Die deutsche Einheit und der Preußenhaß. Die deutsche Einheit und der Preußenhaß. Ein politisches Bekenntniß, allen Urtheilsfähigen und Vorurtheilsfreien vorgelegt von Gustav Pfizer. Stuttgart . 1849. Bei Paul Neff . D ie Worte des Erzherzogs Johann: „Kein Oestreich, kein Preußen mehr, sondern ein einiges, starkes Deutschland!“ diese Worte haben in Millionen Herzen einen Widerhall gefunden, sie haben fördernd auf die Wahl dieses Fürsten zum Reichsverweser gewirkt und sie sind sozusagen die Summe des politischen Glaubensbekenntnisses von Tausenden geworden. Ich würde denjenigen bedauern, der nicht empfände, daß in diesen Worten im Munde eines bejahrten Fürsten, über dessen Haupt gar manche Schicksalswechsel gegangen, ein schönes, edles, nationales Gefühl sich kund gibt. Aber ich gestehe auch, daß ich in diesen Worten immer nur einen frommen Wunsch, eine patriotische Phantasie erkannt habe. Die meisten Christen würden wohl in den Wunsch einstimmen; keine römische und griechische, keine katholische und protestantische Kirche mehr, sondern Eine , die allgemein christliche Kirche! Aber ist mit solchen Wünschen etwas ausgerichtet? ist damit ein Ausweg angedeutet, um aus dem Zwie- spalt herauszukommen, eine Bahn vorgezeichnet, um das traumhaft vor- schwebende Ziel zu erreichen? Gewiß nicht! Es ist nicht zu tadeln, wenn ein Trinkspruch solche Phantasien heraufbeschwört; sie mögen im Augen- blick günstig gewirkt haben auf Millionen von Deutschen; aber nüch- ternen Männern des Gedankens, des Rathes und der That ist damit nicht geholfen. Die Einheit Deutschlands ist seit März 1848 die Losung aller ehrliebenden Deutschen geworden, aber man hat mit diesem Begriff viel- fach, absichtlich oder unabsichtlich Versteckens gespielt, man hat ihn im verschiedensten Sinn genommen und ausgelegt. Das wichtigste Mißver- ständniß, der folgenreichste Differenzpunkt läßt sich wohl so bezeichnen: Die Einen setzten die Einheit Deutschlands vorzugsweise in die Ganz- heit , die Totalität, die Andern in die Centralisirung , darein, daß Deutschland einen festen Mittelpunkt, eine einheitliche Leitung, ge- tragen von einer starken, Achtung gebietenden Macht, bekomme. Aus dieser verschiedenen Auffassung der Einheit lassen sich großentheils die 1 entgegengesetzten Ansichten über die Neugestaltung Deutschlands erklären; aber damit will ich nicht behaupten, diese beruhen nur auf der Ver- schiedenheit der Begriffe , sondern die Verschiedenheit, der Gegensatz der Interessen hat auf die Begriffe selbst influirt. Wenn sich die Totalität und die Centralisirung Deutsch- lands verbinden ließe, so wäre die Aufgabe am vollständigsten gelöst, der Wunsch am schönsten erfüllt. Wenn dieß nicht möglich ist, so muß man sich zu einer, immerhin bittern Wahl entschließen; und es fragt sich: auf was soll man eher verzichten, was müssen wir zuerst zu retten suchen? Die Antwort der Einen ist: die Ganzheit ; das sind die An- hänger des Staatenbundes, des Direktoriums, der österreichischen Ober- hauptschaft, die sogenannten Großdeutschen; die Andern sagen: die Cen- tralität ; das sind die Anhänger des Bundesstaats, des Centralstaats, der preußischen Hegemonie, die Erbkaiserlichen, die sogenannten Klein- deutschen. Nicht schwer ist es, bei Gemüthern, die sich von Worten be- stechen, von Gefühlen bestimmen lassen, die letztere Ansicht in Miß- kredit zu bringen. Man wirft den Anhängern derselben vor, daß sie ein kleines Deutschland einem großen , daß sie ein Dreiviertels-, ein zerstückeltes Deutschland dem Ganzen vorziehen, daß sie die öst- reichischen Bruderstämme zurückstoßen, wegschneiden, das herrliche Vater- land verstümmeln, — und das Alles am Ende nur aus Vorliebe für Preußen , im Dienste preußischer Herrschsucht, preußischer Intriken, um diesem Staat zu größerer Macht zu verhelfen. Ob die Großdeutschen oder die Kleindeutschen bessere, aufrich- tigere, uneigennützigere Patrioten sind? das läßt sich von vornherein nicht mit Sicherheit entscheiden, denn man kann nicht in die Herzen schauen, und jeder Unbefangene wird zugeben: es gibt Aufrich- tige und Unaufrichtige, Selbstsüchtige und Selbstsuchtslose unter beiden Parteien; die Frage, die uns beschäftigen muß, ist zunächst die: auf welcher Seite ist die größere politische Einsicht ? Einen thatsächlichen Beweis dafür, daß die größere Einsicht auf Seiten der Partei des Central- oder Bundesstaats, der sogenannten Kleindeutschen ist, möchten wir darin finden, daß sie in Frankfurt eine deutsche Reichsverfassung auf dieser Grundlage entworfen und beschlossen hat, welcher ein großer Theil der deutschen Staaten beitrat und die hauptsächlich nur an der Weigerung der preußischen Regierung scheiterte. Der Widerspruch der baierischen Regierung wäre vermuth- lich , der der sächsischen und hannöverschen ohne Zweifel noch zu über- winden gewesen. Aber das Wesentliche dieser deutschen Reichsver- fassung ist doch in den Entwurf der drei Königreiche aufge- nommen, und es liegen somit zwei positive Entwürfe einer deutschen, die Einheit im Sinne der Centralität festhaltenden Reichs- verfassung vor, während die Gegenpartei der Großdeutschen noch keinen ins Einzelne eingehenden Vorschlag und Entwurf einer deutschen Reichs- verfassung, auf der Grundlage der Totalität Deutschlands , aufzustellen vermocht hat. Dagegen hat Oestreich , dessen Aufnahme in die deutsche Einheit den Großdeutschen am Herzen liegt, durch die von ihm seinen sämmt- lichen Völkern und Staaten verliehene einheitliche Verfassung, in welcher vom Verhältniß zu Deutschland nicht mit einem Wort die Rede ist, sich, d. h. seine deutschen Provinzen, von Deutschland zurückgezogen und abgeschlossen, während es daneben immer noch die erste Stelle in Deutsch- land, auf Grundlage der alten Bundesakte und der Verträge von 1815 in Anspruch nimmt. Wie die östreichische Regierung sich die neue Gestaltung Deutschlands vorstellt, darüber hat sie sich noch nie offen und ausführlich, sondern nur in einzelnen geheimnißvollen und nebel- haften Andeutungen vernehmen lassen. Aber die Berufung auf die Bundesakte, das Bündniß mit Rußland, der ganze Charakter der Re- gierung, so wie einzelne bestimmte Erklärungen lassen kaum bezweifeln, daß Oestreich den gerechten Forderungen politischer Freiheit Deutschlands nichts weniger als günstig ist, daß es ein Volkshaus verwirft und daß es im Wesentlichen die Herstellung des alten deutschen Bundes als Ziel seiner Bestrebungen betrachtet. Es soll jedoch dem Umstand, daß die Partei des Bundesstaats, die sogenannte kleindeutsche, eine Verfassung aufgestellt hat, welcher die Möglichkeit der Ausführung selbst von den Gegnern nicht schlechthin abgesprochen wird, während die Großdeutschen uns einen solchen Entwurf zur Zeit uoch schuldig sind, kein zu großes Gewicht beigelegt werden. Vielmehr soll hingewiesen werden auf die in der Sache selbst liegenden Schwierigkeiten, ja Unmöglichkeiten, bei Aufnahme des gesammten Deutschlands eine sonst befriedigende, starke und volksthümliche Verfas- sung und Regierung zu schaffen. Die Großdeutschen wollen entweder die östreichische Oberhaupt- schaft, ein habsburgisches Kaiserthum, oder ein Direktorium, oder am Ende den alten Bundestag mit einigen Modifikationen. Was das Erste betrifft, so erinnert man an das alte historische Recht des Kaiserhauses, an ehrwürdige Traditionen, an die Macht und Größe Oestreichs, die es zum kräftigen Beschützer, aber ebenso zum ge- 1* fährlichen Feind Deutschlands mache. So gut man andrerseits die Unter- werfung der vier Königreiche unter die preußische Oberhauptschaft, im Interesse der deutschen Einheit, des Vaterlands, fordere, so gut könne man von großdeutschem Standpunkt aus die Unterordnung auch Preu- ßens unter das viel größere und mächtigere Oestreich verlangen, zumal da Oestreich bisher mit Zustimmung Preußens unbestritten an der Spitze Deutschlands gestanden sey und Deutschland schon den Reichsver- weser gegeben habe. Aber Preußen verhält sich ganz anders zu Oestreich, als die klei- nern Königreiche, als selbst Baiern zu Preußen. Während Baiern, ein Staat untergeordneten Ranges, nur in Verbindung mit andern Staaten ein Gewicht in die Wagschale der politischen Entscheidungen zu legen vermag, ist Preußen zwar die kleinste, aber doch eine der euro- päischen Großmächte , und ist eine rein deutsche Macht . Preußen unterhält, wenn auch mit ungemeiner Anstrengung, ein ge- waltiges Heer, dessen treffliche Zusammensetzung und Organisation, dessen tüchtiger, sittlich gesunder und dabei volksthümlicher Geist mit Recht die Bewunderung Aller ist, die es kennen; das, nicht nur physisch und materiell kraftvoll, das auch durchdrungen und gehoben ist von den Erinnerungen, vom Bewußtseyn des preußischen Kriegsruhms aus der Zeit des Befreiungskriegs, dessen schönste Lorbeeren Preußen gebühren, so wie des siebenjährigen Kriegs, wo Preußen durch das Genie seines großen Königs und die Tapferkeit seiner Söhne nicht nur Oestreich, sondern dem von diesem aufgebotenen halben Europa unüberwunden widerstand. Zwar besitzt Preußen nicht die Hälfte der Volkszahl und des Ländergebiets der östereichischen Monarchie; aber in welchem Zu- stand der Auflösung, des Bürgerkriegs, der finanziellen Zerrüttung und des erbitterten Kampfes der Nationalitäten befindet sich dermalen Oest- reich gegenüber von Preußen, welches nach den Stürmen des vorigen Jahres zum Verwundern schnell seine kräftige und achtunggebietende Haltung, seine innere Geschlossenheit wieder gefunden und in so schweren Zeiten seinen Staatshaushalt, seinen Kredit aufrecht erhalten hat! Was ist dagegen Baiern , welchem Preußen seine Pfalz wieder pacificiren mußte? Und Preußen sollte sich, sollte sich jetzt dem tief zerrütteten Oestreich unterordnen? sollte aufhören zu seyn, was es in der That seit Friedrich II. , seit mehr als hundert Jahren gewesen, eine selbst- ständige Macht? Dagegen sträubt sich nicht etwa nur Eitelkeit und Eigensinn , sondern der natürliche, der berechtigte Stolz des preußischen Volkes; es ist eine moralische und politische Unmög- lichkeit . Aber soll das größere, das mächtigere Oestreich sich Preußen unter- ordnen? Das wird nicht verlangt. Die östreichische Monarchie würde vom deutschen Reich als ebenbürtig und selbstständig anerkannt; und wenn, wie zu wünschen, die deutschen Provinzen Oestreichs mit Deutsch- land in ein engeres Verhältniß treten wollen und sollen, so wird hiefür eine Form sich finden lassen, welche alle Ansprüche der hohen Würde des östreichischen Kaisers wahrt. Oestreich bleibt nach wie vor eine europäische Großmacht, wenn auch Preußen an die Spitze des übrigen Deutschlands tritt, während Preußen aus der Reihe der Großmächte gestrichen würde, wenn Oestreich auch das deutsche Kaiserthum bekäme. Allerdings verlöre Oestreich bei dieser Neugestaltung die bis zum Jahr 1848 geführte Vorstandschaft in Deutschland; denn es ist in der That nicht leicht einzusehen, wie dieselbe doch noch in einem weitern Bunde , innerhalb dessen der engere, mit Preußen an der Spitze, fiele, sollte aufrecht erhalten werden; aber hat nicht Oestreich durch seine Mißregierung während der 33 Jahre Metternichscher Herrschaft die Vorstandschaft von Gott und Rechtswegen verwirkt ? oder war es nicht der Alp des Metternichschen , des Oesterreichischen Systems, der ein Menschenalter lang verderblich auf Deutschland ge- lastet hat? Ist nicht der Anstoß zu allen freiheitsfeindlichen, das Na- tionalgefühl verletzenden und empörenden Bundesbeschlüssen und Maß- regeln aus jenem verhaßten Kabinet gekommen? Fragen mag man, durch welche Verdienste Preußen sich einen Anspruch auf die Leitung Deutsch- lands erworben? ob es nicht jenem System der Unterdrückung sich ge- fällig gefügt und bereitwillig angeschlossen habe? Man muß dieß be- jahen; aber nicht von einer Belohnung der Verdienste Preußens handelt es sich, sondern davon, das für Deutschland Heilsame und Nothwendige zu ergreifen; und jedenfalls hat Preußen, wenn es auch dem Metternich- schen politischen Unterdrückungssystem folgte, doch den Zoll- und Handels- verein begründet; und so manche Beschwerden auch gegen diesen und Preußens Leitung vorliegen, zuversichtlich wird man doch fragen dürfen: ob der preußische Zollverein seinen Zwecken nicht besser entsprochen habe, als der deutsche Bund, unter Oestreichs Leitung, den seinigen? Im Gegensatz zu dem durchaus stabilen und reaktionären Oestreich hat Preußen im Innern den Grundsätzen der Humanität, der Aufklärung, des Fortschritts gehuldigt; es hat dessen Regierung im Jahr 1847 den wichtigen, von Oestreich und Rußland mit bitterm Verdruß betrachteten Schritt der Berufung des vereinigten Landtags freiwillig gethan, damit auf die konstitutionelle Bahn eingelenkt, und sich dem übrigen, konstitutionellen Deutschland genähert. Annehmbarer für Preußen, als ein östreichisches Kaiserthum über Deutschland wird nun aber von Andern der Plan einer gemein- samen Oberleitung der deutschen Angelegenheiten durch Oestreich und Preußen, oder durch ein mit weitern Theilhabern an der Regierung ver- stärktes Direktorium gefunden. Mit solchem Enthusiasmus wird dieser schöne Plan, als alle Wünsche befriedigend, von Manchen gerühmt, daß man sich nur über die Thorheit des deutschen Volkes in den Frühlings- monaten von 1848 wundern muß, indem es nach etwas strebte , was es ja schon besaß . In Wahrheit, die Annahme jenes Planes wäre im Wesentlichen ein Zurückkommen auf den alten Staatenbund und den Bundestag mit all seinem Jammer und seiner Schmach für Deutschland. In Bezug auf die Freiheit im Innern möchte Manches verbessert wer- den, aber in Bezug auf Macht und Ehre , auf Einheit , ja auf die Existenz Deutschlands bliebe Alles beim Alten. Das war der Fluch des deutschen Bundes, — und das würde im Wesentlichen immer wiederkehren! — daß zwei , verglichen mit den übrigen Bundesgliedern unverhältnißmäßig mächtige Staaten, deren Gesammt- macht die der übrigen Bundesgenossen schon numerisch um das Vier- fache überstieg, an der Spitze standen. Oestreich, den Vorsitz und da- mit die eigentliche Oberleitung führend, und der Zahl seiner Unter- thanen und seiner Länderausdehnung nach, Preußen ums doppelte überlegen, ist nun aber nur zum vierten oder fünften Theil eine deutsche Macht, und natürlich ordnete es die deutschen Interessen immer seinen Reichsinteressen unter. Nicht nur die Freiheit in Deutschland litt darunter Noth, sondern auch die nationale Geltung Deutschlands galt für Oestreich nur als Mittel für seine Zwecke als Großmacht. Von der östreichischen Diplomatie überflügelt, von der östreichischen Politik umstrickt, verstand sich Preußen lange Jahre hindurch zu der wenig ehrenhaften Rolle, Schleppträger von Oestreich im deutschen Bunde zu seyn, — eine Rolle, welche äußerlich dadurch etwas geschmückt wurde, daß Preußen, so lange es sich gefügig zeigte, von Oestreich auf den Fuß der Gleichheit behandelt wurde. Die schlimmen Folgen des Einverständnisses der zwei großen Mächte für die deutsche Freiheit liegen offen vor Jedermanns Auge; die schlimmen Folgen für die Ein- heit , für eine wirkliche nationale Existenz und Geltung Deutschlands treten nicht in einzelnen, gereifbaren Erscheinungen hervor, aber der ganze klägliche Zustand, die ganze politische Nullität des deutschen Bundes, — der in der That nur ein Werkzeug und Spielball in den Händen der zwei Mächte war, — ist dadurch bedingt gewesen. Hätte Preußen sich kräftig von der östreichischen Bevormundung emancipirt, hätte es seinen Beruf, mit den preußischen auch die deutschen nationalen Interessen zu vertreten und zu fördern, begriffen und erfaßt: so würde sich gezeigt haben, wie durch jenen Dualismus Deutschland auseinander gezerrt und die Verwirklichung seiner nationalen Existenz gehemmt wurde. Es würde sich jetzt, wo das Verlangen nach nationalem Fortschritt unabweislich sich geltend macht, erst recht zeigen, daß zwei Großmächte an der Spitze Deutschlands, selbst ihren besten Willen vorausgesetzt, unmöglich gleichen Schritt halten können, weil ihre Interessen ver- schieden sind, weil Oestreich, eine Macht mit fast 30 Millionen nicht- deutscher Unterthanen, in seiner Politik andere Rücksichten zu nehmen, andere Ziele zu verfolgen hat, als das, bis auf einen Theil Posens, reindeutsche Preußen. Daß die Interessen Preußens mit denen des übri- gen Deutschlands mehr zusammenfallen als die Oestreichs, hat sich in der Gründung des Zollvereins bewährt, welchem Oestreich nicht beitreten wollte oder nicht konnte. Man braucht diesen nicht gerade für eine tadellose Schöpfung zu erklären, wenn man behauptet, durch diese Han- dels- und Zolleinigung sey die politische Einigung angebahnt, aber auch die Grenze angedeutet worden, welche dieser durch die innere Nothwendigkeit der Dinge gesteckt sey. Will man sich das Unmögliche einer von unklaren Köpfen ganz idyllisch und sentimental ausgedachten einträchtigen Doppelregierung, auf „deutsche Treue“ gegründet, etwa nach der (ganz unpassenden) Analogie der zwei Könige von Sparta oder der zwei römischen Consuln, — ver- anschaulichen, so beantworte man die Frage: Wie soll Deutschland dann gegen Außen vertreten seyn? Würden Oestreich und Preußen als Groß- mächte jedes einen Gesandten unterhalten, und dann einen weitern gemein- samen im Namen Deutschlands? Oder soll nur Oestreich einen solchen behalten, und Preußen nicht? Und welche von beiden Mächten soll dann den deutschen Gesandten ernennen und instruiren? Wo wird man den Phönix von einem Diplomaten finden, auf welchen das Wort keine An- wendung fände: „Niemand kann zwei Herren dienen!“ Taugt der Dualismus einer doppelköpfigen Oberleitung nichts, so taugt ein Direktorium aus drei, fünf, sieben Mitgliedern ebenso we- nig. Nicht nur fehlt bei einer solchen Vielheit die erforderliche Con- centration und Raschheit der Regierung, der vollziehenden Gewalt; es ist auch der leitende Gedanke durch die Wahrscheinlichkeit von Intriken einem steten Schwanken ausgesetzt, und abgesehen von der Nothwendig- keit für die großen Mächte, die Stimmen der Kleineren für sich zu ge- winnen, wodurch Mißtrauen und Eifersucht entsteht, bleibt doch das Uebergewicht der zwei Großmächte, wo diese einig sind, über alle übrigen, wie im deutschen Bund. Die Idee des Direktoriums wurde und wird am meisten gehegt von den mittlern Fürsten, den Königen der kleinern Länder, am eifrigsten von Baiern , weil dieses, ehrgeizig, entweder selbst als dritte Großmacht in das dreiköpfige Direktorium mit aufgenommen zu werden hoffte, oder doch, eifersüchtig und neidisch, jedenfalls auf diesem Wege die ihm so verhaßte preußische Oberhauptschaft zu vereiteln strebt. Den andern Königen leuchtete ein sechs- oder siebenköpfiges Direktorium, das ihren Einfluß vielmehr vermehrt als vermindert hätte, wohl auch nicht übel ein; und die Abneigung, die Eifersucht, der Haß mancher, besonders süd- und westdeutscher Stämme gegen Preußen ergriff begierig diese Scheinrettung der deutschen Einheit, weil man dadurch der entsetzlichen, wirklichen Gefahr entging, den Mächtigen auch wirk- lich als Solchen anerkennen zu müssen, und dem Heile, der Ehre und Größe des Vaterlands das provinzielle Vorurtheil, die bornirte Stam- meseitelkeit zum Opfer bringen. Daran aber, daß, um nur noch Ei- nes zu erwähnen, bei einem Direktorium von einem verantwortlichen Ministerium, von einer parlamentarischen Regierung im Ernste nicht die Rede seyn kann, weil ein fürstliches Direktorium selbst ein unver- antwortliches Ministerium wäre, daran haben, scheint es, die Direktoriums-Enthusiasten gar nicht gedacht. Welche Bedeutung aber dann die Vertretung der Nation, sey es in einem oder in zwei Häusern, haben würde, dieß zu ahnen erfordert wenig Scharfsinn. Reden und Debatten bekäme man genug, aber einen wirklichen Einfluß auf die Direktorialregierung würde selbst die pomphafteste Volksvertretung nur in den seltensten Fällen, nur in Kleinigkeiten üben; die dynastischen Verabredungen, Interessen und Intriken würden nahezu Alles ent- scheiden, d. h. wir würden wieder auf den Standpunkt des deutschen Bundes und des Bundestags zurückgeschraubt. Wenn das deutsche Volk dieß nicht will, wenn es ihm Ernst war und ist mit der Forderung einer politischen und nationalen Einheit Deutschlands, so gestehe ich, keinen andern Weg zu Erreichung dieses Ziels abzusehen, als den Anschluß an Preußen, als leitende Macht des deutschen Reichs oder Bundesstaats. Auf den Namen und die Form, sogar auf die augenblickliche größere oder geringere Vollkommenheit des zu gründenden Bundesstaats lege ich geringeres Gewicht, wenn nur die Hauptsache, von der das Heil abhängt, sicher und fest gestellt wird. Auch von Personen und Gefühlen muß, nach meiner Ueberzeu- gung, abzusehen vermögen, Wer den Namen eines politischen Mannes und eines Patrioten in Anspruch ninmt; er muß ver- nünftigen Gründen zugänglich seyn und seine Antipathien, Sympathien und Vorurtheile verläugnen können. Fast nur auf solchen Beweggründen aber beruht bei den allermeisten Gegnern oder Feinden der Hegemonie Preußens ihr Widerspruch. Wenn die Einheit Deutschlands im Sinne der Totalität , neben der Cen- tralität, nicht zu erreichen steht, so bleibt nur übrig, die Einheit im Sinne der Centralität, in möglichster Ausdehnung, zu retten. Oestreich will in den wahren deutschen Bundesstaat mit Volkshaus nicht eintre- ten, weil es nicht kann, wie es dieß zuerst , im Programm von Krem- sier selbst bekannte ; dir Forderungen, die es stellt, die Bedingungen seines Eintritts, zerstören das Wesen des Bundesstaats, und darauf wird Deutschland doch nicht wieder verzichten wollen? Oder doch? Ueberwiegt der Haß und Neid gegen Preußen so sehr die vielgerühmte Liebe zu Deutschland, daß man lieber nichts will, als das Gewünschte aus der Hand Preußens? Wir lachen über den Bauerknaben, welcher zähnklappernd und heulend vor Frost, sich selbst tröstete: „es geschieht meinem Vater Recht, daß es seinen Jakob so friert, weil er mir keine Lederhosen hat machen lassen, und ich die tuchenen nicht anziehe,“ aber müßte man nicht lachen und weinen zugleich über einen schadenfrohen Eigensinn, der einer Antipathie das Heil des Vaterlands aufopferte, und ausriefe: „Mag Deutschland politisch, ökonomisch und moralisch untergehen, mag es eine rothe Republik, französisch oder russisch wer- den, wenn nur Preußen nicht obenan kommt!“ Ist das übertrieben? Leider nein! Aber so häufig man in Süd- deutschland, in Baiern und auch in Württemberg überall Gelegenheit hat, Aeußerungen des wüthendsten und offen, ja mit Stolz eingestand- nen Preußenhasses zu vernehmen: so selten hört man irgend einen stich- haltigen, durchdachten Vorschlag, was denn nun in Deutschland statt der preußischen Oberhauptschaft werden solle? — „Das wird sich zeigen!“ sagt der Eine; „es hat mit der Entscheidung keine Eile! kommt Zeit, kommt Rath!“ der Andere. Die aristokratische und reaktionäre Partei und manche Katholiken, — freilich nur Solche, die nach der deutschen Einheit und Freiheit nie großes Verlangen getragen, — deuten freude- strahlend auf Oestreich und dessen zeitweiligen Trabanten, Baiern hin, — Baiern , das sich jetzt als der deutscheste Staat geberdet, obgleich es seit Jahrhunderten mit dem Reichsfeind, Frankreich, fast in allen Kriegen sich verbündete, das eine ungemeine Zärtlichkeit für Oestreich an den Tag legt, gegen dessen Verschlingungsgelüste unter Joseph II. es durch das Schwert und die Energie des preußischen Friedrichs II. geschützt wurde! — und selbst von den sich liberal und patriotisch Dünkenden neigen nicht Wenige hinüber zur Heimath Metter- nichs und Abels , an deren Stelle jetzt Schwarzenberg und Schmer- ling und von der Pfordten , die Helden der diplomatischen Doppel- züngigkeit und der Reisläufer des Partikularismus, getreten sind! Vom Preußenhaß geblendet übersieht oder verzeiht man, daß Oestreich sich als seinem Retter und Beschützer Rußland in die Arme geworfen, russischen Heeren sein Reich geöffnet, seine Unterthanen preis gegeben hat! und endlich gibt es, trotz der Unterdrückung und dem des Anfangs würdigen schmachvollen Ende des Aufruhrs in Baden, so wie in der Pfalz, noch immer Leute, die von einer südwestdeutschen Republik träumen — etwa unter dem Protektorat der freilich jetzt nicht sonder- lich empfehlenswerthen französischen Republik. Oder wenn man in den jetzigen Zeitläuften das Wort „Republik“ scheut, spricht man von einem südwestdeutschen Bunde von Württemberg, Baiern und was sich etwa noch dazu gewinnen lassen mag. Dieser Bund soll Oestreich und Preu- ßen Trotz bieten und die deutsche Freiheit retten, mag aus der Ein- heit werden, was da will! Wenn man die Freiheit der Einheit Deutschlands vor- zieht, so ist das meinetwegen Geschmackssache ; aber zu glauben, ein kleiner Theil Deutschlands, am Ende Württemberg allein , könne in einer völlig selbstständigen und unabhängigen Stellung den Schatz der Freiheit, die Edelsteine der Grundrechte retten, das ist der Gipfel des politischen Unverstandes. Und wenn man die Rettung und Gewährleistung dieser Freiheit beim Ausland , bei Frankreich sucht, überhaupt wenn man zur Lösung , oder vielmehr zur Ver- wirrung der deutschen Frage, zur Vereitlung der gerechtesten Wünsche nach Einheit und Freiheit, die Fremden herbeizieht, sich in diesem Sinne auf die Verträge von 1815 beruft, so tritt zum Unverstand noch der Verrath am Vaterland hinzu. Denn Verrath ist es, zur Entschei- dung innerer Angelegenheiten eines Landes Fremde herbeirufen, die sicherlich nicht von Großmuth zu solcher Einmischung getrieben werden. Wenn Württemberg sich dem zehnmal größeren Preußen nicht unterordnen will, soll es sich dem an Größe es dreimal übertreffenden Baiern unterordnen wollen? Das wäre ein unbegreiflicher Widerspruch. Oder glaubt es, sich Baiern gleich stellen zu können? So wird es Baiern wenigstens später gewiß nicht meinen! Was aber eine bai- rische Hegemonie Lockendes haben solle, ist schwer einzusehen; denn sie böte nur das etwa Unbequeme , ohne die Vortheile, den Schutz der Hegemonie eines mächtigen Staates. Und wie stände es, wenn Preußen den Zollverein aufkündigte? Wäre dann der Jubel so laut, als jetzt das Geschrei gegen Preußen, namentlich wenn die durch den Wegfall der Zolleinnahmen nothwendig gemachten Steuererhöhungen einträten? Soll sich aber Württemberg mit Baiern ganz an Oestreich anschlie- ßen, nun dann ist einmal dessen frühere oder spätere Verschlingung von dieser großen Monarchie eingeleitet und die muthmaßlich unwiderrufliche Entzweispaltung Deutschlands ist geschehen. Nur daß dem Norddeutsch- land unter Preußen kein reines Süddeutschland, sondern das zum kleinsten Theil deutsche Oestreich mit deutschen Provinzen gegen- überstände. Und falls es den östreichisch-bairischen Künsten gelänge, noch mehr Staaten vom Bundesstaat abwendig zu machen, würde Preußen, hierdurch geschwächt, um so mehr gegen Rußland hingedrängt, um so weniger fähig, gegen England eine selbstständigere Handelspolitik zu entwickeln; mit einem zu schwachen Preußen und einem undeutschen Oestreich endigte dann der schöne Traum von einem einigen großen, mächtigen Deutschland! Welchen Antheil am Regiment würde aber Oestreich seinen Verbün- deten, Baiern und Württemberg, gewähren? Das würde eine Löwen- theilung werden! Und welche Vortheile in Bezug auf Handel, Zoll, Schifffahrt könnte und wollte es ihnen anbieten, nachdem sie sich einmal ihm hingegeben? Würden sie sich etwa abfinden lassen müssen durch die Erlaubniß, Colonien in das durch Krieg entvölkerte und verwüstete Ungarn und Siebenbürgen zu schicken? Möchte selbst Herr M. Mohl , der erbittertste Gegner Preußens und des preußischen Zollvereins, dafür bürgen, daß man nicht vom Regen in die Traufe käme? Es wäre freilich für Württemberg leidig, wenn Baiern sich vom deutschen Bundesstaat fern hielte und es dadurch das Grenzland des letzteren würde; aber im anderen Falle, wenn es selbst als Trabant der Sonne Oestreichs folgte, würde es möglicherweise Grenzland gegen den deutschen Bundesstaat, gegen Baden; und wenn Württemberg sich für den Bundesstaat erklärt, wird auch Baiern auf die Länge nicht wider- stehen können, zumal da manche seiner Provinzen vom Preußenhaß nicht angesteckt sind. Wie so gar nicht unüberwindlich die von Vielen vorgebrachten Gründe gegen den Anschluß von Preußen sind, erhellt daraus, daß im April die weit überwiegende Stimmung in Baiern wie in Württemberg, namentlich in den größeren Städten, sich für Anerkennung der Reichs- verfassung mit dem Könige von Preußen, als deutschem Kaiser, aussprach. Im inneren, tieferen Wesen der Dinge, an den materiellen und indu- striellen Interessen, an der geographischen Lage, an Grenzen und Strö- men hat sich seither Nichts geändert: mithin muß das jetzige Sichsträuben gegen den Anschluß an Preußen seinen Grund in zeitweiligen po- litischen Stimmungen haben. So ist es auch. Hierüber einige Worte. Je weniger die Feinde Preußens einen befriedigenden positiven Vor- schlag zur Herstellung der Einheit Deutschlands zu machen wissen und nur bald diesen bald jenen unausführbaren Gedanken oder Einfall hin- werfen, um so wüthender speien sie ihre Vorwürfe und Anklagen gegen Preußen aus, um so arglistiger und böswilliger verdächtigen sie Jeden, der an der klar erkannten politischen Nothwendigkeit festhält, während die politischen Wetterfahnen immer im Kreise herumfahren. Da wird Wahres und Falsches, Großes und Geringfügiges, Altes und Neues zu einem Gebräu zusammengerührt und mit patriotisch sich stellendem Pathos und unverstelltem Haß verquickt, daß die solchen Hassespredigern lau- schende Menge in Preußen das Reich des inkarnirten Teufels erblickt und die Preußen, die „ deutschen Russen “, wie ein ebenso schmach- voller als dummer und boshafter Hochmuth sie nennt, für wilde, fast menschenfressende Barbaren hält. In Folgendem etwa faßt sich die Summe der Hauptvorwürfe zusammen: „Einer Regierung, welche das heroische, für seine Rechte kämpfende Volk verrätherisch angreifen und mit Kar- tätschen niederschmettern ließ; welche die preußische Nationalversammlung im November vorigen Jahrs mit roher Waffengewalt auseinandertrieb; welche Wrangel’s Säbelregiment einführte; welche mit einem Ministerium Brandenburg-Manteuffel den konstitutionellen Geist unaufhörlich verletzt und in der Demokratie den Geist der Freiheit systematisch verfolgt; einer Regierung, welche den Malmöer Waffenstillstand und den noch viel schmachvolleren vom 10. Juli 1849 abschloß und die Herzogthümer Schleswig-Holstein verrätherisch den übermüthigen und an sich ohn- mächtigen Dänen preisgibt; einer Regierung, welche die preußischen Ab- geordneten von Frankfurt abberief und hierdurch faktisch die Versammlung sprengte, die dann selbst vor preußischen Bajonnetten nicht sicher war; einer Regierung, welche in Sachsen das für Durchführung der Reichsverfassung aufgestandene Volk bekämpfte; welche die Erhebung in der Pfalz und in Baden niederwarf, ihre usurpatorischen Eroberungsgelüste offen an den Tag legte und Blutgerichte gegen die Volksmänner anordnete; einem Könige, welcher die ihm dargebotene Kaiserkrone aus den Händen der Vertreter der Nation anzunehmen verschmähte, aber statt das freiwillig Angebotene anzunehmen, Deutschland die preußische Herrschaft mit einer oktroyirten Verfassung gewaltsam aufzudrängen sucht — unterwerfen wir uns nie !“ Dies ungefähr ist das Hauptthema der Philippiken und Capuzinaden gegen Preußen, je nach den Gesinnungen der Volksredner und Jour- nalisten gewürzt mit schamlosen Schmähungen des Königs von Preußen, sowie mit Verunglimpfungen des preußischen Volkes , und in allen denkbaren Variationen mit der Unermüdlichkeit des fanatischen Hasses abgehandelt. Schmähungen der Regierung oder des Königs und ein- zelner Minister und Generale werden kunstreich mit Verunglimpfungen des preußischen Staates und Volkes durchwoben und versetzt, und der Name Preußen wird zum Schreckbild und zur Vogelscheuche, zum entsetzlichen „Wahnbild“ für jeden Demokraten nicht nur, sondern auch sonst für manchen harmlosen und wohlmeinenden Mann. So kann der Beobachter sagen: „Das Volk haßt jenes Wahnbild Der Beobachter meint damit die Idee der preußischen Vorstandschaft; aber viel mehr ist das Bild, das er und Seinesgleichen von dem deutschen Bundesstaat unter Preußens Leitung, vom preußischen Säbelregiment und Despotismus entwerfen, ein — Wahnbild ! mit Recht, es hat die preußische Politik seit einem Jahre beobachtet und weiß, was es von einem Preußischwerden zu erwarten hätte.“ — Das Volk haßt Preußen, nicht, weil es dessen Politik beobachtet hat, sondern weil es seit einem Jahre unablässig Beobachtert worden, weil es auf jede Weise aufgestachelt, verhetzt, in seinen Antipathieen wie in seinen selbst- gefälligen Vorurtheilen bestärkt worden ist. Zu dem Gewebe von Vorwürfen, die gegen Preußen erhoben wer- den, hat die preußische Regierung allenfalls den Zeddel vielfacher und großer Fehler und Mißgriffe hergegeben (und wo sind in den letzten Zeiten solche nicht begangen worden?); den Eintrag aber haben unsere rasenden Preußenfeinde aus ihrem Eigenen hinzugethan, ihn, wie die Kreuzspinne, aus sich herausgesponnen. Bekennen und beklagen muß man die lange Zögerung der preußischen Regierung, den ge- rechten Erwartungen Preußens und Deutschlands zu entsprechen, das Haften an der alten, Metternich huldigenden Politik, das zaghafte Vor- schreiten und Wiederzurückgehen beim vereinigten Landtag, das Versäumen des rechten Augenblicks nach dem Ausbruch der Februar-Revolution, das schwankende und unsichere Benehmen nach den Märztagen; bedauern und für einen politischen Fehler halten kann man die Nichtannahme der Kaiserkrone und die Mißstimmung erregende Aufnahme der Kaiserdepu- tation; verletzt endlich, ja entrüstet sind viele Redlichgesinnte worden durch die Art, wie der dänische Krieg geführt und noch mehr wie er beendigt wurde, durch den Malmöer und den neuen Waffenstillstand; auch sonst mancherlei einzelne Maßregeln, manche Verfolgungen und die Wahl mancher Männer sind als Mißgriffe zu bezeichnen. Endlich konnte die nach wenigen Monaten erfolgte Abänderung des oktroyirten Wahlgesetzes als eine Maßregel gefährlicher Willkür erscheinen und den Glauben an die Geltung der Verfassung selbst tief erschüttern. Ein un- günstiges Licht mochte auch auf den Geist und die Absichten der preußi- schen Regierung die auf- und zudringliche Neue Preußische (oder Kreuz-) Zeitung werfen, nach deren allerdings reaktionärer, absolutistischer Ten- denz Viele die Gesinnungen der höchsten Regionen in Preußen glaubten bemessen zu dürfen. Am meisten ist wohl die Art der Kriegführung und der neue Waffenstillstand geeignet, Mißstimmung gegen Preußens Regierung zu erzeugen und harte Anklagen zu rechtfertigen. Ein mit frisch aufflam- mendem nationalem Enthusiasmus begonnener Krieg endigt, nach sieg- reichem Vorrücken der Deutschen und nach einem ungerächt bleibenden mörderischen Ueberfall der Schleswig-Holsteiner in Folge, wie es scheint, schuldhafter Fahrlässigkeit, mit einem ruhmlosen, die Ansprüche und Hoffnungen der Schleswiger preisgebenden Frieden! Zudem hatten be- denkliche diplomatische Unterhandlungen zuvor schon Mißtrauen und Ver- dacht rege gemacht. Preußen selbst hat seine Vertheidigung noch nicht geführt. Wir müssen sie abwarten; der Zweifel, ob sie ganz befriedigen könne, muß erlaubt sein; die Beachtung einiger Punkte aber, die die Erbitterung meist übersieht, dürfte Vieles in milderem Licht erscheinen und den dunkelsten Schatten zum Theil anderswohin fallen lassen. Durch die Blokade leidet die Schifffahrt und der Handel der preu- ßischen und der übrigen norddeutschen Seestädte und Staaten ungeheuer. Keine Regierung kann die materiellen Interessen und die durch deren Verletzung entstehende Unzufriedenheit unbeachtet lassen. Wir Süddeutsche empfinden Nichts von dem in die Millionen sich belaufenden Verlusten in Folge der Blokade, der Wegnahme von Schiffen, der Stockung des Verkehrs; aber als im vergangenen Herbst nur ein paar Wochen lang eine Sperre gegen die Schweiz angeordnet wurde: welche Klagen wurden da schon angestimmt und kaum durch die Schaam einigermaßen zurückgedrängt! Der Kampf war und blieb ein ungleicher , weil die Dänen eine Seemacht haben, die Deutschen aber leider noch immer nicht, wenigstens keine, die es mit der dänischen aufnehmen, eine Unternehmung gegen die dänischen Inseln machen könnte. Es blieb immer der Kampf eines Löwen gegen einen Hayfisch. Stände freilich Dänemark allein, auf seine eigenen Mittel beschränkt, so dürfte man wohl hoffen, diese durch Be- harrlichkeit bald zu erschöpfen; aber Dänemark hat einen gewaltigen Rückhalt an Rußland , an Frankreich , an England — wäh- rend selbst Oestreich seinen Gesandten von Copenhagen nie abrief, nie ein Bataillon zum Krieg stellte, wohl aber von Dänemark während des Krieges sich einen Admiral erbat und erhielt! An der Spitze des Reichsministeriums aber stand bis Ende des vorigen Jahres der Oest- reicher v. Schmerling , der sich „immer vor Allem als Oestreicher fühlte!“ In Preußen besteht ein anderes Ministerium, als dasjenige, welches den Krieg begann . Vermuthlich betrachtet es die Veranlassung des Kriegs, die Rechte der Herzogthümer aus einem anderen Gesichtspunkt, als das frühere, und zeigte deshalb eine Nachgiebigkeit, die ihm bitter verargt wird, die aber mit weit mehr Grund ihm zum Verbrechen an- gerechnet werden würde, wenn es selbst den Krieg begonnen hätte. Man weist mit Bitterkeit hin auf jenes Schreiben des Königs von Preußen an den Herzog von Augustenburg und dessen Zusagen. Die Versprechungen und die Wirklichkeit sind wohl gar nicht, oder nur mit- telst höchst künstlicher Deutung in Uebereinstimmung zu bringen; ent- weder jenes Schreiben, oder dieser Waffenstillstand, oder Beides war ein Fehler. Wenn aber der Waffenstillstand an sich zu rechtfertigen oder doch zu entschuldigen sein sollte, so sollte man daraus, daß er mit jenem Brief im Widerspruch steht, keine allzuharte Anklage bilden. Ein con- stitutioneller König sollte sich wohl hüten, durch Aussprechen seiner per- sönlichen Ansichten und Gesinnungen, mögen sie ihm noch so sehr zur Ehre gereichen, seine Regierung zu binden und zu einer Handlungs- weise zu verpflichten, welcher sich die wichtigsten Bedenken hemmend in den Weg stellen können. Es ist wenigstens denkbar , daß der König die Durchführung des von ihm persönlich Zugesagten den politischen Erwägungen seines Ministeriums zum Opfer gebracht hätte. Die östreichische und bairische ministerielle Presse ist eifrigst be- müht, die Schmach des abgeschlossenen Waffenstillstandes in’s grellste Licht zu setzen und der Erbitterung gegen Preußen, statt der bisherigen provinzlich- und dynastisch-partikularistischen, eine scheinbar nationale Farbe zu geben. Aber gerade der Umstand, daß von dieser Seite her der Un- muth und Zorn über das für Deutschland jedenfalls unrühmliche Ereig- niß geschürt wird, ist geeignet, dem patriotischen Unmuth eine andere Wendung zu geben und von einer übereilten Verdammung Preußens abzumahnen. Aufrichtig ist der Verdruß der östreichischen und bai- rischen officiellen Presse gewiß; aber was liegt demselben zu Grunde? etwa patriotisches Ehrgefühl bei Oestreich, das sich offen auf die Seite des Feindes stellte, und bei Baiern, welches emsig das Zustandekommen eines Friedens betrieb, über dessen unbefriedigenden Ausfall sich Herr von der Pfordten gewiß nicht täuschte, und welches doch, trotz alles Schel- tens über den Waffenstillstand, nicht säumte seine Truppen aus Schles- wig zurückzuziehen? Nein! Verdruß darüber war es, daß Preußen durch den Frieden der kostspieligen Last jenes, an seinen Hülfsquellen und seinem Wohlstand zehrenden Krieges entledigt, von der Gefahr weiterer feindseliger Verwicklung mit fremden Mächten befreit ward und eine ansehnliche Truppenmacht zur freien Verfügung anderswo zurück- erhielt. Eben dies aber, die Voraussicht der Möglichkeit, aller seiner Kräfte auf einem anderen Punkte, in Deutschland selbst, dessen Neuge- staltung jetzt durchgeführt werden soll, dringend benöthigt zu sein, mochte auch zu dem Entschluß der preußischen Regierung mitwirken, jenem Krieg ein Ende zu machen, selbst mit an sich wenig rühmlicher Nachgiebigkeit. Gern freilich hätten Oestreich und Baiern gesehen, daß Preußen seine Kräfte dort und am Ende doch fruchtlos vergeudete, und hätten sich jene Verwicklung zu Nutze gemacht, um in Deutschland seinen Bestrebungen entgegenzutreten, seinen Einfluß zu lähmen. Aber diese Politik ist zu plump, um Andere als von Leidenschaft Verblendete zu täuschen. In der Kaiser- und Verfassungsfrage hat die preußische Regierung die öffentliche Meinung der deutschen Nation hart vor den Kopf gesto- ßen, freudige, der Erfüllung nahe scheinende Hoffnungen getäuscht und vereitelt. In formeller Beziehung wäre etwas mehr Entschiedenheit und Offen- heit zu wünschen gewesen; warum wurde z. B. dem von der National- versammlung zugestandenen Prinzip der Verständigung erst so spät und ganz plötzlich das einmal verworfene, obwohl am Ende gleichbedeu- tende der Vereinbarung substituirt? Im Ganzen aber hielt die preußische Regierung immer dieselbe Richtung ein (man vergleiche damit das Umspringen Oestreichs!) und bewies der Nationalversammlung die gebührende Achtung, bis diese selbst feindselig auftrat. Erkältend wirkte der Empfang der Kaiserdeputation; aber das Schwankende, Un- sichere, Verletzende in der Haltung der Regierung hatte wohl seinen Grund in dem Kampf , welcher die Seele des Königs selbst bewegt zu haben scheint. Vieles in ihm sprach für , Vieles gegen die An- nahme; die Gegengründe siegten, vielleicht durch den Einfluß von Per- sonen unterstützt, aber die Ablehnung kostete ihm selbst ein Opfer. Viele einsichtsvolle Patrioten sind der Ansicht, daß durch die Annahme mit der gewonnenen Einheit im deutschen Reich auch die Sache der constitutionellen Monarchie, der Ruhe und Ordnung im Bunde mit der Freiheit befestigt worden wäre; die Republikaner aber, die Demokraten rechneten, wie Vogt offen gesstand, darauf, daß mittelst des bloßen Sus- pensiv-Veto auch in Verfassungsfragen und des fast schrankenlosen Wahl- rechts das Kaiserthum selbst werde auf gesetzlichem Wege abgeschafft werden, zu Gunsten der Republik! Wer Recht behalten hätte, läßt sich nicht entscheiden; aber begreifen läßt sich leicht, wie der König eine mit solchen Hintergedanken Vieller übertragene Krone abzulehnen sich ent- schloß, um so mehr, als noch viele Bedenken dazu kamen, welche theils in seiner politischen und Rechts-Anschauung, theils in persönlichen Ge- fühlen wurzelten. Niemand aber hat das Recht, ihm diejenigen Beweg- gründe anzudichten, womit die reaktionäre Kreuzzeitung und verwandte Blätter in giftigem Groll und cynischem Hohn gegen Frankfurt ihm zur Ablehnung riethen. Für ein Wagestück erklärten Viele auch von denen die Annahme, welche sie sehnlich wünschten. Daß aber auch der andere Weg, auf welchem die preußische Regierung im Wesentlichen dasselbe Ziel , den deutschen Bundesstaat mit einheitlicher Spitze (nur ohne Kaiser), auf der Grundlage der Volksfreiheit und Volksver- tretung, zu erreichen sich vorsetzte, nicht ohne Steine und Dornen und Hindernisse jeder Art ist, daß Gefühle, deren Verletzung man auf jenem Wege fürchtete, auch auf diesem sich entgegensetzten: — das hat die preußische Regierung wohl zur Genüge erfahren, und noch ist das Ge- lingen des Werkes nicht gesichert. Nur der Unterschied verdient aller- dings Beachtung, daß, wenn es auch gänzlich scheitert, Preußen dann doch bleibt, was es war, während im anderen Falle Preußens Schicksal an die künftige Entwicklung, an die möglichen Katastrophen des deutschen Staates geknüpft gewesen wäre. Das war auch die Hoffnung vieler Republikaner und Demokraten. Der gewaltigen Stürme im Innern war Preußen wieder Meister gewor- den und hatte die Hoffnungen Derer getäuscht, die es im Geiste schon zerbröckelt und aufgelöst sahen. Durch die demokratischen, die anarchi- schen Elemente des übrigen Deutschlands, der Kleinstaaten, konnten und sollten, unter Begünstigung des Wahlrechts und der theilweise geradezu antisocialen Grundrechte, die festen Fundamente der preußischen Monarchie angefressen und aufgelöst werden. Das große Verbrechen Preußens in den Augen der Demokraten war und ist das: daß es, eine Zeitlang scheinbar bedroht, die (falsche) Demokratie niedergeschlagen, der Hyder der Anarchie den Fuß auf den Kopf gesetzt hat, in Preußen selbst zuerst, dann in Sachsen, in der Pfalz, in Baden. Nach den Deklama- tionen wüthender Journalisten von „verrätherischer Niederkartätschung der Bürger, von Wrangel’schem Säbelregiment, von Manteuffel’scher Will- kürherrschaft, von Gefangnen-Mord“ u. s. w. sollte man meinen, daß in 2 Preußen ein Philipp II. , ein Alba schalten und walten; in Wahrheit wurde erst ganz spät, als das Uebel schon fast unheilbar schien, einem ebenso entsetzlichen als ekelhaften Pöbelterrorismus durch ein entschlosse- nes, zur Aufopferung bereites Ministerium und einen kraftvollen aber dabei humanen General ein Ende gemacht — unter der Zustimmung aller Freunde der wahren Freiheit; durch Ausnahmsmaßregeln aber, in solcher Zeit und durch den Erfolg gerechtfertigt, wurde ein Ende gemacht den eben so unfruchtbaren als gefährlichen und unpatriotischen Aus- schweifungen einer nur in demokratischen Reden und Wühlereien starken, im Uebrigen schwachen Versammlung von Volksvertretern. Wurde auch durch solche Staatsstreiche und was sich daran knüpfte, das formelle, das noch so junge Recht bedroht oder verletzt, so läßt sich ihnen doch der Charakter und das Lob der „rettenden That“ nicht absprechen; und wenn auch in Einzelnem fehlgegriffen, die richtige Grenze über- schritten und unnöthig Argwohn und Erbitterung geweckt wurde: im Ganzen drückten die muthigen und energischen Vollstrecker der retten- den That ihrem Werke das Gepräge der Humanität, der Milde, des Anstands auf; nicht zertreten und geknickt ward die zarte Pflanze der Freiheit; sie richtete sich vielmehr erst wieder gesund und freudig auf, nachdem das erstickende, überwuchernde Unkraut der falschen , terrori- sirenden Freiheit einer zuchtlosen Partei weggeräumt war. Der Belagerungszustand ist aufgehoben, die Presse frei, das Vereinsrecht wie- der in Kraft, Geschworne richten über politische Vergehen, Vertrauen und Hoffnung sind wiedergekehrt, Preußen kann viele Tausende seiner Krieger über seine Grenzen senden, wo ihr patriotischer Sinn Bewun- derung, freilich auch den Ingrimm heimatloser Wühler erregt. Daß in einem Staat, der erst seit drei Jahren auf die constitutionelle Bahn ein- zulenken begonnen, manche Fehlgriffe, manche Reminiscenzen an die alte Zeit und Form vorkommen, kann nicht befremden; es fällt kein Gelehr- ter, kein Staatsmann vom Himmel und ebensowenig eine constitutionelle Musterregierung; das könnte man in Deutschland wissen; daß aber in Preußen der Wille besteht, auf der neuen Bahn zu beharren, darf kein Vernünftiger bezweifeln, denn sonst wäre die Gelegenheit, das Zu- gestandene zurückzunehmen, schwerlich versäumt worden. Mit Strenge wird jetzt gegen die Schuldigsten beim badischen Auf- stand verfahren; Todesurtheile sind gefällt und vollzogen worden. Da wird alsbald geschrieen über „Gefangenen-Mord“, an den „besten Män- nern“ Deutschlands begangen, und die Herrschaft der Barbarei Europa geweissagt. Ueber solches Gebahren wird man sich nicht erhitzen. Leute, die das Hetzen, Verführen, Aufständemachen, Fürsten- und Aristokraten- Mord-Predigen und Atheismus als Profession treiben — das sind die „besten Männer!“ Aufrührer und Volksverderber, mit Verbrechen jeder Art befleckt, werden gleichbedeutend genommen mit „Kriegsgefangenen!“ Die „Civilisation“ wird da gesucht und gefunden, wo das unbefangene Auge Rohheit, Entsittlichung, Verwilderung, Brutalität erblickt! Beklagenswerth, daß es zu solcher Strenge hat kommen müssen! Aber was waren die Früchte der Milde und Langmuth gegen einen Struve und Leute seines Gelichters? Was der Dank für die, jetzt frei- lich wieder geforderte Amnestie? Viel Unheil wäre vielleicht ungeschehen geblieben, wenn der König von Preußen in jener Märznacht sich hätte entschließen können, die noch übrigen Barrikaden nehmen zu lassen, und dann, als Sieger , nicht ein Jota zurückgenommen hätte von dem, was er seinem Volke zugesagt hatte. In diesem Sinne hat sich nicht nur E. M. Arndt , so hat sich auch J. Venedey ausgespro- chen, dem Niemand eine königliche, eine ausschließend preußische Gesin- nung zuschreiben wird. Verrath ist damals geübt worden, ja! aber nicht von Seiten des Königs, oder des Prinzen von Preußen, sondern von der Partei des Umsturzes, die allein dadurch zu gewinnen hoffen konnte. Die Monarchie ist es, die Festigkeit und die Einheit Deutschlands , was die fanatische Demokratie in Preußen haßt; das Stammesvorurtheil und die eingewurzelte Antipathie erhalten ihre Weihe durch das politische Princip. Die Hoffnung, das feste Preußen mit seiner constitutionellen Monarchie im übrigen demokratisch-gesinnten Deutschland aufzulösen mittelst der Reichsverfassung, ist ihr vereitelt durch den von Preußen, mit Hannover und Sachsen, vorgelegten Ver- fassungsentwurf, mit verändertem Wahlgesetz; und daraus erklärt sich zum Theil der erbitterte Widerspruch gegen die „oktroyirte“ Verfassung, gegen den Anschluß an Preußen. Die Demokratie handelt in ihrem Sinne folgerecht; aber mögen die Constitutionellen sich vorsehen, daß sie nicht mit den Republikanern in Ein Horn des Hasses gegen Preußen blasen, zu ihrem eigenen und des Vaterlandes Unheil! Was den De- mokraten Preußen verhaßt macht, das muß es ihnen werth machen; eine Coalition aber, deren Kitt nur der hier blinde und dort principmäßige Preußenhaß wäre, trüge den Keim des Ver- derbens und des Fluches in sich selbst. Freilich trifft Verschiednes zusammen, was, geschickt benützt, die Abneigung gegen den Anschluß zu verstärken geeignet ist; zu dem alten Preußenhaß kommt der Inhalt des preußischen Verfassungsentwurfs, und die Form der Darbietung. 2* Die preußische Verfassung weicht in manchen auch wichtigen Punk- ten von der Frankfurter ab, namentlich darin, daß ein Fürstenkollegium, den Reichsvorstand umgebend, eingeschoben ist, (womit Preußen den Dynastien ein Zugeständniß gemacht hat) so wie in der Wiederherstel- lung der Matrikularbeiträge statt Reichssteuern. Der Einheit und Cen- tralität geschieht hiedurch offenbar Abbruch, und die Regierung wird schwerfälliger und verwickelter. Aber welcher aufrichtige und besonnene Vaterlandsfreund sollte sich durch diese Mängel abhalten lassen, zuzu- greifen! und hätte nicht Jedermann gejubelt, wenn vor anderthalb Jahren so Viel zu bekommen gewesen wäre? Auch an den Grund- rechten ist einiges geändert worden, aber, nach dem Urtheil vieler Ein- sichtiger und Freisinniger: meist nicht zum Nachtheil der Verfassung. Denn manche Bestimmungen der Grundrechte sind nicht aus gehöriger Sachkenntnnß , Erwägung der Verhältnisse und Folgen hervorgegangen, und würden sich entweder bei der Durchführung als unmöglich, oder in ihren Wirkungen als nachtheilig und verderblich erweisen. Eine sehr wichtige Veränderung betrifft das Wahlgesetz, von wel- chem auch allein die Bezeichnung gilt, welche man häufig auf die ganze Verfassung anwenden hört, die der Oktroyirung . Das Reichswahl- gesetz wurde sogleich von allen einsichtsvollen Männern als eine Cala- mität betrachtet und nur von den Männern der ewigen Neuerung mit Jubel begrüßt. Die Wirkungen eines noch weniger allgemeinen gleichen Wahlrechts liegen in den neuen württembergischen Wahlen zu Tage. Mit jenem Wahlgesetz wäre allerdings die Reichsverfassung auf Flug- sand gestanden, und eine Aenderung durch den Reichstag selbst wäre durchaus wünschenswerth gewesen. Das preußische Wahlgesetz ist nun allerdings oktroyirt , d. h. einseitig von den drei Regierungen erlas- sen, und enthält manche Bestimmungen, welche sofort als unstatthaft erkannt wurden. Aber das Prinzip desselben, daß die Stimmgebung bei Wahlen, ausgedehnt zwar auf alle unbescholtene und selbstständige Bürger, im Verhältniß stehen müsse mit den Leistungen der Bürger an den Staat und mit der Intelligenz, soweit sie sich aus äußern Merkmalen vermuthen läßt, dieß Prinzip ist ohne Zweifel richtiger als dasjenige, welches, unter dem Namen der höchsten Gerechtigkeit und Gleichheit, der Masse der politisch Ungebildeten und der Besitz- losen das Uebergewicht über die Gebildeten und Besitzenden verleiht, und blinde oder gewissenlose Demagogen, denen die unselbstständige Menge anhängt, mit Vernichtung der Bedeutung der wahrhaft selbstständigen Bürger, zu Herren der Wahlen macht. Auch sind von Seite Preußens sofort den übrigen Staaten die nach den Verhältnissen nothwendigen Modifikationen des Wahlgesetzes für die Reichstagswahlen zugestanden worden, wenn nur das Prinzip, die Wahl nach drei Curien, beibehal- ten wird, — ein Prinzip das auch für das würtembergische Wahlgesetz in Berathung kam, aber allzurasch aufgegeben wurde. Die ganze Verfassung wird mit Unrecht, aus Gehässigkeit, eine oktroyirte genannt, denn sie ist vorläufig nur Entwurf und wird dem zusammenzuberufenden Reichstag zur Vereinbarung vorgelegt. Es wäre schön , vielleicht zu schön gewesen, wenn aus dem Schooße der Nationalversammlung die Neugestaltung Deutschlands hervorgegangen wäre; davon, daß es nicht geschehen, suche man die Schuld nicht aus- schließlich in Einer Person, in Einer Partei; Vieles, die ganze Lage der Dinge, die ganze Geschichte und Vergangenheit Deutschlands, hat mitgewirkt. Aber wäre uns auch jener Freudenbecher eingeschenkt worden: bald wären wir doch auf eine bittere Hefe gestoßen; und viel- leicht ist es besser, mit dem Herben und Bittern anzufangen, aus dem sich hoffentlich das Süße entwickelt. Mögen also die Constitutionellen, die aufrichtigen Freunde eines großen, einigen und mächtigen Deutschlands in den für Manche sauren Apfel beißen, statt ihn, nach dem unheilvollen Rathe der Demokraten, wegzuwerfen! Mögen sie reiflich und kaltblütig erwägen, was die Folgen der Verweigerung des Anschlusses seyn werden! Die Demokraten, soweit sie Schwärmer und Fanatiker sind, ohne politische Einsicht und ge- schichtliche Kenntniß, Leute von „kürzestem Gedärm,“ so daß nur das letzte Jahr für sie existirt, mögen im Ernst die wahnsinnige Ueberzeu- gung haben, daß Württemberg für sich allein eine selbstständige Stel- lung einnehmen, Preußen die Stirne bieten, die Oase der Freiheit in Deutschland werden und am Ende siegreich die alleinseligmachende Lehre der Republik, wie den Koran mit dem Schwert, über die Welt ausbrei- ten könne; die Pessimisten und Nihilisten, deren es unter ihnen Viele gibt, mögen wünschen, daß nur Alles drunter und drüber gehe, daß Umsturz und Chaos Alles verschlinge, wenn ihre Plane scheitern; sie mögen Deutschland lieber unter die Herrschaft der Kutte und der Knute kommen, als mit dem constitutionellen Preußen geeinigt sehen: aber können besonnene und aufrichtige Patrioten jene Träume oder diese Wünsche theilen? Und doch gibt es in der That kaum ein Drittes, — wenn man nicht auf ganz unvorhergesehene Wendungen der Dinge rech- nen, oder vielmehr blind hoffen will, oder blos von der Zeit eine günstige Lösung erwartet. Aber schon das Zuwarten hat, wie die Dinge stehen, seine Gefahren, denn es fördert den stets, wenn auch ge- heim und unbemerkt fortschreitenden Auflösungsproceß , dem nur ein frischer Entschluß, eine entschiedene That Grenzen setzen und eine heilsame Wendung geben dürfte. Wir können, wir dürfen weder stehen bleiben, noch von der Rückkehr zum Alten das Heil erwarten; wir müssen vorwärts, müssen uns an der Schöpfung eines Neuen betheiligen. Der Beobachter entblödet sich nicht zu erklären: die Abneigung gegen Preußen sey noch „das einzige Glied, welches den Staatsrath Römer mit dem württembergischen Volke verbinde!“ Und auf Grund dieser gemeinsamen Abneigung, dießes angeblich gemeinen Hasses fordert er ihn auf, seinen Collegen Duvernoy über Bord, und sich der „Volkspartei,“ gänzlich in die Arme zu werfen; — Eine fast unglaub- liche Naivetät! Wenn über Römer die Abneigung gegen Preußen einigen Einfluß üben und ihn vom Anschluß an die Verfassung der drei Königreiche abhalten sollte, — und eine Rechtfertigung der Weigerung aus politischen Gründen ist nirgends gegeben worden, wenn man nicht die Verwahrung gegen eine „Selbstverstümmelung Deutschlands“ dafür gelten lassen will, — so müßte ihn, es muß alle verständige Vaterlandsfreunde diese Aufforderung, dieser Rath — ab hoste concilium! — nachdenklich machen! Nur der Befriedigung dieses Hasses sollte Römer als willkommenes, Werkzeug dienen, und dann, wenn sie je gelänge, auch weggeworfen werden! Nachdem er sich um das Va- terland das Verdienst erworben, die Verbreitung des Bürgerkriegs über Württemberg zu verhindern, in welchem Falle dessen Unterdrückung lange Zeit und ungeheure Opfer gekostet hätte, soll er jetzt dem Zustan- dekommen der Einheit, des deutschen Bundesstaats, — so groß er un- ter den gegebenen Umständen möglich ist, — entgegenarbeiten, und eine Spaltung Deutschlands fördern, weil eine Einigung des ganzen (geographischen) Deutschlands nicht möglich ist! Man darf zu Römers Verstand und Ehrenhaftigkeit ein ganz anderes Vertrauen haben! Er wird eine Antipathie nicht über sich herrschen lassen, wird sie überwin- den, welcher nur patriotische Wünsche — die Einheit des gesammten Deutschlands — aber keine Aussichten auf wirkliche Realisirung zur Seite stehen; er wird erkennen, daß Würtemberg sich an einen größern, stärkern Kern anschließen muß, um nicht, statt der geträumten Selbst- genugsamkeit, sich innerlich aufzureiben und am Ende ganz verschlungen zu werden; er wird vor der Bundesgenossenschaft Solcher, welche die Restauration des Alten ersehnen und selbst den Beistand der schon mit Oestreich verbündeten russischen Heere nicht scheuen würden, sich ebenso hüten wie vor denen, welche vom Weg durch die Wüste der Anarchie und des Communismus und durch das „rothe Meer“ mit Entzücken schwatzen oder träumen. Man darf hoffen, daß, wenn das Ministerium seine Vorlagen an die Stände zu machen hat in Betreff der Beschickung des beabsichtigten Reichstags, dann bei genauerer Erwägung der ganzen Sachlage die positiven Vortheile eines, für die Erhaltung der kleinern Staaten unerläßlichen Bundesstaats, wie ihn die preußische Verfassung aufstellt, über den schillernden Schimmer eines nur in schwankenden Umrissen „vorschwebenden“ Gesammt- oder Großdeutschlands, — d. h. eines Staatenbundes unter zwei, drei, fünf oder sieben Regenten, mit ewigem Dualismus und Antagonismus im Innern, — daß die klare politische Idee über die patriotische Phantasie nnd die Antipathie siegen werde! Ist ja doch Römer sonst nicht der Mann der Phantasie und des Gefühls, sondern des Verstandes! Sollte er sich hier verläugnen? Sollte nicht, nach reiflicher Prüfung sein scharfes Auge am Ende doch den Kern erkennen, der sich hinter den gleißenden Schaalen der angeblichen Sorge um die Erhaltung der Freiheit, oder des Schutzes der materiel- len und industriellen Interessen biegt, — den faulen Kern der Selbstsucht, der Leidenschaft, des Neides, des Sondergeistes? Nur kurz mögen noch einige oft gehörte Einwendungen gegen den Anschluß an Preußen berührt werden. Wenn einmal eine Großmacht an die Spitze Deutschlands gestellt werden soll, sagt man, so sey es doch lieber das Haus Habsburg , welches die vielhundertjährige Gewohnheit und Tradition, somit ein gewisses historisches Recht für sich hat, als das junge Haus Hohenzollern, dieser Emporkömmling unter den Dyna- stien! — Das mag im Munde von Aristokraten, die auf alte Stamm- bäume halten, sich hören lassen; aber als ein Argument freisinniger, unbefangener Männer klingt es seltsam, das „historische Recht“ hier anzurufen. „ Das Alte stürzt, es ändern sich die Zeiten !“ sagt der Dichter; und auch im Leben der Völker, obwohl darin die- selben Gesetze immer walten, kehrt doch nie das Alte in gleicher Gestalt wieder. Gerade durch seine vielhundertjährige Herrschaft über Deutschland hat der östreichische Stamm seine Sendung erfüllt, und die Vorstandschaft kommt jetzt, naturgemäß, an diejenige Macht, die sich immer mehr in Deutschland hineingelebt hat, während Oestreich sich Deutschland immer mehr entfremdete. Eine neue Aera Deutschlands, als Bundesstaat, kann nur unter den Auspicien einer jugendlichen Macht, wie Preußen, beginnen. „Im April haben wir uns dem Könige von Preußen, als deutschem Kaiser, mit Selbstverläugnung unterwerfen wollen; er hat die Krone damals abgelehnt; jetzt wollen wir nun und nimmermehr!“ sagen An- dere. Aber wenn Ihr es damals aus vernünftiger Ueberlegung, aus selbstverläugnender Vaterlandsliebe gethan habt, weil Ihr darin das Heil für Deutschland erkanntet, so müßt Ihr aus demselben Grunde auch jetzt und immer dazu bereit seyn, und dürft Euch durch äußere, das Wesen der Dinge nicht verändernde Umstände und selbst durch einen vielleicht gerechten Verdruß nicht umstimmen lassen. Wenn die preu- ßische Regierung gefehlt hat, so bleibt doch das Verhältniß des, beim Wechsel der Regenten und der Regierungen beharrenden preußischen Staates zu Deutschland das gleiche, und dieses zum Heile beider festzusteilen, darum handelt es sich, nicht von der Uebertragung einer Würde an das preußische Staatsoberhaupt. Dadurch sind zu allen Zeiten Staaten und Völker groß geworden und geehrt, daß sie einen als nothwendig erkannten Zweck mit unermüdlicher Beharrlichkeit ver- folgten, was auf dem einen Weg mißlang, auf einem andern versuchten und vorerst mit dem Halben vorlieb nahmen, wo das Ganze nicht sofort zu erreichen war. „Preußen hat an Deutschland nicht so gehandelt, wie dieses wünschte und erwartete, vielmehr vielfach seine Hoffnungen getäuscht, seine Plane vereitelt, seinen Rechten vergeben, seine Ehre bloßgestellt,“ klagen An- dere, „und zum Lohne dafür soll es an die Spitze gestellt werden, und die große Erhebung Deutschlands nur dem preußischen Ehrgeiz, der Vergrößerung und Stärkung des selbstsüchtigen Preußens dienen! Nim- mermehr!“ Auch dieß zeugt von einer durchaus verkehrten, unreifen politischen Gesinnung. In der Politik nur Großmuth verlangen und üben, ist, jenes lächerlich, und dieß macht verächtlich; die Interessen sind in der Politik das Maßgebende, versteht sich mit Beachtung des Rechts Anderer und der eignen Ehre . Kein Vernünftiger kann es Preußen verargen, wenn es seine eignen Interessen überall zu wahren sucht, wie jeder lebenskräftige Staat thut, und dem würde man mit Recht ins Gesicht lachen, der behaupten wollte: Preußen habe in der letzten Zeit nur von großmüthiger Berücksichtigung der Interessen Deutsch- lands sich bestimmen lassen. Die Wahrheit ist: Preußens eignes wohlverstandenes Interesse gebietet ihm, die engere Einigung mit dem übrigen Deutschland zu suchen, — eine Wahrheit, die nur von einer beschränkten, hochmüthigen, ausschließlichen stockpreußischen Partei ver- kannt und geläugnet wird; aber neben dem, daß sie Preußen sind, fühlen sich die besten und weitherzigsten Männer Preußens auch, ja vor Allem , als Deutsche ; und als Solche sind sie geneigt, dem deut- schen Interesse, das auch das ihrige ist, Opfer zu bringen. Gewin- nen wird Preußen durch das Zustandekommen des deutschen Bundes- staats, an Macht, Ansehen, Einfluß nach Außen, zugleich aber auch manche Lasten und Opfer übernehmen müssen; weit mehr gewinnen jedoch wird das übrige Deutschland, — die Rettung aus der drohenden Auflösung, den Bestand, die Existenz als Nation; gewinnen wird jeder Deutsche ein Vaterland im vollen, politischen Sinne, ein Vater- land, das ihn zu schützen und zu vertreten die Macht hat, dessen er sich rühmen, auf das er stolz seyn kann. Eine thörichtere Handlungsweise aber kann man sich nicht denkeu , als die des Neidischen, welcher, um dem Andern keinen Vortheil zukommen zu lassen, für sich selbst den größern, die Rettung von Leben und Ehre verschmähte! — — — Diese Ausführung ist umfassender geworden, als ich gewünscht. Aber es galt, den einzelnen Angriffen und Einwendungen eine geschlossene, sich gegenseitig tragende und unterstützende politische Anschauung gegen- überzustellen, mit der daran sich anschließenden Aufforderung an die Gegner: nicht etwa nur wieder Einzelnes zu bestreiten, diese und jene Gedanken und Einfälle oder gar nur Machtsprüche und Schmähungen vorzubringen, sondern das Ganze und Positive auch wieder durch einen positiven Vorschlag zu bekämpfen. Ich läugne nicht, daß der hier ver- theidigte politische Gedanke manche schwache Punkte und Blößen darbietet und dessen Verwirklichung im besten Fall auf große Schwierigkeiten stoßen wird; aber diese Schwächen beleuchten, diese Blößen aufdecken, diese Schwierigkeiten vermehren mag der Ruhm eines scharfsinnigen Kopfes und eines eiteln Nihilisten seyn; Vaterlandsliebe dagegen und Ehrgefühl sollte Jeden davon zurückhalten, der nichts Besseres, Mögliches vorzuschlagen weiß. Welche Gefühle der Trauer, der Schaam und des Ingrimms müßten in der Brust der deutschgesinnten Württem- berger kochen an dem Tage, wo in andern deutschen Länderu die Ab- geordneten zum neuen Reichstage gewählt würden, während sie selbst in grollendem Schweigen, in mißgünstiger Unthätigkeit bei Seite zu stehen verdammt wären oder sich verdammt hätten! Denen, die an Deutschlands Zukunft ganz verzweifeln, ist nichts weiter zu sagen. Wenn sie auch Recht hätten, sollten sie doch nie als Verzweifelnde handeln, oder vielmehr zu handeln aufhören . Auch mit Solchen ist nicht zu streiten, welchen ein für alle Mal fest steht, nicht mit Preußen zusammenzugehen. Aber das darf man von den Letztern verlangen: wenn sie ihre Vorurtheile keiner politischen Erwä- gung unterordnen und aufopfern, wenn sie aus der Enge und Kleinheit ihrer partikularistischen Neigungen und Bestrebungen nie auf einen höheren Standpunkt emporsteigen, wenn sie nur dem Orakel des Hasses, der Leidenschaft nnd der Eifersucht ihr Ohr leihen wollen, dann die Einheit und Größe Deutschlands, das Wort Vaterlandsliebe nicht mehr im Munde zu führen! Diejenigen Männer, deren ganzer Patriotismus Preußenhaß , deren Politik nicht der Ausdruck einer nationalen , und daher berechtigten, sondern einer spießbürgerlichen, provinziellen, kleinlichen auf den deutschen Nachbar, auf den natürlichen Beschützer neidischen Selbstsucht ist, — die mögen nur am Ruin und an der Schmach, aber nie an der Größe und am Ruhm des Vaterlands bauen! Hiemit habe ich mein politisches Glaubensbekenntniß im Bezug auf eine Lebensfrage unseres Staates und des deutschen Volkes ausgespro- chen. Aus diesen meinen Ueberzeugungen habe ich nie ein Geheimniß gemacht; und wenn neulich angedeutet wurde, ich sey, gegenüber den Wählern des Amtsbezirks Stuttgart genöthigt worden, mich ent- schieden und bestimmt für den Anschluß an den preußischen Verfassungs- entwurf auszusprechen, — wenn die damals vernommenen Aeußerungen vorauszusetzen schienen, daß ich eigentlich mit meiner Ansicht zurück- zuhalten wünsche oder Ursache habe, so erkläre ich, daß solche An- deutungen und Voraussetzungen gänzlich unbegründet, daß mir jene Interpellationen ganz erwünscht waren. Uebrigens habe ich mit meiner damaligen unumwundenen Erklärung ebenso wenig „das Geheimniß des Stuttgarter Vaterländischen Vereins verrathen ,“ (das heißt wohl, ich hätte es bewahren wollen oder sollen?) als ich beauftragter oder bevollmächtigter Dollmetscher seiner Ansichten war. Ich habe nur meine persönlichen Ansichten ausgesprochen, die ich allein zu vertreten habe und immer vertreten werde. Der Stuttgarter Vaterländische Verein hat allerdings seit Ende vorigen Jahres wiederholt dahin sich ausge- sprochen, daß unter dem Vortritt Preußens der deutsche Bundesstaat oder das deutsche Reich gegründet werden möchte, und in diesem Sinne gewirkt; er hat neuerlich, mit andern Vaterländischen Vereinen, in Plochingen sein Vertrauen zu den gerade damals in Gotha versammelten Männern ausgesprochen, und es ist zu hoffen, daß die Mitglieder den Mahnungen immer treu bleiben werden, welche ihnen der Name ihres Vereins zuruft: der Ehre, Macht und Einheit des Vaterlandes, — aber was man von verborgenen und enthüllten Planen desselben, von seinem weitreichenden Einfluß und seiner Gefährlichkeit, von den Fäden, die er spinne, und dem Schlepptau, das er führe, dem Publikum vorerzählt, das sind Phantasien, über die man, seyen sie nun harmlos oder fein ausstudirt, in mehr als Einer Hinsicht lächeln muß. Gleichwie der Preußenhaß als Hebel benützt wird, um die deutsche Einheit, den Bundesstaat zu sprengen, so wird derselbe Hebel angesetzt, um nicht etwa nur den Vaterländischen Verein in Verruf zu bringen, — dieser weiß sich über solche Verfolgungen leicht zu trösten! — sondern sogar, um Römer und Murschel der von Preußenhaß entflammten Menge zu verdächtigen, oder sie aus der verpestenden Nähe der mit kranken Ideen behafteten Borussomanen in den Schooß der gesunden, preußenhassenden und preußenfresserischen Volkspartei zurückzuschrecken! „ Preußisch oder Deutsch !“ stand in zollgroßen Lettern über dem Plakat, welches die Wähler vor Murschel , als einem Preußischgesinnten warnte! Ich wünsche nichts Anderes, als daß die wahrheitsliebenden Verfasser des Plakats Propheten wider Willen gewesen wären! Noch ein Wort über den Eid der Abgeordneten, von dessen Leistung ein zartbesorgter Rathgeber eine Beschwerung für mein Gewissen fürchtet. Gewiß spiele ich nicht mit dem Eid! aber das versteht sich doch wohl vom selbst, daß die Reichsverfassung , von welcher der Eid spricht, nur eine wirklich in’s Leben getretene seyn kann, sey es nun — was freilich jetzt undenkbar ist — die Frankfurter oder die Preußische, oder eine andere noch ungeborene. Das Geschrei von Aufrechthaltung der Frankfurter Reichsverfassung, in deren Anerkennung Württemberg so gut wie allein steht , ist eine baare Lächerlichkeit. Eine Reichs- verfassung ohne Reich ! — das ist wie eine Pastete ohne Fülle! Die Grundrechte sind ein Theil der Reichsverfassung; insofern gälte von ihnen dasselbe; aber sie sind in Württemberg verkündigt und gelten als Gesetz; als württembergisches Gesetz aber fallen sie so gut wie die bisher gültige Verfassung der Revision der Ständeversammlung anheim. Ich erkenne ihre Bestimmungen insofern als durchaus heil- sam und maßgebend an, als sie wirklich allgemein menschliche und politische Rechte der Einzelnen, wie Religions- und Gewissensfreiheit, Freiheit, seine Gedanken zu veröffentlichen, Gleichheit vor dem Gesetz, Gleichheit der bürgerlichen Ehrenrechte ohne Ansehn und Unterschied der Geburt u. s. w. betreffen; aber nicht ebenso kann ich ihnen unbedingte Gültigkeit zugestehen, sofern sie, die allgemeinen Bestimmnngen über- schreitend, die Ausnahmen der Regel ausschließend, der Gesetzgebung, welche den Organismus der Staatseinrichtungen zu regeln hat, in oft bedenklicher Weise vorgreifen, und eine vernünftige, zweckmäßige Aus- bildung der Staatseinrichtungen erschweren oder unmöglich machen.