Handbuch der medicinischen Physik . Von Dr. Wilhelm Wundt, Professor an der Universität zu Heidelberg. Mit 244 in den Text gedruckten Holzschnitten. Erlangen. Verlag von Ferdinand Enke . 1867 . Verfasser und Verleger behalten sich das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen vor. Schnellpressendruck von C. H. Kunstmann in Erlangen. Vorwort . Die Physik bildet gegenwärtig nicht bloss die unerlässliche Vor- aussetzung eines gründlicheren physiologischen Studiums, sondern auch in der practischen Medicin hat sie bekanntlich eine Reihe der fruchtbarsten Anwendungen gefunden und findet deren täglich noch neue. Der ganze Apparat der physikalischen Diagnostik und Therapie, dessen Schöpfung fast völlig das Werk der lebenden Generation ist, beruht theils auf der Deutung physikalischer Erscheinungen, theils auf der Benützung physikalischer Hülfsmittel. Diesem Umschwung ver- dankt die medicinische Physik als ein neuer Zweig der ange- wandten Naturlehre ihre Entstehung. Bei der Darstellung dieser Wissenschaft sind zwei Wege mög- lich. Entweder kann man die allgemeine Physik als bekannt voraus- setzen und bloss sich mit den Anwendungen der physikalischen Leh- ren in der Medicin beschäftigen; in diesem Fall werden die Gesichts- punkte der Eintheilung und näheren Ausführung im Allgemeinen den betreffenden medicinischen Disciplinen zu entnehmen sein. Oder man kann den Zweck einer Darstellung der allgemeinen Physik selbst mit dem besonderen Zweck der Erörterung ihrer medicinischen An- wendungen verbinden; dann werden die Gesichtspunkte der Einthei- lung und Ausführung der Physik entnommen werden müssen, und die medicinische Physik wird sich von andern physikalischen Darstellun- gen hauptsächlich dadurch unterscheiden, dass sie den speciellen Be- dürfnissen des Mediciners angepasst ist, dass sie also die für die Phy- siologie und Heilkunde wichtigen Capitel vorzugsweise berücksichtigt, während sie die andern Gebiete der Physik nur insoweit berührt, als * Vorwort. dies im Interesse eines zusammenhängenden wissenschaftlichen Ver- ständnisses erforderlich scheint. Bis jetzt ist meines Wissens vorzugsweise der erste dieser Wege betreten worden. Ausser dem schätzenswerthen Werke von Adolf Fick , welchem das Verdienst zukommt, die medicinische Physik über- haupt zum ersten Mal als besondern Wissenszweig behandelt zu ha- ben, besitzen wir in dieser Richtung eine grössere Zahl einzelner Ar- beiten über physikalische Diagnostik, Elektrotherapie, Theorie und Praxis des Mikroskops u. s. w. Der Verfasser dieses Handbuchs hat den zweiten Weg einzu- schlagen versucht. Die Frage, ob die so gestellte Aufgabe nach ihrer wissenschaftlichen Begrenzung berechtigt und nützlich sei, muss das Werk selber beantworten. Der Plan desselben, schon vor länge- rer Zeit entworfen, ist in dem Verfasser hauptsächlich aus Anlass der Ausarbeitung seines Lehrbuchs der Physiologie, bei der er sich immer mehr von der Nothwendigkeit einer grundlegenden und ergänzenden physikalischen Darstellung zu überzeugen glaubte, zur Reife ge- diehen. Nach zwei Richtungen hin mussten der vorliegenden Arbeit ge- wisse Grenzen gezogen werden. Nach der physikalischen Seite glaubte der Verfasser Alles aussondern zu sollen, was nicht theils für die be- sondern Anwendungen, theils für den stets festgehaltenen Zweck phy- sikalischer Allgemeinbildung nothwendig schien. Hinsichtlich der me- dicinischen Anwendungen dagegen glaubte er sich hinwiederum auf die physikalische Begründung beschränken zu müssen, die weitere Durchführung den betreffenden Zweigen der Physiologie und Medicin überlassend. Wenn hier in der einen oder andern Richtung dem Leser bald zu viel bald zu wenig geschehen sein sollte, so bitte ich zu bedenken, wie schwierig die richtige Ausmessung eines kaum be- grenzten Gebietes ist. Längst hat sich mir die Ueberzeugung aufgedrängt, dass die physikalische Vorbildung unserer Mediciner durchschnittlich in argem Missverhältniss stehe zu den Anforderungen, welche die eigene Wis- senschaft an sie stellt, und ich glaubte einen grossen Theil der Schuld dem Umstande zuschreiben zu dürfen, dass die Darstellungen der Physik, die wir besitzen, grossentheils den Techniker oder Chemiker vor Augen haben, dem Mediciner aber die Wichtigkeit physikalischer Vorbildung um so weniger fühlbar machen, als gerade diejenigen Vorwort. Zweige der Physik, deren er bedarf, in der Regel in ungenügender Kürze behandelt sind. Tritt er dann an eine monographische Bear- beitung dieser Capitel, so machen sich die Lücken der physikalischen Vorbildung um so empfindlicher geltend, und er beschränkt sich nun nicht selten darauf, einzelne practische Winke solchen Werken zu ent- nehmen, verzichtet übrigens im Ganzen auf das Verständniss. Die folgende Darstellung will keineswegs die Benützung speciellerer Ar- beiten über die verschiedenen Zweige der allgemeinen und medicini- schen Physik entbehrlich machen. Sie wünscht vielmehr eine Grund- lage zu geben, auf welcher demjenigen, den sein Interesse auf ein bestimmtes Ziel hinweist, der weitere Fortschritt ermöglicht und er- leichtert werde. Die gewählten Darstellungsmethoden, die man vielfach abwei- chend von den in physikalischen Lehrbüchern herkömmlichen finden wird, glaubt der Verfasser als die verhältnissmässig leichtesten Wege zu einem klaren Verständnisse erprobt zu haben. Durch viele der hier gegebenen Ableitungen hat er sich selbst einst dieses Verständ- niss erst suchen müssen. Vielleicht darf er hoffen, dass seine Mühe Manchem über die ersten Anstrengungen hinweghelfe, die überwunden sein müssen, um an der Beschäftigung mit physikalischen Studien jene Freude finden zu können, die zu selbständiger Arbeit anregt. Heidelberg , im Juli 1867. W. Wundt . Inhaltsverzeichniss. Seite Einleitung 1 §. 1—5. Naturgeschichte und Naturlehre. Die Naturgesetze. Dar- stellung der Naturgesetze durch Gleichungen und Curven. Die Physik als die Wissenschaft von den Bewegungen. Die Natur- kräfte. Erster Abschnitt. Von den Naturerscheinungen und Naturge- setzen im Allgemeinen. Erstes Capitel. Die allgemeinsten Naturgesetze 6 §. 6—13. Gesetz der Causalität. Gesetz der Erhaltung der Materie. Gesetz der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung. Ge- setz der geradlinigen Wirkung der Kräfte. Gesetz der Zusam- mensetzung der Kräfte. Gesetz der Erhaltung der Kraft. Zu- sammenhang der allgemeinsten Naturgesetze. Anwendung der erörterten Gesetze auf die Erscheinungen. Zweites Capitel. Von der Beschaffenheit der Materie und den Aggregatzuständen 14 §. 14—16. Allgemeine Eigenschaften der Materie. Atomistische Theorie. Aggregatzustände. Wechsel des Aggregatzustandes. Drittes Capitel. Die Gesetze der Bewegung 18 §. 17—26. Gleichgewicht und Bewegung. Parallelogramm der Kräfte. Hebel. Verhältniss von Kraft und Geschwindigkeit am Hebel. Princip der virtuellen Geschwindigkeiten. Anwendungen oder Sätze vom Kräfteparallelogramm und vom Hebel. Gleichförmige Bewegung. Gleichförmig beschleunigte Bewegung. Maass der Kräfte. Bewegungen unter dem Einfluss mehrerer Kräfte. Viertes Capitel. Von den Schwingungs- und Wellenbe- wegungen 33 §. 27—44. Schwingungen eines Punktes um seine Gleichgewichtslage. Anwendung des Gesetzes der Erhaltung der Kraft auf die Schwingungen. Gesetz der Schwingungsdauer. Longitudinal- schwingungen. Verdichtungs- und Verdünnungswellen. Schwin- Inhaltsverzeichniss. Seite gungsweite und Schwingungsdauer. Fortpflanzungsgeschwin- digkeit der Schwingungen. Wellenlänge. Kugelwellen. Wel- lenflächen und lineare Wellen. Vorkommen der Longitudinal- schwingungen. Transversalschwingungen. Vorkommen der Transversalschwingungen. Interferenz der Wellen. Reflexion der Wellen. Richtung der reflectirten Wellen. Stehende Schwin- gungen. Uebergang der Wellen in ein dichteres Medium. Uebergang in ein dünneres Medium. Brechung der Wellen. Zweiter Abschnitt. Von der Schwere 60 §. 44. Begriff der Schwere. Eintheilung dieses Abschnitts. I. Physik der festen Körper. Erstes Capitel. Allgemeine Eigenschaften der festen Körper 62 §. 45—46. Cohäsion. Festigkeit. Elasticität. Zweites Capitel. Gewicht und Schwerpunkt der festen Körper 65 §. 47—51. Gewicht. Richtung der Schwere. Schwerpunkt. Unter- stützung des Schwerpunktes. Die Waage. Die Rolle. Schwer- punkt des menschlichen Körpers. Drittes Capitel. Von den durch die Schwerkraft erzeug- ten Bewegungen der festen Körper 73 §. 52—56. Masse eines Körpers. Beschleunigung durch die Schwere. Fallgesetze. Fall auf der schiefen Ebene. Bewegungen des Pendels. Das physische Pendel. Viertes Capitel. Zusammenwirken der Schwere mit an- dern bewegenden Kräften 80 §. 57—65. Wurfbewegung. Bewegungen der Himmelskörper. Cen- tralbewegungen. Centrifugal- und Centripetalkraft. Bewegun- gen des menschlichen Körpers. Anwendung des Pendelge- setzes auf die Gehbewegungen. Anwendung der Lehre vom Schwerpunkt auf die Gehbewegungen. Mathematische Darstel- lung der Hauptgesetze des Gehens. Ortsbewegungen der vier- füssigen Thiere. Flug- und Schwimmbewegungen. Bewegun- gen der einzelnen Scelettheile. II. Physik der Flüssigkeiten. Fünftes Capitel. Vom flüssigen Aggregatzustand 92 §. 66. Cohäsion, Zusammendrückbarkeit, Volum und Form der Flüs- sigkeiten. Sechstes Capitel. Druck und Gleichgewicht der Flüssig- keiten 94 §. 67—71. Fortpflanzung des Drucks in Flüssigkeiten. Druck auf die Bodenfläche. Communicirende Gefässe. Gewichtsverlust fester Körper in Flüssigkeiten. Archimedisches Princip. Spe- cifisches Cewicht fester und flüssiger Körper. Schwimmende Körper. Siebentes Capitel. Molecularwirkungen flüssiger Körper 101 §. 72—76. Oberflächenspannung der Flüssigkeiten. Adhäsion von Inhaltsverzeichniss. Seite Flüssigkeiten an festen Körpern. Capillarität. Lösung. Quel- lung. Diffusion von Flüssigkeiten. Diffusion durch poröse Scheidewände. Endosmose. Achtes Capitel. Das Ausströmen aus Gefässen und der Stromlauf in starren Röhren 107 §. 77—120. Ausströmen aus Gefässen. Toricelli’sches Theorem. Stromlauf in einer cylindrischen Röhre. Beziehung zwischen Druck und Geschwindigkeit. Stromlauf in Röhren von wech- selndem Durchmesser. Biegungen des Rohres. Stromlauf in verzweigten Röhren Flüssigkeitsbewegung in Capillarröhren. Anwendungen auf die Blutbewegung. Neuntes Capitel. Von der Wellenbewegung der Flüssig- keiten 120 §. 85—87. Entstehung der Flüssigkeitswellen. Bahn der Flüssigkeits- theilchen bei der Wellenbewegung. Verschiedenheit von Wel- lenberg und Wellenthal. Vor- und rückwärtsschreitende Wellen. Zehntes Capitel. Stromlauf in elastischen Röhren 125 §. 88—92. Einfluss der Elasticität des Rohrs auf den Stromlauf. Strombewegung und Wellenbewegung. Wellenhöhe und Wel- lenlänge. Anwendung auf die Blutbewegung in den Gefässen. Physik des Arterienpulses. III. Physik der Gase. Elftes Capitel. Vom gasförmigen Aggregatzustand 134 §. 93. Expansivkraft. Absolutes und specifisches Gewicht der Gase. Zwölftes Capitel. Druck und Gleichgewicht der Gase 136 §. 94—100. Luftdruck. Gewichtsverlust der Körper in der Luft. Gas- druck. Das Monometer. Abnahme des Luftdrucks. Die Luft- pumpe. Luftleere Räume im Thierkörper. Verdichtung der Gase. Mariotte’sches Gesetz. Dreizehntes Capitel . Absorption und Diffusion der Gase 145 §. 101—104. Absorption der Gase. Ausströmen der Gase in den luftleeren Raum. Gasdiffusion. Gasdiffusion durch Capillar- räume. Dritter Abschnitt. Von dem Schall. Erstes Capitel. Entstehung und Ausbreitung des Schalls 152 §. 105—111. Ursachen der Schallempfindung. Die Sirene. Klang und Geräusch Geschwindigkeit der Schallschwingungen. Form der Schallwellen. Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalls. Reflexion der Schallwellen. Das Sprach- und Hörrohr. Bre- chung und Beugung der Schallwellen. Zweites Capitel. Von den Tönen und musikalischen Klängen 160 §. 112—117. Tonhöhe. Die consonirenden Intervalle. Die Accorde. Die Tonleiter. Die Klangfarbe. Einfache und zusammenge- setzte Schallschwingungen. Partialtöne des Klangs. Analyse des Klangs. Klänge der musikalischen Instrumente. Vocal- Inhaltsverzeichniss. Seite klänge. Interferenz der Schallwellen. Consonanz und Disso- nanz der Klänge. Combinationstöne. Drittes Capitel. Von den Geräuschen 176 §. 118—123. Classification der Geräusche. Kurz dauernde Geräu- sche. Die Consonantengeräusche. Geräusche in den Respira- tionsorganen. Geräusche in der Blutbahn. Vierter Abschnitt. Von dem Lichte 186 §. 124. Uebersicht der Lichterscheinungen. Eintheilung dieses Ab- schnitts. I. Geradlinige Fortpflanzung des Lichtes Erstes Capitel. Intensität des Lichtes 188 §. 125—127. Geradliniger Verlauf der Lichtstrahlen. Der Schatten. Bildentwerfung durch enge Oeffnungen. Abnahme der Lichtin- tensität mit der Entfernung. Photometer. Unterscheidung der Lichtintensitäten. Zweites Capitel. Geschwindigkeit des Lichtes 191 §. 128—130. Astronomische Messungen der Fortpflanzungsgeschwin- digkeit des Lichtes. Geschwindigkeit des irdischen Lichtes. Fortpflanzungsgeschwindigkeit in verschiedenen Medien. II. Reflexion und Brechung des Lichtes 195 §. 131. Reflexion und Brechung im Allgemeinen. Durchsichtige und undurchsichtige Beschaffenheit der Körper. Drittes Capitel. Reflexion des Lichtes 196 §. 132—138. Reflexion des Lichtes an ebenen Flächen. Der Helio- stat. Die Beleuchtungsspiegel. Anwendung ebener Spiegel zu Winkelmessungen. Reflexion des Lichtes an gekrümmten Flä- chen. Der Convexspiegel. Der Concavspiegel. Berechnung der Vereinigungsweite und Bildgrösse für Concav- und Con- vexspiegel. Aberration sphärischer Spiegel. Anwendungen des Concavspiegels. Viertes Capitel. Lichtbrechung an ebenen Trennungs- flächen . §. 139—142. Gesetz der Lichtbrechung. Brechung an ebenen Flä- chen. Totale Reflexion an ebenen Flächen. Brechung durch planparallele Glasplatten. Fünftes Capitel. Brechung und Reflexion durch Prismen 214 §. 143—145. Brechung durch das Prisma. Anwendungen der Bild- verschiebung durch das Prisma. Reflexion in dem Prisma. Sechstes Capitel. Lichtbrechung an Kugelflächen 216 §. 146—148. Gang der Lichtstrahlen. Conjugirte Vereinigungs- punkte. Brennpunkte und Brennebenen. Richtungslinien. Ort und Grösse des Bildes. Lage der Brennpunkte. Sphärische Aberration bei der Brechung. Siebentes Capitel. Lichtbrechung durch Linsen 221 §. 149—155. Formen der Linse. Allgemeine Erscheinungen der Lichtbrechung in Linsen. Gang der Lichtstrahlen durch Lin- sen. Die Knotenpunkte. Hauptpunkte. Vereinigungsweite und Inhaltsverzeichniss. Seite Bildgrösse. Anwendung auf die verschiedenen Linsenformen. Ableitung der Hauptgleichung. Sphärische Aberration bei Lin- sen. Brechung durch Linsensysteme. Optische Anwendungen der Linsen. Camera obscura. Brillengläser. III. Farbenzerstreuung des Lichtes. Achtes Capitel. Von der Zerlegung des zusammengesetz- ten Lichtes und der Mischung der Farben 235 §. 156—161. Zerlegung des Lichtes durch das Prisma. Das Son- nenspektrum. Mischung der Spektralfarben. Mischung der Farbeneindrücke von Pigmenten. Complementärfarben. Die drei Grundfarben. Das Farbendreieck. Verhältniss von Far- benton, Sättigung und Lichtintensität. Neuntes Capitel. Die dunkeln Linien im Spektrum 244 §. 162—163. Die Frauenhofer’schen Linien. Messung der Brechungs- exponenten fester, flüssiger und gasförmiger Körper. Zehntes Capitel. Verhältniss von Brechungs- und Disper- sionskraft 246 §. 164—166. Maass der Dispersionskraft. Mittleres Brechungsver- mögen. Achromatische Prismen. Farbenzerstreuung durch Linsen. Achromatische Linsensysteme. IV. Absorption, Fluoresceuz und chemische Wirkung des Lichtes. Elftes Capitel. Absorption des Lichtes 250 §. 167—172. Absorption beim Durchtritt des Lichtes. Körperfarben im durchfallenden Lichte. Absorption bei der Reflexion. Körperfarben im reflectirten Lichte. Das Absorptionsspektrum. Verhältniss von Absorption und Emission des Lichtes. Erklä- rung der Frauenhofer’schen Linien. Spektralanalyse. Theorie der Absorptionserscheinungen. Zwölftes Capitel. Chemische Wirkungen des Lichtes 259 §. 173—174. Chemische Verbindungen und Zersetzungen durch das Licht. Wirkung auf Silbersalze. Photographie. Chemische Wirkung der verschiedenen Strahlen des Spektrums. Unsicht- bare chemische Strahlen. Dreizehntes Capitel. Fluorescenz und Phosphorescenz 261 §. 175—177. Erscheinungen der Fluorescenz. Theorie der Fluo- rescenz. Phosphorescenz. Leuchtende Thiere. V. Von den wichtigsten optischen Instrumenten. Vierzehntes Capitel. Das Auge 264 §. 178—181. Das schematische Auge und seine optischen Constan- ten. Verhältniss der beiden Brennweiten. Das reducirte Auge. Berechnung der Vereinigungsweite und Bildgrösse. Die opti- schen Cardinalpunkte. Gang der Lichtstrahlen im schemati- schen Auge. Veränderung der Brennweiten bei der Accomo- dation. Maass der dioptrischen Zustände des Auges. Fünfzehntes Capitel. Das Mikroskop 275 §. 182—192. Die Lupe. Das Bildmikroskop. Das zusammengesetzte dioptrische Mikroskop. Einfachste Form desselben. Die Col- Inhaltsverzeichniss. Seite lectivlinse. Das achromatische und aplanatische Objectiv- system. Unter- und überverbesserte Systeme. Einfluss der Deckplättchen. Immersionssystem. Beschreibung des zusam- mengesetzten Mikroskops. Camera lucida. Bildumkehrende Mikroskope. Photographie mikroskopischer Objecte. Binocu- lare Mikroskope. Bestimmung der Vergrösserungen des Mi- kroskops und der Grösse mikroskopischer Objecte. Prüfung der Mikroskope. Sechszehntes Capitel. Das Fernrohr 293 §. 193—197. Astronomisches Fernrohr. Terrestrisches Fernrohr. Katoptrisches Fernrohr. Das Fernrohr als Messungswerkzeug. Das Ophthalmometer. Siebenzehntes Capitel. Der Augenspiegel 299 §. 198—201. Der dunkle Augengrund. Princip des Augenspiegels. Beobachtung im virtuellen aufrechten und im reellen umge- kehrten Bilde. Beleuchtungsmethoden. Hauptformen des Au- genspiegels. Berechnung der Constanten des Augenspiegels. VI. Interferenz und Beugung des Lichtes. Achtzehntes Capitel. Interferenz der Lichtwellen 305 §. 202—207. Wesen der Interferenz. Der Fresnel’sche Spiegelver- such. Wellenlänge und Schwingungsgeschwindigkeit des Lich- tes. Das Interferenzspektrum. Farben dünner Plättchen. Pha- sendifferenz des durchtretenden und reflectirten Lichtes. New- ton’sche Farbenringe. Neunzehntes Capitel. Beugung der Lichtwellen 318 §. 208—210. Wesen und Ursache der Beugung. Interferenz der ge- beugten Wellen. Beugung an mehreren Oeffnungen. VII. Polarisation und Doppelbrechung des Lichtes. Zwanzigstes Capitel. Polarisation des Lichtes 318 §. 211—218. Veränderung des Lichtes durch Turmalinplatten. Pola- risationsebene und Schwingungsebene. Interferenz des polari- sirten Lichtes. Aetherschwingungen im polarisirten und im gewöhnlichen Lichte. Polarisation durch Reflexion. Polarisa- tionswinkel. Polarisation im gebrochenen Strahl. Theorie der Polarisation durch Reflexion und Brechung. Elliptische Pola- risation. Entstehung der elliptischen Polarisation. Circulare Polarisation. Einundzwanzigstes Capitel. Doppelbrechung in ein- und zweiaxigen Krystallen 329 §. 219—224. Doppelbrechung im Kalkspath. Wellenfläche einaxi- ger Krystalle. Elasticitätsfläche einaxiger Krystalle. Ableitung der Doppelbrechung und der Wellenfläche. Positive und ne- gative Doppelbrechung. Doppelbrechung in zweiaxigen Kry- stallen. Conische Refraction. Zweiundzwanzigstes Capitel. Interferenzerscheinungen im polarisirten Lichte 337 §. 225—235. Das Nicol’sche Prisma. Polarisation durch zwei Nicol’- sche Prismen. Ein Hauptschnitt zwischen den Nicol’s. Inter- Inhaltsverzeichniss. Seite ferenzerscheinungen dicker Platten bei parallelen Strahlen oder dünner Plättchen im homogenen Lichte. Derselbe Versuch im gemischten Lichte. Dicke Platten eines Hauptschnitts bei di vergirenden Strahlen. Ein Querschnitt zwischen den Nicol’s. Interferenzerscheinungen im homogenen Lichte. Ein Querschnitt zwischen den Nicol’s. Interferenzerscheinungen im gemischten Lichte. Polarisationsfarben dünner Plättchen aus zweiaxigen Krystallen. Interferenzerscheinungen dicker Platten aus zwei- axigen Krystallen. Circularpolarisation durch Glimmer- und Gypsplättchen, durch Quarzplatten. Drehung der Polarisa- tionsebene. Structur des Quarzes. Erklärung der Drehungser- scheinungen. Dreiundzwanzigstes Capitel. Polarisationsapparate und ihre Anwendung 353 §. 236—240. Zweck der Untersuchung. Das Polarisationsmikros- kop. Aufsuchung der Lage der Elasticitätsaxen. Bestimmung der Grösse der Elasticitätsaxen. Anwendung der Glimmer- und Gypsplättchen zur Bestimmung der Elasticitätsaxen. Mes- sung der Circularpolarisation. Das Saccharimeter. Fünfter Abschnitt. Von der Wärme 363 §. 241. Allgemeine Uebersicht der Wärmeerscheinungen. Einthei- lung dieses Abschnitts. Erstes Capitel. Ausdehnung durch die Wärme 364 §. 242—248. Die Temperatur als Maass des Wärmezustandes. Das Quecksilberthermometer. Ausdehnung fester Körper. Linearer und cubischer Ausdehnungscoëfficient. Ausdehnungscoëfficient der Flüssigkeiten. Ausdehnung der Gase. Gay-Lussac’sches Gesetz. Das Luftthermometer. Berücksichtigung der Tempera- tur bei Messungen. Berücksichtigung der Temperatur bei Wä- gungen. Berüchsichtigung der Temperatur bei Dichtigkeits- bestimmungen. Zweites Capitel. Veränderungen des Aggregatzustandes 380 §. 249—257. Unveränderlichkeit der Schmelz- und Siedepunkte bei constantem Druck. Veränderungen der Schmelz- und Siede- punkte mit dem Druck Schmelzpunkte der Legirungen. Siede- punkte der Salzlösungen. Einfluss der Adhäsion auf den Sie- depunkt. Verdampfung unterhalb des Siedepunktes. Abhän- gigkeit der Verdampfung vom Druck. Abhängigkeit der Ver- dampfung von Cohäsion und Adhäsion. Spannkraft der Dämpfe. Spannkraft der Dämpfe von Lösungen und der Dampf- oder Gasgemenge. Abhängigkeit der Dampfdichte von Druck- und Temperatur. Ausdehnungsgesetz der Körper in den drei Aggregatzuständen und beim Wechsel derselben. Drittes Capitel. Latente und specifische Wärme 391 §. 258—269. Begriff der latenten Wärme. Constanz der Schmelz- und Siedepunkte. Maass der Wärmemenge. Latente Wärme verschiedener Flüssigkeiten und Gase. Condensirte Gase. Kälte- Inhaltsverzeichniss. Seite mischungen. Begriff der specifischen Wärme. Specifische Wärme fester, flüssiger und gasförmiger Körper. Abweichun- gen vom Gesetz der Proportionalität im festen und flüssigen Aggregatzustand. Specifische Wärme der Gase bei constantem Druck und bei constantem Volum. Beziehungen der specifi- schen Wärme zum Atomgewicht. Latente Wärme chemischer Verbindungen. Calorische Aequivalente. Beziehungen zwischen den calorischen Aequivalenten verschiedener Elemente. Modul der Metalloide. Calorimetrische Methoden Viertes Capitel. Fortpflanzung der Wärme 406 §. 270—278. Wärmestrahlung und Wärmeleitung. Thermoelektri- sche Messapparate. Eigenschaften der strahlenden Wärme. Diathermane Körper. Das Wärmespektrum. Thermische Fär- bung. Die dunkeln Wärmestrahlen Verhältniss von Absorp- tions- und Emmissionsvermögen Fortpflanzung der Wärme durch Leitung. Innere Leitungsfähigkeit. Aeussere Leitungs- fähigkeit. Das Erkalten erwärmter Körper Fünftes Capitel. Von dem Ursprung der Wärme und der Theorie der Wärmeerscheinungen 418 §. 279—286. Quellen der Wärme. Wärmeerzeugung aus mechani- scher Arbeit. Erzeugung mechanischer Arbeit aus Wärme. Sonnenwärme. Verbrennungswärme. Wesen der Wärme. Disgregations- und Schwingungsarbeit. Beziehung der Wärme zu den Aggregatzuständen. Wärmeentwicklung im Thierkör- per. Temperatur des Thierkörpers. Sechster Abschnitt. Von der Elektricität 432 §. 287. Allgemeine Uebersicht der elektrischen Erscheinungen. Ein- theilung dieses Abschnitts. Erstes Capitel. Erregung der Elektricität 434 §. 288—302. Elektricität durch Reibung. Anzichung und Abstos- sung elektrischer Körper. Positive und negative Elektricität. Idioelektrische und anelektrische Körper Leiter und Nichtlei- ter der Elektricität. Das Elektroskop. Anhäufung der Elek- tricität an der Oberfläche der Körper. Elektricität durch In- fluenz. Vertheilung der Elektricität auf der Oberfläche der Leiter. Anwendungen der Influenzelektricität. Blitzableiter. Elektrisirmaschine. Elektrophor. Condensator. Kleist’sche Flasche. Elektricität durch Contact verschiedener Metalle. Die elektromotorische Kraft. Spannungsreihe der Metalle. Elektri- cität bei der Berührung eines Metalls mit einer Flüssigkeit. Der elektrische Strom Die galvanische Kette. Elektricität bei der Berührung von Metallen und Gasen. Elektricität bei der Berührung verschiedener Flüssigkeiten. Elektricität bei der Erwärmung der Löthstellen verschiedener Metalle. Thermo- ketten. Zweites Capitel. Maass des elektrischen Zustandes 450 §. 303—305. Elektricitätsmenge. Dichte der Elektricität. Gesetz Inhaltsverzeichniss. Seite der elektrischen Anziehung und Abstossung. Grösse der elek- tromotorischen Kraft beim Contact der Metalle. Spannungs- gesetz. Elektromotorische Kraft beim Contact von Metallen und Flüssigkeiten. Drittes Capitel. Bewegung der Elektricität 454 §. 306—320. Arten der Elektricitätsbewegung. Der Entladungsstrom. Die Volta’sche Säule. Constante Ketten. Intensität des galva- nischen Stroms. Voltameter und Galvanometer. Strom- dichte. Abhängigkeit der Stromstärke von der elektromotori- schen Kraft. Wesentlicher und ausserwesentlicher Widerstand. Freie Spannungen im Stromeskreis. Gefälle der Elektricität. Stromverzweigung in linearen Leitern. Ausbreitung des Stroms in Theilen des menschlichen Körpers. Anwendung der Strom- verzweigung zur Abstufung der Stromstärke. Rheochord. Wi- derstandsmessungen. Leitungswiderstand der thierischen Ge- webe. Messungen der elektromotorischen Kraft. Viertes Capitel. Wirkungen des elektrischen Stroms 485 §. 321—328. Wirkungen des Entladungsstroms. Wärmeentwick- lung durch den galvanischen Strom. Lichterscheinungen im Schliessungsbogen und bei der Oeffnung der Kette. Chemische Wirkungen des Stroms. Elektrolyse. Wanderung der Jonen. Elektrische Endosmose. Theorie der Elektrolyse. Galvanische Polarisation. Uebergangswiderstand. Aufhebung der Polari- sation in der constanten Kette. Unpolarisirbare Elektroden. Fünftes Capitel. Magnetismus 502 §. 329—333. Allgemeine Eigenschaften der Magnete. Elementare Constitution der Magnete. Gesetz der magnetischen Fernewir- kung. Magnetisches Drehungsmoment und Directionskraft der Magnete. Magnetischer Meridian. Declination und Inclination der Magnetnadel. Intensität des Erdmagnetismus. Bestimmung des magnetischen Momentes eines Magneten. Sechstes Capitel. Wechselwirkungen elektrischer Ströme und Theorie des Magnetismus 511 §. 334—337. Gegenseitige Wirkungen elektrischer Ströme. Ampè- re’sche Gesetze. Weber’s Theorie der elektrodynamischen Er- scheinungen. Der Erdstrom. Das Solenoid. Zurückführung des Magnetismus auf elementare Kreisströme. Siebentes Capitel. Wirkungen des elektrischen Stroms auf den Magneten 519 §. 338—340. Ablenkung der Magnetnadel durch den Strom. Elektro- magnetische Einheit der Stromstärke. Anwendung der Mag- netnadel zur Messung der Stromstärke. Tangenten- und Si- nusbussole. Multiplicator. Elektrogalvanometer. Achtes Capitel. Elektromagnetismus und Diamagnetis- mus 526 §. 341—343 Magnetisirung des Eisens und Stahls durch den elek- trischen Strom. Diamagnetismus. Para- und diamagnetische Körper. Erklärung des Diamagnetismus. Magnetisches Verhalten Inhaltsverzeichniss. Seite der Krystalle. Drehung der Polarisationsebene des Lichtes durch Magnete und elektrische Ströme. Neuntes Capitel. Induction 531 §. 344—352. Elektrische Induction. Allgemeines Inductionsgesetz Magnetoinduction. Physiologische Anwendung der Inductions- ströme. Elektrischer Inductionsapparat. Magnetoinductions- apparate. Induction eines Leiters auf sich selbst. Extrastrom. Stärke des inducirten Stroms. Dauer und Verlauf der Induc- tionsströme. Theorie der Inductionserscheinungen. Inductions- ströme höherer Ordnung. Unipolare Inductionswirkungen. Einleitung . Die unendliche Mannigfaltigkeit der Naturerscheinungen kann 1 Naturgeschichte und Naturlehre. von dem denkenden Beobachter unter zwei verschiedenen Gesichts- punkten aufgefasst werden, die auch der wissenschaftlichen Forschung zwei völlig von einander abweichende Wege eröffnen. Betrachten wir die Dinge in ihrem augenblicklichen Bestehen, ohne Rücksicht auf ihre Veränderungen in der Zeit und im Raume, so erscheint uns die Natur als eine Menge einzelner, in Ruhe verharrender Gegenstände, an de- nen wir theils übereinstimmende, theils unterscheidende Merkmale beobachten, und die wir darnach in grössere und kleinere Gruppen ordnen. Diese Ordnung wissenschaftlich zu begründen und hierdurch eine systematische Auffassung der gesammten Natur zu gewinnen, ist die Aufgabe der Naturgeschichte , die sich in ebenso viele einzelne Zweige sondert, als wir Hauptclassen unter den Naturgegenständen unterscheiden können. Fassen wir dagegen die Dinge nicht in ihrem ruhenden Bestehen in’s Auge, sondern achten wir auf die manchfachen Veränderungen, die wir an denselben wahrnehmen, und suchen wir uns Rechenschaft zu geben über die Beschaffenheit und die Ursachen die- ser Veränderungen, so betreten wir das Forschungsgebiet der Natur- lehre , die man aus practischen Gründen in drei grosse Zweige, Physik, Chemie und Physiologie , getrennt hat. Schon mit den frühesten Eindrücken, die wir von aussen empfan- 2 Die Naturge- setze. gen, verknüpft sich die Beobachtung eines gleichförmigen Ge- schehens in der Natur . So fällt ein Körper immer in derselben Weise zur Erde, die Schwingungen eines Pendels wiederholen sich nach der nämlichen Regel, die Planeten kreisen in gleichförmig sich wiederholenden Perioden um die Sonne. Wir bezeichnen dieses gleich- förmige Geschehen als die Gesetzmässigkeit der Naturerscheinun- gen. Jede einzelne Gleichförmigkeit in der Natur nennen wir daher Wundt , medicin. Physik. 1 Einleitung. auch ein Naturgesetz , und wir reden so vom Gesetz des Falls, vom Gesetz des Pendels, vom Gesetz der Planetenbewegungen u. s. w. Jedes Gesetz, und so auch das Naturgesetz, schliesst aber ein Verhältniss der Abhängigkeit in sich. Eine Naturerscheinung wie- derholt sich nur dann in gleichförmiger Weise, wenn einige der Um- stände, unter denen sie früher eintrat, wiederkehren. Streng genom- men begreifen die Umstände, unter denen ein Ereigniss eintritt, den ganzen im Augenblick dieses Eintritts vorhandenen und demselben vorangegangenen Zustand der Welt in sich. Denn die Summe von Umständen, unter denen jetzt etwas geschieht, wird offenbar nur er- schöpft durch die Summe aller andern Ereignisse, aus denen bis jetzt der Welt Lauf bestanden hat. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es unter dieser Unzahl von Umständen, von welchen ein Ereigniss mög- licher Weise abhängig sein könnte, immer nur eine kleine Zahl giebt, die es wirklich beeinflusst. Diejenigen vorangegangenen oder beglei- tenden Umstände, von welchen die Erscheinung sich abhängig zeigt, nennen wir nun die Bedingungen derselben. In den meisten Fällen sind sowohl die Erscheinungen wie ihre Bedingungen zusammengesetzte Ereignisse. Wenn z. B. eine Kugel auf einer schiefen Ebene herab- rollt, so wird ihre Bewegung bestimmt theils durch die Schweranzie- hung der Erde, theils durch den Widerstand der Ebene, theils durch die Reibung, theils endlich durch den Widerstand der Luft. Das Gesetz der Bewegung ist von allen diesen Bedingungen gleichzeitig abhängig. Wollen wir also entscheiden, wie die eine oder die andere Bedingung wirkt, so müssen wir die Erscheinung vereinfachen, indem wir ihre Bedingungen von einander trennen. Diese Vereinfachung der Erschei- nungen durch Isolirung ihrer Bedingungen ist der wichtigste Schritt zur Naturerklärung, der in den meisten Fällen, weil sich selten die Bedingungen von selbst schon getrennt darbieten, nur durch das Ex- periment , d. h. durch die absichtliche Isolirung der einzelnen Be- dingungen von Seiten des Naturforschers, möglich ist. Haben wir nun eine nicht weiter zu zergliedernde Bedingung und demgemäss eine nicht weiter zu vereinfachende Erscheinung aufgefunden, so nennen wir jene Bedingung die Ursache dieser Erscheinung. Die Art von Ab- hängigkeit aber, in der die Wirkung von ihrer isolirten Ursache steht, ist ein einfaches Naturgesetz , ein Gesetz, das nicht mehr in ver- schiedene zusammenwirkende Gesetze aufgelöst werden kann. Lassen wir also in dem oben gewählten Beispiel alle andern Bedingungen mit Ausnahme der Schweranziehung der Erde hinweg, stellen wir mit der Kugel Fallversuche im luftleeren Raume an, so kommt uns unmit- telbar ein einfaches Naturgesetz, das Gesetz des Falls, zur Beobach- tung, während uns die auf der schiefen Ebene hinabrollende Kugel ein complicirtes Naturgesetz vor Augen führte, das durch die Beobach- tung des Einflusses der Reibung, des Luftwiderstandes, des Neigungs- Einleitung. winkels der Ebene in die noch übrigen einfachen Gesetze, aus denen es besteht, aufgelöst werden kann. Die einfachen Naturgesetze gestatten auch meistens einen sehr einfachen Aus- 3 Darstellung der Naturge- setze durch Gleichungen und Curven. druck. So lautet z. B. das Gesetz des Falls, dass die Geschwindigkeit eines jeden fallenden Körpers zunimmt proportional der Zeit, und dass die in der ersten Zeitein- heit erlangte Geschwindigkeit eine constante Grösse ist, nämlich = 9,8 Meter, wenn man zur Zeiteinheit eine Secunde nimmt. Bezeichnet man diese constante Grösse durch g, die Zeit durch t und die Geschwindigkeit durch c, so lässt sich demnach das Fall- gesetz durch die Gleichung c = g.t darstellen. In ähnlicher Weise können alle Na- turgesetze durch Gleichungen , d. h. durch bestimmte Relationen zwischen den da- bei in Betracht kommenden Grössen, ausgedrückt werden. Bei complicirten Naturge- setzen werden aber natürlich auch die Gleichungen verwickelter als in dem obigen einfachen Fall. Auch geometrisch können die Gesetze dargestellt werden. So lässt sich z. B. das eben formulirte Fallgesetz ausdrücken, wenn man auf der Linie 0 — 10 (Fig. 1), deren Theile die aufeinanderfolgenden Zeiteinheiten bedeuten, senkrechte Ordinaten er- richtet, deren Längen die in den verschiedenen Zeitpuncten vorhandenen Geschwindigkeiten bedeu- ten sollen: zur Zeit, wo der Körper zu fallen an- fängt, ist die Geschwindigkeit null, zur Zeit 1 ist sie gleich 9,8 Meter, welche Grösse wir durch die Linie 1 a bezeichnen wollen. Da nun die Ge- schwindigkeit weiterhin proportional der Zeit zu- nimmt, so muss sie bei 2 die doppelte Grösse, 2 b, bei 3 die dreifache, 3 c, besitzen, u. s. f. Die durch die Endpuncte a, b, c gezogene Linie ist demnach eine Gerade, deren Neigung zur Linie Fig. 1. der Zeiten von der constanten Grösse 1 a abhängig ist. Diese Gerade ist offenbar nur ein anschauliches Bild für die Gleichung c = g.t oder für den Satz, dass die Geschwindigkeit zunimmt proportional der verflossenen Zeit. Jedes bestimmt formu- lirbare Gesetz, das durch eine Gleichung ausgedrückt werden kann, lässt sich auch mit- telst einer geometrischen Curve darstellen. Diese geometrische Veranschaulichung ist besonders dann nützlich, wenn es sich um verwickeltere Gesetze handelt, deren Dar- stellung durch eine Gleichung schwierig ist und nicht hinreichend übersichtlich das bestehende Abhängigkeitsverhältniss erkennen lässt. Auf physiologischem Gebiete hat man es sehr häufig mit solchen complicirten Abhängigkeitsverhältnissen zu thun, bei denen man sich zweckmässig auf die graphische Darstellung beschränkt. So würde z. B. das durch die Fig. 2 dargestellte Ge- setz, welches den Zusammenhang der mensch- lichen Körperwärme mit den Tageszeiten versinnlicht, eine sehr verwickelte Gleichung ergeben, aus der sich der bestehende Zu- sammenhang doch nicht klar erkennen liesse, während die graphische Darstellung densel- ben sehr anschaulich macht. Man hat es in solchen verwickelten Fällen gewöhnlich, wie in dem hier gewählten Beispiel, nicht mit Fig. 2. eigentlichen Naturgesetzen, sondern mit Resultaten vieler Naturgesetze zu thun, 1 * Einleitung. die überdies nicht immer nothwendig in derselben Weise zusammenwirken. Denn es ist ja klar, dass nicht die Tageszeiten an und für sich, sondern die mit den Tages- zeiten sich verändernden Bedingungen, wie die äussere Wärme, Nahrungszufuhr, Schlaf oder Wachen u. s. w., ein Steigen oder Sinken der Körpertemperatur verursachen. Jene Abhängigkeit von den Tageszeiten wird also in mehrere einfachere Abhängigkeits- verhältnisse aufgelöst werden müssen. Durch Gleichungen drücken wir in der Regel nur einfache Naturgesetze aus, und wo man sich für complicirtere Zusammenhänge der Darstellung durch Curven bedient, da hat dies nicht den Zweck eine Gleichung geome- trisch zu veranschaulichen, sondern eine tabellarische Zusammenstellung durch die übersichtlichere graphische Darstellung zu ersetzen. 4 Die Physik als die Wissen- schaft von den Bewegungen. Alle Erscheinungen, mit denen sich die Physik beschäftigt, und die sie theils auf ihre Ursachen zurückzuführen theils aus ihren bekann- ten Ursachen abzuleiten hat, lassen sich in zwei grosse Abtheilungen sondern: in eine Reihe von Erscheinungen, bei denen die Körper als solche unverändert bleiben, aber ihre gegenseitige Lage im Raum wech- seln, sich bewegen, und in eine andere Reihe von Erscheinungen, bei denen die Körper als ganze in Ruhe bleiben können, aber ihre entwe- der unmittelbar sinnlich wahrzunehmenden oder durch Versuche nach- zuweisenden Eigenschaften verändern. Das Fallen eines Körpers ist ein Beispiel der ersten Reihe, das Gefrieren des Wassers, das Magne- tischwerden des Eisens, wenn ein elektrischer Strom durch einen es umgebenden Draht geht, sind Beispiele der zweiten Reihe. Häufig sind die Erscheinungen aus Bewegungen und aus Veränderungen der Eigenschaften der Körper zusammengesetzt, wie z. B. bei der Verdam- pfung des Wassers. Wir können demnach in Kürze alle Erscheinungen, mit denen es die Physik zu thun hat, bezeichnen als Veränderungen der Lage oder der Eigenschaften der Körper oder als aus Lage- und Eigenschaftsveränderungen zusammengesetzt. Unter diesen drei Arten von Veränderungen sind offenbar die Lageveränderungen die einfachsten. Denn die Bewegungen aller Körper lassen sich nur un- terscheiden nach der Grösse ihrer Geschwindigkeit und darnach, ob die Geschwindigkeit gleichförmig ist, oder in verschiedenem Maasse zu- oder abnimmt. Dagegen sind die Eigenschaftsveränderungen der Körper unendlich mannigfaltig und lassen sich nicht in ähnlicher Weise unmittelbar unter einem einzigen Gesichtspunkte betrachten. Aber es ist möglich geworden, auch die letzteren in einer Weise zu erklären, die vielfach schon jetzt es möglich macht, sie aus den Bewegungs- gesetzen abzuleiten. Die Physik führt nämlich alle jene qualitativen Veränderungen auf Bewegungen, und zwar auf Bewegungen der klein- sten Theilchen der Körper zurück. Wir können nach dem so gewon- nenen Gesichtspunkte die Physik die Wissenschaft von den Be- wegungen in der Körperwelt nennen. In diesem weitesten Sinne genommen würde sie auch die chemischen und die physiologi- schen Erscheinungen in sich begreifen. Nach der üblichen Begren- Einleitung. zung werden aber die letzteren von der Physik ausgeschieden, und ist daher diese als die Wissenschaft zu definiren, welche von den Be- wegungen in der Körperwelt mit Ausnahme jener Bewegungen handelt, die entweder dem Gebiet der chemischen Verwandtschaftsäusserungen angehören oder die Lebenserscheinungen der Organismen zusammen- setzen. Hieraus erhellt, dass die Physik, als die allgemeine Lehre von den Bewegungen, in dem ganzen System der Naturlehre die erste Stelle einnimmt. An zweiter Stelle kommt die Chemie, die nur eine besondere Gruppe von Bewegungen herausgreift, jene nämlich, welche durch gegenseitige von der materiellen Beschaffenheit der Theilchen herrührende Anziehungen bedingt sind und Verbindungen nach regel- mässigen Zahlenverhältnissen bewirken. Die dritte Stelle gehört der Physiologie, welche diejenigen physikalischen und chemischen Erschei- nungen in Betrachtung zieht, die zu dem Leben der Organismen in Beziehung stehen. Da alle Erscheinungen, mit denen sich die Physik beschäftigt, 5 Die Natur- kräfte. auf Bewegungen zurückzuführen sind, so sind auch die Ursachen, die für die Physik in Betracht kommen, ausschliesslich Bewegungsur- sachen . Die Ursache einer Bewegung nennt man nun allgemein eine Kraft ; zum Vorbild dient hierbei die menschliche Muskelkraft, als die uns in ihrer Wirkung geläufigste. Wir unterscheiden ebenso viel physikalische Kräfte, als wir Bewegungsursachen in der Natur kennen. Da aber bei jeder Bewegung die bewegten Dinge entweder sich nä- hern oder von einander entfernen können, so sind zweierlei Kräfte möglich, Anziehungs- und Abstossungskräfte , und beide sind in der Natur zu beobachten. So ist die Schwere eine Anziehungskraft, die Elektricität lernen wir, je nachdem gleichartige oder ungleichartige Elektricitäten sich begegnen, als abstossende und als anziehende Kraft kennen, die Wärme muss, indem sie das Volum der Körper vergrös- sert, als abstossende Kraft wirken. In diesem letzten Fall haben wir zugleich das Beispiel einer Kraft vor uns, die nicht zwischen getrenn- ten Körpern sondern zwischen den Theilchen eines und desselben Kör- pers wirksam ist. Man bezeichnet Kräfte letzterer Art häufig als Molecularkräfte, und hiernach werden diejenigen Theile der Physik, die sich mit den Wirkungen der Molecularkräfte beschäftigen, auch unter dem Namen der Molecularphysik zusammengefasst. Doch lässt sich eine Trennung zwischen der Molecularphysik und der Physik der Körper keineswegs strenge durchführen. Erster Abschnitt . Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. Erstes Capitel . Die allgemeinsten Naturgesetze. 6 Gesetz der Cau- salität. Das erste Gesetz der Physik, welches dieselbe mit allen anderen Wissenschaften gemein hat, ist der Satz, dass Alles, was geschieht, eine Ursache haben muss, oder das Gesetz der Causalität . In- sofern dieses Gesetz eine allgemeine Forderung unseres Denkens ist und wir gemäss demselben überall, wo wir eine Erscheinung beobach- ten, einen zureichenden Grund für dieselbe aufsuchen müssen, bezeich- net man dasselbe auch als den Satz vom zureichenden Grunde . Das Causalgesetz ist eine unmittelbare Folge jener in der Natur zu beobachtenden Gesetzmässigkeit der Erscheinungen, durch die wir ge- zwungen werden, jede Erscheinung als die Wirkung irgend einer Ur- sache anzusehen. Da die Gesetzmässigkeit der Natur jedenfalls eine Thatsache der Erfahrung ist, so betrachtet die Naturwissenschaft das Causalgesetz als ein Erfahrungsaxiom. Insofern dasselbe aber das allgemeinste Erfahrungsaxiom ist, ist seine Gewissheit so gross, als die Gewissheit der Erfahrung nur sein kann. Aus dem Causalgesetz folgt, dass, wenn zu den vorhandenen Ur- sachen keine neue hinzukommt, in dem vorhandenen Zustande der Dinge auch keine Aenderung eintritt. Da nun jede Veränderung in der Natur auf Bewegungen zurückführbar ist und wir die Bewegungs- ursachen Kräfte genannt haben, so lässt sich diese Folgerung für das Gebiet der physikalischen Erscheinungen in dem Satze ausdrücken: Jeder Körper verharrt, wenn keine neue Kraft auf ihn einwirkt, in dem einmal angenommenen Zustand; wenn er in Ruhe ist, so bleibt er in Ruhe, und wenn er in Bewegung ist, so bleibt er in Bewegung. Die allgemeinsten Naturgesetze. Man bezeichnet diesen Satz als das Gesetz der Trägheit oder des Beharrungsvermögens . Weitere physikalische Gesetze können nicht aus dem Causalge- setz unmittelbar mit zwingender Nothwendigkeit gefolgert werden. Aber es giebt noch eine Anzahl allgemeiner Naturgesetze, die unter Voraussetzung des Causalgesetzes die einfachsten Principien sind, die sich für das Geschehen in der Natur denken lassen, und die ausser- dem in einem solchen Zusammenhang stehen, dass jedes derselben alle andern mit Nothwendigkeit voraussetzt. Diese Gesetze sind, ebenso wie das Causalgesetz, mit allen Erfahrungen im Einklang, wäh- rend keine einzige denselben widerstreitet. Auch sie besitzen daher eine Gewissheit, die der überhaupt möglichen Gewissheit der Erfah- rung gleichkommt. Die Hauptprincipien, die wir hier unterscheiden können, sind folgende: 1) das Gesetz der Erhaltung der Materie, 2) das Gesetz der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung, 3) das Gesetz der geradlinigen Richtung der Kräfte, 4) das Gesetz der Zu- sammensetzung der Kräfte, 5) das Gesetz der Erhaltung der Kraft. Das Gesetz der Erhaltung der Materie sagt aus, dass 7 Gesetz der Er- haltung der Materie. weder Materie entstehen noch zerstört werden kann. Physik und Chemie haben die scheinbaren Widersprüche gegen dieses Gesetz, wie sie z. B. bei der Verbrennung, beim Uebergehen der Körper in den gasförmigen Aggregatzustand beobachtet werden, in wesentliche Stützen desselben umgewandelt; es gilt daher als die Grundlage der ganzen Naturlehre. Das Gesetz besitzt aber schon nach dem Satz der Causa- lität eine grosse Wahrscheinlichkeit, da ein Entstehen oder Vergehen von Materie jedenfalls auf keine physikalische Ursache zurückgeführt werden könnte, somit nur eine unbekannte, ausserweltliche Ursache für ein derartiges Geschehen möglich wäre. Aus dem Princip der Erhaltung der Materie ergibt sich mit un- mittelbarer Evidenz der Satz, dass die Veränderungen in der Natur in Bewegungen bestehen . Denn da zu der vorhandenen Materie nichts hinzukommen und nichts von ihr hinweggenommen wer- den kann, so kann auch jede Veränderung derselben nur auf einem Ortswechsel ihrer Theile beruhen. Das Gesetz der Gleichheit von Wirkung und Gegen- 8 Gesetz der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung. wirkung sagt aus, dass, wenn zwei Körper mit Kräften auf einander wirken, die Wirkung des ersten auf den zweiten Körper gleich der Wirkung des zweiten auf den ersten Körper ist. Ein Magnet und ein Stück Eisen ziehen z. B. mit gleichen Kräften gegenseitig sich an. Wenn wir einen Druck auf einen Körper ausüben, so erfahren wir einen ebenso starken Gegendruck. Ein auf der Erde befindlicher Kör- der übt vermöge der Gravitation eine gleich grosse Anziehungskraft Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. auf die Erde wie die Erde auf ihn aus; die von dem Körper auf die Erde ausgeübte Anziehung hat nur wegen der grossen Masse der Erde, auf welche sie sich vertheilt, keine merkliche Wirkung. Auch dieses Princip wird nicht bloss durch die Erfahrung allseitig bestätigt, son- dern es ist zugleich die einfachste Annahme, die wir über die Wirkung der Körper auf einander überhaupt machen können. Da die gegen- seitige Wirkung der Körper aus der Summe der Wirkungen ihrer einzelnen Theilchen hervorgeht, so ist eine unmittelbare Folgerung aus dem Princip, dass die Kraft, welche zwei Körper auf einander ausüben, proportional sein muss dem Product ihrer Massen; die thatsächliche Bestätigung des letzteren Satzes in der Erfahrung lässt sich umge- kehrt auch als Beweis dafür betrachten, dass die Wirkung, die ein Körper als Ganzes ausübt, sich zusammensetzt aus den Einzelwirkun- gen seiner kleinsten Theile. 9 Gesetz der ge- radlinigen Wir- kung der Kräfte. Das Gesetz der geradlinigen Wirkung der Kräfte lässt sich folgendermassen ausdrücken: Wenn zwei Punkte des Raumes mit Kräften auf einander wirken, so geschieht diese Wirkung immer in der Richtung der geraden Verbindungslinie der beiden Punkte. Wenn keine weitere Kraft, die sie in Ruhe hält oder ihre Bewegung abän- dert, auf die Punkte einwirkt, so bewegen sich diese demnach in der angegebenen Richtung. Aus diesem Princip folgt, 1) dass überall wo wir die Körper nicht sich in gerader Richtung bewegen sehen, wir eine Mehrheit von Kräften voraussetzen müssen, und 2) dass jede noch so verwickelte Bewegung sich als zusammengesetzt aus einer Menge geradliniger Bewegungen betrachten lässt. Da vermöge des Princips der geradlinigen Wirkung nur eine ge- genseitige Annäherung oder Entfernung der Theile der Materie durch die Naturkräfte stattfinden kann, so folgt hieraus, dass nur Anziehungs- und Abstossungskräfte in der Natur möglich sind. Ferner hängt mit dem Princip der geradlinigen Wirkung unmittelbar der Satz zusammen, dass die Intensität, mit welcher zwei Kraftcentren auf einander ein- wirken, abhängig ist von der geradlinigen Entfernung, in welcher sie sich von einander befinden. Man bezeichnet alle solche Kräfte, die in der Richtung der sie verbindenden Graden auf einander wirken, und deren Wirkungen Functionen ihrer gegenseitigen Entfernung sind, als Centralkräfte , und es gilt demnach als Axiom, dass alle Naturkräfte Centralkräfte sind . Es bleibt dann weiterhin Sache der physikalischen Forschung, in jedem einzelnen Fall zu bestimmen, nach welcher Function der Entfernung die Kräfte wirken. Für eine grosse Zahl von Naturerscheinungen, nämlich für alle Wirkungen in die Ferne, z. B. für die Gravitation, die elektrische und magnetische Fernewirkung, ist diese Function festgestellt: die Kräfte wirken hier stets im umgekehrten Verhältniss des Quadrates der Entfernungen. Dagegen ist noch unbekannt, in welcher Abhängigkeit Die allgemeinsten Naturgesetze. die zwischen sehr nahe gelegenen Theilchen wirksamen Kräfte von den Entfernungen derselben stehen. Weder ist bekannt, ob die Anziehungskräfte auch bei grosser An- näherung nach dem umgekehrten Verhältniss des Quadrats der Entfernungen wirken, obgleich man dies häufig annimmt, noch ist die Function der Entfernung für die Ab- stossungskräfte ermittelt. Was die letzteren betrifft, so ist es wahrscheinlich, dass sie bei zunehmender Distanz rascher als im Verhältniss des Quadrates der Entfernungen abnehmen. (S. §. 14.) Im vorigen §. haben wir gesehen, dass die Kraft, welche zwei Körper auf ein- ander ausüben, proportional dem Product ihrer Massen ist. Nimmt man hierzu, dass die Kräfte nach dem umgekehrten Verhältniss des Quadrates der Entfernungen wirken, so wird demnach das Gesetz für die Wirkung der Centralkräfte ausgedrückt durch den Bruch worin m und m' die beiden auf einander wirkenden Massen und r deren Entfernung bedeutet. Das Gesetz der Zusammensetzung der Kräfte schliesst 10 Gesetz der Zu- sammensetzung der Kräfte. sich unmittelbar an das vorige an. Dasselbe lässt sich folgendermas- sen ausdrücken: Wenn mehrere Kräfte gleichzeitig auf einen Punkt einwirken, so erzeugen sie die nämliche Ortsveränderung desselben, als wenn sie nach einander eingewirkt hätten. Nach diesem Prin- cip kann man also stets die Wirkung, welche in einer gegebenen Zeit beliebig viele Kräfte auf einen Punkt ausüben, finden, wenn man nur die Wirkung kennt, welche jede einzelne ausgeübt haben würde. Man führt also den Punkt zuerst den Weg, welchen er unter dem Einfluss der ersten Kraft zurückgelegt hätte, dann den Weg, welchen er unter dem Einflusse der zweiten Kraft zurückgelegt hätte, u. s. f. Ist man so an der letzten Kraft angelangt, so hat man schliesslich den Punkt an den Ort gebracht, welchen er durch das gleichzeitige Zusammen- wirken der Kräfte erreicht. Dabei ist es aber vollkommen gleichgül- tig, in welche Reihenfolge man sich die gleichzeitige Wirkung der Kräfte aufgelöst denkt. Man kann dieses Gesetz als eine unmittelbar aus dem Causalgesetz hervorgehende Wahrheit betrachten, da nach letzterem eine gegebene Summe von Ursachen, wenn alle andern Um- stände dieselben bleiben, die nämliche Wirkung äussern muss, ob die Ursachen gleichzeitig oder in einer beliebigen Reihenfolge stattfinden. Das Gesetz bildet übrigens eine wesentliche Ergänzung zu dem Gesetz der Trägheit und dem der geradlinigen Richtung der Kräfte, indem auf diese drei Axiome die Hauptsätze der Mechanik sich stützen. Das Gesetz der Erhaltung der Kraft sagt aus, dass die 11 Gesetz der Er- haltung der Kraft. Summe aller Kräfte in der Natur constant bleibt. Dabei muss man jedoch beachten, dass, obgleich der Ausdruck Kraft nur eine Bezeich- nung für eine Bewegungsursache ist, doch eine Kraft nur dann in einer Bewegung sich äussern kann, wenn ihr nicht eine andere Kraft Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. Widerstand leistet, welche die Bewegung verhindert. Wirken auf einen Körper zwei gleiche Kräfte in entgegengesetztem Sinne, so bleibt zwar der Körper ebenso gut in Ruhe, als wenn gar keine Kraft auf ihn wirkte. Desshalb ist aber doch die Wirkung der Kräfte vorhanden, wie sich sogleich zeigt, wenn wir die eine hinwegnehmen, da sich dann der Körper unter dem Einfluss der andern in Bewegung setzt. Wir können demnach solche Kräfte unterscheiden, die sich wirklich in Be- wegungen äussern, und solche, die bloss einen Druck ausüben, eine Bewegung zu erzeugen streben, welche Bewegung aber durch andere Kräfte, die einen Druck in entgegengesetzter Richtung ausüben, un- möglich wird. Man bezeichnet diejenigen Kräfte, die sich in wirklicher Bewegung äussern, als lebendige Kräfte , diejenigen, die bloss eine Bewegung zu erzeugen streben, als Spannkräfte . Nun zeigt sich leicht, dass weder die lebendigen Kräfte für sich noch die Spannkräfte für sich constant bleiben, sondern dass nur die Summe der leben- digen und Spannkräfte zusammengenommen unveränder- lich ist . Letzteres ist der eigentliche und wahre Ausdruck des Prin- cips der Erhaltung der Kraft. Dieses Princip schliesst somit in sich, dass fortwährend lebendige in Spannkräfte und umgekehrt Spannkräfte in lebendige Kräfte übergehen können, aber es drückt aus, dass bei diesem Uebergang stets so viel Spannkraft entstehen muss, als leben- dige Kraft verschwindet, oder so viel lebendige Kraft entstehen muss, als Spannkraft zum Verschwinden kommt. Eines der einfachsten Beispiele für unser Gesetz bietet die Bewe- gung der Uhren. Wenn man eine gewöhnliche Pendeluhr aufzieht, so verbraucht man dabei eine gewisse Menge lebendiger Kraft, die man dem in die Höhe gezogenen Gewichte mittheilt; würde dieses Gewicht augenblicklich wieder herabfallen, so würde es auch die ganze ihm mitgetheilte lebendige Kraft augenblicklich wieder ausgeben. Daran wird aber das Gewicht durch das Räderwerk der Uhr verhindert, so dass die zum Aufziehen verbrauchte lebendige Kraft nicht augenblick- lich, sondern allmälig, im Lauf mehrerer Stunden zum Vorschein kommt. Die lebendige Kraft ist, im Moment nachdem die Uhr aufgezogen ist, sämmtlich in Spannkraft übergegangen, welche sich als ein Druck auf das Räderwerk geltend macht und langsam während des Ablaufens der Uhr wieder in lebendige Kraft übergeht. In jedem beliebigen Moment während des Ablaufens der Uhr ist die Summe der veraus- gabten lebendigen Kraft und der vorhandenen Spannkraft, die noch in lebendige Kraft überzugehen hat, constant, nämlich gleich der ganzen zum Aufziehen des Uhrwerks verbrauchten Kraft. Ist das Uhrwerk vollständig abgelaufen, so ist alle ihm mitgetheilte Kraft als lebendige Kraft verausgabt. Aber desshalb ist die Kraft keineswegs vernichtet. Sie ist verbraucht worden, theils zur Ueberwindung der Reibung des Räderwerks theils zur Ueberwindung des Luftwiderstandes, welchen Die allgemeinsten Naturgesetze. der Pendel bei seinen Bewegungen findet. Sowohl bei der Reibung der Räder an einander als bei der Bewegung des Pendels durch die Luft entsteht aber Wärme. Die lebendige Kraft, die das Gewicht bei seinem Ablaufen verausgabt, ist also nur in eine andere physikalische Kraft übergegangen. Würde man im Stande sein, diese letztere, die beim Ablaufen der Uhr entstandene Wärme, zu messen, so würde sich eine Wärmemenge ergeben, genau gross genug, um damit eine Kraft auszuüben, die ein Gewicht von der Grösse des Uhrgewichts eine ebenso grosse Strecke weit bewegen würde, als das Uhrgewichts selbst bei seinem Ablaufen zurücklegte. Hieraus folgt, dass die Thatsache des Uebergehens der ver- schiedenen Naturkräfte in einander zu dem Princip der Er- haltung der Kraft eine wesentliche Ergänzung bildet. Dieses Ueber- gehen der Naturkräfte in einander geschieht aber stets in äquivalen- ten Verhältnissen, so dass, wenn eine erste in eine zweite Kraft über- geht und dann die zweite wieder in die erste zurückverwandelt wird, eine Kraft zum Vorschein kommt an Grösse genau derjenigen gleich, die anfänglich vorhanden war. Liefert also eine mechanische Kraft, die ein Gewicht von 10 Pfunden 135 Fuss hoch zu heben vermag, bei ihrer Ueberführung in Wärme eine Wärmemenge, durch welche 1 Pfund Wasser um 1°C. erwärmt wird, so muss auch umgekehrt eine Wärme- menge, die 1 Pfund Wasser um 1°C. erwärmen würde, bei ihrer Ueber- führung in mechanische Kraft ein Gewicht von 10 Pfund 135 Fuss weit fördern. Man bezeichnet das hierin sich aussprechende Princip als das Princip der Aequivalenz der Kräfte . Wir werden in unserer speciellen Darstellung zahlreiche Belege für das Princip der Erhaltung der Kraft und das Princip der Aequi- valenz der Kräfte vorführen, da fast die ganze Naturlehre Anwen- dungen dieser beiden wichtigen Sätze enthält. Hier sollen daher vor- läufig nur einige Hauptpunkte hervorgehoben werden. Mechanische Kraft, Wärme, Elektricität, chemische Processe können erfahrungs- gemäss in der verschiedensten Weise in einander übergeführt werden. So entsteht bei der Reibung aus der mechanischen Kraft Wärme, um- gekehrt entsteht in unsern Dampfmaschinen aus der Wärme mecha- nische Kraft. Durch Reibung verschiedener Körper an einander, che- mische Processe und Magnetismus kann Elektricität erzeugt werden, umgekehrt kann die Elektricität in mechanische, chemische, magneti- sche, thermische und Lichtwirkungen übergehen. Die Untersuchung über diese Wechselbeziehung der Kräfte wäre abgeschlossen, wenn das Aequivalent aller in Bezug auf eine einzige, z. B. in Bezug auf mechanische Arbeit, bestimmt wäre. Bis jetzt ist jedoch nur das me- chanische Aequivalent der Wärme genauer ermittelt. Nach den Un- tersuchungen von Joule kann man mit der Wärmemenge, die 1 Kilogr. Wasser um 1°C. erwärmt, eine Kraft ausüben, durch die ein Gewicht Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. von 423,5 Kilogr. 1 Meter weit gefördert wird, oder, wie man sich kürzer ausdrückt, man kann eine Arbeit von 423,5 Kilogrammmeter leisten. Mit einer mechanischen Arbeit von 423,5 Kilogrammmeter kann man daher auch umgekehrt 1 Kilogr. Wasser um 1°C. erwärmen. Wäre es möglich, die gesammte Wärme, die man durch mechanische Arbeit erhalten hat, wieder in dieselbe Form von Arbeit zurückzuver- wandeln, könnte man also z. B. die sämmtliche Arbeit, die bei der Bewegung einer Dampfmaschine erzeugt wird, wieder zur Erwärmung des Kessels verwenden, so würde man ein perpetuum mobile besitzen, d. h. eine Maschine, die ihre Bewegung fortwährend selbst unterhielte, ohne Zufuhr von neuem Heizungsmaterial. Eine solche Maschine könnte jedoch keine Arbeit nach aussen abgeben, man würde also durch die- selbe niemals Arbeit gewinnen können. Da aber nicht einmal alle durch eine gewisse mechanische Arbeit gewonnene Wärme sich wieder in Arbeit zurückverwandeln lässt, so ist selbst in dieser Form ein perpetuum mobile unmöglich. Jede Naturkraft kann sowohl als lebendige Kraft wie als Spann- kraft existiren. Wie die mechanische Kraft bald wirklich Bewegung erzeugt, bald bloss solche zu erzeugen strebt, also gleichsam latent wird, so kann auch die Wärme latent werden. Dies geschieht dann, wenn sie auf feste oder flüssige Körper übergeht und den Abstand der kleinsten Theilchen dieser Körper vergrössert. In solchem Fall wird diesen Theilchen, gerade so wie dem in die Höhe gehobenen Gewichte, eine Spannkraft mitgetheilt, die sich als Verminderung der lebendigen Kraft der Wärme geltend macht, die aber, sobald die Theil- chen wieder in ihren früheren Zustand übergehen, auch wieder zu Wärme wird. Die Elektricität ist entweder elektrische Spannung, Spannkraft, oder bewegte Elektricität, lebendige Kraft. Die chemischen Kräfte endlich sind Anziehungskräfte zwischen den qualitativ verschiedenen Atomen. Sind diese Anziehungskräfte bloss als ein Streben zur Ver- bindung der Atome vorhanden, so sind sie Spannkräfte, erzeugen sie die Verbindung wirklich, so sind sie lebendige Kräfte. Die Atome im freien Zustand oder in losen Verbindungen haben Spannkräfte in sich, d. h. sie besitzen ein Streben in festere Verbindungen überzugehen. So hat z. B. der freie Sauerstoff Spannkraft, d. h. ein Verwandtschafts- bestreben zu allen oxydirbaren Körpern. Verbindet er sich wirklich, verbrennt z. B. Wasserstoff mit Sauerstoffgas, so geht die Spannkraft in lebendige Kraft über, die sich in diesem Fall als Licht und Wärme äussert. In dem entstandenen Product, dem Wasser, ist, als in einer sehr fixen Verbindung, keine nachweisbare Spannkraft mehr vorhan- den. Will man daher das Wasser in seine Elemente trennen, so muss man von aussen lebendige Kraft, z. B. Elektricität, zuführen. In den Trennungsproducten, Sauerstoff und Wasserstoff, ist dann die zugeführte lebendige Kraft wieder als Spannkraft enthalten. Die allgemeinsten Naturgesetze. Dem Princip der Erhaltung der Kraft lässt sich ein sehr einfacher mathemati- scher Ausdruck geben. Bezeichnen wir in dem obigen Beispiel der Uhr das Uhrge- wicht mit p, die Höhe, auf die es gezogen wird, mit h, so ist offenbar p. h, das Pro- duct des Gewichts in die gehobene Wegstrecke, der Ausdruck für die dem System anfangs mitgetheilte lebendige Kraft. Nennen wir nun in einem beliebigen Moment des Ablaufens der Uhr p' die Strecke, um die das Gewicht schon gesunken ist, und S die vorhandene Spannkraft, so ist p h = S + p h', d. h. die anfangs mitge- theilte lebendige Kraft ist = der Spannkraft + der schon verausgabten lebendigen Kraft. Da nun für jedes Bewegungssystem die anfangs mitgetheilte lebendige Kraft constant ist, so können wir die obige Gleichung auch schreiben S + p h' = Const., eine Gleichung, die offenbar unser Princip nur in einem mathematischen Symbol aus- drückt. Denken wir uns statt des Systems der Uhr das System aller Kräftewirkungen der Welt, so wird für diese die nämliche Gleichung gelten. Es ist leicht ersichtlich, dass die physikalischen Gesetze, die wir 12 Zusammenhang der allgemein- sten Naturge- setze. hier aufgeführt haben, in einem sehr innigen Zusammenhang mit ein- ander stehen, so dass sich keines derselben hinwegdenken liesse, ohne damit zugleich alle anderen zu gefährden. Der Satz von der Erhal- tung der Materie und der andere von der Erhaltung der Kraft sind eigentlich nur die Kehrseiten eines und desselben Princips. Die Ma- terie lernen wir nur kennen, insofern sie Kräfte ausübt. Eine Materie ohne Kraftäusserung ist ebenso eine Abstraction, der die Wirklichkeit nicht entspricht, wie eine Kraft, die an keine Materie gebunden ist. Ist aber die Materie nur das Substrat der Naturkräfte, so sind Con- stanz der Materie und Constanz der Kraft nothwendig an einander gebunden. Das Princip von der Erhaltung der Kraft führt ferner noth- wendig zu dem Princip von der geradlinigen Wirkung der Kräfte. Sobald man voraussetzte, dass andere als Centralkräfte in der Natur vorkämen, würde die Erhaltung der Kraft nicht mehr gültig sein. Ebenso stehen die Gesetze von der geradlinigen Wirkung, von der Zu- sammensetzung der Kräfte und von der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung theils unter einander theils zu dem Gesetz der Erhal- tung der Kraft in inniger Wechselbeziehung. Aus den hier aufgestellten allgemeinen Naturgesetzen ergeben 13 Anwendung der erörterten Gese- tze auf die Er- scheinungen. sich die Gesetze der Bewegung, die bei der Einwirkung beliebiger Na- turkräfte zur Aeusserung kommen, als unmittelbare Folgerungen. Die Wissenschaft, welche diese Folgerungen entwickelt, ist die Mechanik . Da nun aber alles Geschehene in der Natur auf Bewegungen zurück- geführt werden kann, so kann auch die ganze Physik nur eine ange- wandte Mechanik sein. Doch ist der gegenwärtige Zustand der Wis- senschaft allerdings noch ziemlich weit von der Erreichung dieses Zieles entfernt. Die Ursache dieser Unvollkommenheit liegt hauptsäch- lich darin begründet, dass unsere physikalische Kenntniss der Materie und der zwischen den kleinsten Theilchen derselben wirksamen Kräfte noch eine hypothetische ist. Denn wenn auch die Sätze der Mechanik Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. eine ganz allgemeine Gültigkeit besitzen, von welcher Art die wirken- den Kräfte, und von welcher Beschaffenheit und Vertheilung im Raum die Punkte oder Massen sein mögen, zwischen denen die Kräfte wirken, so müssen wir doch, um jene auf die Naturerscheinungen anwenden zu können, von einer bestimmten Ansicht über die Beschaffenheit der Materie, welche die Trägerin aller Naturkräfte ist, ausgehen. Diese Ansicht kann aber so lange nur als eine hypothetische gelten, als, wie dies gegenwärtig noch der Fall ist, in den Naturerscheinungen zwar genügende Wahrscheinlichkeitsgründe, aber keine zwingenden Beweise für dieselbe gefunden werden können. Wir stellen die jetzt allgemein angenommene Theorie über die physikalische Natur der Ma- terie voran und gehen dann zu einer übersichtlichen Darstellung der allgemeinen Bewegungsgesetze über Den Gegenstand des vorstehenden Capitels in seiner philosophischen Bedeutung findet man erörtert in der Schrift des Verf.: die physikalischen Axiome und ihre Beziehung zum Causalprincip. Erlangen 1866. . Zweites Capitel . Von der Beschaffenheit der Materie und den Aggregatzuständen. 14 Allgemeine Ei- genschaften der Materie. Ato- mistische The- orie. Alles Ausgedehnte im Raume bezeichnen wir als Materie . Wir kennen die Materie nur aus den Kräften, die sie äussert. Wir neh- men die Materie mit unsern Sinnen wahr, wenn bestimmte Kräfte der- selben auf unsere Sinnesorgane einwirken. Wir studiren die physika- lischen Eigenschaften der Materie, indem wir möglichst vollständig die Wirkungsweise ihrer Kräfte zu ermitteln suchen. Die Materie aller Körper hat vorzüglich die zwei Eigenschaften gemein, dass sie aus- gedehnt ist, und dass sie einer äussern Kraft einen gewissen Wider- stand entgegensetzt. Wollen wir daher einen allgemeinen Begriff von der Materie überhaupt gewinnen, so müssen wir unsere Untersuchung zunächst auf diejenigen Kräfte beschränken, durch welche jene beiden Grundeigenschaften der Materie bedingt sind. Die Ansicht, die man hierdurch von dem Wesen der Materie gewinnt, bleibt jedoch desshalb immer eine hypothetische, weil wir auf die Kräfte, die im Innern der Körper wirksam sind, nur aus den Kräften, die nach aussen wirken, zurückschliessen können. Es ist nun eine höchst wahrscheinliche Vor- aussetzung, dass, wie wir die Körper als ganze Anziehungs- und Ab- stossungskräfte äussern sehen, so auch die kleinsten Theile derselben theils mit Anziehungs- theils mit Abstossungskräften begabt sind. So nehmen wir an, dass die Cohäsion der Körper auf einer gegensei- tigen Anzeihungskraft ihrer Theile beruht. Ein Körper müsste augen- blicklich in den feinsten Staub zerfallen, wenn jene Anziehung in ihm nicht mehr vorhanden wäre. Dagegen führen wir die Elasticität Von der Beschaffenheit der Materie und den Aggregatzuständen. der Körper, jene Eigenschaft, durch die sie äussern formändernden Kräften Widerstand leisten, auf eine gleichzeitige Wirksamkeit anziehen- der und abstossender Kräfte zurück. Wenn ein Körper einer äussern deh- nenden Kraft, die sein Volum zu vergrössern strebt, Widerstand leistet und nach dem Aufhören derselben wieder zum früheren Volum zurück- kehrt, so müssen wir dies jedenfalls auf die Anziehungskräfte in sei- nem Innern beziehen. Wenn der Körper aber ebenso einer äussern Kraft, die ihn zusammendrückt, und sein Volum zu verkleinern sucht, Widerstand leistet, so nehmen wir Abstossungskräfte an, die in dem Moment wirksam werden, in welchem die kleinsten Theile des Körpers über das Maass ihrer natürlichen Entfernung sich nähern sollen. Diese natürliche Entfernung selbst aber betrachten wir als diejenige, bei welcher zwischen Anziehungs- und Abstossungskräften Gleichgewicht herrscht. Man hat die kleinsten Theilchen der Materie, welche die Träger jener Kräfte sind, die Atome genannt. Wenn man hiermit diesen Elementen, wie es der Name ausdrückt, die Eigenschaft der Untheilbarkeit zuerkennt, so darf dies übrigens nur in relativem Sinne genommen werden. Es soll dadurch nicht mehr gesagt sein, als dass jeder Körper aus einer sehr grossen Menge einzelner Kraftcentren besteht, ebenso wie er selber andern Körpern gegenüber ein einziges Kraftcentrum darstellt. Es steht also nicht nur frei sich die Atome selber noch unendlich theilbar zu denken, sondern man muss sogar zugeben, dass wir selbst physikalisch ein Element, das wir in Rücksicht auf gewisse Erscheinungen als eine letzte Einheit betrachten, oft hinsichtlich anderer Erscheinungen in noch weitere Ein- heiten zerlegen müssen. Die Atome sind, um es kurz auszudrücken, nicht die Elemente, in die man die Materie zerlegen kann , sondern diejenigen, in die man sie, durch die Erscheinungen genöthigt, zer- legen muss . Wenn man nun die Atome einfach als die Träger der Anziehungs- und Abstossungskräfte der Körper bezeichnet, so ist es offenbar schwer denkbar, dass dieselben Theilchen der Materie, die einander anzie- hen, gleichzeitig sich abstossen sollten. Man entgeht dieser Schwie- rigkeit durch die auch in andern Erscheinungen ihre Stütze findende Annahme, dass zweierlei Atome innig gemengt in den Körpern vor- kommen, solche mit Anziehungs- und solche mit Abstossungskräften. Die ersteren bezeichnet man auch als die Atome aus wägbarer Materie, weil sie die Veranlassung sind, dass die Körper gegen die Erde gravitiren und dadurch ein gewisses Gewicht besitzen. Die letz- teren bezeichnet man als die Atome aus unwägbarer Materie oder, weil man die unwägbare Materie Aether nennt, als die Aetheratome . Die Lichterscheinungen nöthigen uns zu der Annahme, dass der Aether ebenso wie die wägbare Materie aus gesonderten Theilchen besteht. Die Lichterscheinungen und ein Theil der Wärmeerscheinungen lassen Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. als Bewegungen dieser unwägbaren Atome sich nachweisen. Dagegen werden die Erscheinungen der Elektricität und des Magnetismus aus einer andern oder vielmehr aus zwei andern unwägbaren Materien, den beiden elektrischen Flüssigkeiten, hergeleitet, die man sich als continuirlich den Raum erfüllend vorstellen kann, weil bis jetzt noch keine Thatsachen gefunden sind, welche uns nöthigten, auch diese Materien in Atome zu sondern. Es mag also sein, dass die elektri- schen Flüssigkeiten den Raum einnehmen, welcher zwischen den wäg- baren und den Aetheratomen noch frei ist; vielleicht aber gelingt es auch mit der Zeit noch darzuthun, dass es nicht erforderlich ist, für die elektrischen Erscheinungen eine besondere Materie ausser dem Aether und der wägbaren Masse vorauszusetzen. Die Beobachtung spricht dafür, dass sowohl der Aether als die elektrischen Flüssigkei- ten immer gebunden sind an wägbare Materie, oder dass sie wenig- stens in dieser in grösserer Dichte sich anhäufen. Man muss daher der wägbaren Materie eine Anziehungskraft gegen die unwägbare zu- schreiben. Was insbesondere den Aether betrifft, so wird dessen Ver- halten zu den wägbaren Atomen folgendes sein müssen. Jedes wäg- bare Atom ist, da es den Aether anzieht, von einer Hülle aus Aether- atomen umgeben. Die Dichte dieser Hülle nimmt aber, da die Aether- atome selber sich abstossen, von innen nach aussen hin ab. Die abstossenden Kräfte der Aetheratome sind ausschliesslich Molecularkräfte; sie wirken nicht in die Ferne. Man nimmt daher an, dass die Intensität dieser in kleinen Abständen sehr bedeutenden Kräfte so rasch abnimmt, dass sie in merklichen Entfernungen ver- schwindet. Die anziehenden Kräfte der wägbaren Atome aber wirken in die Ferne. Jeder Körper übt daher als wägbare Masse auf andere Körper eine Anziehung, deren Stärke im umgekehrten Verhältnisse des Quadrates der Entfernung steht. Wir haben grossartige Beispiele die- ser Fernewirkungen wägbarer Körper in den Bewegungen der Him- melskörper vor Augen; wir sehen täglich solche Beispiele bei dem Fal- len der irdischen Körper, und selbst das Gewicht dieser Körper beruht aut einer Wirkung in die Ferne, auf der gegenseitigen Anziehung, welche zwischen ihnen und dem Erdkörper stattfindet. Wir haben schon früher (§. 9. Anm.) angegeben, dass die Wirkung, welche zwei Massen m und m', die sich in einer gegenseitigen Entfernung r befinden, auf einander ausüben, durch den Bruch ausgedrückt wird. Für die Planetenbewegungen ist dieses allgemeine Gesetz der Massenanziehung schon seit langer Zeit auf astrono- mischem Wege bestätigt worden. Dass dasselbe auch für je zwei irdische Körper gültig ist, hat Cavendish nachgewiesen, indem er zeigte, dass eine grosse Bleimasse auf eine kleine metallene Kugel anziehend wirkte und dadurch einen empfindlichen Hebel, an welchem diese Kugel befestigt war, in Bewegung setzte. Ein stetiger Fortschritt zur Vereinfachung der Ansichten über die Constitution Von der Beschaffenheit der Materie und den Aggregatzuständen. der Materie lässt sich neben der grösser werdenden Sicherstellung derselben in der Geschichte der Physik nicht verkennen. Das Licht und die Wärme führte man früher jedes auf eine besondere unwägbare Materie zurück. Den Lichtstoff dachte man sich aus kleinen Theilchen bestehend, die in der Richtung der Fortpflanzung des Lichts sich geradlinig fortbewegten. Der Wärmestoff sollte als ein continuirliches Medium sich in den Körpern bald mehr bald weniger anhäufen. Ebenso hielt man den Magnetis- mus für ein von der Elektricität verschiedenes unwägbares Fluidum. Nachdem nach- gewiesen ist, dass Licht und Wärme nicht Stoffe sondern Bewegungen sind, und dass keinerlei Grund zu der Voraussetzung vorliegt diese Bewegungen verschiedenen Sub- straten zuzuschreiben, wohl aber viele Gründe für die Identität des Substrates spre- chen, nachdem ferner der Magnetismus auf elektrische Erscheinungen zurückgeführt ist, liegt offenbar die Versuchung nahe, nur eine einzige unwägbare Materie neben der wägbaren anzunehmen und auch die elektrischen Erscheinungen aus Bewegungen der- selben abzuleiten. Man hätte dann nur zweierlei Materien in der Körperwelt, ent- sprechend den zweierlei denkbaren Kräften der Anziehung und der Abstossung. Mag aber auch diese Ansicht philosophisch noch so begründet sein, so ist doch jeder Ver- such ihrer physikalischen Durchführung bis jetzt verfrüht gewesen. Die besonderen Zustände der Materie bezeichnet man als 15 Aggregatzu- stände. die Aggregatzustände , weil man dieselben zurückführt auf die Art und Weise, wie in den einzelnen Körpern die kleinsten Theilchen, die wägbaren und die unwägbaren Atome, an einander gefügt, aggre- girt sind. Jeder Körper ist ein Aggregat von Atomen. Die wesent- lichen physikalischen Verschiedenheiten der Körper müssen daher davon abhängen, welche Lage die Atome zu einander haben, und welche Bewegungen sie gegen einander ausführen. Das wesentliche Merkmal des festen Aggregatzustandes besteht darin, dass die Körper zusammenhängende Ganze von be- stimmter Form bilden, die nicht die Form des Raumes annehmen, in welchem sie sich befinden. Es bedarf daher meistens einer ziemlich bedeutenden Kraft, um die Form der festen Körper erheblich zu än- dern, und einer noch bedeutenderen, um ihren Zusammenhang aufzu- heben. Wir müssen aus diesem Verhalten schliessen, dass die Atome der festen Körper Anziehungskräfte auf einander ausüben, welche die gegenseitige Abstossung der Aetheratome überwiegen. Im flüssigen Aggregatzustande können die einzelnen Theil- chen des Körpers beliebig ihre Lage gegen einander wechseln, wobei aber stets je zwei benachbarte Theilchen die gleiche Entfernung von einander behalten. Jede Flüssigkeit nimmt daher die Form des Gefäs- ses an, in dem sie enthalten ist, ohne jedoch ihr Volum zu verändern, vorausgesetzt, dass nicht sehr bedeutende Druckkräfte von allen Seiten auf sie einwirken. Wir dürfen hieraus folgern, dass zwischen den Theilchen einer Flüssigkeit die Anziehungs- und Abstossungskräfte einander annähernd das Gleichgewicht halten. Im gasförmigen Aggregatzustand haben die Körper das Streben sich so weit auszudehnen, als der vorhandene Raum es erlaubt. Wundt , medicinische Physik. 2 Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. Man schreibt daher den Gasen, gegenüber der Cohäsionskraft der festen Körper, eine Expansivkraft zu. Offenbar muss der gasförmige Aggregatzustand auf ein Ueberwiegen der abstossenden Kräfte zwischen den Atomen zurückgeführt werden. 16 Wechsel des Aggregatzu- standes. Ein und derselbe Körper kann in den drei Aggregatzuständen vorkommen. Unter dem Einfluss der Wärme werden feste Körper flüssig, indem sie zugleich ihr Volum vergrössern, und gehen Flüssig- keiten unter noch weiterer Zunahme des Volumens in Gase über. Man darf hieraus schliessen, dass sich die wägbaren Atome im festen Aggre- gatzustand am nächsten, im gasförmigen dagegen am fernsten sind. Darnach sind die Unterschiede der Aggregatzustände leicht aus der Atomtheorie abzuleiten. Da nämlich die anziehenden Kräfte der wäg- baren Atome mit der Annäherung zunehmen, so muss, wenn sich diese Atome bei der Volumänderung von einander entfernen, ein Punkt ein- treten, wo ihre Anziehungskräfte nur noch sehr gering sind, so dass zwar die einzelnen Molecüle noch an einander haften, aber durch sehr kleine äussere Kräfte, wie z. B. durch ihre eigene Schwere, schon von einander getrennt werden können: in diesem Fall ist der feste Körper zur Flüssigkeit geworden. Bei noch weiterer Vergrösserung des Volu- mens endlich muss ein Punkt eintreten, wo die abstossenden Kräfte, welche die Aetherhüllen der wägbaren Atome auf einander ausüben, über die Anziehungskräfte überwiegen: dann hat der Körper Expan- sivkraft erhalten, er ist in den gasförmigen Zustand übergetreten. Von der hier als allgemeine Regel aufgestellten Volumänderung der Körper bei der Aenderung ihres Aggregatzustandes bildet das Wasser, welches beim Gefrieren an Volumen zunimmt, eine bekannte Ausnahme. Diese Ausnahme ist aber in der That nur eine schein- bare, da das Eis ein krystallisirter Körper ist, in welchem die Molecüle nach verschiedenen Richtungen eine verschiedene gegenseitige Entfer- nung besitzen. Das Volum ist abhängig von der Distanz in allen Richtungen, während eine Annäherung der Molecüle in einer einzigen Richtung schon zur Herbeiführung des festen Aggregatzustandes ge- nügen kann. Ueber den Grund, wesshalb die Temperaturveränderung die Distanzverhältnisse der Atome und dadurch die Aggregatzustände verändert, wird in der Lehre von der Wärme gehandelt werden. Drittes Capitel. Die Gesetze der Bewegung . 17 Gleichgewicht und Bewegung. Da alle Veränderungen in der Natur auf Bewegungen zurückge- führt werden können, so muss die Untersuchung der allgemeinen Ge- setze der Bewegung die erste Aufgabe der Naturlehre sein. Ehe man aber die Bewegungsgesetze erörtert, muss festgestellt sein, unter wel- chen Bedingungen überhaupt Bewegungen stattfinden. Mit dieser Vor- Die Gesetze der Bewegung. frage hat es die Statik oder Lehre vom Gleichgewicht zu thun. Sie untersucht, welche Grösse und Richtung die auf irgend einen Punkt oder Körper wirkenden Kräfte haben müssen, wenn derselbe in Ruhe verbleiben soll, und welches, falls kein Gleichgewicht zwischen den Kräften existirt, die Grösse und Richtung der stattfindenden Bewe- gung ist. Die Dynamik oder Lehre von der Bewegung hat sodann die Aufgabe aus der Grösse und Richtung der in jedem Augenblick auf einen Punkt oder Körper wirkenden Kräfte die Gesetze zu ent- wickeln, nach welchen in der Zeit und im Raum die Bewegung erfolgt. Wenn irgend welche Kräfte auf einen Punkt im Raum einwirken, 18 Parallelogramm der Kräfte. so lassen sich drei Fälle unterscheiden: entweder haben die Kräfte gleiche Richtung, oder sie liegen in derselben Geraden, haben aber ent- gegengesetzte Richtung, oder endlich sie schliessen irgend welche Winkel mit einander ein. Für diese drei Fälle ergibt sich die auf den Punkt ausgeübte Wirkung aus dem Princip der Zusammensetzung der Kräfte. (§. 10). Wenn zwei Kräfte die nämliche Richtung besitzen, so ist ihre Wirkung offenbar gleich der Summe ihrer Einzelwirkungen; haben sie entgegengesetzte Richtungen, so geht die Wirkung nach der Richtung der grösseren Kraft, und ist an Grösse gleich der Differenz der zwei Einzelwirkungen. Schliessen hingegen zwei Kräfte, die den Punkt in Bewegung zu setzen streben, einen Winkel mit einander ein, indem die eine nach der Richtung a b, die andere nach der Richtung a c geht, so wird, nach dem angeführten Princip, falls die erste Kraft allein den Punkt nach b, die zweite Kraft allein denselben nach c gebracht hätte, die vereinigte Wirkung beider Kräfte Fig. 3. ihn nach d bringen. Denn denken wir uns, die Kräfte hätten successiv ge- wirkt, so würde der Punkt zuerst den Weg a b und dann den Weg b d, welcher gleich und parallel a c ist, beschrieben haben. Es lässt sich aber auch weiterhin leicht einsehen, welchen Weg der Punkt, um zu diesem Endziel zu gelangen, unter dem gleichzeitigen Einfluss beider Kräfte wirk- lich beschreibt. Wir können nämlich die Wirkung jeder einzelnen Kraft offenbar in beliebig kleine Theile zerlegen. Denken wir uns nun, in einem gewissen Moment der Bewegung hätte die erste Kraft den Punkt bis β , die zweite ihn bis γ gebracht, so wird die vereinigte Wirkung beider Kräfte ihn nach δ gefördert haben. Suchen wir so immer für je zwei der einander entsprechenden Punkte der Linien a b und a c, den Ort auf, wo sich der Punkt wirklich befinden muss, so bilden alle diese Oerter zusammen eine gerade Linie a d, welche die Diagonale des zu a b und a c ergänzten Parallelogramms ist. Man bezeichnet wegen dieser Construction den vorliegenden Lehrsatz als den Satz 2 * Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. vom Parallelogramm der Kräfte . Die nach a b und a c wir- kenden Kräfte nennt man die Seitenkräfte oder Componenten , die nach der Richtung a d zur Aeusserung kommende Kraftwirkung nennt man die Resultante . Da die Kräfte nur nach ihren Wirkun- gen gemessen werden können, so stellen die Linien a b und a c die Componenten nach ihren Grössen und Richtungen dar, und ebenso giebt die Linie a d die Grösse und Richtung der Resultirenden an. Für den Effect ist es somit ganz gleichgültig, ob eine Kraft von der Grösse und Richtung a d, oder ob zwei Kräfte, deren Grösse und Richtung durch a b und a c bezeichnet wird, auf einen Körper einwirken, und man kann daher ebensowohl die Resultante durch ihre beiden Com- ponenten, wie die Componenten durch ihre Resultante ersetzt denken, eine Folgerung, die für die practische Anwendung von Wichtigkeit ist. Obgleich der Satz vom Parallelogramm der Kräfte hier zunächst nur für zwei Kräfte entwickelt wurde, so ist er doch leicht auf be- liebig viele Kräfte, die auf einen Punkt wirken, anzuwenden. Man braucht für diesen Zweck nur zuerst die Resultante für zwei der gege- benen Kräfte durch Construction ihres Parallelogramms aufzufinden, dann für diese Resultante und die dritte Kraft ein neues Parallelogramm zu construiren, so hat man offenbar in der Diagonale des letzteren die Resultante der drei Kräfte vor sich; man kann hierauf zu einer vierten Kraft übergehen, u. s. w. Nach demselben Princip lässt sich aber ebenso eine einzige Kraft statt in zwei in beliebig viele Componenten zerlegen, indem man die zwei ersten Componenten wieder als Resul- tanten aus je zwei Componenten betrachtet, u. s. w. Ein einziger Fall ist noch besonders hervorzuheben, der Fall nämlich, wo drei Kräfte nach verschiedenen Richtungen des Raumes wirken. Hier kann man aus den drei Kräften ein Parallelepiped, ähnlich wie aus den zwei Kräften ein Parallelogramm, construiren, und die Diagonale des Paral- lelepipeds gibt dann direct die Grösse und Richtung der Resultiren- den an. 19 Hebel. Wenn Kräfte nicht auf einen Punkt oder auf einen Körper wir- ken, der annähernd als Punkt betrachtet werden kann, so reicht man mit dem Satz vom Parallelogramm der Kräfte nicht mehr aus. Neh- men wir an, es wirkten mehrere Kräfte auf eine starre Linie oder einen stabförmigen Körper ein, so wird hier ein Fall sich ereignen können, der bei der Wirkung auf einen Punkt gänzlich unmöglich ist; die Kräfte können nämlich die Linie zu drehen streben. Betrachten wir als einfachsten Fall denjenigen, wo zwei Kräfte a b und c d (Fig. 4) einander parallel an den entgegengesetzten Enden der Linie einen Zug ausüben. Es wird dann die ganze Linie in der Richtung der bei- den Kräfte vorwärts bewegt, und sie wird zugleich im Sinne der grös- seren Kraft c d gedreht werden. Unterstützen wir nun die Linie etwa Die Gesetze der Bewegung. bei s, so dass keine fortschreitende Be- wegung derselben mehr möglich ist, so wird höchstens eine Drehung um den Un- terstützungspunkt noch erfolgen können. Man bezeichnet eine derartige Linie, die an irgend einem Punkt so unterstützt ist, dass sie nicht fortbewegt, sondern nur um Fig. 4. den Unterstützungspunkt gedreht werden kann, als einen einfa- chen Hebel . Wie stark die unterstützende Kraft sein muss, damit keine fortschreitende Bewegung der Linie eintrete, ergibt sich schon aus den für das Gleichgewicht eines Punktes festgestellten Bedingun- gen. Wenn, wie in unserer Figur, die Kräfte parallel und gleicher Richtung sind, so muss die Unterstützung mindestens der Summe der- selben gleich sein. Wenn die Kräfte parallel, aber entgegengesetzter Richtung sind, so muss die unterstützende Kraft gleich ihrem Unter- schied sein. Wenn endlich die Richtungen der Kräfte verlängert ge- dacht einen Winkel mit einander einschliessen, wenn z. B. c g und a e in Fig. 5 die Richtungen der Kräfte sind, so zerlegt man eine jede nach dem Satz vom Parallelogramm in der Weise, dass zwei Seiten- kräfte c h und a f von gleicher Grösse und entgegengesetzter Richtung entstehen und also die parallelen Seitenkräfte c d und a b übrig blei- ben. c h und a f heben sich auf, bewirken also keine Bewegung, und um die fortschreitende Bewegung, welche a b und c d erzeugen wür- den, aufzuheben, muss man irgendwo an der Linie eine unterstützende Kraft anbringen, deren Grösse wieder der Summe jener beiden paral- lelen Kräfte gleich ist. Nachdem also in Bezug auf fortschreitende Bewegung die Kräftewirkung an einer Linie ganz auf die nämlichen Sätze zurückgeführt ist, die für die Kräftewirkung an einem Punkte gelten, bleibt hier nur noch jene drehende Wirkung der Kräfte zu betrachten übrig. Sind wieder a b und c d (Fig. 5) die beiden an den Endpunkten der Linie wirkenden Kräfte, so wird offenbar nichts geändert, wenn man am Punkt a noch eine Kraft a f und am Punkt c eine ihr glei- che c h von entgegengesetzter Richtung hinzufügt, da beide sich auf- heben. Nun würden a b und a f zusammen die resultirende Kraft a e, c d und c h zusammen die resultirende Kraft c g bilden. Da es aber vollkommen gleichgültig ist, ob man a f und c h hinzufügt, so ist es auch gleichgültig, ob man statt der Kräfte a b und c d die Kräfte a e und c g setzt. Verlängert man die Richtungen a e und c g bis zu ihrem Durchschnittspunkt i, und denkt man sich, die Linien a i und i c wären gewichtslose, mit dem Hebel a c fest verbundene Stangen, so würde offenbar durch das Dasein derselben an der Bewegung des Hebels gar nichts geändert. Es würde aber dann auch ganz gleich- gültig sein, an welchem Punkt der Linie a i die Kraft a e wirksam wäre, Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. ob am Punkt a oder am Punkt i oder an irgend einem Punkt dazwi- schen, und ebenso wäre es gleichgültig, an welchem Punkt der Linie i c die Kraft c g wirksam wäre. Man könnte sich also beide Kräfte an dem nämlichen Punkte i, dem Durchschnittspunkt ihrer Richtungen Fig. 5. wirksam denken. Damit ist das Problem der Wirkung zweier Kräfte auf eine Linie auf das schon gelöste Problem der Wirkung der Kräfte auf einen Punkt zurückgeführt. Man kann nun am Punkte i das Kräfteparallelogramm construiren, indem man i m = a e und i n = c g macht. Man erhält die Resultirende i s, welche den Hebel a c im Punkte s trifft. Wenn man demnach im Punkte s eine jener entgegengesetzt gerichtete Kraft von der Grösse i s anbringt, so können die Kräfte i m und i n, beziehungsweise die ihnen gleichbedeutenden a e und c g, keine bewegende Wirkung hervorbringen. Man muss also im Punkte s den Hebel a c mit einer Kraft gleich i s unterstützen, damit durch die Kräfte a e und c g, und demnach auch durch die Kräfte a b und c d, keiner- lei Bewegung hervorgebracht werde. Da nun bewiesen ist, dass der Punkt i des mit a c in fester Verbindung gedachten Systems a i c durch die Wirkung einer der Resultanten i s gleichen und entgegengesetzt gerichteten Unterstützungskraft an seinem Ort bleibt, so muss auch das ganze System mit dem Hebel a c unverrückt bleiben, d. h. es kann weder fortschreitende noch drehende Bewegung des Hebels erfolgen. Die Kraft i s aber muss, wie schon oben gefunden wurde, gleich der Summe der beiden Parallelkräfte a b und c d sein, damit keine fort- schreitende Bewegung der Linie a c eintreten kann. Da es endlich in Bezug auf fortschreitende Bewegung gleichgültig sein würde, an wel- chem Punkt von a c die Unterstützungskraft wirksam wäre, so kann die Bedingung, dass diese Kraft bei s ihren Angriffspunkt haben soll, um sowohl in Bezug auf fortschreitende als drehende Bewegung Gleich- gewicht herzustellen, nur die Bedeutung haben, dass nur dann, wenn sich die Unterstützung im Punkte s befindet, eine Drehung nicht statt- finden kann. Wenn man also dieselbe unterstützende Kraft an irgend einem andern Punkte der Linie a c anbrächte, so würde zwar auch Die Gesetze der Bewegung. keine fortschreitende Bewegung, dagegen eine drehende Bewegung um den unterstützten Punkt eintreten. Offenbar ist die Lage des Punktes s abhängig von dem Grössen- verhältniss der beiden Kräfte a b und c d. Um die hier stattfindende Beziehung zu finden, erwäge man dass das Dreieck a e b ähnlich dem Dreieck a i s und das Dreieck c d g ähnlich dem Dreieck i s c ist, indem sich verhält a s : e b = i s : a b und s c : d g = i s : c d oder, da nach der Construction d g = e b ist, s c : e b = i s : c d. Aus der ersten Pro- portion folgt a b. a s = i s. e b, aus der zweiten c d. s c = i s. e b, und hieraus endlich a b. a s = c d. s c. Man nennt die Entfernungen der Angriffspunkte a und c von dem Unterstützungspunkt s die Hebelarme der Kräfte, a s ist also der Hebelarm der Kraft a b und c s der Hebelarm der Kraft c d. Das in der obigen Gleichung ausgedrückte Gesetz heisst somit: wenn keine Drehung am Hebel erfolgen soll, so müssen die Producte der Kräfte in ihre Hebelarme einander gleich sein, oder: die Kräfte müssen sich zu einander verhalten umgekehrt wie ihre Hebelarme . Das Product einer Kraft in den Hebelarm, an dem sie wirkt, nennt man das statische Moment dieser Kraft, und das obige Gesetz lässt sich daher auch so ausdrücken: die statischen Momente der einander entgegenwirkenden Kräfte müssen gleich sein. Es ist nun eine in der Mechanik geläufige Bezeichnung, dass man, wenn Kräfte nach entgegengesetzten Richtungen gehen, die eine Richtung positiv und die andere negativ nimmt, es muss dann offenbar, wenn keine Drehung geschehen soll, die Summe der statischen Momente gleich null sein , ein Satz, der selbstverständlich auch dann gilt, wenn die Anzahl der Kräfte eine beliebig grosse ist. Dass die in der Fig. 5 erhaltene Resultante i s wirklich = a b + c d ist, wie dies der früher gelieferte Beweis, nach welchem die Resultante der fortschreitenden Bewegung gleich der Summe der am Hebel wirkenden Parallelkräfte sein muss, for- dert, lässt sich leicht einsehen. Man ziehe nämlich von n aus eine Senkrechte auf i s. Es entstehen dann zwei rechtwinklige Dreiecke, deren oberes die Hypothenuse i n = c g, deren unteres die Hypothenuse n s = a e hat. Nun sind aber rechtwinklige Dreiecke, deren Hypothenusen gleich sind, einander gleich, folglich ist das Δ i o n = c d g, das Δ n o s = a b e, d. h. i o ist = c d und o s = a b. Die beiden Lehrsätze vom Parallelogramm und von den stati- schen Momenten der Kräfte enthalten, obgleich sie zunächst an geo- metrischen Punkten und Linien gefunden sind, doch Alles was nöthig ist, um auch für den in der Natur allein vorkommenden Fall, wo Kräfte auf physische Körper einwirken, sobald nur diese Kräfte ihrer Grösse und Richtung nach gegeben sind, festzustellen, ob Gleichgewicht besteht, oder ob Bewegung eintreten muss. Denn die fortschreitende und die drehende Bewegung sind die einzigen Formen der Bewegung, die überhaupt in der Natur möglich sind. Soll ein Körper unter dem Einfluss der auf ihn wirkenden Kräfte in Ruhe bleiben, so muss 1) die Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. durch das Kräfteparallelogramm erhaltene Resultirende gleich null sein, und es muss 2) die Summe der statischen Momente der Kräfte gleich null sein. Ist die Resultirende nicht gleich null, so tritt eine fort- schreitende Bewegung in ihrer Richtung ein. Ist die Summe der sta- tischen Momente nicht gleich null, so erfolgt eine Drehung im Sinne des überwiegenden Momentes. 20 Verhältniss von Kraft und Ge- schwindigkeit am Hebel. Hierbei ist aber die Frage noch nicht in Rücksicht gezogen, mit welcher Geschwindigkeit die Bewegung erfolgt, wenn die Resul- tirende, oder wenn die Summe der statischen Momente nicht gleich null ist. In Bezug auf die fortschreitende Bewegung ist dies zunächst ohne Bedeutung. Da wir die Grösse der Kräfte nur nach ihren Wir- kungen, nach den erzeugten Bewegungen messen, so wird auch die Grösse der aus dem Kräfteparallelogramm erhaltenen Resultante das Maass für die eintretende fortschreitende Bewegung sein. Anders ver- hält sich dies bei der drehenden Bewegung. Wenn wir von den bei- den am Hebel a c sich das Gleichgewicht haltenden Kräften a b und c d die eine, z. B. die Kraft c d, etwas steigern, so dass das Gleich- gewicht gestört wird und der Angriffspunkt c sich nach c' bewegt, so wird dadurch gleichzeitig der Angriffspunkt a der Kraft a b nach a' bewegt werden. Nun verhält sich der Bogen a a' zum Bogen c c' wie der Hebelarm a s zum Hebelarm c s, d. h. die bei der Störung des Gleich- gewichts eintretenden Geschwindigkeiten der beiden Angriffspunkte ver- halten sich wie die Entfernungen derselben vom Unterstützungspunkte. Da nun, um Gleichgewicht zu erhalten, die Kräfte im umgekehrten Verhältniss ihrer Entfernungen vom Unterstützungspunkt stehen müs- sen, so werden auch die Kräfte, die eben genügen, um ein Störung des Gleichgewichts hervorzubringen, sich umgekehrt wie ihre Hebelarme ver- halten. Es ergibt sich hieraus die theoretisch und practisch wichtige Folgerung, dass man Kraft durch Geschwindigkeit und Geschwindigkeit durch Kraft ersetzen kann. Die am längern Hebelarm wirkende Kraft a b ersetzt Kraft durch Geschwindigkeit, die am kürzern Hebelarm wirkende Kraft c d ersetzt Geschwindigkeit durch Kraft. Denken wir uns, in c befinde sich ein Gewicht und in a ein Mensch, der an dem Hebel drückt, so kann die Kraft des Menschen kleiner sein als die Grösse des Gewichtes, im selben Verhältniss als der Hebelarm, an dem er drückt, grösser als der Hebelarm des Gewichtes ist. Eine kleine Steigerung der Druckkraft wird nun eine Bewegung des Gewichtes erzeugen. Soll aber das Gewicht nur von c bis nach c' bewegt wer- den, so muss der Mensch selber die Strecke von a bis nach a' zurück- legen, also einen im selben Verhältniss grösseren Weg, als der Hebel- arm, an dem er drückt, grösser als der Hebelarm des Gewichtes ist. Denken wir uns hingegen, der Mensch befinde sich in c und das Ge- wicht in a, so muss die Kraft des Menschen grösser als das Gewicht Die Gesetze der Bewegung. sein im nämlichen Verhältniss, wie c s kleiner als a s ist. Wird aber jetzt durch eine Steigerung der Druckkraft eine Drehung erzeugt, so wird das Gewicht von a bis nach a' gefördert, während der Mensch nur von c bis c' zu gehen braucht; jetzt legt er also einen im selben Verhältniss kleineren Weg als das Gewicht zurück, wie der Hebelarm, an welchem er drückt, kleiner als der Hebelarm des Gewichtes ist. Da es sich bei der practischen Anwendung des Hebels in vielen Fäl- len, ähnlich wie in dem letzten Beispiel, um Weiterförderung von Lasten handelt, so nennt man denjenigen Hebelarm, mit welchem eine Wirkung ausgeübt werden soll, gewöhnlich den Hebelarm der Last , dage- gen denjenigen Hebelarm, an welchem die wirkende Kraft angreift, den Hebelarm der Kraft . Es gilt dann als Regel, dass, wo es sich weniger um Ausübung einer bedeutenden Kraftwirkung als um Erzeu- gung grosser Geschwindigkeit handelt, der Hebelarm der Kraft kleiner sein muss als der Hebelarm der Last, dass hingegen da, wo man nicht Geschwindigkeit sondern Kraftwirkung nöthig hat, der Hebelarm der Kraft grösser sein muss als der Hebelarm der Last. Man nennt dess- halb die Hebel der ersten Art auch Geschwindigkeitshebel und die Hebel der zweiten Art Krafthebel . Einen Hebel wie den bisher erläuterten, an welchem sich die entgegenwirkenden Kräfte auf entgegengesetzten Seiten vom Unter- stützungspunkt befinden, nennt man einen zweiarmigen Hebel. Es können aber die beiden Kräfte auch auf der nämlichen Seite liegen. Ist z. B. am Ende a des Hebels (Fig. 5) der Unterstützungspunkt, und wirkt bei s eine Kraft nach der Richtung s i, bei c eine Kraft nach der Richtung c d, befindet sich etwa bei c ein nach abwärts drücken- des Gewicht und bei s ein Mensch, der das Gewicht in die Höhe hebt, so nennt man den Hebel einen einarmigen . Auch der einarmige Hebel kann Kraft- oder Geschwindigkeitshebel sein, je nachdem die Last oder die Kraft näher dem Unterstützungspunkt liegt. Es kann endlich der Hebel statt aus einer geraden Stange aus zwei in einem Winkel zusammenstossenden Linien bestehen, es könnte also z. B. m s n (Fig. 5) ein Hebel sein mit den Hebelarmen m s und s n. Einen solchen Hebel nennt man einen Winkelhebel . Die Wechselbeziehung zwischen Kraft und Geschwindigkeit am 21 Princip der vir- tuellen Ge- schwindigkei- ten. Hebel mag uns darauf aufmerksam machen, dass die Bedingung des Gleichgewichts am Hebel auch noch auf eine andere Weise ausge- drückt werden kann als durch die Gleichheit der statischen Momente. Da sich nämlich die Bogen a a' und c c' verhalten wie die entspre- chenden Hebelarme, so verhalten sich auch die statischen Momente wie die Producte aus den Gewichten in diese die Geschwindigkeiten ausdrückenden Bogen, und es ist Gleichgewicht vorhanden, wenn a b. a a' = c d. c c' ist. Offenbar können wir aber auch statt des Bogens Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. a a' einen beliebig kleineren Bogen setzen, wenn wir nur den Bogen c c' verhältnissmässig ebenso verkleinern, und stellen wir uns vor, diese Bogen, statt wie in der Figur eine endliche Grösse zu haben, seien unendlich klein, so würden sie immer noch im selben Verhält- nisse stehen, und der Satz, dass a b. a a' = c d. c c' sein müsse, bliebe richtig. Nun erfolgt in Wirklichkeit, wenn Gleichgewicht vorhanden ist, nicht einmal eine unendlich kleine Drehung, sondern es ist nur das Streben vorhanden, solche Drehungen zu erzeugen, die sich wie a a' zu c c' verhalten; man nennt daher die relativen Geschwindigkei- ten a a' und c c' auch bloss virtuelle Geschwindigkeiten. Den Satz, dass, wenn Gleichgewicht vorhanden sein soll, die Summe aus den Producten der Kräfte in ihre virtuellen Geschwindigkeiten null sein muss, bezeichnet man hiernach als das Princip der virtuellen Geschwindigkeiten . Dieses Princip lässt sich auch auf die fortschreitende Bewegung anwenden. Lassen wir a e (Fig. 5) wieder eine Kraft bedeuten, so kann diese nach dem Kräfteparallelogramm in die auf einander senk- rechten Seitenkräfte a f und a b zerlegt werden. Da nun, wenn kein Widerstand vorhanden wäre, die eine Seitenkraft den Angriffspunct a nach f und die andere denselben nach b führen würde in derselben Zeit, in welcher die in der That einwirkende Kraft ihn nach e brächte, so hat man bei dieser Zerlegung offenbar nicht eigentlich, wie man angibt, die Kraft a e sondern vielmehr die Geschwindigkeit a e in ihre Seitengeschwindigkeiten zerlegt. Da nun aber die Kraft a e selbst zu- nächst nur ein Streben zur Bewegung ist, indem es noch vom Vorhan- densein anderer Kräfte abhängt, ob wirkliche Bewegung eintritt, so sind auch die Seitengeschwindigkeiten a f und a b nur virtuelle Geschwindigkeiten. Ebenso wie a e kann man jede andere am selben System wirkende Kraft, z. B. c g, nach den nämlichen Richtungen in zwei virtuelle Geschwindigkeiten, c h und c d, zerlegen, und führt man dies successiv mit allen auf das System wirkenden Kräften aus, so bekommt man als schliessliche Bedingung des Gleichgewichtes in Be- zug auf fortschreitende Bewegung, dass die Summe der a c parallelen virtuellen Geschwindigkeiten und die Summe der auf a c senkrechten virtuellen Geschwindigkeiten beide gleich null sein müssen, wobei selbst- verständlich wieder die entgegengesetzt gerichteten Geschwindigkeiten mit entgegengesetzten Vorzeichen zu versehen sind. Das Princip der virtuellen Geschwindigkeiten hat hiernach vor dem Satz des Kräfteparallelogramms und des Hebels den Vorzug grös- serer Allgemeinheit, indem es gleichzeitig die Gleichgewichtsbedingun- gen in Bezug auf fortschreitende und in Bezug auf drehende Bewegung enthält. Ausserdem besitzt es den Vorzug grösserer wissenschaftlicher Schärfe, weil es sogleich den Begriff der Geschwindigkeit einführt, der auch in der Statik von Bedeutung ist. Denn ein Gleichgewicht zwischen Die Gesetze der Bewegung. verschiedenen Kräften bedeutet streng genommen ein Gleichgewicht zwischen den Geschwindigkeiten, welche die Kräfte zu erzeugen streben. Das Princip der virtuellen Geschwindigkeiten führt auch am leichtesten zu einem mathematischen Ausdruck für die Bedingungen des Gleichgewichts. Bezeichnen wir nämlich die Kraft a e (Fig. 5) durch p, die Kraft c g durch p' und die übrigen etwa am System wirkenden Kräfte durch p″, p‴ u. s. w. Bezeichnen wir ferner den ∟ b a e mit α , d c g mit α ' und die entsprechenden Winkel der übrigen Kräfte mit α″, α‴ u. s. w., so werden die sämmtlichen Componenten, die der Axe a c parallel sind, durch p. sin. α , p'. sin. α ', p″. sin. α″ u. s. w. die sämmtlichen Componenten, die auf a c senkrecht stehen, durch p. cos. α , p'. cos. α ', p″. cos. α″ u. s. w. ausgedrückt. Nimmt man in beiden Fällen die Kräfte, die nach der einen Richtung gehen, positiv und diejenigen von entgegengesetzter Richtung negativ, so muss offenbar, wenn Gleich- gewicht in Bezug auf fortschreitende Bewegung bestehen soll, 1) p. sin. α + p'. sin. α ' + p″. sin. α″ + … = 0 sein, und ebenso muss 2) p. cos. α + p'. cos. α ' + p″. cos. α″ + … = 0 sein. Um die Gleichgewichtsbedingung in Bezug auf drehende Bewegung zu finden, erwäge man, dass, wie wir früher gezeigt haben, die Kraft a e nach m i und die Kraft c g nach i n verlegt werden kann, wenn man sich nur das Dreieck a i c fest mit a c verbunden denkt. Dies bedeutet aber hinsichtlich der drehenden Bewegung nichts an- deres, als dass man sich den Hebel a s c durch den bei s geknickten Hebel m s n er- setzt denkt, und Gleichgewicht muss nun herrschen, wenn die am Hebelarm m s wir- kende Kraft m i der am Hebelarm n s wirkenden Kraft n i das Gleichgewicht hält. Denken wir uns eine virtuelle Drehung um einen ∟ β zu Stande gebracht, so ist der vom Punkt m beschriebene Bogen = m s. β und der vom Punkt n beschriebene Bogen = n s. β , es muss also nach dem Princip der virtuellen Geschwindigkeiten m i. m s. β = n i. n s. β , d. h. m i. m s = n i. n s sein, oder wenn wir wieder die Kraft m i = a e mit p, die Kraft n i = c g mit p', und den Hebelarm m s mit l, n s mit l' bezeichnen: p. l = p'. l'. Nun sind aber die Linien l und l' nichts anderes als die Perpendikel vom Punkte s auf die Richtungen der Kräfte a e und c g. Denken wir uns noch beliebig viele Kräfte p″, p‴ … hinzu, so werden wir auch auf ihre Richtungen Perpendikel l″, l‴ .... ziehen können, und nehmen wir jetzt wieder die Kräfte, die nach der einen Richtung zu drehen streben, positiv, die nach der andern Richtung negativ, so muss, wenn keine Drehung um den Punct s erfolgen soll, 3) p. l + p'. l' + p″. l″ + … = 0 sein. Nun ist es aber klar, dass, wenn wir ganz allgemein untersuchen, ob ein System sich drehen kann oder nicht, wir einen beliebigen Punkt wählen können, den wir als Drehpunkt voraussetzen. Wenn ein Körper sich in Bezug auf irgend einen Punkt nicht gedreht hat, so hat er sich überhaupt nicht gedreht. Folglich hätten wir statt des Punktes s auch einen andern Punkt nehmen können, und die allgemeine Gleichge- wichtsbedingung in Bezug auf Drehung lautet nun: wenn man von irgend einem Punkt aus auf die Richtungen der Kräfte Perpendikel zieht, so muss die Summe der Producte dieser Kräfte in ihre Perpendikel gleich null sein. Zur allgemeinen Feststellung der Bedingungen des Gleichgewichtes braucht man also drei Gleichungen, zwei für die fort- schreitende Bewegung (1 und 2) und eine für die drehende Bewegung (3). Kaum ist in der Natur oder in der Technik ein Beispiel der Er- 22 Anwendungen der Sätze vom Kräfteparalle- logramm und vom Hebel. zeugung von Kraft und Geschwindigkeit zu finden, in welchem nicht der Satz vom Kräfteparallelogramm oder der Satz vom Hebel oder Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. beide zusammen ihre Anwendung fänden. Die Bewegungen der Theile des menschlichen Scelets gegen einander beruhen auf Kräfte- wirkungen an grossentheils einarmigen Hebeln. (Vergl. §. 65.) Unsere unentbehrlichsten Werkzeuge sind die Hebel, denn der Umwandlung von Kraft in Geschwindigkeit und von Geschwindigkeit in Kraft bedür- fen wir immerwährend. Zange, Scheere und Pincette sind die gewöhn- lichsten Hebel, die wir anwenden, und bei jedem dieser Instrumente haben wir wohl darauf zu achten, ob wir des Kraft- oder des Ge- schwindigkeitshebels und welchen Maasses von Kraft und von Geschwin- digkeit wir bedürfen. Die Zange ist ein Krafthebel, und je stärker sie wirken soll, um so kleiner muss der Hebelarm, mit welchem die Wirkung geschieht, und um so grösser der Hebelarm sein, an welchem wir unsere Kraft ausüben. Wo man nach Umständen verschiedener Kraftwirkungen mit derselben Zange bedarf, da wählt man desshalb oft, wenn es angeht, die Form des einarmigen Krafthebels, an welchem sich die Entfernung der Last vom Unterstützungspunkt leichter variiren lässt. Die Pincette ist ein einarmiger Geschwindigkeitshebel, nicht weil man sie zur Erzeugung erheblicher Geschwindigkeiten bedürfte, sondern weil man die Kraft, die man durch sie ausüben will, mässigen möchte. Die Scheere hat meistens annähernde Gleichheit der Hebel- arme, als Krafthebel wird sic zur schneidenden Zange. Sehr häufig ge- brauchte Formen des Hebels sind ferner jene, bei denen (wie bei der Waage, Rolle u. s. w.) die Schwerkraft zur Anwendung kommt; wir werden im Capitel von der Schwere (§. 49 u. f.) auf dieselben zurück- kommen. 23 Gleichförmige Bewegung. Wenn ein Körper oder materieller Punkt durch eine Kraft in Be- wegung gesetzt wird, und die Kraft hört alsdann zu wirken auf, so setzt derselbe trotzdem seine Bewegung in geradliniger Richtung fort, und zwar muss er, dem Princip der Trägheit zufolge, von dem Mo- ment an, wo die Kraft aufhört zu wirken, in gleichförmiger Geschwin- digkeit verharren. Ein durch einen Stoss in Bewegung gesetzter Kör- per, auf den weiter keine Kraft einwirkt, muss also in gleichen Zeiten gleiche Wegstrecken zurücklegen, und wenn man den Weg kennt, den er in einer bestimmten Zeit zurückgelegt hat, so lässt sich der Weg, den er in irgend einer beliebigen Zeit zurücklegen wird, vorausbestim- men. Um die Geschwindigkeit verschiedener gleichförmig bewegter Körper vergleichen zu können, misst man diejenige Wegstrecke, die ein jeder in der zu allen Messungen dienenden Zeiteinheit, in der Se- cunde zurücklegt. Den in einer Secunde zurückgelegten Weg nennt man daher auch geradezu die Geschwindigkeit oder, bei genaue- rer Bezeichnung, die Secundengeschwindigkeit des gleichförmig beweg- ten Körpers. Der nach einer bestimmten in Secunden gemessenen Die Gesetze der Bewegung. Zeit t zurückgelegte Weg s ist daher einfach gleich der Geschwindig- keit c multiplicirt mit der Zeit t, s = c. t. Fassen wir jedoch den bewegten Punkt ins Auge nicht nachdem 24 Gleichförmig beschleunigte Bewegung. eine Kraft schon aufgehört hat auf ihn zu wirken, sondern während diese Wirkung noch fortdauert, so wird unmöglich die Bewegung eine gleichförmige sein können, sondern sie wird, gleichfalls nach dem Prin- cip der Trägheit, fortwährend wachsen müssen. Der einfachste Fall wird derjenige sein, wo die Kraft constant bleibt. Wir können uns die Zeit, während deren die Kraft wirkt, in eine Menge einzelner Momente zerlegt denken. Im ersten Moment ertheilt die Kraft dem Punkt eine gewisse Geschwindigkeit, welche er, wenn die Kraft nicht weiter ein- wirkte, gleichförmig beibehalten würde. Aber dieselbe Kraft wirkt auch noch im zweiten Moment auf ihn, sie erhöht also die vom ersten Moment her noch vorhandene Geschwindigkeit um die gleiche Grösse, ebenso in einem dritten, vierten Moment u. s. w. Wir können uns da- her die fortdauernde Wirkung der Kraft so denken, als wenn in jedem Momente ein neuer gleich grosser Stoss von derselben ausgeübt würde; nur liegen die Stösse unendlich nahe beisammen, und daher wächst die Geschwindigkeit nicht stossweise, sondern continuirlich. Sie muss aber gleichförmig wachsen, da ja die Kraft gleichförmig fortwirkt und also in jedem kleinsten Zeittheil die Geschwindigkeit um gleich viel erhöht. Denken wir uns, die Kraft hörte nach der ersten Secunde zu wirken auf, so würde der Punkt sich nun mit gleichförmiger Geschwin- digkeit fortbewegen; der Weg aber, welchen er bei dieser gleichför- migen Bewegung in einer Secunde zurücklegen würde, kann offenbar als Maass der Beschleunignng dienen, welche die Kraft während ihrer eine Secunde dauernden Wirkung erzeugt hat. Denn ehe die Kraft wirkte, war die Geschwindigkeit null, und wenn wir die Ge- schwindigkeit im Anfange einer gewissen Zeit von der Geschwindig- keit am Ende derselben abziehen, so ist der Rest die während der Zeit erlangte Beschleunigung. Da die Geschwindigkeit gleichförmig wächst, also in jeder Secunde die Beschleunigung die nämliche ist, so würde man dasselbe Resultat erhalten, wenn man zu einer beliebigen andern Zeit der Bewegung die Geschwindigkeit im Anfang einer Se- cunde mit der Geschwindigkeit am Ende derselben vergleichen würde; nur ist diese Vergleichung gerade im Anfang der Bewegung am leich- testen auszuführen, weil die in der ersten Secunde erzeugte Geschwin- digkeit unmittelbar gleich der Beschleunigung ist. Hat man die Be- schleunigung gemessen, so lässt sich die Geschwindigkeit, die nach Verlauf einer gewissen Zeit vorhanden sein wird, vorausbestimmen. Wurde nämlich die in der Secunde geschehende Beschleunigung = G gefunden, so braucht man nur die Beschleunigung G mit der Zeit- dauer t der Bewegung zu multipliciren, um die nach Verfluss der Zeit Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. t vorhandene Geschwindigkeit v zu erhalten. Es ist also 1) . Dabei ist aber vorausgesetzt, dass die Zeit t vom Anfang der Bewe- gung an gerechnet sei; sollte letzteres nicht der Fall sein, so muss man natürlich die etwaige Geschwindigkeit c kennen, die im Anfang der Zeitrechnung vorhanden war, und hat dann diese zu dem Producte zu addiren, so dass man nun erhält 2) . Um den Weg zu finden, welchen der Punkt unter dem Einfluss der gleichförmig beschleunigenden Kraft zurücklegt, wollen wir zunächst den während der ersten Secunde zurückgelegten Weg bestimmen. Am Anfang derselben hat der Punkt die Geschwindigkeit null, am Ende die Geschwindigkeit G, der Weg, welchen er zurückgelegt hat, ist grösser als null und kleiner als G; offenbar muss er zwischen beiden genau in der Mitte liegen, da ja die Geschwindigkeit völlig gleichför- mig zunahm, er ist also = . Ein Punkt, der die gleichförmige Geschwindigkeit hätte, würde eine ebenso grosse Wegstrecke zu- rückgelegt haben, wie der gleichförmig beschleunigte Punkt, dessen Anfangsgeschwindigkeit null, und dessen Endgeschwindigkeit G ist. In der Zeit t hat, wie wir sahen, der gleichförmig beschleunigte Punkt die Endgeschwindigkeit G.t erlangt, die mittlere Geschwindigkeit zwi- schen c und G.t ist ½ G.t, wir können uns daher jetzt den Punkt durch einen andern mit der gleichförmigen Geschwindigkeit ½ Gt ersetzt den- ken. Nun legt ein gleichförmig bewegter Punkt in der Zeit t den Weg s = c. t zurück, wenn c die Geschwindigkeit bedeutet, im vor- liegenden Fall ist aber c = . t, also ist der Weg, den der Punkt unter dem Einfluss der gleichförmig beschleunigenden Kraft m der Zeit t zurücklegt 3) . 25 Maass der Kräfte. Wir können die Kräfte stets nur messen an den Geschwindigkei- ten, die sie erzeugen. Für alle gleichförmig wirkenden Kräfte gibt daher die Grösse G, die in der Zeiteinheit bewirkte Beschleunigung, das zweckmässigste Maass ab. Dabei kommt jedoch in Betracht, dass diese Beschleunigung nicht bloss abhängt von der Grösse der einwir- kenden Kraft, sondern auch von der Beschaffenheit des Beweglichen, auf welches sie einwirkt. Es ist klar, dass dieselbe Kraft, die einem einzigen Punkt die Beschleunigung G gibt, wenn sie auf 100 mit ein- ander verbundene Punkte gleichzeitig einwirkt, diesen 100 Punkten eine um das 100fache kleinere Beschleunigung geben muss, da sich Die Gesetze der Bewegung. ja die Wirkung der Kraft auf alle Punkte gleichmässig vertheilt. Ein Körper, der aus 100 Punkten bestünde, hätte aber eine 100mal so grosse Masse als ein einziger Punkt, und wir sagen desshalb: die Wirkung einer Kraft ist direct proportional der Grösse der Kraft und umgekehrt proportional der Masse, auf welche sie wirkt. Nennen wir P die Kraft und M die Masse, so wird also die Beschleunigung immer proportional sein. Nehmen wir an, eine Kraft 1 ertheile der Masse 1 die Beschleunigung G, so wird die Kraft P der Masse M die Beschleunigung . G ertheilen. Da es nun gleichgültig ist, welche Einheit wir für die Kraft wählen, und da wir ein Maass für die Kraft überhaupt nur aus ihrer Wirkung gewinnen können, so liegt es am nächsten als Einheit der Kraft diejenige Kraft zu setzen, welche die Einheit der Wirkung erzeugt, also diejenige Kraft, welche der Masse 1 die Beschleunigung 1 ertheilt. Dann wird offenbar die Kraft P der Masse M die Beschleunigung ertheilen; und nun ist die Geschwin- digkeit v nach t Secunden 1) und der in dieser Zeit zurückgelegte Weg 2) . Aus der ersten dieser Gleichungen folgt, dass ist, und wenn man diesen Werth in die zweite Gleichung einsetzt, so ergibt sich oder 3) . Es existirt also eine Beziehung zwischen der in einem bestimmten Zeitpunkt vorhandenen Geschwindigkeit v und dem bis zum selben Zeit- punkt zurückgelegten Weg s, welche unabhängig von der Zeitdauer ist, die für die Zurücklegung dieses Weges und für die Erlangung die- ser Geschwindigkeit erforderlich war. Nach jener Beziehung ist für jeden Zeitpunkt der Bewegung das Product der Grösse einer gleich- förmig wirkenden Kraft in die Länge des Wegs, auf dem sie gewirkt hat, gleich dem halben Product der Masse, auf die sie wirkte, in das Quadrat der Endgeschwindigkeit, welche diese Masse erlangt hat. Man nennt in der Mechanik das Product P. s die Arbeit einer Kraft , und das Product m v 2 die lebendige Kraft . Die Kenntniss der Beziehung zwischen der Arbeitsgrösse einer Kraft und der durch sie erzeugten lebendigen Kraft ist von grosser Wichtigkeit, da sie uns gestat- tet irgend eine der in dieselbe eingehenden Grössen vorauszubestimmen, sobald nur die Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. andern bekannt sind. Wir fragen uns z. B., wie gross die Kraft ist, die ein Dampf- wagen erzeugen muss, wenn er nach einer Wegstrecke s in eine Geschwindigkeit v kommen soll. Hier sind uns s, v und M, letzteres als die Masse des Dampfwagens und der Lasten, die er etwa noch in Bewegung setzt, gegeben, daraus können wir die gesuchte Kraft P finden. Oder wir wissen, dass es uns möglich ist, eine Last P ge- rade noch mit der Hand in die Höhe zu heben, der Weg, den unser Arm bei einer Wurfbewegung beschreiben kann, ist s, wir sollen bestimmen, mit welcher Geschwin- digkeit wir eine Kugel von der Masse M fortschleudern können. Hier ist uns P als die Kraft, die wir im Stande sind auszuüben, gegeben, ebenso s und M, und daraus können wir die Geschwindigkeit v finden. 26 Bewegungen unter dem Einfluss mehre- rer Kräfte. Die Bewegung, welche entsteht, wenn mehrere Kräfte auf einen Punkt oder Körper einwirken, ergibt sich leicht aus den früher gefun- denen Regeln. Wirken zwei momentane Stosskräfte, die einen Winkel mit einander einschliessen, auf den Körper, so gibt, wie wir schon ge- sehen haben, die Diagonale nicht nur die Richtung seines Wegs, son- dern auch die Grösse der resultirenden Geschwindigkeit an. Wirkt ein momentaner Stoss in der einen Richtung, z. B. nach a b (Fig. 6) und eine gleichförmig beschleunigende Kraft in der andern ac, so fin- Fig. 6. den wir in ähnlicher Weise die Resultante: sie ist in jedem kleinsten Zeittheilchen die Dia- gonale aus den Wegen, welche der Körper durch jede Kraft einzeln genommen beschreiben würde. Aber weil die Wege in der Richtung ac, wel- che die beschleunigende Kraft den Körper führt, fortwährend an Grösse zunehmen, so muss auch jene Diagonale fortwährend ihre Richtung än- dern. Der Körper beschreibt also eine ge- krümmte Linie ad, und zwar, wie die nähere Untersuchung derselben nachweist, eine Para- bel. Wir werden diese Linie als die Wurflinie später bei Betrachtung der Schwere kennen lernen, wo sich uns noch weitere Beispiele für die Anwendung der Bewegungsgesetze auf die gleichzeitige Wirkung mehrerer Kräfte darbieten werden. Hier haben wir uns nur noch mit einem einzigen Fall, bei wel- chem es sich ebenfalls um eine gleichzeitige Wirkung mehrerer Kräfte handelt, zu beschäftigen, mit dem Fall nämlich, wo bestimmte fortdau- ernd wirkende Kräfte einen Punkt oder eine Menge von Punkten in einer gewissen Lage im Raum zu erhalten streben, während andere Kräfte von mehr oder weniger vorübergehender Wirkung ihn aus die- ser Lage entfernen. Es führt uns dies zur Betrachtung der Schwin- gungs- und Wellenbewegungen , denen wir wegen der wichti- gen Anwendungen, die sie in den verschiedensten Zweigen der Physik finden, ein besonderes Capitel widmen wollen. Von den Schwingungs- und Wellenbewegungen. Viertes Capitel . Von den Schwingungs- und Wellenbewegungen. Wenn ein Punkt durch dauernd und gleichförmig einwirkende 27 Schwingungen eines Punktes um seine Gleichgewichts- lage. Kräfte in einer bestimmten Lage gehalten wird, so setzt er jeder an- dern Kraft, die ihn aus dieser Lage zu entfernen strebt, einen Wider- stand entgegen, welcher der Grösse jener Kräfte, die ihn in seiner Lage erhielten, entspricht. Wirkt die ruhestörende Kraft ebenfalls gleichförmig, so muss der Punkt eine neue Gleichgewichtslage einneh- men. Wirkt dagegen die Kraft nur als ein einmaliger Stoss, so ent- stehen fortwährende Schwingungen um die ursprüngliche Gleich- gewichtstslage . Ist a (Fig. 7) der Punkt, und wirkt auf ihn ein ein- Fig. 7. maliger Stoss in der Richtung ab, so würde er, wenn sonst keine Kraft auf ihn wirkte, nach dem Princip der Träg- heit sich in der Richtung ab mit gleichför- miger Geschwindigkeit in’s unendliche fortbewegen. Nun sind aber Kräfte vorhanden, die ihn in der Lage a zu erhalten streben. Diese Kräfte müssen also die Geschwindigkeit des in der Richtung ab fortbewegten Punktes verlangsamen, und es wird nothwendig ein Ort b kommen, wo diese Geschwindigkeit voll- ständig null geworden ist. In einem nun folgenden Momente muss die nach a ziehende Kraft dem Punkte sogar eine rückwärtsgehende Beschleunigung geben, so dass derselbe sich wieder mit zunehmender Geschwindigkeit nach a hinbewegt. Durch die auf dem Weg von b nach a erhaltene Beschleunigung muss aber der Punkt sich über a hinaus bewegen, und zwar bis zu dem Punkte c, der ebenso weit wie b von a entfernt ist, denn die auf dem Weg von b bis a erhaltene Beschleu- nigung ist genau ebenso gross wie die auf dem Weg von a bis b erfahrene Verlangsamung. Ist der Punkt in c angelangt, so muss er sich wieder mit zunehmender Geschwindigkeit nach a zurückbewegen u. s. f. Der Punkt wird somit fortwährende Schwingungen um seine Gleichgewichts- lage ausführen. Den Abstand der äussersten Punkte b und c der Bahn von a nennt man die Schwingungsweite oder Amplitude . Die Zeit, welche der Punkt gebraucht, um einen ganzen Hin- und Hergang, von b nach c und wieder von c nach b, zu vollenden, nennt man die Schwingungsdauer . Wäre die den Punkt nach der Gleichgewichtslage a zurückzie- hende Kraft von gleichförmiger Wirkung, so würde die hier untersuchte Schwingungsbewegung mit der früher erörterten gleichförmig verän- derlichen Bewegung im wesentlichen übereinkommen: von b an, wo Wundt , medicin. Physik. 3 Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. die Geschwindigkeit null ist, bis nach a, wo sie ihr Maximum erreicht, wäre die Bewegung gleichförmig beschleunigt, von a bis c wäre sie dann gleichförmig verlangsamt u. s. f. Nun wird aber diese Voraus- setzung, dass die Kräfte, welche den Punkt nach a hin ziehen, immer gleich gross seien, in der Natur nicht wohl verwirklicht sein, sondern es wird in der Regel das Streben nach a zurückzukehren um so grös- ser sein, je weiter man den Punkt von a entfernt hat. Es sei z. B. a c ein elastischer Stab, so wird derselbe, wenn man ihn bei c befe- stigt und bei a so an ihm zieht, dass er sich um die Grösse a e ver- längert, beim Aufhören des Zuges vermöge seiner elastischen Kraft wieder zu seiner früheren Länge a c zurückkehren. Wenn man ihn dann um die Grösse a b verlängert, so wird er ebenfalls wieder in die Länge a c zurückkehren, diesmal aber mit grösserer Kraft, und zwar wenn ab doppelt so gross ist als ae mit doppelt so grosser Kraft als vorhin. Denn die Kraft, mit welcher der Stab in seine frühere Länge zurückzukehren strebt, ist offenbar gerade so gross wie die Spannung, welche er erfährt, und die letztere wächst im selben Maasse wie die Dehnung. Nun ist aber leicht ersichtlich, dass, welche Kräfte es auch sein mögen, die den Punkt in a zu erhalten streben, er doch in ähnlicher Weise wie in diesem Beispiel mit um so grös- serer Kraft streben wird in die Gleichgewichtslage zurückzukehren, je weiter man ihn aus derselben entfernt hat. Der Punkt wird in eine Spannung versetzt, die wächst mit der Entfernung aus der Gleichgewichtslage, und er wird daher in b mit doppelt so grosser Kraft nach a zurückstreben als in e. Es muss also auch die Be- schleunigung wachsen proportional der Entfernung aus der Gleichge- wichtslage, und hieraus folgt, dass die Schwingungsdauer un- verändert bleibt, wie man auch die Schwingungsweite verändern möge . Denn im selben Maasse wie die Schwingungs- weite zunimmt, beschleunigen sich ja die Schwingungen. Dagegen ist ersichtlich, dass die Schwingungsdauer um so kleiner sein muss, je grösser die Kraft ist, welche vom Anfang an den Punkt in der Gleichgewichtslage zu halten strebt und ihn nachher wieder in die- selbe zurückführt. 28 Anwendung des Gesetzes der Erhaltung der Kraft auf die Schwingun- gen. Die hier erörterten Ergebnisse lassen auf eine sehr einfache Weise aus dem Princip der Erhaltung der Kraft (§. 11.) sich ableiten. Bezeichnen wir die Kraft, welche den Punkt in die Lage a zurückzuführen strebt, wenn er sich in der Entfer- nung 1 von a befindet, mit P, und setzen wir die Masse des Punktes = 1, so ist die Beschleunigung, die eine Masse M in der gleichen Entfernung erfährt, nach §. 25. = ; ist die Entfernung ab des Punktes = α so wird unserer Voraussetzung ge- mäss, dass die den Punkt nach a zurückziehende Kraft mit der Entfernung von a zu- nimmt, die beschleunigende Kraft in . Da aber diese beschleunigende Kraft, Von den Schwingungs- und Wellenbewegungen. die wir mit G bezeichnen wollen, die Distanz α zu verkleinern strebt, so müssen wir ihr offenbar ein negatives Vorzeichen geben, es ist also . Wird α = o, d. h. befindet sich die schwingende Masse in a, so wird G = o, wird α gleich der Am- plitude, so erreicht G sein Maximum. Untersuchen wir die lebendige Kraft des Punk- tes M, welche nach §. 25 durch das Product ½ M v 2 gemessen wird, so ist diese am Endpunkt der Amplitude = o, da hier die Geschwindigkeit v null ist, beim Rückgang wächst sie und erreicht beim Durchgang durch a ihr Maximum, und zwar ist das Product ½ Mv 2 hier , wenn α wieder die Amplitude bezeichnet; denn auf dem Weg von a nach b war, als die Masse in b anlangte, alle ihre lebendige Kraft in rückwärts gehende beschleunigende Kraft umgewandelt und, nach dem Princip der Erhaltung der Kraft, muss nun, nachdem die beschleunigende Kraft sämmtlich zu lebendiger Kraft geworden ist, die letztere der ersteren, aus der sie hervorging, gleich sein. Man sieht hieraus, dass die lebendige Kraft der Schwingungen mit der Amplitude zunimmt. Bei den Schallschwingungen der Luft und tönender Körper, den Lichtschwingungen des Aethers wird durch die Amplitude die Intensität des Schalls oder Lichtes, durch die Schwingungsdauer die Qualität (also die Höhe des Tons, die Beschaffenheit der Farbe) bestimmt. Die oben bemerkte Thatsache, dass die Schwingungsdauer unabhän- gig von der Amplitude ist, erklärt also, dass derselbe Ton, dieselbe Farbe die ver- schiedensten Intensitätsgrade besitzen können. Die Kraft, welche einen schwingenden Punkt in seiner ursprüng- 29 Gesetz der Schwingungs- dauer. lichen Lage a zu erhalten strebt, muss zu der Zeit, welche der Punkt braucht, um eine Schwingung zu vollenden, in einer bestimmten Be- ziehung stehen. Es muss nämlich offenbar mit der Zunahme jener Kraft, die wir mit G bezeichnen wollen, die Geschwindigkeit der Schwin- gungen zunehmen, also die Schwingungsdauer abnehmen. Nennen wir T die Schwingungsdauer, so lässt sich nachweisen, dass die Beziehung zwi- schen T und G (oder ) durch folgende Gleichung ausgedrückt wird: in welcher Gleichung durch π das Verhältniss der Kreisperipherie zum Durchmesser oder die Zahl 3,14159 bezeichnet ist. Die Schwingungs- dauer eines Punktes oder Körpers verhält sich also direct wie die Quadratwurzel aus der Masse desselben und umgekehrt wie die Qua- dratwurzel der beschleunigenden Kraft, die ihn in die Gleichgewichts- lage zurückzubringen strebt; oder, in anderer Form ausgedrückt, das Quadrat der Schwingungsgeschwindigkeit ist proportional der beschleu- nigenden Kraft und umgekehrt proportional der Masse. Da die soeben aufgestellte Gleichung von fundamentaler Wichtigkeit in der Physik ist, indem sämmtliche Schwingungserscheinungen auf dieselbe znrückführen, so wollen wir für diejenigen, die eine leichte mathematische Betrachtung nicht scheuen, eine möglichst einfache Herleitung dieser Gleichung versuchen. Wenn der Punkt in der Entfernung ab = α vom Mittelpunct a entfernt ist, haben wir die ihn nach a 3 * Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. ziehende Kraft P. α genannt: diese Kraft nimmt, wenn der Punkt den Weg ba zu- rücklegt, proportional der Annäherung an a ab und wird in a selbst = o; bei der Bewegung von a nach c nimmt die Kraft dann ebenso proportional wieder zu. Ver- sinnlichen wir uns daher die an jeder Stelle seiner Bahn auf den Punkt wirkende Kraft durch eine gerade nach aufwärts gerichtete Linie, so werden wir diese Linie bei b und c proportional der Grösse P. α , bei a gleich null nehmen müssen, und alle Kräfte, die von b bis a in jedem Zeittheilchen auf den Punkt wirken, werden durch ein rechtwinkliges Dreieck b m a (Fig. 8) dargestellt werden, dessen Flächeninhalt Fig. 8. ist. Durch diesen Flächeninhalt oder durch wird aber offenbar der ganze Antrieb der Kräfte dargestellt, welche der Punkt empfangen hat, nachdem er sich von b, wo seine Ge- schwindigkeit null ist, bis nach a, wo sie am grössten ist, bewegt hat. Nennen wir die Masse des Punktes M und die in a erreichte Geschwindigkeit v, so hat daher der Punkt in a die lebendige Kraft . Seine Geschwindigkeit in a ist also . Dagegen ist der Kraftantrieb, der auf den Punkt gewirkt hat, nachdem er erst den Weg bf zurückgelegt hat, darzustellen durch das Viereck bm nf oder durch den Un- terschied des Flächeninhalts der Dreiecke b m a und f n a. Setzen wir die Entfer- nung f a = β , so ist der Flächeninhalt des Dreiecks f na = , also der An- trieb der Kraft, der auf den Punkt von b bis f stattgefunden hat = , und die hier erreichte Geschwindigkeit . Um nun weiterhin die Zeit zu ermitteln, die der Punkt braucht, um die Wege ba oder bf zurückzulegen, können wir uns der gleichförmig veränderlichen Kraft eine constante Kraft substituirt denken, sobald wir nur annehmen, der Punkt sei genöthigt eine Bahn zu beschreiben, auf welcher sich ihm ein von b bis a zunehmender Wider- stand entgegensetzt, der in a selbst der constanten Kraft gleich, in b und c aber null wäre. Diese Annahme wird verwirklicht, wenn wir uns vorstellen, der Punkt bewege sich statt auf dem geraden Weg b a c auf der kreisförmigen Bahn b a' c, und wenn wir uns denken, auf denselben wirke eine constante, vertical nach abwärts gerichtete Kraft P. α , der Punkt sei aber durch den Halbring, an dessen innerer Oberfläche er sich befindet, gezwungen auf der Kreisbahn b a' c zu bleiben. Im Punkte b wirkt die Kraft P. α in ihrer vollen Stärke ein, in jedem andern Punkte f', g' aber müssen wir uns dieselbe in zwei Seitenkräfte zerlegt denken, von denen die eine q durch den Widerstand des Pings aufgehoben wird, während die andere r als bewegende Kraft übrig bleibt. Es ist nun ersichtlich, dass die Seitenkraft r proportional der Annähe- rung an a' abnimmt und in a' selbst null wird. Unter dem Einfluss einer constanten, vertical abwärts gerichteten Kraft würde daher der Punkt in derselben Zeit den Bo- Von den Schwingungs- und Wellenbewegungen. gen b f' zurücklegen, in welcher er unter dem Einfluss der gegen a gerichteten, gleich- förmig abnehmenden Kraft den geraden Weg b f zurücklegt. Ebenso werden wir das Bogenstück f' g' dem geraden Weg f g und den ganzen Halbkreis b a' c der ganzen Schwingungsamplitude b a c substituiren können. Suchen wir zunächst die Zeit t zu bestimmen, welche der Punkt braucht, um irgend ein sehr kleines Stück f' g' der Kreisbahn zurückzulegen, so werden wir auf dieser sehr kurzen Strecke die Geschwin- digkeit als constant voraussetzen können, und es ist dann , wo v' wieder die in f oder f' vorhandene Geschwindigkeit und b die Länge des Bogens f' g' bedeu- tet. Wenn wir den ganzen Umfang des Halbkreises b a'c, welcher = α. π ist, in n solche Bogenstärke wie f' g' eintheilen, so ist und führen wir weiterhin für v' den gefundenen Werth ein, so wird . Der Werth bildet, wie man aus Fig. 8 ersieht, die Kathete γ eines aus α, β und γ construirten rechtwinklichen Dreiecks und ist = Daher können wir die Gleichung für t auch schreiben Um nun die Zeit ½ T zu erhalten, welche der Punkt braucht, um den Halbkreis b a' c zurück- zulegen, hätten wir, wenn die Bewegung eine gleichförmige wäre, einfach die Zeit t n mal zu rechnen und also die Grösse n aus dem Nenner der obigen Formel hin- wegzulassen. Für den hier vorliegenden Fall einer gleichförmig zu- und dann wieder abnehmenden Geschwindigkeit wird uns dagegen die Formel nur unter der Voraussetzung die Zeit T richtig ergeben, dass wir für cos. ω aus den n verschiedenen Werthen, die es für die einzelnen Zeiten t annimmt, einen Mittelwerth setzen. Handelt es sich nun um die Vergleichung verschiedener schwingender Punkte mit annähernd übereinstimmender Schwingungsweite, so wird man das Verhältniss der Schwingungsgeschwindigkeiten schon annähernd richtig erhalten, wenn man cos. ω = 1 setzt, wenn man also annimmt, der Punkt hätte während eines Hin- oder Hergangs constant die Geschwindigkeit, die ihm bei seinem Durchgang durch die Gleichgewichtslage a zukommt. Man hat dann einfach Der so erhaltene Werth für T wird sich der absoluten Grösse der Schwingungszeit offenbar um so mehr annähern, je kleiner die Schwingungsamplitude ist, weil man, wenn letztere sehr klein ist, annehmen kann, der Punkt lege statt des ganzen Weges ba' nur einen Theil desselben, z. B. f' a', zurück, wo dann fortwährend γ und α nahehin einan- der gleich bleiben. In der That kann man nun in den meisten Fällen, wo es sich um Schwingungserscheinungen in der Natur handelt, die Schwingungsamplituden als unendlich klein oder wenigstens als annähernd unendlich klein ansehen. Wo dies nicht mehr der Fall ist, da muss man die Werthe, die cos. ω successiv annimmt, in Rech- nung ziehen, d. h. die kleinen Zeittheilchen t, die zusammen die Schwingungsdauer T bilden, summiren, eine Aufgabe, die zu einer verwickelteren Gleichung führt, und die nicht ohne höhere Mathematik sich lösen lässt. Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. 30 Longitudinal- schwingungen. Verdichtungs- und Verdün- nungswellen. In der Natnr sind uns niemals isolirte Punkte, sondern stets Kör- per gegeben, die aus einer unendlichen Anzahl von Atomen und Mo- lecülen gebildet sind. Betrachten wir daher jedes Atom oder Molecül für sich als einen materiellen Punkt, so können wir einen Körper als ein Aggregat sehr vieler Punkte ansehen. Nun haben wir bei der Er- örterung des atomistischen Aufbaus der Körper gefunden, dass die Theilchen, welche dieselben zusammensetzten, Kräfte auf einander aus- üben, die von der gegenseitigen Distanz dieser Theilchen abhängen, und die also, wenn irgend ein Punkt eines Körpers in Schwingung geräth, auch den Gleichgewichtszustand der benachbarten Punkte stö- ren müssen. Die an sich, so lang wir uns auf die Betrachtung eines einzigen Punktes beschränken, sehr einfachen Schwingungsbewegungen werden daher complicirter, sobald sie, wie dies in der Natur häufig der Fall ist, successiv auf viele Punkte sich übertragen. Nehmen wir an, es seien uns drei Punkte a b c (Fig. 9 A) in gleich weitem Abstand von einander gegeben, zwischen denen sich die Anziehungs- und Abstossungskräfte das Gleichgewicht halten. Wir Fig. 9. setzen voraus, diese An- ziehungs- und Abstos- sungskräfte ständen in jenem Verhältnisse zu einander, das wir dem atomistischen Aufbau der Körper überhaupt zu Grund gelegt haben, und nach welchem mit der Vergrösserung der Ent- fernung die abstossen- den Kräfte rascher abneh- men als die anziehenden. Wenn daher durch eine äussere Gewalt die Distanz zwischen zwei Punkten verringert wird, so müssen beide sich abstossen, wenn hingegen die Distanz vergrös- sert wird, so müssen beide sich anziehen. Setzen wir also voraus, der Punkt a werde plötzlich durch einen einmaligen Stoss gegen den Punkt b hingetrieben, so wird er sich mit abnehmender Geschwindig- keit dem Punkte b nähern (Fig. 9 B) und dann sich wieder mit beschleunigter Geschwindigkeit gegen seine frühere Lage zurückbe- wegen. Durch die Annäherung von a hat aber auch b eine abstos- sende Wirkung empfangen und muss sich daher gegen c hin in Be- wegung setzen (C). Die Bewegung von b muss nun ebenso wie vor- hin die von a abnehmen, null werden und dann in eine rückwärts gehende beschleunigte Bewegung sich umkehren. Sowohl a als b gehen wegen der auf ihrem Rückweg empfangenen Beschleunigung Von den Schwingungs- und Wellenbewegungen. über ihre ursprünglichen Gleichgewichtslagen hinaus (D und E) und gerathen, da sich dies fortwährend auf dem Hin- und Herweg wieder- holt, in fortdauernde Oscillationen um dieselben. In ähnlicher Weise muss die Bewegung auf den Punkt c und auf eine beliebige Menge weiterer Punkte sich fortsetzen. Hieraus folgt, dass, wenn mehrere materielle Punkte im Gleichgewicht ihrer Anziehungs- und Abstossungs- kräfte mit einander verbunden sind, die durch die Gleichgewichtsstö- rung eines beliebigen Punktes erzeugten Schwingungen auf alle an- dern Punkte sich fortsetzen, und dass also das ganze Aggregat in Schwingungsbewegung geräth. Da aber die Fortpflanzung dieser Be- wegung durch eine Reihe von Punkten eine gewisse Zeit braucht, so befinden sich die verschiedenen Punkte eines Aggregates immer in verschiedenen Entfernungen von ihren Gleichgewichtslagen. Während a in seine Gleichgewichtslage zurückkehrt, entfernt sich b aus der sei- nen (Fig. 9 C) u. s. f. Dadurch entstehen abwechselnd Stellen, wo die Punkte dichter gedrängt sind als im Gleichgewichtszustand, und andere, wo sie weniger dicht sind. So ist in C bei a b Verdünnung, bei b c Verdichtung eingetreten, in einem darauf folgenden Moment E dagegen bei a b Verdichtung und bei b c Verdünnung. Denken wir uns rechts noch eine Menge von Punkten an einander gereiht, so werden auch hier fortwährend Stellen der Verdichtung und Verdünnung mit einander abwechseln, und jede Stelle, die eben in Verdichtung sich befindet, wird im nächsten Moment in den Zustand der Verdün- nung übergehen oder umgekehrt. Jede Verdichtung wird von einem Ende der Punktreihe bis zum andern successiv und continuirlich sich fortpflanzen, und auf sie wird eine Verdünnung folgen, die mit gleicher Geschwindigkeit fortschreitet. Es ist ausserdem klar, dass im wesent- lichen an der Erscheinung nichts geändert wird, wenn wir annehmen, dass nicht bloss zwei neben einander gelegene Punkte abwechselnd sich nähern und sich von einander entfernen, sondern dass an jeder Verdichtung ebenso wie an jeder Verdünnung immer viele materielle Punkte betheiligt sind. Zwischen a und b, zwischen b und c (Fig. 9) können wir z. B. eine sehr grosse Anzahl von Punkten noch annehmen, und wir können voraussetzen, dass der erste Stoss, der die Schwingungen veranlasst, alle zwischen a und b gelegenen Punkte gleichzeitig gegen b hin bewege. Es wird dann, ebenso wie wir es oben veranschaulicht haben, nach rechts hin eine Verdichtung sich fort- pflanzen, bloss mit dem Unterschied, dass an derselben nun viele Punkte betheiligt sind, und das nämliche wird von der darauf folgen- den Verdünnung gelten. In der That haben wir es in der Natur je- denfalls immer mit solchen Bewegungen ganzer Aggregate von mate- riellen Punkten zu thun. Die vielseitige Verbindung grosser Massen von Punkten in den Naturkörpern ist auch die Ursache, dass jener Fall unaufhörlicher Schwingungen um die Gleichgewichtslage, wie wir Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. ihn bei den Schwingungen eines Punktes vorausgesetzt haben, in der Natur niemals vorkommt, indem hier jeder Punkt bei seiner Bewegung Widerstände findet, welche die Schwingungen rasch verschwinden lassen, wenn sich nicht die schwingungserregende Ursache fortdauernd erneuert. Da es nur darauf ankommt, den Wechsel der Verdichtungs- und Verdünnungsstellen eines auf die bezeichnete Weise in Schwingungen versetzten Körpers zu bestimmen, so brauchen wir die einzelnen Punkte, aus deren Bewegung sich die Schwingungen zusammensetzen, nicht weiter zu berücksichtigen, und wir können uns hiernach diese in der Längenrichtung erfolgenden Schwingungen der Theilchen eines Kör- pers auf folgende Weise versinnlichen. Wir bezeichnen die Anordnung der Theilchen während des Gleichgewichtszustandes durch eine hori- zontale Abscissenlinie. Eine an irgend einer Stelle eintretende Ver- dichtung drücken wir durch eine an der entsprechenden Stelle der Abscissenlinie errichtete, aufwärts gekehrte Ordinate aus, deren Höhe dem Grad der Verdichtung entsprechen soll. Die an irgend einer Stelle vorhandene Verdünnung drücken wir in ähnlicher Weise durch eine nach abwärts gekehrte Ordinate aus. Es wird dann, wenn die Fig. 10. Schwingungsbewegung in der Richtung a g (Fig. 10) den Weg von a bis f zurückge- legt hat, in diesem Moment die Anordnung der Theilchen durch die Wellenlinie a f dar- gestellt. Von a an steigt die Verdichtung an, sinkt bei b zur Abscissenlinie, geht hier- auf in eine Verdünnung über u. s. f. Die in A dargestellte Anordnung dauert aber nur einen Moment an: die Verän- derung, die mit ihr vor sich geht, können wir uns veran- schaulichen, indem wir die ganze Wellenlinie a f uns ge- gen g hin bewegt denken. Hat sich die Schwingungsbewegung bis nach g fortgepflanzt, so ist daher die Anordnung der in A gerade entgegengesetzt, (B Fig. 10), wo vorher eine Verdichtung befindet sich jetzt eine Verdünnung und umgekehrt. Da sich die Schwingungen eines Aggregates von Punkten stets in dieser Weise durch Wellenli- nien versinnlichen lassen, so bezeichnet man alle derartigen Schwin- gungsbewegungen auch als Wellenbewegungen . In dem hier zu- nächst erörterten Fall, in welchem die Schwingungen regelmässig auf Von den Schwingungs- und Wellenbewegungen. einander folgende Verdichtungen und Verdünnungen erzeugen, nennt man diese Bewegungen auch Verdichtungs- und Verdünnungs- wellen oder, weil die ganze Bewegung der Punkte in longitudinaler Richtung geschieht, Longitudinalschwingungen . Man ersieht jedoch, dass die Bewegung der Theilchen selbst hierbei nicht die Wel- lenform besitzt, sondern dass die letztere nur eine zweckmässige Ver- sinnlichung der Bewegung ist. Die Strecke von a bis c wird als eine Wellenlänge bezeichnet. Man sieht sonach, dass, sobald die Schwin- gungsbewegung um eine Wellenlänge fortgeschritten ist, wieder der- selbe Zustand besteht, d. h. an derselben Stelle wo ein Wellenberg war ist wieder ein solcher, und wo ein Wellenthal war, ist wieder ein solches; nach einer halben Wellenlänge dagegen ist (wie wir dies in Fig. 10 B sehen) an die Stelle des Wellenbergs ein Wellenthal und an die Stelle des Wellenthals ein Wellenberg getreten. Wenn die Gleichgewichtsstörung, welche die Wellenbewegung veranlasst, in einer plötzlichen Verdichtung ihren Grund hat, so geht, (wie in Fig. 10 A und B) stets der Wellenberg dem Wellenthal voran; man bezeich- net daher solche Wellen speciell als Verdichtungswellen oder positive Wellen . Es kann aber auch durch eine plötzlich eintretende Verdünnung eine Wellenbewegung von fast ähnlicher Form erfolgen, bei der nur das Wellenthal dem Wellenberg voraus ist. Eine solche Welle nennt man eine Verdünnungswelle oder nega- tive Welle (Fig. 10 C). Sowohl die Verdünnungs- wie die Verdichtungswellen können nun 31 Schwingungs- weite und Schwingungs- dauer. in doppelter Hinsicht Verschiedenheiten zeigen. Erstens wird je nach der Intensität des ersten Stosses, der die Schwingungen veran- lasst, der Grad der auf einander folgenden Verdichtungen und Ver- dünnungen grösser oder geringer sein. Eine stärkere Erschütterung bewirkt eine grössere Schwingungsamplitude jedes einzelnen Punktes und ist dadurch Ursache, dass die Punkte an den Verdichtungsstellen enger zusammenrücken, an den Verdünnungsstellen weiter auseinander treten. Wir können uns daher diese Differenzen der Schwingungsam- plitude, die von der den Punkten mitgetheilten äusseren Kraft herrüh- ren, durch die verschiedene Höhe der Wellenberge und Wellenthäler versinnlichen. Zweitens aber wird die Geschwindigkeit der eintre- tenden Schwingungsbewegungen abhängen einerseits, wie wir dies schon bei der Betrachtung der Schwingungen eines einzelnen Punktes gesehen haben, von der Kraft, die jeden Punkt des Körpers in seine ursprüngliche Gleichgewichtslage zurückzuführen strebt, und anderseits von der Dichtigkeit, in der die einzelnen Punkte an einander gereiht sind. Jene Kraft, durch welche die Theilchen eines Körpers einen be- stimmten Gleichgewichtszustand anzunehmen streben, und welche wir als elastische Kraft bezeichnen, kann anziehend oder abstossend Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. wirken. Bei einer gespannten Saite oder Membran ist sie z. B. eine anziehende Kraft, indem die einzelnen Theilchen des gespannten festen Körpers sich einander zu nähern streben, bei einem Gase ist dagegen die elastische Kraft abstossend, indem sie aus der abstossenden Wir- kung der Gastheilchen auf einander resultirt, und ihre Grösse wird hier gemessen durch den Druck, welchen das Gas auf die Wände des Gefässes ausübt, in welchem es eingeschlossen ist. Die elastische Kraft eines Körpers kann in beiden Fällen durch äussere Kräfte ver- mehrt oder vermindert werden. So wird die elastische Kraft einer Saite vermehrt, wenn man ihre Spannung vergrössert, die elastische Kraft eines Gases, wenn man ihm Wärme zuführt. Geräth nun ein solcher Körper, dessen Elasticität man vermehrt hat, in Schwingungen, so werden immer die Theilchen desselben ihre Schwingungsbewegun- gen rascher ausführen als in dem vorhergehenden weniger gespannten Zustand. Denn wenn man z. B. eine Saite stark anspannt, so bewirkt man dadurch, dass dieselbe mit weit grösserer Kraft als vorher sich wieder zu verkürzen strebt, sie wird aber daran durch die diesem Verkürzungsbestreben genau gleiche spannende Kraft verhindert; indem die Spannung zunimmt, nimmt also auch die Kraft zu, die jeden Punkt aus seiner durch die Spannung herbeigeführten Lage zurückzuführen strebt. Gerade so wie die Saite verhält sich auch ein Gas oder irgend ein anderer Körper, dessen Spannkraft man vermehrt, und es wird also allgemein durch die Grösse der Spannkraft die Grösse des Wi- derstandes gemessen, welchen jeder Punkt eines Körpers der Entfernung aus der ihm zukommenden Lage entgegensetzt. Da nun, wie wir bei den Schwingungen des Punktes gesehen haben, die Geschwindigkeit der Schwingungen im Verhältnisse der Quadratwurzel jener Spannkraft zunimmt (§. 29), so gilt auch für jeden Körper das Gesetz, dass die Quadrate der Schwingungsgeschwindigkeiten seiner Theilchen der ela- stischen Kraft direct proportional sind. Ausserdem ist aber nothwendig die Schwingungsgeschwindigkeit der Theilchen eines Körpers von der gegenseitigen Entfernung, in welcher sich vermöge der ursprünglichen Beschaffenheit des Körpers die Theilchen desselben befinden, d. h. von seiner Dichtigkeit ab- hängig. Wenn in einer Reihe auf einander folgender Punkte ein plötz- licher Stoss eine Verdichtung bewirkt, so wird diese Verdichtung sich offenbar um so langsamer fortpflanzen, je näher bei einander die ein- zelnen Punkte gelegen sind. Daher sind die Quadrate der Schwin- gungsgeschwindigkeiten den Dichtigkeiten der Körper umgekehrt proportional. Bezeichnen wir sonach mit E die Elasticität und mit D die Dichtigkeit eines Körpers, so können wir für die Schwingungs- dauer T einer in ihm entstehenden Wellenbewegung die Beziehung aufstellen Von den Schwingungs- und Wellenbewegungen. Dieses Gesetz lässt sich unmittelbar aus der für die Schwingungszeit eines Punktes aufgestellten Gleichung (§. 29) her- auslesen, in welcher M die Masse des Punktes und P die ihn in seine ursprüngliche Lage zurücktreibende Kraft bezeichnete. Denn wenden wir diese Gleichung auf ein Aggregat zusammenhängender Punkte, einen Körper, an, so besteht hier die Kraft P in der gegenseitigen Wirkung der Punkte auf einander, durch welche sie äusseren Kräften, die sie aus ihrer Lage zu entfernen streben, einen Widerstand entgegen- setzen, d. h. in der elastischen Kraft; die Masse M bezeichnet aber offenbar die Dichtigkeit des Körpers. Die oben aufgestellte Beziehung zwischen der Schwingungsdauer, Dichtigkeit und Elasticität der Körper gilt, wie leicht einzusehen ist, nur für solche Schwingungen, die durch eine plötzliche Gleichgewichts- störung hervorgerufen werden, nach welcher die Theilchen des betref- fenden Körpers oder Mediums längere Zeit um ihre Gleichgewichtsla- gen oscilliren; wir können derartige Schwingungen auch als Eigen- schwingungen bezeichnen; ihre Oscillationsgeschwindigkeit ist für jeden Körper eine constante. Solche Eigenschwingungen können sich nun aber auch andern Körpern mittheilen, und in diesen letzteren bleibt dann in der Regel die Oscillationsgeschwindigkeit dieselbe wie in dem ersten Körper, indem die Bewegungen der Theilchen den Oscillationen des ersten Körpers sich anpassen. Wenn z. B. eine Saite ihre Schwin- gungen auf die umgebende Luft überträgt, so empfängt diese bei jeder Saitenschwingung einen Stoss, und in der Luft entstehen daher genau ebenso viele Oscillationen in der Zeiteinheit, als die Saite ausführt. Die Dauer solcher mitgetheilter Schwingungen kann daher in einem und demselben Körper oder Medium höchst veränderlich sein. Wir werden übrigens später (im 3. und 4. Abschnitt) noch bestimmte Umstände kennen lernen, unter welchen von dieser allgemeinen Regel eine Ausnahme eintreten muss und in der That eintritt. In je schnellere Schwingungen ein Aggregat mit einander ver- 23 Fortpflanzungs- geschwindig- keit der Schwingungen. Wellenlänge. bundener Punkte geräth, in um so kürzeren Zwischenräumen müssen die einzelnen Verdichtungen uad Verdünnungen (Wellenberge und Wel- lenthäler) sich folgen. Gesetzt es wirke auf den Punkt a (Fig. 11) ein Stoss in der Richtung a f ein, so wird dieser Stoss, wenn die Schwingungs- bewegung langsamer ist, schon auf eine grössere Anzahl von Punkten sich Fig. 11. Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. fortgepflanzt haben, bis a selbst anfängt in Rückschwingung zu gerathen, als im umgekehrten Fall: dort wird also die durch den Stoss bewirkte Verdichtung etwa die Form A, hier die Form B haben, und ähnlich müssen sich natürlich alle folgenden Wellenberge und Wel- lenthäler verhalten. Je grösser die Oscillationsgeschwindigkeit, um so kleiner ist daher die Länge der Wellen . Aus diesem Grunde pflanzen in einem und demselben Medium sich Wellen von verschiede- ner Schwingungsdauer mit gleicher Geschwindigkeit fort, d. h. die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Schwingungsbewe- gung ist für jedes Medium eine constante . Denn im selben Maass, in welchem die Geschwindigkeit der Welle zunimmt, nimmt die Länge derselben ab. Man kann daher die in einem bestimmten Medium vorhandene Wellenlänge bestimmen, sobald man die Fortpflan- zungsgeschwindigkeit und die Schwingungsdauer kennt. Hat sich die Wellenbewegung in der Secunde um die Strecke s fortgepflanzt, und ist n die Anzahl der Schwingungen in der Secunde, so hat sich die Strecke s in n Wellen zerlegt, und ist die Länge der einzelnen Welle. Wenn somit Schwingungen von einem ersten auf einen zweiten Körper, der die Bewegung schneller fortzupflanzen vermag, übertragen werden, so wird die Wellenlänge im selben Verhältnisse grösser, als die Fortpflanzungsgeschwindigkeit zunimmt. So pflanzen sich z. B. die Schallwellen im Wasser ungefähr 4mal schneller fort als in der Luft, dem entsprechend ist daher auch die Länge der Schallwellen im Was- ser ungefähr 4mal so gross. 33 Kugelwellen, Wellenflächen und lineare, Wellen. Unsere Betrachtungen haben sich bis jetzt grossentheils an eine Abstraction angeknüpft, die in der Natur nicht vorkommt: in dieser finden wir blosse Punktreihen, die in Schwingungen begriffen sind, ebenso wenig wie isolirte schwingende Punkte, sondern hier ist ein schwingender Punkt auf allen Seiten von anderen Punkten umgeben, deren Gleichgewicht er stört, so dass die Schwingungsbewegung von dem Ort ihres Ursprungs aus nach allen Richtungen des Raumes sich ausbreitet. Zugleich ist es, wie wir oben bereits hervorgehoben, schon von Anfang an nie ein einzelner Punkt, sondern eine ganze Punktmasse, die in Schwingungen geräth und auf andere Punkte ihre Schwingun- gen fortpflanzt. Wir müssen uns also, wenn a die zuerst in Schwin- gung gerathende Masse ist, diese als das Centrum denken, von wel- chem aus auf einander folgende Verdichtungen und Verdünnungen in unendlicher Anzahl nach allen Richtungen des Raumes gehen. Die Welle schreitet also nicht in einer einzigen Linie sondern in einer Kugel fort, aber wenn der Punkt a von einem gleichförmigen Medium umgeben ist, so werden offenbar auch in allen Wellenlinien, welche die Radien jener Kugelwelle bilden, die Verdichtungen und Verdün- Von den Schwingungs- und Wellenbewegungen. nungen in völlig gleichmässiger Weise auf einander folgen. Wenn wir uns also die Kugelwelle mit einer durch ihr Centrum gehenden Ebene durchschnitten denken, so werden rings um den Mittelpunkt a in con- centrischen Kreisen, den Durchschnitten concentrischer Kugelschalen, Verdichtungen und Verdünnungen auf einander folgen. Wir werden diese Verhältnisse am besten sogleich an einem Beispiele deutlich ma- chen. Wenn an dem allseitig von Luft umgebenen Ort a (Fig. 12) plötzlich ein Schall erzeugt wird, so ent- steht eine schwingende Bewegung der um a liegenden Lufttheilchen, wodurch dieselben plötzlich zuerst sich von dem Mittelpunkte a nach den Richtungen der Radien a f, a g u. s. w. entfernen und dann wieder zurückschwingen: es entste- hen also Longitudinalschwingungen in allen Radien, die man von a aus ziehen kann, sie zusammen bilden eine von a fortschreitende Kugelwelle. In vielen Fällen entsteht jedoch eine schwingende Bewegung in einem Körper, Fig. 12. der nicht nach allen Richtungen des Raumes sich gleichmässig aus- breitet. In einem solchen Körper, z. B. in einer Saite oder in einer Membran, können daher auch keine Kugelwellen entstehen, oder es können dann wenigstens erst etwa in einem Medium, das einen sol- chen Körper allseitig umgiebt, wie die Luft, die Schwingungen, nach- dem sie auf dieses Medium übertragen sind, zu einer Kugelwelle sich anordnen. In einer Saite, in einem Stabe werden sich die Wellen immer annähernd als Wellenlinien betrachten lassen, d. h. die Schwingungen derartiger Körper werden genügend aus den Schwingungs- gesetzen einer einzigen Punktreihe abzuleiten sein. In einer Membran, überhaupt in einem flächenförmigen Körper von irgend welcher Ge- stalt werden wir uns dagegen eine Menge von Wellenlinien neben einander eine Wellenfläche bildend denken müssen; der Durch- schnitt der Kugelwelle in Fig. 12 ist z. B. eine solche Wellenfläche. Erst wo wir ein gleichförmig nach allen Richtungen des Raumes aus- gebreitetes Medium finden ist die Kugelwelle möglich. Aber auch wo wir es mit einer Kugelwelle zu thun haben, können wir uns häufig zur Vereinfachung der Erklärung der blossen Wellen- linie bedienen; wir müssen uns nur immer erinnern, dass wir dabei lediglich einen einzigen Radius der ganzen in Schwingung begriffenen Masse herausgenommen haben; in andern Fällen, wo die Betrachtung der Wellenlinie nicht mehr ausreicht, genügt die Wellenfläche zur Er- läuterung der Erscheinungen, wobei wir uns dann erinnern müssen, Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. dass wir nur eine bestimmte Schnittfläche aus der ganzen schwingen- den Masse in’s Auge fassten. 34 Vorkommen der Longitudinal- schwingungen. Longitudinalschwingungen oder Verdünnungs- und Verdichtungs- wellen können in festen, flüssigen und gasförmigen Körpern vorkom- men. So kann man z. B. einen Metall- oder Glasstab in Longitudinal- schwingungen versetzen, wenn man einen momentanen Druck oder Zug auf denselben ausübt. Ebenso geräth eine in ein Gefäss herme- tisch eingeschlossene Flüssigkeits- oder Luftmenge in Longitudinal- schwingungen, wenn man, etwa durch eine an dem Gefäss befindliche Kolbenstange, einen momentanen Druck auf die tropfbare oder elasti- sche Flüssigkeit anwendet. In beiden Fällen ist die Stärke der ein- tretenden Verdichtung, die Wellenhöhe, abhängig von der Stärke des Drucks, den man ausgeübt hat, während die Wellenlänge und die Ge- schwindigkeit, mit der die Welle sich fortpflanzt, bloss von den elasti- schen Kräften der Theilchen des in Schwingung versetzten Körpers abhängen. Noch näher auf die Bedeutung dieses Unterschieds zwischen Wellenhöhe und Wellenlänge werden wir in der Lehre vom Schall ein- zugehen haben, welche zum grossen Theil nur Anwendungen der hier erörterten allgemeinen Gesetze der Longitudinalschwingungen darbietet. 35 Transversal- schwingungen. Wir haben bisher bloss den Fall in’s Auge gefasst, in welchem ein Aggregat materieller Punkte dadurch in Schwingungsbewegungen versetzt wird, dass einige jener Punkte plötzlich in der Richtung ihrer Verbindungslinie einander genähert oder von einander entfernt werden. Es ergab sich, dass in diesem Fall auch die Schwingungen der Punkte in der nämlichen Richtung erfolgen, und gerade aus diesem Grunde wurden dieselben als Longitudinalschwingungen bezeichnet. Es kann Fig. 13. nun aber die gegenseitige Lage solcher geradlinig aneinander gereihter Punkte auch dadurch verändert werden, dass ei- nige derselben einen momentanen Stoss in der auf ihrer Verbindungslinie senk- rechten Richtung erfahren. Nehmen wir an, der Punkt a (Fig. 13 A) werde durch einen solchen Stoss nach abwärts be- wegt, so dass er in die in B bezeichnete Lage kommt, so muss hierdurch auch das Gleichgewicht der ihm benachbarten Punkte gestört werden. Denn die Distanz a b ist in Folge dieser Bewegung grösser geworden, es kann daher nicht mehr Gleichgewicht der Anziehungs- und Ab- stossungskräfte zwischen a und b bestehen, sondern es müssen die An- Von den Schwingungs- und Wellenbewegungen. ziehungskräfte überwiegend werden. In Folge dessen wird sich also der Punkt b gegen den Punkt a hin bewegen: in dem Moment aber, in welchem er sich in Bewegung setzt, übt zugleich c auf ihn eine An- ziehung aus, die auf b einwirkenden Kräfte werden also durch die Ver- bindungslinien b c und b a dargestellt, die wirkliche Bewegung muss daher nach dem Satz vom Kräfteparallelogramm in der Diagonale bei- der Richtungen geschehen, d. h. der Punct b wird sich ebenso wie vor- hin der Punkt a gerade nach abwärts bewegen. Während aber b diese Bewegung ausführt, ist a bereits gegen seine ursprüngliche Gleichge- wichtslage zurückgekehrt, es wird also in einem folgenden Moment die Anordnung der Punkte die in C dargestellte sein. Der Punkt a bleibt jedoch nach seinem Rückgang nicht in der Gleichgewichtslage, sondern schwingt vermöge der erlangten Beschleunigung um ebenso viel nach der entgegengesetzten Richtung über dieselbe hinaus, als er durch den anfänglichen Stoss aus ihr entfernt worden war. So wird in einem dritten Moment, in welchem zugleich b in die Gleichgewichtslage zu- rückgekehrt ist und die Bewegung sich auf einen weiteren Punkt c fort- gepflanzt hat, die Anordnung durch D dargestellt werden, in einem vierten Moment durch E u. s. f. Man sieht sonach, dass auch in die- sem Fall die Schwingungsbewegung, in die der erste Punkt geräth, sich fortpflanzt, dass aber hier nicht auf einander folgende Verdich- tungen und Verdünnungen entstehen, sondern Abweichungen der Punkte nach oben und nach unten von der Gleichgewichtslage, die übrigens ebenso regelmässig auf einander folgen wie die Verdichtungen und Ver- dünnungen bei den Longitudinalschwingungen. Es ist klar, dass wir auch hier zwischen den Punkten a, b, c u. s. w. noch eine Menge wei- terer Punkte annehmen können. Dann wird z. B. in einem der Fig. 13 E entsprechenden Zeitmomente die Anordnung einer solchen dichter gedrängten Punktreihe durch die Fig. 14 dargestellt werden. Ziehen Fig. 14. wir zwischen allen Punkten die Verbin- dungslinie, so erhalten wir demnach für die Fortpflanzung dieser Schwingungs- bewegung eine ebensolche Wellenlinie, wie wir sie zur Darstellung der Longi- tudinalschwingungen benützt haben. Aber während bei den letzteren die Wellenlinie nur ein die auf einan- der folgenden Verdichtungen und Verdünnungen versinnlichendes Bild ist, stellt sie hier die wirkliche Bewegung der Punkte dar. Man nennt solche durch Erschütterungen, die auf der Verbindungslinie der Punkte senkrecht stehen, erzeugte Schwingungsbewegungen Transversal- schwingungen oder Transversalwellen . Auch hier bilden ein Wellenberg und ein darauf folgendes Wellenthal zusammen eine Wel- lenlänge , und auch hier ist, wie man leicht sieht, jede Stelle in die- Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. selbe Anordnung wieder zurückgekehrt, sobald die Bewegung um eine Wellenlänge fortgeschritten ist. Fängt die Bewegung damit an, dass der zuerst aus dem Gleich- gewicht gerathende Punkt a nach abwärts bewegt wird, wie in Fig. 13 und 14, so ist die Welle, der bei den Longitudinalschwingungen ge- brauchten Bezeichnung entsprechend, eine negative . Wird dagegen der zuerst gestörte Punkt zuerst nach aufwärts bewegt, geht also der Wellenberg voran, so erhalten wir eine positive Transversalwelle. Es gelten ferner nicht nur die Gesetze der Schwingungsdauer son- dern auch die Beziehungen zwischen Schwingungsdauer, Wellenlänge und Fortpflanzungsgeschwindigkeit, die wir für die Longitudinalwellen abgeleitet haben (§. 31 und 32), ebenso für die Transversalwellen. 36 Vorkommen der Transversal- schwingungen. Ein sehr bekanntes Beispiel der Transversalwellen bietet die Wellen- bewegung der Flüssigkeiten. Auch feste Körper lassen sich in Trans- versalschwingungen versetzen: so kann man z. B. an einem lose ge- spannten Seile, dessen eines Ende man rasch bewegt, eine fortschrei- tende Transversalwelle erzeugen. Endlich beruhen die Lichterschei- nungen auf Transversalschwingungen des Aethers. Wir werden die besondern Modificationen, welche die Transversalwellen in diesen ein- zelnen Fällen zeigen, in der Physik der Flüssigkeiten, in der Lehre vom Schall und in der Lehre vom Licht näher zu erörtern haben. Es ist klar, dass die nämlichen Bedingungen, die wir für das Vorkommen der Longitudinalwellen in der Natur dargelegt haben, auch für die Transversalwellen gelten. In einem nach allen Richtungen gleich- förmig beschaffenen Medium muss sich die Transversalwelle ebenfalls als eine Kugelwelle fortpflanzen, auf einer Fläche wird sie als Wel- lenfläche und in einem annähernd linearen Körper als Wellenlinie erscheinen. Uebrigens können wir uns hier ebenfalls auch wo es sich um Kugelwellen handelt häufig der Einfachheit wegen auf die Betrach- tung einer derselben angehörenden Wellenlinie oder Wellenfläche be- schränken. Wir wollen jetzt, nachdem wir die Haupterscheinungen der Lon- gitudinal- und Transversalschwingungen in ihrem Unterschied aufge- fasst haben, die wichtigsten diesen beiden Schwingungsformen gemein- samen Gesetze der Wellenbewegung darzulegen versuchen. Wir halten uns dabei zunächst an das Bild der Transversalwelle, das aber ja, wie wir gesehen haben, immer zugleich die Longitudinalwelle versinn- licht. 37 Interferenz der Wellen. Bisher wurde die wellenförmige Fortpflanzung der Schwingungen betrachtet, wie dieselbe stattfindet, wenn sie vollkommen ungestört in einem gleichförmigen Aggregat materieller Punkte weiterschreitet. Nun tritt aber sehr häufig eine Störung dieser einfachsten Wellenbewegung Von den Schwingungs- und Wellenbewegungen. dadurch ein, dass eine oder mehrere Wellen, die in gleicher oder ver- schiedener Richtung verlaufen, sich durchkreuzen; man bezeichnet dies als Interferenz der Wellen. Ferner kann die Fortpflanzung der Welle dadurch gestört werden, dass sie irgendwo auf einen Körper auftrifft, dessen Punkte sie nicht in Mitschwingungen zu versetzen ver- mag; es tritt dann eine Reflexion der Welle ein. Endlich kann die Welle auf einen zweiten Körper sich fortpflanzen, der eine grössere oder geringere Dichtigkeit als der erste Körper besitzt, in welchem also die Anordnung der materiellen Punkte eine verschiedene ist: in diesem Fall wird die Geschwindigkeit und die Länge der Welle geän- dert, es tritt eine sogenannte Brechung derselben ein. Wir wollen diese Erscheinungen der Interferenz, der Reflexion und der Brechung nach einander in’s Auge fassen. Wenn zwei Wellenbewegungen zusammentreffen, so muss offen- bar die Bewegung jedes Punktes, zu welchem die beiden Wellen sich fortpflanzen, zusammengesetzt sein aus derjenigen Bewegung, die er durch die eine Welle allein erfahren würde, und aus derjenigen Bewe- gung, die er durch die andere Welle allein erfahren würde. Aehnlich also wie wir aus zwei Kräften die Mittelkraft finden, so werden wir auch aus den zwei Bewegungen die mittlere Bewegung construiren können. Stellen die zwei Wellenlinien a b und c d in Fig. 15 zwei Schwingungsbewegungen dar, die von entgegengesetzten Seiten kom- mend sich von d bis b kreuzen, so müssen wir überall wo die beiden Wellenlinien zusammentreffen für jeden Punkt der Abscissenaxe die zugehörigen Ordinaten beider Wellenlinien addiren, wenn sie auf der- selben Seite der Abscisse liegen, und von einander abzählen, wenn sie nach entgegengesetzten Seiten gehen: die hieraus resultirende Ordinate Fig. 15. gehört dann der resultirenden Wellencurve an, welche durch die Inter- ferenz entstanden ist; diese resultirende Welle ist in Fig. 15 durch die Linie e f dargestellt. Wir sehen aus derselben, dass wo zwei Wellen- berge interferiren ein grösserer Wellenberg entsteht, und dass wo zwei Wellenthäler interferiren ein grösseres Wellenthal gebildet wird, wäh- rend sich Wellenberg und Wellenthal, wenn sie zusammentreffen, ganz oder theilweise compensiren. An solchen Stellen wo der Wellenberg dem Wellenthal, mit welchem er zusammentrifft, genau gleich ist, he- Wundt , medicinische Physik. 4 Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. ben sich die entgegengesetzten Bewegungen vollständig auf, die Punkte des Mediums bleiben in Ruhe. 38 Reflexion der Wellen. Wenn eine Welle auf eine feste, Widerstand leistende Wand trifft, so wird sie reflectirt . Die Ursache der Zurückwerfung ergibt sich aus folgender Betrachtung. Es sei a b c (Fig. 16) eine Welle, welche Fig. 16. sich von x aus gegen die feste Wand w w hin bewegt hat, und die eben an dieser Wand angelangt ist. Wäre die feste Wand nicht vor- handen, so würde die Welle nach Verfluss von ¼ Wellenlänge bis g fortgeschritten sein. Nun müssen aber offenbar wegen des Wider- standes, den die Wand ausübt, die- jenigen Theilchen, die sich von w nach g bewegen sollten, in umge- kehrter Richtung, also von w nach e zurückgeworfen werden. In Fol- ge dessen befindet sich unmittel- bar vor der Wand ein halber Wel- lenberg e f von der doppelten Höhe. Die von der Wand in der Richtung w e zurückgeworfenen Theilchen bilden nun den Anfang einer Welle, die in einer der Welle a b c gerade entgegengesetzten Richtung, also von w gegen x hin, sich fortpflanzt. In dem Wellenberg e f ist nur die Hälfte der Theilchen in der Richtung e f, die andere Hälfte noch in der Richtung f e bewegt. Sobald aber die zurückgestossenen Theilchen auf ihrem Rückweg über e hinauskommen, werden auch weitere an w anstossende Theilchen zurückgeschleudert. Ist also wie- der ¼ Wellenlänge verflossen, so befindet sich vor der Wand ein gan- zer rückläufiger Wellenberg k i h. Unterdessen ist aber auch das Wellenthal a b nach h l k vorgerückt. Indem so rückschreitender Wel- lenberg und vorschreitendes Wellenthal zusammentreffen, heben beide durch Interferenz sich auf. Lassen wir noch weiter ¼ Wellenlänge verfliessen, so ist der Berg k i h nach n m gekommen und hat daher ein halbes Wellenthal n r hinter sich zurückgelassen. Zugleich hat sich aber das Wellenthal h l k um eine Viertelswellenlinie der Wand genähert: es treffen also zwei halbe Wellenthäler zusammen und bil- den das doppelt vertiefte Thal n o. Erst nach einer weiteren Viertel- wellenlänge finden wir endlich eine ganze rückschreitende Welle p q s vor, welche in einer der ursprünglichen Welle a b c entgegengesetzten Richtung verläuft. Ist es eine Verdünnungswelle, die gegen die feste Wand verläuft, Von den Schwingungs- und Wellenbewegungen. geht also das Wellenthal voran, so ist die Aufeinanderfolge der ein- zelnen Erscheinungen natürlich die umgekehrte. Es entsteht dann zu- erst ein doppelt vertieftes Wellenthal, dann Interferenz des rücklaufen- den Wellenthales und des vorwärts bewegten Wellenbergs, hierauf doppelt vertiefter Wellenberg und endlich rückschreitende negative Welle. Häufig kommt es vor, dass viele Wellen nach einander, ein gan- zer Wellenzug, auf eine feste Wand trifft. Dann interferirt natürlich die rückschreitende Welle auf jedem Punkt ihres Wegs mit neu an- kommenden; die Erscheinungen sind aus Reflexion und Interferenz zu- sammengesetzt und lassen sich leicht aus den in diesem und dem vori- gen §. erörterten Thatsachen entwickeln. Wir haben bisher vorausgesetzt, dass die Richtung der Welle, 39 Richtung der reflectirten Wellen. die aus einem Medium auf ein anderes trifft, senkrecht zu der Begren- zungsfläche dieser beiden Medien sei. Unter Richtung einer Welle versteht man aber die Richtung der Linie, welche die successiv in Schwingungsbewegungen gerathenden Punkte mit einander verbindet. Die Richtung einer Longitudinalwelle ist also zu einer Ebene senkrecht, wenn die schwingenden Punkte selbst sich senkrecht zu dieser Ebene bewegen, die Richtung einer Transversalwelle steht dagegen auf einer Ebene senkrecht, wenn die schwingenden Punkte sich parallel dersel- ben bewegen. In diesen bisher in Betracht gezogenen Fällen ändert nun die Welle in Folge der Reflexion ihre Richtung nicht. Die Welle geht denselben Weg zurück, den sie ankam. Anders ist dies, wenn die Welle unter irgend einem Winkel auf die reflectirende Wand auf- fällt, wie dies aus folgender Betrachtung hervorgeht. Wenn sich der Fig. 17. Punkt e (Fig. 17) in Folge einer von a nach e fortgeschrittenen Verdichtungswelle gegen f be- wegt, so erfährt er nicht nur eine rückstossende Wirkung von dem Punkt f der festen Wand, sondern auch von dem darüber liegenden Punkte g. e empfängt also einen Impuls, der dem Pa- rallelogramm der Kräfte gemäss aus der von f und von g ausgeübten Wirkung zusammengesetzt ist: er wird demnach nicht in der Richtung f a sondern in der Richtung f b reflectirt werden. Der Winkel, den f b mit f a bildet, wird offenbar um so grösser, je mehr f a von der auf die reflectirende Wand senkrechten Richtung ab- weicht. Denn in einer auf w w senkrechten Welle a' f erfährt der Punkt e von einem oberhalb f gelegenen Punkte g eine genau ebenso grosse Wirkung wie von einem unterhalb f gelegenen Punkte h, diese beiden Wirkungen heben sich also auf, und es wird nun e in der Rich- tung f a' wieder zurückgestossen. Nehmen wir an, eine Welle a″ f 4 * Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. wiche nur unendlich wenig von der senkrechten Richtung a' f ab, so würde auch die Wirkung der oberhalb f gelegenen Punkte auf den Punkt e nur unendlich wenig über die Wirkung der unterhalb f ge- legenen Punkte überwiegen können, und es müsste demzufolge der Winkel, den die reflectirte Welle f b″ mit der auffallenden bildet, un- endlich klein sein. Es ergibt sich so, dass wenn der Winkel, den die auffallende Welle mit der Senkrechten bildet, continuirlich wächst, der Winkel, um welchen die reflectirte Welle nach der anderen Seite von der Senkrechten abweicht, ebenso continuirlich wachsen muss. Man nennt den Winkel, welchen eine Welle a f mit der auf der Wand w w senkrecht stehenden Linie a' f bildet, den Einfallswinkel . Den Winkel, welchen die zurückgeworfene Welle f b mit derselben Linie bildet, den Reflexionswinkel . Die Senkrechte a' f selbst nennt man das Einfallsloth , und es lässt sich nun das Gesetz der Reflexion der Wellen einfach folgendermassen aussprechen: Jede Welle, die in der Richtung des Einfallslothes die feste Wand trifft, wird in der- selben Richtung wieder zurückgeworfen; wenn dagegen die Welle mit dem Einfallsloth einen Winkel bildet, so liegt die reflectirte Welle in derselben Ebene wie die einfallende, aber auf der andern Seite des Einfallslothes, und zwar ist der Reflexionswinkel gleich dem Einfallswinkel . Fig. 18. Diese Betrachtung bleibt auch dann gültig, wenn die Wand, an welcher die Welle zurückgeworfen wird, keine ebene sondern eine gekrümmte Oberfläche ist (Fig. 18). Man denkt sich dann an den Punkt f die- ser Oberfläche, auf welchen die Welle trifft, eine tan- girende Ebene e e' gelegt; die auf dieser Ebene senk- rechte Linie 1 f ist nun das Einfallsloth, mit welchem wieder die auffallende und zurückgeworfene Welle a f und f b gleiche Winkel bilden müssen. Es verhält sich also die Reflexion ganz so, als wenn sie an der tangirenden Ebene e e' geschähe. Das für lineare Wellen aufgefundene Reflexionsgesetz lässt sich sehr leicht auf Kugelwellen ausdehnen. Wir brauchen dann nur einige der Wellenlinien, aus denen sich die Kugelwelle zusammensetzt, auf ihrem Wege zu verfolgen. Es genügt hier irgend einen ebenen Durch- schnitt der Kugelwelle, also eine einzige derselben zugehörige Wel- lenebene , in’s Auge zu fassen. Es sei a (Fig. 19) der Punkt, von welchem die Welle ausgeht, v w die Wand, an welcher sie reflectirt wird. Die einzelnen Wellenlinien, welche die betrachtete Wellenebene zusammensetzen, sind a f, a f', a f″ u. s. w. Von diesen wird a f, weil es mit seinem Einfallsloth zusammenfällt, wieder in derselben Richtung f a reflectirt. a f' geht in der Richtung f' r', a f″ in der Richtung f″ r″ zurück u. s. w., wobei der Winkel r' f' l' = a f' l', r″ f″ l″ = a f″ l″, wenn f' l', f″ l″ .... die Einfallslothe bedeuten. Von den Schwingungs- und Wellenbewegungen. Fig. 19. Verlängert man nun die Richtungen der sämmtlichen reflectir- ten Wellen f a, f' r', f″ r″ ...., bis sie sich schneiden, so findet man, dass dies in ei- nem Punkte a' ge- schieht, der ebenso weit hinter der Wand v w gelegen ist, als der Punkt a vor dieser Wand liegt. Wenn also eine Kugelwelle oder ein Theil einer solchen von einer ebe- nen Wand reflectirt wird, so hat die re- flectirte Welle eine solche Richtung, als wenn sie die unmittelbare Fortsetzung einer andern Kugelwelle wäre, deren Ausgangspunkt ebenso weit hinter der reflectirenden Wand gelegen ist, als der Ausgangspunkt der auffallenden Welle vor dieser Wand liegt. Es versteht sich von selbst, dass dieses Gesetz nur gilt, so lang es sich um die Reflexion an einer ebenen Wand handelt. Würde die Kugelwelle statt an der Ebene v w an einer krummen Oberfläche zurückgeworfen, so würden die Einfallslothe f' l', f″ l″ verschiedene Richtungen erhalten, weil jedes auf einer andern tangirenden Ebene senkrecht stünde. Auf die Modificationen, die hierdurch das Reflexions- gesetz erfährt, werden wir bei der Besprechung der Lichtwellen zu- rückkommen, bei denen die Reflexion an gekrümmten Oberflächen vorzugsweise von Interesse ist. Wir haben im Eingang unserer Betrachtungen über die Schwin- 40 Stehende Schwingungen. gungsbewegungen ausgeführt, wie ein Punkt, der durch bestimmte Kräfte in seiner Lage gehalten ist, wenn er durch einen einmaligen Stoss aus derselben entfernt wird, in unaufhörliche Schwingungen um jene Gleichgewichtslage gerathen müsste. Es wurde jedoch sogleich hinzugefügt, dass in der Wirklichkeit derartige Schwingungen, wegen der Widerstände, die sie vorfinden, sehr bald aufzuhören pflegen. Nun aber haben wir in der Reflexion der Wellen eine Thatsache kennen gelernt, durch welche die Schwingungen eines Körpers namentlich dann eine längere Zeit sich erhalten können, wenn sie hin- und her- laufend successiv von verschiedenen Seiten reflectirt werden. Einen einfachen Fall dieser Art bietet uns eine an ihren beiden Enden Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. Fig. 20. a und b befestigte schwingende Saite (Fig. 20). Wenn wir die Saite in ihrer Mitte anziehen, so ertheilen wir ihr die Form eines einzigen grossen Wellenbergs a c b, der, indem er nach beiden Seiten hin sich fortzupflanzen strebt, fortwährend sowohl bei a als bei b reflectirt wird, wodurch die Schwingungen längere Zeit andauern. Noch klarer stellt sich der Einfluss der Re- flexion heraus, wenn wir Schwingungen hervorrufen, welche aus meh- reren hinter einander liegenden Bergen und Thälern bestehen. Er- zeugt man z. B. eine von a nach e fortschreitende Welle a e (Fig. 21), Fig. 21. so wird diese Welle, wenn sie bei e angelangt ist, reflectirt, läuft nach a zurück, wird hier wieder reflectirt u. s. f. Die schwach fort- dauernden Schwingungen eines jeden Bruchtheils a b der Saite wer- den durch diese fortwährend bei a und e geschehenden Reflexionen verstärkt. Die Saite geräth daher in continuirliche Schwingungen, bei denen sie zwischen der durch die ausgezogene und der durch die punktirte Curve angedeuteten Form wechselt. Die ganze Saite ver- hält sich also wie eine Menge kleiner neben einander liegender Sai- ten a b, b c ...., von denen jede für sich in Schwingungen begriffen ist, während die zwischenliegenden Punkte b, c .... fortwährend in Ruhe bleiben. Schwingungen wie die hier geschilderten bezeichnet man als stehende Schwingungen . Die nicht mitschwingenden Punkte b, c .... nennt man Schwingungsknoten . An Saiten kann man stehende Schwingungen von einer Wellen- länge, die zu der Länge der Saite in irgend einem einfachen Zahlen- verhältnisse steht, leicht erregen, indem man z. B. die Stelle a b einer Seite a e in Schwingungen versetzt und den Punkt b durch Berüh- rung am Mitschwingen hindert: es pflanzt sich dann der Wellenberg ab über die ganze Saite fort und bringt dieselbe in stehende Schwin- gungen von entsprechender Wellenlänge. In ähnlicher Weise können elastische Platten und Membranen in stehende Schwingungen gerathen: dieselben theilen sich hierbei in einzelne Flächenstücke, die durch ruhende Linien, Knotenlinien, getrennt sind. Ebenso können Luft- säulen, die in Röhren eingeschlossen sind, stehende Schwingungen ausführen. Wir werden Beispiele dieser verschiedenen Formen ste- hender Schwingungen bei der Lehre vom Schall näher kennen lernen. Die Knotenpunkte schwingender Saiten lassen sich leicht ermitteln, indem man an verschiedenen Stellen leichte Körperchen, z. B. Holz- splitterchen, Papierstücke, auf die Saite legt. Wenn die Saite in Von den Schwingungs- und Wellenbewegungen. Schwingungen geräth, so bleiben diese Körperchen überall da liegen, wo sie sich an Knotenpunkten befinden, während sie an allen andern Stellen weggeschleudert werden. An schwingenden Platten und Mem- branen lassen sich die Knotenlinien durch Bestreuen mit Sand oder Staub sichtbar machen. Wenn die Platte in Schwingungen kommt, so häuft sich dann der Sand an den Knotenlinien an. Es entstehen so regelmässige Figuren, die Chladni’schen Klangfiguren , die an einer und derselben Platte oder Membran, je nach der Art wie dieselbe in Schwingung versetzt wird und wie sie befestigt ist, sehr mannig- fach wechseln können. Wir haben bisher die Wand, auf welche eine Longitudinal- oder 41 Uebergang der Wellen in ein dichteres Me- dium. Transversalwelle auftrifft, als vollkommen starr und unbeweglich be- trachtet. Im strengsten Sinne ist dieser Fall wohl niemals verwirk- licht; es können aber häufig die auf die Masse der Wand übertrage- nen Schwingungen desshalb, weil sie sehr gering sind, als nicht vor- handen betrachtet werden. Uebertrifft jedoch die Dichtigkeit des Körpers, auf welchen eine Welle auftrifft, diejenige des Mediums, in welchem sie zuerst verlief, nicht so bedeutend, dass die auf jenen fortgepflanzten Schwingungen vernachlässigt werden können, so ist es klar, dass zunächst auch hier eine zurücklaufende Welle reflectirt wird, denn es wird zwar dann der Punkt f (Fig. 17 und 18), der dem zweiten Medium angehört, nicht vollkommen unbeweglich bleiben, aber da er nur in geringerem Maasse der Wirkung der benachbarten Punkte des ersten Mediums folgen kann, so wird er selbst die nämliche Wir- kung, nur schwächer ausüben, als wenn er ganz unbeweglich wäre. Ausserdem aber pflanzt sich, weil der Punkt f und die ihm benach- barten des zweiten Mediums beweglich sind, auf dieses die Wellen- bewegung fort. Stellt demnach in Fig. 22 f g die Grenze dar, von Fig. 22. der links das dünnere, rechts das dichtere Medium liegt, so wird in einem Augenblick, wel- cher dem Moment B in Fig. 16 entspricht, der ankommende Wel- lenberg, der, wenn keine Wand vorhanden wäre, in der Form i n t fortschreiten würde, sich in einen reflectirten Wellenberg von der Höhe n r und in einen fortschreitenden Wellenberg von der Höhe p s trennen. Der rückschreitende Berg n r addirt sich zu dem Berg i n und erzeugt so den Wellenberg i r, der eine re- flectirte Welle verursacht, welche jedoch eine um s p geringere Höhe hat als bei der früher betrachteten totalen Reflexion; zugleich geht Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. eine Welle s t in das andere Medium gegen o hin. Die Höhen der reflectirten und der fortgepflanzten Welle zusammen sind offenbar gleich der Höhe p n der ursprünglichen Welle. Je geringer der Un- terschied in der Dichtigkeit der beiden Medien ist, um so niedriger muss die zurücklaufende Welle im Vergleich zu der ankommenden sein, um so weniger wird sich dagegen die im zweiten Medium fort- schreitende Welle von der Welle im ersten Medium unterscheiden. Während aber die rücklaufende Welle, weil sie in dem Medium, das sie durcheilt, wieder dieselben Bedingungen antrifft wie die ankom- mende, von dieser sich nur in Bezug auf die Wellenhöhe unterschei- den kann, zeigt die fortgepflanzte Welle, die in einem neuen Medium verläuft, noch einen andern Unterschied, der sich unmittelbar aus unsern früheren Erörterungen ergiebt. Beim Uebergang in ein dich- teres Medium muss nämlich die Oscillationsdauer oder die Zeit, welche jedes Theilchen zu einer Hin- und Herbewegung braucht, dieselbe bleiben, denn die Schwingungen der Punkte des dichteren Mediums müssen sich den Schwingungen der Punkte des dünneren Mediums, durch die sie erregt werden, anpassen. Dagegen wird in dem dich- teren Medium jedes Theilchen bei seinem Hin- und Herschwingen einen grösseren Widerstand finden, da in dem dichteren Medium die einzelnen Punkte sich näher liegen. Es kann daher hier die Weg- länge, über die sich eine Oscillation von bestimmter Zeitdauer fort- pflanzt, nicht so gross sein als in dem dünneren Medium, das heisst die Wellenlänge muss in dem dichteren Medium abnehmen. Wenn sich aber die Wellenlänge vermindert, während die Oscillationsdauer dieselbe bleibt, so folgt, dass auch die Fortpflanzungsgeschwin- digkeit der Welle in dem dichteren Wedium abnehmen muss. Wäh- rend die reflectirte Welle r i (Fig. 22) genau ebenso viel Zeit gebraucht, um wieder bei dem Punkte x anzukommen, als nöthig war, um die Strecke von x bis p zurückzulegen, braucht die fortgepflanzte Welle s t eine beträchtlich längere Zeit, um eine gleich lange Strecke p o zurückzulegen, und diese Verlangsamung der Geschwindigkeit nimmt zu mit dem Dichtigkeitsunterschied der beiden Medien. 42 Uebergang in ein dünneres Medium. Hiernach lassen sich auch diejenigen Erscheinungen leicht be- greifen, welche entstehen, wenn sich eine schwingende Bewegung nicht aus einem dünneren in ein dichteres Medium fortpflanzt, sondern wenn sie umgekehrt aus einem dichteren in ein dünneres Medium übergeht. Auch hier zerlegt sich die an der Grenze ankommende Welle in eine fortschreitende und in eine rückschreitende oder reflec- tirte Wellenbewegung. Denken wir uns zunächst eine Verdichtungswelle, die in einer Punktreihe a f (Fig. 23) vorwärts schreitet, treffe bei f auf das dün- nere Medium f l, so wird bei dem Punkte f ein stärkeres Zusammen- Von den Schwingungs- und Wellenbewegungen. Fig. 23. drängen der Punkte, also eine bedeutendere Verdichtung, stattfinden als an irgend einer Stelle der voranliegenden Punktreihe, weil der Punkt f, der schon dem dünneren Medium angehört, den gegen ihn eindringenden Punkten einen geringen Widerstand entgegensetzt. Es wird also bei f ein Wellenberg entstehen, der höher ist als die voran- gegangenen Wellenberge, und in Folge dessen wird sich links von f an der Grenze des dichteren Mediums ein tieferes Wellenthal bilden, das denselben Effect hat, als wenn bei f eine Thalwelle erregt wor- den wäre, die nun von f nach a zurückschreitet. Aehnlich wird es sich bei einer Transversalwelle verhalten. Da der Punkt f schwä- chere Anziehungskräfte auf seine benachbarten Punkte ausübt als die vorangelegenen Punkte des dichteren Mediums auf die ihrigen, so wird, wenn die transversale Schwingung sich bis f fortgepflanzt hat, nun f eine Schwingung von beträchtlich grösserer Amplitude ausfüh- ren: es wird also auch hier wieder an der Grenze ein tieferes Wel- lenthal entstehen, das eine zurückschreitende Thalwelle veranlasst. Ist die ankommende Welle eine Thalwelle, so muss eine schwächere Bergwelle zurücklaufen. In allen Fällen ist also die von dem dünneren Medium reflectirte Welle von entgegengesetzter Beschaffenheit wie die ankom- mende. Die Welle trennt sich auch hier an der Grenze f in eine re- flectirte Welle und in eine fortlaufende, welche zusammen die Höhe der ursprünglichen Welle besitzen. In Bezug auf die Wellenlänge oder Schwingungsgeschwindigkeit der einzelnen Punkte beider Medien muss aber wieder dieselbe Betrachtung Platz greifen, die wir oben bei der Fortpflanzung und Reflexion durch ein dichteres Medium angestellt haben: die Wellenlänge in der auf das dünnere Medium fortge- pflanzten Welle muss jetzt offenbar grösser werden, und dem ent- sprechend muss, da die Oscillationsdauer dieselbe bleibt, auch die Fortpflanzungsgeschwindigkeit zunehmen. Bisher wurde angenommen, die in ein dichteres oder dünneres 43 Brechung der Wellen. Medium sich fortpflanzende Welle treffe senkrecht auf die Begrenzungs- fläche desselben auf: in diesem Fall behält die Welle in dem andern Medium ihre Richtung bei und verändert nur ihre Geschwindigkeit. Anders verhält es sich, wenn die Richtung der ankommenden Welle geneigt zur Begrenzungsfläche ist. Um den in diesem Fall eintre- tenden Ertolg darzulegen, müssen wir die Fortpflanzung einer Wel- lenebene in Betracht ziehen. Gesetzt, eine Wellenebene p p' a b Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen. Fig. 24. (Fig. 24), die wir uns etwa als den von zwei sehr nahe bei einander gelegenen linearen Wel- len p a und p' b begrenzten Theil einer Kugelwelle denken können, treffe in schräger Rich- tung auf die ein dichteres Me- dium begrenzende Wand v w. Fassen wir den Zeitpunkt in’s Auge, in welchem der Theil p' b der Ebene gerade an v w auftrifft, so ist im selben Moment der Theil p bis a fortgeschritten, und wenn wir zwischen a und b eine Verbindungslinie ziehen, so steht diese auf der Richtung der Linie p a und p' b senkrecht. Wäh- rend nun p a bis c weiter schreitet, hat p' b bereits in dem dichteren Medium eine Strecke b d zurückgelegt. Diese Strecke b d muss im selben Maass kleiner als a c sein, in welchem die Fortpflanzungsge- schwindigkeit in dem zweiten Medium kleiner als im ersten ist. Die Verbindungslinie der beiden fortgeschrittensten Punkte c und d ist daher nicht mit a b parallel. Dagegen gehen von nun an die beiden Wellenlinien, da sie sich jetzt im selben Medium befinden, wieder mit gleicher Geschwindigkeit vorwärts. In einem dritten Moment wird also die Wellenebene bis e f, welches wieder zu c d parallel ist, fort- geschritten sein. Man sieht hieraus, dass jede auf ein dichteres Me- dium treffende Wellenebene an der Begrenzungsfläche eine Ablenkung ihrer Richtung erfährt. Es ist nun klar, dass diese Ablenkung der ganzen Wellenebene aus den Ablenkungen der einzelnen Wellenlinien, aus denen sie besteht, sich zusammensetzen muss. Irgend eine Wel- lenlinie, die im ersten Medium die Richtung m n hat, wird also im zweiten Medium in der Richtung n o weitergehen. Man bezeichnet diese Ablenkung der Welle als Brechung . Errichten wir wieder in dem Punkte n, an welchem die Welle m n auftrifft, eine Senkrechte s t als Einfallsloth, so wird die Welle m n so gebrochen, dass der Winkel t n o kleiner als der Winkel s n m ist, d. h. beim Ueber- gang in ein dichteres Medium wird jede Welle, die mit dem Einfallsloth einen Winkel bildet, so gebrochen dass sie sich dem Einfallsloth nähert. Es ist nun leicht einzusehen, dass gerade der umgekehrte Erfolg eintritt, wenn die Welle aus einem dichteren in ein dünneres Medium übergeht. In diesem Fall hat nämlich der Theil p' b (Fig 25) der Wellenebene schon den Weg b d in dem dünneren Medium zurück- gelegt, bis der Theil p a bei c auf dasselbe auftrifft. Eine Wellen- linie m n hat also nach der Brechung die Richtung n o, d. h. die Von den Schwingungs- und Wellenbewegungen. Welle wird so gebrochen, dass sie sich von dem Einfallsloth ent- fernt. Fig. 25. Fig. 26. Es sei α (Fig. 26) der Winkel, wel- chen die auffallende Welle m n mit dem Einlallsloth bildet, β der Winkel der ge- brochenen Welle n o mit demselben, so verhält sich, wenn wir mit v die Fortpflan- zungsgeschwindigkeit der Welle in dem ersten Medium, mit v' die Fortpflanzungs- geschwindigkeit in dem zweiten Medium bezeichnen . Man sieht hieraus, dass sich aus dem Brechungswinkel das Verhältniss der Fortpflanzungsgeschwindigkeiten in den beiden Medien bestimmen lässt. Den Quotienten oder nennt man den relativen Brechungsexponenten der zwei Medien. Zweiter Abschnitt. Von der Schwere . 44 Begriff der Schwere. Eintheilung dieses Ab- schnitts. Unter der Schwere versteht man die Kraft, durch welche die Körper zur Erde zu fallen streben. Man betrachtet diese Kraft als erzeugt durch die Anziehungen, welche nach der atomistischen Theorie zwischen allen wägbaren Atomen stattfinden. Ein Körper fällt oder strebt zu fallen, weil seine Atome und die Atome des Erdkörpers eine gegenseitige Anziehung auf einander ausüben. Ueberall wo körper- liche Massen sich hinreichend nahe kommen oder hinreichend gross sind, um in der Entfernung, in der sie sich von einander befinden, eine merkliche Wirkung hervorzubringen, sehen wir die gleichen Anziehungs- kräfte sich äussern. Die fortdauernde Bewegung der Theile unseres Sonnensystems ist durch dieselben Kräfte bedingt, welche das Fallen eines irdischen Körpers verursachen. Diese allgemeine Naturkraft, von der sonach die irdische Schwere nur ein besonderer Fall ist, hat man zuweilen auch als allgemeine Gravitation oder allgemeine Schwere bezeichnet. Der Einfluss der Schwere auf die Körper gestaltet sich verschie- den je nach der molecularen Beschaffenheit derselben. Die Haupt- unterschiede dieser molecularen Beschaffenheit finden ihren Ausdruck in den Aggregatzuständen . Wir haben daher die nähere Be- trachtung der Erscheinungen der Schwere zu trennen nach den drei Aggregatzuständen, in welchen die Körper vorkommen können, dem festen, flüssigen und gasförmigen. In jedem einzelnen dieser Fälle werden wir zuerst die Eigenschaften des betreffenden Aggregatzustan- des eingehender erörtern und sodann die an den Körpern dieses Aggregatzustandes durch die Schwere verursachten Erscheinungen in’s Auge fassen. Vollkommen streng lässt sich aber natürlich eine solche Trennung der Betrachtung nicht durchführen, da die charakteristischen Eigenschaften der Aggregatzustände selbst zum grossen Theil durch die Schwere und durch die der Schwere analogen gegenseitigen An- Von der Schwere. ziehungskräfte der einzelnen Theilchen eines Körpers bedingt sind. Es ist ferner nicht zu umgehen, dass wir in einzelnen Fällen auch die Wirkung anderer Kräfte, die ähnlich wie die Schwere unmittelbar sinnlich wahrnehmbare Ortsveränderungen der Körper verursachen, mit in die Betrachtung ziehen, da solche Kräfte, wie z. B. die Muskelkraft beim Wurf oder bei den menschlichen Ortsbewegungen, sehr häufig mit der Schwere zusammenwirken. Uebrigens versteht es sich von selbst, dass wir auf den Ursprung dieser Kräfte nicht näher eingehen, sondern sie hier nur in ihrer Wirkungsweise berücksichtigen, in der man sie sich auch immer durch den Druck eines Gewichts von be- stimmter Grösse, Richtung und Dauer, also durch eine Schwerewir- kung ersetzt denken kann. Wir bezeichnen hiernach die Abtheilun- gen, in die wir den vorliegenden Abschnitt zerfällen, allgemein als Physik der festen Körper, Physik der Flüssigkeiten und Physik der Gase. Man nimmt an, dass die Anziehungskräfte zwischen den Atomen der Körper mit jenen Anziehungskräften identisch seien, welche die Erscheinungen der Schwere und der allgemeinen Gravitation verursachen. Da aber die Cohäsions- und Elasticitäts- erscheinungen durch die abstossenden Kräfte zwischen den unwägbaren Atomen gleichzeitig mitbedingt sind, und man daher immer nur die Resultante dieser zweier- lei Kräfte beobachten kann, so ist es, wie wir schon in §. 9. Anm. angedeutet haben, nicht möglich zu bestimmen, nach welchem Gesetz die anziehenden und die abstossen- den Molecularkräfte wirken. Eben desshalb ist es aber auch nicht sicher, ob in den geringen Entfernungen, in welchen sich die Atome eines Körpers von einander be- finden, noch das a. a. O. allgemein aufgestellte Gesetz gilt. Nur so viel steht fest, dass die abstossenden Kräfte mit wachsender Entfernung viel rascher abnehmen als die anziehenden. Hieraus erklärt es sich auch, dass wir bei der Fernewirkung der Körper nur die Anziehungskräfte kennen lernen. Aus dem was wir über die Eintheilungsprincipien dieses Abschnittes bemerkt haben geht schon hervor, dass unsere Eintheilung auf systematische Präcision keinen Anspruch machen kann. In der Natur wirken die verschiedensten Kräfte gleichzeitig neben einander. Auch verhältnissmässig sehr einfache Naturerscheinungen bieten uns daher immer schon Complicationen von Kräftewirkungen. Unter solchen Umständen ist namentlich die angewandte Naturlehre genöthigt vielmehr nach practischen und heuristischen als nach streng logischen Maximen bei der Anordnung ihres Stoffs zu verfahren. Von der Schwere. I. Physik der festen Körper. Erstes Capitel . Allgemeine Eigenschaften der festen Körper. 45 Cohäsion. Festigkeit. Die beiden wesentlichsten Eigenschaften der festen Körper sind die Cohäsion und die Elasticität . Auf ihrer beträchtlichen Co- häsion beruht jenes bei der vergleichenden Erörterung der Aggregat- zustände (§. 15) hervorgehobene Hauptmerkmal der festen Körper, dass sie zusammenhängende Ganze von bestimmter Form bilden, und nur durch ziemlich bedeutende äussere Kräfte ihre Form verändern oder gar ihren Zusammenhang verlieren. Auf der Elasticität beruht die mit der vorigen in Verbindung stehende Eigenschaft, dass die Kör- per einer äusseren Kraft einen derselben an Grösse gleichen Wider- stand entgegensetzen, durch den sie, wenn die Kraft aufhört zu wir- ken, wieder ihre ursprüngliche Form annehmen. Da die Cohäsion die Eigenschaft eines Körpers zusammenzu- halten bezeichnet, so wird allgemein die Grösse der Cohäsionskraft durch die Grösse derjenigen äusseren Kraft gemessen, welche den Zusammenhang der Theilchen eines Körpers aufzuheben vermag. Häu- fig bezeichnet man die Cohäsion auch als die Festigkeit der Kör- per, und man unterscheidet eben so viele Arten der Festigkeit, als es Arten der Einwirkung äusserer Kräfte giebt, durch welche der Zu- sammenhang der Körper getrennt werden kann. So giebt es eine Zugfestigkeit , auch absolute Festigkeit, eine Bruchfestigkeit , auch relative Festigkeit genannt, und eine rückwirkende Festig- keit , worunter man diejenige Kraft versteht, die ein Körper dem Zerdrücken entgegensetzt. Diese drei Arten von Festigkeit verhalten sich durchaus verschieden. So hat z. B. das Glas eine viel grössere Zugfestigkeit als Kautschuk, aber seine relative und rückwirkende Festigkeit sind weit geringer. Als gewöhnliches Maass der Cohäsions- kraft gilt die Zugfestigkeit. Da die Kraft, welche ein Körper dem Zerreissen entgegensetzt, proportional der Grösse seines Querschnitts zunimmt, so drückt man gewöhnlich die Cohäsion durch dasjenige Gewicht aus, welches einen Körper von 1 Quadratmillimeter Quer- schnitt zu zerreissen im Stande ist. Die nach diesem Maass bestimmte Cohäsionskraft zeigt sehr grosse Unterschiede bei verschiedenen Na- turkörpern. Während sie z. B. beim gezogenen Gussstahl 80 Kilogr. beträgt, ist sie beim Blei nicht grösser als 2 Kilogr. Unter den Geweben des menschlichen Körpers zeigen die Knochen und Sehnen die grösste Zugfestigkeit (7,7 und 6,9), während dieselbe bei den Muskeln bis auf 0,054 Kilogr. sinkt. Allgemeine Eigenschaften der festen Körper. Da man unter der Elasticität diejenige Kraft versteht, durch 46 Elasticität. welche ein Körper äusseren Kräften gegenüber seine Form beizubehal- ten strebt, so ist die Elasticität eines Körpers um so grösser , je grösser die äussere Kraft sein muss, welche eine bestimmte Form- änderung bewirken soll; und sie ist um so vollkommener , je voll- kommener der Körper wieder seine ursprüngliche Form annimmt. Grösse und Vollkommenheit der Elasticität stehen in keinem Zusam- menhang zu einander. Manche Körper haben eine grosse, aber un- vollkommene Elasticität, wie das Blei und Silber, andere haben eine kleine, aber vollkommene Elasticität, wie das Kautschuk, die thieri- schen Muskeln und Gefässmembranen; noch andere haben eine grosse und vollkommene Elasticität, wie der Stahl und das Glas. Im ge- wöhnlichen Leben werden unter sehr elastischen Körpern meistens solche verstanden, die ähnlich dem Kautschuk, eine vollkommene, da- bei aber kleine Elasticität besitzen. Es lassen sich so viele Arten der Elasticität unterscheiden, als es Arten der Formänderung giebt, die ein Körper erfahren kann, im- mer aber misst man die Grösse der Elasticität durch die Grösse der Formänderung, welche eine bestimmte äussere Kraft erzeugt, und die Vollkommenheit der Elasticität durch die Grösse der bleibenden Form- änderung, die eine Kraft von bestimmter Grösse nach dem Aufhören ihrer Wirkung zurücklässt. Die Arten der Formänderung, die sich unterscheiden lassen, sind: Zug oder Dehnung, Zusammendrückung, Torsion und Biegung. Davon sind die Formänderungen durch Deh- nung und Torsion die wichtigsten; die Zusammendrückung verhält sich, wie es scheint, der Dehnung durchaus analog. Das Grundgesetz der Zugelasticität besteht darin, dass ein Körper durch dehnende Gewichte Verlängerungen erfährt, die den Ge- wichten proportional sind. Doch ist dieses Gesetz nur bis zu einer gewissen Grenze der Belastung gültig, über sie hinaus wachsen die Verlängerungen langsamer als die Gewichte; diese Abweichung von dem Gesetz macht sich bei den leicht dehnbaren Körpern, z. B. dem Kautschuk, den thierischen Muskeln und Gefässhäuten, schon bei ziem- lich niedrigen Belastungen geltend. Die Muskeln zeigen überdies eine mit dem Contractionszustand veränderliche Elasticität: ihre Dehnbar- keit nimmt zu, ihre Elasticität also ab bei der Contraction. Torsion bewirkt man an einem elastischen Körper, wenn man ihn an einem Ende seiner Länge befestigt und am andern Ende einen Hebelarm anbringt, an welchem eine Kraft wirkt, so dass der Körper um seine Längsaxe gedreht wird. Die Torsionswinkel nehmen hier- bei proportional der drehenden Kraft zu. Das Gesetz der Torsions- elasticität enspricht also vollkommen demjenigen der Zugelasticität. Sowohl zur Bestimmung der Grösse wie der Vollkommenheit der Elasticität bedient man sich am einfachsten der Zugelasticität. Die Von der Schwere. Grösse der Elasticität verschiedener Körper kann dann verglichen werden, indem man diejenigen Gewichte ermittelt, welche, wenn die Körper gleiche Länge und gleichen Querschnitt besitzen, die gleiche Dehnung hervorbringen. Man ist übereingekommen, dasjenige Ge- wicht, durch das ein Körper, dessen Querschnitt und dessen Länge = 1 ist, die Verlängerung 1 erfahren würde, oder mit andern Wor- ten dasjenige Gewicht, welches die Länge eines Körpers von der Ein- heit des Querschnitts verdoppeln würde, als den Elasticitäts- coëfficienten zu bezeichnen und mit diesem Coëfficienten die Grösse der Elasticität der Körper auszudrücken. Für die Bestimmung dessel- ben ist es gleichgültig, welche Einheit der Länge man wählt. Ob ein Körper nur 1 Millim. oder 1 Meter lang ist, um seine Länge zu ver- doppeln, ist, vorausgesetzt dass der Querschnitt derselbe bleibt, immer das nämliche Gewicht nöthig; der Stab, der 1 Meter lang ist, besteht ja aus 1000 Theilen von je 1 Millim. Länge, an deren jedem das Ge- wicht zieht, und soll der ganze Stab um 1 Meter gedehnt werden, so muss eben jeder tausendste Theil um 1 Millim. gedehnt werden. Da- gegen ist es natürlich nicht gleichgültig, welche Einheit des Quer- schnitts gewählt wurde. Sollen zwei gleich lange Stäbe, von denen der eine 1 Quadratmillimeter, der andere 1 Quadratcentimeter im Querschnitt hat, sich um gleich viel verlängern, so muss man an den letzteren ein zehnmal so grosses Gewicht hängen, denn man könnte ihm ja zehn Stäbe von je 1 Quadratmillim. Querschnitt substituiren. Um also den Elasticitätscoëfficienten in dem oben angegebenen Sinne festzustellen, muss gesagt werden, auf welche Einheit des Quer- schnitts und auf welche Einheit des Gewichts man ihn bezieht. Zur ersteren wählt man in der Regel das Quadratmillimeter, zur letzteren das Kilogramm. Wenn demnach z. B. der Elasticitätscoëfficient für Stahl 18600, für Silber 7300 beträgt, so bedeutet dies, dass Drähte dieser Metalle von 1 □ Millim. Querschnitt durch 18600 und 7300 Kilogr. auf das Doppelte ihrer Länge ausgedehnt werden. Es ist übrigens selbstverständlich, dass man so bedeutende Dehnungen nicht ausführen kann. Die meisten Körper würden bei weit geringeren Be- lastungen schon zerreissen. Aber da nach dem Elasticitätsgesetz die Dehnungen proportional den angehängten Gewichten sind, so kann man leicht aus der Dehnung, die ein Körper von bestimmtem Quer- schnitt durch ein beliebiges Gewicht erfährt, dasjenige Gewicht, wel- ches seine Länge verdoppeln würde, d. h. den Elasticitätscoëfficienten, berechnen. Zur Bestimmung der Elasticität fester Körper kann man sich noch anderer Me- thoden bedienen, welche sich auf die in §. 27 u. f. erörterten Gesetze der Schwingungen gründen. Wenn man einen Körper rasch ausdehnt und dann mit der dehnenden Kraft nachlässt, so kehrt er nicht plötzlich wieder in seine frühere Länge zurück, sondern er vollführt einige Zeit Schwingungen um die frühere Gleichgewichtslage. Wie der Allgemeine Eigenschaften der festen Körper. Körper in diesem Fall, und ebenso wenn man ihn rasch zusammengedrückt hat, Longi- tudinalschwingungen vollführt, so führt er nach einer Biegung Transversalschwingungen und nach einer Torsion drehende Schwingungen aus. Aus dem Schwingungsgesetz (§. 29) ergibt sich aber, dass die Schwingungsdauer der Quadratwurzel der elastischen Kraft umgekehrt proportional ist. Statt also aus der Drehung, Biegung oder Ver- längerung kann man auch aus der Geschwindigkeit, mit welcher ein Körper um seine Gleichgewichtslage schwingt, wenn die dehnende, biegende oder drehende Kraft rasch nachlässt, auf die Grösse seiner Elasticität schliessen. Um ein Maass für die Vollkommenheit der Elasticität zu gewin- nen, ermittelt man dasjenige Gewicht, welches an einem Körper von der Einheit des Querschnitts eine eben merkbare bleibende Formver- änderung hervorbringt. Man bezeichnet dieses Gewicht als die Ela- sticitätsgrenze . Die Bestimmungen der Elasticitätsgrenze sind übrigens ziemlich schwankend, da man bei feineren Messungsmethoden leicht bleibende Formänderungen noch bemerken kann, die sonst der Beobachtung entgehen. Jeder Körper vermindert, wenn er gedehnt wird, seine Dichtig- keit, indem sein Volum zunimmt. Die Verkleinerung des Querschnitts bei der Dehnung ist nämlich nicht so gross als der Längenänderung entspricht. Das genauere Verhältniss der Quercontraction zur Längen- ausdehnung ist aber noch nicht sicher ermittelt, nach Einigen ist die erstere ¼, nach Andern ⅓ der letzteren; es scheint sogar, dass nicht für alle Substanzen das nämliche Verhältniss besteht. Beim Zusam- mendrücken der Körper nimmt umgekehrt das Volum ab und in Folge dessen die Dichtigkeit zu. Die Physiologie kennt einen Fall, in wel- chem ein Körper sich selbst zusammendrückt: die Contraction der Muskeln; in der That hat man auch hier eine geringe Volumverän- derung beobachtet. Bei den sehr dehnbaren elastischen Körpern, wie dem Kautschuk und den meisten thierischen Geweben, bei welchen schon innerhalb geringer Belastungsgrenzen die Verlängerungen den Dehnungen nicht mehr proportional sind, hat man gefunden, dass das weitere Gesetz der Dehnungen durch eine Hyperbel sich darstellen lasse. Diese Kör- per zeigen zugleich die in schwächerem Grade wahrscheinlich bei allen Körpern vorkommende Erscheinung, dass sie, wenn man das dehnende Gewicht längere Zeit einwirken lässt, noch eine geringe nachträgliche Dehnung erfahren, die sehr lange andauert. Diese nach- trägliche Dehnung wird als elastische Nachwirkung bezeichnet. Zweites Capitel . Gewicht und Schwerpunkt der festen Körper. Alle Körper üben als ganze Massen in die Ferne wirkende Kräfte 47 Gewicht. Rich- tung der Schwere. auf einander aus. Die festen Körper verändern durch diese Kräfte Wundt , medicin. Physik. 5 Von der Schwere. ihre gegenseitige Lage im Raum. Dagegen wird vermöge der grossen Cohäsion dieser Körper die relative Lage ihrer Atome zu einander in der Regel in Folge jener Fernwirkungen nicht bleibend verändert. Die Gesetze der Schwere treten daher hier in ihrer einfachsten Form auf. Jeder Körper hat vermöge der Schwere das Streben zu Boden zu fallen und fällt in der That, wenn er nicht unterstützt wird. Die- ses Streben zu fallen nennen wir sein Gewicht . Das Gewicht ist demnach die Resultante aller der Anziehungen, welche die Erde auf jeden einzelnen Punkt eines Körpers ausübt. Aus je mehr einzelnen Massenpunkten ein Körper besteht, um so grösser muss sein Gewicht sein. Das Gewicht ist daher ein unmittelbares Maass für die Masse eines Körpers. Dagegen bleibt die Beschleunigung, welche die Kör- per beim wirklichen Fallen durch die Schwere erfahren, die nämliche, ob sie eine grösssere oder kleinere Masse haben; und ein einziger Punkt, wenn wir denselben isolirt beobachten könnten, müsste aus einer bestimmten Höhe genau in der nämlichen Zeit zur Erde fallen, in welcher ein schweres Gewicht aus derselben Höhe herabfällt. Denn ob die Erde gleichzeitig auf wenige oder auf viele Massenpunkte ein- wirkt, sie wird jedem einzelnen Punkt die gleiche Beschleunigung er- theilen, und daher werden alle Punkte zusammen die nämliche Be- schleunigung annehmen, die auch jeder einzelne isolirt angenommen hätte. Die Beobachtung des Falls von Körpern sehr verschiedenen Gewichts im luftleeren Raume, in welchem der Widerstand, den die Luft dem Fall entgegensetzt, möglichst beseitigt ist, hat dies bestätigt; im luftleeren Raume haben alle Körper die nämliche Fallzeit. Die Richtung der Schwere muss, da wir die Erde als eine Kugel von gleichförmiger Dichtigkeit betrachten können, gegen den Mittelpunkt der Erde gerichtet sein. Denn die Anziehung, welche irgend ein Punkt über der Erdoberfläche erfährt, ist die Resultirende aller der Anziehungen, die von sämmtlichen Punkten der Erde auf ihn ausgeübt werden. Nun hat jeder seitlich von dem angezogenen Fig. 27. Punkt a (Fig. 27) gelegene Punkt m der Erde einen Punkt n von correspondirender Lage, so dass die beiden Anziehungen nach den Rich- tungen m a und n a gegenseitig sich aufheben und nur die in der Richtung der Geraden c a gelegenen Anziehungen, die a mit dem Mittel- punkt c der Erde verbinden, übrig bleiben. Man nennt die Linie a c das Loth . Dasselbe lässt sich leicht bestimmen, wenn man ein Ge- wicht an einem Faden aufhängt, die Richtung des Fadens gibt dann die Richtung des Lo- thes an. Gewicht und Schwerpunkt der festen Körper. Jeder Körper fällt, wenn er nicht unterstützt ist, in der Richtung 48 Schwerpunkt. des Lothes zur Erde nieder, und, wenn er unterstützt ist, übt er in der nämlichen Richtung einen Druck auf seine Unterlage aus. Da nun aber jeder Körper aus einer Unzahl von Massenpunkten zusammen- gesetzt ist und jeder dieser Punkte durch die Schwere nach dem Erdmittelpunkt gezogen wird, so kann man von einem Körper streng genommen unendlich viele Lothe ziehen, die sämmtlich sich im Erd- mittelpunkte schneiden. Bei der ungeheuren Grösse des Erdhalbmes- sers im Verhältniss zu den Entfernungen, in welchen sich irdische Punkte von der Erdoberfläche befinden, kann man jedoch alle diese Lothe als parallele Linien ansehen. Ein Körper wird also von ebenso vielen Parallelkräften zur Erde herabgezogen, als er Massenpunkte be- sitzt. Nun haben wir in der Statik gesehen, dass für eine Summe von Parallelkräften eine Resultirende sich substituiren lässt, in deren Richtung sich der Körper bewegt, wenn er kein Hinderniss fin- det, und in deren Richtung eine ihr gleiche Gegenkraft wirken muss, wenn der Körper sich nicht bewegen soll. Dabei wäre es, wenn wir bloss die fortschreitende Bewegung des Körpers aufheben wollten, gleichgültig, welchen Angriffspunkt wir der Gegenkraft geben, während wir derselben einen bestimmten Angriffspunkt geben müssen, wenn auch die drehende Bewegung des Körpers verhindert werden soll. Diese Resultirende der sämmtlichen Schweranziehungen eines Körpers nennt man eine Schwerlinie . Dreht man den Körper um irgend einen Winkel, so drehen sich um ebensoviel die Parallelkräfte der Schweranziehungen mit ihrer Resultirenden. Es ist aber leicht einzusehen, dass hierbei die letztere, die Schwerlinie, sich fortwährend um einen einzigen Punkt drehen muss, d. h. die Schwerlinien aller möglichen Lagen eines Körpers müssen sich in einem einzigen Punkte durchschneiden. Dieser Punkt, welcher demnach als der feste Angriffspunkt sämmtlicher Schweran- ziehungen betrachtet werden kann, heisst der Schwerpunkt . Fig. 28. Wenden wir z. B. eine der Flächen a b c d oder e f g h des Würfels (Fig. 28) nach unten, so ist i k die Richtung der Schwerlinie. Wenden wir a e h d oder b f g c nach unten, so ist n o, für d h g c und a e f b endlich ist l m die Richtung der Schwerlinie. Diese drei Schwerlinien und ebenso alle andern, die man bei son- stigen Lagen des Würfels erhalten kann, durchschneiden sich aber in dem Punkte x, dieser ist also der Schwerpunkt. Es ist ersichtlich, dass zur Bestimmung des Schwerpunktes eines Körpers immer die Ermittelung von zwei Schwerlinien genügt; der Durch- 5 * Von der Schwere. schnittspunkt derselben ist der Schwerpunkt. Man verfährt daher bei der empirischen Bestimmung des Schwerpunktes so, dass man für zwei bestimmte Lagen des Körpers diejenigen Stellen desselben auf- sucht, die unterstützt werden müssen, damit Gleichgewicht vorhanden sei. Offenbar wendet man hierbei das Princip des Hebels an, denn der Unterstützungspunkt, um welchen keine Drehung erfolgen kann, ist derjenige Punkt, in Bezug auf welchen die statischen Momente der auf entgegengesetzten Seiten wirkenden Kräfte sich das Gleich- gewicht halten. Ein nach den drei Dimensionen ausgedehnter Körper bildet, wenn er in dieser Weise unterstützt ist, eigentlich unendlich viele fest mit einander verbundene Hebel von der Form des früher in Fig. 4 dargestellten, mit einem allen gemeinsamen Unterstützungs- punkt, und auf jeden Punkt eines solchen Hebels wirken die lothrechten Kräfte ein. Für homogene Körper von einfacher geometrischer Form ergibt sich daher die Lage des Schwerpunktes unmittelbar aus dem Hebelgesetz. Bei geometrischen Körpern, die um ihren Mittelpunkt nach je zwei entgegengesetzten Richtungen gleich viel Masse haben, wie Kreisfläche, Kugel, Würfel, Cylinder u. s. w. ist selbstverständlich der Mittelpunkt zugleich der Schwerpunkt. Der Schwerpunkt eines Dreiecks ist der Durchschnittspunkt zweier Linien, die man von zwei Ecken aus zieht, und deren jede die gegenüberliegende Seite halbirt. Eine gerade Stange von regelmässigem Querschnitt hat ihren Schwer- punkt im Mittelpunkt ihres mittleren Querschnitts. Bei Körpern, die nicht homogen sind oder eine unregelmässige Gestalt besitzen, muss der Schwerpunkt stets empirisch bestimmt werden. So hat man gefunden, dass sich der Schwerpunkt des menschlichen Körpers im Rückenmarkskanal nahe dem obern Rand des zweiten Kreuzbeinwirbels befindet. Die Schwerpunkte der einzel- nen Glieder liegen allgemein etwas näher dem oberen als dem unte- ren Ende derselben. Empirisch bestimmt man den Schwerpunkt eines Körpers am zweckmässigsten, indem man den letzteren nach einander an zwei verschiedenen Punkten an einem Fa- den aufhängt. Die Richtung des Fadens in ihrer Verlängerung durch den Körper gibt jedesmal eine Schwerlinie, und der Durchschnittspunkt der beiden Schwerlinien ist der Schwerpunkt. Den Schwerpunkt des menschlichen Körpers hat man dadurch ermittelt, dass man einen Menschen auf ein Brett legte, welches auf einer scharfen Kante in’s Gleichgewicht gebracht wurde. Die Höhe des Schwerpunktes ergibt sich leicht, wenn die Kante senkrecht zur Länge des auf dem Rücken liegenden Körpers gerichtet wird; zur weiteren Ortsbestimmung sind streng genommen noch zwei Aequi- librirungen nöthig, bei welchen die Richtung der Kante der Länge des Körpers pa- rallel ist, und bei deren einer der Körper auf den Rücken, bei deren anderer er auf die Seite gelegt wird. Doch ist, da die Vertheilung der Massen rechts und links symmetrisch angenommen werden darf, nur die letztere Bestimmung, welche die Tie- fenlage des Schwerpunktes gibt, nöthig; übrigens erlaubt dieselbe bloss eine annähernde Gewicht und Schwerpunkt der festen Körper. Genauigkeit. Nach der nämlichen Methode kann der Schwerpunkt einzelner Theile des menschlichen Körpers ermittelt werden. Ein Körper ist, wie wir gesehen haben, stets dann im Gleich- 49 Unterstützung des Schwer- punkts. Die Waage. gewicht, wenn die durch seinen Schwerpunkt gezogene Schwerlinie auf den Unterstützungspunkt trifft. Hierbei sind aber drei Fälle mög- lich: der Unterstützungspunkt kann entweder unterhalb oder ober- halb des Schwerpunktes oder im Schwerpunkt liegen. So ist die Fig. 29. horizontale, auf beiden Seiten gleich be- lastete Stange m m (Fig. 29) im Gleichge- wicht, mag sich ihre Drehungsaxe in o oder in u oder in s (dem Schwerpunkt) befinden. Ist die Drehungsaxe im Schwer- punkte s selber, so ist sie in jeder Lage, die man ihr geben mag, im Gleichgewicht, denn die Bedingung, dass die Schwerlinie durch den Unterstützungspunkt gehe, ist dann jeder- zeit erfüllt; man nennt dies den Zustand des indifferenten Gleich- gewichts. Ist dagegen die Drehungsaxe in o über dem Schwerpunkt, so kehrt die Stange, wenn man sie dreht und dann sich selbst über- lässt, wieder in ihre vorige Lage zurück, weil die in dem Schwer- punkt vereinigt wirkende Masse fallen muss, bis die Schwerlinie den Unterstützungspunkt trifft: man nennt dies den Zustand des stabilen Gleichgewichts. Befindet sich endlich die Drehungsaxe in u, unter dem Schwerpunkt, so fällt die Stange wenn sie aus ihrer Lage ge- dreht wird, bis der Schwerpunkt unter die Drehungsaxe zu liegen kommt und damit stabiles Gleichgewicht eingetreten ist: man nennt daher diesen Zustand das labile Gleichgewicht. Die Unterscheidung der drei angeführten Gleichgewichtszustände ist vor Allem von Bedeutung für die Beurtheilung der Waage . Die Waage ist ein zweiarmiger Hebel, an dessen einem Arm eine Last zieht, die durch Gewichte, welche man auf ihren andern Arm wirken lässt, compensirt wird. Es ist klar, dass für die Waage nur der sta- bile Gleichgewichtszustand brauchbar ist, dass also der Schwerpunkt des Waagbalkens sich unter der Drehungsaxe befinden muss. Denn befände sich der Schwerpunkt über der Drehungsaxe, so würde sich bei der geringsten Mehrbelastung auf der einen Seite der Waagbalken um 90° drehen, während es für die Waage wesentlich ist, dass man aus der Grösse des Ausschlags schon einigermassen auf die Grösse der Mehrbelastung schliessen kann; würde aber die Drehungsaxe durch den Schwerpunkt selber gehen, so würde sich der Waagbalken auch bei gleicher Belastung auf beiden Seiten in jeder Lage im Gleich- gewicht befinden, das Wägen wäre also dann völlig unmöglich ge- macht. Auch bei der Waage kommt der Gegensatz des Geschwindig- keits- und Krafthebels in Rücksicht. Eine empfindliche Waage muss gleich- und langarmig sein, denn je länger der Hebelarm, um so be- Von der Schwere. deutender wird bei jeder Gleichgewichtsstörung die Winkelbewegung; eine feine Waage muss ferner, so weit dies geht, dem mathematischen Hebel sich nähern, d. h. das Gewicht der Waagbalken muss möglichst klein sein; und endlich muss der Schwerpunkt möglichst nahe unter der Drehungsaxe gelegen sein, denn offenbar wird die Waage dann am empfindlichsten werden, wenn sie sich gerade eben im stabilen Gleichgewicht befindet, da in diesem Fall ihr Streben in den Gleich- gewichtszustand zurückzukehren am kleinsten und daher auch am leichtesten eine Störung des Gleichgewichts möglich ist. Will man dagegen grosse Lasten abwägen, so bedarf man des Krafthebels, weil durch die an zu langem Hebelarm wirkende Last die Waage beschä- digt würde, und weil es bequem ist mit kleinen Gewichten grosse Lasten zu wägen. Die gewöhnlichste ungleicharmige Waage ist die Decimalwaage mit Laufgewicht, bei welcher der Hebelarm des Ge- wichtes das 10fache des Hebelarms der Last beträgt, so dass ein am Ende des ersteren befindliches Gewicht einer Last von der 10fachen Grösse das Gleichgewicht hält, während dasselbe Gewicht, näher an den Drehpunkt herangeschoben, einen immer kleineren Werth an- nimmt. 50 Die Rolle. Wie die Waage ein Hebel mit stabilem, so ist die Rolle ein Hebel mit indifferentem Gleichgewicht. Wenn an der Rolle c (Fig. 30) Fig. 30. bei a und bei b gleiche Kräfte einwirken, so können wir uns vorstellen, dass die eine Kraft am Hebelarm a c, die andere am Hebelarm b c wirke, und es be- steht in der That ebenso Gleichgewicht, als wenn ein geradliniger Hebel a b vorhanden wäre, dessen Dreh- punkt mit seinem Schwerpunkt zusammenfällt. Dies ändert sich aber, sobald die Rolle bewegt wird. Den- ken wir uns, an den beiden Enden einer geradlinigen gleicharmigen Hebelstange hiengen Gewichte, und die Hebelstange drehte sich um ihren Unterstützungspunkt, so wirken, wenn eine Dre- hung erfolgt ist, die Gewichte nicht mehr senkrecht zur Hebelstange, und man kann sich jetzt die Wirkung eines jeden Gewichts nach dem Kräfteparallelogramm in zwei Componenten zerlegt denken, in eine, die zur Hebelstange senkrecht ist, und in eine andere, deren Richtung mit der Richtung der Hebelstange zusammenfällt, und durch die der Hebel von seinem Unterstützungspunkte herabgleitet, falls er nicht auf demselben festgehalten wird. Mag sich dagegen die Rolle noch so sehr drehen, so behalten, wenn bei a und b an einer um sie ge- spannten Schnur Kräfte wirken, diese Kräfte immer die nämliche Richtung zur Rolle bei. Sobald sich also die Rolle dreht, kann man ihr nicht mehr einen einzigen geradlinigen Hebel a b substituirt den- ken, sondern sie besteht jetzt aus so viel geradlinigen Hebeln, als sie Gewicht und Schwerpunkt der festen Körper. Durchmesser hat, die Kräfte bei a und b wirken in jedem Moment an einem andern Hebel, und in jedem Moment stehen sie senkrecht auf der Richtung des Hebels, an welchem sie wirken. Dieser Umstand, dass sie streng genommen aus unendlich vielen Hebeln besteht, ver- leiht der Rolle ihre technische Bedeutung. Wir gebrauchen sie überall, wo es sich darum handelt eine Bewegungsrichtung in die ihr entgegen- gesetzte umzuwandeln, wir ziehen z. B. an einem um die in der Höhe befestigte Rolle geschlungenen Seil nach abwärts und fördern dadurch eine Last nach aufwärts. Eine Verbindung mehrerer fester und be- weglicher Rollen, der sogenannte Flaschenzug , dient dagegen als zusammengesetzter Krafthebel. Wenn am Mittelpunkt einer ersten Fig. 31. beweglichen Rolle c (Fig. 31) eine Last P an- gehängt ist, und wir lassen an der Peripherie einer zweiten festen Rolle eine Kraft K wirken, so ist a c der Hebelarm von P, der Hebelarm von K dagegen ist gleich dem Durchmesser der beiden Rollen zusammengenommen. Es lassen sich noch mehr solche Formen beweg- licher und fester Rollen zu einer gemeinsamen Hebelverbindung aneinanderreihen: mit zwei Rollen hält man der 4fachen, mit 4 Rollen der 8fachen Last das Gleichgewicht u. s. w. Wie die Rolle ist auch das Rad häufig ein Krafthebel. Aber öfter noch dient es zur Gewinnung und Abänderung von Geschwindigkeiten. So wird in unsern Uhrwerken theils grössere in kleinere theils kleinere in grössere Geschwindigkeit übertragen, indem bald ein Zahnrad von kleinerem Durchmesser in ein solches von grösserem Durchmesser, bald ein Zahnrad von grösserem in ein solches von kleinerem Durch- messer eingreift: die Abänderungen der Geschwindigkeiten verhalten sich hierbei wie die Unterschiede in den Durchmessern der in einander greifenden Räder; wo das grosse am kleinen Rad wirkt, ist das Sy- stem Krafthebel, wo umgekehrt das kleine am grossen wirkt, ist es Geschwindigkeitshebel. Bei allen bisher betrachteten Gegenständen der Natur und der 51 Schwerpunkt des menschli- chen Körpers. Technik hatten wir es mit einer festen Lage des Schwerpunktes zu thun. Auch beim menschlichen Körper haben wir eine solche voraus- gesetzt, indem wir den Schwerpunkt bei derjenigen Lage seiner Theile aufsuchten, die denselben in der Ruhe zukommt. Nun bietet aber gerade der menschliche Körper in besonders hohem Maasse das Bei- spiel eines Körpers mit beweglichem Schwerpunkt ; wir wollen daher die Bedingungen und die Bedeutung dieser Bewegungen des Schwerpunktes hier noch kurz in’s Auge fassen. Durch jede Gestaltänderung eines Körpers wird auch im Allge- Von der Schwere. meinen die Lage des Schwerpunktes in dem Körper verändert. Denn da der Schwerpunkt derjenige Punkt ist, von dem aus immer nach je zwei entgegengesetzten Richtungen sich gleich viel Masse befindet, so muss auch jede Veränderung in der Vertheilung der Masse verän- dernd auf die Lage des Schwerpunktes wirken. Nun besitzt der Mensch die Fähigkeit des Gestaltwechsels in hohem Grade, und sein Schwerpunkt hat dem entsprechend eine ziemlich grosse Beweg- lichkeit. Beim gewöhnlichen aufrechten Stehen fällt die vom Schwer- punkt zum Boden gezogene Schwerlinie in den Zwischenraum zwi- schen den beiden Füssen. Unsere Stellung ist um so fester, je weiter wir die Füsse auseinandersetzen, weil dann um so weniger durch die bei Neigungen des Rumpfes und Bewegungen der Arme erzeugten Bewegungen des Schwerpunktes die Schwerlinie ausserhalb des von den Füssen umspannten Zwischenraums fällt. Wollen wir, statt beide Beine gleichzeitig als Stützen des Körpers zu gebrauchen, uns auf ein einziges Bein stützen, so neigen wir den ganzen Rumpf und mit- hin den Schwerpunkt auf die Seite des stützenden Beins, so dass die Schwerlinie nun nicht mehr in den Zwischenraum der Füsse, sondern auf den Fuss der stützenden Seite fällt. Allzu ausgiebige Neigungen des Rumpfes bringen uns aber in die Gefahr das Gleichgewicht zu verlieren, indem dann die Schwerlinie erst jenseits der Unterstützungs- fläche des Fusses den Boden trifft. Der stehende oder gehende Mensch befindet sich im labilen Gleichgewicht, er fällt daher, sobald sein Schwerpunkt nicht mehr unterstützt ist. Ein Gehängter ist im stabilen Gleichgewicht. Um das Fallen zu vermeiden, corrigiren wir bei jeder beträchtlichen Neigung des Rumpfes die Lage unseres Schwerpunktes durch balancirende Bewegungen der Arme oder Beine. Die letzteren können, wenn sie ausgestreckt werden, vermöge der langen Hebel- arme, an denen dann ihre Masse wirkt, der viel grösseren Masse des Rumpfes das Gleichgewicht halten oder wenigstens die Bewegung des Schwerpunktes beschränken. Bei den Bewegungen des Gehens und Laufens dagegen verrücken wir absichtlich die Lage des Schwerpunkts. Bei jedem Schritt neigen wir den Rumpf etwas nach vorn und zugleich nach der Seite des vorwärtsgesetzten Beines, so dass der Schwerpunkt über das letztere zu liegen kommt. Wenn wir sehr schnell laufen ist diese Vorwärtsneigung des Rumpfes meistens zu stark, so dass sie compensirende Bewegungen des Armes der ent- gegengesetzten Seite fordert. Wenn ein Mensch eine Last trägt, so haben beide, der Mensch und die Last, einen gemeinsamen Schwer- punkt, und der Mensch muss nun so stehen und gehen, dass dieser gemeinsame Schwerpunkt fortwährend unterstützt bleibt. Aus diesem Grund neigt Jeder, der eine Last auf dem Rücken trägt, den Rumpf nach vorn, und Jeder, der eine Last vor sich her trägt, neigt den Rumpf nach hinten. Die letztere Haltung beobachtet man daher auch Von den durch die Schwerkraft erzeugten Bewegungen der festen Körper. allgemein bei wohlbeleibten Leuten. Wenn der Rumpf unter grossen Rückenlasten sich weiter nach vorn beugt, als zur Unterstützung des Schwerpunkts durch die Beine erforderlich ist, so wird der Stock als dritte Stütze nothwendig; ebenso erfordert ihn die gebeugte Haltung der Greise. Wer auf der Seite eine Last trägt, neigt den Rumpf nach der entgegengesetzten. In allen diesen Fällen, wo der Schwerpunkt durch die Last nach vorn oder hinten oder seitlich verrückt wird, fordert die zur Erhaltung des Gleichgewichts erzeugte Verschiebung des Schwerpunktes eine besondere Anstrengung, die zu der Arbeit des Lasttragens hinzukommt. Die grössten Lasten können daher auf dem Kopf getragen werden, da hier die Haltung des Körpers unverändert bleibt, indem der Schwerpunkt nur vertical in die Höhe rückt. Drittes Capitel . Von den durch die Schwerkraft erzeugten Bewegungen der festen Körper. Die Untersuchung der Bewegungen, welche die Körper unter dem 52 Masse eines Körpers. Einfluss der Schwere erfahren, wird durch die Kenntniss des Schwer- punkts ausserordentlich vereinfacht, da man sich das ganze Gewicht eines Körpers in seinem Schwerpunkte vereinigt denken kann. Die Schwere selbst wirkt als eine den Schwerpunkt in der Richtung des Lothes herabziehende Kraft, und die Abänderung, welche die gleich- zeitige Einwirkung anderer Kräfte an der durch die Schwere erzeug- ten Bewegung hervorbringt, ist ermittelt, sobald man weiss, mit wel- cher Intensität und in welcher Richtung diese Kräfte den Schwerpunkt zu bewegen streben. Man kann also in den meisten Fällen den Kör- pern einfach ihre Schwerpunkte substituiren, indem man nicht bloss in Bezug auf die Schwerkraft sondern auch in Bezug auf alle andern etwa einwirkenden Kräfte die Masse eines Körpers in seinem Schwer- punkt concentrirt denkt. Auch ist klar, dass der Schwerpunkt für jede andere aus der Ferne auf einen Körper einwirkende Kraft die- selbe Bedeutung hat wie für die Schwerkraft. Denn der Schwerpunkt ist, wie wir bemerkt haben, derjenige Punkt, von dem aus nach ent- gegengesetzten Richtungen gleich viel Masse sich befindet, und es ist gewissermassen zufällig, dass gerade die Schwerkraft benützt wird, um diesen Punkt zu ermitteln; jede andere Kraft, die aus der Ent- fernung auf alle Punkte eines Körpers einwirkt, könnte ebenso gut zur Auffindung des Schwerpunktes dienen. Der Begriff der Masse hat also durchaus nicht bloss in Bezug auf die Schwerkraft sondern für alle Kräfte Gültigkeit. Er ist aus der Beobachtung entnommen, dass verschiedene Körper durch eine und dieselbe Kraft verschiedene Geschwindigkeiten empfangen. Wir nennen daher zwei Massen gleich, die durch die gleiche Kraft in der gleichen Zeit die gleiche Beschleunigung Von der Schwere. erfahren. Wie wir aber die Schwere zur Bestimmung des Massen- mittelpunktes anwenden, so benützen wir auch am häufigsten die auf einen Körper ausgeübten Schweranziehungen zur Bestimmung der Masse: das Gewicht der Körper ist das gebräuchlichste Maass ihrer Masse, weil die Schwere die verbreitetste Naturkraft ist, und die ein- zige, die wir leicht ohne die gleichzeitige Einwirkung anderer Natur- kräfte untersuchen können. 53 Beschleunigung durch die Schwere. Fallgesetze. Wir haben früher als Einheit der Kraft diejenige Kraft bezeich- net, die in der Zeiteinheit der Masse 1 die Beschleunigung 1 ertheilt (§. 25). Keine der in der Erfahrung gegebenen Naturkräfte entspricht dieser Krafteinheit der Mechanik, auch die Schwere nicht. Wenn ein Körper frei zur Erde fällt, so wirkt die Schwere auf jede Massenein- heit desselben. Die durch die Schwere in der Secunde erzeugte Be- schleunigung des Falls ist aber nicht = 1, sondern = 9,809 Meter. Die Schwerkraft verhält sich also zur mechanischen Krafteinheit wie 9,809 : 1. Die Zahl 9,809 wird gewöhnlich mit dem Buchstaben g be- zeichnet. Die beim freien Fall nach t Secunden erlangte Geschwin- digkeit ist demnach v = gt, und der in dieser Zeit durchlaufene Raum s = ½ gt 2 . Die Geschwindigkeit frei fallender Körper ist zu gross, als dass sie mit Genauigkeit gemessen werden könnte; man hat daher, wie wir später sehen werden, zur Messung der Beschleunigung durch die Schwere das Pendel benützt. Die Gesetze des freien Falls lassen sich dagegen mittelst der Atwood’schen Fallmaschine bestä- tigen, bei welcher der Fall dadurch verlangsamt wird, dass man die beschleunigende Kraft vermindert. Im wesentlichen besteht die Fall- maschine aus einer auf eine hohe Säule gesetzten sehr leicht beweg- lichen Rolle (ähnlich der in Fig. 30 gezeichneten), um die ein langer Seidenfaden geschlungen ist, der jederseits genau gleiche Gewichte trägt, so dass Gleichgewicht besteht. Bringt man nun auf der einen Seite ein kleines Uebergewicht an, so wird das Gleichgewicht gestört, und man kann den Fall an einer Scale, vor der sich die Gewichte herabbewegen, beobachten. Der Fall ist in diesem Fall sehr verlang- samt, weil die beschleunigende Kraft bloss aus dem Uebergewicht, die bewegte Masse aber aus den sämmtlichen am Apparat vorhande- nen Gewichten besteht. Nimmt man plötzlich das Uebergewicht weg, so bewegt sich nun nach dem Princip der Trägheit das Gewicht mit gleichförmiger Geschwindigkeit weiter. So lassen sich leicht die zwei Gesetze, dass 1) die erlangte Geschwindigkeit proportional ist der Fallzeit, und 2) der Fallraum proportional dem Quadrat der Fallzeit, experimentell nachweisen. Von den durch die Schwerkraft erzeugten Bewegungen der festen Körper. Die Gesetze des Falls erfahren bestimmte Modificationen, wenn 54 Fall auf der schiefen Ebene. die Körper nicht frei herabfallen können, sondern wenn ihnen entwe- der, weil sie sich auf einer geneigten Unterlage befinden, oder weil sie an einer Drehungsaxe befestigt sind, ein bestimmter Weg vorge- zeichnet ist. Die Bewegung auf der schiefen Ebene und die Bewe- gung des Pendels erfordert daher eine besondere Betrachtung. Fig. 32. Ein auf einer schiefen Ebene A B (Fig. 32) befindlicher Körper wird von derselben um so schneller herabrollen, je grösser der Nei- gungswinkel α der Ebene ist. Wenn die schiefe Ebene nicht vorhanden wäre und der Körper frei herabfallen könnte, so würde er in der ersten Secunde den Weg a b = zurücklegen, da die Mittelgeschwin- digkeit in der ersten Secunde ist (§. 24 u. 53). Wegen der schiefen Ebene kann aber der Körper nur in der Richtung A B herabrollen. Um also die Geschwindigkeit des Herabrollens zu erhalten, müssen wir die Kraft a b nach dem Kräfteparallelogramm zerlegen: wir er- halten so a d als diejenige Kraft, mit welcher der Körper auf die schiefe Ebene drückt und a c = b d als die Kraft, durch die er herabrollt. Nun verhält sich A B : A D wie a b : b d, d. h. der Weg A B, welchen der Körper auf der schiefen Ebene zurücklegt, verhält sich zu dem Wege A D, welchen derselbe zurücklegen würde, wenn er frei herabfallen könnte, umgekehrt wie die in beiden Fällen vor- handene beschleunigende Kraft. Daraus ist zu folgern, dass der herab- gerollte Körper, wenn er den Weg von A bis B zurückgelegt hat, die nämliche Geschwindigkeit besitzt, die er besässe, wenn er frei von A bis D herabgefallen wäre. Denn um so viel kleiner die beschleuni- gende Kraft ist, die auf der schiefen Ebene wirkt, um so grösser ist der Weg, auf welchem sie einwirkt. Verallgemeinend können wir dies Resultat so aussprechen: wenn ein Körper durch die Schwere eine bestimmte verticale Höhe herabkommt, so erhält er dadurch immer dieselbe Geschwindigkeit, welches auch die Bahn sei, die er dabei zurückgelegt hat. Der Winkel d a b ist = α , die auf der schiefen Ebene in t Secunden erlangte Geschwindigkeit ist daher v = g. sin. α . t, und der Fallraum s = . sin. α . t 2 . Die Bewegungen des Pendels sind nach den nämlichen Prin- 55 Bewegungen des Pendels. cipien zu beurtheilen. Man versteht unter einem Pendel ein an einem Faden oder einer Stange aufgehängtes Gewicht, welches um den Auf- hängepunkt als Drehungsaxe schwingen kann. Setzt man voraus, dass der Faden vollkommen gewichtslos sei, dass an der Drehungsaxe keine Reibung stattfinde, und dass das Gewicht einen einzigen Von der Schwere. schweren Punkt darstelle, so nennt man dies ein mathematisches Pendel . Wenn die Linie o f (Fig. 33) dieses Pendel in seiner Ruhe- Fig. 33. lage bezeichnet, so wird, wenn dasselbe in die Lage o a gebracht und dann los- gelassen wird, eine hin- und herschwingende Bewe- gung entstehen, indem der Punkt a durch seine Schwere mit beschleunigter Geschwin- digkeit nach f gelangt, durch die erlangte Geschwindig- keit aber über die Ruhe- lage hinaus bis nach a' weitergeht, dann wieder zu- rück nach f und a schwingt, u. s. w. Man sieht unmit- telbar, dass man es hier mit einem Fall der in §. 27 erörterten Schwin- gungsbewegung zu thun hat. Die Schwere ist die constante Kraft, welche den Punkt in f zu halten strebt, die einmalige Gleichgewichts- störung veranlasst daher fortdauerde Schwingungen um diese Gleich- gewichtslage. Wäre wirklich ein Pendel möglich, bei dem am Auf- hängepunkt o keine Reibung bestände, so müssten die Schwingungen ins unendlich fortdauern. Den Weg a a' oder den diesem Bogen entsprechenden Winkel bezeichnet man auch hier als die Amplitude und die Zeit, welche zu einer einmaligen Hin- und Herschwingung er- forderlich ist, als die Schwingungsdauer . Die Bewegung des Pendels gleicht der Bewegung auf der schie- fen Ebene insofern, als auch hier der schwere Körper zu fallen strebt, aber am freien Fall gehindert ist und desshalb in einer bestimmten Bahn sich bewegen muss. Betrachten wir irgend ein sehr kleines Stück der Kreisbahn, welche der Körper beschreiben muss, z. B. a e oder m q, so können wir die Sache so ansehen, als be- wege sich der Punkt in jedem Augenblick auf einer kleinen schiefen Ebene, und wir können daher ebenso wie für diese die be- schleunigende Kraft bestimmen. Weil aber die Bahn des Pendels aus unendlich vielen solcher sehr kleiner schiefer Ebenen sich zusammen- setzt, so muss auch jene beschleunigende Kraft von Punkt zu Punkt sich verändern. Bezeichnen wir für den Punkt a der Bahn das nach abwärts ziehende Gewicht des Punktes durch a b, so ist die in der Richtung der tangirenden Linie wirkende beschleunigende Componente gleich a e, während die andere Componente a d als ein Zug an dem Befestigungspunkt o wirkt. Am Punkte m ist die beschleunigende Von den durch die Schwerkraft erzeugten Bewegungen der festen Körper. Componente der nämlichen Kraft gleich m q. Man ersieht hieraus unmittelbar, dass die beschleunigende Kraft abnimmt proportional der Annäherung an die Gleichgewichtslage o f, und dass sie in dieser selbst null wird, was wir auch bei der allgemeinen Erörterung der Schwingungsbewegungen schon bewiesen haben. Doch ist dieses Ge- setz bei dem Pendel schon desshalb nur für kleine Schwingungsampli- tuden gültig, weil hier die Schwingung in einem Bogen geschieht, so dass, wie man sich durch die Anschauung überzeugt, die Annäherung des Punktes a an den Punkt f nicht völlig proportional der schon durch- laufenen Bahn zunimmt, sondern für das gleiche Bogenstück a f von a nach m grösser ist als von m nach f. Es gilt daher hier dieses Gesetz nur wenn die Bogen so klein sind, dass sie nahezu mit ihren Sehnen zusammenfallen, was bei den meisten Beobachtungen, in de- nen man das Pendel anwendet, in der That der Fall ist. Unter die- ser Voraussetzung lässt sich aus der proportional der Annäherung an die Gleichgewichtslage eintretenden Abnahme der beschleunigenden Kraft unmittelbar die wichtige Folgerung ziehen, dass die Schwingungs- dauer unabhängig von der Schwingungsamplitude ist, oder dass die Schwingungen des Pendels isochron sind . Bei der Untersuchung des Falls auf der schiefen Ebene haben wir gefunden, dass die von dem schweren Körper erlangte Endge- schwindigkeit gleich derjenigen Geschwindigkeit ist, welche der Kör- per erlangt haben würde, wenn er die nämliche Höhe frei in vertica- ler Richtung herabgefallen wäre. Uebertragen wir dies auf die Be- wegung des Pendels, so muss der schwere Punkt, nachdem er die Bahn a f zurückgelegt hat, in f die nämliche Geschwindigkeit besitzen, als wenn er den Weg i f im freien Fall zurückgelegt hätte. Der Fallraum i f ist nun, wie wir früher fanden, gleich ½ g t 2 , wenn mit g die Beschleunigung durch die Schwere und mit t die zur Zurück- legung des Weges i f gebrauchte Zeit bezeichnet wird. Vergleichen wir aber mehrere Pendel von verschiedener Länge bei gleich bleiben- der Schwingungsamplitude, so werden auch die Höhen i f verschieden, und zwar verhalten sie sich augenscheinlich wie die Längen der ver- glichenen Pendel. Da die Fallräume wachsen wie die Quadrate der Fallzeiten und den letztern offenbar die Schwingungszeiten der Pen- del proportional sind, so folgt hieraus, dass sich auch die Pendel- längen verhalten müssen wie die Quadrate der Schwingungszeiten, oder dass die Schwingungszeiten der Pendel sich verhal- ten wie die Quadratwurzeln der Pendellängen . Die Gesetze vom Isochronismus kleiner Schwingungen und von der Zunahme der Schwingungsdauer mit der Quadratwurzel der Pen- dellänge lassen sich leicht in der Erfahrung bestätigen. Lässt man mehrere Pendel neben einander schwingen, deren Längen sich wie 1, 4, 9 verhalten, so stehen die Schwingungszeiten derselben im Ver- Von der Schwere. hältniss 1, 2, 3, und man beobachtet zugleich, dass, wenn die Schwin- gungen hinreichend klein sind, bei jedem einzelnen Pendel die Schwin- gungsdauer ungeändert bleibt, ob man die Amplitude grösser oder kleiner nimmt. In dem mathematischen Ausdruck des Pendelgesetzes liegen diese besonderen Gesetze sämmtlich eingeschlossen. Bezeichnet man nämlich mit t die Zeit einer einzigen Hin- und Herbewegung, also einer ganzen Schwingung, mit π die Zahl 3,1416, das Verhältniss des Kreisumfangs zum Durchmesser, mit 1 die Pendellänge und mit g die Beschleunigung durch die Schwere, so findet man: Wie die Pendelbewegungen nur ein einzelner Fall der Schwin- gungsbewegungen sind, so ist auch diese Gleichung nur eine Anwen- dung des früher für die Schwingungen einer Masse um ihre Gleich- gewichtslage allgemein abgeleiteten Gesetzes (§. 29). 56 Das physische Pendel. Das mathematische Pendel, bestehend aus einem gewichtslosen Faden mit einem schweren Punkt an dessen Ende, ist eine Fiction, der sich die Wirklichkeit immer nur mehr oder weniger annähert. Jeder einzelne Punkt eines physischen Pendels bildet mit seiner Entfernung von der Drehungsaxe gewissermassen ein mathematisches Pendel, dessen Schwingungsdauer der Quadratwurzel jener Entfernung proportional ist. Das ganze physische Pendel kann man daher als zusammengesetzt aus unendlich vielen mathematischen Pendeln betrachten, und es ist demnach klar, dass die Schwin- gungsdauer desselben nicht etwa derjenigen des mathematischen Pendels von derselben Länge gleich sein kann, sondern von der Vertheilung der das Pendel zusammensetzen- den Massen in Bezug auf die Drehungsaxe abhängig ist. Die Kraft, welche die Bewegung des physischen Pendels unterhält, ist die auf alle Massenpunkte desselben wirkende Schwerkraft, also das Gewicht des Pendels, das man sich vereinigt in dem Schwerpunkte vorstellen kann. Dieses Gewicht wirkt als bewegende Kraft auf sämmtliche Massenpunkte und ertheilt jedem derselben eine Ge- schwindigkeit, die proportional seiner Entfernung vom Drehungspunkt ist. Bezeich- nen wir mit s die Distanz des Schwerpunktes vom Drehungspunkte und nennen wir p die in jedem Augenblick veränderliche, in der Richtung der Tangente der Pendel- bahn wirkende Componente des Gewichtes, so wird durch p. s das statische Moment der auf den Schwerpunkt wirkenden Kraft ausgedrückt. Dieses ertheilt jedem Punkt des Pendels eine lebendige Kraft, die dem Product der Masse des Punktes in das Quadrat seiner Geschwindigkeit proportional ist. Da aber die Geschwindigkeit der Entfernung des Punktes von der Drehungsaxe proportional sein muss, so ist klar, dass die jedem Punkt mitgetheilte lebendige Kraft proportional dem Product der Masse desselben in das Quadrat seiner Entfernung von der Drehungsaxe sein wird. Be- zeichnen wir also die Massen zweier beliebiger Punkte mit m und m', ihre Entfer- nungen von der Drehungsaxe mit r und r', so verhalten sich die in beiden Punkten durch dasselbe statische Moment p. s erzeugten lebendigen Kräfte wie m r 2 : m' r' 2 . Wenn wir die Masse eines jeden Punktes von solcher Grösse wählen, dass die leben- digen Kräfte einander gleich werden, dass also m r 2 = m' r' 2 ist, so besteht zwi- schen den Massen die Proportion m : m' = r' 2 : r 2 , d. h. Massen, welche in ver- schiedenen Abständen von der Drehungsaxe dieselbe lebendige Kraft erlangen sollen, Von den durch die Schwerkraft erzeugten Bewegungen der festen Körper. müssen sich verhalten umgekehrt wie die Quadrate ihrer Abstände von der Drehungs- axe. Nennt man m diejenige Masse, die im Abstand 1 von der Drehungsaxe befind- lich ist, und m 1 eine andere Masse in dem Abstand r 1 , so muss m 1 r 1 2 = m sein. Wenn wir demnach das ganze Pendel so in Massenpunkte zerlegen, dass die sämmt- lichen Producte m 1 r 1 2 , m 2 r 2 2 u. s. w. einander gleich sind, so ist jedes dieser Pro- ducte gleich derjenigen Masse, welche im Abstand 1 von der Drehungsaxe die näm- liche Wirkung erzeugen würde. Wir können auf diese Weise die ganze Masse des Pendels uns in der Einheit des Abstands von der Drehungsaxe durch eine Masse m 1 r 1 2 + m 2 r 2 2 + m 3 r 3 2 .... ersetzt denken, wobei die Bildung dieser Producte sich auf sämmtliche Massenpunkte erstrecken muss. Das Product einer Masse in das Quadrat ihres Abstandes von der Drehungsaxe nennt man das Trägheitsmoment dieser Masse. Man hat diese Bezeichnung dess- halb gewählt, weil nach den in §. 25 entwickelten Gesetzen die Beschleunigung, welche eine gegebene Kraft P erzeugt, durch den Bruch gemessen wird, demnach um so kleiner ist, je grösser die Masse, auf welche die Kraft wirkt. Nun geht aber aus der obigen Erörterung hervor, dass die Ermittelung der Trägheitsmomente aller einzelnen Punkte eines Körpers nichts anderes bedeutet, als dass man sich die ganze Masse des Körpers in einem einzigen Punkt vereinigt denkt; und je grösser die Summe der Trägheitsmomente, um so grösser wird jene vereinigte Masse, um so kleiner also die Beschleunigung sein, welche die gegebene Kraft erzeugt. Die Reihe m 1 r 1 2 + m 2 r 2 2 + m 3 r 3 2 .... pflegt man durch Σ m r 2 zu bezeichnen, wobei das Zeichen Σ andeuten soll, dass man unter ihm eine grosse Summe einzelner Glieder zusammenfasst. Das Trägheitsmoment Σ m r 2 ist also die Masse des Pendels reducirt auf den Abstand 1 von der Drehungsaxe. Nun wirkt aber die Kraft p nicht in der Entfernung 1, son- dern im Schwerpunkt, in der Entfernung s von der Drehungsaxe. Wir müssen also, um die Beschleunigung zu ermitteln, die Masse aus der Entfernung 1 in die Entfer- nung s verlegt denken. In dieser ist nun offenbar eine Masse M dann der der vori- gen gleichwerthig, wenn M s 2 = Σ m r 2 ist. Daraus bestimmt sich die Masse M = . Auf diese Masse wirkt die Kraft p ein und ertheilt ihr eine Beschleunigung . Wenn wir das physische Pendel an der Stelle des mathemati- schen anwenden, so haben wir daher in der Gleichung diesen Werth an die Stelle der Beschleunigung g, und den Abstand s des Schwerpunktes von der Drehungsaxe an die Stelle der Pendellänge 1 zu setzen. Es ergiebt sich so Da das Gewicht p gleich dem Product der Masse des ganzen Körpers in die Be- schleunigung durch die Schwere ist, so kann man hierin noch p = g. Σ m setzen. Es ist also Daraus folgt, dass die Länge eines mathematischen Pendels, dessen Schwingungsdauer derjenigen des physischen gleichkommt, ist. Man nennt daher am Von der Schwere. physischen Pendel den Punkt, welcher in einer dieser Grösse gleichen Entfernung vom Drehungspunkt sich befindet, den Schwingungspunkt und die so bestimmte Linie 1 auch die Länge des physischen Pendels. Man kann nach den angegebenen Principien die Trägheitsmomente geometrisch einfacher Körper durch Rechnung finden. So ist z. B. das Trägheitsmoment einer Kugel vom Radius r und der Masse , das Trägheitsmoment eines Cylin- ders von demselben Radius und derselben Masse . Die Kenntniss der Trägheitsmomente ist erforderlich, wenn man die Pendelschwingungen zur Ermittelung der Grösse g, der Beschleunigung durch die Schwere verwenden will. Nach dem Pen- delgesetz ist . Hierin hat man t durch Beobachtungen zu bestimmen und dann für 1 die Entfernung des Schwingungspunktes von der Drehungsaxe zu setzen. Die einfachste Methode zur Bestimmung von g besteht darin, dass man an einen mög- lichst dünnen Metalldraht eine schwere Metallkugel von bestimmtem Gewicht aufhängt und die Schwingungsdauer des so hergestellten Pendels beobachtet. Man kann ein solches Pendel annähernd als ein mathematisches ansehen, dessen Länge der Entfer- nung des Schwerpunktes der Metallkugel vom Aufhängepunkt gleichkommt. Noch ge- nauere Resultate liefert das Bohnenberger’sche Reversionspendel , welches darauf beruht, dass, wenn das Pendel umgekehrt und der Schwingungspunkt zur Drehungsaxe gemacht wird, nun die frühere Drehungsaxe Schwingungspunkt geworden ist. Man kann leicht durch Versuche diejenigen zwei Punkte eines Pendels, die in diesem wechselseitigen Verhältnisse stehen, auffinden, da in beiden Aufhängepunkten die Schwingungsdauer die nämliche sein muss. Die Distanz der beiden Punkte gibt dann die Pendellänge. Durch in dieser Weise angestellte Pendelversuche ist direct erwiesen worden, dass die Zahl g für alle Körper genau die nämliche ist, dass sie dagegen in den ver- schiedenen Breitegraden der Erde bestimmte Verschiedenheiten zeigt, indem vom Aequator gegen die Pole hin die Länge des Secundenpendels und entsprechend die Beschleunigung g zunimmt. So wurde unter dem Aequator g = 9,780, unter dem 45. Breitegrad g = 9,805, nahe dem Pol g = 9,830 gefunden. Diese Zunahme der Beschleunigung durch die Schwere gegen die Pole hin hat ihren Grund erstens in der abgeplatteten Gestalt der Erde, wodurch ein Punkt am Pol dem Erdmittelpunkt, in welchem man sich die Erdmasse vereinigt denken muss, um 1/299 näher ist, als am Aequator, und zweitens in der am Aequator grösseren Centrifugalkraft, von welcher letzteren wir in §. 59 noch reden werden. Viertes Capitel . Zusammenwirken der Schwere mit andern bewegenden Kräften. 57 Wurfbewegung. Nachdem wir die Bewegung auf der schiefen Ebene und die Pendelbewegung als Modificationen der Fallbewegung erörtert haben, ist noch eine übersichtliche Betrachtung jener Bewegungen erforder- lich, die entstehen, wenn die Wirkung der Schwere mit der Wirkung anderer bewegender Kräfte sich combinirt . Die Zergliederung dieser Bewegungen bietet keine erhebliche Schwierigkeit Zusammenwirken der Schwere mit andern bewegenden Kräften. wenn man, was in den meisten Fällen zulässig ist, nicht nur für die Schwere, sondern auch für die andern einwirkenden Kräfte den Schwer- punkt als den Angriffspunkt betrachtet, wo dann für jeden Moment der Bewegung die Grösse und Richtung der Resultirenden nach dem Satz des Kräfteparallelogramms gefunden werden kann. Aber da die Schwere eine continuirlich und gleichförmig wirkende Kraft ist, wäh- rend die andern Kräfte meist nur momentan oder inconstant einwirken, so findet bei den hier in Frage stehenden Bewegungen sehr häufig von jedem Augenblick zum andern eine Richtungsänderung statt: der allgemeine Charakter dieser combinirten Bewegungen besteht daher darin, dass sie krummlinige Bewegungen sind. (Vgl. §. 26). Ein erstes Beispiel bietet die Wurfbewegung . Bei ihr combi- nirt sich die einem Körper durch die Wurfkraft mitgetheilte geradlinige Bewegung mit der durch die Schwere erzeugten Fallbewegung. Die Wurfkraft ist eine momentane Kraft, durch deren alleinige Wirkung der geworfene Körper sich mit gleichförmiger Geschwindigkeit und ohne Aufhören in gerader Linie fortbewegen würde. Zu ihr tritt aber die continuirlich wirkende Schwerkraft hinzu, welche in jedem Moment die Bahn des Körpers abändert. Nehmen wir an, ein Körper werde von a (Fig. 34) in einer Richtung a h fortgeschleudert, die mit dem Fig. 34. Horizont den Winkel α bildet. Wenn keine andere Kraft auf den Körper einwirkte, so würde er etwa am Ende der 1. Secunde in b, am Ende der 2. in d sein, u. s. w. Nun wirkt aber gleichzeitig die Schwere auf ihn ein, die ihrerseits, wenn sie die allein vor- handene Kraft wäre, den Körper in der ersten Secunde um die Höhe b c = , in der 2. um d e = 4 , in der 3. um f g = 9 und so fort im Verhältniss des Quadrats der Zeiten in verticaler Richtung gegen die Erde bewegen würde. Nach dem Princip der Zusammensetzung der Kräfte muss der Körper unter der gleichzeitigen Einwirkung des Wurfs und der Schwere in jedem Moment an demjenigen Ort sein, den er erreichen würde, wenn wir uns zuerst den Wurf und dann die Schwere wirkend denken. Also am Ende der 1. Secunde befände er sich in Folge des Wurfs in b, gleichzeitig ist er aber durch die Schwere um die Strecke b c vertical herabgefallen. Am Ende der 2. Secunde befände er sich in d, gleichzeitig ist er durch die Schwere um die Strecke d e herabgefallen u. s. f. Verbindet man die Weg- punkte, in denen sich der Körper durch die gleichzeitige Wirkung der Schwere und der Wurfkraft successiv befinden muss, so erhält Wundt , medicinische Physik. 6 Von der Schwere. man eine regelmässig gekrümmte Linie, welche die Gestalt einer Pa- rabel besitzt. Die Geschwindigkeit a b, mit welcher der Körper fortgeschleudert wurde, sei = c; zerlegt man ç in eine horizontale und in eine verticale Componente, a m = x und b m = y, so ist x = c. cos. α und y = c. sin. α . Der Weg w, welchen der Körper nach der Zeit t in horizontaler Richtung zurückgelegt hat, ist = x. t, der Weg v in verticaler Richtung würde = y. t sein, wenn nicht die constante Einwir- kung der Schwere ihn um verkleinert hätte. Man hat daher w = c. cos. α . t und v = c. sin. . Aus der ersten Gleichung folgt . Setzt man diesen Werth in die zweite Gleichung ein, so erhält man , welches die Gleichung einer Parabel ist. v wird in zwei Fällen = o, d. h. die Bahn schneidet in zwei Punkten die Horizontale, wenn w = o, also im Anfang des Wurfs, und wenn ist, was offenbar am Ende des Wurfs stattfinden muss. Der in der letzten Gleichung enthaltene Werth für w, den wir mit w' bezeichnen wollen, drückt daher die Wurfweite a i aus. Man findet . Die Wurfhöhe n e wird erhal- ten, wenn man in der obigen Gleichung zwischen v und w die Hälfte des für w' er- haltenen Werthes einführt. Bezeichnet man diesen Werth für v mit v' so ist . 58 Bewegungen der Himmels- körper. Ein anderes Beispiel combinirter Bewegungen, die durch das Zusammenwirken der Schwere mit einer zweiten Kraft erzeugt werden, bieten die Bewegungen der Himmelskörper . Die Sonne übt auf sämmtliche Planeten, und diese üben gegenseitig auf einander Anziehungskräfte aus, die in derselben Ursache wie die irdische Schwere, in der allgemeinen Anziehung der Massen, ihre Quelle ha- ben. Zu der constant wirkenden Gravitationskraft tritt in diesem Fall eine in der Tangente der Bahn wirkende Kraft hinzu, die man sich als einen einzigen, im Anfang der Bewegung empfangenen Stoss vor- stellen kann, durch den die Himmelskörper, wenn keine andere Kraft wirkte, mit gleichförmiger Geschwindigkeit und in gerader Richtung sich in’s unendliche fortbewegen würden. Die wahren Bewegungen der Himmelskörper sind höchst verwickelter Natur, weil streng ge- nommen alle Himmelskörper gegenseitige Anziehungen auf einander ausüben, die dem allgemeinen Gesetz der Fernewirkung gemäss (s. §. 9) im directen Verhältniss des Products ihrer Massen und im um- gekehrten Verhältniss des Quadrats ihrer Entfernungen stehen. Man kann jedoch mit einer für viele Zwecke ausreichenden Genauigkeit die von den grössten Himmelskörpern, welche der unmittelbaren Beob- Zusammenwirken der Schwere mit andern bewegenden Kräften. achtung schon als Centra der Bewegungen erscheinen, ausgehenden Wirkungen allein berücksichtigen, also z. B. in unserem Sonnensystem die gegen die Sonne gerichtete Gravitation der Planeten als die ein- zige ansehen. Unter dieser Voraussetzung sind die Planetenbahnen Ellipsen , in deren einem Brennpunkt sich die Sonne befindet, die von dem Radiusvector eines jeden Planeten beschriebenen Flächen- räume verhalten sich wie die Zeiten, in denen sie beschrieben sind, und die Quadrate der Umlaufszeiten verhalten sich wie die dritten Potenzen der mittleren Abstände der Planeten von der Sonne. Die drei hier aufgeführten Gesetze der Planetenbewegung werden nach ihrem Entdecker als die Keppler’schen Gesetze bezeichnet. Ein näheres Eingehen auf diesen Gegenstand würde unsern 59 Centralbewe- gungen. Cen- trifugal- und Centripetal- kraft. Zwecken zu ferne liegen. Wir begnügen uns daher eine andere Be- Fig. 35. wegung in geschlossener Bahn zu zergliedern, die wegen der ähn- lichen aber einfacheren Bedingungen, welche bei ihr stattfinden, als ein erläuterndes Beispiel der Central- bewegungen überhaupt, von denen die Planetenbewegungen nur ein besonderer Fall sind, dienen möge. Ein Körper, der bei a (Fig. 35) an einem Faden a c befestigt ist und rasch um den Punkt c gedreht wird, beschreibt einen Kreis, dessen Mit- telpunkt c, und dessen Radius gleich a c ist. Die schwingende Kraft, die den Körper in der Richtung a e bewegt, kann man sich aus zwei Kräften bestehend denken, die sich zu a e wie die Seiten eines Paralellogramms zu seiner Diagonale ver- halten. Die eine dieser Kräfte a b würde den Körper in der Rich- tung der Tangente a f fortschleudern, die andere a d strebt ihn gegen den Mittelpunkt c hin zu ziehen. Die erstere ist, vorausgesetzt dass die Kreisbewegung mit gleichförmiger Geschwindigkeit geschieht, ein einziger Stoss, der im Anfang der Bewegung auf den Körper in der Richtung der Tangente des Kreises einwirkte. Die letztere muss da- gegen eine constant wirkende Kraft sein, da, sobald dieselbe aufhört, der Körper die Kreisbahn verlassen müsste. Diese Zerlegung ist aber nicht bloss eine denkbare, sondern die Kraft a e ist wirklich aus den Kräften a b und a d zusammengesetzt, wie daraus hervorgeht, dass der Körper erstens, sobald man ihn in c loslässt, in der Rich- tung der Tangente sich weiterbewegt, und dass er zweitens, wäh- rend er in c festgehalten wird, auf c einen Zug in der Richtung a g 6 * Von der Schwere. ausübt, der nur dadurch zu Stande kommen kann, dass der Körper selbst in der Richtung a d einen Zug erfährt, welchem nach dem Prin- eip der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung jener Zug in der Richtung a g gleichkommt. In der Richtung der Kraft a b kann selbstverständlich von einer Gegenwirkung desshalb keine Rede sein, weil jene nur als einmaliger Stoss beim Anfang der Bewegung wirkt, wesshalb auch hier die Gegenwirkung nur beim Anfangsstoss vorhan- den war. Man bezeichnet diejenige Kraft, die den Körper nach a f zu schleudern strebt, als Tangentialkraft , diejenige Kraft, die ihn nach c zieht, als Centripetalkraft und die ihr gleiche von ent- gegengesetzter Richtung als Centrifugalkraft . Ebenso wie die Centripetalkraft den Körper nach c hinzieht, strebt die Centrifugalkraft den festen Punkt c nach a zu ziehen. Wenn man mit der Hand einen an einer Schleuder befestigten schweren Körper im Kreise schwingt, so überzeugt man sich von der Existenz der Centrifugalkraft an dem Zug, welchen die Hand erfährt, während die Centripetalkraft in der- jenigen Kraft besteht, welche die Hand zum Festhalten der Schleuder aufwenden muss. Es liegt uns hier im wesentlichen der nämliche Fall von Wirkung und Gegenwirkung vor, als wenn wir gegen einen Kör- per einen Druck ausüben, wobei wir immer selbst einen Druck em- pfinden, der gleich ist dem von uns ausgeübten. Zerlegt man dem- gemäss das keine Stück a e der Kreisbahn in die tangentiale Bewe- gung a b und in die centrale Bewegung a d, so ist, wenn wir die der letzteren correspondirende Kraft bestimmt haben und ausserdem die Geschwindigkeit der in der Kreisbahn geschehenden Bewegung kennen, Alles ermittelt was gesucht werden kann. Nennen wir v die Geschwindigkeit des Körpers und t die Zeit, welche er braucht, um den Bogen a e zurückzulegen, so ist a e = v. t. Die den Körper nach der Richtung a d ziehende Kraft ist eine constante Kraft, bezeich- nen wir dieselbe mit k und die Masse des Körpers mit m, so ist a d = . (S. Gleichung 2, §. 25). Nun verhält sich ferner a l : a e = a e : a d, woraus, da a e = 2 r, wenn wir mit r den Radius des Kreises bezeichnen, a e 2 = 2 r. ad. Substituirt man in diese Gleichung die oben gefundenen Werthe für a e und a d, so folgt . Hieraus findet man als Ausdruck für die Centripetalkraft Wenn also ein Körper mit gleichförmiger Geschwindigkeit eine Kreis- bahn beschreibt, so ist die constante Kraft, welche den Körper nach dem Mittelpunkt des Kreises zieht, gleich dem Product der Masse des Körpers in das Quadrat seiner Geschwindigkeit, dividirt durch den Radius des Kreises. Zusammenwirken der Schwere mit andern bewegenden Kräften. Die Centrifugalkraft ist von grosser Wichtigkeit bei der Drehung der Erde um ihre Axe. Jeder Punkt an der Erdoberfläche verhält sich in Folge derselben wie in dem obigen Beispiel der an dem Fa- den befestigte Stein. Die Centrifugalkraft erklärt zum grossen Theil die gegen den Aequator hin stattfindende Abnahme der Beschleuni- gung durch die Schwere. Diese Abnahme beträgt etwa 1/289 der Schwerkraft; wäre die Drehungsgeschwindigkeit der Erde 17 mal grösser, so würde, wie aus der Gleichung für die Centrifugalkraft her- vorgeht, letztere 17 2 mal oder 289 mal grösser sein, die Körper wür- den in diesem Fall unter dem Aequator kein Gewicht mehr besitzen. Die an den Polen abgeplattete Gestalt der Erde lässt sich eben- falls aus der Centrifugalkraft erklären. Als sich die Erde noch im feuerflüssigen Zustande befand, mussten die an dem Aequator, als der Peripherie der grössten Geschwindigkeit, befindlichen Massen sich ver- möge der Centrifugalkraft am weitesten vom Mittelpunkte entfernen. Wird die Rotationsgeschwindigkeit einer flüssigen Masse so bedeu- tend, dass sie die Schweranziehung überwiegt, so können einzelne Massen sich losreissen. Kant und Laplace haben auf diese That- sache eine Hypothese über die Entstehung des Planetensystems ge- gründet, die sehr viel Wahrscheinlichkeit für sich hat. Nach dieser Hypothese bildete einst unser Sonnensystem eine einzige feuerflüssige Masse, von deren Peripherie sich in Folge der bei der allmäligen Condensation rascher werdenden Rotationsbewegung durch die Centri- fugalkraft die Planetenmassen sich loslösten. Die ganze Betrachtung, die wir oben hinsichtlich eines um einen festen Mittelpunkt im Kreise gedrehten Körpers angestellt haben, kön- nen wir unmittelbar auf die Planetenbewegung übertragen. Auch bei dieser wirken zwei Kräfte zusammen, ein ursprünglicher Stoss in der Richtung der Tangente der Bahn und eine constante Kraft, welche die Planeten gegen die Sonne zieht. Kennt man die Ge- schwindigkeit, die Masse des Planeten und seine Entfernung von der Sonne, so ist hieraus in ähnlicher Weise wie oben die Centrifugalkraft zu finden, und diese muss gleich der Centripetalkraft, d. h. gleich der Anziehungskraft der Sonne sein. Auf dieselbe Weise lässt sich die Anziehungskraft der Erde gegen den Mond bestimmen, und diese Be- stimmung hat das Ergebniss geliefert, dass die Kraft, mit welcher die Erde den Mond anzieht, sich verhält wie 1 : 60 2 . Nun beträgt die Entfernung des Mondes von der Erde das 60fache des Erdhalbmessers, und da alle in die Ferne wirkenden Kräfte im umgekehrten Verhält- niss des Quadrats der Entfernungen abnehmen, so folgt hieraus, dass die Kraft, welche den Mond gegen die Erde zieht, identisch ist mit der irdischen Schwere. Eine besondere Form zusammengesetzter Bewegungen, die gleich- 60 Bewegungen des menschli- chen Körpers. Von der Schwere. falls auf ein combinirtes Wirken der Schwere mit andern Naturkräften zurückzuführen sind, bilden die Bewegungen des menschlichen Körpers . Bald verändert der Körper als Ganzes seinen Ort, bald ändern einzelne, durch Gelenke verbundene Theile desselben ihre ge- genseitige Lage. Die Ortsbewegungen , die der Körper beim Gehen und Laufen ausführt, sind zwar höchst zusammengesetzt, lassen sich aber in ihren wesentlichen Zügen in sehr einfacher Weise aus seither erörterten mechanischen Principien erklären. Da das Gewicht des menschlichen Körpers vereinigt in seinem Schwerpunkt zu denken ist, so können wir auch die andern Kräfte, die bei der Ortsbewegung thätig sind, so betrachten, als wenn der Schwerpunkt ihr Angriffspunkt wäre, um dann die Bewegung des letztern aus der Zusammensetzung der Kräfte abzuleiten; wir substituiren so der Bewegung des ganzen Körpers die Bewegung seines Schwerpunktes, ähnlich wie wir seine Fig. 36. Masse im Schwerpunkt vereinigt vorstellen. Es sei a der Schwerpunkt und p = a b das vertical nach ab- wärts ziehende Gewicht des Körpers. Die Kraft s, durch welche sich beim Gehen und Laufen der Kör- per vorwärts bewegt, wird durch das sich hinter dem Schwerpunkt in der Richtung d e gegen den Boden stemmende Bein ausgeübt. Der Punkt e, gegen wel- chen der Fuss des stemmenden Beins drückt, muss hinter dem Fusspunkt f des vom Schwerpunkt gezo- genen Lothes a f liegen. Man kann sich die Kraft s auf einem beliebigen Stück der Linie e d wirksam denken. Nehmen wir also b d = s, so können wir b d nach dem Kräfteparallelogramm in eine verticale und in eine ho- rizontale Seitenkraft, a b und a d, zerlegen. Die erstere wirkt der Kraft p entgegen, und sie muss, wenn der Körper nur horizontal vor- wärts bewegt werden soll, = p sein; die Seitenkraft a d = w bewegt den Schwerpunkt nach vorwärts. Man beobachtet, dass beim gewöhn- lichen Gehen der Schwerpunkt des Körpers keine erheblichen Schwan- kungen in verticaler Richtung macht, woraus zu schliessen ist, dass die verticale Seitenkraft a b immer dem Gewichte p gleichkommt. In dieser Bedingung ist die Grösse der vorwärts bewegenden Kraft bei einem bestimmten Winkel α des stemmenden Beins mit der Verticalen unmittelbar gegeben. Man sieht, dass mit dem Winkel α die Grösse der Stemmkraft zunehmen muss, wenn die Seitenkraft a b fortan dem Gewicht p gleich bleiben soll, dass dann aber die vorwärts bewegende Seitenkraft a d nothwendig ebenfalls zunimmt. Die Kraft s wirkt in regelmässigen Pausen, die Seitenkraft a d = w würde daher, wenn der Körper beim Gehen keinen Widerstand zu überwinden hätte, den- selben mit beschleunigter Geschwindigkeit vorwärts bewegen. Hier verhält sich nun der menschliche Körper beim Gehen ähnlich wie ein Zusammenwirken der Schwere mit andern bewegenden Kräften. durch irgend eine Kraft geförderter Wagen. Der Boden setzt der Be- wegung des Wagens einen Widerstand entgegen, welcher wächst mit der Geschwindigkeit der Bewegung. Wie gross also auch die Kraft sein möge, mit welcher der Wagen gefördert wird, es muss ein Punkt kommen, wo der Widerstand des Bodens mit derselben ins Gleich- gewicht tritt, von wo an also die Bewegung nicht mit beschleunigter sondern mit gleichförmiger Geschwindigkeit erfolgen muss, indem nun die in jedem Moment angewandte Kraft im Gleichgewicht steht mit ihrem Widerstand. Bei den Ortsbewegungen des menschlichen Kör- pers wird diese Grenze sehr schnell erreicht. Denn indem das eine Bein durch seine Stemmkraft den Körper vorwärts bewegt, fällt das andere Bein vor und wird auf den Boden aufgesetzt, wodurch es an diesem sogleich einen Widerstand findet, der die ganze vom stemmen- den Bein erzeugte Horizontalkraft aufhebt, und der die Ortsbewegung völlig hemmen würde, wenn nicht alsbald dieses Bein selbst eine Stemmkraft erzeugte, die dann wieder der vom ersten Bein gefundene Widerstand aufhebt, u. s. f. Durch diese abwechselnde Wirkung der beiden Beine ist das Gehen eine periodische Bewegung. Den- noch nähert es sich der gleichförmigen Bewegung eines rollenden Wa- gens oder anderer Bewegungsmechanismen, bei denen eine constant wirkende Kraft einen ebenso constanten Widerstand zu überwinden hat, weil die Stemmkräfte beider Beine sehr schnell sich ablösen, so dass nur eine fast verschwindende Zwischenzeit bleibt, in welcher keine vorwärtstreibende Kraft auf den Schwerpunkt einwirkt. Aehn- lich wie das Rad eines Wagens vom Boden sich löst, so wird zuerst durch eine Streckung im Kniegelenk der Oberschenkel des stemmen- den Beins auf dem eine feste Stütze bildenden Unterschenkel und dann durch die Streckung im Fussgelenk der Fuss allmälig vom Boden ab- gewickelt, und indem, ebenso wie am rollenden Rad, die Loslösung von hinten nach vorn fortschreitet, übt jeder einzelne Theil der Fuss- sohle im Moment, in welchem er gehoben wird und den Boden zu- rückstösst, die stemmende Kraft aus. Diese wirkt also nicht als ein in bestimmten Perioden sich wiederholender momentaner Stoss, son- dern als eine während der Abwickelungszeit annähernd constant blei- bende Kraft. Wird das Bein, ähnlich wie eine Stelze, mit einem mo- mentanen Stoss vom Boden gelöst, so wird die fortbewegende Kraft und die Länge jedes einzelnen Schritts dadurch bedeutend verringert; diese Bewegungsweise ist daher langsamer und erfordert eine ungleich grössere Muskelanstrengung. Als periodische Bewegung betrachtet, zeichnet sich die mensch- 61 Anwendung des Pendelge- setzes auf die Gehbewegun- gen. liche Ortsbewegung durch grosse Regelmässigkeit in der Aufeinander- folge der Perioden aus. Diese Regelmässigkeit kommt hauptsächlich dadurch zu Stande, dass die Gesetze des Pendels auf die Bewegungen Von der Schwere. der Beine ihre Anwendung finden. Während das eine Bein sich ab- wickelt, schwingt das andere, im Kniegelenk etwas gebeugt, nach vorn. Nun ist jeder um eine Drehungsaxe schwingende Körper als ein physisches Pendel anzusehen, dessen Schwingungsdauer von seiner Länge und Massenvertheilung abhängig ist. Wir beobachten daher beim gewöhnlichen Gehen einen Isochronismus der Schritte, der in dem Isochronismus der Pendelschwingungen seinen Grund hat und das gleichmässig sich wiederholende Abwickeln des stemmenden Fusses vom Boden bedingt. Die Schwingungsdauer des einen Beins ist beim normalen Gehen gleich der Abwickelungsdauer des andern Beins. Im Moment, in welchem die letztere beendet ist, fällt das erstere auf den Boden und beginnt sogleich seinerseits sich abzu- wickeln, während gleichzeitig das andere seine Schwingung beginnt. Die Abwickelung kann mit ziemlich verschiedener Geschwindigkeit vor sich gehen; sie geschieht um so rascher, je schneller wir gehen wollen. Da hingegen die Schwingungsdauer bei gegebener Länge der pendelnden Beine sich nicht verändern kann, so kann das schwin- gende Bein nicht immer einen vollständigen Schwingungsbogen wäh- rend der Abwickelung zurücklegen; es wird also dann, weil Ab- wickelung und Schwingung gleich lang dauern, der Schwingungsbogen unterbrochen. Beim langsamen Gehen dauert die Abwickelung ent- weder genau so lange, dass ein voller Schwingungsbogen zurückge- legt werden kann, oder sogar noch etwas länger, so dass beide Beine eine merkliche Zeit gleichzeitig auf dem Boden aufruhen, und in die- sem Fall halbirt dann das von der Drehungsaxe der Schenkelköpfe auf den Boden gefällte Loth den Winkel, den die beiden Beine, während sie auf dem Boden aufstehen, mit einander bilden. Bei schnellerem Gehen wird der Schwingungsbogen in seiner zweiten Hälfte unterbrochen, es ist also nun der nach vorn vom Loth liegende Winkel kleiner als der hintere. Beim schnellsten Gehen endlich wird der Schwingungsbogen ziemlich genau in seiner Hälfte unterbrochen, das Loth trifft dann mit dem Fusspunkt des vordern Beins zusammen. Mehr als um den halben Schwingungsbogen kann das Pendeln der Beine nicht verkürzt werden, weil beim Aufsetzen des Fusses die Drehungsaxe unterstützt sein muss. Beim Laufen, wo die Abwickelungs- zeit noch kürzer als die Dauer eines halben Schwingungsbogens ist, sind daher während einer kurzen Zeit beide Beine gleichzeitig vom Boden entfernt. Ein weiteres Hülfsmittel, welches stets beim schnellen Gehen und Laufen zur Anwendung kommt, besteht in der Senkung des Rumpfes. Je niedriger die Drehungsaxe der Schenkelköpfe über dem Boden getragen wird, um so kürzer werden die pendelnden Beine, und um so schneller gemäss dem Pendelgesetz ihre Schwingungen. Dieses Hülfsmittel wirkt der sonst durch die Verkürzung der Abwickelungs- Zusammenwirken der Schwere mit andern bewegenden Kräften. zeit erzeugten Abkürzung des Schwingungsbogens entgegen; denn wenn die Schwingung schneller erfolgt, so kann das pendelnde Bein nun trotz der kurzen Dauer der Abwickelung doch einen grösseren Theil seines Schwingungsbogens zurücklegen. Man beobachtet daher, dass beim schnellen Gehen nicht nur die durch Schwingungsdauer und Abwickelungszeit bestimmte Schrittdauer verkürzt, sondern auch die durch die Schwingungsamplitude bestimmte Schrittlänge ver- grössert ist, so dass die möglichst günstigen Bedingungen der raschen Ortsbewegung immer zusammen vorkommen. Endlich ist noch die Lage des Schwerpunktes und demnach die 62 Anwendung der Lehre vom Schwerpunkt auf die Gehbe- wegungen. dieselbe bestimmende Haltung des Rumpfes nach der Geschwindigkeit des Gehens etwas verschieden. Der Schwerpunkt des Körpers be- findet sich über der Drehungsaxe der Schenkelköpfe in labilem Gleichgewicht. Der durch das stemmende Bein ihm ertheilte Stoss würde bewirken, dass er ähnlich wie ein horizontal fortgeworfener Körper in einem Bogen zu Boden fiele, wenn nicht das pendelnde Bein ihn zu rechter Zeit unterstützte. Dies könnte aber um so leich- ter eintreten, je rascher die Schwingungsdauer und die Abwickelungs- zeit ist. Bei schnellem Gehen ist daher die grösste Sicherheit, dass der Schwerpunkt von dem aufgesetzten Bein unterstützt werde, dann vorhanden, wenn der Schwerpunkt, also der ganze Rumpf, möglichst weit nach vorn geneigt wird. Der Rumpf mit seinem labilen Gleich- gewicht verhält sich dabei ähnlich wie ein Stock, den wir vertical auf einem Finger balanciren, während wir zugleich uns vorwärts bewegen. Wir müssen den Stock stets nach vorn, nach der Richtung, in der er bewegt wird, neigen, und um so mehr, je schneller er bewegt wird, wenn er nicht rückwärts fallen soll. Die ganze Vorwärtsbewegung des Körpers beim Gehen und Laufen kann man sich vorstellen als eine in sehr schneller Aufeinanderfolge geschehende horizontale Wurf- bewegung, bei der die Componente des Falls immer wieder durch die abwechselnd den Schwerpunkt unterstützenden Beine vernichtet wird. Da nun ferner bei dieser Bewegung, während der Rumpf nach vorwärts geworfen wird, stets zugleich das eine Bein ebenfalls nach vorwärts pendelt, so könnte die Bewegung nicht in vollkommen gerader Rich- tung erfolgen, sondern, während der Rumpf um die Axe der Schen- kelköpfe sich dreht, müsste er zugleich durch das pendelnde Bein etwas um seine Längsaxe gedreht werden, es würden also abwech- selnde Drehungen nach rechts und links erfolgen, wenn nicht in den gleichzeitigen Bewegungen der Arme eine Compensationsvorrichtung gegeben wäre. Während nämlich das Bein von hinten nach vorn schwingt, schwingt gleichzeitig der Arm der nämlichen Seite von vorn nach hinten und der Arm der entgegengesetzten Seite von hinten nach vorn. Dadurch erzeugen die beiden Arme ein Drehungsmoment, wel- Von der Schwere. ches dem Drehungsmoment des schwingenden Beins entgegenwirkt, so dass die horizontale Vorwärtsbewegung ausschliesslich übrig bleibt. 63 Mathematische Darstellung der Hauptgesetze des Gehens. Die Hauptgesetze für die menschliche Ortsbewegung lassen sich aus einer ein- fachen geometrischen Betrachtung ableiten. Die Stellung der beiden Beine b f = r und b e = l (Fig. 36) sei eine solche, dass r vollkommen vertical auf dem Boden aufsteht, dagegen l, welches durch sein Anstemmen gegen den Boden die Fortbewe- gung des Schwerpunktes hervorbringt, mit r einen Winkel α bildet. Die Kraft, welche l bei einer gegebenen Grösse des Winkels α auszuüben hat, ist dadurch bestimmt, dass nur eine horizontale Fortbewegung des Schwerpunktes stattfinden soll, dass also die verticale Componente der von l ausgeübten Streckkraft = p (dem Körpergewicht) sein muss. Zwischen r und l besteht, weil der Voraussetzung nach das Dreieck b f e rechtwinklig ist, die Beziehung l 2 = r 2 + m 2 , wo m die Schrittlänge f e bezeich- net, und wegen der Aehnlichkeit der Dreiecke b a d und b f e ist , woraus sich ergiebt . Diese Formel besagt zunächst, dass die Wider- standskraft oder die ihr gleiche Kraft der horizontalen Fortbewegung zunehmen muss mit dem Gewicht des Körpers, dass sie aber ausserdem um so grösser wird, je grösser die Schrittlänge und je kleiner die Länge der Beine ist. Um nun weiterhin die Beziehung der Geschwindigkeit zu den angegebenen Ele- menten der Ortsbewegung zu finden, wollen wir annehmen, die horizontale Componente w der Streckkraft wirke während der ganzen Abwickelungszeit des Fusses, während deren das andere Bein in der Luft pendeln soll, gleichförmig beschleunigend, und erst im Moment des Aufsetzens werde die erzeugte lebendige Kraft durch den Widerstand des Bo- dens vernichtet. Der Antrieb der vorwärtsbewegenden Kraft ist dann, wenn wir wieder mit m die Schrittlänge bezeichnen, w. m = . (Gl. 3, §. 25). Daraus folgt w m = , und hieraus erhält man endlich , d. h. die Endge- schwindigkeit bei jedem Schritt ist proportional der Schrittlänge und umgekehrt proportio- nal der Quadratwurzel der Beinlänge. Die Bedingungen, die wir hier vorausgesetzt haben, werden nun nach unsern früheren Erörterungen nahehin beim schnellsten Gehen rea- lisirt sein, wo als Grenzfall gerade die Mitte des Schwingungsbogens durch das plötz- liche Aufsetzen des pendelnden Beins unterbrochen wird (§. 61). Hier wächst wirk- lich, wie man sich auch durch die Beobachtung überzeugen kann, die Geschwindigkeit von null bis zu einem Maximum, um dann plötzlich durch das Auffallen des schwin- genden Beines wieder auf null zu sinken. Aber auch wo die obigen Voraussetzungen erhebliche Veränderungen erfahren, wie beim langsamen Gehen und beim Laufen, wird offenbar die Abhängigkeit von Schritt- und Beinlänge die nämliche sein. Denn man wird sich in einem solchen Fall die Dauer eines jeden Schritts in einzelne Perioden zerlegt denken können, für deren jede, wenn wir mit w' die während einer sehr kur- zen Zeit wirksame vorwärtstreibende Componente und mit m' den entsprechenden sehr kleinen Theil der Schrittlänge bezeichnen, w'. m' = ist, wo v' die in der betrachteten sehr kurzen Zeit erreichte Geschwindigkeit bedeutet. Um nun etwa die mittlere Geschwindigkeit während der ganzen Schrittdauer zu finden, muss man die einzelnen für die wechselnden Werthe von w' und m' erhaltenen Geschwindigkeiten v' summiren und die Summe durch die Schrittdauer t dividiren. Dabei bilden die Sum- Zusammenwirken der Schwere mit andern bewegenden Kräften. men von m' die ganze Schrittlänge m, und ebenso ist in dem für p eingesetzten Werthe die Grösse r constant, also wird auch unter der Voraussetzung, dass w nicht constant ist, die Abhängigkeit von r und m dieselbe bleiben. Um un- ter dieser richtigeren Voraussetzung und für die einzelnen Fälle des langsamen Gehens, schnellen Gehens, Laufens u. s. w. die Gesetze der Gehbewegungen abzulei- ten, muss man den einzelnen Schritt auf ähnliche Weise in unendlich kleine Perioden zerlegen, wie wir in §. 29 eine Schwingung zerlegt haben, und schliesslich die wäh- rend aller dieser Perioden stattfindenden Wirkungen summiren. Das Problem der Gehbewegungen ist daher ein complicirtes Schwingungsproblem . Die mathe- matische Lösung der hier sich darbietenden Aufgaben liegt jedoch ausserhalb der Grenzen unserer Darstellung, und wir verweisen in dieser Beziehung auf W. und Ed. Weber , Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge, Göttingen 1836. Die Ortsbewegungen der vierfüssigen Thiere sind im Vergleich 64 Ortsbewegun- gen der vier- füssigen Thiere. Flug- und Schwimmbewe- gungen. zu denjenigen des Menschen erstens durch die Verdoppelung der Stemmkräfte und zweitens durch die Lage des Schwerpunktes erleich- tert. Dieser befindet sich nicht über einer einzigen Drehungsaxe im labilen Gleichgewicht, sondern stabil zwischen der Drehungsaxe der vordern und derjenigen der hintern Extremitäten. Nur beim Vogel ist die Lage des Schwerpunktes für die Gehbewegungen noch un- günstiger, indem derselbe wegen des relativ gewichtigeren Thorax viel weiter oben liegt. Um so mehr kommt diese Lage des Schwerpunk- tes bei den Flugbewegungen zu statten. Indem der Vogel fliegt, stösst er mit beiden Flügeln die Luft zurück, und diese muss ihn da- her nach dem Princip der Gegenwirkung mit gleicher Kraft vorwärts stossen. Am günstigsten ist diese Wirkung in dem Moment, in wel- chem die Flügel horizontal ausgespannt sind: der Körper des Vogels wird dann durch die auf beide Flügel ausgeübten Parallelkräfte, deren Resultirende gleich ihrer Summe ist und mit der Längsaxe des Vo- gels zusammenfällt, fortgetrieben. Sind die Flügel nicht horizontal, so bilden die auf jeden wirkenden Kräfte zwei Seiten eines Kräfte- parallelogramms, dessen Diagonale die nach der Längsaxe des Vogels gerichtete Resultirende ist. Auf demselben Princip beruhen die Be- wegungen beim Schwimmen. Der Schwimmer übt gleichzeitig mit den Armen und Füssen Stösse gegen das Wasser aus: die Gesammtkraft in der Richtung der Längsaxe des Körpers wird hier durch die Re- sultirenden zweier Kräfteparallelogramme gebildet, deren eines vor dem Schwerpunkte liegt und durch den Stoss der Arme entsteht, wäh- rend das andere, das sich hinter dem Schwerpunkt befindet, durch den Stoss der Füsse erzeugt wird. Aehnlich wie die Ortsbewegungen des ganzen Thierkörpers aus 65 Bewegungen der einzelnen Scelettheile. einem Zusammenwirken der Schwere mit andern Kräften hervorgehen, so auch die Bewegungen der einzelnen Scelettheile gegen einander. Das ganze Scelet besteht aus einer Anzahl einarmiger Hebel, die in Von der Schwere. der complicirtesten Weise zusammenwirken. Der Schwerpunkt jedes einzelnen beweglichen Scelettheils, oder, wenn noch ein äusseres Ge- wicht an dem betreffenden Theil wirkt, der ihm und dem Gewicht ge- meinsame Schwerpunkt, ist der Angriffspunkt der Last. Jede Inser- tionsstelle eines Muskels ist dagegen Angriffspunkt einer Kraft. Dabei kann übrigens den Angriffspunkten einer im gleichen Sinne wirkenden Muskelgruppe meistens ein einziger Angriffspunkt substituirt werden. Durchweg befindet sich der Angriffspunkt der Kraft viel näher an dem Gelenkende, in welchem die Bewegung stattfindet, als der Angriffs- punkt der Last. Die Theile des Scelets sind also nicht Krafthebel, sondern Geschwindigkeitshebel. Zugleich ist die Zugrichtung der Kräfte eine äusserst ungünstige, da die Muskeln unter sehr spitzen Winkeln an den Knochen sich ansetzen. Die speciellere Erörterung der Gelenkbewegungen muss, da sie sich von der Betrachtung der einzelnen Gelenke nicht trennen lässt, der Physiologie überlassen bleiben. S. Lehrb. der Physiologie, §. 231. Um sich die complicirten Gelenkbewe- gungen der Scelettheile nur an einem einzigen Beispiele anschaulich zu machen, beo- bachte man die Bewegungen der Hand beim Schreiben oder bei der Führung eines Präparirmessers. Beim Schreiben wird die Feder zwischen den ersten Phalangen des Daumens und Zeigefingers festgehalten und ruht auf dem Mittelfinger. Die Feder selbst ist ein Hebel, der je nach dem geforderten Umfang der Bewegungen bald um den weiter nach vorn liegenden Unterstützungspunkt des Zeigefingers, bald um den mehr zurückliegenden Unterstützungspunkt des Daumens sich dreht. Die Phalangen der Fin- ger wechseln dem entsprechend in ihren zusammengesetzten Hebelbewegungen. II. Physik der Flüssigkeiten. Fünftes Capitel . Vom flüssigen Aggregatzustand. 66 Cohäsion, Zu- sammendrück- barkeit, Volum lum und Form der Flüssigkei- ten. Wir haben den flüssigen Aggregatzustand als denjenigen bezeichnet, in welchem die einzelnen Theilchen eines Körpers so ge- ringe Anziehungskräfte auf einander ausüben, dass sie nicht fest mit einander verbunden bleiben, sondern leicht ihre Lage wechseln. Dess- halb ist jede Kraft, insbesondere aber auch die Schwere auf die Flüs- sigkeiten von weit bedeutenderem Einfluss als auf die festen Körper. Die Schwerkraft wirkt auf jedes Theilchen einer Flüssigkeit ebenso wie auf jedes Theilchen eines festen Körpers. Aber da die Molecüle des letzteren durch ihre gegenseitigen Anziehungskräfte festgehalten sind, so wird durch die Anziehung der Schwerkraft die Form der fe- sten Körper nicht merklich beeinflusst. Dagegen überwiegt die Ein- wirkung der Schwere auf die Theilchen einer Flüssigkeit über die gegenseitige Anziehung dieser Theilchen. Die Form einer ruhenden Vom flüssigen Aggregatzustand. Flüssigkeit ist daher durch die Schwere bestimmt und eben desshalb abhängig von der Form des Raumes, in welchem sich die Flüssigkeit befindet. Indess so die Flüssigkeiten durch die Verschiebung ihrer Theilchen gegen einander sehr leicht ihre Form verändern, besitzen sie dagegen, wenn die Temperatur dieselbe bleibt, ein viel constante- res Volum als die festen Körper. Während man durch Zusammen- drückung oder Ausdehnung die Dichtigkeit eines festen Körpers nicht unerheblich vergrössern oder vermindern kann, ist bei den Flüssig- keiten nur eine Verminderung des Volumens, und auch diese nur in äusserst geringem Maasse und durch Anwendung sehr bedeutender äusserer Druckkräfte möglich. Aus diesem Grunde ist die Compressi- bilität der Flüssigkeiten auch schwierig zu beobachten. Denn das Gefäss, in welchem man eine Flüssigkeit zusammendrückt, giebt dem Drucke weit mehr nach als die Flüssigkeit selber. Indem jedoch Regnault die Compressionsversuche so anstellte, dass das Gefäss, in welchem sich die Flüssigkeit befand, einem ebenso grossen Druck auf ihre Aussenwand ausgesetzt wurde, als der Druck auf die in ihm befindliche Flüssigkeit betrug, beobachtete er eine Volumverminderung, die proportional dem Drucke zunahm. Diese Volumverminderung ist so klein, dass für practische Zwecke die Flüssigkeiten immerhin als incompressibel angesehen werden können. Auf das einzige sehr wirk- same Mittel, das wir besitzen, um die Dichtigkeit der Flüssigkeiten zu vermindern oder zu vergrössern, die Wärmezufuhr oder Wärmeentzie- hung, werden wir in dem Abschnitte von der Wärme zurückkommen. Die geringe Zusammendrückbarkeit der Flüssigkeiten erklärt sich aus den geringen Anziehungskräften, welche deren Molecüle auf einander ausüben. Bei gewöhnlichem Atmosphärendruck ist nahezu Gleichgewicht zwischen der Anziehung und Abstossung ihrer Theilchen vorhanden. Steigert man nun den Druck, so müssen sogleich bedeu- tende abstossende Kräfte zwischen den Molecülen entstehen, die eine grössere Annäherung derselben sehr schwierig machen. Vermindert man anderseits den Druck dadurch, dass man über der Flüssigkeit einen luftleeren Raum herstellt, so werden die Molecüle an der Ober- fläche der Flüssigkeit von ihren Nachbartheilchen losgerissen, so dass sie aus deren Anziehungssphäre hinausgerathen: die Flüssigkeit ver- dampft , sie geht in den gasförmigen Aggregatzustand über. Da jedes Theilchen einer Flüssigkeit unter dem Einfluss der auf dasselbe ausgeübten Schweranziehung sich unabhängig bewegen kann, bis es entweder an andern Flüssigkeitstheilchen oder an einer festen Wand einen Widerstand findet, so ist klar, dass eine Flüssigkeit nicht nur die Form des Gefässes annimmt, in welchem sie sich be- findet, sondern dass auch die Oberfläche derselben horizontal , senk- recht gegen die Richtung der Schwere ist. Jeder Punkt der freien Oberfläche muss gleich weit von dem Erdmittelpunkt entfernt sein. Von der Schwere. Der Spiegel des Meeres entspricht daher der Oberfläche des Erd- ellipsoids. Sechstes Capitel . Druck und Gleichgewicht der Flüssigkeiten. 67 Fortpflanzung des Drucks in Flüssigkeiten. Isolirt muss jedes Flüssigkeitstheilchen gerade so wie ein fester Körper gegen den Erdmittelpunkt fallen und, wenn es durch eine Un- terlage daran gehindert ist, auf diese Unterlage einen der Grösse seiner Masse entsprechenden Druck ausüben. Wenn sich nun eine Fig. 37. aus sehr vielen solcher Theilchen bestehende Flüssigkeit in einem Gefässe A B befindet (Fig. 37), so bildet für die oberste Flüssig- keitsschichte a b die zweite Flüssigkeits- schichte c d die Unterlage, die dritte Schichte e f bildet für die beiden Schichten a b und c d die Unterlage u. s. f., bis endlich auf der untersten Schichte m n die ganze Masse von a b bis m n ruht, und diese Masse ein- schliesslich der Schichte m n selbst ruht zuletzt auf dem Boden o p des Gefässes. Dieser erfährt also einen Druck, der dem Gewicht der ganzen Flüssigkeit a b m n gleich ist. Ebenso erfährt aber irgend eine Schichte i k der Flüssigkeit selber einen Druck, welcher dem Gewicht der über ihr stehenden Flüssigkeitsmasse a b i k gleich ist. Jrgend ein kleines Stück x y des Bodens wird dagegen nur durch die Flüssigkeitssäule h l x y, und ein Stück r s der Schichte i k durch die Flüssigkeitssäule h l r s belastet. Die Pressung, die ein beliebiges Theilchen innerhalb einer Flüssigkeit erfährt, ist einfach gleich dem Gewicht aller der Flüssigkeitstheilchen, die auf ihr liegen. Nun haben wir aber gesehen, dass jedes Theilchen innerhalb einer Flüssigkeit durch die geringsten äusseren Kräfte nach jeder Richtung verschiebbar ist. Das Theilchen r würde z. B. in Folge des Drucks, den die Flüssigkeitssäule r h auf dasselbe ausübt, ebenso gut in der Richtung r x als in der Richtung r k oder r i ausweichen, wenn es nicht durch die ringsum gelagerten andern Theilchen daran gehindert würde. Da es nun nicht ausweichen kann, so übt es auf die sämmt- lichen unten und zur Seite gelagerten Theilchen einen Druck aus, der dem Gewicht der Säule h r entspricht. Auch irgend ein Punkt α der Seitenwand des Gefässes erfährt also einen Druck, welcher der Höhe a α entspricht, und eine grössere Fläche α β dieser Wand erfährt ei- nen Druck, der dem Druck der sämmtlichen an α β stossenden Theil- chen entspricht, der also durch das Gewicht einer Flüssigkeitssäule gemessen wird, welche das Flächenstück α β zu ihrer Basis und die von der Mitte γ dieses Flächenstücks an bis zur Oberfläche der Flüs- Druck und Gleichgewicht der Flüssigkeiten. sigkeit gemessene Entfernung a γ zu ihrer Höhe hat. Ganz ebenso verhält sich natürlich irgend ein Theil der Flüssigkeit, den man sich auf einer verticalen Durchschnittsfläche liegend denkt. Nehmen wir nun an, das Gefäss A B sei vollständig mit Flüssigkeit angefüllt und zugleich überall hermetisch verschlossen, ausgenommen an der Stelle Fig. 38. h l (Fig. 38): hier soll sich eine Oeff- nung und in dieser ein Kolben K be- finden. Wenn auf den Kolben ein Druck ausgeübt wird, so muss die Wirkung desselben die nämliche sein, als wenn sich über h l noch einmal eine Flüssigkeitssäule befände, deren Gewicht der Grösse des Drucks gleich ist. Ist die Grösse des Drucks gleich P, so hat jede unterhalb h l befind- liche und demselben gleiche Fläche, z. B. r s oder x y, ausser dem Gewicht der darüber stehenden Flüssigkeit noch einen Druck gleich P auszuhalten. Da aber der Druck in der Flüssigkeit nach allen Richtungen sich gleichmässig fortpflanzt, so wird jeder Theil der Flüssigkeit oder der Gefässwand, welche Lage er auch haben mag, sobald er ebenso gross wie h l ist, ebenfalls un- ter dem Druck P stehen. So werden also z. B. die zwei neben ein- ander befindlichen Flächenstücke x y und y z jedes den Druck P, beide zusammen also den Druck 2 P erfahren. Aehnlich wird ein beliebiger anderer Theil der Flüssigkeit oder der Gefässwand einen Druck er- fahren, der sich zur Kraft P verhält wie die Grösse des betrachteten Flächenstücks zur Grösse der Fläche h l, auf welche die Kraft P ein- wirkt. Hierdurch ist offenbar die Möglichkeit dargeboten, mit verhält- mässig kleinen Kräften grosse Wirkungen auszuüben. Bringen wir z. B. bei α β einen zweiten Kolben K' an, der sich hier in einer dop- pelt so weiten Röhre bewegt, so werden wir, sobald wir auf den Kol- ben K die Kraft P wirken lassen, mittelst des Kolbens K' eine Kraft 2 P ausüben können; mit dem Kolben K' kann man also ausserhalb des Gefässes eine doppelt so grosse Arbeit leisten, als man zur Be- wegung des Kolbens K brauchte; man kann z. B. ein Gewicht 2 P weiterfördern, einen Druck 2 P auf einen Körper ausüben u. s. w. Auf diesem Princip beruht die hydraulische Presse . Die in Fig. 38 gezeichnete Vorrichtung selbst ist eine einfache hydraulische Presse. Wenn wir dem Kolben α β einen hundertmal grösseren Durchmesser geben als dem Kolben h l, so vermögen wir die hundertfache Kraft zu erzeugen, und es erhellt somit, wie durch Vorrichtungen dieser Art mittelst sehr mässiger Kräfte sehr bedeutende Wirkungen erzielt wer- den können. Es handelt sich aber in diesen Fällen, wie man leicht sieht, keineswegs um ein wirkliches Erzeugen von Kraft, was unmög- Von der Schwere. lich ist, sondern, ähnlich wie beim Krafthebel, um eine Umwandlung von Geschwindigkeiten in Druckkräfte. Wenn der Kolben α β einen doppelt so grossen Durchmesser hat als der Kolben h l, so bewegt er sich auch doppelt so langsam als jener, da die doppelte Flüssig- keitsmenge in ihm Platz hat. Wie am Hebel, so kann man also auch hier nur Kraft durch Geschwindigkeit oder Geschwindigkeit durch Kraft ersetzen. 68 Druck auf die Bodenfläche. Communicirende Gefässe. Aus der Thatsache, dass der Druck in einer Flüssigkeit sich gleichmässig nach allen Richtungen fortpflanzt, ergeben sich alle Er- scheinungen, welche ruhende Flüssigkeiten in Bezug auf ihre Druck- und Gleichgewichtsverhältnisse darbieten. So ist es nach dem Obigen selbstverständlich, dass der Druck, den eine Flüssigkeit durch ihre Schwere auf den Boden des Gefässes, in welchem sie sich befindet, ausübt, nur von der Grösse der Bodenfläche und von der Höhe der Flüssigkeit abhängt, dass er aber ganz unabhängig ist von der sonsti- gen Gestalt des Gefässes. In den Gefässen A und B (Fig. 39) ist Fig. 39. z. B. der Druck auf den Boden c d gleich gross. Denn ist auch in A der Spiegel der Flüssigkeit nur halb so gross als in B, so muss doch das Gewicht a b. a h der Flüssigkeitssäule den dop- pelten Druck ausüben, wenn es auf einer Fläche c d, die doppelt so gross als a b ist, lastet. Aus dem- selben Grund muss eine Flüssigkeit, die sich in zwei mit ein- ander communicirenden Gefässen befindet, in beiden Gefässen gleich hoch stehen, welches auch der Durchmesser oder die son- stige Gestalt der Gefässe sein möge. Denn da in jedem belie- bigen Querschnitt der Flüssigkeit die Grösse des Drucks nur ab- hängig ist von der Höhe der darüber stehenden Flüssigkeitssäule, so muss offenbar eine in dem Communicationsrohr zwischen beiden Gefässen A und B (Fig. 40) befindliche Flüssigkeitsschicht a dann im Fig. 40. Gleichgewieht sein, wenn auf beiden Seiten die Flüssigkeiten gleich hoch stehen. Giesst man Flüssigkeiten von verschiedener Dichtigkeit in beide Ge- fässe, z. B. in das eine Wasser, in das andere Quecksilber, so verhalten sich die Höhen umgekehrt wie die Dich- tigkeiten. Man kann daher communi- cirende Gefässe zur Vergleichung der Dichtigkeit verschiedener Flüssigkeiten anwenden, vorausgesetzt dass Druck und Gleichgewicht der Flüssigkeiten. dieselben nicht mischbar sind. Was von zwei communicirenden Ge- fässen gilt, das gilt auch von einem System, welches aus einer grös- seren Zahl solcher Gefässe besteht, und das behält endlich seine Gül- tigkeit, wenn es sich nicht bloss um den Druck der eigenen Schwere der Flüssigkeit handelt, sondern wenn dieselbe überdies in dem einen oder dem andern Gefäss noch unter einem äussern Drucke steht. Ein derartiges System zahlreicher communicirender Gefässe ist z. B. das thierische Gefässsystem. Fortwährend werden in demselben durch die Action des Herzens Druckunterschiede erzeugt, eine Druckzunahme in den Arterien durch deren Anfüllung, eine Druckabnahme in den Venen durch deren Entleerung. Wie in jedem System communicirender Ge- fässe, so muss auch hier der Druck fortwährend sich ausgleichen. Die Kraft, welche die Blutbewegung zu Stande bringt, besteht in einer Störung des hydrostatischen Gleichgewichts, die Blutbewegung selbst ist eine fortwährende Wiederherstellung dieses Gleichgewichts. Wie die Theilchen einer Flüssigkeit gegen einander oder gegen 69 Gewichtsverlust fester Körper in Flüssigkei- ten. Archime- disches Princip. die Wände des Gefässes, in welchem sie sich befinden, einen dem Druck, unter dem sie selbst stehen, gleichen Druck ausüben, so ver- halten sie sich auch gegen einen festen Körper, der in die Flüssigkeit getaucht wird. Den Druck, welcher jeder Punkt des Körpers durch die Schwere der Flüssigkeit erfährt, ist bloss abhängig von der Höhe der Flüssigkeitssäule, die über ihm steht. So erfährt also die obere Fläche des Körpers a b c d (Fig. 41) einen Druck, welcher gleich ist Fig. 41. der Flüssigkeitssäule a e f b, die untere Flä- che c d erfährt einen Druck, der einer Flüs- sigkeitssäule c e f d gleichkommt. Ebenso steht irgend ein Punkt der seitlichen Ober- fläche, g oder h, unter einem Druck, welcher der Höhe g e oder h f entspricht. Dabei ist aber der Druck g e von g nach h und der Druck h f von h nach g gerichtet. Die sämmt- lichen seitlichen Druckkräfte heben sich da- her auf, und es bleibt nur der Druck auf die obere Fläche a b und auf die untere Fläche c d übrig. Der Körper wird also nach aufwärts getrieben mit einer Kraft, die dem Unterschied der auf seiner untern und oberen Fläche lastenden Druckkräfte gleich ist. Diese Kraft wirkt der eigenen Schwere des Körpers entgegen, sie vermindert das Ge- wicht desselben genau um das Gewicht einer dem Körper a b c d selbst gleichen Flüssigkeitsmasse. Es ergiebt sich hieraus das allgemeine Gesetz, dass jeder in eine Flüssigkeit getauchte Körper ebenso viel an Gewicht verliert, als das Gewicht der Flüs- sigkeit beträgt, das er verdrängt . Man bezeichnet dieses Ge- setz nach seinem Entdecker als das Princip des Archimedes . Wundt , medicin. Physik. 7 Von der Schwere. 70 Specifisches Gewicht fester und flüssiger Körper. Das Archimedische Princip dient zur Bestimmung der relati- ven Masse der festen Körper. Die Masse eines Körpers wird, wie wir in §. 52 gesehen haben, durch die Grösse der Anzie- hung, welche er durch die Schwere erfährt, also durch sein Gewicht, gemessen. Die relativen Massen zweier Körper sind nun dieje- nigen Schweranziehungen, die gleiche Volumina derselben erfahren, und wir haben demnach die relativen Massen aller Körper ermittelt, wenn wir die Gewichte gleicher Volumina derselben kennen. Zu die- sem Zweck muss man aber die Masse eines bestimmten Körpers zur Einheit wählen, und man hat hierfür das Wasser im Zustand seiner grössten Dichte, die es bei 4°C. besitzt, angenommen. Das Verhältniss des Gewichts eines Körpers zum Gewicht einer ihm an Volum gleichen Wassermenge von 4°C. nennt man das specifische Gewicht des Körpers. Die specifischen Gewichte aller Körper sind demnach zu finden, wenn man zuerst das absolute Gewicht P eines jeden Kör- pers und hierauf das Gewicht V einer ihm an Volum gleichen Wasser- masse ermittelt. Das specifische Gewicht S ist dann offenbar gleich dem Quotienten . Ausserdem erfährt man auf diesem Wege zu- gleich das Volum des betreffenden Körpers. Denn da, nach dem in der Wissenschaft gebräuchlichen franz. Maasssystem die Volumeinheit Wasser gleich der Gewichtseinheit, 1 Cubikcentimeter = 1 Gramm ist, so ist die Grösse V oder P. S gleich dem Volum des Körpers. Es ist nun leicht ersichtlich, wie das Archimedische Princip un- mittelbar zur Bestimmung des Quotienten führt. Man wägt den Körper zuerst in der Luft und wägt ihn dann zum zweiten Mal, während er sich unter Wasser befindet. Die erste Wägung giebt sein eigenes Gewicht P, die zweite Wägung giebt das Gewicht V der von ihm verdrängten, ihm also an Volum gleichen Wassermasse. Man benützt zu diesen Bestimmungen gewöhnlich die sogenannte hy- drostatische Waage, die sich von einer andern Waage nur dadurch unterscheidet, dass die eine Waagschale etwas höher hängt und an ihrer untern Fläche ein Häkchen besitzt, an welches der zu untersu- chende feste Körper mittelst eines feinen Drahts befestigt werden kann, um ihn, während er in ein Wassergefäss taucht, abzuwägen. Statt dessen kann man auch eine gewöhnliche Waage benützen und so verfahren, dass der Körper in ein mit Wasser gefülltes Gläschen gebracht und mit diesem gewogen wird; bei dieser Methode, welche das Archimedische Princip nicht zur Anwendung bringt, sind aber dann drei Wägungen erforderlich: erstens die Wägung des Körpers für sich, zweitens diejenige des Gläschens, während es ganz mit Wasser gefüllt ist, und drittens diejenige des Gläschens, während durch den hineingebrachten Körper ein ihm gleiches Volum Wasser ersetzt ist. Druck und Gleichgewicht der Flüssigkeiten. Die Bestimmung des specifischen Gewichts der Flüssigkeiten mittelst der sogenannten Aräometer stützt sich gleichfalls auf das Archimedische Princip. Das gewöhnliche Aräometer ist eine auf beiden Seiten geschlossene Glasröhre, die an ihrem untern Ende zu einer kleinen mit etwas Quecksilber gefüllten Kugel erweitert ist. Diese Glasröhre sinkt in einer Flüssigkeit so weit unter, dass der eingetauchte Theil derselben dem Gewicht der verdrängten Flüssigkeit gleich ist. In Flüssigkeiten von grösserer Dichte sinkt daher das Aräometer weni- ger tief ein als in solchen von geringerer Dichte. Gewöhnlich werden die Aräometer empirisch graduirt, und sie bieten dann ein sehr be- quemes und schnelles Hülfsmittel zur Bestimmung der specifischen Gewichte der Flüssigkeiten. Uebrigens können die letzteren auch so ermittelt werden, dass man ein Gläschen zuerst gefüllt mit Wasser und dann gefüllt mit der zu untersuchenden Flüssigkeit abwägt; die letztere Methode ist namentlich wo es auf grössere Genauigkeit an- kommt vorzuziehen. Die Bestimmung der specifischen Gewichte der Flüssigkeiten hat in der Medicin hauptsächlich zu dem Zweck den ungefähren Wassergehalt thierischer Flüssigkeiten, z. B. der Milch, des Urins, kennen zu lernen Anwendung gefunden. Es genügt in diesen Fällen meistens die Anwendung des Aräometers. Je höher der dem destillirten Was- ser entsprechende Nullpunkt des Aräometers über dem Spiegel der Flüssigkeit steht, um so geringer ist der Wassergehalt derselben. Für die wichtigeren thierischen Flüs- sigkeiten hat man den Wassergehalt, der den einzelnen specifischen Gewichten ent- spricht, ein für allemal empirisch zu bestimmen gesucht. Solche Bestimmungen müs- sen selbstverständlich höchst trügliche sein, da das specifische Gewicht nicht bloss vom Wassergehalt sondern auch von dem gerade beim Harn und der Milch sehr wech- selnden Mengenverhältniss der festen Bestandtheile abhängt, und also beim selben spec. Gewicht der Wassergehalt immer noch ein ziemlich verschiedener sein kann. Ein Blick auf die von mehreren Chemikern entworfenen Tabellen über die Beziehung zwischen spec. Gewicht und Wassergehalt einzelner thierischer Flüssigkeiten zeigt denn auch so beträchtliche Abweichungen, dass man sicherlich besser thut sich des Aräometers lediglich als eines ungefähren Maasses für den Wassergehalt zu bedienen und auf den Versuch, nach solchen Tabellen das spec. Gewicht in irgend eine Zahl für den procentischen Wassergehalt zu übersetzen, lieber verzichtet. Wo es sich um exactere specifische Gewichtsbestimmungen handelt, ist gleich- zeitig die Temperatur in Rücksicht zu ziehen, und muss mittelst der bekannten Aus- dehnung, die das Wasser, der feste Körper und das Glas, in welchem man die Wägungen vornimmt, erfahren, das Resultat so berechnet werden, dass es für die Temperatur von 4°C., bei welcher das Wasser seine grösste Dichtigkeit hat, gültig ist (vergl. Abschn. V, Cap. 1). Endlich kann sogar der Einfluss des Barometerstandes berücksichtigt werden, indem man den Gewichtsverlust, welchen der betreffende Kör- per bei seiner Abwägung in der Luft erfährt, in ähnlicher Weise wie den Gewichts- verlust in Wasser bestimmt. Siehe hierüber §. 94. Da eine Flüssigkeit auf einen festen Körper, der in sie einge- 71 Schwimmende Körper. taucht ist, einen der Schwere entgegengesetzten Druck ausübt, wel- 7 * Von der Schwere. cher dem Gewicht des verdrängten Wassers gleichkommt, so ist klar, dass, wenn ein Körper innerhalb einer Flüssigkeit fällt, die Geschwindigkeit seines Falls eine gleichförmige Verlangsamung er- fahren muss. Hat der Körper dieselbe Dichtigkeit wie die Flüs- sigkeit, so wird derselbe in Ruhe kommen, sobald die Beschleu- nigung, die er zuvor beim Fall in der Luft erfahren hat, voll- ständig aufgehoben ist. Tauchen wir denselben sogleich in die Flüssigkeit ein, so wird er innerhalb derselben an jeder Stelle im Gleichgewicht bleiben: er wird sich nicht anders verhalten, als sich dasjenige Volum der Flüssigkeit verhalten würde, welches er verdrängt hat. Ist dagegen der Körper von grösserer Dichtigkeit als die Flüs- sigkeit, so wird seine Schwere immer über den nach aufwärts gerich- teten Flüssigkeitsdruck überwiegen, er wird also in der Flüssigkeit zu Boden sinken. Nun ist aber ausserdem noch der dritte Fall mög- lich, dass der Körper eine geringere Dichtigkeit besitzt als die Flüssigkeit. In diesem Fall wird der nach aufwärts gerichtete Flüs- sigkeitsdruck über die Schwere des eingetauchten Körpers um ebenso viel überwiegen, als das Gewicht des verdrängten Wassers das Ge- wicht des Körpers übertrifft. Dieser wird also über den Spiegel der Flüssigkeit emporgetrieben werden. In dem Maasse aber als dies ge- schieht nimmt auch der von unten auf ihn wirkende Flüssigkeitsdruck ab, und es wird daher ein Punkt kommen, wo der Druck der Schwere des Körpers gleich geworden ist, und in dieser Gleichgewichtslage muss der Körper in der Flüssigkeit schwimmen . Der schwimmende Körper verdrängt also eine Flüssigkeitsmenge, deren Gewicht seinem eigenen Gewicht gleich ist, und hierdurch wird die Tiefe bestimmt, bis zu welcher der schwimmende Körper in die Flüssigkeit einsinkt. Ein Körper, der in einer Flüssigkeit schwimmt, verhält sich ähn- lich wie ein solcher, der durch eine Unterlage am Fallen gehindert ist. Der von unten nach oben wirkende Flüssigkeitsdruck, der hier gleichsam die Unterlage bildet, kann als zusammengesetzt aus einer Summe paralleler Kräfte, die auf die untere Fläche des Körpers einwirken, betrachtet werden. Die Resultirende dieser Parallelkräfte hat ihren Angriffspunkt in dem Schwerpunkt der verdrängten Flüssig- keitsmasse, denn dies ist der Punkt, um welchen das Drehungsbe- streben der von allen Seiten einwirkenden Druckkräfte der Flüssigkeit im Gleichgewicht steht. Wir können desshalb die Sache so ansehen, als wenn der schwimmende Körper in diesem einzigen Punkt unter- stützt wäre. Ein schwimmender Körper kann nun, wie jeder unter- stützte Körper, nur dann im Gleichgewicht sich befinden, wenn sein Schwerpunkt und der Unterstützungspunkt, der in diesem Fall also der Schwerpunkt der verdrängten Flüssigkeit ist, sich in einer und derselben Verticallinie befinden. Wie ferner jeder unterstützte Körper je nach der Lage seines Schwerpunkts zum Unterstützungspunkt ent- Molecularwirkungen flüssiger Körper. weder im indifferenten oder im labilen oder im stabilen Gleichgewicht sein kann, so auch der schwimmende Körper. Am wichtigsten sind hier insbesondere diejenigen Fälle, wo der Schwerpunkt über oder unter dem Unterstützungspunkt sich befindet, wo also labiles oder stabiles Gleichgewicht vorhanden ist. Das labile Gleichgewicht geht, wenn es gestört wird, in das stabile Gleichgewicht über, indem der Körper um 180 Grade gedreht wird. In das stabile Gleichgewicht kehrt dagegen der Körper nach jeder Störung wieder zurück. Ein Körper schwimmt daher allein dann gegen bleibende Aenderungen seiner Lage gesichert, wenn er sich im stabilen Gleichgewicht befin- det, d. h. wenn sein eigener Schwerpunkt unter dem Schwerpunkt der von ihm verdrängten Flüssigkeit liegt. Die Schiffe , bei denen die Sicherheit gegen augenblickliche Gleichgewichtsstörungen das we- sentlichste Erforderniss bildet, müssen daher stets nach diesem Prin- cip gebaut sein, und die Bewegung derselben ist um so sicherer, je tiefer sich ihr Schwerpunkt unter dem Schwerpunkt der verdrängten Flüssig- keit befindet. Dagegen zeigen die schwimmenden thierischen Wesen, deren Bewegung im Wasser auf dieselben Principien wie die Bewe- gung der Schiffe sich stützt, in statischer Beziehung die bemerkens- werthe Abweichung, dass ihr Schwerpunkt sich über dem Unter- stützungspunkt befindet, dass sie also nur ein labiles Gleichgewicht besitzen. Der Nachtheil, den dies haben könnte, wird zwar durch die Anstrengung der Muskeln, die jeden Augenblick das Gleichgewicht herstellt, ausgeglichen. Dennoch ist es fühlbar, dass bei der Rücken- lage der Schwimmende sicherer vom Wasser getragen wird. Ein Körper, dessen specifisches Gewicht demjenigen des Wassers ziemlich nahe kommt, zugleich aber dadurch etwas veränderlich ist, dass der Körper bei gleich bleibendem absolutem Gewicht sein Volum vermindern oder vergrössern kann, besitzt die Eigenschaft abwech- selnd im Wasser unterzusinken oder emporzutauchen. Solche Körper sind die Fische . Will der Fisch gegen die Oberfläche auftauchen, so lässt er die Muskeln der Schwimmblase erschlaffen, diese dehnt sich daher aus und vergrössert das Körpervolum. Will der Fisch in die Tiefe sinken, so comprimirt er die Schwimmblase. Da zugleich mit der Tiefe der auf der Blase ruhende Wasserdruck zunimmt, so unterstützen die Veränderungen des Drucks dieses Auf- und Absteigen. Doch ist hierdurch zugleich der Abwärtsbewegung eine gewisse Grenze gesetzt, über die hinaus der Druck eine Wiedererschlaffung der Blase und daher auch eine Rückkehr zur Oberfläche unmöglich macht. Siebentes Capitel . Molecularwirkungen flüssiger Körper. Bei den bisher betrachteten Wirkungen der Schwere auf Flüssig- 72 Oberflächen- spannung der Flüssigkeiten. Von der Schwere. keiten kam die gegenseitige Wirkung der Flüssigkeitstheilchen auf einander gar nicht in Rücksicht. Im Innern einer Flüssigkeit wirken auf jedes Theilchen von allen Seiten Anziehungskräfte der Nachbar- theilchen. Da aber diese Anziehungskräfte sämmtlich von gleicher Grösse sind, so verhalten sich die im Innern einer Flüssigkeit befind- lichen Theilchen gerade so, als wenn sie gar keine Wirkungen auf einander ausübten. Dies ist anders mit denjenigen Theilchen, die sich auf der Oberfläche der Flüssigkeit befinden. Diese sind mit ihrer Oberflächenseite keinerlei gegenseitigen Anziehungen ausgesetzt, wäh- rend auf die dem Innern der Flüssigkeit zugekehrte Seite die An- ziehungen der darunter befindlichen Flüssigkeitsschichte wirken. Die ganze freie Oberfläche einer Flüssigkeit erfährt also einen gegen das Innere gerichteten Zug, den man als Oberflächen- spannung bezeichnet. Ein bekanntes Phänomen, das auf die- ser Oberflächenspannung beruht, ist die Ansammlung von Luftblasen unmittelbar unter der Oberflächenschichte von Flüssigkeiten. Die Luft, die zu entweichen strebt, wird hier durch den in entgegengesetzter Richtung wirkenden Druck der Oberflächenspannung zurückgehalten. 73 Adhäsion von Flüssigkeiten an festen Kör- pern. Capilla- rität. Eine fernere Modification erfährt die Wirkung der Schwere auf Flüssigkeiten in Folge der Erscheinungen, welche bei der Berührung von Flüssigkeiten mit festen Körpern oder verschiedener Flüssigkeiten mit einander eintreten. Alle festen Körper ohne Ausnahme üben auf Flüssigkeiten eine Anziehung aus, deren Grösse gleichzeitig von der Natur der Flüssig- keit und des mit ihr in Wechselwirkung tretenden festen Körpers be- dingt ist. Es zeigen sich in dieser Beziehung namentlich zwei Haupt- unterschiede. Die Anziehungskraft des festen Körpers auf die Flüssig- keit ist nämlich entweder grösser oder kleiner als die Anziehungs- kraft der Flüssigkeitstheilchen unter einander; im ersten Fall wird der feste Körper benetzt , im zweiten Fall wird er nicht benetzt von der Flüssigkeit. So ist z. B. die Anziehung, welche Holz oder Glas auf Wasser ausübt, grösser als die gegenseitige Anziehung der Wassertheilchen. Wenn man einen Glasstab in Wasser taucht und dann daraus emporhebt, so bleiben Wassertropfen an demselben haf- ten: die anziehende Wirkung des Glases überwiegt also in diesem Fall nicht bloss die gegenseitige Anziehung der Wassertheilchen, son- dern auch die Wirkung der Schwere auf die adhärirenden Tropfen. Quecksilber bleibt an Holz oder Glas nicht haften, adhärirt dagegen an einem Kupfer- oder Goldstab. Das verschiedene Verhältniss der Cohäsion der Flüssigkeitstheil- chen zu der Adhäsion derselben an festen Körpern bedingt bemerkens- werthe Abweichungen von dem Gesetz des horizontalen Niveaus der Flüssigkeiten. Eine in einem Gefäss befindliche Flüssigkeit wird an Molecularwirkungen flüssiger Körper. den Stellen, wo sie die Gefässwandung berührt, nur in den seltenen Fällen vollkommen horizontal sein können, in welchen die Adhäsion an der Wandung der Cohäsion der Flüssigkeit vollkommen gleich ist. Wenn dagegen die Adhäsion grösser ist als die Cohäsion, so wird die Flüssigkeit an der Wandung in die Höhe gezogen und bildet so- mit da wo sie die Wandung berührt nicht einen horizontalen sondern einen concaven Spiegel (Fig. 42 A). Wenn umgekehrt die Cohäsion Fig. 42. grösser als die Adhäsion ist, so wird die Flüs- sigkeit von der Wandung abgezogen und bildet daher an den Berührungsstellen mit der letzteren einen convexen Spiegel (B). Ein Beispiel für den ersten Fall ist das Wasser, ein Beispiel für den zweiten Fall das Quecksilber, wenn beide Flüssigkeiten in einem Glas- oder Holzgefässe sich befinden. Diese Abweichungen des Niveaus von der horizontalen Oberfläche an den Berührungsstellen mit der Wandung verursachen im Verein mit der im vorigen §. erörterten Oberflächenspannung, sobald die ge- genüberstehenden Wandungen sich sehr nahe kommen, eine augenfällige Abweichung von dem Gesetz der Gleichheit der Flüssigkeitshöhe in communicirenden Gefässen. Es ist nämlich klar, dass die Oberflächen- spannung in einem engen Gefäss verschieden sein muss, je nachdem der Spiegel der Flüssigkeit horizontal, concav oder convex ist. Eine concave Oberfläche, wie in A (Fig. 43), muss eine kleinere Oberflä- Fig. 43. chenspannung als eine horizontale Oberfläche besitzen. Die an der Wand der Capillarröhre a emporgezogenen Theilchen üben in diesem Fall auf die unter ihnen befindlichen Flüssigkeitstheilchen eine der anziehenden Kraft der unter dem Spiegel der Flüssigkeit gelegenen Theilchen entgegen gerichtete Wirkung aus. Jene abwärts ziehende Kraft, auf welcher die Oberflächenspannung beruht, ist also in diesem Fall nicht so gross, als wenn die Oberfläche horizontal wäre. Eine convexe Oberfläche, wie in B, besitzt dagegen eine grössere Spannung. Denn hier unterstützen die seitlich auf der convexen Oberfläche in c befindlichen Theilchen die nach abwärts gerichtete Kraftwirkung. In den weiten Gefässen b und d fällt diese Abweichung nicht in Rück- Von der Schwere. sicht, weil hier bei weitem der grösste Theil der Oberfläche horizon- tal ist. In den Capillarröhren a und c dagegen muss, da in diesen die Wandschichte der Flüssigkeit einen grossen Theil der gan- zen Oberfläche bildet, auch die Spannung der ganzen Oberfläche hier- durch beträchtlich verändert werden. Es muss also die Oberflächen- spannung in a kleiner als in b, in c muss sie grösser als in d sein. Diese Unterschiede der Oberflächenspannung wirken der Gleichheit des Drucks, welche vermöge der Schwere zwischen dem engen und dem weiten Gefäss vorhanden wäre, entgegen. In der Capillarröhre a, in welcher der Druck durch die geringere Oberflächenspannung vermindert ist, steht also die Flüssigkeit höher als in c, in der Ca- pillarröhre b, in welcher der Druck durch die grössere Oberflächen- spannung vergrössert ist, steht die Flüssigkeit tiefer als in d. So zeigt z. B. Wasser in einer Capillarröhre aus Glas das in A darge- stellte, Quecksilber das in B dargestellte Verhalten. Die ähnliche Er- scheinung beobachtet man, wenn man in eine Flüssigkeit zwei Platten bringt, die sich in sehr geringer Entfernung von einander befinden. Benetzt die Flüssigkeit die Substanz der Platten, so steigt sie zwischen denselben in die Höhe, ist dagegen die Cohäsion der Flüs- sigkeit grösser als die Adhäsion an den Platten, so steht sie zwi- schen denselben unter der Höhe des Niveaus der äusseren Flüssigkeit. Für die nämliche Flüssigkeit und die nämliche feste Substanz ist der Höhenunterschied zwischen der einer Capillarwirkung unterworfenen und der bloss unter dem Einfluss der Schwere stehenden Flüssigkeit umgekehrt proportional dem Abstand der Platten oder bei der Anwen- dung cylindrischer Capillarröhren umgekehrt proportional dem Halb- messer der letzteren. 74 Lösung. Quel- lung. Wir haben die Erscheinungen der Capillarwirkung zurückgeführt auf das Verhältniss der Adhäsion zwischen festen Körpern und Flüssigkeiten zu der Cohäsion der Flüssigkeitstheilchen. Es kann nun aber ferner vorkommen, dass die Anziehungskräfte, welche eine Flüssigkeit auf einen festen Körper ausübt, über die Cohäsion des festen Körpers selbst überwiegen. Dieser Fall ist es, welcher die Auflösung fester Körper in Flüssigkeiten bedingt. In einer Lö- sung sind die Molecüle des gelösten Körpers umgeben von den Mole- cülen der lösenden Flüssigkeit, und das Ganze ist daher in den flüs- sigen Aggregatzustand übergegangen. Nachdem eine Flüssigkeit eine bestimmte Menge von Molecülen eines festen Körpers aufgenommen hat, tritt Gleichgewicht zwischen den festen und flüssigen Molecülen ein, und es können nun weitere Mengen des festen Körpers nicht mehr gelöst werden. Man bezeichnet diese Grenze als die Sättigungs- capacität . Jede Flüssigkeit bedarf im Allgemeinen verschiedener Mengen von den in ihr löslichen festen Körpern zu ihrer Sättigung. Zu- Molecularwirkungen flüssiger Körper. gleich ist die Sättigungscapacität in einer übrigens nicht constanten Weise abhängig von der Temperatur. In der Regel nimmt sie mit steigender Temperatur zu, bei einigen Stoffen aber von einer gewissen Temperaturgrenze an wieder ab. Wir werden hierauf in der Lehre von der Wärme zurückkommen (vgl. Abschn. V, Cap. 2). Die Auflösung grenzt am nächsten an die chemische Verbindung der Körper. Sie unterscheidet sich von dieser dadurch, dass sie nicht nach festen regelmässigen Zahlenverhältnissen geschieht. Sie hat da- gegen dies mit der chemischen Verbindung gemein, dass das Volumen der Lösung nicht gleich ist dem Volumen der Flüssigkeit und des festen Körpers, woraus sie hervorgieng, sondern dass sie fast regel- mässig kleiner ist, und dass daher das specifische Gewicht eine verhältnissmässige Vergrösserung erfährt. Die festen und flüssigen Molecüle müssen also unter dem Einfluss der zwischen ihnen statt- findenden Anziehungskräfte jedenfalls in eine innigere Berührung tre- ten, als sie zwischen den Theilchen der ursprünglichen Flüssigkeit besteht. Hieraus darf man schliessen, dass die Anziehungskraft zwi- schen der Flüssigkeit und dem festen Körper nicht bloss über die Cohäsion des letzteren sondern auch über die Cohasion der Flüssigkeit selbst überwiegt. Bei gewissen festen Körpern, die namentlich der organischen Natur angehören, ist die Anziehungskraft gegen bestimmte Flüssigkei- ten nicht so gross, dass dadurch vollständig die Cohäsion des festen Körpers aufgehoben würde und dieser in den flüssigen Aggregatzu- stand übergienge, sondern entweder nimmt der feste Körper von der ihn berührenden Flüssigkeit in die Zwischenräume seiner Molecüle auf, es tritt Quellung ein, oder es trennt sich der feste Körper in einzelne gröbere Theilchen, die sich in der Flüssigkeit verbreiten; letzteres wird als unvollkommene Lösung bezeichnet. Die un- vollkommene Lösung kann hiernach als ein Gemenge kleiner, in Was- ser gequollener fester Körper mit reinem Wasser betrachtet werden. Alle organischen Gewebe, mit Ausnahme des Fettgewebes, sind im Wasser quellungsfähig. Einige Producte des Pflanzen- und Thierreichs dagegen, wie Stärke, Gummi, Eiweiss, bilden mit demselben unvoll- kommene Lösungen. Wie feste Körper und Flüssigkeiten Anziehungskräfte auf einan- 75 Diffusion von Flüssigkeiten. der ausüben, so können solche auch zwischen verschiedenen Flüssig- keiten stattfinden. Flüssigkeiten, die sich anziehen, nennt man misch- bar . So ist z. B. Wasser mischbar mit Kochsalzlösung oder mit Alkohol, dagegen nicht mischbar mit Oel oder mit Aether. Die Grösse der Anziehung, welche Flüssigkeiten auf einander ausüben, lässt sich messen, indem man sie mit einander in Berührung bringt und die Zeitdauer bestimmt, welche bis zur Vollendung einer gleichmässigen Von der Schwere. Mischung erforderlich ist. Die Geschwindigkeit, mit der in diesem Fall sich die verschiedenen Flüssigkeiten in einander verbreiten, nennt man ihre Diffusionsgeschwindigkeit . Man hat bisher nament- lich die Diffusionsgeschwindigkeit zwischen Wasser und den Lösungen verschiedener Salze zu ermitteln gesucht und gefunden, dass dieselbe je nach der Natur der Salze beträchtliche Verschiedenheiten zeigt, dass sie aber für eine und dieselbe Salzlösung mit dem Procentgehalt wächst, indem bei gleichen Temperaturen die Menge des in gleichen Zeiten aus einer Lösung zum Wasser übertretenden Salzes der Menge des gelösten Salzes proportional ist. 76 Diffusion durch poröse Scheide- wände. Endos- mose. Das Phänomen der Diffusion mischbarer Flüssigkeiten wird häufig noch dadurch complicirt, dass die Flüssigkeiten durch benetzbare oder quellungsfähige feste Körper von einander getrennt sind. Diese Dif- fusion durch poröse Scheidewände , die man auch als Endos- mose bezeichnet, ist nicht nur abhängig von der Anziehungskraft, welche die beiden Flüssigkeiten auf einander ausüben, sondern auch von der Anziehungskraft, welche zwischen der porösen Scheidewand und jeder der Flüssigkeiten besteht. Flüssigkeiten, deren gegen- seitige Anziehungskraft null ist, die also nicht mischbar sind, kön- nen durch eine poröse Scheidewand ebenso wenig wie bei unmittel- barer Berührung in einander diffundiren. Dagegen wird die Diffusion mischbarer Flüssigkeiten durch den Zwischentritt der Scheidewand wesentlich verändert. Während bei der freien Diffusion immer ebenso viel von der ersten zur zweiten wie von der zweiten zur ersten Flüs- sigkeit übertritt, so dass das Volum beider Flüssigkeiten stets con- stant bleibt, ist dies bei der Endosmose allgemein nicht der Fall, sondern hier diffundirt diejenige Flüssigkeit in grösserer Menge, auf welche die poröse Scheidewand eine stärkere Anziehung ausübt, und in entsprechendem Maasse ändert sich auf beiden Seiten der Scheide- wand das Volumen. Wenn man z. B. Alkohol und Wasser in einem ersten Versuch durch eine Kautschukmembran, in einem zweiten Ver- such durch thierische Blase von einander trennt, so geht im ersten Versuch mehr Alkohol zum Wasser, im zweiten Versuch mehr Wasser zum Alkohol über, denn Kautschuk ist durch Alkohol, nicht aber durch Wasser benetzbar, während das umgekehrte von der thierischen Blase gilt. Da nun die thierischen Gewebe fast sämmtlich quellungsfähig in Wasser sind, so zeigen sie allgemein die Erscheinung, dass sie bei der Diffusion zwischen Wasser und einer mit Wasser mischbaren Lö- sung den Diffusionsstrom des Wassers begünstigen. Wegen ihrer Bedeutung für den thierischen Stoffwechsel werden die Erschei- nungen der Endosmose ausführlicher in der Physiologie abgehandelt. Lehrb. der Phy- siologie §. 29—40. Das Ausströmen aus Gefässen und der Stromlauf in starren Röhren. Achtes Capitel . Das Ausströmen aus Gefässen und der Stromlauf in starren Röhren. Jedes flüssige Theilchen fällt in Folge der Einwirkung der 77 Ausströmen aus Gefässen. Toricelli’sches Theorem. Schwere auf dieselbe Weise wie ein fester Körper zur Erde. Wenn aber eine ganze Flüssigkeitsmasse in Fallbewegung geräth, so werden die einzelnen Molecüle derselben wegen ihrer geringen Cohäsion leicht von einander getrennt. Jede Flüssigkeit hat daher beim freien Fall die Neigung sich in einzelne Tropfen aufzulösen. Man kann diese Trennung verhindern, indem man entweder die Fallbewegung beträcht- lich verlangsamt, dadurch z. B. dass man die Flüssigkeit auf einer schiefen Ebene von mässiger Neigung herabfliessen lässt, oder indem man die Flüssigkeit sich innerhalb eines Gefässes bewegen lässt, wo, wenn die einzelnen Theilchen derselben sich von einander trennen sollten, ein luftleerer Raum entstehen müsste, und wo daher der Luft- druck die Cohäsion der Flüssigkeitstheilchen unterstützt. Diese Fälle, in welchen sich die Flüssigkeit in einem zusammenhängenden Strome bewegt, unterscheiden sich nun aber dadurch von der Bewegung fester Körper, dass jedes Theilchen der Flüssigkeit nicht bloss durch seine eigene Schwere, sondern auch, wie dies aus dem Princip der Fort- pflanzung des Drucks hervorgeht, durch die Schwere aller der Theil- chen bewegt wird, die sich über ihm befinden. Diese verschiedenen Fälle der Bewegung einer Flüssigkeit kann man an einem Cylinder, wie in Fig. 44, zur Anschauung bringen, der Fig. 44. in seinem Boden eine Oeffnung o s besitzt und bis zum Niveau m n mit Flüssigkeit gefüllt ist. Der Flüssigkeitsstrahl, der aus der Oeffnung o s herausstürzt, befindet sich von hier an im freien Fall. Die Flüssigkeit innerhalb des Gefässes be- findet sich dagegen in einer continuirlichen Be- wegung nach der Oeffnung hin, an der, weil der Druck nach allen Richtungen gleichmässig sich fortpflanzt, die ganze im Gefäss befindliche Flüs- sigkeit Theil nimmt. Denken wir uns, statt des mittleren der Oeffnung entsprechenden Flüssig- keitscylinders o s l r befände sich ein fester Körper in dem Gefäss, so würde dieser in dem Moment, in welchem o s geöffnet wird, in Fallbewegung kommen, seine Geschwindigkeit würde von null anfangend gemäss dem Fallgesetz beschleunigt wer- den. Da nun aber o s l r eine Flüssigkeitssäule ist, so wirkt, schon bevor das Gefäss geöffnet wird, auf die Flüssigkeitsschichte o s der Druck des ganzen Flüssigkeitscylinders o s l r. Wird nun o s geöff- net, so bewegt sich daher die unterste Flüssigkeitsschichte nicht bloss Von der Schwere. unter dem Einfluss ihrer eigenen Schwere, sondern gleichzeitig unter dem Einfluss des Drucks, welchen jene Flüssigkeitssäule o s l r auf sie ausübt. Da nun der Druck, welchen jede über o s befindliche Schichte ausübt, von der Schwere der Schichte herrührt, so ist offen- bar dieser Druck gerade so gross wie die Einwirkung, welche die Schwere auf o s selbst successiv ausgeübt hätte, wenn diese Flüssig- keitsschichte die Höhe h herabgefallen wäre. Die Flüssigkeitssäule o s l r stellt also eine Kraft dar, durch welche die Schichte o s mit einer Geschwindigkeit hervorfliessen muss, die gleich jener Geschwin- digkeit ist, welche diese Schichte durch den Fall von der Höhe h er- halten hätte. Lassen wir das Niveau m n constant, indem wir fort- während neue Flüssigkeit nachfüllen, so bleibt auch die Kraft bei o s constant, und der ganze Flüssigkeitsstrom verlässt sonach mit einer constanten, der Druckhöhe h entsprechenden Geschwindigkeit das Ge- fäss. Man bezeichnet diesen Lehrsatz über die Geschwindigkeit aus Gefässen ausströmender Flüssigkeiten nach seinem Entdecker als das Toricelli’sche Theorem . Dieses Theorem ist jedoch unter einer Vorraussetzung abgeleitet, die in der Wirklichkeit nicht strenge realisirt ist. Es ist nämlich da- bei angenommen, dass die seitlich von der Flüssigkeitssäule o s l r gelegenen Theilchen in den Strahl o s l r eintreten, ohne sich in ihrer Bewegung zu hemmen. Dies ist aber unrichtig: wenn die Theil- chen x und v (Fig. 44) die Wege x y und v y zurückgelegt haben, so müssen dieselben, indem sie bei y zusammentreffen, in ihrer Bewe- gung um so mehr sich hemmen, je mehr ihre Wege von der vertica- len Richtung abweichen. Denn man kann sich die Bewegung eines jeden Theilchens in eine verticale und in eine horizontale Componente, x u und u y, zerlegt denken, wobei je zwei entgegengesetzt gerichtete horizontale Componenten sich aufheben. Da nun die Wege dieser seitlich gelegenen Theilchen offenbar um so mehr von der verticalen Richtung abweichen, je grösser die Oeffnung des Gefässes ist, so wird eine mit der Grösse der Oeffnung zunehmende Verlangsamung des Ausflusses stattfinden. Diese Verlangsamung macht sich als eine sehr rasch geschehende Verjüngung des Strahls unterhalb der Ausfluss- öffnung geltend. Die Verjüngung erreicht ihr Maximum an jener Stelle, wo die von beiden Seiten kommenden Flüssigkeitsfäden sich treffen, und sie beträgt so viel, dass der Querschnitt des Stromes an dieser Stelle nur ungefähr ⅔ des Querschnitts der Ausflussöffnung ein- nimmt. Von der Stelle der Verjüngung des Strahls an verhält sich dann derselbe gerade so, wie dies nach dem Toricelli’schen Theorem erwartet werden müsste, wenn die Verjüngungsstelle selbst die Aus- flussöffnung wäre. Die Menge von Flüssigkeit , die in einer gegebenen Zeit t aus einem Ge- fäss strömt, in welchem die Höhe der Flüssigkeit h ist und die Ausflussöffnung den Das Ausströmen aus Gefässen und der Stromlauf in starren Röhren. Querschnitt q besitzt, würde nach dem Toricelli’schen Theorem offenbar, wenn die Geschwindigkeit des Ausströmens v ist, gleich v. q. t oder, weil , gleich q. t. sein; in Wahrheit ist sie demnach wegen der Störung der Be- wegung an der Ausflussöffnung gleich ⅔ dieser Grösse. Vermittelst dieser Relation kann man ebenso aus der Geschwindigkeit die Ausflussmenge, wie umgekehrt aus der Ausflussmenge die Geschwindigkeit und dann aus dieser die ihr entsprechende Druck- höhe bestimmen. Von jener Stelle der stärksten Verjüngung an ist die Flüssigkeit dem freien Fall überlassen. Denken wir uns wieder den Flüssigkeits- strahl durch einen festen Körper ersetzt, so würde derselbe als ein homogener Cylinder von überall gleichem Querschnitt zu Boden fallen. Die Flüssigkeit dagegen muss sich wegen ihrer geringen Cohäsion nahezu wie ein Aggregat kleiner fester Theilchen verhalten, die nach einander aus der Oeffnung herausfallen. Wenn man nun von einer Höhe herab in einem kurzen Zeitzwischenraum zwei Körper zu Boden fallen lässt, so vergrössert sich während der Fallzeit fortwährend die Distanz der beiden Körper, weil jeder mit beschleunigter Geschwin- digkeit fällt. Ebenso muss offenbar die Distanz der aus einem Ge- fäss ausfliessenden Theilchen während ihrer Fallzeit sich vergrös- sern. Fände gar keine Cohäsion zwischen den Flüssigkeitsmolecülen statt, so würden alle Flüssigkeitsschichten von einander getrennt und in immer grösseren gegenseitigen Abstand gerathen. Nun macht sich aber hier die Cohäsion der Flüssigkeiten in ähnlicher Weise geltend wie bei der Contraction des Strahls unter der Ausflussöffnung. Der Strahl trennt sich nicht in seine einzelnen Schichten, sondern er ver- jüngt sich; nur geschieht diese durch die Beschleunigung der Schwere bedingte Verjüngung weit allmäliger als jene erste Contraction. Hat jedoch die Flüssigkeit eine bedeutende Fallhöhe, so wird die Distanzveränderung der Flüssigkeitstheilchen allmälig so gross, dass der Strahl in der That seine Continuität einbüsst. Es cohäriren dann noch einzelne Gruppen von Flüssigkeitstheilchen und tren- nen sich von den andern, der Strahl löst so zuerst in gröbere und dann bei zunehmender Fallhöhe in immer feiner werdende Tropfen sich auf. Wenn die Flüssigkeit nicht aus der Bodenöffnung sondern aus der Oeffnung einer Seitenwand des Gefässes hervorströmt, so wird hierdurch kein wesentlicher Unterschied bedingt; wegen der allseitigen Fortpflanzung des Drucks hängt auch hier die Geschwindigkeit ab von der Höhe, in welcher sich das Niveau über der Ausflussöffnung befin- det, und auch hier wird durch die gegenseitige Bewegungsstörung der in den ausfliessenden Strahl gezogenen Theilchen dieselbe Abwei- chung von dem Toricelli’schen Theorem veranlasst. Ist die Flüssig- keit aus der Seitenöffnung ausgetreten, so bewegt sie sich ähnlich wie ein horizontal fortgeworfener Körper weiter; der Druck wirkt hier Von der Schwere. als horizontale Wurfkraft, und der austretende Strahl beschreibt daher den Bogen einer Parabel. (S. §. 26 u. 57.) 78 Stromlauf in einer cylindri- schen Röhre. Wesentlich modificirt werden die Erscheinungen des Ausströmens der Flüssigkeiten, wenn die Ausflussöffnung des Gefässes zunächst in eine Röhre übergeht, aus der dann erst der wirkliche Ausfluss statt- findet; dies gilt namentlich für den gewöhnlichen und uns hier auch allein interessirenden Fall, wo die Flüssigkeit die Wandung der Röhre benetzt. Aus einem Wassergefäss (Fig. 45), in dessen Seiten- Fig. 45. wand sich eine kreisförmige Oeff- nung m n befindet, würde, wenn diese Oeffnung unmittelbar nach aussen mündete, ein ausserhalb der Oeffnung sehr rasch auf ⅔ ih- res Lumens sich verjüngender Flüs- sigkeitsstrahl austreten. Wird nun aber an die Oeffnung m n eine cy- lindrische Röhre m r angesetzt, an deren Wandung das Wasser adhä- rirt, so wird, indem die Flüssig- keitstheilchen von der Röhrenwandung angezogen werden, die Bahn derselben sogleich in eine zur Axe der Röhre parallele übergehen, ihre gegenseitige Bewegungsstörung muss sich daher durch die Ad- häsion an der Wandung bedeutend verringern, und es wird jetzt, falls nicht durch das Ansetzen der Röhre andere Bewegungswider- stände von erheblicher Grösse eintreten, die Verlangsamung der Be- wegung eine viel kleinere sein, als wenn sich keine Röhre an dem Gefäss befände. In der That beobachtet man, dass, wenn eine kurze cylindrische Ausflussröhre an das Gefäss angesetzt wird, die Ausfluss- geschwindigkeit nur etwa um 1/10 geringer ist, als sie das von jeder Bewegungsstörung abschende Toricellische Theorem erfordern würde. Geht dagegen die Oeffnung des Gefässes in eine längere Röhre über, so bedingt nun die Adhäsion an der Wandung selbst einen merklichen Widerstand für die Bewegung der Flüssigkeit. Unmittel- bar an der Wandung der Röhre bleibt nämlich eine ruhende Schichte von Flüssigkeitstheilchen haften, an welcher die bewegte Flüssigkeit sich reibt und dadurch eine Verzögerung ihrer Geschwindigkeit er- fährt. Dieser Widerstand muss offenbar unter sonst gleichen Bedin- gungen wachsen mit der Länge der Röhre. Nun muss aber zugleich die Geschwindigkeit der Flüssigkeit in der ganzen Länge der Röhre gleichförmig sein, da die Flüssigkeit aus dem Gefäss nur im selben Maass in die Röhre nachströmen kann, als sie aus dieser ausströmt. Es wird also die Geschwindigkeit des Stroms durch den Widerstand in der ganzen Röhre um gleich viel verzögert. An der Einflussöffnung Das Ausströmen aus Gefässen und der Stromlauf in starren Röhren. m n befindet sich jedoch ein Druck, der unter allen Umständen, ab- gesehen von den an der Uebergangsstelle stattfindenden Bewegungs- störungen, der Höhe der Flüssigkeit in dem Gefäss entsprechen muss. Wenn die Röhre nur ein sehr kurzes Ansatzstück bildete, so müsste die Geschwindigkeit in ihr, wieder abgesehen von der durch die Ab- weichung vom Toricelli’schen Theorem bedingten Correction, ebenfalls unmittelbar jenem Druck entsprechen. Der nicht als Bewegung der Flüssigkeit zum Vorschein kommende Druck wird daher als Druck fortbestehen, und es ist sonach an der Einmündungsöffnung des Ge- fässes in die Röhre ein Druck vorhanden, dessen Grösse genau der Verzögerung der Geschwindigkeit, d. h. der Grösse des ganzen im Verlauf der Röhre zu überwindenden Widerstandes correspondirt. Da nun zur Ueberwindung dieses Widerstandes offenbar eine ihm an Grösse gleiche Kraft erforderlich ist, diese Kraft aber nicht durch einen Verlust an Geschwindigkeit, die ja in der ganzen Röhre constant bleibt, gewonnen werden kann, so wird nothwendig jene nicht in Geschwin- digkeit übergehende Druckkraft es sein, die den Widerstand überwin- det. Sie muss demnach auch im Verlauf der Röhre in demselben Maasse abnehmen, als bereits Widerstand überwunden ist. An der Einflussöffnung m n ist sie gleich dem Widerstand in der ganzen Röhrenlänge, an irgend einer andern Stelle wird sie gleich dem bis zum Ende der Röhre noch bleibenden Widerstand sein. Da der Wi- derstand unter sonst gleichen Bedingungen proportional der Länge der Röhre ist, so wird der Druck innerhalb der Röhre proportional der Entfernung von der Einflussöffnung m n sinken und an der Ausfluss- öffnung r s gleich null werden. Wir können uns diese Verhältnisse leicht in folgender Weise graphisch versinnlichen. Von dem ganzen Druck m x, der an der Stelle der Einflussöffnung in die Röhre besteht, kommt sogleich durch die vorhandenen Bewegungsstörungen ein Theil p x in Abzug. Der übrig bleibende Druck m p zerfällt in einen Theil m o, der dem inner- halb der Röhre zu überwindenden Widerstand entspricht, und in einen Theil o p, der sich als Geschwindigkeit der Flüssigkeit äussert. Der Druck m o fällt ab proportional der Annäherung an die Ausflussöff- nung und wird an dieser selbst gleich null. Fügt man daher an beliebigen Stellen i, l der Röhre m r zur Messung des Drucks der Flüssigkeit andere vertical stehende Röhren ein, so ist die Linie, welche die Höhen verbindet, bis zu denen die Flüssigkeit in diesen Röhren ansteigt, eine Gerade. Die Geschwindigkeit dagegen bleibt in der ganzen Länge der Röhre constant: sie kann daher durch eine der Geraden o r parallele Gerade p q dargestellt werden. Es ist dann offenbar in einem Querschnitt i der Ausflussröhre die ganze Summe der hier vorhandenen Kräfte durch die Ordinate i g dargestellt, das Stück i f derselben ist derjenige Theil der Kraft, welchcr als Von der Schwere. Druckkraft wirksam ist, das Stück f g der Ordinate dagegen derjenige Theil der Kraft, der als lebendige Kraft der Flüssigkeitsbewegung sich äussert. Man pflegt dem entsprechend von der im Gefäss vor- handenen Flüssigkeitshöhe m x den Abschnitt m o als Druckhöhe oder Widerstandshöhe , o p als Geschwindigkeitshöhe und p x als Höhe des Uebergangswiderstands zu bezeichnen. Nach der beim Princip der Erhaltung der Kraft (§. 11) gebrauchten Bezeichnungs- weise entspricht in jedem Querschnitt der Röhre die Druckhöhe der Spannkraft, die Geschwindigkeitshöhe der lebendigen Kraft. Bei der Flüssigkeitsbewegung in Röhren bleibt demnach die lebendige Kraft der Flüssigkeit constant, während die Spannkraft derselben continuirlich abnimmt und zuletzt auf null sinkt. Dies widerspricht scheinbar dem Princip der Erhaltung der Kraft, da nach dem letzteren Spannkraft und lebendige Kraft zusammengenommen immer constant bleiben müssen. In der That ist aber dieser Widerspruch nur ein scheinbarer. Indem nämlich durch die Reibung der strö- menden an der der Wand adhärirenden Flüssigkeit Druckkraft verschwindet, wird die- selbe bloss in eine ihr äquivalente Menge von Wärme umgesetzt. Es geht also die am Anfang der Röhre vorhandene Druckkraft allmälig in lebendige Kraft über, aber nicht in lebendige Kraft der Vorwärtsbewegung, sondern in lebendige Kraft der Wärme, bis endlich an der Ausflussöffnung alle Spannkraft in lebendige Kraft verwandelt ist. Der wesentliche Unterschied der Bewegung von Flüssigkeiten in Röhren und der Be- wegung fester Körper auf einer Unterlage besteht somit darin, dass hier zur Ueber- windung der Reibung die lebendige Kraft der Bewegung selbst verwendet wird, daher die Geschwindigkeit eine continuirlich verzögerte ist, während dort vom Beginn der Bewegung an so viel Spannkraft vorhanden bleibt, als die Ueberwindung des Wider- stands erfordert, daher die Geschwindigkeit constant, aber von Anfang an um so geringer ist, ein je grösserer Widerstand dem ganzen Ablauf der Bewegung sich ent- gegensetzt. Wir können offenbar annehmen, dass die bewegte Flüssigkeit in dem Maasse, als sie durch die Reibung an der Wandschichte an lebendiger Kraft verliert, solche alsbald wieder zugeführt erhält durch Umwandlung aus der als Druck vorhan- denen Spannkraft. Man wird daher immerhin auch hier sich vorstellen müssen, dass die Wärme zunächst aus der lebendigen Kraft der Vorwärtsbewegung entsteht; man kann jedoch dieses Zwischenglied in der Betrachtung desshalb hinweglassen, weil die durch die Reibung erzeugte Wärme der am Anfang des Rohres vorhandenen Druck- höhe äquivalent sein muss, sobald dieselbe bewegende Kraft der Flüssigkeitsströmung erhalten bleibt. (Vergl. hierzu Abschn. V. Cap. 5.) 79 Beziehung zwi- schen Druck und Geschwin- digkeit. Wir haben bisher nachgewiesen, dass durch den Ansatz einer Röhre an ein Druckgefäss die Geschwindigkeit des Ausflusses eine Verzögerung erfährt, die unter sonst gleich bleibenden Bedingungen mit der Länge der Röhre zunimmt. Diese Verzögerung aber, die als Widerstandshöhe sich geltend macht, ist offenbar selbst abhängig von der Geschwindigkeit der Flüssigkeit, da ja die letztere nur wenn sie bewegt ist an der benetzenden Wandschichte sich reibt. Dass diese Reibung mit der Geschwindigkeit zunehmen muss, ist von vornherein klar, denn je mehr Flüssigkeitstheilchen sich an der adhärirenden Schichte vorbeibewegen, um so grösser wird die Kraft sein, die zu ihrer Losreissung von dieser Wandschichte erforderlich ist. Im All- Das Ausströmen aus Gefässen und der Stromlauf in starren Röhren. gemeinen muss also mit der Geschwindigkeitshöhe auch die Druck- höhe zunehmen. In der That bestätigt die Beobachtung, dass der Druck der Gescnwindigkeit proportional ist. Da ferner der Druck, wenn eine gegebene Geschwindigkeit erzeugt werden soll, um so grösser sein muss, je länger die Röhre, und je enger ihr Querschnitt ist, so wird die Beziehung zwischen dem Druck p und der Geschwindig- keit v ausgedrückt durch die Gleichung p = , worin l und q Länge und Querschnitt der Röhre und C eine von der Natur der Flüssigkeit abhängige Constante bezeichnet. Für die Geschwindigkeit v ergiebt sich demnach die Gleichung v = . Die Constante C ist von der Reibung der strömenden an der adhärirenden Flüssigkeit ab- hängig. Sie wird um so grösser, je zäher die Beschaffenheit der Flüssigkeit ist. Man kann sie als den Coëfficienten der inneren Flüssigkeitsreibung bezeichnen. Sobald die Flüssigkeit die Wandung benetzt, hängt der Widerstand nur von dieser inneren Reibung, nicht von der Adhäsion ab. Mit steigender Temperatur nimmt der Coëfficient C ab, also die Geschwindigkeit zu. Der Satz, dass die Geschwindigkeit in der ganzen Länge einer 80 Stromlauf in Röhren von wechselndem Durchmesser. an ein Druckgefäss angesetzten Röhre constant sei, gilt selbstverständ- lich nur so lange, als der Durchmesser der Röhre genau gleich gross bleibt. Erweitert sich oder verengert sich dagegen der Querschnitt der Ansatzröhre, so muss die Geschwindigkeit aus derselben Ursache sich verändern, aus welcher sie in einer Röhre von gleichem Durch- messer constant bleibt, nämlich wegen der Continuität der Flüssigkeit. Die letztere erfordert offenbar, dass in gleichen Zeiten durch jeden Querschnitt der Röhre gleiche Flüssigkeitsmengen hindurchtreten. Im selben Verhältnisse als der Querschnitt der Röhre sich vergrössert, finden aber in ihm mehr Flüssigkeitstheilchen Platz. Die Geschwin- digkeit der Flüssigkeit muss daher im gleichen Maasse zuneh- men, als der Querschnitt der Röhre abnimmt. Besteht also die ganze Ausflussröhre, wie in Fig. 46, aus aneinandergesetzten engeren und weiteren Röhren, so findet immer da, wo ein engeres in ein weiteres Rohr übergeht, eine plötzliche Abnahme und da, wo ein weiteres in ein engeres Rohr übergeht, eine plötzliche Zunahme der Geschwindig- keit statt. Dagegen muss der Druck an der Uebergangsstelle eines engeren in ein weiteres Rohr plötzlich zunehmen. Denn da die Flüs- sigkeit die Geschwindigkeit, die sie besitzt, beizubehalten strebt, so entsteht bei der Verminderung der Geschwindigkeit eine Zunahme des Drucks der Flüssigkeitstheilchen gegen einander und gegen die Wan- dung. Umgekehrt muss beim Uebergang aus dem weiteren in ein engeres Röhrenstück mit der Zunahme der Geschwindigkeit eine plötz- liche Abnahme des Drucks erfolgen. Auch die Schnelligkeit der Wundt , medicin. Physik. 8 Von der Schwere. Druckabnahme wird sich in den einzelnen Röhrenstücken verschieden verhalten. Da die Druckveränderung immer dem Widerstande ent- spricht, welchen die Flüssigkeit auf ihrem Wege findet, und der Wi- derstand mit der Enge der Röhre zunimmt, so wird die Druckabnahme schneller in einem engeren als in einem weiteren Röhrenabschnitt er- folgen. Alle diese Verhältnisse sind durch die über dem Röhrensystem a b c d (Fig. 46) gezeichneten Linien dargestellt. Wenn a e die Druck- Fig. 46. höhe, e k die Geschwindigkeitshöhe an der Einflussöffnung bezeich- nen, so wird der Druck in dem ganzen Röhrenstück a b durch die Linie e f, und die Geschwindigkeit durch die ihr parallele Linie k l dargestellt. Bei b nimmt nun plötzlich die Geschwindigkeit um l m ab und der Druck um f g zu; in dem Röhrenstück b c wird dann die Veränderung des Drucks durch die Linie g h und die constante Ge- schwindigkeit durch die Linie m n bezeichnet. Endlich bei c nimmt die Geschwindigkeit wieder um n o zu und der Druck entsprechend um h i ab; in dem letzten Röhrenstück bezeichnet dann i d die Veränderung des Drucks und die ihr parallele o p die constante Ge- schwindigkeit. Die Zunahme des Drucks an der Uebergangsstelle des engeren in den weiteren Röhrenabschnitt bezeichnet man als posi- tive Stauung , die Abnahme des Drucks im umgekehrten Fall da- gegen als negative Stauung . Die Gesammtgrösse des Widerstandes in einer mit Erweiterungen versehenen Röhre ist kleiner als in einer sonst gleich beschaffenen Röhre ohne Erweiterungen, da in jedem erweiterten Abschnitt die Flüssigkeit langsamer fliesst, und da die Berührungsfläche, an der die Flüssigkeit adhärirt, eine kleinere ist. Somit ist die Widerstandshöhe an der Einflussöffnung geringer und entsprechend die Flüssigkeits- menge grösser, die durch jeden Querschnitt der Röhre in einer gege- benen Zeit hindurchfliesst. Man sieht leicht ein, dass auch die Gesetze der Flüssigkeitsbewegung in Röhren von ungleichem Durchmesser unmittelbar unter das allgemeine Princip der Erhaltung Das Ausströmen aus Gefässen und der Stromlauf in starren Röhren. der Kraft sich subsumiren lassen. Im Sinne des letzteren kann man einfach sagen: beim Ueberströmen aus einer engeren in eine weitere Röhre wird lebendige Kraft in Spannkraft, umgekehrt beim Ueberströmen aus einer weiteren in eine engere Röhre Spannkraft in lebendige Kraft umgewandelt. Uebrigens ist auch hier wegen der an den Uebergangsstellen durch das Aufeinanderstossen der Flüssigkeitstheilchen bewirk- ten Widerstände weder im ersten Fall die gewonnene Spannkraft genau gleich der verschwundenen lebendigen Kraft, noch im zweiten Fall die gewonnene lebendige Kraft der Flüssigkeitsbewegung genau gleich der verschwundenen Spannkraft: sondern stets geht, ähnlich wie an der Einflussöffnung, ein gewisser Bruchtheil der Kraft in Folge der Bewegungsstörung verloren oder vielmehr in eine andere Form von lebendiger Kraft, in Wärme über. Wir haben in §. 78 gezeigt, dass der Seitendruck in einer ge- 81 Biegungen des Rohres. raden Röhre von constantem Durchmesser von der Einflussöffnung an gleichmässig sinkt, bis er an der Ausflussöffnung null wird. Dieses Gesetz verliert aber seine Gültigkeit, sobald die Röhre nicht gerade, sondern gebogen ist. Wenn die Röhre A B C (Fig. 47) bei B eine Fig. 47. Biegung besitzt, so muss die in der Rich- tung A B bewegte Flüssigkeit bei B einen Stoss gegen die Wandung ausüben, der die Flüssigkeit in eine rückläufige Bewegung zu versetzen strebt und daher als Wider- stand auf dieselbe einwirkt. Ist die Bie- gung stark, so erzeugt der Stoss an der Knickungsstelle eine Stauung, welche einen Theil der Flüssigkeit völlig in der Vorwärts- bewegung hemmen kann. Nichts desto we- niger muss wegen der Continuität der Flüssigkeit durch jeden Quer- schnitt des Rohrs in gleichen Zeiten gleich viel hindurchtreten: die Stauung wirkt daher wie eine Verengerung des Strombetts, und der bewegte Theil der Flüssigkeit muss sich der Verengerung entsprechend, so weit die Stauung reicht, schneller bewegen. Wie ferner bei jeder Verengerung des Rohrs eine plötzliche Veränderung des Drucks statt- findet, so muss sich dies auch an der Knickungsstelle ereignen. Be- zeichnen wir daher auf der Linie A D den Seitendruck durch verticale Ordinaten, indem wir den Theil B D dieser Linie dem geknickten Theil B C des Rohres correspondirend denken, so wird die Verände- rung des Seitendrucks durch die geknickte Linie a b c D dargestellt. Der Widerstand ist am Anfang des Rohres um die Grösse a a', den Widerstand der Stauung, grösser als bei einem Rohr von gleicher Länge ohne Knickung, an der Stelle der Stauung, von b bis c, sinkt er dann rascher und unterhalb der Stauung wieder mit gleicher Ge- schwindigkeit wie vorher. Wäre das Rohr nicht gebogen, so würde die Gerade a' D das Fallen der Widerstandshöhe ausdrücken. Hieraus ergibt sich, wie auch von vornherein schon einleuchtet, dass in Folge 8 * Von der Schwere. der Biegung des Rohres die Widerstandshöhe von der Einflussöffnung an bis an die Stelle der Biegung vergrössert ist, dass sie aber unter dieser Stelle gerade so sich verhält, als wenn gar keine Biegung vor- handen wäre. Die Geschwindigkeitshöhe in der ganzen Länge des Rohres wird hingegen durch die geknickte Linie α β γ δ dargestellt. Von b an nimmt bis ungefähr zur Mitte der Stauung bei β entspre- chend der Querschnittsveränderung des fliessenden Stromtheils die Geschwindigkeit zu und dann von β bis γ wieder ab, um hier die vo- rige Geschwindigkeit a α zu erreichen. 82 Stromlauf in verzweigten Röhren. Bei den Strömungserscheinungen in verzweigten Röhren wir- ken fast alle Bedingungen, die wir bisher betrachtet haben, zusammen. An jeder Verzweigungsstelle findet sich eine mehr oder weniger starke winkelige Biegung. Der Gesammtdurchmesser der Röhren, die aus der Verzweigung hervorgehen, ist sehr häufig verschieden von dem Durchmesser des einfachen Rohrs, aus dem sie entspringen. Endlich wird unter allen Umständen die Berührungsfläche der Flüssigkeit und der Röhrenwandung vergrössert. Aus diesen Bedingungen, deren Effecte uns im einzelnen schon bekannt sind, lassen unmittelbar die Strömungserscheinungen in verzweigten Röhren sich ableiten. Hier interessirt uns vorzugsweise derjenige Fall, der im Gefässsystem der Thiere verwirklicht ist, wo ein Gefässrohr in mehrere Zweige von grösserem Gesammtdurchmesser sich scheidet, und wo, nachdem diese Verzweigung sich mehrfach wiederholt hat, die Zweige wieder in ein ein- ziges Rohr sich sammeln, dessen Durchmesser demjenigen des ersten Rohres annähernd gleich ist. Das einfachste Schema dieser Art ist in Fig 48, das nächst einfache in Fig. 49 dargestellt. Die Veränderungen Fig. 48. Fig. 49. des Drucks in dem in Fig. 48 versinnlichten Schema werden durch die gebrochene Linie a b c d e ausgedrückt. Bei B würde, wenn bloss die Zunahme des Gesammtquerschnitts in Rücksicht fiele, ein plötzliches Ansteigen des Drucks stattfinden; umgekehrt würde, wenn bloss die winkelige Biegung ihren Einfluss geltend machte, der Druck plötzlich sinken. Beide Momente wirken also einander entgegen und können sich aufheben, so dass die Linie bei b nur eine Knickung er- fährt; eine solche muss eintreten, weil von B bis C das Strombett er- weitert ist und daher zwischen diesen zwei Punkten des Röhrensy- stems der Druck langsamer sinkt. Anders verhält es sich an der Das Ausströmen aus Gefässen und der Stromlauf in starren Röhren. Stelle C, wo die Zweige wieder zusammenmünden. Hier muss der Druck sinken, weil das Strombett sich verengert, und weil gleichzeitig eine winkelige Biegung des Rohres stattfindet: jetzt wirken also beide Momente im selben Sinne, die Drucklinie zeigt daher bei C ein plötzliches Sinken, das stärker ist als bei der blossen Verenge- rung des Strombetts. Als eine unmittelbare Folgerung, die auch ex- perimentell bestätigt worden ist, ergiebt sich hieraus, dass in einem symmetrischen Röhrensystem der Druck nicht symmetrisch ansteigt und abfällt, sondern dass er an einer der Mitte des Röhrensystems entsprechenden Stelle m grösser ist als das Mittel des Drucks an zwei symmetrisch vor und hinter dieser Stelle gelegenen Punkten B und C. Hinsichtlich der absoluten Grösse des Drucks an der Einflussöffnung A, der Widerstandshöhe, wäre im Allgemeinen zu erwarten, dass die- selbe theils wegen der Winkelbiegung, theils wegen der Vergrösserung der Berührungsfläche zwischen Flüssigkeit und Röhrenwandung bei einem verzweigten Röhrensystem eine grössere sei als bei einer geraden Röhre. Auch diesem Einfluss wirkt aber die Erweiterung des Strombetts entgegen. Es kann daher eintreten, dass beide Momente entweder sich compensiren, d. h. dass für ein stärker verzweigtes Röh- rensystem die Widerstandshöhe nicht grösser ist als für ein einfache- res, oder dass sogar die Widerstandshöhe des verzweigten Systems kleiner wird, weil die Vergrösserung des Durchmessers den Wider- stand um mehr vermindert, als ihn die Verzweigung vergrössert. Wenn nun die Widerstandshöhe die nämliche ist, so ist offenbar auch die Geschwindigkeitshöhe in beiden Fällen gleich: es fliesst also, voraus- gesetzt, dass man dasselbe Druckgefäss anwendet, aus dem zusam- mengesetzteren System (Fig. 49) in einer bestimmten Zeit ebensoviel oder, wenn die Widerstandshöhe kleiner ist, sogar mehr Flüssigkeit aus wie aus dem einfacheren (Fig. 48). Der Winkel, unter welchem sich die Strombahn verzweigt, scheint von keinem merklichen Einfluss auf Widerstand und Geschwindigkeit. Dass bei jeder Erweiterung der Strombahn die Widerstandshöhe abnimmt, ergibt sich unmittelbar aus der zwischen Druck und Geschwindigkeit festgestellten Beziehung . Diese Abnahme des Drucks hat ihren Grund in der relativen Ver- minderung der Berührungsfläche zwischen Flüssigkeit und Röhrenwandung, da die Menge der an der Wand adhärirenden Flüssigkeit nur im einfachen Verhältniss des Durchmessers, die Menge der nicht adhärirenden Flüssigkeit dagegen im quadratischen Verhältniss des Durchmessers zunimmt. Findet nun bei einer Theilung des Rohres zugleich eine Erweiterung des Strombetts statt, so kann leicht trotzdem die Grösse der adhärirenden Fläche im Verhältniss zur Menge der strömenden Flüssigkeit ver- mindert werden oder sich gleich bleiben. Letzteres ist z. B. bei der Theilung in meh- rere Röhren von gleichem Durchmesser der Fall. Nach den Versuchen Volkmanns scheint in der That das Gleichgewicht zwischen Vermehrung und Verminderung des Von der Schwere. Widerstandes annähernd bei Systemen von gleichem Durchmesser der Röhren, wie Fig. 48 und 49, verwirklicht zu sein. Nach den neueren Angaben von Jacobson aber bewirkt die Verzweigung in der Regel eine Vergrösserung der Ausflussgeschwin- digkeit, und nach den sorgfältigen Versuchen dieses Beobachters ist zu vermuthen, dass ausser den oben erwähnten noch andere, bis jetzt nicht näher zu übersehende Momente die Ausflussgeschwindigkeit bei der Verzweigung vergrössern. 83 Flüssigkeits- bewegung in Capillarröhren. Die oben geltend gemachten Beziehungen zwischen Widerstand, Geschwindigkeit der Flüssigkeit und Durchmesser der Ausflussröhren gelten sämmtlich nur so lange, als der Durchmesser nicht unter eine gewisse Grösse sinkt. Die Strömungserscheinungen in Capillarröh- ren stimmen mit der Flüssigkeitsbewegung in weiteren Röhren darin überein, dass auch bei ihnen der Widerstand proportional der Röhrenlänge zu- und demgemäss ebenso die Geschwindigkeit abnimmt. Sie unterscheiden sich aber dadurch, dass die Ausflussgeschwindigkeit nicht dem Querschnitt, sondern der vierten Potenz des Durchmessers der Röhre proportional ist. Dies hat offenbar darin seinen Grund, dass hier ausser der Reibung der Flüssigkeitstheilchen an einander auch die Adhäsion an der Röhrenwandung in Rücksicht kommt. Nach den Beobachtungen von Poiseuille und Hagen über den Ausfluss aus Capillarröhren ist ferner die Temperatur, die Beschaffenheit der Flüssigkeit und der Röhrenwandung von wesentlichem Einflusse, wie dies nach den allgemeinen Phänomenen der Capillarität (§. 73) schon vorausgesehen werden kann. 84 Anwendungen auf die Blut- bewegung. Die erörterten Gesetze der Flüssigkeitsbewegung in Röhrensy- stemen enthalten die wesentlichsten Principien, nach denen die Blut- bewegung in dem Röhrensystem der Kreislaufsorgane zu beurtheilen ist. Das Herz wirkt ähnlich einem Druckgefäss. Der ganze Druck, den es ausübt, ist theils Geschwindigkeits- theils Widerstandshöhe. Der ersteren entspricht die Ausflussgeschwindigkeit des Blutes aus dem Herzen, der letzteren der an der Einflussstelle in die Körper- und in die Lungenschlagader vorhandene Seitendruck. Durch diesen Seitendruck wird der ganze im System des grossen und des kleinen Kreislaufs vorhandene Widerstand gemessen. In dem Maasse als zur Ueberwindung des Widerstandes Kraft verbraucht wird, fällt in den vom Herzen entfernter liegenden Gefässen der Seitendruck. Der Ge- sammtquerschnitt des Gefässsystems nimmt zuerst beträchtlich zu und dann wieder ab: ihre grösste Erweiterung hat die Blutbahn im Capil- larsystem, ihre engsten Stellen bilden die grossen Gefässe, die am Herzen ein- und austreten. Die Blutgeschwindigkeit sinkt daher gegen das Capillarsystem und ist in diesem am kleinsten, während sie in den Venen wieder wächst, doch erreicht sie nicht völlig die Geschwin- digkeit in den grossen Arterien, weil der Gesammtquerschnitt der in Das Ausströmen aus Gefässen und der Stromlauf in starren Röhren. das Herz einmündenden Gefässe grösser als derjenige der aus- führenden ist. Die Blutgeschwindigkeit in jedem einzelnen Theil der Gefässbahn liesse sich voraus bestimmen, wenn der zu diesem Theil gehörige Gesammtquerschnitt bekannt, und wenn die in irgend einem andern Querschnitt der Blutbahn vorhandene Geschwindigkeit ermittelt wäre. Denn nach dem Princip der Continuität der Flüssig- keiten muss in einer gegebenen Zeit durch jeden Querschnitt des Ge- fässsystems ein gleiches Quantum hindurchtreten. Es muss daher auch in einer gegebenen Zeit ebenso viel Blut durch die Venen zum rech- ten Herzen zurückkehren, als durch die Arterien ausströmt. Das- selbe Gleichgewicht muss speciell zwischen der Bahn des grossen und des kleinen Kreislaufs stattfinden: durch einen Querschnitt des Kör- pergefässsystems tritt in derselben Zeit ebenso viel Blut wie durch einen Querschnitt des Lungengefässsystems, und die Blutquanta, welche die vier Herzabtheilungen aufnehmen oder austreiben, sind sämmtlich einander gleich. Nun findet zwischen den Systemen des kleinen und des grossen Kreislaufs ein ähnliches Verhältniss statt, wie wir es in Fig. 48 und 49 schematisch dargestellt haben. Im grossen Kreislauf sind Erweiterung des Strombetts und Verzweigung viel bedeutender als im kleinen. Wir haben nun gesehen, dass nach experimentellen Ermittelungen die Ausflussmenge aus zwei derartigen Systemen nahe- hin die gleiche ist, wenn die einzelnen Röhren, aus denen dieselben zusammengesetzt sind, gleiche Länge und gleichen Durchmesser be- sitzen. Dass ein derartiges Verhältniss zwischen dem grossen und dem kleinen Kreislaufsystem wirklich stattfinde, hat jedoch weder in den anatomischen Verhältnissen noch in den physiologischen That- sachen eine Stütze. Denn wenn die letzteren auch lehren, dass die Ausflussmengen aus beiden Systemen einander gleich sein müssen, so ergibt sich aus ihnen anderseits, dass die Widerstände im kleinen Kreislauf viel unbedeutender sind als im grossen, indem die Messun- gen des Seitendrucks in der Lungenarterie viel kleinere Werthe er- geben als die ähnlichen Messungen in der Aorta. Die Compensation der Ausflussmengen muss daher hauptsächlich durch verschiedene Grösse der austreibenden Kräfte bewirkt werden. Dies findet darin seine Bestätigung, dass die Muskelwandungen der rechten Herzkam- mer schwächer als diejenigen der linken Herzkammer sind. Ueber- dies lehrt der grössere Voluminhalt der ersteren, dass die Con- traction derselben unvollständiger sein muss. Es lässt sich leicht denken, dass die beiden Herzhälften schon während ihrer Entwickelung dem Gesetz der Gleichheit der Ausflussmengen sich accomodiren, und dass also die geringere Muskelausbildung des rechten Herzens eine Folge jenes Gesetzes ist. Naheliegend sind endlich die Anwendungen, die sich aus den Strömungsgesetzen in verzweigten Röhren auf die Blutbewegung in Collateralgefässen ergeben. Wir haben bereits her- Von der Schwere. vorgehoben, dass die Einflüsse, welche eine Verzweigung in eine grössere Anzahl von Collateralgefässen auf den Seitendruck im An- fang des Systems ausübt, immer zum Theil sich compensiren, indem Vergrösserung des Gesammtquerschnitts und Vergrösserung der be- rührenden Fläche einander entgegenwirken. Wird nun ein Collateral- gefäss plötzlich unwegsam gemacht (z. B. durch Unterbindung), so wird hierdurch ein bedeutender Widerstand eingeführt, und der Sei- tendruck muss daher steigen. Wenn sich ein Gefäss in mehrere Col- lateraläste von verschiedener Weite und Länge verzweigt, so gelten hierfür die in §. 82 entwickelten Gesetze, nach welchen im Allge- meinen die Verzweigung begünstigend wirkt für die Blutgeschwin- digkeit. Neuntes Capitel . Von der Wellenbewegung der Flüssigkeiten. 85 Entstehung der Flüssigkeits- wellen. Wir haben uns bisher ausschliesslich mit der geradlinigen Fortbewegung der Flüssigkeiten beschäftigt, und nur jene an die- selbe unmittelbar sich anschliessenden Fälle einer krummlinigen Be- wegung mit in Rücksicht gezogen, die durch Einwirkung der Schwere auf eine durch einen horizontal gerichteten Stoss in Bewegung ge- setzte Flüssigkeit entstehen und vollständig den Wurfbewegungen fester Körper entsprechen (S. den Schluss von §. 77). Nun bieten aber die Flüssigkeiten vermöge der Beschaffenheit ihres Aggregatzu- standes das besondere Verhalten dar, dass sehr häufig die geradlinige Fortbewegung einer Flüssigkeitsmasse mit einer Wellenbewegung sich combinirt. So bildet eine in einer Rinne abfliessende Flüssigkeit, sobald ihr Zufluss nicht völlig gleichförmig geschieht, Wellen auf ihrer Oberfläche. Ein Fluss bildet Wellen, wenn in seinem Strombett be- trächtliche Unebenheiten vorhanden sind, oder wenn die Oberfläche des Wassers durch Winde in Bewegung gesetzt wird. Stets liegt die Ursache einer solchen Wellenbewegung darin, dass die Theilchen einer Flüssigkeit in jeder Richtung gegen einander verschiebbar sind. So- bald daher, neben der Ursache, welche die geradlinige Fortbewegung der Flüssigkeitsmasse erzeugt, noch andere Ursachen einwirken, die das Gleichgewicht der einzelnen Flüssigkeitstheilchen stören, so folgt ein jedes Theilchen beiderlei Impulsen. Zugleich schwingen hierbei die Flüssigkeitstheilchen vermöge der Geschwindigkeit, die sie durch die Gleichgewichtsstörung erfahren haben, noch einige Zeit nach dem Aufhören derselben im gleichen Sinne fort, bevor sie wieder in eine vollkommen geradlinige Fortbewegung übergehen oder zur Ruhe kom- men. Um das complicirte Phänomen der Bewegung solcher in Wellen- schwingungen befindlicher Flüssigkeiten zu verstehen, müssen wir zu- Von der Wellenbewegung der Flüssigkeiten. nächst die Wellenbewegung der Flüssigheiten für sich in’s Auge fas- sen und dann die Erfolge betrachten, die eintreten, wenn die Wellen- bewegung mit der geradlinigen Fortbewegung zusammenwirkt. In einer vollkommen ruhenden Flüssigkeit mit freier Oberfläche entsteht jedesmal eine Wellenbewegung, wenn das Gleichgewicht an irgend einer Stelle dieser Oberfläche momentan gestört wird, sei es dadurch, dass man plötzlich einen Körper in die Flüssigkeit taucht oder neue Flüssigkeit zufliessen lässt, sei es dadurch, dass man einen Theil der Flüssigkeit entfernt. Wenn man z. B. einen Stein in’s Was- ser wirft oder auf einen ruhenden Wasserspiegel einen Tropfen fallen lässt, so geht von der Stelle, deren Gleichgewicht auf diese Weise gestört wurde, eine kreisförmig fortschreitende Welle aus, die immer schwächer wird und endlich erlischt. Zuerst erhebt sich die um die gestörte Stelle zunächst liegende Flüssigkeit zu einem Wellenberg; während dieser in ein Wellenthal übergeht, erhebt sich die ihn un- mittelbar umgebende Flüssigkeit zu einem Berg, u. s. f. Ist dagegen die Gleichgewichtsstörung dadurch zu Stande gekommen, dass man (z. B. mittelst einer Röhre, an der man saugt) eine kleine Quantität Flüssigkeit entfernt hat, so sinkt zunächst die um die gestörte Stelle liegende Flüssigkeit unter ihr bisheriges Niveau, sie bildet also ein Wellenthal, während sie dann höher als zuvor sich erhebt, in einen Wellenberg übergeht, sinkt die sie umgebende Flüssigkeit unter das Niveau und bildet ein Wellenthal, u. s. f. In beiden Fällen geschieht demnach die Fortpflanzung in entgegengesetzter Weise: im ersten Fall breitet ein Wellenberg sich aus, dem das Wellenthal erst nach- folgt, im zweiten Fall breitet ein Wellenthal sich aus, dem der Wel- lenberg nachfolgt. Man nennt, der früher (in §. 30 und 35) eingeführ- ten Bezeichnung entsprechend, jene Fortpflanzung des Wellenbergs eine positive Welle , diese Fortpflanzung des Wellenthals dagegen eine negative Welle . Mit der ersten kreisförmigen Ausbreitung der Welle ist die ganze Wellenbewegung gewöhnlich noch nicht zu Ende. Ist eine positive Welle erregt worden, so kehrt der um die gestörte Stelle liegende Theil der Flüssigkeit nicht unmittelbar, nach- dem er eine Welle gebildet hat, wieder zur Ruhe zurück, sondern er erhebt sich vermöge der erlangten Geschwindigkeit noch einmal zu einem Wellenberg, dem ein zweites Wellenthal folgt, u. s. f. Diese folgenden Wellen breiten ähnlich wie die erste sich aus, aber sie werden immer schwächer, bis endlich die Wellenbewegung gänzlich erlischt. Aehnliche Nachschwingungen folgen auch auf eine negative Welle, hier folgt nach Ablauf der ersten Welle zunächst ein zweites Wellenthal, u. s. f. Die Ursache dieser Wellenbewegungen ergibt sich aus den früher erörterten Gesetzen des Aggregatzustandes der Flüssigkeiten. Wenn Von der Schwere. wir einen Körper in eine Flüssigkeit werfen, so bildet derselbe durch die lebendige Kraft seines Falls eine Vertiefung, und die von ihm verdrängte Flüssigkeit muss sich wie ein Wall um diese Vertiefung erheben. Da aber die Flüssigkeit nur bei vollkommen horizontalem Niveau im Gleichgewicht ist, so muss jener emporgetriebene Wall vermöge seiner Schwere wieder herabfallen. Dabei erlangt er nun eine gewisse lebendige Kraft, so dass er unter das Niveau sinkt. In Folge dessen wirkt er auf die ihn umgebende Flüssigkeit gerade so wie der hineingeworfene Körper auf ihn selbst wirkte, und so muss, allmälig schwächer werdend, die Welle kreisförmig sich fortpflanzen. Völlig ähnlich verhält es sich mit der negativen Welle, nur ist bei ihr die Aufeinanderfolge der Gleichgewichtsstörungen die umgekehrte. 86 Bahn der Flüs- sigkeitstheil- chen bei der Wellenbewe- gung. Die Bahn, welche die einzelnen Flüssigkeitstheilchen bei der Wellenbewegung beschreiben, ergibt sich aus einer sehr einfachen Be- trachtung. Offenbar wird nämlich ein Flüssigkeitstheilchen in jedem Augenblick in demjenigen Sinn bewegt, in welchem sich die Welle bewegt, an der es Theil nimmt. Wenn also ein Wellenberg entsteht, so wird ein an der Stelle desselben befindliches Theilchen vorwärts und aufwärts gedrängt, sinkt der Berg wieder, so muss sich das Theilchen vorwärts und abwärts bewegen. Die während der Dauer des Wellenbergs beschriebene Bahn eines Theilchens wird also durch A (Fig. 50) dargestellt, wobei die Pfeilspitze die Richtung der Bewe- Fig. 50. gung anzeigt. Geht dann der Wellenberg in das Wellenthal über, so wird jedes Theilchen zuerst nach rückwärts und abwärts und dann nach rückwärts und aufwärts bewegt, während der Dauer des Wellen- thals wird also die Bahn durch B dargestellt. Combiniren wir beide Bewegungen, so erhalten wir C, die Bahn eines Theilchens während der Dauer einer ganzen Welle. Dabei ist vorausgesetzt, dass der Wellenberg ebenso hoch ist als das Wellenthal tief ist. Man sieht, dass in diesem Fall ein einzelnes Flüssigkeitstheilchen nach Beendigung der Wellenbewegung sich wieder am selben Ort befindet, den es im Anfang einnahm. Die Welle ist nur eine fortschreitende Form , sie besteht nicht in einer Vorwärtsbewegung der Flüssigkeit. Leicht lässt das Fortschreiten der ganzen Wellenform aus der Bewegung jedes einzelnen Theilchens sich ableiten. Wir wollen vorerst der Ein- fachheit wegen die Bahn der Flüssigkeitstheilchen als kreisförmig voraussetzen. Betrachten wir nun alle Flüssigkeitstheilchen, welche die Oberfläche der Welle A (in Fig. 51) bilden, so wird jedes der- Von der Wellenbewegung der Flüssigkeiten. Fig. 51. selben auf seiner kreisförmigen Bahn in gleichen Zeitmomenten gleiche Wegstrecken zurücklegen. Indem das Theilchen 1 in a nach 2 ge- langte, sind auch 1 b, 1 c, 1 d u. s. w. nach 2 vorgeschritten. Ver- binden wir also sämmtliche Orte 2 durch eine Linie, so erhalten wir die durch die punktirte Linie B bezeichnete Lage der Welle A im nächsten Zeitmomente. Die Welle B hat aber vollkommen dieselbe Gestalt wie die Welle A, sie ist nur um eine kleine Strecke nach vorwärts bewegt. Ebenso befindet sich die Welle in ein einem dritten Moment in C, wir haben sie in dieser Lage wieder durch eine ausge- zogene Linie dargestellt. Hat sich das Theilchen 1 bis nach 4 be- wegt, hat es also eine halbe Schwingung zurückgelegt, so wird da wo sich im Moment 1 der Wellenberg A befindet ein Wellenthal sein. Dagegen befindet sich wieder ein Wellenberg bei A, wenn das Theilchen nach 1 zurückgekehrt ist, also eine ganze Schwingung vollendet hat. Solche durch eine Gleichgewichtsstörung erzeugte Flüs- sigkeitswellen, bei denen jedes einzelne Theilchen fortwährend in sich zurückkehrende Bahnen beschreibt, entsprechen offenbar vollständig den in §. 40 betrachteten stehenden Schwingungen; sie sind nur die besondere Form, in welcher die stehenden Schwingungen der Flüssigkeitswellen auftreten. Die Bahnen, welche die einzelnen Flüssigkeitstheilchen bei der Wellenbewegung beschreiben, sind im Allgemeinen nicht, wie hier an- genommen wurde, von kreisförmiger, sondern von elliptischer Form, wobei die grössere Axe der Ellipse parallel ist der Oberfläche der ruhenden Flüssigkeit. Unmittelbar an der Oberfläche nähern sich die Ellipsen am meisten der Kreisform, tiefer unten wird die verticale Axe der Ellipsen immer kleiner, und zuletzt gehen die Theilchen nur noch in horizontaler Richtung hin und her. Diese Bewegungen lassen sich unmittelbar wahrnehmen, wenn man kleine feste Körper, die ein glei- ches specifisches Gewicht mit dem Wasser besitzen, in diesem ver- theilt hat und dann Wellen erregt. Die festen Körperchen beschreiben in diesem Fall die nämlichen Bahnen wie die Wassertheilchen. Wir haben bisher vorausgesetzt, der Wellenberg sei an Länge 87 Verschiedenheit von Wellen- berg und Wel- lenthal. Vor- und rückwärts schreitende Wellen. ebenso gross als das Wellenthal. Ist dies nicht der Fall, so entsteht eine wesentliche Veränderung in der Bewegung der Flüssigkeitstheil- chen. Nehmen wir znnächst an, der Wellenberg sei länger als das Von der Schwere. Wellenthal, so wird ein Theilchen, das wie vorhin während des An- und Absteigens der Bergwelle die Bahn a b beschrieben hat, nun während des Verlaufs der Thalwelle die kleinere Bahn b c (Fig. 52 A) zurücklegen. In diesem Fall gelangt also das Theilchen nach Been- Fig. 52. digung der Welle nicht vollständig in seine Anfangslage zurück, son- dern es ist um die Strecke a c vorwärts geschritten. Wenn nun eine neue Welle entsteht, so beschreibt das Theilchen während des Ablaufs derselben noch einmal die ähnliche Bahn, und so legt z. B. während vier auf einander folgender Wellen ein Theilchen den Weg von a bis f (Fig. 52 B) zurück. Setzen wir hingegen voraus, das Wellenthal entstünde zuerst und sei grösser als der darauf folgende Wellenberg, so wird das Theilchen während der Zeit des Wellenbergs den Bogen b c beschreiben (Fig. 53 A). Hier wird sich also das Theilchen um Fig. 53. die Strecke a c rückwärts bewegt haben, und während vier auf einan- der folgender Wellen wird es den Weg a f (Fig. 53 B) zurücklegen. Hieraus ergiebt sich die Regel, dass sobald Wellenberg und Wellen- thal nicht einander gleich sind eine Fortbewegung der Flüssig- keitstheilchen stattfindet, und dass diese Bewegung vorwärts gerich- tet ist, d. h. mit der Fortpflanzungsrichtung der Welle zusammenfällt, wenn die Länge des Wellenbergs überwiegt, und dass umgekehrt die Bewegung rückwärts d. h. der Fortpflanzung der Welle entgegen- gesetzt gerichtet ist, wenn die Länge des Wellenthals grösser ist. In diesen Fällen ist also stets mit der Wellenbewegung eine Strömung der Flüssigkeit verbunden. So hat uns die Betrachtung der Bahn der Flüssigkeitstheilchen von selbst auf die Combination der Strömungsbewegung mit der Wellenbewegung geführt. Wenn in einer strömenden Flüssig- keit positive Wellen erregt werden, z. B. dadurch, dass die Flüssig- keit mit zu- und abnehmender Geschwindigkeit einströmt, so müssen die Flüssigkeitstheilchen einen Weg wie in Fig. 52 beschreiben. Je schneller nach einander die positiven Wellen erregt werden, um so grösser werden die Wellenberge im Verhältniss zu den Wellenthälern. Stromlauf in elastischen Röhren. Kommt in dem Moment wo der Berg in das Thal übergehen sollte schon eine neue Welle an, so verschwinden die Wellenthäler gänzlich, und die Bahnen, welche die einzelnen Flüssigkeitstheilchen beschrei- Fig. 54. ben, werden dann durch die Fig. 54 A dargestellt. Mit Strömung verbundene negative Wellen, wie in Fig. 53, las- sen sich erzeugen, wenn man z. B. eine in einem Reservoir befindliche Flüssigkeit auspumpt. Bei jedem Pum- penstoss entsteht eine negative Welle, die sich ausbreitet, während zugleich die Flüssigkeitstheilchen gegen die Pumpe hin, also der Fortpflanzung der Welle entgegengesetzt, bewegt werden. Hier werden natürlich die Wellenthäler relativer immer grösser, je schneller die Pumpenstösse sich folgen, bis endlich eine der Fig. 54 B entsprechende Form entsteht. Zehntes Capitel . Stromlauf in elastischen Röhren. Die Gesetze der Wellenbewegung von Flüssigkeiten finden eine 88 Einfluss der Elasticät des Rohrs auf den Stromlauf. physiologisch wichtige Anwendung auf die Bewegung der Flüssigkei- ten in ausdehnsamen elastischen Röhren. Wir haben uns früher auf die Untersuchung der Flüssigkeitsbewegung in einem Röh- rensystem mit starren unausdehnsamen Wänden beschränkt, in wel- chem im Allgemeinen immer die Bewegung als eine geradlinige Strö- mungsbewegung angesehen werden muss. Die Ausdehnbarkeit der Wandungen gestattet nun den Flüssigkeitstheilchen eine Abweichung von der geradlinigen Bahn. Innerhalb einer elastischen Röhre kann daher eine Flüssigkeit nicht nur in Strömungsbewegung sondern auch in Wellenbewegung befindlich sein. Es ist übrigens leicht einzusehen, dass auch in der elastischen Röhre nur dann eine Wellenbewegung der Flüssigkeit möglich ist, wenn die Kraft, welche die Bewegung er- zeugt, stossweise einwirkt. Bei einem continuirlichen Druck von constanter Grösse würde das dehnbare Rohr sehr bald in seiner gan- zen Länge die dem Druck entsprechende Ausdehnung annehmen, worauf sich die Flüssigkeit in ihm gerade so wie in einer starren Röhre bewegen müsste. Wir beziehen unsere Betrachtung sogleich auf ein mit Flüssig- keit gefülltes Röhrensystem, in welchem die einzelnen Stösse in regel- mässigen Perioden auf einander folgen, und in welchem die Flüssigkeits- menge dadurch constant bleibt, dass bei jedem Stoss ein dem einge- drungenen gleiches Quantum von Flüssigkeit das System verlässt. Dies sind die Bedingungen, die beim Kreislauf des Blutes in der That Von der Schwere. verwirklicht, aber dadurch noch complicirt sind, dass derselbe aus zwei mit einander zusammenhängenden Systemen dieser Art besteht. Jeder elastische Körper übt auf eine ihn ausdehnende Kraft eine dieser Kraft gleiche Gegenwirkung aus, durch die er in seine frühere Form zurückzukehren strebt und wirklich zurückkehrt, sobald die Kraft entfernt wird. Treiben wir daher in ein bereits gleichmässig mit Flüssigkeit erfülltes elastisches Rohr ein neues Quantum von Flüssig- keit, so wird das Rohr an der Stelle, wo die Flüssigkeit eindringt, ausgedehnt. Nach Maassgabe dieser Ausdehnung übt es einen Druck auf seinen Inhalt aus. Dieser wird in Folge dessen in die nächste, noch nicht ausgedehnte Strecke des Rohrs gedrängt, es entsteht nun an dieser zweiten Stelle eine Ausdehnung, während sie an der ersten verschwindet. So wird die Ausdehnung successiv über die ganze Röhre bis an das entgegengesetzte Ende derselben fortschreiten. Wenn dieses letztere verschlossen wäre, so würde das an dasselbe grenzende Röhrenstück bei seiner Rückkehr zum früheren Volum die Flüssigkeit wieder rückwärts treiben: es würde dann die Welle mit abnehmender Stärke mehrmals hin- und herschreiten, bis die Röhre in dem neuen ausgedehnten Zustand im Gleichgewicht wäre. Unter der hier an die Spitze gestellten Voraussetzung aber, dass aus dem Röh- rensystem dasselbe Quantum Flüssigkeit ausströmt, als in dasselbe einströmt, wird, nachdem die Welle an das Ende der Röhre gelangt ist, dieses so weit sich entleeren, dass es wieder auf sein früheres Lumen zurückkehrt, und es wird damit die ganze Wellenbewegung des elastischen Rohrs ein Ende haben. Wir haben es also in diesem Fall nur mit fortschreitenden Wellen zu thun, wobei nach jeder Welle die Flüssigkeit in Ruhe kommt, bis durch einen neuen Stoss eine neue Welle erzeugt wird. 89 Strombewegung und Wellenbe- wegung. Es ist von vornherein klar, dass die Geschwindigkeit der Flüs- sigkeitsströmung durch die Ausdehnbarkeit der Röhre, in der die Flüssigkeit eingeschlossen ist, bedeutend verlangsamt werden muss. Aus einem vollkommen starren Rohr müsste im selben Moment, in welchem am einen Ende Flüssigkeit eingelassen wird, am andern Ende ein gleiches Quantum ausfliessen. Aus dem dehnbaren Rohr wird aber dieses Quantum erst dann ausgeflossen sein, wenn die Welle ihren Weg über die ganze Länge des Rohres zurückgelegt hat. Zu- gleich muss aber dieses Quantum auch langsamer ausfliessen, als es in die Röhre eingetrieben wurde. Denn wie es keinen vollkommen starren Körper giebt, und daher jene Voraussetzung der Strömung in einem starren Rohr nie in aller Strenge verwirklicht ist, ebenso wenig gibt es einen so ausdehnsamen Körper, dass derselbe nicht einen gewissen Widerstand der dehnenden Kraft entgegensetzt. Wenn also Flüssig- keit in ein Rohr eingetrieben wird, so wird, während dasselbe an Stromlauf in elastischen Röhren. dieser Stelle sich ausdehnt, doch auch zugleich der Stoss in der Richtung der Längsaxe der Röhre auf die Flüssigkeit sich fort- pflanzen. Die ganze in der Röhre enthaltene Flüssigkeit geräth da- durch in eine geradlinige Strömungsbewegung. Im Moment, in wel- chem das Eintreiben der Flüssigkeit aufhört, hat der erste Abschnitt der Röhre das Maximum seiner Ausdehnung erreicht und beginnt nun wieder auf sein früheres Lumen zurückzukehren. Dies wirkt aber offenbar auf alle folgenden Abschnitte der Röhre gerade so, als wenn das Eintreiben der Flüssigkeit noch fortdauerte, und es wird demnach in ihnen auch die geradlinige Strömung der Flüssigkeit andauern. Im zweiten Abschnitt der Röhre kommt, wie vorhin beim ersten, hierzu noch die Erweiterung des Lumens durch die in Folge der Einsinkung des ersten Abschnitts eingetriebene Flüssigkeit. Diese pflanzt sich auf den dritten, vierten Abschnitt u. s. w. fort. Auf diese Weise wird in jedem Röhrenstück, so lange irgend ein vorausliegender Abschnitt desselben nach vorausgegangener Ausdehnung in Verengerung be- griffen ist, eine vorwärtsgehende Strömung der Flüssigkeit vorhanden sein. In demjenigen Abschnitt aber, welcher selbst unter dem Einfluss der eingetriebenen Flüssigkeit sich ausdehnt und dann verengt, wird die Schwingung der elastischen Wandung auf die Bewegung der in ihr enthaltenen Flüssigkeit sich übertragen, es wird also jedes Flüssig- keitstheilchen eine ähnliche Bewegung ausführen, wie wir sie bei der Wellenbewegung der Flüssigkeit kennen gelernt haben, denn es folgen an dem elastischen Rohr und demzufolge auch an seinem Inhalt Berg- und Thalwelle in ähnlicher Weise auf einander wie an der Oberfläche einer Flüssigkeit, die in Wellenbewegung begriffen ist. Wäre das Ende des Rohrs verschlossen, so würde jedes Theilchen eine ellipti- sche, in sich zurücklaufende Bahn beschreiben, wie in Fig. 50 C. Da dies nach unserer Voraussetzung nicht der Fall ist und daher der ganze Inhalt des Rohrs, so lange ein Ausfliessen stattfindet, in einer vorwärtsgehenden Strömung begriffen ist, so muss die fortschreitende Bewegung mit der Wellenbewegung sich combiniren. Die Bewegung eines Flüssigkeitstheilchens in irgend einem von der Einflussöffnung entfernt gelegenen Abschnitt der Röhre wird also ungefähr die Form wie in Fig. 52 darbieten. Je weiter entfernt der betreffende Röhren- abschnitt von der Einflussöffnung des Rohres liegt, um so flacher wird die Welle, um so mehr tritt der in sich zurücklaufende gegen den fortschreitenden Theil der Bahn zurück, bis endlich die Wellenform ganz verschwindet und die Flüsigkeitstheilchen nur noch geradlinig sich fortbewegen. Es ist nun klar, dass da wo die Wellenbewegung ein Ende hat und nur noch die Strömungsbewegung vorhanden ist, die Geschwin- digkeit der letzteren auch eine gleichförmige geworden sein muss. Denn ungleichförmig wird die Strömung ja nur in Folge der Wellen- Von der Schwere. bewegung, und wo in einem elastischen Rohr Ungleichförmigkeiten der Strömung vorhanden sind, da muss nothwendig die Wandung des- selben in Wellenbewegungen gerathen, die sich der Flüssigkeit mit- theilen. Angenommen, in einem Röhrenabschnitt nehme die Geschwin- digkeit der Flüssigkeit zu, so muss die unter diesem Abschnitt gele- gene Stelle der Röhre in Folge des vermehrten Einströmens sich aus- dehnen; nimmt dann die Geschwindigkeit des Einströmens ab, so muss sich umgekehrt das Lumen der Röhre zusammenziehen. 90 Wellenhöhle und Wellen- länge. Je dehnbarer die Wandung des elastischen Rohrs ist, um so höher wird die in ihm verlaufende Flüssigkeitswelle, und um so kürzer deren Länge. Denn giebt die Wandung verhältnissmässig leicht dem Druck der Flüssigkeit nach, so wird der an der Einmün- dungsstelle gelegene Abschnitt der Röhre schnell so weit ausgedehnt, dass er die hineingetriebene Flüssigkeitsmenge vollständig zu fassen vermag. Sind dagegen die Wandungen unnachgiebiger, so ist der entstehende Wellenberg lang, aber weniger hoch. Entsprechend muss die Geschwindigkeit, mit welcher die Wellenbewegung sich fortpflanzt, zunehmen, je starrer die Röhre wird. Eine vollkommen starre Röhre bildet gleichsam die Grenze, indem in ihr die Bewegung mit unend- licher Geschwindigkeit sich fortpflanzt und die Länge der Welle un- endlich gross, ihre Höhe aber unendlich klein, d. h. die Wellenbewe- gung zu einer geradlinigen Fortbewegung der Flüssigkeit wird. Die Ausdehnung, welche die Wandung einer elastischen Röhre erfährt, ist ausser von der Ausdehnbarkeit derselben auch von der Grösse des Drucks abhängig, welchen die eingetriebene Flüssigkeit ausübt. Nun entspricht aber der Druck an der Einflussöffnung der Summe der Widerstände, welche die Flüssigkeit bei ihrer Bewegung zu überwinden hat, und er nimmt demzufolge in dem Maasse ab, als bereits Widerstände überwunden sind. So sinkt z. B., wie wir ge- sehen haben, in einem verzweigten Röhrensystem der Druck beträcht- lich unterhalb den Verzweigungsstellen. Entsprechend muss demnach auch die Wellenbewegung unter den Verzweigungsstellen abnehmen. Vergleichen wir die Bewegung einer in einem elastischen Röh- rensystem eingeschlossenen Flüssigkeit mit der Bewegung, wie sie unter sonst gleichen Bedingungen in einem System mit starren Wan- dungen stattfindet, so besteht sichtlich die Hauptdifferenz darin, dass in dem ganzen Verlauf des starren Röhrensystems die Bewegung der Flüssigkeit vollständig dem stossweisen Eindringen derselben an der Einflussöffnung entspricht, dass daher in einem gegebenen Zeitpunkt durch alle Querschnitte des Systems immer gleich viel Flüssigkeits- theilchen hindurchdringen, somit auch die Veränderungen der Ge- schwindigkeit während der einzelnen Stösse im ganzen System einan- der vollständig correspondiren, nämlich zuerst auf ein Maximum an- Stromlauf in elastischen Röhren. wachsen und dann wieder sinken, so dass in dem Moment wo der Druck an der Einflussöffnung ein Ende hat auch die Flüssigkeit im ganzen Röhrensystem wieder zur Ruhe zurückkehrt. In dem elasti- schen Röhrensystem dagegen nehmen nur die unmittelbar an der Ein- flussöffnung gelegenen Theilchen die der jeweiligen Periode des Stos- ses correspondirende Geschwindigkeit an, so dass an der Stelle der Einflussöffnung die Bewegung von null an auf ein Maximum steigt und dann wieder auf null zurücksinkt; selbstverständlich sind es hier- bei nicht die nämlichen Theilchen, welche successiv diese Phasen der Geschwindigkeit zeigen, sondern jedes Theilchen hat nur während seines Durchtretens durch jene Oeffnung die der gerade vorhandenen Periode des Stosses entsprechende Bewegung. In allen entfernter ge- legenen Abschnitten des Röhrensystems dagegen ist in dem Moment, in welchem der Stoss aufhört, noch eine durch die fortschreitende Welle bedingte Bewegung der Flüssigkeit vorhanden. Der Zeitpunkt, während dessen die Flüssigkeit in Ruhe ist, wird daher schon am allernächsten Röhrenabschnitt kleiner, und entfernt man sich so weit von der Einflussöffnung, dass ein neuer Stoss schon beginnt, ehe die Welle bereits über die betreffende Stelle hinausgegangen ist, so wird gar keine Unterbrechung der Bewegung, sondern nur eine abwech- selnde Zunahme und Abnahme der Geschwindigkeit stattfinden. Auch die Unterschiede dieser Zu- und Abnahme werden immer geringer, bis sie endlich an dem Punkt, wo die Welle erlischt, verschwinden und einer völlig gleichförmigen Bewegung Platz machen. Das wesentliche Merk- mal der Flüssigkeitsbewegung in einem elastischen Röhrensystem be- steht in dieser allmäligen Transformation der stossweisen in eine gleichförmige Bewegung, welche Umwandlung um so rascher ge- schieht, je schneller die Welle des elastischen Rohrs in Folge der in dem System vorhandenen Widerstände erlischt. Die Anwendung der erörterten Gesetze der Flüssigkeitsbewegung 91 Anwendung auf die Blut- bewegung in den Gefässen. in elastischen Röhren auf die Verhältnisse des Blutkreislaufs ist eine naheliegende. Die Blutgefässe bilden zwei zusammenhängende Sy- steme elastischer Röhren, das grosse und das kleine Kreislaufsystem, in deren jedem vom einen Ende aus bei der Zusammenziehung der Herzkammern eine positive Welle, vom andern Ende aus bei der Er- weiterung der Vorhöfe eine negative Welle sich fortpflanzt. Da die positive Welle eine Fortbewegung der Flüssigkeit in der Richtung ihres Verlaufs, die negative Welle dagegen eine Fortbewegung in der ihrem Verlauf entgegengesetzten Richtung zur Folge hat, so wirken beide Wellenbewegungen auf die Strömung der Flüssigkeit im gleichen Sinne. Die positive Welle ist die stärkere, weil in den grossen Ar- terien schon zuvor das Blut unter einem höheren Druck als in den grossen Venen steht, die erstere pflanzt daher auch weiter sich fort, Wundt , medicinische Physik. 9 Von der Schwere. sie erlischt erst am Eingang in das Capillarsystem, während die negative Venenwelle nur im Anfang des Venensystems zur Beobach- tung kommt. Bis in die kleinsten Arterien verliert die positive Welle wenig an ihrer Kraft, erst hier wachsen durch zahlreiche Verzweigun- gen die Widerstände so bedeutend, dass die Welle fast plötzlich ihr Ende erreicht. Die Bewegung des Blutstroms ist theils von diesen Verhältnissen der Fortpflanzung der Welle, theils von dem Rhythmus der Herzbewegungen abhängig. Während der Herzpause muss die Geschwindigkeit des Stroms am Eingang in das Arteriensystem null sein; der Blutstrom ist desshalb hier ein intermittirender . Aber die Herzbewegungen folgen schnell genug auf einander, dass schon in den aus der Verzweigung der Körperschagader hervorgehenden Stämmen die Bewegung des Blutes nie vollkommen still steht, sie ist daher in diesen eine remittirende und bleibt dies bis in das Capil- larsystem, wo sie in eine gleichförmige Strömung sich umwandelt; also solche erhält sie sich bis in die grösseren Venen, wo durch die negative Welle von neuem Remissionen auftreten. Doch wird sogar an der Einmündungsstelle des Venensystems die Bewegung nicht wie- der intermittirend, da hier, auch wenn die negative Welle nicht vor- handen wäre, doch immer noch ein continuirliches Ausströmen in Folge der positiven Welle im Arteriensystem übrig bliebe. 92 Physik des Ar- terienpulses. Die positive Welle der Arterien gibt sich uns als Arterienpuls zu erkennen. Die physikalische Beschaffenheit des Arterienpulses ist eines der wichtigsten Merkmale für die Beurtheilung der Zustände und Functionen der Kreislaufsorgane. Wir haben daher zum Schlusse die- ses Capitels noch die wichtigsten bei der Untersuchung des Pulses massgebenden physikalischen Gesichtspunkte hervorzuheben. Das ein- fachste und in gewissem Sinn unentbehrliche Hülfsmittel dieser Unter- suchung ist die tastende Hand . Diese unterscheidet zunächst die Geschwindigkeit in der Aufeinanderfolge der einzelnen Pulswellen, welche stets genau derjenigen Geschwindigkeit entsprechen muss, mit welcher an der Ursprungsstelle des Arteriensystems durch die Contrac- tionen der Herzkammern die einzelnen Wellen erzeugt werden. Alle Unregelmässigkeiten im Rhythmus des Pulses, mögen sie nun darin bestehen, dass der Puls Pausen von verschiedener Dauer macht, oder darin, dass er abwechselnd stärker und schwächer wird, müssen daher auf entsprechende Unregelmässigkeiten der Zusammenziehungen des Herzens bezogen werden. Dagegen können die in der Beschaffenheit der einzelnen Blutwelle zu beobachtenden Unterschiede bald von der ursprünglichen Erzeugungsart der Welle bald von der Eigenthüm- lichkeit der Gefässwandung, an welcher die Welle verläuft, abhängig sein. In letzterer Beziehung können wir die grössere oder geringere Stromlauf in elastischen Röhren. Erfüllung der Gefässe mit Blut und die grössere oder geringere Spannung der Gefässwände unterscheiden. Je mehr eine Arterie an- gefüllt ist, um so stärker ist auch die Spannung ihrer Wandung. Aber ausserdem ist die Spannung auch abhängig von dem Zustand der Mus- keln, namentlich der Kreismuskelfasern, welche in die Zusammensetzung der Wandungen eingehen. Wenn diese sich zu contrahiren und dem- nach das Lumen der Gefässe zu verengern streben, so wird dadurch die Spannung vergrössert, während die Spannung abnimmt, wenn die Ge- fässmuskeln erschlafft sind. Aus diesem Grunde unterscheidet man einen vollen oder leeren und einen harten oder weichen Puls. Voll ist der Puls, wenn die Arterie stark mit Blut angefüllt ist; hart nennt man ihn, wenn die Spannung der Arterie beträchtlich ist. Für die Beurtheilung des Zustandes der Arterienwandung ist auch der Umstand, ob man den Puls mehr oder weniger deutlich zu fühlen vermag, nicht unwesentlich. Ein schwacher Puls kann entweder von Schwäche der Herzaction oder von einer Bedeckung der Arterie durch andere Weichtheile oder von einer starken Verengerung ihres Lumens oder aber endlich von einer Rigidität der Arterienwandungen herrühren. Wenn diese, wie es im höheren Alter häufig geschieht, die Beschaffenheit starrer Röhren an- nehmen, so kann der Puls fast gänzlich verschwinden. Am wichtigsten Fig. 55. ist endlich die Art und Weise, wie die Pulswelle in der Zeit ver- läuft. Mittelst der blossen Beta- stung kann dieser Verlauf nur un- vollkommen beurtheilt werden. Zu einer genaueren Feststellung des- selben bedient man sich daher der graphischen Aufzeichnung des Verlaufes der Pulswelle durch ei- nen auf die Arterie gesetzten He- bel. Wir werden die zweckmässig- ste Methode der graphischen Auf- zeichnung, die neuerdings auch vielfach Eingang in die Praxis ge- funden hat, nachher erörtern. Zu- vor aber wollen wir die wichtigsten Unterschiede im Verlauf der Puls- welle, die man auf diese Weise nachzuweisen vermag, in’s Auge fassen. Diese Unterschiede betreffen: 1) die Raschheit des Anstei- gens der Pulswelle. Ein rasch an- steigender Puls wird gewöhnlich 9 * Von der Schwere. als schneller Puls bezeichnet und ihm der langsame Puls entge- gengesetzt. Fig. 55 A und B zeigen Beispiele dieser Pulsformen, die von der Häufigkeit oder Seltenheit des Pulses streng zu unterscheiden sind; ein häufiger Puls kann langsam (wie in B Fig. 55) und ein seltener Puls schnell (wie in A) sein oder umgekehrt. 2) Die Raschheit des Sinkens der Pulswelle. Zuweilen sinkt der Puls sehr schnell, nach- dem er angestiegen ist (C); manchmal bleibt er einige Zeit auf an- nähernd gleicher Höhe und sinkt dann langsam (D); 3) die Einfach- heit oder Doppelschlägigkeit des Pulses. Als einfach bezeich- nen wir den Puls, wenn jede einzelne Pulswelle aus einem einzigen An- und Absteigen besteht. Doppelschlägig dagegen nennt man ihn, wenn dieses An- und Absteigen sich noch einmal, wenn gleich schwä- cher, vor dem Eintritt einer neuen Pulswelle wiederholt. Dabei kann die Wiederholung der Oscillation entweder während der Periode des Ansteigens stattfinden (E), was jedoch seltener geschieht, oder sie kann während der Periode des Absteigens vorkommen (F), im letztern Fall fällt die Form des Pulses verschieden aus, je nachdem die Welle mehr oder weniger abgelaufen ist. Für die Ursachen dieser manchfachen Verschiedenheiten der Pulsformen lassen folgende physikalische Ursachen sich angeben. Die Pulswelle wird um so rascher ansteigen, je schneller der an der Einmündungsstelle des Arteriensystems die ganze Wellenbewegung ver- ursachende Flüssigkeitsstoss ist. Im allgemeinen deutet also diese Pulsform auf eine rasche Ventrikelcontraction. Sie kann aber auch andeuten, dass die Widerstände, die das Blut an der Einmündungs- stelle in das Arteriensystem vorfindet, geringer sind als gewöhnlich; man findet daher den schnellen Puls in besonders auffallendem Grade bei fehlendem Schluss der Aortenklappen. Die Raschheit des Sinkens der Pulswelle ist dagegen ganz und gar von der Beschaffenheit der Arterienwände abhängig. Diese werden schneller nach jeder Aus- dehnung wieder zusammensinken, wenn sie dehnbar und von vollkom- mener Elasticität sind, weil dann die Pulswelle höher und kürzer ist, als wenn die Wandungen eine starre Beschaffenheit besitzen: im letz- teren Fall (z. B. an den verknöcherten Arterien der Greise) beobach- tet man daher einen sehr langsam sinkenden Puls. Eine Wiederholung der Schwingung vor Eintritt einer neuen Pulswelle (doppelschlägigen Puls) findet man namentlich dann, wenn die Welle schnell sinkt und zugleich die Gefässwandung von kleiner aber vollkommener Elas- ticität ist; an rigiden Arterien fehlt daher der doppelschlägige Puls; er ist dagegen sehr stark, wenn die Spannung der Arterienwandungen ungewöhnlich vermindert ist, was in fieberhaften Krankheiten (beson- ders im Typhus) vorzukommen pflegt. Unterstützt wird sein Auftreten durch Widerstände, welche sich dem Strom nach abwärts von der beobachteten Stelle entgegensetzen. Dies lässt sich experimentell Stromlauf in elastischen Röhren. nachweisen an den Nachschwingungen eines mit Flüssigkeit gefüllten elastischen Schlauchs, die ebenfalls beträchtlich zunehmen, wenn man den Widerstand an der Ausflussöffnung (z. B. durch Verengerung des Rohres) vergrössert. Hiermit stimmt überein, dass die Doppelheit des Pulses um so deutlicher sich zeigt, je näher die betreffende Arterie dem Capillarsystem gelegen ist. Von den zuletzt angeführten Eigenthümlichkeiten des Verlaufs der Pulswellen vermag die zufühlende Hand höchstens die Raschheit des Ansteigens und höhere Grade der Doppelschlägigkeit zu unterscheiden. Eine genauere Analyse des Pulsverlaufs ist nur mittelst des Sphyg- mographen (Pulszeichners) möglich. Die Fig. 56 zeigt diesen Apparat schematisch vereinfacht nach der ihm von Marey gegebenen Form entworfen. An dem Gestell C desselben ist bei a eine Feder be- festigt; diese Feder trägt an ihrem freien Ende eine kleine Platte p, welche auf die Arterie aufgelegt wird. Die Platte p besitzt oben einen Stift c, der die Bewegungen, in welche die Feder durch den Arterien- puls versetzt wird, dem Hebel h mittheilt. Letzterer besteht, um mög- lichst wenig Masse zu haben, aus Aluminium, einem bekanntlich durch sein geringes specifisches Gewicht ausgezeichneten Metall. Um die Axe o ist der Hebel drehbar, und er zeichnet seine Bewegungen mittelst eines an seinem vorderen Ende befestigten Pinsels auf eine durch das Uhrwerk B an ihm vorbeibewegte Aluminiumplatte A auf. Fig. 56. So erhält man Curven, wie sie in Fig. 55 mitgetheilt sind. In allen diesen Curven ist wegen der Länge des Hebels die Höhe der Puls- welle stark vergrössert und dagegen wegen der verhältnissmässig ge- ringen Geschwindigkeit, mit der die Aluminiumplatte bewegt wird, deren Länge verkleinert. Die genauere Beschreibung des Apparates vergl. bei Marey , physiologie médi- cale de la circulation du sang, Paris 1863, p. 179 f. Beispiele von Pulscurven, deren Hauptformen sich übrigens sämmtlich auf die oben mitgetheilten reduciren lassen, findet man theils in diesem Werk, theils bei Wolff , Charakteristik des Arterienpul- ses, Leipzig 1865. Von der Schwere. III. Physik der Gase. Elftes Capitel . Vom gasförmigen Aggregatzustand. 93 Expansivkraft. Absolutes und speeifisches Ge- wicht der Gase. Den gasförmigen Aggregatzustand haben wir als den- jenigen bezeichnet, in welchem die abstossenden Kräfte der Atome über die anziehenden Kräfte derselben überwiegen. (S. §. 15.) Die Gase haben daher mit den tropfbaren Flüssigkeiten die allseitige Beweg- lichkeit ihrer Theilchen gemein; auch sie fügen sich jedem Raum an und besitzen nicht wie die festen Körper eine bestimmte Form. Sie unterscheiden sich aber dadurch wesentlich von den tropfbaren Flüs- sigkeiten, dass sie wegen jener abstossenden Wirkung, die zwischen ihren Theilchen stattfindet, auch kein bestimmtes Volumen besitzen, sondern so weit sich zu verbreiten streben, als der Raum, in welchem sie sich befinden, es immer gestattet. Diese Eigenschaft sich auszu- dehnen, so lange kein äusserer Widerstand es verhindert, nennt man die Expansivkraft der Gase. In Folge der allseitigen Beweglichkeit der Gastheilchen pflanzt sich in einem Gas, ebenso wie in einer Flüssigkeit, der Druck nach allen Richtungen gleichmässig fort. Hat man also z. B. ein Gas in einem Gefässe eingeschlossen, und übt man an irgend einer Stelle einen Druck auf das Gas aus, so steht der ganze Inhalt des Gefässes und jeder Theil seiner Wandung unter dem entsprechenden Druck. Ebenso üben die Theilchen eines in einem Raum enthaltenen Gases ver- möge ihrer Schwere gegenseitig einen Druck auf einander aus. Jede beliebige Gasschichte erfährt daher einen Druck, der gleich ist dem Ge- wicht der ganzen über ihr befindlichen Gassäule. So ist jede Stelle unserer Erdoberfläche fortwährend von dem ganzen Gewicht der Luft- säule belastet, die sich über dieser Stelle befindet. Die Gase besitzen demnach wie alle Körper Schwere: ihrem Streben zur Erde zu fallen wirkt aber bis zu einem gewissen Grade ihre Expansivkraft entgegen, welche, da sie auf den mit abnehmender Entfernung wachsenden Abstossungskräften zwischen den einzelnen Gastheilchen beruht, diesen nur so weit sich einander zu nähern ge- stattet, bis die abstossende Kraft und der durch die Schwere erzeugte Druck mit einander im Gleichgewicht stehen. Die Wärme erhöht die abstossende Kraft der Gastheilchen, ein äusserer Druck unterstützt umgekehrt die Wirkung der Schwere. Aus diesem Grunde ist das specifische Gewicht der Gase je nach Wärme und Druck sehr veränderlich, indem dasselbe bei Erhöhung der Temperatur rasch ab- nimmt und bei Vermehrung des Drucks bedeutend zunimmt. Desshalb muss man bei den Gasen noch mehr als bei den Flüssigkeiten und Vom gasförmigen Aggregatzustand. festen Körpern die specifischen Gewichte stets auf denselben Druck und dieselbe Temperatur beziehen: man wählt auch hier den mittleren Barometerdruck, der einer Quecksilbersäule von 0,76 Meter gleich- kommt, und die Temperatur von 0°. Die Ermittelung der Dichtigkeit der Gase geschieht aber auf eine von der specifischen Gewichtsbestimmung der Flüssigkeiten etwas abweichende Weise. Bei der verhältnissmässig geringen Dichtigkeit aller Gase muss man nämlich grosse Quantitäten derselben zur Abwägung benützen. Man nimmt also einen geräumigen Glasballon, wägt denselben zuerst im luftleeren Zustand, dann nachdem er mit dem betreffenden Gase und endlich ein drittes Mal nachdem er mit Wasser gefüllt ist. Ist V das Gewicht des Wassers und P das Gewicht des Gases, so erhält man das specifische Gewicht S, auf das Wasser als Einheit bezogen, aus der Gleichung (§. 70). Den so bei der gerade vorhandenen Temperatur und Barometerhöhe er- haltenen Werth hat man dann nach später (Abschn. V Cap. 1) an- zugebenden Regeln auf die Temperatur von 0° und den Barometer- stand von 0,76 Meter zurückzuführen. Auf dem angegebenen Wege wurde die Dichtigkeit der atmosphärischen Luft = 0,001293 gefun- den. Um die Dichtigkeit verschiedener Gase mit einander zu ver- gleichen, wird man nun aber offenbar dieselben zweckmässig ebenso auf die Dichtigkeit eines bestimmten Gases als Einheit zurückführen, wie man für die Dichtigkeit der Flüssigkeiten das Wasser zur Einheit nahm. Man ist so übereingekommen, die atmosphärische Luft bei 0°C. und 0,76 Met. Barometerstand als Einheit anzunehmen. Es ergeben sich dann folgende Werthe für die specifischen Gewichte einiger der wichtigeren Gase: Wasserstoff 0,0692 Sauerstoff 1,1056 Stickstoff 0,9713 Stickoxyd 1,0385 Oelbildendes Gas 0,9740 Schwefelwasserstoff 1,1778 Kohlenoxyd 0,9763 Chlor 2,4403 Die Verschiedenheit des specifischen Gewichts verschiedener Gase findet eine bekannte Anwendung bei der Construction der Luftballons . Wenn man einen Ballon aus dünnem, aber impermeabeln Stoff, z. B. aus Seidenzeug oder Collodiummembranen, mit einem Gase füllt, welches specifisch leichter als die unteren Schichten der atmos- phärischen Luft ist, z. B. mit Wasserstoffgas, so muss sich der Ballon erheben, bis er in eine Luftschichte kommt, deren Dichtigkeit gerade so gross ist, dass ein dem Ballon gleiches Volum derselben ebenso viel wiegt wie der Ballon sammt seinem Gasin- halt. (S. §. 94.) Da übrigens in den höheren Schichten der Atmosphäre der auf ihm lastende Luftdruck sich vermindert, so dehnt sich das Gas vermöge seiner Expansiv- kraft immer mehr aus, und es ist daher, um das Zerplatzen des Ballons zu vermei- den, erforderlich, dass derselbe nur unvollständig gefüllt werde. Von der Schwere. Zwölftes Capitel . Druck und Gleichgewicht der Gase. 94 Luftdruck. Ge- wichtsverlust der Körper in der Luft. Wir haben früher (in §. 69) nachgewiesen, dass jeder in eine tropfbare Flüssigkeit gebrachte feste Körper ebensoviel an seinem Ge- wichte verliert, als das Gewicht der von ihm verdrängten Flüssigkeit beträgt. Da nun die Gase die Eigenschaft der vollkommenen Beweg- lichkeit ihrer Theilchen und der dadurch bedingten Fortpflanzung des Drucks nach allen Richtungen mit den tropfbaren Flüssigkeiten theilen, so muss auch jeder in einem Gase, z. B. in der atmosphärischen Luft, befindliche Körper ebenso viel an seinem Gewicht verlieren, als das Gewicht des verdrängten Gases beträgt. Denn auch hier übertrifft offenbar der Druck auf die untere Fläche des Körpers den Druck auf die obere Fläche desselben genau um so viel, als die der Entfernung beider Flächen entsprechende Gassäule schwer ist. Wenn wir da- her einen Körper in der Luft abwägen, so erhalten wir streng genom- men ebenso wenig sein absolutes Gewicht, als wenn wir ihn im Wasser abwägten, sondern wir müssen, um das absolute Gewicht zu finden, das Gewicht der verdrängten Luft hinzuaddiren. Dabei kommt jedoch in Betracht, dass das Gewicht, welches wir zur Wägung des Körpers anwenden, ebenfalls Luft verdrängt. Theils aus diesem Grunde, theils weil überhaupt die Dichtigkeit der Luft im Vergleich zu derjenigen der festen Körper ausserordentlich gering ist, kommt in gewöhnlichen Fällen der hierdurch erzeugte Fehler nicht in Betracht. Nur wenn man sehr voluminöse Körper von geringer specifischer Schwere abwägt, oder wenn es auf äusserste Genauigkeit ankommt, kann es nothwendig werden, jenes verdrängte Luftvolum zu bestimmen. Es geschieht dies dadurch, dass man durch Abwägung in Wasser auf die früher ange- gebene Weise das Volum des Körpers ermittelt; dies Volum mit dem specifischen Gewicht der Luft multiplicirt gibt das Gewicht der ver- drängten Luft an. Sei also p das durch die Abwägung gefundene Ge- wicht des Körpers, v sein Volum, so ist sein wahres Gewicht, welches wir mit P bezeichnen wollen, P = p — v. 0,001293. Wollen wir auch die durch das Abwägungsgewicht bewirkte Luftverdrängung in Rechnung ziehen, so ist, wenn v' das Volum dieses Gewichtes bedeu- tet, v'. 0,001293 von dem Gewicht des durch den abgewogenen Körper verdrängten Luftvolums wieder abzuziehen, und man hat daher endlich P = p — 0,001293 (v—v'). 95 Gasdruck. Das Manometer. Die Eigenschaft der tropfbaren Flüssigkeiten, ebenso wie Gase den auf sie ausgeübten Druck fortzupflanzen, benützt man, um den Druck, unter welchem ein Gas steht, oder welchen es selber ausübt, zu messen. Will man den Druck kennen lernen, unter welchem ein Druck und Gleichgewicht der Gase. in einem abgeschlossenen Gefässe A befindliches Gas steht, so bringt man irgendwo an der Wandung des Gefässes A eine U-förmig gebo- Fig. 57. gene Röhre M an, die mit dem Gefässe com- municirt. Diese Röhre wird mit einer Flüs- sigkeit, meistens mit Quecksilber, gefüllt, und man beurtheilt aus dem Stand des Queck- silbers in beiden Röhren den Gasdruck in dem Gefässe A. Auf den Schenkel a der Röhre drückt nämlich die Atmosphäre, auf den Schenkel b das in A enthaltene Gas. Ist also der Gasdruck höher als der Atmosphä- rendruck, so steht das Quecksilber in a höher, im umgekehrten Fall steht es in b höher. Man nennt einen solchen Druckmesser ein Manometer . Wie gross in einem bestimm- ten Fall der Druckunterschied ist, lässt sich leicht aus der Höhendif- ferenz der Quecksilbersäulen berechnen. Der Druck auf eine dem Querschnitt der Manometerröhre gleiche Fläche ist nämlich offenbar gleich dem Gewicht der gehobenen Quecksilbersäule. Es ist daher auch gleichgültig, ob man ein engeres oder weiteres Manometer ver- wendet (vorausgesetzt natürlich, dass man nicht bis zu der Grenze geht, wo die Capillarwirkungen zum Vorschein kommen), denn nimmt mit dem weiteren Manometerrohr die Fläche zu, welche dem Druck ausgesetzt wird, so nimmt auch um gleich viel das Gewicht der ge- hobenen Quecksilbersäule zu. Nimmt man dagegen statt des Queck- silbers eine andere Flüssigkeit, so verhält sich die Höhe, bis zu der dieselbe gehoben wird, umgekehrt wie das specifische Ge- wicht. Wasser, dessen specifisches Gewicht 13mal grösser ist als dasjenige des Quecksilbers, wird also in der Manometerröhre 13mal höher gehoben. Wo es sich um die Beobachtung geringer Druckun- unterschiede handelt, da wendet man zuweilen solche specifisch leichtere Flüssigkeiten an. Durch das angegebene Verfahren ist man nur im Stande, den 96 Das Barometer. Abnahme des Luftdrucks in der Höhe. relativen Druck eines Gases, nämlich den Druck desselben im Ver- hältniss zum Atmosphärendruck zu bestimmen. Will man aber den absoluten Druck des im Gefässe A eingeschlossenen Gases kennen lernen, so muss das Manometer eine andere Einrichtung haben. Es muss dann offenbar der Schenkel a desselben oben geschlossen und luftleer gemacht sein, so dass bei a gar kein Druck, bei b nur der Druck des in A eingeschlossenen Gases einwirkt. Zugleich muss in diesem Fall der Schenkel b eine beträchtliche Höhe besitzen, weil unter dem absoluten Druck natürlich die Quecksilbersäule sich viel bedeutender erhebt, als unter dem blossen Differenzdruck. Ein solches Von der Schwere. Manometer, das zur Messung des absoluten Drucks eines Gases be- stimmt ist, nennt man ein Barometer . Die häufigste Anwendung findet das Barometer bekanntlich zur Messung des Drucks der atmosphären Luft. Man setzt es zu diesem Zweck gewöhnlich aus einem weiteren offenen Gefäss und aus einem damit communicirenden, oben geschlos- senen und luftleer gemachten Rohre zusammen. In dem weiteren Ge- fäss befindet sich Quecksilber, welches durch den Luftdruck in der luftleeren Röhre bis zu einer der Grösse dieses Drucks entsprechenden Höhe emporgetrieben wird. Die Höhe des Quecksilbers in der Barometerröhre beträgt un- gefähr 760 Millim.: so gross ist also der Druck, welchen die atmos- phärische Luft an der Erdoberfläche ausübt. Hiernach beträgt der Druck, der auf der Fläche eines Quadratcentimeters lastet, ungefähr 1,033 Kilogr. Da dieser Druck das Gewicht darstellt, welches die an dem betreffenden Ort vorhandene Luftsäule besitzt, so nimmt derselbe ab mit der Erhebung über das Niveau der Meeresfläche, indem hierbei die Höhe jener Luftsäule sich vermindert. Besässe die Luft bis zur Grenze der Atmosphäre überall die gleiche Dichtigkeit, so würde die Barometerhöhe proportional der Erhebungshöhe über die Meeresfläche abnehmen. Dies würde der Fall sein, wenn die Atmosphäre die Ei- genschaft tropfbarer Flüssigkeiten hätte, auch durch einen bedeutenden Druck nur unmerklich comprimirt zu werden. Aber die Luft hat wie alle Gase kein constantes Volum, sie dehnt sich vermöge ihrer Expan- sivkraft so weit aus, als der auf ihr lastende Druck es gestattet. Nun erleidet jede Schichte der Atmosphäre den Druck der ganzen über ihr stehenden Luftsäule, dieser Druck ist also in den tieferen Luftschichten grösser als in den höheren, und demnach muss auch die Dichtigkeit der Luft mit der Erhebung in die Höhe abnehmen. Nach einem ein- fachen Gesetze, das wir demnächst (in §. 100) kennen lernen werden, ist die Dichtigkeit jedes Gases direct proportional dem Druck, der auf ihm lastet. Daraus folgt, dass die Dichtigkeit der Luft mit der Erhebung über die Erdoberfläche sich vermindert, und es muss sonach der Luftdruck oder die zu ihrer Messung dienende Quecksilberhöhe in der Barometerröhre mit der Erhebung über das Niveau der Meeres- fläche aus dem doppelten Grund sich vermindern, weil die Höhe der drückenden Luftsäule abnimmt, und weil die Dichtigkeit derselben geringer wird. Erheben wir uns z. B. um 1 Meter über die Meeres- fläche, so muss der Luftdruck um so viel abnehmen, als der Druck der untersten 1 Meter hohen Luftsäule beträgt. Denken wir uns nun, die Dichtigkeit der Luft bliebe in einer Schichte von je einem Meter Höhe constant, eine Voraussetzung, die ohne erheblichen Fehler gemacht werden kann, so wird jener Druck aus dem specifischen Gewicht der Luft leicht zu finden sein. Dieses ist, wie wir oben ge- sehen haben, bei 0° im Mittel = 0,00129. Nun ist das specifische Druck und Gleichgewicht der Gase. Gewicht des Quecksilbers = 13,596. Darnach wird der Druck einer Luftsäule von bestimmter Höhe mal oder 10507 mal kleiner als der Druck einer gleich hohen Quecksilbersäule sein. Denken wir uns, die Dichtigkeit der Luft wäre durch die ganze Atmosphäre con- stant, so müsste sonach, da die Quecksilberhöhe im Barometer 0,76 Meter beträgt, die ganze Atmosphäre 10507. 0,76 oder 7985 Meter hoch sein. Nun setzen wir in der untersten 1 Meter hohen Luft- schichte den Druck in der That als constant voraus, hier wird er also vom ganzen Atmosphärendruck ausmachen. In der zweiten 1 Meter hohen Luftschichte wird aber der Druck schon merklich geringer sein: denn wenn die unterste Luftschichte durch eine Luftsäule von 1785 Metern gedrückt wird, so steht offenbar auf dieser zweiten Luftschichte nur eine Säule von 1784 Metern. Er- heben wir uns also um 1 Meter über die Erdoberfläche, so wird der in dieser Höhe vorhandene Druck zum Druck an der Erdoberfläche sich verhalten wie 1784 : 1785, er wird daher betragen Me- ter Quecksilber. Nach dem oben angeführten Gesetz, dass die Dich- tigkeit eines Gases proportional dem auf ihm lastenden Druck ist, muss sich nun aber das Gewicht einer gleich grossen Luftschichte proportional der Erhebung in die Höhe vermindern. Es muss also auch der in 2 Meter Höhe vorhandene Druck sich zu dem in 1 Meter Höhe vorhandenen gerade so verhalten wie dieser Druck in 1 Meter Höhe zum Druck an der Erdoberfläche. Wir haben den Luftdruck an der Erdoberfläche = 0,76, und in 1 Meter Höhe = Met. Quecksilber gefunden, in 2 Meter Höhe beträgt er demnach . 0,76 oder Met. Quecksilber; ebenso in 3 Meter Höhe u. s. f. Hieraus ergiebt sich das Gesetz, dass wenn die Erhebungen über die Meeresfläche in arithmetischer Folge zu- nehmen, die Barometerhöhen in geometrischer Folge abnehmen. Allgemein können wir diesem Gesetz folgende Form geben. Wenn h die Höhe über der Meeresfläche bedeutet, so ist der Barometerstand b = (0,99944) h . 076, oder log. b = h. log. 0,99944 + log. 0,76. Mittelst dieser Formel findet man annähernd die Höhe eines Ortes über dem Meeresniveau aus dem beobachteten Barometerstande. Alle Körper, die sich in der atmosphärischen Luft befinden, er- 97 Anwendungen des Luftdrucks. Von der Schwere. fahren von derselben einen Druck, der dem Gewicht der ganzen über ihnen befindlichen Luftsäule entspricht. Wenn dieser Druck von allen Seiten stattfindet, so wird dadurch keine merkliche Wirkung erzeugt, weil die in entgegengesetzten Richtungen vorhandenen Druckkräfte gegenseitig sich aufheben. Hält man dagegen von der einen Seite eines Körpers den Luftdruck ab, so wird das Gleichgewicht gestört, und der Körper bewegt sich nun in derjenigen Richtung, in welcher der Druck aufgehoben ist, so lange weiter, bis er einen Widerstand findet, welcher dem von der entgegengesetzten Seite stattfindenden Luftdruck das Gleichgewicht hält. Beim Barometer schon findet die- ses Gesetz seine Anwendung, indem das Quecksilber in der Barome- terröhre so hoch steigt, bis seine Schwere dem Luftdruck das Gleich- gewicht hält. Wenn man eine Röhre in eine Flüssigkeit taucht und am oberen Ende der Röhre saugt, so steigt in dem hierdurch erzeug- ten luftverdünnten Raum die Flüssigkeit in die Höhe. Verschliesst man nun rasch, ohne Luft zuzulassen, das obere Röhrenende, so kann man die Röhre aus der Flüssigkeit herausnehmen, ohne dass etwas aus ihr ausfliesst, weil oben der Atmosphärendruck vermindert ist, während er unten in unverminderter Grösse fortbesteht. So wen- det man das Princip des einseitigen Luftdrucks bei der Pipette und bei dem Heber an, bei letzterem in Verbindung mit dem Princip der communicirenden Röhren, denn es kann die Flüssigkeit, nachdem sie einmal im Heber angesaugt ist, so lange durch denselben ausfliessen, als seine Ausflussmündung sich tiefer als das Niveau der Flüssigkeit in dem Gefässe befindet. 98 Die Luftpumpe. Um den Einfluss des aufgehobenen Luftdrucks zu untersuchen, benützt man die Luftpumpe . Sie besteht im wesentlichen aus einem Cylinder C (Fig. 58), in welchem der Kolben K vollkommen luftdicht Fig. 58. hin- und her bewegt werden kann, und aus der Röhre R, welche in der Mitte eines Tellers T mündet. Auf den letzteren kann eine Glas- Druck und Gleichgewicht der Gase. glocke G aufgesetzt werden, die den Raum umschliesst, dessen Luft verdünnt werden soll. In dem Stempel s des Kolbens K befindet sich das Ventil a, welches sich nach auswärts öffnet, hierbei wird, da der Innenraum des Stempels nur bei a durch das Ventil geschlossen, auf der entgegengesetzten Seite aber offen ist, der zwischen a und b ent- haltenen Luft der Austritt in die Atmosphäre gestattet; am Boden des Cylinders befindet sich ein zweites Ventil b, welches in der nämlichen Richtung, also gegen das Innere des Cylinders sich öffnet. Wird nun der Kolben in der Richtung von c nach d bewegt, so bleibt a ge- schlossen und b öffnet sich, dadurch wird die Luft in der Röhre R und unter der Glocke G verdünnt. Bewegt man dann den Kolben in der Richtung von d nach c, so schliesst sich umgekehrt das Ventil b, während a sich öffnet, so dass die in dem Cylinder C angesammelte Luft entweicht. Durch häufige Hin- und Herbewegung des Kolbens kann so die Luft in der Röhre und unter der Glocke immer mehr verdünnt werden. Man sieht leicht ein, dass diese Verdünnung durch lange fortge- setztes Pumpen zwar auf einen sehr hohen Grad wird gebracht werden können, dass man aber streng genommen niemals einen vollkommen luftleeren Raum unter der Glocke G herzustellen vermag. Denn bei jedem Kolbenzug entfernt man immer nur einen Theil der unter der Glocke befindlichen Luft. Das absolute Luftquantum, welches durch einen Kolbenzug entfernt wird, ist daher auch um so kleiner, je weiter man die Luft schon verdünnt hat. Um die Verdünnung auf einen möglichst hohen Grad zu bringen, bringt man an den vollkommeneren Luftpumpen ausser den hier beschriebenen wesentlichen Theilen noch verschiedene Hülfsvorrichtungen an, hinsichtlich deren Beschreibung wir aber auf die Lehrbücher der Experimentalphysik verweisen müssen. Räume, die nahezu vollkommen luftleer sind, lassen sich mittelst der so ge- nannten Quecksilberluftpumpe herstellen. Bei dieser erzeugt man den luftleeren Raum dadurch, dass man aus einem Gefäss durch Anfüllen mit Quecksilber die Luft austreibt und dann das Quecksilber wieder ausfliessen lässt. Man hat in der Physio- logie solche Quecksilberluftpumpen angewandt, um die im Blute absorbirten Gase zu gewinnen. Siehe die Beschreibung eines derartigen Apparats in meinem Lehrbuch der Physiologie S. 258. Die Wirkungen des aufgehobenen Luftdrucks lassen nun mittelst der Luftpumpe sehr leicht sich nachweisen. Solche Flüssigkeiten, die leicht in den gasförmigen Zustand übergehen, verdampfen rasch, wenn man sie unter die Glocke gebracht hat. Man wendet daher die Luft- pumpe häufig zum Eintrocknen feuchter Körper an, vorzugsweise dann, wenn die Einwirkung höherer Temperaturen auf dieselben vermieden werden soll; gewöhnlich wird dabei die Wirkung unterstützt, indem man gleichzeitig solche Substanzen unter die Glocke bringt, die be- gierig Wasser anziehen, wie Schwefelsäure oder Chlorcalcium. Thiere, die man unter die Glocke der Luftpumpe gebracht hat, gerathen in Von der Schwere. eine mit der steigenden Luftverdünnung zunehmende Athemnoth und sterben endlich den Erstickungstod. Die Wirkung des einseitig auf- gehobenen Luftdrucks zeigt sich an der Glocke selber, die nur mit grosser Kraftanstrengung von dem Teller der Luftpumpe entfernt wer- den kann. Ein alter Versuch dient zur Veranschaulichung derselben Erscheinung: bringt man zwei auf einander passende Halbkugeln aus Holz oder Metall unter die Luftpumpe und evacuirt dann, so bleiben nun die Halbkugeln auch nachdem sie aus dem luftleeren Raum he- rausgenommen sind mit grosser Kraft an einander haften. 99 Luftleere Räume im Thierkörper. Die Natur hat sowohl vollkommen luftleere als auch luftverdünnte Räume hergestellt und giebt uns daher Gelegenheit zur unmittelbaren Beobachtung ähnlicher Erscheinungen, wie wir sie künstlich mittelst der Luftpumpe erzeugen. So sind die Gelenkenden der Glieder des thierischen Körpers luftdicht an die Gelenkflächen gefügt, auf denen sie sich bewegen. Da nun die Gelenkenden selber unter dem äusseren Luftdruck stehen, so bedarf es schon desshalb, abgesehen von der Befestigung durch Bandverbindungen, einer beträchtlichen Gewalt, um dieselben aus den Gelenken zu entfernen. Am Hüftgelenk, wo die Kugeloberfläche des Schenkelkopfs allseitig von der die Luft abhal- tenden Pfanne umfasst ist, kann man die sämmtlichen Bandverbindun- gen trennen, ohne dass doch das Bein aus der Pfanne herausfällt. Der Druck, welchen die atmosphärische Luft auf die freie Oberfläche des Schenkelkopfs ausübt, ist in diesem Fall grösser als das Gewicht des Beins und erhält daher von selbst schon dieses in seiner natür- lichen Verbindung. Durch diese Veranstaltung werden offenbar die Gelenkbewegungen ausserordentlich erleichtert, da nun alle Muskel- anstrengung auf die Bewegung selber verwendet werden kann, aber keine mehr zur Erhaltung der Glieder in ihrer Lage erforderlich ist. Aehnlich bilden alle geschlossenen Höhlen unseres Körpers, wie die Bauch- und Brusthöhle, luftleere Räume. Da die Bedeckungen der Bauchhöhle zusammendrückbar sind, so schliessen sie sich desshalb eng um die Eingeweide des Unterleibs, und das Zwerchfell erfährt durch den auf die Bauchwandungen ausgeübten Luftdruck seine gegen die Brusthöhle gerichtete Wölbung. Die Brusthöhle besitzt dagegen starre Wandungen, so dass die äussere Oberfläche der Lungen nicht unter dem Luftdruck steht, während ihre innere, mit der Luftröhre communicirende Oberfläche den vollen Luftdruck erfährt. Hierdurch wird bewirkt, dass die Lunge stets so weit ausgedehnt bleibt, als die Grösse des Brustraumes es gestattet, und daher den Bewegungen des Thorax unmittelbar Folge leistet. Ebenso ist der Luftdruck für das Gefässsystem von grosser Wichtigkeit, indem er die Entleerung der oberflächlicher gelegenen Venen in die Brusthöhle, in welcher die Ge- fässe nicht unter dem Luftdruck stehen, begünstigt, und indem er die Druck und Gleichgewicht der Gase. Widerstandskraft der zarteren Capillargefässe gegen den Blutdruck erhöht. Wenn wir uns bei der Besteigung hoher Berge oder im Luft- ballon in grosse Höhen der Atmosphäre begeben, so versetzen wir uns in einen luftverdünnten Raum. Dadurch entsteht zunächst eine erhöhte Athmungsfrequenz zur Ausgleichung des verminderten Sauer- stoffgehalts der Atmosphäre. Ausserdem erfahren aber auch alle Functionen, bei denen der Luftdruck eine Rolle spielt, eine mehr oder weniger bedeutende Störung. Es erfolgt Müdigkeit in den Gelenken, die Athmungsbewegungen werden beschwerlicher, die Venen werden überfüllt, und es treten endlich Zerreissungen der zarteren, an der Oberfläche des Körpers gelegenen Capillargefässe, Blutungen aus den Lungen, der Nase, den Lippen u. s. w. ein. Aus der allgemeinen Eigenschaft der Gase, dass sie kein con- 100 Verdichtung der Gase. Mariotte’- sches Gesetz. stantes Volum besitzen, ergiebt sich, dass man nicht bloss ein Gas, z. B. die atmosphärische Luft, fast bis zu jedem beliebigen Grade verdünnen , sondern dass man ebenso das Gas zu verdichten vermag. Wie das erstere durch eine Verminderung, so bewirkt man das letztere durch eine Vergrösserung des Drucks. Schon die Luft ist, wie wir gesehen haben, in ihren unteren Schichten im Vergleich zu den höheren Schichten verdichtet. Auf künstlichem Wege lässt aber diese Verdichtung noch viel weiter sich treiben. Man kann sich hierzu mit geringen Abänderungen der nämlichen Vorrichtung bedie- nen, die man zur Verdünnung der Luft benützt. Die Luftpumpe (Fig. 58) wird zur Compressionspumpe , sobald man nur die Stel- lung der beiden Ventile a und b umkehrt. Werden nämlich beide Ventile so gerichtet, dass sie sich nach einwärts, gegen die Röhre R, öffnen, so bleibt, wenn man den Kolben in der Richtung von c nach d anzieht, b geschlossen, a aber öffnet sich durch den im Cylinder ent- stehenden luftverdünnten Raum, und der Cylinder füllt sich dadurch mit Luft an. Bewegt man nun umgekehrt den Kolben von d nach c, so wird a durch den Druck der im Cylinder enthaltenen Luft ge- schlossen, b aber öffnet sich, und es wird so die im Cylinder enthal- tene Luft in die Röhre R und in den Raum G hineingetrieben. Durch öftere Hin- und Herbewegung des Kolbens lässt sich auf diese Weise die im Raum G enthaltene Luft bis zu einem ziemlich beträchtlichen Grade verdichten. Doch kann man hierbei nicht, wie bei der Luft- pumpe, bloss eine auf einen Teller gestellte Glasglocke benützen, da eine solche der comprimirten Luft nicht den genügenden Widerstand bieten würde. Man wendet daher meistens starke, auf den Teller T fest aufgeschrauchte Eisengefässe an. Noch zu einem höheren Grade kann man namentlich in kleineren Räumen die Luft durch die Anwendung des Drucks einer Quecksilber- säule verdichten. Füllt man in die gebogene Röhre (Fig. 59) Queck- Von der Schwere. Fig. 59. silber ein, und schliesst dann das obere Ende des Schenkels a der Röhre, indem man es zuschmilzt, so steht die Luft, die in dem abgeschlossenen Raum die- ses Schenkels enthalten ist, unter dem gewöhnlichen Atmosphärendruck, und das Quecksilber in a und b hat gleiches Niveau. Füllt man nun aber in b noch weiteres Quecksilber nach, so wird dadurch die in a enthaltene Luft comprimirt, und der Druck, unter wel- chem dieselbe steht, übertrifft um ebensoviel den At- mosphärendruck, als die Quecksilbersäule in b über dem Niveau des Quecksilbers in a steht. Beträgt also der Niveauunterschied 0,76 Meter, so steht die Luft unter dem doppelten Atmosphärendruck, beträgt der Niveauunterschied 1,52 Meter, so steht sie unter dem dreifachen Atmosphärendruck, u. s. f. Dabei erfährt die in a enthaltene Luft durch den steigenden Druck eine Verminderung ihres Volums, und zwar eine solche, dass das Volum dem Druck umgekehrt proportional ist . Dieses für alle Gase gültige Gesetz wird nach seinem Entdecker das Ma- riotte’sche Gesetz genannt. Man kann, weil die in a comprimirte Luftquantität offenbar immer das nämliche Gewicht hat und die Dichtig- keit eines Körpers bei gleichem Gewicht sich umgekehrt wie sein Volum verhält, dieses Gesetz auch so aussprechen: Die Dichtig- keit eines Gases ist direct proportional dem Druck, un- ter welchem dasselbe steht . Sorgfältig angestellte Versuche zeigen jedoch, dass dieses Gesetz nur eine annähernde Richtigkeit besitzt, indem bei vielen Gasen, so bei der Luft, dem Stickgas, der Kohlensäure, das Volum, wenn der Druck steigt, schneller abnimmt, als dem Mariotte’schen Gesetz entspricht, während bei dem Wasserstoffgas umgekehrt das Volum langsamer abnimmt, als die Proportionalität mit dem Druck erwar- ten liesse. Die Gase zerfallen somit nach diesem Verhalten in zwei Gruppen. Nach Regnault ist die Wärme auf dasselbe von wesent- lichem Einflusse. Bei den Gasen der ersten Gruppe (Luft, Kohlen- säure, Stickstoff) verschwindet nämlich in Folge der Temperaturerhöh- ung die Abweichung von dem Gesetz, während sie bei den Gasen der zweiten Gruppe (Wasserstoff) grösser wird; in Folge der Tem- peraturerniedrigung dagegen wird umgekehrt die Abweichung bei den Gasen der ersten Gruppe vergrössert und bei den Gasen der zweiten Gruppe vermindert. Diese Abweichungen vom Mariotte’schen Gesetze sind daher für die Beziehung des gasförmigen Aggregatzustandes zur Wärme von Wichtigkeit, und werden wir desshalb in der Wärme- lehre (Abschn. V Cap. 1) auf sie zurückkommen. An sich betrachtet, sind dieselben aber so gering, dass sie überall da, wo es sich bloss um die Beziehung zwischen Volum und Druck handelt (z. B. bei der Absorption und Diffusion der Gase. Höhebestimmung aus dem Barometerstand, bei der Druckmessung durch die Verminderung eines Luftvolums), vernachlässigt werden können. Viele unter den Gasen der ersten Gruppe, deren Volumvermin- derung mit dem Drucke wächst, gehen, wenn sie bis zu einem bedeu- tenden Grade verdichtet sind, in den flüssigen Aggregatzustand über; dieser Uebergang wird stets dadurch angezeigt, dass die Zusammendrück- barkeit plötzlich sehr rasch zunimmt, um dann, wenn die Aenderung des Aggregatzustandes erfolgt ist, fast ganz zu verschwinden. Unter- stützt wird diese Wirkung durch Temperaturerniedrigung, da letztere die Zusammendrückbarkeit der fraglichen Gase vergrössert. So geht bei einer Temperatur von ungefähr 0° die Kohlensäure unter einem Druck von 37 Atmosphären, der Schwefelwasserstoff bei 10, das Am- moniakgas bei 4,4 und die schweflige Säure bei nur 1,5 Atmosphären in den flüssigen Zustand über. Viele Gase der ersten Gruppe, wie Sauerstoff und Stickstoff, die Bestandtheile der Luft, hat man bis jetzt noch nicht zu verflüssigen vermocht; der Wasserstoff kann, da er die entgegengesetzte Abweichung von dem Mariotte’schen Gesetze zeigt, wahrscheinlich gar nicht in den flüssigen Zustand übergeführt werden. Dreizehntes Capitel . Absorption und Diffusion der Gase. In dem Verhalten der Gase gegen äussere Druckkräfte geben 101 Absorption der Gase. sich eigenthümliche Verschiedenheiten in deren Moleculareigenschaften zu erkennen, die bei den jetzt noch zu betrachtenden Erscheinungen der Absorption und der Diffusion eine wichtige Rolle spielen. Bei der Absorption der Gase findet, wie bei der Compres- sion derselben, eine Verdichtung statt; nur wird die Verdichtung in diesem Fall nicht durch eine äussere Druckkraft, sondern durch die Umgebnng eines tropfbar flüssigen oder festen Körpers bewirkt. Die Grösse der Absorption ist daher abhängig theils von der Beschaffen- heit des in Frage stehenden Gases, theils von der Beschaffenheit des flüssigen oder festen Körpers, durch welchen die Absorption geschieht. Was die Gase selbst betrifft, so zeigen dieselben hinsichtlich ihrer Ab- sorption die nämlichen Unterschiede wie in Bezug auf ihre Zusam- mendrückbarkeit. Allgemein werden die Gase um so leichter absor- birt, je eher sie durch Druck flüssig gemacht werden können. So gehören Kohlensäure, Ammoniak, Schwefelwasserstoff u. s. w. zu den leicht absorbirbaren Gasen, während dagegen Sauerstoff, Stickstoff oder gar Wasserstoff nur in geringeren Mengen absorbirt werden können. Die Flüssigkeiten nehmen, wie die Beobachtung zeigt, von einem be- stimmten Gas stets ein relativ gleich grosses Volumen auf, welches Wundt , medicinische Physik. 10 Von der Schwere. auch der Druck sei, unter welchem das Gas steht. Da nun nach dem Mariotte’schen Gesetze die Dichtigkeit der Gase proportional dem Druck wächst, so steht auch die absorbirte Gewichtsmenge Gas im directen Verhältniss zum Druck. Wenn man somit die Menge kennt, die bei irgend einem Druck eine Flüssigkeit von einem bestimmten Gas absorbirt hat, so kann man für jeden beliebigen Druck die ab- sorbirte Gasmenge vorausbestimmen. So nimmt z. B. 1 Volum Wasser bei jedem Druck ungefähr 1 Volum Kohlensäure auf. Man bezeichnet dasjenige Gasvolum, welches die Volumeinheit einer Flüssigkeit bei 0° absorbirt, als den Absorptionscoëfficienten des Gases für die betreffende Flüssigkeit. Bei 15°C. hat Bunsen für das Wasser folgende Absorptionscoëfficienten gefunden: Stickstoff = 0,01478 Kohlensäure = 1,0020 Wasserstoff = 0,01930 Schwefelwasserstoff = 3,2326 Sauerstoff = 0,02989 Schweflige Säure = 43,564 Luft = 0,01795 Ammmoniak = 727,2. Da eine und dieselbe Flüssigkeit für verschiedene Gase ein ver- schiedenes Absorptionsvermögen besitzt, so nimmt eine Flüssigkeit, wenn man ihr ein Gasgemenge zur Absorption darbietet, die ein- zelnen Gase dieses Gemenges nicht in dem gleichen Mengenverhält- nisse auf, in welchem sie aussen gemischt sind, sondern sie verschluckt das Gas mit dem grösseren Absorptionscoëfficienten in relativ grösserer Menge: das von der Flüssigkeit absorbirte Gasgemenge ist also anders zusammengesetzt, als das ihr zur Absorption dargebotene Gemenge. So besteht z. B. ein Volum atmosphärischer Luft aus 0,79 Theilen Stickstoff und 0,21 Sauerstoff. Nun ist aber der Absorptionscoëfficient des Stickstoffs für Wasser nur 0,01478, derjenige des Sauerstoffs da- gegen 0,02989. Daher sind in dem mit atmosphärischer Luft in Be- rührung stehenden Wasser beide Gase im Verhältniss von 0,79.0,01478: 0,21. 0,02989 oder von 0,66 : 0,34 gemischt. Die vom Wasser absor- birte Luft ist also beträchtlich sauerstoffreicher als die atmosphärische, ein Umstand, der für die im Wasser athmenden Thiere sichtlich von grosser Bedeutung ist. Während bei der Absorption der Gase durch Flüssigkeiten eine innige Verbindung beider statt hat, so dass nach Beendigung der Ab- sorption die Mischung des Gases mit der Flüssigkeit eine völlig gleich- mässige wird, beruht die Absorption durch feste Körper bloss auf einer Oberflächenwirkung . Der feste Körper verdichtet das Gas, mit dem er in Berührung tritt, an seiner Oberfläche. Desshalb zeigen vorzüglich poröse Körper, wie Kohle, Meerschaum, Platinschwamm, die Absorption in bedeutenderem Grade. Ebenso können diese Kör- per, nur wenn sie geglüht und frisch abgelöscht sind, Gase absorbi- ren, da sie sonst bereits atmosphärische Luft an ihrer Oberfläche ver- dichtet haben. Endlich wird die Absorption durch Befeuchtung der Absorption und Diffusion der Gase. Körper beträchtlich geschwächt, weil hier die benetzende Wasser- schichte die Oberflächenwirkung vermindert. Die einzelnen Gase fol- gen sich in Bezug auf ihre Absorbirbarkeit durch feste Körper unge- fähr in der nämlichen Reihenfolge wie hinsichtlich ihrer Absorbirbar- keit durch Flüssigkeiten. So fand Saussure , dass 1 Volum Kohle 33 Volumina Kohlensäure, dagegen nur 9,25 Vol. Sauerstoff und 7,5 Vol. Stickstoff aufnahm. Doch scheinen ausserdem einzelne Gase von be- stimmten Körpern mit besonders grosser Intensität absorbirt zu wer- den, so z. B. der Sauerstoff von fein vertheiltem Platin. Hierauf beruht die Fähigkeit dieses Metalls den Sauerstoff direct mit Wasserstoff zu verbinden, eine Eigenschaft, die bei den früher öfter gebrauchten Dö- bereiner’schen Zündmaschinen zur Anwendung kam. Es bleiben uns schliesslich noch die Erscheinungen der Bewe- 102 Ausströmen der Gase in den luftleeren Raum. gung der Gase zu betrachten übrig. Da in den Gasen wie in den Flüssigkeiten der Druck sich nach allen Richtungen fortpflanzt, so ver- hält sich ein mit einem Gase gefüllter Raum, an dem irgendwo eine Oeffnung angebracht ist, die in einen andern luftleeren Raum mündet, gerade so wie ein mit Flüssigkeit gefülltes Gefäss, das ebenfalls mit einer Oeffnung versehen ist. Die Geschwindigkeit des in den luftleeren Raum austretenden Gases entspricht also auch hier (nach §. 77) dem freien Fall von einer der über der Oeffnung befindlichen Gassäule gleichen Höhe herab. Bezeichnen wir diese Höhe mit h, so ist wieder die Geschwindigkeit v, mit der das Gas ausströmt, Lassen wir nun aber einen äusseren Druck auf das Gas wirken, z. B. den Druck einer Atmosphäre, also einer Quecksilbersäule von 0,76 Meter, so wird nun das Gas mit einer Geschwindigkeit ausströ- men, welche einer Gassäule entspricht, die einen dem Barometerdruck gleichen Druck ausüben würde. Eine derartige Gassäule würde aber, wenn wir wieder von der Verdichtung des Gases selbst durch den auf ihm lastenden Druck absehen und also die Dichtigkeit in allen Schich- ten gleich voraussetzen, die Höhe der Quecksilbersäule um ebenso viel übertreffen, als die Dichtigkeit des Quecksilbers diejenige des Gases übertrifft, d. h. die Höhen müssen sich umgekehrt wie die Dich- tigkeiten verhalten. Nennen wir also die Dichtigkeit des Quecksil- bers D und diejenige des Gases d, so verhält sich 0,76 : h = d : D. Daraus folgt . Dieser Werth von h bedeutet also eine dem Barometerdruck von 0,76 Meter entsprechende Gassäule, und die Geschwindigkeit, mit der das Gas unter diesem Druck aus- strömt, ist demnach 10 * Von der Schwere. . Bei einem andern Gas von der Dichtigkeit d' entspricht dem- selben Barometerdruck eine andere Gashöhe und eine Ausflussgeschwindigkeit . Demnach ver- halten sich die Ausflussgeschwindigkeiten beider Gase oder v : v' wie , d. h. die Ausflussgeschwindigkeiten zweier Gase in den luftleeren Raum verhalten sich, wenn die Gase unter dem gleichen Druck stehen, umgekehrt wie die Quadratwurzeln aus den Dichtigkeiten derselben . Dieses theoretisch gefolgerte Gesetz wird durch die Erfahrung im Allgemeinen bestätigt. Die dichtere Kohlensäure strömt langsamer aus als der Sauerstoff, der Sauerstoff langsamer als das specifisch noch leichtere Wasserstoffgas. Doch zeigt sich zugleich, ähnlich wie bei dem Ausströmen der Flüssigkeiten, dass die Geschwindigkeit eines Gases nicht den absoluten Werth von √ 2 g h errreicht , sondern nur ½ bis ⅔ desselben. Auch diese noch etwas grössere Abweichung ist ohne Zweifel dadurch bedingt, das die Gastheilchen beim Ausströ- men in ihrer Bewegung sich stören; eine Bestätigung hierfür liegt da- rin, dass kurze weite Ansatzröhren (nach der in §. 78 für Flüssigkei- ten erörterten Wirkung) die Ausflussgeschwindigkeit der Gase eben- falls ihrem theoretischen Werthe näher bringen. Strömt das Gas nicht in den luftleeren Raum aus, sondern be- findet sich in dem äusseren Raum schon eine gewisse Quantität von dem nämlichen Gase, so ist natürlich die Ausströmungsgeschwindigkeit eine langsamere, weil nun ein äusserer Gegendruck zu überwinden ist, und das Ausströmen hört ganz auf, wenn zwischen dem inneren und äusseren Raum gar kein Druckunterschied existirt. Lässt man also aus einem mit Gas erfüllten Raum in einen andern luftleer gemachten Raum das Gas ausströmen, so wird das Ausströmen in dem Maasse verlangsamt, als der äussere Raum sich füllt, und hört auf, wenn der Druckunterschied sich ausgeglichen hat und das Gas in beiden Räumen gleichmässig verbreitet ist. 103 Gasdiffusion. Andere Erscheinungen treten jedoch ein, wenn in dem zweiten Raum nicht das nämliche, sondern ein anderes Gas sich befindet. Stehen auch beide Gase in diesem Fall unter völlig gleichem Druck, so tritt trotzdem eine Bewegung ein, und zwar eine doppelte, indem gleichzeitig vom ersten zum zweiten und vom zweiten zum ersten Gas Absorption und Diffusion der Gase. überströmt. Diese Bewegung hat dann erst ein Ende, wenn beide Gase sich völlig gleichmässig in den zwei Räumen verbreitet haben und also gleichförmig gemischt sind. Die Erscheinung des Ineinan- derströmens der Gase bezeichnet man als Diffusion der Gase . Dieselbe ist wesentlich verschieden von der Diffusion der Flüssigkei- ten. Letztere beruht, wie wir gesehen haben, auf einer Anziehung, welche die Flüssigkeiten gegen einander ausüben, ihre Geschwindig- keit ist daher von der Grösse dieser Anziehung abhängig, und sie fin- det überhaupt nur zwischen bestimmten Flüssigkeiten statt, nämlich zwischen solchen, die mit einander mischbar sind. Nicht mischbare Flüssigkeiten dagegen lagern sich nach ihrer specifischen Schwere übereinander. Dagegen sind die Gase sämmtlich mischbar mit einander und zeigen daher auch alle, mit einander in Berührung gebracht, die Erscheinung der Diffusion. Aber es beruht bei ihnen die Mischung und Diffusion nicht auf einer Anziehung, die ihre Theil- chen auf einander ausüben, sondern auf dem Bestreben eines jeden Gases, den ihm dargebotenen Raum vollständig auszufüllen. Ein Gas strömt also in ein anderes ähnlich wie in den luftleeren Raum ein, nur die Geschwindigkeit, mit welcher das Ausströmen stattfindet, ist eine geringere. Die Gase bewegen sich bei der Diffusion ihrer specifischen Schwere entgegen. Wenn man z. B. zwei Gefässe über einander setzt, von denen das untere mit Kohlensäure, das obere mit Wasser- stoffgas gefüllt ist, so verbreitet sich die Kohlensäure in dem Wasser- stoff und der Wasserstoff in der Kohlensäure. Zugleich bleibt fort- während der Druck in den beiden Gas enthaltenden Räumen der näm- liche. War also vor der Communication derselben ein Druckunter- schied vorhanden, so gleicht derselbe alsbald nach der Herstellung der Verbindung sich aus, während die gleichmässige Mischung selbst viel langsamer zu Stande kommt. Man kann dies nachweisen, indem man mit jedem der Gasräume ein Manometer in Verbindung bringt. Wur- den die Räume unter verschiedenem Druck gefüllt, so stellen sich nach der Herstellung der Verbindung die Manometer gleich, indem zugleich ein rascher Gasstrom aus dem unter dem grösseren Druck stehenden Raum stattfindet. Ist dann Gleichheit des Drucks eingetreten, so schreitet die schliesslich zur gleichmässigen Mischung der Gase füh- rende Diffusion viel langsamer vorwärts. Wie das Ausströmen der Flüssigkeiten wesentlich andern Ge- 104 Gasdiffusion durch Capillar- räume. setzen folgt, wenn dasselbe durch eine Capillarröhre stattfindet, so auch das Ausströmen der Gase. Es verhalten sich nämlich hier die Ausflussgeschwindigkeiten verschiedener Gase in den leeren Raum bei gleichem Druck nicht umgekehrt wie die Quadratwurzeln aus den Dichtigkeiten derselben, sondern die Unterschiede sind viel geringer. Von der Schwere. Während z. B. der Wasserstoff aus einer einfachen Oeffnung nahezu 4 mal so schnell ausströmt als der Sauerstoff, was dem umgekehrten Werth der Quadratwurzeln entspricht, geht er durch eine Capillarröhre oder durch ein System von Capillarröhren nur ungefähr mit einer 2,7mal grössern Geschwindigkeit. Es nimmt demnach zwar auch hier die Ausflussgeschwindigkeit zu, wenn die Dichtigkeit abnimmt, aber es geschieht dies in einem für jedes Gas erst empirisch festzustellen- den Verhältnisse. Ausserdem ist in diesem Fall noch die Ausflussge- schwindigkeit von der Substanz der Capillarröhren abhängig. Man drückt diese Abhängigkeit zusammen mit der vorigen dadurch aus, dass man den Reibungscoëfficienten ermittelt, welcher einem bestimmten Gase in Bezug auf eine bestimmte Substanz zukommt. Bei nicht allzu engen Röhren von regelmässigem Querschnitt stehen ausserdem die Ausflussmengen in directem Verhältniss zu dem Druck, welcher auf dem Gase lastet, und in umgekehrtem Verhältniss zu dem Quadrate der Röhrenlänge. Gewöhnlich untersucht man die Diffusion der Gase durch Capil- larräume unter complicirteren Bedingungen als die eben angenomme- nen, indem man das Gas nicht durch eine regelmässige Capillarröhre sondern durch eine poröse Scheidewand, z. B. durch eine Thon- oder Gypsplatte, ausströmen lässt. Eine solche poröse Scheidewand be- steht aus einer Menge unregelmässiger, sehr feiner Capillarröhren, de- ren Durchmesser und Längen man übrigens nicht kennt. Hier begreift daher der für ein bestimmtes Gas und eine bestimmte poröse Scheide- wand ermittelte Reibungscoëfficient nicht bloss die Abhängigkeit der Ausflussgeschwindigkeit von der Beschaffenheit des Gases und der Substanz der Wandung, sondern zugleich von jenen nicht näher be- kannten Dimensionsverhältnissen der Capillarräume in sich, und es wird dann die Ausflussgeschwindigkeit ausser von diesem Reibungs- coëfficienten noch von dem auf dem Gase lastenden Druck, wel- chem letzteren sie direct proportional ist, bestimmt. Denselben Gesetzen folgt die Diffusion zweier Gase, die man durch eine poröse Scheidewand trennt . Wie bei der Diffusion über- haupt, so tritt auch hier allmälig eine gleichförmige Mischung der Gase ein. Dabei ist die Geschwindigkeit des Austauschs proportional der Fig. 60. Druckdifferenz auf beiden Seiten der Scheidewand und jenem oben erwähnten von der Natur eines je- den Gases und der Scheidewand abhängigen Rei- bungscoëfficienten. Hält man daher den Druck auf beiden Seiten gleich, so kommt nur dieser Reibungs- coëfficient zur Beobachtung. Dies lässt sich z. B. verwirklichen, indem man Wasserstoffgas unter dem Atmosphährendruck in eine Röhre füllt, die oben durch einen porösen Pfropf S (Fig. 60.) verschlossen Absorption und Diffusion der Gase. ist. Die unten offene Röhre R steht in einem mit Quecksilber gefüll- ten Gefässe Q. Hält man nun das Quecksilberniveau in R und Q auf gleicher Höhe, so steht das in R enthaltene Wasserstoffgas gerade unter dem Atmosphärendruck. Die äussere Luft, mit welcher das Gas durch den Pfropf S hindurch diffundirt, steht natürlich ebenfalls unter dem Atmosphärendruck: es ist also auf beiden Seiten Gleichheit des Drucks vorhanden. Man beobachtet unter diesen Umständen, dass das Wasserstoffgas viel schneller durch die poröse Scheidewand nach aussen dringt, als die äussere Luft in die Röhre eindringt, und es steigt folglich ziemlich schnell das Quecksilberniveau in der Röhre an. Senkt man nun in dem Maasse als dieses geschieht die Röhre tiefer in das Gefäss Q ein, um fortwährend die Niveaus gleich zu erhalten, so wird damit auch fortwährend die Gleichheit des Drucks aussen und innen wieder hergestellt. Nach einiger Zeit verschwindet dann we- gen des Ueberwiegens der Wasserstoffdiffusion das sämmtliche in der Röhre R enthaltene Gas. Setzt man in ähnlicher Weise Kohlensäure der Diffusion aus, so tritt der umgekehrte Fall ein: die Luft dringt rascher durch die poröse Scheidewand ein, als die Kohlensäure aus- strömt, und der Gasinhalt der Röhre nimmt daher fortwährend zu. Man ersieht hieraus, dass die Diffusion der Gase durch poröse Scheide- wände im wesentlichen der Diffussion durch grössere Oeffnungen gleicht, mit dem Unterschied, dass der Druck sich nicht durch die poröse Scheidewand fortpflanzt, daher auch das Ausströmen eines Gases in das andere in diesem Fall noch vollständiger dem Ausströmen in den luftleeren Raum ähnlich wird. Dritter Abschnitt. Von dem Schall . Erstes Capitel . Entstehung und Ausbreitung des Schalls. 105 Ursachen der Schallempfin- dung. Die Sirene. Als Schall bezeichnet man jede Bewegung, die, wenn sie sich zu unserm Gehörorgan fortpflanzt, eine Gehörsempfindung erzeugt. In der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle geschieht diese Fortpflan- zung durch die Luft, und Lufterschütterungen sind daher die häufigste unmittelbare Ursache unserer Schallempfindung. Eine in den luftlee- ren Raum gebrachte Glocke giebt keinen Schall, weil die beim An- schlagen hervorgebrachte Erschütterung derselben sich nicht zu unserm Fig. 61. Ohr fortpflanzen kann. Die Er- schütterung der Luft muss jedoch eine ziemlich beträchtliche sein, wenn sie als Schall wahrgenommen werden soll. Schwächere Erschüt- terungen der Luft erzeugen einen Schall nur dann, wenn sie sich oft und ziemlich schnell nach einander wiederholen. Wir besitzen ein Hülfsmittel zur Erzeugung in beliebiger Ge- schwindigkeit auf einander folgen- der Luftstösse in der Sirene . Die gegenwärtig meistens benützte Si- rene von Cagniard la Tour be- steht aus einer Scheibe S, die man in Fig. 61 A von oben, in B von der Seite auf einem durch m n ge- führten Durchschnitt erblickt. In Entstehung und Ausbreitung des Schalls. ihr sind in gleichen Abständen Löcher angebracht, und sie liegt auf dem Windkasten W auf, dessen Deckel mit ebenso vielen, den Lö- chern der Scheibe in ihrer Lage genau entsprechenden Durchbohrun- gen versehen ist. Die Löcher im Deckel des Windkastens und in der Scheibe sind in der in B dargestellten Weise schräg gegen einander gestellt. Die Scheibe S ist ferner an der Axe a befestigt, welche, wie man in B sieht, unten auf der Spitze der Schraube x steht, und an ihrem oberen Ende von einer ähnlichen Spitze gehalten wird. Da- durch dreht sich die Scheibe S sammt der Axe a bei dem geringsten Anstoss sehr leicht um ihren Mittelpunkt. Die Röhre R, die unten in den Windkasten einmündet, steht in Verbindung mit einem Blasebalg. Der mittelst des letzteren in den Windkasten getriebene Luftstrom dringt durch die Löcher des Deckels in die Löcher der Scheibe und so nach aussen; hierbei muss er aber wegen der gegen einander ge- neigten Lage der correspondirenden Löcher die Scheibe in rotirende Bewegung setzen. Jedesmal wenn die Löcher der Scheibe über die Löcher des Deckels hinweggehend dem in den Windkasten getriebe- nen Luftstrom den Ausweg gestatten, entsteht eine Lufterschütterung, und diese wird unterbrochen, sobald die Scheibe sich weiterbewegend die Löcher des Deckels verschliesst. Die Häufigkeit der in einer ge- gebenen Zeit erzeugten Luftstösse hängt daher von der Zahl der Lö- cher und von der Umdrehungsgeschwindigkeit der Scheibe ab. Hat z. B. die Sirene 12 Durchbohrungen, und dreht sich die Scheibe in der Secunde 10 mal, so bekommt man 12 . 10 = 120 einzelne Luft- stösse. Um die Zahl der Umdrehungen der Scheibe in einer gegebe- nen Zeit zu messen, ist weiter oben mit der Axe a ein Zählerwerk verbunden, welches jene Umdrehungen in ähnlicher Weise auf einem Zifferblatt ablesen lässt, wie man die Umdrehungen des Räderwerks einer Uhr abliest. Wird nun durch einen schwachen Luftstrom die Scheibe in all- 106 Klang und Geräusch. mälige Bewegung gesetzt, so empfängt man anfänglich keine Schall- empfindung. Diese entsteht, wenn die Bewegung sich so weit be- schleunigt hat, dass ungefähr 16 Luftstösse in der Secunde auf einan- der folgen. Der jetzt gehörte Schall ist ein tiefer musikalischer Klang , dessen Tonhöhe allmälig steigt, wenn die Umdrehungsge- schwindigkeit der Scheibe sich vergrössert. Setzen wir aber auf den Windkasten statt der Scheibe S eine andere Scheibe auf, deren Lö- cher sich nicht in regelmässigen Abständen von einander befinden, sondern (wie in Fig. 62) beliebig unregelmässig vertheilt sind, so er- halten wir mit einer solchen Scheibe niemals einen musikalischen Klang, welche Umdrehungsgeschwindigkeit wir derselben auch geben mögen, sondern der entstehende Schall bleibt stets ein zischendes Ge- räusch . Von dem Schall. Alle unsere Schalleindrücke sind entweder Geräusche oder Klänge . Häufig sind beide mit einander combinirt. So sind fast alle Klänge unserer musikalischen Instrumente von Geräuschen be- gleitet; man denke an das Kratzen der Violinbogen, an das Zischen der Blasinstrumente. Anderseits giebt es kaum ein Geräusch, das nicht noch einigermassen den Charakter des Klangs an sich trüge. An dem Geräusch, das ein zur Erde fallender Körper verursacht, an dem Rauschen des Windes, dem Rasseln der Wagen sind wir meistens im Stande noch eine gewisse Tonhöhe zu unterscheiden. Von allen Schallquellen steht am meisten die menschliche Stimme zwischen Klang und Geräusch in der Mitte. Die Consonanten sind Geräusche, während die Vocale mehr den Charakter des Klangs haben. Bei der Sprech- stimme herrscht das Geräusch, bei der Singstimme der musikalische Klang vor. Der obige Versuch mit der Sirene giebt uns über die Ursache des Unterschieds der Geräusche und Klänge vollständige Rechenschaft. Ein Geräusch entsteht, wenn die einzelnen Luftstösse, welche den Schall verursachen, unregelmässig auf einander folgen; ein Klang entsteht, wenn die Luftstösse durch gleiche Zwischenräume getrennt sind. Auch darüber, dass die Geräusche meistens noch einigermassen den Charakter des Klangs an sich tragen, giebt uns der Versuch Auf- schluss. Denken wir uns nämlich die Scheibe in der in Fig. 62 dar- Fig. 62. gestellten Weise in unregelmässigen Zwischen- räumen durchbohrt, so werden immerhin einige der Löcher in annähernd regelmässigen Di- stanzen von einander befindlich sein. Dies ist z. B. mit den Löchern a, b, c, d der Fall. Wären diese Löcher allein vorhanden, so würde ein Klang von bestimmter Tonhöhe entstehen. Erst das Hinzutreten der andern Löcher stört diesen Klang und bildet ihn zum Geräusch um. Wir können daher jedes Geräusch in der an- gedeuteten Weise als einen gestörten Klang auffassen. Denn in jedem Geräusch wird eine gewisse Zahl von Luftstössen in regel- mässigen Zeitzwischenräumen auf einander folgen. Es können leicht in einem Geräusch mehrere regelmässig periodische Bewegungen neben einander vorkommen, deren jede, wenn sie für sich allein wäre, einen reinen musikalischen Klang bilden würde, und wo das Geräusch nur dadurch entsteht, dass die einzelnen Klänge sich stören. Ja wir kön- nen weiter gehen und behaupten: alle Geräusche lassen in neben einander hergehende und zuweilen rasch wechselnde periodische Luftbewegungen, also in musikalische Klänge sich auflösen. Wenn z. B. in Fig. 62 die ausser der regelmässigen Reihe a, b, c, d übrig bleibende Löcherreihe a', b', c' … nicht in regelmässigen Zwischen- Entstehung und Ausbreitung des Schalls. räumen angebracht ist, so haben doch immer zwei dieser Löcher, z. B. a' und b' ein bestimmtes Lageverhältniss zu einander. Zwei in ge- gebener Zeit auf einander folgende Luftstösse bilden aber schon den Anfang eines Klangs von bestimmter Tonhöhe. Wenn wir also hin- zunehmen, dass im Geräusch, was auch die Erfahrung bestätigt, die Klänge sehr rasch successiv wechseln können, so ist das Geräusch geradezu als eine Summe sich störender Klänge zu definiren. Anlass zur Entstehung musikalischer Klänge ist in der Natur 107 Geschwindig- keit der Schall- schwingungen. sehr vielfach gegeben. Denn da jeder Klang in periodischen Er- schütterungen der Luft besteht, so wird jede regelmässige Schwin- gungsbewegung eines Körpers, die der Luft und durch die letztere unserm Gehör sich mittheilt, vorausgesetzt dass sie die geeignete In- tensität und Geschwindigkeit besitzt, von uns als Klang empfunden werden. Nun sind, wie wir im 1. Abschnitt (§. 34 und 36) gesehen haben, regelmässige Schwingungsbewegungen eine sehr häufige Er- scheinung. Jeder Körper, der durch eine äussere Kraft aus seiner ursprünglichen Lage, in der er sich durch andere Kräfte zu erhalten strebt, entfernt wird, schwingt um diese Lage in regelmässigen Pe- rioden; sind es die einzelnen Theilchen eines Körpers, die successiv solche Schwingungen ausführen, so entstehen die früher erörterten Wellenbewegungen. Schwingungs- und Wellenbewegungen bilden da- her allgemein die Ursache jener Qualitäten des Schalls, die wir als Klänge bezeichnen. Aber nicht alle periodischen Bewegungen können wir als Klänge empfinden: bei den Schwingungen eines Pendels, bei den Wellen des Wassers folgen sich die Perioden zu langsam, bei jenen Schwingungsbewegungen des Aethers, die wir als Wärme oder Licht empfinden, folgen sich die Perioden zu schnell. Die Bewegung muss also innerhalb gewisser Grenzen der Oscillationsgeschwindigkeit eingeschlossen sein, um die Klangempfindung hervorzurufen. Die hier angedeuteten Grenzen können leicht mittelst der im §. 105 beschriebenen Sirene bestimmt werden. Ertheilt man näm- lich der Scheibe S eine bekannte Umdrehungsgeschwindigkeit, so er- gibt sich, wie wir gesehen haben, die Zahl der in einer gegebenen Zeit erfolgenden Luftstösse, wenn man die Anzahl der Löcher mit der Anzahl der Umdrehungen multiplicirt. Man braucht also, um die un- tere und die obere Grenze der Klänge zu ermitteln, nur diejenige Umdrehungsgeschwindigkeit zu bestimmen, bei der eben ein Ton ent- steht, sowie diejenige, bei der eben der Ton verschwindet. Man findet hierbei, dass etwa bei 16 Schwingungen in der Secunde die Tonempfindung beginnt, und dass bei höchstens 38000 Schwingungen in der Secunde die Tonempfindung aufhört. Eine deutliche Unter- scheidung der Tonhöhen ist jedoch nur ungefähr zwischen 40 und Von dem Schall. 4000 Schwingungen möglich, die in der Musik gebrauchten Klänge bleiben daher meistens innerhalb dieser engeren Grenzen. Hiernach können nur diejenigen Schwingungs- und Wellenbe- wegungen, welche die angegebenen Oscillationsgeschwindigkeiten be- sitzen, zur Klangerregung und, da ja auch die Geräusche sich als zu- sammengesetzt aus Klängen betrachten lassen, überhaupt zur Schall- erregung Veranlassung geben. 108 Form der Schallwellen. Wir haben früher gesehen, dass alle Schwingungsbewegungen entweder als Longitudinalwellen oder als Transversalwellen sich fort- pflanzen. Beide Schwingungsformen können auch der Schallerregung zu Grunde liegen. Die Schwingungen der Luft selbst bestehen immer in Verdünnungs- und Verdichtungswellen. Der auf unser Ohr unmit- telbar einwirkende Schall besteht also aus Longitudinalschwingungen. Diese Longitudinalschwingungen der Luft können aber sowohl durch longitudinale als durch transversale Schwingungen des schallerzeugen- den Körpers hervorgerufen werden. In vielen Fällen ist die Luft selbst ursprüngliche Schallquelle. Jede heftige Bewegung der Luft erzeugt Schall. So enstehen Geräusche bei unregelmässigen Lufter- schütterungen, wie Sturm und Donner. Regelmässige Lufterschütterun- gen dagegen, bei denen die Luft ursprüngliche Schallquelle ist, sind die Klänge der Flöten und der ihnen ähnlichen Orgelpfeifen. Die in der cylindrischen Höhlung dieser Instrumente enthaltene Luft wird durch das Anblasen ihrer Mundöffnung in schwingende Bewegung versetzt. An beiderseits offenen cylindrischen Röhren ist die Länge der entstehenden Luftwellen annähernd doppelt so gross, an auf einer Seite geschlossenen Röhren viermal so gross als die Röhrenlänge. Bei andern Formen ist die Abhängigkeit der Wellenlänge von den Di- mensionen der Lufträume eine complicirtere. Häufiger bilden feste Körper die Schallquelle. So erzeugen zwei gegen einander stossende feste Körper ein Geräusch, das zunächst in der Erschütterung der Körper selbst, die sich auf die umgebende Luft fortpflanzt, seinen Grund hat. Musikalische Klänge können sowohl durch Longitudinalschwingungen als durch Transversalschwingungen fester Körper hervorgebracht werden. Wenn man einen Stab der Länge nach reibt, so bilden sich in seinem Innern Verdichtungs- und Verdünnungswellen, die einen deutlichen Ton hervorbringen. Bei den gewöhnlichen Erzeugungsweisen der Töne benützt man aber die trans- versalen Schwingungen fester Körper. Solche transversale Schwin- gungen entstehen beim Anschlagen metallischer Stäbe, gespannter Saiten und Membranen. Die Klänge der Stimmgabeln, der Klavier- und Violinsaiten, der Trommel und Pauke und der sogenannten Zun- geninstrumente gehören hierher. Bei den Zungeninstrumenten sind es entweder Metallplatten, die durch einen anstossenden Luftstrom in Entstehung und Ausbreitung des Schalls. Schwingungen versetzt werden (so bei den Zungenpfeifen der Orgel und Physharmonika), oder die schwingenden Zungen sind aus elasti- schem Rohr geschnitzt (bei der Clarinette, der Oboe und dem Fagott), oder endlich die Lippen des Blasenden selbst gerathen durch den sich an ihnen brechenden Luftstrom in transversale Schwingungen (bei den Hörnern und Trompeten). Diesen letzteren Instrumenten gleicht in Bezug auf die Art der Schallbewegung vollständig der menschliche Kehlkopf, dessen gespannte Stimmbänder membranöse, beim Vorbeistreichen der Luft schwingende Zungen bilden. Alle derartige Schwingungen fester Körper, mögen sie nun longi- 109 Fortpflanzungs- geschwindigkeit des Schalls. tudinal oder transversal sein, erzeugen in der umgebenden Luft Ver- dünnungs- und Verdichtungswellen, die nach allen Seiten sich aus- breiten. Treffen dieselben irgendwo auf ein menschliches Ohr, so rufen sie in dessen Trommelfell Transversalwellen hervor, die sich durch die Kette der Gehörknöchelchen auf das Wasser des Labyrinths fortpflanzen, hier wieder in Longitudinalwellen übergehen und endlich zuletzt an den eigentlichen Endorganen der Hörnerven, den Corti’schen Fasern, sich ohne Zweifel noch einmal in Transversalschwingungen umsetzen. Aehnlich wie in der Luft und in Gasen wird der Schall auch in tropfbaren Flüssigkeiten fortgepflanzt. Erzeugen wir also z. B. einen Schall unter Wasser, und befindet sich ein menschliches Ohr in einer gewissen Entfernung davon ebenfalls unter dem Wasser, so empfängt dasselbe gerade so wie in der Luft einen Schalleindruck. Nur ist die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalls in beiden Fällen eine ver- schiedene. Während der Schall in der Luft bei 0° um 332 Meter in der Secunde sich fortpflanzt, beträgt diese Fortpflanzungsgeschwindig- keit im Wasser ungefähr 1435 Meter. Noch grösser ist die Fortpflan- zungsgeschwindigkeit des Schalls in festen Körpern: so ist sie im Ku- pfer ungefähr 11 mal, im Eisen 15 mal so gross als in der Luft. In der Luft selbst, und in den Gasen überhaupt, nimmt übrigens die Geschwindigkeit des Schalls mit steigender Temperatur etwas zu. Von dem Ort seiner Entstehung aus pflanzt sich der Schall als eine kugelförmige Verdichtungs- und Verdünnungswelle nach allen Richtungen fort. Durch die Schwingungen des schallerzeugenden Körpers werden also nach einander die Luftschichten, die denselben in concentrischen Kugelschalen umschliessen, in Schwingungen ver- setzt. Da die lebendige Kraft der Schwingungsbewegung in jeder dieser Kugelschalen im Ganzen dieselbe sein muss, so wird demnach die Intensität des Schalls in irgend einem Punkt, der sich in einer bestimmten Entfernung von der Schallquelle befindet, im umgekehrten Verhältniss zu der Grösse der Kugelschale stehen, zu welcher der Punkt gehört, und zu welcher die Distanz des Punktes von der Schall- Von dem Schall. quelle den Radius bildet. Da aber die Grösse einer Kugeloberfläche im Verhältniss des Quadrates ihres Radius wächst, so steht demnach die Schallintensität selbst im umgekehrten Verhältniss des Quadrates der Entfernung von der Schallquelle . 110 Reflexion der Schallwellen. Das Sprach- und Hörrohr. Trifft der in der Luft sich ausbreitende Schall auf ein anderes Medium, einen festen oder flüssigen Körper, so gelten für seine Re- flexion und Fortpflanzung dieselben Gesetze wie für die Wellenbewe- gung überhaupt. Trifft also ein Schallstrahl senkrecht gegen eine feste Wand, so wird er in derselben Richtung zurückgeworfen, trifft er in schräger Richtung auf dieselbe, so ist der Winkel, welchen der einfallende Strahl mit der auf der reflectirenden Fläche errichteten Normalen, dem Einfallsloth, bildet, gleich dem Winkel, den der re- flectirte Strahl mit der nämlichen Linie bildet. Befindet sich die re- flectirende Wand in hinreichender Entfernung von der Schallquelle, so dass zwischen der Auffassung des directen und des reflectirten Schalls eine merkliche Zeit liegt, so entsteht das Echo . Befinden sich da- gegen in kleiner Entfernung von der Schallquelle reflectirende Wände, so dass die reflectirten Schallstrahlen sich mit den directen vermi- schen, so wird eine Schallverstärkung hervorgerufen. Die zweck- mässigste Einrichtung besitzt, um eine solche Verstärkung des Schalls zu erzielen, das Sprachrohr (Fig. 63). Dasselbe ist ein conisch Fig. 63. geformtes Rohr, der Ort der Schall- erzeugung befindet sich an der enge- ren Oeffnung des Conus, also bei a. In Folge dessen wird der in der Rich- tung der Axe gehende Schallwellen- zug a m durch die an den Wandun- gen reflectirten Schallwellen a b c, a d e u. s. w. verstärkt, da, wie dies unmittelbar aus der Fig. 63 ersichtlich ist, die sämmtlichen auf die Wände des Rohrs auffallenden Schallstrahlen, die von dem Punkte a ausgehen, nach einmaliger Reflexion das Sprachrohr durch die Oeff- nung verlassen. Wollte man das Sprachrohr umgekehrt benützen, in- dem man an dem weiteren Ende o den Schall erregte und denselben durch das engere Ende a ausstrahlen liesse, so würden die auf die Wandung auffallenden Schallstrahlen grossentheils eine mehrmalige Reflexion erfahren, wie man z. B. an dem Strahl o n p sieht; durch solche mehrfache Reflexion müssen aber die Schallwellen geschwächt werden und endlich ganz erlöschen. Einen ähnlichen Zweck haben die Schallröhren, die man Schwer- hörigen zur Benützung giebt. Trotzdem giebt man denselben gewöhn- lich die umgekehrte Form des Sprachrohrs. Für ein Hörrohr aber, das bloss zum äussern Anlegen an das Ohr bestimmt ist, würde offenbar Entstehung und Ausbreitung des Schalls. eine dem Sprachrohr ähnliche Form die angemessenste sein. Scheinbar hat nun zwar das äussere Ohr des Menschen, das man als eine von der Natur zur Aufsammlung der Schallwellen bestimmte Vor- richtung zu betrachten pflegt, jene Form des Conus mit weiterer nach aussen gekehrter und engerer gegen den Ohrkanal gerichteter Oeffnung. In der That ist aber die Aehnlichkeit der Ohrmuschel mit dem Anfang einer Röhre nur eine höchst oberflächliche. Die we- sentlichsten Momente, welche die akustische Bedeutung des äus- sern Ohrs ausmachen, sind wohl folgende. Die muschelförmige Grube und die Innenfläche der vordern Ohrklappe sind einander zu- gekehrte concave Flächen, von denen die letztere so gestellt ist, dass sie die auf sie fallenden Schallstrahlen in den Ohrkanal reflectiren muss. Nach den allgemeinen Gesetzen der Reflexion sind nun con- cave Flächen stets zur Concentration der Wellen sehr geeignet: die Ohrmuschel concentrirt daher die Schallwellen auf die Innenfläche der vordern Ohrklappe, und diese concentrirt dieselben in den äussern Ge- hörgang. Nach dem nämlichen Princip dürften noch manche andere der am äussern Ohr sichtbaren Erhabenheiten und Vertiefungen aku- stisch zu erklären sein. Eine weitere Bedeutung erhält die Form des Ohrs dadurch, dass die hauptsächlichste zuerst den Schall auffangende Fläche, die muschelförmige Grube, nach vorn gekehrt ist, so dass we- gen der grösseren Intensität, mit der die von vorn kommenden Schall- wellen in den Ohrkanal reflectirt werden, ein Urtheil über die Rich- tung des Schalls und über den Ort wo sich die Schallquelle befindet möglich wird. Man kann eine möglichst grosse Intensität der in den Gehörgang gelangenden Schallstrahlen noch dadurch erzielen, dass man das eine Ende eines cylindrischen Rohrs, an dessen anderm Ende die Schall- wellen erregt werden, unmittelbar in den Gehörgang steckt. Hierbei wird die sonstige Wirkung des Rohrs noch unterstützt durch die directe Schalleitung der Wandungen desselben. Gewöhnlich wendet man zu diesem Zweck cylindrische, am besten elastische Röhren (aus Kaut- schuk) an, die ein geeignetes Ansatzstück aus Horn oder Elfenbein besitzen, welches in den Gehörgang gebracht wird. Es wäre ebenso einfach als zweckmässig, das zur Auscultation der Brust- organe benützte Hörrohr (das Stethoskop) nach demselben Princip zu construi- ren. Denn will man die Unbequemlichkeit vermeiden, die das unmittelbare Anlegen des Ohres an die Brust mit sich bringt, so sollte man wenigstens dem benützten Hörrohr diejenige Form geben, bei der es möglichs gut zu hören gestattet. Viele unserer Stethoskope sind aber geradezu zum Schlechthören eingerichtet, indem sie die Form eines Conus besitzen, dessen weitere Oeffnung auf die Brust aufgesetzt wird. Ein Stethoskop, dass besser den akustischen Anforderungen entspricht, ist neuerdings von König construirt worden. Poggendorff ’s Annalen 1864. Von dem Schall. 111 Brechung und Beugung der Schallwellen. Wenn der Schall aus einem ersten in ein zweites Medium über- geht, so erfahren die Schallstrahlen eine Brechung , indem gemäss dem allgemeinen Brechungsgesetz der Sinus des Einfallswinkels zum Sinus des Brechungswinkels sich verhält wie die Fortpflanzungsge- schwindigkeit des Schalls im ersten zu derjenigen im zweiten Mittel. In der Regel sind die Erscheinungen der Schallbrechung mit Reflexions- erscheinungen, zuweilen auch mit Beugungserscheinungen verbunden. Auch wird beim Uebertreten des Schalls in andere Körper meistens ein grosser Theil der Schallwellen vernichtet oder vielmehr in andere Formen von Bewegung transformirt. Die Beugung des Schalls ist wegen der beträchtlichen Länge der Schallwellen sehr bedeutend. So ist es denn eine allbekannte Erscheinung, dass man ziemlich leicht um eine Ecke zu hören vermag. Uebrigens sind hierbei, wegen der Fortpflanzung des Schalls durch feste Körper, die gebeugten Wellen meistens mit direct zugeleiteten untermischt. Eine weitere practische Bedeutung haben die Erscheinungen der Brechung und Beugung des Schalls nicht. Hinsichtlich der Theorie der Wellenbeugung vgl. das Capitel von der Beugung der Lichtwellen §. 208 u. f. Zweites Capitel . Von den Tönen und musikalischen Klängen. 112 Tonhöhe. Nachdem wir die Erscheinungen betrachtet haben, welche die Verbreitung des Schalls im Allgemeinen zeigt, wenden wir uns zur Untersuchung der verschiedenen Qualitäten des Schalls . Wir haben hier zuerst die Klänge und sodann die wichtigeren Formen der Geräusche in’s Auge zu fassen. Die auffälligsten Verschieden- heiten, welche die Klänge darbieten, sind die Unterschiede der Ton- höhe . Ausserdem bemerken wir noch eigenthümliche Unterschiede der verschiedenen Klänge, welche die Unterschiede der Tonhöhe be- gleiten, und welche offenbar von der Art der Entstehung der Klänge abhängig sind. So sind die Klänge der Violine, der Orgel, der Flöte u. s. w. deutlich von einander zu unterscheiden. Man bezeichnet diese letzteren Unterschiede als Unterschiede der Klangfarbe . Die Tonhöhe ist abhängig von der Anzahl der Schwingungen, welche in einer gegebenen Zeit regelmässig auf einander folgen; sie ist aber unabhängig von der Form dieser Schwingungen. Sobald wir daher eine bestimmte Anzahl von Luftstössen in der Secunde erzeugen, so hören wir eine bestimmte Tonhöhe, gleichgültig wie wir diese Luft- stösse hervorgebracht haben mögen. Unser Ohr unterscheidet mit be- sonderer Schärfe die Verhältnisse der Tonhöhen . Wir können Von den Tönen und musikalischen Klängen. nun nachweisen, dass gleichen Verhältnissen der Tonhöhen immer gleiche Verhältnisse der Schwingungszahlen ent- sprechen , welches auch die Entstehungsweise der Töne sei. Wenn man der Sirene (Fig. 61) zuerst eine bestimmte Umdrehungsgesc hin- digkeit giebt und dann diese Geschwindigkeit verdoppelt, so dass nun die doppelte Zahl von Luftstössen in der gleichen Zeit entsteht, so ist der zweite Ton die Octave des ersten. Noch einfacher lässt sich dies zeigen, wenn man an der Sirene zwei Reihen von Löchern, beide in regelmässigen Abständen, anbringt, die Zahl der Löcher der einen Reihe aber doppelt so gross macht wie die der andern. Versetzt man nun die Scheibe in Bewegung, so entstehen zwei zusammenklingende Töne, die, welches auch die absolute Rotationsgeschwindigkeit sein möge, immer in dem Verhältniss von Grundton und Octave zu einan- der stehen. Macht man die beiden Löcherreihen so, dass auf je zwei Löcher der ersten drei der zweiten Reihe kommen, so sind die bei- den zusammenklingenden Töne Grundton und Quinte. Aehnlich ent- spricht dem Verhältniss 4 : 5 die grosse Terz, dem Verhältniss 5 : 6 die kleine Terz. Das nämliche Gesetz lässt sich noch mittelst des Monochords nachweisen. Dieses einfache Instrument besteht aus einer einzigen Saite, welche über einen Resonanzboden ausgespannt ist, und unter welcher sich ein verschiebbarer Steg befindet, mittelst dessen man die Saite abtheilen und so beliebige Bruchtheile derselben durch Anschla- gen in Schwingungen versetzen kann. Wenn die Saite immer gleich gespannt bleibt, so verhalten sich die Schwingungszahlen umgekehrt wie die Saitenlängen, eine Saite von halber Länge schwingt also dop- pelt so oft. Lässt man nun zuerst die ganze Saite und dann, indem man den Steg in ihrer Mitte einsetzt, die halbe Saite schwingen, so stehen wieder beide Töne im Verhältniss von Grundton und Octave. Theilt man die Saite durch den Steg so, dass sich die Längen der beiden Abschnitte wie 2 : 3 verhalten, so erhält man Grundton und Quinte; theilt man im Verhältniss von 3 : 4, so erhält man Grundton und Quarte u. s. w. Obgleich in diesem Fall die Erzeugungsweise der Töne und auch die Klangfarbe eine ganz andere ist wie bei der Sirene, so sind doch die den gleichen Verhältnissen der Schwingungs- zahlen entsprechenden Verhältnisse der Tonhöhen die nämlichen. Das einem bestimmten Verhältniss der Tonhöhen entsprechende 113 Die consoniren- den Intervalle. Die Accorde. Die Tonleiter. Verhältniss zweier Schwingungszahlen bezeichnet man als Toninter- vall . Folgende lassen sich als die einfachsten Intervalle her- vorheben: Octave mit dem Verhältniss der Schwingungszahlen 1 : 2 Quinte „ „ „ „ „ 2 : 3 Quarte „ „ „ „ „ 3 : 4 Wundt , medicin. Physik. 11 Von dem Schall. Grosse Terz mit dem Verhältniss der Schwingungszahlen 4 : 5 Kleine Terz „ „ „ „ „ 5 : 6 Diesen reihen sich als nächst einfache an: Die kleine Sext mit dem Verhältniss der Schwingungszahlen 5 : 8 Die grosse Sext „ „ „ „ „ 6 : 10 (oder 3 : 5) Diese sieben Intervalle, die sich sämmtlich durch kleine ganze Zahlen ausdrücken lassen, haben die Eigenschaft, dass jedes derselben für unser Ohr einen harmonischen Zweiklang bildet. Man bezeichnet sie daher als consonirende Intervalle . Die einfachsten dersel- ben, die Octave und Quinte, welche den Verhältnissen 1 : 2 : 3 ent- sprechen, unterscheidet man aber als vollkommene Consonanzen von den übrigen, die als unvollkommene Consonanzen bezeich- net werden, weil sie für unser Ohr nicht so harmonisch wie die ersteren zusammenklingen. Alle übrigen Intervalle bilden Dissonan- zen. Es ergiebt sich hieraus das Gesetz, dass zwei Töne harmo- nisch zusammenklingen, wenn ihre Schwingungszahlen in dem Verhältniss kleiner ganzer Zahlen stehen . Es lässt sich dieses Gesetz leicht auf das Zusammenklingen von drei oder mehr Tönen übertragen. Drei Töne werden offenbar dann harmonisch zusammenklingen, wenn jeder einzelne mit jedem der bei- den andern einen harmonischen Zweiklang bildet. Zusammenklänge, die aus mehr als zwei Einzelklängen bestehen, nennt man Accorde . So sind z. B. Grundton, grosse Terz und Quinte ein harmonischer Accord, weil Grundton und grosse Terz, Grundton und Quinte, grosse Terz und Quinte sämmtlich consonirende Intervalle sind. Zwischen dem Grundton und seiner Octave giebt es nur vier consonirende Drei- klänge. Den ersten derselben 1) Grundton grosse Terz Quinte (1 : 5/4 : 3/2) bezeichnet man als den harten oder Dur-Accord , den zweiten 2) Grundton kleine Terz Quinte (1 : 6/5 : 3/2) als den weichen oder Moll-Accord . Als minder consonirend schliessen sich ihnen an 3) Grundton grosse Terz grosse Sext (1 : 5/4 : 5/3) 4) Grundton Quart grosse Sext (1 : 4/3 : 5/3) 5) Grundton kleine Terz kleine Sext (1 : 6/5 : 8/5) 6) Grundton Quart kleine Sext (1 : 4/3 : 8/5). Die Accorde 3 u. 4 werden als Terzsextenaccorde oder einfach als Sextenaccorde , die Accorde 4 und 6 als Quartsextenac- corde bezeichnet. Die Musiker haben die Dur-Tonleiter aus sämmtlichen zu dem Duraccord und den beiden grossen Sextaccorden (3 und 4) nöthigen Tönen gebildet, indem sie zwischen dem Grundton und der Terz noch die Secunde mit dem Schwingungsverhältniss 9/8 und zwischen der Sext und der Octave die Septime mit dem Schwingungsverhältniss 15/8 hin- Von den Tönen und musikalischen Klängen. zufügten. Man ist übereingekommen von dem Grundton c auszugehen, und erhält daher folgende Reihe als die C-Dur-Tonleiter: Die in diese Tonleiter eingehenden drei Accorde sind: der Duraccord c e g der Terzsextenaccord c e a der Quartsextenaccord c f a. Um nun in entsprechender Weise die D-Dur-Tonleiter zu bilden, d. h. die von dem Grundton d aus nach den gleichen Intervallen fort- schreitende Tonreihe, reicht man offenbar mit der C-Dur-Tonreihe nicht aus. Denn setzen wir den Ton d = 1, so ist e oder die Secunde nicht = 9/8 sondern = 10/9; ebenso findet man f nicht = 5/4 sondern = 32/27 u. s. w. Will man ferner die E-Dur-Tonleiter bilden, so erhält man für die Secunde 16/15, für die Terz 6/5 u. s. w. Streng genommen ergiebt sich also für jede Dur-Tonleiter eine andere Reihe von Tönen, die sämmtlich zwischen den Intervallen der C Dur-Tonreihe liegen. Man könnte nun aber mit einem jeden dieser zwischenliegenden Töne wie- der eine neue Tonleiter beginnen, man würde dann eine zwischenlie- gende Tonreihe zweiter Ordnung erhalten, dann liesse sich zu einer Reihe dritter, vierter oder noch höherer Ordnung fortgehen; es ist klar, dass sich so eine unendlich grosse Zahl möglicher Tonreihen eröffnet. Man beschränkt sich jedoch in der Musik auf die Tonreihen der ersten Ordnung und erlaubt sich die weitere Vereinfachung zwischen je zwei Tönen der C-Dur-Tonleiter nie mehr als einen einzigen Zwischenton, einen sogenannten halben Ton einzuschalten. Theils nämlich weichen die Zwischenintervalle von dem nächsten ganzen Ton so wenig ab, dass dieser an ihre Stelle gesetzt werden darf, theils sind die Zwi- schenintervalle von einander so wenig verschieden, dass man ein einziges mittleres Intervall ihnen substituiren darf. So ist z. B. das Verhältniss 10/9 von dem Verhältniss 9/8 durch das Gehör nicht mehr zu unterscheiden. Wie die Durtonleiter aus dem Duraccord und den beiden gros- sen Sextenaccorden, so erhält man die Molltonleiter aus dem Moll- accord und den beiden kleinen Sextenaccorden (5 und 6), indem wie- der zwischen dem Grundton und der Terz die Secunde und zwischen der Sext und der Octave die Septime eingeschaltet wird. Die Se- cunde erhält, wie in der Durtonleiter, das Schwingungsverhältniss 9/8, die Septime dagegen muss sich zu der vorangegangenen kleinen Sext (8/5) so verhalten wie die Septime der Durtonleiter (15/8) zur grossen Sext (5/3). Die Septime der Molltonleiter hat daher nicht das Schwin- gungsverhältniss 15/8, sondern 9/5. (Denn 9/5 · 5/3 = 15/8 · 8/5.) Hieraus er- giebt sich folgende C-Moll-Tonleiter: 11 * Von dem Schall. Die in diese Tonleiter eingehenden drei Accorde sind: der Mollaccord c es g der Terzsextenaccord c es as der Quartsextenaccord c f as. Mit jedem Ton der C-Molltonleiter kann man wieder eine neue Tonleiter (D-Moll, Es-Moll u. s. w.) beginnen; man könnte so in ähn- licher Weise zu Tonreihen höherer Ordnung gelangen wie vermittelst der Duraccorde, man beschränkt sich aber auch hier auf die Tonreihen erster Ordnung und benützt wieder die zwischen je zwei Tönen der siebenstufigen Scala eingeschalteten halben Töne für die zwischenlie- genden Intervalle. Hierdurch wird das ganze Tonsystem auf folgende 12 Töne reducirt: Indem die Musik sich darauf beschränkt, zwischen je zwei gan- zen Tönen der C-Dur-Tonreihe nur ein zwischenliegendes Tonintervall aufzunehmen, wird sie genöthigt nicht bloss diese zwischenliegenden halben Töne, sondern auch die ganzen Töne, die zwischen dem Grund- ton und seiner Octave vorkommen, nicht in ihrem eigentlichen Schwin- gungsverhältniss zu belassen, weil sonst zwar einzelne Intervalle sehr rein, andere dagegen um so unreiner klingen würden. Man opfert daher lieber in geringem Grade die Reinheit aller Tonintervalle, um sie wenigstens so viel als möglich in einem gleichen Grad der Rein- heit zu erhalten. Dies geschieht durch die Stimmung nach gleich- schwebender Temperatur . Sie besteht darin, dass man nur den Octaven eine reine Stimmung giebt, die zwölf innerhalb einer Octave liegenden Töne aber gleich weit von einander abstehend annimmt, also das Schwingungsverhältniss zweier auf einander folgender Töne constant macht. Dieses constante Schwingungsverhältniss, welches 2 oder = 1,05986 ist, wird dann als das Intervall eines hal- ben Tones betrachtet. 114 Die Klangfarbe. Einfache und zusammenge- setzte Schall- schwingungen. Während die Tonhöhe von der Anzahl der in einer gegebenen Zeit regelmässig auf einanderfolgenden Schwingungen abhängt, ist die Klangfarbe durch die Form der Schwingungen bedingt. Die Fig. 64. Form der Luftwellenzüge, welche in unserm Ohr die Klangempfindung her- vorrufen, kann nämlich offenbar bei einer und derselben Tonhöhe eine äus- serst verschiedene sein. So entspre- chen die Wellenzüge A und B (Fig. 64.) der gleichen Tonhöhe, d. h. in A fol- Von den Tönen und musikalischen Klängen. gen eben so viel Hin- und Herbewegungen der Luft in derselben Zeit wie in B auf einander, trotzdem ist in beiden Fällen die Einwirkung auf das Ohr und dem entsprechend auch die Klangempfindung eine verschiedene. Die besondere Form der zum Ohr sich fortpflanzenden Luft- schwingungen ist aber immer bedingt durch die Art und Weise, wie der Klang erzeugt wird. Die Form A z. B. entspricht etwa solchen Luftschwingungen, wie sie in einer angeblasenen Flöte entstehen, wäh- rend die Form B durch das Ziehen an einer Guitarrensaite zu Stande kommen kann. Die Bewegung der Saite selbst gleicht hier der Form eines einzelnen Bruchstücks a b des ganzen Wellenzugs. Der die Saite ziehende Finger bringt dieselbe in die Form a c b, worauf sie freige- lassen in dieser Form um ihre Gleichgewichtslage weiter schwingt und ihre Bewegung auf die umgebende Luft überträgt. Die einfachste Form der Schallschwingungen ist die in Fig. 64 A dargestellte. Bei ihr ist nämlich in jedem Moment der Schwingung die Entfernung des schwingenden Punktes von der Gleich- gewichtslage proportional dem Sinus der Zeit. Man bezeichnet daher solche einfachste Schwingungen auch als Sinusschwingungen oder als pendelartige Schwingungen , weil für das Pendel das nämliche Gesetz der Bewegung stattfindet. In der Natur nähern sich diesen pendelartigen Schwingungen, wie schon oben bemerkt, die Schallschwingungen der Flöte, ausserdem die Schwingungen in weiten gedeckten Orgelpfeifen und am meisten die Schwingungen, welche in Resonanzräumen durch Stimmgabeln von entsprechender Stimmung hervorgerufen werden. Die Ursache der Bezeichnung „Sinusschwingungen“ erhellt unmittelbar aus den in §. 29 ausgeführten Betrachtungen. Dort haben wir das Gesetz einfacher Schwin- gungen erörtert und gefunden, dass dasselbe sich entwickeln lässt, wenn man der hin- und herschwingenden Bewegung die Bewegung auf einer Kreisoberfläche snbstituirt . Einer ganzen durch die Wellencurve a b c (Fig. 65) repräsentirten Schwingung entspricht Fig. 65. so die Bewegung auf der Kreisoberfläche f a f, deren Radius gleich der Wellenhöhe ist. Ein etwa bei g befindlicher Beobachter wird auch in der That die Schwingun- gen in derselben Weise wahrnehmen, ob der schwingende Punkt auf dem Durchmesser r s gemäss dem in §. 29 entwickelten Schwingungsgesetz sich hin- und herbewegt, oder ob er auf der Wellenlinie a b c mit solcher Geschwindigkeit bewegt wird, dass er die Strecken a n, n p, die gleich grossen Abscissen a m, m o entsprechen, in gleichen Zeiten zurücklegt, oder ob er sich endlich mit gleichförmiger Geschwindig- keit auf der Kreisfläche f a f bewegt. Wie aber bei der Wellencurve a b c die Von dem Schall. Abscissen a m, m o u. s. w. die aufeinanderfolgenden Zeittheile bedeuten, denen die Excursionen m n, o p u. s. w. entsprechen, so werden denselben Excursionen m' n', o' p' beim Kreis f a f die gleich grossen Winkel t, t' correspondirend. Es ist nun m' n' = r. sin. t, o' p' = r. sin. (t + t'), d. h. die einzelnen Excursionen sind proportional dem Sinus der verflossenen Zeit. Als „pendelartige Schwingungen“ wer- den solche einfache Schwingungen auch bezeichnet, weil, wie wir im §. 55 auseinan- dergesetzt haben, das Gesetz der Pendelschwingungen für den Fall dass man die Schwingungsbogen sehr klein annimmt nur ein specieller Fall des in §. 29 entwickelten allgemeinen Schwingungsgesetzes ist. Man kann jede Wellencurve von beliebiger Form aus einer be- stimmten Anzahl solcher einfachsten Wellenformen, wie sie die Fig. 64 A darstellt, zusammensetzen. So lässt sich z. B. die ausgezogene Wellencurve Fig. 66 in die zwei punktirt gezeichneten auflösen. Eine Fig. 66. Verschiebung der beiden letzteren gegen einander würde die Form der resultirenden Curve verändern, und in jeder beliebigen Weise könnte dieselbe vollends durch Hinzufügen weiterer einfacher Wellenzüge ver- ändert werden. Es ist klar, dass hierbei die resultirende Welle so lange eine regelmässig periodische, wie in Fig. 66, bleibt, als die einfachen Wellen, aus denen sie sich zusammensetzt, im Verhältniss kleiner gan- zer Zahlen zu einander stehen. Jede beliebige regelmässig periodische Schwingungsform kann also aus einer Summe von einfachen Schwingungen zusammengesetzt werden, deren Schwingungszahlen ein, zwei, drei, vier u. s. w. mal so gross sind als die Schwingungszahl der gegebenen Be- wegung . Da nun der Klang allgemein eine regelmässig periodische Schwingungsform der Luft ist, so kann, wenn wir jene regelmässig pendelartige Bewegung, einen einfachen Ton , jede zusammenge- setzte regelmässige Bewegung aber einen Klang nennen, das obige Gesetz in seiner Anwendung auf die Theorie der Klangfarbe kurz so ausgedrückt werden: Jeder Klang ist aus einer Summe ein- facher Töne zusammengesetzt, deren Schwingungszah- len im Verhältniss kleiner ganzer Zahlen zu ein- ander stehen . Diese Regel ist insofern nicht ganz streng gültig, als es Klänge Von den Tönen und musikalischen Klängen. giebt, die zu den musikalischen Klängen gerechnet werden, und trotz- dem Partialtöne enthalten, deren Schwingungen nicht das Verhältniss kleiner ganzer Zahlen haben. Solche unharmonische Partialtöne hört man z. B. beim Anschlagen der Stimmgabel und aller Saitenin- strumente. Sie sind meistens sehr hohe Töne und werden neben den tieferen harmonischen Theiltönen, die den eigentlichen Klang bilden, vernachlässigt. Die Stärke der einzelnen einfachen Töne, welche einen Klang zu- 115 Partialtöne des Klangs. Ana- lyse des Klangs. Klänge der mu- sikalischen In- strumente. Vo- calklänge. sammensetzen, ist beträchtlich verschieden: hierdurch unterscheidet sich der Klang von dem harmonischen Zusammenklingen mehrerer Töne . Der Klang stimmt aber darin überein mit dem Zu- sammenklang, dass er nicht bloss objectiv aus einem Grundton und mehreren höheren Nebentönen zusammengesetzt werden kann, sondern dass wir auch durch Aufmerksamheit oder durch Herbeiziehung be- sonderer Hülfsmittel uns in den Stand setzen können die sämmtlichen Theiltöne, die einen Klang bilden, aus demselben herauszuhören. Die objective Existenz der Partialtöne eines Klangs lässt sich beweisen, indem man die Gesetze des Mittönens zur Anwendung bringt. Körper von geringer Masse, z. B. gespannte Saiten oder Mem- branen, gerathen, wenn derjenige Ton, den sie selbst beim Anschlagen geben, erschallt, leicht in Mitschwingung, indem sich die Bewegung der Luft auf sie überträgt. Erschallt nun ein Klang, der den Eigenton der Saite oder Membran, wenn auch nur als schwächeren Partialton ent- hält, so kann ein Mitschwingen eintreten, und man hört dann den be- treffenden Partialton verstärkt durch die mitschwingende Saite oder Membran. Noch objectiver lässt der Versuch auf folgende Weise sich anstellen. Man legt in einem Clavier auf irgend eine Saite ein kleines Holzsplitterchen und schlägt dann eine andere Saite an, welche einen der Untertöne der ersten Saite giebt; man legt also z. B. das Splitter- chen auf c' und schlägt c, F oder C u. s. w. an. Im Moment fliegt dann durch das eintretende Mitschwingen von c' das Splitterchen weg. Durch eine Methode, die im Princip mit diesen Versuchen des Mittönens völlig übereinstimmt, lässt sich auch subjectiv , durch die Empfindung, jeder Klang in seine einzelnen Partialtöne zerlegen. Wir können nämlich nur desshalb die einzelnen Partialtöne nicht alle un- mittelbar wahrnehmen, weil sie in der Regel zu schwach sind. Wir richten daher unsere Aufmerksamkeit hauptsächlich auf den tiefsten, welcher zugleich der stärkste ist, den Grundton , und bestimmen nach diesem die Tonhöhe, während die höheren Partialtöne, die Ober- töne , lediglich die eigenthümliche Klangfärbung ausmachen. Wie nun eine Saite in Mitschwingungen geräth, wenn in der Umgebung der Eigenton derselben erzeugt wird, so können auch in dem Luftraum einer Röhre, einer Kugel u. dgl., der mit der äusseren Luft communi- Von dem Schall. cirt, derartige Mitschwingungen entstehen. Man nennt solche Luft- räume Resonatoren . Meist benützt man als Resonatoren Glas- röhren, die am einen Ende offen und am andern geschlossen sind. Wird an das offene Ende einer derartigen Röhre eine Stimmgabel ge- halten, deren Ton mit demjenigen übereinstimmt, welcher beim An- blasen der Röhre entsteht, so wird der Ton der Stimmgabel beträcht- lich verstärkt. Um nun vermittelst eines Resonators die schwächeren Partialtöne eines Klanges zu hören, lässt man beide Enden des Reso- nators offen und steckt das eine in die eine Ohröffnung, während zu- gleich das andere Ohr zugehalten wird. Befindet sich dann in dem Klang der Eigenton des Resonators als Partialton, so wird derselbe beträchtlich verstärkt gehört. Die Thatsache, dass wir durch unsere Empfindung einen Klang ebenso in mehrere einfache Töne zerlegen können, wie eine irgendwie zusammengesetzte Schwingungsform objectiv in eine Reihe pendelarti- ger Schwingungen zu zerlegen ist, beweist, dass wir mit dem Gehör- organ die Schwingungsbewegungen ganz anders auffassen als mit dem Gesichtssinn. Unser Auge sieht immer nur die resultirende Schwin- gung, es kann dieselbe aber nicht zerlegen in die einfachen pendel- artigen Schwingungen, aus denen sie sich zusammensetzt. Für das Ohr besteht umgekehrt das Wahrnehmen der resultirenden Schwingung nur in jener Zerlegung. Denn wenn wir auch ohne besondere Hülfs- mittel die meisten Partialtöne eines Klangs gewöhnlich nicht gesondert erkennen , so empfinden wir sie doch gesondert, und gerade die neben einander herlaufenden Empfindungen mehrerer Töne machen die Klangfarbe aus. Zum Erkennen der neben einander bestehenden Empfindungen ist dagegen eine grosse Intensität derselben oder eine gesteigerte Aufmerksamkeit erforderlich. Sehen wir uns in der Natur nach einer Analogie für eine solche Zerlegung zusammengesetzter pe- riodischer Bewegung in einfache um, so bieten die einzige Analogie jene Erscheinungen des Mitschwingens, welche uns in den Stand setzen auch objectiv die zusammengesetzten Schwingungen zu zerlegen. Las- sen wir gegen den Resonanzboden eines Claviers, dessen Dämpfer ge- hoben ist, einen kräftigen Klang ertönen, so kommen dadurch alle die- jenigen Saiten in Mitschwingung, welche den einfachen Tönen entspre- chen, die in dem angegebenen Klange enthalten sind. Könnten wir jede Saite des Claviers mit einer Nervenfaser verbinden, so dass die letztere erregt würde, sobald die Saite in Schwingung geriethe, so würde jeder Klang, der das Instrument trifft, eine Reihe von Empfin- dungen erregen entsprechend den pendelartigen Schwingungen, in welche die Luftbewegung zu zerlegen ist. Dies findet nun beim Ohr in der That statt. Hieraus dürfen wir folgern, dass in dem Ohr mit- schwingende Theile existiren, die in ähnlicher Weise wie die Saiten eines Claviers auf verschiedene Tonhöhen abgestimmt sind, und Von den Tönen und musikalischen Klängen. die mit gesonderten Nervenfasern in Verbindung stehen. In der That befinden sich nun, wie die mikroskopische Anatomie lehrt, an den En- den der Gehörnervenfasern kleine elastische Organe, denen ohne Zweifel die Function solcher mitschwingender Theile zukommt. Die auf objectivem Wege (durch die Beobachtung des Mitschwin- gens) oder subjectiv (vermittelst der Resonatoren) vorgenommene Ana- lyse musikalischer Klänge ergiebt, dass die einen Klang zusammen- setzenden Theiltöne im Allgemeinen mit zunehmender Höhe an Stärke abnehmen. Der tiefste Partialton, der Grundton , überwiegt, wie schon bemerkt, so sehr, dass nach ihm allein die Tonhöhe bestimmt wird, aber auch die Obertöne , die bloss zur Bildung der Klang- farbe beitragen, nehmen im Allgemeinen mit zunehmender Höhe ab. Ferner hört man in der Regel die ungeradzahligen Obertöne, also die Quinten, Terzen, Septimen u. s. w. des Grundtons leichter als die ge- radzahligen, welche Octaven des Grundtons oder tieferer Töne sind. Dieser Unterschied ist offenbar ein subjectiver, da man auch in einem Accorde die Terzen und Quinten leichter als die Octaven von einander trennt. Unter den ungeradzahligen steht meistens der dritte Ton, die Duodecime des Grundtons oder Quinte seiner ersten höheren Octave, voran, dann folgt der fünfte Partialton als Terz und hierauf der sie- bente als kleine Septime der zweiten höheren Octave des Grundtons. Uebrigens finden sich in dieser Beziehung Unterschiede, welche von der verschiedenen Beschaffenheit der Klangquelle abhängig sind, und welche eben die Verschiedenheiten der Klangfarbe bedingen. So ist in den Klängen, die durch Anschlagen von Saiten erhalten werden, eine grosse Menge von Obertönen und der Grundton im Verhältniss zu denselben ziemlich schwach. Im Klang der Streichinstrumente ist der Grundton kräftiger, unter den Obertönen sind aber namentlich die höheren (vom sechsten bis etwa zehnten) auffallend stark und verur- sachen die Schärfe des Klangs dieser Instrumente. Die weiten ge- deckten Pfeifen der Orgel geben den Grundton fast rein, die engeren lassen den zweiten Oberton (die Duodecime) deutlich mitklingen; bei den weiten offenen Pfeifen hört man den ersten und zweiten Oberton (Octave und Duodecime) neben dem Grundton. Bei den Zungenpfeifen ist die Klangfarbe theils von der Beschaffenheit der Zunge, deren Schwingungen den Ton verursachen, theils von der Beschaffenheit des Ansatzrohrs, welches hierbei als Resonanzröhre wirkt, abhängig. Der Schall wird hier erzeugt durch die intermittirenden Luftstösse, welche durch die von der Zunge geschlossene Oeffnung bei jeder ihrer Schwingungen hindurchbrechen. Die Bewegung der Luft ist in die- sem Fall in hohem Grad discontinuirlich, da die Luftstösse meist durch vollständige Pausen (entsprechend der Zeit, während deren die Oeffnung durch die Zunge geschlossen wird) von einander getrennt sind. Wo aber auch die Schwingungscurven scharfe Discon- Von dem Schall. tinuitäten zeigen, da sind dieselben doch, wie oben bemerkt, immer aus einer sehr grossen Anzahl einfacher, sogenannter Sinuscurven zusam- mengesetzt. Freie Zungen ohne Ansatzrohr geben daher einen sehr scharfen, eine lange Reihe von Obertönen enthaltenden Klang. Durch das Ansatzrohr werden nun diejenigen Obertöne, welche den eigenen Tönen desselben entsprechen, beträchtlich verstärkt. Die Klangfarbe der Zungenpfeifen der Orgel, der Physharmonika und der Blasinstru- mente hängt daher wesentlich von der Gestalt und Beschaffenheit des Ansatzrohrs ab. So verstärkt das cylindrische Rohr der Clarinette durch seine Resonanz hauptsächlich die ungeradzahligen Obertöne des Klangs, während die kegelförmigen Röhren der Oboen, Fagotte, Trompeten und Hörner ziemlich gleichmässig alle harmonischen Obertöne verstärken. Bei den künstlichen Zungenpfeifen wird der Klang entweder durch eine steife metallische Zunge von unveränderlicher Schwingungs- dauer hervorgebracht (Orgel, Physharmonika), oder er wird aus dem Töne von äusserst verschiedener Höhe enthaltenden Geräusch einer hölzernen Zunge durch ein bestimmte Töne verstärkendes An- satzrohr gleichsam ausgesondert (Clarinette, Oboe, Fagott), oder er wird endlich durch die schwingenden Lippen des Blasenden, die den Schwingungen der Luftsäule des Ansatzrohrs sich anpassen, erzeugt, in welchem letzteren Fall es von der Form und Spannung der Lippen abhängt, welcher der Eigentöne des Ansatzrohrs erklingt (Trompeten, Hörner u. s. w.). Eine Zungenpfeife besonderer Art ist dagegen der menschliche Kehlkopf . Bei ihm wird unmittelbar durch die veränderte Spannung der Stimmbänder, welche hier die membranösen Zungen bilden, die Höhe des Tons verändert. Das Ansatzrohr des Kehlkopfs, die Mundhöhle, ist zu weit und kurz und besitzt zu nachgiebige Wände, als dass es auf den erzeugten Klang einen so wesentlichen Einfluss äussern könnte, um die Tonhöhe zu bestimmen. Allerdings wird aber der Partialton, welcher der jeweiligen Formbeschaffenheit jenes Ansatzrohres entspricht, verstärkt und bedingt dadurch wesentlich die Klangfarbe des gesunge- nen oder gesprochenen Tons. Während also bei den meisten andern Zungeninstrumenten der Eigenton des Ansatzrohrs die Tonhöhe be- stimmt, bringt er es bei dem Stimmorgan nur zu einem Einfluss auf die Klangfarbe. Da aber die Form der Mundhöhle durch die Muskeln in ihrer Wandung veränderlich ist, so ist auch jener die Klangfarbe der Stimme wesentlich mitbestimmende Partialton und damit die Klang- farbe selber veränderlich. Diese Eigenschaft, die Veränderlich- keit der Klangfarbe bei gleichbleibender Tonhöhe , charak- terisirt das Stimmorgan vor allen andern Erzeugungsquellen musikali- scher Klänge. Die durch die wechselnde Formbeschaffenheit der Mundhöhle er- zeugten Klangfarben der Stimme bilden die Vocalklänge . Man Von den Tönen und musikalischen Klängen. kann sich hiervon auf sehr einfache Weise experimentell überzeugen, indem man in der Mundhöhle ein beliebiges Geräusch erzeugt, z. B. durch tonloses Ausstossen der Luft (Flüsterstimme) oder durch An- schlagen der Zähne mit einem metallischen Körper, und zugleich der Mundhöhle diejenige Form giebt, die sie bei der Bildung eines be- stimmten Vocales hat: es nimmt dann das erzeugte Geräusch die Klangfarbe des nämlichen Vocals an. Vollkommen sichergestellt wird diese Theorie der Vocalbildung durch die Analyse der Vocalklänge nach der früher angegebenen Methode mittelst der Resonatoren. Es ergiebt sich hierbei, dass in jedem Vocalklang ein bestimmter cha- rakteristischer Oberton enthalten ist. Man kann daher auch Vocale künstlich erzeugen, indem man zu einem beliebigen Klang diesen charakteristischen Oberton hinzufügt. Bei mehreren Vocalen werden zwei Partialtöne so durch die Resonanz der Mundhöhle ver- stärkt, dass sie den Vocalklang bestimmen. Ordnen wir die Vocale möglichst nach ihrer Klangverwandtschaft, so können wir folgende Tafel derselben mit Hinzufügung ihrer charakteristischen Obertöne entwerfen: Eine ausführlichere Erörterung der in diesem und dem vorigen §. dargestellten Theorie der Klänge findet man bei Helmholtz , die Lehre von den Tonempfindungen. 2. Ausg. Braunschweig 1865. Wenn verschiedene regelmässig periodische Schwingungsbewe- 116 Interferenz der Schallwellen. Consonanz und Dissonanz der Klänge. gungen neben einander entstehen, so können dieselben entweder ähn- lich wie die Theiltöne eines einzelnen Klangs sich zusammensetzen zu einer complicirten Schwingungscurve, die aber auf objectivem und subjectivem Wege unmittelbar in die einfacheren Schwingungscurven, aus denen sie hervorgieng, sich auflösen lässt, oder es können die neben einander herlaufenden Schwingungen sich gegenseitig durch ihre Interferenz stören, wo dann eine neue Reihe von Erscheinungen auftritt, die wir nachher in’s Auge fassen werden. Verschiedene Klänge laufen selbstverständlich immer dann unge- stört neben einander her, wenn ihre Schwingungszahlen im selben Verhältnisse zu einander stehen wie die harmonischen Theiltöne eines einzelnen Klangs. Es entsteht dann eine zusammengesetzte Schwin- gungsbewegung der Luft, die sich natürlich ebenso und noch leichter als diejenige, die den einzelnen Klang verursacht, in ihre Bestand- theile auflösen lässt. Es stören sich demnach alle diejenigen Klänge Von dem Schall. nicht, deren Schwingungszahlen in dem Verhältnisse 1 : 2 : 3 : 4 u. s. w. stehen. Die Intervalle, die diesen Zahlenverhältnissen entsprechen, bezeichnet man, wie wir in §. 113 gesehen haben, als consonirende Intervalle und die entsprechenden Töne als Consonanzen . Je zwei consonirende Töne verhalten sich wie harmonische Partialtöne eines Klangs, d. h. ihre Schwingungen stehen im Verhältniss kleiner ganzer Zahlen, sie erzeugen daher eine zusammengesetzte regelmässig periodische Schwingungsbewegung, welche unsere Empfindung in die einfacheren, sie zusammensetzenden Bewegungen zerlegt. Eine gegenseitige Störung gleichzeitig erklingender Töne tritt regelmässig dann ein, wenn sich die Schwingungsphasen so zu einan- der verhalten, dass sich die verschiedenen Schwingungsbewegungen entweder während ihrer ganzen Dauer oder während bestimmter Pe- rioden dieser Dauer verstärken oder schwächen oder auch ganz auf- heben. Tritt die gegenseitige Verstärkung oder Schwächung der Be- wegungen gleichmässig während ihrer ganzen Dauer ein, so kann man dies als einfache Interferenz bezeichnen. Diese Interferenz besteht in dem Zusammentreffen mehrerer Schwingungen von gleicher Periode, und sie begreift zwei Hauptfälle unter sich: 1) die Interferenz solcher Schwin- gungen, die gleiche Phase mit einander einhalten, bei denen also der Berg der einen Welle mit dem Berg der andern und das Thal der einen Welle mit dem Thal der andern zusammenfällt, und 2) die In- terferenz solcher Schwingungen, deren Phasen um eine halbe Schwin- gung von einander verschieden sind, bei denen also je ein Berg der einen mit je einem Thal der andern Welle zusammenfällt. Das Zu- sammentreffen zweier Wellen ohne Phasendifferenz veranschaulicht die Fig. 67 A. Durch das Zusammentreffen der Wellenzüge 1 und 2 ent- Fig. 67. steht der Wellenzug 3 mit doppelt so hohen Bergen und doppelt so tiefen Thälern. Da die Intensität des Schalls dem Quadrat der Schwin- gungsamplitude proportional ist, so erhält man hierbei einen Ton nicht von der doppelten, sondern von der vierfachen Intensität. Die bei- den Wellenzüge 4 u. 5 in Fig. 67 B haben dagegen eine Phasendifferenz von einer halben Wellenlänge. In- dem hier die Berge der einen Welle die Thäler der andern ausfüllen, zerstören die Bewegungen sich ge- genseitig, die Summe der Höhen beider Curven ist also durch die Gerade 6 dargestellt, d. h. die Intensität des Schalls wird null. Von den Tönen und musikalischen Klängen. Man kann die Erscheinungen der Verstärkung sowie der Schwä- chung oder Aufhebung des Schalls durch Interferenz leicht mittelst der Sirene hervorrufen. Verbindet man zwei Sirenen mit gleich viel Löchern so zu einer Doppelsirene, dass sie sich mit einander bewe- gen und die Luftstösse beider genau gleichzeitig erfolgen, so fallen bei gleicher Tonhöhe die gleichen Phasen zusammen, der Ton wird also beträchtlich verstärkt. Stellt man dagegen die beiden Sirenen so, dass die Luftstösse der einen genau in die Mitte zwischen die- jenigen der andern fallen, so vernichten sich die beiden Töne gegen- seitig; doch verschwinden bei diesem Versuch nur die Grundtöne, nicht ihre Obertöne. Denn wenn die Phasendifferenz des Grundtons eine halbe Schwingung beträgt, so ist die Phasendifferenz der höheren Octave eine ganze Schwingung, so dass beide Schwingungsbewegun- gen sich verstärken. Während also die Intensität des Grundtons null wird, wird die Intensität des ersten Obertons verdoppelt, der Ton schlägt daher in die Octave um. Wenn zwei Wellenzüge von verschiedener Schwingungsdauer zu- sammentreffen, so resultirt nicht, wie bei der einfachen Interferenz, ein anhaltend verstärkter oder geschwächter beziehungsweise vernich- teter Ton, sondern es entstehen abwechselnde Zu- und Abnahmen der Intensität des Klangs, die man als Tonstösse oder als Schwebun- gen bezeichnet. Denken wir uns nämlich, zwei Wellenzüge A B und C D (Fig. 68) träfen zusammen, die in einer der Abscissenlinie A B Fig. 68. entsprechenden Zeit genau um eine Schwingung verschieden seien, so werden, wenn am Anfang dieser Zeit, also bei a, beide Wellenzüge gleiche Phase haben, am Ende derselben Zeit, bei b, entgegengesetzte Schwingungsphasen zusammenfallen. Bei a entsteht ein doppelt so hoher Wellenberg, also eine Verstärkung des Klangs, bei b heben Wellenberg und Wellenthal sich auf, es entsteht also eine Intermission des Tons. Von b an brauchen beide Wellenzüge eine der Abscissen- länge A B entsprechende Zeit, bis wieder, wie bei a, zwei Wellen- berge zusammentreffen. Zwei Tonhöhen, die in der Secunde um eine Wellenlänge differiren, bewirken also in jeder Secunde eine Zu- und Abnahme der Intensität des Klangs. Sind die beiden Töne um zwei Wellenlängen von einander verschieden, so erhält man zwei Zu- und Von dem Schall. Abnahmen der Klangintensität u. s. w. Zusammenklingende Töne bilden demnach ebenso viele Schwebungen mit einander, als der Unterschied ihrer Schwingungszahlen beträgt . Bei einfachen Tönen (von Stimmgabeln oder gedeckten Pfeifen) verschwindet der Ton während des Zusammentreffens von Wellenberg und Wellenthal vollständig. Bei zusammengesetzten Klän- gen treten während der Pausen die Obertöne hervor, der Ton schlägt daher hier in seine Octave um. Uebrigens bilden auch die Obertöne Schwebungen mit einander, und zwar kommen, wie sich leicht aus den Schwingungszahlen der Obertöne ergiebt, auf jede Schwebung des Grundtons zwei Schwebungen des ersten Obertons, drei Schwe- bungen des zweiten u. s. w. Man kann die Schwebungen nicht bloss subjectiv, durch die Un- terbrechungen des Klangs, wahrnehmen, sondern sie auch objectiv wahrnehmbar machen, indem man die Klänge auf einen mitschwin- genden Körper einwirken lässt, dessen Grundton beiden Klängen nahe genug liegt, um durch sie in Mitschwingen versetzt zu werden. Lässt man z. B. die Klänge gegen eine Saite wirken, deren Schwingungen durch ein aufgesetztes Holzsplitterchen deutlich gemacht werden, so sieht man die Excursionen der Saite abwechselnd stärker und schwä- cher werden. Indem mit zunehmendem Unterschied der Schwingungszahlen die Schwebungen rascher auf einander folgen, nehmen die zusammen- klingenden Töne mehr und mehr den Charakter der Dissonanz an. Wenige Schwebungen in der Secunde bringen ein Tremuliren des Tons hervor, das unter Umständen sogar von musikalischem Effecte sein kann; wächst dagegen die Zahl der Schwebungen auf 20—30, so wird die Störung das Zusammenklangs empfindlicher. Ein schnell schwebender Zusammenklang wird knarrend, ähnlich dem Buchstaben R. Wächst jedoch die Zahl der Schwebungen noch weiter, ungefähr bis über 130 in der Secunde, so werden die Intermissionen des Tons zu rasch, um noch unterschieden werden zu können. Doch ist es nicht die grosse Zahl der Schwebungen allein, wodurch dieselben un- hörbar werden, sondern auch die Grösse des Intervalls hat hier- auf einen wesentlichen Einfluss. So bilden z. B. das Halbtonintervall h″ c‴ und das Intervall des ganzen Tons b' c″ beide 66 Schwebun- gen, trotzdem ist dort die Dissonanz viel empfindlicher als hier. Die Dissonanz nimmt also bei gleichbleibender Anzahl der Schwebungen ab mit der Grösse des Intervalls. Es erklärt sich dies aus den Er- scheinungen des Mitschwingens. Unser Ohr empfindet die Töne durch mitschwingende Theile, die mit den Nervenfasern in Verbindung ste- hen. Schwebungen empfinden wir nun ohne Zweifel dann, wenn die mitschwingenden Theile in unserm Gehörorgan sich ähnlich verhalten wie z. B. eine mitschwingende Saite, an der wir durch die abwech- Von den Tönen und musikalischen Klängen. selnde Zu- und Abnahme der Excursionen die Schwebungen objectiv wahrnehmen. Es wird also die Empfindung der Schwebungen oder der Dissonanz vorhanden sein, sobald die zusammenklingenden Töne gleichzeitig sich auf die nämlichen mitschwingenden Theile im Gehör- organ übertragen, so dass eine Superposition der Schwingungen ent- steht, in Folge deren die Scbwingungsexcursion jener Theile abwech- selnd zu- und abnimmt. Folgen nun diese Zu- und Abnahmen sich nicht allzu rasch, so empfinden wir sie. Hieraus erklärt sich, dass die Dissonanz abnimmt erstens mit der Grösse des Intervalls und zweitens bei gleichbleibendem Intervall mit der Tonhöhe. Wenn Töne von verschiedener Schwingungszahl zusammentreffen, 117 Combinations- töne. so kommt es vor, dass dieselben sich nicht einfach abwechselnd ver- stärken und schwächen und dadurch Schwebungen verursachen, son- dern, wenn zwei Töne von nicht zu kleiner Schwingungsdauer ange- geben werden, so können combinirte Schwingungsbewegungen der Luft entstehen, die neue Töne hervorrufen, welche man, weil sie das Zusammentreffen mehrerer Töne voraussetzen, als Combinations- töne bezeichnet. Erklingen zwei Töne von einem bestimmten Un- terschied der Schwingungszahl neben einander, so wird bei jedem Zusammentreffen zweier Wellenberge die Luft eine kräftigere Excur- sion nach der einen Richtung, bei jedem Zusammentreffen zweier Wellenthäler eine kräftige Excursion nach der entgegengesetzten Rich- tung erhalten. Diese stärkeren Excursionen werden, indem sie regel- mässig auf einander folgen, die Luft für sich in pendelartige Schwin- gungen versetzen, und es muss so ein neuer Ton entstehen, dessen Schwingungszahl gleich dem Unterschied der Schwingungszahlen beider neben einander erklingender Töne ist. Man bezeichnet daher diese Combinationstöne auch als Differenztöne . Verhalten sich z. B. die Schwingungszahlen beider Töne wie 2 : 3 (Quinte) oder wie 3 : 4 (Quarte), so hat der Differenzton das Schwingungsverhältniss 1, d. h. im ersten Fall ist der Combinationston um eine Octave, im zweiten Fall um eine Duodecime tiefer als der tiefste der zusammenklingen- den Töne. Die Differenztöne sind also immer tiefer als die primären Töne. Neben den Differenztönen giebt es noch eine zweite Art von Combinationstönen. Diese, die übrigens eine weit geringere Tonstärke besitzen, entstehen dadurch, dass bei grösseren Schallwellen von ver- schiedener Länge die der einen und der andern Welle zugehörenden Berge und Thäler gesonderte Impulse verursachen, durch welche die Luft in neue pendelartige Schwingungen geräth, deren Zahl dann der Summe der Schwingungszahlen beider erzeugenden Wellen gleich- kommt. Man bezeichnet daher diese Töne als Summationstöne . Hat man zusammengesetzte Klänge, so können nicht bloss die Von dem Schall. Grundtöne sondern auch deren Obertöne mit einander Combinations- töne bilden. Neben den Combinationstönen erster Ordnung erhält man so Combinationstöne zweiter Ordnung u. s. f. Doch sind diese Com- binationstöne höherer Ordnung nur bei den Differenztönen wahrzu- nehmen. Drittes Capitel. Von den Geräuschen . 118 Classification der Geräusche. Kurz dauernde Geräusche. Unsere Kenntnisse über das Wesen der Geräusche beschrän- ken sich in der Hauptsache auf die in §. 106 angegebenen allgemei- nen Gesichtspunkte. Dagegen ist es bis jetzt nicht geglückt die ein- zelnen Formen der Geräusche in ähnlicher Weise wie die verschiedenen Klangfarben zu zergliedern. Wir unterscheiden am besten zwei Ar- ten von Geräuschen: erstens solche, bei denen hauptsächlich wegen ihrer kurzen Dauer eine bestimmte Tonhöhe nicht wahrgenommen werden kann, und zweitens solche, bei denen die Wahrnehmbarkeit der Tonhöhe durch die gegenseitige Störung der in dem Schall ent- haltenen Partialtöne verschwindet. Viele Geräusche können übrigens gleichzeitig zu beiden Arten gerechnet werden, indem ebensowohl durch kurze Dauer als durch Ineinanderklingen verschiedener Töne die Tonhöhe unkenntlich wird. Die kurz dauernden Geräusche , wie solche beim plötz- lichen Aneinanderstossen fester Körper vorzukommen pflegen, stehen meistens den regelmässigen Klängen näher. Da jede Erschütterung eines festen Körpers vermöge der Elasticität desselben ein kurzes Nachschwingen zur Folge hat, und da wenige periodische Schwingun- gen zur Erzeugung einer bestimmten Tonhöhe schon genügen, so ist es erklärlich, dass in diesem Fall die scharfe Erkennbarkeit des Tons meistens nur an der ausserordentlichen Kürze desselben eine Grenze findet. Wegen dieser Kürze des Tons ist es namentlich auch unmög- lich noch Obertöne zu erkennen, und hierdurch hauptsächlich unter- scheidet sich diese Art der Geräusche von den Klängen, denen sie sich übrigens mit der Verlängerung ihrer Dauer annähern. Ein instructives Beispiel der bezeichneten Classe von Geräuschen bieten die sogenannten Percussionstöne des menschlichen Körpers. Dieselben werden erzeugt, indem man auf die hinsichtlich ihres Schalls zu untersuchende Körperstelle ein Elfenbeinplättchen (das Plessimeter) auflegt und an dieses entweder mit dem Finger oder mit einem leder- überzogenen Hämmerchen anschlägt. Es ist hierbei zunächst das ange- schlagene Elfenbeinplättchen, welches den Schall erzeugt. Dieser kurze und klanglose Schall wird aber durch die Theile, auf denen das Plessimeter aufliegt, verändert. Sind diese Theile solid, so gerathen Von den Geräuschen. sie als ganze Masse in Mitschwingung. Befinden sich unter der an- geschlagenen Stelle mit Luft erfüllte Hohlräume, so wird der in dem Plessimeterschall enthaltene Eigenton des Luftraums durch Resonanz des letzteren verstärkt. Der Percussionsschall zeigt nun Unterschiede der Stärke , der Tonhöhe und der Dauer . Er ist bei gleicher In- tensität des Anschlags um so stärker , je schwingungsfähiger die in Mitschwingungen versetzte unterliegende Masse ist, seine Intensität steigt ferner, wenn Resonanz gebende Lufträume vorhanden sind, und je weniger sich hierbei dämpfende Massen im Innern oder an den Wandungen dieser Lufträume vorfinden. Die Tonhöhe ist dagegen abhängig von den Dimensionen der schallgebenden Masse. Da die Schwingungszahlen parallelepipedischer Stäbe im umgekehrten qua- dratischen Verhältniss ihrer Länge und im directen Verhältniss ihrer Dicke stehen, so lässt sich z. B. begreifen, dass der Percussionston des Oberschenkels tiefer ist als derjenige des Unterschenkels u. s. w., ohne dass jedoch bei der complicirten Formbeschaffenheit der mensch- lichen Körpertheile genauere Gesetze sich aufstellen lassen. Zwei un- gleich grosse aber geometrisch ähnliche Massen geben im Allgemeinen Töne, deren Schwingungszahlen sich umgekehrt wie irgend eine der homologen Dimensionen verhalten. Wo der Schall durch einen unter- liegenden Hohlraum bestimmt ist, da hängt seine Tonhöhe von den Dimensionen des Hohlraumes und von der Beschaffenheit der Oeffnung ab, durch welche derselbe mit der äusseren Luft in Verbindung steht. Kann man den Hohlraum annähernd als eine cylindrische Röhre be- trachten, so wird der Ton sowohl mit der Länge als mit der Weite der Röhre tiefer und sinkt überdies mit enger werdender Oeffnung. Eine längere Dauer erhält der Percussionsschall und nähert sich dadurch dem Klang, wenn die angeschlagene Masse leicht fortschwingt, namentlich aber wenn sich unter ihr ein Luftraum befindet, der gün- stige Bedingungen zur Resonanz darbietet; solche Bedingungen sind glatte, nicht allzu fest gespannte Wände und Fehlen dämpfender Mas- sen. Mit der längeren Dauer pflegt immer auch eine verhältniss- mässig beträchtliche Stärke des Schalls verbunden zu sein. Man hat in der medicinischen Diagnostik eine eigene Termino- 119 Die Hauptfor- men der Per- cussionsge- räusche. logie für die je nach Stärke, Höhe und Dauer zu beobachtenden Un- terschiede des Percussionsschalls eingeführt. Matt nennt man einen Schall, der schwach und zugleich von momentaner Dauer ist, so dass die Tonhöhe schwer erkannt werden kann; er wird bei der Percussion dichter, fleischiger Theile, z. B. des Schenkels, erhalten. Dumpf oder leer nennt man einen schwachen und kurzen Schall, dessen Dauer aber die Dauer des Anschlags schon um ein weniges übertrifft. Man erhält diesen Schall namentlich bei der Percussion solcher Theile, die über Resonanz gebenden Lufträumen liegen, deren Schwingungen aber durch unterliegende feste Massen gedämpft werden, so z. B. bei der Wundt , medicin. Physik. 12 Von dem Schall. Percussion des Thorax, wenn sich unter demselben eine theilweise mit Exsudat erfüllte Lunge befindet. Der gedämpfte Schall geht bei Zunahme des Exsudats, namentlich aber wenn der Pleurasack Sitz des Exsudates ist, gradweise in den matten Schall über. Hell oder voll (sonor) nennt man einen Schall, der an Dauer und Intensität den dumpfen Schall übertrifft und sich daher dem Klang schon mehr annähert. Ein Beispiel dieses Schalls liefert die Percussion des nor- malen Thorax. Man hat es hier mit Schwingungen einer annähernd starren Wand zu thun, zu denen der Luftraum der Lungen Resonanz giebt, welche letztere jedoch durch das Lungenparenchym gedämpft wird. Auch die Bedeckung der Brustwand mit Fleisch und Fett macht den Schall dumpfer, indem sie die Schwingungen der angeschlagenen Stelle dämpft, ähnlich wie der Schall einer Trommel dumpfer wird, wenn man sie mit Tuch überzieht. Der Schall wird daher unter sonst gleichen Bedingungen um so sonorer, je fleisch- und fettloser die Brustwand ist. Die Unterschiede zwischen dumpf und leer , zwischen hell und voll beziehen sich, wie ich glaube, ausschliesslich auf die Ton- höhe. Unter einem dumpfen versteht man immer auch einen tiefen Schall. Will man daher einen schwachen, kurzen Schall bezeichnen, der zugleich hoch ist, so nennt man denselben leer. Umgekehrt ver- steht man unter einem hellen zugleich einen hohen Schall, zur Be- zeichnung des tieferen von sonst gleicher Dauer und Stärke wählt man daher den Ausdruck voll. Die Gegensätze dumpf und hell, leer und voll beziehen sich also gleichzeitig auf Stärke, Dauer und Höhe des Tons. Wenn z. B. ein heller Ton an Stärke, Dauer und Höhe sinkt, so wird er dumpf, wenn er bloss an Stärke und Dauer sinkt, so wird er leer. Eine eigenthümliche Form des Percussionsschalls ist endlich der tympanitische Schall: er nähert sich durch seine Dauer schon dem musikalischen Klang und lässt daher für ein geübtes Ohr leicht seine Tonhöhe erkennen. Der tympanitische Schall ent- steht, wenn die Bedingungen zum Mitschwingen der unter dem percutirten Körpertheil liegenden Lufträume die möglichst günstigen sind. So giebt die über den lufthaltigen Därmen gespannte Bauch- decke, der Thorax über stark erweiterten und mit glatten Wänden versehenen Lufträumen einen tympanitischen Schall. Die Spannung der percutirten Bedeckungen, die den mitschwingenden Luftraum um- geben, darf jedoch nicht allzu beträchtlich sein, sonst dämpft die stark gespannte Bedeckung selbst die Schwingungen, und der tympanitische geht in einen matten Schall über; eine möglichst mit Luft gefüllte Blase giebt z. B. keinen tympanitischen Schall mehr, dieser stellt sich dagegen ein, sobald man etwas Luft aus der Blase herauslässt. So klingt der Percussionston über der aus einer Leiche herausgenomme- nen, zusammengesunkenen Lunge tympanitisch, während die Percussion Von den Geräuschen. der normalen Lunge im lebenden Zustand, wo sie durch die Luft aus- gespannt ist, keinen tympanitischen Ton giebt. Nimmt der Schall durch seine Dauer noch mehr den Charakter des Klangs an, so ent- steht der s. g. Metallklang . Man beobachtet denselben namentlich über mit Luft erfüllten Hohlräumen, die von ziemlich festen und sehr glatten Membranen umgeben sind. Der Charakter des Metallklangs liegt darin, dass der momentane Ton beim Anschlag von einem Nach- klange gefolgt ist, wobei jedoch dieser Nachklang deutlich durch ge- ringere Intensität und verhältnissmässige Reinheit des Tons von dem Anschlageton sich sondert. Ein zu einer dauernden aber nicht zu starken Resonanz geeigneter Luftraum kann daher den Metallklang in täuschender Aehnlichkeit hervorrufen. Dauernde Geräusche entstehen, wenn die auf einander fol- 120 Dauernde Ge- ränsche. genden Luftstösse nicht regelmässige Perioden einhalten, sondern fortwährend ihre Perioden und meistens auch ihre Intensität ändern. Fig. 69. So würde die Fig. 69 z. B. die Wellenform eines Geräusches sein. Wie wir früher be- merkt haben, kann man auch eine Curve wie die vorliegende in Bruchstücke regel- mässiger Schwingungscurven zerlegen, d. h. jedes Geräusch lässt sich aus einer Menge theils zugleich erklingender theils schnell wechselnder Töne zusammensetzen. Es ist jedoch bis jetzt nicht ge- glückt die den besonderen Geräuschen entsprechenden Wellenformen aufzufinden. Nur aus der Beschaffenheit der Geräusche lässt sich einigermassen auf ihre Zusammensetzung schliessen. Manche dieser dauernden Geräusche beruhen augenscheinlich mehr auf dem Zusam- menklingen einer grossen Zahl disharmonischer Töne als auf dem raschen Wechsel in der Aufeinanderfolge der Töne. Hierher gehören die rollenden, schnurrenden Geräusche, die schon mehr einem Zu- sammenklang mit starken Schwebungen gleichen, und bei denen sich daher auch noch einigermassen eine Tonhöhe unterscheiden lässt. Das rollende Geräusch besteht aus ziemlich schnell sich folgenden Intermissionen sehr tiefer Töne, das schnurrende Geräusch aus noch rascheren Intermissionen etwas höherer Töne. Dies erklärt sich leicht aus den bekannten Entstehungsweisen dieser Geräusche. Nähern sich die schwebenden Töne der oberen Tongrenze, so entsteht die durch „schrill“ bezeichnete Geräuschform. Werden dagegen die einzelnen auf einander folgenden Luftstösse sehr kurz, so dass die Tonhöhe ganz unerkennbar ist, so bilden sich rasselnde und knisternde Ge- räusche. Ein intensives Rasseln wird z. B. durch rasche Umdrehung zweier in einander greifender hölzerner Zahnräder erzeugt. Jeder Zahn desjenigen Rades, an welchem man dreht, erzeugt, indem er 12 * Von dem Schall. von einem Zahn des andern Rades losfährt, den Eigenton dieses letz- tern, der aber, weil das Rad nicht nachschwingt, sehr kurzdauernd und daher kaum in seiner Höhe zu bestimmen ist. Nimmt man das Rad, welches den Ton giebt, sehr klein, so entsteht statt des rasseln- den ein knisterndes Geräusch: letzteres unterscheidet sich also bloss durch seine grössere Tonhöhe, da ja die Tonhöhe des Rades mit sei- ner Verkleinerung steigt. Noch andere Geräusche scheinen mehr auf einem schnellen, aber ebenfalls gleichmässig anhaltenden Wechsel von Tönen sehr verschiedener Höhe zu beruhen. Hierher gehört z. B. das gurgelnde Geräusch. Man kann ein gurgelndes Geräusch erzeu- gen, wenn man Luftblasen in eine mit Flüssigkeit gefüllte Röhre treibt und dann auf der Oberfläche der Flüssigkeit platzen lässt. Jedes Eintreten einer Luftblase erzeugt dann einen tieferen Ton, dessen Höhe von den Dimensionen der Röhre abhängt, jedes Platzen erzeugt dagegen einen hohen und in seiner Höhe von der Grösse der platzen- den Blase bedingten Ton. Am entferntesten von jeder Aehnlichkeit mit dem Klang sind das blasende und zischende Geräusch; beide wer- den ohne Zweifel durch äusserst unregelmässige Luftbewegungen veranlasst, und kann daher hier von einer Erkennung der Tonhöhe gar nicht mehr die Rede sein. Ein hauchendes Geräusch entsteht, wenn man einen Luftstrom aus einer ziemlich weiten Oeffnung hervor oder durch eine Röhre treibt, dessen Durchmesser sich plötzlich ver- ändert. Hierbei gerathen die Luftblasen in eine wirbelnde Bewegung. Diese Wirbelbewegung wird offenbar, ebenso wie beim Strömen des Wassers durch Röhren von ungleichem Querschnitt, stärker sein da wo die Luft aus einem engeren in einen weiteren Röhrentheil strömt als im umgekehrten Falle. Das Geräusch, welches man beim Einströ- men der Luft aus einem engeren in einen weiteren Raum hört, ist daher auch das weitaus stärkere. Ist die Oeffnung, durch welche die Luft getrieben wird, sehr eng, so hört man statt des blasenden oder hauchenden ein zischendes Geräusch. 121 Die Consonan- tengeräusche. Beispiele sehr mannigfaltiger Geräusche bieten die Consonan- ten der menschlichen Sprache . Wird die Luft einfach durch die geöffnete Mundhöhle nach aussen getrieben, so entsteht das hau- chende Geräusch, der Consonant H. Wird dagegen die Mundhöhle, während oder bevor ein Luftstrom nach aussen getrieben wird, ge- schlossen, so entstehen andere Geräusche, deren Beschaffenheit je nach der Form und dem Ort des Verschlusses wechselt. Leider be- sitzen wir eine genügende physikalische Analyse der einzelnen Con- sonantengeräusche noch nicht, und hinsichtlich ihrer physiologischen Entstehungsweise können wir auf die Lehrbücher der Physiologie ver- weisen. (Lehrb. der Physiologie §. 235.) Wir beschränken uns desshalb hier darauf eine Classification der Von den Geräuschen. in der deutschen Sprache gebräuchlichen Consonanten aufzustellen, welche theils auf den Ort des Verschlusses theils auf die Art, wie der Luftstrom hindurchgetrieben wird, Rücksicht nimmt. A. Geräusche, die durch plötz- liches Schliessen oder Oeffnen entstehen. B. Geräusche, die während des Verschlusses entstehen. 1) Der Verschluss durch die beiden Lippen gebildet P, B, W M (Luftstrom durch die Nase) 2) Der Verschluss durch Anlegen einer Zahnreihe an die entgegen- stehende Lippe gebildet F, V 3) Der Verschluss durch Anlegen des vordern Theils der Zunge gegen Zähne oder Gaumen gebildet T, D S, L (Luftstrom durch die Mundhöhle) N (Luftstrom durch die Nase) 4) Der Verschluss durch Anlegen des hintern Theils der Zunge gegen den Gaumen gebildet K, G Ch, J (Luftstrom durch die Mundhöhle) Ng (Luftstrom durch die Nase) R (die Ränder des Verschlussses vib- riren). Gleichfalls noch mangelhaft erkannt nach ihrer physikalischen 122 Geräusche in den Respira- tionsorganen. Natur und sogar nach ihrer Entstehungsweise sind diejenigen Ge- räusche, die man bei der Auscultation der Respirations- und Circulationsorgane theils im normalen Zustand theils bei patho- logischen Veränderungen wahrnimmt. Blasende und zischende Ge- räusche entstehen, wie oben bemerkt, wenn ein Luftstrom durch eine weitere oder engere Oeffnung getrieben wird, und gerade so wie eine Oeffnung wirkt auch eine plötzliche beträchtliche Querschnittsänderung einer Röhre, durch welche Luft streicht. Innerhalb der Respirations- organe giebt es namentlich zwei Stellen, an denen solche plötzliche Querschnittsänderungen vorkommen: eine Verengerung beim Ueber- gang aus dem Rachen in den Kehlkopf und eine Erweiterung beim Uebergang der feinsten Bronchialäste in die Lungenbläschen. Das Geräusch an der ersteren Stelle ist ein schärferes Blasen, ähnlich dem Geräusch, welches man erhält, wenn man über eine Röhre von Von dem Schall. ähnlicher Weite wie die Luftröhre hinwegbläst; das Geräusch an der zweiten Stelle dagegen, das man beim Anlegen des Ohrs an die Brust- wand wahrnimmt, ist ein äusserst feines Blasen. Dieser Unterschied in der Beschaffenheit der beiden Athmungsgeräusche entspricht offenbar der sehr verschiedenen Tonhöhe, welche man bekäme, wenn zuerst die Luftröhre und dann ein feiner Bronchialzweig so angeblasen wür- den, dass Töne entstünden; auch erhält man in der That ähnliche Unterschiede des Geräusches, wenn man einmal über eine weitere und ein anderes Mal über eine engere Röhre hinwegbläst. Die Bruchstücke der Schwingungsperioden, aus welchen sich die Lufterschütterung an den Enden des Bronchialbaums zusammensetzt, gehören demnach je- denfalls sehr viel schnelleren Schwingungen an als diejenigen am Ein- gang der Luftröhre. Die beiden Athmungsgeräusche sind ausserdem bei der Ein- und Ausathmung von verschiedener Stärke, und zwar ist das Geräusch an der Luftröhre bei der Ausathmung stärker als bei der Einathmung, das Geräusch in der Lunge dagegen bei der Ein- athmung stärker als bei der Ausathmung. Dies erklärt sich aus der oben angeführten Thatsache, dass die Lufterschütterung und daher auch der Schall beim Eindringen der Luft aus einem engen in einen weiteren Raum stärker ist als im umgekehrten Fall, wie man an jedem Blasebalg leicht bestätigen kann. Möglich ist es, dass auch an den Verzweigungsstellen der Bronchien ähnliche Geräusche wie beim Ein- und Ausstreichen der Luft am Kehlkopf entstehen, doch sind dieselben jedenfalls viel schwächer, und ist wohl überhaupt ihre Existenz nicht sicher nachgewiesen. Daher ist es nicht ganz bezeichnend, dass man das hauchende Geräusch an der Luftröhre als das bronchiale Athmungsgeräusch von dem Lungengeräusch als dem vesiculären unterscheidet. Unter Umständen kann allerdings das s. g. bronchiale Athmen in viel weiterer Ausdehnung als gewöhnlich hörbar sein. Dies tritt dann ein, wenn die Wandung von Bronchialästen sich (z. B. durch herumgelagertes Exsudat) verdichtet. Hier ist aber die Ausbrei- tung des Geräusches lediglich dadurch bedingt, dass die Luft in solchen Bronchialröhren leicht in Mitschwingungen geräth. Es kommt hierbei in Betracht, dass die Luft in einer offenen Röhre leichter in Mit- schwingungen gebracht werden kann, wenn die Röhrenwandungen starr sind, als wenn sie weich und nachgiebig sind. Ist nun ferner, wie das gewöhnlich der Fall, das Parenchym der Lungenbläschen an der betreffenden Stelle für die Luft unwegsam geworden, so hört das vesiculäre Athmen auf, und man hört auch an der Lunge nur, und zwar verstärktes, bronchiales Athmungsgeräusch. Die nämlichen Be- dingungen, unter denen eine Resonanz des am Kehlkopf entstehenden Athmungsgeräusches innerhalb der Lunge entsteht, können auch eine Resonanz der Stimme hervorrufen. Man hört dann also beim Anlegen des Ohrs an die Thoraxwand den Schall der Stimme durch das Mit- Von den Geräuschen. schwingen der Luft in den Bronchialröhren verstärkt (Bronchophonie). Dieses Mitschwingen kann so stark werden, dass die Thoraxwand fühlbar erzittert, oder dass sogar die Stimme in der Brust selbst zu entstehen scheint. In diesen und ähnlichen Fällen muss man sich nicht etwa, wie dies vielfach geschah, vorstellen, das Athmungsge- geräusch oder die Stimme werde einfach verstärkt, bleibe dabei aber unverändert; es verhält sich vielmehr eine solche mitschwingende Luft- säule zu dem ursprünglichen Schall, der ihre Mitschwingungen hervor- ruft, ebenso wie sich die percutirten Theile zu dem Ton des Plessime- ters verhalten, es behält der Schall seinen allgemeinen Charakter, aber seine Stärke, Dauer und Tonhöhe ist wesentlich von der mit- schwingenden Luftsäule abhängig. Abnorme Verengerungen der Bronchialäste, durch Auflockerungen der Schleimhaut u. dgl., können zu sehr intensiven hauchenden, zischen- den Geräuschen und sogar zu pfeifenden Tönen Veranlassung geben. Bedeckung der Bronchialwände mit Schleim erzeugt bei jeder Ath- mungsbewegung rasselnde oder, wenn der Sitz in den feineren Bron- chien und daher die Tonlage des Geräuschs höher ist, knisternde Ge- räusche. Diese Geräusche scheinen sich zu bilden, theils indem die durchstreichende Luft in der Flüssigkeit, welche sie vorfindet, Bläschen bildet, welche sodann platzen und hierbei das rasselnde oder knisternde Geräusch erzeugen, theils indem die feineren Bronchialwände bei der Exspiration verkleben und dann bei der Inspiration wieder auseinan- der gerissen werden. Sehr richtig unterscheidet man daher auch das „trockene“ und „feuchte“ Rasseln, da in der That das erstere durch zähere, das letztere durch flüssigere Schleimlagen hervorgerufen wird. Eine Luftblase, die in einer zähen Flüssigkeit platzt, erzeugt einen kürzeren klangloseren Schall. In einer dünnen Flüssigkeit nähert sich das Rasseln mehr dem gurgelnden Geräusch. Das Rasseln kann end- lich, ebenso wie das Bronchialathmen, dadurch verstärkt klingen, dass Bronchialröhren mit verdichteter Wandung vorhanden sind, deren Luft- säulen durch das in ihnen oder in ihrer Nähe entstandene Geräusch zum Mitschwingen angeregt werden. Es entstehen so die s. g. con- sonirenden Rasselgeräusche. In der Blutbahn können unter sehr ähnlichen Bedingungen, 123 Geräusche in der Blutbahn. unter welchen wir in den Respirationsorganen Geräusche entstehen sehen, gleichfalls Geräusche auftreten. Doch spielt hier nicht, wie man etwa denken könnte, die bewegte Flüssigkeit dieselbe Rolle wie dort die bewegte Luft, sondern sie ist immer nur die Ursache der Er- schütterung, während der Sitz des Geräusches die durch den anstos- senden Flüssigkeitsstrom in Schwingungen gerathende Röhrenwand ist. Versuche über die Bewegung von Flüssigkeiten in Röhren haben ge- lehrt, dass unter allen Umständen, wenn man nur die Geschwindigkeit Von dem Schall. der Flüssigkeit hinreichend steigert, ein Strömungsgeräusch erzeugt werden kann, und dass ebenso unter allen Umständen, wenn man nur die Geschwindigkeit hinreichend langsam nimmt, das Strömungsge- räusch vermieden werden kann. Die Bedingungen aber, unter denen am leichtesten Strömungsgeräusche entstehen, sind folgende: 1) dünne Beschaffenheit der Flüssigkeit, 2) dünnwandige Beschaffen- heit der Röhre, 3) beträchtliches Lumen derselben, 4) Rauhigkeiten an ihrer innern Oberfläche; ebenso bilden sich 5) in biegsamen Röhren (aus Kautschuk, Darmwand u. dgl.) leichter Geräusche als in starren Röhren (aus Metall, Glas). Endlich sind 6) Veränderungen des Strom- betts vom wesentlichsten Einflusse. Die letzteren sind ganz beson- ders geeignet Geräusche zu bewirken, und zwar entstehen dieselben vorzugsweise dann, wenn das Strombett sich plötzlich erweitert; eben- so begünstigt es die Entstehung des Geräusches, wenn der Strom nicht central in das erweiterte Bett eintritt, sondern schräg, gegen die Wandung der Röhre, gerichtet ist. Die im Arterien- und Venensystem, namentlich unter abnormen Verhältnissen, hörbaren Geräusche haben zumeist in Veränderun- gen des Strombetts ihre Ursache. So hört man an der Einmündung des Halstheils in den Brusttheil der Jugularvene häufig ein blasendes Geräusch; an abnormen Erweiterungen der Arterien (Aneurysmen) hört man die Systole begleitende zischende Geräusche. Dagegen sind die mannigfaltigen Geräusche, die bei der Auscultation des Herzens so- wohl unter normalen als pathologischen Verhältnissen wahrgenommen werden, grösstentheils durch Unebenheiten der Wandung verursacht. Die an den Mündungen der verschiedenen Herzabtheilungen gelegenen Klappen bilden solche Unebenheiten, die durch das anprallende Blut theils selbst in Schwingungen gerathen theils die umgebende Wandung in solche versetzen müssen. Die Klappen können nur dann in merk- liche Schwingungen kommen, wenn sie dem Blutstrom, der gegen sie andrängt, den Zugang verlegen, also die Atrioventricularklappen bei der Systole, die Semilunarklappen bei der Diastole der Ventrikel. Bilden diese Klappen einen vollständigen Schluss, wie es im normalen Herzen der Fall ist, so ist der Schall, der beim Anprall des Blutes gegen sie entsteht, ein kurz dauernder, tonähnlicher. Man bezeichnet daher die normalen Herzgeräusche als Herztöne und leitet gewöhn- lich den systolischen Ton vom Schluss der Atrioventricularklappen, den diastolischen Ton vom Schluss der Semilunarklappen her. In der That sind namentlich die letzteren durch das Uebertragen ihrer Erzit- terungen auf die grossen Arterienstämme sehr geeignet bei ihrem Schluss einen merklichen Schall zu erzeugen; es ist daher diese Her- leitung des zweiten Herztons ohne Zweifel die richtige, und es stimmt damit überein, dass seine Intensität im Vergleich zu derjenigen des ersten Tons oberhalb der Herzbasis am grössten ist. Ebenso wer- Von den Geräuschen. den die Atrioventricularklappen bei ihrem Schluss in Schwingungen ge- rathen, die sich auf die Herzsubstanz fortpflanzen. Zugleich müssen aber Vibrationen der Herzsubstanz in Folge der Contraction ihrer Muskelfa- sern entstehen. Es ist daher der erste Herzton wahrscheinlich vor Allem als ein Muskelton aufzufassen, dem ein durch den Schluss der Atrioventri- cularklappen verursachtes Geräusch sich beimengen wird. Hiermit stimmt überein, dass der erste Herzton viel mehr den Charakter des Klangs an sich trägt als der zweite, der eher einem kurzen Geräusch gleicht. In allen Muskeln entstehen, in ähnlicher Weise wie im Herzen bei der Systole, Töne, welche den Act der Zusammenziehung begleiten und so lange als die letztere andauern. Die Höhe derselben richtet sich nach der Anzahl der Innervationsimpulse; der Muskel macht ebensoviel Schwingungen in der Zeiteinheit, als man ihm Innervationsimpulse (z. B. einzelne elektrische Schläge) mittheilt. Diese von Helmholtz an an- dern Muskeln festgestellte Thatsache könnte vielleicht benützt werden, um aus der Höhe des ersten Herztons auf Eigenthümlichkeiten in der Innervation des Herzens zu schliessen, für welche uns bis jetzt jeder Maasstab fehlt. Wenn eine der Atrioventricular- oder Semilunarklappen nicht vollständig schliesst, so bringt sie der vorbeifliessende Blutstrom in dauernde Erzitterungen und verursacht dadurch ein dauerndes Geräusch. Sobald daher einer der Herztöne von einem solchen Geräusch begleitet oder durch dasselbe ersetzt ist, so kann man auf abnorme Zustände der Klappen, wie Excrescenzen an denselben, Verengerung der Ostien u. dergl., schliessen. Diese Geräusche sind sehr verschiedenartig, bla- send, brausend, rasselnd u. s. w. Eine genauere physikalische Er- kenntniss, durch welche Ursachen die Verschiedenheit solcher Geräu- sche bedingt ist, wird ohne Zweifel mit der Zeit für die Diagnose noch ihre Früchte tragen, indem aus der Art des Geräusches auf die Beschaffenheit der pathologischen Veränderung sich schliessen lassen dürfte. Doch bietet der Umstand, dass an einem und demselben Her- zen die Geräusche sehr veränderlich sein können, in dieser Beziehung grosse Schwierigkeiten; man müsste insbesondere die Energie der Herzbewegungen, die hauptsächlich solche Verschiedenheiten bedingt, mit in Rechnung ziehen. Bis jetzt begnügt man sich im Allgemeinen damit, aus dem Ort des Geräuschs den Sitz der Veränderung zu er- schliessen. Dieser wichtige Theil der physikalischen Diagnostik stützt sich daher gegenwärtig noch mehr auf anatomische als auf physikali- sche Kenntnisse. Vierter Abschnitt. Von dem Lichte . 124 Uebersicht der Lichterschei- nungen. Ein- theilung dieses Abschnitts. Als Licht bezeichnen wir diejenigen Vorgänge in der Aussen- welt, welche, aus der Ferne auf unser Auge einwirkend, Gesichtsem- pfindungen verursachen. Wir beobachten, dass bestimmte Objecte die Quellen der Lichterscheinungen sind. Diese Objecte, wie die Sonne, die Fixsterne, die brennenden Körper, nennen wir leuchtend oder, zum Unterschied von solchen Körpern, welche bloss von aussen em- pfangenes Licht wieder zurückstrahlen, selbstleuchtend . Von den leuchtenden Gegenständen strahlt das Licht geradlinig nach allen Rich- tungen des Raumes aus. Jede solche geradlinige Fortpflanzungsrich- tung des Lichtes bezeichnet man als einen Lichtstrahl . Trifft das Licht bei seiner Fortpflauzung auf Gegenstände, welche nicht von selbst leuchten, so können diese dadurch, dass sie das empfangene Licht wieder zurückwerfen, leuchtend werden . Andere Körper gestatten den auf sie treffenden Lichtstrahlen den Durchgang, man nennt sie die durchsichtigen Körper. Bei der Zurückwerfung und beim Durchtritt des Lichts folgt die Lichtfortpflanzung denselben Gesetzen, denen die Fortpflanzung einer Wellenbewegung unterworfen ist. Wird also ein Lichtstrahl von einem Körper zurückgeworfen, so ist der Re- flexionswinkel gleich dem Einfallswinkel; tritt ein Lichtstrahl aus einem Medium in ein anderes von verschiedener Dichte, so wird er nach dem Einfallslothe zu oder von dem Einfallslothe weg gebrochen. Auch darin verräth sich das Licht als eine Wellenbewegung, dass bei der Interferenz zweier Lichtstrahlen, je nach dem Wegunterschied der- selben, bald stärkere Erleuchtung bald Verdunkelung eintreten kann; letztere wird aber offenbar dann erfolgen müssen, wenn ein Wellen- berg und ein Wellenthal zusammentreffen. (Vergl. Abschn. I. Cap. 4.) Das Licht stimmt in allen diesen Beziehungen mit dem Schall, der ebenfalls auf einer Wellenbewegung beruht, überein. Wie die In- tensität des Schalls von der Amplitude der Schallschwingungen, so Von dem Lichte. wird daher die Intensität des Lichtes von der Amplitude der Licht- schwingungen bedingt sein, während die Qualitäten desselben, die Farben, den Qualitäten des Tons, den Tonhöhen, correspondiren, also von der Schwingungsdauer abhängen werden. Gegenüber diesen Aehnlichkeiten bestehen die Hauptunterschiede zwischen Licht und Schall darin, dass die Lichtwellen bedeutend kleiner sind, dass ihre Schwingungen sehr viel schneller und nicht longitudinal sondern trans- versal, senkrecht auf die Fortpflanzungsrichtung des Strahls, erfolgen. Ausserdem pflanzt sich das Licht durch den luftleeren Raum fort. Es beruht also nicht wie der Schall auf Schwingungen der Lufttheilchen sondern auf den Oscillationen des im luftleeren Raum verbreiteten Aethers. Man bezeichnet die Theorie, welche der Erklärung der Lichterscheinungen die Wellenbewegungen des Aethers zu Grunde legt, als die Vibrations- oder Undula- tionstheorie . Sie wurde zuerst von Huyghens aufgestellt, blieb aber bis in die neueste Zeit durch die von Newton angenommene Emissions- oder Emanations- hypothese verdrängt. Nach der letzteren beruhen die Lichterscheinungen auf der geradlinigen Bewegung leuchtender Theilchen. Die Intensität des Lichts wird nach ihr auf die Menge der von den leuchtenden Körpern ausgeworfenen Lichttheilchen, die Beschaffen- heit des Lichts auf die Farbe dieser Theilchen zurückgeführt. Grünes Licht besteht also aus grünen, blaues aus blauen Lichttheilchen u. s. w., die verschiedenfarbigen Lichttheilchen gemischt erzeugen Weiss; die Erscheinungen der Reflexion und Bre- chung werden von den bald anziehenden bald abstossenden Kräften zwischen den Kör- pern und den Lichttheilchen hergeleitet. Aber die Interferenz- und Polarisationser- scheinungen können nur aus der Undulationstheorie in genügender Weise erklärt werden. Das nähere Studium dieser Erscheinungen hat daher auch den Sturz der Emissionshypothese verursacht. Eine indirecte Stütze erhielt die Undulationstheorie durch den Nachweis, dass sich das Licht in dichteren Medien langsamer als in dün- neren fortpflanzt (§. 130). Die Existenz eines feinen im Weltraum verbreiteten Me- diums, welches das muthmassliche Substrat der von der Sonne und den Fixsternen ausgehenden Wellenbewegungen des Lichts ist, wurde durch die Entdeckung bestätigt, dass die Umlaufszeit des Enke ’schen Kometen sich bei jedem Umlauf um die Sonne ungefähr um 1/10 Tag verkürzt. Diese Verkürzung der Umlaufszeit fordert aber die Annahme eines der Bewegung Widerstand leistenden Mediums. Wir betrachten die Lichterscheinungen in folgender vom Ein- fachen zum Zusammengesetzten fortschreitenden Reihenfolge: 1) die geradlinige Fortpflanzung des Lichtes (Intensität und Geschwindigkeit), 2) die einfachsten Störungen der geradlinigen Ausbreitung, die Refle- xion und Brechung. An die Brechungserscheinungen reihen sich 3) die Lichtzerstreuung und die Zusammensetzung des weissen Lich- tes aus farbigem, sowie 4) die Absorption, Fluorescenz und chemi- sche Wirkung des Lichtes. Als eine Anwendung der vorangegange- nen Capitel erörtern wir 5) den Aufbau der wichtigsten optischen In- strumente, um mit der Betrachtung 6) der Interferenz und Beugung und 7) der Polarisation und Doppelbrechung zu schliessen. Von dem Lichte. I. Geradlinige Fortpflanzung des Lichtes. Erstes Capitel. Intensität des Lichtes . 125 Geradliniger Verlauf der Lichtstrahlen. Der Schatten. Bildentwerfung durch enge Oeffnungen. Von jedem leuchtenden Punkt pflanzt sich das Licht geradlinig nach allen Richtungen des Raumes fort. Es giebt folgende einfache Erscheinungen, welche diese Thatsache belegen: 1) Wenn man vor eine Lichtquelle einen undurchsichtigen Kör- per bringt, so wirft dieser einen Schatten , welcher durch diejenigen von der Lichtquelle ausgezogenen geraden Linien begrenzt wird, die der Begrenzung des schattengebenden Körpers entsprechen. Hat man z. B. eine punktförmige Lichtquelle 1 (Fig. 70), und ist a b ein un- durchsichtiger Körper, so ist c d der Schatten, welchen a b auf einer Fig. 70. Fig. 71. Wand A B wirft. Hat man statt eines einzelnen leuchtenden Punktes eine leuchtende Fläche l l' (Fig. 71), so muss man von jedem Punkte dieser Fläche, ähnlich wie in der vorigen Fig. von dem ein- zigen Punkt l aus, divergirende Linien ziehen. Diese Linien schnei- den aber hinter dem undurchsichtigen Körper a b einen Kegel a b c aus, welcher den vollständigen Schatten oder den Kernschatten bildet, da in ihn kein einziger der von l l' ausgehenden Strahlen fällt. Dagegen kommt in die seitlich vom Kegel a b c gelegenen Räume a c d und b c e ein Theil der Strahlen, nach a c e von den gegen l hin gelegenen Punkten der Fläche l l', nach b c e von den gegen l' gelegenen Punkten dieser Fläche, und zwar mit der Annäherung an d und e immer mehr, bis endlich die Punkte d und e von allen Punk- ten der Fläche l l' Strahlen empfangen. Man bezeichnet die Räume a c d und b c e, in denen hiernach der Schatten continuirlich gegen die Grenze hin schwächer wird, als Halbschatten . Da die meisten Intensität des Lichtes. Lichtquellen nicht punktförmig sind, sondern eine gewisse Ausdehnung besitzen, so erklärt es sich, dass die Schatten gewöhnlich von Halb- schatten umgeben werden, welche lerztere an Breite zunehmen, je weiter man sich von dem schattengebenden Körper entfernt. 2) Wenn man vor eine enge Oeffnung eine Lichtquelle bringt, so giebt das hinter der Oeffnung aufgefangene Licht immer ein um- gekehrtes Bild der Lichtquelle, welches auch die Form der Oeffnung sein möge. Man stelle z. B. ein Kerzenlicht a b vor der im Schirm S befindlichen Oeffnung o (Fig. 72) auf: man erhält dann, wie aus dem Fig. 72. Gang der Randstrahlen a a', b b' ersichtlich ist, auf dem in einiger Entfernung von S befindlichen zweiten Schirm S' ein umgekehrtes Bild von a b, dessen Grösse mit der Entfernung des Schirms von der Oeffnung o zu- nimmt. Dieses Bild bleibt dasselbe, ob die kleine Oeffnung o rund oder viereckig oder wie immer gestaltet sein möge. Denn der von jedem Punkt der Lichtquelle ausgehende Strahlenkegel entwirft ein Bildchen o auf dem Schirm, die unendlich nahe bei einander liegen- den und sich theilweise deckenden Bildchen der Oeffnung geben aber zusammen das Bild der Lichtquelle. Benützt man daher die Sonne als Lichtquelle, so erhält man regelmässig ein Bild der Sonnenscheibe; zur Zeit einer Sonnenfinsterniss erscheint statt des runden das sichel- förmige Bild des unbedeckten Theils der Sonnenscheibe. Da sich das Licht nach allen Richtungen des Raumes ausbreitet, 126 Abnahme der Lichtintensität mit der Entfer- nung. Photo- meter. so muss die Beleuchtungsstärke im Verhältniss des Quadrates der Entfernung von der Lichtquelle abnehmen. Wenn der leuchtende Fig. 73. Punkt a (Fig 73), der von concentrischen Kugeloberflächen umgeben ist, einmal die ihm nähere und ein anderes Mal die ihm fernere Kugelfläche beleuchtet, so wird im ersten Fall ebenso viel Licht wie im zwei- ten nach der beleuchteten Oberfläche ge- langen. Die Lichtintensität in jedem ein- zelnen Punkte der successiv erleuchteten Kugelflächen verhält sich aber umgekehrt wie die Grösse derselben; da die Kugel- oberflächen wie die Quadrate ihrer Halb- messer zunehmen, so stehen demnach die Lichtintensitäten im umgekehrten Verhältniss des Quadrates der Ent- fernungen von der Lichtquelle. Die Lichtintensität in der Entfernung Von dem Lichte. r ist daher = , wenn die Lichtintensität in der Einheit der Ent- fernung = 1 ist. Auf dem angeführten Gesetz beruht die Messung von Lichtinten- sitäten mittelst der Photometer . Diese Instrumente sind dazu be- stimmt die Stärken zweier Lichtquellen mit einander zu vergleichen. Sie beruhen allgemein darauf, dass man zwei an einander grenzende Stücke einer Fläche mit den zwei zu vergleichenden Lichtquellen be- leuchtet, und dann die hellere Lichtquelle durch Entfernung von der Fläche so lange schwächt, bis die beiden Flächenstücke auf das Auge den gleichen Eindruck hervorbringen: es verhalten sich dann nach dem obigen Gesetz die Lichtstärken wie die Quadrate der Entfernun- gen von der beleuchteten Fläche. Bei dem Photometer von Rum- Fig. 74. ford (Fig. 74) dient ein weisser Schirm w w als auffangende Fläche, vor ihm steht ein vertica- ler Stab v, und vor diesem befinden sich die beiden Lichtquellen l und l'. Durch die letz- teren entstehen auf dem Schirm zwei Schatten des Stabes v: der von l herrührende Schatten s wird von l', und der von l' herrührende Schat- ten s' wird von l beleuchtet. Bringt man da- her die beiden Lichter in solche Entfernungen, dass die Schatten gleich sind, so verhalten sich die Lichtstärken beider umgekehrt wie die Quadrate ihrer Entfernungen von dem Schirm w w. Noch genauere Messungen gestattet das Photometer von Bunsen . Dasselbe besteht aus einem weissen Schirm, der in seiner Mitte mit Stearin getränkt ist. Stellt man ein Licht hinter diesen Schirm, so erscheint der Stearinfleck heller als seine Umgebung, weil das in Stearin getränkte Papier mehr Licht durchlässt; stellt man dagegen das Licht vor den Schirm, so erscheint der Stearinfleck dunkler als seine Umgebung, weil das in Stearin getränkte Papier ungefähr ebenso viel Licht weniger reflectirt, als es mehr durchlässt. Stellt man nun ein Licht vor den Schirm und ein zweites von gleicher Lichtstärke hinter den Schirm, so lässt sich leicht die Distanz beider so treffen, dass die Lichtstärken des befetteten und des unbefetteten Papiers ge- nau gleich erscheinen. Lässt man dann das Licht hinter dem Schirm an seiner Stelle und ersetzt das vor dem Schirm stehende durch ein anderes, so ergiebt sich aus der Distanz, die man dem letzteren im Vergleich zu dem weggebrachten Lichte geben muss, das Verhältniss der Lichtstärken. 127 Unterscheidung der Lichtinten- sitäten. Bei allen diesen photometrischen Messungen bedarf man schliess- lich der Schätzung durch das Auge: man vergleicht nicht objective Intensität des Lichtes. Lichtstärken sondern subjective Intensitäten der Empfindung. Die Ge- nauigkeit dieser Messungen ist also von der Genauigkeit abhängig, mit welcher wir zu entscheiden vermögen, ob zwei Gesichtsempfin- dungen an Intensität gleich sind oder nicht. Für die Beurtheilung der Genauigkeit der Photometer ist es daher erforderlich unsere Ge- nauigkeit in der Unterscheidung von Empfindungsintensitäten zu ken- nen. Man kann zu diesem Zweck das Photometer selbst benützen. Stellt man z. B. in gleicher Entfernung vor dem Stab v des Rumford’- schen Photometers (Fig. 74) Kerzen von gleicher Lichtstärke auf, was man an der Gleichheit der beiden Schatten erkennt, und rückt man nun die eine Kerze, während die andere stehen bleibt, ferner und ferner, so wird der von derselben herrührende Schatten immer schwä- cher, und endlich erreicht man einen Punkt, wo dieser Schatten ver- schwindet, wo also der Unterschied der Beleuchtungsstärke des bloss von der nächsten Kerze beleuchteten Theils vom Schirm und des von beiden Kerzen beleuchteten Theils für die Empfindung null ist. Man findet nun, dass die Entfernung, in welche man die Kerze bringen muss, um diesen Punkt zu erreichen, immer ein bestimmtes Vielfaches, und zwar ungefähr das Zehnfache, der Entfernung beträgt, in welcher sich die nähere Kerze von dem Schirm befindet. Ist diese also z. B. 1 Meter entfernt, so muss man jene in 10 Meter Entfernung bringen, damit ihr Schatten verschwinde. Da nun die Lichtintensitäten im qua- dratischen Verhältniss der Entfernungen abnehmen, so folgt hieraus, dass wir durch unsere Empfindung gerade noch die Zu- oder Abnahme einer vorhandenen Lichtintensität um 1/100 ihrer Grösse zu unterschei- den vermögen. Zweites Capitel . Geschwindigkeit des Lichtes. Die Zeit, welche das Licht braucht, um sich von den leuchten- 128 Astronomische Messuugen der Fortpflanzungs- geschwindigkeit des Lichtes. den Körpern aus zu verbreiten, ist eine sehr geringe. Gegenüber der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalls (§. 109) ist diejenige des Lichts so gross, dass man die zwischen dem Lichtblitz und dem Don- ner einer Kanone verfliessende Zeit benützen kann, um die Schallge- schwindigkeit zu bestimmen. Messungen der Lichtgeschwindigkeit hat man 1) auf astronomische Beobachtungen und 2) auf physikalische Versuche gegründet. Man fand auf beiden Wegen nahezu überein- stimmend, dass sich das Licht mit einer Geschwindigkeit von unge- fähr 42000 Meilen bewegt, und dass diese Geschwindigkeit für Licht jeder Art und jeden Ursprungs die nämliche ist. Die astronomische Messung der Lichtgeschwindigkeit gründet sich theils auf das Phänomen der Aberration des Lichts, theils auf die Beobachtung des Ein- und Austritts der Jupitertrabanten in den Schat- Von dem Lichte. ten dieses Planeten. Unter Aberration des Lichtes versteht man diejenige scheinbare Abweichung der von einem entfernten Stern aus- gehenden Lichtstrahlen von ihrer wahren Richtung, welche durch die Bewegung der Erde verursacht wird. Denken wir uns, um dies zu Fig. 75. veranschaulichen, die Erde ersetzt durch eine Ebene E E (Fig. 75), und nehmen wir an, in einiger Entfernung befinde sich vor der- selben der mit einer kleinen Oeffnung o ver- sehene Schirm S S. Der Fixstern f befindet sich in solcher Ferne, dass der Durchmesser der Erdbahn dagegen verschwindet. Denken wir uns nun jene die Erde repräsentirende Ebene E E sammt dem Schirm S S in der Richtung o f bewegt, so wird diese Bewe- gung auf der Erde selbst nicht wahrgenom- men werden, und der Stern f wird immer an derselben Stelle erscheinen. Bewegt sich dagegen E E samt S S in der auf o f senkrechten Richtung, so wird, wenn die Bewegung schnell genug ist, dass das von f ausgehende Licht auf E E merklich später als auf S S ankommt, die Lichtquelle verschoben erscheinen. Denn nehmen wir an, E E und S S beweg- ten sich so schnell, dass e' an die Stelle von e tritt, bis das Licht von o bis e gelangt, so wird das Licht nunmehr in der That nicht auf e sondern auf e' auftreffen. Da uns aber die Erde selbst still zu stehen scheint, so wird es uns vorkommen, als wenn das Licht in der Richtung o e' ankäme, d. h. wir werden den Stern statt in f in f' sehen. Es macht nun offenbar keinen Unterschied, wenn wir uns den fingirten Schirm S S wieder hinwegdenken: immer wird ein in e' befindliches Auge, das sich, ohne von seiner Bewegung zu wissen, in derselben Zeit bis e bewegt, in welcher sich das Licht um die Strecke o e fortpflanzt, die Lichtquelle in der Richtung e' f' statt in der Richtung e f sehen müssen. Den Aberrationswinkel e o e' ermit- telt man in dem vorliegenden Fall dadurch, dass man den bei der Be- wegung der Erde in der Richtung e f gefundenen wahren Ort des Fixsterns mit dem scheinbaren Ort, den er bei der Bewegung der Erde in der Richtung E E einnimmt, vergleicht. Die Tangente des Winkels e o e' ist, wie man leicht aus obiger Figur er- sieht, gleich der zur Richtung des Lichtstrahls senkrechten Bewegung der Erde divi- dirt durch die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichts. Die Erde legt nun in der Secunde 4,15 Meilen zurück, und der Winkel e o e' wurde = 20″,25 gefunden. Also ist, wenn wir mit c die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichtes bezeichnen, tgt. 20″,25 = Hieraus ergiebt sich c = 41500. Die schon um das Jahr 1670 von Olaf Römer angewandte Methode aus der Geschwindigkeit des Lichtes. Bewegung der Jupiterstrabanten die Lichtgeschwindigkeit zu bestimmen, erhellt aus der beistehenden Fig. 76. Von dem Moment, wo einer der Monde M des Jupiter bei Fig. 76. n in den Schatten dieses Planeten eintritt, bis zu dem Moment, wo sich das nämliche Ereigniss wiederholt, verstreicht immer dieselbe Zeit, die Umlaufszeit des Trabanten. Befindet sich die Erde bei ihrer Bewegung um die Sonne S in c oder d, so kann man diese Zeit richtig beobachten, da in jenen Theilen ihrer Bahn die Erde längere Zeit ziemlich genau dieselbe Entfernung von dem Orte n behält. Bewegt sich aber die Erde bei a gegen den Jupiter hin oder bei b von ihm weg, so wird die Umlaufszeit des Jupitermondes um die Zeit, welche das Licht zum Durchlaufen der von der Erde während dieses Mondumlaufs zurückgelegten Strecke braucht, verlängert oder verkürzt erscheinen. Durch ein sinnreiches Verfahren ist es Fizeau gelungen nach- 129 Geschwindig- keit des irdi- schen Lichtes. zuweisen, dass das irdische Licht mit der nämlichen Geschwindigkeit sich fortpflanzt, welche aus den angegebenen astronomischen Beob- achtungen erschlossen wurde. Das Wesentliche dieses Verfahrens be- steht darin, dass die von einer Lichtquelle l (Fig. 77) ausgehenden Fig. 77. Strahlen durch die geneigte Glasplatte g nach dem Spie- gel s hin reflectirt und von hier wieder nach o, wo sich das Auge des Beobachters be- findet, zurückgeworfen werden. Bei diesem Hin- und Hergang der Lichtstrahlen müssen die- selben durch die in regelmässi- gen Abständen befindlichen Löcher des Rades r, das mit constanter Geschwindigkeit um seine Axe x x gedreht wird, hindurchgehen. Die Linsen a, b, c, d dienen in der durch die Fig. angedeuteten Weise zur Concentration der Lichtstrahlen. Bei einer mässigen Geschwin- digkeit des Rades r sieht das bei o befindliche Auge durch die Lö- cher von r hindurch den Spiegel s beleuchtet, weil die Lichtgeschwin- digkeit so gross ist, dass die Geschwindigkeit von r dagegen ver- schwindet, und daher das Licht durch die nämliche Oeffnung von r, durch die es von g nach s reflectirt wird, wieder von s nach g zu- rückkehrt. Erreicht aber r eine bestimmte Umdrehungsgeschwindig- keit, so gelangt das zurückkehrende Licht nicht mehr durch die Oeff- nung, durch die es von g nach s gelangt, sondern es trifft auf den Wundt , medicin. Physik. 13 Von dem Lichte. nächsten dunkeln Zwischenraum: das Auge bei o sieht also nun den Spiegel nicht mehr erleuchtet. Steigert man die Geschwindigkeit von r noch mehr, so kommt wieder ein Punkt, wo der Spiegel gesehen wird, weil nun das zurückkehrende Licht durch die nächste Oeffnung des Rades hindurchtritt. Auf diese Weise kann man durch continuir- liche Steigerung der Geschwindigkeit von r abwechselnd das Licht zum Verschwinden und zum Wiedererscheinen bringen. Das Rad, welches Fizeau zu seinen Versuchen benützte, hatte 720 Oeffnun- gen. Da die dunkeln Zwischenräume von derselben Grösse wie die Oeffnungen waren, so nahm also jede Oeffnung 1/1440 des Radumfangs ein. Der Raum von g nach s betrug 8633 Meter. Fizeau fand nun, dass das Licht erstmals zum Verschwinden kam, wenn das Rad 12,6 Umdrehungen in der Secunde machte. Hiernach beträgt die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichts 2.8633 Meter in Secunde, also in 1 Secunde 2.8633.12,6.1440 Meter, d. i. ungefähr 42000 Meilen. 130 Fortpflanzungs- schwindigkeit in verschiede- nen Medien. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichtes wechselt nach der Dichtigkeit des Mediums. In dichteren Medien ist sie kleiner. So beträgt sie im Wasser nur ungefähr ¾ des oben für die Luft be- stimmten Werthes. Foucault wies dies durch ein dem Fizeau ’- schen ähnliches Verfahren nach, indem er das Licht, dessen Geschwin- digkeit gemessen wurde, abwechselnd durch Luft und durch eine Wassersäule gehen liess. Bei der Betrachtung der Wellenbewegungen haben wir gesehen, dass die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Wellen in dichteren Medien abnimmt (§. 41). Der Foucault ’sche Versuch liefert daher eine directe Bestätigung der Undulationstheorie des Lichtes. Wären die Voraussetzungen der Emissionshypothese richtig, so müsste das Licht in dichteren Medien schneller sich fortpflanzen. Der Foucault ’sche Versuch ist also zugleich eine Widerlegung der Emissionshypothese. Die Anordnung dieses Fig. 78. Versuchs ist folgende (Fig. 78). In ein dunkles Zimmer wird durch die Oeffnung l eines Fen- sterladens ein Lichtbüschel ein- gelassen. Vor der Oeffnung l ist ein feiner Draht e horizontal aus- gespannt. Das Licht fällt durch die schräg gestellte Glasplatte g und durch die Convexlinse f nach dem Spiegel s, dessen horizonta- len Durchschnitt man in der Fig. in zwei Stellungen a b und c d sieht. Befindet sich der um seine verticale Axe drehbare Spiegel in der Stellung a b, so wird das Licht nach dem Spiegel m hin Reflexion und Brechung des Lichtes. reflectirt; befindet er sich in der Stellung c d, so wird das Licht durch die mit Was- ser gefüllte Röhre w nach dem Spiegel m' reflectirt. Die Abstände l f s m und l f s m' sind so gewählt, dass das von der Linse f nach den im 7. Capitel zu erör- ternden Brechungsgesetzen entworfene reelle Bild des Drahtes e genau auf die Fläche der Spiegel m und m' zu liegen kommt. Ist diese Bedingung erfüllt, so wird, wenn s sich in der Stellung a b befindet, das in m entworfene Bild von e wieder nach a b und von hier aus durch f und g nach e zurückgeworfen, und es muss nun in e ein Bild des Objectes entstehen, welches mit dem Object selbst zusammenfällt. Ein Theil der Strahlen aber gelangt durch Reflexion an der Oberfläche der Glasplatte g durch die Convexlinse f' in das Auge des Beobachters, der somit regelmässig, wenn der Spiegel s in die Stellung a b kommt, das Bild von e wahrnimmt. Ebenso nimmt er das Bild von e wahr, wenn der Spiegel s sich in der Stellung c d befindet, wo das Bild von e zuerst auf m' entworfen und dann in ähnlicher Weise wie vorhin nach g und o reflectirt wird. Dreht man nun den Spiegel s mit mässiger Geschwindigkeit um seine verticale Axe, so wird jedesmal, wenn s in den Stellungen a b und c d sich befindet, durch die Convexlinse f' ein Bild von e in das Auge des Beobachters ge- langen, und dieses Bild wird, wenn sich s mit hinreichender Geschwindigkeit dreht, so dass die aufeinanderfolgenden Eindrücke in dem Auge des Beobachters ver- schmelzen, continuirlich gesehen werden. Steigert man nun aber die Geschwindigkeit des Spiegels s so sehr, dass derselbe, bis das Licht von s nach m oder m' gelangt und von da wieder zurückgeworfen ist, bereits merklich die Stellung a b oder c d verlassen hat, so wird nun zwar auch noch das reflectirte Bild nach g und f' kom- men, aber es wird verschoben erscheinen, und wenn die Geschwindigkeit, mit der das Licht von s nach m und wieder zurückgeht, eine andere ist als diejenige, mit der das Licht von s nach m' und wieder zurückgeht, so wird der Beobachter durch das Fern- rohr o zwei Bilder von e erblicken. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeiten in Luft und Wasser müssen sich umgekehrt wie die Ablenkungen dieser Bilder verhalten. II. Reflexion und Brechung des Lichtes. Das Licht wird in seiner geradlinigen Fortpflanzung gestört, 131 Reflexion und Brechung im Allgemeinen. Durchsichtige und undurch- sichtige Be- schaffenheit der Körper. wenn ihm Körper in den Weg treten, von welchen es entweder zurück- geworfen wird, oder durch welche es hindurchtritt, indem es zugleich eine Ablenkung von seinem früheren Weg erfährt. So entstehen die Erscheinungen der Reflexion und der Brechung. Durch die Reflexion des auf ihre Oberfläche treffenden Lichtes werden uns die Körper über- haupt erst sichtbar. Meistens geschieht diese Reflexion unregelmässig, nach allen Richtungen des Raumes. Nur Körper mit glatten Ober- flächen werfen das in einer bestimmten Richtung auf sie treffende Licht auch in einer bestimmten Richtung wieder zurück. Sie erzeu- gen dadurch Spiegelbilder der leuchtenden Gegenstände. Die unregel- mässige Reflexion kann man als das Resultat unendlich vieler regel- mässiger Reflexionen betrachten. Denn eine rauhe Oberfläche besteht eigentlich nur aus einer Menge sehr kleiner vollkommen glatter Ober- flächen, die dicht neben einander liegen und nach den verschieden- 13 * Von dem Lichte. sten Richtungen gestellt sind, daher sie auch das auf sie treffende Licht nach den verschiedensten Richtungen reflectiren. Dasjenige Licht, welches nicht von den Körpern zurückgeworfen wird, tritt in dieselben ein und wird gebrochen. Wie das Licht regel- mässig oder unregelmässig reflectirt werden kann, so kann es auch eine regelmässige oder unregelmässige Brechung erfahren. Regelmässig gebro- chen wird das Licht von den durchsichtigen Körpern. Homogene Be- schaffenheit und glatte Oberfläche sind im Allgemeinen die Bedingun- gen der Durchsichtigkeit. Die durchsichtigen Körper liefern Bilder der hinter ihnen liegenden Gegenstände, die je nach Umständen in ihrer Grösse verändert oder in ihrer Lage verschoben erscheinen können. Körper, die wegen Unregelmässigkeit ihrer Oberfläche oder wegen nicht vollkommen homogener Beschaffenheit das Licht unregelmässig brechen, sind durchscheinend , d. h. sie lassen zwar Licht durch, aber sie geben keine deutlichen Bilder der Gegenstände. Auch einen durchscheinenden Körper kann man sich aus einer Menge kleiner durchsichtiger bestehend denken, die in sehr verschiedener Weise ge- stellt sind, so dass sie das Licht nach den verschiedensten Richtun- gen brechen und zugleich beim Uebertritt aus einem dieser kleinen Körper in den andern einen Theil des Lichts reflectiren, daher durch- scheinende Körper stets weniger Licht hindurchlassen als durchsich- tige. So geht, indem zugleich die Wirkung der weiter unten (Cap. 11) zu betrachtenden Absorption hinzutritt, die durchscheinende continuir- lich in die undurchsichtige Beschaffenheit über. Körper, die in dicke- ren Schichten undurchsichtig sind, werden in dünneren Schichten häufig durchscheinend und als sehr dünne Plättchen sogar durch- sichtig. Drittes Capitel. Reflexion des Lichtes . 132 Reflexion des Lichtes an ebe- nen Flächen. Die Erscheinungen der Zurückwerfung des Lichtes folgen aus dem allgemeinen Reflexionsgesetz der Wellen (§. 39). Ist also w w Fig. 79. (Fig. 79) eine reflectirende Wand, und ist a f ein auf dieselbe fallender Lichtstrahl, so ist die Linie f b, welche mit dem im Punkte f senkrecht zu w w errichteten Einfallsloth a' f denselben Winkel wie der einfallende Strahl bildet, die Richtung des zurückgeworfenen Strahls. Ebenso wird der Strahl a″ f in der Richtung f b″, und endlich ein Strahl a' f, der mit dem Einfallsloth zusammenfällt, wieder in der nämlichen Richtung, in welcher er auffiel, zurückgeworfen. Strahlen, die von einem ein- Reflexion des Lichtes. zigen Punkte kommend auf eine ebene Wand fallen, werden so re- flectirt, dass die Richtungen sämmtlicher reflectirter Strahlen sich in einem Punkte schneiden, der ebenso weit hinter der reflectirenden Wand gelegen ist, als der Punkt, von dem die Strahlen ausgehen, vor ihr liegt. Es gilt hier für die Lichtstrahlen die in Fig. 19 S. 53 für die Wellenlinien im Allgemeinen ausgeführte Construction. Ein vor der Wand v w (Fig. 19) befindliches Auge sieht daher, wenn a ein leuchtender Punkt und v w eine reflectirende Fläche ist, in a' ein Bild von a. Um den Ort zu finden, an welchem das Bild irgend Fig. 80. eines ausgedehnten Gegenstandes, z. B. der Linie a b (Fig. 80), gesehen wird, muss man diese Construction auf alle einzelnen Punkte des Gegenstandes anwenden. Die spiegelnde Ebene e e wird hiernach von der Linie a b das Bild a' b' entwerfen. Man kann so ohne Schwierigkeit für einen Gegenstand von be- liebiger Form die Lage seines ebenen Spie- gelbildes auffinden. Von den zahlreichen Anwendungen, welche die Spiegelung an 133 Der Heliostat. Die Beleuch- tungsspiegel. Anwendung ebener Spiegel zu Winkel- messungen. ebenen Flächen in der Physik und in der physikalischen Medicin fin- det, wollen wir nur die wichtigsten hier erwähnen. Man benützt dreh- bare Spiegel in allen den Fällen, in welchen es sich darum handelt, Lichtstrahlen von bestimmter Richtung eine bestimmte andere Rich- tung zu geben. So ist z. B. der Heliostat ein um zwei auf einan- der senkrechte Axen drehbarer Spiegel, auf den man Sonnenstrahlen auffallen und in der Richtung, in der man sie gerade braucht, reflec- tiren lässt. Da die Sonne fortwährend ihren Stand verändert, so muss man auch die Stellung des Heliostaten, wenn die von ihm reflectirten Strahlen längere Zeit dieselbe Richtung beibehalten sollen, fortwährend entsprechend verändern. Diese der Sonne folgende Bewegung kann man durch ein Uhrwerk vollziehen lassen. Man benützt den Helio- staten namentlich zu optischen Versuchen, in welchen sehr intensives Licht erfordert wird. Meistens bringt man hierbei an dem Laden eines verdunkelten Zimmers eine Oeffnung an und stellt vor dieser den He- liostaten auf. Eine complicirtere Anwendung finden die Reflexionsspie- gel in jenen für die Physiologie und Medicin wichtigen Fällen, in welchen es sich um die Beobachtung solcher Organe des menschlichen Körpers handet, die durch ihre Lage nicht nur verdunkelt sondern auch dem Auge unzugänglich sind. Derartige Organe müssen erstens hinreichend intensiv beleuchtet, und es muss dann zweitens den von ihnen reflectirten Lichtstrahlen ein Weg angewiesen werden, der sie in das Auge des Beobachters bringt. So besteht z. B. der Kehlkopf- spiegel von Garcia aus einem Silberspiegel m und aus einem ge- Von dem Lichte. Fig. 81. wöhnlichen Spiegel s, der in seiner Mitte durchbohrt ist (Fig. 81). Der Spiegel m wird, nachdem er, um das Beschlagen mit Wasserdampf zu ver- hüten, erwärmt wurde, in der in der Fig. angedeuteteten Stellung in den Rachen geführt. Vor dem geöffneten Mund befindet sich der Beleuchtungsspiegel s, durch welchen der Beobachter blickt, und die Lichtquelle l. Die von der letzteren aus- gehenden Strahlen werden von s nach m und von hier aus nach dem Kehlkopf reflectirt, von dem letzteren aus werden sie noch einmal nach m und von da gegen s zurückgeworfen, wo der Beobachter durch die Oeffnung von s das durch m entworfene Bild des Kehlkopfs sieht. Man benützt dieselben oder ähnliche Vorrichtungen zur Beleuchtung des Schlundkopfs, des hintern Theils der Nasenhöhle, des Trommel- fells und anderer Theile. Die blosse Anwendung ebener Spiegel, wie sie in dem angeführten Beispiel er- läutert wurde, ist in diesen Fällen häufig nicht genügend; es tritt dann zur Erzielung einer intensiven Beleuchtung an die Stelle des Planspiegels s entweder ein Hohlspie- gel oder die Combination eines ebenen Spiegels mit einer Convexlinse; wir werden daher, nachdem wir die Reflexion an Hohlspiegeln und die Gesetze der Brechung in Linsen erörtert haben, auf die verschiedenen Modificationen der physiologischen Be- leuchtungsspiegel, deren einfachste Form wir hier kennen gelernt haben, zurück- kommen. Die Reflexion an ebenen Spiegeln findet ferner eine häufige Anwendung zu Winkelmessungen. Hierher gehört die Spiegelablesung mit dem Fernrohr . Fig. 82. Es sei n (Fig. 82) ein an einem verticalen Faden (der sich senkrecht zur Ebene des Papiers befindet) aufgehängtes Stäbchen, dessen Drehungen aus der Richtung n ge- messen werden sollen. Man stellt in eini- ger Entfernung von n einen horizontalen Maassstab m m auf und bringt in der Mitte dieses Maassstabs ein Fernrohr f an, dessen Gesichtsfeld in seiner Mitte durch einen im Ocular befindlichen verticalen Faden getheilt ist (s. §. 193). Parallel dem Maassstab befestigt man an dem Stäbchen n den Plan- spiegel s. Wenn nun n sich aus seiner ur- sprünglichen Lage in die Lage n' dreht, so dreht sich zugleich der Spiegel s in die Lage s'. So lange der Spiegel s parallel dem Maassstab m m steht, sieht das Auge o durch das Fernrohr den unmittelbar unter ihm liegenden Theilstrich a der Scala gespiegelt, und es fällt daher der verti- cale Faden im Gesichtsfeld des Fernrohrs mit dem Spiegelbild des Theilstrichs a zu- sammen. Hat sich nun aber der Spiegel s in die Lage s' gedreht, so wird nicht mehr der Theilstrich a in der Richtung x o gespiegelt, sondern ein Theilstrich b, der Reflexion des Lichtes. nach dem allgemeinen Reflexionsgesetz so gelegen sein muss, dass der im Punkte x auf den Spiegel fallende Strahl b x mit dem reflectirten Strahl x o einen Winkel bil- det, welcher durch die Richtung des Stäbchens n' die in diesem Fall die Richtung des Einfallslothes ist, halbirt wird. Der Winkel b x o, den man durch Ablesung mit dem Fernrohr misst, ist also doppelt so gross als der Ablenkungswinkel n' x o des Stäbchens. Als Elemente für die Bestimmung des Winkels b x o hat man 1) die un- mittelbar an dem Maassstab abgelesene Entfernung a b und 2) die ein für allemal gemessene Entfernung x a. Es ist tgt. b x o = oder, wenn man den Ablen- kungswinkel n' x o des Stäbchens mit α bezeichnet, tgt. 2 α = Die hier be- schriebene Messungsmethode dient z. B., um die Ablenkung von Magnetstäbchen, auf die ein elektrischer Strom oder ein anderer Magnet einwirkt, zu bestimmen. Auch zur Messung von Krystallwinkeln hat man die Spiegelung an ebenen Flächen ange- wandt. Fängt man nämlich das von zwei an einander stossenden Krystallflächen ge- spiegelte Licht successiv in derselben Richtung auf, so muss man dabei den Krystall um einen Winkel drehen, welcher den Winkel, den die beiden Krystallflächen mit einander bilden, zu 180° ergänzt. Hierauf beruht das Reflexionsgoniometer von Wol- laston . Jede gekrümmte Fläche kann man als zusammengesetzt aus 134 Reflexion des Lichtes an ge- krümmten Flä- chen. Der Con- vexspiegel. einer unendlichen Zahl an einander stossender ebener Flächen be- trachten. Um daher die Richtung, in welcher irgend ein auf die ge- krümmte Oberfläche (Fig. 83) fallender Strahl reflectirt wird, zu fin- Fig. 83. den, lege man an den Punkt f, an welchem der Strahl a f auf die Fläche auftrifft, eine tangirende Ebene e e'. Da der Punkt f dieser tangirenden Ebene angehört, so steht eine senkrecht zur letzteren errichtete Linie l f zugleich auf dem Punkt f senkrecht: folglich ist die mit der Richtung des Krümmungsradius zusammen- fallende Linie l f das Einfallsloth, und f b ist die Richtung des reflectirten Strahls, wenn f b mit a f und l f in derselben Ebene liegt und der Winkel b f l gleich dem Winkel a f l ist. Je nach der Seite, welche die gekrümmte reflecti- rende Oberfläche den Lichtstrahlen darbietet, bezeichnet man eine solche Oberfläche als Convex - oder als Concavspiegel . Fig. 84. Wenn die von einem leuchten- den Punkte a ausgehenden Licht- strahlen a f, a g auf den kugelför- migen Convexspiegel F F (Fig. 84) fallen, so werden dieselben nach dem Reflexionsgesetz nach den Richtungen f i, g h zurückge- worfen. Verlängert man diese Rich- tungen der zurückgeworfenen Strah- len, bis sie sich durchschneiden, Von dem Lichte. so ergiebt sich der hinter der reflectirenden Fläche liegende Punkt c als Durchschnittspunkt. Die von a ausgehenden Strahlen scheinen also nach der Reflexion von dem Punkte c herzukommen, d. h. das Bild von a erscheint in einem Punkte c, der näher hinter der reflec- tirenden Fläche liegt, als der leuchtende Gegenstand vor ihr gelegen ist. Untersucht man ebenso die Reflexion, welche die von einem ober- halb a gelegenen Punkte b ausgehenden Strahlen b l, b m erfahren, so findet man, dass dieselben nach den Richtungen l n, m o zurückge- worfen werden, welche Richtungen verlängert sich in einem hinter der reflectirenden Fläche gelegenen Punkte d schneiden. Auf ähnliche Weise schneiden sich alle von Punkten zwischen a und b ausgehenden Strahlen hinter der Fläche F F in Punkten, die zwischen c und d gelegen sind. Von dem ganzen Gegenstand a b wird also ein ver- kleinertes aufrecht stehendes Bild c d entworfen. Befindet sich der Gegenstand dem Convexspiegel sehr nahe, so wird zugleich das Bild verzerrt, weil in diesem Fall die Winkel, welche die von verschiedenen Punkten ausgehenden Strahlen mit den zugehörigen Einfallslothen bilden, merklich verschieden sind. (S. §. 137.) Man beobachtet diese Bildverzerrung bekanntlich sehr augenfällig an den Bildern, welche die zuweilen im Freien aufgestellten geschwärzten Glaskugeln von nahen Gegenständen entwerfen. 135 Der Concav- spiegel. Bei der Reflexion an einem Concavspiegel sind verschiedene Fälle zu unterscheiden, weil die leuchtenden Punkte, von denen aus die Strahlen auf die spiegelnde Fläche fallen, nicht wie beim Convex- spiegel immer auf der einen Seite des Kugelmittelpunkts liegen müs- sen, sondern bald nach rechts bald nach links von demselben liegen oder auch mit ihm zusammenfallen können. Gehen wir von dem letz- teren Fall aus, so ist ersichtlich, dass, weil die vom Mittelpunkt r gezogenen Radien (Fig. 85) zugleich die Einfallslothe der Kugelober- Fig. 85. fläche sind, die von einem in r gelegenen Punkt ausgehenden Licht- strahlen, wie r l, von dem Hohlspiegel H H auch wieder nach r re- flectirt werden. Liegt dagegen der leuchtende Punkt weiter von H H weg als r, etwa bei a, so müssen nach dem Reflexionsgesetz die von Reflexion des Lichtes. ihm ausgehenden Strahlen nach einem zwischen r und H H gelegenen Punkte c reflectirt werden. Man erhält diesen Punkt c, wenn man von a aus zwei beliebige Strahlen a i und a l zieht: es sind dann die Richtungen i c und l c der reflectirten Strahlen dadurch gegeben, dass nach dem Reflexionsgesetz die Winkel a i c und a l c durch die von r aus nach i und l gezogenen Radien, wie r l, halbirt werden. Der Durchschnittspunkt c der Strahlen i c und l c ist der Sammel- punkt aller andern von a ausgehenden und von dem Hohlspiegel H H zurückgeworfenen Strahlen. Liegt hingegen der leuchtende Punkt näher bei H H als der Mittelpunkt r, etwa bei c, so müssen die Strah- len nach einem jenseits r gelegenen Punkte a reflectirt werden. Ist also a das Object, so ist c das Bild; ist c das Object, so ist a das Bild. Ebenso entsprechen sich die Punkte b und d wechselweise, von dem Object c d wird daher ein vergrössertes umgekehrtes Bild a b und von dem Object a b ein verkleinertes umgekehrtes Bild c d entworfen. Rückt man nun aber mit dem Object c d noch weiter gegen den Scheitel h des Convexspiegels hin, so kommt man an ei- nen Punkt f, der so gelegen ist, dass von ihm ausgehende Strahlen f x, f z nach der Reflexion der Axe parallel werden: der diesem Punkt correspondirende Bildpunkt liegt also in unendlicher Ferne, oder umgekehrt, wenn die aus unendlicher Ferne kommenden Licht- strahlen x' x, z' z auf den Concavspiegel fallen, so sammelt sich das Licht in dem Bildpunkte f. Man bezeichnet diesen letzteren ausge- zeichneten Punkt als den Brennpunkt des Spiegels. Geht man noch näher als f an H H heran, etwa bis o, so ist klar, dass von einem dergestalt genäherten Lichtpunkte ein Strahl o s nach der Re- flexion die Richtung s s' annimmt, also divergirend ausstrahlt; ein solcher Strahl scheint von einem Punkte zu kommen, der hinter dem Spiegel bei p liegt. Wir haben hiernach bei der Reflexion am Hohl- spiegel vier Fälle zu unterscheiden: 1) das Licht kommt von einem jenseits des Mittelpunktes r gelegenen Punkte, und sammelt sich nach der Reflexion in einem zwischen Mittelpunkt und Brennpunkt gelegenen Punkte oder, wenn der Ausgangspunkt in unendlicher Ferne liegt, im Brennpunkte, 2) das Licht geht vom Mittelpunkte aus und sammelt sich wieder im Mittelpunkt, 3) das Licht geht von einem zwischen Mittelpunkt und Brennpunkt gelegenen Punkte aus und sam- melt sich in einem jenseits des Mittelpunkts gelegenen Punkte oder, wenn der Ausgangspunkt der Brennpunkt ist, in unendlicher Ferne, 4) das Licht geht von einem zwischen Brennpunkt und Spiegel gele- genen Punkte aus, es wird durch die Reflexion divergent gemacht, die Strahlen schneiden sich also, wenn man sie verlängert denkt, in einem hinter dem Spiegel gelegenen Punkte. In den Fällen 1 und 3 entsprechen sich Objectpunkt und Bildpunkt wechselweise: man nennt sie desshalb conjugirte Vereinigungspunkte. Ferner sammeln sich Von dem Lichte. in den drei ersten Fällen die Strahlen nach der Reflexion zu einem reellen Bilde, das aber im zweiten Fall mit dem Object zusammen- fällt. Im vierten Fall sammeln sich dagegen die Strahlen nicht zu einem reellen Bilde, sondern es entspricht hier dem leuchtenden Punkt nur ein virtuelles Bild hinter der reflectirenden Fläche. 136 Berechnung der Vereinigungs- weite und Bild- grösse für Con- cav- und Con- vexspiegel. Um für irgend einen in der Axe des Concavspiegels liegenden Punkt den Vereinigungsort der Lichtstrahlen zu finden, braucht man nach dem obigen nur ent- weder den Radius des Hohlspiegels oder die Lage seines Brennpunkts zu kennen, welche letztere sich leicht durch die Reflexion aus grosser Ferne kommender Licht- strahlen, z. B. der Sonnenstrahlen, ermitteln oder auch, wie wir in §. 147 Anm. sehen werden, aus dem Krümmungsradius berechnen lässt. Es sei a (Fig. 86) der leuch- Fig. 86. tende Punkt, c sein Bildpunkt, r sei der Mittelpunkt der Fläche H H und f der Brennpunkt. Wenn die Lichtstrahlen, wie dies in der Regel angenommen werden kann, nahe bei dem Scheitelpunkt h auf die Fläche H H fallen, so kann man f h = f l, c h = c l und a h = a l setzen. Ist α der Winkel, wel- chen ein parallel der Axe einfallender Strahl x l mit dem Einfallsloth oder Radius r l bildet, so bildet der nach dem Brennpunkt zurückgeworfene Strahl l f ebenfalls mit r l einen ∟ α , und es ist ∟ h f l = ∟ f l x und ∟ h r l = ∟ r l x, d. h. ∟ h f l = 2 α und ∟ h r l = α . Daraus folgt aber unter der obigen Voraussetzung, dass h f = ½ h r, oder dass die Brennweite des Hohlspiegels gleich der Hälfte seines Krümmungsradius ist . Setzen wir nun die Distanz h a des leuchtenden Punktes = p, die Distanz h c seines Spiegelbildes von der spiegelnden Fläche = s, so verhält sich Es ist also, wenn man den Radius h r mit r und die Brennweite h f mit f bezeichnet, Mittelst dieser Formel kann man, sobald von den drei Grössen p, s und r oder f zwei gegeben sind, die dritte berechnen. Wenn z. B. p und f gegeben sind, so ist s = Aus dieser Gleichung folgt, dass für p = ∞ s = f und für s = ∞ p = f ist, für p = r wird endlich s = r, lauter Fälle, die wir auch auf dem Weg der Construction bereits ermittelt haben. Dieselben Formeln lassen sich auf Convexspiegel anwenden. Nur muss man hier, weil r und demzufolge auch f auf der entgegengesetzten Seite liegen, diese beiden Grössen mit dem negativen Vorzeichen versehen. Man erhält also s = — , welche Gleichung unmittelbar aussagt, dass hier unter allen Umständen das Bild auf der entgegengesetzten Seite der spiegelnden Fläche wie das Object liegt. Um die Grösse des Bildes zu bestimmen, welches der Hohlspiegel H H (Fig. 87) von einem ausgedehnten Object a b, das sich in der Entfernung p befindet, ent- wirft, berechnet man zuerst in der oben angegebenen Weise die Entfernung s seines Spiegelbildes c d und zieht dann von den Grenzen a und b des Objects aus durch den Kugelmittelpunkt r Linien nach der reflectirenden Fläche. Errichtet man dann in der Reflexion des Lichtes. Fig. 87. Entfernung s von H H auf der Axe r h eine zu a b parallele Ebene, so liefern die Strahlen a l und b m in der Ebene c d die Grenzen des Spiegelbildes; denn c und d sind jedenfalls Vereinigungspunkte reflectirter Strahlen, da die Strahlen r m und r l als vom Krümmungsmittelpunkt ausgehend wieder in derselben Richtung reflectirt wer- den und also die Vereinigungspunkte für die von a und b ausgehenden Strahlen auf r l und r m liegen müssen. Es verhält sich nun a b : c d = g r : e r oder, wenn wir die Grösse des Objectes mit β , die seines Spiegelbildes mit β ' bezeichnen In diese Gleichung kann man den oben gefundenen Werth von s und statt r die doppelte Brennweite einführen, um unmittelbar aus p, r oder f und β die Grösse β ' berechnen zu können. Auf ähnliche Weise verfährt man, um die Grösse der von Convexspiegeln entworfenen Bilder zu bestimmen. Es sei a' b' (Fig 87) das in H H gespiegelte Object, so ist wieder c d das Spiegelbild. Man hat aber nun h n = p und e h = s zu setzen, und es erhellt unmittelbar aus der Figur, dass für diesen Fall ist. Die erörterten Gesetze der Reflexion an sphärischen Flächen 137 Aberration sphärischer Spiegel. sind in voller Strenge nur unter der Voraussetzung gültig, dass die Strahlen bloss auf ein kleines Stück der Kugeloberfläche rings um die Axe auffallen. Sobald auch die mehr seitlich gelegenen Theile der Kugelfläche in Betracht kommen, vereinigen sich die von einem Punkt ausgehenden Strahlen nicht mehr genau in einem einzigen Punkte. Fig. 88. Man bezeichnet dies als die sphä- rische Aberration der Bilder. Ist z. B. p (Fig. 88) der leuchtende Punkt und sind p a, p b zwei von ihm aus- gehende Strahlen, von denen der zweite viel näher an dem Scheitel- punkt h als der erste auf die Fläche H H fällt, so müssen, wenn man die Radien r a und r b zieht, die reflec- tirten Strahlen a a' und b b' mit die- sen Radien dieselben Winkel wie die zugehörigen auffallenden Strahlen p a Von dem Lichte. und p b bilden. Führt man hiernach die Construction aus, so findet man, dass der bei a reflectirte Strahl in a' und der bei b reflectirte in b' die Axe p h schneidet. Die Vereinigungspunkte der zwischen a und b zurückgeworfenen Strahlen müssen natürlich in entsprechen- der Reihenfolge hinter einander zwischen a' und b' gelegen sein. Die von p ausgehenden Strahlen vereinigen sich also nicht in einem Punkte sondern in einer Linie a' b'. Aehnlich werden zwei parallel der Axe auf die Fläche H H fallende Strahlen x' x und z' z, wenn sie ziem- lich weit von einander entfernt sind, nicht alle in einem Brennpunkt, sondern in mehreren hintereinander liegenden Punkten von f' bis f vereinigt, indem zu dem Strahl z' z der Brennpunkt f und zu dem Strahl x' x der Brennpunkt f' gehört. Die Linie f' f nennt man die Brennlinie der Kugelfläche. Das Bild des Punktes p ist aber nicht bloss zur Linie a' b' ausgedehnt, sondern es kann auch an keiner einzigen Stelle dieser Linie ein punktförmiges Bild von p entstehen. Denn der am nächsten bei h liegende Vereinigungspunkt a' ist von solchen Strahlen umgeben, die noch nicht zur Vereinigung gekommen sind, und der am fernsten von h liegende Vereinigungspunkt b' von solchen Strahlen, die sich bereits zwischen b' und a' vereinigt haben und nun wieder divergiren. An jeder Stelle der Linie a' b' entsteht daher statt eines leuchtenden Punktes ein gegen den Rand hin licht- schwächer werdender leuchtender Kreis als Bild des Punktes p. Man nennt ein solches Bild Zerstreuungsbild oder Zerstreuungs- kreis . Wird ein ausgedehntes Object gespiegelt, so setzt sich sein Spiegelbild aus den zum Theil sich deckenden Zerstreuungskreisen der Bilder seiner einzelnen Punkte zusammen. Dadurch wird das Spiegelbild, namentlich an seiner Begrenzung, verwaschen und un- deutlich. Selbstverständlich ist die sphärische Aberration bei einem Convexspiegel genau dieselbe, wie wir sie in Fig. 88 für eine concave Fläche construirt haben. Eine aus- führlichere Darstellung der die Brennlinie in einem Doppelkegel umgebenden Durch- kreuzungspunkte der Lichtstrahlen findet man in Fig. 101 §. 148 für gebrochene Lichtstrahlen. 138 Anwendungen des Concav- spiegels. Lässt man Sonnenlicht auf einen Concavspiegel auffallen, so ent- steht im Brennpunkt ein punktförmiges, äusserst lichtstarkes Bild der Sonne. Man benützt daher den Hohlspiegel hauptsächlich zur inten- Fig. 89. siven Beleuchtung von Gegenständen. Die zu beleuchtenden Objecte bringt man hierbei in ei- nige Entfernung von dem Brennpunkte, so dass auf einen hinreichenden Theil ihrer Oberfläche concentrirtes Licht auffällt. Während der ebene Spiegel e e (Fig. 89) parallel auffallende Strah- len auch parallel auf das Object a' b' reflectirt, Lichtbrechung an ebenen Trennungsflächen. macht der Hohlspiegel h h die reflectirten Strahlen convergent. Ein Büschel paralleler Strahlen von der Breite a b beleuchtet daher nach der Reflexion an e e eine Fläche a' b' von derselben Grösse, nach der Reflexion am Hohlspiegel h h dagegen nur die kleinere Fläche α β . Die Intensität der Beleuchtung verhält sich aber umgekehrt wie die Grösse der beleuchteten Fläche. Concave Spiegel werden zu Beleuchtungszwecken vorzugsweise benützt, wenn man nicht die parallelen Strahlen des Tageslichts sondern die divergirenden Strahlen einer künstlichen Lichtquelle zur Verfügung hat. Hier reflectirt ein ebener Spiegel die divergent auffallenden Strahlen wieder in divergirender Richtung, ein schwacher Hohlspiegel dagegen macht das divergirende Licht parallel oder schwach convergent. Besonders ist eine solche Sammlung des Lichts bei jenen Beleuchtungsapparaten ge- boten, bei denen es sich um die Beobachtung schwer zugänglicher Organe des mensch- lichen Körpers handelt. So bedient man sich z. B. bei dem Kehlkopfspiegel in Fig. 81 zweckmässig statt des durchbohrten Planspiegels s eines durchbohrten Hohlspie- gels. Czermak , der Kehlkopfspiegel, 2. Aufl. Leipzig 1863. Ueber die Anwen- dung des Hohlspiegels zur Untersuchung des Augengrundes s. Cap. 17. Um reelle Bilder von entfernten Gegenständen zu entwerfen, kommt der Hohl- spiegel in dem katoptrischen Fernrohr (§. 195) zur Anwendung. Viertes Capitel . Lichtbrechung an ebenen Trennungsflächen. Nachdem wir den Weg derjenigen Lichtstrahlen verfolgt haben, 139 Gesetz der Lichtbrechung. die beim Auffallen auf eine ebene oder regelmässig gekrümmte Fläche reflectirt werden, wenden wir uns zur Betrachtung jener Strahlen, welche durch die Körper, auf die sie treffen, hindurchgehen. Wir setzen hierbei stets vollkommen durchsichtige Körper voraus, und wir untersuchen die Gesetze des Durchtritts, ähnlich wie die Gesetze der Reflexion, unter der Bedingung, dass die Oberflächen, durch welche das Licht ein- und austritt, vollkommen glatt und entweder eben oder regelmässig gekrümmt seien. Wenn v w (Fig. 90) die Begrenzungs- Fig. 90. fläche zweier Medien von verschiedener Dichtigkeit und m n die Richtung des auf dieselbe fallenden Lichtstrahls ist, so wird nach dem allgemeinen Gesetz der Wellen- brechung (§. 43) die Richtung des Strahls in dem zweiten Medium bestimmt durch die Gleichung , worin wieder v und v' die Fortpflanzungs- geschwindigkeiten im ersten und zweiten Medium und α und β die Winkel sind, Von dem Lichte. welche der auffallende und gebrochene Strahl mit dem Einfallsloth s t bilden. Der Brechungsexponent wird in der Optik der Kürze halber gewöhnlich mit dem Buchstaben n bezeichnet. Da sich das Licht, wie wir in §. 130 gesehen haben, in dichteren Medien lang- samer fortpflanzt, so werden die Lichtstrahlen beim Uebergang aus einem dünneren in ein dichteres Medium dem Einfallsloth genähert, beim Uebergang aus einem dichteren in ein dünneres Medium vom Einfallsloth entfernt; im ersten Fall ist der Brechungsexponent n grösser, im zweiten Fall ist er kleiner als die Einheit. Bei der Wichtigkeit, die das Brechungsgesetz für die Lehre vom Licht besitzt, wollen wir den einfachen Beweis desselben hier anfügen. Man nehme zu diesem Zweck die Fig. 24 auf S. 58 zur Hand. Es verhält sich dort v : v' = a c : b d. Ferner ist ∟ a b c = s n m = α und ∟ b c d = t n o = β , daher auch = sin. α und = sin. β , folglich a c : b d = sin. α : sin. β oder . Nach den in §. 144 u. 163 zu erörternden Methoden sind die Werthe des Bre- chungsexponenten n für feste, flüssige und gasförmige Körper bestimmt worden. Man hat so gefunden, dass die dichteren Flüssigkeiten stets ein stärkeres Brechungsvermö- gen als die weniger dichten besitzen. Bei einer und derselben Flüssigkeit nimmt da- her auch mit steigender Temperatur der Brechungsexponent ab. Die Brechungsexpo- nonenten der Gase sind direct ihren Dichten proportional. In einen je kleineren Raum man ein Gas zusammenpresst, um so grösser wird daher sein Brechungsvermögen. Aus der Brechung, die das Licht erfährt, wenn es aus Luft, die unter gewöhnlichem Atmosphärendruck steht, in Luft unter höherem Druck übergeht, kann man unter Zu- grundlegung jenes Gesetzes den Brechungsexponenten der Luft in Bezug auf den luft- leeren Raum berechnen. Diesen absoluten Brechungsexponenten der atmosphärischen Luft bei dem gewöhnlichen Druck von 760 mm. Quecksilber hat man = 1,000294 gefunden. In den meisten Fällen wird unter n der relative Brechungsexponent der verschiedenen durchsichtigen Substanzen in Bezug auf die Luft verstanden. Daraus lässt sich der absolute Brechungsexponent eines beliebigen Körpers leicht bestimmen. Denn bezeichnet n' den absoluten Brechungsexponenten der Luft, so bedeutet dies, nach der oben aufgestellten Beziehnng zwischen n und v, dass im luftleeren Raum die Lichtgeschwindigkeit n'-mal grösser als in der Luft ist. Setzt man die Lichtge- schwindigkeit im luftleeren Raum = 1, so ist sie demnach in der Luft = . Eben- so ist dieselbe im Wasser = , wenn n″ den absoluten Brechungsexponenten des Wassers bedeutet. Die Geschwindigkeit des Lichtes in Luft und Wasser verhält sich daher wie , d. h. es ist n = . Um aus dem relativen Brechungsex- ponenten n einer Substanz in Bezug auf Luft den absoluten Brechungsexponenten n″ zu finden, hat man daher einfach den Brechungsexponenten n mit der Zahl 1,000294, dem absoluten Brechungsexponenten der Luft, zu multipliciren. Eine indirecte Methode zur Bestimmung des absoluten Brechungsexponenten der Lichtbrechung an ebenen Trennungsflächen. Luft gewährt die atmosphärische Strahlenbrechung . Wegen des Brechungs- vermögens der Luft erfährt nämlich das Licht der Gestirne in unserer Atmosphäre eine Ablenkung von seiner Bahn; denn die Atmosphäre umgiebt als eine Gasschichte mit kugelförmiger Oberfläche die Erde. Nur die Strahlen, die lothrecht auf diese Oberfläche fallen, gelangen ungebrochen zu uns. Wir sehen desshalb bloss die im Zenith stehenden Gestirne an ihrem wahren Ort. Die andern scheinen uns dem Ze- nith näher zu liegen, als sie es in Wahrheit sind, weil alle von ihnen ausgehenden Strahlen den an der Grenze der Atmosphäre errichteten Einfallslothen durch die Bre- chung genähert werden. Da übrigens die Atmosphäre an der Erdoberfläche dichter ist als in grösserer Höhe, so muss die Ablenkung der Strahlen bei ihrem Gang durch die Atmosphäre fortwährend zunehmen. Das Licht der Gestirne beschreibt also, falls dieselben nicht im Zenith stehen, innerhalb unseres Luftkreises gebogene Linien. Aus dem Grad der Ablenkung der Gestirne von ihrem wahren Ort lässt sich nun das Bre- chungsvermögen der Luft berechnen. Wir verfolgen nunmehr das Brechungsgesetz zuerst in seinen Anwendungen auf die Brechung an ebenen Trennungsflächen, um sodann die wichtigsten Fälle der Brechung an kugelförmig ge- krümmten Trennungsflächen zu betrachten. Zunächst setzen wir hier voraus, das Licht, dessen Gang wir bei der Brechung verfolgen, bestehe aus Aetherschwingungen von gleicher Wellenlänge. Solches Licht hat, wie man schon aus den allgemeinen Gesetzen der Wellen- bewegung ersieht, und wie wir es für diesen speciellen Fall noch näher nachweisen werden, die gleiche Brechbarkeit. Die Erscheinun- gen, die dadurch entstehen, dass es Aetherschwingungen von ver- schiedener Wellenlänge und demgemäss auch Licht von verschiede- ner Brechbarkeit giebt, werden wir in Cap. 8—10 im Zusammenhang erörtern. Fig. 91. Die Grenzen A B C D (Fig. 91) 140 Brechung an ebenen Flächen. trennen ein dichteres von einem das- selbe umgebenden dünneren Medium. Nehmen wir an, in dem dichteren Me- dium befinde sich ein leuchtender Punkt a, der die Strahlen a b, a c, a d nach der begrenzenden Ebene A B sendet, so durchsetzt der auf A B senkrechte Strahl a c ungebro- chen die Trennungsfläche, da er selbst mit dem Einfallsloth zusammenfällt, die andern Strahlen a b, a d aber entfernen sich von den Einfallslothen l, l' nach den Richtungen b e, d g. Nennt man die Winkel, welche beliebig viele derartige Strahlen mit den Einfallslothen bilden, vor der Brechung α', α″, α‴ . . . ., nach der Brechung β', β″, β‴ . . . ., so werden zwar diese Winkel Von dem Lichte. die verschiedensten Werthe besitzen können, aber es müssen die Bre- chungsverhältnisse sämmtlich einander gleich sein, weil sie sämmtlich = , gleich dem Verhältniss der Lichtgeschwindigkeit im ersten zu derjenigen im zwei- ten Medium sind. Verlängert man die Richtungen, welche die Strah- len nach der Brechung haben, rückwärts, so durchschneiden sich die- selben in einem Punkte a', der vor dem Punkte a gelegen ist. Ein Beobachter, der sich etwa bei f befindet, verlegt daher den Punkt a nach dem näher gelegenen Ort a'. Wäre umgekehrt A B C D das dünnere Medium, so würden die Strahlen den Einfallslothen bei der Brechung genähert, und sie würden dann von einem ferner gelegenen Object a″ auszugehen scheinen. Man kann sich von dieser That- sache durch folgenden einfachen Versuch überzeugen. Es sei A B C D ein leeres Gefäss, und bei a befindet sich in demselben irgend ein Gegenstand. Ein Beobachter, der bei g in der Richtung g a' in das Gefäss blickt, kann den Gegenstand a nicht sehen. Füllt man nun aber das Gefäss mit Wasser an, so wird a sichtbar, indem es plötz- lich von a bis a' gehoben erscheint. Auf derselben Ursache beruht es, dass ein in Wasser gehaltener Stab an der Berührungsstelle ge- knickt erscheint. Ist das Gefäss A B C D (Fig. 91) mit Wasser ge- füllt, und ist n d a″ ein in dasselbe gehaltener Stab, so scheint we- gen der Brechung a″ bis a gehoben und der ganze im Wasser ste- hende Theil a″ d des Stabes erscheint in der Richtung a d; statt des geraden Stabes a″ d n sieht man also den bei d geknickten a d n. 141 Totale Reflexion an ebenen Flächen. Im Allgemeinen werden die Lichtstrahlen an den Trennungs- flächen verschiedener Medien ebensowohl gebrochen als zurückgewor- Fig. 92. fen. Ist wieder A B C D (Fig. 92) ein dich- teres Medium, so erfährt der aus dem dünneren Medium kommende Strahl a b eine Brechung in der Richtung b c nach dem Einfallsloth hin, und zugleich wird ein Theil seines Lichts unter dem gleichen Winkel, unter dem der Strahl auffiel, also nach b d, reflectirt. Ebenso wird ein Strahl c b, der aus dem dichteren in das dünnere Medium gerichtet ist, theils von dem Einfallsloth weg nach b a gebrochen, theils in der Richtung b e reflectirt. Kommt das Licht, wie der Strahl a b, aus dem dünneren Medium, so wird stets ein Theil desselben in das dichtere eindringen; denn da der gebrochene Strahl dem Einfallsloth genähert wird, so hat jeder beliebig gerichtete Lichtbrechung an ebenen Trennungsflächen. Strahl, der auf die Trennungsfläche fällt, seine Fortsetzung in dem dichteren Medium. Kommt dagegen das Licht aus dem letzteren, so hat der Lichtstrahl, da er sich von dem Einfallsloth entfernt, sobald er unter sehr spitzem Winkel auffällt, keine Fortsetzung in dem dün- neren Medium. Hätte z. B. der auffallende Strahl die Richtung f b, so würde seine Richtung nach der Brechung schon mit der Oberfläche A B zusammenfallen, dieser Strahl wird daher vollständig nach b g reflectirt. Ebenso gelangt von allen Strahlen, die mit dem Einfalls- loth einen noch grösseren Winkel bilden als der Strahl f b, nichts mehr in das dünnere Medium. Jeder solche Strahl erfährt eine to- tale Reflexion an der Trennungsfläche. Den Einfallswinkel f b m, von dem an die partielle in die totale Reflexion übergeht, nennt man den Grenzwinkel der Brechung. Man kann das hier abgeleitete Resultat auch leicht aus den allgemeinen For- meln für das Brechungsgesetz herauslesen. Da nämlich sin. ist, so ent- spricht, wenn n grösser als 1, was beim Uebergang aus einem dünneren in ein dich- teres Medium der Fall ist, jedem Winkel α auch ein Winkel β , denn würde α = 90°, würde also das Licht streifend auf die Trennungsfläche auffallen, so wäre β im- mer noch kleiner als 90°. Ist dagegen n kleiner als 1, so wird β schon lange bevor α = 90° ist unmöglich, indem sin. β grösser als 1 wird. Offenbar ist aber der Grenzwinkel derjenige, bei welchem sin. β oder , d. h. n = sin. α ist. Grenzwinkel ist demnach derjenige Einfallswinkel, dessen Sinus dem relativen Brechungsverhältniss gleichkommt. In den meisten Fällen, in welchen die Lichtbrechung zur An- 142 Brechung durch planparallele Glasplatten. wendung kommt, ist dieselbe nicht auf die einmalige Brechung an der Fig. 93. Trennungsfläche zwischen einem dünneren und einem dichteren Me- dium beschränkt, sondern das Licht durchsetzt einen durchsichtigen Kör- per vollständig, und seine Strahlen erfahren daher eine zweimalige Ab- lenkung von ihrer Bahn, zuerst beim Eintritt in den durchsichtigen Körper und dann beim Austritt aus demselben. Der einfachste Fall, der hier denkbar ist, besteht darin, dass die zwei brechenden Flächen einan- der parallele Ebenen sind. Vor der planparallelen Glasplatte A B C D (Fig. 93) befinde sich der leuch- tende Punkt a. Da das Glas ein dichteres Medium als die umgebende Wundt , medicinische Physik. 14 Von dem Lichte. Luft ist, so wird ein Strahl a c bei seinem Eintritt durch die Ebene A B dem Einfallsloth b d zu gebrochen und bei seinem Austritt durch die Ebene C D wieder um ebenso viel von dem Einfallsloth b' d' weg gebrochen. Alle Strahlen, mit Ausnahme des senkrecht auffallenden Strahls a f, der, weil seine Richtung mit dem Einfallsloth zusammen- fällt, ungebrochen hindurchgeht, erscheinen also nach dem Durchtritt durch die Glasplatte verschoben. Befindet sich in a' a″ ein Auge, so scheinen demselben die Strahlen c' a', g' a″ von einem hinter der Glas- platte gelegenen Punkte e herzukommen. Die Grösse der Verschie- bung a e = x ist, wie man aus der Construction erkennt, theils ab- hängig von der Dicke und dem Brechungsvermögen der Glasplatte theils von der Grösse des Winkels α , unter welchem der in das Auge gelangende Strahl auf die Platte fällt. Bewegt sich daher das Auge von a' gegen f' hin, so nimmt allmälig die Verschiebung x ab, und bei f' selber ist sie null geworden. Geht man über f' hinaus, so er- scheint dann der leuchtende Punkt a nach der Richtung i hin ver- schoben. Die Abhängigkeit der Verschiebung x von dem Einfallswinkel α , der Dicke h der Glasplatte und ihrem Brechungsvermögen n lässt sich folgendermassen näher be- stimmen. Es ist und ∟ c c' e = α — β . Nun ist aber x = c c'. sin. ∟ c c' e. Folglich x = h. . Hierin kann man, sobald das Brechungsverhältniss n des Glases bekannt ist, den Winkel β aus dem Winkel α mittelst der Gleichung sin. α = n. sin. β finden. Fig. 94. Die seitliche Verschie- bung, welche ein leuchten- der Punkt in Folge der Brechung durch eine plan- parallele Glasplatte erfährt, lässt sich am leichtesten messen, wenn man, wie in Fig. 94, zwei Glasplatten A B und C D übereinander- stellt. Beide Platten sind um eine verticale (auf der Ebene der Zeichnung senk- recht stehende) Axe dreh- bar. Ein Strahl a c, der gerade da anlangt wo beide Platten einander berühren, theilt sich daher in zwei Strahlen, deren einer durch die Platte A B, der andere Brechung und Reflexion durch Prismen. durch die Platte C D hindurchtritt. Haben beide Platten die Stellung A' B', so fällt a c auf beide senkrecht auf, beide Platten verhalten sich nun wie eine einzige, und der Strahl a c geht ohne getheilt und abgelenkt zu werden durch sie hindurch. Dreht man aber die Platten A B und C D von der Anfangslage A' B' aus, in welcher sie mit pa- rallelen Flächen übereinander stehen, nach entgegengesetzten Rich- tungen um gleiche Winkel, so werden die von a kommenden Strahlen a d und a h durch die Platte A B den Einfallslothen l, l genähert, also nach f und g hin gebrochen, sie scheinen daher nach ihrem Durchtritt von dem Punkte e her zu kommen, da die in f und g an- langenden Strahlen sich rückwärts verlängert in e schneiden. Durch die Platte C D werden dagegen die Strahlen a d und a h den Ein- fallslothen l', l' genähert, also nach f' und g' gebrochen, so als wenn sie von einem Punkte i herkämen. Wenn wir voraussetzen dass A B und C D um gleiche Winkel gegen die Anfangslage A' B' gedreht sind, so muss a e = a i sein. Der Abstand der Doppelbilder ist demnach das Doppelte der durch jede einzelne Glasplatte in Folge der Brechung hervorgerufenen Bildverschiebung. Aehnlich wie a d und a h theilt sich auch der Strahl a c. Er wird durch die Platte A B nach c m, und durch C D nach c n gebrochen. Ein bei o dem Punkte a gerade gegenüber befindliches Auge empfängt daher statt des Strahls c o die Strahlen m r und n s, d. h. es sieht statt des einen Punktes a die zwei Punkte e und i. Der Winkel α , unter welchem ein nach o gerichteter Strahl a c auf jede Platte fällt, ist in diesem Fall offenbar gleich dem Winkel, um welchen die Platten aus ihrer Anfangsstellung A' B' gedreht wurden. Wenn sich also das Auge dem Punkt a gerade gegenüber befindet, so wird der Einfallswinkel unmittelbar durch den Dre- hungswinkel gemessen. Setzt man hiernach die Entfernung e i der Doppelbilder = E, so ist E = 2 x = 2 h. , in welcher Gleichung α willkürlich durch die Drehung der Glasplatten bestimmt wurde. Misst man die einem bestimmten Werthe von α correspondirende Grösse E, so kann man mittelst dieser Gleichung entweder, wenn die Dicke h bestimmt ist, das Brechungsverhältniss n oder umgekehrt h aus n finden. Sind aber h und n beide unbekannt, so lassen sie sich durch die Messung einer grösseren Reihe zusammengehöriger Werthe von α und E bestimmen. Es ist nämlich leicht ersichtlich, dass, wenn man α sehr erheblich variirt, nur ein bestimm- ter Werth sowohl für n als für h der obigen Gleichung in allen Fällen Genüge lei- sten kann. n und h können daher beide durch eine Reihe von Messungen empirisch ermittelt werden. Ueber die Anwendung der hier erörterten Brechung in planparalle- len Glasplatten auf die Theorie des Ophthalmometers vergl. §. 197. Fünftes Capitel . Brechung und Reflexion durch Prismen. Während durch Körper, die von parallelen Ebenen begrenzt sind, 143 Brechung durch das Prisma. 14 * Von dem Lichte. jeder einzelne Lichtstrahl zwar verschoben, nicht aber aus seiner Richtung gebracht werden kann, da diejenige Ablenkung, die der Strahl beim Eintritt in den Körper erfährt, beim Austritt aus demselben wieder aufgehoben wird, erfolgen hingegen mehr oder minder beträchtliche Ablenkungen des Lichtes, sobald der durchsichtige Körper von Ebe- nen begrenzt ist, die zu einander geneigt sind. Man nennt einen sol- chen Körper ein Prisma . Wir betrachten hier nur die Ablenkung des Lichts unter der Voraussetzung einer gleichen Brechbarkeit des- selben und werden daher auf diejenigen Erscheinungen der Brechung im Prisma, die durch verschiedene Brechbarkeit des Lichtes bedingt sind, später (in Cap. 10) zurückkommen. Die Ablenkung, welche das Licht durch das Prisma erfährt, lässt sich nach den allgemeinen Gesetzen der Brechung an ebenen Flächen leicht bestimmen. Es sei A B C (Fig. 95) ein senkrechter Fig. 95. Durchschnitt durch ein Prisma. A B, B C und A C sind Durchschnitte dreier an einander stossender Ebenen, welche das Prisma begrenzen. Es sei a b die Richtung eines Lichtstrahls, welcher bei b auf das Prisma trifft. Derselbe wird nach dem Einfallsloth l gebrochen und nimmt also in dem Prisma die Richtung b c. Indem er nun bei c durch die Ebene A C austritt, wird er, wegen des Uebergangs aus dem dichteren in das dünnere Medium, von dem hier errichteten Ein- fallsloth l' weg gebrochen, er nimmt also die Richtung c d an. Ein bei d befindliches Auge glaubt daher das Licht von einem über a gelegenen Punkte a' her zu empfangen. Es ist klar, dass diese Ab- lenkung mit der Vergrösserung des Winkels γ , welchen die Seiten A B und A C mit einander einschliessen, zunimmt. Man bezeichnet daher den Winkel γ auch als den Brechungswinkel des Prismas. Zieht man die Linie c e parallel dem einfallenden Strahl a b, ferner c m parallel dem Einfallsloth l, und verlängert man den gebrochenen Strahl b c nach c h, so ist e c d = δ der Winkel, um welchen der Strahl a b durch das Prisma abgelenkt wird. α ist der Einfallswinkel an der Fläche A B, β der Brechungswinkel, β' der Auffallswinkel an der Fläche A C und α' der Brechungswinkel an der letzteren Fläche oder der Austrittswinkel aus dem Prisma. Da nun nach der Construction Brechung und Reflexion durch Prismen. m c e = α , h c m = β und l' c h = β' ist, so hat man δ = e c h + h c d = ( α — β ) + ( α' — β' ) oder δ = ( α + α' ) — ( β + β' ). Nun ist aber, da die Winkel, welche l und l' mit den Seiten A B und A C bilden, rechte sind und die Summe der Winkel eines Dreiecks 180° ausmacht, in dem Dreieck A b c ∟ γ + (90°— β ) + (90°— β' ) = 180° oder γ = β + β' , also δ = α + α' — γ , d. h. die Ablenkung des Strahls ist gleich der Summe der beiden Winkel, welche der Strahl vor dem Eintritt und nach dem Austritt mit den Einfallslothen bildet, weniger dem brechenden Winkel des Prismas. Nun kann α' aus der Gleichung sin. α' = n. sin. β' = n. sin. ( γ — β ) und β aus der Gleichung n. sin. β = sin. α gefunden werden. Wenn also von den Grössen α, γ, δ und n drei gegeben sind, so lässt sich die vierte berechnen. Häufig wird die Brechung im Prisma benützt, um den Werth des 144 Anwendungen der Bildver- schiebung durch das Prisma. Brechungsverhältnisses n für die Substanz, aus der das Prisma besteht, zu ermitteln. Man giebt zu diesem Zweck, wie in Fig. 95, dem Prisma A B C eine solche Stellung zum einfallenden Strahl, dass der Einfalls- winkel α gleich dem Austrittswinkel α' ist. In diesem Fall muss die durch das Prisma bewirkte Ablenkung oder der Winkel δ am klein- sten sein, weil nun δ = 2 α — γ = 2 α' — γ ist. Für jeden an- dern Fall ist aber entweder α \> α' oder α' \> α , also δ = 2 α — γ + x, wo x diejenige Grösse bezeichnet, um welche entweder α \> α' oder α' \> α ist. Diese Methode hat den Vortheil, dass man den Einfallswinkel α gar nicht zu messen, sondern nur diejenige Stellung des Prismas aufzusuchen braucht, bei welcher δ am kleinsten wird. Dann ist . Da nun aber offenbar auch ist, so geht die Gleichung einfach in die folgende über: , aus welcher, wenn γ gegeben und δ beobachtet ist, sich unmittelbar n berechnen lässt. Man verfährt demnach in folgender Weise. Das von einer Lichtquelle aus- gehende Licht wird mittelst einer Convexlinse in einen Punkt concentrirt. Hierauf bringt man zwischen die Lichtquelle und die Linse das Prisma und verrückt nun die Linse, bis sie wieder das durch das Prisma abgelenkte Licht in einem, nun von dem vorigen entfernten, Punkte sammelt. Durch Hin- und Herdrehen des Prismas sucht man denjenigen Punkt auf, bei welchem die Verschiebung des Bildes am kleinsten ist. Hat man vor der Zwischenschiebung des Prismas von der Lichtquelle nach ihrem Von dem Lichte. Bilde eine gerade Linie gezogen, und zieht man nun von dem Prisma aus nach dem verschobenen Bild eine zweite Linie, so ist der Winkel, welchen diese beiden Linien mit einander bilden, der Winkel δ . Statt durch eine Convexlinse kann man das Licht auch durch ein Fernrohr sammeln, durch welches der Beobachter blickt. Dann ist der Winkel δ derjenige, um welchen das Fernrohr gedreht werden muss, damit es das Licht nach wie vor in das Auge des Beobachters gelangen lässt. In der physiologischen Optik bedient man sich sehr häufig des Prismas zum Zweck einer bestimmten Ablenkung von Lichtstrahlen. So besteht das gewöhnliche Prismenstereoskop (Fig. 96) aus zwei Fig. 96. mit ihren brechenden Winkeln einander zu- gekehrten spitzwinkligen Prismen p und p', durch welche die von a und b kommenden Lichtstrahlen so gebrochen werden, als wenn sie von einem Punkte F herkämen. Während daher beide Augen den Punkt F fixiren, wer- den auf den Netzhäuten solche Bilder der Objecte A und B entworfen, als wenn beim Nichtvorhandensein der Prismen das eine Auge den Punkt a und das andere den Punkt b fixirte, d. h. als wenn beide parallel ge- richtet wären. Würde es uns nicht sehr schwer fallen bei Betrachtung eines nahen Gegenstandes die Augen parallel zu stellen, so wäre die Anwendung der Prismen überflüssig. Die letzteren bewirken nur, dass trotz der Convergenz auf einen in der Entfernung der Objecte befindlichen Ge- genstand die beiden Bilder auf correspondirende Stellen unserer Netz- häute fallen. Gewöhnlich wendet man zu den Stereoskopen nicht Prismen mit ebenen Flä- chen an, sondern man gewinnt durch Auseinanderschneiden einer Linse von grossem Fig. 97. Krümmungsdurchmesser in ihrer Mitte, bei m (Fig. 97), zwei Prismen mit etwas gewölbten Flächen, deren Ränder r, r' man dann einander zukehrt. Dadurch wird, ge- mäss der unten zu erörternden Linsenwirkung zugleich das Bild der Objecte A und B (Fig. 96) etwas vergrös- sert. Brewster , der dieses Stereoskop zuerst con- struirte, hat ihm desshalb den Namen Linsenstereo- skop gegeben. Hält man die Fläche A C des Prismas A B C (Fig. 95) so vor das Auge, dass die brechende Kante A desselben nach innen, gegen die Nase gekehrt ist, so wird ein bei a befindlicher Gegenstand nach a' verlegt, und die sämmtlichen gesehe- nen Gegenstände erscheinen um den ∟ δ , den Ablenkungswinkel des Prismas, nach innen verschoben. Hält man das Prisma dagegen so, dass die Kante A nach aussen gerichtet ist, so erscheinen die Gegenstände umgekehrt um den ∟ δ nach aussen verschoben. Aehnlich erscheinen, wenn man den brechenden Winkel nach unten oder nach oben kehrt, die Gegenstände nach unten oder oben verschoben. Wenn das an- Brechung und Reflexion durch Prismen. dere Auge die Gegenstände an ihrer richtigen Stelle erblickt, werden also hierbei Doppelbilder gesehen. Anderseits können aber auch, wenn das eine Auge schielt und dadurch Doppelbilder der Gegenstände erscheinen, diese Doppelbilder mittelst des Pris- mas vereinigt werden. So wird z. B. ein Schielen nach innen compensirt, indem man ein Prisma mit nach innen gerichteter brechender Kante vor das Auge hält. Denn ist das Auge um den Winkel δ nach innen gedreht, hat also seine Axe die Richtung d c (Fig. 95) statt der Richtung e c, so wird, sobald man das Prisma A B C vorhält, trotzdem ein in der Richtung e c, nicht ein in der Richtung d c gelegenes Object ge- sehen. Ebenso kann ein Schielen nach aussen durch ein Prisma mit nach aussen ge- richteter brechender Kante compensirt werden, u. s. w. Immer muss hierbei, wenn die Compensation vollständig sein soll, der Ablenkungswinkel δ des Prismas gleich dem Schielwinkel (dem Ablenkungswinkel der Augenaxe) sein. Diese Compensation der Doppelbilder schielender Augen durch das Prisma kommt in der Augenheilkunde zur Anwendung, theils um aus dem Ablenkungswinkel δ des zur Compensation erfor- derlichen Prismas die Grösse des Schielwinkels zu ermessen, theils auch um geringere Grade des Schielens durch die Gewöhnung an die Vereinigung der Doppelbilder zu heilen. Ausser der Ablenkung durch Brechung kann das Prisma auch 145 Reflexion in dem Prisma. eine Ablenkung des Lichtes durch Reflexion der Lichtstrahlen her- beiführen. Stellt man ein rechtwinkliges Prisma, d. h. ein sol- ches, dessen ablenkender Winkel γ = 90° ist (Fig. 98), so auf, dass Fig. 98. die von a, b, c … kommenden Lichtstrahlen senkrecht auf die eine der unter dem rechten Winkel zusammenstossenden Flächen fallen, so gehen die Strahlen ungebrochen durch diese Fläche A B hindurch. Indem sie dann auf die Hypothenuse A C treffen, die mit den Flä- chen A B und B C unter Winkeln von 45° zusammenstösst, werden sie von hier unter rechten Winkeln reflectirt und gehen in Folge dessen auch durch die Fläche B C ungebro- chen hindurch. Das Prisma wirkt also in die- sem Fall genau ebenso wie ein bei A C unter einem Winkel von 45° aufgestellter Planspiegel, mit dem Unterschied dass es ein weit licht- stärkeres Bild von dem Gegenstand a b c d e giebt. Denn die Strah- len erfahren an A C eine totale Reflexion , da das Brechungs- vermögen des Glases stark genng ist, um Strahlen, welche einen Winkel von 45° mit dem Einfallsloth bilden, nicht mehr durch die Trennungsfläche hindurchzulassen. (Vgl. §. 141.) Wenn a b c d e ein Gegenstand ist, dessen einzelne Punkte von oben anfangend durch die aufeinanderfolgenden Buchstaben bezeichnet werden, so sieht ein vor B C befindlicher Beobachter diese Punkte von oben anfangend in der Folge e d c b a, er sieht also den Gegenstand verkehrt. Man benützt daher daher das rechtwinklige Prisma, um die Strahlen um 90° abzulenken und zugleich das Bild umzukehren. (Vgl. §. 189). Von dem Lichte. Eine andere Transposition der Lichtstrahlen, die sich durch eine successive Bre- Fig. 99. chung und Reflexion im Prisma gewinnen lässt, wird durch Fig. 99 dargestellt. Die von a, b, c ausgehenden Strahlen werden von der Fläche A des Prismas nach a', b', c' ge- brochen und gelangen von hier aus reflectirt und an der Fläche B noch einmal gebrochen nach α, β, γ . Ein hier von oben auf das Prisma herabblickendes Auge sieht also die Punkte a, b, c wieder in umgekehrter Ordnung; doch ist diesmal die Ordnung in horizontaler Richtung umge- kehrt. Hat man also z. B. bei a b c eine Druckschrift, so sieht das Auge bei α β γ dieselbe verkehrt. Ueberhaupt verhält sich das Gesehene zu dem Object ebenso wie sich ein Spiegelbild zu seinem Gegenstande verhält. Man kann daher das Reflexionsprisma zur Hervorbringung stereosko- pischer Effecte benützen. In vielen Fällen verhalten sich nämlich die Ansichten, die jedes der beiden Augen von einem körperlichen Gegen- stande empfängt, wie eine Zeichnung zu ihrem Spiegelbild. Betrachten wir irgend einen regulären Körper, der sich in der Mittelebene zwischen beiden Augen befindet, z. B. eine uns zugekehrte abgekürzte Pyramide oder ein Dodekaëder, so ist das Bild eines jeden Auges das Spiegelbild zu dem Bilde des andern Auges. Entwirft man also von dem Bilde des rechten Auges etwa eine Zeichnung, legt diese bei a b c unter das Prisma in Fig. 99, und sieht nun mit dem linken Auge durch das Prisma, während das rechte daran vorbei unmittelbar die Zeichnung betrachtet, so bekommen beide Augen solche Ansichten, wie sie dieselben von dem körperlichen Gegenstande empfangen würden. Hierbei genügt demnach die für ein Auge entworfene Zeichnung, um den vollen stereoskopischen Effect zu erhalten. Sechstes Capitel . Lichtbrechung an Kugelflächen. 146 Gang der Licht- strahlen. Con- jugirte Vereini- gungspunkte. Brennpunkte und Brennebe- nen. Die Brechung des Lichts an kugelförmig gekrümmten Ober- flächen beruht auf denselben Principien wie die Brechung an ebenen Trennungsflächen; die abweichenden Erscheinungen, die bei jener zu beobachten sind, haben nur darin ihren Grund, dass für jeden Punkt der gekrümmten Oberfläche das Einfallsloth eine andere Richtung hat. Bedeutet A B (Fig. 100) ein Stück einer mit dem Radius r h beschriebenen kugelförmigen Oberfläche, die ein rechts von A B ge- legenes dichteres Medium von einem links davon gelegenen dünneren Fig. 100. Lichtbrechung an Kugelflächen. Medium trennt, so erhält man den Weg, welchen ein von einem leuchtenden Punkte a ausgehender Strahl a m beschreibt, indem man von dem Mittelpunkte r aus das Einfallsloth r l zieht, das hier wie- der mit dem Radius zusammenfällt, und das Verhältniss des Brechungs- winkels β zu dem Einfallswinkel a m l = α so bestimmt, dass sin. wird, wenn n das Brechungsverhältniss der beiden Medien zu einander bezeichnet. Construirt man nach dieser Regel die Wege, welche verschiedene von einem einzigen leuchtenden Punkt a aus- gehende und nahe dem Scheitel h auffallende Strahlen nach der Bre- chung einschlagen, so findet man, dass dieselben sämmtlich sich wie- der in einem einzigen Punkte c vereinigen, der wie a auf der Axe a c gelegen ist. Die von einem seitlich der Axe gelegenen Punkte b aus- gehenden Strahlen b n, b h' dagegen sammeln sich in einem Punkte d, welcher auf der dem leuchtenden Punkt entgegengesetzten Seite der Axe a c liegt. Befindet sich der leuchtende Punkt in dem dich- teren Medium, also auf der rechten Seite der Kugelfläche A B, etwa bei c oder d, so werden, wie aus der Figur unmittelbar ersichtlich ist, die Lichtstrahlen genau dieselben Wege, nur in umgekehrter Rich- tung einschlagen, die sie in dem oben vorausgesetzten Fall nehmen. Die von c ausgehenden Strahlen sammeln sich also in a, die von d ausgehenden Strahlen in b. Man nennt daher je zwei solche zusam- mengehörige Punkte a und c oder b und d conjugirte Vereini- gungspunkte . Die Entfernung des Punktes c, in welchem sich die von a aus- gehenden Strahlen vereinigen, von dem Scheitel h der brechenden Oberfläche A B ist von der Entfernung abhängig, in welcher sich a von h befindet. Je weiter a wegrückt, um so näher rückt c an h heran. Rückt a in unendliche Ferne, fallen also die Lichtstrahlen parallel auf die Kugelfläche, so befindet sich der Vereinigungspunkt dieser Strahlen in f. Man nennt diesen Punkt f, in welchem sich die parallel der Axe auffallenden Strahlen x' x vereinigen, den hinteren Hauptbrennpunkt und seine Entfernung vom Scheitel h der Ku- gelfläche die hintere Hauptbrennweite . Man wählt die Be- zeichnung Hauptb rennpunkt, weil zuweilen auch jeder andere Verei- nigungspunkt, wie c oder d, Brennpunkt genannt wird. Näher bei h können nur convergente Strahlen vereinigt werden, solche Strahlen also, die schon eine Brechung an einer andern gekrümmten Oberfläche erfahren haben. Nähert sich dagegen der leuchtende Punkt a der brechenden Oberfläche, so rückt der Vereinigungspunkt c weiter zu- rück und endlich, wenn a bis an einen bestimmten Punkt f' gelangt ist, in unendliche Ferne, d. h. die Lichtstrahlen gehen nach der Bre- chung parallel der Axe, in der Richtung x y weiter. Den Punkt f', dessen Strahlen nach der Brechung der Axe parallel werden, nennt Von dem Lichte. man den vordern Hauptbrennpunkt und die Entfernung f' h von der brechenden Fläche die vordere Hauptbrennweite . Nä- hert man den leuchtenden Punkt der brechenden Fläche noch mehr, so bleiben die Lichtstrahlen auch nach der Brechung divergent, ihre Divergenz ist nur vermindert, sie schneiden sich also bloss in ihren nach rückwärts gezogenen Verlängerungen, es entspricht daher einem solchen Punkte kein reelles Bild sondern ein virtuelles vor der brechenden Fläche. Für einen leuchtenden Punkt, der seitlich von der Axe a c, in b, liegt, ist die Beziehung zwischen Bild und Object die nämliche in Bezug auf die durch den Mittelpunkt r der Kugelfläche gezogene Linie b d wie vorhin in Bezug auf die Axe a c. Die Entfernung h' d nimmt ab, je weiter b sich von der Kugelfläche entfernt. Kom- men endlich die Strahlen aus unendlicher Ferne, sind sie also parallel der Linie b h', so vereinigen sie sich nun nach der Brechung in einem Punkte, der ebenso weit von h' entfernt ist, wie vorhin f von h ent- fernt war. Liegt h' hinreichend nahe bei h, so liegt daher der Ver- einigungspunkt solcher Strahlen, die parallel einer zur Axe geneigten Linie einfallen, in einer im Brennpunkt f errichteten senkrechten Ebene. Der Punkt, in welchem der durch den Mittelpunkt r gehende unge- brochen bleibende Strahl b d jene auf f senkrechte Ebene schneidet, ist dann der Vereinigungspunkt. Die senkrecht im Brennpunkt errich- tete Ebene, welche die Vereinigungspunkte aller mit einander parallel auffallenden Strahlenbüschel enthält, nennt man die hintere Brenn- ebene . Denkt man sich von irgend einem Punkt der im vordern Brennpunkt senkrecht zur Axe errichteten Ebene Strahlen ausgehen, so werden diese offenbar nach der Brechung ebenso wie die vom vordern Brennpunkt selbst ausgehenden Strahlen einander parallel werden, und man wird auch hier wieder die Richtung dieser parallelen Strahlen erhalten, wenn man von dem leuchtenden Punkte aus durch den Mittelpunkt r den ungebrochen bleibenden Strahl zieht. Die so im vordern Brennpunkt errichtete senkrechte Ebene, welche die Eigen- schaft hat, dass alle von einem Punkt derselben ausgehenden Strah- len nach der Brechung zu einander parallel werden, nennt man die vordere Brennebene . 147 Richtungsli- nien. Ort und Grösse des Bildes. Lage der Brenn- punkte. Die von einem leuchtenden Punkt aus durch den Mittelpunkt r gezogene Linie, wie a c oder b d, hat, wie man sieht, eine wichtige Bedeutung: wenn die Strahlen nach der Brechung in einem Punkt convergiren, so liegt dieser Punkt auf jener Linie; wenn die Strahlen nach der Brechung parallel werden, wenn sie also von der vordern Brennebene ausgehen, so werden sie nach der Brechung jener Linie parallel. Man nennt daher alle die Richtung der ungebrochen blei- benden Strahlen angebenden Linien Richtungslinien oder Rich- Lichtbrechung an Kugelflächen. tungsstrahlen . Befindet sich vor der brechenden Fläche irgend ein zur Axe a c senkrecht stehender Gegenstand, so kann man, so- bald nur der Vereinigungspunkt derjenigen Strahlen gefunden ist, die von dem in der Axe liegenden Punkt a ausgehen, unmittelbar mittelst der Richtungslinien den Bildpunkt für jeden andern Punkt des Ob- jectes finden. Man errichtet zu diesem Zweck nur in c eine zur Axe senkrechte Ebene: der Punkt d, in welchem die von dem betreffenden Punkt b des Objectes aus gezogene Richtungslinie b d jene Ebene schneidet, ist der entsprechende Bildpunkt. Jeder Gegenstand, der sich weiter als die vordere Brennebene von der brechenden Fläche entfernt befindet, entwirft so hinter derselben ein Bild, dessen Grösse man ermittelt, indem man zuerst den conjugirten Vereinigungspunkt c des betreffenden Axenpunktes a aufsucht und dann die Richtungs- linien zieht. Man findet so, dass von jedem Gegenstand ein umge- kehrtes verkleinertes Bild entworfen wird. Für die Beziehung der Entfernung c h des Vereinigungspunktes von der brechenden Fläche zu der Entfernung a h des leuchtenden Punktes ergiebt sich, wenn man a h mit f 1 , c h mit f 2 bezeichnet, und wenn man den Ra- dius der Kugelfläche = r, das Brechungsverhältniss der brechenden Substanz aber = n setzt, folgende Gleichung: 1) . Wird die Entfernung des vordern Brennpunktes f' vom Scheitel h mit F 1 und diejenige des hintern Brennpunktes f mit F 2 bezeichnet, so lässt sich aus der obigen Gleichung F 1 berechnen, wenn man f 2 , die Entfernung des Vereinigungspunktes, gleich ∞ setzt, und F 2 ergiebt sich, wenn man f 1 , die Entfernung des leuchtenden Punktes, gleich unendlich annimmt. Man erhält so 2) Man sieht hieraus, dass, wenn n grösser als 1 ist, wie dies beim Uebergang des Lichtes aus einem dünneren in ein dichteres Medium stattfindet, die hintere Brennweite grösser als die vordere sein muss. Sind die Werthe von r und n nicht bekannt, dafür aber die beiden Brennweiten, so kann man f 1 und f 2 auch in den letzteren ausdrücken. Man findet so, wenn f 2 bekannt ist, f 1 aus folgender Gleichung: 3) , Ebenso erhält man f 2 , wenn f 1 gegeben ist: 4) . Von dem Lichte. Sind auf diese Weise f 1 und f 2 bestimmt, so lässt sich die Grösse des Bildes, das irgend einem Gegenstande entspricht, leicht finden. Be- zeichnet nämlich β 1 den Gegenstand und β 2 sein Bild, so verhält sich, wie man aus Fig. 100 ersieht, β 1 : β 2 = f 1 + r : f 2 — r, und daraus ergiebt sich 5) . Die oben gegebene Fundamentalformel lässt sich auf folgende Weise ableiten. In den Dreiecken a m r und r m c (Fig. 100) verhalten sich die Seiten a r und r c wie die Sinus der gegenüber liegenden Winkel, demnach a r : r c = sin. (180— α ) : sin. β = sin. α : sin. β . Ferner verhalten sich die Inhalte dieser beiden Dreiecke, weil sie gleiche Höhen haben, wie ihre Grundlinien, also, da der Inhalt eines Dreiecks gleich dem halben Product zweier Seiten mal dem Sinus des von ihnen eingeschlossenen Winkels ist, . sin. . sin. β , oder a r : r c = a m. m r. sin. α : m r. m c. sin. β . Nun ist, wenn die Strahlen nahe der Axe auf die Kugelfläche auffallen, a m von a h und m c von h c nicht merklich verschieden. Man kann daher obige Proportion auch schrei- ben a r : r c = a h. h r. sin. α : h r. h c. sin. β oder, da a r = f 1 + r, r c = f 2 — r, a h = f 1 und h c = f 2 ist, . Hieraus folgt die oben gegebene Gleichung 1. Wir haben gesehen, dass, wenn bei c in dem dichteren Medium der leuchtende Punkt läge, sein Bild bei a liegen würde, d. h. dass a und c conjugirte Vereinigungs- punkte sind. Um diesen Fall durch unsere Gleichung auszudrücken muss man natür- lich h c = f 1 und a h = f 2 setzen. Man erhält dann , welche letztere Gleichung sich von der obigen nur dadurch unterscheidet, dass in ihr r negativ gesetzt ist. Man kann also die für die Brechung an einer Convexfläche ge- fundenen Formeln unmittelbar auf die Brechung an einer Concavfläche anwenden, wenn man nur den Krümmungsradius negativ setzt. Ebenso lassen sich die in §. 134 und 135 durch Construction erläuterten Ge- setze der Reflexion an Convex- und Concavflächen mittelst der gefundenen Formeln darstellen. Für den Fall der Reflexion ist nämlich offenbar sin. β = — sin. α , also n = — 1. Unsere Fundamentalgleichung geht nun in folgende Form über: . In dieser Formel muss man wieder, wenn es sich um die Reflexion an Convexspiegeln handelt, r positiv, bei der Reflexion an Concavspiegeln dagegen r negativ setzen. Ist z. B. f 1 = ∞, d. h. liegt der leuchtende Gegenstand in unendlicher Ferne, so wird F 2 (die Brennweite) beim Convexspiegel , beim Concavspiegel . Die Brennweite ist also gleich dem halben Radius, und der Vereinigungspunkt liegt Lichtbrechung durch Linsen. in beiden Fällen auf der Seite der Krümmung, also im ersten Fall hinter dem Spie- gel (das Bild wird virtuell), im zweiten Fall vor dem Spiegel (das Bild wird reell). Die hier gegebene Bestimmung der Brennweite ergänzt die in §. 136 ausgeführte Be- rechnung der Vereinigungsweite und Bildgrösse sphärischer Spiegel. Wenn die eine Kugelfläche treffenden Strahlen nicht alle nahe 148 Sphärische Aberration bei der Brechung. der Axe einfallen, so wird das parallele oder von einem Punkte aus- gehende Licht nicht wieder in einem einzigen Punkte vereinigt, son- dern die peripherischen Ringe des Strahlenbüschels haben ihre Verei- nigungspunkte, gerade so wie bei der Reflexion an gekrümmten Flä- chen (s. Fig. 88, §. 137), näher bei der Trennungsfläche als die Axen- strahlen. Die sämmtlichen in der Ebene A B C D (Fig. 101) ein- Fig. 101. fallenden Strahlen vereinigen sich so in einer gekrümmten Linie gfgh , welche man als caustische Linie bezeichnet. Man erhält die hinter einander gelegenen Punkte dieser Linie, indem man für jeden auffallenden Strahl aus der Gleichung = n den Winkel β des gebrochenen Strahls bestimmt. Die Punkte, in welchen sich so die Strahlen eines cylindrischen Lichtbüschels, von dem A B C D der senkrechte Durschnitt ist, vereinigen, bilden eine gekrümmte Kegel- oberfläche, zu welcher g f g h ebenfalls der senkrechte Durchschnitt ist. Wir verfolgen die Erscheinungen, die durch ein stark seitliches Auffallen der Strahlen auf die brechende Fläche verursacht sind, hier nicht ausführlicher, da in den meisten Fällen, wo die Lichtbrechung an sphärischen Flächen zu optischen Zwecken Anwendung findet, nur nahe der Axe auffallende Strahlen benützt werden, so dass wirklich eine punktförmige Vereinigung derselben angenommen werden kann. Siebentes Capitel . Lichtbrechung durch Linsen. Der Gang der Lichtstrahlen wird verwickelter, wenn die Strahlen, 149 Formen der Linse. Allge- meine Erschei- nungen der Lichtbrechung in Linsen. nicht bloss aus einem Medium in ein zweites durch eine kugelförmige Von dem Lichte. Fläche gebrochen werden, sondern wenn sie mehrere Medien, die sämmtlich durch kugelförmige Flächen getrennt sind, durchwandern. Wir wollen, um auch hier die Betrachtung auf die einfachsten und practisch wichtigen Fälle zu beschränken, voraussetzen, die Mittel- punkte der sämmtlichen hinter einander gelegenen Kugeln befänden sich in einer einzigen Linie. Ein solches System mit gemeinsamer Axe bezeichnet man als ein centrirtes System kugelförmiger Flächen . Der einfachste Fall, der sich uns hier darbietet, ist jener, wo das Licht durch zwei gekrümmte Flächen gebrochen wird, die ein dichteres von einem dünneren Medium trennen. Dieser Fall ist bei den sogenannten Linsen verwirklicht. Die Linsen sind Gläser, welche durch zwei einander gegenüberstehende sphärische Flächen begrenzt sind, deren Krümmungsmittelpunkte auf einer gemeinsamen Axe, der optischen Axe der Linse, liegen. Durch die verschiedene Combi- nation convexer und concaver Flächen erhält man vier Arten von Linsen, denen man noch zwei, bei welchen nur die eine Fläche ge- krümmt, die andere aber eben ist, hinzufügt. Die hiernach sich er- gebenden sechs Arten sphärischer Linsen sind folgende: 1) Die biconvexe Linse (Fig. 102 A); gewöhnlich haben ihre Fig. 102. beiden Oberflächen eine gleiche, zuweilen aber auch eine ungleiche Krümmung; 2) die planconvexe Linse (B); 3) die concavconvexe Linse (oder der convergirende Meniscus , C), deren concave Fläche einen grösseren Radius besitzt als die gewölbte; 4) die biconcave Linse (D); hier können wieder die beiden Flächen eine gleiche oder eine ungleiche Krümmung besitzen; 5) die planconcave Linse (E); 6) die convexconcave Linse (oder der divergirende Me- niscus , F), deren gewölbte Oberfläche einen grösseren Radius be- sitzt als die concave. Die drei ersten dieser Linsen bezeichnet man, weil sie die Licht- strahlen convergenter machen, als Sammellinsen ; die drei letz- Lichtbrechung durch Linsen. ten, weil sie die Strahlen divergenter machen, als Zerstreuungs- linsen . Die Brechung, die das Licht in jeder dieser Linsenformen er- fährt, ergiebt sich unmittelbar aus den bisherigen Betrachtungen. Verfolgen wir z. B. einen Strahl a b (Fig. 103), der auf die Fig. 103. biconvexe Sammellinse A auftrifft, so finden wir, dass derselbe an der ersten Fläche gegen das Einfallsloth, also nach b c, gebrochen, an der zweiten Fläche, wo er wieder aus dem dichteren in das dün- nere Medium übergeht, von dem Einfallsloth weg, nach c d gebrochen wird. Da die Krümmung der zweiten Fläche derjenigen der ersten entgegengesetzt gerichtet ist und also auch das Einfallsloth die ent- gegengesetzte Richtung hat, so werden die Strahlen, nachdem sie durch die erste Brechung schon convergenter geworden sind, durch die zweite Brechung noch convergenter gemacht. Eine biconvexe Linse sammelt also das Licht weit stärker als eine einzige convexe Oberfläche von gleicher Krümmung. Bei der biconcaven Linse B ver- hält es sich in umgekehrter Richtung ebenso. Nachdem der Strahl a b durch die Brechung an der ersten Fläche die Richtung b c an- genommen hat, erhält er durch die Brechung an der zweiten Fläche die Richtung c d. Der Vereinigungspunkt e der von a ausgehenden Strahlen ist hier ein virtueller , er liegt vor der Linse. Die Wir- kung, welche die übrigen Linsenformen ausüben, kann man hiernach leicht durch Construction entwickeln. Man nennt bei der Linse ebenso wie bei der einzelnen brechenden Fläche denjenigen Punkt f (Fig. 103) den Brennpunkt , nach welchem die auf die Linse fallenden paral- lelen Strahlen x' x nach der Brechung convergiren. Der Brennpunkt der Sammellinsen ist hiernach ein reeller, der Brennpunkt der Zer- streuungslinsen ein virtueller. Auch hier unterscheidet man wieder einen vorderen und einen hinteren Brennpunkt. Beide sind aber in diesem Fall gleich weit von den ihnen zugekehrten Linsenflächen entfernt, die beiden Brennweiten sind also einander gleich. Wie wir einen Strahl verfolgt haben, so lässt sich der Weg vieler von einem leuchtenden Punkte ausgehender Strahlen verfolgen: ähnlich wie bei der Brechung an einer einzigen gekrümmten Fläche (§. 146, Fig. 100) convergiren alle von einem Punkte ausgehenden Von dem Lichte. Strahlen nach der Brechung wieder nach einem reellen oder virtuellen Vereinigungspunkte. Von einem Gegenstande a b (Fig. 104 u. 105) entsteht daher je nach seiner Entfernung von der Linse ein verklei- nertes oder vergrössertes Bild. Befindet sich a b in grosser Entfer- nung von der Convexlinse (Fig. 104 A), so entsteht auf der andern Fig. 104. Seite derselben jenseits des Brennpunktes f ein umgekehrtes ver- kleinertes Bild a' b'. In je grössere Ferne der Gegenstand rückt, um so mehr nähert sich sein Bild dem Brennpunkte, und wenn sich der erstere in unendlicher Ferne befindet, so fällt sein Bild in den Brennpunkt. Ist dagegen a' b' das Object, so ist a b sein Bild: von einem Gegenstand, der sich nahe dem Brennpunkt befindet, entsteht also auf der andern Seite der Sammellinse ein umgekehrtes vergrös- sertes Bild. Bringt man den Gegenstand a b (Fig. 104 B) zwischen die Linse und den Brennpunkt, so bleiben die Strahlen nach der Bre- chung divergent, aber sie schneiden sich in weiter rückwärts gelege- nen Punkten: es entsteht ein virtuelles aufrechtes Bild a' b' von dem Gegenstande a b. Die Zerstreuungslinse (Fig. 105) kann nie andere Fig. 105. als virtuelle und aufrechte Bilder ent- werfen. Befindet sich das Object a b weiter als die Brennweite beträgt, so entsteht diesseits des Brennpunktes ein virtuelles, aufrechtes und ver- kleinertes Bild a' b'. Ist a' b' das Object, ist dieses also näher bei der Linse als der Brennpunkt, so ist a b das virtuelle, aufrechte und ver- grösserte Bild. 150 Gang der Licht- strahlen durch Linsen. Die Knotenpunkte. Durch jede Linse tritt derjenige Strahl ungebrochen, der mit der optischen Axe zusammenfällt. Dagegen gehen Strahlen, die einen der Krümmungsmittelpunkte der Flächen A und B (Fig. 106), den Punkt r oder den Punkt r', durchschneiden, keineswegs ohne eine Ab- lenkung zu erfahren durch die Linse. Denn der Strahl r m würde zwar durch die Fläche B ungebrochen gehen, aber er wird an der Fläche A abgelenkt, umgekehrt würde der Strahl r' n A ungebrochen durchdringen, aber er erfährt an B eine Ablenkung. Während also Lichtbrechung durch Linsen. Fig. 106. bei der Brechung an einer gekrümmten Fläche alle nach dem Krümmungsmit- telpunkt gerichteten Strah- len ungebrochen blieben, haben die Krümmungsmit- telpunkte, sobald es sich um die Brechung an meh- reren Flächen handelt, diese Bedeutung nicht mehr. Trotz- dem giebt es auch hier ei- nen Punkt, dem eine ähn- liche Bedeutung zukommt. Jedem Element der Fläche A wird näm- lich irgend ein Element der Fläche B parallel sein. So sind z. B. an der von gleich gekrümmten Flächen begrenzten Linse (Fig. 106) a und b, c und d solche parallele Flächenelemente. Unter allen Strahlen, welche auf das Flächenelement a auffallen können, muss es nun einen bestimmten Strahl a' a geben, der so innerhalb der Linse gebrochen wird, dass er die zweite Fläche B an dem Flächen- elemente b verlässt. Da nun aber a und b parallel sind, so wird dieser Strahl bei seinem Austritt aus der Linse dergestalt gebrochen werden müssen, dass er seiner ursprünglichen Richtung a' a wieder parallel wird: denn die Punkte a und b verhalten sich wie Elemente einer planparallelen Glasplatte, und durch die Brechung in einer sol- chen wird ein Strahl nur seiner ursprünglichen Richtung parallel ver- schoben (§. 142). So ist also b b' die Richtung des Strahls a' a, d d' die Richtung des Strahls c' c nach der Brechung. Innerhalb der Linse hat der erstere Strahl die Richtung a b, der letztere die Richtung c d. Sind, wie in der Fig. 106, die Flächen A und B von gleicher Krümmung, so durchschneiden diese und alle andern ähn- lichen Strahlen die Axe r r' in ihrer Mitte. Wäre einer der Radien, z. B. r' n, grösser, so würde das einem Element b der zweiten Fläche parallele Element a weiter als b von der Axe r r' entfernt, also z. B. in c, liegen: der Durchschnittspunkt einer Linie c b mit der Axe würde sich aber näher bei B befinden, und zwar würden sich die Ent- fernungen dieses Punktes von den parallelen Elementen offenbar ver- halten wie die Krümmungsradien beider Flächen. Man nennt den so bestimmten Punkt o, der parallele Flächenelemente verbindet, den optischen Mittelpunkt der Linse. Ein Strahl, welcher nach der Brechung an der ersten Linsenfläche gegen den optischen Mittelpunkt o gerichtet ist, hat nun sichtlich für die Linse die Bedeutung eines Richtungsstrahls , da er unter allen von einem leuchtenden Punkt ausgehenden Strahlen derjenige ist, welcher das Minimum der Ab- lenkung erfährt. Je näher der leuchtende Punkt bei der Axe liegt, Wundt , medicin. Physik. 15 Von dem Lichte. um so geringer ist die parallele Verschiebung, welche dieser Strahl erleidet: so fällt der Weg des Strahles a a' nahezu mit einer unge- brochenen Geraden a″ b″ zusammen, welche man direct durch den optischen Mittelpunkt zieht, während der Weg c' c schon erheblich von der durch o gezogenen Geraden c″ d″ abweicht. Verlängert man die von verschiedenen Punkten ausgehenden Richtungsstrahlen a' a, c' c sowohl vor als nach der Brechung, bis sie die Axe r r' schnei- den, so findet man, dass sämmtliche Richtungsstrahlen vor der Bre- chung die Axe im Punkte h', nach der Brechung im Punkte h″ treffen. Diese Punkte h' und h″ nennt man die Knotenpunkte , und zwar den ersten den vordern , den zweiten den hintern Kno- tenpunkt. Jeder Strahl, der vor der Brechung nach dem ersten Kno- tenpunkt h' gerichtet ist, geht nach geschehener Brechung, wenn man ihn sich rückwärts verlängert denkt, durch den zweiten Knotenpunkt h″. Die durch die Knotenpunkte gezogene gebrochene Linie hat da- her für seitlich von der Axe gelegene Punkte dieselbe Bedeutung, die für den auf der Axe gelegenen Punkt die Axe selbst hat: das Bild des leuchtenden Punktes liegt stets auf dieser Linie; um den Ort des Bildes zu erhalten, braucht man daher nur denjenigen Ort zu suchen, in welchem irgend ein anderer vom selben leuchtenden Punkt ausgehender Strahl jene Linie schneidet. Bei einer einfachen Linse ist es, da gewöhnlich nur die nahe der Axe durchtretenden Strahlen in Betracht kommen, in der Regel genügend die Knotenpunkte in dem optischen Mittelpunkt vereinigt zu denken und hiernach der gebroche- nen Richtungslinie a' a b b' die ungebrochene a″ b″ zu substituiren. 151 Hauptpunkte. Vereinigungs- weite und Bild- grösse. Die Beziehung des optischen Mittelpunktes o zu den Punkten h' und h″ lässt sich noch von einem andern Gesichtspunkte aus betrach- ten. Denkt man sich nämlich, nicht a' oder b', sondern o selbst sei der leuchtende Punkt, so werden die von o ausgehenden Strahlen o a und o b, o c und o d ausserhalb der Linse die Richtungen a a', b b' und c c', d d' annehmen, so als wenn sie von zwei leuchtenden Punk- ten h' und h″ herkämen: die Punkte h' und h″ sind die virtuellen Bilder des optischen Mittelpunkts. Einem vor der Fläche A befind- lichen Auge scheint der optische Mittelpunkt in h', einem vor der Fläche B befindlichen Auge scheint derselbe in h″ zu liegen. Es wird also überhaupt jedes Bild, welches dem vor A befindlichen Auge in h' liegt, einem vor B befindlichen Auge in h″ zu liegen scheinen, d. h. h' ist das Bild des Bildes h″, und h″ ist das Bild des Bildes h'. Errichtet man auf h' und h″ (Fig. 107) die senkrechten Ebenen H' und H″, so verhalten sich je zwei gegenüberliegende Punkte p' und p″ dieser Ebenen gerade so wie die Punkte h' und h″. Ein in p' liegendes Bild scheint dem bei y befindlichen Auge in p″, ein bei p″ befindliches Bild scheint dem bei x befindlichen Auge in p' zu liegen, Lichtbrechung durch Linsen. Fig. 107. und so ist überhaupt die ganze Ebene H″ ein Bild von H' und ebenso H' ein Bild von H″. Man nennt die in h' und h″ senkrecht zur Axe x y errichteten Ebenen die Hauptebenen , H' die vordere , H″ die hintere Hauptebene , und die Punkte h' und h″ nennt man, insofern sie die Punkte dieser Hauptebenen sind, welche der optischen Axe zugehören, die beiden Hauptpunkte , h' den vordern , h″ den hintern Hauptpunkt . Wir werden sehen, dass die doppelte Be- zeichnung dieser Punkte als Knotenpunkte und als Hauptpunkte darin ihre Berechtigung findet, dass bei zusammengesetzteren optischen Sy- stemen die Knotenpunkte mit den Hauptpunkten nicht zusammen- fallen. Bei der Brechung an einer einzigen kugelförmigen Fläche existirt offenbar nur ein einziger Hauptpunkt, der in diesem Fall mit dem Scheitelpunkt der Fläche zusammen- fällt (h Fig. 100). Bei der Reflexion an einer kugelförmigen Fläche entspricht die- sem Hauptpunkt der Mittelpunkt (r Fig. 87), denn hier fallen nur im Mittelpunkt Object und Bild zusammen. Was die verschiedenen Linsenformen betrifft, so ist leicht ersichtlich, dass bei der biconcaven Linse die beiden Haupt- oder Knotenpunkte die- selbe Lage besitzen wie bei der biconvexen. Bei der planconvexen und planconcaven Linse wird der eine Radius gleich unendlich, und fällt desshalb der eine Hauptpunkt in den Scheitel der gekrümmten Fläche. Bei concav-convexen und convex-concaven Linsen liegen die Hauptpunkte ausserhalb der Linse, und zwar bei der concav-conve- xen Form mit positiver Brennweite auf der Seite der stärker gekrümmten convexen Oberfläche, bei der convex-concaven Form mit negativer Brennweite auf der Seite der stärker gekrümmten concaven Oberfläche. Um nun den Punkt zu finden, in welchem die von irgend einem Punkte b (Fig. 107) ausgehenden Lichtstrahlen sich vereinigen, bie- ten die obigen Erörterungen folgende Methode dar: Man zieht von b aus eine der Axe parallele Linie bis zum Punkte p' der vordern Hauptebene. Nun ist der Punkt p″ der hintern Hauptebene das Bild des Punktes p'. Ein Strahl, der vor der Brechung nach p' gerichtet ist, muss also nach der Brechung durch p″ gehen. Ausserdem muss der Strahl b p', weil er parallel der Axe ist, nach der Brechung 15 * Von dem Lichte. durch den Brennpunkt f gehen. So erhält man den gebrochenen Strahl p″ d; nimmt man hierzu den Richtungsstrahl b h' h″ d, so ist der Durchschnittspunkt d beider Strahlen der gesuchte Vereinigungspunkt. Diese Construction vereinfacht sich, wenn man Hauptpunkte und Hauptebenen zusammenfallen lässt und annimmt, die Linse sei von ver- schwindender Dicke. Nennt man unter dieser Voraussetzung f 1 die Entfernung des leuchtenden Punktes und f 2 die Entfernung seines Bildpunktes von der Linse, r 1 den Radius der vordern und r 2 denje- nigen der hintern Linsenfläche, so ist 1) , eine Formel, die vollständig der früher (§. 147) für eine einzige bre- chende Fläche abgeleiteten entspricht. Die Lage des Brennpunktes erhält man hieraus, wenn man f 1 = ∞, also = o setzt; dann findet man die Brennweite F aus der Gleichung 2) . Man sieht, dass dieser Werth der gleiche bleibt, wenn man f 2 = ∞ setzt; vorderer oder hinterer Brennpunkt sind also gleich weit ent- fernt. Ist statt des Radius r und des Brechungsindex n die Brenn- weite F gegeben so kann man daher f 2 auch aus der Formel 3) finden. Endlich das Verhältniss der Grösse des Bildes β 2 zum Ge- genstand β 1 erhält man aus der Proportion 4) . 152 Anwendung auf die verschiede- nen Linsenfor- men. Ableitung der Haupt- gleichung. Man benützt in der Regel die Brennweite F, um für gegebene Werthe von f 1 und β 1 die zugehörigen Werthe für f 2 und für β 2 zu bestimmen. Die Brennweite F ist aber von r 1 und r 2 in der durch die Gleichung 2) bestimmten Weise abhängig. Für biconvexe Linsen ist r 1 positiv und r 2 , weil nach der entgegengesetzten Seite ge- krümmt, negativ. Hier wird demnach: 2a) . Für planconvexe Linsen ist r 2 = ∞, also: 2b) . Für concav-convexe Linsen sind r 1 und r 2 positiv und r 2 \> r 1 , man hat daher: 2c) , wobei die in der zweiten Klammer stehende Differenz einen positiven Werth behält. Die biconcave Linse ist das Umgekehrte der biconvexen, hier ist also r 1 nega- tiv und r 2 positiv, demnach: Lichtbrechung durch Linsen. 2d) , d. h. die biconcave Linse hat dieselbe Brennweite wie die biconvexe von gleichen Krümmungsradien, aber diese Brennweite ist negativ. Für die planconcave Linse wird r 2 = ∞, somit 2e) . Endlich für die convex-concave Linse sind r 1 und r 2 negativ und r 2 \> r 1 , daher: 2f) . Die drei ersten Linsenformen haben somit positive, die drei letzten negative Brennweite, und in Bezug auf die Grösse der Brennweite correspondiren einander a und d, b und e, c und f. Natürlich gilt dies aber nur, so lange n \> 1, d. h. die Linsensubstanz stärker brechend als das umgebende Medium ist. Würde umgekehrt n \< 1, so wären die Linsen der ersten Art Zerstreuungslinsen und diejenigen der zweiten Art Sammellinsen. Die oben aufgestellte Gleichung , welche für den Fall zutrifft, dass der Durchmesser der Linse vernachlässigt werden kann, lässt sich leicht aus der früher (§. 147) für die Brechung an einer Fläche aufgestellten Gleichung ableiten. Erwägt man nämlich, dass der von a (Fig. 108) ausgehende Strahl a b an der ersten Linsenfläche so ge- Fig. 108. brochen wird, dass er die Richtung b e einschlägt, so kann man die nach b c hin erfolgende Brechung an der zweiten Fläche als eine solche betrachten, die ein Strahl erfährt, dessen virtueller Ausgangspunkt in e liegt. Bezeichnen wir die Entfernung e h dieses Punktes von der Linse mit fo, so müssen wir dieses fo, weil es einem virtuellen Punkte entspricht (einem leuchtenden Punkt, der hinter der brechenden Fläche liegt) negativ setzen; ferner müssen wir, weil beim Austritt aus der Linse das Licht aus dem dichteren in das dünnere Medium kommt, das Brechungs- verhältniss n in verwandeln. Man erhält dann für die Brechung an der zweiten Linsenfläche folgende Gleichung — + = , worin r 2 den Krüm- mungsradius der zweiten Linsenfläche und f 2 die Entfernung des Punktes c, in wel- chem das Licht sich nach der Brechung an dieser zweiten Fläche sammelt, bezeichnet. Nun gilt aber für die Brechung an der ersten Fläche die Gleichung + = , worin f 1 die Entfernung des leuchtenden Punktes und r 1 den Krümmungs- Von dem Lichte. radius der ersten Fläche bedeutet. Daraus folgt = — . Führt man diesen Werth für in die obige Gleichung ein, so gewinnt man: . Da wir oben eine Methode angegeben haben, die mittelst der Haupt- oder Kno- tenpunkte und der Hauptebenen den Gang des Lichts bei seiner Brechung durch eine Linse genauer verfolgen lässt als es die bei den bisherigen Entwickelungen gemachte Voraussetzung eines Zusammenfallens der Hauptpunkte mit einander und mit den bei- den Linsenscheiteln gestattet, so wollen wir auch die zusammengesetzteren Gleichun- gen hierhersetzen, die erhalten werden, wenn man jene vereinfachenden Annahmen aufgiebt. Für die Brennweite F der Linse erhält man, wenn mit d die Linsendicke bezeichnet wird, folgende Gleichung: 1) . Nennt man h 1 und h 2 die Entfernungen der Hauptpunkte von den ihnen zunächst liegenden Linsenflächen, so ist 2) , 3) . Die Entfernung h der beiden Hauptpunkte von einander ist natürlich h = d — (h 1 + h 2 ). Die Entfernung f 2 in welcher sich das Bild eines leuchtenden Punktes vom zweiten Hauptpunkt befindet, erhält man dann schliesslich, wenn f 1 die Entfernung des leuchtenden Punktes vom ersten Hauptpunkt ist, aus der Gleichung: 4) . Die Gleichungen 1 und 4 gehen unmittelbar in die früher für F und f 2 gefun- denen Werthe über, wenn man d = o setzt. Die Benützung dieser Gleichungen in Fällen, in denen man sich ihrer zu bedienen wünscht, bedarf keiner Erläuterung. Ihre Ableitung würde uns aber über die Grenzen der Darstellung hinausführen, die wir uns gesteckt haben. Wir verweisen auf Gauss , dioptrische Untersuchungen, Göttin- gen 1841, und auf Helmholtz , physiologische Optik, Leipzig 1867, §. 9. 153 Sphärische Aberration bei Linsen. Die entwickelten Gesetze gelten, wie schon angegeben wurde, in voller Strenge nur für solche Strahlen, welche nahe der Axe auf die erste Linsenfläche auffallen. Findet diese Voraussetzung nicht mehr statt, so werden durch eine Linse, ebenso wie durch eine ein- zige Kugelfläche (Fig. 101), die Rand- und Centralstrahlen nicht mehr in einem einzigen Punkte vereinigt. Es entwirft dann also die Linse auch von irgend einem leuchtenden Punkt kein scharfes punktförmiges Bild mehr, sondern in dem ganzen Raum g f g h (Fig. 101), in wel- chem die aufeinander folgenden Sammelpunkte enthalten sind, wird statt eines Punktes ein kleiner leuchtender Kreis gesehen. Diese sphärische Abweichung ist um so grösser, ein je grösserer Theil der Linsenoberfläche von den Strahlen getroffen wird, und je kleiner der Krümmungsradius der Linse ist, weil im letzteren Fall die Winkel, Lichtbrechung durch Linsen. welche die Randstrahlen mit den Einfallslothen bilden, grösser werden. Wo man sich zu optischen Zwecken der Linse bedient, ist es natür- lich das Streben die Grösse der sphärischen Abweichung möglichst zu verkleinern. Das geeignetste Mittel hierzu wäre dieses, dass man der Oberfläche der Linse keine sphärische Krümmung ertheilte, son- dern eine solche, bei welcher der Scheitel einen stärkeren Krümmungs- radius besässe als die Randtbeile. Eine elliptische oder parabolische Krümmung würde dies leisten. Bei einer solchen nämlich (s. die punktirte Linie in Fig. 109) würden offenbar die Centralstrahlen nahe- Fig. 109. hin ebenso grosse Winkel mit den Einfallslothen bilden wie die Rand- strahlen, und es würden sich also alle Strahlen in dem Punkte c ver- einigen können, während, wenn die zwei Linsenflächen kugelförmig gekrümmt sind, die Randstrahlen sich schon in d vereinigen. Die Schleifung elliptischer und parabolischer Flächen bietet aber bis jetzt so grosse Schwierigkeiten, dass dieselben noch nicht in Anwendung gekommen sind. Die sphärische Aberration ist ausserdem von dem Brechungs- vermögen der Substanz der Linse abhängig, und zwar wird sie offen- bar um so kleiner werden, je grösser das Brechungsvermögen dieser Substanz ist. Denn denken wir uns, eine Substanz wäre so stark brechend, dass für alle Strahlen der Brechungswinkel β null würde, dass also der gebrochene Strahl mit dem Einfallsloth zusammenfiele, so würden sich, wenn solches schon für die Centralstrahlen einträte, auch die Randstrahlen mit diesen im selben Punkt vereinigen, es wür- den dann alle gebrochenen Strahlen nach dem Krümmungsmittelpunkt gerichtet sein. Nun kann diese Grenze freilich niemals erreicht wer- den, denn es kann in dem Verhältniss der Winkel β nie gleich null werden, weil sonst n unendlich gross würde. Aber das Verhältniss kann sich dieser idealen Grenze mehr oder weniger an- nähern, und es ist klar, dass, je mehr es sich ihr annähert, um so kleiner die Länge c d (Fig. 109) der sphärischen Aberration wird. Darum ist bei einer Flintglaslinse die Aberration kleiner als bei einer Von dem Lichte. Kronglaslinse, und bei einer Diamantlinse wäre sie noch sehr viel kleiner. Das gewöhnlich gebrauchte Mittel zur Verminderung der Aber- ration besteht darin, dass man vor der Linse einen Schirm (S S Fig. 109) anbringt, der in der Mitte eine Oeffnung besitzt, welche gerade zureicht, um nur die Centralstrahlen durchzulassen. Indem aber durch eine solche sogenannte Blendung die Randstrahlen abgehalten wer- den, muss sich die Intensität des Lichtes in den Sammelpunkten hin- ter der Linse in gleichem Maasse vermindern. Hätten sich alle auf die vordere Linsenfläche auffallenden Strahlen im Punkte c vereinigt, so würde eine Blendung, welche die Hälfte der Linsenoberfläche be- deckt, auch nur noch die halbe Lichtintensität im Punkte c erzeugen. Eine Linse, bei der man wegen der Kleinheit der sphärischen Abwei- chung keine oder nur eine geringe Blendung braucht, hat also den Vortheil der grösseren Lichtstärke der Bilder, die sie entwirft, und zwar verhält sich diese Lichtstärke, vorausgesetzt dass die sphärische Aberration null ist, wie der Flächeninhalt (oder das Quadrat des Durchmessers) der beleuchteten Oberfläche. Um bei gegebener Brennweite eine möglichst geringe sphärische Abweichung zu erhalten, ist es zweckmässig Linsen anzuwenden, deren beide Oberflächen eine ver- schiedene Krümmung besitzen. Giebt man z. B. bei einer Biconvexlinse der Fläche Fig. 110. A, auf welche das Licht auffällt, einen grös- sern Krümmungsradius als der Flüche B, durch welche das Licht die Linse wieder verlässt (Fig. 110), so besitzt die Fläche A für sich eine sehr kleine sphärische Abweichung, die durch sie gebrochenen Strahlen fallen dann aber schon auf centralere Theile der stärker gekrümmten Fläche B, so dass auch hier die Abweichung hinreichend klein bleibt. Solche Linsen mit verschiedener Krümmung der Flä- chen finden namentlich bei einfachen und zusammengesetzten Mikroskopen eine An- wendung. 154 Brechung durch Linsensysteme. Die für die Brechung in einer Linse aufgefundenen Gesetze können leicht auf die Brechung in mehreren hinter einander liegenden Linsen mit gemeinsamer Axe, auf ein centrirtes System , ausge- dehnt werden. Sind die Brennweiten der einzelnen Linsen, welche ein solches System zusammensetzen, nach einander gleich F 1 , F 2 , F 3 . . . ., so steht die Brennweite F des Systems zu diesen Einzel- brennweiten in folgender Beziehung: . . . Der reciproke Werth der Brennweite des Systems ist gleich der Summe der reciproken Werthe der Brennweiten der einzelnen Linsen. Lichtbrechung durch Linsen. Es ergiebt sich dies aus folgender Betrachtung. In derselben Weise, wie wir schon bei einer Linse das durch die erste Fläche erzeugte Bild als Object für die zweite Fläche betrachteten (Fig. 108), können wir jetzt auch das durch die erste Linse erzeugte Bild als Object für die zweite Linse ansehen, u. s. f. Nun steht die Ent- fernung f 2 des von einer Linse entworfenen Bildes zum Brennpunkt F 0 derselben und zur Entfernung f 1 des Objectes nach Gleichung 3, §. 151 in dem Verhältniss = — . Haben wir nun die Brennweite eines Systems aus zwei Linsen zu suchen, so ist demnach in dieser Gleichung statt der Distanz f 1 die Brennweite der ersten Linse zu setzen, diese ist aber = — F 1 zu nehmen, weil sie hinter der Linse liegt. Ferner bedeutet dann F 0 die Brennweite F 2 der zweiten Linse, und aus f 2 wird die Brennweite F des Systems gefunden. So erhält man also für ein System aus zwei Linsen , und diese Betrachtung kann in ähnlicher Weise über beliebig viele Linsen ausgedehnt werden. Dabei ist jedoch angenommen, dass die Linsen, die zu einem System combinirt sind, sich dicht berühren. Wäre dies nicht der Fall, so müsste man die Entfernung der Hauptpunkte der einzelnen Linsen von einander in Rücksicht ziehen. Wir gehen hierauf nicht näher ein, weil im Allgemei- nen, wo es sich um die practische Anwendung von Linsensystemen handelt, die obige Betrachtung genügt. Aus dieser einfachen Beziehung der Brennweite eines Systems zu den Brennweiten seiner einzelnen Linsen erkennt man, dass z. B., wenn man zwei Linsen zusammenfügt, deren jede eine Brennweite = 1 hat, die ganze Brennweite = ½ ist; hat man drei Linsen von der gleichen Brennweite, so ist die ganze Brennweite = ⅓ u. s. f. Man kann desshalb statt einer starken Linse immer auch ein System mehrerer schwächerer Linsen anwenden, und man hat dabei den Vor- theil, dass die sphärische Aberration wegen der schwächeren Krüm- mung der einzelnen brechenden Flächen viel kleiner ist. Man benützt die reciproken Werthe der Brennweiten, da sie in der angegebenen Weise leicht die Berechnung der Brennweite irgend eines Systems aus den Brennweiten seiner Bestandtheile gestatten, als Maass für die Stärke sowohl von Einzellinsen als von Linsen- systemen. Dies hat ausserdem auch darin seine Berechtigung, dass die brechende Kraft einer Linse in dem Maass zunimmt, als ihre Brennweite sich verkleinert. Will man also die Stärke zweier Linsen oder Linsensysteme numerisch mit einander vergleichen, so vergleicht man die Werthe des für beide bestimmten Quotienten . Hat man z. B. die Brennweite einer Linse A = 2, die einer Linse B = 4 ge- funden, so verhält sich die Stärke von A zu derjenigen von B wie ½ : ¼. Wir werden später sehen, dass man dieses Maassprincip für dioptrische Vorrichtungen jeder Art, insbesondere aber für das menschliche Auge, welches nichts anderes als eine zusammengesetzte dioptrische Vorrichtung ist, mit Nutzen verwendet. (S. §. 181.) Von dem Lichte. 155 Optische An- wendungen der Linsen. Camera obscura. Brillen- gläser. Die Linsen und die Linsensysteme finden hauptsächlich optische Anwendungen: 1) zur Beleuchtung von Gegenständen und 2) zur Ent- werfung reeller oder virtueller Bilder der Objecte. Um Gegenstände zu beleuchten gebraucht man Sammellinsen von ziemlich grosser Brenn- weite, das Object bringt man in den Brennpunkt oder nahe demsel- ben. Zur Entwerfung reeller Bilder dient gleichfalls die Sammel- linse in ihren verschiedenen Formen. Nach §. 149 kann man mit derselben je nach der Entfernung, in welche man das Object bringt, verkleinerte oder vergrösserte umgekehrte Bilder entwerfen. Ein In- strument, das zur Entwerfung verkleinerter Bilder entfernter Gegen- stände dient, ist die Camera obscura (Fig. 111). Dieselbe besteht Fig. 111. aus einem innen geschwärzten Kasten C, an welchem sich vorn eine Röhre R und in dieser eine engere ver- schiebbare Röhre r mit der Sammel- linse b befindet. Man richtet nun die Röhre R so, dass die von einem fer- nen Gegenstand kommenden Lichtstrah- len auf die Linse fallen, und verschiebt dann die Röhre r in ihrer Hülse, bis auf der Wand W ein deutliches Bild entsteht: ist diese Wand von Glas, so kann ein hinter derselben befindliches Auge das umgekehrte verklei- nerte Bild des Gegenstandes beobachten. Die Camera obscura ist das einfachste bildentwerfende Instrument. Ihr am nächsten verwandt ist das menschliche Auge, welches sich von ihr hauptsächlich dadurch unterscheidet, dass in ihm das umgekehrte verkleinerte Bild äusserer Objecte nicht durch eine einfache Linse sondern durch ein System brechender Medien entworfen wird. Bei dem Fernrohr wird ein wie in der Camera obscura entworfenes Bild durch eine zweite Sammel- linse betrachtet. Wir werden diese beiden zusammengesetzten Instru- mente sowie das Mikroskop, das sich als eine umgekehrte Camera obscura auffassen lässt, in Cap. 14—16 ausführlicher betrachten. Zur Entwerfung virtueller Bilder bedient man sich sowohl der Convex- wie der Concavgläser. Halten wir vor das Auge eine Linse, die, wie Fig. 104 B und Fig. 105, ein virtuelles Bild von einem Objecte ent- wirft, so hat dies denselben Effect, als wenn wir das Object selbst nach dem Ort des virtuellen Bildes gebracht hätten: eine Convexlinse wirkt daher ebenso, als wenn wir die Gegenstände von unserm Auge entfernten, eine Concavlinse so, als wenn wenn wir sie näher an das- selbe heranbrächten. Der Convexlinse bedient sich daher das fern- sichtige, der Concavlinse das kurzsichtige Auge, um eine normale Seh- weite zu erhalten. Vergl. §. 181 u. f. Von der Zerlegung des zusammengesetzten Lichtes u. der Mischung der Farben. III. Farbenzerstreuung des Lichtes. Achtes Capitel . Von der Zerlegung des zusammengesetzten Lichtes und der Mischung der Farben. Wir haben bisher vorausgesetzt, alles Licht sei von einerlei Be- 156 Zerleguug des Lichtes durch das Prisma. Das Sonnen- spektrum. schaffenheit. Nun zeigt aber die Beobachtung, dass das Licht, wel- ches von Lichtquellen ausstrahlt, meistens Lichtsorten von verschie- dener Brechbarkeit enthält, und dass jede Brechbarkeitsstufe des Lichtes in unserem Auge eine besondere Farbenempfindung hervorbringt. Leitet man (Fig. 112) durch die enge Ladenöffnung o Fig. 112. eines sonst verdunkelten Zimmers vermittelst des in §. 133 erwähnten Heliostaten ein Bündel paralleler Sonnenstrahlen auf das Prisma a b c, dessen brechende Kante nach unten gekehrt ist, so müsste, wenn das eindringende Licht lauter Licht von einerlei Brechbarkeit wäre, etwa bei g ein rundes, weisses Sonnenbild entstehen. Dies ist aber nicht der Fall, sondern statt des runden Bildes bei g erhält man einen ver- ticalen bandartigen Streifen r v, der nicht weiss sondern in seinen einzelnen verticalen Abschnitten verschieden gefärbt ist, indem von unten nach oben die Farben Roth, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indig- blau und Violett auf einander folgen. Dabei gehen diese sieben Far- ben durch Uebergangstöne allmälig in einander über. Den bandarti- gen Streifen r v nennt man das Spektrum des Sonnenlichts. Aus der Erscheinung des Spektrums folgt, dass das weisse Sonnenlicht ebenso viel Licht von verschiedener Brechbarkeit enthält, als aus dem Prisma Strahlen von verschiedener Richtung, wie r' r, v' v u. s. w., austreten. Die brechbarsten Strahlen machen auf uns den Eindruck des violetten Lichtes, die wenigst brechbaren nennen wir roth, und zwischen beiden liegen in der Reihenfolge der abnehmenden Brech- barkeit Indigo, Blau, Grün, Gelb, Orange mit ihren Uebergangstinten. Die Farben, in welche das weisse Licht durch das Prisma zer- legt wurde, lassen sich nicht noch weiter in Lichtarten verschiedener Von dem Lichte. Brechbarkeit auflösen. Bringt man z. B. an dem Schirm S S (Fig. 112), mit welchem man das Spektrum aufhängt, bei r eine kleine Oeffnung an, und lässt man den hindurchtretenden rothen Lichtstrahl noch einmal durch ein Prisma e d f gehen, so wird er durch dasselbe noch einmal gebrochen, aber nicht weiter in Licht verschiedener Brech- barkeit zerlegt. Bewegt man den Schirm in die Höhe, so dass nach einander zuerst das orange, dann das gelbe, grüne u. s. w., zuletzt violette Licht hindurchfällt, so wird auch hier wieder das orangefar- bene Licht stärker als das rothe, das gelbe noch stärker und am meisten das violette Licht abgelenkt, aber keiner dieser farbigen Strahlen kann noch weiter zerlegt werden. Umgekehrt kann man jedoch das Spektrum, welches durch die Dispersion des weissen Lichtes entstanden ist, wieder in weisses Licht sammeln. Der einfachste Weg hierzu besteht darin, dass man das durch die Brechung in Prismen entstandene Spektralbündel durch eine Sammellinse (Fig. 113) treten lässt, die man in einiger Entfer- Fig. 113. nung von der Stelle, wo das Licht aus dem Prisma tritt, anbringt. Befindet sich bei f der Brennpunkt der Sammellinse b, so erhält man statt des Farbenspektrums r v (Fig. 112) auf einem in der Brenn- weite von b befindlichen Schirm einen einzigen weissen Lichtpunkt. Rückt man den Schirm näher gegen die Linse, so erhält man ein zu- sammengedrängtes Spektrum, rückt man ihn über den Brennpunkt hinaus, so erhält man ein umgekehrtes Spektrum. Ebenso lässt sich die durch das Prisma a b c (Fig. 112) bewirkte Farbenzerstreuung dadurch aufheben, dass man das Prisma e d f, welches aus der glei- chen Substanz ist und den gleichen brechenden Winkel, aber die ent- gegengesetzte Lage hat, mit dem ersten Prisma in solche Verbindung bringt, dass die Flächen a b und e d sich dicht berühren. Es wird dann die durch das erste Prisma bewirkte Farbenzerstreuung durch das zweite wieder aufgehoben. Beide Prismen bilden mit einander eine planparallele Glasplatte, und es ist daher bloss das austretende Lichtbüschel gegen das eintretende parallel verschoben. 157 Mischung der Spektralfarben. Wie man das ganze Sonnenspektrum wieder zu weissem Lichte Von der Zerlegung des zusammengesetzten Lichtes u. der Mischung der Farben. sammeln kann, so lassen sich auch einzelne Strahlenbündel dessel- ben combiniren. Man erhält auf diese Weise die verschiedenen Misch- farben . Um durch unmittelbare Mischung willkürlich herausgegriffe- ner Spektralfarben Mischfarben hervorzubringen, kann man sich fol- gender Methoden bedienen. Je zwei Farben des Spektrums lassen sich vereinigen, indem man zwei theilweise sich deckende Spektra entwirft. Bringt man z. B. in dem Laden eines verdunkelten Zimmers zwei Oeffnungen an, durch welche man die Sonnenstrahlen einfallen lässt, und vor jeder Oeffnung ein Prisma, so lassen sich diesen Prismen leicht die geeig- neten Stellungen geben, dass beliebige Theile des einen Spektrums mit beliebigen des andern, oder auch dass beide Spektren in umge- kehrter Reihenfolge der Farben sich decken, so dass also roth und violett, orange und indigo u. s. w. zusammenfallen. Das nämliche lässt sich auch unmittelbar mit einem Prisma erreichen, wenn man der Ladenöffnung die in Fig. 114 B dargestellte Form giebt und die brechende Kante des Prismas vertical stellt, so dass die einzelnen Fig. 114. Farben des Spektrums nicht vertical wie in Fig. 112, sondern hori- zontal neben einander auf den Schirm projicirt werden. Es wird dann von dem Schlitz a b ein Sprektrum r g b v (Fig. 114 A), und von dem Schlitz b c ein Spektrum r' g' b' v' entworfen; in beiden wird durch die Buchstaben r, g, b u. s. w. die Aufeinanderfolge der Farben von Roth bis Violett bezeichnet. Man sieht, dass in den Feldern 1, 3, 5, 7 gleiche Farben beider Spektren zusammenfallen, während in allen andern Theilen der numerirten Deckungsstelle verschiedene Farben sich decken, so z. B. in 2 Violett und Blau, in 4 Violett und Gelb, u. s. w. Bringt man in dem Schirm, auf welchem diese Spek- tra entworfen werden, da wo irgend eine Deckung stattfindet, eine Oeffnung an (ähnlich wie in Fig. 112 bei r), so lässt sich die betref- fende Farbenmischung isolirt beobachten. Eine etwas exactere Methode, die sich auch auf mehr als zwei Spektralfarben ausdehnen lässt, beruht auf folgender Erwägung. Je weiter man sich von dem Ort entfernt, wo die divergirenden Strahlen- Von dem Lichte. büschel des durch Zerlegung eines annähernd linearen Strahls erhal- tenen Spektrums aus dem Prisma austreten, um so mehr verhalten sich dieselben annähernd wie homocentrisches Licht, d. h. um so mehr verschwinden gegen die Entfernung, in der man sich von dem Prisma befindet, die Distanzunterschiede der virtuellen Ausgangspunkte der verschieden brechbaren Strahlen. Daher kommt es, dass, wenn man (wie in Fig. 113 bei b) in grösserer Entfernung eine Sammellinse an- bringt, das Licht aller Spektralfarben annähernd in einem einzigen Punkte gesammelt wird, dem Gesetze gemäss, dass Licht, welches vor der Brechung durch die Linse homocentrisch ist, nach der Brechung homocentrisch bleibt. Bringt man dagegen (Fig. 115) die Linse l Fig. 115. sehr nahe vor das Prisma p, und lässt man auf das letztere durch einen verticalen Spalt in dem Schirm S parallele Strahlen weissen Lichtes fallen, so wird das weisse Licht durch das Prisma in ebenso viele Büschel paralleler Strahlen zerlegt, als es Brechbarkeitsstufen enthält, und da die virtuellen Ausgangspunkte dieser Strahlenbüschel verschieden sind, so müssen dieselben sich auch nach der Brechung in der Linse l in verschiedenen Punkten vereinigen. Befindet sich der Brennpunkt der rothen Strahlen in r, so wird sich derjenige der gelben in g, der blauen in b und der violetten in v befinden. Man erhält so auf dem Schirm S″ übereinanderliegende farbige Punkte von sehr intensivem Farbenton; wir haben in Fig. 115 nur den Verlauf der rothen und violetten Strahlen näher verfolgt. Zwischen der Linse und dem auffangenden Schirm S″ ist es zweckmässig noch einen in der Mitte durchbohrten Schirm S' anzubringen, der die Randstrahlen, welche wegen der sphärischen Abweichung die vollkommene Vereini- gung in einem Punkt stören würden, abhält. Sind nun in dem Schirm S″ an zwei Stellen, an welchen sich solche Brennpunkte befinden, z. B. in v und r, kleine Oeffnungen angebracht, so setzen sich hinter diesem Schirm ein violettes und ein rothes divergirendes Strahlen- bündel fort, während alle übrigen Farben ausgeschlossen bleiben. Bringt man dann eine zweite Sammellinse l', hinter dem Schirm S″ an, so dass die Divergenz der beiden Strahlenbündel angemessen vermindert wird, so kann man auf einem letzten Schirm S‴ eine voll- Von der Zerlegung des zusammengesetzten Lichtes u. der Mischung der Farben. ständige Mischung der violetten und der rothen Strahlen erhalten. Denn jeder der erleuchteten Punkte a, b, c des Schirms erhält gleich- zeitig einen von v und einen von r ausgehenden Strahl. Brächte man etwa bei g noch eine dritte Oeffnung in dem Schirm S″ an, so würde noch das gelbe Licht zu der Mischung des rothen und violetten auf dem Schirme S″ hinzutreten, man würde so die Mischung aus drei Spektralfarben erhalten, liesse man endlich alle Strahlen des Spek- trums r v auf die Linse l' fallen, so würde die letztere, ebenso wie in Fig. 113, die sämmtlichen Farben wieder zu einem weissen Bilde zusammensetzen. Wenn man, statt die aus dem Sonnenlicht isolirten Spektralfar- 158 Mischung der Farbenein- drücke von Pigmenten. ben zu mischen, sich mit der Mischung der schwächeren Farbentöne begnügt, welche farbige Pigmente besitzen, so lassen sich auf viel einfachere Weise zusammengesetzte Farben aus einfacheren herstellen. Die leichteste Methode aus zwei Farben eine Mischfarbe zu bilden ist folgende. Man legt auf einen Tisch zwei farbige Objecte g und b Fig. 116. (Fig. 116), z. B. eine gelbe und eine blaue Oblate. Das Auge o sieht durch ein vertical gehaltenes Glasplättchen p unter einem solchen Winkel, dass die von g aus an der Vorderfläche des Glasplättchens reflectirten und die von b aus durch dasselbe hindurchtretenden Strahlen zusammen- fallen. Es mischt sich also hierbei gelbes und blaues Licht auf derselben Stelle der Netzhaut. Um auf der Netzhaut Lichteindrücke zu mischen ist es aber nicht einmal erforderlich, wie in dem vorigen Versuch, Lichtstrahlen verschiedener Beschaffenheit gleichzeitig in das Auge fallen zu lassen, sondern wenn man die Lichteindrücke nur in sehr rascher Aufeinan- derfolge dieselben Stellen der Netzhaut treffen lässt, so ist der Erfolg der nämliche, als wenn sie gleichzeitig einwirkten. Dies beruht auf der physiologischen Eigenschaft unserer Netzhaut, dass in ihr die Empfindung immer um eine gewisse Zeit den Eindruck überdauert. Lässt man also einen neuen Eindruck einwirken, bevor die von dem vorigen herrührende Empfindung vorüber ist, so erhält man eine aus zwei Eindrücken gemischte Empfindung. Wählt man die Zeit des Einzeleindrucks kurz genug, so lassen sich in derselben Weise drei, vier und mehr Eindrücke mit einander mischen. Auf dem hier aus- einandergesetzten Princip beruht die Mischung der Farben durch den Farbenkreisel . Dieser ist eine kreisrunde Scheibe (Fig. 117), die auf irgend eine Weise in rasche Rotation gesetzt werden kann, und auf der man die Farben, die gemischt werden sollen, als aus farbigem Papier geschnittene Sectoren befestigt. Die Methode der Von dem Lichte. Fig. 117. Mischung durch den Farbenkreisel hat den Vortheil, dass man bei ihr die Farben in beliebiger Anzahl mit einan- der mischen kann. Setzt man die Sectoren aus ungefähr denselben Far- ben zusammen, aus denen das Spek- trum besteht, so erhält man bei der Rotation einen weissen Lichteindruck. Dabei muss man jedoch die Spektral- farben in dem angemessenen Mengen- verhältnisse mischen. Dieses wird er- reicht, wenn man, wie es in Fig. 117 geschehen ist, die Sectoren für Roth, Grün und Violett zu je 60° 45', diejenigen für Gelb und Blau zu je 54° 41' und die für Orange und Indigo zu 34° 11' wählt. Lässt man eine oder mehrere dieser Farben hinweg oder lässt man einige über- wiegen, so entstehen Mischfarben. Diese Mischfarben haben niemals die intensiven Farbentöne, welche man bei der Mischung mehrerer Spektralfarben erhält, da die einzelnen Pigmente, deren Eindrücke man mischt, niemals an Sättigung den entsprechenden Spektralfarben gleichkommen. Ein farbiger Körper verhält sich, auch wenn er einen vollkommen reinen Farbenton hat, immer nur wie eine Spektralfarbe, die mit einer ziemlichen Quantität weissen Lichtes gemischt ist, und auch die Mischfarbe, die aus der Vermengung mehrerer solcher Ein- drücke hervorgeht, hat daher einen weisslichen Farbenton. 159 Complementär- farben. Nimmt man eine oder mehrere Farben aus den auf irgend eine der genannten Methoden wieder zu Weiss combinirten Spektralfarben hinweg, so behält der Rest einen Farbenton, der einer der Spektral- farben entspricht, abgesehen davon, dass er nicht die volle Sättigung derselben zu besitzen pflegt, und ebenso geben die hinweggenomme- nen Farben zusammen einen einer gewissen andern Spektralfarbe entsprechenden Farbenton. Hält man z. B. in Fig. 113 die rothen Strahlen von der Linse b ab, so ist das Licht in dem Brennpunkt nicht mehr weiss sondern grünlich-blau. Nimmt man von den in der oben angegebenen Proportion auf dem Farbenkreisel angebrachten sieben Sectoren das Violett, Indigo und Blau hinweg, so erscheint der Rest Gelb, während die hinweggenommenen Farben in ihrer Mischung einen bläulich-violetten Farbenton besitzen, u. s. w. Hieraus folgt, dass man stets aus zwei Farbentönen Weiss zusammensetzen kann. Dabei ist aber entweder nur die eine dieser Farben eine Spektral- farbe, während die andere sich wie die Mischung einer Spektralfarbe mit Weiss verhält, oder beide erscheinen als durch weisses Licht verdünnte Spektralfarben. Je zwei solche Farben, welche zusammen Von der Zerlegung des zusammengesetzten Lichtes u. der Mischung der Farben. Weiss geben, bezeichnet man als Ergänzungsfarben oder Com- plementärfarben . So findet man folgende einfache Farben einan- der complementär: Roth und Grünlichblau, Orange und Cyanblau, Gelb und Indigblau, Grünlichgelb und Violett. Mischt man diese Complementärfarben in andern Mengenverhält- nissen, als zur Erzeugung von Weiss erforderlich ist, so werden solche Zwischenfarben erhalten, die im Allgemeinen auch im Spektrum zwi- schen den Farbentönen der Complementärfarben in der Mitte liegen. So also erhält man aus Roth und Grünlichblau beim Ueberwiegen des Roth einen Farbenton, der dem Orange entspricht, während er, wenn das Roth zurücktritt, mehr dem Gelb und endlich dem Grün sich nähert. Doch sind diese Zwischenfarben immer weniger gesättigt als die entsprechenden Farben des Spektrums; sie verhalten sich wie Spektralfarben, die mit etwas Weiss untermengt sind. In der obigen Reihe befinden sich zwei Spektralfarben, welche, 160 Die drei Grundfarben. an den entgegengesetzten Enden des Spektrums liegend, nahehin übereinstimmende Complementärfarben besitzen. Diese zwei Farben sind Roth und Violett, von denen jenem Grünlichblau, diesem Grün- lichgelb als Complementärfarbe entspricht. Nun ist klar, dass, wenn man zwei Complementärfarbenpaare, also Roth-Grünlichblau und Vio- lett-Grünlichgelb, mit einander mischt, hieraus ebenso gut Weiss ent- stehen muss, als wenn man nur zwei Complementärfarben mit einan- der gemischt hätte. Grünlichblau und Grünlichgelb geben aber zu- sammen einen grünen Farbenton. Hieraus folgt, dass aus der Mi- schung der drei einfachen Farben Roth, Grün und Violett Weiss ent- stehen muss. Diese Voraussage wird in der That durch den Versuch bestätigt. Wählt man die drei genannten Farben als Sectoren des Farbenkreisels, so lässt sich leicht diesen Sectoren ein solches Ver- hältniss geben, dass die Scheibe bei rascher Umdrehung weiss er- scheint. Nimmt man zu der Thatsache, dass Roth, Grün und Violett zu- sammen Weiss geben, die andere hinzu, dass durch Mischung je zweier Complementärfarben in verschiedenen Mengenverhältnissen alle zwischen ihnen liegenden Farbentöne ersetzt werden können, so ist klar, dass aus der Mischung von Roth, Grün und Violett überhaupt alle möglichen Farben, die in der Natur vorkommen, zu erzeugen sind, wobei übrigens zu bemerken ist, dass die Farbentöne, welche durch Mischung dieser drei entstehen, aus den angegebenen Gründen nie- mals die Sättigung besitzen, welche den Spektralfarben zukommt. Man Wundt , medicinische Physik. 16 Von dem Lichte. nennt die drei Spektralfarben Roth, Grün und Violett, welche diese ausgezeichnete Eigenschaft besitzen, die drei Grundfarben . Mit den drei Farben Roth, Gelb und Blau, welche früher allgemein als die drei Grundfarben aufgezählt wurden, und welche bei den Malern meistens noch jetzt als solche gelten, kann man zwar auch durch Mischung der Pigmente ziemlich an- nähernd alle Farbentöne erzeugen, aber am Farbenkreisel gemischt geben diese drei kein vollkommenes Weiss, was eben davon herrührt, dass sie nicht aus zwei voll- ständigen Complimentärfarbenpaaren combinirt sind. Die Mischung der Pigmente giebt desshalb etwas abweichende Resultate, weil bei derselben immer zugleich Absorptions- erscheinungen in Betracht kommen. S. §. 167. 161 Das Farben- dreieck. Ver- hältniss von Farbenton, Sät- tigung und Lichtintensität. Man pflegt die erörterten Mischungsverhältnisse der Farben gra- phisch darzustellen, indem man die drei Grundfarben als die Ecken eines Dreiecks betrachtet (Fig. 118), auf dessen Seiten man die durch Mischung je zweier dieser Grundfarben entstehenden Mischfarben, die sich den zwischenliegenden Spektralfarben annähern, aufträgt, also auf die Seite R G Orange und Gelb, auf die Seite G V Blau und Indigblau; der dritten Seite R V aber entspricht keine Spektralfarbe, Fig. 118. weil R und V die entgegengesetzten Enden des Spektrums sind: durch ihre Mischung entsteht ein purpurrother Farbenton. Zieht man nun von den drei Ecken R, G, V dieses Dreiecks Linien nach einem Punkte W, der so in dem Dreieck gelegen ist, dass das Verhältniss der Li- nien R W, G W und V W dem Verhältniss der Mengen rothen, grü- nen und violetten Lichtes entspricht, die man braucht, um Weiss zu erhalten, so wird jeder andere Punkt des Dreiecksinhalts, wie a, irgend einer Mischfarbe entsprechen, die man durch Mischung der drei Grundfarben in dem Verhältnisse R a, G a und V a erhalten kann. Da aber die Mischfarben von Violett und Gelb auf der Linie V b liegen, so kann man die demselben Punkt a entsprechende Farbe auch bekommen, wenn man eine Menge V a violetten und eine andere b a gelben Lichtes mischt, oder auch, wenn man eine Menge W a weissen und eine andere b a gelben Lichtes mischt, oder endlich wenn man eine Menge R a rothen und eine andere c a grünlichblauen Lichtes mischt. In allen diesen Fällen wird der Effect der nämliche sein. Diese Construction dient sonach dazu diejenigen Farbencom- binationen zu finden, welche für einander substituirt werden können. Es ergiebt sich aus derselben die Regel, dass jeder beliebige Farben- Von der Zerlegung des zusammengesetzten Lichtes u. der Mischung der Farben. ton, der durch eine Mischung mehrerer einfachen Farben in bestimm- ten Mengenverhältnissen entsteht, auch durch die Mischung einer Spektralfarbe mit einer bestimmten Menge weissen Lichtes hervorge- bracht werden kann. Wir haben nunmehr dreierlei Verschiedenheiten des farbigen Lichts kennen gelernt: 1) den Farbenton . Als solchen bezeichnet man jenen Unterschied der Farbe, der im Spektrum durch die ver- schiedene Brechbarkeit bedingt ist; 2) die Sättigung der Farbe. Sie ist abhängig von der mehr oder minder grossen Beimengung weissen Lichtes zu den Farbentönen des Spektrums, welche letztere daher gewöhnlich als die Farben der grössten Sättigung gelten. Hierzu kommt noch 3) die Lichtintensität , die von der Amplitude der Schwingungen bestimmt ist. Lichtschwache Farben erscheinen dunk- ler, lichtstarke heller. Grössere Lichtstärke bedingt daher zugleich einen weisslichen Farbenton, während bei einem Minimum der Licht- stärke alle Farben und Farbenverbindungen schwarz erscheinen. Das Dreieck in Fig. 118 stellt bloss die Verhältnisse des Farbentons und der Sättigung dar. Um auch die bei abnehmender Lichtstärke ein- tretenden Veränderungen zu veranschaulichen, kann man, dem Dreieck die dritte Dimension hinzufügend, eine Pyramide mit dreieckiger Basis construiren, bei der in der Mitte der Basis das Weiss und die weisslichen Farbentöne liegen, während die Spitze in Schwarz aus- läuft. Ein mittlerer Durchschnitt dieser Pyramide würde z. B. ent- halten Braun (dunkles Gelb), Grau, Dunkelblau u. s. f. Man kann bei der Construction der Farbentafel (Fig. 118) jeder der drei Grund- farben eine beliebige Einheit der Sättigung, sei es diejenige, die sie im Spektrum be- sitzt, sei es irgend eine andere, beilegen, und je nach der Wahl dieser Einheiten können die einfachen Farben des Spektrums, wie es in Fig. 118 angenommen wurde, auf den Seiten des Dreiecks oder auf irgend einer Curve innerhalb desselben liegen. Wählt man z. B. die Sättigungen der Spektralfarben als Einheiten, so liegen die ein- fachen Farben auf einer Kreislinie, die nur zwischen Roth und Violett durch eine Gerade unterbrochen ist. Die Spektralfarben selbst können in Bezug auf den Grad ihrer Sättigung nicht unmittelbar mit einander verglichen werden. Nennt man die- jenige Farbe die gesättigtere, welche in Mischungen am meisten hervortritt, so ist z. B. Violett weit gesättigter als Gelb. Denn bringt man spektrales Violett und Gelb mit einander zur Deckung, so ist die Mischfarbe ein violetter Farbenton. Vergleicht man in ähnlicher Weise die sämmtlichen Farben des Spektrums mit einander, so fol- gen sich dieselben in nachfolgender Reihe: Violett, Indigblau, Roth und Cyanblau, Orange und Grün, Gelb. Um die relativen Mengen einfacher Farben zu ermitteln, die zur Herstellung einer bestimmten Mischfarbe erforderlich sind, bedient man sich am einfachsten in der oben angegebenen Weise des Farbenkreisels. Es ist dann die Menge einer bestimmten 16 * Von dem Lichte. Farbe der Breite des Sectors proportional, wenn man die Sättigung des auf dem Sec- tor gewählten Farbentons als Einheit annimmt. Neuntes Capitel . Die dunkeln Linien im Spektrum. 162 Die Fraunho- fer’schen Linien. Betrachtet man ein sorgfältig entworfenes Spektrum mittelst des Fernrohrs, so zeigt sich, dass die Farben desselben an sehr vielen Stellen von breiteren oder schmäleren dunkeln Linien unterbrochen sind. Diese Linien, die nach ihrem Entdecker als Fraunhofer ’sche Linien bezeichnet werden, befinden sich immer genau an den näm- lichen Stellen des Spektrums und geben dadurch ein vortreffliches Mittel ab, sich in demselben zu orientiren. Die wichtigeren dieser Linien hat man desshalb mit bestimmten Buchstaben belegt. Für die stärkeren Linien sind in Fig. 119 die Bezeichnungen angegeben. Fig. 119. Fraunhofer hat schon 500 dunkle Linien im Spektrum aufgefunden, und ihre Zahl vergrössert sich in dem Maasse, als man vollkommenere optische Hülfsmittel anwendet. Man kann mit Hülfe der dunkeln Li- nien viel bestimmter irgend eine spektrale Farbe angeben, als dies ohne dieselben möglich wäre. So sind z. B. Roth bei der Linie B oder Gelb bei der Linie E u. s. w. Bezeichnungen von Farbentönen, die sich mittelst der Analyse eines jeden Spektrums leicht wieder auffinden lassen. 163 Messung der Brechungsex- ponenten fester, flüssiger und gasförmiger Körper. Eine noch wichtigere Hülfe gewähren die dunkeln Linien bei der Untersuchung der Brechungsindices verschiedener Substanzen. Als wir die Methode der Bestimmung des Brechungsindex mittelst des Prismas (§. 144) auseinandersetzten, haben wir der Einfachheit wegen angenommen, man könne einen linearen Lichtstrahl auf das Prisma fallen lassen, und dieser bleibe nach geschehener Brechung vollkom- men gleichartig. Nun ist es schon unmöglich einen wirklich linearen Strahl zu erhalten. Wenn dies aber auch geschehen könnte, so würde er in eine Menge farbiger Strahlen durch die Brechung im Prisma zerfallen. Trotzdem kann man die angegebene Methode vollständig beibehalten, sobald man sich auf die Beobachtung irgend einer dun- keln Linie beschränkt; und zwar wird man dazu am zweckmässigsten eine solche Linie wählen, die ungefähr in der Mitte des Spektrums liegt. Gesetzt also, man habe gefunden, dass ein Prisma aus Kron- Die dunkeln Linien im Spektrum. glas in einer bestimmten Stellung die Linie E im Gelb um einen Win- kel δ ablenkt, ein Prisma aus Flintglas mit demselben Winkel lenke aber E um δ' ab, so sind leicht aus dem Verhältniss der Winkel δ und δ' zu α und γ nach den Regeln des §. 144 die Brechungsindices für beide Substanzen zu finden. Derselben Methode kann man sich auch bedienen, um das Brechungsvermögen von Flüssigkeiten und Gasen zu bestimmen. Man benützt zu diesem Zweck Hohlprismen, deren Seiten aus genau planparallelen Glasplatten bestehen. Die letzteren ändern den Gang der Lichtstrahlen nicht ab. Denn ein pa- ralleles Strahlenbündel a b (Fig. 120), das durch die Glasplatte A Fig. 120. sich parallel in die Richtung c d verschoben wurde, muss durch die entgegengesetzt gerich- tete Platte B wieder um ebenso viel nach der entgegengesetzten Richtung verschoben werden, so dass der austretende Strahl e f in der Ver- längerung von a b liegt. Die wirklich statt- findende Brechung wird daher lediglich durch die in dem Hohlprisma befindliche Substanz hervorgebracht. Für den hier erörterten und alle andern Fälle, in welchen es sich um die Ent- werfung eines mit deutlichen dunkeln Linien versehenen Spektrums handelt, genügt aber nicht die einmalige Brechung in einem Prisma, weil die einzelnen Farben des so erzeugten Spektrums theilweise sich decken, wodurch die dunkeln Linien zum Ver- schwinden kommen. Man stellt daher in einiger Entfernung von einem engen Spalt, der das Licht einlässt, eine Sammellinse auf. Da wo die letztere ein scharfes Bild der Oeffnung entwirft, bringt man einen zweiten Schirm an, und unmittelbar hinter der Linse, zwischen ihr und dem zweiten Schirm, stellt man das Prisma auf. Man erhält dann ebenso viel scharf begrenzt neben einander liegende Bilder der Oeffnung, als es Grade der Brechbarkeit in dem Licht giebt. Handelt es sich um genauere Beobachtungen, so lässt man das Spektrum statt auf den zweiten Schirm unmittelbar in ein Fernrohr fallen, welches so eingestellt wird, dass das Spektrum scharf begrenzt erscheint. Da wir oben die Anwendung des Hohlprismas zur Bestimmung der Brechungs- exponenten flüssiger Substanzen erwähnt haben, so sei hier noch einer zweiten Me- thode zum gleichen Zwecke gedacht, die theilweise auf demselben Princip beruht. Statt in ein Hohlprisma kann man nämlich die Flüssigkeit, deren Brechungsvermögen ermittelt werden soll, in eine Hohllinse bringen, welche dargestellt wird, indem man in eine planparallele Glasplatte eine Höhlung macht, die in ihrer Form einer Planconcavlinse entspricht, und darauf eine zweite planparallele Glasplatte deckt; in die Höhlung wird die zu untersuchende Flüssigkeit gebracht. Ein ferner Gegenstand würde durch die planparallelen Glasplatten allein in unveränderter Grösse erscheinen: durch die dazwischen befindliche Planconvexlinse aus flüssiger Substanz wird dagegen ein verkleinertes Bild desselben entworfen. Kennt man nun den Krümmungsradius der Linse, so lässt sich aus der Grösse des Bildes im Vergleich mit derjenigen des Objectes leicht mittelst der in §. 151 aufgestellten Gleichungen der Brechungsexponent berechnen. Helmholtz hat für die brechenden Medien des Auges diese Methode angewandt. Zur Messung sowohl des Krümmungsradius der Hohllinse wie der Grösse Von dem Lichte. des Bildes diente ihm das Ophthalmometer, dessen Theorie und Anwendung wir spä- ter (in §. 197) kennen lernen werden. Zehntes Capitel . Verhältniss von Brechungs- und Dispersionskraft. 164 Maass der Dis- persionskraft. Mittleres Bre- chungsvermö- gen. Wollte man statt der gewöhnlich für die Bestimmung des Bre- chungsexponenten benützten Linie E des Spektrums (Fig. 119) irgend eine andere Linie desselben, etwa eine solche die im Roth oder im Violett liegt, anwenden, so würde man völlig abweichende Werthe er- halten; von zwei Prismen, welche denselben brechenden Winkel ha- ben, lenkt nämlich offenbar dasjenige mit dem stärkeren Brechungs- exponenten die brechbarsten Strahlen verhältnissmässig stärker ab als die minder brechbaren, es legt also das ganze Spektrum weiter aus- einander. Denn diejenigen Strahlen, welche an der ersten Fläche stärker gebrochen werden, fallen eben desshalb auf die zweite Fläche unter einem schieferen Winkel auf. Man kann den Unterschied der Brechungsexponenten der rothen und der violetten Strahlen, die wir mit n r und n v bezeichnen wollen, als das Maass der durch ein Prisma aus bestimmter Substanz erzeugten Dispersion ansehen. Man wählt für n v gewöhnlich die Linie H, für n r die Linie B im Spektrum (s. Fig. 119). Die genannte Differenz beträgt z. B. für Flintglas 0,0433, für Kronglas 0,0207, während der Brechungsexponent für die Linie E be- stimmt für das erstere 1,642, für das letztere 1,533 ist. Hat man die Länge des ganzen Spektrums, die als die totale Dispersion bezeich- net wird, ermittelt, so ist damit jedoch nicht die Länge irgend eines Theils derselben, also der Abstand irgend zweier näher bei einander gelegener dunkler Linien gegeben, sondern diese partielle Dispersion kann für die einzelnen Theile des Spektrums eine sehr verschiedene sein. Hieraus resultirt aber eine grosse Mannigfaltigkeit der durch Prismen aus verschiedenen Substanzen gewonnenen Spektren, da mit der Länge des Spektrums immer auch die Breite der einzelnen farbigen Streifen desselben bedeutend variirt. Substanzen von nahezu gleichem mitt- lerem Brechungsvermögen (d. h. für eine mittlere dunkle Linie E) können ferner doch schon eine ziemlich verschiedene zerstreuende Kraft haben. Um die optischen Eigenschaften einer Substanz genü- gend festzustellen, ist es daher zweckmässig neben dem mittleren Brechungsexponenten n noch die Dispersionskraft, d. h. die Differenz n v — n r , anzugeben. 165 Achromatische Prismen. Die Thatsache, dass die Brechungs- und Dispersionskraft ver- schiedener Substanzen nicht in gleichem Verhältniss zu- oder abneh- men, giebt uns ein Mittel an die Hand, das in §. 157 angegebene Verfahren der Brechung in zwei hinter einander gelegenen Prismen, Verhältniss von Brechungs- und Dispersionskraft. deren brechende Winkel nach entgegengesetzten Richtungen gekehrt sind, so zu benützen, dass eine bestimmte Ablenkung des Lichtes er- halten bleibt, während die Farbenzerstreuung vollständig aufgehoben wird. Wenn wir beide Prismen aus der nämlichen Substanz nehmen, so können wir natürlich die Dispersion immer nur unter der Bedin- gung aufheben, dass wir auch die Brechung aufheben, d. h. beiden Pris- men denselben brechenden Winkel geben und sie in entgegengesetzter Lage mit einander in Berührung bringen. Nimmt man hingegen zwei Substanzen mit nahezu gleichem mittlerem Brechungsvermögen, aber mit sehr verschiedener zerstreuender Kraft, so wird es möglich sein, das Verhältniss der brechenden Winkel der zwei entgegengesetzt ge- richteten Prismen so zu wählen, dass die Dispersion verschwindet, während eine gewisse Ablenkung des Lichtes erhalten bleibt. Zu- nächst ist klar, dass, wenn man bei solchen Substanzen die brechen- den Winkel γ gleich nimmt, die Dispersion nicht aufgehoben wird, da die Enden des Spektrums, welches das stärker zerstreuende Prisma entwirft, über das Spektrum des andern Prismas hinausgreifen. Man muss also den brechenden Winkel des stärker zerstreuenden Prismas so lange verkleinern, bis sein Spektrum dem des andern an Grösse gleich wird. Dann vereinigt das zweite Prisma die farbigen Strahlen wieder, die das erste erzeugt hat, ohne jedoch die in diesem hervor- gerufene Ablenkung aufzuheben. Die Fig. 121 veranschaulicht dieses Fig. 121. Ergebniss. Es sei p das erste, p' das zweite Prisma, jenes mit der stärker, dieses mit der schwächer zerstreuenden Substanz. Ist a b ein auf das erste Prisma fallender Strahl weissen Lichts, so muss der brechende Winkel γ zu dem Winkel γ' des zweiten Prismas sich so verhalten, dass die beim Austritt aus p neben einander liegenden far- bigen Lichtbündel e f beim Austritt aus p' wieder einander decken. Nun wäre das Spektrum e f, welches aus dem Strahl a b durch die Brechung im Prisma p enstanden ist, offenbar auch das Spektrum, welches aus dem Lichtstrahl d c im Prisma p' entstehen würde, d. h. die Winkel γ und γ' sind so gewählt, dass die Spektra beider Pris- men bei ihrem Austritt gleich gross sind. Dabei hat aber der aus- tretende Strahl c d im Vergleich zu dem eintretenden Strahl a b eine Ablenkung erfahren. Man nennt ein derartig zusammengesetztes Prisma, das eine Ablenkung ohne Farbenzerstreuung gestattet, ein achroma- tisches Prisma. Aus der Betrachtung der Fig. 121 ergiebt sich, dass das be- Von dem Lichte. stimmte Verhältniss der Winkel γ und γ' nur für eine bestimmte Rich- tung des einfallenden Lichtstrahls a b gilt. Würde a b noch schrä- ger auf p fallen, so würde das Spektrum e f grösser werden, und dasselbe würde dann nicht mehr vollständig in den austretenden Strahl c d gesammelt. So findet man z. B., dass wenn man einem Kronglas- prisma einen Winkel von 60° giebt, ein mit ihm verbundenes Flintglas- prisma einen Winkel von 29° 17' besitzen muss, um Lichtstrahlen, die unter einem Winkel von 50° auffallen, achromatisch abzulenken. Immer- hin wird aber auch für solche Strahlen, die unter anderem Winkel auffallen, die Farbenzerstreuung vermindert. 166 Farbenzer- streuung durch Linsen. Achro- matische Lin- sensysteme. Wegen der verschiedenen Brechbarkeit der verschiedenfarbigen Strahlen muss im Allgemeinen bei jeder Brechung auch eine Zer- streuung des Lichtes eintreten. Nur ist allerdings die Brechung im Prisma besonders geeignet die Erscheinungen der Dispersion hervor- treten zu lassen, während dieselben z. B. bei der Brechung an kugel- förmig gekrümmten Flächen viel unbedeutender sind. Doch bewirken sie auch hier Ungenauigkeiten der von den Kugelflächen entworfenen reellen oder virtuellen Bilder, die sogar viel erheblicher sind als die früher betrachteten Ungenauigkeiten, welche durch die Kugelgestalt entstehen. Man bezeichnet diese Ungenauigkeiten als chromatische Abweichungen . Dieselben sind nicht bloss dadurch störend, dass sie die Vereinigung des von einem Punkt ausgehenden Lichts in einem Bildpunkt verhindern, sondern auch dadurch, dass die entstehenden Zerstreuungskreise theilweise gefärbt, namentlich entweder mit rothen oder mit violetten Säumen umgeben sind. Denn die von dem Punkte a (Fig. 122) ausgehenden weissen Strahlen werden z. B. von der Fig. 122. Sammellinse so gebrochen, dass sich die violetten Strahlen schon in einem Punkte v', die rothen aber erst in einem Punkte r' sammeln, zwischen beiden Punkten nach einander die blauen, grünen u. s. w. Stellt man daher bei v' einen Schirm auf, so sieht man auf demselben einen kleinen Kreis weissen Lichtes, der von einem rothen Saum um- geben ist: die Mitte dieses Kreises erscheint weiss, weil sich in ihr viele Strahlen verschiedenfarbigen Lichtes durchkreuzen. Stellt man dagegen den Schirm bei r' auf, so erhält man einen weissen Kreis, der von einem violetten Kranze umgeben ist. Für Strahlen, die wie x' x parallel der Axe auf die Linse fallen, ist v der violette und r Verhältniss von Brechungs- und Dispersionskraft. der rothe Brennpunkt. Man pflegt die Distanz r v dieser beiden Brennpunkte als ein Maass der chromatischen Aberration zu benützen. Nach den über die Farbenzerstreuung in Prismen mitgetheilten Thatsachen muss die Substanz der Linse auf diese Distanz r v von grossem Einflusse sein. Hierauf beruht eine Methode die chromatische Abweichung aufzuheben, welche der beim Prisma angewandten völlig entspricht. Verbindet man nämlich die Sammellinse L mit einer Zer- streuungslinse L' (Fig. 123), welche aus einer Substanz besteht, der Fig. 123. eine stärkere chromatische Abweichung zukommt, so kann man der letzteren Linse eine solche Krümmung geben, dass sie die Convergenz der durch die erste Linse gebrochenen Strahlen zwar vermindert, aber nicht aufhebt, wäh- rend doch der Unterschied zwischen den Brennweiten der rothen und violet- ten Strahlen genau demjenigen der er- sten Linse gleich ist. In diesem Fall wird durch das aus zwei Linsen gebildete System das Licht gesammelt, während zugleich die chroma- tische Abweichung aufgehoben ist. Man bezeichnet daher ein derarti- ges System als achromatisches Linsensystem . Den Gang des Lichts in einem solchen System verfolgt man durch Construction am zweckmässigsten, indem man sich dasselbe in der Mitte horizontal durchschnitten denkt. Man kann dann die obere Hälfte annähernd als eine Combination zweier Prismen mit entgegengesetzt gerichtetem bre- chendem Winkel und die untere Hälfte als eine ebensolche Combination betrachten, so dass sich die in Fig. 121 gebrauchte Construction un- mittelbar übertragen lässt. Wir haben gesehen, dass eine Combination aus zwei Prismen immer nur für Lichtstrahlen von bestimmter Richtung genau achro- matisch sein kann. Selbstverständlich gilt dies auch für ein achromati- sches Linsensystem. Da man nun aber das letztere häufig anwendet, um von Gegenständen, die sich in verschiedenen Entfernungen befinden, Bilder zu entwerfen, da ferner die Winkel, unter welchen die Rand- und Centralstrahlen auf die Linse fallen, mehr oder weniger von einan- der verschieden sind, so ist es klar, dass es schon aus diesen Grün- den vollkommen achromatische Linsensysteme nicht giebt. Ausserdem kommt aber hier wie bei den Prismen in Rücksicht, dass, wenn man auch die totale Dispersion gleich gemacht hat, immer noch die par- tiellen Dispersionen abweichen. Wenn das Roth des einen Spektrums mit dem Violett des andern zur Deckung kommt, so fallen desshalb noch nicht alle weiteren Farben damit zusammen. Es treten dann secundäre Farbensäume auf. Sollen diese auch noch möglichst ent- fernt werden, so fügt man eine oder mehrere weitere Linsen hinzu, Von dem Lichte. welche durch die wiederholte Anwendung des nämlichen Princips be- wirken, dass auch die secundären Farbensäume wenigstens theilweise zur Deckung kommen. Die achromatischen Linsensysteme kommen vorzugsweise bei den Mikroskopen und Fernröhren zur Anwendung. Die Optiker pflegen für die Convexlinse Kronglas, für die Concavlinse Flintglas zu benützen. Die zur Aufhebung der achromatischen Ab- weichung geeignetsten Combinationen solcher Linsen werden in der Regel durch Pro- biren gesucht, obgleich man auch auf dem Weg der Rechnung die eine möglichst vollkommene Achromasie gebenden Krümmungsradien ermitteln kann. Die einzelnen Linsen des Systems werden, um die Reflexion an den Oberflächen derselben zu ver- meiden, durch Canadabalsam, dessen Brechungsvermögen dem des Kronglases ziemlich nahe kommt, an einander gekittet. Gegen die höheren Grade der Farbenzerstreuung hilft, ebenso wie gegen die sphärische Abweichung (§. 153), schon das Abhalten der Randstrahlen durch eine Blendung. IV. Absorption, Fluorescenz und chemische Wirkung des Lichtes. Elftes Capitel . Absorption des Lichtes. 167 Absorption beim Durchtritt des Lichtes. Kör- perfarben im durchfallenden Lichte. Wir haben die Erscheinungen der Reflexion und Brechung des Lichtes unter der Voraussetzung erörtert, dass das Licht, welches auf die reflectirende Fläche auffällt oder das brechende Medium durch- setzt, nach der Reflexion oder Brechung wieder unvermindert zum Vorschein komme, wenn auch im letzteren Fall mehr oder weniger zerlegt in seine verschiedenen Stufen der Brechbarkeit. Aber jene Voraussetzung ist niemals im strengsten Sinne und häufig auch nicht einmal annähernd erfüllt. Die Erscheinungen, die hierdurch bedingt werden, und ihre Ursachen wollen wir jetzt einer gesonderten Be- trachtung unterziehen. Schon bei den bisher allein näher berücksichtigten regelmässigen Reflexionen und Brechungen geht eine Quantität Licht verloren, welche weder an der Oberfläche der Körper zurückgeworfen wird noch voll- ständig durch sie hindurchgeht, sondern im Innern derselben ver- schwindet. Den einzigen Fall einer vollständigen Reflexion haben wir in §. 145 erörtert: er liegt dann vor, wenn Licht, in einem dichteren Medium verlaufend, unter hinreichend stumpfem Winkel mit dem Ein- fallsloth auf die Begrenzungsfläche eines dünneren Mediums auffällt. Dieser Fall ist aber in der Natur sehr selten. Ausser der in optischen Versuchen zur Anwendung kommenden Reflexion im Prisma gehört theilweise hierher die unregelmässige Reflexion, welche gewisse aus Absorption des Lichtes. einem dünneren und dichteren Medium gemischte Substanzen liefern, wie der durch innige Mischung von Luft und Eis entstehende Schnee oder der aus Luft und Wassertheilchen gemischte Schaum. In jeder Schneeflocke finden zahlreiche totale Reflexionen statt, und dies be- dingt die blendende Weisse des vom Schnee reflectirten Lichtes. Aber auch bei diesen totalen Reflexionen geht während des Hindurchtritts des Lichtes durch die dichtere Substanz eine kleine Menge des ur- sprünglichen Lichtes verloren. Man kann dies nachweisen, indem man die Intensität solchen Lichtes bestimmt, welches durch sehr tiefe Schichten eines vollkommen durchsichtigen Mediums, wie z. B. von Wasser oder Glas, hindurchgetreten ist. Man findet hierbei, dass diese Intensität abnimmt mit der Tiefe der Schichten, welche das Licht durchwandert. Auch von der durchsichtigsten Substanz wird also Licht absorbirt. In der Regel wird das Licht von verschiedener Brechbarkeit nicht gleichmässig von einem durchsichtigen Medium absorbirt, son- dern gewisse Stufen der Brechbarkeit mehr, andere weniger. Das Wasser erscheint in dicken Schichten von blauer Farbe, das gewöhn- liche Glas erscheint theils grün theils gelblich gefärbt. Die Luft er- scheint, wie wir bei der Betrachtung des Himmels sehen, tief blau. So giebt es überhaupt keinen durchsichtigen Körper, der nicht, wenn man ihn nur in hinreichend tiefen Schichten betrachtet, irgend eine Färbung zeigte. Offenbar aber müssen diese Färbungen darauf be- ruhen, dass die Körper von dem weissen Licht, das sie durchsetzt, die Strahlen verschiedener Brechbarkeit in verschiedenem Maasse ab- sorbiren. Da also z. B. die Luft blau erscheint, so wird sie die blauen Strahlen weniger absorbiren als die rothen und gelben. Durchsichtige Körper, die überhaupt nur wenig Licht absorbiren, lassen in dünneren Schichten das Licht vollkommen ungefärbt hindurch. Denn je gerin- ger die absolute Quantität des verschwundenen Lichtes ist, um so ge- ringer müssen auch dis Unterschiede in dem Ausfall der einzelnen Lichtarten sein. Man kann letzteres augenfälliger noch an solchen durchsichtigen Substanzen nachweisen, die eine entschiedenere Fär- bung besitzen. Ein mit Kobalt gefärbtes Glas z. B. erscheint, wenn es dicker ist, tief blau, in dünneren Schichten aber wird es weisslich blau. Aehnlich zeigen Blutkörperchen, wenn wir sie einzeln unter dem Mikroskop betrachten, ein sehr mit Weiss vermischtes Roth, wenn aber mehrere Blutkörperchen sich über einander lagern, erscheint als- bald das gesättigte Blutroth. Nimmt man zu diesen Thatsachen die früher (§. 131) angeführte Erfahrung hinzu, dass auch für gewöhnlich undurchsichtige Körper, sobald man sie in sehr dünnen Schichten herstellt, durchsichtig sind, so werden wir die Absorption beim Durchtritt des Lichtes durch die Körper als ein ganz allgemeines Phänomen aufzufassen haben, und Von dem Lichte. ebenso werden wir es als Regel aussprechen müssen, dass diese Ab- sorption je nach der Natur des betreffenden Körpers die Strahlen von verschiedener Brechbarkeit in verschiedenem Maasse trifft. Dasjenige Licht, das am wenigsten absorbirt wird, giebt dem durchsichtigen Körper seine Farbe , mag nun diese Farbe erst bei der Durchleuch- tung grosser Massen oder schon in dünnen Schichten zur Erscheinung kommen. 168 Absorption bei der Reflexion. Körperfarben im reflectirten Lichte. Was hier für dasjenige Licht bemerkt wurde, welches durch die Körper hindurchtritt, kann aber natürlich keine Geltung haben für das- jenige Licht, welches an der äusseren Oberfläche der Körper reflec- tirt wird. Letzteres muss immer genau dem auffallenden Lichte gleich sein, ist also dieses weiss, so muss auch das reflectirte Licht weiss sein. In der That sehen wir, dass spiegelnde Körper, welche fast alles Licht, das auf sie fällt, schon von ihrer Oberfläche reflectiren, die Farbe des Lichtes nicht verändern. Anders verhält es sich aber mit solchen Körpern, die eine unregelmässigere Structur besitzen. Bei ihnen theilt sich nicht das auffallende Licht einfach in solches das hindurchtritt, und in anderes, das an der Oberfläche reflectirt wird, sondern ein Theil des Lichtes wird an der Oberfläche unregelmässig zurückgeworfen, ein anderer aber dringt bis zu einer gewissen Tiefe ein und wird dann erst zurückgeworfen, so dass dieser Theil des Lichtes die Substanz des Körpers rückwärts durchwandern muss. So verhalten sich offenbar die gewöhnlichen undurchsichtigen Körper, die nicht mit spiegelnden Oberflächen versehen sind. An der Oberfläche dieser Körper wird ein Theil des Lichtes unregelmässig nach allen Seiten zurückgeworfen, ein anderer dringt bis zu einer gewissen, in der Regel sehr mässigen Tiefe ein, und wird auf diesem Wege von den Grenzen der verschiedenen Schichten, die er durchwandert, re- flectirt. Der letztere Theil des reflectirten Lichtes ist es, der dem undurchsichtigen Körper seine Farbe giebt. Die Farbe, die wir hier im reflectirten Lichte beobachten, entsteht also auf dieselbe Weise wie jene Farbe, die wir an dem Lichte wahrnehmen, welches durch einen durchsichtigen Körper gedrungen ist, nämlich dadurch, dass die Strah- len von verschiedener Brechbarkeit in verschiedenem Maasse in den Körpern absorbirt werden. Absorbirt ein Körper alle Farbestrahlen in ziemlich gleichem Maasse, so erscheint er entweder weiss oder schwarz: — weiss, wenn sein Absorptionsvermögen für alle Strahlen gering ist, schwarz, wenn es für alle Strahlen gross ist. 169 Das Absorp- tionsspektrum. So lange wir bloss nach der unmittelbar sichtbaren Färbung eines Körpers entscheiden, welche Farben er absorbirt, und welche nicht, kann dies immer nur sehr unvollkommen ermittelt werden. Wir kön- nen zwar sagen, ein Körper, der nur die minder brechbaren Strahlen Absorption des Lichtes. durchlässt, also roth erscheint, absorbire die brechbareren; aber weil unsere Farbenempfindung über kleine Beimengungen und Nuancen der Farbe schwer entscheidet, können wir in dieser Weise nur sehr roh über den Absorptionsvorgang urtheilen. Wollen wir genauer be- stimmen, welche Strahlen absorbirt sind, so müssen wir das Licht nach geschehener Absorption analysireu . Das Hülfsmittel dieser Analyse steht uns aber in dem Prisma zu Gebote. Entwerfen wir von dem durch einen Körper gegangenen Lichte ein Spektrum , so sind offenbar alle diejenigen Strahlen, die im Spektrum fehlen, von dem Körper absorbirt worden. Man verfährt hier, um alles sonstige Licht ausser demjenigen, welches durch den Körper hindurchgegangen ist, von dem Prisma auszuschliessen, folgendermassen. In ein vollkommen verdunkeltes Zimmer lässt man (wie in Fig. 112, §. 156) durch einen in einem Laden befindlichen Spalt ein Lichtbüschel eintreten, lässt dasselbe auf den zu untersuchenden Körper, der jedenfalls in einer so dünnen Schichte angewendet werden muss, dass er noch durch- sichtig ist, auffallen und bringt dann in das hindurchgegangene Licht das Prisma. Entwirft man in dieser Weise z. B. das Spektrum von solchem Lichte, welches durch ein mit Kobalt blau gefärbtes Glas ge- gangen ist, so findet man, dass dasselbe nur aus einem durch einen dunkeln Raum getrennten rothen und blauen Streifen besteht, dass ihm also alle Strahlen von mittlerer Brechbarkeit fehlen. Aehnlich wie gefärbte Gläser verhalten sich farbige Flüssigkeiten, z. B. Lösungen von Blattgrün, Hämatoglobulin und andern Farbstoffen. Hierbei tre- ten zugleich an scharf bestimmten Stellen des Spektrums Schatten auf, welche aus einer dicht gedrängten Menge dunkler Linien beste- hen, die mit den dunkeln Linien des Sonnenspektrums nicht zusam- menfallen, und die man als Absorptionslinien bezeichnet. Aehn- liche Erscheinungen werden beobachtet, wenn man solches Licht untersucht, das durch gefärbte Gase getreten ist. Da aber in dicke- ren Schichten alle Gase gefärbt sind, so ist es wahrscheinlich, dass die Absorptionsspektra aller Gase in hinreichend tiefen Schichten solche Linien zeigen. Bei der atmosphärischen Luft ist dies wirklich der Fall; eine grössere Zahl der im gewöhnlichen Sonnenspektrum vorkommenden Streifen rührt von der Absorption in der Atmosphäre her. Dies wird dadurch bewiesen, dass je nach der Beschaffenheit der Atmosphäre, also der Sättigung mit Wasserdämpfen, dem Stand der Sonne u. s. w. theils die Zahl theils die Schärfe jener Linien veränderlich ist. Anderseits beweist aber auch die völlige Unverän- derlichkeit der in Fig. 119 dargestellten wichtigeren Linien des Spek- trums, dass diese nicht von der Absorption in der Atmosphäre be- dingt sind. Von besonderem Interesse ist die Spektraluntersuchung des Blutes und der Lösungen von Hämatoglobulin. Lässt man durch eine concentrirte Blutlösung Licht Von dem Lichte. hindurchtreten, so sind im Spektrum nur die rothen Strahlen zu finden. Wird aber die Lösung verdünnt, so erscheinen zuerst gelbe, dann grüne Strahlen, und zuletzt dehnt sich das Spektrum bis zum Violett aus. Entwirft man nun von einer Schichte dieser Lösung, welche hinreichend verdünnt ist, damit alle Farben von Roth bis Vio- lett erscheinen, ein Spektrum, so findet man, dass noch zwei dunkle Streifen zwischen den Fraunhofer’schen Linien D und E geblieben sind (Fig. 124 α und β ). Wird Fig. 124. die Lösung mit reducirenden Agentien behandelt, so ver- schwinden die dunkeln Streifen α und β , und an der bis- her hellen Stelle in ihrer Mitte tritt ein breiterer dunk- ler Streifen auf ( γ ). Die Einwirkung von Säuren und Alkalien, welche das Hämoglobulin in das sogenannte Hämatin überführen, verändern auch dessen Absorptions- eigenschaften. Das so entstandene Hämatin zeigt, wenn es in saurer Lösung ist, einen dunkeln Streifen an der Grenze von Roth und Orange, in alkalischer Lösung deckt ein dunkler Streif fast die ganze Breite des Orange. Von dieser Verdunklung am rothen Ende des Spektrums rührt es her, dass die Hämatinlösungen in durch- fallendem Lichte grünlich aussehen. Wird das Hämatin mit reducirenden Stoffen be- handelt, so verschwinden die dunkeln Streifen im Roth oder Orange, und es tritt da- für eine fast die ganze Breite des Gelb einnehmende Verdunkelung und ein schmäle- rer bandartiger Streifen im Grün auf. Man hat neuerdings diese Eigenschaften des Hämatoglobulinspektrums zur Diagnose geringer Mengen von Blut, z. B. von Blut- flecken, angewandt. Man löst zu diesem Zweck die für Blut gehaltene getrocknete Substanz in Wasser und beobachtet dann nach der in §. 171 zu beschreibenden Me- thode ihr Absorptionsspektrum, sowie die Veränderungen desselben durch die angege- benen chemischen Reagentien. Weitere Angaben über die Absorptionsspektren ver- schiedener fester und flüssiger Körper finden sich bei Valentin , der Gebrauch des Spektroskops. Leipzig und Heidelberg 1863. 170 Gasspektra. Verhältniss von Absorption und Emission des Lichtes. Erklä- rung der Fraun- hofer’schen Li- nien. Befindet sich ein Gas in glühendem Zustande, so sendet es selber Licht aus. Man kann also hier nicht bloss die Veränderung, die das Spektrum erfährt, wenn das Sonnenlicht durch das Gas hin- durchtritt, untersuchen, sondern man kann von dem leuchtenden Gase selbst ein Spektrum entwerfen. Wir wollen das letztere das directe Spektrum nennen im Gegensatz zum ersteren, welches wir als Ab- sorptionsspektrum bezeichnen. Glühende Gase von verschiedener chemischer Zusammensetzung lassen sich am bequemsten erhalten, wenn man in eine möglichst farblose Flamme ein Metallsalz bringt. Es ist bekannt, dass die meisten Metallsalze dem Licht der Flamme eine sehr entschiedene Färbung ertheilen; so färben z. B. Natronsalze die Flamme gelb, Strontiumsalze grün, Lithiumsalze roth. Diese Färbungen rühren davon her, dass die Körper glühend werden und sich verflüchtigen. Man hat dabei die Beobachtung gemacht, dass die Färbung nur durch das Metall bestimmt wird, dass es aber für die Beschaffenheit der Flamme gleichgültig ist, ob man das Metall als Chlorsalz, kohlen- saures Salz u. s. w. anwendet. Untersucht man nun das Spektrum Absorption des Lichtes. eines solchen Metalls, so findet man zunächst, dass nur gewisse Far- ben in dem Spektrum vertreten sind, dass hingegen viele Brechbar- keitsstufen des Lichtes ganz fehlen. Ausserdem aber findet sich, dass in einem solchen directen Spektrum eines glühenden Gases keine dunk- len Linien, wohl aber helle Linien von bestimmter Färbung vor- kommen. Diese Linien sind nun in Bezug auf ihre Lage und Be- schaffenheit je nach der Natur des Metalls, das man verbrennt, ver- schieden. So ist z. B. das Natrium characterisirt durch zwei, der Fraunhofer’schen Linie D entsprechende gelbe Linien (s. Fig. 119). Das Lithium zeigt eine sehr helle scharf begrenzte rothe Linie in der Mitte zwischen den Fraunhofer’schen Linien B und C, u. s. f. Da diese Linien für die betreffenden Metalle durchaus characteristisch sind, so liegt es nahe dieselben zur Erkennung derselben in beliebi- gen Gemengen zu benützen. Man braucht zu diesem Zweck nur die auf ein bestimmtes Metall zu untersuchende Substanz in eine farblose Flamme zu bringen und dann ein Spektrum der Flamme zu entwerfen. Da Spuren eines Metalls, die auf anderem Wege längst nicht mehr erkennbar sind, die charakteristischen hellen Linien noch vollkommen deutlich erkennen lassen, so hat man in dieser Spektralanalyse bei weitem das empfindlichste Hülfsmittel für die qualitative Erkennung derjenigen Körper, deren Gase ein ausgezeichnetes Spektrum be- sitzen. Es versteht sich von selbst, dass man ebenso gut wie durch feste Körper, Flüssigkeiten oder nicht glühende Gase auch durch glü- hende Gase Sonnenlicht oder Licht irgend einer andern Quelle kann hindurchtreten lassen. Das auf diesem Wege zu Stande gebrachte Absorptionsspektrum unterscheidet sich aber offenbar von den früher erörterten Absorptionsspektren dadurch, dass es gewissermassen durch die Interferenz zweier Spektren entsteht. Der einfachste Fall, der sich hier herstellen lässt, ist nun der, dass man zwei Spektren inter- feriren lässt, welche übereinstimmende helle Linien enthalten. Man erreicht dies z. B., wenn man eine mit Natron versetzte Alkoholflamme aufstellt und hinter ihr ein Drümmond’sches Licht (einen in Knall- gas glühenden Kalkcylinder) anbringt. Das Drümmond’sche Licht enthält, wie man sich durch isolirte Untersuchung seines Spektrums überzeugen kann, ebenfalls die gelbe Doppellinie des Natriums. Man hat also hier zwei Flammen von sehr ungleicher Lichtstärke, die aber beide die nämlichen charakteristischen Linien enthalten. Stellt man das Drümmond’sche Licht vor die Alkoholflamme, so ist die Erschei- nung die nämliche, als wenn man das erstere allein untersuchte: man sieht vollkommen scharf und hell die zwei Linien. Bringt man aber das Drümmond’sche Licht hinter die Alkoholflamme, so dass es, bevor es auf das Prisma fällt, durch dieselbe hindurch- treten muss: so beobachtet man die auffallende Erscheinung, dass Von dem Lichte. sich nunmehr die zuvor hellen Linien in dunkle Linien verwandelt haben . Befinden sich also hinter einander zwei Flam- men, deren Spektren übereinstimmende helle Linien enthalten, so schwächt, vorausgesetzt dass die hintere Flamme eine beträchtlich grössere Lichtintensität besitzt, das Licht der hellen Linien der vor- dern Flamme das Licht der hellen Linien der hintern Flamme so sehr, dass an Stelle der hellen Linien dunkle erscheinen. Es ergiebt somit dieser Fall die merkwürdige Thatsache, dass die hellsten Strahlen der beiden directen Spektren zu den dunkelsten Stellen desjenigen Spek- trums werden, welches entsteht, indem die hellere Flamme durch die dunklere hindurchtritt und so theilweise von ihr absorbirt wird. Diese Thatsache lässt sich nur auf eine Weise erklären, nämlich so, dass jene hellen Linien, welche mehr Licht aussenden als die andern Theile des Spektrums, auch mehr Licht absorbiren oder, um es kurz auszu- drücken, dass denjenigen Theilen des Spektrums, die das grösste Emissionsvermögen besitzen, auch das grösste Absorptions- vermögen zukommt. In der That ist jene auffallende Erschei- nung vollständig begreiflich, wenn man die einfache Annahme macht, dass die Absorptionskraft des Lichtes proportional seiner Emissions- kraft zunimmt, oder dass das Verhältniss , wenn wir mit E die Emission und mit A die Absorption bezeichnen, eine constante Grösse ist. Wir sind hiermit endlich zu der Erklärung der dunkeln Linien im Sonnenspektrum selbst gekommen. Diese Linien sind eine Ab- sorptionserscheinung. Ein verhältnissmässig unbedeutender Theil der- selben entsteht, wie früher bemerkt wurde, durch die Absorption in der Atmosphäre. Die meisten sind im Sonnenlicht schon vorhanden, wenn dies von der Sonne ausstrahlt. Nun ist aber die Sonne ein Körper, in dessen Beschaffenheit wir Bedingungungen vorfinden, die dem Versuch mit dem Drümmond’schen Licht und der Natronflamme in hohem Grad gleichen. Sie besteht aus einem glühenden, wahr- scheinlich feuerflüssigen Kern von ausserordentlicher Lichtstärke und einer lichtschwächeren Atmosphäre aus brennenden Gasen, der soge- nannten Photosphäre. Die dunkeln Linien im Sonnenspektrum ent- stehen also in Folge der Absorption der hellen Linien des Kerns durch die hellen Linien der Photosphäre. Da die Körper, aus denen der Kern besteht, sich fortwährend verflüchtigen und dann in der Sonnenatmosphäre verbrennen, so werden sämmtliche helle Linien beider Spektren zusammenfallen. Nunmehr liegt der Gedanke nahe, die einzelnen Fraunhofer’schen Linien des Sonnenspektrums mit denselben Linien der Spektren ver- schiedener glühender Körper zu vergleichen, um die Bestandtheile zu ermitteln, aus welchen die Sonne besteht. Wenn irgend eine dunkle Absorption des Lichtes. Linie im Sonnenspektrum dieselbe Lage hat, d. h. derselben Stufe der Brechbarkeit entspricht, wie die helle Linie, die wir im Spektrum eines bestimmten Metalls wahrnehmen, so dürfen wir offenbar den Schluss ziehen, dass dieses Metall in der Sonne enthalten sei. Auf diese Weise wurden Natrium, Kalium, Eisen als Bestandtheile der Sonne nachgewiesen. Für die genaue Anstellung der Beobachtungen, die wir hier erörtert haben, 171 Spektralana- lyse. ist es nothwendig bei der Entwerfung und Beobachtung der Spektren gewisse Bedin- gungen im Auge zu haben, die man am einfachsten in dem für derartige Beobach- tungen von Kirchhoff und Bunsen construirten Spektralapparat (Fig. 125) er- Fig. 125. füllt findet. Als Flamme wählt man eine Alkohol- oder wenig leuchtende Gasflamme (g). Neben dieselbe stellt man ein Stativ (s), welches bestimmt ist von dem Salz, mit welchem man die Flamme färben will, eine kleine Perle an einem Platindraht in die Flamme hineinzuhalten. Man muss nun, um ein reines Spektrum zu gewinnen, in der früher (§. 163) angegebenen Weise das Licht der Flamme zuerst durch einen engen Spalt und dann durch eine Convexlinse fallen lassen, welche sich im Brennpunkt des Spaltes befindet, so dass die Strahlen parallel auf das Prisma kommen. Am Spek- tralapparat sind Spalt und Linse in der Fernrohrhülse a vereinigt. Der der Flamme zugekehrte Spalt kann mittelst der Schraube, die man am vordern Ende des Rohres a sieht, verengert oder erweitert werden. An demjenigen Ende, welches dem Prisma zugekehrt ist, befindet sich die Linse. Beim Hindurchgang durch das Flintglasprisma p werden nun die Strahlen so gebrochen, dass sie der Axe des Fernrohrs b parallel werden. Man beobachtet daher mittelst des Fernrohrs b das Spektrum im vergrösser- ten Maassstabe. Die Einrichtung ist so getroffen, dass das Spektrum nur die obere Hälfte des Gesichtsfeldes im Fernrohr einnimmt, während die untere für die Auffas- sung eines anderen Bildes frei bleibt. Dies hat folgenden Zweck: Will man die hellen oder dunkeln Linien verschiedener Spektra mit einander vergleichen, so ist offenbar eine genaue Feststellung der Identität ihres Orts erforderlich; da die Röhren a und b und die Stellung des Prismas p unveränderlich bleiben, so ist für eine be- stimmte Linie eines gewissen Spektrums die Lage im Gesichtsfeld des Fernrohres b unveränderlich. Um nun zu entscheiden, ob eine gewisse Linie des andern Spek- trums denselben Ort einnimmt, wäre die Schätzung nach dem blossen Augenmaass zu ungenau. Man könnte aber eine genauere Feststellung des Ortes etwa auf fol- gende Weise erreichen. Man würde in der Richtung p c in grösserer Ferne eine Scala anbringen, welche an der b und c zugekehrten Prismenfläche so sich spiegelte, dass ihr Bild durch das Fernrohr b gesehen werden könnte, und dass das Bild ge- Wundt , medicin. Physik. 17 Von dem Lichte. rade in die untere, freigelassene Hälfte des Gesichtsfeldes fiele. Da nun aber das Fernrohr b auf parallele Strahlen eingestellt ist, so müsste man jene Scala in der Richtung p c sehr weit entfernen, was unbequem würde. Desshalb hilft man sich auf folgende Weise. An dem dem Prisma zugekehrten Ende der Röhre c befindet sich eine Linse, deren Brennweite gleich der Länge von c ist; am andern Ende befindet sich eine kleine Scala aus Glas, durch welche das Licht einer Flamme 1 von aussen in die Röhre eintritt. Die von hier ausgehenden Strahlen werden dann von der Linse so gebrochen, dass sie die parallele Richtung bekommen und daher gleichzeitig mit dem Spektrum deutlich durch das Fernrohr b gesehen werden können. Die in c be- findliche Scala muss übrigens sehr fein sein, weil sie durch das Fernrohr vergrössert wird; dieselbe wird erhalten, indem man eine grössere Scala in verkleinertem Maass- stab auf das Glas photographirt. Man hat nun also in der untern Hälfte des Ge- sichtsfeldes fortwährend eine Scala von fester Stellung, und sobald Linien verschiede- ner Spektren mit einem und demselben Theilstrich der Scala zusammenfallen, so ha- ben sie eine übereinstimmende Lage. Um von dem Prisma alles Licht ausser dem untersuchten abzuhalten, werden während der Beobachtungen die drei Röhren sammt dem Prisma mit einem schwarzen Tuch überdeckt. Der nämliche Apparat lässt sich auch anwenden, um die Absorptionsspektren von Flüssigkeiten zu untersuchen. Man bringt zu diesem Zweck unmittelbar vor den Spalt ein Glasgefäss mit parallelen Wandungen, in welchem sich die Flüssigkeit befindet, und lässt Sonnenlicht durch sie hindurchtreten. 172 Theorie der Absorptions- erscheinungen. Um die Erscheinungen der Absorption zu erklären, müssen wir auf die mechanische Bedeutung derselben zurückgehen. Das Licht ist eine Schwingungsbewegung des Aethers, und nach den allgemeinen Grundsätzen der Wellenbewegung müssen wir die einzelnen farbigen Strahlen des Lichtes als Schwingungsbewegungen von verschiedener Oscillationsdauer betrachten. Wenn nun bei der Absorption Strahlen von einer bestimmten Brecharkeitsstufe verschwinden, so können nur, da eine Bewegung nicht absolut vernichtet werden kann, die Bewe- gungen von der jener Brechbarkeitsstufe entsprechenden Oscillations- dauer sich auf Atome übertragen haben, deren Bewegungen keine Lichtwirkungen verursachen, d. h. die Schwingungen der Aetheratome müssen Ortsveränderungen der wägbaren Atome verursacht haben. Wenn aber bloss Aetheratome von einer bestimmten Oscillationsdauer das Bestreben zeigen ihre Bewegungen auf die wägbaren Molecüle zu übertragen, so muss dies daraus erklärt werden, dass die wägba- ren Atome des betreffenden Körpers die Neigung haben in Perioden zu schwingen, welche den Schwingungsperioden der absorbirten Strah- len entsprechen. So muss z. B. der Natrondampf das Bestreben haben Schwingungen zu vollführen, deren Brechbarkeit der Doppellinie D des Spektrums entspricht; desshalb leuchtet, indem die Schwingungen der Natriumatome sich auf den umgebenden Aether übertragen, im glühenden Natrondampf jene Doppellinie. Anderseits hat aber auch der Natrondamf das Bestreben Licht von der gleichen Brechbarkeit zurückzuhalten, da ankommende Schwingungen von der entsprechen- Chemische Wirkungen des Lichtes. den Periode sich vorzugsweise auf die Natriumatome übertragen müssen. Es giebt zwei Reihen von Erscheinungen, welche man als eine directe Berührung dieser Theorie betrachten kann. Die erste dersel- ben, welche die chemischen Wirkungen des Lichtes umfasst, beweist augenscheinlich, dass das Licht Ortsveränderungen der Körper- molecüle bewirkt. Die zweite zeigt, dass die durch das Licht her- vorgerufenen Bewegungen der Atome sich rückwärts wieder auf den Aether übertragen und so in den Erscheinungen der Fluorescenz ein Selbstleuchten der Körper hervorrufen können. Zwölftes Capitel . Chemische Wirkungen des Lichtes. In den meisten Fällen bleibt die Einwirkung des Lichtes auf die 173 Chemische Ver- bindungen und Zersetzungen durch das Licht. Wirkung auf Silbersalze. Photographie. Körper innerhalb jener Grenze, in der sie uns nur durch die Verän- derungen an dem reflectirten oder durchgetretenen Lichte selbst an- gedeutet wird. Es ist zwar wahrscheinlich, dass auch in solchen Fäl- len mehr oder minder bleibende Veränderungen in den Körper hervor- gerufen werden, aber wir können dieselben nicht nachweisen. Dagegen giebt es bestimmte Körper, an denen sich die Einwirkung auf ihre Molecüle durch chemische Verbindungen oder Zersetzungen zu erken- nen giebt. Hierher gehört die Verbindung von Chlor und Wasserstoff unter Einwirkung des Lichtes zu Chlorwasserstoffsäure, die Zersetzung des Wassers durch Chlor unter Erzeugung von Chlorwasserstoffsäure und Sauerstoff, die Zersetzung der Farbstoffe, die bei dem Bleichen ihre Anwendung findet, endlich die grossartige Wirkung des Lichtes auf die chemischen Vorgänge im Pflanzenorganismus, wodurch derselbe fortan Kohlensäure aufnimmt und Sauerstoff aushaucht. Die ausgedehnteste Anwendung hat in neuerer Zeit die Einwir- kung des Lichtes auf die Haloidsalze des Silbers gefunden. Diese, wie Chlorsilber, Jodsilber u. s. w., werden unter Einwirkung des Lichtes zuerst violett und dann schwarz gefärbt, indem das Silber theil- weise reducirt und als feines schwarzes Pulver ausgeschieden wird. Lässt man das Licht nur sehr kurze Zeit einwirken, so wird zwar das Silber noch nicht reducirt, aber doch zur Reduction geneigter gemacht, so dass es bei der Einwirkung reducirender Substanzen sich viel rascher zersetzt. Man hat diese Eigenschaft der Silbersalze zur Her- stellung der Lichtbilder benützt. Die Grundzüge des photographischen Verfahrens sind folgende. Eine Glasplatte wird mit einer dünnen Schichte von Collodium, welches etwas Jodkalium enthält, überzogen und dann in eine salpetersaure Silberoxydlösung eingetaucht, so dass sich durch doppelte Zersetzung Jodsilber und salpetersaures Kali bil- det, welches letztere Salz sich in der Flüssigkeit löst, während das 17 * Von dem Lichte. Jodsilber auf der Collodiumplatte zurückbleibt. Man bringt eine solche Platte unter Abschluss des Lichtes in einer Gamera obscura (s. Fig. 111, §. 155) in die Brennebene einer achromatischen Sammel- linse. Das durch diese entworfene Bild eines in einiger Entfernung befindlichen Gegenstandes lässt man nun kurze Zeit auf die präpa- rirte Platte einwirken, nimmt hierauf die letztere wieder unter Ab- schluss des Lichtes heraus und übergiesst sie mit einer reducirenden Flüssigkeit, gewöhnlich mit einer concentrirten Lösung von Gallus- säure. Diese reducirt das Silbersalz da wo das Licht eingewirkt hat, dabei aber je nach der Intensität der Einwirkung an verschiedenen Stellen in verschiedenem Maasse. Die lichtstärksten Stellen des Bil- des erscheinen also am dunkelsten, die lichtschwächsten am hellsten. Man nennt wegen dieser umgekehrten Vertheilung von Licht und Schatten das Bild ein negatives . Um die weitere Lichteinwirkung auf das negative Bild unmöglich zu machen wird das zurückgeblie- bene Silbersalz durch ein Lösungsmittel (unterschwefligsaures Natron oder Cyankalium) hinweggenommen. Das so hergestellte negative Bild auf der Glasplatte wird nunmehr in ein positives Bild auf Papier verwandelt. Man durchtränkt zu diesem Zweck das Papier zuerst mit einer Jodkaliumlösung und lässt es dann einen Augenblick auf einer salpetersauren Silberlösung schwimmen. Dadurch wird das Papier gerade so empfindlich für Licht wie die Collodiumschichte auf der präparirten Glasplatte. Legt man nun ein solches Papier unter eine Glasplatte, auf der sich ein negatives Bild befindet, und lässt man einige Zeit Licht durch die Glasplatte hindurchscheinen, so erhält man jetzt ein positives Bild auf dem Papier. Denn diejenigen Stellen auf der Glasplatte, an denen das Silber reducirt ist, sind un- durchsichtig, diese Stellen sind daher auf dem Papier der Wirkung des Lichtes entzogen, während die andern, wo das Silber nicht oder wenig reducirt ist, mehr oder weniger schwarz gefärbt werden. Auch an dem Papier löst man wieder das nicht zersetzte Silbersalz auf und hat so ein dauerndes positives Bild des Gegenstandes. In neuerer Zeit hat man die Photographie vielfach zur Abbildung von Natur- gegenständen für wissenschaftliche Zwecke benützt, und es verdient in dieser Bezie- hung namentlich die Photographie mikroskopischer Bilder unsere Aufmerksamkeit. Wir werden hierauf bei der Besprechung des Mikroskops im §. 189 zurückkommen. Das in der beschriebenen Weise dargestellte photographische Papier hat man ferner zuweilen auch als eine Art Reagens auf Lichtintensitäten gebraucht, so z. B. um zu entscheiden, in welchem Maasse Licht, welches durch einen durchsichtigen Körper oder eine Flüssigkeit getreten ist, in Folge der Absorption geschwächt wurde. 174 Chemische Wir- kung der ver- schiedenen Strahlen des Die verschiedenen Strahlen des Spektrums sind nicht gleich in ihrer chemischen Wirkung, sondern die letztere nimmt zu mit der Brechbarkeit der Strahlen. Das Roth übt also die geringste, das Vio- lett die grösste chemische Wirkung. Man kann diesen Unterschied Fluorescenz und Phosphorescenz. in der chemischen Wirkung der Strahlen unmittelbar nachweisen, in- Spektrums. Un- sichtbare che- mische Strahlen. dem man das Sonnenspektrum photographirt. Es erscheint dann das Bild im Violett weit dunkler als im Roth. Man beobachtet aber hier- bei noch eine andere auffallende Erscheinung. Man findet nämlich, dass das photographische Bild des Spektrums grösser ist als das un- mittelbar sichtbare, indem es noch eine Strecke weit über das Violett hinausreicht. Hieraus geht hervor, dass es noch brechbarere Strahlen giebt als die violetten, dass dieselben aber unser Auge nicht mehr erre- gen, während sie dagegen eine chemische Wirkung ausüben können. Auch die Untersuchung der Absorptionsspektren lässt sich mit Hülfe dieser Prüfung der chemischen Wirkung vervollständigen. Es ergiebt sich hierbei, dass namentlich überall Licht absorbirt wird, wo eine chemische Wirkung stattfindet, und es trifft dann die Absorption vorzugsweise die brechbareren Strahlen des Spektrums. So wird z. B. bei der Bildung von Salzsäure aus Chlor und Wasserstoff unter Ein- wirkung des Lichtes stets Licht absorbirt, und die Quantität chemisch wirkender Lichtstrahlen, die verbraucht wird, ist in diesen Fällen nach Bunsen und Roscoe dem chemischen Effect proportional. Diese Wechselbeziehung zwischen chemischer Action und Absorption ist eine directe Bestätigung derjenigen Erklärung, die wir oben für den letzteren Vorgang gegeben haben. Dreizehntes Capitel . Fluorescenz und Phosphorescenz. Die Fluorescenz ist eine Erscheinung, die man nur bei einer 175 Erscheinungen der Fluorescenz. beschränkten Anzahl durchsichtiger fester und flüssiger Substanzen beobachtet. Sie besteht darin, dass ein Körper, während Licht auf ihn fällt, selbst zu leuchten anfängt. Betrachtet man z. B. eine schwe- felsaure Chininlösung im durchtretenden Sonnenlichte, so entsteht von dem Punkt an wo das Licht in die Flüssigkeit eintritt den Weg des Lichtstrahls entlang eine schön himmelblaue Farbe, die jedoch beim Durchtreten durch die oberflächlichen Schichten der Flüssigkeit schwä- cher wird und tiefer in derselben ganz verschwindet. Das Licht ver- liert also beim Hindurchtritt durch den Körper allmälig seine Wirkung. Substanzen, an denen man besonders stark die fluorescirende Wir- kung beobachtet hat, sind: der Flussspath (von dem die Erscheinung ihren Namen trägt), das Uranglas, die schwefelsaure Chininlösung, Aeskulinlösung und Chlorophyll in Alkohol. Auch die frische Netz- haut des Auges fluorescirt etwas, während man an Glaskörper und Linse die Erscheinung nicht wahrnehmen kann. Das fluorescirende Licht ist immer gefärbt und hat für jede fluo- rescirende Substanz seine eigenthümliche Färbung. So verbreitet das Chinin einen blauen, das Uranglas einen grünen, das Chlorophyll einen Von dem Lichte. rothen Lichtschein. Diese Färbungen treten aber nur dann bestimmt auf, wenn man die Körper von weissem Licht bestrahlen lässt, wäh- rend farbige Strahlen nicht immer Fluorescenz hervorrufen. Unter- sucht man die Einwirkung der verschiedenen Strahlen des Spektrums nach einander, so ergiebt sich als allgemeine Regel, dass jeder Kör- per, der in einer bestimmten Farbe fluorescirt, durch Farben von stärkerer Brechbarkeit, nicht aber durch solche von schwächerer Brech- barkeit zur Fluorescenz gebracht werden kann. Lässt man z. B. rothes oder gelbes Licht auf Chininlösung oder Uranglas fallen, so ist keine Fluorescenz zu beobachten, während Chlorophyll, welches roth fluores- cirt, für Farbestrahlen jeder Art die Erscheinung zeigt. Das Gesetz, dass das fluorescirende Licht immer weniger brech- bar ist als dasjenige, welches die Fluorescenz erzeugt, giebt uns ein Mittel an die Hand, um die gewöhnlich nicht sichtbaren ultravioletten oder chemischen Strahlen, auf die uns die chemischen Wirkungen des Spektrums geführt haben, dem Auge sichtbar zu machen. Bringt man nämlich vor dem ein reines Spektrum entwerfenden Prisma in der früher angegebenen Weise einen feinen Spalt an, der es möglich macht irgend einen Theil des Spektrums isolirt aufzufangen, und iso- lirt man auf diese Weise die übervioletten Strahlen, so findet sich, dass die letzteren in einer schwefelsauren Chininlösung Fluorescenz verursachen. Uebrigens bemerkt man bei diesem Versuch, dass auch ohne Fluorescenz das ultraviolette Licht, wenn es in der angegebenen Weise von den andern Lichtwellen isolirt wird, einen freilich sehr schwachen, bläulichen Eindruck auf unser Auge macht. Da, wie wir gesehen haben, die Netzhaut in bläulichem Lichte fluorescirt, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass das Sehen des Ultraviolett überhaupt und insbesondere dieser Farbenton ganz oder theilweise auf der Fluores- cenz der Netzhaut beruht. Mit Hülfe der Fluorescenzwirkung der unsichtbaren chemischen Strahlen kann man ein Spektrum entwerfen, welches viel breiter ist als das gewöhnliche, indem es weit über das Violett hinausgeht. Man stellt so, indem man das Licht nach seiner Brechung im Prisma durch eine fluorescirende Substanz, z. B. schwefelsaure Chininlösung, treten lässt, ähnlich wie durch die Projection auf eine photographische Platte ein Spektrum dar, welches die chemischen Strahlen noch mit umfasst. Stokes hat gefunden, dass alles Licht, welches minder brechbar ist als das durch die Fluorescenz entstehende, ziemlich ungehindert und ohne absorbirt zu werden durch die fluorescirende Substanz hindurch- tritt, dass dann da wo die Fluorescenz beginnt das Spektrum sehr dunkel wird, um für die noch brechbareren Strahlen sich wieder aufzu- hellen, weit über die Grenze des gewöhnlich sichtbaren Spektrums hinaus. In diesem verlängerten Theil des Spektrums lassen sich dann noch eine grosse Menge Fraunhofer’scher Linien erkennen. Unter- Fluorescenz und Phosphorescenz. sucht man nun aber das Licht des Fluorescenzspektrums mittelst eines zweiten Prismas, indem man durch einen Schirm mit Spalt die ver- schiedenen Farben nach einander auf das zweite Prisma fallen lässt, so findet sich, dass von der Grenze der Fluorescenz an die Brechbar- keit sämmtlicher Strahlen abgenommen hat, so dass selbst die äusser- sten chemischen Strahlen nunmehr diesseits der Grenze des Violett zu liegen kommen. Wir haben gesehen, dass die Absorptionserscheinungen aus einer 176 Theorie der Fluorescenz. Uebertragung der Aetherbewegungen auf die Molecüle der absorbiren- den Substanz erklärt werden müssen, und dass jeder Körper solche Strahlen absorbirt, mit deren Schwingungen die Schwingungen seiner Molecüle übereinstimmen. Nun haben wir offenbar in den fluoresci- renden Substanzen solche Körper vor uns, deren Molecüle besonders leicht in Schwingungen von bestimmter Periode gerathen, und bei denen daher diese Schwingungen so lebhaft sind, dass sie sich auf den umgebenden Aether übertragen und so die Lichterscheinung her- vorrufen. Dabei geräth aber die fluorescirende Substanz nicht bloss durch Aetherschwingungen, mit deren Periode ihre eigenen Molecular- schwingungen übereinstimmen, und denen daher die Farbe der ent- stehenden Lichterscheinung entspricht, sondern auch durch Aether- schwingungen von schnellerer Periode in Fluorescenz. Man kann sich diese Thatsache nach Analogie jener Mitschwingungen erklären, die wir in der Lehre vom Schall kennen gelernt haben. Eine Saite ge- räth in Mitschwingungen, wenn eine Schallwelle von genügender Stärke sie trifft, die dem Eigenton der Saite entspricht. Ein tieferer Ton kann keine Mitschwingungen hervorrufen. Wohl aber können dies höhere Töne, da diese zwar zunächst nur einen ihrer Schwin- gungsdauer entsprechenden Theil der Saitenlänge zu erregen streben, dieser Theil aber, wenn er in Schwingung kommt, alsbald ein Mit- schwingen der ganzen Saite bewirkt. Aehnlich gerathen auch die Mo- lecüle des fluorescirenden Körpers nicht bloss in Mitschwingungen, wenn Aetheroscillationen von einer ihrer Schwingungsdauer gleichen Periode, sondern auch wenn solche von schnellerer Periode sie treffen. So lange es bloss um die Fortpflanzung der Schwingungen von Aether- atomen auf Atheratome sich handelt, kann ein derartiges Mitschwingen, wie es bei der Fluorescenz vorkommt, nicht stattfinden, sondern es müssen die Aethertheilchen, auf welche eine bestimmte Welle sich fortpflanzt, immer in den dieser Welle genau entsprechenden Perioden schwingen. Denn die Aetheratome müssen im Verhältniss zu den Vi- brationen, die sie ausführen, als so klein angesehen werden, dass sie nur als ganze in Schwingungen kommen können und daher auch als ganze den sie treffenden Schwingungen sich anpassen müssen. Da- gegen haben die wägbaren Molecüle schon eine merklichere Grösse, Von dem Lichte. so dass sehr wohl zunächst Theile derselben in Mitschwingungen ge- rathen können, die dann erst das ganze Molecül in Schwingung ver- setzen, welches nun, ähnlich wie eine angeschlagene Saite, seine Ei- genschwingungen vollführt und auf den umgebenden Aether überträgt. 177 Phosphorescenz. Leuchtende Thiere. Eine minder erforschte Erscheinung ist die Phosphorescenz . Man versteht darunter die Eigenschaft gewisser Substanzen, noch eine längere Zeit nachdem sie vom Licht bestrahlt worden sind im Dun- keln zu leuchten. Zu den phosphorescirenden Substanzen gehören namentlich Diamant, Kalkspath, eine Sorte Flussspath, die unter dem Namen Chlorophan bekannt ist, in geringerem Grade ferner Strontian, Baryt, die meisten Kalksalze. Auch hier sind es vorzüglich die Strahlen von grösserer Brechbarkeit, welche das Phänomen hervor- rufen. Man muss dasselbe wohl auch auf eine Uebertragung der Aetherschwingungen auf die Molecüle zurückführen und annehmen, dass die Molecüle der phosphorescirenden Substanzen die Neigung besitzen längere Zeit fortzuschwingen. Es giebt noch eine Reihe von Lichterscheinungen, die man eben- falls gewöhnlich als Phosphorescenz bezeichnet, die aber jedenfalls andern Ursprungs sind als die eben betrachteten. Hierher gehört das Leuchten faulenden Holzes, die Lichtentwicklung gewisser Insekten (der Lampyriden, einiger Tausendfüsser), namentlich aber zahlreicher Seethiere. Unter den letzteren sind es besonders die Quallen, ausser- dem viele Mollusken, Polypen, Infusorien, Würmer u. a., welche die wunderbare Erscheinung des Meerleuchtens hervorrufen. Bei den meisten dieser Thiere sind es schleimartige Hautabsonderungen, welche die Lichtentwicklung zeigen, bei andern, wie den Lampyriden, befin- det sich der leuchtende Körper als eine fettähnliche, phosphorhaltige Substanz in einem besondern Organ eingeschlossen. Offenbar beglei- tet in allen diesen Fällen die Lichtentwicklung bestimmte chemische Zersetzungen, noch ist aber weder die Natur der letzteren noch ihr Zusammenhang mit der Lichtentwicklung genügend aufgeklärt. V. Von den wichtigsten optischen Instrumenten. Vierzehntes Capitel. Das Auge . 178 Das schemati- sche Auge und seine optischen Constanten. Verhältniss der beiden Brenn- weiten. In der physikalischen und physiologischen Optik sowie für manch- fache Zwecke der practischen Heilkunde werden verschiedene Instru- mente gebraucht, welche auf Anwendungen der bisher erörterten opti- schen Lehren beruhen. Dasjenige optische Werkzeug, das hier voran- gestellt werden muss, ist das Auge . Die andern optischen Instrumente Das Auge. sind Hülfsmittel zur Unterstützung unseres Auges in der Beobachtung äusserer Gegenstände; keines derselben kann daher verstanden wer- den, ehe man mit der physikalischen Bedeutung des Auges ver- traut ist. Das Auge ist ein centrirtes Linsensystem, welches von den in der Optik meistens gebräuchlichen Linsensystemen dadurch abweicht, dass das erste und letzte Medium nicht mit einander übereinstimmen: denn das erste ist Luft, das letzte ist die zwischen Linse und Netz- haut angesammelte Glasfeuchtigkeit. Obgleich die einzelnen Ober- flächen dieses Systems nicht vollkommen kugelförmig gekrümmt sind, so kann man sie doch für die meisten Zwecke, ohne erhebliche Feh- ler zu begehen, als kugelförmig gekrümmte Flächen betrachten. Ob- gleich ferner die Krystalllinse in ihren einzelnen Schichten ein etwas verschiedenes Brechungsvermögen besitzt, da sie gegen ihren Kern hin dichter wird, so kann man doch für sie einen einzigen Brechungs- exponenten annehmen, bei welchem sie die nämliche optische Wir- kung hätte. Ausserdem lassen sich die wenig von einander abwei- chenden Brechungsexponenten der Hornhaut, der wässerigen Feuch- tigkeit und des Glaskörpers einander gleich setzen. Nach dieser ver- einfachten Betrachtungsweise erscheint somit das Auge als ein Medium von der Dichte der wässerigen Feuchtigkeit mit einer kugelförmigen Oberfläche und einer in ihr suspendirten Biconvexlinse von dichterer Beschaffenheit. Das so hergestellte brechende System bezeichnet man nach Listing als schematisches Auge . Für die Krümmungs- radien und Brechungsexponenten des schematischen Auges nimmt man folgende Werthe an: Krümmungshalbmesser der Hornhaut 8 Mm. Brechungsvermögen der wäs- serigen Feuchtigkeit 103/77 „ der vorderen Lin- senfläche 10 Mm. „ der Krystalllinse 16/11 „ der hintern Lin- senfläche 6 Mm. „ des Glaskörpers 103/77 Die Entfernung der vordern Hornhaut- und vordern Linsenfläche sowie die Dicke der Linse lässt sich zu je 4 Mm. ansetzen. In Fig. 126 (auf S. 270) haben wir unter Zugrundlegung dieser Werthe einen verticalen Durchschnitt der Begrenzungsflächen des Auges in doppelter Grösse dargestellt. H ist die Oberfläche der Hornhaut, L' die vordere, L″ die hintere Linsenfläche und f' f″ die optische Axe des Auges. Beschränken wir uns auf die Betrachtung der Lichtbrechung in der Krystalllinse, so ist dieselbe lediglich nach den Gesetzen der Brechung in einer biconvexen Sammellinse zu beurtheilen, die auf beiden Seiten vom selben Medium umgeben ist. Denken wir uns da- gegen die Krystalllinse weg, um die Brechung zu betrachten, welche Von dem Lichte. die wässerige Feuchtigkeit allein hervorrufen würde, so haben wir es mit der Brechung aus einem dünneren in ein dichteres Medium an einer einzigen gekrümmten Fläche zu thun. Die wirkliche Brechung im Auge wird somit aus diesen beiden von uns früher betrachteten Fällen combinirt sein (s. §. 146 u. §. 150 u. f.). Da das erste und letzte Medium des Auges ein verschiedenes Brechungsvermögen besitzen, so müssen auch, ebenso wie bei der Brechung an einer einzigen Fläche, die vordere und die hintere Brenn- weite von einander abweichen. Das Verhältniss der beiden Brenn- weiten zu einander wird durch das Dasein der Krystalllinse nicht weiter abgeändert, weil die letztere auf beiden Seiten vom selben Me- dium umgeben ist und also gleiche Brennweiten hat. Für eine einzige brechende Fläche fanden wir nun (in §. 147) die vordere Brennweite F 1 = , die hintere Brennweite F 2 = . Es verhalten sich also F 1 : F 2 wie 1 : n oder, weil der Brechungsexpo- nent der Luft = 1 gesetzt wurde, wie das Brechungsvermögen des dünneren zu demjenigen des dichteren Mittels. Für das Auge haben wir hiernach, da bei ihm n das gemeinschaftliche Brechungsvermögen von wässeriger Feuchtigkeit und Glaskörpermasse bezeichnet, F 2 = F 1 . 179 Das reducirte Auge. Berech- nung der Verei- nigungsweite und Bildgrösse. Um die Vereinigungsweite für einen leuchtenden Punkt von be- stimmter Entfernung zu finden, verfahren wir nach demselben Princip, das wir bei der Brechung in Linsen und Linsensystemen angewandt haben, d. h. wir nehmen zunächst an, es sei nur das mit wässeriger Feuchtigkeit gefüllte Auge vorhanden und suchen für dieses die Verei- nigungsweite. Den gefundenen Bildpunkt betrachten wir dann aber als virtuelles Object für die Krystalllinse, um so schliesslich die wirk- liche Vereinigungsweite zu finden (vgl. §. 152 u. 154). Bezeichnen wir die Entfernung des leuchtenden Punktes durch f 1 , die hintere Brennweite jenes hypothetischen Auges aus wässeriger Feuchtigkeit durch F b , und die Vereinigungsweite desselben für den Punkt f 1 durch f b , so ist nach Gleichung 1 §. 147 . Nun muss — f b als Entfernung des leuchtenden Punktes für die Krystalllinse angesehen werden, es ist dann, wenn mit F a die Brennweite der Krystalllinse und mit f 2 die Vereinigungsweite für den Punkt — f b , also die wirkliche Vereinigungsweite, bezeichnet wird, nach Gleichung 3 §. 151 . Führt man hierin aus der obigen Gleichung den Werth für ein, so erhält man Das Auge. . Da nun aber nach §. 154 der reciproke Werth der Brennweite eines Systems gleich der Summe der reciproken Werthe der Brennweiten seiner Bestandtheile ist, so können wir statt setzen, und wir haben somit: 1) . Diese Gleichung gleicht vollkommen derjenigen, die wir für die Bre- chung an einer einzigen gekrümmten Fläche gefunden haben. Daraus ziehen wir die wichtige Folgerung, dass man sich das Auge durch eine einzige brechende Oberfläche eines Mediums, das den Brechungs- exponenten der wässerigen Feuchtigkeit besitzt, ersetzt denken kann, wenn man für den Krümmungsradius jener brechenden Oberfläche einen bestimmten Werth annimmt. Ein Medium mit einer solchen Oberfläche würde für einen Punkt f 1 dieselbe Vereinigungsweite f 2 haben wie das wirkliche Auge, ebenso würde seine hintere Brennweite F 2 und, da F 2 = n F 1 , auch seine vordere Brennweite derjenigen des wirklichen Auges entsprechen. Die Beziehung zwischen dem Krüm- mungsradius r, den die brechende Oberfläche besitzen müsste, und der Brennweite ergiebt sich aber unmittelbar aus der Gleichung F 1 = . Listing hat dieses System aus einer brechenden Fläche, welches dem Auge substituirt werden könnte, als reducirtes Auge bezeichnet. Die brechende Oberfläche des reducirten Auges verlegt Listing nicht in die Hornhaut, sondern 2,3448 Mm. hinter dieselbe. Dann fällt die brechende Oberfläche des reducirten Auges genau in die Mitte zwischen die nachher zu bestimmenden beiden Hauptpunkte, die sich für das wirkliche Auge ergeben (zwischen h' und h″ Fig. 126 S. 270). Unter dieser Voraussetzung wird ferner F 2 , die Entfernung des hinteren Brennpunktes (d. h. der Netzhaut) von der brechenden Ober- fläche, = 20,3126 Mm., und hieraus folgt r = 5,1248 Mm. Dieses reducirte Auge folgt nun vollkommen den Gesetzen der Brechung an einer einzigen Kugelfläche. Der Kreuzungspunkt der Richtungsstrahlen fällt mit dem Krümmungsmittelpunkt der Kugelfläche zusammen, liegt also 5,1248 Mm. hinter jener idealen Fläche oder 7,4696 Mm. hinter der Hornhaut, im Punkte k (Fig. 126), der zwischen den zwei Kno- tenpunkten k' und k″ des wirklichen Auges gelegen ist. Die Bestim- mung der Bildgrösse irgend eines ausgedehnten Gegenstandes auf der Netzhaut ist hiernach für das reducirte Auge äusserst einfach. Be- zeichnen wir nämlich den eben bestimmten Krümmungsradius dessel- ben mit r, die Distanz des Objectes β 1 von der Oberfläche desselben Von dem Lichte. mit f 1 , und die Distanz, in welcher hinter ihr das Bild β 2 entworfen wird, mit f 2 , so ist nach §. 147, Gleichung 5 2) . In einem Auge, auf dessen Netzhaut das deutliche Bild des Objectes entworfen wird, ist f 2 gleich der Länge der Augenaxe; die Grösse r entspricht der Entfernung des Kreuzungspunktes der Richtungsstrahlen vom Hornhautscheitel. Bezeichnen wir letztere Entfernung mit k, die Länge der Augenaxe mit A und die Entfernung des Objectes mit E, so können wir die obige Gleichung auch folgendermassen schreiben: 2a) . Aus den Erörterungen des §. 152 über die Theorie der Linsen ersieht man, dass die obigen Gleichungen 1 und 2 zur Bestimmung der Vereinigungsweite und Bildgrösse nur angenäherte Werthe ergeben können, da hier, ähnlich wie bei den ana- logen Brechungsgesetzen für Linsen, die Entfernungen der verchiedenen brechenden Flächen von einander vernachlässigt wurden. Desshalb ist auch die Ersetzung des ganzen brechenden Systems durch eine einzige Oberfläche nur ein annähernd richtiges Verfahren; in Wahrheit kann eine einzige brechende Fläche nie vollständig die Wir- kung eines brechenden Systems hervorbringen, und durch ein solches System kann ebenso wenig wie durch eine einzelne Linse der Richtungsstrahl völlig ungebrochen hindurchgehen. Trotzdem reicht für die meisten Zwecke die Benützung des reducirten Auges aus. Bezüglich der Anwendung der für dasselbe aufgestellten Gleichungen 1 und 2 ist folgendes zu bemerken. Die einzigen constanten Werthe, die zu deren Auf- lösung erfordert werden, sind r = 5,1248 und F 2 = 20,3126. Hat man aber aus Gleichung 1 f 1 oder f 2 gefunden, und will man diese Entfernungen von der Ober- fläche des reducirten Auges auf Entfernungen von der Hornhaut zurückführen, so hat man einfach f 1 — d statt f 1 und f 2 + d statt f 2 zu setzen, wenn d = 2,3448 die Entfernung der Oberfläche des reducirten Auges vom Hornhautscheitel bedeutet. 180 Die optischen Cardinalpunkte. Gang der Licht- strahlen im schematischen Auge. Um eine genauere Kenntniss des Gangs der Lichtstrahlen durch das Auge zu gewinnen, müssen wir zu den Betrachtungen des §. 151 zurückkehren. Wir haben dort gesehen, dass bei der Brechung in einer Linse der Kreuzungspunkt der Richtungsstrahlen in zwei Punkte, die beiden Knotenpunkte, auseinanderfällt, da durch eine auf beiden Seiten vom selben Medium umgebene Linse kein seitlich auffallender Strahl mehr ungebrochen hindurchgeht, während es aber Strahlen giebt, die keine Richtungsänderung sondern nur eine sich parallele Ver- schiebung erfahren. Wir haben diese Knotenpunkte zugleich als Hauptpunkte bezeichnet, weil ein Object, das sich in der auf dem einen derselben senkrechten Ebene befände, ein aufrechtes, gleich ge- richtetes Bild auf der im andern Punkt senkrechten Ebene entwerfen würde, wesshalb jeder Strahl, der im ersten Medium nach einem be- stimmten Punkt der ersten Hauptebene gerichtet ist, nach der Bre- chung durch den gerade gegenüberliegenden Punkt der zweiten Haupt- Das Auge. ebene geht. Die genannten Cardinalpunkte müssen auch im Auge zu finden sein, da dasselbe eine von einem annähernd gleichförmigen Medium umgebene Sammellinse enthält, zugleich aber werden hier durch das Hinzutreten der Brechung an der Hornhaut die Bedingungen complicirt werden müssen. Wäre bloss die Brechung an einer Trennungsfläche vorhanden, so würden die beiden Knotenpunkte in einen einzigen Punkt, den Krümmungsmittelpunkt, zusammenfallen. Dieser Punkt würde aber nicht die Eigenschaft eines Hauptpunktes besitzen. Wenn man in ihm eine senkrechte Ebene errichtete, so würde ein Strahl, der im ersten Medium gegen einen bestimmten Punkt dieser Ebene gerichtet wäre, nach der Brechung gegen einen andern Punkt derselben Ebene ge- richtet sein. Die Richtung des gebrochenen und des ungebrochenen Strahls treffen in diesem Fall immer nur in demjenigen Punkte zu- sammen, welcher der brechenden Fläche selbst angehört, und an wel- chem unmittelbar die Brechung stattfindet. Man kann daher sagen, dass hier der einfache Hauptpunkt in dem Scheitel der brechenden Fläche selbst liegt. Für die Brechung an einer einzigen Fläche mit verschiedenen Medien auf beiden Seiten fallen somit die zwei Knoten- punkte und die zwei Hauptpunkte in je einen zusammen, aber der einfache Knotenpunkt ist verschieden von dem einfachen Hauptpunkt: jener ist mit dem Krümmungsmittelpunkt, dieser mit dem Scheitel- punkt identisch. Geht nun das hier vorausgesetzte einfache System in ein complicirteres über, indem weitere brechende Flächen hinzu- treten, so werden wieder je zwei Knotenpunkte und Hauptpunkte zu unterscheiden sein. Sobald aber das erste und das letzte Medium von einander verschieden sind, tritt zugleich die weitere Modification ein, dass die beiden Hauptpunkte nicht mehr mit den beiden Knotenpunkten zusammenfallen . Für ein zusammengesetztes optisches System von der Beschaffenheit des Auges erhalten wir dem- nach sechs optische Cardinalpunkte , mittelst deren sich nach den in §. 151 gegebenen Regeln unter Berücksichtigung der leicht zu übersehenden Modificationen, welche das Auseinanderfallen der Haupt- und Knotenpunkte bedingt, der Gang der Lichtstrahlen verfolgen lässt. Für das menschliche Auge sind diese Cardinalpunkte: 1) der erste Hauptpunkt : 2,1746 Mm. hinter der Vorderfläche der Hornhaut; 2) der zweite Hauptpunkt : 2,5724 Mm. hinter der Vorderfläche der Hornhaut; 3) der erste Knotenpunkt : 0,7580 Mm. vor der Hinterfläche der Linse; 4) der zweite Knotenpunkt : 0,3602 Mm. vor der Hinterfläche der Linse; 5) der erste Brennpunkt : 12,8326 Mm. vor der Hornhaut; Von dem Lichte. 6) der zweite Brennpunkt : 14,6470 Mm. hinter der Hinterfläche der Linse. Die erste Hauptbrennweite (Entfernung des vordern Brenn- punkts vom vordern Hauptpunkt) beträgt 15,0072 Mm., die zweite Hauptbrennweite (Entfernung des hintern Brennpunkts vom hin- tern Hauptpunkt) 20,0746 Mm. In Fig. 126 sind durch h', h″ die Fig. 126. beiden Hauptpunkte, durch k', k″ die Knotenpunkte und durch f', f″ die Brennpunkte bezeichnet. Da die Figur das Auge in doppelter Grösse darstellt, so sind natürlich auch die gegenseitigen Entfernungen der Cardinalpunkte verdoppelt. Um hiernach durch Construction den Weg eines gegebenen Lichtstrahls a b (Fig. 126) durch das Auge zu finden, ziehe man zunächst von dem Punkt b, wo der- selbe die erste Hauptebene trifft, eine Senkrechte b c auf die zweite Hauptebene. Dann suche man den Ort a' auf, wo der Strahl a b die erste Brennebene schneidet. Von a' aus ziehe man den Richtungsstrahl a k' k″ a″. Da nun alle von einem Punkt der ersten Brennebene ausgehenden Strahlen nach der Brechung einander parallel sein müssen, so folgt, dass die zu k″ a″ parallele Linie c d die Richtung des Strahls a b nach der Brechung ist. Soll für einen gegebenen Objectpunkt a der Vereinigungs- punkt der gebrochenen Lichtstrahlen gefunden werden, so verfolgt man ausser dem Strahl a b noch einen beliebigen zweiten in ähnlicher Weise: der Durchschnittspunkt der beiden Strahlen ist der Vereinigungspunkt. Da bei der letzteren Aufgabe die Wahl der Strahlen, deren Durchschnittspunkt aufgesucht wird, freigestellt ist, so ver- folgt man am zweckmässigsten 1) denjenigen von a ausgehenden Strahl, der vor der Brechung nach dem ersten Knotenpunkt gerichtet ist, und 2) denjenigen Strahl, der vor der Brechung der Axe parallel ist: der erstere geht nach der Brechung seiner früheren Richtung parallel durch den zweiten Knotenpunkt, und der letztere geht nach der Brechung durch den zweiten Brennpunkt. Dass ein zusammengesetztes System wie das menschliche Auge getrennte Haupt- und Knotenpunkte besitzen muss, kann man sich durch folgende Betrachtung veran- schaulichen. Die von den Flächen L' und L″ (Fig. 127) begrenzte, auf beiden Seiten von einem annähernd gleich dichten Medium umgebene Linse hat für sich zwei nach den früheren Regeln zu bestimmende Knotenpunkte, die zugleich Hauptpunkte sind, Das Auge. Fig. 127. c und d. Ein Strahl der in der Richtung b c auf die Linse trifft, verlässt sie wie- der in der dazu parallelen Richtung d e. Aber der Strahl b c hat in der Luft eine von d e verschiedene Richtung a b. d und e können also nicht die Knotenpunkte für das ganze System sein. Einem von dem Punkte a ausgehenden homocentrischen Strahlenbüschel a b f entspricht nach geschehener Brechung ein im Punkte e sich sammelndes homocentrisches Strahlenbüschel d e g. Wäre nun bloss die brechende Hornhautoberfläche vorhanden, so würde ein Strahl a x, der in seiner Verlängerung den Krümmungsmittelpunkt r derselben durchschneidet, völlig ungebrochen hindurch- gehen; wäre bloss die Linse vorhanden, so würde der nach dem ersten Knotenpunkte c derselben gerichtete Strahl a y der Richtungsstrahl sein. Im ersten Fall müsste auf der Linie r x', im zweiten auf der Linie d y' der Vereinigungspunkt liegen, da r x' die Fortsetzung des Strahls a x und d y' die Fortsetzung des Strahls a y ist. In der That befindet sich aber der Vereinigungspunkt e zwischen den Linien r x' und d y', und es giebt einen mittleren Strahl k″ e des Strahlenbüschels d e g, dem ein paralleler Strahl a k' in dem Strahlenbüschel a b f vor der Brechung correspondirt. Dieser Strahl a k' k″ e ist somit der Richtungsstrahl, und die Punkte k', k″, die hinter den Knotenpunkten c, d der Linse und vor dem Mittelpunkt oder einfachen Knotenpunkt r der Hornhautfläche liegen, sind die Knotenpunkte für das brechende System des Auges. Ebenso wird es für ein solches zusammengesetztes System zwei Ebenen geben, welche die Eigenschaft von Hauptebenen besitzen, d. h. jeder von einem leuchtenden Punkte a ausgehende Strahl a b, der vor der Brechung nach einem Punkt l der ersten Hauptebene gerichtet ist, wird nach der letzten Brechung eine Richtung d e annehmen, welche einen dem vorigen gerade gegenüberliegenden Punkt m der zweiten Hauptebene schneidet. Diese Hauptebenen, welche in Systemen, deren erstes und letztes Medium übereinstimmt, mit den Knotenebenen zusammenfallen, müssen, während sich die letzteren nach rückwärts bewegen, umgekehrt nach vorn rücken, so- bald das letzte Medium dichter ist als das erste. Denn denkt man sich in c und d senkrechte Ebenen errichtet, so sind diese die Hauptebenen für die Linse L' L″ allein, und c und d sind die einander gegenüberliegenden Punkte dieser Ebenen, nach wel- chen der Strahl b c vor und nach der Brechung gerichtet ist. Nun hat aber b c vor der Brechung an der Hornhautfläche die Richtung a b. Verlängern wir a b und d e so findet sich, dass die Endpunkte dieser Richtungen einander gerade gegenüber lie- gen, wenn man a b bis nach l und d e bis nach m verlängert hat. Verfolgt man in ähnlicher Weise die Richtungen anderer Strahlen, z. B. a f, vor und nach der Bre- chung, so fallen die einander gegenüberliegenden Punkte stets in die gleichen Ebenen Von dem Lichte. H' und H″. H' und H″ sind somit die Hauptebenen des Systems, und die Punkte h' und h″, wo dieselben von der Axe durchschnitten werden, sind die Hauptpunkte. 181 Veränderung der Brennwei- ten bei der Accomodation. Maass der diop- trischen Zu- stände des Auges. Der hintere Brennpunkt des normalen Auges fällt in die Netz- haut. Das Auge besitzt aber die Fähigkeit, bei der Accomodation die Krümmung der Krystalllinse, namentlich an ihrer Vorderfläche, zu verstärken. Dadurch müssen beide Brennweiten kleiner werden. Pa- rallel auf die Hornhaut fallende Strahlen vereinigen sich daher jetzt nicht mehr in der Netzhaut sondern vor derselben, und in der Netz- haut kommt divergirendes Licht zur Vereinigung. Indem ein nor- males Auge auf diese Weise die Lage jedes Brennpunktes ungefähr um 2 Mm. verschiebt, also beide Brennweiten zusammen um 4 Mm. verkürzt, ist es im Stande auf der Netzhaut abwechselnd Strahlen zur Vereinigung zu bringen, welche aus unendlicher Ferne, und welche aus 4—5 Zoll Entfernung kommen. Von dieser Norm giebt es jedoch vielfache Ausnahmen. Ent- weder kann der hintere Brennpunkt vor die Netzhaut fallen, dann ist das Auge kurzsichtig (myopisch), oder er kann hinter die Netz- haut fallen, dann ist es übersichtig (hyperopisch). Es kann ferner zwar die Brennweite für parallele Strahlen normal, aber die Accomo- dationsfähigkeit verringert sein, so dass erheblich divergirende Strah- len nicht vereinigt werden können, und endlich kann diese Verrin- gerung der Accomodationsfähigkeit mit den verschiedenen Graden von Kurz- oder Uebersichtigkeit combinirt sein. In der normalen Accomodation besteht ein Hauptwerth der opti- schen Leistungen des Auges. Um verschiedene Augen in Bezug auf ihre Leistungen vergleichen zu können, ist es daher wünschenswerth ein Maass für das normale Verhalten der Accomodation und für die Abweichungen von demselben zu besitzen. Nun lassen sich die sämmt- lichen hierher gehörigen Unterschiede in dem optischen Verhalten der Augen zurückführen 1) auf die verschiedene Lage der Brennpunkte und 2) auf die verschiedene Accomodationsbreite . Wir be- zeichnen dasjenige Auge, dessen hinterer Brennpunkt in die Netz- haut fällt, als emmetropisches Auge (ἔμμετρος, modum tenens). Bei dem emmetropischen Auge kann die Fähigkeit den Brennpunkt mehr oder weniger weit zu verschieben noch eine sehr verschiedene sein. Je weiter durch stärkere Linsenkrümmung der hintere Brennpunkt nach vorn gerückt werden kann, um so grösser ist die Accomodations- breite des Auges. Dieselbe Wirkung, welche die stärkere Linsen- krümmung hervorbringt, würde man aber auch bei völliger Unverän- derlichkeit der brechenden Medien durch Vorsetzen einer Convexlinse erzeugen können. Brächte man successiv, den verschiedenen Graden der Accomodation entsprechend, verschiedene Linsengläser vor das Auge, so würde diejenige Convexlinse, die dem höchsten Accomoda- Das Auge. tionsgrad entspräche, also diejenige Verschiebung des Brennpunktes hervorbrächte, welche die äusserste Accomodation für die Nähe be- wirkt, ein Maass für die Accomodationsbreite des emmetropischen Au- ges sein. Eine Linse, die dies leistet, besitzt offenbar eine solche Brennweite, dass sie Strahlen, die vom Nahepunkt divergirend aus- gehen, parallel macht, so als ob sie vom normalen Fernpunkte kämen. Der Nahepunkt muss sich also im Brennpunkt der Linse befinden, d. h. die Linse muss eine Brennweite besitzen, welche gleich der Ent- fernung des Nahepunktes vom Auge ist. Bezeichnen wir mit N diese Entfernung des Nahepunktes, so giebt uns somit, da die brechende Kraft einer Linse durch den reciproken Werth der Brennweite ge- messen wird (§. 154), der Bruch das Maass der Accomodations- breite des emmetropischen Auges. Dieser Werth beträgt für das nor- male Auge, da die beiden Brennweiten desselben zusammen um 4— 5 Mm. geändert werden können, ¼—⅕. Ein solches Auge, dessen hinterer Brennpunkt nicht in die Netz- haut sondern vor oder hinter dieselbe fällt, wird allgemein als ame- tropisches Auge (ἄμετρος, extra modum) bezeichnet. Das ametro- pische Auge ist myopisch (brachymetropisch), wenn der Brennpunkt vor die Netzhaut fällt; es ist hyperopisch (hypermetropisch), wenn derselbe hinter die Netzhaut fällt. Bei dem ametropischen Auge muss 1) der Grad der Ametropie und dann 2) ähnlich wie oben die Acco- modationsbreite bestimmt werden. Der Grad der Ametropie wird einfach durch ein Linsenglas ge- messen, welches parallele Strahlen auf der Netzhaut zur Vereinigung bringt, also das ametropische in ein emmetropisches Auge verwandelt. Da das myopische Auge nur divergirendes, das hyperopische conver- girendes Licht vereinigt, so muss man dort eine Concavlinse, hier eine Convexlinse anwenden, um das ametropische in ein emmetropisches Auge zu verwandeln. Auch dabei ist wieder der reciproke Werth der Brennweite als Maass zu gebrauchen. Ist also F die Brennweite der betreffenden Concav- oder Convexlinse, so misst der Bruch den Grad der Myopie oder Hyperopie. Dem myopischen Auge muss eine Concavlinse von der Brennweite — F, dem hyperopischen eine Convexlinse von der Brennweite + F vorgesetzt werden. Für das myopische Auge ist diese Brennweite leicht zu bestimmen, weil hier F direct gleich der Distanz des Fernpunktes ist. Die Accomoda- tionsbreite für ein solches Auge wird man nun ermitteln können, indem man, nachdem zuvor durch Vorsetzen einer Linse von der Brenn- weite F das Auge dem emmetropischen gleich geworden ist, ebenso wie vorhin den Nahepunkt bestimmt. Ist dieser = A, so wird der Wundt , medicin. Physik. 18 Von dem Lichte. Bruch die Accomodationsbreite messen. Man kann aber auch die Accomodationsbreite des Auges direct erfahren, indem man den Fern- punkt und den Nahepunkt desselben aufsucht. Denn auch hier müs- sen die vom Nahepunkt kommenden Strahlen, wenn sie vereinigt wer- den sollen, eine solche Ablenkung erfahren, dass sie vom Fernpunkte zu kommen scheinen, d. h. die Linse muss so beschaffen sein, dass sie von einem Object, welches sich im Nahepunkt befindet, im Fern- punkt ein virtuelles Bild entwirft. Bezeichnet man daher die Brenn- weite der Linse mit A, die Entfernung des Nahepunktes mit N und des Fernpunktes mit F, so ergiebt die in §. 151, Gleichung 3 aufge- stellte Beziehung zwischen Brennweite, Object- und Bildentfernung, unter Berücksichtigung dass in diesem Fall das Bild ein virtuelles und also F negativ ist, . Für ein emmetropisches Auge wird F = ∞ und geht daher diese Gleichung in die andere über. Das nämliche Maassprincip lässt sich anwenden, um noch andere Unterschiede in den optischen Verhältnissen der Augen numerisch festzustellen. Es kommt häufig vor, dass der Krümmungsradius der brechenden Flächen, namentlich der Hornhaut, in den verschiedenen Meridianen erheblich abweicht. Wo diese Abweichung einen bedeu- tenderen Grad erreicht, bezeichnet man sie als Astigmatismus . Es lässt sich nun z. B. der Astigmatismus zwischen dem verticalen und horizontalen Meridian eines bestimmten Auges in der Brennweite einer Linse ausdrücken, welche die Brechung in der einen Richtung derjenigen in der andern gleich machen würde. Die Folgerungen aus den hier erörterten Principien in Bezug auf die Wahl der Brillengläser, die man zur Aufhebung der verschiedenen Formen der Ametropie und des Astigmatismus anwendet, sind äusserst einfache. Hat man den Fern- und Nahe- punkt eines ametropischen Auges, so ergiebt sich hieraus unmittelbar sowohl die Brennweite F derjenigen Linse, die dasselbe in ein emmetropisches verwandelt, als die Accomodationsbreite A. Für die Ausgleichung einer allzu geringen Accomodations- breite hat man natürlich kein Mittel als etwa dasjenige beim Sehen in verschiedene Entfernungen Linsen von verschiedener Stärke anzuwenden. Zur Ausgleichung höhe- rer Grade des Astigmatismus bedient man sich der s. g. Cylinderbrillen, d. h. solcher Gläser, die nur in einer Richtung gekrümmt sind, oder die in zwei auf einander senkrechten Richtungen eine verschiedene Krümmung besitzen. Hinsichtlich der prac- tischen Methoden der Sehprüfung zur Bestimmung von Nahepunkt, Fernpunkt, Grad des Astigmatismus u. s. w. müssen wir auf die ophthalmologischen Lehrbücher ver- weisen. Man vergl. namentlich Donders , Anomalieen der Refraction und Accomo- dation, deutsch von Dr. Otto Becker . Wien 1866. Auf die sphärische und chromatische Abweichung des menschlichen Auges gehen Das Mikroskop. wir hier nicht näher ein, da die Erscheinungen, zu welchen diese Abweichungen Ver- anlassung geben, überwiegend von physiologischer Bedeutung sind. Vergl. Lehrb. der Physiologie §. 212. Fünfzehntes Capitel. Das Mikroskop . Die Netzhautbilder von Gegenständen verschiedener Grösse und 182 Die Lupe. Entfernung lassen sich am einfachsten vergleichen, indem man den Winkel bestimmt, welchen die Richtungsstrahlen der Grenzpunkte des Objectes mit einander einschliessen. Dieser Winkel wird als Seh- winkel bezeichnet, und man kann nun die in Gleichung 2, §. 179 aufgestellte Beziehung zwischen Bild- und Objectgrösse einfach dahin formuliren, dass die Netzhautbilder von Gegenständen, die unter glei- chem Sehwinkel erscheinen, gleich gross sind. Sinkt der Gesichts- winkel unter eine bestimmte sehr kleine Grösse herab, dann können wir gesonderte Eindrücke, die innerhalb dieser Grösse stattfinden, nicht mehr unterscheiden. So fliessen uns z. B. zwei ausgespannte Fäden, die einander sehr nahe rücken, scheinbar in einen zusammen. Dieser kleinste Gesichtswinkel, der die Grenze unserer Unterschei- dungsfähigkeit bezeichnet, beträgt 60—90″ und entspricht einem Netz- hautbilde von 0,0043—0,0054 Mm. Hieraus folgt, dass wir an einem Gegenstand um so mehr die einzelnen Theile, aus denen er besteht, gesondert auffassen, unter einem je grösseren Gesichtswinkel wir ihn betrachten; dagegen erscheint jeder noch so ausgedehnte Gegenstand als ein einziger Punkt, sobald der Gesichtswinkel, unter welchem er gesehen wird, weniger als die angegebene Grösse beträgt. Durch die Accomodation sind wir nun in den Stand gesetzt, von einem und demselben Object unter sehr verschiedenen Sehwinkeln deutliche Bilder auf unserer Netzhaut entwerfen zu können. Das ge- wöhnliche Hülfsmittel, das wir zur Unterscheidung der einzelnen Theile eines Gegenstandes anwenden, besteht daher darin, dass wir densel- ben möglichst nahe an unser Auge bringen. Jedem Auge ist aber in dem Nahepunkt seiner Accomodation eine Grenze gesetzt, über die ein Object nicht genähert werden kann, ohne dass es durch die ent- stehenden Zerstreuungskreise weit mehr an Deutlichkeit verliert, als es durch den grössern Gesichtswinkel gewinnen würde. Nun haben wir in der Sammellinse ein Hülfsmittel kennen gelernt, welches solche Strahlen, die sonst erst hinter der Netzhaut zur Vereinigung kämen, auf oder vor derselben zur Vereinigung bringt. Indem die Sammel- linse gestattet den Gegenstand näher an das Auge heranzubringen, bewirkt sie daher, dass an demselben noch Einzelheiten erkannt wer- den können, welche in grösserer Entfernung verschwinden. Ausser- dem lenkt aber die Sammellinse die Lichtstrahlen von ihrem Wege 18 * Von dem Lichte. ab. Die vor dem Auge O befindliche Linse L (Fig. 128) verändert die Richtung der von den Punkten a, b eines Objectes a b ausgehen- Fig. 128. den Strahlen so, dass sie weniger divergent werden als vorher. Die von a und b kommenden Strahlenbüschel fallen demnach so auf das Auge, als wenn sie von den weiter entfernt liegenden Punkten a' und b' herkämen. Das Auge glaubt daher auch statt des Gegenstandes a b einen grösseren und ferner liegenden a' b' zu sehen. Die Wir- kung der einfachen Lupe , wie die Convexlinse als Beobachtungs- instrument genannt zu werden pflegt, beruht daher 1) auf dem er- möglichten Näherbringen der Gegenstände an’s Auge und 2) auf der durch die Ablenkung der Lichtstrahlen erzeugten Vergrösserung des Gesichtswinkels. Wäre die Linse L nicht vorhanden, so wären die durch den Knotenpunkt k des Auges gezogenen Strahlen a α , b β die Richtungsstrahlen, und α β wäre das Bild von a b. Beim Vor- handensein der Linse sind aber a α' , b β' die Richtungsstrahlen, α' β' ist also jetzt das Bild von a b, und k' ist der dem optischen System des Auges und der Linse gemeinsame Knotenpunkt. Die durch die Lupe L bewirkte Vergrösserung ist bestimmt durch das Ver- hältniss von a' b' zu a b. Das Bild a' b' ist nun ein virtuelles Bild von a b. Bezeichnen wir also wie früher die Entfernung c l des Objectes von der Linse mit f 1 , diejenige c' l des Bildes a' b' von der Linse mit f 2 , und mit F die Brennweite der letzteren, so ist (mit Rücksicht darauf dass f 2 bei einem virtuellen Bilde ne- gativ wird) nach Gleichung 3, §. 151 , woraus man f 1 = erhält. Nun bringt das Auge stets Lupe und Gegenstand in solche Ent- fernung, dass die Strahlen mit einer Divergenz auffallen, die der mittleren Sehweite entspricht, es wird also f 2 gleich der mittleren Sehweite weniger der Entfernung der Lupe vom Auge sein; nennen wir letztere Distanz R, die mittlere Sehweite S, so er- halten wir demnach Nach Gleichung 4 (§. 151) ist aber , also . Das Mikroskop. In dieser Gleichung kann man R, die Entfernung der Lupe vom Auge, gegen die Sehweite vernachlässigen, und darnach die Regel aufstellen: die Vergrösserung durch die einfache Lupe verhält sich wie die Summe der Sehweite und Brennweite zur Brennweite . Da die Sehweite in die Bestimmung der Vergrös- serung eingeht, so zeigt die Vergrösserungskraft einer und derselben Lupe individuelle Un- terschiede. Für eine Sehweite von 160 Mm. beträgt z. B. die Vergrösserungskraft einer Lupe von 10 Mm. Brennweite , für ein anderes Auge, dessen Sehweite = 300 Mm., ist die Vergrösserung derselben Lupe . Die Lupe gestattet stets nur einen Theil des Gegenstandes, den man mit ihr untersuchen will, mit Deutlichkeit zu übersehen. Da nämlich die von den Enden a und b des Objectes a b ausgehenden Lichtstrahlen stärker gebrochen werden als die mittleren (§. 153), so werden jene mehr von ihrer Divergenz abgelenkt, das Bild der Punkte a und b scheint daher in grösserer Entfernung zu liegen als das Bild des Punktes c. Das ganze Bild a' b' erscheint somit, wie dies durch die punktirte Linie a' b' in Fig. 128 angedeutet ist, in convexer Wöl- bung. Man benützt wegen dieser Verzerrung des Bildes immer nur den mittleren Theil der Lupe zur Beobachtung, und schliesst daher die Seitentheile zweckmässig durch einen in seiner Mitte durchbohrten geschwärzten Schirm, ein sogenanntes Diaphragma (D D Fig. 128), ab. Eine weitere Störung des Bildes, die sich geltend macht, ist die Farbenzerstreuung; sie kann in der in §. 166 angegebenen Weise durch eine Combination mehrerer Linsen vermindert werden. Das einfache Mikroskop ist nichts weiter als eine einfache oder durch Com- bination mehrerer Linsen hergestellte achromatische Lupe, die an einem Stativ befe- stigt ist, an welchem sich, wie am zusammengesetzten Mikroskop, Objecttisch und Be- leuchtungsspiegel vorfinden. Das einfache Mikroskop dient namentlich als Präparir- instrument und als solches zur Vorbereitung der Objecte für die Untersuchung unter dem zusammengesetzten Mikroskope. In der Lupe benützen wir die Linse oder ein System von Lin- 183 Das Bildmi- kroskop. sen, um ein Object in seinem virtuellen vergrösserten Bilde anzu- schauen. Wir können aber auch vermittelst der Sammellinse ein reelles vergrössertes Bild entwerfen, und hierauf beruhen die ver- schiedenen Formen des Bildmikroskops . Wir haben in §. 149 ge- sehen, dass, wenn man einen Gegenstand a' b' (Fig. 104 A, S. 224) in etwas grösserer Entfernung als die Brennweite beträgt vor eine Convexlinse bringt, auf der andern Seite derselben ein vergrössertes umgekehrtes Bild a b des Objectes entsteht. Denkt man sich bei a b einen Schirm zum Auffangen des Bildes aufgestellt, so sehen wir in Fig. 104 A das einfachste Schema eines Bildmikroskops vor uns. Statt des einfachen Convexglases bedient man sich jedoch bei den gebräuchlichen Bild- mikroskopen aplanatischer Linsensysteme , um die chromatische Von dem Lichte. und sphärische Abweichung möglichst zu vermeiden. Ausser von dem angewandten Linsensystem ist die Deutlichkeit des Bildes noch wesent- lich von der Intensität der Beleuchtung abhängig. Es ist klar, dass das Object a' b' (Fig. 104 A) sehr stark beleuchtet werden muss, da das von a' b' ausgehende Licht sich in dem Bilde a b auf eine viel grössere Fläche vertheilt. Je höher man die Vergrösserung treibt, um so mehr wird daher die Lichtstärke des Bildes geschwächt. Ausserdem geht bei der Brechung durch ein Linsensystem immer Licht in Folge von Reflexion und Absorption verloren. Diese Wichtigkeit der Beleuch- tung ist die Veranlassung, dass man die Bildmikroskope hauptsäch- lich nach den angewandten Beleuchtungsmethoden unterscheidet. Bei den Sonnenmikroskopen dient das Sonnenlicht, bei den Gas- mikroskopen das durch Verbrennung eines Kalkcylinders in Hy- drooxygengas erzeugte Licht, bei den photoelektrischen Mikro- skopen das zwischen zwei Kohlenspitzen durch eine starke elektrische Batterie hervorgebrachte Licht zur Beleuchtung. Von allen diesen Formen des Bildmikroskops ist noch immer das Sonnenmikroskop das vorzüglichste, weil es allein bei stärkeren Vergrösserungen eine ausreichende Lichtintensität giebt. Die wesentliche Einrichtung der Bildmikroskope ist übrigens bei diesen verschiedenen Arten der Be- leuchtung eine ziemlich übereinstimmende (s. Fig. 129). Abgesehen Fig. 129. von dem bildentwerfenden achromatischen Linsensysem L, welches nach dem in §. 166 auseinandergesetzten Princip aus mehreren, gewöhnlich drei, hintereinander liegenden achromatischen Combinationen zusam- mengesetzt ist, hat man an demselben das zwischen zwei Glasplatten eingeschlossene Object a b, das sich jenseits des vordern Brennpunk- tes f des Linsensystems befindet, den bildauffangenden Schirm S' S' und den Beleuchtungsapparat zu unterscheiden. Der letztere besteht, um das in irgend einer der genannten Weisen erzeugte Licht auf das Object concentriren zu können, entweder in einem Hohlspiegel oder in einem Planspiegel mit einer Convexlinse (S und C, Fig. 129). Das auf dem Schirm entworfene Bild a' b' ist das Schattenbild des Das Mikroskop. Objectes a b; es ist umgeben von den an den Rändern des Objectes vorbeigehenden, durch die Linse C gebrochenen Strahlen. Um die Grösse des Bildes durch Construction zu finden, muss man die Knoten- punkte des Systems kennen. Nimmt man dieselben wieder in einem einzigen Punkte k vereinigt an, so sind a a' und b b' die Richtungs- strahlen. Die durch ein Bildmikroskop hervorgerufene Vergrösserung ergiebt sich aus der in Gleichung 3, §. 151 aufgestellten Beziehung zwischen Bild- und Objectgrösse Wollte man f 1 = F machen, d. h. das Object in den Brennpunkt bringen, so würde β 2 = ∞. Um ein möglichst grosses reelles Bild zu erhalten, muss man also f 1 möglichst wenig verschieden von F, aber nicht gleich F machen. Ebenso ist ersichtlich, dass f 1 grösser als F bleiben muss. Denn nur unter dieser Bedingung wird β 2 positiv und liegt auf der β 1 entgegengesetzten Seite des Linsensystems. Wird β 2 negativ, indem man f 1 \< F nimmt, so wird das Bild ein virtuelles. Ist f 1 = 2 F (gleich der doppelten Brennweite), so wird β 2 = β 1 , d. h. das Bild wird eben so gross wie das Object. Obgleich man mit den Sonnenmikroskopen sehr starke Vergrösserungen erzeugen kann, bis zum 6—8000 fachen, und dabei den Vortheil eines grossen Gesichtsfeldes geniesst, welches das ganze Object gleichzeitig zu überschauen gestattet, so geben diese Mikroskope doch keine hinreichend deutlichen Bilder, um sich ihrer zu Unter- suchungen bedienen zu können. Der Grund dieser Undeutlichkeit der Bilder liegt, abgesehen von der sphärischen und chromatischen Abweichung, in Interferenzen der Lichtstrahlen, die sich insbesondere bei den stärkeren Vergrösserungen geltend ma- chen (s. Cap. 18). Dagegen sind diese Mikroskope zur objectiven Demonstration der gröberen Verhältnisse wohl geeignet. Projicirt man das durch ein Linsensystem entworfene Bild nicht 184 Das zussmmen- gesetzte diop- trische Mikro- skop. Einfach- ste Form des- selben. auf einen Schirm, sondern betrachtet man dasselbe zum Behuf weite- rer Vergrösserung mit einem schwächeren Convexglas, so entsteht das zusammengesetzte dioptrische Mikroskop . Letzteres ist also nichts weiter als eine Combination des Bildmikroskops mit der Lupe. Folgendes ist hiernach die einfachste Form dieses Mi- kroskops. Wir bringen wieder ein Object a b (Fig. 130) nahe dem Brenn- punkt der Convexlinse L. Es wird durch die letztere ein vergrösser- tes umgekehrtes Bild a' b' entworfen. Die zweite Convexlinse L' bringen wir nun in eine solche Distanz von diesem Bilde, dass die von ihm divergirend ausfahrenden Strahlen in Folge der Brechung in L' gerade den der mittleren Sehweite entsprechenden Divergenzgrad erhalten, so dass ein vor L' befindliches Auge dieselben auf seiner Netzhaut vereinigen kann. Dieses Auge wird dann bei a″ b″ ein nochmals vergrössertes Bild des Bildes a' b' erblicken. Das zusam- mengesetzte dioptrische Mikroskop liefert also von dem Objecte a b Von dem Lichte. Fig. 130. zuerst ein reelles vergrössertes Bild a' b' und dann von diesem Bilde ein virtuelles vergrös- sertes Bild a″ b″. Wenn man bei a' b' einen Schirm anbrächte, so könnte man hier unmit- telbar das reelle Bild auffangen. Das virtuelle Bild a″ b″ aber existirt nur für unser Auge, das die von a' b' ausgehenden Lichtstrahlen wegen ihrer Ablenkung in L' auf einen weiter rückwärts gelegenen Ort bezieht. Die unmit- telbar vor dem Object gelegene Linse L, welche das reelle Bild liefert, wird die Objectiv- linse , die vor dem Auge befindliche Linse L', welche das virtuelle Bild erzeugt, die Ocular- linse genannt. Die Ausdehnung des von dem Auge ge- sehenen vergrösserten Bildes ist stets eine be- schränkte, theils weil schon die Linse L nur dann ein vollständiges Bild von dem Object a b entwirft, wenn dieses einen mässigen Um- fang hat, vorzüglich aber desshalb, weil von den von dem Bilde a' b' divergirend ausgehen- den Strahlen nur die mittleren auf die Ocular- linse L' treffen. Das Auge kann daher durch die letztere immer nur den mittleren Theil des Bildes a' b' vergrössert sehen. So ist das Bild a″ b″ in Fig. 130 nur eine Vergrösserung des Theiles α β vom Bilde a' b'. Um die Vergrösserung zu erhalten, die ein zusammengesetztes dioptrisches Mi- kroskop hewirkt, müssen wir zuerst die Vergrösserung des von der Objectivlinse ent- worfenen Bildes und dann die weitere Vergrösserung des letzteren durch das Ocular- glas aufsuchen. Nun ist, wie wir in §. 151, Gl. 4 fanden, wenn wir mit β 1 die Grösse von a b, mit β 2 die von a' b', mit F 1 die Brennweite der Objectivlinse und mit f 1 die Entfernung des Objects von der letztern bezeichnen, Das Bild a″ b″ = β 3 aber ist nach §. 182, wenn F 2 die Brennweite des Oculars und S die Sehweite bedeutet, ; folglich 1) . In dieser Gleichung ist nun f 1 innerhalb gewisser Grenzen willkürlich veränderlich. Verkleinert man f 1 , so wird das Bild a' b' grösser werden und weiter gegen die Linse L' rücken, es wird dann aber auch das Licht divergenter in das Auge einfallen, als der normalen Sehweite desselben entspricht. Es kann dem abgeholfen werden, wenn man entweder für L' eine stärker brechende Linse nimmt, oder die Linse L' weiter in die Höhe rückt. Bei gegebener Stärke der Ocular- und Objectivlinse stehen hier- nach die Distanz f 1 des Objects von der Objectivlinse und die Entfernung der beiden Das Mikroskop. Linsen von einander im Zusammenhang. Nennen wir diese Entfernung l, so wird man f 1 auch in l, F 1 und F 2 und der Sehweite S ausdrücken können. Bezeichnen wir mit f 2 die Entfernung des Bildes a' b' von der Linse L und mit f a die Entfernung desselben Bildes (das für L' Object ist) von der Linse L', so folgt aus der Gleichung 4 des §. 151, wenn man erwägt, dass die Entfernung f b des Bildes a″ b″ von der Linse L' = S sein muss, Hieraus findet man 2) . Es sei z. B. ein Mikroskop gegeben, an welchem F 1 = 6, F 2 = 30, l = 200 Mm. ist, die mittlere Sehweite S des Beobachters betrage 162 Mm. Die dem Object zu gebende Entfernung von der Objectivlinse findet sich hiernach aus Gleichung 2 = 6,23 Mm., und setzt man diesen Werth in Gleichung 1 ein, so erhält man β 3 = 166,9. β 1 , d. h. das fragliche Mikroskop giebt eine 166,9 fache Vergrösserung. Es versteht sich übrigens von selbst, dass dieser Werth nur ein approximativer ist, da wir erstens in unsern Gleichungen wieder die Durchmesser der Linsen vernachlässigt haben, und da wir zweitens voraussetzten, das Auge befinde sich dicht an dem Ocu- larglas. Wie genauere Werthe für die Vergrösserung erhalten werden können, wollen wir jedoch nicht näher erörtern, da es uns hier nur darauf ankommt eine Einsicht in die Theorie des Mikroskops zu geben. Zur Bestimmung des Vergrösserungswerthes eines Mikroskops bliebe diese Methode, ihn aus den Brennweiten der Linse, der Seh- weite u. s. w. zu berechnen doch immer eine unsichere und weitläufige; man bedient sich hierzu viel zweckmässiger der practischen Verfahrungsweisen, die wir in §. 191 angeben werden. Wir haben hier das zusammengesetzte dioptrische Mikroskop in 185 Die Collectiv- linse. seiner einfachsten Gestalt beschrieben. In dieser zeigt dasselbe aber noch beträchtliche Mängel. Namentlich ist 1) das Gesichtsfeld da- durch dass nur die mittleren Strahlen des Bildes a' b' (Fig. 130) vom Ocular aufgefangen werden, ein sehr kleines und 2) die sphärische und chromatische Abweichung nicht vermieden. In Folge der sphäri- schen Abweichung werden aber die seitlichen der durch das Objectiv- system tretenden Strahlen stärker gebrochen als die mittleren: in Folge dessen hat das entworfene Bild in Wahrheit nicht die Lage a' b', sondern es ist in der durch die punktirte Linie angedeuteten Weise gewölbt. Die Ocularlinse L' muss dann weiterhin wieder die- selbe Abweichung des Bildes wie die einfache Lupe (§. 182) bewir- ken: das von dem Auge gesehene Bild a″ b″ ist daher noch stärker gewölbt. Tritt hierzu die chromatische Abweichung, so erscheinen ausserdem die Ränder des Bildes von Farbensäumen umgeben. Ein Hülfsmittel diese Mängel auf einen kleineren Werth zu reduciren, be- steht in dem Einschieben einer dritten Sammellinse zwischen Objectiv- und Ocularglas vor der Stelle, an welcher sich die von a b ausgehen- den Strahlen zum Bilde a' b' vereinigen. Das Einschieben einer solchen Linse L″ (Fig. 131) bewirkt, dass die Strahlen stärker ge- sammelt werden, und dass also statt des Bildes a' b' ein kleineres Von dem Lichte. Fig. 131. Bild c d entsteht, welches wegen der wie- derholten Brechung etwas näher bei der Objectivlinse gelegen ist. Durch die Ocu- larlinse sieht dann das Auge das Bild des Objectes in e g statt, wie früher, in a″ b″. Man sieht hieraus, dass die Vergrösserung des Mikroskops durch das Einschieben die- ser Linse L″, die man als Collectivlinse bezeichnet, etwas vermindert wird; dage- gen kann nun ein grösserer Theil des Ob- jectes übersehen werden, das Bild e g ist ferner im selben Verhältniss, als seine Aus- dehnung kleiner ist, lichtstärker als das Bild a″ b″. Weil endlich von jedem Punkte c des Bildes c d die Strahlen minder di- vergirend ausfahren als von entsprechenden Punkten des Bildes a' b', so mindert die Collectivlinse die Farbenzerstreuung. Ebenso wird die sphärische Abweichung verringert, indem die durch die Collectivlinse L″ zunächst dem Rande tretenden Strahlen, da sie hier stärker gebrochen werden, nun die Ocularlinse verhältnissmässig der Axe genähert durchsetzen. Wegen des Einfügens der Collectivlinse, die in den neueren Mikroskopen nie- mals fehlt, muss selbstverständlich die oben angegebene Berechnung der Vergrösserungs- stärke modificirt werden. Es geschieht dies am zweckmässigsten so, dass man der Ocular- und Collectivlinse eine einzige Linse substituirt denkt, welche den gleichen Effect hervorbringen würde wie beide zusammengenommen. Befänden sich Ocular und Collectiv dicht bei einander, so würde, wenn die Brennweite des erstern F o , die des zweiten F c ist, ihre gemeinsame Brennweite F 2 sich aus der Formel ergeben. Nun befindet sich aber zwischen beiden ein erheblicher Zwischenraum, dadurch wird die Brennweite der Combination eine kleinere, als wenn die Gläser dicht an einander lägen. Wir können uns desshalb auch den Einfluss des Zwischenraums durch eine Zerstreuungslinse ersetzt denken, dann ist, wenn wir mit F z die Brenn- weite dieser Zerstreuungslinse bezeichnen, Be- zeichnen wir nun mit Z die Distanz von L' und L″, so ist Führt man diesen Werth in die obige Gleichung ein, so folgt Das günstigste Verhältniss zwischen F o , F c und Z zur Aufhebung der Aberrationen ist dieses, wenn man F c : Z : F o = 3 : 2 : 1 macht, also dem Collectiv die dreifache Brennweite des Oculars giebt und den Abstand zwischen Collectiv und Ocular gleich der doppelten Brennweite des letzteren nimmt. Das Mikroskop. Eine weitere Vervollkommnung des Bildes erzielt man durch die 186 Das achroma- tische und apla- natische Objec- tivsystem. Unter- und überverbesserte Systeme. Anwendung achromatischer und aplanatischer Linsensysteme. Eine einzige aplanatische Linsencombination würde für stärkere Vergrös- serungen nicht ausreichen. Man fügt daher, wie wir dies in Fig. 129 für das Bildmikroskop andeuteten, mehrere solche Combinationen zu- sammen, was nicht nur den Vortheil bietet, dass man hierdurch sehr bedeutende Vergrösserungen erzielen kann, sondern auch, wie wir schon §. 166 erwähnt haben, eine vollständigere Ausgleichung der sphä- rischen und chromatischen Aberration ermöglicht als die Zusammen- stellung einer einzigen Kron- und Flintglaslinse. Man begnügt sich jedoch der Objectivlinse ein solches System zu substituiren. Für das Ocular und Collectiv beschränkt man sich dagegen in der Regel auf je eine einzige Convexlinse, da eine aplanatische Combination hier wieder den Nachtheil zu geringer Vergrösserung mit sich brächte. Man hat aber überdies in der Wahl des Objectivsystems ein Mittel, der Abweichung, welche Ocular und Collectiv erzeugen, zuvorzukom- men. Man stellt nämlich das Objectivsystem so her, dass eine ge- wisse Abweichung bleibt, und wählt dann Ocular und Collectiv so, dass sie zusammen die vom Objectivsystem herrührende Abweichung aufheben. Denn es lässt sich leicht ein Linsensystem combiniren, welches nicht mehr, wie die einfache Sammellinse, die Randstrahlen stärker bricht als die mittleren, welches auch nicht, wie das vollkom- men aplanatische System, alle Strahlen in einem Punkt sammelt, sondern welches die Randstrahlen etwas schwächer bricht. Man nennt dann ein solches Linsensystem ein überverbessertes . Dasselbe ist daran zu erkennen, dass der Brennpunkt der Axenstrahlen, der bei den gewöhnlichen Linsen von einem röthlichen Saume umgeben ist, hier einen bläulichen Saum zeigt. Man nennt im Gegensatz hierzu solche Systeme, bei welchen sich die Abweichung noch zum Theil im ursprünglichen Sinne erhalten hat, unterverbesserte . Ocular und Collectiv bilden zusammen ein solches unterverbessertes System. Hat daher das Objectivsystem eine Ueberverbesserung von erforderlichem Grade, so werden die Abweichungen vollkommen aufgehoben sein. Es müssen somit Objectivsystem und Ocular einander angepasst wer- den. Ein bestimmtes Objectivsystem giebt daher auch streng genom- men immer nur bei einer ganz festen Entfernung von Objectiv-, Collec- tiv- und Ocularlinse die geeignete Ueberverbesserung. Man lässt dess- halb stets die Entfernung zwischen Collectiv- und Ocularlinse constant, indem man beide in eine einzige Röhre fasst. Dagegen kann an den meisten Mikroskopen die Entfernung dieser Ocularröhre von dem Ob- jectivsystem innerhalb gewisser Grenzen verändert werden. Hierin liegt ein Mittel zur Hervorbringung verschiedener Vergrösserungen. Denn es ist klar, dass je grösser man die Entfernung zwischen L und L″ (Fig. 131) nimmt, um so grösser das Bild c d und daher auch e g Von dem Lichte. wird. Genauer ergiebt sich der Einfluss der Röhrenlänge auf die Ver- grösserung aus den in §. 184 Anm. entwickelten Beziehungen. Es sind aber solche Veränderungen der Röhrenlänge leicht mit Undeut- licherwerden des Bildes verknüpft, namentlich wenn man einen höhe- ren Grad von Ueberverbesserung an dem Objectivsystem anbringen musste. 187 Einfluss der Deckplättchen. Immersions- system. Endlich ist bei stärkeren Vergrösserungen die in der Regel statt- findende Bedeckung des Objectes mit einem Glasplättchen nicht ohne Einfluss. Dieses Deckplättchen stellt eine planparallele Platte dar, an deren Oberflächen schräg auffallende Lichtstrahlen gebrochen wer- den müssen. Es hat dies den Einfluss, dass Lichtstrahlen, die von Fig. 132. einem Punkt a (Fig. 132) kommen, nach ihrem Durchtritt durch die Platte so divergiren, als wenn sie von ver- schiedenen über einander gelegenen Punkten b, c … ausgiengen. Soll also das Objectivsystem alle diese Strahlen trotzdem wieder in einem einzigen Punkt vereinigen, so muss dasselbe offenbar dergestalt beschaf- fen sein, dass es Strahlen, die von einem einzigen Punkte aus divergirend auf die unterste Objectivlinse fallen, in einer hinter einan- der gelegenen Reihe von Punkten, welche aber umgekehrt geordnet ist wie die Reihe a, b, c …, vereinigen würde. Zu einem gegebe- nen Objectivsystem passen daher eigentlich immer nur Deckplättchen von bestimmter Dicke. Man kann nun zwar, indem man die Abstände der einzelnen Linsen ändert, ein und dasselbe Objectivsystem auch für Deckplättchen von verschiedener Dicke brauchbar machen. Je dicker das Deckplättchen ist, um so näher muss man die einzelnen Linsen einander bringen, damit jene Abweichung verschwinde. In der Regel zieht man es jedoch vor das Objectivsystem unverändert zu lassen und nur Deckplättchen von einer bestimmten, gerade geeigne- ten Dicke zu gebrauchen. Stärkere Annäherung der einzelnen Linsen eines Objectivsystems bewirkt eine stärkere Vergrösserung. Man würde also bei Anwen- dung der nämlichen Linsencombination um so bedeutendere Vergrös- serungen erzielen können, je dickerer Deckplättchen man sich bediente. Man kann jedoch hierbei immer nur bis zu einer sehr mässigen Grenze gehen, weil sonst, bei der kleineren Brennweite stärker vergrössern- der Linsen, das Deckplättchen dicker wäre, als der Abstand des Ob- jectivs vom Objecte betragen darf. Dasselbe was durch ein dickeres Deckplättchen erreicht wurde, lässt sich aber auch erzielen, indem man zwischen das letztere und das Objectiv eine stärker brechende Das Mikroskop. Flüssigkeit, z. B. Wasser, einschaltet. Das Wasser bringt denselben Effect hervor wie die Substanz des Glases, es erfordert also dieselbe Correction des Objectivsystems durch grössere gegenseitige Annähe- rung der Linsen desselben. Solche auf das Zwischenbringen einer Wasserschichte eingerichtete Objectivsysteme nennt man Immersions- systeme . Sie haben nicht bloss den Vorzug stärkerer Vergrösserung sondern auch denjenigen grösserer Helligkeit, weil bei der gewöhn- lichen Einrichtung, wo sich eine Luftschichte zwischen Deckplättchen und Objectiv befindet, immer durch Reflexion an den Oberflächen bei- der viel Licht verloren geht. Wir wollen nach diesen nothwendigen Vorerörterungen nunmehr 188 Beschreibung des zusammen- gesetzten Mi- kroskops. ein zusammengesetztes Mikroskop moderner Einrichtung in Kürze be- schreiben. Am untern Ende der Mikroskopröhre R (Fig. 133) befindet sich das Objectivlinsensystem L. Dasselbe ist so angeordnet, dass Fig. 133. die Linse von der kleinsten Brenn- weite, also vom kleinsten Krümmungs- radius, nach unten gekehrt ist. An der Stelle m n befindet sich eine schwache Blendung, um die äusser- sten Randstrahlen abzuhalten. Collec- tiv- und Ocularlinse (C und O) befin- den sich zusammen in einer kleineren Röhre r, die gewöhnlich kurzweg als Ocular bezeichnet wird, und die in die Röhre R eingeschoben ist. In der Ocularröhre r befindet sich eine Blen- dung von kleinerem Durchmesser, bei z y, an der Stelle wo das reelle Bild c d entworfen wird. Die hauptsäch- lichsten Hülfstheile des Mikroskops sind der Objecttisch T T und der Be- leuchtungsspiegel S. Ersterer ist ver- mittelst des Stativs l mit einer Hülse h h verbunden, in welcher sich die Mikroskopröhre R befindet. Um die Entfernung zwischen dem Objectiv- system und dem Object zu variiren, kann entweder die Mikroskopröhre in der Hülse durch eine feine Schraube verschoben oder, wie in der Fig., der Objecttisch vermittelst der mit ihm verbundenen Schraube s an dem Sta- tiv l auf- und niedergeschraubt wer- Von dem Lichte. den. Die gröberen Bewegungen werden in der Regel dadurch aus- geführt, dass man die Röhre R in ihrer Hülse h h mit der Hand ver- schiebt; an manchen Mikroskopen findet sich auch zu diesem Zweck ein gröberes Triebwerk. Der Objecttisch T T ist eine in ihrer Mitte durchbohrte horizontale Messingplatte. Unter der Oeffnung ist gewöhn- lich ein drehbares Diaphragma D mit grösseren und kleineren Blen- dungen angebracht. Der Spiegel S ist ein Planspiegel oder ein schwa- cher Convexspiegel, der bei kleinern Mikroskopen gewöhnlich bloss um eine Horizontalaxe, bei grössern gleichzeitig um eine Vertical- und Horizontalaxe drehbar ist. Auf dem Tisch T befindet sich zunächst eine grössere und dickere Glasplatte G, der Objectträger, auf dem das Object ausgebreitet und dann meistens noch mit einem dünnen Deckplättchen bedeckt wird. 189 Camera lucida. Bildumkehrende Mikroskope. Photographie mikroskopischer Objecte. In vielen Fällen ist es zweckmässig den vom Objectiv gesam- melten Lichtstrahlen, bevor sie ins Auge eintreten, eine veränderte Richtung zu geben. Man bedient sich hierzu meistens der Reflexion oder Brechung in Prismen. So kann man in sehr einfacher Weise durch ein zwischen Ocular und Objectiv angebrachtes rechtwinkliges Prisma (Fig. 134 p) das Mikroskop zur Beobachtung in horizontaler Fig. 134. Richtung verwendbar machen. Bringt man vor dem Ocular eines mit einem solchen Prisma ver- sehenen rechtwinklig gebogenen Mikroskops ein vierseitiges Prisma p' von der in der Fig. angege- benen Form an, dessen Winkel bei x 135° beträgt, so hat man die unter dem Namen der ca- mera lucida bekannte Vorrich- tung zum Nachzeichnen mikro- skopischer Objecte. Das Wesen derselben besteht darin, dass die von dem Object a b c ausgehenden Strahlen zuerst in dem Prisma p und dann in dem Prisma p' total reflectirt werden und so in das bei α β γ über dem Prisma p' befind- liche Auge gelangen, von welchem sie nach α' β' γ' projicirt werden. Wird daher hier ein Papier auf den Tisch gelegt, so kann der Beob- achter auf demselben die Umrisse des mikroskopischen Bildes nach- zeichnen. Bringt man in der verticalen Mikroskopröhre über einander zwei rechtwinklige Prismen an, welche die in Fig. 99 (§. 143) angegebene Stellung besitzen, dabei aber um 90° gegen einander gedreht sind, so erhält das mikroskopische Bild wieder die näm- liche Lage wie das Object, indem das untere Prisma z. B. das Bild in der Richtung α β γ , das obere Prisma in der darauf und auf der Ebene des Papiers senkrechten Richtung Das Mikroskop. zur Umkehrung bringt. Hat man, wie in Fig. 134, ein geknicktes Mikroskop, so braucht man neben dem Prisma p nur noch ein zweites in darauf senkrechter Rich- tung, da das Prisma p in verticaler Richtung bereits eine Umkehrung des Bildes be- wirkt. Man bedient sich zuweilen solcher Prismen zum Zweck der Wiederumkehrung des Bildes, um das zusammengesetzte Mikroskop statt des einfachen als Präparirmi- kroskop verwenden zu können. Zum selben Zweck kann man aber auch entweder ein doppeltes Objectiv oder ein doppeltes Ocular anwenden. Bringt man nämlich das Object in etwas weitere Entfernung vom Objectiv, als es beim gewöhnlichen Mikro- skop geschehen muss, so entsteht ein kleineres Bild, welches näher hinter dem Ob- jectiv liegt; von diesem Bild kann man nun durch ein weiteres darüber gelegenes Objectiv ein zweites Bild in der beim Mikroskop gebräuchlichen Weise entwerfen; da das erste Bild verkehrt ist, so hat das zweite wieder die richtige Lage. Mittelst eines solchen Mikroskops kann man zugleich bei Anwendung der nämlichen Objectivsysteme den Gegenstand in verschiedener Vergrösserung sehen. Je nachdem nämlich das Ob- ject dem ersten Objectiv näher oder ferner gebracht wird, wird das erste Bild grösser oder kleiner. Nähert man das Object dem ersten Objectiv, so muss man, da dann das Bild weiter zurückfällt, auch das zweite Objectiv sammt Ocular, also das eigent- liche Mikroskop weiter in die Höhe ziehen, damit das vergrösserte Bild deutlich ge- sehen werden kann. Ein derartiges Instrument ist als pankratisches Mikroskop (von παν und κρατειν , alles beherrschen) bezeichnet worden. Eine verbreitetere An- wendung haben diese sämmtlichen Instrumente, welche dazu bestimmt sind dem Bild die Lage des Objectes wiederzugeben, bis jetzt nicht gefunden. Im Anschluss an die oben besprochenen Hülfsmittel zum Zeichnen mikroskopi- scher Gegenstände mag hier kurz der Verfahrungsweisen zur Herstellung photogra- phischer Bilder derselben gedacht werden. Am frühesten hat man die Photogra- phie beim Sonnenmikroskop angewandt. Man ersetzte hier einfach den bildauffangen- den Schirm S' S' (Fig. 129) durch die photographische Platte. Um die Bilder des zusammengesetzten dioptrischen Mikroskops (Fig. 133) zu photographiren, benützt Gerlach ein gewöhnliches Mikroskop, dessen Ocularlinse O hinweggenommen wird, und an dessen oberem Ende ein die photographische Platte enthaltender Kasten so ange- bracht ist, dass die Platte genau an die Stelle zu liegen kommt, wo das reelle Bild c d entworfen wird. Die Beleuchtung muss natürlich stärker als bei gewöhnlichen Beobachtungen sein, und das Objectiv-Linsensystem sowie das Object müssen durch eine dunkle Umkleidung vor seitlich auffallendem Lichte geschützt werden. Das zuerst auf der Glasplatte gewonnene photographische Bild kann man, indem man es als Ob- ject benützt, einer zweiten vergrössernden Aufnahme aussetzen, u. s. f. Auf diese Weise ist es gelungen sehr bedeutend vergrösserte Bilder zu gewinnen. Die Photo- graphie wird so ein Hülfsmittel zur Steigerung der Vergrösserungen. Hinsichtlich der näheren Verfahrungsweisen bei der Mikrophotographie verweisen wir auf die Schrift von Gerlach , die Photographie als Hülfsmittel mikroskopischer Forschung. Leip- zig 1863. Das Prisma kann in verschiedener Weise benützt werden, um 190 Binoculare Mikroskope. das monoculare in ein binoculares oder stereoskopisches Mi- kroskop zu verwandeln. Bringt man nahe hinter die Objectivlinse L (Fig. 135) zwei mit ihrer brechenden Kante einander zugekehrte Pris- men p und p', so fällt das von dem Punkte c des Objectes ausge- hende und durch die Linse gebrochene Strahlenbüschel theils auf das Prisma p theils auf das Prisma p'. Der durch p gegangene Theil Von dem Lichte. Fig. 135. entwirft in e, der durch p' gegangene Theil in i ein Bild des Punktes c. Ebenso werden von allen andern Punkten des Objectes a b je zwei Bilder entworfen. Bringt man bei A und B Oculare an, so sieht das rechte Auge durch das Ocular A und das linke Auge durch das Ocular B ein Bild von a b. Finden sich nun Erhabenheiten und Vertie- fungen am Objecte a b, so werden die beiden Bil- der a' b' und a″ b″ verschieden ausfallen, da von einzelnen Punkten des Objectes in das Prisma p, nicht aber nach p' Strahlen gelangen können und umgekehrt: es werden mit einem Wort die Bilder a' b' und a″ b″ dieselben Unterschiede zeigen wie die zwei stereoskopischen Aufnah- men eines Objectes, und die durch A und B sehenden Augen, welche die beiden Bilder wieder zur Vereinigung bringen, werden so eine Tiefenansicht des mikroskopischen Gegenstandes erhalten. Die Vorrichtung in der eben beschriebenen Weise besitzt aber zwei Uebelstände, die sie unbrauchbar macht: 1) bewirken die beiden Prismen p und p' Farbenzerstreuung, und 2) erhält man ein pseudo- skopisches Bild, d. h. ein Bild, in welchem die Erhabenheiten des Objectes a b als Vertiefungen und seine Vertiefungen als Erhaben- heiten gesehen werden. Der Grund der letzteren Erscheinung liegt in der Umkehrung des Bildes. Werden die beiden Bilder A und B (Fig. 136) stereoskopisch vereinigt, so erscheint der kleinere Kreis über dem grössern Kreis erhaben. Wird nun aber jedes dieser Bil- der umgekehrt, so erscheint A wie A' und B wie B', und in dem aus Fig. 136. Fig. 137. A' und B' stereoskopisch vereinigten Bilde erscheint der kleinere Kreis unter den grösseren vertieft. Um sowohl die Farbenzerstreuung als die Pseudoskopie zu vermeiden, hat man die in Fig. 137 dargestellte Combination eines Kronglasprisma mit zwei Flintglasprismen ange- wandt. Durch die geeignete Verbindung eines Kron- und Flintglas- prismas wird, wie wir in §. 165 erfahren haben, die Farbenzerstreuung aufgehoben. Ausserdem kommt in diesem Fall, wo das vierkantige Kronglasprisma eigentlich eine Vereinigung zweier Prismen ist, durch die Kreuzung der Lichtstrahlen dasjenige Licht, was vorher ins rechte Das Mikroskop. Auge fiel nunmehr ins linke und umgekehrt, man sieht also jetzt was vorhin vertieft erschien, erhaben, was erhaben erschien, vertieft. Ebenso wie auf dioptrischem Wege kann man auf katoptrischem die zur Her- stellung des binocularen Mikroskops erforderliche Spaltung des Lichtbüschels bewir- ken; man hat hierbei den Vortheil, keiner Vorrichtungen gegen die Farbenzerstreuung zu bedürfen. Wir wollen nur einige der bisher benützten Methoden hervorheben. Man nimmt drei gleiche dreiseitige Prismen, welchen die in Fig. 138 angegebene Stellung gegeben wird. Das unterste derselben A bewirkt gleichzeitig die Theilung des Licht- büschels und die Kreuzung der getheilten Büschel zur Aufhebung der Pseudoskopie. Fig. 138. Fig. 139. Die beiden oberen Prismen bringen dann die Lichtbüschel in die für die Beobachtung mit beiden Augen geeignete Richtung. Bringt man noch eine Vorrichtung an, wo- durch der Abstand von B und C verändert werden kann, so lässt sich der Apparat den Augendistanzen verschiedener Individuen accommodiren. Noch sinnreicher ist das folgende, gleich dem vorigen von Nachet herrührende Verfahren (Fig. 139). Man hat zwei Prismen A und B über dem Objectivsystem L. Das Prisma A ist horizontal verschiebbar, so dass es die durch die punktirten Linien angedeutete Stellung A' an- nehmen kann. Bei der Stellung A werden diejenigen Strahlen, welche durch die linke Hälfte des Objectivs getreten sind, an der Fläche a b reflectirt, gelangen so nach B und von hier durch eine zweite Reflexion in die Mikroskopröhre für das rechte Auge, während der durch die rechte Hälfte des Objectivs getretene Theil des Strahlenbü- schels durch A hindurchgeht und so direct in die Mikroskopröhre für das linke Auge kommt. Es findet also Theilung und Kreuzung der Strahlenbüschel statt. Rückt man dagegen das Prisma in die Stellung A', so geht der durch die linke Hälfte des Ob- jectivs getretene Theil des Strahlenbüschels geraden Weges in das linke Mikroskop- rohr, und der durch die rechte Hälfte getretene Theil wird bei a b reflectirt, um in das rechte Mikroskoprohr zu kommen. Hier tritt also Theilung, aber keine Kreu- zung des Strahlenbüschels ein: man sieht jetzt pseudoskopisch. Die beschriebene Vorrichtung ist daher besonders instructiv, um den Unterschied des Stereoskopischen und Psendoskopischen zu demonstriren. Nimmt man das Prisma A ganz heraus, so ist das Mikroskop in ein monoculares verwandelt. Die binocularen Mikroskope haben immer den Nachtheil, dass durch die Spal- tung der Strahlenbüschel jedes einzelne Bild lichtschwächer wird als das Bild eines monocularen Mikroskops. Sie haben zwar vor dem letzteren den Vortheil der Tiefenan- schauung. Da aber auch beim monocularen Mikroskop sich sehr genau die Tiefenlage der einzelnen Theile des Objectes durch successive Einstellung mittelst Auf- und Nie- derschraubens des Rohrs ermitteln lässt, so wird für die Untersuchung das monocu- Wundt , medicinische Physik. 19 Von dem Lichte. lare im Allgemeinen den Vorzug verdienen, während das binoculare allerdings für die Demonstration gewisser Objecte ein werthvolles Hülfsmittel ist. 191 Bestimmung der Vergrös- serungen des Mikroskops und der Grösse mi kroskopischer Objecte. Wir haben früher den Weg angedeutet, der einzuschlagen ist, um aus den optischen Constanten eines Mikroskops die vergrössernde Kraft desselben zu berechnen. In der Praxis bedient man sich jedoch statt dieses mühseligen und immerhin unsicheren Weges stets der empirischen Bestimmung der Vergrösserungen. Ein sehr leicht zu handhabendes Hülfsmittel hierzu ist uns in der durch Fig. 134 §. 189 erläuterten Projection des mikroskopischen Bildes gegeben. Bringt man unter das Mikroskop einen sehr feinen, auf Glas geritzten Mikro- metermaassstab von bekanntem Werth und legt man nach t, wohin dieses im Mikroskop vergrössert gesehene Mikrometer projicirt wird, einen gewöhnlichen Maassstab, so decken sich beide Maasse im Ge- sichtsfeld. Hat man nun den Maassstab in die mittlere Sehweite ge- bracht, so ist, wenn m Maasseinheiten des Mikrometers zwischen n Einheiten des Maassstabes fallen, die Vergrösserung = . Der Ab- stand der Theilstriche des Mikrometers betrage z. B. 0,5 Millim., und der gleich gross erscheinende Abstand der Theilstriche des Maass- stabes 20 Millim., so ist = 40 die Vergrösserungszahl. Hat man jedoch den Maassstab bei t nicht in der mittleren Sehweite ange- bracht, so muss die Entfernung, in der er sich befindet, auf die mitt- lere Sehweite reducirt werden. Eine Grösse, die in der Entfernung e den Werth n hat, würde in der Entfernung s (der mittleren Sehweite) den Werth haben. Gesetzt also, man habe jenen Werth von 20 Millim. in einem Abstand von 200 Millim. vom Auge gefunden, wäh- rend die mittlere Sehweite 150 Millim. beträgt, so entsprechen den 20 Millimetern = 15 Millim. in der mittleren Sehweite, und die wahre Vergrösserung wäre daher in diesem Fall = 30. Wer darin geübt ist, ohne Zuhülfenahme eines Stereoskops getrennte Bilder für beide Augen zur Vereinigung zu bringen, kann nach demselben Princip ohne weitere Hülfsmittel bloss mit einem Mikrometer und einem Maassstab die Vergrösserung bestimmen. Er legt unter das Mi- kroskop das Mikrometer, neben dasselbe den Maassstab und sieht nun mit dem einen Auge in das Mikroskop, während er mit dem andern den Maassstab fixirt, so dass Mikrometer und Maassstab in dem ge- meinsamen Bild beider Augen zur Deckung kommen. Handelt es sich nun darum die wirkliche Grösse irgend eines unter dem Mikro- skop gesehenen Objectes kennen zu lernen, so kann man, nachdem Das Mikroskop. der Vergrösserungswerth des Instrumentes bestimmt ist, in ähnlicher Weise wie vorhin das Mikrometer, so jetzt das Object auf den äusse- ren Maassstab projiciren oder mit ihm binocular zur Deckung bringen. Man hat dann, um die wahre Grösse zu finden, einfach die Länge des Maassstabs, welche vom Object gedeckt wird, durch die Ver- grösserungszahl zu dividiren. Deckt also z. B. das Bild 2 Millim. des Maassstabs und ist die Vergrösserungszahl 40, so ist das Object 1/20 Millim. lang. Gewöhnlich bedient man sich jedoch zur Messung der mikroskopischen Objecte genauerer Methoden, welche die Kennt- niss der Vergrösserungsstärke gar nicht voraussetzen. Gegenwärtig ist fast allgemein die Messung mit dem Ocularmikrometer einge- führt. Letzteres besteht in einer feinen Theilung auf Glas und wird auf das zwischen Ocular und Collectiv befindliche Diaphragma (Fig. 133 z y) gelegt. Es fällt daher mit dem hier entworfenen Bilde zu- sammen und wird mit diesem durch die Ocularlinse vergrössert. Um den Werth der Längeneinheit des Ocularmikrometers zu bestimmen, legt man zuvor eine feine Theilung an Stelle des Objectes unter das Mikroskop und sieht zu, wie viel Theilstriche des Ocularmikrometers auf eine bestimmte Länge des untern Maassstabs kommen. Fallen z. B. zwischen 1 Millimeter des letztern 50 Theilstriche des Ocular- mikrometers, so ist der Werth eines Theilstrichs 1/50 Millim. Seltener wird gegenwärtig das übrigens einer noch grössern Genauigkeit fähige Schraubenmikrometer angewandt. Dasselbe ist im wesentlichen ein durch Schrauben verschiebbarer Objecttisch, wobei die Grösse der Verschiebung an der Grösse der Umdrehung der mit einer feinen Theilung versehenen Schraube gemessen wird. Durch das Diaphragma des Oculars muss bei Anwendung des Schraubenmikrometers ein Spinnwebfaden gezogen sein. Man stellt nun vermittelst der Schraube das Object genau so ein, dass der Spinnwebfaden mit dem einen Ende seines Bildes zusammenfällt, notirt die Stellung der Schraube und schraubt dann so lange, bis der Faden das andere Ende des Bildes deckt, um nun wieder die Stellung der Schraube abzulesen. Die Werthe der Drehungen des Schraubenmikrometers werden zuvor, indem man einen feinen Maassstab auf Glas zum Object nimmt, ge- messen. Als Maasseinheit bedient man sich zu mikrometrischen Messungen am zweck- mässigsten und gegenwärtig fast allgemein des Millimeter. Da aber immer zuweilen auch noch andere Maasse vorkommen, und solche namentlich in älteren mikroskopi- schen Schriften gefunden werden, so wollen wir eine kurze Tabelle zur Reduction der gebräuchlichsten dieser Maasse auf das Millimeter beifügen. 1 Millimeter ist = 0,4433 Pariser Linie, 0,4724 englische Duodecimallinie, 0,4587 rheinische Linie, 0,4555 Wiener Linie. 19 * Von dem Lichte. 192 Prüfung der Mikroskope. Bei der Beurtheilung der Leistungen eines Mikroskops kommen theils die all- gemeinen Anforderungen in Betracht, die an jedes optische Instrument gestellt wer- den müssen, wie Aplanasie, Achromasie, sorgfältige Centrirung u. s. w., theils sind die besonderen Zwecke, für die man das Mikroskop anwendet, in Rücksicht zu ziehen. Wir wollen in dieser Beziehung folgende Bemerkungen über die Prüfung der Mi- kroskope hier beifügen. Den Mangel der sphärischen und chromatischen Abweichung erkennt man daran, dass ein scharf gezeichnetes Bild, z. B. das Bild eines fernen Fensters auf einem Quecksilbertropfen, im Mikroskop nicht verwaschen erscheint und beim Erheben oder Senken des Rohrs auf einmal verschwindet. Letzteres trifft niemals vollkommen zu, weil die sphärische und chromatische Abweichung nicht ganz aufgehoben werden kann. Ist das Mikroskop unterverbessert, so verschwindet zwar das Bildchen auf einmal, wenn man es dem Mikroskop nähert (das Rohr senkt), zerfliesst dagegen in einem Lichtnebel, wenn man es vom Mikroskop entfernt. Ist das Mikroskop überverbessert, so zeigt sich das umgekehrte. Für die chromatische Abweichung ist folgendes Ver- fahren noch empfindlicher. Man bedeckt die eine Hälfte des Objectivs mit Stanniol, die andere Hälfte muss dann ein achromatisches Prisma sein: ist sie nicht achroma- tisch, so lässt sich dies an den Farbensäumen feiner heller Linien auf dunklem Grunde, die namentlich bei ungenauer Einstellung auftreten, erkennen. In Bezug auf die in §. 185 erwähnte Bildverzerrung prüft man das Mikroskop am besten durch Betrachten eines quadratischen, möglichst feinen Mikrometernetzes, das vollkommen quadratisch erscheinen muss, aber nicht gewölbt oder vertieft er- scheinen darf: ersteres wird nach §. 186 dann eintreten, wenn das System ein unter- verbessertes, letzteres dann, wenn es ein überverbessertes ist. Für die Prüfung aller übrigen Erfordernisse eines guten Mikroskops, wie vollkommene Centrirung, hinrei- chende Lichtstärke u. s. w. ist es, da die directe Prüfung ohnehin schwieriger wäre, am zweckmässigsten, sich der s. g. Probeobjecte zu bedienen, als welche jetzt gewöhn- lich die Kieselpanzer der Diatomeen benützt werden. Man muss dabei freilich das mikroskopische Bild entweder mit dem Bild, welches ein anderes bereits als gut be- währtes Mikroskop vom selben Object giebt, oder — was jetzt sehr leicht geschehen kann — mit einer guten mikroskopischen Photographie vergleichen können. Man unterscheidet bei der Zergliederung feiner Objecte durch das Mikroskop 1) dessen definirende und 2) dessen penetrirende oder resolvirende Kraft. Ein gutes Mikroskop muss beide Eigenschaften in möglichst hohem Grade besitzen, und doch schliessen beide einigermassen sich aus. Es kommt daher darauf an, für welche Zwecke man das Mikroskop benützt, und ob man hiernach der definirenden oder penetrirenden Eigenschaft den Vorzug giebt. Bei schwächeren Vergrösserungen muss im Allgemeinen die erste, bei starken Vergrösserungen die zweite überwiegen. Unter definirender Kraft versteht man aber die Eigenschaft eines Objectivsystems, ein Bild mit sehr scharfen Umrissen zu liefern. Je vollkommener die sphärische und chromatische Abweichung vermieden ist, um so beträchtlicher ist daher das Definitions- vermögen eines Mikroskops. Beide Abweichungen sind am leichtesten zu vermeiden, wenn nur die nahe der Axe auffallenden Strahlen benutzt werden: es darf daher nur ein verhältnissmässig kleiner Theil der Oberfläche der Linse den Strahlen zugänglich oder, wie man sich ausdrückt, der Oeffnungswinkel des Objectivsystems darf nicht zu gross sein. Penetrirende Kraft nennt man dagegen die Eigenschaft eines Lin- sensystems, möglichst das Detail eines Bildes noch dem Auge zugänglich zu machen. Die penetrirende Kraft beruht daher darauf, dass auch bei starken Vergrösserungen die Lichtstärke noch genügend ist, und dass man das Object nicht nur in der Rich- Das Fernrohr. tung der Axe, sondern auch in etwas schräger Richtung beleuchten kann, um kleine Unebenheiten des Objectes an der Beschattung zu erkennen. Beides fordert, dass möglichst viele Strahlen von dem Object in das Linsensystem eintreten, dass also der Oeffnungswinkel gross ist. Da sich aber hierbei, wie oben bemerkt, die sphärische und chromatische Abweichung nicht so vollkommen vermeiden lassen, so ist es erklär- lich, dass ein Objectivsystem mit Zunahme seiner penetrirenden Kraft an definirender Kraft einbüsst. Während die früheren Mikroskope meist nur einen Oeffnungswinkel Fig. 140. von höchstens 70° besassen, ist man in neuerer Zeit bis gegen 150° gegangen. Man kann den Oeffnungswinkel eines Objectivsystems direct ermitteln, indem man auf die oberste (am entferntesten vom Object gelegene) Linse desselben parallele Strahlen fallen lässt und bestimmt, unter welchem Winkel die Randstrahlen des Strahlenbündels aus der untern Linse austreten. Dieser Winkel giebt dann auch diejenige Strahlenmenge an, welche, wenn sie auf die untere Linse auffällt, durch das ganze Objectivsystem hindurchtritt. Es ist also a p c (Fig. 140) dieser Winkel; alle schräger als p a und p c auffallenden Strahlen verschwinden auf dem Weg durch das Linsensystem. Sechszehntes Capitel. Das Fernrohr . Gleich dem Mikroskop besteht das Fernrohr aus Objectiv und 193 Astronomisches Fernrohr. Ocular. Durch das erstere wird von einem in grosser Ferne befind- lichen Gegenstand nahe dem Brennpunkt ein verkleinertes umgekehr- tes Bild entworfen, welches dann durch die gleich einer Lupe wir- kende Ocularlinse betrachtet wird. Damit ein lichtstarkes und nicht allzu kleines Bild entsteht, muss die Objectivlinse des Fernrohrs eine beträchtliche Brennweite besitzen. Während daher die Bestrebungen bei der Herstellung der Mikroskope darauf gerichtet sind, Objective von möglichst kleiner Brennweite zu erzeugen, sucht man die Lei- stungsfähigkeit der Fernröhre durch Objective von grosser Brennweite und grossem Oeffnungswinkel zu erhöhen. Das astronomische oder Keppler ’sche Fernrohr (Fig. 141) be- Fig. 141. steht aus einer achromatischen Sammellinse L von grosser Brennweite und grossem Durchmesser. Diese entwirft von dem entfernten Gegen- stand, von welchem die Richtungsstrahlen a c, b c ausgehen, das ver- kleinerte und umgekehrte Bild a' b' an einem Ort, der ein wenig weiter als der Brennpunkt f von L entfernt liegt. Je entfernter das Von dem Lichte. Object ist, um so näher rückt das Bild dem Brennpunkt. Die Ocular- linse O muss so weit von dem Bilde entfernt sein, dass die von ihm ausgehenden Strahlen von einem Gegenstand zu kommen scheinen, der sich in der mittleren Sehweite befindet: sie werden also im All- gemeinen durch die Brechung in O nahezu parallel werden müssen. So entsteht durch die Linse O von dem verkleinerten Bilde a' b' das virtuelle aufrechte und vergrösserte Bild a″ b″. Durch Verschieben der Ocularröhre r kann die Distanz von Objectiv und Ocular verän- dert werden, um das Fernrohr verschiedenen Entfernungen anzupassen. Am Ende der Ocularröhre, wo das Bild a' b' entworfen wird, befindet sich, wie im Ocular des Mikroskops, ein Diaphragma, welches theils zum Abhalten der Randstrahlen theils zur Befestigung eines feinen Fadenkreuzes bestimmt ist, das zur Orientirung im Gesichtsfelde dient. Da die Entfernung des Bildes a' b' vom Brennpunkt gegen die Entfernung des Objectes verschwindend klein ist, so kann man annehmen, das Bild a' b' liege im Brennpunkt; setzt man ferner voraus, die Strahlen würden durch die Ocularlinse O vollkommen parallel gemacht, d. h. die Sehweite entspreche dem Fernpunkt des nor- malen Auges, so wird die Länge des ganzen Fernrohrs offenbar gleich der Summe der Brennweiten des Objectivs und Oculars. Nun verhält sich die Grösse, in der das Ob- ject ohne Fernrohr erscheint, zur Grösse, in der es mit Hülfe des Fernrohrs gesehen wird, wie der Sehwinkel a c b zu dem Sehwinkel a' c' b' oder a″ c' b″. Es ist aber der Winkel a c b = a' c b', und die Winkel bei c und c' verhalten sich um- gekehrt wie die Höhen der Dreiecke, deren gemeinsame Grundlinie a' b' ist, also oder , d. h. die Vergrösserung ist direct proportional der Brennweite des Objectivs und um- gekehrt proportional derjenigen des Oculars. 194 Terrestrisches Fernrohr. Um die Umkehrung des Bildes zu vermeiden, wendet man für das terrestrische Fernrohr solche Oculare an, welche das verkehrt entworfene Bild noch einmal umkehren. In dem gewöhnlichen Gali- lei ’schen Fernrohr wird dieser Zweck dadurch erreicht, dass als Ocu- lar eine Concavlinse dient, welche zwischen das Objectiv und das von demselben entworfene reelle Bild a' b' gebracht wird (Fig. 142): Fig. 142. die Strahlen werden dann durch die Concavlinse nach α und β abge- lenkt, so dass gar kein umgekehrtes reelles, sondern statt dessen ein Das Fernrohr. aufrechtes virtuelles Bild a″ b″ hinter der Concavlinse entsteht. Man nimmt die letztere von solcher Stärke, dass dieses virtuelle Bild in die Sehweite zu liegen kommt. Wenn man wieder annimmt, der Gegenstand a b befinde sich in unendlicher Ferne, und a″ b″ in der Brennebene der Ocularlinse, und sich von a″ und b″ die (in der Fig. hinweggelassen) Richtungsstrahlen nach c' gezogen denkt, so ist auch hier oder . Um möglichst stark vergrössernde Fernröhre herzustellen, muss man, wie aus 195 Katoptrisches Fernrohr. den obigen Erörterungen folgt, Objective von grosser Brennweite mit Ocularen von kleiner Brennweite combiniren. Da nun Linsen von grosser Brennweite und grosser Oberfläche schwer vollkommen rein und genau sphärisch gekrümmt sich herstellen lassen, so hat man zuweilen statt der dioptrischen Fernröhre oder Refractoren katop- trische Fernröhre oder Reflectoren gebaut, indem man die Objectivlinse durch einen Concavspiegel ersetzte. Als ein Beispiel solcher Spiegelteleskope mag das Newton ’sche Fernrohr (Fig. 143) dienen. Dasselbe hat eine sehr weite Röhre R, Fig. 143. deren Oeffnung dem zu beobachtenden Gegenstande zugekehrt wird, und an deren ge- schlossenem Ende sich der Hohlspiegel H von grosser Brennweite befindet. Letzterer concentrirt die Lichtstrahlen a b, c d gegen den in der Axe des Fernrohrs unter 45° Neigung gegen dieselbe aufgestellten kleinen Planspiegel s, vor welchem dann das umgekehrte Bild α γ β des Gegenstandes entsteht, das durch die Ocularlinse O betrachtet wird. Man hat dem katoptrischen Fernrohr noch verschiedene andere Einrichtungen gegeben. Bei dem berühmt gewordenen Spiegelteleskop Herschel’s fehlt z. B. der Planspiegel s und die besondere Ocularröhre, der Hohlspiegel H ist aber schräg geneigt, so dass das Ocular O vorn und seitlich an der Röhre R angebracht werden kann. Je grösser die Brennweite des angewandten Hohlspiegels ist, um so grössere Dimensionen nimmt natürlich das Fernrohr an. So hatte das Herschel ’sehe Teleskop, welches 7000 mal vergrösserte, einen Durchmesser von 4 Fuss und eine Länge von 40 Fuss. Die Ver- grösserung der Reflectoren wird wie oben bestimmt: man hat nur in das Verhältniss für F 1 die Brennweite des Concavspiegels zu setzen. Das Fernrohr ist, abgesehen von seiner Anwendung für astrono- 196 Das Fernrohr als Messungs- werkzeug. mische und terrestrische Beobachtungen, eines der gebräuchlichsten physikalischen Messungswerkzeuge. Es dient theils zur Messung verticaler Höhen theils zur Winkelmessung . Die erstere wird, Von dem Lichte. wenn es auf grössere Genauigkeit ankommt, mit dem Kathetome- ter ausgeführt, einem an einem verticalen Maassstab horizontal an- gebrachten Fernrohr, welches durch eine genaue Mikrometerschraube an dem Maassstab auf- und abbewegt werden kann. Der Maassstab ist in Millimeter getheilt, und mit dem Fernrohr bewegt sich auf dem Maassstab ein Nonius, so dass mit Zuhülfenahme der Lupe leicht Höhenunterschiede im Stand des Fernrohrs von 0,05 Mm. bestimmt werden können. Man gebraucht das Kathetometer, um z. B. die Hö- hen von Flüssigkeitssäulen zu messen (bei Untersuchungen über die Ausdehnung von Flüssigkeiten durch die Wärme, bei Barometerab- lesungen), ferner um bei der Untersuchung der Elasticität der Körper ihre Dehnung durch Gewichte zu bestimmen, u. s. w. Hier und in manchen andern Fällen lässt sich aber häufig das kostspielige Kathe- tometer durch das einfache Fernrohr ersetzen. Man befestigt z. B. am untern Ende des auszudehnenden Körpers einen genauen Maassstab und bringt mit einem bestimmten Theilstrich dieses Maassstabs die horizontale Linie des Fadenkreuzes zur Deckung. Nach geschehener Ausdehnung wird ein anderer Theilstrich mit diesem Faden zusam- menfallen. In der Physiologie hat man sich solcher Verfahrungswei- sen bedient, um die Dehnbarkeit der Muskeln und anderer Gewebe zu messen. Viel häufiger noch als zu Längenmessungen wird das Fernrohr zu Winkelmessungen gebraucht. Es dient hier namentlich, um den Gesichtswinkel zu bestimmen, unter welchem ein in der Ferne befindlicher Gegenstand erscheint. Aus dem Gesichtswinkel kann aber, wenn wir die Entfernung s des beobachteten Objectes kennen, die Grösse des letztern berechnet werden. Denn findet sich, dass das Fernrohr aus seiner horizontalen Richtung um die Winkel α und β gedreht werden muss, damit die horizontale oder verticale Linie seines Fadenkreuzes zuerst mit dem einen und dann mit dem andern Ende des Gegenstandes zusammenfalle, so ist offenbar die gemessene Länge = s. (tgt. α + tgt. β ). Für geodätische Zwecke wendet man das Fernrohr zu derartigen Messungen in Gestalt des Theodolithen an, eines Fernrohrs, welches an einem horizontalen und verticalen, mit Nonius versehenen Winkelkreis gedreht wird. Da der oben mehrfach erwähnte Nonius ein sehr gebräuchliches Mittel bei derartigen Messungen ist, so wollen wir denselben hier kurz erläutern. Das Princip des Nonius besteht darin, dass man eine bestimmte Länge des Maassstabes in eine um 1 grössere Zahl von Theilen eintheilt und die so gewonnene Theilung auf einen beson- deren Maassstab überträgt: dieser letztere ist dann der Nonius. Man überträgt z. B. auf den Nonius 11 Millim. eines Millimetermaassstabes und theilt diese Länge in 10 Theile ein: es ist dann jeder Theil des Nonius um 1/10 Millim. grösser als ein Theil des Maassstabes. Fällt nun auf das Ende einer zu messenden Länge kein Theilstrich des Millimetermaassstabes, so stellt man den Nullpunkt des Nonius auf diesen Punkt ein und sieht dann zu, mit welchem weiter unten gelegenen Theilstrich Das Fernrohr. des Nonius ein Theilstrich des Maassstabes genau zusammenfällt. Findet man z. B., dass beim 5. Theilstrich des Nonius ein solches Zusammentreffen stattfindet, so sind der am Maassstab direct gemessenen Länge nach 5/10 Mm. hinzuzufügen. Ueber die Messung sehr kleiner Drehungswinkel mit dem Fernrohr vergl. §. 133. Eine physiologisch wichtige Anwendung findet endlich das Fern- 197 Das Ophthal- mometer. rohr in dem Ophthalmometer . Dasselbe dient zur Messung der Grösse der Reflexbildchen der Hornhaut oder vordern Linsenfläche zum Zweck der Berechnung des Krümmungsradius dieser brechenden Flächen. Es besteht aus einem Fernrohr, vor welchem sich ein Ka- sten mit zwei auf einander stehenden und gegen einander drehbaren planparallelen Glasplatten befindet. Indem man diese Glasplatten schräg stellt, erfährt nach den in §. 142 erörterten Gesetzen das beob- achtete Bildchen eine Verschiebung: es entstehen also, wenn man die Glasplatten nach entgegengesetzten Richtungen dreht, zwei Bildchen, die man durch Drehung der Glasplatten um gleiche Winkel so gegen einander verschiebt, dass das Ende des einen mit dem entgegenge- setzten Ende des andern zusammenfällt. Das hinter den planparalle- len Glasplatten angebrachte Fernrohr dient in diesem Fall theils zur schärferen Beobachtung der Bilder theils dazu dem Auge des Beob- achters eine feste Richtung zu geben. Die Einrichtung des Ophthalmometers ist hiernach folgende. Das Fernrohr A, von dem bloss das vordere Ende in der Fig. 144 Fig. 144. gesehen wird, ist ein gewöhnliches astronomisches Fernrohr, hat aber statt eines achromatischen Objectives l 1 noch ein zweites l 2 , weil die- ses Fernrohr zu Beobachtungen in die Nähe angewandt wird und bei erheblich divergirend einfallendem Licht eine einzige Kron- und Flint- Von dem Lichte. glascombination nicht zur Herstellung vollkommen scharfer Bilder ge- nügt; handelt es sich um Beobachtungen auf grössere Entfernung, so kann übrigens die Doppellinse l 2 herausgenommen werden. Vor dem Fernrohr findet sich nun der viereckige, von messingenen Wänden eingeschlossene Kasten B, welcher in die offene Röhre C übergeht. Wir denken uns die eine dem Leser zugekehrte Seitenwand des Ka- stens hinweg, um die inneren Theile des Apparates übersehen zu können. Die beiden Platten g und f (die wir uns in ihrer Anfangs- stellung, senkrecht auf die Axe des Fernrohrs, denken) waren ur- sprünglich eine einzige planparallele Glasplatte, die dann in ihrer Mitte auseinandergeschnitten wurde, so dass hier die Ränder beider Platten dicht sich berühren. a 1 ist die Drehungsaxe der oberen, a 2 die der unteren Platte: jede dieser Axen ist mit einer Trommel m 1 , m 2 verbunden, an der sich eine feine Theilung befindet. Dreht sich also die Platte g, so dreht sich mit ihr m 1 , ebenso dreht sich m 2 mit der Platte f. Der Winkel, um den sich g und f gedreht haben, lässt sich dann bei n 1 und n 2 , wo sich Nonien befinden, ablesen. Die Dre- hung der Platte g vollführt man durch Drehung der Axe t 1 , die durch den Trieb c 1 in ein mit der Platte g fest verbundenes Zahnrad z 1 ein- greift. Ebenso wird die Drehung der Platte f durch die Axe t 2 voll- führt, die bei c 2 in das Zahnrad z 2 eingreift. Die beiden Axen t 1 und t 2 greifen ihrerseits durch die zwei Triebe h 1 und h 2 in einander, so dass, wenn man die Platte g um einen bestimmten Winkel dreht, die Platte f um einen gleich grossen Winkel gedreht wird, und umge- kehrt. Man verwendet als Object, dessen Spiegelbild man messen will, am zweckmässigsten drei Gasflammen, von welchen zwei nahe bei einander stehen, die dritte sich in grösserer Entfernung befindet. Die Entfernung E der Mitte jener zwei ersten von der dritten Flamme betrachtet man als die Grösse des Objectes, und dreht nun die Platten so lange, bis die beiden Spiegelbilder mit ihren entgegengesetzten Enden sich decken, d. h. bis die einzelne Flamme im einen Bild in die Mitte zwischen die beiden Flammen des andern Bildes fällt. Es ist dann nach §. 142 E = 2. , worin α der Winkel ist, um welchen man die Glasplatten gedreht hat, und welchen man also an m 1 und zur Controle ausserdem an m 2 ablesen kann, während β aus der Gleichung sin. α = n. sin. β gefunden wird. Man erspart sich diese Rechnungen, wenn man ein für allemal für sein Ophthal- mometer die Bildgrössen berechnet, die den verschiedenen Werthen von α entsprechen. Aus der Bildgrösse β 2 eines Convexspiegels lässt sich aber, wenn die Grösse β 1 des Objectes bekannt ist, leicht der Krümmungshalbmesser bestimmen. Es befindet sich in diesem Fall das leuchtende Object in so grosser Entfernung vom Auge, dass man annehmen kann, das Bild desselben falle in den Brennpunkt. Die Der Augenspiegel. Brennweite eines sphärischen Hohl- oder Convexspiegels ist nun nach §. 136 gleich dem halben Krümmungsradius. Folglich verhält sich β 1 : β 2 = s : , wenn man mit β 1 und β 2 wieder die Grösse des Objectes und seines Spiegelbilds und mit s die Entfernung des Ob- jects vom Auge bezeichnet. Siebenzehntes Capitel. Der Augenspiegel . Der Augenspiegel gehört, insofern es sich bei ihm um die Be- 198 Der dunkle Augengrund. Princip des Augenspiegels. leuchtung des dunkeln Augengrundes handelt, unter die in §. 133 er- örterten Beleuchtungsapparate. Aber da der Augengrund nur wegen der dioptrischen Eigenschaften des Auges dunkel erscheint, so genügt in der Regel zum Sichtbarmachen desselben nicht die Beleuchtung durch Reflexion von Licht an ebenen oder gekrümmten Spiegeln, son- dern es bedarf ausserdem besonderer dioptrischer Hülfsmittel. Wenn das Auge O (Fig. 145) die von der Lichtquelle a ausgehenden Strah- Fig. 145. len so bricht, dass dieselben auf der Netzhaut ein Bild von a ent- werfen, so muss auch das Bild dieses Netzhautbildchens a' wieder in den Punkt a fallen. Zu einem irgendwo seitlich, z. B. bei B, be- findlichen Beobachter gelangen also keinerlei Strahlen von dem leuch- tenden Bildchen a'. Ein bei B befindliches Auge könnte nur das nämliche Licht wieder empfangen, das von ihm selbst ausgehend in das Auge O fiele: es könnte also nur dann die Netzhaut erleuchtet sehen, wenn es selbst eine Lichtquelle wäre. Dies ist die Ursache, wesshalb unter gewöhnlichen Verhältnissen der Grund des Auges dunkel erscheint. Ist aber das Auge O nicht auf das Licht a acco- modirt, sondern etwa auf einen entfernteren Punkt s, so sammeln sich die von a ausgehenden Strahlen erst hinter der Netzhaut, in a″, es wird nun eine Stelle α β der Netzhaut erleuchtet, und die von hier ausgehenden Strahlen müssen in der Entfernung s ein Bild α' β' er- zeugen. In diesem Fall gelangt also zurückkehrendes Licht in ein bei B befindliches Auge: dieses kann aber die Stelle α β nur unbestimmt erleuchtet sehen, weil die Strahlen durch die Brechung an der Hornhaut des Auges O eine starke Convergenz besitzen, so dass ein zweites Auge Von dem Lichte. dieselben schon weit vor seiner Netzhaut vereinigt. Wir können uns jedoch ein Bild des Augengrundes verschaffen, wenn wir zwischen O und B eine Linse bringen, welche die Richtung der Lichtstrahlen so verändert, dass ein deutliches virtuelles oder reelles Bild entstehen kann. Diese Forderung erfüllt der dioptrische Apparat des Augen- spiegels, während der katoptrische eine solche Beleuchtung des Auges O bewerkstelligt, dass überhaupt aus demselben zurückkehren- des Licht in das beobachtende Auge gelangen kann. 199 Beobachtung im virtuellen auf- rechten und im reellen umge- kehrten Bilde. Es giebt zwei Methoden zur Beobachtung des Augengrundes: die Untersuchung im virtuellen aufrechten Bilde und 2) die Unter- suchung im reellen umgekehrten Bilde. Man stelle seitlich von dem Auge O (Fig. 146) ein Licht l auf Fig. 146. und vor diesem den Schirm s zum Schutz des beobachtenden Auges B vor den directen Strahlen des Lichtes. Ist das Auge O auf die Entfernung h α accomodirt, so werden die von l ausgehenden Strah- len im Punkte l' hinter der Netzhaut vereinigt. Verfolgen wir die von einem Punkte a der erleuchteten Fläche a b des Auges ausgehenden Strahlen, so würden dieselben, wenn sich kein dioptrisches Hülfsmittel zwischen O und dem beobachtenden Auge B befände, in α ein Bild von a entwerfen, und von der ganzen erleuchteten Stelle a b würde ein umgekehrtes Bild α β entstehen. Durch die Concavlinse L wer- den nun aber die Strahlen schwach divergent, sie fallen daher in das Auge B so, als wenn sie von einem Punkte a' herkämen, und der ganzen Fläche a b wird ein virtuelles aufrechtes Bild a' b' ent- sprechen. Das umgekehrte reelle Bild α β (Fig. 146), welches die erleuch- Fig. 147. Der Augenspiegel. tete Stelle a b ausserhalb des Auges entwirft, ist zu entfernt vom Auge O und wegen seiner Vergrösserung zu lichtschwach, als dass es von einem Beobachter deutlich wahrgenommen werden könnte. Bringt man aber vor das Auge O eine Convexlinse L (Fig. 147), so werden die von der erleuchteten Stelle a b ausgehenden Strahlen durch diese Linse stärker convergent, sie sammeln sich daher schon nahe vor dem Auge O zu dem umgekehrten reellen Bilde a' b', welches aus einiger Entfernung leicht durch ein Auge B beobachtet werden kann. Die in Fig. 146 und 147 angewandte Beleuchtungsmethode lie- 200 Beleuchtungs- methoden. Hauptformen des Augen- spiegels. fert für die Beobachtung im virtuellen Bilde ein zu lichtschwaches Bild und auch für die Beobachtung im reellen Bilde ist sie schwierig und erfordert Uebung. Statt des Vorbeisehens an einem Lichte be- nützt man daher durchhohrte Beleuchtungsspiegel , die nicht nur leichter zu handhaben sind, sondern mit denen sich auch eine be- trächtlichere Lichtstärke des Bildes erzielen lässt. Es sei S (Fig. 148) ein in seiner Mitte, bei m, durchbohrter Plan- Fig. 148. spiegel. Lässt man die Linsen C und L hinweg, so gelangen die von der Lichtquelle l ausgehenden Strahlen, nachdem sie von S re- flectirt sind, divergirend, in der Richtung der punktirten Linien, in das Auge O. Die von dem erleuchteten Grund des letzteren ausgehenden Strahlen convergiren nach ihrem Austritt aus O, und der durch m tretende Theil derselben kann daher von dem Auge B aufgefangen werden. Nur in einem einzigen Fall wird man den Hintergrund von O nicht leuchtend sehen, dann nämlich wenn dieses Auge genau auf den Punkt m accomodirt ist: denn in diesem Fall würden nur die von m ausgegangenen Strahlen wieder in m gesammelt werden kön- nen, die Stelle m des Spiegels ist aber gerade die einzige, die keine Strahlen nach O aussendet. Die einfache Anwendung eines Planspie- gels würde jedoch das Auge O zu schwach erleuchten, da, wie man aus dem Verlauf der punktirten Linie ersieht, nur ein kleiner Theil Von dem Lichte. des von l ausgehenden Strahlenkegels durch die Pupille des Auges O dringt. Man erreicht daher eine beträchtlichere Lichtstärke, indem man eine Sammellinse C zu Hülfe zieht, die zwischen die Lichtquelle und den Spiegel gebracht wird. Diese Linse verwandelt die diver- genten Strahlen in convergente, deren Richtung durch die ausgezoge- nen Linien angegeben ist. Dieselben schneiden sich in dem Punkte f, um von hier aus wieder divergent nach dem Auge O zu gelangen. Durch das Einschieben der Sammellinse verhält sich nun die Sache so, als wenn die Lichtquelle nicht l oder dessen Spiegelbild, sondern der näher vor dem Auge gelegene Punkt f wäre, in welchem die von l ausgehenden Strahlen durch die Linse gesammelt werden. Das Auge B wird jetzt unter allen Umständen den Hintergrund des Auges O erleuchtet sehen, auf welche Distanz dasselbe accomodirt sein möge. Statt des Planspiegel S mit der Linse C kann man auch einen Hohl- spiegel anwenden. Dieser hat, wenn seine Brennweite dieselbe ist wie die der Linse, genau die nämliche Wirkung. Auch einen Convex- spiegel mit Convexlinse hat man zur Beleuchtung benützt. Dies ge- währt den Vortheil, dass durch Veränderung des Abstandes zwischen Linse und Spiegel die Brennweite verändert werden kann, was bei der Anwendung des Hohlspiegels gar nicht und bei der Anwendung des Planspiegels nur durch Wechsel der Linse möglich ist. Die Com- bination eines Convexspiegels und einer Sammellinse verhält sich nämlich offenbar ebenso wie die Combination einer Concav- und Con- vexlinse, wo, wenn beide Linsen einander genähert werden, die Brenn- weite verkürzt, wenn sie von einander entfernt werden, die Brenn- weite vergrössert wird. Vor das Auge O wird ferner die Convexlinse L gehalten. Diese macht zunächst die von f nach O gehenden Strah- len convergenter, bewirkt dadurch also eine stärkere Erleuchtung des Auges O und eine Sammlung der Lichtstrahlen vor der Netzhaut und in Folge davon die Erleuchtung einer grösseren Fläche des Augen- grundes. Denn wäre z. B. ohne die Linse L das Auge O auf f accom- modirt, so wäre nur ein einziger Punkt seines Augengrundes erleuch- tet. Sodann giebt die Linse L den aus dem Auge zurückkehrenden Strahlen, nach der in Fig. 147 erläuterten Wirkung, eine solche Ab- lenkung, dass nahe der Linse ein umgekehrtes reelles Bild der er- leuchteten Stelle entsteht. Für die Untersuchung des Augengrundes im virtuellen aufrechten Bilde kann unter Umständen die Beleuchtung durch einen Plan- oder Convexspiegel mit einer Linse oder durch einen Hohlspiegel für sich allein ausreichen. Man bringt zu diesem Zweck den Spiegel nahe vor das zu untersuchende Auge (Fig. 149). Es werden dann die schwach convergent in das Auge O fallenden Strahlen vor der Netz- haut desselben vereinigt, wobei sie dieselbe noch hinreichend stark beleuchten. Ist nun das Auge O auf unendliche Ferne eingestellt, so Der Augenspiegel. Fig. 149. werden die von der Netzhaut reflectirten Strahlen in den optischen Medien so gebrochen, dass sie nach ihrem Austritt aus dem Auge parallel sind. Ist das Auge B gleichfalls auf unendliche Ferne einge- richtet, so werden diese parallelen Strahlen von demselben zu einem Bilde vereinigt, das auf ein in grosser Ferne hinter O gelegenes Ob- ject bezogen wird. Der Augengrund erscheint also in aufrechtem und stark vergrössertem Bilde. Da aber die Voraussetzung, dass die Au- gen O und B beide auf parallele Strahlen eingerichtet seien, selten zutrifft, so muss man meistens, wie es die Fig. 149 darstellt, durch eine, am besten zwischen dem Auge B und dem Spiegel angebrachte, Concavlinse, den Strahlen eine solche Ablenkung geben, dass sie vom Auge B zu einem Bilde vereinigt werden können. Die gebräuchlicheren Formen der Augenspiegel unterscheiden sich meistens nur durch die Beschaffenheit des angewandten Beleuchtungsapparats. Bei dem Augenspie- gel von Ruete besteht der letztere aus einem Hohlspiegel, beim Augenspiegel von Coccius aus einem Planspiegel mit einer Sammellinse, beim Augenspiegel von Ze- hender aus einem schwach convexen Metallspiegel mit einer stärkeren Convexlinse. Da es hier unsere Aufgabe ist die physikalischen Principien der optischen Instrumente auseinanderzusetzen, nicht aber ihren Gebrauch zu lehren, so können wir uns des Ein- gehens auf die Beschreibung der sehr zahlreichen Formen des Augenspiegels enthalten. Nur zwei Formen wollen wir hier noch erwähnen, weil bei denselben die Methode der Beleuchtung eine von den bisher angeführten abweichende ist. Es sind dies der Augenspiegel von Helmholtz und der Prismenspiegel von Meyerstein . Bei dem ersteren wird die Beleuchtung durch reflectirende Glasplatten erzeugt, deren man meh- rere über einander legt. Die von der Lichtquelle ausgehenden Strahlen werden von diesen Glasplatten nach dem Auge O reflectirt, die von O zurückgekehrten Strahlen werden dann an den Platten theils wieder nach der Lichtquelle zurückgeworfen, theils dringen sie durch dieselben, um dem Auge B, wie in Fig. 146, mittelst der Concav- linse ein virtuelles Bild zu liefern. Dieses Bild ist hierbei natürlich sehr lichtschwach. Meyerstein hat daher zweckmässig statt der Reflexion an Glasplatten die totale Reflexion im rechtwinkligen Prisma angewandt. Die Hypothenuse des Prismas wird so gehalten, dass die an ihr (wie in Fig. 98, §. 145) reflectirten Strahlen in das Auge O fallen. Die von hier zurückkehrenden Strahlen gelangen durch ein in dem Prisma angebrachtes Loch, ähnlich wie in Fig. 148 und 149 durch die Spiegelöffnung, in das Auge B. Man kann mit dieser Beleuchtungsmethode die Beobachtung im vir- tuellen oder im reellen Bilde verbinden. Von dem Lichte. 201 Berechnung der C onstanten des Augenspiegels. Die Wahl der Convex- oder Concavgläser zum Sammeln oder Zerstreuen der Strahlen und die Entfernungen, in welche diese Gläser sowie der Beleuchtungsspiegel und das beobachtende Auge von einander und von dem beobachteten Auge gebracht werden müssen, hängen selbstverständlich von dem Brechungszustand der beiden Au- gen B und O ab, und hiervon ist dann auch die Vergrösserung bedingt, welche das virtuelle oder reelle Bild erfährt. Innerhalb gewisser Grenzen kann man die Stärke der gewählten Linsen variiren, da sich theils durch Aenderung der Distanzen theils durch Accomodation ab- und zugeben lässt. Wählt man z. B. für L in Fig. 147 eine stärkere Sammellinse, so entsteht das Bild a' b' näher bei O. Das Auge B muss also nun entweder näher rücken oder auf grössere Entfernung accommodiren. Wählt man umgekehrt in Fig. 146 eine stärkere Concavlinse, so muss das Auge B entweder für einen näheren Punkt accommodiren oder sich weiter entfernen. Die richtige Ein- stellung bleibt daher immer dem Probiren vorbehalten. Im Allgemeinen müssen wir uns desshalb darauf beschränken die Principien anzudeuten, welche bei der Wahl der Linsengläser und der ungefähren Bestimmung der Distanzen maassgebend sind. Von der erleuchteten Stelle a b des Auges O (Fig. 146) würde durch die Bre- chung an der Grenze der optischen Medien ein reelles umgekehrtes Bild α β ent- worfen werden. Bringen wir nun vor das Auge O die Concavlinse L, welche die con- vergenten Strahlen divergent macht, so entsteht statt dessen ein virtuelles aufrechtes Bild a' b' hinter dem Auge. Das Auge O und die Linse L bilden zusammen die Combination einer Convex- und Concavlinse, die sich in dem Abstande c h = m von einander befinden. Das von dem Auge O entworfene Bild α β betrachten wir, wie in §. 154, als Object für die Linse L. Die vorausgesetzte Bedingung ist nun, dass das Bild α β , um die Sehweite S o des Auges O von diesem Auge, und das Bild a' b' um die Sehweite S b des Auges B von dem letzteren entfernt liege. Es ist demnach e α = S o — m und, wenn wir die Entfernung des Auges B von der Concavlinse vernachlässigen, c a' = S b . Bezeichnen wir die negative Brennweite der Linse L mit F, so ist nach §. 154 (S. 232) . Man sieht aus dieser Gleichung, dass die Brennweite F um so grösser genommen werden muss, je grösser S o und S b werden. Ist S o = S b = ∞, so ist auch F = ∞, d. h. wenn beide Augen auf unendliche Ferne accommodirt sind, braucht man gar keine Linse. Ferner ist ersichtlich, dass man kleinere Veränderungen der Sehweite S o durch Ver- änderungen von m, der Distanz zwischen Linse und Auge, compensiren kann. Wird S o grösser, so muss man auch mit der Linse weiter vom Auge wegrücken, und umgekehrt. Endlich lassen dadurch dass das Auge B seine Sehweite verändert, die Schwankungen der Sehweite S o sich ausgleichen. Bezeichnen wir die Grösse von α β mit β 1 und die Grösse von a' b' mit β 2 , so ist nach Gleichung 4, §. 151 . Ist S o sehr gross, so kann man m dagegen vernachlässigen. Dann ist , d. h. das von B gesehene virtuelle Bild der Netzhaut des Auges O erscheint ebenso gross, wie dem Auge O seine eigene Netzhaut in der Entfernung seiner Sehweite erscheinen würde. Nun haben wir in §. 179, Gl. 2a gefunden, dass, wenn man mit A die Länge der Augenaxe, mit k die Entfernung des Kreuzungspunk- tes der Richtungsstrahlen vom Hornhautscheitel und mit E die Entfernung des Ob- jectes bezeichnet, dann sich die Grösse des Objectes zur Grösse des Netzhautbildes Interferenz der Lichtwellen. verhält wie . Wenn wir erwägen, dass in diesem Fall E = S o ist, und dass wir gegen S o die Entfernung k verschwindend klein annehmen können, so ist daher . Durch den Bruch wird daher auch die Vergrösserung ausgedrückt, in wel- cher das Auge B die Netzhaut des Auges O erblickt. Nun ist nach §. 179 im redu- cirten Auge A — k = 15,17 Mm. Nimmt man S o als mittlere Sehweite = 240 Mm. an, so ergiebt sich eine ungefähr 15 malige Vergrösserung. Bringen wir vor das Auge O statt der Concavlinse eine Convexlinse, so ist auch hier das Bild α β als virtuelles Bild für diese Linse zu betrachten. Die Ent- fernung des Bildes von der Linse ist wieder = S o — m, setzen wir dann die Ent- fernung c e (Fig. 147) des wirklich entworfenen Bildes a' b' von der Linse = n, so haben wir in diesem Fall nach §. 151, Gl. 3 , wobei in Rücksicht darauf dass hier das virtuelle Bild α β auf derselben Seite der Linse wie das Bild a' b' liegen würde, S o —m das entgegengesetzte Vorzeichen wie f 1 in Gl. 3, §. 151 erhalten hat. Erwägt man nun, dass S o im Vergleich zu n und m jedenfalls sehr gross sein wird, da das Bild nicht zu weit vom Auge O und der Linse L wegrücken darf, wenn es dem Beobachter deutlich erscheinen soll, so kann man mit hinreichender Genauigkeit setzen, d. h. man kann annehmen, das Bild α β falle in die Brennweite der Linse. Unter dieser Voraussetzung verhält sich dann, wenn wir die Grösse von α β mit β 3 bezeichnen, . Es ist aber, wie wir vorhin gesehen ha- ben, , wo β 2 die Grösse des Netzhautbildes a b bedeutet, folglich, wenn man berücksichtigt, dass m gegen S o verschwindet, . Die Vergrösserung der erleuchteten Netzhaut wächst somit in diesem Fall proportio- nal der Brennweite der Convexlinse, während sie bei der Untersuchung im virtuellen Bilde proportional der Sehweite des untersuchten Auges war. Setzt man wieder A — k = 15,17 Mm., so erhält man z. B. für F = 30 Mm. etwa eine zweifache, für F = 60 Mm. eine vierfache Vergrösserung, u. s. w. VI. Interferenz und Beugung des Lichtes. Achtzehntes Capitel. Interferenz der Lichtwellen . Wir nähern uns jetzt einer Reihe von Erscheinungen, welche eine 202 Wesen der In- terferenz. noch directere Bestätigung als die bisher erörterten für die Wellen- theorie des Lichtes enthalten, indem sie uns die Lichtwellen gleich- sam zur unmittelbaren Anschauung bringen und so nicht bloss den Wundt , medicin. Physik. 20 Von dem Lichte. Schluss, dass das Licht eine Wellenbewegung ist, zur Evidenz er- heben, sondern auch darüber Aufschluss geben, wie diese Bewegung stattfindet, nämlich wie gross die Länge der Wellen, welches ihre Schwingungsgeschwindigkeit ist, und in welcher Richtung, ob longitu- dinal oder transversal die Schwingungen erfolgen. Eine Interferenz der Lichtwellen entsteht, wenn verschiedene Lichtschwingungen zusammentreffen. Wie bei der Interferenz der Wellenbewegungen überhaupt muss dann da wo zwei Wellenberge sich decken, ein höherer Berg, da wo zwei Wellenthäler sich decken, ein tieferes Thal entstehen, während wo Wellenberg und Wellenthal zusammentreffen die Bewegung theilweise oder völlig sich aufhebt. Da nun bei den Lichtwellen der Amplitude der Schwingungen die Lichtstärke entspricht, so muss, wo ein Berg oder Thal durch In- terferenz grösser wird, die Intensität des Lichts zunehmen, umgekehrt aber muss, wo Berg und Thal sich gegenseitig aufheben, die Intensi- tät des Lichtes abnehmen oder ganz schwinden. Es kann also beim Zusammentreffen verschiedener Lichtwellen je nach Umständen ver- mehrte Helligkeit oder Dunkelheit entstehen. Ist die Wellenlänge der beiden zusammentreffenden Lichtschwingungen gleich gross, so wird offenbar dann vermehrte Helligkeit entstehen, wenn beide Bewegun- gen entweder um null oder um 1, 2, 3 … Wellenlängen, kurz um irgend eine Anzahl ganzer Wellenlängen verschieden sind. Dunkel- heit wird dagegen hervorgehen, wenn beide um ½, 1½, 2½ …, kurz um eine Anzahl halber Wellenlängen differiren. Hieraus er- giebt sich unmittelbar die Methode, die zur Untersuchung der Inter- ferenzerscheinungen einzuschlagen ist. Man wird nämlich verschiedene Lichtwellen erzeugen und dieselben so aufeinander treffen lassen, dass sie um verschiedene Wegstrecken von ihrer Ursprungsquelle entfernt sind. Beträgt dann dieser Gangunterschied eine Anzahl ganzer Wel- lenlängen, so wird Erhöhung der Lichtstärke entstehen, beträgt er eine oder mehrere halbe Wellenlängen, so wird Dunkelheit eintreten. Nun kennen wir aus den bisher erörterten Thatsachen die Länge der Lichtwellen noch nicht. Wir müssen es also rein auf den Versuch ankommen lassen, welche Gangunterschiede den zusammentreffenden Lichtwellen zu geben sind, um vermehrte oder verminderte Lichtstärke hervorzurufen. Es ist aber klar, dass, wenn wir erst diese Gang- unterschiede ermittelt haben, hierin zugleich uns die Möglichkeit zur Bestimmung der Wellenlänge geboten ist. 203 Der Fresnel’- sche Spiegel- versuch. Die einfachste Methode nach dem angegebenen Princip die Länge der Lichtwellen zu bestimmen, beruht auf dem folgenden, von Fres- nel angegebenen Versuch. Man stelle unter einem stumpfen Winkel zu einander geneigt zwei Spiegel A B und B C (Fig. 150) und zur Seite ein Licht L auf, dessen Spiegelbilder in A B und B C man Interferenz der Lichtwellen. Fig. 150. nach dem Reflexionsgesetz erhält, wenn man auf die Ebenen beider Spie- gel senkrechte Linien zieht: auf jeder dieser Linien liegt dann ein Spiegel- bild, und zwar liegt jedes Spiegelbild L', L″ ebenso weit hinter der spie- gelnden Fläche, als das Licht L vor dieser Fläche befindlich ist. Gegen- über beiden spiegelnden Flächen wird ein Schirm S S aufgestellt, auf dem man die von A B und B C reflectirten Lichtwellen auffängt. Diese Lichtwellen verlaufen nach dem Reflexionsgesetz so, als wenn sie von den Orten L' und L″ herkämen. Wir können daher die Sache so ansehen, als wenn von L' und L″ zwei Kugelwellen ausgiengen. Wir wollen zunächst annehmen, diese beiden Kugelwellen enthielten nur Schwingungen von gleicher Wellenlänge, es seien also in beiden Wel- len die Berge und die Thäler (wir haben die ersteren durch die aus- gezogenen, die letzteren durch die punktirten Linien angedeutet) um gleiche Abstände von einander entfernt. Man sieht, dass an vielen Stellen, wie bei a, b, c Wellenberge, an andern, wie bei f, g, h, Wellenthäler, an noch andern aber, wie bei m, n Wellenberge und Wellenthäler zusammentreffen. Auf dem Schirm S S wechseln daher helle und dunkle Stellen mit einander. In der Mitte zwischen den Grenzen der von beiden Lichtquellen zugleich bestrahlten Fläche ist immer, wo man auch den Schirm S S aufstellen möge, ein heller Fleck, denn auf der ganzen Linie a s befinden sich nur Interferenzen von Berg mit Berg oder von Thal mit Thal. Zur Seite von s nimmt dann die Helligkeit ab, und bei r kommt eine dunkle Stelle, bei z geht diese wieder in eine helle über, u. s. f. So wechseln in bestimm- ten Abständen auf beiden Seiten von s erhellte mit verdunkelten Stellen ab. Bringt man den Schirm S S näher an a heran, so rücken nun die auf dem Schirm entworfenen hellen oder dunkeln Linien näher zusammen, wie dies unmittelbar aus dem Verlauf der die zusammen- 20 * Von dem Lichte. treffenden Berge und Thäler verbindenden Linien m r, n r, y z er- sichtlich ist. Diese Linien bilden Curven, welche symmetrisch zu beiden Seiten der Axe a s liegen (Fig. 151). Zieht man von irgend hinter einan- Fig. 151. der gelegenen Punkten einer Curve Linien nach L' und L″, so ist die Differenz dieser Linien für jeden Punkt einer Curve constant, also für jeden Punkt der Linie a s = L″ B — L' B = o, für jeden Punkt der Curve r = L″ x — L' x, für jeden Punkt der Curve z' = L″ y — L' y, u. s. w. Eine Curve, bei der die Distanzunterschiede aller Punkte von zwei festen Punkten gleich gross sind, nennt man aber eine Hyperbel . Die Curven r, r', z, z' sind also Hyperbeln, deren Krümmung nach aussen von der ihnen gemeinsamen Axe a s fort- während zunimmt. Bezeichnet man den Wegunterschied L″ x — L' x mit d, so ist der Unterschied für die Curve z = 2 d, für r' = 3 d, und man bekommt überhanpt für die Wegunterschiede des Lichts an der Stelle der dunkeln Hyperbeln r, r' … nach einander die Werthe d, 3 d, 5 d . . . ., für die Wegunterschiede, an der Stelle der hellen Hyperbeln z, z' . . . . dagegen die Werthe 2 d, 4 d, 6 d . . . . Da nun interferirende Lichtwellen dann Dunkel erzeugen müssen, wenn sie um ½, 1½, 2½ . . . . Wellenlängen verschieden sind, vermehrte Helligkeit dagegen, wenn sie um 1, 2, 3 . . . . Wellenlängen diffe- riren, so beträgt offenbar die Zahl d, welche den Distanzunterschied jedes Punktes der ersten zur Seite von s gelegenen dunkeln Hyper- bel von den beiden Lichtquellen angiebt, eine halbe Wellen- länge . 204 Wellenlänge und Schwin- gungsgeschwin- digkeit des Lichtes. Lässt man nach einander von der Lichtquelle L Licht von ver- schiedener Brechbarkeit ausgehen, also rothes, gelbes, grünes u. s. w., so zeigt sich, dass in jedem dieser Fälle die Hyperbeln eine andere Gestalt haben, indem sie beim Licht geringerer Brechbarkeit sich mehr von der Axe a s entfernen, beim Licht grösserer Brechbarkeit näher Interferenz der Lichtwellen. an dieselbe heranrücken. Hat man also z. B. rothes Licht, so sind die Distanzen s r, s z grösser als bei gelbem Lichte, bei diesem wie- der grösser als bei grünem Lichte u. s. w. Mithin sind auch die Werthe von d für rothes Licht am grössten, für violettes am kleinsten. Bestimmt man d für die verschiedenen Strahlen des Spektrums, so ergeben sich folgende Zahlen für die Grösse der Wellenlänge. Es ist nach den Messungen von Fraunhofer eine Wellenlänge (2 d) für die dunkle Linie B (roth) = 0,0006878 Mm. „ „ „ „ C (roth) = 0,0006564 „ „ „ „ „ D (gelb) = 0,0005888 „ „ „ „ „ E (grün) = 0,0005260 „ „ „ „ „ F (blau) = 0,0004843 „ „ „ „ „ G (violett) = 0,0004291 „ „ „ „ „ H (violett) = 0,0003928 „ Dies sind die Werthe der Wellenlängen in der Luft. Um die Wellenlängen im lutleeren Raume zu finden, muss man jene Zahlen mit dem Quotienten multipliciren, wo v' die Fortpflanzungsgeschwindigkeit im luftleeren Raum, v diejenige in der Luft bedeutet. Da aber dieser Quotient nur eine sehr kleine Zahl ist, so erfahren hier- durch die obigen Werthe keine nennenswerthe Veränderung. Nachdem wir die Wellenlängen des Lichtes ermittelt haben, ist uns ein Mittel an die Hand gegeben, auch die Schwingungsge- schwindigkeit aufzufinden. Nach §. 32 ist nämlich, wenn wir mit s die Fortpflanzungsgeschwindigkeit einer Wellenbewegung und mit n die Anzahl der Schwingungen in der Zeiteinheit bezeichnen, die Wellen- länge l = , woraus folgt, dass n = ist. Nun haben wir die Fortpflanzungsgeschwindigkeit s des Lichtes schon früher, in §. 130, ermittelt; die Werthe von l entnehmen wir aus der obigen Tabelle. Wir finden so, da die Geschwindigkeit des Lichtes 41600 Meilen oder nahezu 310 Millionen Meter beträgt, die Zahl der Oscillationen in 1 Secunde: für die dunkle Linie B (roth) = 450 Billionen „ „ „ „ C (roth) = 472 „ „ „ „ „ D (gelb) = 526 „ „ „ „ „ E (grün) = 589 „ „ „ „ „ F (blau) = 640 „ „ „ „ „ G (violett) = 722 „ „ „ „ „ H (violett) = 790 „ Wir haben bisher, um dem Interferenzversuch die einfachste Ge- 205 Das Interferenz- spektrum. stalt zu geben, vorausgesetzt, die Lichtquelle L sende homogenes Licht aus. Wenn das Licht L nicht homogen ist, sondern Licht von Von dem Lichte. verschiedener Wellenlänge und Oscillationsdauer enthält, wie z. B. das Sonnenlicht, so lassen sich die Erscheinungen leicht ableiten, in- dem man sich die Erfolge, die wir bei der Beleuchtung mit den ver- schiedenen Brechbarkeitsstufen homogenen Lichtes erhalten haben, summirt denkt. In der Mitte s der interferirenden Strahlenbündel (Fig. 151), wo bei Anwendung aller Arten homogenen Lichtes Licht- verstärkung entstund, wird auch nunmehr ein intensiver Streif weissen Lichtes zu sehen sein. Da aber auf beiden Seiten von s die Intensität des rothen Lichtes langsamer abnahm als diejenige des gelben, grünen u. s. w., so dass für Roth erst bei einem von s entfernteren Punkte Dunkel eintrat, so wird etwa bei r' (zwischen s und r) ein gelbrother, bei r″ ein violetter Farbenton auftreten, dieser wird jenseits r″ zunächst durch blau in weiss übergehen, worauf wieder roth kommt, u. s. w. Es müssen so rechts und links von s neben einander Spektren, Interferenz- spektren , entworfen werden, welche jedoch bei weitem nicht die Reinheit des durch ein Prisma entworfenen Spektrums besitzen, indem immer noch beträchtliche Mischungen von Farben verschiedener Hellig- keit an den einzelnen Stellen stattfinden. Auch ist, da die Entfer- nungen der einzelnen Hyperbelarme für jede Farbe mit der Entfer- nung von der Axe a s zunehmen, die Aufeinanderfolge der Farben in den einzelnen Spektren nicht ganz dieselbe, und die Farben werden, je weiter man sich zur Seite entfernt, immer undeutlicher. Wenn man für jede Brechbarkeitsstufe die einzelnen Hyperbeln etwa mit ver- schiedener Farbe zeichnet, so lassen sich ohne Schwierigkeit diese Erscheinungen sämmtlich durch Construction ableiten; wir begnügen uns mit dieser Andeutung, da ein weiteres theoretisches und practi- sches Interesse an die Einzelnheiten sich nicht knüpft. 206 Farben dünner Plättchen. Pha- sendifferenz des durchtretenden und reflectirten Lichtes. Interferenzspektren können ausser auf die angegebene noch auf manchfache andere Weise entstehen; am häufigsten beobachtet man dieselben an dünnen Schichten farbloser durchsichtiger Körper. Sie sind unter dem Namen der Farben dünner Plättchen bekannt. Es gehören hierher namentlich die Farben der Seifenblasen, dünner Glimmer- oder Glasplättchen, der Flügeldecken gewisser Insecten, der Fischschuppen u. s. w. Es sei A B C D (Fig. 152) eine dünne Schicht einer von paral- lelen Wänden begrenzten durchsichtigen Substanz, die auf beiden Seiten vom selben Medium umgeben ist, also z. B. ein Glasplättchen von Luft umgeben. Ein Strahl a b, der bei b auf die Fläche A B fällt, erfährt hier eine Theilung, indem er theils nach b c reflectirt, theils nach b d gebrochen wird. Bei d erfährt der Strahl b d noch einmal eine Theilung, indem er an der Fläche B C theils nach d b' reflectirt, theils nach d e gebrochen wird. Der Strahl d b' spaltet sich dann bei b' zum dritten Mal, ein Theil wird nach b' d' reflectirt, Interferenz der Lichtwellen. Fig. 152. ein Theil nach b' c' gebrochen, u. s. w. Man sieht leicht, dass auf diese Weise jeder auf A B fallende Strahl durch fortgesetzte Reflexion und Brechung sich vielfältig spaltet, wobei aber natürlich bald die Lichtintensität sehr gering wird, so dass schon nach der zweiten Re- flexion und Brechung der weitere Verlauf des Strahls vernachlässigt werden kann. Es genügt daher sich den Strahl b c z. B. aus einem von a kommenden, bei b reflectirten und aus einem von a″ kommen- den, bei d″ reflectirten Lichtstrahl zusammengesetzt zu denken. Der Wegunterschied dieses in b c enthaltenen Lichtes ist aber = b″ d″ b, ebenso ist der Wegunterschied des Lichtes im Strahl b' c' = b d b', u. s. w. Die verschiedenen einen Strahl zusammensetzenden Licht- arten unterscheiden sich jedoch nicht bloss, wie in dem Fresnel ’- schen Spiegelversuch, dadurch dass sie eine verschiedene Wegstrecke zurückgelegt sondern auch dadurch dass sie auf ihrem Weg verschie- denartige Reflexionen und Brechungen erfahren haben. Wenn eine Welle an der Grenze eines dünneren Mediums reflectirt wird, so ist, wie wir in §. 42 gesehen haben, die reflectirte Welle von der ange- kommenen um eine halbe Wellenlänge verschieden. Wird dagegen eine Welle an einem dichteren Medium reflectirt oder in ein dichteres oder dünneres Medium gebrochen, so bleibt die Schwingungsphase dieselbe. Indem der Strahl b d nach d b' reflectirt wird, nimmt daher seine Schwingungsphase um eine halbe Wellenlänge ab, während sie bei der zweimaligen Brechung unverändert bleibt. Ebenso bleibt die Schwingungsphase des Strahls a' b' bei der Reflexion nach b' c' erhalten. Wäre also die Schichte A B C D unendlich dünn, so dass der Weg b d b' verschwindend klein würde, so enthielte der Strahl b' c' zwei um eine halbe Wellenlänge verschiedene Wellenbewegungen. Ist aber der Weg b d b' nicht verschwindend klein, beträgt z. B. die Länge desselben auch eine halbe Wellenlänge, so ist die Phasendifferenz im Strahl b' c' gleich einer ganzen Wellenlänge, es tritt dann vermehrte Helligkeit auf; ist die Verzögerung auf dem Weg b d b' gleich einer halben Wellenlänge, so ist die Phasendifferenz 1½ Wellenlängen, die Von dem Lichte. Helligkeit im Strahl b' c' ist wieder vermindert, u. s. f. Nun ist die Schichte A B C D jedenfalls dünn genug, dass der Unterschied der Linien b d, d b' u. s. w. von der senkrecht gemessenen Dicke der Schichte A B C D vernachlässigt werden kann. Man kann daher an- nehmen, der Strahl a b lege von b bis b' einen Weg 2 δ zurück, wenn wir mit δ die Dicke des Plättchens bezeichnen. Ist also δ = ¼ Wellenlänge, so beträgt die Phasendifferenz im Strahl b' c' eine ganze Wellenlänge; ist δ = ½ Wellenlänge, so ist die Phasendiffe- renz im Strahl b' c' 1½ Wellenlängen, u. s. f. Für die Helligkeit in dem reflectirten Licht können wir sonach das folgende allgemeine Gesetz aufstellen. Ist δ = 2 n. ¼, d. h. ist die Dicke der Schichte gleich einem geraden Vielfachen einer viertel Wellenlänge, so wird die Helligkeit des zurückgeworfenen Strahls vermindert . Ist da- gegen δ = (2 n — 1) ¼, d. h. ist die Dicke der Schichte gleich einem ungeraden Vielfachen einer viertel Wellenlänge, so wird die Helligkeit des zurückgeworfenen Strahls verstärkt . Anders als das reflectirte verhält sich das durch die Schichte A B C D hindurchtretende Licht. Fassen wir die Zusammensetzung des Strahls d e in’s Auge, so besteht derselbe zunächst aus einem Theil Licht der von a kommt, bei b nach b d und dann bei d nach d e gebrochen wird: dieser Strahl a b pflanzt sich somit ohne Ver- änderung seiner Phase nach d e fort. Ausserdem aber geht in den Strahl d e Licht über, welches von a″ herkommt, bei b″ nach d″ ge- brochen, hier nach b und von b nach d reflectirt wird: der Theil des Strahls a″ b″, der in den Strahl d e übergeht, hat also einen um b″ d″ b = 2 δ grösseren Weg als der Strahl a b zurückgelegt; ausserdem ist derselbe zweimal , bei d″ und bei b, an der Grenze des dünneren Mediums reflectirt und dabei jedesmal um ½ Wellen- länge verzögert worden; durch diese Reflexionen ist daher keine Phasendifferenz mit dem direct gebrochenen Strahl a b d e entstanden. Es beträgt somit, wenn δ = ¼ Wellenlänge, die Phasendifferenz in d e ½ Wellenlänge; ist δ = ½ Wellenlänge, so ist die Phasendiffe- renz = 1 Wellenlänge, u. s. f. Wenn die Dicke der Schichte gleich einem geraden Vielfachen einer viertel Wellenlänge oder δ = 2 n. ¼ wird, so ist also die Helligkeit des durchtretenden Lichtes ver- stärkt , und wenn die Dicke der Schichte gleich einem ungeraden Vielfachen einer viertel Wellenlänge oder δ = (2 n — 1) ¼ wird, so ist die Helligkeit vermindert . Ein reflectirter Strahl b c und ein ihm correspondirender durchtretender Strahl d e verhalten sich Interferenz der Lichtwellen. demnach entgegengesetzt: zeigt der erstere vermehrte, so zeigt der letztere verminderte Helligkeit und umgekehrt. In der Fig. 152 ist vorausgesetzt, die Strahlen a b, a' b' u. s. w. 207 Newton’sche Farbenringe. fielen einander parallel auf die Schichte A B C D auf, und diese Schichte sei von parallelen Wänden A B und C D eingeschlossen: in diesem Fall werden alle reflectirten und ebenso alle durchtretenden Strahlen sich gleich verhalten, jene sämmtlich durch Interferenz ge- schwächt, diese verstärkt sein, oder umgekehrt. Man wird aber eben- desshalb von der Interferenz nichts wahrnehmen. Soll die Interferenz zu Erscheinungen Veranlassung geben, so müssen abwechselnd die neben einander reflectirten oder durchtretenden Strahlen eine verschie- dene Phasendifferenz ihrer Bestandtheile besitzen: es muss also z. B. in dem Strahl b c zwischen dem von a und a″ kommenden Licht eine Phasendifferenz von 1 Wellenlänge, in dem Strahl b' c' zwischen dem von a' und a kommenden Licht eine Phasendifferenz von 1½ Wellen- längen sein u. s. w., diese Forderung wird nun offenbar erfüllt wer- den, wenn die Schichte A B C D an den verschiedenen Stellen b, b' … von verschiedener Dicke ist. Dünne Schichten von durchsichtiger Substanz, z. B. von Glas oder Glimmer, zeigen daher Interferenzer- scheinungen, wenn sie nicht überall von gleicher Dicke sind. Meistens verdünnen sich solche Plättchen, ebenso wie auch die durchsichtigen Insectenflügel, die Fischschuppen, gegen den Rand hin. Beleuchtet man nun z. B. eine durchsichtige Fischschuppe mit homogenem, etwa rothem Licht, so beobachtet man concentrische Streifen rothen Lichtes, die von dunkeln Streifen unterbrochen sind. Man sieht diese Erschei- nung ebensowohl wenn man die Schuppe im durchtretenden, als wenn man sie im reflectirten Lichte betrachtet: nur sind im letzteren Fall, in Uebereinstimmung mit der obigen Ableitung, diejenigen Streifen hell, die im ersten dunkel sind, und umgekehrt. Wird die Schuppe nicht von homogenem, sondern von weissem Lichte beleuchtet, so müssen natürlich die Dicken der Schichten für die Maxima und Minima der einzelnen Farben verschieden sein, da, wenn z. B. für das Ende des Roth δ = ¼ l wäre, dasselbe für das Ende des Violett nahezu = ½ l würde. Nehmen wir an, die Dicke der Schichte sei an ihrem Rand = o, und nehme von da an continuirlich zu, so muss zuerst das Maximum der Helligkeit für Violett, dann dasselbe für Blau, Grün, Gelb und zuletzt für Roth kommen. Man erhält so wieder statt der abwechselnden hellen und dunkeln Streifen im homogenen Lichte einen Wechsel der Farben. Jedesmal aber ergänzen sich die einer bestimmten Stelle entsprechenden reflectirten und durchtretenden Far- ben zu Weiss. Die angegebenen Erscheinungen lassen sich sehr schön bei einem zuerst von Newton angestellten Versuch beobachten. Derselbe besteht darin, dass man auf eine Von dem Lichte. ebene Glasplatte G (Fig. 153) eine Convexlinse C von sehr schwacher Krümmung dicht aufsetzt. In diesem Fall spielt die zwischen G und C befindliche Luftschichte die Rolle des die Interferenz bewirkenden Mediums. Der Versuch unterscheidet sich Fig. 153. also dadurch von den Bedingungen, die gewöhnlich den Farben dünner Plättchen zu Grunde liegen, dass ein dünneres Medium von wechselnder Dicke überall von einem dichteren Medium umgeben ist. Es tritt hierbei an der unteren Grenze von C und von G (bei b und d″) eine Phasendifferenz von ½ Wellenlänge auf. Die Dicke δ nimmt hier von der Mitte an, wo sie null ist, allmälig radienförmig zu. Wählt man ein farbiges Licht, so beobachtet man daher im reflectirten Lichte in der Mitte einen dunkeln Punkt, denn hier, wo δ = o ist, differiren die zwei den Strahl zusammen- setzenden Theile um ½ Wellenlänge; darauf folgt ein farbiger Kreis, der bei dem Werth δ = ¼ sein Maximum erreicht; auf diesen kommt bei δ = ½ ein dunkler Kreis, dann bei δ = ¾ wieder ein heller Kreis u. s. f. Im durchfallenden Lichte verhält sich die Erscheinung umgekehrt: hier ist die Mitte hell, der erste Ring dun- kel, u. s. f. Wählt man weisses Licht, so treten statt der abwechselnden hellen und dunkeln Ringe abwechselnde farbige Ringe, nach dem Erfinder dieses Versuchs die Newton’schen Farbenringe genannt, auf: die Mitte ist dunkel, dann folgt als erstes Ringsystem Blau, Weiss, Gelb, Orange, Roth, hierauf als zweites Ring- system Grün, Gelb, Roth, als drittes Dunkelblau, Blau, Grün, Gelb, Roth, u. s. w. Jedes dieser Ringsysteme ist ein Interferenzspektrum . Bei durchfallendem Lichte folgen die Farben eines jeden annähernd in umgekehrter Folge auf einander, so dass sie die Complementärfarben zu den reflectirten Strahlen liefern. Uebrigens ist die Farbenerscheinung im durchfallenden Lichte schwächer, weil hier die Intensität des Strahls a b d e, der bloss eine zweimalige Brechung erfahren hat, vor der Intensität des zweimal reflectirten Strahls a″ d″ d e bei weitem überwiegt; die Farben er- seheinen daher in diesem Fall weisslicher. Die ausführlichere Beschreibung der New- ton ’schen Farbenringe siehe bei den Interferenzerscheinungen des polarisirten Lichtes, in §. 231. Neunzehntes Capitel. Beugung der Lichtwellen . 208 Wesen und Ur- sache der Beu- gung. Eine wichtige Rolle spielt die Interferenz der Wellen bei der sogenannten Beugung des Lichtes . Unter der letzteren versteht man die Eigenschaft der Lichtwellen von ihrer geraden Fortpflanzungs- richtung abzuweichen, sobald sie an dem Rande eines undurchsichtigen Körpers vorbeigehen. Ist z. B. a (Fig. 154 auf §. 316) eine Lichtquelle, von der aus nach allen möglichen Richtungen a b, a c, a e, a f ..... Beugung der Lichtwellen. Licht ausstrahlt, und schneidet man die Strahlen oberhalb a b mittelst der undurchsichtigen Wand v w ab, so breiten sich nicht bloss die von a geradlinig fortgepflanzten Strahlen a b, a c, a d .... aus, sondern es gehen auch von dem Rande w seitliche Strahlen w m, w n weiter. Diese letzteren Strahlen, die sich so verhalten, als wenn sie von der Grenze w der Wand v w herkämen, sind die gebeugten Strahlen . Von der Ursache dieser Erscheinung kann man sich auf folgende Weise Rechenschaft geben. In jedem zur Wellenfortpflanzung geeig- neten Medium ist jede einzelne Welle Ausgangspunkt einer neuen, nach allen Richtungen fortschreitenden Welle. Geht z. B. in Fig. 154 von a eine Kugelwelle aus, so müssen, da nach den allgemeinen Principien der Wellenlehre jede Gleichgewichtsstörung eine Welle erregt, von jeder einzelnen Oscillation x oder y dieser Kugelwelle neue Kugel- wellen ausgehen. Jede Welle besteht daher streng genommen aus einem System interferirender Wellen, indem jeder Punkt der Welle Ausgangspunkt einer neuen Welle ist. Durch diese Interferenz heben sich aber alle Bewegungen mit Ausnahme der in den Radien a b, a c .... vor sich gehenden, d. h. der ursprünglichen Kugelwelle angehörigen, wieder auf. Denn irgend einer Wellenrichtung x z ent- spricht eine symmetrisch gelegene y z, und x z und y z zusammen vermögen den Punkt z nur in eine Bewegung in der Richtung z c zu versetzen. Aehnlich heben aber für jeden andern Punkt die nicht in den Richtungen a b, a c … geschehenden Bewegungen sich auf, so dass bei der ungestörten Fortpflanzung der Welle diese secundären Wellen sämmtlich verschwinden und nur die ursprüngliche übrig bleibt. Anders verhält sich die Sache, wenn die Fortpflanzung der Welle durch eine Wand wie v w gestört wird. In diesem Fall werden die von den einzelnen Wellen eines Strahls w b ausgehenden Kugelwellen zwar nicht in den unterhalb w b gelegenen Raum sich fortpflanzen können, indem sie hier wieder durch Interferenz zum Verschwinden kommen, wohl aber in den oberhalb w b gelegenen Raum, wo die Wand v w diejenigen Strahlen abhält, durch welche die hier seitlich sich ausbreitenden Wellen verschwinden würden. Bringt man unmit- telbar unter der Wand v w eine zweite dunkle Wand w' v an, so wird nun selbstverständlich das Licht nach beiden Seiten gebeugt. Die in jeder Welle des Lichts, welches einmal durch die Oeffnung w w' gegangen ist, neu entstehenden Wellen heben sämmtlich durch Interferenz sich auf. Nur die Oeffnung w w' lässt nicht bloss die von a kommenden und auf sie treffenden Strahlen durch, sondern es verhält sich ausserdem jeder Punkt dieser Oeffnung wie der Mittel- punkt eines neuen Wellensystems. Stellt man daher einen Schirm s s' der Oeffnung w w' gegenüber auf, so wird rings um die mittlere di- rect bestrahlte helle Stelle b d die Helligkeit nicht überall eine gleich- Von dem Lichte. mässige sein können. Denn ein Punkt m des Schirms wird von dem Strahlenbündel beleuchtet, das von den Strahlen w m und w' m be- Fig. 154. grenzt ist, ein Punkt n von den zwischen w n und w' n enthaltenen Strahlen u. s. w. 209 Interferenz der gebeugten Wel- len. Das Beu- gungsspektrum. Die Strahlen w m und w' m (Fig. 154) sind um eine gewisse Weg- strecke von einander verschieden. Ist diese gleich einer halben Wellen- länge oder gleich dem ungeradzahligen Vielfachen einer solchen, so heben die Wellen w m und w' m durch Interferenz sich auf. Die zwischen w m und w' m gelegenen Strahlen aber kann man in zwei durch den mittleren Strahl l m getheilte Hälften sondern. Je zwei symmetrisch zu l m gelegene Strahlen werden um so mehr durch In- terferenz sich schwächen, je näher sie an w m und w' m zu liegen kommen, und um so weniger, je näher sie an l m heranrücken. Im ganzen aber wird offenbar das Strahlenbündel w w' m eine geringere Helligkeit haben, als eine Hälfte desselben w l m oder w' l m geben würde. Sind dagegen z. B. die Strahlen w n und w' n um eine ganze Wellenlänge oder um ein vielfaches derselben verschieden, so werden dieselben durch Interferenz sich verstärken, und auch das halbe Strah- lenbündel w n l wird das andere halbe w' n l verstärken: man be- obachtet daher auf dem Schirm s s' eine Stelle m verminderter und eine Stelle n vermehrter Helligkeit, die allmälig in einander über- gehen. Derartige helle und dunkle Streifen wiederholen sich, ähnlich wie bei dem Fresnel ’schen Spiegelversuch, mehrfach neben einander. Allgemein werden die Punkte der grösseren Helligkeit da gelegen sein, wo der Gangunterschied der Randstrahlen = (2 n—1). ½ ist, und die Punkte der geringsten Helligkeit da, wo dieser Gangunter- schied = 2 n. ½ ist, wenn l wieder die Wellenlänge bezeichnet. Wenn von der Lichtquelle a homogenes Licht ausgeht, so wech- seln auf dem Schirm auf beiden Seiten von b d symmetrisch dunkle und farbige Streifen mit einander ab. Diese Streifen sind am brei- testen bei rothem Licht, am schmalsten bei violettem. Hierdurch giebt Beugung der Lichtwellen. auch dieser Beugungsversuch ein Mittel in die Hand, die Wellenlängen der verschiedenen Farben zu bestimmen. Misst man z. B., wenn m die Mitte des ersten seitlich von b d gelegenen dunkeln Streifens ist, den Wegunterschied w' m—w m, so hat man unmittelbar den Werth der halben Wellenlänge für die betreffende Farbe. Bei der Anwendung weissen Lichtes erscheinen, wie früher, nicht helle und dunkle, sondern verschiedenfarbige Streifen zu beiden Sei- ten der weiss erscheinenden Stelle b d. Die Aufeinanderfolge der Farben von der Mitte nach aussen ist ganz dieselbe wie bei den Newton ’schen Farbenringen. Man nennt ein auf diese Weise ent- worfenes Spektrum ein Beugungsspektrum . Lässt man das Licht durch mehrere Oeffnungen neben einander 210 Beugung an mehreren Oeff- nungen. gehen, so entstehen natürlich ebenso viele Beugungsspektra oder, bei der Anwendung homogenen Lichtes, ebenso viele Reihen farbiger und dunkler Streifen, als man Oeffnungen angewandt hat. Dabei decken sich sowohl einzelne der Farbenstreifen, als auch einzelne der dunkeln Streifen. Hätte man z. B. neben der Oeffnung w w' eine zweite u u' (Fig. 154), die durch einen dunklen Zwischenraum von gleicher Breite von ihr geschieden ist, so würden, wenn die Strahlen w n und w' n um eine Wellenlänge verschieden sind, die Strahlen u n und u' n sich um zwei Wellenlängen unterscheiden. Die bei n ankommende Wel- lenbewegung würde alsdann eine Amplitude besitzen, die doppelt so gross ist als die durch blosse Interferenz von w n und w' n oder von u n und u' n entstandene Amplitude, und die Helligkeit würde die vierfache des einfachen Strahls. Man nennt ein solches Maximum der Helligkeit ein Maximum zweiter Classe , zum Unterschiede von den bei bloss einer Oeffnung vorhandenen Maximis erster Classe . Ebenso würden bei m die Strahlen u m und u' m von 1½ Wel- lenlängen Unterschied zu den um ½ Wellenlänge differirenden Strah- len w m und w' m hinzutreten. Jedes dieser Wellenpaare hebt sich durch Interferenz auf, es entsteht also bei m ein dunkler Streif, der aber, da jedes der Paare für sich schon die Amplitude null giebt, natür- lich dem durch einfache Interferenz erzeugten Streifen vollkommen gleich ist. Ausser diesen vermehrten und verminderten Helligkeiten, die schon bei einer Oeffnung vorhanden waren, treten aber noch neue auf, die erst durch die Interferenz beider Wellenpaare zu Stande kommen. So findet sich z. B. bei o eine Stelle, für welche u o und und u' o eine Phasendifferenz von 1¼, w o und w' o eine Phasen- differenz von ¾ Wellenlänge haben. Jedes dieser Wellenpaare für sich würde keine merklich vermehrte Lichtintensität geben: beide zu- sammen aber erzeugen eine solche, wie man leicht einsieht, wenn man Wellenlinien, deren Phasen sich wie 1 : ¾ : 7/4 verhalten, über ein- Von dem Lichte. ander zeichnet. Man nennt diese schwächeren Helligkeiten die Ma- xima dritter Classe . In ähnlicher Weise compliciren sich die Erscheinungen weiter, wenn man drei, vier und noch mehr Oeffnungen verwendet. Es wachsen hier durch die vielfachen In- terferenzen die Maxima der Helligkeit sehr bedeutend, und man erhält desshalb na- mentlich bei der Anwendung weissen Lichtes äusserst brillante Spektra, von denen insbesondere das mittlere Spektrum sich durch grosse Reinheit vor dem prismatischen Spektrum auszeichnet. Man wendet zur Hervorrufung dieser Beugungsspektra häufig, um zahlreiche nahe bei einander gelegene Oeffnungen zu erhalten, ein auf Glas ge- ritztes Gitter an. Für eine sorgfältigere Untersuchung der Beugungserscheinungen, namentlich wenn es sich darum handelt, das Lageverhältniss der einzelnen Farben oder der einzelnen Maxima der Helligkeit zu bestimmen, ist es angemessen nach Frauenhofers Vorgang die Oeffnungen, durch welche das Licht geleitet wird, als enge Spalten unmittelbar vor einem Fernrohr anzubringen. Es lassen sich hierbei auf das Deutlichste die Frauenhofer ’schen Linien wahrnehmen; dieses Verfahren ist daher sehr geeignet zur Messung der Wellenlängen der einzelnen Farben des Spektrums. VII. Polarisation und Doppelbrechung des Lichtes. Zwanzigstes Capitel. Polarisation des Lichtes . 211 Veränderung des Lichtes durch Turma- linplatten. Po- larisationsebene und Schwin- gungsebene. Die Erscheinungen der Interferenz beweisen unumstösslich, dass das Licht eine Wellenbewegung ist; aber sie lassen unentschieden, in welcher Richtung die in einem Lichtstrahl enthaltenen Aethertheilchen schwingen. Wir haben zwei Hauptformen der Schwingungen kennen gelernt: die longitudinalen und die transversalen; für beide haben sich uns in der Lehre vom Schall Beispiele dargeboten. Sind die Lichtwellen longitudinal wie die Tonwellen in der Luft? Oder sind sie transversal wie die Schwingungen einer Saite? In den Erschei- nungen der Polarisation und Doppelbrechung ist hierauf die unzwei- deutige Antwort gefunden. Wir wollen zunächst den Sinn der Frage an einem analogen Beispiel verdeutlichen. Wenn man Nadeln in ein Sieb wirft, dessen Boden einander parallele schlitzförmige Oeff- nungen enthält, so werden die Nadeln, falls ihre Längsrichtung ver- tical, also senkrecht auf dem Boden des Siebs steht, durch das letz- tere hindurchfallen, wie man auch das Sieb um seine verticale Axe drehen möge. Wenn dagegen die Nadeln eine horizontale Richtung haben, so werden nur diejenigen durch das Sieb fallen, die den Oeff- nungen des letzteren parallel sind. Haben also die Nadeln eine solche Richtung, dass sie bei einer bestimmten Stellung des Siebes sämmtlich hindurchfallen, so wird, wenn man das Sieb um 90° Polarisation des Lichtes. dreht, keine einzige mehr hindurchfallen können. Es giebt nun Kör- per, die sich zu dem hindurchtretenden Lichte ebenso verhalten, wie das Sieb zu den hindurchfallenden Nadeln. Schneidet man z. B. aus einem Turmalinkrystall zwei der Axe des Krystalls parallele Platten aus, so kann ein Lichtstrahl, der senkrecht auf die Platten fällt, ab- wechselnd hindurchtreten oder zum Verschwinden gebracht werden, je nach der Richtung, die man den Turmalinplatten giebt. Legt man die Platten so auf einander, dass die der Axe des Krystalls parallelen Axen beider Platten die nämliche Richtung hahen, so bleiben sie durchsichtig; dreht man aber die eine Platte um 90°, so dass ihre beiden Axen sich rechtwinklig kreuzen, so werden sie undurchsichtig. Hieraus folgt erstens, dass die Turmalinplatten nach verschiedenen Richtungen eine verschiedene Molecularstructur besitzen, es folgt aber auch zweitens aus dieser Erscheinung, dass das Licht, nachdem es durch eine Turmalinplatte gegangen ist, nach den verschiedenen auf seine Fortpflanzungsrichtung senkrechten Richtungen eine verschie- dene Beschaffenheit hat. Dies kann nur der Fall sein, wenn die Lichtschwingungen nicht longitudinal, nicht in der Fortpflanzungsrich- tung des Strahls, sondern senkrecht auf dieser, also transversal er- folgen. Die einzige Annahme, die wir nun in Bezug auf die Verän- derung des Lichtes in der Turmalinplatte machen können, ist die, dass eine Turmalinplatte nur solches Licht hindurchlässt, dessen Schwingungen in einer fest bestimmten Richtung zu seiner Krystalli- sationsaxe geschehen. Eine zweite Turmalinplatte lässt daher das durch eine erste gegangene Licht nur dann hindurchtreten, wenn die Axen beider Platten einander parallel sind, sie lässt aber nichts hin- durchtreten, wenn diese Axen auf einander senkrecht stehen. Da das gewöhnliche Licht durch eine Turmalinplatte hindurchtritt, wie auch die Axe der letzteren um den Lichtstrahl gedreht sein möge, so müs- sen in dem gewöhnlichen Licht die Schwingungen offenbar in allen möglichen auf den Lichtstrahl senkrechten Richtungen erfolgen. Licht, welches in Folge des Hindurchtretens durch eine Turmalinplatte oder auf irgend eine andere Weise so verändert ist, dass seine Schwin- gungen nur in einer einzigen auf dem Lichtstrahl senkrechten Rich- tung geschehen, nennt man polarisirtes Licht , und Polarisa- tionsebene eines Strahls wird diejenige Ebene genannt, welche durch einen polarisirten Strahl und durch die Axe einer Turmalin- platte in derjenigen Stellung der letztere gelegt wird, in welcher jener Strahl verschwindet. Wir nehmen mit Fresnel an, eine Turmalin- platte lasse nur solches Licht durch, dessen Schwingungen in der zu ihrer Axe senkrechten Richtung erfolgen; die Schwingungen des pola- risirten Lichtes erfolgen hiernach in einer zu seiner Polarisationsebene senkrechten Ebene. Doch ist jene Annahme über die Schwingungs- richtung des polarisirten Lichtes nicht mit voller Sicherheit erwiesen, Von dem Lichte. und bleibt daher auch die Möglichkeit, dass die Schwingungen in der Polarisationsebene selber stattfinden. 212 Interferenz des polarisirten Lichtes. Aether- schwingungen im polarisirten und im ge- wöhnlichen Lichte. Dafür, dass die Schwingungen in einem polarisirten Lichtstrahl sämmtlich in einer Ebene und senkrecht auf der Richtung des Strahls geschehen, liefern uns einen directen Beweis die Interferenzer- scheinungen des polarisirten Lichtes . Lässt man nämlich solche Strahlen interferiren, die auf eine und dieselbe Weise polarisirt wurden, deren Polarisationsebenen also der Voraussetzung nach pa- rallel sind, so treten die Interferenzerscheinungen in ganz derselben Weise wie beim gewöhnlichen Lichte auf. Lässt man dagegen solche Strahlen interferiren, deren Polarisationsebenen auf einander senkrecht stehen, so fehlen alle Interferenzerscheinungen. Die erste dieser That- sachen kann man leicht nachweisen, indem man in dem Fresnel ’- schen Spiegelversuch (§. 203, Fig. 150) zwischen die Lichtquelle und die beiden Spiegel eine Turmalinplatte bringt. Das von beiden Spie- geln reflectirte Licht ist dann auf dieselbe Weise polarisirt, von L' und L″ gehen also scheinbar Strahlen aus, die in der nämlichen Ebene schwingen. Man beobachtet nun auf dem gegenüberstehenden Schirm dieselben Interferenzstreifen wie bei der Anwendung gewöhnlichen unpolarisirten Lichtes. Um die zweite Thatsache nachzuweisen, be- nützt man die in §. 210 besprochene Beugung durch zwei nahe bei einander befindliche Oeffnungen. Bringt man vor jede der beiden Spalten, durch die das Licht dringt, eine Turmalinplatte, so beobach- tet man, sobald die Axen der Platten einander parallel sind, die näm- lichen Interferenzerscheinungen, die auch bei gewöhnlichem Licht zu beobachten waren, d. h. man sieht nicht nur die Interferenzstreifen, die von der Beugung an jeder einzelnen Oeffnung herrühren, sondern auch diejenigen Streifen, die von der Interferenz der beiden Lichtbün- del mit einander bedingt sind. Dreht man nun aber eine der Tur- malinplatten um 90°, so verschwinden alsbald die letzteren Streifen, und es bleiben nur diejenigen Interferenzerscheinungen, die jedes der beiden Lichtbündel für sich giebt, übrig. Aus der Thatsache, dass zwei Lichtbündel, die nach zwei zu einander rechtwinkligen Ebenen polarisirt sind, Licht von gleicher In- tensität geben, wie gross auch der Unterschied ihrer Wege sein möge, folgt unumstösslich, dass die Vibrationen des Aethers senkrecht gegen die Richtung der Strahlen erfolgen. Denn dächte man sich, die Schwingungen wären unter irgend einem kleineren Winkel gegen die Richtung des Lichtstrahls geneigt, so würde sich jede Schwingung in eine dem Strahl parallele und in eine auf ihm senkrechte Bewegung zerlegen lassen; es müssten dann aber auf alle Fälle die dem Strahl parallelen Componenten der Bewegung durch die Interferenz verstärkt oder ge- schwächt werden. Polarisation des Lichtes. In einem polarisirten Lichtstrahl a e erfolgen sonach die Schwin- gungen der Aethertheilchen in der in Fig. 155 dargestellten Weise: Fig. 155. die Polarisationsebene steht auf der Ebene des Papieres, welche in die- sem Fall die Schwingungsebene ist, senkrecht. Die in dem Lichtstrahl a e vorhandenen Schwingungen bilden eine lineare Welle, deren Berge und Thäler in einer einzigen Ebene liegen. In dem gewöhnlichen, nicht polarisirten Lichte geschehen nun aber die Schwingungen in allen möglichen durch a e gelegten Ebenen. Um sich von den in einem Strahl gewöhnlichen Lichtes erfolgenden Schwingungen ein anschau- liches Bild zu machen, muss man daher die Fig. 155 um a e gedreht denken. Das durch die Drehung um 360° entstehende Raumbild giebt dann die in einem gewöhnlichen Lichtstrahl vorhandenen Schwingungen der Aethertheilchen. Ausser der Leitung der Lichtstrahlen durch eine Turmalinplatte 213 Polarisation durch Reflexion. Polarisations- winkel. giebt es noch sehr viele Methoden polarisirtes Licht zu erhalten. Wir wollen hier insbesondere diejenigen Methoden, die geeignet sind das Wesen der Polarisation näher aufzuklären, in’s Auge fassen. Fig. 156. Lässt man einen Strahl l m (Fig. 156) auf einen Glasspiegel a b so auffallen, dass derselbe mit dem Einfallsloth einen Win- kel von ungefähr 55° bildet, so hat der reflectirte Strahl m o eine Beschaffenheit angenommen, vermöge deren er von einem an- dern Spiegel c d nur noch unter gewissen Bedingungen reflectirt wird. Giebt man nämlich, wie es in der Fig. geschehen ist, dem Spiegel c d eine solche Stellung, dass der reflectirte Strahl m o ebenfalls unter einem Winkel von 55° auf ihn fällt, so wird dieser Strahl m o nur dann in nahezu voller Stärke nach o r reflectirt, wenn auch die Ebenen beider Spie- gel einander parallel sind. Dreht man aber den zweiten Spiegel um den Strahl m o als Axe, so dass die Reflexionsebene desselben grös- sere und grössere Winkel mit der Reflexionsebene des Spiegels a b bildet, so nimmt die Intensität des reflectirten Strahls o r ab, und wenn der Punkt c um 90° gedreht ist, so dass die Reflexionsebene von c d auf derjenigen von a b senkrecht steht, so verschwindet der Wundt , medicin. Physik. 21 Von dem Lichte. Strahl m o vollständig, es wird gar kein Licht mehr von c d reflec- tirt. Die beiden Spiegel verhalten sich also ähnlich zu einander wie zwei Turmalinplatten: und in der That können wir auch jeden dieser Spiegel durch eine Turmalinplatte ersetzen. Lassen wir den reflectir- ten Strahl m o, statt ihn auf einen zweiten Spiegel zu leiten, bei t t durch eine Turmalinplatte treten, so kommt der Strahl m o für ein oberhalb t t befindliches Auge bald zum Vorschein, bald zum Ver- schwinden, je nach der Stellung die wir der Platte zum Strahl m o geben. Ist t t die Richtung der Hauptaxe des Turmalins, befindet sich dieselbe also in der Reflexionsebene des Strahls, so verschwindet das Licht beim Hindurchtritt; ist dagegen die Hauptaxe des Turma- lins um 90° gegen diese Ebene gedreht, so geht der Strahl m o nahezu ungestört durch die Turmalinplatte. Da nun (nach §. 211) die Pola- risationsebene desjenigen Lichtes, das der Turmalin zum Verschwin- den bringt, die durch den Strahl und die Hauptaxe des Turmalins gelegte Ebene ist, so folgt, dass das von dem Spiegel a b reflectirte Licht in derselben Ebene, also in der Einfallsebene l m o, polarisirt ist. Die Schwingungen in dem Strahl m o erfolgen daher, wie dies durch die Punkte in Fig. 156 angedeutet wurde, in einer auf jener Ebene senkrechten Richtung. Für das hieraus abstrahirte Gesetz, dass bei der Reflexion eine Polarisation erfolgt, für welche die Pola- risationsebene mit der Einfallsebene zusammenfällt, liefert nun der Erfolg der Reflexion an der zweiten Glasplatte c d die unmittelbare Bestätigung. Wie ein Turmalin polarisirte Strahlen nur bei einer sol- chen Stellung durchlässt, bei welcher er selbst in unpolarisirtem Licht die gleiche Polarisation erzeugen würde, so muss auch der Spiegel c d den polarisirten Strahl m o nur dann in normaler Weise reflec- tiren, wenn er die nämliche Lage zu demselben besitzt, wie der Spie- gel a b zu dem Strahl l m, wenn also die Polarisationsebene des auf c d fallenden Strahls mit der Einfallsebene, d. h. mit der durch m o und das Einfallsloth gelegten Ebene, zusammenfällt. Dagegen kann der Strahl m o gar nicht reflectirt werden, wenn die Einfallsebene senkrecht auf seiner Polarisationsebene steht. Man erhält dieselben Erscheinungen, wenn man statt der Spiegel aus Glas andere ebene Flächen durchsichtiger Substanzen anwendet: nur wird hierbei der Winkel, unter welchem man das Licht auf die spiegelnde Fläche fallen lassen muss, um eine vollständige Polarisa- tion nach der Einfallsebene zu erhalten, ein anderer als 55°. Man bezeichnet diesen, jeder durchsichtigen Substanz eigenthümlichen Win- kel als den Polarisationswinkel . Nach einem von Brewster entdeckten Gesetze steht der Polarisationswinkel in directer Beziehung zu dem Brechungsvermögen, indem derjenige Einfallswinkel, welcher den Brechungswinkel des betreffenden Mediums zu einem rechten er- gänzt, der Polarisationswinkel ist. Hieraus kann man leicht den Po- Polarisation des Lichtes. larisationswinkel jeder Substanz, deren Brechungsindex bekannt ist, finden. Denn bezeichnen wir mit p den Polarisationswinkel und mit p' den Brechungswinkel, so folgt, da p' = 90° — p ist, sin. p' = cos. p, folglich n = = tgt. p, d. h. die Tangente des Polari- sationswinkels ist gleich dem Brechungsindex. Ueber die Ableitung des Polarisationswinkels vergl. §. 215. Anm. Es ist von Wichtigkeit auch denjenigen Theil des auf eine spie- 214 Polarisation im gebrochenen Strahl. gelnde Fläche fallenden Lichtstrahls in’s Auge zu fassen, der nicht reflectirt wird, sondern in die durchsichtige Substanz eintritt. Man nimmt zu diesem Zweck an Stelle der Spiegel a b und c d (Fig. 156) zwei Glasplatten. Lässt man auf die Glasplatte a b wieder unter einem Winkel von 55° einen Strahl l m fallen, so ist wie vorhin der reflectirte Strahl m o nach der Einfallsebene l m o polarisirt. Ausser- dem geht aber der gebrochene Strahl m i k durch die Glasplatte hin- durch: fängt man letzteren mittelst einer weiteren Glasplatte e f auf, der man dieselbe Stellung wie a b giebt, so geht der grösste Theil ungestört durch dieselbe hindurch, und nur ein sehr kleiner Theil wird an der Oberfläche reflectirt; dreht man aber die Platte e f um 90° um den Strahl i k, so dringt nur sehr wenig Licht mehr durch dieselbe, und der grösste Theil wird wieder reflectirt. Hieraus folgt, dass der Strahl i k gleichfalls, und zwar nach einer zur Ebene l m o senkrechten Ebene polarisirt ist. Diese Polarisation kann aber keine ganz vollständige sein, da die Platte e f um 90° gedreht nicht alles Licht reflectirt, sondern noch einen kleinen Theil durchtreten lässt, während, wie wir oben sahen, der von a b reflectirte Strahl m o von der Platte c d, wenn diese eine gleiche Richtung wie a b hat, vollständig reflectirt, und wenn sie um 90° gegen a b gedreht ist, vollständig hindurchgelassen wird. Vergleicht man ferner die Licht- intensität des reflectirten Strahls m o mit der Lichtintensität des in der Richtung k n reflectirten Strahls i k, wenn e f um 90° gegen a b gedreht ist, so ergiebt sich, dass diese Lichtintensitäten nahe- hin einander gleich sind. Der von der ersten Platte a b reflectirte Strahl m o ist also vollständig nach der Einfallsebene polarisirt, wäh- rend von dem hindurchtretenden Strahl i k eine dem Strahl m o entspre- chende Lichtmenge nach einer auf jener ersten senkrechten Ebene polari- sirt ist. Verallgemeinern wir diese Erfahrung, so lässt sie sich folgen- dermassen ausdrücken: Jede Polarisation geschieht nach zwei auf einander senkrechten Polarisationsebenen, dergestalt, dass nach der zweiten ebenso viel Licht als nach der ersten Ebene polarisirt wird. Je vollständiger also die Glasplatte a b polarisirt, um so mehr nähert sich die Intensität des reflectirten Strahls m o der Intensität des durchtretenden i k. Wäre die Polarisation eine vollkommene, so wür- 21 * Von dem Lichte. den die Intensitäten beider Strahlen einander gleich sein, und, wenn die Schwingungen im Strahl m o senkrecht auf die Ebene l m o er- folgten, so würden nun die Schwingungen im Strahl i k sämmtlich in der Ebene l m o stattfinden. 215 Theorie der Polarisation durch Reflexion und Brechung. Um die Erscheinungen der Polarisation durch Reflexion und Bre- chung zu erklären, müssen wir offenbar annehmen, dass jede durch- sichtige Substanz vorzugsweise solche Aetherschwingungen durchlässt, die in der Einfallsebene oder parallel derselben erfolgen, und solche reflectirt, die in einer auf die Einfallsebene senkrechten Rich- tung stattfinden. Fällt daher auf eine Glasplatte Licht, dessen Schwingungen sämmtlich in der Einfallsebene geschehen, so wird das- selbe ungestört durch die Platte hindurchtreten. Erfolgen dagegen die Schwingungen des Lichtes nach verschiedenen andern Richtungen, so wird an der Oberfläche der Glasplatte eine solche Wirkung auf die Schwingungen stattfinden, dass die Schwingungen im gebrochenen Strahl im Sinne der Einfallsebene, die Schwingungen im reflectirten Strahl im Sinne einer hierauf senkrechten Ebene gedreht sind. Die Glasplatte wird mit einem Wort die Wirkung haben, dass sie die auf sie treffenden Schwingungen in zwei zu einander senkrechte Compo- nenten zu zerlegen strebt. Diese Zerlegung ist jedoch bei einer ein- zigen Glasplatte niemals eine vollständige. Man kann sowohl die Drehung des reflectirten wie des durchtretenden Strahls vollständiger machen, wenn man an einer Reihe von Glasplatten nach einander Reflexion und Brechung eintreten lässt, wenn man also z. B. in Fig. 156 die einfache Platte a b durch einen Satz über einander geschichteter Glasplatten ersetzt. Während aber der durchtretende Strahl im streng- sten Sinn niemals vollständig polarisirtes Licht enthält, ist der reflec- tirte Strahl in einem bestimmten Fall schon bei der Reflexion an einer einzigen Glasplatte vollständig polarisirt: dann nämlich, wenn er unter dem Polarisationswinkel d. h. in einer Richtung auffällt, welche senk- recht zu dem gebrochenen Strahl steht. Auf die genauere Ableitung des Gesetzes, dass der gebrochene Strahl den ein- fallenden zu einem rechten ergänzen muss, wenn das reflectirte Licht vollständig nach der Einfallsebene polarisirt sein soll, können wir hier nicht eingehen; wir beschrän- ken uns auf einige Betrachtungen, die dies Gesetz plausibel erscheinen lassen. Man kann sich vorstellen, jeder Strahl gewöhnlichen Lichtes bestehe aus zwei Strahlen senkrecht zu einander polarisirten Lichtes, denn alle nach beliebigen Richtungen er- Fig. 157. folgende Schwingungen, wie a b, a c, a d (Fig. 157), können wir in zwei Componenten nach beliebig gewählten, auf einander senk- rechten Richtungen a x, a y zerlegen. Wir denken uns daher den Strahl l m (Fig. 156) zusammengesetzt aus Schwingungen, die in der Ebene des Papiers, und aus andern, die darauf senk- recht erfolgen. Ebenso können die Schwingungen im Strahl m o und diejenigen im Strahl m i, insofern sie nicht vollständig po- larisirt sind, noch in zwei zu einander senkrechte Componenten Polarisation des Lichtes. zerlegt werden; doch wird im Strahl m o die der Einfallsebene parallele und im Strahl m i die auf der Einfallsebene senkrechte Componente im Allgemeinen kleiner sein als im gänzlich unpolarisirten Strahl l m. Trifft nun ein Strahl an der Grenze zweier Medien auf, so ist die Intensität des reflectirten Strahls sehr verschieden je nach dem Unterschied der Brechungsindices und dem Winkel, unter welchem der Strahl auffällt. Die Intensität des reflectirten Strahls ist null, wie derselbe auch po- larisirt sei, wenn der Strahl senkrecht auffällt, oder wenn beide Medien das gleiche Brechungsvermögen besitzen. In allen andern Fällen verhalten sich aber der zur Einfallsebene senkrecht polarisirte und der ihr parallel polarisirte Strahl verschieden. Lässt man einen Strahl, der senkrecht zur Einfallsebene polarisirt ist, auf eine Fläche fallen, so nimmt, da bei senkrechter Incidenz alles Licht, bei paralleler Incidenz gar keines mehr in die Fläche eintritt, die Intensität des reflectirten Strahls mit der Grösse des Einfallswinkels zu und wird am grössten mit dem Einfallswinkel = 90°. Dagegen ein Strahl der in der Einfallsebene selbst polarisirt ist, zeigt Anfangs mit Vergrösserung des Einfallswinkels Intensitätszunahme, dann aber Intensitätsabnahme und schliesslich noch einmal Intensitätszunahme des reflectirten Strahls: hier giebt es also einen bestimmten Winkel zwischen 0 und 90°, den Polarisationswinkel, bei wel- chem die Intensität des reflectirten Strahls nahehin = 0 wird. Nun steht der Pola- risationswinkel p zu dem Brechungswinkel p' in dem Verhältniss, dass p + p' = Fig. 158. 90° sind. Ist m n (Fig. 158) das auf der reflecti- renden Fläche a b senkrecht stehende Einfallsloth, so ist demnach p' = α und p = γ . Hieraus folgt, da auch β = α ist, γ + β = 90°: der Winkel, welchen der reflectirte und der gebrochene Strahl mit einander bilden, ist also, für den Fall, dass das Licht unter dem Polarisationswinkel einfällt, ein rechter. Nunmehr ist das Polarisationsgesetz leicht verständlich. An dem Punkte m, wo der Strahl l m auftrifft, tritt eine Zerlegung der Schwingungen nach zwei zu einander senkrechten Componenten ein. Von diesen beiden Componenten gestattet die Glasplatte derjenigen leichter den Durchgang, die der Einfallsebene parallel ist. Betrachten wir nun, wie dies statthaft ist, die an der Grenze m vorhandenen Schwingungen als gleichzeitig dem reflectirten und dem gebrochenen Strahl angehörend, so wird sich nur in einem einzigen Fall jede in m ankommende Schwingung vollständig nach den zwei zu einander senkrechten Richtungen zerlegen lassen, welche die Schwingungen im Strahl m o und im Strahl m i mit einander bilden, dann nämlich, wenn die Schwingungen des reflectirten und des gebrochenen Strahls in einer Ebene liegen, wenn also m o und m i einen rechten Winkel mit einander ausmachen. Für diesen Fall treten daher auch die in der Ebene l m n liegenden Componenten der Schwin- gungen des reflectirten Strahls vollständig durch die Glasplatte hindurch. Auch dass es der reflectirte Strahl ist, der in diesem Fall die vollständige Polarisation erfährt, nicht der gebrochene, ist leicht einzusehen. Für die auf die Einfallsebene senkrechten Schwingungen kann nämlich das Lageverhältniss des eintretenden zum gebrochenen Strahl nur nach Maassgabe der allgemeinen Gesetze der Reflexion bestimmend sein, da die auf der Einfallsebene senkrechten Schwingungen zu der reflectirenden Ebene immer dasselbe Lageverhältniss behalten, d. h. stets auf ihr senkrecht sind. Die in der Einfallsebene erfolgenden Schwingungen des gebrochenen Strahls dagegen haben in derselben je nach dem Einfallswinkel eine sehr veränderliche Richtung. So lange Von dem Lichte. also der Strahl m i einen Winkel mit m o bildet, der kleiner als 90° ist, wird man jede in m ankommende Schwingung zunächst in zwei zu einander senkrechte Compo- nenten zerlegen können, von denen die auf der Einfallsebene senkrechte unmittelbar dem reflectirten Strahl angehört, während die in der Einfallsebene erfolgende wieder in zwei Componenten zerlegt werden muss, von denen nur die eine auf dem gebro- chenen Strahl senkrecht steht, während die andere der Fortpflanzungsrichtung dessel- ben parallel ist. Dasjenige Licht, dessen Schwingungen in der Einfallsebene erfolgen, besteht also aus Transversal- und Longitudinal schwingungen. Diese Longitudinal- schwingungen werden aber gerade so wirken, als wenn die Transversalschwin- gungen um einen bestimmten Theil einer Wellenphase zurückblieben. Denn ist α die Amplitude der Longitudinalschwingungen, so wird die mittlere Verzögerung der Transversalschwingung offenbar = ½ α sein. Ist also z. B. die Ampli- tude der Longitudinalschwingung halb so gross wie die Wellenlänge einer Trans- versalschwingung, so ist die Verzögerung der letzteren = ¼ Wellenlänge. Wir wer- den diese hier ausnahmsweise im Lichte auftretenden Longitudinalschwingungen so- gleich nachher zur Erklärung der elliptischen Polarisation benützen. 216 Elliptische Po- larisation. Das gewöhnliche Licht konnten wir als nach zwei zu einander senkrechten Richtungen polarisirtes Licht betrachten, wobei aber die beiden Componenten, in die wir so die Schwingungen zerlegten, fort- während in ihrer relativen Grösse wechselten (s. Fig. 157). Lässt man dagegen zwei Strahlen zusammentreffen, die nur nach zwei Richtungen des Raumes polarisirt sind, nach diesen Richtungen also constante Schwingungsamplituden besitzen, so setzen sich diese zu einer einzigen Resultirenden zusammen, deren Polarisationsebene ähn- lich der Resultirenden im Kräfteparallelogramm zu bestimmen ist. Man erhält also auf diese Weise wieder nach einer Ebene polarisir- tes Licht. Andere Erscheinungen treten jedoch ein, wenn die Strahlen, deren Polarisationsebenen zu einander geneigt sind, zugleich einen bestimmten Gangunterschied besitzen. Nehmen wir an, die Schwin- Fig. 159. gungsrichtung des einen Strahls sei a b, die des andern d e (Fig. 159), beide seien aber um ¼ Wellenlänge von einander verschieden. Es würde dann, während ein dem in der Rich- tung d e schwingenden Strahl angehöriges Theilchen sich in c befände, ein dem nach a b schwingenden Strahl zugehöriges Theilchen in b sein, und während nun c sich mit abnehmender Geschwindigkeit nach e bewegte, würde sich b mit zunehmender Geschwindigkeit nach c bewegen. Es werden daher alle schwingenden Theilchen zu be- trachten sein als unter dem Einfluss zweier Kräfte stehend, von denen die eine von c nach e gerichtete abnimmt, die andere von b nach c gerichtete zunimmt. Das in b befindliche Theilchen wird somit einen Weg zurücklegen, den man erhält, wenn man für jede momentane Kraftwirkung die Diagonale zieht und alle diese Diagonalen mit einan- Polarisation des Lichtes. der verbindet: dieser Weg ist die gekrümmte Linie b e, ebenso findet man für eine weitere Viertelsschwingung den Weg e a, dann a d und endlich d b. Der ganze Weg b e a d b, der während einer ganzen Schwingung zurückgelegt wird, ist eine Ellipse, und man nennt daher auch Licht, das in der angegebenen Weise durch Interferenz zweier nach verschiedenen Richtungen polarisirter Strahlen von einem be- stimmten Gangunterschied entsteht elliptisch polarisirtes Licht. Die kleine Axe der Ellipse ist am grössten, wenn der Gangunterschied der interferirenden Strahlen ¼ Wellenlänge beträgt. Ist der Gang- unterschied grösser oder kleiner, so nimmt die kleine Axe ab, bis schliesslich bei einem Gangunterschied null oder von ½ Wellenlänge die Ellipse in eine gerade Linie übergeht. Man erhält elliptisch polarisirtes Licht am leichtesten bei der 217 Entstehung der elliptischen Po- larisation. totalen Reflexion . Eine solche tritt, wie wir gesehen haben, an der Grenzfläche eines dichteren und dünneren Mediums dann ein, wenn der Strahl, im dichteren Medium verlaufend, unter hinreichend stumpfem Einfallswinkel auf die Grenzfläche auffällt. So lange der Strahl unter einem Winkel auffällt, unter welchem er noch in das dünnere Medium eindringen kann, zerfällt er in einen reflectirten und in einen gebrochenen Strahl, die beide (wie in Fig. 156) senkrecht zu einander polarisirt sind. Findet aber totale Reflexion statt, so wer- den diese beiden Theile des Strahls reflectirt, und es zeigt sich zu- gleich, dass derjenige Theil des Strahls, der, so lange noch Brechung möglich war, gebrochen wurde, gegen den andern Theil um ¼ Wel- lenlänge verzögert ist. In schwächerem Grade beobachtet man ellip- tische Polarisation überhaupt bei jeder Reflexion, vorausgesetzt dass der Strahl nicht unter dem Polarisationswinkel auffällt. Mittelst einer Turmalinplatte kann man elliptisch polarisirtes Licht daran erkennen, dass in keiner Stellung des Turmalins das Licht vollständig ausge- löscht wird, sondern dass sich nur in einer bestimmten Stellung ein Maximum und in einer darauf senkrechten ein Minimum der Helligkeit zeigt. Da eine Turmalinplatte einen nach einer Ebene polarisirten Strahl zum Verschwinden bringt, wenn die Axe der Platte senkrecht auf der Schwingungsebene steht, so wird offenbar das Minimum der Helligkeit dann vorhanden sein, wenn die Axe des Turmalins der kleinen Axe, und das Maximum der Helligkeit, wenn die Turmalinaxe der grossen Axe der Schwingungsellipse parallel ist. Rücksichtlich der Ursache, aus der bei der Reflexion die Phase desjenigen Strahls, der in der Einfallsebene schwingt, um ¼ Wellenlänge oder weniger gegen die Phase des senkrecht zur Einfallsebene schwingenden Strahls verzögert ist, ver- weisen wir auf den Schluss der Anm. zu §. 215. Nur den Fall der totalen Reflexion wollen wir hier noch etwas näher in’s Auge fassen. In dem einfallenden Strahl l m (Fig. 160) sind, wenn wir dessen Schwingungen nach zwei zu einander senkrechten Von dem Lichte. Fig. 160. Richtungen zerlegen, die Componenten von sehr wechselnder Grösse. An dem Punkte m der reflectirenden Fläche A B wird nun die hier aus der Zerlegung hervorgegangene Componente a b ohne weiteres reflectirt, und geht demzufolge ungestört in der Rich- tung m o weiter; die Componente c d dagegen strebt sich in das jenseits A B gele- gene Medium fortzupflanzen. Da dies unmöglich ist, so kehrt sie alsbald auch in der Richtung m o zurück. Diese Umkehrung kann nun, da sie von der geringeren Dichtigkeit des jenseits A B gelegenen Mediums herrührt, offenbar erst an einer die- sem letzteren Medium schon zugehörenden Grenzschichte geschehen. Während also die Schwingung a b an dem noch dem dichteren Medium zugehörigen Punkte m stattfin- det, wird die darauf senkrechte Schwingung c d sich erst an einem weiter zurück gelegenen, schon jenem dünneren Medium zugehörenden Punkte in die Richtung e f umkehren. Dadurch interferirt aber nun die Schwingung e f mit der durch m gehen- den Schwingung c d, d. h. eine Transversalschwingung mit einer Longitudinalschwin- gung, und es muss e f um ¼ Wellenlänge verzögert werden. Denn da die Entfer- nung des dem dichteren Medium angehörenden Grenzpunktes m von jenem dem dün- neren Medium angehörenden Grenzpunkte als verschwindend klein angesehen werden kann, so wird die Schwingung e f abwechselnd in der Richtung m c um ¼ Wellen- länge beschleunigt, und in der Richtung c d um ½ Wellenlänge verzögert, die mitt- lere Verzögerung wird daher ¼ Wellenlänge betragen. Es verhält sich also der mit e f beginnende Strahl gerade so, als wenn der Punkt der Umkehrung nicht unendlich nahe bei m sondern um ¼ Wellenlänge von demselben entfernt läge. Es ist nun weiter- hin einleuchtend, dass in allen Fällen wo keine totale Reflexion stattfindet, die Diffe- renz kleiner als ¼ Wellenlänge sein muss, da dann die Schwingung c d sich zum Theil in das andere Medium fortpflanzt und daher in der Richtung m o, wie wir in §. 215 Anm. gesehen haben, nur eine Componente derselben übrig bleibt. 218 Circulare Po- larisation. Werden die kleine und grosse Axe der Bahn, welche die Theil- chen bei der elliptischen Polarisation zurücklegen, einander gleich, so geht die Ellipse in den Kreis und daher die elliptische in die circu- lare Polarisation über. Man erhält circulare Polarisation, wenn die beiden interferirenden Strahlen um ¼ Wellenlänge von einander verschieden sind und überdies die Polarisationsebenen beider auf einander senkrecht stehen. Dies würde erfüllt, wenn man erstens einen Strahl gewöhnlichen Lichtes total reflectiren liesse, und wenn dabei zweitens der reflectirte auf dem einfallenden Strahl senkrecht stünde, d. h. der Strahl unter einem Winkel von 45° auf die Tren- nungsfläche fiele. Diese beiden Bedingungen wären aber höchstens beim Diamant mit einander zu vereinigen, da die Brechungsindices aller andern Substanzen nicht gross genug sind, um bei einem Ein- fallswinkel von 45° schon totale Reflexion zu geben. Man hilft sich daher durch eine mehrmalige Reflexion unter 45°. Der Strahl a b, Polarisation des Lichtes. der in das Parallelepiped A B C D (Fig. 161) eintritt, wird zuerst an Fig. 161. der Fläche A B, dann an der Fläche C D unter 45° reflectirt; beträgt nun die Verzö- gerung bei A B ⅛ Wellenlänge und bei c d ⅛ Wellenlänge, so ist der austretende Strahl c d circular polarisirt. Ein solcher circular po- larisirter Strahl geht nun durch eine Turmalin- platte, welche Richtung man derselben auch geben möge, immer mit gleicher Helligkeit hin- durch, so dass in dieser Beziehung circular polarisirtes und gewöhnliches Licht nicht zu unterscheiden sind. Lässt man aber den Strahl c d durch ein zweites Parallelepiped in derselben Weise hindurchtreten, so beträgt in diesem die Verzögerung des einen Strahls gegen den andern wieder ¼ Wellenlänge. Das durch das zweite Parallelepided getretene Licht ist daher wieder geradlinig polarisirt. Ebenso unterscheidet sich das circular polarisirte vom gewöhnlichen Lichte dadurch, dass, wenn man zwei circular polarisirte Strahlen von entgegengesetzter Drehungsrich- tung interferiren lässt, hieraus geradlinig polarisirtes Licht hervorgeht. Denn man denke sich die im Sinn der Pfeile geschehenden circularen Schwingungen in A und B (Fig. 162) wieder nach den zwei zu einan- Fig. 162. der rechtwinkligen Componenten zerlegt, so werden die Componenten a b und a' b' sich aufheben, während die gleichsinnigen Componenten c d und c' d' sich verstärken: die resultirenden Schwingungen werden daher wirklich in der Richtung c d erfolgen. Einundzwanzigstes Capitel . Doppelbrechung in ein- und zweiaxigen Krystallen. Wie ein Lichtstrahl durch gleichzeitige Reflexion und Brechung 219 Doppelbrechung im Kalkspath. in zwei senkrecht zu einander polarisirte Strahlen zerlegt werden kann, so kann diese Zerlegung auch bei der blossen Brechung des Lichtes stattfinden. Bedingung hierzu ist, dass der Aether in der brechenden Substanz nach verschiedenen Richtungen von verschiede- ner Elasticität sei. Die zwei senkrecht zu einander polarisirten Strah- len besitzen dann verschiedene Brechungswinkel: ein Strahl gewöhn- Von dem Lichte. lichen Lichtes theilt sich daher in zwei Strahlen. Hiernach bezeich- net man die ganze Erscheinung als Doppelbrechung . Sehr augenfällig zeigt der Kalkspath das Phänomen der Dop- pelbrechung. Die Grundgestalt dieses Krystalls ist das Rhomboëder Fig. 163. (Fig. 163), d. h. ein von sechs Rhomben ein- geschlossener Körper mit einer Hauptaxe a d, an deren beiden Enden die stumpfen Winkel je dreier Rhomben zusammenstossen, während die Nebenaxen b c, e g, f h je zwei gegenüberliegende Ecken, an denen die spitzen Winkel dreier Rhomben zusammenstossen, mit einander verbinden. Einen durch die Haupt- axe a d oder ihr parallel durch den Krystall gelegten Schnitt nennt man einen Haupt- schnitt desselben. Da man nämlich jeden Krystall betrachten kann als zusammengesetzt aus unendlich vielen kleinen Krystallen von derselben Form, so muss sich auch jede der Hauptaxe parallele Linie ebenso wie die Hauptaxe verhalten. Lässt man nun einen Lichtstrahl parallel der Hauptaxe durch einen Kalkspath hindurchtreten, schleift man also die Ecken a und d ab und lässt senkrecht auf die erhaltenen Ebenen einen Strahl auf- fallen, so wird dieser nicht in zwei Strahlen zerlegt. Lässt man da- gegen einen Strahl in den Krystall eintreten, der unter irgend einem Winkel zur Hauptaxe geneigt ist, so fällt ein solcher stets in zwei Strahlen auseinander, von denen der eine dem gewöhnlichen Bre- chungsgesetze folgt, während der andere davon abweicht: man nennt daher auch den ersteren Strahl den ordentlich gebrochenen , den zweiten den ausserordentlich gebrochenen . Lässt man z. B. senkrecht auf die Fläche a c e f einen Strahl fallen, so geht ein Fig. 164. Strahl, wie es das Brechungsgesetz verlangt, ungebrochen durch den Krystall hindurch, er ist der ordentlich gebrochene, ein zweiter Strahl aber wird abgelenkt, und zwar in dem durch den eintretenden Strahl gelegten Haupt- schnitt gegen seine ursprüngliche Richtung ver- schoben, er ist der ausserordentlich gebrochene Strahl. Es sei a e d g der Hauptschnitt, in dessen Ebene der auf a e senkrecht einfallende Strahl l m (Fig. 164) liegt. Es tritt dann m o, der ordentliche Strahl, ungebrochen hindurch, und m i, der ausserordentliche Strahl, wird in dem Hauptschnitt abgelenkt und tritt dann aus der Fläche d g parallel dem Strahl o p aus. Doppelbrechung in ein- und zweiaxigen Krystallen. Ein jenseits d g befindliches Auge sieht daher statt des Punktes l zwei Punkte l und l'. Untersucht man nun die austretenden Strahlen o p und i r, so findet man, dass beide nach zu einander senkrechten Ebenen polarisirt sind. Die Polarisationsebene des ordentlichen Strahls o p fällt mit dem Hauptschnitt zusammen, und die Polarisationsebene des ausserordentlichen Strahls i r ist senkrecht zum Hauptschnitt: hier liegen daher die Schwingungen im Hauptschnitt, während sie dort auf ihm senkrecht stehen. Fällt der Strahl l m nicht senkrecht sondern unter irgend einem Winkel auf die Fläche a e, so verhält sich natürlich die Sache ähnlich, nur dass dann auch der ordentliche Strahl m o gemäss dem Brechungsgesetz von seinem Weg abgelenkt wird. Untersucht man nun die Brechung im Kalkspath bei irgend ver- schiedenen Einfallswinkeln, so findet man, dass der ordentliche Strahl unter allen Umständen dem regelmässigen Brechungsgesetze folgt, sein Brechungsindex ist also constant, beiläufig = 1,6543, und der gebrochene Strahl liegt mit dem einfallenden und dem Einfallsloth in einer Ebene. Anders verhält sich dagegen der ausserordentliche Strahl. Dieser fällt, wenn der einfallende Strahl der Hauptaxe pa- rallel ist, mit dem ordentlichen Strahl zusammen, sein Brechungsindex ist also hier gleich demjenigen des letztern. Sobald aber der ein- fallende Strahl mit der Hauptaxe einen Winkel einschliesst, wird der Brechungsindex des ausserordentlichen Strahls kleiner als derjenige des ordentlichen, und er geht, bei einer zur Hauptaxe senkrechten Richtung, bis auf 1,483 herab. Ausserdem aber liegt der ausserordent- liche Strahl nur dann in der Einfallsebene, wenn diese ein Haupt- schnitt oder eine die Hauptschnitte unter einem rechten Winkel kreu- zende Ebene ist; in allen andern Fällen tritt er aus der Einfalls- ebene aus. Da der Brechungsindex und die Fortpflanzungsgeschwindigkeit 220 Wellenfläche einaxiger Kry- stalle. des Lichtes in der bestimmten Beziehung = n stehen, wenn man mit v die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in der Luft und mit v' die- jenige in dem dichteren Medium bezeichnet, so folgt aus den obigen Fig. 165. Thatsachen, dass die Fortpflanzungsge- schwindigkeit des ordentlichen Strahls nach allen Richtungen die nämliche, die Fort- pflanzungsgeschwindigkeit des ausserordent- lichen Strahls dagegen nach den verschie- denen Richtungen eine verschiedene ist. Während also der ordentliche Strahl die Wegstrecken b c und d e (Fig. 165) in gleichen Zeiten zurücklegt, pflanzt sich der Von dem Lichte. ausserordentliche Strahl in derselben Zeit, in der sowohl er selbst wie der ordentliche in der Richtung der Hauptaxe den Weg b c zurück- legt, in einer darauf senkrechten Richtung durch den grösseren Weg f g fort. Construirt man so die Wegstrecken, die jeder der beiden Strahlen nach den verschiedenen Richtungen des Raumes in gleichen Zeiten zurücklegen kann, so bildet die Gesammtsumme dieser Wege für den ordentlichen Strahl eine Kugel, für den ausserordentlichen Strahl aber ein Ellipsoid, das man sich durch die Drehung der Ellipse b f c g um ihre mit dem Durchmesser der Kugel identische kleine Axe b c entstanden denken kann. Diese Rotationsaxe entspricht aber der Hauptaxe des doppelbrechenden Körpers. Wir haben nun früher schon bemerkt, dass das Licht in durchsichtigen Medien im Allgemei- nen Kugelwellen bildet. Die Fortpflanzung des Lichtes in doppel- brechenden Körpern unterscheidet sich also dadurch, dass die in den- selben vorhandene Kugelwelle von einer ellipsoidischen Welle um- schlossen wird. Die Kugelwelle wird von den senkrecht zu den Hauptschnitten erfolgenden Schwingungen des ordentlichen Strahls, die ellipsoidische Welle von den in den Hauptschnitten geschehenden Schwingungen des ausserordentlichen Strahls gebildet. 221 Elasticitäts- fläche einaxiger Krystalle. Für die senkrecht zu den Hauptschnitten geschehenden Schwin- gungen muss, da dieselben eine Kugelwelle bilden, die Dichte des Aethers nach allen Richtungen die nämliche sein. Für die in den Hauptschnitten geschehenden Schwingungen dagegen muss, da die- selben eine ellipsoidische Welle bilden, die Dichte des Aethers eine verschiedene sein, eine grössere in der Richtung der kleineren Fort- pflanzungsgeschwindigkeit b c, eine kleinere in der Richtung der grösseren Fortpflanzungsgeschwindigkeit f g (Fig. 165). Wir können die Dichtigkeitsverhältnisse des Aethers, welche diese in den Haupt- schnitten schwingenden Strahlen voraussetzen lassen, darstellen durch Fig. 166. ein Ellipsoid, dessen grosse Axe b c (Fig. 166) mit der Hauptaxe zusammenfällt, und das man sich durch eine Rotation der Ellipse b d c e um diese grosse Axe entstanden denken kann. Man bezeichnet dieses Ellipsoid als Elasticitäts- fläche . Die Elasticitätsfläche giebt ebensowohl darüber Rechenschaft, dass der ausserordentliche Strahl sich mit verschiedener Geschwindigkeit, wie darüber, dass der ordentliche Strahl sich mit gleicher Geschwindigkeit nach allen Rich- tungen fortpflanzt. Die Schwingungen des ordent- lichen Strahls sind nämlich immer senkrecht zu b c, rings um b c sind aber alle Elasticitätsaxen einander gleich: ein aus solchen Schwingungen bestehender Strahl muss sich also wie in Doppelbrechung in ein- und zweiaxigen Krystallen. einem isotropen (einfach brechenden) Medium fortpflanzen, d. h. regel- mässig gebrochen werden. Anders verhält sich ein Strahl wie der ausser- ordentliche, dessen Schwingungen in einem Hauptschnitt, also z. B. in dem Hauptschnitt b d c e (Fig. 166) erfolgen. Ein solcher Strahl wird sich natürlich mit verschiedener Geschwindigkeit fortpflanzen, je nach der Richtung, in der er einfällt: hat er einmal die Richtung b c, ein an- deres Mal die Richtung d e, so verhalten sich die Dichtigkeiten des Aethers, der beidemal in Schwingungen versetzt wird, wie b c : d e, im selben Verhältniss muss also der Strahl im ersten Fall langsamer sich fortpflanzen als im zweiten. Tritt nun z. B. ein Strahl gewöhn- lichen Lichtes, dessen Schwingungen in allen möglichen auf dem Strahl senkrechten Ebenen erfolgen, in der Richtung d a ein, so wird diejenige Componente der Schwingungen, die auf der Ebene b d c e senkrecht steht, ganz ebenso gebrochen werden, als wenn sie durch ein isotropes Mittel sich fortpflanzte, denn für jeden andern Strahl d' a würde die Dichtigkeit des Aethers für die Schwingungen dieser Com- ponente die nämliche, der Brechungsindex für dieselbe wird also con- stant sein; die in der Ebene b d c e liegende Componente aber wird ungewöhnlich gebrochen werden, denn für jeden davon nur um wenig abweichenden Strahl d' a wird die Dichte des Aethers wieder eine andere sein. Um das Auseinanderfallen eines gewöhnlichen Lichtstrahls in 222 Ableitung der Doppelbrechung aus der Wellen- fläche. zwei Strahlen innerhalb des doppelbrechenden Mediums vollständig zu begreifen, müssen wir zu derselben Construction zurückkehren, aus der wir das Brechungsgesetz abgeleitet haben (§. 43), wir müssen nämlich die Fortpflanzung einer Wellenebene durch ein Medium mit verschiedenen Elasticitätsaxen in’s Auge fassen. Es sei A B (Fig. 167) die Trennungsfläche des doppelbrechenden Mediums und Fig. 167. Von dem Lichte. c m die Hauptaxe desselben. Ein in der Richtung c m eintretender Strahl würde sich einfach als eine Kugelwelle fortpflanzen, d. h. der ordentliche und der ausserordentliche Strahl würden zu gleicher Zeit im selben Punkt m anlangen. Hat nun aber der Strahl irgend eine gegen c m geneigte Richtung, so wird diejenige Componente dessel- ben, deren Schwingungen senkrecht zum Hauptschnitt sind, eine Ku- gelwelle, diejenige Componente dagegen, deren Schwingungen im Hauptschnitt erfolgen, eine ellipsoidische Welle bilden. Die kleine Axe des Ellipsoids, welches der mit dem Radius c m beschriebenen Kugel entspricht, ist gleich dem Kugelradius c m, die grosse Axe steht auf c m senkrecht, und ihr Verhältniss zu c m ist gleich dem Verhältniss der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des ausserordentlichen Strahls in einer auf die Hauptaxe senkrechten Richtung zur Fortpflan- zungsgeschwindigkeit in einer mit der Hauptaxe parallelen Richtung (= f g : b c Fig. 165). Wir können daher mit Hülfe dieser beiden Axen wieder, ähnlich wie in Fig. 165, die kugelförmige und die ellip- soidische Wellenfläche des doppelbrechenden Körpers construiren. Fällt nun irgend eine Wellenebene b a d c, die von den parallelen Strahlen b a und d c begrenzt wird, auf die Trennungsfläche, so wird der Strahl b a in dem Moment, in welchem der Strahl d c bei c gleichzeitig eine Kugelwelle und eine ellipsoidische Welle erregt, erst in e angelangt sein, und bis b a nach a gekommen ist, werden die beiden bei c erregten Wellen schon um eine gewisse Strecke in dem dichteren Medium fortgeschritten sein. Während sich die Kugelwelle um die kleine Strecke c x forpflanzte, ist aber die ellipsoidische Welle schon um die Strecke c y fortgegangen. Von dem Moment an wo der Strahl b a gleichfalls in das Medium eintritt, laufen die Strah- len b a und d c wieder parallel. Die zur Kugelwelle gehörende Wel- lenebene befindet sich daher in einer gewissen Zeit in a' x', die zur ellipsoidischen Welle gehörende in a″ y'. Es muss nun offenbar der Weg eines jeden in der Wellenebene enthaltenen Strahls nach wie vor der Brechung senkrecht zu den Verbindungslinien erfolgen, welche die einander correspondirenden Punkte zweier Strahlen mit einander verbinden: die Fortpflanzung nach der Brechung erfolgt also erstens senkrecht zu a x und zweitens senkrecht zu a y: das heisst jeder Strahl p q zerfällt in zwei Strahlen, einen stärker gebrochenen q s und einen schwächer gebrochenen q r: jener ist der ordentliche Strahl, seine Schwingungen erfolgen senkrecht zum Hauptschnitt; die- ser ist der ausserordentliche, seine Schwingungen erfolgen im Haupt- schnitt. Aus der Fig. ersieht man, dass die Richtung der gebrochenen Strahlen erhalten wird, wenn man durch den Punkt a der Wellenebene, der in dem Moment an A B anlangt, wo der Strahl d c die Kugelwelle c x und die ellipsoidische Welle c y er- regt hat, tangirende Ebenen liegt, die auf dem Hauptschnitt senkrecht stehen, deren Doppelbrechung in ein- und zweiaxigen Krystallen. Durchschnittslinien mit dem Hauptschnitt also a x und a y sind: die von c nach den Berührungspunkten x und y dieser Ebenen mit Kugelfläche und Ellipsoid gezogenen Li- nien c x und c y geben die Richtung der zwei aus dem Strahl d c hervorgehenden gebrochenen Strahlen an. Liegt aber die einfallende Wellenebene nicht, wie bis- her vorausgesetzt wurde, in einem Hauptschnitt, sondern bildet sie irgend einen Win- kel mit demselben, ist also z. B. die Ebene b a d c mit ihrem oberen Ende unter die Ebene des Papiers geneigt, so wird nun trotzdem vom Punkt c aus eine an Form der in Fig. 167 dargestellten gleiche kugelförmige und ellipsoidische Welle entstehen, denn die Gestalt der ersteren ist an und für sich nur von der Lage ihres Mittel- punktes c, und die der letzteren ausserdem lediglich von der Lage der Axe c m ab- hängig. Dagegen ist die Lage der von a aus an Kugel und Ellipsoid gelegten tan- girenden Ebenen nunmehr eine andere: denn diese Ebenen müssen zur Einfallsebene b a c d senkrecht stehen. Die tangirende Ebene der Kugel trifft offenbar dieselbe wieder in einem in der Einfallsebene gelegenen Punkte; die das Ellipsoid tangirende Ebene dagegen trifft, da der Scheitel desselben nicht in der Einfallsebene sondern im Hauptschnitt liegt, das Ellipsoid nicht in der Einfallsebene. Wenn also ein ein- fallender Strahl nicht nur zu der Hauptaxe sondern auch zu dem seinem Incidenz- punkt zugehörigen Hauptschnitt geneigt ist, so wird der ausserordentliche Strahl auch noch von der Einfallsebene weg gebrochen. Nur wenn die Einfallsebene senk- recht zur Hauptaxe steht, bleibt der ausserordentliche Strahl wieder in ihr, weil dann auch der Scheitel der ellipsoidischen Welle wieder in der Einfallsebene liegt. Alle einaxigen Krystalle, alle Krystalle also, die zu dem qua- 223 Positive und negative Dop- pelbrechung. dratischen und hexagonalen System gehören, zeigen das Phänomen der Doppelbrechung. Die verschiedenen hierher gehörigen krystalli- sirten Körper zeigen aber nicht bloss Unterschiede in Bezug auf die Stärke der Doppelbrechung, also die Grösse der Abweichung des ausserordentlichen vom ordentlichen Strahl, sondern auch darin, dass bei den einen der ordentliche Strahl stärker als der ausserordentliche, bei den andern der ausserordentliche Strahl stärker als der ordentliche gebrochen wird. Man nennt die ersteren Körper negativ doppel- brechend, wir haben in dem Kalkspath ein Beispiel derselben kennen gelernt. Die letzteren bezeichnet man als die positiv doppelbrechenden; sie sind die selteneren. Wie wir das Phänomen der negativen Dop- pelbrechung durch die Fig. 165 veranschaulichten, in der die Kugel- fläche von einem Rotationsellipsoid umfasst wird, so können wir das Phänomen der positiven Doppelbrechung durch ein Ellipsoid darstellen, welches von einer Kugelfläche umfasst wird. Die Elasticitätsfläche eines solchen positiv doppelbrechenden Körpers wird aber offenbar durch ein Rotationsellipsoid gebildet, dessen kleine Axe in der Rich- tung der Hauptaxe liegt, und das durch Umdrehung um die kleine Axe entstanden ist. Die zweiaxigen Krystalle, also die Krystalle des rhombischen, klinorhombi- 224 Doppelbrechung in zweiaxigen Krystallen. Conische Re- fraction. schen und klinorhomboidischen Systems, besitzen als Elasticitätsfläche ein Ellipsoid mit drei ungleichen Axen. Nehmen wir nun an, die drei Axen b c, d e und f g des in Fig. 166 dargestellten Ellipsoids seien von einander verschieden, so wird das- Von dem Lichte. selbe nur noch zwei Durchschnitte besitzen, welche Kreisflächen sind, und zwar wer- den diese Kreisschnitte die mittlere Elasticitätsaxe, dieselbe sei f g, enthalten müssen, während sie zu der grossen und kleinen, b c und d e, symmetrisch gelegen sind. Eine Linie, welche im Mittelpunkt des Ellipsoids senkrecht zu einem dieser Kreise errichtet ist, wird optische Axe genannt. Ein zweiaxiger Körper hat somit zwei optische Axen . Ein Strahl, welcher die Richtung einer optischen Axe hat, kann keine Doppelbrechung erfahren, weil seine Schwingungen nach jeder Richtung dieselbe Elasticität antreffen. Dagegen löst sich, wie wir nachher sehen werden, ein solcher Lichtstrahl in ein kegelförmiges Lichtbündel auf. Um die Wellenfläche eines zweiaxigen Körpers zu finden, construire man zu- nächst ein Ellipsoid, durch dessen Axen die Fortpflanzungsgeschwindigkeiten nach den verschiedenen Richtungen ausgedrückt werden. Ein solches Ellipsoid hat ebenfalls drei verschiedene Axen, aber dieselben stehen im umgekehrten Verhältniss wie die Axen des Elasticitätsellipsoids: der grössten Axe des letzteren entspricht die kleinste des ersteren und umgekehrt. Aus diesem Ellipsoid der Fortpflanzungsgeschwindigkeit erhält man die Wellenfläche, wenn man sich successiv die durch jede der drei Haupt- axen gelegten Ellipsen um die betreffende Hauptaxe gedreht denkt, also, wenn die Fig. 166 jenes Ellipsoid wäre, zuerst die Ellipse b d c e um die Axe b c, dann die Ellipse d f e g um die Axe d e und endlich die Ellipse f b g c um die Axe f g. Man erhält so eine Oberfläche, die durch eine Gleichung vierten Grades ausgedrückt werden kann, und von der die Fig. 168 eine im Mittelpunkt senkrecht auf die mitt- Fig. 168. lere Axe f g gelegte Hauptebene darstellt. An diese Oberfläche müssen wieder, ähnlich wie an die Wellen- fläche der einaxigen Körper, die Berührungsebenen gelegt werden: man erhält zwei solche Ebenen, von denen aber jede einen Theil einer ellipsoidischen Oberfläche berührt; es giebt daher auch hier zwei Strahlen, die aber beide die Bedeutung ausserordentlich gebrochener Strahlen ha- ben. (Da die Wellenfläche eine Oberfläche vierten Gra- des ist, so müssen sogar von jedem Punkt aus vier tangirende Ebenen an dieselbe gelegt werden können. Davon treffen aber zwei die Fläche nicht mehr innerhalb des Krystalls und kommen daher für die Brechung nicht in Betracht.) Der senkrecht zur mittleren Hauptaxe gelegte Hauptschnit (Fig. 168) enthält die beiden optischen Axen p q und x y und nahe den Endpunkten derselben vier Vertiefungen m, n, r, s, welche die Mittelpunkte trichterförmiger Aushöhlungen der Wellenfläche sind. Legt man da wo eine der Axen die Wellenfläche trifft eine tangirende Ebene x z an die- selbe, so ist diese Ebene einem Kreisschnitt parallel, sie trifft aber die Wellenfläche nicht in einem Punkte, sondern in einem Kreis, der dem Rand des Trichters entspricht; x und z sind die beiden im Hauptschnitt gelegenen Punkte dieses Kreises. Ein in der Richtung der Axe a x in dem Körper verlaufender Strahl bleibt daher nicht li- near, sondern er löst sich in ein conisches, innen hohles Strahlenbündel a x z auf, das nach seinem Austritt zu einem cylindrischen Bündel wird. Man bezeichnet daher die Brechung, welche ein in der Richtung einer optischen Axe verlaufender Strahl er- fährt, als innere conische Refraction . Neben den optischen Axen besitzen noch zwei andere Richtungen eine ausgezeichnete Eigenschaft, die Linien m s und n r nämlich, welche je zwei gegenüberliegende trichterförmige Vertiefungen der Wel- lenfläche verbinden. Man hat diese Linien als secundäre optische Axen bezeich- net. Ein Strahl a s, der in der Richtung einer dieser Axen verläuft, bleibt unge- Interferenzerscheinungen im polarisirten Lichte. brochen, denn an den Endpunkt s desselben können zwar unendlich viele tangirende Ebenen gelegt werden, aber diese treffen sämmtlich die Wellenfläche in dem einen Punkte s. Tritt nun aber der Strahl bei s aus dem Körper aus, so löst er sich in ein conisches, innen hohles Lichtbündel auf, indem jeder tangirenden Ebene ein an- derer von den unendlich vielen auf der Oberfläche des Kegels liegenden Strahlen ent- spricht. Man bezeichnet diese Erscheinung als äussere conische Refraction . Sowohl die innere wie die äussere conische Refraction ist von Hamilton aus der Undulationstheorie vorausgesagt und dann von Lloyd am Aragonit experimentell nachgewiesen worden. Zweiundzwanzigstes Capitel . Interferenzerscheinungen im polarisirten Lichte. Die doppelbrechenden Körper finden eine sehr wichtige Anwen- 225 Das Nicol’sche Prisma. dung als Hülfsmittel zur Entdeckung der Polarisation des Lichtes. Vorzüglich dienen hierzu die einaxigen Krystalle oder Platten und Prismen, die aus solchen Krystallen geschnitten sind. Da das pola- risirte Licht für das Auge durchaus nicht von dem gewöhnlichen zu unterscheiden ist, so bedürfen wir derartiger Hülfsmittel schon um nachzuweisen, dass überhaupt Polarisation stattfindet; sie werden aber ausserdem erfordert, um zu ermitteln, nach welcher Ebene in einem bestimmten Fall das Licht polarisirt ist. In der That ist das ein- fachste Hülfsmittel, welches wir von Anfang an zur Auffindung der Polarisationserscheinungen benützten, der Turmalin, selbst ein doppel- brechender Körper, der aber die Eigenschaft besitzt den ordentlich gebrochenen Strahl vollständig zu absorbiren und nur den ausser- ordentlich gebrochenen hindurchzulassen. Ebenso wie eine Turmalin- platte kann man auch eine Kalkspathplatte zur Untersuchung des po- larisirten Lichtes verwenden; es werden dann aber dadurch, dass der Kalkspath die beiden Strahlen hindurchlässt, die Erscheinungen in leicht zu übersehender Weise abgeändert. Lässt man auch hier das Licht durch eine Krystallplatte treten, die durch einen Schnitt parallel der Hauptaxe gewonnen wurde, so erhält ein dahinter befindliches Auge im Allgemeinen zwei Bilder der Lichtquelle, deren eines vom ordentlichen, das andere vom ausserordentlichen Strahl herrührt. Ist aber das Licht bereits polarisirt, so verschwindet in einer bestimmten Stellung der Platte das ordentliche und in einer andern darauf senk- rechten Stellung das ausserordentliche Bild. Für ein näheres Studium der Polarisationserscheinungen ist je- doch das Auftreten zweier Bilder störend, und man hat daher nach solchen Vorrichtungen gesucht, welche den Vortheil des Turmalins, nur den einen der beiden Strahlen durchzulassen, mit dem Vortheil der Farblosigkeit des Kalkspaths verbinden. Die gebräuchlichste Vorrichtung dieser Art ist das Nicol’sche Prisma . Man gewinnt Wundt , medicin. Physik. 22 Von dem Lichte. ein solches, indem man die obere und untere Endfläche a c e f und b g h d (Fig. 169) eines natürlichen Kalkspathkrystalls, von denen Fig. 169. die erstere mit der Kante e d, die zweite mit der Kante a g einen Winkel von 71° bildet, so zuschleift, dass diese Winkel nur noch etwa 68° betragen. Hierauf wird der Krystall in einer Ebene, die zu dem Hauptschnitt a e d g und zugleich zu den geschliffenen Endflächen a c e f und b g h d senkrecht ist, durchschnitten. Die so gelegte Durchschnittsebene trifft die Endflächen c e d b und a f h g in u v und x y. Der ganze Krystall ist auf diese Weise in zwei Prismen zerlegt, denen man durch weiteres Zuschleifen noch die vollständige Prismenform giebt. In der Durchschnittsebene u v x y werden dann beide Fig. 170. Prismen durch Canadabalsam an einander gekittet und in eine innen geschwärzte Messinghülse (h h Fig. 171) ge- fasst. Lässt man auf die eine Endfläche eines auf die angegebene Weise hergestellten Nicol’schen Prismas einen Strahl a b (Fig. 170) fallen, so theilt sich derselbe zu- nächst bei b in den ordentlichen Strahl b e' und in den ausserordentlichen b e: bei e' erfährt der ordentliche Strahl an dem Canadabalsam, dessen Brechungsindex kleiner als derjenige des Kalkspaths für den ordentlichen Strahl ist, eine totale Reflexion nach e' f und wird hier von der ge- schwärzten Fassung des Nicol’s absorbirt; der ausserordent- liche Strahl wird aber nach e g und dann nach g h in eine seiner ursprünglichen parallele Richtung gebrochen. Fig. 171. Indem man den Kalkspath auseinanderschneidet und in dem Ca- nadabalsam ein Medium zwischen die getrennten Hälften bringt, dessen Brechungsindex kleiner ist als derjenige des ordentlichen Strahls, macht man eine totale Reflexion des letzteren an der Grenze jenes schwächer brechenden Mediums möglich. Es muss zu diesem Zweck nur der Strahl auf die Grenze u v (Fig. 170) unter einem Winkel auffallen, der min- destens gleich dem Grenzwinkel ist; als Grenzwinkel haben wir aber in §. 141 denjenigen bestimmt, dessen Sinus gleich , wenn n den Brechungsindex des dichteren und n' denjenigen des dünneren Mediums bedeutet. Nun haben wir den Brechungsindex n des ordent- lichen Strahls für Kalkspath bereits zu 1,6583 angegeben; der Bre- chungsindex des Canadabalsams ist = 1,549. Aus sin. folgt aber α = 69° 4'. Man muss also Sorge tragen, dass ein auf das Prisma fallender Strahl a b (Fig. 171) die Grenze u v mindestens unter einem Winkel von 69° 4' trifft. Damit dies erreicht werde, muss Interferenzerscheinungen im polarisirten Lichte. 1) die Neigung der Endfläche v w und 2) die Neigung der Durchschnittsebene u v die geeignete Grösse besitzen. Man findet, dass dies dann der Fall ist, wenn der Winkel γ , welchen eine senkrecht zum Einfallsloth des Strahles an der Grenze u v errichtete Linie mit der Ebene v w bildet, ungefähr = 90°, und der Winkel δ , wel- chen die Ebene v w mit der Kante u w des Prismas bildet, = 68° ist. Um dies einzusehen, erwäge man, dass der Winkel, unter welchem ein Strahl auf die Tren- nungsebene v u fällt, nicht bloss von der Neigung der Flächen v w und v u sondern auch von dem Winkel abhängt, den der Strahl mit der Axe a c bildet. Das Nicol’- sche Prisma wird nun dann die günstigste Construction besitzen, wenn die Win- kel β und β' für die äussersten noch brauchbaren Strahlen möglichst grosse Werthe erhalten, d. h. wenn der für das Prisma zu verwendende Strahlenkegel möglichst gross wird, weil natürlich im selben Verhältniss auch die Lichtstärke zunimmt. Den Winkel β + β' nennt man daher den Oeffnungswinkel des Nicol’s. Ist m der Ein- fallswinkel und n der Brechungswinkel an der Fläche v w für den ordentlichen Theil des äussersten Strahls a b, und ist α der Einfallswinkel des gebrochenen Strahls b d an der Fläche v u, so muss n = 180 — (90° + α ), also = 20° 56' sein. Ferner ist sin. m = 1,6583. sin. n, also ∟ m = 36° 21'. Daraus folgt ∟ o = 53° 39'. Es muss aber endlich, wie man leicht aus der Fig. erkennt, ∟ δ = o + β sein. Wählt man daher den Oeffnungswinkel so, dass β , die Hälfte desselben, ungefähr = 14° wird, so erhält man δ = 67° 39', d. h. man muss die Fläche v w so zuschlies- sen, dass sie einen Winkel von 67 bis 68° mit der Kante u w bildet. Aus ähnlichen Erwägungen ergiebt sich, dass für einen ebenso grossen ∟ β' auch der Strahl a e noch ein hinreichend verschiedenes Brechungsvermögen für seine ordentliche und seine ausserordentliche Componente besitzt, um die letztere hindurchzulassen. Zwei über einander befindliche und um dieselbe verticale Axe 226 Polarisation durch zwei Ni- col’sche Pris- men. drehbare Nicol’sche Prismen sind zur Herstellung der verschiedenen Polarisationserscheinungen sehr geeignet. Bringt man über den Nicol in Fig. 170 noch einmal einen solchen in genau derselben Stellung, so geht der polarisirte Strahl g h nahezu ungeschwächt durch den zwei- ten Nicol hindurch. Dreht man dagegen den oberen Nicol um 90°, so hat nun für diesen der Strahl g h die Polarisationsebene des ordent- lichen Strahls, er erfährt daher in ihm eine totale Reflexion, so dass einem oberhalb befindlichen Auge das Gesichtsfeld vollkommen ver- dunkelt erscheint. Geben wir ferner den beiden Nicols eine solche Stellung, dass sie zwischen o und 90° gegen einander gedreht sind, Fig. 172. geben wir z. B. dem unteren Nicol eine Stellung, in welcher die senkrecht zur Ebene des Papiers durch B B' und A A' (Fig. 172) gelegten Ebenen die Polarisa- tionsebenen seiner beiden Strahlen sind, während durch den oberen Nicol diese Ebe- nen durch C C' und D D' gelegt sein sollen, so wird der obere Nicol je nach dem Dre- hungswinkel die Helligkeit mehr oder we- niger vermindern, sie aber nicht aufheben. Nehmen wir z. B. an, B B' sei die Schwin- 22 * Von dem Lichte. gungsrichtung des ordentlichen und A A' diejenige des ausserordent- lichen Strahls im ersten Nicol, so wird B B' innerhalb desselben verschwinden, und A A' wird in den zweiten Nicol eintreten. Hier sei D D' die Schwingungsrichtung des ordentlichen und C C' die des ausserordentlichen Strahls, so wird A A' in zwei Componenten nach C C' und D D' zerlegt werden, die letztere wird verschwinden, und die erstere wird durch den zweiten Nicol hindurchtreten. Nun ist aber offenbar die Componente C C' um so grösser, je kleiner der Winkel zwischen A A' und C C' wird, und dieselbe wird null, wenn C C' auf A A' senkrecht steht. 227 Ein Haupt- schnitt zwischen den Nicols. Interferenzer- scheinungen dicker Platten bei parallelen Strahlen oder dünner Plätt- chen im homo- genen Lichte. Die einfachen Erscheinungen, die man bei der Superposition zweier Polarisationsvorrichtungen beobachtet, deren jede nur Licht von einer Schwingungsrichtung hindurchlässt, werden verwickelter, wenn man zwischen dieselben irgend einen dritten doppelbrechenden Körper bringt, der die beiden zu einander senkrecht polarisirten Strah- len, in die er das Licht zerlegt, hindurchlässt. Bringt man z. B. über den unteren Nicol eine parallel zur Hauptaxe geschnittene Kalkspath- platte, so wird, wenn die Polarisationsebenen dieser Platte und der beiden Nicols eine verschiedene Lage besitzen, folgendes eintreten. Fig. 173. Es sei P P' (Fig. 173) die Schwingungs- richtung, welche der untere Nicol den ihn durchsetzenden Strahlen gegeben hat; wir wollen annehmen, der obere Nicol sei so orientirt, dass er nur Strahlen von der auf P P' senkrechten Schwingungsrichtung S S' hindurchlässt. Es werden dann beide Nicols allein völlige Verdunkelung des Ge- sichtsfeldes bewirken. Bringt man nun aber zwischen die zwei Nicol’schen Prismen jene auf die angegebene Art hergestellte Kalkspathplatte, deren Hauptaxe die Richtung X X' hat, so werden die Strahlen von der Schwingungsrichtung P P' in zwei Componenten von den Richtungen X X' und Y Y' zerlegt. Jede dieser Componen- ten wird dann durch den oberen Nicol wieder in zwei Componenten von den Richtungen S S' und P P' zerlegt, von denen aber nur die Componenten nach S S' durch den Nicol hindurchtreten. Sobald also zwischen die zwei senkrecht zu einander orientirten Nicols ein doppel- brechender Körper tritt, so wird die Verdunkelung des Gesichtsfeldes aufgehoben, wenn die Polarisationsrichtungen dieses doppelbrechenden Körpers nicht mit den Polarisationsebenen der beiden Nicols zusam- menfallen. Ist letzteres der Fall, kommen die Axen X X' und Y Y' mit P P' und S S' irgendwie zur Deckung, so ist leicht einzusehen, dass die Erscheinungen durch das Zwischentreten des doppelbrechen- Interferenzerscheinungen im polarisirten Lichte. den Körpers nicht wesentlich abgeändert werden: es tritt nach wie vor Verdunkelung des Gesichtsfeldes ein, wenn die Prismen senkrecht zu einander orientirt sind, und Erhellung, wenn sie gleich orien- tirt sind. Jene Wiedererhellung des Gesichtsfeldes, die in dem vorhin be- zeichneten Fall ein zwischen zwei senkrecht zu einander orientirte Nicol’sche Prismen gebrachter Hauptschnitt eines doppelbrechenden Kör- pers bewirkt, ist nun mit noch weiteren Erscheinungen verknüpft, wie sich aus folgenden Erwägungen im voraus ergiebt. Eine Schwingung o p (Fig. 173), die auf den über dem untern Nicol befindlichen Haupt- schnitt trifft, wird von diesem in die Schwingungen o x und o y' zer- legt. So lange beide Strahlen die gleiche Schwingungsphase beibe- halten, muss immer, während in einem Strahl ein Aethertheilchen von o nach x schwingt, im andern ein solches von o nach y' schwingen. Indem aber diese Schwingungen sich durch den Körper fortpflanzen, muss wegen der verschiedenen Fortpflanzungsgeschwindigkeit des ordentlichen und ausserordentlichen Strahls die eine derselben hinter der andern zurückbleiben. Um wie viel sie zurückbleibt, hängt von dem Brechungsverhältniss des ordentlichen zum ausserordentlichen Strahl und von der Dicke der doppelbrechenden Substanz ab. Neh- men wir an, die Schwingungen in der Richtung X X' blieben hinter denjenigen in der Richtung Y Y' um eine ungerade Anzahl halber Wellenlängen zurück, so wird beim Austritt aus der Platte im selben Augenblick, in welchem ein Aethertheilchen den Weg o x beschreibt, ein darauf senkrecht polarisirtes, nicht den Weg o y' sondern den Weg der entgegengesetzten Phase o y zurücklegen. Nun werden aber o x und o y durch den zweiten Nicol wieder nach den Richtungen P P' und S S' zerlegt, so jedoch dass nur die Componenten nach der letzteren Richtung übrig bleiben. Diese Componenten gehen nach einer Richtung o s, sie erzeugen daher vermehrte Helligkeit. Sind da- gegen die Schwingungen in den Richtungen X X' und Y Y' nach ihrem Durchtritt durch den doppelbrechenden Körper um eine gerade Anzahl halber Wellenlängen verschieden, so bleiben fortan o x und o y' die beiden Schwingungsrichtungen; deren Componenten nach der Axe S S' haben nun die entgegengesetzten Richtungen o s und o s' und erzeugen also verminderte Helligkeit. Denken wir uns jetzt das obere Prisma um 90° gedreht, so dass dasselbe die in der Richtung P P' schwingende Componente hindurchlässt und die darauf senk- rechte zurückhält, so bleiben im ersten Fall, wo die Schwingungen o x und o y um eine ungerade Zahl halber Wellenlängen verschieden sind, o p' und o p″ übrig: beide sind entgegengesetzt gerichtet, es erfolgt also Dunkelheit. Im zweiten Fall, wo o x und o y' die um eine gerade Zahl halber Wellenlängen unterschiedenen Schwingungen sind, haben beide Componenten die gleiche Richtung o p', es tritt Von dem Lichte. vermehrte Helligkeit ein. Eine Kalkspathplatte, die parallel zur Axe geschliffen ist, bewirkt somit, zwischen zwei Nicol’sche Prismen ge- bracht, wenn die Strahlen senkrecht auf sie fallen, bei einer bestimm- ten Stellung beider Prismen vermehrte, und bei einer dazu senkrech- ten Stellung verminderte Helligkeit. Nimmt man sehr dünne parallel der Axe geschliffene Plättchen, so bleiben die Erscheinungen auch dann, wenn das Licht divergirend auf solche Plättchen auffällt, die nämlichen, weil durch die Schiefe des Auffallens keine merkliche Phasendifferenz erzeugt wird. Auch hier haben dann also alle das Plättchen verlassende und senkrecht zu einander polarisirte Strahlen dieselbe Phasendifferenz, so dass, wenn sie durch den oberen Nicol wieder auf eine Polarisationsebene gebracht sind, unter denselben Bedingungen wie vorhin vermehrte oder verminderte Helligkeit auftritt. 228 Derselbe Ver- such im ge- mischten Lichte. Wenn statt des homogenen weisses Licht entweder parallel auf eine dickere Platte oder divergirend auf ein dünnes Plättchen fällt, so treten statt der verminderten Helligkeit Farbenerscheinungen auf. Denn es wird hierbei je nach der Dicke des Plättchens die Phasen- differenz für eine bestimmte Farbe ½ Wellenlänge, für andere Farben aber mehr oder weniger betragen, so dass zwar die erstere Farbe bei der Zurückführung auf eine Polarisationsebene durch Interferenz zum Verschwinden kommt, die letzteren Farben aber nicht ausgelöscht werden. Ist z. B. die Dicke des Plättchens eine solche, dass die Phasendifferenz für die rothen Strahlen gerade ½ Wellenlänge be- trägt, so wird bei Parallelstellung der Nicols und einer Lage des Plättchens, bei welcher sein Hauptschnitt 45° mit der Polarisations- ebene bildet, das rothe Licht durch Interferenz ganz vernichtet, und orange und gelb wenigstens geschwächt: das Plättchen nimmt daher eine grüne Färbung an, umgekehrt tritt bei gekreuzter Stellung der Nicols eine rothe Färbung auf. 229 Dicke Platten eines Haupt- schnitts bei divergirenden Strahlen. Fällt divergirendes Licht auf dickere, parallel der Axe ge- schliffene Platten, so entsteht durch die Verschiedenheit des Einfalls- winkels eine merkliche Phasendifferenz, und dies giebt zu einer Reihe Fig. 174. neuer Erscheinungen Veranlassung. Es sei h h (Fig. 174) die Hauptaxe der Platte, h' h' die darauf senkrechte Richtung, und p p, s s seien die zu h h und h h' um 45° gedrehten, zu einander aber senkrechten Polarisationsebe- nen der beiden Nicol’s. Wenden wir homoge- nes Licht an, so wird zunächst in der Mitte m, da wo die Strahlen unverändert durch die Platte hindurchgehen, ein dunkler Fleck auf- Interferenzerscheinungen im polarisirten Lichte. treten. In der auf der Hauptaxe senkrechten Richtung h' h' werden ferner der ausserordentliche und der ordentliche Strahl überall um gleich viel gegen einander verzögert. Die Wegunterschiede beider Strahlen nehmen also von der Mitte an mit der Neigung des auffallenden Lich- tes stetig zu, sie werden so nacheinander, wenn der Wegunterschied bei m = n. l ist, = (n + ½) l, (n + 1) l Wellenlängen u. s. w. Es treten also in der Richtung h' h' von der Mitte aus abwechselnd helle und dunkle Punkte auf. Aehnlich verhält es sich in der Richtung h h. Je weiter von m hier die Strahlen auffallen, um so mehr gehen sie aus der zur Hauptaxe senkrechten zu einer dem Parallelismus mit derselben genäherten Richtung über. Nun ist für zu einander senk- recht polarisirte Strahlen, die parallel zur Hauptaxe einfallen, der Gangunterschied null. Folglich müssen in der Richtung h h die Weg- unterschiede fortwährend abnehmen. Sie werden nach einander = n l, (n — ½) l, (n — 1) l u. s. w. sein. Auch hier müssen also von der Mitte an helle und dunkle Punkte auf einander folgen. In irgend einer zwischen h h und h' h' gelegenen Richtung werden die Veränderungen der Weglängen des ausserordentlichen und ordentlichen Strahls zwischen den Extremen h h und h' h' in der Mitte stehen, bis endlich in den h h und h' h' halbirenden Richtungen p p und s s Zu- und Abnahme der Gangunterschiede sich genau aufheben. Ist z. B. an irgend einer Stelle der Linie p p der Gangunterschied wegen der Annäherung an h' h' = (n + ½) l, so ist derselbe ebenda we- gen der Annäherung an h h = (n — ½) l, im ganzen also = n l, d. h. ebenso gross wie in der Mitte. Hieraus folgt, dass nach den Richtungen p p und s s die dunkle Mitte sich ausbreiten wird: d. h. das Gesichtsfeld wird von einem dunkeln Kreuz nach den beiden Po- larisationsrichtungen unterbrochen sein. In allen zwischenliegenden Richtungen ist die Aenderung des Gangunterschieds eine zusammen- gesetztere. Man sieht leicht ein, dass hier noch helle und dunkle Stellen abwechseln, aber dass die Distanz und Breite derselben sich verändern müssen. Die nähere Verfolgung der Erscheinung lehrt, dass die ganze Figur aus vier Hyperbelsystemen besteht, deren Assympto- Fig. 175. ten die Arme des Kreuzes sind. Man erhält daher das in Fig. 175 dargestellte Bild. Be- leuchtet man mit weissem Licht, so zeigen sich die Curven gefärbt. Die auf einander folgenden Farbenstreifen stimmen im Ganzen überein mit den Newton’schen Ringen (§. 207 und 231); doch ändern sich mit der Dicke der Platten die Farben derart, dass für dickere Platten die Far- benfolge derjenigen einer höheren Ordnung der Newton’schen Ringe gleich wird. Von dem Lichte. 230 Ein Querschnitt zwischen den Nicols. Inter- ferenzerschei- nungen im ho- mogenen Lichte. Andere Erscheinungen treten auf, wenn das durch ein erstes Prisma polarisirte Licht als divergirendes Strahlenbündel auf eine senkrecht zu ihrer Hauptaxe geschnittene Kalkspathplatte fällt. Wir wollen einen solchen Schnitt der Kürze wegen als Querschnitt be- zeichnen. Es sei K S (Fig. 176) dieser Querschnitt, so wird, wenn Fig. 176. von a unpolarisirtes Licht ausstrahlt, der mit der Hauptaxe zusammenfallende Strahl a x ungebrochen und unverän- dert hindurchtreten. Irgend ein seit- lich auffallender Strahl a b dagegen wird in einen ordentlich gebrochenen b d, dessen Schwingungen senkrecht zum Hauptschnitt sind, und in einen ausserordentlich gebrochenen b e, des- sen Schwingungen in der Ebene des Hauptschnitts liegen, zerlegt werden. Beide Strahlen werden wegen ihrer verschiedenen Fortpflanzungsgeschwindigkeit um eine gewisse Strecke gegen einander verzögert. Jedem Strahl a b wird nun offen- bar ein Strahl a c correspondiren, dessen ordentlicher Strahl c e so gebrochen wird, dass er mit dem ausserordentlichen Strahl b e des ersteren zusammentrifft, und dass daher ein Strahl e m weitergeht, der aus zwei zu einander senkrecht polarisirten Strahlen besteht, die eine bestimmte Wegdifferenz besitzen. Diese interferirenden Strahlen stören jedoch eben desshalb, weil sie zu einander senkrecht polarisirt sind, einander nicht. (S. §. 212.) Stellen wir jedoch über der Kalk- spathplatte K S ein Nicol’sches Prisma so auf, dass die zwei zu einander senkrecht polarisirten Strahlen wieder auf eine Polarisationsebene ge- bracht werden, so können nun die beiden in e m interferirenden Strahlen je nach dem Unterschied ihrer Phase sich aufheben oder verstärken. Damit dieser Erfolg der Interferenz hervortrete, müssen sie beide nach §. 212 aus Strahlen einer Polarisationsrichtung her- vorgegangen sein: es ist also auch hier wieder unterhalb und ober- halb K S ein Nicol’sches Prisma erforderlich. Nun werden aber, wenn ein divergirendes Strahlenbündel auf eine Kalkspathplatte fällt, offenbar die Gangunterschiede solcher zusammentreffender Strahlen wie b e und c e von der Mitte an, wo der Gangunterschied null ist, nach den Seiten hin mit der Schiefe der Incidenz zunehmen. Sei also z. B. bei e der Gangunterschied 1½ Wellenlänge, so wird er an einer weiter seitlich gelegenen Stelle f 2 Wellenlängen betragen, u. s. f. Werden nun durch den oberen Nicol in der durch die Fig. 173 darge- stellten Weise die beiden Schwingungsrichtungen wieder auf eine zurückgeführt, so wird, wenn im Strahl e m die Schwingungen durch Interferenz sich aufheben, also Dunkelheit eintritt, im Strahl f n eine Verstärkung durch Interferenz entstehen, oder umgekehrt. Ob das Interferenzerscheinungen im polarisirten Lichte. eine oder andere geschieht, wird von der Orientirung der beiden Ni- cols zu einander abhängen. Sind die Polarisationsrichtungen der letz- teren einander parallel, so tritt nach §. 229 da Dunkelheit auf, wo die Schwingungen um eine ungerade Anzahl halber Wellenlängen differiren. Sind die Nicols um 90° gegen einander gedreht, so tritt hingegen da Dunkelheit auf, wo die Schwingungen um eine gerade Zahl halber Wellenlängen verschieden sind. Was speciell die mittle- ren Strahlen a x betrifft, die senkrecht auf die Kalkspathplatte auf- fallen, so müssen diese offenbar bei paralleler Stellung der Nicols auch durch das obere Prisma unverändert hindurchgehen, während sie, wenn beide Nicols senkrecht zu einander stehen, von dem oberen ausgelöscht werden. Hiernach beobachten wir bei paralleler Stellung der Prismen einen mittleren hellen Fleck umgeben von einem dunkeln Ring, um welchen dann weiter abwechselnd helle und dunkle Ringe auftreten. Bei einer um 90° gedrehten Stellung dagegen sehen wir in der Mitte einen dunkeln Kreis, der zunächst von einem hellen Ring und dann von abwechselnden dunkeln und hellen Ringen umgeben ist. Die so auftretenden hellen und dunkeln Ringe sind aber nicht vollständig ge- schlossen, sondern sie werden, wenn die beiden Nicol’s gleich orien- tirt sind, durch ein von dem mittleren Kreis ausgehendes helles Kreuz (Fig. 177 A), und wenn die Nicol’s um 90° gegen einander gedreht Fig. 177. sind, durch ein von der Mitte ausgehendes dunkles Kreuz (Fig. 177 B) unterbrochen. Fig. 178. Um sich von dem Auftreten dieses hellen oder dunkeln Kreuzes Rechenschaft zu geben, betrachte man die Kalkspathplatte von oben (Fig. 178). Man wird in dieser Lage durch den Mittelpunkt m derselben eine Menge von Hauptschnitten P P, R R, S S u. s. w. legen können: die ganze Platte wird gleichsam aus einer unendlichen Menge solcher im Mittelpunkt m sich kreuzender Hauptschnitte bestehen. Haben nun die durch den unteren Nicol gegan- Von dem Lichte. genen Strahlen die Schwingungsrichtung P P, so werden alle Strahlen, die durch irgend einen Hauptschnitt R R fallen, in zwei zu einander senkrechte Componenten x y und x z, d. h. in einen ordentlichen und einen ausserordentlichen Strahl zerlegt werden. Die auf den Hauptschnitt P P, welcher der Schwingungsrichtung parallel ist, und auf den Hauptschnitt S S, der zu ihr senkrecht steht, fallenden Strah- len werden aber unzerlegt durch die Platte hindurchtreten. Es müssen also die hellen und dunkeln Ringe bei paralleler Stellung der Nicols durch ein helles Kreuz, bei zu einander senkrechter durch ein dunkles Kreuz nach den Richtungen P P und S S unterbrochen sein, gerade so wie uns dies die Fig. 177 darbietet. 231 Ein Querschnitt zwischen den Nicols. Inter- ferenzerschei- nungen im ge- mischten Lichte. Lässt man nicht homogenes, sondern gemischtes weisses Licht durch das untere Nicol’sche Prisma treten, so erscheinen natürlich auch hier abwechselnde Farbenringe, und die Aufeinanderfolge der letzteren ist genau diejenige der Newton’schen Farbenringe, bei pa- ralleler Stellung der Nicols diejenige der Newton’schen Ringe im durch- gelassenen Lichte, bei zu einander senkrechter Stellung diejenige der Newton’schen Ringe im auffallenden Lichte; auch hier sind also die im letzteren Fall auftretenden Farben complementär zu den ersteren. (S. §. 207.) Man bezeichnet die verschiedenen Ringsysteme von der Mitte an als Farben 1., 2., 3. u. s. w. Ordnung. Wegen der Wichtigkeit, welche die genaue Unterschei- dung dieser Farben für die Untersuchung im polarisirten Lichte hat, lassen wir eine Tafel derselben hier folgen. Unter A sind die Farben bei gekreuzter, unter B die- jenigen bei paralleler Stellung der Nicols aufgeführt. Erste Ordnung . Zweite Ordnung . A B A B Schwarz — Weiss Purpurroth — Hellgrün Grau — „ Violett — Grüngelb Graublau — Gelbweiss Indigo — Gelb Gelbblau — Gelbbraun Blau — Orange Grünlichweiss — Braunroth Blaugrün — Orangebraun Weiss — Rothviolett Grün — Carminroth Gelbweiss — Violett Hellgrün — Purpurroth Gelb — Hellindigo Gelbgrün — Purpurviolett Braungelb — Blaugrau Grüngelb — Violett Bräunlichorange — Blau Gelb — Indigo Rothorange — Blaugrün Orange — Dunkelblau Roth — Blassgrün Orangeroth — Grünblau Dunkelroth — Gelbgrün. Rothviolett — Grün. Interferenzerscheinungen im polarisirten Lichte. Dritte Ordnung . Vierte Ordnung . A B A B Violett — Grüngelb Hellviolett — Hellgrüngelb Blau — Gelborange Blaugrün — Hellrosa Grün — Roth Grün — Hellroth Gelb — Violett Hellgrüngelb — Lila Rosa — Grünblau Hellgelbroth — Hellgrünblau Roth — Grün. Hellroth — Hellgrün. Fünfte und sechste Ordnung . (Beide übereinstimmend, nur die sechste noch weisslicher als die fünfte.) A B Hellblau — Hellrosa Hellgrün — Hellroth Weisslich — Weisslich Hellroth — Hellgrün. Die Farbenerscheinungen, die an zweiaxigen Körpern , wenn 232 Polarisations- farben dünner Plättchen aus zweiaxigen Krystallen. sie zwischen zwei Nicol’sche Prismen gebracht werden, auftreten, sind natürlich complicirter als die Erscheinungen an den einaxigen Körpern. In dem einen Fall jedoch, der für uns allein practisch wichtig ist, in wel- chem nur dünne irgend zwei Axen des Elasticitätsellipsoids parallele Plätt- chen solcher Körper zur Anwendung kommen, entsprechen die Erscheinun- gen vollkommen denjenigen, die an Plättchen einaxiger Krystalle, welche dem Hauptschnitt parallel sind, beobachtet werden. So haben z. B. an den tafelartig entwickelten Gypskrystallen die den Spaltungsrichtun- Fig. 179. gen parallelen Axen die Richtungen a b und c d (Fig. 179), die Ellipse a d b c ist also hier der den Spaltungsrichtungen parallele Durchschnitt der Elasti- citätsfläche. Aehnlich liegen den Spaltungsrichtungen des Glimmers zwei Elasticitätsaxen parallel. Dem ent- sprechend beobachtet man denn bei der Einschaltung sehr dünner Gyps- oder Glimmerplättchen ebenso wie bei dünnen Hauptschnitten einaxiger Krystalle gleich- mässig verbreitete Farben, deren Beschaffenheit von der Dicke der Plättchen abhängt und daher abgeän- dert werden kann, wenn man mehrere Plättchen über einander schichtet. Man pflegt aber gerade den Gyps oder Glimmer zur Hervorrufung dieser Interferenzfarben zu wählen, weil sich dieselben sehr leicht in dünne, planparallele Plättchen spal- ten lassen. Die Intensität der Interferenzfarbe ist von der Stellung des Plättchens zu den beiden Nicol’s abhängig. Stehen die letzteren auf einander senkrecht, so erscheint das Gesichtsfeld dunkel, wenn die Axen a b, c d (Fig. 179) den Polarisationsrichtungen parallel sind, Von dem Lichte. und es erscheint am hellsten, wenn diese Axen eine diagonale Stel- lung von 45° einnehmen. Bringt man nun in dieser diagonalen Stel- lung ein Gypsplättchen zwischen die beiden Nicol’s, so wird da- durch der ordentliche gegen den ausserordentlichen Strahl um irgend einen Theil einer Wellenlänge verzögert werden, es wird also eine Färbung eintreten, die irgend einem der Newton’schen Farbenringe entspricht; je dünner das Plättchen ist, um so näher wird diese Fär- bung dem Centrum des Newton’schen Ringsystems stehen. Wir wollen z. B. annehmen, diese Farbe sei Grau erster Ordnung: so wird, wenn man ein zweites Gypsplättchen von derselben Dicke und parallel auf das erste legt, nun eine Färbung entstehen, die in dem Newton’schen Ringsystem weiter nach der Peripherie hin gelegen ist; man erhält so in der That als Additionsfarbe der beiden Plättchen, deren jedes Grau erster Ordnung giebt, ein Hellblau erster Ordnung. Legt man dagegen die beiden Plättchen so auf einander, dass ihre correspon- direnden Axen senkrecht zu einander stehen, dass also a b des ersten Plättchens mit c d des zweiten und c d des ersten mit a b des zwei- ten zusammenfällt, so erhält man die Subtractionsfarbe , indem das zweite Plättchen einen Gangunterschied in umgekehrter Richtung wie das erste erzeugt. In dem oben gewählten Beispiel wird das zweite Plättchen den Gangunterschied des ersten genau wieder auf- heben: es wird daher als Subtractionsfarbe Schwarz entstehen. Stellt man die beiden Nicol’s einander parallel, so erhält man natürlich auch hier wieder die Farbe der Newton’schen Ringe in durchfallendem Lichte. Ein Plättchen, das bei gekreuzten Nicol’s Grau erster Ord- nung giebt, giebt z. B. bei parallelen Nicol’s Weiss, und als Additions- farbe zweier Plättchen von derselben Farbe erhält man Gelbweiss, als Subtractionsfarbe Weiss. In dem gewählten Beispiel ergeben sich die Folgen der Addition und Subtrac- tion der Interferenzfarben unmittelbar aus der Betrachtung der Tabelle in §. 231. Für die Farben, die im Newton’schen Ringsystem weiter vom Centrum entfernt liegen, wollen wir eine Tabelle der Additionsfarben hier noch beifügen; wir werden unten sehen, dass die Kenntniss dieser Farben bei der Untersuchung der Körper auf ihre doppelbrechenden Eigenschaften von Wichtigkeit ist. Wir werden uns dabei auf die Farben bei gekreuzten Nicol’s beschränken, da die hier zu beobachtenden Erscheinun- gen sich unmittelbar mit Hülfe der Tabelle in §. 231 auf parallele Nicol’s übertragen lassen. Wir wollen ferner nur Combinationen je zweier gleich dicker Plättchen her- vorheben, welche Farben der ersten Ordnung liefern. Die Subtractionsfarbe ist in allen diesen Fällen natürlich Schwarz. Combinirte Farben. Additionsfarbe . Grau — Grau — Hellblau Hellblau — Hellblau — Gelb Gelb — Gelb — Blau Orange — Orange — Gelb Roth — Roth — Roth. Interferenzerscheinungen im polarisirten Lichte. Combinirt man Plättchen mit Farben höherer Ordnungen, so sind im Ganzen die Additionsfarben ähnlich, höchstens springen sie auf einen benachbarten Farbenton über. So giebt z. B. Gelb 2ter O. mit Gelb 1ster O. ein helleres Blau, zwei Gelb 2ter O. geben aber ein Grün 4ter O. Selbstverständlich ändern sich die combi- nirten Farben, wenn die Axen der über einander gefügten Plättchen weder zu einan- der parallel noch zu einander senkrecht sind, sondern irgend eine mittlere Stellung haben. So liefern z. B. zwei Gypsplättchen von Grau 1ster O., die bei paralleler Stellung Hellblau geben, wenn man sie aus der parallelen in die zu einander senk- rechte Stellung dreht, allmälig ein dunkleres Blau und gehen endlich in Schwarz über. Zwei Plättchen, deren jedes Hellblau 1ster O. giebt, gehen aus Gelb durch Weiss, Bläulichweiss in Schwarz über, u. s. w. Werden die parallel zwei Axen aus einem zweiaxigen Krystall geschnittenen 233 Interferenzer- scheinungen dicker Platten aus zweiaxigen Krystallen. Platten dicker, so dass die in verschiedener Richtung auffallenden Strahlen einen merklich verschiedenen Gangunterschied erhalten, so treten, wie leicht zu übersehen ist, die in Fig. 175 für die Hauptschnitte einaxiger Krystalle dargestellten Erschei- nungen auf. Abweichende Erscheinungen erhält man dagegen, wenn man einen sol- chen Schnitt aus einem zweiaxigen Körper untersucht, der nicht zweien der Axen des- selben parallel ist. Von solchen andern Schnitten zieht man am häufigsten jenen in Rücksicht, der senkrecht steht auf einer Linie, durch die man sich den rechten Winkel zwischen zweien der drei Axen des Elasticitätsellipsoids halbirt denkt. Ein Schnitt senkrecht auf diese s. g. Mittellinie zeigt bei gekreuzten Nicol’s ein dunkles Kreuz, den beiden Pola- risationsebenen entsprechend, ebenso wie ein senkrecht zu seiner Axe geschnittener ein- axiger Krystall. Statt des das Centrum dieses Kreuzes umgebenden Ringsystems zei- gen sich aber zwei Ringsysteme, welche die Endpunkte der beiden auf dem Durch- schnitt endenden Axen umgeben; diese Ringsysteme sind etwas nach der Mitte hin verzogen, sie bestehen nicht aus concentrischen Kreisen sondern aus sogenannten Lem- niscaten. Beide Ringsysteme werden aussen noch einmal von einem gemeinsamen Ringsystem eingefasst. Bringt man beide Nicol’s in eine parallele Stellung, so er- scheint dieselbe Figur: nur ist statt des dunkeln ein helles Kreuz vorhanden, an die Stelle der dunkeln treten helle, an die Stelle der hellen dunkle Ringe. Dreht man dagegen bei unveränderter Stellung der Nicol’s die Platte, so bleibt die Gestalt der Ringe ungeändert, sie drehen sich nur mit der Platte, an der Stelle des geradlinigen Kreuzes aber bilden sich zwei durch die Pole gehende Hyperbeln aus. Die Ableitung dieser Erscheinungen übersteigt unsere Hülfsmittel; im Allgemeinen kann man sich von denselben nach den in §. 224 ermittelten Gesetzen der Doppelbrechung in zwei- axigen Körpern Rechenschaft geben. Glimmer- oder Gypsplättchen zwischen zwei Nicol’schen Prismen 234 Circularpolari- sation durch Glimmer- und Gypsplättchen, durch Quarz- platten. Dre- hung der Po- larisationsebene. werden häufig angewandt, um die in §. 218 geschilderten Erscheinun- gen der Circularpolarisation hervorzurufen. Es ist hierzu nur erforderlich den Plättchen eine solche Dicke zu geben, dass die Ver- zögerung der beiden Strahlen gegen einander ¼ Wellenlänge beträgt. Werden dann durch das obere Nicol’sche Prisma die beiden Strahlen wieder auf eine Polarisationsebene zurückgeführt, so muss eine cir- cular schwingende Resultante entstehen. Ein noch häufiger gebrauchtes Mittel zur Herstellung einer sol- chen Circularpolarisation bietet der Quarz , und zwar am zweck- Von dem Lichte. mässigsten der reinste der in der Natur vorkommenden Quarze, der Bergkrystall, dar. Da der Quarz zum Hexaogonalsystem, also zu einem einaxigen Krystallsystem gehört, so sollte man erwarten, dass er, ähnlich dem Kalkspath und andern einaxigen Krystallen, auf zur Hauptaxe senkrechten Durchschnitten die in Fig. 177 dargestellten Erscheinungen zeigen werde. Dies ist aber nicht der Fall. Vielmehr finden wir, dass eine solche Quarzplatte bei gekreuzter Stellung der beiden Nicols und der Beleuchtung mit homogenem Licht in der Mitte des Gesichtsfeldes einen hellen Fleck zeigt, der die beiden Schenkel- paare des Kreuzes unterbricht; die sonstige Aufeinanderfolge der dun- keln und hellen Ringe entspricht jedoch derjenigen, wie man sie bei andern einaxigen Krystallen beobachtet. Dreht man nun das eine der Nicol’schen Prismen um einen bestimmten Winkel, so tritt Ver- dunkelung der Mitte des Gesichtsfeldes ein: soll also eine Quarzplatte die sonst bei rechtwinklig gekreuzter Stellung der Nicol’s eintretende Polarisationsfigur zeigen, so dürfen dieselben nicht rechtwinklig ge- kreuzt sein, sondern sie müssen einen bestimmten andern Winkel mit einander bilden, oder, wie wir dieselbe Thatsache auch ausdrücken können: wenn die beiden Nicol’s, zwischen welchen sich eine Quarz- platte befindet, rechtwinklig gekreuzt sind, so verhalten sie sich so, als wenn sie bei einer andern einaxigen Krystallplatte nicht ganz unter einem rechten Winkel gekreuzt wären. Nun ist aber die Mitte der Polarisationsfigur sonst desshalb dunkel, weil die Polarisations- ebene der parallel der Hauptaxe einfallenden Strahlen nicht geändert wird, und weil sich daher da wo die Strahlen senkrecht auf die Platte fallen die Erscheinung gerade so verhält, als wenn gar keine Platte vorhanden wäre, in welchem Fall, wie wir gesehen haben, das obere Prisma die vom untern hindurchgelassenen Strahlen auslöscht. Findet dies nun beim Zwischenschieben einer Quarzplatte nicht statt, so müs- sen wir schliessen, dass der Quarz auch die Polarisationsebene der ihn parallel seiner Hauptaxe durchsetzenden Strahlen verändert, und zwar wird diese Drehung der Polarisationsebene im selben Sinne er- folgen, im welchem man das obere Nicol’sche Prisma drehen muss, um die Mitte des Kreuzes zu verdunkeln. Beim Quarze erfolgt die Drehung bald rechts, im Sinn der Bewegung eines Uhrzeigers, bald links. Es giebt also rechtsdrehende und linksdrehende Quarze. Für verschiedene Farben ist natürlich der Winkel, um wel- chen man den Nicol drehen muss, damit die Mitte des Gesichtsfeldes verdunkelt werde, ein verschiedener: je brechbarer die Strahlen sind, um so stärker muss die Drehung sein. So beträgt dieselbe nach den Messungen von Biot bei Anwendung einer 1 Mm. dicken Quarzplatte für das äusserste Roth 17°,49, für die Grenze zwischen Grün und Blau 30°,04, für das äusserste Violett 44°08. Ferner nimmt die Drehung proportional der Dicke der Platte zu, so dass z. B. für eine Platte Interferenzerscheinungen im polarisirten Lichte. von 2 Mm. die Drehung im äussersten Roth 34°,98 beträgt. Wendet man weisses statt des homogenen Lichtes an, so erscheint natürlich das Centrum der Polarisationsfigur immer gefärbt; denn bei einer kleineren Drehung, bei welcher Roth vollständig ausgelöscht ist, sind die andern Farben in um so grösserer Intensität vorhanden, bei einer stärkeren Drehung sinkt die Intensität der brechbareren Strahlen, und die der minder brechbaren wächst wieder. Eine Andeutung über die Ursache der erörterten Erscheinung 235 Structur des Quarzes. Erklä- rung der Dre- hungserschei- nungen. giebt uns die Krystallform des Quarzes. Die Grundform desselben ist die Combination der sechsseitigen Säule mit der doppeltsechsseitigen Pyramide. An den Ecken, an welchen die Kanten der Säule mit denen der Pyramide zusammenstossen, kommen aber Flächen vor, die nicht symmetrisch zu den Krystallaxen liegen, und die sich als an- gehörig Pyramiden oder Rhomboëdern auffassen lassen, welche in die ursprüngliche Krystallform hineingeschoben sind, und deren Axen mit den Axen der Hauptform des Krystalls nicht zusammenfallen. Wenn die Ellipse a b (Fig. 180) einen mittelst einer senkrechten Ebene ge- Fig. 180. führten Durchschnitt durch das Ela- sticitätsellipsoid der Hauptform be- deutet, so sind c d, e f die Elastici- tätsellipsoide solcher hemiëdrischer Formen. Fällt nun also ein Licht- strahl l m senkrecht auf die Platte S S auf, so würde derselbe, wenn das Ellipsoid a b allein vorhanden wäre, unzerlegt hindurchgehen, wäre dagegen c d das einzige Ellip- soid, so würde er in einen ordentlichen senkrecht zu S S schwingen- den Strahl m n und in einen ausserordentlichen, parallel S S schwin- genden Strahl m o zerfallen; wäre endlich e f das einzige Ellipsoid, so würde wieder m n der ordentliche und dagegen m p der ausser- ordentliche Strahl sein. Die beiden Ellipsoide c d und e f zusammen werden also bewirken, dass der Strahl l m alsbald bei seinem Eintritt Fig. 181. in zwei Paare von Componenten zerfällt, wobei die eine Componente, die senkrecht zu S S ist, für beide Paare die nämliche Richtung hat. Nun kann man jede beliebige lineare Schwin- gung a b (Fig. 181) bestehend denken aus zwei Circularschwingungen a c b d und a d b c, folglich, da jede Circularschwingung aus zwei senkrecht zu einander polarisirten li- nearen Schwingungen hervorgeht (s. §. 218), aus zwei zu einander senkrechten Componen- Von dem Lichte. tenpaaren. Schwingt nämlich ein Aethertheilchen gleichzeitig in den Kreisbahnen a c b d und a d b c, so heben die Componenten in der Richtung c d gegenseitig sich auf, und es bleibt nur die Componente in der Richtung a b übrig. Wenn nun eine lineare Schwingung nach zwei Componentenpaaren zerlegt wird, so wird dies nur in derselben Weise geschehen können, in der wir uns die lineare Schwingung selbst schon als bestehend aus denselben denken können: d. h. die Schwingung wird in zwei Circularschwingungen zerfallen. Die den zwei zu einander geneigten Ellipsoiden angehörigen Circular- schwingungen werden aber verschiedene Fortpflanzungsgeschwindig- keiten besitzen: es werden also zwei Strahlen von verschiedener Brechbarkeit auseinandertreten, deren jeder aus Circularschwingungen besteht. Diese Voraussage wird vollständig durch die Beobachtung bestätigt. Lässt man gewöhnliches Licht auf ein Prisma r aus Berg- krystall (Fig. 182) fallen, das aussen von zwei Prismen l und l' von Fig. 182. einer gleich brechbaren Substanz so eingefasst ist, dass die gewöhn- liche Doppelbrechung nicht stattfinden kann, wenn ein Strahl a b senkrecht zu l einfällt, so wird trotzdem der Strahl a b in dem Prisma r in zwei Strahlen b c und b d zerlegt, an deren jedem sich die in §. 218 geschilderten charakteristischen Erscheinungen der Circular- polarisation nachweisen lassen. Man stellt die zu diesem Versuch er- forderlichen Bedingungen am zweckmässigsten dadurch her, dass man die Prismen l und l' aus linksdrehendem, das Prisma r aus rechts- drehendem Quarze nimmt. Es pflanzen sich dann die beiden Circular- wellen wegen der senkrechten Incidenz bis nach b ungebrochen fort, bei b zerspalten sie sich in den stärker gebrochenen Strahl b d und den schwächer gebrochenen b c; beide Ablenkungen werden an der Begrenzungsfläche des Prismas l' verstärkt, weil die brechende Kante dieses Prismas die entgegengesetzte Lage hat wie diejenige des Prismas r. Lassen wir nun das Licht senkrecht auf eine zu ihrer Hauptaxe senkrecht durchschnittene Quarzplatte fallen, so werden wegen der senkrechten Incidenz die beiden nach entgegengesetzter Richtung cir- cular polarisirten Strahlen nicht auseinandertreten, aber der Unter- schied in der Fortpflanzungsgeschwindigkeit beider Strahlen wird der nämliche sein, wie er sich oben in der verschiedenen Brechbarkeit zu erkennen gab: es wird also auch gemäss den allgemeinen Gesetzen Polarisationsapparate und ihre Anwendung. der Schwingungsbewegung derjenige Strahl, der vorhin stärker ge- brochen wurde, langsamer schwingen als der schwächer gebrochene. Denken wir uns jedoch, wie in Fig. 181, eine lineare Schwingung wieder aus circularen zusammengesetzt, die übrigens beide eine ver- schiedene Geschwindigkeit besitzen, so wird aus der Interferenz bei- der nunmehr eine lineare Schwingung resultiren, aber keine in der Richtung a b, sondern eine, die, wie f g, im Sinne der Bewegung der rascheren Schwingung, im Verhältniss zu a b gedreht ist. Diese Richtung der resultirenden Schwingung f g wird sich zugleich conti- nuirlich ändern: sie wird, wenn die beiden circularen Componenten den doppelten Weg zurückgelegt haben, eine Richtung f' g' einneh- men, die mit a b einen doppelt so grossen Winkel bildet als f g. Ist also das auf die Quarzplatte fallende Licht nach einer bestimmten Ebene polarisirt, so wird eine Drehung der Polarisationsebene erfolgen, ganz so wie wir dies in §. 234 als in der That stattfindend geschildert haben. Dreiundzwanzigstes Capitel . Polarisationsapparate und ihre Anwendung. Die dargelegten Principien finden eine wichtige Anwendung bei 236 Zweck der Un- tersuchung. Das Polarisations- mikroskop. der Untersuchung durchsichtiger flüssiger oder fester Körper auf ihre doppelbrechenden und polarisirenden Eigenschaften. Diese Unter- suchung kann entweder ihren Zweck in sich selber tragen: dies ge- schieht namentlich bei der Anwendung der Polarisationsapparate zum Studium der innern Textur fester Körper; oder sie kann bloss ein Hülfsmittel im Dienste der quantitativen Analyse sein: dies findet vor- zugsweise bei der Untersuchung der Lösungen solcher Substanzen statt, welche nach den in §. 234 und 235 erörterten Gesetzen die Ei- genschaft besitzen die Polarisationsebene nach rechts oder links zu drehen, und welche auch in ihren Lösungen diese Eigenschaft noch in geringem Grade beibehalten. Für den zuerst angeführten Zweck sind mehrere sogenannte Po- larisationsapparate construirt worden. Alle derartige Apparate be- stehen aus zwei polarisirenden Vorrichtungen, einer ersten, durch welche das Licht gelenkt wird, bevor es den zu untersuchenden Kör- per durchsetzt, und einer zweiten, durch welche das Licht hindurch- tritt, nachdem es den zu untersuchenden Körper verlassen hat. Man bezeichnet die erste dieser Vorrichtungen allgemein als den Polari- sator , die zweite als den Analysator . Bringt man den zu unter- suchenden Körper zwischen zwei Turmalinplatten, so ist dies der ein- fachste Polarisationsapparat: die dem aufgefangenen Licht zugekehrte Platte ist in diesem Fall der Polarisator, die dem Auge zugekehrte Wundt , medicin. Physik. 23 Von dem Lichte. Platte ist der Analysator. Ebenso ist diejenige Vorrichtung, die wir oben der Zergliederung der meisten Polarisationserscheinungen zu Grunde gelegt haben, zwei Nicol’sche Prismen, zwischen welche der untersuchte Körper gebracht wird, ein einfacher Polarisationsapparat: das untere Nicol’sche Prisma ist der Polarisator, das obere der Ana- lysator. Auch ein Spiegel, auf den man Licht unter dem Polarisations- winkel auffallen lässt, kann als Polarisator benützt werden. Bei den zusammengesetzteren Polarisationsapparaten treten zu diesen wesent- lichen Theilen noch Hülfsvorrichtungen, welche hauptsächlich zur Con- centration des Lichtes und zur Entwerfung scharfer Bilder bestimmt sind. So werden bei dem Nörremberg ’schen Polarisationsapparat die durch einen Spiegel polarisirten Strahlen durch eine Sammellinse stark convergent gemacht, treten dann durch die untersuchte Krystallplatte und werden endlich von einer zweiten Convexlinse, auf die sie diver- girend auffallen, für das beobachtende Auge gesammelt. Für die Un- tersuchung der pflanzlichen und thierischen Gewebe hat jedoch fast allein das Polarisationsmikroskop Anwendung gefunden, das wir desshalb näher beschreiben wollen. Bei dem Polarisationsmikroskop bedient man sich sowohl als Polarisator wie als Analysator des Nicol’schen Prisma’s. Der polari- sirende Nicol muss unter dem Object angebracht werden: er befindet sich gewöhnlich in einer cylindrischen Messingfassung, die von unten in den Objecttisch eingeschoben werden kann. Der analysirende Ni- col könnte an und für sich an jeder beliebigen Stelle über dem Ob- ject eingeschaltet werden. Man wählt jedoch in der Regel die Stellung über dem Ocular, welche den Vortheil bietet, dass das Mikroskop jeden Augenblick durch Entfernen des Analysators in ein gewöhn- liches verwandelt werden kann, was desshalb wünschenswerth ist, weil man in der Regel die Objecte zuvor bei gewöhnlichem Lichte zu beobachten wünscht, ehe man sie auf ihre polarisirenden Eigenschaf- ten prüft. Polarisator und Analysator sind natürlich beide um ihre verticale Axe drehbar. Ebenso muss aber der Objecttisch drehbar sein, damit dem Object jede mögliche Stellung in Bezug auf die bei- den Nicol’s gegeben werden könne. Bei vollkommeneren Polarisations- instrumenten ist der Objecttisch sowohl um eine verticale wie um eine horizontale Axe drehbar, und zwar so, dass der Umfang der Drehungen an Winkeltheilungen abgelesen werden kann. 237 Aufsuchung der Lage der Ela sticitätsaxen. Die Untersuchung der Objecte unter dem Polarisationsmikroskop zerfällt in zwei Aufgaben: 1) hat man die Lage der Elasticitäts- axen eines gegebenen Objects zu bestimmen, und 2) hat man die relative Grösse der Elasticitätsaxen zu ermitteln. Hinsichtlich der Lage der Elasticitätsaxen wollen wir sogleich den allgemeinsten Fall in Betracht ziehen, denjenigen, in welchem Polarisationsapparate und ihre Anwendung. drei verschiedene Elasticitätsaxen vorhanden. Wir haben es nun bei den Untersuchungen mit dem Polarisationsmikroskop stets mit einem Fall zu thun, in welchem aus dem Elasticitätsellipsoid eines ein- oder zweiaxigen Körpers ein planparalleler Schnitt zur Untersuchung kommt. Jeder derartige Schnitt wie a c b d (Fig. 183) ist aber im Allge- Fig. 183. meinen eine Ellipse. Eine solche El- lipse verhält sich für Strahlen, die senkrecht oder annähernd senkrecht auf sie fallen ganz gleich, mag sie dem in der Fig. dargestellten oder irgend einem andern Ellipsoid ange- hören. Sie wird, da bei der mikro- skopischen Untersuchung hinreichend dünne Schnitte zur Anwendung kom- men, um die Gangunterschiede für unter verschiedenem Winkel auffallende Strahlen verschwindend klein zu ma- chen, gleich einem Gyps- oder Glim- merplättchen, eine einzige Interferenz- farbe erzeugen, deren Beschaffenheit von dem Verhältniss der Axen a b und c d der wirksamen Elastici- tätsellipse und von der Dicke des Durchschnitts abhängig ist. Die Farbe wird verschwinden, wenn die Axen a b und c d mit den Po- larisationsebenen der gekreuzten Nicol’s zusammenfallen, und sie wird am intensivsten sein, wenn jene Axen unter 45° zu den genannten Ebenen orientirt sind. Es handelt sich nun zunächst darum zu erkennen, ob die Axen a b und c d der Ellipse zugleich Axen des Ellipsoids sind, oder ob sie, wie in Fig. 183, nicht mit Axen des Ellipsoids zusammenfallen. Das Mittel dieser Erkennung besteht darin, dass man den untersuch- ten Durchschnitt um eine der Axen a b oder c d dreht. Es ist leicht Fig. 184. einzusehen, dass bei einer jeden solchen Drehung die Interferenzfarbe allmälig sich verändern muss. Denn in eine je schrägere Lage man den Schnitt bringt, eine um so grössere Wegstrecke werden die senkrecht zu einander polarisirten Strahlen zurücklegen müssen, um so grösser wird also der erzeugte Gangunterschied sein. Gesetzt nun, die wirksame Ellipse gehöre dem Elasticitäts- ellipsoid an, sie sei z. B. in der Richtung m n (Fig. 183) durch das Ellipsoid gelegt, so wird die dritte Elasticitätsaxe f g auf m n senkrecht stehen. Es werden also, wenn m n (Fig. 184 A) ein solcher Hauptschnitt ist, die verticalen Striche 23 * Von dem Lichte. die dritte Elasticitätsrichtung bezeichnen. Dreht man aber m n nach rechts und links um gleich grosse Winkel (nach m' n' und m″ n″), so kommen diese verticalen Striche jedesmal in die nämliche Richtung zu den auffallenden Strahlen: die Interferenzfarbe wird sich demnach, wenn zwei Hauptaxen des Ellipsoids in dem untersuchten Schnitt lie- gen, bei gleich grossen Drehungen um diese Axen nach der einen oder andern Richtung um gleich viel verändern. Ist dagegen a c b d der Durchschnitt durch das Elasticitätsellipsoid in Fig. 183, so wird nun durch die zu a b geneigten Linien in Fig. 184 B die dritte Ela- sticitätsrichtung angedeutet. Dreht man hier a b in die Stellungen a' b' und a″ b″, so bekommen die Linien dieser dritten Elasticitäts- richtung jedesmal eine verschiedene Lage: es werden also auch die polarisirten Strahlen in den Stellungen a' b' und a″ b″ in verschie- denem Grade gegen einander verzögert werden, und folglich wird in diesem Fall bei gleich grosser Drehung um eine der Axen die Inter- ferenzfarbe eine verschiedene sein. Als besonders kennzeichnend für die Lage der Axen sind noch diejenigen Fälle auszeichnend zu erwähnen, in welchen das Gesichts- feld dunkel erscheint. Mittelst der Construction des Elasticitätsellip- soids lässt sich der Eintritt dieser Fälle leicht übersehen. Fassen wir zunächst einen einaxigen Körper ins Auge, so wird das Gesichts- feld bei rechtwinklig gekreuzten Nicols stets dunkel erscheinen, wenn man einen zur Hauptaxe senkrechten Schnitt zwischen dieselben bringt. Schaltet man einen zur Hauptaxe irgendwie geneigten Durchschnitt Fig. 185. a b (Fig. 185) ein, so wird auch nun das Ge- sichtsfeld unter der Bedingung dunkel erschei- nen, dass man jenem Durchschnitt dieselbe Stel- lung zur Axe des Polarisationsinstrumentes giebt, die er in dem natürlichen Elasticitätsellipsoid einnimmt. Soll die Interferenz aufgehoben und das Gesichtsfeld bei gekreuzten Nicols dunkel werden, so muss man demnach einen beliebig durch das Elasticitätsellipsoid geführten Schnitt um einen Winkel drehen, der gleich ist dem Winkel, welchen die Hauptaxe mit demselben bildet. Es ist hierbei gleichgültig ob man nach der einen oder andern Richtung dreht, es wird also bei einem jedem Schnitt durch den einaxigen Körper, der einen Winkel zwischen o und 90° mit der Hauptaxe bildet, zwei symmetrische Stellungen geben, bei denen sich das Gesichtsfeld ver- dunkelt. Ist der Schnitt ein Hauptschnitt, so werden natürlich diese Stellungen niemals erreicht, weil man in diesem Fall um 90° drehen müsste. Dass der Schnitt ein Hauptschnitt ist, wird dann aber leicht noch daran zu bestätigen sein, dass bei Drehung um eine der im Ge- Polarisationsapparate und ihre Anwendung. sichtsfeld liegenden Axen nach beiden Seiten hin die Interferenzfarben sich in symmetrischer Weise verändern. Das Gesichtsfeld erscheint, wie aus den obigen Betrachtungen hervorgeht, immer dann dunkel, wenn die Projection der wirksamen Elasticitätsellipse auf die Ebene des Gesichtsfeldes ein Kreis ist. Es ist am zweckmässigsten unmittelbar diesen Satz auf die Bestimmung der Lage der Axen zweiaxiger Körper anzuwenden. Als die Axen zweiaxiger Körper bezeichnet man nach §. 224, entsprechend der Be- nennung bei einaxigen Körpern, jene beiden Linien, welche auf den zwei kreisförmigen Durchschnitten, die man durch jedes zweiaxige Elasticitätsellipsoid legen kann, senkrecht stehen. Hiernach wird bei der Untersuchung zweiaxiger Körper das Gesichtsfeld bei gekreuzten Nicol’s dunkel erscheinen, falls der untersuchte Schnitt entweder selbst einer jener Durchschnitte des Elasticitätsellipsoids ist, oder falls dieser Schnitt so gegen das Gesichtsfeld gedreht ist, dass die Projection der wirksamen Ellipse auf das Gesichtsfeld ein Kreis wird. Ob man es mit einem einaxigen oder mit einem zweiaxigen Körper zu thun hat lässt sich nun im Allgemeinen schon an folgendem erkennen. Der einaxige Körper giebt, wenn zwei Axen seines Ellipsoids im Gesichts- felde liegen, was auf die beschriebene Weise aus dem Wechsel der Interferenzfarben bei der Drehung um eine horizontale Axe geschlos- sen werden kann, niemals bei der Drehung um einen bestimmten Win- kel Verdunkelung des Gesichtsfeldes, sondern letzteres ist entweder schon von vornherein verdunkelt, wenn nämlich der Schnitt senkrecht auf der Hauptaxe steht, oder es tritt niemals eine völlige Verdunkelung ein, dies wird dann geschehen, wenn der Schnitt selbst ein Haupt- schnitt ist. Giebt dagegen ein Schnitt, in welchem zwei Elasticitäts- axen liegen, bei der Drehung um irgend eine dieser Axen Verdun- kelung des Gesichtsfeldes, so kann man sicher sein, dass man es mit einem zweiaxigen Körper zu thun hat. Noch leichter lässt sich die ein- oder zweiaxige Beschaffenheit erkennen, wenn, wie dies bei or- ganischen Geweben häufig der Fall ist, beliebige Durchschnitte durch den Körper gelegt werden können. Hat man einen Durchschnitt auf- gefunden, der zwei Axen des Elasticitätsellipsoids enthält, so braucht man nur noch einen dazu senkrechten Durchschnitt herzustellen. Dann muss, falls der Körper ein einaxiger ist, einer dieser Durchschnitte bei gekreuzten Nicols Verdunkelung des Gesichtsfeldes geben, denn einer der Durchschnitte muss auf der Hauptaxe senkrecht sein. In dem Angegebenen ist schon manches enthalten was auch über 238 Bestimmung der Grösse der Ela- sticitätsaxen. die relative Grösse der verschiedenen Elasticitätsaxen Aufschluss zu geben vermag. So hat man im zuletzt angeführten Beispiel unmittel- bar bestimmt, welcher Schnitt ein Hauptschnitt und welcher ein Quer- schnitt ist; damit ist also die Lage der Hauptaxe ermittelt, und mehr Von dem Lichte. bedarf es zur Bestimmung der relativen Grösse der Axen in einaxi- gen Körpern nicht. Aber auch die oben angegebene Methode zwei- axige von einaxigen Körpern zu unterscheiden enthält schon ein Hülfs- mittel zur Bestimmung der Axenlänge. Wir haben angegeben, dass, wenn bei der Drehung eines Schnitts, der zwei Hauptaxen enthält, in irgend einer Stellung zwischen 0 und 90° Verdunkelung des Gesichts- feldes eintritt, hierin der sichere Beweis für die zweiaxige Natur des betreffenden Körpers liege. Dieser Satz darf jedoch nicht umgekehrt Fig. 186. werden. Es seien b c, d e und f g (Fig. 186) die drei ungleichen Axen des Elasticitätsellip- soids eines zweiaxigen Körpers, b c sei die grösste, d e die mittlere und f g die kleinste Axe. Denken wir uns einen Durchschnitt, der die Axen b c und d e enthält, um die Axe d e gedreht, so wird bei einer bestimmten Stellung die Projection der wirksamen Ellipse auf das Gesichtsfeld ein Kreis sein: es wird also Ver- dunkelung eintreten; nicht so bei der Drehung um die Axe b c: hier wird bei jeder Drehung d e im Verhältniss zu b c noch kürzer erschei- nen als in der ursprünglichen Stellung, die Projection wird also niemals ein Kreis werden. Denken wir uns ferner einen Durchschnitt, der die Axen d e und f g enthält, so wird wieder bei der Drehung um die kleinste Axe f g in eine Stellung kommen, wo die Projection ein Kreis ist, nicht so aber bei der Drehung um die mittlere Axe d e. Denken wir uns endlich einen Durchschnitt, der b c und f g enthält, so wird weder bei der Drehung um b c die Linie f g in ihrer Projection sich so weit vergrössern können, um b c gleich zu werden, noch wird bei der Drehung um f g die Linie b c so klein werden, um gleich f g zu sein: hier wird daher niemals der Kreis zu Stande kommen. Bezeich- nen wir die auf den beiden im gewählten Schnitt liegenden Axen senkrecht stehende als die dritte Axe, so ergiebt sich demnach, dass Verdunkelung eintritt: 1) wenn die dritte Axe die grösste ist, und zwar bei der Drehung um die mittlere Axe, 2) wenn die dritte Axe die kleinste ist, und zwar bei der Drehung um die grösste Axe; dass aber niemals Verdunkelung eintritt, wenn 3) die dritte Axe die mittlere ist. In den ersten beiden Fällen kann also unmittelbar die relative Grösse der drei Axen bekannt werden. Im dritten Fall aber bleibt es ungewiss, ob man es mit dem Hauptschnitt eines einaxigen Körpers oder mit einem zweiaxigen, dessen mittlere Axe auf dem Durchschnitt senkrecht steht, zu thun hat. Eine Entscheidung lässt sich mit Sicherheit dann gewinnen, wenn es möglich ist einen in darauf senkrechter Richtung angefertigten Durchschnitt zu untersuchen. Bei manchen Krystallen entscheidet auch unmittelbar die Lage der Polarisationsapparate und ihre Anwendung. Elasticitätsaxen zu den Axen der Krystallform, die bei einaxigen Kry- stallen zusammenfallen, bei zweiaxigen aber nicht. Das Obige enthält, wie man sieht, das vollständige Material, um mit dem Po- 239 Anwendung de Glimmer- und Gypsplättchen zur Bestimmung der Elasticitäts- axen. larisationsmikroskop nicht nur die Lage sondern auch die relative Grösse der Elasti- citätsaxen doppelbrechender Körper aufzufinden. Zur Erleichterung der Untersuchung bedient man sich jedoch noch einiger weiterer Hülfsmittel, die namentlich dazu dienen schnell und sicher über die relative Grösse der Elasticitätsaxen zu entscheiden. Es sind dies dünne Durchschnitte, die parallel zwei ungleichen Axen durch doppelbrechende Krystalle gelegt werden. Vorzugsweise eignen sich dazu dünne Gypsplättchen, deren Wirkungen wir in §. 232 erörtert haben. Wir sahen dort, dass ein Gypsplättchen in diagonaler Stellung zwischen zwei gekreuzten Nicol’s eine Interferenzfarbe hervorruft, die von seiner Dicke abhängig ist, dass zwei Gypsplättchen, deren entsprechende Axen parallel über einander liegen, ihre Wirkungen addiren , und dass dagegen zwei solche Plättchen, deren Axen einander rechtwinklig kreuzen, ihre Wirkungen subtrahiren . Bringen wir nun statt des zweiten Gypsplättchens den dünnen Schnitt eines doppel- brechenden Körpers zwischen die Nicol’s, so kann auch hier eine Additions- oder eine Subtractionsfarbe entstehen, je nachdem die grössere Axe der Elasticitäts- ellipse des Schnitts mit der grösseren Axe a b oder mit der kleineren Axe c d des Gypsplättchens (Fig. 179) sich deckt, und man ist hiernach im Stande die relative Grösse der beiden Axen der wirksamen Ellipse zu bestimmen. Man wählt gewöhnlich für diese Prüfung ein Gypsplättchen, welches Roth 1 ter Ordnung giebt. Man bestimmt zuerst in der in §. 237 angegebenen Weise die Lage der Axen des Gypsplättchens, bringt dann die eine dieser Axen in die diagonale Stel- lung und ermittelt nun, indem man das Object dreht, bei welcher Stellung die Addi- tionsfarbe, bei welcher die Subtractionsfarbe zu sehen ist. Da die Stellung, welche die Subtractionsfarbe giebt, rechtwinklig zu derjenigen sein muss, bei der Additionsfarbe besteht, so liegt in der zweiten Messung eine Controle der ersten. Wir wollen eine kurze Tabelle der Additions- und Subtractionsfarben eines Gypsplättchens von Roth I (d. h. Roth 1. Ordnung) hier beifügen. Farbe des Objects ohne Gypsplättchen. Additionsfarbe Subtractionsfarbe mit Roth I. Grau I — Indigo II — Orange I Hellblau I — Blau II — Gelb I Weiss I — Grün II — Weiss I Gelb I — Gelb II — Hellblau I Orange I — Orange II — Grau I Roth I — Roth II — Schwarz Indigo II — Violett III — Grau I Blau II — Blau III — Hellblau I Grün II — Grün III — Weiss I Gelb II — Gelb III — Gelb I Orange II — Rosa III — Orange I Roth II — Roth III — Roth I Violett III — Hellrothviolett IV — Indigo II Blau III — Bläulichgrün IV — Blau II Grün III — Grün IV — Grün II Gelb III — Hellgrün IV — Gelb II Von dem Lichte. Rosa III — Hellrosa IV — Orange II Roth III — Hellroth IV — Roth II Hellviolett IV — Hellroth IV — Violett III Bläulichgrün IV — Hellviolettroth V — Blau III Grün IV — Hellblau V — Grün III 240 Messung der Circularpolari- sation. Das Saccharimeter. Wir haben früher in dem Quarz das Beispiel eines Körpers ken- nen gelernt, der durch Zerlegung der linearen Schwingungen des Lichtes in zwei circulare Wellen von entgegengesetzter Richtung eine Drehung der Polarisationsebene herbeiführt. Eine ähnliche Drehung bewirken auch mehrere Flüssigkeiten. Je nach dem Ueberwiegen der einen über die andere Circularwelle erfolgt die Drehung bald nach rechts bald nach links. So drehen z. B. Zucker- und Dextrinlösung, Weinsäure, Citro- nenöl die Polarisationsebene nach rechts ; arabisches Gummi, Lor- beeröl, Terpentinöl drehen sie nach links . Von der Traubensäure giebt es eine rechts- und eine linksdrehende, Chondrin- und Glutin- lösung drehen beide nach links, die erstere aber beträchtlich stärker. Die drehende Wirkung aller dieser Flüssigkeiten nimmt mit der Dicke der Flüssigkeitsschichte und, bei gleicher Dicke der letzteren, mit der Concentration der Flüssigkeit zu. Hierauf haben Biot und Soleil einen Apparat gegründet, mittelst dessen man nicht bloss die Circular- polarisation der Flüssigkeiten erkennen, sondern auch, wenn gewisse Constanten bestimmt sind, aus dem Grad der Drehung der Polarisa- tionsebene den Concentrationsgrad ermitteln kann. Da der Apparat vorzugsweise zur Bestimmung der Concentration von Zuckerlösun- gen angewandt wurde, so hat man ihn als Saccharimeter be- zeichnet. Derselbe besteht aus einer Röhre R, in welche die zu Fig. 187. untersuchende Flüssigkeit gebracht wird, aus einem Ansatz P, welcher die polarisirende, und aus einem Ansatz A, welcher die analysirende Vorrichtung enthält. Der Ansatz P ist eine engere Röhre, in die bei a das Licht einfällt, und die bei p ein Doppel- spathprisma enthält, welches das einfallende Licht polarisirt, so dass der ausserordentliche Strahl in der Richtung der Axe des Instruments Polarisationsapparate und ihre Anwendung. weiter geht, während der ordentliche abgelenkt und von der schwar- zen Innenwand der Röhre absorbirt wird. Der Ansatz A besteht aus einer Ocularröhre o, in der sich bei p' ein dem Prisma p gleichendes Kalkspathprisma befindet, dessen Hauptschnitt aber senkrecht zu dem Hauptschnitt von p steht, so dass, wenn der Apparat nur diese beiden Prismen enthielte, das Gesichtsfeld dunkel erscheinen würde. Nun wird aber ausserdem zwischen das analysirende Prisma p' und die Flüssigkeit eine senkrecht zur Axe geschnittene Quarzplatte q von 3,75 mm. Dicke gebracht, deren rechte Hälfte aus einem rechtsdreh- enden, deren linke aus einem linksdrehenden Quarze geschnitten ist. Die beiden Hälften dieser Quarzplatte erscheinen bei gekreuzten Pris- men in derselben Interferenzfarbe, denn die rechte Hälfte dreht die Polarisationsebene genau um ebensoviel nach rechts wie die linke nach links; bei der gewählten Dicke der Platte ist die Interferenz- farbe ein röthliches Violett. Würde man aber das polarisirende Prisma nur um sehr wenig drehen, so müssten alsbald beide Hälften verschie- den gefärbt erscheinen, weil jetzt für beide eine verschiedene Dreh- ung der Polarisationsebene vorhanden wäre. Es ist nun klar, dass man denselben Effect wie durch eine Drehung des analysirenden Pris- mas auch durch Einfüllen einer rechts- oder linksdrehenden Flüssig- keit in die Röhre R erreichen kann: auch diese muss, indem sie die Polarisationsebene der durch das Prisma p gegangenen Strahlen im gleichen Sinne dreht, eine asymmetrische Lage der Polarisationsebe- nen beider Hälften zur mittleren Ebene und folglich eine verschiedene Färbung der Hälften des Gesichtsfeldes verursachen. Es handelt sich nun darum zu messen, wie gross diese durch die Flüssigkeit in der Röhre R bewirkte Drehung ist. Man führt diese Messung so aus, dass man zwischen die Flüssigkeit und das analysirende Prisma noch ein- mal eine Quarzplatte q' bringt, welche aber die Polarisationsebene überall in gleichem Sinne dreht. Ist also die Flüssigkeit rechtsdreh- end, so muss die Platte aus linksdrehendem Quarze sein und umge- kehrt. Giebt man der Platte q' zugleich eine solche Beschaffenheit, dass sich ihre Dicke in messbarer Weise verändern lässt, so wird sich dann, da die drehende Eigenschaft proportional der Dicke der Platte zunimmt, leicht eine solche Dicke derselben herstellen lassen, dass die durch die Flüssigkeit bewirkte Drehung wieder aufgehoben wird und also beide Hälften des Gesichtsfeldes wieder gleich gefärbt erscheinen. Aus der Dicke der hierzu erforderlichen Quarzplatte lässt sich dann der Winkel, um welchen die Flüssigkeit die Polarisations- ebene nach rechts oder links gedreht hat, und aus diesem Win- kel lässt sich die Concentration der Flüssigkeit ermitteln, wenn man nur den bei der gegebenen Länge der Flüssigkeitssäule einem bestimmten Concentrationsgrad entsprechenden Drehungswinkel kennt. Um eine Quarzplatte von messbar veränderlicher Dicke zu er- Von dem Lichte. halten, verfährt man in folgender Weise, man nimmt zwei Quarzplat- ten k und k' (Fig. 187 B) von keilförmiger Gestalt und aus einem Quarz geschnitten, der das entgegengesetzte Drehungsvermögen hat wie die Flüssigkeit (also bei der rechtsdrehenden Zuckerlösung aus linksdrehendem Quarze). Jeder dieser Keile wird mit einem Glas- prisma g, g' so zusammengekittet, dass das Ganze eine planparallele Platte bildet. Jede der Hälften k g und k' g' dieser Platte wird in ein Messingrähmchen gefasst, welches durch Zähne, die in einen an dem Knopf t befindlichen Trieb passen, so bewegt werden kann, dass, wenn die Hälfte k g der Platte sich nach g α bewegt, die Hälfte k' g' nach g' β bewegt wird. Dadurch wird aber die Dicke der Quarz- schichte, durch welche das Licht hindurchtreten muss, verändert, dreht man den Knopf t von rechts nach links, so wird die Dicke vergrös- sert, dreht man ihn in umgekehrter Richtung, so wird die Dicke ver- mindert. Man kann diese Veränderungen an einem Maassstabe ab- lesen, der auf der Hälfte k g der Platte befestigt ist und sich an einer festen Marke vorbeibewegt. Man muss nun an dem Knopf t so lange drehen, bis die beiden Hälften des Gesichtsfeldes gleichmässig gefärbt sind. Eine dem Instrument beigegebene Tabelle verzeichnet die den einzelnen Scalenwerthen entsprechenden Concentrationsgrade der Zuckerlösung. Um das Saccharimeter zu graduiren, verfährt man rein empirisch, indem man zunächst eine Zuckerlösung von bekannter Concentration herstellt und dann diese mit gemessenen Quantitäten Wassers verdünnt. Man gewinnt so Lösungen von bekannter Abstufung der Concentration, für deren jede der Drehungswinkel gemessen wird. Ge- wöhnlich ist die Theilung so eingerichtet, dass jedem Theilstrich 1 proc. Zucker ent- spricht, und man daher mit Hülfe des an der Scala angebrachten Nonius bis auf 1/10 Proc. den Zuckergehalt ermitteln kann. Auf dieselbe Weise kann das Instrument für andere circular polarisirende Flüssigkeiten empirisch graduirt werden. Fünfter Abschnitt. Von der Wärme . Die meisten Körper bewirken, wenn wir sie berühren, in unsern 241 Allgemeine Uebersicht der Wärmeerschei- nungen. Ein- theilung dieses Abschnitts. Gefühlsnerven die Empfindung der Wärme oder der Kälte. Wir nen- nen einen Körper warm, wenn er einen höheren, und kalt, wenn er einen tieferen Wärmegrad als unsere Haut besitzt. Die Unterschei- dung von kalt und warm bezieht sich somit nur auf unsere Empfin- dungsorgane. Objectiv ist die Wärme ein Zustand, der jedem Körper in irgend einem Grade zukommt, und der auf die sonstigen Eigen- schaften desselben von wesentlichem Einflusse ist. Namentlich beobach- ten wir, dass mit dem Steigen des Wärmegrades das Volum der Kör- per zunimmt, und bei bestimmten Wärmegraden wechseln dieselben ihren Aggregatzustand. Um diese Aenderungen des Volumens und Aggregatzustandes zu bewirken, muss den Körpern Wärme von aus- sen zugeführt oder entzogen werden. Dies geschieht theils durch Lei- tung von einem Körper zu einem andern, der ihn berührt, theils, ähn- lich der Fortpflanzung des Lichtes, durch Strahlung. Bei der Auf- nahme der Wärme zeigen aber die Körper ein sehr verschiedenes Verhalten, indem die einen mehr, die andern weniger Wärme bedürfen um den gleichen Wärmegrad anzunehmen. Es ist, wie man sich kurz ausdrückt, die Wärmecapacität oder die specifische Wärme der Körper verschieden. Andere Unterschiede sind darin begründet, dass bei der Ausdehnung der Körper, namentlich aber bei dem Ueber- gang in einen loseren Aggregatzustand, immer ein Theil der zuge- führten Wärme verschwindet, der dann bei der Rückkehr zum frühe- ren Volum oder in den früheren Aggregatzustand wieder zum Vor- schein kommt. Man bezeichnet diese Wärme als die latente Wärme der Körper. Auch bei der Trennung chemisch zusammengesetzter Körper in ihre Bestandtheile wird Wärme latent, während hingegen bei der Entstehung chemischer Verbindungen Wärme gebildet wird. Unter den chemischen Verbindungsprozessen ist die Verbrennung Von der Wärme. die hauptsächlichste Wärmequelle in der Natur. Die hieran sich knü- pfende Erörterung der verschiedenen Entstehungsweisen der Wärme führt uns auf die Beziehung derselben zu anderen Naturkräften, aus der wir unsere Vorstellungen über das Wesen der Wärmeerscheinun- gen entwickeln müssen. Der in diesem Abschnitt zu behandelnde Stoff zerfällt daher in folgende Capitel: 1) die Ausdehnung durch die Wärme, 2) die Verän- derungen des Aggregatzustandes, 3) die latente und specifische Wärme, 4) die Fortpflanzung der Wärme und 5) die Erzeugung der Wärme und die Theorie der Wärmeerscheinungen. Erstes Capitel . Ausdehnung durch die Wärme. 242 Die Temperatur als Maass des Wärmezustan- des. Das Quecksilber- thermometer. Um die Ausdehnung zu bestimmen, welche die verschiedenen Körper durch die Wärme erfahren, muss man vor Allem ein Maass der Wärme besitzen. Das natürliche Maass der Wärme, welches uns unsere Empfindung giebt, ist zu Messungen unbrauchbar. Denn wir können aus der Empfindung zwar schliessen, ob ein Körper wär- mer ist als ein anderer; wir können aber niemals mittelst derselben bestimmte Gradunterschiede der Wärme feststellen. Ein objectives Maass für die Wärme können wir allein aus ihrer Wirkung auf äus- sere Körper gewinnen. Es liegt am nächsten, hierzu die allgemeinste Wirkung der Wärme zu nehmen, die Ausdehnung, welche die Körper durch dieselbe erfahren. Da nun die verschiedenen Körper ein sehr verschiedenes Ausdehnungsvermögen besitzen, so ist man übereinge- kommen, die Ausdehnung eines bestimmten Körpers, des Quecksil- bers , als Maass der Wärme anzunehmen. Man ermittelt hiernach den Wärmezustand eines Körpers, indem man die Ausdehnung misst, welche das Quecksilber bei demselben Wärmezustand besitzt. Den Wärme- zustand eines Körpers bezeichnet man aber als die Temperatur desselben. Man bestimmt daher die Temperatur der Körper, indem man feststellt, wie gross die Ausdehnung ist, welche ein bestimmtes Volum Quecksilber bei inniger Berührung mit ihnen erfährt. Füllt man in eine Glaskugel, die sich nach oben in eine voll- kommen cylindrische Röhre fortsetzt, reines Quecksilber, das bis zu einem bestimmten Niveau reicht, so hat man ein einfaches Thermome- ter. Bringt man die Kugel mit einem Körper in Berührung, der wär- mer als das Quecksilber ist, so muss sich das Quecksilber ausdehnen, es steigt also bis zu einem höheren Niveau; bringt man dagegen die Kugel mit einem kälteren Körper in Berührung, so zieht sich das Quecksilber zusammen, es sinkt auf ein tieferes Niveau herab. Da- mit das Quecksilber nicht oben ausfliesse, wenn die Röhre in eine ge- neigte Lage kommt, muss das obere Ende der letzteren zugeschmolzen Ausdehnung durch die Wärme. werden. Dadurch ist es zugleich geboten die Röhre ebenso wie die Baro- meterröhre vollkommen luftleer zu machen. Denn die Luft würde durch die Ausdehnung des Quecksilbers zusammengedrückt werden und so der Ausdehnung einen wachsenden Widerstand entgegensetzen. Man entfernt die Luft aus der Thermometerröhre, indem man die Glasku- gel bis zu einer Temperatur erwärmt, die noch etwas höher liegt als die höchste, welche das Thermometer anzeigen soll; an der Stelle, bis zu der hierbei das Quecksilber in der Röhre emporsteigt, schmilzt man die letztere ab. Zieht sich dann das Quecksilber bei der Erkaltung wieder zusammen, so bildet sich über demselben ein luftleerer Raum, und die Bewegung des Quecksilbers wird jetzt durch keinen äusseren Druck mehr gehemmt. Versieht man die Röhre mit einer Theilung, so kann das Instrument unmittelbar zu vergleichenden Wärmebestimmungen verwendet werden. Jedesmal, wenn das Quecksilber zum selben Theil- strich emporsteigt, zeigt es dieselbe Temperatur an. Aber ein solches Instrument würde nicht zu allgemein vergleich- baren Messungen brauchbar sein. Denn für ein zweites in derselben Weise gefertigtes Thermoskop, bei dem die Glaskugel eine andere Grösse oder die Röhre ein anderes Lumen hätte, würden selbstver- ständlich die denselben Temperaturgraden entsprechenden Scalentheile wieder andere sein. Um das Thermometer zu einem allgemein ver- gleichbaren Instrument zu machen, hat man daher zwei fest bestimmte Temperaturen als Ausgangspunkte für die Eintheilung der Thermome- terscala gewählt: diese sind die Temperaturen des Wassers, wenn es seinen Aggregatzustand ändert, also die Temperatur des schmel- zenden Eises und die Temperatur des siedenden Wassers. Da bei diesen Aenderungen des Aggregatzustandes ein in der vorhin angege- benen Weise hergestelltes Thermometer immer dieselbe Ausdehnung des Quecksilbers zeigt, so darf man annehmen, dass diese Tempera- turen vollkommen constante sind. Hierdurch ist es aber möglich die verschiedensten Thermometer übereinstimmend zu calibriren, wenn auch die Mengen des Quecksilbers, die man verwendet, und die Di- mensionen der Glaskugel und der Röhre sehr verschieden sind. Man taucht also zuerst das Thermometer in schmelzendes Eis: der Punkt, bis zu welchem das Quecksilber sinkt, bezeichnet eine feste Temperatur, die man durch eine Marke fixirt. Dann taucht man das Thermometer in siedendes Wasser: der Punkt, bis zu welchem nun das Quecksilber steigt, bezeichnet wieder eine feste Temperatur, die abermals durch eine Marke fixirt wird. Da sich der Gefrier- und Siedepunkt mit dem Luftdruck etwas verändern, so ist man übereingekommen die Bestim- mungen dieser Punkte auf den Luftdruck von 760 mm. zurückzufüh- ren. Bezeichnet man nun die untere Marke mit 0 und die obere mit 100 und theilt die zwischenliegende Länge in 100 gleiche Theile ein, so hat man ein thermometer nach Celsius hergestellt. Dieses Von der Wärme. Celsius’sche oder 100 theilige Thermometer ist das für wissenschaft- liche Untersuchungen gebräuchlichste. Ausser ihm ist auf dem Conti- nent noch das Réaumur ’sche, bei welchem die Scala vom Gefrier- bis zum Siedepunkt in 80 gleiche Theile getheilt wird, und in England das Fahrenheit ’sche Thermometer im Gebrauch, bei welchem letzteren der Gefrierpunkt mit 32 und der Siedepunkt mit 212 bezeichnet, so- mit die Länge zwischen Gefrier- und Siedepunkt in 180 gleiche Theile getheilt ist. Man hat also 1°C = 0,°8 R = 1,°8 F. Zugleich hat man aber, wenn die Fahrenheit’sche Scala in eine der beiden andern übertragen werden soll, 32 von der gegebenen Zahl zu subtrabiren. x° R sind daher = 5/4x C, und x° F = 5/9 (x—32) C. Jedes auf die angegebene Weise angefertigte Thermometer ist durchaus unabhängig von dem Volum des Gefässes und der Weite der Röhre. Denn ein Temperaturunterschied von 1°C. z. B. bezeichnet lediglich eine solche Differenz der Temperatur, die eine Volumverän- derung des Quecksilbers bewirkt, welche dem hundertsten Theil derje- nigen gleich ist, die das Quecksilber beim Uebergang von der Tempe- ratur des schmelzenden Eises zu der des siedenden Wassers erfährt. Man kann aber, nachdem einmal am Gefrier- und Siedepunkt die fe- sten Haltpunkte für die Theilung gewonnen sind, diese selbstverständ- lich sowohl über den letzteren wie unter den ersteren fortsetzen; man giebt hierbei den Temperaturen unter dem Nullpunkt das negative, denjenigen über dem Nullpunkt das positive Vorzeichen. Diese Ein- theilung findet nur bei den dem Gefrier- und Siedepunkt des Queck- silbers sich nähernden Temperaturen ihre Grenze. Der Gefrierpunkt des Quecksilbers liegt aber bei — 39,5°, sein Siedepunkt bei + 360°C. Wo eine zu messende Temperatur einmal diesen Grenzpunkten nahe kommt, ist das Quecksilberthermometer nicht mehr zu gebrauchen; man muss es dann durch ein mit Alkohol gefülltes oder durch das Luftthermometer ersetzen. (S. §. 245). Die beschriebene Eintheilung des Thermometers setzt voraus, dass die Röhre desselben vollkommen cylindrisch sei. Denn nur dann entspricht jedem einzelnen Grad dieselbe Volumänderung des Quecksilbers. Wo es sich um sehr genaue Tempe- raturmessungen handelt muss man prüfen, ob die Röhre wirklich eine vollkommen cylindrische Form hat und, falls letzteres nicht der Fall sein sollte, muss man die Abweichung von der cylindrischen Form in Rechnung ziehen. Man bewerkstelligt diese Prüfung dadurch, dass man einen Quecksilberfaden von bestimmter Länge all- mälig durch die ganze Röhre bewegt. Ist die Röhre genau cylindrisch, so muss der Faden überall genau gleich viele Theilstriche einnehmen. Ist dies nicht der Fall, so notirt man die Länge des Quecksilberfadens an den verschiedenen Stellen der Röhre. Diese Prüfung lässt sich noch an dem fertigen Thermometer vornehmen, indem man die Kugel durch Eintauchen in schmelzendes Eis erkältet, und dagegen die Röhre et- was erwärmt, worauf beim Schütteln der letzteren gewöhnlich dicht über der Kugel der Quecksilberfaden sich trennt. Bei jedem Quecksilberthermometer muss die Grösse der Kugel zu dem Lumen Ausdehnung durch die Wärme. der Röhre in einer zweckmässigen Beziehung stehen. Je kleiner die Kugel ist, um so enger muss auch die Röhre sein, damit jedem Grad derselbe Längentheil der Röhre entspreche. Bei gleicher Grösse der Kugel wird daher auch eine um so feinere Ein- theilung in Bruchtheile eines Grades möglich, je enger man die Röhre nimmt. Man richtet sich nun bei der Wahl der Dimensionen von Röhre und Kugel hauptsächlich nach den Zwecken, zu denen das Thermometer angewandt werden soll. Thermometer mit grossen Kugeln und ziemlich weiten Röhren sind am leichtesten herzustellen, aber sie sind nur da anwendbar, wo die zu messende Temperatur lange auf das Queck- silber in der Kugel einwirken kann, und wo es nicht auf allzu feine Messungen an- kommt. Denn je grösser die Menge des in der Kugel enthaltenen Quecksilbers ist, um so längere Zeit braucht dasselbe, bis sich seine Temperatur mit derjenigen seiner Umgebung ausgeglichen hat. Solche Thermometer sind daher wohl zu gebrauchen, um z. B. die Temperatur der Luft zu bestimmen. Für Temperaturmessungen an Thieren und am menschlichen Körper bedarf man dagegen solcher Instrumente, die nicht nur eine möglichst feine sondern auch eine möglichst rasche Wärmemessung gestatten. Man nimmt daher Thermometer mit sehr kleinem, dünnwandigem Quecksilberreservoir und einer möglichst feinen, capillaren Röhre. Einem solchen Thermometer kann man dann aber nicht die ganze Scala vom Gefrier- bis zum Siedepunkt oder gar noch über beide hinaus geben, da dasselbe sonst eine unbequeme Länge erhalten würde. Man beschränkt sich daher auf eine theilweise Scala, welche nur diejenigen Temperatu- ren umfasst, um deren Messung es sich bei den Zwecken, zu denen man das Thermo- meter anwendet, handeln kann. Braucht man z. B. das Thermometer, um die Tempe- ratur warmblütiger Thiere zu messen. so weiss man zum voraus, dass die Temperatu- ren, die hier in Frage kommen, nie unter 35° sinken und nie über 45° steigen. Man construirt also das Thermometer so, dass sein unterster Theilpunkt 35°, sein oberster 45°C. ist. Ein solches Thermometer lässt sich aber natürlich nicht in der oben an- gegebenen Weise durch Bestimmung des Gefrier- und Siedepunktes graduiren, sondern man muss es zu diesem Zweck mit einem andern grösseren Thermometer vergleichen, an welchem der Gefrier- und Siedepunkt bestimmt und die zwischenliegende Scala unter sorgfältiger Rücksicht auf die wegen der cylindrischen Beschaffenheit der Röhre anzustellende Prüfung gefertigt wurde. Ein solches mit Berücksichtigung aller Cau- telen hergestelltes grösseres Thermometer nennt man ein Normalthermometer . Um ein anderes Thermometer mit dem Normalthermometer zu vergleichen, taucht man die Kugeln beider hinreichend lange in Wasser, das durch Mischung von kaltem und warmem Wasser auf die geeignete Temperatur gebracht wurde. Ist längere Zeit an beiden Thermometern keine Bewegung der Quecksilbersäule mehr zu sehen, so kann man annehmen, dass die Temperatur constant ist und sich dem Quecksilber der beiden Thermometer mitgetheilt hat. Wenn ein fester Körper erwärmt wird, so dehnt er sich nach 243 Ausdehnung fe- ster Körper. Linearer und cubischer Aus- dehnungscoëffi- cient. allen Richtungen aus. Diese Ausdehnung erfolgt in der Regel nach allen Richtungen gleichförmig. Nur bei denjenigen Krystallen, welche ungleiche Elasticitätsaxen haben, ist die Ausdehnung eine verschie- dene. Man kann die Ausdehnung der festen Körper durch die Wärme entweder dadurch messen, dass man die lineare Ausdehnung ermittelt die sie bei einer bestimmten Temperaturerhöhung erfahren, oder da- durch dass man die eintretende Volumvergrösserung d. h. die cubische Ausdehnung bestimmt. Wo die Ausdehnung nach allen Richtungen Von der Wärme. gleichförmig geschieht, kann man aus der linearen Ausdehnung die cubische berechnen und umgekehrt. Erfährt ein Würfel, dessen Seite = 1 ist, eine lineare Ausdehnung, so wird seine Seitenlänge da- durch = 1 (1 + α ), wenn wir mit α denjenigen Bruchtheil der ur- sprünglichen Länge l bezeichnen, um welchen sich der Körper ver- längerte. Ist die Länge des Körpers nach der Ausdehnung = l', so ist demnach . Das Volum des Würfels vor der Ausdehnung ist = l 3 , nach der Ausdehnung ist es daher = l 3 (1 + α ) 3 . Die Vergrösserung des Volums oder die cubische Ausdehnung ist also = 1 + 3 α + 3 α 2 + α 3 . Da nun α immer ein ächter Bruch mit ziemlich grossem Nenner ist, so sind 3 α 2 + α 3 verschwindend klein im Verhältniss zu 3 α . Man kann daher das Volum des Körpers nach seiner Ausdehnung mit hinreichender Genauigkeit = l 3 (1 + 3 α ) an- nehmen. Bezeichnet l die Länge, die ein Körper bei irgend einer Temperatur zwischen 0 und 100° besitzt, und l' seine Länge bei einer um 1°C. höheren Temperatur, so nennt man den linea- ren Ausdehnungscoëfficienten und 3 α den cubischen Aus- dehnungscoëfficienten des Körpers. Der lineare Ausdehnungs- coëfficient ist also diejenige lineare Ausdehnung, die ein Körper zwi- schen den Temperaturen 0 und 100° bei Erwärmung um 1°C. er- fährt; der cubische Ausdehnungscoëfficient ist die unter denselben Be- dingungen eintretende Volumvergrösserung. Man hat nun durch zahlreiche Versuche an verschiedenen Kör- pern gefunden, dass diese Coëfficienten die nämlichen sind, von wel- cher Temperatur aus man zwischen den angegebenen Grenzen den Körper um einen Grad erwärmen mag, ob z. B. von 0 auf 1° oder von 99 auf 100°. Daraus folgt, dass die Ausdehnung des Körpers proportional ist der Temperaturerhöhung. Ist die Ausdehnung für die Temperaturerhöhung um 1° = α , so ist sie demnach für eine Tempera- turerhöhung von t° = α . t. Nun haben wir aber als Maass der Tem- peratur die Ausdehnung des Quecksilbers genommen, indem wir die Volumveränderung des letzteren proportional der Temperaturerhöhung setzten. Jene Proportionalität der Ausdehnung fester Körper mit der Temperaturerhöhung bedeutet somit, dass das Gesetz der Ausdehnung für die festen Körper dasselbe ist wie für das Quecksilber. Bei Tem- peraturen, die über dem Siedepunkt des Wassers gelegen sind, ändert sich dies Gesetz, indem von hier an die festen Körper sich mit stei- gender Temperatur stärker als das Quecksilber ausdehnen. Folgendes sind die Ausdehnungen einiger Körper, wenn sie von 0° bis 100° erwärmt werden. Die angeführten Zahlen sind also das 100 fache des oben mit α be- zeichneten linearen Ausdehnungscoëfficienten. Ausdehnung durch die Wärme. Flintglas 1/1243 Weiches Schmiedeeisen 1/819 Spiegelglas 1/1122 Gold 1/682 Gehärteter Stahl 1/807 Kupfer 1/582 Blei 1/351 Ueber die Ausdehnung einiger Körper jenseits des Siedepunktes giebt folgende kleine Tabelle Aufschluss: Bei Krystallen ist nur, wenn sie zum regulären oder tesseralen System gehö- ren, der Ausdehnungscoëfficient nach allen Richtungen gleich. Die optisch einaxigen Krystalle dehnen sich in der Richtung der Hauptaxe entweder stärker oder schwächer aus als in der Richtung der Nebenaxen, in welchen sämmtlich die Ausdehnung dieselbe ist. Bei den optisch zweiaxigen Krystallen ist die Ausdehnung nach den Richtungen der drei ungleichen Axen eine verschiedene. Mitscherlich wies diese ungleiche Ausdehnung der Krystalle durch Messung ihrer Winkel nach. Sobald nämlich die li- neare Ausdehnung in der Richtung verschiedener Axen ungleich ist, so muss sich die Grösse der Winkel verändern. Es nehme z. B. an einem Rhomboëder die Länge der Hauptaxe mehr zu als diejenige der zu ihr senkrechten Nebenaxen, so werden die Winkel an den Enden der Hauptaxe spitzer und die Winkel an den Enden der Neben- axen stumpfer werden als bisher. Das umgekehrte wird eintreten, wenn die Länge der Nebenaxen in stärkerem Verhältnisse zunimmt als diejenige der Hauptaxe. Bei den Flüssigkeiten kann es sich, da dieselben keine feste 244 Ausdehnung der Flüssigkeiten. Form, aber für jede Temperatur ein nahehin constantes Volum besitzen, nur um die Bestimmung der cubischen Ausdehnung, der Volumver- grösserung, handeln. Die Ausdehnung einer bestimmten Flüssigkeit, des Quecksilbers, haben wir als Maass der Temperaturveränderungen angenommen; dabei war es jedoch nicht erforderlich die absolute Vo- lumzunahme, d. h. den numerischen Werth des Ausdehnungscoëfficien- ten des Quecksilbers, zu kennen. Man bestimmt diesen Werth am einfachsten, indem man ein Glasgefäss bei 0° mit Quecksilber anfüllt, es abwägt, und sodann bei irgend einer anderen Temperatur t° die- selbe Bestimmung vornimmt. Es sei das Gewicht des Quecksilbers bei 0° = p 0 , bei t° = p t , so verhält sich, wenn v 0 das Volum der ersteren, v t das auf die Temperatur von 0° zurückgeführte Volum der zweiten Quecksilbermenge ist, offenbar p 0 : p t = v t : v 0 , d. h. die Gewichte verhalten sich umgekehrt wie jene Volumina. Wenn nun das Gefäss bei der Erwärmung von 0 auf t° vollkommen unverändert bliebe, so wäre, wenn wir mit β den cubischen Ausdehnungscoëfficien- ten des Quecksilbers für 1°C. bezeichnen, v t = v 0 (1 + β t). Man hätte also = 1 + β t, und man würde so den Coëfficienten β aus den Gewichtsbestimmungen p 0 und p t direct mittelst der Gleichung β = erhalten. Dabei ist jedoch ver- Wundt , medicin. Physik. 24 Von der Wärme. nachlässigt, dass bei der Temperaturerhöhung der Rauminhalt des Ge- fässes selbst sich vergrössert. Ist α der lineare Ausdehnungscoëffi- cient des Glases, so vergrössert sich nach §. 243 der Rauminhalt des Gefässes von v 0 auf v 0 (1 + 3 α t). Wir können daher die Ausdeh- nung des Quecksilbers unabhängig von derjenigen des Gefässes be- stimmen, wenn wir annehmen, das Gefäss habe schon bei 0° statt des Rauminhaltes v 0 den Rauminhalt v 0 (1 + 3 α t), dieser verändere sich dann aber bei der Erwärmung auf t° nicht mehr. Man erhält daher . Mittelst dieser Gleichung lässt sich, wenn der lineare Ausdehnungscoëfficient α des Glases be- kannt ist der Ausdehnungscoëfficient β der Flüssigkeit bestimmen. Man fand so 1/1550 als mittleren Ausdehnungscoëfficienten des Quecksilbers. Dieselbe Methode lässt sich anwenden, um den Ausdehnungs- coëfficienten verschiedener anderer Flüssigkeiten zu ermitteln. Man findet hierbei, dass im Allgemeinen die Ausdehnung der übrigen Flüs- sigkeiten nicht mit derjenigen des Quecksilbers proportional ist, son- dern dass sie mit steigender Temperatur zunimmt. Doch gleichen die meisten Flüssigkeiten darin dem Quecksilber, dass sie bei steigender Erwärmung stetig sich ausdehnen. Nur das Wasser und die Wasser enthaltenden Flüssigkeiten bilden hievon eine Ausnahme, indem sie bei einer bestimmten Temperatur ein kleinstes Volum besitzen und von da aus sich ausdehnen, sowohl wenn sie erwärmt als wenn sie erkältet werden. Für das reine Wasser liegt diese Grenztemperatur ungefähr bei 4°C. Für die verschiedenen wasserhaltigen Lösungen oder Mischungen liegt sie etwas tiefer. Für die Ausdehnung des Wassers zwischen 0 und 100°C. hat Kopp nach zahlreichen Versuchen folgende Tabelle aufgestellt: Die beschriebene Methode zur Bestimmung der Ausdehnung der Flüssigkeiten hat den einen Uebelstand, dass man dabei erst durch anderweitige Versuche den Aus- dehnungscoëfficienten des Glases ermitteln muss. Genau wird diese letztere Bestim- mung aber nur dann, wenn man den Ausdehnungscoëfficienten des gerade angewende- ten Glasgefässes direct ermittelt. Ein Weg hierzu stünde offen, wenn der cubische Ausdehnungscoëfficient einer Flüssigkeit, z. B. des Quecksilbers, vorher bekannt wäre. Denn aus der Formel kann man offenbar ebenso gut α finden, Ausdehnung durch die Wärme. wenn β gegeben ist, als umgekehrt. Dulong und Petit sowie Regnault haben zu diesem Zweck eine abweichende Methode zur Bestimmung der Ausdehnung des Quecksilbers eingeschlagen, indem sie das Princip der communicirenden Gefässe be- nützten. Da in zwei communicirenden Gefässen Gleichgewicht des Drucks vorhanden sein muss, so wird Quecksilber von gleicher Temperatur in beiden genau gleich hoch stehen. Erwärmt man aber die eine der communicirenden Röhren auf t°, indem man sie aussen mit erwärmtem Oel umgiebt, und erkältet man die andere durch Umhüllen mit zerstossenem Eis auf 0°, so wird die Höhe der Quecksilbersäule in dem ersten Schenkel um so viel höher sein, als der Ausdehnung des Quecksilbers von 0 auf t° entspricht. Bei Einhaltung aller Vorsichtsmassregeln, um eine Ausgleichung der bei- den Temperaturen zu verhüten, fand Regnault auf diesem Wege den Ausdehnungs- coëfficienten des Quecksilbers = 0,00018153. Um die Ausdehnungscoëfficienten an- derer Flüssigkeiten zu finden, bestimmt man nun mit Zugrundelegung dieser Zahl zu- erst in der oben angedeuteten Weise den Ausdehnungscoëfficienten des Gefässes, in welchem die Messung vorgenommen werden soll, und geht dann zur Ermittelung des Ausdehnungscoëfficienten der Flüssigkeit für verschiedene Temperaturen über. Für jede Flüssigkeit lässt sich das Gesetz der Ausdehnung bei wachsender Temperatur mittelst einer Gleichung darstellen. Für das Quecksilber ist uns diese Gleichung durch die Voraussetzung gegeben, von welcher wir ausgiengen: dass näm- lich seine Ausdehnung proportional dem Wachsthum seiner Temperatur sein soll. Be- zeichnen wir das Volum bei 0° mit 1, so ist das Volum v bei einer Temperatur von t° gegeben durch die Gleichung v = 1 + β t, wo β den Ausdehnungscoëfficienten des Quecksilbers bedeutet. Für andere Flüssigkei- ten nimmt nun, wie wir gesehen haben, im Allgemeinen das Volum mit wachsender Temperatur zu, so aber dass diese Zunahme rascher geschieht als dem Verhältniss der Proportionalität entspricht. Das Volum einer solchen Flüssigkeit bei t° lässt sich daher darstellen durch die Gleichung v = 1 + a t + b t 2 + c t 3 , wo a, b und c Coëfficienten sind, die für jede Flüssigkeit besonders bestimmt werden müssen. Auch für das Wasser und die mit Wasser gemischten Flüssigkeiten ist diese Formel gültig. Nur nehmen hier die Coëfficienten a, b, c zwischen verschiedenen Temperaturgrenzen verschiedene Werthe an, und zwischen 0 und 50° werden die Coëf- ficienten a und c negativ. Theilt man die Temperaturen von 0 bis 100° in vier In- tervalle, so wird die Ausdehnung des Wassers durch folgende vier Gleichungen dar- gestellt: v 0 — 25 = 1 — 0,000061045 t + 0,0000077183 t 2 — 0,00000003734 t 3 , v 25 — 50 = 1 — 0,000065415 t + 0,0000077587 t 2 — 0,000000035408 t 3 , v 50 — 75 = 1 + 0,00005916 t + 0,0000031849 t 2 + 0,0000000072848 t 3 , v 75 — 100 = 1 + 0,00008645 t + 0,0000031892 t 2 + 0,0000000024487 t 3 . Um die Ausdehnung der Gase durch die Wärme zu messen, kann 245 Ausdehnung der Gase. Gay- Lussac’sches Gesetz. Das Luftthermo- meter. man nach demselben Princip verfahren, welches zur Bestimmung der Ausdehnung der Flüssigkeiten diente. Soll z. B. die Ausdehnung der Luft bei der Erwärmung von 0 auf 100° gemessen werden, so lässt man in ein Glasgefäss durch Chlorcalcium getrocknete Luft einstrei- chen, indem man es zugleich in kochendes Wasser setzt. Schmilzt man nun das Gefäss, während es der Temperatur von 100° ausgesetzt ist, zu, so ist es mit trockener Luft von 100° angefüllt. Hierauf wird 24 * Von der Wärme. das Gefäss aus dem Kochapparat herausgenommen und von schmel- zendem Eis umgeben, während man zugleich die zugeschmolzene Spitze in eine Wanne mit Quecksilber eintaucht. Beim Abbrechen der Spitze steigt das Quecksilber in dem Gefäss um so viel in die Höhe, als der Verminderung des enthaltenen Luftvolums beim Sinken der Temperatur von 100° auf 0° entspricht. Hat das Gefäss vollständig die Temperatur von 0° angenommen, so verschliesst man dasselbe, wägt es, füllt es dann vollständig mit Quecksilber an und wägt es zum zweitenmal. Ist das Gewicht im ersten Falle = P', im zweiten = P″, so ist die Differenz P″—P' diejenige Quecksilbermenge, welche denselben Raum einnimmt, wie die auf 0° erkältete Luft. War bei diesen verschiedenen Abwägungen die Temperatur 0° und der Baro- meterstand 760 mm., und betrug der letztere ebenso während der Er- wärmung und Erkältung der Luft in dem Gefäss 760 mm., so ergiebt sich unmittelbar aus dem bekannten Volum der Gewichtseinheit Queck- silber bei 0° und 760 mm. Barometerstand die Ausdehnung der Luft. Denn es sei V″ das dem Gewicht P″, V' das dem Gewicht P' entspre- chende Volum, so ist V' — V″ die Ausdehnung eines Luftvolums V' bei der Erwärmung von 0 auf 100°. Waren bei den Abwägungen Temperatur und Barometerstand andere als 0° und 760 mm., so müs- sen sie nach den in §. 247 angegebenen Regeln auf 0° und 760 mm. reducirt werden. Wird das Wasser in dem das Gefäss umgebenden Raum nicht zum Kochen sondern bis zu irgend einer anderen mittelst des Thermometers genau zu bestimmenden Temperatur t erwärmt, so kann auf ganz dieselbe Weise die Ausdehnung der Luft bei der Er- wärmung von 0 auf t° ermittelt werden. Die Ausdehnung anderer Gase durch die Wärme lässt sich auf dieselbe Weise bestimmen. Gay-Lussac und nach ihm Dulong und Petit haben solche Messungen ausgeführt und gefunden, dass alle Gase bei einer bestimmten Temperaturerhöhung sich um densel- ben Bruchtheil ihres Volums ausdehnen, dass also die Ausdehnungs- coëfficienten aller Gase einander gleich sind. Man hat dieses Gesetz als das Gay-Lussac ’sche Gesetz bezeichnet. Nach den neueren Untersuchungen von Magnus und Regnault bestätigt sich jedoch dasselbe nicht vollständig, sondern es finden ähnliche Abweichungen wie in Bezug auf das Mariotte ’sche Gesetz statt. Diejenigen Gase, deren Volum durch gesteigerten Druck rascher abnimmt, dehnen sich auch bei gleicher Temperaturerhöhung stärker aus als jene, deren Vo- lum langsamer abnimmt. Hiernach muss der Ausdehnungscoëfficient der Kohlensäure grösser, derjenige des Wasserstoffgases kleiner sein als der Ausdehnungscoëfficient der atmosphärischen Luft, doch sind die Unterschiede sehr gering: man findet z. B. nach Magnus für Kohlensäure 0,00369, für Wasserstoff 0,00365. Bei allen Gasen nimmt nach Regnault der Ausdehnungscoëfficient bei höherem Druck, also Ausdehnung durch die Wärme. vermehrter Dichtigkeit, etwas zu. Man kann daher die Unterschiede des Ausdehnungscoëfficienten verschiedener Gase beim selben Druck als bedingt durch ihre verschiedene Dichtigkeit ansehen. Doch ist jene Zunahme der Ausdehnung mit Zunahme des Drucks eine sehr geringe; man wird also offenbar, wenn man den Druck abnehmen lässt, einer Grenze sich nähern, wo das Gay-Lussac ’sche Gesetz wirklich strenge richtig ist, d. h. wo die Ausdehnungscoëfficienten aller Gase übereinstimmen. Eine noch zuverlässigere Methode zur Messung der Luftausdeh- nung besteht darin, dass man nicht, wie oben, das Volum misst, wel- ches die nämliche Luftquantität bei verschiedenen Temperaturen, aber gleichem Druck einnimmt, sondern dass man denjenigen Druck misst, welcher die nämliche Luftquantität bei verschiedenen Temperaturen auf dasselbe Volum zurückführt. Wird das Volum v eines Gases bei dem Druck h von o auf t° erwärmt, so geht dasselbe in ein Volum v (1 + α ) über, wenn wir mit α die Zunahme der Volumeinheit bei der gegebenen Temperaturveränderung bezeichnen. Da nun aber das Vo- lum umgekehrt proportional dem Drucke ist, so wird, wenn man den Druck h gleichzeitig auf h (1 + α ) steigert, nun das Volum v unver- ändert geblieben sein. Man verfährt daher auf folgende Weise: Eine beliebige Menge trockener Luft wird in einem Glasgefäss G (Fig. 188) über Fig. 188. Quecksilber abgesperrt und luftdicht in dem Deckel des zum Theil mit Quecksilber ge- füllten Gefässes Q befestigt, zugleich taucht in das letztere die Barometerröhre B. Der auf dem Quecksilber des Gefässes Q la- stende Druck kann beliebig erhöht werden, indem man mittelst der Schraube s den Bo- den t dieses Gefässes in die Höhe schraubt und dadurch die über dem Quecksilber stehende Luft zusammenpresst. Man erkal- tet nun das die trockene Luft enthaltende Glasgefäss auf 0° und beobachtet zugleich den Stand des Barometers und die Höhe des Quecksilbers in G. Wird hierauf das letztere auf t° erwärmt, so sinkt wegen der Ausdehnung der Luft das Quecksilber in ihm. Vermehrt man jetzt den Druck im Gefässe Q, indem man t in die Höhe schraubt, so kann man leicht das Quecksilber in dem erwärmten Gefäss G wieder bis zu dem Stand bringen, den es bei 0° einnahm; es hat dann aber entsprechend auch der Druck in dem Barometer zugenommen, und zwar muss er von h auf h (1 + α ) gewachsen sein. Auf diese Weise fand Regnault den Ausdehnungscoëfficienten von 0 auf 100° = 0,366. Zugleich er- Von der Wärme. giebt sich, dass zwischen diesen Temperaturgrenzen die Ausdehnung den Temperaturen des Quecksilberthermometers proportional ist, dass sie also für 1°C. 0,00366 beträgt. Ueber 100° erhitzt dehnt sich aber die Luft merklich langsamer aus als das Quecksilber, so dass, wenn man aus der Ausdehnung einer Luftfäule die Temperatur bestimmen wollte, die letztere z. B. bei 182° des Quecksilberthermometers bloss 180° ergeben würde. Nun ist das Temperaturmaass mittelst des Queck- silberthermometers ein rein conventionelles. Man wird daher von vorn- herein ebenso gut die Ausdehnung der Luft als Temperaturmaas be- nützen können. Eine hierzu bestimmte Vorrichtung nennt man ein Luftthermometer . Der in Fig. 188 dargestellte Apparat ist selbst ein solches Luftthermometer. Die Höhe der Quecksilbersäule in der Barometerröhre ergiebt bei demselben die Temperaturen, und ein in den Luftraum gebrachtes Quecksilberthermometer ermöglicht die Ver- gleichung mit dem letzteren. In der That verdient nun das Luftther- mometer als rationelles Temperaturmaass den Vorzug. Denn da der Ausdehnungscoëfficient der verschiedenen Gase nahezu identisch ist und bei den verschiedensten Temperaturen gleich bleibt, so sind die Körper im gasförmigen Aggregatzustand offenbar demjenigen Zustand am nächsten, in welchem sie sich hinsichtlich ihrer molecularen Aggre- gation vollkommen gleich verhalten. Da aber alle Körper, wenn uns hinreichend hohe Temperaturen zu Gebote ständen, in den gasförmi- gen Aggregatzustand übergeführt werden könnten, so wird eine ge- wisse ideale Grenze existiren, von der an die Ausdehnungscoëfficienten aller Körper constant und identisch sind. Bei den permanenten Gasen allein ist diese Grenze schon bei den gewöhnlichen Temperaturen er- reicht. Für die Temperaturen unter dem Siedepunkt des Wassers ist es gleichgültig, ob wir ein Quecksilber- oder ein Luftthermometer an- wenden, indem hier die Ausdehnungsgesetze beider mit einander über- einstimmen; dagegen führt man höhere Temperaturen stets auf das Luftthermometer zurück. Es ist dabei übrigens nicht erforderlich je- desmal die Temperatur mit dem Luftthermometer zu messen, sondern man kann diese Vergleichung ein für alle Mal ausführen, um dann im gegebenen Falle die Angaben des Quecksilberthermometers auf dieje- nigen des Luftthermometers zurückzuführen. Diese Reduction auf das Luftthermometer ist, wo es sich um genaue Temperatur- messungen handelt, ausserdem noch aus folgendem Grunde vortheilhaft. Bei jeder Temperaturbestimmung misst man eigentlich die Differenz zwischen der bei der vor- handenen Temperatur eintretenden Ausdehnung des Glases und der Ausdehnung des Quecksilbers oder der Luft. Bei Temperaturen unter 100° ist die Ausdehnung des Glases so gering, dass sie gegen diejenige des Quecksilbers verschwindet. Bei höhe- ren Temperaturen ist dies aber nicht mehr der Fall, und da die verschiedenen Glas- sorten eine verschiedene Ausdehnbarkeit besitzen, so sind nun die Angaben verschie- dener Quecksilberthermometer nicht einmal mehr unter einander vergleichbar, und man Ausdehnung durch die Wärme. muss desshalb noch die Angaben eines jeden einzelnen Quecksilberthermometers mit denjenigen des Luftthermometers vergleichen. Bei dem letzteren kann dagegen die Ausdehnung des die Luft enthaltenden Glasgefässes unter allen Umständen vernach- lässigt werden, weil sie gegen die beträchtliche Ausdehnung der Luft durch die Wärme vollständig verschwindet. Die Ausdehnung der Körper durch die Wärme muss bei genaue- 246 Berücksichti- gung der Tem- peratur bei Messungen. ren physikalischen Messungen stets berücksichtigt werden. Keine Län- genmessung durch einen Maassstab ist vollkommen genau, wenn sie nicht bei derselben Temperatur vorgenommen wird, bei welcher der Maassstab verfertigt wurde. Ist die Temperatur höher, so fällt die gemessene Länge zu klein, ist sie niedriger, so fällt dieselbe zu gross aus. Da die Ausdehnung der festen Körper durch die Wärme nur gering ist, so können in den meisten Fällen diese Abweichungen ver- nachlässigt werden. Wo es sich dagegen um die genaue Messung grösserer Längen handelt, wird eine Correction derselben mit Hülfe des bekannten Ausdehnungscoëfficienten des Maassstabes erforderlich. Bedeutender ist der Einfluss der Ausdehnung durch die Wärme auf die Bewegung der Uhren. Der Gang einer Pendeluhr muss langsamer werden, wenn das Pendel durch die Wärme länger wird. Bei feineren Uhren wendet man zur Ausgleichung dieses Fehlers Compensations- pendel an, welche so aus Eisen- und Messingstäben zusammengesetzt sind, dass die Linse des Pendels durch die Ausdehnung des einen Metalls um ebenso viel gehoben wird, als sie durch die Ausdehnung des andern sich senkt. Eine sorgfältige Berücksichtigung erfordert die Temperatur bei 247 Berücksichti- gung der Tem- peratur bei Wägungen. Wägungen und specifischen Gewichtsbestimmungen. Wir haben in §. 94 erwähnt, dass bei genauen Wägungen stets das Gewicht der von den abzuwägenden Körpern und von den zur Abwägung dienenden Ge- wichten verdrängten Luft mit in Rechnung gezogen werden müsse. Um dies auszuführen, muss man aber nicht bloss den Barometerstand sondern auch die Temperatur berücksichtigen, da mit der Erhöhung der Temperatur einerseits die Dichtigkeit der verdrängten Luft ab- nimmt und andererseits das Volum der bei der Abwägung in Rück- sicht kommenden festen Körper zunimmt. Hieraus ergeben sich un- mittelbar die einzelnen Correctionen, die bei einer genauen Wägung vorzunehmen sind. Es sei P das Gewicht im luftleeren Raum, also das wahre Ge- wicht des Körpers, P' sei dasjenige Gewicht, das man bei der Abwä- gung im lufterfüllten Raume vorfindet, so ist P' = P — p, wenn man mit p das Gewicht einer dem Körper an Volum gleichen Luftmenge bezeichnet. Um p zu finden, muss man zunächst das Volum, das der Körper bei der vorhandenen Temperatur von t° einnimmt, bestimmen. Von der Wärme. Bezeichnet d die Dichtigkeit des Körpers bei 0°, so ist sein Volum bei 0°, und ist β der cubische Ausdehnungscoëfficient des Körpers für 1°C., so ist sein Volum bei der Temperatur von t° = (1 + β t). Ist ferner q das Gewicht einer Volumeinheit der verdrängten Luft, so haben wir p = q. (1 + β t), und die Gleichung P' = P — p geht demnach in die folgende über: 1) . In dieser Gleichung ist nun q, das Gewicht der Volumeinheit Luft, noch näher zu bestimmen. Dieses Gewicht ändert sich 1) mit dem Barometerstand, 2) mit dem Thermometerstand und 3) mit dem Feuch- tigkeitsgehalt der Luft. Man ist übereingekommen alle Gewichtsbe- stimmungen auf die Temperatur 0° und den Barometerstand 760 mm. zurückzuführen. Bei 0° und 760 mm. Druck hat man nun das Gewicht einer Volumeinheit d. h. eines Cubikcentimeters Luft = 0,001293 Gr. gefunden. Das Gewicht q eines Cubikcentim. Luft bei einem Druck von h mm. verhält sich zu dem obigen Gewichte offenbar wie h : 760, da nach dem Mariotte ’schen Gesetze die Dichtigkeit der Luft sich direct wie der Druck verhält. Wir haben also q : 0,001293 = h : 760. Diese Proportion würde das Gewicht q ergeben, wenn wir den Barometerstand h und den Thermometerstand 0 hätten. Nun zeigt der letztere nicht 0 sondern t°. Eine Volumeinheit Luft hat sich, wenn wir mit α den Ausdehnungscoëfficienten der Luft bezeichnen, bei t° auf das Volum 1 + α t ausgedehnt; da nun aber das Gewicht einer Volumeinheit sich umgekehrt verhält wie die Ausdehnung, so ha- ben wir q : 0,001293 = 1 : 1 + α t. Diese Proportion würde das Gewicht q ergeben, wenn wir den Barometerstand 760 mm. und den Thermometerstand t hätten. Nach unserer Voraussetzung ist aber gleichzeitig die Barometerhöhe = h, wir müssen daher die beiden Proportionen combiniren, d. h. wir haben 2) . Dieser Werth von q, welcher zu seiner Bestimmung die Beob- achtung des Barometerstandes h und des Thermometerstandes t erfor- dert, ist in die Gleichung 1) einzuführen, um aus dem in der Luft beobachteten Gewichte P' des abgewogenen Körpers das Gewicht P, das demselben im luftleeren Raum zukommen würde, zu finden. Die angegebenen Gleichungen genügen selbst für feinere Messungen, wenn man Ausdehnung durch die Wärme. die Vorsicht gebraucht den Raum der Waage durch ein Schälchen mit Schwefelsäure möglichst trocken zu erhalten. Doch kann man auch den Feuchtigkeitsgrad der Luft berücksichtigen; man stützt sich hierbei auf Betrachtungen, die wir erst im nächsten Cap. werden erörtern können, deren Anwendung auf die Gewichtsbestimmung wir aber hier des Zusammenhangs wegen beifügen. Die Barometerhöhe h giebt nämlich nur dann genau den Druck der Luft, wenn die letztere vollkommen trocken ist. Befinden sich dagegen Wasserdämpfe in derselben, so entsteht die gemessene Barometerhöhe 1) durch den Druck d der trockenen Luft und 2) durch den Druck δ , welchen die Wasserdämpfe ausüben. Es ist also h = d + δ . Nun verbreitet sich nach den allgemeinen Gesetzen des gasförmigen Aggregatzustandes (§. 103) der Wasserdampf so in der Luft, dass die Druckkräfte beider sich nicht stören. Man kann daher die Sache so ansehen, als wenn der betreffende Körper gleichzeitig in trockener Luft unter dem Druck h — δ und in Wasserdampf unter dem Druck δ abgewogen würde. Dieser Druck δ , den man als die Tension des Wasserdampfes bezeichnet, lässt sich nach den im §. 254 angegebenen Methoden bestimmen. Berücksichtigen wir zunächst bloss den Luftdruck, und bezeichnen wir die verdrängte Luftmenge mit q', so geht die Gleichung 2) in folgende über: 2a) . Nun wird ausser der Luftmenge q' auch noch eine Wasserdampfmenge q″ verdrängt, welche nach demselben Gesetz mit steigendem Druck an Gewicht zunimmt und mit steigender Temperatur abnimmt. Um diese Dampfmenge zu bestimmen, muss man, ähnlich wie oben, das Gewicht der Volumeinheit derselben bei 0° Temperatur und 760 mm. Druck kennen. Es ist dieses Gewicht ungefähr = ⅝. 0,001293 gefunden worden. Man hat daher zur Bestimmung des Gewichtes q″ der Volumeinheit bei t° und dem Druck δ : 2b) . Nun ist das wirklich verdrängte Luft- und Dampfvolum q gleich q' + q″, also . oder 2c) . Führt man diesen Werth von q in die Gleichung 1 ein, so erhält man schliesslich: 3) , eine Gleichung, welche nach Bestimmung der besonders beobachteten Werthe von d, β , α , h und δ das wahre Gewicht P eines Körpers aus seinem scheinbaren Gewichte P' vollständig zu berechnen gestattet. Wo die abzuwägenden Körper von einer beträchtlichen specifischen Schwere sind, kann jedoch das Erforderniss eintreten in Bezug auf die Luft- und Dampfver- drängung der Gewichte, die zur Abwägung dienen, ganz dieselben Betrachtungen an- zuwenden. Ist Q die Anzahl der beobachteten Gramme, so ist das scheinbare Gewicht Q' derselben gegeben durch die Gleichung 4) , wenn wir mit d' die Dichtigkeit des Metalls, aus welchem die Gewichte bestehen, und mit β' den cubischen Ausdehnungscoëfficienten desselben bezeichnen. Durch die auf Von der Wärme. den Gewichten befindlichen Ziffern sind die wahren Gewichte angegeben. Bezeichnen wir den in der Klammer der Gleichung 3 enthaltenen Ausdruck mit 1 — A und den correspondirenden Ausdruck der Gleichung 4 mit 1 — B, so nehmen die Gewichte in der Luft um Q. B ab, denn so viel beträgt das scheinbare Gewicht Q' weniger als das wahre Gewicht Q; angenommen der abgewogene Gegenstand verlöre in der Luft gar nichts an Gewicht, so müsste man also zu dem wahren Gewichte Q ein Gewicht Q. B hinzufügen , damit an der Waage Gleichgewicht eintrete. Nun verliert aber der abgewogene Gegenstand auch an Gewicht, und zwar so viel, dass, wenn die Ge- wichte ihrerseits nichts an Gewicht verlören, man ein Gewicht Q. A hinwegneh- men müsste, um Gleichgewicht herzustellen. Da beide Effecte aber gleichzeitig ein- treten, so wird man ebensowohl wegen des Verlustes der Gewichte ein Gewicht Q. B hinzufügen, wie wegen des Verlustes des abzuwägenden Gegenstandes ein Gewicht Q. A hinwegnehmen müssen. Man erhält so das wahre Gewicht P des Körpers: P = Q (1 + B — A). Führt man die Werthe von A und B wieder ein, so ergiebt sich 5) . In dieser Gleichung sind mit Q die Gewichte bezeichnet, die man zur Abwägung des Körpers gebraucht hat, und β , β' , d, d', α , h, δ und t müssen bekannt sein oder durch besondere Beobachtungen ermittelt werden. 248 Berücksichti- gung der Tem- peratur bei Dichtigkeits- bestimmungen. Noch nöthiger ist in den meisten Fällen eine Berücksichtigung der Temperatur bei Dichtigkeitsbestimmungen. Das specifische Ge- wicht S eines Körpers ist der Quotient aus dem wahren Gewicht des- selben bei 0° und dem Gewicht der an Volum demjenigen des Körpers bei 0° gleichen Wassermenge, letztere auf die grösste Dichtigkeit des Wassers bei 4°C. bezogen. Da bei 4°C. die Volumeinheit des Was- sers gleich der Gewichtseinheit, 1 Cub.-Cm. = 1 Grm., ist, so werden mit andern Worten durch die specifischen Gewichte die Gewichte der Volumeinheiten der Körper gemessen. Das spec. Gewicht des Queck- silbers ist = 13,56 heisst also: 1 Cub.-Cm. Quecksilber bei 0° wiegt 13,56 Grm. oder 13,56 mal mehr als 1 Cub.-Cm. Wasser bei 4°. Eine genaue specifische Gewichtsbestimmung fordert somit, dass man das Volum des Körpers, dessen specifisches Gewicht man bestimmt, auf 0° und das Gewicht der ihm an Volum gleichen Wassermenge auf 4° reducirt. Hat der Körper bei einer Temperatur von t° in der Luft ein Gewicht = P Grm., und bei derselben Temperatur in Wasser abge- wogen ein Gewicht = P 1 Grm., so ist P—P 1 das Gewicht der dem Körper von t° an Volum gleichen Wassermenge von t°. Sein spec. Gewicht bei t° ist daher = . Ein Körper, dessen Volum bei 0° = V ist, wird bei t° = V (1 + β t), wenn wieder β den cubischen Ausdehnungscoëfficienten bezeichnet. Ein Körper, dessen Volum bei t° = P—P 1 wäre, würde daher bei 0° = sein. Nun soll aber das Gewicht P des Körpers nicht mit dem Gewichte P—P 1 einer Ausdehnung durch die Wärme. Wassermenge von t°, sondern mit dem Gewicht einer dem Körper P an Volum gleichen Wassermenge von 4° verglichen werden. Ist das Volum der Gewichtseinheit Wasser bei t° = v 1 und bei 4° = v, so verhält sich das Gewicht P—P 1 des verdrängten Wassers bei t° zu demjenigen Wassergewicht, welches der Körper bei 4° verdrängen würde, wie v 1 : v. Der Körper, der eine Wassermenge P—P 1 von t° verdrängt, würde also eine Wassermenge (P—P 1 ) von 4° ver- drängen. Hiernach ergiebt sich das specifische Gewicht reducirt auf eine Temperatur des Körpers von 0° und des Wassers von 4° 1) . In dieser Gleichung ist β , der cubische Ausdehnungscoëfficient des Körpers, häufig so klein, dass der Factor 1 + β t ohne erheblichen Fehler hinwegbleiben kann. Will man der Gleichung 1) noch eine grössere Genauigkeit geben, so muss auch der Barometerstand be- rücksichtigt werden: man führt dann in die Gleichung 1) den nach §. 247 corrigirten Werth von P ein. Ein etwas anderes Verfahren fordert die specifische Gewichts- bestimmung der Flüssigkeiten mittelst des hydrostatischen Fläschchens. Hier wird zuerst ein bestimmtes Volum Wasser und dann ein gleiches Volum der betreffenden Flüssigkeit abgewogen, beide, wie wir an- nehmen wollen, bei t° und h mm. Barometerstand. Man hat nun zu- erst aus dem Gewicht des abgewogenen Wassers das Gewicht des gleichen Volums Wasser bei 4° und 760 mm. Druck zu berechnen. Enthält das Fläschchen bei t° P Gramme Wasser, so enthält es bei 4° P. Gramme oder, weil bei 4° Volum- und Gewichtseinheiten zu- sammenfallen, P. Cub.-Centim. Das Fläschchen verdrängt daher auch P. Cub.-Cm. Luft. Diese Luft hat aber die Temperatur t und steht unter dem Druck h. Bei 0° und 760 mm. würde nach §. 247 dasselbe Volum Luft = P. . 0,00129. Gramme schwer sein. Bezeichnen wir diese Grösse mit A, so ist demnach das wahre Gewicht des Fläschchens bei t° = P (1 + A), und bei 4° ist dasselbe = P. (1 + A). War das scheinbare Gewicht der Flüs- sigkeit, deren Dichte bestimmt werden soll = P 1 , so ist, da die ver- drängte Luft wieder = A ist, jetzt das wahre Gewicht des Fläsch- chens bei t° = P 1 (1 + A). Bezeichnen wir das Volum der Ge- wichtseinheit der Flüssigkeit bei t° mit v t und bei o° mit v 0 , so ist das Von der Wärme. wahre Gewicht bei 0° = · P 1 (1 + A). Man findet somit das specifische Gewicht 2) . Haben von der Abwägung des Wassers bis zur Abwägung der Flüssigkeit Tem- peratur und Barometerstand sich geändert (was leicht eintreten kann, da man zweck- mässig die Abwägung des hydrostatischen Fläschchens mit Wasser ein für allemal vornimmt), hat man also eine Temperatur t' und einen Druck h', so wird das Gewicht der verdrängten Luft gleich einer Grösse A', die verschieden von A ist, und man er- hält 3) . Bei der Bestimmung der specifischen Gewichte thierischer Flüssigkeiten hat man, wo es sich um grosse Genauigkeit handelt, immer die zuletzt angeführte Methode einzuschlagen. Um das spec. Gewicht fester Körper, s. B. der festen Gewebe, zu er- mitteln wird man dagegen entweder die hydrostatische Waage anwenden, wo die Glei- chung 1 unmittelbar anwendbar ist, oder man benützt auch hier in der in §. 70 an- gegebenen Weise das hydrostatische Fläschchen; in letzterem Fall ist die Gleichung 1 ebenfalls anwendbar, indem man wieder zuerst P und dann P 1 bestimmt. Was bis jetzt hinreichend exacte Dichtigkeitsbestimmungen der organischen Gewebe noch ver- hindert hat ist 1) der gänzliche Mangel einer Kenntniss der nicht unbeträchtlichen Ausdehnungscoëfficienten dieser Körper und 2) der Umstand dass die Zusammensetzung, namentlich der Wassergehalt der Gewebe etwas variabel ist, wesshalb allgemein gül- tige Dichtigkeitsbestimmungen nicht möglich sind. Zweites Capitel . Veränderungen des Aggregatzustandes. 249 Unveränderlich- keit der Schmelz- und Siedepunkte bei constantem Druck. Veränderungen der Temperatur bilden die häufigste Ursache für den Wechsel des Aggregatzustandes. Feste Körper werden flüssig, flüssige verdampfen, wenn man ihnen Wärme zuführt, und in Folge von Wärmeentziehung gehen Gase und Dämpfe in den flüssigen, Flüs- sigkeiten in den festen Zustand über. Ohne Zweifel können an und für sich alle Körper, mit Ausnahme derjenigen, die, wie der Kohlen- stoff und viele zusammengesetzte organische Substanzen, leicht eine Verbrennung oder Zersetzung erfahren, je nach ihrem Wärmezustand in den drei Aggregatzuständen vorkommen; man hat im Knallgasge- bläse auch die beständigsten Metalle, wie Calcium, Silicium, Iridium u. s. w., zum Schmelzen gebracht. Nur gewisse Gase giebt es, die s. g. permanenten Gase, Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff, die bis jetzt durch keine Temperaturerniedrigung in den flüssigen oder festen Zustand übergeführt werden konnten. Diejenige Temperatur, bei wel- cher ein fester Körper flüssig wird, nennt man den Schmelzpunkt , diejenige, bei welcher eine Flüssigkeit in die Gasform übergeht, den Veränderungen des Aggregatzustandes. Siedepunkt . Von dem Schmelzpunkt ist der Gefrierpunkt , d. h. die Temperatur, bei welcher eine Flüssigkeit erstarrt, nicht merklich verschieden. So zeigt das Thermometer auf 0°, ob man es in schmel- zendes Eis oder in gefrierendes Wasser taucht. Für jeden Körper sind bei constantem Druck Schmelzpunkt und Siedepunkt unveränderlich . Trotzdem ist es möglich, eine Flüssigkeit bei geeigneten Vorsichtsmaassregeln bis zu einer Temperatur, bei der sie eigentlich schon fest werden sollte, zu er- kälten, ohne dass sie wirklich gefriert. Wenn man z. B. Wasser vor jeder Erschütterung bewahrt, so lässt es sich noch weit unter dem Gefrierpunkt (sogar bis zu — 20°C.) flüssig erhalten; die geringste Erschütterung bewirkt dann aber eine augenblickliche Erstarrung der Masse. Diese Beobachtung bildet jedoch keine Ausnahme von dem Gesetz der Constanz des Gefrierpunktes. Denn auch hier steigt die Temperatur im Moment wo das Wasser gefriert stets auf 0°: der Ge- frier punkt ist also constant, wenn auch das Wasser noch unter ihm ausnahmsweise flüssig erhalten werden kann. Schmelz- und Siedepunkt verändern sich, wenn der äussere Druck 250 Veränderungen der Schmelz- und Siedepunkte mit dem Druck. sich verändert, und zwar steigen beide mit der Erhöhung des letztern, der Siedepunkt aber viel beträchtlicher. Schon bei den gewöhnlichen Schwankungen des Barometerstandes kann man die Veränderungen des Siedepunktes wahrnehmen. Nur bei einem Luftdruck von 760 mm. findet man die Temperatur des Wasserdampfs = 100°. Sinkt das Barometer auf 730 mm., so siedet das Wasser schon bei 99°, steigt das Barometer auf 770 mm., so findet man den Siedepunkt bei etwa 100,5°. Mittelst der Luftpumpe lässt sich das Wasser schon bei 0° zum Sieden bringen. Umgekehrt kann in einem Gefäss, aus welchem ein schwer bewegliches Ventil das Entweichen der Dämpfe erschwert, durch den Druck, welchen die Dämpfe ausüben, der Siedepunkt be- deutend erhöht werden. Ein solches Gefäss ist der s. g. Papiniani’- sche Topf. Er besteht aus einem dickwandigen eisernen Cylinder mit einem luftdicht eingeschraubten Deckel, an welchem letzteren sich ein Ventil befindet, dessen Beweglichkeit man durch Belastung mit Gewichten mehr oder weniger erschweren kann. Bringt man in diesem Gefäss Wasser zum Sieden, so steigt die Temperatur dessel- ben, während die Dämpfe sich ansammeln, bis das Ventil endlich durch den Dampfdruck gehoben wird: im Moment, wo die Dämpfe entweichen, sinkt die Temperatur wieder auf 100°, um dann nochmals zu wachsen, u. s. w. Man wendet den Papiniani’schen Topf nament- lich an, um Extracte aus organischen Substanzen, z. B. aus Knochen, herzustellen, welche mit Wasser von 100° weniger concentrirt erhalten werden können. Das Steigen des Schmelzpunktes mit dem Druck lässt sich am Von der Wärme. besten an den leicht schmelzbaren Fettsubstanzen nachweisen. So fand Bunsen , dass ein in höherer Temperatur geschmolzener Wall- rath bei einem Druck von 1 Atmosphäre erstarrte, wenn er auf 47,7° erkältet wurde, bei einem Druck von 156 Atmosphären dagegen schon nach Erkältung auf 50,9°. Eine Ausnahme von dieser Regel bildet das Eis. Da dieses ein grösseres Volum besitzt als Wasser von glei- cher Temperatur, so findet man dem entsprechend, dass es bei höhe- rem Druck schon ziemlich weit unter 0° schmilzt. Bringt man Eis- stücke unter eine Presse, so lassen sich dieselben, dadurch dass sie unter dem Druck theilweise schmelzen und alsbald beim Aufhören des Drucks wieder erstarren, in beliebige Formen pressen. Aus der- selben Ursache gefriert der Schnee unter einer Presse zu Eis zusam- men. Auch die Bildung des Gletschereises beruht darauf, dass sehr hohe Schneemassen durch den Druck auf ihre untersten Schichten diese zum Schmelzen bringen, worauf, wenn wieder Erstarrung eintritt, Eis entsteht. Die Abhängigkeit der Schmelz- und Siedepunkte von dem Druck giebt ein Mittel an die Hand mittelst der combinirten Anwendung von Wärme- und Druckveränderungen solche Veränderungen des Aggregat- zustandes zu erzeugen, welche man durch blosse Zufuhr oder Ent- ziehung von Wärme nicht oder viel schwerer hervorzurufen im Stande wäre. Da im Allgemeinen Vermehrung des Drucks gerade so wirkt wie Erniedrigung der Temperatur und Verminderung des Drucks wie Erhöhung der Temperatur, so kommt, wenn man bei höherem Druck Kälte erzeugt, die Wirkung einer noch viel bedeutenderen Kälteerzeu- gung gleich, ebenso die Druckverminderung bei höherer Temperatur einer gesteigerten Temperaturerhöhung. Man hat dieses Princip na- mentlich zur Condensation der Gase angewandt. So kann man die Kohlensäure im flüssigen und festen Zustand erhalten, wenn man sie in der Compressionspumpe verdichtet und gleichzeitig den Apparat mil Eis oder einer Kältemischung umgiebt. 251 Schmelzpunkte der Legirungen. Siedepunkte der Salzlösungen. Einfluss der Adhäsion auf den Siedepunkt. Ausser dem Druck giebt es noch verschiedene andere Einflüsse, welche denjenigen Wärmegrad, bei welchem ein Körper seinen Aggre- gatzustand ändert, verschieben. Die Schmelzpunkte der Metalllegirun- gen sind von denjenigen der einzelnen Metalle, aus denen die Le- girungen zusammengesetzt sind, verschieden, und sie liegen keines- wegs etwa in der Mitte zwischen den Schmelzpunkten der Bestand- theile, sondern in der Regel sind sie niedriger als die letzteren. So schmilzt z. B. Blei bei 330°, Zinn bei 230°, eine Legirung aus 1 Th. Blei und 1 Th. Zinn aber bei 189°C. Mit der Zunahme des Bleige- halts erhöht sich der Schmelzpunkt dieser Legirung, kommt aber erst bei 1 Th. Zinn und 2 Blei demjenigen des Zinns ungefähr gleich. Der Schmelzpunkt des Wismuth liegt bei 265°C., der Schmelzpunkt Veränderungen des Aggregatzustandes. einer Legirung aus 2 Th. Wismuth, 1 Blei und 1 Zinn, des s. g. Rose’- schen Metallgemisches, sinkt aber auf 94° herab. Aehnlich liegt, wie Heintz gezeigt hat, der Schmelzpunkt von Gemengen fetter Säuren tiefer als derjenige ihrer Bestandtheile; man hat hier, da Stearin- und Palmitinsäure chemisch schwer trennbare Bestandtheile des thierischen Fettes sind, die Siedepunkte benützt, um aus ihnen auf das Mengen- verhältniss beider Säuren in der Mischung zu schliessen. Die Stearin- säure schmilzt bei 69°, die Palmitinsäure bei 62°, ein Gemisch aus 30 Th. Stearin- und 70 Palmitinsäure aber schon bei 55°. Aehnliche Verhältnisse zeigt das Wasser, wenn in ihm Salze ge- löst sind. Aus einer Salzlösung gefriert reines Wasser, aber erst bei einer niedrigeren Temperatur, als wenn das Wasser unvermischt ist. Der Gefrierpunkt des Seewassers liegt daher tiefer als derjenige des süssen Wassers. Eine Beimischung von 2 Th. Kochsalz auf 100 Was- ser setzt schon den Gefrierpunkt auf — 1,2°, eine Beimischung von 12 Th. Salz setzt denselben auf — 7,2° herab. Auch beim Sieden verdampft aus Salzlösungen nur reines Wasser. Trotzdem liegt der Siedepunkt der Salzlösungen höher. Bei Kochsalzlösungen steigt der Siedepunkt nahezu proportional dem Salzgehalt. 7,7 Th. Kochsalz auf 100 Wasser erhöhen den Siedepunkt um 1°C., 39,7 Th. erhöhen ihn um 8°. Wir können diese Einflüsse der Legirung und Lösung auf den Siedepunkt nur auf Verhältnisse der Molecularattraction zurückführen. Die Theilchen eines Salzes scheinen durch die Anziehung, welche sie auf die Theilchen des Wassers ausüben, die letzteren an einer neuen Aggregation zu hindern. In einem innigen Gemenge verschiedener Metalle scheint dagegen die Cohäsion, mit welcher die Theilchen eines jeden einzelnen Metalls zusammenhängen, verringert zu sein, daher die Legirung im Allgemeinen einer geringeren Wärmezufuhr bedarf, um in den flüssigen Aggregatzustand überzugehen, als das unver- mischte Metall. Hiermit stimmt überein, dass schon die blosse Ad- häsion , die mechanische Berührung mit einem festen Körper, den Siedepunkt einer Flüssigkeit zu verändern vermag. So zeigt der Siedepunkt selbst nach dem Gefäss, in welchem man die Flüssigkeit zum Sieden bringt, geringe Schwankungen. Je stärker die Adhäsion der Flüssigkeit zu der Substanz des Gefässes ist, um so höher ist die Siedetemperatur. In Metallgefässen siedet daher das Wasser bei etwas niedrigerer Temperatur als in Glasgefässen, in letzteren gewöhnlich bei 101°, in ersteren genau bei 100°. Bringt man die Innenfläche des Glasgefässes längere Zeit mit Schwefelsäure oder kaustischem Kali in Berührung, so ist auch nachdem jede Spur dieser Stoffe entfernt ist, doch die Siedetemperatur des Wassers in solchen Gefässen um 3—5°C. erhöht. Dagegen bewirkt Einwerfen von Metallfeile in die Flüssigkeit alsbald eine Erniedrigung des Siedepunktes. Hat man Von der Wärme. daher in einem Glasgefäss Wasser von 100°, welches noch nicht sie- det, so beginnt das Sieden sogleich, wenn man Metallfeile hinein- bringt. 252 Verdampfung unterhalb des Siedepunktes. Abhängigkeit der Verdam- pfung vom Druck. Die Flüssigkeiten gehen nicht bloss, während sie sieden, son- dern fortwährend auch bei Temperaturen weit unter dem Siedepunkt in den gasförmigen Aggregatzustand über, indem sie an ihrer Ober- fläche verdampfen. Das Sieden unterscheidet sich von dieser unmerk- lichen Verdampfung bloss dadurch, dass, wenn der Siedepunkt er- reicht ist, die Flüssigkeit in ihrer ganzen Masse zu verdampfen be- ginnt, wesshalb aus den tieferen Schichten Dampfblasen an die Ober- fläche aufsteigen. Jene Verdampfung unterhalb des Siedepunktes erfolgt zwar bei jeder Temperatur, bei welcher der Körper überhaupt noch als Flüssig- keit existirt; sie geschieht aber um so langsamer, je tiefer die Tem- peratur ist. Da nun, wie wir in §. 250 gesehen haben, im luftleeren Raum schon bei viel niedrigeren Temperaturen die Flüssigkeiten zu sieden beginnen, so müssen wir offenbar annehmen, dass die Flüssig- keiten fortwährend das Bestreben haben in die Gasform überzugehen, und dass sie daran gewöhnlich nur durch den Druck, der auf ihnen lastet, und zum Theil ausserdem, wie die Erfahrungen des vorigen §. lehren, durch ihre Cohäsion und durch die Adhäsion an etwa vorhan- denen festen Körpern gehindert werden. Die stattfindende Wärme- zufuhr unterstützt demnach das Streben der Flüssigkeitstheilchen in den gasförmigen Zustand überzugehen, so dass dadurch der Wider- stand sowohl des äussern Drucks als der Cohäsions- und Adhäsions- kräfte überwunden wird. Zur Erklärung dieses Einflusses der Tem- peraturerhöhung bietet sich uns 1) die Eigenschaft der Gase ihr Vo- lum proportional dem äussern Druck zu vermindern (Mariotte’sches Gesetz), und 2) ihre andere in §. 245 dargelegte Eigenschaft ihr Volum proportional der Temperaturerhöhung zu vergrössern. Dass die Dämpfe ebenso wie die permanenten Gase diesen beiden Gesetzen, dem ersteren übrigens auch nur zwischen gewissen Grenzen, folgen, davon kann man sich leicht durch den Versuch überzeugen. Bringt man in den luftleeren Raum einer Barometerröhre ein gewisses Volum Dampf irgend einer Flüssigkeit, z. B. Aetherdampf, so bewirkt der- selbe durch den Druck, den er ausübt, ein Sinken der Quecksilber- säule. Man kann nun beliebig den Druck, unter welchem das im Ba- rometer eingeschlossene Dampfvolum steht, vergrössern oder vermin- dern, indem man die Barometerröhre in ein Quecksilbergefäss tauchen lässt, in das man sie mehr oder weniger tief herabsenken, oder aus dem man sie zu einer bestimmten Höhe emporheben kann. So lastet z. B. auf dem mit Dampf erfüllten Raum des in dem Quecksilberge- fäss Q stehenden Barometers A (Fig. 189) ausser dem Druck der Veränderungen des Aggregatzustandes. Fig. 189. Atmosphäre der Druck einer Quecksilbersäule von der Höhe a b, auf dem Raum des Barometers B dagegen ausser dem Atmosphärendruck nur der Druck einer Quecksilbersäule von der Höhe c d. Man findet nun, dass, wenn man in zwei solche Barometer anfangs die gleiche Dampfmenge ge- bracht hat, was sich leicht aus der Depression der Quecksilbersäule ermitteln lässt, die Volu- mina dieser Dampfmengen sich umgekehrt ver- halten wie die Druckgrössen a b und c d. Die- ses Gesetz ist um so näher verwirklicht, je ge- ringer der Druck ist. Nähert man sich einem Druck, bei welchem der Dampf flüssig wird, so nimmt das Volum viel langsamer ab, als der Druck wächst, und bei demjenigen Druck, bei welchem der Dampf in den flüssigen Zustand überzugehen beginnt, findet gar keine Volumverminderung mehr statt. Hat man nun inner- halb jener Grenzen, zwischen denen das Mariotte’sche Gesetz gültig ist, durch eine Drucksteigerung eine gewisse Volumverminderung be- wirkt, so kann man die letztere wieder aufheben, wenn man den Raum, in welchem sich der zusammengedrückte Dampf befindet, um eine bestimmte Zahl von Temperaturgraden erwärmt. Um die Volum- verminderung, die der doppelte Druck erzeugt hat, wieder auszuglei- chen, muss man dann auch die doppelte Temperaturerhöhung anwen- den, u. s. w. Da die Gase sich in einander wie im luftleeren Raume verbrei- 253 Abhängigkeit der Verdam- pfung von Co- häsion und Adhäsion. ten, so kann die Verdampfung an der Oberfläche einer Flüssigkeit durch den Druck der Atmosphäre oder durch einen noch so starken Druck eines andern Gases nicht aufgehoben werden. Anders ist es dagegen für die Theilchen im Innern der Flüssigkeit. Auf ihnen lastet der Atmosphärendruck gerade so wie der Druck eines festen Körpers, indem die oberste Schichte der Flüssigkeit wie ein Stempel die an- dern Schichten bedeckt. In diesen andern Schichten kann daher erst dann Verdampfung eintreten, wenn entweder durch Verminderung des äusseren Drucks oder durch Erhöhung der Temperatur das Ausdeh- nungsbestreben der Theilchen so gross wird, dass es jenen Stempel zu heben vermag. Bei einem gegebenen äusseren Druck wird also der Siedepunkt bei derjenigen Temperatur liegen, bei welcher das Ausdehnungsbestreben der Flüssigkeitstheilchen etwas grösser als der äussere Druck nebst den durch die Cohäsion und Adhäsion ausgeübten Kräften geworden ist. Im vollständig luftleeren Raum wird der Siedepunkt jener Temperatur entsprechen, bei welcher das Ausdehnungsbestreben der Theilchen gerade über die Kräfte der Cohäsion und Adhäsion überwiegt. Die Kräfte der Cohäsion sind für eine und dieselbe Flüs- Wundt , medicin. Physik. 25 Von der Wärme. sigkeit natürlich immer die nämlichen. Diejenigen der Adhäsion wech- seln dagegen je nach dem Gefäss, in welchem sich die Flüssigkeit befindet, oder nach der Berührung mit sonstigen festen Körpern. Die Theorie der Adhäsionserscheinungen (§. 73) lässt erwarten, dass, je stär- ker die Adhäsion ist, um so weniger der Siedepunkt, den die Flüssigkeit an und für sich hat, dadurch verändert werden kann. Denn bei voll- kommener Adhäsion findet sich kein Zwischenraum zwischen der Flüssigkeit und der Gefässwand, und ein solcher kann auch erst bei einem Ausdehnungsbestreben der Flüssigkeit eintreten, bei welchem die Cohäsion überwunden wird. Wo dagegen die Adhäsion schwächer als die Cohäsion ist, werden sich bei einer Temperatur, die dem Siede- punkt der Flüssigkeit selbst noch nicht vollständig entspricht, schon Dampfblasen an den Gefässwänden bilden, und es wird also die Flüssigkeit in der That in’s Sieden gerathen. Das Wasser adhärirt jedenfalls sehr vollkommen an Glasgefässen, namentlich an solchen, die zuvor mit Schwefelsäure gereinigt wurden. Der in diesen Ge- fässen beobachtete Siedepunkt kommt daher wahrscheinlich dem wah- ren Siedepunkt am nächsten; er liegt aber, wie wir gesehen haben, etwas höher als 100º. Die Temperatur von 100°, die man constant bei 760 mm. Barometerstand in dem Dampf des siedendenden Was- sers beobachtet, ist desshalb vermuthlich erst durch eine geringe Ab- kühlung des Dampfes entstanden. 254 Spannkraft der Dämpfe. Wenn man in dem im §. 252 (Fig. 189) angegebenen Versuch in den luftleeren Raum der Barometerröhre bei gleicher Temperatur verschiedene verdampfbare Flüssigkeiten, z. B. zuerst Aether, dann Alkohol, dann Wasser bringt, so beobachtet man, dass die Queck- silbersäule in verschiedenem Grade herabgedrückt wird. Der Aether hat ein grösseres Ausdehnungsbestreben als der Alkohol, dieser ein grösseres als das Wasser. Man bezeichnet dieses Ausdehnungsbe- streben, durch welches der Dampf bei einer bestimmten Temperatur einer bestimmten Quecksilbersäule das Gleichgewicht hält, als die Spannkraft des Dampfes . Man kann die Spannkraft der Dämpfe messen, indem man, wie in dem hier beschriebenen Versuch, in einem abgeschlossenen Raum Dämpfe erzeugt und den Druck misst, welchen dieselben bei verschiedenen Temperaturen ausüben. Statt dessen lässt sich auch das im vorigen §. gefundene Gesetz benützen, wornach jede Flüssigkeit bei derjenigen Temperatur siedet, bei welcher die Spannung ihrer Dämpfe dem auf ihr lastenden Drucke gleich ist. Bringt man also die Flüssigkeit unter einem bestimmten Druck zum Sieden, und misst man die Temperatur, welche hierbei ihre Dämpfe annehmen, so ist der vorhandene Druck die der gemessenen Tempera- tur entsprechende Spannkraft der Dämpfe. Man kann z. B. für die- sen Zweck den in §. 250 beschriebenen Papinianischen Topf benützen. Veränderungen des Aggregatzustandes. Das Wasser kommt in dem letzteren zum Sieden, wenn die Spannung seiner Dämpfe dem Druck des Ventils gleich geworden ist. Belastet man also das Ventil nach einander mit verschiedenen Gewichten, und beobachtet man jedesmal die im Moment wo das Ventil durch den siedenden Wasserdampf gehoben wird stattfindende Temperatur, so giebt die Belastung des Ventils die der Temperatur entsprechende Tension des Wasserdampfs an. Nach diesem Princip haben Dulong und Petit bei verschiedenen Temperaturen die Spannkraft des Was- serdampfes gemessen. Die neuesten und genauesten Versuche über diesen Gegenstand sind von Regnault und Magnus angestellt. Nach diesen Versuchen wachsen die Spannkräfte beträchtlich rascher als die Temperaturen. Wir wollen hier nur einen für die Correction von Gewichts- und Dichtigkeits- bestimmungen (§. 247 u. 248) zureichenden Auszug aus der von Magnus gegebenen Tabelle für die Temperaturen zwischen — 5° und + 60° beifügen. Solche Werthe der Lufttemperatur, die zwischen den unten angegebenen liegen, können durch Inter- polation ergänzt werden. Magnus und Regnault haben ausserdem empirische Formeln zur Berechnung der Tension des Waeserdampfes bei verschiedenen Temperaturen nach ihren Beobach- tungen aufgestellt. Wie man schon aus der obigen Zahlenreihe erkennt, wächst die Spannkraft des Dampfes annähernd in geometrischem Verhältnisse, wenn die Tempe- ratur in arithmetischem zunimmt. Wäre dies vollständig richtig, so würde sich die bei einer Temperatur t vorhandene Spannkraft S = C. at finden, worin a die Spann- kraft bei 0° und C den Coëfficienten der geometrischen Reihe bedeuten würde. Nun wächst aber S nicht ganz so rasch, wie es die geometrische Reihe verlangt, man muss also den Exponenten t noch durch eine bestimmte Grösse dividiren. Magnus hat so in der That gefunden, dass die Formel hinreichend nahe den Beobachtungen genügt, wenn man a = 4,525, γ = 234,69, und log. b = 7,4475 setzt. Die Spannkraft des Wasserdampfes wird durch im Wasser ge- 255 Spannkraft der Dämpfe von Lö- sungen und der Dampf- oder Gasgemenge. löste Salze vermindert. Hierin liegt ohne Zweifel die Erklärung zu der in §. 251 gefundenen Thatsache, dass der Siedepunkt der Salz- lösungen höher als derjenige des Wassers ist. Da nämlich alle Flüs- sigkeiten bei jener Temperatur sieden, bei welcher die Spannkraft ihres Dampfes den äussern Druck überwindet, so bedarf natürlich eine 25 * Von der Wärme. Salzlösung einer höheren Temperatur, um diejenige Spannkraft zu erreichen, welche dem äusseren Druck gleichkommt. Eigenthümlich verhalten sich die Dämpfe von Flüssigkeitsge- mengen. Sind die Flüssigkeiten nicht mischbar, wie z. B. Wasser und Aether, so ist die von ihren Dämpfen ausgeübte Spannkraft ein- fach gleich der Summe der Spannkräfte der beiden Bestandtheile. Sind dagegen die Flüssigkeiten mischbar, wie Wasser und Alkohol, Aether und Alkohol, so ist die resultirende Spannkraft stets kleiner als jede der einzelnen Spannkräfte. Ein Gemenge von Aether- und Alkoholdampf besitzt z. B. eine geringere Spannkraft als sowohl der Aetherdampf wie der Alkoholdampf bei derselben Temperatur. Die Dämpfe nicht mischbarer Flüssigkeiten folgen sonach gleich den permanenten Gasen dem Dalton’schen Gesetz: wie sich ein Gas zu einem zweiten gleich dem luftleeren Raum verhält, so auch der eine Dampf zu dem andern; dagegen wird bei den Dämpfen misch- barer Flüssigkeiten dieses Resultat durch die gegenseitige Anziehung der Dampftheilchen, welche nothwendig die von beiden nach aussen ausgeübten Wirkungen verringern muss, abgeändert. Auch ein per- manentes Gas verhält sich zu einem Dampf wie der luftleere Raum. Bringt man also zuerst Wasserdampf in eine luftleere Barometerröhre und dann in eine solche, in welcher sich Luft befindet, so beobachtet man, dass der Dampf, wenn die Temperatur dieselbe bleibt, die gleiche Depression der Quecksilbersäule bewirkt. Indessen bestätigt sich, wie Regnault gefunden hat, dieses Gesetz bei genaueren Versuchen nur annähernd, indem man für die Spannkraft des Dampfes im luftleeren Raum doch etwas grössere Werthe beobachtet. Regnault ist geneigt diese Ausnahme von dem Dalton’schen Gesetze davon herzuleiten, dass die Gefässwände durch ihre Molecularanziehung fortwährend die Dämpfe an ihrer Oberfläche zu verdichten streben: diese Verdichtung muss nun in einem lufterfüllten Raum leichter stattfinden als in einem luftleeren, weil sie im letzteren durch die ungehinderte Verdunstung immer wieder aufgehoben wird. 256 Abhängigkeit der Dampfdichte von Druck und Temperatur. Die Dämpfe und Gase haben die zwei Eigenschaften mit einan- der gemein, dass sie 1) proportional dem Druck ihr Volumen ver- mindern (Mariotte’sches Gesetz), und dass sie 2) bei gleicher Tem- peraturerhöhung sich sämmtlich um denselben Bruchtheil ihres Volu- mens ausdehnen (Gay-Lussac’sches Gesetz). Hiernach ist die Dichte der Gase und Dämpfe je nach Druck und Temperatur ausserordent- lich veränderlich. Es ist aber wegen der einfachen Beziehung des Volums zu Druck und Temperatur sehr leicht dieselben auf einen be- stimmten Druck und eine bestimmte Temperatur zurückzubeziehen. Zur Vergleichung der Dichtigkeit verschiedener Gase und Dämpfe ist dies unerlässlich. Man ist übereingekommen die Dichtigkeit eines Veränderungen des Aggregatzustandes. Gases stets auf diejenige der Luft bei 0° und 760 mm. Druck zurück- zuführen. Findet man bei einer Temperatur von t° und einem Baro- meterstand von h mm. das Gewicht eines bestimmten Volums Dampf oder Gas = p und das Gewicht eines gleich grossen Volums Luft = p', so ist, wenn man das Gas mit Luft von t° und h mm. Druck ver- gleicht, die Dichte . Will man nun das Gas mit Luft von 0° und 760 mm. Druck verglei- chen, so muss man zunächst dem Werth von p' das Gewicht des glei- chen Volums bei 0° und 760 mm. Druck substituiren. 1 Cubikcentim. Luft bei 0° und 760 mm. wiegt 0,001293 grm. Ist nun v das ange- wandte Luftvolum und α der Ausdehnungscoëfficient der Luft für 1°C., so hat man nach §. 247 . Hiernach ist die Dichtigkeit des betreffenden Gases oder Dampfes von t° und h mm. Druck, wenn man die Dichtigkeit der Luft bei 0° und 760 mm. Druck zur Einheit nimmt. Nun wächst nachst nach dem Mariotte’- schen Gesetz das Gewicht p eines bestimmten Gasvolums im selben Maasse wie h zunimmt: eine Veränderung des Druckes h ändert also den Werth für d nicht. Ferner nimmt p ab, während t zunimmt; auch die Veränderung der Temperatur lässt also den Werth von d ungeändert. Hieraus folgt, dass es gleichgültig ist, bei welchem Druck und welcher Temperatur man die Dichtigkeit eines Gases oder Dampfes bestimmt: dieselbe wird immer die gleiche Grösse besitzen; und es ist demnach für Gase nicht erforderlich auch das Gewicht p auf die Temperatur von 0° und den Druck von 760 mm. zurückzu- führen, wenn ihre Dichtigkeit bestimmt werden soll. Anderseits kön- nen Dichtigkeitsbestimmungen bei verschiedenen Temperaturen und Druckgraden dazu dienen die Richtigkeit des Mariotte’schen und Gay- Lussac’schen Gesetzes zu bewähren. Hierbei stellt es sich nun heraus, dass diese Constanz der Dich- tigkeit für verschiedene Temperaturen und Druckgrade wieder nur annähernd richtig ist, und hierin liegt ein erneuter Beweis, dass auch das Mariotte’sche und Gay-Lussac’sche Gesetz nur eine annähernde Richtigkeit besitzen. Bei den Dämpfen sind diese Abweichungen der Dichte noch beträchtlicher als bei den Gasen. Nur dann ist die Dichtigkeit der Dämpfe nahezu constant, wenn sie ziemlich weit von ihrem Sättigungspunkte entfernt sind. Von der Wärme. Man bedient sich zur Bestimmung des specifischen Gewichtes der Dämpfe eines ähnlichen Verfahrens, wie wir es in §. 93 für die Gase beschrieben haben. Ein Ballon wird entweder durch das Kochen der Flüssigkeit, deren Dampf man wägen will, oder, nach Regnault ’s Verfahren, mittelst der Luftpumpe luftleer gemacht, dann unter einem bestimmten Druck und bei einer bestimmten Temperatur mit dem Dampf gefüllt und verschlossen. Aus dem vorher ermittelten Volum des Ballons be- stimmt man, unter Berücksichtigung der Ausdehnung, die derselbe durch die Wärme erfährt, das Gewicht Luft, welcher er bei 0° und 760 mm. Druck zu fassen vermag, um hieraus nach der oben gegebenen Formel die Dichtigkeit zu erhalten. 257 Ausdehnungs- gesetz der Kör- per in den drei Aggregatzu- ständen und beim Wechsel derselben. Wir haben gesehen, dass die der Temperatur proportionale Aus- dehnung der Dämpfe für Wärmegrade, die nahe dem Condensations- punkte liegen, nicht mehr gültig ist, und dass beim Condensations- punkte selbst eine plötzliche starke Volumverminderung eintritt. Einen ähnlichen plötzlichen Wendepunkt zeigt das Ausdehnungsgesetz der Flüssigkeiten, wenn man die Wärme bis zu demjenigen Temperatur- grad vermindert, bei welchem die Flüssigkeit in den festen Zustand übergeht. In der Regel tritt auch hier eine rasche Volumverminderung ein. Fassen wir daher die plötzlichen Volumänderungen beim Wech- sel des Aggregatzustandes mit den im 1. Cap. erörterten stetigen Aen- derungen des Volumens zusammen, so lassen sich diese sämmtlichen Vorgänge durch die Fig. 190 graphisch versinnlichen. Führen wir Fig. 190. einem festen Körper mehr und mehr Wärme zu, so beobachten wir an dem durch diese Fig. dargestellten Ausdehnungsgesetz zwei plötz- liche Knickungspunkte, den Aenderungen des Aggregatzustandes ent- sprechend. Die Abscissenlinie a d giebt die Temperaturen an, auf der die Volumzunahmen als Ordinaten errichtet sind. Bei b wird der feste Körper flüssig, bei c geht er in Dampf über. Von a bis b beob- achten wir das regelmässige Ausdehnungsgesetz des festen Körpers, von b bis c das Ausdehnungsgesetz der Flüssigkeit, und von c an endlich das Ausdehnungsgesetz der Gase. Wir haben in Fig. 190 vorausgesetzt, das Ausdehnungsgesetz sei in diesen Latente und specifische Wärme. drei Fällen das Gesetz der Proportionalität mit der Temperatur, und werde also durch eine gerade Linie dargestellt. Aus unsern frühern Erörterungen geht aber hervor, dass das Gesetz nur von einer gewissen oberen, bereits dem gasförmigen Aggregat- zustand zugehörigen Grenze an für alle Körper, dagegen für den festen und flüssigen Zustand bei den meisten Körpern nur annähernd gültig ist. Während sich das Aus- dehnungsgesetz der festen Körper noch sehr häufig der geraden Linie nähert, weicht dagegen das Ausdehnungsgesetz der Flüssigkeiten um so mehr davon ab, je näher man dem Siedepunkt kommt. Eine Ausnahme bildet natürlich auch hier das Wasser, das ebenso rasch beim Uebergang in den festen Zustand sein Volum vergrössert, wie die meisten andern Körper dasselbe vermindern. Ueber die Volumveränderung beim Schmelzen fester Körper hat Kopp genaue Versuche angestellt. Er brachte die Kör- per, die er zum Schmelzen bringen wollte, z. B. Phosphor, Schwefel, Stearin, in ein Glasgefäss, das mit der geeigneten Flüssigkeit: Wasser oder Oel, gefüllt und oben durch einen Kork verschlossen war, durch welchen eine feine Messröhre in das Gefäss hinabreichte. Wurde nun das Gefäss im Oelbad auf eine bestimmte Temperatur er- wärmt, so stieg die Flüssigkeit in der Messröhre in die Höhe, theils wegen ihrer eigenen Ausdehnung theils wegen der Ausdehnung des in ihr enthaltenen festen Kör- pers. War nun der Voluminhalt des Gefässes, der Ausdehnungscoëfficient der Flüssig- keit und derjenige des Glasgefässes ermittelt, so liess sich die Ausdehnung des herein- gebrachten festen Körpers leicht aus der gemessenen Gesammtausdehnung berechnen. Auf diese Weise fand Kopp , dass der Phosphor sehr annähernd dem in Fig. 190 dargestellten Gesetze folgt, während der Schwefel, sobald er flüssig geworden ist, sich proportional der Temperatursteigerung, als fester Körper aber mit steigender Tempe- ratur wachsend ausdehnt. Das Stearin zeigt diesseits des Schmelzpunktes, etwa bei 50°, eine rasche Volumänderung, indem es plötzlich zusammensintert, um dann noch- mals schnell sein Volum zu vergrössern, worauf es bei 60° unter schneller Volumzu- nahme flüssig wird. Drittes Capitel . Latente und specifische Wärme. Der Uebergang der Körper aus einem Aggregatzustand in einen 258 Begriff der la- tenten Wärme. andern ist regelmässig von Wärmeveränderungen begleitet. Wird ein fester Körper flüssig oder ein flüssiger gasförmig, so verschwindet Wärme: dagegen kommt, wenn ein Gas flüssig oder eine Flüssigkeit fest wird, umgekehrt Wärme zum Vorschein. Diese Wärmeverän- derung bei der Ueberführung aus einem Aggregatzustand in einen andern ist für jeden Körper eine durchaus constante, und zwar wird, wenn ein bestimmter Körper aus dem flüssigen in den festen Zustand übergeht, genau ebenso viel Wärme frei, als beim Uebertritt aus dem festen in den flüssigen Zustand gebunden wird; ebenso kommt die- selbe Wärme, die erfordert wird, um eine Flüssigkeit in Gas zu verwandeln, wieder zum Vorschein, sobald das Gas in den flüssi- gen Zustand übergeht. Das Gesetz der Wärmeveränderungen beim Wechsel des Aggregatzustandes lässt sich hiernach folgendermas- sen formuliren: Wenn ein Körper in einen flüssigeren Aggregat- zustand übergeht, so wird ebenso viel freie Wärme latent, als bei der Von der Wärme. Rückverwandlung in den festeren Aggregatzustand latente Wärme frei wird. 259 Constanz der Schmelz- und Siedepunkte. Auf der Bindung freier Wärme beim Schmelzen fester und beim Verdampfen flüssiger Körper beruht die leicht zu beobachtende That- sache, dass die Temperatur des seinen Aggregatzustand wechselnden Körpers so lange unverändert bleibt, bis derselbe vollständig verflüs- sigt oder in Dampf verwandelt ist. Diese Constanz der Temperatur schmelzender und verdampfender Körper, die uns (§. 242) zur Bestim- mung der fixen Punkte des Thermometers diente, erklärt sich leicht aus dem oben aufgestellten Gesetz. Haben wir Eis von 0° und füh- ren wir demselben weitere Wärme zu, so schmilzt ein Theil des Ei- ses. Dadurch wird aber die zugeführte freie Wärme latent, das Ge- misch von Eis und Wasser behält also die Temperatur von 0°. Füh- ren wir noch weitere Wärme zu, so schmilzt ein weiterer Theil des Eises, der wieder die zu seiner Verflüssigung erforderliche Wärme latent macht. So wird daher die Temperatur trotz der fortdauernden Wärmezufuhr nicht über 0° steigen können, bis die ganze Eismasse verflüssigt ist. Aehnlich beobachtet man, dass die Temperatur eines schmelzenden Metalls constant bleibt, bis das Metall vollständig ge- schmolzen ist. Ist ein fester Körper durch Latentmachung einer ge- wissen Wärmemenge endlich in seiner ganzen Masse flüssig geworden, so steigt nun, wenn ihm weitere Wärme zugeführt wird, seine Tem- peratur, bis sie am Siedepunkt anlangt. Bei diesem erhält sie sich dann wieder trotz fortwährender Wärmezufuhr constant, bis die Flüs- sigkeit vollständig in Dampf verwandelt ist. Denn hat man z. B. Wasser von 100°, so wird jede demselben zugeführte weitere Wärme, indem sie latent wird, dazu verwandt einen Theil dieses Wassers in Dampf zu verwandeln, und die zugeführte freie Wärme wird erst dann nicht mehr gebunden, wenn sämmtliches Wasser verdampft ist. Genau die nämliche Reihenfolge von Erscheinungen bietet sich dar, wenn man ein Gas durch Wärmeentziehung zuerst in den flüssi- gen Zustand und dann durch weitere Wärmeentziehung die Flüssig- keit in den festen Zustand verwandelt. Auch hier nimmt der Ueber- gang aus einem Aggregatzustand in den andern eine gewisse Zeit in Anspruch, und während dieser Zeit beobachtet man stets, dass die Temperatur constant bleibt: während also ein Gas flüssig und eine Flüssigkeit fest wird, bleibt trotz fortdauernder Wärmeentziehung die Temperatur unverändert. Die in §. 249 erwähnte Thatsache, dass unter 0° erkältetes Wasser, das durch eine Erschütterung plötzlich zu Eis wird, nun im Moment des Gefrierens sich auf 0° erwärmt, ist da- her ebenfalls durch das Freiwerden latenter Wärme bedingt. 260 Maass der Wärmemenge. Um verschiedene Körper hinsichtlich der Wärme, die sie beim Latente und specifische Wärme. Uebergang aus dem einen in den andern Aggregatzustand binden oder frei machen, mit einander vergleichen zu können, muss man ein Maass für die einem Körper zugeführte oder entzogene Menge freier Wärme besitzen. In der durch das Thermometer angegebenen Temperatur eines Körpers ist natürlich ein solches Maass der Wärmemenge noch nicht enthalten. Denn 1) ist offenbar eine um so grössere Wärme- menge nothwendig, um einen Körper auf eine bestimmte Temperatur zu erwärmen, je grösser die Masse des Körpers ist. Wenn ich ein- mal 1 Pfund, ein anderesmal 2 Pfund Wasser um 1° erwärme, so zeigt das Thermometer in beiden Fällen die nämliche Temperatur: nichts destoweniger ist offenbar im zweiten Fall die doppelte Wärme erfor- derlich. Ausserdem können 2) zwei verschiedene Körper von gleicher Masse verschiedene Wärmemengen verbrauchen, damit ihre Tempera- tur um eine bestimmte Anzahl von Graden sich steigere. Um die Wärmemengen messen zu können, müssen wir sie daher auf diejenige Temperaturerhöhung zurückbeziehen, die ein bestimmtes Gewicht eines bestimmten Körpers durch dieselben erfahren würde. Man hat als solchen Körper das Wasser gewählt und ist übereingekommen dieje- nige Wärmemenge, die 1 Kilogr. Wasser von 0° in 1 Kilogr. Wasser von 1° verwandelt, eine Wärmeeinheit oder eine Calorie zu nennen. Auf diese Weise ist z. B. die Wärmemenge, die verbraucht wird, um 1 Kilogr. Eis oder Schnee von 0° in 1 Kilogr. Wasser von 0° zu verwandeln, zu 79,2 Wärmeeinheiten bestimmt worden. Um 1 Ki- logr. Eis von 0° in 1 Kilogr. Wasser von 0° umzuwandeln ist also eine ebenso grosse Wärme erforderlich, als um 79,2 Kilogr. Wasser von 0° um 1°C. zu erwärmen. Man sagt daher einfach, die latente Wärme des Wassers sei = 79,2 Wärmeeinheiten. Hierin ist ausge- drückt, dass, sobald Wasser gefriert, 79,2 Wärmeeinheiten frei wer- den, und dass umgekehrt, sobald Eis schmilzt, 79,2 Wärmeeinheiten gebunden werden. Die latente Wärme des Wasse rdampfes hat man dagegen = 550 Wärmeeinheiten gefunden, d. h. jedesmal wenn 1 Ki- logr. Wasser verdampft, werden 550 Wärmeeinheiten latent, und wenn 1 Kilogr. Dampf zu Wasser wird, werden ebenso viel Wärmeeinhei- ten frei. Vergleicht man nun nach dem angegebenen Maasse die latente 261 Latente Wärme verschiedener Flüssigkeiten und Gase. Con- densirte Gase. Kältemischun- gen. Wärme verschiedener flüssiger und gasförmiger Körper, so zeigen sich nicht unerhebliche Unterschiede. In der folgenden Tabelle sind einige dieser Bestimmungen angeführt. Latente Wärme von Flüssigkeiten: Wasser 79,25 Blei 5,37 Phosphor 5,03 Quecksilber 2,83 Schwefel 9,36 Zink 28,13 Zinn 14,25 Silber 21,07 Von der Wärme. Latente Wärme von Dämpfen: Wasserdampf 550 Aetherdampf 89,96 Alkoholdampf 210 Terpentinöldampf 74,04 Man erhält dieselben latenten Wärmemengen, wenn die Aende- rungen des Aggregatzustandes nicht durch Zufuhr oder Entziehung von Wärme sondern auf irgend einem anderen Wege zu Stande kom- men. Wenn man z. B Wasserdampf durch erhöhten Druck unter der Compressionspumpe (§. 100) in den flüssigen Zustand überführt, so werden gerade so 550 Wärmeeinheiten frei, als wenn dies durch Abkühlung geschieht. Ebenso wird Wärme gebunden, wenn man Salze in Wasser löst. Nach den Versuchen von Person nimmt die Menge der zur Lösung eines bestimmten Gewichtstheiles Salz verbrauch- ten Wärme mit der Concentration ab. Man erklärt sich dies daraus, dass der Vorgang der Lösung in zwei Acte zerfällt, erstens in die Ueberführung des Salzes in den flüssigen Zustand und zweitens in die Vertheilung des gelösten Salzes im Wasser. Die latent werdende Wärme bei dem ersten dieser Acte ist natürlich der Menge des ge- lösten Salzes proportional, diejenige bei dem zweiten aher nimmt zu mit der Menge überschüssiger Flüssigkeit, die nicht zur Lösung erfor- derlich ist. Dass in der That schon die blosse Vertheilung bereits ge- lösten Salzes in Wasser Wärme latent macht, ergiebt sich aus der Temperaturabnahme, die jedesmal eintritt, wenn man die concentrirte Lösung eines Salzes verdünnt. Die auf anderem Weg als demjenigen des Schmelzens oder Verdampfens durch Wärmezufuhr hervorgerufene Latentmachung der Wärme benützt man zur Herstellung bedeutender Kältegrade. Die Kohlensäure wird bei 0° unter einem Druck von etwa 38 Atmosphären flüssig. Bringt man solche flüssige Kohlensäure an die Luft, so ver- dampft ein Theil derselben sehr rasch; durch die bedeutende Erkältung, die hierbei eintritt, geht dann der Rest der flüssigen Kohlensäure in den festen Zustand über. Bringt man nun solche feste Kohlensäure, die selbst schon eine Temperatur von — 70° hat, mit Aether zusammen, und befördert man die rasche Verdampfung dadurch, dass man das Gemisch unter die Luftpumpe setzt, so lassen sich Temperaturen herstellen, die unter — 100°C. hinabreichen. Die niedrigen Temperaturgrade, die so bei der Verdampfung der festen Kohlensäure entstehen, haben es Faraday möglich gemacht noch andere Gase, die schwerer zu condensiren sind, wie Ammoniak, schweflige Säure, Stickoxydul u. s. w., in den flüssigen und festen Zustand überzuführen. Bei gewöhn- lichem Atmosphärendruck waren folgendes die Schmelzpunkte der wichtigeren dieser bis jetzt condensirten Gase: Kohlensäure — 58° Schweflige Säure — 76° Ammoniak — 75° Schwefelwasserstoff — 86° Stickoxydul — 105° Bei der Annäherung an die Temperatur, bei der sie in den flüssigen Zustand übergehen, zeigen diese Gase, und ebenso einige andere, die bis jetzt wohl in den flüssigen, aber nicht in den festen Zustand übergeführt werden konnten (wie ölbilden- des Gas, Chlorwasserstoff), genau dieselben Erscheinungen wie die Dämpfe, namentlich im nämlichen Sinne Abweichungen vom Mariotte ’schen und Gay-Lussac ’schen Gesetz. Latente und specifische Wärme. Zur Herstellung mässigerer Temperaturerniedrigungen benützt man die latente Wärme der aufgelösten Salze. Namentlich sind Mischungen von Salzen mit schmel- zendem Eis zu Kältemischungen geeignet, weil man hier gleichzeitig den Effect der durch Schmelzung des Eises und durch Auflösen der Salze bewirkten Bindung der Wärme hat. Durch eine Mischung von Kochsalz und Glaubersalz mit Schnee kann man so eine Erniedrigung der Temperatur auf — 15 bis 20°C. hervorrufen. Wir haben in §. 260 bei der Festsetzung der Wärmeeinheit be- 262 Begriff der spe- cifischen Wärme. Spe- cifische Wärme fester, flüssiger und gasförmiger Körper. merkt, dass eine sehr verschiedene Wärmemenge erforderlich sein kann, um verschiedene Körper auf dieselbe Temperatur zu erwärmen. In der That lehrt dies schon die alltägliche Beobachtung. Wenn man eine Metallplatte und eine Steinplatte neben einander auf einen Ofen legt, so wird bekanntlich die Metallplatte ungleich schneller erhitzt: dieselbe bedarf also offenbar einer viel geringeren Wärmezufuhr, um eine höhere Temperatur anzunehmen, als die Steinplatte. Es entsteht daher die Frage: welche Wärmemenge ist nothwendig, um einen be- stimmten Körper auf eine bestimmte Temperatur zu erwärmen? Wir werden auch hier die zur Erwärmung verschiedener Körper erforder- lichen Wärmemengen wieder an derjenigen Wärme messen, die wir als Wärmeeinheit aufgestellt haben, nämlich an der Wärme, die nöthig ist, um 1 Kilogr. Wasser von 0° um 1° zu erwärmen. Man be- obachtet nun, dass dieselbe Wärmemenge, welche eine bestimmte Quantität Wasser von 0 auf 1° erwärmt, auch genügt, um zwischen höheren Temperaturgrenzen die Temperatur des Wassers um 1° zu er- höhen, um also z. B. die nämliche Quantität Wasser von 99 auf 100° zu erwärmen. Man kann sich hiervon leicht durch folgenden Versuch überzeugen. Mischt man 1 Kilogr. Wasser von 100° und 1 Kilogr. Wasser von 0°, so nimmt das Gemeng eine Temperatur von 50° an. Man kann daher auch allgemein diejenige Wärmemenge als Wärmeeinheit bezeichnen, welche 1 Kilogr. Wasser um 1° erwärmt. Das nämliche wird (abgesehen von kleinen in §. 263 zu erörternden Abweichungen) bei allen andern Körpern beobachtet, mögen sie fest, flüssig oder gasförmig sein, so lange sie nur nicht ihren Aggre- gatzustand ändern. So ist z. B. für das erstarrte Quecksilber eine bestimmte Wärmemenge nothwendig, um seine Temperatur um je 1° zu ändern, eine davon verschiedene, aber ebenso constante Wärme- menge ist erforderlich, um das flüssige Quecksilber um je 1° zu er- wärmen, und eine wieder davon verschiedene constante Wärmemenge für die Temperaturerhöhung des Quecksilberdampfes. Man ist, um in dieser Beziehung verschiedene Körper vergleichen zu können, überein- gekommen diejenige in Wärmeeinheiten gemessene Wärmemenge, die erfordert wird, um bei Beibehaltung des Aggregatzustandes 1 Kilogr. eines Körpers um 1° zu erwärmen, als specifische Wärme oder Wärmecapacität zu bezeichnen. Von der Wärme. Folgendes sind die den Untersuchungen mehrerer Beobachter entnommenen spe- cifischen Wärmemengen verschiedener Körper. A. Specifische Wärme fester Körper. (Zwischen 0 und 100°). Stahl 0,1156 Schwefel 0,1776 Eisen 0,1098 Thierische Kohle 0,2608 Zink 0,0927 Holzkohle 0,2415 Silber 0,0559 Graphit 0,2018 Glas 0,1770 Diamant 0,1468 B. Specifische Wärme von Flüssigkeiten. (Zwischen 20 und 15°). Quecksilber 0,0290 Alkohol 0,6148 Schwefelkohlenstoff 0,2206 Holzgeist 0,6009 C. Specifische Wärme von Gasen. Luft 0,23741 Wasserstoff 3,4090 Sauerstoff 0,21751 Stickstoff 0,2428 Kohlensäure 0,2024 Kohlenoxydgas 0,2450 Stickoxyd 0,2327 Oelbildendes Gas 0,4207 Diejenigen Körper, die in verschiedenen Aggregatzuständen vorkommen, zeigen im flüssigen Zustand eine grössere specifische Wärme, wie folgende Zusammenstel- lung zeigt. Suchen wir hiernach die bei gesteigerter Wärmezufuhr eintretenden Tempera- turveränderungen eines Körpers graphisch darzustellen, so werden uns dieselben durch die Fig. 191 versinnlicht. Verzeichnen wir die zugeführten Wärmemengen auf der Fig. 191. Abscissenlinie a x, und stellen wir die entsprechenden Temperaturgrade des Körpers durch darauf senkrechte Ordinaten dar, so wird bei einer gewissen Anfangstemperatur a c der Körper im festen Aggregatzustand befindlich sein. Führen wir nun dem Körper eine Wärmemenge a b zu, so steigert sich dessen Temperatur um d e. Be- zeichnet die Länge d e 1°C., so ist a b die specifische Wärme des Körpers in sei- nem festen Zustand. Da nun, solange der Köeper nicht seinen Aggregatzustand wech- selt, die Temperatur proportional der zugeführten Wärmemenge steigt, so wird das Latente und specifische Wärme. Anwachsen der ersteren durch eine Gerade c g dargestellt werden, die unter einem um so grösseren Winkel zur Abscissenaxe geneigt ist, je kleiner die der Grösse d e = 1°C. entsprechende specifische Wärme a b ist. Liegt bei der Temperatur f g der Schmelzpunkt, so wird nun die weiter zugeführte Wärme gebunden, bis der Körper vollständig vesflüssigt ist, die Linie der Ordinaten g h bleibt also der Abscissenaxe parallel, und der Abschnitt f i der letzteren bezeichnet die latent gewordene Wärme des flüssigen Körpers. Von dem Punkte i an steigt dann wieder die Temperatur pro- portional den Abscissen, aber, da die specifische Wärme im flüssigen Zustand grösser ist als im festen, da also die einem Zuwachs m n = e d der Ordinate entsprechende Abscisse = i k ist, so sehen wir nun die ansteigende Gerade weniger gegen die Abscissenlinie geneigt als vorher. Bei l tritt endlich Verdampfung ein, die Abscis- senlänge l r, der die Gerade o p parallel bleibt, entspricht der latenten Dampfwärme des Körpers. Im gasförmigen Zustand verkleinert sich wieder die specifische Wärme und verläuft also die Linie p q wieder steiler: beim Wasser z. B. ist p q nahehin parallel c g. Vergleicht man diese Curve mit der in Fig. 190 dargestellten Curve der Ausdehnungen durch die Wärme, so sieht man, dass die Wärme so lange stetig zunimmt, als das Volum stetig wächst, dass dagegen den steil aufwärts gerichteten Wendepunkten der ersteren Curve hier die der Abscisse parallel bleibenden Linien g h, o p entsprechen. Auch darin correspondiren beide Curven, dass, so lange die Aus- dehnungen und Temperaturen stetig wachsen, sie beide den Urveränderlichen, von de- nen sie abhängen, proportional bleiben, also dort die Ausdehnung proportional der Temperatursteigerung, hier die Temperatursteigerung proportional der zugeführten Wärmemenge. Wir haben früher (§. 243 u. f.) gesehen, dass die Proportionali- 263 Abweichungen vom Gesetz der Proportionalität im festen und flüssigen Aggre- gatzustand. tät der Ausdehnung mit der Temperatur nur annähernd verwirklicht ist. Wenn man die Ausdehnung der Gase durch die Wärme zum Ver- gleich nimmt, so wächst bei höheren Temperaturgraden sowohl die Ausdehnung der festen Körper als der Flüssigkeiten. Aehnliche Ab- weichungen findet man nun hinsichtlich der Zunahme der Temperatur Fig. 192. bei steigender Wärmezufuhr. Die specifische Wärme sowohl der fe- sten Körper wie der Flüssigkeiten wächst allgemein bei steigender Temperatur. Am geringsten ist die Veränderung der specifischen Wärme des Wassers. Sie wächst nach den genauen Versuchen von Regnault von 0 bis 100° erst von 1 auf 1,005. Tragen wir auf eine Abscissenlinie a d deren Theile die Temperaturen bedeu- ten, sowohl die Ausdehnungen der Körper wie die zur Erwärmung auf bestimmte Tem- peraturen erforderlichen Wärmemengen auf (Fig. 192), so hat hiernach die genauere Curve A A der Ausdehnungen wie die Curve s s der specifischen Wärmen eine über- Von der Wärme. einstimmende Gestalt: beide unterscheiden sich aber dadurch, dass von a bis b, für den festen Zustand, die Curve s s steiler verläuft als die Curve A A, während letz- tere hingegen von b bis c, für den flüssigen Zustand, einen steileren Verlauf annimmt. 264 Specifische Wärme der Gase bei con- stantem Druch und bei con- stantem Volum Einer besonderen Untersuchung bedarf die specifische Wärme der Gase. Die Gase unterscheiden sich dadurch von den flüssigen und festen Körpern, dass ihr Zustand, ausser von der Temperatur, in hohem Grade auch von dem Druck abhängt, der auf ihnen lastet. Die in §. 262 angegebenen Werthe für die specifischen Wärmen der wichti- geren Gase sind in derselben Weise wie die specifischen Wärmen der festen und flüssigen Körper, also für die Gewichtseinheit derselben be- rechnet. Es fragt sich nun, ob diese Werthe dieselben bleiben, wenn man den Druck, unter welchem sich das Gas befindet, und daher auch das Volumen, welches jene Gewichtseinheit einnimmt, erheblich verän- dert. Regnault hat gefunden, dass in der That bei sehr bedeuten- den Schwankungen des Drucks die so bestimmte specifische Wärme der Gase constant bleibt. Doch findet dies nur unter der Voraussetz- ung statt, dass während der Zuführung der Wärme der Druck voll- kommen unverändert gelassen werde, dass man also dem Gas gestatte sich um so viel auszudehnen, als der durch die Wärmezufuhr beding- ten Temperaturerhöhung entspricht, d. h. um 0,003665 des Volumens für jeden Grad der hunderttheiligen Scala. Man bezeichnet daher auch die auf diese Weise ermittelte Wärmecapacität als specifische Wärme bei constantem Druck . Hat man dagegen ein Gas in einem unausdehnbaren Gefässe ein- geschlossen, erhält man also das Volumen desselben fortwährend con- stant, und bestimmt nun die Wärmemenge, welche erforderlich ist, um eine gewisse Gewichtsmenge um 1°C. zu erwärmen, so nimmt die Spannung des Gases und demnach auch der Druck, unter welchem es steht, im selben Verhältnisse zu als bei ungehinderter Ausdehnung das Volumen, und man beobachtet jetzt, dass die so gemessene speci- fische Wärme bei constantem Volum und variablem Druck stets kleiner als die specifische Wärme bei constantem Druck und variablem Volum ist . So wurde z. B. die specifische Wärme der Luft bei constantem Volum ungefähr = ⅔ derjenigen bei constantem Druck gefunden; und ähnlich verringern sich die Wär- mecapacitäten der übrigen Gase. 265 Beziehungen der specifischen zur latenten Wärme. Diese Thatsache lässt sich nur erklären, wenn man die beim Uebergang aus einem Aggregatzustand in den andern stattfindenden Erscheinungen auch auf die Volumveränderungen innerhalb eines und desselben Aggregatzustandes ausdehnt. Wir haben gesehen, dass beim Schmelzen der festen und ebenso beim Verdampfen der flüssigen Kör- per Wärme gebunden wird. Nun ist der Uebergang aus dem festen Latente und specifische Wärme. in den flüssigen und aus dem flüssigen in den gasförmigen Zustand mit einer Volumzunahme verknüpft. Die latent werdende Wärme wird also offenbar dazu verbraucht, die Distanz der Atome, während die Körper den Aggregatzustand wechseln, zu vergrössern. Dagegen wird, wenn die Körper aus dem gasförmigen in den flüssigen oder aus dem flüssigen in den festen Zustand übergehen, die Distanz der Atome ver- mindert und daher die vorhin gebundene Wärme wieder frei werden. Nun verändert sich aber das Volum der Körper und demzufolge auch der Abstand der Atome continuirlich bei jeder Wärmezufuhr oder Wär- meentziehung, wenn nicht äussere Kräfte dies verhindern. Also wird z. B. ein Gas, wenn man es ausdehnt, eine gewisse Menge von Wärme binden, und wenn man es um denselben Bruchtheil seines Volumens zusammendrückt, so wird eine eben so grosse Wärmemenge frei wer- den. Man kann sich hiervon überzeugen, wenn man in der Compres- sionspumpe Luft zusammenpresst: es entsteht hierbei Wärme, die sich an einem in die Nähe gebrachten Thermometer deutlich zu erkennen giebt. Lässt man dann rasch die comprimirte Luft ausströmen und also sich ausdehnen, so tritt ein bedeutender Kältegrad ein. Wen- den wir diese Erfahrungen auf die specifische Wärme bei constantem Druck und bei constantem Volum an, so ist einleuchtend, dass die erstere grösser sein muss. Denn wenn man dem Gas gestattet ent- sprechend der Wärmezufuhr sich auszudehnen, so wird zum Behuf dieser Ausdehnung Wärme verbraucht, und man braucht also in die- sem Fall eine grössere Wärmemenge, um das Gas um 1°C. zu er- wärmen, als wenn man das Volum desselben constant erhalten hätte. Offenbar wird dort die specifische Wärme genau um so viel grösser sein, als Wärme zur Ausdehnung des Gases erforderlich ist. Die Un- terschiede der specifischen Wärme bei constantem Druck und bei con- stantem Volum geben daher das geeignetste Mittel an die Hand, um das einer bestimmten Wärmemenge entsprechende Aequivalent mecha- nischer Arbeit zu bestimmen. (S. §. 280). Zwischen der specifischen Wärme der meisten chemisch ein- 266 Beziehungen der specifischen Wärme zum Atomgewicht. fachen Körper und ihrem Atomgewicht besteht, wie Dulong und Pe- tit zuerst gezeigt haben, die constante Beziehung, dass sich die specifischen Wärmen umgekehrt verhalten wie die Aequi- valentzahlen , oder, wie sich dasselbe Gesetz ausdrücken lässt, dass chemisch äquivalente Mengen gleiche specifische Wärmen besitzen . Multiplicirt man daher die Atomgewichte (A) mit der specifischen Wärme (C), so ist das Product A C eine con- stante Zahl, die, wenn man das Atomgewicht des Sauerstoffs zu 100 setzt, ungefähr gleich 39 ist. Für einige Körper, wie Phosphor, Brom, Jod, Gold, Silber u. s. w., findet man die doppelte Zahl, 79 oder 80, als Product der specifischen Wärme und des Atomgewichts, wesshalb Von der Wärme. Manche vorausgesetzt haben, dass das Atomgewicht dieser Körper nur halb so gross angenommen werden müsse. Eine isolirte Ausnahme bildet die Kohle, bei der, wenn man die specifische Wärme der thieri- schen Kohle zu Grunde legt, das Product A C = 19,5, also ungefähr = ½ der gewöhnlichen Constante ist; die für die Kohle in den an- deren Zuständen gefundenen Werthe von C geben gar keine Producte, welche zu den anderen eine einfache Beziehung zeigen. Wir können hiernach das Gesetz von Dulong und Petit exacter so aussprechen: die äquivalenten Mengen der chemisch einfachen Körper haben in der Re- gel entweder gleiche specifische Wärmen oder solche, die im Verhältniss von 1 : 2 stehen. Das nämliche Gesetz gilt nach Neumann und Reg- nault auch für ähnlich zusammengesetzte Verbindungen. Sowohl bei ihnen jedoch wie bei den einfachen Körpern ist jene Constanz des Productes A C, wie Regnault nachgewiesen hat, nicht in voller Strenge richtig. Dies geht schon daraus hervor, dass die specifischen Wärmen keineswegs vollkommen constant sind. (§. 263). Die Pro- ducte A C zeigen daher im selben Sinne wie die letzteren Schwan- kungen. Noch beträchtlichere Einschränkungen erfährt das Gesetz bei den gasförmigen Körpern. Dasselbe ist nur bei den permanenten Gasen annähernd verwirklicht, während namentlich die leicht condensirbaren, wie Brom und Jod, mehr oder weniger erheblich davon abweichen. Da chemisch äquivalente Mengen zweier Gase ausserdem entweder gleiche Volumina haben oder solche, die in einem einfachen Verhält- nisse zu einander stehen, so folgt, dass, insoweit das obige Gesetz gilt, die Wärmecapacitäten der Gase entweder einander gleich sind oder im selben Verhältnisse zu einander stehen wie die Aequivalent- volumina. Die chemische Atomtheorie nimmt an, dass das Atomgewicht wirklich das relative Gewicht eines Atoms bedeute, dass also in den Aequivalentgewichten immer eine gleiche Anzahl von Atomen enthal- ten sei. Ist diese Voraussetzung richtig, so hat das obige Gesetz eine sehr einfache Bedeutung: es haben dann die Atome aller einfachen Körper entweder gleiche specifische Wärmen oder solche, die im Ver- hältnisse von 1 : 2 stehen, und die Schwankungen der specifischen Wärme, die wir trotzdem beobachten, müssen auf Veränderungen in dem physikalischen Zustande der Körper bezogen werden, welche je- nes einfache, durch die chemische Beschaffenheit bedingte Verhält- niss modificiren. Wir würden vielleicht völlige Gleichheit der specifi- schen Wärme der Atome beobachten, wenn es uns möglich wäre diese genau im selben physikalischen Zustande zu untersuchen. Offenbar sind die Körper einer solchen Identität des physikalischen Zustandes am nächsten entweder als feste Körper oder bei jener Moleculardistanz, die dem Zustand der permanenten Gase entspricht. Latente und specifische Wärme. Die Wärmeveränderungen beim Wechsel des Aggregatzustandes 267 Latente Wärme chemischer Ver- bindungen. Ca- lorische Aequi- valente. haben uns zu der Vorstellung geführt, dass jedem Körper eine gewisse Wärmemenge im gebundenen oder latenten Zustand zukommt, von der ein Theil frei wird, wenn der Körper in einen festeren Aggre- gatzustand übergeht. Von jedem Körper, den wir in den drei Aggre- gatzuständen kennen, wissen wir daher, wie viel latente Wärme er als Gas mehr enthält denn als Flüssigkeit, und wie viel als Flüssig- keit mehr denn als fester Körper. Wir haben die so ermittelten Werthe als die latenten Wärmen der Flüssigkeiten und der Gase be- zeichnet. Dieselben stellen aber wie gesagt nur den Ueberschuss an latenter Wärme über den vorangegangenen fixeren Aggregatzustand dar, keineswegs etwa die absolute Quantität von Wärme, welche in einem Körper latent ist und also möglicher Weise aus ihm frei werden kann. Denn haben wir einen Körper in den festen Zustand überge- führt, so wird er in diesem noch eine gewisse Quantität latenter Wärme enthalten können. Ebenso wird natürlich in Gasen, die bis jetzt noch nicht verflüssigt werden konnten, eine sehr bedeutende Quantität von Wärme latent sein. Von dieser latenten Wärme, welche abgesehen von der beim Wechsel des Aggregatzustandes gebundenen in den Körpern enthalten ist, kommt ein Theil zum Vorschein, wenn die Körper chemische Ver- bindungen eingehen oder aus solchen ausscheiden. Man kann es als allgemeine Regel aufstellen, dass Wärme frei wird, wenn ent- weder die einfachen Körper sich verbinden oder losere Verbindungen sich zu festeren zusammenfügen, und dass dagegen Wärme latent wird, wenn sich zusammengesetzte Körper in ihre Elemente oder in losere Verbindungen trennen . Die Bildung chemischer Verbindungen wirkt also ähnlich wie der Uebertritt in einen dichteren Aggregatzustand, und die Auflö- sung solcher Verbindungen ähnlich dem Uebertritt in einen minder dichten Aggregatzustand. Man hat hauptsächlich die beim Eingehen chemischer Verbindungen frei werdende Wärme, welche man als che- mische Verbindungswärme bezeichnet, gemessen. Bei der Auf- lösung der Verbindungen wird aber natürlich genau ebenso viel Wärme latent, als bei ihrer Entstehung entbunden wurde. Je stabiler die Verbindungen sind, welche die Körper eingehen, um so grösser ist die freiwerdende Wärme. Bei der Bildung der einfachen binären Verbin- dungen, also bei der Bildung der Oxyde, Chlorüre, Jodüre u. s. w., ist daher die frei werdende Wärmemenge in der Regel eine sehr be- trächtliche. Weit geringer ist sie bei der Bildung eines Salzes aus Oxyd und Säure. Auch kann es bei der Bildung solcher zusammen- gesetzter Verbindungen, wenn sie gleichzeitig mit Zersetzung verbun- den ist, vorkommen, dass die bei der Zersetzung gebundene Wärme über die bei der Verbindung frei werdende überwiegt, dass also im Wundt , medicin. Physik. 26 Von der Wärme. ganzen Wärme latent wird. So tritt z. B. bei der Bildung des Was- serstoffsuperoxyds Erkältung, bei seiner Zersetzung in Wasser und Sauerstoff dagegen Erwärmung ein, offenbar weil in ihm die Atome des Wasserstoffs und Sauerstoffs weit loser als im Wasser an einan- der gebunden sind. In anderen Fällen wird die gebildete Wärme durch einen gleichzeitigen Wechsel des Aggregatzustandes compen- sirt. So wird z. B. bei der Bildung der Jodwasserstoffsäure Wärme gebunden. Favre und Silvremann , welche die chemische Verbin- dungswärme der wichtigeren Verbindungen ermittelt haben, bezeichnen diejenige Wärmemenge, welche bei dem Verbrauch der mit 1 Gr. Wasserstoff äquivalenten Mengen Metall frei wird, als das calorische Aequivalent des Metalls. Folgendes sind die so bestimmten calorischen Aequivalente des Wasserstoffs und der bekannteren Metalle: Das negative Vorzeichen für das calorische Aequivalent des Jodwasserstoffs be- deutet, dass die angegebene Wärmemenge latent wird. Diese Tabelle bestätigt deut- lich den obigen Satz, dass die Verbindungswärme um so grösser ist, je festere Verbin- dungen die Körper eingehen, eine je grössere Affinität also die sich verbindenden Elemente besitzen. So wird z. B. beim Entstehen der bekanntlich viel stabileren Oxyde des Eisens und Kupfers eine weit beträchtlichere Wärme entwickelt als bei der Verbindung des schwer oxydirbaren Silbers mit Sauerstoff. Eine weitere Bestätigung erhält dieser Satz durch die Betrachtung der beim Entstehen zusammengesetzterer Verbindungen frei werdenden Wärme. In einem Salz, wie im schwefelsauren Natron, ist die Schwefelsäure mit weit geringerer Affinität an das Natron als in diesem letz- teren Oxyd der Sauerstoff an das Natrium gebunden. Bei der Bildung solcher Salze ist daher die frei werdende Wärmemenge eine relativ kleine. So wurden z. B. bei der Verbindung von je 1 Gr. Metalloxyd mit der beistehenden Säure die folgenden Wärmemengen gefunden: 268 Beziehungen zwischen den calorischen Die Werthe, die man für die calorischen Aequivalente der Kör- per erhält, indem man entweder die bei der Eingehung der Verbin- Latente und specifische Wärme. dung frei werdende oder die bei ihrer Zersetzung gebundene Wärme Aequivalenten verschiedener Elemente. Modul der Metalloide. misst, giebt keineswegs ein vollkommen richtiges Maass der chemi- schen Verbindungswärme. Wir haben oben schon angeführt, dass z. B. bei der Bildung des Jodwasserstoffs nicht Wärme frei sondern umge- kehrt solche gebunden wird, weil die gleichzeitige Aenderung des Ag- gregatzustandes die Wirkung der chemischen Anziehung wieder auf- hebt. Aehnliche Verhältnisse wirken aber auch bei den anderen Ver- bindungen modificirend ein. Wollen wir also für die der Affinitäts- grösse der Körper wirklich entsprechende Wärmemenge ein Maass er- halten, so müssen wir offenbar unter solchen Verhältnissen die Ver- bindung eintreten lassen, unter denen die physikalische Beschaffenheit der Körper annähernd dieselbe ist. Dies lässt sich nur bei den lös- lichen Verbindungen ausführen, indem man die Lösungen der zusam- mengesetzten Stoffe zersetzt und die hierbei latent werdende Wärme misst: genau ebenso viel Wärme würde natürlich entstanden sein, wenn sich die Stoffe in der Lösung gebildet hätten. Auf diese Weise fan- den Favre und Silvremann , dass die calorischen Aequivalente der Metalle bei ihren Verbindungen mit den verschiedenen Metalloiden sich um eine für jedes Metalloid constante Grösse unterscheiden. Be- zeichnet man also die calorischen Aequivalente von Kalium, Natrium, Zink in Bezug auf den Sauerstoff mit C k , C n , C z , so ist das calo- rische Aequivalent derselben Metalle in Bezug auf Chlor = C k + M c , C n + M c , C z + M c , worin M c eine aus den Versuchen zu be- stimmende constante Zahl bedeutet. Aehnlich ist das calorische Aequi- valent dieser Metalle in Bezug auf Schwefel = C k + M s , C n + M s , C z + M s , u. s. w. Hat man also die calorischen Aequivalente nur in Bezug auf den Sauerstoff ermittelt, so lassen sich dieselben in Be- zug auf die übrigen Metalloide vorausbestimmen, wenn man nur die constanten Differenzen M c , M s u. s. w. kennt. Man bezeichnet diese für jedes Metalloid constante Differenz, die positiv oder negativ sein kann, als den Modul der Metalloide . Der Modul der verschiedenen Metalloide gegen Sauerstoff ist nach Favre und Silvremann folgender: Chlor + 20834 Jod — 4063 Brom + 9273 Schwefel — 25219 Die calorischen Aequivalente der verschiedenen Körper gegen Sauerstoff in Lö- sungen sind aber folgende: Kalium 76238, Natrium 73510, Zink 35751, Eisen 32554, Silber — 2808. Aus diesen Zahlen und den oben angegebenen Werthen für den Modul lassen sich die calorischen Aequivalente der Chlorüre, Sulfüre u. s. w. berech- nen, wobei jedoch immer diejenige Wärmemenge vorausgesetzt ist, die frei wird, wenn sich die Körper im gelösten Zustand verbinden. Auf die wichtigste Form der chemischen Verbindungswärmen, auf die bei der Oxy- dation der Körper frei werdende s. g. Verbrennungswärme müssen wir, da dieselbe die wichtigste Wärmequelle ist, in dem 5. Cap., wo wir von dem Ursprung der Wärme handeln, zurückkommen. 26 * Von der Wärme. 269 Calorimetrische Methoden. Zur Bestimmung der specifischen, der latenten Wärme und der chemischen Ver- bindungswärme der Körper bedarf man äusserst sorgfältiger Verfahrungsweisen, da die Körper, wenn sie erwärmt oder erkältet werden, ihre Temperatur mit derjenigen ihrer Umgebung allmälig ausgleichen. Die zu diesen Messungen eingeschlagenen Me- thoden werden als calorimetrische Methoden und die für dieselben benützten Vorrichtungen als Calorimeter bezeichnet. Die wichtigsten calorimetrischen Me- thoden sind folgende: 1) Die Methode der Mischungen . In ein Wassergefäss, welches durch schlechte Wärmeleiter sorgfältig geschützt ist, taucht ein empfindliches Thermometer. Den Körper, dessen specifische Wärme bestimmt werden soll, bringt man in eine be- sondere ebenfalls durch schlechte Wärmeleiter geschützte Kapsel, in welcher er auf eine bestimmte genau zu messende Temperatur erwärmt wird. Ist die letztere Tem- peratur, ebenso wie diejenige des Wassers, hinreichend constant geworden, so wird der erwärmte Körper in das Wasser gebracht und durch Umrühren eine Ausgleichung der Temperaturen bewirkt. Ist p das Gewicht des Körpers und t' die Temperatur, auf die man ihn erwärmt hat, ferner q die in dem Gefäss enthaltene Wassermasse und t deren Anfangstemperatur, und ist endlich ϑ die dem Körper und dem Wasser gemeinsame Endtemperatur, so ist die Temperatur des Wassers um ϑ —t erhöht und diejenige des Körpers um t'— ϑ erniedrigt worden. Die Wärmemenge, die verbraucht worden ist, um die Temperatur des Wassers um ϑ —t zu erhöhen, ist = q ( ϑ —t), da wir als Wärmeeinheit diejenige Wärmemenge angenommen haben, die erfordert wird um die Gewichtseinheit Wasser um 1° zu erwärmen. Bezeichnen wir mit x die Wärmemenge, die nöthig ist, um die Gewichtseinheit des untersuchten Körpers um 1° zu erwärmen, d. h. dessen specifische Wärme, so ist die bei der Abkühlung des Ge- wichtes p desselben um t'— ϑ ° verloren gehende Wärmemenge = x p (t'— ϑ ). Die Wärme, die der Körper verliert, ist aber gleich derjenigen, welche das Wasser auf- nimmt, also x p (t'— ϑ ) = q ( ϑ —t), woraus zur Berechnung der specifischen Wärme folgt. Nach diesem Princip kann nicht bloss die specifische Wärme der festen Körper sondern auch die latente und specifische Wärme der Gase und Dämpfe bestimmt werden. Natürlich muss man aber für den letzteren Zweck dem Calorimeter eine abweichende Einrichtung geben. Regnault verfuhr hierbei in folgender Weise: er leitete das Gas durch eine lange schlangen- förmig gewundene Röhre, welche sich in einem Oelbade befand, und in welcher daher das Gas auf einen bestimmten Temperaturgrad erhitzt wurde; aus dem Oelbad wurde dann das Gas durch ein mit Wasser gefülltes Calorimeter geleitet. Die Zeit des Durchströmens durch das Calorimeter wurde dadurch dass das letztere mittelst über einander befindlicher Wände ebenfalls in einen spiralförmigen Raum verwandelt war so verlangsamt, dass eine vollständige Ausgleichung der Temperatur des Gases mit derjenigen des Wassers eintreten konnte. Auf dem nämlichen Princip beruht das Verfahren, welches Dulong und später Favre und Silvremann zur Bestimmung der chemischen Verbindungswärme benützt haben. Den Apparat der letzteren For- scher werden wir bei der Betrachtung der Verbrennungswärme (§. 283) beschreiben. Die Methode der Mischung wird auch zur Bestimmung der latenten Schmelz- wärme sowie der latenten Verdampfungswärme angewandt. Man schmilzt zu diesem Zweck den festen Körper, dessen latente Schmelzwärme man bestimmen will, in einer Flüssigkeit, deren Temperatur höher als die Schmelztemperatur ist. Den Dampf, des- sen latente Wärme bestimmt werden soll, lässt man in einer Flüssigkeit, deren Tem- Latente und specifische Wärme. peratur hinreichend niedrig ist, sich condensiren. In beiden Fällen misst man dann die Endtemperatur, die das Gemenge angenommen hat. Die Apparate und Vor- sichtsmassregeln sind im ganzen dieselben wie bei der Ermittelung der specifischen Wärme. Liegt der Schmelzpunkt eines Körpers, dessen latente Schmelzwärme man bestimmen will, über der Siedetemperatur des Wassers, so wendet man statt des letz- teren im Calorimeter eine erst bei höherer Temperatur siedende Flüssigkeit an. Handelt es sich also z. B. um die Bestimmung der latenten Schmelzwärme des Eises, so bringt man die Quantität q des im Calorimeter enthaltenen Wassers zunächst auf die constante Temperatur t. Dann bringt man eine Quantität p Eis von 0° in das Wasser und beobachtet die Endtemperatur ϑ , die das Wasser nach vollständigem Schmelzen des Eises angenommen hat. Ist x die Quantität Wärme, welche nöthig ist, um die Gewichtseinheit Eis ohne Erhöhung seiner Temperatur zu schmelzen, also die latente Wärme, so werden bei der Schmelzung eines Gewichtes p x. p Wärmeein- heiten verbraucht. Ausserdem ist aber das Eis von 0° auf ϑ °, also um p. ϑ Wärme- einheiten erwärmt worden: die ganze ihm mitgetheilte Wärme beträgt somit x. p + p. ϑ . Dieser Wärmequantität muss die dem Wasser entzogene Wärmemenge q (t— ϑ ) gleich sein; aus der Gleichung x. p + p. ϑ = q (t — ϑ ) folgt aber: . 2) Die Methode des Eisschmelzens . Diese einst von Lavoisier und Laplace bei Versuchen über specifische Wärme und chemische Verbindungswärme der Körper angewandte Methode hat gegenwärtig nur noch ein historisches Interesse. Das von den genannten Forschern construirte Eiscalorimeter besteht aus einem doppel- wandigen, unten mit einer durch einen Hahn verschliessbaren Oeffnung versehenen Blechgefäss, dessen Zwischenraum zwischen beiden Wänden mit zerstossenem Eise gefüllt wird, und in dessen Innenraum man den Körper, dessen specifische oder Ver- brennungswärme man bestimmen will, bringt. Man lässt diesen Körper so lange auf das umgebende Eis einwirken, bis auch er die Temperatur 0° angenommen hat, dann bestimmt man die Quantität Eis, die in Folge dieser Ausgleichung der Temperatur zum Schmelzen kam. Ist q diese Quantität, so sind demnach, da die latente Schmelz- wärme des Eises = 79,2 ist, q. 79,2 Wärmeeinheiten frei geworden. Wenn der Körper, dessen Gewicht p und Anfangstemperatur t war, bei der Er- kältung auf 0° q. 79,2 Wärmeeinheiten frei machte, so würde die Gewichtseinheit desselben bei einem Sinken der Temperatur um 1° Wärmeeinheiten frei ge- macht haben: dies ist also die specifische Wärme. Dass diese Methode nur wenn es sich um das Freiwerden sehr bedeutender Wärmemengen handelt einigermassen genü- gende Resultate geben kann, erhellt aus der beträchtlichen latenten Schmelzwärme des Eises. Sie ist daher noch am ehesten brauchbar für die Messung jener Wärme- mengen, die bei der chemischen Verbindung, namentlich bei der Verbrennung der Körper, frei werden. 3) Die Methode des Erkaltens . Diese neuerdings von Regnault zur Bestimmung der specifischen Wärme eingeschlagene Methode gründet sich auf das im nächsten Capitel (§. 278) nachzuweisende Gesetz, dass die Geschwindigkeit, mit der zwei Körper von gleicher Oberfläche, wenn sie auf die nämliche Temperatur erwärmt sind, er- Von der Wärme. kalten, den Producten aus ihren Gewichten in ihre Wärmecapacitäten umgekehrt pro- portional ist. Bringt man daher verschiedene Körper, nachdem sie auf einen be- stimmten Temperaturgrad erwärmt sind, in einen Abkühlungsraum von constanter Temperatur, so lässt sich aus der Zeitdauer, die bis zur Ausgleichung der Tempera- tur verfliesst, das Verhältniss der specifischen Wärmemengen berechnen. Viertes Capitel . Fortpflanzung der Wärme. 270 Wärmestrah- lung und Wär- meleitung. Alle Körper haben das Streben ihren Wärmezustand mit demje- nigen ihrer Umgebung auszugleichen, Wärme abzugeben, wenn ihre Temperatur höher, und solche aufzunehmen, wenn sie niedriger ist. Diese Ausgleichung des Wärmezustandes kann entweder so geschehen, dass ein erwärmter Körper in seine kältere Umgebung Wärme aus- strahlt, oder so, dass er einem anderen ihn berührenden Körper oder mit ihm zusammenhängenden Theilen desselben Körpers Wärme mit- theilt. Man bezeichnet die erste Art der Fortpflanzung der Wärme als Wärmestrahlung , die zweite als Wärmeleitung . Die Wärme- strahlung verhält sich vollständig wie die Lichtausstrahlung, mit wel- cher sie häufig verbunden ist. Die Strahlen der Wärme zeigen Re- flexion, Brechung, Interferenz u. s. w. und führen daher nothwendig wieder auf Wellenbewegungen des Aethers zurück. Die Wärmeleitung gleicht dagegen der geradlinigen Ausbreitung einer Flüssigkeit, ihre Geschwindigkeit hängt ab theils von einem specifischen Leitungsver- mögen der Körper theils von dem Unterschied der in benachbarten Theilen vorhandenen Wärmezustände. 271 Thermoelektri- sche Messappa- rate. Um die Gesetze der Wärmestrahlung sowohl wie der Wärmelei- tung nachweisen zu können, bedarf man thermometrischer Werkzeuge, welche sehr schnell die an einem gegebenen Ort vorhandene Tempe- ratur zu messen gestatten. Die verschiedenen Formen des Thermo- meters, die immer einer beträchtlichen Zeit bedürfen, bis sie die Tem- peratur ihrer Umgebung angenommen haben, sind daher hierzu nicht mehr geeignet. Wir besitzen aber ein Mittel zur fast augenblicklichen Erkennung des Wärmezustandes eines gegebenen Punktes in den thermoelektrischen Messapparaten , die sich auf die im näch- sten Abschnitt darzulegende Erzeugung elektrischer Ströme mittelst der Wärme gründen. Die beiden Hauptbestandtheile eines jeden thermo- elektrischen Messapparates sind die Thermosäule und der Thermo- multiplicator . Beide sind in Fig. 193 schematisch dargestellt. Lö- thet man rechtwinklig gebogene Wismuth- und Antimonstäbchen so wie es in der Fig. geschehen ist, wo die schraffirten Stäbchen das Antimon, die anderen das Wismuth bedeuten, zusammen, und er- wärmt man nun die nach der einen Seite gekehrten Löthstelleu 1, 3, 5, Fortpflanzung der Wärme. Fig. 193. während man die Temperatur der an- deren ungeändert lässt, so entsteht in einem die Enden a und b der zusam- mengelötheten Stäbchen verbindenden Drahte, ein elektrischer Strom, der von b nach a gerichtet ist, und der, wenn man den Draht um eine leicht drehbare Magnetnadel n s herumführt, den Nordpol der letzteren nach Osten ablenkt. Erwärmt man umgekehrt die Löthstellen 2, 4, so entsteht ein von a nach b gerichteter Strom, der den Nordpol der Magnetnadel nach Westen ablenkt. Die Grösse dieser Ablenkungen wächst mit dem Temperaturunterschied der Löthstellen 1, 3, 5 und 2, 4. Man kann leicht die Ablenkungen, welche bestimmten Temperaturunterschieden der Löthstellen entsprechen, an einem gegebenen Apparat ein für alle- mal empirisch bestimmen. Ist dies geschehen, so besitzt man in der Thermosäule und dem Thermomultiplicator ausserordentlich feine und rasche Hülfsmittel für die Messung von Temperaturen. Man hält zu diesem Zweck die Löthstellen 2, 4 auf einer constanten Temperatur. Werden nun die Löthstellen 1, 3, 5 von strahlender Wärme getroffen, oder berühren dieselben einen Körper von bestimmter Temperatur, so wird durch den Ausschlag der Magnetnadel alsbald der Temperatur- grad angezeigt. Um die Empfindlichkeit des thermoelektrischen Apparats zu erhöhen, führt man den die Enden a und b der Thermosäule verbindenden Draht in mehrfachen Windun- gen um die Magnetnadel n s und wendet statt der letzteren zwei fest mit einander verbundene Nadeln an, deren Pole die entgegengesetzte Lage besitzen, um die Richt- kraft des Erdmagnetismus zu vermindern (vgl. §. 340). Der Thermosäule ist eine sehr verschiedene Form gegeben worden. Im Allgemeinen muss dabei eine grössere Zahl solcher Elemente, wie in Fig. 193 deren drei abgebildet sind, vereinigt werden. Zu den Versuchen über strahlende Wärme brachte Melloni die Thermosäule in ein parallelepipedisches Kästchen, so dass die eine Reihe der Lothstellen (1, 3, 5) den Wärmestrahlen zugekehrt, die andere (2, 4) von denselben abgekehrt war. Es wurde dann das die Thermosäule enthaltende Kästchen auf einer Messingsäule befestigt. Vor ihr war ein Schirm angebracht, der in der Mitte eine Oeffnung zum Durchlassen der Wärmestrahlen besass. In einiger Entfernung von dieser Oeffnung befand sich die Wärmequelle, ausserdem befand sich vor der Thermosäule ein Tischchen, um auf das- selbe Körper zu stellen, deren Leitungsfähigkeit für strahlende Wärme untersucht werden sollte. Diese verschiedenen Theile des Apparats konnten auf einem Maassstab beliebig gegen einander verschoben werden. Wo es sich um die Untersuchung der geleiteten Wärme handelt, ist die Ein- richtung des Versuchs eine viel einfachere; doch bedarf man hier im Allgemeinen eines empfindlicheren Thermomultiplicators, da die Löthstellen der Metalle meistens nur an einem sehr begrenzten Ort applicirt werden sollen, und desshalb nur sehr Von der Wärme. wenige Thermoelemente angewandt werden können. Es ist so auf thermoelektrischem Wege namentlich die Temperatur der inneren Theile des menschlichen Körpers unter- sucht worden. Die thermoelektrische Messung hat hier vor derjenigen mit dem ge- wöhnlichen Thermometer den Vorzug, dass 1) das thermoelektrische Element an Stel- len applicirt werden kann, welche für das Quecksilberthermometer unzugänglich sind, und dass 2) schnell vergängliche Temperaturschwankungen auf diese Weise noch wahr- zunehmen sind. Ausserdem lässt sich dem thermoelektrischen Apparat eine um vieles Fig. 194. grössere Empfindlichkeit geben als dem Quecksilberther- mometer. Becquerel und Breschet wandten als Thermoelement eine aus Eisen und Kupfer zusammenge- löthetete Nadel an, deren Löthstelle in die zu untersu- chenden Theile gebracht wurde. Helmholtz nahm zur Untersuchung der von den Muskeln bei ihrer Contraction entwickelten Wärme Eisenbleche e (Fig. 194), an deren Enden Neusilberbleche n n von halber Länge angelöthet waren; die Enden der letzteren laufen spitz zu, um da- mit den Muskel durchbohren zu können. Die Einführung geschah so, dass die eine Löthstelle a im Muskel, die an- dere b ausserhalb lag. Auf diese Weise wurde der Mus- kel mit mehreren Elementen durchbohrt, die nach ihrer Einführung in der in Fig. 194 angedeuteten Weise zur Kette verbunden wurden. An einem empfindlichen Thermomultiplicator gelang es mittelst dieser Vorrichtung noch eine Temperaturerhöhung von 0,0007°C. unmittelbar zu messen. 272 Eigenschaften der strahlenden Wärme. Die Fortpflanzung der strahlenden Wärme folgt vollständig den Gesetzen der Ausbreitung des Lichtes. Es genügt daher ohne wei- tere Erläuterung anzuführen, dass 1) die Intensität der Wärme im um- gekehrten Verhältniss der Entfernung von der Wärmequelle steht, dass 2) ein auf ein dichteres Medium fallender Wärmestrahl reflectirt wird, indem der einfallende mit dem reflectirten Strahl in derselben Ebene liegt und der Einfallswinkel gleich dem Reflexionswinkel ist, dass 3) die Wärmestrahlen beim Uebergang in ein anderes Medium gleich den Lichtstrahlen gebrochen werden, wobei der Brechungsexponent sich nicht nur verändert je nach der Wärmequelle, sondern auch eine und dieselbe Wärmequelle Strahlen verschiedener Brechbarkeit entsendet (Dispersion der Wärmestrahlen); dass 4) die Wärme beim Durchstrah- len der Körper eine Absorption erfährt, welche von der Substanz der Körper abhängig ist und die verschiedenen Brechbarkeitsstufen der Wärme in verschiedenem Maasse trifft; und dass endlich 5) die Wärme Interferenz, Beugung, Polarisation und Doppelbrechung in völlig ana- loger Weise wie das Licht zeigt. Alle diese Gesetze werden mit Hülfe des oben beschriebenen Melloni ’schen Apparates nachgewiesen. So lässt sich das Gesetz, dass die Intensität der Wärme im umgekehrten Verhältnisse des Quadrates der Entfernungen steht, darthun, indem man die Distanzen der Wärmequelle und der Thermosäule variirt. Die Gesetze der Reflexion lassen sich nachweisen, indem man der Thermosäule eine seitliche Aufstel- Fortpflanzung der Wärme. lung giebt und einen Spiegel anbringt, der verschiedentlich gegen die Thermosäule und die Wärmequelle sich neigen lässt. Zur Nachweisung der Gesetze der Brechung wird vor die Wärmequelle ein Prisma aus der betreffenden Substanz gebracht. Für die Nachweisung der Absorption, Interferenz, Beugung, Polarisation und Doppelbre- chung sind endlich die Methoden im wesentlichen dieselben wie beim Lichte: nur muss man wo hier gewöhnlich das beobachtende Auge genügt dort den thermoelektrischen Apparat zur Nachweisung der Wärme und ihrer Intensitätsgrade anwenden. Eine besondere Betrachtung erheischt unter allen diesen Erschei- 273 Diathermane Körper. Das Wärmespek- trum. nungen nur die Durchstrahlung der Körper und die hierbei geschehende Absorption der Wärmestrahlen. Wie die Körper dem Licht gegenüber in durchsichtige und un- durchsichtige zerfallen, so sind sie auch für die Wärme durchgängig oder undurchgängig; und wie die durchsichtigen Körper entweder farblos oder gefärbt sind, so lassen auch die für Wärme durchgängi- gen Körper entweder Wärmestrahlen jeder Brechbarkeit oder nur solche von bestimmten Brechbarkeitsstufen hindurchtreten. Man unter- scheidet hiernach die Körper in diathermane und in adiather- mane , und die diathermanen Körper zerfällt man in thermisch farb- lose und in thermisch gefärbte oder thermochroische . Ein voll- kommen diathermaner und zugleich thermisch farbloser Körper ist das Steinsalz. Ein fast vollkommen adiathermaner Körper ist der Kienruss. Die meisten anderen Körper dagegen sind thermisch gefärbt, d. h. sie absorbiren einen Theil der Wärmestrahlen, während sie einen anderen hindurchlassen. Bringt man vor eine Thermosäule ein Prisma aus einem diather- manen Körper, z. B. aus Steinsalz, und lässt man auf das Prisma ei- nen Lichtstrahl fallen, so wird der letztere in ein Farben- und Wär- mespektrum auseinandergelegt. Untersucht man die Intensität der an den verschiedenen Stellen des Spektrums vorhandenen Wärme, so fin- det man, dass dieselbe im Roth am grössten ist, dann gegen die brechbareren Strahlen allmälig abnimmt, und im Violett fast verschwin- det. Dagegen ist in dem dunkeln Theil des Spektrums jenseits des Roth noch eine Strecke weit Wärme nachweisbar. Die Wärmestrah- len verhalten sich also entgegengesetzt wie die chemischen Strahlen: während die letzteren über die Grenze der brechbarsten Lichtstrahlen hinausreichen, zeigen die ersteren noch geringere Brechbarkeitsstufen als die Lichtstrahlen von kleinster Brechbarkeit. Entwirft man somit über einem Spektrum drei Curven, deren eine die Lichtwirkung, die andere die chemische und die dritte die Wärmewirkung darstellt, so ist die Curve der Lichtwirkung L die mittlere, sie nimmt den leuchten- den Theil des Spektrums ein, in welchem wir die Stellen der Frauen- hofer’schen Linien (A bis I) mit denselben Bezeichnungen wie in Fig. 119 (S. 244) versehen haben. Das Maximum dieser Curve liegt im Gelb; die Curve der chemischen Wirkung C reicht rechts über das Spek- Von der Wärme. Fig. 195. trum hinaus, ihr Maximum liegt etwas jenseits des Violett, die Curve der Wärmewirkung W endlich reicht links über das Spektrum, und ihr Maximum fällt mit der Grenze des Roth zusammen. 274 Thermische Färbung. Die dunkeln Wär- mestrahlen. Ein Steinsalz-Prisma zeigt immer die in Fig. 195 dargestellte Vertheilung der Wärme-, Licht- und chemischen Wirkung, wie dick auch die durchstrahlte Schichte des Prismas sein mag. Hieraus schlies- sen wir, dass das Steinsalz nicht bloss vollkommen durchsichtig, son- dern auch vollkommen diatherman ist. Wählt man dagegen Prismen aus andern durchsichtigen Substanzen, z. B. aus Glas, Alaun, Feld- spath, so bleibt zwar die Vertheilung der Farbenintensität im Licht- spektrum dieselbe, wenn man die Dicke der durchstrahlten Schichte zunehmen lässt, aber die Vertheilung der Wärmeintensität im Wärme- spektrum ändert sich, indem einzelne Brechbarkeitsstufen der Wärme an Intensität schwächer werden und endlich ganz verschwinden. Wir schliessen hieraus, dass jene Substanzen, obgleich optisch farblos, dennoch thermisch gefärbt sind. Hierbei zeigt sich jedoch folgendes sehr bemerkenswerthe Verhältniss zwischen den leuchtenden und den dunkeln Wärmestrahlen: in dem leuchtenden Theil des Spek- trums correspondirt die Intensität der Wärmestrahlen fortwährend der Intensität der Lichtstrahlen, nur in dem dunkeln Theil verändert sich die relative Wärmeintensität. Ein durchsichtiger Körper wie das Glas absorbirt also nur von den dunkeln nicht von den leuchtenden Wärme- strahlen. Ein gefärbtes Glas lässt darum auch von den farbigen Wärmestrahlen bloss diejenigen hindurch, die seiner Farbe entsprechen, also z. B. ein rothes Glas bloss solche von der Brechbarkeitsstufe des Roth, keine grünen, gelben u. s. w. Kurz: durchsichtige Körper lassen immer ebenso viel leuchtende Wärme wie leuchtendes Licht durch, dagegen können sie davon unabhängig verschiedene Mengen dunk- ler Wärme absorbiren. Nach den Versuchen von Masson und Jamin kann man verschiedene durchsichtige Substanzen in Bezug auf ihre Durchdringlichkeit für die dunkeln Wärmestrahlen in folgende Reihe ordnen: Steinsalz, Flussspath, isländ. Doppelspath, Glas, Berg- krystall, Alaun, Eis. Das Steinsalz lässt fast alle dunkeln Strahlen hindurchtreten, während das Eis fast alle zurückhält. Undurchsichtige Körper können natürlich nur dunkle Wärmestrahlen hindurchlassen. Absorbirt ein Körper eine bestimmte Sorte von Wärmestrahlen, so Fortpflanzung der Wärme. nimmt die Menge dieser absorbirten Strahlen mit der Dicke der durch- strahlten Schichte zu. Dagegen werden diejenigen Wärmestrahlen, deren Intensität in dünnen Schichten unverändert bleibt, auch durch dickere Schichten nicht in merklicher Menge hinweggenommen, ähn- lich wie z. B. ein gelbes Glas gelbe Lichtstrahlen selbst bei bedeu- tender Dicke fast sämmtlich hindurchlässt, während es von dem an- ders gefärbten Lichte um so mehr absorbirt, in je dickeren Schichten man es anwendet. Wenn strahlende Wärme auf einen Körper trifft, so sind nun die Erscheinungen, wie beim Lichte, aus Brechung, Reflexion und Ab- sorption zusammengesetzt. An der Oberfläche der meisten Körper erfährt die Wärme eine diffuse Reflexion; ein Theil der Wärme wird aber erst, nachdem er bis zu einer gewissen Tiefe in den Körper ein- gedrungen ist, zurückgeworfen und ist daher, da hierbei Wärmestrah- len absorbirt werden, je nach der Natur der Körper in verschiedener Weise thermisch gefärbt. Körper, die thermisch vollkommen schwarz sind, giebt es nicht: alle strahlen wenigstens einen Theil der auf sie fallenden Wärme zurück und lassen ebenso einen Theil hindurch; am meisten nähert sich der Russ dem thermischen Schwarz. Thermisch gleiche Färbung fällt mit optisch gleicher Färbung ebenso wenig wie vollkommene Diathermansie mit Durchsichtigkeit zusammen. Die Me- talle sind z. B. sämmtlich thermisch gleich gefärbt, und zwar sind sie alle thermisch als weiss anzusehen, da sie sämmtliche Wärmestrahlen in nahezu gleicher Intensität zurückwerfen. Das Verhalten der Körper gegen die Wärme ist, ähnlich wie ihr 275 Verhältniss von Absorptions- und Emissions- vermögen. Verhalten gegen das Licht, von dem Wechselverhältniss abhängig, in welchem Absorptions- und Emissionsvermögen zu einander stehen. Je vollkommener diatherman die Körper sind, um so geringer ist ihr Absorptionsvermögen; so ist z. B. das Absorptionsvermögen des Stein- salzes fast null, dasjenige des Russes dagegen sehr beträchlich. Die Emission der Wärme giebt sich daran zu erkennen, dass Körper, die über die Temperatur ihrer Umgebung erwärmt sind, allmälig auf diese Temperatur herabsinken: je grösser ihr Emissionsvermögen ist, um so schneller geschieht letzteres. Absorptions- und Emissionsvermögen sind in einer nothwendigen Wechselbeziehung. Die Temperatur, auf welche ein Körper durch eine bestimmte Wärmemenge erwärmt wer- den kann, steht im directen Verhältnisse zum Absorptions-, im umge- kehrten zum Emissionsvermögen desselben. Denn der Körper erwärmt sich ja um so mehr, je mehr Wärme er absorbirt, und je weniger er davon, während die Wärme ihm zugeführt wird, ausstrahlt. Wenn also zwei verschiedenen Körpern eine und dieselbe Wärmemenge zu- geführt wird, so verhalten sich die Temperaturen t und t', auf welche beide erwärmt werden, Von der Wärme. , wenn wir mit A und E Absorptions- und Emissionsvermögen des er- sten, mit A' und E' diejenigen des zweiten Körpers bezeichnen. Las- sen wir, um ein Maass für das Absorptionsvermögen zu gewinnen, A, A' diejenige Menge strahlender Wärme bedeuten, welche einen Körper von der Einheit der Oberfläche um 1°C. erwärmt, und bezeich- nen wir ebenso mit E, E' die Wärmemenge, die ein Körper von der Einheit der Oberfläche ausstrahlt, wenn seine Temperatur um 1° höher ist als diejenige seiner Umgebung, so werden in der obigen Gleichung t und t' gleich 1, und man erhält . Durch Vergleichung eines dritten Körpers wird man ebenso erhalten . Man wird also allgemein für eine beliebige Anzahl von Körpern, deren Absorptionsvermögen durch A, A', A″, A‴ ...., und deren Emissionsvermögen durch E, E', E″, E‴ .... gemessen wird, schreiben können . . . . = Const., d. h. der Quotient aus Emissions- und Absorptionsvermögen der Kör- per ist eine constante Grösse. Dieser Satz gilt jedoch selbstverständ- lich nur für die Strahlen von einer bestimmten Wellenlänge. Da streng genommen alle Körper mehr oder weniger thermisch gefärbt sind, so ändert sich auch ihr Absorptions- und Emissionsvermögen für verschiedene Strahlen. Gilt z. B. die obige Gleichung für Strahlen von der Wellenlänge l, so sind für andere Strahlen von der Wellen- länge l' etwa E 1 , E 2 , E 3 … und A 1 , A 2 , A 3 … die Emissions- und Absorptionscoëfficienten, und man hat für diese Strahlen die Gleichung … = Const.; der Quotient aus Emissions- und Absorptionsvermögen ist wieder eine constante, aber von der vorigen verschiedene Grösse. Hieraus ergiebt sich die wichtige Folgerung, dass die Qualität der von einem Körper ausgehenden Strahlen nur abhängt von der Temperatur desselben, nicht von seiner Beschaffenheit. Die Richtigkeit dieser Folgerung hat Draper bewiesen, indem er fand, dass die verschiedenartigsten Sub- stanzen bei der gleichen Temperatur, nämlich bei etwa 525°C., leuch- tende Strahlen auszusenden beginnen. Der Satz = Const. lässt sich, wenn man Absorptions- und Emissions- vermögen eines bestimmten Körpers zur Einheit nimmt, auch so ausdrücken: Absorp- tions- und Emissionsvermögen sind bei jedem Körper für dieselben Strahlen und bei Fortpflanzung der Wärme. derselben Temperatur einander gleich. Melloni hat dies bei Versuchen mit der Thermosäule direct bestätigt gefunden. Setzte er das Emissions- und Absorptions- vermögen des Russes = 100, so fanden sich für einige andere Substanzen folgende Werthe: Um das Emissionsvermögen zu prüfen, waren die Substanzen auf 100° erwärmt; zur Untersuchung des Absorptionsvermögens diente als Wärmequelle ein auf 100° er- wärmter Kupferspiegel; in der dritten Versuchsreihe war der letztere auf 400° er- wärmt, wodurch das Absorptionsvermögen, und im selben Maasse jedenfalls auch das Emissionsvermögen geändert wird. Wegen der Gleichheit von Absorptions- und Emis- sionsvermögen kann man sich nun mit der Bestimmung des einen oder andern be- gnügen. Während sich die strahlende Wärme gleich dem Lichte mit fast 276 Fortpflanzung der Wärme durch Leitung- Innere Lei- tungsfähigkeit. unmessbarer Geschwindigkeit fortpflanzt, geschieht die Fortpflanzung der geleiteten Wärme so langsam, dass man ihr Weiterschreiten von einem Theilchen eines Körpers zu einem andern deutlich verfol- gen kann. Zugleich beobachtet man hierbei, dass dieses Weiterschrei- ten je nach der Natur der Körper mit ausserordentlich verschiedener Geschwindigkeit geschieht. Wenn man z. B. das eine Ende einer Metallstange erwärmt, so geräth sehr bald auch das andere Ende in eine beträchtliche Temperaturerhöhung, während sich ein Stab von Glas oder gar eine Stange von Holz in den nicht unmittelbar die Wärmequelle berührenden Theilen viel langsamer und schwächer er- wärmt. Die langsame Fortpflanzung der geleiteten Wärme erklärt sich, wenn wir einen Körper, insofern er Wärme leitet, als vollkommen adiatherman ansehen: dann wird jedes Theilchen des Körpers Wärme absorbiren und, sobald es sich merklich über seine Umgebung er- wärmt hat, auf das nächste Theilchen überstrahlen; dieses wird in gleicher Weise Wärme absorbiren und, nachdem es erwärmt ist, wie- der solche ausstrahlen, u. s. f. Wir können so die Wärmeleitung in einem Körper als eine Folge von Absorptions- und Emissionsvorgän- gen auffassen. Diese Beobachtung gilt für alle Körper, ob sie dia- therman sind oder nicht, da nur diejenige Wärme, die der Körper absorbirt, nicht aber die strahlende Wärme, welche er hindurchlässt, von ihm geleitet werden kann; vollkommen diathermane Körper, wie das Steinsalz, sind daher fast gar nicht fähig die Wärme zu leiten. Denkt Von der Wärme. man sich einen prismatischen Körper senkrecht zu seiner Längsaxe in dünne, parallele Schichten zerlegt, so geschieht, wenn eine End- schichte des Körpers erwärmt wird, die Fortpflanzung zur nächsten Schichte um so schneller, je grösser der Temperaturunterschied ist, sie ist aber ausserdem abhängig von einem für jeden Körper constanten Coëfficienten, der die Wärmeleitungsfähigkeit des betreffenden Körpers ausdrückt. Bezeichnen wir diesen Coëfficienten mit k, die Tempera- tur, auf welche die Endschichte erwärmt wurde, mit t', und die Tem- peratur der zweiten Schichte mit t, so wird demnach die Geschwin- digkeit der Wärmeleitung ausgedrückt durch k (t' — t). Soll nun die Wärme nicht bloss von einer Schichte auf eine nächste, sondern durch einen ganzen Stab von der Länge l sich fortpflanzen, so wird dies eine l-mal längere Zeit brauchen, die Geschwindigkeit der Fort- pflanzung wird also jetzt gemessen durch den Ausdruck . Dieser Ausdruck wird = k, wenn t' — t und l beide = 1 werden, d. h. k ist diejenige Wärmemenge, welche in der Zeiteinheit auf eine in der Einheit der Entfernung befindliche Schichte übergeht, wenn der Temperaturunterschied 1° beträgt. Die Grösse k bezeichnet man als die innere Wärmeleitungsfähigkeit der Substanz. 277 Aeussere Lei- tungsfähigkeit. Relative Lei- tungsfähigkeit. Die innere Wärmeleitungsfähigkeit eines Körpers können wir niemals direct bestimmen, weil jene Vorgänge der Emission und Ab- sorption niemals auf die Schichten des Körpers beschränkt bleiben, sondern weil derselbe immer zugleich nach aussen Wärme ausstrahlt. Dadurch muss eine entfernte Schichte sich langsamer erwärmen, als der inneren Leitungsfähigkeit entspricht, und sie kann überdies nie- mals auf denjenigen Temperaturgrad sich erwärmen, welchen die erste Schichte besitzt, sondern sie wird in einen stationären Zustand ge- rathen, sobald sie an ihre Umgebung in der Zeiteinheit ebenso viel Wärme abgiebt, als sie von der vorangehenden Schichte zugeführt erhält. Der wirkliche Wärmezustand eines Körpers hängt daher nicht bloss von seiner innern sondern auch von seiner äussern Wärme- leitungsfähigkeit ab. Entsprechend dem Coëfficienten für die innere Leitungsfähigkeit bezeichnet man die äussere durch diejenige Wärme- menge h, welche von der Flächeneinheit in der Zeiteinheit nach aussen abgegeben wird, wenn die Temperaturdifferenz der Oberfläche und der Umgebung 1° beträgt. Diese äussere Wärmeleitungsfähigkeit ist aber eine zusammengesetzte Erscheinung: sie ist theils abhängig von dem Emissionsvermögen des Körpers theils von dem Absorptionsver- mögen seiner Umgebung. Lässt man den Körper im luftleeren Raume erkalten, so kommt bloss sein Emissionsvermögen zur Beobachtung; lässt man ihn in der Luft erkalten, so tritt gleichzeitig die Absorption Fortpflanzung der Wärme. der Wärme durch die umgebende Luft in Wirkung. Bleibt also auch die Umgebung dieselbe, so ist immer noch der Wärmezustand verschie- dener Körper von ihrem Emissionsvermögen abhängig, und man kann daher aus den Temperaturen, die sie annehmen, noch nicht auf ihre innere Leitungsfähigkeit schliessen. Man kann jedoch auch das Emis- sionsvermögen gleich machen, wenn man die verschiedenen Körper mit einer dünnen Schichte einer und derselben Substanz überzieht, dadurch z. B. dass man die Oberfläche überfirnisst oder versilbert. Es werden sich dann die äussern Wärmeverluste verschiedener Kör- per von gleichem Querschnitt aber ungleicher Länge einfach wie die Längen der Körper verhalten. Ein Körper von der doppelten Länge wird also durch die äussere Wärmeleitung an seinem der erwärmten Anfangsschichte entgegenstehenden Ende gerade halb so viel Wärme verlieren als ein Körper von der einfachen Länge, und da die durch innere Leitung fortgepflanzte Wärme ebenfalls im Verhältniss der Länge abnimmt, so wird sonach die gesammte durch innere und äussere Leitung fortgepflanzte Wärme im umgekehrten Verhältniss des Qua- drates der Länge stehen. Vergleicht man zwei Stäbe von gleichem Querschnitt und Umfang, deren eines Ende derselben Temperatur aus- gesetzt ist, und sucht man diejenigen Entfernungen l und l' vom An- fangspunkt auf, wo die Temperaturen beider Stäbe gleich geworden sind, so verhält sich, wenn k das innere Leitungsvermögen des ersten, k' dasjenige des zweiten Stabes bedeutet, . Mit Hülfe des zuletzt angegebenen Princips lässt sich leicht die re- lative Wärmeleitungsfähigkeit der festen Körper bestimmen. Setzt man die Leitungsfähigkeit des Goldes gleich 1000, so wird nach den Versuchen von Despretz diejenige anderer fester Körper durch die beistehenden Zahlen angegeben: Silber 973,0 Eisen 374,3 Blei 179,6 Platin 981,0 Zink 363,0 Marmor 23,6 Kupfer 898,2 Zinn 303,9 Porzellan 12,2 Ziegel 11,4 Die Leitungsfähigkeit der Krystalle untersuchte Sénarmont , indem er dünne Platten derselben mit Wachs überzog. Das Schmelzen des Wachses gab dann gra- phisch die Verbreitung der Wärme an. Sénarmont fand so, dass sich in den Kry- stallen des regulären Systems die Wärme gleichförmig nach allen Richtungen verbrei- tet, bei den einaxigen Krystallen ist die Leitungsfähigkeit in einer Richtung grösser als in den darauf senkrechten: construirt man daher ähnlich wie für die Verbreitung des Lichtes eine Fortpflanzungsfläche, so ist dieselbe, übereinstimmend mit der Wel- lenfläche des Lichtes, im ersten Fall eine Kugel, im zweiten Fall ein Rotationsellip- soid. Bei den zweiaxigen Krystallen wird sie durch ein dreiaxiges Ellipsoid darge- stellt. Nach derselben Methode untersuchte Knoblauch die Wärmeleitungsfähigkeit Von der Wärme. der Hölzer und fand, dass dieselbe stets parallel den Fasern am besten, senkrecht zu ihnen am schlechtesten ist. In den Flüssigkeiten und Gasen verbreitet sich die Wärme grossentheils durch die Bewegung der Flüssigkeits- und Gastheilchen, die sie veranlasst. Die erwärmte Schichte steigt in die Höhe, und die kältere sinkt nieder, um gleichfalls erwärmt zu werden. Will man daher die unabhängig von dieser Bewegung der Theilchen stattfin- dende Wärmeleitung erforschen, so muss man die in einem abge- schlossenen Gefäss befindlichen Flüssigkeiten oder Gase von oben erwärmen. Despretz hat so die relative Leitungsfähigkeit des Wassers gemessen, und sie, wenn diejenige des Kupfers = 1000 ge- setzt wird, = 9 gefunden. Noch schlechter leiten nach den Versuchen von Magnus die Gase. Man kann hiernach die eigentliche Leitungs- fähigkeit der flüssigen und gasförmigen Körper als völlig verschwin- dend gegen die durch die Bewegung der erwärmten Theilchen gesche- hende Verbreitung ansehen. 278 Das Erkalten erwärmter Körper. Ein erwärmter Körper, der sich in einer kälteren Umgebung be- findet, gleicht allmälig seine Temperatur mit derjenigen seiner Um- gebung aus. Die Geschwindigkeit, mit welcher diese Ausgleichung geschieht, ist innerhalb gewisser Temperaturgrenzen der Differenz der Temperaturen proportional. Bleibt die Temperatur der Umgebung constant, so geht daher die Ausgleichung um so langsamer vor sich, je mehr die Temperatur des erwärmten Körpers durch Erkalten sich derjenigen seiner Umgebung genähert hat, und, ähnlich wie der Raum unter der Luftpumpe im strengsten Sinn niemals vollständig luftleer wird, so kann auch der erkaltende Körper niemals vollständig auf die Temperatur seiner Umgebung herabsinken; freilich aber ist die schliess- liche Differenz für unsere messenden Werkzeuge nicht mehr nach- weisbar. Der Verlauf des Erkaltens setzt sich aus zwei neben einander herlaufenden Processen zusammen: aus einem Wärmeverlust durch Strahlung und aus einem Wärmeverlust durch Leitung. Der erstere lässt sich isolirt untersuchen, wenn man den erkaltenden Körper in den luftleeren Raum bringt, während beim Erkalten in der Luft die Strahlung immer von einer Leitung auf die umgebende Luft begleitet ist. In der Luft erkaltet daher ein Körper rascher als im luftleeren Raume. Abgesehen von diesen äusseren Momenten ist die Erkaltungs- geschwindigkeit von der Grösse der Oberfläche des Körpers und von seiner Wärmecapacität abhängig. Besitzen die Körper immer die nämliche geometrische Form, so ist ihre Oberfläche im Verhältniss zu ihrer Masse um so grösser, je kleiner diese Masse ist, und unter die- ser Voraussetzung verhalten sich daher die Erkaltungsgeschwindig- Fortpflanzung der Wärme. keiten umgekehrt wie die Gewichte. Vergleichen wir nun zwei Kör- per von gleicher Form und Oberfläche mit einander, die um gleich viel über die Temperatur der Umgebung erwärmt sind, so wird die Geschwindigkeit des Wärmeverlustes durch Strahlung proportional dem Emissionsvermögen eines jeden sein. Die Geschwindigkeit des Wärmeverlustes durch Leitung aber ist proportional dem Emissions- vermögen der Körper und dem Absorptionsvermögen ihrer Umgebung, denn die Leitung lässt ja, wie wir gesehen haben, als ein Wechsel von Emission und Absorption von einer Schichte zur andern sich auf- fassen. Da beim Erkalten in der Luft die Umgebung immer dieselbe bleibt, so können wir demnach auch die relative Wärmeabgabe durch Lei- tung als direct abhängig vom Emissionsvermögen der Körper betrachten. Nun verhält sich, wie wir in §. 275 gesehen haben, das Emissions- vermögen umgekehrt wie die specifische Wärme der Körpers. Die Geschwindigkeit v des Erkaltens wird also unter den angegebenen einfachen Voraussetzungen ausgedrückt durch die Gleichung , worin k eine constante Grösse, p das Gewicht und c die specifische Wärme bezeichnet. Die rechte Seite dieser Gleichung ist aber nach dem Obigen aus zwei Gliedern hervorgegangen. Nennen wir nämlich s die Geschwindigkeit des Wärmeverlustes durch Strahlung allein und l diejenige durch Leitung allein, so ist v = s + l, und wir haben , und , wo k' und k″ verschiedene Constanten bedeuten. Die Voraussetzung, von der wir bei diesen Betrachtungen ausgiengen, dass nämlich die Geschwindigkeit der Ausgleichung dem Temperaturunterschied proportional sei, ist nicht mehr verwirklicht, wo es sich um bedeutendere Temperaturdifferenzen handelt, sondern hier nehmen nach den Versuchen von Dulong und Petit die Er- kaltungsgeschwindigkeiten rascher zu als die Unterschiede der Temperatur, so dass die Werthe von v eine geometrische Reihe bilden, wenn t' (die Temperatur der Um- gebung) in arithmetischer Reihe wächst, und t—t' (die Differenz dieser Temperatur und derjenigen des erwärmten Körpers) constant bleibt. Auf den thierischen Körper, der fortwährend durch die in ihm thätigen Wärme- quellen über die Temperatur seiner Umgebung erwärmt wird, finden die Gesetze des Erkaltens unmittelbar ihre Anwendung, und zwar sind hier die Temperaturdifferenzen hinreichend klein, um die obige einfache Voraussetzung, dass die Geschwindigkeit des Erkaltens dem Wärmeunterschied proportional sei, zuzulassen. Durch die immer- währende Thätigkeit seiner Wärmequellen wird jedoch dem thierischen Körper die Wärme, die er durch Erkalten verliert, stets wieder zugeführt. In der Regel befindet er sich daher im Gleichgewicht der Wärmezufuhr und des Wärmeverlustes. Da aber hiernach bei der Beurtheilung der Wärmevertheilung im Thierkörper nicht bloss das Leitungs- und Emissionsvermögen seiner Gewebe, sondern auch der Ursprung der Wärme in Rücksicht kommt, so werden wir die Erkaltungserscheinungen am Thier- Wundt , medicin. Physik. 27 Von der Wärme. körper im nächsten Capitel im Zusammenhang mit den sonstigen Betrachtungen über die thierische Wärmeökonomie erörtern. Fünftes Capitel . Von dem Ursprung der Wärme und der Theorie der Wärme- erscheinungen. 279 Quellen der Wärme. Wir haben in den vorangegangenen Capiteln bereits eine Reihe von Erscheinungen kennen gelernt, bei denen uns ein Entstehen von Wärme entgegentrat. So sahen wir beim Uebergang der Kör- per in einen dichteren Aggregatzustand Wärme auftreten, und nament- lich die Gase zeigten bei blosser Compression auf ein kleineres Vo- lum schon Erhöhung der Temperatur; eine wichtige Wärmequelle end- lich lernten wir in der Schliessung chemischer Verbindungen kennen. Um die Verdichtung eines Körpers zu bewirken, ist aber eine be- stimmte äussere Arbeit erforderlich, und damit eine chemische Ver- bindung zu Stande komme, muss eine chemische Spannkraft zwischen den sich verbindenden Bestandtheilen vorhanden sein. Unsere bis- herigen Erörterungen weisen uns also auf zwei Wärmequellen, auf die mechanische Arbeit und auf die chemischen Verbindungsprocesse hin; unter den letzteren ist es insbesondere der Verbrennungsprocess, dem als allgemeine Wärmequelle die grösste Bedeutung zukommt. 280 Wärmeerzeu- gung aus me- chanischer Arbeit. Dass durch mechanische Arbeit Wärme erzeugt werden kann, lehren uns manchfache Erfahrungen. Bei den gewöhnlichen Methoden zur Gewinnung des Feuers, sei es mit Stahl und Stein, sei es mittelst unserer Zündhölzchen, bedient man sich der Reibung als wärme- erzeugender Kraft; sie ist es, welche die Axen rasch sich drehender Räder zuweilen bis zum Glühen erhitzt. Durch den Stoss entsteht beim Hämmern der Metalle, beim Prägen der Münzen ebenfalls oft ein bedeutender Hitzegrad. Mittelst feinerer thermometrischer Werk- zeuge lässt auch wo die mechanische Gewalt minder bedeutend ist ein Freiwerden von Wärme sich nachweisen. So erwärmt sich das Wasser, wenn man es in einem Gefässe schüttelt, oder wenn es durch eine Röhre strömt. Alle Gase erwärmen sich, wenn sie auf ein klei- neres Volum zusammengepresst werden, und ebenso bewirken die Schallwellen in der Luft eine Temperaturerhöhung. Um die Wärme zu messen, die einem bestimmten Aufwand von mechanischer Arbeit entspricht, hat Joule die bei der Reibung der festen Körper, Flüssigkeiten und Gase entstehende Wärme benützt. Er brachte zwei vollkommen auf einander passende Metallscheiben in ein mit Quecksilber gefülltes Gefäss. Mit dem letzteren war eine Vorrichtung verbunden, durch welche die beiden Platten auf einander gedreht wurden. Die bei dieser Drehung geleistete Arbeit wurde ge- Von dem Ursprung der Wärme und der Theorie der Wärmeerscheinungen. messen, und die entstehende Wärmemenge konnte aus der Tempe- raturerhöhung des Quecksilbers, unter Zugrundelegung der bekannten Wärmecapacität desselben (s. §. 262), berechnet werden. Es ergab sich so diejenige Zahl von Wärmeeinheiten, welche der bei der Rei- bung der Metalle auf einander verbrauchten Arbeit entsprach. In einer andern Versuchsreihe bestimmte Joule die Wärmemenge, welche bei der Bewegung einer Flüssigkeit, z. B. des Wassers oder Quecksilbers, entstand. Ein Schaufelrad wurde in der Flüssigkeit bewegt, und aus der Erwärmung der letzteren wie oben die der aufgewandten Arbeit entsprechende Wärmemenge berechnet. Aus diesen Versuchen ergab sich übereinstimmend als Aequivalent einer Wärmeeinheit (der Er- wärmung von 1 Kilogr. Wasser um 1°C.) eine Arbeit von 423,5 Ki- logrammmeter. Ein diesem sich hinreichend näherndes Resultat er- hielt Joule , als er die bei der Compression von Luft in einer Com- pressionspumpe erzeugte Wärme mittelst eines Calorimeters bestimmte. Der Schluss ist daher erlaubt, dass, welcher Art auch die Arbeit sei, durch die Wärme erzeugt wird, ob sie in der Bewegung fester, flüs- siger oder gasförmiger Körper bestehe, jeder Arbeitseinheit immer die gleiche Wärmemenge entspricht. Die Erzeugung mechanischer Arbeit aus Wärme bildet gegen- 281 Erzeugung me- chanischer Ar- beit aus Wärme. wärtig, in den calorischen Maschinen und Dampfmaschinen, eine un- serer wichtigsten Arbeitsquellen. Man hat sich die Frage vorgelegt, ob bei der Verwandlung von Wärme in mechanische Arbeit eine der entstehenden Arbeit äquivalente Wärmemenge verschwindet. Diese Frage ist bejahend entschieden worden. Wenn man Arbeit durch Wärme erzeugt, so verschwindet auf je 423,5 Kilogr. M. Arbeit eine Wärmeeinheit. Bei der Dampfmaschine hat dies Hirn nachgewiesen, indem er, unter Berücksichtigung der Wärme, welche durch Strahlung und Leitung an die Umgebung verloren gieng, die Wärme, welche der Dampf nach geleisteter Arbeit besass, mit jener vor geleisteter Arbeit verglich. Er fand hierbei einen der obigen Aequivalentzahl hinreichend nahe entsprechenden Verlust. Derselbe Beweis lässt sich auf noch exactere Weise liefern, indem man die Temperaturernie- drigung bestimmt, welche ein Gas bei seiner Ausdehnung erfährt. Vermöge seiner Expansivkraft dehnt jedes Gas so lange sich aus, als der umschliessende Raum es gestattet. Zu dieser Ausdehnung ist nun aber offenbar eine gewisse Arbeit der Gastheilchen selber erforderlich: die Quelle dieser Arbeit muss die Wärme des Gases sein, und folg- lich verschwindet bei der Ausdehnung Wärme. Diese in Arbeit über- gehende Wärme ist die Ursache, dass man mehr Wärme braucht, um eine bestimmte Gasmenge zu erwärmen, wenn dieselbe ungehindert sich ausdehnt, als wenn ihr Volum constant erhalten wird (§. 264); aus dem Unterschied der specifischen Wärmen bei constantem Druck 27 * Von der Wärme. und constantem Volum lässt sich daher sehr genau das Arbeitsäqui- valent der Wärme ermitteln. Auch auf diesem Wege ist dasselbe nahezu = 423,5 K. M. gefunden worden. Eine Bestätigung des Satzes, dass die Abkühlung der Gase bei ihrer Ausdehnung auf einer Arbeitsleistung beruht, liegt endlich darin, dass jene Abkühlung nicht eintritt, wenn man die Gase in den luftleeren Raum strömen lässt. Denn Arbeit leistet ein Gas ja offenbar nur dann bei seiner Ausdeh- nung, wenn es dabei einen Widerstand zu überwinden hat: dieser Widerstand fehlt aber beim Ausströmen in den luftleeren Raum. Auch die Molecüle der festen und flüssigen Körper leisten bei der Ausdehnung eine Arbeit. Was wir specifische Wärme der Kör- per nannten ist theils diejenige Wärmemenge, die in die Arbeit der Ausdehnung übergeht, theils diejenige, die wirklich zur Erwärmung verwendet wird. Da nun die Ausdehnung der Körper durch die Wärme eine sehr verschiedene ist, da es mit andern Worten sehr verschie- dener Arbeitsmengen bedarf, um die verschiedenen Körper um den- selben Bruchtheil ihres Volumens auszudehnen, so müssten wir, um vergleichbare Zahlen für die zur Temperaturerhöhung erforderlichen Wärmemengen zu erhalten, die Wärmecapacitäten aller Körper bei constantem Volum untersuchen. Dies ist aber bis jetzt nur bei den Gasen möglich gewesen. Die Verschiedenheiten der specifischen Wärme in den drei Aggregatzuständen rühren jedenfalls von jener ungleichen Ausdehnung durch die Wärme her. Bei den Veränderungen des Aggregatzustandes durch die Wärme haben wir gefunden, dass Druckverminderung und Erhöhung der Temperatur, Druckvermehrung und Erniedrigung der Temperatur in ihrem Effect einander entsprechen. Dies findet im Obigen seine vollständige Erklärung. Um diejenige Annäherung der Molecüle zu bewirken, welche z. B. dem Uebergang aus dem gasförmigen in den flüssigen Aggre- gatzustand entspricht, ist eine bestimmte Arbeitsmenge erforderlich, die entweder durch einen äusseren Druck oder durch die in dem Körper vorhandene Wärme geleistet werden kann: dabei muss, wie in der Dampfmaschine, freie Wärme verschwinden. So beruhen alle Erscheinungen von Latentwerden der Wärme auf einer Transformation derselben in innere Arbeit. Diese Betrachtungen führen unmittelbar zu den in §. 284 näher zu entwickelnden Vorstellungen über das Wesen der Wärme. Ueber die Bedeutung, welche die wechselweise Transformation von Wärme und mechanischer Ar- beit für das Princip der Erhaltung der Kraft besitzt, haben wir in §. 11 bereits ge- handelt. 282 Sonnenwärme. Die ergiebigste Wärmequelle ist die Wärmeerzeugung durch che- mische Processe, unter denen der Verbrennungsprocess weitaus die hervorragendste Stelle einnimmt. Der in fortwährender Verbrennung begriffene Sonnenkörper ist direct und indirect für uns die wichtigste Wärmequelle: direct indem die von der Sonne ausgehenden Wärme- strahlen fast ausschliesslich die Wärme an unserer Erdoberfläche be- dingen, indirect indem nur unter dem Einfluss der Wärme- und Licht- Von dem Ursprung der Wärme und der Theorie der Wärmeerscheinungen. strahlen der Sonne jene organischen Verbindungen des Pflanzen- und Thierleibes entstehen können, welche bei ihrer natürlichen oder künst- lichen Verbrennung die gewöhnlichen irdischen Wärmequellen abgeben. Die Wärmemenge, welche die Erde durch Bestrahlung von der Sonne zugeführt erhält, suchte Pouillet zu bestimmen, indem er ein mit Wasser gefülltes, aussen geschwärztes Metallgefäss eine gemessene Zeit lang von der Sonne senkrecht bestrahlen liess. Bringt man die durch Absorption in der Atmosphäre bewirkte Schwächung der Son- nenstrahlen in Abzug, so würde nach Pouillet 1 Quadratcentimeter der Erdoberfläche in 1 Min. 0,8816 Wärmeeinheiten, oder, wenn man annimmt, dass jeder Punkt der Erde täglich im Durchschnitt 12 Stun- den lang bestrahlt wird, in einem Jahr 231,684 Wärmeeinheiten em- pfangen. Denkt man sich diese Wärmemenge gleichmässig über die Erdoberfläche vertheilt, so würde sie eine Schichte Eis von 31 Meter Dicke zu schmelzen im Stande sein. Von dieser gesammten Sonnen- wärme werden aber ungefähr ⅖ von der Atmosphäre absorbirt, und von dem Rest kommt etwa ein Dritttheil auf die Bildung von Wasser- dünsten. Die angeführten Versuche Pouillet ’s sind zum Theil auf hypothetische Vor- aussetzungen gegründet; überdies kann ihr Resultat schon wegen der Verallgemei- nerung sehr beschränkter Beobachtungen nur auf den Werth einer annähernden Schätzung Anspruch machen. Noch mehr gilt dies von andern Beobachtungen des nämlichen Physikers, aus denen er die Temperatur des Weltraums, die neben der Sonnenwärme die Temperatur an unserer Erdoberfläche bestimmt, zu ermitteln suchte. Er schätzt dieselbe zu — 142°C. Die Verbrennungswärme ist nur ein specieller Fall der schon 283 Verbrennungs- wärme. im §. 267 abgehandelten chemischen Verbindungswärme. Dadurch aber dass der Sauerstoff ein wesentlicher Bestandtheil unserer Atmo- sphäre ist, kommen Verbindungen der Körper mit Sauerstoff in so unvergleichlich grösserer Ausdehnung vor als alle anderen chemischen Verbindungsprocesse, dass die letzteren als Wärmequelle gegenüber dem Verbrennungsprocess geradezu verschwindend sind. Unter den Verbrennungsprocessen nimmt nun die Verbrennung des Kohlenstoffs als solchen und in seinen Verbindungen die wichtigste Stelle ein. Gemäss dem in §. 267 entwickelten allgemeinen Gesetz, wornach zwei Körper, die in Verbindung treten, um so mehr Wärme entwickeln, in je loseren Verbindungen sie sich seither befanden, wird bei der Ver- bindung einer und derselben Menge von Kohlenstoff oder von Wasser- stoff, Schwefel u. s. w. mit einer gegebenen Menge Sauerstoff keines- wegs immer die gleiche Quantität Wärme entwickelt, sondern der Kohlenstoff als Element wird z. B. bei seiner Verbrennung eine grös- sere Wärmemenge liefern als dieselbe Quantität Kohlenstoff, wenn sie innerhalb irgend einer Verbindung, wie Cellulose, Zucker u. s. w. ver- Von der Wärme. brennt. Hieraus folgt, dass eine Verbindung eine andere Wärmemenge beim Verbrennen entwickelt, als wenn die einzelnen Bestandtheile verbrannt würden. Denn bei der Bildung der Verbindung ist eine gewisse Wärmemenge frei geworden, die nun bei ihrer Zersetzung wieder latent wird, und die also von der Verbrennungswärme der Bestandtheile in Abzug zu bringen ist. Im Allgemeinen ist daher die Verbrennungswärme der Verbindung kleiner als diejenige ihrer Be- standtheile. Nur sehr ausnahmsweise kommt es vor, dass die Ver- brennungswärme der Verbindung ebenso gross oder grösser wie die- jenige ihrer Bestandtheile ist: dies kann dann eintreten, wenn bei der Bildung der Verbindung nicht Wärme frei sondern latent wurde, z. B. durch Wechsel des Aggregatzustandes. Dagegen ist die Verbrennungs- wärme eines jeden einfachen oder zusammengesetzten Körpers eine völlig constante, mag die Verbrennung schnell vor sich gehen oder langsam, mag der Körper auf einmal in das Endproduct der Verbren- nung verwandelt werden oder vorher gewisse Zwischenstufen durch- laufen. So entwickelt z. B. 1 Gramm Kohle, wenn es sogleich zu Kohlensäure verbrannt wird, genau ebenso viel Wärme, als wenn es zuerst in Kohlenoxyd und dann dieses in Kohlensäure übergienge. Die ausführlichsten und zuverlässigsten Versuche über die Verbrennungswärme einfacher und zusammengesetzter Körper verdankt man Favre und Silvremann . Diese Physiker entdeckten, dass schon die einfachen Körper, wenn sie in verschiede- nen physikalischen Formen vorkommen, eine etwas verschiedene Verbrennungswärme zeigen. Dies galt namentlich von den s. g. allotropischen Modificationen der Kohle und des Schwefels. Die von Favre und Silvremann für die Verbindung von je 1 Grm. mit Sauerstoff gefundenen Wärmemengen sind folgende: Wasserstoff 34462 Natürl. Schwefel 2261,2 Holzkohle 8080 Geschmolzener Schwefel 2263,9 Zuckerkohle 8039,8 Schwefel, aus Schwe- felkohlenstoff kryst. 2225,8 Graphit 7796,5 Diamant 7770,1 Weicher Schwefel 2258,4 Kohlenoxydgas 2403 Essigsäure (C 4 H 4 O 4 ) 3505 Methylalkohol (C 2 H 4 O 2 ) 5307 Buttersäure (C 8 H 8 O 4 ) 5647 Aethylalkohol (C 4 H 6 O 2 ) 7183,6 Baldriansäure (C 10 H 10 O 4 ) 6439 Amylalkohol (C 10 H 12 O 2 ) 8958,6 Favre und Silvremann bedienten sich bei ihren Versuchen des Wasser- calorimeters in der in Fig. 196 dargestellten Form. Dasselbe besteht aus einem Blechgefäss A, in welches die zu verbrennende Substanz gebracht wird. Ein mit demselben in Verbindung stehendes Rohr B dient zur Zuführung des Sauerstoffs, und die bei der Verbrennung gebildeten gasförmigen Producte werden durch das schlangen- förmig gewundene Rohr s s e nach aussen entführt; letzteres Rohr wird bei e ge- schlossen, wenn keine gasförmigen Producte entstehen. Das Gefäss A geht oben in eine weite, durch einen Glasdeckel verschlossene Röhre über, und es ist umgeben von dem mit Wasser gefüllten Kupfergefäss C, in welchem sich ausser A noch die Stangen- Von dem Ursprung der Wärme und der Theorie der Wärmeerscheinungen. Fig. 196. verbindung i i befindet, die zum Umrühren des Wassers dient. Dieses Kupfergefäss ist dann, um die Wärmeab- gabe an die Umgebung möglichst auf ein Minimum zu reduciren, aussen von einer Hülle D aus Eiderdaunen und letztere von einem zweiten Wassergefäss E umgeben, welches oben mit einem hölzernen, mit den erforderlichen Oeffnungen versehenen Deckel F bedeckt wird. t ist ein Thermometer zur Beobachtung der Temperatur, welche das Wasser in C annimmt. a ist ein Spiegel, in welchem der Verbrennungsprocess beobachtet werden kann. Die Temperatur des Wassers in C wird vor und nach dem Versuch bestimmt und hieraus, unter Berücksichtigung des durch Strahlung geschehenden Verlustes, die frei ge- wordene Verbrennungswärme berechnet. Aus der Gesammtheit der Wärmeerscheinungen folgt unumstöss- 284 Wesen der Wärme. Disgre- gations- und Schwingungs- arbeit. Bezie- hung der Wärme zu den Aggregatzu- ständen. lich der Satz, dass die Wärme Bewegung ist . Ueber die Art und das Substrat der Wärmebewegungen kann bei einer Form der- selben, bei der strahlenden Wärme, kein Zweifel sein: die Wärme- strahlen bestehen gleich den Lichtstrahlen aus Transversalschwingun- gen des Aethers, und sie sind, insoweit sie in den leuchtenden Theil des Spektrums fallen, mit den Lichtstrahlen identisch. Die allge- meinere Eigenschaft der Aetherschwingungen besteht daher darin, dass sie die Empfindung von Wärme erregen, und nur ein Theil der- selben kann ausserdem in unserm Auge Lichteindrücke hervorrufen. Wir dürfen hieraus mit grosser Wahrscheinlichkeit schliessen, dass auch die in den Körpern vorhandene Wärme, die sich uns in der Temperatur der Körper zu erkennen giebt, auf Schwingungsbewegun- gen beruht. Doch gehen bis jetzt die Ansichten noch darüber aus- einander, ob wir es in diesem Fall ebenfalls mit Aetherschwingungen oder aber mit Schwingungen der wägbaren Molecüle zu thun haben. Die Eigenschaften der Körper im gasförmigen Aggregatzustand ma- chen die letztere Ansicht wahrscheinlich. Denn alle Eigenschaften der Gase lassen sich aus geradlinig fortschreitenden Bewegungen der Molecüle erklären. Das verschiedene Verhalten der flüssigen und festen Körper würde sich, dies vorausgesetzt, daraus ableiten lassen, dass in den festen Körpern die Molecüle um feste Gleichgewichts- lagen schwingen, während in den Flüssigkeiten schwingende und fort- schreitende Bewegungen gemischt sind, indem die Theilchen während ihrer Schwingungen leicht aus der Anziehungssphäre der Nachbar- molecüle hinausgerathen. Hiernach müssten wir annehmen, dass, wenn ein Körper Wärme ausstrahlt, die Bewegung seiner Molecüle auf die umgebenden Aethertheilchen sich überträgt. Die Erhöhung der eigenen Temperatur eines Körpers würde dagegen in einer Ver- stärkung seiner Molecularbewegungen bestehen, und auf eine unmittel- Von der Wärme. bare Uebertragung der letzteren von Theilchen zu Theilchen wäre die Wärmeleitung zurückzuführen. Uebrigens ist es für die Theorie der Wärmeerscheinungen gleichgültig, ob man sich in der eben angedeu- teten Weise oder irgendwie anders die in den Körpern vorhandene Wärme vorstellt: es genügt im Allgemeinen festzuhalten, dass die Wärme eine Bewegung ist, deren Intensität zu- und abnehmen und darnach den fühlbaren Wärmezustand eines Körpers, seine Tempera- tur, verändern kann. In jedem Körper findet sich eine gewisse Menge mechanischer Arbeit in der Gestalt von Wärmebewegung angehäuft; die gesammte lebendige Kraft dieser Arbeit wird (nach §. 25) durch die halbe Summe der Producte der Massen aller Molecüle in die Quadrate ihrer Ge- schwindigkeit ausgedrückt. Man ist übereingekommen alle in den Körpern vorhandene Arbeit, die sich als fühlbare Wärme äussert, mit dem Namen der „ Schwingungsarbeit “ zu bezeichnen. In der Zu- nahme oder Verminderung dieser Schwingungsarbeit besteht das fühl- bare Erwärmen oder Erkalten eines Körpers. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass jede Wärmezufuhr auch eine Zunahme der Schwin- gungsarbeit bedingen müsse. Vielmehr wird, wenn durch die Zufuhr der Wärme die gegenseitige Lage der Molecüle bleibend verändert wird, hierzu entweder ein bestimmter Aufwand von Arbeit erforder- lich sein, der nun als Spannkraft in dem Körper vorhanden bleibt, oder es wird dabei eine gewisse Menge von Arbeit frei, die zuvor als Spannkraft in dem Körper war. Wird die mittlere Distanz der Mole- cüle vergrössert, wie dies bei der Ueberführung in einen weniger dich- ten Aggregatzustand und bei der Volumvergrösserung der Körper stattfindet, so wird hierzu, ähnlich wie zur Erhebung eines Gewichtes in eine bestimmte Höhe, Arbeit verbraucht; wird dagegen die mittlere Distanz vermindert (bei der Ueberführung in einen dichteren Aggre- gatzustand und der Volumverminderung), so wird umgekehrt, ähnlich wie beim Herabfallen des Gewichtes, Arbeit frei. Diese Arbeit nun, welche zur Distanzveränderung der Molecüle verbraucht wird oder bei ihr zum Vorschein kommt, bezeichnet man als „ Disgregations- arbeit .“ Geht eine gewisse Menge von Schwingungsarbeit in Dis- gregationsarbeit über, so sagen wir, es werde Wärme latent; verwan- delt sich hingegen Disgregations- in Schwingungsarbeit, so sagen wir, es werde Wärme frei. Die Disgregations- und Schwingungsarbeit zusammen bilden die innere Arbeit eines Körpers. Diese innere Arbeit kann durch Zu- fuhr äusserer Arbeit zunehmen oder in Folge einer Abgabe von Arbeit nach aussen abnehmen. Führen wir z. B. einem Körper Wärme zu, so repräsentirt diese Wärme selbst eine gewisse Quantität Schwin- gungsarbeit, die nun theils in innere Schwingungsarbeit theils in Dis- gregationsarbeit übergehen kann. Entziehen wir einem Körper Wärme, Von dem Ursprung der Wärme und der Theorie der Wärmeerscheinungen. so kann dies ebenso auf Kosten theils der Schwingungs-, theils der Disgregationsarbeit desselben geschehen. Die Wärmemenge, welche man einem Körper zuführt oder entzieht, ist hierbei stets der Summe der gleichzeitig stattfindenden Aenderungen seiner Schwingungs- und Disgregationsarbeit proportional. Nun kann jeder Körper bei seiner Volumzunahme oder Verdampfung eine gewisse äussere Arbeit leisten, seine Disgregationsarbeit kann also in äussere Arbeit umgewandelt werden; umgekehrt geht, wenn man einen Druck auf den Körper ausübt, äussere Arbeit in Disgregationsarbeit über. Verwandeln wir also Wärme in Arbeit oder Arbeit in Wärme, so geschieht dies immer dadurch, dass wir die Schwingungs- in Disgregations- oder Disgrega- tions- in Schwingungsarbeit überführen. Das Gesetz der Aequivalenz zwischen Wärme und Arbeit ist daher nur ein specieller Fall des all- gemeineren Gesetzes, dass in jedem Körper die Summe der Disgregations- und Schwingungsarbeit zusammengenom- men constant ist, so lange sie nicht durch Zufuhr äusse- rer Wärme oder Arbeit vermehrt wird, und dass im letz- teren Fall jene Summe sich proportional dieser Zufuhr vergrössert . Wärme und Arbeit sind einander äquivalent, weil die Wärme selbst nur eine besondere Form der Bewegung ist. Ebenso wie einer gewissen Quantität von mechanischer Arbeit, ist auch der Schliessung einer chemischen Verbindung eine gewisse Wärmemenge äquivalent. Offenbar steht die physikalische Verän- derung, die mit zwei chemisch sich verbindenden Körpern vor sich geht, jener „Disgregationsarbeit,“ die wir beim Wechsel der Aggre- gatzustände beobachten, am nächsten. Wie beim Gefrieren einer Flüssigkeit oder bei der Verdichtung eines Gases, so muss auch bei jenen bleibenden Molecularverschiebungen, welche die Elemente er- fahren, indem sie sich chemisch verbinden, Wärme frei werden, d. h. es muss ein Theil der Disgregationsarbeit, die in den unverbundenen Elementen als Spannkraft enthalten war, nun in der Form von Schwin- gungsarbeit zum Vorschein kommen. Die Gesammtmenge der frei werdenden Wärme hängt hierbei bloss vom Anfangs- und Endzustand der Körper ab: sie ist unabhängig von den Zwischenstufen, welche sie durchlaufen; denn einer gewissen Distanzveränderung der Molecüle entspricht eine unveränderliche Summe lebendiger Kraft. Das Gesetz der Constanz der Verbrennungswärme entspricht daher vollständig dem Gesetz der Mechanik, dass ein Körper, der von einer bestimmten Höhe herabfällt, dieselbe lebendige Kraft erlangt, ob er jene Höhe in verticaler Richtung oder auf einer schiefen Ebene oder in irgend einer gekrümmten Bahn herabfiel. (S. §. 54.) Die Auffassung über das Wesen der Aggregatzustände , zu welcher uns die Theorie der Wärmeerscheinungen geführt hat, bildet eine wichtige Ergänzung zu den allgemeinen Erörterungen des §. 15. Dort führten wir die Aggregatzustände Von der Wärme. auf die bleibenden Distanzverhältnisse der Atome zurück: hier erscheinen sie uns als Resultat der den Atomen eigenthümlichen Bewegungen. Beide Betrachtungen schlies- sen sich nicht aus. In der That gilt alles was wir in §. 15 bemerkt haben in Bezug auf die mittleren Distanzen der Atome: die mechanische Wärmetheorie lehrt uns aber, dass von diesen Distanzen ihre Bewegungsweisen nothwendig abhängig sein müssen. Die Erklärung der Grundeigenschaften der Aggregatzustände, die wir in Cap. 1, 5 und 11 des II. Abschn. ausführlicher erörtert haben, findet daher eine wesentliche Ergänzung in den hier entwickelten Vorstellungen, welche zu der An- nahme hinführen, dass die Atome nur insofern sie bewegt sind Kräfte ausüben, eine Annahme, die schon in dem Princip der virtuellen Geschwindigkeiten (§. 21) ange- deutet liegt, und von der aus die theoretische Physik bedeutsamen Umwandlungen entgegenzugehen scheint. 285 Wärmeentwick- lung im Thier- körper. Das Uebergehen chemischer Spannkräfte in Wärme und der Wärme in mechanische Arbeit ist das wichtigste Hülfsmittel der Tech- nik zur Gewinnung von Arbeitskräften. Der technischen Physik liegt es ob die Construction der verschiedenen künstlichen Maschinen zu erörtern, welche jene Uebertragung der Kräfte zur Anwendung brin- gen. Die physiologische Physik hingegen muss als Beispiel, an wel- chem sie die Grundlehren der Wärmetheorie erläutert, die natürliche Maschine des Thierleibes in’s Auge fassen. Alle Thiere entwickeln Wärme; in der Regel giebt sich diese Wärmeentwicklung daran zu erkennen, dass ihre Temperatur, namentlich die Temperatur ihrer innern Organe, diejenige der Umgebung mehr oder weniger über- trifft. Man hat schon lange erkannt, dass die thierische Wärme als Verbrennungswärme zu deuten sei. Aber man pflegte sich den Zusammenhang zwischen den langsamen Verbrennungsprocessen im Thierkörper und der Wärmeentwicklung desselben viel einfacher vorzustellen, als er bei dem heutigen Stand der physikalischen Wärmelehre erscheinen kann. Man dachte sich nämlich, alle Ver- brennungen im Thierkörper würden zur Wärmeerzeugung aufgebraucht, und indem man ausserdem der Ansicht huldigte, die oxydabeln Be- standtheile des Thierleibes und seiner Nahrungsmittel, namentlich der Kohlenstoff und Wasserstoff, entwickelten bei ihrer Verbrennung in Gestalt zusammengesetzter Verbindungen ebenso viel Wärme, als wenn sie in Gestalt von Elementen verbrennen, stellte man sich den Wärme- bildungsprocess als eine Art Heizung des Thierkörpers vor, deren Effect auch durch die blosse Verbrennung derjenigen Quantität Koh- lenstoff und Wasserstoff, die in den oxydirten Secreten vorkommt, ersetzt gedacht werden könne. Dass die eine dieser Voraussetzun- gen unrichtig ist, ergiebt sich aus den in §. 283 ermittelten That- sachen, wornach der Kohlenstoff und Wasserstoff in Verbindungen eine andere, und zwar in der Regel eine kleinere, Verbrennungs- wärme besitzen, als im freien Zustand. Aber auch die andere Voraussetzung, nach welcher der ganze Verbrennungsprocess im Von dem Ursprung der Wärme und der Theorie der Wärmeerscheinungen. Thierkörper zur Wärmebildung verwandt werden soll, erweist sich un- haltbar derjenigen Anschauung gegenüber, welche wir uns auf dem Boden der mechanischen Wärmetheorie von dem Kräftewechsel im Thierkörper bilden müssen. Die vorwiegende Richtung der chemi- schen Processe in diesem geht auf die Oxydation der kohlen- und wasserstoffreichen, dagegen sauerstoffarmen Verbindungen der Eiweiss- körper, Kohlenhydrate und Fette. Die sauerstoffreichen Endproducte, in welche diese sehr zusammengesetzten Stoffe übergehen, sind Koh- lensäure und Wasser, als deren Nebenproduct das bloss stickstoff- und wasserstoffhaltige Ammoniak erscheint. Alle Leistungen des Thier- körpers, mögen sie in vergrösserter Wärmebildung oder in Muskel- arbeit bestehen, steigern die Aufnahme des zur Verbrennung dienenden Sauerstoffs und die Ausscheidung von Kohlensäure und Wasser, wäh- rend die Menge des stickstoffhaltigen Zersetzungsproducts, des Am- moniak, entweder gleich bleibt oder sich wenig verändert. Der thie- rische Organismus hat somit schon in Bezug auf die chemischen Pro- cesse, die in ihm stattfinden, eine gewisse Aehnlichkeit mit einer Dampfmaschine: hier wie dort besteht der Process wesentlich in einer Verbrennung. Während der Maschine der Kohlen- und Wasserstoff in der rohen Form von Holz oder Coaks als Nahrung dient, verbraucht ihn der Thierkörper in der Form jener mannigfaltigen Verbindungen des Pflanzen- und Thierleibes, die seine Nahrungsmittel zusammen- setzen. Dagegen sind Kohlensäure und Wasser hier wie dort die Endproducte der Verbrennung. Als Zersetzungsproduct des Thierleibes tritt dann aber noch das Ammoniak hinzu, welches ohne Zweifel in der besonderen Beschaffenheit des im Thierkörper stattfindenden Ver- brennungsprocesses seinen eigentlichen Ursprung hat. Denken wir uns nämlich, wir wollten eine Dampfmaschine statt mit Holz oder Coaks mit den kohlen- und wasserstoffreichen Nahrungsmitteln des Thierleibes heizen, so würden diese, einmal entzündet, nicht von selbst fortbrennen, sondern wir würden fortwährend eine eigene Feuerung zu ihrer Verbrennung unterhalten müssen. Aehnliches findet nun im Thierleibe statt, mit dem Unterschied dass es sich in ihm um einen langsamen und darum nach seiner chemischen Natur wesentlich abweichenden Verbrennungsprocess handelt. Die Bestandtheile und assimilirten Nahrungsstoffe des Thierleibes sind zu einer raschen und unmittelbaren Verbrennung in Sauerstoffgas nicht geeignet, dagegen vermögen sie unter der fortwährenden chemischen Einwirkung bestimm- ter Körper einen langsamen Verbrennungsprocess einzugehen. Diese eine langsame Oxydation unterhaltenden Körper sind die Eiweisskörper. Die Oxydation im Thierleibe bildet nur einen besonderen Fall jener unter der Einwirkung von Eiweisskörpern zu Stande kommenden lang- samen Verbrennungen, von denen wir andere Fälle in der Gährung, Verwesung und Fäulniss der organischen Substanzen kennen. Bei Von der Wärme. allen diesen langsamen Verbrennungen zersetzen sich nun auch, wenn gleich in geringerem Maasse, die Verbrennungserreger, die Eiweiss- körper; als das hauptsächlichste Product solcher Zersetzung ist das Ammoniak zu betrachten. In der Dampfmaschine entsteht aus der Verbrennung der Kohle Wärme und mechanische Arbeit. In Wärmebildung und mechanischer Arbeit bestehen auch die wesentlichsten Leistungen des Thierleibes. Auch hier werden wir daher zu erwarten haben, dass die in einer gegebenen Zeit gebildete Wärme und geleistete Arbeit zusammengenommen der stattgehabten Verbrennung äquivalent sind. Es ist bis jetzt noch nicht möglich gewesen diese Folgerung durch messende Versuche zu be- stätigen: weder ist die Verbrennungswärme der thierischen Nahrungs- stoffe bekannt noch existiren hinreichend zuverlässige Beobachtungen über die von den Thieren entwickelte Wärmemenge. Doch finden sich die bekannten Thatsachen sämmtlich mit jener Folgerung in Uebereinstimmung. Sowohl in Folge mechanischer Arbeit wie erlitte- ner Wärmeverluste tritt immer eine erhebliche Steigerung des Ver- brennungsprocesses im Thierleibe ein, wie sich an dem erhöhten Ver- brauch kohlenstoffhaltiger Nahrungsmittel und der vermehrten Bildung der Kohlensäure zu erkennen giebt. Bei gesteigerter mechanischer Arbeit wird in der Regel auch die Wärmebildung gesteigert, doch so dass sie im Verhältniss zum verbrauchten Sauerstoff geringer ist als bei ruhendem Körper. Wir werden hiernach den Thierkörper als eine Maschine zu betrachten haben, welche durch fortwährende Heizung sich stets auf einer gewissen Temperatur erhält, um jeden Augenblick die gebildete Wärme in mechanische Arbeit umsetzen zu können, ähnlich einem geheitzten, aber noch still stehenden Dampfwagen. Den- ken wir uns, an dem letzteren befände sich eine Vorrichtung, mittelst deren er durch seine eigene Dampfkraft fortwährend die Feuerung unterhielte, so würde das Bild der Maschine des Thierleibes noch näher kommen. Auch diese arbeitet fortwährend, um ihren eigenen Verbrennungsprocess zu fristen. Die Athmungs- und Herzbewegungen bilden hier die Mechanik zur Erhaltung der Feuerung. Von diesen Bewegungen wird nichts nach aussen abgegeben, die durch sie ge- leistete Arbeit verschwindet im Körper selber, sie geht in Folge der Reibung des Blutes an den Gefässwänden und der Muskeln an ihrer Umgebung wieder in Wärme über. Alle solche innere Arbeit einer Maschine kann man daher unmittelbar unter der freiwerdenden Wärme in Rechnung bringen. Jede nach aussen übertragene Arbeit dagegen geschieht auf Kosten der Wärmebildung: wenn also trotzdem der Körper auf der gleichen Temperatur erhalten bleibt, so muss der Ver- brennungsprocess gesteigert werden. Erfahrungsgemäss geschieht dies in der Regel in stärkerem Maasse, als für die Erhaltung der Tempe- ratur erforderlich wäre: die Wärme des arbeitenden Thierkörpers Von dem Ursprung der Wärme und der Theorie der Wärmeerscheinungen. steigt daher, so weit dies nicht durch die im nächsten §. zu betrach- tenden Compensationsvorrichtungen, namentlich durch die Verdunstung an der Hautoberfläche und durch die Lungen, wieder ausgeglichen wird. Die Leistungsfähigkeit einer jeden Maschine, und so auch des Thierleibes, ist zu ermessen nach der im Verhältniss zum Verbrauch geleisteten Arbeit. Für eine Dampfmaschine gilt als Maximum der Leistungsfähigkeit, dass ungefähr 87 Proc. von der dem Wasser mit- getheilten Wärme unbenützt als freie Wärme verloren gehen, also nur 13 Proc., in der Regel aber noch viel weniger, als Arbeit zum Vor- schein kommen. Dagegen beträgt nach einer freilich nur sehr an- nähernden Schätzung beim Menschen die geleistete Arbeit mindestens 20 Proc. der im ganzen erzeugten Verbrennungswärme. Diesen Vor- zug verdankt die thierische Maschine ohne Zweifel der Eigenthüm- lichkeit jenes langsamen Verbrennungsprocesses, der in ihr statt- findet, und der anderseits freilich auch ein bedeutend werthvolleres Verbrennungsmaterial erfordert. Die einzigen Versuchsreihen über die Verbrennungswärme im thierischen Or- ganismus sind noch jetzt diejenigen von Dulong und Despretz . Sie bestimmten theils direct die von Hunden während einer bestimmten Zeit entwickelte Wärme mit- telst des Calorimeters, theils suchten sie dieselbe aus den Verbrennungsproducten zu berechnen. Letztere Berechnungen sind, da ihnen die irrige Voraussetzung zu Grunde liegt, dass die Elemente isolirt dieselbe Verbrennungswärme besitzen wie in Verbin- dungen, hinfällig geworden. Es bleiben also nur die erstgenannten Versuche, nach denen Helmholtz die tägliche Wärmeentwicklung des Menschen auf 2700 Wärme- einheiten (letztere nach dem in §. 260 festgestellten Maass gemessen) schätzte. Diese Wärmemenge würde stündlich die Temperatur des Körpers um 1,2°C. steigern kön- nen, wenn kein Wärmeverlust durch Ausstrahlung u. s. w. stattfände. Nun wird nach den Versuchen von Smith während einer Arbeit, welche den Körper selbst in der Stunde 571 Meter erhebt, 5 mal mehr CO 2 ausgeschieden, also so viel Wärme entwickelt, dass die Temperatur des Körpers stündlich um 6°C. gesteigert werden könnte. Jene äussere Arbeit, welche erforderlich ist, um den Körper auf die Höhe von 571 Meter zu heben, ist aber einer Wärmemenge äquivalent, welche denselben um etwa 1,3°, also um 20 Proc. der gesammten Verbrennungswärme, zu steigern vermöchte. Die nämlichen Verhältnisse, die für den thierischen Körper im Ganzen zu- treffend sind, gelten auch für jedes einzelne arbeitende Organ, also für jede Drüse, für jeden Muskel. Bis jetzt sind die Erscheinungen nur beim Muskel näher verfolgt, wo sich das Princip der Aequivalenz zwischen Wärme und Arbeit darin zu erkennen giebt, dass im Anfang der Contraction eine Abnahme der Wärme und erst nachher, bei der Wiederausdehnung, eine Zunahme derselben auftritt. Bei der Contraction lei- stet nämlich der Muskel Arbeit, es geht Wärme in Arbeit über, bei der Wiederaus- dehnung wird von ihm Arbeit geleistet, es verwandelt sich daher Arbeit in Wärme. Ein Resultat der im Thierleibe fortwährend vor sich gehenden 286 Temperatur des Thierkörpers. Wärmebildung ist die Temperatur desselben. Die letztere ist gleich- Von der Wärme. zeitig von der Menge der gebildeten und nach aussen abgegebenen Wärme abhängig. Die Wärmeabgabe geschieht hauptsächlich durch Leitung und Strahlung an die Umgebung; ein weiterer Theil der ge- bildeten Wärme verschwindet aber auch durch Wasserverdunstung an der Körperoberfläche, ein dritter durch die Verdunstung aus den Lun- gen und durch die Erwärmung der Athmungsluft, ein vierter endlich durch die Erwärmung der kälteren eingeführten Nahrungsmittel und Getränke. Der überwiegend grösste Theil dieser Wärmeverluste trifft die Leitung, Strahlung und Wasserverdunstung an der Körperober- fläche, die sich nicht wohl von einander trennen lassen, und die man beim Menschen zusammen auf über 77 Proc. des gesammten Wärme- verlustes schätzt. Wenn die Bedingungen der Bildung und Ableitung der Wärme constant bleiben, so muss sehr bald auch die Temperatur constant werden. Bei diesem Zustand des Gleichgewichts ist dann nothwen- dig die in einer gewissen Zeit abgegebene Wärme gleich der in der nämlichen Zeit gebildeten. Wenn also 1,87 Wärmeeinheiten gebildet werden, so gehen auch ebenso viel durch Strahlung, Leitung an die Umgebung, Verdunstung u. s. w. verloren. Dagegen darf daraus dass die Temperatur unverändert bleibt nicht unbedingt auf eine Unverän- derlichkeit der Wärmebildung und des Wärmeverlustes geschlossen werden. Denn ist eine Steigerung der Wärmebildung mit einer ent- sprechenden Zunahme der Wärmeableitung oder eine verminderte Wärmebildung mit einer Abnahme der Wärmeableitung verknüpft, so wird trotzdem die Temperatur unverändert bleiben. In der That com- pensiren in dem Körper der warmblütigen Thiere sehr häufig die Be- dingungen der Bildung und der Ableitung der Wärme sich gegenseitig, und es wird dadurch erreicht, dass die Wärme ihrer innern Organe nur sehr wenig variirt. Bei den s. g. kaltblütigen oder wechsel- warmen Thieren dagegen findet diese Compensation nicht statt, oder sie ist wenigstens eine unzureichende, theils weil diese Thiere über- haupt weniger Wärme bilden, theils weil sie beträchtlicheren Wärme- verlusten unterworfen sind. Der geringere Wärmebildungsprocess der Kaltblüter giebt sich daran zu erkennen, dass ihre Temperatur in der Regel nur um wenige Grade diejenige ihrer Umgebung übertrifft; sie kann aber sogar unter dieselbe sinken, wenn durch bedeutende Wasser- verdunstung an der Körperoberfläche grössere Wärmeverluste statt- finden. Sehr viele der kaltblütigen Thiere leben immer oder zeitweise im Wasser, also in einem Medium, welches sehr die Wärmeableitung begünstigt und somit zur Erhaltung einer constanten Eigenwärme einen sehr intensiven Verbrennungsprocess und eine Beschaffenheit der Kör- peroberfläche erfordert, welche möglichst die Ableitung beschränkt, wie z. B. geringe Oberfläche im Verhältniss zum Körpervolum, dicke Lagen schlecht leitenden Fettes unter der Haut, Bedingungen, die Von dem Ursprung der Wärme und der Theorie der Wärmeerscheinungen. man in der That durchweg bei den wenigen im Wasser lebenden Warmblütern antrifft. Um eine exacte Kenntniss von der Wärmeökonomie des Thier- körpers zu gewinnen, müssten wir streng genommen 1) die Orte und die an jedem Ort stattfindenden Grade der Wärmebildung, sowie 2) die Leitungsfähigkeit aller Organe und Gewebe des Körpers kennen. Hierzu fehlen bis jetzt so gut wie alle Data. Da jedoch durch das Blut die sämmtlichen innern Organe des Körpers in fortwährender Wechselwirkung mit einander stehen, so kann man annehmen, dass die etwa bestehenden Ungleichheiten der Temperatur fortwährend sich ausgleichen, und dass daher alle inneren Theile des Körpers fort- während dieselbe Temperatur besitzen. Diese Annahme findet ihre Berechtigung darin, dass sowohl das Blut des rechten und des lin- ken Herzens und einzelner Organe wie die verschiedenen der Tem- peraturmessung zugänglichen Höhlen des Körpers (Mundhöhle, Mast- darm) in der Regel nur sehr geringfügige Temperaturunterschiede er- kennen lassen. Wir können uns daher vorstellen, alle innern Theile des Körpers bildeten ein Ganzes, das ungefähr die Leitungsfähigkeit des Wassers besitzt (was bei der Durchtränkung aller Gewebe mit Wasser jedenfalls nahe zutreffend ist), und dem im Mittel in der Mi- nute 1,87 Wärmeeinheiten, jedem Kilogr. desselben also (da der Kör- per ungefähr 60 Kilogr. schwer ist) 0,0211 Wärmeeinheiten zugeführt werden. Nach aussen ist nun der Körper überzogen von einer die Wärme schlecht leitenden Schichte; es ist dies die mit einem Fett- polster versehene Haut. Die Haut selbst ist von einer ziemlich wech- selnden Temperatur, abgesehen von solchen Stellen, wo sie sich, wie in der Achselhöhle, in eine gegen aussen fast völlig abgeschlossene Falte legen lässt, und wo sie daher bald die innere Temperatur des Körpers annimmt, daher man auch diese Stelle am zweckmässigsten zu Temperaturmessungen benützt. In der Haut befinden sich die Com- pensationsvorrichtungen, welche das Verhältniss zwischen Wärmeab- leitung und Wärmebildung näher reguliren, die Blutgefässe und die Schweissdrüsen . Indem das Lumen der ersteren abwechselnd zu- oder abnehmen kann, wird bald mehr bald weniger von dem im Innern erwärmten Blut an der Oberfläche vorbeibewegt und so durch Leitung und Strahlung an die Umgebung ein wechselndes Quantum Wärme dem Innern des Körpers entzogen. Da nun die äussere Kälte zugleich auf die Gefässmuskeln in unserer Haut eine contrahirende, die Wärme eine dilatirende Wirkung ausübt, so treten durch den un- mittelbaren Einfluss der Aussentemperatur auf die Haut in dieser jene Compensationsvorrichtungen in Thätigkeit, welche die Ableitung der Wärme vermindern. Eine wesentliche Unterstützung bilden hierbei noch die Schweissdrüsen. Fortwährend verdunstet Wasser aus den Oeffnungen der letzteren an der Hautoberfläche, dabei wird aber Von der Wärme. Wärme latent und folglich freie Wärme dem Körper entzogen. Den- selben Einfluss, welchen die äussere Temperatur auf die Wandungen der Hautgefässe hat, übt sie auf die Wandungen und wahrscheinlich auch auf die Secretionsnerven der Schweissdrüsen aus: in der Kälte wird daher die Absonderung derselben beschränkt, in der Wärme be- schleunigt, und der im selben Sinn geschehende Einfluss auf die Blut- zufuhr begünstigt diese Wirkung. Abgesehen von diesen fortwährend thätigen Compensationsvorrrichtungen vermögen manche Thiere den bedeutenderen Schwankungen der Aussenwärme in verschiedenen Klimaten und Jahreszeiten sich durch wechselnde Behaarung und Be- fiederung anzupassen. Dem Menschen dient zum selben Zweck seine Kleidung. Da nach §. 278 die Wärmeabgabe proportional dem Tem- peraturunterschied des erwärmten Körpers und seiner Umgebung zu- nimmt, so beschränken wir in der Kälte die Strahlung und Leitung sowohl durch die Umkleidung der auch sonst bedeckten Theile des Körpers mit schlechteren Wärmeleitern wie durch die Bedeckung sonst unbekleideter Körpertheile. Was nicht auf diese Weise durch Ver- minderung der Wärmeabfuhr erreicht wird, muss durch gesteigerte Wärmebildung, also durch vermehrte Zufuhr verbrennlicher Stoffe aus- geglichen werden. Die Compensationsvorrichtungen der Haut, namentlich die Gefässe, werden in sehr lebhafte Mitleidenschaft gezogen in fieberhaften Zuständen. Im Frost- und Wärme- stadium des Fiebers verhalten sich die Hautgefässe gerade so, als wenn sie dort unter der Einwirkung einer plötzlichen äusseren Temperaturerniedrigung, hier einer Tem- peraturerhöhung stünden. In der That wird bei der bedeutenden Gefässverengerung die Haut während des Froststadiums kälter; in Folge dessen muss dann aber die innere Wärme steigen. Die nachfolgende Fieberhitze ist theils durch die Erhöhung der innern Temperatur in Folge gehemmter Ableitung, theils aber auch durch eine gesteigerte Wärmebildung bedingt. Dass, wie Bärensprung gefunden hat, schon während des Froststadiums die Temperatur in der Achselhöhle steigt, ist für eine ge- steigerte Temperatur an der Hautoberfläche nicht beweisend, indem, wie oben bemerkt, das Thermometer in der Achselhöhle bald die innere Temperatur des Körpers nahezu annehmen muss. Es fällt daher auch die hierauf gestützte Behauptung des genannten Beobachters, dass wir schon eine gesteigerte Wärmeausstrahlung als Kälte empfinden, eine Behauptung, die überdies mit den sonstigen Erfahrungen über unsere Wärme- empfindungen nicht im Einklang steht. Sechster Abschnitt. Von der Elektricität . Unter der Elektricität versteht man eine uns in ihrem Wesen 287 Allgemeine Uebersicht der elektrischen Erscheinungen. Eintheilung die- ses Abschnitts noch unbekannte Naturkraft, welche nicht, wie Schall, Licht oder Wärme, vermittelst besonderer Sinnesempfindungen wahrgenommen werden kann. Denn die Elektricität ist zwar eines der wirksamsten Erregungsmittel unserer Nerven; sie wirkt aber auf diese wie jeder andere Reiz ein: sie erzeugt also in dem Sehnerven Lichtempfindung, in dem Hörnerven Schallempfindung, in den Gefühlsnerven Schmerz- empfindungen verschiedenen Grades. Mit der Schwere hat die Elek- tricität insofern Aehnlichkeit, als Körper, welche sich im elektrischen Zustande befinden, die Fähigkeit besitzen andere Körper anzuziehen. Sie unterscheidet sich aber dadurch von der Schwere, dass die letz- tere eine dauernde Eigenschaft aller Körper ist, während der elek- trische Zustand bloss zeitweise, unter der Einwirkung bestimmter Ur- sachen, wie Reibung, Erwärmung, Contact verschiedener Metalle und chemisch differenter Flüssigkeiten, in den Körpern zu finden ist, und durch Uebertragung auf andere Körper wieder zu verschwinden pflegt. Ausserdem giebt es nur einerlei Art von Schwere, indem alle schwe- ren Körper sich anziehen, während es zweierlei Elektricitäten giebt, indem die Körper, welche sich im elektrischen Zustande befinden, theils sich anziehen, theils einander abstossen. Um von den elektri- schen Erscheinungen ein anschauliches Bild zu gewinnen, stellt man sich daher vor, es existirten zwei unwägbare elektrische Flüssigkeiten, eine positive und eine negative, die in dem gewöhnlichen unelektri- schen Zustand der Körper gleichmässig sich durchdringen, während wenn sich ein Körper im elektrischen Zustand befindet entweder die Menge der positiven oder die Menge der negativen Elektricität in ihm überwiegt. Diese Vorstellung hat jedoch lediglich den Zweck einer leichteren Veranschaulichung der Erscheinungen und ist weit davon entfernt, gleich der Theorie der Aetherschwingungen des Lichts, Wundt , medicinische Physik. 28 Von der Elektricität. Anspruch auf reale Wahrheit erheben zu können. Ueber das eigent- liche Wesen der elektrischen Erscheinungen befinden wir uns vielmehr vollständig im Ungewissen. Wir kennen die Elektricität nur aus ihren Wirkungen, also theils aus den oben erwähnten Anziehungs- und Ab- stossungserscheinungen, theils aus den Wärme- und Lichteffecten, den chemischen und mechanischen Wirkungen, sowie den Erregungen un- serer Nerven, die bei der Ausgleichung der entgegengesetzten elek- trischen Zustände einzutreten pflegen. Unsere Betrachtung der elektrischen Erscheinungen wird sich zuerst mit den Erregungsweisen der Elektricität beschäftigen. Wir werden dann ein Maass für die Intensität des elektrischen Zustandes zu gewinnen suchen, um hierauf die Gesetze der elektrischen Ausglei- chung, der Elektricitätsbewegung, und die hierbei eintretenden Wir- kungen zu zergliedern. Die letzteren aber äussern sich theils inner- halb der Körper, in welchen die Elektricität sich bewegt, theils in die Ferne. Wir unterscheiden daher Wirkungen in dem Stromeskreis und Fernewirkungen des elektrischen Stroms. Als Fernewirkungen von besonderer Wichtigkeit sind die Erscheinungen des Magnetismus, des Elektromagnetismus und Diamagnetismus sowie der elektrischen und magnetischen Induction hervorzuheben. Erstes Capitel . Erregung der Elektricität. 288 Elektricität durch Reibung. Anziehung und Abstossung elektrischer Körper. Posi- tive und nega- tive Elektricität. Idioelektrische und anelektri- sche Körper. Die Elektricität trägt ihren Namen von dem Bernstein (ἤλεκτρον), von welchem schon die Alten beobachteten, dass er, mit einem trocke- nen Tuche gerieben, die Eigenschaft annimmt, leichte Körperchen an- zuziehen. Aehnlich dem Bernstein verhalten sich Siegellack, Harze, Glas, Schwefel. Reibt man dieselben mit Seide, Wolle oder Pelz, so bleiben kleine Papierschnitzel oder Kügelchen von Hollundermark an ihnen kleben. Hängt man ein Hollundermarkkügelchen an einem Sei- denfaden auf, so wird es zuerst von dem geriebenen Harz oder Glas angezogen, nach der Berührung mit demselben aber wieder abgestos- sen, so dass es nun bei der Annäherung des geriebenen Körpers flieht. Nähert man einer Harz- oder Glasstange, nachdem man sie durch heftiges Reiben elektrisch gemacht hat, ein Metall, so springt wohl auch unter knisterndem Geräusch ein Funke auf das Metall über, die geriebene Stange hat aber nachher ihre Elektricität ver- loren. Hat man einem Hollundermarkkügelchen die durch Reibung einer Glasstange entstandene Elektricität mitgetheilt, so wird dasselbe von jeder andern auf die nämliche Weise in den elektrischen Zustand versetzten Glasstange abgestossen, von einer durch Reibung elektrisch Erregung der Elektricität. gemachten Harzstange aber viel stärker angezogen, als wenn es sich im unelektrischen Zustand befände. Die dem Kügelchen durch eine geriebene Glasstange mitgetheilte Elektricität kann ferner bis zu einer gewissen Grenze verstärkt wer- den, wenn man die Glasstange von neuem reibt und mit ihr das Kügelchen berührt; setzt man dagegen letzteres in Contact mit einer geriebenen Harzstange, so verschwindet seine Elektricität augenblick- lich; umgekehrt wird die durch geriebenes Harz mitgetheilte Elektri- cität durch die Elektricität des Glases vernichtet. Diese Beobachtungen waren es zuerst, die zu der Vorstellung führten, dass es zwei Elektricitäten gebe. Diejenige Elektricität, die durch Reiben des Glases zu entstehen pflegt, nennt man die positive und die ihr engegengesetzte die negative . Diese Bezeichnung soll lediglich andeuten, dass beide Elektricitäten wie + und — in der Algebra einander aufheben. Dass man aber gerade die Glaselektri- cität positiv genannt hat, beruht auf willkürlicher Wahl. Denn beide Elektricitäten unterscheiden sich nur in ihrem gegenseitigen Verhalten, jede für sich betrachtet folgt denselben Gesetzen wie die andere. Man glaubte anfänglich, jede Elektricität sei bestimmten Körpern eigenthümlich und nannte daher die positive Elektricität Glaselektri- tät, die negative dagegen Harzelektricität. Genauere Beobachtungen haben jedoch gezeigt, dass die Art der Elektricität nicht bloss von demjenigen Körper abhängig ist, welcher gerieben wird, sondern auch von demjenigen, mit welchem man reibt. Ein und derselbe Körper kann daher verschiedene Elektricitäten annehmen. Zur Prüfung der Körper auf ihren elektrischen Zustand bedient man sich desshalb in der Regel derjenigen Elektricität, welche das Glas annimmt, wenn es mit Leder gerieben wird, das zuvor mit einem Zink-Zinn-Amalgam, dem s. g. Kienmaier’schen Amalgam, bestrichen wurde. Die so er- zeugte Elektricität nennt man positiv, jede ihr entgegengesetzte negativ. Wenn nun ein Körper durch Reiben elektrisch gemacht ist, so zeigt regelmässig auch der zum Reiben dienende Körper Elektricität, und zwar stets eine Elektricität, die derjenigen entgegengesetzt ist, welche der geriebene Körper annahm. So wird das Leder, mit wel- chem man eine Glasstange positiv elektrisch gemacht hat, selber ne- gativ elektrisch; ein wollenes Tuch, mit welchem man in einer Harz- platte negative Elektricität erzeugt hat, wird selber positiv. Alle Kör- per, die an einander gerieben entgegengesetzte Elektricitäten anneh- men, heissen idioelektrisch , solche dagegen, die auch durch das stärkste Reiben nicht elektrisch werden, anelektrisch . Zu den idio- elektrischen Körpern gehören Glas, Harz, Wachs, Schwefel, Gutta- percha, Leder u. s. w., zu den anelektrischen sämmtliche Metalle, die Kohle, das Wasser und die von Wasser durchtränkten Körper. 28 * Von der Elektricität. Mittelst des unten, im §. 290, zu beschreibenden Elektroskops lässt sich nach- weisen, dass Spuren von Elektricität durch sehr geringfügige Einwirkungen an allen idioelektrischen Körpern erzeugt werden können. Selbst zwei ganz gleichartige Kör- per werden an einander gerieben elektrisch, und zwar stets der eine positiv, der an- dere negativ. Zerschneidet oder zerbricht man einen idioelektrischen Körper, so zeigt die eine Schnitt- oder Bruchfläche positive, die andere negative Elektricität. Auch an den s. g. anelektrischen Körpern kann man, wie wir sogleich sehen werden, durch Reiben Elektricität erregen, wenn man durch Isolirung derselben die Mittheilung der Elektricität an die Umgebung verhindert. 289 Leiter und Nichtleiter der Elektricität. Ueberzieht man einen Metallstab, da wo man ihn in der Hand hält, mit Schellack oder Guttapercha und reibt das andere nicht über- zogene Ende desselben, so wird dasselbe schwach elektrisch. Die in ihm erregte Elektricität verschwindet aber augenblicklich, wenn man es mit der Hand berührt. Hieraus ist zu schliessen, dass die anelek- trischen Körper nur desshalb unter gewöhnlichen Umständen keine Elektricität annehmen, weil sie dieselbe alsbald bei ihrem Entstehen wieder an die sie berührenden Körper abgeben. Sie geben dieselbe aber nicht an alle Körper ab, mit denen sie in Berührung kommen. Legt man z. B. an einen in der oben angegebenen Weise elektrisirten Metallstab eine Siegellack- oder Glasstange oder einen andern idio- elektrischen Körper, so verliert die Metallstange ihre Elektricität nicht. Hiermit hängt zusammen, dass, wenn man einen Glas- oder Harzstab durch Reiben elektrisch gemacht hat, die Elektricität sich nur an den- jenigen Stellen, die gerieben wurden, vorfindet, während alle übrigen Theile des Stabes unelektrisch geblieben sind. Hat man hingegen einen Metallstab elektrisch gemacht, so ist derselbe in seiner ganzen Länge in sichtlich gleicher Stärke elektrisch. Aus diesen Thatsachen ist zu schliessen, dass die anelektrischen Körper nicht nur viel ge- neigter sind als die idioelektrischen ihre Elektricität andern Körpern mitzutheilen, sondern dass sie auch viel leichter bei der Berührung mit elektrischen Körpern die Elektricität aufnehmen. Man nennt sie daher auch Leiter der Elektricität, während man die andern als Nichtleiter oder Isolatoren bezeichnet. Die besten Elektricitäts- leiter sind die Metalle; unmittelbar nach ihnen kommt Kohle, Graphit, die Säuren und Salzlösungen, hierauf das Wasser und die von Wasser durchtränkten Pflanzen- und Thiergewebe. Nichtleiter der Elektricität sind die fetten und ätherischen Oele, Porzellan, Leder, Federn, Haare, Wolle, Seide, Glimmer, Glas, Wachs, Schwefel, Harze u. s. w. 290 Das Elektro- skop. Der Eigenschaft der Metalle, sehr leicht Elektricität von andern Körpern aufzunehmen, bedient man sich zur Entdeckung schwacher Elektricitätsquellen. Das hierzu meistens benützte Goldblattelek- troskop besteht aus einem Glasgefäss (Fig. 197), dessen Kork von einer einen Metallstab umschliessenden Glasröhre durchbohrt ist; am Erregung der Elektricität. Fig. 197. untern Ende des Metallstabs sind zwei Streifen aus dünnem Goldblatt befestigt, oben endigt derselbe in einem Metallknopf. Diesem Knopf wird nun der Kör- per, den man in Bezug auf seine Elektricität unter- suchen will, z. B. die geriebene Glas- oder Siegellack- stange, genähert. Die Elektricität verbreitet sich sehr rasch über das Metall und die Goldblättchen, und die letzteren beginnen, da die ihnen mitgetheilten gleich- artigen Elektricitäten sich abstossen, zu divergiren. Auch die Art der Elektricität lässt sich mittelst dieses Elektroskops leicht nachweisen. Man theilt zu diesem Zweck dem Knopf zuerst durch einen mit Leder geriebenen Glasstab positive Elektricität mit. Die hierdurch entstandene Divergenz der Goldblättchen wird vermehrt, sobald man den Knopf mit einem Kör- per berührt, der ebenfalls positive Elektricität besitzt; sie wird ver- mindert oder aufgehoben, sobald man den Knopf mit einem negativ elektrischen Körper in Berührung bringt. Das Leitungsvermögen der Körper lässt sich auf folgende Weise mittelst des Elektroskops prü- fen. Theilt man demselben Elektricität mit, so wird ihm diese augen- blicklich entzogen, wenn man mit einem guten Leiter, z. B. mit einem Metall, den Knopf berührt, während bei der Berührung mit schlechten Leitern hierzu längere Zeit erforderlich ist. Da die Luft gleichfalls ein unvollkommener Leiter ist, so verliert das Elektroskop auch wenn man den Knopf nicht berührt seine Elektricität nach einiger Zeit. Mag die Elektricität in einem Körper selbst durch Reiben ent- 291 Anhäufung der Elektricität an der Oberfläche der Körper. standen oder ihm von einem andern mitgetheilt sein: sobald sich der Körper vollkommen isolirt befindet, ist die freie Elektricität nur an seiner Oberfläche angehäuft. Auch hiervon kann man sich vermittelst des Elektroskops überzeugen. Bringt man eine solide Metallkugel auf eine isolirende Glassäule, und umgiebt die Kugel mit zwei dieselbe genau umschliessenden Halbkugeln, an denen sich gläserne Handhaben befinden, so gelangt von der den Halbkugeln mitgetheilten Elektrici- tät keine Spur auf die sie innen berührende Kugel, wie man leicht nach dem Wegheben der Halbkugeln an dem Elektroskop nachweisen kann; ja selbst auf der inneren Oberfläche der Halbkugeln ist keine Elektricität zu finden. Faraday liess ein von gut leitenden Wänden umgebenes Zimmer aufbauen, das von Kupferdrähten, welche die Wände verbanden, durchsetzt war: elektrisirte er nun stark die Aussenwände, so konnte keine Spur von Elektricität an jenen Kupferdrähten oder sonst im Innern des Zimmers entdeckt werden. Wenn man in die Nähe eines elektrisirten Körpers, aber von ihm 292 Elektricität durch Influenz. durch einen Nichtleiter getrennt, einen andern nicht elektrischen Kör- Von der Elektricität. per bringt, so wird derselbe ebenfalls elektrisch, und zwar nimmt er an der dem elektrisirten Körper zugekehrten Seite die entgegenge- setzte, an der von ihm abgekehrten Seite die gleiche Elektricität an. Bringt man z. B. in die Nähe einer Metallscheibe a b (Fig. 198), wel- Fig. 198. cher man positive Elektricität mitgetheilt hat, einen Metallstab c d, so zeigt sich das Ende c desselben negativ und das Ende d positiv elektrisch; die negative Elektricität nimmt von c gegen die Mitte hin ab, ebenso die positive von d an: in der Mitte befindet sich daher eine Indifferenzzone e, an der gar keine freie Elektricität nachzuwei- sen ist. Entfernt man die Platte a b, so kehrt der Stab c d wieder in seinen vorigen unelektrischen Zustand zurück. Nimmt man aber statt des Stabes c d zwei einander bei e berührende Stäbe c e und e d, und entfernt man den Stab e d bevor die Platte a b hinwegge- nommen wird, so bleibt nun nach dem Hinwegnehmen derselben c e positiv elektrisch zurück. Noch vollkommener lässt sich der nämliche Erfolg erreichen, wenn man, während die Platte a b auf den Stab c d einwirkt, das Ende d desselben berührt. Hebt man diese Be- rührung auf, bevor die Platte entfernt wird, so bleibt wieder c d mit der der Platte a b entgegengesetzten Elektricität geladen. In diesem Fall bildet offenbar unser Körper und die Erde mit dem Stab einen einzigen Leiter. Ist also z. B. die Scheibe positiv elektrisch, so häuft sich die negative Elektricität des Stabes bei c an, und die positive fliesst bei d nach der Erde ab. Die hier geschilderte Elektricitätsbewegung findet ihre Erklärung in den in §. 288 besprochenen Erscheinungen der elektrischen Anzie- hung und Abstossung. Wir fanden dort, dass Körper mit ungleich- artigen Elektricitäten sich anziehen, solche mit gleichartigen sich ab- stossen. Wir sehen jetzt, dass diese Anziehung und Abstossung auch für die elektrischen Flüssigkeiten selber gilt: die in a b angehäufte positive Elektricität wirkt anziehend auf die negative, abstossend auf die positive Elektricität des Stabes c d, sie vertheilt daher die im in- differenten Zustand gleichmässig sich durchdringenden elektrischen Flüssigkeiten dieses Stabes so, dass bei c die positive, bei d die ne- gative Elektricität sich anhäuft. Man nennt daher diese Art der Er- zeugung von Elektricität Elektricitätserregung durch Vertheilung oder durch Influenz . Erregung der Elektricität. Auch an nicht leitenden Körpern, also z. B. an Glasstäben, Sie- gellackstangen, lassen sich die Erscheinungen der Influenz beobachten. Aber sie gestalten sich hier abweichend, indem die Vertheilung eine viel längere Zeit braucht und, wenn sie einmal eingetreten ist, auch noch längere Zeit nach dem Wegbringen des influenzirenden Körpers andauert. Aus den Erscheinungen der Influenz lässt unmittelbar die Ver- 293 Vertheilung der Elektricität auf der Oberfläche der Leiter. Spitzenwirkung. theilung der freien Elektricität auf isolirten Leitern sich ableiten. Ein Körper, dem Elektricität mitgetheilt worden, influenzirt die ihn um- gebenden Lufttheilchen. Er ist daher mit einer Luftschichte von ent- gegengesetzter Elektricität umgeben: letztere zieht aber die auf ihm angehäufte Elektricität an, und dieselbe begiebt sich desshalb sämmt- lich auf die Oberfläche des Körpers. Hier muss sie nun, da das Innere vollständig unelektrisch bleibt, so vertheilt sein, dass die Wir- kung der auf allen Punkten der Oberfläche vorhandenen Elektricität auf jeden Punkt im Innern sich aufhebt. Denn wenn dies nicht der Fall, wenn die Influenzwirkung aller Punkte der Oberfläche auf einen Punkt im Innern nicht gleich null wäre, so würden in diesem die Elektricitäten nicht getrennt werden, das Innere würde also nicht mehr unelektrisch erscheinen. Hieraus folgt, dass die Anordnung der Elektricität auf der Oberfläche der Körper von ihrer Gestalt abhängt. Da die Elektricität, wie wir im nächsten Cap. nachweisen werden, dem allgemeinen Gesetz der Massenanziehung und -abstossung folgt, also dem Quadrat der Entfernungen umgekehrt proportional ist, so giebt es nur einen Körper, auf dessen Oberfläche die Elektricität sich überall in gleicher Dichtigkeit anhäuft: die Kugel. Auf allen andern Oberflächen muss, damit die Anziehungen und Abstossungen auf jeden Punkt des Innern sich aufheben, die Elektricität in wech- selnder Dichte sich anhäufen. So ist sie bei einem Ellipsoide am kleinsten am Endpunkt der kleinen, am grössten am Endpunkt der grossen Axe. Bei allen Körpern, bei denen die Oberfläche in Kanten, scharfe Ränder oder Spitzen ausläuft, sammelt die Elektricität an die- sen Stellen in grösserer Dichte sich an. Man kann sich von dieser Thatsache schon mittelst des Elektroskops überzeugen. Wenn man mit dem Knopf des Elektroskops eine elektrisirte Kugel berührt, so erhält man die gleiche Ablenkung der Goldblättchen, an welcher Stelle man auch die Kugel berühren möge, während an andern Körpern je nach der Berührungsstelle die Ablenkung eine wechselnde ist. Am wichtigsten wegen ihrer practischen Anwendungen ist die Wirkung der scharten Kanten und Spitzen auf die Vertheilung der Elektricität. Man kann sich von dieser Wirkung durch die Betrachtung der Fig. 199 leicht Rechenschaft geben. Es sei a ein Punkt im Innern des in eine Spitze s auslaufenden Kegels. Auf den Punkt a finden nach den Von der Elektricität. Fig. 199. Richtungen a s, a b, a c u. s. f. Influenzwirkungen statt. Damit nun diese Wirkungen sich aufheben, muss offenbar die Wirkung nach der Richtung a s mit den sämmtlichen nach abwärts gerichteten Wirkungen a b, a c u. s. f. im Gleichgewicht stehen: es muss daher die im Punkte s an- gehäufte Elektricität im Verhältniss zu der in den Punkten c, d, e … vorhandenen Elektricität sehr gross sein. Wäre s ein mathematischer Punkt, so müsste sie sogar in diesem Punkte selber unendlich gross sein; aber auch wenn s ein physischer Punkt ist, wird sie immerhin bedeutend die Elektricität an den Punkten b, c … übertreffen, und die Dichte der Elektricität an der Oberfläche des Kegels wird überhaupt mit der Annäherung an die Spitze wachsen. Vermöge dieser Eigenschaft die Elektricität in sehr grosser Menge anzusammeln, wendet man die metallischen Spitzen sowohl als An- sammlungs- wie als Ausströmungsapparate der Elektricität an. Bringt man in die Nähe irgend eines elektrisirten Körpers einen in eine Spitze ausgehenden Metallstab, so wird der letztere, falls man ihn am andern Ende ableitend berührt, an seiner ganzen Oberfläche durch In- fluenz mit entgegengesetzter Elektricität geladen: diese muss sich aber wegen des Gleichgewichts der Wirkungen auf das Innere an der Spitze in grösster Dichtigkeit anhäufen. Die hier angehäufte Elektricität wirkt dann wieder zurück auf diejenige des ursprünglich elektrisirten Kör- per, so dass letztere an derjenigen Stelle, welche der Spitze gegenüber- liegt, grösser wird als an allen andern: in Folge dessen tritt dann, indem ein Funke überschlägt, ein Austausch der entgegengesetzten Elektricitäten ein, worauf beide Körper im neutralen Zustand zurück- bleiben. Theilt man unmittelbar einem isolirten metallischen Körper, der mit einer Spitze versehen ist, Elektricität mit, so sammelt sich diese in grösster Dichtigkeit auf der Spitze an: indem nun die umgebenden Lufttheilchen durch Influenz die entgegengesetzte Elek- tricität annehmen, kann, wenn die Elektricität der Spitze sehr bedeu- tend wird, eine Ausgleichung mit jener influenzirten Elektricität der Lufttheilchen eintreten, es strömt dann, meist unter Lichterscheinung, die Elektricität aus der Spitze in die Atmosphäre aus. Da die Luft- theilchen zu schlechte Leiter sind, als dass sie auf einmal die Elek- tricität der Spitze neutralisiren könnten, so geht immer nur ein Theil der auf letzterer angesammelten Elektricität auf die Umgebung über, die von der Spitze elektrisirten Lufttheilchen werden abgestossen, neue treten an deren Stelle: es tritt so eine Bewegung der Luft ein, welche das Ausströmen begünstigt. 294 Anwendungen der Influenz- elektricität. Ihre wichtigste Anwendung findet die Spitzenwirkung in der practischen Elek- tricitätslehre bei der Construction der Blitzableiter und der Elektrisirmaschinen. Der Blitzableiter ist ein in eine unoxydirbare Spitze (aus Gold oder Platin) Erregung der Elektricität. auslaufender Metallstab, der mit der Erde in möglichst gut leitender Verbindung Blitzableiter. Elektrisirma- schine. Elektro- phor. Conden- sator. Kleist’- sche Flasche. steht und daher in der oben angegebenen Weise atmosphärische Elektricität aufzu- saugen vermag, indem er durch Influenz Elektricität von entgegengesetztem Vorzei- chen annimmt. Der Elektrisirmaschine bedient man sich gewöhnlich, um Reibungselek- tricität in grösserer Menge zu erhalten. Sie besteht aus einer Glasscheibe, welche mittelst einer Kurbel gedreht und hierbei an angepressten, mit Zink-Zinnamalgam be- strichenen Lederkissen gerieben wird. Während ihrer Drehung bewegt sich die Glas- scheibe an einer Anzahl metallischer Spitzen vorbei, welche mit einer durch eine Glas- säule vom Boden isolirten Metallkugel, dem Conductor, in Verbindung stehen. Wäh- rend sich auf der Glasscheibe positive Elektricität bildet, entsteht an den Reibzeugen negative, welche durch einen Metalldraht fortwährend nach dem Boden abgeleitet wird; auf den der Glasscheibe gegenüberstehenden Spitzen sammelt sich durch Influenzwir- kung ebenfalls negative und in Folge dessen (ähnlich wie in dem durch Fig. 198 dar- gestellten Versuch) auf dem Conductor positive Elektricität an. Diese Influenzwirkung nimmt zu, bis die Dichte der negativen Elektricität der Spitzen so gross wird, dass sie auf die Glasplatte übergeht. Dann sammelt sich durch neue Influenz negative Elektricität in den Spitzen an, u. s. f. Dies dauert so lange, bis sich auf dem Con- ductor eine solche Menge positiver Elektricität angesammelt hat, dass, wenn man die Maschine stillhält, in den Spitzen genau so viel positive Elektricität vorhanden ist, als in der Scheibe erregt wird. Damit ist eine Grenze erreicht, über welche der Con- ductor der Elektrisirmaschine nicht weiter geladen werden kann. Denn durch die von neuem erzeugte positive Elektricität der Scheibe wird jetzt zwar immer noch durch Influenz negative Elektricität in den Spitzen hervorgerufen: dieselbe kann aber nicht ausströmen, weil ihr die von früherher vorhandene positive Elektricität das Gleich- gewicht hält und daher, so lange sich die positive Scheibe vorbeibewegt, eigentlich ein neutraler Zustand in den Spitzen besteht. Verbindet man die Reibzeuge mit dem Conductor und die Spitzen mit dem Boden, so sammelt sich natürlich statt der posi- tiven negative Elektricität auf dem Conductor an. Als weitere Anwendungen der Influenzelektricität sind folgende physikalische Apparate zu erwähnen: 1) Der Elektrophor . In einen Metallteller wird flüssig gemachtes Harz ausgegossen. Auf den nach dem Erkalten entstandenen Harzkuchen passt eine Metall- scheibe, welche mit einer isolirenden Handhabe versehen ist. Der Harzkuchen wird durch Peitschen mit einem Fuchsschwanz negativ elektrisch gemacht. Wird nun der Deckel auf ihn gelegt, so wird derselbe durch Influenz an seiner untern Seite positiv, an seiner obern negativ elektrisch. Wird der Deckel einen Augenblick mit der Erde in leitende Verbindung gesetzt und dann abgehoben, so bleibt die positive Elektricität allein auf ihm zurück, welche nun benutzt werden kann. In dem Harzkuchen selbst findet durch Influenz eine Vertheilung der Elektricitäten statt. Die auf seiner obern Fläche erzeugte negative Elektricität zieht nämlich im Innern positive an, und in Folge dessen sammelt sich auf der untern Seite negative, welche in den Metallteller übergeht. Wegen dieser im Harzkuchen eintretenden Vertheilung ist der Elektrophor im Stande sehr lange Zeit, oft mehrere Monate lang seine Elektricität zu bewahren. 2) Der Condensator . Wir haben vorhin erwähnt, dass der Conductor einer Elektrisirmaschine nur bis zu einer bestimmten Grenze mit Elektricität geladen wer- den kann. Aehnlich verhält es sich mit dem Elektrophor und mit jeder andern Art von Elektricitätserregung. Kein metallischer Leiter kann durch unmittelbare Ueber- tragung die Elektricität in grösserer Dichte aufnehmen, als in der sie an der Elek- Von der Elektricität. tricitätsquelle vorhanden ist. Dagegen lässt sich die Influenzwirkung zur Gewinnung grösserer Elektricitätsmengen benützen. Der eine der hierher gehörenden Apparate ist der Condensator, der andere die Leydener Flasche. Der erstere hat den Zweck Elektricitäten von äusserst geringer Dichtigkeit zu condensiren, um dieselben dadurch nachweisen zu können. Er besteht im allgemeinen aus zwei durch ein isolirendes Medium getrennten Metallplatten, von denen die eine isolirt ist, während die andere nach der Erde abgeleitet wird. Die Platten a und b (Fig. 200) sind an den einander Fig. 200. zugekehrten Seiten mit einer Schichte Firniss überzogen, a ist mit einer Handhabe aus Glas versehen, b steht auf einem metallenen Fusse. Berührt man mit der Platte a eine Elektricitätsquelle und stellt dann a auf b, so wird in letz- terer Platte entgegengesetzte Elektricität auf der a zuge- kehrten Seite durch Influenz gesammelt; diese Elektricität wird noch vermehrt, wenn man b ableitend berührt. Durch die in b entstandene Vertheilung wird nun aber wieder a influenzirt, indem sich die hier angehäufte Elektricität vor- zugsweise auf der untern Seite anhäuft. Bringt man daher die Platte a nochmals mit der Elektricitätsquelle in Berüh- rung, so kann sie von dieser eine neue Menge Elektricität aufnehmen. Letztere bewirkt von neuem eine Vertheilung auf b, die wieder auf a herüberwirkt, u. s. w.; man kann daher nun so lange mit der Ladung fortfahren, bis auf der oberen Seite der Platte a der übertragenen gleichnamige Elektricität in ebenso grosser Dichte vorhanden ist wie an der Elektricitätsquelle selber. Die Platte a wird als Collector , die Platte b als Condensator bezeichnet. Man bringt häufig den Apparat in feste Verbindung mit dem Elektroskop (Fig. 197), indem man den Messingstab desselben oben statt in einen Knopf unmittelbar in die Condensatorplatte b übergehen lässt: die vom Elek- troskop angezeigte Elektricität hat dann natürlich das entgegengesetzte Vorzeichen von der durch den Collector aus der Elektricitätsquelle aufgesammelten. 3) Die Kleist’sche oder Leydener Flasche . Sie hat den Zweck Elektri- cität, welche von solcher Dichtigkeit ist, dass sie von einem alleinstehenden Leiter auströmen würde, durch Influenz festzuhalten. Die Leydener Flasche besteht daher aus einem Glasgefäss, welches aussen und innen bis auf etwa ¼ der Höhe mit Sta- niol belegt und von da an bis nahe an den Rand mit Siegellackfirniss überzogen ist. Auf der Oeffnung befindet sich ein Deckel aus überfirnisstem Holze, in welchem ein starker, oben in eine Kugel ausgehender und unten durch eine Metallkette mit der innern Staniolbelegung in Verbindung stehender Messingdraht steckt. Man lässt nun auf den Knopf die Funken einer Elektrisirmaschine oder einer andern starken Elek- tricitätsquelle überschlagen, während die äussere Belegung mit der Erde in leitende Verbindung gebracht ist. Die innere Belegung dient somit als Collector, die äussere als Condensator. In dem Maasse als die erstere positive Elektricität aufnimmt, wird in der letzteren durch Influenz negative angezogen. Die Menge der Elektricität, welche eine Flasche aufnehmen kann, steigt mit der Grösse der Belegung. Um starke elektrische Wirkungen zu erhalten, verbindet man daher eine Anzahl von Flaschen, indem man ihre Kugeln durch Drähte mit einander und sämmtliche äussere Belegun- gen mit der Erde in Verbindung bringt, zu einer sogenannten Batterie. 295 Elektricität durch Contact Bringt man zwei glatt geschliffene Platten aus verschiedenem Metalle, die beide (ähnlich wie die Collectorplatte a in Fig. 200) mit Erregung der Elektricität. isolirenden Handgriffen versehen sind, mit einander in Berührung, so verschiedener Metalle. Die elektromotori- sche Kraft. zeigt nach der Trennung die Prüfung am Elektroskop, dass die bei- den Platten entgegengesetzte Elektricitäten in gleicher Menge ange- nommen haben. Nimmt man z. B. eine Kupfer- und eine Zinkplatte, so wird die Kupferplatte negativ, die Zinkplatte positiv elektrisch. Da die hierbei auftretenden Elektricitäten sehr schwach sind, so ist es zu ihrer Nachweisung erforderlich das Elektroskop (Fig. 197) mit dem im vorigen §. beschriebenen Condensator zu versehen. Dabei muss man aber natürlich die Collectorplatte des Condensators vom selben Metall nehmen wie dasjenige, womit sie berührt wird, weil sonst auch bei dieser letzteren Berührung Elektricität erzeugt würde. Prüft man eine der Platten, während dieselben noch mit einander in Contact stehen, so lässt sich keine Spur von Elektricität an derselben nach- weisen. Diese tritt aber im Moment auf, wo die Platten von einan- der getrennt werden. Die sich berührenden Metallplatten gleichen hierin vollständig zwei Condensatorplatten, die man mit Elektricität geladen hat, da auch diese erst im Moment wo man sie von einander entfernt freie Elektricitäten erkennen lassen. Die Vertheilung der Elektricitäten auf den sich berührenden Metallplatten wird daher auch eine ähnliche sein wie auf den mit Elektricität geladenen Platten des Condensators. An der Grenze wo Kupfer und Zink sich berühren wird also z. B. auf der Kupferseite negative, auf der Zinkseite posi- tive Elektricität sich ansammeln. Hebt man die Berührung auf, so verbreitet sich dann die negative Elektricität gleichmässig über die ganze Oberfläche des Kupfers, ebenso die positive Elektricität über die Oberfläche des Zinks. Die Menge von Elektricität, die sich auf jeder Platte ansammelt, ist, wie sich am Elektroskop nachweisen lässt, un- abhängig von der Zeit der Berührung: nach einem bloss momentanen Contact ist der Ausschlag der Goldplättchen ebenso gross wie nach einer länger dauernden Berührung. Um dies Verhalten zu erklären nimmt man an, die verschiedenen Metalle besässen gegen die beiden elektrischen Flüssigkeiten verschiedene Anziehungskräfte. Im gewöhn- lichen Zustand enthält jedes Metall beide elektrische Flüssigkeiten in gleicher Menge. Erst wenn verschiedene Metalle mit einander in Berührung kommen, können jene Anziehungskräfte sich äussern: hat also z. B. das Kupfer eine relativ grössere Anziehungskraft gegen die negative, das Zink eine grössere gegen die positive Elektricität, so wird, wenn Kupfer und Zink in Contact kommen, auf jenem negative und auf diesem positive Elektricität sich ansammeln. Da aber die entgegengesetzten Elektricitäten sich anziehen, so wird sowohl die negative Elektricität des Kupfers wie die positive des Zinks so lang die Berührung dauert an der Contactstelle der Metalle verbleiben müssen. Sich mit einander zu vereinigen verhindern die Elektrici- täten jene von den Metallen ausgehenden Anziehungskräfte. Hieraus Von der Elektricität. ergiebt sich, dass die Mengen der angesammelten Elektricitäten bei der Berührung der gleichen Metalle immer die nämlichen sind: denn sollten die Elektricitätsmengen steigen, so müsste das Vereinigungs- bestreben grösser als die trennende Kraft werden, sollten sie sin- ken, so würde die trennende Kraft so lange wirken, bis wieder das Gleichgewicht hergestellt wäre. Man nennt die an der Con- tactstelle verschiedener Metalle vorhandene Kraft die elektromoto- rische Kraft . Aus der Entstehung dieser Kraft erhellt unmittelbar, dass dieselbe nur abhängt von der Beschaffenheit der Metalle, die sich berühren, dass sie aber nicht nur von der Zeit der Berührung, sondern auch von der Grösse der Berührungsflächen unabhängig ist. Denn im Moment, in welchem zwei Metalle in Contact gerathen, muss Gleichgewicht zwischen der Anziehungskraft der Metalle gegen eine bestimmte elektrische Flüssigkeit und der Anziehungskraft der elek- trischen Flüssigkeiten unter einander eintreten, und dieses Gleichge- wicht muss für jedes Element der sich berührenden Oberflächen das nämliche sein. 296 Spannungsreihe der Metalle. Die verschiedenen Metalle und einige andere sich denselben ähnlich verhaltende Körper, wie Kohle und Braunstein, lassen sich sämmtlich derart in eine Reihe ordnen, dass sich jedes vorhergehende Metall bei Berührung mit einem nachfolgenden positiv, jedes nach- folgende negativ verhält, und dass die Menge der auftretenden posi- tiven und negativen Elektricitäten, also die Stärke der elektromotori- schen Kraft, um so grösser ist, je weiter entfernt von einander beide Metalle in der Reihe stehen. Schon Volta stellte folgende mit dem positivsten Körper beginnende und mit dem negativsten schliessende Reihe auf: Zink, Blei, Zinn, Eisen, Kupfer, Silber, Gold, Kohle, Braunstein . Diese Reihe ist mit unwesentlichen Abwei- chungen von späteren Beobachtern bestätigt worden. 297 Elektricität bei der Berührung eines Metalls mit einer Flüs- sigkeit. Wie bei der Berührung zweier Metalle, so findet auch bei der Berührung von Metallen und Flüssigkeiten Erregung von Elektricität statt. In reinem Wasser, in den meisten verdünnten Säuren, sowie in alkalischen Lösungen werden die Metalle negativ elektrisch, wäh- rend die Flüssigkeit selbst positive Elektricität annimmt. Auch hier sammelt sich wieder die freie Elektricität auf den Grenzschichten von Metall und Flüssigkeit an, und erst nachdem man den Contact zwi- schen Metall und Flüssigkeit aufgehoben hat, verbreitet sich die ne- gative Elektricität über die ganze Oberfläche des Metalls, die positive über die ganze Oberfläche der Flüssigkeit, so dass sie nun mit dem Elektroskop nachgewiesen werden kann. Die elektromotorischen Kräfte, welche die verschiedenen Metalle in einer und derselben Flüssigkeit annehmen, sind beträchtlich verschiedene. Nach Poggendorff bil- Erregung der Elektricität. den z. B. die wichtigeren Metalle in ihrem Verhalten zu verdünnter Schwefelsäure folgende Reihe, in welcher dasjenige Metall, wel- ches am stärksten negativ elektrisch wird, den Anfang, dasjenige welches am schwächsten negativ elektrisch wird das Ende bildet: Zink, Zinn, Blei, Eisen, Kupfer, Silber, Gold, Platin, Kohle . Nach anderen Beobachtungen nehmen die drei letzteren Körper, Gold, Platin und Kohle, sogar positive Elektricität an, wäh- rend die verdünnte Schwefelsäure negativ wird. Wie man sieht weicht diese Spannungsreihe der Metalle in der verdünnten Säure etwas ab von der Spannungsreihe, welche die Metalle bei ihrem gegenseitigen Contact bilden; ausserdem geht aber aus den angeführten Erfahrungen unzweifelhaft hervor, dass die Flüssigkeiten nicht mit den Metallen in eine Spannungsreihe gebracht werden können. Denn da Zink in Berührung mit Flüssigkeiten negativ wird, Zink aber in der Spannungs- reihe der Metalle der elektropositivste Körper ist, so müssten die Flüssigkeiten noch elektropositiver sein, und alle andern Metalle müss- ten in Berührung mit ihnen noch negativer werden als Zink. Davon tritt aber, wie aus der obigen Reihe hervorgeht, gerade das Gegen- theil ein. Vielmehr bildet jede Flüssigkeit mit den verschiedenen Metallen und den ihnen ähnlichen Körpern eine besondere Span- nungsreihe , die weder mit der Spannungsreihe der Metalle noch mit der Spannungsreihe einer andern Flüssigkeit verglichen werden kann. Wir werden später (in Cap. 4) sehen, dass diesem verschie- denen Verhalten ein Unterschied in der Art wie die Körper die Elek- tricität leiten entspricht, wesshalb man auch sämmtliche Körper, welche in die Spannungsreihe der Metalle eingereiht werden können, als Leiter erster Classe , jeden andern die Elektricität leitenden Kör- per aber, der eine besondere Spannungsreihe mit den Metallen bildet, als einen Leiter zweiter Classe bezeichnet. Um zwei Platten aus verschiedenem Metall gleichzeitig mit einer 298 Berührung zweier Metalle mit einer Flüs- sigkeit. leitenden Flüssigkeit in Berührung zu bringen, verfährt man am einfach- sten in folgender Weise. Ein Tuchlappen T (Fig. 201) wird mit der Fig. 201. Flüssigkeit getränkt, dann auf eine Metallplatte Z gelegt und mit einer andern Metallplatte K bedeckt. Tränkt man nun z. B. das Tuch mit verdünnter Schwefelsäure, und nimmt zur untern Platte Zink, zur Von der Elektricität. obern Kupfer, so wird sowohl das Zink als das Kupfer durch die Berührung mit der Schwefelsäure negativ, und diese letztere wird po- sitiv. Nehmen wir an, das Zink erhalte durch die Berührung mit T eine freie Elektricität = — 20, so erhält T dadurch eine freie Elek- tricität = + 20. Erhält dagegen Kupfer nur eine Elektricität = — 10, so erhält dadurch auch T nur eine Elektricität = + 10. Nun ver- breitet sich die Elektricität + 20, welche T durch Berührung mit Z annahm, sowohl über T als über K, und ebenso verbreitet sich die Elektricität + 10, die T durch Berührung mit K annahm, über T und Z: die Kupferplatte hat daher eine Elektricität = + 10, und die Zinkplatte eine solche = — 10, während die freie Elektricität der Flüssigkeit = + 30 ist. Von zwei Metallen, die durch eine leitende Flüssigkeit getrennt werden, zeigt also jedes eine Menge freier Elek- tricität, die gleich der Differenz derjenigen Elektricitätsmengen ist, welche jedes für sich in derselben Flüssigkeit annehmen würde, in der Flüssigkeit dagegen ist eine Elektricitätsmenge vorhanden, die gleich der Summe derjenigen Elektricitäten ist, welche dieselbe bei der Berührung mit den einzelnen Metallen empfangen würde. Statt eine Tuchscheibe mit der Flüssigkeit zu tränken, kann man dieselbe auch in ein Glas giessen, in welches man die Metallplatten einsenkt. Stets zeigt hierbei das Kupfer am Elektroskop freie positive und das Zink freie negative Elektricität. 299 Der elektrische Strom. Die gal- vanische Kette. Bei dem Contact zweier Metalle ohne Dazwischenkunft eines feuchten Leiters konnten wir die Trennung der Elektricitäten erst nach- weisen, wenn, wie beim Condensator, die Metallplatten von einander getrennt waren, weil sonst die positive Elektricität des Kupfers die negative des Zinks durch Influenz festhielt und umgekehrt. Dies ist nun anders, wenn in der angegebenen Weise zwei Metalle in eine Flüssigkeit tauchen. Hier breitet sich die an der Grenze eines Me- talls und der Flüssigkeit erregte Elektricität vollständig über die Flüs- sigkeit und somit auch über das andere Metall aus. Verbindet man daher die beiden Metalle durch einen leitenden Draht, so gleichen die Elektricitäten sich aus, es geht also z. B. in Fig. 201 posi- tive Elektricität in dem Verbindungsdraht S von dem Kupfer zum Zink und negative vom Zink zum Kupfer. Die so zur Ausgleichung gekommene freie Elektricität muss aber alsbald wieder durch neue er- setzt werden, da die elektromotorische Kraft zwischen einem jeden Metall und der Flüssigkeit unverändert bleibt. In dem Maasse also als die durch die Vertheilung entstandenen freien Elektricitäten sich ausgleichen entstehen sie neu: es muss so in dem Verbindungsdraht S ein fortdauernder Strom positiver Elektricität vom Kupfer zum Zink und ein ebensolcher Strom negativer Elektricität vom Zink zum Kupfer entstehen. Man pflegt die Richtung des elektrischen Stroms nach dem Erregung der Elektricität. positiven Strom zu benennen, und sagt daher in diesem Fall einfach, es gehe der Strom in dem Verbindungsdraht vom Kupfer zum Zink und innerhalb der Flüssigkeit vom Zink zum Kupfer. Wir sehen schon hier, wie dies Verhalten der Metalle in Flüssigkeiten durch die Eigenthümlichkeit der letztern bedingt ist, dass sich die in ihnen durch die Berührung mit einem Metall erzeugte Elektricität gleichmässig von einer Schichte der Flüssigkeit auf die andere verbreitet. Wir werden später sehen, dass diese Art der Leitung stets mit einer chemischen Zersetzung der Flüssigkeit verbunden ist, wesshalb wir auch die chemische Zersetzung als die Quelle der, sobald die Metalle durch einen Schliessungsdraht verbunden sind, fortdauernd verschwindenden und sich wieder erneuernden elektromotorischen Kraft an den Berüh- rungsstellen zwischen Metall und Flüssigkeit betrachten können. Schichten wir ferner eine Anzahl solcher Plattensätze, wie in Fig. 201 deren einer dargestellt ist, über einander, indem wir auf die Kupferplatte wieder eine Zinkplatte, darauf eine zweite Tuchscheibe bringen, u. s. f., so wird folgendes eintreten. Jede der Combinationen für sich wird, wie es die erste Zahlencolumne des folgenden Schemas darstellt, wie vorhin am Kupferende eine Elektricität = + 10, am Zinkende eine solche = — 10 annehmen. Es gleichen dann aber, sobald Z 1 mit K 2 durch einen Draht verbunden wird, nicht bloss die Elektricitäten + 10 und — 10 sich aus, sondern es geht gleichzeitig von Z 2 die Elektricität — 10 auf K 1 , T 1 und Z 1 und von K 1 die Elektricität + 10 auf Z 2 , T 2 und K 2 über, so dass nun an den Enden Z 1 und K 2 die freien Elektricitäten — 20 und + 20, d. h. eine dop- pelte Elektricitätsmenge als bei Anwendung einer einzigen Combina- tion zum Vorschein kommt; ebenso erhält man bei der Anwendung von drei Combinationen die 3fache, von vier die 4fache Elektricitäts- menge, u. s. w. Wenn man die beiden Enden einer so aufgebauten Säule nicht mit einander verbindet, sondern das eine, z. B. das untere, zur Erde ableitet, so sammelt sich nun bloss Elektricität von einerlei Art auf der Säule an. Denn die in Z 1 durch Berührung mit T 1 erregte ne- gative Elektricität — 20 fliesst nach der Erde ab, ebenso die in T 1 durch Berührung mit K 1 erregte positive Elektricität + 10, dagegen Von der Elektricität. geht die in T 1 durch Berührung mit Z 1 erregte positive Elektricität + 20 auf K 1 über, während die in Z 2 durch Berührung mit T 2 er- regte negative Elektricität wieder zur Erde abfliesst, u. s. w. Man erhält daher in einer solchen Säule folgende Zunahme der positiven Elektricität von unten nach oben: K 2 = + 40 T 2 = + 30 Z 2 = + 20 K 1 = + 20 T 1 = + 10 Z 1 = 0 Eine zur Erde abgeleitete Säule muss also an ihrem nicht ab- geleiteten Ende eine doppelt so grosse elektrische Spannung zeigen, als wenn beide Enden isolirt wären. Würde man umgekehrt K 2 zur Erde ableiten und Z 1 isoliren, so würde sich nur negative Elektricität über die Säule verbreiten, und diese würde am Ende Z 1 eine Span- nung = — 40 besitzen. Durch die Berührung verschiedener Metalle mit leitenden Flüssig- keiten ist uns so die Gelegenheit geboten 1) fortdauernde elektrische Ströme zu erhalten, und 2) die Menge der bei diesen Strömen frei werdenden Elektricitätsmenge durch vielfache Verbindungen gleich- artiger Combinationen von Metallen und Flüssigkeit beliebig zu stei- gern. Man bezeichnet eine einzige Combination dieser Art als ein galvanisches Element , eine Reihe in der vorhin angegebenen Weise verbundener Elemente als eine galvanische Kette . Die verschiedenen Formen galvanischer Ketten werden wir bei der Be- trachtung der bewegten Elektrität (3. Cap.) besprechen. Während man früher annahm, in den galvanischen Ketten werde die Elektrici- tät bloss durch die Berührung der verschiedenartigen Metalle bewirkt, und die Flüs- sigkeit diene nur als leitende Schichte, ist neuerdings vielfach die entgegengesetzte Ansicht zur Geltung gekommen, wornach überhaupt nur Elektricität bei dem Contact von Metallen und Flüssigkeiten (oder auch Gasen) erregt werde; und man nahm da- her an, dass auch die bei der blossen Berührung verschiedener Metalle frei werdende Elektricität in einer auf der Oberfläche der Metalle condensirten Feuchtigkeitsschichte ihren Grund habe. Da die Flüssigkeiten durch die Elektricitätserregung stets eine chemische Zersetzung erfahren, so drückte man diese Ansicht auch so aus: galvani- sche Elektricität könne überhaupt nur durch chemische Zersetzung entstehen. Man bezeichnete diese Ansicht gegenüber der Contacttheorie als die chemische Theorie . Man gieng dabei namentlich von dem Grundsatze aus, dass keine Kräfte aus nichts entstehen können. Dies forderte aber die frühere Contacttheorie, welche die in den galvanischen Ketten auftretende Elektricität der blossen Metallberüh- rung zuschrieb. Die bei dem blossen Contact der Metalle auftretenden Erschei- nungen widerstreiten dagegen dem Princip der Erhaltung der Kraft keineswegs, auch wenn man sie, wie es oben geschehen ist, lediglich auf die verschiedene Anziehung Erregung der Elektricität. der Metalle gegen die elektrischen Flüssigkeiten zurückführt. Denn niemals lassen sich, wenn man Leiter erster Classe mit einander in Berührung bringt, dauernde elek- trische Ströme hervorrufen. Jene überwiegende Anziehung eines jeden Metalls ist eine Spannkraft von bestimmter Grösse, die immer erst frei gemacht werden muss, sei es durch die mechanische Arbeit, die erforderlich ist, um Metalle in Berührung zu bringen und dann wieder zu trennen, sei es durch eine fortdauernde chemische Action, sei es endlich, wie wir in §. 302 sehen werden, durch Wärme. Auch die Berührung zwischen Metallen und Gasen ist eine ziem- 300 Elektricität bei der Berührung von Metallen und Gasen. lich kräftige Quelle der Elektricitätsentwicklung. Lässt man zwei Platinplatten in zwei mit einander communicirende Gefässe mit ver- dünnter Schwefelsäure tauchen, so entsteht, sobald man in das eine Gefäss Sauerstoffgas, in das andere Wasserstoffgas leitet, in einem beide Platten verbindenden Schliessungsdraht ein elektrischer Strom, der von dem Platinblech im Sauerstoff zu dem Platinblech im Was- serstoff, innerhalb der Flüssigkeit also in umgekehrter Richtung fliesst: es muss somit das Platinblech im Wasserstoff positiv, dasjenige im Sauerstoff negativ geworden sein. Wir werden auf diese Entwicklung von Elektricität durch den Contact von Metallen und Gasen bei der Betrachtung der Polarisation (§. 327) zurückkommen. Der so er- zeugte Strom verschwindet bald, weil sich durch den Strom selbst aus der Flüssigkeit an der Sauerstoffplatte Wasserstoff und an der Wasserstoffplatte Sauerstoff ausscheidet, wodurch an beiden Stellen Wasser gebildet wird. Ueberzieht man jedoch die Platinplatten mit Platinmohr und bietet man dem letzteren eine hinreichende Menge von Gas zur Absorption dar, so kann man dauernde und constante Ströme erhalten; Grove hat aus auf diese Weise construirten Gaselementen sehr wirkungsfähige Säulen aufgebaut. Wie zwischen Metallen und Flüssigkeiten, so findet auch bei 301 Elektricität bei der Berührung verschiedener Flüssigkeiten. der Berührung zweier Flüssigkeiten eine, wenngleich schwache Elek- tricitätserregung statt. So ist in der sogen. Säure-Alkalikette von Bec- querel , in welcher Säure und Alkali durch eine poröse Thonwand communiciren und in jede dieser Flüssigkeiten ein Platinblech taucht, die Elektricitätserregung aus dem Contact der Flüssigkeiten unter ein- ander und mit dem Metall zusammengesetzt. Ueberhaupt kommen die in diesem und dem vorigen §. aufgezählten Arten der Elektricitätserregung fast nur als Neben- oder Folgewirkungen sonstiger galvanischer Ströme in Rücksicht, kaum jemals aber benützt man dieselben als Elektrici- tätsquellen. Die nämliche Wirkung wie durch eine zwischen zwei Metalle 302 Elektricität bei Erwärmung der Löthstellen ver- schiedener Me- talle. Thermo- ketten. gebrachte Flüssigkeit kann dadurch hervorgebracht werden, dass man die Metalle an der Stelle, wo sie mit einander in Contact stehen, er- wärmt . Um einen sicheren Contact der Metalle zu erzielen, löthet Wundt , medicin. Physik. 29 Von der Elektricität. man dieselben an einander und schliesst sie dann, ähnlich wie in Fig. 201 die durch ein feuchtes Tuch getrennten Metalle, zu einem Kreis. Wird die Löthstelle a (Fig. 202) erwärmt, so entsteht ein Fig. 202. Strom von einem Metall zum andern, der so lange wie die Erwärmung anhält. Ein Strom in derselben Richtung entsteht, wenn statt dessen die Löthstelle b erkältet wird. Dagegen wird ein Strom in entgegenge- setzter Richtung hervorgerufen, wenn b er- wärmt oder a erkältet wird. Nach der Analogie mit der galvanischen Elektricität nennt man dasjenige Metall negativ, gegen welches sich von der erwärmten Löthstelle aus der Strom positiver Elektricität bewegt. Ist also z. B. a die erwärmte Löthstelle, so ist das Metall a d b negativ, wenn der Strom in der durch den Pfeil angedeuteten Richtung verläuft. Man hat so die Metalle nach ihrem gegenseitigen Verhalten bei der Erwärmung in ähnlicher Weise in eine Spannungsreihe geordnet wie nach ihrem gegenseitigen Ver- halten in einer leitenden Flüssigkeit. Diese Reihe ist nach Seebeck , wenn wir mit dem negativsten Metall beginnen und dem positivsten schliessen, folgende: Wismuth, Blei, Zinn, Platin, Gold, Sil- ber, Zink, Eisen, Antimon . Ueber die Anordnung der Metalle zu Thermoketten haben wir in der Lehre von der Wärme (§. 271) bereits gehandelt. Zweites Capitel . Maass des elektrischen Zustandes. 303 Elektricitäts- menge. Dichte der Elektricität. Gesetz der elek- trischen Anzieh- ung und Ab- stossung. Wir können ein Maass für die Elektricität nur aus den Wirkun- gen derselben gewinnen. Schon im vorigen Cap. mussten wir uns quantitativer Vorstellungen bedienen. Denn bei jeder Art von Elek- tricitätserregung kann der hervorgerufene elektrische Zustand stärker oder schwächer sein. Von der anfänglich aufgestellten Hypothese über das Wesen der Elektricität ausgehend, nehmen wir an, der Stärke des elektrischen Zustandes entspreche die Menge positiver oder negativer Elektricität, die auf einem Körper vorhanden ist. Diese Menge kann nun über eine grössere oder kleinere Oberfläche verbreitet sein, die Stärke des elektrischen Zustandes ist daher abhängig von der Dichte , in welcher sich die freie Elektricität angehäuft hat. Wenn sich auf einer Fläche von bestimmter Grösse einmal eine dop- pelt so grosse Elektricitätsmenge befindet als in einem andern Fall, so ist die Dichte der Elektricität die doppelte. Bezeichnen wir also Maass des elektrischen Zustandes. die Elektricitätsmenge durch e, die Fläche, über welche dieselbe aus- gebreitet ist, durch f, so wird die Dichte durch den Quotienten ausgedrückt. Je grösser der Werth dieses Quotienten wird, um so mehr nimmt die abstossende Kraft der gleichartigen Elektricitätstheil- chen gegen einander zu, um so grösser wird daher das Bestreben derselben von der Fläche, auf welcher sie angesammelt sind, auszu- strömen. Dieses Streben auszuströmen oder sich mit entgegengesetz- ter Elektricität zu vereinigen, bezeichnet man als elektrische Span- nung ; die elektrische Spannung ist somit der Dichte oder dem Quotienten proportional. Um die Dichten oder Spannungen der Elektricitäten in verschiedenen Fällen mit einander vergleichen zu können, ist es hiernach nur erforderlich, ein bestimmtes Maass der Elektricitätsmenge aufzustellen. Man benützt zu diesem Zweck die verbreitetste Wirkung der Elektricität, deren wir uns auch schon zur Erkennung des elektrischen Zustandes bedient haben, nämlich diejenige, dass Körper mit gleichartigen Elektricitäten sich abstossen und solche mit ungleichartigen sich anziehen. Man ist übereingekommen, im An- schluss an das allgemeine Kräftemaass der Mechanik (§. 25), jene Elektricitätsmenge als Einheit anzunehmen, welche in der Einheit der Entfernung der Einheit der Masse eine Geschwindigkeit 1 ertheilt . Man denke sich zwei kleine Kugeln von je 1 Milligr. Gewicht in solche gegenseitige Entfernung gebracht, dass ihre Mittelpunkte um 1 Millim. von einander abstehen. Der Durch- messer der Kugeln sei im Vergleich zu dieser Entfernung so klein, dass man die einer jeden mitgetheilte Elektricität in ihrem Mittel- punkte vereinigt denken kann. Versieht man nun jede Kugel mit derselben Menge gleichartiger Elektricität, so ist die einer jeden Kugel mitgetheilte Elektricität der Einheit gleich, wenn beide mit einer sol- chen Kraft sich abstossen, dass sie in der ersten Zeitsecunde die Ge- schwindigkeit von 1 Millim. erlangen. Ist die einer jeden Kugel mit- getheilte Elektricitätsmenge nicht = 1, sondern besitzt die eine Kugel eine Menge e, die andere eine Menge e' freier Elektricität, so wird offenbar auch die abstossende Wirkung nicht mehr = 1, sondern gleich dem Produkte e. e' sein. Besitzt ferner die Masse, auf welche diese Kraft wirkt, nicht ein Gewicht von 1, sondern ein Gewicht von M Milligr., so wird die erzeugte Geschwindigkeit = sein. Um ferner die Elektricitätsmenge auch in solchen Fällen be- stimmen zu können, in welchen sich die Körper nicht in der Einheit der Entfernung, sondern in einer beliebigen Entfernung r befinden, müssen wir das Gesetz aufsuchen, nach welchem mit der Verände- rung der Entfernung sich die abstossende oder anziehende Wirkung 29 * Von der Elektricität. verändert. Bringt man nun zwei Kugeln, welche dieselben Mengen gleichartiger Elektricität besitzen, successiv in verschiedene Entfer- nungen, so findet man, dass die Anziehungen jedesmal im umgekehrten Verhältniss des Quadrates der Entfernung stehen. Zwei Elektricitäts- mengen wirken also allgemein auf einander mit der Kraft , und die Beschleunigung, welche sie einer Masse M ertheilen, ist . Diese Kraft wirkt abstossend, wenn die Elektricitätsmengen e und e' gleichartig sind, sie wirkt anziehend, wenn dieselben ungleichartig sind. Das obige Gesetz der elektrischen Anziehung und Abstossung ist nur ein specieller Fall des allgemeinen Gesetzes der Massenwirkung (§. 9). Die sich anziehenden und abstossenden Massen sind hier die den Körpern mitgetheilten Elektricitätsmengen. Cou- lomb hat die Richtigkeit des Gesetzes an einer in folgender Weise construirten Dreh- waage nachgewiesen. An einem dünnen Metalldraht war ein Schellack oder Glasfa- den horizontal aufgehängt, der an einem Ende eine kleine metallene Kugel trug, welche auf der andern Seite äquilibrirt war. In die Nähe dieser Kugel wurde eine andere fest aufgestellte Kugel gebracht, dann wurden beiden Kugeln gleiche Mengen gleich- artiger Elektricität mitgetheilt. In Folge dessen erfuhr die bewegliche Kugel eine Abstossung. Entweder aus der Grösse dieser Abstossung oder der zu ihrer Aufhe- bung erforderlichen Torsion des Metalldrahts konnte auf die Grösse der abstossenden Kraft geschlossen werden. Für die Messung sehr kleiner Elektricitätsmengen ist je- doch die Coulomb ’sche Drehwaage zu unempfindlich. Dellmann und Kohlrausch haben für diese Zwecke die Empfindlichkeit derselben bedeutend erhöht, indem sie statt des Glasbalkens an einem Metalldraht einen Metalldraht an einem Glasfaden aufhiengen und den Metalldraht mit einem metallischen, überall isolirten Bügel umgaben. Werden der Draht und der Bügel mit gleichartiger Elektricität versehen, so erfährt der erstere eine Ablenkung. Die Berechnung der Elektricitätsmenge ist aber hier etwas compli- cirter, weil man nicht mehr wie bei den Kugeln voraussetzen kann, die Elektricitäten seien in Punkten, den Mittelpunkten, vereinigt. 304 Grösse der elek- tromotorischen Kraft beim Con- tact der Metalle. Spannungs- gesetz. Beim Contact zweier Metallplatten entsteht, wie wir gefunden haben, eine elektrische Spannung, die für je zwei Metalle unverändert bleibt, die elektromotorische Kraft . Je grösser die elektromotorische Kraft ist, in um so grösserer Dichte sammelt auf beiden Platten die freie Elektricität, auf der einen die positive, auf der andern die negative, sich an. Man kann daher ein Maass für die elektromotorische Kraft gewinnen, wenn man die nach aufgehobenem Contact auf jeder der Platten zurückbleibende Elektricitätsmenge nach der im vorigen §. angezeigten Methode ermittelt. Es ergibt sich hierbei, dass für je zwei Metalle die Dichtigkeit der Elektricität auf jedem Punkt der Me- tallfläche immer dieselbe bleibt, wie gross man auch die Platten wäh- len möge, dass also die Grösse der elektromotorischen Kraft unab- hängig ist von der Grösse der berührenden Fläche. Man kann dess- Maass des elektrischen Zustandes. halb die elektromotorische Kraft einfach der gefundenen Dichtigkeit freier Elektricität proportional setzen. Die elektromotorische Kraft, und also auch die Dichte der ange- häuften freien Elektricität, wächst mit der Entfernung der Metalle in der Spannungsreihe. So fand Volta , indem er die elektromotorische Kraft zwischen Kupfer und Silber (Cu | Ag) = 1 setzte, für die an- dern Metalle folgende Werthe: Zink | Blei 5 Kupfer | Silber 1 Blei | Zinn 1 Zink | Silber 12 Zinn | Eisen 3 Zink | Eisen 9 Eisen | Kupfer 2 Kupfer | Zinn 5 Vergleicht man diese Zahlen mit der in §. 296 angegebenen Ord- nung derselben Metalle in der Spannungsreihe (Zink Blei Zinn Eisen Kupfer Silber), so ergibt sich unmittelbar das Gesetz: dass die bei der Berührung zweier Metalle erzeugte elektromoto- rische Kraft gleich ist der Summe der elektromotorischen Kräfte, welche durch die wechselseitige Berührung aller zwischen beiden in der Spannungsreihe liegenden Me- talle erregt werden . So ist z. B., wenn wir die Metalle mit ihren chemischen Zeichen belegen, Zn | Ag = Zn | Pb + Pb | Sn + Sn | Fe + Fe | Cu + Cu | Ag. Man bezeichnet dieses Gesetz, nach wel- chem die Ordnung der Metalle in der Spannungsreihe zugleich die relative Grösse ihrer elektromotorischen Kräfte angibt, als das Span- nungsgesetz . Das Spannungsgesetz ist schon von Volta am gewöhnlichen Goldblattelektros- kop gefunden und neuerdings von Kohlrausch durch sorgfältige Versuche mittelst der Dellmann ’schen Drehwaage bestätigt worden. Die elektromotorische Kraft, die bei der Berührung eines Metalls 305 Elektromotori- sche Kraft beim Contact von Me- tallen und Flüs- sigkeiten. mit einer Flüssigkeit wirksam wird, lässt sich in derselben Weise bestimmen. Für diesen Contact gilt aber, da sich die Flüssigkeiten nicht in die Spannungsreihe ordnen lassen, das Spannungsgesetz nicht. Taucht man zwei Metalle in eine Flüssigkeit, so muss, wie wir schon in §. 298 nachgewiesen haben, an den Grenzflächen der Metalle eine elektromotorische Kraft wirksam werden, welche gleich der Dif- ferenz der elektromotorischen Kräfte ist, die jedes Metall für sich in Berührung mit der Flüssigkeit erzeugen würde. Vergleichen wir nun successiv die elektrischen Erregungen, welche entstehen, wenn wir die verschiedenen Metalle in eine und dieselbe Flüssigkeit einsenken, so bilden dieselben wieder eine Spannungsreihe, die ganz verschieden ist von der Spannungsreihe bei directem Contact der Metalle, und die auch mit der Natur der Flüssigkeit sich verändert, für welche Von der Elektricität. aber das nämliche Spannungsgesetz wie für den Contact der Me- talle gilt. Man könnte die elektromotorische Kraft, welche zwei Metalle in einer Flüssig- keit annehmen, in derselben Weise bestimmen, wie wir bisher die erregte Elektricität gemessen haben: indem man nämlich die Metallplatten aus der Flüssigkeit entfernt und die Dichtigkeit der auf jeder angesammelten Elektricität ermittelt. Aber wir be- sitzen in diesem Fall ein weit wirksameres Mittel zur Messung der elektromotorischen Kraft in dem fortdauernden Strome , welcher entsteht, wenn man die beiden in die Flüssigkeit gesenkten Metalle durch einen leitenden Draht verbindet. Dieser Strom übt, wie wir in den folgenden Capiteln nachweisen werden, bestimmte Wirkungen theils innerhalb des Stromeskreises, theils in die Ferne aus. Nehmen wir nun die Metallplatten immer von gleicher Grösse und erhalten wir auch alle andern Bedin- gungen für die Bewegung der Elektricität constant, so geben jene vom Strom ausge- übten Wirkungen unmittelbar ein Maass ab für die Dichte der in jedem Augenblick auf den Metallplatten sich erneuernden freien Elektricität, d. h. für die Grösse der elektromotorischen Kraft. Da jedoch diese Methode die elektromotorische Kraft der Metalle in Flüssigkeiten zu messen von der Betrachtung der Bewegungsgesetze des Stroms sich nicht trennen lässt, so werden wir im nächsten Capitel auf sie zurück- kommen. Das nämliche gilt von der elektromotorischen Kraft der Thermoketten, über die wir hier nur bemerken wollen, dass das Volta ’sche Spannungsgesetz, wornach die Ordnung der Metalle in der Spannungsreihe auch die relative Grösse der elektri- schen Erregung angibt, für die thermoelektrische Spannungsreihe gleichfalls zutrifft. Drittes Capitel . Bewegung der Elektricität. 306 Arten der Elek- tricitätsbewe- gung. Die auf irgend einem Körper angesammelte Elektricität geräth, wie wir im 1. Capitel gesehen haben, in Bewegung, sobald ein lei- tender Körper in die Nähe kommt: es wird dann auf letzterem durch Influenz entgegengesetzte Elektricität erregt, die entgegengesetzten Elektricitäten ziehen aber sich an, und es stellt so, wenn die beiden Körper einander hinreichend nahe gekommen sind, ziemlich plötzlich durch Ineinanderfliessen beider Electricitäten der neutrale Zustand sich her. Den Act dieser Ausgleichnung bezeichnet man als den Ent- ladungsstrom. Anderer Art ist die Elektricitätsbewegung, die ein- tritt, wenn zwei in eine Flüssigkeit tauchende Metalle durch einen Schliessungsdraht mit einander in Verbindung gesetzt werden: in dem Maasse, als hier die elektrische Differenz zwischen den Metallen sich ausgleicht, muss sie durch die an den Berührungsstellen mit der Flüs- sigkeit vorhandenen elektromotorischen Kräfte wieder ersetzt werden, es muss daher ein continuirlicher, so lang die elektromotorischen Kräfte und die Bedingungen der Leitung sich nicht ändern, constanter Austausch beider Elektricitäten durch den Schliessungsdraht geschehen; in derselben Weise geschieht der Austausch, wenn die elektrische Differenz durch die ungleiche Erwärmung der Löthstellen verschiedener Bewegung der Elektricität. Metalle erzeugt wird. Wir haben daher die Gesetze des Entlad- ungsstroms und des galvanischen Stroms gesondert zu be- trachten. Die Entladung der auf einem isolirten Leiter angesammelten 307 Der Entlad- ungsstrom. Elektricität besteht niemals in einem einfachen Ausströmen auf einen andern neutralen Leiter, sondern stets in einem Austausch entgegen- gesetzter Elektricitäten in gleicher Menge. Denn stets wird, wenn einem elektrisirten Körper ein Leiter genähert wird, auf diesem ent- gegengesetzte Elektricität durch Influenz hervorgerufen. Ist die Dich- tigkeit dieser entgegengesetzten Elektricitäten auf den einander ge- näherten Flächen gross genug geworden, dass die dazwischen befind- liche Luftschichte durchbrochen werden kann, so erfolgt der Entla- dungsschlag. Ist der mit Elektricität geladene Körper ein Leiter, und steht der andere Leiter, mit welchem man die Entladung vornimmt, sowohl mit dem elektrisirten Körper als mit der Erde in Verbindung, so ist die Entladung eine vollständige: beide Leiter bleiben unelek- trisch zurück. Ist aber der entladende Leiter gleich dem elektrisirten Körper isolirt, so kann nur ein Theil der Elektricität auf ihn über- gehen. Ebenso ist die Entladung in allen jenen Fällen keine voll- ständige, in welchen sich eine grössere oder geringere Luftschichte zwischen beiden Körpern befindet. Nähert man z. B. dem vollständig geladenen Conductor einer Elektrisirmaschine einen Entlader, so springt bei einer bestimmten Entfernung des Conductors vom Entlader ein Funke über, nähert man dann den Entlader noch weiter, so springt ein zweiter Funke über, u. s. f. Die totale Entladung eines mit Elek- tricität geladenen Leiters besteht somit aus einer Anzahl von Par- tialentladungen . Diejenige Distanz, in welcher die erste Partial- entladung stattfindet, nennt man die Schlagweite . Nach den Versu- chen von Riess ist die Schlagweite direct der Dichtigkeit der Elek- tricität proportional. Hieraus folgt unmittelbar, dass jede Entladung aus einer Reihe solcher Partialentladungen, wie sie in der That nach- zuweisen sind, bestehen muss. Ist nämlich der Entlader dem elek- trisirten Körper bis zur Schlagweite nahe gerückt, so findet eine theil- weise Entladung statt, durch welche die Dichtigkeit der freien Elek- tricität vermindert wird; man muss daher nun die beiden Körper ein- ander näher rücken, damit noch eine fernere Entladung stattfinden könne; eine vollständige Entladung wird aber erst möglich sein, wenn der Zwischenraum zwischen beiden Körpern null geworden ist. Wheatstone hat gezeigt, dass nicht bloss die Totalentladung eines elektri- sirten Körpers aus einer Reihe von Partialentladungen besteht, welche stattfinden, während sich ihm der Entlader von der ersten Schlagweite an bis zur vollständigen Berührung nähert, sondern dass auch jede einzelne der Partialentladungen eigentlich Von der Elektricität. aus einer Reihe von Partialentladungen zusammengesetzt ist, dass also bei constanter Schlagweite immer mehrere Funken nach einander überspringen. Wheatstone be- stimmte zu diesem Zweck zunächst die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Entladungs- stroms. Er bediente sich hierzu einer ähnlichen Methode, wie wir sie in §. 130 zur Messung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichts in verschiedenen Medien ange- wandt haben. Er nahm einen vielfach gewundenen Draht, der an mehreren unmittel- Fig. 203. bar über einander gelegenen Stellen c, d (Fig. 203) unterbrochen war. Das eine Ende a dieses Drahtes wurde mit der innern, das andere Ende b mit der äussern Belegung einer elektrischen Batterie in Verbin- dung gesetzt. Dieser Vorrichtung gegenüber befand sich ein sehr rasch rotirender Spiegel. War nun die Zeit, in welcher sich die Elektricität von c bis d bewegte, unmessbar klein, so mussten die Funken beider Unterbrechungsstellen auch bei der grössten Geschwindigkeit des Spie- gels genau über einander gesehen werden. Verfloss aber eine gewisse Zeit, so mussten die Spiegelbilder beider Funken gegen einander ver- schoben erscheinen, und aus der Rotationsgeschwindigkeit des Spiegels und der Grösse der beobachteten Verschiebung liess sich nun leicht die Zeit berechnen, welche die Elektricität zur Zurücklegung des Weges von c bis d gebrauchte. Wheatstone fand so, dass der Entladungssstrom in der Secunde ungefähr 62500 Meilen zurücklegt. Diese Geschwindigkeit ist eine so be- deutende, dass das Ueberspringen eines einzigen Funkens durch die kurzen Zwischen- räume bei c und d jedenfalls unmessbar ist. Hat ein solcher Funke also dennoch eine merkliche Dauer, so kann dies nur daraus erklärt werden, dass er eigentlich aus mehreren nach einander überspringenden Funken besteht, d. h. dass sich auch die Entladung bei constanter Schlagweite aus mehreren Partialentladungen zusammen- setzt. Dies haben nun in der That sowohl Wheatstone als späterhin Fed- dersen nachgewiesen, indem sie wie oben den Funken in einem rasch rotirenden Spiegel beobachteten. Bewegte sich der Spiegel langsam, so erschien das Bild des Funkens als eine scharf begrenzte Lichtlinie, wurde die Rotation gesteigert, so war das Bild zu einem bandartigen Streifen auseinandergezogen, aus dessen Breite die Dauer der Entladung bemessen werden konnte. Es ergab sich auf diese Weise, dass die Dauer des Entladungsfunkens mit der Schlagweite, also auch mit der der letzteren proportionalen Dichtigkeit der Elektricität und mit der Grösse eingeschalteter Wider- stände zunahm. Die erörterten Gesetze der Entladung gelten, wie wir schon hervorhoben, nur für den Fall, dass sowohl der elektrisirte Körper wie der Entlader zu den Leitern der Elektricität gehören. Mit einem Isolator lässt sich selbstverständlich ein elektrisirter Körper nicht entladen, oder es gehen wenigstens, da es ja keine vollkommenen Iso- latoren gibt, nur minimale Mengen auf denselben über. Ist ein isolirender Körper, z. B. durch Reibung, elektrisirt worden, so kann zwar ein in die Nähe gebrach- ter Leiter Funken aus demselben ziehen und ihn so eines Theils seiner Elektricität berauben. Aber selbst bei vollständiger Berührung mit einem leitenden Entlader verliert sich die Elektricität der Isolatoren nur sehr allmälig. Auf diesem Verhalten beruht eine Eigenschaft, die man an allen jenen Influenzapparaten beobachten kann, bei welchen die influenzirenden Metallflächen nicht durch eine Luftschichte, sondern durch irgend einen festen Isolator, z. B. durch Glas getrennt sind. Man beobachtet nämlich, dass hier eine Verbindung der Metallflächen, z. B. der äusseren mit der in- neren Belegung einer geladenen Leydener Flasche, keine vollständige Entladung be- wirkt, sondern dass ein Rückstand freier Elektricität bleibt, der nur sehr allmälig Bewegung der Elektricität. sich ausgleicht. Man erklärt diesen Rückstand daraus, dass namentlich bei starken Ladungen eine gewisse Menge Elektricität auf den sogenannten Isolator übergeht und in diesem dann längere Zeit haften bleibt. Der Rückstand nimmt daher zu mit zunehmender Dicke des Isolators. Um dauernde galvanische Ströme zu erhalten, bedient man sich 308 Die Volta’sche Säule. der galvanischen Elemente und galvanischen Ketten. Die älteste Form, in welcher die galvanische Kette in die Physik eingeführt wurde, ist die Volta’sche Säule . Das Element, das zu ihrem Auf- bau dient, ist bereits in Fig. 201 (§. 299) schematisch dargestellt worden. Dasselbe besteht aus einer Kupfer- und einer Zinkplatte, zwischen welche eine in verdünnter Säure getränkte Tuch- oder Filz- scheibe eingeschaltet wird. Um aus solchen Elementen die Säule aufzubauen, fügt man dieselben, so wie es das Schema auf S. 447 an- gibt, über einander. An die letzte Kupfer- und letzte Zinkplatte wer- den Kupferdrähte gelöthet. Werden diese Drähte irgendwie mit ein- ander in Verbindung gesetzt, so kreist ein Strom positiver Elektricität vom Kupferende zum Zinkende der Säule. Auch kann man mit der freien Elektricität, die sich auf den Endplatten ansammelt, einen Condensator oder eine Kleist’sche Flasche laden, namentlich wenn man, um die Wirkung zu verstärken, das eine Ende der Säule zur Erde ableitet. Für Zwecke letzterer Art hat man sich einer besonderen Modification der Volta ’schen Säule, der s. g. trockenen Säule von Zamboni bedient. Diese Säule besteht aus Scheiben von unächtem Gold- und Silberpapier (Kupfer und Zink), die so über einander geschichtet sind, dass je eine Zink- und Kupferfläche sich be- rühren. Die Scheiben werden in eine Glasröhre gebracht, und das obere und untere Ende der Säule wird mit einem Metallknopf versehen. Das hygroskopische Papier spielt hier die Rolle des feuchten Leiters. Die Zamboni ’sche Säule ist daher le- diglich eine schwache Volta ’sche Säule. Sie hat den Vortheil, dass sie sehr lange Zeit aufbewahrt werden kann, ohne ihre Elektricität zu verlieren. Eine schon von Volta vorgenommene Modification der Säule besteht darin, dass man die Flüssigkeit, statt mit ihr eine Tuchscheibe zu tränken, in ein Glasge- fäss giesst, in welches die beiden Metalle eintauchen: ein solches Gefäss bildet ein Element; um eine Säule zu erhalten, muss man daher die Kupferplatte mit der Zink- platte eines zweiten Elementes durch einen Draht verbinden, hier wieder die Kupfer- platte mit der Zinkplatte eines dritten Elementes in Verbindung setzen, u. s. f. Wo es nicht darauf ankommt, ob die Ströme constant sind, bedient man sich dieser Form der Volta ’schen Säule zuweilen noch heute in der Gestalt des s. g. Trogapparats. Auf dem Tisch T T (Fig. 204) stehen neben einander ungefähr bis zur Hälfte mit verdünnter Schwefelsäure gefüllte Gläser. An einer Holzleiste l l sind ferner gebo- gene Metallbleche befestigt, deren jedes links einen Kolben Z aus amalgamirtem Zink, rechts einen Cylinder K aus Kupfer oder noch besser aus eigens präparirter Kohle trägt. Das äusserste Element links hat dann noch einen isolirten Kohlencylinder, das äusserste Element rechts einen isolirten Zinkkolben, die gleichfalls an der Leiste l l befestigt sind, und von deren jedem ein Leitungsdraht d, d durch die Leiste hin- Von der Elektricität. Fig. 204. durchtritt. Diese Kette ist nun zum Gebrauch äusserst bequem, da man, wenn die- selbe in Thätigkeit gesetzt werden soll, bloss die Leiste mit den Zink- und Kohle- stücken in die Gläser zu tauchen braucht; die in den letzteren befindliche Flüssigkeit aber braucht nur selten erneuert zu werden. 309 Constante Ket- ten. Die Volta ’sche Säule und alle ihr nachgebildeten Ketten sind überall da unbrauchbar, wo man eines lang anhaltenden und dabei constanten Stromes bedarf. In Folge der Zersetzung der Flüssigkeit erzeugt sich nämlich in einer solchen Kette ein zweiter allmälig wach- sender Strom, der eine dem ursprünglichen entgegengesetzte Richtung hat. Dadurch wird der letztere mehr und mehr geschwächt, bis end- lich die Kette fast unwirksam geworden ist. Wendet man also z. B. Zink und Kohle in verdünnter Schwefelsäure an, so wird durch den Strom das Wasser dieser verdünnten Schwefelsäure zersetzt; es bildet sich Sauerstoff und Wasserstoff, von denen der erstere das Zink oxy- dirt, so dass es in Gestalt von schwefelsaurem Zink in die Flüssigkeit übergeht, während sich der Wasserstoff an dem Kupfer oder der Kohle ansammelt. Nun sind aber, wie wir in §. 300 gesehen haben, Gase in Berührung mit Metallen elektromotorisch wirksam. Der in Berüh- rung mit Kohle stehende Wasserstoff wird positiv, die Kohle also ne- gativ elektrisch, während dieselbe bei der Berührung mit der Schwe- felsäure die Rolle des positiven Metalls spielt. So entsteht demnach ein immer stärker werdender Gegenstrom, der die Inconstanz der Kette bedingt. Dieser Uebelstand lässt sich vermeiden, wenn man jedes der beiden Metalle mit einer Flüssigkeit von solcher Zusammen- setzung in Berührung treten lässt, dass durch die in der Kette ge- schehenden Processe keine Zersetzungsproducte mit entgegengesetzten elektromotorischen Eigenschaften sich ablagern können. Dies geschieht bei den verschiedenen Formen der constanten Kette , die sich sämmtlich dadurch von der Volta ’schen Säule unterscheiden, dass jedes Element aus zwei Metallen und zwei Flüssigkeiten aufgebaut ist. In ein Glasgefäss G (Fig. 205) wird die eine Flüssigkeit gegos- sen, dann in dieselbe ein auf der einen Seite durch einen Schlitz ge- öffneter Cylinder K des ersten Metalls gebracht, innerhalb des letz- Bewegung der Elektricität. teren befindet sich ein Gefäss T aus porösem Thon, in welchem sich die andere Flüssigkeit befindet, in diese taucht ein Cylinder oder Kolben Z des zweiten Metalls. In Fig. 206 sieht man diese verschie- Fig. 205. Fig. 206. denen Theile eines constanten Elementes auf einem halb schematischen Durchschnitt. Die Schrauben K und Z (Fig. 205) dienen zur Befe- stigung von Leitungsdrähten. Will man die Elemente zur Kette anord- nen, so wird der Cylinder K durch einen Leitungsdraht mit der Platte Z eines zweiten Elementes, der Cylinder K dieses letzteren wieder mit der Platte Z eines dritten Elementes in Verbindung gesetzt, u. s. f. Die Constanz der Elemente beruht nun darauf, dass zu jedem Metall die geeignete Flüssigkeit gewählt wird. Die gebräuchlichsten Formen constanter Elemente sind folgende: 1) Das Daniell’sche Element . Bei ihm besteht der äussere Metallcylinder aus Kupfer, die denselben umgebende Flüssigkeit aus schwefelsaurem Kupferoxyd, die Flüssigkeit in dem Thongefäss T aus verdünnter Schwefelsäure, und das mit dieser in Berührung stehende Metall ist Zink. Der Strom geht bei dieser Combination, ebenso wie bei der Volta ’schen Säule, innerhalb der Flüssigkeit vom Zink zum Kupfer. Dadurch wird am Zink Sauerstoff ausgeschieden, der das Zink oxydirt, worauf es sich als schwefelsaures Zinkoxyd auflöst. Am Kupfer wird Wasserstoff ausgeschieden und zugleich der Kupfervitriol in S O 3 und CuO zersetzt; der Wasserstoff aber reducirt das Kupfer- oxyd, indem er sich mit dem O desselben zu Wasser verbindet, so dass sich das Cu metallisch auf der Oberfläche des Kupfercylinders niederschlägt. Um die Kupfervitriollösung stets concentrirt zu erhal- ten, legt man einige Krystalle dieses Salzes in die Flüssigkeit. 2) Das Grove’sche Element . Hier besteht das äussere Me- Von der Elektricität. tall K aus einem Zinkcylinder, der in verdünnte Schwefelsäure taucht. In der Thonzelle Z befindet sich ein zum Zweck der Vergrösserung der Oberfläche gewundenes Platinblech und concentrirte Salpetersäure. Der Strom geht innerhalb der Flüssigkeit vom Zink zum Platin, an ersterem wird daher wie vorhin der Sauerstoff, am letzteren der Was- serstoff ausgeschieden. Die Constanz der Kette beruht darauf, dass der Wasserstoff die Salpetersäure zu salpetriger Säure reducirt und sich mit dem Sauerstoff zu Wasser verbindet. 3) Das Bunsen’sche Element . Hier befindet sich an der Stelle des äussern Metalls K ein Cylinder aus plastischer Kohle, der in concentrirte Salpetersäure taucht. In der Thonzelle befindet sich, wie beim Daniell ’schen Element, Zink und verdünnte Schwefelsäure. Der chemische Vorgang ist derselbe wie im Grove ’schen Element, indem hier die Kohle die nämliche Rolle wie dort das Platin spielt. Das Zink wird in den constanten Elementen stets mit amalgamirter Oberfläche angewandt. Dies geschieht wegen der starken Verunreinigung des käuflichen Zinks mit andern Metallen, wodurch sich bei Anwendung der rohen Metallfläche zwischen den einzelnen Theilen des Zinks selber galvanische Ströme bilden, die zu einer ra- schen Auflösung des Metalls führen. Solches verhütet man, indem die Oberfläche des Zinks amalgamirt, d. h. mit einer Schichte von Zinkamalgam überzogen wird. Die elektromotorische Wirksamkeit des letztern ist nicht erheblich von derjenigen des reinen Zinks verschieden. Die Amalgamirung des Zinks wird erneuert, indem man dessen Oberfläche mit verdünnter Schwefelsäure befeuchtet und dann einen Quecksilber- tropfen auf derselben ausbreitet. Die zahlreichen Elemente, die ausser den obigen construirt worden sind, haben nicht in den practischen Gebrauch einzudringen vermocht. Erwähnen wollen wir nur, dass man bei den Grove ’schen und Bunsen ’schen Elementen, um die untersalpetersauren Dämpfe zu vermeiden, an Stelle der Salpetersäure andere oxydirende Flüssigkeiten, so besonders Chromsäure oder doppeltchromsaures Kali mit Schwefelsäure, angewendet hat. Die Wirkung der Elemente wird aber dadurch geschwächt und inconstanter. Braucht man öfter starke galvanische Ketten, so ist das Zusammensetzen und Auseinandernehmen der Elemente allzu zeitraubend; man hat daher für diese Zwecke solche Elemente construirt, die entweder (nach Analogie der inconstanten Kette in Fig. 204) sehr schnell zusammengefügt werden oder lange Zeit beisammen bleiben können, ohne ihre elektromotorischen Eigenschaften zu verlieren. Wir heben von den verschiedenen Mo- dificationen, die hier construirt worden sind, zwei hervor, welche namentlich in die ärztliche Praxis Eingang gefunden haben: 1) Die Siemens’sche Batterie . Sie besteht aus in folgender Weise mo- dificirten Daniell ’schen Elementen. Auf dem Boden des Glassgefässes ist eine Thon- zelle aufgesetzt, deren Boden nach oben gekehrt ist und eine Oeffnung besitzt, in welche ein engerer Glascylinder eingekittet ist. Innerhalb der Thonzelle befindet sich ein mehrfach gewundenes Kupferblech, an welches ein Kupferdraht gelöthet ist. Auf der Thonzelle liegt eine Schicht von Papier mâché, welche zuerst mit Schwefelsäure und dann mit Wasser so bearbeitet wird, dass sie eine feste Masse bildet, und auf dieser Papiermasse befindet sich der Zinkcylinder. Der in die Oeffnung des Thonge- fässes eingekittete Glascylinder wird mit Kupfervitriolkrystallen und dann mit Wasser angefüllt, in das äussere Glasgefäss wird Wasser oder sehr verdünnte Schwefelsäure Bewegung der Elektricität. gegossen. Letztere Flüssigkeit muss ebenso wie die Kupfervitriolkrystalle dann und wann erneuert werden. Im übrigen kann ein solches Element einige Jahre gebraucht werden. Nach Ablauf dieser Zeit wird eine Erneuerung der Papiermasse erforderlich. Die Stärke eines Elements ist schwächer als die eines gewöhnlichen Daniell ’schen; doch ist eine Batterie von 60 Elementen für die meisten Zwecke genügend. Eine andere Modification der Daniell ’schen Kette ist die neuerdings vielfach in der Tele- graphie zur Anwendung gekommene Meidinger ’sche Batterie, die ebenfalls viele Monate unverändert bleibt und den Vorzug hat, dass ihre Reinigung und Erneuerung sehr einfach ist, während diese bei der Siemens ’schen Batterie wegen der Zubereitung der Papiermasse meistens dem Mechaniker überlassen werden muss. 2) Die Stöhrer’sche Zinkkohlenbatterie . Sie besteht aus einer Anzahl (bis zu 32) Zinkkohleelementen, welche in folgender Weise construirt sind: die Kohle hat selbst die Form einer Zelle und macht daher die Anwendung einer Thonzelle überflüssig, das Innere der Kohle wird mit Sand gefüllt, der mit 10—12 Tropfen einer concentrirten Chromsäurelösung imprägnirt ist. Aussen wird die Kohle von einem amalgamirten Zinkcylinder umgeben und taucht mit diesem in ein Gefäss mit verdünnter Schwefelsäure. Man kann diese Elemente, die von beträchtlich stär- kerer Wirkung, aber weniger constant sind als die Siemens ’schen, in der in Fig. 204 angegebenen Weise mit einander verbinden, indem man die Kohlen- und Zinkcylinder an einem besonderen Träger befestigt, so dass sie jeden Augenblick in die mit Schwefelsäure gefüllten Gläser gesenkt oder wieder aus ihnen emporgehoben werden können. Die Siemens ’sche Batterie ist, mit Beigabe verschiedener Hülfsvor- richtungen und vollständig zum Gebrauche fertig, von Krüger und Hirschmann in Berlin, die Meidinger ’sche von Meidinger in Karlsruhe, die Stöhrer ’sche eben- falls mit verschiedenen Hülfsvorrichtungen von Stöhrer in Leipzig zu beziehen. Um den Strom zu den Theilen, auf welche er einwirken soll, hinzuleiten, be- nützt man in der Regel mit Seide übersponnene Kupferdrähte, welche in die Draht- klemmen K und Z der Elemente eingeschraubt werden. Um den Strom leicht jeden Augenblick unterbrechen und schliessen zn können, schneidet man den einen der Lei- tungsdrähte entzwei und lässt beide Enden, nachdem sie zuvor amalgamirt sind, in ein mit Quecksilber gefülltes Näpfchen eintauchen, das Kupfer amalgirt man am be- quemsten durch Eintauchen in salpetersaure Quecksilberlösung. Soll zugleich die Rich- tung des Stroms jeden Augenblick gewechselt werden können, so bedient man sich des Stromwenders oder Gyrotropen . Der gewöhnlich angewandte Pohl ’sche Gyrotrop ist in Fig. 207 dargestellt. Auf einem hölzernen Brett befinden sich sechs Quecksilber- näpfchen. Die Näpfchen a und c stehen durch den Kupferdraht m, die Näpfchen b Fig. 207. und d durch den Kupferdraht n mit einander in Verbindung, die Drähte m und n dürfen sich nicht berühren. g ist ein Glasstab, auf dessen beide Enden Kupferhülsen festgekittet sind, von denen aus kupferne Füsse in den Näpfchen e und f stehen. Ferner befindet sich an jeder Hülse ein Bügel aus Kupferdraht (x und y). Es bildet Von der Elektricität. demnach der Glasstab g mit seinen Anhängen einen Hebel, den man um die Unter- stützungspunkte e und f so drehen kann, dass die beiden Bügel bald, wie in der Fig., in die Näpfchen c und d, bald in die Näpfchen a und b tauchen. Setzt man nun e und f mit den Polen der Kette, c und d mit den Drahtenden des Stromeskreises in Verbindung, so ist der Gyrotrop eingeschaltet. Es geht dann, wenn derselbe die in der Fig. angegebene Stellung hat, der Strom in der Richtung des Pfeiles von c nach d. Dreht man dagegen den Hebel, so dass die Bügel in a und b tauchen, so geht der Strom in der entgegengesetzten Richtung, von d nach c. 310 Intensität des galvanischen Stroms. Volta- meter und Gal- vanometer. Stromdichte. An den Enden jeder galvanischen Kette sammelt sich, wenn die- selbe nicht zum Kreise geschlossen ist, eine gewisse Menge freier Elektricität an. Schliesst man die Kette zum Kreise, so entsteht, da sich an jedem Ende die Elektricität in dem Maasse erneuert, als sie gebildet wird, ein continuirlicher elektrischer Strom. Die Stärke oder Intensität des Stroms werden wir der Elektricitätsmenge, welche in der Zeiteinheit durch den Querschnitt des Kreises fliesst, proportional setzen dürfen. Wir können die Stärke des elektrischen Stroms nur aus seinen Wirkungen ermessen. Von den im 5. und 6. Cap. näher zu erörenden Stromeswirkungen sind es vorzugsweise zwei, die man zur Gewinnung eines solchen Maasses benützt hat: die chemische Zersetzung innerhalb des Stromeskreises und die Fernewir- kung auf einen Magneten. Um durch die chemische Zersetzung ein Maass für die Intensität des Stroms zu gewinnen, bedient man sich der Wasserzersetzung im Voltameter (Fig. 208). Dieses besteht aus einer Flasche mit wei- Fig. 208. tem Hals, durch deren Korkpfropfen zwei Platindrähte gehen, an de- ren jeden ein Platinblech gelöthet ist. In die Flasche wird Wasser gebracht, eine Gasentwicklungsröhre führt aus ihr in ein calibrirtes, mit Quecksilber gefülltes Eudiometer. Verbindet man nun die Platin- drähte mit den Enden der galvanischen Vorrichtung, die auf ihre Stromstärke untersucht werden soll, so geht der Strom durch das Bewegung der Elektricität. Wasser, und letzteres wird in seine Bestandtheile Wasserstoff- und Sauerstoffgas zerlegt, die man in dem Eudiometer auffängt. Die In- tensitäten der verglichenen Ströme sind den in gleichen Zeiten erhal- tenen Gasmengen (diese auf gleichen Druck und gleiche Temperatur reducirt) proportional. Um die Intensitäten verschiedener Ströme mit einander zu vergleichen, setzt man die Intensität desjenigen Stromes der Einheit gleich, welcher, durch ein Voltameter geführt, in einer Minute 1 Cub.-Cm. Knallgas (bei 0° und 760 mm. Druck) erzeugt. Schaltet man in den Kreis eines elektrischen Stromes einen me- tallischen Leiter, der um eine im magnetischen Meridian befindliche Magnetnadel n s (Fig. 209) geführt ist, so wird die Nadel aus dem Fig. 209. Meridian abgelenkt. Bewegt sich der Strom in der Richtung der Pfeile, am Nordpol vorbei nach oben und am Südpol vorbei nach unten, so wird der Nordpol der Nadel nach Osten, der Südpol nach Westen gedreht; geht der Strom in umgekehrter Richtung, so erfolgt auch die Ablenkung im entgegengesetzten Sinne. Vorrichtungen, an denen in der hier angegebenen Weise die Intensität eines galvanischen Stroms mittelst seiner Einwirkung auf eine Magnetnadel gemessen wird, bezeichnet man allgemein als Galvanometer . Wie wir später (§. 339) zeigen werden, ist bei hinreichender Entfernung der Magnet- nadel vom durchströmten Leiter die Stromintensität der Tangente des Ablenkungswinkels proportional. Mittelst dieser beiden Messungsmethoden findet man nun, dass die Intensität eines galvanischen Stroms in allen Thei- len seiner Leitung die nämliche ist . Die zersetzte Wasser- menge und der Ablenkungswinkel bleiben immer constant, wo auch die Messungsinstrumente eingeschaltet sein mögen. In den Flüssig- keiten, welche den Stromeskreis bilden helfen, ist die Intensität des Stromes ebenso gross wie in den metallischen Theilen. Dieses Re- Von der Elektricität. sultat ist eine nothwendige Folgerung aus dem Grundsatz der Con- stanz der elektromotorischen Kraft, auf welchem die galvanische Kette beruht, und nach welchem in jedem Augenblick die gleiche Elektricitätsmenge durch jeden Querschnitt des ganzen Stromkreises fliessen muss. Verändert sich, wie dies häufig vorkommt, die Grösse dieses Querschnitts, so muss dann natürlich die Elektricitäts- menge, die durch jede Einheit des Querschnitts fliesst, im umgekehrten Sinn sich verändern. Bezeichnen wir daher die in gleichen Zeiten durch jede Einheit des Querschnitts fliessende Elektricitätsmenge als die Stromdichte D, so ist , wenn J die Intensität des Stroms und Q den Querschnitt der in Be- tracht gezogenen Stelle bedeutet. 311 Abhängigkeit der Stromstärke von der elektro- motorischen Kraft. Die Intensität des Stromes ist der durch den Contact erregten Elektricitätsmenge oder der elektromotorischen Kraft proportional. Es lässt sich dies leicht mittelst der in Fig. 210 dargestellten Vor- Fig. 210. richtung bestätigen. Bringt man in das mit Wasser oder verdünnter Schwefelsäure gefüllte Gefäss G zwischen die Kupferplatte K und die Zinkplatte Z nach einander eine grössere Anzahl solcher Kupfer- und Zinkplatten in abwechselnder Reihenfolge, so dass das Element zur Volta ’schen Säule wird, so bleiben die übrigen Bedingungen für die Bewegung des Stroms annähernd unverändert, aber die in den Enden der Kette vorhandenen elektromotorischen Kräfte wachsen mit der Zahl der Elemente: man beobachtet nun, wenn sich die Zahl der letzteren wie 1 : 2 : 3 : 4 u. s. w. verhält, dass auch die Tangenten der Ablenkungen, welche die Nadel N erfährt, in dem Verhältniss 1 : 2 : 3 : 4 u. s. w. stehen. 312 Abhängigkeit der Stromstärke vom Leitungs- Hat man eine bestimmte elektromotorische Kraft, z. B. wie in Fig. 209 eine einzige Kupfer- und Zinkplatte in einem Trog mit ver- dünnter Schwefelsäure, so lässt sich die Intensität des Stroms verän- Bewegung der Elektricität. dern: 1) indem man die Platten K und Z innerhalb der Flüssigkeit widerstand. Ohm’sches Gesetz. mehr oder weniger weit von einander entfernt, und 2) indem man aus- serhalb des Troges mehr oder weniger grosse Längen Draht oder an- derer leitender Körper in den Stromeskreis einschaltet. Je grösser die zwischen K und Z befindliche Flüssigkeitsschichte und je grösser der Weg in dem äusseren Schliessungskreis ist, um so kleiner wird die Intensität des Stroms. Man kann sich daher vorstellen, der Strom habe etwa ähnlich wie eine Flüssigkeit, die sich in einer Röhre be- wegt, Widerstände zu überwinden, welche proportional der Grösse der durchlaufenen Strecke zunehmen, und durch welche in der ganzen Lei- tung die Elektricitätsmenge, die in einer gegebenen Zeit von einem Querschnitt zum andern fliesst, gleichmässig vermindert wird. Bezeich- net man sonach die elektromotorische Kraft mit E, die Gesammtheit der Widerstände im Stromeskreis mit W, so lässt sich die Stromesin- tensität ausdrücken durch die Gleichung . Diese Beziehung zwischen Stromstärke, elektromotorischer Kraft und Widerstand ist zuerst von Ohm aufgestellt worden, und sie wird nach ihm als das Ohm’sche Gesetz bezeichnet. Der Widerstand W setzt sich, wie wir oben gesehen haben, er- 313 Wesentlicher und ausserwe- sentlicher Wi- derstand. stens aus dem Widerstand der zwischen den Metallen befindlichen Flüssigkeiten und zweitens aus dem Widerstand in dem äusseren Stromeskreis zusammen. Gewöhnlich bezeichnet man speciell den er- steren durch W, den zweiten durch w, und es wird dann also die Stromstärke ausgedrückt durch die Gleichung . Der Widerstand W heisst der Widerstand innerhalb der Kette oder der wesentliche Widerstand , der Widerstand w dagegen Widerstand ausserhalb der Kette oder ausserwesentlicher Wi- derstand . Jeder dieser Widerstände hängt von den Dimensionen der Metalle und Flüssigkeiten ab, durch welche der elektrische Strom gehen muss. Der Widerstand, den ein Leiter der Bewegung der Elek- tricität entgegensetzt, ist um so grösser, je kleiner sein Querschnitt und je beträchtlicher seine Länge ist, und ausserdem ist er abhängig von einer für jede Substanz zu ermittelnden Constanten, die man als das specifische Leitungsvermögen derselben bezeichnet; dage- gen ist der Widerstand völlig unabhängig von der Gestalt des Quer- schnitts oder von der sonstigen Form des Leiters. Bezeichnen wir mit L und Q Länge und Querschnitt eines im Stromeskreis befindlichen Wundt , medicin. Physik. 30 Von der Elektricität. Leiters und mit k eine von dem Leitungsvermögen abhängige Con- stante, so haben wir also . Hiernach wird der wesentliche Widerstand einer galvanischen Kette um so geringer, je besser die Flüssigkeiten leiten, die bei derselben zur Anwendung kommen, je grösser man die Berührungsflächen zwi- schen den Metallen und Flüssigkeiten und je kleiner die Abstände der ersteren von einander macht. Man bedient sich daher, wo es sich darum handelt den wesentlichen Widerstand zu verringern, möglichst grosser und sich möglichst genäherter Metallflächen. Der ausserwesent- liche Widerstand ist ausserordentlich variabel je nach den Dimensionen und dem Leitungsvermögen der den Stromeskreis bildenden Körper. Er wird namentlich bedeutend, wenn Flüssigkeiten oder mit Flüssig- keit getränkte, schlecht leitende Körper in dem Stromeskreis vorkom- men. Sehr gross ist daher in der Regel der äussere Widerstand, wenn thierische Gewebe in den Strom eingeschaltet sind. Namentlich für die Wahl der galvanischen Ketten ist das Verhältniss zwischen dem we- sentlichen und ausserwesentlichen Widerstand bestimmend. Ist w so klein, dass es gegen W verschwindet, so hängt bei gegebener elektro- motorischer Kraft die Stromstärke allein von W, dem Widerstand in- nerhalb der Kette ab. Man wird daher durch Vergrösserung der Be- rührungsfläche zwischen Metall und Flüssigkeit den Widerstand W möglichst zu vermindern suchen. Dagegen wird man in einem solchen Fall keine merkliche Verstärkung des Stroms durch Vermehrung der elektromotorischen Kräfte, also der Zahl der Kettenglieder, erreichen. Denn ist bei einem Element die Stromstärke , so wird die Stromstärke J n für n Elemente 1) . Wenn daher w gegen W verschwindet, so ist J n von J 1 nicht merklich verschieden. Man pflegt desshalb für den Fall, dass w sehr klein ist, wenn z. B. der ausserwesentliche Widerstand nur durch eine ziemlich kurze metallische Schliessung gebildet wird, die Elemente nicht nach Art der Volta’ schen Säule, also je die differenten Metalle mit einan- der, zu verbinden, sondern man verbindet immer die gleichen Metalle, also z. B. in einer Daniell’ schen Kette alle Kupfercylinder und eben- so alle Zinkcylinder. Man erhält so eine Anordnung nach folgendem Schema: + — Man nennt dies eine Verbindung der Elemente neben einander , Bewegung der Elektricität. während die Anordnung zur Säule, wo das positive Metall des einen Elements immer mit dem negativen des andern zusammengeschlossen ist, als Verbindung hinter einander bezeichnet wird. Man sieht unmittelbar aus dem obigen Schema, dass n Elemente neben einander verbunden sich gerade so verhalten wie ein einziges Element, bei dem die Berührungsflächen zwischen Metall und Flüssigkeit die n fache Grösse besitzen. Dadurch wird aber der wesentliche Widerstand um das n-fache verringert. n neben einander verbundene Elemente geben daher eine Intensität 2) , die, wenn w gegen W verschwindet, nicht wirklich verschieden ist von . Wenn der ausserwesentliche gegen den wesent- lichen Widerstand verschwindet, so wächst demnach die Intensität des Stroms proportional der Zahl neben einander verbundener Elemente, während sie durch noch so viele hinter einander verbundene nicht geändert wird . Das Umgekehrte tritt ein, wenn der wesentliche gegen den ausser- wesentlichen Widerstand verschwindend klein, wenn also der letztere etwa durch Einschaltung schlechter Leiter sehr bedeutend wird. Hier würde + w von W + w sich nicht merklich unterscheiden, und es wäre daher auch, wenn man die Elemente neben einander verbin- den wollte, J n ' von J 1 nicht zu unterscheiden. Verbindet man dage- gen die Elemente hinter einander, so erhält man . Nun ist, da W gegen w verschwindet, n W + w nahezu = W + w; eine Kette aus n Elementen giebt also die n fache Stromstärke, d. h.: wenn der wesentliche Widerstand gegen den ausserwe- sentlichen verschwindet, so wächst die Intensität des Stroms proportional der Zahl hinter einander verbunde- ner Elemente, während sie durch noch so viele neben ein- ander verbundene nicht geändert wird . Man zieht es daher auch vor bei grossem äusserem Widerstand kleine Elemente aber in bedeutender Zahl zur Kette zu verbinden, während man bei kleinem äusserem Widerstand grossen Elementen (mit grossen Metalloberflächen) den Vorzug giebt. Dem Ohm’ schen Gesetz lässt sich noch eine tiefere theoretische und experimentelle 314 Freie Spannun- gen im Stromes- kreis. Gefälle der Elektricität. Begründung geben, durch welche dasselbe unmittelbar als eine Folgerung aus den Principien der statischen Elektricität hervorgeht. An den Enden jeder galvanischen Kette häufen sich gleiche Mengen entgegengesetzter freier Elektricität an, während 30 * Von der Elektricität. innerhalb der Säule die freie Elektricität gegen die Mitte hin abnimmt und in der Mitte selbst null wird. In Fig. 211 haben wir dies graphisch dargestellt: c bedeutet Fig. 211. die Mitte der Kette, a und b die beiden Pole mit den entgegengesetzten elektri- schen Spannungen, welche durch die bei a und b errichteten Ordinaten ausgedrückt sind. Verbindet man nun die Pole a nnd b vermittelst eines Schliessungsdrahtes a n b, so werden die positive und negative Elektricität in einander überströmen. Zu diesem Ueberströmen bedarf es aber einer gewissen Zeit, und zwar einer um so länge- ren Zeit, je länger der Schliessungsdraht ist. Nun haben wir gesehen, dass in dem Maasse als Elektricität von a und b abfliesst, dieselbe durch die ‘elektromotorische Kraft wieder ersetzt wird. Die Spannungen a d und b e müssen also trotz des fortwährenden Abfliessens der Elektricität constant bleiben. Fassen wir ferner den Zustand in dem Schliessungsdraht a n b in’s Auge im Moment wo die positive und negative Elektri- cität von den Polen a und b aus bis n vorgedrungen sind. Nach einer dem Punkt a benachbarten Stelle a 1 wird in verschwindend kurzer Zeit von der in a vorhandenen freien Elektricität gedrungen sein, nach einem weiteren unendlich kleinen Zeittheilchen wird von dieser nach a 1 gedrungenen Elektricität nach a 2 fortgeschritten sein; wäh- rend dessen hat jedoch a 1 selbst von a weitere Elektricität erhalten: es ist also in diesem Moment in den drei Punkten a, a 1 , a 2 freie positive Elektricität vorhanden, aber die Menge derselben nimmt continuirlich von a bis a 2 ab. Ganz ebenso verhält es sich bei b, b 1 , b 2 u. s. w. mit der negativen Elektricität. Sind beide Elektricitä- ten bis n gedrungen, so müssen sie sich hier neutralisiren: in diesem Punkte wird also die elektrische Spannung null sein, dagegen wird sie nach beiden Seiten hin, wenn der Schliessungsdraht überall dasselbe Leitungsvermögen besitzt, proportional der Annäherung an die Pole a und b wachsen, bis sie an diesen selbst die Höhen + a d und — b e erreicht. Wir sehen somit, dass in dem Moment, in welchem die bei- den Elektricitäten auf der Mitte ihres Weges, bei n, zusammengetroffen sind, die in jedem Punkt des Schliessungsdrahtes vorhandenen freien Elektricitäten sich ebenso verhalten wie die freien Elektricitäten innerhalb der Kette, sie können, wenn der Punkt c der Abscisse diesmal der Mitte des Schliessungsdrahtes entspricht, durch dieselbe gerade Linie dargestellt werden, welche das Anwachsen der elektrischen Spannungen innerhalb der Kette bezeichnet. Es ist aber leicht ersichtlich, dass die freien Elek- tricitäten so wie sie sich verhalten im Moment wo sie bei n in einander zu fliessen beginnen auch fernerhin verbleiben müssen. Denn im selben Maasse als die von n aus nach beiden Seiten in einander fliessenden Elektricitäten sich neutralisiren, müs- sen sie, ebenso wie die an den Polen a und b angesammelten Spannungen, durch Nachfliessen von den näher bei den Polen gelegenen Punkten stärkerer Spannung wie- der ersetzt werden. Von jedem einzelnen Punkt eines Stromeskreises gelangt man somit, wenn man sich dem Pole nähert, zu einem Punkte höherer Spannung, und wenn man sich von dem Pole entfernt, zu einem Punkte niedrigerer Spannung, ähnlich wie in einem Wasserstrom, der auf einer schiefen Ebene herabfliesst, jeder Punkt zwischen einem höher und einem tiefer gelegenen in der Mitte liegt. Das Strömen der Elek- tricität besteht in dem continuirlichen Uebergang der freien Elektricität von Punkten Bewegung der Elektricität. höherer zu Punkten niedrigerer Spannung. Man nennt, anlehnend an jenes Bild eines Wasserstroms, diesen Wechsel der elektrischen Spannungen im Schliessungskreis das Gefälle der Elektricität. Das Gefälle ist um so grösser, je bedeutender die Span- nungen an den Polen, und je geringer die Länge und der specifische Leitungswider- stand des Schliessungsbogens sind. Durch eine umgebrochene gerade Linie wird das Gefälle nur dann dargestellt, wenn der Schliessungsbogen überall denselben Quer- schnitt und dasselbe Leitungsvermögen besitzt. Sind die letzteren wechselnd, so setzt sich das Gefälle des gesammten Schliessungsbogens aus mehreren einzelnen Gefällen zusammen, die sich umgekehrt wie die Leitungsfähigkeiten und Querschnitte der be- treffenden Theile des Stromeskreises verhalten. Bezeichnen wir die elektrische Diffe- renz zweier hinter einander gelegener Punkte im ersten Leiter durch ε , im zweiten durch ε' , specifisches Leitungsvermögen und Querschnitt des ersten durch k und q, des zweiten durch k' und q', so muss durch jeden Querschnitt des ersten Leiters eine Elektricitätsmenge ε k q, durch jeden Querschnitt des zweiten Leiters eine Elek- tricitätsmenge ε' k' q' fliessen. Da aber beide Leiter demselben Stromeskreis ange- hören, so muss ε k q = ε' k' q' sein, woraus folgt. Es bestehe z. B. der Schliessungskreis aus zwei Theilen a c und c b (Fig. 212), letzterer sei von grös- Fig. 212. serem Querschnitt und besser leitend: es wird dann das Gefälle für a c etwa durch die Linie d f, das Gefälle für c b durch die Linie f e dargestellt. Aus der Figur ist unmittelbar ersichtlich, dass man sich die Länge c b des zweiten Leiters durch eine Länge c h des ersten ersetzt denken kann, so dass, wenn statt der beiden Lei- ter bloss eine Länge a h des ersten ein- geschaltet wäre, der Gesammtwiderstand derselbe bliebe. Man bezeichnet diese auf einen Leiter von bestimmtem Quer- schnitt und Widerstand zurückgeführte Länge des Schliessungskreises als die reducirte Länge desselben. Unter Annahme der reducirten Länge l ist, wenn wir jede der in den Enden a und b der Kette vorhandenen freien Elektricitätsmengen mit e bezeichnen, das Gefälle . Kohlrausch hat die Richtigkeit dieses Gesetzes direct bestätigt, indem er am Elektrometer die freien Elektricitäten an verschiedenen Stellen des Schliessungs- kreises mit den freien Elektricitäten an den Polen verglich. Die obigen Betrachtungen bedürfen in einem Punkte einer etwas correcteren Fassung. Wir haben bisher die Begriffe Spannung und freie Elektricität ein- ander gleichgesetzt und haben uns desshalb vorstellen müssen, die durch Fig. 211 dargestellte Abstufung der freien Elektricität gelte für den ganzen Querschnitt des Leiters. Dies würde aber im Widerspruch stehen mit dem in §. 291 geführten Nach- weis, dass freie Elektricität nur an der Oberfläche eines Leiters sich ansammeln kann. Dieser Widerspruch hebt sich durch die Einsicht, dass, sobald es sich um die be- wegte Elektricität handelt, der Begriff der Spannung und derjenige der freien Elektricität nicht mehr zusammenfallen. Unter Spannung werden wir nämlich jetzt diejenige Kraft zu verstehen haben, welche eine gewisse Menge von + oder — El. Von der Elektricität. in der einen oder andern Richtung zu bewegen strebt, es ist durchaus nicht erforder- lich, dass dies mit einer Anhäufung freier Elektricität an dem Ort der Spannung sel- ber verknüpft sei, sondern, da die elektrischen Anziehungen und Abstossungen in die Ferne wirken, so wird eine gewisse Menge freier Elektricität, die sich an der Ober- fläche angehäuft befindet, im Innern des Leiters Spannungen erzeugen, ohne dass dess- halb freie Elektricität sich im Innern anhäuft, weil die hervorgerufene Spannung ebensoviel + El. nach der einen Seite wie — El. nach der andern zieht. Die Func- tion, nach welcher ein Agens wie die Elektricität, das im umgekehrten Verhältniss des Quadrats der Entfernungen wirkt, eine Einheit desselben Agens anzieht oder ab- stösst, bezeichnet man auch als Potentialfunction . Die Figg. 211 u. 212 stellen somit das Verhalten der Spannung oder der Potentialfunction für die verschiedenen Punkte eines linearen Leiters dar. 315 Stromverzwei- gung in linea- ren Leitern. Wenn die Leitung a b c d eines elektrischen Stroms (Fig. 213) Fig. 213. sich bei b und c in mehrere Zweige trennt, so muss durch den Gesammtquerschnitt der Leiter w 1 , w 2 , w 3 in der Zeiteinheit eine eben- so grosse Elektricitätsmenge fliessen wie durch den Querschnitt des Leiters w. Bezeichnen wir daher die Intensitäten des Stroms in w 1 , w 2 , w 3 nach einander mit J 1 , J 2 , J 3 und in w mit J, so ist J 1 + J 2 + J 3 = J oder J 1 + J 2 + J 3 — J = o. Nehmen wir die Intensität eines gegen eine Verzweigungsstelle b oder c gerichteten Stromes positiv und die Intensität eines von ihr weg gerichteten Stromes negativ oder umgekehrt, so sagt obige Glei- chung, die algebraische Summe der Intensitäten aller in einer Verzwei- gungsstelle zusammentreffenden Ströme sei gleich null, und wir kön- nen nun dieses Gesetz durch die symbolische Formel ausdrücken: 1) Σ J = o. Wenn wir mit w, w 1 , w 2 , w 3 zugleich die Widerstände in den einzelnen Theilen der Leitung bezeichnen, so ist, falls, wie in Fig. 213, nur eine elektromotorische Kraft in dem Stromeskreis existirt, hierauf unmittelbar das Ohm ’sche Gesetz anzuwenden, indem man für J die einzelnen Intensitäten J, J 1 , J 2 , J 3 und für W die einzelnen Widerstände w, w 1 , w 2 , w 3 setzt. Man erhält so Jw + J 1 w 1 + J 2 w 2 + J 3 w 3 = E. Sind statt der einen elektromotorischen Kraft mehrere E 1 , E 2 u. s. w. vorhanden, so hat man auf der rechten Seite dieser Gleichung statt E die Summe E 1 + E 2 + E 3 … zu setzen. Das Ohm ’sche Gesetz in seiner Anwendung auf einen verzweigten Strom mit mehre- ren elektromotorischen Kräften nimmt also die Form an: Bewegung der Elektricität. 2) Σ Jw = Σ E. Mit Hülfe der in den Gleichungen 1 und 2 formulirten Gesetze lassen alle Probleme, welche die Stromverzweigung in linearen Leitern darbietet, sich lösen. Wir wollen für die zweite dieser in voller Allgemeinheit zuerst von Kirch- hoff aufgestellten Gleichungen einen exacteren Beweis zu führen suchen und sodann einige der wichtigeren Folgerungen aus beiden Gleichungen erörtern. In dem Stro- meskreis a b c (Fig. 214) sollen sich drei elektromotorische Kräfte E ab , E ac , Fig. 214. E bc befinden. Der Widerstand in dem Leiter a sei = w a , die Intensität = J a , ebenso sei der Widerstand in b = w b , die Intensität = J b u. s. f. Endlich bezeichnen wir die Spannungen freier Elektrität an den Enden des Leiters a mit S a und s a , an den Enden des Leiters b mit S b und s b u. s. f. Die in a vorhandene Stromintensität ist nun offenbar gleich der Differenz der Spannungen freier Elektricität an beiden Enden dieses Leiters dividirt durch den Widerstand des Leiters a, also , ebenso ist die Stromintensität in und in . Hieraus folgt J a w a + J b w b + J c w c = S a — s a + S b — s b + S c — s c . Nun ist aber S b — s a = E ab , S a — s c = E ac , S c — s b = E bc , d. h. die rechte Seite der vorigen Gleichung ist = Σ E. Um den Widerstand im gesammten Schliessungskreis aus dem Widerstand seiner einzelnen Zweige zu finden, erwäge man, dass in Fig. 213, wenn wir uns der Kürze wegen auf die Betrachtung der Zweige w 1 und w 2 beschränken, also w 3 hinwegdenken, w und w 1 , ebenso w und w 2 , und endlich w 1 und w 2 einen Kreis für sich bilden; im ersten und zweiten dieser Kreise ist die elektromotorische Kraft = E, im dritten ist sie = o. Man erhält daher aus Gleichung 2) Jw + J 1 w 1 = E, Jw + J 2 w 2 = E und J 1 w 1 — J 2 w 2 = o. (J 2 wird negativ, weil die Ströme J 1 und J 2 in dem Kreise w 1 w 2 entge- gengesetzte Richtung haben.) Da nun ferner J 1 + J 2 — J = o ist (Gl. 1), so erhält man, wenn man die Werthe für J 1 und J 2 aus den obigen Gleichungen in diese letz- tere einsetzt, 3) . Dieser Werth in die ersten Gleichungen eingesetzt giebt: 4) 5) . Daraus folgt zunächst der schon anfänglich aufgestellte Satz, dass J 1 + J 2 = J ist. Man kann daher aus der Ohm ’schen Formel unmittelbar den Gesammt- widerstand W ableiten, indem man den obigen Werth für J in dieselbe einsetzt. Man erhält so: Von der Elektricität. 6) . Diese Gleichung kann natürlich noch auf beliebig viele weitere Leiter ausge- dehnt werden. Wenn man in derselben den Widerstand w des unverzweigten Theils der Leitung trennt, so folgt 6a) . Der Widerstand der verzweigten Theile w 1 , w 2 ist also zusammengenommen , gleich dem Product der Einzelwiderstände, dividirt durch ihre Summe. Von Interesse ist auch noch der Fall, wo in einer Stromverzweigung a c (Fig. 215) eine Brücke b d die beiden Zweige der Leitung verbindet. Geben wir den In- Fig. 215. tensitäten und Widerständen in den einzelnen Theilen der Leitung die in der Fig. angegebenen Bezeichnungen, so muss, da inner- halb der Leitung a c keine elektromotorische Kraft vorhanden ist, im Kreis a b d a) i 1 w 1 + i w — i 3 w 3 = o, und im Kreise d c b b) i w + i 4 w 4 — i 2 w 2 = o sein. Ausserdem ist an den Ecken d und b c) i = i 1 — i 2 , d) i = i 3 — i 4 . Für den Fall, dass die Stromesintensität i in der Brücke b d = o werden soll, folgt aus Gleichung a) i 1 w 1 = i 3 w 3 , aus b) i 4 w 4 = i 2 w 2 , und aus c und d) i 1 = i 2 und i 3 = i 4 . Es muss sich somit verhalten , wenn der Strom in der Brücke verschwinden soll. 316 Ausbreitung des Stroms in flächenhaften und körperli- chen Leitern. Wenn die Elektricität sich nicht in einem linearen sondern in einem flächenhaften oder körperlichen Leiter bewegt, so werden die Aufgaben schwieriger und verwickelter. Man kann sie jedoch zum Theil auf dieselben einfachen Gesichtspunkte zurückführen, wenn man Fig. 216. sich einen jeden flächenhaften oder körper- lichen Leiter aus einer sehr grossen Menge linearer Leiter zusammengesetzt denkt. Es sei Fig. 216 eine kreisförmige Scheibe, die bei a und b in einen Stromeskreis eingeschaltet ist. Wir können uns die ganze Scheibe aus einer Menge linearer Leiter, deren einige in der Fig. angedeutet sind, zusammengesetzt denken. Die mittlere dieser Linien ist eine Gerade; sie ist umgeben von Curven, welche gegen die Peripherie hin immer mehr der Oberfläche sich anschliessen, bis endlich die äusserste mit der Oberfläche zusammenfällt. Die Längen l 1 , l 2 , l 3 … der so her- Bewegung der Elektricität. gestellten Leiter nehmen von der Mitte aus zu; da aber der Wider- stand eines linearen Leiters, wenn, wie hier, alle übrigen Bedingun- gen gleich bleiben, proportional seiner Länge ist, so werden die In- tensitäten der Ströme in l 1 , l 2 , l 3 … gegen die Peripherie hin immer kleiner werden. Wir haben dies in der Fig. durch die verschiedene Dicke der Linien angedeutet. Denken wir uns jede dieser Curven in eine gerade Linie auseinander gelegt, so wird die Veränderung der Spannungen in ihr, wie in Fig. 211, durch eine gerade Linie darge- stellt werden, welche im Mittelpunkt die Abscisse schneidet, und de- ren Ordinaten in den Anfangspunkten, bei a und b, für jede Curve dieselben sind. Nun schneidet die in der Mitte von a b senkrechte Linie die Mitte sämmtlicher Stromescurven: auf dieser Linie sind also in allen Stromescurven die Spannungen gleich, nämlich gleich null. Anderseits schneidet die Linie a b die Anfangspunkte a und b aller Stromescurven: hier sind daher die Spannungen aller Curven wieder gleich, nämlich gleich den Anfangsordinaten + s und — s. In allen Curven l 1 , l 2 , l 3 … ändern sich dann in der ersten Hälfte die Spannungen von + s bis o, in der zweiten Hälfte von o bis — s. Jedem Punkt der Curve l 1 muss daher ein Punkt der Curven l 2 , l 3 … correspondiren, in welchem die Spannung gleich gross ist. Verbindet man diese Punkte gleicher Spannungen mit einander, so erhält man die Curven s 1 , s 2 , s 3 …, welche auf sämmtlichen Strömungscurven und ebenso auf der Oberfläche des Leiters senkrecht stehen. Man be- zeichnet diese Curven als Curven gleicher Spannung oder glei- chen Potentials (s. die Anm. zu §. 314) oder auch als isoelek- trische Curven . Da in jedem Leiter die Elektricität sich stets von Punkten höherer zu Punkten niedrigerer Spannung bewegt, so kann sie nie aus einer Curve l 3 in eine andere l 4 oder l 2 etwa übergehen: denn der senkrecht über oder unter einem Punkt von l 3 gelegene Punkt der Curven l 4 , l 2 gehört derselben isoelektrischen Curve an; hieraus folgt nachträglich, dass wir in der That in Bezug auf den Strömungsvorgang berechtigt sind, einem flächenhaften oder körperlichen Leiter eine Menge von einander isolirter, linearer Leiter zu substitui- ren. Da die Oberfläche des Körpers nur die äusserste Strömungs- curve ist, so müssen auch auf ihr die Spannungscurven senkrecht ste- hen, woraus dann folgt, dass sich die Elektricität über die Oberfläche hinaus ebenso wenig wie aus einer der linearen Stromescurven in die andere verbreiten kann. Bei dem Nerven- und Muskelstrom haben wir es mit Elektricitätserregungen zu thun, bei welchen wir annehmen müssen, dass Elemente, die freie Elektricität von ent- gegengesetztem Vorzeichen besitzen, dicht an einander grenzen. Dieser Fall unter- scheidet sich von dem vorigen ausserdem dadurch, dass die Flächen, welche der Sitz der elektromotorischen Kräfte sind, eine gewisse Ausdehnung haben. Denken wir uns z. B. ein Molecül mit einer positiven und negativen Polarzone (wie wir solche als elektro- Von der Elektricität. motorische Elemente der Nerven und Muskeln annehmen, s. Lehrb. der Physiol. §. 185), umgeben von einer leitenden Flüssigkeit. Auf dem senkrechten Durchschnitt eines solchen Molecüls ist der Strömungsvorgang in Fig. 217 dargestellt. Von jedem Punkt des positiven Theils der Oberfläche geht in der leitenden Umhüllungsschichte ein line- Fig. 217. arer Strom nach einem correspondirenden Punkt des ne- gativen Theils der Oberfläche. So entsteht über jeder Begrenzung von + und — ein System linearer Ströme, das durchaus getrennt ist von den Stromsystemen der andern Begrenzungen aller benachbarter Molecüle. Die In- tensität der Ströme nimmt wieder ab mit der Länge der Stromescurven: dicht an der Berührungsstelle ist diese Länge = o, die Stromintensität also streng genommen unendlich; 'nach aussen sinkt sie dann allmälich auf ein Minimum ähnlich wie in dem in Fig. 216 dargestellten Beispiel. Für die thierisch-elektrischen Versuche ist der Fall noch von besonderem Interesse, wo ein bogenförmiger Leiter an einen Körper oder eine Fläche, die von Strömen durchflossen sind, angelegt wird. Ist der Bogen metal- lisch, während der Körper, an den er angelegt wird, zu den Leitern zweiter Classe gehört, so ist von vornherein klar, dass sich in denselben die Strömungscurven in grösserer Dichte ergiessen werden, als sie in dem Theil des Leiters sind, an welchen der Bogen angelegt wird. Ebenso ist aber auch ersichtlich, dass der Strom, der in dem Bogen fliesst, keinerlei Maass der im Innern des ersten Leiters vorhandenen elektromotorischen Kräfte gestattet. Es lässt sich immer nur angeben, welche elektro- motorischen Kräfte auf der berührten Oberfläche vorhanden sein müssten, um die gleiche Stromstärke in dem angelegten Bogen zu erzeugen. Man denkt sich also den durch beliebig in seinem Innern vertheilte elektromotorische Kräfte wirksamen Leiter durch eine elektromotorische Oberfläche ersetzt; der letzteren kann man dann wieder einen linearen Draht, in welchem ein Strom von bestimmter Stärke verläuft, substituirt denken; man hat so das Problem der Strombewegung in einem angelegten Bogen auf das schon gelöste Problem der linearen Stromverzweigung zurückgeführt. Es können hierauf unmittelbar die Formeln 4 und 5 in §. 315 angewandt werden, wenn man un- ter J 1 die Stromstärke in jenem substituirten linearen Leiter, unter J 2 die Stromstärke im angelegten Bogen, unter w 1 den direct zu bestimmenden Widerstand des ersteren Leiters und unter w 2 den Widerstand des Bogens versteht. Hieraus kann dann E, die elektromotorische Kraft jener wirksamen Oberfläche, berechnet werden. Diese giebt aber natürlich keinen Aufschluss über diejenigen elektromotorischen Kräfte, die sich im Innern des ersten Leiters befinden. Bei den thierisch-elektrischen Versuchen be- dingt es nun ausserdem die ganze Anordnung der elektromotorischen Elemente, wie sie nach der Theorie anzunehmen ist, dass nur diejenigen Elemente, welche von den aufgesetzten Enden des ableitenden Bogens unmittelbar berührt werden, elektromotorisch wirksam sein können. Denn in die Entfernung müssen die nahe bei einander befindlichen positiven und negativen Oberflächen der Molecüle stets ihre Wirkungen aufheben. Bei den Muskeln und Nerven bleibt daher an und für sich nur die Oberfläche wirksam. Da nun die am Längsschnitt zu Tage liegenden Flächen der Elemente überwiegend positiv, die am Querschnitt zu Tag liegenden überwiegend negativ sind, so muss bei der Verbindung von Längs- und Querschnitt durch einen leitenden Bogen ein Strom vom ersteren zum letzteren entstehen. Dagegen kann auf dem Längsschnitt für sich und auf dem Querschnitt für sich, vorausgesetzt, dass die elektromotorischen Kräfte der Bewegung der Elektricität. einzelnen Elemente einander gleich sind, bei der Verbindung je zweier Flächenstücke kein Strom im ableitenden Bogen entstehen. Wenn nun dennoch nach den Versuchen von du Bois Reymond schwache Ströme bei der Ableitung asymmetrisch gelege- ner Punkte des Längsschnitts oder des Querschnitts beobachtet werden, so ist dies wahrscheinlich darauf zu beziehen, dass die elektromotorischen Kräfte jener Gewebs- elemente sich, namentlich in Folge des Absterbens, nicht vollkommen constant er- halten. Einer der verwickeltsten Fälle von Strombewegung ist die Bewe- 317 Ausbreitung des Stromes in Theilen des menschlichen Körpers. gung des elektrischen Stroms durch Theile des menschlichen oder thierischen Körpers. Setzen wir an zwei beliebigen Stellen des letzteren die Pole irgend eines Elektromotors auf, so gehen, da alle Gewebe bis zu einem gewissen Grad Leiter der Elektricität sind, Stromzweige durch den gesammten Körper. Die Intensität in die- sen einzelnen Zweigen ist aber von sehr verschiedener Grösse. Denken wir uns wieder den ganzen Körper in eine Anzahl linearer Leiter zerlegt, so ist die Stromstärke in jedem einzelnen dieser Leiter von der Länge desselben und dem specifischen Widerstand der durch- flossenen Gewebe abhängig. Unmittelbar an den Berührungsstellen der Pole ist daher die Dichte der Elektricität am grössten, indem hier sämmtliche Stromzweige zusammenfliessen. Besässen alle Gewebe das gleiche Leitungsvermögen, so würde dann auf der die beiden Pole verbindenden Geraden die grösste Stromstärke bestehen, dagegen würden in den jene Gerade nach aussen umgebenden Curven immer mehr die Stromstärken abnehmen und endlich verschwindend werden. Diese regelmässige Anordnung der Stromescurven wird nun durch das verschiedene Leitungsvermögen der Gewebe einigermassen gestört. Setzen wir z. B. die beiden Pole auf zwei von einander entfernte Haut- stellen auf, so wird wegen des schlechten Leitungsvermögens der Haut der Strom in seinem kürzesten, durch die Oberhaut gehenden Zweig nur eine sehr geringe Intensität besitzen, der stärkste Stromzweig aber wird wegen des beträchtlich besseren Leitungsvermögens der Muskelsubstanz durch die unmittelbar von der Haut bedeckte Muskel- schicht gehen. Aus der allseitigen Verbreitung des Stromes geht hervor, dass wir streng genommen niemals irgend eine Stelle des Körpers isolirt zu reizen vermögen. Wohl aber können wir erreichen, dass die Strom- intensität an irgend einer Stelle sehr gross werde im Vergleich zu allen andern. Bei der Elektrisirung thierischer Theile handelt es sich in der Regel um die Reizung von Muskeln oder Nerven, von denen die ersteren wegen ihres relativ guten Leitungsvermögens dem elek- trischen Strom leicht den Zutritt gestatten. Anderseits ist es jedoch bei der anatomischen Beschaffenheit und Anordnung der Muskeln schwerer einen Muskel isolirt zu erregen. Wegen der beträchtlichen Länge der Muskeln müssen nämlich zum Zweck directer Muskelreizung Von der Elektricität. die Pole der galvanischen Kette in ziemlich grosser Entfernung von einander aufgesetzt werden, wobei immer noch auf benachbarte Ge- webe beträchtliche Stromesschleifen übergehen. Weit mehr lässt sich die Erregung beschränken, wenn man den überwiegenden Stromzweig durch den Nerven zu leiten beabsichtigt. Die Nervensubstanz besitzt zwar einen viel grösseren Widerstand als der Muskel, dagegen ver- mag schon ein Strom von relativ geringer Dichte, der eine nur kleine Strecke eines Nerven durchfliesst, in der ganzen Länge desselben so- wie in seinen Endorganen eine beträchtliche Erregung hervorzurufen. Sucht man daher eine solche Stelle der Körperoberfläche auf, unter der in nicht zu grosser Tiefe ein Nerv verläuft, und setzt man an derselben in kleiner Distanz die Pole auf, so trifft den Nerven eine hinreichend starke Erregung, um entweder, wenn es ein Empfindungs- nerv ist, intensive Empfindungen, oder, wenn es ein Muskelnerv ist, eine energische Contraction des zugehörigen Muskels zu verursachen. Hülfsmittel den Verlauf des Stroms zu modificiren besitzen wir ferner noch in der Applicationsweise der Elektroden (der Zuleiter des elektrischen Stroms, s. §. 324). Schon die Form, welche man den Elektroden giebt, ist von bedeutendem Einflusse. Die Dichte der Elektricität ist an der Berührungsstelle der Elektrode am grössten, wenn die letztere in eine Spitze ausläuft. Will man daher eine punk- tuelle Reizung ausführen, so lässt man die eine Elektrode in eine Spitze, die andere in eine breite Platte enden; es hat dann die Stromintensi- tät an der Berührungsstelle der spitzen Elektrode ihr Maximum. So- bald man tiefer gelegene Theile zu reizen beabsichtigt, muss man hin- gegen die Elektroden in solcher Weise appliciren, dass die Strom- dichte an den Berührungsstellen nicht merklich grösser wird als im Verlauf der kürzeren Stromescurven. Die Elektroden müssen daher in diesem Fall mit breiten Berührungsflächen an die Haut angelegt werden. Dies genügt aber noch nicht. Da die trockene Oberhaut fast einen Isolator bildet, in welchem sich nur kleine Lücken und bes- ser leitende Canälchen (die Schweissporen und Schweisscanäle) be- finden, so werden, wenn man etwa zwei Metallplatten als Elektroden wählt, diese sich wesentlich ebenso verhalten wie mehrere punktförmige Berührungen: es wird der Strom fast nur durch die Lücken und Ca- nälchen der Oberhaut in das darunter liegende feuchtere Gewebe fliessen, so dass die sich oberflächlich in der Haut verbreitenden Ner- ven durch Stromzweige von bedeutender Dichte getroffen werden, wäh- rend in dem weiteren Verlauf der Stromescurven die Stromdichte sehr gering geworden ist. So bestätigt es denn auch die Erfahrung, dass durch die Anlegung metallischer Elektroden an die Haut eine energische Reizung der Hautnerven, aber nur eine relativ sehr schwache Erregung der tiefer liegenden Gewebe, namentlich der Muskeln, bewirkt werden kann. Soll in der Tiefe die Stromesdichte eine grössere Intensität er- Bewegung der Elektricität. langen, so muss man daher die Leitungsfähigkeit der Hautstellen, an welche die Elektroden angelegt werden, durch Befeuchten vergrössern. Dies geschieht, indem man die metallischen Enden der Elektroden mit feuchtem Leder oder mit feuchtem Schwamm überzieht. Durch das Anpressen dieser feuchten Belegungen an die Haut wird das Leitungs- vermögen der letzteren demjenigen der darunter liegenden feuchten Gewebe ungefähr gleich. Es verlaufen dann von der einen Elektrode zur andern Stromeszweige, die sich um so weiter ausbreiten, je brei- ter die Endflächen der Elektroden, und je weiter dieselben von ein- ander entfernt sind. Will man daher Muskeln direct erregen, so wählt man ziemlich breite, feuchte Elektroden, die in grösserer Entfernung von einander, am obern und untern Ende des Muskelbrauchs, auf die Haut aufgesetzt werden. Will man dagegen einen einzelnen Nerven- stamm reizen, so nimmt man zweckmässiger schmale, ebenfalls feuchte Elektroden, die man in kleiner Entfernung von einander, da wo der be- treffende Nerv der Oberfläche nahe liegt, anbringt. Den Unterschied in der Wirkung metallischer und feuchter Elektroden hat rein empirisch Duchenne ermittelt; die Erklärung dieser Beobachtungen hat zuerst A. Fick geliefert. Duchenne kannte nur Muskel- und Hautnervenreizung. Auf das geeignete Verfahren zur Reizung der oberflächlicher liegenden Muskelnervenstämme hat Remak aufmerksam gemacht, und von Ziemssen sind dann die einzelnen zur Reizung bestimmter Nerven geeigneten Punkte der Körperoberfläche genauer bezeich- net worden. Vgl. Ziemssen , die Elektricität in der Medicin, 3. Aufl. Berlin 1866. Nach dem Ohm ’schen Gesetz kann man Ströme von wechseln- 318 Anwendung der Stromver- zweigung zur Abstufung der Stromstärke. Rheochord. der Intensität erhalten, sowohl indem man die elektromotorische Kraft, als indem man den Widerstand variirt. In der Regel wählt man, um die Stärke eines Stroms nach Belieben verändern zu können, variable Widerstände. So kann man durch Einschaltung von Rollen über- sponnenen Drahts oder von Flüssigkeitssäulen den Widerstand mehr oder minder erheblich vergrössern. Doch ist die Einschaltung von Flüssigkeiten wegen der in §. 327 zu schildernden Polarisations- erscheinungen überall da unbrauchbar, wo es sich darum handelt, die Ströme möglichst constant zu erhalten, und von Metalldrähten bedarf man sehr bedeutender Längen, wenn sie gegen den wesentlichen Wi- derstand der Kette irgend in Betracht kommen sollen. Man bedient sich daher zur Abstufung der Ströme zweckmässig der Stromverzwei- gung, vermittelst deren sich nach den in §. 315 entwickelten Princi- pien jede beliebige Stromstärke von null an bis zu der in der ange- wandten Kette gegebenen herstellen lässt. Der hierzu gewöhnlich be- nutzte Apparat ist der Rheochord (Fig. 218). Derselbe besteht aus zwei Platindrähten a und b, die über einem Brett ausgespannt und an ihren vordern Enden mit von einander isolirten Messingklemmen in Verbindung gesetzt sind. In den letzteren sind zugleich die Enden Von der Elektricität. Fig. 218. k und z der galvanischen Kette befestigt, und ausserdem gehen von ihnen aus die Drähte c und d zu dem in Anwendung kommenden Stromes- kreis, dessen Stromstärke abgestuft werden soll. In den Kreis c d bringt man z. B. Nerven, Mus- keln oder andere Körper, auf welche man einen Strom von abgestufter Stärke einwirken lässt. Die Drähte a und b sind durch ein eisernes Ge- fäss E gezogen, welches hin- und hergeschoben werden kann und mit Quecksilber gefüllt wird. Durch das letztere, das, weil es an Eisen und Platin nicht adhärirt, aus den Löchern, durch welche die Drähte gehen, nicht ausfliesst, wer- den die Drähte a und b in leitende Verbindung gebracht. Man hat also nun einen in zwei Zweige getheilten Strom hergestellt. Der in dem Draht k ankommende Strom theilt sich in einen Zweig, der durch a, E und b nach z geht, und in einen andern Zweig, der durch c und d nach z geht. Hier ver- einigen sich beide Zweige wieder und gehen zur Kette zurück. Man kann nun den Widerstand des im Rheochord fliessenden Stromzweiges beliebig vermindern, wenn man das Gefäss E näher an die Draht- klemmen heranrückt, und vermehren, wenn man dasselbe entfernt. Je kleiner aber der Widerstand im Rheochord im Verhältniss zum Widerstand in dem Zweige c d ist, um so kleiner wird die Strom- stärke im letztern. Man kann also die Stromstärke in diesem Zweig c d durch Verschieben des Gefässes E beliebig abstufen. Fig. 219. Für einzelne Zwecke hat man den so eben beschriebenen, zuerst von Neu- mann angegebenen Rheochord modificirt. Handelt es sich darum den Strom im Zweig c d auf eine möglichst geringe Stärke zu bringen, so wendet man statt der Platin- drähte einen dicken Eisendraht als Neben- schliessung an. Will man dagegen den Strom im Zweige c d innerhalb weiterer Grenzen variiren, so muss die Drahtlänge des Rheochords vergrössert werden. Dies geschieht am zweckmässigsten, indem man ausser den Platindrähten a b eine grössere Anzahl von Neusilberdrähten, die ein ge- ringeres Leitungsvermögen besitzen, zur Nebenschliessung bereit hält. Hierauf be- ruht der Rheochord von du Bois Rey- mond (Fig. 219). An einem Brett A B C D befinden sich mehrere Messingklötze m, m 1 , m 2 …, die durch Schlitze von einander getrennt sind. An den Seiden- Bewegung der Elektricität. schnüren 1, 1', 2, 5, 10 sind messingene Stöpsel befestigt, von denen der Stöpsel 1 in den Schlitz zwischen m 1 und m 2 , 2 in den Schlitz zwischen m 2 und m 3 gesteckt werden kann, u. s. w. Vor m und m 1 befindet sich ein Schlitten S von Messing, der an einer Scale auf- und abgeschoben werden kann, und auf welchem zwei mit Queck- silber gefüllte Stahlcylinder festgelöthet sind; letztere sind an ihrem breiten Ende mit einem durchbohrten Kork verschlossen, am andern Ende haben sie eine feine Oeffnung: durch beide Oeffnungen werden die Platindrähte a, b gezogen und am Ende C D des Brettes befestigt. Auf der untern Seite des Brettes sind sodann eine Reihe von Neusilberdrähten gezogen, der Draht α zwischen m 1 und m 2 , β zwischen m 2 und m 3 , u. s. w. Der Widerstand dieser Drähte ist so gewählt, dass der Widerstand von α gleich dem Widerstand der ganzen Länge l der Drähte a und b ist, ebenso gross ist der Widerstand von β . Dagegen hat γ den doppelten, δ den 5fachen und ε den 10fachen Widerstand. Bei A und B befinden sich Schraubenklemmen, zu denen einer- seits die Drähte k und z der Kette, anderseits die Drähte c und d des Stromkreises geführt werden. Ist nun die Anordnung die in Fig. 219 dargestellte, so ist keiner der Drähte des Rheochords eingeschaltet, der Widerstand des letztern ist daher ein Minimum, und es geht nun fast kein Strom durch den Zweig c d. Entfernt man jetzt den Schlitten S von m, m 1 , so kann man successiv längere und längere Stücke Pla- tindraht und endlich die ganze Länge l einschalten. Entfernt man dann den Stöpsel 1, so wird noch eine weitere Drahtlänge α = l eingeschaltet, ebenso durch Entfer- nung von 2, u. s. f., bis endlich, wenn alle Drahtlängen des Rheochords eingeschaltet sind, der ganze Widerstand desselben 20 l beträgt. Nach Gl. 4 §. 315 ist, wenn wir mit J n die Intensität in dem Stromzweig c d, mit E die elektromotorische Kraft der Kette, mit W den wesentlichen Widerstand der- selben sammt dem Widerstand der Drähte k und z, endlich mit w r den Widerstand des Rheochords und mit w n denjenigen des Zweiges c d bezeichnen, . Wenn in der Leitung c d sich thierische Theile befinden, so ist der Widerstand W in der Regel gegen w n verschwindend klein. Macht man nun weiterhin auch die Draht- länge des Rheochords so gross, dass W gegen w r verschwindet, so geht obige Glei- chung in folgende über: ; d. h., sobald der Widerstand des Rheochords im Vergleich mit dem wesentlichen Wi- derstand der Kette sehr gross ist, verhält sich die Stromstärke in dem Zweig c d so, als wenn der Rheochord gar nicht vorhanden wäre. Nimmt man dagegen w r so klein, dass es gegen W und w n verschwindet, so wird . Für den Fall, dass der Rheochordwiderstand sehr klein wird, steht also die Strom- stärke im Zweig c d im Verhältniss der einfachen Proportionalität zu w r . Das Princip der Stromverzweigung hat noch bei einigen andern in der Praxis sehr nützlichen Vorrichtungen Anwendung gefunden. So dient der Schlüssel von du Bois Reymond (Fig. 220) ebensowohl zum Oeffnen und Schliessen der Kette wie zum Einschalten einer Nebenschliessung von geringem Widerstand. Auf einer iso- lirenden Unterlage a aus schwarzer Kautschukmasse stehen die beiden Messingklötze b und c. An c ist der mit einem isolirenden Handgriff versehene Messinghebel d drehbar befestigt. Das Ganze befindet sich auf einer hölzernen Schraubenzwinge, mittelst deren es an dem Tisch fixirt wird. Schaltet man den Schlüssel in den Kreis Von der Electricität. einer Kette ein, indem man den einen Leitungsdraht mit b, den andern mit c verbin- Fig. 220. det, so dient er einfach zum Oeffnen und Schliessen der Kette und kann so statt des gewöhnlich benutzten Quecksilbernäpfchens gebraucht werden. Verbindet man dagegen b und c einerseits mit den beiden Polen einer Kette, anderseits mit den Leitungsdrähten eines Zweig- stromes, in welchem sich z. B. die thierischen Theile, auf die der Strom einwirken soll, befinden mögen, so geht, wenn der Schlüssel geöffnet ist, der volle Strom der Kette durch die letzteren; ist aber der Schlüs- sel (wie in der Fig.) geschlossen, so bildet das Mes- singstück d eine Nebenschliessung von verschwindend kleinem Widerstand, so dass durch den andern Zweig kein Strom gehen kann. 319 Widerstands- messungen. Lei- tungswiderstand der thierischen Gewebe. Um die Widerstände, welche die ver- schiedenen Leiter der Elektricität dem Strome entgegensetzen, mit einander vergleichen zu können, müssen dieselben auf eine bestimmte Einheit des Widerstandes zurückgeführt wer- den. Man bedient sich hierzu gewöhnlich eines relativen Maasses , indem man den Widerstand eines bestimmten Körpers von der Einheit der Länge und des Querschnitts als Widerstands- einheit annimmt. So wurde von Jacobi das Kupfer, von Mat- thiessen eine Legirung von 2 Gewichtstheilen Silber und 1 Gewichts- theil Gold, von Wiedemann das Silber, jedes der angegebenen Me- talle in Gestalt eines cylindrischen Drahtes von 1 Meter Länge und 1 Millim. Durchmesser, als Widerstandseinheit vorgeschlagen; der Sil- ber- und der Silbergolddraht haben wegen der grösseren Reinheit dieser Metalle vor dem Jacobi ’schen Maass den Vorzug, dass sie constanter sind. Ein absolutes Maass des Widerstandes werden wir im 7. Cap. (§. 338) kennen lernen. Ein sehr bedeutender Unterschied besteht zwischen dem Widerstand derjenigen Leiter, welche, wie die Metalle, den Strom leiten, ohne dass sie chemisch verändert werden (den Leitern erster Classe), und jener Leiter, welche dabei eine chemische Zersetzung erfahren (den Leitern zweiter Classe). So beträgt z. B. die Leitungsfähigkeit einer gesättigten Kupfervitriollösung ungefähr 1/2546680 der Leitungsfähigkeit des Platins. Mit sinkender Concentration nimmt aber die Leitungs- fähigkeit der Lösungen noch beträchtlich mehr ab, und sie beträgt für reines Wasser nur etwa 1/400 der für die Kupferlösung angegebenen Zahl. Die Metalle bilden nach ihrer Leitungsfähigkeit für galvanische Bewegung der Elektricität. Ströme und Thermoströme nahehin die nämliche Reihe wie nach ihrer Leitungsfähigkeit für Reibungselektricität, dasselbe gilt, wie Wiede- mann und Franz gefunden haben, hinsichtlich ihrer Leitungsfähigkeit für Wärme. Mit wachsender Temperatur nimmt die Leitungsfähigkeit der Metalle, und zwar ziemlich proportional der Temperaturerhöhung, ab. Auch hier verhalten sich die Leiter zweiter Classe abweichend, indem deren Leitungsfähigkeit mit steigender Temperatur zuzunehmen pflegt. Wir geben hier eine kurze Tabelle über die Leitungsfähigkeit der wichtigeren Metalle bei 0° nach den Versuchen von Matthiessen ; die Leitungsfähigkeit des Silbers ist = 100 gesetzt. Silber 100 Eisen 14,44 Kupfer 77,43 Zinn 11,45 Gold 55,91 Platin 10,53 Natrium 37,43 Blei 7,77 Aluminium 33,76 Quecksilber 1,63 Zink 27,39 Wismuth 1,19 Kalium 20,84 Neusilber 7,67 Kohle 0,038 Die Leitungsfähigkeit der feuchten thierischen Gewebe ist wesentlich von der Leitungsfähigkeit der sie durchtränkenden Flüs- sigkeiten abhängig, denn die getrockneten Gewebe leiten den Strom fast gar nicht; von dem verschiedenen Flüssigkeitsgehalt sind daher wohl auch die Differenzen der Leitungsfähigkeit bedingt, die man hier beobachtet hat. Nach den Versuchen von Ed. Weber leiten die thie- rischen Theile etwa 10—20mal besser als destillirtes Wasser, d. h. etwa 50 Millionen mal schlechter als Kupfer. Darnach würde der Widerstand der feuchten Gewebe immer noch ungefähr doppelt so gross sein als derjenige einer 1 procentigen Kochsalzlösung, die nach den Versuchen von W. Schmidt etwa 20 Mill. mal schlechter als Kupfer leitet. Eckhard hat versucht, die Widerstände der Nerven, Sehnen und Muskeln mit einander zu vergleichen. Er fand, dass sich der Widerstand der Muskelsubstanz zu derjenigen des Nerven- oder Sehnengewebes etwa wie 1 : 1, 8—2, 5 verhält. Nerv und Sehne zei- gen dagegen denselben Leitungswiderstand. Natürlich sind bei allen diesen Versuchen mehrfache Fehlerquellen nicht zu vermeiden, daher die Resultate nur als höchst approximative gelten können Um den Widerstand irgend eines Körpers in der gewählten Einheit ausdrücken zu können, bedarf es vor allem einer Graduirung des angewandten Rheostaten. Diese geschieht in folgender Weise. Der Draht, den man zur Einheit des Leitungswider- standes gewählt hat, wird um eine Glasröhre gewunden und in einem Kasten durch Eiswasser auf 0° erhalten. Durch ein Quecksilbernäpfchen ist der Normaldraht mit einem Rheochord, und dieser ist mit dem einen Pol der constanten Kette verbunden, der Wundt , medicin. Physik. 31 Von der Elektricität. andere Pol der letzteren geht zu einem Galvanometer, von welchem aus der Strom wieder zu dem Normaldraht zurückgeht. Man stellt zunächst den Rheochord auf null und beobachtet die beim Schliessen des Stroms entstehende Ablenkung der Mag- netnadel. Hierauf macht man mittelst eines dicken und kurzen Drahtes, dessen Wi- derstand gegen die übrigen Widerstände im Stromeskreis verschwindet, eine Neben- schliessung zu dem Normaldraht und schaltet von der Drahtlänge des Rheochords so viel ein, dass die Ablenkung der Magnetnadel wieder dieselbe ist wie vorhin. Dann ist die eingeschaltete Rheostatlänge gleich der Widerstandseinheit. Hat man keinen Normaldraht zur Verfügung, so bleibt nichts übrig als die zu messenden Widerstände unmittelbar in den Längen des Rheostatendrahts auszudrücken, indem man z. B. beim du Bois ’schen Rheochord die Länge der Platindrähte a und b (Fig. 219) als Einheit nimmt, wobei aber natürlich Länge und Durchmesser dieser Drähte zu bestimmen sind, um die Angaben mit Hülfe der oben für die verschiedenen Metalle aufgestellten Tabelle vergleichbar zu machen. Ist so auf irgend eine Weise eine Einheit festge- stellt, dann lässt sich der Widerstand eines Körpers nach einer der folgenden Metho- den ermitteln: 1) Man schaltet an der Stelle des Normaldrahtes den zu untersuchenden Kör- per ein und verfährt sonst ebenso wie oben. Der Widerstand des Körpers ist dann gleich dem Widerstand des zur Erlangung derselben Stromintensität erforderlichen Länge des Rheostatendrahtes. 2) Man nimmt die Gesetze der Stromverzweigung zu Hülfe. Nach §. 315 ist in Fig. 215 der Strom in der Brücke b d = o wenn ist. Man bringt nun nach a d den Körper, dessen Widerstand w 1 bestimmt werden soll, nach d c einen Normal- draht, dessen Widerstand w 2 bekannt ist. In die Brücke b d wird das Galvanometer eingeschaltet, in a c befindet sich ein Rheochord, der bei b in eine obere und untere Hälfte getheilt ist, die obere Hälfte steht bei a mit dem zu untersuchenden Körper, die untere bei c mit dem Normaldraht in Verbindung, der Punkt b aber ist beweglich (indem hier die Leitung mit dem verschiebbaren Quecksilbergefäss des Rheochords in Verbindung gebracht ist), so dass das Verhältniss beliebig variirt werden kann. Sucht man nun diejenige Stellung von b auf, bei welcher die Magnetnadel des Gal- vanometers gar keine Ablenkung zeigt, so ist , aus welcher Gleichung unmittelbar w 1 bestimmt werden kann. 320 Messungen der elektromotori- schen Kraft. Wie man den Leitungswiderstand der Körper in der Regel nach dem Widerstand eines beliebig gewählten Leiters bemisst, so pflegt man auch für die elektromotorischen Kräfte ein relatives Maass durch Vergleichung mit der elektromotorischen Kraft irgend einer constanten gal- vanischen Combination, z. B. eines Daniell ’schen oder Grove ’schen Elementes, aufzustellen. Die so bestimmte elektromotorische Kraft steht aber mit den für die übrigen Factoren des Ohm ’schen Gesetzes, die Intensität und den Widerstand, angenommenen Einheiten in keiner Beziehung. Um der elektromotorischen Kraft diese Beziehung zu ge- ben, nimmt man daher auch häufig diejenige elektromotorische Kraft als Einheit an, welche in einem Stromeskreis, dessen Widerstand der Einheit gleich ist, einen Strom erzeugt, welcher, in gleicher Stärke Bewegung der Elektricität. durch ein Voltameter geführt, dort in einer Minute 1 Cub.-Cm. Knall- gas erzeugen würde. In dieser Einheit lässt sich die elektromotori- sche Kraft, sobald man Stromstärke und Widerstand kennt, unmittel- bar mittelst der Formel auffinden. Setzt man die elektromotorische Kraft eines Daniell’schen Ele- mentes = 1, so ist diejenige des Grove ’schen und Bunsen ’schen etwa = 1,7. Uebrigens wechseln diese Verhältnisse etwas mit der Concentration der Flüssigkeiten. Die elektromotorische Kraft des Daniell ’schen Elementes ist aber, wenn wir für die Stromintensität die oben angeführte Einheit setzen und als Einheit des Widerstandes 1 Meter Kupferdraht von 1 Millim. Durchmesser annehmen, = 470. Als elektromotorische Kräfte der in §. 300 angeführten Gassäulen findet man, ebenfalls in den zuletzt angegebenen Einheiten, folgende: Für die Thermoströme ergeben sich, wenn man die thermo- elektrische Differenz zwischen Zink und Kupfer = 1 setzt, nach Wie- demann folgende elektromotorische Kräfte: Eisen | Silber 29,12 Eisen | Zinn 35,20 „ | Zink 29,44 „ | Neusilber 61,36 „ | Kupfer 30,44 „ | Messing 86,32 Die elektromotorischen Kräfte zwischen den einzelnen Metallen der zweiten Reihe können mit Hülfe des Gesetzes der Spannungsreihe gefunden werden. So findet man z. B. Zn | Cu = Fe | Cu — Fe | Zn = 1,0. Die thermoelektromotorischen Kräfte wachsen proportional der Temperaturdifferenz der Löthstellen. Nehmen also die letzteren im Verhältniss von 10°, 20°, 30° . . . . zu, so stehen die elektromo- torischen Kräfte im Verhältniss von 1 : 2 : 3 u. s. w. Man muss da- her, um die thermoelektromotorischen Kräfte mit den elektromotori- schen Kräften galvanischer Combinationen vergleichen zu können, an- geben, für welche Temperaturdifferenz die ersteren bestimmt sind. So fand Wild die elektromotorische Kraft einer Kupferneusilberkette für eine Temperaturdifferenz von 100°C. = 0,001108 Daniell . Hinsichtlich der elektromotorischen Kräfte der in dem ab- leitenden Bogen kreisenden thierisch-elektrischen Ströme liegen bis jetzt nur Bestimmungen beim Muskel vor. Die elektromotorische Kraft eines Gastrocnemius vom Frosche fand ich schwankend zwischen 0,0123 und 0,0262 Daniell ; am Adductor magnus betrug dieselbe nur 0,0086—0,0064. Die elektromotorische Kraft sinkt beträchtlich wäh- rend des Actes der Zusammenziehung. 31 * Von der Elektricität. Alle Methoden zur Bestimmung elektromotorischer Kräfte bestehen darin, dass man letztere mit einer elektromotorischen Kraft von bekannter Stärke vergleicht. Die zuverlässigste, und namentlich auch zur Bestimmung schwacher und inconstanter elek- tromotorischer Kräfte geeignete, ist die von Poggendorff angegebene Methode der Compensation . Bei E 2 (Fig. 221) befindet sich der Elektromotor, dessen elektro- Fig. 221. motorische Kraft bestimmt werden soll. Man ver- bindet den einen der von ihm ausgehenden Lei- tungsdrähte mit dem Galvanometer G, den andern mit dem Rheochord a b; der zweite Draht des Gal- vanometers wird bei c mit der verschiebbaren Schliessung des Rheochords verbunden. Bei E 1 be- findet sich eine constante galvanische Combination von bekannter Stärke, z. B. ein Daniell ’sches Element, dessen Pole mit den Enden a und b des Rheochords verbunden sind. Dem von E 1 aus- gehenden Strom wird eine dem Strom des Elektro- motors E 2 entgegengesetzte Richtung gegeben; man schaltet daher zweckmässig in den Kreis a E 1 b einen Stromwender ein. Durch Verschieben der Schliessung c werden dann die beiden entge- gengesetzt kreisenden Stromzweige im Kreise a E 2 G c a auf gleiche Stärke gebracht, was man daran erkennt, dass die Magnetnadel des Galvano- meters G auf dem Nullpunkt verbleibt. Die elek- tromotorische Kraft E 2 ergibt sich so aus den in §. 315 erörterten Gesetzen der Stromverzweigung. Bezeichnen wir den Widerstand des Theils a E 1 b der Leitung mit w 1 , den Widerstand von a E 2 G c mit w 2 , ferner den Widerstand des Theils a c der Rheostatenlänge mit w 3 , denjenigen des Theils c b mit w 4 , so würde, wenn wir voraussetzten, es sei bloss der Strom E 1 vorhanden, die Intensität i 1 im Kreise a E 2 G c a nach Gl. 4 §. 315 Wäre bloss der von E 2 herrührende Strom vorhanden, so würde die Intensität i 2 im selben Zweig der Leitung nach Gl. 3 ebend. sein: Das negative Vorzeichen ist hier zu wählen, weil dieser Strom dem vorigen ent- gegengesetzt gerichtet ist. Nun muss aber, wenn die Wirkungen beider Ströme auf das Galvanometer sich aufheben sollen, i 1 = i 2 sein. Hieraus folgt E 1 w 3 = E 2 (w 3 + w 4 + w 1 ), Nach dieser Methode kann man also die elektromotorische Kraft E 2 bestimmen, ohne dass man den Widerstand w 2 zu kennen braucht. Die Widerstände w 3 und w 4 liest man unmittelbar an dem Rheostaten ab. Kann man nun annehmen, dass w 1 in den verschiedenen Versuchen constant bleibe, so lassen sich dann ohne weiteres für die elektromotorischen Kräfte verschiedener Elektromotoren vergleichbare Werthe ge- winnen. Bei genauen Versuchen muss dagegen darauf Rücksicht genommen werden, dass w 1 nicht vollkommen constant ist, weil der wesentliche Widerstand der Da- Wirkungen des elektrischen Stroms. niell ’schen Kette nie ganz unverändert bleibt; um vollkommen vergleichbare Zahlen zu erhalten, muss daher w 1 durch einen besonderen Versuch in Einheiten der Rheo- statenlänge bestimmt werden. Die Methode der Compensation hat den Vortheil, dass mit ihr auch sehr schwa- che und inconstante elektromotorische Kräfte, wie z. B. die an den Berührungsstellen des abgezweigten Stromes vorhandenen elektromotorischen Kräfte der Muskeln, ge- messen werden können, natürlich geben die letzteren, wie wir früher (in §. 316) her- vorhoben, über die Grösse der elektromotorischen Kräfte im Innern des Muskels kei- nen Aufschluss. Für die thierisch-elektrischen Versuche hat du Bois-Reymond einen besonderen Compensator nach dem oben erläuterten Princip construirt. Viertes Capitel . Wirkungen des elektrischen Stromes. Der Entladungsstrom ist mit Licht- und Wärmeeffecten, sowie 321 Wirkungen des Entladungs- stroms. mit mechanischen Wirkungen verbunden. Je nach den Metallen, zwi- schen welchen er überspringt, ist der elektrische Funke verschieden gefärbt, und das Spektrum desselben stimmt, wie Kirchhoff gezeigt hat, mit dem Spektrum des betreffenden Metalldampfes überein. (S. §. 170). Durch seine Wärmeentwicklung kann der Entladungs- schlag leicht brennbare Körper entzünden. In grossartigem Maass- stabe zeigt uns der Blitz diese Wirkungen. Verbindet man die mit entgegengesetzten Elektricitäten geladenen Conductoren durch einen metallischen Schliessungsbogen, so erwärmt sich der letztere und schmilzt, wenn die elektrische Spannung sehr gross ist, unter Glüher- scheinungen. Nach den Versuchen von Riess ist die Temperaturer- höhung des Schliessungsbogens dem Quadrat der in der Batterie ent- haltenen Elektricitätsmenge direct und der Oberfläche der Batterie um- gekehrt proportional. Vergleicht man verschiedene Schliessungsdrähte, so steht die Erwärmung im directen Verhältniss zur Grösse des Quer- schnitts, im umgekehrten zur Länge, und ist ausserdem abhängig von einer das Leitungsvermögen des betreffenden Metalls angebenden Constanten. Die mechanischen Wirkungen des Entladungsstroms machen sich zunächst an der den Conductor umgebenden Luft bemerklich. Lässt man den Conductor in eine Spitze enden, so ist das Ausströmen der Elektricität mit einem fortwährenden Luftstrom verbunden, indem die Lufttheilchen, welche die Elektricität der Spitze angenommen haben, abgestossen werden. Bei der plötzlichen Entladung wird die Luft heftig erschüttert und erzeugt dadurch einen mehr oder weniger inten- siven Schall. Leichte Körper werden durch diese Erschütterung zur Seite geworfen. Feste Isolatoren werden, wenn sie in den Schlies- sungsbogen gebracht sind, durchbohrt oder zertrümmert. Ist die elek- trische Spannung so gross, dass der Schliessungsbogen zum Schmelzen Von der Elektricität. kommt, so werden die geschmolzenen und glühenden Theilchen mit grosser Gewalt umhergeschleudert. 322 Wärmeentwick- lung durch den galvanischen Strom. Die Wärmeentwicklung im Schliessungsbogen des galvanischen Stromes folgt einem ähnlichen Gesetze, wie wir es oben für den Schliessungsbogen des Entladungsstromes aufgestellt haben. Sie ist nämlich, nach den Versuchen von Joule , dem Widerstand der Strom- leitung und dem Quadrat der Stromstärke direct proportional, so dass, wenn wir mit c die in der Zeiteinheit in einem Draht, dessen Wider- stand = 1 ist, durch die Stromstärke 1 entwickelte Wärmemenge bezeichnen, die in einem Schliessungskreis von dem Widerstande W in der Zeit t durch eine Stromstärke J erzeugte Wärmemenge C ausgedrückt wird durch die Gleichung 1) C = c. J 2 W. t. Da nach dem Ohm ’schen Gesetz ist, so kann man auch setzen 2) C = c. E. J. t, d. h. die Wärmeentwicklung in einer gegebenen Zeit ist proportional dem Product der elektromotorischen Kraft in die Stromstärke. An dem metallischen Schliessungsdraht einer constanten Kette lässt sich das obige Gesetz leicht nachweisen, wenn man den Schlies- sungsdraht durch ein mit einer schlecht leitenden Flüssigkeit (destil- lirtem Wasser, Alkohol) gefülltes Gefäss führt und, mit Berücksichti- gung der erforderlichen Cautelen, die Temperaturerhöhung dieser Flüssigkeit mit dem Thermometer bestimmt. Der Widerstand eines solchen Drahtes ist, wenn wir mit l und q Länge und Querschnitt und mit k das specifische Leitungsvermögen bezeichnen, nach §. 313 = . Die Gleichung 1 geht daher nun in folgende über: 3) . Ist ein Leiter zweiter Klasse in den Strom eingeschaltet, so folgt dessen Erwärmung demselben Gesetze. Im Allgemeinen wird also, weil hier das Leitungsvermögen k kleiner ist, die Erwärmung eine beträchtlichere sein. Doch kommt dabei in Betracht, dass leicht die zugleich eintretende chemische Zersetzung die durch den Strom her- vorgerufene Wärmeentwicklung wieder aufhebt. Leiten wir z. B. den Strom durch Wasser, so wird bei der eintretenden Bildung gasförmi- gen Wasserstoffs und Sauerstoffs eine Wärmemenge latent, die wir von der durch den Strom erzeugten Wärme abziehen müssen, um die wirklich frei werdende Wärme zu erhalten. Sind dagegen die in der Flüssigkeit eintretenden Zersetzungen so beschaffen, dass die von ihnen abhängigen Wärmewirkungen sich wieder aufheben, so Wirkungen des elektrischen Stroms. greift unmittelbar das oben aufgestellte Gesetz Platz. Dies ist z. B. der Fall, wenn man als flüssigen Leiter die Lösung eines Metallsalzes und als Elektrode dasselbe Metall anwendet, wenn man also z. B. Kupferelektroden in Kupfervitriol-, Zinkelektroden in Zinkvitriollösung eintauchen lässt. Dann wird von derjenigen Elektrode, an welcher der positive Strom in die Flüssigkeit eintritt, ebenso viel Metall auf- gelöst, als an der Elektrode, an welcher der Strom die Flüssigkeit verlässt, wieder ausgeschieden wird. Beide Wirkungen heben also sich auf. Bei den in §. 309 beschriebenen constanten galvanischen Ketten muss, da hier die Stromstärke und ebenso die chemische Zersetzung der Flüssigkeiten des Elementes gleichmässig andauert, das Joule ’- sche Gesetz für die Erwärmung sowohl innerhalb der Zelle wie in dem äussern Schliessungskreis gültig sein. Bezeichnen wir also, wie früher, den wesentlichen Widerstand durch W und den ausserwesent- lichen durch w, so ist die innerhalb der Flüssigkeiten des Elementes in der Zeit t entwickelte Wärmemenge = c. W. J 2 . t, und die ausser- halb entwickelte = c. w. J 2 . t, also die gesammte Wärmemenge = c (W + w) J 2 . t. Für verzweigte Leitungen hat man einfach die Intensität J in jedem Theil der Leitung zu bestimmen, um hieraus die Erwärmung desselben in der nämlichen Weise zu finden. Die Lichterscheinungen im galvanischen Schliessungskreis be- 323 Lichterschei- nungen im Schliessungsbo- gen und bei der Oeffnung der Kette. stehen theils in einem dauernden Glühen des die Pole verbindenden Drahtes, theils in Funken oder Lichtbogen, welche zwischen solchen Stellen des Schliessungskreises überspringen, die plötzlich von einan- der getrennt werden. Ein dauerndes Glühen des Schliessungsdrahtes tritt nur bei sehr bedeutenden Stromstärken auf; es ist lediglich die Folge einer sehr gesteigerten Wärmeentwicklung. Wir haben im vorigen Abschnitt (Cap. 4) gesehen, dass alle Körper bei einer und derselben Tempe- ratur zu glühen anfangen. Sobald daher in dem Schliessungsdraht einer galvanischen Kette zwischen Wärmeentwicklung und Wärmeaus- strahlung ein solches Verhältniss eingetreten ist, dass jene feste Tem- peraturgrenze erreicht wird, so fängt der Draht zuerst in rothem Lichte zu glühen an. Nach den Versuchen von Müller ist bei gleicher Stromstärke der Eintritt des Glühens von der Länge des Drahtes un- abhängig; und damit zwei Drähte von verschiedenem Durchmesser gleiche Lichtmengen ausstrahlen, müssen sich nach Zöllner die Stromstärken wie die Durchmesser der Drähte verhalten. Schon bei sehr mässigen Stromstärken springt, wenn man den Schliessungsdraht eines galvanischen Stromes irgendwo öffnet, ein Funke über. Dieser Oeffnungsfunke ist eine von dem Funken des Entladungsstromes durchaus abweichende Erscheinung. Dies geht so- Von der Elektricität. wohl daraus hervor, dass nur bei der Oeffnung, nicht bei der Schlies- sung des Kreises ein Funke überspringt, als auch daraus, dass dieses Ueberspringen unabhängig ist von der Stelle, wo man den Kreis öff- net, während doch die Spannung der freien Elektricität mit der Ent- fernung von den Polen schnell abnimmt und in der Mitte des Schlies- sungsbogens null wird. Man muss daher den Oeffnungsfunken als eine Glüherscheinung betrachten. Wird nämlich ein metallischer Schliessungsbogen irgendwo unterbrochen, so vermindert sich zunächst an der Berührungsstelle sehr schnell der Querschnitt der Leitung bis zu verschwindender Dicke: seine Erwärmung steigt daher rasch bis zur Glühhitze. Auch hier ist die Farbe des Funkens von der Beschaf- fenheit des Metalls abhängig; sein Licht ist am intensivsten bei der Oeffnung in Quecksilber. Eine dem Oeffnungsfunken verwandte Erscheinung ist der Davy ’- sche Lichtbogen. Man erhält denselben, wenn man eine ziemlich kräftige Batterie, von mindestens 12 Bunsen ’schen oder Grove ’schen Elementen, zuerst schliesst, dann öffnet und die getrennten Theile in einer sehr kleinen Entfernung von einander festhält. Es erscheint dann zwischen den ge- trennten Enden des Schliessungsdrahtes ein äusserst glänzender Licht- bogen. Die Spannweite dieses Bogens ist theils von der Stärke der Batterie, theils von der Beschaffenheit der sich gegenüberstehenden Enden ab- hängig. Am längsten und glänzendsten wird der Lichtbogen, wenn er zwischen Kohlenspitzen überspringt. Bei Anwendung von 600 Bunsen ’schen Elementen erhielt Despretz einen Lichtbogen von über 16 Cent. Länge. Im luftleeren Raume ist die Spannweite des Bogens beträchtlich grösser als in der Luft. Hieraus geht hervor, dass derselbe nicht etwa als eine Verbrennungserscheinung aufgefasst werden darf. Dagegen zeigt die Beobachtung, dass die Elektroden, zwischen welchen der Funke überspringt, sich verflüchtigen, indem so- wohl von der positiven zur negativen als von der negativen zur posi- tiven Elektrode kleine Substanztheilchen übergeführt werden. Diese Ueberführung geschieht jedoch bei weitem reichlicher von der positiven zur negativen Elektrode als in umgekehrter Richtung, so dass die po- sitive Elektrode immer an Gewicht abnimmt, während die negative zuweilen an Gewicht zunimmt. Durch diesen ungleichen Transport der Theilchen wird auch die Gestalt der Elektroden in verschiedener Weise verändert. Nimmt man z. B. Kohlenspitzen, so wird die posi- tive Spitze kraterförmig ausgehöhlt, während die negative ihre spitze Gestalt beibehält. Die Temperatur innerhalb des Lichtbogens ist, wie schon die Verflüchtigung der Elektroden beweist, eine sehr hohe. Die am schwersten schmelzbaren Körper sind mit Hülfe einer Bunsen ’schen Batterie von einigen hundert Elementen verflüchtigt worden. Die Temperatur der positiven Elektrode ist übrigens höher als diejenige Wirkungen des elektrischen Stroms. der negativen. Man erkennt dies daran, dass die erstere schon zu glühen anfängt, während die letztere noch dunkel ist. Die Entstehung des Lichtbogens hängt offenbar mit dem Oeff- nungsfunken innig zusammen. Indem man die sich berührenden Spitzen von einander trennt, entsteht ein Oeffnungsfunke: durch den letzteren werden von der einen Elektrode zur andern Substanztheil- chen übergeführt, welche eine Leitung von sehr kleinem Querschnitt bilden, die wegen ihres grossen Widerstandes in’s Glühen geräth. Die so hergestellte Kette bleibt dann durch die Theilchen, welche fort- während losgerissen werden, geschlossen. Die Leiter erster Classe erfahren ausser den angeführten Wärme- 324 Chemische Wir- kungen des Stroms. Elek- trolyse. und Lichtwirkungen keine Veränderung, so lange der elektrische Strom durch dieselben fliesst. Dagegen ist in den Leitern zweiter Classe die Bewegung des Stroms stets mit chemischen Zersetzungen verbunden. Solche Zersetzungen treten bei den schwächsten Strömen schon ein, und Flüssigkeiten, die nicht durch den Strom zersetzt wer- den, leiten auch den Strom nicht. Wir müssen also die chemische Action bei den Leitern zweiter Classe als eine mit der Leitung nothwendig verknüpfte Erscheinung betrachten. Zur leichteren Orientirung in die- sem Gebiete chemischer Wirkungen hat Faraday folgende Nomen- clatur eingeführt. Die in die leitenden Flüssigkeiten tauchenden Pole der Kette bezeichnet er als Elektroden . Den ganzen Vorgang der chemischen Zersetzung durch den Strom nennt er Elektrolyse , die Körper, welche zersetzt werden, Elektrolyte , und die Substanzen, welche an den Elektroden ausgeschieden werden, Ionen . Von den Elektroden wird die positive als Anode , die negative als Kathode bezeichnet. Die elektropositiven Zersetzungsproducte werden Anio- nen , die elektronegativen Kationen genannt. Nach dem allgemeinen elektrischen Anziehungsgesetz werden an der Anode die Kationen und an der Kathode die Anionen ausgeschieden. Ein Beispiel chemischer Zersetzung durch den elektrischen Strom haben wir in der Zersetzung des Wassers im Voltameter bereits ken- nen gelernt. An der Anode entwickelt sich Sauerstoff, an der Ka- thode Wasserstoff. Im Voltameter werden diese beiden Gase ge- mischt, als s. g. Knallgas, aufgesammelt. Richten wir aber den Ver- such so ein, dass wir beide Elektroden in etwas grössere Entfernung von einander bringen und über jede ein Eudiometer stürzen, so lassen sich die Gase getrennt auffangen, und man findet dann, dass 2 Vol. Wasserstoff auf 1 Vol. Sauerstoff ausgeschieden werden; im selben Verhältniss sind aber beide Gase im Wasser enthalten. Eine andere Art elektrolytischer Zersetzung haben wir bei Gelegenheit der con- stanten Ketten kennen gelernt. Wir sahen dort, dass, wenn wir z. B. Kupferelektroden in eine Kupferlösung tauchen, an der Anode Kupfer Von der Elektricität. gelöst wird, während sich an der Kathode eine ebenso grosse Ge- wichtsmenge Kupfer ausscheidet. Taucht an Stelle der Kathode eine Silber- oder irgend eine andere Metallplatte in die Kupferlösung, so überzieht sich dieselbe mit der gleichen Menge Kupfer. Haben wir nun ein zusammengesetztes Element, indem etwa eine Zinkplatte in verdünnte Schwefelsäure und eine Kupferplatte in Kupferlösung taucht, so wird, wenn man beide Platten durch einen Schliessungsdrabt ver- bindet, die Zinkplatte zur Anode und die Kupferplatte zur Kathode, es geht also innerhalb der Flüssigkeit ein Strom vom Kupfer zum Zink. In Folge dessen wird an der Zinkelektrode Zink aufgelöst und an der Kupferelektrode Kupfer angesetzt. Man findet aber, dass dies nicht mehr in gleichen, sondern in äquivalenten Gewichtsver- hältnissen geschieht, dass also für je 1 Aeq. Zink, das an der Anode ausgeschieden wird, 1 Aeq. Kupfer an der Kathode sich ansetzt. Wenn man auf diese Weise verschiedene Substanzen immer bei gleicher Stromstärke prüft, so findet man, dass dieses Gesetz eine allgemeine Gültigkeit hat: alle binären Verbindungen werden bei glei- cher Stromstärke nach äquivalenten Mengen zersetzt. Man bezeichnet dieses Gesetz nach Faraday als das Gesetz der fe- sten elektrolytischen Action . Wir haben in §. 310 die im Vol- tameter eintretende Wasserzersetzung als Maass der Stromstärke auf- gestellt. Aus dem Faraday ’schen Gesetze erhellt somit, dass wir auch jede andere in einem Leiter zweiter Classe bewirkte Zersetzung zum Maass der Stromstärke nehmen können. Lassen wir z. B. den Strom durch einen mit Kupferlösung gefüllten Trog gehen, in welchen Kupferelektroden eintauchen, so ist die Stromstärke proportional der Gewichtszunahme der Kathode oder der Gewichtsabnahme der Anode. In einem Daniell ’schen Element ist die Stromstärke proportional der verbrauchten Zinkmenge oder der aus der Kupfervitriollösung ausge- schiedenen Kupfermenge. Um die Gesammtheit der bei der Elektrolyse eintretenden Vor- gänge übersehen zu können, müssen wir 1) die Veränderungen der durchströmten Flüssigkeiten und 2) die Veränderungen der in die Flüssigkeiten eintauchenden Elektroden in’s Auge fassen. Die elek- trolytische Zersetzung kann sich auf die Flüssigkeit beschränken; so z. B. im Voltameter, wo die Platinplatten völlig unverändert bleiben. In den meisten Fällen ist aber die Zersetzung der Flüssigkeit von einer Veränderung der Elektroden begleitet: letztere ist jedoch stets eine secundäre, entweder dadurch bedingt, dass einer der ausgeschie- denen Stoffe lösend auf die Elektrode wirkt, oder dadurch, dass ein ausgeschiedener Stoff auf der Elektrode sich absetzt. Alle Verbin- dungen, die analog dem Wasser zusammengesetzt sind, werden auch ähnlich demselben durch den elektrischen Strom zerlegt. Am näch- sten in ihrer Zusammensetzung sind dem Wasser die Metalloxyde und Wirkungen des elektrischen Stroms. die s. g. Haloidsalze verwandt. Die ersteren werden so zerlegt, dass sich das Metall an der Kathode, der Sauerstoff an der Anode aus- scheidet. Ebenso wird bei den Haloidsalzen an der Kathode das Me- tall, an der Anode das Haloidradical (Chlor, Brom, Jod) frei. Bei der Zerlegung der Wasserstoffsäuren dieser Radicale tritt der Wasserstoff an der Kathode auf. Lässt man den Strom durch concentrirte Lösun- gen der Haloidsalze und löslichen Oxyde gehen, so wird nur die ge- löste Substanz, nicht aber das Lösungsmittel zersetzt. Erst in ver- dünnten Lösungen erfährt auch das Wasser eine Zerlegung, die dann neben der Zerlegung der gelösten Substanz einhergeht. Man bezeich- net diese Zersetzung des Lösungsmittels als secundäre Elektro- lyse . Durch dieselbe werden die chemischen Vorgänge in der Regel verwickelter, weil der Sauerstoff im Moment seiner Entstehung ein Oxydationsmittel, der Wasserstoff dagegen ein Reductionsmittel ist: es werden daher in diesen Fällen leicht die Anionen oxydirt und die Kationen reducirt. Andere Zersetzungen können dadurch eintreten, dass die ausgeschiedenen Stoffe unmittelbar zerlegend auf das Was- ser einwirken. Dies ist z. B. mit den Metallen der leichtlöslichen Oxyde und Haloidsalze in der Regel der Fall. Das an der negativen Elektrode ausgeschiedene Metall (z. B. Kalium, Natrium) oxydirt sich dann im Moment seiner Ausscheidung, indem es den Sauerstoff des Wassers aufnimmt und den Wasserstoff desselben frei macht. Die Verbindungen der Metalloxyde mit Säuren, also die schwefel- sauren, salpetersauren, chlorsauren Salze u. s. w., zerfallen durch den Strom in der Weise, dass das Metall an der Kathode, die Säure plus dem Sauerstoff aber an der Anode frei wird. Eine Lösung von schwe- felsaurem Kali, KO.SO 3 , zerfällt also durch den Strom in SO 3 + O, was sich an der Anode abscheidet, und in K, was an der Kathode niederfällt. Letzteres zerlegt aber alsbald das Wasser. Man erhält daher an der Anode Schwefelsäure und Sauerstoff, an der Kathode Natron und Wasserstoff. Man kann, um diesen Zersetzungsprocess mit der Zerlegung der einfach binären Verbindungen in Analogie zu bringen, annehmen, die schwefelsauren Salze seien nach dem Schema M + SO 4 , die salpetersauren M + NO 6 zusammengesetzt u. s. w., wo M das Metall bedeutet. Man kann dann allgemein das Gesetz aussprechen: alle binär zusammengesetzten Stoffe, welche aus je ei- nem Aequivalent verschiedener Radicale zusammengesetzt sind, zer- fallen bei der Elektrolyse in diese Radicale. Dabei wird stets an der Anode derjenige Bestandtheil ausgeschieden, welcher dieselbe Stelle wie in dem Typus H O der Sauerstoff einnimmt, an der Kathode da- gegen derjenige Bestandtheil, welcher dem Wasserstoff entspricht. In allen binären Verbindungen correspondiren aber dem Wasser- stoff die Metalle, und dem Sauerstoff die Haloidradicale und die Typen SO 4 , NO 6 u. s. w. Von der Elektricität. Die ausgeschiedenen Ionen können nun theils auf die Elektro- den, theils auf den Elektrolyten selbst wirken und dadurch secundäre Zersetzungen hervorrufen. Die häufigste dieser Zersetzungen besteht darin, dass der an der Anode frei gewordene Sauerstoff dieselbe, falls sie aus einem oxydirbaren Metall besteht, oxydirt, worauf sich das Oxyd in der frei gewordenen Säure auflöst. Ist z. B. der Elek- trolyt ein schwefelsaures Salz, so löst sich die Anode, wenn sie aus Kupfer, Zink u. dgl. besteht, in demselben als Kupfervitriol, Zink- vitriol u. s. w. auf. Denn jedes an der Anode frei werdende Aequi- valent SO 4 verbindet sich mit 1 Aeq. Kupfer oder Zink zu CuO.SO 3 oder ZnO.SO 3 , u. s. w. Man wendet daher oxydirbare Anoden theils an, um die Zusammensetzung des Elektrolyten constant zu erhalten; dies geschieht, wenn man die Elektrode aus demselben Metall nimmt, welches der Elektrolyt enthält. Theils gebraucht man dieselben, um die Ausscheidung gasförmigen Sauerstoffs zu verhüten. Auf die se- cundären Zersetzungen, welche die Ionen in dem Elektrolyten selber bewirken, haben wir schon aufmerksam gemacht. Neben der häufig- sten derselben, der oben berührten Zersetzung des Wassers durch ausgeschiedenes Metall, gibt es noch mannichfache andere. So ver- wandelt bei der Elektrolyse von Zinnchlorür das an der Anode frei werdende Chlor die Lösung in Zinnchlorid, welches dampfförmig ent- weicht; bei der Elektrolyse von Kupferchlorid entsteht an der Ka- thode, durch Verbindung des Kupferchlorids mit dem ausgeschiedenen Kupfer, Kupferchlorür, u. s. w. Bemerkenswerth sind die secundären chemischen Processe, welche im Voltameter entstehen, wenn man das Wasser desselben allzu stark ansäuert. Dieselben geben sich zunächst daran zu erkennen, dass die Menge des ausgeschiedenen Sauerstoffs beträcht- lich abnimmt, indem sich der Sauerstoff zum Theil in Ozon verwandelt, welches letz- tere nur einen verschwindenden Raum einnimmt, und ausserdem noch Wasserstoffsu- peroxyd an der positiven Elektrode auftritt. Die Thatsache, dass in concentrirten Lösungen nur der gelöste Körper, nicht aber das Wasser zersetzt wird, erklärt sich am einfachsten, wenn man annimmt, der Strom theile sich zwischen den Bestandtheilen des Elektrolyten nach den Gesetzen der Stromverzweigung. Damit stimmt überein, dass bei sehr bedeutender Stromstärke in solchen Fällen auch das Wasser zerlegt wird. Uebrigens verhalten sich Lösungsge- menge ähnlich wie einfache Lösungen. Hat man z. B. schwefelsaures Kupfer und schwefelsaures Zink gleichzeitig in Lösung, so wird bei einem gewissen Verhältniss der gelösten Salze und bei einer gewissen Stromstärke nur Kupfer ausgeschieden. Will man bewirken, dass auch Zink sich ausscheidet, so muss man entweder mehr Zinksalz lösen oder die Stromstärke vergrössern. Da die Leitungsfähigkeit dieser beiden Salze nahehin übereinstimmt, so kann diese Erscheinung nicht mehr aus den Gesetzen der Stromverzweigung abgeleitet werden. Hittorf erklärt sie folgender- massen. Zunächst werden beide Metalle an der Kathode ausgeschieden. Das Zink geht aber alsbald wieder in Lösung, indem es Kupfer ausfüllt. Erst indem man die Menge des Zinks so vermehrt, dass es nicht mehr die genügende Menge von Kupfer in seiner Umgebung findet, wird auch von dem Zink ausgeschieden. Wirkungen des elektrischen Stroms. Die chemische Zersetzung bei der Elektrolyse findet zwar aus- 325 Wanderung der Ionen. Elektri- sche Endosmose. schliesslich in der unmittelbaren Nähe der Elektroden statt. Aber da die Elektrolyse nicht aufhört, bis die gesammte Menge der Flüssig- keit, durch welche der Strom geht, zersetzt ist, so müssen wir zugleich annehmen, dass eine fortwährende Wanderung der Ionen nach den beiden Polen hin stattfindet. Die positive Elektrode wird die ne- gativen und die negative die positiven Bestandtheile anziehen. Man sollte nun erwarten, dass für je 1 Aequivalent des Kation, das zur Anode wandert, 1 Aequivalent des Anion zur Kathode gehe. Dies findet sich jedoch nicht bestätigt, sondern man beobachtet in der Re- gel, dass mehr von dem elektro-negativen Bestandtheil des Elektro- lyten zur positiven als von dem elektropositiven Bestandtheil zur ne- gativen Elektrode geführt wird. Setzt man z. B. Kupferlösung zwi- schen Kupferelektroden der Elektrolyse aus, so kommt für je 1 Aeq. SO 3 + O, das an der positiven Elektrode geliefert wird, 1 Aeq. Cu an der negativen zum Vorschein. Wäre nun die Bewegung nach bei- den Richtungen gleichmässig, so würde der Kupfergehalt auf der po- sitiven Seite unverändert bleiben, indem 1 Aeq. ausgeschiedene Schwe- felsäure 1 Aeq. Cu auflöst, d. h. ebenso viel als nach der negativen Elektrode gewandert ist. An der letztern würde aber der Kupferge- halt um dieses eine Aeq. zugenommen haben, denn die Lösung wäre ebenso concentrirt wie vorher, und ausserdem hätte sich 1 Aeq. Cu niedergeschlagen. Statt dessen findet man, dass die Zunahme der gesammten Kupfermenge an der negativen Elektrode nur ungefähr ⅓ Aeq. beträgt; es muss sich daher hier die Lösung verdünnt haben, wie man auch an der Farbenveränderung derselben wahrnimmt, wäh- rend die Lösung an der positiven Elektrode um ⅔ Aeq. ihres Ge- halts an schwefelsaurem Kupferoxyd zugenommen hat und daher eine dunklere Färbung zeigt. Beträgt allgemein der nach der Elektrolyse vorhandene Ueberschuss des elektronegativen Bestandtheils an der positiven Elektrode Aeq., so ist der Ueberschuss des elektropo- sitiven Bestandtheils an der negativen Elektrode = Aeq. Wäh- rend somit die Ausscheidung der Ionen an beiden Elektroden stets in Aequivalentverhältnissen vor sich geht, erfolgt die Wanderung der Ionen im Verhältniss von Bruchtheilen der Aequivalentzahlen, und zwar geht relativ mehr Kation nach der Anode als Anion nach der Kathode. Dabei variiren indess die gefundenen Werthe etwas mit der Concentration der Lösung. Wir geben im folgenden einige der von Hittorf gewonnenen Zahlen. Von der Elektricität. Trennt man den Elektrolyten zwischen den Elektroden durch eine po- röse Scheidewand, so zeigt sich, dass die Bewegung der Ionen von einer Bewegung der gesammten Flüssigkeit begleitet ist, welche, wenn die Scheidewand fehlt, offenbar nur desshalb nicht zur Erscheinung kommt, weil in diesem Fall das hydrostatische Gleichgewicht daran hindert. Jene von der Zersetzung unabhängige Bewegung der Flüssigkeitstheilchen ist in überwiegender Stärke von der positiven nach der negativen Elektrode gerichtet; auf der Seite der letzteren nimmt daher die Höhe der Flüs- sigkeit zu. Man hat dieses Phänomen als elektrische Endosmose bezeichnet. Nach den Versuchen von Wiedemann ist die Menge der in gleichen Zeiten durch die Thonwand übergeführten Flüssigkeit der Intensität des Stromes direct proportional und unter sonst gleichen Bedingungen von der Oberfläche und Dicke der Thonwand unabhängig. Uebrigens ist diese Bewegung des gesammten Elektrolyten auf die Ueberführung der Ionen ohne jeden Einfluss. Die hier beschriebene Bewegung des ganzen Elektrolyten, die bei schwächeren Strömen nur sichtbar wird, wenn sich eine poröse Scheidewand in demselben befindet, kann bei sehr starken galvanischen Strömen auch ohne solche zum Vorschein kommen. Quincke fand, dass unter diesen Bedingungen die meisten Flüssigkeiten mit dem positiven Strome fortgeführt werden. Bringt man daher den Elektrolyten in eine U-förmig gebogene Röhre, so steigt die Flüssigkeit in demjenigen Schenkel, in wel- chem sich die negative Elektrode befindet und sie sinkt in dem Schenkel der positiven Elektrode. Auch hier ist, wie bei der elektrischen Endosmose, die Steighöhe der Stromstärke proportional. Löst man ein gut leitendes Salz z. B. Kochsalz in Was- ser auf, so wird die Bewegung des letztern vermindert. Bringt man fein suspendirte Theilchen eines festen Körpers in Wasser oder wässerige Lösungen, so werden diese nach den Beobachtungen von Jürgensen in entgegengesetzter Richtung wie die Flüs- sigkeit, also in der Richtung des negativen Stromes fortgeführt. Bei schwachen Strö- men bewegen sich dagegen nach Quincke auch die festen Theilchen in der Richtung des positiven Stroms. Dies erklärt sich wohl daraus, dass deren Bewegung zum Theil durch die Bewegung der Flüssigkeit bestimmt ist. Nun ist die letztere vorwiegend stark in der Wandschichte, während in der Mitte zum Theil ein Rückfliessen stattfin- det; dort werden also die festen Theilchen in der ihrer eigenen Bewegung entgegenge- setzten Richtung fortgerissen, hier wird die eigene Bewegung durch das Rückströmen der Flüssigkeit unterstützt. Ein physiologisches Phänomen, welches mit diesen mechanischen Wirkungen des galvanischen Stroms wahrscheinlich im Zusammenhang steht, ist die von mir Wirkungen des elektrischen Stroms. beobachtete dauernde Verkürzung der Muskeln , während dieselben von einem con- stanten Strom durchflossen werden. Während des Durchflossenseins beobachtet man zugleich, wie Kühne bemerkt hat, eine fortwährende wellenartige Bewegung nach dem negativen Pole hin, und an diesem, wie schon früher Schiff beobachtete, eine Vertiefung. Die wellenartige Bewegung hätten wir wohl aus der Strömung der Flüs- sigkeiten im Muskel, die Vertiefung aus der entgegengesetzt gerichteten Bewegung der festen Theilchen abzuleiten. Die Erscheinungen der Elektrolyse konnten bis jetzt noch nicht 326 Theorie der Elektrolyse. durch eine alle Erscheinungen erklärende Theorie zusammengefasst werden. Der Erste, der die Grundlage der heutigen Theorie der Elektrolyse legte, war Grotthuss . Er nahm an, die in einer binären Verbindung enthaltenen Elemente, z. B. Sauerstoff und Wasserstoff, seien in ihrem natürlichen Zustand mit gleichen Mengen entgegenge- setzter Elektricität geladen. Bei ihrer Verbindung trennten sich aber diese Elektricitäten, so dass der eine Bestandtheil, z. B. der Wasser- stoff, positiv, der andere, der Sauerstoff, negativ werde. Da nun in dem Wasser die Atome nach allen Richtungen gelagert sind, so kommt trotzdem keine freie Elektricität zum Vorschein. Leiten wir aber einen elektrischen Strom durch das Wasser, so müssen sich, wie es die Fig 222 vorstellt, der positiven Elektrode alle Sauerstoffatome Fig. 222. und der negativen alle Wasserstoffatome zu- kehren. Der Strom übt nun eine bewegende Kraft aus, durch welche er die gegenseitigen Anziehungskräfte der mit entgegengesetzter Elektricität versehenen Atome überwindet: es wird zunächst das unmittelbar an der + E. liegende Sauerstoffatom und das an der — E. liegende Wasserstoffatom frei, indem aber durch die ganze Molecül- reihe eine Bewegung der H-Atome nach der — Seite, der O- Atome nach der + Seite stattfindet, sind in der ganzen übrigen Flüs- sigkeit ausser an den Berührungsstellen der Elektroden fortan O und H an einander gebunden. Nach dem Typus des Wassers können wir uns aber alle Elektrolyte zusammengesetzt denken. Dieselben be- stehen entweder 1) gleich dem Wasser aus einfach positiven und ne- gativen Ionen, z. B. KO, Na Cl u. s. w., oder sie bestehen 2) aus einem einfachen negativen und zusammengesetzten positiven Ion, wie NH 4 Cl, oder 3) aus einem einfachen positiven und zusammengesetzten negativen Ion, z. B. Na SO 4 , Na NO 6 , überhaupt gehören hierher alle Sauerstoffsalze, mit Ausnahme der phosphorsauren, von welchen wir annehmen müssen, dass sie aus einem Aequivalent positiven Ions und Bruchtheilen eines Aequivalents von negativem Ion bestehen, also z. B. 3NaO.PO 5 = 3 (Na + [⅓ PO 5 + O]). Die Theorie von Grotthuss wurde von Berzelius auf das ganze Gebiet der chemischen Erscheinungen angewandt. Er nahm Von der Elektricität. an, in allen ungleichartigen Atomen trete, wenn sie zusammentreffen, eine ähnliche Zerlegung der neutralen Elektricität ein, wie bei dem Contact verschiedener Metalle. Die chemische Verbindung der Atome sollte dann durch die Anziehung der entgegengesetzten Elektricitäten erfolgen. Die Reihe, in welche die einfachen Körper nach ihrer che- mischen Verwandtschaftskraft sich ordnen lassen, fiel daher nach der Ansicht von Berzelius mit der elektrischen Spannungsreihe derselben zusammen. Die hiernach von Berzelius aufgestellte Reihe ist aber im Einzelnen vielfach hypothetisch, da wir chemische Verbindungen zwischen in der Spannungsreihe einander nahe stehenden Körpern nicht herstellen können. Wenn nun die Grotthuss ’sche Theorie auch im allgemeinen von dem Vorgang der Elektrolyse eine Vorstellung giebt, so ist sie doch bei weitem nicht zureichend, um alle einzelnen bei derselben vorkommenden Erscheinungen zu erklären. Namentlich gilt dies in Bezug auf die Wanderung der Ionen und die s. g. elektrische Endos- mose. Um sich von dem ersten dieser Phänomene einigermaassen Re- chenschaft zu geben, nimmt daher Hittorf an, die Bewegung der entgegengesetzten Ionen geschehe mit verschiedener Geschwindigkeit. Während z. B. bei der Elektrolyse des Kupfervitriols das Anion Cu um ⅓ des Molecularabstands vom nächsten Atom gegen die Kathode vorrücke, bewege sich das Kation SO 3 + O um ⅔ dieses Abstands nach der Anode hin, oder allgemein, das Verhältniss der Geschwin- digkeit beider Ionen sei . Wiedemann hat endlich durch die Anlehnung an das Princip der Erhaltung der Kraft den leitenden Gesichtspunkt für die Betrachtung der Elektrolyse zu gewinnen gesucht. Er geht davon aus, dass der grösste Theil der durch den Strom in dem Elektrolyten verrichteten Arbeit nicht nach aussen zum Vorschein komme, indem grossen Theils die verbrauchte durch gewonnene Arbeit wieder aufgewogen werde. Bei der Elektrolyse des Kupfervitriols zwischen Kupferelektroden wird z. B. die an der negativen Elektrode zur Abscheidung des Kupfers verbrauchte Arbeit durch die bei der Lösung einer äquivalenten Menge Kupfer an der positiven Elektrode gewonnene Arbeit ersetzt. Ausser- dem wird in jedem Molecül der ganzen Lösung zur Trennung der Ionen eine bestimmte Arbeit verbraucht; dieselbe Arbeit wird aber alsbald bei der Wiedervereinigung der Ionen mit denen der benach- barten Molecüle wieder gewonnen. Als äussere Arbeit bleibt daher nur 1) die Ueberführung einer bestimmten Menge Metall zur negativen Elektrode, 2) die Ueberführung einer bestimmten Menge Salzes zur positiven Elektrode, wo in Folge dessen die Lösung concentrirter wird, und 3) für den Fall, dass die Flüssigkeit durch eine poröse Scheidewand unterbrochen ist, die Ueberführung einer gewissen Wirkungen des elektrischen Stroms. Menge unzersetzter Lösung zur negativen Elektrode. Ausserdem ver- schwindet 4) eine grosse Menge von Arbeit dadurch, dass die durch den Strom bewegten Molecüle die ihnen ertheilte Geschwindigkeit durch Reibung an einander verlieren; diese verlorene Arbeit kommt als Wärme zum Vorschein. Da nun, wie wir früher gesehen haben, die entwickelte Wärme dem Leitungswiderstand proportional ist, so sind auch offenbar die Bewegungshindernisse, welche sich der Wir- kung des Stromes entgegensetzen, direct proportional dem Leitungs- widerstand. Hieraus erhellt die innige Beziehung zwischen dem Lei- tungsvorgang und der chemischen Zersetzung, sowie jenen mechani- schen Bewegungsphänomenen, die man am Elektrolyten beobachtet. Wir brauchen nicht näher auszuführen, dass die obigen Betrachtungen auf den Namen einer strengen Theorie keinen Anspruch machen können. Dieselben haben gros- sen Theils nur den Zweck, die einzelnen Erscheinungen der Elektrolyse klarer zu ver- deutlichen. Aber sogar gegen die Grundlage der Grotthuss ’schen Theorie, auf wel- cher diese Betrachtungen aufgebaut sind, wurden neuerdings von Clausius gewich- tige Einwände erhoben. Damit nämlich die mit einander verbundenen Ionen sich tren- nen, muss offenbar eine gewisse Kraft ausgeübt werden. Daraus folgt, dass so lang der Strom im Elektrolyten diese Kraft nicht besitzt, gar keine Zersetzung ein- treten kann, dass dagegen, wenn die Kraft erreicht ist, mit einem Mal sehr viele Mo- lecüle, da sie ja alle unter dem Einfluss der nämlichen Kraft stehen, zersetzt werden müssen. Dies tritt aber nicht ein, sondern der schwächste Strom bewirkt, wie wir gesehen haben, Zersetzung, und diese wächst proportional der Stromstärke. Clau- sius geht, um diese Schwierigkeit zu beseitigen, auf seine Theorie des flüssigen Aggregatzustandes (§. 284) zurück. Er nimmt an, die Ionen seien überhaupt nicht fest mit einander verbunden, sondern vollführten Schwingungen nach allen Richtun- gen, und zwar in einer Flüssigkeit in ziemlich weiten Bahnen, so dass ein positives Ion leicht in die Wirkungssphäre des negativen Ions eines andern Molecüls geräth, und umgekehrt. Ein dergestalt frei gewordenes Ion wird sich so lange in der Flüs- sigkeit weiter bewegen, bis es auf ein entgegengesetztes Ion trifft, mit welchem es sich verbinden kann. Wird nun ein Strom durch den Elektrolyten geleitet, so wird derselbe alle positiven Ionen nach der negativen und alle negativen Ionen nach der positiven Seite zu treiben suchen. Die positiven Ionen werden daher vorherrschend zur Kathode, die negativen Ionen zur Anode sich begeben. Auf die einzelnen Er- scheinungen der Elektrolyse ist diese Hypothese bis jetzt noch nicht angewendet worden. Indem durch die chemische Zersetzung, welche der Strom in dem 327 Galvanische Po- larisation. Uebergangswi- derstand. flüssigen Leiter bewirkt, die Zusammensetzung des letzteren verändert wird, kann die Stromstärke eine Abnahme erfahren, entweder da- durch, dass der Widerstand des flüssigen Leiters zunimmt, oder da- durch, dass in demselben durch die ausgeschiedenen Zersetzungspro- ducte eine elektromotorische Kraft entsteht, welche einen Strom in umgekehrter Richtung verursacht. Am häufigsten ist es die letztere Ursache, die galvanische Polarisation , welche die durch Flüs- sigkeiten geführten Ströme inconstant macht. Eine Vergrösserung des Wundt , medicinische Physik. 32 Von der Elektricität. Widerstandes pflegt nur dann zu entstehen, wenn sich durch die Elektrolyse an den Elektroden ein schlecht leitender Ueberzug bildet, wenn dieselben z. B. mit einer Oxydschichte bedeckt werden. Die häufigste Ursache der galvanischen Polarisation ist die Aus- scheidung gasförmiger Zersetzungsproducte, wie sie bei der Elektro- lyse des Wassers und wässeriger Lösungen zu geschehen pflegt. In- dem an der positiven Elektrode Sauerstoff, an der negativen Wasser- stoff frei wird, entsteht innerhalb der ursprünglichen Kette noch eine Gaskette , welche einen Strom von einer dem ursprünglichen ent- gegengesetzten Richtung, also vom Wasserstoff zum Sauerstoff, durch den Kreis sendet. Da die elektromotorische Kraft dieses Polarisa- tionsstroms durch die Berührung der Gase mit den metallischen Elek- troden entsteht, so ist ihre Grösse namentlich auch von der Beschaf- fenheit der Metalle, die man als Elektroden verwendet, abhängig. Sie ist z. B. viel grösser, wenn man Wasser zwischen Platinelektroden, als wenn man es zwischen Kupferelektroden zersetzt. Wie das Was- ser verhalten sich alle andern Elektrolyten, welche gasförmige Ionen liefern, z. B. Salpetersäure, Chlorwasserstoffsäure u. s. w. Bei der Elektrolyse der Alkalisalze, bei der sich die positive Elektrode mit freier Säure, die negative mit freiem Alkali umgibt, entstehen durch den Contact der Metalle mit den verschiedenartigen Flüssigkeiten ähn- liche Polarisationsströme, welche die durch die ausgeschiedenen Gase erzeugten Ströme erheblich verstärken können. Man weist die Polarisationsströme nach, indem man die ursprüng- liche Kette öffnet und die in den Elektrolyten tauchenden Elektroden mit einem Galvanometer verbindet. Man erhält dann je nach der Intensität des Polarisationsstromes einen Ausschlag der Magnetnadel von verschiedener Grösse. Indem auf diese Weise die mit den Zer- setzungsproducten geladenen Elektroden zur Kette geschlossen werden, nimmt aber der Polarisationsstrom selbst sehr schnell ab und hört endlich ganz auf, wie man an der Rückkehr der Magnetnadel auf ihren Nullpunkt bemerkt. Dies hat darin seinen Grund, dass der Po- larisationsstrom selber wieder den Elektrolyten zersetzt. Hierbei muss sich aber, da der Polarisationsstrom die entgegengesetzte Rich- tung hat wie der ursprüngliche, so lange an der mit Wasserstoff be- deckten Elektrode Sauerstoff, und an der mit Sauerstoff bedeckten Wasserstoff ablagern, bis der Strom auf Null gesunken ist. Darin ist zugleich das einfache Hülfsmittel gegeben, um eine entstandene Po- larisation wieder aufzuheben: man braucht zu diesem Zweck nur den ursprünglichen Elektromotor auszuschalten und die elektrolysirte Flüs- sigkeit allein einen Stromeskreis bilden zu lassen. Es lässt sich hierzu leicht die in §. 309 Fig. 207 beschriebene Wippe anwenden, wenn man dieselbe so mit der übrigen Leitung combinirt, dass die Näpf- chen c und d, wenn sie verbunden sind, die Kette mit dem Elektro- Wirkungen des elektrischen Stroms. lyten schliessen, die Näpfchen a und b dagegen den letzteren für sich in einen besonderen Kreis aufnehmen. Man hat früher die bei der Einschaltung flüssiger Leiter entstehende Schwä- chung des Stroms allgemein als „Uebergangswiderstand“ bezeichnet, indem man an- nahm, an der Ein- und Austrittsstelle des Stroms werde durch denselben ein Wider- stand erzeugt. Wäre dies richtig, so würde die Stromintensität bei der Einschaltung eines Elektrolyten in allen Fällen bestimmt sein durch die Gleichung J = , wo W den wesentlichen, w den ausserwesentlichen und w' den Uebergangswiderstand bezeichnet. Ist dagegen, wie wir oben dargelegt haben, die Stromschwächung in der Mehrzahl der Fälle durch eine entgegenwirkende elektromo- torische Kraft verursacht, so wird die Stromintensität durch die Gleichung J = bestimmt, wo e die elektromotorische Kraft der Polarisation bedeutet. Unter der letzteren Annahme wäre aber die Polarisation sowohl von der Stromstärke wie von der Grösse der Elektroden unabhängig. Dies ist nun nach den Versuchen von Beetz und Poggendorff nur für sehr starke Ströme annähernd richtig: für schwä- chere Ströme ist dagegen die Polarisation nicht constant, sondern sie nimmt mit der Stromstärke und demzufolge auch mit der Oberfläche der Elektroden bis zu einem Maximum zu. Nur wenn der Strom dieses Maximum erreicht hat, ist daher die Glei- chung J = strenge gültig, und es kann dann leicht die Grösse e, die elektromotorische Kraft der Polarisation, nach den früher erörterten Messungsmethoden bestimmt werden. Nach den verschiedenen Versuchen schwankt diese elektromotorische Kraft bei der Bildung von H und O an Platinelektroden etwa zwischen 1,8 und 2,8 Daniell . Hieraus geht hervor, dass man Wasser im Voltameter nur dann zersetzen kann, wenn man mindestens 3 Daniell ’sche oder 2 Grove ’sche Elemente anwendet. Aus der Formel J = ergibt sich unmittelbar, dass die Polarisation e überhaupt um so weniger in Betracht kommt, je grösser die elektromotorische Kraft E ist. Ist dagegen E = e oder sogar kleiner als e, so wird sehr bald die Strominten- sität auf null herabgedrückt. Andererseits kann aber, auch wenn E \< e ist, niemals, so lange die polarisirende Kette geschlossen bleibt, etwa ein dem ursprünglichen entge- gengesetzter Strom entstehen. Denn ein solcher müsste augenblicklich eine dem ur- sprünglichen Strom gleich gerichtete Polarisation erzeugen. Der Gegenstrom der Po- larisation kann also niemals weiter als bis zur Aufhebung des ursprünglichen Stromes reichen. Das Maximum, zu welchem die Polarisation bei gegebener Stromstärke an- steigt, erreicht sie ferner nie plötzlich, und ebenso verschwindet sie bei der Schliessung der Elektroden zu einem eigenen Kreise nicht plötzlich, sondern sie wächst dort und sinkt hier mit abnehmender Geschwindigkeit. Erschütterung der Elektroden, Vermin- derung des auf ihnen lastenden Flüssigkeitsdrucks und Temperaturerhöhung lassen die Grösse der P larisation abnehmen. Wir haben schon in §. 309 bemerkt, dass die Inconstanz der 328 Aufhebung der Polarisation in der constanten Kette. Unpolari- sirbare Elektro- den. gewöhnlichen Volta ’schen Kette auf dem durch die ausgeschiedenen Zersetzungsproducte bewirkten Polarisationsstrom beruht. Wendet man z. B. als Elektromotoren Zink und Kupfer in verdünnter Schwefelsäure an, so wird an dem Zink Sauerstoff, an dem Kupfer Wasserstoff aus- 32 * Von der Elektricität. geschieden. Davon verbindet sich zwar der Sauerstoff mit dem Zink, indem sich schwefelsaures Zinkoxyd bildet, aber der Wasserstoff bleibt an dem Kupfer haften, und es entsteht so ein Polarisationsstrom zwischen Wasserstoff und Kupfer, der zwar etwas schwächer ist als der Strom zwischen Wasserstoff und Sauerstoff, aber doch die Stärke des ursprünglichen Stroms beträchtlich zu schwächen vermag. Die elektromotorische Kraft der Polarisation kommt in diesen Fällen ein- fach an der elektromotorischen Kraft der Kette in Abzug: der Effect ist daher derselbe, als wenn die letztere veränderlich wäre. Die ge- sammte elektromotorische Kraft sinkt vom Moment der Schliessung an allmälig auf ein Minimum, bei dem zuweilen nahezu der ursprüng- liche Strom aufgehoben sein kann. Völlig wird jedoch diese Grenze, auch wenn e \> E ist, nicht erreicht, da, wie wir oben gesehen ha- ben, die Polarisation von der Stromintensität abhängig und daher, wenn die letztere durch eine bedeutende Grösse von e klein ist, eben- falls relativ gering wird. Setzt man eine grössere Zahl von Elemen- ten zu einer Säule zusammen, so nimmt die Stromintensität um so schneller ab, je grösser die Anzahl der Elemente ist, da mit dieser die Intensität des primären Stroms zunimmt. Wir haben bei der constanten Kette in §. 309 nachgewiesen, wie diese Polarisa- tionsströme vermieden werden können, indem man solche Combina- tionen von Metallen und Flüssigkeiten wählt, bei welchen eine blei- bende Ansammlung von Zersetzungsproducten nicht stattfinden kann. Auf ähnliche Weise, wie man in den galvanischen Elementen Fig. 223. die Polarisation vermeidet, lässt sich dies auch in der äussern Schliessung eines durch flüssige Leiter geführ- ten Stromes bewerkstelligen. Man bedient sich hierzu der s. g. unpolarisirbaren Elektroden. Die am häu- figsten angewandten Elektroden dieser Art sind amal- gamirte Zinkplatten in Zinkvitriollösung. Man ver- wendet solche namentlich zu elektrophysiologischen Versuchen, um entweder constante Ströme thierischen Theilen zuzuführen, oder um die von thierischen Theilen (Muskeln, Nerven) entwickelten Ströme abzuleiten. In beiden Fällen muss man zugleich dafür Sorge tra- gen, dass die thierischen Theile von keiner sie an- greifenden Flüssigkeit benetzt werden. Für Reizungsver- suche füllt man daher zwei Glasröhren, wie deren eine in Fig. 223 dargestellt ist, mit Zinkvitriollösung, in wel- che die amalgamirte Zinkplatte z taucht. Unten ist die Röhre durch einen plastischen Thonpfropf t ver- schlossen; an ihrem oberen Ende ist der Stiel s an- geschmolzen, durch welchen der Apparat mittelst eines Kugelcharniers vollkommen beweglich an einem Stativ Wirkungen des elektrischen Stroms. befestigt ist. Dem Thonpfropf lässt sich leicht die geeignete Form geben um ihn an die thierischen Theile anzulegen; die Zinkplatten werden mit den Polen der constanten Kette verbunden. Um von Mus- keln oder Nerven die Ströme abzuleiten, füllt man zwei Glasge- fässe g, g (Fig. 224) mit der Zinkvitriollösung; in diese werden Bäu- Fig. 224. sche b aus Filtrirpapier gebracht, die in derselben Lösung getränkt sind, und auf diese Bäusche endlich durchfeuchteter plastischer Thon, auf den man die Stellen des Nerven oder Muskels n legt, deren elek- trische Gegensätze man untersuchen will. In die Glasgefässe tauchen die Platten p aus amalgamirtem Zink, welche an den Stativen C in horizontaler und verticaler Richtung durch Schrauben verstellt werden können und mittelst der Leitungsdrähte d, d mit den Enden des Galvanometerdrahts in Verbindung stehen. Jedes Stativ ist auf einem gefirnissten Brettchen B befestigt, welches zugleich das zuge- hörige Glasgefäss trägt und auf dem den ganzen Apparat tragenden Fussbrett A ruht. Ausser Zink in Zinkvitriol hat man auch Kupfer in Kupfervitriol und Platin in rauchender Salpetersäure zu unpolarisirbaren Elektroden angewandt. Unter ihnen sind namentlich die letzteren, bei welchen der ausgeschiedene Sauerstoff die Untersal- petersäure oxydirt und der ausgeschiedene Wasserstoff die Salpetersäure reducirt, in hohem Grad vor der Polarisation geschützt. Die Amalgamirung des Zinks wirkt bei den unpolarisirbaren Elektroden gerade so wie in den constanten Ketten. Uebrigens kann ebenso wenig eine im strengsten Sinn unpolarisirbare Elektrode hergestellt wer- den, wie es vollkommen constante Ketten gibt. Geringe Ansammlungen von Zer- setzungsprodukten finden immer statt. In den Elementen kann ausserdem eine ge- wisse Inconstanz durch die Veränderung in der Concentration und Zusammensetzung der Flüssigkeiten bewirkt werden. Die letztere ist auch die Ursache, dass eine Com- bination wie die in Fig. 224 dargestellte in der Regel für sich schon eine schwache elektromotorische Kraft besitzt, wie man sich dadurch überzeugt, dass die Verbindung der zwei Zuleitungsbäusche b durch einen ebenfalls in Zinkvitriollösung getränkten Von der Elektricität. Schliessungsbausch bereits eine grössere oder geringere Ablenkung der Magnetnadel bewirkt. Man kann die Wirkung dieser constanten Kraft, die sich zu derjenigen des untersuchten Gewebes addiren würde, ebenfalls mit Hülfe des Compensationsverfahrens (nach §. 320) zum Verschwinden bringen. Von du Bois-Reymond wurde früher, bevor der Vortheil unpolisirbarer Elektroden bei elektrophysiologischen Versuchen ge- nauer bekannt war, dem Apparat in Fig. 224 folgende Zusammensetzung gegeben. Die Gläser g waren mit gesättigter Kochsalzlösung gefüllt, mit derselben waren die Bäusche b getränkt; Nerv oder Muskel aber waren vor der Wirkung des Kochsalzes durch in Eiweiss getränkte Stückchen Blase geschützt. Die Platten p bestanden aus Platin. Eine solche Zusammenstellung zeigt beträchtliche Polarisation. Jede Ablenkung der Magnetnadel durch den Nerven- oder Muskelstrom nimmt daher hier rasch ab und geht, wenn man nach Entfernung des Nerven oder Muskels den Schliessungsbausch auflegt, in die entgegengesetzte Ablenkung über, die sich jedoch in einiger Zeit wie- der ausgleicht. Fünftes Capitel. Magnetismus . 329 Allgemeine Ei- genschaften der Magnete. Das in der Natur vorkommende Eisenoxyduloxyd (Fe 3 O 4 ) hat häufig die Eigenschaft, kleine Stückchen metallischen Eisens anzu- ziehen und festzuhalten. Man hat schon im Alterthum den Körpern, welche jene Anziehung gegen das Eisen und einige andere Metalle ausüben, den Namen Magnete gegeben (von der Stadt Magnesia, in deren Nähe am frühesten solche Eisenerze entdeckt wurden). An jedem natürlichen Magneten findet man Stellen, an welchen die anziehende Eigenschaft grösser ist als an den andern. Diese Stellen nennt man die Pole . Nähert man einem solchen Pol ein Stäbchen aus weichem Eisen, so zeigt dieses dieselbe Eigenschaft wie der natürliche Magnet. Das Stäbchen hat nun zwei Pole, an de- nen die anziehende Kraft am grössten ist, den einen an dem Ende, welches dem Magneten zugekehrt ist, den andern am entgegengesetz- ten Ende. Gegen die Mitte nimmt die anziehende Kraft ab, und in der Mitte selber ist sie gleich null. Nach seiner Entfernung von dem Magneten verliert jedoch das Eisenstäbchen vollständig seine magnetische Eigenschaft. Verschieden davon verhält sich das gehärtete Eisen, der Stahl. Bringt man einen Stahlstab in die Nähe eines natürlichen Magneten, so zeigt jener an- fänglich keine Veränderung. Erst wenn die Annäherung längere Zeit gedauert hat, wird er ebenfalls magnetisch, indem er gleich dem Eisen zwei Pole annimmt. Ein auf diese Weise magnetisirter Stahlstab be- hält aber dann längere Zeit, nachdem man ihn von dem natürlichen Magneten entfernt hat, seine magnetischen Eigenschaften bei. Diese Eigenthümlichkeit des Stahls bietet daher das hauptsächlichste Hülfs- mittel zur Erzeugung künstlicher Magnete . Durch solche künst- Magnetismus. liche Magnete kann man dann in derselben Weise wie durch natür- liche neue Magnete erzeugen. Die beiden Pole eines natürlichen oder künstlichen Magnets lassen sich daran von einander unterscheiden, dass ein in der Hori- zontalebene frei aufgehängter Magnet stets eine Lage annimmt, in welcher der eine Pol nach Norden, der andere nach Süden gerichtet ist. Man nennt daher den ersteren den Nordpol , den zweiten den Südpol . Nord- und Südpol verhalten sich dem unmagnetischen Ei- sen und Stahl gegenüber vollkommen gleich. Sie unterscheiden sich aber dadurch von einander, dass, wenn man zwei Magnete auf ein- ander wirken lässt, die gleichartigen Pole (Nord und Nord oder Süd und Süd) sich abstossen, die ungleichartigen aber (Nord und Süd) einander anziehen . Im Zusammenhang hiermit findet man, dass, wenn man einen Eisen- oder Stahlstab mit einem Magneten in Berührung bringt, in den magnetisch gewordenen Stäben die Lage der Pole eine der im ursprünglichen Magneten entgegenge- setzte ist: der Nordpol erregt also auf der ihm genäherten Seite des Eisen- oder Stahlstabes einen Südpol, der Südpol einen Nordpol. Zur Verfertigung künstlicher Magnete dienen entweder prismatische oder huf- eisenförmig gekrümmte Stahlstäbe. Durch die blosse Berührung mit einem künstlichen Magneten würde man aber nicht hinreichend kräftige Magnete erhalten. Man bedient sich daher zur Magnetisirung hauptsächlich folgender Methoden: 1) Man streicht den zu magnetisirenden Stahlstab mit dem einen Pol des Magneten oft nach einander in derselben Richtung (Methode des einfachen Strichs); 2) man streicht den Stab von der Mitte an zuerst mit dem einen Pol nach der einen und dann mit dem andern Pol nach der andern Richtung (Methode des getrennten Strichs). Bei beiden Methoden entsteht an demjenigen Ende des Stabs, an welchem der Magnet denselben verlässt, ein dem berührenden entgegengesetzter Pol. Hat der Stab die Hufeisenform, so ver- fährt man in derselben Weise. Die Methoden bleiben endlich die nämlichen, wenn man sich zur Magnetisirung statt eines natürlichen oder künstlichen Magneten der in §. 341 zu beschreibenden Elektromagnete bedient. Wenn man einen Magneten in seiner Mitte entzwei schneidet, so 330 Elementare Con- stitution der Magnete. bleibt nicht etwa am einen Ende ein Nordpol, am andern ein Südpol zurück, sondern jede der beiden Hälften ist wieder ein vollständiger Magnet, indem an demjenigen Schnittende, welches mit dem Nordpol zusammenhängt, ein Südpol, an demjenigen, welches mit dem Südpol verbunden ist, ein Nordpol sich ausbildet. Zerbricht man einen Mag- neten der Länge nach in eine Menge einzelner Stücke, so bleibt jedes derselben ein vollständiger mit Süd- und Nordpol und einer indiffe- renten Mitte versehener Magnet. Hieraus müssen wir den Schluss ziehen, dass jeder natürliche oder künstliche Magnet aus einer Unzahl kleiner Molecularmagnete zusammengesetzt ist. Die magnetische Gesammtwirkung wird aus der Summe der Einzelwirkungen dieser Von der Elektricität. Elementarmagnete resultiren. Die Vorstellung, die wir uns hiernach von der Constitution der Magnete und der einer Magnetisirung fähigen Körper bilden können, hat Aehnlichkeit mit der Vorstellung über die Constitution der Elektrolyte, zu der wir geführt wurden. Wir müssen annehmen, dass in einem Magneten alle Molecüle, ähnlich wie die Molecüle des vom Strom durchflossenen Elektrolyten, polarisirt sind, indem sie ihre Nordpole nach der einen, ihre Südpole nach der an- dern Richtung kehren. In einem unmagnetischen Eisen- oder Stahl- stab dagegen werden diese Pole alle möglichen Richtungen besitzen, so dass die Elementarwirkungen sich aufheben und keine magnetische Gesammtwirkung zu Stande kommt. Beim Magnetisiren des unmag- netischen Eisens oder Stahls erhalten nun die Molecüle eine bestimmte Richtkraft, so dass die Mehrzahl derselben ihre Nordpole nach der einen und ihre Südpole nach der andern Seite kehrt. Die Thatsachen nöthigen uns dann weiterhin anzunehmen, dass die Eisen- und Stahl- molecüle in ihrer jedesmaligen Lage mit einer gewissen Kraft festge- halten werden, in die sie, wenn sie durch eine äussere Kraft in eine andere Lage gebracht worden sind, wieder zurückzukehren streben. Diese Coërcitivkraft ist beim Stahl weit grösser als beim weichen Ei- sen. Die Molecüle des letztern nehmen leicht die polaren Richtungen an, fallen aber auch ebenso leicht wieder in ihre früheren Richtungen zurück, während die Molecüle des Stahls schwer ihre Richtungen ver- lassen, dagegen auch die einmal angenommenen festhalten. Das in Fig. 225 dargestellte Schema gibt uns hiernach eine An- schauung von der Molecularanordnung eines magnetischen Körpers. Fig. 225. n 1 , n 2 , n 3 . . . . sind die Nordpole, s 1 , s 2 , s 3 . . . . die Südpole der Molecüle. Denkt man sich nun in der Mitte, bei m, die ganze Mole- cülreihe in eine rechte und linke Hälfte zerlegt, so ist klar, dass in m selbst keinerlei magnetische Wirkung bestehen kann, denn n 4 wird durch s 4 compensirt, und rechts befinden sich überhaupt genau ebenso viel Nord- und Südpole und in gleicher Entfernung von m wie links; die Gesammtwirkung aller dieser Elementarpole auf m muss also null sein. Um das Hervortreten eines Nord- und Südpolmagnetismus rechts und links von der Mitte zu erklären, müssen wir aber noch eine weitere Annahme machen. Dächten wir uns nämlich alle Mole- cüle gleich stark polarisirt, so würde zwar bei n 1 ein freier Nordpol Magnetismus. und bei s 7 ein freier Südpol entstehen, aber die Magnetismen s 1 und n 2 , s 2 und n 3 , ebenso n 5 und s 4 , n 4 und s 3 u. s. w. würden gegen- seitig sich aufheben: der Stab würde also zwei Pole haben, in der ganzen sonstigen Länge desselben wäre aber kein freier Magnetismus. Damit solcher auftreten kann, muss n 2 \> s 1 , n 3 \> s 2 , n 4 \> s 3 und auf der andern Seite s 4 \> n 5 , s 5 \> n 6 , s 6 \> n 7 sein, d. h. die Mag- netismen der Molecüle müssen gegen die Mitte hin zunehmen. Setzen wir letzteres voraus, so erklärt sich vollständig das Verhalten des Magnetstabes. Wir werden dieser Voraussetzung am einfachsten die Vorstellung zu Grunde legen, dass, je mehr wir uns der Mitte des Stabes nähern, um so mehr die Zahl der Molecüle zunimmt, welche die polare Richtung angenommen haben, während an den Enden noch eine grössere Zahl in ihrer ursprünglichen unregelmässigen Stellung verharrt. Eine solche Anordnung lässt aber wieder leicht aus der gegenseitigen Einwirkung der Molecüle sich ableiten. Nehmen wir nämlich an, die äussere magnetisirende Kraft gebe zunächst in jedem Querschnitt gleich vielen Molecülen die polare Richtung, so werden auf die Molecüle der Schichte n 2 (Fig. 225) die Südpole s 1 einwirken, es wird daher hier eine stärkere Richtkraft als bei n 1 vorhanden sein, bei n 3 werden sowohl die Molecüle s 2 wie in schwä- cherem Grade s 1 wirken, hier muss also die Richtkraft noch mehr wachsen, u. s. f. Man sieht leicht ein, dass so von beiden Enden nach der Mitte hin die polarisirende Wirkung ansteigt. Eine directe Be- stätigung für diese Folgerungen liefert die Untersuchung der Bruch- stücke eines Magneten. Magnetisirt man eine Stahlnadel und zer- bricht dann dieselbe in einzelne Stücke, so zeigen die mittleren Stücke stets die überwiegende magnetische Wirkung. Jedes magnetische Theilchen übt auf ein anderes, je nachdem 331 Gesetz der mag- netischen Ferne- wirkung. die Magnetismen ungleichartig oder gleichartig sind, eine Anziehung oder Abstossung aus, die, dem allgemeinen Gesetz der Fernewirkung gemäss (§. 9), im umgekehrten Verhältniss des Quadrates der Entfer- nung steht. Die Kräfte, welche zwei Magnete auf einander ausüben, sind nun aus den anziehenden und abstossenden Wirkungen aller ein- zelnen Theilchen derselben zusammengesetzt. Beschränken wir uns, wie dies für practische Zwecke und wenn die Magnete sich in einer solchen Entfernung von einander befinden, dass ihre Länge dagegen verschwindet, statthaft ist, auf die gegenseitige Wirkung der Pole, so erfährt der Pol n des Magneten n s (Fig. 226) eine anziehende Wir- kung vom Pole S und eine abstossende vom Pole N des Magneten N S, umgekehrt der Pol s eine abstossende von S und eine anziehende von N. Aehnlich erfahren die Pole N und S des Magneten N S eine doppelte Wirkung von n und von s. Lässt man ganze Magnete auf einander wirken, so ist daher diese Wirkung nicht mehr dem Quadrat, sondern Von der Elektricität. Fig. 226. wenn die Entfernung der Magnete im Vergleich zu ihrer Länge sehr gross ist, der dritten Potenz der Entfernung umgekehrt proportional . In dem allgemeinen Ausdruck für die Fernewirkung bedeuten für diesen Fall m und m' die Mengen des Magnetismus oder, wie man sich ausdrückt, der mag- netischen Flüssigkeiten, die auf einander wirken. Sind die Magnetismen m und m' gleichartig, so muss man jenen Quotienten negativ nehmen, sind sie ungleichartig, so muss man ihn positiv nehmen. Um nun das Gesetz auf die gegenseitige Wirkung zweier Magnete anzuwenden, erwäge man, dass, wenn a b, die Entfernung der Mittelpunkte beider Magnete, im Vergleich zu N S und n s sehr gross ist, man N n = N b und S n = S b setzen kann. Es ist dann N n = r + ½ und S n = r — ½, wenn man mit 1 die Länge des Magnetstabes N S bezeichnet. Es ist daher die gegenseitige Wirkung der Pole N und n = — , und diejenige der Pole S und n = + , daher die Gesammtwirkung = . Dieser Ausdruck aber wird, da gegen r 2 verschwindet, = . 332 Magnetisches Drehungsmo- ment und Direc- tionskraft der Magnete. Der Magnetismus folgt, wie wir im letzten §. gesehen haben, demselben Gesetz der Fernewirkung wie die Schwere. Das Gesetz der magnetischen Fernewirkungen ist aber in seinen Anwendungen ver- wickelter, weil es nicht bloss anziehende, sondern auch abstossende mag- netische Kräfte gibt. Auch für die Bewegungen der Körper, auf wel- che magnetische Kräfte einwirken, gelten dieselben Gesetze wie für die Bewegungen unter dem Einfluss der Schwere. Wir können, wenn ein Magnet von einem andern angezogen oder abgestossen wird, so- wohl fortschreitende als drehende Bewegung beobachten. In allen diesen Fällen aber resultirt die Bewegung aus der Wirkung des Mag- netismus und aus der Wirkung der Schwere, unter deren Einfluss die Magnete wie alle Körper stehen. Ebendesshalb beobachten wir nur sehr selten und in der Regel nur wenn sich die magnetischen Körper sehr nahe kommen, eine fortschreitende Bewegung derselben in Folge der magnetischen Anziehung oder Abstossung. In der Regel wird diese Bewegung durch den Einfluss der Reibung und anderer Magnetismus. Widerstände aufgehoben. Häufiger kommt eine drehende Wirkung vor, und diese wird daher gewöhnlich benützt, um über die Inten- sität magnetischer Kräfte Aufschluss zu erhalten. Ein Magnet, der in seinem Schwerpunkt an einem Faden aufgehängt ist oder sich auf einer Spitze dreht, findet nämlich bei seinen Drehbewegungen nur äusserst geringe Widerstände. Nehmen wir an, der Magnetstab n s (Fig. 226) sei in seinem Mittelpunkt b aufgehängt, und N S sei ein unbeweglicher Magnet ihm gegenüber, so wird der Pol S den Pol n anziehen in der Richtung n o. Da aber n sich nur um den Mittel- punkt b drehen kann, so wird nur die in der Richtung der Tangente des Drehungsbogens gelegene Componente n m eine wirkliche Bewe- gung hervorbringen; die andere Componente n p der Kraft n o wird den Pol n nach der Richtung n s ziehen, d. h. sie wird den Magneten in seiner Richtung zu erhalten streben. Man nennt daher auch die Componente n m die Drehkraft und die Componente n p die Direc- tionskraft des Magneten. Bezeichnen wir den Winkel, welchen die Richtung S n mit dem Magneten n s bildet, mit β , so ist die Dreh- kraft = M. sin. β und die Directionskraft = M. cos. β , wenn wir durch M die magnetische Anziehungskraft o n ausdrücken. Die Wirkung der Drehkraft m n ist vollständig nach dem Princip des Hebels zu beurtheilen; sie erzeugt ein Drehungsmoment , welches = M. sin. β . n b ist, da sie an dem Hebelarme n b wirkt. Um den Magnetismus irgend eines magnetischen Körpers zu er- mitteln, kann man sich nun sowohl des magnetischen Drehungsmo- mentes wie der magnetischen Directionskraft bedienen. Es sei n s (Fig. 227) eine entweder an einem Faden aufgehängte oder auf einer Fig. 227. Spitze drehbare Magnetnadel, die sich in der Richtung des magne- tischen Meridians befindet. Man habe zwei Magnete, deren magne- tische Kräfte verglichen werden sollen. Beide Magnete werden nach einander in die auf der Richtung des Meridians senkrechte Stellung N S gebracht und die dauernden Ablenkungen beobachtet, welche die Nadel n s erfährt. Wenn n' s' die Lage ist, welche die Magnetnadel n s unter dem Einfluss des einen Magneten annimmt, so steht die- selbe unter dem Einfluss zweier Kräfte, nämlich der in der Richtung des Meridians wirkenden erdmagnetischen Kraft n' x und der drehen- den Kraft n' y des Magneten, welche letztere, wenn sich der Von der Elektricität. Magnet in grosser Entfernung befindet, als senkrecht zu n' x ange- nommen werden kann, weil in diesem Fall die Richtungen n' S und n' y nur unendlich wenig von einander verschieden sind. α ist der Winkel, um welchen sich die Nadel n s gedreht hat, und β ergänzt den ersteren zu 9°. Die senkrecht zu n' s' in entgegengesetzter Richtung auf den Pol n' wirkenden Componenten sind daher n' x. sin. α und n' y. sin. β = n' y. cos. α , und damit zwischen beiden Gleich- gewicht bestehe, muss n' x. sin. α = n' y. cos. α oder n' y = n' x tgt. α sein. Ebenso verhält es sich mit der Wirkung auf den Pol s'. Bringt man daher an die Stelle von N S einen andern Magneten, der eine Ablenkung α' erzeugt, so verhalten sich die magnetischen Kräfte M und M' beider Magnete M : M' = tgt. α : tgt. α' . Man kann ausser dieser noch eine zweite Methode zur Verglei- chung der magnetischen Kräfte befolgen. Es sei n s (Fig. 228) die Fig. 228. ursprüngliche mit dem magnetischen Meridian zusammenfallende Rich- tung der Magnetnadel. Man erzeuge nun durch den Magneten N S die Ablenkung und stelle diesen Magneten so auf, dass er sich senk- recht zur Mitte der abgelenkten Nadel n' s' befindet. Betrachten wir wieder die Wirkung auf den Pol n, so sehen wir denselben jetzt unter dem Einfluss der zu n s parallelen erdmagnetischen Kraft n' x und der drehenden Kraft n' y des Magneten stehen, welche letztere wir wieder senkrecht zu n' s' annehmen können. Die auf n' s' senk- rechte Componente der erdmagnetischen Kraft ist n' m = o x = n' x. sin. α , wo α wieder gleich dem Ablenkungswinkel ist. Wir haben daher jetzt n' y = n' x. sin. α , und bei der Vergleichung verschiedener Magnete mit den Ablenkungen α und α' verhält sich M : M' = sin. α : sin. α' . Man kann demnach sowohl Tangentenablenkungen als Sinusablenkungen zur Bestimmung der magnetischen Drehungs- momente benützen, um aus diesen auf die relativen Kräfte der unter- suchten Magnete zu schliessen. Magnetismus. Statt des Drehungsmomentes lässt sich, wie oben bemerkt, auch die magnetische Directionskraft zur Messung magnetischer Kräfte anwenden. Man bringt zu diesem Zweck wieder den Stab N S, dessen Magnetismus geprüft werden soll, in die Nähe der Prü- fungsnadel n s. Hat die letztere ihre Gleichgewichtslage eingenom- men, so entfernt man sie aus derselben und beobachtet nun die Ge- schwindigkeit der Schwingungen, welche sie um die Gleichgewichts- lage ausführt. Es müssen sich dann nach dem allgemeinen Schwin- gungsgesetz (§. 29) die Quadrate der Schwingungszeiten umgekehrt wie die schwingungerregenden Kräfte verhalten. Da nun die Wirkung des Erdmagnetismus auf die Magnetnadel constant bleibt, so müssen die Magnetismen M und M' verschiedener Magnete, die man in derselben Entfernung angebracht hat, jenen Quadraten umgekehrt proportional sein. Man hat also M : M' = t' 2 : t 2 . Ausserdem ist natürlich sowohl bei den Ablenkungs- wie bei den Schwingungsversuchen die Wirkung, nach dem oben (§. 331) festge- stellten Gesetz, der dritten Potenz der Entfernung umgekehrt propor- tional. Eine Magnetnadel, die in der vorhin angegebenen Weise sich 333 Magnetischer Meridian. De- clination und Inclination der Magnetnadel. Intensität des Erdmagnetis- mus. Bestim- mung des mag- netischen Mo- mentes eines Magneten. in einer Horizontalebene um ihren Mittelpunkt drehen kann, nimmt, wie wir im letzten §. schon gelegentlich erwähnt haben, wenn keine andern Magnete oder Eisentheile, welche auf sie wirken können, sich in der Nähe befinden, eine Richtung an, die für jeden Ort der Erde nahehin constant ist. Man bezeichnet diese Richtung als den mag- netischen Meridian des Ortes. Den Winkel, welchen diese Rich- tung der Magnetnadel mit dem astronomischen Meridian bildet, be- zeichnet man als die Declination . Lässt man dagegen eine Mag- netnadel sich um eine horizontale, durch ihren Schwerpunkt gelegte Axe drehen, so nimmt sie eine geneigte Stellung an. Man bezeichnet diese Neigung, die sich gleich der Declination auf der Erdoberfläche stetig verändert, und die in einer Linie rings um die Erde nahe dem Aequator völlig verschwindet, als die Inclination . Bringt man nun eine horizontal aufgehängte Magnetnadel aus dem magnetischen Meridian, so muss sie um diesen als Gleichge- wichtslage einige Zeit schwingen, bis sie wieder in ihm zur Ruhe kommt. Hierbei ist ihre Schwingungsdauer 1) von ihrem eigenen Magnetismus und 2) von der Intensität des Erdmagnetismus an dem betreffenden Punkt der Erdoberfläche abhängig. Die Unveränderlich- keit des letztern vorausgesetzt verhalten sich, wie wir im vorigen §. bemerkten, die Magnetismen verschiedener Nadeln wie die Quadrate ihrer Schwingungsgeschwindigkeiten. Würden wir daher umgekehrt eine Nadel von constantem Magnetismus an verschiedenen Stellen Von der Elektricität. der Erdoberfläche schwingen lassen, so würden sich die Quadrate ihrer Schwingungsgeschwindigkeit wie die Intensitäten des Erdmag- netismus verhalten. Dieses Verfahren zur Messung des Erdmagnetis- mus wäre jedoch ebenso mühselig wie ungenau, da der Magnetismus einer Nadel nie völlig constant bleibt. Man kann nun aber ohne weiteres die Intensität des Erdmagnetismus bestimmen, wenn man 1) einen Mag- netstab unter der blossen Einwirkung des Erdmagnetismus schwingen lässt, und wenn man 2) mit demselben Magneten einer Magnetnadel, die man in bestimmter Entfernung aufstellt, eine Ablenkung ertheilt. Durch die zweite Messung erhält man (nach §. 332) das Verhält- niss des magnetischen Momentes des ablenkenden Magneten zu dem- jenigen des Erdmagnetismus, die erstere Messung liefert das Pro- duct beider Grössen. Eliminirt man aus den so gewonnenen beiden Gleichungen das magnetische Moment des Magneten, so erhält man die horizontale Directionskraft des Erdmagnetismus. Aus dieser ho- rizontalen Componente kann aber die gesammte erdmagnetische Kraft gefunden werden, wenn man jene mit dem Cosinus der Inclination multiplicirt. Dieselbe Methode lässt sich anwenden, um das magne- tische Moment irgend eines Magnetstabes zu bestimmen. Man voll- führt zu diesem Zweck wie oben eine Schwingungs- und eine Ablen- kungsbeobachtung und eliminirt hierauf, statt wie vorhin das magne- tische Moment des Stabes, den Erdmagnetismus aus den zwei gewon- nenen Gleichungen. Bezeichnen wir mit t die Dauer einer halben Schwingung des Magnetstabes, mit M das magnetische Moment des letztern, mit K sein Trägheitsmoment, und mit X die horizontale Componente des Erdmagnetismus, so folgt aus §. 29 und 56, dass 1) ist. Nennen wir ferner φ den Ablenkungswinkel, um welchen die Magnetnadel, deren magnetisches Moment = m sein soll, gedreht wird, so verhält sich nach §. 332 die durch den Erdmagnetismus dieser Nadel gegebene Directionskraft zu dem Drehungs- moment, welches durch die Einwirkung des Magneten entsteht, wie cos. φ : sin. φ , also X: . φ : sin. φ , woraus folgt 2) . Aus 1 und 2 erhält man aber durch Multiplication 3) . In dieser Gleichung hat man nur das Trägheitsmoment K nach den Regeln des §. 56 und das magnetische Moment m der Nadel zu ermitteln. Letzteres geschieht, indem man den Winkel φ' bestimmt, um welchen die Nadel bei einer andern Entfer- nung r' des Magnetstabes abgelenkt wird. Dividirt man die Gleichung 2 durch die Gleichung 3, so wird dadurch X eliminirt, und man kann jetzt M bestimmen. Die Zahl, die man so für X oder für M erhält, hängt von der Grösse der in dem Träg- heitsmoment K für die Masse und der für die Entfernung r gewählten Einheiten ab. Wechselwirkungen elektrischer Ströme und Theorie des Magnetismus. Bezeichnen wir mit Gauss als Einheit der Kraft jene, welche an dem Hebel- arm von 1 Millim. Länge einer Masse von 1 Milligr. eine Geschwindigkeit von 1 Mil- lim. ertheilt, so ist das magnetische Moment der Erde = 853800 Quatrillionen sol- cher Einheiten. Wie der Erdmagnetismus, so lässt sich nun in der oben angegebenen Weise die Kraft jedes andern Magneten in den gleichen Einheiten ausdrücken. Das hier aufgestellte Maass des Magnetismus nennt man das absolute Maass desselben zum Unterschied von den in §. 332 angegebenen Methoden der relativen Messung. Zur Erkenntniss des magnetischen Zustandes der Erde bedarf man an möglichst vielen Orten angestellter Messungen der Declination, Inclination und horizontalen In- tensität. Die Declination gibt die Richtung des magnetischen Meridians an. Das Re- sultat der Declinationsmessung lässt sich aber mittelst der Inclinationsnadel verificiren, da die Inclination in der Ebene des magnetischen Meridians am kleinsten ist und mit dem Winkel, welchen die Inclinationsnadel mit dem letzteren bildet, wächst, bis sie endlich in einer senkrecht zum Meridian stehenden Ebene sich vertical stellt. Dies erklärt sich folgendermassen. Der Erdmagnetismus übt in der Ebene des magnetischen Meridians eine schräg gerichtete Kraft aus, deren Richtung die Inclinationsnadel annimmt. Man kann aber diese Kraft in eine verticale und eine horizontale Compo- nente zerlegen, von denen die letztere mit dem Winkel, den die Inclinationsnadel mit dem Meridian bildet, abnimmt und endlich, wenn dieser Winkel 90° beträgt, null wird. Da die Inclinationsnadel, wenn sie im magnetischen Meridian steht, die Richtung der erdmagnetischen Kraft angibt, so bedient man sich ihrer, um aus der horizontalen Intensität die Totalintensität zu berechnen. Zur Bestimmung der horizontalen Inten- sität, welche die grösste Sorgfalt erfordert, hat hauptsächlich Gauss die mustergül- tigen Methoden aufgestellt, deren Princip wir oben im Allgemeinen erörtert haben. Die Linien auf der Erdoberfläche, welche Punkte gleicher magnetischer Declination verbinden, heissen Isogonen , Linien von gleicher Inclination werden dagegen als Isoklinen und Linien von gleicher Intensität als Isodynamen bezeichnet. Die magnetische Axe der Erde ist nach Gauss jener Erddurchmesser, welcher die Punkte 77°50' n Br., 63°31' westl. L. von Greenwich und 77°50' s. Br., 116°21' östl. L. verbindet. Noch unerklärt sind die unregelmässigen säcularen und täglichen Va- riationen, welche die Declinations- und Inclinationsnadel, sowie die Intensität der erd. magnetischen Kraft zeigen. Vergl. hierüber §. 337. Sechstes Capitel . Wechselwirkungen elektrischer Ströme und Theorie des Magnetismus. In der Einwirkung magnetischer Körper auf einander sind uns 334 Gegenseitige Wirkungen elektrischer Ströme. Ampè- re’sche Gesetze. Bewegungserscheinnngen entgegengetreten, für welche die bisher auf- gestellte Annahme magnetischer Kräfte nur eine ungenügende Erklä- rung bietet. Um zu einer Einsicht in das Wesen dieser Kräfte zu ge- langen, müssen wir zunächst eine Reihe elektrischer Erscheinungen betrachten, die mit jenen magnetischen Wirkungen die grösste Ana- logie darbieten. Wie ein Magnet auf einen andern, so vermag näm- lich ein Leiter, in welchem ein elektrischer Strom fliesst, auf einen zweiten ebenfalls vom Strom durchflossenen Leiter anziehend oder abstossend einzuwirken. Diese gegenseitigen Wirkungen elektrischer Ströme, die man unter der Bezeichnung der elektrodynamischen Von der Elektricität. Erscheinungen zusammenfasst, sind zuerst von Ampère erkannt wor- den. Er brachte in die Nähe eines festen Leiters a b c d (Fig. 229) Fig. 229. einen andern Leiter e f g h, dessen beide Drahtenden so in zwei Quecksilbernäpfchen x und y tauchten, dass der ganze Leiter sich leicht um die Axe x y drehen konnte. Wurde nun durch beide Leiter ein elektrischer Strom geschickt, so stellte sich, wenn die Richtung der Ströme die in der Fig. durch die Pfeile angegebene war, der Draht f g dem Drahte c d gerade gegenüber. Wurde dagegen der Strom in dem beweglichen Leiter umgekehrt, so dass er die entge- gengesetzte Richtung wie im festen Leiter hatte, so entfernte sich fg von c d, und der Leiter e f g h nahm eine auf a b c d senkrechte Stellung an. Parallele Ströme ziehen somit sich an, wenn sie gleiche und stossen sich ab, wenn sie entgegenge- setzte Richtung haben . Wurde dem beweglichen Leiter die Lage h i l m gegeben, in der seine Seite h i mit der Seite a b des festen einen Winkel einschloss, so wurde h i von a b angezogen, wenn beide Ströme nach dem Scheitel des Winkels hinflossen oder sich von demselben entfernten. Wenn dagegen der eine Strom sich ge- gen den Scheitel hin- und der andere von ihm wegbewegte, so sties- sen beide sich ab, und der bewegliche Leiter nahm daher eine auf die Ebene des festen senkrechte Stellung an. Lässt man also einen Strom durch einen winkelig gebogenen Leiter a b c (Fig. 230) flies- Fig. 230. sen, so müssen auch die Theile a b und b c desselben gegenseitig sich abstossen. Diese abstossende Wir- kung wird stattfinden, wie gross man den Winkel b machen möge, und sie ist noch vorhanden, wenn man ihn sogar = 180° nimmt, also statt des gebogenen Leiters einen geraden wählt. Daraus folgt, dass die hinter einander gelegenen Theile eines und desselben Stromes sich abstossen . Es bleibt sich nun aber ferner gleich, ob die leitenden Theile a b und c d (Fig. 231) zusammenhängen und vom selben Strome Wechselwirkungen elektrischer Ströme und Theorie des Magnetismus. durchflossen werden, oder ob sie zwei getrennte Leiter sind, wenn nur der Strom in ihnen die gleiche Richtung hat. Geben wir dagegen Fig. 231. beiden Strömen entgegengesetzte Richtungen, wie dies durch die untern Pfeile angedeutet ist, so werden beide Ströme sich anziehen. Wir können somit für die Wechselwirkung verschiedener Ströme fol- gende drei Gesetze aufstellen: 1) Parallele Ströme ziehen sich an, wenn sie gleiche, stossen sich ab, wenn sie entgegengesetzte Richtung besitzen, 2) Ströme, die sich in einer geraden Linie befinden, ziehen sich an, wenn sie von entgegengesetzter, und stossen sich ab, wenn sie von gleicher Richtung sind, und 3) Ströme, die einen Winkel mit einander einschliessen, ziehen sich an, wenn beide Ströme nach dem Scheitel des Winkels oder von ihm weggekehrt sind, und stossen sich ab, wenn sie in Bezug auf denselben entgegengesetzte Richtungen haben. Aus dem letzten dieser drei Gesetze wollen wir hier noch eine Folgerung ziehen, die für die Anwendung von besonderer Bedeutung ist. Denken wir uns einen geradlinigen Strom x y (Fig. 232) von Fig. 232. unbegrenzter Ausdehnung, und in grösserer Entfernung über demsel- beu einen geschlossenen Strom, der z. B. in einem kreisförmigen Leiter fliesst, so wird der Strom x y auf den Stromtheil a b anziehend und auf den Stromestheil c d abstossend wirken, beide Wirkungen werden aber sich aufheben, weil die Entfernung von a b und c d gegen die Entfernung des ganzen geschlossenen Leiters von dem unbegrenzten Strom x y verschwindet. Ferner wird der Theil x z des unbegrenz- ten Stroms auf den Theil d a des geschlossenen und ebenso der Theil z y auf den Theil b c anziehend wirken. Der Leiter a b c d wird sich also mit x y in eine Ebene stellen. Kehren wir dagegen den Strom in dem geschlossenen und beweglichen Leiter um, so wird nun a d von x z und ebenso c b von z y abgestossen: der Leiter a b c d dreht sich also und nimmt eine auf x y senkrechte Stellung Wundt , medicin. Physik. 33 Von der Elektricität. ein. Man kann diese Erscheinungen leicht hervorrufen, wenn man unter dem beweglichen Stromesleiter e f g h (Fig. 229) in grösserer Entfernung einen geradlinigen Strom anbringt. Folgende zwei Versuche liefern interessante Bestätigungen der Ampère ’schen Gesetze. Ueberzieht man den Draht a b c (Fig. 230) mit einem isolirenden Firniss, ausgenommen an seinen Enden a und c, und legt denselben in einen mit Quecksilber gefüllten Trog, durch den ein elektrischer Strom geleitet wird, so wird der Leiter sei- ner Länge nach durchflossen, seine beiden Theile a b und b c üben daher gegen b hin abstossende Wirkungen aus, deren Resultirende b e ist. Der Leiter bewegt sich daher in der Richtung b e auf dem Quecksilber weiter. Ein zweiter Versuch ist fol- gender. Man befestigt eine Drahtspirale an ihrem obern Ende an dem einen Pol einer galvanischen Kette, das untere Ende lässt man in ein Quecksilberschälchen tau- chen, das mit dem andern Pol in Verbindung gesetzt wird. Im Moment, in welchem man den Strom schliesst, wird nun die Drahtspirale durchflossen: es entstehen so in den einzelnen Windungen derselben parallele Ströme gleicher Richtung, und man be- obachtet daher, dass die einzelnen Windungen sich nähern, die ganze Spirale also sich verkürzt. Die angeführten Versuche geben keinen Aufschluss über die Grösse der Kräfte, welche verschiedene Ströme je nach ihrer Intensität, Entfernung und Richtung auf einander ausüben. Um hierzu zu gelangen, hat W. Weber messende Beobachtun- gen ausgeführt, indem er den elektrodynamischen Kräften genau messbare mechanische Kräfte entgegenwirken liess und beobachtete, wenn beide sich das Gleichgewicht hal- ten. Weber bediente sich zu diesen Beobachtungen eines Instrumentes, das er als Elektrodynamometer bezeichnete. Eine mit übersponnenem Draht umwickelte Rolle war an zwei Drähten (bifilar) aufgehängt, und es konnten ihr zu einer andern festen Drahtrolle (Multiplicatorrolle) bestimmte Stellungen gegeben werden. An der Bifilar- rolle war ein Spiegel befestigt, um in der in Fig. 82 §. 133 dargestellten Weise de- ren Ablenkungen zu messen. Die Bifilarrolle wurde stets in eine Ebene senkrecht zur Ebene des magnetischen Meridians gebracht. Die Multiplicatorrolle wurde theils so aufgestellt, dass die durch sie gelegte Ebene die Bifilarrolle halbirte, theils so, dass die durch letztere gelegte Ebene die Multiplicatorrolle halbirte, theils auch so, dass die Mittelpunkte beider Rollen zusammenfielen. Es wurde nun durch beide Rollen ein Strom geschickt (bei der Bifilarrolle dienten die Aufhängungsdrähte als Leiter), dessen In- tensität nach den in §. 310 erörterten Methoden bestimmt war. Dieser Strom be- wirkte eine Drehung der Bifilarrolle, deren Grösse gemessen wurde. Als Kräfte ka- men bei derselben in Betracht 1) die Directionskraft, durch welche die Rolle in der ihr anfänglich gegebenen Stellung zu verharren strebte: diese Kraft war theils durch die Aufhängung an den beiden Drähten, theils durch die unten (§. 336) zu erörternde Wirkung des Erdmagnetismus bestimmt, 2) die ablenkende Kraft, welche die Multipli- catorrolle vermöge des Stroms, der in ihr kreiste, ausübte. Die erstere Kraft liess sich durch die Messung der Schwingungsdauer und der durch Kräfte von gegebener Grösse hervorgerufenen Ablenkungen leicht ermitteln, so dass dann unmittelbar die Grösse der ablenkenden Kraft bestimmt werden konnte. Weber fand auf diesem Wege die folgenden schon von Ampère aufgestellten Gesetze bestätigt: 1) die Anzie- hung oder Abstossung zweier Stromelemente ist proportional den in der Zeiteinheit durch dieselben hindurchfliessenden Elektricitätsmengen, sie ist 2) umgekehrt propor- tional dem Quadrat der Entfernung beider Stromelemente, und sie ist um einen con- stanten Factor verschieden, je nachdem die Stromelemente einander parallel sind oder Wechselwirkungen elektrischer Ströme und Theorie des Magnetismus. in der nämlichen Linie liegen. Bezeichnen wir die Länge des einen Elementes mit λ und die Intensität des durch dasselbe fliessenden Stroms mit i, so ist die Elektri- citätsmenge, welche in der Zeiteinheit durch dasselbe fliesst = i. λ ; ebenso ist die Elektricitätsmenge e', welche durch das andere Stromelement fliesst = i' . λ' , wenn wir hier mit i' und λ' Stromintensität und Länge des Elementes bezeichnen. Für parallele Ströme ist daher die Wirkung beider Stromelemente auf einander = c. , für Ströme, die in derselben Linie liegen, = k. , worin c und k constante Werthe bedeuten. Setzt man c = 1, so wird nach den Versuchen von Ampère und Weber k = ½, d. h. die Wirkung von Stromelementen, die in derselben Linie liegen, ist, unter sonst gleichen Bedingungen, halb so gross wie die Wirkung paralleler Stromelemente. Sendet man durch beide Leiter denselben Strom, so wird die Wirkung proportional dem Quadrat der Intensität desselben. Die aus den obigen Ausdrücken für c = 1 oder k = ½ sich ergebenden Werthe der Strom- stärken werden als das absolute elektrodynamische Maass derselben bezeichnet. Die Wirkungen zweier Ströme auf einander führen zu eigenthümlichen theoreti- 335 Weber’s Theo- rie der elektro- dynamischen Er- scheinungen. schen Vorstellungen, die von Weber näher entwickelt worden sind, und die wir hier wenigstens in ihren Grundzügen andeuten wollen. Gemäss den Gesetzen der statischen Elektricität würden zwei Elemente von elektrischen Strömen durchflossener Leiter, die sich in der Entfernung r von einander befinden, folgende gegenseitige Wirkungen aus- üben: , wenn wir mit ± e und ± e' die in den Elementen vorhandenen Elektricitätsmengen bezeichnen. Die Summe jener Wirkungen ist aber offenbar gleich null. Es können also die Wechsel- wirkungen durchflossener Leiter nicht aus den Gesetzen der Elektrostatik abgeleitet werden. Dies geht übrigens schon daraus hervor, dass die elektrodynamischen Wirkungen erst zum Vorschein kommen, sobald die Elektricität sich bewegt, und dass sie mit der Geschwindigkeit dieser Bewegung, d. h. mit der Stromintensität, zu- nehmen. In der Elektrostatik handelt es sich gewissermassen nur um den Grenz- fall, wo die gegenseitigen Geschwindigkeiten null sind, und wo daher auch die von diesen Geschwindigkeiten abhängenden Wirkungen verschwinden und nur die Wirkun- gen der freien Elektricität übrig bleiben. Wir können desshalb das elektrostatische Grundgesetz so ergänzen, dass es auch auf die elektrodynamischen Erscheinungen an- wendbar wird, wenn wir demselben ein Glied hinzufügen, welches die gegenseitige Ge- schwindigkeit der Elektricitätsmengen enthält. Nun findet in je zwei Stromelementen eine doppelte Bewegung statt: in zwei hinter einander gelegenen Theilen eines Stroms z. B. ist eine gleich gerichtete Bewegung der gleichnamigen und eine entgegengesetzt gerichtete Bewegung der ungleichnamigen Elektricität vorhanden. Da aber nach dem allgemeinen Gesetz der Wirkung elektrischer Massen auf einander gleichnamige Elek- tricitäten sich abstossen, ungleichnamige sich anziehen, und die Erfahrung uns lehrt, dass die hinter einander gelegenen Theile eines Stroms einander abstossen, so müssen wir nothwendig schliessen, dass die Anziehungen der ungleichnamigen Elektricitäten schwächer sind als die Abstossungen der gleichnami- gen . Bezeichnen wir somit die Geschwindigkeit der Elektricitätsmenge e mit v, die Geschwindigkeit der Elektricitätsmenge e' mit v', so ist die relative Geschwindigkeit beider Elektricitätsmengen = v — v' und die Wirkung beider Elektricitätsmengen auf einander wird nun ausgedrückt durch die Formel (1 —a(v—v') n ), wo a eine 33 * Von der Elektricität. Constante und n eine noch zu ermittelnde Potenz bezeichnet. Hiermit ist jedoch das Gesetz der elektrodynamischen Wirkungen noch nicht erschöpft. Wenn die relative Geschwindigkeit der auf einander wirkenden Massen ein Factor ist, welcher die Kräfte derselben bestimmt, so ist klar, dass auch eine etwaige Aenderung dieser relativen Geschwindigkeit nicht ohne Einfluss sein kann. In zwei geraden Leitern ist z. B. die relative Geschwindigkeit der Elektricität je nach der Lage der in Betracht gezo- genen Elemente eine verschiedene, sie ist um so grösser, je weiter dieselben von ein- ander entfernt liegen, sie wird null, wenn sie sich gerade gegenüber liegen, denn in diesem Fall nähern sich weder die bewegten Elektricitäten, noch entfernen sie sich von einander. Bezeichnen wir also mit x jene Aenderung der relativen Geschwindig- keit, so müssen wir zu der obigen Formel einen Factor b x, wo b wieder eine Con- stante bedeutet, hinzufügen. Nehmen wir die Potenz n der Geschwindigkeit = 2 an, so erhalten wir für die vollständige Wirkung w folgenden Ausdruck: Weber hat gezeigt, dass dieser Ausdruck auf den oben (§. 334) durch die Erfah- rung ermittelten zurückgeführt werden kann. Wir müssen also zur Erklärung der elektrodynamischen Erscheinungen annehmen, dass je zwei Elektricitätsmengen mit Kräften auf einander wirken, die nicht bloss im umgekehrten Verhältniss des Quadrats ihrer Entfernungen stehen, sondern die ausserdem erstens dem Quadrat der relativen Geschwindigkeit und zweitens der Geschwindigkeitsände- rung proportional sind. Dieses Gesetz begreift specielle Fälle unter sich, wo die Ge- schwindigkeitsänderung null wird und andere, wo ausserdem auch die Geschwindigkeit null wird. Der letztere Fall ist derjenige der elektrostatischen Wirkung. Das hier angedeutete allgemeine Gesetz der Elektrodynamik steht jedoch mit den Grundsätzen der Mechanik in ihrer gegenwärtigen Gestalt im Widerspruch. Denn der Umstand, dass sie von der Geschwindigkeit abhängen, unterscheidet die elektrodynamischen Kräfte von allen andern Naturkräften, die wir bis jetzt kennen gelernt haben, und auf deren Wirkungsweise die Lehren der Mechanik gegründet sind. 336 Der Erdstrom. Wenn man einen geschlossenen Leiter, in welchem ein Strom fliesst (wie a b c d Fig. 232), frei beweglich aufhängt, so beobachtet man, dass dieser Leiter, auch ohne dass man einen andern Strom in seine Nähe bringt, eine bestimmte Stellung annimmt. Die Ebene des Leiters stellt sich nämlich so zur Ebene des magnetischen Meridians senk- recht, dass der Strom an der Westseite des Meridianes aufsteigt und an der Ostseite desselben abwärts fliesst. Ein in einem frei beweg- lichen geschlossenen Leiter fliessender Strom verhält sich demnach gerade so, als wenn sich unter ihm ein unbegrenzter geradliniger Strom wie x y (Fig. 232) befände, der von Osten nach Westen ge- richtet wäre. Denken wir uns, x wäre die Richtung des magnetischen Ostens und y diejenige des magnetischen Westens, so würde ein in der Richtung a b c d durchflossener Leiter sich in die Ostwestebene einstellen. Das Verhalten der beweglichen Ströme ist daher ein sol- ches, als wenn die Erde selbst in der magnetischen Ost-Westrichtung von einem Strome umkreist wäre. Wechselwirkung elektrischer Ströme und Theorie des Magnetismus. Am zweckmässigsten bestimmt man die Richtung des Erdstroms mittelst der Weber ’schen Bifilarrolle (s. §. 334), von der wir schon erwähnt haben, dass sie eine zur Richtung des magnetischen Meridians senkrechte Diurectionskraft besitzt. Diese Drehung eines um eine verticale Axe beweglichen Stroms entspricht der Decli- nation der Magnetnadel. Ebenso nimmt ein um eine horizontale Axe beweglicher und äquilibrirter Leiter, der von einem Strome durchflossen wird, eine Inclinationsstel- lung an, die zur Richtung der Inclinationsnadel senkrecht ist, woraus folgt, dass der Erdstrom in der zur Richtung der Inclinationsnadel senkrechten Ebene fliesst. Wenn man statt des einzelnen kreisförmigen Leiters a b c d in 337 Das Solenoïd. Zurückführung des Magnetis- mus auf elemen- tare Kreisströme Fig. 232 eine grössere Zahl solcher Leiter, die hinter einander liegen, von gleichgerichteten Strömen durchfliessen lässt, so gewinnt man ein System von Kreisströmen, welches von Ampère als ein Solenoïd bezeichnet wurde. Um die Wirkung eines derartigen Systems zu un tersuchen, winde man (Fig. 233) über einer Glasröhre bei a beginnend einen Draht schraubenförmig auf bis nach S, ziehe dann den Draht gradlinig durch die Mitte der Glasröhre von S bis N, und winde von Fig. 233. hier aus wieder schraubenförmig bis nach b. Man erhält so einen Lei- ter, der einem Solenoïd völlig gleichwerthig ist. Jede einzelne Schrau- benwindung kann man sich nämlich zerlegt denken in einen Kreis- strom und in einen geradlinigen Strom, der zum nächsten Kreisstrom geht; die Wirkung des letztern wird aber durch den in entgegenge- setzter Richtung laufenden geradlinigen Strom, welcher dem geraden Drahte S N angehört, aufgehoben, es bleibt also nur die Wirkung der Kreisströme übrig. Ampère hat eine solche, dem Solenoïd substi- tuirte Vorrichtung einen elektrodynamischen Cylinder genannt. Lässt man durch denselben einen Strom von a nach b, also in der Richtung der Pfeile fliessen, so wird jeder einzelne Kreisstrom sich wie der Strom a b c (Fig. 232) verhalten. Hängt man den Cylinder bei a und b um eine verticale Axe drehbar auf, so erhält jeder ein- zelne Kreisstrom und demgemäss auch der ganze Cylinder durch einen unter ihm fliessenden unbegrenzten Strom x y eine Directionskraft. Hat der Strom x y die durch den Pfeil angegebene Richtung von x nach y, so bleibt der elektrodynamische Cylinder mit ihm in gleicher Ebene. Hat dagegen der unbegrenzte Strom die Richtung y x, so Von der Elektricität. strebt jeder Kreisstrom sich mit ihm in gleiche Ebene zu stellen: der ganze Cylinder sucht also eine auf y x senkrechte Stellung ein- zunehmen, indem das Ende N desselben unter die durch N S und x y gelegte Ebene, das Ende S über diese Ebene sich dreht. Denken wir uns mit dem Kopf voran im Strom y x schwimmend, so wird N nach der linken Hand abgelenkt, d. h. das Ende N des elektrodynamischen Cylinders verhält sich wie der Nordpol, das Ende S wie der Südpol eines Magneten. Auch ohne dass ein Strom in seiner Nähe fliesst, nimmt der elektrodynamische Cylinder schon eine bestimmte Richtung an: es ist dies, wie sich aus der Drehung, die ein einzelner Kreisstrom erfährt, leicht ableiten lässt, die Richtung des magnetischen Meridians. Macht man den Cylinder in seiner Mitte um eine horizontale Axe drehbar, so ist seine Stellung diejenige der Inclinationsnadel. Werden endlich zwei elektrodynamische Cylinder wie derjenige in Fig. 233 verfertigt, so verhalten sich dieselben vollständig zu einander wie zwei Magnete: ihre gleichnamigen Pole stossen sich ab, ihre ungleichnamigen ziehen sich an. Die Eigenschaften des Solenoïds führen uns zu einer Vorstellung über das Wesen der magnetischen Erscheinungen, durch welche die- selben unmittelbar mit den elektrischen Erscheinungen in Beziehung gebracht werden. Verhält sich ein Solenoïd vollständig wie ein Mag- net, so liegt es nahe die Eigenschaft des Magneten ebenfalls auf pa- rallele und gleichgerichtete Kreisströme zurückzuführen. Da man aber einen Magneten der Länge nach in Theile spalten kann, deren jeder wieder ein vollständiger Magnet ist, so können wir nicht annehmen, dass ein Magnet aus einem einzigen System von Kreisströmen bestehe, sondern wir müssen uns denselben gleichsam aus einer unendlichen Anzahl unendlich kleiner Solenoïde zusammengesetzt denken. Wir können voraussetzen, jedes einzelne Molecül eines Magneten sei von einem Elementarstrom umkreist. Haben alle diese Elementarströme, oder hat auch nur die überwiegende Zahl derselben die gleiche Rich- tung, so müssen die gleichen Erscheinungen wie am elektrodynami- schen Cylinder hervortreten. Nur in einem Punkte unterscheidet sich der letztere von dem Magneten. Das Solenoïd zeigt nur magne- tische Erscheinungen an seinen Polen, der Magnet dagegen zeigt die- selben bis zu seiner mittleren Indifferenzzone. Nimmt man nun nach der Theorie an, dass ein Magnet aus unendlich vielen Solenoïden be- steht, die nur in ihrer überwiegenden Zahl die polare Richtung be- sitzen, so lässt sich leicht eine solche Anordnung derselben denken, bei welcher das Verhalten des ganzen Systems mit demjenigen des Magneten übereinstimmt. Hierin liegt zugleich die Möglichkeit uns das Verhalten derjenigen Körper zu erklären, welche, wie das Eisen und der Stahl, erst durch Streichen an einem Magneten die magneti- Wirkungen des elektrischen Stroms auf den Magneten. schen Eigenschaften gewinnen. In diesen Körpern, so müssen wir an- nehmen, existiren an und für sich schon jene Elementarströme. Aber dieselben haben alle möglichen Richtungen und vernichten dadurch gegenseitig ihre Wirkungen. Erst beim Magnetisiren nimmt eine grös- sere Zahl die gleiche Richtung an, und je mehr dies geschieht, um so stärker wird der Magnetismus. Die Erscheinungen des Erdmagne- tismus werden wir in ähnlicher Weise auf Ströme im Erdinnern zu- rückführen müssen; der im §. 336 angenommene Erdstrom ist diejenige Richtung im Erdinnern, in welcher ein Strom fliessen müsste, dessen Wirkung die Wirkungen aller jener Einzelströme ersetzen würde. Aus dem Wechsel in Intensität oder Richtung einzelner dieser Ströme wer- den auch die in §. 333 Anm. erwähnten Variationen der erdmagneti- schen Kraft begreiflich. Die auf den ersten Blick auffallende Annahme, dass zahlreiche Ströme unge- stört neben einander in einem leitenden Körper fliessen können, verliert ihr anschei- nend Widersprechendes, wenn man erwägt, dass es sich um Elementarströme handelt, welche die einzelnen Molecüle umfliessen. Die Widerstände innerhalb der einzelnen Elementarströme müssen wir verschwindend annehmen, da sonst die Ströme allmälig erlöschen würden. Jedes Molecül dagegen müssen wir uns von einer nicht leitenden Aethersphäre umgeben denken. Vervollständigt wird die obige Theorie des Magnetis- mus erst werden, nachdem wir durch die Betrachtung der Inductionserscheinungen im 9. Cap. die Vorbedingungen zur Erkenntniss des Vorgangs der Magnetisirung gewonnen haben. Siebentes Capitel . Wirkungen des elektrischen Stroms auf den Magneten. Zur Zurückführung der magnetischen Erscheinungen auf elemen- 338 Ablenkung der Magnetnadel durch denStrom. Elektromagneti- sche Einheit der Stromstärke. tare Kreisströme hat uns theils das Verhalten der Solenoïde zum Erd- magnetismus theils ihr Verhalten gegen einander den Anlass geboten. Wir sind aber bei dieser Gelegenheit zugleich auf die Bewegungen auf- merksam geworden, welche die Solenoïde unter dem Einfluss gerad- liniger Ströme, die sich in ihrer Nähe befinden, ausführen. Es wird sich also fragen, ob auch in dieser Beziehung die Erscheinungen an Solenoïden und Magneten sich decken. Die bejahende Entscheidung dieser Frage wird eine wesentliche Stütze der aufgestellten Theorie des Magnetismus sein. Wir haben schon gelegentlich die Magnetnadel als ein Hülfsmittel zur Erkennung und Messung elektrischer Ströme angewandt. Aber mit der Art der Einwirkung des Stroms auf den Magneten haben wir uns noch nicht eingehend beschäftigt. Der Erste, der, noch vor der Entdeckung der im vorigen Cap. dargestellten elektrodynamischen Er- scheinungen, diese Einwirkung nachwies, war Oersted . Er fand be- reits das Gesetz, welches die Ablenkungen der Magnetnadel durch einen über oder unter ihr vorbeigeleiteten Strom bestimmt. Dasselbe Von der Elektricität. lässt sich am einfachsten so ausdrücken: Wenn man sich in dem Strom, den Kopf voran und dem Magneten zugekehrt, schwimmend denkt, so wird der Nordpol des Magneten zur Linken abgelenkt. Nun ist aber, wie wir im vorigen §. gesehen haben, dieses selbe Gesetz für das Solenoïd gültig. Auch die Wirkung des Stroms auf den Mag- neten ist also damit auf das elektrodynamische Grundgesetz der An- ziehung und Abstossung von Strömen zurückgeführt. Da ein elektrischer Strom auf einen Magneten ebenso wie ein Magnet auf einen andern bewegend wirkt, so kann man das in §. 333 aufgestellte absolute Maass des Magnetismus auch auf die Stromstärke anwenden. W. Weber setzte somit die Stärke jenes Stromes = 1, welcher die Einheit der Fläche umfliessend dieselbe magnetische Wirkung ausübt wie ein Magnet, dessen magnetisches Moment = 1 ist. Diese elektromagnetische Einheit der Stromstärke ist natürlich von der in §. 334 Anm. auf- gestellten elektrodynamischen Einheit verschieden. Da man sich aber der Wirkung des Stroms auf den Magneten häufiger zur Messung der Stromstärken bedient als der Wirkung zweier Ströme auf einander, so wählt man auch in der Regel, wenn über- haupt die Stromstärke in absolutem Maass ausgedrückt werden soll, die elektromag- netische Einheit. Zur Messung der Stromstärke wird nach dieser Einheit am zweck- mässigsten die unten zu beschreibenden Tangentenbussole benützt. Nach den über- einstimmenden Messungen verschiedener Beobachter ist die so bestimmte absolute Ein- heit = 0,96 der in §. 310 aufgestellten, von der Wasserzersetzung entnommenen empirischen Einheit. 339 Anwendungen des Magneten zur Messung der Stromstärke. Tangenten- und Sinusbussole. Die Magnetnadel ist, wie wir schon in §. 310 erwähnt haben, das gebräuchlichste Hülfsmittel zur Messung von Stromstärken. Bringt man im Mittelpunkt eines kreisförmig gebogenen Leiters (Fig. 234) eine Magnetnadel n s an, deren Länge gegen den Durchmesser des Kreises sehr klein ist, so wird die Magnetnadel um einen Winkel abgelenkt, dessen Tangente proportional ist der Stromstärke. Die Kräfte, welche auf die im magnetischen Meridian befindliche Nadel n Fig. 234. Fig. 235. s (Fig. 235) wirken, sind nämlich der Erdmagnetismus, der sie in dem Wirkungen des elektrischen Stroms auf den Magneten. magnetischen Meridian zu erhalten strebt, und die drehende Kraft des Stromes, welche sie senkrecht zur Ebene des Meridians zu stellen sucht. Die Nadel nimmt daher eine mittlere Lage n' s' an, in wel- cher die auf sie wirkenden Componenten der erdmagnetischen Kraft n' x und der drehenden Kraft n' y sich das Gleichgewicht halten. Die Componente von n' x ist aber n' x. sin. α und die Componente von n' y = n' y. sin. β . Es muss daher n' x. sin. α = n' y. sin. β oder, da der Winkel β den Winkel α zu einem rechten ergänzt, also sin. β = cos. α ist, n' x. sin. α = n' y. cos. α , demnach n' y = n' x. tgt. α sein. Vergleicht man Ströme von verschiedener Intensität J, J', welche verschie- dene Ablenkungen α, α' erzeugen, so verhalten sich somit J:J' = tgt. α : tgt. α' . Die Instrumente, mittelst deren nach dem angegebenen Princip die Messungen ausgeführt werden, nennt man Tangentenbussolen . Wo es sich um die Messung starker Ströme handelt, kann man als kreisförmigen Leiter (Fig. 234) einen einzigen breiten Kupferstreifen wählen. Sollen schwächere Ströme gemessen werden, so wählt man statt dessen mehrfache Lagen eines übersponnenen Kupferdrahtes, die um einen kreisförmigen Rahmen gewickelt werden. Indem man so den Strom mehrfach um die Magnetnadel herumleitet, wird die Wir- kung auf dieselbe vervielfältigt. Die Ablenkungen liest man in der Regel auf einem horizontalen, getheilten Kreise ab. Wo es sich um die genaue Messung kleiner Ablenkungen handelt, kann statt dessen die in §. 133 Fig. 82 beschriebene Spiegelablesung gewählt werden. Wir haben im vorigen §. erwähnt, dass man sich der Tangentenbussole auch bedienen kann, um die Stromstärke in absolutem elektromagnetischem Maasse zu mes- sen. Hierzu dient folgende Erwägung. Es sei r der Radius des Bussolenkreises, so würde, wenn in diesem Kreise ein Strom = 1 fliesst, derselbe eine r 2 π mal so grosse Wirkung ausüben, als wenn derselbe die Einheit der Fläche umflösse. Wenn wir das magnetische Moment der Magnetnadel, in absolutem Maasse ausgedrückt, = m und die Stromstärke nach demselben Maass (s. den vorigen §.) = 1 setzen, so wird daher das von dem Strom auf die beiden Pole der Nadel ausgeübte Drehungsmoment n' y nach dem Gesetz der magnetischen Fernewirkung (§. 331) = sein. Setzen wir die Intensität des Erdmagnetismus = x, so muss sonach, damit Gleichge- wicht bestehe, mx. sin. . cos. α sein, woraus folgt . tgt. α . Hat man daher x in absolutem Maass bestimmt, so lässt sich unmittelbar auch die Stromstärke i nach absolutem Maasse finden. Sobald die Ablenkungen grösser werden, sind die Tangenten der Winkel nicht mehr genau den Stromstärken proportional, weil sich dann die Lage der Pole der Magnetnadel zu dem Strom merklich verändert. Um diesen Uebelstand zu vermeiden, hat man der Bussole noch eine an- dere, übrigens seltener gebrauchte Einrichtung gegeben. Dieselbe besteht Von der Elektricität. darin, dass man den kreisförmigen Leiter um seine verticale Axe drehbar macht, und dann, wenn die Nadel durch den Strom abgelenkt ist, den Leiter dreht, bis er mit der Nadel in einer Ebene liegt: hierbei muss man also den getheilten Kreis an dem Leiter statt an der Nadel anbringen. Gesetzt, es sei die Nadel wieder aus der Lage n s in die Lage n' s' (Fig. 236) abgelenkt, so übt nun der Strom, weil seine Ebene auch in der neuen Lage mit der Vertical- ebene der Nadel zusammenfällt, eine auf n' s' senkrechte, seiner In- tensität proportionale Wirkung n' y aus. Der Erdmagnetismus dage- gen wirkt mit einer Kraft n' x in der Richtung des magnetischen Me- Fig. 236. ridians, die auf n' s' senkrechte Componente dieser Kraft ist o x oder n' m = n' x sin. α , und damit Gleichgewicht bestehe, muss n' y = n' x sin. α sein. Die Stromstärke ist also in diesem Fall proportional dem Sinus des Ablenkungswin- kels. Man nennt daher Instrumente, die nach diesem Princip construirt sind, Sinusbus- solen . Man sieht leicht, dass die hier erörterten Mes- sungsmethoden des galvanischen Stroms mittelst der Tan- genten- und Sinusbussole vollständig den in §. 332 erörterten Bestimmungen des magnetischen Drehungsmomentes mittelst der Tangenten- und Sinusablenkungen ent- sprechen. 340 Multiplicator. Elektrogalvano- meter. Um eine Ablenkung der Magnetnadel an den Sinus- und Tan- gentenbussolen zu erhalten, muss die ablenkende Kraft des Stromes hinreichend gross sein, damit nicht nur das Trägheitsmoment der Na- del, sondern auch die vom Erdmagnetismus auf sie ausgeübte Direc- tionskraft überwunden werde. Zur Nachweisung schwacher Ströme benutzt man daher den Multiplicator . Bei diesem wird 1) durch Führung des Stromkreises in zahlreichen Windungen um die Magnet- nadel und durch möglichste Annäherung der Windungen an dieselbe Fig. 237. die ablenkende Kraft des Stroms er- höht, sowie 2) durch Anwendung eines s. g. astatischen Nadelpaars statt ei- ner einzigen Nadel die Directionskraft des Erdmagnetismus vermindert. Das astatische Nadelpaar (Fig. 237) besteht aus zwei Nadeln n s und n' s' von möglichst gleichem Magnetismus, die durch einen Bügel fest mit einan- der verbunden sind, so dass der Nord- pol der obern über dem Südpol der Wirkungen des elektrischen Stroms auf den Magneten. untern und der Südpol der obern über dem Nordpol der untern steht. Dadurch wird die Einwirkung des Erdmagnetismus auf die Pole der Nadel compensirt, und ein vollkommen astatisches Nadelpaar müsste daher in jeder andern Richtung ebenso leicht wie im magnetischen Meridian verbleiben. In der Praxis ist es aber nicht möglich eine vollkommene Astasie herzustellen, sondern es überwiegt immer etwas der Magnetismus der einen Nadel; ein frei an einem Coconfaden f aufgehängtes Nadelpaar stellt sich desshalb in den magnetischen Me- ridian ein. Bringt man es aus dieser Lage, so schwingt es um die- selbe, und zwar um so rascher, eine je grössere Kraft der Erdmagne- tismus noch ausübt, je mehr also das System von vollkommener Asta- sie entfernt ist. Man ermisst daher die Vollkommenheit der Astasie des Nadelpaars an seiner Schwingungsdauer. Wird nun ein Strom in der in Fig. 237 angegebenen Weise geführt, so wirkt derselbe auf beide Nadeln im gleichen Sinn. Denn denken wir uns mit dem Kopf voran und das Gesicht der Nadel zugekehrt im Stromarm a b schwim- Fig. 238. mend, so wird durch diesen der Pol n zur Linken abgelenkt, nach Von der Elektricität. derselben Richtung durch den Stromarm c d. Letzterer Stromarm wirkt aber ausserdem noch auf die Nadel n' s': Denken wir uns da- her jetzt das Gesicht dieser Nadel zugekehrt im Strom schwimmend, so wird nun n' nach entgegengesetzter Seite wie vorhin n gedreht: beide Nadeln zusammen erfahren also dieselbe Ablenkung. Der über- sponnene Kupferdraht des Multiplicators wird in vielfachen Windungen um einen hölzernen Rahmen gewickelt (Fig. 238), der einen verticalen und horizontalen Einschnitt besitzt, um die untere Nadel zwischen die Windungen aufzunehmen. Die obere Nadel spielt über den Windun- gen an einer Winkelscala. Der ganze Rahmen kann mittelst der seit- lich angebrachten Schraube s gedreht werden, um ihn in diejenige Stellung zu bringen, in welcher die Windungen der Nadel parallel sind: in dieser zeigt zugleich die Nadel auf den Nullpunkt des ge- theilten Kreises. Die Schraubenklemmen f, f, die mit den Drahtenden des Multiplicatorgewindes in Verbindung stehen, dienen zur Aufnahme der Leitungsdrähte, welche den zu messenden Strom zuführen. An vielen Multiplicatoren finden sich vier solche Schraubenklemmen, von welchen immer zwei je die Enden der Hälfte des Multiplicatordrahtes aufnehmen. Dies hat den Vortheil, dass man nach Belieben die ganze oder bloss die halbe Zahl der Windungen benutzen kann. Wird der Multiplicator nicht gebraucht, so lässt man mittelst der Schraube i die an einem Coconfaden hängende Nadel herab, bis sie auf dem getheilten Kreis aufruht. Das Ganze befindet sich auf einem durch Stellschrau- ben horizontal zu stellenden Brett und ist zur Abhaltung von Luft- strömungen von einer Glasglocke bedeckt. Die Leistungsfähigkeit eines Multiplicators hängt 1) von der Zahl seiner Draht- windungen und 2) von der mehr oder weniger vollkommenen Astasie und dem Mag- netismus der Nadeln ab. Nehmen wir an, ein breiter Kupferstreifen vom Widerstande R sei nur einmal um den Rahmen des Multiplicators gewunden, der Widerstand in dem zu messenden Strom sei r und seine elektromotorische Kraft E, so ist die der Stromstärke proportionale Wirkung auf die Magnetnadel . Denken wir uns nun jenen Kupferstreifen zu einem Draht ausgezogen, der in n Win- dungen um den Rahmen gelegt ist, so wird die Wirkung auf die Magnetnadel die n fache geworden sein, ausserdem aber wird auch der Widerstand des Drahtes 1) um das n fache zugenommen haben, weil er n mal so lang ist als der Kupferstreifen, und 2) um das n fache zugenommen haben, weil er einen n mal so kleinen Querschnitt be- sitzt. Im ganzen wird also der Widerstand des Multiplicators = n 2 R geworden sein. Man hat daher . Dieser Ausdruck wird aber ein Maximum, wenn n 2 R = r oder , wenn also der Widerstand des Multiplicatorgewindes gleich dem Widerstand der übrigen Schliessung ist. Um Ströme von grossem Wider- stand nachzuweisen, nimmt man daher viele Windungen eines dünnen Kupferdrahtes. Wirkungen des elektrischen Stromes auf den Magneten. Für die thierisch-elektrischen Versuche, bei denen es sich wegen der geringen Lei- tungsfähigkeit der thierischen Gewebe meistens um sehr bedeutende Widerstände han- delt, werden nach dem Vorgang von du Bois Reymond Multiplicatoren von bis zu 30,000 Windungen benutzt. Die Abhängigkeit der Ablenkungen von der Beschaffenheit des astatischen Na- delpaars ergiebt sich aus folgender Erwägung. Bezeichnen wir den Magnetismus der Nadeln mit m und m', die Stromintensität mit J und den Erdmagnetismus mit x, so können wir die ablenkende Wirkung, welche das Nadelpaar erfährt, ausdrücken durch , worin a und b gewisse Constanten bedeuten. Die ablenkende Wirkung wächst also in dem Maasse, als m—m', der Unterschied der Magnetismen, kleiner wird, sie nimmt aber ausserdem, wie der Zähler zeigt, mit der absoluten Grösse des Magnetismus zu. Hängt man nun ein astatisches Nadelpaar mit geringer Richtkraft den Windungen parallel in den Multiplicatorrahmen, so bewahrt es, auch wenn man die Windungen in den Meridian stellt, trotzdem gewöhnlich nicht diese Richtung, sondern weicht nach rechts oder links vom Nullpunkte ab. Der Grund dieser so genannten freiwilligen Ablenkung liegt hauptsächlich darin, dass der Kupferdraht durch geringe Beimen- gungen von Eisen magnetisch ist, und dass sein Magnetismus natürlich rechts und links in der Regel nicht vollkommen gleich vertheilt ist. Das astatische System stellt sich daher in eine Richtung, die der Resultanten des Erdmagnetismus und der Ab- lenkung durch die Drahtmassen entspricht. Die Wirkung auf die Magnetnadel wird nun aber erheblich geschwächt, wenn dieselbe nicht mehr dem Strome parallel steht. Man muss daher die freiwillige Ablenkung durch eine andere Richtkraft wieder auf- heben. Dies geschieht nach du Bois am zweckmässigsten, indem man an dem Null- punkt der Multiplicatortheilung die Spitze einer harten, stark magnetisirten Nadel be- festigt, deren Wirkung gerade hinreicht die astatische Nadel auf dem Nullpunkt zu halten. Ein ebenfalls häufig beobachtetes Phänomen bei sehr astatischen Nadeln ist die doppelsinnige Ablenkung . Man versteht darunter die Eigenschaft derselben, aus einer Ablenkung nach der einen Seite, in eine Ablenkung nach der andern Seite überzugehen, wenn man sie auf den Nullpunkt einzustellen versucht. Die doppelsinnige Ablenkung beruht auf einer temporären Magnetisirung, welche die Nadeln in diesem Fall senkrecht zu ihrer Längsrichtung durch den Erdmagnetismus erfahren. Der Multiplicator ist vorzüglich geeignet, um schwache Ströme nachzuweisen. Zur Messung der Stromintensität ist er weniger brauchbar, weil bei der geringen Entfernung der Nadel von den Windungen die Ablenkungen durchaus nicht proportio- nal den Stromstärken sind. Zu messenden Versuchen lässt sich daher bei ihm nur die Compensationsmethode (§. 320) anwenden. Man kann nun aber auch andere Vorrich- tungen, z. B. die in §. 339 erwähnte Tangentenbussole mit Drahtwindungen, zur Nachweisung schwacher Ströme benutzen, wenn man durch einen in die Nähe ge- brachten Magneten mit entgegengesetzter Polrichtung die Nadel astatisch macht, und dann die Spiegelablesung zu Hülfe zieht, wobei schon sehr kleine Ablenkungswinkel gemessen werden können. Man hat dann zugleich den Vortheil, das Instrument zu messenden Versuchen jeder Art benützen zu können. Von Meyerstein und Meiss- ner ist nach diesem Princip speciell für die thierisch-elektrischen Versuche ein In- strument gebaut worden, das sie Elektrogalvanometer genannt haben. In Fig. 239 ist dasselbe abgebildet. Einige tausend Windungen übersponnenen Kupferdrahtes sind auf den Rahmen D aufgewickelt. Der Rahmen, der auf dem durch Stellschrauben Von der Elektricität. horizontal zu stellenden Brette A mittelst eines Zapfenlagers a i aufgestellt ist, wird Fig. 239. durch die Schraube s so gerichtet, dass die Windungen dem Meridian parallel sind. Der Bügel b trägt an seinem un- tern in die Oeffnung des Rahmens ra- genden Arm einen ringförmigen Magne- ten m, an seinem oberen Arm d den Spie- gel S, der an einem Coconfaden hängt und an dem man aus der Ferne mittelst Fernrohr und Scale (§. 133) die Ablen- kungen des Magneten beobachtet. Auf der Säule B befindet sich oben eine ver- ticale Theilung T, an welcher zwei Brett- chen M und M' auf- und abbewegt wer- den können, welche die zur Astasirung des Magneten m dienenden Hülfsmagne- ten tragen. Auf M liegt ein grösserer, auf M' ein kleinerer Magnet: die Pole beider haben die entgegengesetzte Rich- tung wie die Pole des Magneten m. Der kleinere Magnet kann durch die Schraube s' etwas aus der Ebene des Meridians gedreht werden. Beiden Magneten gibt man durch Probiren diejenige Stellung, bei welcher der Magnet m möglichst astatisch und in seiner Gleichgewichts- lage den Windungen parallel ist. In vielen Fällen ist es zweckmässig das Drahtgewinde mit einer Kupferhülse zu umgeben. In einer solchen werden näm- lich, wie wir im §. 350 Anm. sehen wer- den, bei der Bewegung des Magneten elektrische Ströme inducirt: diese Ströme wirken aber dämpfend auf die Bewegun- gen des Magneten zurück, so dass der- selbe schneller in seiner Gleichgewichts- lage zur Ruhe kommt. Achtes Capitel . Elektromagnetismus und Diamagnetismus. 341 Magnetisirung des Eisens und Stahls durch den elektrischen Strom. Wenn man einen Eisenstab mit spiralförmigen Drahtwindungen umwickelt, so wird das Eisen im Moment, in welchem man den Strom durch den Draht fliessen lässt, magnetisch, und im Moment, in wel- chem man den Strom unterbricht, hört auch der Magnetismus wieder auf. Lässt man auf dieselbe Weise einen Stahlstab umfliessen, so dauert es einige Zeit, bis derselbe merklichen Magnetismus angenom- men hat, aber er bleibt nach dem Aufhören des Stroms magne- Elektromagnetismus und Diamagnetismus. tisch zurück. Durch den elektrischen Strom lässt sich also am Eisen und Stahl dieselbe Veränderung wie durch die Berührung mit einem Fig. 240. natürlichen Magneten hervorbringen. Denkt man sich, den Magneten ansehend, in dem Strome schwimmend, so liegt der sich bildende Nord- pol zur Linken, d. h. die Pole nehmen dieselbe Richtung an wie die Pole eines fernen Magneten, der durch den Strom gedreht würde. An dem Hufeisen in Fig. 240 wird demnach b zum Nord- pol und a zum Südpol. Da der Stahl durch den Strom bleibenden Magnetismus annimmt, so bedient man sich zur Herstellung permanenter Magnete sehr häufig des elektrischen Stroms. Am zweckmässigsten ist hierzu folgendes Verfahren. Man wickelt einen dicken Kup- ferdraht in die Form eines hohlen Cylinders, lässt einen Strom durch diesen gehen und schiebt dann den zu magnetisirenden Stahlstab innerhalb des Cylinders vom einen bis zum andern Ende auf und ab. Zu sehr starken magnetischen Wirkungen reichen jedoch auch diese Magnete noch nicht hin, sondern man benützt hierzu eigentliche Elektromagnete, d. h. temporär magnetisirte Eisenstäbe. Man wendet dieselben ent- weder in Stab- oder in Hufeisenform an. Will man die Tragfähigkeit des Elektro- magneten prüfen, so hängt man an dessen Pole ein Stück weiches Eisen, einen s. g. Anker (A Fig. 240), der eine Wagschale mit Gewichten tragen kann. Die Stärke des durch den elektrischen Strom in einem Stab weichen Eisens er- zeugten Magnetismus wächst nach Müller nicht vollkommen proportional der Inten- sität des Stroms, sondern etwas langsamer. Ferner nimmt bei gleich bleibender Strom- stärke sowohl mit der Dicke wie mit der Länge der Stäbe der Magnetismus zu. Die Vertheilung des Magnetismus nach der Länge des Stabes ist die in §. 330 dargelegte. Zuweilen bedient man sich, um stärkere magnetische Wirkungen zu erzeugen, eines Bündels aus dünneren Eisenstäben. Ein solches wird stärker magnetisch als ein ein- ziger Stab von einer dem Bündel gleichen Dicke, weil die magnetisirende Wirkung des Stroms an der Oberfläche eines jeden Stabes am grössten ist und in der Tiefe allmälig abnimmt. Die Magnetisirung durch den Strom und die mit ihr verknüpften Erscheinungen erklären sich sehr einfach, wenn man auf die früher (in §. 330) gemachte Annahme, dass die magnetisirbaren Körper (Eisen, Stahl) aus einer Menge nach den verschiedensten Richtungen gestell- ter Molecularmagnete zusammengesetzt sind, die Vorstellungen über- trägt, die wir uns nach den Auseinandersetzungen des vorigen Capitels von dem Wesen des Magnetismus bilden mussten. Nach denselben ist jeder Molecularmagnet als ein Solenoïd zu betrachten. Lassen wir nun den Eisenstab von einem Strom umfliessen, so wird dadurch auf jene Solenoïde eine Richtkraft ausgeübt, denn da parallele Ströme sich anziehen, wenn sie gleiche Richtung haben, so werden die Molecular- solenoïde diejenige Stellung anzunehmen streben, bei der ihre Kreis- ströme dem äussern Strom parallel sind, d. h. der letztere wird die unendlich vielen Elementarmagnete ebenso drehen, wie er einen grös- Von der Elektricität. seren Magneten drehen würde. Hieraus folgt unmittelbar die oben gefundene Abhängigkeit der Lage der Pole von der Richtung des Stroms. Je stärker der Strom wird, um so grösser ist natürlich auch die auf jene Molecularsolenoïde ausgeübte Richtkraft, und um so mehr wächst demzufolge der Magnetismus. Doch ist es erklärlich, dass die- ses Wachsen allmälig abnimmt, und es ist zu erwarten, dass es eine Grenze giebt, wo alle Solenoide die durch den Strom bestimmte Dre- hung angenommen haben, und von der an ein weiteres Wachsen des Magnetismus nicht mehr möglich wäre. 342 Diamagnetis- mus. Para- und diamagnetische Körper. Man hat längst sich gefragt, ob Eisen und Stahl die einzigen Körper seien, welche jene molecularen Eigenschaften besitzen, vermöge deren sie unter dem Einfluss von Magneten oder elektrischen Strömen selbst zu Magneten werden. Alle früheren Bestrebungen an andern Körpern magnetische Eigenschaften nachzuweisen waren aber erfolg- los. Erst durch die Entdeckung des Elektromagnetismus wurde man in den Stand gesetzt so starke Magnete zu erzeugen, dass es mit ihrer Hülfe gelang, auch an andern Körpern Erscheinungen nachzu- weisen, welche der Anziehung des Eisens durch den Magneten ent- sprechen. Zunächst ergab sich hierbei, dass nur sehr wenige Körper die Eigenschaft des Eisens, von beiden Polen eines Magneten angezogen zu werden, in schwächerem Grade theilen. Diese magnetischen Kör- per sind Nickel, Kobalt, Platin, Mangan, Chrom und einige andere seltenere Metalle. Die meisten Metalle und Metalloide, sowie eine grosse Zahl zusammengesetzter Körper zeigen aber die entgegenge- setzte Eigenschaft: bringt man sie in die Nähe eines der Pole eines starken Elektromagneten, so werden sie von demselben abgestossen. Man bezeichnet diese Eigenschaft als Diamagnetismus , und die Substanzen, die mit ihr begabt sind, nennt man diamagnetisch ; im Gegensatz zu ihnen werden die magnetischen Körper zuweilen auch als paramagnetisch bezeichnet. Wahrscheinlich sind alle Körper in gewissem Grade magnetisch oder diamagnetisch, die überwiegende Anzahl derselben ist letzteres. So werden nach den Versuchen von Faraday Wismuth, Antimon, Zink, Zinn, Silber, Gold und andere Metalle sowie ihre Oxyde und Salze, ebenso Eis, eisenfreies Glas, Fleisch, thierische Fette, Holz, Elfenbein, Leder u. s. w. von den Polen eines starken Elektromagne- ten abgestossen. Eine Anziehung erfahren dagegen ausser den oben genannten magnetischen Metallen deren Oxyde und Salze. Die meisten Flüssigkeiten, namentlich Wasser, Alkohol, Aether, Säuren, die thierischen Flüssigkeiten (wie Blut, Milch) sind diamagnetisch; ferner sind die Lösun- gen der magnetischen Metalle nur in concentrirtem Zustande magnetisch, in verdünnten Lösungen gewinnt der Diamagnetismus des Wassers das Elektromagnetismus und Diamagnetismus. Uebergewicht. Unter den Gasen ist nur der Sauerstoff und durch ihn auch die Luft magnetisch, alle übrigen Gase sind diamagnetisch. Die Körper, die ausser dem Eisen magnetisch sind, müssen wir 343 Erklärung des Diamagnetis- mus. Magneti- sches Verhalten der Krystalle. Drehung der Po- larisationsebene des Lichtes durch Magnete und elektrische Ströme. uns offenbar gleich diesem aus verschieden gerichteten Molecularmag- neten oder Solenoïden bestehend denken, welche unter dem Einfluss des Stromes eine polare Richtung empfangen. Da nun auch zwei Magnete sich abstossen, wenn sie mit ihren gleichnamigen Polen sich zugekehrt werden, so liegt es nahe, die diamagnetische Abstossung ebenfalls auf das Entstehen eines polaren Zustandes in den Körpern zurückzuführen, eines solchen aber, bei dem gegenüber jedem Pol des erregenden Magneten nicht ein ungleichnamiger, sondern ein gleich- namiger Pol entsteht. Der Beweis für die Richtigkeit dieser Ansicht besteht darin, dass die diamagnetischen Substanzen unter dem Einfluss eines starken Magneten die Eigenschaft empfangen, selber auf Magnet- pole anziehend oder abstossend zurückzuwirken. Bringt man also z. B. in die Nähe eines starken Magnetpols ein Wismuthstäbchen, so wird dadurch die Wirkung des Magnetpols verstärkt, weil in dem ge- näherten Ende des Wismuthstäbchens ein gleichnamiger Pol entsteht. W. Weber zeigte ferner, dass diamagnetische Substanzen innerhalb einer Drahtspirale gleich dem Eisen zwei auf die Magnetnadel wir- kende Pole annehmen, diese Pole hatten aber die entgegengesetzte Lage zum Strom. Denkt man sich also im Strome schwimmend, so entsteht in diesem Fall zur Rechten, nicht zur Linken, der Nordpol. Das Drehungsmoment, welches ein auf diese Weise diamagnetisch ge- machtes Wismuthstäbchen auf einen fernen Magneten ausübt, ist nach Weber fast 15 Millionen mal kleiner als das magnetische Moment des Eisens. Nach dem geschilderten Verhalten der diamagnetischen Körper gegen Magnete und gegen den Strom müssen wir annehmen, dass in denselben gleichfalls Molecularströme erregt werden, dass diese Mole- cularströme aber eine entgegengesetzte Richtung wie die Ströme in magnetisirbaren Körpern erhalten. Dies steht mit den bisher entwickel- ten Gesetzen der Elektrodynamik im Widerspruch, aus welchen sich uns die Magnetisirung unter der Voraussetzung ergab, dass die Mole- cüle der paramagnetischen Körper von Strömen umkreist seien und in Folge dessen durch einen andern Strom gemäss dem elektrodynami- schen Grundgesetz eine Richtkraft empfangen. Wir werden aber in den nächsten §§. sehen, dass auch solche Leiter, die nicht selbst von einem Strom durchflossen sind, durch den Strom eine Einwirkung erfahren. Diese Einwirkung besteht darin, dass in dem Leiter im Moment, in welchem ihm der Strom genähert wird, ein Strom von ent- gegengesetzter Richtung entsteht. Ist nun in den diamagnetischen Leitern, wie in den paramagnetischen, der Widerstand, welchen die auf Wundt , medicin. Physik. 34 Von der Elektricität. diese Weise bei der Annäherung eines Magnetpols oder eines andern Stroms erzeugten Molecularströme finden, verschwindend klein, so müs- sen diese Ströme fortbestehen, bis sie durch eine äussere Kraft wie- der vernichtet werden. Eine solche äussere Kraft tritt aber in dem Moment auf, in welchem der erregende Magnetpol oder Strom wieder entfernt wird. Denn ein sich entfernender Strom erregt, wie wir gleich- falls im folgenden Cap. sehen werden, in einem Leiter einen sich gleich- gerichteten. Der Unterschied der paramagnetischen und diamagnetischen Körper besteht hiernach darin dass in den ersteren fortwährend Molecu- larströme von verschiedener Richtung kreisen, welche unter dem Einfluss eines äusseren Stroms nach dem elektrodynamischen Grundge- setz mit ihren Molecülen gedreht werden, während in den letzteren in dem Moment, in welchem ein äusserer Strom von genügender Stärke ge- nähert wird, gemäss dem Inductionsgesetz Molecularströme ent- stehen, welche aber ihre Richtung nicht ändern, da die Molecüle die- ser Körper nicht drehbar sind. Faraday und Plücker bedienten sich zur Nachweisung des Diama gnetismus und schwacher Grade von Paramagnetismus eines starken Elektromagneten, ähnlich dem in Fig. 240 dargestellten, auf dessen Pole in Spitzen auslaufende Halbanker aus weichem Eisen gelegt wurden. Der Körper, dessen magnetisches Verhalten geprüft werden sollte, wurde an einem Coconfaden aufgehängt, so dass er zwischen den Polen (den beiden Spitzen des Ankers) schwebte. War der Körper magnetisch, so stellte er sich axial, d. h. seine Längenaxe gieng durch die beiden Pole; war er diamagnetisch, so stellte er sich äquatorial, senkrecht auf die beide Pole verbindende Gerade. Die zu untersuchenden Flüssigkeiten brachte Faraday in Glasröhrchen, welche er in der- selben Weise aufhing. Das Verhalten der Gase prüfte er, indem er dieselben, wenn sie ungefärbt waren, mit etwas salzsaurem Dampf gemischt, zwischen den Polen vor- bei strömen liess: je nachdem sie magnetisch oder diamagnetisch waren, wurde der Strom in axialer oder äquatorialer Richtung verbreitert. Mittelst derselben Methode gelang es Faraday und Plücker , nachzuweisen, dass alle Krystalle, die nicht zum regulären System gehören, in Bezug auf ihre ver- schiedenen Axen ein verschiedenes magnetisches Verhalten zeigen. Die meisten op- tisch einaxigen Krystalle erfahren in der Richtung ihrer Hauptaxe eine stärkere An- ziehung oder Abstossung als in ihrer übrigen Masse; bei manchen wird aber auch die Hauptaxe angezogen, während die übrigen Masse abgestossen wird, oder umgekehrt. Aehnlich den einaxigen Krystallen verhält sich nach Tyndall das Holz, das stets in der Richtung seiner Fasern am stärksten abgestossen wird. Bei den optisch zwei- axigen Krystallen lassen sich auch magnetisch zwei Axen unterscheiden. In diesem Verhalten geben sich Beziehungen zwischen den magnetischen Eigen- schaften und der Molecularstructur der Körper zu erkennen, auf die uns noch andere, ebenfalls von Faraday entdeckte Erscheinungen hinweisen, ohne dass wir jedoch bis jetzt für dieselben eine genügend sichergestellte Erklärung besässen. Faraday zeigte nämlich, dass, wenn man einen isotropen durchsichtigen Körper zwischen die Pole eines starken Magneten bringt, und durch den Körper einen polarisirten Lichtstrahl leitet, die Polarisationsebene des letztern eine Drehung erfährt, die immer in demsel- ben Sinne geschieht, in welchem der Strom die Spirale umkreist. Denselben Effect wie der Elektromagnet kann auch der elektrische Strom direct ausüben, wenn man Induction. den durchsichtigen Körper in eine vom Strom durchflossene Spirale bringt. Die Grösse der Drehung ist ausser von der Stärke des Stroms sehr von der Natur des durchsichtigen Mediums abhängig. Hieraus ergiebt sich, dass die Erscheinung nicht bloss durch die Einwirkung des Stroms auf den schwingenden Aether, sondern we- sentlich auch durch seine Einwirkung auf die Molecüle des Mediums bedingt ist. Neuntes Capitel. Induction . Stellt man nahe bei einander zwei mit übersponnenem Draht um- 344 Elektrische In- duction. Allge- meines Induc- tionsgesetz. wickelte Rollen A und B (Fig. 241) auf, und setzt man die Draht- enden der Rolle A mit einer constanten Kette, die Drahtenden der Rolle B mit dem Multiplicator in Verbindung, so entsteht in dem Mo- ment, in welchem der Stromeskreis in A geschlossen wird, in dem Leiter B ein Strom, der sich durch einen plötzlichen Ausschlag der Magnetnadel des Multiplicators zu erkennen giebt, und der eine dem Strome in A entgegengesetzte Richtung hat. Dieser bei der Schlies- sung des Leiters A in B entstehende Strom ist von sehr kurzer Dauer, die Magnetnadel kehrt daher nach wenigen Schwingungen wieder zu Fig. 241. ihrer anfänglichen Gleichgewichtslage zurück, und während die Kette geschlossen bleibt, ist in B kein Strom vorhanden. Oeffnet man dage- gen die Kette, so entsteht in B wieder ein kurz dauernder Strom, der nun die nämliche Richtung hat wie der in A verschwundene. Der- selbe Effect wie bei der Schliessung und Oeffnung des Stroms wird erhalten, wenn man den Leiter B dem Leiter A, in welchem der Strom fliesst, rasch nähert und dann ihn wieder rasch von demselben ent- fernt: bei der Annäherung entsteht ein kurz dauernder Strom gleicher Richtung, bei der Entfernung ein kurz dauernder Strom entgegenge- setzter Richtung. In allen diesen Fällen nennt man den Strom im Lei- ter A den inducirenden , den kurz dauernden Strom im Leiter B den inducirten . Der inducirte Strom wächst bei gleich bleibender Stromstärke mit der Annäherung des Leiters A an den Leiter B, und er ist am stärksten, wenn man die Rolle A unmittelbar in den Hohl- raum der Rolle B bringt. 34 * Von der Elektricität. Die Inductionswirkung tritt nicht bloss auf, wenn, wie in dem voran- gegangenen Beispiel, der inducirende und der inducirte Leiter einander parallel sind, sondern auch dann, wenn ihre Richtungen irgend welche Winkel mit einander bilden. Sei z. B. wieder A der inducirende Lei- ter und C der inducirte, so entsteht bei der Annäherung von C oder bei der Schliessung von A ein Strom in dem Leiter C, der nach dem Scheitel des Winkels hinfliesst, von welchem der inducirende Strom wegfliesst. Werden dagegen beide Leiter von einander entfernt, oder wird der Strom in A geöffnet, so entsteht in C ein inducirter Strom, der ebenso wie der inducirende von dem Scheitel des Winkels, den beide Leiter mit einander bilden, wegfliesst. Nun haben uns die elektrodynamischen Gesetze gelehrt, dass parallele Ströme gleicher Richtung und Ströme, die beide gegen einen Winkelscheitel hin- oder von ihm wegfliessen, sich anziehen, dagegen parallele Ströme entgegengesetzter Richtung und Ströme, von denen der eine gegen einen Winkelscheitel hin-, der andere von ihm wegge- kehrt ist, sich abstossen. Hiernach können wir das Inductionsgesetz für Leiter beliebiger Richtung allgemein so ausdrücken: Bei der Schlies- sung eines Stroms in einem Leiter A wird in einem benachbarten ge- schlossenen Leiter B oder C ein Strom inducirt, dessen Richtung eine solche ist, wie sie erforderlich wäre, damit beide Leiter eine abstos- sende Wirkung auf einander ausübten; bei der Oeffnung dagegen wird ein Strom inducirt, dessen Richtung der anziehenden Wirkung beider Leiter entspricht. 345 Magnetoinduc- tion. Da der Magnetismus auf elementaren Strömen beruht, die in einem Magneten ähnlich wie in einer Drahtspirale eine bestimmte Richtung haben, so kann man in einem geschlossenen Leiter B oder C ebenso gut einen inducirten Strom erregen, wenn man diesem Lei- ter statt des von einem Strom durchflossenen Leiters A einen Magne- ten nähert. Die Richtung des inducirten Stromes wird dann von der Richtung der Molecularströme des Magneten nach derselben Regel wie von der Richtung des Stromes in dem Leiter A bestimmt. Bei der Annäherung des Magneten entsteht also in der Inductionsspirale ein Strom, dessen Richtung derjenigen der Molecularströme entgegenge- setzt ist, bei der Entfernung des Magneten entsteht ein Strom von glei- cher Richtung; auch hier würde der Strom, der bei der Annäherung entsteht, abstossend, und derjenige, der bei der Entfernug entsteht, an- ziehend auf den Magneten wirken. 346 Physiologische Anwendung der Inductions- ströme. Elektri- scher Induc- tionsapparat. Die durch Ströme oder Magnete hervorgebrachten Inductions- ströme finden ihre hauptsächlichste Anwendung als Erregungsmittel der Nerven und Muskeln. Da nämlich diese thierischen Theile vor- zugsweise auf das Entstehen oder Verschwinden eines Stroms mit Induction. Zuckung oder Empfindung reagiren, so bedient man sich, um einen dauernden Reiz auszuüben, gewöhnlich schnell nach einander folgen- der Inductionsströme. Man erhält solche z. B., wenn man den indu- cirenden Strom A (Fig. 241) rasch nach einander etwa in einem Quecksilbernäpfchen schliesst und öffnet: bei jeder Schliessung ent- steht dann in dem Leiter B ein kurz dauernder Strom entgegengesetz- ter Richtung, bei jeder Oeffnung ein kurz dauernder Strom gleicher Richtung. In den Inductionsapparaten werden solche Schliessungen und Oeffnungen oder Annäherungen und Entfernungen des induciren- den Stroms in rascher und regelmässiger Folge vollzogen. Da man sich dieser Apparate ebensowohl zur Untersuchung der Gesetze der Inductionsströme wie zu ihrer Anwendung bedient, so wollen wir die Beschreibung derselben unsern weitern Betrachtungen voranstellen, indem wir aus der grossen Zahl von Inductionsapparaten, die verschie- dene Mechaniker construirt haben, die für physiologische Zwecke ge- bräuchlichsten, in denen sich uns zugleich die beiden Hauptformen die- ser Apparate repräsentiren, herausheben. Man bedient sich entweder der elektrischen oder der magneti- schen Induction. Bei dem elektrischen Inductionsapparat, den die Fig. 242 in der zuerst von du Bois Reymond angewandten Form zeigt, bedarf man zweier Drahtspiralen, einer inducirenden Spirale A, aus weniger Windungen dickeren Drahtes bestehend, und einer indu- Fig. 242. cirten Spirale B aus sehr zahlreichen Windungen dünnen Drahtes. Die erste Spirale wird auch als primäre , die zweite als secundäre Rolle bezeichnet. Die primäre Rolle ist an einem verticalen hölzer- nen Brette D, das auf dem Holzschlitten S steht, befestigt, in der Re- gel wird zur Verstärkung der inducirenden Wirkung ein Bündel von Eisendrähten in sie hineingelegt. Die secundäre Rolle ist auf dem Schlitten S hin und her verschiebbar, vor der Rolle, bei m, befinden sich zwei Schraubenklemmen, in welche die Drahtenden der auf B gewundenen Spirale auslaufen; die in diese Klemmen eingeschraub- ten Drähte d dienen zur Schliessung des secundären Stromkreises und Von der Elektricität. zur Aufnahme sonstiger Leiter in denselben (z. B. des Multiplicators oder thierischer Theile, auf welche Inductionsströme wirken sollen, u. s. w.). Die Drahtenden der primären Spirale laufen in die beiden Schraubenklemmen k und z aus, welche mit irgend einer constanten Kette in Verbindung gesetzt werden. Um nun in rascher Folge In- ductionsströme erzeugen zu können, ist vor dem verticalen Brett D eine elektromagnetische Vorrichtung, der Neef ’sche Hammer, ange- bracht, welche bezweckt, dass der Strom in der primären Spirale durch seine Wirkung auf ein kleines Hufeisen H, das er magnetisch macht, sich selbst abwechselnd unterbricht und wieder schliesst. Der Draht der primären Spirale wird zu diesem Zweck, ehe er zur Schrau- benklemme z geht, um das Hufeisen H gewunden, und ebenso steht die Schraubenklemme k nicht direct mit dem andern Drahtende der primären Spirale in Zusammenhang, sondern sie befindet sich zunächst am untern Ende der verticalen Messingsäule n, in welcher oben eine Feder befestigt ist, an der vorn der Anker h des kleinen Elektromag- neten schwebt. Ungefähr in der Mitte dieser aus Neusilber bestehenden Feder befindet sich ein Platinplättchen; letzteres berührt die Platin- spitze, in welche die an dem Messingklotz o befindliche Schraube s ausläuft. Durch o steht s mit der Schraubenklemme l, welche das Ende der Drahtspirale aufnimmt, in Verbindung. Der Strom geht also von k durch n, s und o nach l, dann durch die Drahtspirale A, von hier aus zu der Drahtklemme m, dann zu den Windungen des Elek- tromagneten H, und von diesen endlich durch die Schraubenklemme z zur Kette zurück. Sobald die Kette geschlossen wird, verwandelt sich demnach das Hufeisen H in einen Magneten. Dadurch wird aber der Anker h angezogen, in Folge dessen die Platinplatte der Feder von der Platinspitze der Schraube s losgerissen und so der Strom unter- brochen. In Folge dieser Stromunterbrechung wird das Hufeisen H entmagnetisirt, die Feder schwingt zurück, die Platinplatte berührt wieder die Spitze, der Strom ist geschlossen, das Hufeisen wird von neuem magnetisch, u. s. f. Man sieht, dass auf diese Weise die Fe- der in fortdauernde Schwingungen geräth. Bei jeder Schwingung er- folgt aber eine Oeffnung und eine Schliessung des Stroms in der pri- mären Spirale. Nun wird bei der Oeffnung ein Strom gleicher Rich- tung, bei der Schliessung ein Strom entgegengesetzter Richtung in der secundären Spirale inducirt. Man erhält also in dem Stromeskreis, in welchen man die Rolle B einschliesst, in rascher Folge abwechselnd ge- richtete Ströme von kurzer Dauer. Will man bloss den Effect eines ein- zelnen Inductionsstroms beobachten, so unterbricht man die Leitung von der constanten Kette zur primären Spirale durch ein Quecksilbernäpfchen und schraubt s so tief herab, dass der Anker h auf das Hufeisen an- gedrückt wird. Es ist dann der Hammer ausser Thätigkeit gesetzt, man erhält nun bei der Schliessung in dem Quecksilbernäpfchen einen Induction. Inductionsstrom, und bei der Oeffnung einen andern von entgegenge- setzter Richtung. Die Geschwindigkeit, mit welcher die Feder des Neef ’schen Hammers hin- und herschwingt, variirt man durch Auf- und Abschrauben der Platinspitze s. Je näher man den Anker dem Hufeisen bringt, um so kürzer folgen sich die einzelnen Schwin- gungen, wie aus dem Höherwerden des durch die Schwingungen entstehenden Tons sich erkennen lässt. Man kann leicht diese Geschwindigkeit noch mehr variiren, wenn man statt der Feder ein vertical herabhängendes Pendel von veränderlicher Länge schwingen lässt. Nach dem letzteren Princip hat der Mechaniker Zimmermann in Heidelberg seine Inductionsapparate gebaut. Man kann ferner den Neef ’schen Ham- mer auch für sich, ohne Zusammenhang mit dem Inductionsapparat, anwenden. Dann wird die Schraube s, die in diesem Fall mit dem Messingklotz o ebenfalls auf einer Messingsäule befestigt ist, unmittelbar mit den Windungen des Elektromagneten in Verbindung gesetzt. Ein solcher Hammer lässt sich z. B. gebrauchen, um rasch nach einander den Strom einer constanten Kette zu unterbrechen und wieder zu schliessen. Indem Heidenhain den Froschnerven unter den Neef ’schen Hammer brachte, be- nützte er die Schwingungen zur Erregung eines Tetanus durch rasch auf einander folgende mechanische Reize. Für viele Zwecke ist es wünschenswerth, nicht abwechselnde, sondern gleich ge- richtete Ströme in rascher Reihenfolge in der zweiten Spirale zu erhalten. Bedient man sich starker Ströme, so ist zu diesem Zweck das Verfahren von Poggendorff , den Draht d der secundären Spirale an irgend einer Stelle durch eine dünne Luft- schicht zu unterbrechen am einfachsten. Dagegen kann man beliebig die Schliessungs- oder Oeffnungsinductionsströme für sich erhalten, wenn man die Oeffnung und Schlies- sung des primären Stroms durch einen sogenannten Commutator bewirkt, wie wir einen solchen im nächsten §. bei Gelegenheit der Magnetoinductionsapparate kennen lernen werden. Bei den magnetischen Inductionsapparaten bedient man sich 347 Magnetoinduc- tionsapparate. statt der inducirenden Rolle eines Magneten zur Erzeugung des indu- cirten Stromes. Wir haben in §. 345 gesehen, dass in einer geschlos- senen Drahtspirale ein Inductionsstrom entsteht, wenn man in dieselbe einen Magnetpol einführt oder aus ihr entfernt, und dass beide Ströme, gleich dem Schliessungs- und Oeffnungsinductionsstrom bei der elektri- schen Induction, entgegengesetzte Richtung haben. Man kann nun offenbar den nämlichen Zweck auch erreichen, wenn man ein für alle- mal ein weiches Eisen in die Drahtspirale bringt und in diesem ab- wechselnd den Magnetismus entstehen und wieder verschwinden lässt. Hierauf beruht aber die Einrichtung sämmtlicher Magnetoinductions- apparate; von den sehr verschiedenen Formen der letzteren haben wir in Fig. 243 eine der gebräuchlicheren dargestellt. Dem aus meh- reren Lamellen zusammengesetzten Hufeisenmagneten N S gegenüber befindet sich ein eisernes Querstück m n, auf welchem zwei den Polen N und S gerade gegenüberstehende Eisencylinder befestigt sind. Diese Cylinder stecken in Holzspuhlen, welche mit dünnem übersponnenem Kupferdraht umwickelt werden (f und g). In der Mitte des Quer- Von der Elektricität. stücks m n ist eine eiserne Axe a c befestigt, an welcher sich vorn die Kurbel H befindet, durch deren Umdrehung der ganze Anker f m n g in Rotation versetzt werden kann, in c und e sind die Lager dieser Rotationsaxe. Vor dem Querbalken m n ist ein Holzcylinder h auf der Axe befestigt, der drei Schraubenklemmen zur Aufnahme Fig. 243. der drei Drahtenden der Inductionsrolle trägt. Die mittlere dieser Klemmen, welche isolirt ist, nimmt das Ende des Drahtes f und den Anfang des Drahtes g auf, von den beiden andern nimmt die linke den Anfang des Drahtes f, die rechte das Ende des Drahtes g auf. Von der ersten führt ein Kupferstreifen zur eisernen Axe, von der zwei- ten ein ebensolcher zu dem Kupferring k, welcher durch ein hölzernes Unterfutter vollständig von der Axe isolirt ist. Nach vorn von dem Ring k befindet sich nun der Commutator , eine Vorrichtung, wel- che dazu dient, die abwechselnden Inductionsströme von entgegenge- setzter Richtung in gleich gerichtete zu verwandeln. Er ist in B et- was vergrössert dargestellt. Hier bedeutet i den Kupferstreifen, der die Drahtrolle f mit der eisernen Axe verbindet. Ueber das untere Ende der Axe ist die Vorrichtung s q d t geschoben. Diese besteht aus einer hohlen Blechaxe, welche unmittelbar die Axe umschliesst und die eisernen Scheiben s und d trägt, und aus einer zweiten hoh- len Blechaxe u, welche die erste, von ihr durch ein hölzernes Zwi- schenfutter isolirt, umgiebt; zwischen den Scheiben s und q, t und d befindet sich ein kleiner Zwischenraum, so dass die beiden Blechhül- sen vollständig von einander isolirt bleiben: die untere steht aber Induction. mittelst der Axe mit dem Kupferstreifen i und durch diesen mit der Rolle f in Zusammenhang, die obere durch die Stahlfeder v mit der Kupferhülse k und durch diese mit der Rolle g. Die Scheiben s und q, d und t sind hier zur Hälfte ihres Umfangs ausgefeilt, und je zwei neben einander befindliche ergänzen sich zu einer ganzen Scheibe. Zwei Stahlfedern r und x (s. die grössere Fig.) schleifen, die erste auf den Scheiben s und q, die zweite auf den Scheiben d und t. Beide Federn sind von einander durch einen Holzklotz, auf dem sie befestigt sind, und durch ein Elfenbeinblättchen, mit dem sie festge- drückt werden, isolirt. Sie endigen in den Schraubenklemmen y und z, welche die Enden des äusseren Schliessungsbogens aufnehmen. Der ganze Apparat ruht auf dem Fussbrett A, der Magnet ausserdem auf dem hölzernen Kasten C, welcher zugleich zur Aufbewahrung der sonst zur Elektrisirung erforderlichen Utensilien dient. Während die beiden Eisencylinder, wie in der Fig., den Polen des Magneten gerade gegenüberstehen, sind sie magnetisch: bei m, dem Nordpol N gegenüber, ist Südmagnetismus, bei n, dem Südpol S gegenüber, Nordmagnetismus. Dreht man nun die Axe a c mittelst der Kurbel H, so entfernt sich m f von N und gleichzeitig n g von S: in Folge dessen nimmt dort der Süd- und hier der Nordmagnetis- mus ab, beide Magnetismen sind, wenn f g senkrecht auf N S steht, auf null gesunken. Im zweiten Viertel der Umdrehung entsteht dann in m f, weil dasselbe sich jetzt dem Pol S nähert, Nordmagnetismus, in n g dagegen Südmagnetismus. Bei der ersten halben Umdrehung sinkt also der in jedem Eisencylinder vorhandene Magnetismus zuerst auf null nnd geht dann in den gegentheiligen Magnetismus über. Bei der zweiten halben Umdrehung kehrt das Hufeisen wieder in seine anfängliche Lage zurück: es schwindet also zuerst der gegentheilige Magnetismus und stellt dann der ursprüngliche sich wieder her. Nun inducirt ein innerhalb einer Drahtrolle entstehender Magnetpol einen Strom, und der verschwindende Magnetpol inducirt einen dem vorigen entgegengesetzt gerichteten Strom. Da in den Drahtrollen f und g entgegengesetzte Pole entstehen, so müssen diese Rollen entgegenge- setzt gewunden sein, damit in ihnen bei der Entfernung des Ankers von den Magnetpolen und bei der Annäherung an dieselben gleich ge- richtete Ströme erzeugt werden. Nach der früher aufgestellten Regel wird, wenn sich g dem Pol S nähert, da in diesem Fall innerhalb g ein Nordpol entsteht, der positive Strom so durch die Rolle g fliessen, dass das S zugekehrte Ende des Eisencylinders zur Linken liegt, wenn man sich im Strom schwimmend denkt. Nehmen wir an, die Windun- gen seien so beschaffen, dass, wenn sich f von N entfernt, der posi- tive Strom in der Richtung von f nach i geht, so tritt er durch die Rotationsaxe zu den Scheiben s und d und von hier in eine der Fe- dern r oder x. Soll nun der Strom immer die nämliche Richtung im Von der Elektricität. Schliessungsbogen behalten, so muss der Commutator z. B. so gestellt werden, dass in dem Moment, in welchem sich f von N entfernt, auch die Feder x die Scheibe t verlässt und die Scheibe d berührt; dann geht der Strom in die Schraubenklemme z über und durchläuft den Stromeskreis in der Richtung z y. Von y geht er durch die Feder r nach der Scheibe q, von hier durch v nach dem Kupferring k und von diesem endlich zu der mit g in Verbindung stehenden Schrau- benklemme, von wo aus er durch g nach f zurückkehrt. Hat hier- auf die Rotationsaxe eine halbe Umdrehung vollendet, so wird f von S und g von N inducirt, die Stromesrichtung wird jetzt, da sich jede Rolle um 180° gedreht hat, die umgekehrte wie vorhin, d. h. der Strom geht von g nach k und von hier durch v nach q und t. Mittlerweile hat aber die Feder r die Scheibe q und die Feder x die Scheibe d verlassen, die erstere Feder schleift jetzt auf s, die zweite auf t: es tritt also der Strom durch t nun abermals nach x und z und von hier in der Richtung z y durch den Schlies- sungskreis. Der inducirte Strom erhält daher durch den Commutator fortwährend die nämliche Richtung. Für physiologische Zwecke verbindet man die Drähte f und g immer in der in Fig. 243 dargestellten Weise mit einander, wobei die mittlere Schraubenklemme auf der Holzspuhle h den Anfang der einen und das Ende der andern Spirale aufnimmt. Statt dessen kann man aber auch beide Drähte in dieser mittleren Klemme endigen und in den äusseren Klemmen anfangen lassen. Dann findet einfach eine Stromverzweigung zwi- schen beiden Rollen statt: die Sache verhält sich daher nun so, als wenn man eine Inductionsspirale von der halben Länge und von dem doppelten Querschnitt des Drahts hätte. Man vermindert also damit gleichzeitig die elektromotorische Kraft und den Widerstand. Man bedient sich desshalb dieser Vorrichtung in solchen Fällen, wo der Widerstand im äussern Schliessungskreis sehr klein ist. Die Erkennung der Richtung des Stroms aus der Windungsrichtung des Drahts auf den beiden Rollen ist manchmal schwierig. Practisch lässt sich aber immer sehr einfach die Stromesrichtung ermitteln, wenn man beide Elektroden mit Jodkalium- kleister in Berührung bringt: es tritt dann wegen der Ausscheidung des Jod an der positiven Elektrode die blaue Färbung auf. Das nämliche Verfahren ist auch bei den elektrischen Inductionsapparaten anzuwenden. 348 Induction eines Leiters auf sich selbst. Extra- strom. Da ein Strom in jedem in der Nähe befindlichen Leiter einen kurz dauernden Strom inducirt, so müssen auch die Theile einer und derselben Leitung inducirend auf einander wirken. Schliessen wir also z. B. einen Strom innerhalb einer Drahtspirale, so wird das Entstehen des Stroms in jeder einzelnen Windung einen Strom von entgegenge- setzter Richtung in den nächst gelegenen Windungen induciren. Da- durch wird aber der ursprüngliche Strom so lange geschwächt, als die- ser inducirte Gegenstrom andauert. Die Folge der Induction auf sich selbst muss demnach diese sein, dass in einem aus mehreren hinter einander liegenden Windungen bestehenden Leiter ein Strom lang- Induction. samer bis zu seiner vollen Höhe ansteigt als z. B. in einem geradlini- gen Leiter, der keine inducirende Wirkung auf sich selbst ausübt. Anders muss es sich beim Verschwinden des Stromes verhalten. Ein Inductionsstrom kann nur in einem geschlossenen Leiter sich ausbil- den. Im Moment, in welchem der Strom unterbrochen wird, kann da- her keine inducirende Wirkung entstehen, es wird daher auch die Stromintensität in der Spirale bei der Oeffnung des Stroms plötzlich auf null herabsinken. Man kann nun aber die Ausbildung des bei der Oeffnung des Stromes entstehenden Inductionsstroms möglich machen, wenn man das Princip der Stromverzweigung anwendet. Bringt man an der Draht- spirale A (Fig. 241) eine Nebenschliessung N an, so werden in dem Moment, in welchem man die Kette öffnet, A und N zusammen noch eine geschlossene Leitung bilden. Es entsteht also nun in dieser Lei- tung bei der Oeffnung des Stroms ein rasch verlaufender Inductions- strom von derselben Richtung, welche der ursprüngliche Strom hatte. Von Faraday , welcher diesen Strom entdeckte, wurde derselbe als Extrastrom bezeichnet. Man kann den Extrastrom leicht an der primären Rolle eines elektrischen Inductionsapparates beobachten, wenn man zu derselben eine Nebenschliessung herstellt. Der Apparat in Fig. 242 hat zu die- sem Zweck die Schraubenklemmen l und m. Berührt man dieselben mit den Händen, so fühlt man bei der Schliessung des Stroms keinen elektrischen Schlag, weil der Widerstand des Körpers gegen den Widerstand der Rolle verschwindet. Bei der Oeffnung dagegen er- giesst sich der Extrastrom durch den Schliessungskreis zwischen l und m, und man erhält daher einen ziemlich heftigen Schlag. Der Extrastrom lässt sich somit anwenden, um gleich gerichtete Induc- tionsströme von sehr kurzer Dauer durch thierische Theile zu sen- den. Man muss zu diesem Zweck nur die Schraubenklemmen l und m des Inductionsapparats in Fig. 242 durch Leitungsdrähte, die in die geeigneten Elektroden endigen, mit den thierischen Theilen verbinden. An den magnetoelektrischen Apparaten lässt sich der Extrastrom auf folgende Weise erhalten. Man gebe dem Commutator (Fig. 243 B) eine solche Stellung, dass der vorspringende Rand der Scheiben s und t nicht genau da aufhört wo der Rand der Scheiben q und d anfängt, so dass während einer sehr kurzen Zeit die Federn r und x gleich- zeitig auf s und q und auf t und d schleifen. Ist dies der Fall, so tritt der Strom alsbald von s nach q und von q nach d über, der menschliche Körper oder thierische Theile, die sich im Stromeskreis befinden, empfangen also jetzt gar keinen Strom, weil sie eine Neben- schliessung von sehr grossem Widerstand zu der guten Schliessung s q t d bilden. Fahren nun die beiden Federn von den Scheiben s Von der Elektricität. und t ab, so wird plötzlich die gut leitende Nebenschliessung geöffnet. Theils wegen des bedeutend grösseren Widerstandes im Kreis z y, theils weil sich gleichzeitig die Rollen f und g von den Magnetpolen weiter entfernen, muss plötzlich die Stromstärke sinken. Dadurch wird aber ein Extrastrom inducirt, der sich nun durch den Kreis z y er- giesst. Dieser Extrastrom ist wegen der Zuhülfenahme der Nebenschlies- sung weit stärker als der eigentliche Inductionsstrom. An Appara- ten, an welchen der letztere keine merkliche Intensität besitzt, ist der erstere schon sehr fühlbar. Man hat daher an den zu physiologischen Zwecken angewandten Rotationsapparaten gewöhnlich vorzugsweise den Extrastrom benutzt. 349 Stärke des in- ducirten Stroms. Die elektromotorische Kraft eines durch einen Strom oder Mag- neten erregten Inductionsstroms ist bei gleicher inducirender Wirkung proportional der Windungszahl der inducirten Spirale. Nun ist die Stromstärke nach dem Ohm ’schen Gesetz Besteht also die Spirale aus einer einzigen Lage von Windungen, so nimmt mit der Anzahl der Windungen gleichzeitig die elektromotorische Kraft der In- duction und der Widerstand zu. Liegen aber die Windungen in meh- reren Lagen über einander, so wächst, da die Windungen weiter wer- den, der Widerstand rascher als die elektromotorische Kraft, und es kann daher eine Grenze eintreten, wo durch Vermehrung der Windun- gen die Inductionswirkung nicht erhöht, sondern vermindert wird. Diese Grenze wird um so früher erreicht, je geringer der äussere Widerstand ist. Zur Erzeugung physiologischer Wirkungen kann man darum wegen des erheblichen Widerstands der thierischen Gewebe der Inductionsspirale eine sehr bedeutende Windungszahl geben. Nach den Messungen von W. Weber ist bei der Magnetoinduc- tion die inducirende Kraft proportional dem magnetischen Moment des inducirenden Magnetpols (§. 332), bei der elektrischen Induction ist sie proportional dem elektrodynamischen Moment (§. 334). Ein Mag- net und eine Drahtspirale sind daher dann von gleicher Wirkung, wenn das magnetische Moment des ersteren gleich dem elektrodynamischen Moment der letzteren ist. Weber wies dies nach, indem er die Bifi- larrolle seines Elektrodynamometers bald unter dem Einfluss eines Stroms von bekannter Stärke, der in einer in der Nähe befindlichen Draht- spirale kreiste, bald unter dem Einfluss eines Magnets von bekannter Stärke schwingen liess. Es wurden dann bei jeder Schwingung der Bifilarrolle in Folge der Annäherung an den Strom oder Magneten in ihr Ströme inducirt, welche, da sie von entgegengesetzter Richtung waren wie die ihnen parallelen inducirenden Ströme, eine abstossende Wirkung empfingen, so dass die Schwingungsbogen der Bifilarrolle rasch kleiner wurden. Weber fand bei diesen Versuchen, dass die Induction. Amplituden der Schwingungen in einer geometrischen Reihe abnehmen. Hieraus muss gefolgert werden, dass die Widerstände, welche die Bewegung erfährt, in jedem Augenblick der Geschwindigkeit derselben proportional sind. Die inducirende Wirkung, welche ein Magnet oder ein Strom ausübt, ist also auch in jedem Augenblick der Geschwin- digkeit proportional, mit welcher die Inductionsspirale ihm genähert oder von ihm entfernt wird. Hieraus folgt aber, dass bei einer sol- chen Annäherung oder Entfernung, ob dieselbe langsam oder schnell geschieht, immer die gleiche Inductionswirkung erzeugt wird. Denn wenn die Bewegung schneller wird, so nimmt zwar in jedem einzel- nen Zeitelement die inducirende Wirkung proportional der Geschwin- digkeit zu, aber die Totalzeit, welche zur Lageänderung erforderlich ist, nimmt in eben demselben Verhältnisse ab. Ein Inductionsstrom verläuft so rasch, dass seine Wirkung auf 350 Dauer und Ver- lauf der Induc- tionsströme. die Magnetnadel als ein momentaner Stoss oder als eine kleine An- zahl sehr rasch sich folgender Stösse betrachtet werden kann. Die Magnetnadel giebt uns aber nur Aufschluss über die mittlere Intensi- tät, welche diese Stösse besitzen, sie lehrt uns nicht die Dauer und den Verlauf des ganzen Inductionsstromes kennen. Die Wirkung eines jeden kurz dauernden Stromes ist im allgemeinen proportional dem Product der in jedem Augenblick vorhandenen Intensität desselben in seine Dauer: ein kurz dauernder Strom von grösserer Stärke kann daher dieselbe Wirkung ausüben wie ein länger dauernder von geringerer Stärke. Weit eher als die Magnetnadel vermag uns der sensible oder motorische Nerv Aufschluss über den Verlauf eines Inductionsstromes zu geben. Denn die Nervenerregung ist bei gleicher Stärke des Stroms abhängig von der Geschwindigkeit seines Ansteigens. Zwei Inductionsströme, die auf die Magnetnadel die nämliche Wirkung äus- sern, können daher immer noch von verschiedener Wirkung auf den Nerven sein. So beobachtet man, dass die physiologische Wirkung des Exstrastroms im Verhältniss zu seiner Intensität sehr bedeutend ist. Man hat daher den Extrastrom mit Vorliebe da angewandt, wo es sich um kräftige Hautreize handelt. Ebenso übertrifft die Erregung durch den Oeffnungsinductionstrom bedeutend diejenige durch den Schliessungsinductionsstrom. Den Grund dieses Verhaltens haben wir im §. 349 schon angedeutet. Sobald der Strom in der primären Spi- rale geschlossen ist, wird in dem Stromeskreis ein demselben entge- gengesetzt gerichteter Strom inducirt, der, so lang er dauert, den ent- stehenden Strom schwächt. Nimmt dieser Extrastrom ab, so inducirt aber die in Folge dessen zunehmende Stärke des primären Stroms einen neuen, u. s. f. Es kann also der Strom in der Spirale nur all- mälig seine ganze Stärke erreichen. Unterbricht man dagegen den Stromeskreis, so kann sich in demselben, wenn keine anderweitige Von der Elektricität. Schliessung vorhanden ist, der Oeffnungsextrastrom nicht ausbilden, der Strom wird also nahezu momentan in der Spirale verschwinden. Da nun die Intensität der in der secundären Spirale inducirten Ströme nicht bloss von der Stärke des inducirenden Stroms, sondern auch von der Geschwindigkeit seines Anwachsens abhängig ist, so ist der Oeff- nungsschlag einer Inductionsvorrichtung, wie sie in Fig. 242 abgebil- det ist, viel bedeutender als der Schliessungsschlag. Bringt man da- her die Rollen in einige Entfernung von einander, so haben nur die Oeffnungsschläge eine merkliche physiologische Wirkung, und die Schliessungsschläge, die erst bei beträchtlicher Annäherung der Rollen auftreten, bleiben immer weit schwächer. Die Oeffnungsschläge geben schon an ziemlich schwachen Inductionsvorrichtungen Funken, und letztere erhalten an etwas stärkeren Apparaten eine beträchtliche Spannweite. Dagegen bedarf man grosser Inductionsrollen mit Eisenkernen, um auch Schliessungsfunken zu beobachten, und diese bleiben immer schwächer und von geringerer Spannweite. Da die Verzögerung des Schliessungsinductionsstroms in der in der ersten Spirale stattfindenden Induction auf sich selbst ihren Grund hat, so muss dieselbe mit der Windungszahl dieser Spirale zunehmen. Je weniger Windungen man derselben giebt, um so mehr nähern sich da- gegen Oeffnungs- und Schliessungsinduction. Dies ist der Grund, wesshalb bei denjenigen Inductionsapparaten, bei denen man abwech- selnd gerichtete Ströme zu benützen wünscht, die primäre Spirale nur wenige Windungen eines dickeren Drahtes erhält. Aehnlich der Ver- mehrung der Windungen wirkt auch die Nähe von Metallmassen. Einerseits vermehren dieselben durch den in ihnen entstehenden Mag- netismus die inducirende Wirkung auf die secundäre Spirale und be- wirken dadurch ein rasches Ansteigen der Inductionsströme, anderseits aber wirken sie auch auf die primäre Spirale zurück, indem sie die in dieser entstehenden Extraströme verstärken und so die Induction schwächen. Bei soliden Eisenmassen ist die letztere Wirkung grös- ser: bringt man daher einen dicken Eisencylinder in die primäre Spi- rale, so wird die Inductionswirkung nicht verstärkt. Bringt man da- gegen ein Bündel einzelner Drähte in die Spirale, so ist die physiolo- gische Wirkung des Schliessungs- und des Oeffnungsinductionsstroms bedeutend vergrössert Die Wirkungen der Schliessungs- und Oeffnungsinduction wer- den gleichmässiger, wenn man die Bildung des bei der Oeffnung ent- stehenden Extrastroms nicht verhindert, sondern demselben eine Ne- benschliessung eröffnet, durch welche er sich ergiessen kann. Helm- holtz hat hierauf eine Modification der in §. 346 beschriebenen In- ductionsvorrichtung gegründet, die man in Fig. 244 halb schematisch dargestellt findet. Man bringt zu diesem Zweck oberhalb der Klemm- schraube k in Fig. 242 eine zweite α an, die mit dem Stift s in direc- Induction. ter Verbindung steht: letzterer ist in die Höhe geschraubt, so dass er das Platinplättchen des Hammers nicht berührt. Ueber der Draht- klemme z erhebt sich eine zweite Messingsäule, an der sich oben ein auf- und abzuschraubender Stift s' befindet. Dieser Stift berührt ein an der untern Fläche des Hammers befindliches Platinplättchen erst in dem Moment wo der Hammer in Folge der Schliessung des Stroms durch den Elektromagneten angezogen wird. Der Vorgang ist dem- Fig. 244. nach folgender. Von der Kette K aus geht der Strom durch k und α , ferner durch den Draht β nach s, von hier aus durch die primäre Spirale A und die Windungen des Hufeisens H nach z und zur Kette zurück: in Folge dessen wird das Hufeisen magnetisch und der Ham- mer angezogen. Dadurch berührt das Platinplättchen die Spitze s', und es wird jetzt dem Strom ein kürzerer Weg von α aus direct nach s' und z statt durch den Draht β eröffnet. Da der Widerstand auf diesem kürzeren Weg viel kleiner ist als auf dem Weg durch die Spirale, so geht nun fast der ganze Strom den ersteren. Zugleich kann sich aber der beim Verschwinden des Stroms in der Spirale ent- stehende Extrastrom ausbilden, da demselben der Weg durch die Ne- benleitung eröffnet ist. Es verschwindet daher der Strom weit lang- samer als bei einer einfachen Oeffnung der Kette. Hierdurch sind die in der secundären Rolle B entstehenden Inductionsströme beider Rich- tungen einander nahehin, jedoch nicht vollständig gleich geworden. Die nähere Prüfung zeigt vielmehr, dass jetzt die Inductionswirkung beim Verschwinden des Stroms in der ersten Spirale die minder wirk- Von der Elektricität. same ist. Da somit derjenige der abwechselnd gerichteten Ströme, der früher weitaus der schwächste war, jetzt der stärkere geworden ist, so hat die Wirkung eines solchen Inductionsapparates überhaupt abgenommen, und er ist desshalb nur für solche Zwecke, bei denen man keine stärkeren Wirkungen braucht, anwendbar. Uebrigens kann der Apparat leicht so eingerichtet werden, dass er sich für beide An- ordnungen brauchen lässt. Man hat demselben zu diesem Zweck nur, wie in Fig. 244, den oberen Stift s zu belassen. Schraubt man dann den untern Stift s' so weit herab, dass ihn der Hammer beim Herab- fallen auf den Elektromagneten nicht mehr berührt, lässt man ferner den Stift s herab bis zum Contact mit dem obern Platinplättchen, und schaltet man den Draht β aus, so ist die frühere Einrichtung her- gestellt. Die zuletzt beschriebene Modification des Inductionsapparates hat, abgesehen da- von, dass sie wegen der Schwäche der Wirkung nur von beschränkter Anwendbarkeit ist, mehrfache Vorzüge. Zunächst ist der Unterschied in der Wirkung beider Ströme sehr gering, der zwischen Stift und Platte überspringende Funke, der immer Ungleich- heiten in den einzelnen Stromstössen bedingt, wird vermieden oder wenigstens ver- mindert, und endlich fallen die in §. 352 zu beschreibenden unipolaren Wirkungen hinweg, falls man nicht etwa ungewöhnlich starke Inductionsrollen anwendet. Die beiden Inductionsströme würden einander vollständig gleich werden, wenn man erstens den Widerstand der Kette gegen denjenigen der Inductionsspirale und zweitens den Widerstand der Nebenleitung gegen denjenigen der Kette verschwindend machte. Man müsste, um diese Bedingungen zu erfüllen, in die Inductionsrolle beträchtliche Wider- stände einschalten. Dadurch wird aber die Inductionswirkung allzu sehr geschwächt. Auf der oben berührten inducirenden Wirkung, welche das Entstehen oder Ver- schwinden eines Stroms auf in der Nähe befindliche Metallmassen ausübt, beruht auch die Wirkung der Dämpfung, welche man mittelst Kupferhülsen auf einen schwingenden Magneten hervorbringt. (S. §. 340 Anm.). Wie durch einen Strom, so kann nämlich die Kupferhülse auch durch einen sich nähernden oder entfernenden Magneten inducirt werden. Der inducirende Strom wirkt dann in einem der Bewegung desselben entge- gengesetzten Sinne auf den Magneten ein und vermindert dadurch sehr schnell die Schwingungen desselben. 351 Theorie der In- ductionserschei- nungen. Induc- tionsströme hö- herer Ordnung. Die Theorie der Inductionserscheinungen hat sich unmittelbar an die in §. 335 entwickelten Vorstellungen über die Wirkung elektrischer Massen auf einander anzu- lehnen. Wir haben gesehen, dass diese Wirkung von der Grösse, Entfernung und rela- tiven Geschwindigkeit der elektrischen Massen abhängt. Aendert daher ein von einem Strom durchflossener Leiter seine Lage zu einem andern Leiter, so muss in diesem eine Bewegung der Elektricitäten entstehen, deren Verlauf nach dem Weber ’schen Grundgesetz sich bestimmen lässt. Es ist in der That Weber gelungen, auf diesem Wege die Gesetze der Induction unmittelbar aus den elektrodynamischen Gesetzen ab- zuleiten. Ohne auf diese Ableitung specieller einzugehen, ist unmittelbar einleuchtend, dass die Richtung des inducirten Stroms bei der Annäherung derjenigen des induci- renden entgegengesetzt, bei der Entfernung ihr gleich sein muss, wenn man erwägt, wie nach §. 335 die elektrodynamischen Erscheinungen die Annahme fordern, dass die Induction. Anziehungen der ungleichnamigen Elektricitäten schwächer sind als die Abstossungen der gleichnamigen. Hiernach wird nothwendig in einem Leiter bei der Annäherung eines andern vom Strom durchflossenen eine Bewegung der Elektricitäten in entgegen- gesetztem Sinne, bei der Entfernung eine solche in gleichem Sinne eintreten. Es ver- steht sich somit von selbst, dass jede Elektricitätsbewegung in einem Leiter auf einen andern benachbarten Leiter inducirend wirkt. Man kann daher ebensowohl wie mit dem Magneten oder dem galvanischen Strom auch mit dem Entladungsstrom einer Elektrisirmaschine Inductionswirkungen hervorbringen, und es kann endlich der in der secundären Rolle inducirte Strom auf eine dritte Rolle, der sodann in dieser inducirte auf eine vierte wirken, u. s. f. Man erhält so Inductionsströme höherer Ordnung . Werden die Enden der secundären Rolle nicht leitend mit einan- 352 Unipolare In- ductionswir- kungen. der verbunden, so kann auch beim Schliessen oder Oeffnen des Stroms in der primären Spirale kein inducirter Strom entstehen. Trotzdem tritt aber im Moment der Stromesschwankung eine elektrische Verthei- lung auf: die positive Elektricität strömt nach dem einen, die nega- tive nach dem andern Drahtende. Werden beide einander genähert, so tritt die Ausgleichung durch einen überschlagenden Funken ein. Bleiben sie aber einander fern, so fliessen nach dem Aufhören der in- ducirenden Stromesschwankung die Elektricitäten zurück und gleichen nach rückwärts sich aus. Ist nun die Inductionswirkung stark, so können auf diese Weise grosse Mengen freier Elektricität nach den Drahtenden hinfliessen, und man kann daher bei der Ableitung eines einzigen Pols momentan nach der inducirenden Stromesschwankung eine elektrische Entladung erhalten, die vollständig dem Entladungs- schlag einer Elektrisirmaschine oder Kleist ’schen Flasche gleicht. Damit die Schliessungsinduction solche Entladungen von merklicher Stärke bewirke, bedarf man sehr starker Inductionsspiralen; daher, wie wir im §. 250 erwähnten, Inductionsvorrichtungen, bei welchen die Oeffnung des Stroms durch die Schliessung einer Nebenleitung ersetzt ist, keine merklichen unipolaren Inductionswirkungen zu geben pfle- gen. Auch bei der Oeffnung des Stroms sind an Apparaten von mäs- siger Stärke die unipolaren Wirkungen nur dann merklich, wenn der betreffende Pol zur Erde abgeleitet wird, während z. B. keine solche Wirkung eintritt, wenn man denselben mit vollkommen isolirten Lei- tern in Verbindung bringt. Doch gilt auch dies nicht mehr, sobald man sich sehr starker Inductionsvorrichtungen bedient. Die unipolaren Inductionswirkungen können, wenn man die Inductionsvorrich- tungen zur Reizung von Nerven oder Muskeln gebraucht, sehr störend werden. Sind nämlich unipolare Wirkungen vorhanden, so bleibt die Reizung nicht auf die zwischen den Elektroden liegende Strecke beschränkt, sondern der Entladungsschlag breitet sich unbestimmt aus. Eine gewöhnlich zureichende Vorsichtsmaassregel zur Vermeidung unipolarer Wirkungen besteht in der Isolirung der gereizten Theile. Noch sicherer vermeidet man sie bei der in §. 250 besprochenen Modification der Inductionsvor- richtungen. Wundt , medicinische Physik. 35 Von der Elektricität. Der unipolaren Wirkungen starker Inductionsapparate bedient man sich gegen- wärtig sehr häufig wo man statischer Elektricität bedarf. Die von jenen gelieferten Entladungsschläge sind nicht bloss reichlich so stark wie diejenigen der kräftigsten Elektrisirmaschinen, sondern sie besitzen auch vor diesen den Vorzug, dass sie von manchfachen Einflüssen, wie Witterung, Luftfeuchtigkeit u. s. w., völlig unabhängig sind. Die wirksamsten, im Princip übrigens mit der in Fig. 242 dargestellten Vor- richtung übereinstimmenden Apparate dieser Art sind in neuester Zeit von Rumkorff in Paris gebaut worden. Register. Aberration sphärischer Spiegel 203 . Aberration brechender Kugelflächen 221 . Aberration, sphärische bei Linsen 230 . Aberration des Auges 274 . Absorption der Gase 145 . Absorption des Lichtes 250 , 258 . Absorption der Wärme 411 . Absorptionslinien 253 . Absorptionsspektrum 252 . Abstossende Kräfte 16 . Abstossung, elektrische 450 . Accomodation des Auges 272 . Accomodationsbreite 273 . Accorde 162 . Achromasie 246 . Achromatische Systeme 283 . Additionsfarben 348 . Adhäsion von Flüssigkeiten an festen Körpern 102 . Adhäsion, ihr Einfluss auf den Siede- punkt 383 . Adiatherman 409 . Aequivalenz der Kräfte 11 . Aequivalent, calorisches 402 . Aeskulin, Fluorescenz dess. 261 . Aether 15 . Aggregatzustände im Allg. 17 , 425 . Aggregatzustände, Wechsel ders. 18 , 380 . Aggregatzustand, fester 62 . Aggregatzustand, flüssiger 92 . Aggregatzustand, gasförmiger 134 . Ametropisches Auge 273 . Ampère’sche Gesetze 511 . Amplitude 33 , 41 . Amplitude des Pendels 76 . Analysator 353 . Anelektrische Körper 435 . Anion 489 . Anode 489 . Anziehung, elektrische 450 . Aplanatisches System 283 . Aräometer 99 . Arbeit (einer Kraft) 31 . Arbeit, Entstehung von Wärme aus ders. 419 . Archimedes, Princip dess. 97 . Arterienpuls 130 . Astatische Nadeln 522 . Astigmatismus 274 . Atome 15 . Atomgewicht, Beziehung desselben zur spec. Wärme 399 . Auge 264 . Auge, schematisches 265 . Auge, reducirtes 267 . Auge, optische Constanten dess. 265 . Auge, Brennweite dess. 266 . Auge, Bildgrösse in dems. 267 . Auge, Cardinalpunkte dess. 268 . Auge, Accomodation dess. 272 . Augengrund, der dunkle 299 . Augenspiegel 299 . Augenspiegel, Berechnung der Constan- ten dess. 304 . 35 * Register. Auscultationsgeräusche 181 . Ausdehnung durch die Wärme 364 . Ausdehnung, lineare fester Körper 368 . Ausdehnung, cubische fester Körper 367 . Ausdehnung der Flüssigkeiten 369 . Ausdehnungscoëfficient 368 . Ausdehnungsgesetz der Körper 390 , 397 . Ausströmen von Flüssigkeiten 107 . Ausströmen der Gase 147 . Ausserordentlicher Strahl 330 . Axe, optische in einaxigen Krystallen 330 . Axe, optische in zweiaxigen Krystallen 336 . Axe, magnetische der Erde 511 . Barometer 137 . Becquerel’sche Säure-Alkalikette 449 . Beharrungsvermögen 7 . Beleuchtungsspiegel, durchbohrte 301 . Beschleunigung 29 . Beschleunigung durch die Schwere 74 . Beugung der Schallwellen 160 . Beugung der Lichtwellen 314 . Beugungsspektrum 316 . Bewegung, Gesetze ders. 18 . Bewegung, gleichförmige 28 . Bewegung, gleichförmig beschleunigte 29 . Bewegungen des menschlichen Körpers 85 . Biconcavlinse 222 . Biconvexlinse 222 . Bild, von Kugelflächen entworfen 219 . Bild einer Linse 224 . Bild, photographisches 260 . Bildgrösse bei Convex- und Concav- spiegeln 202 . Bildgrösse im Auge 267 . Bildmikroskop 277 . Bildverschiebung durch planparallele Glasplatten 210 . Bildverschiebung durch das Prisma 213 . Biot’scher Polarisationsapparat 360 . Blendung bei Linsen und optischen In- strumenten 232 , 286 , 294 . Blitzableiter 441 . Blutbahn, Geräusche in ders. 183 . Blutbewegung 118 , 129 . Brachymetropisches Auge 273 . Brennebene 218 . Brennlinie 204 . Brennpunkt des Concavspiegels 201 . Brennpunkt der Linse 223 . Brennpunkte des Auges 269 . Brennweite des Auges 266 . Brechung der Wellen 57 . Brechung des Schalls 160 . Brechung des Lichtes 205 . Brechung, Polarisation bei ders. 323 . Brechungsexponent 59 , 244 . Brechungsexponent, Bestimmung dess. 206 , 213 . Brechungsvermögen, mittleres 246 . Brillengläser 234 , 272 . Bunsen’sches Element 460 . Calorie 393 . Calorimitrie 404 . Calorisches Aequivalent 402 . Camera lucida 286 . Camera obscura 234 . Capillarität 103 . Capillarröhren, Flüssigkeitsbewegung in dens. 118 . Causalgesetz 6 . Cardinalpunkte im Auge 268 . Celsius’sches Thermometer 365 . Centralbewegungen 83 . Centralkräfte 8 . Centrifugalkraft 83 . Chemische Theorie des Galvanismus 448 . Chemische Wirkungen des Lichtes 259 . Chininlösung, Fluorescenz ders. 261 . Chladni’sche Klangfiguren 55 . Chlorophyll, Absorptionsspektrum dess. 253 . Chlorophyll, Fluorescenz dess. 261 . Circularpolarisation 328 , 349 . Circularpolarisation, Messung ders. 360 . Circulationsorgane, Geräusche in dens. 183 . Coccius’ Augenspiegel 303 . Cohäsion 62 . Cohäsion der Flüssigkeiten 92 . Collectivlinse 281 . Combinationstöne 175 . Register. Commutator 536 . Compensationsmethode 484 . Complementärfarben 241 . Componente 20 . Compressionspumpe 143 . Concavconvexlinse 222 . Concavlinse 222 . Concavspiegel 200 , 204 . Condensation der Gase 393 . Condensator 441 . Conische Refraction 336 . Consonanten der Sprache 180 . Consonanz 162 , 172 . Constante Ketten 458 . Constanten des Augenspiegels 304 . Contact der Metalle 443 , 452 . Contact von Metallen und Gasen 449 . Contact verschiedener Flüssigkeiten 449 . Contacttheorie 448 . Convexconcavlinse 222 . Convexlinse 222 . Convexspiegel 199 . Coulomb’sche Drehwage zur Messung der Elektrieitätsmenge 452 . Curven, Darstellung der Naturgesetze durch dieselben 3 . Cylinderbrillen 274 . Dämpfe, Spannkraft ders. 386 . Dampfdichte 388 . Daniell’sches Element 459 . Declination 509 . Deckplättchen bei Mikroskopen 284 . Dellmann’sche Drehwaage 452 . Diamagnetismus 528 . Diaphragma 286 , 291 . Diathermane Körper 409 . Dichte der Elektricität 450 . Dichtigkeit der Dämpfe 388 . Dichtigkeitsbestimmungen, Berücksich- tigung der Temp. 378 . Differenztöne 185 . Diffusion 105 . Diffusion der Gase 148 . Directionskraft des Magneten 506 . Disgregationsarbeit 423 . Dispersion des Lichtes 235 , 246 . Dispersionskraft 246 . Dissonanz 171 . Doppelbrechung 329 . Doppelbrechung, positive 335 . Doppelbrechung, negative 335 . Drehungsmoment des Magneten 506 Druck in Flüssigkeiten 94 . Druckhöhe 112 . Duraccord 162 . Dur-Tonleiter 162 . Dynamik 19 . Ebene, schiefe 75 . Eigenschwingungen 43 . Elasticität 63 . Elasticitätsaxen, Aufsuchung ders. 354 Elasticitätsaxen, Bestimmung ihrer Grösse 357 . Elasticitätscoëfficient 64 . Elasticitätsfläche einaxiger Krystalle 332 . Elasticitätsgrenze 65 . Elektricität 433 . Elektricitätsbewegung 454 . Elektricitätsmenge 450 . Elektrisirmaschine 441 . Elektrode 489 . Elektrolyse 489 , 492 . Elektrodynamik 514 . Elektrogalvanometer 525 . Elektromagnetismus 526 . Elektromotorische Kraft 443 , 452 . 482 Elektrophor 441 . Elektroskop 436 . Elliptische Polarisation 326 . Emanationstheorie 187 . Emission des Lichtes 256 . Emission der Wärme 411 . Emissionstheorie 187 . Emmetropisches Auge 272 . Endosmose 106 . Enke’scher Komet 187 . Entladungsstrom 455 , 485 . Erdmagnetismus 509 . Erdstrom 516 . Ergänzungsfarben 241 . Erhaltung der Kraft 9 . Erkalten der Körper 416 . Expansivkraft 134 . Extrastrom 538 . Fahrenheit’sches Thermometer 366 . Register. Fallgesetze 74 . Farben 235 . Farben der Körper 251 . Farben dünner Plättchen 310 . Farbendreieck 242 . Farbenkreisel 239 . Farbenmischung 236 . Farbenpyramide 243 . Farbenringe 313 , 346 . Farbenton 243 . Farbenzerstreuung 235 . Fernwirkung, Gesetz ders. 8 . Fernwirkung, magnetische 505 . Fernrohr, astronomisches 293 . Fernrohr, terrestrisches 298 . Fernrohr, katoptrisches 295 . Fernrohr, als Messungswerkzeug 295 . Festigkeit 62 . Feuchtigkeit, wässrige im Auge 265 . Fische 101 . Flasche, Kleist’sche oder Leydener 442 . Flaschenzug 71 . Flüssigkeitswellen 120 . Flugbewegungen 91 . Fluorescenz 261 . Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Schwingungen 43 . Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalls 157 . Fortpflanzungsgeschwindigheit des Lichts 191 . Fortpflanzung der Wärme 406 . Frauenhofer’sche Linien 244 . Fresnel’s Spiegelversuch 306 . Galilei’sches Fernrohr 294 . Galvanische Kette 446 . Galvanischer Strom, Intensität dess. 462 . Galvanometer 463 . Gase 134 . Gase, spec. Gew. ders. 135 . Gase, condensirt 136 . Gasdruck 136 . Gasmikroskop 278 . Gassäulen 449 . Gasspektrum 254 . Gay-Lussac’sches Gesetz 371 . Gefälle der Elektricität 467 . Gefässe, communicirende 96 . Gefrierpunkt 380 . Gegenwirkung s. Wirkung. Gehen, Gesetze dess. 90 . Geradlinige Wirkung der Kräfte 8 . Geräusch 153 , 176 . Geräusche, kurz dauernde 176 . Geräusche, lang dauernde 179 . Geschwindigkeit, virtuelle 25 . Geschwindigkeitshöhe 112 . Gesichtswinkel 275 . Gewicht 65 . Gewicht, speeifisches 98 , 378 . Glaskörper 265 . Glasplatten, planparallele 209 . Gleichgewicht 18 . Gleichgewicht, indifferentes 69 . Gleichgewicht, stabiles 69 . Gleichgewicht, labiles 69 . Gleichgewicht der Flüssigkeiten 94 . Gleichungen, Darstellung der Naturge- setze durch dieselben 3 . Glimmerplättchen, Anwendung ders. zur Bestimmung der Elasticitätsaxen 359 . Goldblattelektroskop 436 . Gravitation 60 . Grove’s Element 459 . Grove’s Gassäulen 449 . Grundfarben 241 . Grundton 162 , 167 . Gyps, Axen dess. 347 . Gypsplättchen, Anwendung zur Bestim- mug der Elasticitätsaxen 359 . Gyrotrop 461 . Hämatoglobulin, Absorptionsspektrum dess. 254 . Halbschatten 188 . Haloidsalze des Silbers, Einfluss des Lichtes auf sie 259 . Hauptaxe im Kalkspath 330 . Hauptbrennpunkt 217 . Hauptbrennweite 317 . Hauptbrennweite im Auge 270 . Hauptebene der Linse 227 . Hauptpunkte der Linse 227 . Hauptpunkte im Auge 269 . Hauptschnitt doppelbrechender Körper 240 . Register. Hauptschnitt des Kalkspaths 330 . Hebel 20 . Heliostat 197 . Helmholtz’ Augenspiegel 303 . Helmholtz’ Vorrichtung am Inductions- apparat 542 . Herschels Teleskop 295 . Herztöne 184 . Himmelskörper, Bewegungen ders. 82 . Höhenmessung mit dem Fernrohr 296 . Hörrohr 158 . Hohlspiegel 200 . Hornhaut 265 . Hyperopie 272 . Jacobi’s Widerstandsmaass 480 . Idioelektrische Körper 435 . Immersionssysteme 285 . Inclination 509 . Induction 531 , 540 , 544 . Inductionsapparate 532 , 535 . Influenz, elektrische 447 . Influenzelektricität, Anwend. ders. 440 . Intensität der Farbe 243 . Interferenz der Wellen 49 . Interferenz der Schallwellen 166 , 171 . Interferenz des Lichtes 305 . Interferenz gebeugter Lichtwellen 361 . Interferenz des polarisirten Lichtes 320 . Interferenzerscheinungen im polarisir- ten Licht 337 . Interferenzspektrum 310 . Intervalle, musikalische 161 . Ionen 489 , 493 . Isoelektrische Curven 473 . Isodynamen 511 . Isogonen 511 . Isoklinen 511 . Isolatoren 436 . Kältemischungen 393 . Kalkspath, Doppelbrechung in dems. 329 . Kathetometer 296 . Kation 489 . Kathode 489 . Kehlkopf 170 . Kehlkopfspiegel 198 , 205 . Keppler’sches Fernrohr 293 . Keppler’sche Gesetze 83 . Kernschatten 188 . Klang 153 , 160 , 164 . Klangfarbe 164 . Klangfiguren 55 . Knotenpunkte der Linse 226 . Knotenpunkte im Auge 269 . Kleist’sche Flasche 442 . Körperfarben 251 . Kräfte, Aequivalenz ders. 11 . Kräfte, Maass ders. 30 . Kräfte, Parallelogramm ders. 19 . Kräfte, Zusammensetzung ders. 9 . Kraft 5 . Kraft, Arbeit ders. 31 . Kraft, Erhaltung ders. 9 . Kraft, lebendige 10 , 31 . Krafthebel 25 . Krystalle, einaxige 331 . Krystalle, zweiaxige 335 . Krystalle, magnet. Verhalten ders. 529 . Krystalllinse des Auges 265 . Kugelflächen, Lichtbrechung an dens. 216 . Kugelwelle 44 . Längenmaasse 291 . Latente Wärme 391 . Latente Wärme chemischer Verbindun- gen 401 . Lebendige Kraft 10 . Legirungen, Schmelzpunkt ders. 382 . Leiter der Elektricität 436 . Leiter erster Classe 445 . Leiter zweiter Classe 445 . Leitung der Wärme 406 , 413 . Leitungsfähigkeit für Wärme 414 . Leitungsvermögen für Elektricität 465 . Leitungsvermögen der Metalle 481 . Leitungsvermögen der thierischen Ge- webe 481 . Leuchtende Thiere 264 . Leydener Flasche 442 . Licht 186 . Licht, Intensität dess. 188 . Licht, Reflexion dess. 196 . Licht, Fortpflanzungsgeschwindigkeit dess. 191 . Lichtbrechung 205 . Register. Lichterscheinungen durch den elekt. Strom 487 . Linse, Formen ders. 222 , 228 . Linse des Auges 265 . Linsen, achromatische 248 . Linsen, Lichtbrechung in dens. 221 . Linsensysteme 232 . Linsensysteme, achromatische 249 . Linsensysteme, aplanatische bei Mi- kroskopen 277 . Lösung 104 . Longitudinalschwingungen 38 , 46 . Loth 66 . Luftballon 135 . Luftdruck 136 , 139 . Luftleere Räume im Thierkörper 142 . Luftpumpe 140 . Luftthermometer 373 . Lupe 275 . Maasse, Tabelle der gebräuchlichsten 291 . Maass des elektr. Zustandes 450 . Magnetismus 502 . Magnetoinduction 532 , 535 . Manometer 137 . Marey’sches Sphygmometer 133 . Mariotte’sches Gesetz 144 . Masse 73 . Materie, Beschaffenheit ders. 14 . Materie, Gesetz der Erhaltung ders. 7 . Matthiessen’s Widerstandsmaass 480 . Mechanik 13 , 18 . Meidinger’sche Batterie 461 . Melloni’scher Apparat 407 . Meniscus, convergirender 222 . Meniscus, divergirender 222 . Meridian, magnetischer 509 . Messungen, Berücksichtigung der Tem- peratur bei dens. 375 . Metallklang 179 . Meyerstein’s Augenspiegel 303 . Mikrometer 290 . Mikroskop, einfaches 277 . Mikroskop, zusammengesetztes 279 , 285 . Mikroskop, bildumkehrendes 286 . Mikroskop, binoculares 287 . Mikroskop, stereoskopisches 287 . Mikroskope, photoelektrische 278 . Mikroskop, Vergrösserung dess. 280 , 282 , 290 . Mikroskop, Prüfung dess. 292 . Mischung der Farben 236 . Mittelpunkt, optischer der Linse 225 . Modul der Metaloide 493 . Molecularphysik 4 . Molecularwirkungen flüssiger Körper 101 . Mollaccord 162 . Moll-Tonleiter 162 . Moment, statisches 23 . Moment, magnetisches 509 . Monochord 161 . Multiplicator 522 . Myopie 272 . Nachwirkung, elastische 65 . Naturgeschichte 1 . Naturgesetze 1 . Naturgesetze, die allgemeinsten 6 . Naturgesetze, Zusammenhang ders. 13 . Naturgesetze, ihre Anwendung 13 . Naturkräfte 5 . Naturlehre 1 . Netzhaut, Fluorescenz ders. 261 . Newton’sche Farbenringe 313 , 346 . Newton’sches Fernrohr 295 . Nichtleiter der Elektricität 436 . Nicol’sches Prisma 337 . Nörremberg’scher Polarisationsapparat 354 . Nonius 296 . Nordpol des Magneten 503 . Oberflächenspannung 101 . Obertöne 167 . Objectivlinse 280 . Objectivsysteme 283 . Objecttisch des Mikroskops 285 . Octave 161 . Ocularlinse 280 . Ocularmikrometer 291 . Oeffnungswinkel am Mikroskop 292 . Ohm’sches Gesetz 465 . Ohr, das äussere 159 . Ophthalmometer 297 . Ordentlicher Strahl 330 . Ortsbeweg ungen des Menschen 86 , 90 . Register. Parabel, als Wurflinie 32 , 82 . Parallelogramm der Kräfte 19 . Paramagnetismus 528 . Partialtöne des Klangs 167 . Pendel 75 . Pendel, mathematisches 76 . Pendel, physisches 78 . Pendelgesetze, ihre Anwendung auf die Gehbewegungen 87 . Percussionsgeräusche 177 . Phosphorescenz 264 . Photographie 260 . Photographie mikroskopischer Bilder 287 . Photometer 190 . Physik, Definition ders. 1 , 4 . Plättchen, dünne 310 . Planconcavlinse 222 . Planconvexlinse 222 . Planeten, Bahn ders. 83 . Pigmente, Mischung ihrer Farben 239 , 242 . Polarisation des Lichtes 318 . Polarisation, Theorie ders. 324 . Polarisation, elliptische 326 . Polarisation, circulare 328 . Polarisation, elektrische 497 . Polarisationsapparate 353 . Polarisationsebene 319 . Polarisationsfigur 343 , 345 . Polarisationsmikroskop 354 . Polarisationswinkel 322 , 325 . Polarisator 353 . Potentialfunction 470 . Presse, hydraulische 95 . Prisma 211 . Prisma, Farbenzerstreuung durch dass. 235 . Prismen, achromatische 246 . Prisma, Nicol’sches 337 . Prüfung des Mikroskops 292 . Puls 130 . Quarte 161 . Quartsextenaccorde 162 . Quarz, Drehung der Polarisationsebene 349 , 351 . Quellung 104 . Querschnitt doppelbrechender Körper 344 . Quinte 161 . Rad 71 . Réaumur’sches Thermometer 366 . Reflexion der Wellen 50 . Reflexion des Lichts 196 . Reflexion, totale 208 , 215 . Reflexion, Polarisation durch dieselbe 321 . Refraction, conische 336 . Reibungselektricität 434 . Resonator 168 . Respirationsorgane, Geräusche in dens. 181 . Resultante (der Kräfte) 20 . Rheochord 477 . Richtungslinien 218 . Richtungsstrahl, in der Linse 225 . Richtungsstrahlen im Auge 270 . Rohr, starres 107 . Rohr von wechselndem Durchmesser 114 . Rohr mit Biegungen 115 . Rohr, Verzweigungen dess. 116 . Rohr, elastisches 125 . Rolle 70 . Rückstand in der Batterie 456 . Rüte’s Augenspiegel 303 . Saccharimeter 360 . Sättigung der Farbe 243 . Säure-Alkalikette 449 . Salzlösungen, Siedepunkt ders. 382 . Sammellinse 222 . Scelettheile, Bewegungen ders. 91 . Seitenkräfte 20 . Schall, Fortpflanzungsgeschwindigkeit dess. 157 . Schallschwingungen, Geschwindigkeit ders. 155 . Schallschwingungen, Form ders. 156 , 164 . Schallwellen 156 . Schallwellen, Reflexion ders. 158 . Schallwellen, Brechungders. 160 . Schallwellen, Beugung ders. 160 . Schallwellen, Interferenz ders. 166 . Schatten 188 . Schiffe, Bewegung ders. 101 . Register. Schmelzpunkt 380 , 392 . Schraubenmikrometer 291 . Schwebungen 173 . Schwere 60 . Schwerlinie 67 . Schwerpunkt 65 , 67 . Schwerpunkt des menschl. Körpers 68 , 71 . Schwerpunkt des menschl. Körpers bei den Gehbewegungen 89 . Schwimmbewegungen 91 . Schwimmende Körper 99 . Schwingungen, stehende 53 . Schwingungsarbeit 423 . Schwingungsbewegungen 33 . Schwingungsdauer 33 , 41 . Schwinguugsdauer, Gesetz ders. 35 . Schwingungsdauer des Pendels 76 . Schwingungsebene des polarisirten Lichtes 319 . Schwingungsknoten 54 . Schwingungsweite 33 , 41 . Schlüssel (elektrischer) 480 . Schrittdauer 89 . Schrittlänge 89 . Sehwinkel 275 . Sext, grosse und kleine 162 . Sextenaccorde 162 . Siedepunkt 389 , 392 . Siemens’sche Batterie 460 . Silbersalze, Einfluss des Lichtes auf sie 259 . Sinusablenkung bei Magneten 508 . Sinusbussole 522 . Sirene 152 . Soleil’scher Polarisationsapparat 360 . Solenoïd 517 Sonnenmikroskop 278 . Spannkraft 10 . Spannkraft der Dämpfe 386 . Spannungen der Elektricität im Stro- meskreis 467 . Spannungsgesetz 452 : Spannungsreihe der Metalle 444 . Spannungsreihe der Metalle in der Ther- mokette 450 . Spannungsreihe der Metalle in Flüssig- keiten 445 . Specifisches Gewicht 378 . Specifische Wärme 395 . Specifische Wärme der Gase 398 . Spektralanalyse 257 . Spektralfarben 236 . Spektrum des Sonnenlichts 235 , 244 . Spektrum nach Absorption 253 . Spektrum durch Interferenz 310 . Spektrum durch Beugung 316 . Spektrum von Gasen 254 . Spektrum des Hämatoglobulin 254 . Sphygmometer 133 . Spiegel, ebene 197 . Spiegel, convexe 199 . Spiegel, concave 200 , 201 . Spiegel am Mikroskop 285 . Spiegelablesung mit dem Fernrohr 189 . Spitzenwirkung, elektrische 439 . Sprachrohr 158 . Statik 19 . Stauung 114 . Stereoskop 214 . Stöhrer’sche Batterie 461 . Strahlende Wärme 406 , 408 . Strömungsbewegung 124 , 126 . Strom, Ausbreitung dess. in linearen Leitern 315 . Strom, Ausbreitung dess. in flächenhaf- ten und körperlichen Leitern 472 . Strom, Ausbreitung dess. im mensch- lichen Körper 475 . Stromdichte (elektrische) 464 . Stromlauf in starren Röhren 107 , 110 . Stromlauf in elastischen Röhren 125 . Stromstärke (elektr.) 462 , 464 , 515 , 520 . Stromstärke, Abstufung ders. 477 . Stromverzweigung 470 . Stromwender 461 . Subtractionsfarben 348 . Südpol des Magneten 503 . Summationstöne 175 . Systeme von Linsen 232 . Systeme von Linsen, achromatische 249 . Tangentenablenkung bei Magneten 508 . Tangentenbussole 521 . Teleskop s. Fernrohr. Temperatur 364 . Temperatur der Thiere 429 . Temperatur, gleichschwebende 164 . Terz, grosse und kleine 162 . Register. Terzsextenaccorde 162 . Theodolith 296 . Thermische Färbung 409 . Thermochroismus 409 . Thermoelektricität 449 . Thermoelektrische Apparate 406 . Thermoketten 449 . Thermometer 364 . Thermometerscala 365 . Thermomultiplicator 406 . Thermosäule 406 . Thiere, vierfüssige 91 . Thierische Wärme 426 , 429 . Ton 160 . Tonleiter 162 . Tonhöhe 160 . Tonstösse 173 . Toricelli’sches Theorem 107 . Torsionselasticität 63 . Trägheit 7 . Transversalschwingungen 46 , 48 . Transversalwellen 46 , 48 . Turmalinplatte 318 . Tympanitischer Schall 178 . Uebergang der Wellen in andere Me- dien 55 . Uebergangswiderstand 111 , 497 . Ultraviolett 261 . Undulationstheorie 187 . Unipolare Inductionswirkungen 545 . Unsichtbare Strahlen 261 . Ursache, Begriff ders. 2 . Verbindungswärme, chemische 401 . Verbrennungswärme 421 . Verdampfung 384 . Verdichtungswellen 38 , 41 . Vereinigungspunkte, conjugirte 217 . Vereinigungsweite für Convex- und Concavspiegel 202 . Vergrösserung des Mikroskops 280 , 282 , 290 . Vertheilung, Elektricität durch dieselbe 438 . Vertheilung der Elektricität auf der Oberfläche der Leiter 439 . Vibrationstheorie 187 . Vocalklänge 170 . Vogel, Bewegungen dess. 91 . Volta’sche Säule 457 . Voltameter 462 . Waage 69 . Waage, hydrostatische 98 . Wägungen, Berücksichtigung der Tem- peratur bei dens. 375 . Wärme 363 . Wärme, Ursprung ders. 418 . Wärme, Theorie der Wärmeerscheinun- gen 418 . Wärme, thierische 426 , 429 . Wärmeeinheit 393 . Wärmeerzeugung 418 . Wärmeerzeugung durch den el. Strom 486 . Wärmemenge 392 . Wärmestrahlen, dunkle 410 . Wärmestrahlung 406 , 408 . Wasser, Ausdehnung dess. durch die Wärme 370 . Webers Theorie der elektrodynamischen Erscheinungen 516 . Welle, positive 41 , 121 . Welle, negative, 11 , 121 . Wellenbewegungen im Allg. 33 . Wellenbewegung der Flüssigkeiten 120 . Wellenebene bei d. Doppelbrechung 333 . Wellenfläche 45 . Wellenfläche einaxiger Krystalle 331 . Wellenhöhe in elast. Röhren 128 . Wellenlänge 43 . Wellenlänge in elast. Röhren 128 . Wellenlängen des Lichtes 309 . Wellenlinie 45 . Widerstand 465 . Widerstandseinheit 480 . Widerstandshöhe 112 . Widerstandsmessungen 480 . Wiedemann’s Widerstandsmaass 480 . Winkelhebel 25 . Winkelmessung mit dem Fernrohr 296 Wirkung 2 . Wirkung und Gegenwirkung 7 . Wirkung, geradlinige der Kräfte 8 . Wirkungen des el. Stroms 485 . Zerlegung des Lichtes 235 . Zerstreuungskreis 230 . Zungenpfeifen 170 . Druckfehler. Seite 13 Zeile 6 von oben lies h’ statt p’. „ 41 „ 20 „ „ „ sonst statt fast. „ 50 „ 17 von unten lies schon statt noch. „ 94 „ 16 „ „ „ ihm statt ihr. „ 180 „ 22 „ „ „ deren statt dessen. „ 180 „ 22 „ „ „ Lufttheilchen statt Luftblasen. „ 236 „ 2 von oben lies auffängt statt aufhängt. „ 259 „ 4 „ „ „ Bewährung statt Berührung. „ 297 „ 3 „ „ „ noch statt nach. „ 310 „ 3 von unten „ CD statt BC. „ 314 „ 2 „ „ „ S. 316 statt §. 316.