Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin. Bey Johann Friedrich Unger. 1797. An den Leser dieser Blätter. I n der Einsamkeit eines klösterlichen Lebens, in der ich nur noch zuweilen dunkel an die entfernte Welt zurück¬ denke, sind nach und nach folgende Auf¬ sätze entstanden. Ich liebte in meiner Jugend die Kunst ungemein, und diese Liebe hat mich, wie ein treuer Freund, bis in mein jetziges Alter begleitet: ohne daß ich es bemerkte, schrieb ich aus ei¬ nem innern Drange meine Erinnerun¬ gen nieder, die Du, geliebter Leser, mit einem nachsichtsvollen Auge betrachten mußt. Sie sind nicht im Ton der heu¬ tigen Welt abgefaßt, weil dieser Ton nicht in meiner Gewalt steht, und weil ich ihn auch, wenn ich ganz aufrichtig sprechen soll, nicht lieben kann. In meiner Jugend war ich in der Welt und in vielen weltlichen Geschäf¬ ten verwickelt. Mein größter Drang war zur Kunst, und ich wünschte ihr mein Leben und alle meine wenigen Talente zu widmen. Nach dem Urtheile eini¬ ger Freunde war ich im Zeichnen nicht ungeschickt, und meine Kopien sowohl, als meine eigenen Erfindungen misfie¬ len nicht ganz. Aber immer dachte ich mit einem stillen, heiligen Schauer an die großen, gebenedeyten Kunstheiligen; es kam mir seltsam, ja fast albern vor, daß ich die Kohle oder den Pinsel in meiner Hand führte, wenn mir der Nahme Raphael's oder Michel Angelo's in das Gedächtniß fiel. Ich darf es wohl gestehen, daß ich zuweilen aus ei¬ ner unbeschreiblichen wehmüthigen Inn¬ brunst weinen mußte, wenn ich mir ihre Werke und ihr Leben recht deutlich vorstellte: ich konnte es nie dahin brin¬ gen, — ja ein solcher Gedanke würde mir gottlos vorgekommen seyn, — an meinen auserwählten Lieblingen das Gute von dem sogenannten Schlechten zu sondern, und sie am Ende alle in Eine Reihe zu stellen, um sie mit einem kalten, kriti¬ sirenden Blicke zu betrachten, wie es junge Künstler und sogenannte Kunst¬ freunde wohl jetzt zu machen pflegen. So habe ich, ich will es frey gestehn, in den Schriften des H. von Ramdohr nur weniges mit Wohlgefallen gelesen; und wer diese liebt, mag das, was ich geschrieben habe, nur sogleich aus der Hand legen, denn es wird ihm nicht gefallen. Diese Blätter, die ich anfangs gar nicht für den Druck be¬ stimmt, widme ich überhaupt nur jun¬ gen angehenden Künstlern, oder Kna¬ ben, die sich der Kunst zu widmen ge¬ denken, und noch die heilige Ehrfurcht vor der verflossenen Zeit in einem stil¬ len, unaufgeblähten Herzen tragen. Sie werden vielleicht durch meine sonst un¬ bedeutende Worte noch mehr gerührt, zu einer noch tiefern Ehrfurcht bewegt; denn sie lesen mit derselben Liebe, mit der ich geschrieben habe. Der Himmel hat es so gefügt, daß ich mein Leben in einem Kloster be¬ schließe: diese Versuche sind daher das einzige, was ich jetzt für die Kunst zu thun im Stande bin. Wenn sie nicht ganz mißfallen, so folgt vielleicht ein zweyter Theil, in welchem ich die Be¬ urtheilungen einiger einzelnen Kunstwerke widerlegen möchte, wenn mir der Him¬ mel Gesundheit und Muße verleiht, meine niedergeschriebenen Gedanken hierüber zu ordnen, und in einen deutlichen Vor¬ trag zu bringen. — Raphaels Erscheinung. D ie Begeisterungen der Dichter und Künst¬ ler sind von jeher der Welt ein großer An¬ stoß und Gegenstand des Streites gewesen. Die gewöhnlichen Menschen können nicht be¬ greifen, was es damit für eine Bewandniß habe, und machen sich darüber durchaus sehr falsche und verkehrte Vorstellungen. Daher sind über die inneren Offenbarungen der Kunst¬ genies eben so viele Unvernünftigkeiten, in und außer Systemen, methodisch und un¬ methodisch abgehandelt und geschwatzt wor¬ den, als über die Mysterien unsrer heiligen Religion. Die sogenannten Theoristen und Systematiker beschreiben uns die Begeiste¬ rung des Künstlers von Hörensagen, und sind vollkommen mit sich selbst zufrieden, wenn sie mit ihrer eiteln uud profanen Phi¬ losophasterey umschreibende Worte zusam¬ mengesucht haben, für etwas, wovon sie den Geist, der sich in Worte nicht fassen läßt, und die Bedeutung nicht kennen. Sie reden von der Künstlerbegeisterung, als von einem Dinge, das sie vor Augen hätten; sie erklären es, und erzählen viel davon; und sie sollten billig das heilige Wort auszuspre¬ chen erröthen, denn sie wissen nicht, was sie damit aussprechen. Mit wie unendlich vielen unnützen Wor¬ ten haben sich nicht die überklugen Schrift¬ steller neuerer Zeiten bey der Materie von den Idealen in den bildenden Künsten ver¬ sündigt! Sie gestehen ein, daß der Mahler und Bildner zu seinen Idealen auf einem außerordentlicheren Wege, als dem Wege der gemeinen Natur und Erfahrung gelan¬ gen müsse; sie geben zu, daß dies auf eine geheimnißvolle Weise geschehe: und doch bilden sie sich und ihren Schülern ein, sie wüßten das Wie; — denn es scheint, als würden sie sich schämen, wenn irgend etwas in der Seele des Menschen versteckt und verborgen liegen sollte, worüber sie wißbe¬ gierigen jungen Leuten nicht Auskunft geben könnten. Andre sind nun gar in der That ungläu¬ bige und verblendete Spötter, welche das Himmlische im Kunstenthusiasmus mit Hohn¬ lachen gänzlich abläugnen, und durchaus keine besondere Auszeichnung oder Weihe gewisser seltener und erhabener Geister an¬ nehmen wollen, weil sie sich selber allzu ent¬ fernt von ihnen fühlen. Diese liegen indes¬ sen ganz außer meinem Wege, und ich rede mit ihnen nicht. Aber die Afterweisen, auf welche ich deu¬ tete, wünsche ich zu belehren. Sie verwahr¬ losen die jungen Gemüther ihrer Schüler, indem sie ihnen so kühn und leichtsinnig ab¬ gesprochene Meynungen über göttliche Dinge beybringen, als wären es menschliche, und ihnen dadurch den Wahn einpflanzen, als stände es in ihrer Macht, dreist zu ergrei¬ fen, was die größesten Meister der Kunst, — ich darf es frey heraus sagen, — nur durch göttliche Eingebung erlangt haben. Man hat so manche Anekdoten aufgezeich¬ net und immer wieder erzählt, so manche bedeutende Wahlsprüche von Künstlern auf¬ behalten und immer wiederhohlt; und wie ist es möglich gewesen, daß man sie so bloß mit oberflächlicher Bewunderung anhörte, daß keiner darauf kam, aus diesen sprechenden Zeichen das Allerheiligste der Kunst, worauf sie hindeuteten, zu ahnden? und nicht auch hier, wie in der übrigen Natur, die Spur von dem Finger Gottes anzuerkennen? Ich, für mein Theil, habe von jeher die¬ sen Glauben bey mir gehegt; aber mein dunkler Glauben ist jetzt zur hellsten Über¬ zeugung aufgeklärt worden. Glücklich bin ich, daß der Himmel mich ausersehen hat, seinen Ruhm durch einen einleuchtenden Be¬ weis seiner unerkannten Wunder auszubrei¬ ten: es ist mir gelungen, einen neuen Altar zur Ehre Gottes aufzubauen. — Raphael , welcher die leuchtende Sonne unter allen Mahlern ist, hat uns in einem Briefe von ihm an den Grafen von Castig¬ lione folgende Worte, die mir mehr werth sind als Gold, und die ich nie ohne ein ge¬ heimes dunkles Gefühl von Ehrfurcht und Anbetuug habe lesen können, hinterlassen, worin er sagt: »Da man so wenig schöne weibliche Bil¬ »dungen sieht, so halte ich mich an ein »gewisses Bild im Geiste, welches in »meine Seele kommt.« Essendo carestia di belle donne, io mi servo di certa idea che me viene al mente. Über diese bedeutungsvollen Worte nun ist mir neulich ganz unerwartet, zu meiner in¬ nigen Freude, ein helles Licht aufgesteckt worden. Ich durchsuchte den Schatz von alten Handschriften in unserm Kloster, und fand, unter manchem nichtsnützigen bestäubten Per¬ gament, einige Blätter von der Hand des Bramante, von denen es nicht zu begreifen ist, wie sie an diesen Ort gekommen sind. Auf dem einen Blatte stand folgendes ge¬ schrieben, wie ich es, ohne weiteren Um¬ schweif, zu deutsch hier hersetzen will: »Zu meinem eigenen Vergnügen, und um um es mir genau aufzubewahren, will ich hier einen wunderbaren Vorfall aufzeichnen, welchen der theure Raphael, mein Freund, mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit vertraut hat. Als ich ihm vor einiger Zeit meine Bewunderung wegen seiner über alles schön gemahlten Madonnen und heiligen Fa¬ milien aus vollem Herzen zu erkennen gab, und mit recht vielen Bitten in ihn drang, mir doch zu sagen, von woher er denn in aller Welt die unvergleichliche Schönheit, die rührenden Mienen und den unübertreff¬ lichen Ausdruck in seinen Bildern der hei¬ ligen Jungfrau entlehnt habe; so ward er, nachdem er mich eine Zeitlang mit seiner, ihm eigenen, jünglinghaften Schaamhaftig¬ keit und Verschlossenheit hingehalten hatte, endlich sehr bewegt, fiel mir mit Thränen um den Hals, und entdeckte mir sein Ge¬ heimniß. Er erzählte mir, wie er von sei¬ B ner zarten Kindheit an, immer ein besondres heiliges Gefühl für die Mutter Gottes in sich getragen habe, so daß ihm zuweilen schon beym lauten Aussprechen ihres Na¬ mens ganz wehmüthig zu Muthe geworden sey. Nachher, da sein Sinn sich auf das Mahlen gerichtet habe, sey es immer sein höchster Wunsch gewesen, die Jungfrau Ma¬ ria recht in ihrer himmlischen Vollkommen¬ heit zu mahlen; aber er habe es sich noch immer nicht getraut. In Gedanken habe sein Gemüth beständig an ihrem Bilde, Tag und Nacht, gearbeitet; allein er habe es sich gar nicht zu seiner Befriedigung vollenden können; es sey ihm immer gewesen, als wenn seine Phantasie im Finstern arbeitete. Und doch wäre es zuweilen wie ein himmlischer Lichtstrahl in seine Seele gefallen, so daß er die Bildung in hellen Zügen, wie er sie ge¬ wollt, vor sich gesehen hätte; und doch wäre das immer nnr ein Augenblick gewesen, und er habe die Bildung in seinem Gemüthe nicht festhalten können. So sey seine Seele in beständiger Unruhe herumgetrieben; er habe die Züge immer nur umherschweifend erblickt, und seine dunkle Ahndung hätte sich nie in ein klares Bild auflösen wollen. Endlich habe er sich nicht mehr halten kön¬ nen, und mit zitternder Hand ein Gemählde der heiligen Jungfrau angefangen; und wäh¬ rend der Arbeit sey sein Inneres immer mehr erhitzt worden. Einst, in der Nacht, da er, wie es ihm schon oft geschehen sey, im Traume zur Jungfrau gebetet habe, sey er, heftig bedrängt, auf einmal aus dem Schlafe aufgefahren. In der finsteren Nacht sey sein Auge von einem hellen Schein an der Wand, seinem Lager gegenüber, angezogen worden, und da er recht zugesehen, so sey er gewahr geworden, daß sein Bild der Madonna, das, B 2 noch unvollendet, an der Wand gehangen, von dem mildesten Lichtstrahle, und ein ganz vollkommenes und wirklich lebendiges Bild geworden sey. Die Göttlichkeit in diesem Bilde habe ihn so überwältigt, daß er in helle Thränen ausgebrochen sey. Es habe ihn mit den Augen auf eine unbeschreiblich rührende Weise angesehen, und habe in je¬ dem Augenblick geschienen, als wolle es sich bewegen; und es habe ihn gedünkt, als be¬ wege es sich auch wirklich. Was das wun¬ derbarste gewesen, so sey es ihm vorgekom¬ men, als wäre dies Bild nun grade das, was er immer gesucht, obwohl er immer nur eine dunkle und verwirrte Ahndung davon gehabt. Wie er wieder eingeschlafen sey, wisse er sich durchaus nicht zu erinnern. Am andern Morgen sey er wie neugebohren auf¬ gestanden; die Erscheinung sey seinem Ge¬ müth und seinen Sinnen auf ewig fest ein¬ geprägt geblieben, und nun sey es ihm ge¬ lungen, die Mutter Gottes immer so, wie sie seiner Seele vorgeschwebt habe, abzubil¬ den, und er habe immer selbst vor seinen Bildern eine gewisse Ehrfurcht gefühlt. — Das erzählte mir mein Freund, mein theurer Raphael, und es ist mir dieses Wunder so wichtig und merkwürdig gewesen, daß ich es für mich, zu meiner Ergötzung niedergeschrie¬ ben habe.« — So ist der Inhalt des unschätzbaren Blat¬ tes, welches in meine Hände fiel. Wird man nun deutlich vor Augen sehen, was der gött¬ liche Raphael unter den merkwürdigen Wor¬ ten versteht, wenn er sagt: »Ich halte mich an ein gewisses Bild »im Geiste, welches in meine Seele »kommt.« Wird man, durch dieses offenbare Wunder der himmlischen Allmacht belehrt, verstehen, daß seine unschuldige Seele in diesen ein¬ fachen Worten einen sehr tiefen und großen Sinn aussprach? Wird man nun nicht end¬ lich begreifen, daß all' das profane Geschwätz über Begeisterung des Künstlers, wahre Ver¬ sündigung sey, — und überführt seyn, daß es dabey doch geradezu auf nichts anderes, als den unmittelbaren göttlichen Beystand ankomme? Aber ich füge nichts mehr hinzu, um je¬ den, über diesen so wichtigen Gegenstand der ernsten Betrachtung, seinem eigenen Nach¬ denken zu überlassen. Sehnsucht nach Italien. D urch einen seltsamen Zufall hat sich fol¬ gendes kleine Blatt bis jetzt bey mir aufbe¬ wahrt, das ich schon in meiner frühen Ju¬ gend niederschrieb, als ich vor dem Wunsche, endlich einmal Italien , das gelobte Land der Kunst, zu sehen, keine Ruhe finden konnte. Bey Tage und in der Nacht denkt meine Seele nur an die schönen, hellen Gegenden, die mir in allen Träumen erscheinen, und mich rufen. Wird mein Wunsch, meine Sehn¬ sucht immer vergebens seyn? So mancher reist hin und kömmt zurück, und weiß dann nicht wo er gewesen ist, und was er gesehen hat, denn keiner liebt so innig das Land mit seiner einheimischen Kunst. Warum liegt es so fern von mir, daß es mein Fuß nicht in einigen Tagereisen errei¬ chen kann? daß ich dann vor den unsterb¬ lichen Werken der großen Künstler nieder¬ knie, und ihnen alle meine Bewunderung und Liebe bekenne? daß ihre Geister es hö¬ ren, und mich als den getreusten Schüler bewillkommen? — Wenn zufällig von meinen Freunden die Landkarte aufgeschlagen wird, muß ich sie immer mit Rührung betrachten; ich durch¬ wandre mit meinem Geiste Städte, Flecken und Dörfer, — ach! und fühle nur zu bald, daß alles nur Einbildung sey. Wünsch' ich mir doch kein glänzendes Glück dieser Erde; aber soll es mir auch nicht einmal vergönnt seyn, dir, o heilige Kunst, ganz zu leben? Soll ich in mir selbst verschmachten, Und in Liebe ganz vergehn? Wird das Schicksal mein nicht achten, Dieses Sinnen, dieses Trachten Stets mit Mißvergnügen sehn? Bin ich denn so ganz verloren, Den Verstoßnen zugeweiht? O beglückt, wer auserkohren, Für die Künste nur gebohren, Ihnen Herz und Leben weiht! Ach mein Glück liegt wohl noch ferne, Kömmt noch lange mir nicht nah! Freilich zweifelt' ich so gerne, — Doch noch oft drehn sich die Sterne, — Endlich, endlich ist es da! Dann ohne Säumen, Nach langen Träumen, Nach tiefer Ruh, Durch Wies' und Wälder, Durch blüh'nde Felder Der Heimath zu! Mir dann entgegen Fliegen mit Seegen Genien, bekränzt Strahlenumglänzt! Sie führen den Müden Dem süßen Frieden, Den Freuden, der Ruh, Der Kunstheimath zu! Der merkwürdige Tod des zu seiner Zeit weit berühmten alten Mahlers Francesco Francia , des Ersten aus der Lombardischen Schule. S o wie die Epoche des Wiederauflebens der Wissenschaften und der Gelehrsamkeit die vielumfassendsten, als Menschen merk¬ würdigsten, und am Geiste kräftigsten ge¬ lehrten Männer hervorbrachte; so ward auch die Periode, da die Kunst der Mahlerey aus ihrer lange ruhenden Asche, wie ein Phönix, hervorging, durch die erhabensten und edelsten Männer in der Kunst bezeich¬ net. Sie ist als das wahre Heldenalter der Kunst anzusehen, und man möchte (wie Ossian) seufzen, daß die Kraft und Größe dieser Heldenzeit nun von der Erde entflohen ist. Viele standen an vielen Orten auf, und erhoben sich ganz durch eigene Stärke: ihr Leben und ihre Arbeiten hatten Gewicht, und waren der Mühe werth, in ausführlichen Chroniken, wie wir sie noch von den Hän¬ den damaliger Verehrer der Kunst besitzen, der Nachwelt aufbewahrt zu werden; und ihr Geist war so ehrwürdig, als es uns noch ihre bärtigen Häupter sind, die wir in den schätzbaren Sammlungen ihrer Bildnisse mit Ehrfurcht betrachten. Es geschahen unter ih¬ nen ungewöhnliche, und vielen jetzt unglaub¬ liche Dinge, weil der Enthusiasmus, der itzt nur in wenigen einzelnen Herzen, wie ein schwaches Lämpchen flimmert, in jener gol¬ denen Zeit alle Welt entflammte. Die ent¬ artete Nachkommenschaft bezweifelt oder be¬ lacht so manche bewährte Geschichte aus die¬ sen Zeiten als Mährchen, weil der göttliche Funken ganz aus ihrer Seele gewichen ist. Eine der merkwürdigsten Geschichten die¬ ser Art, die ich nie ohne Staunen habe le¬ sen können, und bey der mein Herz doch nie in Versuchung zu zweifeln geführt ward, ist die Geschichte von dem Tode des uralten Mahlers Francesco Francia , welcher der Ahnherr und Stammvater der Schule war, die sich in Bologna und der Lombar¬ dey bildete. Dieser Francesco war von geringen Hand¬ werksleuten gebohren, hatte sich aber durch seinen unermüdeten Fleiß und seinen immer hinaufstrebenden Geist, zu dem höchsten Gi¬ pfel des Ruhmes aufgeschwungen. In seiner Jugend war er zuerst bey einem Goldarbei¬ ter, und er bildete so künstliche Sachen in Gold und Silber, daß sie jeden, der sie sah, in Erstaunen setzten. Auch grub er lange Zeit die Stempel zu allen Denkmünzen, und alle Fürsten und Herzoge der Lombardey setz¬ ten eine Ehre darin, sich von seinem Griffel auf ihren Münzen abbilden zu lassen. Denn es war damals noch die Zeit, da alle Vor¬ nehmen des Landes und alle Mitbürger den vaterländischen Künstler durch ihren ewigen, lautschallenden Beyfall stolz zu machen ver¬ mochten. Unendlich viele fürstliche Personen kamen durch Bologna, und versäumten nicht, ihr Bildniß von Francesco zeichnen, und nachher in Metall schneiden und prägen zu lassen. Aber Francesco's ewig beweglicher, feuri¬ ger Geist strebte nach einem neuen Felde der Arbeit, und je mehr seine heiße Ehrbegier gesättigt ward, desto ungeduldiger ward er, sich eine ganz neue, noch unbetretene Bahn zum Ruhme aufzuschließen. Schon vierzig Jahre alt, trat er in die Schranken einer neuen Kunst; er übte sich mit unbezwing¬ licher Geduld im Pinsel, und richtete sein ganzes Nachdenken auf das Studium der Komposition im Großen, und des Effektes der Farben. Und es war außerordentlich, wie schnell es ihm gelang, Werke hervorzu¬ bringen, die ganz Bologna in Verwunde¬ rung setzten. Er ward in der That ein vor¬ züglicher Mahler; denn wenn er auch meh¬ rere Mitstreiter hatte, und selbst der gött¬ liche Raphael zu der Zeit in Rom arbei¬ tete, so konnte man immer mit Recht auch seine Werke zu den vornehmsten rechnen. Denn allerdings ist die Schönheit in der Kunst nicht etwas so armes und dürftiges, daß eines Menschen Leben sie erschöpfen könnte; und ihr Preis ist kein Loos, das nur allein auf Einen Auserwählten fällt: ihr Licht zerspaltet sich vielmehr in tausend Strah¬ len, deren Wiederschein auf mannigfache Weise von den großen Künstlern, die der Himmel auf die Welt gesetzt hat, in unser entzücktes Auge zurückgeworfen wird. Francesco lebte grade unter der ersten Generation der edlen italienischen Künstler, welche um so größere und allgemeinere Ach¬ tung genossen, da sie auf den Trümmern der Barbarey ein ganz neues, glänzendes Reich stifteten; und in der Lombardey war grade Er der Stifter, und gleichsam der erste Fürst dieser neugegründeten Herrschaft. Seine ge¬ schickte Hand vollendete eine unzählbare Men¬ ge von herrlichen Gemählden, die nicht nur durch die ganze Lombardey, (in welcher keine Stadt von sich nachsagen lassen wollte, daß sie nicht wenigstens eine Probe seiner Arbeit besäße,) sondern auch in die andern Gegen¬ den von Italien gingen, und allen Augen, die so glücklich waren sie zu betrachten, sei¬ nen Ruhm laut verkündigten. Die italieni¬ schen Fürsten und Herzoge waren eifersüchtig, Bilder Bilder von ihm zu besitzen; und von allen Seiten ströhmten ihm Lobsprüche zu. Rei¬ sende verpflanzten seinen Namen aller Or¬ ten wo sie hingelangten, und der schmeichel¬ hafte Wiederhall ihrer Reden tönte in sein Ohr zurück. Bologneser, die Rom besuchten, priesen ihren vaterländischen Künstler dem Raphael, und dieser, der auch einiges von seinem Pinsel gesehen und bewundert hatte, bezeugte ihm in Briefen, mit der ihm eigen¬ thümlichen sanften Leutseligkeit, seine Ach¬ tung und Zuneigung. Die Schriftsteller der Zeit konnten sich nicht enthalten, sein Lob in alle ihre Werke einzuflechten; sie richten die Augen der Nachwelt auf ihn, und er¬ zählen mit wichtiger Miene, daß er wie ein Gott verehrt sey. Einer von ihnen Cavazzone . sogar ist kühn genug, zu schreiben, daß Raphael, auf den Anblick seiner Madonnen, die Trocken¬ C heit, die ihm noch von der Schule von Pe¬ rugia angeklebt, verlassen, und einen größe¬ ren Styl angenommen habe. Was konnten diese wiederhohlten Schläge anders für eine Wirkung auf das Gemüth unsers Francesco haben, als daß sein lebhaf¬ ter Geist sich zu dem edelsten Künstlerstolze empor hob, und er an einen himmlischen Genius in seinem Inneren zu glauben an¬ fing. Wo findet man jetzt diesen erhabenen Stolz? Vergebens sucht man ihn unter den Künstlern unsrer Zeiten, welche wohl auf sich eitel , aber nicht stolz auf ihre Kunst sind. Raphael war der einzige, den er von allen ihm gleichzeitigen Mahlern allenfalls für seinen Nebenbuhler gelten ließ. Er war indeß nie so glücklich gewesen, ein Bild von seiner Hand zu sehen, denn er war in sei¬ nem Leben nie weit von Bologna gekom¬ men. Doch hatte er, nach vielen Beschrei¬ bungen, sich in der Idee von der Manier des Raphaels ein festes Bild gemacht, und sich, besonders auch durch dessen bescheidenen und sehr gefälligen Ton gegen ihn in seinen Briefen, fest überzeugt, daß er selber ihm in den meisten Stücken gleich komme, und es in manchen wohl noch weiter gebracht habe. Seinem hohen Alter war es vorbe¬ halten, mit seinen eigenen Augen ein Bild von Raphael zu sehen. Ganz unerwartet empfing er einen Brief von ihm, worin jener ihm die Nachricht er¬ theilte, er habe eben ein Altargemählde von der heiligen Cäcilia vollendet, welches für die Kirche des heiligen Johannes zu Bologna bestimmt sey; und dabey schrieb er, er werde das Stück an ihn, als seinen Freund, sen¬ den, und bat, daß er ihm den Gefallen er¬ zeigen möchte, es auf seiner Stelle gehörig C 2 aufrichten zu lassen, auch, wenn es auf der Reise irgendwo beschädigt sey, oder er sonst im Bilde selbst irgend ein Versehen oder ei¬ nen Fehler wahrnähme, überall als Freund zu bessern und nachzuhelfen. Dieser Brief, worin ein Raphael demüthig ihm den Pin¬ sel in die Hände gab, setzte ihn außer sich selbst, und er konnte die Ankunft des Bil¬ des nicht erwarten. Er wußte nicht, was ihm bevorstand! Einst, als er von einem Ausgange nach Hause kam, eilten seine Schüler ihm entge¬ gen, und erzählten ihm mit großer Freude, das Gemählde vom Raphael sey indeß an¬ gekommen, und sie hätten es in seinem Ar¬ beitszimmer schon in das schönste Licht ge¬ stellt. Francesco stürzte, außer sich, hinein. — Aber wie soll ich der heutigen Welt die Empfindungen schildern, die der außeror¬ dentliche Mann beym Anblick dieses Bildes sein Inneres zerreißen fühlte. Es war ihm, wie einem seyn müßte, der voll Entzücken seinen von Kindheit an von ihm entfernten Bruder umarmen wollte, und statt dessen auf einmal einen Engel des Lichts vor seinen Augen erblickte. Sein Inneres war durch¬ bohrt; es war ihm, als sänke er in voller Zerknirschung des Herzens vor einem höhe¬ ren Wesen in die Kniee. Vom Donner gerührt stand er da; und seine Schüler drängten sich um den alten Mann herum, und hielten ihn, fragten ihn, was ihn befallen habe? und wußten nicht was sie denken sollten. Er hatte sich etwas erhohlt, und starrte immerfort das über alles göttliche Bild an. Wie war er auf einmal von seiner Höhe ge¬ fallen! Wie schwer mußte er die Sünde büßen, sich allzu vermessen bis an die Sterne erhoben, und sich ehrsüchtig über Ihn, den unnachahmlichen Raphael, gesetzt zu haben. Er schlug sich vor seinen grauen Kopf, und weinte bittere, schmerzende Thränen, daß er sein Leben mit eitelm, ergeizigen Schweiße verbracht, und sich dabey nur immer, thörich¬ ter gemacht habe, und nun endlich, dem Tode nahe, mit geöffneten Augen auf sein ganzes Leben als auf ein elendes, unvollen¬ detes Stümperwerk zurücksehen müsse. Er hob mit dem erhobenen Antlitz der heiligen Cäcilia auch seine Blicke empor, zeigte dem Himmel sein wundes, reuiges Herz, und be¬ tete gedemüthigt um Vergebung. Er fühlte sich so schwach, daß seine Schü¬ ler ihn ins Bett bringen mußten. Beym Herausgehen aus dem Zimmer fielen ihm ei¬ nige seiner Gemählde, und besonders seine sterbende Cäcilia, welche noch dort hing, in die Augen; und er verging fast vor Schmerz. Von der Zeit an war sein Gemüth in beständiger Verwirrung, und man bemerkte fast immer eine gewisse Abwesenheit des Gei¬ stes bey ihm. Die Schwächen des Alters und die Ermattung des Geistes, welcher so lange in immer angestrengter Thätigkeit bey der Schöpfung von so tausenderley Gestal¬ ten gewesen war, traten hinzu, um das Haus seiner Seele von Grund aus zu erschüttern. Alle die unendlich mannigfaltigen Bildungen, die sich von jeher in seinem mahlerischen Sinn bewegt hatten, und in Farben und Linien auf der Leinwand zur Wirklichkeit übergegangen waren, fuhren jetzt, mit ver¬ zerrten Zügen, durch seine Seele, und wa¬ ren die Plagegeister, die ihn in seiner Fie¬ berhitze ängstigten. Ehe seine Schüler es sich versahen, fanden sie ihn todt im Bette liegen. — So ward dieser Mann erst dadurch recht groß , daß er sich so klein gegen den himm¬ lischen Raphael fühlte. Auch hat ihn der Genius der Kuust , in den Augen der Ein¬ geweihten, längst heilig gesprochen, und sein Haupt mit dem Strahlenkreise umgeben, der ihm als einem ächten Märtyrer des Kunst¬ enthusiasmus gebührt. — Die obige Erzählung von dem Tode des Francesco Francia hat uns der alte Vasari überliefert, in welchem der Geist der Urvä¬ ter der Kunst noch wehte. Diejenigen kritischen Köpfe, welche an alle außerordentliche Geister, als an überna¬ türliche Wunderwerke, nicht glauben wollen noch können, und die ganze Welt gern in Prosa auflösen möchten, spotten über die Mährchen des alten ehrwürdigen Chronisten der Kunst, und erzählen dreist, Francesco Francia sey an Gift gestorben. Der Schüler und Raphael. Z u jener Zeit, als die bewundernde Welt noch Raphael unter sich leben sah, — des¬ sen Name nicht leicht über meine Lippen geht, ohne daß ich ihn unwillkührlich den Göttlichen nenne, — zu Zeit, — o wie gern gäb' ich alle Klugheit und Weisheit der spätern Jahrhunderte hin, um in jenem gewesen zu seyn! — lebte in einem kleinen Städtchen des Florentinischen Gebiets ein junger Mensch, den wir Antonio nennen wollen, welcher sich in der Mahlerkunst übte. Er hatte von Kindheit auf, einen recht eifri¬ gen Trieb zur Mahlerey, und zeichnete als Knabe schon alle Heiligenbilder ämsig nach, die ihm in die Hände fielen. Aber bey aller Stetigkeit seines Eifers nnd seiner recht ei¬ sernen Begier, irgend etwas Vortreffliches hervorzubringen, besaß er zugleich eine ge¬ wisse Blödigkeit und Eingeschränktheit des Geistes, bey welcher die Pflanze der Kunst immer einen unterdrückten und gebrechlichen Wuchs behält, und nie frey und gesund zum Himmel emporschießen kann: eine unglück¬ liche Constellation der Gemüthskräfte, welche schon manche Halbkünstler auf die Welt ge¬ setzt hat. Antonio hatte sich schon nach verschiede¬ nen Meistern seiner Zeit geübt, und es war ihm so weit gelungen, daß ihm selber die Ähnlichkeit seiner Nachahmungen ungemeines Vergnügen machte, und er über seine all¬ mähligen Fortschritte sehr genaue Rechnung hielt. Endlich sah er einige Zeichnungen und Gemählde Raphaels; er hatte seinen Namen schon oft mit großen Lobeserhebungen aus¬ sprechen hören, und er schickte sich den Au¬ genblick an, nach den Werken dieses hoch¬ gepriesenen Mannes zu arbeiten. Als er aber mit seinen Kopieen gar nicht zu Stande kommen konnte, und nicht wußte, woran es lag, legte er ungeduldig den Pinsel aus der Hand, besann sich was er thun wollte, und setzte endlich folgendes Schreiben auf: »An den allervortrefflichsten Mahler, Raphael von Urbino.« »Vergebt mir, daß ich nicht weiß, wie ich Euch anreden soll, denn Ihr seyd ein un¬ begreiflicher und außerordentlicher Mann; und ich bin überdies gar nicht geübt, die Feder zu führen. Ich habe auch lange bey mir überlegt, ob es wohl schicklich sey, daß ich Euch schriebe, ohne Euch von Person je¬ mals gesehn zu haben. Aber da man ja überall von Eurer leutseligen und freund¬ lichen Gemüthsart reden hört, so habe ich mich es endlich unterstanden.« »Doch ich will Euch Eure kostbare Zeit nicht mit vielen Worten rauben, denn ich kann mir denken, wie fleißig Ihr seyn müßt; sondern ich will nur gleich mein Herz vor Euch aufschließen, und Euch meine Bitte recht angelegentlich vortragen.« »Ich bin ein junger Anfänger in der vor¬ trefflichen Mahlerkunst, welche ich über alles liebe, und welche mein ganzes Herz erfreut, so daß ich fast nicht glauben kann, daß, wenn ich, (wie es natürlich ist,) Euch und andre berühmte Meister dieser Zeiten aus¬ nehme, irgend jemand anders solche inner¬ liche Liebe, und so einen unaufhörlichen Drang zu der Kunst trüge. Ich bestrebe mich aufs allerbeste, dem Ziel, das ich in der Entfernung vor mir sehe, immer ein we¬ nig näher zu rücken; ich bin keinen Tag, ja, ich möchte beynahe sagen, keine Stunde müßig; und ich merke, daß ich jeden Tag, so wenig es auch seyn mag, weiter komme. Nun habe ich mich schon nach vielen unsrer heutiges Tages berühmten Männer wohl geübt; aber da ich angefangen habe, Eure Arbeiten nachzumahlen, ist es mir gewesen, als wenn ich gar nichts wüßte, und noch einmal von vorn anfangen sollte. Ich habe doch schon so manchen Kopf auf der Tafel zu Stande gebracht, woran weder in den Umrissen, noch in den Lichtern und Schatten etwas Falsches oder Unrechtliches gefunden werden mochte; aber wenn ich die Köpfe Eurer Apostel und Jünger Christi, so wie Eurer Madonnen und Christkindlein, auch Zug für Zug auf meine Tafel übertrage, mit solcher Pünkt¬ lichkeit, daß mir die Augen brechen möch¬ ten, — und ich denn das Ganze übersehe, und es mit dem Original vergleiche, so bin ich erschrocken, daß es himmelweit davon ent¬ fernt, und ein ganz anderes Gesicht ist. Und doch sehen Eure Köpfe, wenn man sie zum erstenmal betrachtet, beynahe leichter aus, als andre; denn sie haben ein gar zu natür¬ liches Ansehen, und es ist, als wenn man darin die Personen, die es seyn sollen, gleich erkennte, und als wenn man sie schon leben¬ dig gesehen hätte. Auch finde ich bey Euch nicht eben solche schwere und außerordent¬ liche Verkürzungen der Glieder, womit wohl andre Meister heutiges Tages die Vollkom¬ menheit ihrer Kunst zu zeigen, und uns arme Schüler zu quälen pflegen.« »Darum, so viel ich auch immer nachge¬ grübelt habe, weiß ich mir doch durchaus das Besondere nicht zu erklären, was Eure Bilder an sich haben, und kann gar nicht ergründen, worin es eigentlich liegt, daß man Euch nicht recht nachahmen, und Euch nie ganz und gar erreichen kann. O leistet mir hierin Euren Beystand, — ich bitte Euch dringend und flehentlich darum; und sagt mir, (denn Ihr könnt es gewiß am besten,) was ich thun muß, um Euch nur einiger¬ maßen ähnlich zu werden. O wie tief will ich mir das einprägen! wie eifrig will ich es befolgen! — Ich bin, — vergebt mir, — manchmal wohl gar darauf gefallen. Ihr müßtet irgend ein Geheimniß bey Eurer Ar¬ beit besitzen, wovon sich kein anderer Mensch einen Begriff machen könnte. Gar zu gern möchte ich Euch nur einen halben Tag lang bey der Arbeit zusehen; doch Ihr laßt viel¬ leicht keinen dazu. Oder, wenn ich ein großer Herr wäre, würde ich Euch tausend und tausend Goldstücke für Euer Geheimniß an¬ bieten.« »Ach habt Nachsicht mit mir, daß ich mich unterstehe, so vielerley vor Euch zu schwatzen. Ihr seyd ein außerordentlicher Mann, der wohl auf alle andre Menschen mit Verachtung heruntersehen muß.« »Ihr arbeitet wohl Tag und Nacht, um so herrliche Sachen zuwege zu bringen; und in Eurer Jugend seyd Ihr sicher in einem Tage so weit gekommen, als ich nicht in ei¬ nem Jahre. Nun, ich will doch auch ins¬ künftige meine Kräfte anstrengen, so viel ich nur immer vermögend bin.« »Andere, die heller sehen als ich, loben ja auch den Ausdruck in Euren Bildern über alles, und wollen behaupten, daß niemand so gut wie Ihr, gleichsam die Beschaffenheit des Gemüths in den Personen vorzustellen wisse, so daß man aus ihren Mienen und Gebehrden so zu sagen ihre Gedanken erra¬ then könnte. Doch, auf diese Sachen ver¬ stehe ich mich nur noch wenig.« »Ich muß aber endlich aufhören Euch lästig zu fallen. Ach was würde es mir für ein ein erquickender Trost seyn, wenn Ihr auch nur mit wenigen Worten Euren Rath er¬ theilet Eurem Euch über alles verehrenden Antonio.« So lautete Antonio's Sendschreiben an Raphael; — und dieser schrieb ihm lächelnd folgende Antwort: »Mein guter Antonio,« »Es ist schön, daß Du so große Liebe zu der Kunst trägst, und Dich so fleißig übest; Du hast mich sehr damit erfreut. Aber was Du von mir zu wissen verlangst, kann ich Dir leider nicht sagen; nicht, weil es ein Geheimniß, das ich nicht verrathen wollte, — denn ich wollte es Dir und einem jeden von Grunde des Herzens gern mittheilen, son¬ dern weil es mir selber unbekannt ist.« »Ich sehe Dir an, daß Du mir das nicht D glauben willst; und doch ist es so. So we¬ nig als einer Rechenschaft geben kann, wo¬ her er eine rauhe oder eine liebliche Stimme habe, so wenig kann ich Dir sagen, warum die Bilder, unter meiner Hand, grade eine solche und keine andere Gestalt annehmen.« »Die Welt sucht viel Besonderes in mei¬ nen Bildern; und wenn man mich auf dies und jenes Gute darin aufmerksam macht, so muß ich manchmal selber mein Werk mit Lächeln betrachten, daß es so wohl gelun¬ gen ist. Aber es ist wie in einem angeneh¬ men Traum vollendet, und ich habe wäh¬ rend der Arbeit immer mehr an den Gegen¬ stand gedacht, als daran, wie ich ihn vor¬ stellen möchte.« »Wenn Du das, was Du etwa an mei¬ nen Arbeiten Eigenthümliches findest, nicht recht begreifen und nachahmen kannst, so ra¬ the ich Dir, lieber Antonio, Dir sonst einen oder den andern der mit Recht berühmten Meister jetziger Zeiten zum Muster zu er¬ wählen; denn ein jeder hat etwas Nachah¬ mungswürdiges, und ich habe mich mit Nutzen nach ihnen gebildet, und nähre mein Auge noch immer mit ihren mannigfachen Vorzüg¬ lichkeiten. Daß ich nun jetzt aber gerade diese und keine andre Art zu mahlen habe, wie denn ein jeder seine eigene zu haben pflegt, das scheint meiner Natur von jeher schon so eingepflanzet; ich habe es nicht durch sauren Schweiß errungen, und es läßt sich nicht mit Vorsatz auf so etwas studieren. Fahre indessen fort, Dich mit Liebe in der Kunst zu üben, und lebe wohl.« D 2 Ein Brief des jungen Florentinischen Mahlers Antonio an seinen Freund Jacobo in Rom. Geliebter Bruder , W undre Dich nicht, daß ich Dir so lange nicht geschrieben, denn allerhand Beschäfti¬ gungen haben mir meine Zeit unglaublich verkürzt. Aber jetzt will ich Dir öfter schrei¬ ben, weil ich Dir als meinem liebsten Freunde meine Gedanken und Empfindungen mitzu¬ theilen wünsche. Du kennst meine Klagen, daß ich mich sonst immer als ein ganz un¬ würdiger, verlorner Schüler der edlen Mah¬ lerkunst fühlte; jetzt aber hat meine Seele einen wunderbaren, unbegreiflichen Schwung erhalten, so daß ich freyer und dreister Athem hohle, und nicht mehr mit so demuthsvollem Erröthen vor den Bildern der großen Mei¬ ster da stehe. Und wie soll ich Dir nun schildern, wie und wodurch sich dieses ereignet hat? Der Mensch ist sehr arm, lieber Jacobo; denn wenn er auch einen recht kostbaren Schatz im Busen trägt, so muß er ihn wie ein Gei¬ ziger verschließen, und kann seinem Freunde nichts davon mittheilen oder zeigen. Thrä¬ nen, Seufzer, ein Händedruck sind dann unsre ganze Sprache. So ist es jetzt mit mir, und darum möcht' ich Dich jetzt vor mir haben, um Deine liebe Hand zu neh¬ men, und sie auf mein pochendes Herz zu legen. — Ich weiß nicht, ob andre Men¬ schen schon so empfunden haben wie ich, — ob es schon andern gegönnt war, durch die Liebe einen so schönen Weg zur Anbetung der Kunst zu finden. Denn wenn ein Wort meine Gefühle ausdrücken soll, so muß es Liebe seyn, die jetzt mein Herz und meinen Geist regiert. Es ist mir zu Muthe, als wenn ein Vor¬ hang von meinem Leben hinweggezogen wäre, und ich nun erst das zu sehn bekäme, was die Menschen immer die Natur und die Schönheit der Welt nennen. Alle Berge, alle Wolken, der Himmel und sein Abend¬ roth sind jetzt anders und näher zu mir her¬ abgezogen; mit Liebe und unaussprechlicher Sehnsucht möcht' ich jetzt Raphael umfan¬ gen, der nun unter den Engeln wohnt, weil er für uns und diese Erde zu gut und zu erhaben war: heiße Thränen der Begeiste¬ rung, der reinsten Ehrfurcht treten in mein irdisches Auge, und machen meinen Sinn himmlischtrunken, wenn ich jetzt vor seinen Werken stehe, und sie mir tief in Sinn und Herz einpräge. Ich kann nun wohl sagen, daß ich nun erst fühle, was die Kunst von allem übrigen Treiben und Arbeiten der sterb¬ lichen Menschen unterscheidet; ich bin reiner und heiliger geworden, und darum bin ich nun erst zu den heiligen Altären gelassen. Wie bet' ich jetzt die Mutter Gottes und die erhabenen Apostel in jenen begeisterten Bil¬ dern an, die ich sonst nur mit kaltem Auge und halbgeübtem Pinsel Zug für Zug nach¬ zeichnen wollte: — jetzt stehn mir die Thrä¬ nen in den Augen, meine Hand zittert, mein innerstes Herz ist bewegt, so daß ich (möcht' ich sagen) fast ohne Bewußtseyn die Farben auf die Leinwand trage, und dennoch geräth es mir so, daß ich hernach damit zufrieden bin. O wenn doch jetzt Raphael noch lebte, daß ich ihn sehn, ihn sprechen, ihm meine Gefühle sagen könnte! Er muß sie gekannt haben, denn ich finde sie, ich finde mein ganzes Herz in seinen Werken wieder: alle seine Madonnen sehn meiner geliebten Ama¬ lia ähnlich. Auch fall' ich jetzt von selbst auf große und recht dreiste Erfindungen: ich habe schon einiges angefangen, und in manchen Stun¬ den, wenn ich von der Mahlzeit aufstehe, oder eben ein gleichgültiges Gespräch geführt habe, erstaune ich selbst vor meinem verwe¬ genen Unternehmen. Aber innerlich treibt mich dann mein Genius wieder an, so daß ich bey alle dem nicht den Muth verliere. Wie unähnlich die zugeschlossene Knospe der prächtigen Lilie ist, die wie ein großer silberner Stern auf ihrem dunkeln Stengel nach der Sonne blickt: so unähnlich bin ich mir selbst, gegen meinen vormaligen Zustand. Ich will noch vieles und mit unermüdeten Kräften arbeiten. Wenn ich schlafe, ist der Name Amalie wie ein goldenes, schützendes Zelt über mir ausgespannt. Oft wache ich auf, weil ich diesen Namen mit süßem Klange aussprechen höre, als wenn mich eines von den Raphael¬ schen Engelskindern neckend und liebkosend riefe. Rieselnde Töne schütten dann nach und nach die Lücke wieder zu, und holdse¬ lige Träume lassen sich wieder mit leisen Flügeln auf meine Augen herab. — Ach, Jacobo, glaube mir, jetzt bin ich erst recht Dein Freund, aber spotte nicht über Deinen glücklichen Antonio. Jacob's Antwort. Dein lieber Brief, mein sehr theurer An¬ tonio, hat eine freudige Rührung in mir ver¬ ursacht. Ich brauche Dir nicht Glück zu wünschen, denn Du bist jetzt wahrhaft glück¬ lich, und es sey ferne von mir, daß ich über Dich spotten könnte, denn dann verdiente ich nicht die Gnade des Himmels, der mich zum Werkzeug seiner Verherrlichung, zum Künstler auserkohren. Ich begreife recht gut Deinen Trieb zur Arbeit und Deine stets rege Erfindsamkeit. Ich lobe, ja ich beneide Dich; aber Du wirst es mir nicht übel deuten, wenn ich außer¬ dem noch einige Worte hinzufüge: denn da ich so manches Jahr, so manche Erfahrung vor Dir voraus habe, möchte ich dadurch vielleicht ein Recht zum Reden haben. Was Du mir da von der Kunst schreibst, will mir nicht so durchaus gefallen. Schon mancher ist Deinen Weg gegangen, aber ich glaube nicht, daß der große Künstler da stehn bleiben muß, wo Du jetzt stehst. Die Liebe eröffnet uns freilich die Augen über uns sel¬ ber und über die Welt, die Seele wird stil¬ ler und andächtiger, und aus allen Winkeln des Herzens brechen tausend glimmende Em¬ pfindungen in hellen Flammen hervor: man lernt dann die Religion und die Wunder des Himmels begreifen, der Geist wird demüthi¬ ger und stolzer, und die Kunst redet uns be¬ sonders mit allen ihren Tönen bis in das innerste Herz hinein. Aber nun kömmt der Künstler gar zu leicht in Gefahr, sich in jedem Kunstwerke zu suchen, alle seine Em¬ pfindungen werden nach einer Richtung hin¬ ausschweifen, und so opfert er denn sein mannigfaltiges Talent einem einzigen Ge¬ fühle auf. Hüte Dich davor, lieber Anto¬ nio, weil Du sonst zur engsten und am En¬ de unbedeutendsten Manier geführt werden kannst. Jedes schöne Werk muß der Künst¬ ler in sich schon antreffen, aber nicht sich mühsam darin aufsuchen; die Kunst muß seine höhere Geliebte seyn, denn sie ist himm¬ lischen Ursprungs; gleich nach der Religion muß sie ihm theuer seyn; sie muß eine reli¬ giöse Liebe werden, oder eine geliebte Reli¬ gion, wenn ich mich so ausdrücken darf: — nach dieser darf dann wohl die irdische Liebe folgen. Dann weht ein herrlicher, labender Wind alle Empfindungen, alle schöne Blu¬ men in dieses eroberte Land hinein, das mit Morgenroth überzogen, und von heiliger Wonne durchklungen ist. Deute mir diese meine Worte nicht übel, mein ungemein geliebter Antonio: meine Ver¬ ehrung der Kunst spricht so aus mir, und so wirst Du denn alles zum Besten ausle¬ gen. — Lebe wohl. Das Muster eines kunstreichen und dabey tiefgelehrten Mahlers, vorgestellt in dem Leben des Leonardo da Vinci , berühmten Stammvaters der Florentinischen Schule. D as Zeitalter der Wiederaufstehung der Mahlerkunst in Italien hat Männer ans Licht gebracht, zu denen die heutige Welt billig wie zu Heiligen in der Glorie hinauf¬ sehen sollte. Von ihnen möchte man sagen, daß sie zuerst die wilde Natur durch ihre Zauberkünste bezwungen und gleichsam be¬ schworen, — oder auch, daß sie zuerst aus der verworrenen Schöpfung den Funken der Kunst herausgeschlagen hätten. Ein jeder von diesen prangte mit eigenen, nahmhaften Vollkommenheiten, und es sind im Tempel der Kunst für viele von ihnen Altäre er¬ richtet. Ich habe mir aus diesen für jetzt den berühmten Stammvater der Florentinischen Schule, den nie genug gepriesenen Leonar¬ do da Vinci auserwählt, um ihn, wem daran gelegen ist, als das Muster in einem wahrhaft gelehrten und gründlichen Studium der Kunst, und als das Bild eines unermüd¬ lichen, und dabey geistreichen Fleißes, dar¬ zustellen. An ihm mögen die lehrbegierigen Jünger der Kunst ersehen, daß es nicht da¬ mit gethan sey, zu einer Fahne zu schwören, nur ihre Hand in gelenkiger Führung des Pinsels zu üben, und mit einem leichten und flüchtigen After-Enthusiasmus ausgerüstet, gegen das tiefsinnige und auf das wahre Fundament gerichtete Studium zu Felde zu ziehen. Ein solches Beyspiel wird sie beleh¬ ren, daß der Genius der Kunst sich nicht unwillig mit der ernsthaften Minerva zusam¬ men paart; und daß in einer großen und offenen Seele, wenn sie auch auf Ein Haupt¬ bestreben gerichtet ist, doch das ganze, viel¬ fachzusammengesetzte Bild menschlicher Wis¬ senschaft sich in schöner und vollkommener Harmonie abspiegelt. — Der Mann, von dem wir reden, erblickte das Licht der Welt in dem Flecken Vinci, welcher unten im Arno-Thale, unweit der prächtigen Stadt Florenz, belegen ist. Seine Geschicklichkeit und sein Witz, die er von der Natur zum Erbtheil bekommen hatte, ver¬ riethen sich, wie es bey solchen auserlesenen Geistern zu geschehen pflegt, schon in seiner zarten Jugend, und sahen durch die bunten Figuren, die seine kindische Hand spielend herausbrachte, deutlich hervor. Dies ist wie das erste Sprudeln einer kleinen, muntern Quelle, welche nachher zum mächtigen und bewunderten Strohme wird. Wer es kennt, hält das Gewässer in seinem Laufe nicht zu¬ rück, weil es sonst durch Wall und Dämme bricht; sondern läßt ihm seinen freyen Wil¬ len. So that Leonardo's Vater, indem er den Knaben seiner ihm von Natur einge¬ pflanzten Neigung überließ, und ihn der Lehre des sehr berühmten und verdienten Mannes, Andrea Verocchio zu Florenz, übergab. Aber ach! wer kennt und wer nennt un¬ ter uns noch diese Namen, die damals wie funkelnde Sterne am Himmel glänzten? Sie sind untergegangen, und es wird nichts mehr von ihnen gehört, — man weiß nicht ob sie jemals waren. Und dieser Andrea Verocchio war keiner der gemeinsten. Er war dem heiligen Tri¬ folium aller bildenden Künste, der Mahler¬ Bild¬ Bildner- und Baukunst ergeben, — wie es denn dazumal nichts ungewöhnliches war, daß für eine solche dreyfache Liebe und Fä¬ higkeit, eines Menschen Geist Raum ge¬ nug hatte. Außerdem aber war er in den mathematischen Erkenntnissen bewandert, und auch ein eifriger Freund der Musik. Es mag wohl seyn, daß dessen Vorbild, welches sich früh in die weiche Seele Leonardo's ein¬ drückte, viel auf ihn gewirkt hat; indeß mußten die Keime doch auf dem Grunde sei¬ ner Seele liegen. Aber wer mag überhaupt bey der Geschichte der Ausbildung eines fremden Geistes alle die feinen Fäden zwi¬ schen Ursachen und Wirkungen auffinden, da die Seele während ihrer Handlungen sich dieses Zusammenhanges selbst nicht einmal immer bewußt ist. Zu Erlernung jeder bildenden Kunst, selbst wenn sie ernsthafte oder trübselige Dinge E abschildern soll, gehört ein lebendiges und aufgewecktes Gemüth; denn es soll ja durch allmählige mühsame Arbeit endlich ein voll¬ kommenes Werk, zum Wohlgefallen aller Sinne, hervorgebracht werden, und traurige und in sich verschlossene Gemüther haben keinen Hang, keine Lust, keinen Muth und keine Stetigkeit hervorzubringen. Solch ein aufgewecktes Gemüth besaß der Jüngling Leonardo da Vinci; und er übte sich nicht nur mit Eifer im Zeichnen und im Setzen der Farben, sondern auch in der Bildhauerey, und zur Erhohlung spielte er auf der Geige, und sang artige Lieder. Wohin also sein vielbefassender Geist sich auch wandte, so ward er immer von den Musen und Gra¬ zien, als ihr Liebling, in ihrer Atmosphäre schwebend getragen, und berührte nie, auch in den Stunden der Erhohlung nicht, den Boden des alltäglichen Lebens. Von allen Beschäftigungen aber lag die Mahlerey ihm zunächst am Herzen; und zu seines Lehrers Beschämung brachte er es darin nach kurzer Zeit so weit, daß er ihn selbst übertraf. Ein Beweis, daß die Kunst sich eigentlich nicht lernt, und nicht gelehrt wird, sondern daß ihr Strohm, wenn er nur auf eine kurze Strecke geführt und gerichtet ist, unbeherrscht aus eigener Seele quillt. Da seine Einbildung so fruchtbar und reich an allerley bedeutenden und sprechen¬ den Bildern war, so zeigte sich in seiner leb¬ haften Jugend, wo alle Kräfte sich mit Ge¬ walt in ihm hervordrängten, sein Geist nicht in gewöhnlichen, unschmackhaften Nachah¬ mungen, sondern in außerordentlichen, rei¬ chen, ja fast ausschweifenden und seltsamen Vorstellungen. So mahlte er einst unsre er¬ sten Vorältern im Paradiese, welches er durch alle mögliche Arten wunderbarer und E 2 fremdgestalteter Thiere, und durch eine un¬ endliche, mühsame Verschiedenheit der Pflan¬ zen und Bäume, so bereicherte und aus¬ schmückte, daß man über die Mannigfaltig¬ keit erstaunen mußte, und seine Augen nicht von dem Bilde abziehen konnte. Noch wun¬ derbarer war der Medusenkopf, den er einst auf ein hölzernes Schild für einen Bauern mahlte: er setzte ihn aus den Gliedern aller nur ersinnlichen häßlichen Gewürme und gräulicher Unthiere zusammen, so daß man gar nichts Erschrecklicheres sehen mochte. Die Erfahrenheit der Jahre ordnete nachher die¬ sen wilden, üppigen Reichthum in seinem Geiste. Aber ich will zur Hauptsache eilen, und versuchen, ob ich eine Abschilderung von dem vielumfassenden Eifer dieses Mannes geben kann. In der Mahlerey trachtete er mit uner¬ müdlicher Begier nach immer höheren Voll¬ kommenheiten, und nicht in einer , sondern in allen Arten; und mit dem Studium der Geheimnisse des Pinsels verband er die fleißig¬ ste Beobachtung , die, als sein Genius, ihn durch alle Scenen des gewöhnlichen Lebens leitete, und ihn auf allen seinen Wegen, wo andre es nicht ahndeten, die schönsten Früchte für sein Lieblingsfach einsammeln ließ. Also war er selber das größeste Beyspiel zu den Lehren, die er in seinem vortrefflichen Werke von der Mahlerey ertheilt, daß nämlich ein Mahler sich allgemein machen solle, und nicht alle Dinge nach einem einzigen ange¬ wöhnten Handgriff, sondern ein jedes nach seiner besonderen Eigenthümlichkeit darstellen müsse; — und denn, daß man sich nicht an einen Meister hängen, sondern selbst frey die Natur in allem ihren Wesen erforschen solle, indem man sonst ein Enkel, nicht aber ein Sohn der Natur genannt zu werden verdiene. Aus eben dieser Schrift, der einzigen un¬ ter seinen gelehrten Arbeiten, die zu den Augen der Welt gelangt ist, und die man mit Recht das goldene Buch des Leonardo nennen könnte, wird uns offenbar, wie tief¬ sinnig er immer die Lehren und Regeln der Kunst mit dem Ausüben derselben verknüpfte. Die Beschaffenheit des menschlichen Körpers hatte er in allen nur ersinnlichen Wendun¬ gen und Stellungen, bis auf das kleinste, so in seiner Gewalt, als wenn er ihn selber geschaffen hätte; und immer ging er gerade¬ zu auf den bestimmten Sinn und die kör¬ perliche sowohl als geistige Bedeutung los, die in jeder Figur liegen sollte. Denn billig muß, wie auch er selbst in seinem Buche zu verstehen giebt, ein jedes Kunstwerk eine doppelte Sprache reden, eine des Leibes und eine der Seele. An einigen Orten in seinem Buche giebt er Anleitung, wie man eine Schlacht, einen Seesturm, eine große Ver¬ sammlung mahlen solle; und da ist seine Einbildung so thätig und wirksam, daß sie schnell die deutlichsten und sprechendsten Züge in Worten zu einem, auffallenden Ganzen zusammenträgt. Leonardo wußte, daß der Kunstgeist eine Flamme von ganz anderer Natur ist, als der Enthusiasmus der Dichter. Es ist nicht darauf angesehen, etwas ganz aus eigenem Sinne zu gebähren; der Kunstsinn soll viel¬ mehr ämsig außer sich herumschweifen, und sich um alle Gestalten der Schöpfung mit behender Geschicklichkeit herumlegen, und die Formen und Abdrücke davon in der Schatz¬ kammer des Geistes aufbewahren; so daß der Künstler, wenn er die Hand zur Arbeit ansetzt, schon eine Welt von allen Dingen in sich finde. Leonardo ging nie, ohne seine Schreibtafeln bey sich zu tragen; sein begie¬ riges Auge fand überall ein Opfer für seine Muse. Dann kann man sagen, daß man vom Kunstsinne ganz durchglüht und durch¬ drungen sey, wenn man so alles um sich her seiner Hauptneigung unterthänig macht. Je¬ den kleinen Theil des menschlichen Körpers, der ihm an irgend einem Vorübergehenden wohlgefiel, jede flüchtige reizende Stellung und Wendung haschte er auf, und trug es seinem Schatze bey. Es gefielen ihm vor¬ züglich wunderliche Angesichter mit besonde¬ ren Haaren und Bärten; weswegen er sol¬ chen Leuten manchmal lange nachging, daß er sie fest in seinen Sinn faßte, da er sie alsdann zu Hause so natürlich, als ob sie ihm gegenwärtig gesessen hätten, hinmahlte. Auch wann zwey Personen, ohne daß sie einen Zuschauer zu haben glaubten, ganz unbefangen und ihrem Willen überlassen, mit einander sprachen, oder wann ein heftiges Gezänk entstand, oder ihm sonst menschliche Affekten und Gemüthsbewegungen in ihrem vollen Leben und ihrer ganzen Kraft in den Weg kamen, so versäumte er niemals, sich die Umrisse und die Zusammenfügung der Theile zum Ganzen wohl zu merken. Auch betrachtete er, was manchem lächerlich vor¬ kommen mag, oft lange und ganz in sich verloren, altes Gemäuer, worauf die Zeit mit allerley wunderbaren Figuren und Far¬ ben gespielt hatte, oder vielfarbige Steine mit irgend seltsamen Zeichnungen. Daraus sprang ihm dann, während des unverrück¬ ten Anschauens, manche schöne Idee von Landschaften, oder Schlachtgewimmel, oder fremden Stellungen und Gesichtern hervor. Darum giebt er auch in seinem Buche selbst die Regel, dergleichen zur Ergetzung fleißig zu betrachten, weil der Geist durch derglei¬ chen verwirrte Dinge zu Erfindungen aufge¬ muntert werde. — Man sieht, wie der un¬ gemeine und von keinem nach ihm erreichte Geist des Leonardo, aus allen Dingen, auch den geringgeachtesten und kleinsten, Gold zu ziehen wußte. In der Wissenschaft seiner Kunst war vielleicht nie ein Mahler erfahrner und ge¬ lehrter als er. Die Kenntniß der inneren Theile des menschlichen Körpers und des ganzen Räder- und Hebelwerks dieser Ma¬ schine, — die Kenntniß des Lichts und der Farben, und wie beyde auf einander wirken, und sich eines mit dem andern vermählt, — die Lehre von den Verhältnissen, nach wel¬ chen die Dinge in der Entfernung kleiner und schwächer erscheinen; — alle diese Wis¬ senschaften, welche in der That zu dem wah¬ ren, ursprünglichen Fundamente der Kunst gehören, hatte er bis in ihre tiefsten Ab¬ gründe durchdrungen. Wie aber schon erwähnt ist, so war er nicht bloß ein großer Mahler, sondern auch ein guter Bildhauer, wie auch ein ansehn¬ licher Baumeister. Er war in allen Zweigen der mathematischen Wissenschaften erfahren; ein tiefer Kenner der Musik, ein angenehmer Sänger und Spieler auf der Geige, und ein sinnreicher Dichter. Kurz, wenn er in den fa¬ belhaften Zeiten gelebt hätte, so wäre er un¬ fehlbar für ein Sohn des Apollo gehalten wor¬ den. Ja, er hatte seine Lust daran, sich in aller¬ ley Fertigkeiten, wenn sie auch ganz außer seinem Wege lagen, hervorzuthun. So war er im reiten und regieren der Pferde, so wie auch in der Führung des Degens so wohl geübt, daß ein Unwissender hätte meynen sollen, er habe sein ganzes Leben hindurch diesem allein obgelegen. Mit wunderbaren mechanischen Kunststücken, und mit den ge¬ heimen Kräften der Naturkörper war er so vertraut, daß er einst, bey einer feyerlichen Gelegenheit, die Figur eines Löwen von Holz machte, welcher sich selbst bewegte; und ein andermal hatte er aus einem gewissen dünnen Zeuge kleine Vögel gebildet, welche von selbst frey in die Luft emporschwebten. So hatte sein Geist einen angebohrnen Reiz, immer etwas Neues zu ersinnen, der ihn in beständiger Thätigkeit und Anstrengung er¬ hielt. Alle seine Talente aber wurden durch edle und einnehmende Sitten, wie Edelge¬ steine durch eine goldene Einfassung erhöht. Und damit der außerordentliche Mann auch den gemeinsten und blödesten Augen hervor¬ stechend und ausgezeichnet erscheinen möchte, so hatte die freygebige Natur ihn ausdrück¬ lich mit einer wunderbaren Leibesstärke, und zu allem dem endlich mit einer sehr ehrwür¬ digen Bildung, und einem Gesichte, das man lieben und verehren mußte, begabt. Der forschende Geist der ernsthaften Wis¬ senschaften scheinet dem bildenden Geiste der Kunst so ungleichartig, daß man fast, dem ersten Anblicke nach, zwey verschiedene Gat¬ tungen von Wesen für beyde glauben möchte. Und in der That sind nur wenige Sterbliche so eingerichtet, daß sie diesem zwiefachen Genius opfern könnten. Welcher aber in seiner eigenen Seele die Heimath aller der Erkenntnisse und Kräfte, worin sonst viele sich theilen, findet, und wessen Geist, mit gleichem Eifer und Glücke, durch Schlüsse der Vernunft Wahrheiten ausrechnet, und Einbildungen seines inneren Sinnes durch Mühsamkeit der Hand in sichtbare Darstel¬ lungen hervordrängt: — ein solcher muß der ganzen Welt Erstaunen und Bewunderung abnöthigen. Und wenn er überdies nicht bloß einer einzigen Kunst ergeben ist, son¬ dern mehrere in sich vereinigt, ihre geheime Verwandtschaft fühlt, und die göttliche Flam¬ me, die in allen weht, in seinem Inneren empfindet; so ist dieser Mann von der Hand des Himmels gewiß auf eine wunderbare Weise vor andern Menschen hervorgehoben, und es werden viele mit ihren Gedanken nicht einmal an ihn heranreichen können. — Der Hof des mayländischen Herzogs, Lodovico Sforza, war der Hauptschauplatz, wo Leonardo da Vinci, als oberster Vorste¬ her der Akademie, seine vielfachen Geschick¬ lichkeiten entfaltete. Hier zeigte er sich in vortrefflichen Gemählden und Bildwerken; hier verbreitete er seinen guten Geschmack in Gebäuden; er war förmlich unter der Zahl der Tonkünstler als Spieler auf der Geige angestellt; er führte mit tiefer Einsicht den schweren Bau eines Wasserkanals über Berge und Thäler, — und so stellte er bloß in sei¬ ner Person fast eine ganze Akademie aller menschlichen Erkenntnisse und Fertigkeiten vor. Ehe er den Bau des Kanals übernahm, begab er sich nach Valverola, dem Landsitz eines seiner angesehenen Freunde, und legte sich dort, unter Begünstigung der ländlichen Muse, mit großem Fleiß auf das Mathe¬ matische der Baukunst. Auf diesem stillen Landsitz brachte er nachher etliche Jahre zu, lag mit philosophischem Geiste den mathe¬ matischen, und allen nur irgend zu einer gründlichen Theorie der bildenden Künste ge¬ hörigen Studien ob, und verlor sich ganz in tiefsinnige Spekulationen. Das Gepräge der in sich gekehrten Weisheit trug er auch in seinem Äußeren. indem er sich Haar und Bart so lang hatte wachsen lassen, daß er das Ansehen eines Einsiedlers hatte; — wie denn einige in seinem unermüdeten Fleiß auch den Bewegungsgrund finden wollen, daß er zeitlebens unverheirathet blieb. — Während des Aufenthaltes in seiner länd¬ lichen Einsamkeit trug er nun auch die Re¬ sultate seines Studiums, durch seinen Geist geseigert und geläutert, und mit seinen eige¬ nen sehr scharfsinnigen Gedanken und Beob¬ achtungen versetzt, in ausführlichen Werken zusammen, welche sich, von seiner eigenen theuren Hand geschrieben, noch itzt in dem großen ambrosianischen Bücherschatze zu May¬ land befinden. Aber ach! es ist auch diese, wie so manche andre uralte, mit ehrwürdigem Staube be¬ deckte Handschrift in den Bücherschätzen der Großen, ein unangerührtes Heiligthum, vor welchem die unverständigen Söhne unsers Zeitalters, höchstens mit einer leeren Ehr¬ furchtsbezeugung, vorübergehn . Das Ma¬ nuscript wartet noch auf denjenigen, welcher den den Geist des alten Mahlers, der darin ver¬ zaubert schläft, daraus erwecken, und aus den lange getragenen Banden erlösen soll. Alle die Schönheiten und das Vortreff¬ liche in den vielen Gemählden unsers Leo¬ nardo aus einander zu setzen, ist meine Feder nicht im Stande. Sein berühmtestes Bild ist wohl die Vorstellung des heiligen Abend¬ mahles in dem Refektorium der Dominika¬ ner zu Mayland. Man bewundert darin den seelenvollen Ausdruck in den Köpfen der Jünger Christi, wie jeder den Herrn zu fra¬ gen scheinet: Herr! bin ich's? Die alten Anekdotensammler der Kunst erzählen, daß Leonardo, nachdem er die übrigen Figuren vollendet, eine Weile gezögert, und immer bey sich überlegt und nachgedacht, oder, (um vielleicht eigentlicher zu reden,) auf glückliche Eingebungen geharret habe, wie er das ver¬ rätherische Gesicht des Judas, und das er¬ F habene Antlitz Jesu, recht vollkommen aus¬ drücken solle; worauf der Prior des Klosters einen einleuchtenden Beweis seines Unver¬ standes gegeben, indem er ihn, wie einen Tagelöhner, über sein Zögern zur Rede ge¬ stellt habe. Noch eines Gemähldes des Leonardo muß ich, eines merkwürdigen Umstandes halber, gedenken. Ich meyne das Bildniß der Lisa del Giocondo, (der Gemahlinn des Fran¬ cesco,) an welchem er vier Jahre arbeitete, ohne durch die sorgfältigste und feinste Aus¬ arbeitung jedes Härchens, den Geist und das Leben des Ganzen zu ersticken. So oft nun die edle Frau ihm zum Mahlen saß, rief er allemal einige Personen herzu, die sie durch eine angenehme und muntre Musik auf Instrumenten, mit der menschlichen Stim¬ me begleitet, aufheitern mußten. Ein sehr sinnreicher Einfall, wegen dessen ich den Leonardo immer bewundert habe. Er wußte nur zu wohl, daß bey Personen, welche zum Mahlen sitzen, sich gewöhnlich eine trockene und leere Ernsthaftigkeit auf ihrem Gesichte einzufinden pflegt, und daß eine solche Mie¬ ne, wenn sie im Gemählde in bleibenden Zügen festgehalten wird, ein ungefälliges oder wohl gar finsteres Ansehen gewinnt. Dage¬ gen kannte er die Wirkung einer fröhlichen Musik, wie sie sich in den Mienen des Ge¬ sichts abspiegelt, wie sie alle Züge auflöst, und in ein liebliches, reges Spiel setzt. So trug er die sprechenden Reize des Antlitzes lebendig auf die Tafel über, und wußte bey Ausübung der einen Kunst sich der an¬ dern so glücklich als Gehülfinn zu bedienen, daß diese auf jene ihren Wiederschein warf. Wie viele geschickte Mahler aus des Leo¬ nardo Schule ausgegangen, und wie ange¬ sehen und allgemein verehrt er in seinem Le¬ F 2 ben war, läßt sich gedenken. Als er einst in einem Kloster vor Florenz nur den Ent¬ wurf zu einem großen Altarblatte gemacht hatte, ward der Ruf dieses Entwurfs so groß, daß zwey Tage lang eine Menge Volks aus der Stadt dahin wallfahrtete, und man hätte meynen sollen, es würde ein Fest oder eine Procession gehalten. In Florenz hatte Leonardo da Vinci sich wieder aufgehalten, seitdem, in den kriege¬ rischen Zeiten von Italien, der Herzog Lo¬ dovico Sforza von Mayland eine gänzliche Niederlage erlitten hatte, und die Akademie zu Mayland ganz zerstiebt war. In seinem hohen Alter ward er noch von König Franz dem Ersten, aus Florenz nach Frankreich berufen. Der Monarch schätzte ihn über alles hoch, und empfing den alten fünf und siebzigjäh¬ rigen Mann mit besonderer Freundlichkeit und Achtung. Allein es war ihm nicht be¬ schieden, sein Leben in dem ihm neuen Lande noch hoch zu bringen. Die Beschwerlichkei¬ ten der Reise und die Verschiedenheit der Landesart mußten ihm die Krankheit zuge¬ zogen haben, die ihn nicht lange nach seiner Ankunft befiel. Der König besuchte ihn fleißig in seiner Krankheit, und bezeigte sich sehr besorgt um ihn. Als er einst auch zu ihm kam, an sein Lager trat, und der alte Mann sich im Bette aufrichten wollte, um dem Könige für seine Gnade zu danken, ward er unvermerkt von einer Schwachheit überfallen, — der König unterstützte ihn mit seinen Armen, — aber der Athem ging ihm aus, — und der Geist , der so viele und große Dinge gewirkt hatte, welche noch jetzt in ihrer Vollkommenheit bestehen, war durch einen einzigen Hauch, wie ein Blatt von der Erde, weggeweht. — Wenn der Glanz der Kronen das Licht ist, welches das Gedeihen der Künste vor¬ züglich befördert, so kann man die Scene, die an dem Ende von Leonardo's Leben steht, gewissermaßen als eine Apotheose des Künstlers ansehen; in den Augen der Welt wenigstens mußte es für alle Thaten des großen Mannes ein würdiger Lohn erschei¬ nen, in den Armen eines Königs zu er¬ blassen. —— Man wird mich nun vielleicht fragen: Ob ich denn nun diesen hier so hochgepriese¬ nen Leonardo da Vinci als den vortrefflich¬ sten, und als das Haupt aller Mahler auf¬ stellen, und alle Schüler auffordern wollte, daß sie gerade so zu werden streben sollten, wie er? Aber anstatt zu antworten, frage ich wie¬ der: Ob es denn nicht erlaubt sey, seinen Blick einmal absichtlich auf den großen und betrachtungswürdigen Geist eines einzigen Mannes zu beschränken, um seine eigenthüm¬ lichen Vortrefflichkeiten einmal recht für sich, in ihrem Zusammenhange zu überschauen? — und ob man wohl so dreist, mit der an¬ maßenden Strenge eines Richteramtes, die Künstler nach Maaß und Gewicht ihrer Ver¬ dienste in Reih' und Glied stellen könne, wie die Lehrer der Moral tugend- und la¬ sterhafte Menschen, nach genauen Regeln des Ranges, über- und untereinander zu setzen sich vermessen? Ich meyne, man könne Geister von sehr verschiedener Beschaffenheit, die beyde große Eigenschaften haben, beyde bewundern. Die Geister der Menschen sind eben so unendlich¬ mannigfaltig, als es ihre Gesichtsbildungen sind. Und nennen wir nicht das ehrwürdige, faltenreiche, weisheitsvolle Antlitz des Grei¬ ses eben so wohl schön , als das unbefan¬ gene, Empfindung-athmende, zauberhafte Gesicht der Jungfrau? Allein bey dieser bildlichen Vorstellung möchte mir jemand sagen: Wenn aber das Losungswort Schönheit ertönt, drängt sich dir da nicht unwillkührlich aus innerer Seele das letztere Bild, das Bild der Venus Ura¬ nia in deinem Busen hervor? Und hierauf weiß ich freylich nichts zu antworten. Wer bey meinem zwiefachen Bilde, wie ich, an den Geist des Mannes, den wir eben geschildert haben, und an den Geist desjenigen, den ich den Göttlichen zu nen¬ nen pflege, gedenkt, wird in dieser Gleich¬ nißrede vielleicht Stoff zum Nachsinnen fin¬ den. Dergleichen Phantaseyen, die uns in den Sinn kommen, verbreiten oftmals auf wunderbare Weise ein helleres Licht über ei¬ nen Gegenstand, als die Schlußreden der Vernunft; und es liegt neben den sogenann¬ ten höheren Erkenntnißkräften ein Zauber¬ spiegel in unsrer Seele, der uns die Dinge manchmal vielleicht am kräftigsten dargestellt zeigt. — Zwey Gemähldeschilderungen. E in schönes Bild oder Gemählde ist, mei¬ nem Sinne nach, eigentlich gar nicht zu be¬ schreiben; denn in dem Augenblicke, da man mehr als ein einziges Wort darüber sagt, fliegt die Einbildung von der Tafel weg, und gaukelt für sich allein in den Lüften. Drum haben die alten Chronikenschreiber der Kunst mich sehr weise gedünket, wenn sie ein Gemählde bloß: ein vortreffliches, ein unvergleichliches, ein über alles herrliches nennen; indem es mir unmöglich scheint, mehr davon zu sagen. Indessen ist es mir beygefallen, ein paar Bilder einmal auf die folgende Art zu schildern, wovon ich die zwey Proben, die mir von selbst in den Sinn gekommen sind, um der eignen Art willen, ohne daß ich diese Art für etwas sehr Vorzügliches halten mag, doch zu Jeder¬ manns Ansicht hersetzen will. Erstes Bild . Die heilige Jungfrau mit dem Christuskinde, und der kleine Johannes. Maria . Warum bin ich doch so überselig, Und zum allerhöchsten Glück erlesen, Das die Erde jemals tragen mag? Ich verzage bey dem großen Glücke, Und ich weiß nicht Dank dafür zu sagen, Nicht mit Thränen, nicht mit lauter Freude. Nur mit Lächeln und mit tiefer Wehmuth Kann ich auf dem Götterkinde ruhen, Und mein Blick vermag es nicht, zum Himmel, Und zum güt'gen Vater aufzusteigen. Nimmer werden meine Augen müde, Dieses Kind, das mir im Schooße spielet, Anzusehn mit tiefer Herzensfreude. Ach! und welche fremde, große Dinge, Die das unschuldvolle Kind nicht ahndrt , Leuchten aus den klugen blauen Augen, Und aus all' den kleinen Gaukeleyen! Ach! ich weiß nicht was ich sagen soll! Dünkt michs doch, ich sey nicht mehr auf dieser Erde, Wenn ich in mir recht lebendig denke: Ich, ich bin die Mutter dieses Kindes. Das Jesuskind . Hübsch und bunt ist die Welt um mich her! Doch ist's mir nicht wie den andern Kindern, Doch kann ich nicht recht spielen, Nichts fest angreifen mit der Hand, Nicht lautjauchzend frohlocken. Was sich lebendig Vor meinen Augen regt und bewegt, Kommt mir vor, wie vorbeygehend Schattenbild Und artiges Blendwerk. Aber innerlich bin ich froh, Und denke mir innerlich schönere Sachen, Die ich nicht sagen kann. Der kleine Johannes . Ach! wie bet' ich es an, das Jesuskindlein! Ach wie lieblich und voller Unschuld Gaukelt es in der Mutter Schooß! — Lieber Gott im Himmel, wie bet' ich heimlich zu Dir, Und danke Dir, Und preise Dich um Deine große Gnade, Und flehe Deinen Segen herab auch für mich! Zweytes Bild . Die Anbetung der drey Weisen aus dem Morgenlande. Die drey Weisen . Siehe! aus dem fernen Morgenlande Kommen wir, vom schönen Stern geführet, Wir, drey Weisen aus dem fernen Lande, Wo die Sonn' in ihrer Pracht hervorgeht. Lange Jahre haben wir nach Weisheit, Nach der Weisheit Urquell hingetrachtet, Haben viel erdacht in unserm Geiste; Und dabey hat uns der Herr der Dinge Kron' und Zepter gnädiglich verliehen, Und bey unsrer langen Geistesarbeit Uns mit silberweißem Haupt gesegnet. Doch, wir kommen jetzt dahergezogen, Aus dem Lande, wo die Sonn' emporsteigt, Um die ganze Weisheit unsrer Jahre, Unsre ganze Wissenschaft und Kenntniß, Ach! vor Dir, Du wunderbares Kindlein, Demuthvoll hier in den Staub zu legen, Und in unsern goldnen Königsmänteln, Und mit unsern silberweißen Häuptern, Ehrfurchtsvoll uns hier vor Dir zu beugen, Hier zu huldigen und anzubeten. Und zum Zeichen unsrer tiefen Ehrfurcht Bringen wir Dir Myrrhen, Gold und Weihrauch, Als ein würdig Opfer unsrer Andacht, Wie wir es zu geben nur vermögen. Maria. Ach! preise, meine Seele, den Herrn! Daß er mich so herrlich gemacht hat, So hoch erhoben vor allem Volke! Daß ich das Kindlei n gebohren habe, Das mir im Schooße spielet, Das die Weisen anzubeten Aus dem fernen Morgenlande herziehn! Ach! mein Auge vermag's nicht zu ertragen, Und mein Herz bricht! Alle tiefe Weisheit ihrer Jahre Legen sie vor dem Kindlein in den Staub: Ihre Kniee gebeugt, Ihre Häupter zur Erde geneigt, Und am Boden liegen die goldnen Königsmäntel. Gold, und Weihrauch, und Myrrhen Bringen sie zum Opfer; Ach! dem Kind' ein groß und herrlich Opfer! — O wie selig ist die Mutter innerlich! Aber ich vermag den weisen Männern Nicht für ihre große Huld zu danken, Nicht den Blick zum Himmel aufzuheben. Aber herrliche und große Dinge Stehen innerlich mir im Gemüthe. Das Jesuskindlein . Schön muß wohl das ferne Land seyn, Wo die helle Sonn' emporsteigt; Denn wie herrlich sind die Männer! Aber wie so alt und prächtig? Ach! das ist die tiefe Weisheit, Daß sie goldne Königsmäntel, Silberweiße Häupter haben. Und recht wunderbare Dinge Haben sie mir hergetragen! Und doch knie'n sie vor mir nieder, — Seltsam scheinen mir die Männer, Und ich weiß mir nicht zu sagen, Wie ich sie recht nennen soll. Einige Einige Worte über Allgemeinheit, Toleranz und Menschenliebe in der Kunst . D er Schöpfer, welcher unsre Erde und al¬ les was darauf ist gemacht hat, hat das ganze Erdenrund mit seinem Blick umfaßt, und den Strohm seines Segens über den ganzen Erdkreis ausgegossen. Aber aus sei¬ ner geheimnißvollen Werkstatt hat Er tau¬ senderley unendlich-mannigfaltige Keime der Dinge über unsre Kugel hergestreut, die un¬ endlich-mannigfaltige Früchte tragen, und zu Seiner Ehre zu dem größesten, buntesten Garten hervorschießen. Auf wunderbare Weise führt Er seine Sonne um den Erdball in G gemessenen Kreisen herum, daß ihre Strah¬ len in tausend Richtungen zur Erde kommen, und unter jedem Himmelsstriche das Mark der Erde zu verschiedenartigen Schöpfungen auskochen und hervortreiben. Mit gleichem Auge ruht Er in einem großen Moment auf dem Werk seiner Hän¬ de, und empfängt mit Wohlgefallen das Opfer der ganzen lebendigen und leblosen Natur. Das Brüllen des Löwen ist Ihm so angenehm wie das Schreyen des Rennthiers; und die Aloe duftet Ihm eben so lieblich als Rose und Hyacinthe. Auch der Mensch ist in tausendfacher Ge¬ stalt aus Seiner schaffenden Hand gegan¬ gen: — die Brüder eines Hauses kennen sich nicht, und verstehen sich nicht; sie reden verschiedene Sprachen, und staunen über ein¬ ander: — aber Er kennt sie alle, und freuet sich aller; mit gleichem Auge ruht Er auf seiner Hände Werk, und empfängt das Opfer der ganzen Natur. Auf mancherley Weise hört Er die Stim¬ men der Menschen von den himmlischen Dingen durcheinander reden, und weiß daß alle, — alle, wär' es auch wider ihr Wissen und Willen, — dennoch Ihn , den Unnenn¬ baren, meynen. So hört Er auch die innere Empfindung der Menschen in verschiedenen Zonen und in verschiedenen Zeitaltern verschiedene Spra¬ chen reden, und hört, wie sie mit einander streiten und sich nicht verstehen: aber dem ewigen Geiste löst sich alles in Harmonie auf; er weiß, daß ein jeder die Sprache re¬ det, die Er ihm angeschaffen hat, daß ein jeder sein Inneres äußert wie er kann und soll; — wenn sie in ihrer Blindheit unter einander streiten, so weiß und erkennet Er, daß für sich ein jeglicher Recht hat; er sieht G 2 mit Wohlgefallen auf jeden und auf alle, und freut sich des bunten Gemisches. Kunst ist die Blume menschlicher Em¬ pfindung zu nennen. In ewig wechselnder Gestalt erhebt sie sich unter den mannigfal¬ tigen Zonen der Erde zum Himmel empor, und dem allgemeinen Vater, der den Erd¬ ball mit allem was daran ist, in seiner Hand hält, duftet auch von dieser Saat nur ein vereinigter Wohlgeruch. Er erblickt in jeglichem Werke der Kunst, unter allen Zonen der Erde, die Spur von dem himmlischen Funken, der, von Ihm aus¬ gegangen, durch die Brust des Menschen hindurch, in dessen kleine Schöpfungen über¬ ging, aus denen er dem großen Schöpfer wieder entgegenglimmt. Ihm ist der go¬ thische Tempel so wohlgefällig als der Tem¬ pel des Griechen; und die rohe Kriegsmusik der Wilden ist Ihm ein so lieblicher Klang, als kunstreiche Chöre und Kirchengesänge. Und wenn ich nun von Ihm, dem Un¬ endlichen, durch die unermeßlichen Räume des Himmels, wieder zur Erde gelange, und mich unter meinen Mitbrüdern umsehe, — ach! so muß ich laute Klagen erheben, daß sie ihrem ewigen großen Vorbilde im Him¬ mel so wenig ähnlich zu werden sich bestre¬ ben. Sie zanken mit einander, und verste¬ hen sich nicht, und sehen nicht, daß sie alle nach demselben Ziele eilen, weil jeder mit festem Fuße auf seinem Standort stehen bleibt, und seine Augen nicht über das Ganze zu erheben weiß. Blöden Menschen ist es nicht begreiflich, daß es auf unserer Erdkugel Antipoden gebe, und daß sie selber Antipoden sind. Sie den¬ ken sich den Ort, wo sie stehen, immer als den Schwerpunkt des Ganzen, — und ih¬ rem Geiste mangeln die Schwingen, das ganze Erdenrund zu umfliegen, und das in sich selbst gegründete Ganze mit einem Blicke zu umspielen. Und eben so betrachten sie ihr Gefühl als das Centrum alles Schönen in der Kunst, und sprechen, wie vom Richterstuhle, über Al¬ les das entscheidende Urtheil ab, ohne zu bedenken, daß sie niemand zu Richtern ge¬ setzt hat, und daß diejenigen, die von ihnen verurtheilt sind, sich eben sowohl dazu auf¬ werfen könnten. Warum verdammt ihr den Indianer nicht, daß er indianisch, und nicht unsre Sprache redet? — Und doch wollt ihr das Mittelalter ver¬ dammen, daß es nicht solche Tempel baute, wie Griechenland? — O so ahndet euch doch in die fremden Seelen hinein, und merket, daß ihr mit eu¬ ren verkannten Brüdern die Geistesgaben aus derselben Hand empfangen habt! Be¬ greifet doch, daß jedes Wesen nur aus den Kräften, die es vom Himmel erhalten hat, Bildungen aus sich herausschaffen kann, und daß einem jeden seine Schöpfungen gemäß seyn müssen. Und wenn ihr euch nicht in alle fremde Wesen hineinzu fühlen , und durch ihr Gemüth hindurch ihre Werke zu empfinden vermöget; so versuchet wenig¬ stens, durch die Schlußketten des Verstan¬ des mittelbar an diese Überzeugung heranzu¬ reichen. — Hätte die aussäende Hand des Himmels den Keim deiner Seele auf die afrikanischen Sandwüsten fallen lassen, so würdest du al¬ ler Welt das glänzende Schwarz der Haut, das dicke, stumpfe Gesicht, und die kurzen, krausen Haare, als wesentliche Theile der höchsten Schönheit angepredigt, und den er¬ sten weißen Menschen verlacht oder gehaßt haben. Wäre deine Seele einige hundert Meilen weiter nach Osten, auf dem Boden von Indien aufgegangen, so würdest du in den kleinen, seltsamgestalteten, vielarmigen Götzen den geheimen Geist fühlen, der, un¬ sern Sinnen verborgen, darinnen weht, und würdest, wenn du die Bildsäule der medi¬ cäischen Venus erblicktest, nicht wissen was du davon halten solltest. Und hätte es Dem¬ jenigen, in dessen Macht du standest und stehst, gefallen, dich unter die Schaaren süd¬ licher Insulaner zu werfen, so würdest du in jedem wilden Trommelschlag, und den rohen, gellenden Schlägen der Melodie, einen tie¬ fen Sinn finden, von dem du jetzt keine Sylbe fassest. Würdest du aber in irgend einem dieser Fälle, die Gabe der Schöpfung oder die Gabe des Genusses der Kunst, aus einer andern Quelle, als aus der ewigen und allgemeinen, der du auch jetzt alle deine Schätze verdankest, empfangen haben? — Das Einmaleins der Vernunft folgt un¬ ter allen Nationen der Erde denselben Ge¬ setzen, und wird nur hier auf ein unendlich größeres, dort auf ein sehr geringes Feld von Gegenständen angewandt. — Auf ähn¬ liche Weise ist das Kunstgefühl nur ein und derselbe himmlische Lichtstrahl, welcher aber, durch das mannigfach-geschliffene Glas der Sinnlichkeit unter verschieden Zonen sich in tausenderley verschiedene Farben bricht. Schönheit : ein wunderseltsames Wort! Erfindet erst neue Worte für jedes einzelne Kunstgefühl, für jedes einzelne Werk der Kunst! In jedem spielt eine andere Farbe, und für ein jedes sind andere Nerven in dem Gebäude des Menschen geschaffen. Aber ihr spinnt aus diesem Worte, durch Künste des Verstandes, ein strenges Sy ¬ stem , und wollt alle Menschen zwingen, nach euren Vorschriften und Regeln zu füh¬ len, — und fühlet selber nicht. Wer ein System glaubt , hat die allgemeine Liebe aus seinem Herzen ver¬ drängt! Erträglicher noch ist Intoleranz des Gefühls, als Intoleranz des Verstandes; — Aberglaube besser als Systemglaube . — Könnt ihr den Melancholischen zwingen, daß er scherzhafte Lieder und muntern Tanz angenehm finde? Oder den Sanguinischen, daß er sein Herz den tragischen Schrecknis¬ sen mit Freude darbiete? O lasset doch jedes sterbliche Wesen und jedes Volk unter der Sonne bey seinem Glauben und seiner Glückseligkeit! und freuet euch, wenn andere sich freuen, — wenn ihr euch auch über das, was ihnen das liebste und wertheste ist, nicht mit zu freuen versteht. Uns, Söhnen dieses Jahrhunderts, ist der Vorzug zu Theil geworden, daß wir anf dem Gipfel eines hohen Berges stehen, und daß viele Länder und viele Zeiten unsern Augen offenbar, um uns herum und zu un¬ sern Füßen ausgebreitet liegen. So lasset uns denn dieses Glück benutzen, und mit hei¬ tern Blicken über alle Zeiten und Völker umherschweifen, und uns bestreben, an al¬ len ihren mannigfaltigen Empfindungen und Werken der Empfindung immer das Mensch¬ liche herauszufühlen. — — Jegliches Wesen strebt nach dem Schön¬ sten: aber es kann nicht aus sich heraus¬ gehen, und sieht das Schönste nur in sich. So wie in jedes sterbliche Auge ein anderes Bild des Regenbogens kommt, so wirft sich jedem, aus der umgebenden Welt, ein an¬ deres Abbild der Schönheit zurück. Die all¬ gemeine, ursprüngliche Schönheit aber, die wir nur in Momenten der verklärten An¬ schauung nennen , nicht in Worte auflösen können, zeigt sich Dem, der den Regenbo¬ gen, und das Auge, das ihn siehet, gemacht hat. Ich habe meine Rede angefangen von Ihm, und ich kehre wieder zu Ihm zurück: — wie der Geist der Kunst, — wie aller Geist von Ihm ausgeht, und durch die Atmos¬ phäre der Erde, Ihm zum Opfer wieder entgegendringt. — Ehrengedächtniß unsers ehrwürdigen Ahnherrn Albrecht Dürers . Von einem kunstliebenden Klosterbruder . N ürnberg! du vormals weltberühmte Stadt! Wie gerne durchwanderte ich deine krummen Gassen; mit welcher kindlichen Liebe betrachtete ich deine altväterischen Häuser und Kirchen, denen die feste Spur von unsrer alten va¬ terländischen Kunst eingedrückt ist! Wie in¬ nig lieb' ich die Bildungen jener Zeit, die eine so derbe, kräftige und wahre Sprache führen! Wie ziehen sie mich zurück in jenes graue Jahrhundert, da du, Nürnberg, die lebendigwimmelnde Schule der vaterländi¬ schen Kunst warst, und ein recht fruchtbarer, überfließender Kunstgeist in deinen Mauern lebte und webte: — da Meister Hans Sachs und Adam Kraft, der Bildhauer, und vor allen, Albrecht Dürer mit seinem Freunde, Wilibaldus Pirkheimer, und so viel andre hochgelobte Ehrenmänner noch lebten! Wie oft hab' ich mich in jene Zeit zurückge¬ wünscht! Wie oft ist sie in meinen Gedan¬ ken wieder von neuem vor mir hervorgegan¬ gen, wenn ich in deinen ehrwürdigen Bücher¬ sälen, Nürnberg, in einem engen Winkel, beym Dämmerlicht der kleinen, rundscheibi¬ gen Fenster saß, und über den Folianten des wackern Hans Sachs, oder über ande¬ rem alten, gelben, wurmgefressenen Papier brütete; — oder wenn ich unter den kühnen Gewölben deiner düstern Kirchen wandelte, wo der Tag durch buntbemahlte Fenster all das Bildwerk und die Mahlereyen der alten Zeit wunderbar beleuchtet! — — Ihr wundert euch wieder, und sehet mich an, ihr Engherzigen und Kleingläubigen! O ich kenne sie ja, die Myrthenwälder Ita¬ liens, — ich kenne sie ja, die himmlische Gluth in den begeisterten Männern des be¬ glückten Südens: — was ruft ihr mich hin, wo immer Gedanken meiner Seele wohnen, wo die Heimath der schönsten Stunden mei¬ nes Lebens ist! — ihr, die ihr überall Grän¬ zen sehet, wo keine sind! Liegt Rom und Deutschland nicht auf einer Erde? Hat der himmlische Vater nicht Wege von Norden nach Süden, wie von Westen nach Osten über den Erdkreis geführt? Ist ein Men¬ schenleben zu kurz? Sind die Alpen unüber¬ steiglich? — Nun so muß auch mehr als eine Liebe in der Brust des Menschen woh¬ nen können. — — Aber jetzt wandelt mein traurender Geist auf der geweiheten Stätte vor deinen Mauern, Nürnberg; auf dem Gottesacker, wo die Gebeine Albrecht Dürers ruhen, der einst die Zierde von Deutschland, ja von Europa war. Sie ruhen, von wenigen be¬ sucht, unter zahllosen Grabsteinen, deren je¬ der mit einem ehernen Bildwerk, als dem Gepräge der alten Kunst, bezeichnet ist, und zwischen denen sich hohe Sonnenblumen in Menge erheben, welche den Gottesacker zu einem lieblichen Garten machen. So ruhen die vergessenen Gebeine unsers alten Albrecht Dürers, um dessentwillen es mir lieb ist, daß ich ein Deutscher bin. Wenigen muß es gegeben seyn, die Seele in deinen Bildern so zu verstehen, und das Eigne und Besondere darin mit solcher In¬ nigkeit zu genießen, als der Himmel es mir vor vielen andern vergönnt zu haben schei¬ net; denn ich sehe mich um, und finde we¬ nige, die mit so herzlicher Liebe, mit solcher Verehrung vor dir verweilten, als ich. Ist Ist es nicht, als wenn die Figuren in diesen deinen Bildern wirkliche Menschen wären, welche zusammen redeten? Ein jeg¬ licher ist so eigenthümlich gestempelt, daß man ihn aus einem großen Haufen heraus¬ kennen würde; ein jeglicher so aus der Mitte der Natur genommen, daß er ganz und gar seinen Zweck erfüllt. Keiner ist mit halber Seele da, wie man es öfters bey sehr zierlichen Bildern neuerer Meister sagen möch¬ te; jeder ist im vollen Leben ergriffen, und so auf die Tafel hingestellt. Wer klagen soll, klagt; wer zürnen soll, zürnt; und wer be¬ ten soll, betet. Alle Figuren reden, und re¬ den laut und vernehmlich. Kein Arm bewegt sich unnütz, oder bloß zum Augenspiel und zur Füllung des Raums; alle Glieder, alles spricht uns gleichsam mit Macht an, daß wir den Sinn und die Seele des Ganzen recht fest im Gemüthe fassen. Wir glauben H alles, was der kunstreiche Mann uns dar¬ stellt; und es verwischt sich nie aus unserm Gedächtniß. Wie ist's, daß mir die heutigen Künstler unsers Vaterlands so anders erscheinen, als jene preiswürdigen Männer der alten Zeit, und du vornehmlich, mein geliebter Dürer? Wie ist's, daß es mir vorkommt, als wenn ihr alle die Mahlerkunst weit ernsthafter, wichtiger und würdiger gehandhabt hättet, als diese zierlichen Künstler unsrer Tage? Mich dünkt, ich sehe euch, wie ihr nachden¬ kend vor eurem angefangenen Bilde stehet, — wie die Vorstellung, die ihr sichtbar machen wollt, ganz lebendig eurer Seele vorschwebt, — wie ihr bedächtlich überlegt, welche Mienen und welche Stellungen den Zuschauer wohl am stärksten und sichersten ergreifen, und seine Seele beym Ansehen am mächtigsten bewegen möchten, — und wie ihr dann, mit inniger Theilnahme und freundlichem Ernst, die eurer lebendigen Einbildung befreunde¬ ten Wesen, auf die Tafel treu und langsam auftraget. — Aber die Neueren scheinen gar nicht zu wollen, daß man ernsthaft an dem, was sie uns vorstellen, Theil nehmen solle; sie arbeiten für vornehme Herren, welche von der Kunst nicht gerührt und veredelt, sondern aufs höchste geblendet und gekitzelt seyn wollen; sie bestreben sich, ihr Gemählde zu einem Probestück von recht vielen lieb¬ lichen und täuschenden Farben zu machen; sie prüfen ihren Witz in Ausstreuung des Lichtes und Schattens; — aber die Men¬ schenfiguren scheinen öfters bloß um der Far¬ ben und um des Lichtes willen, wahrlich ich möchte sagen, als ein nothwendiges Übel im Bilde zu stehen. Wehe muß ich rufen über unser Zeital¬ ter, daß es die Kunst so bloß als ein leicht¬ H 2 sinniges Spielwerk der Sinne übt, da sie doch wahrlich etwas sehr Ernsthaftes und Er¬ habenes ist. Achtet man den Menschen nicht mehr, daß man ihn in der Kunst vernach¬ läßigt, und artige Farben und allerhand Künstlichkeit mit Lichtern, der Betrachtung würdiger findet? — In den Schriften des von unserm Albrecht sehr hochgeschätzten und vertheidigten Mar¬ tin Luthers , worin ich, wie ich nicht un¬ gern gestehe, einiges aus Wißbegier wohl gelesen habe, und in welchen viel Gutes verborgen seyn mag, habe ich über die Wich¬ tigkeit der Kunst eine merkwürdige Stelle gefunden, die mir jetzt lebhaft ins Gemüth kommt. Denn es behauptet dieser Mann irgendwo ganz dreist und ausdrücklich: daß nächst der Theologie, unter allen Wissen¬ schaften und Künsten des menschlichen Gei¬ stes, die Musik den ersten Platz einnehme. Und ich muß offenherzig bekennen, daß die¬ ser kühne Ausspruch meine Blicke sehr auf den ausgezeichneten Mann hingerichtet hat. Denn die Seele, aus welcher ein solcher Ausspruch kommen konnte, mußte für die Kunst grade diejenige tiefe Verehrung em¬ pfinden, welche, ich weiß nicht woher, in so wenigen Gemüthern wohnt, und welche, nach meinem Bedünken, doch so sehr natür¬ lich und so bedeutend ist. Wenn nun die Kunst, (ich meyne, ihr Haupt- und wesentlicher Theil,) wirklich von solcher Wichtigkeit ist; so ist es sehr unwür¬ dig und leichtsinnig, sich von den sprechen¬ den und lehrreichen Menschenfiguren unsers alten Albrecht Dürers hinwegzuwenden, weil sie nicht mit der gleißenden äußeren Schön¬ heit, welche die heutige Welt für das Ein¬ zige und Höchste in der Kunst hält, ausge¬ stattet sind. Es verräth nicht ein ganz ge¬ sundes und reines Gemüth, wenn sich je¬ mand vor einer geistlichen Betrachtung, welche an sich triftig und eindringend ist, die Oh¬ ren zuhält, weil der Redner seine Worte nicht in zierlicher Ordnung stellet, oder weil er eine üble, fremde Aussprache, oder ein schlechtes Spiel mit Händen an sich hat. Hindern mich aber dergleichen Gedanken, diese äußere, und so zu sagen, bloß kör¬ perliche Schönheit der Kunst, wo ich sie finde, nach Verdienst zu schätzen und zu be¬ wundern? Auch wird dir das, mein geliebter Albrecht Dürer, als ein grober Verstoß angerechnet, daß du deine Menschenfiguren nur so be¬ quem neben einander hinstellst, ohne sie künst¬ lich durch einander zu verschränken, daß sie ein methodisches Gruppo bilden. Ich liebe dich in dieser deiner unbefangenen Einfalt, und hefte mein Auge unwillkührlich zuerst auf die Seele und tiefe Bedeutung dei¬ ner Menschen, ohne daß mir dergleichen Ta¬ delsucht nur in den Sinn kommt. Viele Per¬ sonen aber scheinen von derselben, wie von einem bösen, quälenden Geiste, so geplagt, daß sie dadurch zu verachten und zu verhöh¬ nen angereizt werden, ehe sie ruhig betrach¬ ten können, — und am allerwenigsten über die Schranken der Gegenwart sich in die Vorzeit hinüberzusetzen vermögen. Gern will ich euch zugeben, ihr eifrigen Neulinge, daß ein junger Schüler jetzt klüger uad gelehrter von Farben, Licht und Zusammenfügung der Figuren reden mag, als der alte Dürer es verstand; spricht aber sein eigener Geist aus dem Knaben, oder nicht vielmehr die Kunst¬ weisheit und Erfahrung der vergangenen Zei¬ ten? Die eigentliche, innere Seele der Kunst fassen nur einzelne auserwählte Geister auf einmal , mag auch schon die Führung des Pinsels noch sehr mangelhaft seyn; alle die Außenwerke der Kunst hingegen werden nach und nach, durch Erfindung, Übung und Nachdenken zur Vollkommenheit gebracht. Es ist aber eine schnöde und betrauernswer¬ the Eitelkeit, die das Verdienst der Zeiten ihrem eigenen schwachen Haupte zur Krone aufsetzt, und ihre Nichtigkeit unter erborg¬ tem Glanze verstecken will. Hinweg, ihr weisen Knaben, von dem alten Künstler von Nürnberg! — und daß keiner verspottend ihn zu richten sich vermesse, der noch kin¬ disch darüber naserümpfen kann, daß er nicht Tizian und Correggio zu Lehrmeistern hatte, oder, daß man zu seiner Zeit so selt¬ sam altfränkische Kleidung trug! Denn auch um deßwillen wollen die heu¬ tigen Lehrer ihn, so wie manchen andern guten Mahler seines Jahrhunderts, nicht schön und edel nennen, weil sie die Ge¬ schichte aller Völker, und wohl selbst die geistlichen Historien unserer Religion in die Tracht ihrer Zeiten kleiden. Allein ich denke dabey, wie doch ein jeder Künstler, der die Wesen vergangener Jahrhunderte durch seine Brust gehen läßt, sie mit dem Geist und Athem seines Alters beleben muß; und wie es doch billig und natürlich ist, daß die Schöpfungskraft des Menschen alles Fremde und Entfernte, und also auch selbst die himm¬ lischen Wesen, sich liebend nahe bringt, und in die wohlbekannten und geliebten Formen seiner Welt und seines Gesichtskreises hüllt. Als Albrecht den Pinsel führte, da war der Deutsche auf dem Völkerschauplatz un¬ sers Welrtheils noch ein eigenthümlicher und ausgezeichneter Charakter von festem Be¬ stand; und seinen Bildern ist nicht nur in Gesichtsbildung und im ganzen Äußeren, sondern auch im inneren Geiste, dieses ernst¬ hafte, grade und kräftige Wesen des deut¬ schen Charakters treu und deutlich einge¬ prägt. In unsern Zeiten ist dieser festbe¬ stimmte deutsche Charakter, und eben so die deutsche Kunst, verloren gegangen. Der junge Deutsche lernt die Sprachen aller Völ¬ ker Europa's, und soll prüfend und richtend aus dem Geiste aller Nationen Nahrung ziehen; — und der Schüler der Kunst wird belehrt, wie er den Ausdruck Raphaels, und die Farben der venezianischen Schule, und die Wahrheit der Niederländer, und das Zauberlicht des Correggio, alles zusammen nachahmen, und auf diesem Wege zur al¬ les übertreffenden Vollkommenheit gelangen solle. — O traurige Afterweisheit! O blin¬ der Glaube des Zeitalters, daß man jede Art der Schönheit, und jedes Vorzügliche aller großen Künstler der Erde, zusammen¬ setzen, und durch das Betrachten aller, und das Erbetteln von ihren mannigfachen großen Gaben, ihrer aller Geist in sich vereinigen, und sie alle besiegen könne! — Die Periode der eigenen Kraft ist vorüber; man will durch ärmliches Nachahmen und klügelndes Zusam¬ mensetzen das versagende Talent erzwingen, und kalte, geleckte, charakterlose Werke sind die Frucht. — Die deutsche Kunst war ein frommer Jüngling in den Ringmauern einer kleinen Stadt unter Blutsfreunden häuslich erzogen; — nun sie älter ist, ist sie zum all¬ gemeinen Weltmanne geworden, der mit den kleinstädtischen Sitten zugleich sein Gefühl und sein eigenthümliches Gepräge von der Seele weggewischt hat. Ich möchte um Alles nicht, daß der zau¬ berhafte Correggio, oder der prächtige Paolo Veronese, oder der gewaltige Buonarotti, eben so gemahlt hätten als Raphael . Und eben auch stimme ich keinesweges in die Re¬ densarten derer mit ein, welche sprechen: »Hätte Albrecht Dürer nur in Rom eine »zeitlang gehauset, und die ächte Schönheit »und das Idealische vom Raphael abgelernt, »so wäre er ein großer Mahler geworden; »man muß ihn bedauern, und sich nur wun¬ »dern, wie er es in seiner Lage noch so weit »gebracht hat.« Ich finde hier nichts zu bedauern, sondern freue mich, daß das Schick¬ sal dem deutschen Boden an diesem Manne einen ächt-vaterländischen Mahler gegönnt hat. Er würde nicht er selber geblieben seyn; sein Blut war kein italienisches Blut. Er war für das Idealische und die erhabene Ho¬ heit eines Raphaels nicht gebohren; er hatte daran seine Lust, uns die Menschen zu zei¬ gen, wie sie um ihn herum wirklich waren, und es ist ihm gar trefflich gelungen. Dennoch aber fiel es mir, als ich in mei¬ nen jüngern Jahren die ersten Gemählde vom Raphael sowohl, als von dir, mein geliebter Dürer, in einer herrlichen Bilder¬ gallerie sah, wunderbar in den Sinn, wie unter allen andern Mahlern, die ich kannte, diese beyden eine ganz besonders nahe Ver¬ wandschaft zu meinem Herzen hätten. Bey beyden gefiel es mir so sehr, daß sie so ein¬ fach und grade, ohne die zierlichen Um¬ schweife anderer Mahler, uns die Mensch¬ heit in voller Seele, so klar und deutlich vor Augen stellen. Allein ich getraute mich damals nicht, meine Meynung jemanden zu entdecken, weil ich glaubte, daß jeder mich verlachen würde, und wohl wußte, daß die Mehresten in dem alten deutschen Mahler nichts als etwas sehr Steifes und Trockenes erkennen. Ich war indeß an dem Tage, da ich jene Bildergallerie gesehen hatte, so voll von diesem neuen Gedanken, daß ich damit einschlief, und mir in der Nacht ein ent¬ zückendes Traumgesicht vorkam, welches mich noch fester in meinem Glauben bestärkte Es dünkte mich nämlich, als wenn ich, nach Mitternacht, von dem Gemach des Schlos¬ ses, worin ich schlief, durch die dunklen Säle des Gebäudes, ganz allein mit einer Fackel nach der Bildergallerie zuginge. Als ich an die Thür kam, hörte ich drinnen ein leises Gemurmel; — ich öffnete sie, — und pöltz¬ lich fuhr ich zurück, denn der ganze große Saal war von einem seltsamen Lichte er¬ leuchtet, und vor mehreren Gemählden stan¬ den ihre ehrwürdigen Meister in leibhafter Gestalt da, und in ihrer alten Tracht, wie ich sie in Bildnissen gesehen hatte. Einer von ihnen, den ich nicht kannte, sagte mir, daß sie manche Nacht vom Himmel herun¬ terstiegen, und hier und dort auf Erden in Bildersälen bey der nächtlichen Stille um¬ herwankten, und die noch immer geliebten Werke ihrer Hand betrachteten. Viele ita¬ lienische Mahler erkannt' ich; von Nieder¬ ländern sah ich sehr wenige. Ehrfurchtsvoll ging ich zwischen ihnen durch; — und siehe! da standen, abgesondert von allen, Raphael und Albrecht Dürer Hand in Hand leib¬ haftig vor meinen Augen, und sahen in freundlicher Ruhe schweigend ihre beysam¬ menhängenden Gemählde an. Den gött¬ lichen Raphael anzureden hatte ich nicht den Muth; eine heimliche ehrerbietige Furcht ver¬ schloß mir die Lippen. Aber meinen Albrecht wollte ich so eben begrüßen, und meine Liebe vor ihm ausschütten; — allein in dem Au¬ genblick verwirrte sich mit einem Getöse Al¬ les vor meinen Augen, und ich erwachte mit heftiger Bewegung. Dieses Traumgesicht hatte meinem Ge¬ müth innige Freude gemacht, und diese ward noch vollkommener, als ich bald nachher in dem alten Vasari las, wie die beyden herr¬ lichen Künstler auch bey ihren Lebzeiten wirk¬ lich, ohne sich zu kennen, durch ihre Werke, Freunde gewesen, und wie die redlichen und treuen Arbeiten des alten Deutschen vom Raphael mit Wohlgefallen angesehen wären, und er sie seiner Liebe nicht unwerth geach¬ tet hätte. Das aber kann ich freylich nicht ver¬ schweigen, daß mir nachher bey den Wer¬ ken der beyden Mahler immer so wie in je¬ nem Traum zu Muthe war, daß ich näm¬ lich bey denen des Albrecht Dürer wohl manchmal mich daran versuchte, ihr ächtes Verdienst jemanden zu erklären, und über ihre Vortrefflichkeiten mich in Worte auszu¬ breiten wagte; bey den Werken Raphaels aber, immer von der himmlischen Schönheit so überfüllt und bedrängt ward, daß ich nicht nicht wohl darüber reden, noch jemanden deutlich auseinandersetzen konnte, woraus mir überall das Göttliche hervorleuchte. Aber ich will jetzt meine Blicke von dir nicht abwenden, mein Albrecht. Vergleichung ist ein gefährlicher Feind des Genusses; auch die höchste Schönheit der Kunst übt nur dann, wie sie soll, ihre volle Gewalt an uns aus, wenn unser Auge nicht zugleich seitwärts auf andere Schönheit blickt. Der Himmel hat seine Gaben unter die großen Künstler der Erde so vertheilet, daß wir durchaus genöthiget werden, vor einem jeg¬ lichen stille zu stehen, und jeglichem seinen Antheil unsrer Verehrung zu opfern. Nicht bloß unter italienischem Himmel, unter majestätischen Kuppeln und korinthi¬ schen Säulen; — auch unter Spitzgewölben, kraus-verzierten Gebäuden und gothischen Thürmen, wächst wahre Kunst hervor. I Friede sey mit deinen Gebeinen, mein Albrecht Dürer! und möchtest du wissen, wie ich dich lieb habe, und hören, wie ich unter der heutigen, dir fremden Welt, der Herold deines Namens bin. — Gesegnet sey mir deine goldene Zeit, Nürnberg! die einzige Zeit, da Deutschland eine eigene vaterländi¬ sche Kunst zu haben sich rühmen konnte. — Aber die schönen Zeitalter ziehen über die Erde hinweg, und verschwinden, wie glän¬ zende Wolken über das Gewölbe des Him¬ mels wegziehn. Sie sind vorüber, und ihrer wird nicht gedacht; nur wenige rufen sie aus innerer Liebe in ihr Gemüth zurück, aus bestäubten Büchern, und bleibenden Werken der Kunst. Von zwey wunderbaren Sprachen , und deren geheimnißvoller Kraft . D ie Sprache der Worte ist eine große Ga¬ be des Himmels, und es war eine ewige Wohlthat des Schöpfers, daß er die Zunge des ersten Menschen löste, damit er alle Dinge, die der Höchste um ihn her in die Welt gesetzt, und alle geistigen Bilder, die er in seine Seele gelegt hatte, nennen, und seinen Geist in dem mannigfaltigen Spiele mit diesem Reichthum von Namen üben konnte. Durch Worte herrschen wir über den ganzen Erdkreis; durch Worte erhan¬ deln wir uns mit leichter Mühe alle Schätze der Erde. Nur das Unsichtbare , das I 2 über uns schwebt , ziehen Worte nicht in unser Gemüth herab. Die irdischen Dinge haben wir in unsrer Hand, wenn wir ihre Namen aussprechen; — aber wenn wir die Allgüte Gottes, oder die Tugend der Heiligen nennen hören, wel¬ ches doch Gegenstände sind, die unser ganzes Wesen ergreifen sollten, so wird allein unser Ohr mit leeren Schallen gefüllt, und unser Geist nicht, wie es sollte, erhoben. Ich kenne aber zwey wunderbare Sprachen , durch welche der Schöpfer den Menschen vergönnt hat, die himmlischen Dinge in ganzer Macht, so viel es nämlich, (um nicht verwegen zu sprechen,) sterblichen Geschöpfen möglich ist, zu fassen und zu begreifen. Sie kommen durch ganz andere Wege zu unserm Inneren, als durch die Hülfe der Worte; sie bewegen auf ein¬ mal , auf eine wunderbare Weise, unser ganzes Wesen, und drängen sich in jede Nerve und jeden Blutstropfen, der uns an¬ gehört. Die eine dieser wundervollen Spra¬ chen redet nur Gott ; die andere reden nur wenige Auserwählte unter den Menschen, die er zu seinen Lieblingen gesalbt hat. Ich meyne: die Natur und die Kunst . — Seit meiner frühen Jugend her, da ich den Gott der Menschen zuerst aus den ur¬ alten heiligen Büchern unserer Religion ken¬ nen lernte, war mir die Natur immer das gründlichste und deutlichste Erklärungsbuch über sein Wesen und seine Eigenschaften. Das Säuseln in den Wipfeln des Waldes, und das Rollen des Donners, haben mir geheimnißvolle Dinge von ihm erzählet, die ich in Worten nicht aufsetzen kann. Ein schö¬ nes Thal, von abentheuerlichen Felsengestal¬ ten umschlossen, oder ein glatter Fluß, wor¬ in gebeugte Bäume sich spiegeln, oder eine heitere grüne Wiese von dem blauen Him¬ mel beschienen, — ach diese Dinge haben in meinem inneren Gemüthe mehr wunderbare Regungen zuwege gebracht, haben meinen Geist von der Allmacht und Allgüte Gottes inniger erfüllt, und meine ganze Seele weit mehr gereinigt und erhoben, als es je die Sprache der Worte vermag. Sie ist, dünkt mich, ein allzu irdisches und grobes Werk¬ zeug, um das Unkörperliche, wie das Kör¬ perliche, damit zu handhaben. Ich finde hier einen großen Anlaß, die Macht und Güte des Schöpfers zu preisen. Er hat um uns Menschen eine unendliche Menge von Dingen umhergestellt, wovon jedes ein anderes Wesen hat, und wovon wir keines verstehen und begreifen. Wir wissen nicht, was ein Baum ist; nicht, was eine Wiese, nicht, was ein Felsen ist; wir können nicht in unserer Sprache mit ihnen reden; wir verstehen nur uns untereinander. Und dennoch hat der Schöpfer in das Men¬ schenherz eine solche wunderbare Sympathie zu diesen Dingen gelegt, daß sie demselben, auf unbekannten Wegen, Gefühle, oder Ge¬ sinnungen, oder wie man es nennen mag, zuführen, welche wir nie durch die abgemes¬ sensten Worte erlangen. Die Weltweisen sind, aus einem an sich löblichen Eifer für die Wahrheit, irre ge¬ gangen; sie haben die Geheimnisse des Him¬ mels aufdecken, und unter die irdischen Din¬ ge, in irdische Beleuchtung stellen wollen, und die dunkeln Gefühle von denselben, mit kühner Verfechtung ihres Rechtes, aus ihrer Brust verstoßen. — Vermag der schwache Mensch die Geheimnisse des Himmels aufzu¬ hellen? Glaubt er verwegen ans Licht zie¬ hen zu können, was Gott mit seiner Hand bedeckt? Darf er wohl die dunkeln Ge¬ fühle , welche wie verhüllte Engel zu uns herniedersteigen, hochmüthig von sich wei¬ sen? — Ich ehre sie in tiefer Demuth; denn es ist große Gnade von Gott, daß er uns diese ächten Zeugen der Wahrheit herabsen¬ det. Ich falte die Hände, und bete an. — Die Kunst ist eine Sprache ganz ande¬ rer Art, als die Natur; aber auch ihr ist, durch ähnliche dunkle und geheime Wege, eine wunderbare Kraft auf das Herz des Menschen eigen. Sie redet durch Bilder der Menschen, und bedienet sich also einer Hie¬ roglyphenschrift, deren Zeichen wir dem Äußern nach, kennen und verstehen. Aber sie schmelzt das Geistige und Unsinnliche, auf eine so rührende und bewundernswürdige Weise, in die sichtbaren Gestalten hinein, daß wie¬ derum unser ganzes Wesen, und alles, was an uns ist, von Grund auf bewegt und er¬ schüttert wird. Manche Gemählde aus der Leidensgeschichte Christi, oder von unsrer heiligen Jungfrau, oder aus der Geschichte der Heiligen, haben, ich darf es wohl sa¬ gen, mein Gemüth mehr gesäubert, und meinem inneren Sinne tugendseligere Gesin¬ nungen eingeflößet, als Systeme der Moral und geistliche Betrachtungen. Ich denke un¬ ter andern noch mit Inbrunst an ein über alles herrlich gemahltes Bild unsers heiligen Sebastian, wie er nackt an einen Baum ge¬ bunden steht, ein Engel ihm die Pfeile aus der Brust zieht, und ein anderer Engel vom Himmel einen Blumenkranz für sein Haupt bringt. Diesem Gemählde verdanke ich sehr eindringliche und haftende christliche Gesin¬ nungen, und ich kann mir jetzt kaum das¬ selbe lebhaft vorstellen, ohne daß mir die Thränen in die Augen kommen. Die Lehren der Weisen setzen nur unser Gehirn, nur die eine Hälfte unseres Selbst, in Bewegung; aber die zwey wunderbaren Sprachen, deren Kraft ich hier verkündige, rühren unsre Sinne sowohl als unsern Geist; oder vielmehr scheinen dabey, (wie ich es nicht anders ausdrücken kann,) alle Theile unsers (uns unbegreiflichen) Wesens zu ei¬ nem einzigen, neuen Organ zusammenzu¬ schmelzen, welches die himmlischen Wunder, auf diesem zwiefachen Wege, faßt und be¬ greift. Die eine der Sprachen, welche der Höchste selber von Ewigkeit zu Ewigkeit fortredet, die ewig lebendige, unendliche Natur , zie¬ het uns durch die weiten Räume der Lüfte unmittelbar zu der Gottheit hinauf. Die Kunst aber, die, durch sinnreiche Zusam¬ mensetzungen von gefärbter Erde und etwas Feuchtigkeit, die menschliche Gestalt in ei¬ nem engen, begränzten Raume, nach inne¬ rer Vollendung strebend, nachahmt, (eine Art von Schöpfung, wie sie sterblichen Wesen hervorzubringen vergönnt ward,) — sie schließt uns die Schätze in der menschlichen Brust auf, richtet unsern Blick in unser Inneres, und zeigt uns das Unsichtbare, ich meyne alles was edel, groß und göttlich ist, in menschlicher Gestalt. — Wenn ich aus dem Gottgeweiheten Tem¬ pel unsers Klosters von der Betrachtung Christi am Kreuz, ins Freye hinaustrete, und der Sonnenschein vom blauen Himmel mich warm und lebendig umfängt, und die schöne Landschaft mit Bergen, Gewässer und Bäu¬ men mein Auge rührt; so sehe ich eine ei¬ gene Welt Gottes vor mir hervorgehen, und fühle auf eigene Weise große Dinge in mei¬ nem Inneren sich erheben. — Und wenn ich aus dem Freyen wieder in den Tempel trete, und das Gemählde von Christo am Kreuze mit Ernst und Innigkeit betrachte; so sehe ich wiederum eine andre ganz eigene Welt Gottes vor mir hervorgehen, und fühle auf andre, eigene Weise sich große Dinge in meinem Inneren erheben. — Die Kunst stellet uns die höchste mensch¬ liche Vollendung dar. Die Natur, so viel davon ein sterbliches Auge sieht, gleichet ab¬ gebrochenen Orakelsprüchen aus dem Munde der Gottheit. Ist es aber erlaubt, also von dergleichen Dingen zu reden, so möchte man vielleicht sagen, daß Gott wohl die ganze Natur oder die ganze Welt auf ähnliche Art, wie wir ein Kunstwerk, ansehen möge. Von den Seltsamkeiten des alten Mahlers , Piero di Cosimo , aus der Florentinischen Schule . D ie Natur, die ewig ämsige Arbeiterinn, fertigt, mit immer geschäftigen Händen, Mil¬ lionen Wesen alles Geschlechtes, und wirft sie ins irdische Leben hinein. Mit leichtem, spielendem Scherze mischt sie, ohne hinzu¬ sehn, die Stoffe, wie sie sich nun schicken mögen, auf mannigfache Weise zusammen, und überläßt ein jedes Wesen, das ihrer Hand entfällt, seiner Lust und seiner Qual. Und eben so wie sie manchmal in den Rei¬ chen des Leblosen muthwillig seltsame und monströse Gestalten unter die Menge wirft; so bringt sie auch unter den Menschen alle Jahrhunderte einige Seltenheiten hervor, welche sie zwischen Tausende gewöhnlicher Art versteckt. Aber diese seltsamen Geister vergehen gleich den allergemeinsten: die wißbegierige Nachwelt sammelt aus Schrif¬ ten die einzeln gestammelten Laute zusammen, die sie uns schildern sollen; allein wir gewin¬ nen kein faßliches Bild, und lernen sie nie¬ mals völlig verstehen. Konnten doch auch die, welche sie mit Augen sahen, sie nicht völlig begreifen, ja sie begriffen sich selber kaum. Wir können sie, wie im Grunde Al¬ les in der Welt, nur bloß mit leerer Ver¬ wunderung betrachten. — Diese Gedanken sind bey mir rege ge¬ worden, indem ich in den Historien der al¬ ten Mahler auf den wunderbaren Piero di Cosimo gestoßen bin. Die Natur hatte sein Inneres mit einer immer gährenden Phantasie erfüllt, und seinen Geist mit schwe¬ ren und düstern Gewitterwolken bezogen, so daß sein Gemüth immer in unruhiger Arbeit war, und unter ausschweifenden Bildern umhertrieb, ohne jemals sich in einfacher und heiterer Schönheit zu spiegeln. Alles an ihm war außerordentlich und ungewöhnlich; die alten Schriftsteller wissen nicht kräftige Worte genug zusammenzuhäufen, um uns ei¬ nen Begriff von dem Unmäßigen und Unge¬ heuren in seinem ganzen Wesen zu geben. Und doch finden wir bey ihnen nur wenige einzelne, zum Theil sogar unerheblich schei¬ nende Züge aufgezeichnet, welche uns den Abgrund seiner Seele keinesweges gründlich kennen lehren, noch zu einem vollendeten, harmonischen Bilde zusammenfließen; aus welchen wir aber dennoch das Tieferliegende wohl ohngefähr ahnden können. Piero di Cosimo trug schon in seiner Ju¬ gend einen lebendigen, immer beweglichen Geist, und eine überfüllte Einbildungskraft in sich herum, wodurch er sich früh vor sei¬ nen Mitschülern auszeichnete. Seine Seele erfreute sich nie, still auf einem Gedanken oder einem Bilde zu ruhen; immer zog ein Schwarm von fremden, seltsamen Ideen durch sein Gehirn, und entrückte ihn aus der Gegenwart. Manchmal, wenn er bey der Arbeit saß, und dabey zugleich etwas erzählte oder auseinandersetzte, hatte ihn seine immer für sich allein umhertummelnde Phantasie unvermerkt auf so entlegene Hö¬ hen entführet, daß er auf einmal stockte, der Zusammenhang der gegenwärtigen Dinge sich vor seinen Augen verwirrte, und er als¬ dann seine Rede wieder von vorn anheben mußte. Menschliche Gesellschaft war ihm zuwider; am besten gefiel er sich in einer trüben Einsamkeit, wo er in sich gekehrt seine umherschweifenden Einbildungen ver¬ folgte, folgte, wohin sie ihn führten. Immer war er allein in einem verschlossenen Gemach, und führte eine ganz eigene Lebensart. Er nährte sich mit immer gleicher, einförmiger Speise, die er sich selber, zu jeder Zeit des Tages, da er Lust hatte, bereitete. Er litt nicht, daß sein Zimmer gereinigt ward; auch widersetzte er sich gegen das Beschneiden der Fruchtbäume und Rebstöcke in seinem Gar¬ ten; denn er wollte überall die wilde, ge¬ meine und ungesäuberte Natur sehen, und hatte seine Lust an dem, was andern Sin¬ nen zuwider ist. So hatte er auch einen ge¬ heimen Reiz, bey allen Mißgeburten in der physischen Natur, bey allen monströsen Thie¬ ren und Pflanzen, lange zu verweilen; er sah sie mit unverrückter Aufmerksamkeit an, um ihre Häßlichkeit recht zu genießen; er wiederholte sich ihr Bild nachher immerfort in Gedanken, und konnte es, so widrig es K ihm auch am Ende ward, nicht aus dem Kopf bringen. Von solchen mißgeschaffenen Dingen hatte er nach und nach, mit der schärfsten Ämsigkeit, ein ganzes Buch zusam¬ mengezeichnet. Oft auch heftete er seine Au¬ gen starr auf alte, befleckte, buntfärbige Mauern, oder auf die Wolken am Himmel, und seine Einbildung ergriff aus allen solchen Spielen der Natur mancherley abentheuer¬ liche Ideen zu wilden Schlachten mit Pfer¬ den, oder zu großen Gebirgslandschaften mit fremdartigen Städten. — Große Freude em¬ pfand er an einem recht heftigen Platzregen, der von den Dächern herab prasselnd auf das Pflaster stürzte; — dagegen fürchtete er sich wie ein Kind vor dem Donner, und hüllte sich, wenn ein Gewitter am Himmel tobte, eng in seinen Mantel ein, verschloß die Fenstern, und kroch in einen Winkel des Hauses, bis es vorüber war. Halb verrückt machte ihn das Schreyen kleiner Kinder, das Klockengeläut, und das Singen der Mön¬ che. — In seinen Reden war er bunt und außerordentlich; ja, zuweilen sagte er so vor¬ trefflich-komische Sachen, daß die es hörten, sich vor Lachen nicht halten konnten. In Summa, er war so beschaffen, daß die Leute seiner Zeit ihn für einen höchst verwirrten, und beynahe wahnsinnigen Kopf ausgaben. Sein Geist, der unaufhörlich, wie sieden¬ des Wasser im Kessel, kochte, und Schaum und Blasen auftrieb, hatte ganz vorzügliche Gelegenheit, sich bey den Mummereyen und muthwilligen Aufzügen, welche zur Zeit des Carnavals in Florenz gehalten wurden, in allerhand neuen und fremden Erfindungen zu zeigen, so daß diese Festlichkeit durch ihn erst eigentlich das ward, was sie vorher nie gewesen war. Unter allen den außerordent¬ lichen und vielbewunderten feyerlichen Auf¬ K 2 zügen aber, welche er anordnete, zeichnete sich einer so besonders und eigen aus, daß wir eine kurze Erzähluug davon hersetzen wollen. Die Veranstaltungen dazu waren insgeheim gemacht, und ganz Florenz ward also dadurch auf das Äußerste überrascht und erschüttert. In der bestimmten Nacht nämlich, indem das Volk, der ausgelassensten Freude Preis gegeben, jauchzend in den Straßen der Stadt umherschwärmte, — ward der Haufen auf einmal vor Schrecken auseinander gesprengt, und sah sich mit Bestürzung und Erstaunen um. Es näherte sich durch die dämmernde Nacht, schwer und langsam, ein schwarzer, ungeheurer Wagen, von vier schwarzen Büf¬ feln gezogen, und mit Todtenbeinen und weißen Kreuzen bezeichnet, — und auf dem Wagen stolzierte eine mächtig-große Sieger¬ gestalt des Todes , mit der fürchterlichen Sense bewaffnet, zu deren Füßen lauter Särge aus dem Wagen herumstanden. Aber der langsame Zug hielt an:— und bey dem dumpfen Dröhnen von seltsamen Hörnern, deren banger, schauerlicher Ton Mark und Gebein durchzitterte, — und bey dem zau¬ berhaften Schein entfernter Fackeln, — stie¬ gen, — wobey alles Volk von einem stillen Grauen ergriffen ward, — aus den sich öff¬ nenden Särgen, langsam, weiße Gerippe mit halbem Leibe hervor, setzten sich auf den Sarg, und erfüllten die Luft mit einem fin¬ stern, hohlen Gesange, der, von den Hör¬ nertönen durchmischt, das Blut in den Adern gerinnen machte. Sie sangen darin von den Schrecknissen des Todes, und daß alle, die jetzt lebendig sie anschauten, bald auch solche Knochengestalten seyn würden, wie sie. Rings um den Wagen herum, und hinter dem Wagen, drängte sich ein großer, ver¬ worrener Troß von Todten, mit Larven gleich Todtenschädeln auf dem Haupt, schwarz behangen, mit weißen Gebeinen und weißen Kreuzen bezeichnet, und auf hageren Pfer¬ den sitzend, — und jeglicher hatte ein Ge¬ folge von vier andern schwarzen Reitern, mit Fackeln, und einer ungeheuren schwar¬ zen Fahne mit Todtenschädeln und Gebeinen und weißen Kreuzen bezeichnet; — auch von dem Wagen schleppten zehn große schwarze Fahnen herunter; — und während des lang¬ sam-schleichenden Zuges sang das ganze Todtenheer, mit dumpf-bebender Stimme, einen Psalm Davids ab. — Es ist sehr merkwürdig, daß dieser uner¬ wartete Todtenaufzug, so viel Schrecken er auch anfangs verbreitete, doch von ganz Florenz mit dem größten Wohlgefallen be¬ trachtet ward. Schmerzliche und widrige Empfindungen greifen mit Macht durch die Seele, halten sie fest, und zwingen sie gleichsam zur Theilnahme und zum Beha¬ gen; und wenn sie überdies mit einem ge¬ wissen poetischen Schwunge die Phan¬ tasie anfallen und aufregen, so können sie das Gemüth in einer hohen und begeisterten Spannung erhalten. Daneben möcht' ich auch noch sagen, daß solchen ausgezeichne¬ ten Geistern, wie dieser Piero di Cosimo war, vom Himmel eine wunderbare geheime Gewalt eingepflanzt zu seyn scheinet, durch die fremden und außerordentlichen Dinge, welche sie thun, die Köpfe, auch des gemei¬ nen großen Haufens, einzunehmen. — Obwohl Piero von seiner unruhigen fin¬ stern Phantasie unaufhörlich geneckt, umher¬ gejagt und ermüdet ward; so hatte der Him¬ mel ihm doch ein hohes Alter beschieden; ja, wie er dem achtzigsten Jahre nahe kam, ward sein Geist von immer wilderen Phan¬ tastereyen verfolgt. Er quälte sich bey der großen körperlichen Schwäche und allem Elend des Alters dennoch immer für sich al¬ lein, und wies alle Gesellschaft und mitlei¬ dige Hülfe ungestüm von sich. Dann wollte er noch arbeiten, und konnte doch nicht, weil ihm die Hände gelähmt waren und be¬ ständig zitterten; dann kam er in die äußerste Bosheit, und wollte seinen Händen Gewalt anthun; aber indem er so ergrimmt für sich murmelte, fiel ihm wieder der Mahlerstock oder gar der Pinsel auf die Erde, daß es ein Jammer anzusehen war. Er konnte sich mit dem Schatten zanken, und über eine Fliege in Zorn gerathen. Daß er seinem Ende nahe wäre, wollte er noch immer nicht glauben. Er redete sehr viel davon, was es für ein Elend sey, wenn eine langsame Krankheit mit tausend Martern den Körper recht nach und nach aufzehre, daß ein Bluts¬ tropfen näch dem andern absterbe. Er fluchte auf Ärzte, Apotheker und Krankenwärter, und beschrieb, was es fürchterlich sey, wenn einem nicht Speise, nicht Schlaf gegönnt werde, wenn man sein Testament machen müßte, wenn man die Anverwandten um das Bett herum weinen sähe. Dagegen pries er denjenigen glücklich, der auf dem Hochgericht mit einem Streich aus der Welt gehe; und was es schön wäre, vor so vie¬ lem Volk, und unter den Tröstungen und Gebeten des Priesters und den Fürbitten von Tausenden, zu den Engeln im Para¬ diese hinaufzusteigen. In solchen Gedanken schwärmte er unaufhörlich fort: — bis man endlich eines Morgens, ganz unerwartet, ihn unten an der Treppe in seinem Hause todt liegen fand. — Dies sind die sonderbaren Züge von dem Geiste dieses Mahlers, welche ich dem Gior¬ gio Vasari treulich nacherzählt habe. Was ihn als Mahler betrifft, so berichtet uns der¬ selbe Autor von ihm, daß er am liebsten wilde Bacchanale und Orgia, fürchterliche Ungeheuer, oder sonst irgend schreckhafte Vor¬ stellungen gemahlt habe; rühmt ihn indeß wegen des höchst mühseligen und eigensinni¬ gen Fleißes in seinen Bildern. Wie denn derselbe Vasari, in dem Leben eines andern ebenfalls schwermüthigen Mahlers Nämlich des Florentiners Giovanni Antonio Sogliani. , die Bemerkung macht, daß dergleichen tiefsinnige und melancholische Geister sich oftmals durch eine besondere, eiserne Geduld und Ämsig¬ keit im Arbeiten auszuzeichnen pflegten. Dem sey nun wie ihm wolle, so kann ich nicht glauben, daß dieser Piero di Cosimo ein wahrhaft-ächter Künstlergeist gewesen sey. Ich finde zwar eine gewisse Übereinstimmung zwischen ihm nnd dem großen Leonardo da Vinci , (welchen jener auch in der Mah¬ lerey sich zum Muster nahm;) denn beyde wurden von einem immer lebendigen, viel¬ sinnigen Geiste umhergetrieben, — jener aber in finstre Wolkenregionen der Luft, — dieser unter die ganze wirkliche Natur und unter das ganze Gewimmel der Erde. Der Künstlergeist soll, wie ich meyne, nur ein brauchbares Werkzeug seyn, die ganze Natur in sich zu empfangen, und, mit dem Geiste des Menschen beseelt, in schöner Verwandlung wiederzugebähren. Ist er aber aus innerem Instinkte, und aus überflüßiger, wilder und üppiger Kraft, ewig für sich in unruhiger Arbeit; so ist er nicht immer ein geschicktes Werkzeug, — vielmehr möchte man dann ihn selber eine Art von Kunstwerk der Schöpfung nennen. In dem tobenden und schäumenden Meere spiegelt sich der Himmel nicht; — der klare Fluß ist es, worin Bäume und Felsen und die ziehenden Wolken und alle Gestirne des Firmamentes sich wohlgefällig beschauen. — Wie und auf welche Weise man die Werke der großen Künstler der Erde eigentlich betrachten , und zum Wohl seiner Seele gebrauchen müsse. I mmerfort höre ich die kindische und leicht¬ sinnige Welt klagen, daß Gott nur so we¬ nige recht große Künstler auf die Erde ge¬ setzt habe; ungeduldig starrt der gemeine Geist in die Zukunft, ob der Vater der Men¬ schen nicht bald einmal ein neues Geschlecht von hervorglänzenden Meistern werde aufer¬ stehen lassen. Ich sage euch aber, es hat die Erde der vortrefflichen Meister nicht zu wenige getragen; ja es sind ihrer einige so beschaffen, daß ein sterbliches Wesen sein ganzes Leben hindurch an einem einzelnen zu schauen und zu begreifen hat; aber wahr¬ lich! viel, viel zu wenige sind derer, welche die Werke dieser (aus edlerem Thone geform¬ ten) Wesen, innig zu verstehen, und, (was dasselbe ist,) inniglich zu verehren im Stande sind. Bildersäle werden betrachtet als Jahr¬ märkte, wo man neue Waaren im Vorüber¬ gehen beurtheilt, lobt und verachtet; und es sollten Tempel seyn, wo man in stiller und schweigender Demuth, und in herzerhebender Einsamkeit, die großen Künstler, als die höchsten unter den Irdischen, bewundern, und mit der langen, unverwandten Betrach¬ tung ihrer Werke, in dem Sonnenglanze der entzückendsten Gedanken und Empfindungen sich erwärmen möchte. Ich vergleiche den Genuß der edleren Kunstwerke dem Gebet . Der ist dem Him¬ mel nicht wohlgefällig, welcher zu ihm re¬ det, um nur der täglichen Pflicht entledigt zu werden, Worte ohne Gedanken herzählt, und seine Frömmigkeit prahlend nach den Kugeln seines Rosenkranzes abmißt. Der aber ist ein Liebling des Himmels, welcher mit demüthiger Sehnsucht auf die auser¬ wählten Stunden harrt, da der milde himm¬ lische Strahl freywillig zu ihm herabfährt, die Hülle irdischer Unbedeutenheit, mit wel¬ cher gemeiniglich der sterbliche Geist überzo¬ gen ist, spaltet, und sein edleres Innere auf¬ löst und auseinanderlegt; dann knieet er nie¬ der, wendet die offene Brust in stiller Ent¬ zückung gegen den Himmelsglanz, und sätti¬ get sie mit dem ätherischen Licht; dann steht er auf, froher und wehmüthiger, volleren und leichteren Herzens, und legt seine Hand an ein großes gutes Werk. — Das ist die wahre Meynung, die ich vom Gebet hege. Eben so nun, meyne ich, müsse man mit den Meisterstücken der Kunst umgehen, um sie würdiglich zum Heil seiner Seele zu nutzen. Es ist frevelhaft zu nennen, wenn jemand in einer irdischen Stunde, von dem schallenden Gelächter seiner Freunde hinweg¬ taumelt, um in einer nahen Kirche, aus Ge¬ wohnheit, einige Minuten mit Gott zu re¬ den. Ein ähnlicher Frevel ist es, in einer solchen Stunde die Schwelle des Hauses zu betreten, wo die bewundernswürdigsten Schö¬ pfungen, die von Menschen händen her¬ vorgebracht werden konnten, als eine stille Kundschaft von der Würde dieses Geschlech¬ tes, für die Ewigkeit aufbewahret werden. Harret, wie beym Gebet, auf die seligen Stunden, da die Gunst des Himmels euer Inneres mit höherer Offenbarung erleuchtet; nur dann wird eure Seele sich mit den Wer¬ ken der Künstler zu Einem Ganzen vereini¬ gen. Ihre Zaubergestalten sind stumm und ver¬ verschlossen, wenn ihr sie kalt anseht; euer Herz muß sie zuerst mächtiglich anreden, wenn sie sollen zu euch sprechen, und ihre ganze Gewalt an euch versuchen können. Kunstwerke passen in ihrer Art so wenig, als der Gedanke an Gott in den gemeinen Fortfluß des Lebens; sie gehen über das Ordent¬ liche und Gewöhnliche hinaus, und wir müs¬ sen uns mit vollem Herzen zu ihnen erhe¬ ben, um sie in unsern, von den Nebeln der Atmosphäre allzuoft getrübten Augen, zu dem zu machen, was sie, ihrem hohen We¬ sen nach, sind. Buchstaben lesen kann ein jeglicher ler¬ nen; von gelehrten Chroniken kann ein jeg¬ licher sich die Historien vergangener Zeiten erzählen lassen, und sie wieder erzählen; auch kann ein jeglicher das Lehrgebäude ei¬ ner Wissenschaft studieren; und Sätze und Wahrheiten fassen; — denn, Buchstaben sind L nur dazu da, daß das Auge ihre Form er¬ kenne; und Lehrsätze und Begebenheiten sind nur so lange ein Gegenstand unsrer Beschäf¬ tigung, als das Auge des Geistes daran ar¬ beitet, sie zu fassen und zu erkennen; sobald sie unser eigen sind, ist die Thätigkeit unsers Geistes zu Ende, und wir weiden uns dann nur, so oft es uns behagt, an einem trägen und unfruchtbaren Überblick unsrer Schätze. — Nicht also bey den Werken herrlicher Künst¬ ler. Sie sind nicht darum da, daß das Auge sie sehe; sondern darum, daß man mit ent¬ gegenkommendem Herzen in sie hineingehe, und in ihnen lebe und athme. Ein köstliches Gemählde ist nicht ein Paragraph eines Lehr¬ buchs, den ich, wenn ich mit kurzer Mühe die Bedeutung der Worte herausgenommen habe, als eine unnütze Hülse liegen lasse: vielmehr währt bey vortrefflichen Kunstwer¬ ken der Genuß immer, ohne Aufhören, fort. Wir glauben immer tiefer in sie einzudrin¬ gen, und dennoch regen sie unsere Sinne immer von neuem auf, und wir sehen keine Gränze ab, da unsre Seele sie erschöpft hätte. Es flammt in ihnen ein ewig bren¬ nendes Lebensöhl, welches nie vor unsern Augen verlischt. Mit Ungeduld fliege ich über den ersten Anblick hinweg; denn die Überraschung des Neuen, welche manche nach immer abwech¬ selnden Vergnügungen haschende Geister wohl zum Hauptverdienste der Kunst erklären wol¬ len, hat mir von jeher ein nothwendiges Übel des ersten Anschauens geschienen. Der ächte Genuß erfordert eine stille und ruhige Fassung des Gemüths, und äußert sich nicht durch Ausrufungen und Zusammenschlagen der Hände, sondern allein durch innere Be¬ wegungen. Es ist mir ein heiliger Feyertag, an welchem ich mit Ernst und mit vorberei¬ L 2 tetem Gemüth an die Betrachtung edler Kunstwerke gehe; ich kehre oft und unauf¬ hörlich zu ihnen zurück, sie bleiben meinem Sinne fest eingeprägt, und ich trage sie, so lange ich auf Erden wandle, in meiner Ein¬ bildungskraft, zum Trost und zur Erweckung meiner Seele, gleichsam als geistige Amu¬ lete mit mir herum, und werde sie mit ins Grab nehmen. Wessen feinere Nerven einmal beweglich, und für den geheimen Reiz, der in der Kunst verborgen liegt, empfänglich sind, dessen Seele wird oft da, wo ein anderer gleich¬ gültig vorübergeht, innig gerührt; er wird des Glückes theilhaftig, in seinem Leben häu¬ figere Anlässe zu einer heilsamen Bewegung und Aufregung seines Inneren zu finden. Ich bin mir bewußt, daß öfters, wenn ich, (mit anderen Gedanken beschäftigt,) durch irgend ein schönes und großes Säulenportal ging, die mächtigen, majestätischen Säulen, mit ihrer lieblichen Erhabenheit, unwillkühr¬ lich meine Blicke zu sich wendeten, und mein Inneres mit einer eigenen Empfindung er¬ füllten, daß ich mich innerlich vor ihnen beugte, und mit aufgelöstem Herzen und mit reicherer Seele weiter ging. Das Hauptsächlichste ist, daß man nicht mit verwegenem Muth über den Geist erha¬ bener Künstler sich hinwegzuschwingen, und auf sie herabsehend, sie zu richten sich ver¬ messe: ein thörichtes Unternehmen des eiteln Stolzes der Menschen: Die Kunst ist über dem Menschen: wir können die herrlichen Werke ihrer Geweiheten nur bewundern und verehren, und, zur Auflösung und Reinigung aller unsrer Gefühle, unser ganzes Gemüth vor ihnen aufthun. Die Größe des Michel' Angelo Buonarotti . W ohl ein jeglicher Mensch, der ein fühlen¬ des und liebendes Herz in seiner Brust trägt, hat im Reiche der Kunst irgend einen beson¬ dern Lieblingsgegenstand; und so habe auch ich den meinigen, zu welchem mein Geist sich oft unwillkührlich, wie die Sonnenblume zur Sonne, hinwendet. Denn öfters, wenn ich in meiner Einsamkeit betrachtend da sitze, so ist es, als stände hinter mir ein guter Engel, der mir unversehens die Säkula der alten Mahler von Italien, wie ein großes, frucht¬ reiches episches Gedicht mit einer gedrängten Schaar lebendiger Figuren, vor meinen Au¬ gen aufsteigen ließe. Immer von neuem zeigt sich mir diese herrliche Erscheinung, und immer von neuem wird mein Blut dabey auf das innigste erwärmt. Es ist doch eine köstliche Gabe, die der Himmel uns verlie¬ hen hat, zu lieben und zu verehren; dieses Gefühl schmelzt unser ganzes Wesen um, und bringt das wahre Gold daraus zu Tage. Mein Blick fällt diesmal auf den großen Michel' Angelo Buonarotti , einen Mann, über welchen schon so mancher seine unbehülfliche Verwunderung, oder seinen vor¬ witzigen Hohn und Tadel vorgebracht hat. Ich kann aber nicht mit vollerem Herzen von ihm zu reden anheben, als es sein Freund und Landsmann Giorgio Vasari in dem Eingange zu seiner Lebensbeschrei¬ bung gethan hat, welcher von Wort zu Wort also lautet: »Während daß so viele sinnreiche und vortreffliche Köpfe, nach den Vorschriften des berühmten Giotto und seiner Nachfolger, der Welt Proben von dem Talente zu zei¬ gen strebten, welches durch den wohlthäti¬ gen Einfluß der Gestirne und durch die glück¬ liche Complexion ihrer Geisteskräfte in ihrem Innern erzeugt war, und sich alle beeifer¬ ten, durch die Vortrefflichkeit der Kunst die Herrlichkeit der Natur nachzuahmen, um so viel möglich den höchsten Gipfel der Wissen¬ schaft, welchen man wohl ausschließlich »Er¬ kenntniß« nennen mag, zu erreichen, obwohl all' ihr Ringen vergeblich war; — unterdes¬ sen wandte der gütige Regierer aller Dinge sein Auge gnädiglich auf die Erde hin, und indem er nun wahrnahm all' die eitle An¬ strengung so unendlich vieler mühseliger Ver¬ suche, die unabläßig-heiße Lernbegier ohne die geringsten Früchte, und die eingebildeten Meynungen der Menschen, so entfernt von der Wahrheit, als Finsterniß vom Licht; — da beschloß er, um uns aus solchen Irrthü¬ mern zu reißen, einen Geist auf die Erde herabzuschicken, welcher durchaus, in jeg¬ lichem Theile aller Kunst, durch eigene Kraft sollte Meister werden. Er sollte der Welt ein Vorbild aufstellen, was Vollkommenheit sey in der Kunst des Zeichnens, der Umrisse, und der Lichter und Schatten, (welche den Bildern die Rundung geben;) und wie man als Bildhauer mit Einsicht arbeiten müsse, und auf welche Weise man Gebäuden Fe¬ stigkeit, Bequemlichkeit, schöne Verhältnisse, Annehmlichkeit und Reichthum an allerley Zierrathen der Baukunst zu geben habe. Überdas aber wollte der Himmel ihm die wahre Tugendweisheit zur Begleitung, und die süße Kunst der Musen zur Zierde geben, auf daß die Welt ihn vor allen bewundern und erwählen sollte zum Spiegel und Mu¬ ster im Leben, in Werken, in Heiligkeit der Sitten, ja in allem irdischen Wandel, und er von uns vielmehr für ein himmlisches Wesen als für ein irdisches geachtet werden möchte. Und weil Gott sah, daß in jenen besondern Künsten, nämlich der Mahler-, Bildhauer- und Baukunst, als in Dingen von so vieler Ämsigkeit und Übung, die Ein¬ gebohrnen des Toscanischen Gebietes seit je¬ her unter allen sich vornehmlich hervorge¬ than haben und meisterlich geworden sind, (denn sie sind zu Anstrengung und eifriger Geistesarbeit jeder Art, vor allen andern Nationen Italiens vorzüglich geneigt;) — so wollte er ihm Florenz als die würdigste Stadt von allen zur Heimath anweisen, da¬ mit die verdiente Krone aller Tugenden ihm von einem Mitbürger aufs Haupt gesetzt werden könnte.« — Mit solcher Verehrung redet der alte Vasari von dem großen Michel' Angelo, und drängt am Ende seine allgemeine Bewunde¬ rung, auf eine schöne und menschliche Weise, in ein herzliches patriotisches Gefühl zusam¬ men, und freut sich inniglich, daß dieser Mann, den er wie einen Herkules unter den Helden der Kunst verehrt, mit ihm denselben kleinen Raum der Erde zur Heimath gehabt hat. Er beschreibt das Leben des Buona¬ rotti am aller ausführlichsten, und thut oft recht gutmüthig-stolz darauf, daß er seiner vertrautesten Freundschaft genossen. Doch wir wollen uns nicht an dem bloßen Anstaunen dieses großen Mannes begnügen, sondern vielmehr in seinen inneren Geist hin¬ eingehen, uns in den eigenthümlichen Cha¬ rakter seiner Werke hineinschmiegen. Es ist nicht genug, ein Kunstwerk zu loben: »es ist schön und vortrefflich ,« denn diese allgemeinen Redensarten gelten auch von den verschiedenartigsten Werken; — wir müs¬ sen uns jedem großen Künstler hingeben, mit seinen Organen die Dinge der Natur an¬ schauen und ergreifen, und in seiner Seele sprechen können: »Das Werk ist in seiner Art richtig und wahr .« Die Mahlerey ist eine Poesie mit Bil¬ dern der Menschen. So wie nun die Poe¬ ten ihre Gegenstände mit ganz verschiedenen Empfindungen beseelen, je nachdem ihnen vom Schöpfer ein verschiedener Geist einge¬ haucht ist; so auch in der Mahlerey. Einige Dichter beleben ihr ganzes Werk innerlich mit einer stillen und geheimen poetischen Seele; bey andern aber bricht die überfließen¬ de, üppige dichterische Kraft in jedem Mo¬ mente der Darstellung hervor. Dies ist dieselbe Verschiedenheit, welche ich zwischen dem göttlichen Raphael und dem großen Buonarotti finde: jenen möchte ich den Mahler des neuen, diesen des alten Testamentes nennen; denn auf jenem, — ich wage den kühnen Gedanken auszusprechen, — ruhet der stille göttliche Geist Christi, — auf diesem, der Geist der inspirirten Propheten, des Moses und der übrigen Dichter des Morgenlandes. Hier ist nichts zu loben und zu tadeln , sondern ein jeglicher ist was er ist. So wie die inspirirten Orientalischen Dich¬ ter, von der inwohnenden, mit Gewalt sich regenden himmlischen Kraft, zu außerordent¬ lichen Phantasieen getrieben wurden, und aus innerlichem Drange die Worte und Aus¬ drücke der irdischen Sprache durch lauter feurige Bilder gleichsam in die Höhe zwan¬ gen; so ergriff auch die Seele des Michel' Angelo immer mit Macht das Außerordent¬ liche und Ungeheure, und drückte in seinen Figuren eine angespannte, übermenschliche Kraft aus. Er versuchte sich gern an erha¬ benen, furchtbaren Gegenständen; er wagte in seinen Bildern die kühnsten und wildesten Stellungen und Gebehrden; er drängte Mus¬ keln auf Muskeln, und wollte in jede Nerve seiner Figuren die hohe poetische Kraft stem¬ peln, wovon er erfüllt war. Er ergründete das innerliche Triebwerk der Menschenma¬ schine bis in die verborgensten Wirkungen; er spürte die härtesten Schwierigkeiten in der Mechanik des menschlichen Körpers auf, um sie zu bekämpfen, und um die üppige Fülle seiner Geisteskraft auch in den körper¬ lichen Theilen der Kunst auszulassen und zu befriedigen: — grade so wie Dichter, in de¬ nen ein nicht zu löschendes lyrisches Feuer brennt, sich an großen und ungeheuren Ideen nicht genügen, sondern vornehmlich auch in dem sichtbaren, sinnlichen Werkzeuge ihrer Kunst, in Ausdruck und Worten, ihre kühne und wilde Stärke abzudrücken stre¬ ben. Die Wirkung ist, an beyden Orten, groß und herrlich: der innere Geist des Gan¬ zen leuchtet dann auch aus jedem der einzel¬ nen äußeren Theile hervor. — Also erscheint mir der vielbeurtheilte Buo¬ narotti, und wer ihn in dieser Gestalt, un¬ ter den alten Mahlern ins Auge faßt, der mag wohl mit Erstaunen und Bewunderung fragen: Wer mahlte vor ihm, wie er ? Wo¬ her nahm er die ganz neue Größe, von wel¬ cher vorher kein Auge jemals wußte? Und wer hat ihn auf die vorher unbekannten Wege gebracht? Es ist in der Welt der Künstler gar kein höherer, der Anbetung würdigerer Gegen¬ stand, als: — ein ursprünglich Original! — Mit ämsigem Fleiße, treuer Nachahmung, klugem Urtheil zu arbeiten, — ist mensch¬ lich ; — aber das ganze Wesen der Kunst mit einem ganz neuen Auge zu durchblicken, es gleichsam mit einer ganz neuen Hand¬ habe zu erfassen, — ist göttlich . Indessen ist es das Schicksal der Origi¬ nale, eine elende Schaar von Nachbetern hervorzubringen, und Michel' Angelo weis¬ sagte dies von sich selber, wie es nachmals zutraf. Ein Original schwingt sich mit ei¬ nem kühnen Sprunge auf einmal bis an die Gränze des Kunstgebiets, steht kühn und fest da, und zeigt das Außerordentliche und Wundervolle. Es giebt aber für den blöden Geist des Menschen fast nichts Außerordent¬ liches und Wundervolles, an dessen Gränze nicht ganz nahe Thorheit und Abgeschmackt¬ heit läge. Die jämmerlichen Nachbeter, de¬ nen die eigene Kraft zum festen Stande mangelt, irren blind umher, und was sie nachbilden, ist, wenn es mehr als schwaches Schattenbild seyn soll, verzerrte Übertrei¬ bung. Die Die Zeit des Michel' Angelo, die An¬ fangs-Epoche der italienischen Mahlerey, ist überhaupt allein das Zeitalter der Mahler¬ originale. Wer mahlte vor Correggio, wie Correggio? vor Raphael, wie Raphael? — Allein es ist, als wenn die allzufreygebige Natur in dieser Zeit sich an Kunstgenie arm geschenkt hätte; denn die besten späteren Meister, bis auf die neuesten Zeiten, haben fast alle kein anders Ziel gehabt, als irgend einen der ersten Ur- und Normalkünstler, oder auch gar mehrere zusammen, nachzuah¬ men, und sind auch nicht leicht auf andre Weise groß geworden, als indem sie vor¬ trefflich nachgeahmt haben. Selbst der hohe und wohlverdiente Ruhm, welchen die Reformatorschule der Caracci sich erworben hat, ist auf kein anderes Verdienst gegrün¬ det, als daß sie die in Verfall gerathene Nachahmung jener alten Ahnherren, durch M würdige Beyspiele wieder in die Höhe brachte. Und wen ahmten jene Ahnherren selber nach? Sie schöpften die ganze neue Herrlichkeit aus sich selber. Brief jungen deutschen Mahlers in Rom an seinen Freund in Nürnberg. Theurer Bruder und Genosse, L ange ist es schon, ich weiß es wohl, daß ich Dir nicht geschrieben habe, so oft ich auch mit inniger Liebe an Dich dachte; denn es giebt Stunden im Leben, in denen den beflügelten Gedanken alles Äußere zu lang¬ sam von Statten geht, wo die Seele sich selbst mit Vorstellungen abarbeitet, und eben deswegen äußerlich nichts geschieht. Eine solche Epoche habe ich jetzt erlebt, und nun, da ich innerlich wieder etwas zur Ruhe bin, nehme ich auch sogleich die Feder, um Dir, geliebter Sebastian, meinem werthesten Ju¬ M 2 gendfreunde, zu berichten, wie es mir er¬ gangen, und was sich mit mir zugetragen hat. Soll ich Dir weitläuftig schreiben, wie das gelobte Land Italia beschaffen sey, und mich in unzusammenhängende Bewunderun¬ gen ergießen? Es finden da keine Worte ihren rechten Platz, denn wie mag ich, der Sprache so ganz unkundig, Dir den hellen Himmel, die weiten paradiesischen Aussich¬ ten, durch die die erquickende Luft spielend ziehet, würdig darstellen? Weiß ich doch kaum in meinem eigenthümlichen Handwerke Farben und Striche aufzufinden, um das, was ich innerlich sehe und fasse, auf die Leinwand hinzuzeichnen. So verschieden aber auch alles hier seyn mag, was Himmel und Erde betrifft, so läßt es sich doch noch eher ahnden und glauben, als dasjenige, was ich Dir von der Kunst zu sagen habe. Ihr mögt da in Deutsch¬ land fleißig zusammen mahlen, lieber Seba¬ stian, Du und unser überaus theurer Lehrer Albrecht Dürer; aber wenn ihr hieher plötz¬ lich verschlagen würdet, so würdet ihr wahr¬ lich wie zwey Gestorbene seyn, die sich im Himmel noch nicht zurecht zu finden wis¬ sen. Da seh' ich in Gedanken den künstlichen Meister Albrecht auf seinem Schemel sitzen, und mit einer kindischen, fast rührenden Äm¬ sigkeit an einem feinen Stückchen Holze schnitzeln, wie er die Erfindung und Aus¬ führung wohl überlegt, und das angefan¬ gene Kunststück zu wiederhohlten Mahlen be¬ trachtet; ich sehe seine weite ausgetäfelte Stube und die runden Scheiben, uud Dich mit dem unermüdlichen getreuen Fleiße vor einer Kopey, und wie die jüngern Schüler ab- und zugehen, und der alte Meister Dü¬ rer manches kluge und manches lustige Wort fallen läßt; dann sehe ich unsre Hausfrau hereintreten, oder den wohlberedten Wili¬ bald Pirkheimer, der die Gemählde und Zeichnungen betrachtet, und mit Albrecht ei¬ nen lebhaften Disput anfängt; — und wenn ich mir dies alles eigentlich in meinen Ge¬ danken vorstelle, so kann ich ordentlich nicht recht begreifen, wie ich hieher gekommen bin, und wie hier alles so anders ist. Erinnerst Du Dich noch der Zeit, als wir zuerst bey unserm Meister in die Lehre gegeben wurden, und wir es gar nicht be¬ greifen konnten, daß aus den Farben, die wir rieben, ein Gesicht oder ein Baum her¬ vorgehen sollte? Mit welchem Erstaunen betrachteten wir dann den Meister Albrecht, der immer alles so wohl anzuwenden wußte, und nie über die Ausführung seiner größten Sachen in Verlegenheit kam! Ich war oft wie im Traum, wenn ich aus der Mahler¬ stube ging, um ihm Wein oder Brot einzu¬ kaufen, und ich meynte sogar in manchen Stunden, wenn alle die übrigen unkünst¬ lichen Menschen, Handwerker oder Bauern, an mir vorübergingen, er müsse wohl gar ein Zauberer seyn, daß sich das Leblose so auf seinen Ruf zurechtfinde, und gleichsam lebendig werde. Aber was würde ich erst gesagt oder ge¬ fühlt haben, hätte man mir damals die ver¬ klärten Angesichter Raphaels vor die kindi¬ schen Augen gehalten? Ach, lieber Seba¬ stian, wenn ich sie verstanden hätte, so wäre ich gewiß in meine Kniee gesunken, und hätte meine ganze junge Seele in Andacht, Thränen und Anbetung aufgelöst; denn bey unserm großen Dürer findet man doch noch das Irdische heraus, man begreift es doch, wie ein künstlicher und wohlgeübter Mann auf diese Gesichter und Erfindungen verfal¬ len konnte; — wenn wir recht mit den Au¬ gen in das Gemählde einwurzeln, so können wir fast die gefärbten Figuren wieder ver¬ treiben, und das leere, einfache Bret darun¬ ter entdecken: — aber bey diesem Meister, mein Theurer, ist alles so wunderbar einge¬ richtet, daß Du ganz vergissest, daß es Far¬ ben und eine Mahlerkunst giebt, und Dich nur innerlich vor den himmlischen, und doch so herz-menschlichen Gestalten mit der wärm¬ sten Liebe demüthigst, und ihnen Dein Herz und Deine Seele zueignest. — Glaube nicht, daß ich aus jugendlichem Eifer übertreibe; Du kannst es Dir nicht vorstellen und nicht fassen, wenn Du nicht selber kommst und siehst. Überhaupt, lieber Sebastian, ist diese Er¬ de durch die Kunst ein gar herrlicher und lieblicher Aufenthalt; ich habe es erst jetzt empfunden, wie ein unsichtbares Wesen in unserm Herzen wohnt, das allgewaltig von den großen Kunstwerken angezogen wird. — Und wenn ich Dir alles gestehen soll, mein theurer Jugendfreund, (wie ich es denn muß, denn ich fühle mich mit Gewalt dazu hinge¬ zogen,) so liebe ich jetzt ein Mädchen, die meinem Herzen über alles geht, und ich werde von ihr wieder geliebt. Mein Sinn taumelt also in einem ewigen Frühlingsglanze umher, und ich möchte in manchen Stunden des Entzückens sagen, daß die Welt und die Sonne des Himmels ihren Glanz von mir erborgten, wenn es nicht zu frech wäre, seine Freude auf diese Art aussprechen zu wollen. Mit inniger Rührung habe ich seit lange ihre Züge in den besten Gemählden aufge¬ sucht, und sie immer bey meinen liebsten Meistern gefunden. Ich bin mit ihr verlobt, und in wenigen Tagen werden wir unsre Hochzeit feyern; Du siehst also, daß ich nicht Lust habe nach unserm Deutschlande zurück¬ zukehren, ich hoffe Dich aber bald hier in Rom zu umarmen. Beschreiben kann ich Dir es nicht, wie Mariens Herz immer um das Wohl meiner Seele besorgt war, als sie hörte, daß auch ich der neuen Lehre zugethan sey. Sie bat mich oft inbrünstig, zum alten, wahren Glau¬ ben zurückzukehren, und ihre liebevollen Re¬ den brachten oft meine ganze Phantasie, und alles, was ich für meine Überzeugungen hielt, in Unordnung. — Von dem, was ich Dir nun schreiben werde, sage nichts unserm viel¬ geliebten Meister Dürer; denn ich weiß, daß es nur sein Herz kränken würde, und es könnte doch weder mir noch ihm weiter fruchten. Ich ging neulich in die Rotonda, weil ein großes Fest war, und eine prächtige la¬ teinische Musik sollte aufgeführt werden, oder eigentlich anfangs nur um meine Geliebte dort unter der betenden Menge wieder zu sehen, und mich an ihrer himmlischen An¬ dacht zu bessern. Der herrliche Tempel, die wimmelnde Menge Volks, die nach und nach hereindrang, und mich immer enger umgab, die glänzenden Vorbereitungen, das alles stimmte mein Gemüth zu einer wunderbaren Auf¬ merksamkeit. Mir war sehr feyerlich zu Mu¬ the, und wenn ich auch, wie es einem bey solchem Getümmel zu gehen pflegt, nichts deutlich und hell dachte, so wühlte es doch auf eine so seltsame Art in meinem Innern, als wenn auch in mir selber etwas Besonde¬ res vorgehen sollte. Auf einmal ward alles stiller, und über uns hub die allmächtige Musik, in langsamen, vollen, gedehnten Zü¬ gen an, als wenn ein unsichtbarer Wind über unsern Häuptern wehte: sie wälzte sich in immer größeren Wogen fort, wie ein Meer, und die Töne zogen meine Seele ganz aus ihrem Körper heraus. Mein Herz klopfte, und ich fühlte eine mächtige Sehn¬ sucht nach etwas Großem und Erhabenen, was ich umfangen könnte. Der volle latei¬ nische Gesang, der sich steigend und fallend durch die schwellenden Töne der Musik durch¬ drängte, gleich wie Schiffe, die durch Wel¬ len des Meeres seegeln, hob mein Gemüth immer höher empor. Und indem die Musik auf diese Weise mein ganzes Wesen durch¬ drungen hatte, und alle meine Adern durch¬ lief, — da hob ich meinen in mich gekehr¬ ten Blick, und sah um mich her, — und der ganze Tempel ward lebendig vor meinen Au¬ gen, so trunken hatte mich die Musik ge¬ macht. In dem Moment hörte sie auf, ein Pater trat vor den Hochaltar, erhob mit einer begeisterten Gebehrde die Hostie, und zeigte sie allem Volke, — und alles Volk sank in die Kniee, und Posaunen, und ich weiß selbst nicht was für allmächtige Töne, schmetterten und dröhnten eine erha¬ bene Andacht durch alles Gebein. Alles, dicht um mich herum, sank nieder, und eine geheime, wunderbare Macht zog auch mich unwiderstehlich zu Boden, und ich hätte mich mit aller Gewalt nicht aufrecht erhalten kön¬ nen. Und wie ich nun mit gebeugtem Haupte kniete, und mein Herz in der Brust flog, da hob eine unbekannte Macht meinen Blick wieder; ich sah um mich her, und es kam mir ganz deutlich vor, als wenn alle die Katholiken, Männer und Weiber, die auf den Knieen lagen, und, den Blick bald in sich gekehrt, bald auf den Himmel gerichtet, sich inbrünstig kreuzten, und sich vor die Brust schlugen und die betenden Lippen rühr¬ ten, als wenn alle um meiner Seelen Se¬ ligkeit zu dem Vater im Himmel beteten, als wenn alle die Hunderte um mich herum um den einen Verlorenen in ihrer Mitte flehten, und mich in ihrer stillen Andacht mit unwiderstehlicher Gewalt zu ihrem Glau¬ ben hinüberzögen. Da sah ich seitwärts nach Marien hin, ihr Blick begegnete dem meini¬ gen, und ich sah eine große, heilige Thräne aus ihrem blauen Auge dringen. Ich wußte nicht wie mir war, ich konnte ihren Blick nicht aushalten, ich wandte den Kopf seit¬ wärts, mein Auge traf auf einen Altar, und ein Gemählde Christi am Kreuze sah mich mit unaussprechlicher Wehmuth an, — und die mächtigen Säulen des Tempels erhoben sich anbetungswürdig, wie Apostel und Hei¬ lige, vor meinen Augen, und schauten mit ihren Kapitälern voll Hoheit auf mich her¬ ab, — und das unendliche Kuppelgewölbe beugte sich wie der allumfassende Himmel über mir her, und segnete meine frommen Entschließungen ein. Ich konnte nach der geendigten Feyer¬ lichkeit den Tempel nicht verlassen; ich warf mich in einer Ecke nieder und weinte, und ging dann mit zerknirschtem Herzen vor al¬ len Heiligen, vor allen Gemählden vorüber, und es war mir, als dürfte ich sie nun erst recht betrachten und verehren. Ich konnte der Gewalt in mir nicht wi¬ derstehen: — ich bin nun, theurer Sebastian, zu jenem Glauben hinübergetreten, und ich fühle mein Herz froh und leicht. Die Kunst hat mich allmächtig hinübergezogen, und ich darf wohl sagen, daß ich nun erst die Kunst so recht verstehe und innerlich fasse. Kannst Du es nennen, was mich so ver¬ wandelt, was wie mit Engelsstimmen in meine Seele hineingeredet hat, so gieb ihm einen Namen, und belehre mich über mich selbst; ich folgte bloß meinem innerlichen Geiste, meinem Blute, von dem mir jetzt jeder Tropfen geläuterter vorkömmt. Ach! glaubte ich denn nicht schon ehe¬ mals die heiligen Geschichten und die Wun¬ derwerke, die uns unbegreiflich scheinen? Kannst Du ein hohes Bild recht verstehen, und mit heiliger Andacht es betrachten, ohne in diesem Momente die Darstellung zu glau¬ ben ? Und was ist es denn nun mehr, wenn diese Poesie der göttlichen Kunst bey mir länger wirkt? Dein Herz wird sich dem meinigen gewiß nicht abwenden, das ist nicht möglich, Se¬ bastian, und so laß uns denn zu demselben Gotte beten, daß er unser Gemüth hin¬ führo immer mehr erleuchte, und die wahre Frömmigkeit auf uns herniedergieße: nicht wahr, Freund meiner Jugend, das übrige soll und kann uns nicht trennen? Lebe Lebe recht wohl, und grüße herzlich un¬ sern Meister. Wenn Du auch nicht meiner Meynung bist, wird Dir dieser Brief doch gewiß Freude machen, denn Du erfährst daß ich glücklich bin. N Die Bildnisse der Mahler. Die Muse tritt mit einem jungen Künstler in den Gemähldesaal. Die Muse . W andle hier mit stillem, heiterm Ernste, Freundlich beygesellt den großen Meistern, Die mit Liebe deinen Busen füllen: Ruhe hier, nach ihren theuren Werken, Im Beschauen ihrer Häupter aus. Der Jüngling . Wie fühl' ich mich hingezogen! Wie pocht mein Herz Den süßen, labenden Blicken entgegen! Ach! wie demüthigt ihr mich, Daß ihr alle so ernst nach mir, Wie nach Einem Mittelpunkte schaut. Wie fühl' ich mich verwandt zu euch, Und wie entfremdet! Kühn möcht' ich jetzt den Pinsel fassen, Und herrliche, große Gestalten Mit fester Hand, mit dreisten Farben zeichnen: — Und dennoch wag' ich's kaum Den großen Ahnherrn hier ins Angesicht zu blicken. Wie unter Geistern bin ich festgebannt, — Und wunderbare Lichter fallen Von allen Bildern hier In meinen dämmernden, ahndungsvollen Sinn. — Wie nannte sich dieser Greis, Der mit freundlichen Blicken Gedankenschwer in seiner eignen Größe ruht? Die Muse . Diese theuren langen Silberhaare, Die so schön ins Haar des Bartes fallen, Zierten einst den alten weisen Mahler Aus Toscana, meinen Leonardo , Der die große Schule dort gegründet. Der Jüngling . Gepriesen sey die Hand, die uns dies theure Haupt In äms'ger Arbeit aufbewahrt. N 2 Er ist's! ich seh' ihn, wie er sinnt, Und freundlich in die große weite Natur schaut, Und wie er rastlos wieder Nach neuer Erkenntniß trachtet. — Doch wer ist dieser Mann, In Blick und Stellung ihm fast ähnlich, Doch ernst, und tiefer in sich selbst verschlossen. Die Muse. Albrecht Dürer , der sich mir ergeben, Heilig betend sich an mich gedränget, Als im fernen wüsten Norden keiner, Mich und meine Kunst geachtet: fromm und Einfach war sein Wandel, Kindern ähnlich. Wie er selbst, sind alle seine Bilder. Der Jüngling. Ja, ich erkenne den stillen Fleiß, Die heilige Demuth des Hochbelobten, Die innere Arbeit des thätigen Geistes. — Doch deute mir den Namen dieses, Vor dessen wildem Blick ich heimlich im Innern Zusammenschaudre, wenn ihn mein Auge trifft! Die Muse . Dieser ist der Stolz des Vaterlandes, Schönstes Kleinod von Toscana; — Staunen Seiner Nachwelt: sieh' die Kraft des großen Michel' Angelo Buonarotti . Der Jüngling . Ha! der Gewaltige, stark wie ein Löwe! Der mit Erhabenheiten, mit dem Grausen spielte. — Aber die Sehnsucht drängt mich fern und ferner, — Rastlos irr' ich mit meinem Blick umher, Und immer find' ich nicht was ich suche. Keine Stirn ist edel und so begeistert, Kein Auge ernst genug und tief erforschend: — Abseits und einsam, mit langem Barte, Wunderbarem Heiligenschein um graue Locken, Hängt vielleicht der göttliche Raphael . Die Muse . Dieser Jüngling hier war Raphael . Der Jüngling . Dieser Jüngling? — Unerforschlich, Gott! Sind Deine Wege, Unerforschlich die tiefen Wunder der Kunst! Dieses heitre, unbefangne Auge Sah auf selbsterschaffne Christusbilder, Madonnen, Heilige und Apostel, Und alte Weisen, und wilde Schlachten! — Ach! er scheint nicht älter als ich selber. Über kleine frohe Spiele scheint er sinnend, Und das Sinnen wieder scheint ihm Spiel. Wie ich mich ihm so nah, ach! so vertraulich fühle! Wie kein Ernst, kein hoher Greisesstolz Mich Armen rückwärts hält, — wie ich ihm an die Brust Mit Weinen sinken möchte, und in Freude vergehn! Ach! er würde mich gern in seine Arme nehmen, Und freundlich mich über meine Bewunderung, Über mein Glück zu trösten suchen. — Nein, ich lasse den Thränen ihren Lauf; — In der schönsten Bildung hat sich in dir Die himmlische Kunst den Menschenkindern offen¬ bart. — Die Mahlerchronik . A ls ich in meiner Jugend mit unruhigem Geiste hier und dort umherzog, und überall begierig aufschaute, wo von Kunstsachen et¬ was zu sehen war, befand ich mich auch einmal auf einem fremden gräflichen Schlos¬ se, wo ich drey Tage lang mich an den vie¬ len Gemählden nicht satt sehen konnte. Ich wollte sie alle auswendig lernen, und er¬ hitzte mein Blut dabey so sehr, daß mir die tausend mannigfaltigen Bilder den Kopf ganz verwirrten. Am dritten Tage kam ein alter Mann, ein reisender italienischer Pater im Schlosse an, dessen Namen ich bis auf diese Stunde nicht erfahren habe; auch habe ich seit dem Tage nie wieder von ihm gehört. Er war ein grundgelehrter Mann, und hatte so viel Dinge in seinem Kopfe, daß ich er¬ staunen mußte; im Äußern glich er einem Weltweisen aus dem sechszehnten Jahrhun¬ dert. Obwohl ich nun noch so jung war, ließ er sich doch gar freundlich ins Gespräch mit mir ein, (denn er mußte irgend etwas, das ihm gefiel, an mir finden,) und ging mit mir den ganzen Tag in den Bildersälen umher. Da er meinen großen Eifer in Betrach¬ tung der Gemählde wahrnahm, fragte er mich: Ob ich denn auch die Meister zu nen¬ nen wüßte, welche dieses und jenes Stück gemacht hätten? Ich antwortete, daß ich die berühmtesten wohl kennte. Darauf fragte er mich wieder: Ob ich denn nicht mehr von ihnen wüßte, als die Namen? Wie er merkte, daß ich wirklich nicht viel mehr wußte, nahm er das Wort, und sprach zu mir: »Du hast bisher die schönen Bilder an¬ gestaunt, mein lieber Sohn, als wären es Wunderwerke, vom Himmel auf die Erde heruntergefallen. Aber bedenke, daß dies Alles Werk von Menschenhänden ist, — daß manche Künstler schon in Deinen Jahren ganz vortreffliche Sachen zu Stande brachten. Was meynst Du nun? Solltest Du nicht Lust empfinden, von den Männern, welche sich in der Mahlerey hervorgethan haben, etwas mehreres zu erfahren? Es giebt uns wunderbare Gedanken ein, wenn wir be¬ trachten, wie ihre Werke in immer gleicher ewiger Herrlichkeit glänzen; die Schöpfer dieser Werke aber, im Leben und Sterben, Menschen wie wir andre gewesen sind, in denen nur, so lange sie lebten, ein besondres himmlisches Feuer brannte. Dergleichen Be¬ trachtungen versetzen uns in eine wehmüthige und träumerische Stimmung, in welcher im¬ mer allerhand gute Ideen uns vorüberzuzie¬ hen pflegen.« Ich erinnere mich der Worte des lieben, redseligen alten Mannes noch sehr genau, und mit dem herzlichsten Vergnügen; drum will ich noch mehr davon aufzuzeichnen suchen. Er fuhr, wie er sah, daß ich still und begierig zuhörte, ungefähr also fort: »Ich habe mit Freude bemerkt, mein Sohn, daß Dein Gemüth sehr zu dem vor¬ trefflichen Raphael hinhängt. Wenn Du nun vor einem recht herrlichen Bilde seiner Hände da stehst, jeden seiner Pinselstriche mit Ehrfurcht betrachtest, und denkst: Hätt' ich den heiligen Mann doch im Leben ge¬ sehn! wie hätt' ich ihn anbeten wollen! — und nun hörtest Du dabey die alten Lebens¬ beschreiber der Mahler folgendermaßen von ihm erzählen: — Dieser Raphael Sanzio war das einzige Kind seiner Ältern; herzlich liebte ihn der Vater, und wollte ausdrück¬ lich, daß ihn die Mutter mit eigener Milch groß säugte, damit er nicht unter die gemei¬ nen Leute käme; und da er heran wuchs, half er als ein zarter Knabe dem Vater bey der Arbeit, und der Vater war froh, daß er seine Sachen so gut machte; um ihn aber was rechtes lernen zu lassen, nahm er Ab¬ rede mit Meister Pietro von Perugia, daß er ihn in die Lehre nähme, und führte ihn selber mit großen Freuden nach Perugia hin, wo Pietro den Knaben gar freundlich auf¬ nahm; aber die Mutter hatte beym Abschied viel Thränen vergossen, und konnte sich kaum von dem Kinde losreißen, denn auch sie liebte es herzinniglich: — — sage mir, wie wird Dir zu Muth, wenn Du das an¬ hörst? Ist Dir nicht lieblich und wohl da¬ bey, diese Dinge zu vernehmen? — — Und dies war eben derselbe Mensch, der nach kurzen sieben und dreyßig Jahren, von aller Welt betrauert, kalt und bleich im Sarge lag. — Der Leichnam lag in seinem Ar¬ beitszimmer, und ein köstliches Leichengedicht, das göttliche Gemählde von der Transfigu¬ ration, stand neben dem Sarge auf der Stafeley. — Dies Gemählde, worin wir noch jetzt das Elend der Erde, den Trost ed¬ ler Männer, und die Glorie des Himmel¬ reichs in so herrlicher Vereinigung dargestellt sehn, — und der Meister, von dem es er¬ dacht und ausgeführt war, kalt und bleich daneben.« — Mich reizten diese Sachen außerordent¬ lich, und ich bat den fremden Mann, mir noch mehr von Raphael zu erzählen. »Das schönste, was ich Dir von ihm sa¬ gen kann,« antwortete er, »ist, daß er als Mensch eben so edel und liebenswürdig war, wie als Künstler. Er hatte nichts von dem finstern und stolzen Wesen anderer Künstler, welche manchmal mit Fleiß allerhand Selt¬ samkeiten annehmen; sein ganzes Leben und Weben auf Erden war einfach, sanft und heiter, wie ein fließender Bach. Seine Ge¬ fälligkeit ging so weit, daß wenn fremde, auch ganz unbekannte Mahler ihn um Zeich¬ nungen von seiner Hand ersuchten, er seine Arbeit liegen ließ, und sie zuerst befriedigte. So half er sehr vielen aus, und belehrte sie wie ein Vater, höchst liebreich. Seine Vor¬ trefflichkeit in der Kunst versammelte eine Menge Mahler um ihn her, die sich beei¬ ferten seine Schüler zu seyn, obwohl sie den Lehrjahren selber zum Theil schon entwach¬ sen waren. Sie begleiteten ihn, wenn er an den Hof ging, aus seinem Hause, und machten ein großes Gefolge aus. So viele Mahler von verschiedenen Sinnen aber hät¬ ten gewiß nicht ohne Uneinigkeit und Zwie¬ tracht mit einander gelebt, hätte nicht der Geist ihres großen Meisters auf eine zauber¬ hafte Weise sie wie eine Sonne des Frie¬ dens beschienen, und alle Flecken von ihrer Seele getilgt. So wurden sie von seinem Geiste, wie von seinem Pinsel besiegt. — Noch findet sich in dem Leben Raphaels eine schöne Wundergeschichte, und das ist diese. Er mahlte einen vortrefflichen kreuztragen¬ den Christus mit vielen Figuren, welcher für ein Kloster in Palermo bestimmt war. Aber das Schiff, worin das Bild hinge¬ bracht werden sollte, litt heftigen Sturm und Schiffbruch; Menschen und Waaren gingen zu Grunde; — nur dies Gemählde, — es war eine besondere Fügung der Vor¬ sicht, — dies Gemählde ward von freund¬ lichen Wellen bis in den Hafen von Genua getragen, wo man es völlig unversehrt aus seinem Kasten herausnahm. Also bewie¬ sen selbst die wilden Elemente dem heiligen Manne ihre Ehrfurcht. Es ward darauf nach Palermo gebracht, und ist dort, wie der alte Vasari sich ausdrückt, für ein eben so großes Kleinod der Insel Sicilien geach¬ tet, als der Berg Ätna.« — Ich freute mich über die herrlichen Ge¬ schichten immer inniger, drückte dem Pater die Hände, und fragte sehr begierig: Aber woher habt Ihr alle diese Sachen erfahren? »Wisse, mein Sohn,« antwortete er, »es haben mehrere verdiente Männer Chroniken der Kunstgeschichte geführt, und die Leben der Mahler ausführlich beschrieben, von de¬ nen der älteste, und zugleich wohl der vor¬ nehmste, Giorgio Vasari mit Namen heißt. Wenige lesen diese Bücher heutiges Tages, obwohl viel Geist und Menschen¬ weisheit darinnen verborgen liegt. Bedenk' einmal, was es schön ist, die Männer, die Du nach ihrer verschiedenen Art den Pinsel zu zu führen kennest, nun auch nach ihren ver¬ schiedenen Charaktern und Sitten kennen zu lernen. Beydes fließt Dir dann in ein Bild zusammen: und wenn Du die mit ganz trockenen Worten erzählten Geschichten mit dem rechten, innigen Gefühle fassest, so wird eine herrliche Erscheinung, nämlich der Künstlercharakter vor Dir aufsteigen, der, wie er sich so mannigfaltig in den tau¬ send verschiedenen einzelnen Menschen zeigt, Dir ein ganz neues, liebliches Schauspiel gewähren wird. Jeder Charakter wird Dir ein eigenes Gemählde seyn, und Du wirst eine herrliche Gallerie von Bildnissen zum Spiegel Deines Geistes um Dich her ver¬ sammelt haben.« Dies verstand ich damals noch nicht recht, wiewohl es nachher, nachdem ich die gedach¬ ten Bücher gelesen habe, ganz meine eigene Meynung geworden ist. — Indessen lag ich O dem guten alten Pater sehr dringend an, mir immer noch mehr schöne Geschichten aus der Mahlerchronika zu erzählen. »Ich will mich besinnen,« sagte er mit lächelndem Munde, »ich rede gern von den alten Mah¬ lergeschichten.« Und nun erzählte er mir fürwahr eine ganze Menge der schönsten Hi¬ storien; denn er hatte alle Bücher, die je von der Kunst geschrieben sind, oftmals ge¬ lesen, und wußte das Beste daraus im Kopfe. Mir waren seine Erzählungen so eindring¬ lich, daß ich sie fast noch mit seinen Worten bis jetzt behalten habe, und ich will ein Theil davon zur Lust wieder erzählen. Als wir in dem Bildersaal, wo wir uns befanden, auf ein Gemählde von dem vor¬ trefflichen Domenichino trafen, sagte er mir, daß dieser Mahler ein merkwürdiges Beyspiel von einem heißen Eifer in der Kunst abgebe, und fuhr, um dies zu bewei¬ sen, also fort: »Ehe dieser Meister ein Gemählde an¬ fing, dachte er eine lange Zeit vorher dar¬ über nach, und blieb wohl manchmal ganze Tage lang allein in seinem Gemach, bis das Bild in allen kleinsten Theilen vollendet vor seiner Seele stand. Dann war er vergnügt, und sagte: nun ist die Hälfte der Arbeit ge¬ than. Und hatte er einmal zum Pinsel ge¬ griffen, so blieb er wieder den ganzen Tag bey der Stafeley angeheftet, und mochte sich kaum ein paar Minuten zum Essen ab¬ brechen. Er mahlte mit größtem Fleiß und Vollendung, und überall legte er tiefen Aus¬ druck hin. Als einer ihn einmal bereden wollte, sich nicht so abzuquälen, sondern die leichtere Manier anderer Mahler zu ergrei¬ fen, antwortete er ganz kurz: Ich arbeite bloß für mich, und die Vollkommenheit der Kunst. Er konnte nicht begreifen, wie an¬ dre Mahler die größten und wichtigsten O 2 Sachen mit so weniger Theilnahme arbeiten mochten, daß sie während des Mahlens im¬ merfort mit ihren Bekannten schwatzen konn¬ ten. Drum hielt er diese auch für bloße Handarbeiter, die das innere Heiligthum der Kunst nicht kennten. Er selber war, wenn er mahlte, immer mit so lebendiger Seele in seinem Gegenstande drinnen, daß er in sich selbst die Empfindungen und Affekten fühlte, die er vorstellen wollte, und sich un¬ willkührlich darnach gebehrdete. Manchmal, wenn er eine trauernde Figur im Sinn hatte, hörte man ihn in seinem Arbeitszimmer mit unterdrückter, ächzender Stimme wehklagen; oder wenn es ein freudiges Gesicht seyn sollte, so war er munter, und sprach lebhaft mit sich allein. Er mahlte darum in einem abgelegenen Gemach, und ließ keinen, auch von seinen Schülern nicht, hinzu, um nicht in seinen Entzückungen gestört, und für när¬ risch verlacht zu werden. In seinen jüngern Jahren war er auch einmal in so einer ent¬ zückten Stunde, als sich ein recht rührendes Schauspiel ereignete. Der vortreffliche An¬ nibale Caracci kam eben, ihn zu besuchen: wie er aber die Thür öffnete, sah er ihn ganz aufgebracht vor der Stafeley stehn, voller Wuth und Zorn, und mit einer dro¬ henden Gebehrde. Er blieb still an der Thür, und ward gewahr, daß sein Freund bey dem Bilde von der Marter des heiligen Andreas beschäftigt war, und eben einen trotzigen Kriegsknecht mahlte, der dem Apostel droht. Mit inniger Freude und Verwunderung sah er ihm eine ganze Zeitlang zu, und regte sich nicht; — aber endlich konnte er sich nicht länger halten: — »Ich danke Dir!« rief er aus, stürzte auf ihn zu, und fiel ihm mit klopfendem Herzen um den Hals.« — »Dieser Annibale Caracci war selbst ein gar herrlicher, kräftiger Mann, der die stumme Größe der Kunst recht inniglich fühlte, und es besser achtete, selber große Werke hervorzubringen, als mit zierlichen, leichten Worten um große Werke der Kunst herumzuspielen. Sein Bruder Agostino dagegen war, neben seiner Kunst, ein feiner Weltmann, ein Litteratus und Sonnetten¬ dichter, der über Kunstsachen gern viel Worte machte. Als nun beyde von Rom zurückge¬ kommen waren, und wieder in ihrer Akade¬ mie in Bologna saßen und arbeiteten, fing dieser Agostino einstmals an, die merkwür¬ dige antike Gruppe des Laokoon gar weit¬ läuftig zu beschreiben, und alle die einzelnen Schönheiten mit gar zierlichen Reden her¬ auszustreichen. Wie nun sein Bruder Anni¬ bale ganz kalt und träumerisch daneben stand, als wenn er es nicht verstände, ward jener ungehalten, und fragte: ob er denn nichts davon fühlte? Das verdroß ihn innerlich; stillschweigend nahm er eine Kohle, ging an die Wand, und zeichnete schnell aus dem Kopf die ganze Gruppe vom Laokoon den Umrissen nach so treu und richtig hin, daß man sie vor Augen zu sehen glaubte. Dann trat er lächelnd von der Wand zurück, — alle Anwesende aber erstaunten, und Ago¬ stino gab sich für überwunden, und erkannte ihn als den Sieger im Wettstreit.« — Als der fremde Mann diese Geschichten erzählt hatte, kam ich auf andre Dinge mit ihm zu reden, und fragte ihn unter andern: ob er nicht auch Geschichten von Knaben wüßte, die von früher Jugend an einen besondern Hang zur Mahlerkunst gehabt hätten? »O ja,« sagte der fremde Mann lächelnd, »es wird uns von mehreren Knaben berich¬ tet, die in ganz schlechtem Stande gebohren und erzogen, und daraus gleichsam vom Himmel zur Mahlerkunst berufen wurden. Davon fallen mir mehrere Exempel ein. Gleich einer der allerältesten Mahler von Italien, Giotto , war in der Jugend nichts weiter als ein Hirtenjunge, der die Schafe hütete. Er hatte seine Freude daran, seine Schafe auf Steinen oder im Sande abzu¬ zeichnen; dabey betraf ihn einmal Cimabue, der Urvater aller Mahler, und nahm ihn mit sich, da der Knabe denn bald seinen Lehrmeister übersah. Wenn ich nicht irre, so werden uns ganz ähnliche Geschichten vom Domenico Beccafumi , und auch von dem geschickten Bildhauer Contucci er¬ zählt, der als Knabe das Vieh, das er wei¬ den mußte, in Thon nachbildete. So war auch der bekannte Polidoro da Cara¬ vaggio anfangs weiter nichts, als ein Bur¬ sche, der den Maurern am Vatikan den Mörtel zutrug; dabey aber sah er den Schü¬ lern Raphaels, die eben dort arbeiteten, fleißig zu, bekam eine unwiderstehliche Lust zum Mahlen, und lernte gar schnell und eifrig. — Ja, es fällt mir noch ein sehr ar¬ tiges Exempel ins Gedächtniß, von dem al¬ ten französischen Mahler Jacob Callot ; der hatte als Knabe viel von den herrlichen Sachen in Italien reden hören, und bekam, da er das Zeichnen über alles liebte, eine Wuth das herrliche Land zu sehn. Als ein Knabe von eilf Jahren lief er heimlich dem Vater fort, ohne einen Kreuzer Geld in der Tasche, und wollte geradesweges nach Rom. Er mußte sich bald aufs Betteln legen, und wie er auf seinem Wege einen Trupp Zi¬ geuner antraf, schlug er sich dazu, und wan¬ derte mit ihnen bis Florenz, wo er wirklich bey einem Mahler in die Lehre kam. Dann ging er nach Rom; hier aber sahen ihn fran¬ zösische Kaufleute aus seiner Vaterstadt, welche die Noth und Angst der Aeltern um ihn wußten, und ihn mit Gewalt mit sich zurücknahmen. Als der Vater ihn wieder hatte, wollte er ihn zwingen, sich fleißig an die Studia zu halten; allein das war alles verlorene Mühe. Im vierzehnten Jahre lief er zum zweytenmal fort nach Italien; aber sein Unstern wollte, daß er in Turin auf der Straße seinem ältern Bruder begegnen mußte, der ihn von neuem zu dem Vater zurückschleppte. Endlich sah dieser ein, daß kein Mittel half, und gab ihm nun von freyen Stücken die Erlaubniß, zum dritten¬ mal nach Italien zu gehn, wo er sich denn auch zu einem wackern Künstler bildete. Bey allen seinen jugendlichen Streifereyen war er immer ohne Gefahr geblieben, und hatte seine ganze Unschuld der Seele behalten; denn er mußte unter besonderer Obhut des Himmels stehen. Noch ist merkwürdig von ihm, daß er als Knabe immer um zweyer¬ ley zu Gott betete, nämlich: daß er, er werde was er wolle, sich in seinem Thun vor allen andern auszeichnen möchte; — und dann, daß er nicht über drey und vierzig Jahre alt würde. Und was wunderbar ist, so starb er wirklich im drey und vierzigsten Jahre.« — Der alte Pater hatte diese Geschichten mit vielem Antheil erzählt. Dann ging er sinnend auf und nieder, und ich sah ihm an, daß er in angenehmen Träumen unter dem Haufen der alten Mahler umherirrte. Ich ließ ihn gern in seinen Betrachtungen, und freute mich, daß er sich noch auf mehr Sa¬ chen besinnen würde, denn die Erinnerungen schienen ihm immer lebendiger zu werden. Und wirklich fing er nach einer kleinen Weile wieder also an: »Da kommen mir noch ein paar schöne Anekdoten ins Gedächtniß, die, auf zwie¬ fache verschiedene Weise, bezeugen, was für eine mächtige Gottheit die Kunst für den Künstler ist, und mit welcher Gewalt sie ihn beherrscht. — Es war einmal ein alter Flo¬ rentinischer Mahler, mit Namen Mariotto Albertinelli , ein eifriger Künstler, aber ein gar unruhiger und sinnlicher Mensch. Er ward des unsichern und mühseligen Stu¬ diums an den mechanischen Theilen der Kunst, und der häßlichen Feindschaften und Verfol¬ gungen der Nebenkünstler endlich ganz über¬ drüßig, und weil er gern gut leben mochte, so entschloß er sich ein lustigeres Gewerbe zu ergreifen, und legte ein Gasthaus an. Herzlich vergnügt war er, wie die Sache im Gange war, und sagte öfters zu seinen Freunden: »Seht! das ist ein besser Hand¬ werk! Nun quäl' ich mich nicht mehr um die Muskeln gemahlter Menschen, son¬ dern speise und stärke lebendige , und, was das beste ist, bin vor dem abscheulichen Anfeinden und Verläumden sicher, so lang' ich nur guten Wein im Fasse habe.« — Aber was geschah? Wie er eine Zeitlang dies Le¬ ben geführt hatte, stellte sich ihm die gött¬ liche Erhabenheit der Kunst auf einmal wie¬ der so lebhaft vor Augen, daß er plötzlich sein Gasthaus aufgab, und eifrig, als ein Bekehrter, sich der Kunst von neuem in die Arme warf.« — Die andre Geschichte ist diese. Der wohlbekannte und berühmte Parmeggiano mahlte als ein junger Mann in Rom sehr vortreffliche Sachen für den Pabst, und zwar grade zu der Zeit, als der deutsche Kaiser Karl der Fünfte die Stadt belagerte. Des¬ sen Truppen nun brachen in die Thore ein, und plünderten alle Häuser, der Großen wie der Geringen. Parmeggiano aber ach¬ tete auf nichts weniger als auf den Kriegs¬ lärm und Tumult, und blieb ruhig bey seiner Arbeit. Auf einmal brechen etliche Kriegs¬ männer ins Gemach herein, und siehe! er bleibt immer noch fest und ämsig an seiner Stafeley. Da erstaunten diese wilden Men¬ schen, die selbst Tempel und Altar nicht ge¬ schont hatten, über den großen Geist des Mannes so sehr, daß sie ihn, als wär' er ein Heiliger, nicht anzurühren wagten, und ihn sogar gegen die Wuth anderer beschütz¬ ten.« — »Wie wunderbar ist das alles,« rief ich; »aber nun bitt' ich euch noch um ein einziges,« fuhr ich zu dem lieben fremden Manne fort, — »sagt mir, ob es wahr ist, was ich einst hörte, daß die ältesten Mah¬ ler von Italien so gottesfürchtige Männer gewesen sind, und die heiligen Geschichten immer mit rechter Gottesfurcht gemahlt ha¬ ben? Mehrere Leute, die ich darum be¬ fragte, lachten mich aus, und sagten, das sey eitel Einbildung und ein artig-erfunde¬ nes Mährchen.« »Nein, mein Sohn,« versetzte der liebe Mann zu meinem Trost, »das ist keine poe¬ tische Erfindung, sondern, wie ich Dir aus den alten Büchern bezeugen kann, die lau¬ tere Wahrheit. Diese ehrwürdigen Männer, von denen mehrere selbst Geistliche und Klo¬ sterbrüder waren, widmeten die von Gott empfangene Geschicklichkeit ihrer Hand auch bloß göttlichen und heiligen Geschichten, und brachten so einen ernsthaften und heiligen Geist, und so eine demüthige Einfalt in ihre Werke, wie es sich zu geweiheten Gegen¬ ständen schickt. Sie machten die Mahlerkunst zur treuen Dienerinn der Religion, und wußten nichts von dem eitlen Farbenprunk der heutigen Künstler: ihre Bilder, in Ka¬ pellen und an Altären, gaben dem, der da¬ vor kniete und betete, die heiligsten Gesin¬ nungen ein. Einer der alten Männer, Lip¬ po Dalmasio , war wegen seiner herrlichen Madonnen berühmt, wovon Pabst Grego¬ rius der Dreyzehnte eine vorzügliche in sei¬ nem Gemache zur Privatandacht bey sich hatte. Ein andrer, Fra Giovanni Ange¬ lico da Fiesole , Mahler und Dominika¬ nermönch zu Florenz, war wegen seines strengen und gottesfürchtigen Lebens beson¬ ders berühmt. Er kümmerte sich gar nicht um die Welt, schlug sogar die Würde eines Erzbischoffs aus, die der Pabst ihm antrug, und lebte immer still, ruhig, demüthig und einsam. Jedesmal, bevor er zu mahlen an¬ fing, pflegte er zu beten; dann ging er ans Werk, und führte es aus, wie der Himmel es ihm eingegeben hatte, ohne weiter darüber zu zu klügeln und zu kritisiren. Das Mahlen war ihm eine heilige Bußübung; und manch¬ mal, wenn er Christi Leiden am Krruz mahlte, sah man während der Arbeit große Thränen über sein Gesicht fließen. — Das Alles ist nicht ein schönes Mährchen, son¬ dern die reine Wahrheit.« — Den Beschluß machte der Pater mit ei¬ ner recht seltsamen Geschichte, welche eben¬ falls in jene alte Periode der religiösen Mah¬ lerkunst fällt. »Einer der frühsten Mahler,« erzählte er, »welcher uns Spinello genannt wird, mahlte in seinem Alter für die Kirche S. Agnolo zu Arezzo ein sehr großes Altarblatt, worauf er den Lucifer und den Sturz der bösen Engel vorstellte: in der Luft den En¬ gel Michael, wie er mit dem siebenköpfigen Drachen kämpft, und unten den Lucifer in der Gestalt des scheußlichsten Ungeheuers. P Von dieser gräulichen Teufelsgestalt war nun sein Kopf so eingenommen, daß, wie erzählt wird, der böse Geist ihm grade so gestaltet im Traume erschien, und ihn fürch¬ terlich fragte: warum er ihn in dieser schänd¬ lichen, bestialischen Bildung vorgestellt, und an welchem Ort er ihn in dieser Unform ge¬ sehn habe? Der Mahler erwachte aus dem Traum an allen Gliedern zitternd, — er wollte um Hülfe rufen, und konnte vor Schrecken keinen Laut hervorbringen. Von der Zeit an war er immer halb von sich, und behielt einen stieren Blick; auch starb er nicht lange darauf. Das wunderbare Ge¬ mählde aber ist noch heutiges Tages an sei¬ ner alten Stelle zu sehen.« — — Der fremde Pater ging bald darauf fort, und reiste weiter, ohne daß ich einmal Ab¬ schied von ihm nehmen konnte. Mir war wie im Traum, als ich alle die schönen Hi¬ storien gehört hatte; — ich war in eine ganz neue, wunderbare Welt eingeführt. Begie¬ rig fragte ich überall nach, um alle die Bü¬ cher von Lebensgeschichten der Mahler, be¬ sonders auch das Werk des Giorgio Vasari zu bekommen; ich las sie mit Liebe und Ei¬ fer, und siehe! ich fand in diesen Büchern alle die Historien aufgezeichnet, die der frem¬ de Pater erzählt hatte. Dieser mir unver¬ geßliche Mann ist es gewesen, der mich auf das Studium der Künstlergeschichte ge¬ leitet hat, welches dem Verstande, dem Her¬ zen und der Phantasie so viel Nahrung giebt, und ich habe ihm darum gar viele glückliche Stunden zu verdanken. P 2 Das merkwürdige musikalische Leben des Tonkünstlers Joseph Berglinger . In zwey Hauptstücken . Erstes Hauptstück . I ch habe mehrmals mein Auge rückwärts gewandt, und die Schätze der Kunstgeschichte vergangener Jahrhunderte zu meinem Ver¬ gnügen eingesammelt; aber jetzt treibt mich mein Gemüth, einmal bey den gegenwärti¬ gen Zeiten zu verweilen, und mich an der Geschichte eines Künstlers zu versuchen, den ich seit seiner frühen Jugend kannte, und der mein innigster Freund war. Ach leider bist du bald von der Erde weggegangen, mein Joseph! und nicht so leicht werd' ich deinesgleichen wieder finden. Aber ich will mich daran laben, der Geschichte deines Gei¬ stes, von Anfang an, so wie du mir oft¬ mals in schönen Stunden sehr ausführlich davon erzählt hast, und so wie ich selbst dich innerlich kennen gelernt habe, in mei¬ nen Gedanken nachzugehen, und denen, die Freude daran haben, deine Geschichte erzäh¬ len. — Joseph Berglinger ward in einem kleinen Städtchen im südlichen Deutschlande gebohren. Seine Mutter mußte die Welt verlassen, indem sie ihn darein setzte; sein Vater, schon ein ziemlich bejahrter Mann, war Doktor der Arzneygelehrsamkeit, und in dürftigen Vermögensumständen. Das Glück hatte ihm den Rücken gewandt; und es kostete ihn sauren Schweiß, sich und sechs Kinder, (denn Joseph hatte fünf weibliche Geschwister,) durch das Leben zu bringen, zumal da ihm nun eine verständige Wirth¬ schafterinn mangelte. Dieser Vater war ursprünglich ein weicher und sehr gutherziger Mann, der nichts lie¬ ber thun mochte, als helfen, rathen und Allmosen geben, so viel er nur vermögend war; der nach einer guten That besser schlief als gewöhnlich; der lange, mit herzlicher Rührung und Dank gegen Gott, von den guten Früchten seines Herzens zehren konn¬ te, und seinen Geist am liebsten mit rühren¬ den Empfindungen nährte. Man muß in der That allemal von tiefer Wehmuth und herzlicher Liebe ergriffen werden, wenn man die beneidenswerthe Einfachheit dieser See¬ len betrachtet, welche in den gewöhnlichen Äußerungen des guten Herzens einen so un¬ erschöpflichen Abgrund von Herrlichkeit fin¬ den, daß dies völlig ihr Himmel auf Erden ist, wodurch sie mit der ganzen Welt ver¬ söhnt, und immer in zufriedenem Wohlbe¬ hagen erhalten werden. Joseph hatte ganz diese Empfindung, wenn er seinen Vater be¬ trachtete; — aber ihn hatte der Himmel nun einmal so eingerichtet, daß er immer nach etwas noch Höherem trachtete; es genügte ihm nicht die bloße Gesundheit der Seele, und daß sie ihre ordentlichen Ge¬ schäfte auf Erden, als arbeiten und Gutes thun, verrichtete; — er wollte, daß sie auch in üppigem Übermuthe dahertanzen, und zum Himmel, als zu ihrem Ursprunge, hin¬ aufjauchzen sollte. Das Gemüth seines Vaters war aber auch noch aus andern Dingen zusammenge¬ setzt. Er war ein ämsiger und gewissenhafter Arzt, der Zeit seines Lebens an nichts als an der Kenntniß der seltsamen Dinge, die im menschlichen Körper verborgen liegen, und an der weitläuftigen Wissenschaft aller jammervollen menschlichen Gebrechen und Krankheiten, seine Lust gehabt hatte. Die¬ ses eifrige Studium nun war ihm, wie es öfters zu geschehen pflegt, ein heimliches, nervenbetäubendes Gift geworden, das alle seine Adern durchdrang, und viele klingende Saiten des menschlichen Busens bey ihm zernagte. Dazu kam der Mißmuth über das Elend seiner Dürftigkeit, und endlich das Alter. Alles dieses zehrte an der ursprüng¬ lichen Güte seines Gemüths; denn bey nicht starken Seelen geht alles, womit der Mensch zu schaffen hat, in sein Blut über, und ver¬ wandelt sein Inneres, ohne daß er es sel¬ ber weiß. Die Kinder des alten Arztes wuchsen bey ihm auf, wie Unkraut in einem verwilderten Garten. Josephs Schwestern waren theils kränklich, theils von schwachem Geiste, und führten ein kläglich einsames Leben in ihrer dunklen kleinen Stube. In diese Familie konnte niemand weni¬ ger passen, als Joseph , der immer in schö¬ ner Einbildung und himmlischen Träumen lebte. Seine Seele glich einem zarten Bäum¬ chen, dessen Samenkorn ein Vogel in das Gemäuer öder Ruinen fallen ließ, wo es zwischen harten Steinen jungfräulich hervor¬ schießet. Er war stets einsam und still für sich, und weidete sich nur an seinen inneren Phantaseyen; drum hielt der Vater auch ihn ein wenig verkehrt und blödes Geistes. Sei¬ nen Vater und seine Geschwister liebte er aufrichtig; aber sein Inneres schätzte er über alles, und hielt es vor andern heimlich und verborgen. So hält man ein Schatzkästlein verborgen, zu welchem man den Schlüssel niemanden in die Hände giebt. Seine Hauptfreude war von seinen früh¬ sten Jahren an, die Musik gewesen. Er hörte zuweilen jemanden auf dem Claviere spielen, und spielte auch selber etwas. Nach und nach bildete er sich durch den oft wie¬ derholten Genuß auf eine so eigene Weise aus, daß sein Inneres ganz und gar zu Musik ward, und sein Gemüth, von dieser Kunst gelockt, immer in den dämmernden Irrgängen poetischer Empfindung umher¬ schweifte. Eine vorzügliche Epoche in seinem Leben machte eine Reise nach der bischöflichen Re¬ sidenz, wohin ein begüterter Anverwandter, der dort wohnte, und der den Knaben lieb¬ gewonnen hatte, ihn auf einige Wochen mit¬ nahm. Hier lebte er nun recht im Himmel: sein Geist ward mit tausendfältiger schöner Musik ergötzt, und flatterte nicht anders als ein Schmetterling in warmen Lüften umher. Vornehmlich besuchte er die Kirchen, und hörte die heiligen Oratorien, Cantilenen und Chöre mit vollem Posaunen- und Trompe¬ tenschall unter den hohen Gewölben ertönen, wobey er oft, aus innerer Andacht, demü¬ thig auf den Knieen lag. Ehe die Musik anbrach, war es ihm, wenn er so in dem gedrängten, leise murmelnden Gewimmel der Volksmenge stand, als wenn er das gewöhn¬ liche und gemeine Leben der Menschen, als einen großen Jahrmarkt, unmelodisch durch¬ einander und um sich herum summen hörte; sein Kopf ward von leeren, irdischen Klei¬ nigkeiten betäubt. Erwartungsvoll harrte er auf den ersten Ton der Instrumente; — und indem er nun aus der dumpfen Stille, mäch¬ tig und langgezogen, gleich dem Wehen eines Windes vom Himmel hervorbrach, und die ganze Gewalt der Töne über seinem Haupte daherzog, — da war es ihm, als wenn auf einmal seiner Seele große Flügel ausge¬ spannt, als wenn er von einer dürren Haide aufgehoben würde, der trübe Wolkenvor¬ hang vor den sterblichen Augen verschwände, und er zum lichten Himmel emporschwebte. Dann hielt er sich mit seinem Körper still und unbeweglich, und heftete die Augen un¬ verrückt auf den Boden. Die Gegenwart versank vor ihm; sein Inneres war von al¬ len irdischen Kleinigkeiten, welche der wahre Staub auf dem Glanze der Seele sind, ge¬ reinigt; die Musik durchdrang seine Nerven mit leisen Schauern, und ließ, so wie sie wechselte, mannigfache Bilder vor ihm auf¬ steigen. So kam es ihm bey manchen fro¬ hen und herzerhebenden Gesängen zum Lobe Gottes ganz deutlich vor, als wenn er den König David im langen königlichen Mantel, die Krone auf dem Haupt, vor der Bundes¬ lade lobsingend hertanzen sähe; er sah sein ganzes Entzücken und alle seine Bewegun¬ gen, und das Herz hüpfte ihm in der Brust. Tausend schlafende Empfindungen in seinem Busen wurden losgerissen, und bewegten sich wunderbar durcheinander. Ja bey manchen Stellen der Musik endlich schien ein beson¬ derer Lichtstrahl in seine Seele zu fallen; es war ihm, als wenn er dabey auf einmal weit klüger würde, und mit helleren Augen und einer gewissen erhabenen und ruhigen Wehmuth, auf die ganze wimmelnde Welt herabsähe. So viel ist gewiß, daß er sich, wenn die Musik geendigt war, und er aus der Kirche herausging, reiner und edler geworden vor¬ kam. Sein ganzes Wesen glühte noch von dem geistigen Weine, der ihn berauscht hat¬ te, und er sah alle Vorübergehende mit an¬ dern Augen an. Wenn er dann etwa ein paar Leute auf dem Spatziergange zusam¬ menstehn und lachen, oder sich Neuigkeiten erzählen sah, so machte das einen ganz eig¬ nen widrigen Eindruck auf ihn. Er dachte: du mußt Zeitlebens, ohne Aufhören in die¬ sem schönen poetischen Taumel bleiben, und dein ganzes Leben muß eine Musik seyn. Wenn er dann aber zu seinem Anver¬ wandten zum Mittagsessen ging, und es sich in einer gewöhnlich-lustigen und scherzenden Gesellschaft hatte wohl schmecken lassen, — dann war er unzufrieden, daß er so bald wieder ins prosaische Leben hinabgezogen war, und sein Rausch sich wie eine glänzende Wolke verzogen hatte. Diese bittere Mißhelligkeit zwischen sei¬ nen angebohrnen ätherischen Enthusiasmus, und dem irdischen Antheil an dem Leben ei¬ nes jeden Menschen, der jeden täglich aus seinen Schwärmereyen mit Gewalt herab¬ ziehet, quälte ihn sein ganzes Leben hin¬ durch. — Wenn Joseph in einem großen Concerte war, so setzte er sich, ohne auf die glänzende Versammlung der Zuhörer zu blicken, in ei¬ nen Winkel, und hörte mit eben der An¬ dacht zu, als wenn er in der Kirche wäre, — eben so still und unbeweglich, und mit so vor sich auf den Boden sehenden Augen. Der geringste Ton entschlüpfte ihm nicht, und er war von der angespannten Aufmerk¬ samkeit am Ende ganz schlaff und ermüdet. Seine ewig bewegliche Seele war ganz ein Spiel der Töne; — es war als wenn sie losgebunden vom Körper wäre und freyer umherzitterte, oder auch als wäre sein Kör¬ per mit zur Seele geworden, — so frey und leicht ward sein ganzes Wesen von den schönen Harmonieen umschlungen, und die feinsten Falten und Biegungen der Töne drückten sich in seiner weichen Seele ab. — Bey fröhlichen und entzückenden vollstimmi¬ gen Symphonieen, die er vorzüglich liebte, kam es ihm gar oftmals vor, als säh' er ein munteres Chor von Jünglingen und Mäd¬ chen auf einer heitern Wiese tanzen, wie sie vor- und rückwärts hüpfen, und wie ein¬ zelne Paare zuweilen Pantomimen zu ein¬ ander sprachen, und sich dann wieder unter den frohen Haufen mischten. Manche Stel¬ len in der Musik waren ihm so klar und eindringlich, daß die Töne ihm Worte zu seyn schienen. Ein andermal wieder wirkten die Töne eine wunderbare Mischung von Fröhlichkeit und Traurigkeit in seinem Her¬ zen, so daß Lächeln und Weinen ihm gleich nahe war; eine Empfindung, die uns auf unserm Wege durch das Leben so oft be¬ gegnet, und die keine Kunst geschickter ist auszudrücken, als die Musik. Und mit wel¬ chem Entzücken und Erstaunen hörte er ein solches Tonstück an, das mit einer muntern und heitern Melodie, wie ein Bach, anhebt, aber sich nach und nach unvermerkt und wunder¬ wunderbar in immer trüberen Windungen fortschleppt, und endlich in heftig-lautes Schluchzen ausbricht, oder wie durch wilde Klippen mit ängstigendem Getöse daher¬ rauscht. — Alle diese mannigfaltigen Em¬ pfindungen nun drängten in seiner Seele immer entsprechende sinnliche Bilder und neue Gedanken hervor: — eine wunderbare Gabe der Musik, — welche Kunst wohl überhaupt um so mächtiger auf uns wirkt, und alle Kräfte unsers Wesens um so allge¬ meiner in Aufruhr setzt, je dunkler und ge¬ heimnißvoller ihre Sprache ist. — Die schönen Tage, die Joseph in der bischöflichen Residenz verlebt hatte, waren endlich vorüber, und er mußte wieder nach seiner Vaterstadt in das Haus seines Vaters zurückkehren. Wie traurig war der Rück¬ weg! Wie kläglich und niedergedrückt fühl¬ te er sich wieder in einer Familie, deren Q ganzes Leben und Weben sich nur um die kümmerliche Befriedigung der nothwendig¬ sten physischen Bedürfnisse drehte, und bey einem Vater, der so wenig in seine Neigun¬ gen einstimmte! Dieser verachtete und ver¬ abscheute alle Künste als Dienerinnen ausge¬ lassener Begierden und Leidenschaften, und Schmeichlerinnen der vornehmen Welt. Schon von jeher hatte er es mit Mißvergnügen ge¬ sehen, daß sein Joseph sich so sehr an die Musik gehängt hatte; und nun, da diese Liebe in dem Knaben immer höher wuchs, machte er einen anhaltenden und ernstlichen Versuch, ihn von dem verderblichen Hange zu einer Kunst, deren Ausübung nicht viel besser als Müssiggang sey, und die bloß die Lüsternheit der Sinne befriedige, zur Medi¬ cin, als zu der wohlthätigsten, und für das Menschengeschlecht allgemein-nützlichsten Wis¬ senschaft zu bekehren. Er gab sich viele Mühe, ihn selber in den Anfangsgründen zu unterweisen, und gab ihm Hülfsbücher in die Hände. Dies war eine recht quälende und pein¬ liche Lage für den armen Joseph. Er preßte seinen Enthusiasmus heimlich in seine Brust zurück, um seinen Vater nicht zu kränken, und wollte sich zwingen ob er nicht neben¬ her eine nützliche Wissenschaft erlernen könnte. Aber das war ein ewiger Kampf in seiner Seele. Er las in seinen Lehrbüchern eine Seite zehenmal, ohne zu fassen, was er las; — immer sang seine Seele innerlich ihre melodischen Phantasieen fort. Der Vater war sehr bekümmert um ihn. Seine heftige Liebe zur Musik nahm in der Stille immer mehr überhand. War in einigen Wochen kein Ton in sein Ohr ge¬ kommen, so ward er ordentlich am Gemü¬ the krank; er merkte, daß sein Gefühl zu¬ Q 2 sammenschrumpfte, es entstand eine Leerheit in seinem Innern, und er hatte eine rechte Sehnsucht sich wieder von den Tönen begei¬ stern zu lassen. Dann konnten selbst gemeine Spieler an Fest- oder Kirchweihtagen, mit ihren Blasinstrumenten ihm Gefühle ein¬ flößen, wovon sie selber keine Ahndung hat¬ ten. Und so oft in den benachbarten Städ¬ ten eine schöne große Musik zu hören war, so lief er mit heißer Begierde, im heftigsten Schnee, Sturm und Regen hinaus. Fast täglich rief er sich mit Wehmuth die herrliche Zeit in der bischöflichen Resi¬ denz in seinen Gedanken zurück, und stellte sich die köstlichen Sachen, die er dort gehört hatte, wieder vor die Seele. Oftmals sagte er sich die auswendig-behaltenen, so lieb¬ lichen und rührenden Worte des geistlichen Oratoriums vor, welches das erste gewesen war, das er gehört, und welches einen vor¬ züglich tiefen Eindruck auf ihn gemacht hatte: Stabat Mater dolorosa Juxta crucem lacrymosa, Dum pendebat filius: Contristantem et dolentem Pertransivit gladius. O quam tristis et afflicta Fuit illa benedicta Mater unigeniti: Quae moerebat et dolebat Et tremebat, cum videbat Nati poenas inclyti. Und wie es weiter heißt. Ach aber! — wenn ihm nun so eine ent¬ zückte Stunde, da er in ätherischen Träu¬ men lebte, oder da er eben ganz berauscht von dem Genuß einer herlichen Musik kam, dadurch unterbrochen wurde, daß seine Ge¬ schwister sich um ein neues Kleid zankten, oder daß sein Vater der ältesten nicht hin¬ reichend Geld zur Wirthschaft geben konnte, oder der Vater von einem recht elenden, jammervollen Kranken erzählte, oder daß ei¬ ne alte, ganz krummgebückte Bettelfrau an die Thür kam, die sich in ihren Lumpen vor dem Winterfrost nicht schützen konnte; — ach! es giebt in der Welt keine so entsetzlich bittere, so herzdurchschneidende Empfindung, als von der Joseph alsdann zerrissen ward. Er dachte: »Lieber Gott! ist denn das die Welt wie sie ist? und ist es denn Dein Wille, daß ich mich so unter das Gedränge des Haufens mischen, und an dem gemeinen Elend Antheil nehmen soll? Und doch sieht es so aus, und mein Vater predigt es im¬ mer, daß es die Pflicht und Bestimmung des Menschen sey, sich darunter zu mischen, und Rath und Allmosen zu geben, und ekel¬ hafte Wunden zu verbinden und, häßliche Krankheiten zu heilen! Und doch ruft mir wieder eine innere Stimme ganz laut zu: Nein! nein! du bist zu einem höheren, edle¬ ren Ziel gebohren!« — Mit solchen Ge¬ danken quälte er sich oft lange, und konnte keinen Ausweg finden; allein eh' er es sich versah, waren die widrigen Bilder, die ihn gewaltsam in den Schlamm dieser Erde her¬ abzuziehen schienen, aus seiner Seele ver¬ wischt, und sein Geist schwärmte wieder un¬ gestört in den Lüften umher. Allmählig ward er nun ganz und gar der Überzeugung, daß er von Gott deshalb auf die Welt gesetzt sey, um ein recht vor¬ züglicher Künstler in der Musik zu werden; und zuweilen dachte er wohl daran, daß der Himmel ihn aus der trüben und engen Dürftigkeit, worin er seine Jugend hinbrin¬ gen mußte, zu desto höherem Glanze her¬ vorziehen werde. Viele werden es für eine romanhafte und unnatüeliche Erdichtung hal¬ ten, allein es ist reine Wahrheit, wenn ich erzähle, daß er oftmals in seiner Einsam¬ keit, aus inbrünstigem Triebe seines Her¬ zens, auf die Kniee fiel, und Gott bat, er möchte ihn doch also führen, daß er einst ein recht herrlicher Künstler vor dem Him¬ mel und vor der Erde werden möchte. In dieser Zeit, da sein Blut, von den immer auf denselben Fleck gehefteten Vorstellungen bedrängt, oft in heftiger Wallung war, schrieb er mehrere kleine Gedichte nieder, die seinen Zustand, oder das Lob der Tonkunst schilderten, und die er mit großer Freude, auf seine kindisch-gefühlvolle Weise in Mu¬ sik setzte, ohne die Regeln zu kennen. Eine Probe von diesen Liedern ist folgendes Ge¬ bet, welches er an diejenige unter den Hei¬ ligen richtete, die als Beschützerinn der Ton¬ kunst verehrt wird: Siehe wie ich trostlos weine In dem Kämmerlein alleine, Heilige Cäcilia ! Sieh' mich aller Welt entfliehen, Um hier still vor Dir zu knieen: Ach ich bete, sey mir nah! Deine wunderbaren Töne, Denen ich verzaubert fröhne, Haben mein Gemüth verrückt. Löse doch die Angst der Sinnen, — Laß mich in Gesang zerrinnen, Der mein Herz so sehr entzückt. Möchtest Du auf Harfensaiten Meinen schwachen Finger leiten, Daß Empfindung aus ihm quillt; Daß mein Spiel in tausend Herzen Laut Entzücken, süße Schmerzen, Beydes hebt und wieder stillt. Möcht' ich einst mit lautem Schalle In des Tempels voller Halle Ein erhabnes Gloria Dir und allen Heil'gen weihen, Tausend Christen zu erfreuen: Heilige Cäcilia ! Öffne mir der Menschen Geister, Daß ich ihrer Seelen Meister Durch die Kraft der Töne sey; Daß mein Geist die Welt durchklinge, Sympathetisch sie durchdringe, Sie berausch in Phantasey! — Über ein Jahr lang wohl quälte sich und brütete der arme Joseph in der Einsamkeit über einen Schritt, den er thun wollte. Eine unwiderstehliche Macht zog seinen Geist nach der herrlichen Stadt zurück, die er als ein Paradies für sich betrachtete; denn er brannte für Begierde, dort seine Kunst von Grund aus zu erlernen. Das Verhältniß gegen sei¬ nen Vater aber preßte sein Herz ganz zu¬ sammen. Dieser hatte wohl gemerkt, daß Joseph sich gar nicht mehr mit Ernst und Eifer in seiner Wissenschaft anlegen wollte, hatte ihn auch schon halb aufgegeben, und sich in seinen Mißmuth, der mit zunehmen¬ dem Alter immer stärker ward, zurückgezo¬ gen. Er gab sich wenig mehr mit dem Kna¬ ben ab. Joseph indessen verlor darum sein kindliches Gefühl nicht; es kämpfte ewig mit seiner Neigung, und er konnte immer nicht das Herz fassen, in des Vaters Gegenwart über die Lippen zu bringen, was er ihm zu entdecken hatte. Ganze Tage lang peinigte er sich, alles gegen einander abzuwägen, aber er konnte und konnte aus dem entsetz¬ lichen Abgrunde von Zweifeln nicht heraus¬ kommen, all' sein inbrünstiges Beten wollte nichts fruchten: das stieß ihm beynahe das Herz ab. Von dem über alles trübseligen und peinlichen Zustande, worin er sich da¬ mals befand, zeugen auch folgende Zeilen, die ich unter seinen Papieren gefunden habe: Ach was ist es, das mich also dränget, Mich mit heißen Armen eng umfänget, Daß ich mit ihm fern von hinnen ziehen, Daß ich soll dem Vaterhaus' entfliehen? Ach was muß ich ohne mein Verschulden Für Versuchung und für Marter dulden! Gottes Sohn! um Deiner Wunden willen, Kannst Du nicht die Angst des Herzens stillen? Kannst Du mir nicht Offenbarung schenken, Was ich innerlich soll wohl bedenken? Kannst Du mir die rechte Bahn nicht zeigen? Nicht mein Herz zum rechten Wege neigen? Wenn Du mich nicht bald zu Dir errettest, Oder, in den Schooß der Erde bettest, Muß ich mich der fremden Macht ergeben, Muß, geängstigt, dem zu Willen leben, Was mich zieht von meines Vaters Seite, Unbekannten Mächten Raub und Beute! — Seine Angst ward immer größer, — die Versuchung nach der herrlichen Stadt zu entfliehen, immer stärker. Wird denn aber, dachte er, der Himmel dir nicht zu Hülfe kommen? wird er dir gar kein Zeichen ge¬ ben? — Seine Leidenschaft erreichte endlich den höchsten Gipfel, als sein Vater bey ei¬ ner häuslichen Mißhelligkeit ihn einmal mit einer ganz andern Art, als gewöhnlich, an¬ fuhr, und ihm seitdem immer zurückstoßend begegnete. Nun war es beschlossen; allen Zweifeln und Bedenklichkeiten wies er von nun an die Thür; er wollte nun durchaus nicht mehr überlegen. Das Osterfest war nahe; das wollte er noch zu Hause mit¬ feyern, aber sobald es vorüber wäre, — in die weite Welt. Es war vorüber. Er wartete den ersten schönen Morgen ab, da der helle Sonnen¬ schein ihn bezaubernd anzulocken schien; da lief er früh aus dem Hause fort, wie man wohl an ihm gewohnt war, — aber dies¬ mal kam er nicht wieder. Mit Entzücken und mit pochendem Herzen eilte er durch die engen Gassen der kleinen Stadt; — ihm war zu Muth, als wollte er über alles, was er um sich sah, hinweg, in den offenen Himmel hineinspringen. Eine alte Ver¬ wandte begegnete ihm an einer Ecke: — »So eilig, Vetter?« fragte sie, — »will er wieder Grünes vom Markt einholen für die Wirthschaft?« — Ja ja! rief Joseph in Gedanken, und lief vor Freude zitternd das Thor hinaus. Wie er aber eine kleine Strecke auf dem Felde gegangen war, und sich umsah, bra¬ chen ihm die hellen Thränen hervor. Soll ich noch umkehren? dachte er. Aber er lief weiter, als wenn ihm die Fersen brennten, und weinte immerfort, und es ließ , als wollte er seinen Thränen entlaufen. So ging's nun durch manches fremde Dorf, und man¬ chen fremden Gesichtern vorbey: — der An¬ blick der fremden Welt gab ihm wieder Muth, er fühlte sich frey und stark, — er kam immer näher, — und endlich, — güti¬ ger Himmel! welch Entzücken! — endlich sah er die Thürme der herrlichen Stadt vor sich liegen. — — — Zweytes Hauptstück. Ich kehre zu meinem Joseph zurück, wie er, mehrere Jahre, nachdem wir ihn verlas¬ sen haben, in der bischöflichen Residenz Ka¬ pellmeister geworden ist, und in großem Glanze lebt. Sein Anverwandter, der ihn sehr wohl aufgenommen hatte, war der Schöpfer seines Glücks geworden, und hatte ihm den gründlichsten Unterricht in der Ton¬ kunst geben lassen, auch den Vater über den Schritt Josephs nach und nach ziemlich be¬ ruhigt. Durch den lebhaftesten Eifer hatte Joseph sich empor gearbeitet, und war end¬ lich auf die höchste Stufe des Glücks, die er nur je hatte erwünschen können, gelangt. Allein die Dinge der Welt verändern sich vor unsern Augen. Er schrieb mir einst, wie er ein paar Jahre Kapellmeister gewesen war, folgenden Brief: » Lieber Pater ,« »Es ist ein elendes Leben, das ich füh¬ re: — je mehr Ihr mich trösten wollt, desto bitterer fühl' ich es.« — »Wenn ich an die Träume meiner Ju¬ gend zurückdenke, — wie ich in diesen Träu¬ men so selig war! — Ich meynte, ich wollte in einem fort umher phantasieren, und mein volles Herz in Kunstwerken auslassen, — aber aber wie fremd und herbe kamen mir gleich die ersten Lehrjahre an! Wie war mir zu Muth, als ich hinter den Vorhang trat! Daß alle Melodieen, (hatten sie auch die heterogensten und oft die wunderbarsten Em¬ pfindungen in mir erzeugt,) alle sich nun auf einem einzigen, zwingenden mathematischen Gesetze gründeten! Daß ich, statt frey zu fliegen, erst lernen mußte, in dem unbehülf¬ lichen Gerüst und Käfig der Kunstgrammatik herum zu klettern! Wie ich mich quälen mußte, erst mit dem gemeinen Wissenschaft¬ lichen Maschinen-Verstande ein regelrechtes Ding heraus zu bringen, eh' ich dran den¬ ken konnte, mein Gefühl mit den Tönen zu handhaben! — Es war eine mühselige Me¬ chanik. — Doch wenn auch! ich hatte noch jugendliche Spannkraft, und hoffte und hoffte auf die herrliche Zukunft! Und nun? — R Die prächtige Zukunft ist eine jämmerliche Gegenwart geworden.« — »Was ich als Knabe in dem großen Con¬ certsaal für glückliche Stunden genoß! Wenn ich still und unbemerkt im Winkel saß, und all' die Pracht und Herrlichkeit mich bezau¬ berte, und ich so sehnlich wünschte, daß sich doch einst um meiner Werke willen diese Zuhörer versammeln, ihr Gefühl mir hinge¬ ben möchten! — Nun sitz' ich gar oft in eben diesem Saal, und führe auch meine Werke auf; aber es ist mir wahrlich sehr anders zu Muthe. — Daß ich mir einbil¬ den konnte, diese in Gold und Seide stol¬ zierende Zuhörerschaft käme zusammen, um ein Kunstwerk zu genießen, um ihr Herz zu erwärmen, ihre Empfindung dem Künstler darzubringen! Können doch diese Seelen selbst in dem majestätischen Dom, am hei¬ ligsten Feyertage, indem alles Große und Schöne, was Kunst und Religion nur hat, mit Gewalt auf sie eindringt, können sie dann nicht einmal erhitzt werden, und sie sollten's im Concertsaal? — Die Empfin¬ dung und der Sinn für Kunst sind aus der Mode gekommen und unanständig gewor¬ den; — bey einem Kunstwerk zu empfinden, wäre grade eben so fremd und lächerlich, als in einer Gesellschaft auf einmal in Versen und Reimen zu reden, wenn man sich sonst im ganzen Leben mit vernünftiger und ge¬ mein-verständlicher Prosa behilft. Und für diese Seelen arbeit' ich meinen Geist ab! Für diese erhitz' ich mich, es so zu machen, daß man dabey was soll empfinden können! Das ist die hohe Bestimmung, wozu ich ge¬ boren zu seyn glaubte!« »Und wenn mich einmal irgend einer, R 2 der eine Art von halber Empfindung hat, loben will, und kritisch rühmt, und mir kri¬ tische Fragen vorlegt, — so möcht' ich ihn immer bitten, daß er sich doch nicht so viel Mühe geben möchte, das Empfinden aus den Büchern zu lernen. Der Himmel weiß wie es ist, — wenn ich eben eine Musik, oder sonst irgend ein Kunstwerk, das mich entzückt, genossen habe, und mein ganzes Wesen voll davon ist, da möcht' ich mein Gefühl gern mit einem Striche auf eine Tafel hinmahlen, wenn's eine Farbe nur ausdrücken könnte. — Es ist mir nicht mög¬ lich mit künstlichen Worten zu rühmen, ich kann nichts kluges herausbringen.« — »Freilich ist der Gedanke ein wenig trö¬ stend, daß vielleicht in irgend einem kleinen Winkel von Deutschland, wohin dies oder jenes von meiner Hand, wenn auch lange nach meinem Tode, einmal hinkommt, ein oder der andre Mensch lebt, in den der Himmel eine solche Sympathie zu meiner Seele gelegt hat, daß er aus meinen Melo¬ dieen grade das herausfühlt, was ich beym Niederschreiben empfand, und was ich so gern hineinlegen wollte. Eine schöne Idee, womit man sich eine Zeitlang wohl ange¬ nehm täuschen kann!« — »Allein das allerabscheulichste sind noch alle die andern Verhältnisse, worin der Künst¬ ler eingestrickt wird. Von allen dem ekel¬ haften Neid und hämischen Wesen, von al¬ len den widrig-kleinlichen Sitten und Be¬ gegnungen, von aller der Subordination der Kunst unter den Willen des Hofes; — es widersteht mir ein Wort davon zu reden, — es ist alles so unwürdig und die menschliche Seele so erniedrigend, daß ich nicht eine Sylbe davon über die Zunge bringen kann. Ein dreyfaches Unglück für die Musik, daß bey dieser Kunst grade so eine Menge Hände nöthig sind, damit das Werk nur existirt! Ich sammle und erhebe meine ganze Seele, um ein großes Werk zu Stande zu brin¬ gen; — und hundert empfindungslose und leere Köpfe reden mit ein, und verlangen dieses und jenes.« »Ich gedachte in meiner Jugend dem ir¬ dischen Jammer zu entfliehen, und bin nun erst recht in den Schlamm hineingerathen. Es ist wohl leider gewiß; man kann mit al¬ ler Anstrengung unsrer geistigen Fittige der Erde nicht entkommen; sie zieht uns mit Ge¬ walt zurück, und wir fallen wieder unter den gemeinsten Haufen der Menschen.« — »Es sind bedauernswürdige Künstler, die ich um mich herum sehe. Auch die edelsten so kleinlich, daß sie sich für Aufgeblasenheit nicht zu lassen wissen, wenn ihr Werk ein¬ mal ein allgemeines Lieblingsstück geworden ist. — Lieber Himmel! sind wir denn nicht die eine Hälfte unsers Verdienstes der Gött¬ lichkeit der Kunst, der ewigen Harmonie der Natur, und die andre Hälfte dem gütigen Schöpfer, der uns diesen Schatz anzuwen¬ den Fähigkeit gab, schuldig? Alle tausend¬ fältigen lieblichen Melodieen, welche die man¬ nigfachsten Regungen in uns hervorbringen, sind sie nicht aus dem einzigen wundervollen Dreyklang entsprossen, den die Natur von Ewigkeit her gegründet hat? Die wehmuths¬ vollen, halb süßen und halb schmerzlichen Empfindungen, die die Musik uns einflößt, wir wissen nicht wie, was sind sie denn an¬ ders, als die geheimnißvolle Wirkung des wechselnden Dur und Moll? Und müssen wir's nicht dem Schöpfer danken, wenn er uns nun grade das Geschick gegeben hat, diese Töne, denen von Anfang her eine Sym¬ pathie zur menschlichen Seele verliehen ist, so zusammenzusetzen, daß sie das Herz rüh¬ ren? — Wahrhaftig, die Kunst ist es, was man verehren muß, nicht den Künstler; — der ist nichts mehr als ein schwaches Werk¬ zeug.« »Ihr seht, daß mein Eifer und meine Liebe für die Musik nicht schwächer ist als sonst. Nur eben darum bin ich so unglück¬ lich in diesem — — doch ich will's lassen, und Euch mit der Beschreibung von all' dem widrigen Wesen um mich herum, nicht ver¬ drießlich machen. Genug, ich lebe in einer sehr unreinen Luft. Wie weit idealischer lebte ich damals, da ich in unbefangener Ju¬ gend und stiller Einsamkeit die Kunst noch bloß genoß ; als itzt, da ich sie im blen¬ dendsten Glanze der Welt, und von lauter seidenen Kleidern, lauter Sternen und Kreu¬ zen, lauter kultivirten und geschmackvollen Menschen umgeben, ausübe! — Was ich möchte? — Ich möchte all' diese Kultur im Stiche lassen, und mich zu den, simplen Schweizerhirten ins Gebirge hinflüchten, und seine Alpenlieder, wonach er überall das Heim¬ weh bekömmt, mit ihm spielen.« — — — Aus diesem fragmentarisch-geschriebenen Briefe ist der Zustand, worin Joseph sich in seiner Lage befand, zum Theil zu ersehen. Er fühlte sich verlassen und einsam unter dem Gesumme so vieler unharmonischen See¬ len um ihn her; — seine Kunst ward tief entwürdigt dadurch, daß sie auf keinen ein¬ zigen, so viel er wußte, einen lebhaften Ein¬ druck machte, da sie ihm doch nur dazu ge¬ macht schien, das menschliche Herz zu rüh¬ ren. In manchen trüben Stunden verzwei¬ felte er ganz, und dachte: »Was ist die Kunst so seltsam und sonderbar! Hat sie denn nur für mich allein so geheimnißvolle Kraft, und ist für alle andre Menschen nur Belustigung der Sinne und angenehmer Zeit¬ vertreib? Was ist sie denn wirklich und in der That, wenn sie für alle Menschen Nichts ist, und für mich allein nur Etwas? Ist es nicht die unglückseligste Idee, diese Kunst zu seinem ganzen Zweck und Hauptgeschäft zu machen, und sich von ihren großen Wirkun¬ gen auf die menschlichen Gemüther tausend schöne Dinge einzubilden? von dieser Kunst, die im wirklichen irdischen Leben keine andre Rolle spielt, als Kartenspiel oder jeder an¬ dre Zeitvertreib?« Wenn er auf solche Gedanken kam, so dünkte er sich der größte Phantast gewesen zu seyn, daß er so sehr gestrebt hatte, ein ausübender Künstler für die Welt zu wer¬ den. Er gerieth auf die Idee, ein Künstler müsse nur für sich allein, zu seiner eignen Herzenserhebung, und für einen oder ein paar Menschen, die ihn verstehen, Künstler seyn. Und ich kann diese Idee nicht ganz unrecht nennen. — Aber ich will das Übrige von meines Jo¬ sephs Leben kurz zusammen fassen, denn die Erinnerungen daran werden mir sehr traurig. Mehrere Jahre lebte er als Kapellmeister so fort, und seine Mißmüthigkeit, und das unbehagliche Bewußtseyn, daß er mit allem seinen tiefen Gefühl und seinem innigen Kunstsinn für die Welt nichts nütze, und weit weniger wirksam sey, als jeder Hand¬ werksmann, — nahm immer mehr zu. Oft dachte er mit Wehmuth an den reinen, idea¬ lischen Enthusiasmus seiner Knabenzeit zu¬ rück, und daneben an seinen Vater, wie er sich Mühe gegeben hatte, ihn zu einem Arzte zu erziehen, daß er das Elend der Menschen mindern, Unglückliche heilen, und so der Welt nützen sollte. Vielleicht wär's besser gewesen! dachte er in manchen Stunden. Sein Vater war indeß bey seinem Alter sehr schwach geworden. Joseph schrieb im¬ mer seiner ältesten Schwester, und schickte ihr zum Unterhalt für den Vater. Ihn sel¬ ber zu besuchen konnte er nicht übers Herz bringen; er fühlte, daß es ihm unmöglich war. Er ward trübsinniger; — sein Leben neigte sich hinunter. Einst hatte er eine neue schöne Musik von seiner Hand im Concertsaal aufgeführt: es schien das erstemal, daß er auf die Her¬ zen der Zuhörer etwas gewirkt hatte. Ein allgemeines Erstaunen, ein stiller Beyfall, welcher weit schöner, als ein lauter ist, er¬ freute ihn mit der Idee, daß er vielleicht diesmal seine Kunst würdig ausgeübt hätte; er faßte wieder Muth zu neuer Arbeit. Als er hinaus auf die Straße kam, schlich ein sehr armselig gekleidetes Mädchen an ihn heran, und wollte ihn sprechen. Er wußte nicht, was er sagen sollte; er sah sie an, — Gott! rief er: — es war seine jüngste Schwester im elendesten Aufzuge. Sie war von Hause zu Fuß hergelaufen, um ihm die Nachricht zu bringen, daß sein Vater todt¬ krank niederliege, und ihn vor seinem Ende sehr dringend noch einmal zu sprechen ver¬ lange. Da war wieder aller Gesang in sei¬ nem Busen zerrissen; in dumpfer Betäubung machte er sich fertig, und reiste eilig nach seiner Vaterstadt. Die Scenen, die am Todbette seines Va¬ ters vorfielen, will ich nicht schildern. Man glaube nicht, daß es zu weitläuftigen und wehmüthigen gegenseitigen Erörterungen kam; sie verstanden sich ohne viele Worte sehr in¬ niglich; — wie denn darin überhaupt die Natur unserer recht zu spotten scheinet, daß die Menschen sich erst in solchen kritischen letzten Augenblicken recht verstehen. Dennoch ward Joseph von Allem bis ins Innerste zerrissen. Seine Geschwister waren im be¬ trübtesten Zustande; zwey davon hatten schlecht gelebt, und waren entlaufen; die äl¬ teste, der er immer Geld schickte, hatte das meiste verthan, und den Vater darben las¬ sen; diesen sah er endlich vor seinen Augen elendiglich sterben: — ach! es war entsetzlich, wie sein armes Herz durch und durch ver¬ wundet und zerstochen ward. Er sorgte für seine Geschwister so gut er konnte, und kehrte zurück, weil ihn Geschäfte abriefen. Er sollte zu dem bevorstehenden Osterfest eine neue Passionsmusik machen, auf welche seine neidischen Nebenbuhler sehr begierig waren. Helle Ströhme von Thränen brachen ihm aber hervor, so oft er sich zur Arbeit niedersetzen wollte; er konnte sich vor seinem zerrissenen Herzen nicht erretten. Er lag tief daniedergedrückt und vergraben unter den Schlacken dieser Erde. Endlich riß er sich mit Gewalt auf, und streckte mit dem heiße¬ sten Verlangen die Arme zum Himmel em¬ por; er füllte seinen Geist mit der höchsten Poesie, mit lautem, jauchzendem Gesange an, und schrieb in einer wunderbaren Be¬ geisterung, aber immer unter heftigen Ge¬ müthsbewegungen, eine Passionsmusik nie¬ der, die mit ihren durchdringenden, und alle Schmerzen des Leidens in sich fassenden Melodieen, ewig ein Meisterstück bleiben wird. Seine Seele war wie ein Kran¬ ker, der in einem wunderbaren Paroxismus größere Stärke als ein Gesunder zeigt. Aber nachdem er das Oratorium am hei¬ ligen Tage im Dom mit der heftigsten An¬ spannung und Erhitzung aufgeführt hatte, fühlte er sich ganz matt und erschlafft. Eine Nervenschwäche befiel, gleich einem bösen Thau, alle seine Fibern; — er kränkelte eine Zeitlang hin, und starb nicht lange darauf, in der Blüthe seiner Jahre. — — Manche Thräne hab' ich ihm geschenkt, und es ist mir seltsam zu Muth, wenn ich sein Leben übersehe. Warum wollte der Himmel, daß sein ganzes Leben hindurch der Kampf zwischen seinem ätherischen Enthu¬ siasmus und dem niedrigen Elend dieser Erde, Erde, ihn so unglücklich machen, und endlich sein doppeltes Wesen von Geist und Leib ganz von einanderreißen sollte! Wir begreifen die Wege des Himmels nicht. — Aber laßt uns wiederum die Man¬ nigfaltigkeit der erhabenen Geister bewun¬ dern, welche der Himmel zum Dienste der Kunst auf die Welt gesetzt hat. Ein Raphael brachte in aller Unschuld und Unbefangenheit die allergeistreichsten Werke hervor, worin wir den ganzen Him¬ mel sehn; — ein Guido Reni, der ein so wildes Spielerleben führte, schuf die sanf¬ testen und heiligsten Bilder; — ein Albrecht Dürer, ein schlichter nürnbergischer Bür¬ gersmann, verfertigte in eben der Zelle, worin sein böses Weib täglich mit ihm zank¬ te, mit ämsigem mechanischem Fleiße, gar seelenvolle Kunstwerke; — und Joseph, in S dessen harmonischen Werken so geheimni߬ volle Schönheit liegt, war verschieden von diesen allen! Ach! daß eben seine hohe Phantasie es seyn mußte, die ihn aufrieb? — Soll ich sagen, daß er vielleicht mehr dazu ge¬ schaffen war, Kunst zu genießen als aus ¬ zuüben ? — Sind diejenigen vielleicht glücklicher gebildet, in denen die Kunst still und heimlich wie ein verhüllter Genius ar¬ beitet, und sie in ihrem Handeln auf Erden nicht stört? Und muß der Immerbegeisterte seine hohen Phantasieen doch auch vielleicht als einen festen Einschlag kühn und stark in dieses irdische Leben einweben, wenn er ein ächter Künstler seyn will? — Ja, ist diese unbegreifliche Schöpfungskraft nicht etwa überhaupt ganz etwas anderes, und — wie mir jetzt erscheint — etwas noch Wunder¬ volleres, noch Göttlicheres, als die Kraft der Phantasie? — Der Kunstgeist ist und bleibet dem Men¬ schen ein ewiges Geheimniß, wobey er schwin¬ delt, wenn er die Tiefen desselben ergründen will; — aber auch ewig ein Gegenstand der höchsten Bewunderung: wie denn dies von allem Großen in der Welt zu sagen ist. — — Ich kann aber nach diesen Erinnerungen an meinen Joseph nichts mehr schreiben. — Ich beschließe mein Buch, — und möchte nur wünschen, daß es einem oder dem an¬ dern zur Erweckung guter Gedanken dien¬ lich wäre. —