F. C. Laukhards , Magisters der Philosophie, und jezt Lehrers der aͤltern und neuern Sprachen auf der Universitaͤt zu Halle, Leben und Schicksale , von ihm selbst beschrieben . Vierten Theils erste Abtheilung , welche die Fortsetzung von dessen Begebenheiten, Erfahrungen und Bemerkungen waͤhrend des Feldzugs gegen Frankreich enthaͤlt. Leipzig , in Commission bey Gerhard Fleischer dem Juͤngern . 1797 . F. C. Laukhards , Magisters der Philosophie, und jezt Lehrers der ältern und neuern Sprachen auf der Universität zu Halle, Begebenheiten , Erfahrungen und Bemerkungen waͤhrend des Feldzugs gegen Frankreich . Zweiten Theils erste Abtheilung. Leipzig , in Commission bey Gerhard Fleischer dem Juͤngern . 1797 . Erstes Kapitel . Landau . E s war ohngefaͤhr fuͤnf Uhr Morgens, als ich zum Divisions-General, Laubadere , ge- fuͤhrt wurde. Der General war schon auf, und voͤllig in Uniform. Ich traf ihn in Gesellschaft ei- niger Offiziere, mit welchen er eben fruͤhstuͤckte. Er freute sich, als er vernahm, daß ich seiner Sprache maͤchtig war. Die Franzosen verstehen groͤßtentheils nichts als franzoͤsisch; als ich daher einige seiner Fragen franzoͤsisch befriedigt hatte, faßte er mich bey der Hand, hieß mich niedersetzen und an dem Fruͤh- stuͤcke Theil nehmen. „Scheue dich nicht,“ sagte er, „du bist bey freyen Leuten, bey Leuten, wel- che wissen, daß Andre auch Menschen sind, wie sie, und welche niemanden verachten, als den freywilligen Sklaven. Der freywillige Sklave Vierter Theil. A allein verdient Verachtung, und — fuhr er mit Hitze fort, — wenn dieser freywillige Sklav des- wegen Sklave wird oder bleibt, damit er Andre noch mehr, als er selbst es ist, zu Sklaven machen helfe, dann verdient er Abscheu und Ausrottung, wie seine Tyrannen.“ Ich bezeigte dem General — wie meine Lage es erfoderte — meine Einstimmung und versicher- te ihn — welches mir die Goͤttin Eleutheria vergeben mag, und welches ich nicht ohne Schaam gestehen kann! — daß eben diese Grundsaͤtze mich vermogt haͤtten, die Preußen zu verlassen, und Schutz und Beystand bey der Nation der freyen Franken zu suchen. „Bravo!“ sagte Lauba - dere , und reichte mir ein Glas Wein, „Du bist ein guter Kerl ( bon garçon )! Betrage dich, wie es einen freyen Mann gebuͤhrt, und Du erlangst das franzoͤsische Buͤrgerrecht — den besten Lohn, den die Republi k dir geben kann!“ Das Fruͤhstuͤck war sehr frugal: Brod, Knob- lauch und Wein war alles. „Nicht wahr,“ sagte der General, „du wunderst dich, daß ich so schlecht fruͤhstuͤcke! Eure Generale essen wohl besser, das weiß ich: die sind nicht mit einem Stuͤck Brod zu- frieden. — Der Obrist von der Reuterey, wel- cher ehemals in Preußen selbst und sonstwo gewe- sen war, versicherte, daß die Generale der Preu- ßen und Oestreicher gar viel in Banketen auf- gehen ließen, daß sie darin sogar etwas such- ten, und er begleitete diese Bemerkungen mit eini- gen spitzigen Einfaͤllen. Ich wollte und mußte doch auch was sagen, und fuͤhrte das Beyspiel Friedrichs , des Zweyten, an, der allemal maͤßig gelebt, und wenig auf die Vergnuͤgungen der Ta- fel gewendet haͤtte. Ja, ja, Friedrich , der Zweyte , erwiederte Laubadere : ich weis es recht gut: allein wo habt Ihr nur noch Einen? Es ist ganz und gar keine Gleichheit unter Euch, fuhr er fort: eure Obern leben wie die Prinzen, und pflegen si ch nach Herzenslust, aber die armen Soldaten muͤssen hungern bis zum Schwarzwer- den. — Ich mogte dieser Aeußerung nicht wei- ter widersprechen, zuckte die Achseln, und — schwieg. Laubadere und sein General-Adjutant Do - xon (sprich Dosson ) befragten mich sofort uͤber die Beschaffenheit der Belagerung der Stadt Lan - dau . Du bist, sagte Doxon , eben kein Dumm- kopf, das sieht und hoͤrt man Di r an: also kannst und mußt Du uns Auskunft geben, wie's draußen aussieht — was unsre Feinde im Schilde fuͤhren und was wir von ihnen zu erwarten haben. — Ich mag nicht wiederholen, was ich damals ge- sagt habe, aber ich kann heilig versichern, daß ich kein Wort vorbrachte, welches fuͤr die Belagerer Nachtheil haͤtte haben koͤnnen. Doxon fuͤhrte mich nachher auf den Kirch- thurm, wo ich durch ein Fernrohr sehen mußte, um ihm die Stellung der feindlichen Lager und Batterien zu erklaͤren. Er war mit dem, was ich ihm angab, zufrieden, und nahm mich mit in den Gasthof zum Lamm, wo wir noch eine Bouteille Wein ausleerten. Darauf ging es zum Repraͤ- sentanten Dentzel , bey welchem alle Gefang- nen und Deserteurs eingefuͤhrt werden mußten. Dieser seltsame Mann war ehemals mein Be- kannter gewesen, und wenn ich nicht irre, so sind wir gar noch verwandt. Ich habe freilich die Ge- nealogie meiner Familie nie studiert, und habe meine Tante nicht bey der Hand, welche sonst als ein lebendiges Repertorium von allen Vetter- und Basenschaften Auskunft zu geben weis; aber so, daß mein verstorbener Vater oft mit ihr deswegen zankte, und ihre Eitelkeit mit der Bemerkung de- muͤthigte: daß es einem ehrlichen Kerl gleichviel gelten koͤnnte und muͤßte, ob er mit dem großen Mogul , oder mit dem Scheerenschleifer Benot - sacht verwandt sey. Ich erinnere mich aber doch noch dunkel, daß meine Tante von dem Hn. Vet - ter Dentzel gesprochen hat. Genug, Dentzel hatte die Schule zu Duͤrk- heim besucht, und hernach in Halle die Theologie studiert, sonst auch da recht lustig gelebt, und war einer von jenen Studenten, welche der Pro- rektor Pauli , dieser schreibselige Historiker, ein- mal aus der Kneipe zum Posthorn, wo es damals Buhldirnen gab, hatte holen und aufs Karzer sez- zen lassen. Dentzel erinnerte sich nachher dieser Schnurre noch mit Lachen. In seinem Kandida- tenstande suchte er Eingang bey Mamsell Sabin- chen Michaelis , dem schoͤnsten Maͤdchen in der ganzen Pfalz. Allein Mamsell Sabinchen trug damals die Nase hoͤher, als daß ihr Dentzel haͤtte behagen koͤnnen: sie gab der Liebeley eines Prinzen Gehoͤr, und ward dadurch endlich eben so ungluͤcklich, als sie vorher schon war. — Wenn irgend einer unserer Herren Roman- schreiber Lust hat, ein Magazin von Erfahrungen und Begebenheiten fuͤr ungluͤckliche Frauenzimmer anzulegen, so erbiete ich mich, ihm das Leben der Mamsell Sabinchen Michaelis dazu zu liefern, welches gewiß keine unrechte Stelle darin behaup- ten wuͤrde. Dentzel , der bey Sabinchen nicht ankommen konnte, ließ seiner satyrischen Laune freyen Lauf, und beleidigte durch allerley Sarkasmen auf das Maͤdchen, den Hofrath, ihren Vater, und den Herrn Prinzen von Leiningen selbst. Dieß brachte ihn um alle Hoffnung, im Leiningischen je versorgt zu werden, und dieß um so mehr, da die dortigen Versorgungen ohnehin immer sehr anoma- lisch vor sich gingen. Er vettermichelte sich also in Landau bey verschiednen franzoͤsischen Offizie- ren an, und erhielt die Feldpredigers-Stelle bey dem Regiment Deuxponts . D a er ein heller Kopf und lustiger Bruder war, so fiel es ihm leicht, dem trefflichen, aͤußerst humanen und libe- ralen Prinzen Maximilian von Pfalzzwey- bruͤck, welcher damals in Landau als Obrist stand, zu gefallen. Dieser Prinz war bey den Landauer Buͤrgern sehr beliebt, und sie bestrebten sich, ihm uͤberall zu willfahren. Als er daher den Dentzel zur Oberpfarrstelle in Landau ihnen empfahl, er- hielt er sie ohne Anstand. Er heurathete nachher die Tochter eines reichen Kaufmanns, und lebte, einige Zaͤnkereyen mit seinem erzorthodoxen, into- leranten Kollegen abgerechnet, ganz ruhig und ver- gnuͤgt bis auf den Ausbruch der Revolution. Kaum hatte diese den Anfang genommen, so trat Dentzel sogleich auf ihre Seite, und verfocht die Rechte des Volks so stark und eifrig, daß man ihn als die hoͤchste und staͤrkste Stuͤtze des Patrio- tismus verehrte. Beym Ausbruche der Revolu- tion hatte Ludwig XVI. in alle Departements einige von seinen Kreaturen abgeschickt, welche man Koͤnigs - Kommissarien ( commissaires royaux ) nannte, und die starken Antheil an allen Verhandlungen zum Vortheile des Souveraͤns zu nehmen und zu bewirken wußten. Dentzel warf einst einen dieser Kommissaͤre, der zu sehr monar- chisch jesuitisirte, vom Gemeinhause, und brachte es dahin, daß er die Stadt raͤumen mußte. Dar- uͤber entstanden Klagen gegen ihn, er aber zog sich mit Ehren aus der Sache, besonders da sich der damals schon sehr angesehene Ruͤhl seiner an- nahm. Dentzel wurde daher in Landau ange- betet von allen Patrioten, und was er angab, wur- de gebilligt und ausgefuͤhrt. Um sich aber durch die Verwaltung seines geistlichen Amtes nicht zu schaden, gab er seine Pfarr-Stelle auf, und hieß nun schlichtweg — Herr Dentzel. Der erste Abgeordnete, den die Landauer nach Paris geschickt hatten, hatte da nicht so gehandelt, wie man es gewollt hatte: er wurde also abgerufen, und Dentzel statt Seiner auf die damalige Na- tionalversammlung abgesandt. Hier hatte er nun Gelegenheit, seinen Patriotismus zu zeigen, und that dieses auch mit einer solchen Freymuͤthigkeit und Uneigennuͤtzigkeit, daß man ihn schon im Jahr 1792 zu Missionen gebrauchte. So war er auch damals, als man uͤber das Schicksal des ungluͤck- lichen Ludwigs Capet in der Versammlung stimmte, abwesend. Ich fragte ihn einmal, was er von der Hinrichtung dieses Fuͤrsten hielte? Jezt, antwortete er, muß ich sie freilich billigen, indem sie geschehen ist: waͤre ich aber am Tage der Ver- dammung des armen Teufels in Paris gewesen, er haͤtte eine Stimme fuͤr sich mehr gehabt: denn nim- mermehr haͤtte ich auf seinen Tod gestimmt. Robespierre und Marat schaͤzten Den - tzel , und so war es ihm moͤglich, bey der Gruͤn- dung der Republik seinen Einfluß mannhaft zu behaupten. Er erhielt daher auch 1793, im Jul, die Mission zur Rheinarmee. Als ich zu ihm hereintrat, sah er mich eine Zeit- lang starr an. Wie heißt Du? fragte er endlich. Ich : Ich heiße Laukhard. Dentzel : Von Wendelsheim? Ich : Allerdings. Dentzel (mir die Hand reichend) Willkom- men, Bruder, im Lande der Freyheit! Nun, das war doch ein gescheider Streich von dir, daß du deine Tyrannen verlassen hast! Komm, setze dich, und erzaͤhle mir was neues! Ich sezte mich, und Mamsell Lutz , die man bald naͤher kennen lernen wird, mußte mir ein Glas Li koͤr herbey holen. Unser Gespraͤch betraf die Preußen, die Universitaͤt Halle, Jena und Gießen, den Eulerkapper, den D. Bahrdt , dessen eifri- ger Anhaͤnger er gewesen war, die Revolution in Frankreich, die Belagerung, den Magister Weit- maul und hundert andre ernsthafte Dinge und Pos- sen. Der General Laubadere war unterdessen hinzu gekommen. Gleich beim Eintritt rief ihm Dentzel entgegen: „Hier, General, ist mein Lands- mann Laukhard, ein lustiger Bruder ( un sacré gail- lard ), der mir sehr willkommen ist. Wir wollen ei- nen tuͤchtigen citoyen François aus ihm machen. — Dentzel hatte den ersten Band meiner Lebensge- schichte gelesen, und spaßte da besonders uͤber die Historie mit Thereschen, welche ihm schon von al- ten Zeiten her bekannt gewesen war. Er gestand mir, daß er auch einmal ein bissel in Therese geschossen oder nach Pfaͤlzer Ausdruck, verscham- merirt gewesen waͤre u. s. w. Die gute Aufnahme des Repraͤsentanten sezte mich in muntere Laune, und der Wein, den ich ge- trunken hatte, machte, daß ich ins Gelag hinein plauderte; und die Gesellschaft, welche aus Den - tzel , dem General Laubadere , dem General Delmas (man spricht das s am Ende aus: ei- nige schreiben unrecht Delmace) und der huͤbschen Buͤrgerin Lutz bestand, war mit mir zufrie- den. Ich blieb zum Essen bey Dentzel, und hatte das Vergnuͤgen, den General Delmas , einen feurigen jungen Mann naͤher kennen zu lernen. Dieser hat eine sehr huͤbsche Frau, die Tochter des Loͤwenwirths aus Brundrut, der Residenz des ehemaligen Fuͤrstbischofs zu Basel. Die Citoyenne Lutz ist oder war die Tochter eines Fleischers, der in dem Feldzuge von 1792 und 1793 sich viel Geld durch Lieferungen erworben hatte, damals aber schon todt war. Sie lag immer bey Dentzel , und vertrieb ihm, in Abwesenheit seiner Frau, welche er in Paris gelassen hatte, die Zeit, war aber doch auch gegen Andre nicht sehr hart oder sproͤ- de, besonders nicht gegen den Sekretaͤr des Repraͤ- sentanten. Dentzel scherzte sehr dreiste mit ihr, und ließ immer, nach Pfaͤlzer Art, Einiges aus der Zotologie mit einfließen. Wir sprachen, wie sichs denken laͤßt, franzoͤsisch, denn weder Laubadere noch Delmas verstanden deutsch. Da ich nun oft die Woͤrter: Monsieur und Mademoiselle hoͤren ließ, so be str afte man mich deswegen in Freundschaft, und sagte mir: ich muͤßte bloß mit Citoyen, oder Citoyenne, anreden, und alles um mich her dutzen, wie ich denn auch von jedem, selbst von der Lutzen geduzt wurde. Niemals habe ich meine Wuͤrde, als freyge- bohrner Mensch, lebhafter gefuͤhlt, als damals, da ich — dem Namen nach — verloffener preußi- scher Soldat zwischen einem Repraͤsentanten der maͤchtigen franzoͤsischen Nation, und zwischen zwey Divisions-Generalen saß, und diesen so ganz in allen Stuͤcken gleich gehalten wurde. Die Gedan- ken und Gesinnungen, welche damals bey mir rege wurden, lassen sich errathen: wenigstens gaben sie mir einen neuen Beweis zu meinem alten Prinzip, daß die Neufranken so lange unuͤberwindlich seyn werden, als sie selbst es nur wollen. Ihr Gleich- heitssystem ist ein Kitt, den nichts uͤbertrifft! — Freund Dentzel trug mir auf, ihn fleißig zu besuchen: aber das Ungluͤck wollte bald, daß ich von dieser mir damals gewiß sehr schaͤtzbaren Er- laubniß keinen oͤftern Gebrauch machen konnte. Als ich wegging, druͤckte er mir die Hand, und versprach mir, auf alle Art und Weise fuͤr mich zu sorgen. Ich wußte damals noch nicht, daß mich diese Verheißung dereinst der Guillotine nahe brin- gen koͤnnte! Zweytes Kapitel. Meine Lage in Landau . I ch wurde auf die Liste der auslaͤndischen Deser- teurs gesezt, und bekam mein Quartier auf dem ehemaligen Kaufhause ( Douane ), wo ich noch einige zwa n zig Preußische, Oestreichische und Kondeische Ueberlaͤufer antraf. Die Verpflegung, welche wir erhielten, war gut: denn man gab uns, wie den Volontaͤrs, gutes Brod, frisches Fleisch, Speck, gesalzene Butter, Kaͤse, Linsen, Erbsen und noch obendrein taͤglich zehn Sous Papiergeld. Ein Sergeant Schmid , und ein Korporal hat- ten die Aufsicht, welche aber von keiner Bedeutung war, da beynahe ein jeder that, was er wollte. Ich muß diese hottentottische Gesellschaft et- was naͤher beschreiben! In einem allmaͤchtig-gro- ßen Gemache, wo wenigstens 100 Mann haͤtten logiren koͤnnen, und wo Britschen ( lits de camp ) in vier Reihen angebracht waren, befanden sich ohngefaͤhr damals vier Kriegsgefangne und etwan achtundzwanzig Deserteurs. Einer davon war mit einer Frau da, welche auch andern zu Dienste stand. Der Kerl hieß Bachmayer , und war von den Anspachischen Dragonern. Wer ihm nur zu saufen gab, dem erlaubte er allen Umgang mit sei- nem Weibe. Die andern waren theils Franzosen von der Kondeischen Armee oder von Rohan; dann Polaken, Deutsche, Italiaͤner, meist Lumpenvolk, und Diebe. Nichts war vor diesem Gesindel sicher: sie stahlen einander selbst alles, und veruͤbten alle nur moͤglichen Excesse. Viele waren mit ihren Pfer- den und Gewehren nach Landau gekommen, und hatten sie dort verkauft. Da sie nun auf diese Art viel Geld hatten, so soffen sie in einem weg, und machten den fuͤrchterlichsten Spektakel, rauften und schlugen sich, wie unsinniges Vieh. Wie mir bey diesen Bestien zu Muthe war, kann man leicht denken! Einige darunter waren mir be- sonders fatal. Zu diesen gehoͤrt ein gewisser Schie - le , aus dem Anhaͤltischen, vorher Reuter unter dem Regiment des Herzogs von Weimar . Er war einige Tage vor mir nach Landau entwischt, und hatte dem General den Posten, den er verlas- sen hatte, verrathen, und ihn zum Ueberfall dessel- ben vermogt, auch selbst den Fuͤhrer dabey abge- geben. Der kommandirende Unteroffizier des Po- stens war ein schlechter Kerl, der die noͤthige Wach- samkeit versaͤumt hatte: der Posten wurde also uͤberrumpelt, und bis auf zwey Mann, welche die Franzosen gefangen nahmen, niedergehauen. Schiele erhielt nun ein ansehnliches Geschenk in Papiergeld, eine Kapotte u. dgl. und betrug sich, wie wenn er eine Heldenthat ausgefuͤhrt haͤtte, auf die impertinenteste Art gegen jederman. Sein Geld hat er indeß nach und nach in Landau ver- hurt und versoffen, auch die Lustseuche, wie meh- rere dieses Gesindels, hernach mit in Frankreich hineingeschleppt. Er ist im Herbst 1794 nach der Schweiz gegangen, nachdem er durch einen fal- schen Taufschein einen Paß, als ein Polake, er- halten hatte. Ich wuͤnsche, daß er moͤge erkannt werden, um fuͤr seine abscheuliche Verraͤtherey noch jezt zu buͤßen. Wer mit so einem Schuft Mitleid hat, der ist selbst eben auch ein Schuft. Ein andrer dieser Buben hieß Schwabe , ein Siebenbuͤrger, der von den Oestreichischen Husaren, Leopold Toscana, weggelaufen war. Er hatte sich in Landau in einem Hause bekannt gemacht, und daselbst einen betraͤchtlichen Diebstahl begangen. Der General ließ ihn deswegen einstecken, und er mußte bis zum Abmarsch ins Innere von Frankreich gefangen sitzen. Eben so wurden Magerer und drey andere, welche naͤchtliche Diebstaͤhle begangen hatten, bis zum Entsatz von Landau eingesperrt. Die Frau des schon genannten Bachmayers hatte in der Stadt ein Hurenmensch aufgetrieben, welche von da an bey ihr zu schlafen pflegte, und fuͤr 20 Sous Papiergeld zu haben war. Dieser Ni- ckel trieb ihr schaͤndliches Gewerbe auf die allerun- verschaͤmteste Art, sogar am hellen Tage. Zuwei- len brachten die Deserteurs obendrein noch andre Menscher mit, und so war denn unser Kaufhaus nicht selten einem Bordel aͤhnlich. Die schaͤnd- lichsten Zoten wurden ohne Aufhoͤren gerissen, und die abscheulichsten Lieder gesungen, so daß das Zimmer, worauf wir waren, wirklich einer Raͤu- berhoͤle gleich sah. Der Sergeant Schmid , welcher fast immer besoffen war, und der Korpo- ral lachten zu jeder Unordnung, und halfen wohl noch gar mit, Lumpenstreiche ausfuͤhren. Diese schoͤne Gesellschaft nahm gar noch taͤglich zu: denn taͤglich oder vielmehr naͤchtlich kamen im- mer einige Deserteurs an, so daß der Haufe dieses Gesindels, bey unserm Abmarsche von Landau, uͤber 60 Mann stark war: und so wie sich die An- zahl der Deserteurs vermehrte, vermehrte sich auch die Unordnung. Der General selbst konnte sie nicht mehr leiden und sagte im allgemeinen: es sey eine foutue canaille um die Ausreißer. Um aber doch diese Leute zu beschaͤftigen, und durch Beschaͤftigung von schlechten Streichen ab- zuhalten, hatte der General befohlen, daß die deutschen Deserteurs, wenn sie wollten, in den Handmuͤhlen mit arbeiten koͤnnten. Es waren naͤm- lich acht Handmuͤhlen angelegt, welche taͤglich 16 Mann, 8 am Tage und 8 des Nachts, im Gan- zen also 128 Mann beschaͤftigten. Jeder dieser Ar- beiter oder Handmuͤller bekam fuͤr 12 Stunden, wovon er aber nur 6 Stunden mahlte, 50 Sous in Papier. Auf diese Art mußte der Proviant-Kom- missaͤr blos fuͤr die Arbeiter an den Handmuͤhlen taͤglich 320 Livres oder 80 Rthr. in Papier aus- zahlen. Es ist aber falsch, wenn man ausgesprengt, und sogar in oͤffentlichen Schriften nacherzaͤhlt hat: daß man die Deserteurs zu Landau gezwungen haͤt- te, in den Handmuͤhlen zu arbeiten. Gezwungen wurde keiner; aber wer kam, dem mußte Arbeit gege- ben werden: denn das hatte der General ausdruͤck- lich anbefohlen, um den Deserteurs Beschaͤftigung und zugleich Gelegenheit zu verschaffen, sich etwas nebenher zu verdienen: wer aber nicht kam, wurde auch nicht einmal ermahnt, zu kommen: denn es fanden sich immer Franzosen genug, welche aus purem Patriotismus gern arbeiteten und drehten. Es war uͤberdieß auch leichte Arbeit, wobey man Taback rauchen und plaudern konnte. Ich selbst habe einigemal auch gedreht. Bey der Baͤckerey waren ebenfalls einige De- serteurs angestellt: als diese aber anfingen, das Brod zu stehlen und zu verkaufen, so wurden sie alle davon entfernt. Außer den 50 Sous erhielt noch jeder Arbeiter bey den Handmuͤhlen, und in der Baͤckerey taͤglich eine halbe Bouteille weißen Wein. Da ich von der Lage der Deserteurs in Frank- reich, so wie von der Behandlung der Kriegsge- fangnen, noch mehr zu sagen habe, so verspare ich dieses bis auf eine schicklichere Gelegenheit. Ge- nug, man sieht hieran schon, daß kein rechtlicher Franzose die Deserteurs achten konnte, noch weni- ger sie beguͤnstigen. Es gefiel mir in der Gesellschaft dieser Leute durchaus nicht; ich suchte daher anderen Aufent- halt. Da ich noch mit Gelde versehen war, so ging ich oͤfters in den Gasthof zum Lamme, wo ich immer franzoͤsische Offiziere antraf, welche froh waren, einen Preußen aufzufinden, der ihre Sprache inne hatte. Unter andern ward mir ein Hauptmann aus Nantes, welcher etwas studiert haben mogte, und ein wenig Latein verstand, sehr gewogen, und bewies mir, bis zu meinem Ab- marsch aus der Festung, viele Freundschaft. In der Gesellschaft dieser Leute, und dann auch im Umgange mit den franzoͤsischen Soldaten und Buͤrgern fing ich an, meine althistorischen und all- Vierter Theil. B gemeinen Ideen uͤber die fraͤnkischen Angelegenhei- ten nach Erfahrung und im Besondern zu rektifizi- ren und Manches besser einzusehen, als ich es vor- her einzusehen im Stande war. Ich hatte zwar schon bey den Preußen Vieles kennen und verglei- chen lernen, hatte manchen Irthum, der unsern Leuten anhing, und vielen noch anhaͤngt, abge- legt, und Manches richtig abstrahirt; allein ich hatte doch noch nichts so selbst an Ort und Stelle mitangesehen, und war noch nicht bey Republi- kanern gewesen. Ich hielt es daher nun fuͤr meine Schuldigkeit, die Sache, so viel ich davon einse- hen konnte, genau zu betrachten, und so tief in sie einzudringen, als es meine Kraͤfte gestatteten. Das habe ich denn, so lange ich mich bey den Fran- zosen, vom 26ten September 1793 bis den 4ten Februar 1795, aufgehalten habe, treulich gethan, und kein Tag ist mir vergangen, wo ich nicht ei- niges Bemerkungswuͤrdige gesehen, gehoͤrt oder erfahren haͤtte. Wenn nun meine Leser bedenken, daß gerade in diese Zeit, die ich in Frankreich zu- brachte, die wichtigsten Begebenheiten dieser Repu- blik, sowohl im Innern als im Aeußern fallen, so werden sie gewiß keine Langeweile bey meiner Erzaͤhlung empfinden, welche ich auch so voll- staͤndig und so gruͤndlich liefern werde, als es mei- ne freilich sehr beschraͤnkte Bemerkungsfaͤhigkeit zulassen wird. Der Erfolg muß mein Wort ent- scheiden. — Die Offiziere klagten einhellig uͤber die gar zu geringe Garnison der Stadt, und behaupteten, daß Cuͤstine 's Verraͤtherey oder Sorglosigkeit daran Schuld waͤre. Landau's Besatzung war damals nicht staͤrker, als acht Bataillons Infan- terie, also hoͤchstens 8000 Mann, wenn die Ba- taillons vollzaͤhlig gewesen waͤren. Aber das wa- ren sie nicht. Die meisten Bataillons hielten kaum 500 Mann, und noch darunter. Zudem lagen sehr viel Leute in den Hospitaͤlern. Die Kavalle- rie war fuͤr einen so wichtigen Platz auch gar nicht hinlaͤnglich; daher denn auch keine Ausfaͤlle ge- schehen konnten, wie vorher bey Maynz geschehen waren. Landau hat zur gewoͤhnlichen Besatzung in Kriegszeiten immer eine Mannschaft von 12 bis 14000 Mann Infanterie, und 1000 Mann Kavallerie noͤthig: denn es ist eine Graͤnzfestung, welche in Kriegszeiten immer in Belagerungsfaͤ- higen Zustand gesezt und erhalten werden muß. Dieß war damals um so mehr der Fall, da die Oest- reicher und Preußen, nach der Eroberung von Maynz, den Krieg gerade in diese Gegenden spie- len wollten. Mit Munition war Landau reichlich versehen: es hatte gutes neues Geschuͤtz in Menge, und Pul- ver in fuͤnf Magazinen, womit man eine jahrlange Belagerung haͤtte uͤberstehen koͤnnen. Die Kano- niers der Stadt, d. i. diejenigen Buͤrger, welche seit 1790 auf Verordnung des Koͤnigs, oder viel- mehr nach der Angabe des beruͤchtigten und beruͤhm- ten Lafayette , im Artilleriewesen geuͤbt waren, verrichteten die Dienste auf den Schanzen, Re- duten u. s. w. Eben darum waren auch nur we- nige Kanoniere von der Feldarmee in der Festung. Ich kann diesen buͤrgerlichen Artilleristen das Zeug- niß geben, daß sie ihr Handwerk recht tuͤchtig ver- standen. Die ganze Buͤrgerschaft war auch zu Kriegs- diensten organisirt, und in Kompagnien abgetheilt. Jeder streitbare Buͤrger war bewaffnet, und muß- te, da die Besatzung selbst nicht stark genug war, die Posten alle zu besetzen, auf die Wache ziehen, und die Posten auf dem Wall und andre von min- derer Wichtigkeit versorgen. Dentzel hatte, als er einfach, daß Landau von den deutschen Truppen bald ganz wuͤrde ein- geschlossen werden, befohlen, daß jeder Buͤrger sich wenigstens auf sechs Monate verproviantiren sollte, und dieses war auch so geschehen, daß am 26ten Dezember 1793 noch nicht der geringste Man- gel in Landau merkbar war. Es ist daher falsch, wenn sogar der wuͤrdige Verfasser der neuesten Geschichte der Staaten und der Mensch - heit schreibt Jahrgang 1794, S. 57. : daß Landau auf dem Punkt ge- standen waͤre, aus Mangel an Lebensmitteln sich ergeben zu muͤssen; — daß alles aufgezehrt ge- wesen sey; — daß die Einwohner Katzen und Maͤuse gegessen haͤtten u. s. w. Landau konnte sich noch bis zum Maͤrz 1794 halten, wie ich weiter unten deutlich beweisen werde. Daß aber die Deutschen bey dem Allen doch einen groben Schnitzer begangen haben, ist gewiß: denn sie mußten die Einerndtung des Getraides 1793 zu hindern suchen; und sie haͤtten dieses auch gekonnt, wenn sie, statt oben bey Neustadt her- umzuliegen, die Felder um Landau noch vor der Erndte furaschirt haͤtten. Einer Stadt, welche man belagern will, und das war mit Landau der Fall, muß man keine Zeit zur hinlaͤnglichen An- schaffung der Lebensmittel gestatten. Aber wie viele Schnitzer sind nicht in diesem Kriege began- gen worden! Man lese den politischen Thier - kreis , und bewundere die Weisheit vieler unserer deutschen Kabinette! Die Militaͤr-Magazine waren schon seit langer Zeit, und insbesondere durch Dentzels Bemuͤ- hungen trefflich versehen worden: Stroh und Heu *)Jahrgang 1794 S. 57. war in Ueberfluß da, aber gerade war dieses der entbehrlichste Artikel, weil wenig Kavallerie da war. Es fehlte aber auch nicht an Korn, Waizen und Gersten, nicht an Ochsen, Schafen, Speck, Poͤkelfleisch, gesalzner Butter, Kaͤse und Zwie- back: und so konnte der General in dieser Ruͤcksicht wenigstens eine lange Zeit uͤber ruhig seyn, und den Entsatz abwarten, da er sonst, wegen der zu schwachen Garnison nicht im Stande war, dem Feinde durch Ausfaͤlle zu schaden. Einstens sprach man in Beyseyn des Lauba - dere von dem Verluste, welchen die Deutschen bey Maynz durch die haͤufigen Ausfaͤlle der Fran- zosen erlitten hatten. Da sagte er voll Unwillen: ja, ich wuͤrde den Deutschen auch schon zu schaffen machen, so gut als d' Oyr é , wenn ich nur eine dop- pelte Garnison haͤtte. Es ist nicht mein Fehle r daß die Leute ihre Schanzen da draußen so ruhig fortbauen koͤnnen. Drittes Kapitel. Laubadere und Dentzel . Geheime Unterhandlung mit dem Letzern, in Bezug auf meine Mission. D entzel und der General Laubadere waren keine Freunde. Woher ihr gegenseitiger Haß ent- standen war, weis ich nicht, aber so viel weis ich, daß sie einander haßten. Vielleicht war es dem Soldaten laͤstig, vom Buͤrgerlichen abzuhaͤngen. Sie gingen zwar von Hause aus, wie man sagt, sehr freundlich miteinander um, und mußten die- ses schon thun, da nach dem Gesetze ein General ohne den Repraͤsentanten, und der Repraͤsentant ohne den General nichts, gar nichts unternehmen darf. Daher waren sie taͤglich beysammen. Laubadere ist ein stiller, gesezter Mann, welcher nicht viel Wesens macht, und unter an- dern auch niemals zu tief ins Glas guckt, ob er gleich den Wein nicht verachtet. Er kann aber ei- ne huͤbsche Portion zu sich nehmen: und der irrt sehr, der da glaubt, bey einem Glase Wein, oder sonst in lustiger Gesellschaft etwas aus ihm heraus- zulocken. Er ist auch nicht mehr jung, und mag immer seine funfzig hinter sich haben. Außerdem sucht er nichts weniger, als mit Kenntnissen zu schimmern, und noch weniger bemuͤht er sich, witzig zu seyn. Er ist schlicht und recht, dabey ein tuͤchtiger Soldat, aber strenge, und sehr auf seiner Hut. Dentzel hingegen ist ein feuriger, hitziger Kopf, der oft mehr schwazt, als er verantworten kann, und der selten uͤberdenkt, mit wem er spricht oder zu schaffen hat. Er liebt den Wein sehr, und trinkt nicht selten mehr als zuviel: und dann plau- dert er ins Gelag hinein. Er hatte gegen das Kommando des Generals Laubadere protestirt, und wollte, daß Gillot es uͤbernehmen sollte. Er sprach obendrein immer mit Herabwuͤrdigung von Laubadere 's militaͤrischen Talenten, und versicherte jeden, wer es nur hoͤren wollte, Del - mas sey ein ganz andrer Mann! Er werde auch, fuͤgte er hinzu, sobald Landau entsezt seyn werde, an den Konvent schreiben, und sich den General Delmas zum Kommendanten der Festung aus- bitten. Laubadere sey im Grunde ein Beth- bruder, ein Rosenkraͤnzler, so sehr er auch oͤffent- lich den Atheisten spielen wolle. Diese Reden, welche Dentzel aller Orten hoͤren ließ, wurden dem General hinterbracht; und nun laͤßt sich ihre Wirkung denken. Zur Aus- soͤhnung dienten sie gewiß nicht. Hiezu kam, daß Dentzel , so sehr er Patriot seyn wollte, so sehr er auch von Freyheit und Gleichheit sprach, im Grunde doch stolz und herrsch- suͤchtig war. Das Gesetz will, daß alle Repraͤ- sentanten, wenn sie im Namen der Republik eine Verordnung ergehen lassen, sich im Namen der Nation Wir nennen sollen, doch ohne das von Gottes Gnaden dazu zu setzen. Niemand hat sich mit dem Wir wohl mehr gebruͤstet, als eben Dentzel . Ich habe mehr als 50 seiner ge- druckten Verordnungen durchgelesen, welche fuͤr die dortige Gegend allemal deutsch und franzoͤsisch zu haben waren, worin er sich gar viel zu gute that mit der Gewalt, welche ihm die Nation verliehen hatte. Eben wegen dieser Herrschsucht widersezte sich Dentzel den Verordnungen und Einrichtungen des Generals Laubadere sehr oft, und traf selbst andere, welche dem General natuͤrlich auch nicht gefallen wollten. Bey den Haͤndeln der Buͤr- gerschaft mit dem Militaͤr, war Dentzel oben- drein jedesmal auf Seiten der Buͤrger, Laubadere hingegen auf Seiten seiner Volontaͤrs: die Buͤrger also waren dem Repraͤsentanten gewogen; die Soldaten dem General. Außerdem hatte Dentzel , um die Garnison in den Stand zu setzen, die Belagerung aufs laͤng- ste auszuhalten, die Subsistenz der Soldaten um etwas geschmaͤlert, auch statt des bis dahin ge- woͤhnlichen weißen Brodes gemischtes geben lassen, gebacken aus Waizen-Rocken- und Gerstenmehl. Wenn nun die Garnison sich uͤber dieses oder jenes beschwerte: so schob Laubadere die Schuld alle- mal auf Dentzel , und dieser wurde auf die Art der Gegenstand des allgemeinen Hasses der Gar- nison. So stand es mit Dentzel , als ich in Landau ankam, und meine Leser bescheiden sich schon von selbst, daß meine Mission viele Schwierigkeiten haben mußte. Ich fuͤhlte dieß gleich selbst, und doch war ich dumm oder unbesonnen genug, einen Streich ausfuͤhren zu wollen, fuͤr Andere , der mir nicht gelingen, wenigstens nur aͤußerst schwer gelingen konnte, und Vortheile fuͤr mich aufzu- geben, die ich weit leichter und gewisser haͤtte be- wirken koͤnnen. Pfui uͤber mich und meine kurz- sichtige Gutmuͤthigkeit! Wenn ich noch jezt daran denke, moͤgt' ich mir allemal vor die Stirn schla- gen vor Aerger, daß ich die schickliche Gelegenheit, die ich damals auf mehr als eine Art in Haͤnden hatte, mich bey der Republik zu insinuiren, und mein Gluͤck zu machen, so fahren ließ, und einem Hirngespinste nachrann, welches mir weiter nichts als Gefahr und Noth gewirkt, und mich beynahe verruͤckt gemacht hat! Aber wie es geht! Wenn die Sache vorbey ist, dann erst sieht man ein, wie man sie zu seinem Vortheile haͤtte nutzen koͤnnen. Doch, wer aͤndert das Vergangne! — Ich besuchte Dentzel zwey Tage nach meiner Ankunft foͤrmlich, und da fuͤhrten wir folgendes Gespraͤch: Dentzel . Ja, ich glaube beynahe selbst, daß Landau noch am Ende den Deutschen in die Klauen faͤllt. Die Spitzbuͤberey bey uns ist gar zu groß! Ich . Spitzbuͤberey? Doch wohl hier in Lan- dau nicht? Dentzel . Das will ich eben nicht behaupten: aber gesezt, daß unsre hiesige Garnison auch noch so ehrlich ist: so ist doch unsre Gefahr immer nicht klein. Ich . Allerdings nicht, besonders wenn der Ersatz nicht bald kommen sollte. Dentzel . Das ist eben der Teufel! Wenn Landau in den Haͤnden der Republikaner bleiben soll, so muß es bald entsezt werden. Wir allein sind viel zu schwach, um uns mit Vortheil lange zu behaupten. — Aber glaubst du auch, Lands- mann, daß wir auf Entsatz rechnen koͤnnen? Ich . Das mußt du besser verstehen, als ich. Dentzel . Den Teufel kann ich verstehen! Weis ich denn, ob die Generale, welche uns ent- setzen sollen, ehrliche Leute sind, oder nicht! Wie, wenn sie sich bestechen lassen? Eure deutschen Her- ren sind Vokativusse, und unsre Mosjehs haben so allerhand Gesinnungen, worauf man nicht fest bauen kann. Ich . Das weis ich: es sind Euch gar viele schon untreu worden. Dentzel : Das ist, leider, sehr wahr. Schau, da war Lafayette , Luckner Henriot , und besonders die Hollunken Custine und Dumou - riez — alle die Kerls, und noch eine ganze Hetze aͤhnlicher Schufte sind abgefallen, und man hatte so sehr auf sie gerechnet! Ich : Also, denkst du, das koͤnnte auch hier so der Fall werden? Dentzel : Ich fuͤrchte es. Mir wenigstens koͤmmt es vor, unsre Armee muͤßte schon da seyn, wenn keine Schurkenstreiche vorgefallen waͤren. Ich : Aber dann muͤßt du wenigstens fuͤr deine Sicherheit sorgen. Dentzel : Ja, da sorgt sichs was weg, wie Ihr in Halle sagt: das Jahr ist lang! Doch es mag gehen, wie es will, ich bin ein ehrlicher Kerl! Ich scheere mich den Teufel drum, thue das Meinige, und damit Holla! Ich : Alles gut: aber — Dentzel : aber? Glaubst du denn, daß die Preußen mich haͤngen werden, wenn ich ihnen in die Haͤnde falle? Ich : Das wohl nicht: Aber du hast doch viel wider dich. Sieh, du bist ein Kind des deutschen Reichs. Du weist, daß nach dem Conelusum des Kaisers und des Reichsgerichts alle die als Verraͤ- ther des Vaterlands erklaͤrt sind, welche Deutsche von Geburt sind, und doch im Dienste der Repu- blik verbleiben. Dabey hast du einen sehr ange- sehnen Posten: du bist ein Mitglied jenes Kon- vents, welcher den Koͤnig von Frankreich zum To- de verurtheilt, und alle Fuͤrsten ohne Ausnahme fuͤr Verbrecher und Tyrannen erklaͤrt hat. Du hast selbst in deinen Zetteln sehr ehrenruͤhrig vom Koͤnige in Preußen und von dem Kaiser gesprochen. Dentzel (aufmerksam): Das ist wahr: Aber Landau kann mit Sturm nicht erobert werden: da- zu ist es zu fest. Also muß doch erst kapitulirt werden, und dann erhalte ich meine Freyheit durch Akkord. Ich : Wer steht dir dafuͤr, daß man Landau nicht mit Sturm erobern werde? Und gesezt, es wuͤrde blos ausgehungert, so muͤßte die Garnison sich doch auf Discretion ergeben. Aber wir wollen einmal eine Kapitulation voraussetzen. Wird Lau - badere , der dir nicht gruͤn ist, dich auch darin einschließen? Und wenn er es thut, wird er nicht, vielleicht aus Haß gegen dich, dich in die Haͤnde der Feinde fallen lassen? Oder koͤnnen die Belage- rer nicht gerade auf deine Auslieferung bestehen? Dentzel : Du hast, meiner Seele, recht! Ich bin in einer hunzfoͤttischen Lage! Ich : Und gesezt auch, du koͤmmst frey durch: koͤnnen deine Feinde nicht falsche Klagen wider dich anbringen? Hat nicht schon Mancher unter der Guillotine bluten muͤssen, der es nicht verschuldet hatte? Ich daͤchte du sorgtest fuͤr deine Sicherheit! Dentzel : Und wuͤrde ein Spitzbube, wie Dumouriez ? nicht wahr? Ich : Nein doch! Der ehrliche Mann sucht nur dann seine Sicherheit, wenn er der guten Sa- che nicht mehr nuͤtzen kann. Dann erst fuͤgt er sich in die Zeit. Dentzel : Das kann nicht seyn. Es gehe wie es will: ich bleibe der Republik getreu! Sie lebe, oder fort von der Welt! Diese leztern Worte sprach Dentzel mit vielem Nachdruck und Feuer, und ich fand fuͤr rathsam, an mich zu halten, fuͤr dießmal naͤmlich: denn gleich den folgenden Tag hatte ich folgende Unter- redung mit ihm von neuem. Dentzel : Freilich, wenn ich so recht Geld haͤtte, so eine 20 oder 30, 000 Thaler: Mord- Sakkerment, ich gaͤbe meinen Posten auf, sezte mich nach London oder nach Berlin, oder sonst wohin, lebte frey, und kuͤmmerte mich um die ganze Welt nicht weiter! Es ist doch nur Hunz- foͤtterey in der Welt! Ich : Hast du etwan Verdruß gehabt? Dentzel : Tuͤchtig! Heute habe ich mich schon mit dem Teufel und seiner Großmutter herum ge- zankt — da mit dem General und dort mit dem Großmaul, dem Maͤre: Die Kerls wollen alles besser wissen! Ich : Du sprachst zuvor von vielem Gelde: ich daͤchte die Zeitumstaͤnde machten es dir leicht, so viel zu bekommen, als du nur magst. Dentzel : Wie so? Ich : Gestern schienest du zu glauben, daß Landau in die Haͤnde der Deutschen fallen werde. Dentzel : Das glaube ich auch heute noch. Ich : Je nun, wenn es denn nicht zu retten ist, so muß man's hingeben, und das zur rechten Zeit, um einem Bombardement und Blutvergießen vorzubeugen. Dentzel : Was gewinne aber ich dabey? Ich als Deutscher? Als erklaͤrter Rebell? Ich : Sieh an, wenn du izt Anstalt machtest, daß die Preußen Landau kriegten, so koͤnntest du deine Sicherheit und deinen Vortheil so hoch trei- ben, als du wolltest. Dentzel : Woher weißt du das? (sehr nach- denklich) Und dann die Mittel und Wege dazu! Und dann ehrlich! Ich : Landsmann, bin ich sicher vor dir? Darf ich reden? Dentzel : Was du willst, Landsmann! Ich verspreche dir bey allem, was dir und mir heilig ist, ich werde dich nicht verrathen. Jezt hielt ich dafuͤr, daß es Zeit waͤre, naͤher zu ruͤcken. Ich gab ihm also ein Oktavblatt mit Folgendem: „Wenn es geschehen kann, daß Mittel „ausfindig gemacht werden, wie die Fe- „stung Landau, ohne gewaltsames „ Beschießen und Menschenblut , „den gegenwaͤrtigen Belagerern uͤberliefert „werde: so sollen die Angeber der gedachten „Mittel das Recht haben, eine ehrenvolle „Kapitulation nicht nur vorzuschlagen, son- „dern auch neben einer vollkommenen Si- „cherheit ihrer Personen, einer, der Groͤße „dieses Dienstes angemeßnen Belohnung in „Gelde gewaͤrtig seyn.“ Dentzel (stuzt gewaltig): Hat das der Kron- prinz von Preußen geschrieben? Ich : Wie du siehst: in meiner Gegenwart hat er's geschrieben? Dentzel (vergleicht den Zettel mit einem an- dern Auffoderungs-Billet von der naͤmlichen Hand): Richtig! Richtig! Aber wahrlich, das ist zu arg! Ich (mit forschendem Blicke): Nun, was denkst du dabey? Dentzel (finster): Daß die Deutschen Voka- tive sind, und mich zum Schurkenstreich verleiten wollen. Aber, bey Gott, Laukhard: zum Verraͤ- ther bin ich noch zu ehrlich: denn auch ich schwur Tod oder Freyheit, und eins von beyden muß mir werden, wie meinen Bruͤdern! Sonst hol' uns alle der Teufel! Ich (verlegen): Sehr edel und großmuͤthig! Dentzel (mich starr in die Augen fassend): Und doch konntest du dich brauchen lassen, mich znm Gegentheil bereden zu wollen? Laukhard, Laukhard, du bist, wie ich merke, noch immer der alte Unbesonnene, der gutmuͤthig und schwach ge- nug ist, sich ohne weiteres Nachdenken, wie ein unmuͤndiges Kind, zu allem beschwatzen und ver- leiten zu lassen! So warst du sonst, und so, wie ich merke, bist du noch jezt: und eben darum will ich mein gegebnes Wort fuͤr dießmal dir halten und schweigen. Aber — merke dir's wohl! — Du bist verlohren, wenn du dich noch einmal unterstehst, bey mir oder jemanden anders das Mindeste zu wagen, was nur von Ferne einer Verraͤtherey aͤhn- lich sieht. Ich rathe dir, sey auf deiner Hut! von nun an werde ich auf alle deine Schritte und Tritte, auf alle deine Worte und Handlungen Acht geben lassen; und verstehst du es im mindesten, so bist Vierter Theil. C du geliefert. Dieß merke dir und geh! Du wirst mir veraͤchtlich! Geh, geh! Ich (entschlossen): Veraͤchtlich? Ich bitte dich, Repraͤsentant, ließ das Billet noch einmal, und du wirst sehen, daß du dich uͤbereilst! Hoͤre nur noch etwas gelassen zu! Sieh, wie du selbst einsiehst, und neben dir jeder Einsichtige: Eure Besatzung ist zu schwach, sich mit Vortheil gegen die Belagerer laͤnger zu behaupten. So weit die Preußen und Oestreicher jezt vorgedrungen sind, und so wenig Ihr auf die Ehrlichkeit Eurer Gene- rale, und den Ernst und die Bereitwilligkeit Eurer Nation, wie es scheint, rechnen koͤnnt, um Ent- satz mit Sicherheit zu erwarten, so sicher mußt du einsehen, daß Landau den Preußen gewiß in die Haͤnde fallen wird. Faͤllt es durch Sturm oder Bombardement, dann wehe dir, wehe der Besa- tzung! Zum Sturm und Bombardement hat der Kronprinz von Preußen Beruf und Mittel: und dennoch wuͤnscht dieser menschenfreundliche Prinz, das auf friedlichem Unterhandlungswege an sich zu bringen, was am Ende unwidersprechlich seine wer- den muß; und dieß wuͤnscht er ohne die Haͤuser der Landauer einzuaͤschern, oder Menschenblut zu ver- gießen. Repraͤsentant, kann ein Fuͤrst je edler, je menschenfreundlicher denken? Und, sieh, zu die- sem guten Werke wirst du — du, dessen Pflicht es ist, fuͤr das Beßte der Landauer Buͤrger und Solda- ten zu sorgen, und im Fall der Noth aus dieser Noth eine Tugend der Schonung und Erhaltung zu machen, Du, sag ich, wirst zu diesem guten Werke mitaufgefodert! — Ich thue das nun; und blos darum willst du mich veraͤchtlich finden? Bey Gott, Repraͤsentant, Menschenrechte zu ret- ten, kann dir nicht heiliger — Verraͤtherey zu ver- abscheuen, kann dir nicht pflichtiger seyn, als mir! Haͤtte ich nicht Alles nach meiner eignen Ueber- zeugung gerade so gefunden, wie ich es dir hier zergliederte: wahrlich, ich staͤnde nicht vor dir! Geirrt kann ich haben, aber um Verraͤther an dei- ner Nation durch dich zu werden — o Dentzel, wenn ich dazu faͤhig waͤre, dann lieber todt als lebendig! Dentzel : Alles gut, Laukhard: aber meine Pflicht und Ehre gebieten mir, das Aeußerste ab- zuwarten; und gehts dann nicht anders: wohlan ich schwur auf Tod! Genug, du wuͤrdest mich sehr verkennen, wenn du mich auf irgend einen Fall ei- ner Verraͤtherey faͤhig halten wolltest: und damit ist es alle! Von nun an besuchst du mich nicht wei- ter, gehst und bist — ich rathe es dir wohlbedaͤch- tig — forthin ganz auf deiner Hut! Der Ton und die Miene, womit Dentzel das alles sagte, uͤberraschte meine Erwartung sehr, und brachte mich nicht wenig außer Fassung. Ich be- dachte, wen ich vor mir hatte, schwieg endlich und ging. Aber von nun an war guter Rath theuer! Dentzel hatte das eigenhaͤndige Billet des Kron- prinzen von Preußen in Haͤnden: Dentzel war nichts weniger als verschwiegen, und Wein war sein Lieblingstrank. Wie leicht war es nun moͤg- lich, ein Woͤrtchen fallen zu lassen, das mir meinen Kopf haͤtte kosten koͤnnen! Den Beleg dazu hatte er in Haͤnden. Er konnte, wenn er mir sein Wort nicht halten wollte, diesen sogar benutzen, seine Treue und Anhaͤnglichkeit fuͤr die Republik zu be- weisen, und sich beym National-Convent festeres Zutrauen und entschiedenes Uebergewicht uͤber seine Gegner, vorzuͤglich uͤber Laubadere , zu ver- schaffen. Das alles ließ sich als moͤglich denken: ich dachte es ohne Unterlaß, und meine Seele schwebte auf der Folter der Furcht ohne Aufhoͤren. — Und doch achtet man das Alles jezt wie fuͤr nichts. Da ich, wie die Folge zeigen wird, so lange ich in Frankreich war, mehr denn einmal, als der Ver- raͤtherey verdaͤchtig, vor Gericht gefodert, auch zweymal foͤrmlich deswegen eingezogen, am Ende aber noch immer mit dem Leben davon gekommen bin: so muß man Dentzeln das Verdienst lassen, daß er, troz allen seinen Schwaͤchen, dennoch Mann genug gewesen ist, der Franzoͤsischen Nation eben so treu zu dienen, als einem Unvorsichtigen Wort zu halten, und dadurch dessen Leben zu ret- ten. Daß Dentzel , in dieser Ruͤcksicht, sich ein sehr großes Verdienst um mich erworben hat, wird die Folge erst ausweisen. Viertes Kapitel. Aufstand wider Dentzel . Gefahr fuͤr mich . E s war an einem Sonntage Nachmittag, etwan vierzehn Tage nach meiner Ankunft in Landau, als in allen Straßen ein graͤßliches Geschrey ertoͤnte. Aux armes Volontaires! schrie man, Aux armes! On va nous trahir. C'est Dentzel , qui veut nous livrer aux prussiens! — Dieses Zetergeschrey hoͤrte man in allen Straßen der Stadt, und ehe man sichs versah, stand die ganze Garnison unter den Waffen. Laubadere erschien auf dem Paradeplatze, gerade vor dem Kaufhause, und hielt eine Rede an die Soldaten, worin er sie versicherte: daß er sein Leben eher verlieren, als etwas Boͤses wider sein Vaterland unternehmen wuͤrde. Dabey sagte er ganz deutlich, daß unter denen, in deren Haͤn- den viel Gewalt waͤre ( entre les mains desquels se trouve un grand pouvoir ), Spitzbuben und Schuf- te waͤren, welche man, wie alte Schweine, ab- kehlen muͤsse, ( qu i l faut égorger co mm e de vieux porcs ). Mit diesen Worten zielte der General ganz sichtbar auf den Repraͤsentanten. Woher der erste Laͤrmen seinen Ursprung ge- nommen hatte, weis ich nicht genau anzugeben. So viel ist sicher, daß Dentzel auf dem Conseil de défense gewesen war, und da gesagt hatte, daß er nur schwache Hoffnung zum Entsatz haͤtte, und daß Landau wohl noch fuͤrchterlich fallen koͤnnte. Delmas und Laubadere waren zugegen. Er- sterer gab Dentzeln Beyfall, und lachte. Lau - badere ward boͤse, und sagte: Nur Uebelgesinnte koͤnnten an der Wohlfahrt und Rettung des Vater- landes zweifeln! Darauf fuhr Dentzel auf, und versicherte, daß vielleicht der am wenigsten Hoff- nung zur Erhaltung der Republik hegte, der sie jezt fuͤr unbezwinglich ausgaͤbe. — Sie waren dar- auf fortgegangen, jeder aber mogte wohl noch die- ses und jenes zu Andern gesagt haben, woruͤber denn der Spektakel ausbrach. Ob Dentzel meine Angabe von der Gefahr fuͤr ihn und die Landauer, im Falle einer gewalt- samen Eroberung, vielleicht nach meinem Abschie- de, ernstlicher uͤberlegt, und durch die lebhafte Vorstellung derselben, wie durch den Glauben an die Unmoͤglichkeit des Entsatzes, wegen der Unzu- verlaͤssigkeit der Generale, nachher bewogen seyn mag, den erwaͤhnten Vortrag auf dem Conseil zu thun, ohne auch nur aus der Ferne an die ver- sprochne Belohnung im Gelde zu denken, kann ich eben so wenig sagen, als ob er vielleicht im Rau- sche, oder in ungepruͤften Vertrauen den Antrag des Kronprinzen und meine Unterhandlung dabey, wenn gleich mit Tadel oder Misbilligung, schon vorher irgend einem, z. B. seinem Freunde, dem General Delmas — denn dieser lachte nur auf dem Conseil, als Laubadere donnerte — oder jemanden anders, ja, gar vielleicht mehrern ent- deckt habe; ob ferner diese, seine Offenheit im Rausche, oder sein Zutrauen misbraucht, seinen Tadel oder seine Verachtung des Kronprinzlichen Antrags verschwiegen oder verdreht, und durch fal- sche Hinterbringung den Laubadere noch aͤrger gegen ihn aufgebracht haben moͤgen, so daß dieser den Volontaͤrs ein bedeutendes Wort daruͤber zu- fließen ließ, und dadurch den Aufstand zuerst ver- anlaßte: das alles ist mir ein Raͤthsel. Etwas von allem diesem muß durchaus vorgefallen seyn: das beweiset der Aufstand, und die Gefahr darin fuͤr Dentzel und fuͤr mich. Daß aber dieses Et- was noch im Dunkel, selbst in Frankreich, liege, ist wieder aus dem Erfolge klar. Denn Dentzel wurde bald nach dem Entsatz von Landau, eben wegen Landau In dem Namen-Verzeichnisse der vielen Deputirten, welche im Jahre 1794 zu Paris gefangen saßen, und erst im Herbste eben des Jahres aus dem Gefängnisse entlassen wurden, stand bey Dentzels Namen: detenu pour l'affaire de Lan - dau . , von neuem foͤrmlich einge- zogen, und mußte nachher sehr lange, auch noch nach dem Tode des Robespierre , in Paris gefangen sitzen. Da also diese Begebenheit noch in Frankreich selbst unbekannt, wenigstens nicht als gewiß entschieden ist — sonst haͤtte Robespierre Dentzels Kopf wohl schwerlich verschont —: so wuͤrde ich wirklich zu weit gehen, wenn ich weitere Conjekt u ren zur Entfaltung dieser verwickelten Sache wagen wollte. Ich wenigstens habe Dentzel als einen wuͤr- digen Repraͤsentanten, und als Mann von Pflicht und Ehre gefunden: und dieß mein Bekenntniß muß, da ich weder von dem einen, noch dem an- dern jezt mehr etwas zu fuͤrchten oder zu hoffen habe, seine Feinde und Anklaͤger besaͤnftigen, wenn sie sonst Lust haben, gerecht und unpartheyisch gegen ihn weiterhin sich zu zeigen. Uebrigens lasse ich alles Andere dahin gestellt seyn, und erzaͤhle blos noch die Folgen, welche aus meiner Mission schon in Landau fuͤr Dentzel und fuͤr mich entstanden sind, und was fuͤr Einfluß sie auf die Belagerer gehabt hat. Die Volontaͤrs also liefen wie rasend in ganzen Haufen hin nach dem Hause des Repraͤsentanten, und foderten mit den aͤrgsten Fluͤchen und Drohun- gen, daß er erscheinen sollte. Dentzel erschien am Fenster, und wollte die Menge durch Zureden und Vertheidigung seiner Unschuld besaͤnftigen, aber er hatte kaum angefangen, als mehr, denn 20 Gewehre gegen ihn losbrannten, doch, oh- ne ihn zu treffen. Dentzel entfloh hierauf, und verbarg sich, wie ich nachgehends gehoͤrt habe, in ein leeres Weinfaß im Keller. Laubadere war bald von der Gefahr, wor- in Dentzel sich befand, unterrichtet. Weil er nun in schwere Verantwortung verfallen waͤre, wenn die rasenden Soldaten dem Dentzel den Garaus gemacht haͤtten, so eilte er herbey, und haranguirte die Volontaͤrs, welche immer schrieen: à bas le foutu mâtin! à bas le foutu traitre! End- lich nach vielem Schreien, Schimpfen und Sa- kramentiren, war Laubadere so gluͤcklich, die wuͤthenden Leute — sie waren alle vom zweyten Bataillon la Correze — zu besaͤnftigen, so daß sie abzogen, und Dentzels Wohnung ruhig ließen. Es wurde aber diesem, damit er bey einem neuen Tumulte sicher seyn koͤnnte, eine Schutzwache von zwoͤlf Mann gegeben. Die Volontaͤrs gingen indeß noch nicht nach ih- ren Quartieren, sondern schickten eine starke Depu- tation aus ihrem Mittel an den General, welche fodern mußte: Man sollte Dentzel außer aller Aktivitaͤt setzen, und sobald es geschehen koͤnnte, bey dem Heilsausschuß, als einen Feind und Ver- raͤther des Vaterlands und der Republik angeben. Laubadere , um sie zu beruhigen, bewilligte al- les, und von dieser Zeit an, — wo Dentzel in Arrest gerieth — hat er einige Wochen lang ein unumschraͤnktes Ansehen in Landau behauptet. Die ganze folgende Nacht war fuͤrchterlich unru- hig: kein Mensch unterstand sich, auf der Straße zu erscheinen, oder herumzugehen. Wie mir bey dieser Sache ums Herz war, moͤ- gen sich die Leser vorstellen. Ich ging indeß doch ins Lamm zu den Offizieren, und fragte, warum denn der Repraͤsentant so verfolgt wuͤrde? Warum? — Er steckt mit den Preußen unter einer Decke, der sacre bougre! Er will die Stadt verrathen, und uns alle dem Feinde in die Haͤnde spielen. Er hat sogar seine Spionen hier! Aber wenn wir diese herauskriegen, so soll auch kein Fetzen an ihnen ganz bleiben. — Das war freilich kein troͤstliches Aver- rissement fuͤr meine Wenigkeit! Ich legte mich erst spaͤte nieder, und schlief noch weniger. Ohngefaͤhr um zwey Uhr nach Mit- ternacht kam der Gemeinde-Bote und foderte mich aufs Rathhaus oder Gemeinhaus. Ich erschrack anfangs nicht wenig, faßte mich jedoch bald, und fragte: was man mit mir wollte? Das weis ich nicht, erwiederte der Gemeinde-Bote: ich soll dich hier nur abholen. Ich folgte dem Menschen bis in die Gerichtsstube. Man hielt da gerade einen sogenannten Sicher- heits- oder Kriegsrath ( Conseil de défense ), wo- bey der General Laubadere auch gegenwaͤrtig war, aber kein Wort hoͤren ließ. Man foderte mich sofort vor die Schranken, und legte mir fol- gende Fragen vor: „Ob und seit wann ich Den - tzel kennte? Ob ich ehedem starken Umgang mit ihm gehabt — Ob ich seit dem Anfange der Revo- lution an ihn geschrieben — Ob ich Briefe von ihm erhalten haͤtte? Ob mich der preußische General Mannstein — ich begreife noch immer nicht recht, wie man hier auf den General Mannstein gekommen ist! Mannstein war, so viel ich mich entsinne, damals nicht bey Landau, wenigstens habe ich ihn nicht gesehen, und er hat uͤberhaupt eben nicht gar großen Einfluß bey der Preußischen Armee gehabt, besonders nachdem das, was zwi- schen ihm und den Franzosen bey St. Menehoud vor- gefallen war, zu sehr bekannt ward — also: ob der General Mannstein mich an Dentzel ge- schickt, und ihm durch mich eine Summe Geldes fuͤr die Uebergabe von Landau habe bieten lassen? Ob Dentzel nicht gegen mich uͤber die Republik raͤsonnirt, und gesagt habe, daß sie zu Grund ge- hen muͤßte? Diese, und wohl noch zwanzig andre Fragen beantwortete ich so freymuͤthig und befrie- digend fuͤr das Cons e il de défense, daß es beschloß, mich auf der Stelle frey zu lassen — weil es an mir keinen Verdacht einer Falschheit oder Subor- nation finde. — Wer war froher, als ich, daß ich den Klauen einer Inquisition entgangen war, wo- bey ich, wie ich schon gemerkt hatte, gar leicht mei- nen besten Kopf haͤtte verlieren koͤnnen. Ich ging nach meinem Quartier und legte mich schlafen. Fruͤh gegen 10 Uhr ließ Laubadere mich ho- len. Er war allein und sehr freundlich gegen mich. Nachdem er mich hatte niedersetzen und einen Becher Wein trinken lassen, redete er mich so an: Citoyen, Du bist zwar diese Nacht fuͤr unver- daͤchtig erklaͤrt, und in Freyheit gesezt worden: Aber du darfst eben nicht denken, daß nun alles aufs Reine sey. Ich : Wie denn so? Hat jemand noch was ge- gen mich einzuwenden? Er : Ich und noch mehrere sind uͤberzeugt, daß du ein Emissaͤr der Preußen bist, der hieher kam, um Dentzel zu bestechen. Ich : Ey, seht doch einmal an! Wenn du das so sicher weißt, warum hast du denn diese Nacht auf dem Conseil de défense geschwiegen? Er : Naͤrrischer Kopf, das hab' ich deinetwe- gen gethan! Ich wollte dich nicht in Gefahr brin- gen: aber hier mußt du mir bekennen. Ich : Was hast du denn fuͤr ein Recht, mich so zu Rede zu stellen? Er : Wenn du mir hier nicht bekennst, so laß ich dich wieder aufs Conseil fodern. Dentzel ist ein schlechter Mensch ( malheureux ). Ich : Was geht das mich an? Er : Gegen dich ist er auch ein Verraͤther. Ich : So? Er : Ja, gegen dich! Er hat eben heute aus- gesagt, daß du von den Feinden, und namentlich vom General Mannstein , (ich holte wieder ganz frey Odem) an ihn geschickt seyst, und ihm aller- ley Vorschlaͤge zur Uebergabe gethan habest. Ich : Wenn Dentzel das gesagt hat, so ist er ein Luͤgner. Er : Das kannst du so hinsagen? — Gut: Ich werde ihn mit dir konfrontiren lassen. — Doch nein, du daurest mich: du bist ein leichtsinniger, unbesonnener Mensch, oder vielleicht aus Unkunde fuͤr deine Tyrannen eingenommen. Kurz, dir kann ich es nicht verdenken, wenn du dich durch Anlagen verraͤtherischer Absichten an der Republik versuͤndigt hast. Also gestehe mir nur frey, wie weit du mit Dentzel gekommen bist, und ich verspreche dir, daß du keine Gefahr laufen sollst. Ich : General, mache mir den Kopf nicht warm, oder komm sofort aufs Conseil, und bringe deine Aussage da an! Er : Citoyen, besinne dich: du willst aufs Conseil? Ich bitte dich um deines eignen Kopfs willen, bekenne mir, was an der Sache ist, und du bist sicher! Denn koͤmmst du nochmals vors Con- seil, so wirst du arretirt, und es geht an deine Gurgel. Ich : Ich fuͤrchte nichts! Komm, ich gehe aufs Conseil, und wenn du mich nicht hinbringen laͤßt, so gehe ich allein hin, und erzaͤhle, wie du mich behandelst. Verstehst du mich, General? Du bist Dentzels Feind: den willst du stuͤrzen, und mich vielleicht zum Werkzeuge deiner Absicht gebrauchen. Aber ich sage dir, du koͤmmst schief bey mir an. Dentzel ist unschuldig, wenigstens weis ich nichts, das ihm zur Last fallen koͤnnte. Er : Also haͤlst du ihn wirklich fuͤr unschul- dig? Ich : Allerdings! Ich bitte dich nochmals, General, laß mich in Ruhe, oder ich muß mir beym Conseil Ruhe schaffen. Laubadere schien wirklich von meiner Un- schuld uͤberzeugt zu seyn, wenigstens sagte er mir endlich, daß er mich nur fuͤr verdaͤchtig gehalten, und mich darum sondirt habe. Er haͤtte geglaubt, mich auf die Probe stellen zu muͤssen: ob ich und Dentzel oder vielleicht neben uns, noch andre Uebelgesinnte etwas Arges gegen Landau im Schil- de fuͤhrten. Nun aber sey er vor der Hand von meiner Ehrlichkeit uͤberzeugt: ich sollte jezt nur ge- hen, mich aber um zwoͤlf Uhr unfehlbar bey ihm zum Essen einfinden. Bey diesem sehr frugalen Mittagsmale lernte ich den Kriegskommissaͤr von Landau naͤher kennen, einen schon aͤltlichen Mann und ehemaligen Freund des großen Voltaire . Er war aus Genf, und hatte vor Zeiten da advocirt, war aber bey der lez- ten Genfer aristokratischen Revolution genoͤthiget worden, sich zu entfernen. Es war mir besonders lieb, mit einem Manne zu sprechen, der mir vom alten Philosophen, den ich schon laͤngst verehrt hatte, und dessen Dictionnaire philosophique mein symbo- lisches Buch ist, allerley Anekdoten erzaͤhlte. Ich habe nachher noch mehrmalen mit diesem Manne, welcher Fatio hieß, zu thun gehabt, und allemal etwas Interessantes von ihm erfahren. Unter an- derm einmal Folgendes: Ein vornehmer Bankier aus Genf, Namens Rilliet , Vetter der reichen Gebruͤder Rilliet zu Paris, welcher in seiner Jugend viele Geschaͤfte, besonders in Frankreich und Italien gemacht, und seine beste Zeit auf Reisen verlebt hatte, heurathete ohngefaͤhr im Jahr 1786 ein armes Fraͤulein von Planta. Rilliet that dieß, um durch den Adel seiner Frau sich mitzuadeln: denn in dem damals aristokratischen Genf war die erztolle Gewohnheit, daß die Maͤnner sich nach ihren adelichen Weibern auch adelich schrieben. So haͤtte denn dieser Herr Bankier Rilliet, forthin Hr. Rilliet von Plan - ta geheißen. Allein gleich in der Hochzeitnacht merkte er, daß seine Jungfer Braut nichts weni- ger als Jungfer war. Er machte ihr seine Entde- kung bekannt, und sie gestand ihm mit Thraͤnen, daß es an dem sey, und daß ihr eigner Bruder, — der Obrist Planta, damals in franzoͤsischen Dien- sten, sie in Besançon zur Mutter gemacht habe. — Rilliet trennte sich von ihr, und versprach ihr jaͤhrlich 8000 Livres. Diese Summe war aber der Mutter und dem Bruder nicht hinlaͤnglich. Sie steckten sich also hinter die vornehmen Genfer , und diese brachten es dahin, daß zwar die Schei- dung vor sich ging; daß aber Rilliet , der ein großer Pinsel seyn mußte, noch obendrein aus dem Rathe, dessen Mitglied er war, gestoßen, und zu einer weit groͤßern, jaͤhrlichen Summe fuͤr seine — disgustirte Braut verdammt wurde. Ueberhaupt war der Kommissaͤr sehr uͤbel zu sprechen auf die faden Genfer und ihre noch fadere, laͤcherliche Wirthschaft. Als er merkte, daß ich orthographisch franzoͤ- sisch schrieb, trug er mir auf, die Bons oder die Brod- Fleisch- Oehl- und andere Zettel fuͤr die Subsistenz der Deserteurs in Zukunft zu besorgen, statt des Mar o ufles, des Sergeanten Schmid , wel- cher weder lesen noch schreiben konnte. Fuͤr diese Bemuͤhung erhielt ich alle 4 Tage eine Mundpor- tion mehr, als die Andern, wie auch alle 5 Tage 40 Sous Zulage in Papier. Ich muß dem General Laubadere nachsa- gen, daß er von diesem fuͤr mich gefaͤhrlichen Tage an, mich besonders gut leiden konnte, und daß er mir oft gestand, er habe mir durch seinen ungegruͤn- deten Verdacht Unrecht gethan. — Du lieber Gott! — Doch Praetor non judicat interiora. Vierter Theil. D Fuͤnftes Kapitel. Fernere Begebenheiten in Landau . V on dieser Zeit an ließ der Kronprinz von Preu- ßen, der auf meine Vermittelung vielleicht mehr rechnete, als meine beschriebene Lage sie zuließ, Landau beynahe taͤglich durch Trompeter zur Ueber- gabe auffodern, erhielt aber immer die Antwort: daß man Entsatz erwarte und das Aeußerste daran wagen wolle, diese wichtige Festung dem Frey- staate zu erhalten. Dentzel saß indessen immer in Arrest; aber nachdem die Leute kaltbluͤtiger geworden waren, fingen schon Viele unter den Buͤrgern und Solda- ten an, ihn fuͤr unschuldig zu erkennen, und das harte Verfahren wider ihn auf den Haß zu schieben, womit Laubadere ihn verfolgte. Laubadere verlangte demnach, daß man die Sache nach Pa- ris schicken sollte: allein das Conseil de défense wendete dawider ein, daß dieses nicht anginge, weil die Briefschaften vom Feinde aufgefangen werden koͤnnten, wodurch denn dieser nothwendig von Landau's ganzer innern Lage unterrichtet wer- den muͤßte. Dentzels Sache blieb also noch ei- nige Zeit liegen. Zu Anfange des Oktobers brachten die patrouilli- renden Reuter einen Menschen ein, welcher etwan vier Monate vorher vom 21ten Regimente desertirt war. Sie hatten ihn in den Weinbergen angetrof- fen, wohin er sich, wie er sagte, begeben hatte, um wieder zu seinen Republikanern zuruͤck zu keh- ren, und dieß aus Reue uͤber seine Desertion. Aber alle diese Ausfluͤchte halfen ihm nichts. Lauba - dere ließ Gericht uͤber ihn halten, und er wurde, so sehr sich auch Delmas und der Obrist von der Reuterey (einer der solidesten, vortrefflichsten Maͤn- ner, die Frankreich alle haben mag) dawider sezten, kurz hernach am deutschen Thore todtgeschossen. Laubadere sagte ganz kaltbluͤtig: sie sollten ihm erst ein anderes Gesetz machen, dann wollte er dem Deserteur Pardon geben. Durch diesen Zug von gesetzlicher Gerechtigkeitsliebe hat sich aber der brave General weder bey der Garnison, noch bey der Lan- dauer Buͤrgerschaft beliebt gemacht. Laubadere verlohr das Zutrauen der Lan- dauer Buͤrger durch folgenden Vorfall noch mehr. Da er muthmaßen konnte, daß die Belagerung noch lange anhalten duͤrfte, so wollte er ein Gesetz in Ausuͤbung bringen, welches einen General autori- sirt, aus einer blokirten Stadt alle die zu entfernen, welche bey der Belagerung unnuͤtz sind. Er ließ daher dieses Gesetz abdrucken, und anschlagen und ermahnte die, welche sich unfaͤhig fuͤhlten, dem Vaterlande bey dem damaligen Zustande zu dienen, auszuwandern. Er ging noch weiter: er ließ durch einen Offizier, und durch einen Municipalbeamten von Haus zu Haus alle die aufschreiben, welche, seiner Instruction gemaͤß, auswandern sollten. Hiedurch aber entspann sich ein gefaͤhrlicher Auf- stand: denn da sollten alte Maͤnner, Weiber, Kin- der, hochhaubige Mamsellen und Damen auswan- dern, und ihre Haͤuser, nebst Haab und Gut, im Stiche lassen. Ganz Landau kam daruͤber in Har- nisch, und Laubadere mußte nachgeben. Das Gesetz, welches auf diese Art die Leute aus ihren Haͤusern jagt, ist hernach auch ganz und gar kas- sirt worden. Es war im Grunde au ch unausfuͤhr- bar, und konnte zu dem gefaͤhrlichsten Aufstande, ja, zu Conspirationen mit dem Feinde Anlaß geben. Dentzel , wie ich oben berichtete, hatte den Laubadere einen Bethbruder geheißen. Fol- gender Zug scheint das Gegentheil darzuthun. Er hieß mit dem Vornamen Joseph Marie Man weis, daß der Name der allerseligsten Jungfrau generis communis ist, und folglich Männern und Wei- bern beygelegt wird. . Um diese Zeit aͤnderte er denselben, und nannte sich Maurice Leonor. Er wollte, wie er sagte, die Namen eines alten und dummen Hahnreys, und einer jungen juͤdischen Hure nicht weiterhin fuͤhren Zürnen Sie nicht, meine frommen Leser, daß ich diese, und weiterhin ähnliche Ausdrücke wiederhole! Eine Schrift, worin Beyträge zur neuern französischen Geschichte vorkommen, kann ohne dergleichen nicht bleiben. Berichteten doch auch die Evan- gelisten die Lästerungen der Juden auf Christum. . Im Lamm zu Landau erzaͤhlte man mir diese Schnurre; und ich nahm mich — nicht sowohl um die Jungferschaft der Maria zu retten: denn an dieser liegt mir, unter uns gesagt, eben so wenig, als dem Papst Sixtus V. an der Jungferschaft der Koͤnigin Elisabeth lag Virginem esse, parum curo; esse vero reginam Angliae — doleo. ! — sondern um den Lamm-Mamsellen zu hofiren, welche sich uͤber diese Aeußerung zu entruͤsten schienen, — des Jungfern-Bluͤmchens der armen Marie an, wie auch der gehoͤrnten Stirn des lieben Josephs , und suchte darzuthun, daß man den guten Leutchen zu nahe traͤte. Nun aber ging auch das Gespoͤtte erst recht und allgemein los, und ich merkte, daß ich in einer Gesellschaft von Leuten war, vor de- nen jeder Kirchen-Christ ein Kreuz schlagen muß. Alles was kirchlich heilig heißt, wurde spoͤttisch herumgeholt, und insbesondere bekam die Historie unsers Herrn und Heilandes von Einigen gewaltige Stoͤße. „Was! rief endlich ein Offizier, Ma - ria keine Hure? Sie war noch mehr: sie war eine Ehebrecherin von der allerseltsamsten Art: ich will es beweisen! Nicht wahr, Kameraden, Maria war Christi Mutter; Christi Vater war Gott der Vater. Maria war also Gott des Vaters Frau. Maria empfing Christum durch die Ueberschattung des heiligen Geistes. Der heilige Geist kam also Gott dem Vater, als Maria's Mann, ins Gehege, und sezte ihm Hoͤrner auf. Der heilige Geist ist folglich ein Ehebrecher, Maria eine Ehebrecherin; und was ist nun Christus? —“ Seht Kameraden, fuhr er fort, solche abge- schmackte Fratzen trugen uns bisher unsre Pfaffen als Glaubens-Artikel, und Bedingungen unserer Seligkeit vor, und nannten die Heiden blind , wegen ihrer mythologischen Lehren uͤber Jupiter und andere Goͤtter und Goͤttinnen! — Versteht mich aber recht, Kameraden! Was ich jezt sagte, ist eine chikanirende Widerlegung der abgeschmack- ten und den gesunden Menschenverstand ewig chi- kanirenden Hauptlehre unserer Pfaffen und Pfaffe- rey. Sonst ist und bleibt Christus eins der ehr- wuͤrdigen Muster fuͤr alle Retter der Vernunft, der wahren Moral und Religion, und vorzuͤglich der Rechte der Menschheit und der Toleranz vor den Eingriffen der schmutzig interessirten und Mosaisch- herrschsuͤchtigen Pfaffen. Die Schriftgelehrten und die Pharisaͤer, uͤberhaupt die Pfaffen jener Zeit, waren dem edlen Christus , wie ihr wißt, unaus- stehlich. Wo er nur konnte, stellte er sie an den Pranger als Heuchler, uͤbertuͤnchte Graͤber u. dgl. Von Anbetung im Tempel zu Jerusalem, oder auf dem Berge zu Samarien wollte er nichts wissen, nur von Anbetung des Vaters aller Menschen im Geist und nach der Wahrheit. Die Scheidewand zwi- schen Juden und Heiden lehrte er zerstoͤhren; und nach seiner Vorschrift sollte nur Eine Heerde und Ein Schaafstall seyn. Alle Menschen, ohne Un- terschied des Standes und der Geburt sollten Bruͤ- der seyn, wie Alle nur Eines Vaters Kinder waͤ- ren — Gottes. — Seht Kameraden, dahin muß es in Frankreich erst noch kommen, wenn wir wahre Christen seyn wollen. Was hier der Offizier behauptete, sah der National-Con- vent, durch die Kabalen und Faktionen der Priester aufmerk- sam gemacht, endlich auch ein: und daher der damals in Frank- reich bald erfolgende Einsturz des päpstlichen Kirchensystems. In Landau war die lezte Messe den 27sten December, 1793. Statt sich darüber zu ängstigen, erschallte Spott und Jubel. So locker sizt dem Volke sein — Popanz! Und doch will man durch ihn sich sichern! Bisher waren wir Pfaf- fen- und Kirchen-Christen, ich meyne getaufte Buͤttel der Vernunft und der Menschheit. Aber hoͤrt weiter, Kameraden! Sind wir erst wahre Christen, das ist, vernuͤnftige Menschen, und sehen wir ein, daß die Hauptsittengesetze, welche Christus vortrug, Sittengesetze der all- gemeinen Vernunft, oder der moralischen Harmo- nie sind, die wir, wie Christus, durch unsere be- sondere Vernunft auffinden und als verbindlich an- erkennen, und bemuͤhen wir uns ernstlich, sie durch den Einfluß unseres Willens auszuuͤben, um das im Kleinen zu werden, was Gott im Großen ist, thaͤtig, weise, guͤtig und gerecht, und dieß soweit unsere Kraͤfte zureichen, zum Besten des Einzelnen und des Ganzen: o dann koͤnnen wir alle Pfaffen und Kirchen und Kirchenlehren entbehren, und uns kann es gleichviel seyn, ob Christus dieß oder jenes war: denn der Werth seiner Lehre haͤngt nicht von seiner Person, sondern von der Uebereinstim- mung mit der Vernunft ab. u. s. w.“ Vortraͤge von dieser Art uͤber Moral, Religion, Menschen-Rechte, Staat, Politik u. dgl. hoͤrt man in den Gasthoͤfen und Schenken Frankreichs jezt beynahe ohne Unterlaß: und wo solche Vor- traͤge auf solche Art gehoͤrt werden, da hoͤre ich lie- ber zu, als daß ich sie durch Dreinreden oder Wi- dersprechen stoͤhren sollte. Ich schwieg also gleich, und ließ Joseph und Maria fahren, sobald ich merk- te, daß meine Apologie wenig fruchten wuͤrde. Da ich eben auch keine Lust hatte, meinen eignen Glauben, den Lamm-Mamsellen zu Gefallen, zum Scheine weiter zu widerlegen: so ließ ich alles ge- hen, wie es ging, und hoͤrte den theils groͤbern, theils feinern Sarkasmen Manches dieser Spoͤtter nicht ohne Theilnahme und ganz gelassen zu: Denn die Verspottung der heiligen Fratzen halte ich schon lange fuͤr eine Art von Genugthuung — dafuͤr, daß man die Denk- und Preß f r e yheit urspruͤnglich und hauptsaͤchlich um ihrentwillen beschraͤnkt und verfolgt hat. Ueberhaupt merkte ich nicht nur hier, sondern fast in allen Staͤdten Frankreichs, in welchen ich gewesen bin, ein Ideen-Commerz, das mich oft in Erstaunen sezte. Die mehrsten hatte man, wie die Meisten, die ich daruͤber befragte, mich versi- cherten, schon vor der Revolution in Geheim fuͤr sich g es ammelt, und dieß um so gieriger, je stren- ger man die Buͤcher verboth, worin sie vorkamen. Und so ist es auch hier wahr, daß jedes Buͤcher- verboth mehr schadet, als nuͤtzet. Laͤßt man je- des Buch seinen Weg ungehindert wandern: so wird der geringste Theil des Publikums es seiner Aufmerksamkeit kaum werth halten; im umgekehr- ten Falle — der groͤßte. Ueberdieß, enthaͤlt ein Buch Irrthuͤmer, auch gefaͤhrliche, und cirkulirt es frey und frank: so kommen diese desto eher und freymuͤthiger zur Sprache zum pro und Contra, und die Wahrheit behaͤlt am Ende die Oberhand. Das Ideen-Commerz der Franzosen hat selbst durch den Krieg unendlich gewonnen. Denn, auch von dem weckenden Geiste der Revolution abgese- hen, giebt es jezt kein Kriegsheer weiter, worin die Koͤpfe von jeder Art so komplicirt und vereint waͤren, als in ihrem. Ueberall ungehinderte Mit- theilung der Grundsaͤtze, Gedanken und Erfahrun- gen unter den vielen Hunderttausenden von verschie- denen Gewerben, aus Landleuten, Buͤrgern, Kauf- leuten, Gelehrten, Kuͤnstlern u. s. w. Fuͤrwahr Robespierre ist durch sein allgemeines Aufge- both — in gewisser Ruͤcksicht — der Prometheus von Frankreich geworden! — Hier zugleich ein Wort von dem katholischen Pfarrer in Landau! Er hieß Ackermann und ist ein heller Kopf und warmer Freund seines Va- terlands. Ehedem hatten die Augustiner, welche in Landau eingeklostert waren, und eine Mission Franziskaner, woraus Herr Jaͤger in seinem Lexikon ein Franziskaner-Kloster gemacht hat, nebst einigen Stiftsgeistlichen die Seelsorge fuͤr die katholischen Schaͤflein. Bey der Revolution fiel alles das weg, und die Landauer fanden, daß fuͤr ihre ohnehin schwache katholische Gemeinde Ein Geistlicher zureichte. Herr Ackermann erhielt diese Stelle, und trug kein Bedenken, den National- Eid abzulegen. Viele orthodoxen Katholiken nah- men ihm das anfaͤnglich freilich sehr uͤbel. Acker- mann indeß fing an, seine Gemeinde uͤber Moral, Religion, Kirchendienst und Patriotismus gehoͤ- rig zu unterrichten, und Er ist es, dem die Lan- dauer ihre bessere Einsicht verdanken. Er schrieb auch eine patriotische Zeitung, voll Bescheidenheit und Wahrheitsliebe; und seine Abhandlung uͤber die Bedruͤckung der Franzosen unter der vorigen Regierung Landau, 1793. kann Niemand lesen, ohne die innigste Ruͤhrung und ohne Verabscheuung al- ler Tyranney und Tyrannen. Ich habe den Pa- stor Ackermann einigemal bey meinem Freunde Brion gesprochen, und wurde allemal entzuͤckt uͤber die guten, gesunden Urtheile, welche er uͤber die Begebenheiten der Zeit faͤllte. Ein Mann, wie er, konnte das Papstthum ruhig fallen sehen, und bleiben, was er war — Mann von selbststaͤndi- gem Werthe. Das Papiergeld hatte damals in Landau we- nig Werth. Der Repraͤsentant hatte zwar anschla- gen und befehlen lassen, daß das Assignatengeld, oder wie man es damals gewoͤhnlich nannte, das Rauschegeld , im Gegensatz des Klingegel - des , so wie das Numeraͤr- oder das baare Geld seinen Kurs haben sollte: aber daran kehrten sich die Landauer wenig: zwey Sous in Muͤnze wur- den 10, ja endlich gar 20 Sous in Papier gleich gehalten. Die Bouteille Wein, die man fuͤr 5 oder 6 Sous Geld haben konnte, kostete in den ge- woͤhnlichen Weinhaͤusern schon 50, ja gar 60 Sous Papier. Dentzel wollte dieses Unwesen mit der Schaͤrfe abschaffen, aber gerade, als er daran wollte, erregte sich der Aufstand, wodurch er au- ßer Aktivitaͤt gesezt wurde. Der General hatte das Herz dazu auch nicht; also blieb alles, bis zum Entsatz der Stadt, wonach denn freilich, sehr wahr- scheinlich auch dort, das sogenannte Maximum, oder die allgemeine Taxe aller Waaren und aller Le- bensmittel gegolten hat. Der General unterhielt immer einige Leute, welche ihm bestaͤndig, wenigstens woͤchentlich ein- mal, Nachricht von dem Zustande der Armee uͤber- bringen mußten. Daß diese nicht allemal erfreu- lich ausgefallen seyn wird, wissen die, welche sich der Begebenheiten der franzoͤsischen Armeen von je- ner Zeit erinnern. Wie aber die Spione, lauter Landauer Buͤrger, immer so ungehindert durch die Belagerer schleichen konnten, begreife ich noch jezt nicht ganz. Die Stadt war enge eingeschlossen, also muͤssen die feindlichen Posten sehr geschlum- mert, oder die Leute ganz besondere Schlupfwin- kel gewußt, oder sonst Um- und Auswege gefun- den haben. Einmal habe ich in Landau einem sonderbaren Schauspiele beygewohnt. Als die Nachricht von der Hinrichtung der Marie Antoinette, Gemalin Ludwigs XVI, und von der des Generals Cuͤ - stine , der Laubadere 's und Dentzels ab- gesagter Feind war, in Landau ankam, ließ sie der General sofort durch Abfeurung von 48 Kano- nen feierlich bekannt machen. Darauf wurde ein großes Feuer auf dem Marktplatze angezuͤndet, und der Schinder mußte die Bildnisse der Koͤnigin und des Cuͤstine hineinwerfen. Hierauf hielt Laubadere eine Rede, worin er auf die sacrée garce fuͤrchterlich loszog, welche durch ihre Herrsch- sucht und ihre Hetzereyen am Wiener Hofe Frank- reich und ganz Europa ins Ungluͤck gestuͤrzt habe. Endlich daukte er dem Genius der Republik, daß diese Pest nun durch das Beil der Gerechtigkeit ( la glaive de la loi ) vernichtet sey u. s. w. Die Vo- lontaͤrs applaudirten ihm wie rasend, und sangen zum Beschlusse ihre Camagnole, In den pieces fugitives et républicaines, wie auch in dem Parnasse républicain findet man eine Menge skandalöser Lieder auf den König, die Königin, die Emigranten, die Prie- ster und die treulosen Generale. Ich kenne nichts Beißenders, welches ein skan- daloͤses Lied auf die Koͤnigin ist, durch alle Stra- ßen. In ganz Frankreich hieß man die Koͤnigin schon lange nicht anders als Madame Veto ; und daher heißt es in der Camagnole: Madame Veto a mal au c uͤ : C'est la Fayette , qui l'a foutue De son con tout brulè; Fayette en porte la e lé. Dansons la Camagnole Vive le son Du Canon! Was man in Frankreich und am Rheine und wo es nur Neufranken giebt, öffentlich singt und nachsingt, ist die Ca - magnole . Also — u. s. w. Ueberhaupt sind die Franzosen auf die Koͤnigin Antoinette weit mehr aufgebracht, als auf sonst je- manden, selbst den verabscheuungswuͤrdigsten Ega- lit é , sonst Herzog von Orleans, nicht ausgenom- men. Sie sehen diese Dame, als die Hauptur- sache alles Ungluͤcks und alles Elendes an, welches uͤber ihre Nation gekommen ist; ja, sie nennen ih- ren Namen nicht, ohne auszuspuken und ohne die heftigsten Verwuͤnschungen gegen ihr Andenken aus- zustoßen. als diesen kaustischen Zuchtspiegel für recht Viele von denen, welche sich Götter der Erde dünken. Ich sprach lange nachher einmal in Dijon uͤber die Standhaftigkeit, mit welcher diese Prinzessin gestorben ist, und ruͤhmte es wenigstens, daß sie ohne Aengstlichkeit und ohne Troz auf der Blut- buͤhne erschienen sey, auch alle Schmaͤhungen des Pariser Poͤbels, ohne ihre Miene zu veraͤndern, maͤnnlich verschmerzt habe. Ist das wohl lobens- werth? erwiderte mir ein Chirurgus: Starb nicht auch Mandrin mit der groͤßten Standhaftigkeit sogar auf dem Rade? Ich leugne gar nicht, fuhr er fort, daß Antoinette einen großen Geist ge- habt hat; sie war ja die Tochter der beruͤchtigten Marie Therese! Aber eben deswegen war sie fuͤr Frankreich desto schlimmer und gefaͤhrlicher: denn Groͤße ist nicht immer Guͤte. Genug wir sind froh, daß sie nicht mehr ist. Die franzoͤsische Zeitung, welche Doxon , der General-Adjutant, aus der Straßburger und Pariser franzoͤsischen Zeitung in Landau auch fran- zoͤsisch herausgab, war immer voll Invektiven auf die Koͤnige und die Aristokraten. Mitunter lieferte er auch Verse von seinem eignen Machwerk, die aber sehr elend und abgeschmackt ausfielen. Diese Zei- tung hoͤrte zu meiner Zeit schon auf: denn die von Paris und Strasburg kamen nicht mehr durch. Auf dem Gemeinhause waren alle Waͤnde be- klebt mit Dekreten und Verordnungen, taͤglichen Nachrichten u. dgl. Diese Zettel wurden von Zeit zu Zeit abgerissen, und es fand sich, daß manche, wenn sie oben das Beduͤrfniß aufs Haͤuschen zu ge- hen spuͤhrten, im Herabgehen einen Zettel von der Wand abrissen. Es wurde also oͤffentlich durch den Ausrufer angesagt, daß wer kuͤnftig auf der Straße oder auf dem Gemeinhause einen angeschlagenen Zettel abreiße, eine achttaͤgige Arreststrafe zu ge- warten habe. Herrmann , ein Zuckerbecker und Mitglied der Municipalitaͤt, wurde daruͤber ertappt, und nun nicht nur auf acht Tage eingesteckt, sondern auch seines Amtes entsezt. Zur Zeit des Terrorismus oder des Schreckens- systems in Frankreich wurde die Abreißung der an- geschlagnen Zettel allemal mit dem Tode bestraft, indem man das als ein Zeichen des Misfallens an der Verfassung, und als ein Signal zur Meuterey ansah. In Landau war man damals nicht so strenge. Ueberhaupt konnte man ziemlich laut sa- gen, was man an der neuen Verfassung zu tadeln fand. Einige thaten dieß auch freymuͤthig genug, weil sie schon als gewiß voraussezten, daß die zu schwach besezte Stadt in die Haͤnde der Preußen fallen wuͤrde. Die oͤffentliche Meynung war und blieb indeß immer fuͤr die Republik. Landau zaͤhlte nur wenig Aristokraten. Den Rektor der Landauer lateinischen Schule habe ich auch kennen lernen. Der Mensch war ein wahrer Ignorant, und hieß Schuch. Wie ich den Rektor fand, so fand ich auch den Konrektor und die ganze Schule. Wahrscheinlich ist jezt auch die- ses Gymnasium, so wie alle andre in Frankreich aufgehoben. Aber wenn es fuͤr manche hoͤhere Schulanstalt Schade war, daß man sie kassirte, so war es das gewiß nicht fuͤr die Landauer. Sechstes Kapitel. Franzoͤsisches Militaͤr . I ch war nach der uͤberstandnen Gefahr ziemlich ruhig, und suchte die Zeit so gut, als ich konnte, hinzubringen. Da man mit niemanden in der Welt eher Bekanntschaft machen und Freundschaft und Umgang errichten kann, als mit den gutmuͤ- thigen, jovialischen und offnen Franzosen, so war es auch sehr leicht, Viele von der damaligen Lan- dauer Garnison naͤher kennen zu lernen. Ich hatte noch immer allerley Vorurtheile ge- gen die franzoͤsischen Volontaͤrs mitgebracht, wel- Vierter Theil. E che ich hier aber bald und gerne ablegte: denn ich fand diese Leute weit besser, als ich sie mir vor- her gedacht hatte. Man weis ja, wie sauber man die franzoͤsischen Ohnehosen ( Sansculottes ) und ihre Ohnehosenschaft ( Sansculotterie ) beschrieben hat, und hier und da noch beschreibt! Die von der fran- zoͤsischen Nation organisirte Militz erschien uͤberall wie ein Haufen roher Buben, der nicht besser waͤre, als ein Haufen Lustgesindel und Zigeuner. Pfui der Luͤgen und der Schande! — Ich hatte zwar von den Volontaͤrs nicht mehr so arge und kindi- sche Vorstellungen, als Herr von Goͤchhausen und Consorten: ich dachte mir aber doch ganz andre Leute unter ihnen, als ich nachher wirklich fand. Freilich waren sie nicht so nach der Schnur gezogen und geuͤbt, wie die Preußen; sie marschierten nicht so nach und auf der Linie; sie konnten kein Minutenfeuer machen, und preßten sich nicht in ihre Roͤckchen ein, wie diese. Dagegen aber verstanden sie ihren Dienst hinlaͤnglich und hatten, was allen unsern Lohnsol- daten fehlt, eine unbegraͤnzte Anhaͤnglichkeit fuͤr ihre Sache. Ich habe fast von allen gehoͤrt, daß sie wuͤßten, wofuͤr sie kaͤmpften, und daß ihnen der Proceß ihrer Nation lieber und theurer sey, als ihr Leben. Das einzige Wort: „ Es lebe die Republik !“ ist bey den Volontaͤrs allemal das Erste, und das Lezte; und alle ihre Gesinnungen und Anstrengungen erhalten von dieser Haupt-Idee Leben und Feuer. Freyheit oder Tod ist ihre ein- zige und ewige Alternative. Ich erkundigte mich sehr genau nach der Art, wie man diese meist sehr jungen Leute unter das Gewehr gebracht hatte, und fand, daß obgleich Mehrere auf den Befehl ihrer Vorgesezten mit- mußten, doch die Allermeisten ganz freywillig zu- gelaufen waren. Ihrer Begierde, dem Vater- lande zu dienen, konnten die abgeschmackten Be- schreibungen und Maͤhrchen nicht Einhalt thun, welche das Gesindel der Aristokraten in ganz Frank- reich verbreitet hatte. Man hatte naͤmlich mit Fleiß ausgesprengt, daß der Feind so und so viel- mal staͤrker waͤre, als er wirklich war, und daß weder die Preußen noch die Oestreicher von Wei- chen wuͤßten, auch nicht von Pardon. — Daß sie im Jahre 1792 aus Frankreich so eilig abzogen waren, schrieb man dem elenden Wetter und dem Mangel an Lebensmitteln allein zu: sonst wuͤrden die Preußen die Armee der Franken bey St. Menehould gaͤnzlich zernichtet haben. Jezt aber — fuhren die Aristokraten fort — haben wir weiter nichts, als das allerschrecklichste Schicksal zu er- warten. Ludwig Capet ist hingerichtet, und die ganze Welt ruͤstet sich, seinen Tod zu raͤchen. Preußen und Oestreich, Holland und England, Spanien und Sardinien, Rußland, und das ganze deutsche Reich, ja, alle andre Fuͤrsten in ganz Eu- ropa, vielleicht auch gar der Großtuͤrk fallen uns auf den Hals, und werden den Untergang unsrer ganzen Nation beschleunigen — sobald wir uns ih- nen ferner widersetzen. Es ist aber den Großen von Europa blos darum zu thun, Ruhe und Wohl- stand in Frankreich wieder herzustellen, und die Moͤrder des Koͤnigs zur Verantwortung und Strafe zu ziehen. Der Nationalkonvent sieht das ein, und weiß, daß er auf jeden Fall verlohren ist: und eben deßwegen will er mit Gewalt, daß wir uns ruͤsten, und gegen den unbezwinglichen und fuͤrch- terlichen Feind ziehen sollen. Wenn wir dieß thun, so sind wir und der Konvent verlohren: thun wir es aber nicht, je nun, so muß der Konvent nach- geben, und wir — wir haben Frieden und Ruhe! Das war der Inhalt aller aristokratischen Pre- digten in Frankreich im Jahre 1793. Aber die Idee von einer gesetzmaͤßigen Freyheit, und einer edlen Unabhaͤngigkeit ohne das Joch einer willkuͤhr- lichen Herrschaft oder Despotie war schon damals so tief in die Gemuͤther eingedrungen, daß bey dem Aufgebot im Herbste eben des Jahres, Alles zulief, so sehr, daß man endlich gar genoͤthigt war, recht sehr Viele wieder nach Hause zu schicken. Dieser Umstand ist in mancher Ruͤcksicht wich- tig. Denn es giebt gewisse deutsche Politikaster, welche die Bereitwilligkeit der Franzosen, gegen den Feind zu dienen, dem Zwange und der Guil- lotine zuschreiben, und eben dieses Mordinstrument zur Quelle des Republikanismus in Frankreich an- geben. Aber abgerechnet, daß nur ein Schildai- scher oder Schirachisirender Politiker dafuͤr hal- ten kann, daß ein feines, großes Volk sich aus Furcht vor der Guillotine, von einer kleinen, sehr kleinen Anzahl Buͤrger, deren Autoritaͤt sich ledig- lich auf den Begriff von Wahl und Freyheit stuͤzt, und nicht den geringsten herkoͤmmlichen religioͤsen oder politischen Grund hat, bewegen lassen solle, seine Kinder den grausamsten, aufs aͤußerste erbit- terten Feinden entgegen zu stellen, und dieß ganz gegen seine Neigung: dieses unsinnige, politische Geschwaͤz abgerechnet, so ist ja gewiß, daß bey dem Aufgebote von 1793 noch nicht die allergeringste Spur von Gewalt sichtbar war, geschweige denn, daß man denen, die nicht mitziehen wollten, mit der Guillotine gedroht haͤtte. Die jungen Fran- zosen waren ihrem Gesetze gehorsam, welches be- fiehlt, daß jeder Franzose gehalten ist, die Waffen zu ergreifen, wenn sein Vaterland leidet und es ihn dazu auffodert. Die aufgebotene Klasse ging auch oh- ne Murren. Woher sonst ihre Tapferkeit, ihre Siege! Und wenn man ja noch an Zwang denken will, so uͤberlege man nur, daß junge Maͤdchen — nicht Eine oder Zehne, denn die koͤnnte man allenfalls ins Register der Naͤrrinnen bringen, sondern meh- rere Hunderte — sich erboten, mit ins Feld zu zie- hen, daß Viele wirklich mitgezogen sind, und daß sie nachher, als es dem Frauenzimmer verboten wurde, Kriegsdienste zu leisten, ihr Geschlecht sehr sorgfaͤltig verbargen, blos deswegen, damit sie der Ehre, fuͤr ihr Vaterland zu fechten, nicht beraubt werden moͤgten. Hat man die Maͤdchen vielleicht auch mit der Guillotine bedroht? Das einfaͤltige Gewaͤsche waͤre uͤberhaupt gar keiner Antwort werth, wenn nicht Maͤnner, die doch fuͤr einsichtig gehalten werden wollen, Fratzen von der Art fleißig wiederholten, und dadurch der oͤffentlichen Meynung, so viel naͤm- lich an ihnen ist, eine falsche Richtung beybraͤchten, und hiedurch den Krieg verlaͤngern haͤlfen. Und eben diese Maͤnner sollten sich wirklich schaͤ- men, da sie doch wissen muͤssen, wenigstens wissen sollten, wenn ihr ganzes Studium nicht gerade so viel werth seyn soll, als eine taube Nuß, daß ehe- mals der bloße Republikanismus in Griechenland, zu Karthago, in der Schweiz, in Holland und in Amerika, die seltsamsten Wunder gethan hat. Weswegen lernen wir Geschichte? Vielleicht, daß wir wissen moͤgen, quo anno ante Christum natum Miuos Gesetze gegeben, und Miltiades die Perser geschlagen hat? Nein, wahrlich, wer mir nicht sagen kann, was die Gesetze des Minos bewirkt und was fuͤr Ursachen und Folgen die Siege des Miltiades gehabt haben, der mag meinet- wegen auch vergessen, daß Minos und Milti - ades je in der Welt waren. Ich wenigstens habe sehr viele franzoͤsische Sol- daten gekannt, — ich ward, wie man dereinst se- hen wird, selbst noch einer — und habe das an ih- nen gefunden, was jene edlen Vertheidiger Grie- chenlands auch an sich hatten, naͤmlich warme Liebe zu ihrem Vaterlande, eine Liebe, die der Deutsche deswegen nicht kennt, weil er als Deut- scher kein Vaterland mehr hat. Der Enthusiasmus fuͤr ein Phantom verraucht bald, aber der Enthu- siasmus fuͤr ein wahres Gut dauert, so lange dieses Gut selbst dauert, und wird durch die Bemuͤhun- gen derer, die uns das Gut entreißen wollen, nur noch mehr angefacht. Ein bestrittenes Gut, das uns interessirt, lernen wir eben durch das Bestrei- ten besser kennen und inniger lieben. Man hatte mir die Subordination der Franzo- sen auf der haͤßlichsten Seite geschildert, und die Sansculottes als die undisciplinirtesten Truppen ausgeschrieen. Aber ich sah sehr oft das Gegentheil. Die Kriegsgesetze der Franzosen, welche in einem kleinen Buche, Côde militaire genannt, enthalten sind, sind so strenge und so kategorisch, als die Preußischen nimmer seyn koͤnnen. Freilich steht nicht auf dem Titel: daß sie nur Unteroffiziere und gemeine Soldaten verbinden sollen; denn die fran- zoͤsischen Kriegsgesetze gehen alle ihre Kriegsleute an, und werden — nach ihrem Gesetz der Gleich- heit — ohne Ansehn der Person am Obristen wie am Gemeinen ausgeuͤbt. Bey dem allem fodern die Gesetze ihres Côde militaire die strengste Befolgung; und wer dawider suͤndiget, kann seine Strafe sich schon vorher selbst diktiren: denn Ausnahmen und Begnadigung, oder Ruͤcksicht auf vorhergegangne schlechte oder gute Ausfuͤhrung, oder sonstige Mil- derungsmittel finden durchaus nicht statt. Mit einem Worte, das Gesetz , und nur das Gesetz, ist die Disciplin der Franzoͤsischen Krieger, und nicht der absolute, oft sehr eigensinnige Wille des Offiziers: und der Neufraͤnkische Krieger gehorcht willig und ohne Murren. Ich habe die Franzosen und die Preußen, und mehrere andre deutschen Soldaten sehen Dienste thun. Erstere verrichteten, was sie zu thun hatten, allemal mit Lust, und unterzogen sich dem beschwer- lichsten Dienste, ohne nur zu klagen. Hingegen die deutschen Miethlinge oder Lohnsoldaten werden gar leicht unzufrieden, und verwuͤnschen den Tag, an dem sie zum Dienste gekommen sind, sobald sie nur von harten Strapatzen oder von Mangel ge- druͤckt werden. Ganz Europa ist in Bewunderung und Erstaunen gerathen, als die so veraͤchtlich dar- gestellten Franzosen in den Jahren 1793, 94, 95 Dinge ausfuͤhrten, wozu eine eiserne Geduld, und ein unbezwinglicher, durch den heißesten Enthu- siasmus angefeuerter Muth noͤthig ist. Sollten die- ses Leute thun koͤnnen, welche die Disciplin ver- achten, und ohne Subordination in den Tag hin- einleben? Da der franzoͤsische Soldat keinesweges von dem Eigensinne der Vorgesezten abhaͤngt, so giebt es auch da keine Offiziere, welche man nach der Bedeutung, die diese Worte bey den Deutschen ha- ben, in gute und schlimme Offiziere eintheilen koͤnnte. Der Franzose weis nicht, was ein Gif - ter , Giftmichel oder ein Maͤnnchen wie ein Braten ist. Denn Schimpfen und Schla- gen sind bey ihnen unerhoͤrte Dinge. Suͤndigt der Soldat, so kann ihn sein Vorgesezter strafen, aber nur in gewissen leichten Faͤllen. Zu schweren Faͤl- len muß schon das Kriegsrecht oder die Cour mar- tiale, der Volksrepraͤsentant, oder wohl gar das Tribunal militaire, wie eins zu Auxonne gewesen ist, entscheiden. Der Offizier hat hier nicht mehr Recht, als der Gemeine: sein Zeugniß gilt gerade nicht mehr und nicht weniger, als die Aussage je- des andern Buͤrgers. Die Strafen der Soldaten oder der Volontaͤrs sind zwar weder Pruͤgel noch Gassenlaufen, auch nicht andre hin und wieder uͤbliche laͤppische Bestra- fungen, ich meyne Eselreiten, Gewehre tragen, Pfahlstehen und dergleichen; sie sind aber doch strenge, und dem Verbrechen angemessen, als Ar- rest bey Wasser und Brod, oder Wegjagung mit Infamie oder Tod. Alle militaͤrischen Verbrechen beziehen sich nur auf drey Punkte: auf Nachlaͤssig- keit im Dienste, auf Verletzung der Subordination und auf Verraͤtherey. Dahin gehoͤrt auch die De- sertion, ein Einverstaͤndniß mit dem Feinde und dergleichen. Alle andre Verbrechen z. B. Dieb- stahl, Duell, Schlaͤgerey, Mord, Nothzuͤchti- gung u. dgl. werden nach den gemeinen oder buͤr- gerlichen Gesetzen geahndet. Ich war recht gern in der Gesellschaft der Landauer Volontaͤrs — Soldaten wollten sie nicht mehr hei- ßen — und lernte alle Tage durch Erfahrung ein- sehen, daß sehr Viele in Deutschland eine uner- traͤglich schiefe Idee von ihnen gefaßt haben. Ihre Gespraͤche betrafen fast immer politische Gegen- staͤnde, und wechselseitige Aufmunterung zur Ta- pferkeit und zur Vertheidigung des Vaterlands. So sehr sie auch in ihren Meynungen uͤber die innere Verfassung und Regierung Frankreichs, und uͤber die Debatten und Faktionen des National-Con- vents von einander abwichen, so sehr stimmten doch Alle darin uͤberein, daß erst das Vaterland gerettet werden muͤßte, und daß der kein ehrlicher Franzose sey, der etwas anders wolle, als Freyheit, oder Tod. Ich sondirte sie oft uͤber ihre Gedanken von den deutschen Soldaten, und fand, daß sie sich von uns keine so weggeworfne Vorstellung machten, als sehr Viele unter uns sich von ihnen zu machen gewohnt sind. Doch schlossen sie immer, wenn sie etwas Gutes von uns gesagt h atten, damit, daß es Schade sey, daß wir fuͤr Tyranney, und Despo- tismus ins Feld zoͤgen, und fuͤr Menschenrechte und Freyheit wenig Sinn zu haben schienen. Ganz anders machten es in dieser Ruͤcksicht die ersten Emigrirten. Diese Messeigneurs und Mes- sieurs sprachen von den deutschen Truppen so weg- werfend, daß ich mich wundere, wie es moͤglich gewesen ist, daß man nur daran denken konnte, die- sen veraͤchtlichen Haufen wieder zu seinen alten Rechten zu verhelfen. In Koblenz behaupteten Viele, und das ganz oͤffentlich, daß ihr Bouillé die ganze Armee der Alliirten kommandiren muͤßte; daß der Herzog von Braunschweig sich nicht dazu schicke; daß es der Ehre des franzoͤsi- schen Namens zuwider sey, wenn die Elite de la noblesse Françoise sich von einem pauvre diáble d e Prince Allemand sollte kommandiren lassen, und daß sie nicht unter einem Fuͤrsten dienen wuͤrden, der niemals l'honneur d'approcher le roi de France gehabt haͤtte. — Das Exerzieren lernt der eine Franzose von dem andern, ohne daß Schimpfen, Fluchen, Stoßen oder Stockpruͤgel die Fehlenden noch mehr verwir- ren oder in Furcht setzen sollten. Die Nation hat ein Exerzierbuͤchelchen drucken lassen und an die streitenden Nationalen vertheilet. Es heißt: Instruction concernant l'exercice, les ma- noeuvres et le service militaire de l'infanterie na- tional Parisienne, ou méthode facile pour appren- dre en peu de temps l'exercice et le commandement, sans le sécours d'aucun maitre. Quatrième edition; considérablement augmentée. A Paris, chez Guillot, 1790. So hieß die Ausgabe, welche ich gesehen habe. Ohne Zweifel ist sie seit 179 0 noch öfterer von neuem erschienen. Hierin fin- den sie alles, was ihnen zu ihrer militaͤrischen Be- lehrung dienen kann. Aengstliche Kleinigkeiten, die entweder zur bloßen Parade, oder zur takti- schen Pedanterie gehoͤren, aber im Kriege wegfallen, und nie etwas entscheiden, sind nicht darin. Es ist zum Erstaunen, wenn man in Frankreichs Staͤdten und Doͤrfern junge Leute, ja, Kinder, haufenweise sich in der Soldaterey uͤben sieht. Die oͤffentlichen Anstalten zur Anbildung junger Krie- ger, unter der Aufsicht von Invaliden zu Paris, sind beruͤhmt und ermunternd. Was der Patriotismus nicht ganz aufregt oder vollendet, das ersezt die Ehrbegierde, welche durch die jedesmalige oͤffentliche Bekanntmachung einer jeden patriotischen Handlung, zumal im Felde, an- gefeuert und unterhalten wird. Die Belohnung der Verstuͤmmelten und Invaliden machet der Fran- zoͤsischen Nation wahre Ehre, und den beweibten und bekinderten Soldaten einen Muth, wie ihn kein goldnes oder silbernes Verdienst-Zeichen be- wirkt. Ihre Feld- und Schlachtgesaͤnge stimmen mit ihrem Republikanismus und dem Zwecke ihres Krieges treffend und eingreifend uͤberein, und sind voller Kraft und Feuer, und beleben den Muth bis zum Enthusiasmus. Sie sind Producte ihrer besten und eindringendesten Dichter; und mit der Musik und Melodie dazu, von Meistern in der Kunst, verhaͤlt es sich eben so. Um das Interesse ihrer Armeen an ihrem Na- tional-Proceß, durch Unkunde in dem jedesmali- gen Gange desselben, nicht erkalten zu lassen, schickt ihnen die Regierung alle Nachrichten von merkwuͤrdigen Vorfaͤllen, alle Verhandlungen und Dekrete jedesmal unentgeldlich zu. Auch hat fast jede Armee ihre Schriftsteller und Novellisten, welche die Begebenheiten des Tages aus den vie- len Franzoͤsischen Zeitungen, Journalen und Flug- blaͤttern zweckmaͤßig ausheben, und sie woͤchent- lich zur Unterhaltung und Belehrung der Kaͤmpfer herausgeben. Zur Abwechselung fuͤgen sie kleine moralische Aufsaͤtze — uͤber Schonung des Buͤrgers und Landmanns in feindlichen Landen — uͤber hu- mane Behandlung der besiegten oder sich ergebenden feindlichen Soldaten — uͤber die Pflicht des Har- rens und Duldens in harten Kaͤmpfen mit der Na- tur, oder uͤber die Pflicht der tapfern Vaterlands- liebe im Kampfe mit dem Feinde u. dgl. sehr oft hinzu: auch kommen Gedichte, Bitten und War- nungen der Generale, Belohnungen und Bestra- fungen, nebst Anekdoten von edlen und tapfern Handlungen ihrer Kameraden bey ihrer und andern Armeen vor: und das alles erhalten die Bataillons ohne die mindeste Ausgabe. Und diese psychologisch-politische Maschinerie ist der Schluͤssel zu den Riesen-Thaten eines Vol- kes, das von so manchem deutschen Feder-Buben und Schwaͤchling anfaͤnglich gar arg und uͤbertrie- ben beschimpft und verachtet ward, vor welchem aber jezt Koͤnige und Fuͤrsten Respekt zu hegen, endlich theuer genug gelernt haben. So viel ich weis, liefere ich hier Manches, woruͤber unsere meisten deutschen Zeitungsschreiber und Schriftsteller bisher ein tiefes Stillschweigen zu beobachten, fuͤr gu t fanden. Dieß Stillschwei- gen koͤnnte der Glaubwuͤrdigkeit meiner Nachrich- ten bey den Nachbetern aller derer Abbruch thun, welchen daran liegt, das tausendfache Gute, Ver- nuͤnftige und Zweckmaͤßige der Franzosen zu ver- tuschen, und nur das Entgegengesezte mit recht grellen und schreyenden Farben ans Licht zu stellen, und dieß so darum, weil — im Lande der Puck- lichten jeder gerade Mann die Pucklichen mehr in Abstich bringt. Was für modifizirenden Einfluß der Nationalstolz — auch der stockblinde und stockdumme — bey ähnlichen Con- currenzen ebenfalls äußere, lehrt Zimmermanns Meister- stück vom Nationalstolz . — Ich muß also meine corda- ten Leser um Verzeihung bitten, wenn ich meine Nachrichten hier und da, wo ich — um der Incor- daten willen, ich meyne die Unbeschnittenen an Herz und Kopf — es noͤthig finde, mit Belegen unwidersprechlich erhaͤrte. Den ersten Beleg nehme ich aus dem Bulletin Nationale, N. 5. Séance du troisième jour de la troisième décad e du quatrième mois de l'an sécond de la Républi- que une et indivisible. Man sieht, daß dieß Weitschwei- fige daher rührt, daß man zu der Zeit mit dem neuen Ka- lender und den Namen der Monate noch nicht auf s R eine war. Hier nimmt der National- Convent die sechs Kinder des braven Richers , eines Kanoniers, der in der Vendee von den Re- bellen gemordet war, im Namen der Republik auf, und befiehlt dem Wohlfahrts-Ausschuß, eine Pen- sion anzugeben, welche man diesen Kindern und deren Mutter bewilligen koͤnne. Zugleich erhaͤlt der Ausschuß des oͤffentlichen Unterrichts den Auf- trag, in dem Auszuge aus den Jahrbuͤchern der Republik — der bekanntlich der Jugend in Frank- reich als eine National - Moral in Beyspie - len zum Unterrichte fuͤr die Nachahmung dient, — die Zuͤge von Aufopferung und Civism aufzu- stellen, durch welche die lezten Augenblicke des Richers und dessen Sohns glaͤnzend und ruͤhm- lich geworden waͤren. — Auch dieser Sohn, fuͤgt das Dekret hinzu, ist in dem Vendee-Kriege er- mordet, weil er dem Charette , der ihm das Le- ben schenken wollte, sobald er nur ausriefe: Es lebe der Koͤnig ! zur Antwort gab: Meinen Vater habt ihr ermordet, weil er die Republik ver- theidigen half: ich werde den Glanz von einem so schoͤnen Tode nicht verdunkeln: ich verabscheue alle Tyrannen, und bete an die Freyheit: Es lebe die Republik! Den zweyten Beleg enthaͤlt der Argus révolu- tionnaire — de l'armée de la Moselle, rédigé par de vrais Sans-Culottes de l'armée républicaine. — Zum Motto hatte er: Frapper les préjugés, eclairer l'hom- me dont ils environ: nerent, le ber c eau, voilà le prémier dévoir des amis de la patrie et de la raison. Der Argus kam zu jener Zeit in Saarbrück heraus; und da- her die vielen Druckfehler, die man darin antrifft. Auch kann die Eile und der Kriegsspektakel Schuld mit daran gewesen seyn. Unterhaltend ist er übrigens auf alle Fälle — wenn man nicht schirachisirt. worin General Hoche , im 11ten Stuͤck des II. Jahres der Republik, bekannt macht: daß der Buͤrger Adraste , Sergeant am zweyten Ba- taillon des 58ten Regiments, die Bataillonsfahne, welche er vor dem Feinde liegen sah, troz der To- desgefahr bey dem verdoppelten feindlichen Feuer, dennoch muthvoll gerettet habe — aber auch ehren- voll von seinen Kameraden belohnt sey. Cer ex- emple, sezt Hoche hinzu, dans un e armée républi- caine doit trouver beaucoup d'imitateurs. Vierter Theil. F Unter der Rubrik: Mention honorable in dem second supplément au Bulletin — ( Séance du 20me Nivose, Lit. R. ) — wird an dem Buͤrger Payen es gelobt, daß er dem Vaterlande einen Dukaten, einen Reichsthaler und sechs Livres geschenkt habe, als eine Beute vom Feinde. In dem vorhin erwaͤhnten Stuͤcke des Argus sagt der Verfaßer: Das, was troͤsten muß in der Gefangenschaft, ist, daß die Republik das Eigen- thum und die Familie aller derer in Schutz nimmt, welche den Posten der Ehre behaupten, oder fuͤr die Vertheidigung der Freyheit erliegen, oder im Dienste der braven Vertheidiger derselben zu Scha- den kommen. In eben demselben Blatte schreibt der Verfasser, unter der Aufschrift: Argusà ses Camerades : „ Argus vous le dit dans Pamerture de son ame, mes Camerades, il y en a beaucoup parmi vous, qui ne sont point Républicains, et qui sons indig- nes du nom de Sans-culottes. Il saut, sagt Bürger Gregoire in seinem Rapport sur les inscriptions des monuments publics, que tout ce, qui est beau, tout ce, qui est bon, entre dans la définition du Sans-culottisme. — Hierauf faͤhrt er fort: „Euer Brod hat man zu 25 Sous taxirt, und Ihr verkanft es zu 6 Livres. Daß man es so wohlfeil taxirte, geschah zum Vortheil der Armeen . — Und die Armeen uͤberall sind die nicht unsere Bruͤder? Sind sie es nicht, die Inter- esse fuͤr uns haben muͤssen? Sind sie nicht die Sans-Cuͤlotten, mit denen wir unser Brod zu thei- len haben? Ist es nicht unsere Pflicht, jene zu Saarbruͤck zu troͤsten in der Dienstbarkeit, worin sie von den Reichen und von ihren kleinen Despo- ten gehalten werden? Argus fodert seine Kameraden auf, diejenigen unter ihnen anzuzeigen, welche sich nicht betragen wie freye Menschen , und die nichts seyn koͤn- nen, als Aristokraten, oder schlechte Miethlinge, bestochen von der Aristokratie, um Unordnung an- zustiften. Der gute Soldat ist nicht der, welcher die Republik bestiehlt; auch nicht der, welcher den Lebensunterhalt dem Armen verkuͤmmert, oder pluͤndert, oder es danach macht, daß man ihn einstecken muß. Der gute Soldat ist der, welcher strenge auf die Gesetze haͤlt, welcher fest steht auf seinem Posten, und von nichts weis, als daß er sich schlage fuͤr die Freyheit. Dieser nur wird Lorbeer davon tragen: dieser nur kann sich freuen des suͤßen Bewußtseyns, Gutes gethan zu haben; und er wird die Erkaͤnntlichkeit der Republik ver- dienen.“ Wer bewundert hier nicht den seinen Geist der militaͤrischen Politik unter den Neu- franken! — Feldprediger, hier ist Stoff und Muster fuͤr Euch! — Jetzt noch ein Beyspiel von ihrer militaͤrischen Poesie! Couplets à l ' ordre du 2 . Nivose dans l ' armée de la Moselle . ( Air : Du serin qui t'a fait envie . ) I. Vous, sur qui la France insultée Fonde son espoir et ses voeux, Guerriers François, brillante armée, Volons ensin loin de ces lieux! Les ennemis de la patrie Oseroient - ils done nous braver? Combattons l'aristocratie, La détruire, c'est nous sauver! — (bis.) 2. L'Aquilon envain dans nos plaines Souffle la neige et les glaçons: Pour secouer d'indignes chaines Que nous importent les saisons. Ne craignons pas que la victoire S'arrête à l'aspect des hivers: „Tous les mois sont bons pour la gloire, „Et les lauriers sont toujours verds. — (bis.) 3. Guerriers! la mort est-elle à craindr e A qui combat pour ses foyers? Le héros se croit-il à plaindre, Quand il tombe sur ses lauriers? „Mourir c'est rendre à la Nature „Un bien qu'elle nous a prêté „Et quand on meurt sur son armure, „C'est naitre à l'immortalité! — (bis.) Wie klug richtet sich hier Argus nach der Jahreszeit! Er sucht durch große, moralische Empfindungen gegen starke, physische abzuhaͤrten. Und nun das Ende vom Liede! „Sterben, sagt er, ist der Natur ein Gut zuruͤckgeben, welches sie uns geliehen hat; und wenn man auf seinen Waf- fen stirbt, das ist gebohren werden zur Unsterb- lichkeit!“ — So politisch-leer, wie dies Lied ist, sind die wenigsten. Le Brun hat einige gelie- fert, welche Feuer und Flamme speyen. Man kennt sie in Deutschland schon ziemlich. Wenn daher auf dem zerschoßuen Schiffe, Le Vengeur, die Mannschaft an nichts weniger als an ihre Rettung denkt, wenn sie unter dem anhal- tenden Kanonendonner der Englaͤnder, mit allge- meinem Jubelgeschrey, diesen noch einmal die volle Ladung giebt, allgemein vive la Nation jauchzt, untersinkt, im Untersinken noch die Mast- baͤume erklettert, und unaufhoͤrlich die Schlacht- Hymne zum Anfeuern ihrer uͤbrigen fechtenden Bruͤder anstimmt, bis der Abgrund das Schiff und sie verschlingt; wenn zwoͤlfhunderttausend Krieger vom Ruf der Freyheit aufgeboten und vereinigt, allen Gefahren Troz bieten, alle Hin- dernisse uͤberwinden, voll ungestuͤmen Muthes und voll Geduld gegen die Beschwerden des Hungers, des Durstes, der Nacktheit, der Witterung und der Jahreszeit ausdauern, durch Fluͤsse schwim- men, Staͤdte mit Sturm erobern, Festungen und mit Schnee und Eis bedeckte Berge erklimmen, uͤber gefaͤllter Bruͤder Haufen siegringend und un- erschrocken andringen, mit ihrem Bajonette alle Lagen-Verschanzungen- und Nedouten-Vortheile des Feindes zernichten, durch kriegerischen Gesang und ermunternden gegenseitigen Zuspruch sich an- feuern, den Feind erschuͤttern, in Staunen setzen, dem Vaterlande ihr Leben entschlossen opfern, und sterbend auf dem Schlachtfelde die Republik noch mit dem letzten Hauche segnen; wenn alle auf Erholung und Winterquartier Verzicht thun, wenn der Enthusiasmus der Nation sogar Weiber haufenweise verkleidet ins Schlachtfeld eilen macht, wenn auch der Tageloͤhner zur Rettung des Va- terlandes das Seine gern und zuvorkommend, hin- giebt; kurz, wenn diese Heroen, „Was würde aus der Menschheit, wenn nicht von Zeit zu Zeit Heldengeister aufträten, um ihr einen neuen Schwung zu geben, ihr aufzuhelfen, sie zu erf rischen: Gerade durch diese Heroen wird das Leben der Sittlichkeit immer wieder neu- geboren. — Menschen, die ein inneres Freyheitsgefühl gött- lich über ihr Zeitalter erhebt, sind das wahre, eigentliche Salz der Erde; und was ihr Beruf von ihnen fodert, halte ich für wohlgethan, wenn auch Zeitgenossen und Nachwelt sie Tyrannen, Schwärmer, Bösewichter schelten. Ohne sie würde die Menschheit stinkend.“ So Jakobi im II. Th. des Woldemar S. 215. dieß eine einzige Volk, von den fuͤrchterlichsten Maͤchten Europens angegriffen, und von Verraͤthern so oft hintergangen, dennoch gegen sie alle, wie gegen Natur und Kunst siegreich dasteht: dann wissen wir jezt, wodurch! — Um aber dieses naͤher zu wissen — denn von diesem Wissen haͤngen, in gar mancher Ruͤcksicht, die Maaßregeln fuͤr Europens Ruhe in der Zu- kunft ab — will ich noch etwas anfuͤhren, was uns in den Stand setzen kann, das Verhaͤltniß der Streitkraͤfte in Europa und deren Organisation richtig abzumessen, und dann vom Scheine aufs Wahre zuruͤckkommen. Das Etwas, was ich meyne, ist die Einleitung zu der Déscription de quelques corps composant les armées Françoises. Hier heißt es: „Die Energie, der Muth und die Ausdauer, womit die franzoͤsischen Truppen einen Krieg fuͤh- ren, welcher noch kein Beyspiel in der Geschichte hat, muͤssen einen jeden, der gegen die Angelegen- heiten dieser Unterwelt nicht voͤllig gleichguͤltig ist, nachdenken machen, und selbst die Neugier aller derer erregen, welche an demselben, wenn sich dieß voraussetzen ließe, nicht den mindesten Antheil nehmen konnten. Wie viele Dinge hat man bis jezt, aufs Wort, als unentbehrlich fuͤr eine Armee gehalten, um dieselbe siegen zu machen, deren die franzoͤsischen Heere seit vier Jezt sieben. Jahren entbehrt haben: und welche Heere haben je mehrere Lorbeere geerntet? Die strenge Mannszucht, welche Friedrich, der Zweyte, bey seinen Truppen einfuͤhrte, hat viele Nachahmer gemacht, und unzaͤhlige Anhaͤn- ger gefunden. Getaͤuscht durch den Schein, meyn- te man, daß eine bis zum unmenschlichsten Zwang getriebene Strenge Automaten unuͤberwindlich oder sie ghaft machen wuͤrde: aber man wuͤrde zu Frie- drichs Zeit von seinen Fortschritten ganz anders geurtheilt haben, wenn man die Aufloͤsung des Raͤthsels gewußt haͤtte Vielleicht Bestechung feindlicher Generale. Im innern Frankreich hält man sie für gewiß. ; und der gegenwaͤrtige Krieg ist sehr geschickt, ein Vorurtheil zu vernich- ten, das allgemein a u s jedem Soldaten ein Opfer macht, welches den Stockschlaͤgen einer ganzen Stufenreihe von Vorgesezten gewidmet ist. Ueberall fodert man, daß die Armeen agiren sollen, aber uͤberall ist der Soldat ein passives Geschoͤpf, welches sich weder bewegen noch han- deln kann. Im Schooße des Friedens und in Besatzungen gewoͤhnt man ihn, sich unter den Stock zu erniedrigen; und ist es Krieg, so ver- langt man, daß er gegen das Schimpfliche einer Niederlage empfindlich sey, deren Schande nie auf ihn zuruͤckfaͤllt. Die Subordination lastet unaufhoͤrlich auf den Soldaten: man goͤnnt ihm nicht einen Augenblick Erholung, nicht eine ein- zige Minute, wo die Schnellkraft seiner Seele sich wieder beleben koͤnnte. An Zeit dazu fehlt es den meisten deutschen Soldaten nicht ; aber zur Erholung gehört auch Geld. Der deutsche Soldat habe indeß auch dieses, man behandle ihn auch schonend und nach Ehre: wird darum die Sache seines Fürs te n zu sein er eignen werden? Wird er patriotisch-enthusiastisch kämpfen wie der National-Franzose? Zumal wenn er Auslander ist, oder für militärisches Eh rgefühl zu roh oder zu s t umpf? Oder wenn er gar den Krieg seines Herrn nicht für gerecht hält, und ihn selbst für einen Usurpator oder Des p oten? — Aber auch hievon abgesehen, wird der, nach diesem Winke behan- delte, Soldat, sobald er Ausländer oder von der Hefe des Volks ist, nicht Weichling, nicht stolz und insultirend gegen den Bürger und Landmann werden? — Ueberhaupt der jetzige Krieg hat, von Seiten der Franzosen, die bisherige militäri- sche Organisation und Machinerie so verrückt, daß man sich schon genöthigt sehen wird, andere Grundsätze für beyde, wie überhaupt für jeden Krieg, in der Zukunft humaner oder moralischer zu befolgen. Und doch verlangt man mit Menschen, welche so sehr herabgewuͤrdiget sind, Truppen zu besiegen, die unter der Mannschaft, woraus sie bestehen, kei- nen andern Unterschied, als den der Verrichtungen, die ihnen uͤbertragen sind, keine Mannszucht, als welche ihnen die Pflicht der Stufe, auf der sie ste- hen, und keine Unterwuͤrfigkeit kennen, als welche ihnen das Gesetz und der Vortheil des Dienstes auf- legt. Wenn man einen Menschen herabwuͤrdiget, so wird man ihn nie dahin bringen, daß er große Dinge ausfuͤhre; aber wenn man ihm zeigt, daß er dieser Ehre wuͤrdig sey, dann wird man das Ver- langen danach in ihm rege machen. Die Menschen sind das, wozu man sie macht. Diejenigen, welche sich ihrer bedienen, muͤssen es verstehen, sie so zu bilden, wie sie seyn muͤssen, um das zu leisten, was man von ihnen verlangt. Man muß aber nicht erwarten, sie dahin zu bringen, daß sie Vorschlaͤge, die ihnen keine vortheilhafte Aussicht fuͤr sie und die Ihrigen darbieten, wider Leute werden ausfuͤhren helfen, die sich eine Le- bensweise verschafft haben, die sie gut finden, und bey der sie ein Recht zu haben glauben, sie gegen jeden zu vertheidigen, welcher als erklaͤrter Feind sie ihnen streitig zu machen sucht. Zwischen Fuͤrsten ist der Krieg ein Hazardspiel, wobey der lezte Thaler entscheidet: zwischen einem Fuͤrsten und einer Nation ist es der Loͤwe im Garne: die Maus ist nur nicht immer gleich da, um die Maschen zu zerfressen. Man vergißt es zuweilen, daß man nichts vermag, wenn man von der allge- meinen Einstimmung, welche den Willen Aller nach einem und demselben Ziele eilen macht, nicht unterstuͤzt wird. In diesem Zustande des Irrthums handeln wollen, heißt, sich Unfaͤllen, oder hoͤch- stens einem schnell voruͤbergehenden Erfolge aus- stellen. Dieß beweißt die Erfahrung aller Zeiten. Fuͤrsten errichten Heere: aber welche Anstrengung und Kosten verursacht ihnen dieses! Wie viel ver- schiedene Triebwerke muͤssen sie anbringen, wie viel verschiedene Plane uͤberdenken, um nur eine einzige elende Legion auszuheben! Auf wie vielerley Pri- vatinteresse muͤssen sie schonende Ruͤcksicht nehmen, indem sie die Rekruten ausheben! Wie viel Zeit ver- laͤuft, ehe diese Neugeworbenen im Felde erschei- nen koͤnnen! Das Uebel ist nicht groß, wenn es ein Fuͤrst ist, gegen den man Krieg fuͤhrt: fuͤhrt man ihn aber gegen eine Nation, so steht diese auf und marschirt: und es ist leicht einzusehen, auf wessen Seite der Vortheil seyn werde. Es ist wahr: eine Nation, welche auf diese Weise sich erhebt, hat nicht den einnehmenden Anblick, den ein ge- dientes Regiment giebt, wenn es in Parade geord- net steht, wo alle Soldaten wie in Einem Tiegel geschmolzen und in Einer Forme gegossen schei- nen. Diese strenge Einfoͤrmigkeit uͤberrascht gewiß, sie ist aber, wie man jezt sieht, zum Siege nicht unumgaͤnglich noͤthig. Die Nationalgarden, wenn sie gleich unregelmaͤßig gekleidet sind, sind nicht minder tapfere Truppen, als die Linientruppen, bey welchen jene Regelmaͤßigkeit genauer beobach- tet wird. Von gleichem Geiste beseelt, fechten diese verschiedene Truppen mit gleicher Tapferkeit, trotzen dem Tode mit gleichem Muthe, und ertra- gen gleiche Arbeiten und gleiche Beschwerlichkeiten — der Eine, wie der Andere. — Es ist nicht leicht, von den Nationalgarden eine richtige Beschreibung zu machen, oder diesel- ben unter eine gewisse Klasse zu bringen. Man kann aber versichert seyn, daß sie sich gut schlagen, wenn auch unter ihnen sich solche finden, die blos mit einem Wamms, und Kamisol, einem Lein- wandkittel, oder einem Anzuge von allerhand Far- ben — bekleidet sind.“ — Was diese Einleitung zum weitern Entwickeln, Vergleichen und Entscheiden alles enthalte, wird der aufmerksame Leser, zumal vom militaͤrischen Fache, ohne mein Erinnern selbst leicht bemerken. Dilettantische Leser, welche die Benennung, Ab- theilung, Kleidung, Bewaffnung und Verrichtung des Neufraͤnkischen Militaͤrs gern naͤher kennen moͤgten, finden sie in dieser Schrift ziemlich ausfuͤhr- lich, wenn gleich seit 1794 Manches auch abgeaͤndert ist. Ich kann mich nicht weiter darauf einlassen. Das frohe muntere Wesen des franzoͤsischen Militaͤrs ist zum Erstaunen. Außer dem Dienste sind sie fast immer guter Dinge. Mittheilend sind sie recht bruͤderlich; und die vielen Freywilligen von reicher Abkunft, die sich selbst bekoͤstigen, helfen den Minderbeguͤterten uͤberall durch. Wo ihrer 6, 8, 10 oder Mehrere einquartiert sind, da ist der Wirth fuͤr seinen Haustisch meist geborgen. Sie geben ihre Portionen alle zum Zukochen hin; und so maͤßig und genuͤgsam sie bey Tische gewoͤhnlich sind, erhaͤlt der Wirth das Uebrige, oder er und die Seinen muͤssen es gleich mitverzehren helfen. Und schon dieß macht, daß die gemeinen Leute die Franzosen fast uͤberall lieber sehen, als die Trup- pen der stark-appetitischen Deutschen. Seit ihrem Aufenthalte in den Rheingegenden findet man jezt, auf ihren Betrieb, beynahe in je- der Schenke ein Billiard, Klavier u. dgl. So eifrig sie aber in irgend einem Spiele, oder sonsti- ger Unterhaltung zum Erholen begriffen seyn moͤ- gen, so schnell liegt und steht auch alles, sobald nur ein Trommelschlag sie auffodert. Sie schei- nen schon ganz dazu gewoͤhnt zu seyn, mit eben der heitern Hurtigkeit sich zum Schlagen anzuschicken, womit sie sich zum Spielen anschicken. Wer das alles so selbst mitansieht, und vorher dem Mili- taͤrwesen anderer Truppen auch zugesehen hat, kann sich vor Erstaunen in diese seltsamen Menschen an- faͤnglich gar nicht finden. Aber mit solchen Men- schen stuͤrmt man die Hoͤlle! — Doch es ist Zeit, daß ich einlenke. Siebentes Kapitel. Fortsetzung meiner Geschichte zu Landau. Beschreibung der Klubbs oder der Volksgesellschaften in Frankreich. D aß es in der ganzen Welt gute Menschen giebt, ist ein sehr troͤstlicher Gedanke, vorzuͤglich fuͤr den, der des Beystandes guter Menschen bedarf; und wie Viele sind wohl, die dieses Beystandes nicht be- duͤrften! Ich habe die Wahrheit dieses Satzes sehr oft erfahren, und durchaus mehr rechtschaffene, und gute Menschen gefunden, als schlechte. Aber um Andre gut zu finden, muß man, wie Hr. Bis - pink sagt, erst selbst gut seyn. Bey kaltem Blute und ruhiger Ueberlegung, wozu ich aber, ich muß es gestehen, nur sehr selten aufgelegt bin, finde ich, daß der Mensch immer Mensch d. i. nicht ganz gut, aber doch mehr gut als schlecht ist. In Stunden, wo ich mit meiner Lage ganz zufrieden bin, welche aber auch nur hoͤchst selten bey mir eintreten, sehe ich alle erschaffne Wesen fuͤr gut, fuͤr unverbesser- lich an; aber im Paroxismus des Unmuths scheint mir die ganze Welt eine Hoͤlle zu seyn. Vielleicht geht das meinen Lesern auch so! In Landau machte ich mit einem jungen mun- tern Manne Bekanntschaft, welcher Korporal bey den Stadtkanonierern war. Er war ein Sohn des Buͤchsenmachers Brion , der in Paris gebohren, sich aber in Landau verheurathet hatte, und da zur Zeit der Revolution die Oberaufsicht uͤber die dasi- gen Zeughaͤuser bekommen hatte. Der junge Mann fuͤhrte mich in seine Familie ein, und da fand ich lauter Leute, welche mir baß behagten. Buͤrger Brion der aͤltere war ein trefflicher Mann, ein angesehner und reicher Buͤrger, und ein heller Kopf, der sogar sich, ohne studiert zu haben, mit der Lit- teratur abgegeben hatte. Er war ehemals der Lieb- ling des humanen Pfalzgrafen Maximilan von Zweybruͤcken . Seine Frau war eine gute lu- stige Frau, welche sich gern mit mir abgab, und gern von meinen Begebenheiten erzaͤhlen hoͤrte. Die Tochter dieser Leute, ein huͤbsches Maͤdchen von 19 Jahren, war allemal froh, wenn ich kam, denn ich tischte dann und wann allerhand Histoͤrchen auf. Brion fand deswegen Geschmack an mir, weil ich, wie er sagte, die Revolution in Frankreich aus dem rechten Gesichtspunkte ansaͤhe, und nicht in den Tag hinein raͤsonnirte. Er hatte sich viele hieher gehoͤrige Schriften angekauft, welche er mir mittheilte, und woraus ich Vieles lernte. Unter andern besaß er die in sechs starken Baͤnden zu Stras- burg herausgekommene Geschichte der Neu - fraͤnkischen Freyheit , welche alle Dekrete der Assemblée nationale und alle Begebenheiten bis zum 22ten September 1792 enthaͤlt, und zur genauen Kenntniß der damaligen Begebenheiten unumgaͤng- lich noͤthig ist. Es wundert mich, daß ich dieses Werk noch nicht in Deutschland gesehen habe: es klaͤrt immer weit mehr und richtigar auf, als die schiefen Nachrichten des Hn. Girtanners. Mit Vergnuͤgen las ich auch die Wochenschrift, welche der ungluͤckliche Eulogius Schneider , von welchem ich weiter unten mehr sagen werde, unter dem Titel Argos herausgegeben hatte, und wovon Brion erwan 20 Stuͤck besitzen mogte. Dieser Argos ist lesenswerth; aber gewiß fuͤr Ari- stokraten unverdaulich. Man muß diesen Argos mit dem obigen Argus nicht ver- wechseln. Schneider hat das ganze Wesen der Grundsaͤtze des aͤchten Republi- kanismus darin auseinander gesezt, aber eben deswegen ist er ein neuer Beweis geworden, daß man recht gut denken, und dennoch recht schlecht handeln koͤnne. Diese und andere Schriften von eben der Art gaben den Stoff zu meiner Unterhaltung mit Brion her; und unsere gewoͤhnlichen Gespraͤche waren, wie auch der Zeit-Ton sie angab, politi- schen Inhalts. Man kann dieß schon abnehmen aus unserem Gespraͤche uͤber das Manifest des Herzogs von Braunschweig, welches im vorigen Bande S 23. u. ff. angefuͤhrt ist. Brion lebt noch, und meine Lebensgeschichte ist in seinen Händen. Ist also an dem erwähnten Gespräche nur das Min- deste erdichtet : so fodre ich ihn auf, dieß öffentlich zu rügen. So gewiß bin ich, daß auch kein Wort darin erdich- tet ist. Brion wird vielmehr zu wenig als zuviel wieder- holet finden; aber Brion bescheidet sich, daß ich nicht mehr bey ihm in Landau bin. Dieß wolle sich der Leipziger Hr. Recensent vom III. Bande meiner Lebensgeschichte nur so nebenher bemerken, wegen des so etwas insinuirenden Winkelzugs über eben dieß Gespräch, im 94sten Stück der Neuen Leipziger gelehrten Anzeigen vom J. 1796, S. 800. — S. 803. sagt er: „Wenn alle Anekdoten den Gehalt haben, den eine von Leipzig S. 477. erzählte (hat) — nicht S. 477, sondern 475 u. 476 — so verliert die Zuverlässigkeit der Nachrichten des Verfassers sehr.“ — Sonderbar! Diese Anekdote über den Kurfürsten von Kölln war ganz eine Nebensache , in einer Anmerkung unten, und trug ihren Credit gleich an sich, durch das eingeschobene — wie man in Halle jezt erzählt . Also — Relata reserebam, und dieß nach der Relation dreyer nicht unbedeutender Herren aus Leipzig, die ich im Stillen Vierter Theil. G Ich trug noch immer meine preußische Uni- form. Brion gab mir einen dunkelblauen Rock, und eine rothe scharlachne Weste: dazu kaufte ich mir lederne gelbe Beinkleider, neue Schuhe, und einen eckigen Hut, und sahe nun, indem ich auch die Kokarde trug, aus, wie ein Citoyen Fran çois Ich wollte, da ich noch Geld hatte, dem braven Manne wenigstens vier Laubthaler geben — der Rock war noch ganz neu — aber er nahm auch keinen Heller. Durch eben diesen Brion kam ich noch in Bekanntschaft mit mehr andern Buͤrgern, welche noch immer verehre, als Männer von Kopf und Herz. — Dann sah auch der Inhalt der Anekdote dem offnen und lau- nigen Maximilian nicht ungleich, noch weniger der Wahrheit der Geschichte überhaupt. — Bey kalter, unbe- fangener Ueberlegung wird der Herr Recensent sich denn doch wohl bescheiden, daß er hier offenbar zuviel anwinkte, indem er von der Beschaffenheit einer Nebensache auf die Be- schaffenheit einer Hauptsache rutschte. Für die Wahrheit meiner Hauptberichte sind Zeugen genug da, und noch am Leben, wenn auch der Gang der Sache für sie nicht schon spräche; und für meine Wahrhaftigkeit kann ich freilich nicht unbedingten Glauben fodern, und überlasse das Urtheil dar- über sehr gern meinen Lesern, zum voraus versichert, daß sie, wie die Augenzeugen meiner Erzählungen, finden werden: — ich erzähle eher zu wenig, als zuviel. — Es könnte leicht seyn, daß kompetente Richter, die den Gegenstand meiner Erzählungen und mich genauer kennen, das vielleicht in den Urtheilen des Recensenten fänden, was er an meinen vor- giebt gefunden zu haben — eine Härte in gewissen Angriffen, wie er meine freymüthigen, aber Thatsachen angemeßnen, Urtheile zu benennen beliebt hat. Doch vielleicht zu einer andern Zeit mehr davon, jedoch mit dem Suum cuique! Brions Freunde waren, und gerade dachten wie er. Besonders war ein gewisser Kaufmann De - lisle darunter, ein gewaltig scharfer Republika- ner, so wie der Stadtmuͤller Mohrmanu . De - lisle versicherte, daß er an dem Tage, wo die Preu ßen nach Landau kommen wuͤrden, erst sein Haus in Brand stecken, und dann sich erschießen wolle. Eben dieses betheuerte nebst Andern auch der Apotheker Hoffmann , dessen Sohn ehedem in Halle Theologie studiert hatte. Brion nahm mich einigemal mit in den Klubb , oder in die Société populaire, welche da- mals in Landau noch jedem offen stand. Von die- sen franzoͤsischen Klubbs muß ich meine Leser et- was umstaͤndlich unterhalten: denn das ist noth- wendig, um von der Lage der Dinge in Frankreich, und ihrer Veraͤnderung richtig urtheilen zu koͤn- nen: und wenn ich Sachen von Wichtigkeit, die ich genau habe kennen lernen, nicht auch genau erklaͤren wollte, wozu sollte dann mein Buch d ie- nen? dann waͤre es ja nicht mehr werth, als ir- gend ein schaler Roman, z. B. das Heimweh von S till i n g. Bey dem Anfange der Revolution gab es gleich durch ganz Frankreich viele Anhaͤnger des neuen Systems, aber es gab auch Viele, welche den treuen Freunden dieses neuen Systems Angst und bange machten. Sogar die Herren Geistliche predigten oͤffentlich, daß das Ding keinen Bestand haben wuͤrde, und die Herren Freunde der cy-de- vant- Herren verkuͤndigten den nahen Ausbruch ei- ner Gegenrevolution, welche dem ganzen Wesen ein Ende machen wuͤrde. Die National-Ver- sammlung war selbst getheilt, und die redlichen Anhaͤnger des neuen Systems sahen ein, daß alle Bemuͤhungen, dem Staate eine bessere Form zu ben, fruchtlos seyn wuͤrden, wenn die oͤffentliche Meynung sich nicht bestimmt zeigte, um daraus abzunehmen, was man von der Nation erwarteu koͤnne. Sie autorisirte daher im Jahr 1790 die Volksversammlungen, das heißt: sie erlaubte und ermahnte sogar, daß diejenigen, welche zum Be- sten des Vaterlandes berathschlagen wollten, an bestimmten Tagen zusammenkommen, und einan- der ihre Gedanken mittheilen moͤgten, welche dann, wenn sie wichtig genug waͤren, allemal sollten in Betrachtung gezogen werden, wenn man sie der Versammlung zu Paris selbst vorlegen wuͤrde. Diese Konventikel hießen gleich anfangs Sociétés populaires, oder auf Englisch-Deutsch — K lubbs Sie waren voͤllig frey, und jeder konnte Antheil daran nehmen, sogar Fremde und Auslaͤnder. Damit aber eine Ordnung darin erhalten wuͤrde, waͤhlten die ordentlichen Mitglieder derselben, d. i. diejenigen, welche ihre Namen in das Buch der Société hatten eintragen lassen, alle Monate einen Vorsteher. Dieser Vorsteher mußte bey jedesma- lig er Zusammenkunft die Berichte von Allem ab- statten, was in dem ganzen Reiche vorgefallen war, und besonders mnßte er die neuen Gesetze und Verordnungen erklaͤren, und seine Meynung daruͤber sagen. Ohne seine Erlaubniß durfte nie- mand im Klubb reden; wer aber reden wollte, fo- derte das Wort, und er mußte es ihm gestatten. In dieser Volksversammlung liegt der wahre Keim des Republikanism us , welcher sich in ganz Frankreich so schnell verbreitet hat. Die Ehrbe- gierde der Praͤsidenten spornte sie an, sich mit der Lage der Dinge, und besonders mit dem Unter- schiede des Despotismus und der Freyheit bekannt zu machen, und die Neugierde trieb Jung und Alt in die Versammlungen, um sich da erzaͤhlen und belehren zu lassen. So voll der Saal in Lan- dau auch bestaͤndig war, so war doch alles aͤußerst still: Alles war auf das, was der jedesmalige Redner vorbrachte, erpicht: sogar die Frauenzim- mer hoͤrten in aller Stille zu, wenn sie gleich sonst, auch bey den ruͤhrendsten Auftritten in der Emi - lia Galotti oder in Romeo und Julie kaum eine Minute schweigen koͤnnen. Die pfiffigern Aristokraten fanden gar bald, daß diese Sociétés populaires endlich einmal das Grab des Koͤnigthums werden moͤgten, und sezten sich dawider: aber die Assemblée nationale unterstuͤzte sie mit allem Ansehn und Nachdruck. Zu M â con , einem Staͤdtchen nicht gar weit von Lyon , hatte ein Buͤrger im Klubb gesagt, daß man dem Koͤ- nige die Gewalt nehmen muͤßte, die Verordnungen der Nation zu sanktionniren: die Nation koͤnne allein Gesetze machen, und dazu werde die Sanktion des Oberbeamten derselben, oder des Koͤnigs gar nicht erfodert. — Der Maire der Stadt, ein stei- fer Aristokrat, vernahm dieses, und verbot fuͤr fer- nerhin die Zusammenkunft: Aber die Klubbisten versammelten sich dennoch. Da ergrimmte der Maire, und er und andere Aristokraten entschlossen sich, die Versammlung mit Gewalt zu stoͤhren. Er bewaffnete also seinen Anhang, und drang in den Saal der Societaͤt ein. Es floß Blut von beyden Seiten, und mehr als 30 Buͤrger mußten ihren Geist in diesem Buͤrgerspektakel aufgeben: selbst der Maire wurde todtgeschlagen. Aehnliche Vorfaͤlle hat es in Frankreich mehr gegeben und selbst die scheuslichen Auftritte in Avignon , von denen ich weiterhin reden werde, haben unter an- dern ihren Grund in der Stoͤhrung der Volkssocie- taͤten. Pfeilschnell verbreiteten sich die bessern Grund- saͤtze von Freyheit von einem Ende des Reichs bis zum andern, und wurden jedem begreiflich. Auch religioͤse Gegenstaͤnde wurden in solchen Gesellschaf- ten verhandelt, und ich selbst habe den Pfarrer Ackermann in Landau einst eine ganz herrliche Rede halten hoͤren uͤber die Gewalt des Papstes. Er bewies auf die allerfaßlichste Art, daß der Bi- schof zu Rom weiter nichts sey, als — Bischof zu Rom, und daß es eine große Thorheit sey, einem Bischof zu Rom, als Lehrer, die ganze Christen- heit zu uͤberlassen, weil doch der Papst nicht im Stande sey, jeden Christen zu unterrichten. Eine noch aͤrgere Narrheit aber sey es, ihn zum Herrn der ganzen Christenheit zu machen. Die Societaͤten verbanden sich nach und nach unter sich selbst z. B. die société zu Lyon schrieb nach Vienne, nach Challons, nach Châlons, nach Mâcon u. s. w. theilte den dortigen sociétés ihre Meynungen mit, und diese ließen die zu Lyon — ihre Gedanken wieder wißen. So formirte sich der Ge- meinsinn und die bruͤderliche Einigkeit unter allen Franzosen. Sie wurden mit einander genauer be- kannt, und suchten es einander in Patriotismus zuvor zu thun. Die National-Versammlung beguͤnstigte diese Societaͤten nach allen Kraͤften: denn sie sah den handgreiflichen Vortheil, welchen sie stifteten. Da- her schrieb die Assemblée nationale hin und wieder an die Klubbs und nahm ihre Briefe mit Beyfall auf; j a , man erlaubte den Abgesandten dieser Ge- sellschaften, in der Assemblee aufzutreten, und von den Gesinnungen ihrer Mitbuͤrger Bericht zu erstatten. Viele dieser Reden sind in den Zeitungen und Bul- letins gedruckt worden, und manche davon sind, ihrer Naivetaͤt wegen, des Aufbewahrens wuͤrdig. Ludwig XVI. oder vielmehr sein unsinniger, aristokratischer Anhang merkte bald, daß er keine groͤßern Feinde hatte, als eben die in den 1000 und 1000 Klubbs befindlichen Patrioten. Um sie zu stoͤren, sollte ein Gesetz gemacht werden, vermoͤge dessen die Klubbs sich monatlich nur einmal, und zwar unter der Aufsicht eines commissaire royal ver- sammeln sollten; und wo ein solcher commissaire royal nicht existirte, sollten auch keine Klubbs wei- ter gehalten werden. Haͤtte Antoinettens Fak- tion dieses durchsetzen koͤnnen, so waͤre die fraͤnki- sche Freyheit auf einmal gescheitert. Aber die Goͤt- tin Eleutheria wachte, und das schaͤndliche Begin- nen, der Nation ihre Freyheit zu rauben, laut ihre Meynung zu sagen, ging zu Grunde. Die commissaires royaux waren Koͤnigliche Kre- aturen: der Koͤnig ernannte sie allemal selbst, und sie waren eben darum da, um das Interesse dessel- ben zu unterstuͤtzen. Und nun diese — sollten die Volkssocietaͤten dirigiren! Sie maaßten sich dieses Recht hin und wieder auch an. Sogar in Landau selbst, und in Weißenburg hatte der Maire wegen des Klubbs einen so hitzigen Streit mit dem Koͤnigs-Kommissar, daß dieser den Maire gegen alles Recht gefangen nehmen ließ, aber dabey auch selbst in Gefahr gerieth, vom Volke auf der Straße ermordet zu werden. Mir faͤllt hier ein Zug ein von der Impertinenz dieser sogenannten Commissaires royaux, welchen ich nicht uͤbergeben mag, wegen des Beweises, daß Despotie immer bleibt, was sie einmal ist. Die Kommissaͤrs waren, wie sichs versteht, lauter ge- borne Franzmaͤnner, und lauter Adliche. Freilich hatten die Distrikte im Elsas und in Deutschlotha- ringen ganz billig gefodert, daß man ihnen Deutsche Kommissaͤre geben moͤgte. Allein da dem Koͤnige das Recht ausschließlich zustand, diese Leute zu er- nennen, so schickte er, wie natuͤrlich, Franzo - sen . Da nun die Franzosen nicht deutsch konnten, so wuͤrden sie im Elsaß, sowohl auf den Gerichts- stuben, als in den Klubbs, die sie doch dirigiren sollten, nicht verstanden worden seyn, und uͤber- haupt eine traurige Figur gespielt haben. Die Kom- missaͤre foderten daher, daß man alles auf Franzoͤ- sisch verhandeln und in den Klubbs nie anders als Franzoͤsisch reden sollte. Das hieß nun mit einem Worte: dem Kommissaͤr im Klubb Alles unterwer- fen: denn da verstand der Zehnte kein Wort franzoͤ- sisch. Man darf sich naͤmlich nicht einbilden, als sey die franzoͤsische Sprache im Elsaß und in dem deut- schen Theil von Lotharingen sehr gemein: auf den Doͤrfern versteht fast Niemand ein Wort davon. Alle Beamten, die dieser Sprache unerfahren waren, sollten demnach entfernet, und Sprach- kundige an ihre Stellen gesezt werden u. s. w. Ruͤhl , welcher damals — das Unwesen fiel im Jahr 1791 vor — großes Ansehen im Elsaß und in Paris schon hatte, stellte der National-Versammlung das Ding von der rechten Seite vor, und diese beschloß, daß kuͤnftig die gewoͤhnliche Landessprache, also im El- saß die Deutsche, bey Gerichtssachen gebraucht werden sollte; und daß in den Klubbs daselbst auch Deutsch gesprochen werden duͤrfte: wollten die Kom- missaͤre Theil daran nehmen, so moͤgten sie erst selbst Deutsch lernen. — Indessen wurden die Volkssocietaͤten von Tag zu Tag angesehner, und schon schien der nicht mehr ein recht guter Buͤrger zu seyn, der nicht dazu gehoͤrte, oder seinen Namen nicht einschreiben ließ. Da aber eben diese Societaͤten es sich gleich- sam zur Regel machteu, das Ansehn der Assemblée von der antiroyalistischen Parthey — man weiß, daß damals zwey Faktionen in der National-Ver- sammlung waren — aus allen Kraͤften zu unter- stuͤtzen: so war es natuͤrlich, daß man von nun an keinen mehr einnahm, der nicht fuͤr einen bra- ven Patrioten d. i. fuͤr einen Goͤnner und Freund der neuen Einrichtung bekannt war. Jede Socie- taͤt formirte sich also aus eigner Autoritaͤt Gesetze, welche alle diejenigen, die eintreten wollten, zu befolgen versprechen mußten. Die Societaͤten wurden dadurch engere Verbindungen, und wer sich dazu bekannte, unterzog sich der Vertheidi- gung aller Einrichtungen der Assemblée nationale. Die Royalisten stifteten gegenseitig jezt auch Volkssocietaͤten. Da naͤmlich kein Gesetz da war, welches nur eine einzige Societaͤt in einem Distrikt, in einer Stadt oder in einem Dorfe erlaubt oder vorgeschrieben gehabt haͤtte, so kounten sich außer der schon errichteten Gesellschaft noch andere her- vorthnn. Im Jahre 1792 und 1793 gab es der royalistisch-gesinnten Gesellschaften mehrere, be- sonders in Marseille , Toulon , Lyon und Nantes , wie uͤberhaupt in Staͤdten, deren Hauptbewohner sich mit der Fabricirung oder mit dem Verhandeln der Waaren fuͤr den Luxus der Großen und des Adels abgaben, und folglich ihr kaufmaͤnnisches Interesse dem edlern National-In- teresse vorzogen. Hier, wie in dem ganzen Dé- partement de la Vend é e, als dem Hauptsitze der pfaͤffischen Dummheit und Entmannung, wurden durch die antirepublikanischen Gesellschaften die aͤchten republikanischen lange gaͤnzlich unterdruͤckt und vernichtet. Freilich bekannten sich die koͤnig- lichgesinnten Gesellschaften nicht oͤffentlich zur Aufrechthaltung des Despotismus, und der paͤpst- lichen K ir cherey: sie sagten blos, daß sie Ordnung und Ruhe erhalten, und einer gaͤnzlichen Anarchie entgegen arbeiten wollten: im Grunde aber arbei- teten sie gegen die Dekrete der National-Versamm- lung wirklich. Die Emigrirten, welche im Jahre 1791 sich auf den Graͤnzen von Frankreich so za hlreich verbreitet hatten, unterhielten mit diesen koͤniglich- gesinnten Gesellschaften immer einen Briefwechsel, und ermunterten die, wie sie sagten, redlichge- sinnten Franzosen, doch ja das Unthier der Anar- chie — sie meynten aber die National-Versamm- lung — nieder zu sto ß en, und die Gesetzmaͤßig- keit d. i. das Koͤnigthum oder vielmehr den alten Despotismus, wieder herzustellen. In den Jah- ren 1793 und 1794 sind sehr viele hingerichtet wor- den, bey denen man Briefe von der Art gefunden hat. Da endlich so viele Faktionen in Frankreich herrschteu: so war es wirklich das Werk eines festen Patriotismus, der doch noch den bessern Theil der Nation beseelte, daß nicht Alles zu Grun- de gieng, zumal, als die answaͤrtigen Feinde mit auftraten. Ein kraͤftiges Mittel, ob es gleich ein kaustisches Mittel war, war die Surveillance, woraus der Jakobinismus und Terroris - mus , und Robespierre 's Tyranney ent- sprungen ist. Achtes Kapitel. Surveillance. Ursprung und Macht des Jakobinismus. E s gehoͤrt zwar nicht eigentlich in meine Biogra- phie, daß ich meinen Lesern uͤber Dinge, wie die sind, von denen das gegenwaͤrtige Kapitel han- deln soll, Unterricht gebe: allein ich will auch meine Leser von meinen Schicksalen nicht allein unterhalten: der Hauptzweck meiner Schreiberey ist, daß ich ihnen die Erfahrungen und Bemerkun- gen, die ich in Frankreich gemacht habe, mittheile; und dahin gehoͤren Belehrungen von dieser Art zuerst. Der Wetteifer der Volkssocietaͤten und der Koͤniglichgesinnten hat in Frankreich die Surveil- lance gestiftet. Man versteht unter surveillance oder Wachsamkeit, oder Aufsicht, die Gewalt oder das Recht eines jeden franzoͤsischen Buͤrgers, auf Alles Acht zu haben, was dem Wohl des Staates zuwider ist. In Paris war die vornehmste Volks-Gesell- schaft, und sie wurde, weil sie ihre Zusammen- kuͤnfte aux Jacobins, oder in dem ehemaligen Klo- ster der Jakobinermoͤnche hielt, Jakobiner - Klubb ( Assemblée des Jacobins, auch Jacobins schlichtweg) genannt. In diese Gesellschaft tra- ten gleich anfangs lauter warme Patrioten, und machten durch ihre thaͤtige Bearbeitung und Ver- breitung des Republikanismus beynahe mehr Auf- sehen, als selbst die National-Versammlung, deren viele Glieder an dem Jakobiner-Klubb Theil nahmen. Ihr Hauptgrundsatz war: Renoncer à sa liberté, c'est renoncer à sa qualité d'homme, aux droits de l'humanité, même à ses devoirs Rousseau du contrat social, chap. IV. pag. 19. nach der neuen, niedlichen und sehr wohlfeilen Ausgabe bey Gerhard Fleischer, 1796. . Die National-Versammlung war gleich bey ihrer Entstehung ein gelaͤhmter oder paralytischer Koͤrper, ohne Geist und ohne Leben. Hundert Fak- tionen entzweyten die Mitglieder, und der Koͤnig oder sein Anhang, arbeiteten dem Interesse des Volks, und der Freyheit, welches doch die Ge- genstaͤnde der Assemblée und ihrer Verrichtungen waren, wenigstens seyn sollten, bestaͤndig entgegen. Die ehrlichen, oder wenn man anders will, die fuͤr das Volk redlich gesinnten Glieder der Versamm- lung, so wie viele andre Verfechter der Freyheit sa- hen endlich ein, daß sie durch die Assemblée unmoͤ- glich erhalten, geschuͤzt und befoͤrdert werden koͤnnte, und suchten eben darum das Heil des Volkes in den Volkssocietaͤten allein: das Volk sollte und mußte, wie die Erfahrung zeigte, sich durch Gemeinsinn und thaͤtiges Mitwirken selbst retten. Eine Menge kleiner Schriften, welche im Jahr 1792 noch vor dem fuͤrchterlichen 10ten August in Frankreich erschienen, und an allen Ecken und En- den zerstreut wurden, belehrten das Volk, daß es in seiner Assemblée nationale kein Heil zu suchen habe, und daß die Constitution geaͤndert werden muͤsse, weil es unmoͤglich sey , daß das Volk unter einem Koͤnige frey sey oder werde . Soweit hatte es der starre und verkehrte Anhang des Koͤnigs gebracht! Von dieser Zeit an behaupteten die Jakobiner oͤffentlich, daß man keinen Koͤnig mehr haben muͤsse: und ein Feind der koͤniglichen Herrschaft hieß von da an — Jakobiner . Die Sociétés populaires im ganzen Reiche, d. i. die aͤchten Logen der Freyheit, machten jezt ge- meinschaftliche Sache mit den Jakobinern zu Paris, und nahmen Alle, dieselben Gesinnungen an. Endlich kam der schreckliche Tag, der 10te August 1792, wo das Koͤnigthum gestuͤrzt, und endlich am 22ten September die Republik errichtet wurde. Die graͤßlichen Scenen, welche uͤberall dabey vorfielen, waren zum Theil in dem Plan der Jakobiner, ein- mal, um die Hauptfeinde der National-Rettung wegzuschaffen, und dann, um Andere von aͤhnli- chen Versuchen zuruͤckzuschrecken. Um diese Zeit fiel das ganze Ansehn der Natio- nal-Versammlung uͤbern Haufen, und die Jako - biner waren jezt durch ganz Frankreich allmaͤch- tig. Man maßte sich zwar dieser Gewalt nicht oͤf- fentlich und erklaͤrt an, doch geschah Alles, was damals ausgefuͤhrt wurde, durch die Betreibung der Volkssocietaͤten, bis endlich eine Convention na- tionale 1793 zu Stande kam, die aber bis zum Messidor 1794 von den Jakobinern ganz und gar regiert wurde, als von den Meistern und Herren der oͤffentlichen Meynung. In allen Staͤdten und an allen Orten, wo Volksklubbs gehalten wurden, hatten diese die Auf- sicht auf alle ihre Mitbuͤrger, und es war hinrei- chend, bey einem solchen Klubb in Verdacht des Aristokratismus zu gerathen und Guͤter, Freyheit und Leben zu verlieren, wenn man ihn nicht be- suchte, oder Maͤßigung gegen Verdaͤchtige em- pfahl. Frankreich lag damals allerdings in einer fuͤrch- terlichen Krise. Von Außen standen maͤchtige Fein- de, welche dem neuen und erst aufzurichtenden Ge- baͤude mit Gewalt den Sturz drohten: im Lande waren konvulsivische Auftritte zwischen Royalisten, Moderantisten und Jakobinern. Siegte Eine Par- they, so mußten die andern nothwendig unterliegen und zu Grunde gehen. Endlich siegten die Jakobiner voͤllig. Selbst die Beschuldigung der Feinde, daß nur sie die Her- stellung der vorigen Regierung hinderten, diente ih- nen zu mehrerer Begruͤndung ihres Ansehns. Jezt galten sie als die Einzigen Retter des Volks und des Vaterlands. Duͤmouriezs Treulosig- keit endlich , nebst dem nun sich immer mehr ent- wickelnden Aufstand in der Vend é e, und vollends der Abfall von Toulon und Lyon bestaͤtigten ih- ren Sieg aufs vollkommeuste. Freyheit oder Tod war von da an das Losungswort durchs ganze Reich: Jeder Tag gab neue Beweise, wie Vierter Theil. H sehr dieser Grundsatz die Herzen der Franzosen be- seelte! Ob Frankreichs Nation damals, als der Ja - kobinismus Alles baͤndigte, frey war, ist eine Frage, die kaum der Antwort wuͤrdig ist; um aber doch Einigen meiner Leser durch eine rich- tige Vorstellung derselben vielleicht ein Vorurtheil zu benehmen, will ich sie loͤsen. Die Nation war unter der Gewalt des Jako- binismus nichts weniger als frey: das faͤllt von selbst in die Augen, und ich werde weiter unten Thatsachen hin und wieder anfuͤhren, woraus die- ses sonnenklar erhellen wird. Allein im Jakobinis- mus lag doch der Grund, und zwar der einzige Grund zur entschiedenen Entjochung und zur ernst- haften Begruͤndung einer gesetzlichen Freyheit fuͤr Frankreich. Frankreichs Freyheit war durch die Despotie der Koͤnige, durch den Stolz und den Uebermuth des Adels und der Geistlichkeit laͤngst zu Grunde gegangen, und vernichtet worden. Der Anhang dieses alten Systems war noch sehr stark, und die- sem allein arbeitete der Jakobinismus entgegen, und zwar so gluͤcklich, daß er ihn voͤllig unter- druͤckte. Erst mußte der alte Schaden ausgeschnit- ten oder vielmehr ausgebrannt werden: erst muß- ten die alten Beulen, die alten Geschwuͤre des Staatskoͤrpers gereinigt und geheilt werden, ehe man eben diesem Staatskoͤrper eine ungehinderte Wirksamkeit gestatten konnte. Aber nachdem dieses geschehen war, mußten jene violenten Mittel, die man bey der Vor-Kur angewandt hatte, auch aufhoͤren. Bey wildem Fleisch ist lapis infernalis oder Hoͤllenstein noth- wendig: wer aber auf das frischanwachsende, ge- sunde, und die Wunde zuheilende Fleisch noch kaustische Mittel bringen wollte, waͤre ein einge- machter Narr, oder Tyrann. Daß der Jakobinismus an schrecklichen Auf- tritten Schuld war, ist außer allem Zweifel: ich selbst habe Scenen gesehen, und von andern, die ich nicht gesehen habe, Folgen wahrgenommen, bey deren Andenken mir die Haut noch schaudert. Also war der Jakobinismus allerdings ein Uebel, ein schreckliches Uebel: aber war er ein nothwen- diges Uebel? Um diese Frage mit Unpartheilichkeit zu beant- worten, muß man kaltbluͤtig zu Werke gehen; und wer dieses thut, dem werden folgende Betrach- tungen von selbst einfallen. Frankreich war durch die Regierung an den Rand des Verderbens gebracht, und seinem Untergange nahe: dieß konnte der Hof nicht laͤug- nen. Die Nation, oder vielmehr der bessere Theil derselben, machte Foderungen an die Regierung, um sich zu retten: die Foderungen wurden ange- nommen, gestattet, sanktionirt, aber — nicht gehalten. Die Gesetze, welche man zum Vortheil des Volks gemacht hatte, waren ohne Kraft, und der Koͤnig selbst trat sie mit Fuͤßen. Auf den Graͤnzen standen Feinde, welche die Herstellung der Despotie und die gaͤnzliche Vernichtung aller Volksfreyheiten drohten. Fremde Fuͤrsten insul- tirten die Nation mit ihren Manifesten, und die eignen Generale der Nation waren Meineidige. Wo sollte Rettung herkommen? Ja, die innern Bewegungen ließen befuͤrchten, daß das Blut de- rer bald fließen wuͤrde, welche bisher Freyheit und Volksgluͤck gewuͤnscht hatten. Hier nun war es noͤthig, daß diejenigen, welche Muth genug hat- ten, sich oͤffentlich als die Anfuͤhrer der Volks- freunde darzustellen, sich anstrengten, durch hef- tige Anstalten und strenges Verfahren den Geist der Nation zu erforschen, ihn bestimmt zu fixiren und zu beleben: und nach diesen wirklich wahren und einleuchtenden Grundsaͤtzen hat Frankreich ei- gentlich dem Jakobinismus seine Rettung und seine Existenz, als Republik, zu verdanken. Waͤre freilich durch Gesetze und in rechtlicher Form das zu erhalten gewesen, was man durch Strenge und Schrecken zu erzwingen suchen mußte, so waͤre der Jakobinismus, oder wie man ihn seit 1794 auch heißt, der Terrorismus , eben so abscheulich, als die Bartholomaͤusnacht . Aber bey der schrecklichen Alternative, entweder wieder ins alte Joch des Despotismus, der Pfafferey und der Tyranney des Adels noch sklavi- scher als zuvor zuruͤckgeworfen zu werden, oder frey zu werden und zu bleiben, findet der Men- schenfreund tausend Gruͤnde, das Schreckenssystem zu rechtfertigen und zu entschuldigen, ohne jedoch die fuͤrchterlichen Excesse gutzuheißen, welche so haͤufig vorgefallen sind, ob er sich gleich auch hie- bey erinnert, daß wenn man eine Saite zu sehr spannt, man sich eben nicht wundern darf, wenn sie zerspringt, und dem unvorsichtigen Spanner ins Auge schlaͤgt. — Es ist nun, glaube ich, sehr sichtbar, daß der Ursprung des Jakobinismus nicht sowohl in der ersten franzoͤsischen Konstitution, noch uͤberhaupt in den billigen Foderungen der Nation als viel- mehr in den Bemuͤhungen der Feinde, die Freyheit der Nation niederzudruͤcken, in den Angriffen der Auslaͤnder, in den Wirkungen des aristokratischen Anhangs in Frankreich, und in der Untreue und der Verraͤtherey der franzoͤsischen Generale, beson- ders des Duͤmouriez , zu suchen sey. Haͤtte man der ersten Konstitution nicht solche schreckliche und gewaltthaͤtige Mittel entgegen gesezt, so wuͤr- de nimmermehr ein Jakobinismus entstanden seyn. Nach den jezt angefuͤhrten Gruͤnden ist es eben- falls gar schwer, uͤber den wahren Charakter und das wahre Verdienst oder Misverdienst eines Ma - rat , Robespierre und andrer Terroristen zu urtheilen. Sie moͤgen aber gewesen seyn, was sie wollen: man muß ihnen das immer lassen, daß sie eine der Hauptursachen gewesen sind, daß die Re- publik Frankreich noch besteht. Als ich von Landau naͤher ins Innere von Frankreich kam, war eben der Jakobinismus oder Terrorismus in seiner groͤßten Wirksamkeit, und die ganze Nation lag in den graͤßlichsten Konvul- sionen. Aber diese Konvulsionen wurden von ein- sichtigen Maͤnnern regiert, und zu heilsamen Zwe- cken geleitet. Die Nation sah ein, daß ihre Ret- tung nur auf diese Art moͤglich war, und autori- sirte sie gleichfalls dadurch, daß sie die Verfah- rungsart der Jacobiner herrschend werden ließ. Haͤtte die Nation dieß nicht gewollt: wie haͤtte eine Handvoll Menschen es wagen duͤrfen, sich die strengste Aufsicht uͤber mehr als zwanzig Millionen ihres Gleichen anzumaßen, zumal zu einer Zeit, wo Alles auf das Recht und Unrecht einer An- maßung oder Anmaßlichkeit aufmerksam war! — Also war damals dennoch nichts weniger, als Anarchie in Frankreich, wie man in Deutschland so dreist und frech ausgesprengt hat. Ich werde, was ich vom 27ten Dezember 1793 bis auf den Tod des Robespierre im Thermi- dor 1794 in mehrern Staͤdten und Provinzen Frank- reichs, besonders in Auxonne , Dijon , Lyon , Valence , Vienne , Montpellier , Gr é - noble , Mâcon , Avignon , und sonstw o gesehen und erfahren habe, treulich mittheilen; folglich ist es nicht noͤthig, daß ich hier im Allge- meinen angebe, wie sich der Jakobinismus gezeigt und geaͤußert habe. Eins will ich doch anfuͤhren, damit ichs nachher nicht etwan vergesse, welches leicht geschehen koͤnnte, da ich nicht nach einem schriftlichen Schema arbeite, sondern so, wie mir die Dinge, nach einer gewissen Ordnung im Kopfe, und nach kleinen Hauptbemerkungen wieder einfal- len, hinschreibe. Es besteht darin, daß die anti- patriotischen Zusammenkuͤnfte nach dem Sturz des Koͤnigthums ( royauté ) sogleich abgeschafft, und bey Todesstrafe verboten wurden. Die Glieder dieser aristokratischen Klubbs wurden sofort einge- steckt, und sehr viele von ihnen sind hingerichtet. In Strasburg war so eine Gesellschaft, welche sich den Namen der Gesellschaft fuͤr das Beste des Vaterlandes gab ( pour le bien de la patrie ). Ihre Devise war eine Kokarde mit den Worten: Wohl des Vaterlands ( Bien de la Patrie ): aber im Grunde war ihr Zweck die Wiederherstellung des Koͤnigthums, der Pfafferey, des Adels und aller Ingredienzen des franzoͤsischen Despotismus. Die Mitglieder dieser Gesellschaft sind alle auf die Anklage des bekannten Eulogius Schneider hingerichtet worden. Die Volkssocietaͤten, oder die Klubbs der Ja- kobiner — denn das ist nun eins — waren vom Konvent autorisirt, auf alle Buͤrger Acht zu ge- ben ( de s urveiller les citoyens ). Es wurden da- her in allen Distrikten gewisse comitês de s urveil- lance festgesezt, welche aus den einsichtsvollsten und strengsten Jakobinern bestanden, und auf Al- les Acht haben mußten, was in Ruͤcksicht der oͤf- fentlichen Gesinnungen bemerkbar wurde. Von der Art, wie diese surveillances ihr Amt geuͤbt ha- ben, werde ich mehrere Thatsachen weiterhin an- fuͤhren. Neuntes Kapitel. Bombardement von Landau . E s ist nun Zeit, daß ich wieder zu den Begeben- heiten zuruͤck komme, wovon ich in Landau Zeuge war. Der Kronprinz von Preußen hatte sich einmal vorgesezt, Landau wegzunehmen, es moͤgte kosten was es wolle; und nachdem er den General Laubadere fast taͤglich um die Uebergabe ange- gangen war, aber in der Guͤte seinen Zweck nicht erreichen konnte, entschloß er sich, Anstalten zum gewaltsamen Angriff dieses Platzes zu machen. Worauf er hiebey weiter rechnen mogte, laͤßt sich denken. Laubadere wurde sehr bald von diesen thaͤ- tigen Anstalten unterrichtet, und suchte sich, so gut er konnte, in Vertheidigungsstand zu setzen. Er ließ die Kasematten bewohnbar machen, um seine Garnison da zu sichern gegen das feindliche Feuer, und dann mußte das Pflaster in der ganzen Stadt aufgerissen werden, um die Wirkung der Bomben unschaͤdlicher zu machen, und zu hemmen. An einem Sonntage fruͤh hoͤrte man in der Ferne ein gewaltiges Kanonenfeuer: die Franzosen versuchten damals schon, durch die Linien, welche kurz vorher von den Oestreichern waren erobert wor- den, durchzubrechen, um Landau zu entsetzen. Um nun der Garnison Schreck einzujagen, und sie zu verhindern, einen bey solcher Gelegenheit sehr rathsamen Ausfall zu wagen, ließ der Kronprinz einige Haubitzen aus einer an der Ostseite von Lan- dau angelegten Batterie, in die Stadt werfen. Die Haubitzen thaten sofort ihre Wirkung, und schlugen einige Haͤuser zu Schaden; auch wurde eine alte Frau, ein Kanonier und ein Pferd ge- toͤdtet. Da die Landauer so was niemals erfahren hat- ten, so fuhren sie gar maͤchtig zusammen, und glaubten nun, der juͤngste Tag sey vorhanden. Aber der General ließ in allen Straßen ausrufen, daß er gewiß wisse, daß die Preußen fuͤr dieses Mal das Bombardiren nicht fortsetzen wuͤrden: denn sie haͤtten noch keine hinreichende Munition dazu: die- ses sey ihm durch zuverlaͤssige Spionen hinterbracht worden. Er hatte sich auch nicht geirrt: denn ge- gen Mittag hoͤrte das Bombardiren von Seiten der Preußen schon auf. Da aber doch das Schießen bey den Weißen- burger Linien noch immer fort gehoͤrt wurde, so entschloß sich der General Delmas , einen Aus- fall zu wagen. Man sagte, Laubadere habe ihn dazu aufgefodert, wenigstens muß es auf seine Erlaubniß geschehen seyn: denn er war ja Comman- deur, und nicht Delmas . Dieser nahm also zwey Bataillons, la Montagne und la Correze, und marschierte durch ein Auslaßthor aus der Fe- stung, um die Preußen, auf der Seite nach Wei- ßenburg zu, zu delogiren. Allein dieser Ausfall misgluͤckte gar garstig: denn die Preußen schossen ihm ohngefaͤhr acht Mann todt, verwundeten meh- rere, und zwangen ihn, spornstreichs wieder nach Landau zuruͤck zu kehren. Dieser mislungene Versuch gefiel dem Obristen von der Reuterey am wenigsten. Er behauptete, daß man aus Mangel an hinlaͤnglicher Kavallerie bey Tage keinen Ausfall wagen muͤßte, und stellte dem General Laubadere recht lebhaft die Ge- fahr vor, worin sich die beyden Bataillons befun- den haͤtten, niedergemacht, oder doch gefangen genommen zu werden, wenn die Preußen nur kluͤ- ger gewesen waͤren, und sie eine kleine Strecke wei- ter haͤtten vormarschieren lassen. Du bist verant- lich, fuhr er fort, wenn kuͤnftig wieder so ein Schni- tzer gemacht wird, besonders da der Repraͤsentant außer Aktivitaͤt gesezt ist. Jezt handelst Du nur nach deiner Einsicht; aber gieb Acht, daß du im- mer so handelst, wie du es verantworten kannst. Der Obrist stellte ihm dabey auch dieß vor, daß es bey den jetzigen bedenklichen Zeiten besser seyn wuͤrde, wenn man den Repraͤsentanten wieder in Mitwir- kung sezte, zumal da die Beschuldigung gegen ihn gar nicht bewiesen sey. — Laubadere gab hierauf nach, und noch denselben Abend wurde Dentzel sei- nes Arrestes entlassen, und war wieder nach wie vor Repraͤsentant. Ich sah Dentzel einige Tage nachher auf dem Wall. Er gruͤßte mich freundlich, und sprach mir unbefangen zu; aber uͤber unsre Sache wurde von jezt an auch kein Wort mehr erwaͤhnt. Nun blieb es noch einige Zeit ganz ruhig in Lan- dau. Die Buͤrger machten indeß ihre Haͤuser bom- benfest, d. i. sie trugen Mist auf die Boͤden, da- mit die Bomben, welche etwan durchs Dach fallen koͤnnten, da liegen bleiben und platzen moͤgten, ohne weiter durchzudringen, und das ganze Haus zu beschaͤdigen. Endlich erhielt der Kronprinz so viel Belage- rungs-Geschuͤtz, daß er Landau einige Tage ziem- lich heftig beschießen konnte. Den 27sten October, an einem Sonntage Nachmittag, hatte er, unter scharfer Bedeckung von drey Bataillons, hinter Rußdorf, eine Viertelstunde von Landau, eine Bat- terie errichten, und alles zum Beschießen der Fe- stung in Stand setzen lassen. Montags fruͤhe, den 28ten, um Halbsieben fing das Feuer schon an, und waͤhrte, wiewohl mit einigen Pausen, bis den 31ten um 8 Uhr des Abends. Gleich am ersten Tage that das Feuer viel Schaden: einige Haͤuser geriethen in Brand, aber durch die guten Anstalten gegen das Feuer wurde die Brunst jedesmal sehr bald geloͤschet. Den 29ten fingen die Preußen das Bombardement schon des Nachts vor ein Uhr an, zuͤndeten an zwey Staͤtten, aber ohne merklichen Erfolg: die Besatzung dage- gen ließ ihr Geschuͤtz die Nacht uͤber schweigen, bis den Morgen um 6 Uhr, wo sie rasch antwortete, und um 7 Uhr den Preußen einen Pulverkasten in die Luft sprengte, wobey, wie ich jezt hoͤre, drey Mann erschlagen, und zehn Mann, nebst einem Offizier, verwundet worden sind. Den 30ten zuͤn- deten die Preußen an vier Stellen von neuem; aber auch dieß entschied nichts. Den 31ten zuͤnde- ten sie hier und da wieder, bis sie endlich des Abends um 8 Uhr das Bombardiren einstellten, und um 10 Uhr die Batterie vom Geschuͤtz und die Transcheen von der Mannschaft leer gemacht, und sich in ihr Lager zuruͤckgezogen hatten. Ueberhaupt ist zwar Landau bey diesem Bombardement sehr beschaͤdiget worden; aber deswegen wuͤrden die Preußen es doch nicht erhalten haben, gesezt auch, sie haͤtten das Bombardiren mehrere Wochen auf diese Art fortgesezt. Die preußischen Batterien waren nur auf der Nordseite angelegt, und konnten daher die Stadt nur auf einer Seite aͤngstigen. Zudem mußten die Kononenkugeln, so wie die Bomben und Hau- bitzen alle im Bogen geschossen werden. Aus Bre- sche-Schießen war vollends gar nicht zu denken, und das Fort nebst dem Hornwerk, diese Haupt- werker der Festung, litten beynahe gar nichts. Also war es blos darauf angesehen, die Stadt in Brand zu stecken, um vielleicht die Einwohner zu bewegen, den General zur Uebergabe zu zwingen. Kurz, man mogte denken, es sollte bey Landau gehen, wie es bey Longwy und Verdun das Jahr zu- vor gegangen war. Wirklich waren die Landauer, welchen derglei- chen Spektakel ganz neu waren, sehr bestuͤrzt, und Viele hielten sich fuͤr verloren. Einige sprachen gleich anfangs ganz laut von der Uebergabe und hielten es fuͤr rathsamer, das Staͤdtchen den Deutschen zu uͤberlassen, als zuzugeben, daß die Preußen es zusammenschoͤssen. Dentzel , welcher jezt wieder in vollem An- sehn stand, ließ die Buͤrger, wenigstens die vor- nehmsten oder angesehensten derselben aufs Gemein- haus fodern. Landau, sagte er, ist eine Graͤnzfe- stung, ist der Schluͤssel zum Elsaß, und ein Ei- genthum der Republik. Wir muͤssen nun, da an Landau so viel liegt, dafuͤr sorgen, daß dieser Platz erhalten werde. Ein Gesetz befiehlt, daß der, wel- cher bey Belagerungen von Uebergabe spricht, und dadurch Verzweiflung unter seine Mitbuͤrger ver- breitet, mit dem Tode bestraft werde, und Ihr moͤgt Euch darauf verlassen, daß ich jeden, der ge- gen dieses Gesetz suͤndiget, nach aller vorgeschrieb- nen Strenge behandeln werde. — Diese Rede, welcher ein oͤffentlicher Anschlag auf allen Straßen folgte, und der dasselbe besagte, stellte die unvor- sichtigen Reden von Uebergabe u. dgl. zur Ruhe. Laubadere hatte seine Volontaͤrs und alle Pferde nach den Kasematten bringen lassen, er selbst aber war in seinem Quartier geblieben, und ging ganz unbefangen auf den Straßen herum. Den - tzel bezog ein bombenfestes Gewoͤlbe auf dem Wall. Wenn es abscheulich ist, sich bey einer Belage- rung auswaͤrts zu befinden, so ist es gewiß noch fuͤrchterlicher, in einer Stadt zu seyn, die eben be- schossen wird. Nirgends ist man beynahe sicher, wenigstens ist es gefaͤhrlich, auf der Straße, oder in Gemaͤchern zu seyn, die nicht bombenfest gemacht sind: denn man kann nicht wissen, wo eine Kugel oder eine Haubitze hinfaͤllt. Das Kaufhaus, wor- auf wir lagen, wurde stark beschaͤdigt, und eben darum ließ uns der General in die Pfarrkirche zie- hen, welche vorher fest gemacht war. Hiehin wur- den nun auch die Hand-Muͤhlen gebracht. Diese Kirche war voͤllig leer, und die Bilder, welche ehemals zur oͤffentlichen Verehrung gedient hatten, waren alle in die Sakristey gebracht wor- den. Die Volontaͤrs, welche mit den Deserteurs an den Handmuͤhlen arbeiteten, witterten die Hei- ligen-Bilder aus, und warfen sie nach und nach in das Feuer, welches sie wegen der Kaͤlte in der Kirche Tag und Nacht zum Waͤrmen fuͤr sich und die Arbeiter unterhielten. Da wurde denn der heil. Stephan, der heilige Joseph, eine Mutter Gottes und einige heil. Engel zum großen Aergerniß eini- ger Kaiserlichen Deserteurs dem Vulkan aufge- opfert. Die Volontaͤrs machten jedesmal die spoͤt- tischsten Anmerkungen, wenn so ein Heiligen-Klotz zu brennen anfing. Die Kaiserlichen Deserteurs vergaßen dagegen nicht zu bemerken, daß der liebe Gott unmoͤglich einem Volk Gluͤck und Segen ge- ben koͤnne, das so der Heiligen spotte, und ihre ge- weihten Bilder so beschimpfe und zerstoͤre. Ueberhaupt muͤssen die gutkatholischen, auch manche gutprotestantischen Christen an der goͤttli- chen Regierung bey der neuern franzoͤsischen Ge- schichte ganz irre geworden seyn. Sonst that der liebe Gott und besonders seine Heiligen unzaͤhlige Wun- der; ja, Himmel und Erde wurde oft um einer nichts- wuͤrdigen Kleinigkeit willen in Bewegung gesezt. Ein Prophet wurde von losen Buben Kahlkopf ge- scholten: fluchs kommen zwey Baͤren und zerreißen zwey und vierzig von diesen Spoͤttern. Jerobe - am , der Koͤnig, wollte einen fanatischen Prophe- ten einstecken lassen, aber seine Hand verdoͤrrte ploͤtzlich. Wegen einer kleinen Luͤge fiel Ana - nias und sein Weib todt danieder; ja eine ganze Stadt ging in Indien unter, weil die Einwohner dem heil. Xaverius den Eingang verwehrt hat- ten. Aber in Frankreich — du lieber Gott! da wur- den die lieben Heiligen aufs aͤrgste gemißhandelt! Ihre Lieblinge, die Moͤnche und Nonnen, wurden fortgejagt, ihre Kirchen wurden zerstoͤhrt, ihre Bilder, sogar die, wobey sie sonst vorzuͤglich Wun- der gethan hatten, wurden zerschlagen, und sie — sie saßen im Himmel ruhig, und konnten das Un- wesen so unbekuͤmmert mit ansehen, ohne Feuer, Pech und Schwefel auf die Gottesschaͤnder herab- zuschleudern! Da nun doch wohl keine Revolution im Himmel vorgefallen seyn wird, wonach der bis- herige Schlendrian darin abgeaͤndert seyn moͤgte; so muß jeder gute Christ stutzen und an seiner eig- nen Religion zu zweifeln anfangen. — Mir ist das Ding freilich nicht aufgefallen: denn ich war Vierter Theil. I schon lange uͤber alles das hinaus: aber nicht alle Menschen sind solche Boͤsewichter, wie ich! — Der oben genannte Buͤrger Brion hatte zwey Haͤuser, deren eins er selbst bewohnte, das andre aber hatte vorher einer seiner Verwandten bewohnt, der aber aus guten royalistischen Gesinnungen schon lange ausgewandert war. Da nun die Munici- palitaͤt befahl, daß in jedem Hanse wenigstens zwey Personen bleiben und die Hausthuͤr immer of- fen lassen sollten, damit, wenn Feuer darin ent- staͤnde, man es sowohl sogleich erfahren, als auch loͤschen helfen koͤnnte: so erbot ich mich mit einem gefangenen kaiserlichen Reuter, Namens Schnei - der , von Annaberg in Sachsen, einem kreuzbra- ven jungen Menschen, in diesem leeren Hause des Nachts zu bleiben. Brion nahm dieses Aner- bieten an, und versorgte uns mit Essen und Trin- ken aufs reichlichste. Ich habe hernach bis zu mei- nem Abmarsch aus Landau immer in diesem Hause geschlafen. Gleich am zweyten Abend des Bombardements ging Schneider, um aus einem nahen Keller un- ter einem Hause, welches schon oft gebrannt hatte, und wirklich noch brannte, Wein zu holen. Er kam zuruͤck und hatte Wein genug; allein er klagte auch heftig uͤber sein Schienbein, welches ihm durch ein Stuͤck von einer zersprungnen Haubitze verlezt war. Fruͤh konnte er schon nicht mehr gehen, und litt die heftigsten Schmerzen. Ich holte ihm bey dem Kommissaͤr einen Spitalzettel, und er wurde ins Lazareth gebracht, wo er so lange lag, bis er voͤllig kurirt war. Er ist nachher noch vor dem Ent- satz von Landau ausgeliefert worden. Waͤhrend des Bombardements in Landau ver- brannten ein Strohmagazin, worin auch Heu und andre Dinge waren, drey Haͤuser, einige Scheu- nen und einige Staͤlle: aber sehr viele Gebaͤude sind beschaͤdigt worden. Ums Leben kamen ohnge- faͤhr 20 Menschen, ohne die, welche verwundet wurden. Unter den Todten war auch ein Preußi- scher Kriegsgefangner, dem eine Kanonenkugel auf dem Wall die Eingeweide herausgerissen hatte. Das fuͤrchterliche Kanoniren und Beschießen hatte, wie gesagt ist, Donnerstags den 31ten schon aufgehoͤrt; aber die Landauer fuͤrchteten noch im- mer, daß es wieder angehen, und vielleicht noch heftiger fortgesezt werden moͤgte. Es begaben sich daher einige orthodoxe, fromme Maͤnner, und ein Ausschuß andaͤchtiger Matronen zum Pfarrer Ackermann , und baten ihn, oͤffentliche Bet- stunden anzustellen, um Gott und seine Heiligen zu bewegen, daß sie doch alles fernere graͤßliche Ungluͤck in Gnaden von ihnen abwenden moͤgten. Allein Ackermann stellte ihnen vor, daß man keine Huͤlfe vom lieben Gott erwarten muͤßte, welche man sich selbst schaffen koͤnnte durch Geduld, Muth und Beharrlichkeit. Zudem duͤrfte er ohne den General und den Repraͤsentanten keine Neuerungen im Got- tesdienste vornehmen. Ackermann gab sofort von dem Ansuchen der Devoten dem General Nachricht. Dieser erschien auf dem Marktplatz und sagte: Die Gefahr, Buͤr- ger, ist vorbey! Alles, was die Preußen an Mu- nition gehabt haben, haben sie uns zugeworfen: haͤtten sie mehr gehabt, so haͤtten sie noch nicht auf- gehoͤrt. Seyd also getrost und hoffet auf baldige Befreyung! Unsre Bruͤder bey der Armee werden nicht zaudern, Euch aufs kraͤftigste zu Huͤlfe zu eilen! — Diese Versicherung machte den Buͤrgern wieder Muth. Ich hatte mit einem geschickten Artilleristen von den Franzosen Bekanntschaft gemacht, und unter- hielt mich mehrmals mit ihm uͤber die Belagerung und besonders uͤber das uͤberstandene Bombarde- ment. Dieser Mann urtheilte, daß die Preußen die Stadt sehr unrecht bombardiert, und ihre Munition vergebens verschleudert haͤtten: denn sie haͤtten ja wissen muͤssen, daß Landau aus soliden Haͤusern bestehe, welche folglich sehr schwer in Brand zu ste- cken seyen. Dann haͤtten sie auch bedenken sollen, daß die Buͤrgerschaft gar zu schwach sey, um den General zu zwingen, die Stadt zu uͤbergeben, ge- sezt auch, sie waͤre noch so sehr ruinirt worden. Es waͤre daher auch gar nicht rathsam gewesen, die Stadt selbst zu beschießen, zumal, da es doch schien, als wenn die Preußen eben nicht sehr mit Munition versehen waͤren. Regelmaͤßig haͤtten sie lieber ihre ganze Kraft auf die Eroberung, oder Zer- stoͤrung des Forts oder des Hornwerks, als worin doch die Hauptstaͤrke dieses Platzes bestaͤnde, rich- ten sollen. Es schiene uͤberhaupt, als verstaͤnden die Preußen nicht recht, wie man eine Festung an- greifen muͤsse u. s. w. Ich lasse es dahin gestellt seyn, in wie ferne mein Artillerist Recht gehabt ha- ben mag. Die Deserteurs in Landau haben sich bey der Beschießung groͤßtentheils sehr schlecht betragen. Die Buͤrger bedienten sich ihrer, ihre Effekten u. dgl. in Sicherheit zu bringen, und zahlten recht- schaffen, ließen es auch an Essen und Trinken nicht fehlen. Aber diese Niedertraͤchtigen stahlen und raubten noch daneben, was sie konnten, und ver- kauften es nachher an die Troͤdler. Ein Gewisser, Namens Gesell , vom Regiment Kleist , stahl einem Kaufmann vieles Silbergeraͤthe, woraus er nachgehends in Besançon , wo er es verkaufte, noch 800 Livres geloͤßt hat. Zehntes Kapitel. Wie man in Frankreich jezt Hochzeit macht . E in Schweizer, welcher von der Legion Mira - beau desertirt war, und sich in Landau ansaͤßig machen, und da sein Handwerk als Ziegeldecker treiben wollte, heurathete um diese Zeit ein Maͤd- chen aus der Stadt, und ward auf diese Art Buͤr- ger. Da aber die Verheurathung in Frankreich jezt auf eine ganz andre Art abgethan wird, wie bey uns: so werde ich vielleicht nicht Unrecht thun, wenn ich meine Leser zu einem richtigen Begriff da- von verhelfe, zumal, da man in Deutschland hin und wieder ausgesprengt hat, die Franzosen liefen jezt zusammen, wie das liebe Vieh, u. s. w. Als ich zuruͤck aus Frankreich kam, hoͤrte ich zu meinem groͤßten Erstaunen einen emigrirten deut- schen katholischen Pfaffen in Offenburg ganz im Ernste behaupten, daß die Ehen der Franzosen kei- ne rechte Ehen waͤren; daß ihre jetzigen Kinder weiter nichts, als Hurkinder waͤren; daß der Bruch eines solchen Konkubinats, eines solchen un- reinen Buͤndnisses nicht nur kein Ehebruch, son- dern ein verdienstliches Werk waͤre u. dgl. Aber ein katholischer Pfaffe, besonders ein emigrirter, konnte wohl nicht gescheider sprechen! Die meisten Emigrirten raͤsonniren ja ohnehin von den franzoͤ- sischen Angelegenheiten wie der Blinde von der Farbe. In Frankreich bindet der bloße Ehe-Verspruch ganz und gar nicht: vor der Bestaͤtigung desselben steht es jedem Theile frey, abzutreten, sobald er Ursache dazu zu haben glaubt; aber von dem Ter- min der legalen Bestaͤtigung der Ehe ( confirmation du mariage ) an, wird diese als ganz vollzogen an- gesehn. Ich aͤußerte einst meine Verwunderung uͤber diese Einrichtung, und gab zu verstehen, daß es doch wohl besser seyn moͤgte, wenn man auch dem bloßen Versprechen wenigstens so viel gesetzliche Verbindlichkeit zueignete, als jedes andre buͤrger- liche Versprechen haͤtte. Mein Antagonist aber bewies mir, daß dieses hier der Fall nicht wohl seyn duͤrfte. Denn wenn sich, sagte er, schon vor der Vollziehung der Ehe Hindernisse zeigen, so ist es sehr rathsam, die Heurath ganz einzustellen, um die kontrahirenden Theile nicht ungluͤcklich zu machen. Lieben sie sich wirklich, und finden sie ihr gemeinschaftliches Gluͤck, in ihrer naͤhern Ver- bindung, so werden sie zusammeneilen, auch ohne vorhergegangne gesetzmaͤßige Verlobung: und ist dieses nicht, so soll man ja lieber alles anwenden, um sie zu bereden, daß sie von einander ablassen. Ich fand dieses eben nicht widersinnig. Wer ein Maͤdchen verfuͤhrt, ich meyne ein ehrliches Maͤdchen, dessen sonstiger Ruf unbeschol- ten ist, und das nicht in die Klasse der feilen Dir- nen, u. dgl. gehoͤrt, so muß er sie, wenn es sonst geschehen kann, heurathen, oder er sezt sich dem Verdachte, ein schlechter Buͤrger zu seyn, auf im- mer aus. Und dieser Verdacht — so civilisirt man naͤmlich jezt in Frankreich schon ist — wirkt dort weit staͤrker, als bey uns die kirchliche Vor- stellung von Himmel und Hoͤlle. Die Folgen vom erstern, fuͤhlt man in Frankreich handgreiflich; aber die Folgen vom leztern? — Ja, wer weis, sagt schon der Bauer. Wenn nun jemand ein Maͤdchen hat, das er gern heurathen moͤgte, so beg i ebt er sich mit dem- selben, nebst einigen Zeugen von beyden Seiten, auf die Municipalitaͤt seines Distrikts, wo allemal ein Bureau des mariages angestellt ist. Jedem ist erlaubt, bey solchen Vorfaͤllen gegenwaͤrtig zu seyn, und ich habe mehr als einmal dieser Cere- monie beygewohnt. Was wollt Ihr? fragt der Praͤsident. Braͤutigam : Ich und diese Buͤrgerin wol- len einander heurathen. Praͤsident : Wie heißt du, und wo bist du her? Braͤut .: Ich heisse N. und bin von R. Praͤsid .: Buͤrgerin, wie heißt du, und wo her bist du? Braut : Ich heiße N. und bin von N. Praͤsid .: Habt Ihr Zeugen bey Euch? Braͤutigam : Ja, hier ist der Buͤrger N . fuͤr mich, und der Buͤrger N. fuͤr meine Braut. Praͤsid .: Buͤrger N., koͤnnt Ihr fuͤr die gegenwaͤrtigen neuen Brautleute ein Zeugniß ab- legen, daß sie gesetzmaͤßig koͤnnen zusammen gege- ben werden? Zeugen : Ja, wir bezeugen, daß der Buͤr- ger N. und die Buͤrgerin N. unbescholtne Re- publikaner, und von allen andern Verbindungen frey sind, welche ihre Ehe hindern koͤnnten. Praͤsid .: Hoͤret nun an die Gesetze, deren Befolgung die Nation von jedem Buͤrger und jeder Buͤrgerin fodert, welche sich ehelich verbinden wollen. Hierauf nimmt der Praͤsident das Gesetzbuch, und ließt ihnen die kurzen, leicht zu verstehenden Gesetze vor, welche sich auf die Ehe, deren Zweck, Pflicht und Dauer beziehen. Der Inhalt ist nicht sehr mannigfaltig, aber durchaus vernuͤnftig und einleuchtend. Ich erinnere mich, daß die Ehe i n diesen Gesetzen die Pflanzschule der Republik ( la pepeniere de la république ) genannt wird, und daß man sehr auf die Ausschweifung loszieht. Wenn dieses geschehen ist, so erinnert sie der Praͤsident, nach drey Dekaden, oder nach dreißig Tagen wieder zu kommen, um ihre Heurath ein- schreiben zu lassen. Darauf werden Anschlage- zettel in allen Sektionen der Distriktstadt angeklebt. Es sind hiezu eigne Plaͤtze bestimmt, wo man taͤglich lesen kann, wer heurathen will; und da die Franzosen sehr neugierig sind, so findet man da auch immer Leser. Sind die Brautleute von einem Dorfe, so wird ein solcher Zettel auch auf dem Dorfe angeheftet. Nach Verlauf von drey Dekaden kommt das Brautpaar mit den Zeugen wieder auf die Muni- cipalitaͤt des Distrikts, wo man sie nochmals zur Erfuͤllung der Buͤrgerpflichten ermahnt, und sie sodann in die Liste der verehlichten Buͤrger und Buͤrgerinnen einschreibt. Bis hieher kostet der ganze Handel auch nicht einen Heller: wer aber einen Trauschein haben will, zahlt dem Schreiber fuͤr seine Muͤhe, Pa- pier und Pettschaft funfzehn Sous in Papier: und das ist alles! Die Ehescheidung haͤlt in Frankreich jezt haͤr- ter, als in irgend einem andern Lande. Diese Behauptung wird denen gewiß sehr paradox vor- kommen, welche sich haben weiß machen lassen, daß man da auseinander laufen koͤnne, wie's ei- nem beliebt, und daß der geringste Unwillen oder Ueberdruß schon hinlaͤnglich sey, sich zu trennen. Der Buͤrger S é nard , erst oͤffentlicher An- klaͤger zu Dijon , hernach Procurator am tribunal criminel , war ehedem Advokat am Parlement zu Dijon. Dieser versicherte mich, daß sonst vierzig seines Gleichen am Parlemente gewesen waͤren, deren jeder das Jahr uͤber wenigstens 20 Eheschei- dungen in der Provinz oder dem Gouvernement Burgund zu Stande gebracht haͤtte. Das mach- te also das Jahr hindurch uͤber 800 Ehescheidun- gen in Einer Provinz. Diese Scheidungen wa- ren freilich, nach dem katholischen Kirchen-Rechte, nur von Tisch und Bette; aber desto schaͤdlicher waren sie, indem sie nun eine anderweitige Ehe- verbindung verhinderten, und so alle Unordnungen und Ausschweifungen gleichsam nothwendig mach- ten, und den Wohlstand sehr vieler Familien un- tergruben. Wir haben ja in Deutschland derglei- chen auch, und es waͤre zu wuͤnschen, daß man die Leute bey Ehescheidungen, wenn doch geschie- den werden soll, so auseinander sezte, daß sie von beyden Seiten wieder heurathen koͤnnten. So gang und gaͤbe die Ehescheidungen indeß vorzeiten in Frankreich waren, so selten sind sie jezt. Von dem Jahre 1792 bis 1794 sind in dem ganzen Departement von Côte d'or , sonst Burgund, nur vier Ehescheidungen voͤllig zu Stande gekommen; also nach diesem Maaßstabe ohngefaͤhr 336 Ehe- scheidungen innerhalb 2 Jahren in der ganzen Re- publik, und vielleicht nicht einmal so viel: denn das Departement von Côte d'or ist eins der groͤß- ten und volkreichsten von Frankreich. Die Ursachen, nach welchen ohne Umstaͤnde geschieden wird, sind Ehebruch, Sitzenlassen, und grobe Verbrechen. Wer sonst aus geringern Ursa- chen sich trennt, faͤllt in den Verdacht eines schlech- ten Buͤrgers ( il est censé oder soupçonné mauvais citoyen ); und dieser Verdacht ist in Frankreich ohngefaͤhr das, was ehedem die Exkommuni - kation in der christlichen Kirche war, wovon die litteraͤrisch-gelehrten Herren Juristen viel sagen koͤnnen. Ich werde weiterhin vom Verdachte eines schlechten Buͤrgers absichtlich mehr sagen: denn auch dieser Punkt gehoͤrt zur Kenntniß der Entstehung und Verbreitung des Civismus in Frankreich. Wenn also die neue Einrichtung die Eheschei- dungen, diese große Geißel der buͤrgerlichen Ge- sellschaft, vermindert und beynahe unehrlich ge- macht hat: so muß, so kann sie wahrlich nicht so elend und gottlos seyn, als man dieselbe in Deutsch- land verschrieen hat, und hin und wieder noch verschreit. Mehrmals hat man schon in Vorschlag gebracht, ein Gesetz auszuwuͤrken, nach welchem alle Maͤd- chen in ganz Frankreich nicht mehr als 1000 Li- vres, oder 250 Rthlr. Heurathsgut haben sollten. Dieses Gesetz ist aber nicht zu Stande gekommen; und so will ich mich mit der naͤhern Entwickelung der dahin gehoͤrigen Vorschlaͤge auch nicht auf- halten. Dieses Gesetz wuͤrde aber viel Gutes gestiftet haben: denn alsdann waͤren alle Maͤdchen in Ab- sicht ihres Vermoͤgens eben so gleich geworden, als sie es jezt in Absicht ihres Standes sind; und da wuͤrden denn blos die gesunden, haͤuslichen, geschickten, schoͤnen oder tugendhaften — Maͤnner bekommen haben; die entgegengesezten aber, wie die, welche den Ehestand lediger Weise getrieben haͤtten, oder sonst uͤbelberuͤchtigte Schwestern ge- wesen waͤren, waͤren sitzen geblieben: und das hatten sie denn auch verdient! Zu Lacedaͤmon gab es ehemals ein aͤhnliches Gesetz, und man sagt, daß die Ehen zu Lacedaͤmon weit gluͤcklicher gewesen sind, als da, wo es heißt: — quaerenda pecunia primum; virtus post numos. — Alle Kinder muͤssen 10 Tage nach ihrer Geburt auf der Municipalitaͤt angegeben, und einregistrirt werden. Da wird denn Vater und Mutter aufge- schrieben, nebst dem Namen des Kindes, den ihm seine Aeltern beylegen. Die oͤffentliche Taufe ist seit 1793 verboten, wer aber die geheime brau- chen will, mag es thun, nur muß es zu Hause im Stillen geschehen. Die meisten Kinder, welche seit 1793 gebohren wurden, sind nicht getauft, und ge- rathen doch eben so gut, als jene, welchen der schwarze Herr den Kopf mit kaltem oder warmem Wasser gewaschen hat. Den cy-devant -Priestern, welche, als die wahre ecclesia pressa, oder vielmehr suppressa , noch hie und da existiren, aber ohne alle Priesterwuͤrde, ist es durchaus nicht erlaubt, eine Taufe zu verrichten. Wenn ja getauft seyn soll, so muß es jemand thun, der nie Priester war. Das ist aber auch ja gleichviel, da jeder Christ, sogar ein Ketzer, guͤltig soll taufen koͤnnen. O Sanctas gentes, quarum nascuntur in undis Numina! Juvenal , um die Zwiebel-Gottheiten der Egypter gehö- rig zu würdigen, sagt zwar in hortis; in undis aber, oder in dem Taufwasser, soll der heilige Geist — der Christen zu- erst entstehen. Herr Braun erzaͤhlt in seinem Buche: das Betragen der Franzosen in der Rheini - schen Pfalz : daß ein franzoͤsischer Offizier im Jahr 1794 sein Kind oͤffentlich durch einen reformir- ten Pfarrer habe taufen lassen; daß dabey viele andere Offiziere und Volontaͤrs gegenwaͤrtig ge- wesen seyen u. s. w. Aber ich muß gestehen, daß mir diese Erzaͤhlung, so wie Herr Braun sie giebt, gar nicht ansteht, und daß ich an ihrer Wahrheit stark zweifle. Ich kenne naͤmlich die Franzosen — oder wie Herr Girtanner sie immer umnennt, die Frankreicher, wenn ich gleich niemals in der Pfalz oder im Elsaß, das Wort Frankreicher gehoͤrt habe: da heißen sie Franzosen oder Neufranken. Das Wort Frank - reicher wird ganz aus Herrn Girtanners Fabrik seyn; doch das moͤgte noch hingehen, wenn nur in seinen papierreichen Schriften auch nicht so viel andre Dinge aus seiner Fabrik vorkaͤmen, welche, beym Lichte besehen, viel weniger die Probe halten, als das Wort Frankreicher Vielleicht hat Hr. Girtanner das Wort Frankrei - cher analogisch nach Oestreicher gemacht. Aber dann dürfte man ja auch sagen: Rußländer, Türkeyer, Portugal- ler, Dänemärker u. s. w. statt Russen, Türken, Portugiesen, Dänen. Es ist lächerlich, in solchen Kleinigkeiten etwas Eignes haben zu wollen! . Ich kenne, sag' ich, die Franzosen, und bin ver- sichert, daß ein Offizier, welcher sein Kind oͤffent- lich in einer Kirche von einem Pfaffen taufen ließe, gleich, als ein Aristokrat angesehen und behandelt werden wuͤrde. Herr Braun hat sich wahrschein- lich so was aufbinden lassen, und es scheint, als wenn das nicht das Einzige waͤre, was er von Hoͤ- rensagen falsch referirt hat: denn daß er selbst et- was erdichtet haben sollte, glaube ich nimmermehr. Eilftes Kapitel. Aufstand in Landau wider den General Laubadere. D er Repraͤsentant Dentzel war, wie ich oben erzaͤhlt habe, wieder in seine Betriebsamkeit einge- sezt, und konnte wieder agiren, wie vorher. Da Dentzel ein lebhafter Mann ist, so kann man denken, daß er dem General Laubadere den lez- ten Streich, den er ihm gespielt hatte, nicht leicht vergeben konnte; wenigstens suchte er — wie es schien — das Zutrauen der Garnison zu schwaͤchen, welches sie zu dem General hegte: und dazu fand sich bald Gelegenheit. Ich muß die Sache hier umstaͤndlich erzaͤhlen, da ich selbst so eine kleine Rolle dabey gespielt habe. Der Kronprinz von Preußen, nochdem er die Stadt vergeblich hatte bombardiren lassen, ließ nun taͤglich den General durch Trompeter zur Ue- bergabe auffodern. Die Belagerer machten sehr oft Freudenfeuer, wegen einiger Vortheile, welche die Verbuͤndeten uͤber die Franzosen erhalten hatten; und jedesmal wurden diese Viktorien, — freilich um ein Merkliches vergroͤßert — den Belagerten kund und zu wissen gethan. Das erste Victorien- oder Freuden-Feuer machten die Preu- ßen den 18ten Nov. wegen des eroberten Fort's Louis: das zweyte den 2ten December wegen des Sieges bey Kaisers- lautern. Man weis, daß ein General der Franzosen ver- bunden ist, von allem, was er vom Feinde schrift- lich oder muͤndlich erfaͤhrt, genaue Nachricht sei- nem Korps mitzutheilen, und daß jeder Volontaͤr das Recht hat, sie von ihm zu verlangen. Dieß hat die Nation darum verfuͤgt, damit man dem General auf die Spur kommen moͤge, wenn er et- wan mit dem Feinde Unterhandlungen zum Nach- theil der Republik pflegen sollte. Also mußte auch Laubadere nicht nur auf dem Conseil de défense , sondern auch auf dem freyen Markte den Soldaten, die zuhoͤren wollten, allemal vorlesen, was der Kronprinz, und nach dessen Abzug, der General von Knobelsdorff hinein geschrieben hatte. Vierter Theil K In den Schreiben der Belagerer war gewoͤhnlich ein sehr imposanter Ton, der einen uͤblen Eindruck auf die Garnison und auf die Buͤrgerschaft gemacht hat. Wenn — hieß es darin — der General jezt, da es noch Zeit waͤre, die Stadt uͤbergeben wuͤrde, so sollte er, mit der ganzen Garnison freyen Ehr- vollen Abzug haben: auch sollte das Eigenthum der Einwohner, die Einrichtung der Regierungs- form geschuͤzt und gesichert seyn. Man versprach, die Gesetze der Republik zu respektiren, und die Stadt Landau, als eine Stadt, welche man in de- positum genommen habe, nicht aber als einen ero- berten Platz zu betrachten, und zu behandeln. Wuͤrde aber — so hieß es in allen Briefen weiter — der General dieses nicht thun, und das Aeußerste abwarten, so wuͤrde man hernach nicht mehr kapi- tuliren, sondern nach der Strenge des Kriegsrechts mit der Garnison und der Stadt verfahren. Ueber- haupt sey es ihnen nicht moͤglich, Landau laͤnger zu behalten: Entsatz sey vollends gar nicht zu er- warten: denn die Armeen der Republik wuͤrden al- ler Orten geschlagen, und seyen beynahe ganz ver- nichtet: die Englaͤnder haͤtten Toulon : Lyon sey nicht mehr republikanisch, und Paris wuͤrde von der Veud é e naͤchstens verschlungen werden, u. s. w. Diese lieblichen und troͤstlichen Briefe kamen beynahe taͤglich hinein. Der General versicherte indeß jedesmal, wenn er so einen Schreckbrief vorgelesen hatte, daß ihm gar nicht Angst sey, und daß er Landau nicht her- geben wuͤrde, es moͤgte auch werden, wie es koͤnnte. Der Repraͤsentant aber, welcher oft auch gegen- waͤrtig war, und welcher, außer der angedrohten harten Behandlung Aller, bey einer gewaltsamen Eroberung, die haͤrteste fuͤr sich, als erklaͤrter Re- bell, von den Deutschen befuͤrchten mußte, zuckte allemal die Achsel, und sagte weiter nichts, als, da man seinen redlichen Eifer, der Republik zu dienen, zu verkennen schiene, er allein auch nichts entscheiden koͤnnte, so uͤberließe er Alles der Ein- sicht und der Entscheidung des Generals. — Das bedenkliche Gesicht des Repraͤsentanten machte aber viele Gaͤhrung bey der Buͤrgerschaft und bey der Garnison. Auch hatte die Nachricht, daß Fort Louis, oder wie es nun, zu Ehren seines Erbauers heißt, Fort Vauban, von den Kaiserlichen erobert, und die ganze dortige Garnison zu Gefangnen gemacht sey, Schreck und Bestuͤrzung in Landau verbreitet. Die Kaiserlichen hatten die Kriegsgefangnen frei- lich hart genug behandelt, aber in Landau hatte man — nach Nachrichten von außen — Alles noch vergroͤßert, und gar ausgesprengt: die Kai- serlichen haͤtten mehr als 600 Mann auf der Stel- le niedergemacht, und die uͤbrigen wuͤrden nach der Tuͤrkey gefuͤhrt, und da als Sklaven verkauft werden. Ueberdieß war auch Fort Vauban gaͤnz- lich ruinirt und in Grund geschossen worden. Nach- richten und Geruͤchte genug, um die Garnison und die Buͤrgerschaft zu erschuͤttern und auf ernsthafte Ueberlegung zu lenken! Ein großer Theil der Buͤrgerschaft glaubte denn, daß ihrer Stadt ein gleiches Schicksal bevorstaͤnde, und zitterte. Viele von ihr schlossen daher, und sagten ziemlich laut, daß es doch besser sey, den Platz herzugeben, als ihn hernach auspluͤndern und verbrennen zu lassen. Eines Tages saßen verschiedne Buͤrger in ei- nem Weinhause am Markte, und raͤsonnirten uͤber die Gefahr, worin Landau schwebte. Zwey von ihnen behaupteten, daß es hoͤchst unvernuͤnftig sey, sich noch vertheidigen zu wollen. Man sollte die Preußen einmarschieren lassen, und wenn der Ge- neral nicht daran wollte, so muͤßte man ihn dazu zwingen u. s. w. Diese beyden Buͤrger wurden als Meutmacher angegeben, und auf Befehl des Generals eingesteckt. Dentzel aber stellte dem General vor, daß dieses Verfahren unuͤberlegt waͤre; sie kamen also wieder los, nachdem sie ver- sichert hatten, daß sie nicht aus uͤblen Gesinnun- gen gegen die Republik so gesprochen haͤtten. Auch war es einem Theil der Garnison nicht gut zu Muthe. Viele von den Volontaͤrs naͤmlich glaubten, sie wuͤrden uͤber die Klinge springen muͤssen, wenn man die Stadt endlich ohne Kapi- tulation einnaͤhme, und murrten daruͤber, daß man hiezu noch keine Anstalten machte. Alle von dieser Art waren niedergeschlagen und voll Furcht und Schrecken, außer denen, welche wahren Pa- triotismus besaßen: diese blieben getrost, und be- haupteten, daß man frey leben oder umkommen muͤßte. Ich muß hier etwas von mir erzaͤhlen, das freilich einem Filustuͤckchen nicht sehr unaͤhnlich se- hen wuͤrde, wenn ich Landau's Rettung fuͤr moͤg- lich gehalten haͤtte, so sehr es sonst mit dem Plane uͤbereinstimmte, den ich bey meiner Mission vor Augen haben mußte. Ich hatte naͤmlich mit eini- gen Kavalleristen ziemlich genauen Umgang. Eines Tages ging ich mit noch dreyen auf dem Walle spazieren. Was meynst Du wohl, Citoyen, fragte mich der Eine, wenn die Preußen endlich doch herein kommen, was es geben wird? Ich : Ja, das weiß ich nicht! Was mich be- trifft, so werde ich gehenkt. Kavallerist : Gehenkt? wie denn so? Ich : Weil ich ein Deserteur bin. Aber sie sollen mich gewiß nicht lebendig kriegen. Wenn's soweit koͤmmt, so nehme ich ein Pistol, und jage mir eine Kugel durch den Kopf: Besser so, als am Galgen gestorben! Kavall .: Aber sag', sind denn die Preußen so schlimm? Ich : Das sind gottlose Gevatterleute: die kennst Du noch nicht, mein lieber Citoyen! Kavall .: Was wird denn mit uns werden? Ich : Nicht viel gescheides! Kavall .: Sollten wir denn wirklich Gefahr laufen? Ich : Hoͤre, Citoyen, kommen die Preußen ohne Kapitulation durch Gewalt herein, so muͤßt Ihr Alle uͤber die Klinge springen, muͤßt Alle ins Gras beißen, so gewiß, als zweymal zwey viere sind. Kavall .: Das sind schlimme Aspekten! Diese Unterredung machte sehr sichtbaren Ein- druck auf die Reuter, und in kurzer Zeit erfuhr ich, daß das Geruͤcht davon durch die ganze Garnison verbreitet war. Die Preußen, hieß es uͤberall, werden uns niederhauen, werden alles verwuͤsten, wenn wir nicht kapituliren. In dieser Noth liefen nun Buͤrger und Solda- ten zum General, und baten ihn, er wolle ihre Haͤuser und ihr Leben schonen, und die Stadt lie- ber jezt aufgeben, als sie Alle in so große Gefahr sinken lassen. Aber Laubadere wies jeden An- trag von dieser Art mit Unwillen und Verachtung von sich. Laßt die Stadt zu Grunde gehen, sagte er immer, ich bin ein ehrlicher Mann ich kenne das Gesetz, und werde der Republik nie untreu werden! Bey dem Repraͤsentanten Dentzel , der viel- leicht hoffen mogte, durch Kapitulation sein und der Stadt Ungluͤck abzuwenden, hatten die Be- draͤngten mehr Trost. Er versicherte sie, daß Ge- fahr allerdings vorhanden sey, aber eine Gefahr, die man jezt noch heben koͤnnte; allein daß er fuͤr sich nichts darin thun duͤrfte, vorzuͤglich da man ihn schon einmal in Verdacht der Verraͤtherey ge- habt haͤtte. Der General wolle nichts von Ueber- gabe hoͤren; er habe sich, wie es schiene, einmal vorgenommen, die Stadt bis auf den lezten Au- genblick zu behaupten, und sollte auch Alles dabey zu Grunde gehen. Er also koͤnnte nichts machen, und muͤßte sich Alles gefallen lassen. — Auf diese Weise kam denn ein Aufstand zum Gaͤhren, der auch bald ausbrach. Eines Tages erschien ein Trompeter vom Ge- neral Knobelsdorf — der Kronprinz war abgegangen, um seine Vermaͤhlung mit der Prin zessin von Mecklenburg in Berlin zu vollziehen — im Fort Landau, und verlangte, daß man dem General seine Ankunft melden moͤgte. Lauba - dere ließ ihm zuruͤck sagen: Er moͤgte nur dem General Knobelsdorf zu wissen thun, daß er keine Briefe von ihm mehr annaͤhme. Ein solcher Briefwechsel sey illegal und hier ganz unnuͤtz, weil man doch nichts weiter, als die Uebergabe von Landau, vor Augen habe, woraus aber durchaus nichts werden koͤnnte. Der Trompeter ritt zuruͤck, kam aber nach ei- ner Stunde wieder, und foderte, daß der General wenigstens seinen Brief annehmen sollte. Aber auch dieses schlug Laubadere ab, und so blieb der Trompeter, der nicht abziehen wollte, den gan- zen Tag im Fort. Indessen verbreitete sich das Geruͤcht in Lan- dau: der General sey boͤses Sinnes: er wolle die Garnison und die Stadt ungluͤcklich machen: er hoͤre nicht einmal den feindlichen Trompeter. — Darauf schickten die Bataillons Deputirte an den General, und bestanden darauf, daß er den Trom- peter hoͤren sollte; Laubadere aber gerieth in Hitze, besonders da ihn die Deputirten ziemlich stark angegangen waren, und jagte sie mit groben Worten fort. Im Zorne sagte er: qu'importe que Landau soit foutu, et que vous soyer foutus anssi, pouryuque je sauve mon honneur (was liegt daran, wenn Landau und ihr alle mit zum Henker fahrt, wenn ich nur meine Ehre retten kann!). Diese Worte waren das entscheidende Signal zum Aufstand. Die Deputirten liefen nach den Kaser- nen, und zu den auf allen Straßen zusammenge- rotteten Volontaͤrs, und sagten ihnen, wie ver- aͤchtlich sie waͤren empfangen worden, und daß der General nichts anders im Sinne habe, als sie alle ins Verderben zu stuͤrzen. Hierauf gings in hellem Haufen vor das Haus des Generals, welches foͤrm- lich bestuͤrmt wurde. Es war ohngefaͤhr fuͤnf Uhr des Abends, als dieses vorging. Die Dragoner nur, welche auch herbey geeilt waren, widersezten sich der rasenden Wuth der Volontaͤrs, welche schlechterdings den General erschlagen wollten, und aus vollem Halse schrieen, daß er ein Verraͤther sey, der mit dem Feinde ein verwickeltes Verstaͤndniß habe; der die braven Re- publikaner den Preußen zum Morden hinliefern wolle u. s. w. Der Laͤrmen wurde fuͤrchterlich; sogar die Buͤrgerschaft kam in Harnisch, und alle kamen darin uͤberein, daß Laubadere nicht fer- ner mehr Kommandant seyn koͤnne. Gegen acht Uhr wurde endlich der Trompeter eingelassen, und seine Depeschen nahm der Oberste der Reuterey an, welcher von den Volontaͤrs hiezu war ersucht worden. Die Volontaͤrs foderten, daß er sofort die De- peschen oͤffnen sollte, er aber versicherte, daß ihm dieses nicht zustehe: das muͤsse der General durch- aus thun. — Was General! rief alles uͤberlaut: Laubadere der Verraͤther, ist unser General nicht: er soll die Depeschen nicht oͤffnen: Du, du sollst sie oͤffnen! — Nein! schrie der Oberste, das darf ich nicht: das Conseil de défense soll sie oͤff- nen: man rufe es gleich zusammen! Er begab sich hierauf sofort aufs Gemeinhaus, wo denn auch das Conseil de défense zusammenkam, welches die Briefe des Generals Knobelsdorf erbrach. Der Oberste trat bald darauf ans Fen- ster und rief der versammelten Menge zu: die Preußen wollen Landau ! So gebe man ihnen Landau, und erhalte unser Leben — war die einfoͤrmige Stimme aller Zuhoͤ- renden. Ich werde Morgen antworten, schrie der Ober- ste entgegen. Was Morgen, erwiederte der Hau- fen: Heute noch uͤbergebe man Landau, und erhalte unser Leben! Freilich soll Euer Leben und Eure Freyheit er- halten werden, war des Obersten Antwort: aber die Preußen sind noch nicht hier: und waͤren sie hier, so wuͤrden sie gewiß weder Eure Freyheit noch Euer Leben kraͤnken. Die Preußen sind keine Oestreicher. Hierauf schickten alle Bataillons der Volontaͤrs, so auch die Reuter und die Dragoner Deputirte aus ihrem Mittel an den Obersten der Reuterey, und ersuchten ihn, das Kommando der Festung, statt des Verraͤthers Laubadere , zu uͤberneh- men. Es ist zwar gegen das Gesetz, erwiederte dieser wuͤrdige Mann, daß ich in Euer Begehren willige: aber die Noth zwingt mich, mich der be- draͤngten Stadt und des Vaterlandes anzunehmen. Ihr wollt mir also gehorchen? — Ja, erwieder- ten Alle einhellig. Gut! ich nehme das Komman- do an, und Morgen sage ich Euch, was weiter geschehen soll. Jezt geht nach Hause, und seyd ruhig! Es steht braven Republikanern schlecht an, durch Tumult und Aufruhr Ruhe und Ordnung zu stoͤren. Die Menge verlief sich nach und nach — es war schon sehr spaͤte, — aber alle riefen laut: daß sie keine 48 Stunden mehr in diesem verfluch- ten Neste eingesperrt bleiben wollten. Der Oberste ging zu Dentzeln , und sagte ihm, daß er sich nun der gemeinschaftlichen Sache thaͤtig annehmen muͤßte. Dentzel fieng aber sein altes Lied wieder an, daß er in ungerechtem Verdacht gewesen waͤre; daß er sich erst zu Paris vertheidigen muͤßte, und was der Reden mehr wa- ren. Aber der Oberste fertigte ihn kurz ab. Haͤngst Du, sprach er, von deinen etwanigen Feinden ab, oder gab die Republik dir deine Macht und dein Ansehn? Wem willst Du folgen? Sag mir nur, ob Du dein Amt, als Repraͤsentant thun willst oder nicht! Im lezten Fall wanderst Du ins Ge- faͤngniß, aber nicht nach dem Willen der Aufruͤh- rer, wie neulich, sondern nach dem Gesetz. Rede! Dentzel merkte, daß er mit einem entschloß- nen Manne zu thun hatte, und versprach, alles zu leisten, was in seinen Kraͤften staͤnde, um dem verruͤckten Zustande der Stadt und der Garnison zu Huͤlfe zu kommen. Das ist auch nicht mehr, als deine verfluchte Schuldigkeit, versezte der Oberste, und ging. Zwoͤlftes Kapitel. Fernere Begebenheiten zu Landau . F ruͤh Morgens ritt der Oberste mit noch einigen andern Offizieren ins preußische Lager, wo er dem Kommandeur kurz und nervoͤs zu Gemuͤthe fuͤhrte, daß man, ohne die Gesetze der Republik zu belei- digen, noch an keine Uebergabe denken koͤnnte: es waͤre deswegen auch ganz uͤberfluͤßig, daß man so oft Trompeter in die Festung schickte. — Der Ge- neral der Preußen ließ die franzoͤsischen Offiziere aufs freundlichste bewirthen, und nachdem sie lange mit einander gesprochen hatten, ritten die Franzosen zuruͤck. Ein Rittmeister von dem Ascherslebischen Re- giment, von dessen Schwadron ein Reuter, Na- mens Ziegenberg , in Landau gefangen saß, bath den Obersten, doch dem armen Teufel etwas Geld mitzunehmen, und als dieser es zu besorgen versprach, stellte er ihm zwey Kronenthaler zu. Gleich nach seiner Ruͤckkehr kam der Oberste selbst zu den Gefangenen, und rief dem Ziegenberg . Da, sagte er, schickt dir dein Rittmeister Geld, und hier hast du auch was von mir! Du wirst uns doch nicht schimpfen, wenn du wieder zu deinen Preußen koͤmmst? Sieh, auch wir sind Menschen, aber Menschen, die frey seyn wollen, um mit mehr Wuͤrde und ungehinderter Mensch seyn zu koͤnnen: Das bedenk; und lebe wohl! — Dem Reuter stan- den die Thraͤnen in den Augen, und er erst u mmte vor wehmuͤthiger, freudiger Ruͤhrung. Ich habe den Namen des Rittmeisters vergessen; wenn er aber dieses lesen sollte, so wird er sich an seinen Auftrag gewiß erinnern, und dann versichere ich ihn neben- her, daß Ziegenberg viel Gutes von ihm damals sagte, und daß alle Anwesende, Franzosen und Deut- sche, einhellig gestanden, daß das ein rechtschaff- ner Offizier seyn muͤsse, der seinen Soldaten in der Gefangenschaft bedaͤchte. — Scenen von die- ser Art, worin Freund und Feind gleich ehrwuͤrdig erscheinen — als Menschen — sind ganz dazu ge- macht, die Menschheit mit der Politik nun und dann etwas auszusoͤhnen; aber Unmenschen finden es an- gemeßner, entgegengesezte Scenen zu Kupfersti- chen auszuwaͤhlen, wie wenn sie recht darauf aus- gingen, die entzweyte Menschheit immer noch mehr zu entzweyen. Pfui, der Barbaren! Die Volontaͤrs und die Buͤrger in Landau glaubten nun, daß die Uebergabe keinen weitern Aufschub leiden wuͤrde; aber der rechtschaffne Ober- ste erklaͤrte, daß nur ein Feind des Vaterlands die Uebergabe dieser wichtigen Festung betreiben koͤnnte. Die Preußen muͤßten sie niemals, oder nur im Fall der hoͤchsten Noth bekommen. Er wuͤrde aber gegen jeden, welcher forthin darauf dringen wuͤrde, nach der Strenge der Gesetze ver- fahren. Beruhigen koͤnnte man sich indeß immer: denn wer immer auf Kapitulation draͤnge, ohne die Belagerten durch Hungersnoth oder Bombarde- ment aufs Aeußerste gebracht zu haben, der muͤsse die Besatzung fuͤr sehr muthlos, kurzsichtig oder verraͤtherisch halten, oder er selbst muͤsse noch kurz- sichtiger seyn. u. s. w. — Der gute Mann wußte freilich nicht, worauf das oͤftere Auffodern zum Kapituliren, schon so ungewoͤhnlich-fruͤhe, berech- net war: indeß sein Nichtwissen sicherte meinen Hals. — General Laubadere war inzwischen aus sei- nem Hause aufs Gemeinhaus in Verwahrung ge- bracht worden. Es wurde ein Gericht zur Unter- suchung seiner Sache angesezt, welches aus dem Maire von Landau, aus dem juge de paix, dem Kriegskommissaͤr, und allen Obersten der Batail- lons bestand. Der Repraͤsentant Dentzel und der oft erwaͤhnte Oberste von der Reuterey waren auch gegenwaͤrtig, ohne jedoch am Verhoͤr, oder an der Berathschlagung Theil zu nehmen. Zuhoͤ- ren konnte uͤbrigens jeder. Die Untersuchung wur- de zwey Tage fortgesezt, und mit aller Strenge betrieben. Das Ende vom Ganzen war, daß die Untersu- chung den General von allem Verdacht, verraͤthe- risch gehandelt zu haben, oder nur uͤbel gesinnt zu seyn, lossprach, und ihn sofort wieder in Freyheit sezte, aber seine Aktivitaͤt, als General und Kom- mandant, konnten ihm seine Richter nicht wieder geben: dieß war das Vorrecht des Militaͤrs. Der Oberste ließ deswegen der ganzen Garnison die Un- schuld des Generals und die Nothwendigkeit, ihn ohne Verzug, wieder in seine Stelle einzusetzen, bekannt machen, und Laubadere fing seine Ver- richtungen wieder an, nach wie vor. Daß diese Katastrophe mir eben nicht gefiel, versteht sich von selbst: denn ich dachte, bey dieser Gelegenheit doch noch zu meinem Zwecke zu ge- langen. Aber es sollte einmal nicht seyn! Die Lebensmittel gingen indeß nach und nach in den Magazinen zusammen, und der Lieferant oder Aminunitionnaire, Bartholomaͤi , versicherte, daß die Garnison nur noch bis auf Weihnachten zu essen haben wuͤrde, da er bey der lezten Unter- suchung einer Niederlage, viele Saͤcke, mit Spreu statt Mehl gefuͤllt, aufgefunden habe. Dentzel ließ die Niederlagen des Getraides und des Mehls nun alle durchvisitiren, und da fanden sich wirklich uͤber 100 Saͤcke, die von habsuͤchtigen Verraͤthern mit Spreu und Haͤckerling angefuͤllt waren. Die- ser Betrug mußte aber schon unter dem Kommando des Generals Gillot seyn gespielt worden; viel- leicht auch schon fruͤher, und so fiel er niemanden von den damals in Landau Gegenwaͤrtigen zur Last, doch machte diese Entdeckung abermals sehr starken Eindruck auf die Garnison. Man berech- nete nun noch genau, was fuͤr Vorrath da sey, und fand, daß die Garnison noch bis zu Ende des Januars subsistiren konnte. Dentzel ließ die Buͤrgerschaft in der Kirche der ehemaligen Augustiner zusammen kommen, und hielt eine sehr pathetische Rede, worin er sie ermahnte, ihren Ueberfluß an Lebensmitteln an die Garnison abzugeben, da man entschlossen sey, Lan- dau erst dann hinzugeben, wenn alles aufgezehrt seyn wuͤrde: und die gutgesinnten Buͤrger brachten noch auf einen ganzen Monat Lebensmittel fuͤr die Besatzung zusammen. Das frische Fleisch ging vorzuͤglich zuerst zu- sammen, und da man doch fuͤr das Lazareth frisches Fleisch haben mußte, so wurde beschlossen, Pferde zu schlachten, und davon der Soldatenschaft ein hal- bes Pfund taͤglich, nebst sechs Loth Speck, etwas Kaͤse, Butter, Essig und Oehl zu reichen: und diese Subsistenz genossen wir bis zum Entsatz der Stadt. Außerdem erhielt der Mann noch eine halbe Bouteille Wein taͤglich. Die Franzosen verstanden sich leicht, Pferde- fleisch zu essen, aber die Deserteurs und Kriegsge- fangnen wollten schlechterdings nicht daran, und fingen heftig an, uͤber das Schindfleisch, Schind- angerfressen u. s. w. zu raͤsonniren. Es ist zwar richtig, daß das Pferdefleisch mit dem Ochsenfleisch nicht in Vergleichung koͤmmt, besonders da die da- von gekochte Suppe nicht viel werth ist: aber dem - Vierter Theil. L ohnerachtet laͤßt es sich immer essen, wenn es gut bereitet wird, und die Pferde nicht zu alt sind. Gewoͤhnlich wurde eine Bruͤhe von Speck und Essig daran gemacht, und so konnte man es immer ge- nießen. Die Frau Brion hat mir mein Pferde- fleisch einigemal ganz vortrefflich zubereitet. Wie aber wir schwerfaͤllige Deutsche an dem Joche der Gewohnheit uͤberall weit fester haͤngen, als der lenkbarere Franzose, so auch hier. Das Vorurtheil aus Mangel an Gewoͤhnung beherrschte die deutschen Deserteurs und Gefangenen lange eben so, wie das entgegengesezte Urtheil, oder der angewoͤhnte Wohlgeschmack unsere Vorfahren vor- zeiten beherrschte. Diesen war Pferdefleisch eines ihrer koͤstlichsten Gerichte, so koͤstlich, daß der Haupt-Laͤhmer altdeutscher Kraft — ich meyne den heiligen Bonifacius — es kaum dahin bringen konnte, ihnen den Geschmack daran abzu- gewoͤhnen. Papst Gregor III, und dessen Nach- folger, Zacharias , hatten ihm dieß aufgetra- gen, weil ihre Heiligkeiten Pferdefleisch fuͤr unrein und abscheulich hielten. Aber die lezte Heiligkeit hielt dafuͤr auch die Kraͤhen, Stoͤrche, Biber und Hasen! Schmidts Geschichte der Deutschen. Ulm 1785. I. B. S. 6. Daß indeß ihre paͤbstliche Heiligkeiten, wie gewoͤhnlich, so auch hier eben nicht recht hatten, bezeugt die Voͤlkerkunde und die Geschichte. So speisen die Samojeden selbst krepirte Pferde, und halten einen Pferdekopf fuͤr eine besondere Leckerey. Die Nogayischen Tataren ziehen das Pferdefleisch durchgehends dem Rindfleische vor, und heben den Kopf, als einen Leckerbissen auf fuͤr die Vor- nehmen. De la Motraye aß unter den Krim- mischen Tataren von einem Fuͤllen, dessen Fleisch er fuͤr Kalbfleisch hielt. Bernier genoß unter den Usbekschen Tataren ein sehr gutes Pferde-Ra- gout. Selbst in Sina wird Pferdefleisch auf die Maͤrkte gebracht, und die Sinesen essen es eben so gern, als alle Voͤlker in Osten. Opitz berichtet, daß die Kalmucken die fetten, unberittenen Pferde vorzuͤglich schlachten, und daß ein Braten davon wirklich sehr lecker sey. In Tunkin, auf Suma- tra, auf der Kuͤste Koromandel und in den andern angraͤnzenden Gegenden genießt man Pferdefleisch eben so gern als Rindfleisch. Die Neger auf der Kuͤste Guinea schaͤtzen das Pferdefleisch sehr, un- geachtet es dort nicht oft vorkoͤmmt. Auch in Amerika findet man diesen Geschmack, vorzuͤglich im suͤdlichen. Die Einwohner von Patagonien ziehen das Pferdefleisch allem uͤbrigen vor, und essen es roh oder gebraten. Die Chilesen und die Eingebohrnen in Buenos Aires machen es nicht anders. Selbst der Koͤnig von Schweden suchte noch im J. 1784 dem Fleischmangel dadurch ab- zuhelfen, daß er sich bemuͤhte, den Genuß des Pferdefleisches, durch ausgesezte Praͤmien und Pensionen, allgemein einzufuͤhren. Der ganze Hof folgte, und wer sich ergeben gegen die Schwe- dische Majestaͤt zeigen wollte, aß Pferdefleisch, oder empfahl dessen Genuß. Freilich koͤnnen abgenuzte, alte Pferde nicht so wohlschmecken, als junge Fuͤllen, oder das Fleisch von wilden Pferden. Den Johann Rein- hold Forster versicherten Khalmyken, welche Rinder und sehr wohlschmeckende Schafe in Menge hatten, daß sie ein Fuͤllen allem andern Fleische vorzoͤgen. Junge wilde Pferde sind fuͤr die obigen Voͤlker das leckerste Wildpret. Vorurtheile wirken indeß hiebey viel, und es kostet selbst dem philoso- phischen Kopfe Muͤhe, sich uͤber sie hinauszusetzen, sobald sie durch Erziehung und Gewohnheit, die sogar Menschenfresser ziehen kann, eingewurzelt und befestigt sind. Man lese den Benk Bergins über die Leckereyen, aus dem Schwedischen, mit Anmerkungen von D. J. R. For - ster, und D. Curt Sprengel , 2. Th. S. 55. ff. — F. L. Walther von Menschenfressenden Völkern und Men- schenopfern. — Lindemanns Moral älterer Völker, S. 331. Aber auch hievon weggesehen, wuͤrde Pferde- fleisch, allgemein gegessen, hier zu Lande ein gar theures Essen werden; und so moͤgen meine deli- katen Leser ihre gewoͤhnliche Esserey immer fort- setzen, wenn sie aus dieser Episode nur soviel sehen: daß man sehr unrecht thut, wenn man die hoͤchste Noth einer belagerten Stadt daraus folgert, daß sie, um ihren Lebensunterhalt zu verlaͤngern, sich zum Genuß des Pferdefleisches entschließt. Daß die Landauer Garnison und Buͤrgerschaft waͤhrend der Belagerung Maͤuse, Katzen und Hun- de gegessen habe, wie in einigen Nachrichten er- zaͤhlt wird, ist eben so eine Unwahrheit, als daß die Stadt aufs Aeußerste sey gebracht gewesen. Landau konnte sich noch immer bis zum Maͤrz 1794 halten. Der Zwieback, womit ein ziemlich großes Magazin angefuͤllt war, und den der General bis auf die lezte Noth sparen wollte, ist gar nicht an- gegriffen worden: Bohnen und Erbsen auch nicht. Die Deserteurs fingen aber doch nach und nach an, sehr in Furcht zu gerathen: denn ihnen war, nach ihrer Meynung, nichts gewisser, als daß die Deutschen doch endlich die Stadt erobern, und sie dann ein hartes Schicksal haben wuͤrden. Sie wurden also einig, den General Laubadere zu bitten, daß er ihnen den Ausgang aus Landau erlauben wolle, wo sie denn bey Nacht sich durch die deutschen Posten ins Gebuͤrge, und von da zur franzoͤsischen Armee schleichen wollten. Die Sache wurde dem General auch wirklich vorgestellt, aber er wies sie ab. Ihr kommt nicht durch, und koͤnnt nicht durchkommen, sagte er, und ich wuͤrde die Verantwortung haben, wenn ich Euch der Ge- fahr aussezte, aufgehascht zu werden. Aber ich verspreche Euch, im Fall wir ja kapituliren muͤß- ten, daß fuͤr Euch soll gesorgt werden. Ihr sollt auf jeden Fall frey nach Frankreich kommen. Die Deserteurs beruhigten sich doch nicht ganz, und Einige wagten es, bey Nacht aus der Festung wegzulaufen, und schlichen gegen Abend auf einen Abtritt auf dem Wall, wo sie Stricke befestigten, und sich um Mitternacht daran herabließen. Zwey davon entkamen gluͤcklich, drey aber wurden von den Schildwachen angehalten, und zuruͤckgebracht. Diese ließ der General einige Tage einstecken. Mir wurde die Zeit besonders lang, und ich wuͤnschte nichts sehnlicher, als daß Landau den Deutschen zu Theil werden moͤgte. Ich wuͤnschte dieses blos um meinetwillen, denn ich befuͤrchtete, wenn Entsatz kaͤme, so moͤgte die Sache des Re- praͤsentanten nachher noch einmal genauer unter- sucht, und ich nicht aufs angenehmste hinein ver- wickelt werden. Es zeigte sich mir auch bald eine Gelegenheit, aus Landau zu entkommen. Mein Freund Brion naͤmlich, welcher an meiner g u ten Gesinnung gegen die Republik gar nicht zwei- felte, gab mir zu verstehen, daß ich, da ich doch alle Schliche durch die deutschen Posten kaͤnnte, es uͤbernehmen moͤgte, durchzuschleichen, und dem franzoͤsischen General Feuvre , den man in der Naͤhe vermuthete, Nachricht von der Lage Lan- dau's zu bringen: dadurch koͤnnte ich mich bey der ganzen Republik gar sehr insinuiren. Diesen Antrag nahm ich mit Freuden an, und Brion sprach deswegen auf der Municipalitaͤt, und hernach auch mit dem General, der mich kom- men ließ, und mir meine Instruktion schon gab. Es kam nur noch auf den Repraͤsentanten an, aber dieser wollte nicht einwilligen. Man koͤnnte und duͤrfte, gab er vor, keinem Fremden so etwas anvertrauen; und hierauf zerschlug sich zu mei- nem groͤßten Verdruß der ganze Anschlag. Ich kann meine Leser, heilig versichern, daß ich einen doppelten Plan im Kopfe hatte, welchen ich wuͤrde ausgefuͤhrt haben, im Fall ich aus Lan- dau waͤre geschickt worden. Ich haͤtte wirklich alles aufgeboten, um durch die Preußen durchzu- schluͤpfen; haͤtte mir dieß aber nicht gelingen wol- len, je nun, so haͤtte ich mich zum General von Knobelsdorf begeben, und haͤtte ihm das ge- sagt, was er ohnehin schon wissen mußte, daß Landau noch sobald nicht sein werden wuͤrde. Wenn ich aber, ohne bemerkt zu werden, zu den Fran- zosen haͤtte kommen koͤnnen, so haͤtte ich durch ehr- liche Erzaͤhlung von der Lage der Festung mir den franzoͤsischen Kommandanten verbindlich gemacht, und dadurch allen Verdacht zerstreut, den man nachher noch gegen mich haͤtte fassen koͤnnen. Man muß das Ding kaltbluͤtig uͤberlegen, um zu finden, daß ich den Preußen keine Verbindlich- keit mehr schuldig war, wohl aber den Franzosen, vorzuͤglich dem braven Brion , und daß ich da- bey die Pflicht hatte, auf meine Selbsterhaltung bedacht zu seyn. Warum aber Dentzel meine Mission nicht billigen wollte, laͤßt sich leicht errathen. Er trauete mir nicht, und konnte, als gescheider Mann, mir wirklich nicht trauen. Ich sah das selbst ein, fand seine Vorwuͤrfe unter vier Augen billig, und war schon zufrieden, als er mir versprach, daß er fuͤr mein Durchkommen in Frankreich sorgen wollte; und vielleicht haͤtte er Wort gehalten, wenn ihn die Robespierrische Parthey nicht verfolgt haͤtte, wie ich weiterhin berichten werde. Meines Brions Bekehrungsgeschichte will ich doch auch erzaͤhlen, so wie ich sie aus seinem Munde gehoͤrt habe. Er war ehedem ein steifer Pfaffenfreund, besuchte alle Tage die Messe, beich- tete fleißig, und kommunicirte eben so fleißig. Sein Haus stand jedem Pfaffen offen, und besonders war ein gewisser Augustiner, Pater Marcelli - nus , sehr willkommen. Brion war gewohnt, diesem Pater alle hohen Feste einen Kronenthaler zum Praͤsent zu machen, und das schon seit meh- reren Jahren. Eines Tages kam der Pater zu ihm, und redete ihn mit frommer Mine also an: Lieber Hr. Brion , Sie haben mir bisher jaͤhr- lich 24 Livres — (oder 6 Thaler Saͤchsisch) ge- schenkt: dafuͤr danke ich Ihnen nochmals recht herzlich, und der liebe Gott wird es ihnen gewiß reichlich vergelten. Brion : Ja doch, Herr Pater: Ihr' Hoch- wuͤrden sollen das forthin auch so bekommen. Pater : Tausend Gottes Lohn dafuͤr, Herr Brion! Aber wenn nun der liebe Gott uͤber Sie gebieten sollte? wir sind doch alle sterbliche Menschen! Brion : Auf den Fall sollen Sie von mir durch ein Legat bedacht werden. Pater : Das ist alles recht gut, liebster Herr Brion: aber — Brion : (halb aͤrgerlich) Aber? — Wie so? Pater : Ich wuͤßte einen bessern Vorschlag. Brion : Lassen Sie hoͤren! Pater : Sie haben da eine Wiese, wofuͤr ih- nen der Schafwirth jaͤhrlich gerade einen Louisd'or oder 24 Livres Pacht giebt: wie waͤr' es, wenn Sie unserm armen Kloster die Wiese eigen zuschreiben ließen? Brion wurde uͤber die unverschaͤmte Zumu- thung des Paters so aufgebracht, daß er ihm ge- rade heraus sagte, daß er von nun an von ihm keinen Heller mehr bekommen sollte. — Madame Brion , die ihres Mannes Anhaͤnglichkeit an die Augustiner schon lange nicht leiden konnte, und uͤberhaupt jeden vertrauten Zuspruch von Pfaffen als eine gar schlechte Empfehlung fuͤr die Einsicht des Zugesprochenen betrachtete — freilich gegen die Mode des lieben Frauenzimmers, welches den Pfaffen in und außer den Kloͤstern, sonst gar nicht abgeneigt ist —, bestaͤrkte ihren Mann in seinem Unwillen gegen die Herren; und Pater Marcelli- nus verschrie von nun an, den edlen Brion , als einen schlechten Christen und als einen Veraͤchter der Religion und der Geistlichkeit. Von dieser Zeit an, dachte Brion uͤber die Pfafferey ernst- licher nach, und war bey dem Anfange der Revo- lution schon so weit, daß er dieses heilige Gesin- del — wie er die Pfaffen nannte — fuͤr die aͤrg- ste Pest der Gesellschaft hielt. Er hatte seit 1790 weder gebeichtet noch kommunicirt, und war doch ein Mann, wie man ihn nicht besser wuͤnschen konnte. Durch ihn erfuhr ich auch, wie man so ganz nach dem Voͤlkerrecht die deutschen Geißeln in Frankreich behandelte. So waren die Worm ser staͤdtischen und bischoͤflichen Geißeln, welche zur Sicherung der Neu-Constitutionisten am Rhein, nach Frankreich geschickt waren, vor Landau's Belagerung, dort in und auf dem Wall ungehin- dert herum gewandert, blos unter Begleitung von drey Ordonnanzen. Sie logirten am Markte, dem Stadthause gegenuͤber, hatten drey Zimmer, nebst einem Speisesaal, kamen ungehindert zu- sammen, sahen weder — wie hernach die Gegen- geißeln zu Erfurt — Gitterstangen, noch durch- brochne Thuͤren, weder Wache auf dem Abtritt, noch Nachtstuhl in dem Zimmer: kurz, sie wurden gehalten, wie Geißeln, nicht wie Gefangene — und dieß auf Kosten der franzoͤsischen Nation. Die Mainzer Regierung mußte die edle Behand- lungsart, welche auch ihren Geißeln in Frank- reich wiederfahren war, endlich selbst ruͤhmen; und so hatte Hr. Lever nicht unrecht, als er die Kurmainzer Regierung in Erfurt, in seiner Be- schwerde-Schrift vom 27sten Sept. 1794, auf ungegruͤndete politische Jerenriaden uͤber erschoͤpfte Staatskassen, auf mention des ho norable u. dgl. aufmerksam machte. Ein Mainzer Patent um freywillige Kriegsbeysteuer, hatte naͤmlich ange- geben, wie wenn die Staatskassen durch die Ver- pflegung der Mainzer Geißeln in Frankreich waͤ- ren erschoͤpft worden, Lever nannte dieß eine grobe Betise auf die franzoͤsische Nation, und eine enorme Luͤge — weil die Mainzer Staatskassen schon vorher nichts mehr gehabt haͤtten. Man wuͤßte ja, was fuͤr enormen Prunk der Hr. Kur- fuͤrst, auf Kosten seiner armen Unterthanen, allein bey der Kroͤnung Kaiser Leopolds gemacht haͤt- te, der uͤbrigen nicht zu gedenken. Dreyzehntes Kapitel. Landau durch die Franzosen entsezt. G eneral Laubadere hatte, durch einen Spion von der Rheinarmee, Nachricht erhalten, daß man alle Kraͤfte aufbiete, die Weißenburger Linien zu durchbrechen, um Landau zu deblokiren; und die bey der Armee befindlichen Repraͤsentanten hatten ihm befehlen lassen, taͤglich fruͤh um 6 Uhr eine Anzahl 24 Pfuͤnder abzufeuern, zum Signal, daß die Festung noch außer der Gefahr sey, sich der Gewalt zu ergeben. Diese Orde r wurde auch taͤg- lich aufs puͤnktlichste befolgt, und das Signal alle- mal durch ein Gegensignal von der sich immer mehr naͤhernden Armee erwiedert. Niemals ist ein militaͤrisches Unternehmen he- roischer und glorreicher vollbracht worden, als die Wiedereroberung der Linien im Elsaß und der Ent- satz der Festung Landau, am Ende des Jahres 1793. Die franzoͤsischen Truppen, bisher von Koͤniglich- Gesinnten oder aristokratischen Verraͤthern verraͤthe- risch behandelt und schlecht angefuͤhrt, waren vor einigen Monaten der Uebermacht gewichen und hatten die Linien von Weißenburg schaͤndlich ver- lohren. Jener Soldat hatte ganz recht, welcher im National-Con- vent sagte: „So lange wir Sanscülotten an unsrer Spitze ha- ben werden, werden wir siegen, werden wir Mannszucht hal- ten, und man wird mit uns machen können, was man will.“ — Selbst Cond é sah dieß ein, als er vor der Zu- rückeroberung der Linien gegen die östreichischen Generale äu- ßerte: Frankreich reiniget sich von unsern Einverstandenen; wir sind verloren! — Man lese das Pariser Journal uni- versel, N. 1502, pag. 6593. Der Erfolg dieses Verlustes war, daß sie sich hinter das Gebuͤrge ziehen, und dem Feinde das flache Land bis nach Strasburg hin uͤberlassen mußten. Die Lage der Franzosen ward noch be- denklicher, da in Strasburg eine Konspiration ent- stand, wodurch man den Kaiserlichen die Stadt uͤberliefern wollte. Es kann seyn, daß Eulogius Schneider bey der Entdeckung dieses Kom- plots mehr Verbrecher entdeckte, als wirklich da waren: aber es ist unlaͤngbar, daß ein solches Kom- plot wirklich statt gefunden, und daß der Maire Dietrichs , sonst Hr. von Dietrichs, starken An- theil daran genommen hat. Waͤre Strasburg da- mals in die Haͤnde der Kaiserlichen gefallen, so war zwar Landau noch nicht erobert, aber alsdann mußte erst Strasburg wieder erobert werden, und die Linien der Deutschen waren noch sicher. Daher bemuͤhten sich die Republikaner, unauf- hoͤrlich vorzudraͤngen, troz den entsetzlichen Mord- gefechten bey Lautern . Die Preußen machten sogar Versuche auf die Bergfestung Bitsch , und wenn schon diese Versuche fehlschlugen, so mußten doch die Franzosen immer mehr einsehen, welche Gefahr ihnen drohte. Diese Gefahr war so einleuchtend, so groß und so allgemein, daß die Vorstellung davon jeden Franzosen, der nur etwas Frey- heitsgefühl oder Selbst- und Ehrliebe hatte, wie elektrisch zur allgemeinen patriotischen Vertheidigung anfeuern mußte. Sie konnten schon aus dem, was die Oestreicher und Preußen auf französischem Boden bis jezt getrieben hätten, das sich denken, was sie weiter treiben würden, wenn man ihren Fortschritten nicht nachdrücklich widerstehen wollte. Das Benehmen der Ver- bündeten, vorzüglich der Oestreicher, war ein zu größlicher Commentar der Manifeste, als daß man hätte zaudern dür- fen, deren Ausführung weiter ruhig abzuwarten. Die Wieder- eroberung der Linien, und der darauf erfolgte Entsatz von Landau hatte also allgemeinere und höhere Motive, als die drey Millionen Livres, welche der National-Convent der Armee, die Landau entsetzen würde, versprochen hatte. Wenn demnach Girtanner im 5. B. seiner Annalen S. 309 Sie fanden es daher unumgaͤnglich nothwendig, die Elsaßer Linien anzugreifen, und da durchzubre- chen. Den 22ten Dezember vereinigte sich der groͤßte Theil der Moselarmee mit der Rheinarmee, und nun begann das Riesen-Werk. Toulon ist wiedererobert, also auch hier Landau oder der Tod — war das Losungswort, unter welchem sie wie wilde Baͤren fochten und auf die Kaiserlichen einfielen. Aber am 26ten, als am andern Christ- tage, wagten sie endlich eine Hauptschlacht, und fochten, besonders auf dem Geisberg bey Weissen- burg, wie Wuͤthende. Der Erfolg davon war, daß die Kaiserlichen, und die Reichsvoͤlker, welche in Weissenburg und in den angraͤnzenden Oertern stan- den, weichen und dem siegreichen Feinde das Feld lassen mußten. Die Franzosen wurden Meister von den Linien im Elsaß d. i. von einer großen Reihe Schanzen, Verhauen u. dgl. welche oberhalb Ha- schreibt: „Landau ward entsezt, aber nicht durch die Kraft re- publikanischer Waffen, sondern durch die Allmacht des Geldes; nicht durch Patriotismus, sondern durch Eigennutz:“ — so steht einem der Verstand stille, und man begreift nicht, wie nur ein Mensch von schlechtem Menschensinn, aber noch weni- ger, wie ein Schweizer, der doch, als Stück von Republika- ner, die Allmacht des Patriotismus besser kennen sollte, so et- was Widersinniges hinfaseln konnte. Bey Girtanuirn mag das Geld allmächtig seyn; daß es dieß aber nicht bey den französischen Republikanern war, erfuhr ich in Landau, wo nicht einmal eine Million hinreichte, den Patriotismus nur Eini ger zu beschleichen. genau anfaͤngt, und herunter bis nach Bergzabern hinlaͤuft, und wenigstens 12 bis 14 Stunden Laͤnge hat. Die Franzosen eroberten viele Kanonen, mach- ten viele Gefangne u. s. w. Der Verlust der Kai- erlichen an Menschen, Magazinen, Pulver, Waf- fen, Kleidungsstuͤcken u. dgl. war unermeßlich. — Aber da diese an sich hoͤchst merkwuͤrdigen Vorfaͤlle, freilich partheiisch genug, von andern Schriftstellern erzaͤhlt sind, so will ich wieder von meinen Erfahrungen reden, wenn ich erst noch folgende Anekdote werde erzaͤhlt haben. Als ich im Maͤrz 1795 von Freiburg nach Offenburg wanderte, kehrte ich in einem Badischen Dorfe ein, wo ich mit einigen Kaiserlichen Kaval- leristen im Wirthshause von den Kriegsangelegen- heiten zu sprechen kam. Ja, sagte ein Kavalle- rist, es sind doch rechte Spitzbuben die Kondeischen Hunde (er sprach von der Armee der Emigrirten). Wir hatten, schau der Herr, einen Chasseur bey Schweighausen gefangen: es war ein blut- junges Kerlchen, und wir hatten ihm Pardon ge- geben. Da fuͤhrte der Teufel einen ganzen Hau- fen von den Kondeischen herbey: die riefen wie unsinnig: Patriot! Patriot! und hieben auf un- sern Gefangnen ein. Wir sezten uns zur Wehre: da futterten die Spitzbuben, und machten Mine, uns alle niederzuhauen, wenn wir ihnen den Gefangnen nicht abliessen. Einer davon verstund deutsch und sagte, daß sie den Patrioten zu ihrem Prinz Cond é bringen muͤßten. Was wollten wir machen! wir uͤberließen ihnen den Chasseur, und baten sie, ihm nichts leids zu thun. Sie verspra- chens zwar: aber — o hole der Teufel die ver- fluchten Racker! — auf 20 Schritte von uns, hieben sie ihn zu Stuͤcken, und jagten davon. So abscheulich diese Anekdote ist, so war doch ein Werber von den sogenannten Anglois, d. i. von dem Spitzbuben-Korps, welches unter dem Namen Euglisches Régiment de Montbasson, — ich glaube, so muß man diesen Namen schreiben; wenigstens sprach man ihn so aus — damals im Breisgau zu Ettenheimmuͤnster fuͤr Englands Rech- nung errichtet wurde: ein Werber, sag' ich, von der schoͤnen Bande war noch so unverschaͤmt, daß er dem Kavalleristen widersprach, und das Verfah- ren der Kondeischen an dem ungluͤcklichen Chasseur billigte und rechtfertigte. Aber der Reuter sah ihn mit Verachtung an, und sagte: wenn der Herr, so was loben kann, so ist der Herr nicht ein Haar besser, als die Kondeischen Hollunken selbst. — Der Ruͤckzug der Preußen und Oestreicher wur- de schon den 26ten Dec. in Landau bemerkt, aber am 27ten kam die gewisse Nachricht, daß die Be- Vierter Theil. M freyung nahe und voͤllig gewiß sey. Man kann sich kaum vorstellen, welche frohe Wirkung diese Nachricht unter der Buͤrgerschaft und der Garni- son hervorbrachte. Einer lief immer gegen den An- dern, und schrie freudig: „Weißt du was Neues? die Preußen ziehen ab: wir sind entsezt!“ Der General legte sich in sein Fenster, und schrie ein- mal uͤbers andere: Me voilà au comble de mes voeux: la place est sauvée, la place est à la Répu- blique! Endlich kamen franzoͤsische Husaren, und brach- ten Briefe an Laubadere und an Dentzel . Die Landauer Buͤrger rissen sich um diese Husaren: jeder wollte sie in sein Haus haben, jeder wollte sie bewirthen. Abends war ich selbst in einem Hause, wo einige Husaren zusammen zechten. Ich ließ michs 3 Livres kosten, und die Franzosen wur- den mir gewogen. Da ich so ziemlich patriotisch sprach, druͤckten sie mir die Haͤnde, und wollten, daß ich gleich mit sollte. Du mußt unter unserer Escadron dienen: du bist wuͤrdig, die Republik vertheidigen zu helfen: Frankreich muß dein Va- terland werden! — Kein froherer Mann kann ge- dacht werden, als ein siegender Republikaner! Aber sein Sieg betrifft auch ihn und seine eigne Sache mit! — Den 28ten Dezember wurde Landau foͤrmlich geoͤffnet: denn da waren die Preußen voͤllig abge- zogen, und hatten ihren Weg nach Germersheim zu genommen. Der General Feuvre bezog die Festung, und Laubadere nebst Delmas und der bisherigen Garnison zogen ab. Die Deserteurs, zu welchen ich damals noch gerechnet wurde, sollten in Begleitung von zwey Gensd'armes nach Weißenburg und von da weiter nach Frankreich gebracht werden: mir aber wurde gesagt, daß der Repraͤsentant und der General befohlen haͤtten, ich sollte noch da bleiben. Diese Worte erschreckten mich; da man mich aber nicht festsezte, und da der Befehl von Leuten kam, de- nen eine Untersuchung auf meiner Seite eben nicht sehr willkommen seyn konnte, so beruhigte ich mich. Die Deserteurs gingen den 28ten fruͤh um 9 Uhr aus Landau. Gleich darauf begab ich mich zum Adjutant Doxon , um ihn zu fragen, war- um ich nicht folgen sollte. Ey was, sagte dieser, da steckt gewiß ein Misverstaͤndniß. Laubadere geht noch heute weg, und kann sich fuͤr jezt mit dir nicht befangen. Geh du immer nach Weißen- burg und sey in Zukunft ein braver Citoyen: dann wird dir's schon noch gut gehen. Ich nuͤzte diesen Wink, und verließ Landau um II Uhr, nachdem ich noch vorher mit dem bra- ven Brion gegessen, und von ihm und seiner gu- ten Familie Abschied genommen hatte. Diese bie- dern und hellen Leute werden mir Zeitlebens unver- geßlich bleiben. Die Fortschritte, welche die Republikaner von da an machten, waren eben so schnell, als die Vortheile, welche ohngefaͤhr 9 Monate vorher die Preußen uͤber die Truppen des Cuͤstine davon getragen hatten, aber sie waren weit reeller. Die Kaiserlichen zogen sich pfeilschnell mit ihren Reichs- truppen uͤber den Rhein, und die Preußen deckten diesen Ruͤckzug, so gut es sich thun ließ. Die Fran- zosen machten auch sofort Anstalten, Fort Vauban zuruͤck zu erobern. Andere warfen sich ins Speier- sche und Pfaͤlzische, aber nicht so schonend, wie im Jahr 1792: denn wohin sie kamen machten sie Erpressungen, und trieben Dinge, welche sich nimmermehr entschuldigen, wohl aber demjenigen begreiflich machen lassen, der da bedenkt, daß die- se Nation damals aufs aͤußerste gebracht war, und sich ihrem Untergange und ihrer voͤlligen Unterjo- chung nahe sah; daß die Deutschen in den franzoͤ- sischen Gegenden, wohin sie gekommen waren, eb en so abscheulich und wohl noch abscheulicher ge- hauset hatten, und daß man ohne Gefahr keine Strenge gebrauchen konnte, gegen die Exzesse be- gehenden Volontaͤrs, welche man wenig Tage zu- vor mit Verlust vieler Tausende gegen feindliche Batterien und Schaaren gefuͤhrt hatte. Ich werde uͤber diesen wichtigen Gegenstand noch mehrmals meine Anmerkungen mittheilen: jezt fahre ich in meiner Geschichte fort. Vierzehntes Kapitel. Meine Reise von Landau nach Strasburg . A uf dem Wege von Landau nach Weissenburg traf ich jeden Augenblick Reuter und Volontaͤrs an, welche ihrem Heere noch nachzogen; bey Bergza- bern aber gesellten sich Einige zu mir, die auch nach Weißenburg wollten. Ich hatte da Gelegenheit, Vieles uͤber die franzoͤsische Armee zu erfahren, und insbesondere erklaͤrte mir einer, warum die Guillo- tine ihren Heeren folgen muͤßte. Das geschieht, sagte er, um uns vor Verraͤtherey zu sichern, wel- che uns uͤberall verfolgt, und welche wir mit Ge- walt unterdruͤcken muͤssen. Stelle dir einmal die Spitzbuͤbereyen der Aristokraten vor! Sie haben ssch hier und da zu Wegweisern aufgeworfen, wenn kleine Abtheilungen von Republikanern die Gegend nicht kannten. Alsdann haben sie die unbesorgte Mannschaft den Feinden in die Haͤnde gefuͤhrt, und diese haben die Irrgefuͤhrten niedergehauen. Wenn nun so ein Schurke entdeckt wird, so spaziert er nach dem Befehl der Volksrepraͤsentanten jezt auf die Guillotine, die wir eben deswegen immer bey uns haben. In Soldatensachen hat man aber die Guillotine niemals bey der Armee gebraucht, und selbst die Deserteurs sind nie guillotinirt, sondern erschossen worden. — Es ist daher ein sehr unge- gruͤndetes Vorgehen, daß die franzoͤsische Bravour der Guillotine ihr Daseyn zu danken habe. In Weissenburg, wohin ich erst gegen Abend kam, sah und hoͤrte ich nicht viel Angenehmes. Die deut- schen Truppen hatten bey ihrem Ruͤckzuge noch al- les rein ausgepluͤndert, und einige Leute sogar er- schossen, welche etwas zu fruͤh: „es lebe die Re- publik!“ gerufen hatten. Weissenburg ist eine kleine Stadt am Gebuͤrge, deren Einwohner nicht alle republikanisch gesinnt, und daher mit den zuruͤck- ziehenden Deutschen stark ausgewandert waren. Die Haͤuser dieser Aristokraten wurden von den Vo- lontaͤrs und von den republikanisch gesinnten Buͤr- gern sehr mishandelt und ausgepluͤndert. Wir hat- ten auch in so einem aristokraten Hause unser Quar- tier, wo selbst unsre Deserteurs es trieben, wie es ging: sie liefen gar des Nachts herum stehlen. Wir mußten bis auf den 30ten December Nach- mittags in Weissenburg bleiben, weil wir mit ei- nem Transport Kriegsgefangnen nach Strasburg wandern sollten. Am 29ten erhielten wir Brod und Wein, und den 30ten zogen wir ab, an der Zahl etwan 60 Deserteurs, und 600 Gefangne. Ein Kapitaͤn und 50 Volontaͤrs begleiteten uns, doch ohne auf uns scharf Acht zu geben: da hernach in Strasburg die Zahl nicht mehr ganz voll war, so glaube ich, daß mehrere weggelaufen sind. Erst den 31ten kamen wir nach Hagenau, ei- ner Stadt, die sonst beynahe ganz offen war, jezt aber mehrere Schanzen und Werker hat, welche theils durch die Franzosen theils durch die Deut- schen errichtet sind. Wir wurden ins Franziska- nerkloster gebracht, wo wir so viel kaiserliches Kom- mißbrod erhielten, als uns gefiel. Die Kaiserli- chen hatten bey ihrem uͤbereiligen Zuruͤckzug nicht einmal ihr Kommißbrod mitnehmen koͤnnen, und litten daher unterwegs starken Mangel, wie ich hernach gehoͤrt habe. Unter den mehreren gefang- nen kaiserlichen Offizieren befand sich ein gewisser Leutnant Zimmer , vom Regiment Wilhelm Schroͤder. Dieser verstand kein franzoͤsisch, und bath mich, den uns fuͤhrenden Hauptmann seinet- wegen zu bitten, daß er ihn den folgenden Tag moͤgte fahren lassen, indem er schlechterdings nicht mehr gehen koͤnnte. Ich that das, und der Kapi- taͤn kam selbst zum Leutnant, und versicherte ihn nicht allein, daß er sollte gefahren werden, sondern schickte ihm auch Wein, Weißbrod und eine Schuͤs- sel voll Ragout oder wie die Volontaͤrs sagen, Fri- côt. Auf den folgenden Tag versorgte er ihn noch besser. Auch die andern Offiziere erhielten ganz gutes Traktament, gerade wie die franzoͤsischen — und doch schimpften die undankbaren Herren da- mals noch schrecklich auf die verfluchten Koͤnigs- moͤrder!! Ihr Gluͤck war es, daß die Franzosen sie nicht verstanden, und daß ihnen uͤberhaupt an den Gesinnungen der Kriegsgefangnen wenig gele- gen war. Aus Hagenau waren weit mehr ausgewandert, als aus Weissenburg, wie denn uͤberhaupt keine Provinz mehr Emigranten nach Deutschland ge- schickt hat, als der Elsaß, besonders der Unter- Elsaß. Die Ursache hievon ist nicht schwer auf- zufinden. Elsaß stand nie recht in Verbindung mit Frankreich, und handelte immer mit Deutschen: selbst die Sprache band es an Deutschland. Und dann sind die Elsasser von allen Religionen viel zu orthodox, als daß ihnen das neue System sogleich haͤtte gefallen koͤnnen. Daher die vielen Gefluͤch- teten, wovon aber doch die meisten zuruͤckgekehrt sind, die Edelleute und Geistliche ausgenommen, wie ich weiterhin erzaͤhlen werde. Den Weg von Hagenau nach Strasburg werde ich niemals vergessen. In einem Dorfe, ohnweit Hagenau, kam ein Junge von ohngefaͤhr 12 Jah- ren, auf einen gefangnen Razen zugelaufen, mit wuͤthender Miene und einem Messer in der Hand, und schrie: „Der Hund da muß mir verrecken!“ — Die Volontaͤrs entfernten den Jungen, aber ver- gebens: er kam immer wieder, und schrie ohne Un- terlaß, der kaiserliche Hund muͤsse verrecken. Der Offizier wollte wissen, was der Junge vorhabe. „Ach, schrie er, dieser Kerl da hat mir meinen Vater todtgeschossen, und jezt will ich ihn auch todtstechen.“ Der Junge wurde aber mit Ge- walt abgewiesen, und der Hauptmann sagte so vor sich hin: ce sont de sacrès matins ces bougres de Kayserlics! Der Raze versicherte indessen hoch und theuer, daß er den Bauer nicht erschossen habe, al- lein die Leute im Dorfe schwuren alle, daß wenig- stens gerade so ein Kerl, wie er, den armen Mann erschossen habe, blos weil er gesagt hatte: Ihr muͤßt doch wieder zuruͤck: unsre Leute kommen schon. In Brumat, einem ansehnlichen Flecken, drey Stunden von Strasburg, war alles versammelt, als wir durchgingen, und jeder schimpfte auf die Kaiserlichen Kriegsgefangnen. „Schwarz-Fleisch, Weiß-Geld!“ schrieen sie ihnen unaufhoͤrlich zu: denn mit dieser Anrede hatten die Herren Oestrei- cher kurz vorher die armen Leute exequirt. Die Herren gingen aber jezt gerade, wie Rost sagt: — — Wie ein Pfeifenmann Der seinen ganzen Kram zerfallen hat. Keiner getraute sich, aufwaͤrts zu blicken, und der Leutnant Zimmer mußte selbst gestehen, daß die Leute Recht haͤtten: man habe es auch ein bissel zu arg gemacht. Wenn aber ein kaiserlicher Offizier gesteht, daß man es mit den patriotischen Franzo- sen, mit den Koͤnigsmoͤrdern, mit den verfluch- ten, vom Papst exkommunicirten Schandbuben von Patrioten doch zu arg gemacht habe, so mag der, der die Gesinnungen dieser Herren kennt, abneh- men, wie man es ohngefaͤhr gemacht habe. Ich war durstig, und bath einen Volontaͤr, mit mir in ein Wirthshaus zu gehen: wir wuͤrden ja wohl bald nachkommen. Als Deserteur hatte ich ohnehin mehr Freyheit, als die Gefangnen. Der Volontaͤr war willig, sagte dem Hauptmann, daß er mit mir wuͤrde zuruͤckbleiben; und so gingen wir ins Wirthshaus. Es waren mehrere Leute da, und diese konnten gar nicht genug beschreiben, wie die Kaiserlichen noch vor wenig Tagen bey ihrem Zuruͤckzug im Flecken gepluͤndert und die Leute mis- handelt haͤtten. Der ganze Flecken war durch die vielen hineingeworfnen Haubitzen und Kugeln zer- stoͤrt: denn es war vor kurzem ein Hauptangriff da vorgefallen, und einige Gebaͤude waren in die Asche gelegt, auch mehrere Leute dabey umgekom- men. Gern haͤtte ich den Pfarrer Mallo in Brumat besucht, mit welchem ich ehemals in Gie- ßen studiert hatte, aber er war nicht zu Hause. Ich habe lange nachher gehoͤrt, daß er in Stras- burg hingerichtet sey. Ich und mein Volontaͤr erreichten unsere Trup- pe nicht eher, als vor den Thoren Strasburgs: denn wir schlichen nur sachte nach, und kehrten noch einigemal ein. Unterwegs hoͤrten wir, daß die Gefangnen einen Wagen mit weißen Ruͤben, welchen ein Bauer fuͤhrte, mit Gewalt angegriffen hatten, und daß die Volontaͤrs die Raͤuber kaum haͤtten abhalten koͤnnen. In Strasburg lief alles auf, als wir anka- men, und schrie: es lebe die Republik! — Seht — rief einer dem Andern zu, — hier gehen von den Leuten, welche uns unterdruͤcken wollen! Hoͤrt einmal, Ihr Leute, was macht Euer Kaiser? Ist er noch offnes Leibes? u. dgl. Auf dem großen Platze wurden wir gezaͤhlt, und hernach in das ehemalige praͤchtige Palais des Land- grafen von Darmstadt gefuͤhrt, wo man unsre Na- men aufschrieb. Die Preußen und Oestreicher wur- den getrennt, und diese erhielten nicht so gutes Quartier, als jene: aber Gefangne und Deserteurs blieben noch immer beysammen. Wir wurden sehr gut verpflegt, erhielten Brod, Fleisch und Wein, und lagen auf guten Strohsaͤcken in warmen Zim- mern. Ich hatte ehemals diese Palais oder Hôtel Darmstadt, eins der schoͤnsten und groͤßten Ge- baͤude in ganz Strasburg, schon gesehen: aber zu der Zeit war es noch die Wohnung eines Prinzen; wenigstens wohnte der Landgraf allemal da, wenn er nach Strasburg kam. Sein Wappen stand sonst uͤber dem Thore; aber jezt war es zertruͤmmert, und die Nation hatte sich das Gebaͤude, nebst al- len reichen Domaͤnen, die der Landgraf im Elsaß besaß, zugeeignet, aber erst, seitdem er seine Trup- pen noch vor der Errichtung der Reichsarmee, im November 1792, den Preußen zu Huͤlfsvoͤlkern gegeben hatte. Damals war noch keine Reichsar- mee, und der Landgraf war noch neutral, oder konnte doch noch neutral bleiben. Seit dieser Zeit hatte auch Ruͤhl ein Dekret bey dem Konvent ausge- wirkt, daß man dem Landgrafen von Hessen-Darm- stadt keine Schadloshaltung geben sollte: wie man sie ihm vorher versprochen hatte fuͤr alle seine Be- sitzungen im Elsaß. Ob hierin die Franzosen Recht gehabt haben, moͤgen die Publizisten untersuchen. Das Wappen war also am Schloße herabgerissen, und als ein Zeichen angeborner Hoheit zer- schmissen worden. Die Gemaͤlde und andere De- korationen der Zimmer waren auch nicht mehr, und in den großen Saͤlen lag Holz und Stroh. So was waͤhrt denn auch nur eine Zeitlang, und Pallaͤste sind dem Verderben eben so gut aus- gesezt, als kleine Huͤtten! Freilich lassen sich diese ohne große Muͤhe niederreißen, aber auch jene werden eingerissen, und ihr Ruin ist um so sicht- barer, je fester ihre Struktur vorher war. — Ich wollte, weil ich in Strasburg Bekannte hatte, ausgehen, und wendete mich deswegen an den Commis, welchem die Aufsicht uͤber die Deser- teurs und Gefangnen anvertraut war: aber dieser entschuldigte sich, und sagte, daß er das nicht er- lauben duͤrfte: vor einigen Tagen habe er auch ei- nige Gefangne ausgehen lassen, diese aber haͤtten schlechte Streiche veruͤbt, und in der Stadt ge- stohlen. Nun sey es ihm verboten: aber der Kriegs- kommissaͤr wuͤrde am andern Morgen fruͤh kommen, und der wuͤrde mir es wahrscheinlich gestatten. Fruͤh kam dieser wirklich, und als er hoͤrte, daß ich den Eulogius Schneider , damals oͤffent- lichen Anklaͤger bey dem Tribunale zu Strasburg, besuchen wollte, erlaubte er mir nicht nur auszu- gehen, sondern schenkte mir noch drey Livres in Papier, pour boire à la santé de la République. Ich ging aus, und mein erster Gang war nach der Kathedralkirche, oder dem beruͤhmten Muͤnster. Allein wie fand ich da Alles veraͤndert! Der ganze Muͤnster war ausgeleert: alle Heiligen-Bilder, alle Wappen, alle prunkvollen Grabschriften, alle Altaͤre, kurz, Alles, was ehemals die Augen der Betrachter auf sich gezogen hatte, war weg! Man hatte aus dem Muͤnster den Tempel der Ver - nunft gemacht, d. i. denjenigen Ort, wo man zusammenkam, republikanische Reden anzuhoͤren u. s. w. Es ist doch wahrlich Schade, sagte ich, um die herrlichen Kunstwerke, die hier zerstoͤhrt sind! Was, erwiederte ein Mann, der neben mir stand, Schade um Kunstwerke, welche den Aberglauben und den Despotismus predigten? Ich : Dem Vernuͤnftigen predigen die Werke der Kunst niemals Aberglauben und Despotismus: weit eher Abscheu dagegen. Er : Um Vergebung, Citoyen, was nennst Du ein Werk der Kunst? Ich : Ein Werk, das die Natur veredelt ge- treu ausdruͤckt. Er : Was ist denn ein religioͤses Kunst- werk? Ich : (stockend) Das ist — ist — Er : Ich will dir's sagen! Ein religioͤses Kunst- werk ist ein Meisterstuͤck, worin man religioͤse, durch den Aberglauben geheiligte Histoͤrchen und Fabeln so vorstellt, daß sich die Einbildungskraft diese Fabeln als wirklich, oder wirklich geschehen vor- stellen kann. Ich : Gut: aber ein Vernuͤnftiger wird die Fabeln dennoch nicht glauben, wenn auch seine Einbildung noch so sehr dadurch afficirt wird. Er : Ganz recht: ein Vernuͤnftiger d. i. ein von Vorurtheilen freyer Mensch: Aber der Poͤbel! — Ich : In Frankreich giebt's ja keinen Poͤbel mehr! — Er : (lacht) Im politischen Sinne sind wir freilich Alle gleich: aber im moralischen! Es giebt in Frankreich eben so schwache Leute, wie in Deutsch- land: und da doch die Fratzen bey uns einmal durchs Gesetz vertilgt sind, so muß auch der Sa- men vertilgt werden, woraus sie wieder entstehen koͤnnten. Dahin gehoͤren denn die religioͤsen Cere- monien, die Kirchen, die Bilder, die Gemaͤlde, und Alles, was darauf Bezug hat. Mit den Kunstwerken, welche den Despotismus laut pre- digen, und die Tyranney ehrwuͤrdig machen hel- fen, hat es eben die Bewandniß. Und eben dar- um sind die Ehrensaͤulen, Trophaͤen, Grabmaͤler, Inschriften, nebst den Sklaven in Fesseln um Fuͤr- sten zu Pferde, u. dgl. bey uns abgeschafft und zerstoͤhrt worden, theils aus Haß gegen die Tyran- nen, welchen zu Ehren dergleichen war aufgerich- tet worden, vorzuͤglich aber, um zu verhindern, daß diese Dinge nicht uͤber kurz oder lang der oͤf- fentlichen Meynung schaden moͤgen. Wollten wir konsequent handeln, so konnten wir nicht anders. Und wie mich duͤnkt, ist jedes Kunstwerk, und wenns das schoͤnste waͤre, veraͤchtlich, sobald es zur Verfaͤlschung oder Entwuͤrdigung des Menschen systematisch dient. Lieber ungezwungene, schlichte und unverfaͤlschte Natur, und kein Kunstwerk, als viele Kunstwerke, und die Natur — in Fesseln! Ich hatte nicht Lust, weiter zu widersprechen, und ging, und seufzte — uͤber die Kunst auf dem Throne, und uͤber die Natur in Fesseln. Funfzehntes Kapitel. Eulogius Schneider . — Doctor Lobstein . I ch kannte den beruͤhmten und beruͤchtigten Eu - logius Schneider nicht von Person, aber seine Schriften hatte ich gelesen, und er war mir als ein zu guter Patriot beschrieben worden, als daß ich haͤtte fuͤrchten sollen, er moͤgte uͤber meinen Besuch boͤse werden. Ich wollte den Mann ken- nen lernen; und wird er boͤse, dacht' ich, was liegt daran! Er ist ja nur ein Citoyen, und kein großer Herr, oder Fuͤrst! Ich fragte nach der Wohnung des oͤffentlichen Anklaͤgers, und man sah mich bedenklich an, und wies mich dahin. Ich glaubte, auf den Gesichtern derer, die ich fragte, eine Gegenfrage zu lesen, diese: willst du etwan jemanden angeben, und auf die Guillotine bringen? Ich kam zu ihm, als er eben einige Buͤrger bey sich hatte, mit denen er heftig debattirte. Er kam mir entgegen: Was willst Du? sagte er auf deutsch zu mir. Ich : Den beruͤhmten Mann kennen lernen, der durch Philosophie den Aberglauben besiegte, der einem unnuͤtzen Stand entsagte, um der Mensch- heit zu nuͤtzen, den Deutschland als einen seiner besten Dichter, und Frankreich als einen der waͤrm- sten Republikaner schaͤzt. — Schneider : Das sind Komplimente, Freund! Ich bin blos stolz, daß ich der Republik dienen kann. Aber wer bist denn Du? Hier erfolgte eine kurze Biographie von meiner Seite, worauf Schneider fortfuhr: Schoͤn, mein Freund, Du thust recht, daß Du dich nach Frankreich begiebst! Sey gutgesinnt, Vierter Theil. N und Du wirst gluͤcklich seyn. Aber sag mir doch, was spricht man von mir bey euch? Ich : Die Klugen loben und ehren Dich; die Gelehrten und Virtuosen schaͤtzen deine Verdienste: aber die Pfaffen, die Bigotten — Schneider : (lachend) Ich verstehe Dich schon: Nicht wahr, die sprechen, ich sey ein Apo- stat, ein Ketzer, ein Freygeist, ein Taugenichts, und wer weiß, was sonst noch mehr! Das kann ich mir alles schon recht gut vorstellen: aber ich bekuͤmmere mich nichts darum! Ich bin ein Apo- stat vom Kirchensystem, und bin froh, daß alle braven Maͤnner denken, wie ich. Die Religion der Pfaffen ist eben so schaͤdlich, als der Despo- tismus der Fuͤrsten: beydes muß zerstoͤhrt werden, wenn das Volk gluͤcklich werden soll. Schneider fuhr in diesem Tone noch lange fort, und seine Lebhaftigkeit, sein gesunder, starker Aus- druck, und seine Theilnahme an meinen Schicksa- len entzuͤckten mich. Er gab mir beym Abschiede ein Assignat von 10 Livres. Dieser Mann ist zu merkwuͤrdig, als daß ich meinen Lesern das vorenthalten sollte, was ich nachher noch von andern uͤber ihn erfahren habe: denn er ist einer von denen, welche Achtung und Abscheu zugleich verdienen. Eulogius Schneider war, wie jeder weiß, erst Franziskaner, dann Hofprediger zu Stuttgard, nachher Professor zu Bonn und endlich Vikarius des Bisthums zu Strasburg und Pro- fessor der Theologie. Seine Verdienste um die Litteratur, und seine vortrefflichen Gedichte, vor- zuͤglich seine Ode auf Friedrich II , sind bekannt, und was Ovidius von Tibullus sagt Donec erunt ignes arcusque Cupidinis arma, Discentur numeri, culte Tibulle, tui wird auch von Schneidern gelten. Bey der Revolution wurde der Professor des kanonischen Rechts zu Strasburg, Hr. Brendel , an die Stelle des Kardinals Prinzen von Rohan , welcher durch sein gottloses Betragen die Achtung der ganzen Welt schon laͤngst verlohren hatte, in dieses Bisthum eingesezt. Brendel war ein alter Mann, aber ein Feind der Roͤmischen Herr- schaft, und liebte, wie seine schoͤnen Hirtenbriefe ausweisen, das neue System von ganzem Herzen. So einem Bischofe muste ein Vikarius, wie Schnei- der war, sehr willkommen seyn. Aber, — so lau- tet die skandaloͤse Chronik in Strasburg — bald merkte der Bischof, daß Schneider kein geistli- ches Blut hatte, und uͤber Liebe und Wein nicht ascetisch dachte, und er rieth ihm, sich nach einem andern Posten umzusehen: aber Schneider be- fand sich bey dem seinigen wohl, doch versprach er, in Zukunft behutsamer zu werden. Eines Tages hatte er mit mehrern lustigen Bruͤdern bis fruͤh um fuͤnf Uhr gezecht. Er sah dann nach der Uhr, sprang auf, und sagte: „es ist Zeit, daß ich nach Hause gehe, mich anzukleiden: denn diesen Morgen muß ich Messe lesen: es ist heute ein hohes Fest.„ Was, Messe lesen? schrieen die Andern: Sie sind ja nicht mehr nuͤchtern! Schneider lachte, und gestand, daß er sich seit langer Zeit her nicht erinnern koͤnne, Messe nuͤch- tern gelesen zu haben: er pflege immer vorher ein Glas Wein, oder des etwas zu trinken. Wirklich ging er auch nach der Domkirche und las seine Messe. — Man muß naͤmlich wissen, daß, nach Vorschrift der katholischen Kirche, jeder Priester, der Messe lesen, wie jeder gesunde Laie, der zum Abendmahl gehen will, nuͤchtern seyn muͤsse, das heißt, er darf von Mitternacht an nichts ge- gessen oder getrunken haben. Die Gesellschaft war sehr gemischt: Schnei - der hatte Feinde darin; und nun wurde, wie man leicht denken kann, in der ganzen Stadt aus- gesprengt: der Vikarius des Bischofs, Herr Schneider , habe ein Sakrilegium begangen! Er habe, ohne nuͤchtern gewesen zu seyn, Messe gelesen! Das sey ein allerliebster Geistlicher, ein schoͤner Vikarius in spiritualibus generalis! Ein Vicarius in spiritualibus generalis ist bey den Katholiken das, was bey den Protestanten der Minister des geistlichen Departements ist. — So kam das Gerede auch dem Bischof Brendel zu Ohren, und dieser verboth Herrn Schneider, ich weis nicht, auf wie lange Zeit, sein Amt zu ver- richten. Schneider , der vorher schon Mitglied des Jakobinerklubbs zu Strasburg war, und aller Augen durch seine Beredsamkeit auf sich gezogen hatte, ward endlich oͤffentlicher Anklaͤger. Dieses ist ein Amt, wobey es sehr schwer ist, den ehrlichen Mann zu machen, und noch weit schwerer, es ohne Verdacht der Spitzbuͤberey, der Rachsucht und der Ungerechtigkeit zu verwalten, aber schlechterdings unmoͤglich, ohne Feinde, ohne bittere, rachgierige und schreckliche Feinde zu blei- ben. Eulogius Schneider haͤtte so ein Amt bey seiner Lebhaftigkeit gar nicht annehmen sollen. Gleich Anfangs bekam er Haͤndel mit dem Exmaͤre Dietrich , welcher die schoͤnste Frau im ganzen Elsaß hatte. Die skandaloͤse Chronik sagt, Schnei - der habe der Madam Dietrich schaͤndliche Vor- schlaͤge gethan, sey aber von ihr spoͤttisch abgewie- sen worden; und daher kaͤme Schneiders Haß gegen ihren Mann. Indessen ist es auch wahr, daß Dietrich gegen sein Vaterland sehr konspi- rirte, und ein Erzroyaliste war. Schneiders Wirksamkeit fiel gerade in die Zeit des Maratismus, sonst auch Terrorismus, Jakobinismus oder Schreckenssystem u. s. w. be- nannt, nach welchem jeder halbweg Verdaͤchtige, jeder, der nur schien ein Aristokrat, ein Goͤnner des Koͤnigthums oder der Emigranten zu seyn, so- fort eingesteckt, und nach kurzer Untersuchung, auch bey nur scheinbaren, oft an sich unbedeuten- den Beweisen hingerichtet wurde: und da soll Schneider sein Amt zu weit getrieben, soll blut- duͤrstig gehandelt haben, und ist wegen angeschul- deter Frevelthaten und Ungerechtigkeiten, mit mehreren Richtern des Tribunals zu Strasburg, gegen das Ende des Germinals im 2ten Jahre der Republik (im April 1794) zu Paris hingerichtet worden. Sein Urtheil, das ich in Frankreich hin und wieder angeschlagen gefunden habe, bringt mit sich, daß Schneider einen uͤbertriebnen Stolz und Herrschsucht geaͤußert habe, daß er nach sei- nen Leidenschaften Leute eingesteckt und hinrichten lassen, deren Unschuld hernach an den Tag gekom- men sey; daß er andere Schuldige fuͤr Geld und fuͤr Gunstbezeugungen ihrer Weiber und Toͤchter losgelassen, daß er die konfiszirten Guͤter an sich gezogen habe, u. dgl. Bey meiner Zuruͤckreise aus Frankreich nach Deutschland, hoͤrte ich im Oberelsaß zu Befort und Altkirchen die obigen Punkte nicht nur bestaͤti- gen, sondern noch vermehren. Die Bauren und Einwohner des Elsasses fluchen dem Andenken des Astrologius Schneider noch immer. Ich wollte auf einem Dorfe bey Altkirchen einen Bauer eines Bessern belehren, und sagte ihm, Schneider habe mit dem Vornamen Eulogius geheißen. Ei was, erwiederte der Bauer: ich muß doch wohl wissen, wie der Tausendsabbermenter geheißen hat: Astrologius hat er geheißen! Der verfluchte Kerl hat mir meinen Schwager auch koͤpfen lassen, blos weil er einem Geistlichen ein Nachtlager vergoͤnnt hatte. Einen reichen Kaufmann sollte Schneider haben einstecken lassen, und ihn erst gegen die Aus- zahlung einer großen Summe losgegeben haben. Er muͤßte also ein Mensch gewesen seyn, wie der unter der Regierung Karls II. in England so beruͤchtigte Kirck . Schneider regierte das ganze Tribunal: was er sagte, galt fuͤr Recht, und seine Meynung war allemal die siegende. So naͤmlich stellen Schneiders Feinde die Sa- che vor; aber gewiß uͤbertrieben: die Zeit wird alles aufklaͤren. Schneider hat freilich große Fehler begangen: ob er aber auch jene scheusliche Ungerechtigkeit, jene bestialische Grausamkeiten veruͤbt habe, laͤßt sich, nach den Berichten der Elsasser, noch nicht ausmachen: die Gaͤhrung ist dort noch zu groß, und darum ist ein unpartheyi- sches Urtheil uͤber einen solchen Mann von dieser Seite noch immer nicht zu erwarten. Die Schneiderische Geschichte giebt aber die Regel: daß ein Auslaͤnder auf einem Posten, wo viel gehaͤssige Thaͤtigkeit und viel Vorsicht noͤthig ist, selten sein Gluͤck auf eine dauerhafte Art ma- che. Die oͤffentlichen Anklaͤger in Frankreich, die waͤhrend des Terrorismus im Gange waren, sind nachher beynahe alle gestuͤrzt worden: Selbst Fou- quier Tinville in Paris, der so Viele zur Guillotine befoͤrdert hatte, mußte endlich selbst hinaufsteigen. Diese Leute gleichen den Ruthen, die man ins Feuer wirft, wenn man sie genug gebraucht hat. Uebrigens glaube ich, daß die Begebenheiten und Schicksale des ungluͤcklichen, Schneiders einen guten Stoff zu einer lesenswerthen und lehrreichen Biographie geben koͤnnten, wenn ein Mann von Einsicht und Weltkenntniß sie in Arbeit naͤhme. Die reichhaltigsten und besten Materialien da- zu liefert ein Ungenannter in der Klio . Die Klio ist eine Monatsschrift für die französische Zeitge- schichte. Man lese hier vorzüglich das 9te, 11te und 12te Heft. Der Verfasser dieser Aufsaͤtze hat, wie es scheint, Hn. Schneider genau gekannt, den Gang seiner po- litischen Laufbahn schrittweise bemerkt, und beyde nach ihrem wahren Gehalt unpartheyisch gewuͤrdigt. Hier erscheint Schneider ganz nach seiner fuͤrch- terlichen Groͤße, nicht unschuldig, aber auch nicht als das Ungeheuer, wozu ihn seine rachsuͤchtigen Feinde, erst fuͤr Deutschland, dann fuͤr Frankreich gemacht haben, und dieß bis zur Reise zur Guillo- tine. Schneider ist in jeder Ruͤcksicht ein sehr merkwuͤrdiger Mann, und die Klio eine zu we- nig bekannte Zeitschrift, als daß es meinen Lesern unangenehm seyn koͤnnte, Schneiders Charak- ter, Gang und Schicksal nach Hauptmomenten ken- nen zu lernen, welche der erwaͤhnte Verfasser in der Klio von ihm entworfen hat. Mir sind es Zuͤge von einer Meisterhand. Man lese weiter, und urtheile selbst! Schneider war ein schwaͤrmerischer Freund der Revolution, und traͤumte sich goldne Tage von ihr; aber er war kein Freund von Anarchie, man mag sagen, was man will: er wollte Ordnung und strenge Ordnung, so wenig er auch selbst daran ge- woͤhnt seyn mogte. Er wuͤnschte das Gute aus voller Seele und ohne Eigennutz; aber seine Tem- peramentsfehler hinderten ihn an jener tiefen Sach- kenntniß, Weisheit und Beharrlichkeit, womit ein Mann von festem Charakter und von gereinigter Vernunft seine wohluͤberdachten Plane durchzusetzen sucht. Seinen Feinden fuͤrchterlich, seinen Freunden gefaͤhrlich, sah er sich bald von den meisten ver- lassen, die ihm einst mit Leidenschaft anhingen. Er hatte aber immer dennoch sehr gute Seiten, und war ein Mann, der rathen und helfen konnte, wenn Noth und Verwirrung alles draͤngten. Mit etwas mehr Humanitaͤt und Maͤßigung haͤtte ihn jedermann lieben und schaͤtzen muͤssen. Mangel an Delikatesse, uͤbelgeaͤußerte Eitelkeit, thoͤrigtes Selbstvertrauen und wunderlicher Stolz haben seine schoͤnsten Eigenschaften verdunkelt. Mir kam oft vor, als schwebte des unsterblichen Huttens Geist uͤber ihn, aber er blieb sich nicht gleich, und Huttens Geist war troz seiner Rauheit bey wei- tem kindlicher. Doch den Unterschied machte viel- leicht nur die Zeit. Wenigstens hat man in Schneiders Augen Thraͤnen gesehen, die des groͤßten Mannes wuͤrdig gewesen waͤren. Fast alle Unannehmlichkeiten, die er erfahren mußte, waren Folgen seiner Unbesonnenheit und seines oft unzeitigen Freymuths. Der Kurfürst von Kölln wies ihn zu Bonn einmal zu- recht. Schneider ward aufgebracht und anzüglich. Der Kurfürst rief: Schaffet mir doch den Pfaffen vom Halse! Sind denn, antwortete Schneider, Ew. Hoheit etwas anders? Frey und offen war sein Gang, fern von aller Kriecherey, und er schonte weder fremder Thorheiten, noch sei- ner eignen. Sein Gutes und sein Boͤses lag der ganzen Welt zur Schau. Da er die Fesseln des Aberglaubens und des Despotismus, als Katholik und als Moͤnch, selbst lange getragen hatte, so glaubte er sich an den Aposteln desselben nicht genug raͤchen zu koͤnnen; aber er suchte nicht so sehr zu belehren, als vielmehr aufzuraͤumen durch Spott. Eben den Weg ging Voltaire ; und eben dieser Weg ist zur Bekehrung der Phantasie-Helden in dem Ministerium des Lügen-Departements der eindringendste. Den Weg der Be- lehrung durch und nach Vernunft ging Rousseau ; aber wie viel läßt sich darauf wohl ausrichten für den großen Haufen von Theologen, Phantasten und Orthodoxen! — Man hat ein strenges Verdammungsurtheil uͤber ihn ausgesprochen, aber vergessen, welch maͤch- tige Parthey wider ihn kaͤmpfte, und wie man ihm unsinnige Verbrechen aufbuͤrdete, weil man ihn mehr anschwaͤrzen, als nach Recht und Gericht be- urtheilen wollte. Seine Gegner waren fein und schlau; Er hingegen zeigte sich immer gerade, kuͤhn und ohne Schminke. Sein Stolz beleidigte man- che Eitelkeit, und seine Superioritaͤt druͤckte schwer auf alles, was ihn umgab. Auch ohne Verbre- chen mußte er die Leidenschaften gegen sich empoͤ- ren, denn er schonte niemand, und demuͤthigte mit Blick und Charakter jeden, der kleiner war als er, und doch oft groͤßer und besser scheinen wollte. Was sich nicht gegen seine Verdienste und gegen seinen Stolz verschwor, das zitterte vor dem Stachel seiner Satyre, und wapnete sich oft selbst mit Verbrechen, um den maͤchtigen Feind zu stuͤr- zen. Große Leidenschaften zeugen große Fehler und Tugenden, und es gehoͤrt mehr, als bloßer Scharfsinn dazu, uͤber Maͤnner von ungewoͤhnli- chem Gepraͤge zu entscheiden. Man hat Schneidern Fehler und gar Laster schuldgegeben, wozu er nicht einmal Anlage hatte; und ob er gleich immer strafbar bleiben wird: so ist doch sein Todes-Urtheil aus lauter Luͤgen zusammengesezt. Schneiders Verfolgung, Ver- laͤumdung und Hinrichtung hatten ihren meisten Grund in seiner Freymuͤthigkeit gegen die Pfaffen , den Maͤre Dietrich und deren hofierenden, ver- raͤtherischen Anhang. Das Gesetz vom 28ten Jul 1791 gegen die ungeschwornen Geistlichen wurde im Niederrheinischen Departement entweder gar nicht, oder nur nachlaͤssig ausgeuͤbt: die Anhaͤnger des alten Systems fielen uͤber die geschwornen Geist- lichen her, und schlugen und mishandelten sie. Laveaux , Professor der Rhetorik zu Strasburg, suchte das Unwesen einzustellen; aber die hofierende Municipalitaͤt erklaͤrte ihn fuͤr einen Aufruͤhrer, und ließ ihn einziehen. Schneider rettete sei- nen Freund. „Ihr wisset, sagte er in seiner Rede, daß der Grund alles unseres Elends, und die Quelle aller un- serer Unruhen in unserm Departement in den gott - losen Aufhetzungen fanatischer Priester zu suchen sey. Im Anfange der Revolution war alles patriotisch: warum ist es jezt umgekehrt? Weil boshafte Pharisaͤer die Constitution als das Werk gottloser Freygeister, Gottesraͤuber und Ke- tzer verschreien; weil sie predigen, jeder, der den Buͤrgereid schwoͤre, sey ewig verdammt!“ — Als der Fanatismus noch aͤrger ward, drang er von neuem auf eine schnelle Exekution des De- krets, und wollte von Toleranz, von Menschlich- keit, von religioͤser Freyheit nichts wissen, weil die Flamme uͤber ihr Haupt schon zusammenschluͤge. Als man ihn hieruͤber der Intoleranz beschuldigte, antwortete er: „Freilich habe ich intolerante Grund- saͤtze: das wissen die gnaͤdigen Departements-Her- ren Dietrich , Ter erel , Monnet u. dgl. und ihre Anbeter am besten. Diese Grund- saͤtze predige ich aber oͤffentlich: denn ich besuche keine geheimen Zusammenkuͤnfte von frommen Muͤtterchen und Schwesterchen, bin auch kein Pie- tist, grabe keine Schaͤtze, und banne keine Geister. Ich bin aͤußerst intolerant gegen Menschen, die ein gutes, edles Volk zu gaͤngeln, und unvermerkt an den Rand des Verderbens zu fuͤhren suchen. Ich bin intolerant gegen Doppelzuͤngler, gegen Kaba- lenmacher, gegen Monopolisten des oͤffentlichen Einflusses, gegen Halbpatrioten, gegen Einschlaͤ- ferer, gegen Wucherer, mit einem Worte, gegen alle Feinde des Volks. Diese Intoleranz werde ich predigen, so lange ich lebe, sollte ich auch, wie der ungluͤckliche Pfarrer von Baͤrsch, auf oͤffentli- licher Straße gemeuchelmordet, oder wie mein Kollege Schwind von dem Prinzipal des hiesi- gen Collegiums mit gezucktem Dolche verfolgt wer- den.“ In seinen Betrachtungen uͤber den Gemeingeist und die Lage Strasburgs im J. 1793, aͤußerte er sich den 25ten Jaͤnner uͤber die Pfaffen im Elsaß und deren antirepublikanische Schliche noch eingrei- fender. Man kann denken, wie wehe das alles den Herren von jeder Kirche thun mußte, und wie unversoͤhnlich sie eben darum gegen ihn werden mußten. Dietrich unterhielt dieß Feuer schon lange, und so war er und sein uͤbriger royalistischer Anhang, naͤchst der Geistlichkeit, der Hauptgegen- stand, worauf Schneider seine revolutionnaͤre Aufmerksamkeit und seine patriotische Motionen richtete, aber immer oͤffentlich, ungeschenet und unerbittlich-republikanisch. Dietrich , ganz Hofmann, der Leute von Talenten fuͤr seine geheimen Hofplane uͤberall zu gewinnen suchte, soll an Schneiders Befoͤrde- rung nach Strasburg Antheil gehabt haben. Als Schneider ankam, war Dietrich , wie alles, enthusiastisch fuͤr ihn eingenommen. Schneider ward bald Mitglied der Constitutionsgesellschaft, und gewann hier einen großen Spielraum fuͤr seinen regen Geist und fuͤr seine oft Demosthenische Be- redsamkeit. Alles, was er that und sprach, trug — ganz wider Dietrichs erste Erwartung — das Gepraͤge des leidenschaftlichen, patriotischen Ungestuͤms; und es war vorauszusehen, daß er einst seine Meynung im politischen Fache, wie vormals im theologischen, derb und dreist heraus- donnern wuͤrde. „Wer einem freyen Volke dienen will, sagte er oͤffentlich, muß den Tod nicht scheuen. Er muß selbst den Undank ertragen koͤnnen und doch nicht aufhoͤren, die Wahrheit zu sagen. Ich sehe wohl ein, daß ich Gefahr laufe, ein Opfer meines Pa- triotismus zu werden; aber es ist meine Pflicht, den Posten nicht zu verlassen, welchen mir die Vorsehung angewiesen hat.“ — „Wer den Tod fuͤrchtet, wird immer feig seyn. — Nehmet die Furcht vor dem Tode weg, und es wird keine Sklaven mehr geben. Feigheit erzeugt den Despo- tismus, und Furcht erhaͤlt ihn.“ — Wie getreu er diesen Grundsaͤtzen geblieben ist, hat der Erfolg gelehrt. Man weiß, wie gewaltig sich mit Anfang des Jahres 1792 der Partheygeist in Frankreich geregt hat. Das Zutrauen verschwand, Bitterkeit, Grimm und alle Furien drangen mit voller Fluth daher. Jakobiner kaͤmpften gegen Fenillans, der Hof bruͤtete Plane: Alles schien verloren. Auch in Strasburg brannte es lichter- loh, und vorzuͤglich war an keine Ruhe mehr zu denken, als die Constitutionsgesellschaft sich trenn- te, und Maͤre Dietrich fuͤr einen Freund und Agenten des Hofes galt. Laveaux und Schnei - der erklaͤrten sich gegen ihn, wie gegen alles, was hoͤfisch gesinnt war. Die Personalitaͤten wurden dadurch immer anzuͤglicher, und die ganze Stadt gerieth in Aufruhr. Strasburg ist nach Paris eine der volkreichsten Städ- te Frankreichs: man rechnet die Einwohner auf 60,000. Daß Schneider den Maͤre Dietrich fuͤr den aͤrgsten Feind der Volksfreyheit ansah, und ihm die schaͤdlichsten Machinationen, voll bittern Grolles, zuschrieb, zeigen die erwaͤhnten Betrach- tungen uͤber den Gemeingeist, nebst Simo - neau 's Todtenfeyer . Hier sang er: Lasset uns der Wehmuth Thraͤne weinen Auf das Grab des edlen Simoneau , Weil er starb als Hirte fuͤr die Seinen, Weil er nicht als feiger Miethling floh! Weil er nur fuͤr seine Bruͤder lebte, Weil er stand im Sturme der Gefahr, Weil er vor dem Tode selbst nicht bebte, Weil er treu dem Buͤrgereide war. Keiner lebte noch im Frankenreiche, Keiner starb so tugendhaft wie Er. Ach, daß ihm am Buͤrgersinne gleiche Jeder Volksbeamte, jeder Maͤr! Strasburg war vorzeiten eine der ansehnlichsten Reichsstädte in Deutschland. Das sogenannte Philisterwesen, oder das ungeschliffne Goliathisiren der Reichsstädter war durch die Verbindung mit Frankreich noch immer nicht abgeschliffen. Nun nehnte man ein Domstift hinzu, Bischöfe und Adliche von Außen, die im Elsaß zu verlieren hatten: und die Größe der G ährung ist kein Räthsel mehr. Vierter Theil. O Er versuchte nicht, das Volk zu blenden Durch Betrug und falscher Andacht Schein, Und das fromme Christenmal zu schaͤnden, Um bewundert und gewaͤhlt zu seyn. Er verlangte nicht von seinen Soͤhnen, Das zu glauben, was ihm Thorheit schien, Fuͤhrte nicht, um einem Hof zu froͤhnen, Heuchelnd sie zu fremden Priestern hin. Simoneau ernaͤhrte sich vom Fette, Von dem Mark der guten Buͤrger nicht: Er bewahrte keusch sein Ehebette, That als Mann und Buͤrger seine Pflicht. Scham und Wuͤrde stand auf seiner Stirne, Er vermied das Laster, wie die Pest, Er beging mit keiner feilen Dirne Ein entehrendes Bachantenfest. Er beherrschte nicht des Volkes Wahlen, Er betrog den schlichten Landmann nicht, Sagte nicht bey Glaͤsern und Pokalen: „Buͤrger, schreibt, was euer Sultan spricht!“ Andre mogten vor Ministern knieen, Mogten kuͤssen eines Prinzen Hand: Er verkaufte nie den Thuillerieen Sein Gewissen und sein Vaterland. Er verfolgte nie die Freyheitswaͤchter, Trennte bruͤderliche Bande nie; Aber ward auch niemand zum Gelaͤchter, Da er wieder um Versoͤhnung schrie. Ließ er je den Mann in Ketten schmachten, Der den Schleier von dem Laster zog? Haßt' er jene, die fuͤr Freyheit wachten? Liebt' er den, der Freyheitsliebe log? Ließ er ungeahndet das Verbrechen? Zog ihn je das Laster in das Netz? Ließ er Hohu dem Vaterlande sprechen? Seine Gottheit hieß sie nicht: Gesetz ? Ach, er starb an ihrem Hochaltare! Ach, er gab sich selbst zum Opfer hin! Sehet dort den Edlen auf der Bahre, Sehet und benezt mit Thraͤnen ihn! Pflanzt um seine Staͤtte, Frankensoͤhne, Einen Lorber- und Cypressenhain, Und es stimme jede sanfte Schoͤne In die dumpfe Todesfeier ein! Buͤrgerinnen, fuͤhret Eure Kleinen In den Hain, der unsern Helden ehrt! Wenn sie dann bey seinem Namen weinen, Freuet Euch, sie sind der Freyheit werth! Daß nach oͤffentlicher Ablesung dieses Gedich- tes alle koͤniglichgesinnten Freunde Dietrichs uͤber Schneider herfielen, war natuͤrlich, aber zugleich ein Beweis, daß sie die Wahrheit der Schilderung fuͤhlten. Freilich gab Schneider vor, er habe Dietrich nicht gemeint; das aber glaubte Keiner. Er gab sogar ein Flugblatt zu seiner Vertheidigung heraus; aber es bewies — nach Schneiders satyrischer Art — noch mehr. „Wenn ich, sagte er hier zu einem Freunde des Matre's, mit Hn. Dietrich unzufrieden waͤre, so muͤßten Sie den Grund dieser Unzufriedenheit, nicht in einer Privat - Leidenschaft , sondern in meiner Vaterlandsliebe , und in meinem unuͤberwindlichen Hasse gegen alle Feinde des all- gemeinen Bes ten suchen. Ich habe nur eine Lei- denschaft, und die heißt Freyheitsliebe . — Mein Temperament ist wahrlich mehr zur Men- schenliebe, als zum Menschenhasse bestimmt. — Ich habe in meinem Leben viele Feinde gehabt, viel Unrecht erlitten, aber nie, nie habe ich mich geraͤcht; und wenn ich jezt vor den Augen Gottes sagen sollte, ob ich jemand auf Erden hasse, so wuͤßte ich niemand zu nennen.“ „Am Wuͤrtembergischen Hofe schrieb ich ein Gedicht auf Friedrich II, und sagte unter andern von dem großen Manne: „Verkriechet euch Despoten! was schaut ihr Ihm ins Gesicht? Er traͤnkte den Schmeichler nicht Mit Waisenblut, und feile Dirnen Maͤstet' er nicht mit dem Mark des Buͤrgers. In seinem Kerker faulte der Denker nicht; Sein Censor fraß nicht, gleich dem Getraidewurm, Der Schriften Kern aus, daß die Huͤlfen Schmachtenden Lesern den Gaumen rizten. Sein Glaube war nicht kuͤnstliches Wortgeweb, Nach keines Wurmes dreistem System geformt, Nicht millionenfach durchflochten: Einfach, wie Gott und die Wahrheit, war er, — Verheerten Friedrichs Jaͤger die Hoffnungen Des Landmanns spottend? u. s. w. Die ganze Ode findet man in den Gedichten von Eulo - gius Schneider , S. 30, der zweyten Auflage, mit dem Bildnisse des Verfassers. Was? haͤtte der Herzog sagen koͤnnen, das ist eine Satyre auf Mich! Denn sehet nur, der Heuchler lobt Friedrich auf meine Kosten! Ich sehe mich in diesem Bilde, wie im Spiegel. Der Despot, der sich vor dem Antlitz des großen Koͤnigs verkriechen soll, bin Ich. Mir wirft er vor, daß ich meine Spionen und Schmeichler mit der Habe der Waisen naͤhre, und daß ich auf Ko- sten meines Landes Buhldirnen halte. Die zweyte Strophe zielt offenbar auf meine Ungerechtigkeit gegen Schubart , den ich, mir nichts dir nichts, zehn Jahre auf dem Hohen-Asperg im Gefaͤngnisse sitzen ließ. Zugleich tadelt er meine strenge Auf- sicht uͤber das Buͤcherwesen, und meinen Abscheu vor Publicitaͤt. In der dritten Strophe spottet er meines falschen Religionseifers und meines Aber- glaubens. Denn ob ich gleich ausschweifend lebe, so glaub' ich doch alles, was mir die Roͤmisch- Katholische Kirche zu glauben vorlegt. — Von der vierten Strophe will ich gar nicht sprechen: man sieht ja offenbar, daß sie auf meine Parforce- Jagden und Wildhegungen zielt.“ „So haͤtte der Herzog, oder in seinem Namen ein Hofjunker oder Schreiber sagen koͤnnen: Aber der Herzog und seine Junker und seine Schreiber sagten kein Wort; und man glaubt, daß sie sehr weislich daran thaten!“ „Ein andermal schilderte ich in einer Predigt das Bild eines guten Fuͤrsten. Da geschah es denn zufaͤllig, daß kein einziger Zug dieses Bildes auf den Herzog paßte. — Da ich aus der Kirche kam, machte mir der Herzog ein Kompliment uͤber die vortreffliche Predigt, und ermahnte mich, in die- sem Tone fortzufahren. Das werde ich, war meine Antwort, und der Herzog und seine Junker und seine Schreiber laͤchelten an demselben Tage freundlicher gegen mich, als gewoͤhnlich. — Man dachte nicht daran, mich der Heucheley zu be- schuldigen. Meine Freunde sagten nur: Ach, Sie machen sich gar zu viele Feinde! Ich antwortete ihnen: ich freue mich, von denen gehaßt zu wer- den, welche die Wahrheit und die Tugend hassen. Es muß Leute geben, welche schlechterdings allem trotzen, um frey sprechen und schreiben zu koͤn- nen.“ — Das kam tief aus Schneiders Seele! Wahrheit wollte er reden kuͤhn und ohne Menschen- furcht: Schade, daß er zuviel Spott einmischte, und erbitterte, wenn er bessern wollte. Im Kam - pfe fuͤr die Wahrheit — hat er auf dem Schafot geblutet: das wissen Viele, aber Wenige wagen es zu sagen. Man hat dem Manne kleine, weibische Niedertraͤchtigkeiten vorgeworfen: das war nur Verlaͤumdung ! Man hat ihn zum Barbaren gemacht, aber mehr aus Schwaͤche, Neid und Rachsucht, als aus Liebe zur Gerechtig- keit. Er verdient in keinem Pantheon aufgestellt zu werden; aber er verdient, daß man ihm eine Thraͤne weine, wie jedem gefallenen großen Man- ne, wandere er nun wie Marius unter den Ruinen von Karthago, oder wie Hutten auf der einsamen Insel des Zuͤrchersees! Wie fest er der Wahrheit anhing, und wie un- gestuͤm, aber auch wie edel er der Verlaͤum - dung die Spitze bot, zeigt folgendes: „Weder Kerker, noch Tod soll mich antreiben, wider mei- ne Ueberzeugung zu sprechen. Man hat sich bis- her Muͤhe gegeben, mir euer Zutrauen zu rauben, man hat mich als einen Auslaͤnder, als einen Abentheurer verschrieen. Man hat mir bis ins Hei- ligthum meiner friedlichen Wohnung Spionen und Verraͤther nachgeschickt, um meinen moralischen Charakter und meine Lebensart verdaͤchtig zu ma- chen. Man hat spanische Inquisition uͤber meine Privat-Unterredungen angestellt, und oͤffentliche Blaͤtter mit den schwaͤrzesten Verlaͤumdungen wider mich angefuͤllt. Das thut aber nichts: ich werde fort- fahren, fuͤr euer Wohl, fuͤr die Sache der Freyheit, fuͤr die Sache der ganzen Menschheit zu kaͤmpfen, so lange ich athme. Sie sollen auftreten die Verlaͤum- der, und mich einer schlechten Handlung uͤberzeugen! Sie sollen sie nahmhaft machen die Verbrechen, die sie mir andichten; und dann Buͤrger, dann jaget mich als einen Schurken aus eurer Mitte!“ — So sprach — Schneider ! Aber so spricht nicht der Mann, der da weis, daß das wahr ist, was man schlecht von ihm spricht. Verlaͤumdung war das Meiste! Kabale war es von Priestern und Hoͤflingen! Wie haͤtte er sonst auch so große Sitt- lichkeit von den Volksbeamten oͤffentlich fodern koͤnnen! „Leset die Geschichte aller Freystaaten, rieth er, und ihr werdet finden, daß Maͤnner von den groͤßten Talenten, wenn sie nicht auch stren - ge Sitten hatten, am Ende Verraͤther ihres Vaterlandes wurden. Die Sache ist aus der Na- tur der Dinge leicht erklaͤrbar. Der Wolluͤstling hat viele Beduͤrfnisse: viele Beduͤrfnisse erzeugen Schulden: Schulden erzeugen Niedertraͤchtigkei- ten: Niedertraͤchtigkeiten erzeugen Verzweiflung: Verzweiflung erzeugt Meineid und Hochverrath. — Erinnert euch an Alcibiades und Aristi - des . Jener war luͤderlich und verrieth sein Vaterland; dieser war streng in seinem Wandel, und blieb dem Vaterlande auch alsdann noch treu, nachdem es ihn mit Undank verstoßen hatte. Kato blieb unbestechlich; denn er war maͤßig und tugend- haft. Antonius ward Verraͤther; denn er hatte keine Sitten. Brutus und Caͤsar geben ein drittes Beyspiel. Dieser wurde aus einem ausschweifenden Feldherrn ein Tyrann; jenen bil- dete sein Stoicismus zum Befreyer Roms.“ Schneider konnte nicht einmal der Boͤse- wicht seyn, wofuͤr seine Feinde ihn ausgaben: Zeuge davon ist seine innige Achtung gegen die mildere Natur in seinem Briefchen an die un- verdorbenen Patrioten im Muͤnsterthal. „Ich le- be wieder in Strasburg, schrieb er an diese Leute, aber mein Geist schwebet mitten unter euch. Nie, nie werde ich sie vergessen, die freudigen Stunden, welche ich in euren schoͤnen Gefilden verlebte. Die Natur hat euch in ein gluͤckliches Thal gesezt; und eure Haͤnde wissen die Wohlthaten der Natur zu benutzen. — Heil Euch, daß Ihr ruhig und fern vom Gewuͤhle der Staͤdte Eure Aecker bestellen, Eure Weinberge bauen, Eure Ziegen und Kuͤhe weiden koͤnnet. Ihr seyd Kinder der Natur, und wuͤrdig der Freyheit. In Eure Huͤtten wird sie zulezt sich fluͤchten, die heilige Freyheit, wenn Stolz, Eigennutz und Herrschsucht sie aus den Staͤdten werden verjagt haben. Ihr wisset nichts von den tausendfachen Raͤnken, deren sich der Hof bedient, das schoͤne Gebaͤu unserer neuen Verfas- sung zu untergraben. Ihr habt die offenbaren Feinde des Gesetzes besiegt; und die Verraͤther werden Euch nicht schaden koͤnnen, weil Ihr gera- den Sinnes, weil Ihr ein unverdorbenes Volk seyd.“ „Da ich den Freyheitsbaum zu Sulzbach aufrichten half, da ich unter seinem Schatten zu Euch redete, da ich an Eurem laͤndlichen Feste und Gesange Theil nahm: wie fuͤhlte ich mich da so selig! Wie schlug mein Herz vor Freude! Wie leicht vergaß ich alle Leiden, mit denen die Fein- de des Volks mein Leben hier vergaͤllen! Haͤtte ich nicht geschworen, an dem Posten zu sterben, den mir die Vorsehung angewiesen hat: so wuͤrde ich mir unter Euch eine Huͤtte bauen, und den Rest meiner Tage dem Genusse der schoͤnen Natur, und der einsamen Betrachtung nuͤtzlicher Wahrhei- ten widmen.“ Dieß auszufuͤhren wuͤrde ihm wenig Ueberwin- dung gekostet haben. Sein haͤusliches Leben war sehr einfach und thaͤtig. Sein Tisch war arm, seine Kleidung reinlich, aber gering. Wer mit ihm umging, wunderte sich, daß der Mann, den man uͤberall der Schwelgerey beschuldigte, so maͤßig und exemplarisch lebte: doch auch hieraus sogen seine Verlaͤumder ein subtiles Gift. Es ist ordentlich, als waͤre die royalistische Parthey in Strasburg mit Blindheit geschlagen gewesen: so thaͤtig und unverdrossen arbeitete sie wider sich selbst. Ueberall gab sie Bloͤßen, und Schneider war zu sehr Volksfreund, als daß er diese nicht zur Demuͤthigung jener Herren haͤtte benutzen sollen. Die selbstsuͤchtigen Herren trieben ihr Wesen, wie ihre hergebrachte Gewohnheit und ihre Herrschsucht es mit sich brachte: und darum sollte das Volk in seiner alten Finsterniß und Un- terjochung bleiben. Das aber wollte Schneider und sein patriotischer Anhang nicht, und dieß er- regte Trubel uͤber Trubel. „Ist es ein Wunder, sagte Schneider , wenn dem Volke die Geduld ausgeht? Soll etwa das Volk allein philoso- phische Maͤßigung beobachten, indeß der Aristo - kratismus , gestuͤzt von Verwaltern und Rich- tern, sich Alles erlaubt?“ — Um den Hinterhalt und den Gipfelzweck der Aristokraten zu bestuͤrmen, that Schneider alles, was warme, ungefaͤrbte und edle Volksliebe — wie er sie dachte und fuͤhlte — ihm gegen das Koͤ- nigthum in Frankreich eingab. Er griff ohne Schonung darauf ein, und drang endlich; als der Staͤrkere, durch. Als der Kampf daruͤber entschieden war, bewies er haͤufig: daß es mi r der Koͤnigschaft, wie mit so vielen andern Sachen, sey : So bald man sie wegschaffe, denke kein Mensch mehr daran. Zur Unterstuͤtzung seiner Behauptung schrieb er Folgendes: Alcest . Eine Erzaͤhlung . In einer kleinen Stadt Italiens War einst ein Mann: sein Name hieß Alcest. Er hatte just das Pulver nicht erfunden, Doch war er schlicht und meynt' es herzlich gut. Wenn er nicht schlief, so wacht' er ohne Fehl, Und wenn er nicht bey seiner Arbeit saß, So dacht' er uͤber dieß und jenes nach, Und manchmal fiel ihm auch was Gutes ein. An einem Abend ging er um den Graben Der kleinen Stadt spatzieren; da ertoͤnte Die Todtenglocke. Ploͤtzlich kehrt' er um, Und eilte nach dem Thore, was er konnte, Und fragte keuchend, wer gestorben sey. „Der Gouverneur! versezten ihm die Leute. „Der Guvernoͤhr? — Verlaßne, arme Stadt! Wer wird denn nun regieren?“ schluchzet er, Und weinte laut. Den Kummer zu vertreiben, Begab er sich ins nahe Kaffeehaus. Und ließ sich Limonade reichen. Hier Vernahm er aus dem roͤmischen Kourier, Der Kaiser sey gestorben. — „Großer Gott! Der Kaiser ist gestorben? Welcher Jammer Fuͤrs ganze Reich! Wer wird es jezt regieren!„ So seufzet er, und will nach Hause gehn. Da koͤmmt sein Nachbar und versichert ihn, So eben sey die Nachricht angekommen, Der heilige Vater sey zu Rom verschieden. „Der heil'ge Vater todt? — O Christenheit! Wer wird dich nun regieren! Ferner Kann die Welt nicht mehr bestehen: Morgen koͤmmt Der juͤngste Tag!“ — Mit kummervollem Herzen Und banger Ahndung kehrt' er nun nach Hause, Und legte sich ins Bette, kreuzte sich, Erweckte Reu und Leid, und haͤrmte sich Bis Mitternacht: dann schlief er endlich ein. Des Morgens stand er voll Besorgniß auf, Und sah durchs Fenster, ob die Welt noch staͤnde: Und, siehe da, die Baͤume gruͤnten noch In seinem Garten: lieblich schien die Sonne, Die Voͤgel sangen, Arbeitsleute gingen Ins Feld, wie sonst: die Schmiede haͤmmerten, Die Kraͤmer machten ihre Laͤden auf, Und Alles war, mit einem Wort, wie sonst. Ei, sprach Alcest getroͤstet zu sich selber: Die Stadt bestehet ohne Guvernoͤhr, Das Reich bestehet ohne Kaiser, selbst Die Christenheit bestehet ohne Papst: Die Herren sind uns also uͤberfluͤßig! Man sieht uͤberall, daß Schneider jeder Art von Darstellung gewiß mehr, als sonst einer in Strasburg, gewachsen war: und eben darum haͤtten seine Gegner die Klugheit haben sollen, sei- nen republikanischen Patriotismus nicht bis zum vulkanischen Ausbruch zu reizen. An Materie da- zu, fehlte es ihm, als Philosophen und scharfen Beobachter, durchaus nicht, und als Redner und Dichter, an Form noch weniger. Denker fesselte er durch Gruͤnde, die er durch Action und Decla- mation eindringend zu beleben wußte; und durch Satyren oder Erzaͤhlungen gewann er den Lacher und das Volk. Die bitterste, die er je schrieb, ist: Die Municipalitaͤtswahl zu Abdera . Er schrieb sie — und das kann man ihm kaum ver- zeihen — auf den gefangnen Dietrich , Dietrich , der die arme Stadt Strasburg , durch sei- nen gränzlosen Ehrgeiz und durch übelangelegte, aber noch schlechter ausgeführte Plane, in soviel Unglück gestürzt hatte, flüchtete endlich von Strasburg, und war am Ende thörigt genug, von selbst zurück zu kehren. Alles fiel nun über ihn her, und man zog ihn gefänglich ein. Sein Proceß und seine Hinrichtung sind bekannt. und s t ellte dessen ganze Geschichte darin auf, nebst Zuͤ- gen aus der Geschichte und den Sitten der Stras- burger. Als er merkte, wie bitterscharf diese Spott- schrift noch nach einigen Monaten gegen Dietrich wirkte, gestand er jemanden unter vier Augen: Er wolle, er haͤtte das Ding nicht gemacht. — So schwach war Schneider , aber auch so gutmuͤ- thig! „Gott weiß es — sagte er, als man ihn zu Ende Novem- bers 1792, bey der neuen Beamtenwahl zu Weißenburg, zum öffentlichen Ankläger ernannt hatte — Gott weis es, daß ich einen solchen Posten mir nie wünschte ! Ich rieth daher allen denen, die mir ihre Absicht, mich zu wählen, eröffneten, sich nach einem Manne umzusehen, dem mehr, als mir, damit gedient wäre. Die Verrichtungen eines öffentlichen Anklägers würden meinem Herzen äußerst schwer gefallen seyn. Sie wür- den mich aus meinen litterarischen Beschäftigungen und der Sphäre eines Schriftstellers herausgerissen, und zu Arbeiten verdammt haben, welche mit meiner natürlichen Gemüthsart allzusehr kontrastiren. Doch ein guter Bürger muß die Stim- me des Volks verehren, und jedes Opfer sich gefallen lassen, welches das allgemeine Beste fodert.“ — Als die Repräsen- tanten ihm nachher verboten, s eine Anklägerstelle aufzugebe n erklärte er öffentlich: „Ich bleibe an meinem Posten, und weiß zu sterben für die Sache der Freyheit und Gerechtigkeit. Nicht erst seit gestern wandle ich unter Meucheldolchen.“ — Nur, weil er einsah, daß der oͤffentliche An- klaͤger gegen die Werkzeuge der Gegenrevolution gar zu nachsichtig verfuhr, und daß ohne strenge Exekution der Gesetze die Republik nie zu Stande kommen wuͤrde, trat er sein Anklaͤger-Amt erst in der Mitte des Februars 1793 an, obgleich er schon das Jahr vorher dazu ernannt war. „Ich will nichts, sagte er in seiner Rede an die Volksgesell- schaft, als eine einzige, unzertreunliche Republik: weg mit Menschenwillkuͤhr : das Gesetz al - lein muß herrschen! Die Bosheit beuge ihr Haupt vor dem Gesetze, oder stuͤrze hin unter dem Beile der Gerechtigkeit. Ich will nichts als Ge- rechtigkeit. Dazu verpflichte ich mich feierlich. Handle ich je dawider, so betrachtet mich als ei- nen Verraͤther: so fliege mein Kopf hin aufs Blut- geruͤst!“ Die oͤffentlichen Angelegenheiten lagen ihm naͤ- her am Herzen als seine eignen. Er wußte, daß man recht darauf ausging, ihn durch die schaͤnd- lichsten Geruͤchte zu stuͤrzen, und doch gab er sich nicht immer Muͤhe genug, sie zu entkraͤften. So wurde unter andern einmal ausgesprengt: er wolle in seiner naͤchsten Predigt darthun, es gaͤbe keinen Gott. Einige Freywillige glaubten das, und schwuren, den Vikar auf der Kanzel zu erschießen. Schneiders Predigt haͤtte jezt gerade das Da- seyn Gottes beweisen sollen; aber sie handelte von der Rache des Weisen und des Christen, und em- pfahl großmuͤthige Vergebung. Das Geruͤcht blieb nun im Gange, faßte festen Fuß, und Schneider ward, ob er gleich nichts weniger Vierter Theil. P war, verschrieen als ein Gotteslaͤugner in ganz Frankreich. Sogar scheint Robespierre von dem Geschrey des Volks daruͤber Anlaß genommen zu haben, den Glauben an Gott in einer National- Rede zu befestigen. Endlich machte man Schneider gar zum Mitschuldigen von Cuͤstine und Duͤmouriez . Aber Monnet , aus Nancy gebuͤrtig, stand an der Spitze einer Faction, welche die Herrschaft uͤber Strasburg an sich reißen wollte, und nach und nach alle diejenigen aufopferte, die sich ihren ehrgeizigen und selbstsuͤchtigen Absichten widersez- ten. Dieser Tyrann, nebst St. Just und Le - bas , waren diejenigen, welche Schneider e inziehen und vor das Revolutionstribunal zu Paris fuͤhren ließen. Neueste Staats-Anzeigen , 1. B. 2tes St. S. 51 u . 67 in der Appellation der Gemeinde Strasburg an die Republik und die National-Konvenzion. Schneider starb hier, wie man weiß, unter der Guillotine. Vielleicht theile ich in der Folge noch einige Nachrichten mit, welche diesen fuͤrchterlichen Maͤr- tyrer des republikanischen Enthusiasmus von einer ehrwuͤrdigen Seite zeigen werden. Vor der Hand mag dieß genug seyn, um auf eine Schrift auf- merksam zu machen, welche einen Mann darstellt, der unter Frankreichs republikanischen Helden und Maͤrtyrern dereinst eine ruͤhmlichere Stelle einneh- men wird, als Robespierre , durch Seines Gleichen verleitet, sie ihm anweisen ließ. Auch hoffe ich jezt auf Schneiders Argos , oder den Mann mit hundert Augen aufmerk- sam genug gemacht zu haben, und verspreche mir von jedem, der diese merkwuͤrdige Schrift, auf meine Veranlassung, kennen lernen wird, nicht nur Nachsicht fuͤr diese Episode, sondern auch noch dafuͤr Dank, daß ich ihn, durch ausgehobne Stel- len, mit einem Werke naͤher bekannt machte, das fuͤr den Geschichtforscher, Dichter, Redner, Staats- mann und Philosophen gleich viel Interesse hat. Vielleicht liefere ich dereinst auch noch einen Nach- trag zu seinen Gedichten. Doch es ist hohe Zeit, daß ich den Faden meiner eignen Geschichte weiter fuͤhre. Also nachdem ich den Eulogius Schnei - der persoͤnlich kennen gelernt hatte, wollte ich auch den Erzphantasten, Johann Michael Lobstein , be- suchen. Meine Leser kennen diesen Mann schon aus dem ersten Theile meiner Geschichte (S. 201.); und eben, weil ich ehemals in einiger Verbindung mit ihm gestanden war, wollte ich ihn auch jezt besu- chen. Man zeigte mir sein Haus, als ich aber herein trat, erfuhr ich von seiner Frau, der Toch- ter des ehemaligen Professors Diez in Gießen, daß er nicht zu Hause sey; und auf meine Frage, ob er bald kommen wuͤrde, antwortete mir das noch immer huͤbsche Weibchen, daß er unter einer ganzen Dekade, d. i. in 10 Tagen, nicht wieder kaͤme. Ich ging also weg, ohne an Lobstein weiter zu denken, und begab mich auf das Wirths- haus zum tiefen Keller, wo ich vorzeiten bekannt geworden war. Der Wirth war indessen gestorben, und die Tochter hatte geheurathet. Ihr Mann war ein huͤbscher junger Mann, der mit mir von den alten Zeiten plauderte. Ich fragte so nach diesem und jenem, und kam endlich auf den Dok- tor Lobstein . Ja, sagte der Wirth, der steckt fest: der sizt auf dem Gemeinhaus! Ich erschrack, daß auch Lobstein einsitzen sollte, fragte nach der Ursache, und hoͤrte folgende. Lobstein war gleich bey dem Anfange der Revolution mit dem neuen Systeme nicht zufrie- den. Er war einer von jenen geduldigen Schafen, welche sich um Jesu Christi willen traktiren lassen, wie man nur verlangt. Er hielt dafuͤr, daß dieser Zeit Leiden nicht werth seyen der Herrlichkeit, die an uns soll offenbaret werden, und daß man folg- lich ohne große Suͤnde sich keiner Schmach noch Bedruͤckung entziehen duͤrfe. Zudem sey Ludwig XVI. Koͤnig und Obrigkeit, und es sey doch nach dem klaren Ausspruch Pauli (Roͤm. XIII. 1.) keine Obrigkeit ohne von Gott. „Sezt Gott uns solche Brut zu Königen auf Erden: So kann der Teufel auch noch sein Gesalbter werden,“ sagt Herr von Nicolay in seinen Sinngedichten. Er sagt ferner: „Vernunft, Zeit, Neuer e r und Spötter Verjagen endlich selbst die Götter Von dem Olymp. Kein Mars, Merkur, noch Jupiter, Noch Juno, noch Minerva gelten mehr.“ „Wir sind nicht mehr in jenen Zeiten, sagte Condor - cet in seiner Rede über die Republik , wo man unter die Mittel, die Macht der Gesetze zu sichern, jenen Aber- glauben zählte, der aus einem Menschen eine Art von Gott- heit macht. Ohne Zweifel glauben wir nicht mehr, daß man, um die Menschen zu regieren, ihre Einbildungskraft mit ei- ner kindischen Macht rühren müsse, und daß ein Volk ver- leitet seyn werde, die Ges e tze zu verachten, wenn der oberste Verwalter derselben nicht einen Großgarderobenmeister besizt.“ Auch befehle der h. Petrus (Br. I. Kap. 2, 13.) allen Men- schen, unterthan zu seyn aller menschlichen Ord- nung. Niemand duͤrfe, laut dem Buche der Weis- heit im 6. Kap. 4. Vers, fragen, wie die Obrig- keit handle, noch was sie mache: es sey daher ein frevelhafter Eingriff in die Rechte der Obrigkeit, welche ihr von Gott seyen gegeben worden, wenn man ihre Thaten mustern wollte. In einem gewissen Lande sollten vor zwey Jahren alle Pre- diger über Josuä 24, 21. eine Predigt halten. Der Conci- vient des Befehls schrieb statt Josuä Jesaiä, und nun hieß der Text: „Zu der Zeit wird der Herr heimsuchen die hohe Ritterschaft, so in der Höhe sind, und die Könige der Erde so auf Erden sind, daß sie versammelt werden in ein Bünd- lein zur Grube, und verschlossen werden im Kerker, und nach langer Zeit wieder heimgesucht werden“ u. s. w. — Man sieht hieraus, daß Friedrich II. nicht unrecht hatte, als er die Bibel eine wächserne Nase nannte, die jeder Sektirer Selbst der Herr Christus bekenne (Joh. XIX. 11.) daß Pilatus die Gewalt, Unrecht zu thun, und un- schuldige Menschen geißeln und kreuzigen, Schul- dige aber loszulassen, von oben herab, d. i. von Gott erhalten habe. Solch wunderliches Zeug, das freilich so recht aus dem verhuuzten Bibelwesen entspringt, pre- digte der Schwaͤrmer Lobstein im Anfange der Revolution seinen Pfarrkindern zu Strasburg ohne Aufhoͤren. Aber als gegen das Ende des Jahres 1793 aller oͤffentliche Gottesdienst vollends aufge- hoben und verboten wurde, da konnte er seinen Feuereifer gar nicht mehr baͤndigen, und er spruͤhte Flammen und Tod uͤber alle die, welche den Herrn verlaͤngneten, und die heilige Religion Jesu, des Sohns des lebendigen Gottes, zerstoͤrten. Er lief, da er nicht mehr predigen durfte, und die Kirchen verschlossen waren, von Haus zu Hause, geberdete sich ganz rasend und unsinnig, und drohte im Na- men des dreyeinigen Gottes, daß naͤchstens das gottlose Frankreich, gleich wie Sodom und Go- morrha, untergehen, und vernichtet werden wuͤrde: zu drehen und zu modeln sucht, wie sein Ammen-Glaube und sein Katechismus es wolle. Lobstein citirte die Bibel, um die Königschaft in Frankreich aufrecht erhalten zu helfen: Cromwell citirte sie, um in England das Gegentheil zu bewirken. Also — alle Anhaͤnger der verfluchten Rotte zu Paris wuͤr- den hinabfahren in den Pfuhl, der mit Pech und Schwefel brenne, u. dgl. Anfaͤnglich ließ man den Narren gehen und faseln: als es aber zu arg wurde, und einige schwache Koͤpfe wirklich bey dem unsinnigen Ge- predige stuzten, und anfingen, die goͤttlichen Ge- richte und das vom Himmel fallen sollende Pech und Schwefel zu fuͤrchten, so steckte man ihn ein, und bekuͤmmerte sich um ihn nicht weiter. Er ist auch, ohnerachtet er unaufhoͤrlich darum bat, weil er gern ein Maͤrtyrer fuͤr seine Fratzen geworden waͤre, nicht bestraft, ja nicht einmal verhoͤrt wor- den. Er ist indeß lange gesessen, und starb erst im Anfange d. J. 1795 im Gefaͤngniße zu Strasburg. Freund Herrenschneider , den meine Leser auch schon aus den ersten Baͤnden meiner Biogra- phie kennen, hat es kluͤger gemacht: er ließ den Mantel huͤbsch nach dem Winde haͤngen, und pre- digte damals den Jakobiuismus und den Deismus im Klubb, wie ehemals die Hoͤllenfahrt des Herrn Jesu. Sechszehntes Kapitel. Religionszustand in Frankreich, am Ende des Jahres 1793. I ch wuͤrde einen unverzeihlichen Fehler begehen, wenn ich meinen Lesern nur meine eigne Historie erzaͤhlen wollte, und ihnen nicht alles mittheilte, was ich in Frankreich gesehen und erfahren habe. Dahin gehoͤrt vorzuͤglich der Zustand des Religions- wesens, wovon ich in diesem Kapitel reden will. Die herrschende Religion in Frankreich war, vor der Revolution, die Roͤmisch-Katholische. Man weiß, durch welch abscheuliche Mittel die Pfaffen und deren abgestumpfte Beichtkinder und Buͤttel, Ludwig XIV. und XV. diese Religion zur herr- schenden und alleinigen gemacht haben. Das Hofleben und die unberechnete ungeheure Verschwendung der Großen in Frankreich — waren eine Folge der durch Politik durchaus ge s chwächten Moralität. Man hat dieß lezte den Jesuiten zu ihren vielen Sünden mit angerechnet, aber man that den Leuten in gewisser Rücksicht zuviel. Ehe sie waren, war Macchiavel , und vor diesem schon das, was er systematischsein nach der Geschichte geißelte. Was die von Medicis thaten, thaten die Ludewig e auch. Sie bef o lgten eine Politik, welche durch Ungerechtigkeit und Ver- schmiztheit, nach dem Gesetz des Listigern und Starkern, einen Krieg Aller gegen Alle nach sich zog, das Zutrauen zwischen Völkern, wie zwischen Regenten und Unterthanen schwächte, und so jeden lehrte, mehr für sich zu sorgen, als fürs Ganze. Hiedurch ward ein gewi ss er moralischer oder vielmehr politi- Noch lange wird man sich an die Wirkungen dieser sau- bern Religion, z. B. an die Hinrichtung des Jean Calas zu Toulouse u. s. w. erinnern. — scher Egoismus bey Hofe herrschend, und durch den Hof bey der Nation: denn wie der Hirt, so seine Heerde. Die Jesuiten , als sie aufkamen, bemerkten diesen Zustand, und als schlaue Köpfe, die sich in die Zeit und die Menschen zu schicken wußten, maßen sie, um Eingang zu finden, ihre Moral der vorgefundenen Politik an. Sie mach- ten nur die Kissen, worauf die Politik ohne Gewissensbisse königlich überlisten, wüthen, morden, rauben, und dennoch christlichsanft ruhen, ja, sogar als Heilige von hinnen schei- den konnte. Ihre Lehre über den Probabilismus , nebst dem Grundsatz, daß der Zweck die Mittel heilige, waren das Prov pfmess er, durch dessen Hulfe sie das abge f e i mteste System der Menschen- und Dinge-Behandlung auf den Stamm der positiven Religion propften, und dadurch heiligten. Dieß System fröhnte der Politik und den Leidenschaften der Großen zu sehr, als daß es nicht hätte Hofsystem werden sollen. Es ward es, und die Jesuiten beherrschten von nun an die Gei- ster- und Körperwelt, im Cabinet wie im Beichtstuhl. Den Erfolg davon lehrt die Geschichte. Man herrschte mit heili- ger Beruhigung jezt unumschränkt, so weit List und Kraft es zuließ, ohne Rücksicht auf Recht, Vernunft, Achtung, Haltbarkeit und Verträge. Der Listigste war der Beste; und Christus, Sakramente, Gnade und Beichtväter waren die Mittel, die gröbsten Vergehungen zu tilgen, und den Länder- und Völker-Rauber, Verräther, Mörder und Schinder zum Heiligen umzustempeln. Die Moralität und der Werth der Menschen lag jezt mehr außer ihnen, als in ihnen. Eine Bartholomäusnacht ward ein verdienstliches Werk durch den Mund und die Hand des absolvirenden Beichtvaters. Allein was den Königen zu Gute kam, kam deren Unter- thanen es nicht minder. Sündige keck, beichte reumüthig, und du wirst selig — ward der Grundsatz aller jesuitisch- katholischer Christen. Die Politik verstieß systematisch gegen die Grundsätze der allgemeinen Moral: und wie konnte man erwarten, daß die Moral der Unterthanen die Politik der Beherrscher noch achten sollte! Friede umarmt nur Gerechtig- keit: und mit dem Maaße, womit Andere uns messen, messen wir ihnen wieder: respektiren sie unsere und Anderer Recht e Unter der Regierung Ludwig XVI. war freylich viel Toleranz in Frankreich: das kam aber nicht daher, als wenn die Pfaffen toleranter geworden waͤren: nein, die Ursache war vielmehr, daß die Layen den Pfaffen und der Kircherey entwachsen waren, und daß die Buͤcher des Voltaire, des Rousseau, des Montesquieux und andrer Philo- sophen, von allen Klassen gelesen wurden, und Eingang uͤberall fanden, weil sie verstaͤndlich, un- terhaltend, und in der Landessprache geschrieben waren. Dadurch war nun freylich viel vorbereitet, nicht, so respektiren wir ihre wieder nicht. — Und seht, so kam es, daß eine ganze Nation mit kaltem Blute das end- lich ihrem Throne bis auf die Hesen mit jesuitisch-systemati- scher Grausamkeit vergalt, was dieser nach seiner Politik, durch Jesuiten eingeschlummert, auf die unverantwortlichste Art längst an ihr verschuldet hatte. Seht dieß Fürsten, seht dieß Völker, sehts und zittert, aber seht ja zugleich, woher das alles kam! Die Politik verderbte die Moral, die Moral die Religion, der Fürst den Priester, der Priester ihn und das Volk; und das Volk endlich, der politischen und religiö- sen Neckerey müde, und durch das Betragen Beyder gewi ß igt und geweckt, stürzt, um sich zu retten — Beyde. Seht, soviel vermag verkehrte Politik! Sie durch Prie- ster, Aberglauben, Furcht und Bastillen retten wollen, ver- räth eine noch verkehrtere. Nur ächte, innere Moralität, durch reife Einsicht gestüzt, und ohne alle Quacksalberey der Priester vom Beherrscher wie vom Beherrschten überall geach- tet, und auf alles, was in ihr Gebiet einschlägt, ehrlich an- gewandt, nebst heiliger Beachtung der Rechte Anderer, es mag sie die Vernunft, oder der von ihr bestimmte Zweck des Staates angeben, sichert die Ruhe und das Gluck der Völker und der Fürsten. — Man lese in den Briefen eines preuß. Augenzeugen über den Feldzug des Herzogs von Braunschweig — 4ten Pac ks 2te Abth. S. 452 ff. aber die Hierarchie bestand dennoch immer, weil die Klerisey reich genug war, sich Anhaͤnger zu verschaffen und zu erhalten. Im Anfange der Revolution, wo die Tilgung der National-Schulden das Thema des Tages war, fing man an, die Geistlichkeit finanzioͤser zu mustern. Man sah, daß fuͤr den Klerus eines Landes, das hoͤchstens 25 Millionen Menschen zaͤhlte, ein Klerus, der 130 Millionen Livres Einkuͤnfte hatte, viel zu reich waͤre: dieser Klerus koͤnne allerdings etwas von seinen unermeßlichen Schaͤtzen, welche sich wenigstens auf 2600 Millionen belaufen muͤßten, zur Be- streitung der allgemeinen Beduͤrfnisse, zur Til- gung der ungeheuren Schulden u. s. w. hergeben. Daß von den Pfaffen selbst nicht viel zu schoͤpfen seyn wuͤrde, verstand sich schon von vorne. Man griff also zu, und die Nationalversammlung schaf- te alle Erzbisthuͤmer ab, reducirte die Bisthuͤ- mer auf 83 und hob alle geistlichen Zwinger, oder die Kloͤster auf. Der Koͤnig sanktionirte dieses Gesetz, und Non- nen und Moͤnche verließen ihre Zuchthaͤuser meist frohes Muthes: aber die Theologen, die Geistli- chen, welchen das Heil Israels am Herzen lag, wegen des Heils ihrer Kuͤchen und Keller, waren nicht zufrieden mit der neuen Ordnung, und pro- testirten. Man verachtete ihre Protestation, und befahl, daß sie alle, ohne Ausnahme, der Nation schwoͤren, und forthin niemand als Herrn aner- kennen sollten, als den Koͤnig und die gesetzgebende Macht der Nation. Auch dieses Gesetz sanktionnirte Ludwig XVI, bereute dieß aber nachher in seiner lezten Stunde. Nun wanderte eine Menge Geistlicher, von hohem und niederm Kaliber, Erzbischoͤfe, Bischoͤ- fe, Praͤlaten, Abbees und mehr dergleichen Ge- ziefer aus, und verbreiteten im Auslande alle nur ersinnlichen boͤsen Geruͤchte wider die franzoͤsi- sche Nation. Die Nation besezte indeß die durch Emigration erledigten Stellen der damals noch nothwendigen Geistlichen gleich mit andern Sub- jekten, welche Geschicklichkeit und Eifer genug fuͤrs gemeine Beste hatten. Man muß gestehen, daß unter den neuen sogenannten konstitutionellen Bischoͤfen Maͤnner von reifer Einsicht und von großen Verdiensten gewesen sind. Dieß sieht man schon aus ihren Hirtenbriefen, welche allerdings von Einsicht und guten Gesinnungen voll sind. Die ehemaligen Bischoͤfe waren nach der Be- schreibung, welche die Franzosen von ihnen mach- ten, eingemachte Libertins und Wolluͤstlinge. Sie saßen oft ganze Jahre in Paris oder auf ihren Lustschloͤssern, verpraßten ihr Geld, hielten sich Maͤtressen, und bekuͤmmerten sich im geringsten nicht um ihr Bisthum. Die Pfarreyen waren fuͤr Geld feil, und dieses ist eben nichts wunderliches, da die Bisthuͤmer selbst zu Rom taxirt waren. So zum Beyspiel war der Erzbischof von Lyon zu 3000 Fiorini, oder Florenen taxirt, der Bischof zu Clermont zu 4550, der Bischof zu Limoges zu 1600, der Erzbischof zu Bourdeaux zu 4000, der Bischof zu Dijon auf 1233, der zu Auxerre auf 4400 u. s. w. Man bedenke die entsezlichen Summen, welche jedesmal beym Absterben der Bischoͤfe nach Rom gingen, und den gewaltigen Verlust, welchen der heilige Vater zu Rom durch die Revolution erlitten hat! Da die Pfarreyen fuͤr Geld feil waren, und die Herren Bischoͤfe das von den Concurrenten zu den Pfarreyen wieder zu sammeln suchten, was ihnen ihre Confirmation zu einem Bisthume in Frankreich zu Rom gekostet hatte: so erhielt der die Pfarre, der die Kirchengesetze uͤber die Si - monie ruͤstig vorbeyging, und das Meiste dafuͤr anboth. Aber nun kann man auch denken, wie die franzoͤsische Geistlichkeit beschaffen war! Leute, meist ohne Sitten und Kenntnisse wurden mit den geistlichen Aemtern belehnt, und waren aͤchte Kreaturen der Bischoͤfe, die ihnen aber eben nicht auf der Haube saßen, weil sie wohl wußten, daß sie selbst ihre Dioͤcesen schlecht genug besorgten. Hat etwas das Sittenwesen der Franzosen, vor- zuͤglich in Ruͤcksicht auf eheliche Treue und Keusch- heit, gelockert oder vielmehr untergraben, so war es die Menge wohllebender junger Geistlichen, welche durch das Gesetz des ehelosen Standes nur noch luͤsterner wurden, und im Beichtstuhle die kennen lernten, welche ihrer standesmaͤßig ge- schaͤrften Luͤsternheit um so ergiebiger entsprachen, je unvermerkter die Empfindungen der Andacht in die des Mitleids und der Liebe sich schmiegen. Die ganze franzoͤsische Geistlichkeit war ohnge- faͤhr nach der allermaͤßigsten Angabe 560,000 stark, ohne die ungeheure Menge Nonnen, welche nicht mit Unrecht zur Geistlichkeit gerechnet werden, denn sie gehen muͤßig wie die, leben ehelos wie die, und verzehren die Kraͤfte des Staats, wie die. — Da aber nur 22,291 Pfarreyen im ganzen Reiche waren, die Kathedralkirchen mit eingerech- net, so folgt, daß 537,709 Pfaffen zu viel in Frankreich waren. Ich will mich auf keine Be- rechnung einlassen, welche Vortheile aus der Kas- sirung der Kloͤster, der Stifter, der Abteyen, des geistlichen Ordens von Malsha, und der pensio- nirten weltlichen Orden, fuͤr die Nation entsprin- gen mußten. Diese Vortheile fallen zu sehr in die Augen; und nur ein Bigotter, der das liebe Gebet der geistlichen Lippen als reellen Vortheil der Staaten in Anschlag bringt, kann hier Scha- den wittern. Die franzoͤsischen Pfaffen, gestuͤzt auf ihre Exemtionen und Privilegien, besonders die Vor- nehmen, die Bischoͤfe, Praͤlaten, Aebte u. s. w. waren mit dieser Einrichtung, welche ohne den Willen des h. Vaters und ohne ein National- Concilium zu Stande gekommen war, gar nicht zufrieden, und zogen haufenweise aus nach Deutsch- land, Spanien und Italien. Zu Rom quaͤlten sie den h. Vater so lange, bis er endlich scharfe Breves nach Frankreich schickte. Aber die Nation lachte uͤber die paͤpstlichen Breves, und machte Dekrete, daß die Befehle des Papstes durchaus nichts gelten sollten, daß der nichts mehr sey, als Bischof zu Rom u. dgl. Außerdem dekretirte die National-Versamm- lung, daß in Zukunft alle und jede Meynungen in Religionssachen vollkommen frey cirkuliren soll- ten; daß jeder oͤffentlich sagen und behaupten koͤn- ne, was er von den uͤbersinnlichen Dingen halte, und daß besonders die Reformirten, welche man fernerhin nicht mehr mit dem gehaͤssigen Namen Hugenotten belegen sollte, ihren freyen und ungehinderten Gottesdienst halten koͤnnten u. s. w. Dieses vernuͤnftige Dekret machte, daß die noch haͤufig in Frankreich heimlich existirenden Reformirten, besonders in Langnedoc, in dem Delphinat, in der Provence, in Burgund u. s. w. welche bisher zum Theil den katholischen Gottes- dienst aus Furcht und Zwang mitgemacht hatten, sich sofort fuͤr unkatholisch erklaͤrten. Gregoire sagte in seiner Rede über die Freyheit der Gottesdienste: „Ein Jahrhundert lang waren die Protestan- ten der Gegenstand der grausamsten Verfolgung: man jagte sie, man kerkerte sie ein, man hing ihre Pfarrer, schloß ihre Tempel, und behandelte ihre Versammlung als etwas Auf- rührerisches. Als ihnen nach einem qualvollen Jahrhunderte erlaubt ward, wieder frey zu athmen, kamen auf einmal drey Millionen Protestanten in Frankreich zum Vorschein.“ — Das Aehnliche prophezeihet er nach der jetzi- gen Revolution. „Wer wollte glauben, fügt er hinzu, eini- ge Jahre von Geplärr und Gewaltthätigkeit hätten die Masse der Bürger umgeschaffen? Nein, glaubt es nicht: die Ver- folgung ist wider ihre Meynungen gerannt, aber sie hat weder ihren Verstand überzeugt, noch ihre Herzen überredet. Bey der Unmöglichkeit, die Religionsgrundsätze zu vertilgen, oder die Bürger schnell in Einen Glauben zu vereinigen, was liegt uns zu thun ob? — Alle Religionen an die Re- publik zu schließen durch Zusicherung einer gänzlichen und un- umschränkten Freyheit der Gottesdienste.“ — Die Zeit muß es ausweisen, ob Gregoire nicht irrte, als er die jetzigen Umstände durchaus parallel mit den vormaligen voraus- sezte, und nun folgerte, wie wir wissen. Wenigstens hat der Konvent, wie wir bald sehen werden, auf seine Rede wenig Rücksicht genommen. Gregoire war vorzeiten selbst Prie- ster: und daher mogte es wohl kommen, daß man das Bün- dige in seiner Rede für eine angewöhnte Fertigkeit hielt, sich mit gewissen Grundideen, auf dem theologischen Kampfplatze, geschickt herumzutummeln. Selbst Rousseaus Emis hat noch Manches von dem einnehmenden Schimmer dieser Fer- tigkeit. Sogar Geistliche und Moͤnche bekannten sich zur refor- mirten Kirche, und schon fing man an, reformir- ten Gottesdienst hin und wieder oͤffentlich zu hal- ten. — Auf diese Art war also alles wieder ver- lohren, was ehemals die Verfolgung der Pfaffen bewirken wollte, naͤmlich, daß Frankreich ganz katholisch seyn sollte, und die Assemblée hatte mehr gethan, als Heinrich der Große durch das Edit de Nantes, 1598, konnte. Der ehelose Stand der Geistlichen — diese Pest fuͤr die Sitten der Weiber im alten Frankreich — schien der National-Versammlung so wichtig, daß sie deswegen schon 1791 haͤufig debattirte, und end- lich festsezte, daß jedem Geistlichen, er moͤge Prie- ster seyn, oder sonst das Geluͤbde der sogenannten Keuschheit, d. i. ledig zu bleiben, oder ohne recht- maͤßige Gattin zu leben, abgelegt haben, oder nicht, es freystehen sollte, zu heurathen: doch sollte niemand dazu gezwungen werden. Dieses Dekret machte anfaͤnglich gewaltige Sensation, und viele gemeinen Leute, die bisher die Konkubi- nen ihrer Pfaffen so nachgiebig geduldet hatten, kreuzten und segneten sich, als sie hoͤrten, daß ihre Geistlichen Weiber nehmen sollten, wie jene — der Ketzer . Daher mag es auch gekommen seyn, daß eben nicht gar viele Pfarrer — von Bi- schoͤfen weis ich keinen einzigen — sich dieses Vierter Theil. O Rechtes bedienten. Die meisten zweifelten an der Dauer der damaligen Dinge, und fanden es kluͤ- ger, sich keiner Strafe oder Compromission fuͤr die Zukunft auszusetzen. Bey Vielen wirkte auch der compromittirte Stolz ihres Standes u. dgl. — Ich habe ein sehr artiges, von einem Ungenannten in Paris geschriebenes Werkchen uͤber die Ehe der Priester, gesehn, worin der Verfasser klar und deutlich beweißt, daß das beste Mittel, den Prie- sterstand dem Staate nuͤtzlich zu machen, sey, ihm das Beweiben zu erlauben. Die National-Versammlung ging nach und nach noch weiter, und griff endlich wirkliche Dog- men der christkatholischen Kirche an: sie erklaͤrte naͤmlich, daß die wirklich geschiednen Personen wieder heurathen koͤnnten, damit dem Unwesen, welches aus der Trennung nothwendig folgen muͤß- te, vorgebeugt werden moͤgte. Die konstitutionel- len Priester billigten dieses Dekret, aber desto mehr schrieen die orthodoxen dawider: sogar in der Assem- blée sezte es starken Widerspruch. Aber auch dieses Dekret sanktionnirte Ludwig XVI. und so hoͤrte die Ehe auf, ein unaufloͤsliches Sakra - ment zu seyn. Die kanonischen Strafen wurden auch kassirt, die Beichtzettel abgeschafft, und der Gottesdienst von allem Zwange befreyet. Alles das waren Ein- griffe in die Rechte der Geistlichkeit und des Pap- stes, ganz gegen das kanonische Recht. Weil nun Viele, besonders die Freunde der Pfaffen, sich auf die Freyheiten der Gallikauischen Kirche, die Rechte der Geistlichkeit, das Jus canonicun u. s. w. be- riefen, so dekretirte endlich, im Jahr 1792, die Assemblée, daß die Geistlichkeit ihre Gesetze fort- hin blos und allein von der gesetzgebenden Macht der Nation zu erhalten habe; daß alle aͤltere Ge- setze, Privilegien, Konkordaten, Canones, Bul- len, Brevia u. s. f. durchaus nichts mehr gelten sollten, und daß in Religionssachen blos der klare Ausspruch der h. Schrift anzunehmen, und als Glaubensartikel zu befolgen sey. Da lag nun Papst, Kirche und Concilien! Das hieß dem Katholicismus ganz ans Herz grei- fen! Man weiß naͤmlich, daß die roͤmische Kirche unter andern ihr Wesen in der Einigkeit des Glau- bens ( unit a te fidei ) sezt, das heißt, daß diese Religion fodert, daß alle katholischen Christen ihre Lehren auf dieselbe Art, ohne alle Aenderung und Abweichung gerade so nachbestimmen sollen, wie die Kirche oder der Papst sie ihnen nach der Bibel oder der Tradition vorbestimmt. Diese Glaubensquelle stopfte der National-Convent nun zu, und verwies blos auf den klaren Ausspruch der Bibel. Die Bibel aber ist eine Sammluug von Buͤchern, die sich in den Lehren von der ver - meynten groͤßten Wichtigkeit, z.B. der Recht- fertigung, der Gnadenwahl, der Person Jesu u. s. w. nicht nur gewaltig widersprechen, sondern auch so unbestimmt und dunkel geschrieben sind, daß jeder seine Lehre darin finden kann, wie denn Katholiken, Reformirte, Lutheraner, Socinianer, Anapaptisten, kurz, alle christlichen Sektirer der aͤltern und neuern Zeit ihre Lehren darin gefunden und daraus bewiesen haben. Diese Beschaffenheit der Bibel ist den Katholi- ken so einleuchtend, daß sie eben darum glauben, sich an die untruͤgliche Aussage eines unfehlbaren Richters , des Papstes oder der Kirche, in Glau- benssachen halten zu muͤssen. Wenn also der Con- vent dem Papste und der Kirche entsagte, so ent- sagte das Volk der Bibel; und so war der Meister- streich fertig, daß forthin blos die Vernunft und der bestaͤtigte Wille der Nation das Ruder auch im Kirchenwesen fuͤhren sollte. Fuͤr einen, der in den neuern Zeiten nicht selbst in Frankreich gewesen ist, oder der den Glauben des großen Haufens fuͤr etwas mehr als ein ober- flaͤchlich uͤbertuͤnchtes Phantasie-Gemaͤhlde haͤlt, ist es freilich schwer zu begreifen, daß ein sonst so erzkatholisches Volk, wie die Franzosen im Durch- schnitt waren, sich diese gewaltsamen Eingriffe so- fort gefallen ließ. Aber wenn man das uͤberlegt, was ich oben von den Volkssocietaͤten und deren Einfluß auf die oͤffentliche Meynung gesagt habe, so wird man es nicht mehr unbegreiflich finden, daß diese Neuerungen so schnellen und festen Fort- gang gefunden haben. Die konstitutionellen Geistlichen waren allemal Mitglieder der Volkssocietaͤten, oder der Jakobi- nerklubs. Um sich hier Eingang bey dem Volke zu verschaffen, und das Mistrauen des großen Haufens von sich entfernt zu halten, bemuͤhten sie sich, die religioͤsen Materien, von welchen in den neuen Dekreten die Rede war, fleißig zu unter- suchen und zu verhandeln. Daher war die Reli- gion jedesmal einer der vornehmsten Gegenstaͤnde, nicht nur im Klub, sondern alle Sonntage — die Festtage wurden gleich samt und sonders abgeschafft nebst den sogenannten zweyten Hohen-Festen — predigte der Pfarrer zu seiner Gemeinde uͤber die Gewalt des Papstes, uͤber die Kirche, uͤber das Ansehn der Bibel, uͤber Priesterweihe, Moͤnchs- wesen u. s. f. Und da alle diese Reden, freylich nach dem Maaße der Einsichten des jedesmaligen Redners, nach freyern Grundsaͤtzen gemodelt wa- ren, so wurde die Denkfreyheit gefoͤrdert, und das Volk kam von seinem alten eingewurzelten Aberglauben ziemlich zuruͤck. Ich werde einige von diesen Reden zu seiner Zeit im Auszuge an- fuͤhren. Zur Ermunterung der bessern Denkungsart in der Religion wurden diejenigen Bischoͤfe und Pfar- rer, welche sich besonders durch Lehre und Volks- unterricht auszeichneten, oͤffentlich in der Assem- blée gelobt, und sie erhielten Belohnungen, wel- che ihnen durch Dekrete zugesichert wurden: dieje- nigen aber, welche die Anhaͤnglichkeit an den Papst predigten, wurden ihrer Stellen entsezt. Das Wort Papisme (Papismus) erhielt um diese Zeit eine ganz besondere Bedeutung. Bisher war es von den Protestanten blos gebraucht worden, um die katholische Religion dadurch zu bezeichnen: zur Zeit der Revolution hieß es die Meynung, daß der h. Vater zu Rom das Haupt der katholi- schen Kirche sey. Ludwig XVI. hat alle jene Dekrete, welche bis beynahe an seinen Sturz (den 10ten Aug. 1792) wegen der Geistlichkeit, des Gottesdienstes und der Religion gegeben wurden, selbst gutgeheißen, und durch seine Unterschrift zu wirklichen Gesetzen erhoben; und doch hat er, nachdem er von seiner Hoͤhe gestuͤrzt war, heilig versichert, daß er die Eingriffe der Nation in die Rechte der Geistlichkeit jederzeit verflucht und verabscheut habe, und daß er die Sanktion dieser gottlosen Befehle fuͤr seine groͤßte Suͤnde halte. — Es muß also wohl wahr seyn, was man so oft gesagt, und so oft gelaͤug- net hat, daß Ludwig XVI. es mit seinem Volke niemals gut gemeynt habe, und daß er niemals aufrichtig zu Werke gegangen sey. Siebzehntes Kapitel. Fortsetzung des Vorigen . U nter allen bisher von der irrgeleiteten menschli- chen Vernunft ausgeheckten Religionssystemen, ist keins so zusammenhaͤngend, keins so konsequent, als das Roͤmisch-Katholische. Alles ist da, wie in einer Kette: fehlt nur ein Gelenke, so bricht sie; und nimmt man aus dem Roͤmischen Kirchen-Sy- steme auch nur den allergeringsten Lehrsatz, z.B. den von der Zahl der Sakramente, von der ewig- waͤhrenden Kraft der Priesterweihe, u. dgl. so faͤllt das ganze System, das ganze Gebaͤude uͤbern Haufen. Keiner hat dieß einleuchtender gezeigt, als der scharfsinnige und freymüthige Verfasser des Beytrags zur Berich - tigung der Urtheile des Publikums über die französische Nation . II. Th. Mit den andern z. B. protestantischen Syste- men verhaͤlt sich die Sache schon anders. Da koͤmmt alles auf die Erklaͤrung der h. Schrift an, und die ist eine — waͤchserne Nase. — Wenn da- her ein protestantischer Lehrer die Gottheit Christi, die Wirksamkeit der Sakramente u. dgl. laͤugnet, so kann er immer ein Protestant bleiben: denn er beruft sich noch immer auf das allgemeine Glau- bensbuch, die Bibel. Hingegen im katholischen Lehrbegriffe beruht alles auf der Lehre von der Un- fehlbarkeit der Kirche: was diese spricht, d. h. was ein Concilium ausmacht, und der Papst be- staͤtiget, ist wahr, und wer es laͤugnet, ist ein Ketzer. Dieses wusten in Frankreich alle Pfaffen recht wohl, welche mit der neuen Einrichtung nicht zu- frieden waren. Viele waren ausgewandert, aber es blieben doch immer noch genug uͤbrig, um im ganzen Reiche Unruhe und Rebellion anzuzetteln. Man gab auch im Anfange des Jahres 1792 und vorher noch nicht so scharf auf diejenigen Acht, welche aus- und eingiengen: und so schlichen von den ausgetretenen Priestern viele wieder zuruͤck, und suchten die aͤcht roͤmischen Grundsaͤtze aufrecht zu erhalten, oder gar noch zu verbreiten. Sie stellten den Leuten vor, daß die Assemblée nicht blos die Misbraͤuche der Religion abgeschafft, sondern selbst das Wesen derselben untergraben haͤtte. „Sehet, so sprachen sie, meine Christen! Ihr wißt, daß die Beichte ein wesentliches Stuͤck der Religion ist, und daß niemand Vergebung der Suͤnden von dem gerechten Gott erhalten kann, als wer die Absolution seiner Uebertretungen von einem Priester erhalten hat. Aber wo soll der ar- me Franzose jezt beichten? Die Priester, welche ihr habet, sind Abtruͤnnige: sie sind vom Ober- haupte der Kirche fuͤr unfaͤhig erklaͤrt, auf erlaubte und guͤltige Art, Sakramente auszutheilen. Man- che sind von unrechtmaͤßigen Bischoͤfen geweiht, und folglich nicht einmal aͤchte Priester. Ihr wis- set dieses, und wisset auch, daß wer bey einem solchen Priester beichtet, kommunicirt oder Messe hoͤrt, sich eines Kirchenraubs und der schrecklich- sten Todsuͤnde schuldig macht.“ „Die Kirche Gottes hat so lange bestanden, fuhren diese Herren fort: sie traͤgt das Zeichen ih- rer Aechtheit in ihrem Alterthume; und seit Jesu und seiner Apostel Zeiten hat diese heilige Mutter aller rechtkatholischen Christen, eben das gelehrt, was noch vor kurzer Zeit, vor der Entstehung der neuen Revolution in Frankreich gelehrt wurde. Es ist jetzo alles neu geworden: Schade nur, daß die Wahrheit ewig ist wie Gott, und keine Neue- rungen leidet. Der heilige Dionysius, der Areo- pagit, welcher in Deutschland als Mitglied der vierzehn Nothhelfergesellschaft noch immer beruͤhmte Wunder thut, war der Apostel der Franzosen: der heilige Remigius hat unsern ersten fraͤnkischen Koͤnig Clovis getauft, und da hat eine Taube, oder vielmehr ein Engel in Gestalt einer Taube, das h. Oehl zur Salbung gebracht, welches sonst nie versiegte. Der h. Bernhard, der h. Bruno und tau- send andre Heilige sind Franzosen gewesen, so viel h. Jungfrauen, so viel h. Bischoͤfe, so viel h. Beichtiger! Und jezt! — Ach, Frankreich wird ketzerisch, es wird heidnisch!“ „Aber es ist nicht genug, daß wir dieses wis- sen: wir sollen auch Gottes Ehre retten, und das besudelte Heiligthum wieder reinigen. Wenn ihr, o Christen, euch den Neuerungen nicht widersetzet, so nehmt ihr Theil an den Graͤueln; ihr machet euch aller Verbrechen schuldig, welche die unsinni- ge Rotte der Gottlosen veruͤbt hat, und noch ver- uͤbet.“ „Eures Koͤnigs Blut schreit um Rache zu Gott: raͤchet es, raͤchet das Blut dieses gottseligen Mo- narchen, dieses Maͤrtyrers der Religion und der Wahrheit! Raͤchet die Ehre Gottes und der Heili- gen! Raͤchet die Religion eurer Vaͤter und eure! Wer Gott verlaͤugnet, den wird Gott wieder ver- laͤugnen, wer Christum nicht erkennt, den wird Christus von sich stoßen, und verdammen. Auf denn, Christen, bewaffnet euch mit dem Schilde des Glaubens! Ihr werdet leicht uͤberwinden; euer Sieg wird euch keine große Muͤhe kosten: Gott ist mit euch: alle Fuͤrsten von Europa sind fuͤr euch, und der beste Theil der Nation, der Kern des Adels streiten auf der Graͤnze, und wer- den bald da seyn, die wahren christlichen Franzo- sen zu belohnen, und die Frevler schrecklich zu zuͤchtigen.“ Dieses Galimathias ist nicht erdichtet. Es flogen in Frank- reich kleine Broschüren herum, z. B. Cri de la vérité: Avis important aux François chrêt iens u. a. mehr, welche j ust dieses Inhalts sind. Die emigrirten Pfaffen spre- chen noch immer so . Bey dem Poͤbel machte diese Vorstellung der Pfaffen, welche durch lange Erfahrung gelernt hatten, wie man dem gemeinen Volke beykommen muß, anfaͤnglich allerdings gewaltigen Eindruck; und hin und wieder, besonders in Lyon, Marseille, Toulon und Bourdeaux rotteten sich Gesellschaften zusammen, welche sich den Namen der christli - chen , der katholischen gaben, und sich den Jakobinern oder den Volksgesellschaften aus allen Kraͤften widersezten. Dieß gelang in den genann- ten Staͤdten um so eher, je enger sich hier das In- teresse des Kaufmannsgeistes mit jenem des Prie- stergeistes verbunden fuͤhlte. Beyde sind Erzfeinde vom liberalen Gemeingeist, und ziehen ihren Egoismus dem Wohle einer halben Welt vor. Wir sehen dieß ja handgreiflich an dem Scheusal der Menschheit, an Pitt und an seinen feilen Sklaven in England. Wes Geistes die vorhin erwaͤhnten antijakobi- nischen Gesellschaften waren, ward man in Frank- reich bald inne. In der Kirche St. Philibert zu Lyon las im Fruͤhlinge 1793 ein Geistlicher, der den Nationaleid geschworen hatte, Messe. Der rasende Poͤbel der christkatholischen Parthey drang hinein, insultirte den Priester, schmiß seine Ho- stie auf die Erde, schuͤttete den Kelch aus, und haußte schrecklich. Es gesellten sich noch mehrere ihres Gelichters hinzu, und da gings auf die Straßen nach der Wohnung des Bischofs, welchen sie schlechterdings ermorden wollten. Die Natio- nalgarde kam in Waffen, und da auch die kontre- revolutionnairen Buͤrger Waffen fuͤhrten, so feuer- ten beyde Partheyen auf einander in den Straßen, und mehrere kamen ums Leben. Auftritte dieser Art sind in Lyon mehrere vorgefallen. In Bordeaux oder Bourdeaux — denn auf beyde Art schreibt man diesen Namen, spricht ihn aber nur auf die erste aus — wurden an einem Tage drey konstitutionelle Geistliche in den Fluß geworfen, und ersaͤuft. In Avignon ist zu ver- schiednen Malen viel Blut wegen der konstitutio- nellen Priester vergossen worden. Daher auch endlich die harte Strafe aller dieser widerspenstigen Staͤdte! Viele Deutsche haben das anfängliche Verfahren der Franzö- sischen Nation gegen die widerspenstigen Priester, Edelleute und den Hof barbarisch gefunden; aber in Frankreich wollte man das Gegentheil finden. Der beste Dolmetscher darüber ist Salaville , Herausgeber der Annales patriotiques. Dieser schreibt in seinen Betrachtungen über revo - lutionäre Meynungen : „Gleich von Anfange der Revolution war man in Rücksicht auf die Art, sie zu leiten, in zwey Meynungen getheilt. Diejenige, die seither unter der Benennung Moderantismus so sehr in Ungunst ge- kommen ist, war zu jener Zeit beynahe allein herrschend. — (Und daß sie das nicht blieb, wer war Schuld daran?) — Alle mit Einsicht begabten Männer glaubten an die Möglich- keit einer ruhigen, einzig durch die Fortschritte der Aufklä- rung bewirkten Revolution. Die Blätter der Geschichte, ge- färbt vom Blute, welches politische Revolutionen fließen machten, die Schilderungen aller Unordnungen, Drangsalen und alles Jammers, denen die Volker in jenen stürmischen Zeiten unterlagen, schreckten die Männer, die sich einbildeten, in ganz verschiedener Lage zu seyn, nicht ab: sie brachten alle jene Erscheinungen auf Rechnung der Unwissenheit und Un- kenntniß der Grundsätze, und der Herrschaft der Vorurtheile, die unter uns völlig verschwunden zu seyn schienen.“ — „ Mirabeau — theilte diesen allgemeinen Irrthum nicht. Ich glaube nicht, sagte er, an eine ruhige, ohne Blutvergießen mögliche Revolution: Entweder werden wir die Freyheit nicht erlangen, oder , wenn wir sie erlan- gen, so seyd versichert, daß wir sie mit großen Aufopferungen erkaufen müssen.“ „Auch zeigte er, alles seines bekannten Ungestüms unge- achtet, in den ersten Schritten eine Mäßigung, deren man ihn kaum fähig gehalten hätte. Jene weise Taktik des dritten Standes, die selbst die Arglist der Geistlichkeit zu Schanden machte, war beynahe ganz sein Werk; und es war eine höchst bemerkenswerthe Erscheinung, wie der Mann vom heftigsten Charakter, voll Kühnheit und Unternehmungsgeist, sich einen Monat lang damit beschäftigte, den unzeitigen Ungestüm sei- Was fuͤr Unheil die Priester der katholischen Parthey in der Vend é e gestiftet haben, ist zum Theil bekannt; aber wenn die noch halb dunkle Ge- ner Kollegen zurückzuhalten, einzuschränken und zu mäßigen. Mit allen Anlagen zu einem revolutionären Flibustier war er gewissermaßen der Fabius der Revolution.“ „Jener Irrthum des größten Theils der einsichtsvollen Männer, die glaubten, eine politische Revolution lasse sich mit den Waffen der Philosophie allein zu Stande bringen, oder die vielmehr sich beredeten, sie wäre schon zu Stande ge- bracht, und man dürfte nur noch ihre Resultate beschließen, war vielleicht von unglücklichern Folgen, als man sich vor- stellt. Sie hätten völlig Recht gehabt, sobald ihr Werk nur in der Theorie hätte existiren sollen: unter dieser spekula- tiven Form würde es gewiß allgemeinen Beyfall erhalten ha- ben. Allein von dem Augenblick an, wo es darum zu thun war, es zur Wirklichkeit zu bringen, da eilten die, die zu andern Zeiten enthusiastische Anhanger jener Grundsatze, wor- auf es sich gründete, gewesen waren, zu widerrufen. Die Priester , welche die Bibel und das Gebetbuch gegen Vol- taire's und Rousseau's Werke vertauscht hatten, ließen nun Voltaire und Rousseau liegen, und nahmen wieder Bibel und Gebetbuch. Die Glieder des Adels , die, weil es Mode war, für Philosophen gehalten seyn wollten, und die sich daß Ansehn gaben, Titel und Standes-Vorzüge zu verachten, und Grundsätze der Gleichheit anzunehmen, wurden auf ein- mal wieder feudalisch gesinnt. Der Hof , an dem einige Zeit vorher beynahe alle Etikette abgeschafft worden war, nahm sie mit ihren kleinsten Theilen und Formen wieder auf: und so bildete sich in eben dem Verhaltniß, in welchem man dar- an arbeitete, die Revolution in der Wirklichkeit und in der Sache zu Stande zu bringen, eine Gegenrevolution in dem Gedankensystem einer sehr großen Anzahl von Personen.“ „Diese Wendung hätte man voraussehen sollen: man hätte sich nicht verbergen sollen: daß gereizte Leidenschaften, verleztes eigenes Interesse, und hochansprechende Eitelkeit, die, Denkungsart jener Kasten nothwendig ändern mußten, die, so lange nur von Theorie die Rede war, philosophische Grund- sätze begierig angenommen, gerühmt, und zu deren Ausbrei- tung beygetragen hatten. Um dieses Hinderniß zu verhüten, schichte dieses Departements, wo der scheuslichste aller buͤrgerlichen Kriege gefuͤhrt ist, einmal in einem helleren Lichte erscheinen wird, dann erst wird man mit Entsetzen einsehen: Quantum relligio potuit suadere malorum! war man äußerst zurückhaltend in Ergreifung strenger Maaß- regeln: Man suchte in einer unrechten Mäßigung Ruhm: Man gab denen, die nothwendig Gegenrevolutionärs seyn mußten, und an denen, der Natur der Dinge gemäß, schnelle Gerechtigkeit hätte ausgeübt werden sollen, alle Leichtigkeit zu entfliehen. Nachsicht und Menschenliebe waren an der Ordnung des Tages. Man verlangte, die Revolution sollte durch Flugschriften zu Stande kommen: Man errichtete unter dem Namen eines hohen National-Gerichtshofes ein Revolu- tionstribunal, allein nur um der Form willen, und unter der ausdrucklichen Bedingung: daß es keinen Menschen strafen sollte. Es war blos ein Scheininstitut: denn während es große Beyspiele der Strenge anzukündigen schien, berath- schlagte man, ob die Todesstrafe nicht abgeschafft werden sollte.“ „Sollte man nicht mit Wahrscheinlichkeit die Vermuthung wagen dürfen: diese unkluge Nachsicht der ersten Zeiten habe den jungst verflossenen jenen Abgrund von Drangsalen, Grau- samkeiten, Ungerechtigkeiten und Verfolgungen zugezogen? Sie habe die Mäßigung in solchen Miskredit gebracht, daß sie für gegenrevolutionär angesehen ward?“ — — „Die Philosophie hätte das ohne Zerstörung, wie die Natur, allmälig bewirken können, was wir durch Gewalt erhalten haben; allein dazu hätte sie einiger hundert Jahre bedurft, und wir hatten nicht Zeit zu warten. Es ist mithin klar, daß die Philosophie, weit entfernt, uns zu einer ge- waltsamen Revolution vorzubereiten, vielmehr mit aller Kraft ihrer Grundsätze uns davon entfernte; und daß vielleicht nie irgend ein Volk eine Revolution mit weniger revolutionären Anlagen unternommen hat: Denn wahrhaftig, nichts konnte weniger revolutionär oder insurrektionsmäßig seyn, als die schönen Grundsätze von Menschlichkeit, Menschenliebe und Aufopferung, die man damals predigte und übte. Indeß mußte die Revolution entweder nicht zu Stande kommen, oder sie mußte nothwendig gewaltsam bewirkt werden.“ — Besonders hatten die im finstern schleichenden aͤchten Priester die Arglist und den Kniff, daß sie sich an Kranke und Sterbende machten, und diesen Absolution und Sakramente ertheilten, und ihnen so in den Himmel halfen, wodurch sie dann immer die ganze Familie auf ihre Seite zu bringen wußten. Der Konvent, welcher am 21ten September 1792 seinen Anfang genommen hatte, gab gleich mehrere scharfe Dekrete, des Inhalts: daß die Priester, welche den National-Eid nicht geschwo- ren haͤtten, ihn binnen einer gewissen Zeit schwoͤren oder gewaͤrtig seyn sollten, deportirt, d. i. nach Cayenne in Amerika gebracht zu werden. Aber das Priesterthum hatte schon Maͤrtyrer, folglich auch sehr eifrige Anhaͤnger und Vertheidiger in Menge. Am 10ten August, besonders am 2ten und 21ten September waren viele Priester in Pa- ris, und andere an andern Tagen und Orten, zu- mal in Orleans, Dijon und anderwaͤrts von Moͤr- dern hingerichtet worden, und diese sah man alle als Heilige an. Manche Priester traten auf, und erklaͤrten, daß sie eher sterben, als den National- Eid schwoͤren wollten. Es sind mir Beyspiele von Standhaftigkeit erzaͤhlt worden, welche man aller- dings jenen an die Seite stellen koͤnnte, die man von den Maͤrtyrern der ersten Kirche zu ruͤhmen und zu bewundern pflegt. Zu Dijon z. B. trat ein alter eisgrauer Priester in die Versammlung der Jakobiner mit den Wor- ten: honneur et gloire à Dieu et malheur aux re- belles! Der ganze Klubb stuzte. Was willst du? fragte ihn einer. Ich will Gottes Ehre und das Recht des Koͤnigs verfechten, oder sterben! Ein Mitglied der Versammlung, welches mit dem al- ten Strudelkopf verwandt war, wollte ihn retten, und wegbringen; aber er blieb, und schrie ohne Aufhoͤren: ich will sterben fuͤr Gottes Ehre und fuͤr das Recht des Koͤnigs! Der Verwandte stellte ihm ernstlich vor: Gott wuͤrde Gott bleiben, auch wenn er fuͤr dessen Ehre nicht stuͤrbe, und alle Koͤnige in der Welt wuͤrden sich kluͤglich huͤten, fuͤr irgend einen ihrer Unterthanen ihr Leben aufzuopfern; er moͤgte also kein Narr seyn, und sich der Lebensge- fahr fuͤr ihren Ex-Koͤnig nicht aussetzen. Als Priester sollte er lieber mit gutem Beyspiele vorge- hen, und sich dem Willen der Nation unterwerfen. — Alles vergebens: er wiederholte seine erste Betheu- tung, und nun ergriff man ihn, fuͤhrte ihn ins Gefaͤngniß, klagte ihn an, und er starb unter der Guillotine. „Gott und Koͤnig“ waren seine lezten Worte. Ebenfalls in Dijon riß ein Priester die oͤffent- lich angeschlagnen Dekrete des Konvents ab, und Vierter Theil R trat sie mit Fuͤßen. Da nun auf solche Excesse der Tod steht, so wurde er ergriffen, und hingerichtet. Zu St Jean de Losne, oder Lône, welche Stadt jezt Belle Défense heißt, widersezte sich ein Prie- ster denen, welche eine dasige Kirche ausleeren soll- ten. Er wollte durchaus die Zerstoͤrung des Al- tars nicht zugeben, und schlug einem Handwerks- mann, welcher ein Heiligenbild herabriß, so ge- waltig auf den Kopf, daß dieser hinstuͤrzte, und bald darauf verschied. Auch dieser Priester ist guillotinirt worden. In allen franzoͤsischen Staͤdten konnte man da- mals auf allen Straßen angeklebte Urtheile in Menge lesen, welche gegen Priester gesprochen waren, die sich den Befehlen der Nation thaͤtig widersezt hatten. Daß der Konvent bey diesen Umstaͤnden nicht wenig beunruhiget gewesen sey, ist leicht zu denken, zumal, da die Mitglieder desselben, als einsichtige Maͤnner, gar wohl merken konnten, welchen Ein- fluß der Fanatismus auf die oͤffentliche Meynung schon hatte: und an der oͤffentlichen Meynung lag ja ganz allein die Erhaltung der Republik! Die auswaͤrtigen Feinde waren nicht so fuͤrchterlich, als die Pfaffen-Brut im Lande. Da Guͤte und vernuͤnftige Belehrung nicht zu- reichten, den Priestern folgsame Achtung gegen den gesetzlich-autorisirten Willen der Naton einzu- floͤßen, so fing man an, Strenge gegen sie anzu- wenden, und deportirte alle rebellische nach der Cayenne . Diese Deportation geschah meisten- theils unter den laͤcherlichsten und schimpflichsten Aufzuͤgen. So saßen in Langres sehr viele Prie- ster und einige Bischoͤfe im Gefaͤngniß, um de- portirt zu werden. An dem Tage, wo man sie auf offnen Wagen aus Langres fuͤhrte nach Brest zu, machte ein Haufen junger Leute, worunter viele Jakobiner waren, eine Farze, deren gleichen man bisher in Langres gewiß noch niemals gese- hen hatte. Sie kleideten sich als Paͤpste, Kardi- naͤle, Bischoͤfe, Aebte, Weltpriester, Moͤnche und Nonnen, ritten auf Eseln, Ochsen und Stek- ken, trugen Kreuze, Venerabels, Monstranzen, Weihwasser-Kessel, Rosenkraͤnze u. dgl. In ih- rer Gesellschaft befanden sich Juden, Spitzbuben, Tuͤrken mit Turban, und endlich kam der Teufel, der den Beschluß machte. Diese karrikaturmaͤßige Procession zog mit den zu deportirenden Priestern zum Thor hinaus, begleitete sie uͤber eine Meile, und trieb allen ersinnlichen Spott mit den armen Leuten, welche durch die Verspottung ihres heili- gen Standes gewiß mehr gekraͤnkt wurden, als durch die Deportation selbst. Alle Priester, welche von da an entdeckt wur- den, zog man ein, und wenn man gleich kein Verbrechen an ihnen fand, so wurden sie doch fuͤr verdaͤchtig erklaͤrt, und als Gefangene bewahrt. Man sezte naͤmlich voraus: daß Menschen, die ein Glaubenssystem zunftmaͤßig gelernt, und unter respektablen Vortheilen und Ansehn getrieben haͤt- ten, schon durch den hierarchischen Geist ihres Standes, wenn auch nicht durch den imponirenden Gehalt ihrer Zunftlehre, sich immer angetrieben fuͤhlen wuͤrden, ein Staatssystem auf alle moͤgliche Art untergraben zu helfen, das ihr Kirchensystem aufloͤßte, und ihr bisheriges kitzelndes Ansehn eben so tief herabsezte, als es ihr Beutel-Interesse finanzmaͤßig beschraͤnkte. Die taͤgliche Erfahrung machte diese Voraussetzung durchaus noͤthig. Prie- ster, die vorher Bibel und Brevier bespottet hat- ten, um mit Voltaire 's und Rousseau 's Schriften sich bruͤstend auszuzeichnen, griffen in aller Andacht wieder zur Bibel und zum Bre - vier , als man sie praktisch zu dem fuͤhren wollte, womit sie vorher theoretisch geprahlt hatten. Pfaf- fengeist ist einmal so: selbst Christus schilderte ihn mit eben den Zuͤgen; und was Friedrich der Große , von dem Mucken - Volk so oft und beißend bemerkt hat, zeigen dessen Anekdoten. Um also das angefangne Werk durch Priester- Intriguen nicht laͤnger hindern zu lassen, richteten die Jakobiner Adresse uͤber Adresse an den Natio- nal-Convent, daß er Maaßregeln ergreifen moͤgte, dem Unfuge vorzubeugen, welchen die Priester ohne Aufhoͤren stifteten. Aber der Konvent, hieß es endlich, kann nicht helfen, so lange wir noch uͤberhaupt Priester haben. Es war naͤmlich be- kannt geworden, wenigstens hatte man es in ganz Frankreich ausgesprengt, daß der Papst den Prie- stern heimlich erlaubt habe, den National-Eid zu schwoͤren, daß sie aber an diesen Eid dennoch gar nicht gebunden, sondern vielmehr verpflichtet seyn sollten, gerade gegen das Interesse der Republik, zum Besten der Monarchie und der Kirche unter der Hand mitzuwirken. Ich kann nicht sagen, ob diese Erlaubniß des Papstes eine Erdichtung der Jakobiner gewesen sey, oder nicht. War es eine Erdichtung: so ha- ben die Jakobiner nach ihrem Princip konsequent gehandelt: denn dieses bestand darin, daß man Alles thun duͤrfe, wenn es nur zur Gruͤndung und Befestigung der Freyheit abzwecke: man muͤsse uͤbrigens nicht so sehr auf die Rechtmaͤßigkeit oder Unrechtmaͤßigkeit der Sache selbst sehen. Hat aber der Papst eine solche Dispensation wirklich gege- ben: so hat auch er seinen jesuitisch-monarchischen Grundsaͤtzen sehr gemaͤß gehandelt: denn diese er- lauben alles, wenn nur das hohe Wohl der Kirche — dadurch befoͤrdert und erhalten wird. Kurz, man fand, daß so lange noch Priester und oͤffentliche Religionsuͤbungen seyn wuͤrden, die Republik nicht bestehen koͤnnte. Die Sache we- gen der Religion kam demnach oft vor in den Be- rathschlagungen des Konvents, bis endlich der konstitutionelle Bischof von Paris — sein Name faͤllt mir nicht gleich bey — selbst oͤffentlich im Namen der gut- und ehrlich gesinnten Geistlich- keit antrug, daß man alle positive Religion ab- schaffen, und die Vernunft allein, als die hinrei- chende, und einzig sichere und reine Quelle der Wahrheit, und als die unwidersprechlichste Lehr- meisterin der menschlichen Gluͤckseligkeit ansehen, und oͤffentlich autorisiren moͤgte: Und dieser Vor- schlag, auf den man freilich schon lange gedacht hatte, wurde angenommen. Das geschah gegen das Ende des Jahres 1793. Der National-Konvent dekretirte also, daß in Zukunft kein oͤffentlicher Gottesdienst, keine oͤf- fentliche Religion statt haben, und daß alle Sym- bole derselben, alle aͤußere Zeichen abgeschafft seyn sollten. Das Dekret, welches den 3ten Ventos über die Ausübung des Gottesdienstes gegeben wurde, war wörtlich folgendes: Welcher Triumph fuͤr die Jakobiner! Aber auch welcher Donnerschlag fuͤr alle die, welche Der National-Konvent dekretirt auf vereinigten Vortrag der Wohlfahrts-Sicherheits- und Gesetzgebungs-Aus- schüsse: 1.) Nach dem 7ten Art. der Rechts-Akte, und dem 122ten der Konstitution, kann die Ausübung keines Gottes- dienstes gestöhrt werden. 2.) Die Republik besoldet keinen. 3.) Sie gestattet keinem ein Lokale, weder zum Kirchen- gebrauch, noch zur Priesterwohnung. 4.) Religionsgebräuche außerhalb dem dazu gewidmeten Bezirke sind nicht erlaubt. 5.) Das Gesetz erkennt keinen Geistlichen an. Keiner darf öffentlich mit den kirchlichen Kleidern, Zierrathen, oder in einem den Religions-Zeremonien gewidmeten Anzuge er- scheinen. 6.) Jede Zusammenkunft von Bürgern, um irgend einen Gottesdienst zu halten, ist der obrigkeitlichen Aufsicht unter- worfen. Diese Aufsicht beschränkt sich auf Polizey-Maaßre- geln und öffentliche Sicherheit. 7.) Kein, einem Gottesdienste eignes Symbol kann auf einem öffentlichen Platz, oder äußerlich auf irgend eine Art ausgestellt werden. Keine Inschrift darf den Versammlungs- ort bezeichnen. Keine Proklamation oder öffentlicher Aufruf darf geschehen, um die Bürger dahin einzuladen. 8.) Die Gemeinden, oder Gemeinde-Abtheilungen sollen, als solche, kein Lokal zum Gebrauche des Gottesdienstes erste- hen oder miethen. 9.) Es soll keine ewige oder lebenslängliche Schenkung, noch irgend eine Taxe erlaubt seyn, um die Ausgaben zu bestreiten. 10.) Wer durch Gewaltthätigkeit irgend einen Gottes- dienst stöhrt, oder die Gegenstände desselben mißhandelt, soll nach dem Polizeygesetze vom 22ten Jul, 1791, bestraft werden. 11.) Das Gesetz der zweyten Sans c ülottide im 2ten Jah- re über die Pension der Geistlichen bleibt, und die Verfügun- gen desselben sollen nach ihrer Form und Inhalt vollstreckt werden. 12.) Jedes Dekret, dessen Verfügungen dem gegenwärti- gen Gesetze zuwider sind, ist abgeschafft. noch steif und fest dem angewoͤhnten Systeme der Religion anhingen! Die Folgen dieses Dekrets waren, daß sofort alle Priester nicht mehr Priester waren: sie traten wieder zuruͤck in den gemeinen Buͤrgerstand, und genossen, im Falle sie sich sonst nicht naͤhren konn- ten, eine maͤßige Besoldung. Sehr wenige von den konstitutionellen Priestern widersezten sich die- sem Dekrete: die meisten gaben laut ihren Beyfall, und waren die ersten, welche in den Klubbs, und sonstwo, das Volk von dem Ungrunde jeder positi- ven Religion zu unterrichten suchten. Es giebt Leute, welche nicht begreifen koͤnnen, wie ganz Frankreich seine alte Religion so auf ein- mal habe fahren lassen koͤnnen: und es waͤre wirk- lich ein Wunderwerk, wenn das auf einmal geschehen waͤre. Aber hatte man nicht nach und nach das alte katholische System, das vom Papste abhing, in ein neues konstitutionelles System, dessen Stuͤtze die Autoritaͤt des Volkes war, ver- aͤndert? Dieses neue konstitutionelle System wankte nur noch, und es kostete wenig Muͤhe, es zur ge- legenen Zeit ganz umzuwerfen. Die Leute hingen nicht mehr an dem alten Systeme, und an das neue waren sie noch zu wenig gewoͤhnt, um es ohne Widerstreben nicht fahren zu lassen. Der Konvent hat daher nicht sehr viel gewagt, als er die oͤffentliche Religion vernichtete: sein Schritt war genau berechnet, das Volk — durch die Jakobiner dazu vorbereitet, und die Mehrheit der Nation war ganz dafuͤr empfaͤnglich. Der ge- meine Mann hat uͤberdem nur einen Popanz von Religion, aber gesunden Menschenverstand meist immer genug, um uͤber seinen alten Popanz end- lich selbst zu spotten, sobald er auf das Unsinnige und Laͤcherliche desselben von einem sonst ehrlichen oder ansehnlichen Mann aufmerksam gemacht wird. Wahrlich, nur die hellste Religion ist die haltbare- ste Stuͤtze der Moralitaͤt und des Staates! — Achtzehntes Kapitel. Fortsetzung des Vorigen. D ie Kirchen wurden, seit dem lezten Dekrete, bis auf weiteren Befehl blos zugeschlossen. Die Jakobi- ner aber, welche befuͤrchteten, daß der Gottesdienst doch wieder hergestellt werden koͤnnte, fanden fuͤr gut, die Kirchen, als die vornehmste Stuͤtze desselben, gleich zu entheiligen und sie ihrer bisherigen Bestim- mung zu entziehen. Sie brachten auch gluͤcklich ein Dekret heraus, daß die Kirchen, und Priesterhaͤuser fuͤr Nationalguͤter erklaͤrt wurden. Die Admini- stration dieser neuen Guͤter wurde den Departemen- tern und Distrikten uͤbergeben. Neuer Triumph fuͤr die Jakobiner! Die Kirchen wurden hierauf im ganzen Reiche verwuͤstet! Ich rede hier von den Pfarrkirchen und Kathedralen: denn die Klosterkirchen waren schon vorher meistens ausgeraͤumt, und zu profanem Ge- brauch bestimmt worden. Zu allererst warf man von den Thuͤrmen alle Glocken herab, welche man groͤßtentheils nach den Gießereyen schickte, um Kanonen und Moͤrser dar- aus gießen zu lassen. Auch wurde eine große Menge dicker Sous ( gros sous ) aus Glockenspeise gemuͤnzt. Man ließ nur gerade so viele Glocken in den Staͤdten und Doͤrfern, als zu den Thurm-Uh- ren erforderlich waren. — Von den Thuͤrmen ging man in die Kirche selbst, nahm alles Gold, Sil- ber, Edelsteine und andre Kostbarkeiten weg, womit z. B. die heiligen Reliquien geziert waren, und schickte das alles in den Schatz der Distrikte und Departementer. Die Meßgewaͤnder wurden oͤffent- lich auf dem Troͤdel verkauft, und die Kirchenlein- wand, als Altar-Tuͤcher, Alben, Roͤcheln, Hu- meralen u. dgl. in die Hospitaͤler geschickt. Das Holzwerk der Kirchen, als Altar, Kanzel, Orgel, Beichtstuͤhle und Baͤnke, wurde an Tischler, der Marmor an Marmorarbeiter, das Eisen an Schloͤs- ser und Schmiede verkauft. Daß Frankreich durch diese Zueignung einen Schatz gewonnen habe, groͤßer, als ihn manche Protestanten schaͤtzen moͤgen, kann man nicht be- zweifeln. Man berechne einmal alle goldenen und silbernen Venerabels, Monstranzen, Kelche, Pa- tenen, Bischofsstaͤbe, Weinkaͤnnchen, nebst ihren Tellern; alle silbernen Rauchfaͤsser, Statuen, Leuchter, Krankenkreuze und Ciborien; alle gold- nen und silbernen Quaͤste und Borden an den Dal- matiken, Meßgewaͤndern, Antipendien, Venera- bels-Velen, Communiontuͤchern, Kanzelbehaͤn- gen, Prozessions-Himmeln u. dgl.; alle Edel- steine um das Hostienbehaͤltniß in den Venerabeln und Monstranzen, an den Einfassungen und Ver- zierungen der Reliquien; alle silbernen Saͤrge fuͤr ganze Heiligen-Koͤrper, nebst den silbernen Kap- seln fuͤr einzelne Glieder; alle silbernen Ampeln, Engelchen, Heilige-Geist-Tauben, Jesus-Kind- chen, und Vosivtafeln fuͤr Menschen und Vieh; alle silbernen, innernen und bleyernen Orgelpfei- fen, alle Weihwasser-Kessel von Kupfer, Mes- sing oder Marmor, nebst dem Silberbeschlag an den Missalen; ferner alle feine Spitzen zu und an den Alben, Humeralen und Roͤcheln; dann alles Eisenwerk zu Gittern, Chorthuͤren, Ampelstangen, Befestigungsstangen an den Altaͤren, und zu Spin- deln in den Glocken-Achsen: — das alles berechne man nach der Anzahl der Kathedral-Pfarr- und Kloster-Kirchen in ganz Frankreich, die Oratorien und Kapellen nicht einmal mitgerechnet; endlich erwaͤge man den Geist einer Religion, welche das Suͤnden-Conto durch fromme Stiftungen und Schenkungen so ganz und gar saldirt, daß noch ein Verdienst-Ueberschuß zu einem Wechsel uͤbrig bleibt, den der liebe Gott dereinst im Himmel zu honori- ren hat: — das Alles, sage ich, berechne man, berechne dazu die Kirch-Gebaͤude, die Priesterhaͤu- ser, Gaͤrten, Grundstuͤcke, Kirchhoͤfe und Kapi- talien: und man wird die Millionen ansehnlich fin- den, welche der Aberglaube reichlich zusammenge- bracht und vermehrt hat, um die Wunden einer Nation dereinst damit heilen zu helfen, welche er ihr uͤber ein Jahrtausend schlug. — Die Bildsaͤulen der Heiligen von Stein und Gips wurden alle zerschlagen, und die hoͤlzernen als Brennholz an Kauflustige verkauft. Alle Kru- zifixe, alle Grabmaͤler und Mauselaͤen wurden ver- nichtet und eingerissen. — Die Volkssocietaͤten be- trieben dieß vandalische Werk mit solchem Eifer, daß innerhalb weniger Zeit, Frankreich gar keinen Anstrich mehr hatte, als wenn die katholische Re- ligion je darin geherrscht haͤtte. Weil aber die Ja- kobiner nichts mehr haßten, als das Kreuz, so ließen sie gleich anfangs die Kreuzer von den Kirch- thuͤrmern herabschmeißen, und warteten nicht, bis man etwan einmal diese Thuͤrme selbst demoliren wuͤrde. In M â con fiel ein Maurer, der so ein Kreuz von einem Thurme hinab werfen wollte, her- unter, und brach das Genick. Der Kommentar der Devoten — laͤßt sich errathen. Die Frauenzimmer trugen vorher Agnus-Dei und Kreuzer am Halse. Aber jezt, da man dieses Zeichen uͤberhaupt als ein antirevolutionaͤres Zei- chen ansieht, untersteht sich keine weiter, auf ihren profanen Busen durch einen Schmuck aufmerksam zu machen, der die herzinnige Andacht den Anbeter von dem gekreuzigten Heiland so leicht zu den Schaͤchern verirren laͤßt. In Frankreich waren sonst sehr viele Reliquien als Heiligen-Leichname, Haͤupter, Beine u. s. f. auch viele heiligen Gnadenbilder. Man that einst den Vorschlag, diese Dinge, welche ehemals so viel Wunder gethan haben sollten, zu sammeln, und einmal, wenn der Friede hergestellt seyn wuͤr- de, an fremde Voͤlker, die auf dergleichen Sachen noch viel halten z. B. an die Herren Spanier, Ita- liaͤner, Oestreicher, Bayern u. s. w. zu verkaufen. Allein dieser Vorschlag wurde verworfen. Es soll und darf, schrieen die Jakobiner, nichts aus Frank- reich kommen, was irgendwo Aberglauben und Pfafferey verbreiten koͤnnte. Aus Frankreich soll andern Voͤlkern Licht aufgehen! — Also wurden alle heiligen Ueberbleibsel, groͤßtentheils unter tau- send Sarkasmen von Seiten der Jakobiner, ver- nichtet. In Dijon war eine heilige Hostie, welche durch ganz Frankreich beruͤhmt war, und vielen Zulauf durch Wallfahrten hatte, auch sehr viele Wunder wirken sollte. Diese heilige Hostie war von einem gottlosen Priester in Palermo vorzeiten konsekrirt, und an einen Juden fuͤr viel Geld verkauft worden. Der Jude stach auf der Hochzeit seiner Tochter, nebst seinen Freunden, mit Federmessern in die Ho- stie, und, siehe, es floß sofort Blut in reichem Maße hervor. Die Juden erschracken und fielen wie todt zur Erde, die Hostie aber erhob sich, fuhr zum Fenster hinaus, und schwebte in großer Glo- rie und Herrlichkeit, mit Strahlen umgeben, hoch in der Luft. Der Erzbischof, ein frommer, hei- liger Mann, erfuhr dieß, kam fluchs mit der Kle- risey in Procession, fiel vor die Hostie auf die Kniee, begann seine Beschwoͤrung, und die Hostie sank in des Erzbischofs heilige Haͤnde. Der Erzbischof trug sie in Procession nach der Kathedralkirche, und verwahrte sie im Hochaltar. Der Papst vernahm die Begebenheit, und hoͤrte von den unbeschreibli- chen Wundern, welche die Hostie in Palermo wirkte. Er befahl also, daß man sie nach Rom bringen sollte, um da nach Wuͤrden verehrt zu wer- den. Als das Schiff in Begriff war, abzufahren, tobte das Meer schrecklich, aber kaum war die h. Hostie im Schiffe: so legte sich der Wind, und wurde so guͤnstig, daß die Fahrt von statten ging, auch ohne Ruder und Segel. In Rom wirkte die Hostie von neuem unzaͤhlige Wunder. Lange hernach vermaͤhlte sich ein Herzog von Burgund, Philipp II, mit dem Bey- namen der Gute, mit der Portugiesischen Prin- zessin Isabella . Diese nahm ihren Weg uͤber Rom, um den Segen des h. Vaters einzuholen. Eugenius IV war damals Papst, und geruͤhrt von der Froͤmmigkeit der Prinzessin, und von den Geschenken, die sie dem roͤmischen Stuhl reichlich verehrte, gab er ihr die heilige Hostie. Die Prin- zessin brachte, durch Huͤlfe eines Priesters diesen goͤttlichen Schatz nach Dijon , der Residenz der Herzoge von Burgund. Hier ließ sie ihr zu Ehren eine Kirche erbauen, welche dem Erzengel Michael geweiht wurde. In dieser Kirche ließ sie obendrein eine praͤchtige Kapelle auffuͤhren, worin die h. Ho- stie auf einem massiv silbernen Altar in einer gold- nen, mit Edelsteinen besezten Monstranz verehrt ward. Seit jener Zeit, das ist, seit der Mitte des fuͤnfzehnten Jahrhunderts, hat nun diese h. Hostie gar viele neue Wunder gewirkt, und man hat aus ganz Frankreich Wallfahrten zu ihr angestellt. Sie hatte ihre ganz eignen Kanonikos. Im Jahr 1794, im April, wurde aber Kapelle und Altar zerstoͤhrt, und die h. Hostie in eine gluͤhende Kohlpfanne ge- worfen, wo sie auch verbrannt ist, ohne irgend ein Zeichen ihrer ehemaligen goͤttlichen Allmacht. Bey dieser Exekution erwarteten freilich alle fromme Dijoner eine Rettung des weltberuͤhmten Heilig- thums durch ein Wunder. Aber — als kein Wun- der erfolgte, und die arme Hostie sich ganz gedul- dig zernichten ließ, fingen auch solche uͤber die Re- liquien an zu raͤsonniren, welche vorher ihr Leben dafuͤr gegeben haͤtten. Der Sturz der christlichen Religion in Frank- reich zog auch den der juͤdischen nach sich: die Sy- nagogen wurden verboten, und eben so, wie die christlichen Kirchen zugeschlossen. Auch hat das Judenthum drey Maͤrtyrer gehabt, welche eher sterben, als den Schabes u. dgleichen aufgeben wollten. Aber die vernuͤnftigern Juden, deren es hier und da auch in Frankreich giebt, ließen sich die neue Einrichtung gefallen, arbeiteten am Scha- bes, ließen ihren Knaben die Vorhaut, aßen Schwei- nefleisch und zogen mit zu Felde. Man muß in- deß wissen, daß sich die Israelitischen Glaubensge- nossen nicht so haͤufig in Frankreich, wie in Deutsch- land, Polen u. s. w. befinden: es giebt ganze De- partementer, wo kein Jude zu sehen ist. Die Herren Maçons oder Freymaͤurer mußten ihre Gesellschaften ebenfalls aufgeben. Sie tha- ten dieß, entsagten ihrer Zusammenkunft, und schlossen sich an die Jakobiner; ja, man wollte so- gar behaupten, daß die Hauptsache der Jakobiner schon von Cromwels Zeiten an, der vornehmste Gegenstand der Freymaͤurerey gewesen sey. Wenn das ist, so hatten die Bischoͤfe in Frankreich wohl nicht unrecht, als sie schon vor vielen Jahren die Aufhebung dieses Ordens motivirten, und ihn als dem Staate d. i. dem Koͤnigthum, und der Reli- gion d. i. den Pfaffen und der Hierarchie schaͤdlich darstellten. Wie in Deutschland, so auch in Frankreich gab es viele, die über den Ursprung, das Wesen und den Zweck der Freymäu- rerey ihr Urtheil hören ließen. Eine unbefriedigte Neugierde und etwas Neid zuweilen, ist die Quelle der Vermuthung und der Debatten darüber. Viele wissen nicht einmal, wie die Freymaurerey bey uns zuerst entstanden ist. In Deutschland entstand sie, als Ausländer hier anfingen, das Christenthum, oder vielmehr das ascetische Papstthum autorisirt einzuführen. — Reines Christenthum war damals in Rom durchaus nicht, folglich könnte man es den Deutschen von da auch nur ver- fälscht und bebrämt zuführen. — Die ersten Ankömmlinge in Deutschland, Mönche, fanden es sumpfig und waldig, und Vierter Theil. S Auch die Zerstoͤrung der Mansolaͤen war eine Folge der Aufhebung des oͤffentlichen Gottesdien- wählten zu ihrem Wohnsitz Berge, zumal in der Nähe von Flüssen. Jene umgab eine minder ungesunde Luft, und in diesen fanden sie Füche zu ihren Fastenspeisen; und von den Kühen auf den Wiesen am Flusse konnten sie Milch haben. — Diese Leute kultivirten physisch und moralisch nach ihrer Art, wie es gehen wollte. Nach und nach kamen mehrere, auch Bischöfe, Grafen u. dgl. unter Karl dem Großen. Sie sollten Klöster, Kirchen und Häuser haben. Geschickte und hinrei- ch ende Baumeister fand man in Deutschland nicht; und die in Italien hatten keine Lust zum Lande der Wölfe und Bä- ren. In Italien standen sie unter strenger Aufsicht, und ihr Arbeitslohn war taxmäßig festgesezt. Wer nun, erklärte man, mit nach Deutschland zieht, um dort bauen zu helfen, soll von alle dem frey seyn. Dieß lockte: man benedicirte ihre Pro- fessions-Insignien, eximirte sie von hoherer Aufsicht und der Taxe: und so hatten sie Freymauern und die Erlaubniß, soviel Gesellen anzunehmen, als sie für gut fanden. Endlich, wen die Aufsicht der Bischöfe und Gaugrafen nicht behagte, ließ sich, er mogte seyn, wer er wollte, Mäurer oder nicht Mäurer, als Mitglied bey der Mäurer-Zunft aufnehmen, erhielt sein Zeichen, und war von der strengen Aufsicht frey wie die Herren in Spanien, die sich aus eben der Absicht bey der Hermandad, als Gehülfen des In qu isitionsgerichts, auf- nehmen lassen. Dieß ist der Ursprung des Namens und der Sache der ersten Freymäuerey in Deutschland. Die wahren oder eigentlichen Freymäurer misbrauchten ihre Freyheit, und mit der Zeit war man genöthigt, sie wieder, wie jede andern Zunftgenossen, nach den Gesetzen einzuschrän- ken. Aus Freymäurern wurden also wieder gebundene Mäu- rer. Die Schein-Freymäurer sezten indes ihre Verbindung und Zusammenkunft fort, und die vorher eigentliche Kunst- sprache ward uneigentlich oder tropisch, so wie ihr Zweck jezt hieroglyphisch-moralisch ward. Die Cultur der Wissenschaften stieg, man lernte die Mysterien der Alten kennen, man mo- delte nach, modificierte weiter nach diesem und jenem, bis end- lich die jezt nur sogenannte Freymäuerey das ward, was sie gegenwärtig ist — eine geschlossene Gesellschaft meist einsichtiger, würdiger Männer, deren Hauptberuf es ist, gewisse ge sell - schaftliche Pflichten vorzüglich auszuüben. — stes. Zerstoͤrt die Ueberbleibsel der Tyranney, schrieen die Jakobiner: und die Gebeine der Koͤ- nige und der Großen wurden herausgegraben. Die Menschen bleiben immer Menschen — schrieb W ede - kind an Gregoire über den Vandalismus in Strasburg. — Sollten wir nicht vielmehr das Andenken jedes Unsinns heili- gen, und unsere Nachkommen zu bewahren, daß sie nicht von Ueber die Entstehung der Freymäurerey in England zu Er- reichung politischer Zwecke, während Cromwel domi- nirte, lese man das Buch: „Aufklärung über wichtige Gegen- stände in der Freymäurerey, besonders über die Entstehung derselben ohne alle Schwärmerey.“ Noch eins zum vorigen! Wer heutzutage auf Ib bu r g bey Osnabruck, auf Huisburg bey Halberstadt, oder auf dem Petersberg bey Halle — der schönen Aussicht sich freuet, lobt den Geschmack und die Klugheit der ersten Anbauen. Aber weite Aussichten über Wald und Haine und Sümpfe gab es auf den hohen Bergen vorzeiten wohl; nur noch keine schönen : dazu fehlte es an der abwechselnden Mannigfaltig- keit in den Natur- und Kunst-Part h i e en. Das schattirte Spiel von Stadten, Dörfern, Burgen, Gasthöfen und Mühlen zwi- schen Wiesen, Hainen, Feldern und Waldern entstand erst lange nachher. Auch lebten die moralisch-kastrirten Phanta- sienbrüter der damaligen Zeit mehr in ihrem Ide enhim mel, als im ästhetischen Naturhimmel der Sinne. Also nur die Sorge für ihre Gesundheit und für etwas mehr Sicherheit be- wo g sie, wie alle alten Burgbewohner, ihren Aufenthalt auf hohen Bergen zu nehmen. Die Benennung von Monsserenus für den Petersberg in ältern Urkunden, scheint dieß mit zu bestätigen. Jenes verwechselnde Urtheil mahnt mich indeß gar treffend: wie täuschend auch viele Theologen das schon in der Bibel fin- den wollen, was der Kunstfleiß eines Sewiers , Kants und Anderer, durch Hume 's Voltaire 's und Lessings Scharfblick geweckt, auf dem Boden der Bibel — dieser ski - ßirten Kovie der moralischen Natur des Menschen: denn was da drüber ist, ist nicht zum Heile — erst, aufgeräumt: und nachher nach der Symetrie der allgemeinen Vernunft gleichsam neu aufgeführt haben. Decipimur specio Recti! — Die beruͤhmte Abtey zu St. Denis , nicht weit von Paris, ist jezt ein Hospital, und die Gruft der Koͤnige — eine Holzniederlage. Die metalle- nen Saͤrge der Koͤnige und der Personen aus der koͤniglichen Familie sind eingeschmolzen, und die Gebeine wurden sonstwohin begraben, verbrannt, ja, je nachdem sie es verdient hatten, sogar zer- streut und vom Poͤbel verunehrt und beschimpft. Selbst Ludwig XIV liegt nicht mehr ganz bey- sammen: der stolze Ludwig! Es ist wahrlich eine seltsame Katastrophe in den menschlichen Dingen! Ille lugurthino clarus Cimbroque triumpho. Quo victrix toties Consule Roma fuit, In coeno Marius jacuit, cannaque palustri, Pertulit et tanto multa pudenda viro! Augustus fand zu Alexandria noch den Sarg des Erbauers dieser Stadt, Alexanders des Großen, welchen Ptolemaͤus Lagi dahin hatte bringen lassen. Er ließ den Sarg oͤffnen, fand aber nur noch die Hirnschale und einige Gebeine des neuem in ihn verfallen? Nicht die Vernunft, sondern ihre Ge- schichte, sichert das Volk gegen die moralischen und politischen Krankheiten der Vorzeit. Werkzeuge der Henker, Kronen, Scepter, kurz alles, was an die vorigen Zeiten des Königthums erinnern kann, sollte in Nationalgebäuden aufbewahrt, und jährlich einmal der Jugend vorgezeigt werden. Nehmt weg alles, was euch an die vorigen Zeiten erinnern kann: und ihr lauft Gefahr, daß es euren Nachkommen gehe, wie den Kindern, welche giftige Beeren aßen, weil sie nicht wußten, daß es gif- tige Beeren waren. — seltsamen Mannes, qui res humanas miscuit olim. Der roͤmische Tyrann — der Unterdruͤcker der Frey- heit Roms, so gute Eigenschaften er sonst auch ha- ben mogte, verdient allerdings diesen Namen, und selbst Friedrich der Zweyte (!) nennt ihn so. Eloge de Voltaire S. 2. — also der roͤmische Tyrann weinte, daß von dem Weltverwuͤstenden Helden nichts mehr, als so ei- ne Kleinigkeit uͤbrig war. Wer in seinem Leben an der ganzen Welt nicht genug gehabt hatte, hatte nach seinem Tode genug an einem Sarge! — — Quem totus non capit orbis, Urna capit. Dar- uͤber weinte Augustus, und Augustus blieb Ty- rann. Der Herrschgeist ist einmal nicht anders! Aber wenn eine Nation noch noͤthig findet, sich an der Asche ihrer ehemaligen Beherrscher zu raͤchen, und deren laͤngst vermorschte Knochen der Beschim- pfung preis zu geben: dann muß es doch eben nicht die hoͤchste Ehre des Menschen seyn — Natio- nen zu beherrschen! — Zwischen Beherrschen und Beherrschen ist indeß ein Unterschied, wie unter dem Eindruck, den der gute und arge Beherrscher noch bis auf die segnende oder fluchende Nachwelt zuruͤcklaͤßt. Man sah dieß neuerdings in Frankreich bestaͤtiget. So stuͤrmisch die Nation in ihrem Hasse gegen das Koͤ- nigthum verfuhr, so gerecht zeigte sie sich jedoch gegen Koͤnige von Verdienst. So wurde Hein - rich IV , und Ludwig XII , dem ehemals das franzoͤsische Volk den schoͤnen Beynamen des Va - ters des Volkes gab, auch bey der Zerstoͤ- rung der Gruft zu St. Denis verschont; und ihre ehrwuͤrdigen Reste wurden mit dem lauten Zuruf der Buͤrger: „ Es sind gute Koͤnige gewe - sen ! Ihre Gebeine sind uns heilig !“ in allen Ehren beerdiget. Zu Dijon im Karthaͤuserkloster in der Vorstadt lagen die Herzoge von Burgund aus der juͤngern Linie mit ihrer Familie begraben. Diese Linie fängt mit Philipp , dem Kühnen , König Johannis Sohn, 1363 an, und endigt sich mit Karl , dem Kühnen , 1477. Auch diesen ließen die Jakobiner im Grabe keine Ruhe. Die laͤngst vermauerte Gruft wurde aufgebrochen, die Saͤrge eroͤffnet, und was brauchbar darin war, be- sonders ein schoͤner mit Edelsteinen besezter Degen des Herzogs Johannis intrepidi(leans fans peur) weggenommen, die zinnernen Saͤrge an die Zinn- gießer verkauft, und die Gebeine der alten Bur- gundischen Regenten auf einem Schubkarren hin- ausgefahren und in ganz gemeine Erde verscharrt. Ich sprach einmal in Dijou uͤber diese Begebenheit, und wunderte mich, daß man die alten Herzoge nicht habe ruhen lassen. Ey was, Herzoge! erwie- derte ein Buͤrger: es waren Blutsauger, die alten Tyrannen von Burgund; und Tyrannen verdienen Verfolgung im Leben, und Schimpf und Schande nach dem Tode. — Die Universitaͤten, deren es viele in Frankreich gab, wurden eben so wie die Gymnasien und Schu- len samt und sonders aufgehoben. Viele waren vorher schon von selbst eingegangen, aus Mangel an Schuͤlern: Aber nun kassirte man die gelehrten Innungen als hoͤchst schaͤdlich, und der Republik nachtheilig. Man betrachtete sie als Pflanzschu- len, deren alter scholastischer Zuschnitt nur der abgeschafften Staatsform entsprochen haͤtte; die keinen Kopf eine andere Richtung haͤtte nehmen lassen, als die fuͤr Pfafferey und Despotie; ja, die sogar jedes aufkeimende Genie, das in den hoͤ- hern und hellen Ton nur leise zu stimmen suchte, mit Gewalt gedempft, und in die Schul-Akkor- den der barbarischen Jahrhunderte gezwaͤngt haͤt- ten; die endlich nicht eher eine angemeßne Umaͤn- derung zuließen, bis man sie mit Stumpf und Stiel vertilgt haͤtte. Herr Salzmann hat unter andern Wahr- heiten, welche sein Carl von Carlsberg ent- haͤlt, mehrmals gesagt, daß die Universitaͤten zu den laͤcherlichen Anomalien gehoͤren, welche das Menschengeschlecht verhunzen helfen: aber in Deutschland hat man das mit Beyfall gelesen, vielleicht hat man auch Herrn Salzmann Recht gegeben; und doch sind die gelehrten Handwerks- logen geblieben, wie vorher. Daß die Universi- taͤten, diese privilegiirten Duͤnkel-Fabriken, — wegen ihrer Universitaͤtsheit —, noch immer in derselben Barbarey liegen, worin sie vor 300 Jahren gele- gen sind, beweisen unter andern die Promotionen, die akademische Polizey, und die seltsame Art, die Wissenschaften zu lehren und den Kursus abzu- machen. — In Frankreich hat man diese Barba- rey gehoben, indem man die Gelehrsamkeits-In- nungen aufhob. Indessen werden jezt gewisse nuͤz- liche Wissenschaften dafuͤr desto unbefangner, und also mit mehr Interesse und Nachdruck gelehrt; und in Zukunft laͤßt sich noch wahres Wachsthum der menschlichen Kenntniß durch die Bemuͤhungen der freyen Franzosen erwarten, wie wir weiter unten sehen werden. Die lateinischen Schulen hatten das Schicksal der Universitaͤten: sie wurden ebenfalls kassirt. Auch die ehemals beruͤhmten Akademien existi- ren nicht mehr: doch davon rede ich in dem Kapi- tel von dem jetzigen Zustand der Gelehrsamkeit in Frankreich. Die Schulen auf den Doͤrfern wurden eben so weggeschafft, wie die in den Staͤdten, und die Schulmeister durften den Katechismus durchaus nicht mehr lehren. Ehedem bestand der Unterricht des gemeinen Mannes in Frankreich blos im Kate- chismus. Selten lernte jemand, zumal in den erbaͤrmlichen Dorfschulen, schreiben, und noch seltner rechnen: ein elender Katechismus, der nur Frazzen enthielt, und den gesunden Menschenver- stand ganz und gar verkruͤppelte, wurde auswen- dig gelernt, und mit Pruͤgeln kommentirt. — In den Staͤdten war der Unterricht der gemei- nen, nicht fuͤr die Studien bestimmten Jugend eben so elend. Daher auch die große Unwissenheit des gemeinen Mannes in Frankreich! Und eben daher die nicht lange anhaltende Schwierigkeit, die ge- meinen Franzosen uͤber ihre Katechismus- und Pfaffen-Religion mit Spott und Lachen wegzu- bringen. Dieß moͤgen die sich merken, die, wie mit Blindheit geschlagen, von dem Popanz der kirchlichen Phantasie-Religion mehr erwarten, als von der hellen und immer und uͤberall stichhalten- den Religion der Vernunft. Zu hoch fuͤr den gemeinen Mann ist diese gewiß nicht: denn sie ist fuͤr alle Menschen . — Unterricht! Un- terricht!! — Um solche Schulen war es also nicht nur nicht Schade, sondern Vortheil, und sie mußten einge- stellt werden, wenn die Revolution ganz zu Stan- de kommen sollte. — Doch sah man zugleich ein, daß das Volk Unterricht haben muͤßte; und schon im Jahr 1793 wurde eine Comité de l'instruction festgesezt, welche herrliche Vorschlaͤge fuͤr den ge- meinen Unterricht gethan hat. Doch davon zu seiner Zeit. Daß bey der Aufhebung der oͤffentlichen Reli- gion in Frankreich manche Excesse von rasenden Jacobinern und ihren Anhaͤngern, den Sanscuͤlot- ten, sind veruͤbt worden, kann man um so eher denken, da alles so schnell und mitunter tumul- tuarisch zuging. Dahin gehoͤrt unter andern, daß die Sanscuͤlotten — diesen Namen fuͤhrten 1793 und 94 alle die, welche fuͤr aͤchte Patrioten gehal- ten seyn wollten — in die Haͤuser liefen, und da die Bilder, Rosenkraͤnze und Gebetbuͤcher mir nichts dir nichts, wegnahmen, zerschmissen und zerrissen, und jeden insultirten, welcher sich diesem Muth- willen widersezte. Besonders verfolgte man die Rosenkraͤnze und die Mutter-Gottes-Bilder, wel- che man ohne Gnade alle zerschlug. Bey dieser Gelegenheit wurden auch die Bilder der Koͤnige und anderer hohen Personen zerrissen und vernichtet. Jeder Hauswirth war gehalten, alle Zimmer den Sanscuͤlotten aufzumachen, damit sie nachsehen konnten, ob kein kontrerevolutionnaͤrer Quark ( ordures contrerévolutionnaires ) sich faͤnde; und wenn einer nicht aufmachen wollte, so schlugen die Sanscuͤlotten die Thuͤren mit Gewalt auf. Nach der Eroberung von Lyon fanden sich Hau- fen von Sanscuͤlotten, welche die Gegenden um Lyon, Vienne, bis nach Toulon hinab, durch- rennten, sich den Namen Bataillons révolutionnai- res gaben, und allerley Unfug ausuͤbten. Da ich die Ehre gehabt habe, diese Herren naͤher kennen zu lernen, auch einige Zeit, selbst als Sanscuͤ- lotte, mit ihnen herumgezogen bin, so werde ich meinen Lesern in einem eignen Kapitel am gehoͤri- gen Orte artige Nachrichten von ihnen mitzutheilen. Neunzehntes Kapitel. Beschluß des Vorigen . R obespierre , welcher um diese Zeit in Frank- reich das hoͤchste Ansehn, sowohl im Konvent als unter den Jakobinern hatte, wollte doch dem Volke, das einmal an Versammlungen zu gewisser Zeit gewoͤhnt war, ein Etwas geben, das anstatt der Religion die oͤffentliche Meynung leiten sollte: aber nun fragte sich: was? Sollte man einen neuen Gottesdienst einfuͤh- ren? Das waͤre hoͤchst inkonsequent gewesen! Nein, es mußte, so zu sagen, eine Anarchie in der Re- ligion entstehen, und um diese Anarchie herbeyzu- fuͤhren, beschloß der Konvent, daß in jeder Stadt, auch in jedem Dorfe, ein Tempel der Vernunft seyn koͤnnte , nicht seyn muͤßte . In diesem Tempel der Vernunft sollten alle zehn Tage Re- den gehalten werden koͤnnen zur Begruͤndung der aͤchten Buͤrgertugenden, und der Ausrottung des Aberglaubens, d. i. der bisherigen oͤffentlichen Religion. Die Jakobiner, deren Namen damals Legion hieß, bemeisterten sich sofort dieses Tempels, und nur aͤchte Jakobiner hielten die Reden darin. Ge- woͤhnlich waren die Kathedralkirchen, oder sonst die vornehmsten dazu ausersehen, und der Redner bestieg an den festgesezten Tagen die Kanzel. Weil aber auch diese als ein schaͤdliches und verhaßtes Erinnerungsmittel, den Jakobinern ein Dorn in den Augen war, so riß man sie uͤberall ein, und errichtete fuͤr den Redner eine eigne Buͤhne. Die Reden mußten jedesmal zuvor im Jako- binerklub vorgelegt und gepruͤft werden, damit ja nichts darin vorkaͤme, was nur von weitem nach Royalismus oder Christenthum schmeckte. Sogar durfte von Gott, dessen Regierung, und von der Unsterblichkeit der Seele nicht ein Wort einfließen: Auch die Begriffe uͤber diese Dinge sollten durch eine Art von Anarchie gelaͤutert werden. Kam so etwas vor, so wurde es gestrichen; und hatte der Verfasser gar Einiges zu Gunsten der Bibel u. s. w. gesagt, so ward er obendrein deshalb noch verant- wortlich. Den Inhalt dieser Reden koͤnnen meine Leser schon errathen. Sie rollirten meistens uͤber Frey- heit, Gleichheit und Vaterlandsliebe; uͤber Haß und Vernichtung der Tyranney und der Pfaffen, und mit unter kamen derbe Ausfaͤlle auf den Stif- ter der christlichen Lehre, auf seine Mutter und seine Apostel vor. Der Vater Papst wurde vollends nicht geschont, und die sonst ehrwuͤrdigen Gebraͤu- che der Religion in Frankreich, die Messe, Sakra- mente, Fegfeuer u. dgl. fertigte man mit derben Sarkasmen ab. Beyher wurden auch die Gesetze erklaͤrt, und das Volk zur Befolgung derselben aufgemuntert. In Colmar hoͤrte ich die erste Rede im Tem- pel der Vernunft. Der Prokurator Glocsin — von dem man bald mehr lesen wird — hielt sie mit allem Pathos uͤber das Recht der Voͤlker, ihre Tyrannen zu richten, wenn sie das Volk druͤcken, und die Gesetze nach Belieben beleidigen. Er be- muͤhte sich, besonders darzuthun, daß der Satz: die Obrigkeit ist von Gott, grundfalsch sey, indem Gott, man moͤge sich dieses Wesen denken, wie man wolle, unmoͤglich die Wege billigen koͤnne, auf welchen die ersten Regenten zur Herrschaft ge- kommen waͤren. Hat etwan, sagte er, Gott den ersten Franken-Herzog zum Koͤnige in Gallien ge- macht? Clovis war ein Ruchloser, ein Erzraͤu- ber! Sein Recht auf Gallien war das Recht des Raͤubers auf das Gut des unbewaffneten Wande- rers, oder das Recht der Sklavenhaͤndler auf die Freyheit der armen Afrikaner. Aber, fuhr er fort, wenn Gott dem Clovis das Recht uͤber Gallien gegeben hat, wenn Gallien demnach rechtmaͤßig auf Clovis Nachkommen fortgeerbt ist: wer gab dann dem Pipin das Recht, die Herrschaft dem Stamme des Clovis zu entreißen, und auf seine Familie zu bringen? Und wie ist hernach dieses Recht auf die kapet ingische Familie ge- kommen, woraus unsre lezten Tyrannen gewesen sind? Lauter Widerspruͤche! Wenn Gott die Men- schen erschaffen hat, so hat er sie frey erschaffen: das Recht der Fuͤrsten hat seinen Ursprung nicht in der goͤttlichen Regierung, sondern in der Dumm- heit der Menschen, und in ihrem Sklavensinn. — Die Voͤlker Europens, fuͤgte er hinzu, werden uns jezt hassen, weil wir dem Ludwig Caper die Gewalt, uns zu tyrannisiren, genommen, und ihn fuͤr seine Bosheit bestraft haben. Aber die Zeit wird kommen, wo eben diese Voͤlker unserm Beyspiele folgen werden. Reden von dieser und aͤhnlicher Art habe ich viele gehoͤrt, und mitunter einige, die allerdings verdienten gehoͤrt, gelesen und beherzigt zu werden. Da sie allemal hoͤchstwichtige Gegenstaͤnde abhan- delten, und der Redner frey untersuchen und spre- chen durfte, so fehlte es selten an Gruͤndlichkeit und Staͤrke. Wer frey denkt, denkt gut — sagt Haller ; und in den Verlocken an den Schillerschen Musenalmanach heißt es S. 10: „Meisterwerke gedeihn nie, wenn ein Nero gebeut.“ Vorzuͤglich gute Reden wurden gedruckt, herumgeschickt, und hernach in allen Weinhaͤusern und Gesellschaften vorgelesen, be- kommentirt und beexegesirt, und so wurde deren Inhalt immer mehr wirksam gemacht. Es wuͤrde mich zu weit fuͤhren, wenn ich Proben davon hier liefern wollte: aber nur noch etwas Geduld, und man erhaͤlt aus meinem reichen Vorrath: Lau - hards Ausbeute in Frankreich fuͤr Theo - logen , Politiker und Kosmopoliten . Es stand jederman frey, an der Zusammen- kunft im Tempel der Vernunft Theil zu nehmen. Jeder gute Patriot fand sich ein, die Neugierigen auch, und so war die Versammlung immer sehr ansehnlich und zahlreich. Die Worte: Tempel der Vernunft standen mit großen goldenen Buchstaben uͤber den Thuͤren der ehemaligen Tem- pel des Aberglaubens. Oft wurden drey, vier und mehrere Reden an einer Dekade gehalten, und man kam oft erst Abends um zehn, elf Uhr aus der lezten, Zum Einschlaͤfern war keine. — Das Zeichen zum Anfang jeder Versammlung wurde mit Laͤuten einer Glocke gegeben, aber auf ganz andere Art wie zu dem Gottesdienste bey uns: die Glocke wurde blos einseitig angeschlagen. Der Anfang dieses Vernunft-Dienstes, oder dieser Vernunft-Huldigung, wenn man so sagen darf, wurde mit Absingung gewisser Lieder gemacht, wo- zu auch Instrumente gespielt wurden. Die Lieder waren aus den Sammlungen republikanischer Ge- saͤnge, welche man jezt in Frankreich sehr haͤufig, gut und enthusiastisch-belebend hat. Vorzuͤglich wurde der Marseiller Marsch musicirt und gesun- gen. Der Beschluß geschah wieder mit einem re- publikanischen Liede. So hatte denn Frankreich am Ende des Jahres 1793 bis in den Sommer 1794 gar keine eigent- liche Religion, welche oͤffentlich waͤre geuͤbt wor- den, nicht einmal eine oͤffentliche natuͤrliche: denn diese erfordert wenigstens oͤffentliches Bekenntniß des Daseyns Gottes, und der Unsterblichkeit der Seele, als Beweggruͤnde der Moral. Aber in Frankreich sollte alle Moral aus dem Buͤrgersinn, aus dem Patriotismus geleitet werden. Ueber diese Quelle, die in die Sinne faͤllt, konnte man buͤrgerlich machen, und sie durch Gesetze laͤu- tern und festen Fußes verfolgen. Das hieß den Sinn-Menschen sinnlich fixiren, wie jede Regie- rung, als oͤffentliche, aͤußere Gewalt, dieß ei- gentlich nur sollte , weil sie dieß eigentlich nur kann , und weil es unweise und unklug ist, noth- wendige, gewisse Zwecke von der Wirksamkeit zu- faͤlliger und ungewisser Mittel zu erwarten. Da- seyn Gottes und Unsterblichkeit der Seele kann man bezweifeln, „Wir wissen, schrieb Voltaire an M. d'A n gerson, sehr gut, daß diese und jene Gottisen (bey Gott und Seele ) nicht statt finden, aber wir sind sehr mittelmäßig unterrichtet über das, was sie sind. — Allein, wenn wir gewisse Dinge, die ein wenig delikat sind, nicht begreifen, so ist es wahrschein- lich, daß es nicht nothwendig sey, daß wir sie begreifen sollen. Wenn gewisse Dinge durchaus nothwendig wären, so würden alle Menschen sie haben, wie alle Pferre Füße haben. Man kann ziemlich versichert seyn, daß das, was nicht durchaus nothwendig ist für alle Menschen, zu jeder Zeit, und an jedem Orte, auch nicht nothwendig sey für irgend einen. Diese Wahr- heit ist ein Polster, worauf man ruhig schlafen kann: daß Uebrige ist ein ewiger Gegenstand fürs Streiten zum Pro und Contra.“ ( Oeuvres comp l. à Bas l e, T. 94 p. 70.) Wer die Wichtigkeit der Zweifel an die wichtigern übersinn - lichen Begriffe näher prüfen will, dem empfehle ich das Buch aber nicht, daß ich ein schlechter Vierter Theil. T Buͤrger bin, sobald ich die Gesetze uͤbertrete, die mich nach dem erklaͤrten Willen meiner Nation zum guten Buͤrger haben wollen. Man hat so oft und so viel gesagt, und sagt es noch, daß kein Staat ohne oͤffentliche Religion d. h. ohne oͤffentlich gehandhabten Glauben an un- sichtbare Dinge bestehen koͤnne. Ich mag nicht weiter untersuchen, wie weit diese Behauptung ge- gruͤndet sey. Aber fragen moͤgte ich doch: ob die Franzosen, nach Abschaffung aller oͤffentlichen Re- ligion, schlechter geworden seyen, als sie waren, da sie noch Pfaffen, Messe, Sakramente und allen religioͤsen Schnickschnack vollauf hatten? Die ganze franzoͤsische Geschichte von 1793 und 1794 zeigt, daß das Volk in Frankreich wenigstens nicht schlechter geworden ist, nachdem die oͤffentliche Religion abgeschafft war: denn gerade um diese Zeit besiegten sie alle ihre Feinde. Es mag daher doch nicht so allgemein wahr seyn, daß man Kirchen, Pfaffen, Glaubens-Einigkeit u. s. w. haben muͤsse, um als Staat zu bestehen: ja, ein Volk ohne alle Religion ließe sich noch immer als Volk und unter dem Titel: Die gesunde Vernunft , oder die übernatürlichen Begriffe im Widerspruche mit den natürlichen. London, 1788. Da kann man S. 26 1. sehen, warum die ein- sichtigern und klügern Völker und Menschen auf Kirchen-Re- ligion am wenigsten halten, am meisten aber die dummen und trägen. gesittetes, d. i . nach guten Gesetzen regiertes Volk denken. Noch mehr, wenn man Christi Lehre rein auffaßt, und sie von aller Einwirkung der Zeit, des Orts und der Personen entbloͤßt: so war ihr Zweck unwidersprechlich: die Moral der Vernunft zur Alleinherrscherin in der Gesell - schaft zu machen, und die Religion als die Privatsache des einzelnen Menschen aufzu- stellen. Dadurch war das Wohl der buͤrgerlichen Gesellschaft im ganzen gesichert, aber die Gewis- sensfreiheit der Buͤrger im Einzelnen von der ge- waltthaͤtigen Bedruͤckung und Fesselung der Priester auch erloͤset. Vorher war Alles Priester-Religion, und durch diese Alles den Priestern sklavisch unter- worfen. Um nun von diesem Joche die Menschen zu befreyen, lehrte Christus : daß die wahre Wuͤr- de und das wahre Wohl des Menschen nur durch eig - nes Handeln, nur durch Moral , und nicht durch Opfer und den uͤbrigen Apparat der Priester - Religion begruͤndet und gesichert werden koͤnne. In diese Fußstapfen traten alle einsichtige Fuͤr- sten, welche die Kunst inne hatten, den Menschen nach dem Menschen, und nicht nach phantastischer Priester-Maschinerie zu behandeln. „In mei- nem Lande, sagte Friedrich , der Zweyte , kann jeder glauben, was er will, wenn er nur ehrlich ist.“ Das war ganz in Christi Lehrsinn, ganz Christlich in dem Munde eines philosophischen Koͤnigs! Und un- ter solchen Koͤnigen bedarf das Volk keiner positiven Zwangs-Religion, um mit seinem Haupte — wel- ches ein Einziger oder Mehrere seyn moͤgen — als Staat zu bestehen. Aber sobald man ein dummes, sklavisches Volk mit einem Regenten denkt, dessen Willkuͤhr Gesetz, und dessen Grillen unverbruͤchliche Vorschriften sind, und der es fuͤr Oberverwaltungsamt angemeßner haͤlt, Sklaven sklavisch weiter zu beherrschen, als sie und sich durch zweckmaͤßige Cultur zu veredeln, um uͤber Menschen Menschenwuͤrdig zu herrschen: dann freilich scheint es, daß ein solches Volk un- ter einem solchen Fuͤrsten eine Hohepriester-Reli- gion noͤthig habe, die den lieben Gott zum Po- panz und zum eigensinnigen Tyrannen herabwuͤr- dige, und ihn ja nicht, wie Christus that, als den liebevollen Vater aller Geschoͤpfe, vorzuͤglich der vernuͤnftigen, darstelle. Eine solche Religion mit einem solchen Gotte ersezt dann freilich bey einem solchen Volke durch die Gewalt der Phantasie das, was die Regie- rungskunst in der Staͤrke der Vernunft des Ober- verwalters, oder in der Staatsverfassung fuͤr die- ses Volk nicht findet. Keiner hat diese theologisch- politische Maschinerie staͤrker ins Licht gestellt, als der einsichtige und freymuͤthige Verfasser von dem „ Erweis des himmelweiten Unter - schieds der Moral von der Religion .“ Nebst genauer Bestimmung der Begriffe von Theologie, Re- ligion, Kirche, und protestantischer Hierarchie, und des Ver- hältnisseß dieser Dinge zur Moral und zum Staate. Frank- furt und Leipzig, 1788. „Die ganze Orakel-Theologie und (Orakel-) Religion — sagt er S. 308 — ist so angelegt, daß sie den Leuten von Kindesbeinen an Furcht und Schre- cken vor einem zornigen Gott und dessen ewigbren- nender Hoͤlle einjage, und ihre Gemuͤther immer auf der Folterbank peinlicher Unruhe und schreckli- cher Besorgnisse uͤber erdichtete abscheuliche Gefah- ren gespannt erhalte. Dieß ist der listige Kunst- griff, sie mit den beschwerlichsten Abgaben zu steu- ern, ihre geaͤngstigte Selbstliebe zinsbar zu ma- chen, und sie anzuspornen, sich durch allerley Ga- ben und Opfer die Geneigtheit derer zu erkaufen, die als die Bevollmaͤchtigten des Himmels das Zuͤchtigen und Loslassen, das Suͤnden-Vergeben und Suͤnden-Behalten, das Ewig-selig-machen und Ewigverdammen in ihrer Gewalt haben. — Erst wird den Leuten durch die Orakel-Theologie alle Ruhe, Hoffnung und Zufriedenheit des Her- zens geraubt, um ihnen dieselbe hernach tropfen- weise in einzelnen beliebigen Troͤstungen und vor- gegaukelten Beruhigungsgruͤnden fuͤr baares Geld wieder zutroͤpfeln zu koͤnnen. Erst werden sie in ihrer Phantasie beruͤckt, und mit dem Wahn ver- giftet, sich fuͤr abscheuliche, von Gott verworfene und aller Gluͤckseligkeit unwuͤrdige Suͤnder anzuse- hen, um ihnen hernach fuͤr baare Bezahlung die Suͤnden vergeben und einige schwankende Hoff- nungen der Seligkeit wieder ertheilen zu koͤnnen. Die Priesterschaft schlaͤgt durch ihre Orakel-Theo- logie den von Natur ganz gesunden Menschen erst selbst blutende und heftigschmerzende Wunden, um hernach etwas an ihnen zu heilen zu haben. Sie wird aber mit dieser Heilung bey keinem Einzigen sein ganzes Leben hindurch fertig, um bis an sei- nen Tod das Arztlohn und die Heilungskosten von ihm ziehen zu koͤnnen. — Dieß ist die wahre Ge- stalt und Beschaffenheit der Sache, die Jeder, der das ganze Priestergewerbe nur mit einem halb auf- merksamen Auge ansieht, daran finden und erken- nen muß.“ Daß eine solche Einrichtung eben nicht faͤhig sey, ein Volk besser und gluͤcklicher zu machen, zeigt der Verfasser ferner, indem er S. 333 zeigt, daß jede buͤrgerliche Gesellschaft in dem Maaße mehr oder weniger gluͤcklich sey, in welchem die Moral-Principien, nach denen sie regiert wird, entweder reine, oder mit angeblichen Reli- gions-Principien vermischte sind. Denn alle bey einer Maschine angebrachte fremde und mit der Na- tur der Maschine gar nicht passende Regeln sind ein Hinderniß ihres ordentlichen Ganges, und eine Quelle ihrer Zerruͤttung. — Je reiner diese Re- geln angewandt werden, desto vollkommner muß die Wirkung der Maschine seyn. — Nun enthaͤlt die Moral einzig und allein die wahren Regeln, nach welchen die Gesellschaft eingerichtet und regiert werden muß, wenn sie gluͤcklich seyn soll. Alle ( angebliche ) Religions - Vorschriften hingegen sind von ganz anderer Natur, und be- treffen ein ganz anderes Object, dessen Natur von der Natur der buͤrgerlichen Gesellschaft himmelweit verschieden ist. — Mithin kann keine einzige An- wendung irgend einer Religionsvorschrift auf die buͤrgerliche Gesellschaft anders, als zum aͤußer- sten Schaden der Gesellschaft, geschehen. — Ein jedes, in das Gesetzbuch einer Nation aufgenom- menes (schwankendes) Religions-Princip macht also die Gesellschaft selbst unmoralisch und ungluͤcklich; und je mehrere solcher Principien darin gelten, de- sto unmoralischer und ungluͤcklicher muß die Gesell- schaft seyn.“ Soweit der Verfasser. Die naͤhere Auseinan- dersetzung dieser Behauptung mag der Leser in dem angefuͤhrten Buche selbst lesen, pruͤfen und entschei- den. Genug, was ein denkender Kopf in Deutsch- land theoretisch aufstellte, fuͤhrte man in Frankreich praktisch aus: und Frankreich — siegte. Nun moͤ- gen einige Recensenten es zuruͤcknehmen, daß der Erweis — als etwas, das sich unmoͤglich aus- fuͤhren lasse, in das Land der Utopier gehoͤre. — Wen der Witz dahin kitzeln mögte, die Franzosen und die Utopier fur synonym zu halten, der würde allen Fürsten ein artiges Compliment machen, die es für gut gefunden haben, der Ueberlegenheit dieser Utopier nachzugeben. Noch will ich nur erinnern, daß selbst unsere hellern und edlern Theologen — ein Spalding , Teller , Henke , Rosenmuͤller , Nie - meyer , Sintenis , Loͤffler u. a. — das Wesen der praktischen Religion vom alten Kirchen- Roste immer mehr saͤubern und sie dadurch auch dem kritischen Denker achtungsvoller empfehlen. Wohl jedem Lande, jedem Fuͤrsten, die solche Religions- lehrer viele haben! Doch ich schweife aus, bitte um Verzeihung, und erzaͤhle weiter. Die Sprache des gemeinen Poͤbels — denn der politischen Gleichheit in Frankreich unbeschadet, giebt es doch noch gemeinen Poͤbel dort genug, so wie es in Deutschland unter den Adelichen, Gelehr- ten, Damen u. s. w. gemeinen Poͤbel giebt — wurde durch die Vertilgung der Heiligthuͤmer be- reichert: denn nun fluchte und schwur man bey den ehemals ehrwuͤrdigen Dingen, welchen man die unanstaͤndigsten Beynamen gab. Ein gemeiner Christ wuͤrde sagen, man habe Gott gelaͤstert. — Wenn es erlaubt waͤre, die Unanstaͤndigkeiten der Poͤbelsprache zu wiederholen, so sollten hier Re- densarten vorkommen, woruͤber der fromme Christ sich kreuzen und segnen wuͤrde. Aber wir wollen sie uͤbergehen. Die Dekadi 's d. i. die zehnten Tage im Monate, derer jeder dreißig hat, waren blos Ru- hetage, oder Tage, woran man, ohne als schlech - ter Buͤrger verdaͤchtig zu werden, muͤßig gehen konnte. Aber im Anfange des Monats Mai, 1794, that Robespierre den Vorschlag, morali - sche Feste an den Dekadentagen anzuordnen. Die Rede des Ropespierre , die er hierzu hielt, ist wohl leicht eine der schoͤnsten, die jemals gehalten sind, und verdient von jedem gelesen zu werden, der Gefuͤhl fuͤr das Wahre und Schoͤne hat. Mit dem Feuer eines Demosthenes und mit Kants Gruͤndlichkeit bewies er hier: daß die Moral die erste Stuͤtze der buͤrgerlichen Gesellschaft sey. Dar- in, fuhr er fort, besteht das Geheimniß der Staatskunst und der Gesetzgebung, daß man mo- ralische Tugenden aus den Buͤchern der Philosophie in die Gesetze und in die oͤffentliche Verwaltung ver- pflanze, und die gemeinen Begriffe von Rechtschaf- fenheit in seinem Privatbetragen auf das Betragen der Voͤlker anwende u. s. f. Der Konvent kroͤnte die Rede des Robespierre mit dem lautesten Beyfall, und erklaͤrte feierlich (um Pitts und aller Uebelgesinnten oder Eng- bruͤstigen Verlaͤumdung und Besorgniß oͤffentlich zu begegnen): daß die Republik das Daseyn des hoͤchsten Wesens, und die Unsterblichkeit der Seele, so wie die Beobachtung der Menschenpflich - ten , als die einzige , des Hoͤchsten Wesens wuͤrdige , Verehrung anerkenne. — Als Haupt- pflichten nahm man weiter an: Verabscheuung der Unredlichkeit und der Tyranney, Bestrafung der Tyrannen und Verraͤther, Unterstuͤtzung der Un- gluͤcklichen, Achtung gegen Schwache, Vertheidi- gung der Unterdruͤckten, Ausuͤbung alles Guten ge- gen Andere, Vermeidung aller Ungerechtigkeit. u. dgl. — Die Feste selbst wurden nach den großen Begebenheiten der Republik, nach den großen Tu- genden und nach den großen Naturgaben benannt, und sollten den Menschen an die Gottheit und an des Menschen Wuͤrde erinnern. Darauf erhob man die blutigen Rettungstage, den 14ten Jul, den 10ten August, den 21ten Jaͤn- ner und den 31ten Mai, als die Gruͤndungstage der Freyheit, zu Festen. Außer diesen wurden Deka- den-Feste angeordnet z. B. das Fest des hoͤchsten Wesens, das Fest des menschlichen Geschlechts, des franzoͤsischen Volks, der Wohlthaͤter der Mensch- heit, der Maͤrtyrer der Freyheit, der Freyheit und Gleichheit, der Vaterlandsliebe, des Hasses gegen Tyrannen, der Gerechtigkeit, der Wahrheit, der Liebe, der Jugend, des Maͤnnlichen-Alters, des hohen Alters, des Ackerbaues u. s. w. Alle Ta- lente, welche zur Befoͤrderung der Schoͤnheit und des Nutzens dieser Feste durch Hymnen, oder buͤr- gerliche Gesaͤnge, oder durch sonst etwas beytragen konnten, wurden in diesem Dekrete dazu aufgefo- dert, und einer oͤffentlichen Belohnung versichert. Uebrigens wurde nochmals wiederholt, daß es je- dem frey staͤnde, seine Meynung uͤber religioͤse Ge- genstaͤnde zu hegen, und zu sagen, wie er es fuͤr gut faͤnde. Man sieht leicht ein, daß dieses Dekret blos die Folge oder die Wirkung einer uͤberlegten Politik war, und daß man nichts weniger, als eine neue Religion gruͤnden wollte. Eine neue Religion ist eine, die bisher noch nicht bekannt war. Die aber, welche der Konvent zur Uebung autorisirte, ist ja die alte natuͤrliche, welche Confucius und So - krates und Plato und Christus und alle andere Weisen gelehrt haben, welche D. Bahrdt und Zol - likofer vortrugen, und welche endlich, wenn aller andre Phantasienkram wegfaͤllt, immer bleiben wird. Man hat in andern Laͤndern herumgeschrieen: die Franzosen haͤtten eine neuheidnische Religion an- genommen: das ist eine tolle Behauptung! Man be- denke doch, daß in dem Religions-Dekrete ganz und gar keine Rede von irgend einem Lehrbegriffe vor- koͤmmt, und daß einem jeden es frey steht, seinen lie- ben Gott, und das Verhaͤltniß, worin er mit ihm zu stehen meynt, so einzurichten, wie er will, und wie es ihm gut duͤnkt. Will jemand in Frankreich den Jupiter und die Venus fuͤr wirkliche We- sen, fuͤr Gottheiten halten, so mag er es thun: aber einen oͤffentlichen Gottesdienst fuͤr Jupiter und Venus darf er nicht aufbringen. Alle Erkenntniß der Wahrheit kann nur nach und nach stufenweise kommen. Erst muß der ne- gative Weg gegangen werden, zumal bey einmal Verwoͤhnten. Man muß erkennen, daß das, was man bisher als Wahrheit annahm, sie nicht war. Dann schreitet man zum positiven, forscht nach, was und wie das denn ist, von dem wir erkennen, daß es das nicht ist, wofuͤr wir bisher es nahmen. D e n negativen Weg schlug man in Frankreich ein, indem man das roͤmische Hierarchie-System als falsch und schaͤdlich in den Klubs erklaͤrte, und es endlich, nach vorhergegangner besserer Beleh- rung, oͤffentlich abschaffte. Darauf ging man — wir wissen schon, wann und wie — den posi- tiven. — Sollte aber, demohnerachtet, das alte System noch Anhaͤnger im Stillen haben, so muͤs- sen die mit der Zeit sich auch verlieren. Der oͤffent- liche Gemeingeist, und die Beeiferung, Andern an Einsicht nicht nachzustehen, oder die Schaam und der Spott daruͤber — wird sie weiter bringen. Wer demnach am positiven Christenthume noch haͤngt, wird es reinigen. Die Paͤpsteley haͤlt ihn nicht mehr ab, es, wie der alte, ehrwuͤrdige Spal - ding , Die Religion, eine Angelegenheit des Menschen. Leipzig, 179 . nur fuͤr das zu nehmen, was es, seiner moralischen Natur nach, nur seyn kann und sollte. Es wird ihm endlich das werden, was Jakob als allgemeines Religionssystem fuͤr alle Vernuͤnf- tige so buͤndig, lichtvoll und schoͤn darstellt. Ob man die sogenannte Offenbarung der Chri- sten, oder die Bibel, forthin in Frankreich fuͤr etwas mehr, als fuͤr eine individuelle Copie der eig- nen Art, Gott, Welt und sich zu betrachten, nehmen, und folglich sie nur historisch benutzen werde, wie die Buͤcher eines Herodots ; Homers u. a., bedarf keiner weitern Beruͤhrung. — Kurz, da die Einrichtung der republikanischen Gottesvereh- rung, unbekuͤmmert um alles System, blos auf die Anfachung der buͤrgerlichen und gesellschaftlichen Tugenden gerichtet ist: so steht allerdings zu hoffen, daß die wahre Religion d. i. der aͤchte Deismus in Zukunft Gewinn und keinen Nachtheil von der gegenwaͤrtigen Veraͤnderung dieser Dinge in Frank- reich ziehen wird. Frankreichs Beyspiel wird end- lich weiter wirken, und man wird aufhoͤren, ein Kirchen-Christ zu seyn, um ein Vernunft-Christ nach Christi Sinn zu werden. Also auch dafuͤr wird die Nachwelt Frankreich danken und erheben. Doch die Ausfuͤhrung dieser Gedanken, und die wahre Wuͤrdi- gung des franzoͤsischen Religions-Instituts, muß ich Andern uͤberlassen, die geschickter und einsichtiger und mit dem Gange der menschlichen Erkenntniß und der moralischen Vervollkommung bekannter sind, als ich. Das Fest des hoͤchsten Wesens ( Fête de l'Etre Supreme ) wurde, dem obigem Dekrete zu Folge, im Jun 1794 in Paris und in allen Staͤdten Frank- reichs mit ungemeiner Pracht und Eifer gefeyert. Eine naͤhere Beschreibung davon zu liefern waͤre uͤberfluͤßig: denn das ist schon, denk' ich, von An- dern hinlaͤnglich geschehen. — Ueber allen Tem- peln der Vernunft, welche von jener Zeit an Tem - pel des hoͤchsten Wesens und der buͤrger - lichen Tugend ( temples de l'Etre supreme et des vertus civiques ) hießen, wurde mit goldner Schrift angeschrieben: „Das franzoͤsische Volk er- kennt das Daseyn des hoͤchsten Wesens und die Nothwendigkeit, dasselbe durch Ausuͤbung der Buͤr- gertugenden zu verehren: es troͤstet sich mit der Hoffnung der Unsterblichkeit.“ Le peupel François reconnoit l'Existence de l'E- tre supreme, et la nécessité de son culte par l'exer- cite des vertus civiques: il se console par l'espe- rance de l'immortalité de l'ame. Ich werde wohl noch mehrmals von dem Religionswesen in Frank- reich reden muͤssen, will also jezt davon abbrechen, und wieder von meinem eignen theuren Ich meine Leser unterhalten. Zwanzigstes Kapitel. Marsch von Strasburg nach Colmar . D en 3ten Jaͤnner zogen ohngefaͤhr 80 Deserteurs, und etwan 400 Kriegsgefangnen, aus Strasburg nach Schlettstadt zu. Drey Deserteurs von Ro- han, welche mit uns von Weissenburg gekommen waren, wurden in Straßburg erkannt, als Emi- granten angegeben, und zum Todtschießen verdammt. Sie hatten vorher bey den Franzosen gedient, Ei- ner davon, ein huͤbscher junger Mensch, Namens Du Houx , hat mich sehr gedauret. Wir wurden durch 40 Mann Volontaͤrs, alle von einem Bataillon, du Var , begleitet; und ein Hauptmann, Namens Landrin , fuͤhrte das Kommando. Dieser Mann hatte einen aͤußerst feurigen rothen Kopf, und ich versprach mir eben darum wenig Gutes von ihm nach dem al t en deut- schen Sprichwort: „roth Haar und Erlenholz waͤchst auf keinem guten Boden.“ Aber ich ward bald zu meiner Freude gewahr, daß ich mich an Haupt- mann Landrin geirrt hatte. Einige Stunden von Strasburg hielten wir in einem Orte an, weil noch eine Fuhre herbeygeschafft werden mußte, um einige erkrankte Kaiserliche mit wegzubringen. Es ist doch vom Teufel, sagte der Hauptmann zum Sergeanten, daß keiner von uns deutsch, und keiner von den Gefangnen franzoͤsisch versteht! Da kann ich nun nicht einmal den Leuten sagen, was ich haben will. — Ich hoͤrte dieses, lief hin und sagte, daß ich deutsch und franzoͤsisch verstuͤnde. Das ist brav, sagte der Hauptmann: von nun an sollst du mein Dollmetscher seyn. Ich mußte sofort mit ihm trinken, und den ganzen Weg bis Schlettstadt mit ihm sprechen. Es war ein sehr muntrer Mann, dem aber schon bey einer Attake der linke Arm lahm geschossen war. Er war aber nicht abgegangen, und hatte die Pension nicht genommen, die doch jedem Verstuͤmmelten, nach der Verordnung der Na- tion, von Rechtswegen zukoͤmmt. Ich bin in dieses Landrins Gesellschaft von Strasburg bis Besançon in der Franche Com - té geblieben, und habe ihm vieles zu verdanken, wie ich denn beynahe aller Orten, wohin ich ge- kommen bin, brave Leute getroffen habe. In Schlettstadt, 7 Stunden von Strasburg, wurden wir in einem ehemaligen Kloster einquar- tirt, nachdem ich dem Hauptmann vorher bey der Einrichtung des Quartiers Dienste geleistet hatte. Vier Volontaͤrs blieben zur Wache bey uns, damit niemand ausgehen, und, wie schon mehrmals gesche- hen war, durch Stehlen Excesse in der Stadt begehen moͤgte. Ich sahe die Nothwendigkeit dieser Verord- nung ein, ob es mir gleich sehr zuwider war, in so uͤbler Gesellschaft die Nacht zuzubringen. Aber es dauerte nicht lange, da kam ein Volontaͤr: „Hoͤre, schrie er, wo bist du Citoyen Preuße, der franzoͤsisch kann?“ Ich meldete mich: Komm, sagte er, du sollst beym Kapitaͤn logiren! Ich folgte ihm zu die- sem, welcher in einem ehrbaren Buͤrgershause einquartiert war. Mein Freund, redete mich der Kapitaͤn an, du mußt kuͤnftighin allemal bey mir logiren: du kannst mir bey den Leuten manchen Dienst und Gefallen thun, und dafuͤr will ich dich auch besser behandeln, als die andern: Noth sollst du nicht leiden, so lange wir beysammen sind, und und das sind wir noch acht Tage: — Ich dankte ihm fuͤr seine gute Gesinnung, aber statt auf meinen Vierter Theil. U Dank zu hoͤren, ließ er mir eine Flasche Wein ge- ben, welche ich mit einem kaiserlichen Offizier, dem Leutnant Zimmer , vom Regiment Wilhelm Schroͤder , trinken sollte, und ging. Es waͤhrte nicht lange, so kam der auf der Retirade in Gefangenschaft gerathene Chirurgus Ludwig , vom Regiment Prinz Ferdinand von Preußen, nebst noch einem Feldscheer aus Schlett- stadt, und wollten den Hauptmann sprechen. Ihre Absicht war, ihm zu berichten, daß zwey Bursche von den Kaiserlichen, ohnmoͤglich Morgen mit koͤnnten: es waͤre zu besorgen, daß sie unter- wegs auf dem Wagen umkaͤmen. Da ich schon einiges Ansehn bey dem Hauptmann hatte, so nahm ich beyde Feldscheere mit zum Maͤre, wo der Hauptmann war, und stellte ihm in Beyseyn des Maͤres vor, daß die Leute in Schettstadt blei- ben muͤßten. Aber der Maͤre, ohne des Haupt- manns Antwort abzuwarten, erklaͤrte sofort, daß ihr kleines Spital so voll sey, daß nichts mehr hineinginge: die Leute muͤßten also weiter nach Colmar geschafft werden. Der Hauptmann fiel rasch ein: „wenn die Leute nicht fort koͤnnen, ohne Gefahr auf dem Wagen zu sterben, so muͤssen sie hier bleiben: das wollen wir morgen schon sehen.“ Er befahl hierauf dem Schlettstaͤdter Chirurgus, ihm deshalb den andern Tag fruͤh Nachricht zu geben, indessen aber die Kranken wohl zu pflegen. Fruͤh weckte mich Landrin , lange vor Ta- ges-Anbruch: „Geh, sagte er, zu den Gefang- nen, und sieh, wie's mit den Kranken aussieht.“ Ich that dieses gern, denn wen schmeichelt es nicht, unter solchen Umstaͤnden von seinen Vorgesezten sich mit Zutrauen beehrt zu sehn! Die armen Kranken hatten schon gehoͤrt, was ich Abends vorher fuͤr sie gethan hatte, und baten mich gar sehr, daß ich sie aufs Hospital befoͤrdern moͤgte. Sie mogten mich, wer weis, wofuͤr ansehen: denn sie sagten: „Hoben's Gnod, bey Ihr Gnoden Herr Hoptmann zu bitten, doß wir holter uf's Losoreth kumen!“ Ich ver- sprachs, und rapportirte meinem braven Landrin , daß die Bursche schlechterdings nicht fort koͤnnten. So bleiben sie hier, war seine Antwort, und bald darauf disputirte er sich so lange mit den Munici- palitaͤtsbeamten herum, bis diese die Kranken in ihr Spital bringen ließen. Schlettstadt war ehedem fest, ist aber nach und nach verfallen, bis es im Jahre 1793 wieder stark befestiget wurde. Dieß ist mit mehreren Staͤdten im Elsaß geschehen, da man von allen Seiten her einen Einfall der Deutschen befuͤrchtete. Die angenehme Gegend von Schlettstadt nach Colmar konnte ich nur wenig beobachten: denn es war alles mit Schnee bedeckt. Die Sonne schien aber sehr helle, und so machte das gestreckte voge- sische Gebuͤrge einen unterhaltenden Prospekt. Als wir in Colmar eintraten, schrie alles: es lebe die Republik! — Ein ungezogner Sol- dat, vom Preußischen Regiment Kleist , mogte sich uͤber dieses Geschrey aͤrgern, und rief entgegen: ich sch — ß auf eure Republik! — Sogleich ent- stand ein fuͤrchterlicher Spektakel, und der Haupt- mann mußte Halt machen lassen. Der Soldat sollte herausgefunden werden, dieser aber war unter die andern gelaufen, und der, welcher ihn angegeben hatte, konnte ihn nicht mehr von denen unterscheiden, welche eine Montur trugen, wie er. Der Haupt- mann ließ nun einen Krais auf dem Markte schlie- ßen, und ich mußte in seinem Namen allen Deser- teurs und Gefangnen bedeuten: daß alle Schimpf- woͤrter und Laͤsterungen gegen die franzoͤsische Repu- blik mit dreymonatlichem Arrest bestraft werden soll- ten, und hienach haͤtte sich ein jeder zu fuͤgen. Das ist nicht zu hart, fuͤgte er hinzu, denn wer in einer Monarchie auf den Regenten schimpfen wollte, wuͤrde wohl noch schlechter ankommen. Der Feldscheer Ludwig gieng mit Erlaubniß, welche ich ihm bewirkt hatte, ins Spital zu Col - mar , und fand da einige deutsche Chirurgen, welche ihn baten, da zu bleiben, und ihnen zu helfen. Der Hauptmann Landrin wollte anfaͤnglich gar nicht einwilligen. Er koͤnnte, meynte er, in Be- sançon es nicht recht verantworten, wenn er Kriegsgefangne zuruͤckließe. Als ich ihm aber vorstellte, daß Ludwig ja nur Feldscheer sey, wel- cher niemals Waffen getragen habe, ließ er sich endlich bereden, und gestattete ihm, im Spital zu Colmar als Gehuͤlfe der dort angestellten Wundaͤrzte zu bleiben. Ludwig haͤtte es hier gut haben koͤn- nen, aber Ludwig war ein elender Wicht: durch seine Grobheit, oder durch sonst etwas, muß er es verdorben haben: denn einige Monathe hernach fand ich ihn im Hospital zu Dijon krank, wo er auch gestor- ben ist. Er hatte in Prenzlau Frau und Kinder. In Colmar sah ich zum erstenmal eine Exe- cution mit der Guillotine. Ein Dorfmaͤre wurde hingerichtet, weil er einen Geistlichen, der den Eid nicht schwoͤren wollte, einige Zeit bey sich verborgen gehalten hatte. Er bestieg das Geruͤst mit vieler Geistesgegenwart, und sagte noch, ehe er niederge- legt wurde, recht laut: ich bin doch kein Schelm! Ich muß gestehen, daß die Guillotine damals einen seltsamen Eindruck auf mich gemacht hat, den ich den ganzen Tag nicht verwinden konnte. Der Apparat, und die mir so ganz fremde Art, je- manden hinzurichten, erschuͤtterten mich gewaltig, ob ich gleich einsah, daß unter den mir bekannten Hinrichtungsarten keine schneller, sicherer und we- niger quaͤlend ist, als diese. Der Hinzurichtende kann beynahe gar nichts empfinden, als die Todes- angst, man muͤßte ihn den so hinrichten, wie den Chailler zu Lyon. — Die meisten von denen, welche ich habe auf der Guillotine sterben sehen, schienen nicht einmal Todesangst zu fuͤhlen: sie wa- ren unerschrocken, und plauderten noch, als man sie schon ans Brett befestigte. Ob und welche Schmerzen die Guillotinirten nach ihrer Hinrichtung noch empfinden, mit schmerzhaftem Bewußtseyn empfinden, dieß ist eine Frage, die Hr. Soͤmmering so geloͤßt hat, daß seine Aufloͤsung nichts entscheidet, indem sie zuviel entscheidet. Entweder muͤssen alle gewaltsamen Todesarten aufhoͤren, oder Hr. Soͤmmering muß beweisen: daß das anderwaͤrts uͤbliche Haͤngen und Koͤpfen die Staͤrke und den Grad der Nachempfin- dung nicht habe, welche er dem Guillotiniren zu- schreibt. Daß dieß schneller und sicherer die Qual der gewaltsamen Entleibung endige, ist außer Zwei- fel, aber nicht, ob der Gehaͤngte oder sonst Ge- koͤpfte nicht weit laͤnger nachzucke und nachempfin- de, als irgend ein Guillotinirter. Der Hauptmann bemerkte Niederschlagenheit an mir, und fragte nach der Ursache. Ich gestand ihm, daß der Anblick der Hinrichtung mir durch die Seele gefahren sey. Mir ists auch so gegangen, sagte er, aber nun bin ich dergleichen schon gewohnt. Du wirst noch mehr guillotiniren sehen, und nicht mehr davor erschrecken. Er hatte recht: man ge- woͤhnt sich nach und nach auch an die allerscheuß- lichsten Scenen. Man denke an die Vieh- und Menschen-Schlaͤchter! — Da wir in Colmar Ruhetag hatten, so konnte ich aller Orten herum wandern und mich mit den Einwohnern bekannt machen. Ich fand denn in Colmar weit mehr Patriotismus, als in Stras- burg. Vorzuͤglich ruͤhmte man an einem Procura- tor Glocsin , daß er bey verschiednen Gelegen- heiten die gemeine Sache mit aller Macht vertre- ten habe. Der Name Glocsin fiel mir auf: denn eine weitlaͤufige Anverwandte von mir hatte einen Doktor Glocsin von Colmar geheurathet. Ich fragte also weiter nach, und erfuhr, daß der D. Glocsin, welcher die Mamsell Stutz von Grehwei- ler vorzeiten geheurathet hatte, der Vater des Pro- kurators gewesen sey. Hierauf beschloß ich hinzu- gehen. Ich traf ihn zwar nicht zu Hause, aber sein Schwager, dem ich meinen Namen und mein Vaterland sagte, bewirthete mich ganz artig, und versprach, dem Prokurator von mir Nachricht zu geben. Dieser wuͤrde auch — sezte er hinzu — noch zu mir kommen, oder mich doch rufen lassen, wenn seine uͤberhaͤuften Geschaͤfte es nur erlaubten. Ich erwartete dieses nicht, aber Abends um acht Uhr wurde ich vom Hauptmann dahin beru- fen, wo die Deserteurs waren, welche man hier von den Gefangnen getrennt hatte, und siehe da, ich fand den Prokurator Glocsin , der auch Doktor der Medizin ist. Er war sehr freundlich, und wollte gern wissen, wie seine Mutter mit mir verwandt ge- wesen waͤre. Ich konnte ihm weiter keine Aus- kunft geben, als daß ihre ehemals noch ledige Schwe- ster in unserm Hause Mamsell Cousine geheißen haͤtte. — Ich habe wirklich von jeher nichts we- niger studirt, als die Genealogie meiner Freund- schaft, und habe die, welche mir gefielen und mir wohl thaten, immer lieber gehabt, als meine naͤch- sten Verwandten. An meine Freunde denke ich immer, aber an meinen Bruder, oft in einen Monat nicht. — Glocsin sagte zu mir: wir sind jezt alle Vetter und Bruͤder, und du bist auch mein Bruder, wenn du ein braver Mann bist! Er sprach noch lange mit mir, erklaͤrte mir verschiedene Ka- pitel aus der neuen Einrichtung, die mir anstoͤßig schienen, und rieth mir, die Gesetze zu studieren, und dann, wenn der Friede gemacht seyn wuͤrde, zu ihm nach Colmar zu kommen: da koͤnnte er viel- leicht fuͤr mich sorgen. Sodann zog er seine Schreib- tafel hervor, gab mir ein Assignat von 25 Livres und ging mit einem derben Haͤndedruck von dannen. Eine halbe Stunde darauf kam jemand, und brachte mir eine huͤbsche Flasche Schnapps und ohngefaͤhr drey Pfund geraͤuchertes Fleisch, welches mir der Proku- rator auf den Weg bringen ließ. Wegen der Schreibtafel muß ich erinnern, daß es uns Deutschen anfangs schnurrig vorkam, wenn wir einen Franzosen bezahlen sahen. Bey uns zieht man den Beutel, oder holt die Muͤnze aus dem Hosensack; in Frankreich aber zog man die Schreib- tafel und langte Papiergeld heraus. Mit klingen- der Muͤnze bezahlte man fast gar nicht mehr, nicht, als wenn die Leute kein baares Geld mehr gehabt haͤtten, sondern weil sie dieses an sich halten, so lange sie noch Papiergeld haben. Man kann uͤber- dem eine Million Livres in einer Schreibtafel leicht herum tragen, wenn man vielgeltende Assignaten hat, aber eine Million baares Geld koͤnnen mehrere Personen kaum fortbringen, sollt' es auch eitel Gold seyn. Den Jakobinerklub in Colmar habe ich in Ge- sellschaft des Hauptmanns Landrin auch besucht. Er wurde in einer Kirche gehalten, wo man Sitze in Form eines Amphitheaters angebracht hatte. In der Mitte war die Rednerbuͤhne. In der er- waͤhnten Ausbeute soll man mehr daruͤber an- treffen. Ehe ich weiter erzaͤhle, will ich noch anmerken, daß der Katholicismus im Elsaß weit mehr An- haͤnger und Vertheidiger gehabt hat, als im uͤbrigen Frankreich. Unter allen Franzosen waren keine schlechter unterrichtet, und mit Aberglauben aͤrger vollgepropft als die Herren Elsasser. Aus Deutsch- land kam beynahe kein vernuͤnftiger Gedanke in diese Gegend, und aus Frankreich konnte keiner da- hin kommen, weil die Elsasser alles haßten, was waͤlsch d. i. franzoͤsisch war. Daher fand das Sy- stem der Revolution anfaͤnglich eb en nicht viel Freunde in diesem Lande; und wenu die Elsasser ihr Land allein haͤtten vertheidigen sollen: dann waͤren die Deutschen laͤngst Meister von Landau, Strasburg und Befort geworden. Ausserdem gab es im Elsaß doppelte Religionisten, Katholiken und Protestanten. Diese pochten auf ihre vom Koͤnige zugestandnen Freyheiten und Privilegien, jene aber wußten wohl, daß ihre Pfaffen Mittel und Wege finden wuͤrden, diese Freyheiten zu eludiren, und druͤckten die Protestanten meisterlich. Da gab es denn Schaͤrfung des Glaubens, und eben dadurch starke Anhaͤnglichkeit an den Katechismus von beiden Seiten, welche im Stillen wohl noch fort- dauert. Aber der Elsaß kann, so sehr man auch deut- scher Seits da ra uf gehofft hat, und Einige viel- leicht noch darauf hoffen, aus sehr natuͤrlichen Ur- sachen dennoch niemals eine Vend é e werden. Auch wuͤßte ich mich nicht zu entsinnen, daß in irgend einer Elsassischen Stadt ein Aufstand von Bedeutung wegen der Neuerungen gewesen waͤre. Aber aus dem Angefuͤhrten laͤßt sichs doch erklaͤren, warum gerade aus dem Elsaß gemeine Leute, Hand- werker, Bauern u. dgl. so haͤufig ausgewandert sind, da doch aus dem uͤbrigen Frankreich blos Adeliche und Pfaffen, samt deren unadlichem An- hange, ihr Heil in andern Laͤndern gesucht haben. Damit man nicht etwan glaube, als uͤbertriebe ich meine Schilderung vom Elsaß: so will ich, zum Beschluß, einen Elsasser selbst daruͤber sprechen lassen. Es ist der Verfasser der sehr merkwuͤrdigen Briefe uͤber das Elsaß , besonders in Hin- sicht der wissenschaftlichen Kultur, der religioͤsen Aufklaͤrung und des Patriotismus. (1792.) Ueber die Ursache der so großen Unwissenheit des Volkes und der Priester schreibt er S. 156: „Den- ken Sie sich ein Land, in welchem man keinen Be- griff davon hat, was eine gute Schulverfassung, und wie noͤthig und nuͤtzlich eine gute und sorgfaͤltige Erziehung der Jugend sey: so haben Sie das Bild der Schulverfassung des Elsasses genau getrof- fen vor sich. Nirgends in Deutschland, nicht in der schlechtesten Dorfschule, kann das Schulwesen elender bestellt seyn, als es bisher bey uns gaͤng und gaͤbe war. — Die Schriften, welche fuͤr die Paͤdagogik herauskamen, namentlich in Deutschland, waren fuͤr unsere Geistlichen so gut, wie gar nicht da. — Unwissenheit in allen Faͤchern der Wissenschaften herrschte durch alle Klassen. — Was die heillosen Buͤchermacher drucken lassen, davon wollte man nichts wissen, weil ihre Buͤcher so trocken und so schwer zu verstehen sind, und weil man so leicht ein Kaͤtzer werden koͤnnte. Und so kam es, daß je- der schon ein Kaͤtzer war, der nur Schmidts Geschichte der Deutschen las.“ — „Es ist gar nichts Neues, faͤhrt er S. 164 fort, daß wir bisher mit Pfarrern versehen waren, wel- che in 12, 15, 20, und 25 Jahren nicht mehr die Kanzel bestiegen haben. Aus den Predigten macht man sich bey uns uͤberhaupt wenig. Hoͤchstens hiel- ten andere Pfarrer alle Vierteljahr eine sogenannte Predigt, das heißt, so eine Erzaͤhlungsstunde, welche sie mit Maͤhrchen-Erzaͤhlen und Heiligen- Histoͤrchen zubrachten, oder mit Schimpferey uͤber Vorfaͤlle in der Gemeinde. An den meisten Orten mußten Moͤnche die Pfarrdienste versehen. Daß selten einer der Pfarrer, oder ihrer Vikarien eine Predigt machen konnte, ist ausgemacht. Aber wo haͤtten diese Leute auch soviel Unterricht erhalten sollen, um etwan aus zehn Predigten die eilfte zu- sammen zu stoppeln! Die Schulen waren in so schlechter Verfassung, als unwissend die Lehrer in denselben waren. Das Non plus ultra alles Wis- sens beschraͤnkte sich hoͤchstens auf etliche lateinische Phrasen. — Und fast auf die naͤmliche Art sah es auch seit langer Zeit in allen franzoͤsischen Schulen, Gymnasien und Universitaͤten aus, so daß ich ge- wiß nicht zuviel behaupte, wenn ich sage: die Wis- senschaften seyen bey uns seit mehr als einem hal- ben Jahrhunderte her gaͤnzlich in Verfall gerathen. Und dieß ist auch das Urtheil des großen Abbe Raynal , das er schon vor mehreren Jahren ge- aͤußert hat. Gewiß, unsere dermaligen Unruhen haben wir der seit Jahren her so ganz vernachlaͤs- sigten Erziehung, der Verachtung der Wissenschaf- ten, und der unverzeihlichen Traͤgheit der Seelsor- ger, Bischoͤfe und anderer Aufseher uͤber die Schu- len zu verdanken.“ Das Volk war naͤmlich aͤußerst kurzsichtig und intolerant geblieben, und hing ganz ab von seinem Leithammel, dem noch aͤrgern Priester. Es sah also die Nothwendigkeit und die Wohlthat der Re- volution fuͤr sich nicht ein, und blieb widersetzlich. Diese Volksblindheit benuzte der verruchte und ver- buhlte Kardinal Rohan , als Erzbischof zu Stras- burg, und ließ sich von seiner Priesterschaft eidlich versichern, daß sie, wie er, den Eid der Treue standhaft verweigern wuͤrden. Dann mußten sie seine und die paͤpstliche Exkommunikation gegen die vereideten Priester und gegen alle die, welche an den geistlichen Verrichtungen derselben Theil nehmen wuͤrden, oͤffentlich und heimlich erklaͤren und einschaͤrfen. Dadurch glaubte er das Volk da- hin aufzuwiegeln, daß es fuͤr seine Religion in Masse aufstehen und die Repraͤsentanten der Na- tion zwingen wuͤrde, den Priesterstand und dessen Rechte ganz wieder herzustellen. „Wäre dieß gelungen, heißt es in den erwähnten Briefen S. 166, so hätte Hr. Rohan für zwey Millionen Einkünfte ein Dutzen Huren und ein Dutzen Jagdhunde mehr halten kon- nen, und die Pfaffheit ware in ihrem Elemente geblieben, und der arme betrogne Landmann wäre noch immer das Last- vieh privilegiirter Tagdiebe und Schurken.“ — Nach eben diesen Briefen, S. 251, ging die Tollkuhnheit der Pfaffen so- weit, daß das Strasburger Domkapitel gegen die gesetzliche Wahl des Bischofs Brendel förmlich protestirte, und die National-Versammlung einen Haufen Treu- und Gewissen- loser Menschen nannte, die nur darauf ausgehe, die heilige katholische Religion zu verdrängen und sie alle zu Luthera - nern zu machen u. s. w. Und daher die Widersezlichkeit, daher das Auswandern u. dgl. Allein er und sein blinder Anh a ng betrog sich, und es floß nur Blut, und die Priesterschaft beschleunigte ihren Untergang durch ihre Kurzsichtigkeit und Raͤnke ganz wider Erwarten. Der Laie uͤbersah den dumm- stolzen Leviten, und stuͤrzte ihn und den, dem er so lange als Stuͤtze gedient hatte, den Despotismus in Frankreich. Ein und zwanzigstes Kapitel. Reise von Colmar nach Besançon . V on Colmar hatten wir zwey sehr starke Maͤrsche nach Befort. Ich wuͤrde mich unterwegs, wie mir der Hauptmann oft rieth, des Wagens bedient ha- ben, wenn ich nicht ein boͤses Beyspiel haͤtte ver- meiden wollen, und wenn ich nicht gern immer mit dem braven Rothkopf gesprochen haͤtte. Je- den Tag erfuhr ich neue Beweise seiner Gutmuͤthig- keit, und ich muß ihm nachsagen, daß er nicht eine Flasche Wein trank, ohne daß ich Antheil daran nehmen mußte. Fruͤh tranken wir Wein, und aßen Brod und Knoblauch dazu. C'est le dejeuner de Henry quatre, sagte immer der Hauptmann. Es ist naͤmlich bekannt, daß dieser große und wahre Koͤnig, der noch jezt, wie wir oben gesehen haben, im republikanischen Frankreich als ein Vater des Volks verehrt wird, nie etwas anders zum Fruͤh- stuͤck genoß, als Wein und Brod. Auch gegen die uͤbrigen Deserteurs und Ge- fangne war Landrin sehr guͤtig, und er er- laubte ihnen, nach ihrer Bequemlichkeit zu mar- schiren, auch wohl zuruͤck zu bleiben und nachzu- kommen. Als der Sergeant erzaͤhlte, daß die Kai- serlichen die bey Fort Vauban gemachten Kriegsge- fangenen schlecht behandelt, und sie mit Schlaͤgen fortgetrieben hatten, erwiederte er: das kann wohl seyn, aber darum muͤssen wir es den Kaiserlichen nicht nachmachen: Menschlichkeit ist eine gar schoͤne Tugend! Nicht weit von Befort faͤngt man an, lauter franzoͤsisch zu sprechen, aber das ist ein Franzoͤsisch, wobey einem die Ohren eben so fuͤrchterlich klingen, als bey dem Elsassischen Deutsch. Befort oder Belfort — man spricht das l nicht aus — ist beynahe so groß, als Landau, und ist eben so der obere Schluͤssel zum Elsaß, wie dieses der untere ist. Es ist von Vauban trefflich befe- stiget, hat aber diesen ganzen Krieg uͤber weder Kanonen noch Garnison gehabt, weil beides bey den Armeen war. Abends berathschlagte der Kapitaͤn mit dem Sergeanten und mir, ob er den folgenden Tag Ruhetag halten; oder gleich weiter marschieren sollte. Du kannst thun, was du willst, war unsre Antwort. Das weiß ich, aber ich moͤgte doch wissen, ob die meisten Gefangnen lieber hier aus- ruhen wollten, als Morgen fort nach Lille mar- schieren. Ich mußte also aufs Schloß, um die Gefangnen und die Deserteurs, die dort einquar- tirt waren, daruͤber zu fragen. Ich fand, daß alle gern wieder ruhen wollten. Ich hinterbrachte das dem Hauptmann und dieser machte Rasttag. In der Vorstadt sah ich ein Haus mit folgen- der Inschrift in franzoͤsischen Knittelversen: Cette maison est à un pere de huit fils, Dont quatre c o mbattent l'Ennemi, Et quatre s'y réparent aussi. Dieses Haus gehört einem Vater von acht Söhnen. Viere davon kämpfen mit dem Feinde, und vier bereiten sich hier dazu vor. So elend diese Verse, als Verse sind, so sehr muͤssen sie doch bey jedem Voruͤbergehenden eine nicht geringe Idee von dem Patriotismus dieser Leute erwecken. Den 9ten Jaͤnner gingen wir von Befort nach Lille, einem Flecken am Doux, da, wo eben die sogenannte Franche comt é angeht. Ich weiß nicht recht, ob man Lille oder L' Isle schreiben muß: ich moͤgte beynahe das leztere vorziehen, in- dem dieser Flecken gerade auf einer Insel liegt, die der Fluß hier bildet. Unser Weg ging durch das Muͤmpelgardische, welches sonst dem Herzog von Wuͤrtemberg gehoͤrt Vierter Theil. S hatte, seit einiger Zeit aber schon zur franzoͤsischen Republik gezogen war. Das Laͤndchen scheint gar nicht unfruchtbar zu seyn und die Doͤrfer darin ver- rathen mehr Wohlstand, als die in der eigentli- chen Franche comté. Die Muͤmpelgarder erhielten von der Republik die Versicherung, daß keine ih- rer jungen Leute ausgehoben, und zu den Armeen geschickt werden sollten, und noch im Anfange des Jahres 1795, als ich wieder durch diese Gegenden kam, hatte man ihnen Wort gehalten. Das gan- ze Laͤndchen war sonst lutherisch, aber der lutheri- sche Gottesdienst hatte auch hier damals schon voͤl- lig aufgehoͤrt. Der Kapitaͤn war diesen Tag uͤber sehr vaͤter- lich gewesen, und deswegen aͤrgerte es mich gar sehr, daß unsre Deserteurs ihm des Abends so vie- len Verdruß machten. Man hatte die Gefangnen in einen leeren Schafstall, und die Deserteurs in einen andern gebracht, und Wache davor gestellt. Der Kapitaͤn befuͤrchtete, und dieß nicht ohne Grund, daß mancher sich moͤgte belieben lassen, fortzulaufen wegen der Naͤhe der Gebuͤrge, welche die Schweiz von Frankreich trennen. Ich war in- dessen mit ihm zum Maͤre gegangen. Auf einmal kam Klage: die Deserteurs haͤtten mit Gewalt die Schildwache weggedraͤngt, und waren mir nichts, dir nichts nach der Schenke ge- laufen, wo sie sichs wohl seyn ließen. Landrin gerieth natuͤrlich in Hitze, fluchte aber mehr auf die Volontaͤrs, welche die Leute durchgelassen hat- ten, als auf die Deserteurs. Ich mußte in der Schenke, in seinem Beyseyn, den Burschen eine derbe Strafpredigt halten, und sie bedrohen, daß er sie zu Besançon als Meutmacher angeben wuͤrde, wenn so was noch einmal geschaͤhe. Hierauf muß- ten sie wieder in den Schafstall. Der kaiserliche Leutnant Zimmer gab dem Hauptmann durch Zeichen zu verstehen, daß man die Kerls tuͤchtig durchpruͤgeln sollte, und ich er- klaͤrte ihm dieses naͤher. Aber Landrin verwarf den Wink mit Unwillen. Die Hunde schlaͤgt man, sagte er, und nicht die Menschen: diese straft man nach den Gesetzen, oder geht das nicht an, so wehrt man sich gegen sie, und sticht sie im Fall der Noth wohl auch auf der Stelle nieder. Einen Menschen zu ermorden, der mich groͤblich beleidigt, waͤre mir eine Kleinigkeit; aber einen Menschen mit Stockpruͤgeln zu strafen, wuͤrde ich mich ewig schaͤmen. Ueberhaupt hatte der Hauptmann Landrin seltsame Begriffe, woruͤber wir auf dem Marsche oft disputirten, und wobey er recht in Feuer kam. Er meynte naͤmlich, daß persoͤnliche und gesetzliche Freyheit die einzige Quelle aller Moralitaͤt sey, daß aber diese mit der Zeit ihre vortrefflichen Fol- gen so allgemein in der franzoͤsischen Republik, und bey allen kuͤnftighin freywerdenden Voͤlkern bewei- sen wuͤrde, daß selbst alle buͤrgerlichen Poͤnalgesetze uͤberfluͤßig seyn wuͤrden. Ich widersprach ihm im- mer, und berief mich auf die Schwachheit der menschlichen Natur, und auf die Geschichte aller Voͤlker und aller Zeiten. Was willst Du? — so antwortete er mir immer mit Feuer — du berufest dich auf die Geschichte aller Zeiten, und du hast Recht: denn bisher ist auf der weiten Erde noch kein freyes Volk gewesen, wenigstes ist noch kein kultivirtes Ich glaube, daß der Hauptmann Landrin sehr Recht hatte, die Freyheit einer kultivirten Nation von der Freyheit, oder vielmehr von der Zügellosigkeit einer rohen Horde wilder Men- schen zu unterscheiden. Jene verdient erst mit Grund den Na- men Freyheit, da hingegen diese so ziemlich an die Freyheit gränzt, wovon die Lehrer des Naturrechts in ihren Büchern reden, wenn sie behaupten: Jeder Mensch sey von Natur frey geboren. Die ächte Freyheit kann nur vernünftig und social seyn, und blos der ist vernunftig und social, der im gleichen Schritte mit dem höchsten Grade der Kultur seines Jahrhun- derts fortschreitet. Folglich ist auch sogar der Begriff der Frey- heit relativ. Ich mag diesen Gedanken hier nicht verfolgen: in dem Kapitel aber, worin ich meinen Lesern die wahren französischen Begriffe von Freyheit mittheilen werde, sollen sie auch die Folgerungen dieser Grundsätze finden. Volk so lange frey geblieben, daß es sich haͤtte moralisch bessern koͤnnen. Aller despotische Zwang macht die Menschen boͤse: denn er macht sie zu Heuchlern, und zerstoͤrt in ihnen jene Liebe zur Aufrichtigkeit im Reden und Handeln, ohne welche der Mensch unmoͤglich gut seyn kann. Unsre Vernunft, fuhr er fort, irret sich selten in Ruͤcksicht unsrer Pflichten: das mußt du selbst gestehen. Jezt sag mir aber, warum wir so selten unsre Pflichten beobachten? Ich : Weil wir sinnliche Geschoͤpfe sind, weil wir, vom Taumel unsrer Leidenschaften hingeris- sen, die Stimme der Vernunft nicht hoͤren, weil wir — — Landrin : Larifari! Du sprichst ja, wie der Pfaffe auf der Kanzel! Ich will dir's besser sagen. Deswegen thun wir Boͤses, weil wir zu viel Gu- tes thun sollen, weil man uns zuviel Pflichten auf- buͤrdet. Ich : Ich verstehe Dich nicht, Kapitaͤn. Landrin : Will Dir's erklaͤren. Man hat von allen Zeiten her die wahren natuͤrlichen Pflich- ten der Menschen nicht gehoͤrig gekannt, und da- her hat man Zeug zu menschlichen Schuldigkeiten gemacht, das niemals wirkliche natuͤrliche Schul- digkeit war. Alle Gesetzgeber sind in diesen Fehler gefallen, indem sie von Pflichten gegen Gott und gegen den Nebenmenschen raͤsonnirt haben. Denn schau, Bruder, es giebt keine Pflichten gegen Gott, weil wir mit Gott in keinem Kontrakt ste- hen, und es giebt auch keine Pflichten gegen den Nebenmenschen, mit dem wir nicht im Kontrakt ste- hen. Verstehst Du mich? Ich : Also duͤrfte ich ja einen Menschen, mit dem ich nicht im Kontrakt stehe, ermorden, bestehlen! Landrin : Da haben wir's ja, das liebe Na- turrecht, die schoͤnen Zwangspflichten! — Pflicht besteht im thun muͤssen, nicht im Unterlassen muͤs- sen. Unterscheide doch den ruhigen Zustand der gesellschaftlichen Schuldigkeit von dem kriegerischen Zustande der Nothwendigkeit des Nichtbeleidigens! — Sobald du etwas thun mußt, hast du eine Pflicht zu erfuͤllen. Wenn man dir nun viel zu thun giebt, so giebt man dir viele Pflichten. Dann merkst du aber bald, daß du Manches thun mußt, das du eigentlich nicht schuldig bist zu thun, das heißt, du siehst ein, daß du Pflichten hast, die keine sind. Diese uͤbertrittst du leicht: denn dein Gewissen macht dir keine Vorwuͤrfe. Aber da du es doch heimlich thun mußt, aus Furcht vor der Strafe: so wirst du unaufrichtig, falsch und heuch- lerisch im Reden und Handeln: und der Haupt- schritt zur Immoralitaͤt ist gethan. Bisher hast du blos die Stimme der Vernunft noch gehoͤrt, und eben deswegen keine wahre Schuldigkeit ver- nachlaͤßiget: aber bald wirst du auch die Stimme der Sophisterey und der Leidenschaft hoͤren, und wirkliche Laster begehen: denn du wirst Vernunft und Leidenschaft nicht recht mehr unterscheiden koͤn- nen. Du siehst dieß an allen verwoͤhnten hitzigen Leuten. Erst verleitet sie ihr Temperament, sich uͤber das Laͤstige und Zuviele der despotischen Con- venienz hinauszusetzen. Ihre Sinnlichkeit befin- det sich bey dieser Lebensart behaglich. Sie gehen weiter, werden zuͤgellos, und beruhigen sich durch die sophistische Stimme der Leidenschaft. Endlich uͤberschreiten sie die natuͤrlichen Pflichten, und be- taͤuben, um sich auch dabey zu beruhigen, die aͤchte Stimme der Vernunft, und sophistisiren Moral und alles, was mit der Erhaltung der ver- nuͤnftigen Natur des Menschen in Verbindung steht, fort, und werden Scheusale. Betrachte den Wolluͤstling, den Trunkenbold, den Geizhals, den Tyrannen: und du wirst finden, daß ich recht habe. Ich : Noch sehe ich nicht ein, wohin dein Raͤ- sonnement fuͤhren soll. Landrin : Hoͤre nur weiter! Alle Pflicht ent- steht aus Kontrakt: wer seine Schuldigkeit kennen lernen will, muß diesen auch genau kennen lernen. Nun frage ich dich: was ist besser, Freyheit oder Sklaverey? Ich : Freyheit allerdings! Landrin : Kann aber ein einzelner Mensch frey seyn? Ich : Auf keine Weise. Landrin : Recht so! Freyheit einzelner Men- schen existirt blos unter freyen Voͤlkern. Ein freyes Volk ist aber ein solches, das seine Rechte gegen Jeden, er sey wer und was er wolle, vertheidigen kann. Die Kraft also eines Volkes, seine Rechte zu vertheidigen, macht das Wesen der Freyheit aus. Sobald du diesen Satz einsiehst, so begreifst du eine Menge Pflichten, die dir als Buͤrger eines freyen Volkes obliegen. Diese wirst du auch so lange gern befolgen, als du die Freyheit fuͤr ein hohes Gut ansiehst. Also ist der Begriff von der Freyheit der Nation fuͤr den Republikaner die erste Quelle, der erste Erkenntnißgrund seiner Schuldig- keit; und aus diesem einzigen Begriffe leitet sich alles her, was irgend als Pflicht fuͤr ihn ausge- geben werden ka nn. Außer der Freyheit hast du aber auch dein Eigenthum, du hast einen guten Namen, du hast Guͤter, du hast Gesundheit, und noch mehr. Diese Dinge ungestoͤhrt genießen zu koͤnnen, heißt das Recht eines Buͤrgers, und wer dich darin stoͤhrt, beleidiget dich, und wird an dir zum Verbrecher. Also darf dich keiner stoͤhren, so wenig du Andere stoͤhren darfst in dem, was ihnen zusteht. Siehe da die Quellen der wahren Pflich- ten, welche die Vernunft selbst anerkennt, und gegen welche selbst die Leidenschaften zu schwach seyn werden, wenn einmal die Menschen diese heilsame Grundfeste ihrer Gluͤckseligkeit werden voͤl- lig kennen gelernt haben. Ich : Aber wann wird das geschehen? Landrin : Sobald die franzoͤsische Republik ihren Voͤlkern den Beweis gegeben haben wird, daß wahre Moral nur in einem freyen Staate oͤffentlich das wahre Gluͤck der Menschen machen kann. In Staaten, wo Despoten regieren, kann nur die Tugend d. i. das innere Bewußtseyn, Gutes ge- than zu haben, und noch ferner Gutes thun zu wollen, die wenigen Weisen begluͤcken, die sich da finden. Aber im Freystaat macht die Erfuͤllung der gesellschaftlichen Pflichten auch aͤußerlich gluͤck- lich, giebt Wohlstand, macht geehrt, beliebt, kurz, macht den Menschen so, wie er gern seyn moͤgte. Sag mir einmal, warum in einer Stadt, worin 3000 Handwerksleute sind, doch wenigstens 2900 fleißig arbeiten? Ich : Weil ihre Arbeit sie naͤhrt. Landrin : Schoͤn! Nun nimm an, die Aus- uͤbung unsrer Pflichten naͤhre uns, d. i. mache uns nicht im Innern — denn so ein Gluͤck ist fuͤr die meisten Menschen zu hoch — sondern im Aeußern vollkommen gluͤcklich, versetze uns in Wohlstand u. s. w: so wirst du finden, daß auch von 3000 Menschen allemal 2900 und noch mehrere recht- schaffne Maͤnner seyn werden. Ich, fuhr er voll Enthusiasmus fort, ich bin voͤllig uͤberzeugt, daß die kuͤnftige Generation in Frankreich besser seyn wird, als die gegenwaͤrtige, und daß man in hundert Jahren die Uebung der gesellschaftlichen Tugenden, und der Pflichten ge- gen das Vaterland, fuͤr das Wohl der Menschheit eben so nothwendig allgemein halten wird, als man jezt das Othemholen noͤthig fuͤr das Leben haͤlt. Dann werden die Strafgesetze freilich noch da seyn, aber kein Mensch wird sie brauchen: in Erz wird man sie eingraben, und Moos wird sie uͤberziehen. Ihre Sprache wird so veraltern, daß die Gelehrten nach Jahrtausenden Muͤhe haben werden, zu erklaͤren, welche Laster man ehemals, und wie man sie bestraft habe. — Das Urtheil uͤber das Raͤsonnement des ehrli- chen Landrin , wie uͤber die Wuͤrdigung seiner er- baulichen Aussicht in die Zukunft uͤberlasse ich dem Leser. Ehe wir nach Besançon kamen, passirten wir eine kleine Stadt, Beaumes les Nonnes ge- nannt, wo ehemals das erste Nonnenkloster im ganzen Lande, Hochburgund, gestanden hat. Jezt heißt die Stadt Beaumes les Citoyens . Den 11ten Jaͤnner kamen wir nach Besançon . Zwey und zwanzigstes Kapitel. Meine Reise von Besançon nach Lyon . D ie Gesellschaft mit meinem braven Laudrin sollte nun ein Ende nehmen: er war blos beordert, die Gefangnen und Deserteurs nach Besançon, oder wie dort herum die gemeinen Leute sprechen, San- son, zu bringen, und dann mit seinen Volontaͤrs nach der Mosel-Armee zu seinem Bataillon du Var zuruͤck zu kehren. Ich bezeugte ihm schon unterwegs daruͤber mein Leidwesen, und versicherte ihn, daß es mich freuen sollte, wenn er mich mit zu seinem Bataillon neh- men koͤnnte. Gern wollte ich das thun, antwortete er, aber es ist einmal verboten, bey der Armee ge- gen den Feind, feindliche Deserteurs oder Gefangne anzunehmen: sey aber deshalb ohne Sorgen! Ich will mich erkundigen, wie ich dir helfen kann. Noch heute spreche ich dich wieder. Vor dem Thore zu Besançon stand eine Menge Einwohner, welche uns mit dem Absingen des Marseiller Marsches und der Carmagnole empfingen, es aber doch nicht so machten, wie die Lieblinge des Exleutnants Goͤchhausen, ich meyne die Herren Philister zu Frankfurt am Mayn, welche die ar- men franzoͤsischen Kriegsgefangnen mit einem Ha- gelregen von Steinen und Koth begruͤßten. Aber wir waren ja auch keine exkommunicirten Koͤnigs- moͤrder! In Besançon nahm mich Landrin mit in sein Quartier, und ging hernach fort auf die Mu- nicipalitaͤt und zum Kriegskommissaͤr. Gegen acht Uhr des Abends kam er voller Freuden wieder, gab mir die Hand, und sagte: Du bist geborgen, Freund! Du kannst in unsre Dienste treten, wenn du willst. Ich versicherte ihn, daß ich dieses herzlich wuͤnschte. Nun wohlan denn, fuhr er fort: ich habe dir einen Paß nach Mâcon , oder wenn's da nichts ist, nach Lyon ausgewirkt: da findest du auslaͤndische Ba- taillons, welche der Republik in der Armee re - volutionnaire dienen. Willst du dahin? von ganzer Seele, war meine Antwort. Gut, fuhr er fort, Uebermorgen fruͤh gehst du ab. Nun trink, Citoyen und sey froͤhlich: es lebe die Republik! — Niemals hatte ich den ehrlichen Landrin mun- terer gesehen, als den Abend, und er versicherte mich, seine Heiterkeit kaͤme daher, daß er mir haͤtte dienen koͤnnen. Den folgenden Tag verhandelte ich meinen Rock und Weste gegen einen habit de police oder habit national, d. i. einen blauen Rock mit weißen Klappen, und r o t he n Aufschlaͤgen und Kragen, nebst einer weißen Weste. Ich gab noch einen Kronen- thaler zu. Frankreich war ehemals die Garderobe von ganz Europa: alles machte die franzoͤsischen Flitter- Moden nach. Aber seit der Revolution hat die Er- findung der Moden in diesem Lande aufgehoͤrt: die Nation ist ernsthafter geworden. Jezt geht jeder, wie er will, doch schlicht und ungezwungen, wie es freye Maͤnner ziemt. Die Meisten tragen die Kleidung der Volontaͤrs, um im Fall der Noth zur Vertheidigung des Vaterlandes gleich bereit zu seyn. Dieß ist Pflicht fuͤr jeden, und jeder ist darauf ge- faßt und eingerichtet. Das Wort, Soldat , ist abgeschafft, und wenn man es hier und da auch noch hoͤrt: so hat es doch keine haͤßliche Nebenidee von Sklaverey, Sittenlosigkeit u. dgl. Als ich aufgestanden war, gieng ich gleich zu Landrin : er sagte mir, daß wir den Nachmittag um 2 Uhr zum Kommissaͤr gehen wuͤrden: ich moͤgte jezt nur die Stadt besehen. Ich that dieß, ich werde aber niemals eine Stadt oder Landschaft beschreiben, wodurch ich gekommen bin, es sey denn, daß mir etwas Besonderes aufgefallen waͤre, wie man wei- terhin bey Lyon , Grenoble , Avignon u. s. w. sehen wird. Also halte ich mich auch bey Be- sançon nicht auf, wo ich doch bey Betrachtung der schauderhaften Festungswerker und der doppelten Citadelle die Bemerkung machte, daß wenn die Deutschen auch Landau, Strasburg und Befort erobert haͤtten, sie doch hier wuͤrden haben Halt machen muͤssen. Von dem gewesenen Erzbischof zu Besançon, einem gebornen Marki von Grammout, hoͤrte ich in einer Schenke das Lob, daß er mehr als 200 unschuldige Menschen aus seiner Dioͤces auf die Galeeren befoͤrdert habe. Er stand bey Hofe in so großem Ansehn, daß das Parlameut und die uͤbri- gen Gerichte zu Besançon sich in alle Wege vor ihm fuͤrchteten, und seinem Willen blindlings fol- gen mußten. Auch die Leichen der hiesigen Erz- bischoͤfe sind bey der Revolution nicht verschont worden. Die Kathedralkirche war ein Magazin. Den Nachmittag ging ich mit dem Haupt- mann zum Kriegskommissaͤr, wo ich einen Paß erhielt, nach welchem ich mich zu den Bataillons étrangers, employes au service de la république be- geben sollte. Mein Paß lautete nach Mâeou. Ich blieb den Abend noch bey meinem Haupt- mann, fruͤh aber zogen wir beyde auf verschiednen Wegen aus Besançon: er nach der Mosel-Armeé mit seinen Leuten, und ich nach Dole zu. Er druͤckte mir beym Abschiede recht freundlich die Hand, schenkte mir noch 30 Livres in Papier, und ermahnte mich zur ewigen Liebe der Freyheit, als dem einzigen Gluͤck der Menschen. Da meine Leser schon wissen, was Landrin eigentlich unter Freyheit verstand, so koͤnnen sie auch denken, wozu mich der ehrliche Rothkopf ermahnte. Ich weinte bey dem Abschiede von diesem Biedermann: auch die Volontaͤrs gaben mir die Hand, und wuͤnsch- ten mir alles Gluͤck. Ewig wird Landrin mir unvergeßlich seyn, und nimmermehr werde ich das oben erwaͤhnte Sprichwort als eine allgemeine Wahrheit gelten lassen. Ich war nun ganz allein, und ging bis zum ersten Etape, ohngefaͤhr fuͤnf Stunden weit, wo ich uͤber Nacht blieb. — Das Wort Etape wird wohl meinen Lesern groͤßtentheils unverstaͤndlich seyn: ich will es daher erklaͤren, zumal, da es kein deutsches Wort giebt, das es voͤllig aus- druͤckt. Seit der Revolution hat man aus allen Gegen- den des innern Frankreichs nach den Graͤnzen zu gewisse Stationen angelegt, welche ein reisender Soldat taͤglich bequem zuruͤcklegen kann. Auf die- sen Stationen muß er allemal seinen Paß zeigen, und ihn unterschreiben lassen. Dann bekoͤmmt er frey Quartier, 1½ Pfund Brod, ½ Pfund Fleisch und eine Bouteille Wein. Solche Stationen hei- ßen Etapes , und die Versorger derselben — Etapi ers. . In allen groͤßern Staͤdten sind Kriegskommissaͤre, welche von Station zu Station dem Reisenden noch obendrein 3 Sous fuͤr jede Stunde bezahlen muͤssen. Daß man nun gerade nach den Etapes gehen, folglich oftmals, wie es sich fuͤgt, Um- wege machen muͤsse, versteht sich von selbst. Man hat nach der Zeit einiges an den Etapes geaͤndert, wie ich vielleicht zu seiner Zeit melden werde. Mein Weg ging uͤber Dole, Challons sur Laone und Bourg en Bresse nach Mâcon. Mâcon ist eine altfraͤnkische Stadt an der Saone, wo ich zum erstenmal einige von den aͤchten Ohnehosen an- traf. Ich muß ihre Organisation wohl ein wenig naͤher beschreiben. Als im Jahr 1793 Lyon rebellirte und Toulon in die Haͤnde der Feinde fiel, da ward dem Kon- vent bange, das ganze mittaͤgliche Frankreich moͤgte sich zur royalistischen Parthey schlagen. Man hielt daher die Rebellen zu Toulon und Lyon ge- rade fuͤr die gefaͤhrlichsten Feinde der Republik, und das mit dem groͤßten Recht. Die Herren Lyoner hatten ihre Emissaͤrs in allen dortherum lie- genden Staͤdten, in Mâcon, Vienne, Montpel- lier, Valence und andern, um auch diese Staͤdte zum Widerstand aufzuwiegeln. Die National- Macht war auf den Graͤnzen. Es wurden also in aller Eile Truppen zusammengerafft und in diese Gegenden geschickt. Jeder Offizier hatte das Recht, anzunehmen zum Dienste der Republik, was nur wollte; ja, wer 20, 30 bis 40 Mann zusammen hatte, durfte sich zu ihrem Anfuͤhrer aufwerfen, und er blieb es. Es ging da ohngefaͤhr so zu, wie bey der Errichtung der oͤstreichischen Freykorps! — Daß nun bey diesen Leuten sich allerley Gesindel einfand, laͤßt sich denken; aber die Noth war drin- gend, und man durfte auf diesen Mißstand nicht lange Ruͤcksicht nehmen. Und diese so errichteten Korps hießen mit Ei- nem Namen die Armée révolutionnaire , und waren die aͤchtesten aller Ohnehosen, oder Sansculottes . Daß aber mit dergleichen Leuten sich etwas recht Tuͤchtiges ausrichten lasse, beweisen die blutigen und entsetzlichen Belagerungen von Lyon und Tou- lon, die in der Geschichte aller Zeiten wenig ihres Gleichen haben. Nachdem Lyon erobert war, gingen viele dieser Truppen nach den Graͤnzarmeen; viele aber blieben in den Staͤdten von Lionnois, Dauphine, Provence u. s. w., damit man sie, wenn ja noch einige Re- ste von Rebellion sich regen sollten, sogleich bey der Hand haben koͤnnte. Bey dieser Armée révolutionnaire waren mehrere Bataillons, welche aus auslaͤndischen Deserteurs und Vierter Theil. P Kriegsgefangenen zusammengesezt waren, und sich den Ruhm der Tapferkeit miterwarben. Zwar war es schon im Dezember 1793 verboten worden, Aus- laͤnder bey den Armeen aufzunehmen, welche auf den Graͤnzen Krieg fuͤhrten, aber bey der revolu- tionnaͤren Armee durften sie noch immer dienen. Und zu so einem Bataillon sollte ich denn auch sto- ßen, nach der Absicht des braven Landrins . In M â con meldete ich mich beym Kriegskom- missaͤr, und dieser sagte mir, das deutsche Ba- taillon sey in Lyon: ich koͤnnte aber hier naͤhere Nachricht einholen, da Sanscuͤlottes in M â con laͤ- gen, welche erst vor einigen Tagen von Lyon ge- kommen waͤren. Ich war uͤber diese Nachricht froh, und suchte und fand eine Schenke, worin es vor Sanscuͤlotten strozte. Kaum hatte ich mich hingesezt, als ein derber Ohnehose mich anredete, und fragte, wo ich herkaͤme, und wo ich hinwollte? Ich : Will nach Lyon, und suche Dienste. Er : Was bist du fuͤr ein Landsmann? Ich : Ein Deutscher. Ich habe den Preußen gedient, bin aber nach Frankreich gekommen, die gute Sache unterstuͤtzen zu helfen. Er : Bravo! (trinkt mir zu) Auf das Wohl der Republik! Also du gehst nach Lyon! Kannst Uebermorgen Gesellschaft haben: es gehen einige von hier dahin. Dienste kriegst du auf alle Faͤlle, fouttre ! Jezt sauf! So hatte ich denn schon Bekanntschaft mit den Sanscuͤlottes. Ich fand unter ihnen einige recht artige, feine Leute: aber groͤßteutheils waren es rohe ungeschliffene Waghaͤlse, wie man sie bey ei- nem solchen Freykorps wohl nicht anders erwarten durfte. Von militaͤrischer Disciplin mogten sie eben nicht viel halten: deun sie versicherten mehr- mals unter tausend Fluͤchen, daß sie den Offizier in Stuͤcke hauen wuͤrden, der ihnen etwas anders befehlen wollte, als gegen die Aristokraten zu marschiren: sie seyen blos da, um den verfluchten Aristokraten die Haͤlse zu brechen. Die Leute da herum waͤren fast alle von dem Kaufmannschafts- teufel besessen, und zwackten den armen Kuͤnstlern, Handwerkern und Tagloͤhnern ihr Verdienst ab bis aufs Verarmen. Wenn nur sie den vornehmen, reichen Herrn spielen koͤnnten, dann kuͤmmerte sie die Noth und Ar mu th aller derer nicht, die Tag und Nacht bis aufs Blut fuͤr sie sich abzehren muͤß- ten. Hier waͤre eigentlich der Geld-Adel recht am Bret t e; und wo der herrschte, da gelte der Arme weniger als nichts. Das Blatt muͤßte aber jezt ganz gewendet werden: das abgezwackte Gut muͤßte wieder an seinen rechten Herrn kommen: und da helfe kein Mitleid. Das war so der rechte Sankuͤ- lottismus! Ich hatte vom Commissaͤr einen Logis-Zettel bekommen, aber m eine nunmehrigen Kameraden, die Ohuehosen, ließen mich nicht mehr von sich, und ich mußte die Nacht bey ihnen auf ihrer Ka- serne, in einem ausgeraͤumten Kloster, zubringen. Einigemal gingen wir in Buͤrgerhaͤuser, wo die Leute uns zu trinken gaben, ohne etwas dafuͤr zu fodern: denn die Ohnehosen waren sehr dafuͤr be- kannt, daß sie nicht gern bezahlten. In allen oͤf- fentlichen Gesellschaften, fuͤhrten sie das große Wort, und: „Es lebe die Republik: der Teufel ersticke die verfluchten Sch... von Aristokraten!“ war allemal ihr leztes Wort. Den dritten Tag, nach meiner Ankunft zu M â - con, ging ich mit vier Sankuͤlotten auf Lyon. Wir blieben unterwegs in allen Kneipen, wenig- stens eine halbe Stunde, zechten derb, und zahl- ten sehr selten. Ich hatte noch viel baares Geld, auch noch Geld in Papier, wollte also immer zah- len, aber meine Begleiter ermahnten mich, das ja nicht zu thun: das ganze Land da herum stecke voll Aristokraten und voll Freunde der Pfaffen; und die muͤßten noch froh seyn, daß ein braver Sankuͤlott ihnen ihren Wein abtraͤnke, ohne sie todtzuschla- gen. Ich muß hier im Vorbeygehn bemerken, daß die revolutionaͤre Armee ein Hauptstuͤck des Schreckens- systems gewesen ist, wovon ich bald reden werde. Wo solche Leute hinkamen, fuhr alles zusammen, und kein Mensch unterstand sich, nur den Mund zu oͤffnen, aus Furcht, es moͤgte ihm ein Wort ent- fahren, das der Sankuͤlott als kontrerevolutionaͤr und aristokratisch deuten koͤnnte; und dann war er verloren: der Ohnehose gab ihn an, und man schmiß ihn sofort, mir nichts, dir nichts, ins Ge- faͤngniß des Revolutions-Tribunals, woraus der Ausgang gar schwer war. Die Regierung konnte aber damals dem abscheulichen Unwesen der San- kuͤlotterie noch nicht mit Strenge steuren: die Re- bellion war eben erst gedaͤmpft; und haͤtte man die mit Schaͤrfe behandeln wollen, welche dieselbe hat- ten daͤmpfen helfen, so wuͤrden sich diese wahr- scheinlich auf die Seite derer geschlagen haben, welche noch immer misvergnuͤgt waren: und dann haͤtte man neue Sankuͤlotten haben muͤssen, um die alten zu Paaren zu treiben; und diese frischen Oh- nehosen haͤtten es am Ende vielleicht noch aͤrger gemacht, als die ersten. Daß aber der Konvent die Ausschweifungen der Sankuͤlotten nicht billigte, erhellet aus jenen De- kreten, welche gegen dieses Gesindel in der Folge gegeben wurden, und aus den Anstalten der Volks- repraͤsentanten, die Truppen der revolutionaͤren Armee aus jenen Provinzen wegzubringen, wovon ich weiterhin reden werde. Wir kamen gegen Abend, ich glaube, es war den 22ten Jaͤuner, nach Lyon. Meine Begleiter gingen nach ihren Kasernen, ich aber zum Kriegs- kommissaͤr, dem ich meineu Paß, und das Zeug- niß, das mir Landrin gegeben hatte, vorwies, und ihn bat, mir doch an die Hand zu geben, wie ich mich in Zukunft verhalten sollte. Er gab mir meine Zettel auf Brod, Fleisch, Wein und Quar- tier, und fuͤr das Uebrige bestellte er mich auf den andern Morgen. Drey und zwanzigstes Kapitel. Lyon . L yon hieß damals Commune Affranchie, weil diese Stadt so zu sagen aus den Haͤnden der Aristokra- ten, wie aus einer Sklaverey, gerissen, und der Freyheit wieder gegeben war. Sie hat diesen Na- men auch so lange behalten, als die Jakobiner den Meister oͤffentlich spielten; nachher wurde der alte Namen Lyon wieder hervorgesucht. Diese Stadt, welche ehemals, nach Paris, die schoͤnste, volkreichste und wohlhabendste in ganz Frankreich war, und deren Handel wegen ihrer In- dustrie, und wegen ihrer herrlichen Lage an zwey schiffbaren Waͤssern, der Rh ô ne und der Saone, sich in die ganze Welt verbreitet hatte, giebt nun dem Reisenden einen traurigen Anblick. Man kann auch von ihr sagen, was Virgilius von Troja sagt: — — — fuit Ilium et ingens Gloria Dardaniae! Lyon ist zwar nicht abgebrannt, aber ihre besten Pallaͤste, Hospitaͤler, Fabriken, Kirchen u. s. w. liegen in der Asche, und die uͤbrigen Haͤuser sind groͤßtentheils gar sehr beschaͤdiget. Was aber das aͤrgste ist, so ist das Blut von mehr als 10,000 ihrer Bewohner in und unter ihren Mauern geflos- sen, und niemals sind so viel todte Koͤrper in die Rhone geworfen worden, als im Winter 1793, 94. Die Kunstwerke, woran in Lyon ein Ueberfluß war, sind nun alle zerstoͤhrt, und da, wo sonst Lud - wigs XIV. metallene Bildsaͤule stand, stand da- mals, als ich da war, die Guillotine, worauf je- der sterben mußte, der nur von Koͤnigen und Re- genten Gutes sprach. Es ist doch ein wunderba- rer Wechsel in den menschlichen Dingen! Ich weiß nicht, ob ich recht thue, wenn ich meinen Lesern die Nachrichten von dem traurigen Ungluͤck dieser Stadt mittheile, welche ich selbst dort erfahren habe, indem schon mehrere davon be- kannt sind. Da aber diese Nachrichten, beson- ders jene, welche Herr Girtanner in seinen po- litischen Annalen aus den Berichten einiger Lyoner Emigranten aufstellt, schon deswegen verdaͤchtig sind, weil sie von Emigranten d. i. von abgesag- ten Feinden der neuen Einrichtung ihres Vaterlan- des herkommen, und uͤberdem die wahre Ursache der Reb e llion nicht hinlaͤnglich und nur schief an- geben: so lieset man vielleicht nicht ohne Vergnuͤ- gen das, was ich aus dem Munde mehrerer Buͤr- ger zu Lyon und mehrerer einsichtigen und ehrlichen Sankuͤlotten daruͤber erforscht und gelernt habe! Die Buͤrgerschaft zu Lyon bestand sonst meist aus Handelsleuten und Fabrikanten, und diese hat- ten sich mit schwerem Gelde manche Monopolien angekauft. Gewisse Zeuge, welche z. B. in Vienne gemacht wurden, mußten erst nach Lyon gebracht, und da gestempelt werden; sonst durften die Ver- fertiger sie bey schwerer Srrafe nirgends verkaufen. Ein auffallendes Beyspiel des Lyoner Handels- Despotismus giebt die arme Stadt Avignon . Diese hatte ehedem viele und schoͤne Fabriken, wor- in gedruckte Leinwand gemacht wurde; und von diesem Verkehr lebten die Einwohner. Aber die Lyo- ner steckten sich hinter den paͤpstlichen Vice-Lega- ten — Avignon gehoͤrte vorzeiten dem Papste — boten Geld uͤber Geld, und der heilige Vater verbot die fernere Verarbeitung der gedruckten Leinwand in seiner eignen Stadt, damit die Einwohner einer fremden Stadt mehr Vortheil davon ziehen koͤnnten. So vaͤterlich sorgte der heilige Vater fuͤr seine Leute, und seine Leute — darbten! Zu Anfange der Revolution waren die Lyoner ganz auf Seiten der Assemblée nationale , aber so- bald sie sahen, daß eine Republikanische Verfassung statt haben sollte: gleich aͤnderten sie ihre Gesinnun- gen. Bey dem vorgeschlagnen System des Foͤdera- lismus waren nirgends eifrigere Vertheidiger dieser Fratze, als eben die Herren zu Lyon: denn da dach- ten sie doch wenigstens die zweyte vornehmste Re- publik unter den 84 fraͤnkischen Republiketten aus- zumachen. Aber nichts wollte ihnen weniger in den Kopf, als die allgemeine Freyheit des Handels, weil dadurch alle ihre Monopolien wegfielen. So patriotisch dachten die Lyoner! In Lyon hatte sich eben so, wie in den meisten franzoͤsischen Staͤdten, ein starker Klub von Volks- freunden, oder Jakobinern gesammelt, der aber frey- lich nur sehr wenige von den Großen und Reichen un- ter seine Mitglieder zaͤhlte. Da aber die Jakobiner sich besonders fuͤr aͤchte Patrioten ausgaben, und in dieser Ruͤcksicht oft sehr anzuͤglich und veraͤchtlich von den Petitmaͤtern oder Muscadins redeten, auch noch obendrein eine Surveillance fuͤr sich, freylich mit Genehmigung der Obrigkeit, errichteten: so ge- riethen sie immer mehr mit denen zusammen, wel- che nicht Jakobiner waren. Endlich verlohr Ludwig Capet sein Leben, und der Jakobinerklub gab deshalb eine Adresse an den Konvent, um diesem fuͤr die Hinrichtung des Tyrannen zu danken. Diese Adresse war das Sig- nal zur Rebellion. Sie war von mehrern Tausen- den unterzeichnet, und enthielt unter andern: daß hier der Konvent die Namen aller rechtschaffnen Buͤrger und aller wahren Patrioten in Lyon sehen koͤnnte. Es giebt zwar, hieß es in diesem Aufsatz weiter, hier noch einige, welche bloͤdsinnig oder bos- haft genug sind, Eure Anstalten zu misbilligen, aber wir hoffen, daß unser Eifer fuͤr das gemeine Wohl alle ihre Machinationen zerstoͤren soll. Die Adresse wurde dem Bulletin einverleibt, und sollte nun, der Gewohnheit nach, auch in Lyon an- geschlagen werden. Aber daruͤber entstand ein Auf- lauf, wobey viele Menschen von Seiten der Jako- biner und der Patrioten — denn so nannten sich um jene Zeit die Lyoner Aristokraten — ermordet wur- den. Der Auflauf war hart an dem Rhone, und der Fluß strozte vor Leichen. Der Praͤsident des Jakobinerklubs, Chailler , — bey Hn . Girtanner heißt er Challier : aber fehlerhaft — ein unternehmender Kopf, rieth jezt, daß man, um fernern Aufstand zu verhuͤten, die Straßen mit Kanonen besetzen sollte. Er gab davon der Municipalitaͤt Nachricht, aber diese ver- warf den Anschlag, und die Feinde der Jakobiner stellten den Buͤrgern vor, daß man die Absicht habe, alle Nichtjakobiner nieder zu machen. Dieses Vor- geben war an sich absurd, fand aber doch Eingang und Chailler wurde angeklagt, auch eingesteckt, aber sogleich wieder frey gemacht. Dabey aber blieb es nicht: denn um Mitternacht uͤberfielen die Ari- stokraten den Saal, worin die Jakobiner zum Theil noch versammelt waren, toͤdteten deren uͤber 150 und zerstoͤrten das ganze Gebaͤude. Bey dieser Ge- legenheit kam die ganze Stadt in Harnisch, und gar viele Menschen wurden selbige Nacht ermordet. Chailler ward fluͤchtig, und die Jakobiner klagten eine große Liste von Lyonern als Aristokra- ten und Feinde der Republik zu Paris an. Der Konvent schickte auch einige Sankuͤlotten, welche dann doch in Lyon Furcht verbreiteten. Da aber diese bald zur italiaͤnischen Armee abgingen, so wollten die Lyoner, daß die Regierung geaͤndert, und ein Interims-Parlament errichtet werden sollte. Dieses Parlament sollte weder im Namen des Koͤ- nigs, noch des Konvents regieren; und am Frieden wuͤrde man ja sehen, zu welcher Parthey man sich bekennen sollte. Das war so ein Vorschlag von Kaufleuten, die ihrer Sache ganz gewiß seyn wol- len, doch ohne es sich etwas kosten zu lassen! Der Konvent befahl der Lyoner Municipalitaͤt, diese gefaͤhrliche Unternehmungen zu hindern; und diese, mit Einverstaͤndniß der Jakobiner, errichteten in Lyon eine Armée révolutionnaire von drey Ba- taillons, Freyheit, Gleichheit, Bruͤderschaft. Taͤg- lich zog eins dieser Bataillons auf die Wache, pa- trouillirte durch die Stadt und steckte jeden, der ih- nen verdaͤchtig vorkam, ins Gefaͤngniß. Es ist gar nicht zu laͤugnen, daß auch hiebey sowohl von den Jakobinern, als von der Revolutions-Armee gar manche Excesse vorgefallen sind. Illiacos intra muros péccatur et extra, heißt es auch hier, und ich bin weit entfernt, irgend einer Parthey eine Apologie zu halten, ob ich gleich voͤllig uͤberzeugt bin, daß das Ungluͤck der Stadt Lyon sich mehr von den Muscadins, als von den Ja- kobinern herschreibt. Viele Lyoner Buͤrger, aber auch viele Jakobi- ner wurden bey den von Paris geschickten Repraͤ- sentanten als Stoͤhrer der oͤffentlichen Ruhe ange- klagt, und eingesteckt. Die Buͤrger befreyeten ihre Mitbuͤrger mit Gewalt aus dem Gefaͤngniß: das Naͤmliche thaten auch die Jakobiner, und beyde Partheien forderten endlich, daß man ein besonde- res Gericht errichten sollte, um die Streitigkeiten zwischen der Parthey des Convents ( parti de la con- vention ) und der Parthey der Unpartheilichkeit ( parti de l'impartialité ) zu entscheiden. Ueber die- sen seltsamen Vorschlag verlohren viele Menschen ihr Leben. Die in Lyon stehende Revolutions-Ar- mee, ohngefaͤhr 1800 Mann stark, war bey den fast alle Tage vorfallenden Gefechten mit den Unpar- theiischen — so nannten sich um diese Zeit die Ari- stokraten — bis auf ohngefaͤhr 800 herabgeschmol- zen, und den Lyonern gar nicht mehr fuͤrchterlich. Sogar die Jakobiner wurden gezwungen, die Stadt zu verlassen, und sich nach dem Gebuͤrge zu fluͤchten: was zuruͤckblieb, wurde todtgeschlagen. Auch die Ohnehosen zogen aus. Der Konvent hatte dem General der Alpen- Armee Befehl ertheilt, eine Truppe von vier Ba- taillons nach Lyon zu schicken. Das geschah auch, aber die Lyonner fochten gegen die Truppen der Re- publik so heftig und so gluͤcklich, daß sie das Feld erhielten, und die Soldaten des Konve n ts beynahe gaͤnzlich niedermachten. Dieß geschah am 29ten und 30ten May 1793. Die Lyoner feyerten jezt ein Siegesfest, wie noch keins war gefeyert worden. Sie ließen oͤffent- lich eine Kirche vom republikanischen Graͤuel rei- nigen, zogen in Procession dahin, ließen Messe le- sen fuͤr das Wohl des Koͤnigs Ludwigs XVII und fuͤr das Verderben der Demokraten. Monopol ie n sind gegen das Interesse jeder Nation; fördern aber das Chatouillen-Interesse der Fürsten und deren Minister sehr. Es wird also Geld reichlich spendirt, und das Monopol ist fertig. Aber eine ganze Nation durch Bestechung dahin zu bringen, daß sie Einzelnen etwas einräumen , was Alle n schadet — das sahen die Lyoner und Consorten ein, daß das nicht gienge: und daher ihre Anhänglichkeit an den Thron und ihr Haß gegen Demokraten und Demokratismus! Die paͤpst- liche Bulle wider die Feinde der Kirche wurde oͤf- fentlich angeschlagen, und was der aristokratischen Narrheit und der kaufmaͤnnischen Politik und Theo- logie mehr war. Aber abscheulich war es, daß man nun die noch in Lyon befindlichen Jakobiner auf- suchte, sie mordete, ja, sogar ihrer Weiber und Kin- der nicht schonte. Selbst die Repraͤsentanten wa- ren ihres Lebens nicht mehr sicher, und mußten die besten Gute-Worte geben, auch versprechen, sich bald wegzugeben. Uebrigens ist es voͤllig falsch, was der Korrespondent des Hn. Girtanners sagt, daß selbst die Lyoner dem Konvent von dem Nach- richt gegeben haͤtten, was bey ihnen vorgefallen waͤre: vielmehr weigerten sie sich, von da an den Konvent anzuerkennen, indem sie unpartheiisch blei- ben wollten. Sie stellten sogar den Adel wieder her, ja, einige adelten sich selbst, in Hoffnung, daß Ludwig XVII dereinst ihren Adel bestaͤtigen wuͤrde. So tollkuͤhn war man in Lyon! — Daß die Lyoner um diese Zeit mit den Foͤdera- listen zu Marseille ein enges Buͤndniß gemacht ha- ben, uͤbergeht der Korrespondent des Hn. Girtan - ners voͤllig, meldet aber doch mit einigen Worten, daß die Truppen, welche die Marseiller den Lyonern zu Huͤlfe haͤtten schicken wollen, unterwegs vom General Cartant seyen geschlagen worden. Aber, wie schon gesagt ist, der Foͤderalismus war nicht allein in Lyon, sondern im ganzen mittaͤglichen Frankreich. Cartant hatte nur wenige Batail- lons Ohnehosen, mit welchen er hin und her zog, um den Gehorsam gegen die Befehle des Konvents wieder herzustellen. Bey diesem Geschaͤfte sind mehrere tausend Menschen geopfert worden. Chailler und mehrere seiner Anhaͤnger wurden gefangen gesezt, und vor einem aristokratischen Tri- bunal verhoͤrt. Man fragte ihn: ob er den Sohn Ludwigs XVI fuͤr seinen Herrn erkenne? Nein! antwortete er: Das Gesetz ist mein Herr ; und der junge Kapet ist ein so dummer Junge, daß ich ihn nicht einmal zu meinem Bedienten haben moͤgte. Diese Antwort gab er, so oft man ihm obige Frage vorlegte: man legte sie ihm aber alle Tage vor. Der Konvent foderte die Untersuchung des Pro- zesses uͤber Chailler und seine Freunde; allein die Lyoner versagten den Gehorsam, und instruirten den Prozeß dieser Ungluͤcklichen ganz fuͤr sich. Sie wurden alle hingerichtet. In Girtanners An- nalen werden nur zwey genannt, es waren aber mehr als dreyßig , welche auf einen Tag mit Chailler guillotinirt wurden. In Lyon hatte man die Nationalkokarde abge- schaft, und an deren Stelle eine weiße oder die koͤ- nigliche aufgesteckt. Chailler kuͤßte noch auf der Blutbuͤhne die dreyfarbige Hurschleife; und dafuͤr wurde, nach seiner Hinrichtung, sie zum Spott an seinen abgehackten Kopf genagelt. Wenn die Guillotine recht geht, so muß der Kopf auf einen Schlag herabfahren, wenigstens kann er nur noch an der untern Haut haͤngen blei- ben. Aber bey der Hinrichtung des Chaillers wurde das Messer so eingerichtet, daß es dreymal fallen mußte, ehe der Ungluͤckliche sterben konnte. Dieser Umstand von der Barbarey der Lyoner ist in Frankreich allgemein bekannt, und blos aus dieser Ursache ist hernach auch der Henker oder der Guillo- tineur hingerichtet worden: er hatte gegen das Ge- setz einen Menschen bey der Exekution gemartert. Auch die Volksrepraͤsentanten mußten jezt Lyon verlassen, und begaben sich nach Paris, wo sie von Allem, was in der rebellischen Stadt vorgefallen war, genaue Nachricht gaben. Der Konvent faßte denn, nach strenger Untersuchung der Sache, ein Dekret ab, daß die Stadt Lyon fuͤr rebellisch er- klaͤrt, erobert, gepluͤndert und von Grund ans zer- stoͤhrt werden sollte. Zwischen der Saone und dem Rhone sollte eine Schandsaͤule errichtet werden mit der Inschrift: daß hier dereinst eine beruͤhmte Stadt gestanden habe, welche aber rebellisch ge- worden sey, und deshalben so jaͤmmerlich nun da- niederliege. Chailler wurde des Patheons wuͤrdig erklaͤrt; und beynahe in allen Staͤdten wur d e n Straßen und Hospitaͤler nach seinem Namen benannt! Er, Le Pellet ti er und Marat hießen lange Zeit die vor- nehmsten Maͤrtyrer der Freyheit. Vier und zwanzigstes Kapitel. Fortsetzung des Vorigen . I ch habe nicht noͤthig zu erzaͤhlen, wie Lyon von der groͤßern republikanischen Armee erobert und zer- stoͤhrt d. i. aufs fuͤrchterlichste zugerichtet worden ist: das moͤgen meine Leser in un sern Journalen Vierter Theil. Z suchen, wo sie die naͤhern Umstaͤnde dieser grausa- men und entsetzlichen Tragoͤdie finden werden. Ich glaube aber doch bewiesen zu haben, daß der Konvent bey den damaligen mißlichen Umstaͤnden nicht anders konnte, als so ein hartes Urtheil uͤber Lyon zu sprechen. Lyon rebellirte gerade zu einer Zeit, wo die Republik noch keine innere Konsistenz hatte, und auf allen Seiten von den fuͤrchterlich- sten Feinden bedroht und geaͤngstiget wurde. Und haͤtten sich die Staͤdte Marseille , Toulon und Lyon behaupten koͤnnen: dann gute Nacht Republik, gute Nacht Freyheit! Hätte Pitt diese Gährung stracks unterstützet: Europa wäre längst zur Ruhe. Aber was kümmert einen Kaufmann das Interesse Anderer! Pitt wollte unumschränkt herrschen in England, und Herr zur See seyn. Die Holländer standen ihm vorzüglich im Wege, und ihre Besitzungen reizten ihn gar sehr. So via facti zuzufahren, ging nicht: er zwang sie also, – auch Andere, weil im Trüben gut fischen ist, und weil das Au- genmerk auf einen gemeinschaftlichen Feind, die Franzosen, es verhindern sollte, sein Augenmerk auf einen besondern zu mer- ken und zu hintertreiben; oder gelänge der Krieg, dann den Franzosen das wegzukapern, was er in diesem Falle den Holländern hätte lassen müssen — zur Theilnahme am Kriege. Aber schon bey der Belagerung von Dunkirchen , die er von der Seeseite nicht unterstützen ließ, konnte man merken, wohin er eigentlich wollte. Die mordbrennerische Expedition auf Toulon zeigte das Nämliche. Der Krieg sollte einmal in die Länge gezogen werden, um das Volk in England und dessen Sprecher in eine anhaltende Nothwendigkeit zu setzen, sein despotisches Verfahren als ein interimistisches Resultat der Noth und der Zeit gelten zu lassen: während der Zeit aber die Zügel der willkührlichen Regierung so fest anzuschnallen, daß nichts sie weiter zerreiße. Die Volksmasse mußte also durch Ich ging noch den naͤmlichen Tag, als ich in Lyon angekommen war, hin und wieder herum, fand aber wenig Straßen, wenig Winkel, wo das Elend der Zerstoͤhrung nicht sichtbar gewesen waͤre. weggeschickte Land- und Seetruppen vermindert, geschwächt und lenksamer gemacht werden. Er hob große Anleihen von mächtigen Handelshäusern, um die Unterstützung des Throns, ihnen, im Fall sie dereinst wieder bezahlt seyn wollten, zum Bedürfniß zu machen. Den ausgehobnen Truppen, zumal de- nen zu Lande, gab er solche Anführer, von welchen er ge- wiß wußte, daß sie nichts entscheiden, und folglich seinen Plan, den Krieg in die Länge zu ziehen, nicht kontern wür- den. Die Admirale zur See erhielten Befehl, wie er ihn für seinen Plan ant fand. Dunkirchen ließ er von der See- seite nicht angreifen, um den Franzosen das Vordringen bis nach Holland nicht zu ersch weren . Sie sollten dahin drin- gen, die Holländer, des Statthalter-Despotismus überdrüssig, sollten sich mit ihnen verbinden: und dann hatte er ein Recht, die Besitzungen der Holländer wegzunehmen. — Diese Absicht ist erreicht. Aber Belgien darf den Franzosen nicht bleiben, weil sonst Englands Handel und Credit zu sehr daher litte. Auch Hannover darf nicht verloren gehen, wegen der Hülfstruppen und der Einkünfte von daher, und wegen der Stimme im deutschen Reichs-Rath. Also muß man, wegen des leztern, den Kaiser zum Freunde halten, und um dieß für die Dauer zu bewirken, muß man alles aufbieten, ihm die Wiedereroberung von Belgien moglich zu machen. In Bel- gien gerettet; hat man dem Kaiser noch etwas hinzu erobern helfen, und ihm dadurch — wills Gott! — eine P rä po- te n z verschaffet: dann hat man, was man wollte, und zum schuldigen Danke läßt man sich die neuen Acquisitionen garan- tiren, herrscht dann in England Souverain, und bestimmt Handel und Geldlauf, wie es seiner Pittischen Majestät be- liebt. — Sehet Deutsche, das ist der Grund eurer noch im- mer unabsehbarer Leiden! O daß doch unsere edlern und hu- manern Fürsten erwachten, und für Englands Guineen und Handels-Despotismus deutsches Blut nicht mehr fließen, und Deutschlands beste Provinzen, zum Nachtheil aller übrigen, nicht länger verwüsten ließen! — Ganze Reihen Haͤuser waren weggebrannt, und gerade die allerschoͤnsten. Kirchen, Kloͤster und alle Gebaͤude der ehemaligen großen Herren, wa- ren ruinirt. Auch hatten die Hospitaͤler waͤhrend der Belagerung großen Schaden erlitten. Als ich an die Guillotine kam, floß das Blut derer, welche wenig Stunden vorher waren gekoͤpft worden, noch auf dem Platze. Dieser Anblick machte mich schau- dern. Ich trat in eine nahe Schenke, zu einem Haufen Ohnehosen, und sagte: Es wuͤrde doch huͤbsch seyn, das Menschenblut dort wegzuschaffen. Warum? antwortete einer: das ist aristokratisches Rebellen-Blut, das muͤssen die Hunde auflecken. Hast du heute guillotiniren sehen? — Nein! — Nun gut: Morgen spielt man das naͤmliche Spiel: dann kannst du zuschauen. — Die Leute sprachen vom Kopfabschlagen, wie wenn sie von Nußklopfen gesprochen haͤtten: Alles, was aristokratisch ist, muß sterben, war allemal der Refraͤn. Man ging bey der Untersuchung auch nicht immer sehr genau zu Werke, und es war schon hinlaͤnglich, von Adel oder Priester gewesen zu seyn, um den Kopf zu verlieren, wenn man auch sonst nichts begangen hatte. La noblesse, la prêtrise ce sont des crimes, hieß es; und das Urtheil war fertig. Die Guillotine reichte zum Hinrichten nicht zu, und so schoß man die ungluͤcklichen Schlachtopfer vor dem Thore mit Kartaͤtschen todt; und was da nicht gleich auf der Stelle blieb, das expedirten die Sankuͤlotten mit ihren Saͤbeln und Bajonetten. Und doch waren alle Grausamkeiten, welche durch die Guillotine und die Fuͤseliaden in Lyon vorgin- gen, noch lange nicht hinreichend, die Wuth und Rachsucht der Ohnehosen zu begnuͤgen. Sie hat- ten gehofft, Lyon sollte nach dem ersten Konvents- schluß gepluͤndert und verbrannt werden, und als dieses nicht geschah, da murrten sie laut. Sie machtens hierin, wie ehemals der heil. Prophet Jonas : denn als der Herr seine Drohung, ge- gen die große Stadt Ninive, welche drey Tage- Reisen lang, Jon. Kap. 3. 3. also ein ganz ander Ding, als Lyon, war, nicht erfuͤllte: so wurde Jonas boͤse, und wollte vor Aerger Hungers sterben. Kap. 4. 3. Jo- nas war ein Prophet des Herrn, durch welchen Gottes heiliger Geist selbst redete, 2. Pet. 1 . v. 21. den also eine so elende Rachsucht nicht zum beßten kleidete. Aber den Ohnehosen konnte man ihr Murren wohl nicht sehr uͤbel nehmen, indem man ihnen die Pluͤn- derung versprochen hatte; und in dieser Hoffnung waren sie auch blindlings ins Feuer gegangen, und hatten mehrere tausend ihrer Bruͤder verlohren. Auch waren viele von ihnen jaͤmmerlich verwundet: und dennoch murrten sie nur, und empoͤrten sich nicht oͤffentlich, wie der Prophet Jonas. Die zum Tode Verurtheilten gingen groͤßten- theils mit vieler Gleichguͤltigkeit, und Manche mit wahrer Frechheit zum Richtplatz, ja, es war so zu sagen, wider den guten Ton, Betruͤbniß oder Furcht vor dem Tode blicken zu lassen. Ein Beyspiel muß ich hier erzaͤhlen, als einen Beweis von Liebe, die auch im Tode standhaft blieb. Die achtzehnjaͤhrige Gattin eines jungen Lyo- ners hatte ihrem Bruder bey den Emigranten etwas von ihrem Schmuck schicken wollen, damit er es verkaufen, und davon leben koͤnnte. Der Brief, worin kleine Diamanten sehr kuͤnstlich unter dem Siegel versteckt lagen, wurde aufgefangen, und nach der Eroberung der Stadt wurde der Mann und die Frau eingezogen und inquirirt. Die Frau laͤugnete, daß ihr Gatte um das Geschenk fuͤr ih- ren Bruder gewußt hatte, er aber widersprach und gestand, daß er allerdings darum gewußt, ja, so- gar zur Absendung desselben geholfen habe. Da nun das Gesetz alle die zum Tode verurtheilt, wel- che den Emigranten die geringste Huͤlfe leisten wol- len: so wurden diese beyden jungen Eheleute, wel- che weiter keinen Theil an der Lyonschen Rebellion genommen hatten, zur Guillotine abgefuͤhrt. Sie erschienen beyde auf dem Blutgeruͤste, hiel- ten sich fest umschlungen, und sagten sich ganz un- befangen die zaͤrtlichsten Dinge. Endlich riß die junge schoͤne Frau sich los, und sagte zu ihrem Gat- ten, der sie wieder umarmen wollte: hâtons ce mo- ment, mon ami; c'est pour nous rejoindre bientôt! Lassen wir diesen Augenblick beschleunigen, mein Freund, da- mit wir bald wieder vereinigt werden. Sie legte sich sofort aufs Brett; und ihr Kopf flog herunter. Ihr Geliebter bat den Guillotineur, ihr die theuren Wangen seiner Freundin noch einmal kuͤssen zu lassen, und als dieses geschehen war, uͤbergab er sich mit der groͤßten Gleichguͤltigkeit den Haͤnden des Henkers. Als der Guillotineur beyde Koͤpfe dem Volke hinwies, schrie auch keine Seele: „es lebe die Republik!“ wie doch sonst gewoͤhnlich ist: alle schauten, in stumpfen Schmerz verlohren, vor sich hin, und bewiesen dadurch, daß sie noch nicht alles Gefuͤhl fuͤr Natur und Menschlichkeit verlohren hatten. Diese Geschichte war lange das Gespraͤch des Tages, und wurde mit sehr humanen Glossen begleitet. Natur, rie- fen Viele, edle, allmaͤchtige Natur: was ist ge- gen dich Kunst, Politik und Tod! — Den Tag nach meiner Ankunft ging ich zum Com- missaͤr, wie er mich bestellt hatte. Er las das Zeug- niß des Hauptmanns Landrin sehr aufmerksam durch, und sagte dann: Ja, du kannst vielleicht hier ankommen als Volontaͤr bey den Truppen der Re- publik: aber da muß ich dich an einen Colonel wei- sen. Gehe hin auf den Place Marat zum Colonel von Montagne, der nimmt dich ohne Zweifel. Ich traf nun zwar den Colonel nicht, wohl aber einen andern Offizier, der mich, nachdem ich mein Anlie- gen eroͤffnet hatte, sogleich mitnahm, und in die Ecurie fuͤhrte, wo eine ganze Kompagnie Ohnehosen beysammen Quartier hatte. Diese Ecurie war vor- zeiten ein praͤchtiges Gebaͤude nahe an der Saone, und hatte einem Prinzen zugehoͤrt. Man nannte diesen Palast seit der Revolution Ecurie oder Pfer - destall , um dadurch die Lebensart der ehemaligen Prinzen in Frankreich durchzuhecheln, die ausge- suchtes Futter gehabt hatten, ohne es zu verdienen, und eben so zuͤgellos sich gebehrdeten, wie jedes un- baͤndige Pferd. Hier fand ich Ohnehosen von allerley Volk: Deutsche, Italiaͤner, Spanier und Hollaͤnder, meistens Deserteurs; auch Kriegsgefangne mitun- ter, welche man zur Zeit des Aufstandes im mit- taͤglichen Frankreich bewaffnet hatte. Die meisten aber waren durchgaͤngig Franzosen; und so war ihr National-Interesse, durch ihr Uebergewicht, vor dem Privat-Interesse der Rebellen und Auslaͤnder gesichert. Bey dem Anblick dieses buntschaͤckigen Gemisches von Leuten, welche noch groͤßtentheils die Uniform der Herren trugen, denen sie kurz vor- her gedient hatten, fielen mir die Volonen der Roͤmer ein, von welchem der große Diktator sagte, sie seyen immer gut genug, fuͤr das gemeine Wohl zu fechten. Ich konnte daher bey der wunderselt- samen Karrikatur nicht lachen, die diese Militz beym ersten Anblick machte. Als der Offizier und ich ankamen, schrie er: Citoyens Sancuͤlottes, hier bring' ich Euch einen Deutschen, der aber franzoͤsisch spricht: Er will brav werden, wie Ihr! — Vive la république! schrie mir gleich der ganze sanskuͤlottische Schwarm ent- gegen. Ich erwiederte diesen Zuruf mit den naͤm- lichen Worten, und war sofort gleich unter den Burschen bekannt. Ich wollte mir nun auch Kameraden nach mei- nem Geschmack suchen, mit welchen ich naͤhern Umgang pflegen koͤnnte. Den deutschen Deser- teurs traute ich wenig, wie ich denn uͤberhaupt sa- gen muß, daß unter 10 Deserteurs allemal 9 schlechte Kerls sind — nicht als wenn ich die Desertion an und fuͤr sich fuͤr ein schlechtes Stuͤckchen hielte: wie koͤnnten sonst Fuͤrsten und ihre dienstfertigen Werber so gierig nach ihnen haschen! — sondern, weil ein braver Bursche, sobald er von vernuͤnftigen Offizie- ren als Mensch menschlich behandelt wird, selten in die Nothwendigkeit versezt wird, uͤberzulaufen. — Also machte ich mich an einige franzoͤsische San- kuͤlotten, — sie nannten sich selbst so, oder Revolu- tionnaires: Soldaten wollten sie nicht heißen, auch nicht einmal Volontaͤrs — redete freundlich mit ihnen und bat sie, mit mir ins Wirthshaus zu ge- hen, wo ich eine Bouteille zahlen wollte. Drey gingen mit, und da ich mit Papier und Geld noch ziemlich versehen war, so ließ ich sie gut bewirthen. Die Ohnehosen waren fidele Bruͤder, alle drey aus Auvergne, die bald meine Freunde wurden. Sie gaben mir weitlaͤufige Nachricht von dem Zweck ihres Berufes. Wir sind blos da, sagten sie, die Rebellen, die Verraͤther des Vaterlandes, die Ari- stokraten, die Edelleute und die Pfaffen todtzuschla- gen. Bey uns heißt es kurzweg: friß Vogel oder stirb! Pardon geben oder nehmen sind uns unbe- kannte Dinge. Du solltest nur gesehen haben, wie unsre braven Bruͤder da draußen vor dem Racker- nest (Lyon) zusammenstuͤrzten! Alle Tage kamen Hunderte, oft Tausende um: aber das machte uns nicht irre! Wir marschirten uͤber die Leichen unsrer Kameraden, und kriegten doch endlich das Rebellen- Ne st. Schade nur, daß wir es es nicht abbrennen durften! — Recht thust du uͤbrigens, daß du zu uns dich gesellst; aber den Tod darfst du nicht scheuen! fouttre! Es lebe die Republik! — Das war so die Instruktion, welche die Ohne- hosen mir gaben; und daß sie aͤcht war, habe ich aus vielen Beweisen eingesehn. Ich fragte auch, wie sich die Auslaͤnder bey ihnen auffuͤhrten, und hoͤrte da zu meiner Freude, daß die Deutschen allemal brave Ohnehosen waͤren, besser, als die Spaniolen, und noch besser, als die Italiaͤner, welche man vor- waͤrts stoßen muͤßte. Aber wer einmal bey ihnen sey, der muͤßte wohl brav werden: denn wollte er sich fuͤrchten, und weichen, so stieße ihm sein naͤch- ster Kamerad das Bajonet in den Wamst, und dann waͤre er schon bezahlt. Der Dienst der Ohnehosen in Lyon bestand, außer den Wachen, welche sehr stark, und allemal mit scharf geladnen Gewehren besezt waren, darin, daß sie Tag und Nacht starke Patrouillen machten, alles Verdaͤchtige arretirten, und alle Tage einen Kreis um die Guillotine schlossen: denn alle Tage wurden Mehrere hingerichtet. Ich fragte auch nach den auslaͤndischen Bataillons, hoͤrte aber, daß sie nicht mehr existirten, sondern v er theilt waͤren. Wie stark aber damals die Revolutions-Armee war, konnte mir niemand sagen: denn taͤglich kamen einige hin- zu, und einige gingen ab. Diese Armee war in dem ganzen mittaͤglichen Frankreich, in dem ehemali- gen Lyonnois , Dauphine , Languedoc und Provence zerstreut, wo ihrer viele von den Ari- stokraten oft erschlagen wurden, viele auch davon liefen, oder mit Paͤssen sich nach der Armee begaben, welche in der Vendee gegen die Bri - gands kaͤmpfte. Doch sollen auch damals noch wenigstens 80,000 Mann Revolutions-Truppen in jenen Gegenden gestanden, oder vielmehr herumge- schwaͤrmt haben. Wenn man nun uͤberlegt, daß vor sechs Mo- naten von allen diesen Kriegern noch keiner ein Ge- wehr trug, und daß doch damals schon durch sie die ganze fuͤrchterliche Rebellion im mittaͤglichen Frankreich gedaͤmpft, Marseille beruhiget, Lyon erobert, und Toulon zerstoͤhrt war, so kann man sich so ohngefaͤhr einen Begriff machen, was eine Nation vermag, welche fuͤr ihre Freyheit auf- steht. Diese schafft Armeen, in einem Zeitraum, worin die Monarchen ihre schon laͤngst stehenden, laͤngst geuͤbten Heere kaum aus ihren Garnisonen fuͤhren koͤnnen. Es ist beynahe unglaublich, welche Maͤrsche die Ohnehosen gemacht, und wie geschwinde sie an Orten operirten, wo man sie noch lange nicht einmal vermuthete. Gegen solche Krieger hilft weder Kriegeslist, noch Taktik, noch uͤberlegne Macht: Nichts kann sie zuruͤckwerfen, als gleicher Muth: und welches Monarchen Krieger messen sich wohl an Muth mit Republikanern, die fuͤr ihre eigne Sache fechten, und dabey nichts sehen, als Sieg oder Tod? — Den folgenden Tag ging ich in Begleitung meh- rerer Ohnehosen zum Colonel, welcher ehedem ein ehrlicher Seifensiedergeselle gewesen war, aber bey der Eroberung von Lyon seine Bravour auffallend bewiesen hatte. Er sah mich freundlich an, und nachdem er verschiedne Fragen uͤber meinen Patrio- tismus, und uͤber meinen Haß gegen alle Aristokra- ten und Pfaffen gethan hatte, sagte er: tu peux exi- ster avec nous; tu auras bientôt un fusil. Das war mein ganzes Engagement. Handgeld ist uͤberhaupt bey den Franzosen schon laͤngst nicht mehr Mode: denn sie meynen, durch Annehmung eines Handgel- des verkaufe der Mann sich und seine Haut, und werde dadurch Leibeigen. Wer aber so niedertraͤch- tig oder so dumm seyn koͤnnte, sich um irgend einen Preis zum Leibeignen zu verkaufen, der verdiene Verachtung, und sey nicht werth, daß er das Va- terland und die Wuͤrde und die Rechte des Menschen vertheidigen helfe. Sie setzen hinzu: wer durch viehhaͤndlerischen Selbstverkauf Verraͤther an sich wird, wird es weit eher an Andern werden. Dieß ist es, warum der franzoͤsische Volontaͤr kein Hand- geld nimmt, und noch weniger der Sankuͤlotte. Der Soldaten-Eid ist auch ganz abgeschafft, wie jeder andere. Wer schwoͤrt mehr Eide, sagen sie, als die Soͤldner der Fuͤrsten, und wer achtet sie weniger, als wieder sie! Dieß zeigt die Menge ih- rer Deserteurs. Der Colonel hatte nicht einmal nach meinem Namen gefragt, und erst einige Zeit hernach schrieb mich der Sergeant ins Register. Sogar der Kor- poral, welcher das Pr ê t oder die Loͤhnung, und das Brod besorgen mußte, machte blos ein Zeichen, daß er nun einen Mann mehr zu besorgen hatte. Ich war sehr vergnuͤgt, nun bey den Sankuͤlot- ten zu existiren, und trank mit einigen Kameraden bis den andern Morgen auf das Wohl der Repu- blik und der Sankuͤlotterie. — Warum ich ver- gnuͤgt war? — Je nun, meine Herren, weil ich bey einem Korps existirte, wovon ich mich losmachen konnte, sobald ich wollte: denn kein Sankuͤlotte ist gebunden. Auch sah ich die Moͤglichkeit vor mir, irgend etwas zu thun, was mich der Republik haͤtte empfehlen koͤnnen; und nun die Ehre, einer freyen Nation zu dienen! Vielleicht war ich auch darum vergnuͤgt, weil ich das Besondere liebe: und ich, als Sankuͤlotte, war doch wohl was be- sonderes? Fuͤnf und zwanzigstes Kapitel. Meine Lage bey den Sankuͤlotten . D aß es mir leicht war, die Gunst aller meiner Kameraden zu erwerben, sowohl der Offiziere, als der Gemeinen — denn die alle heißen Kameraden oder Bruͤder — bilden sich diejenigen meiner Leser schon fuͤr sich ein, die mich von meiner Wiege an kennen. Ich that alles, was sie thaten, schwadro- nirte wie sie, lief herum wie sie, trank wie sie, schimpfte auf Aristokraten und Pfaffen, wie sie, und war also in allen Stuͤcken gerade wie sie. Mein Dienst erstreckte sich, so lange wir in Lyon waren, blos auf das Patrouilliren, und zur Guillotine zie- hen, um welche wir taͤglich, Nachmittags um zwey Uhr, einen Kreis schließen mußten. Ich wuͤrde d e nk' ich, meine Leser beleidigen, wenn ich ihnen noch viel von dem traurigen Spektakel schildern wollte, vor welchem ich anfaͤnglich zuruͤckschauderte, her- nach aber es gleichguͤltig, oder doch ohne Zuckun- gen betrachten konnte. Einer von den Repraͤsentanten, welche damals in Lyon das schreckliche Amt, die Empoͤrer zu stra- fen, ausuͤbten, war der in ganz Europa bekannte Collot d'Herbois. Von diesem Manne habe ich in Lyon eben nichts Vortheilhaftes, doch auch nichts Nach- theiliges reden hoͤren. Aber nach meiner Ruͤckkehr nach Deutschland habe ich erfahren: d'Herbois sey Komoͤdiant gewesen, und habe ehedem in Lyon ge- spielt, wo man seine elende Aktion brav ausgezischt habe. Nachher sey er Mitglied des Nationalkon- vents geworden, und habe die Bestrafung der Lyo- ner uͤbernommen, vorzuͤglich, um sich wegen des ihm auf dem Theater in dieser Stadt wiederfahrnen Schimpfes zu raͤchen. Ich kann nicht sagen, ob diese Theater-Ge- schichte gegruͤndet sey, doch scheint es mir eben nicht sehr. In Lyon selbst habe ich nichts davon gehoͤrt; und in Lyon war man eben nicht gewohnt, von den Volksrepraͤsentanten mit Schonung zu sprechen. Es giebt dergleichen Anekdoten mehr! So soll z. B. Robespierre ein naher Anverwandter des im J. 1757 zu Paris hingerichteten Franz Dami - ens gewesen seyn, und eben wegen dieser Hin- richtung die Burbonen so sehr gehaßt haben. Es giebt uͤberhaupt keinen Mann, der sich bey der je- tzigen Revolution ausgezeichnet hat, den man in den deutschen Zeitungen, Journalen, Annalen u. dgl. nicht etwas anhinge. Und wenn man ja weiter nichts weis, so sprengt man aus: General Pichegruͤ sey doch nur eines Bauern Sohn; General Hoche ein Handwerker von Profession; General Fevre ein unehliches Kind u. s. w. Aber da Pichegruͤ , Hoche und Fevre bewiesen ha- ben, daß Bauernsoͤhne, Handwerker und Hurkinder große Helden werden koͤnnen, welche Hochgebohrne Durchlauchtigste, Hochwuͤrdigste, Excellente Gene- rale zuruͤckwerfen und besiegen: so kompromittiren solche Anekdotenkraͤmer am schaͤndlichsten sich selbst, und beweisen jedem denkenden Menschenforscher, daß eine alberne Plappergaus weiter keine Ruͤcksicht ver- diene. General Laporte wollte gegen das Ende des Jaͤnners von Lyon nach Vienne, einer beynahe 8 Stunden von Lyon gelegnen Stadt. Er ließ unter den Sankuͤlotten bekannt machen, daß er ohngefaͤhr 600 Mann noͤthig habe; wer mit wolle, koͤnne sich mel- den. Diese Art, zum Marsch aufzufodern, ver- meidet alles Passive, und der Anfuͤhrer kann auf seine Leute um so zuverlaͤßiger rechnen, jemehr es ihr eigner Wille ist, unter ihm zu agiren. — Ich hatte zwar Lust, noch in Lyon zu bleiben, aber meine Kameraden redeten mir zu, mitzugehen, weil sie vermutheten, daß da unten, in dem ver- fluchten Gebuͤrge der Aristokraten, etwas fuͤr sie zu thun seyn wuͤrde. Ich ließ mich also auch einschrei- ben, und zog nebst andern Haufen mit einem von Vierter Theil. Aa 150 Maun, welchen ein Colonel fuͤhrte, nach Vienne. Auch unsre 150 Mann nannten sich sogleich Bataillon de la Montagne . Vor dem Thore befahl der Colonel, daß den andern Morgen um 11 Uhr Alle in Vienne seyn muͤßten: er muͤßte erst noch zuruͤck in die Stadt, und wuͤrde schon nachkommen. Darauf ritt er zuruͤck, und wir machten, wie es jezt unter den marschierenden Franzosen gebraͤuchlich ist, Trupp - weise vorwaͤrts. Der anfuͤhrende Offizier oder General zeigt den versammelten Leuten gewoͤhnlich nur den Ort ihrer Bestimmung, und die Zeit, wann sie diesen erreichen sollen, an, und uͤberlaͤßt es ihuen, ihren Marsch dann nach ihrer Bequemlich- keit darauf einzurichten. Diese Art zu marschieren hat freylich nichts Gezwungnes, und noch weniger das Ansehn fluchtverdächtiger Züchtlinge, deren Schritt und Tritt überall scharf bewacht werden müsse; aber in der Nahe vom Feinde, oder auf Retiraden, wenn unvor- sichtige Anführer, oder verwöhnte, disciplinlose Haufen sie bey- behalten, hat sie auch Gefahr, wie die Jourdanische Armee es vorigen Herbst erfahren hat. Wer je ein preußisches Regiment hat marschi- ren sehen, der muͤßte sich sehr gewundert haben, wenn er bey unserm Trupp einen Soldaten-Marsch haͤtte entdecken sollen: wer aber die Preußen aus Champagne hat ziehen sehen, der kann, w as d ie Unordnung anbetrifft, sich so ohngefaͤhr vorstellen, wie die Ohnehosen von einem Orte zum andern wan- dern; aber a u ch blos nur, was die Unordnung an- belangt: denn wir waren alle nicht so siech und krank, nicht so hungrig und nicht so abgerissen, als die Preußen damals, ob wir gleich, wegen der sehr verschiednen Kleidung, buntschaͤckig genug aus- sahen. Ehe man nach Vienue koͤmmt, muß man eine kleine Stadt passiren, deren Namen ich vergessen bin, wo gerade, als wir am andern Tage fruͤh hin- kamen, mehrere Bauren vom Lande waren, um ge- doͤrrtes Obst zu verkaufen. Die Ohnehosen, mit welchen ich war, — es war aber nur ein kleiner Trupp, von ohngefaͤhr 20 Mann, da die andern von unserm Haufen schon voraus, viele aber noch zuruͤck waren — bemerkten, daß einige dieser Bau- ern keine Nationalkokarden trugen. Fluchs nah- men sie selbige beym Buͤndel, fuͤhrten sie mit Ge- walt in einen Kramladen, und zwangen sie, Kokar- den zu kaufen, und an ihre Muͤtzen von Schafwolle fest zu machen: darauf ließen sie die Leute wieder gehen. Als wir naͤher an Vienne kamen, erzaͤhlte ich meiner Kameradschaft, daß ehemals hier der Ort gewesen sey, wohin die alten Kaiser zu Rom die Staatsverbrecher verwiesen haͤtten: auch, daß unter diesen Pontius Pilatus gewesen sey, der den Juden Jesus zum Tode verdammt haͤtte. Fouttre , fing einer an, hat denn der Kaiser den Pilatus ver- wiesen, weil er den armen Teufel hat hinrichten lassen? Freilich, erwiederte ich, ob ich gleich wußte, daß Tiberius ganz andere Ursachen dazu gehabt hatte. — Er hatte Unrecht, versezte der Ohnehose: der Mosjoͤh Jesus hatte seine Strafe verdient: denn er hat die ganze Pfafferey gestiftet! — Nicht doch, erwiederte ich, die ist von herrschsuͤchtigen Bischoͤfen und Paͤpsten gestiftet. Jesus verab- scheute sie, und es ist eine Lust, zu lesen, wie er die Pfaffen seiner Zeit, die Schriftgelehrten und Hohepriester, wo er nur konnte, hernahm. Jesus , Bruͤder, war es, der es wagte, den Despotismus unter seiner Nation anzugreifen, und ihr Freyheit und Gleichheit vorzupredigen. Ja, er war im ei- gentlichen Sinne euer Patriarch, und — wie die Muscadins es nehmen — der erste Sankuͤlotte, der sein Leben zur Stuͤrzung des damaligen Des- potismus hingab, und nicht einmal so viel hatte, worauf er sein Haupt haͤtte legen koͤnnen, vielwe- niger — Hosen....Allerliebst! riefen Mehrere; wenn das wahr ist, so muß er mit ins Pantheon! Es lebe der Sankuͤlott Jesus! Es lebe die Republik! Wenn der französischen Nation noch daran liegen könnte, die Religion der Vernunft, unter dem Namen Christenthum — der Schwachen wegen – wieder öffentlich lehren zu — Aber hoͤre, Kamerad, rief mir ein Anderer zu: nicht wahr, Pilatus ist verwiesen worden, weil er den Herrn Jesus hat kreuzigen lassen? Man muß niemand quaͤlen, der sterben soll. Guillotiniren haͤtte er ihn hoͤchstens sollen, daun waͤre es noch so halb und halb gewesen. Es lebe das Gesetz! — Dieser Zug verraͤth immer die Anhaͤnglichkeit, die diese sonst so rohen Leute doch fuͤr das Gesetz, das alle Martern und Unmenschlichkeiten an Verurtheil- ten verbietet, bey all ihrer Unwissenheit zeigten. Die Ursache, warum Laporte einen Theil der starken Lyoner Garnison weggenommen hatte, war ein Befehl des Konvents, daß man mit guter Ma- nier die Revolutions-Armee trennen, und nach den Heeren auf den Graͤnzen schicken sollte. Der Kon- vent hatte naͤmlich Nachricht von den vielen, zum lassen: so wüßte ich keinen konsequentern Weg dazu, als den eben bezeichneten. Ich habe ihn bey mehrern Franzosen ver- sucht: und sie sahen ein, daß das ächte und reine Christenthum weiter nichts enthält, als die Elemente der Moral-Religion der Vernunft. Ich werde dieß dereinst vielleicht zeigen in einem gedrängten Auszug aus T indals Christianity as old, as the creation , oder das Christenthum so alt, als die Welt. — Genug, wäre Johannes der Täufer, und die Aposteln eben so mächtige Vor- und Nacharbeiter für Christi Lehre gewesen, wie ohngefahr die Jakobiner dieß für die Beschlüsse des Kon- vents gewesen sind: ich bin versichert, der Despotismus, zumal der kirchliche, wäre nie System geworden, und selbst in Frank- reich wären der Schreckensscenen weniger gewesen. Doch, Alles hat seinen Gang und seine Zeit! Theil sehr groben, Excessen, welche die Sankuͤlotten, die sich gegen Aristokraten, Priester und Kaufleute alles erlaubt glaubten, hin und wieder begangen hatten. Wollte man sie auseinander gehen lassen, so stand zu befuͤrchten, daß diese Leute, die jezt von der Arbeit entwoͤhnt waren, bey der ersten Empoͤ- rung zu den Rebellen uͤbergehen, und da eben so tapfer wider die Republikaner streiten moͤgten, als sie einige Monate vorher fuͤr dieselben gefochten hatten. Und dann ist dort unten an dem Rhone das Land so recht gemacht, Raͤuber zu beherbergen, wegen der vielen Gebuͤrge in jenen Gegenden, wo- durch nur sehr enge Paͤsse schleichen, und wo die Raͤuber gar schwer zu fangen sind. Also war es am kluͤgsten, daß man lavirte, und dem Unwesen auf eine gute Art zu steuern suchte. Die Buͤrger zu Vienne hatten an der Lyoner Rebellion keinen Antheil genommen; sie wunder- ten sich also gar sehr, daß man sie, wie sie meyn- ten, exequiren wollte, und versagten unserm Trupp den Eingang, ob sie gleich das Thor nicht sperrten. Die Ohnehosen, welche auf einer großen Wiese an dem Rhone versammelt standen, fluchten und schwu- ren hoch und theuer, daß sie eindringen, und alle Muscadins morden wollten, die sich weigern wuͤr- den, die braven Raͤcher der Republik aufzuneh- men. Der Laͤrmen ward endlich allgemein, und Laporte hatte Muͤhe, die Ruhe unter ihnen her- zustellen. Er ritt selbst in die Stadt und versicherte die Buͤrgerschaft, daß diese Einquartierung ganz und gar keine Execution sey, und daß diese Trup- pen kaum drey Tage da bleiben wuͤrden. Auf diese Versicherung empfingen uns die Buͤrger mit Freu- dengeschrey, und unser Trupp kam in ein Kloster zu liegen. Das sind doch verfluchte Kerls, die Vienuer, sagten die Ohnehosen: fouttre , man muß ihre Ge- sinnungen untersuchen! In dieser Absicht zerstreu- ten sich nun fast alle in der Stadt hin und wieder, liefen in die Haͤuser, und bekamen uͤberall, wo sie einkehrten, vollauf zu trinken, so daß endlich der ganze Trupp so ziemlich benebelt gegen Abend in das Kloster zuruͤck kam. Hier gestanden sie denn, daß die Einwohner der guten Stadt Vien - ne rechtschaffne Citoyens , gute Patrioten und gute Jungens waͤren. Wir blieben nur eine Nacht in Vienne : denn am andern Tage wurden wir beordert, abzugehen, und die Straße nach Grenoble zu nehmen. Alle Ohnehosen steckten die Koͤpfe zusammen, und frag- ten sich, was das wohl zu bedeuten habe? Aber selbst die Offiziere, welche wir bey uns hatten, wußten keine Auskunft. Wir erhielten auf zwey Tage Brod, und nun Marsch aus dem alten Vieune wo die Straßen eben so kothig sind, als in der Vor- stadt Glaucha zu Halle. Fuͤnf ganze Tage brachten wir unterweges zu, obgleich es kaum 20 Stunden von Vienne nach Grenoble sind. Wir machten aber sehr große Um- wege, um Doͤrfer zu erreichen, und da einmal auf gut sankuͤlottisch zu trinken d. h. ohne zu bezahlen: denn auf den Doͤrfern zahlt ein aͤchter Ohnehose nichts. Dann ist auch der Weg in jenem Lande, wegen der fuͤrchterlichen Gebuͤrge, und wegen der vielen Fluͤsse sehr uͤbel. — Die Bauren sprechen eine sehr unverstaͤndliche Sprache, welche aus Ita- liaͤnisch und Provensalisch zusammengesezt ist, doch verstehen sie meistens das Franzoͤsische. Die Spra- che dort herum ist noch schaͤndlicher, als die in den Gebuͤrgen von der Franche comt é . Unsre Ohnehosen gingen, wie man weis, nicht zusammen, sondern truppweise in mehreren Haufen, verfolgten auch nicht immer denselben Weg, son- dern schwaͤrmten herum nach den Doͤrfern, und fragten nur, ob sie auf den Etape nnd nach Gre- noble kommen wuͤrden. Endlich sahen wir das friedliche Grenoble von ferne. Ich hatte bey dem Anblick dieser Stadt so meine ganz eigne Betrachtung und Empfindung. Bey dem Namen dieser Stadt fiel mir ihr Erbauer, der Kai- ser Gratian , ein. Sie heißt auch auf lateinisch und griechisch, Gratianopolis. Dieser Kaiser ist, weil er keine große Thaten im Kriege gethan, keine Laͤn- der geraubt, und keine Staͤdte zerstoͤhrt hat, — bey den Historikern eben nicht in Ansehn. Seiner haͤuslichen und im Stillen wirksamen Tugenden, welche Ausonius so gefaͤllig geschildert hat, ge- denken die Historiker nicht: aber mir war Grati - an immer sehr schaͤtzbar. Er ist der Sohn des wuͤr- digen K. Valentinians des Ersten, welcher unter den christlichen Kaisern zuerst einsah, daß man, wie Gott, die Ketzer nicht verfolgen, son- dern einen jeden glauben lassen muͤsse, was er wolle. Valentinian hat dieses durch ein Gesetz gebo- ten, und dadurch den Pfaffen seiner Zeit die Ge- walt benommen, uͤber die Gewissen zu herrschen. Er empfahl seinem Sohn, Grantian , das Naͤm- liche, und dieser befolgte die Vorschrift seines Va- ters puͤnktlich, und ward dadurch dessen wuͤrdi- ger Nachfolger. Meine Kumpanschaft war zwar nicht im Stan- de, meine Bemerkungen zu verstehen, als ich aber daher ging, ohne ein Wort zu sprechen, fragte mich einer, warum ich so still einher ginge. Ich theilte ihm also einige Nachrichten von dem Erbauer der Stadt Grenoble mit, und er antwortete mit einem Youttre: Es ist doch Schade, daß Gratian ein Kaiser war! So ein braver Mann haͤtte Volksre- praͤsentant werden sollen! — Der rohe Ohnehose sah die Kaiserwuͤrde, als eine Last an, die er fuͤr den redlichen Mann unwuͤrdig hielt. — Bey der vorigen Bemerkung dacht ich zugleich an das vortreffliche Buch des gelehrten und weisen Abrahams Teller , Valentinian der Erste betitelt. Blos ein eudaͤmonianischer Di- stelkopf, ein intoleranter, dominikanisch-gesinnter Pfaffe, ein theologischer Schulfuchs oder ein Vor- steher solcher Institute, die den Aberglauben zum Grunde haben, ein Pastor Rindvigius, ein Herr von Goͤchhausen zu Eisenach und andre dieses Ge- lichters koͤnnen einen Theodosius den Großen, ei- nen Justinianus und andere schaͤtzen, wegen ihrer Befehle gegen die Ketzer: aber jeder brave, einsich- tige Mann wird die Religions-Intoleranz allemal eben so, wie die politische Tyranney widerrechtlich, grausam und abscheulich finden, und ihr, so viel er kann, die Spitze biethen. — Ich segnete Hn. Teller und trat mit meinen Ohnehosen ein in Grenoble. Der Etapier versicherte uns, daß er kein Brod in Vorrath habe, und erst gegen Abend einiges lie- fern koͤnne: es sey ein großer Trupp Ohnehosen eben erst von da nach den Alpen gezogen, und so sey alles vorraͤthige Brod darauf gangen. In drey oder vier Stunden sollten wir jedoch frisches haben. Die Ohnehosen murrten, und ließen sichs gefallen. Die Dauphin é oder vielmehr das Delphinat — die dortigen Einwohner nennen es selbst so — ist ein sehr gebuͤrgiges, fatales Land, worin aber schoͤne fruchtbare Gegenden sind. Dort, wo Grenoble liegt, ist eine recht schoͤne Gegend, und wenns nicht so kalt auf den Bergen gewesen waͤre, so haͤtte ich wenigstens die große Karthaus besuchen moͤgen, welche einige Stunden von da auf einem scheusli- chen Gebuͤrge liegt. Sie ist jezt ausgeleert, und alle seltne Kostbarkeiten sind zerstoͤhrt. Der h. Bruno hat hier ehemals sein Hauptwesen gehabt. Auch ist ein Arm von ihm da oͤffentlich verehrt wor- den: denn sein uͤbriger h. Leib liegt in Kalabrien. Dieser Arm hat sonst Wunder gethan, aber leider konnte er am Ende des Jahres 1793 sich von dem Feuer, worin er verbrannt wurde, nicht retten. Scilicet omne sacrum gens importuna profanat, Omnibus obscuras injicit illa manus! Ovid. L. III. Amor, Elog. VIII. Diese Karthaus war sonst, wie man mir in Grenoble erzaͤhlt hat, ein sehr wohlthaͤtiges Insti- tut, worin jeden Tag viele Arme gespeiset wurden. Aber zum Ersatz dafuͤr besaß auch diese Karthaus beynahe alles gute Land, alle Wiesen, Weinberge u. s. w. auf einige Stunden im Umkraise. — Weil es nicht wahrscheinlich ist, daß jemand auf den ein- samen Gebuͤrgen dort die Karthaus in Zukunft be- wohnen werde, und weil die Nation die Kosten des Abreißens wohl niemals daran wenden moͤgte: so wird dieses weitlaͤufige Gebaͤude noch viele Jahr- hunderte hindurch dem Reisenden ein Dokument des Aberglaubens und der ascetischen Nachteulerey bleiben. Unter den Staͤdten in Frankreich giebt es sehr wenige, worin bey der gewaltsamen Revolution nicht Blut geflossen waͤre: und zu diesen wenigen gehoͤrt Grenoble. Es steht oder stand zwar da- mals eine Guillotine auf dem Markte, aber sie war — welches den Einwohnern dieser guten Stadt wahrlich Ehre macht — noch nicht gebraucht wor- den. Die Grenobler schienen mir uͤberhaupt durchaus gutmuͤthige Leute zu seyn, wenigstens nahmen sie uns alle recht freundlich auf, und theilten uns das Ihrige mit, ohne daß wir sie darum ansprachen. Wir wurden auch hier in ein Kloster einquar- tiert, wo unsre Ohnehosen beynahe eine Feuersbrunst erregt haͤtten. Wir hatten naͤmlich frisches Lager- stroh erhalten, und das alte, worauf, wer weiß, wie viele Ohnehosen schon gelegen hatten, in ein Nebenzimmer geworfen. Dieses Stroh ging in der Nacht an, und wuͤrde gewiß das ganze Ge- baͤude in Brand gesteckt haben, wenn man es nicht schleunig geloͤscht haͤtte. Einige von unsern Ohne- hosen badeten sich hier in der Isere , die durch Grenoble laͤuft, und man gab vor, dieses Wasser habe die Kraft, die Kraͤtze zu heilen. Ob das wahr sey, weiß ich nicht, aber das Wasser der Isere ist so helle, als ich mein Tage kein Flußwasser gese- hen habe. Sechs und zwanzigstes Kapitel. Reise nach Avignon . U nser Marsch war eigentlich nach der italiaͤnischen Armee, oder nach der Alpen-Armee angelegt. Mehrere Truppen der Revolutions-Armee waren nach der Rhein-Armee, andere nach der Vend é e und einige nach der Pyrenaͤen-Armee geschickt wor- den. Die Abtheilung, bey welcher ich mich be- fand, war nach der Alpen-Armee bestimmt. Die Volksrepraͤsentanten hatten naͤmlich, wie man weiß, den Befehl erhalten, dahin zu sehen, daß die republikanischen Truppen, welche man in Eile zusammengerafft hatte, so untergebracht und ver- theilt wurden, daß die Ruhe des Staats nicht dar- unter leiden duͤrfte; und niemand wird die deshalb genommenen Maßregeln tadeln, der sich nur halb und halb einen Begriff von einer Sankuͤlotten-Ar- mee machen kann. Man kann nicht läugnen, daß der Konvent, so viel man ihn im uslande auch getadelt hat, oft in einem Monate, unter den gefä h rlichsten Stürmen, mehr Regierungsweisheit gezeigt hat, als ein Victor Amadäus , in einem ganzen ruhigen Jahrhunderte nie zeigen wird. Und doch meynt der Erzlügne r Pitti in Frankreich sey keine Regierung! — Wir harrten auf die An- kunft des Generals Laporte in Grenoble, aber wir harrten vergebens. Endlich befahl der Kommissaͤr, daß wir abziehen, und unsern Marsch auf dem ch e - min d'étapes nach Marseille richten sollten: wahrscheinlich wuͤrden wir auf Mont Dragon in Garnison kommen. Wir gingen also ab auf den fatalsten Wegen nach Valence zu. Auf den Bergen war es im- mer formidabel kalt, und in den Thaͤlern gewaltig heiß, ob gleich nur erst der Februar anging. Auf diesem Wege kam ich mit einem einzigen Kamera- den eines Abends an ein Dorf, und war willens, nebst ihm in die Dorfschenke einzukehren. Allein der Sankuͤlotte machte mich aufmerksam, daß es nicht rathsam seyn wuͤrde, indem wir zu schwach waͤren, einen Anfall von Mehreren abzuhalten, uns den Bauren bey Nachtzeit so aufs Gerathewohl zu uͤberlassen. Man koͤnnte nicht wissen, ob sie nicht vielleicht erst kurz vorher von Leuten unseres Glei- chen seyen insultirt worden, und ob sie nicht auf Gelegenheit lauern moͤgten, sich zu raͤchen. Die Leute in jenen Gegenden waren ohne Ausnahme gut re- publikanisch gesinnt, und wußten recht gut, daß die Sankü- lotten es waren, welche das innere Frankreich gerettet, und die Sachen dahin gebracht hatten, daß sie der Despotie der Pfaf- fen, der Edelleute und der Beamten nicht neuerdings, und wohl noch ärger, als vorher, waren unterworfen worden; auch, daß sie, ohne Requisition, ihre Feldarbeit in Ruhe und heiler Haut betreiben konnten. Dieß machte sie auch überall gastfrey gegen die Sankülotten; aber Viele von diesen, zu stolz auf die öffentliche Meynung aber ihr Verdienst um die Erhal- tung der Republik, gingen in ihren Foderungen oft weiter als sie sollten, und machten es, wie mancher Furst, welcher die Dankpflicht der Unterthanen für den Schutz den er ihnen an- gedeihen laßt, wozu sie Geld und Leute ohnehin schon im vor- aus geben, soweit ausdehnt daß er sie, wie das Ihrige als sein Eigenthum betrachtet, und nun zugreift, wann und wie es i h m beliebt. So wenig dieß nun gutes Blut bey den Un- terthanen setzet, so wenig sezte das Herren-Benehmen vieler Sankulotten auch gutes Blut bey manchen Bauren: und dar- um war Vorsicht nöthig, wenn Einzelne zur Nacht sich ihnen nahten. Ich uͤberdachte das, fand seine Vorstellung vernuͤnftig; aber die Nacht kam heran, und in der Nacht laͤßt sich in jenem gebuͤrgigen und flußreichen Lande, wo Weg und Steg nicht leicht zu finden sind, gar schlecht weiter machen. Ueberdieß hatten wir noch vier franzoͤsische Meilen nach Valence . Als wir nun uͤberlegten, was wir machen sollten, wurde mein Kamerad den Gottesacker und die Kirche ge- wahr, und that den Vorschlag, hier zu uͤbernach- ten. Wir gingen hin, fanden sie aber verschlossen, und hatten das Herz nicht, sie mit Gewalt zu oͤff- nen, um die Bauren nicht zu allarmiren. Wir ent- schlossen uns daher kurz und gut, und krochen ins Veinhaus, ruͤttelten uns auf den Gebeinen etwas zurecht, und schliefen ziemlich gut bis zum andern Morgen. Vorzeiten wuͤrde ich mich gefuͤrchtet haben, eine Nacht an so einem Orte zuzubringen, aber damals galt mir es voͤllig gleich. Die Todten haben mir meine Freyheit gewiß auch so wenig uͤbel genom- men, als es die Gaͤnse uͤbel nehmen, wenn jemand auf ihren ausgerupften Federn sich hinstreckt. Ueber- bleibsel sind Ueberbleibsel: diese von außen und etwas bequemer, jene von innen und etwas hart; aber wie der Hunger das beßte Gewuͤrz der Spei- sen ist, so ist Muͤdigkeit die beßte Foͤrderung des Schlafes. Die Bauren in diesen Gegenden haben die Ge- wohnheit, die Rinde eines gewissen Baumes, dessen Namen mir entfallen ist, aufzuritzen, wie man in einigen Gegenden die Birken aufrizt, und reiben den herausdringenden Ansatz klein, vermi- schen ihn dann mit Wein, und dieser wird dadurch weit lieblicher. Die Leute nennen das Zeug Manne, und machen mancherley Gebrauch davon. Ich aß es gern zum Brode, und das ist alles, was ich daruͤber sagen kann. Das gemeine Volk im Delphinat ist aͤu- ßerst einfaͤltig und aberglaͤubig, und daher wundert es mich sehr, wie die Revolution dort so ganz ohne Unordnung und ohne vieles Blutvergießen hat zu Stande kommen koͤnnen, zumal da man eben da, wegen der vielen Gebuͤrge, und ungangbaren We- ge gar wenig mit Gewalt erzwingen konnte. Aber vielleicht hatte auch kein Land mehr von der Ty- ranney des Adels und der Pfaffen gelitten, als das Delphinat, und so waren die Leute nur froh, daß sie einmal von diesem Uebel erloͤßt wurden. — Herr Fisch in seiner vortrefflichen Reise durch das suͤd- liche Frankreich erzaͤhlt, daß in Languedoc gar viele Maͤhrchen herumgehen, und daß er wuͤnsche, man moͤ- ge sie sammeln, und von der Vergessenheit retten. Der Titel dieser Reise ist: Briefe über die südlichen Provinzen von Frankreich — in den Jahren 1786 87 und 88 geschrieben von J. G. Fisch . Zweyte Auflage. Ich kenne über das Südliche Frankreich nichts vollständigeres, als diese Briefe, und empfehle sie daher jedem, welchen diese r merkw ü rdige District interessiret. Sie werden dereinst ein noth- wendiges extremum Comparationis für den seyn, welcher den jetzigen Zustand dieser Provinzen mit dem ehemaligen vor der Revolution vergleichen will. Vierter Theil. Bb Ich habe einige gesammelt; aber hier ist ihr Ort nicht. Die Stadt Valence oder Valenza, wie die gemeinen Leute sprechen, erinnerte mich lebhaft an den Caͤsar Borgia , welcher 1499 Herzog von Valentinois ward. Ich fluchte seinem Andenken, aber der Maͤtresse K. Heinrichs II, welche auch den Namen einer Herzogin von Valence fuͤhrte, vorher aber Diane de Portiers hieß, konnte ich meine Bewunderung nicht versagen, da sie in einem ziem- lich hohen Alter den wuͤsten Heinrich, der doch weit juͤnger als sie war, immer in ihrem Netze zu halten wußte. — Ich weiß nicht, ob ich vielleicht irre, wenn ich sage, daß man auch die oͤdesten Ge- genden unterhaltend finden kann, wenn man sie mit vergangenen merkwuͤrdigen Begebenheiten oder Menschen, durch Huͤlfe der Geschichte, zu beleben weiß, oder sie so — zu bereisen, wie Herr von Thuͤmmel . Aber — Dicite Pierides, non omnia discimus omnes. Als wir Valence verließen, war unser ganzer Trupp nur noch ohngefaͤhr 20 Mann stark: denn aller Orten waren einige zuruͤckgeblieben, zu Hause gangen, krank geworden u. s. w. Wir begaben uns mit den Paͤssen, die wir hier erhalten hatten, uͤber Montelimart und Carpentras nach Avignon. Unterhalb dem rusigen Montelimart geht das Comtat an, welches noch vor wenig Jahren ein Eigenthum des h. Vaters zu Rom war, jezt aber unter dem Namen des Departements von Vaucluse zu der franzoͤsischen Republik gezogen ist. Bey Avignon will ich von diesem Gegenstande mehr sa- gen. Wir passirten auch das ehemalige Fuͤrstenthum Orange oder Oranien, wovon noch jezt die Linie von Naussau - Diez den Titel fuͤhrt. Dieses Land fiel nach dem Tode Wilhelms III , Koͤnigs von England, an das preußische Haus, aber Fried - rich Wilhelm I. uͤberließ es gegen Ersatz an den Koͤnig von Frankreich im Jahr 1713; doch be- hielt Preußen den Titel und das Wappen von Ora- nien bey. Preußen hat ganz recht gehabt, dieses Fuͤrstenthum abzutreten: denn jezt waͤre es doch ohne Widerrede verloren. Carpentras — man spricht das s am Ende aus — ist eine alte unbedeutende Stadt, wo man aber ein excellentes Glas Wein findet. Unsre Sankuͤlot- ten waren mit den Einwohnern des Comtats sehr zufrieden, weil sie groͤßtentheils fuͤr ihren Wein, und ihre eingemachten Oliven nichts foderten. Das Frauenzimmer in der Provence ist vorzuͤglich gut gewachsen, vollbusig, und hat feine Gesichts- zuͤge. Daß ich auf diesen Gegenstand wenig ach- tete, glauben meine Leser, ohne daß ich es lange versichere: auch meine Kameraden, kuͤmmerten sich um das liebe Frauenzimmer fast gar nicht. Die Sprache war uns hier zu Lande sehr unver- staͤndlich, da das Provensalische gar weit vom aͤch- ten Franzoͤsischen abgeht. Doch verstanden uns die Leute fast durchgaͤngig, und Viele sprachen auch rein franzoͤsisch. Man findet in diesem Lande viele Ueberbleibsel der alten Roͤmer, welche es ehemals zu einer roͤmi- schen Provinz gemacht hatten, und ihm den Na- men gaben, welchen es, bis auf die Revolution fuͤhrte. Eins der vornehmsten roͤmischen Ueber- bleibsel ist der Circus bey Orange , welcher, wie man sagt, dem großen Marius zu Ehren erbaut ist, der in diesen Gegenden die Cimbrer und Teutonen geschlagen hat. Uebrigens kann man es den Paͤpsten nicht ver- denken, daß sie sich immer bemuͤht haben, das Comtat zu erhalten, denn es ist ein schoͤnes frucht- bares Laͤndchen, worin vorzuͤglich guter Waizen, Wein und andere Producte gezogen werden, z. B. Oliven und Saffran. Mich haben die Rosmarin- Hecken, womit die Straßen besezt sind, sehr ver- drossen: denn sie duften, fruͤh Morgens besonders, so sehr, daß einem der Kopf wehe thut. Der Ros- marin waͤchst hier zu einer sehr betraͤchtlichen Hoͤhe, bleibt aber immer Staude: einen Rosmarin-Baum habe ich nicht gesehen. Hat also ein gewisser Hal- lischer Naturforscher im Kollegio gesagt: in der Provence gaͤbe es Rosmarinbaͤume so groß wie die hoͤchsten Fichten — sit fides penes auctorem. Das ganze Land des Comtats war vor der Re- volution voll Kloͤster, heiliger Kapellen, Kruzi- fixe und anderer Insignien des Katholicismus. Al- les dieses ist jezt zerstoͤhrt. — Fast in jeder Kirche war ein Gnadenbild, und man fand haͤufig wun- derthaͤtige Reliquien. Aber alle Wunderkraft war nicht im Stande, den reißenden Strohm einer Re- volution zu hemmen, die sie zernichtete. Hier, wo der Aberglaube gleichsam sein Hauptwesen so lange gehabt hatte, ist er endlich auch gefallen. Wunder sind denn wohl nicht von Gott: sonst wäre Gott hier w wid er sich selbst gewesen. Wunder sind ein Product der Unwissenheit des trägen Glaubens und des politischen und re- ligiösen Dunstmachens. — Aber wen macht es nicht lachen, wenn eben die Maria, die ihre und andere Klotzbilder in Frank- reich ungestöhrt zernichten ließ, in Oestreich jezt weinet, um den Pöbel gegen Frankreich erst hintendrein aufzubringen! — Kurz, wie der Glaube selig macht, so macht auch nur der Glaube Wunder; denn wo dieser verschwindet, verschwinden auch jene; und Gott bleibt Gott. Ganz Frankreich hält sich fest am Irrdischen, und befindet sich wohl; und was das Ueber- irrdische betrifft, so ist jezt jedes hellen Franzosen Frage und Antwort kurz diese: De Iove quid sentis? — Minimum est, quod scire laboro: Iupiter est, quodcunque vides, quocunque moveris. Und damit ist seine Theologie zu Ende. Und doch, wer über- windet ihn! Ohngefaͤhr im halben Februar — es mogte et- wan der 12te seyn, soviel ich noch rechnen kann — kamen wir nach Avignon , der Hauptstadt des ehemaligen paͤpstlichen Gebietes, und wurden wie- der in ein Kloster einquartiert. Wo also vorzeiten die Hauptpropagandisten des Aberglaubens ihr Brut-Nest gehabt hatten, da logierten jezt dessen Bestuͤ r mer. — Wir fanden hier viele Ohnehosen, auch einige Kriegsgefangene und Deserteurs von den Piemon- tesern welche Unfug uͤber Unfug trieben, dafuͤr aber auch tuͤchtig buͤßen mußten. Den zweyten Tag nach unsrer Ankunft wollte ich mit einem Haufen Ohnehosen, welcher nach Marseille ging, auch dahin abgehen, allein der Kommissaͤr war dawider. Es ist wider das Gesetz, sagte er, daß du als auslaͤndischer Deserteur der Republik Kriegsdienste leistest, doch magst du zum Repraͤsentanten gehen, und wenn der's erlaubt, so ist mir es recht. Ich indeß hatte das Leben bey den Ohnehosen laͤngst satt, und wollte also lieber, ohne Dienst, fuͤr mich leben, als mit ihnen noch ferner herumziehen. Ich trennte mich daher von meinen Kameraden, und logirte mich zu einem Grobschmid, welcher mich aus eigner Bewegung aufnahm, und mir eine Stube einraͤumte, wie man bald naͤher erfahren wird. Sieben und zwanzigstes Kapitel. Avignon . D iese Stadt mit ihrem Gebiete war ehemals eine freye Stadt oder eine kleine Republik, verlohr aber ihre Freyheit, und Papst Clemens VI kaufte diese Stadt und das dazu gehoͤrige Land von Jo - hanna , Koͤniginn von Sicilien und Graͤfin von Provence, im Jahr 1348 fuͤr 80,000 Florenen. Sie ist im vierzehnten Jahrhundert sehr beruͤhmt gewesen, indem vom Jahr 1305 bis 1377 die roͤ- mischen Paͤpste, an der Zahl sieben, hier residirt haben. Sie liegt an dem Rhone , worein hier die Sorgue stuͤrzt, und ist besser gebauet, als ir- gend eine Stadt in der Provence. Ehemals hat Avignon sehr gebluͤhet durch den starken Handel mit gedruckter Leinwand, aber seitdem der h. Va- ter, von den Lyonern bestochen, seinen Untertha- nen die Verfertigung der gedruckten Leinwand bey Strafe des Bannes verboth, ist die Nahrung die- ser Stadt sehr verfallen, wird sich aber bey der je- tzigen Regierung gewiß wieder heben. Vor der Revolution stand hier ein Erzbischof mit großen Einkuͤnften, und noch außerdem ein paͤpstlicher Legat, welcher meistentheils ein Kar- dinal, war, und die ganze Landschaft, so wie das Comtat verwaltete. Auch war hier viel Adel und eine sehr zahlreiche Klerisey. Zu Anfange der Re- volution beschloß Avignon, sich mit Frankreich zu vereinigen; aber der Papst hatte hier noch viel An- haͤnger, und so entstanden einige sehr blutige Auf- tritte, wobey von beyden Seiten die abscheulichste Barbarey veruͤbt wurde. Der Vicelegat rettete sich nur noch mit Muͤhe, und mehrere von seinen Be- dienten wurden von dem rasenden Poͤbel ermordet — wieder zum Beweise: daß die positive Sinn- und Phantasie-Religion das nicht ist, worauf ein Staat seine Sicherheit zuverlaͤßig berechnen kann. Denn wer haͤngt der positiven Religion mehr an, als der Poͤbel, und wer in Frankreich war grausa- mer, als er? — Alles Positive hat naͤmlich keinen festen Grund, indem ihn nicht einmal das hat, wor- aus das Positive so oder so geglaubt wird — die Bibel — und wenn man's durch dicta probantia u. dgl. noch so scheinbarfest blokirt. Der Mensch, auch der gemeinste, ist fuͤr Wahrheit und Recht ge- macht. Fuͤr beyde hat jeder einen immer horchenden Sinn. Tritt nun jemand auf, der diesen Sinn gerade und ehrlich zu treffen weiß, so stuͤrzt das Entgegen- gesezte, und der Betrogne zuͤrnt jezt um so unver- soͤhnlicher, je schaͤndlicher er sich misbraucht sieht; und Haß und Verfolgung ist dann der Lohn fuͤr alle die, welche ihn und sein unbefangnes Zutrauen so lange herumgehaͤnselt und misbraucht haben, gleichviel, ob im Politischen oder im Reli - gioͤsen . Es ist hier, wie in der Freundschaft. Mit je mehrerem Zutrauen man sich einem Freunde anver- traut, und je inniger man ihn geschaͤtzt und geliebt hat, um so unversoͤhnlicher verachtet man ihn, wenn man hintendrein erfaͤhrt, daß er unser Zutrauen misbraucht hat, und Verraͤther an unsrer Ergebung gegen ihn geworden ist. Woher waͤre es sonst auch gekommen, daß die hellern Koͤpfe in Italien und Frankreich, die nach der katholischen Religion er- zogen, unterrichtet und gebildet waren, in den Jah- ren, worin ihre empfindende Natur, wie ihre er- kennende, zur Reife kam, diese Religion weit bit- terer bestritten, als ihres Gleichen unter den Pro- testanten in Deutschland, Holland und England. Auch muß man hier nicht uͤbersehen, daß die katho- lische Religion, als die positivste, oder bestimmte- ste, die sinnliche Empfaͤnglichkeit weit mehr schaͤrft, als jede minder positive. Ist aber diese Empfaͤng- lichkeit einmal habituel-subjectivisch da, dann wirkt sie das Entgegengesezte gerade subjectivisch-staͤrker wenn das entgegengesezte Objective staͤrker auf sie einwirkt: und das geschieht, sobald der Mensch das Entgegengesezte als besser und richtiger einsieht. Dieß ist wohl der wahre Aufschluß, uͤber die Graͤuel-Scenen in Frankreich. — O, moͤgten doch alle Fuͤrsten, Theologen und Schul- und Kirchen- lehrer dieß genauer pruͤfen, und dann von dem Irr- glauben zuruͤckkommen, daß Wahrheit weniger be- ruhige und beselige, als Irrthum und Taͤuschung! Ehrlich waͤhrt am laͤngsten , ist ein Sprich- wort, das die Welt oder die Menschen dann besser und ruhiger machen wird, wenn es die Gesetztafel aller Kabinette, Schulen und Kirchen geworden seyn wird. Alles andere ist wankendes Product des Des- potismus, widerspricht der natuͤrlichen Be- stimmung des Menschen, deren Erreichung durch die buͤrgerliche erleichtert, aber nicht erschwert, noch weniger verdraͤngt werden darf, und fuͤhrt am Ende dahin, wohin es in der Schweiz, in den Nie- derlanden, in Nordamerika und in Frankreich ge- fuͤhrt hat. — Avignon kam eigentlich erst im Jahr 1792 zur Vereinigung mit der franzoͤsischen Republik, un- ter dem Namen des Departements von Vaucluse , zu Ehren des großen Franz Petrarca , welcher in der Grotte zu Vaucluse , fuͤnf franzoͤs. Mei- len von Avignon, ehemals seine Laura besungen hat. — Gegenwaͤrtig ist alles ruhig in Avignon und zu meiner Zeit hatten die Jakobiner einen starken Klub darin, welcher alles, was von der ehemaligen Tyranney der Paͤpste uͤbrig war, zerstoͤhrt hatte. Ich habe mich in dieser Stadt besonders umge- sehen, weil sie viel Interesse fuͤr mich hatte, da ich mich an die alte hier ausgeuͤbte Hierarchie so recht lebhaft erinnern konnte. Denn hier hat Clemens V die Schaͤtze, die er den Tempelherren genommen hatte, auf dem Schlosse angehaͤuft. In Avignon stiftete Johann XXII die roͤmische Dataria , die An - naten , Reservationen, Provisionen und anderes Teufelswerk, welches ihm 25 Millionen Gulden, eine fuͤr jene Geldarme Zeit unermeßliche Summe, einbrachte. In Avignon sprach Clemens VI den Bannfluch uͤber den tapfern Kaiser, Ludwig den Baier , die Paͤpste zu Avignon sind alle in der Geschichte merkwuͤrdig. Clemens V , Johann XXII , Benedict XII , Clemens VI , Innocenz VI , Urbanus V und Gregorius XI haben von hier aus die Christenheit, welche besonders im 14ten Jahrhundert so tief gesunken war, als sie beynahe sinken konnte, gewaltig tyrannisirt; ja, einige von ihnen haben sogar die Menschheit durch ihre großen Laster entehrt. Petrarca lebte damals, und schil- derte den paͤpstlichen Hof zu Avignon als eine Schule der Laster, einen Mittelpunkt der Irreligiositaͤt, des Atheismus, und des Aberglaubens. — Das alles wußte ich recht gut aus der Geschichte, und erinnerte mich an alle Graͤuel der paͤpstlichen Herr- schaft um so lebhafter, da ich mich an eben dem Orte befand, wo ehedem ein großer Theil dieser Graͤuel veruͤbt war. Der paͤpstliche Pallast steht auf einem Berge, und sieht, wie Hr. Fisch richtig bemerkt, einem Zwingherrensitz aus den Zeiten des Faustrechts aͤhnlicher, als einer Wohnung des Oberpriesters der Friedensreligion. Es ist ein solides mit hohen Thuͤrmen versehenes altes Gebaͤude. Ehedem be- wohnte es der paͤpstliche Legat, doch stand der groͤßte Theil der Zimmer leer. Bey der Revolution hat das Feuer in diesen heiligen Mauern vieles beschaͤ- diget; und als ich sie besah, waren sie der Aufent- halt des luͤderlichsten Gesindels, welches der Maͤre von Avignon aus der Stadt in die paͤpstliche Burg verwiesen hatte. Die schamlosesten Huren aus der ganzen Gegend trieben also da ungescheut ihr schmu- tziges Gewerbe, wo ehedem der Statthalter Christi gewohnt hatte! Ein seltsamer Wechsel der mensch- lichen Dinge! Der Pallast des Erzbischofs ist durch den Brand ebenfalls sehr beschaͤdiget, und die Kathedralkirche stark verwuͤstet worden. Keine Seele bewohnte da- mals den erzbischoͤflichen Pallast, als lustiges Ge- sindel, welches sonst nirgends unterkommen konnte. Es war auch sonst eine Inquisition zu Avignon, welche aber, wie man mir berichtet hat, niemanden zum Tode verurtheilte, doch aber uͤber Buͤchercensur und andre aͤhnliche Fratzen zu sagen hatte. Auch diese fand in der Revolution natuͤrlich ihr Ende. Da die Buͤrger zu Avignon sich dem Papste entzogen hatten, so zernichteten sie auch alles, was an dessen Regierung erinnern konnte. Der Thron, worauf die alten Paͤpste gesessen waren, wurde vom Poͤbel zerschlagen, ihre Grabmaͤler gaͤnzlich zerstoͤhrt, und ihre Knochenreste hingeschmissen. Die vortrefflichen Gemaͤlde und die Inschriften, wel- che hier und da zusehen waren, und wovon die Reise- beschreiber so viel berichten, sind alle nicht mehr. Auch hier sind die Franzosen ihrem Grundsatze treu geblieben: daß man alle Symbole der politischen und religioͤsen Tyranney zernichten muͤsse, gesezt auch, man muͤßte die groͤßten Meisterstuͤcke mitzer- nichten, wenn man anders die von dieser und jener Tyranney herkommenden Uebel aus der Wurzel hei- len wolle. In der ehemaligen Franziskaner Kirche ist das Grab der beruͤhmten Laura , welche Petrarca 's Muse unsterblich gemacht hat. In der fünften Sammlung von Herders Briefen zur Be- förderung der Humanität finden diejenigen, welche den Pe - trarca noch nicht gehörig kennen, schon genug, um diesen seltnen Geist zu bewundern und zu achten. Man wies mir den Ort, aber weder Grabmal noch Inschrift konnte ich unterscheiden, weil viel Schutt sie bedeckte. Laura soll in einem bleiernen Sarge liegen. Franzl I , Koͤnig von Frankreich hat das Grab dieses schoͤnen Maͤdchens oͤffnen, und ein von ihm selbst zu ihrem Lobe verfertigtes Gedicht hinein legen lassen. Je- derman in Avignon weiß von diesem edel-liebenden Paare, und doch hat man, wie ich gehoͤrt habe, zu Vaucluse diesem feinen, großen und freyen Dich- ter auch nicht das geringste Denkmal errichtet, wohl aber das ganze Laͤndchen mit Kapellen und andern Pfaffen-Possen angefuͤllt. Haͤtte ich das geringste Sehenswuͤrdige zu Vaucluse vermuthet, so waͤre ich dahin gewalfartet: aber so mogte ich den Weg dahin fuͤr nichts und wieder nichts nicht macheu. Es ist wohl keine Stadt in ganz Frankreich, wo nach Verhaͤltniß der Groͤße mehrere Kirchen und Kloͤster sind, als in Avignon. Von weitem sieht die Stadt aus, als waͤren lauter Kirchen dar- in, wegen der vielen hervorragenden Thuͤrme. Aber schon zu meiner Zeit fing man an, Kirchen, Thuͤrme und Kloͤster einzureißen, und Avignon sieht ohne Zweifel jezt nicht mehr so bethuͤrmt aus, als vorher. Waͤhrend der Revolution oͤffneten diejenigen, welche der eingefuͤhrten Regierung zuwider waren, bey einem Auflauf die Gefaͤngnisse auf dem Schloß- berg; und die zahlreichen Gefangnen warfen sich auf die, welche sie fuͤr die Ueheber ihres Ungluͤcks hielten, her, zerstoͤhrten ihre Haͤuser, mordeten sie, ihre Weiber und Kinder, und trieben allen Unfug, den man von Gefangnen erwarten kann, die so anomalisch in Freyheit gesezt werden. Es giebt in Avignon viele Juden, denen aber, wie ich oben erwaͤhnt habe, der oͤffentliche Gottes- dienst auch verboten ist, und die gleich den Chri- sten, mit ins Feld ziehen muͤssen. Vorzeiten wurden diese Leute hier sehr bedruͤckt, und durften des Abends nach acht Uhr nicht ausgehen, oder jeder Christ hatte das Recht, ihn auf alle moͤgliche Art zu mishandeln. Wenn ein Jude gehenkt wurde, so hatten sie ihren eignen Galgen jenseits des Rhone; denn die Regierung hatte den Grundsatz, daß es sich fuͤr einen Galgen-Christen nicht schicke, neben einem Galgen-Juden an Einem und demselben Galgen zu haͤngen. Jezt aber sind alle Galgen, Raͤder und Rabensteine in ganz Frankreich abgeschafft. Ehemals ging eine Bruͤcke hier uͤber den Rhone, welche Villeneuve , die in dem Rhone liegende Insel und Avignon miteinander verband, und bey- nahe 800 Schuh lang war. Sie hatte 19 Bogen, ist aber jezt unbrauchbar und verfallen. Aber man wird, wie ich gehoͤrt habe, dieses nuͤtzliche Werk des zwoͤlften Jahrhunderts jezt wieder herstellen, weil man keine Kloͤster, Kapellen u. dgl. mehr zu bauen oder zu unterhalten hat. Die Bruͤcke soll vom h. Benezet , einem armen Schaͤfer, herruͤhren, von welchem die Legende gar viel zu erzaͤhlen weiß. Das Comtat und die Stadt Avignon muͤssen jezt sehr viel gewinnen, da sie nun mit dem uͤbri- gen Frankreich frey handeln koͤnnen. Unter der vorigen Regierung war das nicht so: denn da muß- ten alle Waaren, welche im Comtat verfertigt wur- den, und alles Getraide, Wein, Oehl, Saffran, und was sonst von dort ausverfahren wurde, schwer verzollt werden. Aber das Unwesen mit dem Zoll, der Acc ise u. s. w. hat laͤngst aufgehoͤrt. Die Einwohner zu Avignon sind im ganzen brave, freundliche Leute, weit hoͤflicher, als die im Delphinat, obschon auch diese ein ehrlicher Schlag Menschen sind. Ich wenigstens wuͤrde sehr un- dankbar seyn, wenn ich den Avinionesen nicht das Zeugniß einer großen Hospitalitaͤt geben wollte. Als ich vom Kommissaͤr zuruͤck kam, der mich an den Repraͤsentanten gewiesen hatte, welcher damals in Avignon auf Mission war, ging ich, noch ungewiß, was ich thun sollte, in ein Wein- haus, und wechselte da im Stillen, weil das nicht gut oͤffentlich anging, einen halben Carolin gegen Papier. Der Wirth, welcher mir gewogen ward, weil ich ihm baares Geld brachte, ruͤhmte mich oͤffentlich in der Stube gegen seine Gaͤste, als ei- nen braven Mann, ob er mich selbst gleich erst seit einer Minute kannte. Die Gaͤste unterhielten sich mit mir, und ich erzaͤhlte ihnen manchesmeiner Aben- theuer, welches ihnen zu gefallen schien. Unter andern war ein Grobschmied da, ein Mann von ohu- gefaͤhr funfzig Jahren, Namens Neulot, der mehr als die uͤbrigen sich mit mir einließ, und mir end- lich seyu Haus anbot, wo ich, so lange ich in Avignon bleiben wuͤrde, wohnen koͤnnte. Ich nahm dieses Anerbieten mit Freuden an, und zog gleich den folgenden Tag bey Neulot, welcher ohnweit des Rhone sein Haus hatte, ein. Ich habe in dem Hause dieses braven Mannes viel Gutes ge- nossen, und manche frohe Stunde gehabt; und bin durch ihu mit mehreren bekannt geworden, welche mir auch manches Vergnuͤgen gemacht haben. Er misbilligte meinen Vorsatz, mit den Ohne- hosen weiter herum zu ziehen, und oͤffnete mir uͤber sie die Augen merklich. Die Armee revolutionnaire ist eine Ruthe, sagte er, womit die Rebellen ge- zuͤchtigt werden mußten. Da aber die Rebellion jezt ein Ende hat, so darf diese Armee nicht weiter existiren, die nur Unordnung verbreiten wuͤrde. Er bewies mir hierauf, daß ich wohl thun wuͤrde, wenn ich mich ganz ruhig verhielte, und dasjenige annaͤhme, was die Republik den fremden Gefang- Vierter Theil. C c nen und Deserteurs bestimmt haͤtte. — Neulok hatte recht: ich meldete also dem Kommissaͤr mei- nen Entschluß, fuͤr mich zu bleiben; und von die- sem Tage an erhielt ich taͤglich 1½ Pfund Brod und 10 Sous an Geld, nebst noch zwey Sous fuͤrs Quartier, da ich bey einem Buͤrger, und nicht in einem Nationalgebaͤude wohnte. Neulot ließ mich taͤglich mit sich essen, und nahm mich fast alle Abende mit ins Weinhaus, wo ich unter dem Namen grand Prussan ( Prussien ) sehr bekannt war. Ich habe es schon gesagt, daß man aller Orten Leute antrifft, welche uns gern helfen, wenn wir in der Noth sind; und der Satz: „ res Sacra miser est, “ scheint den Menschen ins Herz geschrieben zu seyn. Gegen Einen Hartherzigen finden sich zehn Gutmuͤthige: Dieß habe ich so oft und an so manchem Orte erfahren: denn was erfaͤhrt der nicht, qui mores multorum vidit et urbes! Aber wir muͤs- sen huͤbsch ohne Anspruch kommen, und nichts als Schuldigkeit fodern, was nur guter Wille ist. Ohne Praͤtension koͤmmt man sehr leicht durch die Welt, aber schwer, wenn sich Stolz, Zudring- lichkeit, Impertinenz, Ungenuͤgsamkeit und die Sucht, bequem zu leben, mit der Duͤrftigkeit ver- binden: und dann erst ist der Mensch im eigentlich- sten Verstande elend und ungluͤcklich. Der ist frei- lich ein Narr, welcher zu Fuße geht und Wasser trinkt, wenn er fahren und Wein haben kann: al- lein wenn kein Wagen zu haben ist, so muß man gehen, und wer keinen Wein hat, muß mit einem Trunk Bier oder Wasser zufrieden seyn; sonst ist er auch ein Narr, und verdient ausgelacht, nicht aber unterstuͤzt zu werden. Sollten einige meiner Leser in die Umstaͤnde kommen, worin ich so oft ge- wesen bin: so moͤgen sie sich diesen Wink merken; und es wird sie niemals reuen. Sie werden auf diese Weise das Boͤse besiegen, und da und dort werden sie etwas Gutes finden, welches sie um so mehr freuen wird, je weniger sie es verlangt, oder erwartet haben. Und wer kann heute sagen, in welche Lage er Morgen kommen kann! — Ich half meinem Neulot fleißig in seiner Schmiede, zog den Balg, und schlug auch mit zu, wenn er grobes Eisen schmiedete. Das gefiel ihm und seiner Frau; und diese machte mir, um mir ihren Dank zu zeigen, oft warmen Wein, woran die Leute sehr gewoͤhnt sind, ob sie ihn gleich durch das Waͤrmen verschlimmern. Zu Villeneuve jenseits des Rhone bin ich auch einigemal mit meinem Neulot gewesen, und kriegte hier einmal einen heftigen Zank uͤber die Frage: ob der Adel schon an sich ein Verbrechen sey, und ob man jeden, der adelich sey, fuͤr einen Feind der Re- publik halten koͤnne? Mein Gegner behauptete die- sen Satz gerade hin, ich aber beschraͤnkte denselben sehr. Als wir nicht einig werden konnten, stand er endlich auf und ging mit den Worten: Citoyen, es scheint, daß auch du ein — Edelmann bist! In Deutschland soll so unter jedem Strohdach ein sol- ches Insekt hausen; du bist also wohl auch einer von diesen sacrès mâtins. Und dahin ging er. Wir blieben, und es entstand eine interessante Unterredung uͤber die relativen Maßstaͤbe, wonach einzelne Menschen und ganze Voͤlker Ehre und Schande, und Verdienst und Verbrechen abmessen. In Frankreich ist Adel jezt Schande und Verbre- chen, und war sonst hohe Ehre, hohes Verdienst, aͤrger als in Deutschland. — Ob uͤbrigens ein Sou- veraͤn berechtigt sey, einen Adelstand, als einen erblichen Mittelstand, zwischen sich und den uͤbrigen Staatsbuͤrgern zu gruͤnden, dieß untersu- chet Kant , und betrachtet den angeerbten Adel (nach Art einer angeerbten Professur) als ein Ge- dankending, ohne alle Realitaͤt, und sagt: „Was das Volk (die ganze Masse der Unterthanen) nicht uͤber sich selbst und seine Genossen beschließen kann, das kann auch der Souveraͤn nicht uͤber das Volk beschließen: — folglich ist angeerbter Adel — ein widerrechtlich ertheilter Vorzug. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre von Imanuel Kant , Königsberg bey Nicolovius, 1797. S. 192. — Die wenigen Wochen, welche ich in dieser ehe- maligen paͤpstlichen Residenz zubrachte, gingen mir unter vielen Vergnuͤgungen hin, wozu die Gut- muͤthigkeit des Grobschmieds Neulot, und der herr- liche wohlfeile Wein das meiste beytrug. Ehe ich in meiner Erzaͤhlung weiter gehe, muß ich meinen Lesern eine Idee von der Lage der aus- laͤndischen Deserteurs in Frankreich beybringen, da- mit sie einsehen, warum ich bey den Ohnehosen oh- ne Erlaubniß des Repraͤsentanten nicht ferner blei- ben sollte. Freilich wird mancher Leser es nicht gern sehen, daß ich den Faden der Geschichte so oft durch Ausschweifungen unterbreche: aber da ich keinen Roman schreibe, und mehr unterrichten, als unterhalten will: so wird mir der, welcher mehr Unterricht, als Unterhaltung sucht, meine Neben- gaͤnge, die doch immer zur Kenntniß der neuern Begebenheiten in Frankreich, oder zu deren ver- nuͤnftigen Beurtheilung gehoͤren, auf alle Faͤlle wenigstens zu gute halten. Acht und zwanzigstes Kapitel. Von den fremden Deserteurs in Frankreich . J eder Kriegfuͤhrenden Macht ist daran gelegen, daß des Feindes Soldaten brav ausreißen: denn nichts bringt mehr Unordnung und Unzuverlaͤssig- keit in eine Armee, als haͤufige Desertion, und diese wird eben darum dem Gegentheil allemal sehr vortheilhaft. Es war daher auch den Franzosen im geringsten nicht zu verargen, daß sie alle An- stalten trafen, um die Soldaten ihrer Feinde zur Desertion zu verleiten. Es ist dieses freilich eine Sache, die blos der Krieg und die Absicht, den Genuß der Menschen-Rechte allgemeiner zu ma- chen, eutschuldigen kann. Schon in Champagne streuten die Franzosen Zettel aus, worin den Preußen und Oestreichern al- lerhand Vortheile versprochen wurden, wenn sie sich zu ihnen begeben wuͤrden. Ich habe oben so einen Zettel eingeruͤckt. Aber in Champagne schlug diese Aufforderung wenig an, am wenigsten bey den Preu- ßen. Die Ursache davon findet man in den Briefen eines preußi- schen Augenzeugen über den Feldzug des Herzogs von Braun- schweigs gegen die Neufranken. Eben solche Zettel hatte auch Cuͤstine in Deutschland ausstreuen lassen. Die Vortheile, welche der Nationalkonvent den Ueberlaͤufern anboth, waren folgende: 1.) Sollten sie gleich bey ihrer Ankunft 50 Li- vres bekommen, und eben so gehalten werden, wie die franzoͤsischen Soldaten. 2.) Sollten sie eine jaͤhrliche Pension von 200 Livres erhalten. 3.) Sollten sie zu allen Militaͤrdiensten und militaͤrischen Bedienungen faͤhig seyn; auch durch erzeigte Dienste das Buͤrgerrecht erhalten. 4.) Ihre Weiber und Kinder sollten nach ih- rem Tode versorgt werden. Das waren so die vorzuͤglichsten Vortheile, wel- che der Konvent den Ueberlaͤufern versprach, und auch allen redlich hielt bis auf das Ende des J. 1793, aber jezt nur noch denen haͤlt, welche durch treue Dienste sich dieser Wohlthaten wuͤrdig machen, wie ich weiterhin zeigen werde. Diese Anstalt des Nationalkonvents war auf den natuͤrlichen Trieb des Menschen nach Freyheit und Verbesserung seiner Lage angelegt; aber zu einer Zeit, wo es nur wenigen in den Kopf wollte, daß Frankreich vermoͤgend bleiben wuͤrde, sich selbst zu retten, vielweniger diejenigen, die auf diese Auf- foderung dorthin hinuͤbergingen. Wenn aber der Convent in den Ueberlaͤufern helle Einsicht und brave Gesinnungen erwartete: dann betrog er sich sehr, und bewies, daß diejenigen, welche zu solchen De- kreten gerathen hatten, mit dem Deserteurswesen wenig bekannt waren. Der englische Obrist Tyrimble macht in seiner Reise durch Spanien, bey Gelegenheit der Garde Valonne , welche der Koͤnig von Spanien haͤlt, und die aus lauter Desertoͤren besteht, die ganz richtige Bemerkung: „daß solche Leute eine veraͤcht- liche Kanalje seyen.“ Er hat recht; denn obgleich mancher ehrliche Soldat aus guten Gruͤnden seinen Kriegsherrn verlassen kann, so bleibt es doch im allgemeinen wahr, daß die meisten Ueberlaͤufer schlechtes Gesindel sind. Aber das bedachten die Franzosen nicht: denn bey der ehemaligen franzoͤ- sischen Armee waren gar keine Deserteurs, und bey ihren deutschen Regimentern nur wenige. Der Ge- nius dieser Leute konnte ihnen also nicht sehr bekannt seyn. Der Antrag der Franzosen wirkte erst im Jahr 1793: denn von da an liefen von allen Armeen, vorzuͤglich von der Kaiserlichen, die Soldaten hau- fenweise nach Frankreich, wo man sie mit offnen Armen aufnahm, und ihnen sofort die versproch- nen 50 Livres auszahlte. Manche gingen auf meh- rere Distrikte, gaben sich allerwegen fuͤr erst ange- kommene aus, und ließen sich drey, vier und mehr- malen das Geld auszahlen. Ich selbst habe viele dieser Buben gesprochen, welche sich ruͤhmten, in Landau, Weißenburg, Hagenau, Strasburg, Pfalz- burg und Metz die 50 Livres erhalten zu haben. Man errichtete Bataillons aus lauter Desertoͤren unter dem Namen Bataillons étrangers. Es wurden auch Husaren-Regimenter aus Ueberlaͤufern errich- tet: so groß war die Anzahl derselben in Frankreich! Als man hernach diese Leute auf die Graͤnzen brachte, flatterten sie wieder ab, wie sie gekommen waren. Freilich gingen sie nicht wieder zu derjenigen Armee, wobey sie vorher gestanden hatten, aber da man, troz des allgemeinen Cartels, den die Verbuͤndeten geschlossen hatten, doch jeden aller Orten annahm, der nur wollte, und, ohne weiter nachzufragen, das glaubte, was er von seiner vorherigen Existenz angab: so war es z. B. einem oͤstreichischen Deserteur et- was sehr leichtes, bey den Preußen, Hollaͤndern, Hessen u. s. w. gleich wieder anzukommen. Aber das war noch lange nicht alles! Als Tou - lon und Lyon sich der Republik widersezten, war- fen ihrer sehr viele sich mit in diese Staͤdte, und stritten nun gegen die Nation, welche sie so groß- muͤthig aufgenommen hatte. Die Rebellen gaben diesen Leuten sehr gute Subsistenz und guten Gold, und so fanden sie bey ihnen ihr Behagen besser, als im Dienste der Republik. Viele, gar sehr Viele schlichen auch nach der Vend é e , wohin sie der beruͤchtigte Gaston durch Manifeste eingeladen hatte. Es lag auch gleichsam in den Grundsaͤtzen dieser Leute, lieber gegen Frank- reich, als fuͤr Frankreich zu streiten. Ein Oestrei- cher z. B. ein Piemonteser, ein Spaniol und sonst eifrige Katholiken, die ihre Messe, ihren Rosen- kranz und ihr Marienbild, troz aller Immoralitaͤt, fuͤr die groͤßten Heiligthuͤmer hielten, mußten in Frankreich, wo man schon 1792 sehr vieles an ihrer Religion geaͤndert hatte, und diese im Jahr 1793 ganz abschaffte, nichts als Graͤuel der Verwuͤstung sehen, und sich fuͤr ewig verdammt halten, wenn sie fuͤr das Interesse eines so gottlosen Volkes fech- ten wuͤrden. Dem Konvente konnte dieses Unwesen nicht lange unbekannt bleiben, und es wurden bald Dekrete ge- macht, demselben abzuhelfen. Erstlich sollte man keine fremden Deserteurs in die franzoͤsischen Armeen weiter aufnehmen; die wirklich angestellten aber sollten alle nach der Armee gegen Spanien und zur Re- volutions-Armee geschickt werden, damit der Deser- tion gesteuert wuͤrde. Nachdem aber Lyon und Toulon wieder in die Haͤnde der Republikaner gekommen war, verabschiedete man die Auslaͤnder auch bey denen Ar- meen, welche man zur Eroberung dieser Plaͤtze ge- braucht hatte. Doch befinden sich bey allen franzoͤsi- schen Truppen noch manche Auslaͤnder, welche ihren Dienst ehrlich verrichten, und darum als National- Franzosen gehalten werden. Gegen das Ende des J. 1793 hob der Konvent auch die Pension auf, die den Deserteurs war ver- sprochen worden, und ließ ihnen fernerhin nichts, als die Subsistenz der Kriegsgefangnen. Indessen ließ man doch den fremden Deserteurs alle buͤrgerliche Freyheit: wer arbeiten wollte oder konnte, durfte alles treiben, womit er etwas zu ver- dienen hoffte; und es ist beynahe kein Dorf in ganz Frankreich, wo nicht Deserteurs waͤren, welche den Bauern aushelfen, oder Handwerke treiben. Sehr viele haben in Frankreich geheurathet, und sind Buͤrger geworden, genießen auch alle Vorrechte der Nationalen, und erhalten noch immer ihre taͤg- liche Subsistenz von der Nation. Die Auffuͤhrung der meisten Deserteurs war, wie man sie von solchem Gesindel nur erwar- ten konnte, das heißt, uͤber allen Begriff schlecht und infam. Das sogenannte Luderleben schien ihre einzige Kunst zu seyn, und ich werde weiterhin, wenn ich von den Desertoͤren in Dijon, wo zu mei- ner Zeit einige Tausend waren, zu reden komme, einige frappante Beyspiele von dem verfluchten Be- tragen dieser Schurken anbringen. Es giebt in Frankreich jezt eine doppelte Klasse Deserteurs: solche, die der Republik gedient haben, z. B. bey der Revolutions-Armee, aber nachher verabschiedet worden sind; und andere, die ihr nie- mals gedient haben. Erstere wurden zu meiner Zeit gehalten wie Invaliden, d. i. sie erhielten noch außer ihrer Subsistenz ihre Kleider, und hatten gute Quartiere; leztere aber mußten mit der blo- ßen Nahrung zufrieden seyn, ob ihnen gleich auch dann und wann Kleider gereicht wurden, wenn sie gar zu sehr abgerissen waren. Zu ihrem Lager hatten sie blos Strohsaͤcke und Friesdecken, und wa- ren in ehemaligen Kloͤstern einquartiert. Diese Menschen bemuͤhten sich haͤufig, weil sie einmal an das Herumschwaͤrmen gewoͤhnt wa- ren, Frankreich zu verlassen; und Vielen ist es auch gegluͤckt, nach der Schweiz und von da aus, wei- ter zu kommen. Aber da die Graͤnzen, besonders unter der Domination der Jakobiner, wegen der Emigranten, stark besezt waren, so wurden gar Manche wieder aufgefangen, und zuruͤckgebracht. Ihre Strafe war dann ein Arrest von 8, oder 14 Tagen, ja von einem ganzen Monat. Ich werde von diesen Versuchen zur Flucht einige Beyspiele in der Folge anfuͤhren. Ich las einmal in dem Journal de Perlin , daß mehr als 40,000 Deserteurs in Frankreich waͤren, und das war gar nicht zu viel angegeben, wenn man bedenkt, daß die Meisten, welche in dem je- tzigen Kriege von allen Armeen der Coalition weg- gelaufen sind, ihre Zuflucht nach Frankreich ge- nommen haben. Man nehme nun an, wie's denn wirklich war, daß jeder taͤglich 1½ Pf. Brod und 10 Sous Geld erhielt, so kosteten die Deserteurs der Republik taͤglich 60,000 Pf. Brod und 5000 Thaler Preußisch. Wenn dann das Pfund Brod zu fuͤnf Sous gerechnet wird, und geringer kann es nicht angeschlagen werden, wegen der damaligen Theurung, so kosteten die Deserteurs jeden Monat 262,500 Thaler, ohne das Holz, Stroh, Decken u. dgl. was diesen Leuten gegeben wird, und ohne die Besoldung, welche ihren Auf- sehern noch außerdem gereicht werden muß. Es ist daher gewiß, daß die franzoͤsische Republik mehrere Millionen zur Erhaltung der fremden Deserteurs hat hergeben muͤssen, welche ihr weiter keinen Vor- theil brachten, als daß sie nicht wider sie stritten. Im Sommer 1794 wurde dem Konvent der Vorschlag gethan, die fremden Deserteurs samt und sonders aus dem Lande zujagen, um auf ein- mal dieser Last los zu werden. Aber dieser Vor- schlag wurde verworfen, weil in diesem Fall die feindlichen Heere sehr starken Zuwachs erhalten haͤtten, und besonders, weil zu befuͤrchten war, daß die Deserteurs sich in die Gebuͤrge werfen, und dort Raͤuberbanden machen wuͤrden. Dafuͤr fand man fuͤr gut, denen unter den Deserteus, welche in Laͤndern zu Hause waͤren, die entweder mit der Republik in Verbindung staͤnden, oder sich neutral verhielten, zu erlauben, in ihr Vaterland zuruͤck zu kehren. Also hatten die Schweden, Daͤnen, Schweizer, Polen, Venetianer, u. a. die Frey- heit, Frankreich nach Belieben zu verlassen, nur mußten sie beweisen koͤnnen, daß sie da wirklich zu Hause waren. Einige schrieben daher um ihren Taufschein, Andere aber machten ihn selbst, oder ließen ihn machen: und so kam mancher heraus. Nach dem Sturz der Jakobiner gab man auch auf den Graͤnzen nicht mehr so stark Acht auf die Aus- wanderungen, und nun schlichen sich Viele ohne Paͤsse nach Brabant, nach der Schweiz und nach Italien. Die Franzosen achten die Deserteurs nicht, da sie ihnen von einer so schlechten Seite bekannt ge- worden sind. Ich habe viele daruͤber sprechen hoͤ- ren, und alle behaupteten, daß ein Mensch, der seinem Herrn ohne dringende Noth untreu wuͤrde, uͤberhaupt ein elender Mensch sey, der das Ver- trauen der Republikaner nicht verdiene. Doch wa- ren sie auch billig genug, um einzusehen, daß man- cher ehrliche Kerl seine guten Gruͤnde haben koͤnne, seine Fahnen zu verlassen; und so einer durfte sich nur auf der guten Seite zeigen und brav handeln, um das Vertrauen der Franzosen in vollem Maße zu genießen. Besonders waren die beliebt, welche in Fabriken, Werkstaͤtten, oder auf dem Felde ar- beiteten, und sich dadurch nuͤtzlich zu machen such- ten. Es ist aber grundfalsch, was in einigen deut- schen Zeitungen gestanden hat, daß man die De- serteurs in Frankreich zu den allerniedrigsten Arbei- ten anhalte, und sie auf alle Art mishandle. Diese Nachrichten sind wahrscheinlich verbreitet worden, um das Ausreißen bey den deutschen Armeen zu verhindern. Aber zur Steuer der Wahrheit muß ich bekennen, daß kein Deserteur angehalten wurde, irgend etwas zu arbeiten, wenn er selbst nicht wollte, noch weniger, daß man sie, wie in den deutschen Zeitungen erzaͤhlt wurde, zur Reinigung der Ab- tritte und zum Gassenkehren gezwungen, mit Stock- schlaͤgen traktirt, oder sonst mishandelt habe. Das alles ist grundfalsch, uns der Quelle wuͤrdig, wor- aus es geflossen ist. Es war allerdings von den Franzosen uͤbereilt, daß sie den feindlichen Ueberlaͤufern so große Vor- theile zusagten, oder man muͤßte die Voraussetzung bey ihnen annehmen, daß diese große und feierliche Zusage die feindlichen Armeen durch Desertion auf- loͤsen und schwaͤchen und sie dadurch bald zum Frie- den bequemen wuͤrde, und daß die Nation alsdann an Kriegskosten das ersparen koͤnnte, was die De- sertoͤre ihr beym Eintreffen kosteten. Diese Vor- aussetzung war aber zu sehr gegen den Geist der da- maligen Zeit und der feindlichen Heere, als daß sie zur Wirklichkeit haͤtte kommen koͤnnen. Sie kam auch nie, jener Berechnung gemaͤß, ganz dahin, wohl aber nach und nach großentheils; und die Nation gab anfangs, was sie versprochen hatte, puͤnktlich. Aber Leute, die sich so betrugen, wie die Deserteurs in Frankreich, — konnten auch gar nicht erwarten, daß man ihnen die versprochnen Wohlthaten forthin noch so reichen sollte, wie man sie ihnen versprochen hatte. Freilich mußte der Unschuldige mit dem Schuldigen leiden: aber wie sollte man unter einem Haufen solcher Erzschufte den braven redlichen Mann gleich heraus finden! Wer sich selbst herausfand, genoß der Gunst der Nation, war angesehen und geehrt, und seine La- ge war sehr ertraͤglich. Indessen wurde, sobald der Deserteur der Huͤlfe der Nation wirklich bedurfte, kein Unterschied mehr gemacht, ob er ein Schuft oder ein rechtschaffner Mann war. Der kranke Deserteur wurde eben so im Hospital gewartet und verpflegt, wie der beste franzoͤsische Volontaͤr oder Offizier: denn in Frank- reich gilt blos der Mensch , und so wurde er blos als Mensch behandelt, der den Beystand seiner Bruͤder noͤthig hatte. Vor Gericht war der Deser- teur eben so angesehen, wie ein Buͤrger; und ich weiß mehrere Faͤlle, wo Deserteurs ihre Sache ge- gen Buͤrger gewonnen haben. Die Klagen wider die Fremden wurden nicht so, wie sonst wohl zu geschehen pflegt, als gegruͤndet gleich angenom- men, sondern erst aufs genaueste nach dem gemei- nen Rechte der Franzosen untersucht, aber die Stra- fen waren allemal weit gelinder, als sie wuͤrden ge- wesen seyn, wenn Franzosen die Beklagten gewesen waͤren. Man hat in Frankreich nicht mehr den haͤß- lichen Grundsatz, welchen Cicero aus den Zwoͤlf- Tafel-Gesetzen anfuͤhrt: contra hostem (d. i. pere- grinum) perpetua auetoritas, und welchen man in so manchen Laͤndern noch so huͤbsch befolgt, daß es jedem Auslaͤnder Angst seyn muß, sich daselbst auf- zuhalten. Man bedenke nur, wie man unter an- dern mit den Fremden in Rußland verfaͤhrt, wenig- stens sonst verfuhr unter der Regierung Katharina , der Zweyten. Vierter Theil. Dd Neun und zwanzigstes Kapitel. Meine Ruͤckreise von Avignon nach Lyon . N achdem ich ohngefaͤhr neun Tage in Avignon zugebracht hatte, wurde eine große Anzahl Kriegs- gefangner Piemonteser daselbst eingebracht. Unter diesen waren viele Deutsche, auch einer meiner Landsleute, von Werrstadt gebuͤrtig. Er war vor noch nicht langer Zeit in kaiserliche Dienste ge- treten, war aber da weggelaufen zu den Piemon- tesern, und nun ohnweit Nizza gefangen worden. Dieser Mensch erzaͤhlte mir so viel Gutes und Ruͤhm- liches von dem Heldenheer Sr. Majestaͤt von Sar- dinien, den Robespierre den petit roi Sarde nannte, daß ich leicht einsah, dieses Heer wuͤrde in alle Ewigkeit gegen die Franzosen nichts ausrichten, wie es denn auch nichts ausgerichtet hat. Gleich den andern Tag gingen einige Piemon- teser nach Miradel , einem ehemals paͤpstlichen Schlosse auf einem Berge, eine starke Stunde von der Stadt, wo ich auch schon gewesen war, und wo man Wein haben konnte. Als sie sich voll gesoffen hatten, gingen sie fort, kehrten aber zuruͤck, als es finster war, pluͤnderten den Wirth rein aus, fuͤllten ihre Brodbeutel mit Speck Brod und Weinflaschen, und fluͤchteten sich in die Gebuͤrge, um nach der Schweiz oder nach Italien zu entwischen. Aber einige Gensd ' armes , welche das Gebuͤrge durchstreiften, hielten sie an, und brachten sie zuruͤck. Sie wurden sofort auf vier Monate eingesteckt. Der Repraͤsentant befahl nun, daß man alle Kriegsgefangnen und Auslaͤnder weiter ins Innere von Frankreich bringen sollte, um sie von der zu na- hen Graͤnze mehr zu entfernen: denn von Avignon nach den Alpen ist es gar nicht weit; und wer ein- mal in diesen Gebuͤrgen ist, und den Weg weiß, kann leicht nach Italien kommen, obgleich der, d e r keine Wege kennt, immer Gefahr laͤuft, sich zu verirren und Hungers zu sterben. Die Gefangnen sollten nach Toulouse gebracht werden, und der Kommissaͤr wollte mich mit dahin schicken. In Toulouse findest du auch Preußen, sagte er, aber ich wußte, daß nur Spanier und Sar- dinier da waren. Auch hatte ich keine Lust, mit den Piemontesern zu gehen, in deren Gesellschaft es mir gar nicht gefiel. — Ich stellte also dem Kommissaͤr vor, daß mich der Hauptmann Lan - drin , dessen Zeugniß ich ihm vorwies, deswegen nach M â con empfohlen haͤtte, damit ich Dienste bey der Republik haben koͤnnte. Da nun dieses nicht anginge, und ich mich selbst von den Ohne- hosen getrennt haͤtte, so waͤre es doch billig, daß er mich wieder zu meinen alten Kameraden gehen ließe. Du hast recht, erwiederte der Kommissaͤr: Du wirst ohne Zweifel deine Preußen in M â con, oder in Langres , oder in Dijon oder da herum finden: in Lyon kannst du das Naͤhere hoͤren: und dahin will ich dir einen Paß geben. Das ge- schah. Mein ehrlicher Grobschmied war mit meiner Ab- reise nicht zufrieden. Da ich einige Kenntniß vom Gartenbau hatte, so meynte er, ich koͤnnte in Avig- non ganz gut fortkommen, wenn ich nur gaͤrt- nern wollte, und duͤrfte nicht, wie ein Landstreicher herumfahren. Aber meines Bleibens war nicht mehr! Ich brachte die lezte Nacht in Gesellschaft mei- nes Wirthes und einiger anderer Bekannten in der Weinschenke zu und gieng fruͤh mit einem schweren Tornister, den mir die Wirthin mit Speck, Brod, einer Branteweinsflasche und Oliven gefuͤllt hatte, und, betruͤbt, eine Stadt zu verlassen, wo mir es gut gegangen war, fort auf Carpentras zu, und kam gegen Abend nach Orange , wo der Etape war. Meine Zuruͤckreise nach Lyon war eben nicht merkwuͤrdig. Ich ging uͤber Montelimart , Valence und Vienne , aber nicht uͤber Greno - ble , wohin mein Paß nicht wies, den man genau befolgen muß, wenn man nicht als Vagabunde angehalten seyn will. Ich hatte groͤßtentheils den reißend-laufenden Rhone zur Linken. Ich gab mich auf den Doͤrfern und in den kleinern Staͤdten fuͤr einen Kriegsgefangnen aus, und hatte das Vergnuͤgen zu sehen, daß alle Leute Mitleid mit mir hatten, und mir gern unentgeldlich Brod, Wein und Oliven in Menge mittheilten. Auf diese Art wollte ich, ohne jemals Noth zu leiden, durch ganz Frankreich ge- zogen seyn. Wenn ich irgend einmal, wegen der boͤsen Wege auf den Ort des Etapes nicht kommen konnte, so sprach ich den ersten besten Baner um ein Nachtquartier an, und kein einziger hat mir dieses versagt, vielmehr machte jeder sich eine Freude daraus, mich zu beherbergen und zu bewirthen. Be- sonders wohlthaͤtig fand ich diejenigen, deren Kinder in der Armee dienten: sie meynten, daß sie ver- bunden waͤren, nothleidenden Auslaͤndern beyzuste- hen, denn wer koͤnnte wissen, ob nicht in eben dem Augenblick auch ihre Kinder der Huͤlfe beduͤrften. Das war Sprache der Natur, die den Feind vergessen mach t , sobald seine Lage auf den Men- schen in ihm hinweißt. Diese humane Sprache sollte man — zumal zur Zeit des Krieges — zum Beßten der ungluͤcklichen Schlachtopfer desselben, noch eindringender und verstaͤndlicher zu machen suchen, und nicht sie noch verwirren und schwaͤchen wollen, wie der Verfasser der Wanderungen — es zu thun versucht hat. Ihr, die Ihr als Kriegs- gefangne, so gute Menschen in Frankreich gefunden habt, Ihr schaͤmet euch gewiß wie ich, wenn Ihr nach eurer Zuruͤckkunft hoͤr't, wie unmenschlich an so manchem Orte man sogar die mit dem Tode rin- genden franzoͤsischen Kriegsgefangnen behandelt hat. O Herder , o ihr Verfasser des Kosmopoliten : in Deutschland — in Deutschland fehlt es noch sehr an Humanitaͤt ! Humane Menschen giebt es unter uns genug, aber auch humane Regierungen viele? — Wahrlich diejenige, welche man so haͤufig kanibalisch genannt hat, war es in der erwaͤhnten Ruͤcksicht durchaus nicht! Zeugen fuͤr diese Wahr- heit sind mehrere Tausende unter uns da: man frage sie, und — erroͤthe! O moͤgten doch alle unsere Schriftsteller zur Foͤrderung der Humanitaͤt, es ihr Hauptaugenmerk seyn lassen, „„den Geist der Humanitaͤt erst de - „„ nen einzufloͤßen, ohne deren Humanisirung die „„Humanisirung der Uebrigen, wenn nicht un- „„moͤglich, doch unendlich schwer gemacht wird!““ Denn was hilft es, sagt der Herausgeber der Sammlung erbaulicher Gedichte , oder des Zuchtspiegels fuͤr die politischen Vampyrs , was hilft es, die Zweige eines Baumes auf die schoͤnste Art zuzustutzen, und doch nicht zu sorgen, daß dessen Wurzel und Stamm am Krebsschaden zu kranken aufhoͤre! Die Gesundheit des Ganzen haͤngt von der Gesundheit aller dessen Theile ab, aber vorzuͤglich von der Gesundheit der Haupt - theile . Siechen diese; so siechet alles Uebri- ge.“ Vorrede zur Sam. erbaul. Gedichte S. 95. Unter allen Humanitäts-Schriftstellern hat keiner einen glücklichern Ein- fall gehabt, den politischen Vampyrs Humanisirung zu predi- digen, als der erwähnte Herausgeber. Er schlug gerade den entgegengesezten Weg ein, den die Herausgeber der Horen gehen wollten. Diesen leztern Weg nennt er S. 21, ff. den verkehrten und der Natur widersprechenden Weg; zeigt auch sehr einleuchtend: warum. Die Xenien - Dichter werden von ihm wahrscheinlich keine Notiz gehabt haben: sonst hätten sie ihn wohl auch mit einem bonetten Distichon r elagirt! Wie gesagt, ich fand sehr gute, wohlthaͤtige Menschen, nur verstand ich die Leute nicht immer recht, wegen ihres ganz eignen Dialekts. — Ich habe mich oft uͤber diejenigen gewundert, welche die einzig-aͤchte Aussprache des Franzoͤsischen be- stimmen wollen, da doch jede Provinz, ja, beynahe jede Stadt ihre eigne hat, — das patois abgerech- net, welches ohnehin eine verdorbene Sprache ist. In Deutschland kann ein Westphaͤlinger und ein Pfaͤlzer recht gut deutsch sprechen, und doch werden sie beyde niemals sprechen, wie der Sachse, oder der Brandenburger. Eben so ist's auch in Frank- reich; und wenn sonst nur die Aussprache rein und ohne Mistoͤne ist, so kann, so muß man sie schon ertragen. D. Bahrdt vertheidigte die saͤchsische Aussprache, und sprach doch selbst: nischt . Zu Ende des Februars kam ich nach Lyon zu- ruͤck, und hoͤrte vom Kommissaͤr, daß ich weiter muͤßte, es staͤnde mir aber frey, wohin ich wollte: sein Rath indeß waͤre, ich ginge nach Dijon in Burgund, deun da gaͤbe es sehr viele Deutsche, und ausserdem waͤre Dijon der wohlfeilste Ort weit und breit. Ich versprach, mich zu besinnen, und bath ihn, er moͤgte mich ausruhen lassen, welches er auch that. Seine Frau bemerkte, daß meine Schuhe abgerissen waren, und bewog ihn, mir ein Paar neue zu geben. In Lyon oder wie es damals noch hieß, in Commun e affranchie , hatten die scheuslich- sten Exekutionen jezt aufgehoͤrt, und alle die waren gefallen, welche sich des Verbrechens der Rebellion schuldig gemacht hatten. Man hat die Anzahl der hier Hingerichteten sehr verschieden angegeben, man kann aber immer annehmen, daß sie sich zum mindesten auf 1700 belaufen habe. General Rou - si n war dahin geschickt worden, und hatte das schreck- liche Schauspiel ausgefuͤhrt. Als ich dießmal da war, hatte zwar das Guil- lotiniren ein Ende, das heißt, man richtete die Leute nicht mehr so haufenweise hin, obgleich noch dann und wann Einzelne sterben mußten, und die Untersuchungen noch immer fortgingen: denn in Lyon saßen noch sehr Viele als verdaͤchtig, und Lyon hatte ein außerordentliches Revolutions-Tri- bunal. Ich muß hier in der Kuͤrze einiges von diesem Tri bu nal anbringen, um falschen Begriffen vorzu- beugen, die man sich davon machen koͤnnte. Nach der ersten Anordnung sollte nur in Paris, und nir- gend anders ein Revolutionstribunal existiren, das ist, ein Gerichtshof, wo Verbrechen gegen die Grund- gesetze des Staats untersucht und bestraft werden sollten. Aber bald ergab sichs, daß das Revolu- tions-Tribunal in Paris nicht hinreichte, wegen der uͤberall zunehmenden Revolutionsverbrechen. Also wurden solche Gerichtshoͤfe aller Orten errich- tet, wo sie nach der Meynung der Volksrepraͤsen- tanten, und nach dem Gutachten der Jakobiner noͤ- thig waren. Sie sollten aber der Natur ihrer Ein- richtung und Bestimmung gemaͤß keine permanen- ten Tribunale seyn, sondern gleich aufhoͤren, sobald die traurige Veranlassung vorbey waͤre, die sie noth- wendig gemacht haͤtte. Ihre Organisation hing lediglich von den Repraͤsentanten ab, und diese al- lein waͤhlten ihre Beysitzer. Viele Departementer hatten gar keins, doch gab es ihrer in den meisten. Die vornehmsten waren zu Strasburg, Besançon, Dep. von Doux, Lyon, Bourdeaux, Nantes, Toulou, Marseille, Reunes, und an andern Orten. Das heiligste war freylich immer das Pariser, doch sind in Nantes, unter der Admini- stration des blutduͤrstigen Carrier , mehr Grau- samkeiten vorgefallen, als selbst in Paris und Bour- deaux, wo man doch auf einmal 96 Priester, die nicht schwoͤren wollten, guillotinirte. Schon im Maͤrz 1794 wurde das Ansehn oder die Gewalt der Revolutionstribunale sehr verringert, und endlich fielen sie ganz mit dem Tod des Ro - bespierre . Doch davon muß ich weiterhin aus- fuͤhrlicher reden. Lyon hat nach dem Sturz der Jakobiner seinen alten Namen wieder erhalten, so wie Toulon und Marseille. Dieses leztere hatte den schnurrigen Namen: sans nom. Ich fand in Lyon einige von den Ohnesen, wel- che ich vor einigen Wochen hier gekannt hatte, und die sich sehr wunderten, daß ich zuruͤckkaͤme. Ich erzaͤhlte ihnen meine ganze Begebenheit, und da meynten sie, es koͤnne nicht fehlen, es wuͤrden ge- wiß wieder foutus muscadins rebelliren, und zu Paa- ren getrieben werden muͤssen: dann sollte ich nur auch kommen; ich koͤnnte Offizier werden! Ich ging mit einigen Ohnehosen Abends in eine Schenke, an einem Dekadentage; aber noch jezt wuͤnsche ich, ich waͤre damals nicht mitgangen: denn ich habe die boͤsen Folgen dieses Ganges uͤber zwey Jahre an meinem Koͤrper gefuͤhlt. Einige meiner Leser, besonders die superklugen, — wenn anders superkluge Leute mein Buch ihrer Aufmerksamkeit wuͤrdigen sollten — werden die wichtige Bemerkung machen, daß ich an meinem Ungluͤck selbst Schuld gewesen sey, da ich ohne Noth die Schenke besucht habe. Aber wenn die Herren bedenken wollen, daß ich schon viel hundertmal in die Schenken gegangen war, ohne daß mir das geringste Uebel begegnet waͤre, so werden sie von selbst einsehen, daß die Schenke und mein Unfall nicht nothwendig zusam- menhingen, und mir es dann auch nicht uͤbel neh- men, daß ich zu Lyon mit den Ohnehosen zu Wei- ne ging. In dem Weinhause waren mehrere Ohnehosen und andre Leute, welche sich, wie damals vor- zuͤglich gewoͤhnlich war, mit den Historien des Ta- ges unterhielten, und eben die Zeitung gelesen hat- ten, worin die Fortschritte der republikanischen Waffen beschrieben waren. Sie waren alle mun- ter, und tranken auf nichts, als auf das Wohl- seyn der Republik. Ich mischte mich in ihr Ge- spraͤch, und machte meine Sache so gut, daß sie mir das Zeugniß gaben: ich sey, troz meiner deut- schen Geburt, wuͤrdig, ein citoyen François zu seyn, und die Waffen der Freyheit zu fuͤhren. Unter andern war ein gewisser Offizier da, ich glaube, er hieß La Salle, der mir stark zutrank, auch selbst schon einen derben Rausch weghatte, und mitunter gewaltig auf die Feinde der Republik loszog, denen er nichts als Tod und Verderben prophezeihte. Ich ließ ihn immer reden, und wider- sprach erst, als er anfing, die fremden Soldaten als feige Memmen, und Hunzfoͤtter darzustellen. Da aber konnte ich mich nicht mehr halten, und sagte ihm gerade heraus: wer so raͤsonnirte, habe noch keinen Preußen gesehen: das seyen auch Maͤn- ner, so gut als die Franzosen. Er : Das ist nicht wahr: die Deutschen sind Tyrannen-Sklaven so gut als die Spanier, die Hol- laͤnder und die Piemontesen. Ich : Gut: aber laß sie fuͤr ihre Freyheit, fuͤr ihr Vaterland erst einmal auftreten; und du sollst sehen, daß sie ihren Mann stellen. Er : Aber nur nicht wie die Franzosen! fouttre! Die Deutschen sind Memmen, und lassen sich von ihren Fuͤrsten treiben und verkaufen, wie das Schlachtvieh. Ich : Citoyen, hole mich der Teufel, wenn ich mich jezt nicht zu den Fremden rechnen muͤß- te — Er : (hitzig) Nun, was willst du damit sagen, Citoyen? Ich : Ich wuͤrde dir das Maul stopfen, und den Muth der Deutschen vertheidigen. Er : (sehr lebhaft) Nun wohl, vertheidige ihn! Ich : Ich habe keinen Degen. Er : Da sieht mans! Weil du keinen Degen hast, so willst du uns weis machen, du haͤttest Courage, dich mit mir zu messen. Geh, trink und halt das Maul! Einer aus der Gesellschaft : Sacrè mâtin! hoͤre, ich will dir nur sagen, daß du gleich gehen, und Degen holen mußt! Wenn alsdann der Frem- de keinen Muth hat, sich mit dir zu schlagen, so hast du recht; wenn du aber keine Degen hohlst, so halt' ich dich fuͤr einen Zaͤnker, der sich nicht getraut, seine Haͤndel auszumachen. Verstehst du mich? Er : (aufstehend) Sollen gleich welche da seyn: nur ein wenig Geduld! Er ging fort, und ich erwartete ihn ohne Furcht zuruͤck. Vielleicht trug der Wein, der damals mei- nen Kopf beherrschte, das Seinige nicht wenig bey, daß ich meinen Mann so unbefangen zuruͤck erwar- tete. Endlich nach einer halben Stunde kam er, und brachte zwey Degen von gleicher Laͤnge, wor- aus er mich einen waͤhlen hieß. Ich nahm den ersten besten, und ohne weiter zu bramarbasiren, sogar ohne Sekundanten, welche uͤberhaupt in Frankreich nicht Mode sind, gingen wir hinter das Haus in den Mondschein, und fingen an, auf ein- ander einzufechten. Mein Gegner war geschick- ter als ich, und beym dritten oder vierten Ausfall stieß er mich vorn in die Brust, daß ich ruͤcklings zu Boden fiel, und alles Besinnen verlohr. Als ich wieder zu mir kam, lag ich schon in der Wirthsstube auf einem Lehnsessel. Meine Klei- der und sogar mein Hemde waren ausgezogen, und meine Wunde gewaschen, und mit einem großen Stuͤck Schwamm bedeckt, doch lief das Blut noch immerfort in meine langen Hosen. Endlich kam der Chirurgus, den mein Gegner herbeygehohlt hatte, untersuchte die Wunde, und verband mich mit dem ausdruͤcklichen Befehl, mich in ein Bette zu legen, und ruhig zu bleiben: Fruͤh wollte er wieder kommen. Mein Gegner versicherte ihn, daß er mich im Hause der Buͤrgerin — ihr Name ist mir entfallen — ohnweit dem Wirths- hause finden wuͤrde, und bath ihn sehr, ja fruͤh wie- der zu kommen: er wolle alles bezahlen u. s. w. Ich wurde wirklich von vier Franzosen, wobey der Offizier, der mich verwundet hatte, selbst war, in ein Buͤrgerhaus gebracht, und in ein recht gutes Bette hingelegt. Dreißigstes Kapitel. Folgen meines Duells . Reise nach Dijon . I n den neuen franzoͤsischen Gesetzen ist das strenge Gesetz der Koͤnige gegen die Schlaͤgereyen gar nicht aufgehoben; vielmehr dictirt der neue Criminal- Codex denen die haͤrtesten Strafen, welche sich selbst Genugthuung schaffen, und nicht die Huͤlfe der Gesetze auffodern, wenn sie beleidiget werden. Demohnerachtet fallen sowohl bey den Armeen, als in den Staͤdten sehr viele Zweykaͤmpfe vor, und ich erinnere mich wenigstens nicht, daß ich von Bestrafung solcher Duellanten je gehoͤrt haͤtte. Es scheint so in der Natur dieses Volkes zu seyn, daß sie die Duelle gutheißen, und daher keine Klagen gegen die Beleidiger der Gegengesetze anbringen. Wer sich in Frankreich schlaͤgt, wird fuͤr einen Mann von Ehre gehalten, und wer bey gewissen Beleidigungen sich nicht herumbalgen wollte, wuͤr- de der Gegenstand der allgemeinen Verachtung seyn; wenigstens wuͤrde es einem jungen Manne, der ent- weder wirklich Waffen traͤgt, oder doch sie zu tra- gen im Stande ist, nimmermehr vergeben werden, wenn er einen Duell verbitten wollte. So ist die Denkungsart der franzoͤsischen Nation noch jezt: ob sie recht oder unrecht habe, kann und will ich nicht ausmachen, muß aber doch bekennen, daß ich Faͤlle erlebt habe, wo es schlechterdings nicht anging, einen Zweykampf zu vermeiden, ohne sich dem Vorwurf der Feigheit und der allgemeinen Ver- achtung auszusetzen. Ich will indessen meinen Duell in Lyon ganz und gar nicht entschuldigen, und bekenne gern, daß er sich niemals zugetragen haͤtte, wenn mein Kopf durch den Trunk nicht heroisch geworden waͤre. Ich hatte gar keinen Beruf, die Tapferkeit der Deut- schen in einem Lande zu vertheidigen, wo ich die Ehre der Koͤnige nicht haͤtte um alles vertheidigen moͤgen: denn auf Apologien dieser Art stand da- mals der Tod. Den andern Tag fruͤh war der Chirurgus Seit einigen Jahren werden die Feldscheere in der preußischen Armee Chirurgi genannt. Dieses fremde Wort sagt noch lange nicht, was Feldscheer sagt, und hatte billig einem deutschen recht guten Worte nicht vor ge zogen werden sollen. Unwissende Leute sprechen Kriurgus, Klurgus, Gregorius u. s. w. wieder da, untersuchte abermals die Wunde, und sagte, sie sey nicht gefaͤhrlich: waͤre sie aber nur etwas tiefer gegangen, so waͤre ich foutu u. s. w. Der gute Mann hat sich sehr viel Muͤhe mit mir gegeben. Meine Wirthin war eine recht brave Frau, die mich sehr bedauerte und alles that, was ich nur begehrte: sie gab mir sogar Wein zu trinken, ob es gleich der Wundarzt aufs strengste verboten hatte. Der Offizier besuchte mich recht fleißig und brachte immer gute Freunde mit, die er versicherte, ich sey ein braver Kerl, ich habe Courage, wie ein Fran- zose: fechten muͤßte ich nur noch lernen, dann wuͤrde kein sacrè mâtin mir zu nahe kommen duͤrfen. Dann bedaurte er, daß er mit mir Haͤndel ange- fangen haͤtte, schob alle Schuld auf den Wein, und ich vergab ihm nicht nur, sondern freute mich noch — warum? weiß ich selbst nicht — daß ich mich mit einem Ohnehosen geschlagen hatte. Man ist zuweilen recht kindisch sonderbar! Meine Wunde besserte sich zusehends durch die Bemuͤhung des Arztes, und schon am 4ten oder 5ten Tage konnte ich außer Bette seyn, und her- umgehen, aber das Haus zu verlassen — wollte er durchaus nicht zugeben. Die Zeit ward mir aber sehr lange: denn meine meiste, angenehmste und nuͤtzlichste Beschaͤftigung in Frankreich war, alle Vierter Theil. Ee oͤffentlichen Haͤuser zu besuchen und da den Debat- ten der Leute zuzuhoͤren, oder die angeschlaguen Zettel an den Ecken der Straßen zu lesen, oder in Weinschenken mich mit Leuten von Kopf zu unter- halten, um das jetzige Frankreich, soviel als moͤg- lich war, kennen zu lernen, auch die Maschinerie genau zu erforschen, wodurch es das geworden ist, was es jezt ist, u. dgl. Diese Art von psycholo- gisch-politischem Studium trieb ich von Ort zu Ort, verglich meine Ausbeute mit der Geschichte, und fand dabey soviel Unterhaltung, daß es mir zum Beduͤrfniß geworden war. Dieses Beduͤrfniß konnte ich jezt nicht befriedigen, und meine Wir- thin, eine Wittfrau, ging oft weg, und ließ mich allein; und wenn sie auch da war, so wußte sie doch wenig zu erzaͤhlen. Nach ohngefaͤhr 10 oder 12 Tagen entschloß ich mich, Lyon zu verlassen: meine Freunde, die Oh- nehosen, versicherten mich, solche Wunden heilten von selbst, wenn man nur Pflaster darauf legte. Die Wirthin begehrte auch, daß ich aufs Hospital gehen sollte, weil sie befuͤrchtete, mein Aufenthalt in ihrem Hause moͤgte ihr Ungelegenheit zuziehen. Ich entdeckte meinen Vorsatz dem Arzte, der ihn aber stracks verwarf, und mir rieth, mich im La- zarethe vollends kuriren zu lassen. Der Mann hatte recht, und ich hatte sehr unrecht, daß ich ihm nicht folgte. Mein Gegner wollte mich zwar ins Hospital bringen, aber bey dem allen schien es mir doch, daß er lieber sehen moͤgte, daß ich mich abfuͤhrte. Der Tag zu meiner Abreise wurde also bestimmt. Der Offizier schenkte mir ein Hemde und ein Paar Struͤmpfe: — die meinigen hatte ich schon laͤngst in den Gebuͤrgen des Delphinats weggeschmissen, — dann nahm er meine Schreibtafel, und steckte 60 Livres Papier hinein. Meinen Namen schrieb er sich sorgfaͤltig auf, und versicherte mich, daß er, wo er mich finden wuͤrde, alles Moͤgliche zu mei- nem Vergnuͤgen thun wollte. Gern, sezte er hinzu, gaͤbe er mir mehr Assignate, aber die 60 Livres seyen alles, was er habe: er habe sie sogar selbst borgen muͤssen. — Ich habe uͤber diesen Mann nie- mals boͤse seyn koͤnnen, und schied mit Thraͤnen von ihm. Auf dem Wege sah ich mich oft nach der un- gluͤcklichen Stadt um, welche noch vor wenig Mo- naten eine der schoͤnsten und bluͤhendsten in Europa war, nun aber die fuͤrchterlichsten Spuren des buͤr- gerlichen Krieges jedem Auge darbot. Es ging mir damals, wie vorzeiten dem Servius Sul - pitius , welcher bey dem Anblick der zerstoͤhrten Staͤdte Athen, Korinth, Maͤgara und Agina sich wunderte, daß der Mensch noch so thoͤrig seyn, und den Verlust eines einzelnen Menschen fuͤr et- was großes, und der Bemerkung wuͤrdiges finden koͤnnte. Die grausame Unwaͤlzung in Frankreich hat deutlich genug gelehrt: — — — humanis quae sit fiducia rebus! Ich brachte zwey Tage zu, um nach Mâcon zu kommen. Den ersten Tag gings frisch weg: es war das herrlichste Wetter. Aber am andern Tage hatte ich große Muͤhe, mich nach dem alten Mâcon hinzuschleppen. Meine Wunde schmerzte mich sehr, und bey jedem Schritte fuͤhlte ich die schrecklichsten Stiche. Ich kehrte oft in die Doͤr- fer ein, wo mich die Leute beklagten, und mir im- mer Wein geben wollten; aber ich dankte. In Mâcon meldete ich mich bey dem Kommis- saͤr, der mir zwar auf einen Tag Quartier gab, mich aber in kein Spital bringen konnte, weil in Mâ- con damals keins war. Uebermorgen sollst du, sagte er, nach Challons gefahren werden: es sind noch mehr Kranke hier, die dahin sollen. Ich blieb also in Mâcon, genoß aber die ganze Zeit nichts, als einige Glaͤser Wein, die ich gerade nicht haͤtte trinken sollen. Mein Wirth kaufte mir mein Brod und Fleisch ab, weil ich es nicht brauchen ko nnte. Ich hatte von Mâcon nach Challons noch drey Soldaten zu Begleitern, welche auch unterwegs erkrankt waren, und zu Challons ins Spital sollten. Wir fuhren auf einem republikanischen Waͤgelchen d. i. auf einem Karren von zwey Raͤdern, der mit einer leinenen Plane bedeckt war. Als wir den andern Tag zu Challon ankamen, war das dasige Spital so besezt, daß keiner mehr hinein konnte. Der Kommissaͤr schwur hoch und theuer, daß er uns nicht helfen koͤnne, und daß er es bedaurte, daß wir weiter muͤßten. In Dijon seyen vier Ho- spitaͤler, und da sey auch der Hauptsammelplatz al- ler Kranken von weit und breit: dahin muͤßten wir auch. — Er ließ uns aber fuͤr die Nacht gut ein- quartiren, ließ uns durch den Medikus untersuchen, uns Arzney geben, und den andern Tag fruͤh nach Dijon fahren, wo wir denn auch Abends um 8 Uhr ankamen. Die Krankenfuhren in Frankreich sind eine Art Frohndienst, — wenn man anders Dienste fuͤr die leidende Menschheit Frohndienste nennen kann — welche unter keinem Vorwande abgelehnt werden duͤrfen. An wem die Reihe in einem Dorfe oder in einer Stadt ist, der muß fahren und das auf der Stelle, oder er muß doch sorgen, daß gefah- ren werde. Aber in Deutschland habe ich gefun- den, daß man zwar die Vorspanne fuͤr die Equi- page eines Herrn Offiziers, einer gnaͤdigen Frau, einer Maͤtresse, eines Kammerdieners prompt ge- nug herbey schaffen muß, daß aber auch die Kran- ken oft liegen bleiben, bis sie der Hinschaffung in die Hospitaͤler nicht mehr beduͤrfen. Was ist hier kanibalisch, was human? — Zu Dijon brachte man uns in dasjenige Hos- pital, welches im ehemaligen Carmelitinnen-Klo- ster angelegt ist, und zu Ehreu des in Lyon hinge- richteten Chaillers Hôpital Chailler genannt wird. Ich erhielt in einem großen Saale ein recht gutes Bette; und der Doktor Antoine , nebst den Feld- scheeren, gaben sich alle Muͤhe, mich herzustellen; und wenn meine Brustwunde damals nicht geheilt ist, so war es lediglich meine Schuld, und nicht die der franzoͤsischen Chirurgen. Ich hatte ein starkes Fieber, und der Arzt hielt dafuͤr, daß es von uͤbler Lebensart u. dgl. herkaͤme. Ich zeigte ihm meine Wunde: er schuͤttelte den Kopf sehr, und befahl dem Oberchirurgus, alleu Fleiß anzuwenden, daß dieser Fehler bald verbessert wuͤrde. Aber der Chirurgus machte mir alle Tage einen Wicken hinein, welches mich sehr schmerzte: ich ließ mir es aber gefallen, und der Feldscheer ver- band mich so fleißig, als der brave Antoine Arzney zu meiner Fieberkur vorschrieb. Da aber, wie es billig und recht ist, mehr eine angemeßne Diaͤt, und genaue Wartung die Hauptsache der Kur bey den Franzosen jezt ausmacht: so er- hielt ich nur wenig Arzney; und diese bestand mei- stens in einem Traͤnkchen. In Dijon lagen damals (im Maͤrz 1794) wenigstens 5000 Deserteurs und gewiß 6 bis 7000 Kriegsgefangne, womit die weitlaͤufigen Kloͤster der cy-devant Benediktiner, Bernardinessen, Nor- bertiner und der adlichen Damen unsrer lieben Frauen zu St. Julian ( Demoiselles de notre Da- me St. I ulien ) angefuͤllt waren. Viele Kriegsge- fangne lagen auch in der Kapelle, worin ehedem der Hofstaat Sr. Hoheit, des Exprinzen von Con- dé, ehemaligen Statthalters von Burgund, seine sogenannte Andacht verrichtete. Da diese Leute von Armeen herkamen, bey de- nen sie nur alles moͤgliche Ungemach ausgestanden hatten, und nun in so sehr veraͤnderter Luft leben mußten, so rissen auch epidemische Krankheiten in Menge unter ihnen ein, welche Manchen ins Grab legten. Aber — ich wiederhole es — ich kann mich auf das Zeugniß aller derer berufen, welche in Frankreich als Gefangne und Deserteurs gewe- sen sind — und die sind doch wohl Legionen! — daß die Franzosen es an Pflege und Arzneyen nicht haben fehlen lassen, um die kranken Auslaͤnder wieder herzustellen; und in keinem Stuͤcke hat die Nation besser bewiesen, daß sie die leidende Mensch- heit ehre, als durch die edle Sorge fuͤr die kr an - ken Fremden. Ich wuͤnschte nur, daß die Herren, welche den Franzosen so gern alles Boͤse nachsagen, und sie auf alle Art zu beschimpfen suchen, die Herren Goͤchhausen, Reichard, Schirach und an- dere dieser Clique, Zeugniße von den aus Frank- reich zuruͤckgekehrten Kriegsgefangnen zum Nach- theil der Franzosen sammeln moͤgten. Aber das koͤnnen sie nicht: was sie nachtheiliges sagen, ha- ben sie von den cy-devant großen Herren und Pfaf- fen, oder von ihrer angelaufenen Brille; und ich kann, ohne Furcht, ein démenti zu bekommen, geradehin behaupten, daß wer in Frankreich gewe- sen ist, schlechterdings nicht anders, als gut von der franzoͤsischen Nation sprechen kann, wenn er anders ein Mann ist, der seine eignen Erfahrungen nicht verlaͤugnen will, oder der durch sein schlech- tes Betragen die Franzosen nicht selbst genoͤthigt hat, ihm die Pflichten des Wohlverhaltens etwas eindringend in einem Arreste einzufloͤßen. Will man aber die Franzosen wegen ihres Benehmens auf deutschem Grund und Boden tadeln: je nun die Oestreicher machen, wie ich dereinst zeigen werde, es da nicht erbaulicher: und wollen Schutzver- wandte, Freunde und Retter seyn! Das Hospital Chailler war mit auslaͤndischen Kranken stark angefuͤllt, welche aber unter den Fran- zosen herumlagen sind in jeder Ruͤcksicht ihnen gleich gehalten wurden. Das einzige Uebel fuͤr sie war, daß der Arzt mit den meisten nicht reden konnte, weil er sie, und sie ihn nicht verstanden, und er sich also bloß mit aͤußern Anzeigen behelfen mußte. Als ich wieder etwas herumgehen konnte, nahm ich mir die Freyheit, dem Dokter Antoine im Namen eines Deutschen etwas anzuzeigen. An - toine sah mich an: Du kannst also auch deutsch? fragte er. O ja, war meine Antwort: ich bin ja ein Deutscher! Eh bravo, rief er: darf ich dich bitten, mich bey meinen Besuchen zu begleiten? Ich will dir je- desmal 20 Sous geben. Ich versicherte ihn, daß ich ihn allemal herzlich gern begleiten wollte, daß ich mir aber seine 20 Sous verbitten muͤßte: Er habe mir in meiner traurigen Lage ja so huͤlfreiche Hand geboten, und so sey es meine Pflicht, ihm wieder zu dienen. Von diesem Tage an ging ich alle Morgen um 7 Uhr mit dem D. Antoine bey allen gefaͤhr- lich-kranken Deutschen herum, erklaͤrte ihnen seine Fragen, und ihm hernach ihre Antworten. An - toine war sehr zufrieden mit mir, und verdop- pelte seinen Fleiß, meine Gesundhe it voͤllig wieder herzustellen. Weil ich durchaus seine Assignaten nicht nehmen wollte, so sprach er mit dem Depen- sier, daß er mir taͤglich eine Bouteille Wein ge- ben sollte, außer dem Becher, welchen ich ohnehin alle Tage zweymal bekam, rieth mir aber, sparsam zu trinken, damit ich mir keinen Schaden thaͤte. Meine Wunde auf der Brust wurde vom Feldscheer besorgt, und dieser versicherte mich, daß sie bald voͤllig kurirt seyn wuͤrde. Aber der gute Feldscheer ward um diese Zeit selbst krank, und nun kam ein Anderer, dem ich meinen Schaden nicht entdeckte, weil ich hoffte, daß ich ihn mit Pflastern selbst hei- len koͤnnte: denn ich muß es nur gestehen, ich konnte es nicht leiden, daß man mir alle Tage Wicken hineinbrachte. Als ich so ziemlich wieder hergestellt war, sagte ich zum Doktor, daß ich nun bald hinausgehen wuͤrde: Das sollte mir leid seyn, antwortete er: Du kannst uns hier im Hospital nuͤtzlich werden, wenn Du dich als Krankenwaͤrter anstellen lassen willst. Ich habe schon mit dem Oberkrankenwaͤrter und dem Di- rektor gesprochen: sie sind es zufrieden, und nun kommt es auf Dich an, ob Du willst. Ich ergriff dieses Anerbieten mit Freuden, denn ich hatte die Vor- theile kennen lernen, welche ein neufraͤnkischer Kran- kenwaͤrter genießt, und ging zum Infirmier Major Fraipon und dem Direkteur Aubert , von welchen ich meine Instruktion erhielt, und als Infirmier- subalterne eingeschrieben wurde. Hierauf mußte ich zur Municipalitaͤt, welche meinen Namen gleich- falls aufschrieb, und mir das Versprechen abnahm, daß ich mich nach dem Gesetz betragen, und alles thun wollte, was der Republik und besonders den Kranken nuͤtzlich seyn koͤnnte. Denn in Frankreich kann niemand in Dienste der Republik kommen, ohne daß die Regierung des Ortes, wo er angestellt wird, darum wisse. Diese muß alle Personen ken- nen, welche irgend eine Bedienung haben, sey es auch der geringe Posten eines Krankenwaͤrters im Hospital. Ein und dreyßigstes Kapitel. Laukhard als Krankenwaͤrter . I ch habe meine Leser schon mit so verschiednen Lagen bekannt gemacht, in welchen ich mich seit meiner Existenz befunden habe, daß ich hoffe, wenn sie keine Langeweile gehabt haben, da sie mich als Schuͤler, Student, Kandidaten, Vikarius, Jaͤ- ger, Lehrer am hallischen Waisenhaus, Magister, Soldaten, Emissaͤr und Sankuͤlott sahen, sie werden sie jezt auch nicht haben, wenn ich mich ihnen als Krankenwaͤrter vorfuͤhre. Sans-culottes heißt bekanntlich Ohne-Hosen. Einmal zielte man mit dieser Benennung auf diejenigen, welche gestrickte, fleischfarbene und so glatt anschließende Beinkleider trugen, daß es schiene, sie trügen gar keine, oder wären ohne Hosen. Fraipon war mein unmittelbarer Vorgesezter, ein Mann von großer Ehrlichkeit, und so gutmuͤ- thig, daß er keinem Menschen ein boͤses Wort sagen k onnte, so strenge er sonst darauf hielt, daß im Hospi- tal alles nach der Vorschrift geschahe. Ich habe selten einen Mann gesehen, welchem sein Amt mehr angelegen haͤtte, als diesem Fraipon . Er war schon fruͤh um fuͤnf Uhr auf seinem Posten, durchlief alle Saͤ l e des Tages wohl 6, 8 und mehr- mal, sah nach der geringsten Kleinigkeit, und gab jedem Krankenwaͤrter Unterricht in dem, was ihm Diese Glättlinge nannte man nachher Muscadins. . Eigentlich aber nannten die Hoflinge und der Adel alles, was zum Volke gehörte, und zwar zur derben, zerlumpten oder uneleganten Klasse, die den Hof- und Adels-Druck am tiefsten gefühlt hatte, und darum beym Ausbruch der Revolution am bittersten auf sie eindrang, verachtungsweise Sansculottes. Ein Hofschranze sagte daher einmal zu Dumouriez , daß man ihn und die übrigen National-Minister bey Hofe Ministres Sansculottes nenne. „Aber, antwortete Dumouriez , wenn wie Ohne- Hosen sind, dann wird man desto eher sehen, daß wir Männer sind.“ — Der Name Sansculottes, der nachher zur Gegenverach- tung als Ehrenname beybehalten wurde, hat weit schrecklichere Folgen in Frankreich gehabt, als in den Niederlanden der Schimpfname Gueux oder Bettler. Man muß hiebey bemerken, daß fast alle Schimpfnamen der Factionen niedrig sind; und doch ist es fast allemal die vernehmere Parthey, welche sie zur Bezeugung ihrer Verachtung erfindet. Aber man bemerke nur auch, daß sie mehrentheils Ursache haben, es zu bereuen. Man sehe die Denkwürdigkeiten des Gen. Dümouriez , S. 177 im II Th. Dieß zur Erläuterung über den Namen Sansculottes für die, welche dessen Ursprung vielleicht noch nicht wissen. oblag. Dieser Mann wollte nun nicht, daß ich meine eignen Kleider im Dienste des Hospitals abnu tz en sollte, und gab mir die Uniform eines Krankenwaͤrters, das heißt, eine schwaͤrzliche Jacke mit gelben Knoͤpfen, ein paar lange Hosen, oder ein Pantalon, und eine blaue National-Muͤtze mit rothem Rand, der oben weiß eingefaßt war. Denn diese drey Farben zusammen machen die National- Farbe aus. Außerdem hatte ich noch eine weiße Leinen-Schuͤrze vor. Ich war auf dem Saal La Montagne an- gestellt, und hatte 14 Kranken zu besorgen, welche meist Deutsche waren. Die Saͤle in den Spitaͤ- lern haben alle ihre Namen, die uͤber den Thuͤren angeschrieben stehen, und von den neuen Begeben- heiten hergenommen sind. Da waren also Salle Marat , Pelletier , Fraternit é , Egalit é , Libert é , Guillaume Tell , Brutus , Cas - sius , Barra und andere mehr: denn im Hospi- tal Chailler allein waren uͤber 30 Krankensaͤle. Unter meinen Kranken war auch der oben schon genannte Chirurgus vom Regiment Pr. Ferdinand von Preußen, Namens Ludwig , welcher aus Col- mar nach Dijon gekommen war. Ich habe viele Muͤhe mit diesem Manne gehabt, aber troz aller Bemuͤhung der Aerzte und troz der allerbesten Pflege starb er doch einige Zeit hernach an der Schwind- sucht. Auch der Feldscheer Schaͤfer von Gießen war meiner Sorge anvertraut. Er hat mir noch im vorigen Jahre, als ich durch Gießen kam, fuͤr meine Pflege herzlich gedankt. Meine Verrichtungen waren einfach, und alle Tage sich gleich. Fruͤh um 5 Uhr machte ich mich an die Arbeit, kehrte meinen Saal aus, oͤffnete die Fenster, reinigte die Nachtgeschirre, welche den Tag uͤber nicht im Zimmer bleiben durften, brachte die Betten der Kranken in Ordnung, und holte dann Holz, um den Tag uͤber das Feuer im Kamin zu erhalten. Um sieben Uhr kam der Doktor, welchem ich von dem Befinden der Kranken Nachricht gab, und ihm meine Bemerkungen mittheilte. Um 9 Uhr holte ich die fuͤr jeden Kranken bestimmte Ti- sane, und um 10 Uhr auf den Schlag, ging ich nach der Kuͤche, um das Essen heraufzuholen, und den Kranken auszutheilen. Nachher aß ich selbst auf meiner Stube oder ging aus, in einer Schenke zu essen: denn die Krankenwaͤrter duͤrfen ausgehen, nur muͤssen sie einen von ihren Kameraden bitten, daß er von Zeit zu Zeit ihre Kranken besorge. Auf einem großen Saal aber, wo mehrere Waͤrter sind, muß wenigstens immer einer gegenwaͤrtig seyn. Nachmittags um vier Uhr wurde das Essen wieder ausgetheilt, und alsdann mußten alle Bet- ten frisch gemacht werden. Sobald es finster war, wurden die Lampen oder Reverberes angesteckt, wel- che die ganze Nacht durch brennen mußten. Außer seinem Saale und der Kuͤche hat der Krankenwaͤrter nichts zu besorgen: denn fuͤr das Uebrige sind andere Personen angestellt. Fuͤr diese Verrichtungen hatte ich folgende Emo- lumente. Erstlich erhielt ich alle Monate 69 Livres, folglich jeden Tag 2 Livres 6 Sous. Sodann hatte ich taͤglich 2 Pfund recht gutes Brod, ein Pfund Fleisch, zwey große Becher Wein, und so viel Fleischbruͤhe, als ich wollte. Dabey holte ich mir in der Apotheke so viel Tisane und von welcher Gattung ich nur verlangte. Mein Trunk war ge- woͤhnlich die Limonade minerale , wie man sie nannte, ein ganz trefflicher Trunk! Ich hatte außerdem ein recht gutes Bette, und durfte mein Hemde wechseln, so oft es mir beliebte, denn ich konnte mir ja nur im Magazin eins holen. Ich war ohngefaͤhr 8 Tage auf meinem Saal, als ein preußischer Wachtmeister ankam, welcher von dem Regiment Dragoner, mit weißen Aufschlaͤgen, und Klappen — den Namen habe ich vergessen — desertirt war. Er hatte, wie man sagte, die Loͤhnung und das Pferd mitgenommen. Dieser Mensch war gefaͤhrlich krank, und, da ich ihn gut wartete, so vertraute er mir seine Schreib- tafel an, mit 150 Livres in Assignaten. Ich nahm sie zu mir, und meldete dem Major Fraipon , daß ich dem Krenz — so hieß der Wachtmeister — sein Geld wiedergeben wuͤrde, wenn er aufkaͤme, wenn er aber stuͤrbe, so habe er mir es vermacht. Fraipon billigte dieses, und Krenz starb ohn- gefaͤhr nach 8 Tagen im fuͤrchterlichsten Delirium, worin er die gewaltigste Furcht vor der Hoͤlle und dem Teufel blicken ließ, und das Blut Jesu Chri- sti, das ihn rein machen sollte von allen Suͤnden, unaufhoͤrlich anflehte. Durch den Tod des Krenz befand ich mich also im Besitz von 150 Livres Assig- naten, aber der zweyte Oberkrankenwaͤrter, Bo- nard, wollte mir diese Erbschaft streitig machen, und verlangte, daß sie dem Hospital heimfallen sollte. Allein der Direktor Aubert sprach mir sie zu, und so behielt ich, was ich hatte. Was nach der Austheilung der Speisen uͤbrig blieb, fiel den vier Krankenwaͤrtern zu, die sie zu besorgen hatten, und deren einer das Brod, zwey das Fleisch und Gemuͤse, und einer den Wein trug. Da allemal einige Flaschen Wein, oft 3, 4 und mehr Portionen Brod und Fleisch uͤbrig blieben: so wurde dieß zusammengetragen und unter sie vertheilt. Diejenigen, welche mit mir die Austheilung besorgten, waren in der Stadt an- gesessen und verheirathet; ich uͤberließ ihnen daher meinen Antheil an Brod, Fleisch und Gemuͤse und ließ mir den Wein geben. Auf diese Art war uns von beiden Seiten geholfen: ich trank den Wein gerne: denn es war alter guter Burgunder, und meine Kameraden hatten was fuͤr ihre Familie. Bald wurde ich allen Chirurgen und andern Hospital-Bedienten bekannt, und da ich immer bey der Hand und munter war, so gingen sie gern mit mir um. Ich werde mich lebenslang an den Umgang und die Freundschaft der Buͤrger Gibasier , Val - l é e , Viol und andrer Feldscheere, an den Apo- theker Lenel , an den Magazin-Inspektor Talon und an andre guten Leute, die ich im Spital zu Dijon habe kennen lernen, mit Vergnuͤgen erin- nern. Auch nachher, als ich nicht mehr im Spital war, haben diese Maͤnner es gern gesehen, wenn ich sie besuchte. Auf unserm Spital ging es sehr friedlich zu, und die Zeit uͤber, da ich darauf war, sind wenig Excesse vorgefallen. Einmal nur war große Schlaͤ- gerey unter einigen Volontaͤrs im Garten, und ei- nige von ihnen wurden deshalb eingesteckt. Ein andermal hatte sich ein Krankenwaͤrter, aus Dijon gebuͤrtig, troz der scharfen Verbote, unterfangen, einige Hembden unterzuschlagen, und in der Stadt zu verkaufen: er wurde verr rath en, und auf zwey Jahre in Arrest gesezt. Die Strafe war allerdings Vierter Theil. Ff hart, aber ein Institut dieser Art muß auch vor aller Betruͤgerey gesichert seyn: sonst kann es nicht bestehen. Die Langeweile fand sich aber endlich bey mir ein: denn da ich nur selten ausging, indem der Oberkrankenwaͤrter es dahin gebracht hatte, daß je- der Krankenwaͤrter sich bey ihm melden mußte, wenn er weggehen wollte, so mogte ich nur alle zwey oder drey Tage um diese Erlaubniß anhalten, und blieb also lieber auf meinem Zimmer. Im Grunde kann ich es dem Fraipon nicht verdenken, daß er solche Verfuͤgungen traf; denn es gab wirklich Ge- sellen, welche halbe Tage lang wegblieben, und ihre Kranken versaͤumten. Um mir aber die Zeit zu vertreiben, borgte ich mir Buͤcher vom Feldscheer Gibasier , und ent- deckte endlich eine Lesebibliothek ( Cabinet de Litte- rature ), wo ich fuͤr 2 Liv. monatliche Vorausbezah- lung Buͤcher in Menge haben konnte. Da las ich nun Rousseaus neue Heloise wieder, und meh- rere Schriften von Voltaire ; eine Reihe Baͤn- de von dem großen Werk, das unter dem Titel: Recucil de Voyages imaginaires noch immer fort- gesezt wird. Ich schaffte mir auch das I ournal de Perlet an, woraus ich die politischen Neuigkeiten so lernen konnte, wie sie ein Erzjakobiner auf- tischte. Als meine Mitkonsorten merkten, daß ich Zei- tungen las, kamen sie haͤufig auf mein Zimmer, und wollten was neues wissen. Ich erzaͤhlte ihnen gern, und gewann dadurch immer mehr in ihrer Gunst. Bey dem Hospital war ein sehr großer Garten, der ehedem zum Kloster gehoͤrt hatte, jezt aber zum Vortheile des Hospitals gebauet wurde, und den Kranken zur Erholung diente. In diesem Garten habe ich manche frohe Stunde zugebracht. So oft ich auf den Abtritt ging, mußte ich allemal lachen. Es war ein sehr geraͤumiges Gemach, — aber nicht das einzige im Spital — welches mit breiten Steinen belegt war. Diese Steine waren vorher Grabsteine der ehemaligen Bewohnerinnen dieses Klosters gewesen, und die schnakischen Leute hatten sie so angebracht, daß man im Sitzen die voͤllige Grabschrift lesen konnte. So stand z. B. auf einem Steine des Abtrittpflasters: Hier liegt Schwester Anna Olympia, geborne Graͤfin von Mor- bian, ihres Alters 42, ihrer Profession 26 Jahr: — Hier liegt Schwester Clara Rosalia, geborne Baro- nesse von Lamey, ihres Alters 69, ihrer Profession 50 Jahr. u. s. w. Es ist doch eine seltsame Sache um eine Revolution: sogar die Grabsteine der heili- gen Nonnen werden auf die Abtritte gelegt! — Die Kapelle im Garten, worin s o nst ein Ma- rienbild verehrt wurde, war zum Hinlegen der Todten bestimmt, welche hernach, nach Verlauf von dreymal 24 Stunden, vom Todtengraͤber vor die Stadt gefahren, und verscharrt wurden. Das Magazin fuͤr das Leinenzeug war in der ehemali- gen Klosterkirche; auch das irdene Geschirr und anderes Geraͤthe. In der Sakristey logirte Talon, der Aufseher uͤber das Magazin. Die Bilder der Heiligen, welche meist von Gyps waren, lagen auch hier alle zerschlagen herum, und die deutschen Soldaten schnitten sich Tabakspfeifenkoͤpfe aus den Truͤmmern dieser ehemaligen Gegenstaͤnde der oͤf- fentlichen Verehrung! Unter meinen Verrichtungen war mir keine laͤstig, als das Klystiren und das Wegbringen der Todten. Jenes muß jeder Krankenwaͤrter vom Chirurgus lernen, und dann nach des Arztes Vor- schrift vornehmen. Diese Arbeit habe ich niemals gerne gethan. Eben so laͤstig war mir das Weg- schaffen der Leichen, welche allemal von zwey Kran- kenwaͤrtern in den Garten hinab getragen werden mußten, nachdem man sie vorher ganz entkleidet und in alte Betttuͤcher gewickelt hat. Doch ich wußte einmal, daß dieses seyn mußte, und da ich mich dazu verstanden hatte, so gewoͤhnte ich mich auch daran. Ich habe die Zeit meines Aufenthalts im Hos- pital mehr als 40 Kranken besorgt, und ich koͤnnte mir nicht vorwerfen, daß ein einziger unzufrieden weggegangen waͤre. Mit Vergnuͤgen befolgte ich die Anweisung, worin befohlen war: „keinen Un- „terschied der Personen zu machen: fuͤr Fremde eben „so wie fuͤr Franzosen zu sorgen, und jedem Huͤlfs- „beduͤrftigen nach Vermoͤgen zu dienen.“ Ich glaube dem aufmerksamen Leser einen Ge- fallen zu thun, wenn ich hier eine kurze Beschrei- bung eines franzoͤsischen Militaͤr-Hospitals an- bringe. Diese soll nicht nur beweisen, daß die Nation in Frankreich bey weitem nicht so wild, unmenschlich und verdorben sey, als man sie ge- meiniglich beschreibt; und dann kann auch so eine Beschreibung dazu dienen, daß man daraus die haͤßlichen Maͤngel unsrer deutschen Feldlazarethe kennen und verbessern lerne, wenn anders diese Schrift das Gluͤck haben sollte, Maͤnnern in die Haͤnde zu kommen, welche Verbesserungen vorneh- men koͤnnen. Wenn aber auch das nicht ist, so werden sich doch die Leser die Zeit nicht lang wer- den lassen: denn es ist immer angenehm zu sehen, daß man Menschen menschlich behandelt: und wer so was nicht gern ließt, und nur Bege- benheiten sucht, ist nicht einmal werth, daß man um ihn sich viel bekuͤmmere. Zwey und dreißigstes Kapitel. Beschreibung der franzoͤsischen Lazarethe . I n Frankreich giebt es jezt zweyerley Lazarethe: einige sind buͤrgerliche, andere militaͤrische. Je- ne finden sich in allen Staͤdten, und sind fuͤr die Kranken des Districts bestimmt, welche nicht wirk- lich zum Militaͤr-Stand gehoͤren, und aus Man- gel der Huͤlfe des Staats beduͤrfen: diese hingegen gehoͤren fuͤr die kranken Solda t en und fuͤr alle Aus- laͤnder ohne Unterschied. Da ich vorzuͤglich von den lezten Lazarethen handle, so will ich von den buͤrgerlichen nur soviel sagen, daß in jedem derselben nur 4 Krankenwaͤr- ter angestellt sind: die uͤbrigen Dienste versehen ledige Frauenzimmer aus der Stadt ohne Ausnah- me nach der Reihe, und wechseln alle zehn Tage ab, die ausgenommen, welche sich einer liederli- chen Lebensart schuldig machen. Sobald ein Maͤd- chen als eine feile Dirne oͤffentlich bekannt ist, ist ihr der Eingang ins Hospital versperrt. Diese Maͤdchen bekommen fuͤr ihren Dienst nichts weiter, als das Essen, doch duͤrfen die reichern zu Hause essen. Diese Einrichtung hat man den Jakobinern zu danken, und sie ist deswegen gemacht worden, damit die schoͤnere Haͤlfte des Volks sich gewoͤhne, sanft und mitleidig zu werden. Uebrigens steht das Buͤrgerspital unter der strengsten Aufsicht der Mu- nicipalitaͤt und hat seinen eignen Direktor. Sobald nun jemand krank wird, der nicht im Stande ist, sich selbst pflegen und kuriren zu lassen, so wird er, auf die erste Anzeige, in das Spital seines Di- strikts gebracht, und da auf Kosten des Staats un- entgeldlich abgewartet und geheilt. Nachher ersezt man dem Geheilten noch den Verlust seiner ver- saͤumten Arbeit. — Die Militaͤrspitaͤler sind da angelegt, wohin man die Kranken von den Armeen, und sonstwoher leicht bringen kann. In Dijon waren deren vier: Chailler und Rousseau in der Stadt; Marat aber und Le Pelletier außer derselben. Wer aber in einem bekannt ist, kennt sie alle in ganz Frankreich, weil sie alle nach einer Regel angelegt sind, so wie et- wan alle Kapuzinerkloͤster in der ganzen Welt. Jedes Hospital steht unter der naͤchsten Fuͤr- sorge der Municipalitaͤt, die naͤchste Aufsicht dar- uͤber fuͤhrt aber der Krieskommissaͤr, welcher mit dem Direktor alle Rechnungen abthut. Dann ist ein Director, zwey Oberkrankenwaͤrter, ein Ausgeber, ein Kellner, ein Apotheker nebst zwey Gehuͤlfen zum Ti san ekochen u. dgl. ein Koch mit den noͤthi- gen Gehuͤlfen, ein Magazinier, ein Holzhacker, und noch einige Andre, welche die kleinern Verrich- tungen auf sich haben z. B. den Hof und die Trep- pen rein zu halten, die Strohsaͤcke zu fuͤllen, die Matratzen auszustopfen u. s. w. Wir nannten diese Leute C o u r c urs oder Beylaͤufer. Außerdem ist fuͤr jede 14 Kranken ein Krankenwaͤrter bestimmt, welcher außer seinen Kranken nichts zu besorgen hat. Die Stuben sind bald kleiner, bald groͤßer, doch duͤrfen die Betten darin nur so gestellt werden, daß man rund um sie herumgehen kann; blos oben stoßen sie an einander. Jeder einzelne Kranke hat sein eignes Bette. Diese bestehen aus einem wohl- gefuͤllten Stro h sack, einer Matratze mit Wolle ge- fuͤllt und mit Zwillich uͤberzogen, zwey Betttuͤchern, einer derben Friesdecke, und einem Pfuͤhl. Alle 15 Tage werden frische Betttuͤcher aufgelegt, und wenn der Kranke sie außer dieser Zeit verunreiniget, so werden sie jedesmal gleich gewechselt. Sobald der Kranke ankoͤmmt, nimmt der Krankenwaͤrter von der Stube, worauf er kom- men soll, ihn zu sich, und giebt ihm ein weißes Hemde, eine Muͤtze, einen leinenen Pan- talon, und einen Kapot. Leztere zwey Stuͤcke werden unten aufs Bette gelegt, damit der Kranke sie beym Aufstehen finden und anziehen kann. Aus- serdem erhaͤlt jeder Kranke noch einen zinnernen Becher, eine zinnerne Schuͤssel und einen Krug zur Tisane und dies oben am Bette. Alle zehn Tage bekoͤmmt der Kranke ein frisches Hemde eine frische Muͤtze und ein frisches Pantalon. Die schmutzige Waͤsche wird auf eine eigne Kammer getragen, und von Zeit zu Zeit gewaschen. Die Kleider jedes an- kommenden Kranken werden zusammengebunden, mit dessen Namen versehen, und so in einem dazu bestimmten Gemache aufbewahrt, wozu der Ober- Krankenwaͤrter den Schluͤßel hat. Die Kleider aller derer, die in Dijon starben, wurden hernach unter jene von den Gefangnen und Deserteurs aus- getheilt, die ihrer bedurften. Hat die Krankheit Gefahr, so wird es dem Dok- tor gemeldet, der dann sofort koͤmmt, und den Pa- tienten besucht. Alle Morgen um 7 Uhr erscheint der Medikus des Hospitals, nebst einem Feldscheer, dem Apo- theker und einem Feldscheer-Zoͤglinge. Der Feld- scheer und der Zoͤgling fuͤhren ein Tagebuch fuͤr je- den Tag; der Doktor aber haͤlt das Tagebuch vom vorigen Tage in der Hand, und beurtheilt danach den Zustand der Krankheit. Dieses Tagebuch ist gedruckt, und hat folgende Rubriquen: 1.) Bett- Nummer, 2.) Namen des Kranken, 3.) Namen der Krankheit, 4.) Zeit seines Aufenthalts im Ho- spital, 5.) Alimente, 6.) Medikamente, 7.) Ti- sane, 8.) besondere Bemerkungen. Sobald der Arzt ans Bette koͤmmt, examinirt er den Kranken, verordnet dessen Speisen, Trank, Medizin u. dgl. und der Feldscheer sowohl als der Zoͤgling muͤssen beide die Verordnungen des Doktors aufzeichnen. Zu diesem Behufe tragen sie ein Bret, worauf ihre Schreiberey liegt, und ein Tintenfaß einsteckt, mit herum. Ehe der Doktor das Zimmer verlaͤßt, nimmt er dem Feldscheer sein Heft ab, und laͤßt den Eleven das seinige laut ablesen, um gewiß zu wissen, daß nichts falsch aufgezeichnet sey. Wenn die Visite vorbey ist im ganzen Hospital, die dann freylich von mehreren Aerzten gemacht werden muß, wenn sehr viele Kranke da sind, so wird unten in einer Stube neben der Apotheke ein Auszug gemacht und auf jeden Saal ein Zettel ge- schickt, worauf fuͤr jeden Kranken das bestimmt ist, was der Krankenwaͤrter nun aus der Apotheke holen soll. Die eigentlichen Arzeneyen muß der Apothe- ker selbst bringen, und die den Kranken auch selbst eingeben, von deren Wirkung nachher der Kranken- waͤrter Nachricht geben muß. Alle Tage muß der Waͤrter alle Schuͤsseln, Becher und Kruͤge seiner Kranken reinigen; und wenn der Major Schmutz, Satz u. dgl. in Kruͤgen oder in Bechern findet, so sezt es Verweise, auch wenn es auf der Stube uͤbel riecht, oder Stroh u. dgl. auf dem Fußboden herum liegt. Reinlichkeit sagte immer der Major Fraipon , ist die Seele der Krankenwaͤrterey: Reinlichkeit ist die erste Be- dingung jeder Kur. Tobak darf auf den Saͤlen niemand rauchen; wer rauchen will, muß hinaus- gehen. Jeden Morgen, sobald es zehn Uhr schlaͤgt, wird gelaͤutet, und die Krankenwaͤrter holen erst ihren Kranken Bouillon , oder Fleischbruͤhe, wovon jeder einen Napf voll erhaͤlt; sodann wird das Brod, das Fleisch, das Gemuͤse und der Wein in Beyseyn eines Feldscheers, der von Bette zu Bette mitgeht, und im Tagebuch nach- sieht, was jedem Kranken vom Medikus ver- ordnet ist, ausgegeben. Es ist allen Waͤrtern ver- boten, den Kranken irgend etwas zu essen oder zu trinken zu geben, oder zu holen: koͤmmt so was heraus, so wird der Krankenwaͤrter mir nichts, dir nichts, fortgejagt; denn der Medikus spricht, in der Diaͤt bestehe die Seele der Kur; doch kann der Patient sich, mit Bewilligung des Arztes, dies und jenes fuͤr sein Geld holen lassen z. B. Honig, Pflau- men und dergleichen, doch aber nur mit Bewilli- gung des Arztes. Ein Kamerad von mir ließ sich einmal bereden, einem Volontaͤr eine halbe Flasche Champagnerwein zu holen, welches der sonst sanfte, stille Antoine erfuhr, und sofort auf dessen Entlas- sung drang. Der Major und der Direktor konnten es kaum dahin bringen, daß der gute Benoit blei- ben durfte: so streng hielt Antoine auf diese Ord- nung! Den andern Tag sagte er es selbst allen Waͤrtern, daß er hieruͤber keinen Spaß verstehe, und durchaus nicht leiden werde, daß irgend ein Kranker ohne seine Bewilligung etwas genieße. Einigen Kranken ist es erlaubt und einigen gar vorgeschrieben, am Tage im Garten herum zu ge- hen; andre aber muͤssen in der Stube, oder im Bette bleiben: fuͤr die puͤnktliche Befolgung dieser Vor- schriften steht der Waͤrter. Des Nachmittags um 4 Uhr wird wieder aus- getheilt, wie fruͤh um 10 Uhr, und nach eben der Ordnung. Die Kranken bleiben nicht immer auf einem Saal, sondern werden, wie ihre Krankheit abnimmt, auf einen andern gebracht, damit sie nicht wieder in die alte Krankheit zuruͤckfallen. Alles Laͤrmen und Spektakeln ist strenge verboten; daher es denn auch in solch einem Hospital so ruhig zugeht, wie in irgend einem Kloster von La Trappe. Abends werden die Wandlampen ( reverberes ) oder die Wiederscheiner von einem besondern Beylaͤufer im ganzen Hospital angezuͤndet, und mit Oehl verse- hen: denn damit haben die Waͤrter nichts zu thun. Fuͤr die sehr kranken Patienten, welche nicht aufstehen koͤnnen, sind zur Verrichtung ihrer Noth- durft Bassins und Urinoirs da, welche aber je- desmal muͤssen gereinigt und sauber gehalten wer- den: so wie die zinnerne Klystierspruͤtze, wovon auf jedem Saale eine befindlich ist. Die Verwundeten, Kraͤtzigen und Venerischeu stehen blos unter der Behandelung des Oberchirnr- gus. Die beyden erstern erhalten keinen Wein, und die Venerischen auch kein Fleisch: die Kraͤtzigen aber bekommen ganze Portionen. Es wird sehr gesorgt, daß die, welche gleich- artige Krankheiten haben, auch zusammen kommon, damit die Vermischung und Verbreitung der Krankheiten verhuͤtet werde. Daher ist es auch nicht einmal erlaubt, daß die Kranken von dem einen Saal in den andern gehen, aus Furcht, sie moͤgten ihr Uebel mit dahin bringen. Den ersten Tag des Monats erhalten die Kran- kenwaͤrter ihre Bezahlung vom Direktor; und bey dieser Gelegenheit wird ihnen die Instruktion alle- mal vorgelesen, welche vom Konvent selbst fuͤr sie verfaßt ist, und aus kurzen, buͤndigen Vorschriften, bestehet. Unter diesen Vorschriften ist eine, welche aͤcht jakobinisch ist, des Inhalts: daß kein Waͤrter sich unterstehen soll, einen Priester, er habe Na- men wie er wolle, zu einem Kranken zu lassen; denn da, wo man die Menschheit pflege, muͤsse der Fanatismus sich nicht einschleichen: dieser mache schon Gesunde krank, und Kranke gewiß noch kraͤn- ker. — Aber ich erinnere mich auch nicht, daß ir- gend ein Kranker je nach einem Pfaffen verlangt habe. Sie, die starben, starben alle demohnerach- tet ziemlich ruhig. Wenn ein Kranker stirbt, so ruft der Krankeu- waͤrter den Wachthabenden Feldscheer — denn im- mer muß ein Feldscheer auf der Wache seyn — und dieser untersucht den Todten. Wenn er ihn wirklich todt findet, so nimmt der Waͤrter noch ei- nen Kameraden, und die tragen den Kadaver im Laken in die Todtenkammer, wo sie ihm das Hemde abziehen, und in alte Laken wickeln. So bleibt er drey Tage liegen, im hohen Sommer auch kuͤrzere Zeit, und wird sodann, nachdem ihn der Chi- rurgus nochmals besehen hat, vom Todtengraͤber außerhalb der Stadt eingescharrt. Die Franzosen sind uͤberhaupt von dem laͤcherlichen Vorurtheil zu- ruͤckgekommen, daß man mit den Todten Staat und Gepraͤnge treiben muͤsse. Sie begraben sie auf die einfachste Weise, und zwar wohin sie wol- len: doch muß das Grab nach dem Gesetz 8 Fuß tief und auf eine Viertelstunde von dem Orte entfernt seyn, wo Menschen wohnen. Die Beerdi- gung geschieht allemal gegen Abend in der Daͤm- merung. In Frankreich behandelt man die Todten, wie man sieht, jezt sehr einfach, und dem äußern Prunk nach, ganz gering- schätzig: und doch behandelt, man die gesetzmäßigen Lebendigen dort weit besser als irgendwo; folglich ist es falsch, daß wenn man die Todten geringschätzig behandelt; man es mit den Le- bendigen bald nicht besser mache. Dieß Argument motiviren vorzüglich diejenigen, welchen der Sarg, das Todtenhemd, das Gelänte und der Prunk etwas abwirft, unbeküm- mert, ob die Familie des Verschiednen Geld zu Bro de übrig habe, oder nicht, geschweige zum Beläuten und was noch dazu gehört. Wir sind also so superhuman, daß wir die Ur- banität gegen die Verstorbnen auf Kosten der Humanität ge- gen die nothleidenden Lebendigen sehr ängstlich übertreiben. Die Kosten der Civilspitaͤler traͤgt allemal der Distrikt der Kranken, hingegen die der Militaͤr- Lazarethe traͤgt die Republik selbst; und eben dar- um muͤssen alle Rechnungen derselben monatlich nach Paris geschickt werden. Es ist daher auch nicht moͤglich, daß Mangel in einem solchen Hofspi- tale einreiße. Alle Tage wird frisches Fleisch, und alle zwey Tage schoͤnes weißes Brod geliefert. Ich habe in Frankreich nirgends schoͤneres Fleisch gesehen, als in den Hospitaͤlern. Der Wein muß gut und alt seyn, und wird aus der Provinz ge- nommen, wo das Spital ist. Antoine meynte auch, das Departement von Cote d'or schicke sich zu Hos- pitaͤlern besser, als das ganze uͤbrige Frankreich. weil der Burgunderwein unter allen Weinen der gesundeste, und fuͤr gewisse Krankheiten eine wahre Arzney sey; und dann auch, weit Dijon in einer sehr gesunden Gegend liege. Auf dem Hospital wurde so guter Wein, rother und weißer, ausgetheilt, als man ihn in keinem Weinhause der Stadt finden konnte. Bey dem allen ist es aber doch nicht moͤglich, daß jemand von den Spitalbedienten etwas in sei- nen Beutel mache, gewiß nichts betraͤchtliches. Deun im Fall eines Betruges von Wichtigkeit, muͤßte Municipalitaͤt, Kriegskommissaͤr und Di- rektor miteinander unter einer Decke stecken; auch duͤrfte der Medikus oder die Medici und der Apo- theker nicht vergessen werden, weil diese aus ihren Journalen den Betrug jener sonst gar nicht ent- decken und bekannt machen koͤnnten. Eben so ver- haͤlt es sich mit den Infirmiers Majors. Daher glaube ich auch nicht, daß die Republik in den Hospitaͤlern betrogen werde: wenigstens erinnere ich mich nicht, daß man deshalben je Klage ge- fuͤhrt habe. Der große Vortheil der franzoͤsischen Militaͤr- spitaͤler besteht darin, daß das Militaͤr gar nichts darin zu sagen hat. Ein Volontaͤr, welcher krank ist, steht nicht mehr unter seinen Offizieren, folg- lich laͤßt er sich von ihnen nichts gefallen; und be- schwert sich,wenn ihm sonst etwas abgeht. Aber bey den Oestreichern, Preußen und andern Truppen verwalten Offiziere, Unteroffziere u. s. w. die Hospitaͤler; und daher entsteht deren traurige ge- stalt, die Vernachlaͤßigung der Kranken, und das meiste von dem Unwesen, welches ich im vorigen Bande beschrieben habe, und welchem nicht abge- holfen werden kann, so lange man keine bessern Grundsaͤtze annimmt. Fremde duͤrfen ohne Erlanbniß des Thorhuͤters nicht ins Spital, und niemand darf heraus, als die zum Spital gehoͤrigen Bedienten. Die Kranken bleiben so lange, bis der Medikus sie fuͤr gesund erklaͤrt; und dann erhalten sie ein gedrucktes Billet, worauf der Arzt ihren und seinen Namen schreibt. Dieses Billet muß hernach an den Kommissaͤr, ab- gegeben werden, und dient ihm zu seiner Berech- nung. Mit dem Billet des Kommissaͤrs, welches der Kranke bey seiner Ankunft mitbringt, berechnet der Direktor. Daß uͤbrigens sehr genaue Register gefuͤhrt werden, versteht sich schon von selbst. Dieß mag fuͤr diesmal von dem neuen Franzoͤ- sischen Spitalwesen genug seyn. Wie ich hoͤre, soll Buͤrger Wedeling ein eignes Buch daruͤber geliefert haben. Ich kenne es nicht weiter; und was man hier davon hat, ist Resultat meiner eig- Vierter Theil. Gg nen Erfahrung. Wedekings Schrift sollte, wie ich höre, in einer berühm- ten Stadt gedruckt werden. Der Censor aber soll gemeynt haben: das konne er nicht zugeben, weil es uns Deutsche zu sehr beschame. So wenig dies auch ist, so be- weißt es doch genug: daß Frankreich es dahin gebracht hat — so ungern unsere politischen Unken es auch vernehmen — den Menschen , auch von Seiten des Staats , als ein selbststaͤndiges Wesen, als Zweck zu behandeln, und nicht als Niethe wie Friedrich der Zweyte sich einmal ausdruͤckt, oder als ein Mittel, das der Despot nur so lange achtet, als er es zur Erreichung seiner herrschsuͤchtigen Zwecke brauchbar findet. In sol- chen Staaten sucht ein Diogenes , von der po- litischen Seite, freylich noch immer vergebens nach — Menschen! Drei und dreißigstes Kapitel. Ich verlasse das Hospital , und gebe Lektionen . A us dem, was ich in den beyden lezten Kapiteln gesagt habe, laͤßt sich leicht der Schluß ziehen, daß ich als Krankenwaͤrter im Hospital zu Dijon nichts weniger als ungluͤcklich war. Ich lebte ordentlich, hatte an nichts Mangel, und einen Posten, wobey ich wenigstens ein nuͤtzliches Glied der Gesellschaft war, denn ich diente meinen Mitmenschen wirklich und vielleicht mehr, als mancher Professor der Theo- logie. Aber ich weiß es nicht zu sagen, es fehlte mir immer was, und ich war in einsamen Stunden oft unzufrieden, ohne daß ich wußte, warum. Bisher war ich immer in gewaltsamen Veraͤnderungen ge- wesen, und meine ganze Seele war schartig ge- worden, sie konnte sich daher nicht so recht in die ruhige stille Lebensart eines Krankenwaͤrters fin- den. Ich hatte mit einigen Offizieren von den ge- fangnen Preußen, Oestreichern und Hannoveranern Bekanntschaft gemacht, und besuchte sie oft in den zwey Kloͤstern, wo sie einquartiert waren, und genoß manchen Beweis ihrer Freundschaft. Als ich eines Tages auf dem Zimmer des Hn. Hauptmann von Euler , der bey einem oͤstreichischen Freykorps ge- standen hatte, etwas uͤber das Unangenehme mei- ner Lage merken ließ, so erklaͤrten sich mehrere ge- genwaͤrtige Offiziere, daß sie, wenn ich das Spi- tal verlassen wollte, gleich Unterricht im Franzoͤsi- schen bey mir nehmen wuͤrden, wobey ich wenig- stens monatlich 90 Livres verdienen koͤnnte. Auch duͤrfte ich die unschickliche Arbeit auf dem Spital dann nicht mehr thun und wuͤrde unabhaͤngiger und freyer. Ich dachte uͤber diesen Vorschlag nach, wollte aber noch nichts entscheiden, und blieb immer Spi- talwaͤrter. Endlich ward der brave Major Frai - pon krank, und Bonard hatte nun uͤber alles die Aufsicht. Dieser Mann war wirklich nicht schlimm, aber ich hatte ihn in der Kuͤche dadurch beleidiget, daß ich gesagt hatte: „da Fraipon krank sey, so wuͤrde es forthin wohl schief mit dem Spital ausse- hen.“ Das zog Bonard auf sich, als wenn ich glaubte, er koͤnne dem Institute nicht allein vor- stehn. Doch neckte er mich nicht, oder er konnte mich nicht necken: denn wer bey uns that, was seine Pflicht war, dem hatte keiner was zu sagen. Eines Tages hatte ich einen großen Wasserkrug beym Wasserholen zerbrochen, und dafuͤr einen an- dern aus dem Magazin geholt. Bonard behaup- tete, ich muͤsse mir den Krug an meiner Besoldung abziehen lassen, aber der Direktor sagte, was aus Unvorsichtigkeit zerbrochen wuͤrde, muͤsse hingehen. Das Ding kuͤtzelte mich, ich muß es nur gestehen, und ich sagte zu einem andern Waͤrter: „siehst du, Bonard hat mich wollen den Krug zahlen machen, aber er hat eine Nase gekriegt. — Bonard hoͤrte auch dieses, sagte es dem Direktor, und dieser gab mir nun auch eine Nase. Bonard, um sich an mir zu raͤchen, versetzte mich auf den Saal Egalit é , wo die Kraͤtzigen lagen. Das verdroß mich sehr, aber ich mußte schon zufrieden sein, weil solche A n - ordnungen lediglich vom Major abhaͤngen, und weil es mir, als einem der juͤngsten Krankenwaͤr- ter zukam, die Kraͤtzigen zu warten: denn da diese die wenigste Wartung beduͤrfen, und der Waͤrter nicht einmal ihr Bette machen darf: so uͤberlaͤßt man ihre Pflege den Neulingen unter den Waͤr- tern. Ich blieb indeß noch einen ganzen Monat auf Egalit é und foderte meinen Abschied erst zu Ende des Prair é als. Der Direktor gab mir ihn ungern, aber er gab mir ihn, als ich darauf bestand, und obendrein ein gutes Zeugniß, welches hernach bey der Inquisition revolutionnaire in Macon geblie- ben ist. Nun fing ich meine Stunden mit den fremden Offizieren an, und meine Schuͤler waren der Hr. Hauptmann von Euler , Hr. Leut. von Crone , von den Kaiserlichen; Hr. Leut. von Witzleben und von Fink , von den Preußen; Hr. Leut. von Ruhdorf , von Reinhardt und von Sander von den Hannoveranern; Hr. Leut. von Branden - stein von den Sachsen, und Herr Dunhaupt , Feldscheer bey den Hannoveranern. Also hatte ich taͤglich neun Lektionen: fuͤr jede erhielt ich 7½ Sous: folglich verdiente ich monatlich 101 Livres 5 Sous, wofuͤr ich in Dijon recht gut leben konnte, um so eher, da mir die Nation ohnehin mein Brod, und taͤglich 10 Sous Geld gab. Ich danke hier den Herren, welche mich in Dijon ihres Zutrauens wuͤrdigten, von Herzen fuͤr das viele Gute, und fuͤr die Freundschaft, die sie mir bewiesen haben. Von da an logirte ich in der Caserne der Deser- teurs, wo mir der Kommendant Belin ein ziemlich gutes Bette gegeben hatte. Ich logirte mit dem Sohne des Bischofs von Coppenhagen, der aber seinen Namen veraͤndert hatte, und jezt Adelsberg hieß, auf einer ehemaligen Nonnenzelle, wozu wir den Schluͤssel hatten. Dieser junge Mann war in Daͤnischen Diensten gewesen, und hatte bey der Garde, als Faͤhndrich gestanden. Einige dumme Streiche, wie er selbst sagte, machten, daß der Kronprinz von Daͤnemark, als General der Garde, ihm einige derbe Verweise gab, worauf er wider den Willen seines Vaters den Dienst verließ und nach Deutschland ging, um da bey den Preußen anzukommen. Er wollte aber das preußische Militaͤr wenig gekannt haben, sonst sagte er, haͤtte er den Schritt nie gewagt. Er ging, auf Zurathen einiger Bekannten in Hamburg, unter die preußische leichte Infanterie, und wurde bey dem Bataillon von Muͤffling , nicht Junker, wie er erwartet hatte, sondern Schuͤtze. Seinen Koffer, voll Waͤsche und anderer Sachen, nahm der Major an sich, und versprach ihm, fuͤr seine Be- foͤrderung zu sorgen. Adelsberg diente ohnge- faͤhr ein Jahr, merkte aber gar nichts von Befoͤrde- rung, fuͤhlte also Aerger und Langeweile, und deser- tirte bey der Retirade im Winter 1793, kam nach Langres, Macon und endlich, nach vielem Herum- laufen, nach Dijon. Er ist unter einem selbstfa- bricirten Taufschein schon im Herbst 1794 aus Frankreich gegangen, wohin aber, weiß ich nicht. Adelsberg , oder, wie er eig e ntlich hieß, Balle , war ein guter Mensch, der auch einige Kenntnisse hatte. Ich habe in seinem Umgang mich recht gut befunden, vorzuͤglich, da die meisten der in Dijon befindlichen Deserteurs eingemachte Schurken waren, mit denen man gar nicht zurechte kommen konnte. Die Einwohner in Dijon haßten diese Leute auch sehr wegen ihrer erzgroben Streiche, welche sie tagtaͤglich begingen. Stehlen war be- sonders ihre Sache, und es verging kein Tag, daß nicht Klagen wegen Diebstahl bey dem Kommen- danten wider einen Deserteur eingelaufen waͤren. Die elenden Leute sind zwar nicht werth, daß ich von i hr en Stuͤckchen die Leser unterhalte, aber eine Erzaͤhlung dieser Art kann doch dienen, daß man einsehen lerne, man muͤsse eben nicht jedem glau- ben, der aus Frankreich kommt, und die franzoͤsi- sche Nation tadelt. Die Leute sind wegen ihrer Uebelthaten in Frankreich bestraft worden, und nun wollen sie sich durch Schmaͤhungen und Laͤsterun- gen raͤchen. Wer sich aber daselbst gesetzmaͤßig be- tragen, und nur keine groben Excesse begangen hat, wird keine Ursache haben, mit der Behandlung der Franzosen unzufrieden zu seyn. Ich will da- her eins und das andere, was mir so eben einfaͤllt, von dem schlechten Betragen der Deserteurs aufuͤh- ren. Ein gewisser Bollmann , von den Kaiserlichen, aus Koͤlln am Rhein gebuͤrtig, hatte in Dijon eine huͤbsche Frau genommen, welche aber in sehr zwey- deutigem Rufe als Maͤdchen gestanden war. Er logirte sich in die Stadt zu einer Wittfrau, und fing da an Wein zu schenken. Bey eben dieser Witt- frau logirte auch ein alter Mann, ehemals Parla- ments-Assessor in Dijon, Namens Fouquet. Boll- manns Frau wartete dem alten Manne auf, und gewann sein ganzes Zutrauen. Noch zu der Zeit, als ich auf dem Hospital war, mußte Fonquet nach Pontarlier verreisen, und uͤbergab der Bollmannen seinen Stubenschluͤssel. Diese und ihr Mann oͤff- neten nun Fouquets Koffer, nahmen alles, was sie vorfanden, und wegbringen konnten, und noch eine Summe baares Geld von 12000 Livres. Außerdem hatte ein andrer Deserteur, Jil, wel- cher krank im Hospital war, dem Bollmann seine Uhr, Kleidung und einige 100 Livres aufzuheben anvertraut. Alles das packte das saubere Paar zu dem vorigen, und entlief nach der Schweiz. Aber ohnweit Besançon hielt man sie auf Steckbriefe an, und schickte sie nach Dijon zuruͤck. Der Mann wurde auf 6, die Frau aber auf 3 Monate zum Arrest verdammt. Ich habe nachher den saubern Schurken im Hospital Rousseau stark uͤber die Fran- zosen raͤsonniren hoͤren: aber man weiß, warum. Ein Anderer, Namens Gerber , machte die Hand des Kommendanten Belin nach, verfertigte Brodzettel, und stahl auf diese Art dem Brodaus- geber uͤber 60 Stuͤck Brod nach und nach. Er wurde ebenfalls auf 6 Monate eingesteckt. Zwey Deserteurs griffen Abends im Finstern einen Mann in der engen Gasse, wodurch man nach dem Departementshause geht, an, raubten ihm seine Uhr und Brieftasche mit Gewalt, und ent- liefen. Kein Frauenzimmer getraute sich beynahe Abends allein auf der Straße zu gehen, weil die Deserteurs ihnen die Hauben und Halstuͤcher ge- waltsam wegrissen. Nirgends sahe man dieses Gesindel gern hin- kommen: denn wohin sie kamen, schlugen und rauften sie sich, und zogen aus den Wirthshaͤusern gemeiniglich ab, ohne zu bezahlen. Bey einer Brantweinbrennerey drangen sie einmal in den La- den, nahmen einige Flaschen mit Gewalt, und liefen damit nach der Caserne. Als endlich die Ausschweifungen der Deserteurs taͤglich zunahmen: so wurde beschlossen, dieselben zu vertheilen, und auf die umliegenden kleinern Staͤdte zu schicken. Ein Trupp mußte nach Belle Dêfense, oder St. lean de Lone, wie es sonst hieß; andre wurden nach Anronne, Beaune und sonst wo- hin geschickt; auch konnte jeder, der nur wollte, aufs Dorf gehen, und bey den Bauren arbeiten helfen, wo auch jeder Arbeit fand. Der Kommendant Belin wurde von der Mu- nicipalitaͤt angegangen, daß er keine bessere Ord- nung bey den Deserteurs hielte. Aber der gute Mann konnte wirklich diese Hoͤllenbrut nicht baͤn- digen. Die Caserne der Deserteurs war einer Raͤu- berhoͤle so aͤhnlich, wie ein Ey dem andern. Nach dem Befehl des Convents sollten von den Deser- teurs die besten zu Aufsehern uͤber die andern bestellt werden: aber da war es sehr schwer, gute Leute her- auszufinden, oder man dankte fuͤr die Ehre, un- ter einem solchen Haufen etwas zu sagen zu haben. So lehnte ich selbst das Aufseher-Amt von mir ab, als Belin mir es antrug: denn wer thun wollte, was sein Amt mit sich brachte, war seines Lebens bey den Unmenschen nicht sicher. Einst kam der Kommendant selbst ins Kloster, um gewissen Unordnungen abzuhelfen: aber da er- griffen ihn einige, welche vorher ihre Roͤcke aus- gezogen, und ihre Gesichter mit Schnupftuͤchern verbunden hatten, um unkenntlich zu seyn, gaben ihm derbe Rippenstoͤße, und warfen ihn zum Thor hinaus auf die Gasse. Er holte zwar Wache, aber wer hatte es nun gethan! Wie konnte man unter 1000 Spitzbuben die Viere herausfinden, welche den Kommendanten mishandelt hatten? Das Kloster, worin die Deserteurs ihr Wesen hatten, war ein adeliches Stift gewesen, und hatte herrliche Bequemlichkeit: aber bald sah es aus, wie eine Spelunke. Die meisten Zimmer waren getaͤfelt, und sehr viele tapezirt gewesen, weil hier ehemals, nach der Mode in Frankreich, viele junge Damen erzogen wurden. Aber die Deserteurs ris- sen die Tapeten und das Getaͤfel herunter, und verbrannten alles, Thuͤren, Stuͤhle, Baͤnke, Fuß- boden, sogar die Sparren vom Dache. So we- nigstens fand ichs, als ich im Jaͤnner 1795 noch einmal dahin ging. Von den Oertern, wohin man einen Theil der Deserteurs geschickt hatte, liefen die bittersten Kla- gen ein. Einige durchstreiften das Land, und stah- len auf den Doͤrfern, so, daß keine Gans, Huhn oder Puter vor ihnen sicher war. Sie erbrachen die Keller, und holten den Bauren ihren Wein her- aus u. s. w. Indessen wurden, wie ich oben erwaͤhnte, die Deserteurs, wenn ihre Bubenstuͤcke entdeckt wur- den, doch nicht so hart bestraft, als wenn sie fran- zoͤsische Buͤrger gewesen waͤren. Man koͤnne, meyn- te Belin , von so einem unmoralischen Hausen, der nur den Stock respektiren gelernt haͤtte, nicht viel fodern: wenn sie es nur nicht zu arg mach- ten, muͤßte man immer zufrieden seyn. Doch saß die Prison in der Caserne immer voll Burschen, welche bald diesen, bald jenen Lumpenstreich voll- fuͤhrt hatten: wer aber grobe Verbrechen beging, wurde nach der Conciergerie gebracht. Einmal brachen die Eingesperrten ihre Kerker mit Gewalt auf, und sezten sich in Freyheit; und der Kommen- dant war nicht so kuͤhn, sie wieder einzustecken: er hatte gehoͤrt, daß sie ihn, im Fall er es thun wuͤr- de, todtschlagen wollten. Im Fruͤhling d. J. 1794 ging das Laufen der Deserteurs und der Gefangnen nach der Schweiz erst recht an: fast taͤglich eutliefen einige, aber sehr viele wurden erwischt, und dann auf 8, 14 Ta- ge eingesteckt. Ich kenne ihrer, welche drey-vier- mal zu entlaufen versucht haben. Viele sind auch durchgeschluͤpft, welches endlich sehr leicht wurde, nachdem, wie man weiß, die Jakobiner die Graͤn- zen nicht mehr so stark besezt hielten. Als vollends das Dekret uͤber die Entlassung neutraler Auslaͤn- der bekannt wurde, da machten Viele sich und an- dern falsche Taufscheine, besonders ein gewisser Bernhard von Wuͤrzburg, ein ehemaliger Jesuiter- schuͤler. Ein Andrer, Boͤhmroth , vom Regi- ment Wolfframsdorff, fabricirte gar falsche Sie- gel, und so gelangten Viele zu Paͤssen nach der Schweiz. Aber endlich wurde auch dieser Kunst- griff entdeckt, besonders da in den falschen Tauf- scheinen oft die laͤcherlichsten, grammatikalischen Schnitzer vorkamen. Das Departement untersuch- te also die Papiere von nun an genauer, ob ihnen gleich wenig daran lag, daß solche unnuͤtze Men- schen Frankreich verließen. Boͤhmroth wurde drey Monate eingesteckt, weil er fuͤr einen Andern einen Paß verfertiget und das Siegel des Depar- tements nachgemacht hatte. Aus dem, was ich hier erzaͤhlt habe, kann man schon abnehmen, warum Mancher, der aus Frank- reich zuruͤckkam, uͤbel von den Franzosen spricht. Aber ich getraue mich auch, ganz dreiste zu behaup- ten, daß, wer dieses thut, sich gewiß als ein De- serteur, das heißt, als ein verdorbner Mensch, in Frankreich betragen hat, der nur die physische Mo- ral des Stockes und nicht die der Gesetze zu achten gelernt hatte. Vier und dreißigstes Kapitel. Meine Beschaͤftigung in Dijon. Rechtspflege in Frankreich. I ch konnte es unter der infamen Bande der De- serteurs nicht lange aushalten, und suchte mir da- her ein Quartier in der Stadt, wo ich zwar taͤg- lich 4 Sous fuͤr Kammer und Bette zahlen mußte, aber nun auch bequem und artig wohnte. Es war bey einem gewesenen Bedienten des Exprinzen von Cond é , der mir manche Anekdote von seinem ehe- maligen Herrn mittheilte, welche ich zu seiner Zeit in den Abentheuern des Marki von Vilencon erzaͤhlen werde. Er hatte mit ihm auswandern sollen, aber er hatte lieber in seinem Vaterlande blei- ben wollen, als in andern Laͤndern den Vagabun- den machen; und daran that er recht. Der Kommendant Belin konnte mich, wie ich oͤfters merkte, gut leiden: er war seines Ge- werbes ein Eisenhaͤndler, und ein Mann von eini- gen Kenntnißen. Ich erhielt von ihm, was ich wollte, und mehr als einmal gab er mir Papier- geld. Er meynte, wenn alle Deserteurs waͤren, wie ich, so wollte er mit Freuden jedem alle Wo- che eine Bonteille Wein geben. Einen davon hatte er in sein Haus genommen, und brauchte ihn zu seiner Bedienung. Ich habe meine Zeit so ziemlich vergnuͤgt in Dijon zugebracht: wenn ich mit meinen Lektionen fertig war, ging ich in die Weinschenke zu Vien- not, wo immer starke Gesellschaft war. Da ich schon vorher mit vielen Buͤrgern aus der Stadt be- kannt war, so mehrten sich meine Bekanntschaften immer, und da ich fleißig mitschwadronirte, so war ich wohl gelitten. Sehr oft wurde ich von den Gaͤsten in die Weinschenken gerufen, um mit die- sem und jenem eine Flasche zu leeren: denn es ist dem Franzosen unmoͤglich, allein zu trinken: er muß schlechterdings einen Gesellschafter haben, der mit ihm plaudere und trinke. Die Gespraͤche waren allemal politischen In- halts: man raͤsonnirte uͤber den Krieg, uͤber die Gesetze, uͤber die dereinstige aͤchte Form der fran- zoͤsischen Republik, und andre Gegenstaͤnde dieser Art. Da mir alle diese Dinge schon lange interes- sant waren, so konnte ich mich sehr dabey unterhal- ten; und da ich uͤber alles das viel nachgedacht hat- te, so konnte ich meine Meynung oft mit großem Beifall derer sagen, die mir zuhoͤrten. Besonders war es den Franzosen angenehm, wenn ich ihnen aus der Geschichte der Griechen, Roͤmer, Schwei- zer und Niederlaͤnder etwas erzaͤhlte, und ihre neue Republik, mit jenen aͤltern Freystaaten verglich. Viennot sah allemal gern, wenn ich kam; und meine Zeche war immer gemacht, wenn ich mit Franzosen zusammen trank: denn diese ließen mich niemals mitbezahlen. Die Franzosen besuchten damals die oͤffentlichen Wirthshaͤuser haͤufiger als sonst. Denn die Jako- biner gaben auf alle Tritte und Schritte der Buͤr- ger Achtung, und sahen nach ihrer oͤftern Erfah- rung die Gesellschaften in Privathaͤusern als ver- daͤchtig an. Man scheute sich daher, jemand in seinem Hause zu besuchen, wie denn auch niemand einen Besuch gern annahm, weil er nicht wissen konnte, ob der Fremde verdaͤchtig war oder nicht. Die oͤffentlichen Haͤuser waren aber von allem Ver- dacht des Royalismus und Foderalismus frey; und da die Franzosen durchaus Gesellschaft haben muͤs- sen, so wurden diese desto fleißiger besucht. Ich muß gestehen, daß ich in diesen Gesellschaften, worin das lebhafteste Ideen-Commerz herrschte, viel ge- lernt, und meine Begriffe uͤber das Neufraͤnkische System sehr berichtiget habe, welches warlich nichts leichtes ist, da uns unsre von Jugend auf beyge- brachten Begriffe von Herrschaft, Adel, Vorrech- ten, Religion u. s. w. zu gar schiefen Urtheilen verleiten koͤnnen, wenn wir die franzoͤsischen Be- gebenheiten nur so obenhin anschauen, zumal nach der einseitigen oder ganz verschraubten Darstellung so vieler benebelter Schriftsteller. Deswegen muß man auch Geduld mit denen haben, welche diese große Revolution von der unrechten Seite ansehen. Die Leute sind nicht unterrichtet, oder unbeschnitten an Herz und Kopf. Wenn daher der Wanderer in seinen Wanderungen einen kleinen Trupp fran- zoͤsischer Gefangenen einen peuple souverain nennt, und sich dann uͤber sein eignes Hirngespinnst etwas zu gute thut: wer zuckt nicht die Achseln uͤber den abgeschmackten, faden Gespenster-Vogt! Fleißig habe ich auch die Gerichtsplaͤtze besucht, wohin jeder gehen und alles mit anhoͤren darf, was da verhandelt wird. Es giebt in Frank- reich keine Rechts- oder Justiz-Geheimnisse mehr: blos der Friedensrichter handelt bei verschloßnen Thuͤren, und das ist auch schon recht. Denn der Friedensrichter ist eigentlich kein Richter , sondern eine von dem Distrikt autorisirte Person, die Pri- vathaͤndel der Buͤrger in der Guͤte beyzulegen; und dazu dedarf es keiner Publicitaͤt. Vierter Theil. H h Ich habe, ich weiß nicht recht mehr, wo, gele- sen, daß die Franzosen seit der Entstehung ihres neuen Systems schon uͤber 7000 Gesetze gemacht haͤtten; und daruͤber hat sich de r E h renmann, der das geschrieben hat, derb aufgehalten, und gefragt, was doch aus einem Staat werden koͤnne, der 7000 Gesetze haͤtte! Aber der Mensch wußte wohl nicht, was er schrieb. Die meisten franzoͤsischen Gesetze gehen blos auf die Begebenheiten des Tages, und gelten gerade nur so lange, als ihr Gegenstand dauert. Buͤrgerliche Gesetze betreffen blos den Privatstand, und ihrer sind aͤußerst wenig. Ihr Inhalt ist ge- meinnuͤtzig, und ihre Sprache gemeinverstaͤnd- lich. Doch giebt es in Frankreich, wie in der ganzen Welt Rechtshaͤndel, welche man aber allemal erst bey dem Friedensrichter anbringen muß. Denn kein Collegium darf einen Proceß annehmen, ohne daß der Friedensrichter den Klaͤger durch ein Cer- tifikat dazu autorisirt habe. Einen Friedensrichter giebt es in jeder Gemeinde und er hat die Pflicht auf sich, die streitenden Partheyen auf jede Art zu verstaͤndigen, und zum Vergleich zu bewegen. Er kann von d en Partheyen keinen Heller nehmen, ist aber auch wegen seiner Friedensstiftung niemanden responsabel; ja, er darf sogar nicht einmal die Pro- z esse bekannt machen, und ist quasi ein juristischer Beichtvater. Wie nuͤtzlich und wohlthaͤtig aber das Amt eines Friedensrichters ( I uge de paix ) sey, muͤssen alle wissen, welche jemals das Ungluͤck ge- habt haben, der Deutschen Justiz, besonders der - - und der - - in die Krallen zu gerathen. Wenn aber die Bemuͤhungen des Friedens- richters nichts ausrichten, so muß freylich die Sache da angebracht werden, wo sie nach den Ge- setzen entschieden werden kann. Der Friedensrich- ter, welcher auf jeden Fall die Gesetze verstehen muß, sagt zwar den Partheyen allemal, wer Recht oder Unrecht habe, wer gewinnen oder verlieren werde, aber wenn sie sich doch nicht weisen lassen, so muß er sie an die Richter weisen. Ist die Sache von ganz geringem Belang, so wird sie sofort auf der Dorf - oder Stadtmunicipalitaͤt entschieden; ist sie aber etwas verworrener, oder wollen die Par- theyen mit dem Spruch der Municipalitaͤt nicht zufrieden seyn, so geht es auf das Distrikts- gericht. Hier sind zwoͤlf Beysitzer, und ein Praͤsident, der jedoch oft umwechselt. Erst wird die Sache muͤndlich entweder von den Partheyen selbst, oder von ihrem Anwald — worunter man sich aber kei- nen Advokaten, Justizkommissarius oder sonst ein Maͤnnlein dieser Art denken darf — deutlich vor- getragen, und nach den Hauptpunkten vom Schrei- ber aufgesezt. Wenn alles vorgebracht ist, was zur Sache gehoͤrt, nimmt der Praͤsident den Auf- satz des Schreibers, und ließt ihn den Partheyen sowohl, als den Beysitzern vor. Erstere werden befragt, ob noch etwas zu erinnern sey. Wenn sie es verneinen, so wird den Richtern vom Praͤsi- denten ein Vortrag gemacht, worin er ihnen die ganze Lage der Rechtssache erklaͤrt. Nun wird, um Bestechungen vorzubeugen, geloset, und drey von den zwoͤlf Beysitzern werden Richter in der Sache. Diese nehmen die hieher gehoͤrigen Gesetze vor, bestimmen ihren Sinn, und sprechen das Ur- theil auf der Stelle, welches sofort vom Schreiber aufgezeichnet, und den Partheyen eingehaͤndigt wird; und damit ist die Streitsache hier ent- schieden. Sollten die Partheyen glauben, daß man ihnen Unrecht thue, so koͤnnen sie aufs Departements- Gericht, und von da an den Konvent ( Chambre de cassation ) gehen: das alles steht ihnen frey, und kostet nichts, als die Zeit, die sie versaͤumen. Aber sehr selten geht ein Proceß durch mehr als eine In- stanz, und aͤußer st wen ige kommen nach Paris; denn man ist in den hoͤh ern Instanzen eben nicht gewohnt, den niederen zu widersprechen und andre Spruͤche zu faͤllen, als schon den G e se tz en gemaͤß gefaͤllt waren. Die Ursache der schnellen Justiz in Frankreich mag wohl nicht an den Gesetzen allein, und nicht einmal groͤßtentheils an den Gesetzen liegen. Diese sind zwar sehr deutlich und bestimmt, und es kostet kein Kopfbrechen, sie zu verstehen, und im gehoͤrigen Fall anzuwenden. Aber die Gesetze in andern Laͤn- dern sind auch deutlich und bestimmt, wie man denn dem neuen Gesetzbuch in Preußen meist nur den Vorwurf der Weitschweifigkeit machen kann. Aber daß in Frankreich die Justiz rasch von statten gehe, in andern Laͤndern aber so sehr schneckengaͤn- gig, daran scheinen andre Dinge Schuld zu seyn. In Frankreich gilt der hohe Grundsatz der Gleich - heit , nach welchem jeder Mensch, in Ruͤcksicht auf Gesetz und Recht, so gut ist, als jeder andere; folglich darf und kan n da keine Person angesehen werden. Aber in Deutschland — du lieber Gott, da kann mancher zugleich Klaͤger und Zeuge seyn; da fraͤgt man erst wer es ist? Und findet sichs, daß der Beklagte ein Mann von Einfluß, ein rei- cher, vornehmer Herr ist, je nun, so verliert er seinen Proceß gewiß nicht, gesezt auch, er habe das groͤßte Unrecht von der Welt. Ich kann mit Beyspielen aufwarten. Eine andere Hauptursache der schnellen Justiz- pflege in Frankreich ist, daß keine Advokaten da sind, keine Justizkommissarien, welche fuͤr Geld vertheidigen. Denn Geld bekoͤmmt da kein Anwald; und fuͤr einen Vortrag oder fuͤr eine Vertheidigung oder Verantwortung darf Niemand nichts nehmen, oder er wuͤrde sich und seinen Civismus aͤußerst verdaͤchtig und verhaßt machen. Drittens giebt es auch keine Sporteln: denn das Recht wird nicht verkauft. Daher haben denn auch die Richter und Anwalde keinen Vortheil da- von, wenn sie den Proceß in die Laͤnge ziehen: je eher er ausgeht, desto eher sind sie dieser Last uͤber- hoben. Diaͤten u. dgl. werden ganz und gar nicht gutgethan. Bey uns ist das ganz anders! Und endlich, welches die Hauptursache der bessern Rechtspflege bey den Franzosen ist, jeder Buͤrger, welcher mit bey Gerichte sizt, hat alle nur moͤgliche und hoͤchste Ursache, das Recht ja nicht zu beugen, und nur nach dem Gesetz und seiner besten Einsicht zu sprechen. Denn er ist ja gar nicht lange Richter: es giebt solcher Aemter, welche nur ein halbes Jahr dauern; wenige waͤhren zwey Jahre. Da er also befuͤrchten muß, daß man als- dann die Rechtssache abermals vornehme, und ihm, wenn man beweisen koͤnnte, daß er das Recht ge- bogen haͤtte, die gefaͤhrlichsten Haͤndel zu Halse ziehen koͤnnte, so ist es eben so sehr sein Vortheil als seine Pflicht, sich zu huͤten, und nur so zu spre- chen, wie es die Vernunft nach dem Spruch des Gesetzes fodert. Man entdeckt gar bald, welcher Richter ein Schurke, und welcher ein ehrlicher Mann ist. Wir wissen z. B. alle, daß Hr. Linksum die Pupillenkasse bestohlen hat; daß Hr. Rath Schurkius falsche Zeugnisse gerichtlich ausstellt; daß der Justizkom- missar Rabula zwey Gegenpartheyen zugleich be- dient, und beyde betruͤgt; daß der Justiz-Amtmann Schleicher fuͤr den Putz seiner Frau und Kinder mehr ausgiebt, als er rechtmaͤßiges Einkommen hat: das und noch tausendmal mehr wissen wir, aber wozu hilft es, daß wir es wissen? Die Her- ren hab e n Aemter d. i. Gewalt. Nehmt aber dem Herrn Linksum, Schurkius, Rabula, Schlei- cher und andern dieses Gelichters ihre Aemter, so werden sie gar bald der Gegenstand der allgemeinen Verachtung und des wohlverdienten H asses aller Rechtschaffnen und selbst des Poͤbels seyn, und so ihre Strafe leiden. Wuͤßten diese Herren, daß man sie einmal zur bestimmten Zeit absetzen werde: sie wuͤrden ihr Amt weit ehrlicher verwalten. Wer das Unwesen unsrer deutschen Justiz vielleicht noch nicht aus Erfahrung kennt, kann es beschrieben finden in dem „ Grab der Chikane , worin, daß haufige Processe das größte Uebel eines Staats sind, gezeigt, die wahren Quellen, woraus sie entstehen, oder nachdem sie entstanden sind, sorg- In Frankreich sind alle Justizaͤmter ambulato- risch: Keiner bleibt lange Maͤre, Prokurator, Beysitzer u. s. f. Alle wissen den Punkt, wo sie abgehen muͤssen: daher haben auch alle den groͤß- ten und staͤrksten Beweggrund, recht zu thun und das Gesetz nicht zu beleidigen. Es ist allerdings an dem, daß die jetzigen fraͤn- zoͤsischen Richter groͤßtentheils nicht auf Universi- taͤten gewesen sind, keine Compendia und Sy ste mata studiert haben, und nicht Doktoren in utroque jure geworden sind. Allein die schlechte Justiz in Deutsch- land koͤmmt nicht aus der Unwissenheit der Rich- ter, sondern aus ihrem Privatinteresse: deswegen ve ke hren und verdrehen sie den klaren Ausspruch des Gesetzes, und machen die hellsten Sachen dun- kel und verwirrt. Uebrigens sehe ich auch nicht ein, warum ein franzoͤsischer Buͤrger, der sich mit den ohnehin schon deutlichbestimmten Gesetzen ab- giebt, und sonst einen guten schlichten Verstand hat, nicht eben so gut das, was recht i st , oder un- recht, lernen sollte, als einer von unsern Herren Akad e mikern, die nur so nothduͤrftig ein Kollegi- um bey einem Professor hoͤren, dem andre Sach- fältig genährt, ins unendliche vervielfältiget und gleichsam ver- ewiget w e rden, entdeckt, dabey aber auch zugleich die wirksamste n Mittel, diese verschiedene Quellen zu hemmen und zu verstopfen, an die Hand gegeben werden.“ ken n er die groͤbste Unwissenheit und die schuͤlermaͤs- sigsten Schnitzer vorwerfen. Ohnerachtet man in Frankreich alles ruͤgen kann, was tadelhaft scheint, so weiß ich doch nicht, daß zwey Rechtsmaͤnner sich dort wegen Ignoranz je so befehdet haͤtten, wie vor kurzem ein Paar Rechtsgelehrte in Deutschland, die gar so weit gingen, daß sie sich die Ohren, nach Art der Jagdhunde, besteigen, und zu diesem Behufe Leitern brauchen wollten. Die A. L. Z . von 1796, und die A. d . B . von 1797. enthalten die Belege. Es mag aber bey dem V orwurfe, daß die neu- fraͤnkischen Juristen kein Ius verstehen sollen, ge- hen, wie es mit einem andern eben so wichti- gen ging, daß ihre Soldaten Lumpenpack waͤren, die wie ihre Generale, gar nichts vom Kriege und der Kunst, ihn recht zu fuͤhren verstaͤnden. Die Franzosen haben gewiesen, daß sie Soldaten sind; und wer hingeht, wird finden, daß sie das Recht eben so gut handhaben, wenn nicht noch bes- der, als die rabulistischen Rechtspfleger anderer Nationen. Uebrigens ist auch die Neufraͤnkische Jurispru- denz bey weitem so schwer nicht, als die Deutsche. Man bedenke nur, wie schwierig die Lehre von den Testamenten, von Ehesachen u. s. w. ist; und dann nehme man das liebliche lus publicum, feudale, canonicum und andere Theile der vielkoͤpfigen deut- schen Juristerey, wovon die Neufranken kein Wort mehr wissen wollen; und man wird finden, daß es leichter sey, in Frankreich ein Rechtsverstaͤndiger zu werden, als bey uns in Deutschland. Fuͤnf und dreißigstes Kapitel. Versuch, nach der Schweiz zu entkommen. Entfernung der Guil- lotine. Nationalfeste in Dijon. Sinken der Jakobiner. Gespenster. E inmal, es mogte so einen Monat nach meinem Abschiede aus dem Spitale seyn, ließ ich mich von einem gewissen Gesell , der vorher bey dem preußi- schen Regiment von Kleist gestanden hatte, verleiten, mit ihm nach der Schweiz entwischen zu wollen. Es war noch vor dem Dekrete des Kon- vents, daß neutrale Auslaͤnder zu Hause gehen duͤrften. Dieser Gesell stellte mir die Sache so leicht vor, daß ich bald nachgab, und ihn zu be- gleiten versprach. Die Ursache, warum er mich gerade gern mitgehabt haͤtte, war ohne Zweifel, weil ich eine gefuͤllte Brieftasche mit Assignaten, und noch einiges baares Geld hatte. Ich kann ihm das nicht verdenken; und wenn es uns gelungen waͤre, unsern Anschlag gluͤcklich auszufuͤhren: gern haͤtt' ich all mein Papier, und all mein Geld dazu hergegeben: mich luͤstete es gar sehr nach ei- ner Reise durch die Schweiz. Wir gingen, nachdem wir uns auf vier Tage mit Brod, Speck, und Schnaps versehen hatten, Abends von Dijon weg nach Auxonne zu. Ohn- weit Auxonne verbargen wir uns fruͤh in einem Wald; harrten den ganzen Tag bis spaͤt in die Nacht, um alsdann in der Naͤhe von Auxonne einen Kahn loszumachen, und uͤber die Saone zu fahren. Allein zu unserm Ungluͤck waren Leute bey den Kaͤh- nen; wir machten uns also auf die andre Seite der Bruͤcke, fanden aber da gar keinen Kahn. Nun liefen wir laͤngs dem Fluß hinan, ob wir sonstwo Kaͤhne finden wuͤrden, aber umsonst. End- lich kam der Tag und wir waren nicht weit von einem Dorfe. Du siehst, sagte ich zu Gesell , wir kommen nicht uͤber den Fluß; und wenn wir auch druͤber waͤren, so wissen wir hernach weder Weg noch Steg: laß uns also umkehren, und un- ser Vorhaben ein andermal ins Werk setzen, wenn wir welche bey uns haben, die der Wege kundiger sind als wir. Gesell gab mir recht, fuͤrchtete aber, der Kom- mendant zu Dijon moͤgte uns in Arrest setzen las- sen, wenn wir dahin zuruͤck kaͤmen; schlug mir also vor, auf einen andern Distrikt zu gehen, wie schon mehrere gethan haͤtten, und uns da fuͤr Frisch-angekommene auszugeben. Ich hatte da- zu keine Lust, und Gesell ließ sichs gefallen, nach Dijon mit zuruͤck zu gehen. Wir gelangten wieder dahin, und niemand schien uns vermißt zu haben; doch erfuhr ich hernach aus dem Munde des Kommendanten selbst, daß er um alles wußte, und nur schwieg, weil man uns nicht aufgefangen hatte. — Es war allemal ein tolles Unternehmen, aus einem Lande entwischen zu wollen, wo man die Landstraße nicht halten durfte, dabey der Ge- genden unkundig war, und noch des Nachts gehen mußte, um nicht jeden Augenblick von Auflaurern angehalten zu werden. Im Sommer dieses Jahres war ein wahrer Ju- bel in Dijon, wie in ganz Frankreich, als die Volksrepraͤsentanten in den Departementern und Distrikten die scheusliche Mordmaschiene, die Guil- lotine, aus den Augen des Publikums wegschaffen ließen. Diese Schreck-Buͤhne stand sonst immer mitten auf den groͤßten und freysten Plaͤtzen, das Messer immer hoch, und drohte jedem Verbrecher den Tod. Aber jezt, da die junge Republik der Verraͤtherey von Innen gewachsen war, jezt brachte man sie weg und stellte sie in Kirchen oder Kloͤstern hin, holte sie bey jedesmaligem Nothfall nur her- vor, und schaffte sie gleich nach dem Gebrauch wie- der weg. Die Franzosen hatten eine fast kindische Freude, da sie das Mordmesser nicht mehr vor Augen hatten. Ihre Freude wurde noch vermehrt, da sie in dem Bulletin lasen, daß, wenn einmal die allgemeine Ruhe hergestellt seyn wuͤrde, alle Arten von Todesstrafen abgestellt werden sollten. — Ich habe durchaus bemerkt, daß, obgleich Stroͤhme Bluts in Frankreich geflossen sind, das franzoͤsische Volk das Blutvergießen doch nicht liebt. Die ab- scheulichen Scenen waren eine nothwendige Folge der Revolution: das Volk sah dieß ein und ließ sie zu. Bey dem Siegesfest, das in Dijon gefeiert wurde, hatten wir eine Schnurre, die uns vielen Spaß machte. Ein huͤbsches Maͤdchen, als Goͤttin des Sieges gekleidet, wurde auf einem Triumph- wagen herumgefahren, und die ganze Buͤrgerschaft ging in Procession vor und hinten nach, und sang republikanische Lieder. Einige zwanzig oͤstreichi- sche Kriegsgefangne standen da, und gafften den Zug an. Einer von ihnen fragte: was das fuͤr eine Procession sey? Was wird es seyn, antwor- tete ein gewisser Bessel , — den man schon kennt, und von dem ich bald mehr sagen werde, — die Franzosen feiern heute ihr Fronleichnamsfest. Ey mein Gott, sagten die Oestreicher, das ist ja nicht die rechte Zeit! — Das thut nichts, fuhr Bessel fort, die Franzosen sind schnakige Kerls: die feyern das Fronleichnamsfest, wenns ihnen ge- faͤllt. Endlich ruͤckte der Triumphwagen naͤher, und vor demselben wurde ein Schild, das die Aegide der Minerva vorstellt, hergetragen. Die Oestrei- cher nahmen dieses Schild fuͤr eine Monstranz, und das Haupt der Medusa fuͤrs Venerabile oder das Hochwuͤrdige darin, zogen ihre Kasketer ab, fie- len auf die Kniee, und beteten, unter vielem Klo- pfen vor die Brust, das schoͤne Hochwuͤrdige an. Nun entstand ein allgemeines Gelaͤchter und ein lauter Spektakel, welcher beynahe die Feierlichkeit gestoͤhrt haͤtte. Selbst die Goͤttin des Sieges lach- te auf ihrem Triumphwagen. Man sprach uͤber diese Schnurre noch lange in allen Schenken, und lachte uͤber die unbegreifliche Unwissenheit und Dummheit der Oestreicher, welche selbst von ihrer Pfaffenreligion sehr wenig wissen mußten, da sie solche Sottisen zu begehen faͤhig waren. Herrlicher und schoͤner, als das Fest des Sie- ges, wurde das Fest des hoͤchsten Wesens gefeiert, wobey auch eine große Procession und feierliche Musik war, und erhabne Hymnen zu Ehren des Ur- wesens gesungen wurden. Ich habe einige Reden gelesen, welche an diesem Tage hin und wieder in Frankreich sind gehalten worden, und habe daraus ersehen, daß ein Republikaner von Gott sich ganz andre Vorstellun g en macht, als der, welcher in ei- ner Monarchie lebt. In der erwähnten Ausbeute soll eine Probe davon vor- kommen. Voltaire hat wohl Recht, daß der Mensch sich den lieben Gott nach seiner Lage denke, wie denn einmal ein Eremit Gott den heiligen Geist, als Eremiten in einer Eremitage mit der Kutte bekleidet, mahlte. — Der Unterthan des Despoten macht aus Gott einen Koͤnig, und giebt ihm alle Eigenschaften desselben, sogar einen Hofstaat, Armeen, Feinde u. dgl. Bey dem denkenden Republikaner findet ein ganz andrer Be- griff Eingang: Der wuͤrde nie ein Wesen verehren koͤnnen, dessen bloßer, unbedingter Wille Gesetz ist. Sein Gott muß mit Weisheit regieren, mehr lenken durch Vernunft, als durch Strafen u. s. w. Bey diesem Nationalfeste vergaß sich ein frem- der gefangner Offizier so sehr, daß er des Abends spaͤt im National-Habit, den ihm eine weibliche Bekanntschaft gegeben hatte, mit der Kokarde auf dem Hute einem Balle beywohnte. Er mogte zu- viel getrunken haben, und bekam Haͤndel mit ei- nem Franzosen. Beyde wurden eingezogen, und den folgenden Tag wurde der Offizier auf 6 Mo- nate zum Arrest verurtheilt: es war naͤmlich den Kriegsgefangnen verboten, nach 10 Uhr auszu- gehen, und noch mehr, Kokarden zu tragen. Bey- des wuͤrde indeß nichts gemacht haben, wenn er nur keine Haͤndel angefangen haͤtte. Er ist aber nicht lange gesessen: denn nach wenig Wochen kam er durch die Fuͤrsprache einiger Buͤrger wieder los, und die Richter aͤußerten: daß man gegen Kriegs- gefangene allemal etwas von der Strenge der Ge- setze erlassen koͤnne, aber gegen Buͤrger muͤsse man unerbitterlich sein. Uebrigens wurde dieser Offizier in seinem Arrest recht gut gehalten, und ich habe selbst gesehen, daß er in einem guten Zim- mer ein recht gutes Bette und alle moͤgliche Be- quemlichkeit gehabt hat. Auch die eingekerkerten Kriegsgefangnen wurden gut gehalten, wie der ge- meldete Offizier bezeugen kann. Ich wuͤrde sei- nen Namen hier nennen, wenn ich nicht befuͤrchten muͤßte, den braven Mann, der mir sehr wohl ge- wollt hat, durch eine Unbescheidenheit zu belei- digen. Außer meinen Stunden machte ich mich auch an allerhand Aufsaͤtze, vorzuͤglich an einen uͤber meine Begebenheiten, und hatte bey meiner Abreise aus Frankreich schon eine große Anzahl Bogen fertig: ich warf aber das meiste davon ins Feuer, weil ich mich vor der Visitation auf der Graͤnze fuͤrchtete. Die Jakobiner in Dijon hielten ihre sehr zahl- reichen Sessionen in dem ehemaligen Pallast des Bischofs, wo ich oft recht kraͤftige Reden und Verhandlungen mit angehoͤrt habe. In meiner Ausbeute so ll man einige davon antreffen. Aber so anges e hen die hiesigen Jakobiner bey dem Kon- vente, zu den Zeiten des Robespierre, seyn mußten, so schlecht empfahlen sie sich hernach durch ihre Adresse uͤber die Preßfreyheit, worin sie, nach dem Urtheil des Konvents, ganz verkehrte und Freyheits- widrige Grundsaͤtze aufstellten. Die Herren naͤm- lich wollten, daß nur Buͤcher, nach ihren Grund- saͤtzen geschrieben, die Erlaubniß erhalten sollten, oͤffentlich zu erscheinen, solche aber, welche etwan ein anderes System z. B. das moderantistische u. dgl. predigten, durchaus verboten wuͤrden. Der Konvent widersprach, wie billig, schickte die Adresse welche die Dijoner hatten drucken und in der ganzen Republik herumschicken lassen, mit Unwillen zuruͤck und erklaͤrte: daß er nicht gesonnen sey, die Denk- und Preßfreiheit durch Gesetze zu vernichten, und der menschlichen Vernunft ihren Weg durch Dekrete vorzuzeichnen. Vierter Theil. Ii Diese Antwort des Konvents machte die Dijo- ner aufmerksam, und sie glaubten darin zu bemer- ken, wie wenn der Konvent die oͤffentliche Mey- nung fuͤr sich und die Republik schon so fest und so allgemein begruͤndet halte, daß er des Or- gans dazu, der Jakobiner, jezt eben so entbehren koͤnne, wie der Guillotine: und hieraus folgerten die Einsichtigern, daß der Einfluß der Jakobiner bald ganz aufhoͤren wuͤrde. Ja, da die Antwort des Konvents auf den Straßen im Bulletin zu lesen war, so wiesen Einige schon mit bedeutender Miene auf die sonst so sehr gefuͤrchteten Jakobiner, und be- merkten: es muͤßte doch wohl nicht so ganz mehr an dem seyn, daß sie, wie sie sich dessen sonst zu ruͤh- men pflegten, im Konvente alles durchzusetzen ver- moͤgten, was sie nur wollten. Kurz dieser Umstand veranlaßte viele Buͤrger, selbst den Kommendan- ten Belin , aus dem Klub herauszutreten, der sich auch von da an nur noch sehr sparsam versammelte, bis er endlich ganz aus einander ging. — Das Ge- baͤude naͤmlich stand aufrecht, und das Geruͤste dazu ward uͤberfluͤßig. Von der großen Sucht der Franzosen, sich zu duelliren, sahen wir diesen Sommer hier ein trau- riges Beyspiel. Diese Sucht ward unter der königlichen Regierung dadurch herrschend, daß man bey seinem Regimente einen Offizier als An einem Morgen wurden, ohn- weit dem Thore Rousseau auf dem Walle, zwey junge Maͤnner todt gefunden, welche sich die Nacht, und wahrscheinlich ohne alle Zeugen geschlagen hatten. Der eine lag auf der bloßen Erde, und neben ihm zwey blutige Degen; der andere auf einer Bank in einiger Entfernung vom ersten, wohin er sich ohne Zweifel nach dem Stich noch geschleppt hatte. Sie mußten sich zugleich verwundet haben: man hat aber weder die Ursache ihres Zweykampfs, noch die Umstaͤnde desselben naͤher erfahren koͤnnen. Ohn- weit der Stadt wurde auch ein Volontaͤr mit einem Stich in der Brust todt gefunden: wahrscheinlich hatte dieser sich mit einem Kameraden herumge- schlagen, denn seine Wunde war von einem Bajo- net. Es ist naͤmlich bekannt, daß die Volontaͤrs, wenn sie keine Degen oder Saͤbel haben, das Bajonet zu solchen rasenden Geschaͤften zu brauchen pflegen. Daß die Franzosen nicht mehr an Gespenster glauben, habe ich in Dijon auch erfahren. Unsre brav und tapfer achtete, der sich nicht wenigstens drey - mal duellirt hatte. Brav und tapfer wollte aber hernach auch der Gemeine seyn. Dieß Vorurtheil hat lange geherrscht, war allgemein, Standes-mäßig und tief eingewurzelt. Die neue Regierung wird daher noch lange laviren müssen, bis es bey den lebhaften Franzosen eine herrschende Ueberzeugung werde: daß Tapferkeit und Gewandtheit eines Stiers und Mörders das eben nicht sey, worin der vernünftige und brave Mann seine Ehre suchen müsse. Gefangnen und Deserteurs waren in Kloͤstern ein- quartiert; und da war es kein Wunder, daß ihnen oft genug Geister erschienen. Wie sollt' es auch in einem Kloster nicht spuken! Im Benediktiner- Kloster logirten Hannoveraner, Hessen und Preu- ßen. Diese sahen eben nicht viel Gespenster; doch soll oben auf dem großen Gange sich immer ein Moͤnch haben sehen lassen, welcher mit Ketten rausch- te, u. dgl. Aber im Bernardinessen-Kloster lagen fast lauter Oestreicher, und die sahen nun tagtaͤglich Nonnen spuken! Ihnen war Garten, Kloster und Hof voll Gespenster! Im Garten wollte ein oͤstrei- chischer Offizier, wie er mich selbst versicherte, eine derbe Ohrfeige von einem Gespenste erhalten haben, weil er sich unterstanden haͤtte, dasselbe anzureden. Aber ich bin versichert, daß der Herr Leutnant v. Crone , schon eben wegen seines steifen und festen Gespenster-Glaubens, nimmermehr irgend eine Figur um Mitternacht angeredet hat. Sein Be- tragen und besonders seine Haͤndel mit dem preu- ßischen Leutnant von Roͤmer beweisen hinlaͤnglich, daß er eben kein Alexander war. — Alle Oestrei- cher wollten spukende Nonnen gesehn haben, und erklaͤrten diese Gespenster fuͤr die Seelen solcher Non- nen, welche ehemals ihrem Geluͤbde der ewigen Keuschheit nicht getreu geblieben waͤren. Im Kloster, wo die Deserteurs wohnten, spukte es auch fuͤrchterlich: da ließ sich oben auf dem Gange eine Nonne sehen, und im Garten sah man oft einen graͤßlich-schwarzen Mann mit feurigen Augen u. s. w. Besonders war ein entferntes Ge- mach beruͤchtiget, wo sogar am hellen Tage das Un- gethuͤm wuͤthen sollte. — Daß gemeine Oestreicher und Ungarn an diese und andere Moͤnchspossen glau- ben und sie Andern in vollem Ernste erzaͤhlen konnten, hat mich nicht gewundert: aber daß Offiziere sol- chen Fratzen nicht nur Beyfall gaben, sondern sie auch noch selbst gesehen haben wollten, hat mir eben nicht den besten Begriff von der Geisteskultur die- ser Herren beygebracht. Eines Tages saß ich bey Viennot in der Schen- ke, und mein vormaliger Knmpan auf dem Spital, der Koch Mauriceau, trat hinein. Ich trank ihm zu: nun, sagte er, Bruder, laß uns was schwa- tzen! Du schwatzest doch gern. Ich : Ja wohl! Wovon? Er : Wovon du willst, und ich verstehe. Ich : Wollen vom Teufel und von Gespenstern schwatzen. Hoͤre Bruder, glaubt man hier noch an dergleichen? Er : Allerdings hat man daran geglaubt, aber seitdem die Pfaffen nichts mehr gelten, gilt ihr An- hang, der Teufel und die Gespenster auch nichts mehr. Ich : Also ist's doch auch spuken gangen bey euch? Er : Das mein' ich! Droben im Cond é lschen Pallast ließ sich jedesmal, wenn jemand aus der Familie starb, ein weißer Geist sehen, und im Pa- lais Mazarin haben die Kapuziner noch vor acht Jahren ein Gespenst ausgebannt, und es hinaus nach Mirande verwiesen, wo es noch vor eini- gen Jahren tuͤchtig gespukt hat. Ich : So hats ja wohl auch Hexen bey euch gegeben? Er : Allerdings! Die Burgunder waren immer ein dummes, aberglaͤubiges Volk, so dumm zwar nicht, als unsre Nachbarn in der Franche Comt é , und im Delphinat, aber doch sehr dumm und un- wissend. Da haben wir denn ganz natuͤrlich auch Hexen die Menge gehabt! Noch vor 20 Jahren — ich weiß es noch, als geschaͤhe es heute, — wur- de eine Hebamme beym Parlament als Hexe ange- klagt, aber das Parlament nahm keine Notiz da- von, und verwies die Sache an den Bischof. Die- ser fand die Frau unschuldig, und ließ sie. Kurz darauf schlug der Donner in eine Kirche, und zuͤn- dete; auch zerschlug der Hagel unsre Fruchtfelder. Der Poͤbel glaubte, die alte Hebamme sey an die- sem Ungluͤcke schuld, und foderte im Aufruhr ihre Bestrafung. Man stillte den Aufruhr, und die alte Frau wurde eingezogen, saß uͤber 2 Jahre und starb im Gefaͤngniß. Ich : Schrecklich! Aber jezt habt ihr die Thor- heit fahren lassen? Er : Allerdings! Die Revolution hat dem Aber- glauben ein Ende gemacht. Seitdem es keine Krea- turen mehr giebt, die das Privilegium hatten, die Leichtglaͤubigkeit der Menschen durch Aberglauben in Contribution zu setzen, wie dieß unter der heillo- sen Pfaffenschaar die Moͤnche am besten verstanden, so giebt es auch keine Gespenster, Hexen und vom Teufel beseßne mehr, ja, kein Teufel selbst mehr; und uͤberhaupt hoͤren alle Teufelskuͤnste auf, sobald die Wunderwerke aufhoͤren: denn wo der liebe Gott nicht mehr unmittelbar wirkt, da treibt der leidige Satan sein Spiel auch nicht mehr. Der lezte Gedanke des alten Mauriceau gefiel mir, und schien sich durch die Historie des neuen Testaments vollkommen zu bestaͤtigen. Grade zu der Zeit, wo der Herr Jesus die großen Zeichen und Wunder gethan haben soll, war auch der Sa- tan außerordentlich geschaͤftig; und als vor meh- reren Jahren Gaßner Wunder wirkte, war in sei- ner Gegend beynahe kein fein-organisirtes Maͤdchen, das nicht vom Teufel leiden wollte. Man frage nur den theuern Gottesmann Lavater ! Sechs und dreyßigstes Kapitel. Laukhard in der Conciergerie I ch hatte seit meinem Abschiede aus dem Hospi- tal gut und vergnuͤgt gelebt, und dachte die Zeit abzuwarten, wo ich wieder zuruͤck nach Deutschland kehren koͤnnte: denn zu einer Flucht aus Frankreich nach der Weise so mancher Deserteurs und Gefang- nen, wollte ich mich nicht mehr entschließen. Ich hatte mein hinlaͤngliches Auskommen, gute Ge- sellschaft, angenehme Spaziergaͤnge u. s. w. und war gesund, bis auf meine geschwollnen Fuͤße, und die Wunde auf der Brust. Um die Aerntezeit fiel mir dennoch ein, an den Repraͤsentant Dentzel nach Paris zu schreiben: denn dieser hatte mir doch in Landau versprochen, fuͤr mich zu sorgen. Ich fuͤhrte meinen Einfall aus, und schrieb ihm einen weitlaͤufigen Brief, worin ich ihm meine Schicksale meldete, und ihn ersuch- te, mir einen Paß nach Paris auszuwirken: ohne spezielle Erlaubniß durfte man naͤmlich nicht dahin kommen, und ich hatte doch große Lust, mich in der Hauptstadt der neuen Republik umzusehen, und da dem großen Triebrad in der Naͤhe zuzuschauen. Ich gab meinen Brief auf die Post, und erwartete eine baldige Antwort. Aber Dentzel war damals, wie ich nachher aus den Zeitungen erfuhr, eben wegen der Lan- dauer Affaͤre zu Paris in Arrest, und wenn ich die- ses gewußt haͤtte, so wuͤrde ich nie an ihn geschrie- ben haben: denn alsdann war es gewiß, daß der Brief nicht an ihn, sondern an den Wohlfahrts- ausschuß gelangte. Ich hatte zwar von der Lan- dauer Sache nicht ein Wort einfließen lassen: aber befuͤrchten mußte ich doch immer, mein Name moͤgte den Parisern von Landau aus bekannt ge- worden seyn: und dann war ich entdeckt und ver- loren. Daher war es von mir sehr unuͤberlegt, daß ich mich nicht vorher erkundigte, ob Dentzel auch wirklich aktiv im Konvent noch sey, oder nicht? Ich haͤtte dieß leicht wissen koͤnnen, wenn ich nur die Monatsliste nachgesehen haͤtte, worauf alle je- desmaligen Repraͤsentanten, Generale u. s. w. verzeichnet waren. Es mogten ohngefaͤhr acht Tage nach dem Ab- schicken meines Briefes an Dentzel vergangen seyn, als ich auf einmal mitten auf der Straße, da ich eben zu den Offizieren in die Stunde wollte, auf Befehl der Municipalitaͤt angehalten und nach der Conciergerie gebracht wurde. Conciergerie ist in Frankreich ohngefähr das, was die Ha aus - vogtey in Berlin ist. Man kann sich mein Erstaunen kaum vorstellen. Ich bath den Buͤrger Villet, der die Aufsicht uͤber dieses große Gefaͤngniß hatte, den Kommendant Belin doch in meinem Namen bitten zu lassen, daß er zu mir kom- men wolle; und dieser ehrliche Mann kam nach ei- ner Stunde. Sage mir, schrie ich ihm entgegen, warum ich hier bin? Er : Das weiß ich selbst nicht. Ich : Ich habe doch nichts verbrochen? Er : Hier, soviel ich weiß, nicht das ge- ringste. Ich : Aber wer hat mich denn arretiren lassen? Er : Der Wohlfahrtsausschuß. Ich : Der Wohlfahrtsausschuß? Wie so? Er : Diesen Morgen schickte der Maͤre zu mir, daß ich ihm die Person eines Deserteurs, Namens Laukhard, der bey Landau von den Preußen de- sertirt sey, kenntlich machen moͤgte: ich habe die- ses gethan, und thun muͤssen, wie du weißt; und so bist du arretirt worden. Ich : Ich verstehe von dem allen kein Wort! Er : Und ich noch weniger. Ich lief aber gleich zum Maͤre, und fragte ihn, warum du arretirt waͤrest. Er wies mir den Befehl von Paris, aber da fand ich weiter nichts, als daß man dich eines kontrerevolutionnaͤren Verbrechens im allgemeinen beschuldiget. Der oͤffentliche Anklaͤger, heißt es, solle in einigen Tagen seine Instruktion deinetwe- gen erhalten. Nun ging mir ein fuͤrchterliches Licht auf! Sollte mein Brief an Dentzel dem Wohlfahrts- ausschuß uͤbergeben seyn? Das war mir jezt ge- wiß. Aber wer hat dem Wohlfahrtsausschuß denn gesagt, was ich in Landau habe machen sollen? Mein Verdacht fiel gleich auf Dentzel ; und da bemeisterte sich eine sehr unedle Rachsucht meiner Seele: ich wollte ihn verderben, ohne meiner selbst zu schonen. Es schien mir so suͤß, so angenehm, den, der mich haͤtte verrathen koͤnnen, mit mir ins Verderben zu reißen. Ich schaͤme mich noch jezt dieser sehr unedlen Empfindung, welche ich damals in der ersten Aufwallung hatte; aber da- mals war sie mir vielleicht zu vergeben. Der Er- folg scheint indessen doch zu beweisen, daß Den - tzel , als ehrlicher Mann, mir Wort gehalten, und an meiner Gefangennehmung keinen Antheil gehabt hat: denn er kam bald nach Robespierre's Tode los, und wieder in Aktivitaͤt. Waͤre aber sein Proceß mit seinem Gestaͤndniße schon bis auf meine Verwickelung mit ihm in Landau gekommen, so haͤtte er wahrscheinlich so nicht wegkommen koͤnnen; und ich — noch weit weniger. Ich saß also in der Conciergerie und hatte alle Muße, uͤber mein Mißgeschick nachzudenken. Man sieht leicht ein, daß meine kuͤtzliche Lage mir Stoff genug darboth, mich hier zunaͤchst mit mir zu beschaͤftigen, und das Spruͤchwort von allen Seiten recht auseinander zu setzen: „In solchem Wasser faͤngt man solche Fische!“ Ende des vierten Bandes (Leben und Schicksale.) Ende des zweyten Bandes. (Begebenheiten etc.) Verbesserung der Druckfehler. Seite 28. Zeile 12: muͤßtest du. — 32. — 22: geschrieben. — 74. — 11: Infamie, oder der Tod. — 83. — 2: Armen. — Und die Armen. — 100. — 10: geben, fruchtlos. — 141. — 5 von unten: haͤtten. — 244. — 8: Anabaptisten. — 259. — 1: Nation. — 278. — 19: Jean. — 292. — 9: fuͤr sein Oberverwaltungs- amt. — 310. — 4: ihn denn so hinrichten. — 382. — 2: wuͤrden. — 392. — 19: so oder so gegruͤndet wird. — 423. — 1 von unten: regalirt. — 426. — 6: das hitzigste war freilich. — - — 21: Ohnehosen. — 444. — 5: geschaͤhe. — 464. — 15: gar leicht entdeckt.