Italienische Forschungen von C. F. von Rumohr . Erster Theil . Berlin und Stettin , in der Nicolai’schen Buchhandlung . 1827 . In studiis puto, mehercule, melius esse, res ipsas intueri et harum causa loqui. Seneca de tranq. c. l. Ihrer Koͤniglichen Hoheit, der Frau Prinzessin Caroline Amalie von Daͤnemark, gebornen Herzogin von Holstein-Sonderburg-Augustenburg . Gnaͤdigste Prinzessin! A uf den Antheil vertrauend, welchen Ew. Koͤ- nigliche Hoheit , wie jedem edleren Bestre- ben, so besonders den bildenden Kuͤnsten zuge- wendet haben, wage ich den vorliegenden, ich gestehe, hoͤchst unvollendeten Versuch unter den Schutz Ihres erlauchten Namens zu stellen. Moͤge die Erinnerung an so viel Herrliches, so Ew. Koͤnigliche Hoheit waͤhrend Ihres Aufenthalts in Italien gesehen und gewuͤrdigt haben, an so viel historisch Bedeutendes, fuͤr welches Sie mit seltener Sicherheit des Blik- kes den rechten Standpunct aufzufinden wissen, die Maͤngel meiner Arbeit verdecken und ihre Luͤcken ergaͤnzen! Im Uebrigen vertraue ich auf jene goͤttliche Huld und Nachsicht, welche den Werth des Dargebrachten nach den Ge- sinnungen und Absichten des Gebers ermißt. In dieser Zuversicht ersterbe ich in tiefster Ehrfurcht Ew. Koͤniglichen Hoheit unterthaͤnigster Karl Friedrich von Rumohr . Vorwort. E s galt, das Ergebniß mehrjaͤhriger Muße, urkund- licher Forschungen und oͤrtlicher Beobachtungen waͤh- rend eines laͤngeren Aufenthaltes in Italien , nach Moͤglichkeit zu einem Buche zu vereinigen, weil es billig schien, diese Arbeit, da sie einmal gemacht, de- nen zu uͤberliefern, welche sie fortzusetzen und weiter zu fuͤhren Lust und Gelegenheit finden. In der Form locker verbundener Reisebemerkungen duͤrfte ich leicht meinen Zweck, die Aufklaͤrung nemlich einzelner Dun- kelheiten der Kunsthistorie, wenn nicht verfehlt, doch minder bequem und faßlich dargelegt haben. Das Ergebniß meiner Untersuchungen mit anderen, theils schon bekannten, theils minder sicheren Angaben der Druckschriften zu verweben, eine zur Haͤlfte begruͤn- dete, zur anderen in der Luft schwebende Kunsthistorie zu entwerfen, fuͤhlte ich aber weder Lust, noch Be- ruf, noch Kraft und Ausdauer, noch besaß ich in den letzten Zeiten, von groͤßeren Bibliotheken entfernt, und durch Unfall eines nicht unwichtigen Theiles mei- ner Vorarbeiten beraubt, dazu die noͤthigen Huͤlfsmit- tel. Der Leser moͤge deshalb von dieser Arbeit nichts literaͤrisch Vollstaͤndiges erwarten; viel mehr mache ich Anspruch auf das Verdienst, das Ausgemachte, mir sicher Bewußte oder anschaulich Bekannte minder oft, als in Mittheilungen dieser Art zu geschehen pflegt, mit Unausgemachtem, auf Glauben Angenommenem vermischt und aufgereiht zu haben. Uebrigens schien es mir noͤthig, in der Begruͤndung einzelner Thatsachen, wenn sie in dunkelen Zeiten einen Stuͤtzpunct der For- schung gewaͤhren, in der Darlegung umstaͤndlich, in den Anziehungen weitlaͤuftig zu seyn, da aller Vor- theil, den ich durch diese Arbeit Anderen gewaͤhren kann, eben nur auf Zuverlaͤssigkeit im Einzelnen be- ruht, welches, wie ich versicheren darf, durchaus reif- lich erwogen und auf alle Weise gepruͤft und gesich- tet worden. So viel von dem Inhalte der zweyten Abthei- lung dieser Schrift, welche der ersten unmittelbar nachfolgen soll. Doch auch von dieser werde ich er- waͤhnen muͤssen, weshalb und wie sie entstanden. Urkundliche Forschungen fuͤhren, wie es Sach- kundigen bekannt ist, gar sehr ins Einzelne; und so zerfiel auch das Ergebniß der meinigen in eine Reihe abgerissener Abhandlungen, denen ich keine aͤußere Ver- bindung zu geben wußte. Desto mehr schien es mir noͤthig, um Wiederholungen auszuweichen, von vorn herein den Standpunct zu bezeichnen, aus welchem ich das Einzelne aufgefaßt. Hiedurch ward ich uͤber mei- nen Wunsch und ersten Zweck hinaus veranlaßt, in das Gebiet der Theorie hinuͤber zu greifen, was der reinste Wille, das Gedeihen der Kunst und den unge- truͤbten Genuß ihrer Werke zu foͤrdern, auch bey de- nen entschuldigen mag, welche auf die Sache minder, mehr auf die Form sehen. Allein auch in historischer Beziehung bedurfte das Vereinzelte und Abgerissene eines gemeinschaftlichen ** Bodens, woher die allgemeinen, mehr Uebersicht, als Erschoͤpfung ihres Gegenstandes bezweckenden Abhand- lungen entstanden sind, welche, gegen die erste Anlage, diesen Band vollends ausgefuͤllt haben. Hiedurch ward nun allerdings die Mittheilung des Besten, was ich irgend zu geben habe, um eine kurze Frist hinausge- ruͤckt, doch hoffe ich auf Nachsicht, da es auch hier nicht an Gelegenheit gefehlt, minder beachtete Thatsa- chen zu beruͤhren und neue Gesichtspuncte aufzustellen. Zur Theorie und Geschichte neuerer Kunstbestrebungen. I. Haushalt der Kunst . A uch die bildenden Kuͤnste gehorchen, wie wir annehmen duͤrfen, irgend einem durchwaltenden Gesetze, enthalten irgend ein Allgemeines und Unveraͤnderliches; ihre Anwendung und Beziehung ist indeß so mannichfach, daß Jeglicher, der unter- nimmt, den Zweck und Gebrauch der Kunst aus deren ver- einzelten Leistungen abzuleiten, gar leicht auf Ansichten ver- faͤllt, welche anderen vorhandenen oder moͤglichen widerspre- chen, und oftmals sogar viele treffliche Dinge der Kunst ganz unnoͤthiger Weise ausschließen. Woher wohl, wenn nicht aus einer solchen Einseitigkeit und Gebundenheit, erklaͤrte sich der lang genaͤhrte, so ganz muͤßige Streit uͤber den Werth oder Unwerth der Andeutung von Begriffen und Gedanken des Verstandes durch vereinbar- lich zu Begriffes-Zeichen gestempelte Bilder? War nicht, wer solchen Bezeichnungen in der Kunst die hoͤchste Stelle ein- raͤumte, eben nur der Befriedigung eingedenk, welche gluͤck- liche Allegorieen ihm gewaͤhrt Hatten? War nicht im umge- kehrten Falle, wer sie durchaus verdraͤngen wollte, eben nur uͤber sie hingegangen, weil andere Leistungen der Kunst ihm aus irgend einem Grunde naͤher gestanden? Wir indeß duͤr- fen ihn ganz an die Seite stellen, weil er die reine Kunstbe- I. 1 trachtung nun einmal durchaus nicht angeht. Denn ohne, etwa mit Lessing , die Moͤglichkeit, oder den Nutzen der bild- lichen Andeutung edler Begriffe und sinnreicher Gedanken durch- aus zu laͤugnen, sehe ich mich dennoch genoͤthigt, das Ver- dienst alles Guten, welches solche Andeutungen in sich ein- schließen, nicht dem Kuͤnstler, als Kuͤnstler betrachtet, nicht den bildenden Kuͤnsten beyzumessen, welche dazu die stehenden Ziffern nur etwa herleihen, vielmehr dem menschlichen Geiste uͤberhaupt und besonders den Kuͤnsten der Rede, in deren Begriffen und Fuͤgungen ihr Gegenstand, wie es einleuchten muß, zuerst aufgefaßt und durchgebildet worden. Naͤher jedoch duͤrften uns solche Erklaͤrungen angehen, welche, wie einseitig sie seyn moͤgen, doch immer von irgend einer Faͤhigkeit oder Leistung wirklicher Kunst ausgehen. Dieser Art ist die Erklaͤrung derer, welche den Zweck der Kunst entweder in Deutlichkeit des Dargestellten — Charak- ter S. Hirt , uͤber das Kunstschoͤne, Horen. 1797. St. 7. — Herr Hofrath Hirt gehoͤrt, wie es nicht immer zur Genuͤge aner- kannt worden, zu den wenigen Kunstgelehrten, welche den Werken der Kunst mit Sinn, Gefuͤhl und Liebe sich angenaͤhert haben. Eben daher hat der Ausdruck Charakter in seinem Munde eine vollere Bedeutung; der wirklich Kunstverstaͤndige wollte und konnte durch ein Paar allgemeine aͤsthetische Begriffe sich nicht befriedigen lassen. In wie fern er in der Behauptung einer wesentlichen Seite der Kunst damals zu weit gegangen, bedarf keiner Beleuchtung, nachdem dieser treffliche Veteran der Geschichte der Kunst eben diese seither auf das vielseitigste beleuchtet hat. — oder auch in bloß sinnliche Wahrscheinlichkeit — Illusion S. die franzoͤsischen und a. Kunstgelehrten, welche vornehm- lich durch den Eindruck hollaͤndischer Kunstwerke bestimmt worden. — setzen; je nachdem sie in bestimmten Kunst- werken von dem einen, oder von dem andern Vorzuge leb- haft beruͤhrt worden sind. In unsern Tagen bedarf es kei- ner Darlegung, daß eben diese Vorzuͤge nur in einzelnen Faͤl- len, und nur bey bestimmten Kunstwerken schon an sich selbst der Zweck sind, in allen uͤbrigen aber bloße Bedingungen der Darstellung, oder untergeordnete Mittel zur Erlangung eines viel weiter hinausliegenden Absehns. Andere wiederum haften mit besonderer Anhaͤnglichkeit an jenem behaglichen Schwanken an sich selbst gleichguͤltiger Formen, an jener Heimlichkeit und Beschlossenheit des Lichtes, welche wir das Malerische nennen und vornehmlich durch die Hollaͤnder empfinden lernten. Wie- der Andere, welche in bestimmten Kunstwerken durch uͤberra- schende Verknuͤpfungen des Entlegenen und Widerstrebenden ergoͤtzt worden, sind geneigt, solche Spiele der Laune, des Witzes, der Phantasie, fuͤr den allgemeinen, durchgehenden Zweck der Kunst zu halten. Noch andere, welche durch dauern- den Umgang mit den Alten feiner gewoͤhnt sind, und daher hoͤher hinaus wollen, moͤchten in der Kunst uͤberall nur sol- ches sehen und dulden, dessen Vorstellung, gleich dem Lebens- frischen und sittlich Edlen, ganz unabhaͤngig von den Reizen und Schoͤnheiten der Kunst, also schon an sich selbst ergoͤtz- lich ist Wie die zahlreichen Beguͤnstiger der Schoͤnheitstheorie. . Allerdings fehlt es auch nicht an Solchen, welche den Zweck der Kunst in die Vereinigung aller Leistungen versetzen, die ihnen jemals einzeln in Kunstwerken vorgekommen Dahin strebte schon die sog. bolognesische Schule, oder die Genossenschaft der Caracci ; spaͤterhin Mengs und andere theoretische, oder praktische Eclektiker der Kunst. Um die Vorzuͤge einzelner Kuͤnstler inniger zu verknuͤpfen, und um diesen Zweck planmaͤßiger verfolgen zu koͤnnen, hat man bekanntlich in neueren , 1 * so wie andererseits jene allgemeineren Gegensaͤtze in der Auf- fassung des Kunstzweckes nothwendig in eine unbestimmbar große Menge von untergeordneten zerfallen. Liegt es doch in dem Wesen der Ableitung aus vereinzelten Wahrnehmungen, daß jeglicher Kunstgelehrte, so lang’ er von dem Eindruck, bald der einen, bald der andern Schule und Meisterschaft ausgeht, bald diese, bald wiederum eine andere Eigenthuͤm- lichkeit bestimmter Erscheinungen mit denen Vorstellungen ver- knuͤpft, welche ihm fuͤr allgemeine gelten. Frey von einer solchen Vermischung des Besonderen und Allgemeinen erhielten sich nicht einmal die unvergeßlichen Stifter jener hoͤheren Richtung des deutschen Kunstsinnes, aus deren Nachwirkung sogar das scheinbar Entgegengesetzte in neueren Ansichten und Bestrebungen entstanden ist. Denn wie koͤnnten wir uns ver- hehlen, daß Winkelmann und Lessing keinesweges von einem, sey es urspruͤnglichen, oder mit großer Verstandes- schaͤrfe abgesonderten Begriffe der Kunst, sondern uͤberall nur von dem Eindruck einzelner Kunstgebilde des Alterthumes aus- Theorieen die Kunst in viele einzelne sogenannte Theile zerlegt; in Zeichnung, Colorit, Helldunkel, Composition, Ausdruck, u. s. f., wie solches in der franz. Encyclopaͤdie, in ihrer deutschen Bear- beitung, bei Sulzer , und in den Schriften des Mengs aufzu- finden, und bis auf Sandrart und weiter, ruͤckwaͤrts zu ver- folgen ist. Ich will nicht untersuchen, ob man bey Auffassung sol- cher vereinzelten Evolutionen der Kunst uͤberall mit Scharfsinn wahrgenommen und unterschieden habe; obwohl ich die Bemerkung nicht unterdruͤcken kann, daß man in diesen Begriffen das blos Technische mit dem Geistigsten der Kunst wild durch einander ge- worfen. Einige dieser Kunstbegriffe gehoͤren in der That nur in die Werkstaͤtte des thaͤtigen Meisters, und auf keine Weise in die Theorie; andere sollte man in der Kunstlehre voranstellen, statt sie mit untergeordneten Fertigkeiten der Laͤnge nach aufzureihn. gegangen sind. Wir wollen es dahin gestellt seyn lassen, ob und in wie fern ihre Wahl solcher vereinzelten Denkmale, in denen sie den Begriff der Kunst gleichsam verkoͤrpert zu er- blicken geglaubt, auch durchhin gluͤcklich gewesen. Gewiß erwarben unsere Zeitgenossen mit so viel neuen Gegenstaͤnden der Vergleichung Lord Elgins Erwerb, jetzt im britt. Museum, und durch die Freygebigkeit des Koͤnigs von Großbrit. in guten Abguͤssen in den meisten europaͤischen Hauptstaͤdten. Andere Bruchstuͤcke athe- niensischer Tempelverzierungen zu Paris , Copenhagen etc. Die Aegi- neten im Museo zu Muͤnchen , der Fries von Phigalia im britt. Museo. Groͤßere Aufmerksamkeit auf die griechischen Staͤdte- Muͤnzen. — Solche Werke, deren Alterthum durch die Gebaͤude, die sie verzierten, beurkundet wird, geben uns einen Maaßstab fuͤr diejenige Kunstart, welche selbst den spaͤteren Alten noch immer fuͤr die beste, bisweilen fuͤr die einzig rechte galt. Zu Winkel- mann’s Zeit fehlte es noch an einem beurkundeten Kennzeichen des besten Alterthumes; er war daher beschraͤnkt auf Vermuthungen und Meinungen. auch neue Veranlassungen zur Untersuchung der altgriechischen Kunst, was die Kenntniß und richtige Wuͤr- digung dieser letzten dem Ansehn nach gefoͤrdert haben koͤnnte. Doch an dieser Stelle genuͤgt es uns, daß Lessing’s Be- streben, aus vereinzelten Bruchstuͤcken der alten Bildnerey die Gegenstaͤnde zu erkennen, welche vorzeiten faͤhig gewesen, den Sinn griechischer Kuͤnstler zu fesseln, oder Winkelmann’s , uns sogar die Formen vorzuzeichnen, innerhalb deren die Dar- stellung der Alten sich bewegte, doch selbst im gluͤcklichsten Falle eben nur zur Kenntniß der antiken Kunst fuͤhren duͤrfte und nie zu allgemeineren Kunstansichten. Eben so wenig in- deß duͤrfen wir uns versprechen, indem wir aus einzelnen Schulen und Richtungen der neueren Kunst, oder aus deren gefeyertsten Werken, Regeln und Vorschriften abziehen Gleich einigen Neueren, deren geistreiche Anregungen all- gemein bekannt sind. , jemals weder zu einer ganz allgemeinen Anschauung des We- sens der Kunst, noch zu irgend einer allgemein triftigen und durchhin anwendbaren Lehre zu gelangen. Denn nur, wer von einer beschraͤnkenden Vorliebe fuͤr eigenthuͤmliche Richtun- gen, Schulen und Foͤrmlichkeiten der Kunst unabhaͤngig ist, vermag das Wesen der Kunst rein aufzufassen, vermag ihre einzelnen, oft nur scheinbar einander widerstrebenden Leistungen aus einem gemeinschaftlichen Standpunkte zu uͤberschauen und allgemeinguͤltige Grundsaͤtze aufzufassen und festzustellen, nach welchen einestheils unter allen Umstaͤnden Gutes entstehen muß, anderntheils uͤber den Werth jeglicher Richtung und Leistung mit gleichmaͤßiger Gerechtigkeit zu entscheiden ist. Nehmen wir an, daß wir darauf ausgehen wollten, die bildenden Kuͤnste so rein aufzufassen, daß unserem Begriffe auf der einen Seite nichts Ungehoͤriges, oder Ueberfluͤssiges anklebte; daß auf der anderen darin nichts unbedacht geblie- ben, welches nun einmal zu ihrem Wesen gehoͤrt: so wuͤrden wir damit beginnen muͤssen, von vorkommenden, oder moͤg- lichen Gegenstaͤnden der Kunst gaͤnzlich abzusehen. Denn da diese Gegenstaͤnde voraussetzlich viele und mannichfaltige sind, so fuͤhren sie nothwendig ins Einzelne, und geben daher uͤber- haupt nicht den allgemeinen Begriff, um den es uns doch zu thun ist. Noch mehr, da es offenbar keinen Gegenstand der Kunst giebt, welcher nicht zugleich auch Gegenstand des Be- griffes und des Nachdenkens waͤre, oder doch seyn koͤnnte: so ist es klar, daß die bildenden Kuͤnste nicht, wie Manche ge- wollt, durch den Gegenstand von den Redekuͤnsten unterschie- den werden; daß demnach auf diesem Wege eine deutliche und richtige Vorstellung von den Verschiedenheiten dieser bei- den Beziehungen des menschlichen Geistes nicht wohl zu er- langen ist. Wenn aber die bildenden Kuͤnste von den Redekuͤnsten nicht durch den Gegenstand unterschieden werden, so muß die Verschiedenheit, welche doch nun einmal sichtlich vorhanden ist, entweder auf einer Eigenthuͤmlichkeit der Auffassung, oder auf einer bestimmten Art der Darstellung, oder auch auf bei- den zugleich beruhen. Und in der That ist es das Unterschei- dende der bildenden Kuͤnste, nicht in Begriffen, sondern in Anschauungen aufzufassen, und das anschaulich Aufgefaßte so darzustellen, daß solches ohne alle Zuziehung von Thaͤtigkeiten des Verstandes unmittelbar durch die Anschauung auch von anderen erfaßt werden koͤnne. Oder mit anderen Worten: es ist das Unterscheidende der Kunst, die Dinge nicht, wie der Verstand, nach ihren Theilen und einzelnen Eigenschaften, vielmehr sie im Ganzen und nicht fortschreitend, sondern augenblicklich sowohl aufzufassen, als darzustellen. — Nun giebt es freylich Individuen, welche außerhalb des Begriffes und seiner folgerechten Handhabung uͤberhaupt kein Geistesleben sich denken koͤnnen; denen es nicht zum Bewußtseyn gekom- men, daß auch dem abstrakten Denken, wo es nicht, was der Himmel verhuͤte, in beziehungslosen, inhaltsleeren For- men sich bewegt, gleich Schuluͤbungen im Buchstabenrechnen; daß auch dem abstracten Denken, wiederhole ich, wo es im- mer Gehalt und Tiefe besitzt, das Anschauliche nothwendig zum Grunde liegt. Diesen freylich duͤrfte es scheinen, als werde die Kunst durch obige Erklaͤrung erniedrigt, und in die Sphaͤre des Aeußerlichen und Materiellen herabgezogen; waͤhrend wir selbst die Ueberzeugung hegen, die Kunst weit entschiedener, als jemals vor uns geschehen, recht in das innerste Heiligthum alles geistigen Wirkens und Lebens zu versetzen. Also ist mir bildende Kunst eine dem Begriffe, oder dem Denken in Begriffen entgegengesetzte, durchhin anschauliche, sowohl Auffassung, als Darstellung von Dingen, welche ent- weder unter gegebenen, oder auch unter allen Umstaͤnden die menschliche Seele bewegen und bis zum Beduͤrfniß der Mit- theilung erfuͤllen. Auch ohne alle Erfahrung uͤber die Groͤße ihrer Leistungen wuͤrden wir demnach schon aus ihrem Be- griffe schließen muͤssen, daß erst die Kunst das geistige Leben und Wirken vollende; daß sie das Gebiet des Geistes erwei- tere und ausrunde; daß sie Wuͤnsche und Beduͤrfnisse der Seele befriedige, welche der Begriff stets unerfuͤllt laͤßt. Indeß duͤrfte es zur naͤheren Bestimmung unseres Kunstbegriffes un- umgaͤnglich seyn, das Eigenthuͤmlichkuͤnstlerische im menschli- chen Geiste, so wie die wichtigsten Beziehungen eben dieser Geistesart im Allgemeinen anzudeuten. Unter allen Umstaͤnden liebt der Scharfsinn, die Dinge unter sich zu vergleichen und anzunaͤhern; besonders aber, wo es gilt, Entfernteres durch Naͤherliegendes zu erklaͤren. Daher die Vergleichung der kuͤnstlerischen Geistesart mit der poeti- schen, welche nicht von den Kuͤnstlern, sondern von den Dich- tern und Denkern herbeygezogen worden, um die Kunst durch ihr Naͤchstverwandtes zu verdeutlichen. Allerdings ist in den bildenden Kuͤnsten die Geistesart, aus der sie hervorgehen, oder, um bey dem fruͤheren Ausdruck zu bleiben, die Auffas- sung, nicht wesentlich verschieden von Solchem, was vor- nehmlich den neueren Deutschen in einem engeren Sinne Poesie heißt Toelken (uͤber das verschiedene Verhaͤltniß der antiken und modernen Malerey zur Poesie ꝛc. Berlin , Nicolaische Buch- handlung, 1822) kommt, nachdem er in einer anderen Beziehung die Poesie wenigstens der neueren Malerey entgegenstellt (S. 3 ), ebenfalls darauf zuruͤck, daß Poesie in diesem Sinne allerdings auch die Grundlage der bildenden Kuͤnste sey. Goͤthe , aus meinem Leben, Bd. II. S. 348. „Die Gipfel beyder schienen nun getrennt, wie nah ihre Basen auch zusammenstoßen mochten .“ . Die Verschiedenheit beider Kuͤnste, welche vortreff- liche Geister von Zeit zu Zeit geltend zu machen bemuͤht sind, beruht also nicht auf Eigenthuͤmlichkeiten der Art, oder Wen- dung des Geistes, aus welchem sie hervorgehen, sondern ein- zig auf Forderungen und Moͤglichkeiten des so ganz verschie- denen Stoffes der Darstellung der einen und der andern Kunst- art. In den bildenden Kuͤnsten nemlich wird das anschaulich Erfaßte auch fuͤr die Anschauung, in Formen, oder durch den Schein von Formen, dargestellt; in der Poesie aber beruht die Darstellung des anschaulich und kuͤnstlerisch Erfaßten auf einer gewandten Handhabung des Begriffes, welcher an sich selbst, wie es einleuchtet, dem poetischen Denken widerstrebt und gerade entgegensteht. Daher denn kann die Poesie, wie sie auch durch abgemessene Rede und malerische Wortklaͤnge (der Mienen nicht zu gedenken) sich zu helfen suche, doch in der Darstellung des anschaulich Erfaßten mit den bildenden Kuͤnsten nicht wohl gleichen Schritt halten. Dagegen vermag sie, vermoͤge des Begriffes, des einzigen Mittlers ihrer Dar- stellung, in das Gebiet des reinen Denkens hinuͤberzuschwei- fen, wie denn auch der That nach, vornehmlich im Alter- thume der Dichtkunst, Poesie und Philosophie meistens Hand in Hand gehen Seneca , Ep. VIII. Quam multa poetae dicunt, quae a phi- losophis dicta sunt, aut dicenda . . Die bildenden Kuͤnste aber, wie unver- gleichlich tief und voͤllig und erschoͤpfend alles anschaulich Er- faßte in ihnen dargestellt werden koͤnne, vermoͤgen doch selbst durch jene willkuͤhrlichen Zeichen, auf denen Bilderschrift und Allegorie beruht, nur mit Unbehuͤlflichkeit auszudruͤcken, was irgend Gutes und Loͤbliches in Begriffen erdacht worden. Der bildende Kuͤnstler also ist allerdings mehr als der Dichter auf das Gebiet eigentlicher Poesie eingeschraͤnkt; doch entschaͤdigt ihn die Faͤhigkeit, dasselbe tiefer zu durchdringen und bis auf den Grund auszunutzen, welche jenem versagt ist. Und wenn ich mich nicht taͤusche, so entsprang aus einer dunklen, nicht zu voller Deutlichkeit entwickelten Wahrnehmung dieses Gegen- satzes auch Lessings Entgegenstellung der Poesie und Kunst Lessing , Laok . Anhang XXXI . „Die eigentliche Be- stimmung einer schoͤnen Kunst kann nur dasjenige seyn, was sie ohne Beyhuͤlfe einer anderen hervorzubringen im Stande ist;“ und kurz darauf: „die neuen Mahler — bedenken nicht —, daß ihre Kunst den Werth einer primitiven Kunst gaͤnzlich dadurch verliert ꝛc.;“ nemlich solche, welche nur in die Form uͤbertragen wollen, was in den Redekuͤnsten gereift und ausgebildet worden. , auf welche wir zuruͤckkommen werden. Unter den Dingen nun, welche nicht einzig dem abge- sonderten Denken, vielmehr auch und vornehmlich der anschau- lichen Auffassung unterliegen, welche mithin, da es Verwegen- heit waͤre, gleich einigen unserer Vorgaͤnger, dem Genius vor- zugreifen, ohne einige Ausnahme, Gegenstaͤnde der Kunst sind, oder doch seyn koͤnnten, ist die menschliche Seele und, wie Einige wollen, auch Solches, was nach Analogieen der sitt- lichen Natur von uͤbersinnlichen Dingen geahnet, oder deutlich erkannt wird, einleuchtend der edelste und wichtigste Gegenstand der kuͤnstlerischen Auffassung. Erwaͤgen wir die eigenthuͤm- liche Faͤhigkeit der Kunst, jegliches sittliche Seyn und Wollen in solcher Tiefe und Fuͤlle darzustellen, daß in Vergleich ge- lungener Darstellungen der Kunst die Rede selbst des groͤßten Dichters in dieser Beziehung, bald nur als fluͤchtige Andeu- tung, bald als schleppende Umschreibung erscheinen muß; so werden wir nicht anstehen koͤnnen, der Kunst einzuraͤumen: daß sie durchaus unentbehrlich war, die Ausbildung mensch- licher Gemuͤths- und Geisteskraͤfte zu vollenden. Wuͤrdigen wir nur zu Genuͤge, was die bildenden Kuͤnste in den Grie- chen, und was wiederum die Griechen durch ihre Kunst in anderen Voͤlkern erweckt und ausgebildet haben, so wird uns einleuchten muͤssen, daß jedes Volk, dem die Kunst, oder doch der Sinn fuͤr die Kunst fehlt, auch im besten Falle nur halb gebildet, halb noch barbarisch sey. — Hier indeß zaͤhle ich darauf, dem Mißverstaͤndniß zu entgehen, als verwechsele ich, wie es geschehen Quatremère de Quincy , Essai sur la nature, le but et les moyens, de l’imitation dans les beaux arts. Paris 1823. II. p. 157. — „Ce furent en effet de véritables besoins pour les peuples civili- sés, — — — que de fixer et de consacrer dans un langage sen- sible, les opinions morales et les sentimens religieux .” — Bei einem so nuͤchternen Bewußtseyn des nuͤtzlichen Zweckes, als der- selbe gleich darauf andeutet ( C’est ainsi que l’on peut donner à l’imitation des beaux arts un but aussi utile pour eux que pour la société) , moͤchte schwerlich, wenn auch nur das maͤßigst Erfreuliche geleistet werden koͤnnen. , die Sitte mit dem Moralisiren. Dieses letzte setzt ein Denken in Begriffen voraus, welches ich schon durch obige Erklaͤrung von der Kunst ausgeschlossen. Allein die kuͤnstlerische Auffassung sittlicher Verhaͤltnisse ist vor- aussetzlich ohne alle Pedanterey, nach den inneren Forderungen, oder nach der aͤußeren Stellung des Talentes bald ernst, bald heiter, und gleich faͤhig, die Tiefen alles Daseyns zu durch- messen, als, auf der Oberflaͤche weilend, Zufaͤlliges hervorzu- heben und menschliche Gebrechlichkeiten zu necken. Niedriger freylich, doch an sich selbst noch immer wichtig genug, ist eine zweite Richtung der Kunstfaͤhigkeit, welche nach den Erfahrungen der alten, wie der neuern Kunstgeschichte, jederzeit die Nachbluͤthe großer Kunstepochen zu seyn pflegt. Ich bezeichne hier die Darstellungen solcher Dinge, welche ohne jederzeit an sich selbst sittliche, oder gar uͤbersinnliche zu seyn, dennoch entweder die sinnliche Empfindung, oder auch das Verlangen nach Erkenntniß befriedigen. Diese Richtung der Kunst scheint allerdings weniger, als jene hoͤhere, auf Guͤte des Gemuͤthes und eingeborener Tiefe des Geistes zu beruhen; doch setzt sie unter allen Umstaͤnden Lebendigkeit der Empfindung und Schaͤrfe der Wahrnehmung voraus. Indeß ist es mißlich, solche Entgegenstellungen (gleich denen, welche die verschiedenen Schulen der Kunst bald von der Idee, bald von der Natur ausgehen lassen S. Wagener und Schelling , uͤber die Aegineten. An- dere minder bedeutende Schriftsteller. , das heißt, wenn ich sie recht verstehe, bald von einer angeborenen Faͤhigkeit, oder erworbenen Spannung des Geistes, bald von der Gewalt des Eindrucks aͤußerer Dinge) durch alle Faͤlle hindurch zu fuͤhren. Denn genau genommen sind beide Richtungen nothwendig in jedem einzelnen Kuͤnstler gemeinschaftlich vorhanden, und die bemerkten Abweichungen der Schulen werden eigentlich nur durch ein Uebergewicht der einen uͤber die andere hervorge- bracht, welches immer voruͤbergehend und oftmals bloß schein- bar vorhanden ist. Denn gewiß entspringt die Kunstfaͤhigkeit, wie hoch oder niedrig die Richtung sey, welche sie nimmt, doch unter allen Umstaͤnden aus den verborgensten Tiefen des menschlichen Daseyns Schelling , phil. Schriften, Bd. I. S. 384. „Die Kunst entsteht nur aus der lebhaften Bewegung der innersten Gemuͤths- und Geisteskraͤfte, welche wir Begeisterung nennen.“ , in welche einzugehn ich scheue, wie es denn ohne- hin die Kunstbetrachtung nicht wesentlich foͤrdern duͤrfte. Woll- ten wir uͤberhaupt der Darstellung jedes einzelnen Zweiges menschlicher Kenntnisse jederzeit ein System der Weltweisheit voranstellen, so duͤrften viele Schriften kuͤnftig, was doch Niemand begehrt, etwa beginnen muͤssen, wie die Jahrbuͤcher des Mittelalters. Solches ist nun freylich auch in den Kunst- lehren kein allgemeiner Gebrauch; doch liebt man darin einige Andeutungen einer hoͤheren Weisheit fallen zu lassen, und ver- huͤllt sich mindestens in der Allgemeinheit des Woͤrtchens Idee, dessen schwankender, sinnlich geistiger Sinn allerdings jeder wilden Behauptung eine Ausflucht offen laͤßt, mithin aller Unentschiedenheit oder Undeutlichkeit willkommen ist. Sollte ich nun diesen Gemeinplatz der neueren Aesthetik mehr, als gewoͤhnlich vermeiden, oder da, wo einzig von der aͤußeren Entfaltung der Kunst die Rede, ihr geistiges Prinzip, als vorhanden annehmen, und als dermalen nicht zur Sache ge- hoͤrig, uͤbergehen: so bitte ich, mich deßhalb noch nicht einer gewissen Materialitaͤt zu bezuͤchtigen. Dagegen verwahre ich mich, weil es den Bekennern verworrener, unentschiedener Lehren anhaͤngt, da Irrthum zu vermuthen, wo sie den Klang ihrer Stichworte entweder gar nicht, oder doch nur selten vernehmen. Wir wollen also den Ursprung des Geistes, der in den bildenden Kuͤnsten sich ausspricht, mit Ehrfurcht uͤbergehen und uns darauf beschraͤnken, diesen Geist in seiner Thaͤtigkeit und Anwendung zu betrachten, oder die Gesetze zu erforschen, nach welchen die einzelnen Thaͤtigkeiten der allgemeinen Kunst- faͤhigkeit sich bewegen. Nun sind wir oben davon ausgegan- gen, daß jegliche, die groͤßte wie die geringste Leistung der Kunst, zween Thaͤtigkeiten voraussetze: die Auffassung und die Darstellung. Sollte es uns gelingen, ihren Begriff rein auf- zufassen: so werden wir aus solchem gewiß jedes allgemeinere Gesetz der Kunst mit Sicherheit ableiten koͤnnen. Auffassung nennt man bisweilen eine bloß leidende Hin- gebung in den Eindruck aͤußerer Dinge; Auffassung heißt anderen, und gerade in Bezug auf Dinge der Kunst, eine gewisse Willkuͤhrlichkeit in der Aneignung irgend eines, sey es nun sinnlichen, oder geistigen Gegenstandes. Diese Bedeu- tungen indeß, sowohl das beschraͤnkte Erleiden der ersten, als die unbegrenzte Willkuͤhr der anderen, werden wir nicht wohl voranstellen koͤnnen, weil wir sie, ohne sie auszuschließen, doch unterordnen muͤssen. Denn Auffassung ist uns der Inbegriff von jeglichem Leiben und Wirken, Empfangen und Gestalten, so den Gegenstand kuͤnstlerischer Darstellungen zu jener Klar- heit der inneren Anschauung erhebt, welche die Moͤglichkeit genuͤgender Darstellung durchaus bedingt. Darstellung dagegen ist uns der Inbegriff aller Thaͤtig- keiten, durch welche ein solches Selbstangeschauete auch Ande- ren moͤglichst klar und erfaßlich mitgetheilt wird. Unter diesen Thaͤtigkeiten ist die Auffassung einleuchtend die vorangehende und, wenn es noͤthig waͤre, ihren verhaͤlt- nißmaͤßigen Werth zu bestimmen, gewiß auch die wichtigste, da ihre Beschaffenheit jedes tiefere, nachhaltende Interesse der Kunst bedingt. Denn gewiß verleihet kein Vorzug Kunstwer- ken einen groͤßeren Werth, als Weisheit, Richtigkeit, Kraft oder Anmuth der Auffassung; was sogar solche Kunstgelehrte, welche sich einseitig mit Vortheilen der Darstellung beschaͤf- tigen, nicht so unbedingt laͤugnen, oder laͤugnen werden. Indeß ist die Darstellung, wenn gleich die untergeordnete und abhaͤngige Thaͤtigkeit, dennoch die unerlaͤßliche Bedingung einer lichten und deutlichen Erscheinung des Aufgefaßten, ja in ge- wisser Beziehung der einzige Buͤrge fuͤr die Guͤte oder Schwaͤche der Auffassung selbst. Da sie demnach sogar aus dem Stand- punkt einer denkbaren ganz einseitigen Wuͤrdigung der Auf- fassung betrachtet, jederzeit fuͤr das Gesammtergebniß der Kunst von hoͤchster Wichtigkeit ist, so wird es eine bloße Fluͤchtigkeit seyn, durch welche Einige, bey billiger Ehrfurcht vor den Alterthuͤmern der neueren Kunst, ganz nutzlos in die Para- doxie verwickelt worden: da eine besondere Tiefe und Erha- benheit der inneren Anschauung vorauszusetzen, wo die Faͤhig- keit der Darstellung kaum hinreichte, eine milde und guͤtige Gemuͤthsart, eine schoͤne Unbefangenheit der Sitte auszu- druͤcken An einer Stelle, wo man sie nicht erwarten sollte, bey Schubert , die Urwelt S. 299. wird diese Meinung schon als historischer Beweis aufgefuͤhrt. . Ganz im Gegentheil scheint es, daß Kunstwerke einer gewissen Uebereinstimmung beider Thaͤtigkeiten beduͤrfen, wenn sie uͤberhaupt befriedigen sollen, was doch meist bezweckt wird. So erklaͤre ich mir die Beyfaͤlligkeit der Incunabeln, sowohl der altgriechischen, als der neuitalienischen Kunstepoche nicht, wie manche Andere, aus einer willkuͤhrlich angenom- menen Ueberlegenheit ihres Geistes uͤber ganz ausgebildete Kuͤnstler derselben Richtung, vielmehr nur daher, daß in jenen Kunstwerken nirgend Spuren eines Verlangens nach solchen Vorstellungen des Geistes sichtbar werden, welche das be- schraͤnkte Darstellungsvermoͤgen anfaͤnglicher und kaum zur Haͤlfte ausgebildeter Kunststufen schon um Vieles uͤbersteigen. Giebt es doch auch im Begriffsleben Gedanken und Vorstel- lungen, welche das Lallen der Kinder, die treuherzige Einfalt ungebildeter Menschen treffender ausdruͤckt, als die gewandteste oder gelehrteste Sprache. Wer wuͤrde indeß daraus folgern wollen, daß alle Tiefe, alle Erhebung des Geistes eben nur bey den Kindern und in der roheren Menge wohne? In be- stimmter Beziehung auf die neuitalienische Kunst duͤrfte frey- lich die bewundernswerthe Ausbildung des Begriffes in einem Dante , Petrarca , Boccaz , viele unserer Zeitgenossen in etwas irre geleitet haben. Denn es lag nahe, sich zu denken, daß Kuͤnstler, welche von jenen großen Meistern des Begriffes geschaͤtzt wurden, ihnen auch nicht sogar fern gestanden. Indeß erhellt das Verhaͤltniß Dante’s zu den Malern des vierzehn- ten Jahrhunderts aus ihren zahlreichen Nachbildungen seines Gedichtes; dieselben Kuͤnstler, denen das treuherzige, innige, zartsinnige Familienleben der Patriarchen, oder die Jugend- geschichte des Heilands, oder Aehnliches ganz unuͤbertrefflich gelang, scheiterten ohne Ausnahme an dem so haͤufig wieder- holten holten Versuche, die kecken Meisterzuͤge des groͤßten italieni- schen Dichters in das Gebiet der Kunst hinuͤberzuziehen. Wollten wir indeß den Fall setzen, daß jene Harmonie des Wollens und Koͤnnens einem bestimmten Kunstwerke fehle, so wuͤrde dessen Eindruck sicher sehr unbehaglich, unbefriedi- gend und peinlich seyn. Denn es wuͤrde ein solches Kunst- werk, welches die Ahnung eines hoͤhern Wollens anregte, ohne eben dasselbe ganz deutlich und anschaulich zu machen, den Beschauer nur etwa tantalisiren, und den Kuͤnstler in nicht unbilligen Verdacht bringen, es habe ihm doch an dem rech- ten Ernst, an der Faͤhigkeit einer straffen und dauernden An- strengung gefehlt, welche nun einmal zum Manne gehoͤrt und wesentlich mitwirkt, sein Werk zu empfehlen. Eben deßhalb bin ich geneigt, Faͤlle obiger Art, wenn nicht fuͤr unmoͤglich, doch wenigstens fuͤr unwahrscheinlich zu halten. Ich kann mich schwerlich davon uͤberzeugen, daß ein edler mit der Faͤ- higkeit der Auffassung hoher Dinge begabter Geist nicht auch den Drang, ja selbst die Kraft fuͤhlen sollte, seine Darstellung in gleichem Maße durchzubilden, wenigstens scheinen Leonardo , Michelangelo der Maler, und sogar Raphael nur deßhalb uͤber die, obwohl schon gesteigerte, doch immer noch unbehuͤlfliche, Darstellung ihrer Vorgaͤnger so rasch und kraftvoll hinauszu- gehen, weil solche ihrem maͤchtigen Geiste nimmer genuͤgen konnte. Dagegen sind Vorzuͤge der bloßen Darstellung, entkleidet, wenn nicht von allem, doch wenigstens von einem gleichmaͤ- ßigen Verdienste der geistigen Auffassung, allerdings eine nicht ungewoͤhnliche, ich moͤchte sagen, selbst eine willkommenere Er- scheinung, als nackte Vorzuͤge der Auffassung seyn duͤrften, I. 2 wenn sie uͤberhaupt ohne eine angemessene Darstellung von Anderen entdeckt werden koͤnnten. Denn der Eindruck eines edlen, unter dem Drucke aͤußerer Umstaͤnde verkommenden, Geistes ist nothwendig niederschlagend; dem schoͤnen Gewande aber, ob es wohl einen Unwuͤrdigen bekleide, goͤnnen wir gern einen, wenn auch nur voruͤbergehenden Blick. Nicht selten indeß zeigen die Vorzuͤge der reinen Darstellung eine andere und ernstere Seite, da sie auch wohl, gleich den Leistungen der emsigen und in ihren Studien des Objektiven gleichsam verlorenen deutsch-italienischen Vorlaͤufer Raphaels alle Vor- theile der Kunst wesentlich foͤrdern und also hoͤheren Bestre- bungen den Weg bahnen. Ich beziehe mich hier, wie sich’s versteht, nicht etwa auf leere Fertigkeiten der Hand, oder, wie die neueren Italiener sagen, auf einen Fortschritt von schmaler zu breiter Manier Allargare la maniera — gewoͤhnlich bey Lanzi , storia pitt. und in a. ital. Kschr. , vielmehr einzig auf gediegene, sich ihrer selbst deutlich bewußte Darstellung. Verfolgen wir nun, nach dieser allgemeinsten Verglei- chung und Wuͤrdigung beide Thaͤtigkeiten mehr in das Ein- zelne ihrer besonderen Beziehungen und Wirkungen. Ueber die Auffassung wird freylich, da sie ganz intensiver Beschaffenheit ist, nur Weniges und Allgemeines zu sagen seyn. Allein die Darstellung, welche ihrem Wesen nach mehr in die Breite geht, duͤrfte eine lange Reihe vereinzelter Bemerkungen her- beyfuͤhren, bey denen der Leser ausharren wolle. Da die Kunst uͤberhaupt wohl eine eigenthuͤmliche Wen- dung und Beziehung, doch keinesweges, wie Manche anzuneh- men geneigt sind, eine ganz eigene und ausgeschiedene Gegend des Geistes ist, so wird die Auffassung, an und fuͤr sich und ohne Ruͤckblick auf ihren Gegenstand betrachtet, nach denselben Ge- setzen sich bewegen, in ihrer Werthbestimmung demselben Maße unterliegen, als jede andere gleich freye Thaͤtigkeit des Geistes. Also wird dasselbe, so in vielen andern Verhaͤltnissen unser Urtheil uͤber den Werth, oder Unwerth menschlicher Leistungen bestimmt, uns auch da leiten muͤssen, wo bey Kunstwerken uͤber das Verdienst, oder Unverdienst der Auffassung zu ent- scheiden ist. Kraft, Nachdruck, Schwung, oder Guͤte und Milde, oder auch Scharfsinnigkeit und deutliches Bewußtseyn des eignen Wollens werden, wie uͤberhaupt im Leben, so auch in der Kunst einen begruͤndeten Anspruch auf Billigung be- sitzen. Mit Ungrund daher und nach irrigen Voraussetzungen ward juͤngst von der abscheidenden Kunstlehre der aufstreben- den vorgeworfen, daß sie auf sittlichen Ernst und innere Belebung des Gemuͤthes unnoͤthiger Weise Gewicht lege. In einem solchen Streben, welches leichter auszusprechen, als zu bethaͤtigen ist, sollten wir unsere Zeitgenossen nur zu bestaͤrken suchen. Denn nicht hierin, sondern, wenn uͤberhaupt, nur in den Ansichten der Darstellung scheint die neueste Kunst- lehre Irrthuͤmer zu enthalten, welche, wenn man sie nur in der Naͤhe besehen wollte, eine bloße Uebersetzung derselben Meinungen sind, welche schon einmal eine Uebertragung er- fahren, als sie aus der Kunstlehre der Manieristen in die klassisch gestimmte der Schoͤnheitslehrer uͤberging. So allgemeine Begriffe indeß, als oben zur Andeutung genuͤgen mochten, werden in der Anwendung auf das man- nichtfaltigste bald sich feiner ausspalten, bald wiederum sich einigen und verschmelzen wollen. Denn die kuͤnstlerische Auf- fassung ist, eben wie das menschliche Naturell uͤberhaupt, 2 * nothwendig eigenthuͤmlich und selbst innerhalb der Grenzen des Tuͤchtigen, Guten und Richtigen noch immer ausnehmend mannichfaltig. Doch darf bei so umfassender und billiger Ansicht nicht uͤbersehen werden, daß die niedrigsten Stufen des Lobenswerthen: genuͤgsame Behaglichkeit beym Geringen und ironische Auffassung des Gemeinen und Schlechten, das unbedingt Verwerfliche der Laͤssigkeit des eignen Geistes und der Verkehrtheit des eignen Sinnes schon unmittelbar begrenzen. Betrachten wir aber die Auffassung in Bezug auf ihren Gegenstand, so wird sich ergeben, daß sie, aus diesem Ge- sichtspunkt angesehen, einzig nach dem Maaße ihrer Treue und Strenge zu wuͤrdigen ist. Allerdings werde ich zugeben muͤssen, daß im Uebrigen achtungswerthe Kuͤnstler doch, ver- moͤge ihrer eigenthuͤmlichen Sinnesart, oder aͤußeren Stellung, unfaͤhig seyn koͤnnen, bestimmte Aufgaben mit Treue und Richtigkeit aufzufassen. Doch scheint es einzuleuchten, daß die Verdienste eines Kuͤnstlers, der seinen Gegenstand aus Unfaͤ- higkeit oder Laͤssigkeit schief auffaßt, in allem Anderen, nur nicht in der Auffassung des Gegenstandes begruͤndet seyn koͤn- nen; demnach wird durch solche Ausnahmefaͤlle der Grundsatz weder aufgehoben, noch abgeaͤndert: daß der Kuͤnstler bemuͤht seyn muͤsse, in das Wesen seines Gegenstandes — oder sagen wir einmal seiner Aufgabe — jedesmal so tief einzudringen, als ihm nach seiner eigenthuͤmlichen Sinnesart irgend moͤglich ist. Und wirklich zeigen haͤufige Beyspiele, daß hierin schon die bloße Redlichkeit des Strebens sich unmittelbar belohnt. Denn vergleichen wir etwa die kirchlichen Darstellungen der aͤlteren deutschen Maler, deren Sinn und Faͤhigkeit im ganzen beschraͤnkt war, mit aͤhnlichen des Rubens , der in so vielen Beziehungen jenen uͤberlegen ist, so werden wir gewiß, wenn wir anders nur auf den Gegenstand sehen, uns leichter mit der treuen und innigen Auffassung der erstern aussoͤhnen koͤn- nen, als mit der theils phantastischen, theils frostigen des Anderen. Die Verdienste also, welche in der Auffassung sich offen- baren koͤnnen, fließen theils aus einer durchhin gluͤcklichen Beschaffenheit, oder Stimmung des Geistes, in dem sie vor- geht, theils aber auch aus der Treue und Gewissenhaftigkeit des Eingehens in gegebene Gegenstaͤnde. Aber gegebene nenne ich nicht bloß solche Gegenstaͤnde, welche durch menschlichen Gebrauch und geschichtliches Herkommen irgend eine uͤberein- koͤmmliche Gestaltung erhalten, vielmehr auch solche, welche, wie immer ihre Wahl in der Willkuͤhr des Kuͤnstlers liege, doch an sich selbst aus einer inneren Nothwendigkeit staͤtig und unveraͤnderlich sind. Denn so wenig als ein Sophist uns jemals uͤberzeugen wird, etwa daß Gutes boͤse sey, oder umgekehrt; eben so wenig vermag der Kuͤnstler, ohne Anstoß zu geben, unvereinbare Vorstellungen zu verschmelzen, oder unveraͤnderliche Naturverhaͤltnisse zu verruͤcken; wann es nicht etwa bloßen Scherz gilt, wie in den Masken und Karikaturen aller Art; oder wann nicht etwa der Gegenstand untergeordnet, der eigentliche Zweck Verzierung ist, wie in der Arabeske und Aehnlichem Ich uͤbergehe, was die Kunst im Dienste der Ueppigkeit durch Verknuͤpfung des Entgegengesetzten (durch monstroͤs Reizen- des) leisten und gewaͤhren kann. Denn ich bin ungewiß, ob die Kunst, wo sie vergaͤnglicher Sittenverwilderung schmeichelt, uͤber- haupt noch der Betrachtung werth ist’ ; gewiß wenigstens nahm Win- kelmann in seiner Analyse antiker Kunstformen eben diese Aus- weichung viel zu ernstlich. . Daß die kuͤnstlerische Auffassung in diesem Sinne gebun- den sey, werden freylich solche mir nicht zugeben wollen, wel- che — wie aus tiefen Traͤumen Erwachende eine Weile hin- durch gegen sie Umgebendes wie verblendet sind — noch im- mer den Wahn nicht abstreifen koͤnnen, daß der Kuͤnstler vermoͤge, ja daß ihm obliege, sich seine eigene Welt zu er- schaffen, und diese in seinen eigenen selbst erbildeten Formen darzustellen. Wir wollen nicht daruͤber streiten, ob die Kunst, wie Einige behaupten, gleichsam eine Welt außer der Welt er- schaffe, oder ob sie vielmehr nur, gleich anderen Geistesthaͤ- tigkeiten, sowohl allgemeine Wahrheiten, als besonderes Wahre auf ihre Weise entdecke, erkenne und Anderen verdeutliche. Denn es wird fuͤr die Kunstuͤbung ohne Belang seyn, auf welche Weise man sich gefalle, ihren Ursprung abzuleiten, oder die Ergebnisse ihrer Wirksamkeit zu erklaͤren, da sie bekannt- lich nicht etwa aus irgend einem Systeme der Weltweisheit, sondern ganz aus sich selbst entstanden ist. Indeß ist es von groͤßerem, ja von hoͤchstem Einfluß auf die Ausuͤbung der Kunst, ob die Beschaffenheit der Formen, in denen sie dar- stellt, falsch oder richtig erklaͤrt werde; ob man diese Formen, wie es geschehen, als willkuͤhrliche und selbsterbildete betrachte, oder vielmehr als gegebene, nothwendige, mithin als solche, welche unter allen Umstaͤnden muͤssen erlernt und erworben werden. Denn es ist hier nicht, wie in der fruͤheren Bezie- hung, wo der Genius, wie man auch seine Entstehung und Beschaffenheit erklaͤre, doch immer unveraͤndert derselbe bleibt; vielmehr geht die Ansicht, welche man in Bezug auf die For- men der Darstellung gefaßt, schon unmittelbar in die prakti- sche Kunstlehre uͤber, wirkt also unumgaͤnglich auf die Kunst- uͤbung selbst ein, der sie, wie es einleuchtet, nach Maßgabe ihrer Richtigkeit nuͤtzen, oder schaden muß. Es wird demnach auch nach so Vielem, was uͤber die Kunst gedacht und ge- schrieben worden, noch immer ersprießlich seyn, die Abkunft und Beschaffenheit der darstellenden Kunstformen von Neuem in Frage zu bringen; eine Untersuchung, die wir ohnehin, bey nachstehender Betrachtung der Darstellung, nicht wohl um- gehen koͤnnten. In Kunstwerken nenne ich darstellende Formen solche, welche bestimmte, sey es gegebene, oder willkuͤhrlich erwaͤhlte Kunstaufgaben bezeichnen, ausdruͤcken, oder Anderen vor den Sinn bringen. Von diesen unterscheide ich viele Foͤrmlichkei- ten ganz anderer Art, welche die Darstellung, ohne ihr anzu- gehoͤren, als Außenwerke zu begleiten pflegen. Denn Vieles, was in Kunstwerken zur Versinnlichung der eigentlichen Kunst- aufgabe auf keine Weise behuͤlflich ist, wird bald durch For- derungen des Stoffes herbeygefuͤhrt, in welchem der Bildner seine Formen bildet, der Maler sie wenigstens erscheinen macht, bald auch durch ein Beduͤrfniß harmonischer Fuͤllung des Raumes, dessen naͤhere Beleuchtung wir hier jetzt noch aussetzen wollen, bis wir uns uͤber die Abkunft und wahre Beschaffenheit der eigentlich darstellenden Formen werden ver- staͤndigt haben. Neigte die moderne Bildung nicht durchhin zu einer ge- wissen Abtoͤdtung des aͤußeren Sinnes, waͤre es den Gelehr- ten, welche sich mit der Kunst beschaͤftigen, nur halbhin auf- gegangen, daß schon die Natur durch ihre Gestalten Alles, was die Kunst irgend bestrebt und leistet, bald entfernt an- regt, bald unuͤbertrefflich ausdruͤckt: so wuͤrden wir, vornehm- lich bey so ernstlicher Beschaͤftigung mit den Alterthuͤmern der griechischen Kunst, wohl schon laͤngst dahin gelangt seyn, die ausdruͤckenden oder darstellenden Formen der Kunst ohne einige Beschraͤnkung fuͤr in der Natur gegebene, oder natuͤrliche zu halten. Denn abgesehn von einigen Versuchen Lange hatte ich vergebens gestrebt, mir zu verdeutlichen, was denn eigentlich nach dem Sprachgebrauche der romantischen Kunstrichtung unter symbolischer Darstellung verstanden werde. Im weitesten Sinne waͤre ja alle Darstellung der Kunst und nicht bloß die Darstellung bestimmter Schulen symbolisch zu nennen, wenn es uͤberhaupt das Verstaͤndniß foͤrdern koͤnnte, hier ein Wort zu gebrauchen, dessen Grundbild den Wenigsten sinnlich ist. Wenn irgend ein Purist versuchen wollte, nach der Analogie fuͤr symbo- lische, kerbholzmaͤßige Darstellung zu sagen, so duͤrfte diese nackte Saͤchlichkeit nicht denselben Reiz haben, als der dunkle viel- fach uͤbertragene Sinn des Wortes Symbol. — Wenn wir indeß einen Aufsatz im Kunstblatte (1821. No. 45. f.) als das Organ der Ansichten einer Mehrheit von Kuͤnstlern und Kunstgelehrten betrachten duͤrften, so wuͤrde aus diesem hervorgehen, daß symbo- lische Darstellung vielen Neueren etwa so viel heißt, als Andeu- tung von Begriffen durch willkuͤhrlich gebildete, nur durch Verab- redung verstaͤndliche Zeichen. der juͤngsten Zeit, den Begriff der Kunst von neuem mit dem Begriffe der Bilderschrift zu vermengen, leuchtet es den Meisten ein, daß jede Bezeichnung von Begriffen und Gedanken des Verstandes durch willkuͤhrlich gewaͤhlte, nur durch Verabredung verstaͤnd- liche Bilder, daß die Hieroglyphe, oder wie man sonst die bildnerisch-malerischen Versuche der alten Voͤlker benennen will, noch lange nicht eigentliche Kunst sey. Obwohl man zugeben muß, daß die Kunst durch die Hieroglyphe technisch vorgebil- det; sogar in einzelnen Anwandlungen durch sich selbst ver- staͤndlicher Darstellung, deren Beyspiele bey Gau Denkmaͤler ꝛc. Vgl. die Untersuchungen und Beobachtun- gen anderer Reisenden in Ober-Aegypten und Nubien . vor- kommen, gleichsam vorbedeutet worden, so wird doch von den meisten Gelehrten angenommen, daß die Griechen die wahre Kunst zuerst aufgefunden, und mit der groͤßten Frische des Geistes die neue Erfindung sogleich einer bis jetzt unerreichten Vollkommenheit entgegen gefuͤhrt. Doch, wenn ich nicht irre, fehlt es ihnen durchhin an einer deutlichen Einsicht in Sol- ches, was diese von ihnen als die einzig wahre anerkannte Kunst der Griechen eben zur Kunst macht und von der Bild- schrift unterscheidet S. bey Herder (zerstreute Blaͤtter, Gotha 1792. S. 240.) die Entwickelung der Hindernisse einer voͤlligen Ausbildung der indischen Kunst, wo der Umstand, daß ihre Goͤtter aus sym- bolischen Begriffen entsprungen waren, nur als ein Hin- derniß schoͤner Erscheinung, nicht als ein die Darstellung ausschlie- ßender aufgefaßt wird. Auch in Heinr. Meyers Gesch. der bild. Kuͤnste bey den Griechen, welche durch den gebildeten Kunstsinn und die Beobachtungsgabe dieses Kunstgelehrten so bemerkenswerth ist, wird in der Vorrede die Beschaͤftigung mit allen vor- und außergriechischen Kunstbestrebungen nur darum abgelehnt, weil es darin an Schoͤnheit, Anmuth und reinem Geschmacke fehle, in welcher Beziehung eben dort sogar den Incunabeln grie- chischer Kunst vor aͤgypt. und anderen der Vorzug gegeben wird, welches letzte partheylich ist, oder doch mir zu seyn scheint; wenn anders die Bemerkung: daß der hohe edle Geist, welcher selbst aus den uralten und rohen Arbeiten der Griechen unser Gemuͤth an- spricht und erhebt, in jenen nicht wohne, nicht etwa die minder deutliche Wahrnehmung einer entschiedeneren Richtung der aͤltesten Griechen auf eigentliche Darstellung in sich einschließen sollte. . Offenbar liegt dieses Unterscheidende nicht in jenem An- theil willkuͤhrlicher Begriffsbezeichnung, welcher, wie zart er immer dem eigentlich Kuͤnstlerischen angelegt sey Eine besonders lichte Darstellung des Verhaͤltnisses der Allegorie zur griechischen Malerey findet sich bey Toͤlken , a. a. O. , doch in der griechischen Kunst ihren Ursprung aus der Schriftbildnerey der aͤltesten Zeiten beurkundet; also liegt es nur in solchem, was unmittelbar durch die Anschauung dem Geiste einleuchtet. Der naͤheren Bestimmung des Grundes dieser von Erklaͤrungen unabhaͤngigen Erfaßlichkeit setzten sich indeß tief eingewurzelte Vorurtheile entgegen, welche, so dunkel und verworren ihr Ursprung ist, doch, von vortrefflichen Geistern scheinbar be- gruͤndet, waͤhrend des letzten Menschenalters an Muth und Hartnaͤckigkeit noch um Vieles zugenommen. Denn es ist eben nur die traditionelle, nirgend erwiesene Voraussetzung einer dem Kuͤnstler angeborenen Kraft, sich eigene Formen der Darstellung zu erschaffen, welche uͤber die Thatsache verblendete und noch immer verblendet: daß die Griechen (entweder weil durch die Erfindung und Ausbildung der Buchstabenschrift die Gestalt des duͤrren Begriffsdienstes schon entbunden worden, oder auch, weil die Natur sich gefallen, in ihnen selbst, wie noch die Truͤmmer des Volkes beweisen, die Gestalt in hoͤhe- rem Maße zu beseelen) zuerst die innere, nothwendige, gege- bene Bedeutsamkeit entdeckten, welche, wenn wir nur sehen wollten, uͤber alle Gebilde der Natur verbreitet ist. Auf die- ser allgemeinsten Bedingung aller bildenden Kunst beruhet jene unmittelbare Verstaͤndlichkeit griechischer Kunstgebilde, welche wir taͤglich bewundern, ohne jederzeit deren wahren Grund uns einzuraͤumen. Denn man geht wohl, um ihn nur laͤugnen zu duͤrfen, so weit, historische Unwahrheiten zu behaupten, wie diese, daß die Aegypter, welche weltkundig nur die allge- meinsten Zuͤge der menschlichen Gestalt erfaßt, und selbst diese meist hoͤchst willkuͤhrlich verwendet haben, doch der Naturge- staltung naͤher geblieben, als die Griechen, deren Kenntniß der Naturformen, deren Gefuͤhl fuͤr deren zarteste Uebergaͤnge, wie ihre Bildwerke unwidersprechlich an den Tag legen, von keiner spaͤteren Leistung jemals uͤbertroffen worden. In aͤhn- licher Absicht behauptete Herder , daß die alten Griechen keine eigentliche Bildnisse gemacht, Lessing wenigstens, daß sie solche nach allgemeinen Schoͤnheitsbegriffen abgeaͤndert haben Auch Winckelmann K. G. neue Ausg. Bd. IV. S. 131. . Unbelohnend waͤre es freylich, den Blinden und Verblen- deten begreiflich zn machen, daß die griechische Kunst eben nur der scharfsinnigsten Wahrnehmung bedeutsamer Zuͤge der Na- turgestalt ihre unvergleichlich lichte, ansprechende Darstellung verdanke. Wer indeß die Faͤhigkeit besitzt, ihre Kunstwerke zu sehen, wer so viel Unbefangenheit sich erhalten, die Aeuße- rungen alter Schriftsteller uͤber Dinge der Kunst nicht nach vorgefaßter Meinung So ist es eine willkuͤhrliche Auslegung, wenn Lessing annimmt, daß Widerwille gegen Bildnisse die Griechen bestimmt habe, nur dem dreymaligen olympischen Sieger ikonische Bildsaͤu- len zu setzen. Weshalb denn waͤre eben der dreyfach Geehrte durch eine minder erfreuliche, oder widrigere Kunstform ausgezeichnet worden? , sondern nach den Umstaͤnden und aus der Verbindung zu erklaͤren, wird leicht mir einraͤumen, daß die einen durchaus natuͤrliche sind, und daß die anderen unzweydeutig darlegen, daß man im Alterthume den selbst- staͤndigen Werth der darstellenden Formen, so oft man solche fuͤr sich betrachtete, immer nur nach dem Maße ihrer Natuͤr- lichkeit bestimmte S. Cicero Brut. 18. — Boͤttiger , Archaͤol. der Mal. S. 2. „Aus dem Gelungenen der Nachahmung erklaͤrten auch die Alten jeden Kunstgenuß ꝛc.“ Doch scheint dieser Gelehrte hierin eine Verwandtschaft mit den Ansichten des Batteux zu vermu- then, welche nicht unbedingt einzuraͤumen ist. Die Wuͤnsche der . Allerdings wollten die Griechen die Aufgabe, welcher Art sie seyn mochte, deutlich ausgedruͤckt, oder dargestellt sehen; ihnen, wie selbst den roheren Roͤmern, kam es wirklich darauf an, die Idee der Aufgabe, mit der sie es meist ganz ernstlich meinten, durch entsprechende For- men dargestellt zu sehen, weßhalb sie Recht hatten, zu zuͤrnen, wenn sie statt eines Gottes, oder Helden, das Bildniß einer trivialen Person erhielten, deren Formen vielleicht, auch abge- sehen von den ihrer Persoͤnlichkeit anklebenden Nebenvorstel- lungen, in jeder Beziehung der Aufgabe widersprachen. Folgt aber daraus, daß sie ihre Goͤtter und Heroen, gegen alle Geschichte, in unmenschlichen und unnatuͤrlichen Formen er- blicken wollen? Gewiß konnte dieses, wenn jemals, doch nur in den aͤltesten Zeiten und an solchen Orten, unter solchen Verhaͤltnissen statt finden, wo — wie es nicht unerhoͤrt in der griechischen Kunstgeschichte — nicht sowohl Darstellung und eigentliche Kunst, als vielmehr willkuͤhrliche Bezeichnung verborgener Begriffe bezweckt wurde, deren Eroͤrterung der historischen, nicht der aͤsthetischen Archaͤologie anheimfaͤllt. Wenn aber der Kunst unkundige Griechen bey Darstellungen in sich abgeschlossener Vorstellungen des Geistes noch zweifeln hollaͤndisch-franzoͤsischen Kunstgelehrten beschraͤnkten sich auf die Gaukeley des Erscheinens an sich selbst; die Alten aber, wenig- stens die besten, betrachteten den vollen Besitz der Naturformen als die Bedingung genuͤgender Darstellung. Vergl. Winckelmann und sein Jahrh. S. 281. — Das illusorische Kunstbestreben bedarf vieler Zuͤge der Natur, vieler Umstaͤnde der Erscheinung, welche in den meisten Faͤllen zur eigentlichen Darstellung unwesentlich sind; und umgekehrt wird es andere Zuͤge der Naturgestalt uͤber- gehen duͤrfen, welche in bestimmten Faͤllen die Darstellung hoͤch- lich unterstuͤtzen. Also steht der darstellende Kuͤnstler zur Natur nicht ganz in demselben Verhaͤltniß, als der bloß sinnlich illu- dirende. konnten, ob der Kuͤnstler wohl unter den ihn koͤrperlich um- gebenden Gestalten der Natur, fuͤr jene ein vollendetes Vor- bild gefunden: so fuͤhrt eine solche naive Aeußerung, weit entfernt fuͤr die Willkuͤhrlichkeit der griechischen Kunstformen zu zeugen, vielmehr auf die Vermuthung, daß dem Griechen der schoͤnsten Zeit, welcher das aͤußere Treiben seiner Kuͤnstler noch vor Augen hatte, sie unablaͤssig umherschauen, nachbil- den, forschen sah, die ganze Kunst wohl einmal als bloßer Wetteifer mit der Natur, als bloße Nachahmung ihrer ein- zelnen Gebilde erschien. Wir indeß haben uns oben daran erinnert, daß eben vermoͤge jener gegebenen Bedeutsamkeit der Naturformen, deren unumgaͤngliche Erforschung und Aneig- nung nicht selten der Kunst Unkundige weiter hinausliegende Zwecke der Kuͤnstler uͤbersehen macht, vieles Große, in ge- wisser Beziehung selbst das Hoͤchste, was uͤberall im mensch- lichen Geiste gedeihet und reift, auch kuͤnstlerisch sowohl zu erfassen, als darzustellen ist Vergl. zwey englische Monographieen, die eine, uͤber die Gestalt und Lage des Ilissus, die andere, Vergleichung des alt- griechischen Pferdekopfes, im brittischen Museum, mit einem der venezianischen. Titel und Verf. vermag ich nicht umstaͤndlich an- zugeben. Als ich sie vor etwa vier Jahren zu Florenz auf der Magliabecch. Bibliothek fand und las, glaubte ich, so ausgezeich- nete Arbeiten wuͤrden in Deutschland uͤberall zu finden, oder doch aus England zu erhalten seyn. Beides ist mir fehlgeschlagen, wo- her ich schließe, daß sie nicht in den Handel gekommen, und nur als Geschenk vertheilt worden sind. — Aufmerksame Beachtung und gruͤndliche Untersuchung von Werken der besten und schoͤnsten Schule antiker Bildnerey leitete ihren Verf., in Bezug auf die Art und Abkunft der darstellenden Kunstformen, ungefaͤhr auf die- selbe Ansicht, welche ich oben zu begruͤnden versucht. . Allerdings sind schon bey den Griechen, unmittelbar nach der schoͤnsten Bluͤthe ihres Geisteslebens zween obwohl ent- gegengesetzte, doch gleichmaͤßig irrige Kunstansichten aufgekom- men. Die eine, welche nach den Andeutungen in der Com- pilation des aͤlteren Plinius gewiß sehr weit verbreitet war, verlor uͤber jene Gaukeley der sinnlichen Wahrscheinlichkeit, welche allerdings ein ergoͤtzliches Spiel der Meisterschaft ist, wohl nicht selten hoͤhere Zwecke der Kunst aus den Augen; obwohl schwerlich in dem Maße, als einige Theorieen der letzten Jahrhunderte. Die andere erhielt sich ebenfalls auf der Oberflaͤche, indem sie der eitlen Selbsttaͤuschung sich hin- gab, daß organische Formen, durch, wenn auch damals noch sehr bedingte, doch immer schon willkuͤhrliche Abaͤnderungen verschoͤnt werden koͤnnen; daß die Natur, daß die Anordnun- gen des Schoͤpfers einer Nachbesserung durch menschlichen Witz beduͤrfen. Die erste dieser Ansichten, welche mit den hochge- spannten Voraussetzungen unserer aͤsthetischen Archaͤologen so wenig uͤbereinstimmt, wird von diesen meist uͤbersehen oder doch zu fruͤh beseitigt Eine umfassende Zusammenstellung dahinaus zielender Stel- len alter Schriftsteller waͤre der Gelehrsamkeit und des Fleißes eines Boͤttiger werth. Moͤchte dieser treffliche Gelehrte der Kunst zum Frommen auch diese, so hoͤchst verdienstliche Arbeit auf sich nehmen, die Stellen, aus denen theils die philosophische, theils die populaͤre Kunstansicht der Alten hervorgeht, nicht, wie gewoͤhnlich, zur Bestaͤrkung moderner Meinungen, sondern nur eben der alten willen, mit Hindeutung auf den jedesmaligen Standpunkt des Autors, oder seiner redend Eingefuͤhrten nach Zeit und Gegenstand zu ordnen und zu vereinigen. . Aus der anderen indeß, welche sicher den modernen Kunstgelehrten willkommen ist, duͤrfen wir auf keine Weise auf die Ansichten der aͤlteren und besten Kuͤnstler zuruͤckschließen. Denn sie gehoͤrt der Zeit an, da der Sinn und die Wuͤnsche gewaltiger Herrscher die griechische Kunst von lieblicher Unbefangenheit und schauerlicher Tiefe zum aͤußeren Glanze, zur Wirkung hinuͤberlenkte. Und hierin werden wir nicht, wie Manche, einen Fortschritt wahrzuneh- men glauben, vielmehr nur bewundern koͤnnen, daß unbewußte Fortpflanzung des Alten, oder Ehrfurcht vor den Werken ihrer naͤchsten Vorgaͤnger, die Kuͤnstler, welche so verderblichen An- sichten sich hingegeben, doch in der Hauptsache noch lange beym Rechten erhalten und, bis zum gaͤnzlichen Versiegen, die alte Kunst vor jener grenzenlosen Verirrung in Manieren bewahrt hat, welche den neuesten Jahrhunderten vorbehal- ten blieb. Allein auch die neuere Kunst ward keinesweges gleichsam todt geboren, und befolgte daher von ihrem ersten Aufstreben bis auf ihren hoͤchsten Gipfel noch immer die Ansicht des Alterthumes: daß alle darstellenden Formen der Kunst, als in der Natur gegebene, vom Kuͤnstler erlernt und erworben, nicht etwa willkuͤhrlich erdacht und erbildet werden muͤssen. Wenn wir nur im Gesicht behalten, daß die Kunst auf ihren fruͤheren Stufen sich mit den allgemeinsten Zuͤgen der Natur begnuͤgt, theils weil es so zur Darstellung ihrer Aufgaben genuͤgt, theils weil sie noch weit von dem Wunsche, oder Vermoͤgen entfernt ist, illusorische Wirkungen hervorzubringen; so werden wir schon in Cimabue’s maͤchtiger Jungfrau, vor- nehmlich in dem Kinde und in den Engeln, oder auch in anderen Werken dieser Zeit wahrnehmen koͤnnen, daß man in eben dem Maße, als man weiter gedacht und weiter hin- ausgestrebt, auch der Natur sich angenaͤhert, ihr Feinheiten und Bezeichnungen abgewonnen hatte, welche den naͤchst vor- angehenden, stumpfsinnigeren Kuͤnstlern noch durchaus fremd waren. Die Zeitgenossen Giotto’s , des beruͤhmten Florenti- ners, der wenigstens in der Bewegung der Figuren, und in der Freyheit der Erfindung noch weiter vorgeschritten war, glaubten, da auf so fruͤhen Kunststufen auch der Beschauer mehr Phantasie und Waͤrme hinzubringt, in seinen Werken das Leben, oder wenigstens die Lebendigkeit selbst zu erblicken Gio. Boccaccio , Dec. gior. 6. n. 5. von Giotto : — „ niuna cosa dà la Natura madre de tutte le cose — che egli con lo stile e con la penna, o col pennello non dipignesse sì simile a quella, che non simile anzi déssa paresse; u. s. f.” — Villani , Gio , stor. Fior. lib. XI. (ed. Torrent. Flor. 1554. p. 30.) ad. a. 1334. — „ Giotto —, il più sovrano maestro stato in dipintura, che si tro- vasse al suo tempo, e quegli, che più trasse ogni figura ed atti al naturale.” . Diese war das Maß, nach welchem der Werth der Kunstform schon da- mals bestimmt wurde, wie es vollends aus Ghiberti’s Schrift hervorgeht, welcher in seinen Nachrichten uͤber die Werke des Giotto und Anderer Alles, was er in Bezug auf die Darstellung lobt und billigt, mit der Naturgestalt und mit den Werken der antiken Bildner vergleicht, welche ihm nach einem richtigen Gefuͤhle voͤllig uͤbereinzustimmen schei- nen Lor. Ghiberti , trattato di scultura e pittura; Magliabecch. classe XVII. palch. 1. No. 33. p. 7. a tergo — Giotto — arecò l’arte naturale con esso non uscendo dalle misure — und p. 9. a tergo, von einem deutschen Bildner, „perfetto — al pari degli statuarj antichi Greci.” — . Im funfzehnten Jahrhunderte stieg nun gar die Begier, sich bedeutende und schoͤne Naturformen anzueignen, eben bey den beachtenswerthesten Malern so hoch, daß nicht selten, wie bey Domenico Ghirlandajo die eigentlichen Gegenstaͤnde ihrer Darstellung sich ihrem Blicke entruͤckten, was was indeß der Kunst im Ganzen betrachtet nicht eben Nach- theil gebracht. Wie dann Lionardo , wie Michelangelo in den geheimsten Werkstaͤtten der Natur umhergewuͤhlt und geforscht, wie liebevoll Raphael sich der Naturfuͤlle hingegeben, lehren sowohl die groͤßeren Werke dieser Meister, als vornehmlich ihre Studienbuͤcher und Handzeichnungen, wie es denn auch die Angaben ihrer Zeitgenossen bestaͤtigen. Also werden wir in einer viel neueren Epoche die Entstehung des Irrthumes aufsuchen muͤssen: daß der Kuͤnstler, nicht zufrieden, den eige- nen Sinn, wie tief, oder flach, wie hoch, oder niedrig er ihm gewaͤhrt sey, in den Formen der Natur auszupraͤgen, viel- mehr auch seine eigenen Formen sich erbilden koͤnne und sogar, wie man hie und da unbedingt fordert, sie erbilden solle. Es ist mir bisher nicht gelungen, die moderne Meinung, daß Formen der Darstellung denkbar, und moͤglich und wuͤn- schenswerth seyen, welche der kuͤnstlerischen Erfindung durch- aus angehoͤren, weiter zuruͤck zu verfolgen, als bis zu einem naiven und liebenswerthen Briefe Raphaels , der so haͤufig benutzt worden, daß ich ihn als bekannt voraussetzen darf. Kuͤnstler sind nun freylich nach ihren Werken zu beurtheilen, weniger, oder auch gar nicht, nach Ansichten, Meinungen, Grundsaͤtzen, welche sie in Begriffen aussprechen. Demunge- achtet ist ein Wort, welches aus der Feder des groͤßten Kuͤnst- lers geflossen, schon der Beachtung und Pruͤfung werth. Nun zeigt sich Raphael in seinen bekannteren Briefen und Gedich- ten zwar der Gesinnung und dem Streben nach stets seiner selbst werth, doch auf der anderen Seite, was Begriff und Sprache anbelangt, nur wenig ausgebildet; so daß nicht so leicht zu entscheiden ist, wie er es selbst verstanden, wenn er sagte: „Er finde in der Natur keine Gestalt, welche seinem I. 3 Wunsche, die schoͤnste Goͤttin darzustellen, ganz entspreche und strebe daher einer gewissen Idee nach.“ Genau betrachtet bezeugen diese Worte, auf der einen Seite nur etwa eine augenblickliche Unzufriedenheit mit den eben vorhandenen Modellen; auf der anderen Seite aber die naive Voraussetzung, daß fuͤr jede in sich abgeschlossene Idee unter den abgeschlossenen Gestalten der Natur auch ein vollen- detes Gegenbild muͤsse aufzufinden seyn. Wollten wir indeß annehmen, Raphael habe hier, vielleicht durch Freunde unter den gelehrteren Hoͤflingen zu Rom veranlaßt, eben nur etwas platonisiren wollen, so war Solches fuͤr seinen kuͤnstlerischen Zweck sicher ohne allen Belang, da es klar ist, daß der frag- liche Schulbegriff, in so fern er Grund hat, schon ohne sich dessen bewußt zu werden, bey Kuͤnstlern in Wirkung treten muß; dagegen in so fern er etwa falsch ist, ihr Bestreben und Wirken nur durchkreuzen kann. Ueberhaupt duͤrfte der Kuͤnstler mit der Idee des Schulbegriffes nicht wohl auslan- gen koͤnnen. Denn die kuͤnstlerische Darstellung bedarf, wie es schon einleuchten wird, ganz durchgebildeter Gestalten, kann mithin bey jenen dunklen Erinnerungen der platonischen, oder noch aͤlteren Weisheit auf keine Weise sich beruhigen. Wer aber wuͤrde behaupten wollen, daß Raphael nach zwanzigjaͤh- riger Hingebung in die liebevollste und emsigste Naturbeschau- ung eine solche Verstandesgrille ernstlich habe behaupten wol- len? Wer wuͤrde nicht lieber annehmen, sein Ueberdruß an den Gestalten, so die Natur ihm damals darbot, oder nur darzubieten schien, sey nur ein unmuthiges Wort, dem Muͤ- den um so mehr nachzusehen, als er es, wie seine Goͤttin zeigt, nicht einmal in dem Augenblicke, da er es aussprach, damit so gar genau genommen. Wie man nun immer die Worte deuten wolle, welche Raphael einmal hingeworfen, ohne sie jemals naͤher erklaͤrt, noch, in so fern sie eine allgemeine Ungenuͤgsamkeit mit den Gestalten der Natur zu bezeugen scheinen, in seiner Kunst- uͤbung ernstlich befolgt zu haben; so wird dennoch darin kein hinreichender Grund entdeckt werden koͤnnen, ihm das ent- schiedene Eingehen in einen Irrthum beizumessen, welcher da- zumal uͤberhaupt noch nicht an der Zeit war. Er konnte erst um Decennien spaͤter Beyfall und Eingang finden, als Eitel- keit und Traͤgheit unter den Kuͤnstlern uͤberhand genommen. Denn in dem gedoppelten Bestreben, durch Seltsamkeit aufzu- fallen, und den Geist anstrengenden Studien auszuweichen, liegt der eigentliche Grund, sowohl der Entstehung, als wie der schnellen und bereitwilligen Aufnahme der Meinung, daß es dem Kuͤnstler gegeben sey, aus sich selbst Formen zu ent- wickeln, welche die natuͤrlichen an Bedeutsamkeit und Schoͤn- heit uͤbertreffen. Schon in dem spaͤteren Malerleben des Vasari wird auf die Erfindung und Handhabung dessen, was er die schoͤne moderne Manier benennt, ein Gewicht gelegt, welches errathen laͤßt, wie sehr man schon damals in der Vorstellung befangen war, daß eine loͤbliche Darstellung nicht etwa schon aus der Beobachtung und Erforschung des Gege- benen hervorgehe, vielmehr und vornehmlich aus freyer, muth- williger Erfindung und willkuͤhrlicher Gewandtheit S. bey Georg Vasari (vite de pittori etc. 1568. P. III. p. 813.) die anziehende Erzaͤhlung von einem Besuch, den er mit Michelangeolo bey Tizian abgelegt, und die Reflection am Schlusse: — chi non ha disegnato assai e studiato cose scelte an- tiche o moderne, non può far bene di pratica da se, nè ajutare le cose, che si ritranno dal vivo, dando loro quella grazia e perfe- . In der 3 * That lobt und billigt bieser Schriftsteller einige Kuͤnstler, wel- che sogar den modern Gesinnten unter den Richtern und Ge- schichtschreibern der Kunst fuͤr Manieristen gelten. Vasari indeß, der bekanntlich in seiner eignen Darstellung die Mitte des Rechten und Falschen, der Gesetzmaͤßigkeit und Willkuͤhr gehalten, bildet auch in der allgemeinen Ansicht gleichsam nur einen Uebergang. Denn mit deutlichem Bewußtseyn und ent- schiedenem Wollen ausgeruͤstet erblicken wir jenen, fuͤr die moderne Kunst grundverderblichen Irrthum nicht fruͤher, als in der Zeit, da die vielbesprochene Partheyung der Idealisten und Naturalisten zuerst verlautete S. die Quellen der modern italien. Kunstgeschichte, welche bey Fiorillo. Gesch. d. z. K., sehr vollstaͤndig nachgewiesen sind. — Die Naturalisten erhoben sich allerdings um etwas spaͤter; ihre Einseitigkeit wurde durch Ekel an den leeren Zerrbildern der so- genannten Idealisten hervorgerufen. . Kein Uebel kommt so leicht allein, und kein Extrem ent- steht, dem nicht alsobald ein entgegengesetztes gegenuͤber traͤte; daher, denke ich, erscheint der falsche Idealbegriff jederzeit in Begleitung eines gleich schiefen Naturbegriffes, so daß wir zione, che da l’arte fuoni dell’ ordine della natura etc. Also hoff- ten schon die Zeitgenossen des Vasari die Natur in der Form zu uͤberbieten; mit welchem Erfolge wissen die Sachkundigen. — Auch dieses Verhaͤltniß durchschaute Baco (Sermones fideles etc. XLI. de pulchritudine): — „Non quin existimem elegantiorem fa- ciem depingi a pictore posse, quam unquam in vivis fuit; sed hoc ei contingere oportet ex felicitate quadam et casu — non autem ex regulis artis.” Ein solches Gluͤck und Gelingen faͤllt, wenn uͤberhaupt, doch nur denen zu, welche durch (wie Baco andeu- tet) bedachtlose Hingebung in die Natur mit dieser so ganz eins geworden sind, daß sie, auch unabhaͤngig von einzelnen Vor- bildern, doch im Sinn und Geist der Natur gestalten und bilden koͤnnen. den einen nicht aufloͤsen und aufheben koͤnnen, ohne vorher den Anderen berichtigt, oder vertilgt zu haben. Die Parthey- ung aber, welche durch diese irrigen Begriffe hervorgebracht worden, wird an sich selbst nur in so fern der Aufmerksamkeit werth seyn, als sie durch das Beyspiel ihrer Leistungen den Nachtheil bewaͤhrt, welcher aus einer falschen Auffassung der Grundbegriffe, deren Berichtigung vielen minder wesentlich be- duͤnken moͤchte, sogar fuͤr die wirkliche Kunstuͤbung entsteht. Ueberhaupt aber moͤgen der Kunstgeschichte weniger Kundige nicht etwa glauben, daß den Idealisten die Idee, den Natu- ralisten die Natur so sehr am Herzen gelegen. Ihr Streit drehte sich einzig um Formen der Darstellung, ob diese will- kuͤhrlich zu ersinnen Etwas aus der Idea ausmachen, wie Sandrart aus der Kunstsprache der italienischen Maler seiner Zeit uͤbersetzt, ist dem oben Angefuͤhrten, far da se, des Vasari ungefaͤhr gleichbedeutend. , oder vielmehr jedem in der Wirklich- keit sich zufaͤllig darbietenden Gegenstande nachzubilden seyn. Waͤhrend die eine Parthey der Weisheit der Natur muth- willig Trotz bot, ihre Fuͤlle verschmaͤhte, wollte die andere, die inneren Forderungen bestimmter Kunstaufgaben verachtend und jeglicher Erhebung der Seele entsagend, nur solche For- men nachbilden, welche der Zufall bot, auch wohl muthwil- liger Weise eben die, welche der Aufgabe sichtlich widerspra- chen. Wie nur die Schulbegriffe so platter Richtungen in die Sprache der unlaͤugbar besser gesinnten Kuͤnstler, der un- laͤugbar tiefer denkenden Kunstgelehrten der neuesten Zeit haben uͤbergehen koͤnnen! Wenden wir uns zunaͤchst zum Grundbegriffe der Natu- ralisten, so ist es wohl klar, daß der Name der Natur, die- ses weiten und allgemeinen Begriffes, nicht ohne Frevel ver- wendet werden kann, um, wie noch immer in der modernen Kunstsprache gebraͤuchlich ist, eben nur einen zufaͤllig vorlie- genden Gegenstand der sinnlichen Anschauung und oft genug nur mechanischen Nachahmung zu bezeichnen. Doch nicht bloß frevelnd, vielmehr auch abgeschmackt ist es, nur in der Kunst- sprache das Einzelne durch den Namen des Allgemeinen zu bezeichnen, dem es etwa unterzuordnen. Wuͤrden wir im Leben, anstatt: ich habe einen Menschen, einen Baum, einen Berg gesehen, einmal sagen wollen: ich habe die Natur ge- sehen; so duͤrften wir, wenn uͤberall verstanden, doch gewiß wegen des Unbestimmten und Unschicklichen unseres Ausdrucks mit allem Grunde verlacht werden. Weshalb denn sollte es passender seyn, wenn man im gemeinen Kunstverkehr anstatt: ich habe diese Gestalt nach einem bestimmten Menschen gebil- det, zu sagen pflegt: ich habe sie nach der Natur gemacht? Und wie haͤufig wird dieser thoͤrichte Kunstausdruck nicht selbst auf todte, von Menschenhand verarbeitete Dinge ausgedehnt, welche der gemeine, wie der wissenschaftliche Sprachgebrauch als kuͤnstliche den natuͤrlichen entgegensetzt. Habe ich doch oft von Teppichen, Stuͤhlen, Baͤnken, Gebaͤuden und Anderem der Art gehoͤrt, es sey nach der Natur gezeichnet oder gemalt worden. Indeß, wird man mir einwenden, weiß der Kuͤnstler, wie der Kunstfreund, daß Natur ihm eben nicht Anderes be- deute, als Modell, Vorbild, Objekt der sinnlichen Anschau- ung oder Aehnliches; und uͤberhaupt, wird man hinzusetzen, komme es ja weniger darauf an, daß man ein Wort ganz sprachgemaͤß gebrauche, als daß man uͤber den Sinn einig sey, den man ihm beylegen wolle. Es liegt nicht in meiner Aufgabe, hier die Frage zu erledigen, ob die Sprache an sich selbst durch jene Willkuͤhr der Wortbedeutungen, in welcher die Modernen sich zu gefallen scheinen, irgend etwas gewinne, oder umgekehrt von ihrer urspruͤnglichen Klarheit einbuͤße, wie sie mehr und mehr von den Bildern und Anschauungen sich entfernt, welche der Bezeichnung selbst der abstractesten Be- griffe zum Grunde liegen. Doch kann ich nicht umhin, die Kunstfreunde und Kuͤnstler zu erinnern, daß auf der einen Seite der Begriff, den sie meist ziemlich ausschließlich mit dem Worte Natur verbinden, durch Modell und Vorbild schon sehr genuͤgend bezeichnet wird; daß auf der anderen Seite der weitumfassende Begriff der zugleich erzeugenden und erzeugten Natur nicht wohl, etwa aus Gefaͤlligkeit gegen die Grillen einiger Kuͤnstlerschulen von zweifelhaftem Werth, durch ein neues, noch unerfundenes Wort zu ersetzen ist. Beachten wir zudem, daß jegliches Wesen, also selbst der Manierist, zur wirklichen Natur in so vielfacher Beziehung steht, daß es den Kunstgelehrten und Kuͤnstlern, wie pedantisch aͤngstlich sie immer ihren eigenthuͤmlichen Naturbegriff in seiner Reinheit zu erhalten Bedacht nehmen moͤchten, doch unmoͤglich faͤllt, nicht abwechselnd einmal weiter hinaus zu denken, und bey dem Worte Natur diese selbst und nicht bloß jenen Modellbegriff im Sinne zu haben. Eine solche Vermischung des Einzelnen mit dem Allgemeinen fließt also leicht von dem Ausdruck, in dem man sie etwas leichtsinnig zugelassen, auf die innere Vorstellung hinuͤber, woher zu erklaͤren ist, daß viele vor- treffliche Denker, was etwa in Bezug auf ein bestimmtes Modell ganz wahr seyn mag, unvermerkt auf die Gesammt- heit der Natur uͤbertragen haben, welche sie bey schaͤrferer Unterscheidung doch schwerlich haͤtten so schmaͤhen koͤnnen, wie es geschehen und noch taͤglich geschieht Ueberall in unseren, obwohl von scharfsinnigen Bemerkun- gen, geistvollen Zuͤgen, von großen und erhabenen Gedanken uͤber- schwellenden, dennoch in vielen Kunstbegriffen der Manieristen noch immer befangenen deutschen Kunstschriften will man, nicht etwa mit einem allgemeinen poetischen, oder religioͤsen Sehnen, nein eben mit den so ganz reellen Formen der Kunst uͤber die Schran- ken der Natur hinaus. Sogar Winckelmann nennet da, wo ihn sein angeborener Natursinn verlaͤßt, wo der Vorbegriff der Manieristen ihn eben uͤberwaͤltigt, die Natur wohl einmal schlecht- hin die gemeine, ein Ausdruck der nicht ohne Nachfolge geblie- ben. Es liegt hier vielleicht eine Verwechselung des Natuͤrlichen mit dem Geschichtlichen zum Grunde. Denn die Natur selbst, deren Bestimmungen und Erzeugnisse wir mit Dank aufnehmen sollen, wie sie eben sind, kann uns nicht bald gemein, bald unge- mein seyn; nur die menschlichen Willenskraͤfte koͤnnen bald auf Gutes, bald auf Schlechtes gelenkt werden; also nur in Bezug auf sittliche Richtungen und Zustaͤnde kann von Gemeinem und Edlem der Natur die Rede seyn. Ein franzoͤsirter Laffe z. B. welcher in seiner geschichtlichen Entwickelung das mißlichste Vor- bild der Kunst abgeben duͤrfte, wuͤrde demungeachtet unter dem Messer des Anatomen seines Geschichtlichen entkleidet und nur sein Natuͤrliches darlegend, sogar dem groͤßten Kuͤnstler ein edler und wuͤrdiger Gegenstand der Forschung seyn. . Ein eben so beschraͤnktes, als stumpfsinniges und hart- naͤckiges Festkleben an zufaͤllig dem Sinne vorliegendem Ein- zelnen giebt demnach der Secte der Naturalisten noch keinen Anspruch an so schoͤnen Namen; noch weniger indeß duͤrfte die entgegengesetzte Secte der Idealisten berechtigt seyn, sich nach einem Worte zu nennen, welches, obwohl von einem sinnlichen Bilde ausgehend, doch nach unserem Sprachge- brauche die geheimsten Tiefen des geistigen Lebens, wenn auch wohl etwas zu allgemein, bezeichnet. Freylich moͤchte es in Frage stehen, ob die italienischen Manieristen das Wort Ideal, vermoͤge dessen sie ihre willkuͤhrlich gebildeten Formen von den natuͤrlichen zu unterscheiden pflegten, aus jenem Schulbegriffe der Idee abgeleitet haben, welcher nach damaligem Stande der Wissenschaft dem Raphael in obigem Briefe vielleicht noch vorgeschwebt. Denn es lag ihnen naͤher, ihren Idealbegriff aus dem neuitalienischen, idea, Einfall, oder willkuͤhrliche Vorstellung, abzuleiten. Damit indeß waͤre nur die Ableitung des Wortes gerechtfertigt, keinesweges der Begriff selbst; denn Ideale, deren Unterscheidendes, nicht in einer besonderen Gei- stigkeit der Abkunft, oder des inneren Gehaltes, sondern einzig in einer gewissen Willkuͤhrlichkeit der Form besteht, sind doch, wie es einleuchten sollte, eben so zwecklose, als unerfreuliche Dinge. Die leeren Zerrbilder der Manieristen Auch das Kunstwort, maniera, verdanken wir den Italie- nern; maniera ist buchstaͤblich so viel, als Handhabung, und wird als solche sowohl in gutem als in schlimmem Sinne genommen. Indeß, da jenes Uebel, welches wir Manier nennen, eben aus einem unbedachten sich Hingeben in erworbene, oder angeborene Gewandtheit der Hand entstanden, so hat es auch davon den Na- men erhalten, welcher, wie ich denke, allgemein verstaͤndlich ist, und keiner weiteren Rechtfertigung bedarf. fuͤr gute Kunst- werke ausgeben, oder die Grundsaͤtze, nach denen sie entstan- den, unbedingt anerkennen, scheint denn auf den ersten Blick unvereinbar mit jener hingegebenen Bewunderung der Kunst- werke des classischen Alterthumes, welche, seit Winckel- mann , bey unerheblichen Stoͤrungen, in immer weiteren Kreisen sich ausgebreitet hat. Indeß, sey es nun, weil man nicht tief genug in das Wesen antiker Kunst eingedrungen, oder auch, weil man die Liebe zum classischen Alterthume eben nur zur Schau trug; gewiß aber ward die Verachtung der Manieristen und ihrer Hervorbringungen bey weitem nicht so schnell allgemeine Gesinnung, als man nach Winckelmann’s entschlossenem Durchgreifen Kunstgeschichte B. 5. S. 3. §. 27. und an anderen Stellen; haͤtte Mengs nicht bisweilen sein Urtheil gemaͤßigt, wie ich zu erkennen glaube, so wuͤrde er vielleicht noch weiter gegangen seyn. erwarten konnte. Giebt es doch noch gegenwaͤrtig hoͤchst ehrenwerthe, in der Kunst nicht un- bewanderte Maͤnner, welche sich nicht scheuen, die matte, leere Manier eines Maratta und anderer als lieblich und an- muthsvoll zu preisen; da man doch offenbar sogar den streng- sten Forderungen der Billigkeit schon genuͤgen wuͤrde, wenn man die großen Talente, die achtenswerthe Geschicklichkeit und Ruͤstigkeit, welche sich inmitten der modernen Verkehrtheiten uͤberall in beklagenswerther Fuͤlle gezeigt, von dem Urtheil ansnehmen wollte, welches ihre Richtung im Ganzen ver- dammt. Wenn aber der Eindruck classischer Vorbilder nicht vermocht, den Geschmack durchhin vom Schlechten abzulenken, so mußten viele Kuͤnstler und Kunstfreunde nicht minder ge- neigt bleiben, auch eine irrige Vorstellung festzuhalten, welche die Freyheit der Manieren erzeugt, und so lange genaͤhrt und gepflegt hatte. Gewiß verband sich diese manieristische Vor- stellung von einer gewissen Unentbehrlichkeit oder Auserlesen- heit menschlich willkuͤhrlicher, von der Natur abweichender, oder wenigstens sie uͤbertreffender Formen nunmehr fast un- abloͤslich mit allem Wahren und Richtigen, welches in der Richtung, die Winckelmann und Lessing angegeben, uͤber die Kunst uͤberhaupt, oder uͤber einzelne Seiten und Verhaͤlt- nisse derselben gedacht und geschrieben worden. Wie dieser Vorbegriff dazu gelangt, inmitten so viel tie- fer Gelehrsamkeit und aͤchter Weisheit sich ein bequemes und sicheres Nest zu betten, erklaͤre ich mir auf folgende Weise. Winckelmann , dem wir die meisten unserer gangbaren Kunstbegriffe, wenn nicht vielmehr unsere ganze Kunstsprache verdanken, brachte nach altem Schrot und Korn eine gewisse Ehrfurcht fuͤr den Gegenstand hinzu, dem er in schon vorge- ruͤcktem Lebensalter seine Anstrengungen widmen wollte. Da- her nahm er die Belehrungen der ihn umgebenden Kuͤnstler- und Kennerwelt, deren historisch-technische Kunstkenntnisse den seinigen uͤberlegen waren, mit Dank und Achtung entgegen Winckelmann beschließt seine Gedanken uͤber die Nachahmung mit Anerkennung dessen, was er darin seinen Un- terredungen mit dem Maler Friedrich Oeser verdanke. . In der Kunstwelt, die er vorfand, war indeß, wie wir mit Sicherheit wissen, jener manieristische Vorbegriff tief einge- wurzelt Moͤser , der Winckelmann’s Schriften wahrscheinlich nicht gelesen hatte, sagt, patr. Phantas. Bd. 2. No. 2. S. 15. f. (Ed. 776.) „An den griechischen Kuͤnstlern lobt man es, daß sie ihre Werke nach einzelnen schoͤnen Gegenstaͤnden in der Natur ausgearbeitet und es nicht gewagt haben, eine allgemeine Regel des Schoͤnen festzusetzen. — Man spricht taͤglich davon — wie sehr die neueren durch einige wenige Ideale gehindert werden, sich uͤber das Mittelmaͤßige zu erheben.“ Noch so spaͤt also ward, Ideal, selbst von deutsch gebildeten Maͤnnern in dem niedrigen Sinne gebraucht, den ihm die Manieristen beygelegt hatten, daher der Natur und den Werken der griechischen Bildner entgegen- gesetzt. und seiner selbst so sicher, daß die letzten Sproͤß- linge der hollaͤndischen Richtung auf illusorische Natuͤrlichkeit, ein Ditricy und Aehnliche, nicht wegen ihres Schlimmen, sondern ihres Guten willen, welches noch immer einigen An- theil erweckt, von Allem, was Stimme hatte und zur großen Kunstwelt gehoͤrte, mit groͤßter Zuversicht verlacht wurden. Waͤre es nun so wunderbar, wenn der damals glaͤubig sich hingebende Kunstjuͤnger von seinem Zeichnenlehrer Oeser Außer der o. a. Stelle, s. Winckelmann’s Leben, in s. Schriften, neue Ausg. und, Goethe , aus meinem Leben, Bd. 2. , diesem grauenhaftesten, leichenaͤhnlichsten aller Manieristen, oder selbst von dem besseren, aber unentschiedenen Mengs , Ansichten und Vorbegriffe sich haͤtte aufdraͤngen lassen? Ge- wiß ist es ungleich mehr zu bewundern, daß Winckelmann , der spaͤterhin aus der Fuͤlle seines Geistes so manchen kuͤhnen Wurf gewagt, doch selbst auf der Hoͤhe seiner Entwickelung nimmer das Joch eines Vorbegriffes abgeworfen, gegen wel- chen sein eigenthuͤmliches und besseres Gefuͤhl nicht aufhoͤrte, sich aufzulehnen. Denn kein Neuerer hat wohl mit so an- tikem Sinn das Schoͤne und Bedeutungsvolle der Naturfor- men empfunden S. Winckelmann und sein Jahrhund. Brief 21. Seine Schriften durchhin, vornehmlich, K. G. Buch 1. K. 3. §. 9. ff. Ferner seine Nachrichten uͤber das Museum von Capo di Monte . — Daher erfreute ihn unter neueren Malern vornehmlich Raphael und Titian . , so ungeduldig ihr wahres Verhaͤltniß zur Kunst geahnet, ohne sich dessen jemals so ganz, wie es seyn soll, bewußt zu werden. Und es wuͤrde nicht so schwer fallen, vornehmlich im Geleite seiner Kunsthistorie nachzuwei- sen, wie alle Incohaͤrenzen seiner philosophischen Kunstbetrach- tung eben nur daher entstanden, daß er unablaͤssig von der manieristischen Vorstellung willkuͤhrlicher Kunstformen zu dem Gefuͤhle hinuͤber schwankte, daß die Formen der Kunst unter allen Umstaͤnden in der Natur gegebene sind Kunstgesch. Buch 5. K. 4. §. 2. beschließt W. eine Reihe . Daß in der Folge dieselbe Vorstellung in noch neuere Kunstbetrachtungen uͤbergegangen, darf Niemand befremden, da es bekannt ist, wie viele sich an dem Feuer Winckel- mann’s erwaͤrmt und aus seinen Fundgruben bereichert haben. Gewiß findet sie sich selbst in den besten und lehrreichsten der neueren Kunstschriften, wo sie den mancherley Idealbegriffen, welche der verschiedene Standpunkt der Kunstgelehrten erzeugt hat, uͤberall gleich einer verdunkelnden Folie anklebt. So wenig nun denen, welche ihr Buch bereits abgeschlossen, da- mit gedient seyn mag, so werden wir doch nicht wohl umhin koͤnnen, die verschiedenen Begriffe, welche in den Kunstschrif- ten, mit einem allen gemeinsamen Namen, Ideale, heißen, jeden fuͤr sich zu betrachten, damit sich ergebe, ob ihr Wah- res nicht etwa von jenem Irrthume zu sondern ist, welcher eben so sehr einer reinen und hinreichend scharfen Auffassung der Kunst im Ganzen, als jeglichem Gedeihen ihrer einzelnen Bestrebungen entgegenwirkt. Ideal — obwohl dieser Ausdruck neuerlich dem Worte, Symbol, zu weichen scheint S. des trefflichen Creuzer’s Symbolik, zu Anfang. Vergl. Fernow , zu Winckelmann’s Versuch uͤber die Allegorie, und an a. S. — heißt den Alterthumsfor- schern die Darstellung von Ideen, oder im Geiste ausgebilde- ten Vorstellungen, im Gegensatze zu Bildnissen und anderen Nachbildungen sinnlich erschaulicher Dinge S. Heyne , ak. Vorles. uͤber die Archaͤol. der Kunst, wo . Gewiß ent- von Faͤllen, in denen die antiken Kuͤnstler nicht etwa bloß von be- stimmten Modellen, nein sogar von allgemeineren Gesetzen der na- tuͤrlichen Bildung sollen abgewichen seyn, mit dem Satze: „so wie es sich auch in der Natur schoͤner, wohlgewachsener Menschen findet.“ spricht diese Bedeutung der, obwohl etwas willkuͤhrlichen Bil- dung des Wortes, und in der That, wenn ihm die vielleicht unnoͤthige Fremdheit seiner Wurzel auch kuͤnftig nachgesehen werden sollte, so wuͤßte ich kaum, wie derselbe Sinn ohne Umschreibung, oder gleich kurz und buͤndig auszudruͤcken waͤre. In der Kuͤnstlersprache jedoch ward dasselbe Wort (welches diese Forscher, wie ich oben gezeigt und noch einmal in Er- innerung bringe, weder aus dem Alterthume, noch aus latei- nischen Compendien, sondern mittelbar aus dem Italienischen entlehnt haben) schon lange, bevor Winckelmann gestrebt, ihm einen vernuͤnftigen und menschlichen Sinn beyzulegen, bloß von einer zwecklosen Willkuͤhrlichkeit der Form verstan- den. Es galt demnach den neuen antiquarischen Idealbegriff von dieser Nebenvorstellung abzusondern, oder auch die Unzer- trennlichkeit und Uebereinstimmung beider Kunstbegriffe nach- zuweisen. Die Archaͤologen haben das erste unterlassen, das zweyte versucht; die Gruͤnde, welche sich ihnen darzubieten schienen, beruhen auf Wahrnehmung des Typus und des Sty- les; diese Eigenschaften der Kunst des Alterthumes erheischen indeß eine eigene Beleuchtung, welche wir, da sie Raum er- fordert, fuͤr jetzt verschieben, und am Schlusse dieser Betrach- tung von Dingen der Darstellung wieder aufzunehmen denken. Wie falsch, oder richtig demnach die Alterthumsforscher den Hergang der Darstellung sich erklaͤrt haben moͤgen, so beruhet doch ihr Idealbegriff, noch immer auf der mehr und minder ausgebildeten Vorstellung von einer reinkuͤnstlerischen, anschaulichen Auffassung selbst der geistigsten Aufgabe. Da- Ideal, unwandelbar in diesem Sinne zu verstehen ist. Bey ande- ren Alterthumskundigen schwankt er meist zu den uͤbrigen Ideal- begriffen hinuͤber. gegen scheinen die kritisch-philosophischen Kunstbetrachtungen, welche wiederholt, obwohl mit sehr ungleichen Kraͤften ange- stellt worden, die kuͤnstlerische Geistesart ganz zu verkennen, indem sie deren Hoͤhe in eine gewisse Annaͤherung an das Begriffsleben versetzen, die wenigstens mit jener allgemeinen Erklaͤrung der Kunst, welche ich oben vorangestellt, nicht wohl vereinbar ist. In den geistreichen und consequenten aͤsthetischen Versuchen Wilhelms von Humboldt scheint allerdings, was dieser Denker in Kunstwerken Totalitaͤt nennt, auf den ersten Blick dem anschaulichen, voͤlligen, ausgerunde- ten Denken des Kuͤnstlers zu entsprechen. Doch bey naͤherer Betrachtung ergiebt es sich als ein anderer Ausdruck fuͤr den Gegenstand eines allen Denkern derselben Schule eigenthuͤm- lichen Verlangens, auch in der Kunst die ihnen befreundete Abstraktion, den Begriff, wieder aufzufinden Fernow in Briefen an den Maler Kuͤgelgen , Joh. Schopenhauer , Leben Fernows , S. 359.: abstracte Ideal- bildungen , weiter unten: abstracte Formen ; welch’ ein in- nerer Widerspruch! . In einer anderen, doch schwaͤcheren Arbeit, wo dasselbe Bestreben sich naiver und eben deshalb vielleicht um so deutlicher zeigt, ver- sinnlicht der Verfasser seine Erklaͤrung des Idealen durch das Beyspiel der verschiedenen Lebensstufen Heydenreich , aͤsth. Woͤrterbuch uͤber die bild. K., nach Watelet und Levesque , Leipzig 1795. s. v. Ideal. Zu dieser Wahl indeß hatte ihn Winckelmann veranlaßt, welcher, nach- dem er B. IV. und V. der Kunstgeschichte uͤber die Schoͤnheit wie ein Begeisterter geredet, alsobald zu den wenig entscheidenden Cha- rakteren der Lebensstufen uͤbergeht. . So denkt er sich das Ideal des Knaben, in welchem die Merkmale der fruͤhe- ren Jugend vereinigt sind; ein anderes des Mannes, des Greises u. s. f. Zunaͤchst duͤrfen wir ihm Gluͤck wuͤnschen zu dem Poetischen in der Wahl seines Beyspiels, welche sicher bezeugt, daß ihm die Kunst sowohl von Haus aus, als durch Erfahrung durchaus fremd war. Denn auch abgesehen von dem geringen Interesse dieser Vorstellung ist das Lebensalter, wie auch das buͤrgerliche Gesetz dasselbe abtheilen mag, doch an und fuͤr sich ohne sichere Grenze, also unfaͤhig auf solche Weise verallgemeint zu werden. Wichtiger indeß ist es fuͤr uns, hervorzuheben, daß solche Ideale, wenn die Kunst sie zuließe, von dem Begriffe: Knabe, Mann u. s. f. doch nicht wesentlich verschieden waͤren, weshalb man fragen duͤrfte: wie denn sollte der Kuͤnstler so viel Muͤhe anwenden, einen so großen Anlauf nehmen, als sogar das mindeste Kunstwerk erfordert, um am Ende nichts Anderes zu bilden, als Sol- ches, so mit einem einzigen Worte gleich genuͤgend Anderen mitzutheilen ist? Wahrlich, wenn die Vielfaͤltigkeit, Fuͤlle und Tiefe, welche die anschauliche Auffassung in einem Mo- mente vereinigt, jemals gegen die Duͤrre des Begriffes ver- tauscht werden sollte, was denn wuͤrde durch eine solche Um- stellung fuͤr die Kunst, was fuͤr das Leben gewonnen werden? Freylich wird diese Frage die bezeichneten Kunstgelehrten nicht eben in Verlegenheit bringen, da sie, auch abgesehen von dem Umstand, daß sie nicht sowohl die kuͤnstlerische Hervorbrin- gung foͤrdern, als die Kunst auf ihre Weise reconstruiren wollen, ihrer Sache schon im Voraus gewiß sind. Denn eben jene Idealgestalten, welche sie als das endliche Ergebniß aller kuͤnstlerischen Bemuͤhungen ansehen, welche sie in einer zu auffallenden Uebereinstimmung mit den Manieristen ganz negativ als Dinge erklaͤren, welche auch in Bezug auf die Form theils dem Wirklichen entgegengesetzt sind, theils theils das Wirkliche uͤbertreffen W. v. Humboldt Versuche etc. — Winckelmann u. s. Ih. S. 208. u. f. „Die Anspruͤche des Materiellen, welche die Malerey befriedigen muß, hindern jene gaͤnzliche Abstraction und Erhebung uͤber das Wirkliche, welche von den idealischen Darstel- lungen der Plastik, die bloß die Formen in ihrer hoͤchsten Reinheit und Schoͤnheit liefern sollen, gefordert wird .“ , sind nicht das Ergebniß, sondern die Voraussetzung ihrer Darlegung, welche sie als eine runde, keiner Entwickelung, keines Beweises be- duͤrftige Forderung voranstellen, und als solche durch ein ent- scheidendes Soll oder Muß dem Leser ankuͤndigen. Voraus- setzungen sind aber, wie es einleuchtet, das Ergebniß, nicht dessen, was daraus gefolgert und abgeleitet wird, sondern vor- ausgegangener Darlegungen, welche in diesem Falle noch er- sehnt werden. Dagegen entsteht einer anderen Philosophie Solches, was sie in Kunstwerken ideal nennt, aus jener inneren Belebung des Geistes, welche auch unter uns haͤufig die Idee genannt wird. Allerdings duͤrfte nur die traurigste Abgestorbenheit alles inneren Lebensgeistes verleiten koͤnnen, mit Zuversicht, wie hie und da geschehen, jene Faͤhigkeit der Begeisterung zu laͤugnen, welche, wie uͤberall, so auch in der Kunst aller froͤhlichen und fruchtbaren Leistung vorangeht. Allein in diesem Sinne bezeich- net Idealitaͤt offenbar nicht eine bestimmte Beschaffenheit, we- der der Form, noch der Aufgabe, sondern einzig solches, so in den verborgensten Tiefen des Daseyns allem Denken und Dichten, allem Auffassen und Darstellen zum Grunde liegt. Diese ideellste Idealitaͤt unterscheidet sich also nicht bloß von jenen nuͤchternen Aggregaten, oder Abstractionen, welche wir so eben beruͤhrt haben; vielmehr unterscheidet sie sich nicht minder auch von den Idealen der Alterthumsforscher, etwa I. 4 wie Subjectives vom Objectiven. Dem Alterthumsforscher nemlich heißt ideal, was Ideen darstellt, welche meist, schon ehe der Kuͤnstler die Hand erhoben, eine gewisse geistige In- dividualitaͤt, oder Abgeschlossenheit innerhalb ihrer selbst er- langt hatten. Die Idee ist demnach in diesem Falle das Ob- ject der kuͤnstlerischen Auffassung und der gelehrte Sprachge- brauch gestattet, auch da von Idealen zu reden, wo die Dar- stellung, oder nur die Andeutung von außerhalb des Kuͤnst- lers vorgebildeten Ideen durch bloß mechanischen Fleiß (wie in Copien und Nachahmungen) hervorgebracht worden. Dem consequenten Idealisten indeß darf in Kunstwerken nur Sol- ches ideal heißen, welches, was es auch darstelle, oder von aussen herbeyziehe, doch immer von jener inneren Belebung des Geistes ausgegangen, welche ganz der Subjectivitaͤt des Kuͤnstlers angehoͤrt. Oftmals daher wird er sich bewogen fuͤh- len Manches, was dem Alterthumsforscher ideal heißt, als geistlos zu verwerfen, und umgekehrt vieles, was jenem als individuell oder bildnißartig den geradesten Gegensatz des Idea- len zu bilden scheint, wenn es, gleich raphaelischen, oder an- tiken Bildnissen, von dem ganzen Lebensgeiste der Kuͤnstler durchdrungen ist, fuͤr idealer zu halten, als den groͤßten Theil alles dessen, was schon vorgebildete Ideen durch mechanische Mittel auszudruͤcken, oder anzudeuten bezweckt. Bis dahin duͤrften wir dem Idealbegriffe idealistischer Kunstphilosophen unsere Zustimmung geben. Allein, wenn solche Denker, nicht zufrieden sich der Grundlage versichert zu haben, nun auch weiter bauen und die Gesetze bestimmen wol- len, nach welchen Kunstwerke sich nach außen entfalten: so ergiebt es sich nicht selten, daß sie dem kuͤnstlerischen Aus- druck des Geistigen eine ungleich freyere, entbundenere Bewe- gung beylegen Schelling , der in seiner geistvollen Rede uͤber das Ver- haͤltniß der bildenden Kuͤnste zur Natur (Schriften S. 349.) in Bezug auf uͤbliche Lehrmethoden „bloße Steigerung des Beding- ten,“ oder „Streben von der Form zum Wesen,“ wie billig ver- wirft, sagt bald darauf (S. 361.): Aus den Banden der Natur wand sie (die hellenische Kunst) sich zu goͤttlicher Freyheit empor. Koͤnnte es irgend angenommen werden, daß Natur hier in dem Sinne der Kuͤnstlersprache genommen sey, so wuͤrde allerdings in Bezug auf die aͤußere Entwickelung der Schulen, selbst jedes ein- zelnen Meisters ein gewisser Uebergang der schuͤlerhaften Abhaͤngig- keit von zufaͤllig dem Sinne vorliegenden zu einem allgemeineren Besitze der Naturform, durch diesen zur Sicherheit, Meisterschaft und relativen Freyheit einzuraͤumen seyn. — Indeß steht zu befuͤrch- ten, daß der treffliche Denker in diesen Zeilen einer Autoritaͤt nachgegeben, auf welche er sich am Rande bezieht, und daher die Natur wenigstens augenblicklich zur Kunst in einem ganz anderen, beengenderen Verhaͤltniß gedacht habe, als wirklich statt findet. Denn nicht mehr als der Fisch in den Fluthen und jedes andere Ding in seinem Elemente, wird der Kuͤnstler sich in der Fuͤlle der Gestaltungen beengt fuͤhlen koͤnnen, in denen er seiner selbst und seines eigenen Wollens in dem Maße sich deutlicher bewußt wird, als er sie mehr in jeder Richtung durchdringt. — Giebt es uͤber- haupt in der großen Verkettung, der wir angehoͤren, Anlagen und Dinge, welche ihr eigenthuͤmliches Seyn durch Aussonderung besser und zu einem hoͤheren Ziele entwickeln, so wird doch die Kunst durch ihr naturgleiches Streben nach Gestalt und aͤußerer Entfal- tung durchaus davon ausgeschlossen. Und liegt auch, wie S. be- geistert andeutet: „Das Vermoͤgen, die Seele sammt dem Leib, zumal und wie mit einem Hauche zu schaffen,“ in der Kunst, wie in der Natur; so wird diese Kraft doch nur in denen wirksam, welche sich selbst und ihr eignes Wollen im Spiegel der Natur erkennen wollen. , als selbst den Kuͤnsten des Begriffes, deren luͤckenhafter, gleichsam nur uͤber die Dinge hinschwebender Aus- druck, verglichen mit der unendlichen Voͤlligkeit des kuͤnstleri- schen, doch offenbar minder strengen Anforderungen unter- 4 * liegt. — Den Idealen unserer Philosophen und philosophiren- den Dichter raͤumt man ein, daß sie von jener inneren Be- lebung der Idee ausgehend, sich allgemach mit einem gewis- sen Fleisch und Bein bekleiden, welches bekanntlich, theils jener geschichtlichen Begriffs-Entwickelung angehoͤrt, welche wir Sprache nennen, theils der Unterscheidung und Erkennt- niß sowohl des Zufaͤlligen, als des Gesetzmaͤßigen in den aͤu- ßeren Dingen. Wuͤrden aber Philosophen und Dichter, welche ihre Idee in einer Sprache von eigner Erfindung ausdruͤcken, oder die Natur der Dinge umkehren wollten, unstreitig weder verstanden, noch gebilligt werden; wie koͤnnte man denn eben dem Kuͤnstler, dessen Darstellung noch ungleich mehr Aus- fuͤhrlichkeit und Rundung bedarf, auflegen wollen, daß er die Ideen, so in seiner Seele aufsteigen, oder geweckt werden, mit durchaus selbsterfundenen Formen und Beziehungen be- kleide? Freylich pflegt man diese Forderung, deren Ueberein- stimmung mit den Ansichten der Manieristen zu deutlich in den Sinn faͤllt, dadurch abzuaͤndern, daß man dem Kuͤnstler einraͤumt, entweder an allgemeine Naturgesetze sich an- zuschließen, oder in den letzten Augenblicken der Vol- lendung seiner Idealgestalt etwas Modell hinzu- zunehmen . Diese Modificationen indeß gehoͤren in die Lehre von der kuͤnstlerischen Aneignung der Naturformen, welche wir besonders abhandeln wollen. Wieder einen aͤnderen Sinn hat Ideal in der Sprache der Schoͤnheitslehrer und Aesthetiker von Profession. Diesen nemlich heißt Ideal (obwohl die Maͤnner des Gefuͤhls selten vermoͤgen, einen Begriff rein aufzufassen und unwandelbar festzuhalten) im Durchschnitt weder, wie den Vernunftphilo- sophen, die Verkoͤrperung eines abstracten Begriffes, noch, wie den Alterthumskundigen und Idealisten, die Darstellung irgend einer bestimmten, von Außen gegebenen, oder im In- neren aufgefaßten Idee, sondern eben nur, nach ihrer jedes- maligen Schule, entweder die aͤußere Entfaltung einer allge- meinen, beziehungslosen Vorstellung der Schoͤnheit, oder eine mechanische Anreihung durch den Geschmackssinn herbey geta- steter schoͤner Theile Zu beiden Vorstellungsarten hatte Winck . angeleitet. Nach ihm sagt Stieglitz (Versuch einer Einrichtung ant. Muͤnzsamm- lungen. Leipz. 1809. S. 38.) von den Griechen, daß sie auf einer gewissen Hoͤhe ihrer Kunst, „theils von mehreren Gegenstaͤnden das schoͤnste waͤhlten, theils nach Idealen strebten, um die Form uͤber die Natur zu erheben,“ so wollen auch die Herausgeber der Briefe Winckelmanns : daß Michelangelo zuerst die neuere Kunst, in dem was die Form betrifft, uͤber die Beschraͤnktheit des Wirklichen zum Idealischen erho- ben ( Winckelmann und s. Ih. S. 209.). Wird nun von Ken- nern dieser Schule dem Raphael , der dem Geist und der Idee nach dem Michelangelo mindestens nicht nachgestanden, Solches, was sie Idealform nennen, rund abgesprochen: so ist es klar, daß obige Worte in vollem Ernst einzig von einem gewissen Zuschnitt der Form zu verstehen sind. Da zudem Michelangelo’s allge- meinere Kunstansichten, da sein Vorbild, vornehmlich in der spaͤ- teren Haͤlfte seines Lebens, so ganz entscheidend mitgewirkt, die Verirrungen der Manier hervorzurufen; so wird obige Behauptung, daß Michelangelo unter den Neueren zuerst zum Idealischen sich aufgeschwungen habe, uns behuͤlflich seyn koͤnnen, die Stamm- verwandtschaft der Idealbegriffe italienischer Manieristen und mo- derner Aesthetiker zu bezeugen. . Diese Ideale, welche, wie man sich verspricht, auch wohl durch platte Nachahmung schon vorhandener Gestaltungen der Kunst vermehrt und fortgepflanzt werden koͤnnen, sind, weil sie nicht aus einer inneren Belebung des Geistes, oder aus Ideen entstehen, so leer, daß sogar ihre Verehrer eingestehen, man muͤsse ihnen ein gewisses Beygewicht von Individualitaͤt auf den Weg geben, mit welchem Worte diese Kunstlehrer nicht etwa Untheilbarkeit, oder Abgeschlossenheit in sich selbst zu bezeichnen gewohnt sind, sondern eben nur einige schroffe Zuͤge zufaͤllig erreichbarer Vorbilder, oder Modelle, welche zu jener duͤnnen Geschmacksbruͤhe gleichsam als Wuͤrze hinzuge- fuͤgt werden sollen Fernow (in seinem Leben. S. 364.) sagt, nachdem er, was er Idealgestalt nennt, dem Charakter des Gegenstandes (dem Idealen der Archaͤologen) entgegengestellt: „ Leere Idealfor- men und Bildungen , ohne Physiognomie und Charakter, sind eben so wenig genuͤgend, als charakteristische Gestalten ohne Adel und Schoͤnheit.“ . Doch scheint es, daß dieser unlaͤugbar aͤrmlichste Ideal- begriff einer anderen Ursache seine Entstehung, einer anderen wiederum seine verbreitete Aufnahme verdanke. Entsprungen ist er offenbar aus der Anwendung jenes eben so schiefen, als hochmuͤthigen Vorbegriffes der Manieristen auf die Ansichten und Wuͤnsche der Schoͤnheitslehre. Denn schon Lessing setzte bey den Kuͤnstlern die Faͤhigkeit rund voraus, die Formen der Natur, sogar die Formen der Darstellung bestimmter, sey es individueller, oder ideeller Kunstaufgaben ins Schoͤnere umzumodeln, und wenn er an einer anderen Stelle den Ge- danken hinwirft, die Landschaft habe kein Ideal Laokoon . Anh. XXXI. Diese Andeutung ward von denen, welche die Schoͤnheitstheorie weiter ausgesponnen, durchaus besei- tigt; sie hatten Freunde unter den Landschaftsmalern, oder Freude an ihren Werken, oder sie entdeckten, wie Fernow in Ruisdael und Claude , auch in der Landschaft ein Ideal. In der entgegen- gesetzten Richtung ward sie indeß, lange, nachdem Lessing sie hingeworfen, die erste Veranlassung zur Geringschaͤtzung einer Be- ziehung des Kunstvermoͤgens, in welcher Anmuthsvolles und Er- , so scheint er damit anzudeuten, daß man mit den landschaftlichen For- men nicht so willkuͤhrlich umgehen, sie nicht so in das Schoͤ- nere umgestalten koͤnne, als die menschliche. Aber auch spaͤ- tere Schoͤnheitslehrer setzen Solches, was sie Idealform nen- nen, den natuͤrlichen Gestalten so ausgemacht entgegen, daß sie die letzten, selbst wenn sie, wie es denkbar ist, fuͤr be- stimmte Ideen den paßlichsten Ausdruck hergaͤben, doch auf keine Weise in das Gebiet der idealen Formen wollen ein- schleifen lassen S. Anmerk. 158. der neuen Ausg. Winckelmanns , Band IV. , wo allerdings Winckelmanns Sinn nicht seyn kann, daß classische Bildner etwa in den Fehler des Arellius verfallen waͤren; doch auch gewiß nicht jener, den ihm seine Herausgeber unterlegen. Wenn er annahm, daß griechische Kuͤnstler sich der Schoͤnheit irgend eines bestimmten Vorbildes hingegeben, so setzte er sicher voraus, einmal, daß dieses Vorbild der Aufgabe hoͤchst analog war; dann aber auch, daß der Kuͤnstler mit Feuer und Lei- denschaft, nicht vornehm und nuͤchtern zum Werk geschritten sey. — Darin daß die Idee der Aufgabe geloͤst werde, stimme ich durch- aus mit den Wuͤnschen der Herausg. uͤberein; nur nicht darin, daß solches nicht anders, als in minder natuͤrlichen Formen geschehen koͤnne. . Sehen wir indeß weniger auf die Entste- hung, mehr auf die Hartnaͤckigkeit und Zuversicht, mit wel- cher dieser Kunstbegriff noch immer vertheidigt und festgehal- ten wird, so scheint solche in irgend einer, wenn auch nur undeutlichen Wahrnehmung wirklicher Verhaͤltnisse ihren Grund zu haben. Aus verschiedenen Zeichen glaube ich zu erkennen, worauf diese Wahrnehmung sich bezieht . Da nemlich die idee- lose Idealitaͤt, die leere Idealform, oder wie man sonst die- staunenswerthes geleistet worden, welche demnach deßhalb, weil Systematiker keinen Platz dafuͤr uͤbrig behielten, noch lange nicht verdient, aus der Kunst ausgestrichen zu werden. ses Dunstgebilde benennt, offenbar nur den aͤußerlichsten Ge- schmack angeht; dieser aber in Kunstwerken nur durch Vor- theile in der Behandlung des groben Stoffes, aus welchem der Bildner seine darstellenden Formen bildet, durch welchen der Maler ihren Schein hervorbringt, befriedigt werden kann: so duͤrfte eine halb deutliche Wahrnehmung der guͤnstigen Wir- kung von solchen Kunstvortheilen der niedrigsten Art, deren Eroͤrterung uns bald beschaͤftigen soll, wenigstens mitgewirkt haben, auch diesem Idealbegriffe Daseyn und Dauer zu geben. Nehmen wir hinzu, daß in der Sprache des gemeinen Lebens und in der ungluͤcklichsten, jenem eng verschwisterten, Ro- manliteratur ein jedes Aeußerste Ideal menschlicher Haͤßlichkeit, bey Oehlenschlaͤger , Maͤhrchen. 1. Bd. S. 36. — Auch Winckelmann (Kunstgesch. B. IV. K. 2. §. 25.) sagt einmal: „doch mit der Erinnerung, daß etwas idealisch heißen kann, ohne schoͤn zu seyn.“ — In einer trefflichen Schrift (uͤber Reinheit der Tonkunst, Heidelberg 1825. S. 99.) heißt ein idealisch schoͤner und edler Juͤngling u. s. w. so viel, als ein ausnehmend schoͤner ; was ich nur als ein Beyspiel uͤblichen Wortgebrauches anfuͤhre, da der hohe Werth dieses Buches, welcher auf reiner und edler Auffassung seines Gegenstandes, der Musik beruht, von diesem gelegentlich ergriffenen Bilde durchaus unabhaͤngig ist. , oder, wie man vornehmer sagt, jedes Vollkommnere seiner Art Ideal genannt wird, was wieder einen anderen Begriff giebt: so werden wir nicht laͤn- ger anstehen duͤrfen, dieses fremdartige Wort, auch fuͤr ein hoͤchst verfaͤngliches zu halten. Wirklich ist es nicht unge- woͤhnlich, daß die Kunstgelehrten, da sie, ohne schleppend zu werden, nicht jedesmal besonders anzeigen koͤnnen, wie sie das Wort verstehen wollen, in dem Gewirre der gangbaren Idealbegriffe sich verwickeln, weshalb dieser Ausdruck in der- selben Kunstschrift oft in verschiedenen, oder selbst in allen den Bedeutungen vorkommt, deren Pruͤfung uns so eben be- schaͤftigt hat. Verworrene Koͤpfe werden sich allerdings eben in dieser Begriffsvermischung einheimisch und wie in ihrem Elemente fuͤhlen. Wer indeß ernstlich der Wahrheit dient, sollte vor einem Worte auf der Hut seyn, welches, selbst wo Wahres damit bezeichnet wird, ganz unvermeidlich irrige Ne- benvorstellungen herbeyzieht, weil es allem Anschein nach nicht mehr von den praktischen Ansichten der Manieristen zu tren- nen ist, welche mit dem Worte zugleich auch dessen fruͤheste Bedeutung ausgesonnen, deren naͤhere Beleuchtung wir nach obiger Abschweifung nunmehr wieder aufnehmen wollen. Allerdings duͤrfen wir voraussetzen, daß der treue Glaube, mit welchem neuere Kunstgelehrte bis auf gegenwaͤrtige Zeit dieser Ansicht der Manieristen angehangen, wenn er gleich nirgendwo auf Vernunftschluͤsse begruͤndet worden, doch wenig- stens durch ein gewisses Geflimmer unbestimmter Wahrneh- mungen in Kraft erhalten sey. Nun faͤllt es den reinen Be- griffsgelehrten uͤberhaupt unsaͤglich schwer, der Wirksamkeit des Kuͤnstlers in das Einzelne zu folgen. Daher wahrscheinlich entstand der Wahn, daß eben die besten, das ist die nicht kuͤnstlich zugestutzten, oder, wie man sagt, idealisirten Bild- nisse aus einer ganz mechanischen Nachbildung der Theile Fernow z. B. denkt eben darum die Natur und das Wirk- liche (beides heißt ihm eben nur so viel, als die Formen, welche die Natur hervorbringt, in ihrem besonderen Verhaͤltniß zum Kuͤnstler, als Modelle nemlich und Gegenstaͤnde der Nachbildung) unwandelbar im grellsten Gegensatze zu seinen Idealformen. Leben des Maler Carstens , S. 71. — „Da unser Kuͤnstler — von der Antike, also vom Ideale , und nicht von der Nachahmung des Wirklichen ausgegangen.“ — Uebrigens ist diese Angabe histo- entstehen; obwohl der Darstellung aller werthvollen Bildnisse, wie man nie verkennen sollte, die Auffassung des Ganzen im Geiste des Kuͤnstlers nothwendig vorangeht, so daß Alles, was der Auffassung an sich selbst Werth und Verdienst giebt, eben sowohl bey Bildnissen und Nachbildungen aller Art in Kraft tritt, als bey ideellen Kunstaufgaben. Wer nun in den Irrthum verfallen, eben die besten Bildnisse als bloß mecha- nische Nachbildungen des Einzelnen, dem Sinne eben Vor- liegenden anzusehen, dem wird schon des Gegensatzes willen auch der andere nahe liegen: daß Formen, in denen Ideen sich darstellen, aus einer vollkommenen Absonderung von sinn- lichen Anschauungen Wie in der angefuͤhrten Stelle, Winck . u. s. Ih. S. 208. Vergl. Winckelmann (K. G.) uͤber den belvederischen Apoll. entstehen, mithin von einer ganz be- sonderen Art und Abkunft seyn muͤssen. risch nicht so ganz richtig; im Vaterlande dieses Kuͤnstlers giebt es noch viele wohlgezeichnete Bildnisse von seiner Hand, welche mit so viel Liebe und Einsicht gemacht sind, daß man wohl sieht, daß er — wie ihm auch Kleidung und Mienen widerstreben moch- ten — doch solches, was in seinen Vorbildern der Natur und nicht ihrer geschichtlichen Stellung angehoͤrte, mit Nutzen aufge- faßt. Solche Bildnisse waren seine Vorschule; ob es ihm spaͤter gelungen in der Natur auch fuͤr Allgemeineres die rechte Bezeich- nung aufzufinden, ob er, indem er sie in Kunstwerken aufgesucht, an gediegenem Werthe gewonnen habe, ist eine andere Frage. — Auch in Bezug auf die Niederlaͤnder behauptet derselbe Schrift- steller hoͤchst irrig, sie haben die Darstellung des Wirklichen (ver- stehe ihrer von ihm angenommenen Ideelosigkeit willen) am wei- testen gebracht. Was in den Hollaͤndern schaͤtzenswerth ist, gehoͤrt ebenfalls groͤßtentheils ihrem Geist und Gefuͤhl an. Auf der an- dern Seite haben sie es nirgend in der Charakteristik wirklicher Dinge so weit gebracht, als der so ungleich geistvollere Raphael , wo es ihm, wie im Bildniß Leos X. , wirklich darum zu thun war. Einen Scheingrund wenigstens gewann diese Annahme, Meinung, oder Behauptung durch die Mehrdeutigkeit jenes Naturbegriffes der modernen Kunstsprache, von welcher wir oben mit gutem Grunde uns losgesagt haben. Wer nemlich bey dem Worte, Natur, bald die Natur selbst, bald nur irgend ein einzelnes Object der sinnlichen Anschauung im Sinne hatte; wer sogar in seiner inneren Vorstellung beide so hoͤchst entgegengesetzte Naturbegriffe vermischte, dem mußte Vieles, was ihn in Bezug auf den einen uͤberzeugte, auch in Bezug auf den andern wahr zu seyn beduͤnken. Auf diese Weise also bestaͤrkte, wie es wohl, wenn es der Muͤhe lohnte, auch umstaͤndlicher nachzuweisen waͤre, die an sich selbst ganz richtige Wahrnehmung, daß nicht jede sich darbietende An- schauung des Geistes durch jede beliebige Naturform auszu- druͤcken ist, unsere Kunstgelehrten in der vorgefaßten Mei- nung: daß geistige Anschauungen uͤberall nicht durch natuͤr- liche, sondern nur durch willkuͤhrliche, der menschlichen Erfin- dung durchaus oder doch zum Theil angehoͤrende Formen dar- zustellen seyn. Wir indeß, denen die Natur eben nur die Natur ist, und Alles, was auf einige Weise aus der Natur entspringt, natuͤrlich heißt, wird keine Form deßhalb, weil sie diese und nicht eine andere ist, mehr und minder natuͤrlich zu seyn scheinen. Wenn daher Kuͤnstler, welche, nehmen wir an, die innere Anschauung weiblicher Anmuth erfuͤllte, nicht unter Pflanzen und Thieren, sondern unter Menschen und Weibern, nicht unter den Haͤßlichen, sondern unter den Schoͤnen die Formen aufsuchen, welche ihrem inneren Bilde entsprechend, eben dieses kuͤnstlerisch vollenden, daß es auch Anderen in hoͤchster Deutlichkeit versinnlicht werden koͤnne: so werden ihre Formen darum, weil sie nicht die ersten sich darbietenden, son- dern eben nur die sind, welche ihr besonderer Zweck begehrt, gewiß nicht weniger natuͤrlich seyn. Wenn aber Andere die- selbe Aufgabe ergriffen und aus Laune, oder Einfalt, gleich den sogenannten Naturalisten der Zeit des Caravagio , sie durch Formen haͤßlicher und abgelebter Weiber darzustellen daͤchten, wuͤrden wohl diese Formen darum, weil sie der Auf- gabe widersprechen, uns natuͤrlicher zu seyn duͤnken, als jene anderen ihren Kunstzweck durchaus erfuͤllenden? — Demnach wird durch eine zweckgemaͤße Verwendung in der allgemein- sten Beschaffenheit der Naturformen durchaus nichts abgeaͤn- dert, vielmehr scheint es, daß sie durch eine solche Verwen- dung noch einen zweyten Anspruch auf Natuͤrlichkeit gewin- nen, da auch dieß naturgemaͤß ist, die Typen der Natur in ihrem urspruͤnglichen und eigenen Sinne in Anwendung zu bringen . Jener Grund fuͤr die frag- liche Unnatuͤrlichkeit, oder Uebernatuͤrlichkeit der darstellenden Kunstformen beruht also auf einer Taͤuschung, uͤber welche wir nunmehr hinaussehen duͤrfen. Demnach ist die allerdings zulaͤßliche Eintheilung der Kunstaufgaben in sinnlich und geistig erfaßliche auf keine Weise uͤber die Formen ihrer Darstellung auszudehnen, da diese Formen, wie es einleuchtet, nicht wie die Aufgabe, bald sinnlich, bald geistig, sondern, was sie auch darstellen moͤgen, doch unveraͤnderlich sinnliche Dinge sind. Waͤren nun eben diese durchaus sinnliche Formen (wie man unter den Benen- nungen Gesetzmaͤßigkeit und Naturnothwendigkeit, oder durch ein bedingtes Einraͤumen des Modellgebrauches doch einge- steht) bisweilen, oder zum Theil natuͤrliche; erlitten diese For- men, wie wir so eben ausgemacht, in so fern sie Formen sind, durch die sinnliche, oder geistige Beschaffenheit des Ge- genstandes, den sie darstellen, durchaus keine Abaͤnderung: so duͤrften sie, allem Ansehen nach, durchhin von derselben Art und Beschaffenheit, nemlich einzig natuͤrliche Formen seyn. Um diesen Zweifel zur Entscheidung zu bringen, wenden wir uns an unser innerstes Bewußtseyn, und fragen uns einmal auf’s Gewissen, ob in Kunstwerken Formen, welche in irgend einem Theile und Verhaͤltniß verfehlt, und nach unserem ein- geborenen Gefuͤhle, oder auch nach einer sicheren Ueberzeugung uns widernatuͤrlich erscheinen, jemals gerade durch eine solche Unrichtigkeit in unseren Augen an Bedeutung und Schoͤnheit gewonnen haben? Denn gewiß werden wir solches verneinen und uns gestehen muͤssen, daß ganz im Gegentheil jegliche uns deutliche, oder nur fuͤhlbare Abweichung von den Natur- gesetzen (welche das Einzelne und Untergeordnete eben sowohl beherrschen, als das Große und Allgemeinere) uns jederzeit nur etwa als etwas bloß Ungethuͤmliches, Leeres, oder Schau- derhaftes erschienen ist. Indeß duͤrfte es auch unter den Un- befangenen Personen geben, welche dieser Versicherung ihre Zustimmung versagten. Denn unstreitig giebt es viele Menschen, welche von Natur, oder durch Gewoͤhnung uͤberhaupt nur das Nothduͤrf- tigste, und auch dieses nur oberflaͤchlich vermoͤge des Gesich- tes auffassen, welche mithin wenig geeignet sind, in den Na- turformen ihr Erfreuliches, Belehrendes, oder Erhebendes zu erkennen, oder mit Lebhaftigkeit zu empfinden, oder dessen Eindruck, wie schwach er sey, in ihrem Gedaͤchtniß aufzube- wahren. Dann giebt es auch Individuen und ganze Voͤlker, denen die Natur nicht eben ihre schoͤnsten Seiten bietet, die mithin unter den sie umgebenden Dingen der Natur nichts finden duͤrften, was den Lineamenten, Formen und Verhaͤlt- nissen griechischer Statuen, oder guter italienischer Gemaͤlde, wenn auch nur halbhin, zu vergleichen waͤre. Jene des For- mensinnes Entbehrenden moͤchten denn allerdings, wenn sie aus einer vorgefaßten guͤnstigen Meinung, oder auch ange- zogen von der schaͤrferen Charakteristik, in welche die kuͤnstle- rische Darstellung so leicht verfaͤllt, Kunstwerken einmal ihre Aufmerksamkeit zuwenden, darin Schoͤnheiten der bloßen Form wahrzunehmen glauben, welche die natuͤrlichen Formen uͤber- traͤfen. Diese anderen aber, denen die Natur ihre Kehrseite zugewendet, koͤnnten wohl einmal auf die Meinung verfallen, die Natur bringe uͤberall keine andere Formen hervor, als solche, so ihnen eben bekannt geworden. Jenen waͤre nun freylich nichts zu erwidern, als etwa der Wunsch und Rath, sie moͤgen versuchen, ihren Formensinn durch Uebung zu schaͤr- fen. Diesen dagegen, sie moͤgen, um ihren Zweifel ganz zu beseitigen, ihre unwirthlichen und barbarischen Himmelsstriche nur einmal verlassen und sich bemuͤhen, die Natur auch von Antlitz kennen zu lernen und sie in ihrem vollen Tage anzu- schauen. Denn es wird, wenn sie solches nur ernstlich be- streben, nicht an Gelegenheiten fehlen, wie jene, welche eine sinnvolle Goͤnnerin, die Freyfrau von Rheden , vor wenig Jahren herbeygefuͤhrt, als sie die schoͤne Viktoria von Albano nach Rom brachte, um dort von den besten Kuͤnstlern model- lirt, gemalt und gezeichnet zu werden. Wer damals zu Rom verweilte, wird sich des Aufsehens entsinnen, welches das schoͤnste Antlitz hervorgebracht, und der allgemeinen Ueberein- kunft, daß solches, in Ansehung der Uebereinstimmung seiner Verhaͤltnisse, oder der Reinheit seiner Formen, sowohl alle Kunstwerke Roms uͤbertreffe, als auch den nachbildenden Kuͤnst- lern durchaus unerreichbar bleibe. Doch liegt es hier nicht in meinen Absichten, der Natur das Wort zu reden, welche selbst in ihren unschuldigsten Pflanzenformen, in ihren einfach- sten Schneekrystallen S. W. Scoresby , Tagebuch einer Reise auf den Wall- fischfang etc. Hamburg 1825. Tafel 2 — 5. die Kunst, was die Form angeht, weit uͤbertrifft, und uͤberhaupt unter den Lebendigen keiner Lobrede bedarf; vielmehr wollte ich nur Meinungen erklaͤren und entschuldigen, welche minder frevelhaft erscheinen muͤssen, sobald man annimmt, daß sie in einer gewissen Beschraͤnkt- heit ihren Sitz haben. Die Ansicht also, welche dem Kuͤnstler die Faͤhigkeit bey- legt, willkuͤhrliche, aus der Luft gegriffene, der Natur im Einzelnen, oder im Ganzen entgegengesetzte Formen hervorzu- bringen; welche sich verspricht, daß solche von Menschen er- sonnene Formen schoͤner und edler und bedeutender ausfallen werden, als die natuͤrlichen; ist, durch welche Gruͤnde wir sie unterstuͤtzen, oder beschoͤnigen moͤgen, doch durchhin unhaltbar. Wenn aber diese Ansicht in sich selbst falsch und wie die Er- fahrung bestaͤtigt, in der Anwendung von hoͤchstem Nachtheil ist: so wird der Kuͤnstler kuͤnftig wohl thun, von dem titani- schen Vorhaben abzustehen, die Naturform zu verherr- lichen, zu verklaͤren , oder mit welchen anderen Namen solche Ueberhebungen des menschlichen Geistes in den Kunst- schriften bezeichnet werden. Muß doch der Kuͤnstler auch bey dem schoͤnsten Talente, dem treuesten Natursinn, immer darin sich ergeben, daß er sogar in seinen besten Leistungen, was deren Formenheit angeht, die Tiefe und Fuͤlle, die Einheit und Wesenheit der Naturform nicht zur Haͤlfte erreicht; wie denn sollte er daruͤber hinaus gehen koͤnnen? Gluͤcklicher Weise indeß besteht der Zweck der Kunst in ganz anderem, als in dieser Altflickerey Boͤttiger , Ideen zur Arch. der Malerey. Dresden 1811. S. 1. f. — „Wenn schon die bildende Kunst uͤberhaupt das Werk des Schoͤpfers gleichsam ergaͤnzt.“ — der Werke des groͤßten und aͤltesten Mei- sters en ronde bosse und basso rilievo Ausdruck des Wandsb. Boten. Petrarc. ep. lib. V. ep. XVII. — Vetus ille magister Artis ingeniique largitor . ; doch werden wir diese Andeutung, weil sie das dritte Element aller kuͤnst- lerischen Hervorbringung, den Gegenstand, angeht, erst spaͤter- hin begruͤnden und gegen ihr widerstrebende Ansichten durch- fuͤhren koͤnnen. Denn es moͤchte uns Anderen, die wir, das unbegruͤn- dete Vorurtheil der Manieristen abwerfend, uns deutlich er- innert haben, daß in den bildenden Kuͤnsten die nothwendige, kraft umfassender Naturgesetze jedem offenen Sinne urspruͤng- lich erfaßliche Bedeutsamkeit der Naturformen die Grundbe- dingung aller Darstellung niedriger, wie hoher Gegenstaͤnde sey; daß mithin diese Kuͤnste durchhin nur in natuͤrlichen For- men darstellen und darzustellen vermoͤgen; es moͤchte uns An- deren, wiederhole ich, vorerst obliegen und noͤthig seyn, zu untersuchen und zu entwickeln, auf welche Weise der Kuͤnstler der Naturform so sehr Meister werde, daß er solche mit groͤß- ter Willensfreyheit zu den mannichfaltigsten Kunstzwecken an- wenden koͤnne. Durch zween, wohl in einander greifende, doch unter- scheidbare, und unterscheidenswerthe Beziehungen seiner Gei- stesfaͤhigkeit, gelangt der Kuͤnstler in den Besitz einer so kla- ren, ren, so durchgebildeten und reichhaltigen Anschauung der Na- turformen, als er jedesmal bedarf, um diejenigen Kunstauf- gaben, welche theils aus seiner inneren Bestimmung, theils aus seiner aͤußeren Stellung hervorgehen, deutlich und gemu- thend darzustellen. Die erste besteht in gruͤndlicher Erfor- schung der Gesetze, einestheils der Gestaltung, anderntheils der Erscheinung solcher Formen der Natur, welche aus inne- ren Gruͤnden und durch aͤußere Veranlassungen dem Kuͤnstler naͤher liegen, als andere. Die Forschungen dieser Art zerfal- len in anatomische und optisch-perspectivische. Die zweyte besteht in Beobachtung gemuthender und be- deutsamer Zuͤge, Lagen und Bewegungen der Gestalt; und diese erheischt um fruchtbar und ergiebig zu seyn, nicht so sehr sonst empfehlenswerthe Ausdauer und Gruͤndlichkeit des Flei- ßes, als vornehmlich die leidenschaftlichste Hingebung in den sinnlich-geistigen Genuß des Schauens. Wenn wir, um ihren verhaͤltnißmaͤßigen Werth zu er- mitteln, diese beiden Beziehungen des kuͤnstlerischen Studien- fleißes gegenseitig vergleichen wollten: so wuͤrde uns die letzte unstreitig die wichtigere zu seyn scheinen. Denn setzen wir, was auf einer gewissen Hoͤhe der Kunstbildung nicht wohl zulaͤssig ist, daß der Kuͤnstler entweder der einen, oder auch der anderen entsagte, so entbehrte er offenbar mit geringerem Nachtheil allgemeiner, als schon irgend ein Bestimmtes dar- stellender Zuͤge der Natur; mit geringerem Nachtheil der Rich- tigkeit, als der Fuͤlle. Verschiedene Beyspiele beleuchten die Wahrheit dieser Bemerkung. Fra Angelico da Fiesole , Benozzo Gozzoli , Domenico Ghirlandajo , und aͤhn- liche Maler ihrer Zeit und Richtung entbehrten ohne Zweifel der Kenntniß allgemeiner Bildungsgesetze der menschlichen Ge- I. 5 stalt; dagegen koͤnnen die besten unter den Zeitgenossen der Carracci im Ganzen fuͤr einsichtsvolle Zeichner gelten. Aber die ersten sind eben so reich an einzelnen Wahrnehmungen gemuthender und bedeutender Zuͤge der Natur, als jene ande- ren beschraͤnkt auf wenige und gleichfoͤrmige Durchschnittsvor- stellungen. Daher hoben sich, seitdem man, in Bezug auf gewisse Aeußerlichkeiten der Kunst, seine Anspruͤche herabge- stimmt, in Bezug auf das geistige Interesse sie gesteigert hatte, die einen in der Meinung und selbst im Handelswerthe, waͤh- rend die anderen eben so tief unter ihre fruͤhere Schaͤtzung herabsanken. Dieses Beyspiel indeß duͤrfte der Anfechtung unterliegen, da mancherley noch immer streitige Kunstansichten der Modernen zum Theil eben um diesen Gegensatz sich her- umdrehen. Nehmen wir deßhalb ein anderes zur Hand, wel- ches uͤber allen Partheyzwist erhaben ist, nemlich das gegen- seitige Verhaͤltniß der groͤßten Kuͤnstler neuerer Zeiten, des Raphael und des Michelagnuolo . Der letzte vertritt hier die Erkenntniß allgemeiner Naturgesetze; der erste die Fuͤlle und Lebendigkeit der Anschauungen des Einzelnen. Nie- mand indeß, meine ich, wuͤrde Raphael aufgeben wollen, koͤnnte er nur zu diesem Preise den Michelangelo sich er- halten. Die deutliche Erkenntniß allgemeiner Naturgesetze hat demnach verhaͤltnißmaͤßig nur einen untergeordneten Werth, ich moͤchte sagen, nur einen abhaͤngigen, da sie fuͤr sich selbst und entkleidet von den bezeichnenden, unterscheidenden, also nothwendig mannichfaltigen, Zuͤgen der Naturgestaltung in der Anwendung eben nichts Anderes wuͤrde gewaͤhren koͤnnen, als Darstellung allgemeiner Gesetze der Gestaltung und Erschei- nung. Auch solche koͤnnen nun allerdings der Kunst, im Gan- zen betrachtet, sehr foͤrderlich werden, indem sie Werke hervor- bringen, welche, gleich dem beruͤhmten Canon des Polyklet , Kuͤnstler belehren, oder ihnen die Auffassung des Allgemeinen erleichtern. Doch, im Einzelnen genommen, duͤrfte sie keinem Kunstwerke den Gehalt geben, der ihm jene allgemeinere Theil- nahme erwirbt, auf welche doch gerechnet wird. Denn der Werth einer sicheren Einsicht, einer deutlichen Erkenntniß all- gemeiner Naturgesetze zeigt sich nur da, wo sie mit Fuͤlle ver- einzelter Anschauungen verbunden, diesen selbst, wie dem, was sie in der Darstellung bezeichnen und ausdruͤcken wollen, jene Schaͤrfe und Deutlichkeit verleiht, welche wir an durchaus vollendeten Kunstwerken bewundern und lieben. Allerdings moͤgen solche Unterscheidungen innerhalb ver- wandter Beziehungen des Geistes auf den ersten Blick als muͤßige Spiele des Scharfsinns erscheinen. Erwaͤgen wir in- deß, daß eben die Versaͤumniß solcher Unterscheidungen in die- sem besonderen Falle gar Manche veranlaßt hat, das Stu- dium der Naturformen auf eine unersprießliche Weise zu be- treiben. Denn aus diesem Grunde allein glauben Viele, bey dem sogenannten Modellzeichnen nicht, was einzig dabey zu gewinnen ist, nemlich einige Gruͤndlichkeit der Einsicht, viel- mehr auch Geschmacksbildung und Bereicherung an Vorstel- lungen zu erlangen, welche doch auf diesem Wege nicht zu erwerben sind; so wie Andere in entgegengesetzter Richtung durch ein fluͤchtiges Aufhaschen des Mannichfaltigen, was ihnen doch eben nur viele und verschiedene Zuͤge der Natur gewaͤhren kann, zugleich auch Einsichten in allgemeinere Na- turgesetze zu erlangen hoffen. Wir indeß werden aus der eben ausgefuͤhrten Entgegenstellung der beiden Hauptbeziehungen des kuͤnstlerischen Studienfleißes nunmehr mit Zuversicht folgern 5 * koͤnnen, daß sie nur in seltenen Faͤllen gemeinschaftlich in An- wendung kommen, weil die eine Ausdauer und Verstand, die andere Lebendigkeit der Empfindung und Behendigkeit der Wahrnehmung voraussetzt; Faͤhigkeiten, welche theils nicht jederzeit in derselben Persoͤnlichkeit zusammentreffen, theils, wo sie gemeinschaftlich vorkommen, doch nicht wohl in demselben Momente, in derselben Handlung gemeinschaftlich in Kraft treten koͤnnen. Es wird daher unumgaͤnglich seyn, jene Be- ziehungen der kuͤnstlerischen Wirksamkeit, sowohl im Begriffe zu trennen, als vornehmlich sie in der Ausuͤbung moͤglichst getrennt zu halten. Benutzen wir diese Unterscheidung auf der Stelle, um jenes vornehmlich seit dem siebzehnten Jahrhunderte beliebte Modell oder Actzeichnen in sein wahres Licht zu setzen. Daß Uebungen dieser Art unter allen Umstaͤnden dem Geiste nicht Mannichfaltiges, sondern einzig Allgemeines zufuͤhren koͤnnen, erhellt, wie wir bereits bemerkt haben, schon aus sich selbst. Demungeachtet geschieht es haͤufig, daß man die Aufmerksam- keit des Lehrlings durch allerley malerische Taͤndeleyen, wie durch wunderbare Stellungen, effectvolle Beleuchtungen und Anderes, zerstreut und von jenem einzig erreichbaren Zwecke ablenkt; oder daß man ihn absichtlich auf Solches zu lenken sucht, was man eben fuͤr das Erforderniß einer schoͤnen und geschmackvollen Darstellung haͤlt. Doch wenn man auch, wie hie und da wirklich geschieht, diesen althergebrachten Zerstreu- ungen der Aufmerksamkeit auf die Gesetze natuͤrlicher Bildung ausweichen wollte, so wuͤrde doch das Modellzeichnen fuͤr sich allein nicht ausreichen, weil die voraussetzlich bezweckte Ein- sicht in allgemeinere Gesetze der menschlichen Bildung durch ein bloß aͤußerliches Beschauen des Nackten nicht wohl kann genuͤgend begruͤndet werden. Allerdings erwirbt der Lehrling, der zum ersten und anderen Male nackte Koͤrper beschaut und sich bemuͤht, sie aufzufassen und nachzubilden, zu Anfang schon durch aͤußerliche Besichtigung manches Wesentliche. Doch, nachdem die Frische des Sinnes sich abgestumpft hat, nach- dem er erlernt, was durch bloße Beschauung der Oberflaͤche uͤberhaupt zu erlernen ist, pflegt er, wie hundertfaͤltige Erfah- rung bestaͤtigt, das schon Erlernte mehr und minder mecha- nisch zu wiederholen, jenes ihm sinnlich Vorliegende willkuͤhr- lich und faustmaͤßig nachzuahmen; das Nutzloseste und Nach- theiligste, was Kuͤnstler uͤberhaupt beginnen koͤnnen, weil da- bey weder etwas Gegebenes erlernt, noch der Geist in freyer Thaͤtigkeit geuͤbt wird. Aus diesem Grunde gleichen sich die Actzeichnungen aller europaͤischen Akademien; daher unterschei- den sich sogar die aͤlteren italienischen Acte, deren ich viele gesammelt habe, von den neueren nur durch den Aufdruck der Schule, durchaus nicht durch Eigenthuͤmlichkeiten der Modelle, welche bey so großer Entlegenheit der einzelnen Kunstschulen doch nothwendig unter sich verschieden waren Dieses bemerkte schon Carstens ; dessen Leben von Fer- now . S. 134. . Wollte nun eine Kunstschule, welche aufrichtig die Bil- dung und Foͤrderung ihrer Lehrlinge beabsichtete, diesem Uebel vorbeugen; wollte sie in der Ueberzeugung, daß der gewoͤhn- liche Modellzeichner, anstatt Kenntnisse zu erwerben, vielmehr nur den ihm so noͤthigen Natursinn abstumpfe, inskuͤnftige dem Modellzeichnen eine bestimmtere Richtung auf den einzi- gen Zweck geben, der uͤberhaupt dabey zu erreichen ist: so wuͤrde sie, denke ich, dasselbe auf das genaueste mit anato- mischen Studien verbinden muͤssen. Es muͤßte dasjenige Glied des Koͤrpers, welches in der einen Woche am Todten erklaͤrt und in seine Theile zerlegt dem Kuͤnstler bis in seine verbor- gensten Fuͤgungen bekannt geworden, in der nachfolgenden Woche allein entbloͤßt werden, um an dem lebendigen Vor- bilde nun auch die Bestimmung und Handlung und aͤußere Erscheinung des eben Erlernten aufzufassen. Dieses muͤßte voraussetzlich nicht nach den gerade vorgefaßten Ansichten vom Malerischen, sondern einzig nach der Empfindung und Ge- woͤhnung des Menschen, der eben zum Vorbilde dient, in alle erdenkliche Richtungen, Lagen und Bewegungen gebracht, und von dem Schuͤler seinerseits aus dem verschiedensten Gesichts- punkte aufgefaßt und nachgezeichnet werden. Allerdings duͤrfte Solches bey vollem Tageslichte geschehen muͤssen; denn der Punkt, von welchem das so haͤufig angewendete kuͤnstliche Licht ausstroͤmt, steht dem Modell unausweichlich so nahe, daß die Strahlen viele vorragende Theile umfließen, und daher dem ungeuͤbten Auge vieles als eine Flaͤche erscheinen machen, was wirklich schon Abaͤnderungen der Form enthaͤlt; unangesehen, daß die Nachtbeleuchtung jederzeit der deutlichen Reflexe ent- behrt, mithin die ganze Schattenseite der Beobachtung unzu- gaͤnglich macht. Waͤre dann der menschliche Koͤrper auf die angegebene Weise seinen Theilen nach gruͤndlich durchgenom- men worden, so moͤchte es endlich an der Zeit seyn, auch auf das Ganze zu gehen, und abwechselnd die Gestalt auch in ihrem Zusammenhange und mehr in Hinsicht ihrer allgemeine- ren Verhaͤltnisse und Vergliederungen nachzuzeichnen. Wollte man alsdann noch weiter gehen, und den Lehrling auch in schneller Auffassung der Bewegung und Handlung uͤben, so muͤßte dem Vorbilde die Wahl der Stellungen uͤberlassen blei- ben, damit nichts Erzwungenes zum Vorschein komme; damit der Lehrling nicht sehe, was er sobald als moͤglich zu ver- gessen hat. Bey letzteren Uebungen muͤßte die jedesmalige Stellung so voruͤbergehend seyn, daß Juͤnglinge daran lernen, ihrem Geiste die Spannung und besonnene Entschlossenheit zu geben, welche die Auffassung des Mannichfaltigen und Fluͤch- tigen erfordert. Indeß fragt es sich wohl, ob die Entwickelung der noͤ- thigen Behendigkeit im Aufgreifen des Voruͤbergehenden und Fluͤchtigen methodisch befoͤrdert werden koͤnne; ob sie nicht vielmehr ganz aus dem eigenen Bestreben des Lehrlings her- vorgehen muͤsse. Denn in der Beziehung des Studienfleißes auf das schnell zu erfassende Mannichfaltige, Voͤllige, Lebens- reiche der Naturformen verschmilzt sich der Zweck, Formen der Darstellung zu gewinnen, so innig mit den Anregungen des Gemuͤthes und Geistes, welche die Natur dem Kuͤnstler in Fuͤlle gewaͤhrt, daß diese Uebung nicht wohl ohne Lust und Liebe anzustellen ist, welche sicher weder zu lehren, noch ein- zufloͤßen sind. Ueberhaupt scheint es, daß man kaum unge- straft den Schleyer luͤften koͤnne, welcher die geheimnißvollen Beziehungen unter den gestaltenden Kraͤften beider, der Natur und des Kuͤnstlers, bedeckt; gewiß glaubte ich verschiedentlich wahrzunehmen, daß Kuͤnstler, welche nicht durch einen allge- meinen Zug und Hang ihrer Seele, sondern mit kaltem Be- wußtseyn des Zweckes von der Natur gleichsam nur Formen erborgen wollten, in ihren Erwartungen gaͤnzlich getaͤuscht wurden und ihren Zweck verfehlten. Wie wichtig es sey, diese gegenseitige Anziehung, dieses geheimnißvolle Band, was Nautr und Kunst umschlingt, un- aufgeloͤst und straff zu erhalten, scheint nun allerdings selbst denen nicht so gaͤnzlich einzuleuchten, welche ihre, nach der Ansicht der Manieristen, willkuͤhrlichen und mehr als natuͤr- lichen Kunstformen durch eine gewisse allgemeine Naturgemaͤß- heit, Gesetzmaͤßigkeit, oder wie einige sagen, Naturnothwen- digkeit bedingen Unter den verschiedenen Bezeichnungen dieser Ansicht, welche uͤber die neueste Literatur der Kunst und der Arch. verstreut sind, ist folgende besonders merkwuͤrdig ( Boͤttiger , Archaͤol. der Ma- lerey. S. 145): „ Die Nothwendigkeit des Gesetzes mit der Liebe zum Idealen gatten .“ — Vgl. Heinr. Meyer , Kunstgesch. Abth. 1. S. 36. . Sowohl aus der Wortbildung dieser Aus- druͤcke, als aus einzelnen Anwendungen und Beyspielen erhel- let zu Genuͤge, daß diese schon etwas herabgestimmten Anfo- derungen unserer theoretischen Idealisten nur solches angehe, was ich so eben als gruͤndliche und wissenschaftliche Natur- studien bezeichnet und ausgesondert habe. Gewiß sind auch diese Studien auf einer gewissen Hoͤhe der Kunst ganz unum- gaͤnglich. Indeß haben wir schon oben gesehen, daß sie wohl die Darstellung befoͤrdern, doch fuͤr sich allein auf keine Weise alle Foderungen einer guten und faßlichen Darstellung erfuͤllen koͤnnen; und wenn es noch anderer Beyspiele beduͤrfte, wuͤr- den wir unter den neueren Schulen von einiger Gruͤndlichkeit des Wissens naͤchst der bolognesischen auch die neueste franzoͤ- sische aufuͤhren koͤnnen, welche bey ausgezeichneter Kenntniß allgemeiner Bildungsgesetze der Natur an bezeichnenden und darstellenden Formen so arm ist, als jedem bekannt, welcher ihre Werke ohne vorgefaßte Meinung betrachtet hat. Dem- nach wird uns jene kalte und uͤberlegte Auseinandersetzung, in welcher der Natur gleichsam durch Abfindung ihr Recht abgedungen wird, durchaus nicht genuͤgen koͤnnen; im Gegen- theil wuͤrden wir befuͤrchten muͤssen, daß auf diesem Wege nicht einmal Solches zu erreichen steht, was den consequente- ren Manieristen, oder, wie sie selbst sich nennen, Idealisten nicht abzusprechen ist, nemlich Einheit des Gusses. Fuͤr diese, vermuthe ich, fuͤrchtete Bernini , als er die Moͤglichkeit be- zweifelte, durch mechanische Zusammensetzung des einzelnen Schoͤnen verschiedener organischer Koͤrper uͤbereinstimmende Ge- stalten hervorzubringen. Einer kalten, zerlegenden Pruͤfung, einem vornehmen Herabschauen auf die Werke der Natur, gleich dem, welches unsere gemaͤßigteren Idealisten empfehlen, wuͤrde nun freylich eine solche Verschmelzung nimmer gelingen koͤnnen; wohl aber gelingt es der unbedingten, leidenschaftli- chen Hingebung in den Eindruck des Einzelnen, in diesem die geheimeren Faͤden aufzufinden, welche in den einzelnen Natur- gestalten das Untergeordnete mit dem Herrschenden, das Be- sondere mit dem Allgemeinen verknuͤpfen. Dem geheimen Zuge also, welcher fuͤr bestimmte Kunstaufgaben Begeisterte zu die- sen verwandteren Naturformen hinuͤberzieht, werden wir ruhig uͤberlassen koͤnnen, das erwartete Wunder, das Kunstwerk, zu bewirken. Wo aber Begeisterung und Liebe fehlt, da wird es uͤberhaupt zwecklos seyn, im Einzelnen nachzubessern und Maͤßigung Winckelmann und s. Ih. S. 277. heißt es von den Ca- racci : „sie bedienten sich der Natur weislich um ihren Dar- stellungen das Wahrscheinliche , den Formen das Mannich- faltige zu geben.“ — Heinr. Meyer Kunstgesch. Abtheil. 1 . S. 36. zeigt dort, nach den Worten des Index, s. v . Ideal, wie in den Werken der Zeit des Ueberganges vom hohen zum schoͤnen Style, Idealbegriff und naturgemaͤße Wahrscheinlich- keit vereinigt worden . Also nur der Wahrscheinlichkeit und der Abwechselung willen (wie in den oben beruͤhrten Ausfuͤllungen zu empfehlen, moͤge diese nun in bestimmten Faͤllen wuͤnschenswerth seyn, oder auch nicht. Doch auch dem bloßen Gedanken nach, duͤrften wir Solchen, welche in derselben Form (von denen rede ich, welche unter idealen Formen nicht bloß Darstellungen eines Geistigen, son- dern eine eigene Art reeller Formen verstehen) Boͤttiger a. a. O. S. 353. (Von der aͤlteren griech. Ma- lerey) — „So wurde, wo das Ideal noch nicht erreicht werden konnte , wenigstens das Geistige und Heilige der Kunst schon gehandhabt.“ Also unterscheidet dieser Gelehrte in Bezug auf die Kunst Ideales und Geistiges. eine gedop- pelte Beschaffenheit, die natuͤrliche und die kuͤnstliche, vereini- gen wollen, die Frage vorlegen: wo sie denn in den Natur- formen die Grenze der Gesetzmaͤßigkeit ziehen wollen, da es doch am Tage liegt, daß die kleinste Fiber, sogar das schein- bar Zufaͤllige selbst, eben sowohl allgemeinen Naturgesetzen unterliegt, als das Knochengebaͤude und Muskelsystem, welche sie hier vielleicht allein im Sinne haben! — Sollten diese Kunstgelehrten wirklich uͤberzeugt seyn, daß Darstellungen des uͤberschwenglich Großen und Herrlichen, welche sie voraussetz- lich im Sinne haben, durch ein solches Raͤthsel der Trennung des organisch Vereinten, der Vereinigung des Entgegengesetzten deutlicher erklaͤrt werde, als, indem den Naturformen in ihrer Gesammtheit die Kraft zugestanden wird, mit vielem Anderen sogenannter leerer Idealbildungen durch individuelle Zuͤge) haͤtten sich, nach der Ansicht der ang. Schriftst., die Kuͤnstler be- stimmter und ausgezeichneter Schulen der Natur genaͤhert? Nicht das Beduͤrfniß, darstellende Formen sich anzueignen, nicht Hin- gebung in die begeisternden Anregungen der Natur, nur das Be- streben etwas Sinnestaͤuschung und unterhaltende Mannichfaltigkeit der Erscheinung hervorzubringen, haͤtte die griechischen und spaͤtere Kuͤnstler veranlaßt, sich der Natur, umsichtig und mißtrauisch, anzunaͤhern? — auch das Schoͤne und Erhabene bestimmter Vorstellungen des Geistes auszudruͤcken; dem Kuͤnstler aber die Faͤhigkeit, die urspruͤngliche Bedeutung der Naturformen zu fassen, sie zu unterscheiden, und fuͤr jede sich darbietende Kunstaufgabe nach den Umstaͤnden die angemessenste aufzufinden; sollte er auch eben diese ihm einwohnende Faͤhigkeit nicht immer in Worten erklaͤren, nur in seinen Werken sie darlegen koͤnnen. Doch stellet sich dem rechten Verstaͤndniß der Naturbe- ziehungen des Kuͤnstlers noch immer jener schwankende Natur- begriff entgegen, dessen Verkehrtheit und Mißlichkeit ich bereits erwiesen habe. Denn haͤtten die Kunstgelehrten nur erst sich dieses widerstrebenden Wortgebrauches entledigt, so wuͤrden sie aufhoͤren, was ihnen in Bezug auf ein bestimmtes einzelnes Modell ganz richtig scheint, auf die Gesammtheit der Natur zu uͤbertragen, woher hoͤchst wahrscheinlich, und hie und da selbst erweislich, die große Sorglichkeit entstanden, mit wel- cher das Naturstudium in vielen Kunstschriften noch immer bedingt wird. — Hier kommt aber auch noch dieses in Frage, ob es uͤberhaupt moͤglich sey, auf so kuͤ hl e und frostige, be- denkliche und maͤkelnde Weise der Naturform, wenn auch nur das Mindeste, geschweige denn ihr Bestes abzugewinnen. Gewiß wird Niemand laͤugnen wollen, daß der Mensch uͤberhaupt, welche Beziehung und Anwendung er den Thaͤtig- keiten seines Geistes wohl gebe, doch, was er mit Lust und Liebe ergreift, oder mit Achtung und Ehrfurcht vor dessen Zweck und Gegenstand, jederzeit viel leichter und besser zum Ende bringen wird, als Solches, was er durchaus kalt und nuͤchtern, oder gar mit einer vornehmen Geringschaͤtzung be- handelt. Weshalb denn sollte nur eben in der Kunst das Gegentheil statt finden? Wenn daher die Bekenner jenes Schaukelsystemes einmal sich dazu verstehen, der Kunst Na- turgemaͤßheit einzuraͤumen, so werden sie auch davon abstehen muͤssen, vom Kuͤnstler zu fodern, daß er solchen, so seltsam bedingten Antheil Natuͤrlichkeit mit einer durchaus unergiebi- gen, ja unertraͤglichen Nuͤchternheit in sich aufnehme und gleich- sam seinen Werken nur aͤußerlich anhefte. Moͤchten sie doch nur, wenn es ihre Befangenheit gestattete, Kunstwerke, so aus der Nachfolge ihrer Lehre hervorgegangen, in ihrem wahren Lichte sehen, und in ihnen wahrnehmen koͤnnen, wie seltsam darin widrige Modellzuͤge mit willkuͤhrlicher Ungestalt gegattet sind; wie diese einander widerstrebenden Elemente, ohne alle Einheit des Gusses, nur ganz aͤußerlich und ohne inneren Verband zusammenhaften Carstens fand, nach Fernow in dessen Leben S. 134. in den Arbeiten, welche seiner Zeit in dieser Richtung beschafft wurden: ein widriges Gemisch von Antike, gemeiner Modellnatur etc. Vergleiche die Zweifel uͤber das Ergebniß dieser Richtung kuͤnstle- rischer Studien Anm. 477. Band IV. der neuen Ausg. Winckel- manns . ! Gehen wir aber in die besonderen Verhaͤltnisse der Kunst ein, so wird es wohl sogar denen, welche die Kunstformen in sogenanntem Ideale vereinfachen wollen, doch klar seyn, daß, wie die Zwecke der Kunst auch bey der einseitigsten Rich- tung des Geistes doch nothwendig viele und mannichfaltige sind, so auch die Formen, welche die Darstellung erheischt, verschiedene und mehrfache seyn muͤssen. Nehmen wir nun an, daß ein Kuͤnstler, im Sinne des eben beruͤhrten beding- ten Naturstudiums, die natuͤrlichen Formen ohne alle Waͤrme, ja sogar mit einer gewissen Geringschaͤtzung betrachtend, solche nicht fruͤher in Anspruch nehmen wollte, als nachdem ein be- stimmter Kunstzweck sich dargeboten S. die Herausg. Winckelmanns , Kunstg. Bd. IV. An- merk. 158. , den zu erreichen er etwa jener zu beduͤrfen glaubte; so duͤrfte auf der einen Seite die rechte und paßliche Form nicht immer zur Hand seyn; auf der anderen der Kuͤnstler selbst sehr ungeuͤbt, aus dieser, welche sie auch sey, doch immer ihm ungewohnten Naturform den rechten Vortheil zu ziehen. Waͤre dem also, wie ich be- stimmt zu wissen glaube, so wuͤrde der Kuͤnstler gewiß genoͤ- thigt seyn, sowohl seine Vorstellung bey Zeiten und vor aller Aussicht auf kuͤnftige Verwendung mit vielen und mannich- faltigen Formen zu erfuͤllen, was ohne lustiges und freudiges Umherschauen nicht wohl zu erreichen steht, als anderntheils sich unablaͤssig in der Aneignung einzelner Naturformen ein- zuuͤben, damit eine wesentliche Fertigkeit der Kunst ihn nicht verlasse, da, wo er deren am meisten bedarf. — Doch gilt dieses nur technische Vortheile. Wie aber waͤre die Natur, wie ich oben beruͤhrt habe, nicht bloß die einzige Quelle dar- stellender Formen, vielmehr auch zugleich die ergiebigste, un- erschoͤpflichste Quelle aller kuͤnstlerischen Begeisterung? wenn Solches, was die kuͤnstlerische zu einer eigenthuͤmlichen Gei- stesart macht, nicht anders gruͤndlich erweckt, wenn das eigen- thuͤmliche Wollen der einzelnen Kuͤnstler nicht anders seiner selbst deutlich bewußt werden koͤnnte, als durch die ruͤckhalt- loseste Versenkung in das ihm naͤchstverwandte Naturleben? Zwiefach ist jegliche Leistung der Kunst von außen be- dingt; einmal durch die geschichtliche Stellung des Kuͤnstlers, dann durch die oͤrtliche Gestaltentwickelung der Natur, die ihn umgiebt. Die geschichtliche Stellung giebt dem Kuͤnstler die Richtung; von dieser Seite angesehen, stehet er mit dem ge- sammten Geistesleben seiner Zeit, oder doch seines Volkes in einem fuͤr jeden Theil ersprießlichen Wechselverhaͤltniß. Aber die oͤrtliche Naturentwickelung bestimmt, in wie weit er die Richtung, welche sein Geist und sein Gemuͤth durch den Be- griff erhalten, mit Aussicht auf ein froͤhliches Gelingen ver- folgen koͤnne. Die Kunsthistorie zeigt kein Beyspiel, daß Kuͤnstler durch den Begriff uͤber die Anregungen hinaus be- geistert werden koͤnnten, welche die Natur ihnen eben gewaͤh- ren will. Die griechische Kunst veraͤnderte schon im alten Rom , wenn wir frostige Nachahmungen hintansetzen, und uns an die genialischen Darstellungen roͤmisch buͤrgerlicher Groͤße halten wollen, mit ihrem Streben zugleich auch den Charak- ter. Sogar, was man den Griechen nachahmte, erhielt den Aufdruck italischer Eigenheiten Niemand, wie ich glaube, hat jemals bemerkt, oder doch die Bemerkung ausgesprochen, daß in einigen Theilen Italiens , welche die germanischen Einwanderer weniger, oder gar nicht ein- genommen und durchwohnt haben, nemlich in den Niederungen der Etsch , und vornehmlich im Bezirke von Rom (dem Ducatus Ro- manus des fruͤheren Mittelalters) ein eigenthuͤmliches Verhaͤltniß in der Haupteintheilung des Koͤrpers vorherrscht, welches sowohl von dem deutschen, als von dem altgriechischen durch verhaͤltniß- maͤßige Laͤnge des Leibes, Kuͤrze des Untergestelles sich unterschei- det. Dieser Mangel zeigt sich zu Rom nicht selten, wenn auch minder auffallend, sogar in schoͤnen Modellen, wie kuͤrzlich noch in dem, Kuͤnstlern bekannten, Saverio. — Da wir nun dieselbe Eigenthuͤmlichkeit in vielen roͤmischen Bildnißstatuen wahrnehmen, da sie sogar in vielen Darstellungen von Goͤttern und Helden vor- kommt, welche den Aufdruck bekannterer Kunstmanieren der Kai- serzeit tragen (der Standbilder auf den Ruͤckseiten der Kaiser- muͤnzen nicht zu gedenken); so werden wir auf der einen Seite nicht anstehen koͤnnen, sie in diesen aus dem wiederholten Eindruck . Auf das mannichfaltigste unterschieden sich aber auch die neueren Schulen, selbst als sie noch in aͤhnlicher Richtung begriffen waren, durch den Aufdruck der Oertlichkeit Goͤthe , aus meinem Leben, zweiter Abtheilung, erster Theil, S. 207. „Als ich bey hohem Sonnenschein, durch die Lagunen fuhr, und auf den Gondelraͤndern die Gondeliere leicht schwebend, bunt bekleidet, rudernd betrachtete, wie sie auf der hellgruͤnen Flaͤche sich in der blauen Luft zeichneten; so sah ich das beste, frischeste Bild der venetianischen Schule. Der Sonnenschein hob die Localfarben blendend hervor, und die Schattenseiten waren so licht, daß sie verhaͤltnißmaͤßig wieder zu Lichtern haͤtten dienen koͤnnen. Ein gleiches galt von dem Wiederscheinen des meergruͤnen Wassers. Alles war hell in Hell gemalt, so daß die schaͤumende Welle und die Blitzlichter darauf noͤthig waren, um ein Tuͤpfchen aufs i zu setzen.“ Diese meisterlich herrliche Schilderung war, wenn sie einmal geraubt werden sollte, nicht wohl zu theilen und abzukuͤrzen. — Die auffallende Oertlichkeit der italienischen Staͤdte- schulen (in Italien giebt es groͤßere Verschiedenheiten der Abkunft und der climatischen Einwirkung als unter uns) fiel sogar einem italienischen Maler moderner Richtung, Hrn. Camoccini , auf, als er 1810 veranlaßt war, den Norden zu besuchen. — Vergl. die geistreichen Winke uͤber das Verhaͤltniß des Rubens zur ihn um- gebenden Natur im Athenaͤum B. 1. Stck. 2. S. 47. — Jomard (in Descr. des l’ Egypte ), sur les Momies des Hypogèes de Thèbes , fand die Knochenbildung der Mumien in Uebereinstimmung mit den Gestaltungen aͤgyptischer Kunst. In wie fern er richtig gesehen, ist wohl bey der Entlegenheit der Denkmale hier nicht mit Sicher- heit zu entscheiden. , so daß, wenn wir Copien und Nachahmungen ausnehmen, welche eben dem aͤchten Barbaren aͤhnlicher Bildungen zu erklaͤren, auf der anderen aber allenthal- ben, wo wir in Statuen den verlaͤngerten Unterleib, die verhaͤlt- nißmaͤßig kuͤrzeren Beine erblicken, auf roͤmische Arbeit zu schlie- ßen. — Sogar Raphael vertauschte nach laͤngerem Aufenthalte zu Rom die schlanken florentinischen und umbrischen Gestalten, welche wir in der Grablegung und Disputa sehen, gegen die gedrungene, kurze Bildung der Roͤmer. am leichtesten zu gelingen pflegen, alle wirklich werthvollen Schulen der alten, wie der neuen Welt unlaͤugbar ein eigen- thuͤmlich-oͤrtliches Ansehen haben. Gewiß also koͤnnen Kuͤnst- ler, deren geschichtliche Richtung falsch, oder doch niedrig ist, wohl, gleich vielen Hollaͤndern des siebzehnten Jahrhunderts, den Anregungen, welche die Natur ihnen gewaͤhren will, min- der entsprechen, doch nimmer durch den Begriff so weit uͤber sie hinausgehoben werden, als unsere mancherley Idealisten voraussetzen. Genau genommen geht es den Kuͤnsten des Begriffs nicht so gar viel besser; doch haben sie den Vortheil der unbestimm- teren Darstellung. Denn so schwer es seyn mag, in einer Sprache, der von Natur etwas Plattes, Laͤcherliches oder Kleinliches anklebt, tragische und heroische Wirkungen hervor- zubringen, so gewoͤhnt man sich doch allgemach an ihre Aeu- ßerlichkeiten und, was im Grunde schwimmt, erhaͤlt am Ende die Gestalt, welche die Phantasie ihm aufdruͤcken will. Der Kuͤnstler aber erschoͤpft seinen Gegenstand, bis auf den Grund, und Alles, was er falsch gedacht, schief aufgefaßt, ungenuͤ- gend gearbeitet, liegt nackt und bloß vor aller Augen da. Auf einer Taͤuschung zwar beruht es, wenn wir dem Dichter glauben, er habe sich weit uͤber seine geschichtliche Befangen- heit hinaus in ferne Welten versetzt. Doch eben weil diese Art der Taͤuschung dem Kuͤnstler nicht zu Huͤlfe kommt, muß er, wie endlich selbst die Schoͤnheitslehre zugeben wird, vieles an sich selbst ganz Wuͤnschenswerthe sich versagen. Nicht herabstimmen, nein ermuntern moͤge diese Erinne- rung, Solches, was nach den Umstaͤnden allein geschehen kann, ganz zu thun; die kurze Zeit, welche der jugendlichen Empfaͤnglichkeit gewaͤhrt ist, nicht in hoffnungslosem Sehnen hinzu- hinzubringen Am leichtesten nehmen gerade die edelsten Gemuͤther diese Stimmung an, weshalb der Verlust, welcher daraus entsteht, nur um so mehr zu beklagen ist, und dringend auffordert, ihn auf alle Weise abzuwenden. — Bis zur Absichtlichkeit durchgebildet zeigt sich die Sehnsucht nach vergangener Herrlichkeit in einer Aeuße- rung des Petrarca , welche Hr. Hofr. H. Meyer zur Andeutung seines eigenen Standpunktes, als Motto, seiner Kunstgeschichte vorangestellt. Waͤre es nicht gewiß, daß Petrarca an dieser Stelle, als warmer Patriot, den buͤrgerlichen Verfall seines Vaterlandes im Sinne hatte, waͤre es, wie bey einigen Neueren, ein bloß aͤsthetischer Ueberdruß an den Ecken und Schaͤrfen der Gegenwart: so duͤrfte man doch bezweifeln, ob der weiche moderne Dichter, haͤtte das Schicksal ihn ploͤtzlich in antike Lebensverhaͤltnisse ver- setzt, sich darin so ganz behaglich gefuͤhlt haben koͤnne. , wie dem geschieht, welcher die rednerischen Wendungen, durch welche die Sterblichen sich uͤber die Be- dingtheit ihres Daseyns hinauszureden lieben, fuͤr baaren Ernst nimmt. Allerdings soll der Kuͤnstler sich sittlich bestimmen lassen zum Wahren, Rechten und Guten; doch nimmer sich uͤberreden, uͤber das angeborene Maß seines Talentes, uͤber seine geschichtliche Stellung und natuͤrliche Umgebung hinaus zu wollen. Denn nur dieses liegt in der Macht seiner Ent- schließungen, ob er das verliehene Pfund inneren Lebensgeistes und aͤußerer Anregungen freudig und ruͤstig verschmelze und einige, was unter allen Umstaͤnden gute und reichliche Fruͤchte bringt. Ueberhaupt ist in der Kunst Raum fuͤr mancherley Gaben und mancherley Beziehungen desselben Bestrebens. Wenn ihr ein rechtes Gedeihen beywohnt, bluͤht sie nicht bloß in den Treibhaͤusern der Hauptstaͤdte, in den Prunksaͤlen der Rei- chen, oder zur Befriedigung gelehrter Grillen, vielmehr ver- breitet sie sich uͤber Alles, was nur den Aufdruck der Gestalt zulaͤßt, und beherrscht, wie in den gluͤcklichsten Zeiten der alten I. 6 und der neueren Kunstbildung, sogar das Handwerk. Auch bey minder guͤnstigen Umstaͤnden der Kunst findet das unter- geordnete Talent seine Stelle, indem es bald in sinnlich vor- liegenden Formen der Natur durch bloße Macht der Empfin- dung auf ihr Schoͤnes und Bedeutendes trifft, bald wieder durch technische Gewandtheit hoͤhere Bestrebungen stuͤtzt und traͤgt; und maͤchtige Geister werden Alles, was sie mit Ernst und Tuͤchtigkeit ergreifen, wie gering es an sich selbst sey, doch unumgaͤnglich in ihr Lebensblut verwandeln und als ihr eigenes wieder ausgebaͤren. Moͤchte es mir in den voranstehenden Zeilen gelungen seyn, meinen Gegenstand mit uͤberzeugender Deutlichkeit auf- zufassen und darzulegen! Doch fuͤrchte ich, daß seine Theile durch mancherley Abschweifungen so weit auseinander geruͤckt worden, daß es noͤthig seyn duͤrfte, sie noch einmal im Gan- zen zu uͤberschauen. Darlegen wollte ich, daß die Formen, vermoͤge deren Kuͤnstler ihre Aufgaben, die sinnlichsten, wie die geistigsten, darstellen, ohne einige Ausnahme in der Natur gegebene sind. Zu diesem Zwecke habe ich im Gefolge der Kunstgeschichte er- innert, daß im Alterthume, wie selbst in den besten Zeiten der neueren Kunst, diese Wahrheit nirgendwo bezweifelt wurde; daß man erst spaͤt, in sehr modernen Zeiten auf die Grille verfallen ist: daß nicht bloß der Gegenstand, vielmehr auch die darstellenden Formen selbst der Erfindung, oder doch der freyen Auffassung des Kuͤnstlers angehoͤren koͤnnen ; noch spaͤter: daß solche der Erfindung des Kuͤnstlers durchaus an- gehoͤren muͤssen . Darauf habe ich daran erinnert, daß eben diese Ansicht in den letzten Jahrhunderten eine Fuͤlle der schoͤn- sten Talente in sich selbst aufgerieben hat, indem ihre Ge- schicklichkeit zwecklos in solches ausartete, was wir im schlimm- sten Sinne Manier, oder leere Fertigkeit der Hand nennen. Ferner habe ich gezeigt, wie dieser verderbliche Irrthum durch den gleichzeitig entstandenen, beschraͤnktesten Naturbegriff der Kuͤnstlersprache ein gewisses Ansehen von Richtigkeit erhal- ten, indem man nun, was in Bezug auf bestimmte Modelle wahr zu seyn schien, unbewußt auf die Gesammtheit des Er- zeugten, ja auf die zeugende Grundkraft selbst uͤbertrug. End- lich zeigte ich, wie diese Ansichten der verwerflichsten Kunst- richtung, als Vorbegriffe, in die Systeme gelehrter Geschicht- schreiber und philosophischer Theoretiker der Kunst uͤbergegan- gen, und diese verhindert, deutlich aufzufassen: daß die Dar- stellung der Kunst auch da, wo ihr Gegenstand der denkbar geistigste ist, nimmer auf willkuͤhrlich festgesetzten Zeichen, son- dern durchhin auf einer in der Natur gegebenen Bedeutsamkeit der organischen Formen beruhe; wie ferner eben dieselben Kunstgelehrten, den vollen Werth, die ganze Bedeutung na- tuͤrlicher Formen verkennend, und dennoch aus Vernunftgruͤn- den der Natur einige Rechte einraͤumend, auf die unentschie- dene Ansicht verfallen sind: daß Kuͤnstler nur unter gewissen Einschraͤnkungen und Bedingungen dem Eindruck natuͤrlicher Formen sich hingeben duͤrfen. Dagegen bestand ich, mit Hin- deutung auf die Erfolglosigkeit so anorganischer Verknuͤpfung des Natuͤrlichen und Kuͤnstlichen der Form, auf den Grund- satz: daß Kuͤnstler sich dem Eindruck der natuͤrlichen Formen ganz ruͤckhaltlos hingeben muͤssen, sowohl weil diese die ein- zigen allgemeinfaßlichen Typen aller Darstellung durch die Form in sich einschließen, als auch, weil sie fuͤr Kuͤnstler eine un- versiegbare Quelle geistiger Anregungen sind, da auch die Natur sich gefaͤllt, was immer der kuͤnstlerischen Auffassung 6 * werth ist, in ihren mannichfaltigsten Formen auszudruͤcken und darzulegen. Einiges indeß, dessen halbdeutliche Wahrnehmung manche Archaͤologen und Kunstgelehrten veranlaßt hat, jene manieri- stische Ansicht fuͤr begruͤndeter zu halten, als sie wirklich ist, bleibt uns, wie wir oben versprochen, noch zu eroͤrtern uͤbrig. Denn schon bey Beleuchtung der verschiedenen Begriffe vom Idealen der Kunst hatte ich angedeutet, daß die Alter- thumsforscher in zween die Kunst des classischen Alterthumes begleitenden Umstaͤnden eine gewisse Bestaͤtigung des Vorbe- griffes zu finden geglaubt, den sie nun einmal aus den Kunst- ansichten der Manieristen sich angeeignet. Diese Umstaͤnde nannten wir: den Typus und den Styl . Ueber den Ty- pus, oder uͤber die Gleichfoͤrmigkeit in der Darstellung glei- cher, oder doch verwandter Kunstaufgaben, werden wir leicht hinweggehen duͤrfen. Er ist gedoppelter Abkunft und Art. Denn zum Theil entspringt er aus einer Nachwirkung jener aͤltesten Bezeichnungsart von Begriffen und Gedanken, welche wir von der reinen Kunstbetrachtung ausschließen, weil diese Eigenschaft der griechischen Kunst, kuͤnstlerisch angesehen, nur in so fern in Betrachtung kommt, als sie uͤberall mit bewun- dernswuͤrdiger Feinheit dem eigentlich Kuͤnstlerischen angelegt ist; im Uebrigen faͤllt sie, wie oben gezeigt, der historischen Archaͤologie anheim. An solchen Stellen aber, wo eben diese Gleichfoͤrmigkeit ganz kunstgemaͤß ist, entstehet sie eben aus jener in der Natur gegebenen Bedeutsamkeit der Form, ver- moͤge welcher bestimmte Ideen nur in bestimmten Formen sich kuͤnstlerisch ausdruͤcken koͤnnen. Demnach ehrt sie gleich sehr den Natursinn, als die religioͤse Strenge, mit welcher alt- griechische Kuͤnstler ihre Aufgaben aufgefaßt; also bestaͤtigt sie nicht etwa die Ansicht der Manieristen, vielmehr die Ueber- zeugung, welche wir eben begruͤndet und erlaͤutert haben. Der Styl aber wird eine laͤngere Abschweifung, viel- mehr eine eigene Betrachtung erfordern, da man bis dahin weder uͤber die Bedeutung dieses Wortes, noch uͤber die Wahr- nehmung, welche ich damit zu verbinden geneigt bin, so gaͤnz- lich einig und im Reinen ist. Schon die alten Roͤmer uͤbertrugen das Bild des stylus, des Griffels, oder des Werkzeuges, durch welches sie ihre Gedanken und Entwuͤrfe auf Wachstafeln einzugraben pfleg- ten, auf allgemeinere Vorzuͤge der Schreibart. Wir haben bekanntlich mit dem Begriffe auch das bezeichnende Wort von ihnen angenommen. Die neueren Italiener indeß, denen wir einen großen Theil unserer Kunstworte verdanken, weil sie zuerst Dinge der Kunst mit einigem Erfolge behandelt haben, hatten laͤngst aufgehoͤrt mit Griffeln zu schreiben, als in dem beruͤhmten Sonett des Petrarca Auf das Bild seiner Laura. Son. 57. Vergl. Cennino di Drea Cennini trattato etc. c. 8. dasselbe, nur zu, stile, erneuerte Wort in dem Sinne eines Zeichnenstiftes wieder auf- trat. Daher, aus dem modernen Begriffe eines Werkzeuges der Kunst, stammt die Uebertragung des Wortes auf Vor- theile der kuͤnstlerischen Darstellung, welche in der That in Italien fruͤhe, in Deutschland und in den uͤbrigen tramonta- nen Laͤndern sehr spaͤt vorkommt. Den Italienern aber, denen das Grundbild gegenwaͤrtig blieb, bezeichnete stile, wie ma- niera, durchaus nur die aͤußerlichsten Vortheile in der Hand- habung der Form, oder des Stoffes, wie die Beyworte, welche sie mit diesem Begriffe zu verbinden gewohnt sind, deutlich an den Tag legen Stile facile, robusto etc. . Winckelmann indeß, der diesen, gleich anderen Kunstausdruͤcken, von den Italienern annahm, erweiterte ihn sogleich nach seiner durchhin hoͤheren Ansicht, indem er die Manier, den Styl im Sinne der Italiener, mit gewissen Richtungen des Geistes in Verbindung dachte, aus diesen, jenen ableitete. Denn es ist klar, daß seine verschie- denen Kunststyle der Griechen, welche in Aller Munde sind, nicht bloß auf Wahrnehmungen angenommener Artungen des Vortrages beruhen, vielmehr besonders auf der Beobachtung bestimmter Richtungen des geistigen Sinnes auf Edles, Ge- faͤlliges, oder Anderes. Der Ausdruck, Styl schoͤner For- men , welcher in noch neueren Kunstschriften vorkommt, scheint eine entschiedenere Neigung, oder Gewoͤhnung zum Schoͤnen anzudeuten; denn es ist undeutlich, ob er mehr von bestimm- ten Richtungen des Geistes, oder nur von Fertigkeiten der Hand zu verstehen sey. — Doch unter allen Umstaͤnden moͤchte es gegen die Ableitung seyn, Solches, was bereits auf der Wahl und Auffassung des Gegenstandes beruhet, also auf der allgemeinen Empfaͤnglichkeit und Richtung des Geistes ganzer Schulen, oder einzelner Meister, mit einem Worte zu bezeich- nen, welches urspruͤnglich ein bloßes Werkzeug bedeutet, also in der Strenge auch bildlich nur von Vorzuͤgen der Behand- lung des aͤußeren Stoffes sollte verstanden werden. Es ist mir unbekannt, durch welchen Zufall der, obwohl noch schwankende, Stylbegriff vieler Kuͤnstler der juͤngsten Zeit dem Grundbilde des Wortes sich wiederum angenaͤhert hat Ich vermuthe, daß dieses damals geschehen, als Car- stens , Thorwaldsen und andere Kuͤnstler zu Rom den Grund . In ihrem Sinne ist Styl nicht mehr, wie bey den Italienern, ein Besonderes und Eigenthuͤmliches, sondern ein allgemeiner, durchhin begehrenswerther Vortheil in der Handhabung des aͤußeren Kunststoffes. Allerdings ist dieser Begriff bey Vielen noch immer mit Vorstellungen von beliebten Eigenthuͤmlichkei- ten einzelner Schulen und Meister verbunden; doch nur, weil sie diese Eigenthuͤmlichkeiten fuͤr durchaus musterhaft, und gleichsam fuͤr ein Allgemeines halten. Also werden wir nicht wesentlich weder vom Wortgebrauch, noch von dem eigentli- chen Sinne der besten Kuͤnstler dieser Zeit abweichen, wenn wir den Styl als ein zur Gewohnheit gediehenes sich Fuͤgen in die inneren Foderungen des Stoffes erklaͤren, in welchem der Bildner seine Gestalten wirklich bildet, der Maler sie erscheinen macht . Styl, oder solches, was mir Styl heißt, entspringt also auf keine Weise, weder, wie bey Winckelmann und in anderen Kunstschriften, aus einer bestimmten Richtung oder Erhebung des Geistes, noch, wie bey den Italienern, aus den eigenthuͤmlichen Gewoͤhnungen der einzelnen Schulen und Mei- ster, sondern einzig aus einem richtigen, aber nothwendig be- scheidenen und nuͤchternen Gefuͤhle einer aͤußeren Beschraͤnkung der Kunst durch den derben, in seinem Verhaͤltniß zum Kuͤnst- ler gestalt-freyen Stoff Sandrart , teutsche Akad. Theil I. Bch. 2. Kap. 1., de- finirt die Bildnerey als eine Kunst, „welche durch Abnehmung und Stuͤmmelung des uͤberfluͤssigen Stoffes dem ungestalten Holz u. s. f. die verlangte Form giebt.“ . Daß ein solcher vom Dar- legten zu der mehrseitigen Regsamkeit deutscher Kuͤnstler, welche noch immer dauert. S. Fernow Leben des Maler Carstens , S. 246. — Bey Fernow liegt dieser Begriff allerdings noch sehr im Rohen. gestellten, wie von den darstellenden Formen verschiedener und unterscheidbarer Stoff in jedem Werke der Kunst vorhanden sey, erhellt aus sich selbst. Weniger vielleicht, daß derselbe unter allen Umstaͤnden sich geltend macht, und, je nachdem seine inneren Forderungen erfuͤllt, oder verletzt worden, bald die Gesammterscheinung der Kunstwerke beguͤnstigt, bald sie, wenn nicht vernichtet, doch stoͤrt. Es ist daher von großer Wichtigkeit, diese Foderungen zu erforschen, was nur geschehen kann, indem wir den Stoff ganz fuͤr sich betrachten, also denselben von anderem, sey es, Allgemeinem, oder Besonde- rem der Kunst, in unserer Vorstellung absondern. Die Foderungen des derben Kunststoffes, deren Erfuͤllung ich Styl nenne, sind, einmal allgemeine, jegliche Kunstart gemeinschaftlich umfassende; zweytens besondere, nur die ein- zelnen Kunstarten, jegliche fuͤr sich, betreffende. In Bezug auf den derben und aͤußerlichsten Kunststoff treffen beide darstellende Kuͤnste unter sich, wie mit der Bau- kunst (welche bekanntlich, nachdem sie der Nothdurft und der Staͤrke genuͤgt hat, auch nach Schoͤnheit streben darf), nur in einer einzigen Eigenschaft uͤberein: der Erscheinung im Raume. Das allgemeinste, umfassendste Stylgesetz ist dem- nach: Uebereinstimmung der raͤumlichen Verhaͤltnisse; eine Schoͤnheit, deren allgemeines Gesetz allerdings noch keines- weges festgestellt worden, noch so leicht festzustellen ist; fuͤr welche indeß uns ein Gefuͤhl verliehen worden, dessen Schaͤr- fung und Ausbildung dem Kuͤnstler besonders obliegt. Daß Uebereinstimmung raͤumlicher Verhaͤltnisse ganz un- abhaͤngig von den Foderungen sowohl des Gegenstandes, als der Formen der Darstellung, erstrebt werden koͤnne, zeigt sich zunaͤchst in der Baukunst, wo diese Foderungen einleuchtend wegfallen; in den Werken aber der darstellenden Kuͤnste vor- nehmlich in solchen Dingen, welche in Bezug auf die Dar- stellung gleichguͤltig sind und mehr durch ein allgemeines Be- duͤrfniß der Fuͤllung des Leeren herbeygezogen werden. Wie die Vertheilung und Anordnung solcher Dinge auch in den darstellenden Kuͤnsten an und fuͤr sich, je nachdem sie wild und verworren, oder gemaͤßigt und beruhigend ausgefal- len, einen Vorzug, oder Mangel begruͤnde, sehen wir bald in geistreichen und verdienstlichen Kunstwerken, denen, gleich den meisten ganz modernen, jene allgemeine Uebereinstimmung fehlt; bald wieder in minder verdienstlichen, ja geistlosen, welche, gleich geringeren Antiken, oder maͤßig wohlgedachten Malereyen des italienischen Mittelalters, ihrer sonstigen Maͤn- gel ungeachtet, jenen wichtigen Kunstvortheil in uͤberraschender Voͤlligkeit darlegen. In groͤßter Vollkommenheit indeß werden wir den allgemeinen Styl in den besten Bildwerken des Alter- thumes wahrnehmen koͤnnen, oder in den Gemaͤlden der mitt- leren Laufbahn Raphaels und seiner vorzuͤglichsten Zeitgenossen. Obwohl auch aus diesen keinesweges ein allgemeines Gesetz bildnerischer, oder malerischer Anordnung abzuleiten ist, da mit jedem neuen Verhaͤltniß auch neue Foderungen eintreten, so daß, was dort galt, hier schon nicht mehr anwendbar ist. Sind nun die Kuͤnstler in dieser Beziehung ganz auf Sinn und Gefuͤhl angewiesen, so muͤssen sie auf alle Weise Bedacht nehmen, diese Faͤhigkeiten durch Pruͤfung und Unterscheidung des Musterhaften und Fehlerhaften zu schaͤrfen; um so mehr, da die modernen Kunstbegriffe der Composition und Gruppi- rung, welche offenbar aus einer unbestimmten Wahrnehmung der Vortheile guter Anordnung entstanden sind, auch wenn sie weniger beschraͤnkt aufgefaßt wuͤrden, als gemeinhin ge- schieht, doch fuͤr das Beduͤrfniß nicht ausreichen duͤrften. Dieser allgemeine Styl, welcher Kunstwerken wenigstens so viel Vortheil bringt, als der Tact musicalischen Ausfuͤh- rungen, scheint durchaus nur auf den fruͤhesten Stufen der Kunst sich zu regeln und auszubilden. Diese Erscheinung er- klaͤre ich mir aus einer gedoppelten Ursache. Einmal gestattet auf fruͤheren Kunststufen die Einfachheit des Wollens und die- sem entsprechender Formen der Darstellung die Aufmerksamkeit ungetheilt auf die inneren Foderungen des derben Kunststoffes zu lenken, den daher die Incunabeln antiker, wie neuerer Kunst ohne Ausnahme und in jeder Beziehung nett und zweck- gemaͤß zu behandeln pflegen. Zweytens aber entsteht beson- ders eben der allgemeinste, raͤumliche Harmonie bezielende Styl aus der Herrschaft, welche die Baukunst Ich weiß nicht, in welchem Sinne Winckelmann (K. G. Bch. IV. Kap. I. §. 29.) behauptet, daß bey den Griechen Bild- nerey und Malerey eher, als die Baukunst, zu einer gewissen Voll- kommenheit gelangt sey. Anders und weiter gebildet hat die Bau- kunst sich allerdings in den spaͤteren Zeiten des Alterthumes. In wie fern sie aber im Zeitalter des Phidias und kurz vor ihm min- der entwickelt gewesen, als die gleichzeitige Bildnerey, nun gar als die Malerey, daruͤber laͤßt uns sowohl Winck . , als seine Her- ausgeber im Dunkeln. auf diesen fruͤhe- ren Stufen uͤber die bildenden Kuͤnste auszuuͤben pflegt. Wie uͤberhaupt in der Baukunst (Zweck, Vernunft, Realitaͤt, Tuͤch- tigkeit, vorausgesetzt, welche ein gesunder und geschaͤrfter Sinn hier nie ohne Widerwillen vermißt) alle Schoͤnheit vornehm- lich auf dem Verhaͤltniß der Groͤßen unter sich, wie zum Ganzen beruhet, so gewoͤhnt sich auch der Bildner und Maler in ihrem Dienste, Solches, was weder vom Gegenstande, noch von den Bildungsgesetzen der Natur so unbedingt gefordert wird, was demnach mehr und minder in seiner Willkuͤhr liegt, dem Maße zu unterwerfen; weshalb es den Kuͤnstlern auf ausgebildeteren Kunststufen immer nuͤtzlich seyn wird, in Be- zug auf Styl die fruͤheren Bildungsstufen ihrer eigenen Kunst- richtung im Auge zu behalten. Betrachten wir nun auch die Stylgesetze, welche theils die Bildnerkunst, theils die Malerey insbesondere angehen Fernow a. a. O., will dem Gefuͤhle seiner Zeitgenossen nicht zugeben, daß Malerey und Bildnerey verschiedenen Stylge- setzen unterliegen. Doch verschmolz ihm noch jenes einzig allge- meine Stylgesetz mit den besonderen, deren Ausfuͤhrung folgt. . Der Stoff, in welchem der Bildner seine Formen wirk- lich gestaltet, ist ohne Ausnahme eine dichte Masse, Holz, Thon, Erz, Gestein, oder Aehnliches; die sichtliche Schwere und Unbehuͤlflichkeit dieses Stoffes wird selbst von den an- stelligsten Meistern nie so ganz uͤberwunden, daß sie aufhoͤrte, sich dem Gefuͤhle aufzudraͤngen. Daher, und durchaus nicht, wie Winckelmann anzunehmen scheint, aus einem sittli- chen Grunde, ist dem Bildner das Schwebende, Fahrende, Sausende, Fallende darzustellen versagt, welches Alles, sobald es der Gegenstand begehrt, in der Malerey, die es leicht und bequem vor den Sinn bringen kann, noch gar nicht mißfaͤl- lig ist, wie es doch seyn muͤßte, wenn es an sich selbst un- sittlich waͤre. Dieselbe Beschaffenheit des Stoffes gebietet, daß der Bildner uͤberall, nicht bloß nach einem wirklichen Gleichgewichte strebe, welches nur etwa die Umstehenden sichern duͤrfte, sondern nach einem in die Augen fallenden, uͤberzeu- genden, welches in Statuen, ohne daß man sich immer des Grundes bewußt wuͤrde, das Gemuͤth beruhigt und zugaͤng- lich macht. Anschaulich kann man sich von der Richtigkeit dieser Wahrnehmung uͤberzeugen, indem man den ersten Ein- druck geringer und schon handwerksmaͤßig hervorgebrachter Statuen des Alterthumes mit dem der gewiß sehr geistreichen Bildnereyen des Michelangelo oder des Johann von Bologna vergleicht. Der Eindruck, den die ersten bewirken, wenn sie etwa, wie in den roͤmischen Villen, im Voruͤber- gehen betrachtet werden, kann nicht anders, als angenehm und beruhigend seyn; bey den anderen hingegen wird man, um in ihre Verdienste einzugehen, vorher den ersten Eindruck zu bekaͤmpfen haben. Auf diese Veranlassung erinnere ich viele Zeitgenossen an den maͤchtigen Eindruck der ersten sichtlich auf sich selbst beruhenden Statue moderner Zeiten, des Jason von Thorwaldsen . Denn es ist nicht zu berechnen, wie viel dieser Eindruck mitgewirkt, dem Kuͤnstler, dessen kuͤnftige Groͤße noch nicht mit Zuversicht zu ermessen war, den Ein- gang in die oͤffentliche Meinung zu eroͤffnen, ihm die Befoͤr- derung zuzuwenden, welche nun einmal die vollstaͤndige Ent- wickelung jeglicher Kunstanlage bedingt. In gleichem Maße versagt dem Bildner die sichtliche Schwerfaͤlligkeit seines Stoffes, das Leichte und Durchschei- nende in seiner wirklichen Ausdehnung nachzubilden. Eine Haarlocke erscheint im Gestein, in ihrer wirklichen, oder denk- baren Ausdehnung dargestellt, nicht durchscheinend und leicht, wie sie selbst, sondern als ein schwerfaͤlliger Klotz; und hier machen die bekannten Lockenkoͤpfe roͤmischer Caͤsarn nicht etwa eine Ausnahme; daß ihr Lockengebaͤu auch in Marmor er- traͤglich aussieht, beruht darauf, daß sie frisirten, nicht zwang- los wallenden Haaren nachgebildet sind. Aus demselben Grunde werden maͤchtige Falten, die in Gemaͤlden nicht sel- ten von großer Wirkung sind, in ihrer ganzen Ausdehnung gemeisselt, oder gegossen eine ungeschlachte, schwerfaͤllige Masse zu bilden scheinen, etwa wie in den sonst so lobenswerthen Statuen des Ghiberti an der Vorseite der Kirche Orsanmi- chele zu Florenz Es ist an dieser Stelle von uͤberzeugender Beweiskraft, daß Schnitzwerke in leichten, faserigen Stoffen, in Holz und Aehnli- chem, einen Grad der Ausladung und des Geschwungenen zulassen, der sogar in Erz, wie viel mehr im Gesteine den gebildeten Sinn schon verletzen wuͤrde. Wie in dem wunderbaren Altare Hanns Bruͤgmanns zu Schleßwig , und in einer zierlich geschnitzten Figur von jenem altniederlaͤndischen Kuͤnstler, den Vasari , mro. Janni Francese , nennt, im letzten Pfeiler zur Rechten des Schiffes der Servitenkirche zu Florenz . . Um solchem Uebelstande auszuweichen, muß die Bildnerey aus den zeichnenden Kuͤnsten einige, ihrer eigenen Darstellungsweise ganz fremde Huͤlfsmittel entlehnen und durch den Schein ersetzen, was sie in voller Form nicht ohne mißfaͤllig zu werden nachbilden kann. Diese entlehnten Kunstvortheile bestehen, bald, wie bey den Haaren, in ein- gebohrten Tiefen von unbestimmtem Umriß; bald, wie bey den Gewaͤndern, in laͤngs der meist bezeichnenden Außenlinien hineingehenden Eintiefungen, welche, indem sie tiefe Rand- schatten bewirken, den Anschein dessen hervorbringen, was man darzustellen bezweckt. Wer mit den Bildnereyen des Alter- thumes bekannt ist, dem werden hier Beyspiele hoͤchst gelun- gener Kunstgriffe der bezeichneten Art im Gedaͤchtniß gegen- waͤrtig seyn. Beyspiele des Verfehlens solcher Vortheile bie- tet die moderne Bildnerey in groͤßter Fuͤlle, seltener schon die mittelalterliche, welche in Bezug auf Styl dem Alterthume noch ungleich naͤher steht Ueber dem Haupteingange der groͤßeren Kirche zu Saalfeld am Thuͤringer Walde sah ich vor langer Zeit ein juͤngstes Gericht in basso rilievo , dessen bildnerischer Styl vortrefflich ist. , als die mit Michelangelo beginnende moderne. Noch vieles Andere vermieden die alten Bildner eben nur, weil der derbe Stoff dessen bequeme, oder annehmliche Darstellung versagt. So deuteten sie viele Beywerke mit ab- sichtlicher Rohheit an; denn da Baͤume und andere landschaft- liche Dinge nun einmal im dichten Stoffe nicht scheinbar zu machen, so wollten sie lieber laut verkuͤnden, daß sie solches durchaus nicht bezwecken, als ein Verlangen anregen, dem sie nimmer genuͤgen konnten. Oder sie milderten haͤutige und andere weiche Theile, welche bisweilen auf der Oberflaͤche der Gestalten erscheinen, oder unterdruͤckten sie durchaus, wenn sie etwa die Darstellung vorkommender Kunstaufgaben nicht wesentlich foͤrderten Die Widrigkeit der Erscheinung weicher, schlaffer, halb- durchsichtiger Theile der menschlichen Gestalt in ihrer Uebertragung in dichte, starre, undurchsichtige Koͤrper zeigt sich besonders deut- lich in, auf dem Leben abgeformten, Gypsmodellen, welche, wie schoͤn auch die Gestalt sey, welcher sie durch mechanische Mittel abgewonnen, doch eben durch diesen Widerspruch von Form und Stoff nothwendig leichenaͤhnlich und grauenhaft aussehen. . Wenn nun Winckelmann in sol- chen Zartheiten des antiken Bildnerstyles, welche der Wirkung nach seinem Scharfblick nicht entgehen konnten, eine Bestaͤti- gung jenes freylich schon mannichfach bedingten Vorbegriffes der Manieristen zu entdecken glaubte; wenn er Vieles, so aus richtig verstandenen Beschraͤnktheiten des derben Kunststoffes hervorging, aus den inneren Foderungen der dargestellten Ideen erklaͤrte, so werden wir nunmehr daruͤber hinaussehen duͤrfen. Schwieriger ist es unstreitig, die besonderen Stylgesetze der Malerey anzugeben, welche an sich selbst minder deutlich am Tage liegen, als die bildnerischen; woher es sich erklaͤrt, daß man noch in den neuesten Zeiten gelehrt Fernow a. a. O. und andere ihm sinnverwandte Theo- retiker. , und vor- nehmlich in den Akademien versucht hat, den malerischen Styl durch die Nachahmung von Bildwerken zu bilden, welche in ihrer Kunstart musterhaft behandelt und von untadeligem Style sind. Nichts indeß kann im Grundsatz irriger, in der An- wendung geschmackloser seyn, als eine solche Uebertragung der Darstellungsweise der einen Kunstart auf die andere, und ge- wiß ist jenes schon an sich selbst, als mechanische Uebung an- gesehen, hoͤchst geisttoͤdtende Zeichnen in den Antikensaͤlen, auch durch die Stylvermischung, die es verbreitet hat, von der nach- theiligsten Wirkung. Denn nach so vielen Andeutungen in den Beurtheilungen neuerer Kunstwerke, ist es auch dem ge- woͤhnlichen Sinne auffallend, wie eben solches, was Statuen ihr sicheres Beruhen giebt, wenn es auf Gemaͤlde uͤbertragen wird, einen gewissen Anschein von Schwerfaͤlligkeit annimmt und zum Umfallen geneigt scheint, wie die colorirten Formen des Apoll in der bekannten Musenversammlung des Mengs an einer Decke der Villa Albani. Diese Wirkung entsteht daher, weil bildnerisch stylisirte Formen den Anschein des Wirklichen und Lebendigen, vermoͤge dessen die Malerey dar- stellt, auf gewisse Weise durchkreuzen, indem sie Solches, was in der Bildnerey den Foderungen der Schwere genuͤgte, in die lebendigere, bewegtere Darstellung der Malerey hinuͤber- bringen, wo es zwecklos und sinnverwirrend an Schweres ge- mahnt, ohne daß dafuͤr ein Grund vorhanden, oder nur denk- bar waͤre. — Sieht man doch gegenwaͤrtig ein, welcher Nach- theil der modernen Bildnerey seit Michelagnuolo aus dem Wetteifer mit der Malerey erwachsen, welche die andere Kunst in den modernen Zeiten zufaͤllig, oder nothwendig uͤberboten und also vielleicht zur Nachahmung angereizt hatte. Vor- nehmlich aber sollten Alle, welche Lessings mit Dank ge- denken, weil er den Gedanken, wenn nicht ausgefuͤhrt, doch angeregt hat: daß Poesie und bildende Kuͤnste nach Maßgabe des Stoffes, in welchem sie darstellen, auch jede ihre eigenen Bedingungen und Moͤglichkeiten einschließen, um sich selbst gleich und getreu zu bleiben, auch in Bezug auf bildnerische und malerische Darstellung die nothwendige Begrenzung aner- kennen und in ihren Lehren sie hindurch fuͤhren. Das hoͤchste und unerlaͤßlichste Stylgesetz der Malerey entspringt aus jenem allgemeineren, welches gebietet, in der Anordnung und Vertheilung von darstellenden, oder nur schmuͤckenden und fuͤllenden Formen und Lineamenten, Maß und inneres Verhaͤltniß zu beobachten. Denn, eben weil die Malerey, vermoͤge des Stoffes, in welchem sie darstellt, Vie- les in einem Bilde vereinigen kann und daher zu vereinigen bestrebt: so ist in ihr die Uebereinstimmung in den Verhaͤlt- nissen der Theile in eben dem Maße, als Vielfaͤltiges sich leichter zur Verwirrung hinuͤber neigt, auch sorgfaͤltiger zu erstreben. Aus einem richtigen Gefuͤhle dieses Stylgesetzes ist die symmetrische Anordnung vieler alten Gemaͤlde entstanden, welche das Vorurtheil spaͤterer Zeiten als gezwungen verwor- fen hat. Und obwohl diese Anordnung in den himmlischen Versammlungen, welche viele Altargemaͤlde des funfzehnten Jahrhundertes ausfuͤllen, hier und da aus unzureichendem Koͤnnen Koͤnnen etwas zu sehr ins Steife gehen mag, so muͤssen wir doch das Stylgefuͤhl, aus dem sie hervorgegangen, um so hoͤher stellen, als es schwieriger ist, solche Stylgesetze der Malerey zu ermitteln, welche, wie die oben eroͤrterten der Bildnerey, aus Foderungen des ihr eigenthuͤmlichen rohen Stoffes entstehen. Denn in der Malerey ist jenem groͤberen, auf einer ge- gebenen Flaͤche faͤrbenden, erhellenden, oder auch verdunkeln- den Stoffe nicht viel Allgemeines abzugewinnen; obwohl in der Fuͤhrung des Stiftes, der Feder, des Pinsels, oder in Tinten und Uebergaͤngen der Farbe, Maͤngel, oder Vorzuͤge erscheinen koͤnnen, so sind diese doch, theils ziemlich unwesent- lich, theils nicht wohl unter ein allgemeines Gesetz zu brin- gen. Allein in Betracht, daß die Malerey unter den bilden- den Kuͤnsten diejenige ist, welche nicht durch die Form, son- dern durch den Anschein von Formen darstellt, ist es denkbar, daß dieser Anschein durch gewisse Kunstvortheile, durch Ver- staͤrkungen, Milderungen, Unterlassungen, oder Anderes be- foͤrdert wuͤrde. Wirklich giebt es Dinge, deren Schein durch die bekann- teren Kunstmittel der Malerey nur beschwerlich hervorzubrin- gen ist; welche bald durch ihre Stumpfheit, bald durch ihre Haͤrte und Abgeschnittenheit in Gemaͤlden den Anschein wirk- lichen Seyns aufheben, welcher in der Malerey nun einmal eine der aͤußeren Bedingungen gluͤcklicher Darstellung ist. Hierin denn wuͤrden wir etwas zu finden glauben, was den Maler bestimmen koͤnnte, Einiges schaͤrfer herauszuheben, An- deres absichtlich zu mildern. In den Lichtmassen der Gewaͤn- der, um ein Beyspiel anzugeben, ist es so schwierig die schar- fen Umrisse des kleinen Gefaͤltes ohne den Mißstand einer I. 7 scheinbaren Zerstuͤckelung der Masse anzugeben, daß die besten Maler unter den Neueren, sogar die Wandmalereyen der Alten, in solchen Lichtmassen ihre Umrisse mit willkuͤhrlicher Leichtig- keit gleichsam nur angedeutet haben. In einem der glaͤnzend- sten Beyspiele des um 1530 ploͤtzlich sinkenden Stylgefuͤhles, in der Madonna del Sacco zu Florenz , kann der entgegen- gesetzte Fehler in dem vielfaͤltig zerschnittenen Gefaͤlte einge- sehen werden, welches das Haupt und die Schultern der Jungfrau umgiebt. Aus gleichem Grunde vermieden die besten Maler ein schwarzes Haupthaar, wo es nicht, wie im Bild- niß, vom Gegenstande geboten wird; denn so reizend diese Haarfarbe im Leben zu erscheinen pflegt, so schwer ist es, sie in Gemaͤlden mit dem daran stoßenden helleren Fleische zu gemeinsamen Licht- und Schattenparthien zu vereinigen und zu verhuͤten, daß der grelle Abstich nicht etwa den Anschein zu- sammenhaͤngender Form aufhebe, wo solcher gefodert wird. Muͤssen wir uns nun eingestehen, daß sogar die aͤußer- lich vollendetsten Gemaͤlde doch immer an Fuͤlle und Deut- lichkeit so sehr der Erscheinung wirklicher Dinge nachstehen, daß sie nur innerhalb ihrer eigenen Begrenzung fuͤr wahr, oder scheinbar wirklich gelten koͤnnen; so wird aus dieser Vor- aussetzung ein anderes Stylgesetz abzuleiten seyn, welches nicht mehr die Theile im Einzelnen, vielmehr das Ganze der Kunst- werke befaßt. Dieses Gesetz befiehlt dem Kuͤnstler, durch eine gewisse Gleichmaͤßigkeit in der Ausfuͤhrung von Gemaͤlden die Aufmerksamkeit des Beschauers so zu begrenzen, daß er, auch wollend, kaum im Stande waͤre, irgend einen Theil des Kunst- werkes fuͤr sich allein der Vergleichung mit anderen, außer dem Bilde befindlichen Gegenstaͤnden zu unterwerfen. Wir werden spaͤter Gelegenheit finden, die Macht einer solchen in sich abgeschlossenen Darstellung an Kunstwerken zu bewundern, welche ganz verschiedenen Stufen der Kunstfertigkeit angehoͤ- ren, da sie eben sowohl in den Werken des Giotto und sei- ner Zeitgenossen, als in den groͤßten Leistungen neuerer Kunst- bestrebungen sich geltend macht. Endlich duͤrfte es nicht minder dem malerischen Style beygezaͤhlt werden koͤnnen, wenn Kuͤnstler solches, was sie nicht eigentlich darzustellen bezwecken, vielmehr nur als ein Beywerk betrachtet sehen moͤchten, durch etwas willkuͤhrlichere Gestaltungen dem geistigen Sinne genuͤgend anzudeuten ver- stehen, ohne doch den aͤußeren Sinn zu verletzen. Wie die unvollkommenen Ueberreste antiker Malerey errathen lassen, ward im Alterthume alles landschaftliche Beywerk auf ziem- lich willkuͤhrliche Weise angedeutet; demungeachtet befriedigt es auch so, weil es keine Anspruͤche erweckt, und gluͤcklich im Raume vertheilt ist. Lobenswerth sind, aus demselben Gesichts- punct angesehen, die Landschaften in den historischen Gemaͤlden Raphaels und seiner Zeitgenossen, sogar die Hintergruͤnde sei- ner fruͤheren und spaͤteren Vorgaͤnger. Obwohl nun eben diese nicht selten von denen getadelt werden, welche alle einzeln vor- kommende, oder denkbare Vorzuͤge in demselben Kunstwerke vereinigt sehen moͤchten; so duͤrfte es doch wieder Andere geben, welche einsehen, daß jenes genaue Eingehen in die Formen- spiele der Pflanzen, in die linden Wallungen, oder trotzigen Kanten der Erdformen, oder in alle Gaukeleyen der Luft und des Lichtes, welches Alles wir in einem Claudio , Ruis- dael und anderen bewundern und lieben muͤssen, durchaus unvereinbar ist mit den Zwecken der sogenannten historischen Gemaͤlde. Denn diese wirken, indem sie menschliche Verhaͤlt- nisse darstellen, auf die tiefsten unter den Sinnen, die uͤber- 7 * haupt durch Kunstwerke angeregt werden koͤnnen; jene Vor- zuͤge wieder mehr auf die Oberflaͤche des menschlichen Daseyns, so daß ihre Verschmelzung sicher nur verwirren wuͤrde. Zudem liegt etwas theils telescopisches, theils auch mikroscopisches in der modernen Landschaftsmalerey, welches daher scheint entstanden zu seyn, daß man das schwaͤchere Interesse der außermenschlichen Natur durch Fuͤlle an Gegenstaͤnden hat er- setzen wollen, was genau besehen nicht immer zum Zwecke fuͤhrt; hieraus aber entspringt, da der Historienmaler seine Formen jederzeit dem Auge nahe ruͤckt, ein so schneidender Gegensatz in den Abstufungen, daß schon deshalb nimmer ein- geraͤumt werden kann, daß die moderne Behandlung der Land- schaft den Hintergruͤnden historischer Gemaͤlde zur Zierde ge- reichen koͤnne. Uebrigens moͤgen Manche in dieser Beziehung auf eigenthuͤmliche Gewoͤhnungen und Handhabungen alter Maler ein uͤbergroßes Gewicht legen. Denn gewiß kommt es nicht so genau darauf an, ob ein Baum, wenn er uͤberhaupt mit richtigem Sinn den Forderungen des jedesmaligen Kunst- werkes untergeordnet worden, so oder anders zugeschnitten sey. Ueberhaupt wird man nie sorgfaͤltig genug von den all- gemeinen Stylgesetzen solche ganz eigenthuͤmliche Gewoͤhnungen der einzelnen Schulen und Meister ausschließen koͤnnen, welche sich auf minder wesentliche Beywerke, auf die Landschaft, das Gefaͤlte und Anderes beziehen. Und wollte man durchaus, gleich den Italienern, jenen Antheil an Manier, der auch den besten Kunstwerken als ein minderstoͤrender, wohl auch, als unterscheidendes Merkmal angesehen, nicht unwillkommener Mangel anklebt, mit in den Stylbegriff hineinziehen; so wuͤrde man sich doch besinnen muͤssen, fuͤr jene allgemeineren Kunst- vortheile einen anderen Namen aufzufinden. Herr Dr. Schorn , dessen Scharfblick und billigen Sinn ich hochschaͤtze, dessen oͤffentlichen und freundschaftlichen Mittheilungen ich vielfaͤltige Belehrung verdanke, brachte mir schon vor Jahren das Kunstschoͤne in Vorschlag, ein neues Wort, welches dieser Kunstgelehrte schon fruͤher, nach dem Vorgange Hirts , in seinen trefflichen Studien griechischer Kuͤnstler aufgenommen hatte. Bis dahin habe ich mich nicht einmal an den Klang gewoͤhnen koͤnnen; doch duͤrfte dieser, in einer rauhen Spra- che, wie die unsrige, nicht so sehr in Frage kommen, als die- ses: ob die Grundbegriffe, aus denen er zusammengesetzt wor- den, mit Solchem, was ich Styl nenne, durchaus vereinbar waͤren. Das Kunstschoͤne indeß kann nach dem Beyspiel verwandter Wortbildungen nichts anders heißen wollen, als das Schoͤne der Kunst. Der Styl aber in dem Sinne, den ich festhalte, ist zwar allerdings ein Schoͤnes der Kunst, aber noch keinesweges der Inbegriff alles Schoͤnen der Kunst; das Kunstschoͤne scheint also fuͤr meinen Stylbegriff zu Vieles zu bezeichnen, oder zu weit umfassend zu seyn. Sehen wir zudem das Kunstwort Styl, auch in den neuesten Kunstbetrachtungen desselben Gelehrten S. Kunstblatt 1825. Jan. und Nov. Ich raͤume meinem Gegner, vornehmlich dessen letzter Zuschrift, seine dialectische Ueberlegenheit ein. Die Sache aber, um welche es am Ende ihm selbst ebenfalls nur zu thun ist, wird durch obige Entwickelung an Deutlichkeit und Festigkeit gewonnen haben. Gegen die Beyspiele, welche Dr. Schorn mir entgegenstellt, habe ich folgendes einzuwenden. Die Aegineten sind, ihrer ersten Bestimmung nach, in Bezug auf Styl, aus dem Gesichtspunct des Hochreliefs zu beurtheilen. Niobe und ihre Kinder, nach der geist- vollen Hypothese Cockerells nicht minder; und obwohl ich nicht glaube, daß die medizeischen Exemplare Originale und so alt sind, noch immer nach einer bestimmteren Bedeutung streben, bald an das Edle der Richtung, oder des Gegenstandes, bald wieder an Eigenthuͤm- lichkeiten der Kuͤnstler sich anschließen, so werde ich um so mehr auf Nachsicht zaͤhlen duͤrfen, wenn ich dasselbe als bie- sterfrey angesehen und gewagt, ihm einen Sinn unterzulegen, dem es auch von dem Worte abgesehen, gewiß nicht an inne- rer Begruͤndung fehlt. Doch muß ich einraͤumen, daß, wie bey feyerlichen Hand- lungen Ordnung und Anstand, so auch bey kuͤnstlerischen Dar- als der Gebrauch altdorischer Tempelbaukunst, so bin ich doch, erst seitdem ich sie zum ersten Male als eingeordnet in einen gegebenen Raum gedacht, mit dem Zwange ihrer Stellungen versoͤhnt wor- den. Der herrliche Discobol des Vaticans (an sich selbst ein Aus- nahmefall) uͤberschreitet uͤbrigens auch in seiner Bewegung (ohne welche er uͤberhaupt nicht denkbar waͤre) nirgend dasjenige Gleich- gewicht, jene aͤußerlichste Symmetrie, welche mir fuͤr Bedingung wohlgefaͤlliger Erscheinung plastischer Darstellungen gilt. Eben an einer solchen Klippe, welche die Bildnerey des Alterthumes meist vermieden, zeigt sich die Ausbildung ihres Stylsinnes in ihrem glaͤnzendsten Lichte. — In Gruppen, wie im Toro Farnese, ist aber diese Qualitaͤt des Styles nicht in den einzelnen Gestalten, die sie enthalten, sondern in ihrer Zusammenordnung, in der Gesammt- gestalt der Gruppe aufzusuchen. — Wenn aber mein Gegner (in diesem einen Wortsinn) in seiner letzten Erklaͤrung die Besorgniß aͤußert, daß der Stylbegriff, den ich oben naͤher zu entwickeln ver- sucht, zur Manier und zum Conventionellen fuͤhren moͤchte, so entstehet solche unstreitig nur daher, daß ich mich fruͤher nur ge- legentlich und nicht vollstaͤndig genug ausgesprochen. Und vielleicht wird auch obige Entwickelung nur denen genuͤgen, welche ihre Maͤn- gel und Auslassungen aus eigener Kunde sich ergaͤnzen koͤnnen. Von verschiedenen Seiten, und namentlich durch Hrn. Dr. Schorn , wird meinem kuͤnstlerischen Stylbegriffe der rhetorische entgegenge- setzt. Ich habe bereits gezeigt, daß der kuͤnstlerische Stylbegriff aus einem andern, obwohl verwandten Grundbilde entstanden ist, als der rhetorische; uͤberdieß wird dieser letzte wohl so leicht mit stellungen des Edlen und Wuͤrdigen Solches, was ich Styl nenne, minder geduldig vermißt werden duͤrfte, als bey Darstellungen des Niedrigen, oder Ausgelassenen, welchen das sogenannte Malerische oder, wenn ich diesen Ausdruck recht verstehe, eine gewisse sanfte Undulation der Formen ge- nuͤgen mag. Auch sehe ich ein, daß in dem Gesammteindruck von Kunstwerken der Styl jedem anderen Verdienste sich ver- maͤhlen wird, was allerdings die abgesonderte Betrachtung die- ses Vorzuges der Kunst erschweren muß. Einleuchtend indeß meinem Stylbegriffe auszugleichen seyn, als mit anderen. Denn versteht man in der Sprache und Schrift den Styl uͤberhaupt, wie ich denke, als einen, wie immer durch Eigenthuͤmlichkeiten der Persoͤnlichkeit und aͤußeren Stellung abgeaͤnderten, doch nothwen- dig allgemeinen Vorzug; so wird dieser in nichts Anderem bestehen koͤnnen, als in der Gewandtheit, den Stoff der Darstellung (hier die Sprache) seiner inneren Bestimmung gemaͤß zu behandeln, und daher ihn ohne aͤußeren Mißstand bequem dem jedesmaligen Zwecke anzupassen. — Uebrigens scheint jener hoͤhere Stylbegriff, den Hr. Dr. Schorn gegen mich zu behaupten strebt, die Begriffe: Rich- tung, Eigenthuͤmlichkeit, Handhabung (Gewoͤhnung, Manier) ge- meinschaftlich zu umfassen; und es duͤrfte in Frage stehen, wie ich bereits erinnert habe, ob diese so hoͤchst verschiedenartigen Begriffe mit Fug und Nutzen einander coordinirt werden koͤnnen. — Und wenn ich einraͤumen muß, daß der Styl in Kunstwerken immer in Begleitung von Eigenthuͤmlichkeiten der Zeit, der Nationalitaͤt, der Person, an das Licht tritt, daß man daher, bey geringerer Schaͤrfe der Unterscheidung, leicht darauf verfallen mußte, Styl und Eigenthuͤmlichkeit aller Art in eins zu fassen; so kommt mir doch sogar hierin der Umstand zu Huͤlfe, daß kein deutscher Kunst- gelehrte jemals Neigung gezeigt, die nackte, vom Styl in meinem Sinne entbloͤßte Eigenthuͤmlichkeit (z. B. des so ehrenwerthen Rembrandt ) einen Styl zu nennen. Also liegt selbst denen, welche von eigenthuͤmlichen Stylen reden, doch immer der eine, allgemeine Stylbegriff, obwohl minder deutlich, im Hintergrunde des Bewußtseyns. unterliegt der Kunstgenuß ganz anderen Gesetzen, als die Lehre der Kunst. Waͤhrend der eine den vollen Eindruck des Gan- zen erheischt, und durch Zergliederung in den meisten Faͤllen vernichtet wird, will die andere unterscheiden, aussondern und ordnen. Wenn man nun einmal zum Werke geschritten ist, und den lebendigen Leib der Kunst in seine Theile zerlegt hat; so wird es darauf ankommen, seine Fibern und Muskeln sau- ber abzuloͤsen, sie nicht mitten durchzuschneiden, zuletzt aber jedes Stuͤck an seine rechte Stelle zu legen. Denn nur durch Schaͤrfe, Deutlichkeit und Folge wird die abgesonderte Kunst- betrachtung, einmal sich selbst genuͤgen, dann auch auf die Ausuͤbung der Kunst zuruͤckwirken koͤnnen. Freylich vermag eine duͤrre Theorie auf keine Weise den Kuͤnstler aufzuregen und zu begeistern; wohl aber die Banden irriger Lehrgebaͤude aufzuloͤsen, gegenseitige Verklammerungen des Wahren und Falschen zu spalten, das Nuͤtzlichste gewiß, so fuͤr den Augen- blick moͤglich ist. Dem historischen Archaͤologen haben wir also den Typus, dem aͤsthetischen den Styl eingeraͤumt und hiemit zugegeben, daß in der Kunst, und vornehmlich eben in der Kunst des Alterthumes, Bezeichnungen und Schoͤnheiten vorhanden, welche nicht so geradehin weder aus der Befolgung allgemeiner Na- turgesetze, noch aus dem belebenden Eindruck einzelner Natur- gestalten zu erklaͤren sind. Zugleich aber haben wir uns erin- nert, daß die willkuͤhrliche Bezeichnung nur den Verstand, der Styl aber nur den aͤußeren Sinn in Anspruch nimmt; daß also diese Eigenschaften vortrefflicher, vornehmlich antiker Kunst- gebilde auf keine Weise die Darstellung selbst angehen, oder die Beschaffenheit und Abkunft der darstellenden Formen we- sentlich abaͤndern. Auch hatten wir den Styl nicht, wie An- dere, aus einem gewissen Aufschwung des kuͤnstlerischen Gei- stes erklaͤrt, vielmehr aus gegebenen Foderungen des derben Stoffes, wodurch wir den Kuͤnstler, weit entfernt ihm von dieser Seite einige Freyheit einzuraͤumen, vielmehr auch hier auf aͤußere Schranken hingewiesen, welche er nie ungestraft uͤberschreiten wird. Der Kunst Unkundigen, oder auch denen, welche das geruͤgte Vorurtheil der Modernen noch verblendet, duͤrfte es nun wohl scheinen, als werde die Kunst durch so mannichfache Beschraͤnkungen aus dem Gebiete des Geistigen und Entbundenen verwiesen und zu einer gewissen Befangen- heit verurtheilt. Waͤre es, wie die Kunstlehre der letzten sechzig Jahre darzulegen und zu behaupten bemuͤht gewesen, der Zweck, oder doch der Hauptzweck der Kunst, die Schoͤpfung in ihren ein- zelnen Gestaltungen nachzubessern, beziehungslose Formen her- vorzubringen, welche das Erschaffene ins schoͤnere nachaͤffen Wie sogar die Titel ( de l’imitation , u. a.) mancher Kunst- schriften andeuten, und wie die Entwickelungen der uͤbrigen zeigen, lassen auch solche Kunstgelehrte, welche mit den Kunstformen weit uͤber die natuͤrlichen hinauswollen, den Kuͤnstler gewoͤhnlich mit stumpfsinnig („ohne Wahl“) unternommener Nachahmung des sinnlich Vorliegenden beginnen, und allgemach nur von dieser Nach- ahmung sich zu dem erheben, was man Idealformen und Bildun- gen nennt. Boͤttiger , a. a. O., S. 67., behauptet: daß ohne die Sitte der beiden classischen Voͤlker, das Haupt (meist?) unbedeckt zu tragen, nie eine Idealform zum Vorschein gekommen waͤre. Nicht aus der Idee, sondern aus dem Eindruck des sinn- lich Vorliegenden entwickelte sich demnach, nach den Ansichten die- ses Gelehrten, was ihm Idealform heißt. — Daß ein geheimer Zug des Geistes, etwa was man Idee nennt, den Kuͤnstler mit verwandten Naturgestaltungen verbinde; daß er in diesen ganz all- , und das sterbliche Geschlecht gleichsam dafuͤr schadlos hielten, das die Natur eben nicht schoͤner zu gestalten verstanden Die Worte: gemeine Natur, Beschraͤnktheit der Natur, und aͤhnliche, sind in der aͤsthetischen Literatur so gaͤng und gebe, daß ich durch Anfuͤhrung des Einen, den Anderen zu betheiligen fuͤrchte. : so wuͤrde dem Kuͤnstler allerdings durch die Ansicht, welche ich oben zu begruͤnden versucht, alle Aussicht auf freye Be- wegung und selbststaͤndige Leistung benommen. Doch duͤrfte er innerhalb der Schranken, welche in Bezug auf Form und Stoff der Willkuͤhr sich entgegenstellen, die freyeste Bewegung bewahren koͤnnen, wenn der Zweck der Kunst, wie, sowohl aus ihren bekannteren Leistungen, als schon aus ihrem allge- meinsten Begriffe darzulegen ist, theils mannichfaltiger, theils selbst ungleich wichtiger waͤre, als jener, den die aͤsthetischen Schwaͤrmer ihr vorzeichnen. Worauf denn, duͤrfte man hier fragen, begruͤndet sich wohl die Ansicht, welche Geist und Gefuͤhl des Kuͤnstlers, Sittliches und Wahres des Gegenstandes, Klarheit und Ver- nehmlichkeit der Darstellung, kurz alles, was nach dem Ge- fuͤhl jedes sich hingebenden, nicht bloß eigne, oder angenom- mene Meinungen und Ansichten verfolgenden Kunstfreundes den Werken der Kunst allein tieferen Gehalt und wahrhaft ansprechende Formen verleiht, einer unbestimmten Vorstellung von beziehungsloser Formenschoͤnheit unterordnet? Nicht auf eine positive und urspruͤngliche Vorstellung von einer For- gemach sein eigenes Wollen immer deutlicher erkenne, durch diese dasselbe auszudruͤcken erfaͤhigt werde; scheint bis dahin nur Weni- gen deutlich zu seyn. Ich habe bereits angemerkt, daß Fortschritte in der Meisterschaft in diesem Verhaͤltniß nichts veraͤndere, wohl den Meister aufwaͤrts ruͤcke, doch die Natur selbst nicht herabsetze. menschoͤnheit, sondern auf eine solche, die man auf der einen Seite nur durch Verneinung der Natur zu bezeichnen weiß, auf der anderen aber durch sinnliche Anschauung be- stimmter Kunstwerke Fernow , den uͤberhaupt Offenheit und naive Zuversicht aus- zeichnet, der uns mithin die Ansichten moderner Kunstgelehrten meist in wuͤnschenswerther Nacktheit und Deutlichkeit ausspricht, sagt (Leben des Maler Carstens . S. 299.): „Das Ideal ist in beiden bildenden Kuͤnsten wesentlich dasselbe; aber in jeder hat es seinen eigenen Charakter. Der Bildner findet das seine in der Antike; den Maler weiset Raphael darauf (auf die Antike) hin.“ erworben hat, in welche man zudem nicht ohne Beywirkung von vorgefaßten Meinungen hoͤchst muͤhsam sich hinein begeistern muͤssen Nur in Beziehung auf diesen Weg der Geschmacksbildung gilt ( Goͤthe aus meinem Leben Bd. II. S. 248.): daß die An- schauung eine verhaͤltnißmaͤßige Bildung erfordere, der Begriff hingegen nur Empfaͤnglichkeit wolle, den Inhalt mitbringe und selbst das Werkzeug der Bildung sey. An sich selbst ist offenbar die Anschauung das Urspruͤngliche, der Begriff das Geschichtliche; erfordert Anschauung, wenn sie auch der Uebung und Schaͤrfung faͤhig ist, nur offenen, unbefangenen Sinn, der Begriff aber unter allen Umstaͤnden den mannichfaltigsten Austausch, die endlosesten Vereinbarungen der Menschen unter sich. . Ist aber diese Vorstellung keine urspruͤngliche, nur eine von außen angenom- mene, also historische, so wird sie auch als Thatsache zu be- trachten, und als solche der Pruͤfung zu unterwerfen seyn. Pruͤfen laͤßt sich in dieser Beziehung zuerst, ob die Alten selbst, wenn wir nur ihr unvergleichlich feines, ausnahmelo- ses Stylgefuͤhl nach obiger Aussonderung beyseite stellen, je- mals in der Kunst von dem Streben nach einer solchen be- ziehungslosen Schoͤnheit ausgegangen sind; zweytens, ob die Kunstwerke, in denen man die Verwirklichung einer solchen Vorstellung wahrzunehmen glaubt, welche man daher fuͤr mu- sterhaft ansieht und der Nachahmung empfiehlt, etwa unter den Leistungen der antiken Kunst das Beste sind, oder was uns gleichbedeutend seyn sollte, den Alten selbst fuͤr das Beste gegolten haben. So weit die Ansicht, welche die Kunst des Alterthumes im Ganzen beherrschte, uͤberhaupt aus den abgerissenen An- deutungen der Schriftsteller zu ergaͤnzen ist, zeigt sich nichts, woraus zu schließen waͤre, daß die Alten jemals Geist und Gefuͤhl des Kuͤnstlers, Sinn und Bedeutung der Aufgabe, Charakter und Lebendigkeit der Darstellung einem allgemeinen beziehungslosen Begriffe der Schoͤnheit untergeordnet haben Winckelmann und sein Jahrh. S. 281. — „Weil es sich aber darthun laͤßt, daß die schoͤnen Formen nicht der Haupt- zweck der griechischen Kunst waren, sondern sie sich nur aus dem Geiste derselben entwickelten, als nothwendige Mittel zum Aus- druck schoͤner Gedanken.“ Weshalb steht diese der Sache nach so richtige Bemerkung, statt wie hier nur eingeschaltet und gleichsam entglitten zu seyn, nicht lieber an der Spitze irgend einer Kunst- lebre? — Wuͤrde sie nicht mit Consequenz angewendet, die ganze Lehre von aͤußerlicher Aneignung antiker Kunstformen umwerfen? . Freylich wohnt die Bluͤthe menschlicher Schoͤnheit in jener Jugendlichkeit und Lebensfuͤlle, welche in ihren Kunstgestal- tungen vorherrscht; wo ist aber die Aeußerung, welche uns berechtigen duͤrfte, anzunehmen, dieses frische Jugendleben hel- lenischer Kunst sey aus pedantischen Grundsaͤtzen Gleich jenen, welche Lessing Laokoon, §. 2. aus einer Stelle Aelians hervordeutet, var. hist. lib. IV. c. 4., wo es heißt: ἀκούω κεῖσϑαι νόμον Θήβησι πϱοςτάττοντα τοῖς τεχνίταις, καὶ τοῖς γϱαφικοῖς, καὶ τοῖς πλαστικοῖς, εἰς τὸ κϱεῖττον τὰς ἐικόνας μιμεῖς- ϑαι· ἀπειλεῖ δε ὸ νόμος τοῖς εἰς τὸ χεῖϱον ποτὲ, ἢ πλάσασιν, ἢ γϱάψασι, ζημίαν τὸ τίμημα δϱᾶν. — Lessing erklaͤrt diese , nicht vielmehr aus der herrschenden Lebensansicht und Sinnesrich- tung entstanden? Allein auch die Ueberreste alter Kunst zeigen, wie jedem Unbefangenen bey einiger Orientirung einleuchten muß: daß in der Kunst des Alterthumes, welche uns Entlegenen wohl einmal als ein Ganzes, oder Gleichfoͤrmiges erscheint, welche wir daher wohl etwas zu allgemein und franzoͤsirt, die An- tike , nennen, mehr, als eine Richtung des Geistes sich ausgedruͤckt; daß sie durchhin der Spiegel des jedesmaligen Geisteslebens, nirgend nackte Anwendung aͤsthetischer Prinzi- pien sey. Stelle, welche, weil sie in der That mancherley Deutungen zulaͤßt, auch hoͤchst verschieden gedeutet worden, mit groͤßter Zuversicht fuͤr ein Gesetz gegen die Karikatur, und wir duͤrfen ihm Gluͤck wuͤn- schen, daß er mit so wenig Beschwerde uͤber einen so kitzlichen Fall sich hinweggesetzt. Gewiß lag die Karikatur in der modernen moralisirenden, oder politisirenden Richtung durchhin außer dem Wege der alten Kuͤnstler; in einem anderen Sinne kannten und nutzten sie die Uebertreibung als einen wichtigen Kunstvortheil, voraussetzlich in den Haͤnden des Meisters; diese in den gehoͤrigen Schranken zu halten, waͤre denn, wenn anders Lessing die Stelle recht gedeutet haͤtte, der Zweck jenes Gesetzes. Indeß will ich An- deren uͤberlassen, auszumachen, zunaͤchst, ob das Fact. auf diese Autoritaͤt so unbedingt anzunehmen sey; dann: welche Worte etwa dem Gesetze selbst, welche dem Schriftsteller angehoͤren; was end- lich das vieldeutige: εἰς τὸ κϱε̃ιττον τὰς εἰκόνας μιμεῖσϑαι, an die- ser Stelle sagen wolle. Das Gebot gute Arbeit zu liefern, findet sich in den Statuten auch neuerer Malerzuͤnfte, woher es dem Ju- nius nicht so fern lag, zu verstehen, daß jenes Gesetz gegen die Stuͤmper gerichtet sey, was Lessing rund verwirft, ohne Gruͤnde zu geben. Da er glaubte, daß man die Hervorbringung des Schoͤ- nen durch Gruͤnde befoͤrdern koͤnne, so lag es ihm nahe, auch die- ses anzunehmen, daß man es durch Gesetze verordnen koͤnne. — Zwar enthaͤlt jene Stelle Aelians keine Angabe, aus welcher die Vorherrschend war in der aͤltesten und schoͤnsten Epoche der ausgebildeten Kunst des Alterthumes, wie wir nunmehr fast urkundlich darthun koͤnnen, jenes unbefangene sich Hin- geben in ein gesundes Lebensgefuͤhl, jene Anmuth, welche nur aus der Unbefangenheit hervorgeht und der Absicht nimmer gelingt. Die ernsteren und tieferen Werke dieser Zeit sind freylich fuͤr uns verloren; doch die eine Seite, welche wir uns noch versinnlichen koͤnnen, reicht hin, die Uebereinstim- mung des kuͤnstlerischen Wollens Indem ich hier vorschlage, die Kunst des classischen Alter- thumes auch einmal nach der jedesmal vorwaltenden Lebensansicht, oder allgemeinen Stimmung des Gemuͤthes abzutheilen, glaube ich keinesweges die Unterscheidung von verschiedenen Stufen der Ent- wickelung aͤußerer Kunstfertigkeiten uͤberfluͤssig zu machen, in wel- cher Hr. Hofr. H. Meyer (Gesch. der bild. K. bey den Griechen u. a. a. St.) ausgezeichneten Scharfsinn bewiesen hat; noch die mancherley Richtungen des Sinnes auszuschließen, welche unsere aͤsthetischen Archaͤologen mit jenen gemeinschaftlich aufzufassen und, Style, zu benennen pflegen. — Doch fuͤrchte ich, daß jene nicht selten sehr feinen Unterscheidungen der aͤußerlichen Merkmale der verschiedenen Zeiten und Schulen der Kunst bisweilen irre leiten jener Zeiten mit dem ge- Zeit bestimmt werden koͤnnte, da das Gesetz gegeben worden. Doch in Erwaͤgung der mannichfaltigen und gewaltsamen Veraͤnderungen in der Gesetzgebung griechischer Staaten vom Anbeginn des pelo- ponnesischen Krieges, das mazedonische Zeitalter und die Herrschaft der Roͤmer hindurch bis auf das Zeitalter dieses Schriftstellers, duͤrfte man sich geneigt fuͤhlen, in diesem Gesetze eine Verordnung spaͤter (aelianischer) Zeit zu suchen, die ohnehin laͤngst schon nicht mehr productiv war. Dazu spricht er von Theben , welches in der Kunstgeschichte nicht eben hervorleuchtet; wie endlich Lessings Auslegung nicht wohl mit den Ansichten auszugleichen ist, welche Plutarch , dem neben Aelian wohl ebenfalls eine Stimme gebuͤhrt (de audiendis poetis; opp. ed. Reisk. Vol. VI. p. 62. sq.) , auf- gestellt. sammten Leben des Volkes an den Tag zu legen. Wie ganz anders mußte sich die Kunst schon unter den macedonischen Herrschern gestalten. Gewiß trug sie den Aufdruck jener phan- tastischen Trunkenheit des Sieges und der Herrschermacht, jenes Schwelgens in Ruhm und Genuß, des Erbtheils, welches Alexander seinen Nachfolgern zuruͤckgelassen. Deutet doch Alles, was wir uͤber die Kunst des macedonischen Zeitalters wissen, auf Pracht und Glanz; und im Geleite der Muͤnzen duͤrften unter den Truͤmmern Roms noch immer Beyspiele dieser Kunstrichtung (Ueberreste der Beute des macedonischen Krieges) aufzufinden seyn, wenn kuͤnftig einmal, wie Unbe- fangenheit fuͤr das Kennzeichen aͤchter altgriechischer Kunst, so anspruchvoll Maͤchtiges fuͤr das Merkmal griechisch-macedo- nischer gelten wird. — In Rom aber, wo das Beduͤrfniß zu herrschen aus dem Geiste des Ordnens und buͤrgerlichen Ge- staltens hervorging; wo von den aͤltesten Zeiten, bis auf spaͤte Caͤsarn das Gemeinwesen stets mit einer wunderbaren Feyer und Ruhe aufgetreten, verherrlichte die Kunst die Wuͤrde des Staates, die Bedeutung des persoͤnlichen, oder politischen Cha- rakters. Obwohl hoͤchst ungriechisch, sind die Bildnereyen am Bogen des Titus , vom Forum Trajans , mit vielem Anderen bewundernswerth, ja, weil sie so ganz von dem Leben durch- drungen sind, aus welchem sie hervorgegangen, auch wahr- haft ergreifend. koͤnnten, weil bekanntlich in der Bildnerey die taͤuschendste Nach- ahmung, oder Nachbildung des bloß Formellen statt findet. Da- hingegen scheint es, daß der Aufdruck des Geistes einzelner Kuͤnst- ler und ganzer Genossenschaften nimmer irre leiten koͤnne, mithin bey historischen, wie bey aͤsthetischen Forschungen stets das sicherste Kennzeichen abgeben muͤsse. Welche nun unter diesen verschiedenen Richtungen der alten Kunst bezeichnet uns die Lehre, welche Verschoͤnerung der Naturform fuͤr den Hauptzweck der Kunst giebt, als das allgemeine, durchhin nachahmenswerthe Muster? So weit meine Kunde reicht, verweist sie uͤberall, ohne Ruͤcksicht auf die Ver- schiedenheit des Geistes der einen und der anderen Epoche, entweder unter dem Namen, Antike , auf alle Ueberreste der alten Kunst insgesammt, oder auf einzelne Werke von hoͤchst verschiedenem Geist und Zuschnitt, uͤber deren hoͤheren Kunst- werth man uͤbereingekommen ist. Indeß ward in den Zwischenraͤumen und auf den Sei- tenwegen jener drey von eigenthuͤmlichem Geiste beseelten Kunst- epochen des Alterthumes mit groͤßter Unverdrossenheit fuͤr das taͤgliche Beduͤrfniß gearbeitet, weiches im Alterthume uͤber moderne Vorstellungen ausgedehnt war S. Jacobs , uͤber den Reichthum der Griechen an plasti- schen Kunstwerken etc., vornehmlich S. 66. f. — Ueber den phan- tastischen Glanz griechisch-macedonischer Kunst wird an dieser Stelle mit einseitig republikanischer Strenge der Stab gebrochen; Niemand indeß hat wohl in der Entwickelung der altgriechischen Kunst aus dem eigenthuͤmlichen Lebensgeiste des Volkes tiefe Ge- lehrsamkeit besser und gluͤcklicher mit Helligkeit der Anschauung verbunden, als in dieser Schrift geschehen, deren Darstellung ein vollendetes Bild ist. — Der Werth mechanischer Nachbildungen, welche Herder zu hoch gestellt, indem er sie eine gluͤckliche Tradition der Kunst nennt, wird hier gehoͤrig bedingt. Im Alterthume dienten solche Werke des mechanischen Geschickes mehr dem Beduͤrfniß, als dem Kunstsinn; obwohl sie fuͤr uns etwa den Werth haben, als Uebersetzungen und Auszuͤge verlorener Schrift- steller. Gegen obige Zeile Herders ist uͤberhaupt manches einzu- wenden. Tradition, Ueberlieferung, versteht sich von lebendiger Mittheilung, welche noͤthig seyn kann, um Richtungen des Geistes . Namentlich zu Rom Rom war unter den Kaisern die Moͤglichkeit entstanden, die Launen der Gewalt und des Reichthumes mit erstaunenswer- ther Schnelligkeit zu befriedigen. Allerdings duͤrfen wir auch hierin die hohe, leider nicht umstaͤndlich bekannte, Ausbildung der bildnerischen Technik des Alterthumes bewundern. Allein, daß diese Arbeiten saͤmmtlich Werke des Geistes gewesen, koͤn- nen wir schon deßhalb nicht annehmen, weil sie unter den Zeitgenossen keine Achtung erlangt haben. Und wenn es theils, wie bey den Verzierungen der Villa Hadrians , gewiß, theils doch wahrscheinlich ist, daß die große Ueberzahl zu Rom und in dessen Umgebungen, aufgefundener Bildwerke, aus den Werk- staͤtten roͤmischer marmorarii, wie Seneca ep. 88. sie gering- schaͤtzig benennt, hervorgegangen, welche zur lebendigen und eigenthuͤmlichen Kunst des Alterthumes etwa in dem Verhaͤlt- niß stehen moͤgen, als die modernen italienischen Marmisten zu mehr eigenthuͤmlichen Bildnern ihrer Zeit: so wird es un- und technische Kunstvortheile fortzupflanzen, doch eben nicht, um zum Copiren zu veranlassen. Der Copist regnet uͤberall in die Welt, wie ein Meteorstein. Nur wo alle wirkliche Tradition abgerissen worden, wie in den neuesten Zeiten, wie in Bezug auf eingenthuͤm- lich Griechisches, wahrscheinlich auch zu Rom unter den Caͤsarn (denen eine der Kunst verderbliche Epoche voranging, welche bis jetzt nicht hinreichend untersucht worden) verfaͤllt die Geistesar- muth auf stumpfsinniges Nachbilden vorhandener Kunstwerke. Die Gelehrten indeß sehen die Kunst im Ganzen nicht genug auf die Kunst an; es genuͤgt ihnen, auf Ideen zu stoßen, welche ihnen be- reits durch Vermittelung des Begriffes befreundet sind; das Leben, welches vom Kuͤnstler ausstroͤmt, ist ihnen gleichguͤltiger, daher die Copie minder verhaßt, als dem Kunstfreunde. Aber auch darin scheint Herder fehl zu greifen, daß er das eigenthuͤmliche Leben der macedonisch- und roͤmisch-griechischen Kunst ganz uͤberspringt. I. 8 umgaͤnglich seyn, den Charakter dieser untergeordneten Kunst- arbeiten zu ermitteln und festzustellen, damit man sie uͤberall mit groͤßter Schaͤrfe von allem Lebendigen und Eigenthuͤmli- chen absondern koͤnne. Unter den Neueren fuͤhlte Mengs Vergl. Winckelmann und sein Jahrh . S. 281., wo ein abgeschlossenes System sich instinctmaͤßig gegen eine Neuerung auf- lehnt, welche ihm allerdings verderblich werden koͤnnte. zuerst das Be- duͤrfniß, in den Bildwerken des Alterthumes Originale s und Nachgeahmtes zu unterscheiden; denn die Wahrnehmung ein- zelner Maͤngel in den Verhaͤltnissen, oder in dem Hauptent- wurf der Formen veranlaßte ihn zu Zweifeln an der Aecht- heit selbst beruͤhmter Statuen. Maß und Verhaͤltniß, sogar die allgemeinste Andeutung der Formen, koͤnnen indeß, wie die neuesten Werkstaͤtten zeigen, in der Bildnerkunst schon durch geometrische und mechanische Kunstgriffe in groͤßter Vollkom- menheit wiederholt werden. Fehler des bloßen Maßes, welche bisweilen aus dem Standort der Statuen zu erklaͤren seyn duͤrften, werden also in diesem Falle das Urtheil nicht be- stimmen koͤnnen. Allein in der Vollendung der aͤußersten Oberflaͤche wird jener dem Copisten unerreichbare Hauch des Geistes, jener volle Aufdruck kuͤnstlerischer Eigenthuͤmlichkeit sich ankuͤndigen, an welchem wir, wenn solches bey so großer Entlegenheit der Zeiten uͤberall noch moͤglich ist, in den Sta- tuen des Alterthumes, eben wie in den Malereyen der Neue- ren, das Werk des Meisters, das Original, erkennen sollen. Erscheint nun eben dieser Hauch des Geistes, weil er nothwendig uͤberall als ein Lebendiges und Wahres sich an- kuͤndigt, unseren aͤsthetischen Idealisten meist als ein verdaͤch- tiges Anzeichen der Individualitaͤt, oder, in ihrem Sinne, des Nichtidealen So nennt Winckelmann den einzigen seiner Idee ganz entsprechenden Faun, den barberinischen, gegenwaͤrtig zu Muͤnchen , eine der vornehmsten Zierden der unvergleichlichen Antikensamm- lung S. M. des Koͤnigs Ludewig von Bayern , an mehr als ei- ner Stelle: eine Nachbildung der gemeinen Natur . Was konnte ihn dazu veranlassen, wenn nicht etwa jener Lebenshauch, den minder befangene Formen-Idealisten, die neueren Herausg. Winckelmanns (Anm. 203 zum Buch V. der K. G.) eben so meisterlich, als sinnig geschildert haben. „Wie er ermuͤdet, sagen sie, der Ruhe hingegeben daliegt, wie alle Sehnen der Glieder los- gestrickt sind, ist unverbesserlich, ja unnachahmlich ausgedruͤckt. Man glaubt ihn tief athmen zu hoͤren, zu sehen, wie ihm der Wein die Adern schwellt, die erregten Pulse schlagen.“ — Doch uͤbergehen sie weislich, was dasselbe Kunstwerk als Darstellung sei- ner Idee leistet. Es ist ein Anderes, dem lebendigen, nothwendig richtigen Sinne nachzugeben, ein Anderes, die Dinge in einen im Voraus eingerichteten Zusammenhang von Begriffen und Ge- danken einzuzwaͤngen. ; so steht zu befuͤrchten, daß ihr Formenideal nicht selten, wenn nicht gar durchhin eben nur aus solchen Uebereinkoͤmmlichkeiten und Allgemeinheiten des Zuschnitts Was innerhalb eines gewissen Kreises fuͤr das aͤußere Merkmal der Idealitaͤt gilt, kennen wir nunmehr aus den Bil- dern zur neuen Ausg. der Werke Winckelmanns . Dieselben Kf. erklaͤrten in einem Programm der Jen. Lit. Z. von zween zusam- mengeordneten Figuren, die eine, welcher die schon beruͤhrten roͤ- mischen Proportionen in auffallendem Maße eigen sind, eben wegen jenes zwecklos allgemeinen Schnittes der Formen, den ich den roͤmischen Werkstaͤtten beizumessen geneigt bin, fuͤr die goͤttliche und ideale; die schoͤnere hingegen, welche griechische Verhaͤltnisse und eine gefuͤhlvolle Hand zeigt, fuͤr die minder goͤttliche und mensch- liche. Es fragt sich, ob die Verlaͤngerung des Unterleibes, welche Winckelmann (K. G. Bch. V. Kap. 4. §. 2.) als ein Merkmal antiker Formenideale bezeichnet, nicht ebenfalls aus roͤmischen Standbildern entnommen ist. 8 * menschlicher Formen entlehnt sey, deren die Marmisten vor- nehmlich des roͤmischen Alterthumes zur Vereinfachung ihrer Gewinn bezweckenden Arbeit bedurften, und welche sie, wie so unendliche Beispiele beweisen, wirklich in Anwendung gesetzt. Wenn es demnach bis dahin noch wenig ausgemacht ist, ob das Vorbild dieser Kunstgelehrten auch wirklich aus den besten Leistungen des Alterthumes entlehnt sey; wenn es da- gegen gewiß ist, daß ein absichtliches Unterordnen alles Le- bendigen und Geistigen unter vorgefaßte Geschmacksansichten, der Bildnerey des Alterthumes nicht ohne schreyenden Zwang beygelegt wird: so werden wir um so weniger einraͤumen duͤr- fen, daß eine solche, weder in sich selbst, noch historisch be- gruͤndete Formenwahl als Maßstab des Werthes an neuere Leistungen angelegt werde. Welcher aͤchte Kunstfreund koͤnnte ohne Aufwallung jener Zergliederungen Raphaels gedenken In Fernows Schriften, in den Propylaͤen, und a. a. St. ; welche den groͤßten und schoͤnsten Geist nach den Eintheilun- gen eines maͤßig klugen Systemes zerstuͤcken, um die Bruch- stuͤcke alsdann, nach Maßgabe ihrer Annaͤherung an die Vor- urtheile und Sinnesgewoͤhnungen einer selbst unfruchtbaren Geschmacksparthey und , bald vornehm und herablassend zu billigen, bald absprechend und bitter zu tadeln? Was denn wuͤrde wohl den neueren Dichtern uͤbrig bleiben, wenn man uͤber ihren Werth, oder Unwerth nach dem Maße der Annaͤ- herung ihres Ausdrucks an griechische Anschaulichkeit und Fuͤlle, oder an roͤmische Schaͤrfe und Gedraͤngtheit, absprechen wollte? Als ein allgemeines Vorbild innerer Vollendung, festen, unwandelbar durchgefuͤhrten Wollens moͤgen die Alten nie auf- hoͤren, juͤngere Geschlechter zum Nacheifer anzuspornen. Als ein solches haben sie unstreitig der glorwuͤrdigen Kunstepoche, aus welcher Raphael hervorgegangen, wesentlich genuͤtzt Und schon ungleich fruͤher vornehmlich auf die Italiener eingewirkt. S. Petrarcae ep. fam. Lib. II. ep. XIX. (alter Aus- gaben) und Ghiberti a. a. O. . Allein, daß man damals schon gestrebt, in ihre Aeußerlichkei- ten, in ihre Formen sich hineinzugießen, ist eine historische Luͤge, welche man sich am Ende selbst geglaubt. Die Schule Ra- phaels hat allerdings mancherley Motive, Verzierungen, Be- kleidungen vornehmlich aus untergeordneten Werken des Al- terthumes frey ergriffen und in ihr eignes Gebiet uͤbertragen. Doch von jenen Nachaͤffungen des Habituellen und Aeußerli- chen der Antike, welche in den letzten 60 Jahren mit so vie- lem Eifer, als geringem Erfolge „Aber, sagen die Herausg. Winckelmanns (Thl. IV. Anm. 477.), wenn einst die in den letzten funfzig bis sechzig Jah- ren entstandenen Kunstwerke aller Art unpartheyisch betrachtet und mit den fruͤheren verglichen werden; wird man alsdann unserer Zeit gegen jene (von Maratti bis auf Winkelmann ) auch den Vorzug geist- und gehaltvollerer Erfindung, belebterer Darstel- lungen, mehrerer Eigenthuͤmlichkeit und im ganzen herrschender Harmonie zugestehn? es ist viel zu fuͤrchten.“ — Demnach duͤrfte nach diesen Zweifeln eifriger Beguͤnstiger der Nachahmung antiker Statuen das Ergebniß dieser Nachahmung nicht einmal den Ver- gleich mit der verwerflichsten Epoche moderner Kunst ertragen koͤnnen. betrieben worden, findet sich unter tausenden von Studien und Handzeichnungen der raphaelischen Zeit auch nicht die geringste Spur. Raphael verschmaͤhte sogar in der Schule von Athen die Statuen in den Vertiefungen der Waͤnde zu antikisiren, was hier vielleicht aus einem malerischen Stylgefuͤhle geschehn, auf dessen Grund ich oben hingedeutet. In der That muͤßte , seine Nachahmung antiker Formen, wenn er sie je versucht haͤtte, sogar nach dem Urtheil derer, welche Raphael besonders darauf angesehn, fast gaͤnzlich mißgluͤckt seyn Propylaͤen. Fernow , Leben Carstens etc . . Allein auch abgesehen von jener Frage, ob die so ganz verschiedenartigen Leistungen des Alterthumes jemals als ein Gemeinschaftliches zu betrachten, und als ein Solches nachge- ahmt werden koͤnnen, duͤrfte es an sich selbst noch keines- weges ausgemacht seyn, ob es uͤberhaupt moͤglich sey, durch Nachahmung von Kunstwerken Kuͤnstler zu bilden. Nach den Erfahrungen und Beobachtungen, welche ich anzustellen Gele- genheit fand, duͤrfte jeder Kuͤnstler seine darstellenden Formen stets aus der ersten Quelle, aus der Natur selbst zu schoͤpfen haben; duͤrfte er sogar die mehr aͤußerlichen Fertigkeiten der Handhabung des Stoffes und der Werkzeuge nur durch Wett- eifer mit der Erscheinung des Wirklichen gehoͤrig ausbilden koͤnnen Vergl. die schoͤne Stelle bey Sandrart , Teutsche Aka- demie, Thl. I. Buch III. Kap. VII. . Schon daher wird er seine darstellenden Formen jedesmal von neuem in der Natur aufsuchen muͤssen, weil auch bey jener Staͤtigkeit der Richtung, welche die drey anti- ken Kunstepochen und einige Schulen und Abschnitte der neue- ren Kunst auszeichnet, doch immer, theils durch unmerkliche, durch die Zeit herbeygefuͤhrte Abaͤnderungen in der allgemei- nen Richtung, theils durch die nothwendige Eigenthuͤmlichkeit der kuͤnstlerischen Anlage jederzeit neue, oder doch abweichende Bestrebungen, Foderungen, oder Wuͤnsche herbeygefuͤhrt wer- den, welche nur in neuen, fruͤher minder, oder gar nicht be- nutzten Formen der Natur auszudruͤcken sind. Technische Ge- wandtheit kann aber darum nur im Wetteifer mit den natuͤr- lichen Erscheinungen ausgebildet werden, weil die Nachbildung des schon kuͤnstlerisch Vollendeten verhaͤltnißmaͤßig leichter ist, daher das Urtheil unbeschaͤftigt laͤßt und, wie die Erfahrung taͤglich zeigt, in mechanische Nachbildung der einzelnen Puncte, Linien und Formen ausschlaͤgt, in welche das kuͤnstlich Ge- machte sich jederzeit leichter zerlegen laͤßt, als der volle Guß der Naturgebilde. Aus diesem Grunde sind Viele, welche nach langer Uebung loͤbliche Copien verfertigen, doch unfaͤhig, selbst die einfachste Form in irgend eine Kunstart zu uͤbertra- gen. Kunstwerke koͤnnen also auf Kuͤnstler nur in so fern einwirken, als sie ihnen zunaͤchst als ein allgemeines Vorbild erreichbarer Vortrefflichkeit vorschweben; dann, indem sie ih- nen als Muster der Anordnung, oder des Styles im allge- meinsten, wie im besonderen Sinne vorleuchten; endlich, in- dem sie ihnen, bey verwandter Richtung, Beyspiele richtiger, oder falscher Auffassung wiederkehrlicher Kunstaufgaben vor- fuͤhren, welche nach den Umstaͤnden hierin vor Fehlern war- nen, oder zum Wahren anleiten. Es ist demnach eine unfruchtbare Untersuchung, ob Ra- phael sich den Alten in aͤußerlichen Dingen angenaͤhert habe; genuͤgt es doch, daß er ein ganzer Mensch war, der sein eige- nes Wollen maͤchtig hindurchgefuͤhrt, seinen unendlichen Geist, sein tiefes Gemuͤth in so gediegenen Formen ausgedruͤckt, daß die Alten selbst, obwohl sie ganz Anderes gewollt, ihn doch sicher fuͤr ihres Gleichen anerkannt haͤtten. Ueberhaupt unter- scheidet sich ein neuerer Kuͤnstler von den guten Alten wesent- lich nur durch Unfaͤhigkeit des Geistes, durch Unfruchtbarkeit, durch Stumpfheit des Gefuͤhls, vornehmlich aber durch jenes unanschauliche Gruͤbeln, durch jene Furcht vor Hingebung in sinnliche Eindruͤcke, welche das moderne ganz einseitige Be- griffsleben so leicht auch bey Kuͤnstlern erzeugt. Unwesentlich aber ist die Verschiedenheit, welche die oͤrtliche und geschicht- liche Stellung der Kuͤnstler nothwendig herbeyfuͤhrt, in welche sie nun einmal sich unumgaͤnglich zu schicken haben. Stumpf- sinnige Nachahmung, wenn auch des Herrlichsten, was die Kunst jemals hervorgebracht, wird uns demnach unter allen Umstaͤnden fuͤr den Auswurf und Kehricht der Kunst gelten muͤssen; wie es denn unerhoͤrt ist, daß Hervorbringungen der nackten, eines inneren Lebensgeistes durchaus entbehrenden Ge- schmacksrichtung, welche practisch von Mengs ausgegangen, in den groͤßeren Sammlungen neuerer Meisterwerke waͤren aufgenommen worden; daß sie, auch wo man ihnen aus Na- tionalstolz eine Stelle eingeraͤumt, die unmittelbare Naͤhe sol- cher Malereyen haͤtten ertragen koͤnnen, welche aus eigenthuͤm- lichen und belebteren Kunstschulen, wenn auch niedriger Rich- tung, hervorgegangen. Dahingegen wird uns Alles, was in Bezug auf die Auffassung, geistreich, belebt, gefuͤhlvoll ist, in Bezug auf die Darstellung der Aufgabe, oder dem eigen- thuͤmlichen Wollen der einzelnen Kuͤnstler entspricht, stylge- maͤß, oder auch nur malerisch ist, durchhin mehr und minder werthvoll zu seyn scheinen. Wir werden demnach, bestaͤrkt durch das Beyspiel aller wirklichen, thaͤtig eingreifenden Kunst- freunde, nicht etwa ein roͤmisches Originalwerk verwerfen, weil es kein griechisches ist, noch ein Neueres, weil es eben mit antiken Werken nicht die geringste aͤußere Aehnlichkeit zeigt. Vielmehr werden wir anzunehmen gezwungen seyn: daß die sittliche Anmuth vorraphaelischer Italiener, die Treue und Ge- nuͤglichkeit gleichzeitiger Deutschen, der umfassende Sinn der Zeitgenossenschaft Raphaels , sogar die volle Empfindung, mit welcher die Hollaͤnder im siebzehnten Jahrhundert sich dem Eindruck des ihnen sinnlich Vorliegenden hingegeben, ohne einige Ausnahme fuͤr gute und loͤbliche Richtungen der allge- meinen Kunstanlage zu achten sind. Denn eben, wie sie nir- gend dem Sinn und Gefuͤhl gebildeter Kunstfreunde wider- streben, eben wie sie sogar von den Bekennern solcher Systeme, in denen sich fuͤr einzelne dieser Richtungen kein Raum vor- gefunden, nicht ohne Inconsequenz doch in der Anwendung immer gebilligt werden: eben so vereinbar sind sie saͤmmtlich mit dem allgemeinsten Seyn und Wirken der Kunst, wenn wir anders bey der Erklaͤrung, die ich oben vorangestellt, be- harren wollen. Bildende Kunst war uns dort: eine eigene und wohl die angemessenste Form der Darstellung anschaulich aufgefaßter Dinge; die geistige Thaͤtigkeit aber, aus welcher die Kunst hervorgeht, hatte ich zwar dem abstracten Denken entgegenge- setzt, doch vermieden, sie zu zergliedern. Denn auch davon abgesehen, daß ich einer solchen Untersuchung mich keineswe- ges gewachsen fuͤhle, duͤrfte das anschauliche Denken, oder die kuͤnstlerische Geistesart, dem Verstande mit seinen scharfen Be- griffeszangen, mit seinen trennenden Messern und Scheeren uͤberhaupt minder zugaͤnglich seyn. Gewiß gewaͤhrt die Sprache nicht einmal ein Wort, welches nur ihren allgemeinsten Be- griff ganz deckte. Denn Imagination, Phantasie werden meist als regellose untergeordnete Kraͤfte und Thaͤtigkeiten betrach- tet In einer edleren, unserm kuͤnstlerischen Denken verwand- teren Bedeutung steht Phantasie in den angef. Versuchen des Hrn. v. Humboldt . ; Contemplation und Beschauung haben einen einseitig ernsten Sinn und stehn uͤberall unter der Obhut und Leitung des Begriffes. Das anschauliche Denken aber, wenn diese Be- griffsverbindung mir zugestanden wird, vermag eben sowohl sich in Tiefen zu versenken, als auf der Oberflaͤche zu ver- breiten; ist eben sowohl der strengsten Folge, als eines mun- teren Ueberspringens faͤhig. Diese Geistesart ist demnach gleich- sam ein zweytes Bild, der Spiegel des gesammten Geistes- lebens; wenn nicht gar das Urspruͤngliche selbst, wie die aͤl- teste Philosophie und der Umstand anzudeuten scheint, daß alle sehr alte, oder durch den Verbrauch nicht gaͤnzlich abgeschliffene Sprachen dessen Aufdruck bewahrt haben. Doch werde ich einraͤumen muͤssen, daß diese Art, Be- ziehung, oder Thaͤtigkeit des Geistes, wie hoch wir sie stellen moͤgen, doch in der bescheidenen Mitte zweyer Extreme liegt, welche von beiden Seiten, weit uͤber sie hinausreichen. Denn dem abstracten Denken, welches durch folgerechtes Anreihen aus wesenlosen Formeln uͤberraschende Ergebnisse hervorbringt, vermag die anschauliche Auffassung, wie ich schon angedeutet habe, auf keine Weise zu folgen. Eben so wenig aber auch jenem unbestimmten Sehnen und Ahnen des Schoͤneren und Besseren Dieses auszudruͤcken ist die eigenthuͤmliche Aufgabe der hoͤ- heren Musik; s. die gehaltvolle kleine Schrift: Ueber Reinheit der Tonkunst, Heidelb. 1825, wo auf Kochers Arbeiten hingewiesen wird, welche mir nur aus muͤndlichen Andeutungen des Vf. bekannt sind. — Die verschiedenen Formen, in denen das allgemeine Gei- stesleben sich offenbart und ausdruͤckt, sind nicht der bloßen Man- nichfaltigkeit willen vorhanden; sie ergaͤnzen einander; sie unter- stuͤtzen sich gegenseitig; keine ist so durchhin die Wiederholung und Abspiegelung der anderen. , dessen im Gefuͤhle schwebende, zitternde, unge- wisse Schwingungen alle wirkliche, nicht bloß formelle Reli- gion beleben und naͤhren. Daß abstracte Begriffe, oder Ergebnisse abstracten Den- kens, durch die bekannteren Huͤlfsmittel der Allegorie und Per- sonification nur hoͤchst allgemein und wenig ausfuͤllend ange- deutet werden; daß die Verstaͤndlichkeit solcher Andeutungen unter allen Umstaͤnden eine angemessene Vorbereitung des Gei- stes durch den Begriff voraussetzt, erhellt, wie mir scheint, aus sich selbst. Weniger indeß duͤrfte es sogleich dem ersten Blicke einleuchten, daß Ahnungen eben sowohl und vielleicht noch un- gleich entschiedener außerhalb des Gebietes der kuͤnstlerischen Geistesart und außerhalb der Moͤglichkeiten kuͤnstlerischer Dar- stellung liegen. Denn Viele nehmen an, daß eben jene un- bestimmten Ahnungen, welche das Verderbliche in uns so leicht zum Hochmuth verkehrt, indem es uns veranlaßt, die Natur in Vergleichung unserer selbst, der so ganz in ihr befangenen, gering zu schaͤtzen, oder zu schmaͤhen, zu trefflichen Gestalten verkoͤrpert werden koͤnnen; was zu den vielfaͤltigen Versuchen gehoͤrt, den eben beleuchteten Idealbegriff der Manieristen zu begruͤnden. Solchem indeß muͤssen wir aus innerer Ueberzeu- gung entgegenstellen, daß nur in so weit, als es dem allge- meinen Naturgeist gelingen kann, Geist und Koͤrper innig zu vermaͤhlen und durch die Gestalt an sich selbst, oder durch ihre Bewegung, oder auch durch gegenseitige Beziehungen von Gestalten Geistiges auszudruͤcken, auch dem Kuͤnstler die Faͤ- higkeit beiwohne, Geistiges in seiner Weise aufzufassen und auszudruͤcken. Naͤhern wir uns den Heroen und Goͤttern der griechi- schen Kunst nur ohne religioͤsen, oder aͤsthetischen Aberglauben, so werden wir in ihnen gewiß nichts wahrnehmen koͤnnen, was nicht auch innerhalb des allgemeinen Naturlebens sich entfaltet haͤtte, oder noch entfalten koͤnnte. Denn Alles, was in diesen Gestaltungen der Kunst selbst angehoͤrt, ist Darstel- lung menschlich schoͤner Sitte in herrlichen organischen Bil- dungen; was aber darin uͤber die Kunst hinauszielt, besteht in willkuͤhrlicher Andeutung mystischer Begriffe Mit großem Scharfsinn entwickelt Lessing (Laokoon §. 12.), weßhalb es nicht wohl anders seyn kann. . Dahin gehoͤrt sogar die Vergroͤßerung der natuͤrlichen Ausdehnung der Gestalten, das Colossale, welches wohl als Zeichen auf den Verstand, oder sinnlich auf die Phantasie einwirken und durch diese Schauer hervorrufen mag, doch offenbar die innere Bedeutung der Formen eben so wenig veraͤndert, als deren Verkleinerung, welche ein gewisses Streben nach Niedlichkeit auf ganz verschiedenen Stufen der Kunst herbeyzufuͤhren pflegt. Eben so wenig sollten wir verkennen, daß in Werken der neueren Kunst, etwa in den beseelten Engeln und Heiligen des Fiesole und ihm verwandter Maler, jene herrlichen Zuͤge und Mienen eben nur die natuͤrlichen Typen sind fuͤr Rein- heit des Wollens, fuͤr Aufhebung des ganzen Daseyns in Freudigkeit und Liebe; das Paradieß, die Vorstellung eines uͤbernatuͤrlichen Daseyns und Geschehens, wird uns auch hier durch willkuͤhrliche Begriffszeichen, Wolken, Fluͤgel, Glorien und Aehnliches, in Erinnerung gebracht. — Schoͤn waͤre es freylich, wenn uns der Maler den Himmel selbst, der Bild- ner den wirklichen Olymp vor Augen stellte, obwohl uns dann leicht die Erde zu eng werden duͤrfte. Daß Kuͤnstler das Goͤttliche selbst nicht darstellen, daß sie sogar im gluͤcklicheren Falle nur etwa vermoͤge willkuͤhrli- cher Zeichen daran erinnern koͤnnen, scheint nicht minder durch die Andachtsbilder alter, wie neuerer Zeiten bestaͤtigt zu wer- den. Die aͤlteren hoͤlzernen Goͤtzen, deren Schauer Pausa- nias empfand, die schwarzen Madonnen, in denen vornehm- lich in barbarischen Laͤndern der Christenheit, die unmittelbare Gegenwart des Goͤttlichen geglaubt und verehrt wird, sind und waren jederzeit nichts weniger, als wirkliche und ausgebildete Kunstwerke. Dagegen scheint die antike Kunst, in eben dem Maße, als sie an Leben und Ausbildung gewonnen, im Mensch- lichen und Erreichbaren sich verbreitet, auch jene Schauer des polytheistischen Aberglaubens verscheucht zu haben, deren Ver- lust so viel politische Moralisten des Alterthumes beklagen. Und wenn diese Wahrnehmungen auf der einen Seite die Ver- muthung anregen, daß Goͤtzenthum und Polytheismus uͤberall aus willkuͤhrlichen Bildzeichen entstanden sey, deren Sinn ent- weder im Laufe der Zeit sich verloren, oder der Menge stets unverstaͤndlich geblieben; so fuͤhren sie auf der anderen zur Ueberzeugung: daß aͤchte, nach den Gesetzen und Verwandt- schaften des allgemeinen Naturlebens Sittliches und Geisti- ges versinnlichende Kunst, weder den christlichen, noch uͤberhaupt allen rein deistischen Religionsansichten jemals Gefahr brin- gen koͤnne Wie ein strenger Christ, Hr. Tholuck , in Neanders Denkwuͤrd. aus der Geschichte des Christenthumes Bd. I. 1823. S. 74. ff., vornehmlich S. 81. f. zu fuͤrchten scheint, dessen tief- begruͤndete Einwendungen gegen bildliche Darstellung menschlicher Vorstellungen vom Goͤttlichen mir uͤbrigens in obiger Betrachtung vorgeleuchtet haben. . Im Gegentheil wird die hoͤchste Ausbildung der inneren Verhaͤltnisse des sittlichen und religioͤsen Lebens, welche wenigstens der naͤhere Zweck aller Religion ist, vor- nehmlich nur das Werk der Kunst seyn koͤnnen, da diese ein- leuchtend reicher ausgeruͤstet ist, als die Sprache, wenn es gilt, Reinheit des Willens und innere Heiligung darzustellen, oder auch dessen Gegensatz, das entschieden Boͤse, oder die Kaͤmpfe und Uebergaͤnge, durch welche Boͤses oder Gutes im menschlichen Daseyn Macht gewinnt. Und hierin eben den hoͤchsten Zweck der Kunst zu setzen, streitet sicher eben so we- nig gegen die allgemeinen Ansichten der besten Alten, als, wie ich schon angedeutet habe, gegen die Erfahrungen der alten, wie der neueren Kunstgeschichte. Wie Vieles indeß sich die- sem hoͤchsten Kunstzwecke an- und unterordnen lasse, ergiebt sich auf den ersten Blick. Das rein sinnliche Ergoͤtzen am Schauen, der mittelbar sinnliche Reiz durch Sichtbares ange- regter Vorstellungen, die Laune und Phantasie, das Gefuͤhl und der Verstand, haben saͤmmtlich Anspruͤche auf Befriedi- gung; und wer haͤtte nicht laͤngst empfunden, daß die Gestalt und das Sichtbare uͤberhaupt bald auf diese, bald auf jene Seite der allgemeinen Empfaͤnglichkeit einwirkt, und waͤhrend es die eine minder befriedigt, die andere erfreut und hinreißt. Also wird es bey so mannichfacher Beziehung der Gestalt un- moͤglich seyn, genau im Voraus zu bestimmen, was Alles faͤ- hig sey, durch seine Gestalt, oder durch Umstaͤnde seiner Er- scheinung den Sinn befriedigend anzuregen. Indeß pflegen moderne Kunstgelehrte, von der Lebhaftig- keit ihres Antheils hingerissen, oftmals, wie unbewußt, den Standpunkt zu verwechseln und, ohne selbst zum Malen und Bilden berufen und vorbereitet zu seyn, doch dem Genius vor- greifen, fuͤhlen, sehen, ihm vorzeichnen zu wollen, was ihn durchaus begeistern muͤsse, was er einzig darzustellen habe. Freilich duͤrfte in dem Feuer, mit welchem sie ihre Wuͤnsche geltend machen, hie und da ein aͤchtes, nur zufaͤllig nicht nach Außen entwickeltes Kunsttalent sich hervordraͤngen wollen; wuͤrde aber das aͤchte Kunsttalent nicht irgendwo durch ein eigenthuͤmliches Wollen sich ankuͤndigen? Wuͤrde es, gleich unseren vorzeichnenden Kunstweisen, immer nur irgend ein schon Geleistetes bald der antiken, bald der modernen Kunst vor Augen haben? Und gewiß duͤrfte es unter allen Umstaͤn- den den inneren Forderungen der Theorie ungleich angemesse- ner seyn, wenn man minder zerstreut durch das fruchtlose Ge- schaͤft der Auswahl und Werthbestimmung moͤglicher Gegen- staͤnde der Kunst, den allgemeinen Begriff des Gegenstandes, und dessen Verhaͤltniß zur Kunst und zum Kuͤnstler fester zu stellen versuchte, als, so weit meine Kunde reicht, in moder- nen Kunstlehren geschehen ist. Auffassung und Gegenstand (Subjectives und Objecti- ves) bezeichnet an sich selbst ein bloßes Verhaͤltniß von Din- gen, welche, wie es am Tage liegt, ihre gegenseitige Stellung ins Unendliche veraͤndern. Demnach kann in der Kunst auch die darstellende Form, voruͤbergehend sogar der grobe Stoff, aus welchem diese Form gestaltet wird, Gegenstand der Auf- merksamkeit und des Nachdenkens seyn, mithin, wenn wir nur nicht versaͤumen, das Voruͤbergehende dieses Verhaͤltnisses be- merklich zu machen, auch Gegenstand heißen. Doch, eben wie in den Werken der Redekuͤnste nicht die einzelnen Worte und Perioden, nicht die einzelnen das Ganze herbeifuͤhrenden Ein- leitungen und Ausfuͤhrungen, Beyspiele und Einschaltungen, sondern eben nur das Gesammtergebniß, der Hauptzweck jeder Schrift, ihr Gegenstand genannt wird; so werden wir auch an Kunstwerken, weder die einzelnen Gestalten, noch ihre Theile den Gegenstand nennen duͤrfen, ohne uns selbst zu verwirren, und Anderen unverstaͤndlich zu werden. In diesem Sinne wuͤrde im Bildniß nur der Gesammtzweck, das eigenthuͤmliche Seyn eines bestimmten Menschen zu schildern, in Darstellun- gen geistiger Vorstellungen eben nur diese Vorstellungen selbst der eigentliche Gegenstand des Kunstwerks seyn. Denn wer im Bildniß schon die einzelnen, ihm sinnlich vorliegenden For- men, nicht das Ganze, so in jenen erscheint, fuͤr seinen eigent- lichen Gegenstand haͤlt, wird gemeinen und fachmaͤßigen Bild- nißmalern gleich stehn, welche das Einzelne bloß sinnlich er- fassen und mechanisch aufreihen; mit welchem Erfolg, erweist sich aus ihren zahllosen Sudeleyen, welche Lessing und an- dere Moderne verleitet haben werden, das Bildniß an sich selbst, theils herab zu setzen, theils zu schmaͤhen, was ihnen die Kunst verzeihen moͤge. Wer aber, eben wie es unsere Ge- genstandstheoretiker begehren, in der Darstellung geistiger Vor- stellungen, nicht diese selbst, sondern die Formen, in denen sie etwa darzustellen, fuͤr den eigentlichen Gegenstand nimmt, der wuͤrde, da diese sich erst aus jenen hervorbilden sollen — uͤber die Art und Weise haben wir uns schon verstanden — sogar den bloßen Formenreiz verfehlen, wenn er jemals die fragliche Verknuͤpfung einzelner Formen ganz neu hervorbringen sollte. Wo es schon wahre Kunstwerke giebt, durch deren mechanische Nachbildung jener leere Anschein des Wesens hervorzubringen ist, welcher dem oberflaͤchlichsten Blicke zu genuͤgen pflegt Vielen Kunstfreunden, besonders aber den Kunsthaͤndlern, wird es erinnerlich seyn, wie, waͤhrend aͤsthetische Gemeinplaͤtze und pedantische Geschmackslehren den wirklichen Geschmack meister- ten und unterdruͤckten, nichts bessere Handelswaare gewesen, als Copien beliebter Kunstwerke. Oberflaͤchliche Anregung gefaͤlliger , da da mag man allerdings uͤber die gaͤnzliche Erfolglosigkeit einer solchen Umkehrung aller Verhaͤltnisse voruͤbergehend sich taͤu- schen koͤnnen. In jener Kunstlehre aber, welche, von Lessing ausge- hend, eben durch ihre einseitige Richtung auf Untersuchung des Gegenstandes besonders veranlaßt waͤre, dessen Begriff recht scharf und deutlich aufzufassen, verschwimmt der Gegen- stand, in dem Sinne, den ich erklaͤrt, uͤberall mit ihn dar- stellenden Formen, sogar mit jenen aͤusserlichsten Bedingungen der Darstellung, welche den bildenden Kuͤnsten durch ihren Stoff aufgelegt werden. Wir werden indeß alles Umbestimmte und Irrige, so hieraus entstanden, in seiner Wurzel abschnei- den, wenn es uns anders gelingt, eine Schwaͤche der Darle- gung aufzudecken, welche die wichtigste Kunstschrift Lessings , Laokoon , bey hoͤchstem Werthe ihrer abgerissenen Andeutun- gen, doch in Bezug auf die Kunstlehre eines allgemeinen Re- sultates entbehren laͤßt. Gewiß konnte ein Geist, dessen Verstandesschaͤrfe bis da- hin kaum uͤbertroffen worden, auch uͤber die Kunst nichts ganz Gemeines denken, noch von ihr ein durchaus Verwerfliches Vorstellungen genuͤgte denen, welche bey Ausspruͤchen sich befriedig- ten, gleich jenem ( Eberhard , Handbuch der Aesthet. etc. Halle 1803.): die schoͤnen Kuͤnste vergnuͤgen; Darstellung der Schoͤnheit ist ihr Geschaͤft und ihr Interesse nichts , als das Vergnuͤgen ih- res Genusses u. s. w. — Als wenn Solches allein die bildenden Kuͤnste schon hinreichend bezeichnete, sie von anderen Bestrebungen genuͤgend unterschiede; als wenn es, den Boͤsen und seine Helfer ausgenommen, irgend ein menschliches Streben gaͤbe, welches gra- dehin verletzen und quaͤlen, nicht lieber vergnuͤgen wollte! Oder soll es heissen, die schoͤnen Kuͤnste vergnuͤgen, ohne einen dauern- den Eindruck zu hinterlassen, ohne in das gesammte n Leben wirksam einzugreifen, ohne, im besten und edelsten Sinne, auch zu nuͤtzen? I. 9 begehren. Allein da die Entfaltung bestimmter Geistesanlagen, da die Wahrheit selbst doch immer mehr und wichtiger ist, als fromme Verehrung einer großen Persoͤnlichkeit; so duͤrfen wir uns auch nicht verlaͤugnen, daß Lessing im Kunstfache aller Sachkenntniß entbehrte. Wenn es daher schon voraus- zusetzen ist, und kaum der Anmahnung bedarf, daß er, wie Jeder, welcher einer bestimmten Sache unkundig, doch in ihr Einzelnes eingehen will, unumgaͤnglich in der Anwendung zahllose Mißgriffe Was ihm seinerzeit mancherley mehr und minder begruͤn- dete Ruͤgen zugezogen; s. Heinze (Deutsches Museum 1785. Bd. II. S. 211.) uͤber Raphaels Heliodor. begangen; so bringe ich Solches nur deßhalb in Erinnerung, weil eben jene Unkunde, jene Befrem- dung des Neulings bey jeglicher, nicht immer wichtigen Er- scheinung des Kunstlebens, ihn offenbar zerstreut und von Sol- chem abgelenkt hat, was ihm in Bezug auf die Kunst einzig zu leisten gegeben war. Auch legte er selbst auf seine Kunst- schriften lange nicht das Gewicht S. Laokoon , Vorrede und den Anhang zu den spaͤte- ren Ausg. , als spaͤtere Bewunde- rer; denn es war ihm wohl bewußt, daß sie uͤberall nur aus Aufwallungen der Mißbilligung, oder des Widerwillens gegen bestimmte Einseitigkeiten, oder Verkehrtheiten seiner Zeitgenos- sen, durchaus nicht aus einem positiven Beruf zur Kunst ent- standen waren Gegen Wink . Versuch uͤber die Allegorie, wie wir nunmehr wissen, eine bloße Habilitationsschrift; gegen die Haͤß- lichkeit, welche sich im achtzehnten Jahrh. der Kunst, wie der Le- benssitte, bemaͤchtigt hatte; auf der anderen Seite nicht ohne den Vorgang der Italiener, welche auch in den schlimmsten Zeiten dem Grundsatz nach auf Schoͤnheit bestanden, und in der Consequenz . Nach Lessings Stellung zur Kunst kommt es demnach durchaus nicht in Frage, ob er selbst seinen Sinn fuͤr Schoͤ- nes sehr gluͤcklich ausgebildet hatte, was nach seinen histori- schen Beziehungen und technischen Vorschlaͤgen sich allerdings bezweifeln laͤßt. Alles, was ihm in Bezug auf die Kunst zu leisten moͤglich war, mußte aus einer strengen Gedankenfolge hervorgehen. Doch eben hierin entspricht Laokoon bei wei- tem nicht der gewohnten Schaͤrfe des Geistes, der ihn her- vorgebracht. Denn schon in der ersten Anlage verschmilzt ihm der Begriff des Gegenstandes, welcher, wie wir gesehen, im allgemeinsten Sinne, und haͤufig Lessing selbst, der Kunst- aufgabe, oder dem Hauptzwecke der einzelnen Kunstwerke gleich steht, theils mit den aͤusserlichsten, durch den rohen Stoff herbeygefuͤhrten Bedingungen der Darstellung, theils mit den einzelnen zur Darstellung erforderlichen, oder mitwirkenden Formen. Mit den aͤusserlichsten Bedingungen der Darstellung vermischt er den Gegenstand schon da, wo er den ersten An- lauf nimmt, seine Ansicht etwas methodischer zu entwickeln Laokoon §. XVI. . Dort nemlich nennt er Fortschritt und Weilen (Koͤrper und Handlung) eigentlich Gegenstaͤnde der einen und der anderen Kunst; obwohl es offenbar ist, daß Fortschritt in den bildenden Kuͤnsten, zwar nicht die Form, doch allerdings der Gegenstand ihrer Darstellung seyn kann, so wie auf der an- deren Seite in der Poesie das Weilen sehr wohl der Gegen- stand, nur nicht die Form ihrer Darstellung; so daß wir nicht anstehen koͤnnen, Bewegung und Ruhe, in der Beziehung der damals schon auf die Kunst angewendeten Gefuͤhlslehre, suchte Lessing , wie ich hier in Erinnerung bringe, hindurchzufuͤhren: daß die bildenden Kuͤnste nur Schoͤnes darstellen sollen. 9 * jener Stelle, nicht, wie Lessing , fuͤr Gegenstaͤnde zu neh- men, sondern einzig fuͤr gewisse Bedingungen und Beschraͤnkt- heiten der Darstellungsweise, der einen und der anderen Kunst- art. Noch gefaͤhrlicher indeß ist die schon beruͤhrte Vermi- schung des Gegenstandes mit den Formen, die ihn etwa be- zeichnen und kuͤnstlerisch darstellen koͤnnen. Denn eben diese Verwechselung, welche aus dem Laokoon auf den groͤßten Theil der aͤsthetischen Literatur der nachfolgenden Zeiten uͤber- gegangen, erzeugte jenes Streben von außen nach ein- waͤrts Schelling a. a. O. , welches, da man unvermeidlich bey der Aussen- seite stehen blieb, den modernen Kunstbestrebungen so nachthei- lig geworden. Wo Lessing aber den Gegenstand in einiger Annaͤherung an denjenigen Sinn genommen, den ich oben erklaͤrt, versteht er ihn doch nur als eine entfernte Anregung des Geistes, als Motiv , da er dem Kuͤnstler große Frey- heit einraͤumt, nach den Foderungen eines vermeintlichen Ge- schmackes damit zu schalten. Hierin folgt er indeß einem ver- breiteten Irrthum, aus welchem in der modernen Kunstuͤbung eine gewisse Untreue und Schlaffheit der Auffassung entstan- den ist, welche diese nicht eben vortheilhaft von antiker Strenge unterscheidet. Moͤgen wir indeß den Gegenstand von den Formen der Darstellung absondern, oder, wie die Schoͤnheitslehrer, ihn mit derselben vermengen, so ist er doch, wie weit oder eng wir ihn nehmen wollen, fuͤr Lessings Zweck, die Hervor- bringung des Schoͤnen, nimmer von der Bedeutung und Wich- tigkeit, welche ihm noch immer von Vielen beygelegt wird. Zerlegen wir nun ein beliebiges Kunstwerk in Auffassung, Darstellung und Gegenstand, saͤmmtlich Begriffe, uͤber welche wir uns bereits verstanden haben; und vergleichen wir diese drey unerlaͤßlichen Elemente jeglichen Erzeugnisses der Kunst das eine mit dem andern: so werden wir sehen, daß die er- sten, die Auffassung und Darstellung, Thaͤtigkeiten sind; das dritte aber, der Gegenstand, in seinem Verhaͤltniß zum Kuͤnst- ler ein durchaus Leidendes. Hieraus folgt, daß der Gegen- stand unfaͤhig sey, sich in Kunstwerken ohne die Huͤlfe der Auffassung und Darstellung geltend zu machen. Jede Kunst- lehre demnach, welche, weder von der Begeisterung des Kuͤnst- lers, noch von seiner Faͤhigkeit darzustellen, vielmehr nur von der Wahl des Gegenstandes ausgeht, oder gar damit sich be- gnuͤgt, den Werth, oder Unwerth der Kunstgegenstaͤnde ermit- teln zu wollen, ergreift sichtlich die Sache bey ihrem Ende und bleibt daher unumgaͤnglich seicht, unerschoͤpfend und, in so fern sie alle Theile der Kunst in ein falsches Verhaͤltniß versetzt, auch durchhin schief und verkehrt. Ist nun der Gegenstand unter den Elementen der kuͤnst- lerischen Hervorbringung des Schoͤnen bey weitem das Unwich- tigste, ist es vielmehr nur die Auffassung und Darstellung, welche in der Kunst unter allen Umstaͤnden die Hervorbrin- gung des Schoͤnen bedingt; so wird auch der Grund wegfallen, welcher die sogenannte Schoͤnheitstheorie bestimmt, die Wahl des Gegenstandes mit so großer Aengstlichkeit zu bewachen. Versuchen wir zu ermitteln, auf welche Weise jenes an sich selbst so menschliche und billige Verlangen nach Schoͤnem auch bey weitester Ausdehnung des Gebietes kuͤnstlerischer Beziehun- gen noch immer befriedigt werden koͤnne. II. Verhaͤltniß der Kunst zur Schoͤnheit. Die Griechen ihrer besten und gluͤcklichsten Zeit, oder die Italiener des sechzehnten Jahrhunderts (also eben solche Voͤl- ker und Zeitgenossen, deren Geisteswerke bekanntlich den fein- sten und sichersten Schoͤnheitssinn darlegen), begnuͤgten sich mit dem allgemeinsten Schoͤnheitsbegriffe und zeigten wenig Verlangen, ihre Vorstellungen vom Schoͤnen bis in das Ein- zelne zu bestimmen und auszubilden. In entgegengesetztem Verhaͤltniß scheint das moderne Bestreben, bald den Begriff der Schoͤnheit moͤglichst scharf im Verstande auszubilden, bald wiederum die sinnlichen Merkmale des Schoͤnen recht genau zu bestimmen, aus einer unbefriedigten Sehnsucht nach Schoͤ- nem entstanden zu seyn; wenigstens zeigte es sich zu keiner Zeit so unverdrossen, als eben waͤhrend des entschiedensten Einflusses der europaͤischen Chinesen, der Pariser, welche, wie bekannt, den Reifrock, die Frisur und, was schlimmer ist, verzerrte und gezierte Gebaͤrden erfunden und uͤber die moderne Welt verbreitet haben. Allerdings duͤrfen wir befuͤrchten, daß die Vorstellungen vom Schoͤnen, von welchen die Schoͤnheitslehrer so ungluͤckli- cher Zeiten ausgegangen, ungeachtet des Bemuͤhens, an Kunst- werke des schoͤnsten und besten Alterthumes sich anzulehnen, sich dennoch nicht so ganz rein erhalten konnten, weil sie den Einwirkungen eines falschen Zeitgeschmackes nun einmal bloß gestellt waren. Ward doch sogar Mengs , der auf die besten Theoretiker seiner Zeit stark eingewirkt, eben wie spaͤterhin Canova , bey unlaͤugbarem Streben nach aͤchter Schoͤnheit, doch von dem Eindruck gezierter Sitten, frisirter Haare und anderer Wunderlichkeiten dieser Art ganz offenbar bemeistert. An dieser Stelle jedoch fragt es sich nicht sowohl, ob Les- sing , oder Winckelmann , oder noch neuere Goͤnner des sogenannten Schoͤnheitsprincip vom Schoͤnen richtige, oder un- richtige Vorstellungen erlangt, als vielmehr, ob sie den Be- griff der Schoͤnheit in gehoͤriger Allgemeinheit aufgefaßt und von solchen Vorstellungen frey erhalten haben, die nicht die allgemeine Eigenschaft, welche wir Schoͤnheit nennen, sondern nur irgend ein besonderes Schoͤne betreffen. Ich glaube wahr- zunehmen, daß die neueren Theorien, wenigstens alle solche, welche die Kunst naͤher ins Auge fassen, eben weil sie ihren Schoͤnheitsbegriff aus Merkmalen des einzelnen Schoͤnen zu- sammensetzen, denselben nothwendig nicht so rein und scharf auffassen, daß man sagen koͤnnte, jegliches Schoͤne sey darein begriffen und jegliches Unschoͤne davon ausgeschlossen. Viel- leicht wird das Ergebniß ein anderes seyn, wenn wir bey Auffassung des Schoͤnheitsbegriffes nicht, wie so viele unserer Vorgaͤnger, von der Beobachtung des einzelnen Schoͤnen aus- gehen, vielmehr von der Empfindung selbst, welche uns be- stimmt, sichtbare Dinge schoͤn zu nennen. Gewiß stritte es wider den gemeinen Gebrauch der deut- schen wie jeder anderen Sprache, wollte man solche Dinge schoͤn nennen, welche unerfreulich zu schauen sind. Denn schoͤn und, was in anderen Sprachen dasselbe bedeutet, heißt, ehe denkende Koͤpfe den Begriff feiner ausspalten, eben nur Sol- ches, was den Blick an sich selbst, oder durch ihn die Seele vergnuͤgt. Allein zur Verwirrung Aller, welche jemals die Schoͤnheit zu beleuchten versucht, ist die Erregbarkeit und Em- pfaͤnglichkeit der Menschen so verschieden, daß ein unbegrenz- bares Mancherley von Dingen dem gemeinen Sprachgebrauche schoͤn heißt. Demnach duͤrfte es uns zur naͤheren Begrenzung unseres Schoͤnheitsbegriffes behuͤlflich seyn, wenn wir uns vorher uͤber die Menschengattung vereinbarten, deren Schoͤnheitssinn, oder Schoͤnheitsurtheil bey unserer Untersuchung einzig in Frage kommen soll. Dem Griechen freylich wuͤrde es seltsam genug scheinen, wenn Jemand uͤber Solches, was ihm schoͤn hieß, das Urtheil von Barbaren haͤtte einholen wollen; in den neue- ren, weltbuͤrgerlichen Zeiten nahm indeß sogar ein Winckel- mann Kunstgeschichte Buch IV. auf die Empfindungen von Menschen Bedacht, welche in dieser Beziehung nicht bloß persoͤnlich, vielmehr auch der Gattung nach, und wahrscheinlich unheilbar roh sind. Um nun nicht sogleich und von vorn herein durch eine aͤhnliche Betrachtung abgelenkt zu werden, wollen wir lieber den Alten folgen und uns dahin entscheiden, daß nur die Empfindungen eines gesunden Gesichtes, nur die Gefuͤhle und Urtheile von sittlich edlen und geistig faͤhigen Menschen bey Untersuchung der Schoͤnheit uns zur Richtschnur dienen koͤnnen. Doch selbst innerhalb dieser engeren Grenze wuͤrden wir schwerlich der Zersplitterung entgehen, wenn wir eben nur an vereinzelten schoͤnen Dingen erproben wollten, welchen Ein- druck sie voraussetzlich auf empfaͤngliche und begabte Menschen bewirken. Vom Eindruck des einzelnen Schoͤnen werden wir demnach absehen muͤssen, um allgemeinere, durchwaltende Ur- sachen, Veranlassungen, oder Beweggruͤnde des Wohlgefallens am Schauen aufzusuchen, welche, da dieses Wohlgefallen of- fenbar, theils ein rein sinnliches, theils ein gemischtes und mehrdeutiges, theils wiederum ein rein sittlich-geistiges ist, nothwendig sowohl verschiedene, als auch verschiedenartige sind. Wir beduͤrfen demnach, wie es vortrefflichen Geistern laͤngst eingeleuchtet, einer Abtheilung nicht innerhalb des Schoͤnen, dem wir nun einmal seine unuͤbersehliche Mannig- faltigkeit einraͤumen muͤssen, vielmehr innerhalb der allgemei- nen Eigenschaft, welche wir Schoͤnheit nennen. Dreyfach theilte schon Baco Francis Bacon , Works etc. Lond. 1753. fo. Vol. III. Ser- mones findeles XLI. de Pulchritudine. „In pulchritudine praefertur venustas colori; et decorus ac gratiosus oris et corporis motus ipsi venustati.“ Bey diesem, gleich anderen derselben Aphorismen, wie im ersten Aufsteigen hingeworfenen Gedenken laͤßt die Unbestimmt- heit des Ausdrucks manchem Zweifel Raum. Der englische Ueber- setzer uͤbertraͤgt, venustas, in favour, Reiz, und haͤlt sich dabey mehr an das Etymon des lateinischen Wortes, als an den muth- maßlichen Sinn seines Originales. Denn es ist nicht denkbar, daß Baco hier, den Reiz, der Farbe und der Anmuth entgegengesetzt habe, welche mit jenem eng verschwistert sind; ich glaube daher, daß er damit eben solches bezeichnen wollen, was durch formositas unuͤbertrefflich, gewiß in keiner Sprache gleichdeutend ausgedruͤckt wird. Nach seiner ganzen Denkart verstand er aber Anmuth der Bewegung sicherlich nicht einzig vom Liebreiz, oder vom bloß sinn- lich Gefaͤlligen, vielmehr vom Ethischen uͤberhaupt. Farbe aber duͤrfte an dieser Stelle die Veranlassungen eines rein sinnlichen Wohlgefallens am Schauen vertreten, mithin duͤrften darin alle Elemente der nachfolgenden Darlegung enthalten seyn. die Schoͤnheit ein, obwohl er, da sein Antheil an Dingen der Kunst zu allgemein war, uns die Be- gruͤndung und naͤhere Entwickelung schuldig geblieben. Auch Schiller Fr. v. Schiller , uͤber Anmuth und Wuͤrde, Horen, 1793. Stuͤck II. und Werke 1820. 12. Bd. XVII. S. 165. , welcher den dritten, ganz ethischen Theil der Schoͤnheit hoͤchst meisterlich durchdacht, unterscheidet denselben mit großer Schaͤrfe, wenigstens von dem zweyten, den er den architectonischen nennt. Nach solchen Vorgaͤngern wage ich, die Anregungen des Schoͤnheitsgefuͤhles, nach jedesmaliger Beschaffenheit des letzteren, in drey durchaus verschiedene Gat- tungen zu zerlegen und in Bezug auf deren Art, Beschaffen- heit und Verhaͤltniß zur Kunst eine jede fuͤr sich allein zu betrachten. Die erste und einleuchtend die niedrigste umfaßt die Veranlassungen eines bloß sinnlichen Wohlgefallens am Schauen Goͤthe , uͤber Kunst u. Alt. 5. Bdes 1. Heft. S. 121. — „Das nothwendige Vorwalten der Sinneswerkzeuge.“ — . Diese Art der Schoͤnheit, welche sowohl die Farbe, als das Helldunkel in sich einschließt, koͤnnen wir nicht bloß im Geiste absondern, vielmehr auch nicht selten an be- stimmten Dingen fuͤr sich allein wahrnehmen und beobachten, da es sich haͤufig ergiebt, daß Dinge, welche das sinnliche Auge befriedigen, doch weder den Geist beschaͤftigen, noch das Gemuͤth erfreuen; oder daß Dinge, welche letztere Faͤhigkeiten auf das Hoͤchste in Anspruch nehmen, den aͤusseren Sinn mehr und minder verletzen. Auch in der Kunst erscheint das sinnlich Gefaͤllige nicht selten fuͤr sich allein; woher zu erklaͤ- ren, daß Neulinge im Kunstfache, welche meist das sinnlich Angenehme, dem Geistigen und Gemuthenden vorziehen, ganz andere Kunstwerke zu lieben und zu schaͤtzen pflegen, als durchgebildete Kenner, die allenfalls uͤber den sinnlichen Ein- druck hinwgesehen, und dagegen manchem schmucken und sinnlich angenehmen Dinge der inneren Schaalheit wegen ab- geneigt sind. Uebrigens ist nicht mit Sicherheit anzugeben, worauf denn eigentlich die sinnliche Annehmlichkeit sichtbarer Dinge beruhe, da jegliches Auge nach Maaßgabe seiner Gesundheit und Scharfsicht verschieden empfindet, woher der richtige, ob- wohl einzig auf diese niedrigste Stufe der Schoͤnheit anwendbare Gemeinspruch entstanden: daß uͤber den Geschmack nichts ent- schieden werden koͤnne. In Bezug auf diese rein siunliche An- nehmlichkeit, welche wir voraussetzlich von dem sinnlichen Reize anschaulich angeregter Vorstellungen des Geistes (z. B. vom Ueppigen und Wohlluͤstigen) zu unterscheiden wissen, muͤssen wir uns allerdings damit begnuͤgen, daß es, wie einen mittleren Zustand des Auges, so auch eine mittlere Beschaf- fenheit des Anschaulichen geben muß, welche gleichweit von buttriger Weiche und schneidender Haͤrte entfernt, wenigstens die Mehrzahl gesunder Gesichtssinnen befriedigen wird. Diese Art der Schoͤnheit nimmt in den ansichtlichen Dingen etwa dieselbe Stelle ein, als in der Musik der einzelne Ton, dessen verhaͤltnißmaͤßige Reinheit, wie sehr sie immer den Gesammt- eindruck befoͤrdern mag, doch an und fuͤr sich unbezweifelt ein rein sinnliches Wohlgefallen hervorbringt. Auch an den Pflan- zenformen kann sie beobachtet werden, deren Eindruck noth- wendig frey ist von sittlichen Nebenvorstellungen, welche in den animalischen Formen den reinsinnlichen Eindruck durch- kreuzen. Der Feldkuͤmmel Chaerophyllum silvestre. z. B., dessen schoͤne Bluͤthen- formen, dessen zierlich ausgeschaͤrfte Blaͤtter in der Naͤhe be- trachtet Bewunderung erregen, ist mir in meinen laͤndlichen Lustwegen und Anlagen stets ein eben so unwillkommener Gast, als die ungleich gestaltlosere Nessel. Dagegen erfreut mich der Farren, ja selbst, wenn nicht im Uebermaaß, die saftige Klette. Ich erklaͤre mir diese Wirkung aus der groͤßeren Deutlichkeit und Schaͤrfe der Gesammterscheinung der letzten, der bleichen Farbe, der duͤnnen, unwesenhaften, schlaffen Er- scheinung der ersten. Denn es ist mir deutlich bewußt, daß hier keine geheime Wahlverwandtschaft, kein Vorurtheil, son- dern der bloße Sinneseindruck mich veranlaßt, die eine Pflanze mit Lust, die andere mit Widerwillen wahrzunehmen. Dahin gehoͤrt nicht minder der unwiderstehliche Reiz, den edle Ge- steine auch fuͤr Solche haben, welche sicher nicht durch den Wunsch sie zu besitzen, also auch nicht durch den Begriff ih- res relativen Werthes bestimmt werden, sie zu bewundern. Es ist, wie ein unvergleichlicher Beobachter andeutet Goͤthe , Wahlverwandtsch. Thl. I. S. 109. (Ausg. 1809.) — „wenn der Smaragd durch seine herrliche Farbe dem Gesichte wohlthut.“ — , die Tiefe und Reinheit der Farbe, die Hoͤhe des Glanzes, welche im Edelsteine den Gesichtssinn erfuͤllt und durchwaͤrmt und den rein sinnlichen Schoͤnheitseindruck zu einer ungewoͤhnlichen Hoͤhe steigert. Die zweyte Art der Schoͤnheit beruhet auf bestimmten Verhaͤltnissen und Fuͤgungen von Formen und Linien, welche auf eine unerklaͤrte und dunkle Weise, doch der Wirkung nach ganz sicher und ausgemacht, nicht etwa bloß das Gesicht an- genehm anregen, vielmehr die gesammte Lebensthaͤtigkeit er- greifen und die Seele nothwendig in die gluͤcklichste Stim- mung versetzen. Diese Art der Schoͤnheit scheint, gleich der musikalischen Harmonie, in der allgemeinen Weltordnung ihr Gegenbild zu haben; doch wird es unmoͤglich seyn, das Gesetz, nach welchem sie entstehet und wirkt, jemals etwa eben so deutlich zu erkennen und darzulegen, als laͤngst schon das Ver- haͤltniß und die Folge der Toͤne erkannt und bestimmt worden ist. Denn Toͤne sind bey weitem geeigneter, abgesondert auf- gefaßt und betrachtet zu werden, als Formen und Linien, weßhalb wir es dahin gestellt seyn lassen, ob die grade, oder die gebogene Linie, die gewoͤlbte, oder die kantige Form die schoͤnere sey; was Manche beschaͤftigt hat, obwohl nach der Analogie der Musik anzunehmen ist, daß keine Linie, oder Form an sich selbst, vielmehr nur in bestimmten Verbindun- gen, Reihen und Verhaͤltnissen jene gleichsam musikalische Leibnitii ep. (ed. Kortholt. Vol. 1. p. 241.) — „Musica est exercitium arithmeticae occultum nescientis se numerare animi.“ Schoͤnheit hervorbringt. Da es nun vornehmlich in der Baukunst am Tage liegt, daß bestimmte raͤumliche Verhaͤltnisse schon an und fuͤr sich uͤber die Seele eine unwiderstehliche Gewalt ausuͤben, so nannte Schiller diese Schoͤnheit die architectonische; wie wir denn auch im gemeinen Leben die Verhaͤltnisse des menschlichen, oder anderer belebter Koͤrper, mit demselben Gleichniß den Bau zu nennen pflegen. Doch scheint mir dieses Bild, weil es von einem Kuͤnstlichen und Abgeleiteten entlehnt ist, nur wenig geeignet, eine urspruͤngliche Schoͤnheit zu bezeichnen; und ungleich schoͤner gewiß erklaͤrten sich viele Alten in um- gekehrter Richtung die Verhaͤltnisse der Baukunst eben aus den Verhaͤltnissen natuͤrlicher und belebter Koͤrper. Denn auch bey Menschen, wie es dem natursinnigen Griechen so deutlich war, kann uns das bloße Ebenmaaß ihrer Zuͤge gleichsam bezaubern, so daß wir durch dieses oft uͤber ihren sittlichen Unwerth verblendet werden, und dagegen bey auffallendem Mißverhaͤltniß der Theile eines Gesichtes mit einiger Muͤhe uns in solche Zuͤge desselben hineindenken, in denen eine edle Seele, oder ein thaͤtiger Geist sich ausdruͤckt. Die Benennung, Schoͤnheit des Maßes, welche ich vorschlage, duͤrfte daher freyer von Nebenbeziehungen und weit umfassender seyn, als jene andere. Diese zweyte Schoͤnheit Bey Ausbildung ihrer philosophischen Begriffe fand die la- teinische Sprache in dem allgemeinen Vorbilde roͤmischer Gesittung, der griechischen Nation, die Kunst und den Kunstsinn schon voͤllig durchgebildet vor. Daher, denke ich, die gluͤckliche Ableitung und daraus hervorgehende Schaͤrfe der Begriffe, formosus, formositas, welche obige Entwickelung merklich unterstuͤtzen. , wie es scheint, die eigent- liche Schoͤnheit der Griechen Sie wuͤnschten sie mit sittlichem Werthe verbunden zu sehen, also war ihnen Schoͤnheit an sich selbst etwas Anderes, als der Ausdruck, oder als der Charakter sittlicher Guͤte. — Auch die Behauptung: daß dem Barbaren dasselbe schoͤn seyn muͤsse, was dem Griechen schoͤn war ( Winckelmann K. G. Bch. 4. K. 2.), deutet auf die Schoͤnheit des Ebenmaßes hin. Denn der bloß sinn- liche Eindruck des Formenspieles, der Abwechslungen des Lichtes und Dunkels, den die Griechen ebenfalls von der eigentlichen Schoͤnheit unterschieden ( Winckelm . das. §. 19.), konnte schon unter den Griechen selbst nicht ganz derselbe, mußte gewiß bey den Barbaren ein ganz verschiedener seyn. Die Auffassung der sittlichen Bedeutung der Formen setzt aber sittliche Bildung voraus, welche eben ein griechischer Denker nicht so durchhin dem Barbaren duͤrfte beygemessen haben. Nehmen wir aber diese beiden Schoͤnheiten zu- ruͤck, so bleibt nur die Schoͤnheit des Maßes uͤbrig, welche, nach neueren Beobachtungen, allerdings selbst auf den rohesten Barbaren einzuwirken scheint (S. v. Spix und v. Martius Reise in Bra- silien . 1. Thl. Muͤnchen . 1823. 4. S. 259. und C. Ritter , Erdkunde, , ist uͤbrigens nicht mehr, wie jenes bloß sinnlich Wohlgefaͤllige, nach Maaßgabe der Em- pfaͤnglichkeit der Einzelnen, bald diese, bald jene, sondern stets und unwandelbar dieselbe. Allerdings giebt es Menschen, welche diese Schoͤnheit nicht empfinden, entweder weil ihr Sinn fuͤr solche noch schlummert, oder weil Vorbegriffe und Verstandesgrillen ihn verschließen. Doch wird die Gleichguͤl- tigkeit der ersten erweckt und angeregt, das Vorurtheil, oder die falsche Gewoͤhnung der anderen besiegt werden koͤnnen, eben weil diese Schoͤnheit nach allgemeinen Naturgesetzen wirkt, gegen welche die Einzelnen wohl aus Laune, oder Stumpfsinn sich eine Weile verschliessen moͤgen, deren Herrschaft indeß sie auf die Laͤnge nothgedrungen werden anerkennen muͤssen Heydenreich (aesth. Woͤrterbuch etc. Bd. 4. S. 74.) un- terscheidet ein allgemeines Ideal schoͤner Form, was der Mensch a priori besitze, von Idealen fuͤr bestimmte Gattungen von Gegen- staͤnden (von den, in der vorangehenden Untersuchung, angefuͤhr- ten Verkoͤrperungen abstracter Begriffe.) Dieser allgemeine Ideal- begriff ist in Bezug auf die besondere Schoͤnheit des Maßes und der Verhaͤltnisse einzuraͤumen; insofern nemlich Ideal an dieser Stelle nicht sowohl ein vollendetes, deutliches, ausgerundetes Ur- bild, als vielmehr eine urspruͤngliche Empfaͤnglichkeit, einen ein- geborenen Sinn bedeuten sollte; was allerdings in Frage steht. . Bewirkte doch die lebendige Beredsamkeit Winckelmanns zweite Aufl. Thl. 1. S. 267.). Dagegen fand Burckhardt ( Tra- vels in Nubia p. 264) bey einem schoͤn gebildeten Stamme von zweifelhafter Abkunft Widerwillen gegen die Weissen; die Farbe schien ihnen krankhaft; also entschied in diesem Falle hoͤchst wahr- scheinlich nur diese; eben wie der malayischen Bemannung eines ostindischen Schiffes, welches im verflossenen Jahre in der Elbe vor Anker lag, die hellen Nordteutschen nach gar nichts aussahen. — Schelling scheint also eine mehr christliche, als antike An- sicht auszusprechen, wo er (a. a. O. S. 373.) sagt: „Diese Schoͤn- heit, welche aus der vollkommenen Durchdringung sittlicher Guͤte und sinnlicher Anmuth hervorgeht.“ inmitten der Schnoͤrkel und Fratzen des achtzehnten Jahrhun- derts eine unaufhaltsame Umwaͤlzung des Geschmackes, welche nur deshalb so spaͤt auf die Thaͤtigkeit der Kunst zuruͤckgewirkt, weil man ungleich fruͤher das Schoͤne der Kunst als das Ge- heimniß seiner Hervorbringung wieder aufgefunden hatte. Die dritte, und fuͤr sittliche und erkennende Wesen un- laͤugbar die wichtigste, Schoͤnheit beruhet aber auf jener ge- gebenen, in der Natur, nicht in menschlicher Willkuͤhr, ge- gruͤndeten Symbolik der Formen, durch welche diese in be- stimmten Verbindungen zu Merkmalen und Zeichen gedeihen, bey deren Anblick wir uns nothwendig theils bestimmter Vor- stellungen und Begriffe erinnern, theils auch bestimmter in uns schlummernder Gefuͤhle bewußt werden. Vermoͤge dieser Eigenschaft erwecken die Formen, ganz unabhaͤngig, sowohl vom sinnlichen Wohlgefaͤlligen, als von der eben beruͤhrten Schoͤnheit des Maßes, ein gewisses sittlich-geistiges Wohlge- fallen, welches theils aus der Erfreulichkeit der eben angereg- ten Vorstellungen hervorgeht, theils auch gradehin aus dem Vergnuͤgen, welches schon die bloße Thaͤtigkeit eines deutlichen Erkennens unfehlbar nach sich zieht. Den Grund der Erfreulichkeit von Vorstellungen, die Sichtbares im Geiste anregt, werden wir voraussetzen und uͤbergehen duͤrfen, da diese Abtheilung innerhalb der Schoͤn- heit laͤngst schon mit dem besten Erfolge untersucht und be- leuchtet worden; vielleicht, weil sie den Schriftstellern zugaͤng- licher war, als Solches, so einzig der Gestalt und ihrer Er- scheinung angehoͤrt, mithin nur den kuͤnstlerisch gebildeten See- len genuͤgend deutlich wird. Das Erfreuliche aber, welches schon in der nackten Deutlichkeit der Erscheinung liegt, hatte in dem Kreislauf neuerer Theorieen das Schicksal, bald viel zu zu hoch gestellt, bald wiederum von der Schoͤnheit ausgeschlos- sen und der Kunst untersagt zu werden. Lessing Laokoon, §. II. Dritte Aufl. S. 11. verwarf es aus Consequenz oder Zufall; daher wohl seine, keiner Er- wiederung beduͤrfenden, Ausfaͤlle gegen das Bildniß und die Landschaft Carl Ritter , die Erdkunde etc., Thl. 1, zweyte Aufl., S. 75. „In der auf diefe Weise entspringenden, unerschoͤpflichen Vielartigkeit des Wasserlaufes liegt eine der wichtigsten Bedingun- gen zur, dem Raume nach, allgemeinen Entwickelung der unorga- nisirten Erdoberflaͤche zu derjenigen localisirten Vielseitigkeit und Einheit, welche wir, in ihrem uͤberschaulichen Zusammenhange, Landschaft nennen, die immer und uͤberall einen geheimen Zauber uͤber den Menschen ausuͤben wird, der in ihrem Kreise sich bewegt, und uͤberhaupt die raͤumliche Basis alles organischen Lebens ist.“ So kommt uns unerwartet zugleich die Vertheidigung und Grund- idee der Landschaftsmalerey, wo wir deren am meisten bedurften, durch den besten und wuͤrdigsten Vertreter ihrer Anspruͤche. . Seine Nachfolger indeß haben, bey reiferer Ausbildung des Kunstsinnes, sowohl am Bildniß, wie an der Landschaft Behagen gefunden, ja sogar anatomischen und an- deren etwas roh und fluͤchtig behandelten Studien großer Meister ihre Bewunderung nicht versagt, mithin factisch ein- gestanden, daß schon die bloße Schaͤrfe und Deutlichkeit der Charakteristik den Sinn vergnuͤgen koͤnne, daß solche mithin fuͤr sich selbst eine Abart der dritten symbolisch-ethischen Schoͤn- heit bilden muͤsse. Denn eine eigene Art der Schoͤnheit ist sie freilich eben so wenig, als sie jemals das ausgesonderte Ziel irgend einer Kunstrichtung gewesen. Bis dahin haben wir die Schoͤnheit an sich selbst, und ohne ausschließliche Beziehung auf die Kunst, untersucht, und, wie ich glaube, gefunden: daß Schoͤnheit im allgemeinsten, I. 10 und wenn man so will, im modernen Verstande, alle Eigen- schaften der Dinge in sich begreift, welche entweder, den Ge- sichtssinn befriedigend anregen, oder durch ihn die Seele stimmen und den Geist erfreuen; daß aber eben diese Eigen- schaften in drey durchaus verschiedene Arten zerfallen, deren eine nur auf das sinnliche Auge, deren andere nur auf den eigenen, voraussetzlich dem Menschen eingebornen, Sinn fuͤr raͤumliche Verhaͤltnisse, deren dritte zunaͤchst auf den Verstand wirkt, dann erst durch die Erkenntniß auch auf das Gefuͤhl. Wo nun alle Arten der Schoͤnheit in einem Gegenstande, gleich wie in ihrem Brennpuncte, sich vereinigen, ein Fall, der schon den schoͤngesinnten Alten mehr wuͤnschenswerth, als durchhin erreichbar zu seyn schien, da wuͤrde ohne Zweifel ein ausnehmend Schoͤnes entstehen. In den sichtbaren Dingen pflegt indeß bald die eine, bald die andere Schoͤnheit vorzu- herrschen, oft sogar die uͤbrigen durchaus zu verdraͤngen; da- her ist es schon fuͤr die Auffassung und fuͤr den Genuß des Schoͤnen von großem Vortheil, in jeglichem Schoͤnen die sol- chem eben beywohnende Art der Schoͤnheit deutlich zu erken- nen, und diese von anderen genau zu unterscheiden. Denn wollten wir etwa, gleich den aͤsthetischen Neulingen, da, wo eben nur sinnliche Annehmlichkeiten vorhanden, zugleich auch die Anregung edler und erhebender Vorstellungen des Geistes begehren, oder bey diesen letzteren wiederum nach sinnlichem Reize geluͤsten, so wuͤrden wir uns durch ein fruchtloses Seh- nen gewiß um gegenwaͤrtige Freude bringen. Freilich wird ein gesunder, von Vorbegriffen unbestochener, Sinn wohl auch ohne jene Begriffsspaltung das Schoͤne empfinden und genie- ßen lernen; und es ist daher vornehmlich nur fuͤr die Kunst- lehre, und in so fern diese auf die Ausuͤbung der Kunst ein- wirkt, auch fuͤr die letztere von Wichtigkeit, die sinnliche An- nehmlichkeit von der Schoͤnheit des Maßes, und beide wieder- um von der Schoͤnheit mittelbar durch die Gestalt im Geiste angeregter Vorstellungen zu unterscheiden. Im juͤngst verflossenen Menschenalter beherrschten zwey große Namen, Lessing und Winkelmann , die Ansicht, die Lehre, ja gewissermaßen selbst die Ausuͤbung der Kunst; beide redeten auf ihre Weise der Schoͤnheit das Wort, gewiß in edler Gesinnung und Absicht. Uns scheint die Schoͤnheit in der Kunst, wie im Leben, nicht weniger wuͤnschenswerth, wie jenen; doch ungewiß, ob sie die Schoͤnheit erkannt, oder die Hervorbringung des Schoͤnen wesentlich gefoͤrdert haben. Gewiß war Winkelmanns Auffassung des einzelnen Schoͤnen hoͤchst sinnvoll, seine Darstellung desselben von uner- reichbarer Anschaulichkeit, von hinreißendem Feuer. Doch eben weil er, unbefriedigt von seinem Anfluge mystischer Schoͤn- heitsansichten, im Durchschnitt eben nur von der Beobachtung des einzelnen Schoͤnen sich zum Begriffe der Schoͤnheit selbst zu erheben suchte, gelangte er nie dahin, die Schoͤnheit des Begriffes vom Schoͤnen der Anschauung zu unterscheiden Τὸ καλλός, pulchritudo, Schoͤnheit, ist die Eigenschaft; von metaphorischen Bedeutungen abgesehen, τὸ καλὸν, pulcrum, daß Schoͤne, eine unbestimmte Mehrheit von Dingen, denen die Eigenschaft der Schoͤnheit beywohnt. Einige Uebertragungen indeß im griechischen Wortgebrauch, vielleicht auch nur der triviale Sinn des franzoͤsischen Wortes beauté, welcher die aͤsthetischen Schrift- steller dieser Nation haͤufig veranlaßt, statt jenes, le beau zu sez- zen, scheint auch unter uns die urspruͤngliche Grenze beider Begriffe mehr und mehr zu verwischen. Nichts destoweniger ist ihre Unter- scheidung nothwendig; nach den Gesetzen, nach dem Gebrauch un- serer Sprache, wird aber Schoͤnheit nur eine Eigenschaft, Schoͤnes . 10 * Seine Arten der Schoͤnheit sind wirklich eben nur Vorstellun- gen von bestimmten Arten des Schoͤnen, wie etwa des Kraͤf- tigen, des Zarten, des Edeln, des Anmuthigen. Er wirkte daher zwar auf der einen Seite vortheilhaft, indem er dem Sinne seiner Zeitgenossen die Richtung auf wahrhaft Schoͤnes gab; auf der andern aber auch nachtheilig, indem er die Mei- nung verbreitete, daß eben dieses einzelne, in sich abgeschlos- sene, Schoͤne einen Maßstab fuͤr die Beurtheilung, eine Richt- schnur fuͤr die Hervorbringung eines jeglichen Schoͤnen ent- halte. Doch wie einestheils kein einzelnes Schoͤne jemals die Allgemeinheit des Schoͤnheitsbegriffes selbst gleichsam verkoͤr- pern kann; wie es stets sein eigenes Maaß besitzt, und nicht wohl nach anderen, gleich eigenthuͤmlichen, also verschiedenen, Entfaltungen der Schoͤnheit zu beurtheilen, oder gar zusam- menzusetzen ist; so sollte anderntheils die Erfahrung selbst schwaͤchere Denker laͤngst belehrt haben, daß in der Kunst das Schoͤne einzig das Werk lebhafter Begeisterung ist, diese aber durch nichts mehr gelaͤhmt wird, als durch platte, mechani- sche Nachahmung, welche doch der einzige Weg ist, auf wel- chem ein schon vorhandenes Einzelne wiederholt und auf ge- wisse Weise verdoppelt werden kann, wenn solches nun ein- mal durchaus geschehen sollte. Die Schoͤnheitsbestimmungen aber, welche Lessing auf Winkelmanns Bahn, doch mit unendlich geringerer Sach- kenntniß, und beinahe ohne alles eigene Gefuͤhl des Schoͤnen, nur ein Dingliches seyn koͤnnen, dem jene beywohnt. So ist es in allen analogen Faͤllen; Gewohnheit und Gewohntes, Klarheit und Klares u. s. f. werden wir uͤberall nach demselben Gesetze ein- ander entgegensetzen. versucht hat, sind ohne Nachwirkung verhallt. Man erinnert sich nur im Allgemeinen, daß er der Kunst die Darstellung des Schoͤnen empfohlen, und begnuͤgt sich, solches zu billigen oder zu bestreiten. Allein die Frage, ob die Kunst nur das Schoͤne darstellen solle, ist nicht so rund und kurz zu beant- worten, wie solche Kunstlehrer dafuͤr halten, welche durch starrsinniges Beharren auf dem bloßen Namen der Schoͤnheit schon ein Großes zu leisten glauben. Denn, wenn anders die Eintheilung der Schoͤnheit, welche wir eben versucht ha- ben, in sich richtig ist: so wird eine jede der bezeichneten Ar- ten oder Gattungen der Schoͤnheit zur Kunst ihr eigenes Ver- haͤltniß einnehmen, welches wir, jedes fuͤr sich, untersuchen muͤssen, ehe wir entscheiden koͤnnen, in wie fern Schoͤnheit des Gegenstandes die Schoͤnheit von Kunstwerken bedingt. Das rein sinnliche Wohlgefallen am Schauen, welches wir voraussetzlich von dem Reize, oder von der Ueppigkeit durch sichtbare Dinge im Geiste angeregter Vorstellungen, zu unterscheiden wissen, beruhet nun, wie wir uns entsinnen, auf gewissen Wirkungen des Licht- und Farbenwechsels, welche gesunde und wohlgeuͤbte Augen weniger weich und schmelzend zu lieben pflegen, als krankhafte; weniger grell und abstechend, als rohe und ungebildete. Wollten wir nun pruͤfen, ob die bildenden Kuͤnste nur solche Gegenstaͤnde der sinnlichen An- schauung nachahmen duͤrfen, welche im Leben, oder außerhalb der Kunst, ein rein sinnliches Wohlgefallen am Schauen her- vor bringen; so setzt sich diesem die Erfahrung entgegen, daß nicht jeder Gegenstand, der an sich selbst gefaͤllig anzusehen, in Kunstwerke aufgenommen, einen gleich gefaͤlligen Eindruck be- wirkt. Da nemlich das aͤußere, sinnliche Ansehen von Kunst- werken, wie ich zum Theil beim Style gezeigt habe, und, wenn es hier nicht zu weit ablenkte, auch am sogenannten Malerischen der Niederlaͤnder nachweisen koͤnnte, bey weitem mehr durch den rohen Kunststoff und durch dessen Anwendung und Behandlung bedingt wird, als durch die Beschaffenheit der wirklichen Formen, welche darin zu irgend einem Kunst- zwecke nachgebildet worden: so fragt es sich in dieser Bezie- hung nicht sowohl, ob Gegenstaͤnde der sinnlichen Anschauung an sich selbst gut in die Augen fallen, als vielmehr, ob sie innerhalb der Grenzen der jedesmal zur Hand liegenden Kunst- art bequem, leicht erfaßlich, mithin gefaͤllig koͤnnen ausge- druͤckt werden. Bey der Wahl und Nachbildung von Gegen- staͤnden der sinnlichen Anschauung kommt es demnach nicht sowohl auf deren selbststaͤndige Schoͤnheit an, als einzig auf ihre Darstellbarkeit; im Kunstwerke selbst wird aber das gute oder uͤble Ansehen so gewaͤhlter Gegenstaͤnde der Nachbildung das Ergebniß der technischen Vortheile seyn, oder des Kunst-, nicht des Natur-Geschmackes, den der jedesmalige Kuͤnstler sich anzueignen das Gluͤck und die Faͤhigkeit besessen. Aller- dings nun wird der Kuͤnstler bemuͤht seyn muͤssen, solche Vor- theile oder einen solchen Geschmack sich anzueignen, damit er den aͤußeren Sinn nicht verletze, der unter allen Umstaͤnden den ersten Eindruck seines Werkes aufnimmt, ehe er ihn hoͤ- heren Lebensthaͤtigkeiten uͤberliefert. Doch moͤge er sich nicht versprechen, jemals in dieser Beziehung Allen gleichmaͤßig ge- recht zu werden, weil die Empfaͤnglichkeit des Auges auch un- ter den gesund und scharf Sehenden verschieden ist, weshalb er, schon um die erste Bedingung aller bloß sinnlichen Wohl- gefaͤlligkeit, die Uebereinstimmung der Arbeit, nicht etwa durch Schwanken zu verfehlen, durchaus seinem eigenen Sinne nach- gehen muß. Ist nun diese erste und niedrigste Schoͤnheit in Kunstwerken abhaͤngig von Eigenthuͤmlichkeiten des Gesichtes der einzelnen Kuͤnstler, so mag es wohl moͤglich seyn, eben diesen Sinn durch Beispiel und practische Anleitung um etwas schneller zu entwickeln, doch schwerlich, ihn nach allgemeinen Regeln zu leiten. Jede Schoͤnheitslehre demnach, welche, gleich der Aesthetik der hollaͤndisch-franzoͤsischen Epoche, aus dem Sinn- lich-Wohlgefaͤlligen einzelner Werke der Kunst die Regel aller Wohlgefaͤlligkeit derselben Art zu entwickeln versucht, oder gar sich vermißt, solche Einseitigkeiten, gleich als ergaͤben sie ein allgemeines Schoͤnheitsgesetz, der Kunst aufzudraͤngen, treibt doch, mit dem mildesten Ausdruck, nur ein muͤßiges Spiel des Witzes. Allein schon ungleich umfassender und gleichmaͤßiger, als diese, ist jene zweite Art der Schoͤnheit, welche auf bestimm- ten Verhaͤltnissen von Formen und Linien beruht. Denn, weil dieselbe nicht mehr, wie jene niedrigere, von der Stim- mung und Empfaͤnglichkeit des einzelnen Daseyns abhaͤngig ist, vielmehr nach allgemeineren, die gesammte Natur beherr- schenden, Gesetzen entsteht und wirkt; so wird sie auch gleich- maͤßiger begehrt und empfunden; so kann die Empfaͤnglichkeit fuͤr sie selbst da, wo sie etwa durch falsche Gewoͤhnungen, oder durch Verstandesgrillen waͤre verbildet worden, doch im- mer noch durch Beobachtung, Vergleichung und Nachdenken geheilt werden. Wenn nun der Kuͤnstler in dieser Beziehung einestheils eine weit verbreitete Empfaͤnglichkeit vorfindet, an- derntheils seinen etwa schlummernden oder abgelenkten Sinn fuͤr Harmonie raͤumlicher Verhaͤltnisse in sich selbst gleichsam wieder aufwecken kann; so folgt, daß er auf alle Weise, so- wohl faͤhig sey, als Bedacht nehmen muͤsse, seinen Werken diese Schoͤnheit beyzulegen. Indeß, wie wir solche auch in der Wirklichkeit nur in- nerhalb der Grenzen in sich abgeschlossener Erscheinungen auf- fassen; wie wir sie, etwa bei einem menschlichen Antlitz, nicht durch Vergleichung mit einem andern, noch durch Aussonde- rung der einzelnen Theile, vielmehr nur in dem Verhaͤltniß aller Theile unter sich, wie zum Ganzen, aufsuchen werden: so ergiebt sie sich auch in Kunstwerken nicht aus der Wohl- gestalt der einzelnen Theile, sondern einzig aus ihrem Ge- sammtverhaͤltniß. Wo dieses mangelhaft ist, da hilft die Wohlgestalt der Theile nicht aus, wie solches unter anderen die historischen Gemaͤlde der Zeiten des Mengs und David , so wie nicht minder gar viele Bauwerke der Neueren ins Licht setzen. Denn, obwohl in den ersten viele einzelne Theile gu- ten Modellen und schoͤnen alten Statuͤen, in den anderen Saͤulen und Gebaͤlke den alten Bauwerken mit großer Ge- schicklichkeit nachgemacht sind, so erscheinen sie doch von eben jener raͤumlichen Harmonie, von der hier die Rede, durchaus entbloͤßt, was uͤbrigens ihrem aͤchten Verdienste nicht etwa im Lichte stehen soll. Wenn nun auf dieser Seite schoͤne Theile fuͤr sich allein nicht hinreichen, in Kunstwerken die Schoͤnheit des Ebenmaßes hervorzubringen, so wird letztere andererseits nicht selten, gleichwie in der Musik, gerade durch weniger schoͤne, und sogar durch unschoͤne Theile zur Vollen- dung gebracht, wie denkenden Kuͤnstlern gar wohl bekannt ist. Wird aber die Schoͤnheit der Eurythmie in Kunstwerken nicht sowohl durch die selbststaͤndige Schoͤnheit der einzelnen Gestal- ten und Linien, welche Kunstwerke zur Erscheinung bringen, als vielmehr durch ihre Anordnung, Vertheilung und Stel- lung bewirkt; so entsteht offenbar auch diese nicht, wie Einige annehmen, schon aus der eigenen Wohlgestalt von Gegenstaͤn- den der kuͤnstlerischen Nachbildung oder Darstellung, sondern einzig aus solchen Griffen und Vortheilen der Darstellung selbst, welche ich in der vorangehenden Untersuchung dem Stylbegriffe beygesellt. Demnach muͤßten wir den bekannten Ausspruch: der Kuͤnstler duͤrfe nur das Schoͤne darstellen, wenn wir ihn, in Bezug auf die erste und zweyte Art der Schoͤnheit, etwa zugeben wollten, doch vorher dahin uͤbersez- zen: daß der Kuͤnstler schoͤn oder mit Schoͤnheit darstellen solle, was allerdings ihm zu empfehlen ist. Wenn nun die Darstellung unlaͤugbar die Gewalt besitzt, Schoͤnheiten der ersten und zweyten Art hervor zu bringen, oder die entsprechenden Unschoͤnheiten innerhalb der abgeschlos- senen Erscheinung von Kunstwerken vollstaͤndig auszugleichen; wenn dagegen, was sittlich und geistig widerwaͤrtig ist, durch keine menschliche Gewalt geschminkt und beschoͤnigt werden kann, so scheint es auf den ersten Blick, als haͤtten wir nun- mehr den Punkt getroffen, wo es wirklich auf Schoͤnheit des Gegenstandes der Darstellung ankommt. Indeß ist das sitt- lich und geistig Erfreuliche auf der einen Seite nicht eben das ausgesonderte Augenmerk der sogenannten Schoͤnheitstheorie; auf der anderen aber ist die Knnst auch hier keinesweges auf Gegenstaͤnde zu beschraͤnken, welche, abgesehen von der kuͤnst- lerischen Auffassung und Darstellung, oder schon an sich selbst erfreulich sind. Daß den Goͤnnern der Schoͤnheitslehre keinesweges schon durch sittlich und geistig Erfreuliches genuͤgt werde, zeigt, was man in Goͤthe’s Leben in Bezug auf Lessings Stiftung ausgesprochen findet; dieses nemlich: der Dichter duͤrfe auch das Bedeutende, der Kuͤnstler nur das Schoͤne darstellen. Koͤnnte das Bedeutende, welches hier dem Schoͤnen entgegen- steht, so viel sagen wollen, als Andeutung von Begriffen durch willkuͤhrliche Zeichen, so wuͤrden wir jenem Satze, we- nigstens innerhalb gewisser Bedingungen, beystimmen duͤrfen. Nach der ganzen Verbindung steht es indeß, wenigstens dem Anschein nach, fuͤr jegliches den Geist Beschaͤftigende, oder das Gemuͤth Erfreuende, sobald solches nicht zugleich ein sinnliches Wohlgefallen hervorbringt, oder auch jenen tiefer begruͤndeten Sinn fuͤr raͤumliche Verhaͤltnisse befriedigt. Nun haben wir uns so eben daruͤber verstaͤndigt, daß diese mehr aͤußerlichen Arten der Schoͤnheit in Kunstwerken nicht sowohl aus dem Gegenstande, als vielmehr aus der Darstellung hervorgehen. Wir werden demnach, wenn diese einmal auf gutem Wege ist, nicht weiter darum zu sorgen brauchen. Sichert uns aber schon die Darstellung, und gewissermaßen sie allein, die Schoͤn- heiten der ersten und zweyten Art; so wird, diesen ganz un- beschadet, Jegliches, dessen Vorstellung edle und wohlgebildete Seelen erfreut, oder thaͤtige, lebenvolle Geister in Anspruch nimmt, in Kunstwerke aufzunehmen oder zum Gegenstande kuͤnstlerischer Darstellungen zu waͤhlen seyn. Wenn nun schon dieser Schluß viele der beschraͤnkenden, den hervorbringenden Geist ganz nutzlos laͤhmenden, Wirkun- gen der Schoͤnheitslehre uͤber den Haufen wirft; so wird es doch noͤthig seyn, noch einen Schritt weiter vorzugehen, und die Behauptung daran zu schließen: daß eben, wie das sinnlich Mißfaͤllige und raͤumlich sich Mißverhaltende durch schoͤne Darstellung aͤußerlich schoͤn wird, so auch das geistig und sitt- lich Unerfreuliche durch treffliche Auffassung in Kunstwerken zu einem Ergoͤtzlichen und Anziehenden sich umgestalte. Diese Umwandlung wird indeß nicht, wie Lessing an einigen Stel- len des Laokoon vorschlaͤgt §. II. Plut. de audiendis poetis. — οὐ γάϱ ἐστι τοὐτὸ, τὸ καλὸν καὶ καλῶς τι μιμ῀εισϑαι ηκαλῶς γὰϱ ἐστὶ, τὸ πϱεπόντως καὶ οἰκείως οὶκεῖα δέ καὶ πϱεπόντα τοῖς αἰσχϱοῖς τὰ αἰσχϱὰ. Der Geist, in welchem die Dinge aufgefaßt worden, kommt hier, wie uͤber- haupt in den Kunstbemerkungen der Alten, kaum in Betrachtung. Nur selten moͤchte, wo bei den Alten von Kunstwerken die Rede ist, auf die geistige Thaͤtigkeit, welche den Kuͤnstler dabey geleitet, Ruͤcksicht genommen werden, wie in folgender Stelle des Plutarch ( Athenienses bellone an pace clariores p. 346): γέγϱαφε δὲ καὶ τὴν έν Μαντινείᾳ πϱὸς Ἐπαμινώνδαν ἱππομαχιάν οὐκ ἀνενϑουσιάςως Εὐφϱάνωϱ. Ganz anders verhaͤlt es sich damit in den neuesten Zei- ten, wo der Mangel an allem, oder doch an dem rechten Geiste, dessen Beduͤrfniß in der Kunst sichtbar gemacht, und eben daher den Begriff selbst zu einiger Deutlichkeit des Bewußtseyns erhoben hat, worauf auf der anderen Seite uͤbertriebene Forderungen ent- standen sind. , durch eine gewisse Halbheit des Eingehens, oder durch ein unvermeidlich widriges Schminken und Beschoͤnigen des Unerfreulichen hervorgebracht; vielmehr nur, indem der Kuͤnstler, nach den Umstaͤnden, durch leichten Spott oder bitteren Ernst den Gesichtspunct feststellt, aus wel- chem sein Gegenstand uͤberhaupt aufzufassen, und wirklich von ihm selbst erfaßt worden ist. Erinnern wir uns hier eines schlagenden Beyspiels, der Silenen und Faunen des Alterthu- mes, in denen Schoͤnheiten der Technik und des Styles die (nach griechischem Maße) unschoͤne Bildung des Leibes auf- heben, so wie ein anmuthiges Schwanken der Auffassung von tiefsinnigem Ernst zu leichtem Scherz in diesen Darstellungen die Niedrigkeit faunischer Neigungen nie unliebenswerth, oft hoͤchst bedeutend erscheinen laͤßt. Ueberhaupt spiegelt sich, nach den Gesetzen eben jener natuͤrlichen Symbolik der Form, wel- che die dritte und hoͤchste Art der Schoͤnheit hervorbringt, in jedem Kunstwerke, neben dem eigentlichen Gegenstande der Auffassung und Darstellung, auch der Sinn und Geist des Kuͤnstlers, der ihn erfaßt und dargestellt Schelling a. a. O., S. 369. — „Zunaͤchst zeigt sich frei- lich in dem Kunstwerke die Seele des Kuͤnstlers.“ . Und es duͤrfte schwer seyn, zu entscheiden, was beym ethischen Gefallen an Kunstwerken den Ausschlag giebt, ob der Eindruck des Ge- genstandes der Darstellung, oder umgekehrt, der Eindruck des Geistes, in dem er aufgefaßt worden. Also wird auch das bekannte Schoͤnheitsprincip, auch in Bezug auf diese dritte und hoͤchste Art der Schoͤnheit, umzustellen seyn, so daß wir auch hier, anstatt: der Kuͤnstler duͤrfe nur das geistig und sittlich Erfreuliche darstellen, vielmehr sagen muͤssen: der Kuͤnst- ler solle selbst sittlich und geistreich seyn, oder mit anderen Worten: er solle selbst schoͤn denken. Doch bin ich weit davon entfernt, gleichsam aus Para- doxie das Schoͤne des Gegenstandes herabzusetzen, welches den Kuͤnstler in den meisten Faͤllen unwiderstehlich ergreifen und wahrhaft begeistern wird, und, wo es gehoͤrig aufgefaßt und dargestellt worden, auch den Kunstfreund nothwendig besonders befriedigen muß. Nur dieses wuͤnschte ich darzulegen: daß Schoͤnheit des Gegenstandes nur unter gewissen, nicht durch- hin zu bemeisternden, Bedingungen die Schoͤnheit von Kunst- werken befoͤrdern; waͤhrend andererseits Alles, was schoͤn ge- macht ist, nothwendig schoͤn in das sinnliche Auge faͤllt; waͤh- rend, was schoͤn im Raume vertheilt (von richtigem Style) ist, den Sinn fuͤr Schoͤnheit des Maßes unumgaͤnglich befrie- digen wird; wie endlich, was auf irgend eine Weise, vom sittlich Erhabenen, oder Gemuͤthlichen und Zarten, bis zum Phantastischen und Muthwilligen, schoͤn im Geiste des Kuͤnst- lers erfaßt ist, nothwendig das sittliche Gefuͤhl befriedigen, den Geist erfreuen muß. Durch diese Sichtung und endliche Umstellung eines von Vielen fuͤr unfehlbar gehaltenen Lehrsatzes, wird denn, wie Unbefangenen einleuchten muß, die Schoͤnheit selbst keineswe- ges gefaͤhrdet, vielmehr wird sie hierdurch gerade gegen die hemmenden und durchkreuzenden Wirkungen einer minder er- schoͤpfenden Theorie verwahrt, was allerdings wohl noͤthig ist. Denn, obwohl Viele noch immer durch Vorliebe fuͤr eigene oder fuͤr die Werke befreundeter Zeitgenossen uͤber das eigent- liche Ergebniß der Anwendung jener vorgeblichen Schoͤnheits- lehre getaͤuscht werden, so hat doch die Erfahrung eines gan- zen Menschenalters bewaͤhrt, daß sie weder eine bemerkliche Erhebung des Geistes bewirkt, noch zu schoͤner Darstellung an- leitet, also die allgemeinsten und unerlaͤßlichsten Bedingungen aller Schoͤnheit von Kunstwerken sowohl unbeachtet, als un- erfuͤllt laͤßt. III. Betrachtungen uͤber den Ursprung der neueren Kunst. Unter den mancherley Entgegenstellungen, welche der Scharfsinn erfindet, und die Oberflaͤchlichkeit von den Verhaͤlt- nissen, auf welche sie sich allein beziehen, auf die Dinge an sich selbst uͤbertraͤgt, ward jene weitbekannte, welche antike und moderne, hellenische und romantische, oder, wie man auch wohl sagt, heidnische und christliche Kunst im schaͤrfsten Ge- gensatze denkt, eine laͤngere Zeit hindurch uͤberall mit besonde- rer Gunst aufgenommen. Dieser Gegensatz betrifft indeß, in so fern er begruͤndet ist, nur etwa die Wendung und Bezie- hung, nimmer das ganze Wesen der Kunst, welches uͤberall nur Eines ist. Und, wenn es Niemand befremdet, Niemand neu ist, daß die geschichtlichen Urkunden, die geheime, wie die practische Weisheit der neuen Weltreligion in den Begriffen und Redeformen der classischen Sprachen niedergelegt worden, so wird es keinen Anstoß geben koͤnnen, wenn ich behaupte, daß nicht minder auch die fruͤhesten Versuche einer bildnerisch- malerischen Darstellung christlicher Ideen nicht in eigenen und durchaus neuen, vielmehr eine laͤngere Zeit hindurch eben nur in den uͤberlieferten Kunstformen des Alterthumes sich beweg- ten, im Style nemlich und in der Technik des Alterthumes; die darstellenden Formen veraͤndern sich voraussetzlich nach den Forderungen des Gegenstandes. Diese allgemeineren Kunstformen waren allerdings den griechischen, wie den roͤmischen Kuͤnstlern schon laͤngst minder gelaͤufig worden, als Umstaͤnde zuerst gestatteten, sie mit ei- nigem Aufwand an Kosten und Arbeit auf christliche Gegen- staͤnde zu verwenden. Unsere aͤltesten Denkmale christlicher Kunst gehoͤren, wenn wir Zweifelhaftes an die Seite stellen, dem vierten Jahrhundert nach Christus Cicognara ( storia x. T. 1. c. VI ), welcher diesen Gegen- stand, duͤrftig genug, nach Collectaneen, ohne eigene, oder doch ohne deutliche Anschauung, abhandelt, nimmt etwas zu rund an, . Schon gegen Ende des zweyten war indeß die roͤmisch-antike Kunst in al- lem, was ihre Technik angeht, so weit gesunken, als an den beiden Boͤgen des Septimius Severus zu Tage liegt. Wir werden demnach bei den altchristlichen Denkmalen nicht sowohl auf Kenntniß und Gewandtheit im Einzelnen, als viel- mehr auf den Entwurf des Ganzen, die Absicht, den Styl und Aehnliches zu merken haben, und an denselben nur etwa die Macht einer neuen Begeisterung bewundern koͤnnen, welche noch so spaͤt, und bei so viel tieferem Verfalle der buͤrgerli- chen Wohlfahrt, dennoch vermochte, sowohl die letzten Anstren- gungen heidnischer Kunst zu uͤbertreffen, als auch der neuen Wendung der Kunst fuͤr alle Zukunft die Bahn vorzuzeichnen, welche sie unter guͤnstigeren Umstaͤnden durchmessen sollte. Die fruͤhesten Kunstversuche der Christen gewaͤhren also durchaus nicht den erhebenden Anblick einer gemaͤchlich , doch ununterbrochen und sicher fortschreitenden Entwickelung, gleich jener der altgriechischen Kunst, oder auch gleich jener anderen, vom Wiederaufleben des Geistes im dreyzehnten Jahrhundert bis auf das Zeitalter Raphaels . Sie gleichen vielmehr jener spaͤten Abendroͤthe, welche oftmals nach stuͤrmischen Tagen eintritt, und, obwohl nach einer langen und dunkeln Nacht, daß man vor Constantin durchaus keine christliche Bilder gemacht habe. Bildnisse heiliger Personen wurden nach den Gruͤnden, wel- che ich unten geltend mache, sicher ungleich fruͤher angefertigt; hoͤchst wahrscheinlich nicht minder auch verdecktere Allegorien. Daß man die Karte nicht offen aufzulegen wagte, war nach den Umstaͤn- den vorauszusehen, und bedurfte nicht aus dem Lactantius , den Cicognara hier anfuͤhrt, bewiesen zu werden. Vergl. Molani , de hist. SS. imagg. x. Lib. 4. Lugd. 1619. Diese gehaltreiche Com- pilation ist freylich großentheils nur als Nachweisung, und immer mit Umsicht zu benutzen. doch endlich einen heiteren Morgen verspricht. Denn, indem sie dem tiefsten Verfalle der alten Bildung angehoͤren, schlie- ßen sie doch zugleich den Anbeginn, Ursprung und ersten Le- benskeim der neueren Kunst in sich ein. Da wir sie nun eben nur aus dem letzteren Gesichtspuncte zu betrachten haben, so duͤrfen wir in vorliegender Untersuchung jenen unaufhalt- samen Ruͤckschritt im Gebrauche aller Vortheile der Darstel- lung als bekannt voraussetzen, ohne den Leser durch die An- fuͤhrung einzelner Unvollkommenheiten zu ermuͤden. Ueberhaupt besteht, was den altchristlichen Denkmalen fuͤr neuere Kuͤnstler Werth und Bedeutung giebt, keinesweges in aͤußerer Vollendung und durchgaͤngiger Vorbildlichkeit, son- dern eben nur in Solchem, was jeglicher Kunstrichtung den Ruͤckblick auf ihre Incunabeln unumgaͤnglich macht. Schon auf den fruͤhesten Stufen nemlich verkuͤndet sich stets, als Vorbedeutung einer lebenskraͤftigen Entwickelung, die vorwal- tende Anschauung, die alles beherrschende Gesinnung bestimm- ter Kunstepochen, oder, wenn wir uns eines Stichwortes der modernen Kunstsprache bedienen sollen, die Idee; ich sage, daß sie sich ankuͤndigt; denn ich bin weit davon entfernt, de- nen beyzupflichten, welche das geistige Leben bestimmter Kunst- epochen auf deren fruͤhesten Stufen, theils besonders rein und gehoben, theils auch wohl uͤberall nur dort erblicken wollen. Wie es haͤufig bey etwas paradoxen Behauptungen eintritt (welche deshalb gewoͤhnlich von Einigen unbedingt verworfen, von Anderen mit Jubel aufgenommen werden), so scheint auch hier der Irrthum nicht im Grundgedanken, sondern in dessen Ausbildung und Anwendung zu liegen. Denn obwohl es eine laͤcherliche Willkuͤhrlichkeit ist, eben da eine besondere Klarheit des Bewußtseyns, eine besondere Tiefe der Anschauung anzu- neh- nehmen, wo die Mittel des Ausdrucks oder der Darstellung so unzulaͤnglich sind, daß, wenn auch Gutes; doch immer nur Beschraͤnktes darin zur Anschauung zu bringen ist; so enthal- ten doch eben diese gestaltlosen Anfaͤnge meist schon den ein- fachen Grundton der Gemuͤthsstimmung, den ersten Anstoß der Geistesrichtung, welche irgend eine Kunstepoche beherrscht und zur Einheit bringt, welche der spaͤtere Kuͤnsiler ebendaher festhalten soll, doch in der That, unter den zerstreuenden An- regungen vorgeruͤckter Kunststufen, nur hoͤchst muͤhsam festhaͤlt. Wo es nun dem geuͤbten und ausgebildeten Kuͤnstler darauf ankommt, seine Seele zu sammeln, sich, inmitten vielfaͤltiger Eindruͤcke und verbreiteter Studien, des Allgemeinen in seinem Streben wiederum deutlich bewußt zu werden, da gewaͤhren ihm unstreitig eben die Werke seiner fruͤhesten Vorgaͤnger große Huͤlfe, weil der Grundgedanke seines eigenen Geisteslebens hier im einfachsten Zustande vorhanden, und um so bequemer auszusondern und fuͤr sich selbst zu erfassen ist, als die Form der Darstellung nur nothduͤrftig dem Geforderten entspricht, mithin nicht etwa durch uͤberschwellende Fuͤlle zerstreuet und abzieht. Dem Kuͤnstler also wird das Alterthum seiner Rich- tung allerdings wohl einmal als das Geistigste und Reinste der Kunst erscheinen koͤnnen; was waͤre aber der kuͤnstlerische, was der menschliche Geist uͤberhaupt, wenn es wahr seyn sollte, daß die urspruͤngliche Lebenskraft jeglichen Keimes in der Entwickelung verloren gehe! Gewiß werden nur die Traͤumer aller Art in einer grausigen Embryonenwelt, wie diese, welche sie sich selbst erschaffen, ihre Beruhigung und Freude finden koͤnnen Winckelm . u. s. Ih. S. 311. — „Wer nun alle die Ero- . I. 11 Schon die Kunst der alten Griechen verdankte die Unbe- scholtenheit ihres Styles der unausgesetzten Beachtung und vernuͤnftig bedingten Nachahmung ihrer eigenen Incunabeln; so wie diese selbst eben jenes Verdienst gewiß nicht ohne die Einwirkung fremder Schule oder fremder Vorbilder erworben haben, da auch der vorkuͤnstlerischen und willkuͤhrlich symboli- schen Bildnerey der aͤltesten Voͤlker, wenn auch die wesentli- cheren Eigenschaften der Kunst, doch gewiß der Styl nicht wohl abzusprechen ist. Nach demselben Gesetze entstand der Styl der neueren Bildner und Maler in den fruͤhesten Kunst- versuchen der Christen, zunaͤchst aus dem Style der Kuͤnstler des classischen Alterthumes, dann aus den altchristlichen, durch mancherley Mittelglieder wiederum der Styl der Italiener des vierzehnten Jahrhunderts; so daß man von Hand zu Hand bis in Raphaels geruͤhmteste Werke verfolgen kann, wie be- stimmte Gewohnheiten der Anordnung und Zusammenstellung, so schon in den herben, sogar den mehrseitigen Kunstfreund noch schreckenden Bildern des vierten bis sechsten Jahrhun- derts vorkommen, doch selbst dem groͤßten Kuͤnstler der Neue- ren noch fuͤr belehrend und bestimmend galten. In der That moͤchte der Sinn, wie die Gewohnheit einer harmonischen Anordnung der Theile, wie anderentheils die einfache, gerade, und eben daher allein richtige Auffassung in sich beschlossener Kunstaufgaben, auf der breiten und luftigen Hoͤhe der Kunst nicht wohl anders zu erlangen und festzuhalten seyn, als durch berungen geringschaͤtzt, welche maͤchtiger Geister unsaͤgliches For- schen und denkender Fleiß fuͤr das Gebiet der Kunst gemacht — kennt ihren wahren Geist, ihr besseres, weiter gestecktes Ziel noch nicht.“ — Von seinen Beziehungen abgesondert, und ganz allge- mein genommen, ist dieser Einwurf gewiß unwiderleglich. jene fromme Beachtung der ungelehrteren, einfaͤltigen Vorgaͤn- ger, welche die altgriechische, und selbst den besseren Abschnitt der neueren Kunst so lange Zeit vor den Ausweichungen und Zersplitterungen moderner Geniesucht bewahrt hat. Freilich nun wird der moderne Kuͤnstler nie darauf zaͤh- len duͤrfen, daß die Denkmale des christlichen Alterthumes ihm in den ausgefuͤhrten Beziehungen gleichsam Alles in Allem leisten. Denn einmal koͤnnen sie dem Beduͤrfniß derer, welche in der Auffassung und Darstellung christlicher Kunstaufgaben dem Herkommen sich anschließen moͤchten, schon deshalb nicht so ganz genuͤgen, weil die Denkmale bisher durch Vernachlaͤs- sigung oder Neuerungssucht unsaͤglich verringert und verduͤnnet worden sind, mithin uͤberall nur Bruchstuͤcke darbieten. Dann aber war der Gesichtskreis jener aͤltesten Kuͤnstler der neueren Geschichte, theils aus noch obwaltender religioͤser Befangen- heit, theils selbst aus Armuth und Erschlaffung des Geistes, den nothwendigen Begleitern versinkender Reiche, unlaͤugbar zu beschraͤnkt, als daß man erwarten duͤrfte, durch ihre Werke uͤber Alles und Jegliches belehrt zu werden, was neueren Kuͤnstlern zur Aufgabe dient. Sie enthalten also nur etwa die allgemeinsten Grundzuͤge der neueren Kunst; in diese aber mit Nachdenken einzugehen, duͤrfte bey so großer Verbreitung und zerstreuenden Mannigfaltigkeit der Beziehung, als unseren Zeiten nun einmal verliehen ist, dem modernen Kuͤnstler ge- wiß nicht bloß ersprießlich, vielmehr auch ganz unumgaͤng- lich seyn Winckelmann und andere Gelehrte, welche nach ihm die Kunstgeschichte des class. Alterthumes, oder deren einzelne Seiten beschrieben haben, legen ein großes Gewicht auf jene Gleichfoͤrmig- . 11 * Auf zweyen, zwar verschiedenen, doch vereinbaren We- gen kann der Kuͤnstler darlegen, was seine Seele bewegt: durch Andeutung und Darstellung. Das Angedeutete erfordert, um verstaͤndlich zu seyn, daß die Begriffe und Gedanken, welche es bezielt, im Geiste des Beschauenden schon ausgebil- det vorhanden seyen; das Dargestellte aber kann auch ganz Neues und noch Unbekanntes offenbaren, da es nicht nach keit der Behandlung verwandter Aufgaben, welche in den besten Abschnitten der alten Kunst aus religioͤsem Eingehen in vorgebildete Ideen, in spaͤteren indeß wohl nur aus platter Nachahmung her- vorging. In juͤngeren Zeiten entstand aus der Auffassung dieser Seite antiker Kunst (die Uebergaͤnge habe ich selbst erlebt) die An- sicht: daß der moderne Kuͤnstler, um dem Alten wesentlich gleich zu seyn, ebenfalls den Typus zu befolgen habe, den das Alterthum seiner eigenen Richtung bestimmten, laͤngst schon ausgebildeten Kunstideen aufgedruͤckt. Gewiß war diese Anwendung, gegen welche die Nachahmer des griechisch Alterthuͤmlichen sich verschiedentlich aufgelehnet, an sich selbst ganz folgerecht. Zweyerley indeß scheint mir in den bisherigen Versuchen, das Muster des Alterthumes auf diese Weise zu befolgen, nicht voͤllig richtig zu seyn und daher den Erfolg aufzuhalten. Gleich vielen Kennern des classischen Alter- thumes verwechseln, wenn ich nicht irre, auch einige neuer Ge- sinnte ein bloß aͤußerliches Nachahmen mit dem nur allein frucht- baren Eingehen in den Geist traditioneller Aufgaben; daher haͤufig ein zu aͤußerliches, zu mechanisches Nachbilden, welches mehr da- hin fuͤhrt, den Beschauer durch ungewohnte Foͤrmlichkeiten zu uͤber- raschen, als die Idee der Aufgabe deutlicher hervorzuheben. Zwey- tens geht man offenbar nicht weit genug zuruͤck, und begnuͤgt sich das Mittelalter zu durchforschen, in welchem jene aͤltesten Typen bereits durch die Eigenthuͤmlichkeiten neuerer Nationalschulen ab- geaͤndert und nicht mehr so rein vorhanden sind, als ein so conse- quent-christlicher Typolog sie ersehnen wird, wie der Vf. einer Abhandlung uͤber christliche Ideale, im zweyten Jahrgange des Al- manachs aus Rom . willkuͤhrlichen Vereinbarungen, sondern nach allgemeinen Ge- setzen und nothwendigen Analogien dem Sinne unwiderstehlich sich aufdraͤngt. Es scheint, daß die Christen der fruͤhesten Zeit die leichtere, genau genommen, ganz unkuͤnstlerische An- deutung der Darstellung vorzogen. Denn, obwohl die Denk- male des einen, wie des anderen Kunstweges der Zeit nach sich durchkreuzen, so tragen doch solche, welche bloß Allegorieen und willkuͤhrliche Symbole enthalten, das Gepraͤge der Ab- kunft aus einem hoͤheren Alterthume, wie sie denn selbst, was hier entscheidend zu seyn scheint, auch uͤberall die seltneren sind. Unter diesen halte ich die Wandmalereyen der Gruͤfte des heil. Calixtus , welche zur Zeit des Bosius aufgedeckt und von ihm in Abbildungen herausgegeben worden Bosio , Ant. Ro., Roma sotterranea, Roma 1632. fol . Die Abbildungen dieses Werkes, welche ein geschickter Kupferstecher, Cherubin Alberti , verfertigt hat, sind etwas gleichfoͤrmig, verbes- sern viele unfoͤrmliche Denkmale, waͤhrend sie in schoͤneren, wie im Sarcophag des Jun. Bessus , nicht das ganze Kunstverdienst ih- res Vorbildes hervorheben. , fuͤr beson- ders bemerkenswerth. Die Abbildungen werden wenigstens so treu seyn, als solche, die wir noch mit ihren Urbildern ver- gleichen koͤnnen. Was darin unstreitig zuverlaͤssig, besteht in der Vertheilung des Raumes auf Weise antiker Wandmale- reyen, und in der Bezeichnung christlicher Vorstellungen durch mythische Charactere und Handlungen, welche jenen, wenn auch nur entfernt, verwandt sind. An anderen Denkmalen, deren Erfindung den Ausdruck etwas spaͤterer Zeiten traͤgt, an den musivischen Deckengemaͤlden der Kirche Sta. Constanza bey Rom , an der großen Graburne von Porphyr, gegenwaͤr- tig im Pio-Clementino, sind bacchische Symbole verwendet, deren Beziehung nahe liegt Dahin gehoͤren auch die Gegenuͤberstellungen antiker und biblischer Helden, z. B. des Theseus und David, s. Ciampini , vet. mon. Romae 1699. p . 4. . Doch verloren sich diese, viel- leicht bedenklichen, gewiß etwas weit hergeholten mythischen Allegorieen sehr fruͤh, und nur in den Beywerken, uͤbrigens rein christlicher Darstellungen, erhielten sich bis in das spaͤtere Mittelalter einige, hier schon nicht mehr auf Christliches ge- deutete, Symbole der alten Welt, aus welchen, bey allgemei- nem Wiederaufleben des Geistes, die moderne Anwendung der Allegorie sich mag entwickelt haben. So findet sich in verschiedenen Elfenbeinschnitzwerken des neunten bis eilften Jahrhunderts, welche ich spaͤterhin naͤher anzeigen werde, in der Darstellung des Gekreuzigten der auf- gehende Mond, die untergehende Sonne durch die bekannten Personificationen des Alterthums angedeutet. Auf gleiche Weise erscheinen die Staͤdte und Fluͤsse nach altgriechischer Art personificirt in einer anziehenden Pergamentrolle der Vaticana, auf deren einer Seite die Hauptereignisse des Buches Josua Abgebildet bei D’Agincourt hist. de l’Art, T. III. Peinture Part. II. Pl. 28. fs . Diese, wie andere Nachbildungen ueugriechi- scher Miniaturen sind in diesem Werke meist nach den Originalen gemacht, und ziemlich genau. Hingegen sind die verkleinerten Nach- bildungen, vornehmlich solche, welche aus Kupferwerken entlehnt worden, durchhin unbrauchbar. sehr leicht und mit malerischem Geiste in Acquarellfarben ge- zeichnet, und hie und da etwas aufgehoͤht sind. Diese Rolle indeß gehoͤrt, wiewohl die Schrift des Textes schon ziemlich cursiv, also verhaͤltnißmaͤßig neu ist, doch der Erfindung nach ganz offenbar zu den aͤltesten Denkmalen christlicher Kunst. Ihre Malereyen sind unstreitig copirt; denn in den Gelenken, in den Haͤnden und Fuͤßen zeigt sich derselbe Mangel an Ein- sicht, der in den griechisch-mittelalterlichen Malereyen uͤberall vorkommt; allein in dem Geiste der Erfindung, in den Trach- ten und Bewaffnungen, steht sie dem classischen Alterthume so nahe, daß mir unter den altchristlichen Denkmalen durch- aus nichts vorgekommen ist, was, kuͤnstlerisch betrachtet, gleich trefflich waͤre. An einer Stelle, wo Besiegte vor dem Sessel des Feldherrn um Gnade flehen, draͤngt sich die Vermuthung unwiderstehlich auf, daß dem ersten Erfinder irgend ein Achill, ein Alexander oder ein anderer Kriegesfuͤrst des Alterthumes vorgeschwebt, in welchem menschliches Mitleid und kriegerische Strenge um die Oberhand kaͤmpfen. Der groͤßte Theil indeß alles dessen, was in den alt- christlichen Denkmalen mehr in das Gebiet der Andeutung faͤllt, als in jenes andere der aͤcht kuͤnstlerischen Darstellung, ist geradehin aus christlichen Erinnerungen, Gebraͤuchen und Vorstellungen entstanden. Unter diesen wird uns freilich nur Solches betreffen, was auf irgend eine Weise in die Kunst hinuͤbergreift; alle, oder doch die meisten außerkuͤnstlerischen Symbole der Christen, sind ohnehin erst vor Kurzem mit großer Sorgfalt in einer belehrenden Monographie verei- nigt worden Muͤnter , Dr. Fr., Sinnbilder und Kunstvorstellungen der alten Christen, Altona 1825. 4. zwey Hefte. In diesem Werke des gelehrten Bischofs werden solche, welche diesen Zweig der Kunstge- schichte weiter ausbilden wollen, als hier meine Aufgabe ist, einen wichtigen Theil ihrer Lit. verzeichnet finden. . Unter den Allegorieen, welche auf Gleichnisse und bedeu- tendere Vorgaͤnge der Schrift gegruͤndet worden, ist der gute Hirt leichtlich die aͤlteste. Denn obwohl unter so vielen, wel- che ich gesehen, nur eine Statue des guten Hirten — zur lin- ken des Einganges in das christliche Museum der Vaticana — einiges technische Kunstverdienst besitzt, so duͤrfen wir doch aus dem guten Ansehen dieses einzigen Werkes auf ein ziem- lich hohes Alterthum der Vorstellung schließen. Freilich wur- den noch in sehr spaͤter Zeit, in der Mitte des vierten Jahr- hunderts, sehr loͤbliche Bildnereyen verfertigt, welche der be- merkten Statue durchaus nicht nachstehen. Durch Bosius ist die Graburne des Junius Bassus bekannt, welche ich in den Gewoͤlben der Peterskirche zu Rom verschiedentlich mit Interesse betrachtet habe; diese faͤllt nach der Inschrift, die keine aͤußere Spur von Verfaͤlschung zeigt Ich habe fruͤher im Kunstblatte 1821, Nr. 12, angedeutet, daß sie von dem Verzeichniß der Praͤfecten bey Almeloveen ( Fasti Consulares, Amstel . 1740. 8. vergl. Jac. Gothofred . Chronol. cod. Theodos. ad. a. Chr . 359) um ein Geringes abweicht. — In Be- zug auf die gute Arbeit gewaͤhren vornehmlich die Diptycha man- ches Gegenstuͤck, wie jenes der barberinischen Bibliothek, welches, nach den Muͤnzen, Constantius II. beygemessen wird, wo das Bild- niß zu Pferde gewiß sehr schaͤtzbare Arbeit zeigt. Vergleiche Gori , Thes. vet. Diptych . und andere vereinzelte Abbildungen von Denk- malen ders. Art und Bestimmung. Die schaͤtzbare Sammlung von Denkmalen dies. Art, welche der Abb é Triubzi zu Mayland ver- einigt hatte, werde ich spaͤter beruͤhren. Hier, wie in anderen Sammlungen, und selbst bey Gori , werden nur zu haͤufig die klei- nen Altartafeln des dunkleren Mittelalters, sogar Bruchstuͤcke von Reliquiarien, mit den Diptychen der letzten Jahrh. des roͤm. Rei- ches durcheinander geworfen. , in die Mitte des vierten Jahrhunderts; und der Arbeit nach duͤrfte die um etwas schoͤnere Graburne unter einem Altare der Franciscaner- kirche zu Perugia , nur um Weniges aͤlter seyn. Vieles jedoch, was der Sinn wohl wahrnimmt, doch die Sprache nimmer ausdruͤckt, entscheidet mich zu glauben, daß jene Statue in noch aͤlterer Zeit gebildet worden; denn sicher zeigt sie, bey gleichem oder geringerem Kunstgeschicke, doch ein feineres Ge- fuͤhl fuͤr die Bedeutung der Gesichtsformen Vor einigen Jahren habe ich uͤber die bildnerische Behand- lung dieser Statue nachstehende Bemerkungen aufgezeichnet: Sie ist vom halben Schenkel abwaͤrts restaurirt, eben so beide Arme, mit Ausnahme der linken Hand, und am Kopfe die Kno- chenwoͤlbung uͤber dem rechten Auge, die Nase, ein Theil der Lip- pen und das Kinn. Die Augen stehen nicht gleich; demungeachtet ist die Form der antiken Theile nicht unschoͤn, der Ausdruck liebenswerth, auch in Hals und Brust einige Ausbildung der Theile. Die Falten der Tunica haben einzelne sehr gute Parthieen; im Ganzen ist ihre Behandlung antik, nur nicht alles gleich gut ent- wickelt. Die Tunica ist um die Huͤften aufgebunden. Das Haar ist durch tief eingebohrte Loͤcher ausgedruͤckt, die Wolle am Schaafe etwas gezwungener, doch aͤhnlich behandelt. ; so wie endlich die Vorstellung an sich selbst so sehr im Geiste der antiken Kunst zu seyn scheint, daß ich, auch abgesehen von der er- waͤhnten Figur, nicht anstehen wuͤrde, ihre erste Auffassung sehr fruͤhen Zeiten des Christenthums beizulegen. Ueberhaupt halte ich, unter rein christlichen Allegorieen, solche fuͤr die aͤl- teren, welche sich auf biblische Gleichnisse stuͤtzen; die biblisch- geschichtlichen aber durchhin fuͤr die neueren. Unter den letz- ten sind bekanntlich die Anspielungen auf die Wiedergeburt, der Prophet Jonas, die Erweckung des Lazarus, die Ver- wandlung des Weines und aͤhnliche bey weitem die gewoͤhn- lichsten. Es wundert mich, daß die Denkmale, an denen sie vorkommen, groͤßtentheils von der rohesten Arbeit sind. Viel- leicht glaubte man, es genuͤge, den Gedanken nur anzudeu- ten; vielleicht auch sank die Kunst zu Rom , nachdem der Hof nach Ravenna gezogen; wahrscheinlich indeß ward die Bildne- rey durch das neu erwachende Interesse an malerischen, vor- nehmlich musivischen Darstellungen, fuͤr den Augenblick zu- ruͤck gedraͤngt. Die hohe technische Ausbildung, welche die Musivmale- rey schon im classischen Alterthume erlangt hatte, laͤßt vermu- then, daß die Maler christlicher Gegenstaͤnde schon fruͤh sich dieser Kunstart bedient haben; und nicht minder, daß die fruͤ- hesten Versuche technisch auch die besten waren. In so weit, als das beschaͤdigte und stark wieder hergestellte Christusprofil im christlichen Museo der Vaticana historischen Glauben ver- dient, scheint es zu den aͤltesten Beyspielen seiner Art zu ge- hoͤren, und mehr Geschicklichkeit und mehr Kenntniß der na- tuͤrlichen Typen zu verrathen, als der groͤßere Theil der zu Rom und Ravenna erhaltenen Kirchenzierden derselben Kunst- art. Indeß ward die musivische Malerey erst um das fuͤnfte Jahrhundert durch Errichtung prachtvoller Basiliken beguͤnstigt, deren viele zu Rom und Ravenna bis auf unsere Zeiten sich erhalten haben Ueber die Menge und Groͤße solcher Unternehmungen waͤh- rend des fuͤnften und sechsten Jahrhunderts ertheilen uns verschie- dene Schriftsteller derselben, oder doch nur um wenig spaͤteren Zeit ziemlich umstaͤndliche Nachrichten. Procop . de aedif. Justiniani . Venet. 1729; Agnelli , liber pontificalis (To. II scriptt. rer. Ital.). P. 1; Anast . bibl. ib. To. III. durchhin. — Sogar im mittleren Frankreich ward nach Einwanderung der Westgothen und Burgun- dionen noch immer manche praͤchtige Basilika erbaut; s. Gregor . Tur. hist. Franc. (To. I. scriptt. h. Franc. op. Du Chesne ) lib. II. No. XIV — XVI . — Ueberall aber, hier wie dort, werden musivi- sche Wandverzierungen angefuͤhrt, welche, wenigstens in Italien , . Die großen Mauerflaͤchen und weitge- sprengten Gewoͤlbe, welche das Innere dieser Gebaͤude darbot, gewaͤhrten damals zuerst Gelegenheit, die Malerey in der Versinnlichung sittlicher und goͤttlicher Hoheit, durch eine schreckhafte Groͤße zu unterstuͤtzen; hierdurch wiederum wurde die Kunst sowohl veranlaßt, als erfaͤhigt, mehr und mehr von der Andeutung zur wirklichen Darstellung, von willkuͤhrlichen Zeichen zu solchen Charakteren uͤberzugehen, deren Bedeutung nach einem allgemeinen Naturgesetze, und ohne vorangehende Uebertragung in Begriffe, der Anschauung selbst unmittel- bar einleuchtet. Freilich giebt es in den Darstellungen der musivischen Epoche sehr Vieles, so in ein weit hoͤheres Alterthum, viel- leicht bis in die ersten Jahrhunderte des Christenthumes zu- ruͤck verweiset. Der Heiland, die Apostel und die Propheten erscheinen darin jederzeit in streng alterthuͤmlicher Bekleidung, in langer Tunica mit uͤbergeschlagenem Pallium, in nackten, durch Sandalen geschuͤtzten Fuͤßen; neuere Heilige dagegen in reichen und barbarischen Trachten, die Fuͤße aber durchhin be- kleidet So in einem der besten musivischen Gemaͤlde der roͤmischen . Auch scheint es nicht ohne aͤußere Veranlassung, an vielen Stellen sich erhalten haben. Die aͤltesten unterscheiden sich durch groͤßere Annaͤherung an Foͤrmlichkeiten der classischen Kunst. So zu Rom in S. Maria maggiore die freilich sehr be- schaͤdigten Musive des Mittelschiffes uͤber den Saͤulen; und der halb versenkte, doch wohl etwas neuere, der Tribune von S. Pu- dentiana. Waͤren die Musive des großen Bogens der jetzt abge- brannten Paulskirche zu Rom nicht, wie aus Ciampini’s aͤlte- ren Abbildungen zu ersehen, sehr stark restaurirt, so wuͤrden wir schließen muͤssen, daß diese Kunst, wenigstens zu Rom , um Theo- dosius des Großen Zeit zuruͤck geschritten sey, spaͤter sich wiederum gehoben habe. daß die Apostel Petrus und Paulus in allen Gemaͤlden dieser und spaͤterer Zeiten immer dasselbe ganz bildnißartige Ansehen haben, wovon ich durch eine genaue Nachbildung, welche aus einem der schoͤnsten Denkmale des sechsten Wahrscheinlicher ward dieß Werk von Felix III , gest. 530, angeordnet. S. Ciampini vet. mon. P. II. ed. Ro. 1699. p . 56. Jahrhunderts entnommen ist, dem man seine grelle Darstellungsweise schon nachsehen wird, der- einst ein Beispiel zu geben hoffe. Allein der Kunstgriff, allen diesen Gestalten ein uͤbermenschliches Ansehen zu geben; durch ihren Charakter, durch ihre Stellung und Gebehrde heilige Schauer zu bewirken, konnte nicht wohl fruͤher in Anwendung kommen, als nachdem Basiliken und andere Tempel von großem Umfang dem neuen Dienste errichtet worden. In diesen Zeitraum versetzen wir demnach, wenn nicht die erste Auffassung, doch die Ausbildung und Befestigung je- ner Wuͤrde des Charakters, jener Feyer in Stellungen und Gebehrden, welche zu allem Ernsten und Gediegenen der neue- ren und christlichen Kunst den Grundton angegeben. Die Nachwirkung der Richtung dieser Zeit versoͤhnt selbst mit den unfoͤrmlichsten Versuchen der roheren Abschnitte des Mittelal- ters; wie sollte es denn nicht erfreulich seyn, zu sehen, wie dieselben Vorstellungen, welche selbst in den schlimmsten Zei- ten nicht durchaus verkuͤmmern konnten, verjuͤngt und in maͤnnlicher Schoͤnheit und Reife in Raphaels gefeyertesten Werken wieder aufleben. Ich bezeichne hier solche, in denen der Gegenstand, gleichwie in den Tapeten, oder auch in der Kirchen, in der Tribune von S. Cosimo und Damiano, wo Chri- stus und die Apostel in antiker, ein spaͤterer Seeliger, dessen Na- me im Felde angemerkt ist, in Stiefeln und etwas neuerer Klei- dung erscheint. Disputa, die Annaͤherung an das Hochalterthuͤmliche gestat- tete. Denn Gegenstaͤnde der Kunst, welche um Vieles spaͤter aufgekommen, gleich den Madonnen, gleich der Leidensge- schichte, gleich den Lebensereignissen neuerer Heiligen, beruhen, wie sie denn schon aus einer ganz anderen Stimmung und Ansicht hervorgegangen, so auch auf ihren eigenen Vorbildern, welche ungleich spaͤter, im vorgeruͤckten Mittelalter, ihre Wur- zeln verbreiten. Waͤre es uͤberhaupt meine Absicht, die aͤltesten Kunstver- suche der Christen bis in das Einzelne zu verfolgen, so wuͤrde ich doch dem Stoffe nach kaum uͤber die weitlaͤuftigen, aber geistlosen Werke des Bosius und Ciampini , uͤber Fu- rietti’s Musive und Gori’s Diptycha, uͤber die Compilation des Molanus und die Topographen von Ravenna , wie end- lich uͤber Buonaroti’s treffliche Monographien Osservazioni sopra alcuni frammenti di vasi antichi di vetro ornati di figure, trovati né cimister di Roma . Firenze 1716. 4. Der groͤßte Theil der oben bezeichneten Buͤcher ist uͤberall bekannt. Die Topographie von Ravenna , welche am Agnellus eine wich- tige Quelle besitzt, und nach ihm schon von Rubeus und Fabri bearbeitet worden, hat noch im achtzehnten Jahrh. große Nachhuͤlfe erhalten. — Molanus wird durch Ayala , pictor. Christ. erudi- tus unterstuͤtzt, und wenn beide nur als Vorarbeit genuͤgen koͤnnen, so giebt Kopp , Ulrich Friedr. , Bilder und Schriften der Vorzeit, Mannheim 1819. 8., ein Buch, welches ich leider nur aus einer guͤnstigen Beurtheilung kenne, wahrscheinlich die noͤthige Aushuͤlfe. hinausge- hen koͤnnen. Eine fruchtbare Bemuͤhung um diesen Gegenstand erheischt aber einestheils eine eigene, in unseren Tagen unter Kunstfreunden seltene Gelehrsamkeit, die Kenntniß der Vaͤter und der Concilien, anderntheils eine genaue Durchforschung weit verstreueter Alterthuͤmer, welche nicht mit Erfolg anzu- stellen ist, wenn man unterlaͤßt, oder die Mittel nicht anwen- den will, jedes Denkmal einzeln zeichnen zu lassen, um nach Beduͤrfniß seinen Stoff versammelt vor Augen zu haben. Fuͤr meinen beschraͤnkten Zweck genuͤgt es indeß, das Durchwal- tende hervorzuheben, vornehmlich, in so fern es die Geschichte der neueren Kunst begruͤndet und aufklaͤrt. Und da ich solches bereits, so viel als mir moͤglich war und nuͤtzlich schien, voll- bracht habe, so will ich mich jetzt darauf einschraͤnken, in der Kuͤrze nachzutragen, was etwa noch unberuͤhrt geblieben. Zunaͤchst erinnere ich, daß, eben wie der Weltlehrer, die Propheten, die Apostel, oder wie die einzelnen Gestalten der sinnbildlich verwendeten biblischen Ereignisse, so auch die Mut- ter des Herrn, wo sie vorkommt, stets in antiker Bekleidung erscheint, nemlich in der Tracht roͤmischer Matronen; wie es denn an sich selbst bemerkenswerth ist, daß die feststehende Bekleidung dieser alten Kunstgebilde uͤberall mehr roͤmisch als griechisch ist. Gleichfalls bedarf es einiger Erwaͤhnung, daß die sinnbildlich-evangelischen Geschichten fruͤhzeitig durch Bege- benheiten des alten Testaments vermehrt worden, theils schon des prophetischen Sinnes willen, theils auch um der noch vor- waltenden Triebkraft antiker Kunst die Richtung auf Dinge zu geben, welche durch ihre entferntere Stellung zum Christen- thume den Spitzfindigkeiten des Sectengeistes weniger ausge- setzt waren. Darstellungen dieser Art waren im christlichen Alterthume nach den Schriftstellern und Concilien uͤberaus gewoͤhnlich, wichen indeß spaͤterhin einigen neueren Vorstellungen der Lei- densgeschichte, deren ausfuͤhrlicher Darstellung die aͤlteren Chri- sten sich lange erwehrt hatten; der Mutter mit dem Kinde; wie endlich den Bildnissen und Lebensereignissen neuerer Hei- ligen. Im Mittelalter war daher die Ueberlieferung der Dar- stellungen von Geschichten des alten Testaments, wenn nicht durchaus unterbrochen, doch wenigstens nicht sehr lebhaft und thaͤtig, weshalb wir uns Gluͤck wuͤnschen duͤrfen, daß, naͤchst vielen in den kirchlichen Handschriften verstreueten Miniaturen und Zeichnungen, deren schoͤnste ich oben erwaͤhnt habe, auch noch ein hoͤchst bedeutendes Werk musivischer Kunst vorhanden ist, aus dessen Anordnung und Behandlung wir auf Solches schließen duͤrfen, so fuͤr uns untergegangen. Ich bezeichne hier die musivischen Deckengemaͤlde des aͤu- ßeren Ganges der venezianischen Marcuskirche. Dieser Um- gang, welcher die westliche und suͤdliche Seite der Kirche um- schließt, ist gegenwaͤrtig der einzige Theil dieses beruͤhmten Gebaͤudes, der dem hoͤheren Alterthume der Christenheit, und wahrscheinlich den Zeiten des Eparchates angehoͤrt Nach den venez. Historikern und Topographen ward die Markuskirche ziemlich spaͤt gegruͤndet (zur Zeit der fraͤnkischen Groͤße, glaube ich zu entsinnen), und ich bezweifle nicht, daß ihre Angabe in Bezug auf die Gruͤndung einer Markuskirche ihre Richtigkeit hat. Venedig hatte aber schon ungleich fruͤher Bedeu- tung ( Daruͤ aus Cassiodor ; Muratori , Ant. It. Diss . 2.), und die Stelle der jetzigen Markuskirche konnte, bey großer Beschraͤnkt- heit des Raumes, schon die Stelle einer aͤlteren Hauptkirche des Rialto gewesen seyn. So daß jener gewiß nicht speciell beurkun- dete Fall meine auf deutlichen Zeichen begruͤndete Vermuthung ei- nes hoͤheren Alters jenes Umgangs nicht aufhebt. . Die Kirche selbst, wie das Aeußere der Giebelseite, ist in einer ge- mischten gothisch-neugriechischen Manier erneuert, und da ein Theil jenes Umgangs aͤußerlich von der italienisch-gothischen Vorseite, nach innen aber von dem Koͤrper der Kirche einge- schlossen ist, so erkennt man sein hoͤheres Alter, theils schon aus den Proportionen und Eintheilungen, welche nicht den erwaͤhnten Neuerungen, sondern dem spaͤtroͤmischen Alterthume entsprechen, theils aus den Deckenverzierungen selbst, welche denen der ravennatischen Kirchen im Ganzen aͤhnlich sind, doch, wie mir scheint, die gegenwaͤrtig vorhandenen durch- hin uͤbertreffen. Die Decke des Umganges besteht in seiner ganzen Laͤnge aus flachen, kuppelfoͤrmigen Gewoͤlben, deren Verbindungen und Uebergaͤnge viel Eigenthuͤmliches haben. In jeder dieser sanft ausgewoͤlbten Scheiben sind Geschichten des alten Testa- ments in Figuren von mittelmaͤßiger Groͤße ausgefuͤhrt; sie stehen auf weißem Grunde, wie die musivischen Verzierungen des inneren Umganges der Kirche S. Costanza, außerhalb Rom ; ihre Beywerke sind untergeordnet, etwa wie in halber- hobenen Arbeiten; innerhalb jedes Kreises findet keine Abson- derung statt; sie sind endlich in kleineren Glasstiften, und nicht ohne Zierlichkeit und verhaͤltnißmaͤßiges Kunstgefuͤhl aus- gefuͤhrt. Nehmen wir hinzu, daß in keiner dieser Darstellun- gen einige Spur mittelalterlicher Trachten und Baulichkeiten vorkommt, daß sie durchaus, bis in ihre aͤußersten Beywerke herab, mit geringen Modificationen antik sind; daß diese Mo- dificationen keine andere sind, als solche, welche vom vierten bis achten Jahrhundert uͤberall sich geltend machen, so duͤrfte es nicht zu gewagt scheinen, wenn ich das Werk eben diesen Zeiten beymesse, und vermuthe, daß solches aus der Schule von Ravenna entsprossen sey, zu dessen Behoͤrden das damals schon nicht unbedeutende Venedig im naͤchsten Verbande stand. Ich enthalte mich, dieses Hauptwerk unter den altchrist- lichen Malereyen zu zergliedern; die Schoͤnheiten der Anord- nung und Auffassung, welche daruͤber reichlich verbreitet sind, wer- werden hoffentlich bald einige Kuͤnstler oder Kunstfreunde ver- anlassen, ein so wichtiges Werk mit Geschmack und Genauig- keit in den Druck zu geben, ehe es, wie so viele andere zu Rom und Ravenna , durch Vernachlaͤssigung untergeht. Es scheint demnach, daß die Kuͤnstler, denen wir die Erfindung und erste Gestaltung so viel trefflicher Vorstellungen zu danken haben, im Ganzen angesehen, zwar der Gewandt- heit und des einsichtsvollen Gebrauches der noͤthigsten Kunst- mittel, doch keinesweges des Geistes oder des Gefuͤhles ent- behrten. Versetzen wir uns nur in jene Zeiten zuruͤck, wo Tod und Verwuͤstung und schlechte Staatseinrichtungen zusam- menwirkten S. Ammian uͤber die Verwaltung unter Valentinian und uͤber den Einbruch der Gothen in Thracien und in die angrenzen- den Provinzen. Diese Ereignisse waren indeß nur das Vorspiel je- nes allgemeinen Verderbens, welches erst im fuͤnften und sechsten Jahrhundert eintrat. , jenen Schatz von Geistesbildung zu zerstoͤren, den vom aͤußersten Orient bis in den Westen hundert Voͤlker mehr als ein Jahrtausend lang gesammelt und gemehrt hat- ten. Wer unter so grausamen Verhaͤltnissen nicht gaͤnzlich ver- sank, wer noch damals Neues zu denken, der Nachwelt neue Bahnen vorzuzeichnen faͤhig war, in dem wohnte sicher kein schwacher, kein gemeiner Geist. Doch bevor wir den guͤnstig- sten Zeitpunct dieser gleichmaͤßig aufstrebenden und versinkenden Kunstepoche verlassen, duͤrfte es noch in Frage kommen, wel- chem Volke, welcher Gegend des Alterthumes so unverzagte Gemuͤther entsprossen waren. Erwaͤgen wir, daß unter den kunstbegabten Griechen viele sehr fruͤh, vielleicht schon aus Gruͤnden ihrer eigenen Philoso- phie, der christlichen Ansicht geneigt waren, so wird uns die I. 12 Vermuthung nahe liegen, daß griechische Kuͤnstler die neue Kunst gegruͤndet, oder deren wichtigste Vorstellungen zuerst aufgefaßt und ausgestaltet haben. Indeß finden sich nur we- nig Namen Milizia ( stor. degli architetti ) hat einige Namen gesam- melt. Man deutet auch einige Monogramme an Gebaͤudetheilen auf Kuͤnstlernamen (Commentatoren des Agnellus ). Wenn ich mich recht entsinne, finden sich bey einigen Vaͤtern Kuͤnstlernamen. altchristlicher Kuͤnstler, und wenn auch aus diesen mit einiger Sicherheit auf deren Abkunft zu schließen waͤre, so ist es doch nichts weniger als ausgemacht, daß ge- rade diese Kuͤnstler, deren Namen wir durch Schriften kennen lernen, die Gruͤnder eben der Kunstideen gewesen, welche wir in den Denkmalen wahrnehmen. Es fehlt uns also, selbst wenn wir jene Vermuthung dahin bedingen, daß etwa nur ein Theil der aͤltesten Kunstideen der Christen von griechischen Kuͤnstlern erfunden und ausgebildet worden, so wahrscheinlich sie seyn moͤge, doch auch dafuͤr aller historische Beweis. Wie wuͤrden wir also erweisen koͤnnen, daß den alten Griechen die- ses Verdienst, wie Einige anzunehmen scheinen, ganz aus- schließlich angehoͤre? Gewiß ist es gegenwaͤrtig unmoͤglich, nach dem bloßen Ansehen den griechischen oder roͤmischen Ur- sprung der einzelnen Darstellungen zu erkennen, wie denn die Bildung der Griechen und Roͤmer schon in den ersten christli- chen Zeiten so innig verschmolzen war, daß auch in anderen Beziehungen die urspruͤngliche Verschiedenheit sich mehr und mehr verwischte. Wir werden demnach, was irgend Griechen oder Roͤmer, vielleicht selbst Barbaren, in den ersten Jahr- hunderten des Christenthumes gemalt und gemeißelt haben, in dem einen allumfassenden Begriff altchristlicher Kunstbestrebun- gen vereinigen muͤssen. Uebrigens duͤrfen wir nicht uͤbersehen, daß Rom damals noch die Hauptstadt der Welt war; daß, eben wie die letzten Anstrengungen der antiken und heidnischen Kunst, wie immer die Griechen daran noch Theil nahmen, doch in Rom und zur Verherrlichung Roms angestellt wurden, so auch die fruͤhesten Unternehmungen der neuen und christlichen eben nur dort besonders beguͤnstigt werden und gedeihen konnten. Da- her, denke ich, die roͤmische Bekleidung der aͤltesten Gestaltun- gen der christlichen Kunst. In der Folge freilich entstanden im neuen Rom , der Stiftung Constantins , und noch spaͤter in Ravenna neue Mittelpuncte; und es duͤrfte scheinen, als muͤsse mindestens Constantinopel schon unmittelbar nach seiner Stiftung eine ganz griechische Stadt gewesen seyn. Allein beide Gruͤndungen waren, was hier entscheidet, bloße Nach- ahmungen des alten Roms Wie wenig Constantinopel noch gegen Ende des vierten Jahr- hunderts den Vergleich mit dem alten Rom aushielt, lehrt bey Ammian , das Erstaunen Constantius II . — Die lateinische Epi- graphe der Muͤnzen von Constantinopel , der Kaisermuͤnzen uͤber- haupt, verliert sich erst im siebenten Jahrhundert (s. Eckhel doctr. num .). — Lateinische Rechtsschriften und Gesetzbuͤcher unter Theodos. u. Justinian , welche bekanntlich nicht fuͤr Italien , son- dern fuͤr das gesammte Reich angeordnet worden. , und es ist gewiß, daß Ra- venna durchaus, Constantinopel großentheils aus roͤmischen Elementen erwachsen sind. Eigenthuͤmlich Neugriechisches wer- den wir demnach um Vieles spaͤter, und erst nach dem sie- benten Jahrhundert aufsuchen koͤnnen; welches, wie ich zu be- merken bitte, die hie und da in obigem Ueberblick erwaͤhnten Denkmale nicht uͤberschreiten. 12 * IV . Ueber den Einfluß der gothischen und longo- bardischen Einwanderungen auf die Fort- pflanzung roͤmisch-altchristlicher Kunstfertig- keiten in der ganzen Ausdehnung Italiens . Aus undeutlicher Kunde von den Verheerungen des gro- ßen gothischen Krieges entspringt, wie es scheint, bey den Italienern des Mittelalters jenes unbesiegbare Vorurtheil ge- en die Gothen, aus welchem zu erklaͤren ist, daß man die- sen, bis auf sehr neue Zeiten hin, den Verfall des Gei- stes und der Fertigkeiten der Kunst beygemessen, als wenn uͤberhaupt, in sinnlichen und geistigen Dingen, die Aufloͤ- sung jederzeit eine aͤußere Ursache voraussetze. Daher, be- sonders bey italienischen Schriftstellern, der Gebrauch, jegli- ches Mißfaͤllige in Werken und Arbeiten der Kunst gothisch zu nennen; daher der Name der gothischen Architectur fuͤr ei- nen, den Italienern fremdartigen, demungeachtet sehr durch- gebildeten Baugeschmack, welcher bekanntlich nicht fruͤher, als im drryzehnten Jahrhunderte entstanden ist, also lange nachdem die Volkseigenthuͤmlichkeit der Gothen aus der Gegenwart ver- schwunden war. Ich uͤbergehe fuͤr jetzt den Namen und Be- griff der gothischen Architectur, welche uns spaͤterhin beschaͤfti- gen sollen, und setze die Unstatthaftigkeit jenes mittelalterlichen Vorurtheils gegen die Gothen, ihre Schuldlosigkeit an dem unaufhaltsamen Verfalle der Bildung der alten Welt als be- kannt voraus. Denn die Untersuchungen neuerer Forscher ha- ben allgemach eine verbreitete Anerkennung der Milde und Schonung herbeygefuͤhrt, welche die Gothen, vornehmlich un- ter Theodorich , doch auch noch unter den spaͤteren Regierun- gen, den schwachen Ueberresten roͤmischer Bildung und Sitte bewiesen S. Muratori , autt. Ital. Diss. I.; Tiraboschi , sto. della lett. It. To. V . — Gibbon jedoch, dem die griechischen Quellen zugaͤnglicher waren, der uͤber Geschmack und Sitte nicht, wie jene, durch den hoͤfischen Cassiodor geblendet wurde, faßte anderer- seits, als Britte, den militaͤrisch-politischen Geist der Verwaltung Theodorichs ungleich schaͤrfer ins Auge. Vgl. unseres Sarto- rius Preisschrift. . Die Kunstbestrebungen der aͤlteren Christen, die classisch alterthuͤmlichen, hatten ja ohnehin laͤngst aufgehoͤrt, erlitten demnach waͤhrend der gothischen Herrschaft uͤber Italien durch- aus keine Hemmungen, noch erhielten sie, wie man vormals gewaͤhnt, eine neue oder ganz verschiedene Richtung. Im Ge- gentheil ward die Musivmalerey eben in der Richtung, welche wir oben im Ganzen uͤbersehen haben, mit Erfolg und Eifer fortgeuͤbt, und, wenn wir einigen Berichten so unbedingt trauen koͤnnten, so waͤre sogar die Bildnerey, deren gaͤnzliche Abnahme seit der Mitte des vierten Jahrhunderts schon in Erinnerung gekommen, in dieser Zeit von neuem in etwas vorgeschritten. Ein Vertrag des Theodahat bey Procop De bello Goth. lib. V. cap. VII . setzt den Gebrauch voraus, den gothischen Koͤnigen und ihren Oberher- ren, den ostroͤmischen Kaisern Diesen wurde, obwohl sparsam, doch immer auch noch , Denksaͤulen zu errichten; gewiß aber befand sich vorzeiten eine Statue Theodorichs aus Erz auf dem Giebel einer Vorhalle des koͤniglichen Palastes zu Ravenna . Jener Vertrag indeß bezieht sich auf kuͤnftige moͤgliche Faͤlle, die nach den Umstaͤnden nicht wohl koͤnnen eingetreten seyn; und die Statue zu Ravenna galt nach einem Geruͤchte, welches noch den Agnellus erreicht hatte, fuͤr eine Statue des Kaisers Zeno , welche nur durch Inschrift oder sonstige Zeichen zu einer Denksaͤule des Koͤnigs Theodorich umgestaltet worden Agnell . lib. pont. vita Petri sen. cap. 2. (ap. Murat , scriptt. To. II. p . 123). In der Beschreibung der Statue folgte Agnel- lus schon entlegenen Erinnerungen, und giebt vielleicht eben daher manche Beywerke an, die in Statuen nicht wohl statt finden koͤn- nen. — Bacchini , not. ad Agn . macht aus der einen Statue ver- schiedene. Zirardini , degli Edifizi profani di Ravenna , Faenza 1762. 8. p . 109. hat aufmerksamer gelesen. . Erwaͤgen wir die technischen Schwie- rigkeiten der Bronzeguͤsse; ferner, daß Karl der Große , dem roͤmische Alterthuͤmer bekannt waren, sie bewunderte, und mit andern Zierden desselben Palastes nach Achen entfuͤhrte; so duͤrfte die Vermuthung nahe liegen, sie sey ein antikes Werk gewesen, was vielleicht auch von anderen Ehrensaͤulen dieser Zeit vorauszusetzen ist. Wie es sich nun mit der Bildnerey der gothischen Zeit verhalten moͤge, von welcher, Bauverzierungen und Muͤnzen ausgenommen, kein Denkmal auf uns gekommen ist, so machte man doch sicher nicht jene musivisch incrustirten, oder gar aus kleinen Stuͤcken zusammengesetzten Statuen, von de- spaͤterhin manches Ehrenbild in Marmor oder Metall errichtet. S. die Auszuͤge aus den Quellen bey Banduri , in Heyne , se- rioris artis opp. sub Impp. Byz. sect. I. (comm. soc, reg. scient. Goetting. vol. XI .) nen Tiraboschi getraͤumt hat Tirab . sto. della lett. It. To. c. lib. I. c. VII. §. 8. — tutta composta di sassolini minuti ed a varj colori, intrecciati ed uniti insieme . — Verschiedene haben diese Albernheit dem Tiraboschi ungepruͤft nachgeschrieben. . Gewiß verließ er sich in dieser Beziehung auf irgend einen literaͤrischen Aufschneider. Denn er kann die Stelle, auf welche er sich bezieht, weder im griechischen Text, noch in der lateinischen Version gelesen haben, wo klaͤrlich steht, das Bild, also nicht nothwendig die Bildsaͤule, sey von der Wand herabgefallen Procop . de bello Goth. lib. I. c . 24, wo der griechische Text der venez. Ausg.: Ταύτῃ τε ἅπασα ἐκ τοῦ τοίχου ἐξίτηλος ἡ ἐικὼν γέγονεν; die lateinische, dort und auch bey Muratori , scriptt. To. I. P. 1 , abgedruckte Version: „ itaque de pariete effigies pror- sus abolevit .“ , was außer Frage stellt, daß es ein musivisches Wandgemaͤlde gewesen, wie die uͤbrigen Bildnisse Theodorichs , welche Agnellus noch gesehen Agnell . l. c. „Ticinum, quae civitas Papia dicitur, ubi Theodoricus palatium struxit, et eius imaginem sedentem super equum in Tribunalis cameris Tessellis ornatis bene conspexi . — Bacchini macht eben dieses offenbar musiv. Bild zu einer zweyten Statue. — Das. geht Agnellus unmittelbar nachher auf Ra- venna uͤber, und beschreibt ein zweytes musivisches Bild Theodo- richs auf der Flaͤche des Giebelfeldes, dessen Gipfel jene Ritter- statue zierte, welche wir nicht mit dem allegorischen Gemaͤlde des Feldes verwechseln werden. . Also nicht die Gothen, sondern die blutige Ruͤckeroberung Italiens unter Justinian , der bald darauf erfolgte Einbruch der Longobarden, das neue Staatsverhaͤltniß endlich, welches aus diesen Ereignissen hervorging, verkuͤmmerte allgemach die Fortpflanzung der kuͤnstlerischen Ueberlieferungen. Auch ohne genauere Kunde zu haben, duͤrfen wir voraussetzen, daß die Verheerungen des langwierigen Gothenkrieges, daß Hunger und Seuchen, welche aus diesem entstanden, daß die Haͤrte der Longobarden gegen die roͤmische Bevoͤlkerung, selbst die Lebensgewohnheiten der juͤngsten Eroberer der Kunst vielfaͤltig Eintrag gebracht. Entscheidender indeß wirkte das endliche Ergebniß dieses Kampfes von Fremdlingen um die leidend ihrem Schicksal hingegebene Provinz. Denn es war nicht mehr, wie zur Gothenzeit, Vereinigung Italiens innerhalb sei- ner natuͤrlichen Grenzen, sondern Theilung unter feindliche Maͤchte, Unsicherheit auf weit ausgedehnten inneren Begren- zungen. Den Griechen blieb Ravenna mit seinem Stadtge- biet, das roͤmische Ducat, Sicilien , einige Staͤdte und Land- schaften der Kuͤste; das noͤrdliche Italien bis an die Suͤmpfe Venedigs , ein großer Theil des suͤdlicheren Mittellandes ge- horchte den Longobarden. So blieb es mit geringen Veraͤn- derungen, welche die Kunstgeschichte nicht angehen, bis zur fraͤnkischen Eroberung im achten Jahrhundert. Beide Haͤlften Italiens erlagen demnach dem Ungluͤck verworrener Grenzen und fremder, also mehr und minder feindseliger S. Agn . , l. c. vita S. Felicis ; obwohl die damaligen Leiden der Revennaten dem ganzen Reiche gemein waren (vergl. die ent- sprechenden byzant. Geschichtschreiber, oder Gibbon , Kap. XLVIII , und Schlosser , bilderstuͤrm. Kaiser etc. S. 115 f.), so waren doch die Abgeordneten Justinians II . genoͤthigt, in Ravenna sich der List zu bedienen, weil Gegenwehr denkbar und moͤglich war. Vergleiche dens. vita Johannis , cap . 2, wo die Feindseligkeit gegen griechische Abgeordnete thaͤtlich wird; doch liegt hier (s. Bacchini observ. V .) die Vermuthung nahe, daß die Ravennaten einen Ueberfall der Bilderstuͤrmer abgewiesen. Vgl. die endlosen Beschwerden der Roͤ- Beherrscher. Diese indeß waren in Ansichten und Gewoͤhnungen des Lebens so hoͤchst verschieden, der Ein- fluß aber von Verfassungen und Machthabern ist nach allen Erfahrungen so uͤberwiegend, daß wir durchaus voraussetzen muͤssen, das longobardische Land sey schon sehr fruͤh in vielen Stuͤcken, und namentlich in Dingen der Kunst, von den grie- chischen Provinzen abgewichen. Diese erhielten, neben roͤmisch-buͤrgerlichen Rechten und Sitten, welche wohl beurkundet sind S. Savigny , Geschichte des roͤmischen Rechts, a. s. St. , in ummauerten, un- zerstoͤrten Staͤdten, vornehmlich in Ravenna selbst, dem Sitze der neuen Provinzialregierung, die Baukunst mit ihren Beglei- terinnen, den bildenden Kuͤnsten, bey den roͤmischen, oder sa- gen wir lieber, den altchristlichen Gewohnheiten. Zu Anfang dieser Epoche wagte man sich noch an das Große und Glaͤn- zende; S. Vitale, noch unter den Gothen begonnen, ward unter Justinian vollendet und mit herrlichen Musiven ge- ziert S. Agnell . l. c. vita S. Ecclesii, I . und den Commentar des Bacchini , obs. I et II . — Abbildungen der Musive an mehr als einer Stelle, doch durchhin ungenau. ; andere minder ausgedehnte, doch aͤhnlich geschmuͤckte Bauwerke wurden unter den vorangehenden und naͤchstfolgen- den Fuͤrsten in Menge errichtet; Denkmale, welche Agnello selbst gesehen und, theils nach ihren Inschriften, als Werke verschiedener Bischoͤfe unterschieden S. Agnell . l. c . vom Leben des heil. Ursus bis gegen Ende des sechsten Jahrhunderts, wo im Leben des heil. Marinia- nus , und in den nachfolgenden, die fruͤher fast ununterbrochene Reihe kunsthist. Notizen in seltene und wenig bedeutende Nachrich- ten auslaͤuft. Auch bey Anastasius mindern sich gleichzeitig die ; deren manche bis auf mer in dem Leben der Paͤpste, in deren Briefen; oder Gibbon durchhin; besser: Schlosser , a. a. O. die juͤngste Zeit herab sich erhalten haben. Allein nachdem der kurze Rausch der Ruͤckeroberung Italiens sich gelegt hatte, als man, schon auf einzelne Provinzen und Staͤdte beschraͤnkt, auch diese nur muͤhseelig behauptete, verminderten sich noth- wendig auch die Bauunternehmungen; man hatte zu Rom , wie zu Ravenna , in den letzten Zeiten der schwersten Bedraͤng- niß durch die Longobarden wohl kaum die Mittel, das Vor- handene nothduͤrftig zu unterhalten, wie aus den zahlreichen Wiederherstellungen alter Bauwerke erhellt, welche die Paͤpste beschaͤftigten, unmittelbar nachdem sie durch Karl den Großen , zum Theil schon durch Pipin , Sicherheit erlangt und neue Huͤlfsquellen erworben hatten. Die Longobarden dagegen, welche, als Germanen, sicher weder eine eigene Kunst hinzubrachten Leges Rotharis (LL. Long.) 288. Si quis de lignamine adu- nato in curte aut in platea ad casam faciendam lignum furatus fue- rit, componat sol. VI. cf. c . 287. 290. 308. — Vergl. K. G. An- ton , Geschichte der teutschen Landwirthsch. Th. 1. Goͤrlitz 1799. S. 86 ff. (Gebaͤude) S. 95. (Ackerbau). , noch deren Werke zu wuͤrdigen wußten, hatten, wie ihre Gesetze darlegen, ihre nordteutsche Hofeinrichtung nach Italien verpflanzt, und hie und da, wie Urkunden zeigen Zu Verona , s. Maffei Ver. ill .; auch zu Chiusi , welches, wie Siena , im fruͤheren MA. ein offener Flecken war, mit einigen Burgen zur Schutzwehr und Zuflucht. — Tiraboschi , stor. lett. To. V. lib. II. c. 1. §. V. ff ., sucht gegen Muratori darzulegen, daß die Longobarden Italien nicht eben begluͤckt haben; zu diesem Zwecke vereinigt er bis §. X . eine Menge Beweisstellen, welche al- lerdings von großem Ungluͤck zeugen, doch nicht eigentlich widerle- , inmitten verwuͤsteter Staͤdte Nachrichten von Stiftungen der Paͤpste. Die Bedraͤngnisse beider Hauptstaͤdte des westlichen Reiches begannen eben damals zur Zeit Gregor des Großen ( ep. Gr. M. lib. 2. ep . 32.). ihre Hoͤfe angelegt, weshalb die Kunst bey ihnen weder durch Sitte, noch durch Lebenseinrichtung beguͤnstigt wurde, ja nicht einmal durch religioͤse Meinungen, da sie bekanntlich groͤßeren- theils der Lehre des Arius anhingen, welche dem kirchlichen Besitz und Glanze unguͤnstig war. Es ist daher so unwahr- scheinlich als unbekundet, daß sie unmittelbar nach der Ero- berung die Kuͤnste bey ihren roͤmischen Unterthanen befoͤrdert haben, deren Lage damals, wie man immer die bekannte Stelle Paul Warnefrieds auslegen wolle, doch sicher von der Art war, daß sie freywillig schwerlich mehr, als das hoͤchst Nothduͤrftige unternommen. Pavia indeß ward unver- sehrt in Besitz genommen Paul. Diac. de gestis Long. lib. 11. c . 27. , der Palast Theodorichs , als Re- sidenz der longobardischen Koͤnige, so wohl unterhalten, daß Agnello Agnell . l. c. vita Petri Sen. c . 2. noch in den Zeiten Karl des Großen das Wandgemaͤlde Theoderichs darin beschauen konnte; woher zu schließen, daß die neuen Einwanderer, wenigstens ihre Beherr- scher, sich fruͤh an italisches Gemach gewoͤhnt haben. Gewiß ward spaͤterhin, gegen die Mitte der longobardischen Herr- schaft, zu Pavia manches neue Bauwerk errichtet S. Paul. Diac. lib. IV. cap. 22. 23; lib. V. c. 33. 34. 36, 50; lib. VI. c . 1. 17. 35. 58. Diese Angaben betreffen einzig die koͤnigl. Residenzstaͤtten, sind nur gelegentliche Erwaͤhnungen, lassen mithin Raum fuͤr die Vermuthung, daß uͤberall ein Gleiches statt gefunden, was hie und da aus Urkunden und Inschriften erweislich ist. Die Inschrift zu Citta nuova bey Muratori ( antt. It. Diss . 21); ein Bruchstuͤck aus Koͤnig Cuniperts Zeit bey Bava ( Diss. istoriche, ragion . 2) und die wichtigere bey Pizzetti ( antt. Tos- , deren gen, was Muratori aus seinem histor. Standpunkt, der jenem fehlte, behauptet hatte. Ueberreste indeß, wie ich befuͤrchten muß, theils spaͤteren Bau- ten Raum gegeben, theils unter den Erneuerungen nachfolgen- der Jahrhunderte unkenntlich geworden sind. So fuͤhrt auch Brunetti Cod. dipl. Toscano . P. 1. Ser. c. cap. III . §. 7. aus Urkunden von den Jahren 754 und 763 an, daß der Koͤnig Aistolf einen zu Lucca ansaͤßigen Maler Aripert beguͤnstigt und beschenkt habe. Im Allgemeinen werden wir demnach annehmen duͤrfen, daß waͤhrend dieses Zeitraums die altchristliche Kunstuͤbung zu Rom und Ravenna in eben dem Verhaͤltniß zuruͤck geschritten sey, als sie im longobardischen Italien allmaͤhlich zugenom- men; bis, gegen die Zeit Karls des Großen , durch den Ruͤck- schritt des einen, den Vorschritt des anderen Theiles wiederum eine gewisse Gleichheit der Kunststufe entstanden. Von einer gemeinschaftlichen Grundlage spaͤtroͤmischer Technik und christ- licher Kunstideen, war die Kunstuͤbung in beiden Bezirken Ita- liens ausgegangen; und bey vielfaͤltigen Feindseeligkeiten wa- ren doch friedlichere Beruͤhrungen S. Epp. Greg. M. , deren viele an longob. Machthaber ge- richtet sind. bey so nahen Anwoh- nern unvermeidlich, wie sie den wirklich auch aus den spaͤrlich cane T. 1. lib. 1. c. 13. p . 268), welche ein, unter Luitprand , zu Chiusi angefertigtes Ciborium beurkundet. Indeß enthaͤlt eine zweyte, dem Ansehen nach spaͤtere, Inschrift die Worte: cedat no- vitati diruti antiquitas ligni , welche Zweifel hervorrufen, ob nicht die Altarverzierung der longob. Zeit in spaͤteren erneuert worden; obwohl die aͤltere Inschrift durch die Worte: pulcrius ecce micat nitenti marmoris decus , diesen Zweifel wiederum aufzuheben scheint. Unter allen Umstaͤnden gehoͤrt diese Arbeit der Bauverzierung einer Provinzialstadt an; zu den uͤbrigen Inschriften fehlen uns aber die Werke, deren Zeitalter sie bezeugten. — Auf einige die Baukunst betreffende Umstaͤnde werde ich in der achten Abhandlung zuruͤckkommen. fließenden Quellen der Geschichten jener Zeit sich genuͤgend nachweisen lassen. Allerdings nun ist der Zustand der italienischen Kunstuͤ- bung dieser Zeiten weder an sich selbst besonders merkwuͤrdig, noch durch Denkmale recht umstaͤndlich bekannt. Wir werden uns daher, die oben aufgestellten Vermuthungen zu bekraͤfti- gen, mit spaͤrlichen Beispielen begnuͤgen muͤssen, welche uns vornehmlich die Handschriften darbieten; obwohl sogar diese nur eine karge Ausbeute geben, da der Gebrauch, die Buͤcher durch Bilder zu verzieren, wie es scheint, im Abendlande erst am Hofe der Carolinger Aufnahme und Beguͤnstigung gefunden. Die wichtigste Urkunde der Malerey longobardischer Zei- ten, welche mir zu Gesicht gekommen, befindet sich auf eini- gen Blaͤttern der beruͤhmten Bibeluͤbersetzung der Abtey auf Monte Amiata , gegenwaͤrtig im Besitze der Laurentiana zu Florenz . Bandini Bandini cat. bibl. Leop. Laur. T. 1. p. 701. cap. 1. Diss. de insigni cod. Bibl. Amiatino . versetzt das Alter dieser Handschrift durch uͤberzeugende Gruͤnde in das sechste Jahrhundert; waͤren diese etwa zu entkraͤften, so wuͤrde sie doch immer schon der Schrift und dem aͤußeren Ansehen nach nicht weit daruͤber hinausgehen koͤnnen. In diesem Buche nun besitzen wir ei- nige miniirte Blaͤtter, welche ziemlich kunstlos sind, doch, in Vergleich der spaͤteren italienischen Arbeiten aus dem neunten bis eilften Jahrhundert, noch immer Lob verdienen. Das erste Blatt (Seite 7. III. des Codex) enthaͤlt in der Mitte einer sehr einfachen Verzierung biblische Geraͤthe und Sinnbil- der, welche hie und da auch in den musivischen Werken der aͤlteren Christen vorkommen. Das zweyte Blatt (Seite 4. V ) enthaͤlt eine Figur, nach der etwas neueren Ueberschrift, den Esdra, der die Buͤcher des alten Testaments vereinigt, welche Handlung der geoͤffnete und antiquarisch beachtenswerthe Buͤ- cherschrank im Grunde offenbar anzudeuten beabsichtigt. Die Figur hat, bey schlechterer Ausfuͤhrung, etwas von jener Duͤr- re, welche die neugriechische Bildnerey fruͤh, ihre Malerey in- deß viel spaͤter angenommen, welche wahrscheinlich auch hier aus eben dem Gebrauche von Durchzeichnungen entstanden ist, welche den Kunstgestaltungen der spaͤtesten Neugriechen ihr mu- mienartiges Ansehen gegeben. Denn aus der Aufschrift, wel- che die Ruͤckseite des Blattes 86 zeigt, erhellt allerdings Be- kanntschaft mit griechischen Buchstaben, welche um diese Zeit noch nicht befremden darf; doch weder, daß der dortgenannte Servandus ein Grieche gewesen, noch daß er griechische Vor- bilder vor Augen gehabt, die ihn sicher besser geleitet haben wuͤrden, da in unserem Bilde bereits die Vorzeichen der aͤu- ßersten Entartung italienischer Malerey vornehmlich darin sich zeigen, daß die Augaͤpfel nur als ein kleiner Punct im weit entbloͤßten Weißen angedeutet sind. Technisch merkwuͤrdig ist unter den folgenden (auf dem Blatte 6. VII ) ein allerdings sehr unvollkommen gezeichnetes Koͤpfchen, welches nach Art der Bildnisse auf Glasgefaͤßen der Coemeterien gemacht ist, durch Schraffirung nemlich, mit ei- nem scharfen Werkzeuge, im frisch aufgelegten Golde; ferner in Bezug auf Anordnung, die Gestalt des Heilandes (Blatt 796, Ruͤckseite), den zwey Engel mit Staͤben in der Hand verehren. Ich zweifle nicht, daß in anderen kirchlichen Handschrif- ten dieser Zeit, welche allerdings zu den Seltenheiten gehoͤren, an einigen Stellen aͤhnliche Verzierungen vorkommen; doch wird dieses calligraphische Prachtstuͤck, welches betraͤchtlichen Aufwand voraussetzt, da es in groͤßter Form und herrlich ge- schrieben ist, an sich selbst fuͤr ein sehr hervorstechendes Bey- spiel gelten koͤnnen. Als Gegenstuͤck in der Schriftart bezeich- net Bandini A. a. O. einen Bibelcodex der Dombibliothek zu Pe- rugia , vielleicht denselben, der dort mit No. 19 bezeichnet ist und dem siebenten oder achten Jahrhundert zugeschrieben wird. Er enthaͤlt drey colorirte Federzeichnungen von sehr geringer Arbeit. Die erste zeigt den Weltlehrer, wie er vom Thron herab durch einen Engel dem Matthaͤus sein Evangelium rei- chen laͤßt. Auf den Wangen rothe Flecke, weit geoͤffnete Au- gen, keine Spur von Schatten und Licht, vielmehr sind die Theile nur durch harte Federumrisse geschieden. Uebrigens ist in der Bewegung etwas Gutes, und die antiken Faltenmassen sind weder unverstaͤndig durcheinander geworfen, wie es spaͤ- terhin, auch bey besserer Ausfuͤhrung, vorkommt, noch durch barbarischen Schmuck unterbrochen. Die Beyschriften, welche sich zur Currentschrift hinneigen, sind den Diplomen der lon- gobardischen Zeit nicht unaͤhnlich. Andere und groͤßere Kunstwerke, von denen erweislich waͤre, daß sie innerhalb und unter der Herrschaft longobardi- scher Koͤnige verfertigt worden, sind mir bis dahin nicht vor- gekommen. Die Bildnerarbeiten an der Johanniskirche zu Monza habe ich nicht selbst untersucht, bezweifle jedoch nach den Abbildungen S. die Abbildung bey Muratori ( scriptt. T. I. P. I. ad p. 460. , daß sie bis zur ersten Gruͤndung der Kirche durch die Koͤnigin Theudelinde zuruͤckreichen. Was darin aus altchristlichen Darstellungen entnommen ist, koͤnnte allerdings eben sowohl aͤlter als neuer seyn; allein das Bild der Koͤni- gin erinnert zu sehr an Schmuck und Bekleidung des Mittel- alters, und man muͤßte, um diese Frage zu erledigen, das Gebaͤude selbst untersuchen, welches gar wohl im eilften oder zwoͤlften Jahrhunderte erneuet seyn koͤnnte. Sehr bemerkens- werth ist ein anderes Denkmal, welches hier wohl von neuem in Frage kommen duͤrfte; jenes Stuͤck nemlich im Fußboden der Kirche S. Michael zu Pavia , wo an einer Seite David und Goliath, an der anderen Theseus und der Minotaurus Ciampini , vet. mon. Romae 1699. p. 4 sq . Er erwaͤhnt eines aͤhnlichen Denkmals im Fußboden von S. Maria tras Te- vere, prope sacrarii januam , welches ich uͤbersehen, wenn es noch vorhanden ist. . Dieses Gleichstellen mythischer und christlicher Charaktere, Er- eignisse und Sinnbilder entspricht indeß, wie wir uns entsin- nen, vorzuͤglich der aͤlteren Epoche christlich kuͤnstlerischer Dar- stellungen, und die Kirche selbst, deren Paul Diac . nicht als einer neuen Gruͤndung, sondern als eines bestehenden Gebaͤu- des erwaͤhnt, scheint fruͤher erbaut zu seyn, und diente viel- leicht schon dem Palaste der Gothenkoͤnige zur Kapelle. Gegen die Meinung indeß der Topographen und Geschichtschreiber der Stadt Pavia , welche diese Kirche roͤmischen Zeiten zuschreiben, behauptet Muratori Annali d’ Italia , ad a . 650, denen Tiraboschi ( sto. c. T. V. ) gar unbedingt nachfolgt. , sie sey von longobardischen Koͤni- gen erbaut worden. Allein, da er nicht angiebt, von welchem besonderen Koͤnige, so werden seine Gruͤnde eben nur auf dem Titel der Kirche und auf dem Umstande beruhen, daß der Erzengel Michael von longobardischen Koͤnigen verehrt, und auf den Ruͤckseiten ihrer Muͤnzen angebracht worden. Doch ist ist es nicht ohne Beyspiel, daß man neubeliebte Titel auf aͤl- tere Gebaͤude uͤbertragen Anast . l. c. vita Sergii II. (ap. Mur . scriptt. T. c. p. 229. col. 2). — Nam et basilicam Beati Romani martyris, quae non longe ab urbe foris porta salaria sita est, a fundamentis perfecit. Quam etiam titulo SS. Silvestri et Martini Parrochiam esse decre- vit . — Hierauf gruͤndete ich oben die Vermuthung: daß zu Vene- dig schon vor der Ueberkunft der Reliquien des heil. Marcus an der Stelle der gegenwaͤrtigen Kirche dieses Heil. eine andere vor- handen war. ; aus dem Titel allein wird daher, wenn bessere Gruͤnde fehlen, das Alter des Gebaͤudes nicht wohl zu bestimmen seyn. Nicht unwichtig sind uns, bei solcher Duͤrftigkeit der Denkmale, die Ueberreste von Wandmalereyen in der unterir- dischen kleinen Basilica, uͤber welche der gegenwaͤrtige Dom zu Asisi im zwoͤlften Jahrhundert aufgerichtet worden. Diese kleine Kirche wird von sechs Saͤulen gestuͤtzt, deren Kapitaͤle, aus Travertin, antik zu seyn scheinen, oder doch alten Vor- bildern mit vielem Fleiße nachgebildet sind. Die alten Um- fangsmauern sind von drey Seiten vermauert; nur die Mauer der Tribune, in welche der Saͤulengang ausgeht, bestand noch in ihrer ersten Gestalt, als ich dieses Denkmal im Jahre 1819 besichtigte. Die verzierende Einfassung, ein Zickzack in Braun und Gruͤn, ist noch mit antiker Praxis gemalt; denn die Lichter sind pastos aufgetragen, was spaͤterhin sich verliert. Die Zeichen der Evangelisten, die Figur eines Heiligen, das Einzige, so nicht abgefallen, waren den erwaͤhnten Buͤcherver- zierungen in Wahl, Vertheilung und Zeichnung nicht unaͤhn- lich. Erwaͤgen wir, daß diese Malereyen fuͤr die fruͤhere Epoche, das fuͤnfte und sechste Jahrhundert, zu unvollkommen, I. 13 fuͤr die nachfolgende der fraͤnkisch-saͤchsischen Herrschaft viel zu alterthuͤmlich und selbst zu kunstreich; daß die Namenszuͤge der Heiligen in eckigen, obwohl ungleichen Capitalbuchstaben geschrieben sind, welche keine neuere Schrift-Gewohnheiten verrathen: so duͤrfte die Vermuthung, daß sie vor Ankunft Karls des Großen oder waͤhrend der longobardischen Herrschaft beschafft worden, an Sicherheit gewinnen. Gewiß ist das Gemaͤuer, an welchem diese Malereyen haften, nach seiner ar- chitectonischen Anlage und Ausfuͤhrung S. Disamina degli scritt. e Doc. risguardauti S. Rufino vesc. e martire di Asisi . ib. 1797. 4. p. 171. s . um Vieles aͤlter, als der neue Bau; auch haben die roh angelegten Verstaͤrkun- gen der Seitenmauern der Unterkirche offenbar den Zweck, die Pfeiler der oberen, neueren Kirche zu unterstuͤtzen. Die An- nahme eines oͤrtlichen Forschers, daß jene Malereyen nicht fruͤher, als eben damals beschafft worden, als der Heilige seine neue, glaͤnzendere Wohnung bezog, ist nach diesen Vor- aussetzungen ganz unhaltbar Ebendas. Die Vermuthung dieses Localscribenten ist durchaus unbegruͤndet, nur einer jener willkuͤhrlichen Griffe, in welche die Geschichtschreiber leicht verfallen, wenn es Dinge angeht, die ihnen minder wichtig scheinen. . Den eben beschriebenen Wandmalereyen sind die besser bewahrten der kleinen, gleichfalls unterirdischen Kapelle S. Nazario e Celso zu Verona in Entwurf, Manier und Aus- fuͤhrung nicht unaͤhnlich. Ich uͤbergehe sie indeß, da sie vor kurzem beschrieben und so gluͤcklich charakterisirt worden, daß Niemand so leicht ihr Zeitalter verkennen wird S. Fr. H. von der Hagen , Briefe in die Heimat, Bd. II. S. 62. . Besser beurkundet, als diese beiden Denkmale, und dem- ungeachtet, als stark nachgebessert und von mannichfaltigen Herstellungen durchsetzt, an sich selbst minder urkundlich, sind die musivischen Malereyen der Kirche S. Agnese außerhalb Rom , welche nach Anastasius im siebenten Jahrhundert von Papst Honorius angeordnet worden Ueber diese Arbeit bemerkte ich Folgendes an der Stelle: „Sehr beschaͤdigt; vieles sogar nur durch Malerey wieder hergestellt In der Mitte eine weibliche Figur in fremdartiger, fast byzantini- scher Bekleidung, welche im Ganzen minder gelitten hat. Ihr Ant- litz ist sehr einfach behandelt; die Grundfarbe hell; einige Linien darin, die Zuͤge zu bezeichnen, zwey braune Flecken auf der Wange. Dieser rohen Behandlung ungeachtet ein gewisser Ausdruck von Gutmuͤthigkeit und Annaͤherung an Schoͤnheit der Bildung.“ ; ferner die bekannten Ueberreste der Kapelle Johannes VII. in den Gewoͤlben der Peterskirche. In so weit man in dem mannichfaltigsten Flick- werk die aͤltesten Theile noch unterscheiden kann, deuten auch diese auf jenen raschen Ruͤckschritt in technischen Vortheilen, den der unaufhaltsame Verfall der griechisch-roͤmischen Provinz, wie ich bereits angedeutet, nothwendig herbeyfuͤhren mußte. Aus angefuͤhrten, allerdings nur nothduͤrftigen Beyspie- len, deren Zahl ich durch unerprobte Angaben neuerer Schrift- steller nicht zu vermehren wage, schließe ich: daß alle Kunst- arbeiten der longobardischen Zeit, deren Andenken durch gleich- zeitige, oder um wenig spaͤtere Schriftsteller erhalten worden, dem Entwurf nach meistens spaͤtroͤmisch oder altchristlich, allein der Aussuͤhrung nach schon ungleich roher und formloser ge- wesen, als aͤhnliche der naͤchst vorangegangenen Epoche der gothischen Herrschaft. 13 * V. Zustand der bildenden Kuͤnste von Karl des Großen Regierung bis auf Friedrich I. Fuͤr Italien das Zeitalter aͤußerster Entartung. Gegen Ende des Zeitraumes, den wir so eben im Gan- zen uͤbersehen haben, mindern sich also die oͤffentlichen Kunst- unternehmungen in beiden Hauptstaͤdten der griechisch-roͤmischen Provinz. Gewaltsame Verwaltung; mancherley innerer Hader; fortgehende Abnahme der Gewerbe, des Handels, der Wohl- farth der alten Welt; Ohnmacht des Mittelpunctes der Staats- gewalt und steigender Druck der longobardischen Anwohner bald auf die eine, bald auf die andere Grenze der griechischen Provinz, verringerte nothwendig deren Huͤlfsquellen bis zur gaͤnzlichen Erschoͤpfung. Gewiß hatte das buͤrgerliche Elend Roms zur Zeit Gregor des Großen , dessen Klagen und Be- fuͤrchtungen bekannt sind, noch lange nicht seine hoͤchste Stufe erreicht. Es konnte daher Aufsehen machen, als Donus , der im Jahre 676 zum roͤmischen Bischof erwaͤhlt worden, den Vorhof der großen, leider durch den neuen Bau verdraͤngten, Basilica S. Peters mit weißen Marmorquadern, wahrschein- lich Spolien altroͤmischer Gebaͤude, belegen ließ S. Paul. Diac. de gestis Long. lib. V. c . 31. und Ana- stas . bibl. de vitis pont. v. Doni. Beide erwaͤhnen dieser nuͤtzli- chen Vorrichtung mit einem Pomp, der vermuthlich aus dem Aus- . Doch nachdem unertraͤglicher Druck der Longobarden auf die ohnmaͤchtige, huͤlflose Provinz, oder auch Ehrgeiz und Herrschsucht unternehmender Paͤpste veranlaßt hatte, sich mit Erfolg um fraͤnkischen Schutz zu bewerben; nachdem Rom zu- naͤchst an Sicherheit und Ruhe gewonnen, endlich sogar uͤber seine italienischen Feinde und Nebenbuhler, Longobarden und Ravennaten, gesiegt, von allen Seiten Ansehen und neue Huͤlfsquellen erworben hatte, da erwachte, im Angesicht der noch wohlerhaltenen Truͤmmer der herrlichen Weltstadt, die alte roͤmische Prachtliebe, und mit ihr der Trieb, sowohl Al- tes zu erhalten, als wie Neues zu gruͤnden. Zu Rom dem- nach, und nicht mehr in Ravenna , welches bis dahin, wie es buͤrgerlich der That nach die Hauptstadt der griechischen Provinz gewesen, so auch kirchlich, obwohl vergebens, nach Unabhaͤngigkeit gestrebt hatte, haben wir nunmehr fuͤr einige Zeit den Mittelpunct italienischer Kunstbestrebungen aufzusu- chen; wenn anders mechanische Fortpflanzung uͤberlieferter Fer- tigkeiten, knechtische, und dennoch mißverstandene Nachahmung alter Vorbilder uͤberall noch Kunst zu heißen verdient. Der vorangegangene Zeitraum vereinigte gegenwaͤrtige Bedraͤngnisse, welche alle Kraͤfte erschoͤpfen mußten, da die Landschaft wiederholt verwuͤstet, der Friede haͤufig durch schwere Opfer erkauft wurde, mit ungemessenen Hoffnungen auf die Zukunft. Diese Hoffnungen, wenigstens die naͤher liegenden, druck ihrer Quellen in den ihrigen hinuͤbergeflossen. — Ich fuͤhre hier und in der Folge das sogen. liber pontificalis stets unter dem Namen des Anastasius auf, weil es uͤberall unter demselben ab- gedruckt worden. S. uͤber die verschiedenen Verfasser dieses Wer- kes, Blanchini , Diss. etc. c. VIII. bey Muratori , scriptt. T. III. p. 24. sq. gingen unter Hadrian I. in Erfuͤllung, welcher den roͤmischen Stuhl, wie bekannt ist, an Macht und Einfluß und weltli- chen Mitteln auf eine fruͤher kaum geahnete Hoͤhe brachte. Daher vervielfaͤltigen sich unter seiner Regierung die Nachrich- ten von mancherley Aufwand fuͤr den Gebrauch und zur Ver- herrlichung der Kirche. Das naͤchste Ziel des wieder angereg- ten Kunststrebens war die Wiederherstellung verfallener Kirchen und anderer Gebaͤude von allgemeiner Wichtigkeit S. Anast . bibl. de vitis pontif. cura C. A. Fabroti , Ven. 1729. fo. p . 59 — 63, wo von unzaͤhligen Kirchen gemeldet wird, daß trabes (tecti) confractae , oder tectum, vicinum ruinae , oder ba- silica, quae in ruina erat , wieder hergestellt worden; dasselbe p. 60. col. 2. p. 61. col . 1, von antiken Wasserleitungen. ; denn offenbar hatten diese uͤberall, und besonders zu Rom , durch lange Vernachlaͤssigung gelitten. Dann ging man zu neuen Stiftungen uͤber, deren Kunstverdienst und Eigenthuͤmliches noch immer aus einigen Denkmalen der Regierung Leos III. hervorspricht, wenn sie anders diesem, und nicht dem folgen- den Leo beyzumessen sind, woruͤber wir uns vor Allem Ge- wißheit verschaffen muͤssen. Anastasius , in kunsthistorischer Beziehung fuͤr diese Zeiten bey weitem der wichtigste Gewaͤhrsmann, erzaͤhlt, daß Leo III. im lateranischen Palaste einen Festsaal habe von Grund auf bauen und durch musivische Malereyen ausschmuͤk- ken lassen Anast . l. et ed. c. p. 76. col. 1. — „cameram ipsius ma- cronae noviter fecit et diversis historiis pictura mirifice decoravit.“ cf. p. 66. col. 1. p. 69. col . 1. . An einer anderen Stelle aber, im Leben Leos IV. , erwaͤhnt dieser, oder wahrscheinlicher ein anderer der Schriftsteller, welche unter seinem Namen gehen, einiger Wie- derherstellungen, welche der letzte in demselben Gebaͤude habe vornehmen lassen, auf eine so dunkele und mehrdeutige Weise, daß Platina verleitet ward, sie von Vollendung des Gebaͤu- des selbst zu verstehen Platina , de vit. pont. Leone IV. — „Solarium a Leone III. inchoatum perfecit.“ . Da es nun gilt, uns irgend eines Denkmals, aus welchem der Zustand der roͤmischen Kunst da- maliger Zeiten zu beurtheilen waͤre, ganz zu versichern; so werden wir jene Stelle, so wenig anziehend sie seyn mag, doch einer genaueren Pruͤfung unterwerfen muͤssen Anast . l. et ed. c. p. 94. col. 2. (ap. Murat. scriptt. To. III. p. 232. col. 2). — „Nam et (ad) accubitum, quod Dn. Leo b. m III. papa a fundamentis construxerat, et (del.) omnia orna- menta, quae ibi paraverat, tunc (so einige HSS.) prae nimia ve- tustate et oblivione antecessorum pontificum deleta (ablata?) sunt. Et in die natalis D. N. I. Chr. secundum carnem tam Dn. Grego- rius , quam et Dn. Sergius s. rec. ibi minime epulabantur . Idem vero beat. et summus praesul Leo IV. cum gaudio et nimia delecta- tione omnia ornamenta, quae inde deleta (ablata) fuerant, noviter reparavit et ad usum pristinum magnifice revocavit.“ — Vgl. Nic. Alemanni , de Lateran. parictinis. Rom 1756. 4. . Betrachten wir sie zuerst als unverdorben durch Nachlaͤs- sigkeiten der Abschreiber, vielmehr nur als schlecht abgefaßt; so wuͤrden wir gleich anfangs das Wort accubitum als No- minativ ansehen, und, nebst dem folgenden, ornamenta , mit dem Zeitworte deleta verbinden muͤssen. Auf diese Weise auf- gefaßt ergaͤbe sich der Sinn, daß der ganze Festsaal in der nicht langen Zwischenzeit von Leo III. zum vierten dieses Na- mens zu Grund gegangen sey. Da aber der Schriftsteller, dem wir dieses Leben verdanken, nach seiner ganzen Manier und Richtung alsdann nicht wuͤrde unterlassen haben, uns die Wiederaufrichtung unten zu melden; da es zudem, bey großer Dauerhaftigkeit damaliger Bauwerke, unwahrscheinlich ist, daß dieses so fruͤh schon eingegangen sey: so werden wir vermuthen duͤrfen, der Text sey hier entstellt. Und in der That scheint gleich im ersten Satze vor accubitum , welches nach der Schreibart und Gewohnheit dieses elenden Scribenten noth- wendig Accusativ ist Id. (Ed. Murat. p. 209. col. 1), — et accubitos . , das muͤßige et eine Praͤposition ver- draͤngt, oder das folgende ac- sie in sich aufgenommen zu haben, nach Analogieen ein ad; das zweyte et vor omnia moͤchte aber, durch Nachlaͤssigkeit des Schriftstellers selbst oder nur seiner Abschreiber, sich bloß eingeschlichen haben; deleta endlich, wenn nicht schon hier, doch unten, ganz sicher aus ablata entstanden seyn. Denn dieses letzte paßt ungleich bes- ser zu ornamenta , welches dem Anastas oder seinen naͤhe- ren Vorgaͤngern uͤberall bewegliches Geraͤthe bedeutet, und wird unten durch das voranstehende inde durchaus gefordert; wie endlich, bey longobardischer Schriftart, in welcher wenig- stens der aͤlteste Codex geschrieben seyn mußte, von den Ab- schreibern, vielleicht von den Editoren selbst, jenes ab sehr leicht fuͤr de genommen werden konnte. Nach diesen Aende- rungen wuͤrde die ganze Stelle uns folgenden, sowohl in sich selbst, als mit den Umstaͤnden uͤbereinstimmenden Sinn geben. „Denn beym Festsaale, den Herr Leo III. seligen An- denkens von Grund auf erbauet hatte, waren damals (unter Leo IV. ) alle Geraͤthe, welche er daselbst beschafft hatte, vor Alter und durch Vernachlaͤssigung der vorangehenden Paͤpste, verstreuet worden. Gewiß hatten, sowohl Herr Gregor , als auch Herr Sergius , heil. Andenkens, daselbst am Weihnachts- tage keine Tafel gehalten Ueber das Etikette dieser Mahlzeiten findet sich bey Ale- manni a. a. O. und bey anderen roͤmisch-kirchlichen Schriftstellern die noͤthige Auskunft. . Dieser Papst Leo IV. ersetzte aber alles Geraͤthe, welches von da war weggenommen wor- den, und gab es seiner fruͤheren Bestimmung zuruͤck.“ Leo dem dritten , und nicht dem vierten Was Leo IV. fuͤr das Gebaͤude selbst gethan, findet sich Anast. l. et ed. col . 1. und ( ed. Mur. T. et p. cc. col . 1.) genauer angegeben. „Solarium, quod b. m. Leo III. Papa construxerat, cum prae nimia vetustate fractis trabibus in ruinis cerneretur, eversum (al. emersum) (al. emersit noviter etc.) noviter pulcrius in meliorem speciem restauravit.“ Doch ist diese Stelle von modernen Kritikern zugerichtet, die Lesarten der Handschriften werden hier sehr man- nichfaltig, so daß ich fuͤrchte, daß Alles, was daraus abzunehmen, auf Nachbesserung des Daches ausgeht, welches allein, und keines- weges die Mauern und Woͤlbungen an den Seiten, in so kurzer Zeit konnte eingegangen seyn. , wuͤrden wir demnach das Bauwerk und Musiv beymessen duͤrfen, dessen Ueberrest Reisende wohl einmal im Voruͤbergehen betrachten, wann die herrliche Aussicht nach Frascati hin sie an die Stelle fuͤhrt. Leider hat die unbegreifliche Neuerungssucht der Paͤpste auch dieses Denkmal nicht mehr verschont, als so viel andere des hohen Alters ihres kirchlichen Ansehens. Nicht einmal dem Gemaͤuer des Bruckstuͤckes, an welchem unser Gemaͤlde befestigt ist, hat man sein alterthuͤmliches Ansehen gelassen, denn es ist durchaus incrustirt worden, um es mit den gro- tesken Gebaͤuden umher in Uebereinstimmung zu setzen; auf welche Veranlassung auch die musivischen Malereyen, wie wir nicht uͤbersehen duͤrfen, allerdings bedeutende Ausbesserungen erlitten haben. Demungeachtet unterscheiden wir an ihnen, einmal die noch vorwaltende altchristliche Anordnung, welche durch die eingeschobenen Stuͤcke nicht veraͤndert worden; dann in allen besser bewahrten Theilen die Nachwirkung und Fort- pflanzung der musivischen Technik des sinkenden Reiches. Al- lerdings sind erhebliche Ruͤckschritte bemerkbar; doch ist es noch immer weit bis zu jener aͤußersten Versunkenheit der naͤchst- folgenden Zeiten, welche wir nun bald zu betrachten haben. Denn in dem Weltlehrer, in den Aposteln Petrus und Pau- lus , zeigt sich noch einige Spur jener herkoͤmmlichen Wuͤrde, deren Ursprung ich oben nachgewiesen, und, wie die Beyschrif- ten beweisen, versuchte man sogar die Bildnisse Constantins und Karls des Großen , endlich des Stifters selbst darin an- zubringen; doch wohl mehr der Allegorie, als des Charakters willen, dessen Bezeichnung noch uͤber die Kraͤfte damaliger Kuͤnstler hinausging. Von den Malereyen der naͤchstfolgenden und schlimmsten Zeit unterscheiden sich die unsrigen vornehm- lich durch etwas reinere Umrisse und durch das Bestreben, Schatten und Halbtoͤne anzugeben, nach Maßgabe nemlich des Herkommens altchristlich-musivischer Kunst. Ein anderes und aͤhnliches Denkmal dieser Zeit, unter dem Porticus der Kirche S. Susanna, oder auch der Heiligen Vincenz und Anastasius Barberina , No. 1050, copie dell’ antiche pitture, che Sono al portico di S. Vinc. e Anastasio all’ acque Salvie . Diesel- ben werden an anderen Stellen als in der Kirche S. Susanna be- findlich abgebildet und angefuͤhrt. Nach Anastas . hatte Leo III. die letzte verzieren lassen. , ist nicht mehr vorhanden S. Ciampini , vet. mon. ; uͤberhaupt duͤrfte obiges genuͤgen, wo es nur darauf ankommt, fuͤr das Kunstverdienst anderer unter Leo III. entstandener Werke einen Maßstab zu haben. Nach Angabe des Anasta- sius ließ dieser Papst viele Kirchen wieder herstellen, und in einigen die Tribune oder Woͤlbung hinter dem Hauptaltare neu mit musivischen Malereyen versehen, welche der beschriebenen im Wesentlichen moͤgen geglichen haben. Solches geschah in der Kirche zum heil. Kreuz Anast . l. et ed. c. p. 72. col. 1. , wo indeß schon im funfzehnten Jahrhundert eine Frescomalerey an die Stelle des Musives getreten; so wie in der Kapelle des lateranischen Palastes ib. p. 76. col. 1. , welche mit diesem zugleich zerstoͤrt seyn wird. Also ward die musivische Malerey, als Karl der Große Rom besuchte, dort noch immer, nach dem Maße der Um- staͤnde, auf hergebrachte Weise fortgeuͤbt. Allein, auch in der Baukunst waren Meister und Arbeiter vorhanden, welche, wie es theils aus den Angaben der Schriftsteller, theils und siche- rer aus den Denkmalen erhellt, ihre Werke, mit geringen Ab- aͤnderungen, nach Art der fruͤheren Christen oder spaͤteren Roͤ- mer entwarfen und ausfuͤhrten. Unter den Wiederherstellungen alter, den Gruͤndungen neuer Gebaͤude, welche Anastasius im Leben Leos III. meldet, nennt er, außer dem schon beruͤhr- ten Saale, auch die Kapelle des lateranischen Palastes. Die letzte ist nicht mehr vorhanden; doch aus dem Ueberreste des ersten duͤrfen wir schließen, daß dieses Gemach in betraͤchtli- chen Ausdehnungen ausgefuͤhrt war, und schon hiedurch von den haͤuslichen Anlagen des spaͤteren Mittelalters sich wesent- lich unterschied. Der noch bestehende Theil war nur die eine von vielen sich gegenuͤberliegenden Tribunen oder uͤberwoͤlbten Seitenvertiefungen id. (ed. Mur. scr. T. III. p. 201. col. 2.) — cum absida de musivo, sed et alias absidas decem, dextra laevaque diversis histo- riis depictas, habentes Apostolos gentibus praedicantes etc. , welche die Luftigkeit des Ansehens er- hoͤhen mußten, und durch ihre Vertheilung, Anlage und Aus- dehnung deutlich darlegen, daß die Baukunst dieser Zeiten eben nur als Nachwirkung jener großen, weit verbreiteten Schule zu betrachten ist, welche auf der Hoͤhe und gegen das Ende der politischen Groͤße Roms aus alten Elementen und neuen Beduͤrfnissen und Forderungen entstanden war. Ein zweytes Beyspiel so spaͤter Nachwirkung jener, zwar in aͤsthetischer Hinsicht schon willkuͤhrlichen, doch in technischer streng roͤmischen Baukunst des vierten bis sechsten Jahrhun- derts besitzen wir in dem bemerkenswerthen Octogon des La- terans, der Taufkapelle nemlich Constantins des Großen . Es ist nicht uͤberall bekannt, daß Leo III. dieser Kapelle die Ein- richtung geben lassen, welche sie noch zur Stunde bewahrt. Anastasius aber, dem wir in dieser Beziehung trauen duͤr- fen, erzaͤhlt: der genannte Papst habe das Baptisterium, weil es den Einsturz drohte, auch weil es zu eng war, durchaus verbessert, dasselbe von Grund auf ins Runde gebaut, den Taufbrunnen in der Mitte erweitert und ringsum mit Por- phyrsaͤulen verziert Anast , l. et ed. c. p. 71. sq. (ed. Murat. scr. T. III. p. 204. col. 2.) — „in circuitu columnis porphyreticis decoravit.“ — Aehnliche Pracht meldet ders. (ed. Mur. p. 201. col. 2.) — collo- cavit, et in medio (des Festsaals im Lateran) concham porphyreti- cam aquam fundentem.“ . Allerdings ist dieses Gebaͤude mit sei- nen ungleichen Saͤulenreihen, seinen gemischten, aus mancher- ley Fragmenten zusammengesetzten Gebaͤlken der Zeiten Con- stantins ganz unwerth. Doch als ein Werk des achten Jahr- hunderts angesehen, verdient es in mehr als einer Hinsicht Beachtung. Einmal ist es, nach modernem Maße, nicht ohne Schoͤnheiten des Plans und der Ausfuͤhrung; zweytens aber beweiset es, daß dazumal viele Theile, welche in der Baukunst der Alten urspruͤnglich nicht der Verzierung, sondern der Con- struction angehoͤren, damals noch immer in ihrem ersten Sinn verwendet wurden; daß keinesweges schon damals, sondern erst im vorgeruͤckteren, Mittelalter jene gaͤnzliche Verzwergung der Saͤulen und Gebaͤlke entstanden, welche der gothischen Ar- chitectur um einige Jahrhunderte vorangeht. Ueberhaupt darf es uns nicht befremden, die italienische Baukunst im Zeitalter Karl des Großen , bey verhaͤltnißmaͤßig geringem Ruͤckschritt in technischen Vortheilen, noch ungefaͤhr auf der Hoͤhe zu finden, welche sie unter den gothischen Koͤ- nigen und fruͤheren Exarchen eingenommen; vielleicht selbst in Bezug auf die Anlage dem Hochalterthuͤmlichen oder Antiken um etwas verwandter, als beruͤhmte Denkmale jener Zeiten, das Mausoleum Theodorichs und S. Vitale, beide zu Ra- venna . Große Hoffnungen, welche gerade damals aus dem neuen Bunde fraͤnkischer Macht und roͤmischen Ansehens ent- standen, mochten den Muth unternehmender Geister erhoͤhen; auf der anderen Seite war Karl , wie Alle, so ihm durch Geist und Verdienst nahe standen, gleich Eginhard und Alcuin , von der Groͤße und Gediegenheit des Alterthums maͤchtig er- griffen worden. Wie man die Alten (obwohl nur jenseit der Berge) mit feuriger Bewunderung las, nach gleicher Klarheit des Gedankens ( Eginhard ), nach aͤhnlicher Reinheit der Sprache strebte, so bewunderte man auch die Herrlichkeit ihrer Baukunst. Allem, was Karl in dieser Kunst unternahm, la- gen roͤmische und ravennatische Vorbilder zum Grunde. Bloße Nachahmung erzeugt aber keine Kuͤnstler; die Schule muß hinzukommen. Daher vermuthe ich, daß der maͤchtigste Herr- scher jener Zeit in eben dem Lande, welches ihm theils unbe- dingt gehorchte, theils doch sein hoͤchstes Ansehen anerkannte, spaͤte Sproͤßlinge der alten roͤmischen Bauschule an sich gezo- gen, um unter ihrer Leitung und durch ihre Kunst in seinen rheinischen Sitzen sich mit roͤmischen Erinnerungen zu umgeben. Gewiß fehlte es auch den Franken dieser Zeit weder an Vorbildern und Beyspielen roͤmisch-christlicher Kunstart, noch an einiger Schule und Anleitung sie fortzuuͤben. Noch immer bestehen, vornehmlich in den suͤdlichen und westlichen Provin- zen des franzoͤsischen Reiches, sehr ausgezeichnete Denkmale der roͤmischen Baukunst S. Clérisseau , antt. de la France , Paris 1778. fo. ; im achten Jahrhundert mußten sie sich in groͤßerer Menge finden, und besser im Stande seyn. Gregor von Tours beschreibt ein roͤmisches Castrum, angeb- lich die Stiftung Aurelians , als voͤllig erhalten; dessen regel- maͤßige und dauerhafte Befestigung ward noch zu seiner Zeit genutzt Gregor . Tur. lib. III. c. 19. (ap. Du Chesne scriptt. T. 1.) . Unter den Burgundionen und Gothen Ds. s. Abh. VIII. , so- gar noch unter den fraͤnkischen Koͤnigen des ersten Stammes Ds. lib. V. c. 46. Vom Agroecula , Bischof zu Chalons : „Multa in civitate illa aedificia fecit, domos composuit, Ecclesiam fabricavit, quam columnis fulcivit, variavit marmore, musivo de- pinxit.“ , wurden Kirchen nach roͤmischer Anlage gebaut, durch schoͤnes Gestein und Musivmalerey gleich den italienischen geschmuͤckt. Doch, nachdem die fraͤnkische Herrschaft uͤber alle gallischen Provinzen ausgebreitet, das herrschende Haus in sich zerfallen, die Sitten gaͤnzlich verwildert waren, erlitt jene Nachwirkung roͤmisch-christlicher Kunstbestrebungen eine sichtbare Unterbre- chung; und todte Vorbilder sind, wie die vielfaͤltigsten Erfah- rungen zeigen, unzureichend, einseitig auf kriegerische oder po- litische Groͤße, oder bloß auf Ueberfluß an Nothduͤrftigem ge- richtete Voͤlker zur Kunst anzuleiten. Ueberhaupt sind die Franken, in Bezug auf Faͤhigkeit und Sinn der Kunst, nicht wohl mit den Anwohnern des Rheins Von den Anwohnern des Mittelrheins erwaͤhnt Ammian (lib. XVII.) „domicilia — curatius ritu Romano constructa.“ oder mit den Gothen zu vergleichen, welche an den oͤstlichen Grenzen des Reiches, in fruchtbaren Wohnsitzen Ds. (lib. XXXI.). — „ Ermenrichi late patentes e uberes pagos.“ , fruͤh den Werth der Gesittung kennen gelernt. Schon wo sie zuerst in der Geschichte auftreten, erscheinen die Franken als kriegerisch verwilderte, rauhe Voͤl- ker, welche vielleicht eben daher fruͤh die Sittenlosigkeit der letzten Roͤmer in sich aufnahmen, sehr spaͤt aber jene Grund- lagen guter Ordnung und fruchtbarer Sitte erkannten und wuͤrdigten, welche in den Truͤmmern der roͤmischen, in den Keimen der christlichen Bildung verborgen lagen. Die duͤrf- tige Geschichte der Koͤnige des ersten Stammes zeigt keinen Fuͤrsten auf, welcher das Andenken Roms geehrt und gestrebt haͤtte, sich mit roͤmischem Glanze zu umgeben Verschiedentlich wird aus Gregor von Tours (lib. V. c. 18.) angefuͤhrt, Chilperich habe einen Circus auf antike Weise erbauen lassen. Sehen wir indeß die Quelle selbst: Chilperich wird durch Gesandte drohend angemahnt, herauszugeben, was er , oder aus den Ueberlieferungen des Alterthums Nutzen zu ziehen. Un- mittelbar nach der Eroberung fuͤllen verraͤtherische, blutige Er- eignisse S. Gregor . Tur. ed. c., etwa zu Ende des vierten Buches, oder lib. VI. c. 35. und a. a. St. die fraͤnkische Geschichte, oder Klagen der Geistlich- keit uͤber den Druck kriegerischer Gewalthaber Greg . Tur. lib. IV. c. 42. — Fuitque illo in tempore pejor in Ecclesiis gemitus, quam tempore persecutionis Diocletiani . — Vergl. den Stoßseufzer im folgenden Kapitel. , aus welchen wir abnehmen koͤnnen, daß auch die roͤmische Bevoͤlkerung die hergebrachten Kuͤnste nur hoͤchst nothduͤrftig fortbetrieb; aus Denkmalen habe ich mich bis dahin nicht uͤber das Maß der Unvollkommenheit damaliger Kunstuͤbung belehren koͤnnen, da solche theils ganz fehlen, theils zweifelhaft oder sicher un- aͤcht sind Wie die meisten bey Montfaucon antt. de la mon. françoise T. 1. p. 158. pl. XI. und andere das., etwa mit Ausnahme des halb zerstoͤrten musivischen Denkmals der Koͤnigin Fredegunde, welches indeß ebenfalls zweifelhaft, woruͤber Lenoir , musée des monum. français, einzusehen. . Karl Martell , den wahren Stifter der fraͤnkischen Groͤße, beschaͤftigten kriegerische Thaten; seinen Nachfolger Pipin um- fassende Raͤnke der Staatskunst, Befestigung der neuen Ge- walt; es mußte demnach Karl dem Großen vorbehalten seyn, die von seines Neffen Childebert Erbtheil an sich gerissen. Quos ille (erzaͤhlt Gregor ) despiciens, apud Suessicnas atque Parisios circos aedificare praecepit, eos populis spectaculum praebens. Nach der Sitte der Zeit duͤrfte es wohl in Frage kommen, ob er nicht etwa die Gesandten selbst darin dem Spotte Preis gegeben. Unter allen Umstaͤnden aber konnten diese Circus nur hoͤlzerne Einfaͤnge seyn, da sogar die Roͤmer solche Gebaͤude nicht bloß des Schimpfes wil- len, vielmehr mit einem Aufwand an Zeit und Kosten, den hier die Umstaͤnde ausschließen, erbauten. die roͤmisch-christliche Kunstart in sein Gebiet wieder einzufuͤh- ren, oder doch den Glanz zu verjuͤngen, den sie im fuͤnften Jahrhundert in den roͤmischen, burgundischen und gothischen Gebieten Galliens vielleicht noch bewahrt hatte. Gewiß findet sich nicht, daß seine Vorgaͤnger fuͤr den Glanz der Kirche, das wichtigste Ziel des damaligen, wenn nicht vielleicht jeglichen Kunstbestrebens, thaͤtig gewirkt haͤtten. Beide gedachten, wenn wir ihrem Geschichtschreiber folgen, erst in der Sterbestunde der Schutzheiligen Frankreichs und ihrer Staͤtten Fredegar . (ap. Du Chesne To. I.) ad a. 768, und fruͤ- her beym Tode Karl Martells . ; dagegen findet sich, daß sie Befestigungen angeordnet Fred . chron. contin. (ib.) ad a. 762 — 66. (bey Bou- quet , recueil, T. V.) „Rex Pipin. castrum, cui nomen est Argento- nus — a fundamento miro opere in pristinum statum reparari iussit.“ , die Belage- rungskunst verstanden Id. ib. „Cum machinis et omni genere armorum circum- dedit eam vallo; — fractisque muris cepit urbem etc.“ ; denn uͤberall richtet sich der Sinn, in Zeiten der Gruͤndung, oder unmittelbar nach gewaltigen Zerstoͤrungen, zunaͤchst auf das Nothduͤrftige. Allerdings zeigt sich, bey steigender Wohlfahrt des Staa- tes, schon gegen das Ende Pipins die erste Lebensregung je- nes Kunstbestrebens, welches durch Karl gefoͤrdert und weiter ausgebildet worden. Chrodegang , Bischof von Metz , ein be- guͤnstigter und reicher Praͤlat, der als Abgeordneter Rom ge- sehen, bemuͤhte sich unter dieser Regierung, in seinem Spren- gel roͤmischen Gesang Paul Diac. de episc. Mettens. (ap. Bouquet T. c.) — „Clerum abundanter — Romana imbutum cantilena, morem atque ordinem Romanae ecclesiae servare praecepit, quod usque ad id tempus in Metensi ecclesia factum minime fuit. , roͤmische Zierde und Anordnung der I. 14 Kirchen einzufuͤhren. Mit Beystand Koͤnig Pipins errichtete er in S. Stephans, des ersten Maͤrtyrers, Kirche dessen Altar, das Gelende und die Bogen umher Ds. ebendas. S. 193. (bey Du Chesne scr. To. 2.) ; und in der Peters- kirche das Presbyterium, und einen Altar in Gold und Sil- ber geziert, und umher eine Bogenstellung. Ferner gruͤndete er einige Kloͤster, uͤber deren Bauart nichts Umstaͤndliches ge- meldet wird. Eins dieser Gebaͤude, das Kloster zu Lorsch , scheint nicht fuͤher als unter Karl dem Großen vollendet zu seyn, da der genannte Fuͤrst der Einweihung im Jahre 774 beygewohnt Eginhard ann. ad a. 774. ; woraus ein gewisser Antheil an den Stiftungen Chrodegangs hervorzuleuchten scheint, welcher vielleicht meine Vermuthung, daß die Kunstliebe Karls , oder des fraͤnkischen Hofes uͤber- haupt, durch gedachten Praͤlaten zuerst sey angeregt worden, in so weit bestaͤtigt, als Vermuthungen durch Vermuthungen bestaͤtigt werden koͤnnen. Unter allen Umstaͤnden erhellt aus dem Angefuͤhrten, daß Bischof Chrodegang , eben wie spaͤterhin Kaiser Karl , von dem Eindruck roͤmischer Herrlichkeiten aus- gegangen, daß mithin beide demselben Vorbilde nachgestrebt. Gleich den Paͤpsten Hadrian I. und Leo III. gebot Karl zunaͤchst die Wiederherstellung von, uͤberall innerhalb des Umfanges seines Reiches, verfallenen Kirchen Eginh . vita Caroli M. (ap. Bouquet rec. T. V. p. 96) — „Praecipue tamen aedes sacras, ubicunque in toto regno suo ce- tustate collapsas comperit, — ut restaurarentur, imperavit.“ . Es kann nicht zufaͤllig seyn, daß diese Wiederherstellungen im fraͤnki- schen Reiche mit jenen, welche Anastasius und Agnellus melden, der Zeit nach zusammenfallen. Nach unbestimmten Traditionen, welche uͤberall gern an große Namen sich anlehnen, soll Karl auch in Italien verschiedene Gebaͤude aufgerichtet haben, unter denen manche, namentlich die Apostelkirche zu Florenz S. Vasari vite etc. ed. San. T. 1. p. 224. Er stuͤtzt sich auf eine Inschrift von groͤbster Erdichtung, welche das. S. 227 abgedruckt. , schon unter den Longobarden duͤrften entstanden seyn. Denn da nichts verraͤth, daß Karl ein Land, welches stets nur ein Außenwerk seiner Groͤße war, jemals besonders beguͤnstigt haͤtte, so werden solche nirgend wohl begruͤndete Ueberlieferungen, durchhin aus spaͤteren Ver- muthungen entstanden seyn. Gewiß lag es dem großen Herr- scher naͤher, die Vorstellungen von Pracht und Groͤße, welche er zu Rom und Ravenna aufgefaßt, in einem ganz anderen Kreise, den Rheingegenden, zu verwirklichen. Diese liebte er, wie es historisch gewiß, wie sie denn wirklich, von ihrer An- muth abgesehen, politisch der rechte Mittelpunct seines Staa- tes, kriegerisch die Grundlinie aller Feldzuͤge waren, welche seine so ganz eigenthuͤmliche Lage beynahe alljaͤhrlich her- beyfuͤhrte. Dort erbauete er Palaͤste, Baͤder, Tempel Eginh . vita Car. M. c. XVII und c. XXVI. Leider ist dieser treffliche Schriftsteller in solchen Dingen nicht umstaͤndlich genug; daß ein Porticus vom Palaste zur Kirche fuͤhrte, sehen wir erst c. XXXII., wo dessen Einsturz gemeldet wird. — Ermoldi Ni- gelli carmen el. de gestis Ludovici pii lib. IV. (ap. Murat. scriptt. Vol. Il. P. II. p. 65. col. 1.) — von Ingelheim . — Quo domus alma patet centum perfixa (?) columnis. — Mille aditus, reditus, millena que claustra domorum Acta magistrorum artificumque manu. — — Templa operata metallo, Aerati postes, aurea ostiola x. Gro- ßentheils offenbar poetische Hyperbeln. Das Verzeichniß der im Palaste gemalten Gegenstaͤnde ist indeß sehr wichtig; es umfaßt den ganzen Bilderkreis des Mittelalters. , welche 14 * gleichzeitige Schriftsteller erwaͤhnen oder beschreiben, deren An- denken haͤufig durch die Annalisten nachfolgender Jahrhunderte erneuert wird S. Wippo , vita Conr. Sal. (ap. Pictor. scr. p. 429.) und Andere. . Die Rotunde — basilica rotunda Caroli Magni , in den Nachrichten von Kroͤnungen nachfolgender Kaiser. zu Achen ist bis auf die heutige Stunde erhalten; die alte Hofkapelle bildet indeß nur einen Nebentheil der heutigen Hauptkirche der Stadt; Achen war damals ein Hofsitz, keine Hauptstadt. Von der neueren Erhoͤhung unterscheidet sich das alte Gemaͤuer durch Groͤße der Werkstuͤcke; die Granitsaͤulen im Inneren, dieselben, welche in den letzten Kriegen nach Paris entfuͤhrt, und zum Theil wiederum zuruͤckversetzt worden, entstehen hier, wie es schon in dem Palaste Diocletians zu Spalatro S. Cassas , voy. pittoresque et hist. d’ Istrie et de Dal- matie , Paris , an X. (1802.) Pl. 42. 43. Verkleinerte Nachbildungen bey Durand. , und spaͤter immer haͤufiger vorkommt, nicht mehr aus einem Beduͤrfniß der Construction; doch vermehren sie, indem sie verzieren, wenig- stens das innere Gemach, und sind eben deshalb noch weit entfernt von jener Verzwergung der Saͤulen, welche gewiß vor dem zwoͤlften Jahrhundert in Italien nirgend Eingang gefunden, und wahrscheinlich im Norden entstanden ist. Die Anlage der Gebaͤude in die Runde darf uus aber in dieser Zeit nicht befremden. Denn seit dem ersten Jahrhundert des herrschenden Christenthums waren Anlagen dieser Art, deren Vorbilder im roͤmischen Alterthume aufzusuchen sind, vornehm- lich fuͤr Taufkirchen stark im Gebrauch S. Maffei , Verona illustrata, T. III. (S. 116 f. der ach- . Von einem anderen Gebaͤude dieser Zeit, der Vorhalle des Klosters zu Lorsch , findet sich die Abbildung im ersten Hefte von Georg Mollers Denkmaͤlern der deutschen Bau- kunst Darmstadt . 1815. ; und gewiß duͤrfen wir diesem verdienstvollen Bau- kuͤnstler Dank wissen, unsere Kunde von der Baukunst der ka- rolingischen Zeiten durch ein Denkmal von ganz verschiedener Bestimmung und Anlage erweitert zu haben. Auch hier laͤßt das Ganze, wie das Untergeordnete, sich uͤberall aus der roͤ- mischen Baukunst ableiten. Denn, wie fremdartig dieses Bau- werk auf den ersten Blick erscheinen moͤge, so ergeben sich doch, wenn wir es in seine Theile zerlegen, lauter roͤmische Elemente, deren willkuͤhrliche Verknuͤpfung Niemand befrem- den wird, dem aus den italienischen Denkmalen dieser und fruͤherer Zeiten deutlich geworden, wie im Verlaufe der Zeit und durch allmaͤhliche Uebergaͤnge mancher wesentliche Theil zur bloßen Verzierung eingeschmolzen, manche Verzierung ihre Stelle gewechselt, oder benachbarte Glieder eingebuͤßt hat. Schwerlich nun hatte die Bauart des spaͤten und christ- lichen Roms unter den Merowingern sich in der Reinheit und Ausbildung erhalten, welche wir in den angefuͤhrten Bauwer- ken Karl des Großen wahrgenommen haben. Denn es kommt, außer dem bereits Bemerkten, hier auch noch dieses in Be- trachtung, daß die Franken, eben wie die Longobarden, deut- sche Lebenssitten in ihre Eroberungen eingefuͤhrt. Ueberall aber, wo die germanischen Voͤlker den Roͤmern bekannt gewor- ten Aufl.). Dort werden viele, obwohl nicht alle, Baptisterien von acht- und sechseckigem Grundriß, so wie einige ganz runde aufgezaͤhlt. den, baueten sie aus leichten Stoffen Ammian. lib. XVIII. — sepimenta fragilium penatium in- flammata. Wir verdanken, wie ich an andern Stellen nachgewiesen, sogar unsere Kunstausdruͤcke in der Steinbaukunst den Roͤmern; z. B. Pforte, Mauer, Fenster etc. ; daher besitzen wir auch im Suͤden kein Denkmal deutscher Bankunst, welches aͤlter waͤre, als die roͤmischen Colonieen und Befestigungen am Rhein und Mayn und an der Donau ; noͤrdlicher keins, wel- ches uͤber die Einfuͤhrung des Christenthums zuruͤckreichte. Unmittelbar nach ihrer Einwanderung verbreiteten die Franken ihre Holzbaukunst auch in Gallien S. Gregor . Tur. Lib. V. cap. II. ad basilicam S. Martini, quae super muros civitatis (Rothomagi) ligneis tabulis fabricata est — und lib. IV. c. 20. — „Basilica (sanc. Martini) — succensa. — Sed et civitas Turonica ante annum jam igni consumpta fuerat et totae (toutes, tutte) Ecclesiae in eadem destructae, desertae relictae sunt. An einer anderen Stelle ewaͤhnt ds. Schriftsteller sogar einer hoͤlzernen Kapelle. Wo endlich von der Villa eines Reichen die Rede ist (derselb. lib. IV. c. XLI. ), heißt es — ostia domus ex ligneis fabrieata tabulis. Die Erwaͤhnung dieses Umstandes zeigt auf vermischten Gebrauch roͤmischer und teutscher Bauart. Siehe auch uͤber den Brand des koͤn. Hofes zu Worms , bey Eginhard ad a. 790. ; obwohl solche in den noͤrdlichen Provinzen seit den aͤltesten Zeiten gegen roͤmische Sitten sich behauptet haben koͤnnte, da Caesar sie dort vorge- funden. In einem alten Verzeichniß koͤniglicher Meyerhoͤfe erschei- nen die Nebengebaͤude uͤberall von Holz, nur etwa das Hauptge- baͤude von Stein, eine Verbesserung, welche unter der geregelten Verwaltung des baulustigen Karl duͤrfte aufgekommen seyn Car. M. Breviarium rer. fisc. (ap. Leibnitz . in collectan. etym. P. II. p. 325. 28. 31.). — Juvenimus in Anaspio, fisco do- minico, valam regalem ex lapide factam optime, cameras tres, sola- riis totam casam eircumdatam, — alias casas infra curtem ex ligno . In Italien hingegen wurden, mindestens zu Rom , wie wir oben gesehen haben, die Kunstvortheile der roͤmischen Baukunst ungleich reiner und ungetheilter ausgeuͤbt, als im fraͤnkischen Reiche. Ließ nun Karl der Große , voll Bewunderung des verhaͤltnißmaͤßigen Glanzes italienischer Staͤdte seiner Zeit, von Rom und Ravenna praͤchtiges Gestein an den Rhein bringen Eginh . vita Car. M. c. 26. „basilicam Aquisgrani exstruxit. — Ad cuius structuram, cum columnas et marmora aliunde habere non posset, Roma et Ravenna devehenda curavit. — Die Verguͤn- stigung, den koͤn. Palast zu Ravenna seiues Schmuckes zu berauben, bey Bouquet. T. c. Epist. Hadriani I. ep. 36. — „tam marmora, quamque, mosivum, caeteraque exempla de eodem palatio vobis concedimus auferenda.“ Die naͤheren Umstaͤnde wuͤrde Agnellus ha- ben, wenn nicht eben hier einige Lebensbeschreibungen fehlten. Doch erwaͤhnt er (s. oben) der Entfuͤhrung der Statue des Gipfels. Andere schreiben den Eginhard nur aus. ; so liegt die Vermuthung nicht fern, daß er gleichzeitig von dort, oder aus anderen Mittelpuncten Italiens , Meister und Arbeiter an sich gezogen; was an sich selbst der allgemeinen Erfahrung nicht widerspricht, daß Kuͤnstler stets dem beleben- den Lichte der Gunst und Befoͤrderung nachziehen. Als Leo III. die Kirche des heiligen Apollinaris zu Ra- venna wieder herstellen wollte, sandte er nicht allein den Bau- meister, vielmehr auch Arbeiter aus Rom hinuͤber Agnell . l. c. vita Martini , cap. 2. — Leo (III) Ro. Ec- clesiae et Urbis Artistes misit cubicularium suum nomine Chrysa- phum et reliquos caementarios, restauravit tecta S. Apollenaris etc. — Vgl. Anast. l. c. vita Leonis III. (ed. Murat. p. 211. col. 2), wo: misit illue etc. ohne Bezeichnung der Person. . Wenn dieses nicht etwa aus persoͤnlicher Beguͤnstigung zu erklaͤren, factas XVII. cum totidem cameris et caeteris appendiciis compositis. — Curtem strenue tunimo (Zaun) munitam cum porta lapidea etc. so duͤrfte ich daraus schließen, daß in Italien damals bereits ein gewisser Mangel an brauchbaren Arbeitern entstanden sey, dessen Veranlassung in den rheinischen Unternehmungen des Koͤnigs verborgen seyn koͤnnte. Hadrian I. begehrte von Karl einen geschickten Zimmermann, ihm das Bauholz zu einer schwierigen Wiederherstellung in der S. Peterskirche auszuwaͤh- len Epist. Hadriani I. (ap. Bouquet. T. c. p. 559. — „prius nobis unum dirigite magistrum, qui considerare debeat ipsum lignamen, quod ibidem necesse fuerit, ut sicut antiquitus fuit, ita valeat renovari.“ . War es, weil die noͤrdlichen Nationen den Holzbau besser verstanden? Oder war es vielmehr, weil der Koͤnig die besseren Handwerker auch in diesem Kunstzweige aus Italien an sich gezogen, in welchem Falle der Papst nur zuruͤck begehrt haͤtte, was urspruͤnglich Italien angehoͤrt? Diese Fragen sind allerdings nicht uͤbereilt zu beantworten, indeß Vermuthungen, welche in der Folge vielleicht zu begruͤnden seyn werden. Vor der Hand aber liegt es uns naͤher, auch in Bezug auf Sculptur und Malerey, das Daseyn und den Fortgang einer urspruͤnglich roͤmisch-altchristlichen Schule nachzuweisen, welche am Hofe Karl des Großen aufgebluͤht, und, vielleicht durch Vermittelung Arnulphs , welcher auf der einen Seite dem fraͤnkischen Herrscherstamme, auf der anderen dem deut- schen Lande verwandt war S. Zirngibl , P. Rom ., von der Geburt und Wahl des Koͤnigs Arnolf , im Bd. III. der neuen hist. Abh. der baierischen Akad. der Wiss. , auch diesseit des Rheines Wurzeln geschlagen und neue Zweige getrieben hat. Kuͤnftige Geschichtschreiber der deutschen Kunst werden auf diese Grund- lagen der karolingischen Zeit zu achten haben. Denn eben wie jene Ausbreitung roͤmischer Technik und Constructionsart, die wir in den Rheingegenden auch in anderen, als den erwaͤhn- ten Gebaͤuden wiederfinden (z. B. in der runden Taufkapelle hinter dem Dome zu Bonn , in der Marienkirche der Veste zu Wuͤrzburg , welche, ihres fast antiken Ansehens willen, gewiß faͤlschlich, roͤmischen Zeiten beygemessen werden), vermuthen laͤßt, daß hierin der erste Grund der entschiedenen Ueberlegenheit rheinisch-mittelalterlicher Architecten verborgen liege; so duͤrfte auch in den bildenden Kuͤnsten der Vorsprung, den die Deut- schen im fruͤheren Mittelalter uͤber ihre suͤdlichen Nachbaren gewonnen, mittelbar aus derselben Anregung des Kunstfleißes hervorgegangen seyn, deren Nachwirkung zu verfolgen fuͤr uns auch in anderer Beziehung unumgaͤnglich ist. Wie in der Architectur, so werden wir auch hier das Vorbild Karls zunaͤchst in Italien aufsuchen muͤssen. Kost- bare Weihgeschenke waren dort schon im fuͤnften und sechsten Jahrhundert uͤblich S. Agnellus und Anastas. in den Lebensbeschreibungen damaliger Bischoͤfe von Rom und Ravenna . ; gleichzeitig freilich auch am fraͤnkischen Hofe, wo Chilperich , nach Gregor von Tours , ein Kir- chengeraͤth anfertigen ließ, auf welches, wenn die Zahl nicht verdorben ist, funfzig Pfund Gold verwendet worden Gregor . Tur. lib. VI. c. 2. — „ibique nobis rex misso- rium magnum, quod ex auro gemmisque fabricaverat in quinquaginta librarum pondere, ostendit, dicens: Ego haec ad exornandam et nobilitandam Francorum gentem feci. Sed et plura adhuc, si vita comes fuerit, faciam.“ Vergl. ds. lib. VII. c. 4. . In beiden Stellen kam die erste Anregung dieses Geschmacks wahrscheinlich aus dem oͤstlichen Reiche. Auf der Hoͤhe und gegen das Ende der roͤmischen Groͤße war der uralte Gebrauch, Goͤtterbilder, Tempelgeraͤthe und Weihgeschenke aus kostbaren Stoffen anzufertigen, bereits in Abnahme gerathen, in Byzanz aber, wohl durch Einwirkung des Orients , fruͤh von neuem beliebt geworden S. Heyne , serioris artis opera sub Impp. Byz. sect. 1. (in Comm. soc. reg. Scientiar. Goett. Vol. XI. p. 41.) — ingenia; — mox (nach Constantin dem Gr. ) multo magis fuere corrupta adscito luxu et fastu Asiatico; quo non artem, sed materiam, non manum, sed pretium in honore haberent. Gut durchgefuͤhrt und belegt auf dieser und den folgenden Seiten; doch ohne Beruͤcksichtigung, ja ohne Kenntniß des Schoͤnen und Guten, welches demungeachtet bis auf die fraͤnkische Eroberung in byzantinischen Malereyen sich er- halten hat. . Chilperich ward von byzantinischen Kai- sern mit solchen Kostbarkeiten beschenkt Gregor . Tur. l. s. l. ; reiche Zeuge und verarbeitetes Gold wurden aus Byzanz und Alexandria in Rom eingefuͤhrt Anast . bibl. vita Leonis III. (ed. Murat. p. 210. col. 2.) — vela Alexandrina . — Ib. — vela de fundato, — ornata in cir- cuitu de blatthin Byzanteo et investita de blatthin Neapolitano . Also ward dieser Handelsgegenstand auch in Italien verfertigt, der byzantinische aber, da man ihn sparsamer verwendete, hoͤher ge- schaͤtzt. — Ib. — cortinam maiorem Alexandrinam mirae magnitu- dinis etc. Merkwuͤrdig sind die Teppichgehaͤnge von Saͤule zu Saͤule, deren Anastasius so haͤufig erwaͤhnt. Es waren dazumal antike Sitten und Gewohnheiten noch immer stark in Gebrauch. Wie diese Gehaͤnge angebracht wurden, sieht man in jenem Musiv zu Ravenna , welches fuͤr eine Darstellung des koͤniglichen Palastes gilt; abgebildet in den Buͤchern uͤber Ravenna , uͤber Musive, uͤber Costuͤme. . Also fehlte es nicht an aͤußeren Ver- anlassungen einer Sitte, welche der allgemeinen Verarmung des westlichen Reiches weder natuͤrlich, noch angemessen war. In der Folge indeß unterlag Rom dem Drucke der grie- chischen Verwaltung, den Anfeindungen der Longobarden; das Frankenreich den Mißhelligkeiten und der Ohnmacht des herr- schenden Hauses; bis auf Pipin und Karl mußten demnach an beiden Stellen die Mittel fehlen, dem schon erwachten Geschmacke an kirchlicher Pracht Genuͤge zu leisten. Doch un- ter Hadrian I. brach die lange Zeit zuruͤckgehaltene, halb un- terdruͤckte Neigung zu metallischem Glanze nur um so gewal- tiger hervor, und in dem Leben Leos III. , bey Anastasius , erfuͤllt die Aufzaͤhlung von mancherley Weihgeschenken aus Gold und Silber und edlem Gesteine mindestens ein Drittheil des ganzen Raumes. Aber auch am fraͤnkischen Hofe scheint die Lust an solchen Kunstarbeiten ganz in demselben Verhaͤlt- niß zuzunehmen; die Weihgeschenke, welche der große Koͤnig unter Hadrian I. der roͤmischen Kirche darbringt, sind ungleich karger Anastas. (vita Hadr. I. ) erwaͤhnt nur eines einzigen Ge- schenkes von Bedeutung, eines schon zu seiner Zeit beraubten Kreuzes; wahrscheinlich dasselbe, fuͤr dessen Uebersendung Hadrian (ep. 22. ap. Bouquet , recueil, T. c. p. 565.) dem Koͤnige Dank abstattet. , als die spaͤteren Austheilungen unter Leo III. Anast . vit. Leo III. ed. c. p. 67. col. 2. 68. col. 1. — „obtulit mensam argenteam (vgl. Eginhard , vit. Car. M. c. 33.) — diversa vasa ex auro purissimo — patenam auream cum gemmis — calicem majorem cúm gemmis etc. etc. — Verum etiam et Evan- gelium ex auro mundissimo cum gemmis ornatum. — Des Tisches, den, nach Eginhard , die Kirche zu Ravenna durch Vermaͤchtniß Karls des Großen erhalten, erwaͤhnt Agnellus im Leben des gleichzeitigen Erzbischofs. Diese silbernen Tafeln, zwey mit den Grundrissen von Rom und Constantinopel , die eine mit dem Welt- kreise, waren hoͤchst wahrscheinlich niellirt, vielleicht byzantinische Arbeit, wenigstens der Plan von Constantinopel . . Nehmen wir hinzu, daß diese Paͤpste dem Koͤnige theils mit Beyspiel vorangegangen sind, theils ihn, wenn wir uns an die vorhandenen Nachrichten halten, in der Menge und Kost- barkeit solcher Arbeiten weit uͤberboten haben Anast . vit. Leo III. ; so wird es nahe liegen, das damalige Rom im Westen fuͤr den Mittel- punct der Betriebsamkeit in Guͤssen, geschlagenen und getriebe- nen Arbeiten zu halten, und von dort aus die Schule abzu- leiten, welche unter Karl dem Großen am fraͤnkischen Hofe entstanden, deren Wirksamkeit aber gewiß bis auf Heinrich II. , vielleicht noch ungleich weiter zu verfolgen ist. Indeß werden wir aus der Ueberlegenheit der fraͤnkischen Schriftsteller dieser Zeit uͤber die italienisch-lateinischen schließen duͤrfen: das herr- schende Volk habe bey hoͤherem Lebensmuthe die Erfahrungen und Vorbilder, welche Rom ihm bot, alsobald weiter gebildet und fruͤhzeitig uͤbertroffen. Gewiß laͤßt sich annehmen, daß Alles, was Karl der Große angeordnet, durchhin aus einem Gusse gewesen, da seine Anlagen von Grund auf neu waren, von einem gemeinschaftlichen Plane ansgingen ; die Paͤpste hingegen verstreueten ihre Schaͤtze uͤber ganz Rom , ihre An- ordnungen waren nicht selten bloße Aufzierungen des Alten, und, bey zu großer Naͤhe noch unerreichbarer Vorbilder, mußte sogar der Sinn der Kuͤnstler, deren sie sich bedient, befange- ner feyn , als im fraͤnkifchen Norden, wo empfangene Anre- gungen im Geiste nachwirken, und, ohne niederzubeugen, Stre- ben und Thaͤtigkeit hervorrufen mochten. Da es mir nie gegluͤckt ist, bis zum Schatze der Peters- kirche vorzudringen, so bin ich ungewiß, ob daselbst von den vielfaͤltigen Stiftungen und Geschenken, welche die Paͤpste im achten und neunten Jahrhundert uͤber die roͤmischen Kirchen vertheilt haben, ein und anderes Stuͤck noch vorhanden sey. Gewiß sind die Kunstarbeiten aus Gold und Silber den An- feindungen der Habsucht und Neuerung besonders ausgesetzt, weshalb sie sich uͤberall nur hoͤchst zufaͤllig erhalten haben. Ein um wenig spaͤteres Beyspiel des Geschmackes oder der Fertigkeit damaliger Zeiten besitzen wir noch immer in dem Altarschmucke der Kirche S. Ambrosius zu Mayland , einem ausgedehnten kunstreichen Werke, dessen Einzelnes ich uͤbergehe, weil es ganz neuerlich von Herrn von der Hagen beschrie- ben worden, auf den ich mithin verweisen darf S. Briefe in die Heimat etc., Bd. 1. S. 287 f., wo auch das Literaͤrische nachgewiesen ist. . Der Kuͤnstler oder Goldarbeiter setzte seinen Namen, Wolfwin , hinzu, welcher auf deutschen Ursprung verweist, doch in Zwei- fel laͤßt, ob er einer minder bekannten norditalienischen, oder vielmehr der fraͤnkischen Hofschule beyzuschreiben sey. Die verhaͤltnißmaͤßig bedeutende Ausbildung und Thaͤtig- keit dieser letzten erlernen wir theils aus den Schriftstellern, theils aus einigen Ueberresten, welche mir selbst indeß nur durch Berichte bekannt sind. Eginhard erwaͤhnt im Allgemeinen, daß Karl die Hofkirche zu Achen durch Geraͤthe und Schmuck aus Gold und Silber, wie selbst durch in Erz gegossene Ge- lende und Thore verherrlicht habe Eginh . vita Car. M. c. 26. — Basilicam Aquisgrani ex- struxit, auroque et argento et luminaribus atque ex aere solido can- cellis et januis adornavit . . Hermold Nigellus erzaͤhlt, wenn ihm anders zu trauen, von aͤhnlichen Herrlich- keiten im Reichspalaste zu Ingelheim . Verse von einem Al- tare, den Hildebold, Erzbischof zu Coͤlln , auf Karls Geheiß in getriebener Arbeit anfertigen lassen, finden sich in den Quellensammlungen der fraͤnkischen Geschichte Bey Du Chesne , T. 11. rer. Franc. ed. 1636. p. 691 . und Bouquet T. c. ; ob der Altar selbst noch vorhanden sey, ist mir unbekannt. An einem der Altaͤre der Hauptkirche zu Achen soll, nach dem Zeugniß eines unterrichteten Kuͤnstlers, der Ueberrest von getriebenen Gold- platten bewahrt werden, welche, nach Einigen Mon. Egolism. Excerpta, bey Bouquet , T. c. — corpus eius in sede aurea sedens positum est — verstehe, auf einem mit Goldplatten belegten Sessel. , den Sessel geschmuͤckt haben, auf dem Karl der Große in sitzender Stel- lung beerdigt worden. Diese muͤssen von einem spaͤteren Sarge aus getriebenem Silber S. Gottfried Colon . , aus zweyter Hand benutzt von Walch . hist. canonis. Caroli M. Jenae 1750. 8. p. 25 sq. , welcher ebenfalls noch vorhan- den seyn soll, unterschieden werden. Bey kirchlichen Hand- schriften, welche Karl anfertigen und schmuͤcken lassen, mag sich hie und da einer jener in Gold getriebenen Buͤcherdeckel erhalten haben, deren gleichzeitige Schriftsteller erwaͤhnen. Daß diese Arbeiten nicht ohne Geist und Geschmack gewesen, schließe ich aus einigen Miniaturmalereyen, welche ich naͤher betrachtet habe, und daher etwas umstaͤndlicher bezeichnen will. Waͤhrend des siebenten und zu Anfang des achten Jahr- hunderts wurden die lateinischen Handschriften nur selten durch Malerey verziert, und selbst, wo solches vorkommt, ist die Arbeit doch nur gering, mehr bunte Zeichnung, als durchhin ausgefuͤhrte Miniatur. Erst in der Folge, und augenschein- lich S. die Vorreden der karolingischen Codd. Ms. durch Beguͤnstigung Karls des Großen , gewann dieser Kunstzweig an Ausbildung. Unter den miniirten Handschrif- ten S. die ziemlich genauen Nachbildungen bey D’Agincourt , h. de l’art, T. III. Peinture Part. II. Pl. 40 ß. , deren Prolog anzeigt, daß sie auf Befehl dieses Fuͤr- sten geschrieben worden, untersuchte ich wiederholt die lateini- sche Bibel, welche zu Rom jenseit der Tiber , im Kloster S. Calisto vorhanden ist, und vormals lange Zeit hindurch in dem Kloster des gleichen Ordens bey S. Paul, auf dem Wege nach Ostia , bewahrt worden. Alemanni De Later. pariet. ed. c. p. 80. ad tab. IX. und, nach ihm, Montfaucon Antt. de la monarchie Franc. T. 1. p. 175 s . haben diese Handschrift umstaͤndlich beschrieben, und die historischen Merkwurdigkeiten ihrer Bilder beleuchtet, in welcher Beziehung ich auf diese Forscher verwei- sen darf. Doch haben beide uͤbersehen, daß der Text durchhin von neuerer Hand geschrieben ist, daß mithin nichts darin dem Zeitalter Karls angehoͤrt, als der Prolog und die Minia- turen. Die Zuͤge der Handschrift des Textes verweisen in das eilfte Jahrhundert, und stimmen mit dem, obwohl in anderer Tinte geschriebenen, Lehenseid Herzog Roberts von Sicilien uͤberein, welcher der Bibel vorgeheftet ist Ich untersuchte diese HS. im I. 1819 in Gesellschaft des Herrn Geh. Staatsraths Niebuhr , auf dessen Zeugniß ich mich um so mehr berufen darf, da alle kritische Merkmale, welche ich angegeben, dem geuͤbten Blicke dieses Meisters der Forschung sich alsobald dargeboten. . Dieser Umstand aber entkraͤftet keinesweges die Aechtheit der eingehefteten Mi- niaturen. Diese nemlich fallen nirgend mit den Quaternionen der neueren Handschrift zusammen, sind, eben wie der Prolog, nur beygeheftet, und zudem an den Raͤndern auffallend mehr abgegriffen. Der aͤltere Codex, zu welchem sie gehoͤrt, mochte also durch den Gebrauch vernutzt oder sonst beschaͤdigt seyn, als man diese Erneuerung unternahm. Da nun solche Mi- niaturen zu ersetzen oder nachzubilden, wie wir sehen werden, im eilften Jahrhundert wenigstens den Italienern unmoͤglich fiel, mag man sie deshalb bewahrt und der neuen Handschrift wieder beygegeben haben. Uebrigens ist es zweifelhaft, ob sie jenem Codex angehoͤrt, dessen Anastasius unter den roͤmi- schen Weihgeschenken Karls erwaͤhnt, ohne ganz deutlich zu machen, ob er der Paulskirche oder der Kirche S. Salvator anheimgefallen sey. Auf dem vorderen Blatte unserer Handschrift, dessen, kuͤnstlerisch angesehen, hoͤchst unvollkommene Abbildung bey Alemanni und Montfaucon , befindet sich das Bildniß Karls des Großen ; es ist nicht ohne einigen Anstrich von Individualitaͤt. Die nachfolgenden Darstellungen aus dem alten Testamente verrathen, bey auffallender Abweichung von jenem antiken Kunstcharakter, dem wir schon mehrmal in den Kunstarbeiten des hoͤheren Mittelalters begegnet sind, bereits einige Eigenheit des Geistes; im Saul ist Großartiges; im Leben des Moses viel Ausdruck in den Bewegungen der Menge. Wirklich scheinen sie, da selbst die Bekleidungen nicht selten ganz fraͤnkisch, die Charaktere auffallend noͤrdlich sind, großen- theils der freyen Erfindung, oder doch der Umgestaltung des Kuͤnstlers anzugehoͤren. Doch zeigt sich, dieser freyeren Dar- stellung ungeachtet, in den Flußgoͤttern der Geschichte Josua, auch in Anderem, Bekanntschaft mit altchristlichen Vorbildern, wenigstens mit ihren italienischen Nachahmungen. Auch ver- spricht sich der Kuͤnstler im Prolog MS. Cod. c. fo. 2. — praesenti — libro, , mit italienischen Lei- stun- stungen Schritt zu halten, sogar sie zu uͤbertreffen. Und da er sich eben dort mit einem fraͤnkischen Namen, Ingobertus , nennt, so werden wir berechtigt seyn, diese Miniaturmalereyen als eine Verjuͤngung italienischer Ueberlieferungen durch den frischeren Lebensmuth des herrschenden Volkes zu betrachten. Auch in anderen zufaͤllig erhaltenen Handschriften der karolin- gischen Zeit melden sich Kuͤnstler mit deutschen Namen, aus welchen wir abnehmen koͤnnen, sowohl daß jene fraͤnkische Hofschule zahlreich war, als daß ihre Zoͤglinge von einer foͤr- derlichen Ruhmbegier beseelt wurden Im Codex von Toulouse ( Bouquet T. c. p. 401 .), wel- cher bey der Taufe des ehem. Koͤnigs von Rom dem dam. Herrscher dargebracht worden (s. Jen. Lit. Zeitung 1811. col . 508.), nennt sich der Calligraph und Maler Godescalcus ; im Psalter der Kk. Hofbibl. zu Wien ein anderer: Dagulf . Vgl. den Prolog anderer HSS. d. Z. bey Bouquet , T. c. p. 404 und 410. . Bey Schriftstellern uͤber fraͤnkische Alterthuͤmer z. B. bey Montfaucon , l. et T. c. p. 301 s. , in bibliographischen und diplomatischen Werken findet sich die Nachweisung anderer Handschriften des achten und neunten Jahrhunderts, welche mit kunstreichen Deckeln und zierlichen Miniaturen versehen sind, gleich dem Evangeliarium Karls des Kahlen , ehemals im Reichsstifte S. Emmeram, gegen- waͤrtig in der Hofbibliothek zu Muͤnchen . Das wichtigste Blatt dieses Buches hat allerdings, wahrscheinlich bey jener Ausbesserung, welche auf der inneren Seite des Einbandes Quem tibi, quemque tuis rex Carolus ore serenus Offert, XPE, — Ejus ad imperium devoti pectoris artus Ingobertus eram referens et scriba fidelis Graphidas Ausonios aequans superansve tenore . I. 15 angegeben, hie und da einige Aufmalungen erfahren, deren man sich bey Denkmalen dieser Art stets enthalten sollte. Doch unterscheidet sich das Erhaltene durch mehr Leimgehalt und groͤßeren Glanz der Farbe, so daß schon aus diesem Bei- spiel mit Sicherheit abzunehmen, die Miniatur sey am Hofe der Karolinger mit Erfolg, und nicht ohne technischen Fort- schritt weitergeuͤbt worden. Sehen wir nun in der Folge, waͤhrend der inneren Zer- ruͤttungen des westfraͤnkischen Reiches im zehnten Jahrhundert, dort ihre Spur verschwinden; finden wir dahingegen im eigent- lichen Deutschland Weihgeschenke des Koͤnigs Arnolf , welche in aͤhnlichem Charakter, in derselben Kunstart gearbeitet sind S. Zirngibl , neue hist. Abhh. der baierischen Ak. Bd. III. S. 374. Das Evangeliarium wird in der k. Hofbibl. zu Muͤnchen , das goldene Feldaltaͤrchen vielleicht im Schatze ebendas. aufbewahrt. ; so scheint die Vermuthung sich aufzudraͤngen, daß jene Schule von Goldarbeitern und Juwelieren, von Kalligraphen und Miniaturmalern, welche mehr als ein Jahrhundert lang am Hofe der Karolinger fortgebluͤht, damals dem letzten noch le- benskraͤftigen Zweige dieses Stammes sich angeschlossen habe. Denn von nun an erblicken wir sie im Gefolge der deutschen Koͤnige, denen sie gewiß bis auf Heinrich II. , und, bey stei- gender Wohlfarth des Reiches, hoͤchst wahrscheinlich auch un- ter den folgenden Regierungen mit wechselndem Geschicke ge- dient hat. Freilich entschwindet mir der Faden unter der kurzen Re- gierung Conrad I. , aus welcher bis dahin kein Denkmal der angedeuteten Art mir bekannt worden. Ueberhaupt duͤrfen wir annehmen, daß zu Anfang des zehnten Jahrhunderts, waͤhrend der bedraͤngten Regierungen Conrads und Heinrichs , der ersten, zur Befoͤrderung uͤberfluͤssiger und freier Kuͤnste nur wenig ge- schehen konnte. Der neue deutsche Staat rang noch mit man- chen Beschwerden und Hindernissen; mit Ausnahme einiger roͤmischen Colonieen, welche bei veraͤnderter Bevoͤlkerung ihre aͤußere Einrichtung bewahrt hatten, gab es nur dem Namen nach Staͤdte; die wiederholten Verwuͤstungen der Ungarn muß- ten, wie die einfache Bestattung Heinrich I. zu bewaͤhren scheint Wallmann , I. Andr., Abh. von den schaͤtzbaren Alter- thuͤmern zu Quedlinburg . Das. 1776. 8. , da, wo schon fruͤher kein Reichthum war, groͤßere Armuth zuruͤcklassen, welche die einfachste Lebenssitte S. die Biographen der Koͤniginnen Mathilde und Adel- heid , bey Leibnitz , scr. rer. Brunsv . min- der fuͤhlbar machte. Indeß konnte jene Schule unter Con- rad I. keine gaͤnzliche Unterbrechung erfahren haben, weil sie schon unter Heinrich und Otto I. wieder hervortritt; weil die Kunstfertigkeiten unter allen Umstaͤnden der Uebung und leben- digen Fortpflanzung beduͤrfen. Unter den Geschenken der Koͤnige und Fuͤrsten des saͤchsi- schen Hauses, welche bis zur Unterdruͤckung des Reichsstiftes zu Quedlinburg daselbst aufbewahrt wurden, befand sich ein von außen mit getriebenem Goldblech bekleidetes Missale, wel- ches fuͤr ein Geschenk Heinrich des ersten galt, weil der Ein- weihungstext des Muͤnsters, seiner Stiftung, darin eingetragen war, und weil man wissen wollte, der Schoͤnschreiber, der sich zu Ende des Buches Johannes Presbyter nennt, habe unter diesem Koͤnige gelebt Wallmann , a. a. O. S. 95. Vgl. S. 93. . Obwohl diese Angabe an sich selbst kein Mißtrauen erweckt, so will ich sie doch nicht 15 * verbuͤrgen, da dieses Missal zugleich mit den uͤbrigen Bestand- theilen des Kirchenschatzes, wie ich unter der westphaͤlischen Regierung aus guter Quelle erfahren, schon bey Unterdruͤckung des alten Reichsstiftes verschollen ist. Moͤchte es noch irgendwo in den wissenschaftlichen Sammlungen der preußischen Monar- chie sich erhalten haben. Daselbst ward ein anderes Evangeliarium mit kostbarem Deckel aufbewahrt, welches Einigen fuͤr ein Geschenk Ottos des Großen galt Eckard , Mr. Tob., MSS. Quedlinb. 1723. 4. p. 4 . , doch von dem beruͤhmten I. G. Eccard fuͤr eine Handschrift der karolingischen Zeit gehalten wurde Praef. ad Lgg. Franc. Sal. et Rip. Im Chron. Gottwic . T. 1. p. 48 . wird eine HS. der Capitularien angefuͤhrt, in der Herzogl. Bibl. zu Gotha , deren Miniaturen die Bildnisse Ottos I. und II. enthalten sollen. Ich habe sie nicht selbst untersucht. Odilo ( Henr. Canis . lectt. ant. To. V.) von der Kaiserin Adelheid : — „ dominicae crucis vexilla et Christi Evangelia exinde (aus ihrem Schmuck) adornari praeparabat .“ Da diese Sitte bestand, die Fer- tigkeit vorhanden war, da das saͤchsische Haus Quedlinburg beguͤn- stigte, so liegt es naͤher, jenen Codex dem Zeitalter der Ottonen beyzumessen, wenn nicht entscheidendere Gruͤnde fuͤr das Gegentheil vorhanden sind. . Indeß duͤrfte das aͤußere Ansehen, welches ihn bestimmte, hier minder entscheidend seyn, da die calligraphischen Denkmale der saͤchsischen Epoche aus Gruͤnden, welche ich oben beruͤhrt und entwickelt habe, den karolingischen aͤhnlich sind, mithin den fluͤchtigen Blick gar wohl bestechen koͤnnen. Ebendaselbst be- fand sich ein Reliquienkaͤstlein von Elfenbein, mit kostbaren Verzierungen und mancherley halberhobener Arbeit, nach allge- meinen, doch an sich selbst unverwerflichen, Vermuthungen ebenfalls ein Geschenk Ottos des Großen Wallmann , a. a. O. S. 90. . Nach alten Nachrichten ward ein aͤhnliches Kaͤstlein vor dem dreyßigjaͤhri- gen Kriege im Domschatze zu Magdeburg aufbewahrt S. Dresser , Matth. , Saͤchsisch Chronikon etc. 1596. fo. S. 270 f. in dem Verzeichniß der damals reichhaltigen Kostbarkei- ten des magdeburg. Domschatzes: „Ein Schrein oder Kestlin von weissen Helfenbein und mehrentheils mit Gold und Silber beschla- gen. s. Marien oder U. L. F. Kestlin geheissen.“ , von welchem ein Bruchstuͤck sich erhalten hat, welches im Jahre 1810 zu Mayland in der beruͤhmten Sammlung des verewig- ten Abbate Triulzi vorhanden war, und vielleicht, da die Erben geneigt schienen, die Sammlung ungetrennt aufzube- wahren, noch an derselben Stelle zu suchen ist. Sulzer , der diese Sammlung von Diptychen und Schnitzwerken nun schon vor laͤngerer Zeit besehen, erzaͤhlt von einer Tafel, welche ihm aufgefallen: „sie stelle den Kaiser Otto I. mit seiner Gemahlin vor dem paͤpstlichen Throne vor Sulzer , Tagebuch auf einer Reise durch Italien etc. S. 327. .“ Ich wage nicht zu entscheiden, ob er nur fluͤchtig darauf hingesehen, oder eine andere, von Muratori beleuch- tete Elfenbeintafel im Sinne gehabt, auf welcher Otto II. und seine Gemahlin Theophanu vorgestellt worden. Denn die unsrige enthaͤlt, nach einer genauen Beschreibung, welche Herr von Ramdohr nach der Aufgabe, die ich ihm dahin mitge- geben, auf der Stelle entworfen, und sogar mit einigen Nach- zeichnungen begleitet hat, in der Mitte den Weltlehrer, Ma- ria, S. Mauritius und den Kaiser Otto I. , also weder dessen Gemahlin, noch den Papst, mithin ganz andere, als jene von Sulzer angegebenen Gegenstaͤnde. Meinem Berichtgeber schien im Heiland der altchristliche Typus in großer Reinheit hervor- zutreten; die mechanische oder technische Behandlung billigte er, wie schon Sulzer , wenn dieser anders dasselbe Denkmal im Sinne hatte. In Bezug auf dessen fruͤhere Bestimmung schließt sich mein Berichtgeber der Meinung der maylaͤndischen Kenner an, und haͤlt dieses kleine Denkmal entweder fuͤr eine bewegliche Altartafel, oder auch fuͤr einen ehemaligen Buͤcherdeckel. Er- waͤgen wir aber, daß unsere Tafel nur einen schlichten unver- zierten Rand hat, waͤhrend in den bekannteren Deckeln dieser Zeit, wie in den bambergischen der muͤnchener Hofbibliothek die Randverzierung meist mit dem Bilde aus einem Stuͤcke, geschnitzt ist; so wird es naͤher liegen, sie fuͤr ein Bruchstuͤck zu halten. Und da ihre Gegenstaͤnde, uͤber welche die beyge- fuͤgten Inschriften keinen Zweifel zulassen, durchhin mit der Bestimmung jenes Marienkaͤstleins, dem Geschenke Ottos des Großen an seinen Schutzheiligen, Mauritius, zusammenfallen; so spreche ich mit Zuversicht noch einmal die Vermuthung aus, daß sie vormals diesem Reliquiar muͤsse angehoͤrt haben. Die Pluͤnderung Magdeburgs im dreyßigjaͤhrigen Kriege, vornehm- lich die fremden Voͤlker im kaiserlichen Dienste, duͤrften die Versetzung dieses Bruchstuͤckes in eine italienische Sammlung zur Genuͤge erklaͤren. Ein Denkmal der Calligraphie unter Otto II. besitzen wir in der herrlichen Bekraͤftigung des Leibgedinges der Kaiserin Theophanu , welche zu Gandersheim aufbewahrt wird; wenn sie anders von Cassel , wohin sie unter der westphaͤlischen Re- gierung gelangt war, den rechtmaͤßigen Eigenthuͤmern zuruͤck- gestellt worden. Die schoͤnen Uncialbuchstaben dieser Urkunde sind in Gold aufgetragen und durch miniirte Leisten erhoͤht, denen antike Greife zum Grunde liegen Bey Huch , S. A. , Versuch einer Lit. der Diplom. soll S. 37 ein Verzeichniß vieler Urkunden in Gold- und Silberschrift vorkommen, dessen Werth zu pruͤfen mir bis jetzt die Gelegenheit ge- fehlt. Muratori (antt. It. Diss. 34.) bezweifelt die Aechtheit, ja das Vorhandenseyn von Urkunden in Goldschrift; obwohl solche gelegentlich sogar von den aͤlteren Annalisten erwaͤhnt werden. . In einem Kloster des Sprengels von Trier befand sich noch zu Browers Zeit ein koͤstliches Evangeliarium, auf dessen in Gold getriebenem Deckel Otto II. unter dem Schutze des heil. Benedictus , Theo- phanu , seine Gemahlin, unter der Figur des damaligen Ab- tes Ludger angebracht war Brower , ann. Trevir. ad a. 975. — „monast. Epernac. — Egregia visitur ibi caelatura et bracteis aureis obductus Evang. codex — in quo sub S. Bened. quidem imagine ipsius effigies scul- pta Ottonis, sub beati Ludgeri Abb. icone, regali ornatu habituque Theophania .“ . Einer aͤhnlichen Darstellung dieser Fuͤrsten habe ich bereits erwaͤhnt. Eins der drey Evan- geliarien des Kirchenschatzes zu Quedlinburg , dessen Deckel aus einer schoͤn geschnitzten Elfenbeintafel bestand, enthielt ein Ge- bet, worin Papst Silvester II. , Otto III. und die Aebtissin Adelheid erwaͤhnt wurde, woraus erhellt, daß es unter Otto III. war beschafft worden Eckard MSS. Quedlinb. p. 4. Vgl. Wallm . a. a. O. S. 98. . Andere Denkmale dieser Art und Zeit werden hie und da theils von den Schriftstellern erwaͤhnt, theils noch immer in Sammlungen und Schatzkam- mern aufbewahrt. Diese fast ununterbrochene Kette von kleineren, aus kost- baren Stoffen angefertigten Kunstarbeiten, welche, da ich sie aus den Vorbereitungen zu einer laͤngst abgebrochenen Unter- suchung hervorziehe, sicher vielfaͤltig ergaͤnzt und vermehrt wer- den koͤnnte S. Testamentum Brunonis fratris Ottonis M. (ap. Leib- nitz scriptt. T. 1. p. 289), wo eine lange Reihe kostbarer und kunstreicher Haus- und Kirchengeraͤthe. In ders. Sammlung, vita Bernwardi c. 7. fecit Evangelia auro et gemmis clarissima; siehe fer- ner das. p. 525, vita Meinwerdi , §. 18 . Dort laͤßt dieser heitere und bizarre Charakter, den Heeren in s. Gesch. der classischen Lit. aus Versehen gelehrt nennt, da er doch nach seinem Biogra- phen auch fuͤr jene Zeit unwissend war, die Buͤcher, aus denen sein Gast, der heil. Heimerad , die Messe gelesen, ins Feuer wer- fen, weil er sie, incomptos et neglectos et nullius ponderis aut pretii, fand. Diese Handlung — eines Thoren allerdings — wirft einiges Licht auf die Verbreitung der Sitte, die kirchlichen HSS. durch Kunst und Glanz zu verherrlichen. Gerbert ( Silvester II. Ep. 106. ap. Du Chesne scriptt. ) begehrt von Ecbert, Erzbischof von Trier : crucem vestra scientia elaboratam, und das. ep. 104 und 124, erscheint derselbe Praͤlat auch als Baumeister. S. ferner Ditmar , uͤber die Geschenke, welche Otto dem Dome zu Magdeburg , in — libris caeteroque regio apparatu, dargebracht; dens. (ap. Leibnitz . scriptt. T. 1. p. 394.) wo er von Walterd, Erzbischof von Magde- burg , erzaͤhlt: „sarcophagum ingentem ad includendas sanctorum reliquias de argento fecit.“ Auch in der Bibliothek des Domes zu Modena befindet sich ein Evangel. mit geschnitztem Einbande, den Millin (voy. dans le Mil. T. II. p. 205), wohl nach Tiraboschi , in das eilfte Jahrhundert versetzt. Ueber die betraͤchtliche Folge von Elfenbeinschnitzwerken dieser und fruͤherer Zeit in der oͤffentli- chen Bibliothek zu S. Gallen giebt v. d. Hagen , Briefe etc. Thl. 1. S. 165, gute Auskunft, wo auch auf den vorangehenden Seiten einiges Historische. Diese Gegenstaͤnde beruͤhrt auch Joh. v. Muͤl- ler , Schweizergesch. der alten Ausg. Thl. 1. S. 233 f. und S. 271. — Daß diese Kunstrichtung sich tief in den christlichen Norden ver- breitet, sehen wir, theils schon aus Snorro Sturles. (Ed. Schö- ning T. III. p. 14.) theils aus dem großen, aus Gold getriebenen , was ich Anderen uͤberlasse, beweist unwiderleg- lich, daß dieselbe Schule von Goldarbeitern und Kalligraphen, welche unter Karl dem Großen , wenn nicht ihren Anfang, doch einen gewissen hoͤheren Schwung erhalten, im Gefolge der Macht und Groͤße bis auf Heinrich II. fortgedauert, unter welcher Regierung sie ihren hoͤchsten Glanz erreicht zu ha- ben scheint. Obwohl die Hauptschrift uͤber Heinrich II. sein Leben von Adelbold, Bischof von Utrecht , bis auf ein Fragment der Muͤnchner Bibliothek, auch dieses in neuerer Abschrift, verlo- ren ist, so findet sich doch in anderen Schriftstellern seiner Zeit mehrfaͤltige Kunde seiner Freygebigkeit und Kunstbefoͤrde- rung. Die Kirche zu Merseburg empfing durch seine Freyge- bigkeit einen Altar aus getriebenem Golde, zu welchem Bischof Ditmar , wie er selbst gemeldet, aus dem schon fruͤher vor- handenen sechs Pfunde Gold beytrug; ein neuer Beweis fuͤr die Verbreitung solcher Kirchengeraͤthe Ditm . Mers. lib. VII. ap. Leibn . scriptt. T. 1. p. 416. — In hoc vernali tempore — aureum altare ad decus ecclesiae fabricari jusserat nostrae, ad quod ego ex antiqui altaris nostri sumptu auri VI. libras dedi . Dieser Altar ward im Kriege gegen Herzog Mo- ritz auf Befehl des Kurfuͤrsten Joh. Friedrich der Domkirche zu Merseburg entrissen. Ob er eingeschmolzen, ob im saͤchsischen Schatze aufbehalten worden? — Von den uͤbrigen Geschenken, de- ren Ditmar an a. St. erwaͤhnt, befindet sich nur noch ein Missal beym Dome zu Merseburg , welches nach dem Kalender wenigstens aus Ditmars Zeit ist. Nach Leo von Ostia beschenkte Heinrich sogar daß entlegene Kloster zu Monte Cassino mit aͤhnlichen Arbeiten, welche noch spaͤt vor- Altare des nordischen Musei zu Kopenhagen , wo unten die Felder von aͤlterem, vielleicht karolingischem Style, die Erneuerungen oben am Bogen und darunter gewiß nicht neuer, als das zwoͤlfte Jahrhundert sind. handen waren S. Gattula (nicht Grattula ) hist. Abbat. Cassinensis. T. 1. p. 161. sq . . Zu Bamberg wurden die Weihgeschenke Hein- richs mit groͤßter Sorgfalt aufbewahrt S. von Murr , Merkwuͤrdigk. von Bamberg . 1799. 8. S. 92 f. und a. a. St. Einiges zum Domschatze gehoͤrende scheint man bey Aufhebung des Stiftes veraͤußert zu haben. Im I. 1811 sah ich beym Domherrn, Grafen von Wallerndorf , ein Altaͤr- chen, nicht in Elfenbein, sondern in Muschelschaalen geschnitzt, welches in den actis ss . der Bollandisten, vita S. Henrici , beschrie- ben, und fuͤr ein Denkmal dieses Kaisers ausgegeben wird. Indeß gehoͤrt es der deutschen Schule des sechszehnten Jahrhanderts an; es finden sich darin sogar aus Schongauers Kupferstichen Remi- niscenzen. , bis sie in neueren Zeiten theils der koͤniglichen Bibliothek zu Muͤnchen , theils der Schatzkammer daselbst einverleibt worden, wo die Freunde der Kunst und ihrer Alterthuͤmer sie mit Bequemlichkeit sehen, und von ihrem Kunstverdienste sich anschaulich uͤberzeugen koͤnnen. Dieses letzte ist so groß, daß Viele auf den ersten Blick be- zweifeln, daß diese Denkmale so alten Zeiten angehoͤren, bis sie den Zusammenhang eingesehen, und aus so vielen Umstaͤn- den, welche offenbar auf gleichzeitige Dinge und Begebenheiten sich beziehen, aufgefaßt haben, daß nicht einmal die Deckel der Buͤcher die Conjectur zulassen, daß sie in den ersten christ- lichen Zeiten gemacht, und nur zufaͤllig zu ihrer gegenwaͤrtigen Bestimmung verwendet worden Wie H. v. Ramdohr , bis er sich spaͤter, vornehmlich in der Sammlung des Abbate Triulzi , vom Gegentheil uͤberzeugte. . Es galt, unumgaͤnglicher Unterscheidung willen, das Al- ter und die Abkunft einer gewissen Zahl deutscher Denkmale außer Zweifel zu stellen, welche an sich selbst nicht ohne Kunst- verdienst, in Vergleich aber mit gleichzeitigen Arbeiten der Italiener wahre Meisterstuͤcke sind. Ueberhaupt ist die Unge- schicklichkeit und der rohe Sinn italienischer Kuͤnstler des neun- ten bis zwoͤlften Jahrhunderts, oder des Zeitraumes, der uns gegenwaͤrtig beschaͤftigen soll, durchaus unvergleichbar mit an- deren Erscheinungen der Kunsthistorie. Sogar die rohesten Voͤlker des Nordens zeigen in ihren Kunstarbeiten verhaͤltniß- maͤßig einige Nettigkeit und Sicherheit der Hand; nur die Larven aus Baumrinde, welche von brasilianischen Reisenden in unsere Museen eingefuͤhrt worden, stimmen in der schwan- kenden Angabe der Zuͤge, vornehmlich der Augen und Nasen, mit den Ungeheuern uͤberein, deren Entstehung wir geschicht- lich verfolgen, deren Charakter wir andeuten wollen, ohne uns zu lange dabey aufzuhalten. Allein, daß unter dem italieni- schen Himmel, inmitten einer so herrlichen Natur und zahlrei- cher Vorbilder, bey einem Cultus, welcher den Bildern eine ehrenvolle Stelle anwies, nicht mehr, nichts Besseres geleistet wurde, als in den brasilianischen Suͤmpfen von einem halb- thierischen Geschlechte, erinnert uns, daß die Entwickelung menschlicher Faͤhigkeiten mehr, als wir wuͤnschen und zu glau- ben geneigt sind, von aͤußeren Umstaͤnden abhaͤngt, welche wir mithin, so viel an uns liegt, zu bemeistern bemuͤht seyn muͤssen. Die ruͤstigen Unternehmungen Hadrians und Leos III. versprachen allerdings, wie wir oben gesehen, eine ganz andere Wendung, als diese, deren Stufenfolge und Dauer wir nun- mehr bis zum ersten Aufdaͤmmern eines neuen Tages verfolgen wollen. Doch werden wir zunaͤchst versuchen muͤssen, in den allgemeineren Verhaͤltnissen des Volkes die Ursachen einer so ganz beyspiellosen Erscheinung aufzufinden. Bey dieser Untersuchung duͤrfen wir nicht uͤbersehen, daß die Baukunst, welche ihrem Zwecke nach menschlicher und buͤr- gerlicher Beduͤrftigkeit dient, ihrem Wesen nach auf Vernunft und Muth beruht, gleichzeitig theils beym Alten blieb, theils sogar an Muth und Freyheit sichtlich zunahm. Denn eben darin, daß man unausgesetzt und in zunehmenden Ausdehnun- gen Kirchen erbauete, welche in den Staͤdten, wie die Tempel des alten Roms , bey wichtigen Angelegenheiten des Gemein- wohls auch zur Berathung dienten Z. B. s. Piero Scheraggio , eine der aͤltesten Basiliken zu Florenz , deren letzter Ueberrest unter Peter Leopold abgetragen worden. S. Malaspina , Villani und andere florentinische Annalisten, oder neuere Topographen dieser Stadt. , darin, daß man staͤd- tische Mauern staͤrkte und erweiterte, uͤberhaupt fuͤr gemeinen Nutzen keine Bauunternehmung zu groß und kostspielig fand; erkenne ich den wahren Geist des verworrenen, doch lebenvol- len Treibens, in welchem zwar nun auch die letzten Nachwir- kungen der antiken Cultur untergegangen sind, doch zugleich das neue Italien mit seinen bluͤhenden Freystaaten, seinem scharfen Lebensverstande, seiner munteren Kunst, anmuthvollen Sprache, Dichtung, Musik, sich entwickelt hat. Auf Gruͤn- dung und Stiftung ging man aus, den Sinn einzig auf Be- nutzung und Mehrung des Erworbenen gerichtet; einer solchen Richtung des Geistes mußte die Baukunst unentbehrlich erschei- nen, weil sie dem Beduͤrfniß diente. Da sie nun in frischer Thaͤtigkeit erhalten, mehr und mehr die Faͤhigkeit entwickelte, zu leisten; so ward sie spaͤterhin unter allen Kuͤnsten zuerst in Anspruch genommen, als die staͤdtischen Gemeinwesen began- nen, Kraft zu entwickeln und nach Glanz und Herrlichkeit zu streben. Ueberhaupt koͤnnen die Zerruͤttungen, denen Italien vom neunten bis zwoͤlften Jahrhundert unterlegen, nicht wohl mit gewoͤhnlichen Ungluͤcksfaͤllen verglichen werden. Freilich zer- stoͤrten sie das Alte, wenigstens in Bezug auf Kunst und Sprache, fast bis auf die letzte Spur; doch waren sie, wie bemerkt, zugleich die Wiege des neueren Italiens , also mittel- bar der ganzen modernen Bildung, welche der fruͤhen, vielsei- tigen Entwickelung der Italiener weit mehr verdankt, als selbst in unseren Tagen zugestanden wird. Die erste Veranlassung zu jener langen und stuͤrmischen Gaͤhrung aller Kraͤfte liegt nun offenbar in der Nachwirkung der Unternehmungen Karls des Großen . Er hatte das herrschende Volk, die Longobar- den, gedemuͤthigt; der alten Bevoͤlkerung in den Paͤpsten eine neue Schutzwehr gegeben; das Ganze durch Macht und Anse- hen geeinigt. Als darauf unter seinen immer schwaͤcheren Nachfolgern der Glaube an fraͤnkische Uebermacht allmaͤhlich zuruͤckgewichen, da regten sich allenthalben die fremdartigen Bestandtheile des Volkes, bald zu gegenseitigem Kampf, selte- ner, bey zunehmender Vermischung der Staͤmme, zu gemein- samen Unternehmungen. Waͤre es damals moͤglich gewesen, die Freyen germanischer Abkunft, in denen ich die Ahnen des Land und Leute besitzenden Adels etwas spaͤterer Zeiten zu er- blicken glaube, mit Allem, was noch roͤmische Erinnerungen bewahrte, innig zu verschmelzen; haͤtte nicht die Geistlichkeit, deren Einfluß bey der so ganz eigenthuͤmlichen Stellung der Paͤpste unvermeidlich war, ein weiter hinaussehendes Ziel ins Auge gefaßt; so duͤrfte Italien damals von neuem einen selbst- staͤndigen, vielleicht einen weithin gebietenden Staat gebildet haben. Da nun die Umstaͤnde diese Wendung des politischen Geistes der Nation versagten, wandte sich der buͤrgerliche, prac- tische Sinn und Alles, was vom alten martialischen Geiste bey roͤmischen oder germanischen Abkoͤmmlingen noch vorhan- den war, auf Gruͤndung und Sicherung des Naͤchsten. Auf der einen Seite vereinigten sich die Stammgenossenschaften des Adels, welche in Italien alt seyn muͤssen, weil sie fruͤh sich zeigen, und schon im dreyzehnten Jahrhundert sich uͤberlebt haben und zum Untergange reif sind. Andererseits entwickelte sich in den Truͤmmern roͤmischer Colonieen und Municipien, aus den Resten roͤmischer Einrichtung, Verwaltungsart, Ge- wohnheit, jener staͤdtische Gemeingeist, der in einzelnen Orten, etwa in Lucca und Pisa Ueber die fruͤhere Bluͤthe von Neapel , Gaeta , Amalphi , wissen wir wenig Umstaͤndliches. S. Brincman . Diss. de rep. Amalphit. ad calcem hist. Pandect. Flo. — Einzelnes, wohl rheto- risch Uebertriebene, bey Gull. Apul. , schon im eilften Jahrhundert so ausgebildet hervortritt, daß wir anzunehmen gezwungen sind, er habe sich eine laͤngere Zeit hindurch im Stillen aus fruͤhe- rer Versunkenheit hervorgebildet. Vorherrschen des practischen Sinnes war es demnach, und Begeisterung fuͤr neue politische Gruͤndungen, oder Hoff- nungen auf kuͤnftige Macht und Freyheit, was den Sinn da- maliger Italiener in Kunst und Sprache von treuem, sorgli- chem Bewahren des Ueberlieferten ablenkte. So lange man nur in der Erinnerung an roͤmische Groͤße Beruhigung und Freude fand, so lange die Gegenwart und naͤchste Zukunft nichts, als Beschaͤmendes, Entmuthigendes darbot, hatte man, obwohl mit geringem Gluͤcke, gestrebt, die Sprache und die Kuͤnste des alten Weltreiches in ihren herkoͤmmlichen Formen zu erhalten. Nun aber, da dem Ehrgeiz, wie dem Erwerb- fleiße von allen Seiten ungemessene Aussicht sich eroͤffnete, verloren die leeren, ausgehuͤlseten Formen des Alterthums ih- ren Werth. Und da man dennoch aus bloßer Gewoͤhnung, oder aus Nachgiebigkeit gegen Geistliche und Rechtsgelehrte, im Rechtsgange die lateinische Sprache, in den Kirchen die darstellenden Kuͤnste beybehielt, so verfiel Kunst und Sprache inmitten des aufgeregtesten Lebens so tief, als wir nunmehr, wenigstens in Bezug auf die Kunst, an bestimmten Denkma- len nachweisen wollen. Wie wir uns oben erinnert haben, erhielt sich die Kunst- uͤbung zu Rom , bey geringer Abweichung, durch Abnahme der Fertigkeiten im achten Jahrhundert, noch etwa auf der Stufe, welche sie im sechsten eingenommen. Wie schnell sie indeß schon zu Anfang des neunten gesunken, lernen wir aus einem Denkmal Paschal I. , den musivischen Malereyen des Gewoͤlbes und aͤußeren Bogens der Tribune in der Kirche der heil. Praxedis zu Rom . Daß diese Malereyen von Paschal I. , also um das Jahr 820, angeordnet worden, berichtet schon Anastasius Anast . de vitis pont. ed. c. p. 80. col. 1. — Ecclesiam — Praxedis — in alium non longe demutans locum, in meliorem eam, quam dudum fuerat, erexit statum. Absidam vero ejusd. Eccl. mu- sivo opere oxornatam variis decenter coloribus decoravit. Simili modo et arcum triumphalem eisdem metallis mirum in modum per- ficiens componit. Triumphbogen nennt er hier die Wand uͤber und neben dem Bogen der Tribune, auf welchem oben Engel, unten Heilige, welche dem Heiland ihre Siegeskronen reichen. , dann die gedoppelte, musivisch ausgelegte Aufschrift des Werkes selbst Im Fries unter der Woͤlbung der Tribune: Emicat aula piae variis decorata metallis Praxedis . — Pontificis summi studio Paschalis . — Und uͤber dem Christus . Die Vorstellungen, welche darin angebracht oder nach aͤlteren wiederholt worden, sind fast ohne Ausnahme altchristliche, vielleicht Copieen von Ma- lereyen der eben abgetragenen aͤlteren Kirche. In den Umris- sen zeigt sich noch einige Spur der hergebrachten Voͤlligkeit und Ruͤndung. Allein die Glasstifte, welche an sich selbst groͤber und minder regelmaͤßig zugeschnitten, sind schon nach- laͤssiger oder ungeschickter zusammengesetzt, als in den alten Theilen des Musives Leos III. ; Halbtoͤne und Schatten, deren Spur dort noch bemerklich ist, haben hier bereits einfachen Localtoͤnen und Farbenflecken Raum gegeben; dicke und auf- fallende Umrisse begrenzen die Formen. Erwaͤgen wir, daß dieses Werk die Stiftung eines Papstes ist; daß der Name des Stifters darauf mit einem gewissen Anspruch angebracht worden, den auch Anastasius anzudeuten scheint: so werden wir solches als ein hervorragendes Beispiel damaliger Leistun- gen betrachten, also mit Sicherheit annehmen koͤnnen, daß die Kunst bereits in der ganzen Ausdehnung von Italien im Sin- ken begriffen war, und innerhalb weniger Decennien Vortheile eingebuͤßt hatte, welche noch unter Leo III. bekannt, oder doch bewußtlos in Gebrauch waren. Nur ein einziger Schritt blieb noch uͤbrig zur aͤußersten Entartung der italienischen Technik: die voͤllige Entaͤußerung aller Sicherheit, aller Fuͤlle, alles Schwunges der Umrisse. Doch auch dahin gelangte man nunmehr innerhalb weni- ger Jahrzehende, wie ein Denkmal darlegt, welches, obwohl von im Bogen das Monogramm desselben Papst . Auch an einer aus antiken Fragmenten zusammengeflickten Thuͤre der Kapelle der heil. Saͤule sieht man in Stein gegraben: Paschalis praesulis opus etc. Ein anderes Werk dess. Papstes, die Tribune der Kirche S. Caͤci- lia, duͤrfte mittelalterliche Wiederherstellungen erfahren haben. von geringem Umfang, doch mit einigem Anspruch auf Aus- zeichnung gemacht seyn muß, da die Namen vornehmer Stif- ter darauf angemerkt sind. Ich bezeichne hier die bewegliche Altartafel von Elfenbein, welche aus der Sammlung des ge- lehrten Florentiners, Senatore Buonarruoti Er hat derselben eine eigene Monographie gewidmet: Buo- narruoti , osservaz. sopra alcuni framenti di vasi antichi di vetro etc. Fir. 1716. Appendice, wo Tab. 3 eine ziemlich genaue Ab- bildung dieses Denkmals. , nach dessen Tode in das christliche Museum der Vaticana gelangt ist. Innerhalb eines engen Raumes zeigen sich hier, naͤchst dem Gekreuzigten, in den oberen Winkeln die antiken, damals nicht ungewoͤhnlichen Personificationen der Sonne und des Mondes, unter dem Kreuze Maria und Johannes, und einige Heiligen in halber Figur; Alles mit ersinnlichster Ungeschick- lichkeit angedeutet, und ohne die beygefuͤgten Inschriften in barbarischem Latein fast unkenntlich. In der unteren Aufschrift melden sich die Stifter, der Abt des Klosters Rambona und die Goͤnnerin desselben, Agiltrude, Herzogin von Spoleto , Gemahlin Guido’s , des nachmaligen Kaisers. Guido ward im Jahre 889 von seiner Parthey zum Koͤnige von Italien gewaͤhlt, und als Koͤnig und roͤmischer Imperator bestaͤtigt und gekroͤnt im Jahre 891 S. Muratori , antt. It. diss. 3. und Annali, ad a. . Da nun in obiger Aufschrift diese Erhoͤhung noch nicht angedeutet, so duͤrfen wir anneh- men, daß unsere Tafel um etwas fruͤher entstanden, wie sie denn gewiß nicht so gar viel neuer seyn Vgl. Buonarr . am a. O., wo er aus einer Urkunde des J. 898 im Domarchiv zu Parma das Verhaͤltniß der Kaiserin zum Kloster Rambona , dort Arabona , aufzuklaͤren sucht. kann. Also I. 16 duͤrfen wir, mit Ruͤckblick auf die Denkmale Paschals I. , annehmen, daß um die Mitte des neunten Jahrhunderts die italienische Kunstuͤbung bereits ihre niedrigste Stufe erreicht hatte. Daß sie im eilften Jahrhundert noch immer dieselbe Stufe einnahm, sehen wir aus einem unwiderleglichen Zeug- niß, dem vaticanischen Exemplare des Lobgedichtes auf die Graͤfin Mathilde Bibl. Vaticana, No. 4922. . Verschiedene behaupten, ich erkenne nicht aus welchen Gruͤnden, daß diese Abschrift des bekannten Lobgedichtes des Donizo im zwoͤlften Jahrhundert geschrieben sey. Gewiß koͤnnte das erste unter den theils miniirten, theils nur farbig bezeichneten Blaͤttern dieser Handschrift eher auf die Vermu- thung leiten, sie sey der Graͤfin persoͤnlich uͤberreicht, mithin noch vor ihrem Tode besorgt worden. Ist sie vielleicht sogar in ihren Bildern die Copie eines anderen Exemplares, welches ich angezeigt finde Millin , voy. c. T. II. p. 176. , aber nicht selbst gesehen habe? Unter allen Umstaͤnden ist so viel gewiß, daß sie schon ihres Gegenstandes willen nicht fruͤher, als nach der Mitte des eilften Jahrhunderts kann geschrieben und durch Bilder geziert seyn, deren schwankende, oft tief in die Form einschnei- dende Umrisse, deren rohe Farbenkleckse, deren Unbekanntschaft selbst mit den leisesten Andeutungen des Helldunkels und der Modellirung bezeugen, daß um das Jahr 1100 noch keine Besserung eingetreten war. Die aͤußerste Grenze dieser ganz negativen Kunstepoche faͤllt demnach mit dem Gegenstande der nachfolgenden Untersuchung zusammen. Obiges wird genuͤgen, die tiefste Entartung der italieni- schen Kunst der Zeit nach zu begrenzen. Fuͤr solche, welche diese Forschung weiter zu verfolgen veranlaßt sind, vereinige ich in diesem Nachtrage alle Beispiele, welche ich selbst zu pruͤfen Gelegenheit gefunden. Andere, welche in Druckschriften angefuͤhrt werden, halten nicht immer Probe Vita etc. di Pietro Perugino etc. Perugia 1804. In einer Randbemerkung der Vorrede wird einer alten Tafel mit aufgekleb- ter Leinwand erwaͤhnt, „ nella chiesa parrochiale del ponte Felcino (bey Perugia ) ove si legge in ben formati ma consunti caratteri romani l’anno in cui fu dipinta: AD MXII. “ Diese Angabe des Topographen von Perugia ist, wenn ich mich recht entsinne, an irgend einer Stelle auch von Lanzi aufgenommen worden; doch finde ich sie nicht wieder auf, oder verwechsele sie mit einer anderen und aͤhnlichen Jahresangabe, welche ich unten beruͤhren werde. Im August 1819 fand ich Gelegenheit, die genannte Tafel im Pfarrhause zu Ponte Felcino zu pruͤfen; dieselbe, welche, nach Aussage des schon bejahrten Pfarrherrn, der Vf. obiger Bemerkung (der bekannte Orsini ), einen Tag lang bey ihm betrachtet hatte. Sie ist von maͤßiger Hand im Geschmacke des vierzehnten Jahr- hunderts gemalt. Allerdings finden sich noch einige Reste von In- schriften, z. B. unter dem Heiligen der Pfarre: FELICISSIMO V M P. (Vescovo Martire Perugino?), welche Abkuͤrzungen vielleicht dem Orsini die Zahl MXII. auszudruͤcken schienen, welche, nach dem Charakter des Bildes (worin Madonna sitzend, zwey Engel, S. Felice in bischoͤflichem Ornat), auf keine Weise jemals kann darauf gestanden seyn. . Ich werde sie daher durchhin uͤbergehen, indem ich auf Lanzi sto. pitt. dell’ Italia verweise, wo zu Anfang, origini etc., die wich- tigsten Schriften uͤber diesen Gegenstand nachgewiesen sind. 1) Unter den Denkmalen des tiefsten Verfalles italieni- scher Kunst ist das Musiv der Kirche S. Francesca Romana, auf dem Forum zu Rom , in der Naͤhe des Titusbogens, das 16 * ausgedehnteste. In der Mitte Madonna mit dem Kinde, die untere Haͤlfte ergaͤnzt, nur die obere von alter Arbeit. Der Schmuck der Madonna barbarisch seltsam; deutlich, daß der Kuͤnstler die neugriechische Gestaltung dieser Kunstidee entweder nicht kannte, oder doch unbeachtet ließ. Zu beiden Seiten des Thrones der Madonna vier Heilige, unter runden Bogen, auf Saͤulen mit korinthisirenden Kapitaͤlen, welche nach den, frei- lich erneueten, Inschriften Johannes , Jacobus , Petrus und Andreas vorstellen. Die sehr bemerklichen Umrisse fuͤllt ein einfacher Localton ohne Abaͤnderung durch Schatten und Lich- ter. In den Aposteln ist der Hauptentwurf aus altchristlichen Denkmalen entnommen; die Mutter mit dem Kinde ist indeß bekanntlich spaͤt zugelassen, also erst in barbarischen Zeiten er- funden worden; sie scheint selbst bey den Griechen, obwohl minder unfoͤrmlich als hier, doch sogleich als Mumie entstan- den, nicht allmaͤhlich eingewelkt zu seyn, wie aͤltere Kunstvor- stellungen. Die Ausbildung dieser Idee gehoͤrt den Italienern des dreyzehnten und folgender Jahrhunderte an, wo wir sie naͤher betrachten werden. 2) Noch um das Jahr 1820 waren minder bedeutende, doch unbezweifelt in dieser traurigen Epoche entstandene Ma- lereyen an verschiedenen Stellen vorhanden. So bemerkte ich 1821 im Hauptschiff der Kirche S. Frediano zu Lucca die Marter einer Heiligen, deren Begrenzung oben in stumpfem Winkel beschlossen war, ein Umstand, welcher bey Alterthuͤ- mern dieser Zeit und Art in Italien von der Mitte des drey- zehnten Jahrhunderts ruͤckwaͤrts deutet, da spaͤter die gothische Verzierung herrschend geworden. Die Arbeit ist aͤußerst roh, dicke Umrisse trennen die unbeleuchteten Formen. Doch duͤrfte diese Malerey nicht aͤlter seyn, als das zwoͤlfte Jahrhundert. Derselben Zeit scheint die Madonna in der Kirche S. Maria della Valle , detta la Carbonara , de’ Cavalieri di Malta , zu Viterbo , anzugehoͤren, weil sie, bey großer Ro- higkeit der Arbeit, doch schon geruͤndetere Umrisse zeigt. Sie ist ein uraltes Andachtsbild des Ordens. Ebendaselbst ein wohl gleich alter Christuskopf, den ein Maler sienesischer Schule des funfzehnten Jahrhunderts mit einem Koͤrper verse- hen und durch zwey Engel gemehrt hat. 3) In der barberinischen Bibliothek zu Rom werden fuͤnf lose Pergamentstreifen aufbewahrt, als Denkmal eines hochmittelalterlichen Kirchengebrauches, nach welchem die Ge- bete und Formeln dem Priester, die Bilder auf dem herabhan- genden Theile des Blattes dem Volke vorlagen, wovon auch zu Pisa , im Dome, Beyspiele vorhanden sind. In unserem Exemplare deutet die anomale, selten vorkommende Schriftart auf das eilfte oder zwoͤlfte Jahrhundert; nach den Anspielun- gen auf die Investiturstreitigkeiten, No. 1, sind sie nothwendig spaͤter als diese. Die Ausfuͤhrung der Miniaturen ist, obwohl besser, als in oben beleuchtetem Donizo , doch immer noch aͤußerst roh. Mit Ausnahme des Christus , eines Engelheeres und anderer altchristlichen Vorbildern nachgeahmter Einzelnhei- ten, ist das Uebrige, wie es die Bestimmung herbeyfuͤhrte, von mittelalterlicher Erfindung. Vgl. das. die lateinische Bi- bel, wo auf dem vierten Blatte des neuen Testamentes in al- ten Schriftzuͤgen AN̅N̅. D̅. M. XCVII. IN̅D̅. V. M. IV̅L̅ . 4) No. 29 der kleinen Dombibliothek zu Perugia enthaͤlt unter ande rn ascetischen Werken auch Schriften des Rhaba- nus Mau us und Beda ; nach den Zuͤgen aber scheint die- ser Codex im zehnten oder eilften Jahrhundert geschrieben zu seyn. Die Miniaturen zu Anfang sind unglaublich unfoͤrm- lich; die Jungfrau vornehmlich ist auffallend ungestalt und roh behandelt. Was an altchristlichen Gewandmotiven aufge- nommen worden, ist durcheinander geworfen und gaͤnzlich miß- verstanden. Aehnliche Miniaturen, deren Alter mehr und minder mit Sicherheit anzugeben, finden sich uͤberall in den Bibliotheken Italiens , und wahrscheinlich, wenn man sie su- chen wollte, auch in einigen der groͤßeren Sammlungen dies- seit der Berge. Z. B. in der Bibl. der Sapienza zu Siena , No. 1 und 2 der chronologischen Sammlung miniirter HSS. Die erste, s. Augustin . in Ev. fo. m., enthaͤlt acquarellirte Anfangsbuchstaben, unter denen in c. Serm. XIII. ein Rund mit Koͤpfen von aͤußerster Rohigkeit; die zweyte, Antiphona- rium, hat einfachere Verzierungen, darin Figuren von etwa vier Kopflaͤngen. Diese Kritzeleyen sind schwerlich das Beste ihrer Zeit, stimmen indeß zum Tone ihrer Zeit. Vgl. v. d. Hagen im a. B. Bd. III. S. 251 ff. uͤber Bibl. u. Archiv des Klosters la Cava. 5) In der bereits angefuͤhrten Kirche S. Praxedis, welche Paschal I. , wie schon erwaͤhnt, neu gebauet hat, befinden sich einige Malereyen, welche offenbar juͤnger und roher sind, als jene Musive dess. Papstes, doch als minder barbarisch in Be- kleidungen und Beywerken, aͤlter zu seyn scheinen, als das angefuͤhrte Musaik in S. Francesca Romana. Diese bestehen, zunaͤchst in dem Musive der kleinen Nische der Kapelle des heil. Paul, worin die Madonna mit dem Kinde, zu beiden Seiten die Hll. Praxedis und Pudentiana. Das lateinische Monogramm im Felde, aufgeloͤst: Maria, Christi mater, ist wegen seiner Seltenheit bemerkenswerth; zugleich bestaͤtigt es, was schon das Ansehen des Gemaͤldes zeigt: daß man auch zu Rom , ohne genauere Bekanntschaft mit der griechischen Vorstellung, auf seine Weise versucht die Madonna zu malen; obwohl sie noch schlimmer ausgefallen, als die Mutter der griechischen Kirche. Diese Jungfrau duͤrfte gegenwaͤrtig das aͤlteste Beispiel eigenthuͤmlich lateinischer Darstellung dieses Gegenstandes seyn; obwohl derselbe unstreitig viel fruͤher auf- gekommen, da dieses Gemaͤlde unter allen Umstaͤnden etwas neuer ist, als die Gruͤndung der Kirche zu Anfang des neun- ten Jahrh. Lanzi , l. c. origg., folgt den opusc. Calo- geriani, T. 43, wo in einer Abh. uͤber diesen Gegenstand die Erfindung, oder der Gebrauch, die Mutter mit dem Kinde zu malen, ungefaͤhr ins fuͤnfte Jahrhundert versetzt wird. Das ist zu fruͤh. Die sehr verdorbenen Malereyen an der Wand außerhalb dieser Kapelle duͤrften dem Musive der großen Tribune und der Wiederherstellung der Kirche durch Paschal I. gleichzeitig seyn. In der Unterkirche ebendas. ist indeß derselbe Gegen- stand, die Madonna und jene zwey Heiligen, roh auf die Mauer gemalt, und duͤrfte vielleicht das Vorbild jenes oberen Musives seyn. Die beiden Heil. sind nicht antik, sondern barbarisch bekleidet, ihre Koͤpfe indeß sehr aufgefrischt. Die Gewaͤnder sind ohne Schatten und Licht, die Bezeichnungen in Haͤnden und Koͤpfen, wo sie alt sind, uͤberall aus unver- standenen Traditionen entsprungen. Aus den eingedruͤckten Umrissen sollte man schließen, das Bild sey auf nassen Kalk gemalt; uͤbrigens zeigen sich darin noch einige Handgriffe der antiken Malerey, vornehmlich in einem gewissen markigen Auftrage der Farbe, welcher zwar nahe an das Klecksige grenzt, doch auch in dieser Form noch seine Abkunft aus den Kunstgriffen vergangener Meisterschaft an den Tag legt. Wir erinnern uns aus den Beispielen der vorangehenden Abhand- lung eines aͤhnlichen Auftrages in longobardischen Malereyen zu Verona und Asisi ; dort steht er indeß dem Antiken um ei- nige Stufen naͤher als hier, was denn allerdings in der Ord- nung ist. 6) Gleichzeitige Bildnereyen, welche vornehmlich an den Vorseiten der Benedictinerabteyen aufzusuchen, deren Beguͤnsti- gung mit dem tiefsten Verfalle der italienischen Kunst zusam- menfaͤllt. An der Abtey von Volterra hat ein Fries mit ganz kurzen Figuͤrchen die Erneuerung der Vorseite uͤberdauert. Eine Anbetung der Koͤnige, links vom großen Eingang in die Pfarrkirche zu Arezzo , ein aͤhnliches auf dem Platze vor S. Franz zu Bolsena , gehoͤren theils durch ihren Gegenstand, theils durch dessen Behandlung zu den Ausnahmen; sie schei- nen gegen Ende unseres Zeitraumes oder zu Anfang des naͤch- sten entstanden zu seyn. Musivisch eingelegte, silhouettartige Figuren an toskanischen Gebaͤuden des eilften Jahrhunderts, etwa an der Vorseite des Domes zu Pisa und sonst, sind standhaft von hoͤchster Unform. — Einige Nachtraͤge zu dem hier Angefuͤhrten finden sich im sechsten Theile der Gesch. der Hohenstaufen von Friedrich von Raumer , S. 536 ff. Ich habe manches dort Angemerkte nicht einzeln auffuͤhren wollen, theils weil Vollstaͤndigkeit im Einzelnen außer meinem Plane liegt, theils weil jenes treffliche Buch uͤberall genutzt und ge- lesen wird. Ueberhaupt hoffe ich mit anderen Beleuchtungen dieses dunkeln Zeitraumes, etwa Cicognara’s storia della sc. etc. T. 1. S. 70 ff., oder Fiorillo’s Gesch. der zeich- nenden Kuͤnste, Bd. 1. S. 33 — 68, sowohl in Bezug auf Zahl, als vornehmlich auf Zuverlaͤssigkeit der Beispiele, die Vergleichung auszuhalten, und fuͤrchte nicht sowohl den Vor- wurf der Kargheit, als vielmehr den des Ueberflusses an nie- derschlagenden Thatsachen. Ein wichtiges Denkmal, welches Muratori ( scriptt. To. II. Part. II. ad p. 772. ) nach Dachery abgebildet und beschrieben, uͤbergehe ich, weil ich es weder selbst gesehen, noch in Erfahrung gebracht, ob es noch vorhanden sey. Dieser Bronzeguß ist zum Andenken der Versetzung der Gebeine des heil. Clemens angefertigt, also auf jeden Fall nicht aͤlter, als die Regierung Ludwigs II. , welcher sie angeordnet, wahrschein- lich aber, schon nach den Zuͤgen und Abkuͤrzungen der Inschrift, etwas spaͤter; auf der anderen Seite jedoch gewiß nicht neuer, als das eilfte Jahrhundert, gegen dessen Ende die Abtey sich dem Papste unterwarf, und den kaiserlichen Beguͤnstigungen, welche jenes Bronzethor verewigt, fuͤr die Zukunft entsagte (s. Luc. Dacherii praef. in Chronicon Casauriense, Spicil. To. V.; Mur . scriptt. T. et P. c. p. 771.). Nach der Abbildung, der es, wie allen aͤlteren, an einer richtigen Be- zeichnung der Kunststufe ihres Vorbildes fehlt, laͤßt sich das Alter des Werkes nur annaͤhernd bestimmen. Wahrscheinlich ist das Kunstverdienst sehr gering, da der Kuͤnstler Figuren, Handlungen, sogar Sachen, uͤberall durch Beyschriften erlaͤu- tert, ein Gebrauch, welcher, wie wir sehen werden, im eilften Jahrh. sehr verbreitet gewesen. VI. Zwoͤlftes Jahrhundert . Regungen des Geistes, technische Fortschritte bey namhaften Kuͤnstlern. Denen, welche die Culturgeschichte der unfruchtbarsten Abschnitte des Mittelalters behandeln, scheint es nahe zu lie- gen, sich selbst, oder auch nur ihre Leser durch bedingende Re- den, oder durch Vertroͤstungen auf wirkliche oder nur eingebil- dete Fortschritte abwechselnd ein wenig aufzurichten. In dieser Absicht, denke ich, verkuͤndete Fiorillo mitten im neunten Jahrhundert, eben da, wo, wie uns bekannt, die ersinnlich tiefste Entartung der italienischen Kunstuͤbung eintritt, bemerk- liche Fortschritte und gute Hoffnungen; worin er hoͤchst wahr- scheinlich seinen Gewaͤhrsleuten, beschraͤnkten Localscribenten, unnachdenklich gefolgt ist Fior . Gesch. der zeichnenden Kuͤnste, Thl. II. S. 379. . Gewiß fehlte es ihm an Lust und Gelegenheit, in jener Beziehung eigene Untersuchungen anzu- stellen; mir selbst aber ist es waͤhrend vieljaͤhriger Nachfor- schungen durchaus nicht gelungen, irgend ein Beispiel des Wiederaufstrebens und Fortschreitens der italienischen Kunstuͤ- bung aufzufinden, dessen Alter den Anbeginn des zwoͤlften Jahrhunderts uͤberstiege. Die Bildnerey, welche uͤberall der Malerey voranzueilen pflegt Boͤttiger , Arch. der Mal. S. 3, bemerkt sehr richtig: „Die rohesten Versuche der Plastik sind uͤberall den rohesten Ver- suchen der Malerey vorangegangen. Runde Gestalten nach ih- rer Apparenz auf einer Flaͤche darzustellen, setzt schon Reflexion voraus .“ , vielleicht weil es, in gewissem Sinne, leichter ist, wirkliche Formen, als deren Schein hervorzubringen, strebt allerdings auch in diesem Zeitraum, den zeichnenden Kuͤnsten einen gewissen Vorsprung abzugewinnen. Denn es duͤrften ei- nige halberhobene Arbeiten, in denen eine schwache Regung eigenen Geistes, ein gewisses Bestreben sich zeigt, besseren, vielleicht altchristlichen Vorbildern gleichzukommen, theils in Ansehung des Entwurfes und der Ausfuͤhrung ihrer architek- tonischen Beywerke, theils weil sie von der rohesten Arbeit des zehnten und eilften Jahrhunderts zu den Bildwerken des zwoͤlften einen gewissen Uebergang bilden, vielleicht schon dem Ende des eilften beyzumessen seyn. Dahin zaͤhle ich das Re- lief an der Brustwehr der Kanzel des Domes zu Volterra , des- sen architectonische Beywerke ins eilfte Jahrhundert verweisen, wenn man, wie es noͤthig ist, die aͤlteren Stuͤcke von den neueren unterscheidet, welche bloße Erweiterung des inneren Raumes zu bezwecken scheinen. Der Gegenstand der Darstel- lung ist die Fußwaschung der bußfertigen Magdalena; die Fi- guren sind auf dieselbe Weise hinter die Tafel geordnet, als auf den aͤlteren Darstellungen des Abendmahles; Christus in- deß hier am linken Ende der Tafel, zu seinen Fuͤßen Magda- lena, von dem symbolischen Drachen noch immer verfolgt, oder eben erst ausgespieen, woruͤber wir den Kuͤnstler selbst vernehmen muͤßten. Die Charaktere der Koͤpfe sind hier schon ziemlich entschieden, doch im Verhaͤltniß zum Koͤrper etwas groß zugemessen; die uͤbrigen Glieder von besserem Verhaͤltniß, als in so fruͤhen Arbeiten gewoͤhnlich ist. In der Anordnung oder im Style des Reliefs gleicht das unsrige den roheren altchristlichen Bildnereyen. Im Entwurf und in der Arbeit der Rosons und Gesimse, in dem sparsam angebrachten Schmuck von eingelegtem schwar- zen Marmor, gleicht dieses Werk jenen architectonischen Denk- malen, welche waͤhrend des eilften Jahrhunderts im oberen Arnothale in nicht geringer Zahl errichtet worden. Mit diesen stimmt ein anderes Werk noch genauer uͤberein, dem es, wie jenem, an einer zeitbestimmenden Inschrift fehlt, die Kanzel nemlich der vorstaͤdtischen Kirche S. Leonardo, außerhalb und zur Linken des roͤmischen Thores zu Florenz . Diese Arbeit ward unter dem Großherzog Peter Leopold bey Abtragung der noch uͤbrigen Theile der uralten Basilica S. Piero Scheraggio an ihre gegenwaͤrtige Stelle versetzt. Nach einer Ueberlieferung, welche weit zuruͤckreicht, waͤre sie schon im eilften Jahrhundert aus Fiesole nach Florenz entfuͤhrt worden, bey Zerstoͤrung jener alten Bergstadt durch die Flo- rentiner, uͤber welche Begebenheit allerdings die umstaͤndlichen Berichte von Augenzeugen und Zeitgenossen noch ersehnt wer- den S. Osservatore Fio. Vol. V. p. 223 s. . Doch, wie es immer mit dieser Erzaͤhlung zu neh- men sey, so ist doch so viel gewiß: daß die zahlreichen Bey- schriften, durch welche der Kuͤnstler seine unvollkommene Dar- stellung unterstuͤtzt hat, sowohl den Schriftzeichen, als der Sprache, als selbst dem Gebrauche nach, nicht sehr viel neuer seyn koͤnnen; daß ferner die architectonischen Beywerke, in so weit sie erhalten und nicht spaͤterhin ergaͤnzt sind, mit einem bewaͤhrteren Bauwerke dieser Zeit und Gegend große Aehnlich- keit zeigen. Ich beziehe mich hier auf die Vorseite und auf einige innere Verzierungen der alten Abtey S. Miniato a Monte , außerhalb Florenz , von welchen vornehmlich durch Manni Manni , Dom., Sigilli, To. 9. p. 107. Descrizione della chiesa etc. di S. Miniato. erwiesen worden, daß sie durch Beguͤnstigung Heinrichs II. zu Anfang des eilften Jahrhunderts zu Stande gekommen. Wie schon angedeutet worden, sind einzelne Beywerke dieser Kanzel eingeschoben oder erneuet. Die vorderen Saͤul- chen indeß sind alt, eben wie die Kapitaͤle, welche korinthi- schen mit ziemlicher Genauigkeit nachgebildet sind. Dagegen erscheinen zunaͤchst uͤber den Saͤulen, welche die Kanzel tragen, Architrav, Friis und Kranz ungleich neuer und ganz auf Weise des fuͤnfzehnten Jahrhunderts profilirt, in welchem die Herstellung demnach beschafft seyn mag. Die sechs halberho- benen Darstellungen, welche die Kanzel von drey Seiten um- geben, selbst ein Theil des oberen Karnieses, entsprechen den beiden vorderen Saͤulchen im Charakter der Arbeit, wie in der Verwitterung der Politur. Die Einfassung der Reliefs besteht in Leisten von weißem Marmor, auf denen musivische Muster in schwarzem ausgelegt sind. Beym Wiederaufsetzen der Stuͤcke scheint fruͤher oder spaͤter die Ordnung der Darstellungen von der Linken zur Rechten des Beschauers umgestellt zu seyn. Die Vorstellung im Tempel; in dem Hintergrunde die- ser Darstellung zeigen sich drey auf Saͤulen ruhende Bogen, in deren Mitte ein Kreuz schwarz auf weißem Grunde einge- legt ist, zur Andeutung, denke ich der Bestimmung des Neu- gebornen, wenn nicht eher gedankenlose Wiederholung eines herkoͤmmlichen Symbols. Die vier einzelnen Figuren, sogar der Altar, sind nach dem Gebrauche des hoͤheren Mittelalters mit Beyschriften versehen. Ehe die Kunst das Vermoͤgen er- langt, im eigentlichsten Sinne darzustellen, so lange sie nur an schon vorgebildete Begriffe oder an bekannte Ereignisse er- innern will, unterstuͤtzt sie die noch unbeseelte Gestalt durch Zeichen von willkuͤhrlicher Bedeutung, oder durch Schrift, wenn solche, wie hier, schon vorhanden ist. Nach der Taufe des Heilands, welche ebenfalls durch Beyschriften erklaͤrt wird, folgt die Anbetung der Koͤnige. Diese sind ganz mittelalterlich bekleidet, in kurzer, am Saume besetzter Tunica, mit Maͤnteln, welche von einer Schulter her- abhangen; der heil. Joseph hingegen, welcher den rechten Arm auf die Lehne des Sessels, das Kinn auf die Hand stuͤtzt, das Haupt mit vieler Wahrheit der Bewegung den Koͤnigen zuwendet, erinnert an hochalterthuͤmliche Simplicitaͤt. Das Vorbild dieser Gestalt mochte, wenn auch in anderer Bedeu- tung, dem Kuͤnstler auf altchristlichen Sarkophagen vorgekom- men seyn; hingegen moͤgen die Koͤnige selbst, deren bildliche Darstellung so spaͤt aufgekommen ist, seiner eigenen oder doch der Erfindung barbarischer Zeiten angehoͤren. Ich uͤbergehe die uͤbrigen Darstellungen, weil sie dem kuͤnstlerischen Her- kommen des Mittelalters entsprechen, mithin wenig Neues darbieten. Im Ganzen angesehen unterscheidet sich dieses Denkmal von anderen ungefaͤhr gleichzeitigen derselben Gegend durch Behandlung und Verhaͤltnisse. In ungefaͤhr gleichzeitigen Ar- beiten an der Vorseite und am Chore der Kirche S. Miniato a Monte, in den ganz aͤhnlichen Tragsteinen der Rinnen an der Johanniskirche zu Florenz findet sich noch immer jenes kurze, gedruͤckte, schwerfaͤllige Verhaͤltniß, welches im hoͤheren Mittelalter die Kunstarbeiten der Italiener von denen gleichzei- tiger Griechen unterscheidet. In Vergleich mit diesen und aͤhnlichen Figuren scheint denn obiges Denkmal allerdings sich dem Griechischen anzunaͤhern. Ich unterdruͤcke indeß die Ver- muthungen, welche dieser Umstand erweckt, da es gefaͤhrlich seyn duͤrfte, sie zu verfolgen, ehe es gelungen waͤre, das Al- ter und die Herkunft des Werkes, von welchem sie ausgehen, sicherer zu bestimmen, als mir bisher gelungen ist. Indeß werden wir auch fuͤr die Folge festhalten muͤssen, daß die beschriebenen Bildnereyen im Entwurf wie in der Ausfuͤhrung sogar von den italienischen Bildnereyen des naͤchst- folgenden Jahrhunderts sich unterscheiden, in welchem wir wiederum auf Kuͤnstlernamen treffen, was von erwachendem Ehrgeiz zeugt und den heilsamen Trieb ankuͤndigt, sich vor der Menge auszuzeichnen. Es ist bemerkenswerth, daß wir den aͤltesten Urkunden der toscanischen Bildnerey eben in Pistoja begegnen, einer fruͤh beguͤterten Stadt, welche indeß schon seit dem Ende des zwoͤlften Jahrhunderts gegen Lucca und Pisa zuruͤcktritt, im vierzehnten schon zur bloßen Provinzialstadt herabsinkt. Auch an groͤßeren Orten, zu Pisa , Florenz , Rom , werden wir die aͤltesten Denkmale neuerer Kunst vornehmlich in vernachlaͤssig- ten Kirchen der Vorstaͤdte aufsuchen. Aus welchen Umstaͤnden abzunehmen, daß wir nur den kleinsten Theil der Kunstarbei- ten jener Zeit besitzen, und diesen selbst nur der Vernachlaͤssi- gung, nicht der absichtlichen Aufbewahrung verdanken. An solchen Puncten, in denen die bildenden Kuͤnste schon seit dem dreyzehnten Jahrhunderte und bis in die neueste Zeit hin un- ermuͤdlich befoͤrdert worden, haben die unscheinbaren Denkmale der aͤlteren Epoche nicht bloß der naͤchsten, vielmehr ganzen Reihefolgen der neueren Kunst- und Geschmacksgenerationen Raum geben muͤssen. Weshalb diejenigen in einer Taͤuschung befangen sind, welche aus jenen Zeiten mehr, als die bloße Probe der jedesmaligen Kunstfertigkeit zu besitzen waͤhnen; und die, in diesem Irrthum befangen, die abgerissenen Thatsa- chen, welche etwa sich begruͤnden lassen, uͤberall unter sich verbinden wollen, was sicher nicht durchhin moͤglich ist. Unter den Meistern von unbekannter Herkunft, welche zu Pistoja gearbeitet haben, giebt ein gewisser Gruamons (die Italiener nennen ihn Gruamonte , obwohl der Name aus an- deren Sylben latinisirt oder uͤbersetzt seyn koͤnnte) sich selbst das Epithet: magister bonus. Dieses hatte Vasari Vita d’ Arnolfo di Lapo , T. 1. delle vite de’ pitt. etc. Hier, wie uͤberall, wo nichts damit gewonnen wuͤrde, erspare ich dem Leser die Namen derer, welche den Vasari bloß ausgeschrieben. entweder fluͤchtig gelesen, oder mit einer anderen Inschrift verwechselt, wo der Meister sich wirklich Bonus nennt; wenn ihn nicht eher ein Berichtgeber irre geleitet. Gewiß verbreitete er, froh einen namhaften Kuͤnstler zu haben, seine Thaͤtigkeit uͤber halb Italien , was zu den vielfaͤltigen Zeichen des Leicht- sinns gehoͤrt, mit welchem Vasari seine abgerissenen, oft an sich selbst ganz unbegruͤndeten Nachrichten aus dem hoͤheren Mittelalter genutzt und dichterisch ausgebildet hat. Der Meister Gruamons nennt sich zunaͤchst auf einem Architrav der Kirche S. Andreas zu Pistoja ; derselben, welche Vasari anfuͤhrt. Hier sagt die Inschrift: Gruamons ma̅g̅. bon̅. et Adeodatus frater ejus. Nach der Auslegung be- son- sonnener Forscher Ciampi , notizie inedite della sagrestia Pistojese , Fir. Mo- lini , 1810. 4. p. 24. Vgl. Morrona , Pisa illustr. T. II. P. 1. cap. 2, wo an einem Kapitaͤle unter jenem ersten Architrav eine zweyte Inschrift nachgewiesen ist: magist. Euricus fecit. ist magister bonus hier ein bloßer Zu- satz, und als solcher bestaͤtigt er sich in der That in einer zweyten Inschrift derselben Stadt, am Architrav der Seiten- thuͤre von S. Johannes, außerhalb des alten Ringes der Stadt ( forcivitas ), wo noch einmal und voll ausgeschrieben: Gruamons magister bonus fec̅. hoc opus. Aehnliche Zu- saͤtze finden sich in anderen Inschriften derselben oder doch um wenig spaͤteren Zeit Z. B.: probatus, laudatus, hac summus in arte etc. So fand ich auch: maestri buoni, taugliche Meister, in urkundlichen Berathungen und Verstiftungen oͤffentlicher Arbeiten. ; auf der anderen Seite ist nicht an- zunehmen, daß Bonus hier Geschlechtsname sey, da diese un- gleich spaͤter eintreten, auch weil die Construction dawi- der streitet. Indeß vermischte Vasari , oder wem er sonst diese Kunde verdankte, diese Inschrift mit einer anderen derselben Stadt, an der Außenseite nemlich der Tribune von S. Maria nuova, wo in dem Gesimse eines auf leidlich gearbeiteten Koͤpfen ru- henden Kranzes: A. D. MCCLXVI. T̅P̅R̅ PARISII PAGNI ET SI- MONIS. MAGISTER BONVS FE. Derselbe Meister nennt sich an der Kirche S. Salvatore daselbst noch einmal, mit dem dort ausgeschriebenen Jahre 1270 S. Morrona l. c. §. 2. . Hier ist nach der Wortstellung nicht zu bezweifeln, daß I. 17 der Meister Buono geheißen habe; dieser Buono ist indeß um ein Jahrhundert neuer, als Vasari’s , oder als jener Grua- mons der fruͤheren Inschriften. Denn aus verschiedenen Um- staͤnden erhellt, daß dieser Kuͤnstler nicht spaͤter als im eilften oder zwoͤlften Jahrhundert gemeißelt haben konnte. Auf die Jahre 1166 und 1162, welche den obigen Inschriften beyge- fuͤgt sind, duͤrften wir uns allerdings nicht verlassen koͤnnen. Die Charaktere, in denen sie eingegraben, erscheinen gleich modernen Nachahmungen der antiken, kantigen Inscriptional- majuskel, waͤhrend das uͤbrige in jenen rundlich fetten Cha- rakteren, welche im eilften bis spaͤt in das vierzehnte Jahr- hundert uͤblich waren, und der Majuskel der aͤltesten calligra- phischen Denkmale nachgeahmt sind. Die erste: A. D. MC. LXVI. stimmt in den Einern und Zehnern zu auffallend mit Vasari’s Angabe uͤberein, welche wiederum offenbar aus Verwechselung der Inschrift am Architrav von S. An- dreas mit jener andern vom Jahre 1266 entstanden ist; denn wer einmal die Namen so fluͤchtig gelesen, mochte auch ein einzelnes Zahlzeichen uͤbersehen oder vergessen ha- ben. Erwaͤgen wir nun, daß Vasari lange Zeit hindurch auch fuͤr die aͤltere Kunsthistorie als Gewaͤhrsmann betrachtet worden; daß der Localpatriotismus der Italiener ganz unbe- grenzt, und, in Ermangelung vieler anderen Anspruͤche, vor- nehmlich durch Anspruͤche auf fruͤhe Leistungen in Dingen der Kunst erfreuet und genaͤhrt wird; so duͤrften wir vermuthen, diese Jahreszahlen von verdaͤchtiger Schriftart seyen spaͤter, etwa im sechszehnten Jahrhundert nachgetragen worden; was um so wahrscheinlicher ist, da sie auch, ganz gegen den Ge- brauch so fruͤher Zeiten, einen bloß nachhallenden, unverbun- denen Hintersatz bilden. Dieselbe Verfaͤlschung verraͤth sich am Architrav der Hauptthuͤre von S. Bartolomeo, wo an der in- neren Seite des Architraves, nach dem unzweydeutigen Namen des Vorstehers, Rodolfinus operarius, ebenfalls in neu an- tiken Charakteren: ANNI DN̅I̅. M.C.LXII., welches Jahr mit dem Zusatze zur zweyten Inschrift des Meister Gruamons uͤbereinstimmt, und eben hiedurch die Verdaͤchtigkeit dieser letz- ten erhoͤht Pisa ill. l. s. c. . Wer immer diese Verfaͤlschungen vorgenommen, gewiß in der redlichen Absicht, den verdienten und wohlbegruͤndeten Ruhm seiner Vaterstadt vor Vergessenheit sicher zu stellen, haͤtte doch wohl die Muͤhe ersparen koͤnnen, da Meister Grua- mons nach der zum Schlanken sich neigenden, vorgothischen Architectur der Bauwerke, in welche seine Bildnereyen einge- lassen sind, gewiß nur im zwoͤlften Jahrhundert, nicht fruͤher noch spaͤter, gemeißelt haben kann. Das Kunstverdienst seiner Arbeiten besteht vornehmlich in einem loͤblichen Sinn der Anordnung nach den Forderungen halberhobener Arbeiten. Die Gegenstaͤnde im Architrav von S. Andrea: links die heil. drey Koͤnige zu Pferde, rechts die- selben in der Handlung der Anbetung des Kindes; in der Mitte, beide Handlungen trennend, Christus , der die Apostel von den Netzen abruft. An jener Seitenthuͤre des heil. Jo- hannes Ev.: das Abendmahl, dessen Anordnung zu den aͤlte- ren Beyspielen einer feststehenden Form der Darstellung dieses Gegenstandes gehoͤrt, welche ganz neuerlich durch Ruscheweih’s Kupferstich nach einem Gemaͤlde, welches Vasari faͤlschlich dem Giotto beygemessen, in einem weiteren Kreise bekannt geworden. 17 * Diese und andere Bildnernamen, welche wir noch aufzu- zaͤhlen haben, benutzt Morrona , dem die Verdaͤchtigkeit obi- ger Inschriften durchaus entgangen, um seine pisanische Bild- nerschule bis in das zwoͤlfte Jahrhundert zuruͤckzufuͤhren. Wir werden uns, bey so großer Entlegenheit des Ortes, von dem Localpatriotismus dieses und anderer Geschichtsforscher italie- nischer Staͤdte nicht anstecken lassen, und lieber annehmen, daß wir den Geburtsort und die Schule jener alten Bildner, deren Namen uns der Zufall an gesunkenen und vergessenen Staͤtten bewahrt hat, durchaus nicht kennen. Gewiß meldet sich in der Verwaltung der italienischen Staͤdte erst im drey- zehnten Jahrhundert einiges noch unausgebildete Streben nach geordneter, regelmaͤßiger Buchfuͤhrung; und, wenn uns eben daher aus fruͤheren Zeiten die so wichtigen Zahlungspartiten durchhin fehlen, so duͤrfen wir nicht etwa darauf rechnen, un- ter den losen Urkunden, den aͤltesten der Archive, einigen Er- satz zu finden, da es erst spaͤter, bey steigender Achtung der Kunst, uͤblich geworden, mit den Kuͤnstlern schriftliche Vertraͤge abzuschließen. Das Vaterland und die Lebensumstaͤnde der aͤltesten Kuͤnstler werden wir also, wo uͤberhaupt, doch nur aus Inschriften, oder durch zufaͤllige Erwaͤhnung ihrer Namen in Besitzesvertraͤgen erlernen koͤnnen. Bey S. Salvatore, zu Lucca , einer kuͤrzlich wieder ein- geweiheten und erneuerten Kirche, haben sich die alten Thuͤr- bekleidungen unversehrt erhalten. Die Nebenthuͤre zur Rechten der Vorseite zeigt auf ihrem Architrave ein Relief von groͤßter Unfoͤrmlichkeit, deren Gegenstand mir nicht deutlich geworden. Wahrscheinlich ist diese Arbeit ein Denkmal der schlimmsten Zeit, des zehnten, spaͤtestens des eilften Jahrhunderts. Um etwas schlanker und besser gearbeitet, doch deßhalb keinesweges vorzuͤglich, sind die Figuren des Reliefs am Architrav der Seitenthuͤre, in welchem ein Heiliger mit Nimbus nackt, so- gar die Geschlechtstheile entbloͤßt, in einem Gefaͤße steht; zwey Maͤnner halten, oder lassen ihn an beiden aufgehobenen Ar- men in das Gefaͤß hinab, worin er wahrscheinlich gesotten werden soll. Auf dem Gefaͤße lieset sich: BIDVINO ME FECIT HOC. Morrona setzt ein opus hinzu, welches ich weder gese- hen, noch den Raum gefunden habe, wo es etwa haͤtte ange- bracht seyn koͤnnen. Im Felde aber steht: S. NICH., der Name des Heiligen; ferner: OLAVI. PSBR., offenbar der Name des Pfarrers, welcher das Bild angeordnet. Ich wuͤrde solches, nach der Beschaffenheit der Arbeit, wie selbst nach dem beygeschriebenen Namen des Heiligen, fuͤr eine Arbeit des eilften Jahrhunderts halten. Morrona indeß giebt aus der vorstaͤdtischen Kirche S. Cassiano bey Pisa eine zweyte Inschrift, welche ich nicht gesehen oder verglichen habe, deren Ausdruck indeß unverdaͤchtig ist Das. Hoc opus, quod cernis, Biduinus docte peregit Un- decies Centum et octoginta post anni etc. etc. . Dieser zufolge waͤre Bi- duinus ein klaͤglicher Meister des zwoͤlften Jahrhunderts, wel- cher Morrona’s pisanischer Schule, wenn er ihr zuzugeben waͤre, doch nur geringe Ehre bringen duͤrfte. Am Taufstein der alten Kirche S. Frediano zu Lucca be- findet sich eine leider beschaͤdigte Inschrift, welche die meisten Forscher dieser Gegend uͤbersehen haben. Die einfache Anlage des Werkes, mancherley altchristliche Reminiscenzen, die Wap- penung und Bekleidung der Figuren — Reiter in gestrickten Harnischen, ein Koͤnig in ihrer Mitte, setzen durch einen Fluß; — alle diese Umstaͤnde wuͤrden auf ein hoͤheres Alterthum schließen lassen, wenn nicht der rundliche Charakter der In- schrift, wie selbst der Gebrauch, des Kuͤnstlers Namen anzu- merken, mich bestimmte, das Werk den pistojesischen Denkma- len der Zeit nach gleich zu stellen. Vielleicht giebt es irgendwo in mir fuͤr jetzt unzugaͤnglichen Buͤchern eine aͤltere Abschrift; zu meiner Zeit indeß waren nur folgende Schriftzuͤge erhalten und durchhin lesbar: + ME fec. IT ROBERTVS MAGIS̅T̅. LA ...... Vereinigen wir mit diesen fuͤnf, nach allen begleitenden Umstaͤnden unzweifelhaft beynahe gleichzeitigen Kuͤnstlern, dem Gruamons , Deodatus , Enricus , Biduino , Robertus , auch den beruͤhmteren Namen des Bonanno Er war schon dem Vasari bekannt. Vergl. Morronal I. et T. c. und andere. , dessen Bronzethore zu Pisa untergegangen, dessen anderes Werk zu Monreale in Sicilien mir ansichtlich unbekannt; so ergiebt sich, daß in dem engen Kreise des noͤrdlichsten Toscana schon in jener ent- legeneren, noch so dunkeln Zeit nicht weniger als sechs Bild- ner gearbeitet und, was mehr ist, nach Ruhm und Auszeich- nung gestrebt haben. In Betrachtung ihrer Proportion, Ma- nier und Wahl waren diese Kuͤnstler, wenn wir Bonanno ausnehmen, uͤber welchen ich nichts zu entscheiden wage, saͤmmtlich aus irgend einer italienischen Schule hervorgegangen, da sie an keiner Stelle den Eindruck griechischer Vorbilder an den Tag legen. Ob nun dieses Bestreben ganz oͤrtlich und durch den Flor von Pisa hervorgerufen war, an welchem Lucca und Pistoja mittelbar Theil nahmen; oder ob vielmehr dieser fruͤhe Mittelpunct aus entlegeneren Gegenden Kuͤnstler ange- lockt? Gewiß erscheinen um diese Zeit, wie wir unten sehen werden, uͤberall in Italien lombardische Bildner. Im Mittelalter, wie uͤberall auf den fruͤheren Stufen der Bildnerey, vereinigen sich Baumeister und Steinmetz in der- selben Persoͤnlichkeit; aus dem Steinmetzen aber geht in der Folge auch der darstellende Bildner hervor; und es ist ganz in der Ordnung, daß Handgriff und Behandlung des Mate- rials waͤhrend der allgemeinen Kindheit der Kunst, eben wie im Knabenalter der einzelnen Kuͤnstler, zeitig und voran er- worben werde; damit spaͤterhin der schon entwickelte Geist sich ungehemmt und frey nach allen Seiten bewegen koͤnne. Nun war, worauf wir zuruͤckkommen werden, an der noͤrdlichsten Grenze Italiens Como schon seit Einwanderung der Longobar- den in allen der Baukunst dienenden Kuͤnsten wunderbar be- vorrechtet. Schon in den longobardischen Gesetzen, dann in unzaͤhligen Urkunden und Inschriften, finden sich die magistri Comacini; von daher kommen auch noch gegenwaͤrtig den Italienern wenigstens ihre Maurer. Zu Pistoja , an einer merkwuͤrdigen, doch aͤußerst bedenk- lichen Kanzel der Kirche S. Bartolomeo, nennt sich ein Bild- ner aus Como , Guido , den die Geschichtschreiber laͤngst unter die Zeitgenossen des großen Nicolas von Pisa aufgenommen haben. Doch ist es nicht so leicht, ja vielleicht unmoͤglich, auszumachen, wohin die erste der beiden Inschriften des Wer- kes gehoͤre; ob zu dem Saͤulengestelle der Kanzel, oder zu den halberhobenen Arbeiten ihrer Brustwehr. Die letzten nemlich stimmen in Manier, Verhaͤltnissen, selbst in der Gewohnheit die Augen schwarz auszulegen, auffallend uͤberein mit jenen oben beschriebenen der Kanzel in S. Leonardo bey Florenz . Das Saͤulengestelle hingegen entspricht dem dreyzehnten Jahr- hundert, also den Jahren der zweyten Inschrift, welche mit der ersten auf keine Weise zusammenhaͤngt. Beide Inschriften sind verschiedentlich abgedruckt worden; doch wiederhole ich sie, theils meine Zweifel zu unterstuͤtzen, theils weil die so gewoͤhn- liche Abkuͤrzung T 9 im ersten Verse von Einigen faͤlschlich in TVR aufgeloͤst worden. Die obere lautet also: SCVLPTOR LAVDATVS QVI SVMMVS IN ARTE PROBATVS GVIDO DE COMO QVEM CVNCTIS CARMINE PROMO Davon abgesondert, und durchaus weder dem Sinn, noch der Anordnung nach, nothwendig mit jener zu verbinden, sagt die zweyte: A. D. M. CC. L. EST OPERI SANVS SVPERE- STANS TVRRIGIANVS NAMQVE FIDE PRONA VIGIL H̅C̅ D̅S̅ I̅N̅ CO- RONA. Koͤnnten wir mit Sicherheit annehmen, die erste Inschrift sey der zweyten gleichzeitig, so wuͤrden wir dem Guido die halb- erhobene Arbeit der Brustwehr absprechen muͤssen; er koͤnnte alsdann einzig die Kanzel um etwas erweitert, die beiden Loͤ- wen und die menschliche Figur mit den Saͤulen, welche auf jenen ruhen, gearbeitet haben, welche sicher dem Zeitalter des Nicolas von Pisa , oder dem in der zweyten Inschrift angege- benen Jahre 1250 entsprechen. Gehoͤrte hingegen die erste Inschrift zu den Reliefs, so wuͤrden wir den Guido nothwen- dig fuͤr einen Meister des eilften oder zwoͤlften Jahrhunderts halten muͤssen, und annehmen koͤnnen, er sey mit dem Bild- ner der florentinischen Kanzel aus derselben Schule ent- sprossen Vasari , vite etc. vita d’ Andrea Tafi . — I maestri di quell’ età, come s’é detto nel proemio delle vite, furono molto goffi, come si può vedere in molti luoghi, e particolarmente in Pistoja in S. Bartolomeo de’ Canonici règolari, dove in un Pergamo fatto gof- fissimamente da Guido da Como , e’ il principio della vita di Gésu Christo , con queste parole fattevi dall’ artefice medesimo l’anno 1199.“ Darauf eine verrenkte Abschrift obiger Inschrift, aus welcher abzunehmen, daß Vasari , oder wer ihm die Nachricht mitgetheilt, nur fluͤchtig gelesen hatte. Gewiß konnte ich von dem angegebenen Jahre 1199 an Ort und Stelle keine Spur entdecken, obwohl mir darum zu thun war. Sollte diese Angabe Vasari’s , fluͤchtig verbunden mit einer um wenig Zeilen vorangehenden Erwaͤhnung der florentinischen Kirche S. Miniato a Monte, einen neueren Schriftsteller (Ansich- ten uͤber die Kunst, 1820. 8.) veranlaßt haben, die Kanzel in S. Miniato (er sagt nicht, ob in S. Miniato a Monte, oder im Dome von S. Miniato de’ Tedeschi, noch, wenn im ersten, ob er die wirklich alterthuͤmliche Evangelienkanzel meine) im Jahre 1199 von Guido von Como anfertigen zu lassen? Nirgend wird in die- ser dreusten Compilation eine Quelle nachgewiesen, weshalb sie nicht selten nutzlos beunruhigt. . Ich glaube mich zu entsinnen, daß Ciampi , dessen schon angefuͤhrtes Werk ich nicht vor Augen habe, diese Zweifel nicht aufklaͤrt, im Gegentheil die beiden Inschriften zusammen- liest. Unter allen Umstaͤnden gewaͤhren sie uns ein Beyspiel der weiten Verbreitung jener alten lombardischen Bildnerschule, deren Spur wir nunmehr, so viel an uns liegt, nach anderen Gegenden hin verfolgen wollen. Besondere Aufmerksamkeit hat in neueren Zeiten ein Bild- ner erweckt, welcher zu Parma im Dome einen Altar mit Bildnerey geschmuͤckt hat, und seinen Namen Benedict und das Jahr 1178 S. Millin , voy. dans le Milanais . T. II. p. 116 und p. 119; Cicognara a. s. St.; denen ich, was Namen und Jahr an- geht, folgen muß, da ich meine eigene Abschrift eingebuͤßt habe. — Ob Benedict sich hier: Antelami oder de Antelamo nennt, welches letzten ich mich zu entsinnen glaube, wuͤrde entscheiden, ob dieser Zusatz den Namen des Vaters oder des Geburtsortes andeute. hinzugesetzt. Daselbst sind auch die drey Thuͤren der Taufkirche mit halberhobenen Arbeiten geschmuͤckt, an der noͤrdlichen aber liest man, nach Morrona l. c. §. 1. , Bisdenis demptis annis de mille ducentis Incepit dictus opus hoc Benedictus . Die Vorliebe fuͤr Vaterlaͤndisches verleitete den Morrona , jene Arbeiten tiefer zu stellen, als Solches, so gleichzeitig in Toscana von Meistern gearbeitet worden, welche er ohne ur- kundliche Gruͤnde saͤmmtlich fuͤr Pisaner haͤlt. So viel ich mich entsinne, haͤlt Meister Benedict , den Neuere faͤlschlich Antelami nennen, da doch zu jener Zeit noch keine Geschlechts- namen in Gebrauch gewesen, den Vergleich mit Gruamons wohl aus, und uͤbertrifft den armseligen Biduino um Vieles. Andere lassen von demselben Benedict die pisanische oder tos- canische Bildnerschule ausgehen, was ebenfalls gewagt und thoͤricht ist, da wir, wie oben bemerkt worden, in Bezug auf diese aͤltere Kunstepoche nur unzusammenhaͤngende, abgerissene Nachrichten haben, welche wir dem Zufall, nicht dem verhaͤlt- nißmaͤßigen Verdienste der Kuͤnstler verdanken. Gleichzeitig mit diesem Meister Benedict gossen andere Lombarden fuͤr den paͤpstlichen Hof zu Rom zwey Bronzethore, welche noch vorhanden sind. Das eine, welches ganz glatt ist, wird uns nur durch seine Inschrift merkwuͤrdig; es befin- det sich gegenwaͤrtig im Gange zur Sacristey der Kirche S. Johannes zum Lateran, war aber vordem in dem alten laͤngst abgetragenen Palaste daselbst angebracht. Das andere, wel- ches zu einer Seitenkapelle der Taufkirche Constantins fuͤhrt, hat in der Mitte des linken Fluͤgels eine Figur in Relief, welche an Habituelles des ungleich spaͤteren Andreas von Pisa erinnert, und an den Tag legt, wie diese Lombarden nicht bloß das Erz reinlich zu gießen, vielmehr auch die menschliche Gestalt ganz wohl zu behandeln wußten. Die uͤbrigen Felder dieser zweyten Thuͤre sind durch sauber einge- grabene Umrisse verziert, welche saͤmmtlich vorgothische Gebaͤude darstellen, worin schon einige spitze Bogen eingemengt sind, von welchem Umstande wir spaͤterhin Gebrauch machen wollen. Auf dem rechten Fluͤgel dieses Thores ließt man in un- termischten rundlichen und eckigen Uncialbuchstaben: + ANNO. V̂. PONTI̅F̅. DN̅I. CELESTINI III. P̅P̅. CE̅CIO. CARDI̅N̅. S. LVCIE. EIVSDEM DN̅I P̅P̅. CAMERARIO. IVBENTE. OPVS ISTVD. FACTVM. Und gegenuͤber auf dem linken Fluͤgel: + HVI9. OPERIS. VBERT9 . ET PETR9 . F̅R̅S̅. MAGISTRI LATV̅S̅ENE̅N̅. FVERVNT. Auf der anderen, einfachen Thuͤre der Sacristey: + VBERT9 . MAGISTER. ET. PETRVS . EI9. F̅R̅. PLACENTINI . FECERVNT HOC. OP9. + INCARNACI̅O̅I̅S. DN̅I̅CE AN̅O. M. C. XC. VI.° PONTIFICAT9. V̅O̅. DN̅I̅. CELESTINI. P̅P̅. III. ANNO. VI.° CENCIO. CAMERARIO. MINI- STRA̅TE HOC. OP9. FACTV̅. EST. Wir lernen aus der letzten Inschrift, daß Hubert der Meister, sein Bruder Petrus dessen Gehuͤlfe, beide aber aus Piacenza waren. Was indeß das obige zusammengezogene Latu̅s̅ene̅n̅. bedeute, weiß ich mir nicht zu erklaͤren, noch habe ich daruͤber weder aus den Glossarien oder sonst einige Auskunft erlan- gen koͤnnen. Andere Kuͤnstlernamen, ohne Angabe des Vaterlandes, finden sich an roͤmischen Denkmalen dieser Zeit, welche, da sie durchhin nur in den mehr vernachlaͤssigten Kirchen der aͤußeren Stadt vorkommen, auf eine große, verbreitete Wirksamkeit schließen lassen, deren Erzeugnisse in den Erneuerungen der inneren Stadt bis auf die letzte Spur verschwunden sind. In der alten Basilika S. Lorenzo, auf dem Wege nach Tivoli , findet sich am Hauptaltare eine Verdachung, welche anf vier antiken Porphyrsaͤulen ruht, deren componirte Kapi- taͤle offenbar mittelalterliche, doch nach den Umstaͤnden gut ausgefuͤhrte Nachbildungen antiker Muster. Auf diesen Saͤu- len ruhet zunaͤchst ein sehr einfaches Gesimse, darauf ein ver- zierender Zwergporticus; die hoͤlzerne und bemalte Bedeckung des Gipfels ist durchaus neu. Der Altar selbst enthaͤlt, ob- wohl er neu aufgeschmuͤckt worden, doch immer noch einige Eckpfeiler, welche den alten Theilen der Verdachung gleichzei- tig zu seyn scheinen; an der inneren Seite des Architraves, also an einem der alten Theile dieser Verdachung, befindet sich folgende Inschrift: + IO̅H̅S̅. PETRVS . ANG̅L̅S̅. ET SASSO. FILII. PAVLI. MARMO̅R̅. + AN̅N̅. D̅. Mͦ. C.° XL. VIII.° EGO HVGO. HV- MILIS. AB̅B̅S̅. HOC OPVS FIERI FECI. Als technisch gewandte Bildner zeigen sich diese Bruͤder beson- ders an den Knaͤufen uͤber den Porphyrsaͤulen, bey denen ge- wisse eigenthuͤmlich willkuͤhrliche Formen des vorgeruͤckteren Mittelalters die Vermuthung nicht aufkommen lassen, als waͤren sie etwa antike Arbeiten aus den Zeiten des sinken- den Reiches. Vor dem letzten Brande befand sich in der uralten Paulskirche, auf dem Wege von Rom nach Ostia , ein wohl zwanzig Fuß hoher, aus einer beschaͤdigten Saͤule von griechi- schem Marmor gearbeiteter Kandelaber. An seinen Verzierun- gen war minder gute Arbeit, als an den erwaͤhnten Kapitaͤ- len; die kleinen Reliefs in kurzen Figuren, welche seine Mitte mehrfach umguͤrteten, schienen auf den ersten Blick dem eilften Jahrhundert mehr, als dem zwoͤlften zu entsprechen. Indeß sagte die in der Mitte verstuͤmmelte, doch zu Anfang und Ende ganz lesbare Inschrift: + EGO NICONAVS DE ANGILO CVM PE .. ..... HOC OPVS COMPLEVIT Monsignor Nic. Nicolai , della basilica di S. Paolo, Ro. 1815. fo. p. 297, liest oder uͤbersetzt die verstuͤmmelten Buchstaben Pietro Fassa di Tito . Ich habe diese Inschrift wiederholt darauf angesehen; doch fand ich zwar die deutliche Spur von Petro; die darauf folgenden erhaltenen Buchstaben stehen aber mit ihren Lagu- nen in dieser Ordnung: ·I·AS . AMIE .. O, darauf HOC OPVS etc.; so daß die Lesart des Mons. Nicolai sicher unbegruͤndet, die Lagune selbst, an welcher offenbar von Wißbegierigen geschabt worden war, gegenwaͤrtig nicht mehr zu ergaͤnzen ist. . Es liegt demnach die Vermuthung nahe, daß Nicolaus der Sohn des oben, in S. Lorenzo, genannten Angelus , sein Ge- huͤlfe Petrus derselbe sey, der oben unter den Bruͤdern des Angelus vorkam, also der Oheim des Meisters. In dem verstuͤmmelten Theile der Inschrift mag auch Sasso , der an- dere Bruder des Nicolaus vorgekommen seyn, da darin we- nigstens die Buchstaben AS noch deutlich zu lesen, die ansto- ßenden nicht allein abgeschliffen, vielmehr selbst wieder aufge- kratzt, mithin leicht entstellt waren. Gleichzeitig mit diesen minder bekannten Namen zeigt sich zu Rom eine andere Bildnerfamilie, deren spaͤtere Sproͤßlinge, Cosmas , der Sohn Jacobs , und Johannes , des Cosmas Sohn, bereits dem dreyzehnten Jahrhundert angehoͤren; Jacob aber, roͤmischer Baumeister, Bildner und Musaicist, Vater des beruͤhmteren Cosmas , muß schon im zwoͤlften Jahrhundert gearbeitet haben, da er bereits im Jahre 1210 seinen Sohn Cosmas als Gehuͤlfen brauchte S. die Inschrift der Hauptkirche zu Civita Castellana , welche ich nachtragen werde. . Auf anderen, bescheidne- ren Werken nennt er sich allein, z. B. an einem Bogen des zwerghaften Saͤulengestelles im Kloster S. Scholastica bey Subiaco ; an dem Bruchstuͤcke eines mit Saͤulen gezierten Chores zu Rom , in der Kirche S. Alessio nennt er uns aber auch seinen Vater. Denn wir lesen dort an einem ausge- sparten Marmorstreife des gegenwaͤrtig in Holzarbeit erneue- ten Chores: + IACOBVS LAVRENTII FECIT HAS DECEM ET NOVEM COLVMPNAS CVM CAPITELLIS SVIS. Die Erwaͤhnung seines Vaters Lorenz scheint hier dessen frischeres Andenken, oder die Absicht anzudeuten, seinen eige- nen, vielleicht noch minder bekannten Namen durch vaͤterlichen Ruhm zu unterstuͤtzen. Denn es ist nach damaliger Familien- sitte vorauszusetzen, daß Lorenz , dessen weitere Lebensschicksale und Wirksamkeit unbekannt, dasselbe Kunstgewerbe betrieben, welches seiner Familie in den drey folgenden Generationen Ehre und Beguͤnstigung erworben. In erwaͤhnten Bruchstuͤk- ken zeigen die noch vorhandenen Pilastercapitaͤle, wie selbst das in die Marmorleisten eingelegte Glasmusiv, loͤbliche Schaͤrfe und Nettigkeit der Arbeit; ein Verdienst, welches diese Kuͤnstlerfamilie nirgend verlaͤugnet. Waͤre es nun gar auszu- machen, daß auch jene frey nach antiken Mustern copirte Ein- fassung der Kirchenthuͤre ebenfalls Meister Jacobs Arbeit sey, so wuͤrde dem wackeren Meister daraus eine gedoppelte Ehre entstehen. Doch eben weil diese, theils dem Alterthume be- fangener nachgebildet, theils aber auch ungleich magerer im Marmor ausgemeißelt ist, als sonst in Jacobs und seines Sohnes Arbeiten bemerklich, bin ich geneigt, diese Thuͤre, zu- gleich mit einer anderen verwandten, der Klosterkirche zu Grotta ferrata bey Rom , fuͤr Denkmale jener Richtung zu halten, welche vom Hofe Heinrichs II. auch uͤber Italien ausgegangen seyn moͤchte. Dieser Herr beguͤnstigte, wie be- reits erinnert worden, die Benedictinerabteyen bey Florenz und zu Montecassino . Es waͤre demnach nicht auffallend, wenn er auch andere der Stadt und Gegend von Rom verherrlicht haͤtte; wie andererseits noch ein dritter Fall denkbar ist, nem- lich die Fortpflanzung seiner Anregungen von einem Kloster des Ordens zum anderen. Noch einen anderen Kuͤnstlernamen entdeckte ich an dem zwerghaften Saͤulengange eines Klosterhofes hinter der Kirche S. Johannes im Lateran. Dort steht an einem der Giebel: MAG̅R̅ DEODATVS — FECIT HOC OPVS. Diese Giebel indeß neigen sich zum Gothischen, und das Wappen Colonna in einem anderen scheint auf Erneuerungen des dreyzehnten Jahrhunderts hinzuweisen, denen dieser Name anheimfallen moͤchte. Deodatus kann demnach nicht derselbe seyn, den wir oben als den Bruder des Meister Gruamons kennen gelernt. Ich komme darauf zuruͤck, daß ein großer Theil der an- gefuͤhrten Arbeiten, welche uns nun auch fuͤr Rom eine gute Zahl von Kuͤnstlernamen abgegeben haben, bloß in Bauverzie- rungen besteht, in deren verhaͤltnißmaͤßig guter Ausfuͤhrung die Kuͤnstler ihre Ehre gesetzt. Emsige Bearbeitung, gute Fuͤ- gung der Marmorstuͤcke zeigt sich gleichzeitig auch in anderen Mittelpuncten des damaligen Italiens , z. B. im Grabmal des Bischofs Rainer von Florenz , daselbst in der S. Johan- niskirche, welcher Herr nach der Inschrift im J. 113 gestor- ben. Also fand Nicolas von Pisa sein Handwerk schon vor- gebildet. Demungeachtet steht er in Ansehung seines Geistes, Styles, Natursinnes, in jener Zeit ganz einsam; und gewiß blieb in der bildnerischen Technik, da in dieser Kunstart die Technik des Alterthums fruͤh vernachlaͤssigt worden, noch bis in die neuesten Zeiten so mancher Handgriff aufzufinden, daß nur dem außerordentlichsten Geiste gelingen konnte, unuͤber- windliche Schwierigkeiten zu besiegen. Ich glaube nicht, daß die italienischen Vorgaͤnger des Nicolas Thonmodelle gemacht haben, noch daß letzter ohne Thonmodelle so herrlich in Mar- mor habe vollenden koͤnnen, als etwa die Figuren an der Kanzel zu Siena . Leider fehlt es uns an umstaͤndlichen Nach- rich- richten, thaͤtigen Beweisen fuͤr die Vermuthung, daß er den Gebrauch, in nassem Thon zu modelliren, vielleicht in der vollen Groͤße seiner halberhobenen Arbeiten, wiederum in die Bildnerey eingefuͤhrt. Den Gebrauch sage ich, nicht die Er- findung; denn, obwohl die Guͤsse in Erz damals nur in klei- neren Theilen, und im Ganzen nur selten beschafft wurden, so setzen dennoch die eben vorkommenden die Fortuͤbung des Modellirens in Thon voraus; also nur von der Anwendung dieses Kunstgriffes auf Vorbilder des Meißels kann hier, wenn jene Vermuthung sonst zulaͤssig, die Rede seyn. Daß jene alten Kuͤnstler des zwoͤlften Jahrhunderts bey einiger Verbesserung ihrer Hand- und Kunstgriffe ganz Ande- res haͤtten leisten koͤnnen, ergaͤbe sich aus jenem, angeblich in Weinstock geschnitzten Hauptthore der Kirche S. Sabina zu Rom , wenn anders mit Sicherheit auszumachen waͤre, daß dieses Werk, wie Umstaͤnde wahrscheinlich machen, um das Jahr 1200 entstanden sey. Da man durch die Seitenthuͤre einzugehen pflegt, so wer- den diese Thore, welche gegenwaͤrtig zum Garten gekehrt sind, und von innen her geoͤffnet werden muͤssen, sehr haͤufig von den Reisenden uͤbersehen, obwohl sie der Beachtung werth sind. Denn in den niedrig gehaltenen Figuren der Fuͤllungen, selbst in den Gruͤnden und Beywerken, naͤhern sie sich dem Spaͤt- roͤmischen oder Altchristlichen, so daß ich anfangs veranlaßt wurde, in den Leben aͤlterer Paͤpste nach ihrer Stiftung zu suchen. Doch bey wiederholter Besichtigung entdeckte ich an der inneren Seite Verzierungen, welche bereits das Antike verlassen und Verhaͤltnisse und Formen annehmen, welche im zwoͤlften Jahrhundert die Annaͤherung jenes Bau- und Ver- zierungsgeschmackes ankuͤndigen, den man den gothischen nennt. I. 18 Damit stimmt auch in den Gruͤnden der Bilder der Vorseite das Oblonge und Aufgerichtete in der Behandlung, dem Ent- wurf nach, antiker Baulichkeiten, so daß schon das Aeußere des Werkes belehrt, daß, wer es vollbracht habe, wohl antike und altchristliche Vorbilder befolgt, doch bereits des Eindruckes spaͤterer Sitten und Eigenheiten nicht durchaus sich erwehren koͤnnen. Die verhaͤltnißmaͤßig schoͤne Ausfuͤhrung duͤrfte aber, wie oben bemerkt worden, aus der Schmeidigkeit des Stoffes sich erklaͤren, dem, bey schon erwachtem Streben nach loͤbli- cher Leistung, der Kuͤnstler leichter beygekommen, als seine Zeitgenossen dem sproͤderen Marmor. Ueber dieser Thuͤre befindet sich, an der aͤußeren Wand der Vorseite genannter Kirche, eine musivische Verzierung, welche, da die beiden Gestalten zu beiden Enden nur den kleinsten Raum einnehmen, fast ganz aus einem langen Streife Inschrift besteht. Ohne Beyspiel waͤre es wohl, wenn die letzte, welche allerdings durch ihre großen, besonders reinen Schriftzuͤge eine huͤbsche Verzierung bildet, so ganz allein um ihrer selbst willen vorhanden seyn sollte; allein auch die Wahl und Stellung der Worte gebietet, ihr einen weiteren Sinn zu ge- ben, sie auf ein unbestimmtes Mancherley auszudehnen, was eben unter Coelestin III. zur Erhaltung oder Verherrlichung des Gebaͤudes geschehen war; so daß, mit Ruͤckblick auf obige Kennzeichen, ohne Zwang anzunehmen ist, auch jenes schoͤne und loͤbliche Schnitzwerk der Thuͤre gehoͤre zu der allgemeinen Erneuerung, welche die musivische Aufschrift in folgenden Worten ankuͤndigt: CVLMEN APOSTOLICVM CVM CAELESTINVS HABERET PRIMVS ET IN TOTO FVLGERET EPISCO- PVS ORBE HAEC QVAE MIRARIS FVNDAVIT PRESBY- TER VRBIS ILLYRICA DE GENTE PETRVS VIR NOMINE TANTO DIGNVS — — Allein auch die zeichnenden Kuͤnste der Malerey und des Musives muͤssen schon damals einen nicht unerheblichen Vor- schritt gewonnen haben, da jene weiblichen Gestalten, Personi- ficationen der Kirche ( ex circumcisione und ex gentibus ) S. die Abbildung bey Ciampini , vet. mon. P. 1. ed. 1690. ad p. 191. , fleißiger gearbeitet sind, als jene von Paschal I. in s. Praxe- dis und von den nachfolgenden Paͤpsten in anderen Kirchen angeordneten, vornehmlich weil sie bereits einige Spur des wieder angeregten Verlangens zeigen, die Formen nicht mehr bloß durch stark bemerkliche Umrisse, vielmehr auch durch Schatten hervorzuheben. Die Bekleidung dieser Figuren ist, mit geringer Unterbrechung, antik, was zu verrathen scheint, daß man mehr, als noch vor Kurzem, den altchristlichen Denkmalen sich angenaͤhert, welche in Italien , vornehmlich zu Rom , haͤufig vorhanden waren. Diese Fortschritte verlaͤugnen sich indeß in einigen Ueber- resten der Herstellungen, welche Honorius III. um wenig spaͤ- ter, von 1210 — 20, in der Kirche S. Lorenzo, auf dem Wege nach Tivoli , angeordnet hat. Im Friese nemlich der Vorhalle dieser Kirche, welcher musivisch ausgelegt ist, zeigen 18 * sich einige menschliche Gestalten; zur Linken drey halbe Figu- ren, in der Mitte Christus , zu den Seiten die Mutter und S. Johannes Ev.; zur Rechten S. Lorenz und der Papst, im Felde liest man nach alter Art: S. Laur. und Ho- no̅r̅i̅ PP. III. In diesen unfoͤrmlichen kleinen Puppen son- dern sich die Localfarben noch immer durch dicke Umrisse, wie in der Zeit, welche wir oben uͤbersehen haben. Doch ist es moͤglich, daß diese unbedeutende Arbeit nicht eben den besten Musivmalern uͤbergeben worden; denn wir werden nun bald, theils etwas aͤlteren, theils auch ganz gleichzeitigen Musiven begegnen, deren Kunstverdienst sehr weit uͤber jene kleinen Verzierungsarbeiten hinausgeht. Unterhalb der Saͤulenhalle, schon an der Wand der Kirche selbst, befinden sich Mauergemaͤlde, welche die Lebensereignisse der Heil. Stephan und Lorenz , zur anderen Haͤlfte einige Be- gebenheiten der Regierung Honorius III. darstellen Vgl. Nibby , viaggio antiq. ne’ contorni di Roma . T. 1. Ro. 1819. p. 97 ss. . Sie sind aber fast durchaus uͤbermalt, so daß man nur an der Ein- theilung in viele kleine Blilder , an den Einfassungen, wie end- lich an der Architectur der Gruͤnde, ihr hohes Alter noch erkennt. Zur Rechten indeß befindet sich ein noch ziemlich wohl erhal- tenes Gemaͤlde. In diesem folgen Bischof und Priester einem zweyraͤdrigen Karren, auf welchem ein heil. Leichnam mit maͤchtigem Nimbus. Die Pferde gehen zur Linken nebenher; eben so kunstlos ist die Anordnung der uͤbrigen Figuren; doch sieht man bereits einige Spuren von Modellirung, gruͤnliche Halbtinten und sparsame Schatten. Die aͤhnlich abgetheilten Malereyen im Innern der Kirche scheinen den Beywerken nach etwas juͤnger zu seyn. Die Malereyen, welche vormals in der kleinen vorstaͤdti- schen Kirche S. Urban, unweit der appischen Straße, zu sehen gewesen, scheinen nach alten Abbildungen der schon erwaͤhnten Sammlung der barberinischen Bibliothek Barber . No. 1047. pitture di S. Urbano alla Caffarella. ebenfalls um das Jahr 1200 entstanden zu seyn. Gegenwaͤrtig sind sie von der rohesten Hand uͤbermalt; sogar die Aufschrift ist verschwunden, welche die eine der beiden Abbildungen genannter Sammlung bewahrt hat No. 1047. In No. 1050 fehlt sie. . Sie lautet: BONIZZO F̅R̅T̅ AXPI MXI. Die letzte Zeile wird von Einigen gedeutet: anno Christi 1011 Lanzi , stor. pitt. dell’ It. T. I. Origini etc. Er folgt dem Herrn von Agineourt , welcher, da seiner Zeit die Originale laͤngst uͤbermalt waren, nur jene alten Copieen vor Augen hatte. . Gewiß eine damals sehr ungewoͤhnliche, vielleicht ganz beyspiellose Form und Verbindung Anno Domini waͤre mehr in der Ordnung; doch pflegte man sogar dieses nicht, wie hier, nach, sondern voran zu setzen. So in einer der kuͤrzesten Aufschriften, die mir je vorgekommen, an einem Kapitaͤle, rechts der Tribune des Domes zu Fiesole : A. D. M. CC. I. an einem anderen: M. P. (magister Petrus ?) . Indeß findet sich diese Aufschrift nur in der einen der beiden Abbildungen des- selben Werkes, und es duͤrfte gewagt seyn, so unbedingt an- zunehmen, daß der Copist sie richtig gelesen; und in Frage stehen, ob nicht sein Vorbild andere Buchstaben enthalten, mithin eine andere Deutung erfordert habe. Andere Spuren einer den Roͤmern eigenthuͤmlichen Schule der Malerey uͤbergehe ich fuͤr jetzt, weil sie schon weiter in das dreyzehnte Jahrhundert hinuͤberreichen, dem wir eine eigene Betrachtung widmen wollen, wo einige mir sichere toscanische Malereyen des zwoͤlften oder des Anbeginnes des dreyzehnten Jahrhunderts ebenfalls ihre Stelle finden werden. Doch, ehe wir uns von den minder unerfreulichen Kunstarbeiten dieses Zeitraumes trennen, wird es noͤthig seyn, eines umbrischen Malers zu erwaͤhnen, dessen Name auf einem Bilde des Ge- kreuzigten in den Gewoͤlben der Kirche S. Giovanni e Paolo zu Spoleto sich erhalten hat. Die Darstellung dieses Gegenstandes war, obwohl, wie es bekannt ist, eben so wenig, als Darstellungen aus dem Jugendleben des Heilandes, von den fruͤheren Christen gebil- ligt und geduldet, doch endlich nicht lange vor Eintritt des Bildersturmes uͤberall zugelassen worden. Wie eben diese Bilder alsdann binnen Kurzem Gegenstaͤnde der Verehrung der einen, des Hasses der anderen christlichen Partheyung geworden, ist aus vortrefflichen Bearbeitungen auch in weiteren Kreisen be- kannt Ergaͤnze Gibbons unlaͤugbar geistreiche Auffassung ( hist. of the Decline etc. Chapt. XLIX. ) durch: Schlosser , Friedr. Christ. , Gesch. der bilderstuͤrmenden Kaiser des ostroͤmischen Rei- ches . Frankf. 1812. 8. . Allein, eben weil diese Vorstellungen erst damals, als Italien bereits mehr und minder vom oͤstlichen Reiche ab- gesondert war, in den christlichen Bilderkreis aufgenommen worden, gestalteten sie sich in den beiden Haͤlften der christli- chen Welt auf verschiedene Weise. Hier wie dort ohne Zwei- fel hoͤchst unvollkommen; zierlicher indeß bey den Griechen, wenn man gleich, sowohl der Madonna als dem Gekreuzigten, dieser letzten auch in den guͤnstigsten Beyspielen ansieht, daß sie sogleich als Mumie entstanden waren, und kuͤnftiger Aus- bildung im voraus entsagt hatten; den italienischen hingegen, daß ihre Form, bey groͤßter Rohigkeit, doch nicht, wie jene, aͤußerlich abgeschlossen, mithin einer hoͤheren Entwickelung noch faͤhig war. Streben nach einer edleren, schoͤneren Entwicke- lung der italienischen Idee des Gekreuzigten finden wir laͤngere Zeit, bevor sie durch neugriechische Vorbilder verdraͤngt wurde, in verschiedenen einander aͤhnlichen Bildern der Gegend von Asisi , wo spaͤter durch die feurige Beredsamkeit des heil. Franz das Andenken der Leiden Christi , und dadurch die Verehrung des Crucifixes neu belebt und bis zur Schwaͤrmerey erhoͤhet wurde. Ein Beyspiel der barbarisch-italienischen Vorstellung der Maria, im Gegensatz zur neugriechischen, gewaͤhrt uns ein Bild zu Siena in der casa di S. Ansano, in der Seitenca- pelle rechts, welches, wie jenes der Akademie vom J. 1215, halb Relief, halb Malerey ist. Sie ist, im Vollen angesehen, gerade aufgerichtet sitzend. Im goldenen Felde zwey sehr kleine Engel; der Thron von hoͤchster Einfachheit. Uebrigens ist das Antlitz der Madonna nicht ohne Schoͤnheit. Das Eigenthuͤmliche dieser Bilder zeigt sich zunaͤchst in der Anordnung, da sie unter den ausgebreiteten Armen des Heilandes verlaͤngerte Fuͤllungen haben, auf denen Maria und Johannes , nebst den uͤbrigen Marieen der Leidensgeschichte in verjuͤngtem Maße vorgestellt sind; an den Ausgaͤngen der Schenkel des Kreuzes befinden sich unter mancherley Verzie- rungen von musivischem Charakter Brustbilder von Engeln. Das wichtigste Merkmal der Unterscheidung italienischer und griechischer Kruzifixe beruhet indeß auf der Haltung, welche beide Nationen dem Leibe des Gekreuzigten selbst gegeben. Die Griechen nemlich, denen der Anblick grausamer Leibesstra- fen Gewohnheit war, dachten sich den Heiland am Kreuze mit der ganzen Schwere des Leibes herabhaͤngend, den Unter- leib geschwellt und die erschlafften Kniee links ausgebogen, den gesenkten Kopf mit den Qualen eines grausamen Todes rin- gend. Ihr Gegenstand war demnach das koͤrperliche Leiden an sich selbst, ihr Zweck hoͤchstens Erweckung des Mitleidens, obwohl die damalige Kunst, um diesen untergeordneten Zweck ganz zu erfuͤllen, an darstellenden und wahr scheinenden For- men noch viel zu arm war. Die Italiener hingegen, in de- ren aͤlteren Denkmalen, wie nicht zu uͤbersehen ist, die Dar- stellung, sowohl der Jungfrau mit dem Kinde, als des Ge- kreuzigten nur hoͤchst selten vorkommt, pflegten die Gestalt des Heilandes am Kreuze aufzurichten, verfolgten also, wie es scheint, die Idee des Sieges des Geistigen, nicht, wie jene, des Erliegens des Koͤrperlichen. Diese unlaͤugbar edlere Auffassungsart einer wohl schwie- rigen, doch, wie so viele Beyspiele darlegen, unter Umstaͤnden hoͤchst belohnenden, Kunstaufgabe tritt in mehr beguͤnstigten Kreisen des Abendlandes fruͤh an das Licht, wie an dem Deckel des einen der beiden schon erwaͤhnten Missalien Hein- richs des zweyten , wo auch die uͤbrigen Figuren, Phoebus und Diana, Johannes und Maria, sogar der wohlverzierte Rand, bemerkenswerthe Geschicklichkeit darlegen. Hingegen wird sie in den italienischen Kunstarbeiten der aͤlteren Zeit, z. B. in jener Altartafel des Klosters Rambona , allerdings durch technische Ungelenkigkeit der Kuͤnstler verhuͤllt, weshalb jene oben erwaͤhnten Bilder des Gekreuzigten, in denen sie fuͤr Italien zuerst in einiger Deutlichkeit hervortritt, fuͤr uns ein gedoppeltes Interesse besitzen. Denn einmal gewaͤhren sie uns das aͤlteste bekannte Beyspiel der italienischen Auffassung und Darstellung einer bestimmten Kunstidee, deren Ueberlieferung in der Folge, zwar durch Nachahmung der Neugriechen einige Zeit hindurch abgerissen, doch bald wiederum aufgenommen und weitergebildet wird; dann aber nicht minder einen sonst unbekannten Kuͤnstlernamen, also einen neuen Stuͤtzpunkt der historischen Forschung. Denn am Fuße des erwaͤhnten Kruzi- fixes zu Spoleto befindet sich folgende, so weit ich sie gebe, ganz erhaltene Aufschrift, in unzweydeutigen, etwas verlaͤnger- ten, und hie und da zusammengezogenen Majuskeln. A. D. M. C. L. XXX. VII. M̅S̅ .. .. OPVS ALBER ....... An dem beschaͤdigten Ausgange des Namens glaubte ich zu- naͤchst die Sylbe TO, nicht TI, zu erkennen; eine Verschie- denheit, auf welche es wenig ankommt; dann nach dem Na- men Alberto die Buchstaben: SOTA ..., welche letzteren, als einem unbekannten Namen angehoͤrend, von mir falsch gedeutet seyn koͤnnten, weshalb ich sie nicht verbuͤrgen will. Die beiden anderen bereits erwaͤhnten, bey durchgehender Uebereinstimmung mit jenem nothwendig gleichzeitige Bilder des Gekreuzigten befinden sich, das eine in der Kirche S. Chiara zu Asisi Lanzi kannte unter diesen drey gleichartigen Bildern nur jenes in S. Chiara zu Asisi ; es sey, sagt er (scuola Romana, epoca prima), nach der Tradition aͤlter, als Giunta . Und hierin ward er nicht irregeleitet. , das andere in dem Gewoͤlbe des Kirch- leins zu S. Giovanni d’ Asso , einem Orte des sienesischen Ge- bietes, unweit Buonconvento und Monte Uliveto Maggiore . Diese Bilder besitzen, eben wie jene, den Vorzug einer nicht unedlen Ausbildung des Christuskopfes, dessen Zuͤge indeß noch immer durch dicke rothe und schwarze Umrisse gesondert sind, mit geringer Spur von Schattengebung in den Augenhoͤhlen und Laͤnge des Nasenruͤckens. Die gerade Haltung des Leibes theilen sie mit den aͤlteren italienischen und abendlaͤndischen Darstellungen desselben Gegenstandes. VII. Dreyzehntes Jahrhundert . Aufschwung des Geistes der italienischen Kunst; rascher Fortschritt in Vortheilen der Dar- stellung. — Einfluß der Byzantiner auf die Entwickelung der italienischen Malerey. Aus einer eigenthuͤmlichen Wendung, aus einer allgemei- nen Steigerung des Geisteslebens entstand, wie es unter uns nicht mehr in Frage kommt, jene glaͤnzende Entwickelung der Kunstanlage, welche die neueren Italiener lange Zeit hindurch vor anderen Nationen auszeichnete. Demungeachtet werden auch hier, wie uͤberall, einige aͤußere Anregungen des Kunst- triebes, Foͤrderungen seiner Ausbildung eingetreten seyn, denen die Italiener, zwar nicht die volle Entwickelung ihrer treffli- chen Anlage, doch immer deren fruͤhere Zeitigung verdanken. Wirklich haben eben zu jener Zeit, als der eigenthuͤmliche Geist der neueren Kunst zuerst in entschiedneren Zuͤgen hervortrat, fremde Muster, fremde Ansichteu, vielleicht sogar fremde Mei- ster von verschiedenen Seiten foͤrdernd auf italienische Kuͤnst- ler eingewirkt. Unter diesen Einwirkungen ward eben die folgenreichste und wichtigste, der byzantinischen auf die italienische Malerey, schon seit laͤngerer Zeit mit einem Netze entgegengesetzter Miß- verstaͤndnisse und Uebertreibungen umzogen, was ihre Beleuch- tung um so dringender, doch zugleich so schwierig macht, daß es unumgaͤnglich ist, um der Wahrheit Luft und Licht zu schaffen, hie und da die Faͤden ganz zu durchreißen. Und, da Vasa- ri’s Kuͤnstlerleben, ein sinn- und gemuͤthvolles, in Dingen seiner Zeitgenossen und naͤheren Vorgaͤnger im Ganzen zuver- laͤssiges Buch, doch in jener Beziehung gleichsam das Mittel- glied moderner und mittelalterlicher Irrungen und Mißver- staͤndnisse bilden; so werden wir, von diesem Schriftsteller ausgehend, sowohl abwaͤrts als aufwaͤrts steigen koͤnnen. Dabey moͤge es dem trefflichen Stifter so viel genauer Kunde von den Lebensumstaͤnden, Ansichten, Werken seiner Zeitgenos- sen auf keine Weise zum Vorwurf gereichen, daß er seinen Stoff nicht gelehrt und kritisch, sondern kuͤnstlerisch und dich- terisch aufgefaßt. Nur den Compilatoren, welche ihn ausge- schrieben, den Kritikern, die ihm widersprochen, ohne ihn zu berichtigen, darf man vorwerfen, den einen, daß sie ihn je- mals in weitentlegenen Dingen als Quelle angesehen, den anderen, verkannt zu haben, daß Vasari’s Irrthuͤmer hin- sichtlich des Ereignisses, welches wir nunmehr beleuchten wol- len, nicht absichtliche Luͤgen und eitle Erfindungen, vielmehr bloß mißverstandene historische Wahrheiten sind, welche, wenn der oberflaͤchliche Kritiker sich begnuͤgt, sie zu bestreiten, den aͤchten auffordern, ihnen auf den Grund zu gehen. Vasari nun wirft im Leben des Cimabue gleich anfangs im Großen hin, die Bedraͤngnisse des fruͤheren Mittelalters haben in Italien alle Ueberlieferung der Kunst rund abgebro- chen, den Gebrauch, Bilder zu machen, bis auf die letzte Spur verdraͤngt; und sowohl in diesem, als in dem nachfol- genden Leben, scheint er die Ansicht festzuhalten, daß Cima- bue , den einige griechische Maler nothduͤrftig sollen angelehrt haben, die Malerey, nach langer Unterbrechung, in Italien zuerst wieder ausgeuͤbt, und durch Beyspiel oder Lehre die Entstehung und Verbreitung der neueren Kunst herbeygefuͤhrt habe. Diese Ansicht, welche er nirgend historisch begruͤndet, verstoͤßt indeß sowohl gegen die Wahrscheinlichkeit, als gegen allgemein bekannte Thatsachen; daher haben verschiedene, so- wohl aus einem allgemeineren und historischen Standpuncte Schon Maffei , Verona ill.; dann Muratori , antt. Ital. Diss. XXIV. und Tiraboschi , sto. della lett. It. To. V. VI. etc. , als auch aus dem engeren der oͤrtlichen Forschung Schon Malvasia , Felsina pittrice. In den letzten De- cennien des verflossenen Jahrh. eine große Zahl Topographen und Localscribenten, deren Titel bey Fiorillo , Geschichte der zeichn. Kste., nachgewiesen. , dage- gen sich aufgelehnt; wenn auch andere, unter diesen vornehm- lich der bekannte Baldinucci , darauf fortgebauet, und jenes Trug- und Luggebaͤude errichtet haben, welches Cimabue als den gemeinschaftlichen Vater und alleinigen Gruͤnder aller neue- ren Kunstbestrebungen voraussetzt, und sogar ganz entgegenge- setzte Richtungen von ihm ableitet. Ob man waͤhrend der dunkleren Jahrhunderte des Mit- telalters in Italien gemalt und gemeißelt habe, kann, wie ich oben an sparsam und mit Umsicht gewaͤhlten Beyspielen dargelegt, durchaus nicht in Frage kommen; wer mit den Quellen der mittleren Geschichte, vornehmlich der kirchlichen, bekannt ist, dem wird es unerklaͤrlich seyn, wie man uͤberall jemals daruͤber habe streiten koͤnnen. Ich uͤbergehe daher das muͤßige Gezaͤnk oͤrtlicher Forscher, welche die Ehre ihrer Va- terstadt durch die Entdeckung aͤlterer Kunstwerke zu erhoͤhen geglaubt, die nicht durchhin Probe halten; ist es doch nicht einmal so ausgemacht, ob Vasari , den sie mit so viel Hef- tigkeit bestreiten, in Dingen, uͤber welche ihm ohnehin keine Stimme gebuͤhrt, so ganz vom Wahren abgewichen sey. Denn es waren ihm selbst viele Thatsachen bekannt, welche die Fort- dauer einer gewissen Kunstuͤbung außer Zweifel setzen; so daß wir die Wahl haben, ihm entweder absichtliche Verdrehung, oder Fluͤchtigkeit und Vergessenheit beyzumessen; oder, was doch zugleich das billigste und meist uͤberzeugende seyn duͤrfte: daß ihm die rohen Arbeiten des dunkleren Mittelalters, gegen welche er seinen Widerwillen deutlich ausspricht Vasari , Giorg. vite de pittori etc. Ed. Giunt. Fir 1568. 4.; vita d’ Andrea Tafi . „— — perché tutte quelle (sculture) che fecero in Italia i maestri di quell’ età, come s’é detto nel proemio delle vite, furono molto goffe.“ — Er geht von S. Miniato a Monte aus, welches Gebaͤude er in das J. 1013 versetzt, und fuͤhrt als Beyspiel die Kanzel von Guido von Como an, die er im J. 1199 entstehen laͤßt. — Fruͤher im proemio, p. 78. — la pittura poco meno, che spenta affatto — nemlich im eilften Jahrh. , der Beach- tung unwerth geschienen; daß er daher die Kunstgeschichte lie- ber mit einem Meister habe beginnen wollen, dessen Werke Geist und Geschicklichkeit darlegen. Cimabue war in der That, wie wir in seiner großen, wohlerhaltenen Jungfrau, in der Kirche Sta. Maria novella zu Florenz , noch wahrnehmen koͤnnen, ein beseelter und maͤchtiger Meister, dessen Ueberlegen- heit von Zeitgenossen anerkannt worden, wie wir aus einem Verse des Dante sehen, welche die rege Imagination des Vasari getroffen, und wahrscheinlich mehr, als der Eindruck jenes Gemaͤldes, ihn bestimmt hat, dem Cimabue eine wich- tigere Stellung einzuraͤumen, als ihm wohl zukommen duͤrfte. Allein, wie unentschieden es bleiben moͤge, ob Vasari es jemals ernstlich gemeint, wo er eine gaͤnzliche Unterbrechung in der Fortuͤbung gewoͤhnlicher Kunstfertigkeiten anzunehmen scheint, so ist doch so viel gewiß, daß er den Zeitpunct, den Gang, die Umstaͤnde und aͤußeren Veranlassungen des Auf- schwunges der neueren Kunst nicht gruͤndlich genug erforscht hatte; daß er vielmehr in dieser Gegend der Kunsthistorie blo- ßen Wahrscheinlichkeiten und ganz willkuͤhrlichen Verknuͤpfungen gefolgt ist. Unter allen Umstaͤnden ist nicht anzunehmen, daß er seine umstaͤndliche Jugendgeschichte des Cimabue aus alten Materialien geschoͤpft habe. Der Schriftgebrauch war um die Mitte des dreyzehnten Jahrhunderts noch nicht so weit ver- breitet, daß man schon damals, wie spaͤterhin, Familienereig- nisse und paͤdagogische Beobachtungen haͤtte aufzeichnen moͤgen; toscanisch schrieb man noch nicht allgemein; wenigstens reichen wenige Denkmale dieser Sprache so weit zuruͤck; lateinisch zu schreiben, setzte eine minder zugaͤngliche Bildung voraus, wel- che, wo sie erlangt worden, auf oͤffentliche Geschaͤfte aller Art verwendet wurde; obwohl auch die lateinische Buchfuͤhrung und Geschichtschreibung der neuen Staaten von Toscana damals durchhin erst im Entstehen war. Also wird Vasari’s Ju- gendgeschichte des Cimabue , wie die meisten ganz alten Maler, im Durchschnitt seiner eigenen, poetisch angesehen, hoͤchst an- muthsvollen Erfindung angehoͤren; und sogar die angeblich griechischen Lehrmeister des Cimabue , denen ich bisher vergeb- lich nachgespuͤrt Die Angaben, osservatore Fio. T. V. p. 61 s., und Richa , delle chiese di Firenze , werde ich unten zu pruͤfen Gelegenheit finden. , duͤrften allem Ansehen nach bloß auf Ver- muthungen beruhen. Wir wollen seinen Quellen nachspuͤren, einmal, um zu zeigen, wie fluͤchtig Vasari sie benutzt; dann aber, und vornehmlich, um zu ermitteln, zu welcher Zeit, aus welchen aͤußeren Veranlassungen und inneren Gruͤnden der Einfluß der Byzantiner eingetreten; endlich, welche eigenthuͤm- lichen Vorzuͤge oder Maͤngel die italienische Malerey von da- her angenommen habe. Jener Sage von einer gaͤnzlichen Unterbrechung der ita- lienischen Kunstuͤbung begegnen wir zuerst im Leo von Ostia , einem Schriftsteller des eilften Jahrhunderts. Dieser meldet S. Leo Ost. lib. III. cap. 29. Die ganze Stelle ausge- hoben bey Muratori , antt. It. Diss. 24. , daß um das Jahr 1070 der damalige Abt des Klosters zu Monte Cassino , Desiderius , aus Constantinopel griechische Musaicisten berufen habe, um die Woͤlbung uͤber dem Haupt- altare der neuen Kirche, dem Glanze des Werkes entsprechend, auszuzieren. Junge Moͤnche habe dieser Abt in der Musiv- malerey unterweisen lassen, weil man waͤhrend der vorange- henden fuͤnfhundert Jahre, d. i. seit Einwanderung der Lon- gobarden, in Italien diese Kunstarbeit entweder ganz ausge- setzt, oder doch vernachlaͤssigt hatte Leo l. c. — „Artium istarum ingenium a Quingentis et ultra jam annis magistra Latinitas intermiserat .“ — Der Abt habe die Novizen darin unterrichten lassen: ne sane id ultra Italiae deperiret. — . Meinte Leo etwa das erste, was indeß nicht mit Sicher- heit auszumachen ist; glaubte er wirklich, daß in Italien das Handwerk der Musivmalerey in so langer Zeit nicht mehr ausgeuͤbt worden: so irrte er sich, wie schon aus den Thatsa- chen erhellt, die ich angefuͤhrt habe, und mit wenig Muͤhe vermehren koͤnnte; oder aus der Widerlegung des Murato- ri Antt. It. Diss. 24. — S. 359 f. der italienischen Version des Vfs. , der indeß mit bey weitem zu viel Zuversicht annimmt, daß Leo eben nur so koͤnne verstanden werden. Nun waͤre es wohl an sich selbst bey einem Schriftsteller des eilften Jahrhunderts ohne Belang, ob er die Kunstgeschichte ihm ent- legener Zeiten falsch oder richtig aufgefaßt habe; denn hierin wuͤrden wir ihn unter allen Umstaͤnden nicht fuͤglich als Quelle betrachten koͤnnen, wie Alle wissen, denen historische Forschun- gen nicht gaͤnzlich fremd sind. Indeß werden wir weder durch den Sinn, noch durch die Stellung der Worte des guten Leo , wie Muratori ihn nennt, so durchaus genoͤthigt, sie auszu- legen, wie bisher meist geschehen ist. Auch neueren Forschern duͤrfte es ankommen koͤnnen, einmal, was ihnen durchaus veraͤchtlich scheint, als nicht vorhanden anzusehen, als nicht der Rede werth unberuͤhrt zu lassen. Und, da unser Leo die zierliche Kunstarbeit der griechischen Colonie zu Montecassino gleichsam mit Kennerblicken durchgeht Leo l. c. — Quarum artium tunc ei destinati Magistri cujus perfectionis fuerint, in eorum est operibus existimari etc. — ; da andererseits, wie wir wissen, die italienische Kunstuͤbung seiner eigenen und der vorangegangenen Zeit so uͤber alles Maß hinaus verwildert war: war: so liegt uns die Vermuthung nahe genug, daß er nicht habe sagen wollen: ganz ausgesetzt , sondern vernachlaͤssigt . Allein eben darin, daß Leo die Ueberlegenheit der griechi- schen Arbeit uͤber die italienische seiner Zeit nach Billigkeit an- erkannte, zeigt sich, daß Vasari seine Ansicht vom griechischen Einfluß und von einer vorangegangenen Unterbrechung der ita- lienischen Kunstuͤbung nicht aus diesem Schriftsteller geschoͤpft hat, welcher zudem damals noch ungedruckt, und voraussetzlich nur Wenigen bekannt war. Vasari nemlich weiß die Kunst- fertigkeit und den Geschmack der Griechen des Mittelalters nicht tief genug herabzusetzen, und ist sehr weit davon entfernt, die Bewunderung zu theilen, welche Leo fuͤr sie gehegt zu ha- ben scheint. Zu dieser Verachtung der byzantinischen Maler, welche, historisch angesehen, sich nicht rechtfertigen laͤßt, ver- leitete ihn nicht eigene genauere Vergleichung ihrer Arbeiten mit denen ihrer italienischen Zeitgenossen, sondern Ghiberti , dessen handschriftliches Werk er, nach seiner eigenen Angabe, gekannt und benutzt hat. Lorenzo Ghiberti , der beruͤhmteste Bildner der ersten Haͤlfte des funfzehnten Jahrhunderts, fuͤhlte, wie spaͤter und mit groͤßerem Gluͤcke Michelagnuolo , den Kuͤtzel, universell zu seyn. Wenn er nicht selbst gemalt hat, so machte er doch Entwuͤrfe fuͤr Fenstermalereyen, welche man dazumal noch musivisch aus farbigem Glase mechanisch zusammensetzte; wor- aus Vasari , was seine Fluͤchtigkeit in ein hoͤchst unguͤnstiges Licht setzt, die Angabe hervorgedrehet, daß Ghiberti selbst auf Glas gemalt habe Ghiberti sagt, p. 11 a tergo des Codex der Magliaber- . Am weitesten jedoch entfernte sich die- I. 19 ser von seinem eigentlichen Berufe, indem er sich daransetzte, eine betrachtende Kunstgeschichte zu schreiben. Wir besitzen noch immer dieselbe Abschrift, deren Vasari sich bedient, ge- genwaͤrtig das Eigenthum der magliabecchischen Bibliothek zu Florenz Das. Classe XVII. palchetto 1. No. 33. . Leider besteht der groͤßte Theil dieses Werkes aus einer ganz unbrauchbaren Zusammenstellung aus Uebersetzungen des Plinius und Vitruv ; dagegen fuͤllt die neuere Kunst- geschichte, uͤber welche Ghiberti uns so Vieles und Wichti- ges haͤtte mittheilen koͤnnen, nur wenige Seiten, welche dem- ungeachtet, wie uͤberhaupt, so besonders bey gegenwaͤrtiger Un- tersuchung von großem Belang sind. Ghiberti nemlich beginnt diesen Abschnitt seiner Arbeit mit einer gedraͤngten Uebersicht der Kunsthistorie, vom Verfalle der antiken Kunstbildung bis auf Cimabue , der auch ihm, wie dem Vasari , der aus ihm schoͤpfte, dazu gedient, die neuere Kunstgeschichte zu eroͤffnen. Er sagt Cod. cit. fo. 7. a tergo. In dem einzigen vorhandenen Abdruck dieser Abtheilung des bezeichneten Werks, bey Cicog- nara , sto. Vol. II. p. 108, ist obige Stelle, welche ich im Kunst- blatte 1821, No. 8, S. 30, nachgeliefert habe, ich weiß nicht aus welchem Grunde, ausgelassen worden. : „Also zur Zeit des chiana, von sich selbst — e a’ pittori (ho) disegnato moltissime cose; — Disegnai nella faccia di Sta maria del fiore nell’ occhio di mezo l’assunzione di nostra Donna e disegnai gli altri, che sono dallato etc. etc. — Hieraus macht Vasari , der diese Quelle kannte, im Leben des Lor. Ghiberti ( Ed. c. P. II. p. 285.): — egli attese, meutre visse, a più cose (Ghib.: poche cose si sono fatte d’importanza nella nostra terra non sieno disegnate ed ordinate da me) e dilettòssi della pittura e di lavorare di vetro; ed in Sta Ma- ria del Fiore fece quegli occhj, che sono intorno alla cupola etc. — e cosi l’occhio della facciata etc. etc. — Zeichnungen und Ideen angeben ist noch nicht malen, und gar in Glas malen. — Kaisers Constantin und des Papstes Sylvester uͤberwog der christliche Glaube. Die Abgoͤtterey erlitt so große Verfolgung, daß alle Statuen und Malereyen zerstoͤrt, und die Kunst von ihrer alten Wuͤrde und Achtbarkeit herabgewuͤrdigt ward. Und so vergingen mit den Statuen, Gemaͤlden, Buͤchern, auch die Grundzuͤge und Regeln, welche zu dieser herrlichen und liebli- chen Kunst anleiten. Und um allen Anschein des Goͤtzendien- stes zu entfernen, verordneten sie, daß alle Kirchen weiß (un- bemalt) seyn sollten. Damals ward, wer Bildsaͤulen und Malereyen machte, mit schweren Strafen belegt; und so ging die Bildner- und Malerkunst verloren und jeder Be- griff derselben. Nachdem es mit der Kunst vorbey war, standen die Tempel unbemalt sechshundert Jahre lang. Die Griechen be- gannen, die Kunst mit groͤßter Ungeschicklichkeit wieder aus- zuuͤben. In eben dem Maße, als die alten Griechen darin geschickt waren, zeigten sie sich in diesem Zeitalter geistlos und roh Vergl. Vasari , proemio delle vite, p. 80, wo der Stoff der Darstellung offenbar aus obiger Stelle entlehnt ist. .“ Durch neuere Untersuchungen ist es bekannt, daß bey weitem nicht alle Kunstwerke des Alterthums durch christliche Eiferer, wenn nicht Frevler, zerstoͤrt worden sind; anderntheils haben die Verfolgungen christlicher Andachtsbilder, welche Ghiberti offenbar mit jenem fruͤheren Ereignisse vermischt und verwechselt, nur im ostroͤmischen Reiche, und auch dort nur voruͤbergehend, statt gefunden; und aus vielen Umstaͤnden erhellt, daß nicht einmal waͤhrend des Bildersturmes die Kunstuͤbung je so gaͤnzlich abgebrochen worden. Freilich wer- 19 * den wir dem trefflichen, doch ungelehrten Kuͤnstler diese Taͤu- schungen nachsehen duͤrfen; minder jedoch den Vasari ent- schuldigen koͤnnen, daß er bey so viel hoͤherem Stande der historischen Forschung und Gelehrsamkeit, bey eigener, anschau- licher Bekanntschaft mit so mancherley Denkmalen des fruͤhe- ren Mittelalters, dennoch jene groben Irrthuͤmer nachgeschrie- ben; gleichsam gegen sein besseres Wissen, so daß der Argwohn sich aufdraͤngt, er habe entweder nur einen bequemen Eingang gesucht, oder die eben nicht anziehende Untersuchung und Dar- stellung des dunkleren Mittelalters rund abschneiden wollen. Ueber diese Seite der oben uͤbertragenen Stelle ist denn nun allerdings kein Wort mehr zu verlieren, da sie in unseren Tagen fuͤr Niemand verfaͤnglich seyn, Niemand so leicht noch verleiten wird. Wichtiger indeß ist, was Ghiberti uͤber die Malerey der neueren oder mittelalterlichen Griechen anmerkt, weil hierin der eigentliche Grund der Geringschaͤtzung neugrie- chischer Kunstarbeiten verborgen liegt, welche durch das Mit- telglied der aͤlteren Malerleben des Vasari besonders bey den italienischen Forschern sich festgesetzt hat. Bemerken wir auch hier die Fluͤchtigkeit, mit welcher Vasari die Quellen der aͤlte- ren Kunsthistorie zu benutzen gewohnt war. Ghiberti nem- lich setzt allerdings die Kunstfaͤhigkeit der neueren Griechen in Vergleich der alten ziemlich tief; und wem koͤnnte es wohl in den Sinn kommen, die eine Kunstepoche der anderen gleichzu- stellen? Doch erhellt schon aus den Lobspruͤchen, welche er dem Duccio von Siena Ghiberti , cod. c. fo. 9. a tergo. — „Fu in Siena ancora Duccio , el quale fu nobilissimo. Tenne la maniera Greca. E di sua mano la tovola maggiore del Duomo di Siena . — Questa ta- ertheilt, einem Maler, dem er, vollkommen zutreffend, neugriechische Manier beylegt, daß er die letzte nur verhaͤltnißmaͤßig, und keinesweges unbedingt ge- ring schaͤtzte. Vasari aber riß Ghiberti’s Worte aus ihrer Verbindung, und gab ihnen hiedurch einen neuen Sinn; worin Andere ihm wiederum blindlings nachgefolgt sind, ohne jemals von neuem zu untersuchen, wie sich wohl die Kunstfertigkeit der mittleren Griechen zu jener der westlichen Europaͤer dersel- ben Jahrhunderte verhalten moͤge. Die gedoppelte Frage, ob die neueren Griechen jemals auf die Kunst der Italiener eingewirkt, worin diese Einwirkung bestanden, welche Foͤrderung, oder auch welcher Aufenthalt der neueren Kunstentwickelung daraus erwachsen sey, ist doch nicht wohl so ganz zu erledigen und zur Entscheidung zu bringen, ehe wir die eigenthuͤmlichen Vorstellungen, Manieren und Handhabungen der neueren Griechen um etwas schaͤrfer aufge- faßt haben, als gewoͤhnlich von denen geschieht, welche den Einfluß der Byzantiner annehmen oder bestreiten. Denn die italienischen Forscher, welche Nationaleitelkeit, nicht selten wohl auch die unbewußte Nachwirkung kirchlicher Gegensaͤtze und Feindseligkeiten, gegen alles Griechische im Voraus einnimmt, pflegen griechisch zu nennen, was ihnen unter den Denkmalen des hoͤheren Mittelalters uͤber alles Maß hinaus roh zu seyn scheint, und eben daher, aus Gruͤnden, welche ich bereits ausgefuͤhrt habe, voraussetzlich immer italienisch ist. In Deutschland dagegen liebt man Jegliches byzantinisch zu nen- nen, worin die spaͤteren, erst in den bildnerischen Verzierungen der gothischen Baukunst entwickelten, Eigenthuͤmlichkeiten der vola fu fatta molto eccellentemente, e doctamente; é magnifiea cosa e (egli) fu nobilissimo pittore.“ deutschen Schule noch nicht hervorsprechen. Dieser aͤltere, senkrechte, ruhige Styl der deutschen Bildnerey ist indeß, wie wir wissen, mit wenig Ausnahmen, durch andere Mittelglie- der aus dem Style der altchristlichen Bildnerey entstanden, und, wo die eigenthuͤmlichen Merkzeichen byzantinischen Ge- schmackes fehlen, ist nicht wohl anzunehmen, daß Vorstellun- gen oder Gewoͤhnungen des christlichen Alterthumes gerade auf dem weiteren Wege in die Kunst des westlichen Europa ein- gedrungen seyen. Eben so irrig ist es aber, die Byzantiner des hoͤheren Mittelalters nach jenen rohen, mit geistloser Fer- tigkeit behandelten Andachtsbildern neuerer Jahrhunderte zu beurtheilen, welche in Rußland , oder im tuͤrkischen Reiche , noch taͤglich in großer Menge angefertigt werden. Allerdings werden diese Bilder noch immer nach Durchzeichnungen und Patronen gemalt, welche urspruͤnglich aus Erfindungen des Alterthums entnommen sind; ihre Ausfuͤhrung indeß gestattet keine Vergleichung mit jener der aͤlteren Zeiten; nicht zu ge- denken, daß man sich im Verlaufe der Jahrhunderte immer weiter von seinen Urbildern entfernt, immer mehr aller eigenen Erfindung entschlagen hat, welcher letzten das griechische Mit- telalter noch keinesweges so gaͤnzlich entsagt hatte. Ueberhaupt bewirkte die Eroberung und Schaͤdigung Constantinopels , im Jahre 1204, das darauf erfolgende Zwischenreich fraͤnkischer und griechischer Usurpatoren, wenigstens in Bezug auf die Kunstuͤbung, einen tiefen Einschnitt in die fruͤhere, der chine- sischen vergleichbare, Bildung des oͤstlichen Reiches. Und ge- wiß gehen die wirklich werthvollen, zierlich, und nicht ohne alles Kunstgefuͤhl beendigten Miniaturen solcher Handschriften, welche ich gesehen und untersucht habe, nur selten uͤber diesen Zeitpunct hinaus, wenn sie nicht etwa durchhin in aͤlteren entstanden sind, was bisweilen nicht mit voller Sicherheit aus- zumachen ist. Doch, selbst wenn es auszumachen waͤre, daß in den griechischen Kunstarbeiten bis zur tuͤrkischen Eroberung einiges Gute sich bewahrt habe, so wuͤrde uns an dieser Stelle, wie wir unten sehen werden, doch einzig Solches angehen, was bis zum Anbeginn des dreyzehnten Jahrhunderts gemacht, geuͤbt oder geleistet worden. Das Unterscheidende der griechischen Kunstuͤbung des Mittelalters liegt, wie wir uns aus einer fruͤheren Entwicke- lung entsinnen, nicht etwa in solchen Vorstellungen, welche schon im Alterthume des Christenthums kuͤnstlerisch aufgefaßt worden. Allerdings wird es auch zu Anfang der neuen Kunst- epoche, im vierten und in den folgenden Jahrhunderten, Schu- len gegeben haben, welche vor anderen durch Talent sich aus- zeichneten, und durch aͤußere Beguͤnstigung gehoben wurden; und besonders von den Griechen duͤrfen wir voraussetzen, daß sie sich fruͤh auch in christlichen Darstellungen hervorgethan, sowohl in Ansehung der Nationalanlage fuͤr anschauliche Auf- fassung sittlicher Verhaͤltnisse, als auch, weil, nach Einwan- derung der Barbaren in die westlichen Provinzen, im oͤstlichen Reiche, vornehmlich unter Justinian I. , aber auch unter den nachfolgenden Kaisern, die Kuͤnste der alten Welt, so viel noch an ihnen war, mit groͤßerem Nachdruck betrieben und mit Aufwand gefoͤrdert wurden. Indeß fehlt es uns uͤber die oͤrt- liche Entwickelung der altchristlichen Kunstideen an genauer und ausfuͤhrlicher Kunde, und es duͤrfte gewagt seyn, vor den Verheerungen des gothischen Krieges, oder vor Einwanderung der Longobarden in Italien , eine andere Entwickelung der Handhabungen, des Geschmackes, des Geistes altchristlicher Kunst anzunehmen, als in den oͤstlichen Provinzen oder im neuen Mittelpuncte des roͤmischen Reiches. Wenn nun auch Italien in Folge erwaͤhnter Ereignisse seit dem sechsten Jahr- hunderte an Bevoͤlkerung und Huͤlfsmitteln verarmte; wenn auch von nun an die Griechen in technischen Vortheilen un- wiederbringlich und fuͤr lange Zeit den Vorsprung gewannen: so war doch damals die Zeit schon laͤngst voruͤber, in welcher die aͤltesten Vorstellungen der christlichen Kunst gleichsam in den antiken Formen wieder ausgegossen, die Figuren noch an- tik gewendet, die Stellungen und Gebehrden, wie endlich selbst der Styl der Darstellung den Gebilden des classischen Alter- thums nicht unaͤhnlich entworfen wurden. Dem roͤmischen Weltreich gehoͤren, wiederhole ich, die aͤltesten Kunstgebilde der Christen; und da diese in beiden Haͤlften der Christenheit, wenn auch mit verschiedenem Erfolge, bis auf sehr neue Zei- ten unablaͤssig nachgebildet worden; so wird das Vorkommen solcher Vorstellungen an und fuͤr sich noch keinen Unterschied begruͤnden koͤnnen. Diesen werden wir vielmehr theils in der Manier aufsuchen muͤssen, in welcher uͤberlieferte Vorstellungen auf der einen Seite von den Griechen, auf der andern von den Italienern nachgeahmt oder neu aufgefaßt wurden, theils in Solchem, so nicht fruͤher, als im Verlaufe des Mittelal- ters, theils im oͤstlichen Reiche, theils in Italien und im Westen uͤberhaupt, ganz von neuem ergriffen, und unter die Gegenstaͤnde bildlicher Darstellungen aufgenommen worden. Versuchen wir zunaͤchst auszumachen, worin die Manier italienischer und griechischer Kuͤnstler sich unterscheide. Bey dieser Untersuchung ist es uns foͤrderlich, daß wir bereits aus einer fruͤheren Darlegung mit der Form bekannt sind, welche die aͤußerste Entartung der Kunstfertigkeiten in Italien ange- nommen; daß wir wissen, wie man in diesem Lande waͤhrend des zwoͤlften Jahrhunderts kaum begonnen, die Umrisse wie- derum zu fuͤllen, sonst des Helldunkels noch durchaus entbehrte, dicke Umrisse sehen ließ, und im Allgemeinen zu einer widri- gen Kuͤrze der Proportion hinuͤberneigte. Wir lernen aus ei- nem Gemaͤlde der oͤffentlichen Gallerie zu Siena , daß diese rohe Manier in Toscana mindestens bis auf das Jahr 1215 noch in Gebrauch gewesen. Auf diesem Gemaͤlde, welches nach dem Katalog der Gallerie, S. 18, in der Kirche S. Salvatore della Berardenga gefunden worden, liest man am Rande: + ANNO DNI MILLESIMO: CC. XV: MENSE NOVEMBRI: HEC. TABVLA. FACTA. EST: In der Mitte der Tafel, welche von maͤßiger Hoͤhe, groͤßerer Breite, sitzt eine flache erhobene Gestalt, welche gleich dem uͤbri- gen uͤbergypst und mit Gold und Farben bemalt ist, Christus in Glorie, an den vier Ecken die bekannten Zeichen der Evan- gelisten; alles in der Anordnung, jenem Blatte des oben be- zeichneten Bibelcodex von Monte Amiata nicht unaͤhnlich. Au- ßerhalb der Glorie liest man: ; — das gegenuͤberstehende Monogramm ist erloschen; die griechische Abkuͤrzung darf uns hier nicht befremden, da sie seit den aͤltesten Zeiten auch in der lateinischen Kirche uͤblich, vielleicht durch ihre fremdartige Erscheinung dunkler und heiliger war Nach den bekannten Monogrammen: A. ☧. Ω. oder . ̄, haben Verschiedene geglaubt, bey italienischen Malereyen ih- ren griechischen Ursprung bestimmen zu koͤnnen. Diese Monogramme und Zeichen waren indeß seit den aͤltesten Zeiten bey lateinischen Inschriften und in anderen Denkmalen des Westens in Gebrauch geblieben, wie man in Ermangelung eigner Anschauung aus Bosio , Boldetti , Ciampini und anderen erlernen kann. — Aus nach- . Zu beiden Seiten dieser, die ganze Hoͤhe der Tafel durchmessenden Gestalt, ist der uͤbrige Raum dreyfach abgetheilt; zur Linken sieht man darauf drey Geschichten, in denen Christus jedesmal am Kreuze; vielleicht sollen diese Bilder verschiedene der Handlun- gen und Reden andeuten, welche, nach den Evangelien, waͤh- rend der Kreuzigung stattgefunden. Zur Rechten blieb mir der Gegenstand der Darstellungen undeutlich; die mittlere ist viel- leicht die Erweckung des Lazarus. In diesem Bilde nun sind die Figuren kurz, die Charak- tere deutlich, aber roh, die Kleidungen groͤßerentheils, wenn wir die mittlere Gestalt ausnehmen, nicht herkoͤmmlich, son- dern barbarisch. Die Arbeit ist sehr unvollkommen, obwohl schon etwas verschmolzener, als jene der Bilder des Gekreu- zigten von jenem umbrischen Meister Alberto; die Umrisse noch immer dunkelfarbig, breit und stark in die Augen fallend; ob- wohl sie in der erhobenen Figur schon mehr untergeordnet worden, als fruͤherhin zu geschehen pflegte. stehendem Beyspiel erhellt, daß solche Abkuͤrzungen haͤufig aus blo- ßer Ehrfurcht vor dem Herkoͤmmlichen, ohne eigentliches Verstaͤnd- niß nachgebildet wurden. In S. Bartolommeo, auf der Tiberinsel zu Rom , befindet sich an der Einfassung des heil. Bruͤnnleins vor dem Hauptaltare ein Christus , als Weltlehrer, von hochmittelalterlichem Ansehen. Im Felde zu beiden Seiten dieser Figur: + OC IPVS was offenbar durch Versetzung der Buchstaben aus XPOC IVS. ent- standen ist, in welcher letzteren Abkuͤrzung die lateinische Endung wiederum aus Mißverstaͤndniß und willkuͤhrlicher Deutung das ge- woͤhnliche ̄. scheint verdraͤngt zu haben. Ein anderes ist es mit dem:  , welches meist auf grie- chischen Ursprung hindeutet, weil die Darstellung selbst neuer ist. Siehe oben. Die barberinische Bibliothek zu Rom bewahrt eine Ab- schrift der Psalmen Davids , welche nach einer Angabe im Buche selbst im Jahre 1177 geschrieben, also jenem Altarge- maͤlde beinahe gleichzeitig ist Barberina codd. gracci. No. 202. . Auch die Schrift, selbst die Goldgruͤnde der Miniaturen, bezeugen dieses fuͤr neugriechische Malerey bereits etwas vorgeruͤckte Alter. Unter den Miniatu- ren sind die beiden ersten minder bedeutend, obwohl der antike Schnitt der Bekleidung von hochalterthuͤmlichem Ursprung zeugt. Das dritte Bild indeß gehoͤrt zu den ausgezeichneteren Denk- malen mittelalterlicher Kunstfertigkeit; die Figur des David , welche das ganze Blatt ausfuͤllt, ist schon an sich selbst sehr lobenswerth, der Kopf aber von großer Schoͤnheit des Charak- ters, von ungemeiner Feinheit in der Ausbildung der Zuͤge. Das vierte Bild, die Anfangsvignette des zweyten Blattes, gehoͤrt wiederum zu den bemerkenswerthesten Proben altchrist- licher Auffassungsart, welche in den griechischen Handschriften so oft in wunderbarer Reinheit hervortritt. David , der koͤnig- liche Saͤnger, in einer aufgeschuͤrzten Tunica mit leicht umge- worfenem Mantel, in einem Haine, neben ihm eine weibliche Figur, beide mit Nimbus versehen; hinten ein Gemaͤuer, uͤber dem eine Figur hervorschaut, gleich als zu horchen. Unten ein Flußgott, dem der Gesang nicht minder suͤß zu lauten scheint. Die aͤußere Erscheinung dieses Bildes ist durchaus antik, die Ausfuͤhrung aber von ungemeiner Feinheit. Das fuͤnfte ist unbedeutend, das sechste, zum Blatte 221, die Er- saͤufung der Aegypter im rothen Meere , zeigt schoͤne Bewegun- gen, gute Gewandmotive, feine Koͤpfe. Doch werden wir bey Anerkennung des verhaͤltnißmaͤßi- gen Kunstwerthes der byzantinischen Arbeiten die Bildnerey, vornehmlich aber einige die Mitte haltende Metallarbeiten, das Niello und den Schmelz, von der Malerey unterscheiden muͤs- sen, welche um diese Zeit sich guͤnstiger zeigt als jene. Aller- dings scheint die Bildnerey im oͤstlichen Reiche minder schnell zum Unbedeutenden und Rohen gesunken zu seyn, als in Ita- lien , wo wir sie bereits seit dem vierten Jahrhundert erloͤschend gesehen. In Constantinopel wurden bis in sehr spaͤte Zeiten herab den Herrschern Heyne , serioris ant. opp. sub Imp. Byz. (Comm. Goett. Vol. XI.) Sect. l. p. 44 ss. und anderen hervorleuchtenden Men- schen Ib. Sect. II. an oͤffentlichen Plaͤtzen Statuen errichtet, uͤber deren Werth oder Unwerth allerdings nicht mehr zu entscheiden ist; doch erwecken die Muͤnzen derselben Zeit, deren Gepraͤge be- kanntlich hoͤchst barbarisch ist, keine ganz vortheilhafte Mei- nung von ihrer Schoͤnheit und Ausbildung. Ein Vorzug indeß blieb den Griechen hoͤchst wahrscheinlich auch in dieser Kunst- art zu eigen; Zierlichkeit nemlich und Nettigkeit der Arbeit. Diese wenigstens fand ich bisher an allen bildnerisch gezierten Altartafeln, Buͤcherdeckeln, Diptychen, welche aus verschiedenen Epochen des griechischen Mittelalters auf Bibliotheken und in Sammlungen bewahrt werden. Als besonders zierlich geschnitzt erschien mir unter diesen jenes mehr beachtete Triptychum des christlichen Musei der Vaticana, welches in Ansehung der In- schriften in reinen, unverzogenen, nicht accentuirten Buchstaben einem aͤlteren Abschnitte der neugriechischen Kunsthistorie bey- zumessen ist. Im Hauptfelde dieses kleinen Werkes, dessen Stoff gutes Elfenbein mit mancherley Vergoldung, sieht man oberwaͤrts Christus als Weltlehrer auf einem schwerfaͤlligen, schon etwas fremdartigen Sessel, dessen reicher Blaͤtterschmuck indeß noch immer antike Vorbilder verraͤth. Die linke Hand ruht auf einem großen Buche, welches bekanntlich schon im Alterthume christlicher Kunst eine feste Bedeutung erhalten; die rechte segnend aus dem Pallium hervorgestreckt, woher jene von Alters her beliebte gerade Falte entsteht, welche wohl aus den Sitten classischer Zeiten ihren Ursprung genommen. In so weit ist alles hochalterthuͤmlich; dagegen haben die beiden erwachsenen Engel hinter dem Throne, mit ihren fein ausge- schnitzten Fluͤgeln, bereits ein mittelalterliches Ansehen. Zu beiden Seiten Johannes der Evangelist, hier baͤrtig, und die Jungfrau in roͤmischer Matronentracht, doch mit vergoldeten Troddeln am Saume des Schleiermantels, die mir sonst nir- gend aufgefallen. Beide Figuren wenden die eine Hand fle- hend zum Heiland, und in diesen und in anderen Extremitaͤ- ten des Werkes zeigt sich, ungewoͤhnlich genug, etwas mehr Feinheit und Regel, als selbst in den Koͤpfen. In die- ser oberen, sich selbst erklaͤrenden Abtheilung finden sich keine Inschriften. Hierauf folgt eine Queerleiste, in welcher fuͤnf Buͤsten in runden, vorspringenden Einfassungen; die eine hat die Bey- schrift: Ⓐͨ ΦΙΛΙΠΠΟϹ. Vier andere Koͤpfe in derselben Hoͤhe an den Seitenfluͤgeln. Darauf endlich ein groͤßeres Feld, in welchem fuͤnf Apostel in typisch-antiker Bekleidung, unter denen der Charakter der Heil. Peter und Paul sehr kenntlich. Diese sind an und fuͤr sich recht schoͤne Figu- ren; ihre Namen stehen im Felde, bey senkrechter Stellung der Buchstaben. Ich uͤbergehe die Gegenstaͤnde der Fluͤgel und Ruͤckseiten dieser kleinen Altarverzierung, weil das Angefuͤhrte hinreichen mag, die Kunststufe zu bezeichnen, welche das Ganze einnimmt, und es wird schon aus diesem Beyspiele deutlich seyn, daß die griechische Bildnerey des Mittelalters, wie sie auch an sich selbst beschraͤnkt und bedingt seyn mochte, doch immer noch sehr weit von der Rohigkeit der italienischen entfernt war, auf welche wir oben einige unwillige Blicke gerichtet haben. Min- der vortheilhaft erscheinen allerdings die Schmelzarbeiten der Griechen, deren wir groͤßere und kleinere die Fuͤlle besitzen. Diese entsprechen jenem Schnitzwerke in einer einzigen Bezie- hung, in der uͤbermaͤßigen Verlaͤngerung der Gestalten, welche, mit Ausnahme einiger Malereyen in Buͤchern, oder des klei- nen Musives im Schatze der Johanniskirche zu Florenz , auf welches wir zuruͤckkommen werden, ein allgemeines Kennzeichen griechisch-mittelalterlicher Kunst ist, ein sicheres Merkmal zu- gleich der Unterscheidung von eigenthuͤmlich Italienischem, wel- ches, wie gezeigt worden, weit uͤber das Moͤgliche hinaus sich zum Kurzen zu neigen pflegt. Die ehernen Thore S. Pauls vor Rom , die aͤhnlichen der Hauptkirche zu Amalfi , welche beide gegen Ende des eilf- ten Jahrhunderts zu Constantinopel angefertigt worden Nach den Inschriften, welche in verschiedenen gelehrten Werken abgedruckt und erlaͤutert worden sind, warden wenigstens jene der Paulskirche im Jahre 1070 angefertigt. , uͤbertreffen an Ausdehnung alle andere Beyspiele jener merk- wuͤrdigen Verbindung der Niello und Schmelzarbeit, welche damals in Griechenland verfertigt, und als Gegenstand der Pracht waarenartig in das westliche Europa eingefuͤhrt wurde. Kleinere Arbeiten dieser Art, welche uͤberall das Gepraͤge des Mittelalters tragen, finden sich haͤufig in den groͤßeren Mu- seen; verschiedene schon in dem mehrgenannten der Vaticana; das Kreuz aus dem Domschatze zu Bamberg S. v. Murr , Beschreibung von Bamberg ; oder die Bol- landisten, vita S. Henrici , wo sogar eine Abbildung, so gut sie ausgefallen. wohl zu Muͤnchen in der Schatzkammer, welche mir niemals zugaͤnglich gewesen; andere sind mir an den Deckeln auch lateinischer Handschriften vorgekommen, vornehmlich, wo der Geschmack in den getriebenen Arbeiten, welche sie an solchen Stellen zu umschließen pflegen, dem neugriechischen verwandt war, wie in dem emmeramischen Evangeliario der koͤn. Bibliothek zu Muͤn- chen , welches Arnulph dem Stifte verehrt haben soll. Andere werden sich an anderen Stellen finden; nirgend aber, wie ich aus den Beyspielen schließe, die mir zu Gesichte gekommen, duͤrfte sich darin einige Spur des feinen Kunstgefuͤhles, der Nettigkeit und Zierlichkeit entdecken lassen, welche die Minia- turen, die Musive, sogar noch die Schnitzwerke des griechischen Mittelalters auszuzeichnen pflegt. Besonders roh ist oder war die Zeichnung der kleinen Figuren an den Thoren S. Pauls, die vielleicht im letzten Brande untergegangen sind, oder schon fruͤher in der Wiederherstellung, welche man beabsichtete, als ich Italien verließ. Die Koͤpfe waren durch Schmelzarbeit ausgefuͤllt, welche, wenn wir sie nach einigen Stellen, an de- nen sie haͤngen geblieben, beurtheilen duͤrfen, durchhin roh und verflossen gewesen, wie an den uͤbrigen mir bekannten Kunstarbeiten dieser Art, Zeit und Gegend. Obwohl diese Koͤpfe schon an sich selbst sehr in die Laͤnge gezogen waren, so mochten doch uͤberall zehn bis dreyzehn Kopflaͤngen auf die Gestalten gehen, welche mithin sogar unter byzantinischen Ar- beiten durch Hagerkeit sich auszeichneten. Wenn wir nun diese roheren Fabrikate ausnehmen, und zugleich von allen bildnerischen Versuchen der Byzantiner im Allgemeinen voraussetzen, daß sie den malerischen durchhin um einige Stufen nachgestanden; so werden wir uns unbedenklich der Bewunderung ihrer aͤlteren Malereyen hingeben koͤnnen. Groͤßere musivische Werke, Wandmalereyen und Tafeln kann ich allerdings nicht anfuͤhren, noch weniger genau bezeichnen; kleinere indeß die Fuͤlle, deren Erhaltung wir hoͤchst wahr- scheinlich nur ihrer Tragbarkeit und Verpflanzung in gesittete Laͤnder zu verdanken haben. Unbedenklich gebe ich unter diesen, da jene Rolle der Vaticana, mit geistreichen Zeichnungen aus der Geschichte des Josua, schon oben beruͤhrt worden, dem musivischen Kalenda- rio den Vorrang, welches gegen Ende des vierzehnten Jahr- hunderts von einer venetianischen Dame, der Wittwe eines byzantinischen Kaͤmmerlings, dem Schatze der Johanniskirche zu Florenz gegen eine ansehnliche Leibrente uͤberlassen wor- den S. Gori , mon. Basil. Bapt. Flor. p. 23. IV. 4. Die Dame hieß Nicoletta de Grionibus . Ihr Gemahl war fruͤher des Joh. Kantacuzenus Kaͤmmerling gewesen. Das Kunstwerk soll er aus der kais. Kapelle empfangen haben, wie man vielleicht nur ins Blaue hinein behauptet. . Es besteht aus zwey kleinen Tafeln von zierlichstem Musiv, welches in aͤsthetischer, wie in kunsthistorischer Bezie- hung fuͤr uns von hoͤchster Wichtigkeit ist. In aͤsthetischer, weil es in solchen Theilen, wo hochalterthuͤmliche Vorbilder dem Kuͤnstler zu Huͤlfe kommen, Vortheile der Anordnung und der Charakteristik zeigt, welche in der neueren Malerey erst erst von Raphael wiederum genutzt, und allerdings uuendlich gefoͤrdert worden. Namentlich in der Wendung der Augen, im Benutzen des weißen Localtons in den Winkeln seitwaͤrts gerichteter Augensterne, ist es dem Kuͤnstler gelungen, Betrof- fenheit, Schauer und innere Bewegung des Gemuͤths bey viel aͤußerer Ruhe auszudruͤcken. In kunsthistorischer und typolo- gischer Beziehung ist es wichtig, theils weil das Kreuz und die Geburt des Heilands, Vorstellungen und Erfindungen bar- barischer Zeiten, den Aufdruck derselben auch hier nicht ver- laͤugnen; theils weil in anderen hochalterthuͤmlichen Vorstel- lungen, etwa in der Wiederbelebung des Lazarus, der allge- meine Charakter bey weitem classischer ist, als irgend in ita- lienischen Denkmalen des vierten und fuͤnften Jahrhunderts; theils endlich, weil die Glorie in der Transfiguration, ich weiß nicht durch welches Mittelglied, dieselbe ist, welche Ra- phael dem Entwurf nach in sein beruͤhmtes Altargemaͤlde aufgenommen. Gori haͤlt dieses Werk in Ansehung seiner freilich nicht so durchgehenden Aehnlichkeit mit dem bekannten Menologio des Basilius Porphyrogennetos , fuͤr Arbeit des zehnten Jahr- hunderts. Wir werden annehmen duͤrfen, es sey unter allen Umstaͤnden nicht so gar viel juͤnger. Denn der Beschlag von getriebenem, vergoldetem Silber ist in einem rohen, zum Orientalischen sich hinneigenden Geschmacke verziert und email- lirt; dieser indeß hat auch im oͤstlichen Reiche schwerlich den vorgothischen und gothischen Baugeschmack uͤberdauert, welcher bekanntlich im dreyzehnten und folgenden Jahrhundert auch in den Orient eingedrungen. Aus dem Alter der Einfassung wuͤrden wir auf ein verhaͤltnißmaͤßiges Alter des Musives zu- ruͤckschließen duͤrfen, da jenes sicher fuͤr dieses gemacht wor- I. 20 den, wohl unter Umstaͤnden neuer, doch gewiß nicht aͤlter ist, als das Werk selbst. Der Gegenstand der einzelnen Darstellungen, welche auf bestimmte Kirchenfeste sich beziehen, ergiebt sich schon aus den elenden Abbildungen bey Gori , aus denen Niemand waͤhne, den Charakter der Arbeit, das Kunstverdienst weder im Allge- meinen, noch in den besonderen Bezeichnungen und Darstel- lungen beurtheilen zu koͤnnen. Wie wollte man darin die wunderbare Schoͤnheit der Gestalt, Bewegung, Gewandung, oder das herrliche Antlitz des Heilandes erkennen, wo er den Lazarus erweckt; oder auch in demselben Bilde die schoͤnen, richtig verstandenen Falten, die ausdrucksvollen Koͤpfe sogar in den minder gelungenen Figuren der Schwestern, welche vor Christus zu Boden fallen? Nur im Bilde des Gekreuzigten duͤrfte jene rohe Nachbildung genuͤgen, um hinreichend darin wahrzunehmen, wie die Griechen diese Vorstellung bey weitem materieller aufgefaßt hatten, als die kunstloseren Italiener; wie sie, an grausame Strafen gewoͤhnt, eben nur das koͤrper- liche Leiden ausdruͤcken wollten durch Senkung des Hauptes, vornehmlich durch seitwaͤrts ausgesenkten, starken, geschwellten Leib, und eben hiedurch ihrem Kruzifix ein widriges und ge- meines Ansehen gaben, welches, wie wir sehen werden, vor- uͤbergehend auch in die italienische Malerey sich eingedraͤngt hat, und dort uͤberall, wo es vorkommt, noch obwaltende Nachahmung byzantinischer Muster beurkundet. Das Menologium des zehnten Jahrhunderts, in der Vaticana, mit welchem Gori das florentinische Kalendarium verglichen, enthaͤlt eine große Zahl vortrefflicher Miniaturen, welche indeß stellenweise, ich weiß nicht zu welcher Zeit, etwas wieder angefrischt worden. Der Aufgabe nach sind diese klei- nen, fleißig ausgefuͤhrten Darstellungen etwas zu gleichartig; in der Zusammenstellung der Henker und Maͤrtyrer, etwa in der Enthauptung der Heil. Eudoxius , Romulus und Anderer, entwickeln die Kuͤnstler indeß hoͤchst wahrscheinlich viel eigene, gewiß nicht ungluͤckliche Erfindung. Die stehende Figur des heil. Gregorius hat einen schoͤnen Kopf, die Wendung des Hauptes in einer anderen, ruhenden Figur ist gut verstanden; die Erzvaͤter Abraham, Isaac und Jacob in antiker Gewan- dung, wohl auch nach altchristlichen Mustern, sind schoͤne Fi- guren, deren Koͤpfe indeß, bis auf den mittleren, stark wie- der aufgefrischt. Auch das architectonische Beywerk neigt sich zum Antiken, woraus indeß nicht wohl auf den Zustand der Baukunst jener Zeiten zuruͤckzuschließen ist. An dieses Werk schließt sich, dem Verdienste nach, eine Handschrift des eilften Jahrhunderts Bibl. Medic. Laurentiana. Plut. V. Cod. IX. catena in IV. Prophetas majores. , in welcher miniirte Bilder, unter denen der Prophet Jeremias schon vor Jahren einer Abhandlung beygegeben worden, welche die Grundzuͤge der vorliegenden in sich einschließt Kunstblatt, 1821, No. 7. . Diese Figur ist, eben wie die seitwaͤrts angedeutete des Heilandes, dem Entwurf nach altchristlich; doch offenbar Copie nach Copieen, da sowohl im Gefaͤlte, als in den Fuͤßen und Haͤnden viel urspruͤnglich richtige Andeutungen durch mechanische Umbildungen entstellt sind. Bemerkenswerth ist in dieser Malerey der ganz gleiche, stark vergoldete Grund, der Rand, dessen Zeichnung classische Erinnerungen, dessen buntfarbige Ausfuͤhrung aber, mit dem Goldgrunde zusammengehalten, von orientalischer Lust an Glanz 20 * und Buntheit zu zeugen scheint. In einer anderen Handschrift derselben Sammlung Laurent. Plut. V. No. 38. biblia, graece. , welche um etwas aͤlter zu seyn scheint, als jene, befinden sich verschiedene Miniaturen von geringer Ausdehnung, unter denen ich die vordere, Gott den Vater, der das Licht in die Finsterniß sendet, ebenfalls in einer ziemlich zutreffenden Abbildung bekannt gemacht Kunstblatt, 1821. . Auf dem vierten Blatte des Codex sieht man ein anderes Bild, die Erschaffung der ersten Menschen, in zwey uͤberein- ander stehenden Abtheilungen, auf goldenem Felde. Auch diese Gebilde scheinen in anderen und besseren Zeiten entworfen zu seyn, da die Ausfuͤhrung der Idee nicht durchhin entspricht. Der Suͤndenfall, auf dem sechsten Blatte, ist so beschaͤdigt, daß man daran kaum mehr, als die symbolischen Fluͤsse erkennt. In derselben Sammlung finden sich andere griechische, wohl ausgezierte Handschriften; unter diesen ein Codex der Evangelien in großen, hie und da verschlungenen Charakteren, den Bandini ins eilfte Jahrhundert versetzt, Lami hingegen fuͤr Arbeit des neunten oder zehnten haͤlt Lami , de erud. Apostolor. ed. vet. Flor. 1766. 4. p. 793. . Die Minia- turen dieser Handschrift sind ausgezeichnet. Auf dem ersten Blatte sitzt Johannes der Evangelist auf einem Sessel von uͤberladener Form; Sitz und Stellung bequem; die Gewan- dung gut entworfen, doch mager ausgefuͤhrt. Der Charakter des aus dem Bilde herausgewendeten Antlitzes ist schoͤn, der Blick begeistert, die Bezeichnung der Zuͤge wohlverstanden. Auf dem zweyten Blatte befindet sich eine seltsam pedantische Vorstellung, deren Erfindung offenbar dem griechischen Mittel- alter angehoͤrt. Jesus nemlich, der sehr magistralisch an sei- nem Pulte steht, belehret, aus einem aufgeschlagenen Buche die Apostel, an deren Spitze Petrus und Paulus . Der Ent- wurf des Gewandes ist in diesem Stuͤcke durchhin gut; die Charaktere der Apostel sind schoͤn, ihre Gestalten indeß sehr duͤrre und schlecht ausgefuͤhrt. Sie tragen weiße Schweißtuͤ- cher um den Hals, was ihr gutes Ansehen nicht eben erhoͤht. Jesus wird uns durch den Nimbus und das gewoͤhnliche I̅C.̅ X̅C.̅ bezeichnet; die Apostel haben indeß weder Nimbus noch Schrift. Das Verkuͤmmerte und Pedantische in der Auffassung dieses Bildes erklaͤrt sich wohl daher, daß bey den Griechen vornehmlich Moͤnche die kirchliche Malerey zu betreiben pfleg- ten. Auf dem dritten Blatte ist Matthaͤus , ein schoͤner, treuer Charakter; das vierte Blatt, auf welchem der heil. Lucas , ist minder gerathen, die Gestalt verbogen, die Ausfuͤhrung fast verkruͤppelt. Waͤre dieses Bild etwa von anderer Hand? — Auch in diesen Darstellungen giebt Buntheit und Flachheit der Behandlung den Randverzierungen, obwohl sie aus antiken Zuͤgen entstanden sind, ein etwas morgenlaͤndisches Ansehen Meine Aufgabe ist die Beleuchtung der italienischen Kunst- historie; wer die griechische des hoͤheren Mittelalters ausfuͤhren wollte, wuͤrde seine Forschungen weiter ausdehnen muͤssen, als ich selbst bezweckt und erreicht habe. Doch zeigt es sich schon in den Zusammenstellungen von Quellen und Auszuͤgen bey Banduri , im- perium orient. sive antt. Constantin . etc. Venet. 1729. T. II. und bey Du Cange , hist. Byzant. II.; oder bey Heyne ( comm. Goett. Vol. XI. ), der jene in Bezug auf bildende Kuͤnste ausgezogen, und bey Gibbon und Schlosser , a. a. O., welche letzte vornehmlich die Architectur und staͤdtische Anlagen beruͤcksichtigt haben; daß, technisch angesehen, die Kunstuͤbung bey den Griechen ungleich mehr befoͤrdert wurde, als, bis zum Jahre 1200, irgendwo in der ganzen Ausdehnung des Abendlandes. Daher die Bewunderung, . Ueberhaupt war, wie wir nicht uͤbersehen duͤrfen, dasselbe Volk, an dessen technischer Ueberlegenheit die aufstrebende Kunst des neueren Italiens eine so maͤchtige Stuͤtze gefunden, doch in Hinsicht auf seine sittlich-geistige Entwickelung ein barbarisches. Seine technische Ueberlegenheit beruhete nicht sowohl auf thaͤtigem Streben nach Vollendung, als vielmehr auf dem zufaͤlligen Umstande, daß im oͤstlichen Reiche das staͤdtische Leben sich erhalten, und unablaͤssig Reibungen und Aufmunterungen des Kunstfleißes hervorgerufen hatte, welche im Westen nicht stattfinden konnten, nachdem germanische Ein- wanderer dort uͤberall laͤndliche Sitten verbreitet hatten, wo- durch auch solche Staͤdte, deren Staͤtte bewohnt geblieben, all- gemach ihre Bedeutung einbuͤßten. Zudem blieb den griechi- schen Kuͤnstlern, bey groͤßerem Reichthum an Vorbildern, oder an Gegenstaͤnden der aͤußerlichsten Nachahmung, mehr Wahl, mithin, wenn auch nicht eben die Lust und Faͤhigkeit eigener Erfindung, doch mindestens die Moͤglichkeit, schon Vorhande- nes umzustellen und Getrenntes neu zu vereinigen. Doch, wo es galt, in der Wirklichkeit fuͤr neue Vorstellungen neue Ty- pen aufzufinden, oder in aͤußeren Verzierungen, Einfassungen oder Gruͤnden der Bilder eigene Wahl und Erfindung zu zei- gen, verraͤth sich uͤberall in ihren Arbeiten die Huͤlflosigkeit ihres Geistes, die Rohigkeit ihres Geschmackes. Die Charak- tere mittelalterlicher Heiligen sind in ihren Gemaͤlden durchge- mit welcher die westlichen Europaͤer, im fruͤheren Mittelalter, den Glanz und die Kunstgeschicklichkeit der Byzantiner zu betrachten pflegten; z. B. Luitprand bey Muratori an bekannten, oft an- gezogenen Stellen seines Gesandtschaftsberichtes; spaͤter wieder, unter den Zeugen der Eroberung von Constantinopel , Villehar- douin , den ich in der nachfolgenden Untersuchung benutzen werde. hend grell und leer, die Bekleidungen verunstaltet durch Ge- haͤnge von Schmuck und Gewand, welche schon seit dem sechsten Jahrhundert in die Lebenssitten der neueren Griechen, wohl aus dem nahen Orient , sich eingedraͤngt haben. Die Handlungen und Zusammenstellungen, welche spaͤt, in schon barbarischen Zeiten, in den christlichen Bilderkreis eingeruͤckt worden, das Kruzifix, die Jungfrau mit dem Kinde und an- dere, sind durchhin von allem Geist und Gefuͤhl entbloͤßt, und, aͤußerlich angesehen, auch voͤllig geschmacklos. — Merkwuͤr- dig ist es, daß unter den spaͤteren Erfindungen die Auffassung des Anachoretenlebens naiv und geistreich. Die griechischen Kuͤnstler dieser Zeit waren groͤßtentheils Moͤnche, und zwar Moͤnche mit Leib und Seele S. im vaticanischen Museo die Tafel, mit Ueberschrift: Deposizione di S. Efrem Siro. — Das Vorbild Lorenzetti’s . Es wird noch immer mit großer Treue wiederholt — Durchzeichnungen des Barons Stackelberg . . Demnach unterscheidet sich die Malerey des griechischen Mittelalters, vornehmlich der Epoche vom neunten bis zum Anfang des dreyzehnten Jahrhunderts, von der Malerey gleich- zeitiger Italiener zunaͤchst durch bessere Ausfuͤhrung, reichhalti- gere Vorbilder, mithin durch wirkliche Vorzuͤge des Gehaltes, wie der Technik; ferner durch eigenthuͤmlich Barbarisches in Verzierungen und Bekleidungen, in Sitten und Gewoͤhnungen der Griechen des Mittelalters. Aber auch in technischen Vor- theilen, durch die Stoffe, mit denen gemalt oder die Farbe vermischt und gebunden ward, unterschied sich die griechische Malerey von der italienischen. Bis auf Giunta und andere Nachahmer der Griechen bedienten sich die Italiener eines hel- len, auf die Farbe nicht einwirkenden Bindemittels; vielleicht schon damals der Milch unreifer Feigen und anderer minder oͤligen Leime. Die Tafeln, welche in griechischer Manier aus- gefuͤhrt worden, sey es von den Griechen selbst, oder von ih- ren italienischen Nachahmern, neigen sich dahingegen uͤberall zu einem dunkleren, gelblichen Hauptton, welches nicht durch- hin aus den Wirkungen des Lampenrauches zu erklaͤren ist. Diese Wahrnehmung und die Zweifel, welche sie hervorrief, bewogen den Morrona , verschiedene alte Malereyen zu be- schaͤdigen, und ihre Truͤmmer, was ihm die Geschichte ihrer selbst willen verzeihen moͤge, einer chemischen Analyse zu un- terwerfen Morrona , Pisa illustrata, To. II. Ed. sec. Capit. IV. §. 3. . Aus dieser Scheidung, deren Genauigkeit wir nicht verbuͤrgen koͤnnen, ging ein Stoff hervor, den Branchi , der Scheidekuͤnstler, fuͤr Wachs hielt; woraus zu folgen scheint, daß in der Malerey der Griechen einige Kunstvortheile und Handgriffe des hoͤchsten Alterthums sich erhalten haben, welche in Italien waͤhrend des Mittelalters sicher verloren worden. Auf welche Weise indeß dieses dichtere, doch immer noch pro- blematische Bindemittel von neueren Griechen verwendet wor- den, ob durch Mischung mit den Farben, oder durch aͤußeren Ueberzug, duͤrfte nicht so leicht zu entscheiden seyn. Genug daß solches in Gebrauch war, und durch den gelblich-gruͤnli- chen, verdunkelnden Ton, den es uͤber die Tafeln verbreitete, eines der Merkmale erzeugte, aus denen wir bey italienischen Malereyen mit Sicherheit auf Schule oder Nachahmung neu- griechischer Meister schließen duͤrfen. Ein nicht minder sicheres Kennzeichen griechischer Schule oder Nachahmung gewaͤhren bey italienischen Denkmalen des dreyzehnten Jahrhunderts die vergoldeten Gruͤnde der Tafeln. Schon die Alten wuͤrdigten die schoͤne Wirkung, welche aufgetragenes Gold vornehmlich bey kuͤnstlicher Beleuchtung hervorbringt; wer entsaͤnne sich nicht, in einem Zimmer unter den farnesischen Gaͤrten, der leichten, braͤunlich auf weißem Grunde gemalten Verzierungen mit leicht aufgehoͤheten goldenen Lich- tern? Goldene Flaͤchen indeß duͤrften sie in farbigen Male- reyen vermieden haben, weil sie in der That geschmacklos sind, durch ihren Glanz das Auge blenden, die farbigen Stel- len verdunkeln. Sogar in den christlichen Musivmalereyen aͤlterer Zeiten giebt es entweder ganz weiße Gruͤnde, wie in Sta. Constanza bey Rom , oder in der Umhalle von S. Mar- cus zu Venedig , oder doch nur goldene Lichter in Wolken und Gewaͤndern, wie im mehrberuͤhrten Musiv der Kirche S. Cos- mas und Damianus am roͤmischen Forum. Noch spaͤter ver- schwindet der Gebrauch des Goldes immer mehr aus den ita- lischen, besonders aus den roͤmischen Musiven; sogar der Nimbus der Heiligen wird, wie ich verschiedentlich angemerkt, durch einen farbigen Reif angedeutet, oder auch durch eine mehrfarbige Scheibe. Gleichzeitig findet sich auch in den Mi- niaturen lateinischer, besonders italienischer Handschriften keine Spur des Gebrauches, in Gold zu verzieren, geschweige denn goldene Flaͤchen anzubringen. Vielleicht fand man daran kei- nen Geschmack; wahrscheinlicher indeß hatten sich damals, bey erdenklichstem Ungeschick, die Kunstgriffe verloren, durch welche das Gold auf Glasstifte eingeschmelzt, auf Pergament und andere Gruͤnde befestigt wird S. die griechischen Kunstworte: Chrysocollon, Chrysogra- phia, in jenem alten Buche zu Lucca (bey Murat. antt. It. Diss. 24.). . Die Byzantiner dagegen bewahrten nicht allein jenen wei- seren Gebrauch des Goldes, der aus einem hoͤheren, kunst- geuͤbteren Alterthume auf sie uͤbergegangen; sie vermehrten ihn sogar uͤber alles Maß und Ziel hinaus. Schon unter Justi- nian , uͤber dessen Bauwerke umstaͤndliche Nachrichten sich er- halten haben, vergoldete man in der Musivmalerey weite Flaͤ- chen; aus den Beschreibungen spaͤterer Bauwerke, welche frei- lich minder ausfuͤhrlich sind, duͤrfen wir schließen, daß der Geschmack an dem Schimmer der Vergoldungen mit den Jahrhunderten zugenommen. Nicht minder zeigen sich die Goldflaͤchen schon fruͤh in den Miniaturmalereyen; ich habe sie bereits sogar in vortrefflichen des zehnten bis zwoͤlften Jahr- hunderts nachgewiesen. In Italien indeß zeigt er sich zugleich mit anderen Eigenthuͤmlichkeiten der byzantinischen Malerey nicht fruͤher, als zu Anfang des dreyzehnten Jahrhunderts. Erinnern wir uns, gelegentlich dieser ganz technischen Ei- genthuͤmlichkeiten, an die mehr angedeutete Neigung neugrie- chischer Kuͤnstler zum Verlaͤngerten und Hagern der Verhaͤlt- nisse, besonders menschlicher Gestalten; so haͤtten wir nunmehr alle Merkmale uͤbersehen und vereint, welche uns behuͤlflich seyn koͤnnen, dem Einfluß der griechischen Malerey auf die italienische nachzuspuͤren, die Zeit, da er eingetreten, die Wir- kung, die er hervorgebracht, aus Denkmalen zu bestimmen. Ueberall, wo die Weltereignisse der Forschung minder deutlich entgegentreten, bewirken sie Befremdung; woher sich erklaͤrt, daß auch der byzantinische Einfluß Vielen, bey unge- wisser Kunde, geheimnißvoll und seltsam erschienen S. Notizen der goͤthischen Schreibtafel, uͤber Kunst und Alterthum, Bd. V. Hft. 1. Historisch sind sie werthlos. . Indeß ist nicht sowohl dieses auffallend, daß byzantinische Sitten, Gewoͤhnungen und Kunstfertigkeiten jemals in Italien einge- drungen, als vielmehr, daß solches so spaͤt geschehen, als wir sehen werden. Blieb doch Italien bis auf das eilfte Jahr- hundert durch politische Verhaͤltnisse, spaͤter durch den lebhaf- testen Handel mit dem oͤstlichen Reiche eng verbunden; betrug doch der Abstand sogar fuͤr damalige Schifffahrt an vielen Puncten nur einzelne Tagereisen. Allein in sittlichen Dingen beruhet jeglicher Einfluß nicht bloß auf der ausstroͤmenden Wirkung, welche in dem Verhaͤltniß, welches uns beschaͤftigt, sicher unausgesetzt stattgefunden; vielmehr besonders auf Em- pfaͤnglichkeit, welche den Italienern bis gegen Ende des zwoͤlf- ten Jahrhunderts nun einmal durchaus gefehlt hat. Zu verschiedenen Zeiten finden sich Spuren von Verbrei- tung byzantinischer Kunstarbeiten und Fabrikate Vielleicht dient es, hier an eine etwas neuere Begebenheit zu erinnern, Witechind. ann. lib. III. (ed. Meibom . p. 659.). — „ Otto (I.) legatos suscipit Romanor. Graecor. Saracenorumque, per cosque dies diversi generis munera, vasa aurea et argentea, ae- rea quoque et mira varietate operis distincta vitrea, vasa eburnea etiam etc.“ — , von Ver- setzung einzelner Kuͤnstlercolonieen in den Westen. Der Kunst- geschenke Kaiser Tibers an Chilperich , Koͤnig der Franken, habe ich oben erwaͤhnt; Verwendung byzantinischer Goldarbei- ten zum Schmucke roͤmischer Kirchen, Verpflanzung byzantini- schen Kunstfleißes nach Neapel habe ich an derselben Stelle aus Anastasius nachgewiesen Griechische Kunstworte, bey Muratori ( antt. It. Diss. 24.), in jenem Codex des Domes zu Lucca , wo die Bezeichnungen: Chrysocollon, Chrysographia. — Obwohl solche Worte nicht eben nothwendig in einer bestimmten Epoche des Mittelalters in das Latein damaliger Zeiten sich eingedraͤngt haben muͤssen, da sie sehr ; hier, wie in Amalfi und Gaeta , laͤßt sich bis zum eilften Jahrhundert griechische Sitte und Betriebsamkeit voraussetzen, deren Spuren Siehe die vorhandenen Notizen bey Lanzi , stor. pitt. T. 1. p. 579. der aͤlteren Ausgabe, und bey Fiorillo , Gesch. d. z. K. Th. I. S. 75. und II. S. 739. 40. — Es hat mir selbst an Gelegenheit gefehlt, diese rohen Andeutungen zu pruͤfen oder mehr ins Einzelne auszubilden. freilich ver- wischt sind. Auf der anderen Seite der Halbinsel, zu Vene- dig , dessen Verbindung mit dem oͤstlichen Reiche dauernder war, dessen aͤltere Geschichte minder dunkel ist, will man in den bildenden Kuͤnsten den Einfluß griechischer Schule sehr weit ruͤckwaͤrts verfolgen; doch fehlt es uns an einer gruͤndli- chen Beleuchtung der aͤlteren Kunstgeschichte Venedigs , in wel- cher Zannetti vorsaͤtzlich oberflaͤchlich ist Zannetti , della pittura Veneziana etc. libri V. Venez. 1771. 8. p. 2. ; so wie es an- dererseits den Topographen dieser herrlichen Stadt an kritischem Blick und historischer Kunstkenntniß gefehlt Sie wurden benutzt von Fiorillo , Gesch. d. z. K. II. S. 5 ff. und von Hrn. v. d. Hagen a. a. O. Bd. II. S. 116 ff. — Die Berichte des letzten sind ungemein belehrend; der Gegen- stand indeß nicht so leicht zu erschoͤpfen. . Allein auch in Deutschland finden sich Spuren byzantinischer Einwirkung, und zwar, nicht unter Otto II. , wo man sie zu vermuthen geneigt ist, weil dieser Herr bekanntlich mit einer griechischen Prinzessin vermaͤhlt war, sondern unter der spaͤteren Regierung wohl schon in aͤlteren Zeiten koͤnnten aufgenommen seyn. So fin- det sich das Wort icon schon bey Anastasius , woher das venezia- nische anchona, welches aus dem aͤltesten Sprachgebrauche italieni- scher Kuͤstenbewohner moͤchte entsprungen seyn, und nicht eben nothwendig, wie Neuere angenommen haben, aus den spaͤteren Be- ruͤhrungen der Venezianer und Griechen. Heinrichs II. Des emaillirten Kreuzes, welches vordem zu Bamberg bewahrt wurde, habe ich bereits erwaͤhnt; doch als Kunstwerk betrachtet, ist ein groͤßeres, in Cypressenholz ge- schnitztes Kruzifix, uͤber dem Altare der westlichen Tribune, ungleich wichtiger, als jene Handelsarbeit. Dieses Bild, wel- ches mir noch lebhaft vorschwebt, hat allerdings eine gerade Haltung, unterscheidet sich mithin von den gemalten Bildern des Gekreuzigten, welche ich oben bezeichnet habe. Demun- geachtet halte ich es, in Ansehung der edlen Ausbildung des Kopfes, der magern Behandlung des Gefaͤltes, ebensowohl fuͤr griechische oder graͤcisirende Arbeit, als die halberhobenen Dar- stellungen uͤber den beiden Seitenthoren des Domes, deren magere Zierlichkeit, deren verlaͤngerte Proportionen in anderen deutschen Bildnereyen nirgend vorkommen. Auch die Minia- turen der bambergischen Evangelien in der koͤn. Bibliothek zu Muͤnchen , unter denen das Bildniß Heinrichs II. , zeigen, ge- gegen karolingische gehalten, Annaͤherung an die griechische Manier und Farbenwahl Crammer , vita S. Henrici , lib. II. cap. V. §. VI. glaubt auch in den Siegeln Heinrichs II. byzantinische Hoheitssymbole wahrzunehmen. . Diese gewiß sehr beachtenswerthe Erscheinung wird leider, so viel mir bekannt ist, durch keine Berichte von Zeitgenossen naͤher bestimmt und eroͤrtert; eben so wenig entdeckte ich, ob sie unter den deutschen Kuͤnstlern dieser und folgender Zeiten einige Wirkung hervorgebracht, einen dauernden Eindruck zu- ruͤckgelassen. Wahrscheinlich indeß verlor sich diese deutsch-by- zantinische Schule, eben wie jene andere zu Monte-Cassino S. oben, zu Anfang dieser Untersuchung. Fiorillo frei- lich, Gesch. d. z. K. Thl. II. S. 745 f., stempelt die Musaicisten , unmittelbar nach ihrer Stiftung unter den eigenthuͤmlichen Schulen des Landes. In Bezug auf die letzte draͤngt sich al- lerdings die Vermuthung ein, daß Desiderius , der Goͤnner jener griechischen Musaicisten, nachdem er unter dem Namen Victor III. auf den paͤpstlichen Stuhl erhoben worden, die Neigung zur Kunstbefoͤrderung in seinen neuen Stand hinuͤber genommen, und die Kuͤnstler, welche er selbst herbeygezogen oder sich herangebildet, auch zu Rom habe arbeiten lassen, wo des Leo zu bloßen Fußbodenarbeitern, worin er indeß italienischen Forschern, welche in dieser Untersuchung zwecklos partheylich, und daher nicht durchhin glaubwuͤrdig sind, ganz blindlings nachfolgt. Der Gang ihrer Folgerung ist dieser: „Die Berufung der griechi- schen Musaicisten werde in der Chronik von Montecassino (?) nur gelegentlich des Vorhofes der Kirche erwaͤhnt (den sie auch nach Leo von Ostia verziert haben); in der alten Beschreibung des Klo- sters la Cava sey nur gelegentlich eines Fußbodens von griechischen Arbeitern die Rede: folglich haben die Griechen des Leo keine an- dere Arbeit verstanden, als Fußboͤden auszulegen.“ — War aber, angenommen, daß jene Angaben richtig waͤren, im Vorhofe zu Monte-Cassino kein anderer Raum fuͤr musivische Malerey em- pfaͤnglich, als der Fußboden? War es nicht allgemeiner Gebrauch, die Außenseiten der Kirchen musivisch zu verzieren? Und, wenn wirklich in la Cava eben nur ein Fußboden griechische Arbeit war, folgt daraus so nothwendig, daß auch im Vorhofe von Montecas- sino nur der Boden von griechischer Hand gewesen? — Doch wird man entweder zu erweisen haben, daß Leo , dessen Angaben so um- staͤndlich sind, ein Luͤgner und Aufschneider gewesen, oder ihm glauben, wo er meldet, daß seine Griechen in der Kirche zu Mon- tecassino die Tribune und den Bogen daruͤber ( apsidam et arcum ) musivisch ausgemalt haben. So unglaubwuͤrdig wuͤrde den Ge- waͤhrsleuten des Fiorillo diese Angabe nicht erschienen seyn, waͤre ihnen die mittlere Kunstgeschichte etwas umstaͤndlicher bekannt ge- wesen; haͤtten sie gewußt, wie niedrig die Kunststufe damaliger Italiener, wie hoch verhaͤltnißmaͤßig die Geschicklichkeit gleichzeiti- ger Griechen stand. ich bisweilen unter den Denkmalen dunkler Zeiten einige Spu- ren griechischer Schule wahrzunehmen glaubte. So scheint mir noch immer die eigenthuͤmliche Anordnung und Hagerkeit der Figuren eines laͤngst untergegangenen Musives, auf wel- chem Calixtus II. und Anastasius IV. neben anderen Figuren, in den Abbildungen S. Muratori , scriptt. T. III. ad pag. 417. , welche freilich minder genau seyn koͤnnten, griechischen Ursprung zu verrathen. Ferner moͤchte das Musiv uͤber dem Hauptaltare der Kirche S. Clemente zu Rom , uͤber dessen Stiftung ich bekenne, nicht unterrichtet zu seyn, recht wohl fuͤr eine Nachahmung der Musive zu Mon- tecassino gelten koͤnnen, so lange das Gegentheil nicht urkund- lich zu erweisen ist. Denn, bey damaligem Vorwalten des Architectonischen, duͤrfen wir schließen, daß die Thiere, Pflan- zen und Blumen, von denen Leo erzaͤhlt Leo Ostiensis, l. c. — „quum et in Musivo animatas fe- ras autumet quisque figuratas, et quaeque virentia cernere, et in marmoribus omnigenum colorum flores pulcra putet diversitate vernare.“ , gleichwie in dem Musiv von S. Clemente, in Geschlinge und Verzierungen verflochten waren. Auch eine Madonna, von zwey Engeln umgeben, welche Kandelaber halten, uͤber einer Seitenthuͤre der Kirche Ara Celi auf dem Kapitol zu Rom , erscheint mir, in Ansehung ihrer guten musivischen Zusammensetzung, ihrer Hinneigung zu einiger Schoͤnheit der Umrisse, bey uͤbrigens unausgebildeter Modellirung, als ein Werk fruͤher, durch grie- chische Muster verfeinerter Italiener. Die griechische Abkunft verraͤth sich theils in den kleineren, schaͤrfer ausgekanteten Glaswuͤrfeln des Musives, theils auch in dem Monogramme M̅P̅. Θ̅ϒ̅. Ich habe oben aͤltere, rohere, ganz italienische Madonnen nachgewiesen, welche im Felde die Aufschrift: M̅. C̅. (Mater Christi) haben, und wiederholt erinnert, daß jene griechische Beyschrift, in italienischen Bildern der Madonna, auf griechische Abkunft verweise. Diese ungewissen Spuren der Fortpflanzung griechischer Vorstellungen und Handgriffe der Kunst verlieren sich indeß, gleich den Nachwirkungen fruͤherer Ereignisse derselben Art und Abkunft, unter den sicheren Beyspielen eigenthuͤmlich italieni- scher Barbarey, deren wir uns aus einer vorangehenden Un- tersuchung Abh. No. V. entsinnen. Es fehlte den Italienern bis um das Jahr 1200 an Empfaͤnglichkeit und Sinn, einestheils fuͤr Gediegenheit der Arbeit, anderntheils fuͤr die innere Bedeutung organischer Bildungen; ehe diese von neuem geweckt worden, durch Umstaͤnde, welche der allgemeinen Geschichte angehoͤren, deren Entwickelung wir mithin an dieser Stelle uͤbergehen duͤr- fen, vermochte das Musterhafte und Nachahmenswerthe der griechischen Kuͤnstler in Italien keinen dauernden Eindruck zu bewirken. Doch, ehe wir daran gehen, die Denkmale naͤher zu be- zeichnen, an denen wir einestheils die Beschaffenheit und den eigentlichen Zweck der italienischen Nachahmung griechischer Kunstmanieren und Vorbilder, anderntheils die Zeit nachweisen koͤnnen, in welcher jene eingetreten ist, werden wir uns mit den erheblichsten unter den mancherley oberflaͤchlichen Auffas- sungen und Deutungen ausgleichen muͤssen, vermoͤge deren die Kunstgelehrten versucht haben, die inneren Widerspruͤche in den oben beruͤhrten Angaben des Vasari in Uebereinstimmung zu bringen. Den Den Gelehrten (nicht Kuͤnstlern oder Liebhabern der Lite- ratur), welche diese Ausgleichung versucht haben, ging der be- ruͤhmte Joh. Lami voran, in seiner Abhandlung Lami , Dr. Gio , Diss. relativa ai pittori e scultori Italiani, che fiorirono dal 1000 al 1300. Wieder abgedruckt mit Bemerkun- gen des Abb é Fontana im Anhang zu: Trattato di Lionardo da Vinci , Firenze 1792. in 4. uͤber das Voralter neuer italienischer Kunst. Dieser treffliche und unbe- fangene Beobachter, dem zufaͤllig die Merkmale mittelalterlich griechischer Kunstversuche genauer bekannt waren, als die Kenn- zeichen der gleichzeitigen italienischen, ist unter den italienischen Forschern, meines Wissens, der einzige, dem die Vorzuͤge der er- sten nicht entgangen sind. „Die griechischen Miniaturen des eilften Jahrhunderts,“ sagt er Id. Ib. p. LXII s. , „in den biblischen Hand- schriften der Laurentiana, oder unserer (der florentinischen) Ab- tey Diese sind in den neueren Zeiten der Laurentiana groͤße- rentheils einverleibt worden. , uͤbertreffen vielleicht jene des Oderigi von Gubbio und des Franco von Bologna , welche zu Anfang des vierzehn- ten Jahrhunderts gebluͤht haben, und von unserem Dante gepriesen werden. Die Marchese Riccardi besitzen einige grie- chische Diptycha von Elfenbein, welche sehr beachtenswerthe Arbeit zeigen, und einen heil. Stephanus in Bronze, von grie- chischer Arbeit, welcher sehr schoͤn ist; allem Ansehen nach sind diese Werke aͤlter, als das Jahr Eintausend.“ Doch hatte derselbe Gelehrte eine zu guͤnstige Meinung von den Arbeiten der italienischen Maler derselben Epoche, welche vorehmlich darauf gegruͤndet war, daß er die Malereyen am Bigallo zu Florenz , uͤber welche die Zahlungspartiten an Piero Chellini , I. 21 einen Maler des funfzehnten, noch immer vorhanden sind, fuͤr ein Werk des dreyzehnten Jahrhunderts ansah Lami , l. c. p. LXX. . Daher wahrscheinlich erschien es ihm seltsam, daß griechische Vorbil- bilder , oder gar griechische Manier Ders. das. p. LXII. vergleicht den Ausdruck: griechische Manier , den er sehr unpassend findet, mit dem wirklich nicht zutreffenden: gothische Architectur . Gewiß hat man jenen Ausdruck, wenigstens in Italien , sehr mißbraucht, weil man uͤber- haupt nicht wußte, was denn das Unterscheidende der griechischen Kunstuͤbung gewesen. Die aͤlteren Schriftsteller wissen indeß recht wohl, was griechische Manier sey; und jener Vergleich ist schon deshalb nicht zulaͤssig, weil die Griechen des Mittelalters wirklich eine eigenthuͤmliche Kunstmanier besessen, die Gothen aber, wie neuere Urtersuchungen außer Zweifel setzen, nur etwa der roͤmisch- italienischen des vierten und fuͤnften Jahrhunderts sich angeschlos- sen haben. , je in Italien Eingang gefunden. Die Behauptung, daß in Italien jemals die Ge- wohnheit, Heilige zu bilden oder zu malen, unterbrochen, oder, daß alle Bilder des hoͤheren Mittelalters, wie Baldinucci gemeint, griechische Arbeit gewesen, erschien dem historisch ge- lehrten Forscher nothwendig als ein armseliger Behelf unwis- sender Schwaͤtzer Er hatte schon in den novelle letterarie, 1767. in ver- schiedenen Stuͤcken gezeigt, daß man in Italien jederzeit seine Hei- ligen gemalt habe. . Auf der anderen Seite blieb ihm der Grund verborgen, weshalb man die Griechen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zu Vorbildern erwaͤhlt hatte. Auf diese Weise ließ er sich verleiten, den naiven und zutreffenden Aus- druck des Cennino Bibl. Mediceo-Laur. Plut. 78. cod. 23. No. 2. p. 2. S. meine Nachrichten uͤber dieses Werk, den Abdruck der angef. Stelle, , „daß Giotto die Malerey aus dem Griechischen ins Lateinische abgeaͤndert habe,“ eben nur, weil er ihn aus obigen Gruͤnden mißverstanden, auch dem Sinne nach fuͤr seltsam und abgeschmackt Lami , l. c. p. LVII. — „come se ne avesse fatta una tal qual traduzione.“ — Cennino sagt: rimutò l’arte di Greco in Latino. Der Ausdruck ist allerdings ungewoͤhnlich, doch verstaͤndlich und passend. zu erklaͤren. Er haͤtte diesen Ausdruck verstehen muͤssen, da ihm gewiß bekannt war, wie lange in den Schriften des Mittelalters lateinisch so viel sagte, als italienisch; wie denn der daher fließende Gegensatz der lateinischen und griechischen Kirche noch in unsern Tagen in Kraft ist. Doch war Lami in dem Irrthum befangen, daß Cennino unter aͤlteren Schriftstellern fuͤr den Einfluß der Griechen der einzige Zeuge sey l. c. p. c. . Es war ihm unbe- kannt, daß auch Ghiberti , dessen Werk er nicht gelesen hatte, von Cimabue sagt, daß er die „griechische Malart aus- uͤbte, welche dazumal in Toscana in großem Ruhme stand Ghiberti , cod. cit. p. 7 a tergo — Giotto — fu disce- polo di Cimabue , (che) tenea la maniera Graeca, in quella ma- niera, (che) ebbe in Etruria grandissima fama . ; von Duccio von Siena , daß er in griechischer Manier gemalt habe,“ in Worten, welche ich bereits angefuͤhrt habe. Noch einen dritten Zeugen koͤnnte ich herbeyziehen, den Lami bey dieser Untersuchung wohl uͤbersehen mußte; den Gobelinus Persona , einen deutschen Praͤlaten, welcher zu Anfang des funfzehnten Jahrhunderts oder zu Ende des vorangehenden Italien besucht hatte. Dieser mehrseitig gebildete Mann, uͤber dessen Leben Maiboms Vorrede einzusehen, erwaͤhnt von die Anzeige der mittelmaͤßigen Ausgabe des Tambroni , im Kunst- blatt 1821 und f. Jahre. 21 * Meinwerk, Bischof von Paderborn , „er habe eine Kapelle neu wieder aufgerichtet, welche vormals unter Karl dem Großen von griechischen Arbeitern gebauet worden Gobelin . Personae Cosmodr. aet. VI. ap. Meibom . scriptt. rer. Germ. Vol. I. p. 257. — Meinwercus quandam cappellam prope majorem ecclesiam Paderbornensem, quondam per Geroldum consanguineum et signiferum Caroli M. per Graecos operarios con- structam etc. etc. .“ In dem bekannten Leben Meinwerks , bey Leibnitz , findet sich keine Spur von Bekanntschaft mit den Meistern des aͤlteren Baues; auf der anderen Seite ist nicht wohl anzunehmen, daß Gobelin hier einer Autoritaͤt gefolgt sey, da die Quel- len der Geschichte der karolingischen Zeit von aus der Fremde herbeygezogenen italienischen, nun gar griechischen, Arbeitern schweigen, weil diese, wenn es deren am Hofe des Koͤnigs gegeben haͤtte, doch unter allen Umstaͤnden schwerlich in den noch ungesicherten Eroberungen des Christenthums, tief im Sachsenlande, waͤren beschaͤftigt worden. Also wird an dieser Stelle der Vermuthung nicht auszuweichen seyn, daß unser Schriftsteller auf seinen italienischen Reisen mit jener, wie oben angefuͤhrte Stellen zeigen, seinerzeit fest angenommenen und verbreiteten Ansicht bekannt geworden: daß die Byzanti- ner waͤhrend der dunkleren Abschnitte des Mittelalters in den Kuͤnsten eine dauernde Ueberlegenheit besessen, einen wichtigen Einfluß auf den Geschmack der westlichen Europaͤer aus- geuͤbt haben. In Lami’s Auffassung dieses historischen Verhaͤltnisses war demnach wenigstens die eine Seite, die Vorzuͤglichkeit griechischer Kunstarbeiten, im Ganzen richtig verstanden; in der Auffassung seiner Nachfolger findet sich indeß, bey groͤßter Dreustigkeit und Zuversichtlichkeit des sich Gehabens, nur all- seitige Unkenntniß, Verwirrung und Widerspruch. Lastri , der Verfasser vieler unterhaltender Mittheilungen aus den handschriftlichen Schaͤtzen der florentinischen Bibliothe- ken, hatte die Anmaßung, sichere und minder ausgemachte Thatsachen, welche zu seiner Zeit zur Sprache gekommen, ohne alle Anschauung ihres Gegenstandes in eine kurze Uebersicht zusammenzudraͤngen, welche lautet, wie folgt Osservatore Fiorentino, To. II. p. 136. sq. : „Es ist Niemand verborgen, daß diese Kunst zu keiner Zeit in Italien erloschen ist; obwohl sie viele Jahrhunderte hindurch, in den barbarischen Zeiten, gesiecht hat. Es waren starke Erschuͤtterungen noͤthig, sie wieder zu beleben; diese aber sind gerade um das eilfte Jahrhundert unserer Zeitrechnung eingetreten. Die neue Verfassung, welche fast alle italienische Staͤdte aus sich entwickelten oder erwarben; die Wissenschaften, welche eben zu daͤmmern begannen; die Ankunft endlich griechi- scher Kuͤnstler zu Florenz und Rom ; alle diese Ereig- nisse brachten damals Gaͤhrung in den Lebensgeist.“ Ehe wir Lastri weiter reden lassen, muß ich erinnern, daß er den Aufschwung der italienischen Kunst, wie ich oben S. Abh. No. V. erwiesen, hoͤchst irrig in das eilfte Jahrhundert verlegt. In Ansehung indeß seiner Annahme griechischer Ankoͤmmlinge wird diese willkuͤhrliche, auf keine, ins Einzelne eingehende, For- schung sicher begruͤndete Annahme durch oben beleuchtete Stelle des Leo von Ostia herbeygefuͤhrt seyn, fuͤr welche wir bereits den rechten Gesichtspunkt aufgefunden haben. Allein auch in einer viel neueren Epoche verknuͤpfte er mancherley halbverstandene Angaben aͤlterer und neuerer Schriftsteller zu einer ganz falschen Entwickelung. Er sagt nem- lich: „bis auf diese Zeit (des Cimabue ) hielt sich die Malerey im Geschmack- und Einsichtslosen; den Figuren fehlte es an guter Stellung und an richtigem Verhaͤltniß; sie standen auf den Spiz- zen der Fuͤße und waren durchhin hager und trocken. Zu Ende aber des (dreyzehnten) Jahrhunderts begannen die Maler, ihnen mehr Ansehen zu geben, und die Trockenheit der grie- chischen Musaicisten zu verlassen . — Diese Vorzuͤge bewirkten, daß man den Cimabue allgemeinhin als den Wie- derhersteller der Malerey betrachtete.“ Figuren mit heruntergebogenen, nicht wagerecht stehenden Fuͤßen, welche Lastri wahrscheinlich aus dem Vasari , schwerlich aus eigener Wahrnehmung kannte, finden sich, lange nach Cimabue , noch im funfzehnten Jahrhundert. Ihre Ver- draͤngung ist demnach dem Cimabue eben so wenig beyzulegen, als der Vorzug, sich von der griechischen Manier entfernt zu haben, da er gerade in dieser Malart Meister war. Indeß sollte der Ruhm, den Cimabue unter seinen Zeitgenossen erlangt hatte, auf alle Weise gerettet werden; als Stifter der neueren Kunst war er nicht laͤnger anzusehen, nachdem unter den aͤl- teren Kuͤnstlern wenigstens Guido von Siena und Giunta von Pisa bekannter geworden; also mußte er, da es bey den ma- teriellen Kunstansichten neuerer Italiener entfernt lag, seinen Ruhm auf eine gewisse Ueberlegenheit und Maͤchtigkeit des Geistes zu gruͤnden, mindestens ein Verbesserer aͤußerlicher Handhabungen der Kunst gewesen seyn. In wie weit indeß Cimabue , oder Duccio , oder andere der spaͤtesten Nachahmer griechischer Vorbilder, diese in aͤuße- ren Kunstvortheilen uͤbertroffen haben, ist eine Frage, deren Beantwortung wir noch aussetzen muͤssen, da uns vor der Hand unter den italienischen Malern in griechischer Manier nicht die spaͤtesten, sondern eben nur die fruͤheren angehen. In Vergleich mit diesen werden wir die griechischen Ma- ler nicht wohl, gleich obigem Schriftsteller, einer groͤßeren Trockenheit anklagen, unter allen Umstaͤnden aber durchaus nicht zugeben koͤnnen, daß willkuͤhrlich und ohne alle urkund- liche Gruͤnde auf ihre Rechnung geschrieben werde, was irgend Rohes, uͤber menschliche Erwartung Baͤuerisches in italienischen Alterthuͤmern aufzufinden ist. Der Wunsch, den Griechen nichts, oder doch so wenig als moͤglich zu verdanken, verlei- tete zwey Kunstrichter des verflossenen Jahrhunderts, den Va- ter Della Valle Della Valle, P. Guglielmo , Lettere Senesi, T. II. p. 9. und den bekannten Lanzi Lanzi , stor. pitt. dell’ Italia , T. 1. Origini e primi me- todi della pittura risorta. (Ed. Pisan . 1815. 12 p. 16.) , ein bey- spiellos rohes Gepinsel in einer Kapelle der Gewoͤlbe, unter der Kirche Sta. Maria Novella zu Florenz , ohne alle Gruͤnde, sey es der Analogie oder der Urkunde, fuͤr griechische Arbeit zu erklaͤren. Den Ueberrest dieser Malerey, welcher vor eini- gen Jahren viel Bereitwilligkeit zeigte, vollends von der Mauer abzufallen, betrachtete ich verschiedentlich mit Interesse und Verwunderung. Einmal konnte ich den Gegenstand auf keine Weise errathen, wenn die uͤbrigen Koͤpfe, der eine mit einem Stiergeweihe, nicht etwa Teufel, und das Ganze Ereignisse der Unterwelt darstellen sollte. Die Malart, sogar der Kalk- bewurf, an welchem die Farbe klebte, uͤbertraf Alles, was ich fruͤher angefuͤhrt habe, an Unsauberkeit, Unbehuͤlflichkeit, Ro- higkeit. Da nun die Spuren einer zweiten Kalklage mit Ma- lerey des vierzehnten Jahrhunderts noch immer daran hafteten, vonwelchen Della Valle erzaͤhlt, sie sey eben damals herab- gefallen, als er eben des Beweises bedurft Della Valle , l. c. — „Un accidente, di quelli che talora scuoprono in un momento agli uomini ciò, che essi in vano ricer- cato avrebbono lungo tempo, per lo scrostarsi dell’ intonacod’un muro, che é sotto la sagrestia di S. Maria di Firenze , e che pro- babilmente é uno di quelli dipinti dai Greci, maestri di Cimabue etc. , daß Cimabue von seinen griechischen Meistern nichts Erhebliches habe erler- nen koͤnnen: so ist so viel gewiß, daß sie aͤlter sind; und da, so weit ich eingedrungen, im dreyzehnten Jahrhundert die Kunst in Toscana auf einer so ungleich hoͤheren Stufe gestan- den, so laͤßt sich annehmen, dieses Gepinsel sey im zwoͤlften oder in einem der vorangehenden entstanden. Uebrigens ge- hoͤrten sie wahrscheinlich schon damals nicht zu den besten Lei- stungen ihrer Zeit und Gegend, da das Gemaͤuer, an dem sie haften, nothwendig nicht zu dem neuen, erst im dreyzehnten Jahrhundert begonnenen Klosterbau, sondern zu der kleinen vorstaͤdtischen Pfarre gehoͤrt haben muß, welche damals den Dominicanern eingeraͤumt worden. Nicht das Denkmal an sich selbst, dessen wir, nach dem bereits Gemeldeten, durchaus entbehren koͤnnen, wohl aber die Zuversicht, mit welcher jene Kunstgelehrten, was sie wuͤnsch- ten, auch glaubten, was sie glaubten, auch mit groͤßter Dreu- stigkeit behaupteten, gehoͤrt meines Erachtens zu den Perlen und Merkwuͤrdigkeiten der neueren Kunstgeschichte. Lanzi geht davon aus, „daß Vasari melde, die Meister des Cima- bue haben die Kapelle Gondi in Sta Maria Novella ausge- malt; die Kapelle sey indeß erst im folgenden Jahrhundert erbauet worden Lanzi l. c.; Erra però (il Vasari ) facendogli operare (i Greci) nella cappella de’ Gondi fabbricata insieme con la chiesa tutta un secolo appresso; e dovea dire in altra cappella sotta la chiesa etc. .“ Hieraus haͤtte er folgern koͤnnen, daß Vasari uͤberhaupt diese kleinen kunstgeschichtlichen Umstaͤnde, welche er so vertraulich erzaͤhlt, als waͤre er dabey gewesen, nur aus der Luft gegriffen habe. Doch obwohl es schon an sich selbst wenig wahrscheinlich ist, daß Vasari in Dingen, die ihm schwerlich umstaͤndlich bekannt waren, der That nach die Wahrheit berichte, so wollte doch Lanzi und sein Ge- faͤhrte ihm in Bezug auf die Person und Handlung willig glauben; nur in Bezug auf den Ort, nahmen sie an, habe Vasari sich geirrt; sich selbst aber raͤumten sie die Faͤhigkeit und Befugniß ein, den Ort, den schon Vasari verfehlt, nach dem bloßen Gefuͤhle aufzufinden. Haͤtten sie nun doch wenig- stens die Eigenthuͤmlichkeiten griechischer Manieren und Vor- stellungen der Kunst gekannt, so wuͤrden sie aus malerischen Analogieen allenfalls haben entscheiden koͤnnen, ob in irgend einem Winkel des alten Baues griechische Arbeiten vorhanden seyn, oder auch nicht. Ueber solche Vorbereitungen waren sie indeß weit erhaben; sie brachten die Faͤhigkeit, oder den Wil- len, griechische Arbeit zu erkennen, von Anbeginn hinzu; und durch so viel Irrwege der Gedankenfolge, so viel Entschieden- heit der Absicht, wurden sie dahin verleitet, fuͤr griechische Malerey zu erklaͤren, was nimmer auch nur die entfernteste Aehnlichkeit mit byzantinischen Kunstarbeiten gezeigt hat. Auf mancherley Weise hat man demnach sich bemuͤht, aus den unbestimmten Andeutungen des Vasari hervorzuwin- den, was jedesmal gefiel. Einige haben, gleich dem Baldi- nucci , auf ihm fortgebauet, als wenn er in so entlegenen Dingen als Quelle zu betrachten waͤre; andere haben seine Angaben durchaus verworfen, wie Muratori ; noch andere endlich haben die Ankunft von Griechen, nicht etwa in Vene- dig und Pisa und anderen Seestaͤdten Italiens , sondern eben jene noch zweifelhafte Ein einziger Schriftsteller, Richa , delle chiese di Firenze , T. VI. Introduc. p. XLI. behauptet, den griechisch lautenden Namen Apollonius unter den Musivarbeitern aufgefunden zu haben, welche in der Johanniskirche zu Florenz arbeiteten. Doch begleitet er seine Angabe weder mit einer umstaͤndlichen Citation des ohnehin verleg- ten Archives, noch mit dem Jahre, in dem er angestellt und be- zahlt worden. Und da er auch sonst, wie ich an anderen Stellen zeigen werde, Archive citirt, die er nicht selbst durchgesehen; so werden wir ihm auch nicht so uͤbereilt einen vollen Glauben ein- raͤumen duͤrfen. zu Florenz ihm unbedingt einge- raͤumt Lastri giebt, osservatore Fior. T. V. p. 61 sq., eine zweyte Uebersicht der mittleren Kunstgeschichte, welche beschließt: „Comunque siasi di tal questione, egli é però certo , che la repu- blica ( Fiorentina ) pensò a chiamar de’ Maestri di quest arte dalla Grecia o piuttosto da quei luoghi d’ Italia , dove già essi l’esercita- vano, affine di rimetterla in grido. Scolare di questi fu Cimabue , e la sua maniera alquanto secca la dimostra abbastanza.“ Das Archiv, delle riformagioni ; zu Florenz blieb mir jederzeit unzugaͤnglich; der Archivar, Brunetti , ist selbst Schriftsteller. Also haͤtte ich auf keine Weise auf das Berufungsdecret jener Griechen stoßen koͤnnen, wenn solches etwa vorhanden waͤre. Uebrigens be- zweifle ich, daß Lastri ein solches gesehen habe, einmal, weil er es nicht naͤher nachweist, da es doch, wenn beurkundet, in der Frage, welche er untersucht, den Ausschlag gegeben haͤtte; dann, weil er nicht wußte, ob diese Griechen aus Griechenland , oder aus irgend einer italienischen Stadt berufen worden. Wenn je ein sol- ches Berufungsdecret vorhanden war, so mußte der Ort genannt seyn, von woher man die fremden Arbeiter berief; Namen der , hingegen, einer grillenhaften Nationaleitelkeit zu genuͤgen, sich der leeren Einbildung hingegeben, daß eben diese Griechen rohe, ungeschlachte Gesellen gewesen. Eben wie jene Musaicisten des Leo von Ostia , wie schon gemeldet worden, nur Fußboͤden verfertigt haben sollen, weil diese fuͤr die nie- drigste Verwendung der musivischen Kunst gelten; so sollten auch die Griechen des Vasari eben nur Sudler gewesen seyn, uͤber welche man in solchem Falle annehmen muͤßte, daß die Florentiner sie aus bloßem Mitleid beschaͤftigt haͤtten. Doch werden deutsche Leser allen diesen Windungen des Unverstan- des, der Leichtglaͤubigkeit, Willkuͤhr und Einbildung in Fio- rillo’s groͤßerem Werke nachfolgen koͤnnen, den seine italie- nischen Gewaͤhrsmaͤnner bey Darstellung dieses historischen Verhaͤltnisses bald zu dieser, bald zu jener anderen Meinung hinuͤberziehen S. Fiorillo , Gesch. der zeichn. Kste., Bd. 1. S. 38. 42. 54. 68. 75. Bd. II. S. 5. 8. 739 f. Bd. IV. Einleitung. S. 33. . Wie ich mir verspreche, steht es unter uns nicht laͤnger in Frage, ob das Vorbild oder die Belehrungen byzantinischer Kuͤnstler, naͤhere Bestimmung der Arbeit, die man ihnen aufgege- ben, auch andere Umstaͤnde wuͤrden daraus bekannt worden seyn. — Wir muͤssen uns indeß mit dem Meister Appollonio des Vasari und Richa begnuͤgen, dessen Namen kein zuverlaͤssiger Berichtgeber je- mals in Urkunden geseheu, dessen Zeitalter, wenn wir anch anneh- men, daß der Name irgendwo genannt werde, doch ganz unbekannt ist; welcher demnach lange vor Cimabue , schon zu Anfang des drey- zehnten Jahrhunderts, von Pisa nach Florenz gekommen seyn koͤnnte, oder wenn spaͤter, nachdem die griechische Manier laͤngst in Ge- brauch war, nicht mehr als Lehrer, sondern als Gehuͤlfe und Ar- beiter mußte angestellt seyn. — Daß Cimabue Schuͤler dieser un- beurkundeten, zeitlosen Griechen gewesen sey, wird auch hier nur aus Wahrscheinlichkeitsgruͤnden angenommen. Seine griechische Malart konnte er indeß, wie wir sehen werden, auch von seinen italienischen Vorgaͤngern erlernt haben. Kuͤnstler jemals auf italienische eingewirkt; wir haͤtten demnach nur noch jenes bereits Vorgedeutete zu eroͤrtern: wann diese Einwirkung denn eingetreten sey, und in wiefern sie der ita- lienischen Kunstuͤbung Gedeihen und Foͤrderung gebracht habe. Das spaͤteste unter mir bekannten Denkmalen eigenthuͤm- lich italienischer Barbarey, die Altartafel der Gallerie zu Siena vom Jahre 1215, habe ich bereits beschrieben. Der Katalog dieser Sammlung, welcher uͤberhaupt voll dreister Griffe, giebt dieses Bild, ohne allen Beweis und gegen alle Wahrscheinlich- keit, fuͤr eine Arbeit des Jacob von Turrita , eines der fruͤhe- ren Nachahmer oder Schuͤler der Griechen, dessen Werke wir spaͤterhin aufzaͤhlen wollen. Hingegen ist das aͤlteste Denkmal italienisch-neugriechischer Malerey, so mir bekannt geworden, jenes große Musiv der Vorseite am Dome zu Spoleto , dessen verkleinerte Abbildung einer Abhandlung im Kunstblatte, 1821. No. 8, beyliegt. Nemlich das aͤlteste bezeichnete und sichere Denkmal; denn es ist nicht eben unwahrscheinlich, daß jene Mauermalereyen in gutem neugriechischen Style, welche die Seitenwaͤnde des Mittelschiffes in der Kirche S. Pietro in Grado , auf dem Wege von Pisa nach Livorno , verzieren, um Decennien aͤlter sind. Am unteren Rande des colossalen, ganz wohl erhaltenen Gemaͤldes (die Erhaltung selbst ist Zeug- niß fuͤr die Verbreitung der besseren Technik der Byzanti- ner) befindet sich eine musivische Leiste mit folgender ganz aͤch- ten Inschrift: + HEC EST PICTVRA QVAM FECIT SAT PLACITVRA DOCTOR SOLSERNVS HAC SVMMVS IN ARTE MODERNVS ANNIS INVENTIS CVM SEPTEM MILLE DV- CENTIS. OPERARII .............. Im Felde neben den Figuren, deren Annaͤherung an minder gute Vorbilder griechischer Abkunft auffallend, deren Ausfuͤh- rung nicht ohne alle Spur italischer Rohheit, liest man oben, neben Christus , das bekannte: I̅C̅. X̅C̅., an den Seiten: S̅C̅A̅ MARIA. S̅C̅S̅ IOHANNES . Auch der Thron Christi hat einige Ueberladenheiten der byzantinischen Verzierungsart, denen wir schon mehrmal bey dem Throne Gott Vaters oder des Heilands begegnet sind. Also schon innerhalb des ersten Jahrzehends des dreyzehn- ten Jahrhunderts hatte, wie dieses Denkmal unwidersprechlich darlegt, die Nachahmung, oder auch die Schule der neueren Griechen in Italien tiefere Wurzeln getrieben, als jemals vor- her bei den mannichfaltigsten, nie abgebrochenen Beruͤhrungen beider Nationen. In der Folge aber, nach dem Jahre 1220, begegnen wir uͤberall bey namhaften italienischen Meistern theils der griechischen Behandlungsart von mancherley Stoffen und Werkzeugen, deren die Malerey sich bedient, theils aber auch der Nachbildung und Nachahmung bestimmter Gebilde der griechischen Malerey, oder doch den eigenthuͤmlichen Ab- aͤnderungen, welche die letzte, bey gemeinschaftlichen Kunstvor- stellungen, in deren Auffassung und aͤußere Zurichtung aufge- nommen hatte. Zuerst begegnen wir (viele halbverdorbene, gewiß diesem Zeitalter angehoͤrende, doch unbezeichnete Madonnen Solcher alten Madonnenbilder ohne Jahr und Namen zaͤhlt uͤber- gehend) der beruͤhmten colossalen Madonna des Guido von Siena , auf einem Altare der Dominicanerkirche zu Siena . Diese nicht unerhebliche Arbeit, welche so lange Zeit unbeach- tet vor aller Augen gestanden, ward erst neuerlich durch den Localpatriotismus der Sieneser, und, wenn ich nicht irre, be- sonders durch den Vater Della Valle auch in weiteren Kreisen bekannt. Die Arbeit darin ist allerdings, so weit sie erhalten (denn das Bild ist hie und da uͤbermalt), noch immer gleich weit von der mageren Zierlichkeit der Byzantiner, als von der Lanzi ( sto. pitt. allgemeiner, und besondere Eingaͤnge) gar viele auf, worin er den oͤrtlichen Forschern der italienischen Staͤdte folgt, ohne ihre Angaben, welche doch nicht so gleichmaͤßig wohl begruͤndet sind, einer naͤheren Pruͤfung zu unterwerfen. Unter den sienesischen, welche dem Lanzi aus den Lettere Senesi bekannt waren, untersuchte ich verschiedene an der Stelle. Die Madonna auf dem einzigen Altare der alten Kirche di Betlem, neben der Pfarre S. Mammiliano, vor dem roͤmischen Thore der Stadt Siena , ist auf Holz gemalt, das sich geworfen hat. Sie ist daher bis auf die Koͤpfe mit dicker Farbe durchaus uͤberschmiert, die Koͤpfe selbst stellenweise aufgefrischt, doch die Augen der Madonna noch ziemlich rein. Gerade diese zeigen indeß schon Hinneigung zu jenem ver- laͤngerten Schnitt, welcher nach meinen Erfahrungen erst gegen das vierzehnte Jahrhundert uͤblich geworden; weshalb dieses Bild wohl nicht so gar viel aͤlter seyn kann. — Die Jungfrau in der Kirche S. Maria di Tressa, fuor di porta S. Marco, die besser bewahrt ist, koͤnnte indeß dem Ansehen nach wohl etwas aͤlter seyn, sogar als oben beschriebene von Guido von Siena . Mutter und Kind blicken gerade aus dem Bilde hervor; ihre Stellung hat eine ge- wisse bildnerische Einfoͤrmigkeit. Die Augen der Madonna sind noch weit geoͤffnet, zwar ungleich stehend, doch nicht ohne Verstand umrissen. In ihrem Munde ist gleichfalls einige Feinheit, dagegen in den Backen ein heller Zug, der nur durch entschiedenstes Miß- verstaͤndniß uͤberlieferter Andeutungen zu erklaͤren. — Das Kind ein kleines Maͤnnchen. Die Engel am Nimbus der Madonna Li- bellen, die sie umschweben. breiteren Formenandeutung des Cimabue entfernt. Doch be- diente sich der Kuͤnstler, wie schon der Hauptton des Bildes lehrt, griechischer Bindemittel, vergoldete die Flaͤche hinter den Figuren, und ahmte vielleicht (denn es fehlt uns dafuͤr unter vorhandenen griechischen Madonnen ein Beyspiel) irgend einer griechischen Tafel nach. Der weitlaͤuftige, obwohl nicht reich verzierte, Thronsessel scheint von daher entlehnt zu seyn; hin- gegen zeugt die etwas schraͤge Lage und Stellung der Haupt- figur, welche sich bequem auf dem raͤumigen Lehnsessel aus- breitet, von eigener Erfindung oder Auffassung aus dem Le- ben. Die unverhaͤltnißmaͤßige Kleinheit und Magerkeit des Kindes, die widrige Verkleinerung der Engel und Gott Va- ters in den oben uͤber der Abtheilung des goldenen Feldes ausgesparten Winkeln, erinnern, das eine an byzantinische, das andere an barbarisch italienische Gewoͤhnungen, welche in diesem Bilde in einander uͤberzugehen und gegenseitig zu ver- fließen scheinen. Die Inschrift auf der unteren Leiste des Bildes, welche Della Valle S. Lettere Senesi; Vasari , ed. San., in den Anm., und Lanzi , T. 1. zu Anfang der Sieneser Schule, will wahrnehmen, daß Guido , der sich eben zuerst den Griechen angenaͤhert: se n’era allontanato non poco in quella nostra Signora etc. und Benvoglienti In seinen handschriftlichen sienesischen Nachrichten, welche viele Baͤnde der Bibliothek der Sapienza zu Siena einnehmen. noch vollstaͤndig gelesen, war schon im Jahre 1818 in den Zuͤgen des Na- mens beschaͤdigt, alles Uebrige indeß durchaus erhalten und lesbar, wie folgt: + ME GV ... DE SENIS DIEBVS DEPINXIT AMENIS QVEM CHRISTVS LENIS NVLLIS VELIT A̅GERE PENIS AN̅O. D̅. M̂. C°C. XXI. Ungleich gewandter in der Anwendung griechischer Kunst- fertigkeiten, gluͤcklicher in der Wahl und Nachahmung alt- christlicher oder mittelalterlich griechischer Vorbilder, war jener Kuͤnstler, welcher im Jahre 1225 die Altarnische der Johan- niskirche zu Florenz musivisch verziert hat. Dieses Werk, in so weit es noch besteht, bekleidet die Flaͤchen eines Kreuzge- woͤlbes von geringerer Tiefe, als Breite, auf welchem, nicht ohne Erinnerung an altchristliche, spaͤtantike Eintheilungen, in der Mitte, wo die Gewoͤlbrippen sich am meisten verflaͤchen, ein Rund angebracht worden, dessen aͤußere Einfassung schon etwas willkuͤhrlicher verziert ist. Dieser aͤußere Kreis wird mit dem inneren durch wun- derliche Kandelaberformen verbunden, welche jedesmal in einem Cherub endigen; im goldenen Felde, von einem Kandelaber zum anderen, ein Prophet mit beygesetztem Namen; die letzten zeigen in der Gestalt, Stellung, Gewandung, in der Behand- lung uͤberhaupt, besonders des Haars, recht viel Geschmack, und die Absicht, Wuͤrde und Hoheit auszudruͤcken. Ich will nicht entscheiden, ob italienische oder griechische Nachahmungen altchristlicher Vorbilder hierin dem Kuͤnstler vorgeleuchtet ha- ben; genug, daß sie dem Besten, so in den griechischen Denk- malen des Mittelalters aus dem hoͤheren Alterthume sich er- halten hat, z. B. dem kleinen Musiv des Schatzes eben dieser der Johanniskirche, in jeder Hinsicht nahe stehen. Der innere Kreis enthaͤlt das Lamm Gottes, und, gol- den auf rothem Grunde, die Beyschrift: HIC HIC DEVS EST MAGNVS MITIS QVEM DE- NOTAT AGNVS. In den Zwickeln des Gewoͤlbes, in vier rothen Feldern, liest man in großen goldenen, dem Zeitalter, wie obiger Inschrift entsprechenden Zuͤgen, deren uͤberall deutliche Abkuͤrzungen ich aufloͤse, wie folgt: 1) ANNVS PAPA TIBI NONVS CVRREBAT HONORI AC FEDERICE TVO QVINTVS MONAR- CHA DECORI. 2) VIGINTI QVINQVE X̅P̅I̅ CVM MILLE DV- CENTIS TEMPORA CVRREBANT PER SE GLORIA CVNCTA MANENTIS. 3) HOC OPVS INCEPIT LVX MAI TVNC DVODENA QVOD D̅N̅I̅ N̅R̅I̅ CONSERVET GRATIA PLENA. 4) SANCTI FRANCISCI FRATER FVIT HOC OPERATVS IACOBVS IN TALI PRE CVNCTIS ARTE PROBATVS Wir wissen, wie wenig den Angaben des Vasari in aͤl- teren Dingen zu trauen ist, wie leichtsinnig er geforscht, wie willkuͤhrlich er Begebenheiten und Zeitbestimmungen durchein- ander geworfen. Demungeachtet hat man bisher, nach seinem Vorgange, angenommen, dieser Bruder Jacob muͤsse durchaus derselbe seyn, der in anderen und spaͤteren Werken sich selbst I. 22 Jacobus Torriti , den Vasari Vasari , vita d’ Andrea Tafi . Jacopo da Torrita nennt, einem Orte des sienesischen Gebietes. Die Geschichtschreiber der sienesischen Schule nehmen daher dieses florentinische Werk in Anspruch, und Lanzi , welcher ihnen folgt, nimmt zwar Bedenken, die Thaͤtigkeit dieses Kuͤnstlers bis zum Jahre 1300 auszudehnen, findet es indeß nicht befremdend, daß er noch im Jahre 1289 Lanzi , l. c. T. 1., zu Anfang seiner Scuola senese . In den mehrmal wiederholten Jahreszahlen hat der Druckfehler 1389. 1390. 1392. fuͤr 1289 etc. sich eingeschlichen, den auch die Nach- druͤcke wiederholen. die Tribune von S. Maria maggiore zu Rom beendigt, und darauf die andere des Laterans begonnen, mithin uͤber sechszig Jahre lang gewirkt habe, sogar, wenn wir willkuͤhrlich annehmen wollten, das florentinische Werk sey dessen fruͤheste Arbeit. Daß Jacob zu Florenz seinen Geburtsort ausgelassen, wuͤrde sich aus dem Verse erklaͤren lassen, dem dieser Name vielleicht nicht wohl mehr einzufuͤgen war. Doch um behaup- ten zu koͤnnen, er sey bloß ausgelassen worden, muͤßten wir aus anderen Denkmalen beweisen koͤnnen, daß dieser erste Ja- cob wirklich derselbe sey, der auf spaͤteren Werken seine Vater- stadt Turrita zu seinem Klosternamen Jacob hinzugesetzt. Der Vater Richa Delle chiese di Firenze , T. VI. Introduz. p. 33 s. freilich giebt uns Auszuͤge von Auszuͤgen aus dem Archive der Zunft, welcher die Verwaltung der flo- rentinischen Johanniskirche obgelegen. In diesen heißt es: „Die Altarnische oder Tribune ward im Jahre 1202 an dem Orte, wo ehemals das Thor, zu bauen begonnen.“ — Schon diese Notiz, welche richtig und vielleicht urkundlich seyn wird, vermischt der Senator Strozzi , Berichtgeber des Richa , mit eigenen Bemerkungen uͤber Groͤße und Schoͤnheit und Anlage dieses Anbaues; weshalb ich fuͤrchte, daß auch die nachfolgen- den Bemerkungen, welche unter allen Umstaͤnden keine woͤrt- liche Auszuͤge seyn koͤnnen, mit Zusaͤtzen vermischt sind, welche in angenommenen Meinungen, und, mittelbar oder geradehin, selbst in der Autoritaͤt des Vasari ihren Grund haben moͤchten. Es heißt darin: „Das Gewoͤlbe der Tribune wird im J. 1225 vom Bruder Jacob von Turrita , Franciscanerordens, in Musiv gesetzt, fuͤr welches Werk er von den Consuln der Zunft guten Lohn empfaͤngt.“ — Das Jahr, der Name und Stand des Bruder Jacob wird durch obige Inschrift hinrei- chend beurkundet; ob aber der Zusatz, von Turrita , vom Se- nator Strozzi in Urkunden gelesen, oder nur aus dem Vasari supplirt sey, dessen „premj straordinarj“ der Typus der „premj buoni“ des Strozzi zu seyn das Ansehen haben, wird sich erst dann entscheiden lassen, wann ein fleißiger, gewissen- hafter Arbeiter einmal das Archiv der arte di Callimala durchgangen haben wird, welches zu meiner Zeit verlegt oder verstreut, gewiß mir unzugaͤnglich war. Indeß wage ich, von eigner Anschauung italienischer Archive ausgehend, die Vermu- thung, daß schwerlich aus so alter Zeit ganz gleichzeitige Nach- richten uͤber Verstiftungen an Kuͤnstler und aͤhnliche Specialien vorhanden seyn duͤrften. Erst um die Mitte des dreyzehnten Jahrhunderts werden die Archive, die ich gesehen, in kleineren Dingen- ergiebiger, und, der Erhaltung nach, mehr zu- sammenhaͤngend. Gewiß war der Name Jacob in jener Zeit weder der Kunstgeschichte, noch dem Franciscanerorden so fremd, daß er nicht mehrmal bei nahen Zeitgenossen sich wiederholte. An 22 * einem halberhobenen, von kleinen Figuren gezierten Kandelaber derselben Johanniskirche, an welchem Spuren des gothischen Verzierungsgeschmackes das dreizehnte Jahrhundert anzeigen, liest man: IOHANNES IACOBI — DE FLORE̅ — ME FE .... Auf jenem Musiv der Tribune des Laterans, dessen Bil- der zu sehr erneuet sind, dessen Entstehung verhaͤltnißmaͤßig einer zu weit vorgeruͤckten Zeit angehoͤrt, um uns an dieser Stelle zu beschaͤftigen, liest man unten im Felde, neben einer kleinen Bildnißfigur: IACOBVS TORITI PICTO. H. OPVS FECIT und neben einer anderen: F̅R̅. IACOBVS DE CAMERINO SOCI9 MAGR̅I O̅P̅I̅S RECON ... DAT SE ....... TIS BEATI IO̅H̅I̅S. Eben so wohl nun, als hier ein Gehuͤlfe jenes Meister Jacob , welcher wirklich von Turrita , oder des Torrito Sohn oder Lehrling war (denn auch daruͤber koͤnnten Zweifel erhoben werden, wenn es von einigem Belang waͤre), konnte nicht minder auch ein Vorgaͤnger desselben Jacob geheißen haben. Daß ein florentinischer Kuͤnstler jener Zeit Jacob geheißen, wird aus obigem Johannes , Jacobs Sohn oder Schuͤler, ziemlich wahrscheinlich. — Auf der anderen Seite zeigen die Inschriften der roͤmischen Musive des sicheren Meister Jacob von Turrita , im Lateran, außer den schon angefuͤhrten, neben dem Bildnisse des Papstes: NICOLAVS P̅P̅ IIII. S̅C̅E̅ D̅I̅ GENIT .... SERVI.; und in Sta. Maria maggiore, nach der Inschrift des Kuͤnst- lers: IACOBVS TORRITI PICTOR H̅ OP9 MO- SIAC. FEC., die andere: NICOLAVS P̅P̅ IIII. und: D̅N̅S̅ IACOBVS DE COLV̅P̅NA CARDINALIS., so daß diese Arbeiten zwischen 1287 (88) und 1292, also bey- nahe sechszig Jahre nach jenem florentinischen Musive beschafft seyn mußten. Da nun doch anzunehmen ist, daß jener flo- rentinische Bruder Jacob nicht mehr Juͤngling war, als er jenes, nach den Umstaͤnden so ausgezeichnete Musiv vollbrachte; so wuͤrden wir seine kuͤnstlerische Wirksamkeit noch ungleich weiter ausdehnen muͤssen, wollten wir anders hindurchfuͤhren, daß beide Werke demselben Meister angehoͤren Della Valle vermuthet, es sey dieser Urheber der roͤmi- schen Musive ein Fra Giacomo da Turriechio bey Camerino , der um 1270 gebluͤht habe. . Wie Andere kuͤnftig diese Zweifel beseitigen moͤgen, so geht doch unter allen Umstaͤnden aus diesen Inschriften hervor, daß die Stiftung des heil. Franz in jener Zeit beachtenswerthe Kuͤnstler in ihre Mitte aufgenommen, oder aus sich selbst her- vorgebildet habe, was Dank und Beachtung verdient. Allein auch ein anderer Nachahmer oder Lehrling der Griechen, Junta , oder Giunta von Pisa , hat in letzter Stadt, und besonders im Mittelpuncte des Ordens, zu Asisi , den Schutz und die Befoͤrderung der Bruͤder des heil. Franz genossen. Eben wie die Belebung und Steigerung damals vorwaltender Gefuͤhle, so scheint auch der Aufschwung der neueren Malerey, welche aus jenen sich hervorgebildet, mit der minder selbstischen, Liebe und Sehnsucht athmenden, Schwaͤrmerey des heil. Franz in enger Verbindung zu stehen. Nach alten Nachrichten befand sich vormals in der Kirche des heil. Franz zu Asisi ein Kruzifix, auf welchem die Worte: F. Helias fecit fieri. Jesu Christe pie miserere precan- tis Heliae. Juncta Pisanus me pinxit. an. d. 1236. Indict. IX Wading , ann. ord. S. Franc.; Angeli, uͤber Asisi . . Wir duͤrfen diesem Berichte trauen, weil er von einem Schriftsteller herruͤhrt, der in kunstgeschichtlichen Dingen weder Ansichten vorgefaßt, noch Meinungen zu ver- theidigen hatte. Andere, urspruͤnglich urkundliche Nachrichten ertheilt uͤber diesen Maler Morrona , der redlichste und um- sichtigste unter denen, welche ihr Leben darangesetzt, die Kunst- geschichte einzelner italienischer Staͤdte zu beleuchten; Kun- den Pisa illustr. To. II. P. 1. cap. IV. §. 1. (Ed. sec. p. 127.) , welche freilich durchhin aus zweyter Hand geschoͤpft, und vielleicht schon in der ersten ohne Aufmerksamkeit ausge- schrieben worden, da es seinen Auszuͤgen an aller Nachweisung fehlt, welche bey durchaus neuen Nachrichten zur Beglaubigung noͤthig sind. Ich habe seine Angaben schon aus diesem Grunde nicht pruͤfen koͤnnen, weshalb ich dieselben nicht verbuͤrge. Wollten wir ihnen Glauben beymessen, so waͤre Giunta ein Sohn des Guidotto , haͤtte er schon 1202 gemalt und noch um 1255 gebluͤht. Doch fragt es sich noch, ob der Juncta Guidotti , pictor, derselbe Junta sey, dessen Kunstrichtung noch immer aus einem ganz wohl erhaltenen Gemaͤlde zu be- stimmen, dem Kruzifixe in einer Kapelle des rechten Armes der Kirche Sta. Maria degli Angeli in der Ebene naͤchst Asisi . In diesem Bilde ist die Stellung und Lage der Gestalt des Heilands nicht mehr die aufgerichtete, italienische, welche wir oben in drey gleichartigen Bildern des Gekreuzigten, den Arbeiten eines alten umbrischen Meisters, oder seiner Zeitge- nossen, hatten kennen gelernt; vielmehr ist sie ausgebogen, mit gesenktem Haupte, gleichwie in griechischen Kreuzesbildern, namentlich wie der Gekreuzigte in jenem Kalendario, welches zu Florenz im Schatze der Johanniskirche bewahrt wird. Al- lein auch in der Ausfuͤhrung zeigen sich Spuren griechischer Schule. Das Bindemittel ist entschiedener noch, als in jenem Bilde des Guido von Siena , jenes dichtere, verdunkelnde, glaͤnzende der Byzantiner; der Auftrag gestrichelt, genau; ge- gen die gaͤnzliche Abwesenheit des Helldunkels gehalten, welche ich oben an aͤlteren Denkmalen italienischer Abkunft nachge- wiesen, ist hier schon Modellirung und Streben nach Halbtoͤ- nen, welche letzte, wie bey den Griechen, stark in das Gruͤn- liche fallen. Bey Morrona findet sich eine rohe Nachbil- dung dieser Arbeit, welche vom Ganzen hinreichende Vorstel- lung giebt l. et To. etc. . Die Aufschrift am Fuße des Bildes ist leider zu Anfang beschaͤdigt; doch liest man noch: .. NTA PISANVS ... TINI ME F ... Lanzi l. c. origini etc. macht es geltend, daß er in der zweyten Reihe zuerst richtig ... TINI gelesen habe; und in der That be- greife ich nicht, wie Morrona das rundliche N fuͤr ein P nehmen und im Ganzen TIPI lesen konnte, da das italieni- sche Diminutiv ini so nahe zur Hand lag. Ob aber der erste befugt sey, das Fehlende zu ergaͤnzen, und daraus Jun tini zu machen, duͤrfte um so mehr in Frage stehen, da die frei- lich lauen Forschungen der Pisaner bisher nur einen Juncta Guidotti an das Licht gefoͤrdert haben. Andere Malereyen, welche dem Ansehen nach mit den bezeichneten zusammenfallen, doch leider keine Aufschriften ent- halten, aus denen Jahr und Meister zu erweisen waͤre, finden sich vereinzelt an den Mauern, auf den Altaͤren vernachlaͤssig- ter Kirchen, oder in historisch geordneten Sammlungen, vor- nehmlich solcher Staͤdte, welche eben zu Anfang des dreyzehn- ten Jahrhunderts, gleich Pisa und Siena , den Wendepunct ihrer Macht und Groͤße erreicht hatten. Verschiedene Anti- mensia, deren Hauptentwurf allerdings jenem barbarisch-ita- lienischen Denkmal vom Jahre 1215 entspricht, deren Aus- fuͤhrung indeß, dem faͤrbenden Stoffe, dem Auftrag, der Zeichnung nach, Bekanntschaft mit griechischen Kunstmanieren darlegt, bewahrt die Sammlung der Akademie zu Siena . Das eine, in der Mitte die groͤßere Figur des heil. Johannes Bapt. , zu den Seiten Abtheilungen mit Geschichten aus seinem Leben, ist schwerlich noch aus dem zwoͤlften Jahrhundert, wie der Verfasser des Katalogs nach Eingebungen einer minder begruͤndeten Kennerschaft behauptet hat. Das andere, aus der Kirche S. Giovannino di Pantaneto, mit Geschichten aus dem Leben und Leiden des Apostels Petrus , ist der Behandlung nach ungleich italienischer, als jenes; doch glaube ich, daß der Kuͤnstler so viel altchristliche und halbantike Erinnerungen, als vornehmlich in Gebaͤuden und Kleidungen darin vorkom- men, leichter aus neugriechischen, als aus italienischen Denk- malen des hoͤheren christlichen Alterthums duͤrfte aufgenommen haben. Zu Pisa , in der Kirche S. Pietro in Vinculis , fin- det sich eine Altarbedeckung, welche mit der vorangenannten der Akademie zu Siena im Entwurf, wie in der Ausfuͤhrung, viel Aehnlichkeit zeigt. Doch sind die Vorstellungen noch ent- schiedener griechisch; Christus am Kreuze mit geschwollenem, aushaͤngendem Leibe, gesenktem Haupte; oben eine Jungfrau mit aufgerichteten Armen, zu beiden Seiten herabhaͤngen- dem Mantel. Das wichtigste indeß unter den minder beglaubigten Denkmalen dieser Zeit scheint mir die lange Folge von Lebens- ereignissen der Apostel Petrus und Paulus an den oberen Seitenwaͤnden des Mittelschiffes der Kirche S. Pietro in Grado , auf dem Wege von Pisa nach Livorno . Diese nur in der Farbe unscheinbare (vielleicht al secco gemalte, oder durch die Seeluft verzehrte) Malerey ist durchhin von guter Anordnung, vieler Lebendigkeit der Handlung, selbst von eini- ger Reinheit der Charaktere, besonders der beiden Apostel. Nach einem allgemeinen Gefuͤhle nimmt Morrona Pisa illustr. T. III. ed. 1793. p. 405 s. an, daß sie um das Jahr 1200 entstanden seye, worin er sicher nicht so gar weit vom Wahren abweicht. Uebrigens ist die Vermuthung, daß sie des Junta Arbeit, ihm hier eben so wenig einzuraͤumen, als aͤhnliche an anderen Stellen. Ueber- haupt ist es thoͤricht, in so alter Zeit bey unbeglaubigten Ma- lereyen den Meister aus bestimmten Eigenthuͤmlichkeiten erken- nen zu wollen. Denn einmal waren diese letzten, auf dama- liger Kunststufe, den Schulmanieren und herrschenden Vorstel- lungen ganz untergeordnet; dann aber besitzen wir, wie ich mehrmal erinnert habe, nur von einer geringen Zahl damali- ger Kuͤnstler beglaubigte Werke, weshalb es uns wohl jeder- zeit wird verborgen bleiben, worin sie sich von andern Malern unterschieden, worin wiederum sie anderen geglichen haben, die wir nicht kennen. In jenen Zeiten erscheint das Eigen- thuͤmliche uͤberall in groͤßeren Massen, von Volk zu Volk, von Zeitraum zu Zeitraum Gegensaͤtze bildend. Daher werden wir bey erwaͤhnten Wandmalereyen vielleicht uͤber die Natio- nalschule entscheiden koͤnnen, aus welcher sie entstanden, doch nimmer uͤber den Meister, der sie vollbracht. In dieser Be- ziehung bin ich geneigt, sie durchhin fuͤr griechische Arbeit zu halten. Bey Junta , Guido , Solsernus , sogar bey dem flo- rentinischen Jacob , zeigt sich neben dem Aufdruck griechischer Schule oder Vorbildlichkeit, noch immer einige Spur italieni- scher Gewohnheiten; die Kuͤrze und Plumpheit, in welche die aͤlteren Italiener verfallen waren, veranlaßte sie, denke ich, als sie zum entgegengesetzten Aeußersten der griechischen Hager- keit uͤbergingen, diese um ein Geringes zu fuͤllen und in die Breite zu erweitern. Allein in den Malereyen der Kirche S. Pietro in Grado zeigt sich eben jene zierliche Hagerkeit der Behandlung und der Verhaͤltnisse mehr, als irgend sonst in alten toscanischen Arbeiten. Auch ist es mir in solchen nir- gend vorgekommen, daß sie, in emsiger Nachahmung hochal- terthuͤmlicher Vorbilder, deren Charakter so wohl getroffen, als in jenen geschehen ist. — Ob die Wandmalereyen einer al- ten Kirche zu Cremona , welche mir nur aus Millins Be- schreibung bekannt sind, in griechischer, oder in entgegengesetz- ter italienischer Schulart gemalt seyn, wage ich nicht zu ent- scheiden. Doch bezweifle ich, ob dieser Forscher mit Sicherheit aufgefaßt habe, wodurch im hoͤheren Mittelalter italienische Ar- beiten von griechischen sich unterscheiden Millin , voy. dans le Mil. T. II. p. 317. — Vom Dome zu Cremona : „Ce qui reste sur la voûte des deux nefs latérales est véritablement unique. Les sujets sont tirés de l’histoire sainte. Les figures sont malheureusement petites et la lumière est très rare. Le dessin est sec ; mais le coloris est très vif et les costumes sont . Gewiß versaͤumte er die Angabe der Gruͤnde, welche ihn bestimmten, jene Ar- beiten fuͤr italienische zu halten. War Venedig , wie man be- hauptet, und wie es wahrscheinlich ist, fuͤr die Lombardey , was Pisa fuͤr Toscana , der Mittelpunct nemlich, von welchem die Nachahmung der Byzantiner ausgegangen; so duͤrften jene Malereyen zu Cremona , welche schon nach den angegebenen Beyschriften einer aͤlteren Epoche, vielleicht der unsrigen ange- hoͤren, eben sowohl griechische, oder doch graͤcisirende Arbeiten seyn koͤnnen, als eigenthuͤmlich italienische; ein Wort, mit welchem Millin vielleicht nicht einmal einen so ganz deutli- chen Begriff verband. Doch habe ich letztere Denkmale, deren Alter nur annaͤ- herungsweise und aus allgemeinen Analogieen zu bestimmen ist, bloß in der Absicht herangezogen, dem Leser die weite Verbreitung dazumal in Italien vorwaltender Anwendung griechischer Kunstmanieren so viel als moͤglich anschaulich zu machen. Denn, um den Zeitpunct zu bestimmen, in welchem dieselben zuerst in Italien eingedrungen sind und begonnen haben, foͤrdernd auf die Kunstuͤbung dieses Landes einzuwir- ken, duͤrften schon die fruͤher beleuchteten Denkmale genuͤgen, welche ihre Beglaubigung an der Stirn tragen. Unter diesen war das spaͤteste Beyspiel italienisch-barbarischer Malart jenes Antimensium zu Siena , mit dem Jahre 1215; das aͤlteste Denkmal hingegen gelungener Nachahmung griechischer Manier und Auffassung das colossale Musiv am Dome zu Spoleto vom Jahre 1207; also werden wir mit Zuversicht annehmen très singuliers. Des légendes apprennent les noms des figures et font connaître les sujets. Il est cependant évident (?), que les figu- res n’ont pas été faites par des Grecs; tout y est italien.“ koͤnnen, die fragliche Umwandlung der italienischen, wenigstens der toscanischen Malerey sey das Werk der fruͤheren Decen- nien des dreyzehnten Jahrhunderts. Die unumgaͤngliche Voraussetzung eines gedeihlichen Wir- kens in den Vortheilen, Handhabungen, Formen der neuen italienisch-griechischen Kunstart war denn nun allerdings die eben damals eingetretene, zunehmende Empfaͤnglichkeit fuͤr technische Foͤrderung oder geistige Steigerung der bildenden Kuͤnste. Unter den aͤußeren Veranlassungen, welche hier, wie uͤberall, hinzugewirkt haben, war indeß die Eroberung von Constantinopel durch Franken und Italiener offenkundig und einleuchtend die wichtigste. — Die Venezianer scheinen auf die Koͤstlichkeit kirchlicher Kunstschaͤtze der Byzantiner sich besser verstanden zu haben, als die kriegerischen Praͤlaten und muthi- gen Ritter der Franken. Villehardouin enthaͤlt, bey viel allgemeiner Bewunderung der Pracht byzantinischer Baukunst und Lebenseinrichtung, durchaus keine in das Einzelne gehende Kunstnachricht Villehardouin , Geoffroy de, hist. de la conquête de Constantinople . Paris 1657. fo. p. 81. — Vom Brande, welcher der Eroberung voranging. — „Les barons de l’armée eûrent grande compassion, de voir ces hautes Eglises et ces riches palais „fondre et abaissier.“ — Et les grandes ruës marchandes avec des riches- ses inestimables toutes au feu.“ . Dagegen haben wir lange Verzeichnisse von Buͤchern, Kleinoden, Geraͤthen, welche die Venezianer aus den Kirchen der Hauptstadt sollen entnommen haben S. Alter, Fr. C. , philologisch-krit. Miscellaneen. Wien 1799. XVII. (S. 234). Wo „uͤber eine lit. artistische Pluͤnderung zu Anfang des dreyzehnten Jahrhunderts“ die wichtige Stelle der Chronik des Dorotheus ( Venet. 1778. 4. p. 397 f.) durch Ver- gleichungen und schaͤtzbare Bemerkungen erlaͤutert wird. . Ueber- reste dieser Pluͤnderung finden sich noch immer im Schatze der Marcuskirche zu Venedig Nur einen fluͤchtigen Blick wirft v. d. Hagen , Briefe etc. Bd. II. S. 116, auf diese Alterthuͤmer, denen ich zufaͤllig ebenfalls keine laͤngere Zeit zu widmen im Stande war. ; aber auch die mit Bildern ge- zierten kirchlichen Handschriften der italienischen und anderer Bibliotheken, deren viele einer gemeinschaftlichen, dem Jahre 1200 vorangehenden Epoche angehoͤren Außer den schon angegebenen fand ich auch zu Siena , Bibl. der Sapienza, eine beachtenswerthe miniirte HS. mit getrie- benem, maltirtem, griechischem Deckel, welcher ungefaͤhr in die angegebene Zeit faͤllt. , duͤrften schon da- mals in den Westen gelangt seyn. — Gewiß kann es nicht so ganz zufaͤllig seyn, daß jene Kunstpluͤnderung im Jahre 1204 unseren aͤltesten Denkmalen italienisch-griechischer Male- rey nur um wenig Jahre vorangeht. Dasselbe Ereigniß moͤchte denn auch die Verpflanzungen griechischer Maler in italienische Seestaͤdte vervielfaͤltigt haben, da es nach der schwersten Schaͤdigung, welche Constantinopel seit dessen Gruͤndung betroffen, dort sicher nicht an Veranlas- sungen der Auswanderung, vielleicht auch von Seiten italie- nischer Patrioten nicht an Lockungen gefehlt hat. Leider fehlt es mir, diese Thatsache zu bewaͤhren, an urkundlichen Ueber- zeugungen, um sie auszumalen an umstaͤndlicher Kunde. Nicht einmal Solches habe ich zur Hand, was in den Druckschriften venezianischer Topographen und Forscher uͤber diesen Gegen- stand angemerkt und behauptet worden. Doch fuͤrchte ich, nach den Auszuͤgen bey Fiorillo und von der Hagen Fior. Gesch. d. z. K. Thl. II. S. 8 und 214. Von der Hagen , Briefe etc. Bd. , daß ihre Ausbeute spaͤrlich, ihre Zuverlaͤssigkeit nicht durchhin bewaͤhrt sey. Ist man doch, wie es scheint, nicht einmal uͤber den Namen eines Kuͤnstlers einig, der im zwoͤlften (?) Jahr- hundert von Constantinopel nach Venedig gekommen, dort eine Schule eroͤffnet haben soll; Fiorillo Das. nennt ihn Theophi- lus ; Zannetti Delle pitture di Venez. 1771. 8. p. 2. — Beide stuͤtzen sich auf: hist. almi Ferrariensis gymn. Ferrara 1735. Auch dieses habe ich nicht zur Hand, uͤberlasse daher anderen, diese Frage zu erledigen. dagegen Theophanes . Ueberhaupt steht zu befuͤrchten, daß wir uͤber die Um- staͤnde der Verpflanzung griechischer Kuͤnstler nach Venedig und Pisa , oder in andere Staͤdte Italiens , nicht so leicht zu eini- ger Sicherheit der Kunde gelangen werden. Die italienischen Archive sind eben zu Anfang des dreyzehnten Jahrhunderts meist sehr unvollstaͤndig, und schon in der Anlage karg an jenen speziellen Nachrichten, welche seit dem Ende desselben Jahrhunderts sich ins Unendliche vervielfaͤltigen; unter den aͤlteren Chronisten, welche hier aushelfen koͤnnten, fallen we- nige genau mit jener Begebenheit zusammen. Demungeachtet ist es klar, daß eine lebendige Schule und Mittheilung statt- gefunden hat. Die italienischen Malereyen des dreyzehnten Jahrhunderts zeigen nicht bloß den Aufdruck griechischer Vor- bilder, vielmehr auch, wie schon erwaͤhnt worden, die Anwen- dung von Vortheilen und Handgriffen, welche fruͤherhin nur bey den Griechen uͤblich gewesen. Bereitung aber und Hand- habung faͤrbender Stoffe koͤnnen nimmer bereits Vollendetem abgelauscht werden; uͤberall geschieht die Fortpflanzung solcher Vortheile durch eine gluͤckliche Vereinigung von Beyspiel und Anweisung, welche nur in dem Wechselverhaͤltniß des Schuͤlers zum Lehrer moͤglich und denkbar ist. Demnach erscheinen waͤhrend der dunkleren Jahrhunderte des Mittelalters nur abgerissene Spuren eines voruͤbergehen- den, im Ganzen angesehen, erfolglosen Einflusses der Byzan- tiner; allgemein verbreitet und fruchtbringend zeigte sich dieser Einfluß nicht fruͤher, als seit den ersten Decennien des drey- zehnten bis zu den ersten Jahrzehenden des folgenden Jahr- hunderts. Fruͤher entdeckten wir ihn bisweilen in Bildnereyen, zu denen wir die alten Bronzethore des Domes zu Pisa zaͤh- len duͤrfen, uͤber deren Entstehung nichts Sicheres bekannt ist. In diesem Zeitraum aber beschraͤnkt er sich fast ohne Aus- nahme auf die Malerey. Die Bildnerey befolgte heidnisch- und christlich-antike Vorbilder, spaͤter auch deutsche, oder, wie man sagt, gothische; in der Baukunst aber war die roͤmische Schule, wie ich in nachstehender Abhandlung zeigen werde, nie so gaͤnzlich unterbrochen worden, war das Fremde, wel- ches in dieser Kunstart waͤhrend des zwoͤlften und dreyzehnten Jahrhunderts sich eingedraͤngt hatte, nicht etwa bloß ein by- zantinisches oder anderes, sondern gar viel und mancherley. Doch sogar in der Malerey der Italiener des dreyzehnten Jahrhunderts zeigen sich Spuren einer von griechischem Ein- fluß ganz unabhaͤngigen Entwickelung durch Wetteifer mit christlich-antiken Denkmalen. Dahin gehoͤren die Malereyen einer abgesonderten Kapelle des Klosters SS. Quattro zu Rom , wo die Runde mit den Buͤsten der Apostel altchristlichen Denkmalen nicht ohne Kunstgefuͤhl nachgeahmt sind. Das Gebaͤude, an dessen Waͤnden sie gemalt sind, ist sicher um die Mitte des dreyzehnten Jahrhunderts aufgerichtet worden; zu Anfang des vierzehnten indeß wurden alle aͤlteren Manieren und Weisen von der sogenannten Giottesken verdraͤngt; jene Arbeiten werden demnach mit dem Gebaͤude zugleich entstan- den seyn. Auch in der Miniaturmalerey damaliger Zeiten zeigen sich Fortschritte, welche nicht sowohl aus Nachahmung der neueren Griechen, als vielmehr aus dem Wetteifer mit italienischen Denkmalen zu erklaͤren sind. Einige lateinische Handschriften, welche insgemein aus dem Wunsche, Hochalterthuͤmliches zu besitzen, oder auch nach den Zuͤgen der Schrift, welche bey calligraphischen Denkmalen truͤgerisch sind, fuͤr aͤlter gehalten werden, duͤrften, nach ihren Miniaturen zu urtheilen, in die Mitte des dreyzehnten Jahrhunderts fallen, vielleicht eben da- mals zu Rom , oder wenigstens im Bereiche dieser Stadt ver- fertigt seyn. Eine Handschrift der Laurentiana, welche zu Florenz nach den Schriftzuͤgen dem eilften Jahrhundert beygemessen wird Diese HS. war vor einigen Jahren noch nicht numerirt und im Verzeichnisse aufgenommen. Sie enthielt die Aufschrift: Nec cultu nitidum, nec auro renidentem, sed vetustate ceteris longe clariorem codicem hunc, saec. circiter XI. exaratum, Maria Aloysia — biblioth. Mediceae donavit XVII. Cal. Oct. an. 1806. — Das Kalendar reicht weiter vorwaͤrts. Die unbestimmte Zeitangabe ist nach den Schriftzuͤgen angenommen. , enthaͤlt ein verziertes Kalendarium, zu Anfang eines jeden Monats eine kleine, wohl miniirte Figur, mit Einsammlung der wichtigsten Erzeugnisse, oder mit dessen Verarbeitung, oder auch mit Abwehrung der Bedraͤngnisse bestimmter Jahreszeiten beschaͤftigt. Diese Figuren sind meist durch eine aufgeschuͤrzte Tunica bekleidet, mit entbloͤßten Armen und Beinen, nicht selten, wie Februar und Maͤrz, von vortrefflicher Stellung und und beynahe statuarischer Einfachheit. In der Ausfuͤhrung merkliches Streben nach Rundung der Theile, bey vollstaͤndig- ster Entfernung von allen Eigenthuͤmlichkeiten des neugriechi- schen sowohl, als des giottesken Geschmackes. Nirgend zeigt sich Gold und Schmuck; die Formen gehen ins Kurze und Breite; das Vorbild ist offenbar, wenn auch vielleicht durch das Mit- telglied einer Handschrift des fuͤnften oder sechsten Jahrhun- derts, roͤmisch-antik. Aus einem aͤhnlichen Bestreben, wahrscheinlich beynahe zu gleicher Zeit, entstanden die bekannteren Copieen von spaͤt-antiken Miniaturen in der Handschrift des Virgil in der Vaticana. Diese Bilder hat Santi Bartoli , mit unendlichen Zu- saͤtzen und Abaͤnderungen von seiner eigenen Wahl und Erfin- dung, bekannt gemacht; Niemand verspreche sich, daß seine Nachbildungen historische Treue besitzen. Allerdings sind diese Bilder nothwendig Copieen oder Nachahmungen aͤlterer, spaͤt- antiker, wie es deutlich theils schon aus der Anordnung er- hellt, theils aus vielen Bekleidungen, Beywerken und Bau- lichkeiten, welche waͤhrend des Mittelalters zwar nachgemacht, doch nicht wohl konnten erfunden seyn. Doch verraͤth sich die spaͤtere Zeit durch eingeschobene Figuren in spaͤtmittelalterlicher Tracht, z. B. in den Soldaten, Blatt LXXIII. Ruͤckseite, welche zu beiden Seiten der Helden stehen. Das Original war vielleicht an einzelnen Stellen verletzt; oder der Nachah- mer gestattete sich einige Zusaͤtze und Vermehrungen. Unabhaͤngig von dieser, dem Ansehen nach auf Rom be- schraͤnkten Nachahmung des Alterthuͤmlichen, entstand auch zu Florenz einige Hinneigung zu reinerer Formenbildung, mithin zu reinerem Ausdruck christlich-sittlicher Ideen, wie solches in I. 23 dem Musiv an der Vorseite der Kirche S. Miniato a Monte sichtbar ist, der mehrgedachten Benedictinerabtey außerhalb der Mauern jener Stadt. Ueber das Alter dieser Arbeit giebt es keine sichere Urkunde, wenn nicht etwa hinter dem vorra- genden Gesimse eine Inschrift verborgen waͤre, welches, von unten angesehen, den Saum des Bildes etwas verdeckt. Nach allen Analogieen kann es auf keine Weise der aͤußeren Beklei- dung der Vorseite gleichzeitig seyn, da diese im eilften Jahr- hundert beschafft, worden, als die italienische Malerey aller Sicherheit der Umrisse entbehrte. Auf der anderen Seite wer- den wir nicht wohl annehmen koͤnnen, daß solches spaͤter, als in den ersten Decennien des dreyzehnten Jahrhunderts ange- fertigt worden. Denn anderer, schon beleuchteter Beyspiele nicht zu gedenken, enthaͤlt die Tribune derselben Kirche ein zweytes geraͤumiges, in griechischem Geschmack und in griechi- scher Technik (in kleineren, netter eingefuͤgten Glasstiften) aus- gefuͤhrtes Musiv, unter welchem in theils erloschenen Charak- teren auf dem dunkeln Marmor des Frieses Folgendes aufge- zeichnet und noch zu lesen ist: AN̅O DNI MCCXCVII. TE̅PORE PP ....... .... EST … OPVS Das erste hingegen, an der Vorseite der Kirche, in welchem Christus , auf noch einfachem, nicht byzantinisch mit Blaͤtter- schmuck und Vergliederungen uͤberladenem Throne, neben ihm, etwas kleiner, S. Minias und die Jungfrau, ist in dicken, etwas rundlichen und grobgefuͤgten Glasstuͤcken zusammenge- setzt. In der allgemeinsten Angabe der Gesichtszuͤge sind sie der Vermagerung, in welche die griechische Bildnerey sehr fruͤh, die Malerey etwas spaͤter verfallen war, durchaus entgegenge- setzt, und entsprechen bey weitem mehr der volleren Auffassung der Form, welche die ersten, von griechischen Vorbildern noch unabhaͤngigen Fortschritte der italienischen Malerey bezeichnen und unterscheiden. Hierin stimmen mit diesem Musaik uͤberein einige etwas ausgebildetere Wandmalereyen im Innern der Kirche, zur Rechten der Thuͤre, welche in die Sacristey fuͤhrt. Sie sind erst in neueren Zeiten durch Herabfallen des Bewur- fes wieder zum Vorschein gekommen. Endlich befindet sich zu Pisa , im Capellone des Pozzo des Campo Santo, ein Kruzi- fix, welches Pisanische Kenner dem Ayllonio Greco des Va- sari beylegen. Ich bin nicht Kenner genug, um Meister auszufinden, deren Existenz ungewiß, deren Werke ganz unbe- kannt sind. Doch ist es gewiß eine Nachahmung des griechi- schen Typus, und ungefaͤhr aus der Zeit des Giunta von Pisa . Gedruckt bey A. W. Schade, alte Gruͤnstraße Nr. 18. Sinnentstellende Druckfehler. S. 8. Z. 4 v. u. statt: zu verdeutlichen, lies: sich zu verdeutlichen. S. 9. Z. 7 v. u. statt: der Mienen, lies: der Mimen. Das., Anm. Z. 4 v. o. statt: (S. 3.), lies: (S. 31.) S. 25. Anm. *) Z. 5 u. 6 v. o. statt: ausschließender, lies: Aus- schließendes. S. 36. Anm. statt: fuoni, lies: fuori. S. 42. Z. 10 v. u. statt: Freyheit, lies: Frechheit. S. 55. Z. 2 v. u. statt: bezieht, lies: beziehe. S. 106. Z. 1 v. u. statt: von einer Formenschoͤnheit, lies: von Formenschoͤnheit. S. 116. Z. 9 v. u. statt: Geschmacksparthey und, lies: Geschmacks- partheyung. S. 117. Z. 1 v. u. hinter: muͤßte, faͤllt das Komma weg. S. 120. Anm. Z. 2 v. u. statt: gesammten, lies: gesammte. S. 131. Z. 7 v. u. statt: eigentlich Gegenstaͤnde, lies: eigentliche Gegenstaͤnde. S. 132. Z. 5. v. u. statt: mit derselben, lies: mit denselben. S. 137. Anm. Z. 7 v. u. statt: gleichdeutend, lies: gleichdeckend. S. 148 . Z. 4 v. u. statt: sichtbar gemacht, lies: fuͤhlbar gemacht. S. 155. Anm. Z. 2 v. u. statt: worauf, lies: woraus. S. 156. Z. 8. v. o. statt: Also wird auch, lies: Also wird. S. 159. Z. 7 v. u. statt: gemaͤchlich, lies: gemaͤhlich. S. 163. Z. 3 v. u. statt: zerstreuenden, lies: zerstreuender. S. 165. Anm. Z. 2 v. u. statt: Bessus, lies: Bassus. S. 168. Anm. Z. 6 v. u. statt: Triubzi, lies: Triulzi . S. 171. Anm. Z. 4 v. o. statt: und der, lies: und das. S. 175. Z. 6 v. o. statt: Eparchates, lies: Exarchates. S. 212. Anm. *) statt: Pictor. scr., lies: Pistor. scr. S. 214. Anm. ***) Z. 2 v. u. statt: valam regiam , lies: salam reg. S. 217. Z. 4 v. u. statt: worden, lies: wurde; statt: In, lies: An S. 232. Anm. Z. 5 v. o. statt: Meinwerdi, ließ: Meinwerci . S. 235. Z. 14 v. u. statt: nichts Besseres, lies: nicht Besseres, S. 239. Anm. *) Z. 4 v. o. statt: oxornatam, lies: exornatam, Das. Anm. **) hinter: Praxedis. faͤllt das Punctum weg. Versetzungen der Interpunction und einzelner Buchstaben, Un- gleichheiten der Orthographie und andere minder erhebliche Fehler wolle der guͤtige Leser selbst verbessern, und der Entfernung des Vfs. vom Druckorte nachsehen.