mich bey der Gelegenheit be- sucht. Er ist munter und gesund und dabey recht freundlich gegen mich. Ich gehe fleißig in die Kirche und halte mich jetzt mit meinen Gedanken mehr zu Gott, als jemals. Alles uͤbrige ist doch nur eitel und vergaͤnglich. Der Garten hier ist gegen ehemals recht verwildert und ich kann ihn mit dem Gaͤrtner unmoͤglich wieder recht in Ordnung bringen; das liebe Unkraut hat sich allenthalben einge- schlichen und tiefe Wurzel gefaßt; wir thun bei- de was wir koͤnnen, aber es will immer nichts fruchten. Bleib ja gesund, lieber Bruder, daß wir uns vor unserm Tode noch einmal sehn koͤnnen, endlich muß es doch an’s Sterben gehn, da hilft kein Widerstreben und dann wollen wir sanft und geruhig in dem Herrn entschlafen. 35. Thomas an seinen Bruder Willy . Bonstreet . D eine Briefe, lieber Willy, sind mir jetzt immer gar zu fromm. Es ist freylich wohl wahr, daß man sich in Deinem Alter von dem Irrdischen etwas abziehen kann, und man thut ganz recht und wohl daran, aber alles Ding, Willy, hat auch sein Maaß und Ziel. Wir sind in der Welt, um zu arbeiten, und etwas zu thun und dazu moͤchte man alle Kourage verliehren, wenn man immer nur an die Ver- gaͤnglichkeit der Dinge denken wollte, darum bilde ich mir manchmal ein, daß manches, was ich thue und verfertige, ewig dauern wuͤrde, und mir ist ganz wohl dabey zu Muthe. Was du mir von Deinem Garten schreibst, will ich gar gern glauben, weil Du und der Gaͤrtner vielleicht nicht mit dem Dinge umzu- gehen wissen. Auch gehoͤren zu solchem Werke viele Arbeiter und Gartenknechte, wie du wohl auch hier an meinem Garten in Bonstreet wirst gesehn haben; die Natur haͤngt einmal nach dem Verwildern hin, und darum muß man Tag und Nacht dagegen arbeiten. Der alte Lord Burton ist recht gefaͤhrlich krank und ich glaube, daß er schon zum Grabe reif ist. Die Unterthanen sind alle vergnuͤgt, und seine Kinder sind die einzigen, die ich wei- nen sehe. Es ist ihre Pflicht, als Kinder, sonst hat er von den andern nicht leicht eine Thraͤne verdient; er bekehrt sich vielleicht noch in seinen letzten Stunden, welches ich von Her- zen wuͤnschen will. Auf den Sohn hoffen wir aber alle recht mit Sehnsucht, und ich denke, es soll denn auch mit meinem Garten hier ein ander Ansehn gewinnen. Ich habe mit allen meinen Herrschaften bisher immer Ungluͤck ge- habt; die alte Dame in Waterhall ließ den Garten fast ganz verwildern, und der alte Lord Burton hat gar keinen recht guten Geschmack, und man darf ihm nichts einmal dagegen sagen, sonst wird er noch obendrein boͤse. So alt ich bin, so hoͤr’ ich es doch gerne, wenn fremde Herrschaften so den Garten und den Fleiß des Gaͤrtners loben, und der Sohn, der junge Herr, hat auch schon manchmal mit mir daruͤber ge- sprochen, ausser seit sein Vater so krank ist, wo er ordentlich melancholisch geworden ist. Man soll den hiesigen Garten gewiß weit und breit loben, die Leute sollen weit hieher reisen, um ihn zu sehn. Siehst Du, Willy, noch in mei- nen alten Tagen denke ich Ehre einzulegen, ich thue nicht so verzagt wie du. Lebe wohl und bleibe nur gesund. 36. Andrea Cosimo an William Lovell . Rom . I st denn Dein umherschweifendes, unruhiges Gemuͤth nun endlich zur Ruhe gebracht? Deine wilden Zweifel sind aufgeloͤst und Du wirst Dich und die Welt wieder unbefangener betrachten koͤnnen. Ich habe alles fuͤr Dich gethan, was ich thun konnte, und der ungestuͤmste Zweifler haͤtte dadurch befriedigt werden muͤssen. 37. William Lovell an Andrea Cosimo . I ch danke Dir, daß Du mich endlich aus den verworrenen Labyrinthen wieder zum Lichte des Tages gefuͤhrt hast, denn meine Seele erlag allen den ungeduldigen Zweifeln. Aber jetzt ord- net sich alles Unstaͤte und Umherschweifende in meinem Gemuͤthe wie an Faͤden die alle in Ei- nem Mittelpunkte zusammentreffen. Du hast mich von der Wirklichkeit einer wunderbaren Welt uͤberzeugt und alles hat sich in mir zu- frieden gegeben, alle Ideen und Empfindungen nehmen wieder ihre natuͤrliche Stelle ein und die Harmonie mit mir selbst ist hergestellt. 38. William Lovell an Rosa . Rom . E ndlich, Freund, bin ich beruhigt, ich habe die hoͤchsten Spannungen der Phantasie uͤber- standen und ein gewoͤhnlicheres Leben nimmt seinen Anfang. Andrea hat mich endlich von seiner Lehre uͤberzeugt und ich fuͤhle mich inner- lich beruhigt, ich bin an eine stille ruhige In- sel nach einem wilden Sturme verschlagen. Fol- gen Sie meinem Beyspiele, Rosa, und werfen Sie sich einer Ueberzeugung in die Arme, um beruhigt zu werden. Ueberzeugungen muß der Mensch haben, um sein Daseyn ertragen zu koͤnnen, um nicht vor sich selbst und dem Ab- grunde den er in seinem Innern entdeckt zuruͤck- zuschaudern. Ich mag diese Nothwendigkeit keine Schwaͤche nennen, denn durch Glaube und Ueberzeugung fuͤhlt sich der Mensch stark; seine Zweifel waren nur ziehende Wogen die ihn an das feste Gestade trugen. 39. Mortimer an Eduard Burton . Roger—place . I ch habe seit lange, theurer Freund, keine Nachrichten von Ihnen erhalten, und ich gera- the fast in die Besorgniß, daß Sie ebenfalls krank sind. Mit Ihrem Vater hat es sich wahr- scheinlich nicht gebessert, denn sonst wuͤrden Sie mir wohl einige Nachricht davon gegeben ha- ben. Ich fuͤhle mich in der Einfoͤrmigkeit des Landlebens noch immer sehr gluͤcklich; es schei- nen mir lauter Mißverstaͤndnisse zu seyn, wenn die Menschen so aͤmsig nach ihrem Gluͤcke su- chen, selten denkt man sich bey dem Worte Gluͤck etwas deutliches, und die Wandrer gehn nun oft auf wunderbaren Wegen um das Ziel herum. Amalia ist eben so froh und gesund, als ich bin, und ich moͤchte sagen, daß sie mit jedem Tage heiterer wird. Ich habe mich jetzt daran gewoͤhnt, eine eigeue Haushaltung zu fuͤhren, und ich und meine Frau haben uns noch nie gestritten, ein paar recht freundschaftliche Zaͤnkereyen abgerech- net, die uͤber ein haͤsliches Weib entstanden, die Amalia aus zu großer Gutherzigkeit in ihre Dienste genommen hat. Dies Wesen hat ganz das Ansehen einer verzauberten Fee, wenigstens habe ich noch in keinem Maͤhrchen eine Be- schreibung von einer haͤßlichern gefunden, ihre Physiognomie ist mir im hoͤchsten Grade zuwi- der, es ist nicht meine Schuld, wenn ich sie zugleich fuͤr boshaft halten muß. Leben Sie recht wohl und antworten Sie mir bald. 40. Eduard Burton an Mortimer . Bonstreet . I ch konnte Ihnen bisher nicht schreiben, theu- rer Freund, weil die Krankheit meines Vaters, die mit jedem Tage zunahm, mich zu sehr be- schaͤstigte und zerstreute. Sie ahnden es viel- leicht aus diesem Anfange, daß er nicht mehr ist, und diese Nachricht war es, die der Inn- halt meines Briefes werden sollte. Ja Morti- mer, er hat endlich alle Schmerzen die ihn fol- terten uͤberstanden, und auch ich bin nun ruhi- ger. Seine Seele schied schwer von ihrem Koͤr- per, der sie doch nicht mehr zuruͤckhalten konn- te; ich kann es nicht unterlassen, ihn stets von neuem zu beweinen, wenn es mir wieder lebhaft einfaͤllt, daß er nicht mehr ist, so viel ich auch in manchen Stunden von ihm habe leiden muͤs- sen. Ach, ich habe alles, alles vergessen, denn er war in seinen letzten Stunden so freundlich und zaͤrtlich gegen mich; er haͤtte sich mit der ganzen Welt so gern versoͤhnt, und sprach oft mit vieler Ruͤhrung von Lovell, seinem gestorbe- nen Feinde. — Vor seinem Tode hat er noch viele Papiere verbrannt, die er mit nassen Au- gen betrachtete. Leben Sie recht wohl und gluͤcklich, ich wer- de Sie auf einige Tage besuchen, um mich zu zerstreuen. Morgen ist das Begraͤbniß. William Lovell . Drittes Buch . Lovell. 2r Bd. A a 1. Eduard Burton an Mortimer . Bonstreet . M ein Sinn ist wieder frey, und die Natur umher wieder heiter. Die tiefe Traurigkeit kann mit allem Rechte zu den gefaͤhrlichen Krank- heiten gerechnet werden. Ich bin jetzt genesen, und der Schmerz der Ruͤckerinnerung ist weit sanfter und geistiger; wenn ich jetzt nur noch einige Geschaͤfte in Ordnung gebracht habe, so sehn Sie mich auf einige Tage in Ihrer Woh- nung. Wozu die Klagen, die ungestuͤmen Stuͤrme gegen ein unabaͤnderliches und gewiß guͤtiges Schicksal? — Er ist hinab, zur Ruhe gegan- gen, und es ist menschlich die Arme nach dem Verschwindenden auszustrecken; aber war denn das Leben sein Gewinn und sein Gluͤck? Der Mensch betrachte den Himmel mit seiner Son- ne und mit seinen Sternen, und alle aͤngstlichen A a 2 Zweifel in seiner Brust werden vergehen, das Wohlwollen das wir in uns selbst empfinden, ist die Seele der ganzen Natur, ein Strom aus dem allgemeinen Meer der Liebe, aus Gott der sich in jedes Herz mit leisem Rieseln senkt. — Der gemeinste und der hoͤchste Sinn haben hier nur einen und denselben Trost. Aus jeder herben Empfindung entspringen bald froͤliche Gefuͤhle und ich glaube, daß mei- ne Schwester schon jetzt mit Hoffnungen ihre Phantasie schmuͤckt, die sie bis jetzt unterdruͤk- ken mußte. Es ist mir nie so recht gelungen, ihr eigentlicher Vertrauter zu werden, aber ich verarge ihr dies neue Leben nicht, obgleich Lo- vell in seiner jetzigen Stimmung schreckliche Saͤtze darinn uͤber die Menschen entdecken wuͤr- de. — O wie schmerzt es mich, so oft ich die- sen Nahmen niederschreibe! Leben Sie recht wohl, Emilie laͤßt Ihre Gattinn herzlich gruͤßen. 2. Karl Wilmont an seinen Freund Mortimer . London . D u vermnthest mich vielleicht noch in Bon- street und wunderst Dich den Brief von London datirt zu sehn? Nein, Mortimer, ich wuͤnschte nicht, daß Du lange in Deinem Erstaunen bleiben moͤgest, denn ich fuͤhle es, daß ich hier seyn muß. Ich habe vier gluͤckliche Tage in Bonstreet, an Emiliens Seite verlebt, und bey Gott, es hat mich noch nicht einen Augenblick gereuet, daß ich wieder so schnell abgereist bin. Ich sollte unwuͤrdig genug seyn, Sie sogleich mit ihrer reichen Aussteuer zu heyrathen und dann gemaͤchlich von ihrem Vermoͤgen zu leben? Es kam bloß auf mich an, aber bey der ersten Nachricht von Burtons Tode ging mir der Ge- danke durch deu Kopf, daß ich ein unwuͤrdiger Mensch waͤre, wenn ich es thaͤte. Du weißt, daß ich mehrere gute Empfehlungen an den Mi- nister hatte, und er nahm mich freundlicher auf als ich erwarten konnte: bey ihm arbeite ich jetzt. Ich theilte Emilien sogleich als ich in Bonstreet ankam meinen Plan mit und sie konnte ihn auf keine Weise mißbilligen. Das Bewußtseyn ihrer Liebe begleitet mich an mei- nen Arbeitstisch und die schwersten Geschaͤfte laͤcheln mich an; wir sind beyde noch jung, und so mag unsere Vereinigung noch immer ein Jahr oder etwas laͤnger aufgeschoben bleiben; in dieser Zeit denke ich befoͤrdert zu werden und ihr dann doch mit einem kleinen Gluͤcke entge- gen zu kommen. Ich laͤchle uͤber mich selber wie ich bisher alles ernstere, festere Leben verabsaͤumt habe, sie nur so oft als moͤglich zu sehn suchte, und daß ich jetzt hier sitze, freywillig von ihr ver- bannt und mir noch aus meinem kaͤltern Sinn ein großes Verdienst mache. Aber bisher war sie mir ungeist und ich verlaͤngre nun gern mei- ne poetische Idyllenexistenz, das goldne Zeital- ter der reinen Liebe, das doch nachher auf im- mer verlohren ist. Meine Lebensgeister sind sehr munter, und mir ist immer als wenn ich bey Emilien waͤre. Die Stadt mit allen ihren Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten gefaͤllt mir, denn ich bin wie mit einer neuen und kluͤgern Jugend beschenkt. Wie herrlich das Leben mit seinem Treiben und seinem Gewuͤhle vor mir liegt! Wer wollte sich nicht gern unter die Schwim- mer auf diesem glaͤnzenden Strome mischen? Zuweilen mache ich mir Vorwuͤrfe daruͤber, daß ich innerlich so froh bin. Die Menschen, (und ich mit eingerechnet,) sind ausgemachte Nar- ren. Einen truͤben, verkehrten Sinn, in dem sich alle Gegenstaͤnde dunkel und unkenntlich ab- spiegeln, halten Sie vie l leichter fuͤr den Rahm der Tugend, als die frohe Gemuͤthsstimmung. Ich freue mich ja nicht uͤber Burtons Tod, nicht daß er mir aus dem Wege gegangen ist, — o nein, nur uͤber die Ebene, die ploͤtzlich, ohne mein Zuthun, vor meinen Fuͤßen liegt. Die Menschen sind darinn ganz gute Geschoͤpfe, und wohl mir, daß auch ich mir jetzt so recht wichtig und bedeutend vorkomme, daß ich alle Vorstellungen auf mich und mein kuͤnftiges Gluͤck beziehe! Man lasse doch alle große kos- mopolitische Plane, allen Kummer uͤber Welt- begebenheiten fahren, und liebe sich und die Menschen recht innig, die der guͤtige Himmel dicht um uns angepflanzt hat! Dieser Empfin- dung, diesem Vorsatze will ich folgen, und Du mein lieber Mortimer, bist mit unter meine Ge- liebten eingeschlossen; aber auch meine Schwe- ster die Du gruͤßen sollst, und jeden der sonst im Hause nach mir fraͤgt, selbst die haͤsliche Charlotte nicht abgerechnet, die Dir so zuwi- der ist. 3. Mortimer an Karl Willmont . Roger — place D einen Gruß an Charlotten magst Du bey der ersten Gelegenheit selbst bestellen, denn ich spreche nur ungern mit ihr, die uͤbrigen sind besorgt und alle sagen von Herzen Dank, daß du Dich ihrer mit einem so froͤhlichen Wohl- wollen erinnerst. Dein Brief, Karl, hat mir sehr gefallen, denn eine liebenswuͤrdige Mensch- lichkeit fuͤhrt darinn das Wort, wir sollten alle so empfinden, und die Menschen wuͤrden sich aus dieser duͤrren Erde einen Garten machen. Nein, du brauchst dir keine Vorwuͤrfe zu machen, lieber, unbefangener Mensch. Liegt es denn nicht in unserer Natur, daß wir das Gluͤck willkommen heißen, wo wir es finden? Deine Seele hat ihre Unschuld behalten und Du wirst nie schlecht empfinden, und wenn auch bey der Betruͤbniß andrer Dein Mund sich zum frohsten Lachen zieht. Mit Deinem Plane bin ich ebenfalls sehr zufrieden, die Thaͤtigkeit wird Dich zum Manne machen, denn das ist der große Vortheil der Beschaͤftigung, daß sie unsern Geist reifer macht, wenn sie gleich in sich selbst oft keinen großen Werth hat. Die meisten Menschen wissen im- mer nicht, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen, wenn sie nicht von einer geordneten Thaͤtigkeit mitgenommen werden, sie werden dann nur gar zu leicht auch im Geiste muͤssig und faul und sind nachher fuͤr jede Arbeit un- brauchbar, wenn sie auch gerne arbeiten wollten, ihr Daseyn wird dann durch ewige unbedeuten- de Zerstreuungen zerschnitten und sie werden sich selbst zur Last. Du wirst bald fuͤhlen wie Dein Geist durch eine nicht uͤbertriebene und verworrene Thaͤtigkeit elastischer wird und Emi- lie wird mehr als einen Gewinn davon haben. Alle Deine Wuͤnsche moͤgen in Erfuͤllung gehn, nur erliege nicht unter Deinen Vorsaͤtzen. 4. Emilie Burton an ihre Freundinn Amalie . Bonstreet . M orgen, liebe Freundinn, reise ich mit meinem Bruder von hier ab, um Sie auf einige Tage zu besuchen. Ich bin jetzt wie aus einem Ker- ker erloͤst, seit ich nicht mehr so traurig bin; man fuͤhlt nie so tief, wie wenig alle Vernunft- gruͤnde vermoͤgen, man bemerkt nie so sehr, wie schwach wir sind, als wenn ein recht hefti- ger Schmerz unsre Seele durchdringt. Alle unsre Freuden und Hoffnungen fliehen dann ploͤtzlich hinweg, und bleiben in einer unkennt- lichen Ferne stehn; die Verzweiflung breitet sich in unserm ganzen Innern aus und wir kommen uns selber als Kinder vor, daß wir uns uͤber irgend etwas freuen konnten. Aber nach einem heftigen Schmerze, wenn die Brust sich erst durch Schluchzen freyern Athem gemacht hat, fuͤhlen wir unser Leben dann auch mit frischem Wohlbehagen; und wie freue ich mich jetzt, Sie nach einer so langen Trennung wieder zu sehn! — Mein Herz wird sich in Ihrem Gespraͤche erleichtert fuͤhlen, und Sie werden mir dann so vieles, so mancherley erzaͤhlen muͤssen. — Ich erschrecke manchmal innig, wenn ich ploͤtzlich daran denke, wie al- les sich in und um uns veraͤndert; wie manches ist jetzt anders als es noch vor einem Jahre war, und wie anders waren wir, als wir noch zwey Jahre juͤnger waren! Mich befaͤllt es manch, mal, daß ich glaube, der Mensch koͤnne fuͤr nichts in sich gut sagen; und wie betruͤbt ist dieser Gedanke! Warum fang’ ich an so weitlaͤuftig zu wer- den, da wir uns nun bald muͤndlich sprechen? — Denken Sie wohl noch zuweilen an den ar- men Lovell? Was er jetzt treiben mag, der ar- me in sich verungluͤckte Mensch! — Ich moͤch- te ihn wohl noch einmal wieder sehn. — Le- ben Sie wohl. 5. Bianka an William Lovell . Rom . I ch sehe Dich jetzt nur so selten, Du eigensin- niger Traͤumer! und dann nur auf einzelne fluͤchtige Augenblicke! Es ist mir eingefallen, wenn ich manchmal Dein verdruͤßliches Gesicht ansehe, daß Du selbst nichts weißt, was Du von Dir und von mir haben willst. Umsonst werden alle Scherze und jeder Muthwille wach, wenn Du bey mir bist; Du bleibst in Deiner Verschlossenheit, und laͤchelst nur zuweilen halb mitleidig, halb erzwungen, um mich nur nicht rasend zu machen. — Ist das derselbe Lovell den sich vor einem Jahre mein luͤsternes Auge wuͤnschte? Laura ist bey mir und wir haben eben von Deiner unertraͤglichen Laune gesprochen. Daß wir uns so an Dich gewoͤhnt haben, ja daß wir Dich so lieben, ist um zu verzweifeln! Es fehlt nicht viel, daß wir Sonnette auf Dich machten; aber nimm Dich in Acht, daß es nicht im Ernste Satyren werden! O ihr Maͤnner! seyd ihr nicht unbegreifliche Thoren, daß Ihr erst mit so vielen Erniedri- gungen um unsre Gunst bettelt, und sie verach- tet, wenn ihr endlich erhoͤrt seyd! Muͤßtest Du Dich nicht hoch gluͤcklich schaͤtzen, daß zwey roͤ- mische Maͤdchen, ich und meine Freundinn Lau- ra, Dich so lieben? nicht fuͤr Dein Geld, son- dern weil Du Lovell bist. Aber Du bist ein kalter, noͤrdlicher Satan, der mich martert und mich mit meiner innigen Liebe veraͤchtlich stehn laͤßt und voruͤbergeht! — Ich will auch nicht mehr an Dich denken, ich will Dich bey andern Maͤnnern vergessen! Aber besuche mich nur heut noch, wenn Du Dich nicht besser zu beschaͤftigen weißt, ich will meine ganze Phantasie aufbieten, Dich froͤhli- cher zu machen. Hast du Verdruß, Haͤndel und Prozesse viel- leicht in Deinem Vaterlande? — O laß alles fahren und freue Dich des Lebens und der Lie- be! Was ist alles uͤbrige? — Nicht der Muͤhe werth um davon zu reden. — O das habe ich Dich so oft an meinem Busen beschwoͤren hoͤren, Du Ungetreuer! Komm und sey jetzt nicht meineidig, sondern wiederhole Deinen Schwur. — Wenn Du es willst, soll Laura bey mir bleiben. Sehr naͤrrisch macht sich die Feder in mei- nen zum Schreiben ungelenken Fingern aber moͤchten die ungeschickten verwirrten Streiche doch Zaubercharakter seyn, die Dich unaufhalt- sam herbannten! 6. Franzesko an William Lovell . Rom . S ie waren gestern ganz ohne Zweifel boͤse auf mich, weil ich Sie mit Adriano bey Ihrer Bianka stoͤrte, aber ich hoffe, ich habe mich doch im Ganzen so schnell wieder entfernt, daß Sie nicht unversoͤhnlich seyn werden. Ich rei- che Ihnen mit aller meiner Gutmuͤthigkeit die Hand zum Frieden, denn es waͤre unverzeihlich, wenn wir beyde noch vor Ihrer Abreise Feinde werden sollten. Wenn ich nicht etwas zu fett waͤre, so wuͤr- de ich Sie begleiten und bey der Gelegenheit auch einmal andre Laͤnder, als Italien zu sehn bekommen; aber so bin ich in mir selber gefan- gen, denn das Reisen bekoͤmmt mir nie. Son- derbar, daß wenn man es sich gut schmecken laͤßt, man es nachher muͤhsam findet, einen Berg zu erklettern. — Indessen es lassen sich nicht alle Genuͤsse und alle Vortreflichkeiten verbinden. Wenn Wenn ich mir meine neugierige Seele den- ke, die so in schweren unbeholfenen Fesseln sitzt, und doch gern manches Neue lernen und erfah- ren moͤchte, so bekomme ich ein ordentliches Mitleiden mit mir selber. Als ich noch zuwei- len weit zu Fuße ging, nahm ich mir vor, den groͤßten Theil der Welt recht genau zu berrach- ten , und jetzt habe ich nun alles im verjuͤngten Maaßstabe, in Kupferstichen vor mir und muß mich daran begnuͤgen. — Doch, was hat man von einer ganzen Reise, wenn man wieder koͤmmt? Trinken Sie ja nicht gleich kalt Wasser, wenn Sie aus dem Wagen oder vom Pferde steigen, denn ich habe es aus eigner Erfahrung, daß das sehr schaͤdlich ist. Bleiben Sie einem Frauenzimmer zu gefal- len nie einen Tag laͤnger an einen Orte; man hat nur Undank davon. Lassen Sie fleißig nachsehn ob keine Linse am Wagen fehlt, damit Ihnen nicht ploͤtzlich ein Rad ablaͤuft und Sie einen gewaltigen Stoß bekommen. Nehmen Sie auf jeden Fall einige Flaschen vorzuͤglich guten Wein mit, man weiß sonst Lovell. 2r Bd. B b manchmal nicht, was man in den schlechten Wirthshaͤusern anfangen soll, wo man oft in den miserabelsten Speisen die Zaͤhne bewegt um nur mit dem Wirthe keine Haͤndel zu bekommen. Die Postillione sind am besten, wenn sie halb betrunken sind. Wenn Sie Ihren Freunden Naturseltenhei- ten mitbringen sollen, so ist es am bequemsten daß Sie diese auf der letzten Station kaufen, und dann schwoͤren, Sie haͤtten sie mit eigenen Haͤnden aus dem oder dem Berge gebrochen; man kann manchen Leuten damit eine sehr froͤ- liche Stunde machen. Nehmen Sie sich besonders vor dem Mor- genthau in Acht; es ist widerwaͤrtig auf einer Reise krank zu werden. Unterlassen Sie es nie, an die Aufwaͤrte- rinnen einige Liebkosungen wegzuwerfen, Sie bekommen durch dieses Hausmittel allenthalben weit bessere Suppen. Die Rechnungen der Wirthe braucht man nie zu uͤberrechnen, denn richtig addirt werden sie selbst vom Einfaͤltigsten; man spart beym Einsteigen in den Wagen damit einige Zeit. Ihren Bedienten behandeln Sie ja recht schlecht, sonst ist er auf der Reise Ihr Herr. In einem fremden Lande koͤnnen Sie ihm am meisten bieten, weil er schon Gott dafuͤr dan- ken wird, wenu Sie ihn nur wieder zuruͤck bringen. Ich halte Sie fuͤr meinen wahren Freund, denn ich bin wenigstens der Ihrige, und darum habe ich Ihnen einige Kenntnisse mitgetheilt, die ich mir ehemals auf meinen Reisen abstra- hirt habe. Der ganze Brief macht wenigstens daß Sie auf der Reise vielleicht an mich zuwei- len denken, damit habe ich schon genug und uͤbergenug gewonnen, und gegen unsern Andrea will ich recht damit prahlen, daß ich Ihnen manchen vortreflichen Rath auf den Weg gege- ben habe. Besuchen Sie mich aber noch morgen Abend, Sie werden eine Gesellschaft von lustigen Freun- den finden. B b 2 7. Bianka an William Lovell . Rom . U nd Du willst uns also wirklich verlassen? Ich sehe Dich nun in langer Zeit nicht, viel- leicht nie wieder? — Willst Du auf der Rei- se zuweilen an Deine Bianka denken? Doch darauf darf ich kaum hoffen und meine Zu- dringlichkeit wird mich Dir nur noch verhaßter machen. Ich habe gehoͤrt, daß Du schon mor- gen fruͤh abreisen willst und so wuͤnsche ich Dir denn alles moͤgliche Gluͤck. Wenn Du mich liebtest, wuͤrdest Du mich heut noch zum letz- tenmale besuchen, aber ich zweifle, daß Du koͤmmst. Ich moͤchte Dich so gern sprechen, aber Dir liegt nichts daran, — und so magst Du denn gehn. — Lebe wohl. 8. William Lovell an Rosa . Chambery . I ch habe mich nirgends aufgehalten, und dar- um haben Sie bis jetzt noch keinen Brief von mir erhalten, hier aber will ich nun mehrere Tage von den Beschwerlichkeiten der Reise ruhn. Ich haͤtte nicht noch jenen lustigen Abend bey unserm Franzesko genießen sollen, denn die Einsamkeit, die Entfernung von Ihnen und al- len unsern Freunden druͤckt mich nun um so schmerzhafter. Schon unter der Munterkeit, unter dem lauten Lachen sah ich in Gedanken meinen einsamen Wagen zwischen duͤstern Ber- gen fahren, und nun sitz ich hier in einer frem- den Stadt, so ganz abgesondert, tief in Be- trachtungen und Erinnerungen mancherley Art versenkt. Ich wollte vor meiner Abreise noch Bianka besuchen, allein halb war es unmoͤglich, halb hab’ ich es vergessen. Nichts ist fuͤr mich wi- driger und betruͤbter als jeder Abend vor ei- ner Abreise, man ist ermuͤdet und verwirrt vom Einpacken und Anordnen, wobey endlich die Fin- sterniß hereinbricht, und man mit dem Lichte bald in dieses, bald in jenes Zimmer wandert, um nur nichts zu vergessen; Koffer und Man- telsaͤcke werden dann zugeschlossen, und wir werden so recht darauf aufmerksam gemacht, wie unser ganzes Leben aus so elenden Beduͤrf- nissen zusammengeflickt ist, wie wir mit einem Praß von nnnuͤtzen Nothwendigkeiten beladen, wie wir an uns selbst so wenig, ja fast nichts sind. Das aͤngstliche Herumtreiben der Auf- waͤrter, die groͤßere Leere der Zimmer, der Ge- danke der Reise, — alles giebt dann eine dun- kle Allegorie von der widrigen Maschinerie des menschlichen Lebens, wo alle Raͤder und alle Getriebe so kreischend hervorschreien, wo das Beduͤrfniß die erste bewegende Kraft ist. Dann gehn Berge und Thaͤler wie Schatten meinem Sinn voruͤber, ich erwarte den Anbruch des Tages mit einer Aengstlichkeit, als wenn ich sterben sollte. Mit dem ersten Ruck des Wagens hoͤren dann gewoͤhnlich meine Beklemmungen auf, ich vergesse denn, daß ich den Ort, den ich verlas- se, vielleicht nie, oder mit ganz ungeaͤnderten Gefuͤhlen wiedersehe. — Und kann man denn allenthalben zugleich und allenthalben der nem- liche seyn? Oder sollen wir ewig von einem Or- te zum andern ziehn, — ach Rosa, ich bin sehr unzufrieden und verdruͤßlich! — gruͤßen Sie Andrea und alle meine Freunde herzlich, seyn Sie versichert, daß ich zuruͤckkehre, so bald es moͤglich ist. In den wildesten Gegenden der Piemontesi- schen Gebuͤrge fuͤhlte ich mich oft auf eine selt- same Art gluͤcklich, ich dachte an den Vorfall mit den Raͤubern, der mir vor ohngefaͤhr an- derthalb Jahren hier begegnete. Ich glaubte oft, daß Balder jetzt aus einem dunkeln Ge- birgpfad heraustreten muͤßte, oder daß Nie- mand anders als Amalie in der Kutsche vor mir fahren koͤnne, oft hatten auch die Gesich- ter, denen ich begegnete, eine auffallende Aedn- lichkeit mit jenen, die ich suchte. Ich weiß selbst nicht, was mich zu so seltsamen Erwar- tungen stimmte, noch weniger warum ich es so innig wuͤnschte, daß meine Traͤume zur Wirk- lichkeit werden moͤchten. Lassen Sie mich Ihnen einige Empfindungen mittheilen, hie ich nicht uuterlassen konnte, im Wagen niederzuschreiben. Mit truͤben Auge In finstrer Nacht, Geht durch das Leben Das Kind geleitet Vom ernsten Fuͤhrer, Den es nicht kennt. Im Thal, am lauten Wasserfall Stehn beyde Wandrer still, Der Fuͤhrer spricht zum Horchenden: Sieh, hier bluͤhen alle Blumen, Alle Wuͤnsche, alle Frenden , Pfluͤcke, denn wie fließend Wasser Rauscht das Leben Dir voruͤber. Fort weicht die Gestalt Und tiefbekuͤmmert Sieht ihr mit langem Blicke Der einsam Verlassene schmachtend nach. Wind saͤuselt in den Blumen, Wellen murmeln so wie zum froͤlichen Tanz, Da beugt sich der Fremdling Und maͤht mit raschen zitternden Haͤnden Die kleine Stelle Auf der er steht. Und Blumen und Graͤser Und giftiges Unkraut Und stachlicht Gewuͤrme Fuͤhlt zitternd die Hand. Und halb erschrocken Und halb entschlossen Wirft Graͤser und Unkraut, Gewuͤrme und Blumen Das Kind mit Gewinsel In die Fluthen des lauten abrollenden Stroms. »Wo sind die Freuden? »Wo sind meine Wuͤnsche? »Du hast mich betrogen »Und einsam verlassen »Zittr’ ich noch einmal »Die Hand nach den taͤuschenden Blumen zu strecken.« Da fließt des Mondes goldnes Licht Durch Thal und Wies’ und uͤber den Strom Und raͤthselhaft steht rings die Gegend Im Glanz des Abends. »Wo find ich die Heimath? »Wo find ich Gefaͤhrten? »Ich sehe nur Schatten, »Die dunkel und dunkler »Vom Strom heruͤber, »Bald hierhin, bald dorthin »Wie Wolken gehn. »Liegt alles jenseits, »Was ich mir wuͤnsche »Und herzlich suche? »Ich hoͤre Toͤne, »Sind’s ferne Wasser, »Sind’s toͤnende Waͤlder, »Sind’s Menschenstimmen? »So fremd und vertraulich, »So ernst und so freundlich »Klingts fern heruͤber. »Ach wie trotzig braust der Strom sein Lied fort, »Ziehende Voͤgel spotten meiner in der Ferne, »Wolken sammeln sich um den Mond und nehmen ihn mit sich, »Ach kein Wesen, das meiner sich erbarmte. »Ist dies das Leben, »Voll Lieb und Frende ? »Wo find ich die schoͤne, »Verlassene Heimath? — — Wie mag sich in meinem Vaterlande jetzt alles veraͤndert haben? — Wie habe ich mich selbst veraͤndert! — Und doch bin ich innerlich noch so sehr dasselbe Wesen. Das Wetter ist sehr truͤbe und ich will mich niederlegen, um zu schlafen. 9. Eduard Burton an Mortimer . Bonstreet . I ch schicke Ihnen hier einige Papiere, die Sie, wie ich glaube, mit Intresse lesen wer- den. Unsre neulichen herzlichen Gespraͤche ge- g en mir ein Recht, nicht geheimnißvoll gegen Sie zu seyn, ob ich Sie gleich ersuche, diese Blaͤtter in keine andre Haͤnde zu geben, denn sie sind van meinem Vater. Vorn habe ich mehrere Bogen weggeschnit- ten, die, wie es scheint, zu Exercitien in der Sprache gedient haben, durch einen Zufall hat er in diesem Buche dann fuͤr sich weiter ge- schrieben und so sind diese Gestaͤndnisse entstan- den. Es giebt vielen Aufschluß uͤber seine Art zu denken und uͤber den Menschen vielleicht uͤberhaupt. Er hat es selbst spaͤterhin ange- merkt, was er in seiner Jugend geschrieben hat. Mich hat die Lectuͤre betruͤbt und nachden- kend gemacht. — Ist es nicht wunderbar, daß sich aus einem Schreibebuche der Charakter ei- nes Menschen zum Theil entwickeln konnte? Auch in seiner Krankheit hat er noch daran geschrieben, er suchte das Buch selbst und ließ es sehr emsig suchen, weil er mir es selbst ge- ben wollte, aber es war nirgends zu finden. Jetzt hab’ ich es bey dem Aufraͤumen der Zim- mer von ohngefaͤhr unter dem Bette entdeckt, in welchem er starb. — Schicken Sie es mir zuruͤck, so bald Sie es geendigt haben. 10. Einlage des vorigen Briefes. In meinem sechszehnten Jahre geschrieben. J a ja, Herr Wilkens ich habe Ihre Regeln recht gut verstanden, und vielleicht besser als Sie es glauben. Ihr ganzer Unterricht bezieht sich am Ende dahin, daß ich die Sprache zu meinem Nutzen gebrauchen lerne, und dann ist der Mensch gebildet. Habe ich mich nicht noch gestern an einem schwierigen Briefe uͤben muͤs- sen, in welchem eine gut angebrachte captatio benevolentiae, gleich im Anfange mein Haupt augenmerk seyn mußte? Ich bin seit gestern gegen jedermann beson- ders gegen die Bedienten sehr auf meiner Hut, denn ich sehe in jedem freundlichen Gesichte, in jedem ehrerbietigen Gruß nur eine captatio be- nevolentiae und gegen meinen Vater habe ich sie selbst auf die gluͤcklichste Art benutzt, denn ich habe nun endlich die schoͤne goldne Uhr, nach der so lange mein Sinn trachtete. — Nur wuß ich dafuͤr sorgen daß niemanden diese Be- trachtungen uͤber meine Lehrstunden in die Haͤn- de fallen. Es ist aber, als wenn der Unterricht aller meiner Lehrer, ja selbst meiues Vaters nur da- hin ginge, daß ich luͤgen und mit den Worten spielen lernte, wenigstens ist die kluge Schmei- cheley gewiß die Poesie, die am unmittelbarsten auf die Seele wirkt. — Ich glaube, alle Com- plimente die meinem Vater gemacht werden, und die er zuruͤckgiebt, sind nur Repetitionen aus einem fruͤhern Unterrichte. Ich muß selbst die Probe an den Menschen machen, die mich umgeben, vorzuͤglich am Koch und am Gaͤrtner. Wenn der Satz richtig ist, so hat vielleicht jedermann eine schwache Seite, die man ihm abgewinnen muß, um ihn nach Gefallen zu benutzen. Das waͤre wenigstens ein sehr lustiges Leben, wenn mir ploͤtzlich alle Trauben des Gartens, alle Leckerbissen der Kuͤ- che, ja selbst alle Goldstuͤcke meines Vatets zu Gebote staͤnden. Der Schluͤssel zur ganzen Welt koͤnnte am Ende nichts anders, als die gepriesene Capta- tio benevolentiae seyn. Es muß aber doch Menschen geben, die auf dieselben Gedanken gefallen sind, und ich fuͤrch- te mein Vater und die mehresten alten Herren die ihn besuchen, gehoͤren zu diesen. Gegen diese muͤßte man denn wie gegen einen ausge- lernten Schachspieler sein Spiel maskiren, sich als unbefangen und dumm gutmuͤthig ankuͤndi- gen, und so ihre Aufmerksamkeit einschlaͤfern. Ich will wenigstens gegen meinen Vater sehr auf meiner Hut seyn, denn wenn man einmal die Spur eines Menschen entdeckt hat, so muß es leicht seyn, ihn zu seinem versteckten Lager zu folgen. Wenn Herr Wilkins nur nicht wieder dar- auf faͤllt, daß ich Verse machen soll, eine and- re Art Luͤgen zu bauen, die ich verrbscheue , weil sie zu gar nichts fuͤhrt. Man sage mir doch ja nicht vor, daß Empfindungen diese trostlosen abgezirkelten Zeilen hervorbringen; ich habe schon manchen weinen sehen, aber nie auf eine aͤhnliche Art sprechen gehoͤrt. Ich be- greife auch nicht, wie ich oder irgend jemand durch ein fingirtes Trauerspiel geruͤhrt werden kann. — Diejenigen die Traͤhnen vergießen koͤnnen, sind am Ende wieder eine andere Art von Luͤgnern vor sich selber, so wie jene, die die herzbrechende Verse niederschreiben konnten. — So leben wir am Ende auf einer unterhal- tenden abwechselnden Masquerade, auf der sich der am besten gefaͤllt, der am unkenntlichsten bleibt, und lustig ist es, wenn selbst die Mas- kenhaͤndler, unsere Geistlichen und unsere Leh- rer, von ihren eigenen Larven hintergangen werden. Zwey Jahre nachher. Gottlob! daß ich endlich von meinen laͤsti- gen Lehrern befreyet bin! Nichts als Worte und Phrasen! Ich habe bey diesem Unterricht nur die Menschen kennen gelernt, die ihn mir ertheilten, die so schwach und bloͤde waren, daß sie es gar nicht bemerkten, wie sie von mir und meinem Eigensinne abhingen. Nichts kann mich so sehr aufbringen, als die Unbeholfenheit im Menschen, jene Blind- heit in der sie nicht sehen, welche Talente zu ihrem Gebote stehen, und wie Fremde ihnen ploͤtzlich Zuͤgel und Gebiß anlegen, und aus ei- nem freyen Thiere ein dienstbares machen. Durch Durch ein paar unbesonnene Streiche ist der Kammerdiener meines Vaters, der sonst ein ge- scheuter Mensch ist, so in mein Interesse ver- wickelt, daß er es jetzt gar nicht wagt, ehrlich oder gegen mich zu handeln. Der Verwalter ist der gutherzigste Narr von der Welt, aber er haͤlt mich fuͤr einen noch groͤßern, und da- durch habe ich sein unbedingtes Zutrauen ge- wonnen. In der Sprache muß man sich gewisse Wor- te und Redensarten merken, die wie Zauberge- saͤnge dazu dienen, eine gewisse Gattung von Leuten einzuschlaͤfern. Auf jeden Menschen wuͤrken Worte, nur muß man ihn etwas ken- nen, damit man die rechten nimmt, um sein Ohr zu bezaubern. Der Verwalter hoͤrt nun gern von Ehrlichkeit der Menschen reden, er liebt es wenn man auf Niedertraͤchtigkeit schimpft; wenn ich dies thue, und die Worte mit einer gewissen Hitze ausspreche, so weiß er sich vor Freuden nicht zu lassen, und druͤckt mir in sei- nem Entzuͤcken die Haͤnde. Auf diese Art muß man den Schatz unserer Sprache studiren, um die wahre Art zu sprechen zu finden. Es faͤllt mir immer ein, daß die Menschen offenbar Lovell. 2r Bd. C c Narren sind, die so reden wollen, wie sie den- ken, die ganze Welt dadurch beleidigen, und sich nur Schaden stiften. Ich denke fuͤr mich und spreche fuͤr die andern, folglich muß ich nur sagen, was diese gern hoͤren. Es wird auch Niemand erwarten, daß ich die sogenannte Wahrheit rede, so wenig wie ich es von ei- nem andern fordere, denn sonst muͤßte ich nie jemanden etwas Schmeichelhaftes sagen, so we- nig wie ich von irgend einem ein Kompliment bekommen wuͤrde. Die Sprache ist nur dazu erfunden um etwas zu sagen, was man nicht denkt; und wie selten denkt man selbst ohne zu luͤgen! Die sogenannten Wahrheitsfreunde sind da- her Menschen, die ausgemachte Thoren sind, die selbst nichr wissen, was sie wollen, oder sie sind eine andere Art von Luͤgnern. Sie haben sich in den Kopf gesetzt, daß in ihrer Wahr- heitssagerey ihr Charakter bestehe, und sie sa- gen daher von sich und andern Leuten eine Menge Sachen die sie wirklich nicht denken, sie wollen sich auf diese Art etwas aus- zeichnen, und sich freywillig verhaßt machen. Sie sehen nicht ein, daß unsere ganze Sprache schon fuͤr die Begriffe und Dinge, die sie be- zeichnen soll, aͤusserst unpassend ist, daß schon diese die Unwahrheit sagt, und daß es daher unsere Pflicht ist, ihr nachzuhelfen. Der Grund von allen unsern Kuͤnsten, von allen unsern Vergnuͤgungen, von allem was wir denken und traͤumen, — was ist er anders als Unwahrheit? — Plane und Entwuͤrfe, Tragoͤ- dien und Lustspiele, Liebe und Haß, alles, al- les ist nur eine Taͤuschung, die wir in uns sel- ber erzeugen; unsere Sinne und unsere Phanta- sie hintergehen uns, unsere Vernunft muß da- her falsche Schluͤsse machen, alle Buͤcher die geschrieben sind, sind nur Luͤgen, wovon die Letzteren die Ersteren in ihrer Bloͤße darstellen sollen; und doch soll ich den kleinen Theil mei- nes Koͤrpers, die Zunge, der Wahrheit widmen? Und wenn ich es wollte wie kann ich es? Ein Jahr nachher. Mein Vater ist gestorben, und die ganze Welt wuͤnscht mir Gluͤck, mit Worten die wie Kondolenzen gestellt sind. Viele suchen sich mir zu empfehlen, und manche darunter meine schwa- C c 2 che Seite ausfindig zu machen. Die Menschen die meinem Vater viel zu danken haben, ziehen sich ganz zuruͤck, und thun als wenn er nie auf der Erde gewesen waͤre. Alte Weiber, die mich als Kind manchmal auf ihren Schoos ge- nommen haben, praͤsentiren mir ihre Toͤchter, die sich mit allen Reizen aussteuern. Die Be- dienten haben Pensionen und sind froh, selbst der Verwalter dem etwas an seinem Gehalte zugelegt ist. — Wo sind denn nun die Men- schen, die so viel fuͤhlen wollten? Wer kann denn nun noch mit seinen Empfindungen prah- len? — Ein Bettler geht unten vorbey den ich weinen sehe, weil mein Vater ihm woͤchent- lich etwas gab. Er weint weil er fuͤrchtet, daß er jetzt sein Einkommen einbuͤßen wird. — — Ich habe ihm etwas heruntergeschickt, und er geht mit einem frohen Gesichte fort; er weinte vielleicht blos um mein Mitleiden zu erregen. Die Menschen sind gewiß nicht werth, daß man sie achtet, aber doch muß man sich die Muͤhe geben, mit ihnen zu leben. Ich will sie kennen lernen, um nicht von ihnen betrogen zu werden, denn wie kann ich dafuͤr stehen, daß nicht irgend einmal meine Eitelkeit, oder ir- gend eine andre meiner Schwaͤchen meine Ver- nunft verblendet? Alles schmeichelt mir jetzt, selbst die Men- schen von denen ich weiß, daß sie mich nicht leiden koͤnnen und mich verachten. Alle denken, wenn sie mich erblicken, an mein Vermoͤgen, und alle Buͤcklinge und Erniedrigungen gelten diesem Begriff, der nur auf eine zufaͤllige Weise mit mir selber zusammengefallen ist. Die- se Vorstellung von meinem Reichthum beherrscht alle die Menschen, die in meine Atmosphaͤre gerathen, und wohin ich trete, folgt mir diese Vortreflichkeit nach. Ich kann es also niemand verargen, wenn er sein Vermoͤgen und seine Herrschaft uͤber die Gemuͤther zu vergroͤßern sucht, denn dadurch wird er im eigentlichsten Verstande Regent der Welt. Ein goldner Zau- berstab bewaffnet seine Hand, der allen gebeut. Dies ist das einzige, was noch mehr wuͤrkt, als alle moͤglichen Captationes benevolentiae. So lange man bey recht vielen Leuten den Gedanken erzeugen kann, daß man ihnen wohl nuͤtzlich seyn koͤnnte, hat man recht viele Freunde. Alle sprechen von Aufopferung und hohen Tugenden, bloß um uns in eine solche heroische Stimmung zu versetzen. Diese Situa- tion aber giebt zugleich Gelegenheit, sie auf mancherley Art zu nutzen, und sie so zu ver- wickeln, daß sie am Ende schon froh sind, wenn sie nur aus den Netzen freygelassen werden. Man lebt in der Gesellschaft wie ein Fremd- ling, der an eine wilde barbarische Kuͤste ver- schlagen ist; er muß seine ganze Bedachtsamkeit, alle seine List zusammen nehmen, um nicht der Rotte zu erliegen, die ihn mit tausendfachen Kuͤnsten bestuͤrmt. Wenn man es vermeiden kann, daß das Leben ein Hazardspiel wird, so hat man schon gewonnen. Seltsam daß alle zu gewinnen trachten, und manche doch die Kar- ten nicht zu ihrem Vortheile mischen wollen! Fuͤr den Kluͤgern muß es keinen Zufall geben. Im zwanzigsten Jahre. Der junge Lovell ist ein Narr, recht so, wie man sie immer in den Buͤchern findet. Ich habe das wunderbare Gluͤck gehabt, ihn zu mei- nem Freunde zu machen. Er spricht gerade so wie die Dichter die er sehr fleißig liest, und ich moͤchte wetten er macht selber Verse. Er hat mir schon in den ersten Tagen alles ver- traut, und es ist Schade daß seine Geheimnisse so unbedeutend und kindisch sind. Sein Vater ist ebenfalls ein einfaͤltiger Mensch, aber er scheint mir doch nicht ganz zu trauen, es muß irgend etwas in meinen Mienen oder Gebehr- den liegen, was ich noch wegzuschaffen suchen muß. Unser Koͤrper muß in allen unsern Wen- dungen mit unserer Sprache korrespondiren, und das ist dann die eigentliche Lebensart. Freundschaft ist eines von den Worten, die im Leben am haͤufigsten genannt werden, und man muß eben sowohl Freunde als Kleider ha- ben, und von eben so verschiedener Art. Freun- de die mit uns spatzieren gehn, und uns Neu- igkeiten erzaͤhlen; Freunde die uns mit Leuten bekannt machen, mit denen wir gern in Con- nexion kommen moͤchten. Freunde die uns ge- gen andere loben, und uns Zutrauen erwerben; andere Freunde, von denen wir im gesellschaft- lichen Gespraͤche manches lernen, was zu wissen doch nicht unnoͤthig ist; Freunde die fuͤr uns schwoͤren; Freunde die, wenn wir es so weit bringen koͤnnen, und die Gelegenheit es erfor- dert, sich fuͤr uns todt schlagen lassen. Aus dem Lovell koͤnnte vielleicht einer von den letz- ten gemacht werden, denn er giebt mir selbst freywillig alle die Faͤden in die Hand, an denen er gelenkt werden kann. Ich halte es fuͤr eine Nothwendigkeit, daß ich mich huͤte, mich ir- gend einem Menschen zu vertrauen, weil er in demselben Augenblicke uͤber mir steht. Lovell ist etwas juͤnger als ich, und er macht vielleicht noch dieselben Erfahrungen, die ich schon jetzt gesammelt habe. Das Alter ist bey gleichjungen Menschen oft sehr verschieden, und ich bin mir durch einen Zufall vielleicht selbst um viele Jahre vorausgeeilt; ich fuͤhle wenigstens von dem Jugendlichen und Kindischen nichts in mir, daß ich an den meisten Juͤng- lingen und an Lovell so vorzuͤglich bemerke. Mich verleitet die Hitze nie, mich selbst zu vergessen; ich werde durch keine Erzaͤhlung in einen Enthusiasmus versetzt, der mir schaden koͤnnte. Mein Blick richtet sich immer auf das große Gemaͤhlde des verworrenen menschlichen Lebens, und ich fuͤhle, daß ich mich selbst zum Mittelpunkte machen, daß ich das Auge wieder auf mich selbst zuruͤck wenden muß, um nicht zu schwindeln. Jeder redet im Grunde eine Sprache, die von der des andern voͤllig verschieden ist. Ich kann also mich, meine Lage, und meinen Vor- theil nur zur Regel meiner Denk- und Handels- weise machen, und alle Menschen treffen zu- sammen, und gehen einen Weg, weil alle von demselben Grundsatze ausgehn. Ein buntes Ge- webe ist ausgespannt, an dem ein jeder nach seinen Kraͤften und Einsichten arbeitet, ein je- der haͤlt das was er darin thut, fuͤr das Noth- wendigste; und doch waͤre der eine ohne den andern unnuͤtz. In wiefern mein Nachbar wuͤrkt, kann ich nur errathen, und ich muß daher auf meine eigene Beschaͤftigungen acht geben. Viele Menschen wissen gar nicht, was sie von den uͤbrigen fordern sollen, und zu diesen gehoͤrt Lovell. In Gedanken macht er sehr große Praͤtensionen an meine Freundschaft. Ich fordre von den Menschen nicht mehr, als was sie mir leisten; und dies vorher zu wissen, ist der Kalkuͤl meines Umgangs; je gewisser ich diesen rechne, jemehr kenne ich die Menschen, und das ganze uͤbrige Leben von Zuneigung und Wohlwollen uneigennuͤtziger Freundschaft, und reiner Liebe, ist nichts als poetische Fik- tion, die mir gerade so vorkoͤmmt, wie die Gedichte an die Diana und den Apollo in un- sern Dichtern. — Wer sich daran erlustigen kann, dem goͤnne ich es recht gern, aber allen diesen Menschen die im Ernste davon sprechen koͤnnen, ist die Binde der Kindheit noch nicht von den Augen genommen. Diese sind nuͤtzliche Mobilien fuͤr den aͤltern und kluͤgern Menschen der sie auf eine gute Art anzustellen weiß. Bald nachher geschrieben. Immer ist es mir zuwider gewesen, wenn ich den Nahmen Cromwell nennen hoͤre, oder ihn lese, um das Muster eines schlechten und ausgearteten Menschen aufzustellen, denn es wird mir fast bey keinem Charakter so leicht und natuͤrlich, mich in ihn hineinzugedenken, und so fuͤr mich alle seine seltsamen Wider- spruͤche aufzuloͤsen. Alle die Laster die man ihm gewoͤhnlich vorwirft, sind es nur deswegen, weil die Menschen nicht die Faͤhigkeit besitzen, ihre Seele in Gedanken mit einem andern Cha- rakter zu bekleiden; sie sind zu sehr in sich selbst eingesperrt, und dies macht ihren Blick be- schraͤnkt. Vielleicht daß die Unterschiede uͤber- haupt aufhoͤrten, wenn sich die Menschen die Muͤhe gaͤben, den Erscheinungen naͤher zu tre- ten, die ihnen in der Ferne ganz anders ge- formt zu seyn scheinen. Cromwell war vielleicht der reinste und eif- rigste Schwaͤrmer, als er sich im Anfange zur Parthey der Puritoner schlug. Wider sein Erwarten fand er, daß es leichter sey, die Menschen unter seinen Geist zu beugen, als er im Anfange gedacht hatte. Er durchdrang mit seinem scharfen Blicke die Gemuͤther aller derer die ihn umgaben, er bemerkte es, auf welchen Armseligkeiten meistentheils das Anse- hen beruhte, das er unter seinen Freunden hat- te, und er schaͤmte sich vor sich selber, und verachtete die Menschen. Seine Schwaͤrmerey und sein Enthusiasmus waren es vorzuͤglich, die die Menge an ihn band, denn der Schwaͤr- mer zieht einen weiten Feuerkreis um sich her- um, und selbst in die kaͤlteren Menschen gehen Funken uͤber, die sie unwillkuͤhrlich mit Liebe und Wohlwollen zu ihrem Anfuͤhrer draͤngen. Er sah ein, daß er in einzelnen Stunden, wenn ihm jener gluͤckliche Enthusiasmus verließ, die- sen auf eine erzwungene, und halb gewaltsame Art ersetzen muͤsse, und er erstaunte, da er fand, daß die Begeisterung sich auf die Art, sogar wieder ihren Willen, vom Himmel ziehen lasse. Denn im Menschen liegt ein seltsamer und fast unbegreiflicher Vorrath von Gefuͤhlen, dicht neben der Ahndung liegt die Empfindung und die Idee die wir ahndeten; der Luͤgner kann auf seine eigene Erfindungen schwoͤren, oh- ne einen Meineid zu thun, denn er kann in diesem Augenblicke voͤllig davon uͤberzeugt seyn. Die wunderbarste Geistererscheinung kann vor mir stehen, und doch nur von meiner Phanta- sie hervorgebracht seyn. — Auf die Art muß- te der große Mann bald zweifelhaft werden, was in ihm wahr, was falsch, was Erdich- tung, was Ueberzeugung sey, er mußte sich in manchen Stunden fuͤr nichts als einen gemei- nen Betruͤger, in andern wieder fuͤr ein auser- waͤhltes Ruͤstzeug des Himmels halten. Wie durcheinander mußte sich bey ihm alles das ver- wirren, was die gewoͤhnlichen Menschen ihre Moralitaͤt nennen! kann man nun wohl diesel- ben Forderungen an ihn machen, die man an jene thut? — Des Gluͤck folgte ihm auf seinen Fußstapfen, und welcher Sterbliche kann sich wohl von der Schwachheit losreißen, den gluͤcklichsten Erfolg seiner kuͤhnsten Plane nicht fuͤr den wahren Orakelspruch der Natur und der Gottheit zu halten? Fast jeder Ungluͤckliche zweifelt an sei- nem Werthe, er haͤlt nur gar zu oft sein Un- gluͤck fuͤr seine Strafe. So glaubt der Sieger im Gluͤck seinen Lohn zu finden, seine Bestaͤti- gung von oben her. Vom Erfolge beguͤnstiget, schrieb er neue Zirkel in seine Plane, und al- les erfuͤllte sich immer auf die wunderbarste Weise. Durch ein unruhiges thatenreiches, und gluͤckgekroͤntes Leben, sah er sich ploͤtzlich wie durch einen muntern Traum an die Spitze des Staats gestellt, und sein ganzes voriges Leben war nur Zubereitung und Geruͤst zu diesem großen Momente. An ihm war die Wohlfahrt seiner Parthei gekettet; und was war natuͤrlicher und einem Menschen verzeihlicher, als daß er jetzt seine Persoͤnlichkeit mit seiner Sache verwechselte? Er glaubte fuͤr seine Parthey zu kaͤmpfen, wenn er nur noch fuͤr seine eigene Sicherheit stritt, und aus dem Wege raͤumte was ihn in seinem Gange hindern koͤnnte. Er mußte sich gleich groß und gleich wunderbar vorkommen, er moch- te sich nun als einen Liebling des Himmels be- trachten, oder als einen Helden, der alles durch seine eigene Kraft gewonnen, und in Besitz genommen hatte, ja, diese beyden Ge- danken mußten sich in seinem Kopfe beynahe begegnen. Er vertraute sich jetzt mehr als je- mals, und trauete den Menschen die ihn um- gaben noch weniger als vordem. Fortuna hat- te ihre volle Urne gleichsam in seinen Schoos geschuͤttet, und er glaubte nun selbst an ihrer Stelle zu stehen; sein Stolz und seine Eigen- liebe, die Bewundrung seiner selbst ist daher eben so denkbar als verzeihlich. Er konnte gegen seine Freunde nicht dank- bar seyn, denn er glaubte durch eigene Kraft alles errungen zu haben, er konnte sie nicht achten, da er sie nicht kannte. Ihre Vereh- rung seiner aber, so wenig Autoritaͤt sie auch fuͤr ihn haͤtte haben sollen, trug er doch gern und ganz zu seinen Verdiensten uͤber, denn de- nen Menschen die uns loben, uͤbertragen wir gern die Beurtheilung unsers Werths; ja wir glauben oft, daß diejenigen ihn am besten zu schaͤtzen wissen, die selbst am meisten ohne Ver- dienste sind. Die groͤßte Inkonsequenz der Menschen, die Gegend, in der vielleicht in jeder Seele die meisten Veraͤchtlichkeiten liegen, ist, wie ich glaube, das Gebiet der Eitelkeit. Jede andre Schwaͤche ist unzugaͤnglich, oder man muß wenigstens fein und behutsam die Bruͤcke hinuͤber schlagen, um das Ufer nicht selbst einzureißen; aber die Eitelkeit vertraͤgt selbst die Behandlung der rauhesten Haͤnde. Ich will mir heute ernsthaft vornehmen, nie daran zu glauben, wenn man meinen Gang, meine Haͤuser, meinen Scharfsinn, oder meine Gesichtsbildung lobt, und wer weiß ob ich nicht darauf falle, mir einzubilden, daß in mei- nem Garten die besten Blumen stehen, und daß hier dann ein elender Schmeichler seine volle Erndte findet! Der Himmel ist vielleicht so grausam mir in den Kopf zu setzen, ich haͤtte mehr Geschmack als andere Menschen. — O! statt memento mori sollte man in seine Ta- schenuhr setzen lassen: Huͤte dich vor der Ei- telkeit! Cromwell war so gluͤcklich viele wirkliche Freunde zu finden, ob er gleich keinen lieb- te; er konnte sie zu Aufopferungen auffor- dern, und keiner wagte es, ihn um aͤhnli- che Opfer zu mahnen, da ihn keiner in sei- ner Gewalt hatte. Alle fuͤrchteten ihn, und er wußte wie weit er jene nicht zu fuͤrchten hatte; er war daher nicht tollkuͤhn. Er hatte es empfunden, wie fein die Graͤnzen im Men- schen zwischen Empfindungen sind, die wir Ex- treme nennen, weil wir sie uns wie den Nord- und Suͤdpol gegen uͤber denken: aber zwischen gut und boͤse, zwischen Freund und Feind, dem Pietisten und Gotteslaͤsterer, dem Patrioten und dem Landesverraͤther liegt nur eine Sekun- de. Cromwell wußte dies, und setzte seine Freunde daher in keine Spannung gegen sich. Je mehr ich seinen Charakter uͤberdenke, je menschlicher finde ich ihn; nur daß er ein großer Mensch, ein leuchtendes Meteor war. Wer ihn ein Ungeheuer nennt, hat nie uͤber ihn, oder uͤber sich selber nachgedacht. Er hatte das Ungluͤck einen einfaͤltigen Sohn zu haben. Drey Drey Jahre nachher. Die Menschen sind Narren, denn obgleich einer den andern betruͤgt, so nehmen sie doch nichts so sehr uͤbel, als daß sie betrogen wer- den, besonders wenn man sie auf eine andre Art hintergeht, als sie die uͤbrigen Menschen taͤuschen. Lovell ist mein unversoͤhnlicher Feind, wenn er erfaͤhrt, daß ich mit daran arbeiten half, ihm seine zaͤrtliche Braut zu entfuͤhren, und er wuͤrde es nie zur Entschuldigung dienen lassen, daß Waterlov auch mein Freund und sogar mein Oheim sey. — Aber da der ganze Plan doch verungluͤckt ist, so denke ich mich auf jeden Fall wieder mit ihm zu versoͤhnen. Aber Waterlov, ob er gleich mein Oheim ist, ob er gleich aͤlter ist, wie ich glaube, als vierzig Jahre, ob er gleich schon große Reisen gemacht hat, ist dennoch ein weit groͤßerer und in die Augen fallenderer Narr, als der jugend- liche Lovell. Er glaubt alles zu haben, indem er Witz hat, er meint die Menschen genug zu kennen, wenn er nur weiß, wodurch er sie zum Lachen bewegen kann, er waͤre vielleicht ein gu- ter Komoͤdiendichter geworden, aber zum Um- gange mit Menschen ist er verdorben. — Er Lovell. 2r. Bd. D d beklagt sich uͤber mich, daß ich ihn hintergan- gen habe, ob ich gleich mit ihm einerley Plan verfolgt haͤtte. Aber die besten und amuͤsante- sten Koups muͤßten offenbar ganz unterbleiben, wenn es nicht erlaubt seyn sollte, daß ein Schelm den andern hinterginge. Er macht mir Vorwuͤrfe, daß ich nun der Einzige bin, der bey dem ganzen Handel etwas gewonnen hat; aber das war ja eben der Bewegungsgrund, warum ich mich einmengte, weil ich die Ge- wißheit hatte, daß ich auf jeden Fall gewinnen muͤsse. — Wenn ich hintergangen waͤre, ich wuͤrde mich nie beklagen, sondern mich nur zu raͤchen suchen. Waterlo ist abgereist, und wie ich eben hoͤ- re, gestorben. Er ist vielleicht naͤrrisch genug gewesen, sich selbst umzubringen. In meinem vier und zwan- zigsten Jahre. Ich hoffe, es soll mir ge l ingen, die Toch- ter der reichen Lady Sackville zur Frau zu be- kommen. Die Mutter spielt die Aufgeklaͤrte und die Tochter ist ziemlich empfindsam und pietistisch. Die Mutter spottet uͤber die Toch- ter, die Tochter zuckt die Achseln uͤber ihre ir- religioͤse Mutter. Beyden muß ich beytreten, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Wie platt sind doch alle die Komoͤdien, in denen eine aͤhnliche Situation dargestellt wird! Eine Karrikatur treibt sich immer zwischen allen mit schlecht erfundenen Luͤgen herum, um am Ende an allen seinen Spoͤttern zu scheitern. Ich finde es eben so leicht, als sicher, sich als Mittelsperson zwischen wiedersprechende Charak- tere einzuschieben, denn man muß sich jedem nur unter gewissen Bedingungen naͤhern, die aber so gestellt seyn muͤssen, daß jener glaubt, es komme nur auf eine naͤhere Bekanntschaft, auf ein vertraulicheres Gespraͤch an, um auch diese Bedingungen wegzuschaffen. Die Mutter glaubt, ich spiele nur aus Liebe zu ihrer Toch- ter den Religioͤsen und um diese nachher von ihren Irrthuͤmern zuruͤckzubringen; die Tochter ist uͤberzeugt, nur aus großer Liebe zu ihr fin- de ich die Mutter ertraͤglich. Man darf nur ernsthaft vor sich selber heucheln, so ist die Heucheley das leichteste Handwerk auf der Er- de. Alle unsere Gespraͤche in der Welt, unser D d 2 Umgang, unsre Freundschaftsbezeugungen, unsre Vergnuͤgungen, alles ist nur Heucheley, folg- lich kommt es mir als gar nichts Schwieriges, ja nicht einmal als etwas Neues vor, hier ei- ne Art von Rolle zu spielen, um eine reiche Frau zu bekommen. Ich bin schon so gluͤcklich gewesen, einige Liebhaber zu verdraͤngen, und wenn ich an den Tod oder an andere betruͤbte Gegenstaͤnde in der Gesellschaft meiner Geliebten denke, so wird es mir ganz leicht, eine melancholische Mine zu machen, und empfindsame Sachen zu sagen. — Oft verschiebe ich viele ernsthafte Betrach- tungen, die sich mir aufdraͤngen, bis ich dort- hin komme, und Tochter und Mutter sind im- mer mit mir zufrieden, und ich kann auf die Art noch Zeit in meinen Geschaͤften sparen. Diese Sparsamkeit koͤmmt mir jetzt selber laͤ- cherlich vor, aber genug, daß es mir bequem ist. Ich will dieses Buch aufbewahren, um mir im Alter das Vergnuͤgen zu machen, es wieder durchzulesen. Man kann dann nur eine richtige Vorstellung von sich selber haben, wenn man solche Proben von den ehemaligen Kleidern auf- bewahrt. Aus diesem Grunde wuͤrde ich fast in jeder Woche etwas niederschreiben, wenn ich nicht zu traͤge waͤre. Warum sollt’ ich nicht auf eine recht gute Art den empfindsamen Verliebten spielen koͤn- nen, da es viele Dichter giebt, die sich poe- tisch irgend eine Liebschaft ersinnen, um poeti- sche und herzruͤhrende Verse daruͤber zu ma- chen? Meine Rolle ist bey weitem leichter, da ich doch einen wirklichen Gegenstand, und noch uͤberdies mit einem reichen Vermoͤgen ausgestat- tet, vor mir habe. In meinem fuͤnf und vierzigsten Jahre geschrieben. Eine sonderbare Empfindung befaͤllt mich, da ich dies alte, staubige Buch wieder in die Haͤnde nehme und durchblaͤttere. Ich kehre aus der Welt und zur Ruhe zuruͤck, und finde hier nun die skizzirte Geschichte meiner Jugendideen. Manches finde ich noch wahr, und ohne daß ich es wußte, habe ich mir waͤhrend meines ge- schaͤftigen Lebens den hier beschriebenen Charak, ter Cromwell’s zum Muster gewaͤhlt. Gefiel mir dieser Character, weil verwandte Zuͤge in mir lagen; oder entwickelten sich diese, weil ich das Bildniß dieses Menschen immer mit Wohl- gefallen betrachtet hatte? — Doch diese Spiz- findigkeit zerfaͤllt in sich selber. In der Welt hat mir der Zufall den ver- haßten Lovell stets gegen uͤber gestellt, er kreuz- te durch alle meine Plane und unaufhoͤrlich mußt’ ich mit ihm kaͤmpfen. Er war gleichsam das aufgestellte Ziel, an dem ich meinen Ver- stand und Scharfsinn uͤben mußte. Meine Gemahlinn ist todt und nur in den letzten Jahren war ich so gluͤcklich einen Sohn und eine Tochter von ihr zu bekommen. Ihr ist jetzt wohl, denn sie fuͤhlte sich immer un- gluͤcklich. Sie gehoͤrte zu den Menschen, die sich durch abgeschmackte Erwartungen den Ge- nuß ihres Lebens selber verbittern. Man sollte es schon in den Schulen lernen, was man von der Welt und den Menschen fordern kann, um sich und andre nachher nicht zu peinigen. Ich war keiner von den Menschen, wie sie ihr eini- ge Dichter geschildert hatten, diese luftigen, bestandlosen Wesen hatte sie ihrer Phantasie fest imprimirt, und an diese Schimaͤren maß sie alle wirkliche Menschen, die ihr aufstießen. Daß sich die Menschen aus diesem wirklichen prosaischen Leben so gern einen bunten, schoͤn- illuminirten Traum machen wollen, und sich dann wundern, wenn es unter den Rosen Dor- nen giebt, wenn die Gebilde umher ihnen nicht so antworten, wie sie es mit ihrem traͤumenden Sinne vermuthet hatten! — Wer kann es mit diesen Narren aushalten? Man gebe mir den abgefeimtesten Schurken, den Menschen, der in einem Athem zehn Luͤgen sagt, den Eiteln, der hoch von seinem eigenen Werthe aufgeblasen ist, den rohen, ungebildeten Menschen, dem die gemeinste Lebensart fehlt, und ich will mit allen fertig werden, nur nicht mit dem, der allenthalben die reine Bruderlie- be erwartet, der mit den Menschen, wie mit Blumen oder Nachtigallen, umgehen will. Nach einem Jahre. Mein Sohn Eduard faͤngt an, mir in einem hohen Grade zu mißfallen. Er wird altklug, ehe er noch Verstand genug hat, um listig zu seyn. Solche fruͤhreife Tu- gend ist gewoͤhnlich nichts, als ein Gefuͤhl des Unvermoͤgens, eine Empfindsamkeit, die spaͤterhin zur voͤlligen Schwachheit wird. Emilie ist halb das Bild ihrer Mutter, und halb eine Kopie nach ihrem Bruder. Ich hoffe beide werden noch richtigere Ideen uͤber das Leben gewinnen. Stolz darf man nicht auf sich seyn, denn das erzeugt eine Menge empfindsa- mer Thorheiten, aber man muß sich schaͤtzen- um sich nicht unter die uͤbrigen Menschen zu erniedrigen, um ihnen nicht dadurch unmittel- bar Gelegenheit zu geben, daß sie Vortheile uͤber uns gewinnen. Nach mehrern Jahren. Mein Sohn wird mit jedem Tage ein groͤ- ßerer Thor und er laͤßt es mir sogar merken, daß er mich und meine Grundsaͤtze nicht achtet. Er schließt sich mit Innigkeit an jedes uͤbertrie- bene und unnatuͤrliche Gefuͤhl. Es schmerzt ihn nicht, daß er sich dadurch von meinem Her- zen entfernt, denn er ist unter Luftgestalten ein- heimisch. Die Erfahrungen, die mir aus dem Gewuͤhle der Welt hieher gefolgt sind, haben mich nun voͤllig beruhigt. Ich habe es deutlich erfahren, in wie hohem Grade die Menschen veraͤchtlich sind. Alle meine jugendlichen Vermuthungen haben sich erfuͤllt, und es war heilsam, daß ich so ausgeruͤstet unter die boshafte Schaar trat. Argwohn ist die Wuͤnschelruthe, die al- lenthalben richtig zeigt, man irrt sich in keinem Menschen, wenn man gegen jeden mißtrauisch ist, denn selbst die Einfaͤltigsten haben Minuten der Erleuchtung, in denen sie uns Schaden zu- fuͤgen. Wenn man mit Leuten umgeht, die aus Un- wissenheit, oder weil sie selbst keinen Grund davon anzugeben wissen, rechtschaffen sind, so muß man ihre Tugend nie auf die Probe stel- len, wenn sie uns dadurch nuͤtzlich bleiben sol- len; denn in dem Augenblicke, in welchem sie daruͤber nachdenken, werden sie verwandelt, und wenn sie auch ihre Ehrlichkeit noch aus dem gegenwaͤrtigen Gedraͤnge bringen, so kann man sich im naͤchstfolgenden zweifelhaften Falle nie- mals auf sie verlassen. — Wie viel ist aber die Ehrlichkeit werth, wenn sie nur darin be- steht, daß der Mensch gar nicht weiß, daß man ihm diesen Vorzug beylegt? Selbst der Poͤbel hat diese Armseligkeit der Tugend bemerkt und ein Sprichwort daruͤber gemacht, daß der ein Dieb bleibt, der nur einmal gestohlen hat. — Scheint es nicht, als wenn es voͤllig etwas Physisches waͤre, was wir im Menschen immer zum Geistigen erheben wollen, daß sich die Er- scheinung durch eine einzige Umwaͤlzung in ei- nem einzigen Momente verlieren kann? Ich bin darum nur wenig hintergangen, weil ich den Betrug immer als moͤglich vor- aussetzte. Ich fuͤhle mich sehr matt, und meine Ideen werden schwach und unstaͤt. Dies unnuͤtze Buch ist mit mir alt geworden, es laͤuft zu Ende, so wie vielleicht mein Leben. Alles hat fuͤr mich heut dunkle und melancholische Umrisse; Lovell ist vor einem Monathe gestorben und ich bin nicht viel aͤlter, als er. Ich habe nur schlecht geschlafen, und ihn bleich und abgefallen bestaͤndig in meinen abge- rissenen Traͤumen gesehn. Sein Andenken ver- folgt mich noch nach seinem Tode und mattet meine Kraͤfte ab. Ich bin wieder gesund gewesen und dachte es wuͤrde nun Jahre lang so bleiben, und doch bin ich nun von neuem krank geworden. Eine seltsame Wehmuͤthigkeit hat mich ergriffen. Der Mensch haͤngt mit allen seinen Ideen bloß von seinem Koͤrper ab. Sollte ich Dir doch vielleicht unrecht ge- than haben, alter Lovell? — Warum richtet sich mein Gedanke so unaufhoͤrlich nach Dir hin, wie die Magnetnadel nach Norden? — Ich habe Dir vergeben, vergieb Du mir auch, unsre Spiele und Kaͤmpfe sind jetzt geendigt. Ich fuͤhle mich freundlicher nach meinem Sohne und nach allen Menschen hingezogen. — Wer weiß, in welchem gesundern Theile mei- nes Koͤrpers meine vorige Empfindung lag, wer weiß, aus welchem ungeaͤnderten meine jetzige entspringt! Das Leben und alles darin ist nichts, alles ist veraͤchtlich und selbst, daß man die Veraͤcht- lichkeit bemerkt. — — — 11. William Lovell an Rosa . Paris . I ch bin nun wieder in Paris, das zuerst die Buͤhne meiner Irrthuͤmer war. Ich weiß nicht wie ich das Gefuͤhl nennen soll, mit welchem ich hier herumstreife. Ich kenne noch die Haͤu- ser bey denen ich es damals vorzuͤglich bereuete bey denen mich eine besonders schmerzhafte Em- pfindung daruͤber anfiel, daß ich Amalien waͤh- rend einiger Tage vergessen hatte. Ob sie noch lebt und wie sie leben mag! — Mir koͤmmt alles frisch und neu in die Erinne- rung, was ich ehemals fuͤr sie empfand. Die Blainville ist mit einem Chevalier de Valois von hier fortgegangen, der sich nach ei- nigen Erzaͤhlungen in Englanb erschossen hat. Was aus ihr geworden ist, weiß man nicht. In wenigen Tagen reise ich von hier ab. — Alle Straßen und alle Gesellschaften sind mir zuwider. Ich wuͤnsche und fuͤrchte das Englische Ufer. — Doch kalt und pflegmatisch dehnt sich die Zeit weiter und kuͤmmert sich nicht um un- ser geaͤngstigtes, pochendes Herz, — es muß doch endlich alles und selbst das Leben voruͤber seyn. 12. Willy an seinen Bruder Thomas . Kensea . L ieber Bruder, ich schreibe Dir heute einen Brief und in wenigen Tagen mache ich mich auf, um zu Dir zu kommen; denn ich habe kei- ne Ruhe, ich habe keine Rast, es treibt mich weg und ruft mir in die Ohren, daß ich Dich vor meinem Tode noch einmal sehen soll, daß ich unter Deinen Augen sterben soll. Schon seit einigen Tagen ist mir so gar heimlich und einsam zu Muthe, die Fahne des Kirchthurms knarrt so betruͤbt, und wenn ich am Abend am Fenster stehe, ist es, als wenn ich auf dem Kirchhofe schwarze Maͤnner stehen sehe, die mit den Fingern nach mir hinweisen. Ich habe im Stillen geweint und gebetet und bin mir dabey hier so verlassen vorge- kommen, und so auch alle Menschen um mich her, sie waren mir alle fremd. — Der Tod treibt sich hier im Hause herum, das ist nicht anders, lieber Bruder, und nach mir sucht er, das ist gewiß, und darum will ich fort von von hier und zu Dir hin. Sieh, ich habe so an Dein altes freundli- ches Gesicht gedacht und an Deine Art zu re- den, und an alles, was Du an Dir hast und was mir immer so gefaͤllt und das Dein Nah- me Thomas so recht ausdruͤckt und beschreibt. Und da hab’ ich geweint und mir die weite Reise von neuem vorgenommen. Diese Nacht ist es aber erst recht gewiß geworden. Sieh, mir traͤumte, als stuͤnde ich in einer wuͤsten, schwarzen Gegend, rund mit Bergen eingefaßt. Und oben von den Bergen kuckte ein Kopf heruͤber, und das war mein Herr Lo- vell, ich kannte gleich das alte, blasse Gesicht. Da fing ich vor Freude laut an zu schreyen, und ich glaubte, mir haͤtte nur immer getraͤumt daß er gestorben sey, und jetzt kaͤme es nun heraus, daß es nur eine Einbildung von mir waͤre. Er sagte ganz freundlich: Guten Tag, lieber Willy! — Ich wollte gleich munter die Berge hinaufklettern und ich nahm mir vor, mich nicht zu schaͤmen, sondern ihm dreist um den Hals zu fallen. Er mußte es merken, denn er sagte: Bleib nur Willy, wir sehn uns bald. Und in demselben Augenblicke wurde sein Gesicht ganz jaͤmmerlich, noch eingefallener und beynahe wie ein Todtenkopf. Ich fing an zu weinen, als ich das sah, und streckte die Arme nach ihm aus, aber er schuͤttelte stillschweigend mit dem Kopfe, und es war nun, als wuͤrd’ er ordentlich recht mit Gewalt heruntergezogen. Da konnt’ ichs nicht lassen, sondern ich wollte nachsehn, was aus ihm geworden waͤre, ich fing an zu laufen, um die Berge hinaufzuklet- tern, aber sieh, da liefen sie vor mir weg, und ich wurde ungeduldig und rannte immer schneller, und die Berge fuhren weg vor mir, geschwinder wie das beste Pferd im Wettren- nen. Jetzt standen sie ganz weit weg, so daß sie nur noch so groß aussahen, wie Kinder- koͤpfe, das war mir bedenklich; ich kehrte mich um, und hinter mir waren die uͤbrigen Berge eben so weit weggelaufen. Es war alles um mich her so weit, eben und schwarz, wie die See. — Da kam mir ein großer Schwindel in den Kopf, und ein schreckliches Grausen auf den ganzen Koͤrper, denn ich merkte nun, daß ich den Herrn Lovell als einen Geist gesehen hatte. Es war mir immer, als wollte ein schwar- schwarzes Ungeheuer aus dem Himmel herunter- schießen, um mich zu verschlingen, oder als wenn der Himmel selber brechen wollte. Ich vergaß alles Vorhergehende beynahe und fuͤrch- tete mich doch noch immer fort; meine ganze unsterbliche Seele kruͤmmte sich in mir zusam- men und ich rief den allmaͤchtigen Gott um Huͤlfe an. Da wacht’ ich mitten in der dunkeln Nacht muͤde und ermattet auf, und es war mir noch immer, als stuͤnde ich noch in der schwarzen Wuͤste. — Siehst Du, Bruder, der verstorbene Herr hat mich gerufen, ich muß kommen und nun will ich nur noch von Dir Abschied nehmen. Es ist ja so nur noch so wenige Zeit uͤbrig, in der wir uns lieben und gut seyn koͤnnen, wir wollen also das wenige noch mitnehmen. Gott seegne meinen Herrn William, ich wuͤnschte, ich koͤnnte auch von dem noch Ab- schied nehmen, und daß er mir noch zur voͤlli- gen Versoͤhnung die Hand druͤckte, daß ich doch ganz als ein guter Freund von ihm zu seinem Lovell. 2r Bd. E e Herrn Vater in den Himmel ankommen koͤnnte und einen Gruß von ihm bestellen. Wie gesagt, in etlichen Tagen bin ich bey Dir und wenn Du mich auch wieder fuͤr etwas naͤrrisch haͤltst, lieber Bruder, so mache mir doch ein freundliches Gesicht, wenn ich komme. Ende des zweyten Theils.