Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen . Zum Gebrauche für Vorlesungen von Dr. Friederich Theodor Vischer, ordentlichem Professor der Aesthetik und deutschen Literatur an der Universität zu Tübingen. Dritter Theil: Die Kunstlehre . Stuttgart . Carl Mäcken, Verlagsbuchhandlung . 1852 . Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen . Zum Gebrauche für Vorlesungen von Dr. Friederich Theodor Vischer, ordentlichem Professor der Aesthetik und deutschen Literatur an der Universität zu Tübingen. Dritter Theil. Zweiter Abschnitt. Die Künste . Erstes Heft: Die Baukunst . Stuttgart . Carl Mäcken, Verlagsbuchhandlung . 1852 . Inhaltsverzeichniß. Dritter Theil. Die subjectiv-objective Wirklichkeit des Schönen oder die Kunst. Zweiter Abschnitt . Die Künste. Erste Gattung. Die objective Kunstform oder die bildenden Künste . §§. Seite Grundbegriff 550—552 173—177 A. Die Baukunst . a. Das Wesen der Baukunst. α. Ueberhaupt 553—561 178—207 β. Die einzelnen Momente . Das Material 562 207—215 Die Haupttheile des Baus 563 215—217 Die Linien 564 217—221 Die Hauptrichtungen 565 221—223 Die Composition. Die Oekonomie 566 223—226 Die Proportion 567 226—228 Der Contrast 568 228—230 Die Lösung des Contrasts, die Gliederung 569 230—232 Der Rhythmus, die Symmetrie 570 232—236 Die Eurhythmie 571 237—238 Die Glieder im engeren Sinn 572 238—244 Das Ornament 573 245—250 §§. Seite b. Die Zweige der Baukunst 574—576 251—264 c. Die Geschichte der Baukunst. Vorbegriff 577 265—266 α. Die Baukunst des Alterthums . 1. Die orientalische Baukunst 578—582 267—283 2. Die griechische Baukunst 583—585 284—293 3. Die römische Baukunst 586 294—297 β. Die Baukunst des Mittelalters . 1. Vorstufe 587—590 297—311 2. Mitte 591—593 312—324 3. Ausgang 594 324—326 γ. Die moderne Baukunst 595 326—330 Anhang. Die untergeordnete Tektonik 596 331—338 Zweiter Abschnitt. Die Künste . Erste Gattung . Die objective Kunstform oder die bildenden Künste. §. 550. N ach dem in §. 533—537 begründeten Gesetze tritt zuerst die bildende Phantasie (§. 404) als Urheberin einer bestimmten Kunstform hervor. Auf das Gesicht organisirt, ist sie im Raume thätig an dem körperlich aus- gedehnten und schweren Stoff als ihrem Materiale. Das vollendete Werk steht bewegungslos und stumm dem Zuschauer gegenüber, vermittelt ihm durch das Auge das innere Bild, zu dessen Träger der Stoff umgeschaffen ist, und lebt in seiner Phantasie zu Bewegung und Sprache auf. Das Theilungsprinzip ist in den angeführten §§. zunächst äußerlich auf die Natur des Materials gegründet, dann in die Tiefe verfolgt, auf die Arten der Phantasie §. 402—404 und in letzter Instanz auf das Grundgesetz des Systems, das Auseinandertreten des Schönen in eine objective und subjective Form und die Vereinigung dieser Gegensätze, zurückgeführt. Wenn von der bildenden Kunst gesagt ist, sie sei es, die „ zuerst “ auftrete, so ist dieß zunächst Bezeichnung nicht zeitlicher, sondern begriffsmäßiger Folge. Alles Dasein ist wesentlich Körperliches im Raume, aller Bethätigung in der Zeit ist diese Grundform vorausgesetzt; so muß auch die Kunstform, welche den naturschönen Stoff wesentlich als räum- lichen erfaßt und nachbildet, die erste sein. Allerdings ist jedoch dieses Vorausgehen dem Begriffe nach in gewissem Sinn auch ein Vorausgehen der Zeit nach. Schon zu §. 533, 1. ist berührt, daß die Musik und Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 12 Poesie darum, weil sie vermöge des unmittelbaren, leichteren Flusses, worin hier das Innere in das Aeußere übergeht, am frühesten hervor- treten, keineswegs auch am frühesten eine Reife der Ausbildung erhalten, durch die sie zum adäquetesten Ausdruck des Kunstlebens einer Zeit sich erheben; es leuchtet schon vor der näheren Nachweisung ein, daß die Künste, die im greiflichen Stoffe darstellen, die vorzugsweise entsprechende Form gewesen sein müssen für die Phantasie der Völker des Alterthums, die wir als wesentlich objectiv bestimmte, anschauende, auf das Auge ge- stellte (vergl. 404 Anm. a. und 425, 3. ) aufgewiesen haben. Es hat also trotz der längeren Uebung, welche die bildende Kunst voraussetzt und deren Nothwendigkeit noch besonders hervorzuheben ist, früher eine Bau- kunst u. s. w. gegeben, welche der Kunstgeschichte angehört, als eine Musik und Poesie. Dieser Punct ist übrigens noch an andern Stellen zu be- leuchten. — Die bildende Phantasie ergreift denn als thätige Kunst körper- lich ausgedehnten, schweren Stoff und verarbeitet ihn so, daß ihm die schöne Form, wie sie vor der Phantasie des Künstlers auf Grund äußerer Gesichtsanschauungen als Object eines innern Sehens schwebt, als ein geistiger Mantel übergelegt wird. Dieser Stoff ist todt (§. 490) in dem engeren Sinne, daß die unorganische oder abgestorbene organische Masse auch durch die Thätigkeit des Künstlers keine wirkliche, in ein ebenfalls bewegtes inneres Bild unmittelbar übergehende Bewegung erhält. Das fertige Werk ist zunächst im eigentlichen Sinne bewegungslos und stumm; die bildende Kunst muß Angesichts des Satzes, daß die Kunstthätigkeit im Ganzen und Großen von Stufe zu Stufe die am meisten sprechende Form sucht (§. 533 Anm. 1. ), mit ihren Vorzügen sogleich ihre Mängel enthüllen. In einem gewissen Sinne freilich muß sie sprechend sein, in dem Sinne nämlich, daß sie überhaupt eine Idee in lebendiger Form ausdrückt, und diesen die Phantasie des Zuschauers mittelbar in Schwingung versetzenden Aus- druck versteht der §. unter Sprache, wenn er sagt, daß das todte Werk in der Anschauung zu Bewegung und Sprache erwache (vergl. §. 489, 1. ); handelt es sich aber von Bewegung und Sprache (oder Ton) im eigentlichen Sinn, so fehlen diese dem Werke der bildenden Kunst. Nehmen wir nun die drei Momente zusammen: den Künstler, in welchem ein Phantasiebild innerlich lebt, das Werk, welches körperlich, bewegungslos, stumm hingestellt ist in den Raum, den Zuschauer, in dessen Anschauung es auflebt, aufthaut, so haben wir einen Prozeß, der wohl zu merken ist, um den tiefen Unterschied zu verstehen, der sich im Prozesse der Musik und Poesie nachher herausstellen wird: es ist eine Bewegung in zwei Tempi, deren erstes das Hinstellen des Objects im Raum, deren zweites das Hinüberspringen des Objects in den Zuschauer ist; die Kugel fliegt hier nicht direct, es ist ein getheilter Act wie der aufschlagende Schuß wie Unterschied vom wagrechten, nur daß freilich die Kugel im Aufspringen nicht verweilt, wie das in Stein, Erz u. s. w. verfestete Bild des Künstlergeistes. §. 551. Wenn alle Kunst objectiv ist, wie das Naturschöne (§. 489), so ist es die bildende im engeren Sinn dieses Prozesses, der ebensosehr als eine Ver- senkung des Geistes in den greiflichen Stoff, wie auch als eine klar scheidende Gegenüberstellung gegen denselben erscheint und nach erfolgter schwerer und dem Handwerke verwandterer, lange technische Uebung fordernder Bewältigung in ihm einen festen Niederschlag des innern Bildes zurückläßt, welcher, getrennt von seinem Urheber, wie ein Naturschönes vom Zuschauer vorgefunden wird. In aller Kunst stellt sich die Objectivität des Naturschönen, die in das subjective Leben der Phantasie aufgesogen war, als eine geistig un- geschaffene, als eine Geburt des Geistes wieder her; die Phantasie war das Grab des Naturschönen und ist zugleich der verborgen nährende Mutterschooß, woraus es als diese neue Gestalt wieder an das Licht tritt. Innerhalb der Reihe der Künste aber kehrt in der bildenden Kunst die Bedeutung im engeren Sinne wieder, die das Naturschöne im ganzen System hatte: zunächst, wenn wir vom Subjecte des Künstlers ausgehen, in dem Sinne, daß dessen Stimmung und Element sinnlicher ist, als in den andern Kunstformen. Der Geist des bildenden Künstlers geht auf das Körperliche in der doppelten Richtung, daß er anschauend alle Er- scheinung von dieser Seite faßt, nur im räumlich Ausgesprochenen, Knochen- festen, in Fleisch und Blut zu Haus ist, und daß er ausführend in Stein, Holz, Erde, Farbstoffen mit messendem, tastendem, fühlendem Finger um- wühlt, hämmert, meisselt, rührt, reibt und streicht. Seine Persönlichkeit gibt sich auch im Umgang als grundverschieden von der des Musikers und Dichters kund: derber, saftiger, handwerksmäßiger, naiver, gelegent- lich cynischer; und so muß man sich die ganzen Völker denken, deren Geist zur bildenden Kunst vorzugsweise berufen war. Es ist kein Wider- spruch, wenn diese Versenkung ebensosehr als eine Gegenüberstellung bestimmt wird, was persönlich gewendet allerdings sogleich dahin lauten muß, daß der bildende Künstler klarer, bewußter erscheinen wird, als der Musiker. Unter der Versenkung in das Sinnliche nämlich kann hier natürlich nicht das dumpfe Verwachsensein der Kindheits-Zustände des Geistes gemeint sein; es ist eine Naturstimmung, die aber innerhalb ihrer scharfe Diremtion zwischen Object und Subject ist, und zwar ebenfalls in dem doppelten Sinne, daß nur der vom naturschönen Gegenstande zurückgetretene Geist sich diesen klar gegenübersieht und daß ebenderselbe 12* Geist das innerlich gesetzte Bild in hellem Rückschlag hinüberwirft in körperlichen Stoff. Jenes heimische Arbeiten und Umwühlen im Materiale ist daher zugleich ein klarer Kampf mit einem Gegner, dessen ganze Sprödigkeit auf langem Erfahrungswege sich zu erkennen gibt und dem man mit einer reichen Ausrüstung von Waffen und Kampfregeln auf langem Uebungswege beikommen und zusetzen lernen muß. Es muß eine Kunstform geben, die den Act des klaren Gegenübertretens, wie er diesem Kampfe zu Grunde liegt, in einem ganz andern Elemente tiefer und geistiger vollzieht; aber dieß Tiefere wird erst ein Drittes sein, das in einer zunächst folgenden zweiten Kunstform ein Ineinandergähren von Object und Subject voraussetzt, welches inniger , aber dunkler ist, als das Verhalten in der bildenden Kunst. Diese ist also mehr und weniger , als die vorerst auf sie folgende subjective Kunstform; die Bestimmtheit der Gegenüberstellung zwischen dem Naturschönen und Künstler, dem Künstler und seinem Werke ist ebensosehr noch eine Behaftung mit der Natur, ein Bedürfen des gegebenen Gliedes in der Antithese. Mit dem „Zurückschlingen der Welt in das Herz“, das die subjective Kunst, die Musik, zu vollziehen haben wird, ist die Klarheit des Gegenschlags, aber auch diese Behaftung mit dem Object aufgehoben und eine Wiederherstellung dieses Objects aus dem Innern vorbereitet, welche von ungleich hellerem Bewußtsein des Künstlers über seinen Stoff und sein Werk begleitet sein wird. — Endlich haben wir das Ergebniß dieses eigenthümlichen Actes der bildenden Kunst im Verhältniß zum Zuschauer zu betrachten. Das vollendete Werk steht im Raume da wie ein Naturwerk; der Künstler hat es hingestellt ganz auf die eigenen Füße und ist hinweggegangen. Wie eine Naturerscheinung eben da ist, auf einmal vor uns steht, als wäre sie ein Zufälliges und Unvermitteltes, so auf den ersten Blick das Werk der bildenden Kunst: wir treten in einen Raum ein und es steht vor uns, als wäre es da hingefallen oder da gewachsen, bis der zweite Blick uns in die Tiefe der geistigen Vermittlung führt, die es wie einen hohen Fremdling aus wunderbarer Ferne geholt und hier zwischen Erde, Fels, Baum und Werken des äußern Bedürfnisses aufgerichtet hat. Trotz diesem unend- lichen Unterschied liegt aber gerade hierin, daß uns das Kunstwerk so körperlich aufstößt, die Parallele mit dem Naturschönen am bestimmtesten ausgesprochen. Daß das Werk des Musikers und des Dichters, geschrieben oder vorgetragen, diese Aehnlichkeit mit dem Naturwerke nicht hat, muß zum Voraus einleuchten. §. 552. 1. In diesem Wesen der bildenden Kunst ist der Charakter des voll und scharf Ausgesprochenen, streng und dauernd Hingestellten, aber auch die Reihe ihrer Beschränkungen gegründet. Die nothwendige Rücksicht auf die spezielle 2. Bestimmtheit des Raums, in welchem das Kunstwerk stehen soll, ist ebensosehr fördernd, als bindend. 1. Die bildende Kunst kann man in gewissem Sinn die eigentliche, die Kunst κατ̕ ἐξοχὴν nennen eben wegen der Klarheit, Vollständigkeit, Solidität, womit hier der Objectsetzende Act vollzogen wird. Kein Werk einer andern Kunst muß in so unbedingtem Sinne sich selbst erklären, wie das ihrige; wo die Darstellung im Raume verlassen und die Zeitform eingetreten ist, da bleibt die Seele des abwesenden Künstlers in ganz anderem Sinne dennoch gegenwärtig in seinem Werke, als im Werke der bildenden Kunst, und er muß für diesen Vortheil nichts Geringeres opfern, als das einzige Mittel, eine Gestalt vollständig deutlich hinzustellen und in dieser Deutlichkeit zu fesseln, festzuzaubern, welches eben in der Sicht- barkeit gegeben ist. Es bewährt sich hier der Satz §. 533, 2. , daß der Gewinn im Fortgang nach der andern Seite ein Verlust ist. Welche Beengungen dagegen der Preis sind, um den die bildende Kunst ihre großen Vortheile erkauft, dieß kann erst bei den einzelnen Gebieten der- selben bestimmter aufgewiesen werden, denn die Gränzen sind verschieden; der Inbegriff aller dieser Schranken ist in der Bewegungslosigkeit und Stummheit des Werks (§. 550) ausgesprochen. Es ist schon gesagt, daß das Bild im Geiste des Künstlers Leben und Sprache gehabt hat und in dem des Zuschauers wieder gewinnt, aber es bleibt dabei, daß dem in seinem Material niedergelegten Bilde die eigentliche Bewegung und Sprache fehlt, also die Möglichkeit verschlossen ist, denselben Gegenstand in Einem und demselben Werke in der Kategorie des Nacheinander ver- schiedener Momente darzustellen. 2. Die zweiseitige Natur dieses weitern Moments, der engen Beziehung auf das Umgebende, das sich unmittelbar aus dem Wesen der bildenden Kunst als einer Kunst des Raumes ergibt, gehört zu dem untrennbaren Zusammenhang von Vortheilen und Nachtheilen, der in diesem Wesen über- haupt gegründet ist. Die Rücksicht auf eine bestimmte Oertlichkeit ver- ringert sich allerdings bei der Tafelmalerei, ist aber bei dem Wandgemälde noch ganz wesentlich, für Baukunst und Plastik ein Grundgesetz. Das ganze Kunstwerk als Motiv (§. 493) ist dadurch bedingt und seine Wirkungen bekommen dadurch die Fülle lebendiger Gesammtwirkung; Licht, Luft, Wasser, Bäume und künstlicher Raum baut sich und webt sich mit ihm zu einem Ganzen zusammen, selbst Beengendes in der Oertlichkeit kann, wie das Material (§. 518, 1. ), Quelle der Erfindung neuer Motive werden; aber diese Bindung ist nichtsdestoweniger eine Beengung aller bildenden Kunst im eigentlichen Mittelpuncte ihres Wesens, sobald man den freien Flug der Künste der Zeit damit vergleicht. A. Die Baukunst . a. Das Wesen der Baukunst . α. Ueberhaupt. §. 553. Die Theilung der bildenden Kunst in drei Künste ist in §. 538 zunächst aus dem Unterschiede der Arten der bildenden Phantasie (§. 404) in ihrer Zusammenfassung mit der trennenden Natur der strengen Bedingungen des Ma- terials abgeleitet, sodann auf das im System herrschende Gesetz der Zerlegung in eine objective, subjective und subjectiv-objective Form zurückgeführt, was sich nun näher vorerst so bestimmt: der Geist der Kunst, um innerhalb der objectiven Form die subjectiv belebtere zu gewinnen, setzt sich als Grundlage, Ausgangs- punct und Stütze des Fortschritts eine im strengsten Sinn objective Form. Der Begriff der Objectivität enthält hier zugleich den einer nur erst allgemeinen Bewältigung der Natur als Boden der Kunst. Es ist im ersten Abschnitt §. 533 ff. die Theilung der Kunst als eine dreigliedrige entwickelt, die sich „zu einer fünfgliedrigen erweitert, ohne daß darum die Dreitheilung ihre grundgesetzliche Geltung verlöre“ (§. 538). Die drei bildenden Künste sind die Zweige der Einen bildenden Kunst, wie Epos, Lyrik und Drama die Zweige der Poesie: nach dieser Seite sind und bleiben sie bloße Unter-Eintheilung des einen der drei Haupt- glieder des Systems der Künste; aber die Unterschiede dieser Zweige be- stimmen sich zu einer so ausgesprochenen Schärfe und realen Abgränzung, daß sie als selbständige Künste dastehen, während die Zweige der Dicht- kunst, durchsichtiger, durch geistigere Linien getrennt, Namen und Bedeutung bloßer Zweige behalten: dieß ist die andere Seite, wodurch neben dem tieferen Rechte der Dreitheilung des Ganzen die Fünftheilung ihr relatives Recht erhält. Ueber diesen Punct hat sich schon die Anm. zu §. 538 aus- gesprochen. Der Grund der schärferen Scheidung liegt zunächst, wie ebenda gezeigt ist, im Unterschiede des Materials, was nach der Auseinander- setzung §. 534 nicht mehr so verstanden werden kann, als stoße dieses dem Künstler von außen auf, sondern er wählt ein anderes, weil er anders anschaut, das Material hat also seine Geltung nur zusammengefaßt mit der Art der Phantasie, nur als bedingt und ergriffen durch diese. Dieß ist nun aber näher zu bestimmen. Wirft man nämlich einen Blick voraus auf die Poesie und ihre Zweige, so unterscheiden sich diese nicht durch das Material, hier richtiger Vehikel, sondern es ist ein Unterschied der Stellung des Subjects zum darzustellenden Objecte (der Welt), was sie begründet; ebendarum ist ihre Trennung nicht so scharf, daß sie ver- schiedene Künste genannt werden könnten. Genauer betrachtet aber scheint es sich mit den Unterschieden der bildenden Kunst auch so zu verhalten, daß nicht das Material, sondern nur die Anschauung des Künstlers gewechselt wird: die Plastik verarbeitet schweres, hartes Material, wie die Baukunst, die Malerei hat es mit erdigen, harzigen und andern Stoffen zu thun, die sie zerreibt und als Farbe auf einer Fläche ausbreitet; also überall das Feste, Körperliche, wie in der Poesie überall die flüssige Sprache und (als eigentliches Material) die Phantasie des Zuhörers. Allein das Wesentliche ist dieß, daß die Behandlung in jedem Hauptzweige der bildenden Kunst eine so verschiedene ist, als wäre das Material wirklich ein anderes. Was die Malerei betrifft, so vergißt man bei ihrem Werke, wie die Wand, die Tafel, Leinwand, so auch die Farbstoffe über dem Bilde, das in das Auge geworfen wird; was Baukunst und Plastik be- trifft, so wirkt in jener die körperliche Grundeigenschaft des Stoffs, Schwere und Härte, eben im ästhetischen Eindruck als wesentlich geltend, wogegen sie in dieser unter der warmen, weichen, runden Form, die als Nachbildung der Oberfläche einer organischen Gestalt dem Material übergezogen ist, nur noch verdeckt mitwiegt. Und nun allerdings kommt auch in Betracht, daß in den beiden letztern Künsten das Material doch nicht ganz dasselbe ist, indem gewisse Steinarten, Bronce u. s. w. von der einen nicht ebenso wie von der andern verwandt werden können. Geht man nun von da wieder zurück in das Innere als ursprünglichen Grund des Unterschieds, so zeigt sich, daß sich die Sache auch hier anders verhält, als in der Dichtkunst: die Arten der Phantasie, welche den Unterschied der Zweige (Künste) in der bildenden Kunst begründen, ruhen unbeschadet der tiefen Analogie auf einem andern Eintheilungsgrunde, als die Arten, welche den Unterschied der Zweige der Dichtkunst bestimmen. Letztere beruhen, wie oben gesagt ist, auf verschiedenen Stellungen des Subjects zum Object: das Object ist jedesmal dasselbe, nämlich die Welt in allen ihren Er- scheinungen, aber es wird anders gespiegelt und mit dieser verschiedenen Art der Spiegelung hängt zwar auch ein Unterschied ihres Umfangs zusammen, aber nur abgeleiteter Weise und minder tief einschneidend; jene dagegen nehmen sich jede ein anderes Object, genauer ausgedrückt, das Object (die Welt) in einem andern Umfang ihrer Erscheinungen zum Gegenstand und zwar so, daß dieser Unterschied des Umfangs hier ganz wesentlich entscheidend ist: die eine hat es mit Grund-Verhältnissen der unorganischen Natur, die andere mit dem organischen Leib, die dritte erst mit Allem, was überhaupt sichtbar erscheinen kann, zu thun. Hiemit erst ist es klar geworden, warum hier verschiedene Künste, dort nur Zweige entstehen; denn daß ungleich selbständigere Gebiete auftreten müssen, wo die einzelnen Kunstweisen im Umfang ihrer Stoffe so grundverschieden sind, als da, wo die verschiedene Art der subjectiven Aneignung und Wieder-Entlassung aus dem Innern bei geringerer Differenz der Aus- dehnung auf die Welt der Erscheinungen den wesentlichen Unterschied bildet, dieß leuchtet schon vor der Durchwanderung des Systems der Künste ein. — Der tiefere Grund nun der Eintheilung in diesem, wie in den andern Hauptgebieten der Kunst, liegt (vergl. §. 538) darin, daß dasselbe Prinzip, welches das ganze System und dann die Hauptformen der Kunst gliedert, innerhalb der letzteren sich wiederholt. Eben hier bei dem Eintritt in die bildenden Künste erweist sich die innere Nothwendig- keit dieses Gesetzes und seiner Wiederkehr durch einen Begriff, der als Begriff des Stützpuncts und Widerlagers bezeichnet werden kann. Wie die Natur unseres Planeten nicht im ersten Ansatz unsere jetzige organische Welt schaffen konnte, sondern zuerst die großen Massen hinwarf als unter- gebreiteten Boden, als festes und grobes Lager, wogegen das organisch Lebendige gestemmt sich zur freien Bewegung abstößt, als Sammel- und Nahrungsstätte, so muß die Kunst einen ersten Wurf thun, der sich zu allen weiteren Schritten als fester Boden, massige Unterlage, Stützpunkt, Hintergrund, von dem sie sich abheben, um zu wirken, als Vereinigungs- stätte verhält: die elementare Voraussetzung, die ursprüngliche Thesis. Alle diese Begriffe, wie sie sich in dem der Objectivität im strengsten Sinne vereinigen, werden ihre Ausführung finden. Da das subjectiv Belebte wesentlich das Individuelle ist, so fällt hier der Begriff der Objectivität mit dem der Allgemeinheit zusammen. Die Baukunst ist die erste Besitzergreifung der objectiven Welt für die Kunst, sie zieht nur die ersten, abstracten Linien durch die Stoffwelt. Daß die erste Kunstform, die nun vor uns liegt, durch diese Auffassung, wonach sie allerdings sogleich über sich hinausweist, ebensosehr in ihrer Kraft, Selbständigkeit und bleibenden Bedeutung anerkannt ist, bedarf nach §. 533, 2. keiner weiteren Nachweisung. §. 554. Diese Objectivität tritt zunächst auf in der Form der streng realen Be- dingtheit des Zwechmäßigen , dem das Handwerk dient. Von diesem Boden nimmt die Kunst den Ausgang (vergl. §. 546), indem sie das aus schwerem Material in geometrischen Linien nach statischen Gesetzen aufgerichtete Gebilde, das dem Menschen zur schützenden Umschließung dient, zur schönen Form erhebt, wobei das nur abstracte, d. h. messende Sehen (§. 404) die bestimmende Art der Phantasie ist: die Baukunst . Wir nehmen unsern Ausgang vom Gebiete der blos äußerlichen Zweckmäßigkeit und haben in dem Bauen als Werk der Nothdurft aller- dings schon die Theilung in ein Inneres, einen leeren Raum, dessen Erfüllung anderswoher gegeben wird und den die Baukunst nur zu umschließen hat. An diesen Punct hängt sich sogleich die Frage nach dem Anfang. Hegel beginnt mit der selbständigen, (im engeren Sinne) symbolischen Baukunst, weil er mit der getheilten, die nur Mittel für einen anderswoher gegebenen Zweck, nur die Hülle für ein Inneres ist, das nicht sie selbst geschaffen, nicht anfangen zu können glaubt, für den Anfang vielmehr ein Unmittelbares, noch Ungetheiltes fordert (Aesth. Th. II. S. 268). Allein es gibt kein wissenschaftliches Gesetz, das verhindert, den Anfang hier gegeben sein zu lassen durch ein zunächst-Außerästhetisches, das freilich eine Theilung (in Zweck und Mittel, Inneres und Aeußeres) enthält, aber gegenüber dem Aesthetischen doch als dieses Ganze noch durchaus einfach und elementarisch ist im Sinn eines gegebenen rohen Nothwerks, objectiv in der gemeinen Bedeutung des empirisch real Bedingten; der Fortschritt besteht dann in geistiger Erhöhung dieses Ganzen auf beiden Seiten seiner Diremtion, indem mit dem ideal gewordenen Zweck auch das Mittel (eben das Bauen) zur schönen Form fortschreitet. Die selbständige, symbolische Form gehört in die Geschichte dieser Kunst, nicht in die Lehre von ihrem Wesen; ein großer Theil dessen, was unter dieser Kategorie aufgeführt ist, war zudem nicht eigentlich selbständiges, sondern umschließendes Bauwerk, nur daß das Innere in einem Mißverhältniß zu der architektonischen Umhüllung stand: die terrassenförmig pyramidalischen Bauten Babyloniens, der Belusthurm selbst, trugen einen Tempel, wie die mexikanischen Teocalli, nur daß der ungeheure, wiewohl selbst theil- weis hohle Unterbau allerdings nebenher ein Streben ausdrückt, durch die Architektur an sich schon zu sprechen; die Pyramiden haben als Gräber- bauten ein Inneres, nur in demselben Mißverhältniß, die Labyrinthe waren allerdings symbolisch, aber doch zugleich Umschließung von Gräbern, die sieben symbolisch verschieden gefärbten Ringmauern von Ekbatana waren doch schützende Umgebung einer Stadt; die Obelisken sind keine Bauten. Die Riesengestalten der Memnonen, Sphinxe u. s. w. sind allerdings Werke zwischen Architektur und Sculptur schwankend, gehören aber doch mehr der letztern an und keinesfalls in die Begriffs-Entwicklung der erstern. Wenn wir dagegen die Baukunst sogleich bei ihrem eigent- lichen Wesen fassen, wonach sie Umschließung eines Innern, unselbständig, dienend ist, wenn wir sie in dieser Bestimmtheit herübernehmen aus dem Gebiete des äußerlich Zweckmäßigen, um weiterhin zu zeigen, daß auch die Erhebung in das Gebiet des Kunstschönen daran nichts verändert, so versteht sich, daß wir darum nicht meinen, die ästhetische Form sei entstanden aus Nachahmung der ersten, rohen Wohnungen. Nur die allgemeinsten structiven Verhältnisse und Gesetze haben sich an dem ersten Bau-Bedürfniß und seiner allmähligen Steigerung entwickelt; nachher eilt der monumentale Kunstbau voran und zieht die blos nützliche Baukunst nach sich zu seinen ästhetischen Formen empor: das Verhältniß kehrt sich um (vergl. §. 514). Was wir nun an diesem, aus der niedrigeren Sphäre herübergenommenen Anfange bereits haben, ist dieß: aus schwerem Material wird handwerksmäßig (mechanisch) aufgeführt ein umschließendes Festes, wobei das Material keine andere Durchbildung vom Geiste in sich aufnehmen kann, als eine, zugleich an statische Bedingungen geknüpfte, geometrische. Eine andere Sprache kann dem Stoffe noch nicht entlockt werden, als die der abstracten Linie, wie sie den Umriß der im Raume sich ausdehnenden Massen beschreibt. Aesthetisch sprechend kann das Reich der abstracten Linien in dem Gebiete der niedern Baukunst noch nicht genannt werden; ob und was sie Tieferes zu sprechen vermögen im Reich der höhern Baukunst und dessen Rückwirkung auf die niedere, wird sich zeigen. Unter den Arten der Phantasie ist nun diejenige in Thätigkeit, die auf das messende Sehen sich gründet; diese Organisation ist das subjective Medium, in welchem die erste, primitive, am strengsten objective Kunstform sich verwirklicht. Die so beschaffene Phantasie wird die Dinge unter dem Standpuncte ansehen, daß sie ihre quantitativen Verhältnisse auffaßt; auch die organische Gestalt wird sie in dem Sinne zersetzend anschauen, daß sie hinter dem warm Belebten und Individuellen die sich hindurchziehenden strengen Grundmaaße herausgreift. Was sie mit dem so gesammelten Anschauungs-Vorrathe innerlich bildend beginnt, sollen wir erst ergründen, denn eigentlich haben wir ja dieß messendes Sehen noch nicht als ästhetisches vor uns; ehe es sich dahin erhebt, ist der wesentliche Punct, jene Diremtion, die aller Baukunst zu Grunde liegt, erst bestimmter in’s Auge zu fassen. §. 555. Auf allen Stufen dieser Erhebung bleibt die Baukunst in dem doppelten 1. Sinn unselbständig, daß sie in ihrer Aufgabe einem gegebenen Zwecke dient , ein Inneres, dessen Erfüllung von anderer Seite erfolgt, nur umschließt und in ihrer Ausführung von den auf dem Gesetze der Schwere beruhenden structiven Bedingungen abhängt. Der Zweck an sich fordert strenges Durchdenken, in seiner Vereinigung mit dem structiv Nothwendigen exacte Kenntnisse. Keine andere Kunst hängt so innig mit der Wissenschaft (§. 516) zusammen und trägt so bestimmt den Charakter der Verständigkeit . Die auf solcher Grund- 2. lage vom Meister entworfene Form des Ganzen wird als geometrisch abstractes Schema (Riß) dem Materiale vom Handwerker mechanisch aufgezwungen: das Ganze der künstlerischen Technik (vergl. §. 518) zerfällt in Erfindung und Ausführung . 1. Man wirft gewöhnlich das Zweckdienende und das Constructive in der Baukunst ununterschieden auf die eine Seite (das Decorative, wovon hier noch nicht die Rede ist, auf die andere). Allein es ist wohl zu unterscheiden zwischen dem gegebenen Zweck und dem structiv Noth- wendigen. Jener fordert allerdings eine bestimmte Einrichtung des Baus, allein die Abhängigkeit von Boden, Material und vom Gesetze der Schwere überhaupt ist noch ein zweites Moment, von dem der Architekt überdieß abhängig ist, so daß er sich nach zwei Seiten gebunden sieht. So einfach diese Unterscheidung ist, so muß sie doch wohl in’s Auge gefaßt werden, denn wir werden bald sehen, daß bei der Frage, wie diese Abhängigkeiten zu ästhetischen Motiven werden, nothwendig beide Seiten besonders zu betrachten sind. Schon der Bauzweck nun, die architektonische Aufgabe, fordert tiefes und strenges Denken: sie enthält viele besondere Momente, Räume für verschiedene Zwecke, von verschiedenem Umfang, Bequemlichkeit, Schutz gegen die Elemente u. s. w. Dieß Denken hat seine besondere Schwierigkeit und fordert ein besonderes Talent: es sollen alle Räume nach den verschiedenen Standpuncten des Grundrisses, Aufrisses und Durchschnittes in Einklang gebracht werden und dieß verwickelt sich noch mehr, wenn mehrere Stockwerke geboten sind, deren jedes andere Dis- position hat. Dieß Talent ist allerdings zunächst eben ein unmittelbares, angeborenes, ein inneres Schauen, ohne welches auch z. B. der Chirurg niemals über das Nothdürftigste sich erhebt, denn er muß jenen besondern plastischen Sinn haben, innerlich rasch zu schauen, wie die Organe im Körper hintereinander liegen und was Alles, wenn das Messer von dieser oder jener Seite eindringt, berührt wird; kurz es bedarf Phantasie selbst zum untergeordneten Bauen, eben jenes messende Sehen, das wir als das in diesem Gebiete thätige Organ hervorgestellt haben; nur daß wir diese Gabe zunächst nicht in dem reinästhetischen Sinne des Genie nach §. 411 ff., sondern in dem beschränkten von §. 415, 1. nehmen. Auf den ersten Wurf der Erfindung soll aber sofort ein discursives Durchdenken folgen und hier tritt denn zu der Erwägung des Bauzwecks, der gestellten Aufgabe, die weitere Ueberlegung, wie das als zweckmäßig Erdachte mit den Gesetzen der Materie zu vereinigen sei, wozu die Kenntniß der Geometrie, Statik, Mechanik, die Lehre von den Baustoffen erfordert wird. Keine andere Kunst ruht so streng auf der Wissenschaft. Nüchternheit und eine gewisse Kälte erscheint daher von dieser Seite zunächst als der Charakter der Baukunst; die Klarheit, die wir in §. 551 von dem bildenden Künstler ausgesagt haben, wird dem Architekten in besonders bestimmtem Sinn eigen sein. 2. Wir haben die künstlerische Technik zu §. 518, 2. eine beseelte genannt, die Phantasie soll in den Nerv, in die Finger übergehen, eine höhere Einheit von Genius und Handwerk ist gefordert. Nun muß der Architekt zwar auch das Mechanische erlernt haben und der mechanische Arbeiter sich zu einer gewissen Feinheit in der letzten Ueberarbeitung aus- bilden, aber doch fallen Erfindung und Ausführung in keiner Kunst so auseinander, wie in dieser, selbst in der Tonkunst nicht, wo die Ausführung ganz andere, als blos mechanische, wiewohl nur reproductive Fähigkeit erfordert. Der einmal erfundene Plan ist ein rein gemessener und meß- barer Niederschlag des innern Bildes und bedarf zu seiner Aus- führung nur des Mechanikers, dem er als Riß übergeben wird. Es stellt sich zwar ein Dritter zwischen den Erfinder und den Handwerker: der Bauführer, aber dieser stellt nicht eine vereinigende Mitte der Erfindung und Ausführung, sondern nur die leitende Seite der letzteren dar. Der Erfinder selbst wird etwa wieder diesen beaufsichtigen, aber nicht in seiner Eigenschaft als solcher, und in den rauhen Kampf mit dem Materiale wird er sich um so weniger einlassen, weil er Besseres zu thun hat, als in der Mitte der Arbeiter, deren es hier nothwendig viele sind, sich physisch abzumühen. §. 556. Es steigert sich aber der Zweck in das geistig Unbedingte durch die verschiedenen Bedeutungen der Persönlichkeit, für welche das Bauwerk bestimmt ist: die frei genießende Einzelperson, die Gesammtperson, die abgeschiedene Person, die absolute Person. Die Aufgabe nun, dieses ideale Innere in den Formen seiner umschließenden Hülle würdig auszudrücken, verwandelt die erste Seite der Abhängigkeit (§. 555, 1. ) in freien Dienst : die Phantasie als das Organ der Schöpfung der rein entsprechenden Form für die Idee tritt in Thätigkeit und erfindet ein Werk, in welchem das vom Zwecke der bloßen Umschließung Bedingte zum idealen Ueberflusse des Schönen sich erweitert. Wir haben eine Stufenleiter vor uns, die im Abschnitte von den Zweigen der Baukunst ausführlicher vorzunehmen ist: Palast (für den einzelnen Reichen), politischer Bau (namentlich Versammlungs-Gebäude für politische Körper), Grabmonument, Tempel. Die Diremtion ist auf der letzten, höchsten Stufe noch da, der Bauzweck ist gegeben, allein er selbst ist ideal, ist absolut, ist Selbstzweck; für ein absolutes Inneres stellt die Architektur eine Hülle her, die seiner würdig sein soll. Die Stufenleiter der Hebung des persönlichen Wesens, dem die Baukunst seine Wohnung bereiten soll, ist in logischer, nicht historischer Folge gegeben. Die höhere Baukunst beginnt geschichtlich mit Grabmal und Tempel, stellt dann dem Gemeinwesen würdige Stätten des Rathes und anderweitiger Vereinigung her und erst zuletzt geht die öffentliche Pracht zurück zu dem Leben des Einzelnen, um ihm seinen Wohnsitz zu schmücken. Wenn wir nach der Stufenfolge innerer Begriffs-Erweiterung den Palast voranstellen, so haben wir den edeln Luxus im Auge, der in den Formen der Wohnung es ausdrückt, daß hier eine Persönlichkeit weilt, welche der Nothdurft des Lebens ent- rückt im reinen Aether der Bildung dem Genuße des Schönen lebt. Man muß dabei vergessen, zu welcher Ironie sich dieß vielfach in der Wirklich- keit verkehrt, und nur die wahre Bestimmung im Auge behalten, nach welcher hier das Nöthige des gemeinen Bauens sich in das Angenehme, von da in das Edle und Würdige steigert. Die Bauten für die ver- sammelte politische Gemeinde, das Gericht, die höhere Schule u. s. w. stehen aber um so viel höher, als die wahre Persönlichkeit nicht die einzelne, sondern die Gesammtperson ist (§. 20). Wirklich fallen hier manche Einrichtungen gemeiner Nützlichkeit, welche der Palast des Einzelnen noch nicht entbehren kann, bereits weg, wiewohl neben den Haupträumen, wo die höchste Würde sich concentriren muß, untergeordnete Localitäten (Archive u. s. w.) mehr äußerlichen Zwecken dienen. Der Uebergang zu der Todtenbehausung begründet sich einfach darauf, daß die großen Male den abgeschiedenen Geistern hervorragen- der Menschen gehören, die im Leben bedeutend gewesen sind für das Gemeinwesen. Ihr geistiges, dem Gemeinen entrücktes Fortleben verstanden die alten Völker als ein empirisches, ihre Todtenmale waren Wohnungen; aber sie erhoben sich zugleich über dieß Mißverständniß, indem sie über dem kleinen Todtengemach jene gewaltigen Erhebun- gen aufführten, welche weithin in die Lande den Ruhm, die geistige Unsterblichkeit des Abgeschiedenen verkündigten. Der große Todte und der Gott sind im Glauben der Völker vielfach ineinander übergegangen; die Idee der Rückkehr in das Allgemeine und das Aufbewahrtsein im Weltengeiste wurde mythisch zu einem Schwanken zwischen der Vorstellung von einem Todten und einem Gott. Die Geschichte der Baukunst wird die merkwürdigsten Belege für diesen Uebergang zwischen Grabmal und Tempel geben; übrigens erinnere man sich zunächst an die wirkliche Ver- ehrung hingeschiedener Menschen im Heroon, in der Heiligenkapelle. Im Tempel nun aber ist der Bauzweck erst wirklich und ganz zum absoluten geworden, die Architektur hat die Aufgabe erhalten, das absolute Haus herzustellen. Der Gott wohnt, aber ohne Bedürfnisse; ob es der Gott des Polytheismus ist, dem die Sculptur seine Gestalt gibt, oder der Gott des Monotheismus, der nur in der Andacht der in seinem Hause ver- sammelten Gemeinde gegenwärtig ist, macht hier vorerst keinen Unterschied, denn die vermehrten Cultus-Bedürfnisse des Innenbau’s für den Gemeinde- cultus sind auch nur einzelne Beziehungen in einem Absoluten, das der Sphäre des Zwecks enthoben ist. Die Aufgabe nun, jenes Höhere im Palast, im Gebäude für öffentliche Zwecke, im Todtenmal und dieses Höchste im Hause der Gottheit auszudrücken, befreit die Architektur zwar nicht von der Theilung, die ihr Wesen ausmacht, ruft sie aber auf zum freien Dienste und entzündet die Phantasie im vollen Sinne des Worts, denn diese ist ja nichts Anderes, als das Organ, durch welches die reine Form als absolut entsprechende Erscheinung der Idee sich verwirklicht. Von einer Umschließung im bloßen Sinne der Zweckmäßigkeit kann es sich jetzt nicht mehr handeln; die Säulenhallen des griechischen Tempels, die hohen Gewölbe der Kirche des Mittelalters sind (von dem Ornamente noch ganz zu schweigen) gegenüber jenem nächsten Zwecke ein reiner Ueber- fluß. An diesem Punct angekommen können wir nun die Begriffs- Schwierigkeiten, welche die getheilte Natur der Baukunst mit sich bringt, klar erkennen und lösen. Der Eine sagt, die schöne Baukunst beginne, wo die Beziehung der Zweckmäßigkeit aufhöre, der Andere setzt das Schöne an ihr gerade in die erfüllte Zweckmäßigkeit und in der Durchführung ihres Werks stellt er die Oekonomie als das höchste, das ästhetische Gesetz auf. Beide haben Recht, wenn man richtig unterscheidet. Zweckmäßigkeit bedeutet nämlich: erstens die Beziehung auf einen Zweck der Nothdurft und der bloßen Bequemlichkeit; diese Beziehung haben wir hinter uns und das Wort in dieser Bedeutung genommen hat der Erste Recht; zweitens die Beziehung zu einer von auswärts gestellten Aufgabe überhaupt, mag sie auch an sich eine ideale sein, wie wir denn jetzt eine solche in der Aufgabe der Verherrlichung des höchsten Geistes als des die Räume erfüllenden Inhalts vor uns haben. Faßt man nun auch bei der idealen Aufgabe das in’s Auge, daß der Dienst hier zwar ein freier wird, aber doch Dienst bleibt, so kann man eben das Werk, das dieser Aufgabe völlig genügt, in der Würdigkeit dieses Genügens selbst ein zweckmäßiges nennen; so hat also der zweite Satz Recht. Man kann bei andern Künsten, wenn auch das Werk ein bestelltes ist, dasselbe nicht ebenso ein zweckmäßiges nennen, weil der Künstler hier immer das Ganze aus sich schafft, nicht einen hohlen Raum im Kerne läßt, den nun ein Anderes (Götterbild, Gottesdienst) einzunehmen hätte. Drittens kann aber Zweckmäßigkeit auch die zweite Seite der Abhängigkeit, die wir nun besonders in das Auge fassen werden, nämlich die structive Vollkommen- heit bezeichnen, und da hat wieder der Zweite Recht, sofern er in dieser Vollkommenheit wesentlich auch die überflüssigen Theile (Säulenhalle u. s. f.) mitbefaßt; versteht er aber seinen Satz so, daß er den ästhetischen Ueber- fluß ausschließt, so ist er falsch. §. 557. Dieser innere Schwung der Phantasie, der das Gebäude zur Schönheit 1. erheben soll, kann sich nicht anders äußern, als dadurch, daß er die zweite Seite der Abhängigkeit (§. 555, 1. ) selbst in ein ästhetisches Motiv verwandelt: die Schwere darf kein drückendes Gesetz mehr sein, sondern muß innerhalb ihrer selbst so überwunden werden, daß sie in einer reinen und satten Wechselwirkung sich auslebend fähig wird, ein Unendliches auszudrücken; eine Umbildung, welche der Grenze des Stoffes, der Linie, den Schein der Bewegung gibt und als Rhythmus der Verhältnisse das Ganze durchdringt. Die großen Wand- 2. lungen der Art dieser Belebung des Starren und Schweren sind demgemäß nicht blos structive Ergebnisse, sondern ebensosehr Schöpfung der Phantasie. Dem 3. idealen Ueberflusse des Schönen aber (§. 556) wird dieselbe namentlich in der Entwicklung eines besondern Momentes Raum geben, das structiv nicht noth- wendig fungirt, sondern jene Wechselwirkung frei ästhetisch charakterisirt und in einen rein anhängenden Schmuck ausläuft. 1. Streng genommen müßten wir nun zuerst von der Erzeugung des innern Bildes der architektonischen Phantasie sprechen und unter- suchen, welches denn das Reich der Formen sei, das ihm als Stoff zu Grunde liegt; denn es mußte ja, was die auf das messende Sehen gestellte Phantasie betrifft, eine Lücke gelassen werden im zweiten Abschnitte des II. Theils, vergl. S. 380, wo von dem dunkeln Verhältnisse dieser Art der Phantasie zum Naturschönen als einem später zu erforschenden die Rede ist. Näher wäre die erste Frage diese: was drückt die Baukunst aus? Die zweite: welche Formen sucht die Phantasie dafür? und erst die dritte: wie legt sie das so erzeugte innere Bild structiv im Materiale nieder? Allein wir befinden uns in der Lehre von einer sehr schwierigen Kunst, deren geistige Geheimnisse nicht erörtert werden können, ehe ein allgemeines Bild des äußeren Werkes gegeben ist, das sie hinstellt. Es ist daher zweckmäßiger, hier von außen nach innen zu gehen und zunächst die zweite Seite der Abhängigkeit (§. 555, 1. ), die structive, aufzufassen. Es muß dem Gesetze der Schwere Genüge geschehen. Aber eben diese Bindung soll in ein ästhetisches Motiv verwandelt werden, denn es wäre nicht abzusehen, wie die Architektur zur schönen Kunst sich erheben sollte, wenn gerade das Gesetz des Gebietes, worin sie sich bewegt, ihr nichts wäre, als eine Schwierigkeit. Vielmehr die künstlerische Begeisterung muß sich wesentlich auf diesen Punct werfen und gerade in das Gebiet der Schwere selbst die Poesie einführen. Nun versteht sich, daß diese Idea- lisirung der Schwere nicht wirklich eine Aufhebung derselben sein kann, denn diese ist unabänderliches Gesetz und jede Uebertretung bestraft sich einfach mit Einfall und Zerbrechen, aber auch nicht scheinbar, denn des Grundgesetzes spotten, in dessen Gebiet ich eben meine ästhetischen Wirkungen suche, ist absurd und wird im Anblick unerträglich: man denke an schiefe Thürme, Schwebendes, das scheinbar keine Stütze hat. Es liegt hier ein schwieriger Punct, denn in gewissem Sinne kann man wohl sagen, daß das, was wir Ueberwindung der Schwere innerhalb ihrer selbst nennen, eine scheinbare Aufhebung derselben sei: wenn man nämlich unter Schein nicht die gemeine Täuschung, sondern den ästhetischen, reinen Schein versteht. Gemeine Täuschung ist, wenn uns der Baumeister etwas hinstellt, worin die Unterstützung des Schwerpuncts so verborgen ist, daß wir meinen sollen, es sei durch eine Wunderkraft vom Falle zurückgehal- ten, was aber vielmehr den Eindruck hervorbringt, als wolle es in jedem Momente so eben fallen; reiner, ästhetischer Schein ist, wenn bei sichtbar genügender Unterstützung der Last diese von dem unterstützten Puncte aus, als hätte sie nun eine gewisse Freiheit erhalten, sich wie in eigener Be- wegung weiter zu schwingen scheint, doch so, daß, wenn eben dieser Schein zur beunruhigend gemeinen Täuschung werden könnte, alsbald wieder sichtbar genügende Unterstützung eintritt. Man sieht, daß hier zunächst namentlich von Säule und architravisch oder in Wölbung übergespannter Last als dem Haupt-Ausdrucke des ästhetischen Lebens im Bauwerke die Rede ist. Auch nicht „theilweise“ wird (vergl. Deutinger , d. Gebiet d. Kunst im Allg. S. 170) hier die Schwere wirklich aufgehoben, denn der zunächst frei schwebende Theil ist durch die mittelbare Unterstützung in Wahrheit doch ganz unterstützt. Jener freie ästhetische Schein einer Be- siegung der Schwere, von dem es sich allein handelt, ist übrigens zugleich der Schein einer Besiegung der natürlichen Cohärenz des Stoffes, denn das schwere Material ist zugleich zerbrechlich und wie die Neigung zum Falle erscheint zugleich die Zerbrechlichkeit überwunden. Dieser Schein erstreckt sich nun aber auch auf die Stütze: wie die Last sich nach ihr zu sehnen scheint, um vom freien Gang und Schwung auf ihr auszuruhen und sich auf’s Neue fortzubewegen, so wird die künstlerische Phantasie auch sie selbst beflügeln, daß sie der Last entgegenzusteigen und im Zusammenstoß mit ihr beruhigt ihr Leben zu schließen oder, wie man es fassen will, in die Last übergeflossen in’s Breite zu verhauchen scheint. Diese Bewegung, die Bötticher (Tektonik der Hellenen) uneigentlich, aber schön eine Entwicklung des im Stoffe latenten Lebens nennt und die sich allerdings namentlich in der Raum-öffnenden Stütze und der scheinbar schwebenden Last ansammelt, wird sich aber über das Ganze erstrecken; die Haupt-Massen werden einander entgegenzusteigen und entgegenzusin- ken, dann sich in Knotenpunkten anzusammeln, in das Breite auseinander- zugehen und wieder in die Einheit zusammenzufließen scheinen. Die Schluß-Empfindung wird so die einer durch diese allgemeine Wechselwirkung völlig gesättigten, zum Abschluß, zur Ruhe gekommenen Schwere sein, eines leichten Kriegs der Kräfte, der mit einem vollen Frieden schließt. Dieser Prozeß ist nun zunächst ein solcher, der sich dem in den Gesichtssinn ein- gehüllten Wägen zu fühlen gibt, aber ebensosehr dem messenden Sehen als solchem: es ist eine Linie-Schönheit, die Linien sind aber nur die äußeren Grenzen der Massen; indem nun die Massen sich zu bewegen scheinen, scheinen auch die Linien sich zu fliehen und zu finden, das Be- wegungslose und Stumme (§. 555) erwacht zum Leben, die Bahn des an den Linien hinlaufenden Blicks scheint zu einer Bahn zu werden, welche die Linien selbst durchlaufen. Das Wägen und Messen, das im ästhetischen Eindrucke verhüllt, in der technischen Aufnahme ausdrücklich vorgenommen wird, ist nun, da die Erstreckungen auf Zahlen sich zurück- führen, zugleich ein Zählen , ebenfalls dort ein verhülltes, hier ein aus- drückliches. Die Zahl ist ein Verhältnißbegriff und so erhellt überhaupt, daß das Aesthetische dieses Ganzen ein Wohlverhältniß ist: wir nennen es vorerst ohne weitere Erklärung einen Rhythmus der Verhältnisse. Hier liegt denn die eigentliche Schwierigkeit in der Erforschung des ästhetischen Geheimnisses der Baukunst. Wir werden außer ihr nur noch Eine Kunst treffen, deren Schönheit in bloßen Verhältnissen ruht: die Musik. Fr. Schlegel hat tief und geistreich die Baukunst eine gefrorne Musik genannt. Wir werden auf dieses Wort zurückkommen, den Widerspruch aber gegen frühere Aufstellungen über die ästhetische Unzulänglichkeit abstract meßbarer Verhältnisse, der sich hier zu ergeben scheint, da in’s Auge fassen, wo näher von den Formen die Rede sein wird, welche die architektonische Phantasie für ihre Aufgabe sucht. Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 13 2. Verschiedene Bedingungen, die theils im Klima, theils im Cultus- bedürfnisse und in bestimmten praktischen Zwecken liegen, führen gewisse structive Nothwendigkeiten mit sich, die zunächst rein äußerlich und mecha- nisch gegeben sind und die großen Fortschritte der Technik bedingen. Es handelt sich hier, wie die Geschichte der Baukunst zeigen wird, namentlich von dem für den Charakter des Baustyls entscheidenden Theil, der Decke. Die häufigeren und stärkeren Regen in Griechenland forderten das giebel- förmige Dach, das dem ägyptischen Bau fehlte. Der Rundbogen wurde nöthig, wenn man einen größeren innern Raum überspannen wollte, der Spitzbogen, wenn man den starken Seitenschub des Rundbogens vermeiden und zugleich, wie Bötticher in dem trefflichen Excurs seiner Epoche-machen- den Schrift über die Tektonik der Hellenen: „Die Entwicklung der freien Glieder des Baus“ u. s. w. gezeigt hat, bei ungleichen Spannweiten und Stützen-Distanzen dennoch gleiche Kämpferhöhe der Stützen und Scheitel- höhe der Gurten einhalten wollte, wo denn die Nothwendigkeit hoher Sprengung des Spitzbogens zugleich die ungemeine Verstärkung der Höhe- richtung mit sich brachte. Allein diese Wandlungen gingen ebensosehr aus einer ästhetischen Quelle, d. h. aus einem Drange der künstlerischen Phantasie hervor, dem ethisch-religiösen Leben der Nation entsprechenden Ausdruck in der Form zu geben. Das stumpfwinkliche griechische Giebel- dach vollendet wesentlich den Charakter ruhigen Abschlusses, befriedigter Harmonie, der Rundbogen und sein Gewölbe drückt klar das gemessen fortschreitende Ueberbreiten der Macht des römischen Staats über die Völker, dann dasselbe Streben und den noch einfachen Idealismus in der ersten christlichen Kirche, der Spitzbogen-Bau den entfalteten Geist der Transcendenz und des reichen Einzellebens der nur corporativ zusammen- gehaltenen Individualitäten aus. Es ist nicht abzusehen, warum diese großen Unterschiede nicht gleichzeitig aus zwei Quellen, der näheren eines structiven Gebotes, der tieferen einer ethischen Stimmung sollten fließen können, und wenn Bötticher (im a. Excurse S. 16) die geistige Erklärung des Spitzbogengewölbes den romantischen Enthusiasten überlassen will, so kann man dagegen fragen, was denn schließlich mechanisch genöthigt habe, das gebundene Verhältniß der Abstandsweiten oder die Ungleichheit der Sprengungshöhen zu verlassen, und ob nicht schon die Entwicklung des Thurmes zeige, daß die stärkere Höhe-Richtung nicht bloß durch structive Wölbungsbedingungen herbeigeführt, sondern innerlich im Zuge der Phantasie begründet war. Daß die Rückkehr zu classischen Formen in der neueren Zeit nicht nur structive Ursachen hatte, sondern tief in der ganzen Stimmung und Anschauung lag, ist besonders einleuchtend. 3. Der letzte Satz des Paragraphen führt ein neues Moment ein: das decorative , welches die im engeren Sinn sogenannten Glieder und zugleich das eigentliche Ornament umfaßt. Die Grenze zwischen den Gliedern und dem bloßen Ornament kann vorerst im Allgemeinen nicht näher bestimmt werden, als dahin: das Ornament verrichtet entschieden keine structive Function, das Glied kann fungiren oder auch nicht, einmal angewandt fungirt es theilweise, aber seine Anwendung ist an sich structiv nicht nothwendig. Mehr darüber später. Da nun dieser Theil des Baues theils keine, theils zweifelhafte und untergeordnete structive Dienste verrichtet, also gegenüber der Beziehung äußerer Zweckmäßigkeit als ein Ueberfluß erscheint, ein reiner Schein der Oberfläche, der dem nackten Körper des Baues übergeworfen wird, so ist es herkömmlich, ihn allein als die rein ästhetische Seite des Ganzen anzusehen und jenem nackten Körper, der nun Kernform heißt, diese Schaale als Kunst- form gegenüberzustellen. So aber wirft man offenbar die Architektur als Kunst ganz unter die blos anhängenden Künste, wohin doch vielmehr gerade nur die gemeine, dem gewöhnlichen Wohnbedürfniß dienende gehört, in welcher sich freilich der Schmuck nur so ansetzt, wie an einen Tisch oder Stuhl. Eben was wir im vorhergehenden und im gegenwärtigen Paragraphen auseinandergesetzt haben, beweist, daß die Kernform selbst schon Kunstform ist: die von der Idee des Innern, dem der Bau zur würdigen Umschließung werden soll, begeisterte Phantasie hat das Bild des Ganzen geschaffen und structiv so durchgegliedert, daß die Bedingungen der Schwere selbst, überwunden in dem entwickelten Sinne, zum Ausdruck ihrer Idee dienen mußten. Es ist auch bereits hervorgehoben, daß der ästhetische Ueberfluß schon im Plane des Ganzen, in ganzen, wesentlichen Hauptheilen (namentlich der Säulenhalle) seine Stelle findet. Sagt man nun, dieß Ganze würde dennoch nackt und todt erscheinen ohne die decorative Gliederung, welche eben jenem innern Leben erst seinen Ausdruck gibt, so ist die Antwort einfach diese, daß gerade, weil dieses Ganze mit seinen wesentlichen Structur-Theilen das Geheimniß der Schön- heit schon in sich trägt, das decorative Heraustreten dieses Geheimnisses in der Conception desselben schon organisch mitempfangen sein muß und nur in wissenschaftlicher Trennung für sich betrachtet wird. Die Kernform verhält sich zu ihrer Schaale organisch: sie sind trennbar, aber sie sind miteinander gewachsen, wie in jeder Frucht. Der sinnvoll Anschauende muß auch dem von der Decoration entblösten Kerne an- sehen, daß er ein künstlerisches Werk ist, wie er dieß dem blos angelegten Gemälde ansieht, und die fehlende oder weggedachte Decoration muß seiner Phantasie auf’s Neue innerlich aus dem nackten Kern heraus- wachsen. 13* §. 558. Indem nun der künstlerische Geist für diese Aufgabe der rhythmischen Belebung seines Werkes die Formen sucht, wirkt er im vollen Gegensatze gegen jene Grundlage der Verständigkeit (§. 555) als ein vorzugsweise unbewußter, in die Natur versenkter (vergl. §. 551). Denn er hat in dieser kein be- stimmtes Vorbild, dem er gegenüberträte, sondern nur unbestimmt schweben ihm die festen Bildungen der unorganischen Natur vor, aus deren Massen er das verworren angedeutete Reich der reinen Verhältnisse wechselwirkender Schwere und der reinen Linie zu derjenigen Klarheit und gemessenen Ordnung heraus- arbeiten muß, vermöge deren sie fähig werden, ein Absolutes auszudrücken. Von dieser Seite ist daher die Baukunst als die Idealisirung der unorgani- schen Natur zu fassen; ebenhiemit klingt zunächst das krystallische Gesetz, mit ihm die allgemeine Grundlage der organischen Bildung als Pflanze und animalischer Leib und, während der decorative Theil in concrete Nach- bildung dieser Formen übergeht, in den Hauptverhältnissen selbst das in seinen Unterschieden sich selbst gleiche geistige Leben an. Der Widerspruch zwischen jenem Charakter der Verständigkeit und diesem dunkeln Verhältnisse zur Natur löst sich in dem Begriffe der Allgemeinheit (§. 553). Der Charakter des Getheilten, der das Wesen der Baukunst ist, tritt nun nach einer weiteren Seite hervor: sie ist gleichzeitig eine vorzugsweise klare und vorzugsweise naturdunkle Kunst; in keiner der bildenden Künste tritt die in §. 551 aufgestellte und begreiflich gemachte Antinomie so bestimmt hervor. Dieß zeigt sich nun, wenn wir von den zu §. 557, 1. aufgestellten Fragen die zweite auffassen: welche Formen sucht die Phantasie für die ästhetische Aufgabe der Baukunst? wobei wir dem dort begründeten um- gekehrten Gange folgen und die erste Frage, was denn die Baukunst schließlich ausdrücke, zuletzt beantworten. Es kommt hier, wie bei aller Phantasie, wesentlich das Verhältniß zum Naturschönen in Betracht; die Phantasie ruht ja auf ihm als Object, wie der zweite Theil des Systems gezeigt hat, und sie muß, wenn sie zur Kunstthätigkeit übergeht, wie der erste Abschnitt des dritten Theils nachgewiesen, dieses Object wieder vor sich nehmen, klar vor sich hinstellen und scharf anblicken. Dieß ist eine volle Diremtion, ein Gegenschlag im Bezogensein, und diese Diremtion ist es eben, die der Phantasie auf der Stufe der Architektur noch fehlt. Man sagt gewöhnlich schlechthin, sie sei nicht naturnachahmend. Versteht man unter Naturnachahmung (die Berichtigung des Begriffs der Naturnach- ahmung, die wir längst hinter uns haben, natürlich überall vorausgesetzt) die klare Nachbildung individualisirter Naturgebilde, so kann davon bei der Baukunst in dem Sinne allerdings nicht die Rede sein, wie bei andern Künsten. Allein es muß auch eine unbestimmtere Form der Nach- ahmung geben, wo dem Künstler ein nicht Individualisirtes in der Natur, das in gewissem Sinn von ihm erst individualisirt werden soll, dunkel vorschwebt. Ein solches ist dem Baukünstler das Erdreich. Betrachten wir dieses, so bieten die Gestaltungen der Flächen, der Berge, Felsen, Höhlen eine Welt von ästhetischen Reizen dar, worin neben Farbe, Schmuck der Vegetation, Bewegung der Luft die Linien der Oberfläche an sich eine Hauptrolle spielen, wie denn auf die bestimmten ästhetischen Wirkungen der senkrechten, der wagrechten, der Bogenlinien, nachdem sie schon in §. 91 berührt, dann bei den Erscheinungen des Wassers §. 257 besprochen sind, in den von der Schönheit des Erdreichs handelnden §§. 260 ff. mehrfach hingewiesen wird. Diese Linien sind zugleich der Ausdruck allgemeiner reiner Verhältnisse des Schweren in seinen Wechsel- wirkungen, des Auflagerns, Stützens, Ueberspannens, und daher liegt in dem Reize der Linien auch eine gewisse Genugthuung für ein unbe- wußtes inneres Nachwägen eingeschlossen. Nun haben wir Th. I, S. 105 bereits auf eine ahnungsreiche Symbolik der reinen Linie hingedeutet und S. 108 auch die Baukunst in diesem Zusammenhange schon erwähnt. Was es sei, worauf diese Symbolik der Linie weist, davon ist nachher zu reden; die Wahrheit einer tieferen Bedeutung vorausgesetzt, haben wir die Aufgabe der Baukunst jetzt so zu fassen: in der unorganischen Natur zieht sich überall das Reich der Linien als Umriß der Massen in ihren statischen Verhältnissen durch, aber so, daß sie nirgends in ihrer Reinheit eingehalten sind, sondern in das Unbestimmte und Verworrene ausbiegen. Die Regel schimmert so zu sagen nur durch, das sinnige Auge des (wägend und) messend Sehenden schaut sie hinein oder, wie man will, heraus, indem ihm das chaotisch Massenhafte wie zur durchsichtigen Hülle wird, hinter der die reinen Flächen, Winkel, Kreisausschnitte u. s. w. gezogen sind. In solcher Weise ist nun eben das Auge der Baukunst thätig, sie arbeitet aus dieser Umhüllung das Reich der reinen Verhältnisse und Linien her- aus und nöthigt dieselbe Natur, durch welche dieses Reich nur als ein zerworfenes und verworrenes sich hindurchzieht, es in geordneter Messung und Fügung der Masse zur Darstellung zu bringen. In diesem Sinn ist denn die Baukunst Idealisirung der unorganischen Natur. Davon hat man den unmittelbaren Eindruck, wenn man mitten zwischen rauhen Massen einem edeln Bauwerke, ja nur Trümmern desselben begegnet: „Spuren ordnender Menschenhand zwischen dem Gesträuch — diese Steine hast du nicht gefügt, reich hinstreuende Natur“ (u. s. w. Göthe’s Gedicht: der Wanderer); man fühlt durchaus, daß hier etwas, wozu die unbewußte Natur den Anlauf genommen, was sie aber wie in Zerstreutheit wieder der Unordnung überlassen, durch die Spannkraft des bewußten Geistes straff angezogen, berichtigt, bereinigt, rectificirt sei. Nun scheinen wir aber, wie schon zu §. 557, 1. angedeutet, hiedurch in einen tiefen Wider- spruch zu gerathen, denn wie wir prinzipiell die Zufälligkeit als Gesetz des Schönen aufgestellt haben (§. 34), so haben wir überall nur die von der freien Linie der Individualität umspielte regemäßige Linie als schön gelten lassen (vergl. Th. I, S. 105. Th. II, S. 60. 61, ferner das von der regel- mäßigen und unregelmäßigen Krystallbildung §. 265 Gesagte, endlich die Hervorhebung des individuell von der strengen Linie Abweichenden in der Pflanze §. 274, der Thiergestalt §. 287, den individuellen Formen der menschlich n Schönheit §. 331 ff.). Die Wahrheit dieses Satzes bewährt sich auch unmittelbar im Anblick regelmäßig bebauten und bepflanzten Erdreichs: die gerade Linie wirkt hier gerade unerfreulich. Aber eben diese Betrachtung wird hier auch zur Lösung des scheinbaren Widerspruchs führen. Unmittelbar in die naturschöne Landschaft eingeführt ist nämlich die reine Linie darum störend, weil sie hier eingreift in einen Zusammen- hang, dessen ästhetische Bedeutung, obwohl nicht ohne Mitwirkung hindurch- klingenden Linienreizes, auf ganz anderem Gebiete (bewegte Schönheit des Licht- und Luftlebens, Farbe u. s. w.) liegt. Ohne diese Einmischung in ein bestimmtes anderweitiges Schönheitsgebiet wäre sie nur ästhetisch nichtssagend, denn es bleibt bei dem, was über eine Stelle in Plato’s Philebus zu §. 257 gesagt ist, daß nämlich die Linie in ihrer abstracten Regelmäßigkeit, wie sie an geometrischen Körpern vorkommt, ästhetisch be- deutungslos ist; in jener Einmischung aber bedeutet sie etwas den ästhe- tischen Zusammenhang Störendes, nämlich gemeine Nützlichkeit (Aecker- Theilung, regelmäßige Baumstellung in moderner Waldcultur u. dgl.). Die Kunst aber, welche jene in der unorganischen Natur angedeutete Linienwelt herauszieht und in eigenem freien Gebilde ordnend disponirt, gibt ihr auch ihre eigene Bedeutung und sie durchdringt und umgrenzt nun die Hülle eines Innern, das ethisch ist. Wo man nun sieht und weiß, daß sie die Stoffe beherrscht, die einen für idealen Inhalt bestimmten Raum umschließen, wo sie die Schaale ethischen Kernes ordnend bestimmt, da wird sie ästhetisch. Allerdings führt dieß auf den innern Mangel der Baukunst, ihre Getheiltheit nämlich, zurück, denn bei keiner andern Kunst bedarf es dieses Zuschlusses eines anderweitigen, ein leergelassenes Inneres beherrschenden Gehalts. Sucht nun aber die Baukunst dieses Innere in reinen Linien auszudrücken, so übersehe man ferner nicht, daß diese abstract zu nennen sind nur gegenüber der organisch individuellen Gestalt, an sich aber von der bloß geometrischen Linie, von welcher Plato in der zu §. 257 angeführten Stelle des Philebus redet, sich dadurch unterscheiden, daß ein mit concretem Gehalte erfüllter Künstlergeist sie zusammenstellt, daß also hier von keinem abstracten , ein für allemal gültigen Kanon von Formen und Maaßen die Rede ist, sondern die nur sich selbst gleiche Individualität im Geiste des Künstler-Individuums waltet, das nach einem innern Bilde, welches vor aller ausdrücklichen Messung vollendet vor seinem innern Auge steht, jedem schönen Bauwerk seine nur ihm eigenen Verhältnisse gibt, und daß daher der fertige Plan, das ausge- führte Gebäude zwar meßbar und durch Messung nachahm- lich ist, aber von dem blos Meßkundigen nimmermehr er- funden wäre. Da nun die Baukunst in diesem Sinne das Reich der Linie einheitlich herausbildet, so leuchtet ihre tiefe Verwandtschaft mit der Krystall- bildung, der ersten Individuen-gestaltenden Thätigkeit in der Natur (§. 265) ein, wobei zunächst nicht an die engere Verwandtschaft des gothischen Styls mit derselben, sondern ganz allgemein an die Analogie der Flächen- zusammenstellenden Thätigkeit in diesem Wirken des menschlichen Geistes und in jenem Weben der Natur zu denken ist. Nicht ein Nachahmen ist es, die Formen sind ja in der Baukunst entschieden mannigfaltigere und bei aller Symetrie nicht einfach dem bloßen Gesetze der Anordnung von Flächen um eine Achse unterworfen, aber es ist der verwandte Prozeß, der auf höherer Stufe wiederkehrt: hier wie dort ein erstes Gerinnen aus dem Unbestimmten zum Bestimmten; wie das verborgene Erdleben zuerst im Krystall um einen Mittelpunct anschießend sich sammelt zur Einzelbildung, so concentrirt sich das Leben der Phantasie aus dem unbestimmten Dunkel seiner gestaltlosen Stimmung in der Baukunst zur ersten, noch abstracten Gestalt; es ist wie eine dunkle Reminiscenz an den nächtlichen Schacht der Natur, worin jenes Aehnliche sich begibt. Nun bleibt aber das geo- metrische Gesetz, wie es im Krystalle zuerst aufgetreten, die abstracte Grundlage auch der organischen Bildungen: es liegt der Pflanzengestaltung in ihren Zellen, Kapseln, es liegt ihrer ganzen Form als Kreistheilungs- gesetz zu Grunde; reicher und mehrfach verschlungen dem thierisch (und menschlich) organischen Leibe in den Grundbestandtheilen seines Baus, im Skelett, in den unendlichen Uebergängen von Kreissegmenten, aus denen seine ganze Gestalt besteht. „Der Zusammenhang des Baustyles mit Naturbildungen beruht auf der gemeinschaftlichen Wurzel beider in der Geometrie“ ( Hoffstadt Goth. ABC-Buch X ). In einzelnen Structur- theilen tritt nun das Vorschweben der Pflanzenbildung bestimmter hervor (Säule, Gewölbe-Rippen) und das Ausblühen in die eigentliche Nach- bildung der Pflanze in den decorativen Theilen ist daher nichts Willkühr- liches, sondern nur der an’s Licht tretende deutliche Ausdruck dieses dunkeln Zusammenhangs; da aber das Geometrische auch dem thierisch (und menschlich) organischen Leibe zu Grunde liegt, so ruft das Bauwerk unwillkührlich auch dessen Gliederbau vor das Bewußtsein: es ist ganz natürlich, daß man von Sohle, Fuß, Hals, Rumpf, Arm, Flügel, Haupt bei einem Gebäude redet, daß man sein structives Wechselverhältniß, worin Alles gegenseitig Zweck und Mittel, also Glied ist, einen Organis- mus nennt, und die energischen Umsäumungen der Decoration erscheinen nun wesentlich wie Gelenke. Aber auch an das Geistesleben gemahnt dieses krystallische Gesetz des herrschenden Mittelpunctes: es ist der noch abstracte, starre Ausdruck der Einheit des Geistes mit sich in seinen Unter- schieden, und wie sich der Geist in seinem Zeitleben diese Einheit periodisch markirt, so werden wir auch in der Baukunst ein System markirender, wiederkehrender Theilungen sich entwickeln sehen. Von diesen dunkel zu Grund liegenden Anklängen geht die Baukunst, nur behutsamer, im deco- rativen Theile zu einem eigentlichen Nachbilden auch des animalischen, ja des höchsten Organischen, des menschlichen Leibs über, das Letztere in der Säule: da diese emporschwellende Bildung überhaupt einen Eindruck macht, als wolle sie tragen, so macht der Künstler aus diesem Anklang Ernst und stellt tragende Menschengestalten als Säulen auf. Daß dieß nur sehr behutsam und sparsam geschehen darf, muß schon hier ausdrücklich hervor- gehoben werden, weil es ein Vorgriff ist in das Reich der eigentlichen Individualität, welche ja übrigens in der Baukunst nur so anklingen soll, wie die Erde als Niederschlag des Urstoffs, aus dem alles Lebendige wurde, als Urkeim des Lebens uns an dieses Leben als wirkliches Dasein dunkel gemahnt. Wie aber nur die ganze Landschaft mit Licht, Luft, Wasser, Pflanze, Thier und Mensch uns dieses Dasein wirklich vorführt, so er- wartet auch die Baukunst ihre Ergänzung durch das Götterbild, durch den eintretenden Menschen, und bleibt daher verhältnißmäßig immer eine arme und abstracte Kunst; doch übersehe man nicht, daß auch die Mitwirkung der wirklichen Landschaft wesentlich und bleibend zum Werke der Architektur gehört, da es ja, was noch besonders herausgestellt werden wird, immer auf einen bestimmten Ort berechnet ist, dessen Linien mit den seinigen immer irgendwie individuell, d. h. in jedem einzelnen Bauwerk eigenthümlich, sich zusammenbauen: hier fügt sich denn selbst der Reiz der im eigentlichen Sinn frei spielenden Linie, des Lichts, der Luft, der Pflanzen, der um- flatternden Vögel, der wandelnden Thiere und Menschen dem streng ge- messenen Ganzen an. — Schließlich ist nun leicht zu zeigen, wie jene Antinomie zwischen der streng klaren Verständigkeit und dem Naturdunkel in der Baukunst sich löst: das Dunkle liegt in jenem tastenden Suchen der Phantasie nach Formen, die nur verhüllt durch die Natur hindurch- gehen und in keinem klar gegenüberstehenden Objecte der Nachbildung gegeben sind: es sind nicht individualisirte, sondern durch das individuelle Leben nur allgemein sich hindurchziehende Formen; sobald sie nun ge- funden und in einem innern Bilde zusammengestellt sind, unterliegen sie eben, weil sie nur allgemein sind, der strengen, nüchternen Messung. Das Gemeinschaftliche für beide Extreme ist also der schon in §. 553 aufge- stellte Begriff der Allgemeinheit. §. 559. Als ein beziehungsweise unbewußter erscheint aber der Geist der Baukunst auch in dem Sinne, daß hier die Phantasie des Einzelnen, wie sie in ihrer Beziehung zur Natur näher von der örtlichen Landschaft dunkel bestimmt wird, so auch unmittelbarer und unwillkührlicher, als dieß nach der Auseinander- setzung dieses Verhältnisses zu §. 379, in §. 384 und §. 416 ff. in anderen Künsten der Fall sein wird, von der allgemeinen Phantasie durchdrungen ist, daher diese Kunstform als ein besonders mächtiger Ausdruck des gesammten äußern und innern Lebens der Nationen erscheint, also Styl vorzüglich in der Bedeutung von §. 529 und 530 entwickelt. Es ist gewiß keine gesuchte Deutung, wenn man, ganz abgesehen von jenem allgemeinen Vorschweben der unorganischen Natur, so wie von dem bestimmten Nachbilden einheimischer Pflanzen im Ornament, eine dunkle Einwirkung der örtlichen landschaftlichen Formen auf die architek- tonische Phantasie findet. Den Orientalen schwebten in ihrem Drang nach der Höhe sichtbar die kühnen Felsen vor, die aus der Mitte ihrer Gebirgs- züge nadelförmig emporsteigen, in ihren unterirdischen Bauen die großen Höhlen ihrer Felsgebirge, dem Aegyptier in seinem stumpf dachlosen Bau die kahlen Plateau-Bildungen seines Gebirges, allem orientalischen Bau der in §. 278 geschilderte Pflanzentypus, den Griechen und Römern die ruhig groß hingesteckten, sanft geschwungenen Formationen ihres Landes, der Pflanzentypus §. 279, den Letzteren im Kuppelbau spezieller ihre Pinien, den nördlichen Völkern in der gothischen Architektur ihre zackigeren Gebirge, der Pflanzentypus §. 280, ihre pyramidalen Tannen und Fichten, im Ornament die eckige Verzweigung und Nadeltheilung dieser Holzarten, in den reichgerippten Wölbungen die Verästung ihres Laubholzes, das Laubdach ihrer Wälder; man darf nur nie an ein absichtliches Nach- ahmen denken und vollends nicht reden, als ob sie so eben aus den Wäldern als Halbwilde hervorgekrochen jene Spitzbogengewölbe ausgeführt hätten. In der localen Natur nun bildet sich auch der bestimmte Volks- geist aus. In der Phantasie des besonders begabten Einzelnen ist immer die Frucht der Gesammtkünste eines Volks und Zeitalters zusammengefaßt (§. 423), aber die ganze Lehre von der Phantasie hat gezeigt, daß der einzelne Genius das instinctmäßige Gesammtproduct der Phantasie erst zur klaren Gestalt herausarbeitet. In der Baukunst jedoch ist die Selb- ständigkeit dieses Acts geringer, als in jeder andern Kunst; der Styl im Sinne von §. 527, als Styl des einzelnen Meisters, tritt in den Hinter- grund, man fragt bei Bauwerken wenig, fast so wenig, als bei dem Volksliede, nach dem Namen des Meisters; vielmehr, wie der Dichter des Volkslieds nur „der Mund der Sage ist“, so der Baukünstler nur das Organ einer allgemeinen Stimmung, Auffassung, eines allgemeinen socialen, ethischen, politischen, religiösen Zustandes. Vom Styl ist daher hier nur in der provinziellen, nationalen und ganze geschichtliche Perioden umfassenden Bedeutung des Worts die Rede, und die Haupt- style der Epochen, Völker sind aus schrittweisen Entwicklungsstufen ent- standen, worin der Beitrag des Einzelnen gar nicht gezählt wird. Es handelt sich von der „Gesammtheit eines kunstthätigen Geschlechtes“ (s. Bötticher a. a. O. Excurs 1, S. 40 und die dazu angeführte Stelle aus Schinkels Vorbildern f. Fabr. u. Handw.), und „man kann von der Architektonik, welche so recht eigentlich die gesammten geistigen und äußer- lichen Interessen, das innerste Bewußtsein wie die physische Lebens- thätigkeit eines Volksstammes umfaßt, vornehmlich sagen: daß sie vor allen andern Erscheinungen ein eigentliches Kriterion seiner geistigen Potenz und ethischen Bildungsstufe gewinnen läßt“. Diese Auffassung enthält zugleich, daß überhaupt der ganze Uebergang der Bauthätigkeit von dem Dienste des Bedürfnisses zur Höhe der freien Kunst vermittelt ist durch die Ausbildung des Gesammtlebens; das Gesammtbewußtsein gibt ihr den begeisternden Inhalt, vergl. Schleiermacher Vorl. über d. Aesth. S. 438 ff. §. 560. 1 Wie die bildende Kunst dem Naturschönen überhaupt (§. 551), so ent- spricht demgemäß die Baukunst der unorganischen Schönheit. Sie ist daher wesentlich auch durch die Rücksicht auf die Stellung ihres Werks zu seiner Um- gebung gebunden. Wie das Erdreich für das organische Leben, so ist sie Unter- lage und Versammlungsstätte für alle Künste. Sie ist nothwendig 2 die älteste Kunst, Urkunst. Sie fordert große Massen und ist in ihrer Wirkung wesentlich erhaben, was einen Gegensatz des Anmuthigen und Erhabenen innerhalb dieser Bestimmtheit keineswegs, wohl aber das Komische ganz aus- schließt. Ihr ganzer Charakter ist monumental. 1. Der erste Satz bedarf nach dem Bisherigen keiner Erläuterung. Beizufügen ist nur noch die wesentlich bezeichnende Analogie, daß der Bau durch seinen Grund im wirklichen Boden wurzelt, was allerdings zugleich auf die Analogie mit der fest an den Boden geketteten Pflanze hinweist, in deren Reich ja die Baukunst vornehmlich hinübergreift. Diese Bindung an die unorganische Natur macht sich ferner wesentlich in der nun aus- drücklich hervorzuhenden nothwendigen Rücksicht auf die äußere (landschaft- liche, oder zwar selbst architektonische, aber hier wie landschaftliche Natur wirkende und jedenfalls mit wirklicher Landschaft, Bäumen, Hügeln, Luft und Licht zusammengehörige) Umgebung geltend. Was in §. 552, 2. von aller bildenden Kunst ausgesagt ist, daß sie auf die Umgebung zu berechnen sei, gilt in diesem Grade von keiner andern; der ganze Charakter des Gebäudes muß mit der umgebenden Natur in ihrem weiteren Umfang stimmen, so soll z. B. kein griechischer Tempel in nordischer Natur stehen (Walhalla); es muß mit dem Benachbarten und Nächsten sich gut gruppiren und ebensosehr von ihm absetzen; die Linien müssen sich har- monisch begegnen. Man denke an die herrlichen Stellungen griechischer Tempel und Theater auf Bergen, am Meere, in Hainen. — Der Begriff einer ersten Thesis für den Fortgang zu den weitern Künsten, wie wir durch ihn in §. 553 den Uebergang zur Baukunst gemacht haben, erhält nun die reale Bedeutung, daß diese Kunst, wie die unorganische Natur allem Lebendigen Boden und Wohnung bietet, wie die Pflanze als schattender Baum und Wald für Thier und Mensch eine schützende Stätte öffnet, so die Unterlage und Versammlungsstätte für alle Künste ist. Am nächsten und strengsten gilt dieß von der Sculptur, deren menschlichem Ebenbilde, dem Inbegriff aller organischen Wesen, sie die Basis oder zugleich die ideale Behausung gibt, die Malerei bedarf ihrer Wände, die Musik durchtönt ihre Hallen, die Dichtkunst ist unabhängiger, aber ihre höchste Form, das Drama, bedarf ihrer zur Herstellung eines Raums, worin der Weltschauplatz künstlerisch abbrevirt ist. Jener Begriff einer Voraussetzung, einer ersten Thesis erhält nun aber auch die weitere bestimmte Anwendung, daß die Baukunst ebenso, wie der Planet zuerst das feste Gerüste und die Massen schuf, welche den höheren, individuellen Bildungen als ihre Stätte dienen sollten, die erste, älteste, ursprüngliche, die elementare Kunst ist. Nach der Seite des hervorbringenden Geistes wendet sich dieß so, daß der Mensch den schweren Stoff zuerst in dieser allgemeinsten, noch äußerlichen und absiracten Weise umbildend bewältigen mußte, ehe er ihn zum wärmeren Bilde der organischen Gestalt umzuschaffen und in steigender Durchdringung immer mehr in reinen Schein aufzulösen vermochte. Was dabei die Schwierigkeit der Zeitfolge in der Ausbildung der Musik und Poesie be- trifft, so vergl. die vorläufige Andeutung zu §. 533, 1 und 550. Am klarsten stellt sich das Verhältniß im Mittelalter heraus, das in keiner Kunst entfernt eine so vollendete Form hervorbrachte, wie in der Baukunst (vergl. Schnaase Gesch. d. bild. Künste Bd. IV, Abth. I, S. 117); das Mittelalter gibt aber darin ein Bild der ganzen Kunstgeschichte und fängt wieder da an, wo einst der Orient angefangen. Hier findet noch eine wesentliche Ergänzung, was in §. 559 von der Baukunst als einer vor- nehmlich stylvollen Kunstform gesagt ist. Diese Kunst hat nämlich nicht nur Styl im strengsten historischen Sinne des Worts, sondern der Styl für alle, auch für die nur anhängenden Künste geht vorzüglich von ihr als der elementaren, primitiven Kunst aus. Sie gibt den Ton an für die Auffassungsweise aller Künste, und hat ein Zeitalter keinen Styl in den übrigen Kunstformen, so wird man auch finden, daß es vor Allem keinen eigenen Baustyl hat. Wie die Griechen bauten, so bildeten, malten, musicirten, dichteten sie, ebenso das Mittelalter, ebenso die Zeit der renaissance. Der Baustyl namentlich drückt die Grundstimmung einer ganzen Zeit aus; wo er fehlt, da fehlt es an einer positiven Grund- stimmung. 2. Es wäre zunächst das Erhabene des Raums (§. 91. 92), was durch die der Baukunst wesentlichen großen Massen in Wirkung tritt, denen gegenüber der einzelne Mensch sich immer zunächst als kleiner Punkt, verschwindenden Schatten fühlt, um erst in einem weitern geistigen Acte sich wieder zum Bewußtsein seiner geistigen Größe aufzuschwingen. Dieß ist nun aber natürlich ein Anderes in der Kunst, als in der Natur. Es kann zwar auch in der Kunst sowohl ein unförmliches, als ein maaßvolles Erhabenes (§. 87) geben, die Malerei z. B. stellt wildes Gebirge so gut wie edelgeschwungenes dar, nur daß natürlich auch das Unförmliche hier vom störend Zufälligen, vom unförmlich Unförmlichen gereinigt wird; wirft sich aber eine ganze Kunst auf das durch Größe der Massen Erhabene, nicht um es zusammen mit lebendiger Umgebung (Luft, Licht u. s. w.) in einem farbigen Scheine nachzubilden, sondern um schwere Massen ordnend selbst zu thürmen, so muß sich das Ganze des Kunst-Ideals auf diesen Einen Punkt werfen, das Massenhafte muß innerhalb seiner selbst idealisirt, also von allem Unförmlichen gereinigt und es muß tiefere Bedeutung, als die des blos räumlich Erhabenen, hineingelegt werden. Vorläufig leuchtet ein, daß diese tiefere Bedeutung die Idee einer Urkraft sein müsse in einer nähern Bestimmtheit, welche nachher zu suchen ist. Erhaben ist also die Baukunst nicht bloß durch die Größe der Massen, sie wird es auch nicht sein durch jene, dem Unförmlichen Raum lassende, Hinweisung auf ungeheure Revolutionen des Erdkörpers, wie dieselbe in §. 260 den Ge- birgsmassen beigelegt ist, sondern sie wird ein geordnetes Wirken jener Urkraft andeuten. Dennoch bleibt die Größe der Massen immer das, was den Eindruck in seiner Grundlage bestimmt. Innerhalb dieses allgemeinen Charakters der Erhabenheit muß nun aber, wenn man Gebäude nur mit Gebäuden vergleicht, ein Gegensatz der ruhigen Schönheit bis zum Nied- lichen hin und des Erhabenen, des Milden und Starken, und wieder des Prächtigen und finster Gewaltigen u. s. w. möglich sein. Daß das Ko- mische in der Architektur ganz ausgeschlossen ist, wurde schon zu §. 404 bemerkt. Dieß folgt von selbst daraus, daß diese Kunst das Gebiet des persönlichen Bewußtseins nicht betreten kann. Architektonisch Widersinniges, wie schiefe Thürme, die wir schon angeführt haben, die Schnörkel des Rokoko u. dgl., verdankt seine Entstehung meist dem Aberwitze, die Komik in diese Kunst einführen zu wollen. — Das Erhabene bestimmt sich nun hier näher als Charakter des Monumentalen. Man erinnere sich, daß wir in §. 527 den Styl des wahren Meisters überhaupt monumental genannt haben wegen der über den Wechsel des Augenblicks erhabenen Großheit der Formen; dieß gilt natürlich noch gewisser vom nationalen Styl und vom Styl als Ausdruck ganzer Perioden. Erwägt man nun nicht nur, daß die Baukunst in ihrer Fügung großer und schwerer Massen besonders streng alles Dünne, Kleinliche, Unwesentliche abweisen muß, und verbindet man damit, was in §. 559 gesagt ist: daß sie weit weniger den Geist des einzelnen Künstlers, als den der Nationen und Zeiten aus- spricht, und daher Styl vornehmlich in jenem gewichtigeren Sinn entwickelt, so ist der Begriff des Monumentalen für diese Kunst zwiefach begründet, und wenn wir schon zu §. 527 Th. II, S. 125 die allgemeinen Merk- male des Styls im Begriffe des Architektonischen zusammengefaßt haben, so geschah dieß, weil man jede Eigenschaft der Kunst überhaupt mit dem Namen derjenigen besondern Kunstform zu bezeichnen pflegt, welche diese Eigenschaft vorstechend entwickelt. In den großen Werken der Baukunst steht ein ehrwürdig fest Begründetes vor uns, die Geschlechter der Menschen umschweben wie verschwindende Schatten diese gewaltigen Zeugen des Volks- und Zeitgeistes, welche die Massenthürmende Gemeinthätigkeit aufgerichtet hat, um über Jahrhunderte, Jahrtausende hinaus zu verkünden, was sie geahnt, gewollt und gekonnt. Auch das äußerliche Moment, daß zur Ausführung großer Bauten viele Menschenhände nöthig sind, ist dem Bewußtsein des Zuschauers gegenwärtig und wirkt zu diesem Eindruck mit. Endlich folgt aus den dargestellten Eigenschaften von selbst, daß die Bau- kunst die stabilste, conservativste Kunst ist, die sich zu Neuerungen am langsamsten entschließt. §. 561. Durch ihre so beschaffenen Formen vermag die Baukunst den Gehalt, für 1. den sie den idealen Raum herstellt, nur anzudeuten. Sie ist daher symbalische Kunst und als solche kann sie Bestimmteres nicht aussprechen, als die Ahnung ursprünglichen Wirkens der bauenden Weltkraft, wie solche den Völkern in einem, ihrer eigenen geschichtlichen Lebensform entsprechenden, Bilde vorschwebt. Das 2. Subjective der bloßen Ahnung, was mit dem abstract Allgemeinen im Wesen dieser Kunst zusammenfällt, steht mit dem Grundcharakter der strengen Objectivität nicht im Widerspruch. 1. Nun erst, am Schlusse dieser allgemeinen Darstellung des Wesens der Baukunst, gehen wir an die erste der zu §. 557, 1. aufgestellten Fragen: was drückt die Baukunst aus? Der §. beantwortet diese Frage zunächst dahin, daß sie nur ein Unbestimmtes, Allgemeines, Geahntes ausdrücken könne, und bestimmt daher das Verhältniß zwischen dem Inhalt und der architektonischen Formenwelt, soweit wir sie nun kennen gelernt haben, als ein blos andeutendes, symbolisches. Symbolisch ist alle Baukunst, nicht blos die im engeren Sinn so zu nennende, deren Einführung in der Anm. zu §. 554 in das Geschichtliche verwiesen worden ist. Die nicht mehr im engeren Sinn symbolische Baukunst ist die dienende §. 555, 1. Diese hat nun zwar ihre Bedeutung, das Wort ihres Räthsels, in der Bestimmung des innern Raums gefunden, den sie umschließt: der Gott, sein Bild im Marmor oder im Bewußtsein der andächtigen Gemeinde, ist das Wort dieses Räthsels; die wahre Baukunst will nicht für sich sprechen. Allein sie will doch den Geist des ihr Inneres erfüllenden Wesens eben in ihren Formen auch verkündigen. Sie will sich zu ihm nicht verhalten wie der Leib eines Individuums zu seinem Geiste, die reife Baukunst weiß, daß sie das nicht vermag; aber sie will sich zu ihm verhalten wie das Kleid zu dem Leibe des Geistes, man soll dieser Hülle ansehen, daß es ein Tempel, eine Grabstätte des Hingegangenen u. s. w. ist, was der Anschauende vor sich sieht. In diesem Sinne muß sie doch auch für sich auf ihre Weise sprechend sein, wie die Rüstung, das Gewand eines Helden, das seine wahre Bedeutung nur hat, so lang er es trägt, doch auch als abgelegte Hülle sein Bild hervorruft. Diese Sprache kann freilich ebenso nur eine sehr unvollständige sein, wie dieses Gewand uns nur ein unbestimmtes Bild seines abwesenden Trägers gibt; sie wird vom Con- creten, das die Natur, das bestimmte Bewußtsein der andächtigen Ge- meinde von ihrem Gott hinzubringt, nur das Allgemeine, einen gewissen Ton, das Stimmungs-Element ablösen und für sich herausnehmen, um es zum Ausdruck zu bringen. Man unterscheide also zwei Beziehungen. Nach der einen braucht die Baukunst für sich nichts zu sagen, sie findet ihre Ergänzung in dem concreten Kerne, der ihren Raum, ihr Inneres einnimmt, dem Gotte: dieser spricht für sie und sie verhält sich zu ihm nur hinüberdeutend, andeutend. Aber ebendieß Andeuten ist doch ganz ihr eigenes Geschäft, das ihr Niemand abnehmen kann. Wenn wir nach dieser zweiten Beziehung von ihr aussagen, sie müsse doch auch für sich sprechend sein, so ist der Begriff des Sprechens allerdings in ganz weitem Sinne zu nehmen. Alle bildende Kunst ist nur uneigentlich sprechend (vergl. §. 550); diese uneigentliche Sprache ist jedoch bei den übrigen stummen Künsten, die in der concreten Form der Individualität concreten Sinn niederlegen können, eine sehr bestimmte, bei der Baukunst aber, die nur über abstracte Formen verfügt, eine unbestimmte. Beide Beziehungen nun, deren erste wir mit der geistigen Linie, die uns eine zeigende Hand nach dem gezeigten Gegenstande führen heißt, deren zweite wir mit dem Bilde dieser Hand selbst vergleichen, fassen sich in dem Begriffe des Symbolischen zusammen. Wir haben den Begriff des Symbols §. 426 in der Geschichte der Phantasie aufgeführt. Soll nun das Symbol außer seiner Stelle in der Phantasie des Alterthums auch bleibende Bedeutung behaupten, so muß allerdings eine gewisse Veränderung in seiner Natur vor sich gehen und zwar eine so starke, daß es zweifelhaft wird, ob man den Namen belassen kann, daher wir hier geringen Werth auf diese Bezeichnung legen. Man sehe zu, wie oder ob das Wesentliche des Symbols (§. 426, 2. ) in einer Zeit sich behaupten kann, die jener unreifen Vorstufe, ja auch dem Mythischen überhaupt entwachsen ist. Bleiben wird die unbestimmte Weite der auszudrückenden Idee, denn jedes Zeitalter wird hinter seiner Welt klar entwickelter Anschauungen und Gedanken eine Welt dunkler Ahnungen zurückbehalten. Verschwinden aber wird das bewußtlose Ver- wechseln des Inhalts dieser Ahnungen mit einem sinnlichen Objecte. Soll nun etwas dem Symbolischen Aehnliches als Ausdruck für jene dunkle Welt allgemeiner Vorstellung bestehen, so wird es dennoch keineswegs das allegorische Verhalten sein können, was etwa an die Stelle dieser dunkeln Verwechslung träte; denn in der Allegorie ist der Gedanken-Inhalt ein ganz bewußter, man denkt sich wenigstens ganz bestimmt ein Wort, wenn auch dessen Sinn ein sehr confuser ist, und man sucht absichtlich hiefür eine durch Vergleichungspunkte bezeichnende Form. Es ist zu §. 444 ge- zeigt, wie dieß von der Schönheit völlig abführt; wenn also die Baukunst ihren ästhetischen Charakter behaupten soll, so kann von diesem Verhalten gar nicht die Rede sein. Wir werden allerdings eine Auslegung der Bau- kunst kennen lernen, die nicht symbolisch, sondern allegorisch zu nennen ist, aber auch jenen Charakter völlig zerstört. Geht nun die ursprüngliche Symbolik nicht in dieses frostige bewußte Verbergen eines Gedachten in ein äußerlich analoges Bild über und soll sie doch aufhören, das zu sein, was sie in einem dunkel verwechselnden Völkergeiste war, so bleibt eben nur ein frei ästhetisches Spiel des Andeutens eines unbestimmt Geahnten, das sich neben dem klar Gedachten (der zweckmäßigen Bestimmung des Ge- bäudes) hinzieht, und hiefür haben wir eigentlich keinen Terminus, da es im strengen Sinn auch nicht symbolisch ist. Es wird nicht wie der Apis, Lotos, wie der schwarze Stein der Araber, der Tempel verehrt, als wäre er um gewisser tertia comparationis (Größe, Zahlenverhältnisse u. s. w.) willen der Gott selbst, d. h. ein wirklicher heiliger Inbegriff der weltbauenden Urkraft; der Gott wohnt nur in ihm, aber die Formen des Baues rufen in die Seele des Anschauenden ein freies Bild der welt- bauenden Thätigkeit des Gottes hervor, wie sie in der Stimmung einer Zeit, eines Volks aufgefaßt wird. Hiemit ist das Wesentliche ausge- sprochen, was näher zu bestimmen sehr schwer ist. Zunächst ist wieder aufzufassen, was in §. 557 über die Aufhebung der Schwere innerhalb ihrer selbst, über den Rhythmus der Linien und Verhältnisse gesagt ist: schwungvolles Leben tritt in die Verhältnisse des Schweren ein, die be- wegungslosen und stummen Massen scheinen sich nun zu bewegen, die Linien steigend, wagrecht hinfließend, in Kreisen sich schwingend, sich fliehend und findend, den Raum zu durchlaufen; ja es ist, als ob das Ohr ein Klingen und Hallen vernähme, das von diesen Bewegungen ausgienge, wodurch selbst dieser härtesten, sprödesten unter den stummen Künsten die Zunge sich löst. Wirklich war diese Massenfügung ja einmal nicht vor- handen, stieg lebendig vor dem Auge des Künstlers auf, lief durch seinen Griffel als Entwurf über das Pergament und ward in der technischen Ausführung. Die Massen des unorganischen Erdreichs haben sich einst ebenso in wirklicher Bewegung erst aufgebaut, der Planet hat in bewegter Gährung sich zur Wohnung der Lebendigen gestaltet und dieser Prozeß wiederholt sich durch das nachzeichnende Auge in der lebendigen Phantasie. Ist nun die Baukunst ihrem Wesen nach die Kunst der Idealisirung des unorganischen Stoffs (§. 558), so ergibt sich jetzt in bestimmterer Be- trachtung, daß sie das ideale Bild der Urverhältnisse seiner Fügung im Bau des Erdkörpers hinstellt und dadurch eine Ahnung des Weltbaus erweckt, jener ursprünglichen Wirkung des Weltwesens, welche in der Ordnung ihres Schaffens auch die organischen Wesen gebildet und die ersten Anklänge dieser höheren Bildung in jener ersten Massenfügung, dann bestimmter im Krystalle vorgebildet hat. Es gilt auch von der Architektur als einer auf der Geometrie ruhenden Kunst, was Herder (Aelt. Urk. d. Menschengeschl. Th. I, S. 203 ff.) von dieser gesagt hat: sie sei eine Kunst zum Ausdruck unsichtbarer Weltkräfte; man darf auf sie anwenden, was der Dichter seinem Faust bei dem Anblick des Mikro- kosmus in den Mund legt: Wie Alles sich zum Ganzen webt! Eins in dem Andern wirkt und lebt! Wie Himmelskräfte auf und niedersteigen Und sich die goldnen Eimer reichen! Die Baukunst will uns sagen: die reinen Urformen, aus deren un- endlicher Verbindung auch die organischen Gestalten bestehen, ziehe ich heraus aus der unorganischen Masse, wo sie unbestimmt angedeutet liegen und zeige durch eine freie krystall-ähnliche Verbindung derselben, was Alles aus ihnen werden kann. Das ist der geheimnißvoll hohe Reiz, der in diesen klaren, scharfen Umrissen, diesen solid gestreckten Massen mit den kräftigen Schlagschatten, diesen reinen Gegensätzen und Lösungen dieser Gegensätze ruht; es ist das andeutende Schema des Kosmos in seiner innern Unendlichkeit, was aus dieser Sättigung der Gegensätze des Schweren und Stützenden, des Senkrechten und Wagrechten, des Anstrebenden und Abschließenden hervorspringt. So bestimmt jene Formen sind, so bleibt das Bild einer ordnenden Urkraft, das sie andeuten, verglichen mit in- dividueller Lebensnachbildung, allerdings immer unbestimmt; der Grieche drückt z. B. mit seinen Stylen nicht das Wesen der verschiedenen Gott- heiten aus, in Jonien herrscht der jonische, in Griechenland, Großgriechen- land, Sicilien der dorische Styl vor; das Ornament, insbesondere Sculptur und Malerei, in vielen Fällen die Stellung des Tempels (für Bacchus bei den Theatern, Herkules bei den Gymnasien u. s. f.) muß erläuternd hinzutreten. Diese unbestimmte erste Formbestimmung der Idee, welche demnach das Wesen der Baukunst ist, würde nun aber viel zu abstract verstanden, wenn man dabei die national geschichtliche Bedeutung (§. 559) aus dem Auge verlöre, die ihr innerhalb des Unbestimmten doch nähere Bestimmtheit gibt. Die Völker geben in ihren Baustylen das Bild des Kosmos, wie er ihnen erscheint. Nach demselben dunkeln Schema haben sie ihre Gesellschaft, ihren Staat gegliedert, alle ihre Cultur- formen bestimmt und zugleich mit jenem makrokosmischen Bilde spiegelt daher ihr Baustyl die Grundzüge der Organisation ihres Lebens. Wie der Grieche sein Volksleben zu maaßvoll gebundener Freiheit ordnet, wie er in schöner Natursittlichkeit der Mutter Erde treu bleibt, in derselben heitern Harmonie weltbauend stellt er sich seinen Gott vor und stellt er ihn in seinem Baue dar; wie der Geist des Mittelalters die einzelnen Kräfte der Gesellschaft zu harter, dorniger Selbständigkeit, aber auch zu heiterem Spiele entläßt und doch in Corporationen zusammenschließt und in ge- meinsamem Schwung alle emporreißt, in derselben Weise gliedert er sich ein ideales Bild des göttlichen Weltbaus in seinen Domen. Bestimmter, als in diesen Bemerkungen geschehen, vermögen wir diese dunkeln Be- ziehungen nicht zu fassen. Die bekannten Deutungen, welche in den Figuren und Zahlenverhältnissen bestimmte Begriffe der Metaphysik und Dogmatik ausgesprochen finden, sind nicht mehr symbolisch, sondern ent- halten eben jene allegorische Auffassung, die wir vorhin abgewiesen haben. Stieglitz z. B. (Gesch. d. Baukunst §. 6 ff.) findet in der Linie die Ur-Einheit, im rechten Winkel als Bild der Kraft und Gegenwirkung den Grund aller Gestaltung, im Dreieck das Erzeugte, den Logos ausge- drückt u. s. w.; eine Mystik, die denn zugleich Mystik der Zahl als des Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 14 arithmetischen Ausdrucks der Verhältnisse ist. Für das Mittelalter benützte man natürlich, was von Geheimlehren der Bauhütten überliefert wird. Es ist unklar, wie Stieglitz (a. a. O. §. 8) die Grundfiguren in dieser Deutung als Quelle alles Aesthetischen in der Kunst bezeichnen kann, da ja nach diesem allegorischen Schema jeder nur Meß- und Zähl-Kundige einen Tempel entwerfen könnte; man kann aber, wie wir schon zu §. 558 gesehen, das architektonische Kunstwerk nachmessen und nachzählen, ohne daß man es darum hätte erfinden können. Die Allegorie ruht auf dem Interesse der Wahrheit, nicht Schönheit, sie ist streng genommen gar nicht ästhetisch (vgl. §. 444 Anm.). Der näheren Prüfung solcher Aus- legungen enthebt uns die gründliche Erörterung Schnaases (Gesch. d. bild. K. Bd. VI, Abth. 1, S. 287 ff.). 2. Die Baukunst stellt nichts dar, was von der Urkraft, von deren Schaffen sie doch ein Bild geben will, so geschaffen wäre. Es ist das Bild einer Ahnung, was sie gibt, und wie umfassend, alles Sein zu- sammengreifend, zugleich die Formen des Völkerlebens spiegelnd diese Ahnung sein möge, sie ist als solche doch zunächst nur ein Subjectives. Diese Kunst erscheint so als der Ausdruck einer ersten, nur allge- meinen künstlerischen Stimmung, die noch nichts Bestimmtes (im eigent- lichen Sinne individuell geschlossener Gebilde des Lebens) gibt, sondern sich nur in Verhältnissen niederlegt, die sie einem Stoffe leiht. Das Subjective fällt also zusammen mit der Allgemeinheit und Abstract- heit der Baukunst, vgl. §. 553. 558, und dieß scheint zu einer Auf- fassung zu führen, welche einen ganz andern Gang, als den unsrigen, begründet. Es ist dieß die von Solger als Eintheilungs-Grund geltend gemachte Ansicht, die wir zu §. 542 angeführt haben: wie die Poesie allen übrigen Künsten als Kunst der reinen Thätigkeit der Idee gegen- übersteht, so wiederholt sich in der Gruppe der letzteren die Nothwendig- keit, daß das künstlerische Bewußtsein in seiner reinen Allgemeinheit gegenüber den Kunstformen, welche die Idee in bestimmte, individuelle Körper einschließen, als eine eigene Kunst-Art hervortrete; als Ausdruck dieses allgemeinen Bewußtseins stellt sich denn die Baukunst neben die Plastik, die Musik neben die Malerei. Wir könnten immerhin von der übrigen Abweichung in der Gesammt-Eintheilung der Künste absehen, das aber aufzunehmen genöthigt scheinen, daß die Baukunst allen andern Künsten nicht als die am strengsten objective, sondern vielmehr als die nur erst subjective, nur erst ahnende und diese Ahnung blos in Ver- hältnissen des Stoffes niederlegende Kunstform die Vorhalle zu allen andern bilde. Allein das Entscheidende ist der Inhalt jener Ahnung: dieser ist nichts Anderes, als das wirklich objectiv Allgemeinste, allem Leben zu Grund liegende Bildungsgesetz in seiner ursprünglichsten Form, der raumerfüllenden, und das Subjective daran, das blos Geahnte, ist eben ein Reflex dieses Gesetzes im Gemüthe; der Punkt im allgemeinen Naturleben, wo die Individualisirung des Elementarischen sich in der Achsen-Anschießung des Krystalls vorbildet, wiederholt sich in der geistigen Sphäre der Phantasie und gibt sich sein Nachbild in deren Werk. Es bleibt also bei der Bestimmung der strengen Objectivität und bei unserem Eintheilungsprinzip. β. Die einzelnen Momente. §. 562. In ihre einzelnen Momente auseinandergelegt hat diese Kunstform zuerst 1. das Material, aus dem sie schafft, darauf anzusehen, daß es nicht nur fest, hart, haltbar sei, ohne bis zu einem den monumentalen Eindruck aufhebenden Ueberschuß der Kraft über die Masse fortzugehen, sondern auch, daß es freie Theilung zum Zwecke jeder Massenfügung zulasse, der künstlerischen Bear- beitung der Oberfläche und Ausführung des Decorativen die entsprechende Textur darbiete und endlich sowohl durch diese, als auch durch den Farbenton die der Baukunst und ihrer einzelnen Aufgabe entsprechende ästhetische Wirkung hervorbringe. Nach diesem Maaßstabe sind das Holz, die natürlichen 2. Stein-Arten, der aus Thon künstlich gebildete Stein und das Eisen zu beurtheilen. 1. Die bisherige allgemeine Entwicklung des Wesens der Baukunst ist nun bestimmter nach ihren einzelnen Momenten auseinander zu legen. Zuerst kommt das Material in Betracht. Die Festigkeit, Härte, die Cohärenz als die Eigenschaft, worauf die Trag- und Haltkraft beruht, sind Bedingungen des Materials, welche zunächst nur die handwerks- mäßige Seite der Baukunst angehen. Doch stehen auch sie schon mit der ästhetischen in einem untrennbaren Zusammenhang, denn die verschiedene Kraft des Materials kann ein ästhetisches Motiv im weitesten Sinne d. h. Bestimmungsgrund zu verschiedenem Style, aber auch im engeren Sinne d. h. Quelle fruchtbarer Gedanken im einzelnen Zweig oder Kunst- werk werden, sie kann im Gegentheil auch ein ästhetisches Hinderniß sein. Die Rücksicht auf diese Grundbedingungen muß sich daher auch durch das Folgende hindurchziehen. Was den „Ueberschuß der Kraft über die Masse“ betrifft, s. Anm. 2. Der §. stellt nun drei nähere, vom Mecha- nischen in das unmittelbar Aesthetische überleitende Bedingungen auf. Die erste ist die der freien Massenfügung; der Stoff soll sie zulassen, aber der bearbeitende Mensch muß auch ihre Nothwendigkeit erkannt, die er- 14* forderliche Behandlung gelernt haben. Durch dieses Gesetz wird jede Bauthätigkeit, die den gewachsenen Felsen stehen läßt und entweder aus- höhlt, um nur ein Inneres zu schaffen, oder ausspart und nun von außen und innen bearbeitet, einer unreifen Vorstufe zugewiesen, denn sie ist von ihrem Material im Grundplane, in der ganzen Anordnung, vor Allem in Gestaltung der Decke, in allen Einzelheiten ebenso ab- hängig, als sie auf der andern Seite zu jeder Willkühr verführt wird. Von jener Belebung des statisch Wirkenden, die in §. 557 dargestellt ist, kann nicht die Rede sein, wo die Gegensätze des Tragenden und Ge- tragenen überhaupt nicht da sind, weil kein getrenntes Material in gegen- sätzliche Wechselwirkung tritt, sondern Wand, Stütze, Dach in der Con- tinuität des Naturproducts fortlaufen. Es ist hier das Prinzip der Bau- kunst, die Idealisirung der unorganischen Natur (§. 558) noch nicht ent- wickelt, weil der Mensch nur an der stehen gelassenen unorganischen Natur thätig ist, nicht Theile derselben ablöst, um sie ihr in freiem Aufbau entgegenzustellen. Statt der entfernten Analogie mit ihr, mit Felsen, Gebirge herrscht noch das Verwachsensein mit ihr. Wie innig damit die tiefere ästhetische Wirkung zusammenhängt, zeigt sich aus dem Eindrucke solcher Höhlen- und Fels-Tempel: sie rufen wohl auch die Ahnung der bauenden Urkraft hervor, aber nicht als einer lichten, geistigen, sondern als einer dunkeln, blinden, düstern. Die nächste Stufe ist die Anwendung großer, unbehauener Steinblöcke, aus denen die Haupttheile eines Ge- bäudes, Wand und Decke, je aus Einem Stücke bestehend, zusammen- gefügt werden. Die Glieder fangen an, sich zu lösen, aber die bauende Hand ist noch von dem Zufall abhängig, ob das Material in großen Blöcken bricht. Die freie Thätigkeit fordert, daß jedes Glied aus ein- zelnen Stücken gefügt wird, und dieß geschieht in erster, roher Weise im cyklopischen Mauerverbande, der die einzelnen Stücke, aus denen er sein Werk zusammensetzt, noch nicht geometrisch bearbeitet, sondern, wie sie brechen, nach der zufällig gegebenen Fuge aneinanderlegt und auf- thürmt: immer noch ein halb unorganisches, berg-ähnliches Häufen, ein halbes Naturwerk (vergl. §. 524, Anm. S. 116, wo das Stehenlassen eines Stücks Natur im Kunstwerk als Folge von Unreife oder Ueberreife erwähnt ist). Ein Rest dieses Natürlichen ist nach eingetretener regel- mäßiger Bearbeitung und Fügung absichtlich beibehalten im sog. style rustico, wo dieses belassene Stück Natur den Eindruck derber Kraft her- vorbringen soll. Die wirkliche Beherrschung des Materials setzt voraus, daß die Größe des einzelnen der Stücke, aus denen der Bau gefügt wird, sowie seine Gestalt frei bestimmt werde; ist das Material natürlicher Stein, so muß man verstehen, ihn in verschiedenen Größen zu brechen, nach dem Winkelmaaße für die einfache Würfelfigur und nach andern Maaßen, Zirkelriß u. s. w. für Curven und andere, zusammengesetztere mathematische Formen im Steinschnitte zu bearbeiten. Dadurch erst ist der Baukünstler im Stande, jeden Theil so zu fügen, daß jenes leben- dige Wechselverhältniß der Kräfte entsteht, das alle Baukunst fordert. Ihre ganze Wichtigkeit erhält diese Grundbedingung freien Baus in der Decke: „da aus der Ueberspannung und Ueberdeckung der Räumlichkeit wie der freien Stützenweiten die Gliederung der Deckung hervorgeht und wiederum an die Gliederung der Deckung das Schema des Planes, die Disposition und die realen Abstands- oder Spannweiten der freistehenden Stützen gebunden sind und nach ihr gestimmt werden, so kann man sagen: der Baustyl stehe in Hinsicht auf Mechanik“ (nicht blos dieß) „am höch- sten, welcher mittelst einer künstlichen, Momente erzeugenden Gliederung der Decke jedes Material so weit besiegt habe, daß er nicht allein die größeren Raum- oder Stützweiten überspannen, sondern dabei auch jed- wedes Schema der Räumlichkeit überdecken könne und mithin möglich mache“ (Bötticher a. a. O. Excurs I, S. 2). — Die zweite Bedingung ist eine Textur des Materials, welche die der allgemeinen und einzelnen Aufgabe entsprechende künstlerische Bearbeitung der Oberfläche und Aus- führung des Decorativen zuläßt. Der Ausdruck ist absichtlich unbestimmt gehalten; ein Bauwerk fordert seiner Bedeutung nach feinere Bearbeitung, Schleifung, Politur, einem andern steht eine rauhere Oberfläche, sicht- barer Meißelschlag besser an; ein gewisser Grad von Feinheit, Glätte wird dem ernst monumentalen Styl immer widersprechen, dagegen dem prachtvollen, glänzenden, leichten, schlanken günstiger sein; der Zufall, daß gerade ein Material zur Hand ist, das in dieser Beziehung die eine oder andere Behandlungsweise bedingt, kann aber auch auf die Stimmung des Künstlers tief zurückwirken und so auf den Grundcharakter seines Werkes einfließen. Was insbesondere die Glieder und das Ornament betrifft, so ist klar, daß das feinere Korn eine reichere Durchbildung, das gröbere eine breitere Haltung auch nach dieser Seite mit sich bringt. — Die dritte Bedingung faßt mit der vorhergehenden das Moment der Farbe zusammen. Die Wichtigkeit dieses Moments folgt von selbst aus dem, was über die in den Farben liegende Stimmung in §. 246 ff. gesagt ist. Sofern die natürliche Farbe des Materials unzulänglich er- scheint, tritt hier die Frage über die Polychromie ein. Da jedoch, auch wenn bewiesen sein sollte, daß im griechischen Bau kein Fleck unbemalt blieb, dieses Verfahren nimmermehr allgemeines, bleibendes Gesetz werden kann, so behandeln wir diese Frage vorerst ganz unbefangen so, daß wir überall von der natürlichen Farbenwirkung des Materials ausgehen und die Farbe nur als eine Nachhilfe betrachten, die da eintritt, wo diese unzulänglich ist. 2. Wir haben nun die wichtigsten Arten des Materials an diese Maaßstäbe zu halten. Hier bietet sich denn als das Nächste ein ur- sprünglich lebendiger, durch Trocknung todt gewordener Stoff (vergl. §. 490 Anm.), das Holz dar. Gerade daß dieser Stoff schon eine Form mitbringt, scheint im Widerspruch mit dem angeführten §. hier zunächst den größten Vortheil zu begründen. Der Baumstamm nämlich bietet sich wie von selbst als Stütze, überzulegender Balken, als Dachsparren dar und so ist das Wesentliche eines verschließenden Raumes beisammen; die Behauung und die Verbindung durch Stöße der verschiedensten Art, Zähne, Zapfen, Nägel, Bolzen, Schrauben, Bänder, Anker ist leicht; die Tragfähig- keit geht vermöge der Zähheit der faserigen Textur sechs- bis siebenmal weiter, als die des Steines, der übrigens zudem nie in so langen Stücken bricht, als die größeren Bäume ihre Stämme treiben. Durch diese Eigenschaften erscheint denn das Holz als das natürliche Material für den eigentlichen Kern des Baus, es ist sicher das älteste für das einfache Haus und nichts scheint einleuchtender, als daß die klaren Motive dieses primitiven Baus dem griechischen Steinbau zu Tage liegen. Wenn man nun aber erwägt, daß die verschließenden Massen im monumentalen Bau ein Ganzes von einheitlich gefügten Theilen bilden müssen, wofern sie jenen Fluß der Linie und jene gediegenen Fluchten darstellen sollen, die unser Auge ver- langt, so stellt sich die Sache ganz anders. Die Verschlüsse aus langen Balken zu bilden ist nur in rohen Blockhäusern thunlich, die Baukunst verlangt kleinere Stücke in Würfel- und jeder andern beliebigen Form, um die Hände ganz frei zu haben. Solche lassen sich nun aus dem Holz zwar schneiden, aber es entstehen dann zu viele Stellen, wo die Richtung seiner Fasern quer durchschnitten ist und daher die Auflösung eindringt: ein neuer Beweis, daß todter Stoff (§. 490) überall das Beste ist. Dieses Uebel zu vermeiden, werden dann die Verschlüsse aus Stein, Backstein gemacht, das Holz bildet also nur das Gerippe, und es ent- steht der sogenannte Riegelbau, welcher, der übrigen Nachtheile nicht zu gedenken, ein für allemal den Charakter der Zweiheit, Getheiltheit trägt. Das Holz ist aber überhaupt ein Material von ungleich geringerer Dauer, als mineralischer Stoff; Bedeckung mit Anwurf schützt es auf lange Zeit, ist ihm aber auch wieder schädlich, und der Schein eines Gebäudes aus Einem Material, der durch den Verputz hervorgebracht werden soll, bleibt immer etwas Unsolides. So ergibt sich denn, daß sich das Holz mit der Entwicklung des monumentalen Bau’s mehr und mehr in das Innere, namentlich das Dachgerüste zurückziehen mußte. Nichtsdestoweniger behält der Holzbau seinen, selbst ästhetischen, Werth. Wenn er nicht durch Verputz es verbergen will, daß er nur ein Gerippe-Bau ist, wenn er das Holzgerüste durch einen besondern Anstrich, der allerdings dem Holze nöthig ist, geradezu hervorhebt, wenn er sich bescheidet, einen ländlich- patriarchalischen Charakter zu entwickeln, so erfreut er durch seine primitive Stimmung, seine Ursprünglichkeit, und zwar nicht nur im eigentlichen Gebiete der ländlichen Baukunst, worin er allerdings einen alterthümlich gemüthlichen Styl besonders im deutschen Hochgebirg und in der Schweiz entwickelt hat, nicht nur in Structuren tüchtiger Gemeinnützlichkeit, wie Eisenbahnschuppen und Anderes, nicht nur im Innern monumentaler Ge- bäude, wie denn der offene Dachstuhl der Basilika so entsprechend dem Sinne eines Urbaus ehrwürdig einfacher Religion wirkt, sondern auch fortwährend und jederzeit in größeren Werken der politischen und reli- giösen Baukunst sowohl, als im stattlichen Wohnhaus. Da erinnert man sich, daß das Bauernleben, dem der Holzstyl besonders angemessen ist, die ursprüngliche Form begründeten menschlichen Zusammenlebens ist, das Einfache, Urgerüstartige, worin alles streng Constructive als solches her- vortritt, erhält höhere, poetische Bedeutung. Nun, diese Bescheidung vor- ausgesetzt, kommen erst die positiven Vortheile in Betracht. Man kann jeden Raum überspannen und bei sehr ausgedehntem Umfang durch Hänge- werk dennoch die Stütze entbehrlich machen, concentrische Ueberspannung runder Gebäude, die dem Steinbalkenbau eigentlich widerspricht, ist da- durch dem Holze noch natürlich, man kann mit verbundenen Bohlen, deren Seitenschub ein Durchzug auffängt, rundbogig und spitzbogig wöl- ben, man kann endlich Kuppeln herstellen. Und nun ist noch der große Vortheil der leichten Schnitzung des Holzes zu erwägen, wodurch nicht nur dieselbe Welt von Gliedern, die sich im Steinbau ausgebildet, sich kräftig in ihm ausdrücken läßt, sondern wodurch dieses Material zugleich das Motiv für die reichste ornamentistische Erfindung in sich enthält. Die Zierlichkeit, die damit gegeben ist, widerspricht dem Charakter der das Grundgerüste bloslegenden Ursprünglichkeit nicht; aber wo sie für sich mit Verkennung des structiv Ausdrucksvollen, was in dem letzteren liegt, spielend verfolgt wird, führt sie freilich in das Leere und Kindische. Die nachdrücklich leitende Hand eines daneben entwickelten Steinbaus ist aber bei glücklicher Ausbildung des Holzbaus immer vorausgesetzt; fehlt ihm diese Anlehnung, so bleibt er bei den Motiven des Zeltes stehen, wie der dünne Stangenbau der Chinesen mit den ausgeschweiften Dächern und phantastischen Verzierungen. — Das ächt monumentale Material ist aber der gewachsene Stein . Dieser verhärtete Niederschlag der großen Erd- Revolutionen, der an sich schon das feste Gerüste der Erde darstellt, hat die nöthige Dauer und Tragkraft, um das ideale Abbild des Grundbaus der Erde dauernd in ihm auszuführen, er enthält jenes Verhältniß zwi- schen Kraft und Masse, wodurch dem Auge die großen Functionen der structiven Theile überzeugend entgegentreten, und bietet sich ebensosehr zur Fügung der mehr nur verschließenden Massen, so daß ein Ganzes aus Einem Gusse, wie bei dem Holze nicht, möglich wird. An sich indiffe- rent gegen die Form nimmt er im Allgemeinen jede an, die nicht zu einer den structiven Charakter aufhebenden Dünnheit fortgeht, doch lassen sich die natürlichen Grenzen des Verhältnisses zwischen Kraft und Masse durch bindende Nachhilfen (Döbel u. dergl.) erweitern. Die im Allge- meinen körnige Textur gibt auch dem feiner Ausgeführten im decorativen Theile den nöthigen Charakter der Solidität und läßt doch verschiedene Grade der Feinheit in der Bearbeitung der Oberfläche bis zur Politur zu, und die große Mannigfaltigkeit der Färbung bietet sich den verschie- densten Zwecken dar: die vollere Farbe und das reinere Weiß den Auf- gaben höherer Pracht, die ruhigeren Farbentöne dem einfacheren monu- mentalen Zwecke. Verkleidung und Färbung kann, wo die gewünschte Farbenwirkung im Materiale nicht vorhanden ist, nachhelfen, ohne daß der Stein darunter leidet, wie das Holz. Wie sich innerhalb dieser all- gemeinen Eigenschaften einzelnes Gestein unterscheidet, wird an wenigen Haupt-Arten klar. So bieten die quarzhaltigen Sandsteine in ihren Farben: grau, gelblich, grünlich, weißlich, braun, düsterer oder heller roth (Straßburger- und Freiburger-Münster) dem Auge einen architektonisch höchst wirksamen Ton und zugleich ist ihre markige Textur in dem Sinne günstig, daß sie die allzufeine Bearbeitung der Oberfläche nicht zuläßt, daher eine mächtigere, energisch breite Ausführung der Glieder und Or- namente gebietet; der Meißelschlag, den man bei solcher Behandlung sichtbar läßt, stimmt mit jener Textur zusammen und gibt den Eindruck des Kräftigen, des Naturderben, des Monumentalen. Dagegen hat der thonhaltige Keupersandstein (namentlich am Neckar) zwar ebenfalls ange- nehmen, wiewohl nicht so schönen, graulichen, grünlichen, auch röthlichen Farbenton, ist durch seine Weichheit bequemer zu bearbeiten und läßt feinere Einzelbildungen zu; allein diese Eigenschaft führt auch leicht zu einer Zierlichkeit, die nicht mehr architektonisch ist, und zu dem weniger kräftigen Eindruck der thonigen Textur kommt noch die nahe liegende allzu- geleckte Behandlung der Oberfläche, namentlich durch häufiges Schleifen. Eine noch viel breitere Haltung, als der quarzige Sandstein, bedingt durch seine Porosität der Tufstein; das Starke und Tüchtige der massigen Behand- lung wird bei der gelben Farbe des Travertin zum Großartigen, Festlichen. Unter den Kalksteinen ist hier als besonders edles Baumaterial nur der Mar- mor zu erwähnen und zwar vor Allem der weiße. Die reine Farben-Einheit, die das Weiß darstellt, verbunden mit dem feinen Korn, dem Anhauch von Durchsichtigkeit, übergehend in den herrlichen gelblichen Anflug, den der parische und pentelische Marmor mit der Zeit annimmt, muß als der herrlichste Stoff für den idealen Ausdruck der höchsten Aufgaben der Bau- kunst erscheinen. Dagegen sind es die bunten, bunt-geäderten und schwarzen Marmor-Arten, sowie die so gefärbten Arten des Urgebirges, Granit, Basalt, Porphyr, Serpentin u. s. w., welche sich für glänzende Ausfüh- rung von Aufgaben mehr besonderer, differenter Art, wie Paläste, Fest- säle, Grabdenkmale als das naturgemäße Material darbieten, denn das Schwarze und die vollere bestimmte Farbe ruft eine spezifische Stimmung hervor, wie sie der idealen Allgemeinheit des Tempels und anderer monumentaler Bauten von großer öffentlicher Bedeutung nicht zusagt. Die Härte des Urgebirgsteins, welche die Behandlung sehr erschwert, weist ebenfalls auf diese Beschränkung hin und auch die Politur, die bei den schwarzen und bunten Steinen geliebt wird (man nennt in weiterem Sinn allen politurfähigen Stein Marmor), entspricht mehr den genannten Zwecken. — Trotz allen diesen Vortheilen liegt im Steinbau eine Be- schränkung, welche die Architektur in engen Grenzen der Entwicklung hätte halten müssen, wenn nicht das Bedürfniß freierer Bewegung zu einem andern Materiale gegriffen hätte. Man kann nämlich aus Stein zwar wölben , wo es sich aber nicht blos von Gurtbögen, sondern ganzen Gewölben (Tonnengewölben, Kuppel u. s. w.) handelt, da ist es nothwendig, die Steine durch Mörtel zu einem möglichst festen Con- tinuum zu verbinden, weil durch Bruch oder Ausweichen eines einzigen Steins das Ganze leidet. Schon da wird also der Stein als solcher unwesentlich; doch behält er daneben seine Bedeutung namentlich da, wo das Gewölbe, wie z. B. bei einer Brücke, selbst starke Lasten tragen muß. Nun aber führen gleichzeitig statische Bedingungen und ästhetisches Ge- fühl zu einer reicheren Gliederung solcher Gewölbe, die nicht selbst wieder zu tragen haben und die man zur Verminderung des Drucks und Schubs so viel als immer möglich zu erleichtern sucht: zur Herstellung eines Netzes von Stützen, auf welchen leichte, durch Kreuzgurten vierfach getheilte Wölbungen ruhen; hier fungiren nur die Gurten, die Kappen sind blos dünner Verschluß und da ist denn der Stein wirklich nicht mehr zweck- mäßig, sondern wird ein künstliches Material erfordert, aus dem sich eine Masse wie in Einem Guß, ein Continuum, das hart und doch nicht dick und schwer ist, herstellen läßt. Diese gegliedertere Form führt also noch bestimmter, als jene einfachere vom Stein ab; wo dieser ein- ziges Prinzip ist, da entwickelt sich wirklich das Wölben nicht; der Steinbau in seinem wahren Wesen führt nicht zum Runden, sondern beharrt bei der geraden Linie und ihrer Verbindung zum Winkel, wo das Gesetz der Schwere nur in der Form der freistehenden Stütze und des überge- legten Steinbalkens überwunden wird: er bleibt gebundener Steinbalken- (Architrav-) Bau. Gebunden aber ist dieser Bau nicht nur in der ganzen Anlage durch das Unverrückbare, Unbewegliche seiner Verhältnisse, son- dern auch nach der Seite des Materials durch seine Abhängigkeit vom natürlichen Brechen des Gesteins. Es lassen sich freilich Steinbalken bis in die 30 Fuß Länge brechen, aber dieß bleibt mehr oder minder zufällig; die Baukunst muß suchen, Räume verschiedener Weiten überspannen zu können ohne diese Abhängigkeit und das Verharren im Steinbau ist daher nur der Beweis, daß sich dieses Streben noch nicht eingestellt hat. Daß übrigens der Zufall des Gesteinbruchs auch hier zum ästhetischen Motiv werden kann, leuchtet ein: große Quader, große Balken, wo sie sich brechen lassen, bestimmen den Künstler zu energischeren Formen, als kleine. — Jenes künstliche Material nun ist der zum Ziegel gebrannte Lehm. Abgesehen von dem Zwecke freierer Gliederung ist es zunächst der Stein-Mangel, der dieses Material (auch durch bloße Trocknung an der Luft gehärtet) hervorbringt. So in Assyrien, so in steinarmen Gegenden überall. Große Härte und Dauerhaftigkeit läßt sich ihm geben, in der Form, Größe, Fügungsweise läßt es große Freiheit zu, es ist bekannt, wie man jetzt z. B. ganze Fensterfüllungen zu Kirchen aus Einem Stück herstellt; der Mörtel verbindet die Theile zu ungemein festen Massen. Für die tragenden Haupttheile wird der Stein mit der sichtbaren Fügung seiner massigen Blöcke günstiger sein, der sich dann in der Wölbung (und Dachdeckung) mit dem Backstein verbindet. Bloßer Backstein-Bau setzt, wie der Holzbau, wenn er sich zu monumentaler Bedeutung erheben soll, allerdings den entwickelten Steinbau voraus, wie er aber in steinarmem Lande die Noth in eine Tugend verwandeln kann, ist schon zu §. 518 berührt. Wir führen noch an, wie die nöthige Sparsamkeit zu Gliede- rungen im gothischen Bau geführt, welche das Prinzip der Theilung in fungirende und blos verschließende Masse in höchst belebter Weise auch auf die Mauer des Wohnhauses übergetragen haben, wo denn zwischen Pilaster-artigen stärkeren Körpern die mittleren Felder mit den Fenstern als bloße Füllung erscheinen (vergl. die schönen Häuser aus Greifswalde und Elbing in Kallenbachs Atlas); wenn hier ornamentartige Theile zu tragenden, widerhaltenden sich entwickeln, so werden umgekehrt tragende, wie die kleinen Wölbungen, die über wagrechte Thür- und Fensterstürze gesetzt sind, zu Ornamenten. Im Uebrigen ist durch schwerere Brennung und leichtere Verbröcklung des aus der Linie Heraustretenden im Orna- mente Mäßigkeit geboten, was namentlich bei der wuchernden gothischen Ornamentik als heilsam erkannt ist. Was nun die Oberfläche betrifft, so läßt sich der Backstein besonders leicht für polychromischen Schmuck ver- kleiden; allein er bedarf es keineswegs, gerade hier liegt vielmehr noch ein wichtiger Punct, der uns auch zum natürlichen Steine noch einmal zurückführt. Der Backstein läßt sich noch abgesehen von der Farbe durch die Fügungsweise zu einer in mannigfaltiger Zeichnung an Stickerei erinnernden Darstellung der Flächen verwenden ( opus reticulatum u. s. w.), er läßt sich aber auch aus verschiedenfarbigem Thon bereiten, in verschie- denen Farben glaciren und die so gefärbten Einzelglieder können in ihrer Fügung wie ein Mosaik zu beliebiger Form zusammengestellt werden, wozu noch die plastische Belebung durch Vor- und Zurückstellen tritt. Hier ist eine Auskunft der fruchtbarsten Art aus der Streitfrage der Polychromie gegeben und daraus muß auch der Steinbau offenbar noch mehr lernen, als bisher, er muß, wo er sich zur Verbindung mit der Farbe nicht ent- schließen kann und will, durch Anwendung verschiedenen Farbentons im Gestein und Beiziehung des Backsteins in Gliedern, Ornamenten eine Polychromie ohne Farbe entwickeln. — Endlich das Eisen . Seine Stärke und Bildbarkeit durch Schmieden und Guß, die Leichtigkeit seiner Ver- bindung durch Schrauben u. s. w., das Verhältniß der Kraft zum Volu- men, das eine Raumöffnung erlaubt, wie kein anderes Material, scheint eine Welt neuer Entwicklungen zu versprechen. Es leuchtet aber sogleich ein, daß hier ein Grad der Raumeröffnung nicht nur möglich, sondern mit Nothwendigkeit gegeben ist, der wohl praktisch für die modernen Be- dürfnisse, aber nicht monumental ist. Hier nämlich wird jenes in rein structiver Hinsicht so günstige Verhältniß zu dem im Paragraphen abge- wiesenen Mißverhältniß zwischen Kraft und Masse, weil in der Welt des Schönen Inneres (hier Kraft-Entwicklung und Rhythmus der Verhältnisse) und Aeußeres (hier Fülle der Ausdehnung) einander augenfällig entsprechen müssen. Dazu kommt dann, daß aus dem Eisen sich das decorative Ele- ment nicht organisch entwickeln läßt; denn eben weil die Leistung mit so wenig Aufwand von Masse geschieht, eignet sie sich nicht zu einem ent- sprechenden Ausdruck in kräftig hervorschwellenden und wieder eingezogenen Gliedern, aus den mechanischen Verbindungen durch Schweißen, Schrau- ben u. s. w. läßt sich keine organisch begründete Symbolik als Ausdruck des Zusammenstoßes entwickeln und bei der eigentlichen Ornamentik wird die Dünne übel wirken, wie in den structiven Theilen. Der vorzüglich Raum-öffnende Charakter wird dem Eisenbau vor Allem die Herstellung des Innern (namentlich auch Galerien, Emporen u. dergl.) anweisen und es ist abzuwarten, was er darin noch leistet. §. 563. Das Ganze, zu welchem die Baukunst dieses Material zusammenfügt, besteht, als Umschließung eines Raums nach den Seiten und nach oben, aus Wand (Mauer) und Decke : jene tragend, diese zunächst getragen. Das Ganze bedarf des Unterbaus und die Decke meist noch eines Dachs. Die Nothwendigkeit der Raumöffnung fordert Fenster und Thüren und, zu- sammenwirkend mit dem ästhetischen Geiste, als Reduction des Tragenden freistehende Stützen . Der wichtigste unter diesen Theilen ist die Decke: die Art, wie sie den Raum überspannt, sich mit den freistehenden Stützen ver- bindet, aus einem blos Getragenen und Gehaltenen zu einer Einheit mit dem Tragenden und Widerstrebenden fortgebildet wird, begründet die Grund- form des ganzen Baus. Der hievon ausgehende Schwung bemächtigt sich vor Allem der freistehenden Stütze und erhebt sie zur gegliederten Gestalt. Wand und Decke sind die ursprünglichen einfachen Grundbestand- theile der Umschließung eines Raumes. Sie stellen zunächst einfach den Hauptgegensatz, den des Tragenden und Getragenen, dar. Ein wesent- licher Zuwachs zu diesen Grundbestandtheilen ist noch nicht gegeben im Unterbau, der übrigens nicht nur die statische Bedeutung hat, als Verstärkung des natürlichen Grunds das Ganze zu tragen, sondern auch die ästhetische, den idealen Bau von dem rohen der unorganischen Natur streng abzu- sondern. Das Dach ist schon ungleich wichtiger, doch keiner der absoluten Bestandtheile und nicht in jedem Baustyl vorhanden; es ist zunächst der Schutz der Decke, kann aber auch (im Kuppelbau) mit ihr zusammen- fallen; doch erkennt man, daß die Decke, wenn sie es zu tragen hat, eine neue Function erhält, indem sie dann nicht mehr blos getragen ist. Auch Thüren und Fenster führen kein structiv bestimmendes neues Glied ein, die Art ihrer Ueberdeckung hat zwar zu wichtigen structiven Schritten ge- führt, indem die Nothwendigkeit, den überdeckenden monolithen Sturz zu entlasten, schon die Griechen zu jener Methode führte, die Steine des Mauerwerks auf beiden Seiten von unten auf ansteigend übereinander so vertreten zu lassen, daß die obere Oeffnung schmal oder sogar spitz- winklich wird: eine merkwürdige Vorstufe des Prinzips der Wölbung; im Großen und Ganzen aber folgt ihre Form nur den Kunstfortschritten, die sich an wichtigeren Theilen entwickeln. Ein organisch bedeutendes neues Glied ist erst die freistehende Stütze, diese Abbreviatur der Wand oder Mauer. Der Paragraph sagt, daß sie dem Bedürfnisse der Raumeröff- nung im Zusammenwirken mit dem ästhetischen Geist ihre Entstehung ver- danke; warum diese höhere Beziehung gerade an dieser Stelle zuerst eingeführt wird, dieß erklärt sich, wenn man bedenkt, wie im Innenbau die freien Stützen zunächst zwar nur mechanisch nothwendig werden, wenn für weite Räume Decken-tragende Körper erforderlich sind und doch Ver- kehr und Ueberschauung des Raums nicht unterbrochen werden sollen, wie jedoch an einer Aufgabe so umfassender Art sich vorzüglich die höhere Kunstform entwickeln muß, die solche Räume weit über das bloße Bedürfniß hinaus organisiren und ein Hauptmoment der Entfaltung freier Schönheit in jenen freien Körpern erkennen wird, wie mit den größeren Räumen auch die Zahl solcher freier Körper in ästhetischem Ueberflusse sich mehrt; wenn man ferner bedenkt, wie im Außenbau die Säulenhalle sich aus- bildet, welche über das gemeine Bedürfniß von vornherein hinaus- liegt. Die frei stehende Stütze hängt aber wesentlich mit der Decken- bildung zusammen, und umgekehrt entwickelt diese in Verbindung mit ihr erst jene höhere Bedeutung, wodurch sie eine Einheit des Tragenden und Getragenen darstellt. Wo sie ein Dach zu tragen hat, leistet sie dieß nun in der kühneren Weise, daß von Stütze zu Stütze ein Balken sich über- spannt, der von diesen getragen wird, aber selbst, obwohl frei schwebend, die Deckenbalken und das Dach trägt, wo sie ohne diese Function sich zum getheilten, zergliederten Gewölb ausbildet, das sich auf Stützen stemmt, da stellt sie jene Einheit in einer kunstvollen gegenseitigen Spannung dar. Im Kuppelbau ohne innere Decke fällt freilich ein Theil der letztern reichen Wechselwirkung weg, doch ist die Kuppel selbst nicht blos getragen, sondern trägt zugleich durch innere Spannung sich selbst. Eben durch diese zusammen- fassende Bedeutung ist es nun aber die Decke, welche die Grundform und Gliederung des ganzen Baus bedingt und die durchgreifendste Bedeutung für das Ganze hat. Dieser schon zu §. 562, 1. berührte Punct ist zunächst in der Lehre von der architektonischen Composition, vollständiger im geschicht- lichen Theile wieder aufzufassen, wo zugleich die im §. eingeführten Begriffe des Haltens und Widerstrebens ihre Erläuterung finden werden. Das statische Leben, das von hier ausgeht, verwandelt nun die frei stehende Stütze, sofern sie nur trägt, in die rund mit sanfter Schwellung auf- strebende Säule, und sofern sie zugleich einem Seitendruck widerstrebt, daher die viereckige Masse jenes Mauerstücks erfordert, das Pfeiler heißt, verleiht es diesem seine künstlerische Gliederung: Gestaltungen, auf die wir seines Orts zurückkommen werden. §. 564. Diese Theile stellen als Grenze ihrer Fügung die Linien und Flächen dar, 1. welche, an sich nur eine leere Unendlichkeit darstellend, durch Abbrechung und Zusammenstellung ihrer verschiedenen Richtungen zur Andeutung bestimmteren Inhalts erhoben werden. Die wagrechte gerade Linie drückt die an der festen Erde ruhig gehaltene, die senkrechte die bewegt aufsteigende Kraft aus; jene kann sich gegensätzliche Bewegung und Zusammenfassung nur in der abstracten Form des Winkels und Vierecks geben, das im Zusammentritt mit der senk- rechten den ausgedehnten Körper umschreibt, welcher die Wirkungen beider, nunmehr hin- und zurückfließenden, Linien vereinigt. Die schrägen Linien als die mittleren zwischen diesen sind zusammenfassend, aufgerichtet und zum Winkel verbunden, schließen sie das Ganze nach oben ab. In der gebogenen Linie 2. kündigt sich durch ihre Rückkehr in sich das tiefere, subjective Leben an, aber als Kreis- und Halbkugel fließt sie in unterschiedsloser Einheit; nur verbunden mit den Gegensätzen der geraden Linie stellt sie als Kreis- und Kugelaus- schnitt in allen Formen und Zusammensetzungen, welche möglich sind, ohne das statische Gesetz aufzuheben, den vollendetsten Anklang innerer Unendlichkeit dar, der dieser Kunst in ihren structiven Haupttheilen möglich ist. 1. Wahre, innere Unendlichkeit hat nur jenes Ineinander von Linien (als Begrenzungen des raumerfüllend Körperlichen), welches der organische Leib darstellt, in der Durchschnittsbildung zwar meßbar, in der frei spie- lenden Linie der Individualität unbestimmbar; die Baukunst weist auf diese vollzogene Gestalt der innern Unendlichkeit nur entfernt hinüber (vergl. §. 558). Dieses Hinüberweisen liegt aber darin, daß sie den Ver- lauf der Linie, der in seiner Einfachheit das „schlechte Unendliche“ wäre, durch Zusammenstellung verschiedener Linien bricht. Es versteht sich zwar, daß die Baukunst nicht eine Linie buchstäblich in’s Unendliche fortlaufen lassen kann, aber sie kann durch Unterlassung architektonischen Abschlusses diesen Eindruck erregen; dieß zeigt die Pyramide, die nach oben zwar in ihrer Spitze sich abschließt und so eine Zusammenfassung des breiten Erdlebens in eine ideale Einheit symbolisirt, aber da sie keine eigentliche künstlerische Basis hat, den Zuschauer bestimmt, von oben nach unten zu gehen und die beiden Schenkel als in’s Grenzenlose sich absenkend zu denken: ein unendlicher Prozeß, der in die leere Vorstellung eines un- organisirten, formlosen Erdlebens hinausführt; sofern in diesen Andeutungen auch das Politische sich spiegelt, drückt sich darin aus, daß die monarchische Spitze sich über einer werthlos ungezählten Menge erhebt. In der wahren Baukunst erscheint die aus zwei schrägen Linien gebildete Spitze nur als ein auf die bestimmte Basis des Vierecks, Achtecks gestelltes Dreieck. — Was nun zunächst die allgemeine Bedeutung der Linien (und Flächen) betrifft, so muß man sich wohl hüten, in der zu §. 561 angegebenen Weise zu allegorisiren; es ist zunächst der Zweck des Gebäudes und das statische Gesetz, was die Linien bestimmt, aber wir haben ebenda gesehen, daß sie in gewissem Sinne doch auch für sich sprechen. Nun, da wir auf ihre bestimmteren Unterschiede eingehen, kann vorläufig auf den grund- verschiedenen Eindruck des rechtwinklichen Gebäudes und der Rotunde als schlagendes Beispiel hingewiesen werden. Die Art, wie wir nun die Bedeutung der Linien zu bestimmen suchen, weicht einigermaßen von der in §. 91 und 261 gegebenen ab; dieß ist aber natürlich daraus zu er- klären, daß dort von Formen der unorganischen Natur die Rede ist, deren Wirkung nothwendig ein bewegteres Gefühl, so zu sagen mehr Farbe, lyrischen und dramatischen Ton mit sich führt, als die reine, strenge Linie der Baukunst. Klarer wird die angegebene Bedeutung werden, wenn die aus dem Vorherrschen der einen oder andern entstehenden Hauptrichtungen in der Darstellung der geschichtlichen Style nach ihrem geistigen Ausdruck bestimmter charakterisirt werden. Die Bedeutung, die wir der Brechung der einen Linie durch die andere, der Zusammenstellung im Winkel u. s. w. beilegen, mag man sich vorstellig machen, indem man sich erinnert, wie wir die Symbolik der abstracten Formen selbst auf das reiche Leben des Charakters übertragend, den uninteressanten Menschen flach nennen, von dem in’s Unbestimmte zerfließenden Gemüthe sagen, es fehlen ihm die Ecken und Spitzen. Dieß ist nun freilich ein Vergleichen mit ganz Ent- legenem, analogisirt man bestimmter, so ist es eine andere Linie, die an den Geist gemahnt, wogegen dann die gerade und der Winkel als streng sächlich erscheint; immer jedoch bleibt die Umwendung von einer Linie in die andere die erste Bestimmung des Unbestimmten, immer erscheint dieser Abstoß als ein entferntes Vorzeichen dessen, was in unendlich höherem Gebiete der Gegenstoß von Ich und Nicht-Ich ist. — Gehen wir nun speziell auf die verschiedenen Linien ein, so bedarf die Aussage des §. über die Wirkung der wagrechten und senkrechten keiner weitern Aus- führung, die Charakter-Unterschiede des Styls, worin die eine oder andere vorherrscht, sind so bekannt, daß wir uns schon hier darauf berufen dürfen. Die unterscheidende Bewegung und Zusammenfassung tritt nun zunächst in der wagrechten Linie ein durch den rechten Winkel, der vierfach wieder- holt das Viereck eines Grundrisses bildet: sie stößt sich viermal ab und kehrt so in sich zurück. Da wir die Linien immer zugleich als Flächen vor uns haben, so lassen wir nun aus dem Zusammentritt mit der senk- rechten Linie sogleich den von sechs Vierecken umgrenzten Körper entstehen, den wir nur darum nicht mit seinem eigentlichen Namen Würfel nennen, weil wir uns als herrschende Form das Oblongum im Grundrisse vor- behalten müssen, in welchem ein Unterschied der Länge von der Breite und Höhe auftritt, der in concreterem Zusammenhang weiterhin aufzu- fassen ist. Beide Linien, die wagrechte und senkrechte, sind nun von der doppelten Bewegung des Hin- und Zurückfließens ergriffen; das Auge geht in die Tiefe, muß umwenden und zurückgehen, es steigt an Wänden und Stützen auf, sinkt wieder herab und steigt wieder auf: ein erster, zu relativem Abschluß gelangender Bewegungsprozeß. Was nun die schräge Linie betrifft, so macht sich ihre zusammenfassende Natur als Diagonale in der Theilung des liegenden Vierecks geltend, noch wichtiger ist der Zusammentritt zweier schräger Linien als Abschluß nach oben im Giebel (die geböschten Mauern, Thüren Aegyptens sind eine schon von unten be- ginnende Neigung zu diesem Zusammentritt): hier steht sie in der Mitte zwischen Liegen und Aufsteigen, ist daher wirklich vermittelnd und gibt in dem ruhigeren oder bewegteren Abschluß des stumpferen oder spitzeren Winkels bereits eine höher einheitliche Zusammenfassung. Es bedurfte keiner besondern Hervorhebung, daß auch dieser Winkel als ein doppelt bewegter, ein aufsteigender und nach unten sich ausbreitender, vom Auge begleitet wird. In der That, wie der menschliche Körper nicht nur an- geschaut werden kann als aufsteigender Bau, dessen Säulen Rumpf und Haupt tragen, sondern auch als absteigender, dessen kugelförmiges Haupt seine Träger nach unten schickt und sie sich unterstellt, so kann im Bauwerk nach allen seinen Theilen das Obere wie als Letztes, so auch als Erstes gefaßt werden, das seine Träger in die feste Erde senkt, nur daß in dieser Doppelbewegung die aufsteigende Fassung als die bestimmende immer wiederkehrt und den Vorrang behält; blos in einer so unreifen Baukunst, wie sie im gedrückten indischen Grotten-Tempel mit vorherrschender Last auftritt, erscheint die abwärts gehende Bewegung als die herrschende, nur in der Pyramide bleibt die Bewegung auf oder ab zweifelhaft; das Werk der ächten Bau- kunst kann zwar auch als ein nach dem Mittelpuncte der Erde absinkendes gefaßt werden, entscheidend aber bleibt der Eindruck, daß es durch einen markirten Ansatz sich erhebt und schließlich fest nach oben zusammenfaßt: der Dachgiebel liegt zwar auf, breitet seine Flügel dem empfangenden Gebälke, der Wand entgegen, allein Unterbau und Sockel treiben das Auge aufwärts, das Kranzgesimse durchschneidet jene absinkende Bewegung, der Blick geht wieder empor und schließt seinen Weg in der Spitze. Dem widerspricht dasjenige nicht, was im vorhergehenden §. über die Bedeutung der Decke gesagt ist: die Organisation geht zwar von ihr aus und der Blick des Anschauenden daher von ihr abwärts, allein schließlich erscheint sie doch aus den von unten aufsteigenden Stützen hervorgewachsen oder von ihnen gefordert, gleichsam erwartet. Die Thurmpyramide als spitzigere Form des Winkels ist für das Auge schlechthin mehr steigend, als absinkend. Die schräge Linie hat allerdings noch eine andere Bedeutung, als die hier geltend gemachte der Zusammenfassung: sie erzeugt Mannigfaltigkeit, wo sie Winkel und Kreis polygonisch bricht. Es ist aber hier nur erst von den Hauptformen im Großen und Ganzen die Rede, wo denn diese Linie in ausgedehnter Richtung angewandt jenen Charakter behauptet. 2. Von der runden Linie ist schon in §. 257 die Rede gewesen. Horizontal erscheint sie nur im Rundbau, halbkreisrunden Chor-Abschluß, dort als vollkommener Kreis, dem die Kuppel noch die Halbkugel (ganze Kugel ist natürlich undenkbar) hinzufügt. Kreis und Kugel ist Sinnbild des Vollkommenen, Planetengestalt; das menschliche Haupt als höchstes in der organischen Natur ist rund, aber es stellt sich Eckiges daran hervor; das Runde ist als die in gleichem Abstande vom Mittelpuncte immer fort- strebende und zurückkehrende, in sich verlaufende Linie eine leere, unter- schiedslose Einheit und gleicht dem Selbstbewußtsein, das ausgehend doch immer bei sich bleibt, aber dem unerfüllten, objectlosen, inhaltslosen. Daher fordert der §. als höhere Form den mit der geraden Linie, die nun die Gegensätze des erfüllten Lebens andeutet, zusammengestellten Kreis- und Kugel- Ausschnitt: dieser erscheint dann als die Einheit, welche Gegen- sätze überspannt, zusammenfaßt, auflöst. Auch an das Firmament erinnert das übergespannte Runde; ist alle Baukunst idealisirte unorganische Natur, so ist dieser Theil das ideal nachgebildete Himmelsgewölbe, die tiefere Hindeutung aber ist die auf den überblickenden, vereinenden, überwachenden Geist. Von den verschiedenen Curven, welche architektonisch möglich sind, ist hier noch nicht weiter zu handeln. Das Verhältniß der krummen zur geraden Linie ist eigentlich irrationell, aber nur ebenso wie der erste Stoß des Geistes in seiner reinen Allgemeinheit auf das Object, und wie für diesen nun die schwere Aufgabe der Ergreifung und Verarbeitung des Gegen- standes beginnt, so für die Baukunst die Schwierigkeit der Ueberführung, Vermittlung zwischen beiden Linien. Sie hat dieselbe in verschiedener Weise zu lösen gesucht, wie die Geschichte zeigen wird. Daß die im engern Sinne sogenannten Glieder hier von höchster Bedeutung sind, leuchtet ein. §. 565. Der vollendete Bau zerfällt, in seinen Erstreckungen betrachtet, nach dem 1. Raum-Schema in den Grundriß , nach seinem Innern in den (senkrechten) Durchschnitt , nach seinem Aeußern in den Aufriß . Die Gestalt der Einzel- theile spricht sich in der Schärfe ihrer äußern Grenze durch das Profil aus. Die ästhetische Wirkung des Innern und Aeußern zeigt das perspectivische Bild . Auf die Unterscheidung des Innern und Aeußern (§. 555), das 2. System der Linien (§. 564), die structiven Hauptmomente (§. 563) gründet sich nun die Eintheilung verschiedener Hauptrichtungen in der Baukunst: Innenbau und Außenbau, Hochbau und Langbau , daneben Vierech und Rundbau , Bau der vorherrschenden Last oder Kraft . Der Innenbau bedingt die Ausbildung der Fa ç ade. Diese Gegensätze verhalten sich so, daß die entwickelte Kunst sowohl ihre Glieder, als auch sie selbst unter sich mit mäßigem Uebergewichte des einen oder andern Moments verbindet, wobei die Vereinigung des Viereckigen und Runden von durchgreifender Wichtigkeit ist. 1. Von den verschiedenen Rissen ist hier nicht in der Absicht die Rede, um noch einmal den der Ausführung vorangehenden Entwurf von dieser zu unterscheiden, wie dieß schon in §. 555 geschehen, sondern um das Gebäude nun von allen Seiten zu betrachten; es ist als vollendetes ge- dacht und muß nach seinen verschiedenen Dimensionen auseinandergelegt werden, damit ein Gesammtbild entstehe. Volle ästhetische Geltung hat Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 15 blos die perspectivische Zeichnung, die erwähnten geometrischen Risse sind nur Momente, aus denen das Gesammtbild sich aufbaut; der Grundriß zeigt keine Gestalt, sondern nur Raumschema, Umfang und Disposition des Umschließenden und Stützenden, der Durchschnitt in senkrechter Richtung (auf Längendurchschnitte haben wir hier nicht einzugehen) legt nur das Innere in seiner Gliederung nach Breite und Höhe blos, der Aufriß gibt je nur Eine Seite, das Profil zeichnet nur die äußere Umgrenzung des durchschnittenen Körpers in ihrer Schärfe; aber bei einem in so viele Seiten zerfallenden Werke wie dem der Baukunst ist der ästhetische Genuß des Ganzen erst, wenn er sich durch diese Grundlagen der Auffassung des Einzelnen vermittelt, ein vollständiger und daher verbergen auch diese abstracten Momente für den lebendig Auffassenden jene Reize in sich, die das Aufquellen des ganzen Bildes in seinen verschiedenen Stufen begleiten. Die perspectivische Zeichnung dagegen ist aufgenommen vom Standpuncte des Zuschauers, der vom Ganzen auf eine gewisse Entfernung zurückge- treten ist und es nun so auffaßt, wie es sich dem überblickenden Auge nach den Gesetzen der scheinbaren Veränderung in der Ferne nach Tiefe und Höhe darstellt. Die fehlende Farbe, die Nicht-Aufnahme jenes Naturtons, den das Gebäude durch das Nagen des Wetters u. dgl. erhält, die Weglassung des Umgebenden unterscheidet diese Auffassung noch vom malerischen Bilde, das aber auch nicht mehr blos architektonisch-ästhetisch ist, sondern andere ästhetische Beziehungen hinzubringt; das perspectivische Bild gibt die reine Gesammt-Wirkung der raumerfüllenden Formen. 2. Das perspectivische Bild muß das Innere und das Aeußere des Gebäudes gesondert darstellen. Durch dieß und durch den Unterschied des Durchschnitts von Grundriß und Aufriß haben wir nun nebst den zwei vorhergehenden §§. alle Bedingungen beisammen, um die großen Haupt- Unterschiede der Richtung zu übersehen, die als an sich begründet im Wesen der Baukunst zuerst in abstracter Allgemeinheit aufzuführen sind, in der Geschichte der Style aber als ihrer realen Darstellung sich zu concreten Gestalten entwickeln, wo denn auch die geistige Bedeutung, welche diesen Gegensätzen inwohnt, bestimmter zur Sprache kommen muß, als es hier möglich ist, wo dem Historischen nicht zu sehr vorgegriffen werden darf. Vorerst ist zu begründen, warum keine weiteren Hauptrichtungen, als die genannten, aufgeführt werden können. Diese Frage erhebt sich nur bei der auf die Linien gegründeten Eintheilung in Langbau und Hoch- bau. Hier ist kein Breitenbau aufgeführt: in der Erörterung der archi- tektonischen Composition wird sich zeigen, warum das Oblongum mit dem Eingang an einer der Schmal-Seiten künstlerisch gefordert ist; der Palast als Oblongum mit der Fa ç ade auf einer Langseite, wodurch die Länge zur Breite wird, gehört mit mehreren andern Constructionen (für Ge- werbe, Versammlungen u. s. w.) in das Gebiet, wo die blos anhängende Kunst sich erst zur freien erhebt. Neben dem Viereckbau ist kein Dreieck- bau, noch außer der runden irgend eine mathematische Figur genannt: der Grund davon wird sich aus dem erst aufzuführenden Gesetze der Symmetrie ergeben; alle zusammengesetzten Schemata, wie Kreuzgestalt, Polygon haben das Viereck und den Kreis zu Grunde liegen. Der Gegensatz des Viereckigen und Runden ist zunächst nur mit einem „Da- neben“ aufgeführt und erst nachher die tiefgreifende Bedeutung seiner Lösung hervorgehoben. Die reine Rotunde kommt nämlich, abgesehen von Gebäuden, die nicht den höchsten Gebieten angehören, wie Theatern, Odeen, und von bloßen Theilen eines Bauwerks der höchsten Gattung, wie Kirchthürmen, nur als eine Uebergang bildende vereinzelte Erscheinung vor, die sich mit dem Vierecke, welches die durchaus herrschende Grundform ist, erst zu vereinigen hat; der Grund davon ist im Charakter unterschiedsloser Einheit, der im Kreise liegt, schon im vorhergehenden §. im Allgemeinen aufge- wiesen und ebenda die innere Bedeutung des Eckigen und der Kreisausschnitte so weit ausgesprochen, daß sich errathen läßt, warum die Vereinigung dieser Gegensätze ein Ziel der reifsten Entwicklung ist. Dagegen tritt jedes Glied der übrigen Gegensätze, die der §. aufführt, einseitig ausgebildet nicht nur in vereinzelten Uebergangs-Erscheinungen, auch nicht im blos anhängenden Gebiete (wie Hochbau bei Fabriken), sondern in ganzen, wiewohl nur unreifen Kunst-Epochen als herrschende Richtung der höheren und höchsten Kunst (Grabmal, Tempel) auf und erst die reife Kunst, wie der Ueberblick über ihre Geschichte zeigen wird, versöhnt in irgend einem Grad immer sowohl die Glieder jedes Gegensatzes miteinander, als auch das Ganze jedes Gegensatzes mit dem Ganzen eines andern. Die Fa ç ade, d. h. die reichere Kunstgliederung der Seite, die der Bau der Menge der Vorübergehenden und Eintretenden entgegenstreckt, dieses Angesicht, worin der Bau seine Seele nach außen ausspricht, wird darum wesentlich vom vorherrschenden Innenbau entwickelt, weil dieser sein zunächst verborgenes Innere als Hauptsitz der Schönheit nach außen dem Herantretenden an- zukündigen bedacht sein muß, was freilich eben selbst schon eine relative Lösung des Gegensatzes zwischen Innenbau und Außenbau ist. Was übrigens diesen Gegensatz betrifft, so wird sich zeigen, daß wo seine Glieder noch einseitig auftreten, zugleich eine dialektische Schwierigkeit darüber entsteht, welchem derselbeu eine Bauart angehöre. §. 566. Diese Elemente hat die Composition , welche in dieser Kunst als Rhythmus (vergl. § . 500) das Ganze des ästhetischen Lebens in sich begreift, 15* zuerst nach dem Gesetze des Umfangs-Maaßes (§. 495. 496) oder der Oekonomie so durchzubilden, daß nach der Seite der architektonischen Auf- gabe und der in ihr enthaltenen Idee nichts fehlt und nichts müßig liegt, nach der structiven Seite alle Theile zu Momenten des wechselwirkenden Ganzen, d. h. zu Gliedern werden. Wir haben nun die Composition als die Herstellung der Einheit in der Vielheit zu betrachten und fassen sie hier von Anfang an als Rhythmusbildend auf, denn hier ist der Rhythmus Alles: d. h. er hat nicht, wie in andern Künsten, Individuen zu ordnen, welche auch außer dieser Ordnung etwas für sich wären; der Theil eines Gebäudes (z. B. die Säule) kann ein Individuum genannt werden, aber nie in dem Sinne, wie z. B. eine einzelne menschliche Gestalt in einer plastischen Gruppe, einem Gemälde, Gedichte von mehreren Figuren, Charakteren, denn er ist außer seiner Beziehung zum Ganzen nichts, existirt als Einzelwesen in der Natur gar nicht. Das ganze Geheimniß der Schönheit liegt also im Verhältniß, was in der Darstellung des allgemeinen Wesens der Baukunst hinreichend dargethan ist. Indem wir nun den dort (§. 557) schon aufgestellten Begriff des Rhythmus, wie alle jene ersten allgemeinen Bestimmungen zergliedern, nehmen wir die einzelnen Pflichten der Com- position der Reihe nach auf, wie sie in §. 495 ff. aufgestellt sind, und nennen die erste, welche das Maaß zu bestimmen hat, wodurch das Zu- viel und das Zuwenig abgeschnitten wird, die der Oekonomie, denn obwohl diese erste Aufgabe der Composition in der Anwendung auf sämmtliche Künste so heißen kann, so gilt doch der Name schon seiner Etymologie nach im strengsten Sinne der Baukunst. Beiläufig ist der Begriff schon zu §. 556 aufgeführt, wir fassen ihn jetzt ge- nauer. Die Oekonomie ist nicht blos Sparsamkeit, man verstehe denn darunter mehr, als eine blos negative Thätigkeit, nämlich jene Weisheit des Haushalts, die am rechten Orte reichlich ausgibt um am andern wenig oder nichts ausgeben zu müssen, während die Thorheit durch ein Zuwenig am falschen Ort zu einem Zuviel am andern genöthigt wird. Diese Pflicht oder Tugend bezieht sich nun zunächst auf den gegebenen Bauzweck, der aber nachgewiesener Maßen mit der Idee zusammenfällt, weil eben ein an sich idealer Zweck vorausgesetzt ist. Was dem Gottes- dienst abgeht, das fehlt dem Ausdrucke der Gottheit, was leer und müßig steht als ein todter Ueberfluß, dient weder diesem noch jenem. Die Glockenthürme, die dem Pantheon zu Rom aufgesetzt sind, erscheinen als ein rein störender Ueberfluß an einem antiken Tempel und sind zugleich zu wenig für den christlichen Begriff des Glockenthurms, der mit diesem antiken Gebäude unvereinbar ist; dieß fällt selbst abgesehen von ihren schlechten Formen unmittelbar architektonisch in’s Auge. Man darf natür- lich den Cultuszweck nicht zu enge nehmen: das Götterbild oder die Gemeinde soll nicht nur gehörigen, sondern würdigen Raum haben, worin das Gemüth entsprechend der Stimmung, die in der Art der Gottesver- ehrung liegt, sich erweitern kann. Inhaltsvoller entfaltet sich das Gesetz der Oekonomie, wenn sich der Bau dem umfassenderen Zwecke gemäß mehrfach gliedert, wie in der reich entwickelten Kreuzesform der gothischen Kirche, verglichen mit dem einfachen Säulenhause der Griechen, am inhalt- vollsten, wenn eine ganze Gruppe von Gebäuden Einen Gedanken darzu- stellen hat. Nach der structiven Seite, deren innige Einheit mit der ästhe- tischen Belebung schon erläutert ist, gebietet das ökonomische Gesetz, keine Kraft zu verschwenden, sondern sie an der rechten Stelle so zu sparen, daß sie an der andern mit um so vollerer Wirkung entwickelt werden kann, und um- gekehrt durch Kraftaufwand am rechten Orte Ersparniß am andern zu gewinnen, allerdings also mit möglichst wenigen Mitteln das möglich Bedeutendste zu wir- ken, nur daß dabei nicht vergessen werde, wie jede Zurückhaltung und Entfal- tung der Kraft im ästhetischen Gebiete auch vollkommen erscheinen muß. Da dieß ein Wechselverhältniß aller Theile voraussetzt, so führt das Gesetz der Oekonomie bereits auf das tiefere der durchgängigen Gliederung, wonach nichts im Bau hervortreten soll, was nicht ein Moment ist in jener gegen- seitigen Spannung des Ganzen, worin Alles trägt und getragen, hält und gehalten wird. Nur kommt dieses tiefere Gesetz noch nicht nach seinem positiven innern Grunde, sondern erst äußerlich, negativ, quanti- tativ zur Sprache. Es handelt sich um das Zuviel und Zuwenig, die nur zwei Kehrseiten desselben Fehlers sind. Eine Säule, die nichts trägt, ein schwebender Anbau (z. B. Balkon), dessen Unterstützung nicht augen- fällig ist, Säule und Gebälk, die vor einer gewölbten Oeffnung, welche ihrer nicht bedarf, rein decorativ vorspringen: Alles dieß ist sowohl Zuviel, als Zuwenig. Es versteht sich, daß es verschiedene Grade der Innigkeit gibt, womit die einzelnen Theile als Glieder organisirt werden. Das Dach trägt nicht ebenso, wie es getragen wird, wiewohl es in anderer Weise wesentlich dem Ganzen dient, nicht nur als mechanischer Schutz, sondern auch als ästhetischer Abschluß; die horizontale Deckung trägt zwar die Decktafeln (Kalymmata) und, wenn man die Triglyphen mit ihr zusammenfaßt, das Kranzgesimse und die Dachsparren, aber sie trägt nicht so viel wie die Säule; dagegen übt die gewölbte Decke eine ungleich stärkere, organisch eingreifendere Thätigkeit aus. Vom Standpuncte der Oekonomie betrachtet ist nun an diesen zwei Hauptsystemen namentlich in’s Auge zu fassen, wie der griechische Styl den rohen Pfeiler auf die Säule, diese vom plumpen auf den schlankeren Schaft reduzirt und indem er alle Last auf die Säulen-Axen wirft, eine straffe Sparsamkeit entwickelt, wie dagegen der mittelalterliche Bau durch die Rippen die Gewölbefelder entlastet, allen Schub auf die Strebepfeiler hinausleitet und da- durch einen noch strengern Haushalt einführt. Von den Gliedern im engern Sinne wissen wir (§. 557) bereits soviel, daß sie das structive Leben des Baus mit wenig oder gar keiner eigentlichen Dienstleistung nur ästhetisch aussprechen; es wird sich fragen, wie weit das Gesetz der Oekonomie wenigstens einen Schein des Fungirens von ihnen fordere, doch muß schon hier einleuchten, daß selbst solche Zierden, welche auch nicht scheinbar tragen oder durch einen fingirten Druck erzeugt sind, sondern eine Beendung, einen Schluß anzeigen, wie Akroterien, Palmetten am Stirnziegel, Schlußblumen, als ein wohlbegründeter Ausdruck des Aus- athmens der Kräfte, durch dasselbe nicht als müßiger Ueberfluß ausge- schlossen sein können. Das Glied geht hier in das Ornament über, dem durch diese Andeutung seine Berechtigung und Grenze im Allgemeinen gesetzt ist. — In §. 496 ist an das vorliegende Compositionsgesetz die Frage nach Recht und Umfang der Episode angeknüpft; die Anmerkung erwähnt als Beispiel in der Baukunst den Erker, dahin gehört auch der Balkon, es handelt sich aber vornehmlich vom höchsten Zweige der Bau- kunst und da ist z. B. an Seitenkapellen einer Kirche zu erinnern. Die Sache ist dadurch schwierig, daß uns im gegenwärtigen Zusammenhange das Gesetz der Symmetrie noch nicht vorliegt; ein Anbau, der nicht grund- wesentlich, sondern nur durch ein hinzukommendes Motiv (wie Stiftung einer Familie, einer Innung, die im ursprünglichen Plane nicht mitberech- net war) bedingt ist, wird durch die Symmetrie doch so in das Ganze hineingezogen, daß er integrirend erscheint, und dem entspricht die innere Wahrheit, daß ein Werk individueller Frömmigkeit (wie sie Familien- begräbnisse, Seitenaltäre in angehängten Kapellen stiftet) doch eben ein Ausfluß des Allgemeinen ist, dem der ganze Bau dient, wie denn auch in der weltlichen Baukunst solche Ansätze, die das Interesse weiteren gebil- deten Genusses, öffentlichen Darstellens und Heraustretens u. dergl. noch über den Umfang des strengeren Grundplans fordert, aus dem ursprüng- lichen Bauzwecke natürlich fließen. Wie weit es störend sei oder nicht, wenn man die nachträgliche Anfügung erkennt, ist in abstracto nicht zu entscheiden; ein Styl ist darin nothwendig strenger, als der andere. Wird aber der Anbau nicht in die Symmetrie des Ganzen hineingezogen, so ist er architektonisch ein Fehler und nur die liberale malerisch historische Be- trachtung mag sich mit ihm versöhnen. §. 567. Das zweite Gesetz, welches das Werthverhältniß der Theile zu bestimmen hat (§. 497), schreibt der Baukunst als positive, aber noch abstracte Grundlage der Schön- heit die Proportion vor. Sie bestimmt das Verhältniß der untergeordneten zu den herrschenden Theilen, für alle Theile die Verhältnisse der Länge, der Höhe, der Dicke und Breite untereinander. In §. 497 hieß dieses Gesetz das der Ueberordnung, Nebenordnung, Unterordnung. Der dadurch bezeichnete Werth-Unterschied muß nun in der Architektur als einer messenden Kunst nothwendig zunächst als ein Größen-Verhältniß erscheinen, worin ein Verhältniß der Stärke (Dicke) einbegriffen ist. Dieses Quantitative wird allerdings von einem Quali- tativen durchkreuzt, d. h. von einem Unterschied im Maaße der Durch- gliederung und Reichthum des Schmucks, jedoch so, daß innerhalb der feiner gegliederten und geschmückteren Theile selbst wieder der Werth- unterschied sich in einem Größenverhältniß ausdrückt. Das Maaßgesetz in der Baukunst ist denn wesentlich ein Gesetz der gegenseitigen Verhält- nisse , der Proportion . In diesem Gesetze ist keineswegs schon das Ganze der architektonischen Schönheit enthalten; wenn wir zu §. 566 gesagt haben, ihr ganzes Geheimniß liege im Verhältniß, so war dort im Begriffe des Verhältnisses noch wesentlich Tieferes mitbefaßt, nämlich ein Verhältnißleben der structiven Leistungen. Wäre das Größenverhältniß Alles, so müßten bestimmte Maaßverhältnisse als Richtschnur aufgestellt werden können; davon kann aber keine Rede sein; die classische Baukunst wurde erst, als ihr inneres Leben vertrocknet war, von der Doctrin auf einen Kanon von Maaßen reduzirt. Die Erfindung tritt als Qualitatives erst hinzu und gibt jedem Kunstwerk, wie sie ihm sein tieferes, im Größen- verhältniß nicht erschöpftes Leben einhaucht, so auch seine eigenen Maaße und es bleibt insoweit auch in Beziehung auf unsere Kunst bei dem Satze §. 35 und 36, 2. , der jede bestimmte Maaßnorm für das Schöne verwirft. Nichtsdestoweniger enthält das Gesetz des Größenverhältnisses mehr, als eine blos äußerliche und negative Bedingung, damit Schönes entstehen könne, seine Unzulänglichkeit zur Begründung des ganzen Schönen besteht blos darin, daß es die zwar positive, aber nur erst abstracte Grundlage ausspricht, die sich zur wirklich schönen Gestalt verhält, wie das Knochen- gerüst mit seinen Maaßen zu dem organischen Leib. Näheres kann über das vorliegende Gesetz an der gegenwärtigen Stelle überhaupt nicht aus- gesprochen werden, denn nicht nur keine bestimmten Maaße für die Theile eines Baus lassen sich angeben, sondern auch mit Verzichtung darauf läßt sich im Allgemeinen nicht sagen, was ein Herrschendes, was ein Unter- geordnetes, was dem Untergeordneten wieder untergeordnet sei und wie sich dieß theils in den Größenverhältnissen überhaupt, theils inner- halb des Werth-Unterschieds in Gliederung und Ausschmückung, der die allgemeinen Größenverhältnisse durchkreuzt, ausdrücken müsse. Denn nicht nur die Erfindung des Einzelnen ist es, die innerhalb eines gewissen Spielraums frei über die Proportionen schaltet, sondern die Styl-Erfindung im Ganzen und Großen, ein Werk des Gesammtgeistes der Nationen, bestimmt diesen Spielraum selbst in jener verschiedenen Weise, die sich nur in der Geschichte der Baustyle im Wesentlichen angeben läßt. Wie ver- schieden ist die Proportion der Höhe zur Breite und Länge im griechischen und gothischen Bau, wie verändert sich das dem Werthe und Gliederungsgrade nach Herrschende, da der griechische Tempel den geistigen Mittelpunct des gothi- schen Doms, den Chor, gar nicht hat, wie wechseln die Verhältnisse im Unter- geordneten, da jenem die Gruppen in Gruppen theilende Anlage ganz abgeht, da er nicht Fenster, nicht Seitenportale neben dem Portal hat! Aber auch das Wenige, was sich durch verschiedene Style mit einiger Gleichmäßig- keit hindurchzieht und worüber sich daher etwas Allgemeines aufstellen läßt, gehört bereits zu der Erörterung der tieferen Aufgaben der Compo- sition, zu der wir nun übergehen, als der Stelle, worin die Proportions- Verhältnisse ihren innern Grund haben. Dieß ist das Schwere an der Baukunst, daß wegen ihrer abstracten Natur ihre verschiedenen Seiten sich trennen zu lassen scheinen wie in keiner andern Kunst, während doch jede wieder in der andern begründet ist und daher das Auseinanderhalten so leicht zum Wiederholen führt. Hervorzuheben ist noch, daß der Begriff der Proportion wesentlich eine fortlaufende Wiederkehr derselben Verhält- nisse bei mehrfach vorkommenden Theilen derselben Seite und Function, sowie bei ganzen sich wiederholenden Seiten in sich schließt. Dieß führt auf das Gesetz der Symmetrie, dessen Aufführung jedoch erst andere wesent- liche Momente voraussetzt. §. 568. Das Gesetz der Scheidung (§. 498) entwickelt die Formen des Con- trasts in den Gegensätzen der Linien (§. 564) und der structiv thätigen Kräfte (§. 563). Indem die Composition diese Verhältnisse ergreift und vor Allem das Einförmige durch die milde Form des Contrasts zur Mannigfaltigkeit um- zubilden hat, erhebt sie statt des gleichseitigen Vierecks das längliche zur herrschenden Grundform, theilt und öffnet die Massen über das bloße Bedürfniß. Dabei leitet sie der tiefere Zweck, den Ausdruck eines bewegten Anlaufs, eines Strebens nach oben und einer geistigen Bezwingung der Massen überhaupt zu gewinnen. Den starken Contrast entwickelt sie in den volleren Gegensätzen der Linien und dem Conflicte zwischen Kraft und Last: einem Ausdruck des Widerstreits von Weltkräften, der, wie jene mildere Entgegenstellung, seine Lösung fordert. Die Momente, die hier auftreten, sind in abstracter Aufreihung alle bereits dagewesen, in einem gewissen Sinne sind sie auch schon zusammen- gefaßt worden von §. 563 an; sie treten aber jetzt in die neue Beziehung der Composition, sie stellen sich unter den künstlerischen Begriff des Con- trasts, der seiner Lösung zugeführt werden soll. Es ist in §. 498 eine milde Form des Contrasts (bloßer Unterschied, Mannigfaltigkeit) und eine starke (voller Gegensatz) unterschieden worden. Alle Kunst bewegt sich in diesen Gegensätzen, ein allgemeines ästhetisches Gesetz gebietet jeder, sie zu entwickeln. Dabei hat aber jede ihre besondere Aufgabe und aus dieser fließt für sie die bestimmtere Begründung dessen, was an sich schon das ästhetische Gefühl überhaupt fordert. Dieß zeigt sich sogleich an den drei Momenten, die wir als Formen der Belebung des Einförmigen zum Mannigfaltigen unter dem Begriffe des milden Contrasts zu befassen haben. So ist denn die Form des Würfels an sich schon leblos abstract, es fehlt ihr die Bewegung des Unterschieds. Es ist daher einer der wenigen allgemeinen Sätze, die sich über architektonische Proportion aufstellen lassen, daß das Compositionsgesetz die Verlängerung des Würfels zum Oblongum fordert. Allein es liegt dabei ein bestimmterer Zweck zu Grunde, der rein im Geiste dieser Kunst begründet ist: das Oblongum soll einen Anlauf, eine Bahn nach einem Ziele ausdrücken, wie ja sein innerer Raum in Wirklichkeit den Eintretenden hinanführt zum Götterbilde, zum Hochaltar. Durch dieses Vorherrschen der Länge würde aber der Bau als träg an der Erde hinlagernd erscheinen, wenn nicht die Linie des Aufschwungs, die senkrechte, in einer, wenn nicht die Breite überbietenden, doch an sich bedeutenden Höhe zur Geltung käme; auch dieß ist eine allgemein ästhe- tische Forderung des Auges, deren Recht man dem stumpf abgeschnittenen ägyptischen Tempel gegenüber empfindlich genug fühlt, allein es ist auch positiv der Ausdruck religiösen Aufstrebens, der dieses Verhältniß verlangt, wobei man keineswegs unmittelbar an den gothischen Hochbau zu denken hat, denn auch der griechische Tempel ist kein so einseitiger Langbau wie der ägyptische. Eine weitere wesentliche Art der Einführung des beleben- den milderen Contrasts ist nun die Massentheilung und Raumöffnung. Die erstere bricht die Einförmigkeit der Flächen durch Gliederung und Orna- ment, reduzirt als tieferer Grund der Sparsamkeit die Mauermassen und geht so in die zweite, die Raumöffnung über, von der schon zu §. 563 gesagt ist, wie sie aus ästhetischem Motive das Bedürfniß übersteigt. Das all- gemein ästhetische Prinzip, welches die Belebung des Eintönigen durch Contraste des Mannigfaltigen gebietet, wirkt also in der Baukunst in die- ser besondern Weise der Massenbezwingung, deren bestimmtere Formen die Lehre vom Decorativen und die geschichtliche Uebersicht über die Haupt- style zu zeigen hat. — Der starke Contrast tritt nun natürlich im vollen Gegensatze des Wagrechten und Senkrechten, des Geraden und Runden hervor, und in diesen Linien bewegt sich der Zusammenstoß der Grund- gewalten: der Conflict zwischen Kraft und Last, zwischen Schub und Ge- gendruck. Die Composition hat diesem Conflicte seinen vollen Ausdruck zu geben, denn der starke Contrast gibt allem Kunstwerk erst seine festen Knochen, Kraft und Salz; in der Baukunst aber soll gemäß ihrer Auf- gabe, eine Symbolik der bauenden Weltkraft zu geben, vor Allem der Kampf und Gegenschlag, auf welchem alle Organisation des Kosmos ruht, zur Darstellung kommen. Das mechanisch Nothwendige erhebt sich zum Ausdruck der Idee, daß der Streit der Vater des Lebens ist. §. 569. Die Herstellung der Einheit durch Vorbereitung, Motivirung, Lösung der Gegensätze (§. 499) vollzieht sich im Allgemeinen durch lebendige Entwicklung jedes Cheils aus dem andern. Dabei macht sich nun vor Allem die durchgreifende Bedeutung der Decke (vergl. §. 563) in der Art geltend, daß sie in ihrer Verbindung mit der freistehenden Stütze das Ganze zu einer organischen Wechselwirkung von Kräften gliedert , welche in ihrer durchgebil- detsten Form auch die Wand ergreift. Hier treten denn die zusammenfassenden Linien-Verhältnisse (vergl. §. 564) in das Leben. „Im Allgemeinen“: denn ihren vollen Ausdruck erhält die lebendige Einheit, die dieses Ganze durchströmen soll, erst in den Gliedern und im Decorativen überhaupt, das hier zwar allerdings als wesentlich mit- wirkend schon in’s Auge gefaßt werden muß, jedoch ohne noch zu der in §. 557, 3. vorbehaltenen näheren Betrachtung zu kommen. Ehe von der Bedeutung der Decke die Rede ist, wird die lebendige Entwicklung jedes Theils aus dem andern überhaupt als Ausdruck jener Einheit bezeichnet, denn das wichtigste Geheimniß sitzt zwar in jener, aber es handelt sich auch von Anderem, wo die Decke jene große Bedeutung nicht haben kann oder gar nicht in’s Spiel kommt. Im mehrstockigen Palaste z. B. soll ein Stockwerk auf das andere vorbereiten, so daß sie in ihren ver- schiedenen Abstufungen von Größe des Raumöffnenden, von ästhetischer Entwicklung überhaupt aus einander hervorzuwachsen scheinen, bis das Glänzendste erreicht ist und dann diese Bewegung in einem letzten un- scheinbareren und leichteren Stockwerk sich auslebt; es erhellt daraus, wie verkehrt es wäre, den untersten Stock am reichsten auszustatten. Im durchgegliederten Thurme soll sich das Achteck aus dem Viereck und aus jenem die Pyramide wohlvorbereitet herausgliedern. Das Portal, die Fa ç ade überhaupt bereitet auf ein reiches und großartiges Inneres vor. Der einzeln, von der Kirche getrennt stehende Campanile ist ein isolirtes, in das Ganze nicht aufgenommenes, mit dem Langbau jener einen unge- lösten Kontrast darstellendes Gebilde. Das Wichtigste ist nun aber aller- dings die Decke. Hier fällt mit dem stärksten Conflicte zugleich die Lösung in Eines zusammen, denn wie sie als übergelegte Last allen tragenden Theilen den Kampf bietet, so faßt sie als das ausgespannt Spannende zugleich sie alle mit Macht zusammen und von ihr aus geht die Ver- wandlung aller wesentlichen Theile des Baus in Glieder eines Organis- mus, wie dieß in jenem schon zu §. 562, 1. angeführten Satze Böttichers ausgesprochen ist, der das Thema enthält, welches der Geschichte der Style zu Grunde liegt. Eben der Streit der Kräfte ist daher auch ihre Einheit, und das Bild der Wohlordnung des Lebens, wie es aus dem Kampf der Gegensätze sich erzeugt, der Harmonie aus Disharmonie, der Geist, der aus den Reibungen der Materie aufblitzend Alles in seine Einheit zusammenfaßt, hat daher hier seinen geheimnißvollen Sitz. Die Vorbereitung der kämpfenden Gewalten auf den Zusammenstoß ist bereits die Vorbereitung auf ihre beruhigende Zusammenfassung: die Wand und noch mehr die freistehende Stütze wächst der Last der Deckung entgegen und findet nun eben in dieser Leistung ihre Ruhe, ihre Festigkeit, die Decke legt sich mit ihren Enden auf, breitet ihren übrigen Theil frei schwebend über und dankbar für das Auflager schenkt sie dem Tragenden eben durch ihren Druck seinen Halt und Bestand; nur soll natürlich in dieser Versöhnung der Ausdruck des Conflicts nicht verschwinden: Fenster und Thüren folgen in der Form ihrer Bildung demselben Gesetze, und so bleibt kein Architekturtheil übrig, der nicht in die Wechselwirkung des Ganzen eingefaßt wäre, Alles ist sich gegenseitig Motiv; aufstrebende Thürme, wo sie hinzutreten, erscheinen wie Blumen mit hohen Stengeln, die aus diesem vollen, lebensreichen Organismus aufschießen, um weithin seine Herrlichkeit zu verkündigen. Nun erst erhalten auch die in §. 564 noch abstract aufgeführten Linien-Verbindungen ihre wahre concrete Be- deutung; sie sind nur die äußere Grenze organischer Verhältnisse wirk- licher Körper: die wagrechte über der senkrechten erscheint in dem über Wand und Säule gespannten Gebälke, die runde über der senkrechten im Gewölbe; jene ruht auf der Säule, diese auf dem Pfeiler; jene läßt die Wand noch ungegliedert, diese zieht auch die Wand in die allgemeine Gliederung wechselwirkender Kräfte. Die schrägen Linien zum Giebel zusammentretend bilden das Dach, das in seiner mechanischen Bedeutung nur schützend, in seiner ästhetischen schließlich das Ganze noch einmal nach außen zusammenfassend wirkt und der Höherichtung ihre vollständige Entwicklung gibt. Noch eine andere Bedeutung erhält die schräge Linie in der gothischen Baukunst: sie beherrscht als Diagonale auch die Gliede- rung des Innern in ihren Gewölbefeldern und besonders den polygonen Theil des Grundriffes; aber auch in dieser Anwendung hat sie wesentlich zusammenfassenden Charakter. §. 570. 1. Das einheitliche Leben des Ganzen als Rhythmus (§. 500) muß sich, da es sich nicht in dem freien Flusse der individuellen Linie bewegen kann, zunächst in einer um so strengeren Durchführung jener allgemeinen Grundlagen alles individuellen Lebens (§. 558), erhoben zum bindenden Gesetze der Sym- metrie , geltend machen. Dieselbe ist als Gleichseitigkeit bei nur gedachtem Mittelpuncte bloße Regelmäßigkeit ; in ihrer wahren Bedeutung tritt sie auf, wenn der Mittelpunct als ausgebildeter Körper zwei oder mehrere gleiche Seiten beherrscht, und ihre reichste Form ist die gruppirte Symmetrie, wo die sich gegenüberstehenden Seiten selbst wieder solche Mittelpuncte haben 2. (vergl. §. 265). Die Symmetrie entwichelt sich nothwendig in der Zwei- und Dreizahl mit den aus ihr hervorgehenden Zahlfortschritten (vergl. §. 500, 2. ); dasselbe Zahlengesetz greift aber als Ausdruck des in der Symmetrie nicht er- schöpften rhythmischen Lebens durch die Hauptmomente des Ganzen. 1. Die Gliederung (§. 569) ist noch nicht der Rhythmus, wie er in §. 500 dargestellt ist. Er verhält sich zu ihr, wie der allgemeine Lebensstrom zu den festen Formen im organischen Leibe: diese sind zwar die Röhren, durch die er fließt, die Knotenpuncte, in denen er sich takt- fest sammelt, allein die Bahn seiner Bewegung, sein Aushohlen, Aus- athmen, sich Ansammeln, neues Ausströmen bis zum Schlußpuncte kann und muß in der Betrachtung getrennt werden von den Fügungen der Theile, durch die er sich bewegt. Wir haben erst ganz allgemein einen Rhythmus der Verhältnisse und Linien in §. 557 gefordert und in §. 566 die ganze Composition als Rhythmusbildend gefaßt; der Begriff erhält aber jetzt engern Sinn und bestimmt sich vorerst zum Gesetze der Symmetrie. In den Künsten, die das individuelle Leben nachbilden, wird die rhythmische Bewegung als ein Geist der Einheit auftreten, der als eine unberechen- bare, freie Strömung Theile beherrscht, die entweder, wie im vorhin gebrauchten Beispiele, zwar als Glieder an Form einander gleich sind, doch nicht in abstract geometrischem Sinne und zudem durch ungleiche Stellung unterschieden, oder überhaupt ungleich, wie in einer Landschaft, einem Drama. Die Baukunst aber bildet ja nicht das individuelle Leben im freien Spiele seiner Linien nach, sondern sie nimmt, wie dieß in §. 558 gezeigt ist, nur die allgemeinen Grundlagen, welche als ver- borgene Regel alles Leben binden, gleichsam das Knochengerüste aus dem Fleische des Lebens oder aus dem wechselnden Geiste die zeitrechnenden Marken seiner Besinnung für sich heraus als das Element, worin sie idealisirend bildet und tiefe Bedeutung symbolisch niederlegt. Hier, in diesem Gebiete der abstracten Linie, kann der Rhythmus nicht ein freies Spiel des Ungleichen unberechenbar beherrschen, sondern er muß sich vorerst ganz abstract so äußern, daß er das Ungleiche selbst gleich macht, d. h. daß Solches, was von einem Mittelpuncte mehrzählig ausstrahlt, diesem zwar ungleich, aber untereinander gleich ist, und dieß eben ist die Symmetrie. Shakespears Lear z. B. führt zwei Fabeln nebeneinander her, sie sind sich ähnlich, aber nicht gleich, die Handlung der einen folgt der andern mit raschen Schritten, doch bleibt sie auch zurück, um sie wieder einzuholen u. s. w.; im Bauwerke dagegen müssen zwei Haupt- theile, die parallel sich gegenüberstehen, einander ganz gleich sein an Maaßen, Zahl ihrer Einzeltheile u. s. f. Ueberall wo das Starre erst in dieser allgemeinsten Weise gestaltet wird, muß diese gemessene Bin- dung und gezählte Gleichseitigkeit herrschen, nicht nur in der höhern Archi- tektur, sondern in aller Tektonik (vergl. Schleiermacher Aesth. S. 443. ff.). Daß hiedurch die Proportion erst ihren bestimmten Inhalt bekommt, ist zu §. 567 bemerkt. Es sind nun die verschiedenen Arten der Symmetrie bestimmter zu unterscheiden. Die erste, abstracteste Form ist die Gleich- heit von zwei Seiten nach Linie, Maaß, Zahl und Form einzelner selbst- ständiger Theile, wie Fenster, Säulen u. s. w., die sich ergibt, wenn man durch ein (schlechthin oder relativ) Ganzes als theilenden Mittelpunct eine nur gedachte Linie zieht. Schneidet diese ideale Linie der Länge nach durch die Mitte eines reicher gegliederten Baus oder senkrecht durch ein- zelne Theile, woran runde oder geneigte Linien vorkommen, wie bei Portalen, Säulen, gewölbten Fenstern, Dachgiebeln, so tritt der in §. 265 hervorgehobene Fall ein, daß die beiden Seiten das umgedrehte Gegenbild von einander darstellen. Aber nicht beliebig nach verschiedenen Richtungen kann man eine solche theilende Linie als Mittelpunct für gleiche Seiten ziehen; solche fallen nicht ab, wenn man die Mitte eines Oblongums quer von oben durchschneidet: selbst im griechischen Tempel kann nach außen die Vorhalle reicher gegliedert sein, als die Hinterhalle, und im Innern begründet die Stelle des Götterbildes, das geschlossene Gemach an der Hinterseite der Celle eine Ungleichheit; die gothische Kirche aber zerfällt so in zwei Seiten von noch viel auffallenderer Ungleichheit. Ebensowenig entsteht, wenn man in der Breite durchschneidet, eine Symmetrie des Obern und Untern. Dieß ist eben ein Beweis, daß die Symmetrie nicht Alles ist; sie kann das aus tieferer Quelle Gegliederte nur in Einer Richtung durch ihr Taktgesetz beherrschen. Die reichere Form der Sym- metrie nun entsteht, wenn der herrschende Mittelpunct als besondere Form sichtbar hervortritt, wie im Bau des Mittelalters an der Fa ç ade das höhere Mittelschiff mit dem Portal, in einem Palaste der reichere Mittel- bau zwischen den Flügeln u. s. w. Der beherrschten Seiten können nun mehr sein, als zwei, z. B. vier in der Grundform des griechischen Kreuzes mit vier gleichen Armen, die von dem Kuppelbau in der Mitte auslau- fen. Die reichste Form ist, wenn die beherrschten Seiten selbst wieder diese Theilung des Ganzen durch eine reichere Mitte darstellen, indem sich in ihnen wiederholtes Gleiches um eine solche gruppirt , wie wenn Säulen mit Pfeilern wechseln, wenn gruppirte Fenster um ein reiches Portal sich gegenüberstehen, wenn die Querschiffe einer Kirche mit Thür- men versehen vom Centralpuncte aus sich entwickeln. Alles dieß kann sich nun natürlich in reicherer Weise ausbreiten in einer ganzen Gruppe von Gebäuden, aber die größere Mannigfaltigkeit des Symmetrischen geht hier auf Kosten der strengen Geschlossenheit, wie sie in Einem Bau sich durchgliedert. Schließlich ist noch zu bemerken, daß Mangel an Sym- metrie, wie sie durch Laune, durch äußere Hindernisse, Zufälle eindringt, nie vom architektonischen, sondern nur vom malerischen oder überhaupt nicht rein ästhetischen, sondern mit geschichtlichen Empfindungen gemischten Standpunct aus gebilligt werden kann, und da mag freilich das Unregel- mäßige namentlich in größeren Ganzen, wie Straßen, öffentlichen Plätzen schöner erscheinen, als die kahle Regelmäßigkeit unhistorischer moderner Städte. 2. Es ist zu §. 500, 2. gesagt, daß in den Künsten, die nur in entferntem Sinn nachahmende sind, ein Zahlgesetz, insbesondere ein Zwei-, Drei- und Fünfschlag mit besonderer Bestimmtheit auftreten müsse. In der Symmetrie herrscht klar die Zwei, wo die Mitte eine nur gedachte ist und die unterschiedenen Einzeltheile der gleichen Seiten nicht gezählt werden; werden diese gezählt, so geht die Progression in geraden Zah- len, also auf Grundlage der Zwei fort. Tritt die Mitte als besondere Form hervor, so herrscht die Grundzahl alles Lebens und aller Bewe- gung, die Drei, und da sich die beherrschten Seiten wieder zweifach oder mehrfach theilen, so schreitet die Progression von da weiter fort. Man darf bei den „aus der Zwei- oder Dreizahl hervorgehenden Zahlfort- schritten“ natürlich nicht an die reine Regel der Arithmetik denken. Die Drei kann zu vier, fünf, sieben u. s. w. fortschreiten, wenn die Mitte mit drei, vier Ausstrahlungen u. s. w. zusammengerechnet wird. So ist es auch in der Symmetrie des Organischen. Die Symmetrie ist nun aber nur der Niederschlag des rhythmischen Lebens in der Gleichbildung sich wiederholender Theile; diese Theile selbst sind Ausstrahlungen der Kraft des Ganzen, die in ihrer Entfaltung sich sammelt, gesammelt sich wieder entfaltet und endlich beruhigt ihr Leben abschließt. Der Rhythmus wird daher in den Hauptmomenten der Fügung des Ganzen seinen all- gemeinen, die Symmetrie nun unter sich begreifenden Ausdruck haben, aber auch dieser muß sich in einer streng geometrischen Kunst in einem Zahlenverhältniß äußern. Nur bewegt sich jetzt die Zählung in andern Richtungen und ist nicht mehr von einem gleichen Maaße gezählter Theile die Rede. So gibt denn in der Richtung der Höhe das Tragende und Getragene einen vollen Zweischlag, nimmt man den Unterbau dazu, so ist es ein Dreischlag. Unterscheidet man zwischen Dach und Säule oder Wand das Mittelglied des Gebälkes, so spricht sich ohne den Unterbau wieder eine Drei, mit diesem eine Vier aus. Zieht man das Massen- theilende und Raumöffnende bei, so tritt in der Mauer Sockel, Haupt- fläche, Fries, in den frei stützenden Körpern Fuß, Schaft, Capitell, im gothisch gegliederten Thurme Viereck, Achteck, Helm einander im Drei- Tacte gegenüber. Im Kreuzgewölbe scheiden sich vier Felder, der Schluß- stein als herrschende Mitte eingezählt gibt die Fünf. Im Wohnhaus wird die Zahl von drei Stockwerken die rhythmisch beste sein. Geht man dem Grundriß nach in die Länge und Breite, so gibt im griechischen Tempel die Celle mit Vor- und Hinterhalle eine Drei, dieß Ganze mit dem Säulen-Umgang eine Zwei; der gothische Bau läßt verschiedene Aus- gangspuncte der Zählung zu: die Vierung als herrschende Mitte mit den vier Ausstrahlungen Chor, Querschiffe, Langschiff bildet eine Fünf; nimmt man den Chor als reichern Vorschuß des Centralpuncts der Vierung mit diesem zusammen und so als Herrschendes, so schickt dieser Kern zwei Arme nach der Seite, einen dritten in gerader Richtung aus; geht man aber von der Fa ç ade aus, so hat man im Langschiff den einheitlichen Ausgang, der sich in den Quer-Schiffen nach zwei Seiten auseinander- schlägt und in der Schluß-Einheit des Chors wieder zusammenfaßt. Die Verschiedenheit dieser Zählungsweisen, deren eine wie die andere zuläßig ist, beweist nun aber allerdings, daß die Zahl nicht der Kern des ästhe- tischen Geheimnisses, sondern nur sein Ausdruck ist; das Wesen der Sache ist die Bewegung mit ihren gegensätzlichen Wendungen und ansammelnden Ruhepuncten, diesen Tactschlägen mit den Ausathmungen dazwischen; im ästhetischen Genusse läuft ein Zählen dieser Momente nur dunkel und halbbewußt unter, wirft sich das Bewußtsein darauf, so kann verschieden gezählt werden, nur daß die Progressionen der geraden oder ungeraden Zahl auf die bezeichnete Weise einen Zwei- oder Dreischlag mit den ge- nannten Fortschreitungen immer unterscheiden lassen. Jede weitere mystische Ausdeutung ist schon zu §. 561 Anm. 1. abgewiesen. Eine solche hat sich namentlich an die Messungs-Verhältnisse der gothischen Baukunst gehängt, denen man ein allegorisches Zahlen-Geheimniß unterlegte, das in ihren Gewerks-Vereinen bewahrt sein sollte. Die Grundzahl soll im polygonen Chorschluß gegeben sein: ist er dreiseitig aus dem Achtecke construirt, so soll die Zahl acht in den Pfeilern, in den Länge-Maaßen der ganzen Kirche herrschen; ist er dreiseitig aus dem Sechsecke construirt, die Sechs; ist er fünfseitig, die Fünf; ist er siebenseitig, die Sieben. Auch auf die Gestaltung der Fenster und Ornamente soll die Grundzahl Einfluß ge- habt haben u. s. w. Diese Zahlen werden dann mystisch gedeutet. So Stieglitz (Gesch. d. Bauk. S. 538 ff.), Hoffstadt (Goth. ABCBuch S. V ff.), der jedoch sonst sein großes Verdienst in der Erforschung des geometrischen Elements im gothischen Styl hat. Wir verweisen übri- gens auch hier auf Schnaases Kritik dieser Ansichten (Gesch. d. bild. Künste Bd. IV, Abth. 1 S. 287 ff.). Die Annahme einer Grundfigur für das Ganze des gothischen Gebäudes gehört zunächst nicht hieher, wo nur von Zahlenverhältnissen die Rede ist, doch fällt die Behauptung des Durch- gehens der übereinander gelegten Quadrate (Quadratur, Achtort, Achtuhr) oder Dreiecke (Triangulatur) durch das Ganze in diese Kategorie der äußerlich mathematischen Fixirung des Schönen; auch diesen Punct dürfen wir der kunstgeschichtlichen Kritik überweisen (vergl. Schnaase a. a. O. S. 319 ff.). — Fassen wir aber, was von der Proportion in §. 567 allgemein gesagt ist, mit dem Satze zu §. 568, 1. , wonach ein bestimmtes Gesetz der Proportion im Unterschiede der Länge von der Breite und Höhe sich hervorstellte, zusammen und fragen nun, ob das Gesetz des Rhythmus in den Tactschlägen seiner Athmung nicht weitere Bestimmungen begründe, so ist die Antwort, daß solche in einem gegebenen Style, doch ebenfalls mit einem großen Spielraume für die individuelle Erfindung, sich entwickeln werden. So ist in der gothischen Kirche die Einheit, von welcher die ungefähre Bestimmung der Verhältnisse des Grundrisses aus- geht, in dem Quadrate gegeben, das in der Vierung des Kreuzes liegt; es wiederholt sich einfach in jedem Querschiffe, mehrfach, gewöhnlich drei- mal im Mittelschiffe des Langhauses, theilt sich in Hälften im Seiten- schiffe, so daß je zwei halbgroße Quadrate jedem ganzen des Hauptschiffes zur Seite liegen. In der Pfeiler-Reihe drückt sich dieses Verhältniß da- durch aus, daß der Abstand zwischen zwei Pfeilern die Breite der Seiten- schiffe, zwischen drei die des Mittelschiffes, also des Grundquadrats dar- stellt. Nach der Chorseite wiederholt sich das Quadrat einfach und der polygone Chor-Abschluß legt sich an dieses Quadrat so, daß sein Radius die Hälfte der Breite desselben beträgt. So kehrt theils ganz, theils zur Hälfte getheilt das Grundmaaß wieder und stellt sich ein Rhythmus zählbarer Maaße im Grundrisse dar (s. Schnaase a. a. O. S. 128. 129). Doch auch dieß ist nur das Durchschnittsverhältniß, modificirt sich ver- schieden in der Wirklichkeit und so sind wir von allen Seiten von dem Berechenbaren zum Unberechenbaren der Schönheit geführt. §. 571. Die architehtonische Schönheit bewegt sich in allen, von §. 564 an auf- geführten Momenten und faßt sich im Rhythmus so zusammen, daß sie ihm das Wohlverhältniß der Eurhythmie gibt. Ueber dieselbe kann nichts Wei- teres ausgesagt werden, als daß sie ein andeutendes Bild des Weltalls (vergl. §. 561) als eines zur reinen Harmonie geordneten Ganzen vor Augen stellt. Die Symmetrie kann noch nicht die Schönheit selbst sein, denn es kommt ja erst darauf an, was sich gegenübersteht und um welchen Mit- telpunct. Wir haben verschiedene Arten der Symmetrie angegeben, deren jede selbst wieder ihre specielleren Verschiedenheiten zuläßt. Der tie- fere, allgemeinere Rhythmus, der durch die Symmetrie mit seinen Takt- schlägen greift, kann selbst verschiedener Art und in jeder Art zwar vor- handen, aber mangelhaft entwickelt sein. Im Rhythmus nun faßt sich schließlich das Geheimniß der architektonischen Schönheit zusammen. Er steht selbst über der Gliederung, welche das allgemeine System der Linien (§. 564), der Hauptrichtungen (§. 565), der Arten des Contrastes (§. 568) und seiner Lösung (§. 569) bedingt; denn der Unterschied der Gliederung bestimmt den Unterschied der Style, es sind aber in jedem Styl schöne und unschöne Verhältnisse möglich; es gibt keinen Rhythmus ohne Gliede- rung, er ist nicht denkbar außer ihr, aber von ihr noch zu unterscheiden. Er entfaltet die Schönheit seiner Verhältnisse namentlich im Rahmen der Oekonomie (§. 566), der Proportion (§. 567) und schließlich der Sym- metrie, aber eben weil das innere Leben, das durch diesen Rahmen strömt, sich nicht bei Schuh und Zoll bestimmen läßt, ist auch dieser Rahmen ein veränderlicher, nicht zu bestimmender. Und so läßt sich denn Weiteres schlechthin nicht aussagen, als: der Rhythmus soll schön sein. In der That ist nicht zu fragen, warum man denn ein Näheres über die Schönheit in der Baukunst nicht feststellen könne, sondern wie man dazu komme, nur zu meinen, man könne es? Und die Antwort ist, daß der Grund in der abstracten Natur dieser Kunst liegt. Keine andere Kunst außer der Musik legt wie sie die ganze Schönheit in Messungs- Verhältnissen nieder und da vergißt man leicht, was schon nachdrücklich hervorgehoben ist, daß das ausgeführte Gebäude zwar nachgemessen wer- den kann, aber von dem blos Nachmessenden darum nie erfunden wäre, d. h. daß auch hier die freie Erfindung der Phantasie es ist, welche das Schöne schafft. In geistiger Allgemeinheit aber läßt sich natürlich ganz fest bestimmen, was architektonisch schön sei. Schönheit ist vollkommener Ausdruck der Idee in der reinen Form. In der Baukunst ist die Idee des Weltgebäudes symbolisch darzustellen und ein Gebäude ist schön, wenn Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 16 es diese Idee in ihrem wahren Vollgehalte, d. h. als die Idee eines wohlgeordneten Ganzen, einer lebendigen, sich bis zur Beruhigung aus- lebenden Wechselwirkung der Kräfte, kurz wenn es den Kosmos darstellt. §. 572. Das ästhetische Leben des Bauwerks bliebe aber ein verborgenes, wenn es sich nicht eine besondere Welt von Formen erzeugte, die sich als sein deco- rativer Ausdruck (vergl. §. 557, 3. ) der Kernform anlegen. Es sind dieß theils Umbildungen der Oberfläche fungirender Hauptglieder, wodurch insbe- sondere die freistehende Stütze zur Kunstform der Säule und des Pfeilers wird, theils eigene Bildungen oder Glieder im engeren Sinne, welche, die wesent- lichen Theile des Bauwerks umsäumend, den Contrast, seine Vorbereitung, Motivirung, Lösung und überhaupt den Rhythmus zur Anschauung bringen. Diese sind theils runde, theils gerade; die ersteren sind vorherrschend durch die Fiction motivirt, als wäre der Stoff ursprünglich weich gewesen; im Uebrigen sind die Motive aus der Pflanzenwelt, aus dem Mechanischen, aus der Bau- kunst selbst entlehnt. In ihrer Verbindung heißen die Glieder bei längerer Ausdehnung Gesimse . Die Grenzen dieses Gebiets sind nach zwei Seiten schwer zu be- stimmen; die eine dieser Seiten liegt auf folgendem Puncte: an den architek- tonischen Hauptgliedern werden Gestaltungen vorgenommen, welche gerade in ihrem Haupttheile nicht als besondere, angelegte Form erscheinen, durch welche vielmehr das ganze Hauptglied ist, was es ist, so an der Säule, am Pfeiler, am Gebälke, an den Gewölbe-Gurten. Jene beiden insbe- sondere gewinnen erst hiedurch die Kunstform, welche schon in §. 563 hervorgehoben werden mußte. Ein Theil jener Gestaltungen besteht be- reits aus Gliedern im gewöhnlichen engern Sinn und dieser Complex pflegt bei der Lehre von Säule und Gebälk u. s. w. abgehandelt zu werden, wiewohl der letztere Theil bei der besondern Erörterung der Glieder auch vorkommen muß. Wir ziehen das Ganze jener Bildungen in Einen Abschnitt mit den Gliedern zusammen. Die andere Seite ist die Grenze nach dem eigentlichen Ornament hin: nimmt man, wie Bötticher , durch- gängig die Blumen- und anderen Formen, die den Gliedern ursprünglich aufgemalt, später plastisch an ihnen ausgeladen sind, als das ursprüngliche Motiv der Entstehung des ganzen Glieds, so läuft die ganze Lehre von den Gliedern unterscheidungslos in die vom Ornament hinüber. Wir werden Bötticher nicht durchaus folgen können und eine ungefähre Grenze zu bestimmen suchen. Innerhalb des Gebiets der eigentlichen Glieder zeigt sich eine weitere, schon zu §. 557, 3. angedeutete Schwierigkeit: einige haben noch Function; so schützt die Gliedergruppe, die das Kranzge- simse bildet, vor Regen, die Triglyphe trägt, der Abakus des Kapitells ist nicht absolut nöthig, aber doch dienlich; Console oder Kragstein trägt bald wirklich, bald nur scheinbar; andere fungiren entschieden nicht und liegen daher näher an der Grenze des eigentlichen Ornaments; Hübsch (D. Architektur u. s. w. S. 13) nennt sie Zierglieder. Wir heben das Wesentliche dieser schwierig abzugrenzenden Formenwelt hervor und be- ginnen von jenen Umgestaltungen ganzer Körper, welche decorativ das statische Leben aussprechen. Die freistehende Stütze soll ihre Tragkraft kundgeben durch einen Schein, als wüchse und stiege sie mit organischem Schwunge ihrer Last entgegen oder stemmte sich (als Pfeiler) nicht nur gegen den senkrechten Druck, sondern auch gegen den Seitenschub. Der einfacheren Aufgabe des bloßen Widerstands gegen den Druck von oben wird eine Belebung entsprechen, welche in das Pflanzenreich, in den central peri- pherischen Wuchs des Baumstamms hinüberspielend den Körper cylindrisch bildet und, um die Anspannung einer elastischen Kraft anzudeuten, ihn gegen die Mitte schwellt (Entasis), nach oben aber verjüngt. Dieses Hinanstreben wird im Zusammenstoße mit der Last naturgemäß mit einer Ausbreitung schließen, welche wir bei den eigentlichen Gliedern zu er- wähnen haben; wir nehmen aber hier zum Voraus Rücksicht auf sie, weil eine weitere Form der Belebung des Schaftes wesentlich mit ihr zusammenhängt: um nämlich das Anstreben zum Stützen noch bestimmter zu charakterisiren, werden ringsum Furchen, Canneluren am Cylinder aufwärts gezogen, welche, energische Schattenstreifen erzeugend, das Auge nöthigen, an ihm hinanzusteigen, und mit den Gräten oder Stegen, welche zwischen ihren Eintiefungen heraustreten, die concentrisch angespannte, durch die An- spannung eine scharfe Ausquellung hervorpressende Kraft darstellen; das Motiv aus der analogen Natur, das dieser Form (Rhabdosis) zu Grunde liegt, hat Bötticher (a. a. O. S. 135) im Stengel der Schirmtragenden Dolde nachgewiesen, wo denn eben in der Eigenschaft des Schirmtragens die Vorankündigung jener obern Ausbreitung liegt. Eine dazwischen ge- schobene Platte wird den Zusammenstoß jener Ausbreitung mit dem Architrav mildernd, schützend, überleitend vermitteln. Nehmen wir nun hinzu, daß der Druck von oben auf den untersten Theil der Säule auch hier Ausschwellungen motiviren muß, durch die sich ihr Körper vom Unterbau abheben wird, und daß etwa auch hier eine dazwischen gefügte Platte den Zusammenstoß mit dem Unterbau vermitteln wird, so haben wir die organische Drei-Gliederung der Säule in Fuß, Schaft, Kapitell und damit eine neue klare Form jenes Zahlengesetzes §. 570, 2. Eine andere, stärkere Art der Belebung wird der Gewölbetragende Pfeiler fordern; die ausquellenden Rippen der Ge- wölbe-Gurten bedingen besondere Ansätze, die an ihm auswachsend ihnen 16* zum Träger dienen (Dienste) oder sich in sie fortsetzen. Der Bündel von Rundstäben, zu welchem dadurch der Pfeiler sich gestaltet, wird aber nicht als blos mechanische Ansetzung, sondern als organische Ausquellung er- scheinen, wenn tiefe Höhlungen zwischen ihnen eine in der Anspannung sich zusammenfassende und dadurch wieder die convexe Rundung hervorpressende Kraft zum Ausdrucke bringen. Auch hier klingt ein Naturgebilde an: der Stengel von Pflanzen, die aber nicht Schirme, sondern weiter verzweigt runde Früchte, Kürbisse, Heidelbeeren, glockenförmige Blumen ( salvia splendens ) tragen (s. Metzger Gesetze und Pflanzen- und Mineralien- bildung angewendet auf altdeutschen Baustyl S. 8 und Taf. III ), was dem gewölbstützenden Körper entspricht. Die weitere Umbildung, welche in der Uebereckstellung liegt, wird bei der Darstellung der gothischen Bau- kunst zur Sprache kommen. Aehnliche Belebung wie an der Säule wird nun auch kleineren Stützen angemessen sein; so erhält die Triglyphe als viereckig aufstrebende Stütze des Kranzgesimses winklicht eingeschnittene Furchen nach Art ähnlich gefurchter Pflanzenstengel. Anders wird es sich mit Körpern verhalten, welche vereinzelt und selbständig aus Wand oder Pfeiler hervortreten, um scheinbar oder wirklich eine Last, Balkon, Fenster- bank, Kranzgesimse, Gewölbegurten, auch Bildsäulen u. dgl. zu tragen: Consolen, Kragsteine; ihre Vorderseite wird eine ausgeschweifte Grundform annehmen, welche schon den eigentlichen Gliedern angehört, wiewohl sie in verschiedenartiges Ornament ausblühen mag. Wir müssen aber von dieser Erwähnung selbständigerer, einzeln eingesetzter Ausladungen noch einmal zur Umbildung der Oberfläche von Hauptkörpern zurückkehren. Nicht nur die freistehende Stütze nämlich, sondern auch die Wand soll in einer durchgegliederten Baukunst in einer Weise belebt werden, welche die Einförmigkeit ihrer Fläche theilt und ihr zugleich den Chrarakter des Auf- strebens gibt durch hinansteigende Ausladungen, welche die Dienstleistung des Tragens dem übrigen Körper abzunehmen scheinen oder zum Theil wirklich abnehmen: dieß sind Halbsäulen, Pilaster, Lissenen, Formen, deren Motiv aus der Architektur selbst entlehnt ist. Die bedeutenderen Bildungen nun, die wir hier zuerst aufgeführt, gehören der Vorbereitung und Motivirung des Kontrasts an: ehe das Auge bei dem Zusammenstoße der Kraft und Last ankommt, sieht es denselben in schlank ansteigenden Formen vorangekündigt, die Kraft gerüstet zum Kampfe, bewegt ihm entgegenstrebend. Der Zu- sammenstoß selbst aber drückt sich nun sammt seiner Lösung in den eigent- lichen Gliedern aus, zu denen wir jetzt, nachdem wir sie im Bisherigen nur theilweise beigezogen und angedeutet, übergehen, um sie für sich im Zusammenhang zu betrachten. Die Glieder sind theils runde, theils gerad- linigte Profilbildungen, welche an allen wesentlichen Grenzen des Baus hinlaufen und die doppelte Bedeutung haben, sowohl die Grenze und den an ihr stattfindenden Kampf der Kräfte durch eine energische Scheidung zu markiren, als auch diese Scheidung wieder aufzulösen, das Vorangehende zu dem Folgenden in organischem Uebergang hinüberzuführen. Sie erscheinen zwar auch als äußerste Einfassungen, wie das Kranzgesimse des Giebelfelds, dieß aber nur für den Anblick von einem gewissen Standpunct aus, denn an sich führt im Gebäude Alles ineinander über; so ist jenes Kranzgesimse die Bord- bahn des Dachs, tritt also scheidend und vermittelnd zwischen dieses und das Giebelfeld. Man kann die einzelnen Glieder nicht danach eintheilen, daß sie scheiden, Conflict ausdrücken oder hinüberführen, den Conflict lösen: das Conflict-Ausdrückende ist zugleich auch lösend; die runde Ausladung, welche von der Last hervorgedrängt erscheint und daher allerdings vor- herrschend den Zusammenstoß ausdrückt, hat doch durch ihr Profil auch die Bedeutung, das Vor- und Zurückstehende, Tragende und Getragene aufeinander zurückzuführen, und das Geradlinige, was wie ein Band zusammenhält, schneidet zugleich durch das eckige Profil seiner Hervorragung einen Haupttheil vom andern mit scharfer Bestimmtheit ab. Die Glieder gemahnen so an die Interpunction in der Schrift, welche zugleich logisch theilt und verbindet; tiefer ist die schon oft gebrauchte Vergleichung mit der copula in der Rede, welche allerdings wesentlich Band ist, aber als solches ebensosehr den Gegensatz von Subject und Prädicat markirt, denn gerade das dazwischen tretende Band zeigt, wie diese Momente einer Verknüpfung bedürfen. Aber auch mit Hervorragungen und Schatten- streifen am Organischen, wie mit Augenknochen, Brauen, Augenlidern sind die Glieder zu vergleichen; ein stattlicher Bau ohne kräftig ausge- sprochenes Dachgesimse gleicht einem Gesichte mit kaum sichtbaren Aug- brauen, schmalen, dünnen Lidern und dürftigen Wimpern; das gewöhn- lichste Tischlergeräthe, Thüre, Lambris ist ohne Glieder einem solchen faden Gesichte gleich. Die tiefste und wahrste Vergleichung aber ist die mit den Gelenken des organischen Leibs, die durchaus ebenso wesentlich abtheilend, als, mit ihren Einlassungen und Bändern, vereinigend sind wie die Glieder in der Baukunst. Nunmehr erst leuchtet ein, was bei allem über die Gliederung im Großen bisher Gesagten auf die eigentlichen Glieder Hinüberweisendes bemerkt ist: diese sind der schließliche künstlerische Aus- druck jener ganzen structiven Belebung, wodurch das Bauwerk zu einem rhythmisch bewegten Organismus wird. Ueberblicken wir nun die wesent- lichsten Formen. Den Hauptunterschied begründet das runde und gerad- linigte Profil. Unter den runden Gliedern sind es die convex ausgebogenen, welche, wie schon gesagt, zunächst dem Ausdrucke des Contrasts dienen, denn sie erscheinen einfach als Anschwellungen, hervorgebracht durch eine Fiction, welche spielend annimmt, der Stoff sei ursprünglich weich gewesen und durch den Druck der Last herausgequollen. Fassen wir nun sogleich den oben erst flüchtig berührten Punct des Zusammenstoßes der Säule mit ihrer Last in das Auge, so sehen wir hier die herauspressende Gewalt in dem sogenannten Wulst (Echinus) ausgedrückt; wir können in ihm nicht wie Bötticher das Motiv eines Blätterkelchs mit ganz übergelegten Blättern, also eine überfallende Welle finden; das ästhetische Motiv, das den Gliedern zu Grunde liegt, kann allerdings nur frei spielende Andeutung eines Analogons aus der Natur oder verwandten mechanischen Formen sein und die Vorstellung einer förmlichen Uebertragung führt zum Widersinn; dieß gilt natürlich auch von jener Fiction des Ausschwellens eines weich ge- dachten Stoffs: sie wird in der Andeutung gleichsam wieder zurückge- genommen, sonst müßte ja die ganze Form der unterliegenden Masse als zerdrückt dargestellt werden, oder wenn man lieber will, das Zurücknehmen objectivirt sich als augenblickliche Wiederverhärtung der Masse, welche nur eine mäßige Anschwellung zuläßt; allein die Analogie muß doch wirklich zutreffen; ein Blätterkelch aber kann auch nicht einen Augenblick nur analog als einer drückenden Last untergelegt vorgestellt werden, weil er völlig kraftlos, widerstandslos ist. Ist daher ein solcher dem Wulste des dorischen Säulencapitels durchgängig aufgemalt und tritt am jonischen als soge- genannter Eierstab plastisch hervor, so können wir diese vegetabilische Form nur als weiteren ornamentistischen Zusatz, der sich aus dem Profile der Ausschwellung ergab, nicht als ursprüngliches Motiv derselben fassen. Den Pfühl (Torus) faßt Bötticher als einen Bundwulst, d. h. eine Anhäufung von umgeflochtenen Bändern, wonach wir ihn nicht hieher zu den Gliedern, die einen Conflict, sondern erst nachher zu denen zu ziehen hätten, die eine Verknüpfung ausdrücken; er erscheint uns aber in der regelmäßigen Form des vollen Halbzirkels als eine durch den Druck einer Last motivirte Ausschwellung, bei welcher kein Motiv gegeben ist, daß sie nach der einen oder andern Seite überneige, weil ein Hinanlaufen oder Ablaufen in einer oder mehreren Einziehungen daneben in gesonderter Weise ausgedrückt ist; die Bänder-Umflechtung aber ist dann nur als ein Ornament zu fassen, das spielend andeutet, als müsse diese Ausquellung, weil sie sich nach keiner Seite anlehnt, durch ein Riemengeflechte zusammen- gehalten werden. Bei gedrücktem Profil (als umgekehrter Wulst) dagegen hat der Pfühl diese Anlehnung und eignet sich wieder für das Blätter- Ornament. Was nun die concaven Glieder für sich betrifft, so ist die ganze Einziehung, Hohlkehle , Trochilus, als völliger Halbzirkel eine Einpressung zwischen zwei Ausschwellungen, welche zugleich ein energisches Einschlucken, Zusammenziehen der Kraft vor ihrer Ausladung anzeigt; sie gehört in dieser völligen Ausbildung der gothischen Baukunst an, wo wir sie näher würdigen werden. Ihre (nicht reinen, sondern nach einer Seite ausgezogenen) Hälften dagegen stellen als Anlauf und Ablauf die Zurück- führung eines schmäleren Körpers auf einen überragenden oder unter- liegenden breiteren Körper dar, wo es dem Gefühle überlassen ist, ob es diese Linie einem leichten Drucke der Last zuschreiben will, der diese freiere Ausbreitung zuläßt, oder ein ganz freiwilliges hinanstrebendes und ab- fließendes Ausquellen der Masse anzunehmen vorzieht; jenes wird mehr bei der großen Architektur, wo diese Kehlen sich an schwere Platten aufwärts anschmiegen oder abwärts als Unterstes einer von oben gedrückten Masse anlegen, dieses bei Gefäßen der Fall sein. Bei diesen concaven Formen ist es vorzüglich, wo die Schattenwirkung ihre Energie ausübt, daher der Name scotia . Hier erst, als Verbindung des convexen und concaven Profils, haben wir nun die Welle (Kyma) aufzuführen. Sie zeigt offen- bar einen spielenden Uebergang zwischen dieser freieren Ausbreitung und jener abgenöthigten Auspressung an. Die steigende Welle drückt eine Be- lastung aus, die zu unterst eine Ausschwellung bewirkt, weiter nach oben aber der Masse vergönnt, in leichterem Spiele der Einziehung und Wieder- ausbreitung sich dem Ueberragenden anzulegen; bei der fallenden Welle geht dieselbe Bewegung von dem schmäleren Körper der Last nach der überragenden Unterlage hin. Die verkehrt steigende und verkehrt fallende Welle bringt ein Spiel der Kräfte zur Anschauung, worin der Druck anfangs leichter wirkend der Masse nur die concave Bewegung, dann stärker zwingend die convere Ausschwellung abgewinnt. Der Blätterschmuck gibt der Doppelbewegung ihren organisch ästhetischen Ausdruck. — Sehen wir nun in allen diesen Gliedern den leichteren oder stärkeren Conflict ausgedrückt (wiewohl so, daß die Ueberleitung oder Lösung zugleich mit- gegeben ist), so symbolisiren dagegen andere zunächst die Verknüpfung. Diese können allerdings nicht aus einem der Masse selbst, als wäre sie eine bewegte, untergestellten Motive, sondern nur aus der Analogie eines von außen mechanisch Angelegten erklärt werden, welches den ästhetischen Anschein hat, als verhindere es eine Wirkung des Conflicts, welche bis zur Zerstörung der Form fortgienge. Bötticher, der ihre Bedeutung spezieller darin findet, daß sie die übrigen Glieder als der Kernform ver- knüpft darstellen sollen, nennt sie Heftbänder. Zu den zarteren Formen dieser Art gehört ein Glied von rundem Profil: der Stab , dessen Name unpassend auf die hinanstrebenden gothischen „Rundstäbe“ übergegangen und überhaupt unrichtig ist; er stellt eine zusammenhaltende, umgelegte Schnur dar, die in der sogenannten Perlenschnur sich plastisch als eine Spange ausspricht, woran Astragalen gefaßt sind. Von eckigem Profil ist der Riemen (sonst auch Leistchen), der einfach oder in mehrfacher Umwicklung ( spira ) die ausquellende Masse zusammenhält, als habe er sie am Platzen zu hindern; das letztere ist z. B. unter dem Wulste des dorischen Säulen- knaufs der Fall, wo diese Form von der Aehnlichkeit eines mehrfach umge- wundenen Rings den Namen annulus erhalten hat. Wenn man den Pfühl, der seinen lateinischen Namen von der aufgemalten oder angebildeten Riemen-Umwicklung hat, nicht, wie oben geschehen, in der Reihe der Schwellungen, die aus einem Druck hervorgehen, aufzählt, sondern als verstärktes Heftband faßt, so bleibt unklar, warum denn gerade am Fuße der jonischen und attischen Säule ein so starker Bandwulst nöthig sei. Ein etwas breiteres Heftglied von eckigem Profil ist das Band oder der Streif, dem das Motiv einer gewobenen Binde, wie sie namentlich als Kopf- schmuck üblich war, taenia, ursprünglich zu Grunde liegt: die am häufigsten angewandte Verknüpfung, die durchgehende, Alles umsäumende Form. Sie säumt aber blos eine Mehrheit von Gliedern ab, wogegen es noch einer stärkern Form braucht, um einen ganzen Haupttheil abzuschließen und zugleich ein kräftiges Uebergangs-Moment zu einem folgenden zu bilden. Dieß ist die Platte , Plinthus oder Abakus. Nicht immer treten diese beiden Bedeutungen in gleicher Stärke ein; ganz klar sind sie vereinigt in dem Abakus des Säulenfußes und Säulenknaufs: an dieser Stelle bedarf das Auge eines zwischen Unterbau und Säulenfuß, zwischen Hauptbalken und Kapitel eingefügten Körpers, der energisch nach zwei Seiten abschließt, scheidet, durchschneidet, zugleich aber nicht nur den Zusammenstoß mildert, vermittelt, sondern auch rhythmisch die wiederkehrend gleiche Form in der Tafel des Unterbaus, in Gebälk und Kranzgesimse ankündigt; dagegen herrscht der nur abschließende Charakter in der stark vorspringenden Platte der Kranzgesimse, welche wirklich den äußersten Saum eines Baus bilden kann und mit schützender Ueberragung das Ganze einrahmt. Man sieht also an diesem stärksten unter den geraden Gliedern, daß sie ebensosehr durch- und abschneidend trennen, als auch verbinden. — Diese Glieder nun treten in einfacher oder reicherer Verbindung zu Gesimsen zusammen und umsäumen so alle bedeutenden Grenzen, wo Haupttheile des Baus wie Säule und Last zusammenstoßen, betonen weniger ausgesprochene Theilungen wie zwischen Sockel und Mauer, fassen die Oeffnungen der Thüren und Fenster ein und erscheinen in oben genannter Weise zum Theil auch als äußerster Rahmen eines ganzen Baus. — Wir haben hier die Glieder der classischen Baukunst systematisch wie absolute aufgeführt; denn sie tragen den Charakter einer organischen Nothwendigkeit, der sie zu Mustern erhebt, nur nicht in dem todten Sinne, als ob sie keiner Fort- und Umbildung fähig wären. So liegen sie selbst der gothischen Archi- tektur zu Grunde und wir werden finden, wie durch Abschrägungen, tiefe Einkehlungen und stärkere Ausschwellungen, veränderte Stellungen dieser Formenwelt eine neue Seele eingehaucht wird. §. 573. In unmerhlichem Uebergang setzen sich diese Formen in das eigentliche Ornament fort, das mit dem Scheine structiver Dienstleistung, der den Glie- dern eigen ist, nur in näherer oder entfernterer Erinnerung zusammenhängt und im Wesentlichen ein spielendes Ausathmen dieser Scheinfunction darstellt. Be- stimmter treten hier neben geometrischen, technischen vegetabilische, ja thierische und menschliche Bildungen hervor und in ihnen liegt die tiefere Bedeutung, daß die abstracten Formen der Baukunst auch die Grundlagen des organischen Le- bensgeheimnisses enthalten (vergl. §. 558). Endlich blüht das innere Leben in den Schmuch der Farbe aus. Das architektonische Gesetz verlangt aber für jene organischen Formen strenggemessene Stylistrung, für die Farbe, daß sie die reine Wirkung der Gliederung im Großen und Kleinen nicht verdecke, sondern ausspreche; sonst entstehen unstatthafte Uebertragungen der einen Art der Phan- taste in die andere (vergl. §. 532—541). Wir haben gesehen, daß die Formen, die wir in und mit den Glie- dern zusammenfaßten, zum Theil noch wirklich fungiren, insgesammt aber wenigstens noch den Schein tragen, als seien sie durch eine structive Kraftwirkung motivirt. Bötticher nun bestimmt das Ornament dahin, daß es die Function der Kernform durch ein analoges, aus der Natur (oder mechanischen Welt) entlehntes Schema symbolisch charakterisire; da er aber bei sämmtlichen Gliedern ein solches Analogon (Blätter, Stickereien u. s. w.) als ursprüngliches Motiv ihrer ganzen Gestalt annimmt, so fällt hier der Unterschied von Glied und Ornament weg und kann Solches, was wir entschieden bloßes Ornament nennen, wie die Blumenformen der Akroterien, in Einem Zuge mit jenen Formen, die wir Glieder nennen, aufgeführt werden; jene Akroterien wie die First- und Stirn-Ziegel mit ihren Blumen erscheinen dann einfach als frei beendende decorative Glie- der. Wir dagegen glauben solche Formen, wie die letzteren, von jenen Ausschwellungen und Bändern, welche, obwohl nur in freiem Scheine, noch als Wirkungen structiver Nothwendigkeit sich darstellen, unterscheiden zu müssen; aber auch so bleibt die Grenze allerdings schwankend. Wohin ist z. B. am dorischen Gebälke die regula und via mit den Tropfen zu stellen? Kündigt jene das Triglyphon als Stütze des Regenableitenden Geison (Dachgesimses) an, charakterisirt dieses nur die vorspringende Richtung des letztern, wie Bötticher annimmt, so dienen doch beide weit nicht ebenso dem ästhetischen Ausdrucke des Scheins einer wirklichen Function, wie die Welle, der Wulst, die Bänder, und nicht anders verhält es sich bei der Deutung aus Reminiscenzen des Holzbaus (Dielenköpfe, Ver- zahnung des Deckbalkens), denn dieser Nachklang wäre ja bloßes Spiel ohne allen Anspruch, daß man wirklichen Holzbau hier sehe. Es wird sich schwer eine schärfere Bestimmung für das Ornament finden lassen, als die des Paragraphen: eine spielende Ausathmung desjenigen Decora- tiven, das noch scheinbar fungirt, wobei der Zusammenhang mit dem letzteren ein näherer oder entfernterer sein kann. So sind nach unserer Ansicht die Blätter, Blumen, Web-, Stick-, Flecht-Muster, welche den Glie- dern angesetzt sind, nicht durchgängig ursprüngliches Motiv, sondern der Schein der Function, der in den Gliedern liegt, gibt der Phantasie wei- tern Anlaß zu einer spielenden ornamentistischen Anlegung von Formen individueller Art, die anderswo dem Aehnliches leisten, was das Glied zu leisten scheint. Dabei ist aber ein großer Unterschied: einige dieser spie- lenden Bezeichnungen sind inniger, naturgemäßer, so die Muster von Bändern, Geflechten, um ein Halten, Binden, Tragen zu bezeichnen, die Meereswelle, um die Regenableitende Leistung des Kranzgesimses auszu- drücken; andere aber sind willkührlicher, entfernter, wie die Blätter und Blumen, welche Gliedern angelegt sind, die eine Ausschwellung durch Be- lastung ausdrücken. Aber selbst ein Uebergang in thierische Form kann wieder sehr innig charakterisiren, wie die griechischen Löwenköpfe und gothischen Thiergestalten als Wasserspeier. Von der Volute am jonischen Kapitel wird in der Geschichte der Style die Rede sein. Die Akroterien, die Palmetten-Aufschläge der First- und Stirn-Ziegel haben mit den fungirenden Kräften nur noch den ganz entfernten Zusammenhang, daß die aufstrebende Kraft noch eine letzte, freie Blüthe entwickelt: fast wie Uhlands Schlußsonett, das eben noch gedichtet sein will, damit die Sonetten- reihe ein Punctum habe; ebenso die gothischen Fialen und Schlußblumen. Dagegen ist der Rund- und Spitzbogen-Fries der romanischen und gothi- schen Bauart ein Ornament, das fast die innigere Bedeutung eines Glie- des hat, denn es ist motivirt durch die Reminiscenz an die wirklichen gesimsartigen Wölbungsreihen, welche übergebaute Stockwerke zu stützen hatten. Soviel über die fließende Natur der Grenze zwischen Glied und Ornament und zugleich über das Wesen des letztern in seiner nächsten Bedeutung. Der Mißbrauch des Ornaments wird da beginnen, wo alle und jede Erinnerung an das organisch Wirkende, aller und jeder Aus- druck einer naturgemäßen Ausathmung der Kräfte erlischt, wo das Spiel bodenlos wird oder sogar zum Widerspruche gegen das Organische in der Wirkung der tektonischen Kräfte ausartet, wie die Anfügung wesentlicher Momente des Architrav-Baus als bloße Zierrath an den Gewölbebau; der Spielraum ist aber dennoch ein großer und dürfen einer fruchtbaren Phantasie, dem Reichen und Prachtvollen die Grenzen nicht zu eng ge- zogen werden. Die Gebiete nun, aus denen das Ornament entnommen wird, haben wir so eben bei der Frage über die charakterisirende Bezie- hung desselben zum Gliede bereits berührt; sie sondern sich, genauer be- trachtet, in zwei Hauptsphären: unorganische und organische Formen. Die unorganischen Formen sind zunächst geometrische Linienspiele, wie Mäander, Zickzack, Schachbrett-Verzierungen u. dgl. Man hat erkannt, daß sie größtentheils nicht unmittelbare, willkührliche Erfindung, sondern aus mittelbarer Quelle, aus mechanischer, schmückender Technik, nämlich der Kunst des Mattenflechtens und Teppichwirkens als der ursprünglichsten Bildnerin des Umschließenden im Zeltbau entnommen sind (vergl. Semper die vier Elemente d. Baukunst S. 56 ff.). Aber die Baukunst entlehnt ihre Ornament-Formen auch aus ihrem eigenen Gebiete; ein Beispiel hatten wir oben im Rund- und Spitzbogenfries; Anderes, wie Halbsäulen, Lissenen, Pilaster, haben wir im vorhergehenden Paragraphen in die Sphäre der Massentheilenden Gliederung gezogen, ebenhieher gehören Blend-Arkaden, Blendfenster, Wiederholung des Fensters im Fenster, Spitzgiebel u. dgl., allein auch diese an sich über dem bloßen Ornament liegende Sphäre geht unmerklich in dasselbe über und so wiederholen sich denn architektonische Formen, wie Säulchen u. dergl. vielfach im Kleinen, im bunten Spiele der bloßen Verzierung. Eine ungleich reichere Quelle von Ornament-Motiven ist nun aber das Gebiet der organischen Formen und zwar das vegetabilische, denn nur in engen Schranken (der Grund dieser nothwendigen Sparsamkeit ist schon zu §. 558 ausgesprochen) tritt das animalisch und menschlich Organische hinzu. Diese belebtere Formen- fülle verkündigt, daß die Kunstthätigkeit, nachdem sie in der Gliederung das Wesentliche geleistet, nun in freierem Empfindungsschwung dichtend ihr inneres Leben erklingen läßt, es ist ein Hinüberblühen in das benach- barte Kunstgebiet der Plastik, doch wohl zu unterscheiden von den An- lehnungen der eigentlichen Plastik, wie ihr gewisse Stellen des Bauwerks, Metopen, Giebelfelder, Portale u. s. w. eine natürliche Stelle bieten. Dieses Hinüberblühen hat nun den tieferen Sinn, den der Paragraph mit Zurückweisung auf §. 558 ausspricht, es ist der schwungvollere Aus- druck des Bewußtseins, daß das Gliederungs- und Symmetrie-Gesetz der Baukunst ein allgemeines, auch dem organischen, ja geistigen Leben zu Grunde liegendes ist; allein gerade daraus folgt, daß nicht in die wirk- liche Zufälligkeit der individuellen freien Form übergegriffen werden darf; der Begriff, daß die Baukunst die allgemeinen Grundlagen auch des organischen Lebens herausstellt, greift auch über die wirklichen organischen Formen, in denen sie spielend dieses Geheimniß verräth, wieder über, und dadurch stellt sich das Gesetz fest, daß auch diese belebteren Formen geometrisch stylisirt werden müssen . Das Geometrische leiht nicht nur Ornament-Motive, sondern es beherrscht alles Ornament, gerade namentlich in der Nachbildung des Vegetabilischen, ja hier ist zum Theil nicht von einem Nachbilden, sondern von einem Zusammentreffen zu sprechen, wie wir denn bei dem gothischen Ornamente sehen werden, daß der messende Künstlergeist von seinem eigenen Gesetz auf dieselben Blatt- stellungen geführt wurde, wie der Naturgeist in seinem unbewußten Schaffen in der Pflanzenbildung. Aber selbst in der freigebildeten Karya- tide ist, freilich in höherer Verklärung, noch die Strenge architektonischen Styls; jene Jungfrauen des Erechtheums tragen frei, sie wollen tragen und eben in diesem Willen hält sich die Gestalt streng und gemessen zu- sammen, der Druck der Last, wie er durch die ideale Säulenachse in diesen schönen weiblichen Körpern hinabgeht, ist von ihnen energisch aufgefangen und in eine muskelkräftige Gegenstemmung verwandelt. — Aber auch in die Malerei blüht die Baukunft, ebenfalls ab- gesehen von den eigentlichen Anlehnungen, hinüber. Hier stehen wir vor der schwierigen Frage der Polychromie der Baukunst. Da das Classische ein Mustergültiges ist, so ist diese Frage als eine historische aufgetreten. Seitdem aber Hittorf in seinem Werke: Restitution du temple d’Em- pedocle à Sclinunte ou l’architecture polychrôme chez les Grecs (Paris 1851) mit einer Fülle von Gründen gezeigt hat, daß der griechische Tempel durchaus bemalt war, muß man, da ein so weit gehender Farben- schmuck selbst durch die Autorität der Griechen nicht zum unbezweifelten Dogma werden kann, zunächst vom Historischen wieder absehen und rein objectiv prüfen, ob und wieweit Polychromie der Architektur dem Schön- heitsgesetze entspreche, und je nachdem das Urtheil ausfällt, die Griechen entweder auch darin anerkennen oder ihr Gefühl verwerfen, oder endlich einen dritten Weg suchen, den wir im Weitern bezeichnen werden. Keine Kunst ist sosehr auf die reine Form im Sinne des Räumlichen gestellt, wie die Architektur. Die Farbe spricht (vergl. §. 247) die innerste Qua- lität der Dinge als eine gährende, lebendig webende, mischende aus; sie hat dadurch eine Wärme, einen Stimmungs-Ausdruck, welcher einer Kunst der kalten, reinen Messung widersprechend, zu subjectiv für diese Anwen- dung scheint. Allein wir haben auch von einem statischen Leben, von einem Organismus, von einem Aufthauen gefrorner Linien in der Phan- tasie des Zuschauers, von einem Ausblühen des Gefühls im Ornamente, welches der Wahrheit, daß hier die Grundlage aller Lebensformen das bildende Gesetz ist, auch durch Nachahmung der vollen individuellen Ge- stalt den lebendigeren Ausdruck gebe, gesprochen und wir fassen dieß Alles dahin zusammen, daß diese am strengsten objective Kunst, gerade weil sie so sehr objectiv ist, daß sie nur in der Allgemeinheit des Rhythmus bloßer Verhältnisse und Linien sprechen kann, ganz besonders eine Kunst der bloßen Stimmung und in diesem Sinne höchst subjectiv ist. Diese Stimmung darf und soll sich denn auch in der Farbe aussprechen: als hätte der Bau wie ein Baum, eine Blume durch innere Säftegährung sich selbst gebildet und gebaut, schlägt sich sein inneres Geheimniß als warmes Pigment auf der Oberfläche nieder. Es ist an sich kein nöthigender Grund vorhanden, diesen Niederschlag auf die Stellen, an welchen das innere Leben empfindungsvoller hervortritt, auf Glieder und Ornamente zu beschränken; die Hauptflächen sind ja Momente der Gesammtgliederung, also in die allgemeine Bewegung hineingezogen, sie müssen ihr, obwohl weniger offenbares Leben, das an jenen Puncten nur stimmungsreicher her- vorblüht, selbst auch in der Farbe aussprechen dürfen. Daraus ergibt sich zunächst als einziges Gesetz, daß die Farbe dieses Leben nicht verdecke, sondern hervorhebe, daß also die Glieder und Ornamente lebhafter, die Hauptmassen nach dem Umfang ihrer Flächen einfacher, bescheidener, mit gedämpften Tönen bemalt seien und daß die theilenden Felder, Linien- züge u. s. w., womit die Malerei die Einförmigkeit der großen Flächen bricht, ihren natürlichen Gliederungstheilen entsprechen. Allein es kommt nun ein weiteres Moment in Betracht, das, zunächst äußerlich, doch auf das Grundwesen der Baukunst zurückführt und allerdings eine beschränkende Bestimmung mit sich bringt. Der Farbenauftrag kann den Zerstörungen des Wetters nicht so dauernd widerstehen, wie die feste Form; diese sind zwar geringer im glücklichen Himmelsstrich, doch müssen wir auch an den griechischen Tempeln jetzt mühsam die Farbenspuren zu- sammensuchen, im nordischen Klima aber sind sie so stark, daß die Farben in der kürzesten Zeit verschwinden. Nun ist aber die Baukunst nicht nur weil sie eben einmal das festeste Werk hinstellt, sondern an sich ihrem ganzen Geiste nach dauernd, monumental; daher steht ein an sich ästhetisch noch so wohl begründeter Anflug von höchst vergänglicher Natur mit ihrem Wesen in Widerspruch und was an sich aus obigen innern Gründen wohl zulässig wäre, unterliegt aus weiteren, physischen Gründen, die aber auch zu innern Gründen werden, einer wesentlichen Einschränkung. Dieß trifft auch die griechische Baukunst, deren Farben durch die Gunst des Klima’s nur relativ länger aushielten; der Süden kann weiter gehen in der Poly- chromie, als der Norden, aber er ist zu weit gegangen und zwar auch dann, als die anfangs nur aufgemalten „Ornamentschemata plastisch aus- gesprochen wurden“ (Bötticher a. a. O. Einl. S. 18), denn auch das plastisch profilirte Ornament wurde noch überdieß bemalt und ebenso die Hauptflächen immer wenigstens mit einem Farbenton überzogen. Hätten die Griechen gewußt, daß einst ihre Tempel in der Naturfarbe des Ma- terials dastehen werden und daß die spät nachfolgenden Geschlechter so schwer sich entschließen können, zu glauben, daß der herrliche Marmor einst über und über bemalt gewesen, so hätten sie wohl strenger den Farbenschmuck auf die geschütztesten Stellen beschränkt. Diese Beschränkung ist nun, wie gesagt, dem Norden noch nöthiger und muß daher hier weiter gehen. Allein der genannte Widerspruch räth überhaupt ein anderweitiges Auskunstsmittel und dieser oben angedeutete Mittelweg führt auf die An- merkung zu §. 562 zurück. Ist nämlich der Farbenschmuck der Baukunst ästhetisch gerechtfertigt und fordert doch ihr Wesen schlechthin das Dauernde, so wird die beste Auskunft die sein, nicht nur überhaupt durch den natür- lichen oder künstlichen Farbenton des Materials an sich zu wirken, sondern durch ebendenselben auch verschiedene Farbenwirkungen hervorzubringen. Es ist zu §. 562 in dieser Richtung namentlich vom Backstein die Rede gewesen; er kann mit dem Stein verbunden, es können aber auch ver- schiedene Steinarten für die Hauptmassen und für das Glied und Orna- ment gewählt oder endlich Backstein und verschieden gefärbte Steine ver- bunden werden. Theilweise Bemalung ist auch so nicht ausgeschlossen, aber je rauher das Klima, desto mehr wird sich die Farbe, die freilich der verputzte Riegelbau nicht entbehren kann und viel reicher entwickeln dürfte, als er es thut, in das Innere zurückziehen. Von diesem ist jedoch hier eigentlich nicht die Rede, denn diese Seite führt zu den anhängenden Künsten, welche dem durch die Baukunst umschlossenen Raume mit Rück- sicht auf anderweitige Momente, Gottesdienst, Luxusbedürfniß u. s. w. seine Ausschmückung zu geben haben. — Wenn nun die Baukunst jenes Stylgesetz im Ornamente und das oberste Gesetz der Polychromie, daß sie die Wirkung der Gliederung nicht verdecken soll, mißachtet, so ent- steht ein unstatthafter Uebergriff in die Plastik und Malerei; ja in die letztere auch abgesehen von der Bemalung durch die Formen selbst, denn sind einmal die Schranken übersprungen, so wird nicht nur in das Ge- biet der Plastik überhaupt eingegriffen, sondern das an sich schon unstatt- haft überwuchernde Plastische überdieß malerisch behandelt in einer Weise, wie es die Plastik nicht darf, und solches, was der Plastik ganz ver- schlossen ist, wie faseriges Pflanzen-Detail, Wolken u. dergl., in der Archi- tektur nachgebildet. Die unreife und überreif willkührliche Baukunst gibt davon reichliche Belege. Die Mißachtung, richtiger der bewußte Frevel der Verhöhnung des statischen Gesetzes, geht übrigens dann natürlich tie- fer, als blos auf das Ornament: man will mit ganzen architektonischen Massen malen, ja musiciren, tanzen und witzig dichten. Von solchen rein unberechtigten Uebergriffen wird jedoch die Geschichte der Baustyle die malerische Auffassungsweise in der Architektur, wie sie ganzen Völkern und Epochen eigen ist, wohl zu unterscheiden haben. b. Die Zweige der Baukunst . §. 574. In der Baukunst als der am strengsten objectiven und keinen natur- 1. schönen Stoff im engeren Sinne nachbildenden Kunstform können aus sämmt- lichen Theilungsgründen §. 539. 540 keine selbständigen Zweige abgeleitet werden. Eine solche Unter-Eintheilung kann sich hier nur auf die Zusammen- 2. stellung der architektonischen Thätigkeit, welche untergeordneten Zwecken, mit derjenigen, welche dem absoluten Zwecke dient, also auf den in §. 556 ent- haltenen Umriß ihrer Sphären gründen und dadurch wird das historische Mo- ment §. 541 hier zur Grundlage eines für alle Zeit stehenden Unterschieds. In den so gebildeten Zweigen erst erhalten jene andern Theilungsgründe nach- 3. träglich ihre Bedeutung und treten bemerkenswerthe Anklänge an die klar ge- schiedenen Zweige anderer, reicherer Kunstformen hervor. 1. In §. 538 ist gezeigt, wie ein Unterschied, der in andern Kunst- formen nur großartige Zweige begründet, in der bildenden Kunst selb- ständige Künste bedingt: haben wir in der Poesie Epos, Lyrik, Drama, so entsteht uns dagegen hier die Kunst-Gruppe: Baukunst, Bildnerkunst, Malerei. Diese Theilung ruht, wie ebenfalls gezeigt ist, auf den Ver- bindungen der Arten der Phantasie, welche in §. 404 aufgeführt sind: bildende, empfindende, dichtende, und in eben diesen Verbindungen liegt auch der erste Grund einer weiteren Theilung in untergeordnete Zweige (§. 539). In den weiteren Künsten, die der Gruppe der bildenden an- gehören, macht sich nun dieses Theilungsprinzip allerdings schon in be- stimmterer Weise geltend, die Baukunst aber hat dadurch, daß sie der Gruppe angehört, in welcher die Zweige als ganze, selbständige Künste auftreten, so zu sagen ihren Theil dahin: sie ist Zweig und treibt nicht selbst gleichwiegende, coordinirte Zweige. Der Grund davon liegt zu- nächst in ihrer streng objectiven Natur: nur wo einmal das subjective Leben in wärmer beseelender Kraft eindringt, können verschiedene Mischun- gen des Objectiven und Subjectiven und die ihnen entsprechenden Ver- bindungen zwischen den Arten der Phantasie (vergl. den Schlußsatz in §. 539) hervortreten und klar geschiedene Zweige, deren jeder unbezwei- felt dem rein ästhetischen Kunstgebiet angehört, begründen. Man bedenke ferner, daß die Verbindungen zwischen den Arten der Phantasie wesentlich durch die verschiedene Weise, wie sie sich zu dem Stoffe des Naturschönen, welcher nachgebildet wird, verhalten, das Auseinandertreten einer Kunst in bestimmte Zweige bedingen, daß also z. B. das Epos als die bildende Form der dichtenden Phantasie den Stoff der Menschenwelt und Natur in anderer Weise anfaßt und umfaßt, als die empfindend dichtende oder lyrische und als die im reinsten Sinn dichtende oder dramatische Form. Wo aber diese Beziehung zu einem Stoffe nicht da ist, wie in der Bau- kunst, da können demnach solche Unterschiede auch nicht eintreten. Hiemit ist gesagt, daß das weitere einen Zweig-Unterschied begründende Moment (§. 540), welches in den Unterschieden der auf den Stoff begründeten Arten der Phantasie (landschaftlich, thierisch u. s. w.) liegt, eben weil ja ohne dasselbe auch die Unterschiede und Mischungen der bildenden, em- pfindenden, dichtenden Phantasie nicht in Wirkung treten können, in die Baukunst keine Theilung einführen kann. Daß ein drittes Moment, der Unterschied der einfach schönen, erhabenen und komischen Phantasie nur den ersteren seiner Gegensätze in diesem Gebiete geltend machen kann, ist schon in §. 560 gesagt und es erhellt, daß auch dieß nicht hinreicht, eine strenge Zweig-Eintheilung hervorzurufen: zwischen zierlichen und impo- santen Bauwerken besteht kein Unterschied wie zwischen Idylle, Elogie und Epos, Ballade, Drama. Die weiteren in §. 540 aufgeführten Theilungs-Momente dagegen sind ganz anderer Art und treten ungleich bestimmter hervor, jedoch auch nicht so eingreifend, wie in andern Kün- sten. Was den ersten derselben betrifft, so bedingt der verschiedene Grad des Umfangs allerdings den bedeutungsvollen Unterschied zwischen einfacher und gruppirender Composition im einzelnen Bauwerk, so wie zwischen einzelnen Gebäuden und Gebäude-Gruppen; allein jene Verschiedenheit der Composition gehört der Geschichte der Baustyle an und der Gegensatz zwischen dem Einzelnen und dem cyklisch Zusammengestellten kann, so wichtig er ist, nicht ebenso einen Zweig-Unterschied begründen, wie z. B. in der Malerei das einzelne historische Charakterbild als Porträt und das historische Gemälde, worin eine Vielheit solcher in Handlung gesetzt ist; denn in der Baukunst wächst durch die Verbindung mehrerer Werke nicht ein so wesentlich Neues zu, wie in der nachbildenden Kunst durch die Verbindung vieler Individuen: hier folgt daraus eine ganz andere Be- handlung des einzelnen Individuums, in der Baukunst dagegen zeigt nach wie vor der Künstler in der geschlossenen Composition des einzelnen Werks seine höchste Kraft; ein Forum und ein einzelner Tempel auf demselben verhält sich nicht wie ein dramatisches Gemälde und die Einzeldarstellung eines historischen Charakters. Das andere jener Momente ist der Unter- schied des Materials. Derselbe bildet in den Künsten eine neben den Hauptzweigen herlaufende Eintheilung, welche mehr oder minder ein- schneidend hervortritt, er kann aber den Mangel an einer auf jene Haupt- momente begründeten Zweigbildung nicht ersetzen. So besteht in der Malerei aus tieferen Gründen der große Unterschied von Landschaft, Genre, Bild- niß, Geschichtsbild und erst weiterhin tritt dann allerdings in einigen dieser Zweige der Unterschied des Materials und der Technik in seiner ganzen Wichtigkeit hervor. Wie bedeutend dieser in der Baukunst ist, hat schon §. 540 Anm. 1. und §. 562 gezeigt. Allein abgesehen davon, daß er die eigentliche Zweig-Eintheilung nicht ersetzen kann, ist auch nicht zu übersehen, daß die so eben zur Verdeutlichung beigezogene Malerei immer und überall das eine oder andere Material wählen und demnach ihren Styl bestimmen kann, während in der Baukunst die Ergreifung verschie- denen Materials namentlich von localen Zufällen abhängt. Einige Arten von Bauwerken werden zwar auch da, wo es Stein gibt, immer zweck- mäßiger in Holz, andere in Backstein ausgeführt werden, umgekehrt wird für gewisse Arten auch da, wo es keinen Stein gibt, dieser nicht blos aus structivem, sondern auch monumental ästhetischem Zwecke um jeden Preis hergeschafft werden müssen, allein diese Arten selbst gründen sich auf ein streng aus der Sache, dem Bauzweck, genommenes Eintheilungs- prinzip und daher kann der auf das Material begründete Styl-Unterschied nicht in erster Linie seine Bedeutung geltend machen. 2. Wenn demnach eine solche Eintheilung in der Baukunst nur auf die verschiedenen Bauzwecke gegründet werden kann, so ist zunächst nicht zu übersehen, daß dieß eigentlich ein logischer Mißstand ist, der so in der Gliederung keiner andern Kunst eintritt, denn nur im Tempel erhebt sich das Bauen zur reinen Kunst, allen andern Bauten wird nur durch Rück- strahlung des künstlerischen Schwungs, den der absolute Zweck im Tem- pelbau hervorruft, der Stempel aufgedrückt, der ihnen die höhere ästhe- tische Form verleiht; es wird daher durch jene Eintheilung Aesthetisches und nicht rein Aesthetisches coordinirt. Dennoch führt der objective, ge- schichtliche, öffentliche, monumentale Charakter, der sich durch jenen Stempel auch über die Gebäude-Arten ausdehnt, welche nicht der absoluten Idee der Religion dienen, eine Würde mit sich, welche gebietet, jene logische Kluft zu übersehen. Diese Zusammenstellung des absoluten Baus mit den Bauten der relativen Zweckmäßigkeit führt nun, wenn man auf den Schlußsatz von §. 541 zurückblickt, zu einem tief bedeutenden Unterschiede zwischen der Baukunst und andern Künsten. Dort ist nämlich gesagt, das Eindringen der zweiten Stoffwelt führe die Schwierigkeit mit sich, daß gewisse Zweige, die es hervorbringt, neben solchen Zweigen, deren Aufkommen sie eigentlich verdrängen müßte, fortbestehen, wie das mythische Gemälde neben dem historischen, das denselben reinen Geschichtsgehalt wie jenes, aber frei von der transcendenten Form zur Darstellung bringt. Dem mythischen Gemälde (ebenso dem Epos, Mysterien-Drama) würde Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 17 nun der Tempel entsprechen und die Frage nach einer Gattung von Architektur entstehen, die ihn ebenso zu verdrängen bestimmt wäre, wie das rein historische Gemälde das mythische, der Roman das Epos, das reine Drama die Mysterienstücke, wiewohl beide vermöge jenes geschicht- lichen Widerspruchs noch nebeneinander beständen. Allein eine solche Gat- tung gibt es nicht, Tempel und Kirche kann nicht ersetzt werden. Es ist aber auch kein innerer Grund dazu vorhanden und hier liegt denn in der individualitätslosen Natur der Baukunst ein großer Vortheil über andere Künste. Das absolute Haus ist nämlich gar nicht nothwendig das Haus eines transcendenten Gottes, sondern kann ebensowohl das Haus der reinen Gegenwart des immanent angeschauten absoluten Geistes in der Andacht der Gemeinde sein. Weil die Baukunst keine Individuen bildet, so bildet sich auch keinen Götterleib und neben dem Hause, das der Ver- ehrung des nicht mythisch vorgestellten allgemeinen Geistes dient, können ohne Widerspruch die Bauwerke stehen, die der besondern Realität desselben in den bestimmten Sphären des Lebens gewidmet sind. Dieß öffnet einen schönen Blick in die Zukunft: die reine Religion als Erhebung zum wahrhaft Unendlichen wird ihren Tempelstyl erzeugen und da aller Styl seine Hauptwurzel in der Baukunst hat, ist ein neuer Kunststyl ebendaher eine Möglichkeit. Wir werden dasselbe bei der Musik finden; es gibt eine götterlose Musik, die dennoch religiös ist im Sinn einer Cultusform und die neben der weltlichen Musik in alle Zeit bestehen kann ohne den Widerspruch, der in dem Nebeneinanderbestehen des rein historischen und des mythisch historischen Gemäldes liegt. 3. Nachdem gezeigt ist, daß die einzige durchgreifende Eintheilung auf die Zwecke der Baukunst gegründet werden kann, so tritt nun nach- träglich vor Allem, zwar weit nicht bestimmt genug, um mehr, als eine schwankende Analogie, zu bilden, doch sehr interessant der Anklang an den tieferen Zweig-Unterschied in anderen Künsten hervor, der im §. an- gedeutet ist. Zunächst spielt etwas den Arten der Phantasie, die auf den naturschönen Stoff gegründet sind, Entsprechendes herein: die ländliche Baukunst erinnert an die landschaftliche Phantasie (ganz abgesehen von der allgemeinen Beziehung, in der die ganze Baukunst als die Idealisi- rung der unorganischen Natur zu ihr steht §. 558) zugleich an die Sphäre der rein menschlichen, die das Genrebild erzeugt; an diese mahnt in anderem Sinne das städtische Wohnhaus und der Privat-Palast, der letztere hat zugleich Analogie mit dem Porträt; das öffentliche, politische Gebäude entspricht der geschichtlichen Phantasie; in Bauten des öffentlichen Verkehrs mischt sich diese wieder mit der landschaftlichen, in Gebäuden der Gewerbsthätigkeit u. dergl. mit der genreartigen, in Gebäuden für geistige Zwecke mit jener Sphäre der „rein menschlichen“, die das Humane im edelsten, allgemeinsten Sinn ergreift. Man sieht hier in schwachen Linien etwas den Stoff-Unterschieden der Plastik Aehnliches, in deutlicheren die Gattungen der Malerei, in ganz zarten Umrissen die der Dichtkunst wie in der Ferne sich ankündigen: die letzteren, denn das politische Ge- bäude erinnert an das politische Drama, den historischen Roman, auch an das Epos, das ländliche an die Idylle, wohl auch an das Volkslied, Palast und Wohnhaus etwa an die Novelle, das Grabmal an die Elegie. Freilich sieht man auch, wie wenig von einer strengen logischen Analogie die Rede sein kann, da bei den meisten Gattungen verschiedene Beziehungen sich finden lassen; zudem bringt das Haus der Religion eine besondere Schwierigkeit in diese Vergleichung, daher wir es bei der Aufzeigung der Analogieen gar nicht berücksichtigt haben: es entspricht den höchsten Zweigen in allen Künsten und zugleich der mythischen Abzweigung derselben, hat aber, wie gezeigt ist, eine andere Berechtigung, als letztere, nämlich eine bleibende. Die Zweige der andern Künste, mit denen wir die Sphären der Baukunst andeutend zusammengehalten haben, beruhen übrigens nicht blos auf der Ergreifung verschiedenen Stoffes, sondern, namentlich in der Dichtkunst, auf dem Unterschiede der bildenden, empfindenden, dichtenden Phantasie; sind daher jene Analogieen trotz ihrer Unbestimmtheit kein leeres Spiel, so macht sich in den Gebieten der Baukunst auch dieses auf die Arten der Phantasie begründete oberste Eintheilungsgesetz der Kunstzweige (vergl. §. 539) in ersten schwachen Spuren bemerklich. Schließlich ist nunmehr auch hervorzu- heben, daß der Unterschied der einfach schönen und erhabenen Phantasie, obwohl, wie gesagt, nicht eine Haupt-Eintheilung begründend, doch in den Gegensätzen zierlicher, schlanker, heiterer und gewaltiger, pompöser, im- posanter Bauart stark genug sich geltend machen wird und ebenso der des Einfachen und Gruppen-Umfassenden, wie der des Materials und darauf sich gründenden Styl-Unterschieds. §. 575. Da die Gesammtperson eines Volkes dem höchsten Inhalt ihres Bewußt- seins in der Verehrung des absoluten Geistes seinen Ausdruck gibt, die Einzel- person aber sich ihr als Glied einreiht, so tritt die für einzelne, endliche Zwecke thätige Baukunst mit derjenigen, die sich durch den absoluten Zweck zur freien Schönheit erhebt (§. 556), in eine innere Einheit zusammen, die sich als Rück- wirkung des am Tempelbau entwickelten Monumentalstyls auf jenes ganze Ge- biet äußert. Am weitesten liegt von dem obersten Puncte dieser Einheit das Wohnhaus ab, das im Privatpalaste seine gesonderte Idealität ausbildet; unter den öffentlichen Bauten haben zunächst die für den Zweck der Ernährung und 17* des räumlichen Verkehrs, dann die für Ackerbau, Gewerbe, Handel, Pflege der Leidenden, für die Vertheidigung des Staats bestimmten die gewichtige Be- deutung darzustellen, welche das Nützliche und Nothwendige in diesem Zusammen- hang erhält; höher tritt die Einheit des Staatslebens in den Gebäuden für Regierung und Rechtspflege hervor; sein rein menschlicher, geistiger und sittlicher Gehalt spricht sich in den Bauwerken für Erziehung, Wissenschaft, Kunst aus. Wir beginnen mit dem Gebiete der sogenannten weltlichen Baukunst. Der §. stellt ausdrücklich heraus und begründet tiefer, was schon zu §. 574, 2. von der Rückstrahlung des am Tempel entwickelten Monumentalstyls auf diese Sphäre gesagt ist. Es wird hier der Begriff der Persönlichkeit wieder eingeführt, der schon in §. 556, welcher die gegenwärtige Eintheilung vor- zeichnet, der leitende war. Der Tempel ist die Stätte des absoluten Geistes; in diesem schaut die Gesammtperson eines Volks das Persönliche in allen Personen an, sei nun die Vorstellung dabei die mythische, als wäre dieser reine Geist selbst wieder Einzelperson, oder nicht. Der Tempel kann nun zunächst nur das weltbauende Wirken dieser absoluten Person symbolisch darstellen, dabei schwebt aber der Baukunst zugleich das dem bestimmten Gesammtleben des eigenen Volks entnommene Bild einer ethischen Ordnung vor und so ist der Ausdruck des Tempelstyls mittelbar ein per- sönlicher. Die Gesammtperson eines Volks hat ihre weiteren besonderen Zwecke zu realisiren; sie erhalten ihre Weihe durch die Einheit des ganzen Volkslebens, die sich selbst wieder als Glied jener höchsten, göttlichen Einheit weiß; der Gesammtperson des Volks aber reiht sich die Einzel- person als Glied ein und tritt so in dieselbe Kette, die zu der höchsten Einheit führt. Dieß soll sich nun auch ästhetisch ausdrücken; auch das Gebäude, das nur einem der besonderen und einzelnen Zwecke dient, soll persönlich sein nicht nur in dem gemeinen Sinne, daß es eben für die Bedürfnisse einer Person oder mehrerer Personen errichtet ist, sondern im Sinn einer künstlerischen Gliederung, welche an jene höhere Wohlordnung erinnert, durch die der Tempel auf den weltbauenden und zugleich den ethischen Kosmos gründenden absoluten Geist hinweist. Dieser Ausdruck wird sich nun einfach daraus entwickeln, daß jeder besondere, nur etwas über das rohe Bedürfniß sich hebende Bauzweck einen Hauptraum zwischen untergeordneten Räumen fordert, der als reichere, Symmetrie-bildende Mitte hervortreten muß; solche Mittelpuncte stellen die geistige Einheit der in jedem zweckmäßigen Ganzen verbundenen Einzelzwecke dar, sie ent- sprechen dem Charakterbestimmenden in der Persönlichkeit, an sie knüpft sich der ästhetische Ueberfluß, an sie vorzüglich legt sich der höhere Styl an. Dieß gilt denn schon vom Wohnhause des Einzelnen; soll es nur irgend über das Nothdürftige sich erheben, so darf es kein Würfel mit Fenstern und Thüren ohne Unterschied sein; ein solcher ist unpersönlich, man soll dem Bau ansehen, daß zwischen den untergeordneten Gelassen für die Be- dürfnisse ein bevorzugter Raum die Bewohner zum freien geselligen Zusammen- sein vereinigt; dieser soll sich als idealer Kern, als herrschende Mitte reicher gegliedert und verziert hervorheben. Natürlich ist dabei nicht buch- stäblich an einen Einzelnen, sondern an eine Familie gedacht; die Familie ist Prototyp des Staats und das edlere Wohnhaus daher bereits auch Prototyp der öffentlichen Bauten. Im Hause des Landmanns herrschen nothwendig die Gelasse für Vorräthe, Vieh u. s. w. im Umfange sehr stark über jenen Mittelpunct vor, es ist Prototyp des Gesammtlebens in seinen primitiven Zuständen; es wäre sehr anziehend, bei der ländlichen Architektur, namentlich dem schönen idyllischen Holzbau des alemannischen Deutschlands und der Schweiz zu verweilen, es ist aber hauptsächlich das bürgerliche Wohnhaus in der größeren, Städtebildenden Gemeinde, das hier zur Sprache kommen muß. Das antike Haus wendet seine be- deutendste Seite nach innen: der umsäulte Hof, nach welchem alle Ge- mächer münden, obwohl nicht nach der Straße gekehrt, ist hier das Vor- bild des öffentlichen Platzes, der Agora, des Forums; das neuere Haus wirft eine Fa ç ade nach der Straße, durch die es verkündigt, daß der Einzelne dem Ganzen angehört, legt gewöhnlich die edleren Räume in den mittleren Stock und spricht ihren Werth durch erhöhte architektonische Schönheit, durch einen reichsten Mittelpunct in dem reicheren Stockwerk aus, öffnet sie auch wohl durch Loggia, Balkon, Erker nach außen; in jenem ländlichen Holzbau entsprechen die zierlichen Galerien dieser Be- deutung. Unter dem Palaste, zu dem wir nun übergehen, wird hier nur der Privatpalast verstanden. Es ist hier allerdings eine logische Schwierig- keit: im monarchischen Staate ist der fürstliche Palast zugleich Privatge- bäude und zugleich soll er das Ganze des Staates im concentrirtesten Sinne darstellen; da müßte er an die Spitze der Eintheilung im §. ge- stellt werden. Wir sehen aber auf die Sache und stellen die Gebäude für öffentliche Thätigkeiten an die Spitze. Im Palaste, wenn man ihn in seiner richtigen Bedeutung nimmt, steigert sich denn das Privathaus für sich zur Idealität; er ist für diese Gattung, was der Tempel für das Ganze aller Gattungen ist. Da er die Blüthe glücklicher Humanität dar- stellt, so werden selbst die untergeordneten Gelasse durch ihren Reichthum die Erleichterung und Veredlung des Bedürfnisses anzeigen, für die Räume des reinen Genusses wird daher noch höhere Pracht gefordert. Für diese Steigerung des Einzelnen im Staate soll aber der Palast durch den Charakter des Einladenden, heiter und gastfrei Geöffneten seinen Tribut an das Ganze zahlen. Das Wohnhaus erhält nun aber seine öffentliche Bedeutung wesentlich durch die Vielheit, sie ist die Heerde, die in den bedeutenderen öffentlichen Bauten ihren Hirten erwartet. Da ist denn die Herrschaft eines gewissen Grads von ästhetischem Reichthum in der Mehr- zahl der Wohnhäuser ein wohlthuender Ausdruck verbreiteter Wohlhaben- heit und Bildung, man denke an Städte, wie Nürnberg; dieser Aus- druck scheint sich in einer Menge von eigentlichen Palästen zur Erscheinung eines Volks von Reichen zu steigern, solche ist aber vielmehr Ausdruck einer zum Schaden des Staates übergewachsenen glänzenden Aristokratie, im Mittelalter eines Sitzes ewiger Fehde, daher kriegerisch burgartige Paläste entstehen, die den Charakter des Reichen mit dem des finster Trotzigen mühsam vereinen. Dieselbe zersprengte Welt kleiner Herren erzeugt die einzelnen Burgen, Vorbilder der kriegerischen Schutzbauten des Gemein- wesens. Dagegen sind heitere Landhäuser die zur Idealität gesteigerte Idylle der Wohnung des Landmanns. — Unter den öffentlichen Bauten nun dürfen wir vielerlei Anlagen mitzählen, welche nicht umschlossene Räume sind nach dem im §. 555 aufgestellten Grundbegriffe, aber wesent- lich die Bedeutung haben, zu den eigentlichen Bauten für Zwecke des öffent- lichen Lebens vermittelnd hinzuführen. Es sind dieß zunächst die Anlagen für die Ernährung und den großen Verkehr. Hier sind die Wasserleitungen zu nennen; man denke an die großartigen Werke der Römer, deren Bau- thätigkeit überhaupt in dem ganzen vorliegenden Gebiete des Zweckmäßigen und Politischen so gewaltig monumental hervortritt; man denke aber auch an die Ausspendung des klaren Elements im Brunnen, der die ehrwürdige Bedeutung seiner labenden Aufgabe in besonderer Schönheit, selbst durch Spiele über das Bedürfniß darzustellen hat (Enneakrunos in Athen, Fontänen Roms, des Mittelalters, z. B. der schöne Brunnen in Nürnberg). Für Zufuhr und Verkehr aller Art sorgt die „völkerverbindende“ Straße, ihre Bedeutung tritt erhebend besonders in kühnen Steigungen, Durchbrüchen, in schwungvollen Brücken hervor, über deren schönste Form sich nichts Besseres sagen läßt, als Schillers Wort: unter mir, über mir rennen die Wellen, die Wagen und gütig gönnte der Meister mir selbst, auch mit hinüberzugeh’n. Nun tritt auch der Verkehr zu Wasser in seiner Be- deutung hervor: der Kanal, das Schiff, diese Erfindung der Kühnen, die „zuerst, ein dreifach Erz um die Brust, mit trockenem Auge die finstere Tiefe durchfurchten und die schwimmenden Ungeheuer erblickten“; hier ist an den ästhetischen Unterschied des Segel- und Dampfschiffs, ähnlich dem der gewöhnlichen Fahrstraße und der Eisenbahn, zu erinnern. Schiffswerfte, Häfen können mit der Zweckmäßigkeit gewaltigen und reizvollen Eindruck verbinden. — Die eigentlichen Bauten für öffentliche Zwecke dienen zunächst der elementaren Thätigkeit des Ackerbaus: große Gehöfte der Landwirth- schaft; bei Anlaß der Stallungen, die dafür nothwendig sind, können wir die Marställe nennen. Die vermitteltere Thätigkeit des Gewerbes führt uns zunächst wieder zu den baulichen Unternehmungen des Einzelnen im Staate zurück; da können denn Fabrik-Bauten das Bedeutende der Thätigkeit, für welche sie errichtet sind, freilich schwer in edlem Style aussprechen, doch ist eine solche Charakteristik nicht ganz ausgeschlossen; wichtiger aber sind die Gebäude, welche die Corporation, die Gemeinde oder der Staat für die Ausstellung und den Verkauf des Producirten herstellt. Die Welt- Ausstellung in London hat eine großartige, doch nur momentane Eisen- und Glasconstruction an’s Licht gerufen, die ungemeine Bedeutung, welche die Industrie für das ganze Völkerleben gewonnen hat, und ihr inniger Zusammenhang mit der Kunst fordert aber monumentale Gebäude für fortdauernde Ausstellungen in den Hauptstädten und entsprechende in den Provinzialstädten mit der höchst förderlichen Maaßregel des fortwährenden Uebergangs der Producte von jenen in diese. Zugleich hat aber die größere Gemeinde und der Staat für die Waarenauslage der Einzelnen große, vereinigende Räume herzustellen, eben solche fordert der Verkauf der Producte für die Ernährung: Handelsmarkt, Speisemarkt ( macellum u. s. w.), Bauernmarkt. Bedeutung solcher Plätze im antiken Leben; großartige Einrichtungen; Lebendigkeit des Bildes; Bazar u. s. w. Mit dem Handelsmarkt verbindet sich der Geldmarkt, Wechslerbuden, Börse. Die verschiedenen klimatischen Bedingungen verlangen mehr offene oder mehr geschlossene Räume, im Wesentlichen ist aber für alle diese Waaren- Auslagen u. s. w., wenigstens für den feineren Theil dieser Dinge und Geschäfte überall die offene Säulenhalle gefordert, deren Bedeutung uns noch weiterhin in anderem Zusammenhang entgegentreten wird. Zu dem gegenwärtigen ziehen wir noch die Pflege für das äußere Wohl, wie sie sich in Armenhäusern, Krankenhäusern ( ospedale grande in Mailand), Invalidenhäusern ausspricht. Die Griechen hatten in ihrem Prytaneion neben der Bestimmung für die Versammlungen des engeren Raths ein Centralheiligthum, ein Symbol des Hauses mit immerwähremdem Vesta- Feuer, einen heiligen Herd als idealen Ausdruck dieses ehrwürdigen Mittelpuncts der Familie, worin mit den Prytanen Ehrenbürger und fremde Gesandte gespeist wurden. Auch das Kriegswesen mag in diesem Gebiete des äußerlich Nützlichen und Nothwendigen aufgezählt werden: die Gebäude für Waffen-Erzeugung, Aufbewahrung der kriegerischen Vor- räthe, die in einem stattlichen Raume für Aufstellung historischer Waffen- sammlungen und Trophäen ihren idealen Mittelpunct finden (Arsenal in Venedig, Zeughäuser in Wien und Berlin, Schlüter); die Befestigungs- bauten, Mauern, Thürme, Vorwerke, ganze Festungen: reicher Stoff für einen Künstler, der die große Bedeutung der Vaterlandsvertheidigung in würdigen Formen auszusprechen weiß; dazu die Wohnungen für die präsente Mannschaft, die Kasernen; bei den Römern war auch das Lager architektonisch bedeutend. — Gehen wir nun zu den Räumen über, welche für die Thätigkeiten bestimmt sind, die das Allgemeine im Staatsleben durchführen, worin also die Staats-Einheit sich concentrirt darstellt, nämlich den Gebäuden für Regierung und Rechtspflege, so haben wir die An- ordnung, nach der wir die Bauwerke für die geistigen Staatszwecke über sie stellen, gegen den Einwand, daß auch diese Gegenstand der Ver- waltung seien, damit zu rechtfertigen, daß der höhere Inhalt es ist, der die bedeutendere Kunstform fordert; das Staatsleben zeigt hier unvermeid- lich die logische Schwierigkeit, daß Erziehung, Wissenschaft, Kunst, die seine höchste Blüthe sind, selbst wieder Objecte der regierenden praktischen Thätigkeit sein müssen, über der sie doch ihrem geistigen Werthe nach stehen; die Religion, die nicht mehr als Kirche einen Staat im Staate bilden würde, stände in demselben Verhältniß. Das Alterthum und Mittel- alter, dessen Staatsleben ein erweitertes Gemeindeleben war, hat denn diesen Geschäften Gebäude errichtet, deren Charakter durchaus ein öffent- licher war und deren Styl die ganze Würde der höchsten Staatsthätig- keiten nach außen verkündigte: Buleuterion, Prytaneion nach dem einen Theile seiner Bestimmung, Curia, Basilika, Rathhaus, Stadthaus. Der moderne Beamtenstaat hat entsprechend seinem mechanischen Charakter seine Büreaugebäude meist schmucklos hingestellt; in der einzelnen Gemeinde nimmt jetzt neben dem Rathhaus der Raum für die Geschwornen-Gerichte seine Bedeutung wieder in Anspruch, aber auch die großen amtlichen Mittelpuncte, die Ministerialgebäude sollten durch ihre architektonische Form wieder in ihrer Bedeutung anerkannt werden, vergl. Hallmann Kunstbestr. der Gegenw. S. 82: Ueber den Entwurf eines Staatsverwaltungsge- bäudes zu Berlin. In den Zusammenhang dieser Art von Gebäuden gehören auch die Archive, Münzen, Schatzhäuser (die Tholen der Alten) und zum Raume der Justiz die Gefängnisse, deren nothwendig schwere Formen einer tragischen Würde nicht unfähig sind. — Nunmehr aber hat sich der ganze Adel des geistigen Nationallebens in den Gebäuden der Erziehung, Unterricht, Wissenschaft und Kunst darzustellen. Eigentlich ist jedes Gebäude für die Wissenschaft auch Unterrichts-Gebäude, denn die Räumlichkeit für gegenseitige Mittheilung der Wissenschaft zwischen Ein- geweihten, das Local der wissenschaftlichen Akademie, soll ungetrennt sein von den Räumen für die Mittheilung derselben an die lernende Jugend. Ein Festsaal für die Feier der hohen Bedeutung wissenschaftlicher Anstalten soll als idealer Mittelpunct der Räume für jenen Zweck und für die Lehr- zwecke hervortreten. Bei den Alten war dieß Alles offene Halle: eine Poesie der Einheit geistiger Beschäftigung und schönen Naturlebens, dem die neue Zeit und der Norden freilich entrückt ist, doch darf auch im modernen höheren Schulgebäude der Säulengang nicht fehlen. Etwas Anderes aber war bei den Alten mit dem Unterrichts-Gebäude vereinigt, was nun in der Abstraction unsres Lebens davon getrennt oder gar nicht vorhanden ist, indem unserem Geschlecht und verknöcherten Staate kaum die Erinnerung mehr geblieben ist, daß das Gymnasium und die Gymnastik zusammenfallen: die Bau-Anlagen für die leibliche Erziehung, die Pa- lästra, die Ring-, Lauf-, Schwimm-, Reitschule. Die Thermen können wir damit zusammenfassen, die großen, umfassenden Bad-Anstalten, die als arme Einzelheiten bei uns der Privatunternehmung anheimfallen, während im Alterthum die gründliche reinigende Erfrischung und Durch- knetung des Körpers Menschen- und Bürgerpflicht war, ein Edles, Ehr- würdiges, dem Götter vorstanden. Selbst im Mittelalter hatte die geringste Ortschaft ihre Badstube und es war nicht als möglich erkannt, daß der Mensch seinen Körper zur dumpfen, rohen Maschine geistloser Zwecke herabsinken lasse und in diesem Schmutze noch meine, seinem Gotte zu gefallen. Zur geistigen. Erziehung und Bildung, zur Schule gehören noch die Bibliotheken, die Räume für naturhistorische, technologische Samm- lungen und die schon oben genannten Krankenhäuser, sofern sie wesentlich dem Lehrzwecke bestimmt sind. — An diese ganze Gebäude-Klasse reihen sich nun die Räume für die Kunst, zunächst für den Kunstunterricht: die Kunst-Akademie; an diese schließt sich der Bäu für die Sammlungen der Werke bildender Kunst, alter und neuer: das Museum, die Pinakothek, Glyptothek. Es versteht sich, daß die Kunst ihre eigene Würde durch die Architektur feiern wird (Gebäude in München, Museum in Berlin). Nun fehlen noch Bauwerke für die festliche Ausübung der Musik und die Dar- stellung des dramatischen Kunstwerks: Odeen und Theater. In diesen Räumen, wo die Grundempfindungen des nationalen und menschlichen Lebens in Tönen erklingen, das erhöhte Bild der Welt durch die Mimik, unterstützt durch Malerei und Musik, vor Auge und Ohr sich entfalten soll, ist dem Architekten eine Aufgabe von um so größerer Bedeutung gestellt, als hier offenbar ein neuer, höherer Kreis sich öffnet, zu dem wir im nächsten §. übergehen: der Kreis der Gebäude für reinen ästhetischen Selbst- genuß der innersten Seele des Nationallebens. Das Theater insbesondere ist ein idealer Raum: das Ganze der Bühne und des Zuschauer-Raums soll die Stimmung erregen, daß hier der reinste Auszug des Lebens in einer Handlung sich aufrollt, und die Architektur hat dem entsprechend einen Boden, eine Umschließung zu schaffen, wie wir sie uns vor- stellen, wenn wir reine Menschheit, frei von allem Druck des gemeinen Zufalls und Bedürfnisses uns in der edelsten äußern Umgebung denken. Das moderne Theater ist wesentlich Innenbau, das antike zog als Außen- bau die wirkliche Natur hinzu und suchte die herrlichsten Aussichten (Segest, Taormina und andere). Das römische Amphitheater, für die roheren Spiele bestimmt, wie dieses harte Volk sie liebte, imponirt durch den Pomp seiner geschlossenen, massenhaften, doch sinnreich durchgeführten Gliederung. §. 576. Das Gesammtleben fordert aber noch Räume, welche ausdrücklich der öffentlichen Darstellung des Ganzen als solchen dienen, zunächst noch in prak- tischem Sinne: dieß sind die Plätze und Gebäude für die Volksversammlung, die Volksvertretung; sodann im Sinne des freien, rein darstellenden Selbstge- nusses der Gesammtpersönlichkeit: dieß sind die Anlagen für das Volksfest. An die ersteren vorzüglich schließen sich naturgemäß die Ehrendenkmale für verdiente Einzelpersonen. Dieses Gebiet steht der Aufgabe, worin alle Bau- kunst ihre höchste ideale Einheit hat, dem Tempelbau am nächsten, tritt mit ihm und den ihm unmittelbar angehörigen Nebengebäuden in Gruppen zusammen, zieht zu diesen auch die bedeutendsten Bauwerke der vorangehenden Gattung (§. 575) und so erwachsen die Mittelpuncte, die den Kern der höchsten cyk- lischen Aufgabe, des Städtebaus, bilden. Alle bisher aufgeführten Gebäude, selbst die der Regierung und Rechtspflege, dienen, verglichen mit den Räumen, wo das Ganze als solches in seiner Lebendigkeit sich ausdrücklich darstellen soll, einem Einzel- zwecke. Bei den Alten war nun der politische Marktplatz, die Agora, das Forum mit den Rednerbühnen, Hallen der Mittelpunct, wo das Volksganze zunächst politisch praktisch in der Form der Volksversammlung (etwa in der besondern Abtheilung des comitium ) sich zu öffentlicher Hand- lung vereinigte. Dieß war die lebendige Seele ihres Zusammenlebens in Städten, allerdings nicht selbst ein Gebäude, aber der Centralplatz aller Gebäude, das offene Auge ihrer geschlossenen Einheit. Da die Oeffentlichkeit das Element des Staates war, so liefen ihre Adern, eben jene mehr erwähnten Säulenhallen, Stoen, Leschen, Portiken, nach einer Seite mit einer Mauer geschlossen oder nach beiden Seiten offen, auch durch die ganzen Städte hin, fanden aber ihren vereinigenden Mittelpunct im Hauptplatze; daneben konnte die Volksversammlung allerdings auch bestimmte Räume, wie die Theater, benützen. Das Mittelalter hatte in seinen Lauben noch einen Nachhall jenes das Ganze einer Stadt durch- ziehenden Ausdrucks der Oeffentlichkeit. Im modernen Staate hat die Stelle des politischen Mittelpunctes, der Agora, der Raum für die Volksvertretung eingenommen. Er fordert in Kraft seiner Bedeutung die würdigste Ausstattung unter den politischen Bauten (England, Parlaments- gebäude); die politische Bewegung der neuern Zeit hoffte wie alle Künste, so vor Allem die Baukunst nach dieser Richtung zu beleben. — Die andere Seite der ausdrücklichen Oeffentlichkeit ist diejenige, worin die Gesammtperson in freiem Selbstgenusse rein darstellend die Fülle ihrer Kräfte sich selber zeigt. Dieß ist die wahre Bedeutung des Volksfestes. Es knüpft sich unmittelbar an die öffentlichen Plätze, denn wenn auch die größeren Spiele, nachdem sie sich reicher ausgebildet, nicht mehr hier abgehalten wurden, sondern Stadium, Hippodrom oder Circus, ebenso die Turnierplätze und Felder für die andern Spiele des Mittelalters sich außerhalb der Städte verlegten, so ging doch immer der Festzug von hier aus und zeigte damit an, daß da, wo das Ganze als politische Einheit sein Leben concentrirte, auch die Blüthe dieses Lebens, die Schön- heit und Freude vor Allem sich entfalten müsse. Griechenland hatte außer- dem seine Orte für die großen Spiele der Haupt-Nationalfeste: Olympia, Delphi, Isthmus, Nemea. Die Theater sind nun wieder beizuziehen, sie gehören zu dieser architektonischen Gruppe, denn ihre Leistungen waren einst und sollen sein wesentlicher Theil des Festes. Auf den großen Ver- sammlungs- und Festräumen stehen nun aber naturgemäß auch die Denk- male für die großen Männer des Staats, der Wissenschaft, Kunst und, wo gleichmäßige Entwicklung der menschlichen Kräfte in ihrem unendlichen Werth erkannt ist, für die Sieger in den Festspielen. Lebendige und Todte werden dieser Ehre gewürdigt. Anlagen von Begräbniß-Orten, Gräberstraßen, Kirchhöfen und Erfindung von eigentlichen Grab-Monu- menten, deren Grundcharakter immer eine, die Grabkammer weithin ver- kündigende Erhöhung sein wird, ist eine besondere Aufgabe der Baukunst; aber die Ehre, welche der um das Oeffentliche verdienten Persönlichkeit, namentlich durch Aufstellung der Bildsäule, auf dem belebten öffentlichen Platz erwiesen wird, führt uns durch die verewigende Kraft des Todes zu einem Cultus (Heroen-, Heiligen-Verehrung), dem nun die Architektur an ebensolchen Stellen seinen Raum: Altar, Heroon, Kapelle hinzustellen hat, und so auf dem in §. 556 dargestellten Uebergange zum Tempel zurück. Haben doch Völker, die ihre großen Männer ehren, sie häufig im Haupttempel selbst begraben, ihnen hier ihr Ehrendenkmal gesetzt und so Kirchen zu National-Heiligthümern umgeschaffen (Westmünsterabtei, S. Croce in Florenz). Besondere Ruhmeshallen sind ein abstracter Ge- danke (Walhalla u. s. w. in Baiern). Die Haupt-Tempel sind nun zu aller Zeit den öffentlichen Plätzen nahe gestanden, nicht blos äußerer Zwecke, sondern der innern Bedeutung wegen, denn die ausdrückliche Erinnerung und Bethätigung der Gemeinsamkeit ist der Uebergang zur Erinnerung des Unendlichen. Abgesondertere Tempel hatten im Alterthum ihren heiligen Bezirk, Peribolos (Aule, Temenos, Herkos) mit heiligen Quellen, Bäumen, Hainen, Inschriftsäulen, Sieges- und Heldenmalen, Schatzhäusern und Wohnungen für Priester und Tempeldiener. Pracht- thore, Propyläen führten zu den bedeutendsten Tempeln (Parthenon, Tempel in Eleusis u. and.). Im Mittelalter dehnen sich Priesterwoh- nungen zu Abteien, Klöstern aus; diese geselligen Clausuren für Solche, die sich der Ascese dieser Zeit gewidmet, sind aber zugleich Wiegen un- entwickelter Wissenschaft und Kunst und entsprechen nach dieser Seite den Gebäuden für diesen Zweig, den Universitätshäusern, Akademieen. Sie haben nach innen ihre Oeffentlichkeit, die sich in der an das antike Peri- styl erinnernden Halle des Kreuzgangs darstellt. Kapitelsaal und Refec- torium sind die Rathhaus- und Palastähnlichen Festräume. Baptisterien, Kapellen, Grabkirchen gesellen sich ferner zum Dome des Mittelalters. — Blicken wir nun auf die Gebäude-Arten §. 575 zurück und überschauen wir, wie sie in einer natürlichen Reihe zu dem Tempel führen, so sehen wir in diesem ihren Gipfel und Mittelpunct, der sich, unbeschadet ein- zelner abgesonderter Tempelbauten, nicht nur mit den Räumen und Ge- bäuden der ausdrücklichen Oeffentlichkeit, sondern auch mit den bedeutendsten jener für Einzelzwecke bestimmten Bauwerke zusammengruppirt. In Rom stand der höchste Nationaltempel auf dem Capitol unmittelbar am Forum, in Athen, verbunden mit dem Theater und hochwichtigen Heiligthümern an und auf der Akropolis, ebenfalls unmittelbar an der Agora, wo ja auch der Areopag sich befand. Wie im Dorfe der Kirchthurm idyllisch als Hirte der Heerde erscheint, so ist nun der Tempel auch räumlich zu einem Mittelpuncte geworden, der, mit den wichtigsten öffentlichen Gebäuden vereinigt, die Masse der Privathäuser sich unterordnet, ihnen ihre höchste Idealität, mit dem Markt u. s. w. ihren absoluten Festraum und Fest- saal gibt. Dieß muß das Haupt-Augenmerk für die höchste, cyklische Aufgabe, den Städtebau, sein. Von der andern Seite macht sich aber hier in ihrem ganzen Gewichte die Rücksicht auf die umgebende Natur in der Beziehung der Gesundheit (Licht, Luft, Wasser) Sicherheit und Schön- heit (Höhe und Thal, Fluß, Meer, Vegetation) geltend. Die Alten bil- deten zwar ein Ideal einer regelmäßigen Stadt aus, orientalische Städte, wie Babylon, waren ganz systematisch angelegt, aber selten ist dem Bau- meister die Aufgabe eines Stadtbaus rein gegeben: Zufall und Instinct bilden die Anfänge, die Kunst findet in dem Gegebenen oft ein absolutes Hinderniß, oft höchst fördernde Motive. Wo Zufall und Instinct glücklich gegriffen, die Kunst edel nachgewirkt, entstehen die wahrhaft lebendigen Städtebilder mit historischem Charakter. Ist aber die Aufgabe rein ge- stellt, so muß künstlerische Verbindung von Regelmäßigkeit und mit Rück- sicht auf große und schöne Natur zu gewinnende Mannigfaltigkeit das Ziel sein; die geradlinigten, öden Residenzstädte, die namentlich das vorige Jahrhundert abstract auf den Sand hinstellte, sind traurige Denkmale unfruchtbarer Willkühr. c. Die Geschichte der Baukunst . §. 577. Da die Baukunst nach §. 559 mehr, als jede andere Kunst, ein Er- zeugniß der allgemeinen Phantasie ist, so geht ihre Geschichte auch inniger mit der Geschichte der Religion (vergl. §. 417 u. 561 zusammen; ein Verhältniß, aus welchem für den Schlußpunct ihrer geschichtlichen Entwicklung, die Frage über die Baukunst der modernen Phantasie (vergl. §. 460—469), besondere Schwierigkeit um so mehr entspringt, als der Baustyl den Stylcharakter aller Künste vorzeichnet. Die allgemeine Phantasie ist wesentlich eine religiös bestimmte; ge- hört die Baukunst in näherem Sinn, als jede andere, ihr an, ist sie wesentlich Völkerkunst, eine Kunst des Styls in der großen nationalge- schichtlichen Bedeutung des Worts, so folgt also, daß ihre Geschichte enger, als die jeder andern Kunst, mit der Geschichte der Religion zu- sammengeht. Ebenso folgt dieß aus ihrem Wesen an sich, gemäß welchem der tiefste Sinn ihrer Formen eine symbolische Andeutung des Weltbaus ist. Wir begründen darauf sogleich das Recht, die folgende Darstellung der Hauptmomente ihrer Geschichte auf den Tempelstyl zu beschränken, wofür wir uns zugleich auf das berufen, was über den innern Zusam- menhang des Tempelstyls mit dem weltlichen Baustyl gesagt ist. Der eigentliche Grund aber, warum wir diesen §. an die Spitze der geschicht- lichen Darstellung setzen, ist dieser: der Schluß der Geschichte einer jeden Kunst ist nicht einfach das Ende, sondern der Zielpunct, die bestimmende Seele des Entwicklungsgangs; so verhält es sich ja mit aller Geschichte: ohne eine Idee über ihr Wohin gibt es keinen Begriff von dem Was und Wie ihres Gangs. Nun werden wir allerdings bei einer andern Kunst finden, daß dieß Wohin auf ein Zurücktreten aus dem Kreise des wahrhaft productiv Lebensfähigen im modernen Ideale, also auf ein relatives Ende führt, bei der Plastik nämlich. Bei der Baukunst aber würde, wenn sie sich ebenso künftig auf Reproduction beschränken müßte, ein Widerspruch zwischen einem oben aufgestellten Satz und einer That- sache entstehen. Die Thatsache ist, daß das moderne Weltalter bis jetzt in der Baukunst keinen, in andern Künsten aber allerdings einen eigenen Styl erzeugt hat, denn es gibt doch eine wirkliche, eigenständige moderne Malerei, Musik, Poesie; der Satz aber ist, daß die Baukunst das Grundschema der Anschauungsweise einer ganzen Zeit, das objectivste Bild des Styls, wie er auch die andern Künste durchdringt, darstelle, daß diese überhaupt auf ihrer Grundlage sich entwickeln, wie dieß in ihrem Begriff als Urkunst (§. 560) liegt und wie es die Geschichte zeigt. Dieser Widerspruch läßt sich nur so lösen: das moderne Zeitalter ist in verschiedenen Kunstformen schon productiv aufgetreten selbst in dem Sinne der Entwicklung eines eigenen großen Styls, doch sind dieß mehr punc- tuelle Ansätze, es fehlt noch der Styl im Sinne gemeinsamen Schwungs; eine Zusammenfassung der vereinzelten Kräfte zu diesem gemeinsamen Schwung setzt voraus, daß erst die Zerrissenheit der Geister einem ge- meinsamen Gefühle, einer kräftigen, herrschenden Grundstimmung weiche, daß diese einen Baustyl erzeuge und dieser Baustyl den andern Künsten, wie es sein soll, ihre Unterlage gebe. Nun müßte aber dieses Grund- gefühl ein religiöses sein, um eine neue Baukunst zu erzeugen. Das moderne Ideal ist aber ein rein weltliches, es hat sich von der zweiten Stoffwelt abgelöst (§. 466). Gerade auf diesem schwierigen Puncte können wir jetzt auf eine Bemerkung zu §. 574, 2. zurückweisen. Dort haben wir gesagt, die Baukunst besitze in der Individualitätslosigkeit ihrer Formen die Fähigkeit, der Verehrung eines nicht mythisch vorgestellten allgemeinen Geistes zu dienen. Hier entsteht denn die Frage, ob nicht im modernen Geiste die unentwickelten Keime einer neuen Religion liegen, welche keiner zweiten Stoffwelt bedürfte und doch Religion wäre, welche, wenn sie einmal zur Reife gelangte, eine Baukunst zu schaffen fähig wäre, die zugleich Allem, was die moderne Zeit von Styl in den andern Kün- sten erzeugt hat, jene ihm allerdings noch fehlende Einheit, Gemeinsam- keit gäbe. Die Lücke, welche in der Geschichte der Baukunst bei dem modernen Ideal eintritt, kann nur mit einer Zurückverweisung auf diesen Punct ausgefüllt werden; ein Zielpunct wird dieses Hindeuten auf eine dunkle Zukunft insofern immer noch heißen können, als in rein künstleri- scher Beziehung sich wenigstens so viel errathen läßt, daß diese Zukunft irgendwie auf eine Synthese der dagewesenen Hauptgegensätze des archi- tektonischen Styls hinarbeiten muß, wie wir solche am Ende dieses ge- schichtlichen Ueberblicks, freilich ohne die Möglichkeit näherer Bestimmung, berühren werden. α. Die Baukunst des Alterthums . 1. Die orientalische Baukunst . §. 578. Daß der orientalische Geist auf die Baukunst als die ihm vorzugsweise 1. entsprechende Form angewiesen war, erhellt aus der Vergleichung ihres Wesens §. 553—561 mit der orientalischen Phantasie §. 426—430. Allein aus die- sem Zusammentreffen geht keineswegs hervor, daß die Baukunst im Morgen- lande sich zur Vollkommenheit entwickeln konnte; vielmehr geben die orientali- schen (und andere, auf ähnlicher Stufe stehende) Völker den Grundzügen, in denen ihr Geist mit dem Wesen dieser Kunst zusammentrifft, die besondere Be- stimmtheit, die aus seiner eigenen Unreise entspringt. Diese besteht vor Allem 2. darin, daß hier die Baukunst im engeren Sinne symbolisch auftritt, in- dem sie entweder selbständig, d. h. ohne ein Inneres zu umschließen (vergl. §. 555) und daher in die Nachahmung der individuellen Gestalt in der Weise der auf das tastende Sehen gestellten Phantasie übergreifend, oder abgesehen von einem zwar vorhandenen Innern und in unverhältnißmäßigem, das Wesen der Gottheit als ein verborgenes bezeichnenden Uebergewicht der architektonischen Masse zu diesem einen geheimnißvollen Sinn auszudrücken sucht. 1. In den Ueberschriften müßten sich eigentlich die bereits den Inhalt bezeichnenden Bestimmungen der Ueberschriften zu a, α u. s. w. in B des zweiten Abschnitts des zweiten Theils wiederholen; wir vermeiden dieß hier und fernerhin der Kürze wegen. Die Darstellung selbst wird zeigen, wie und warum die classische Baukunst eine objective ist, die mittelalter- liche eine phantastisch subjective u. s. w. — Die orientalische Phantasie ist als eine dunkel und traumartig suchende, wesentlich dualistische symbo- lisch, sie geht auf das Erhabene, sie ist vorherrschend eine bildende und zwar im Sinne des messenden Sehens, sie ist stabil. Dieß Alles ist in den angeführten §§. schon so vollständig auseinandergesetzt, daß zu §. 430, 1. (Th. II, S. 429) gesagt werden konnte: „in der Kunstlehre dürfen wir nur die Schlußfolgerung pflücken, so wird einleuchten, daß die eigentliche Kunst der orientalischen Völker die Baukunst war“. Die Bau- kunst haben wir als die elementare Urkunst kennen gelernt, wir dürfen diesen ihren elementaren Charakter mit dem elementaren Urgeiste jener Völker, in dem alle Bildung unentwickelt eingehüllt ist, nur einfach zu- sammenhalten, um diesen Satz bestätigt zu sehen. Denn ganz im Allge- meinen ist sie, wie dieser Völkergeist, dualistisch durch ebenso streng ver- ständiges (§. 555), als dunkel in die Natur versenktes (§. 558) Wesen, sie ist symbolisch (§. 561), erhaben und höchst conservativ (§. 560). Jene Versenkung in die Natur ist wesentlich auf das Unorganische, Landschaft- liche bezogen und auch in dieser Beziehung ist in §. 426 gesagt, daß die orientalische Phantasie auf die unorganische Schönheit (und organische bis zur thierischen) beschränkt sei. Wie die Baukunst in der ästhetischen Bil- dung des Geistes analog ist dem Momente, wo in der Natur die indi- viduenbildende Concentration beginnt mit der Axen-Anschießung des Krystalls, so entspricht der Anfang der Bildung der Menschheit überhaupt demselben Vorgang in der Natur und ist ebendaher unter den Künsten wesentlich auf jene gewiesen. Allein es verhält sich hier wie mit der Frage, ob der Begriff des Erhabenen darum, weil die orientalische Phan- tasie wesentlich eine erhabene war, erst in der Darstellung dieses geschicht- lichen Ideals, wie Hegel gethan, aufzuführen sei: was zu verneinen ist, weil ein Völkergeist, der durch das Primitive seiner Bildung vorzüglich auf ein Moment im Schönen gewiesen ist, eben dieses in mangelhafterer Form zum Ausdruck bringen wird, als ein Volksgeist von entwickelter Bildung, der die Momente des Schönen frei umfaßt. Ebenso wird jener Geist eine Kunstgattung, auf die er, weil sie selbst Vieles noch nicht aus- drücken kann, gerade durch seine Unfreiheit und das Helldunkel seiner Anschauung gewiesen ist, mangelhafter ausbilden, als ein solcher, der mit geklärtem Gesichtskreise die verschiedensten Kunstgattungen frei ausbildet und nur je der vorliegenden Aufgabe gemäß sich auf eine derselben be- schränkt. Dort wird der scheinbare Widerspruch entstehen, daß der dunkel suchende Geist gerade in der Kunstform, welche dieser seiner Stufe entspricht, zu viel wird sagen und ausdrücken wollen, ja Alles; denn in seinem Helldunkel schlummert eingehüllt doch der ganze Geist und er schüttet ihn ganz in die einzige Kunstform, in der er sich leichter bewegt, während die andern zwar nicht der Anbauung entbehren, aber doch zurück- bleiben. Die Scheidung der Künste ist noch nicht ernstlich eingetreten, die Baukunst muß für die andern vicariren, jedenfalls, wie sich sogleich zeigen wird, für die Plastik. — Es ist nur noch zu bemerken, daß wir mit den Erscheinungen der Baukunst im Orient die frühesten monumentalen Ver- suche anderer Völker, nordeuropäischer und amerikanischer, hier zusammen- zufassen um so mehr berechtigt sind, da alle primitiven Kunstformen auf die gemeinsame Völkerwiege in Asien zurückweisen. 2. Die symbolische Bedeutung der Baukunst wird wesentlich beschränkt durch den in §. 555 vorangeschickten Begriff der Theilung in Inneres und Aeußeres, der Aufgabe, einen anderweitig zu erfüllenden Raum nur zu umschließen. Hegel hat das Verdienst, zuerst als unreife orientalische Form die selbständige, eigentlich symbolische Architektur aufgestellt zu haben (Aesth. B. II, S. 272. ff.). Die orientalische Baukunst will durch ihre Formen ohne ein Inneres oder abgesehen von einem solchen sprechen, ja dieser sich selbst noch unklare, aus der Natur erst herausringende Geist sucht in dem Aufwühlen der Erde, in dem Aufthürmen der Massen, in diesem den großen Revolutionen, durch welche die Gestalt unseres Plane- ten sich zur Reife gegohren, ähnlichen Thun den Sinn des Lebensräthsels zu finden: das Bauen ist ein Rathen. Eine eigentliche Architektur, die ganz ohne Inneres einen bestimmten Sinn ausdrücken soll, kann es aber nicht geben; wenn z. B. indische Tempelhäuser aus dem Fels ge- meiselt in Mahamalaipur ohne alles Innere vorkommen, so ist diese Wie- derholung einer Form, die sonst immer ausgehöhlt, also mit einem Innern auftritt, offenbar nicht als eine Verschärfung symbolischer Absicht, sondern mehr als das Spiel eines ästhetischen Luxus zu verstehen; wo das Innere rein wegfällt, liegt sonst immer ein Hinübergriff in die Plastik vor und die „zwischen Architektur und Sculptur schwänkenden“ Bauwerke sind daher die erste, im engsten Sinn symbolische Form, die hier aufzuführen ist. Es gibt nun kein anderes Beispiel, das so ganz in die Mitte dieser beiden Künste fällt, als jene bergartig aus Erde aufgeworfenen Reliefs in Nordamerika, im Ohio- und Wisconsin-Staate: eine 700 F. lange Schlange, Alligatoren, Molche, Schildkröten, Vögel, Füchse oder Katzen- Arten, ganze Reihen anderer vierfüßiger Thiere (Bären?), 30 bis über 200 Fuß lang, auch menschliche Gestalten 125 F. lang und 120 F. mit ausgestreckten Armen breit. Auf dem Rücken dieser seltsamen Werke der Ureinwohner Amerikas befinden sich, ein Beleg ihrer religiös symbolischen Bedeutung, Opferstätten, Altäre; vergl. über sie Smithsonian contributions to Knowledge Vol. I. Dieß ist nun wirklich gebaute Plastik, plastisches Bauen, rein schwankende Mitte zwischen Bau und Bildwerk. Senkrechte Stellung eines Gebildes, worin individuelle Gestalt nachgeahmt ist, führt bereits bestimmter zur Plastik hinüber; am wenigsten, wenn dieß Gebilde nur symbolisch ist, d. h. noch nicht mythisch-menschliche Gestalt nachahmt. Zu solchen blos symbolischen Gebilden würden die Obelisken gehören, wenn erwiesen wäre, daß sie nicht blos Denkpfeiler für Inschriften sind, sondern Sonnenstrahlen bedeuten; möglich, daß sie nur in künstlerischer Zubereitung jene rohen Steinpfeiler des Nordens wiederholen, die vielleicht das Bild einer Person vertreten (vergl. Kugler, Handbuch d. Kunstgesch. S. 10). Dagegen ist bestimmt hieher der indische Dagop zu stellen, sofern er keineswegs immer einen hohlen Raum in seinem Innern für Reliquien u. dgl. hat, sondern meist solid ist: auf cylindrischem oder pyra- midalem Untersatz eine massiv gebaute Halbkugel, das Symbol der Wasser- blase (Bild der Hinfälligkeit des Lebens) darstellend; das Ganze 50—70 F. Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 18 hoch. Den sächlichen Symbolen am nächsten stehen die thierischen Gebilde; Thierglieder mit menschlichen Gliedern verbunden zeigen den unvollendeten Fortgang vom Symbol zum Mythus (vergl. §. 427). In fester, raum- erfüllender Form ausgeführt gehören solche Darstellungen aber bereits der Plastik an, sofern nicht colossales Verhältniß, streng messende, den Schein individueller Belebung ausscheidende Behandlung der Formen und reihen- weise Aufstellung sie doch wieder zur Architektur herüberzieht; dieß eben ist aber der Fall bei jenen ungeheuern Elephanten, Stieren, Löwen In- diens, den Sphinxen und Widdern Aegyptens. Man denke namentlich an die colossale Sphinx bei Ghizeh; auch die reihenweise Aufstellung herrscht besonders im ägyptischen Tempelgebäude. Aber auch die rein mythische, d. h. unvermischt menschliche Göttergestalt wird unter diesen Bedingungen zu einem Werke, das zwischen Baukunst und Sculptur schwankt, wie die ungeheuern Memnonen Aegyptens. Hier geht jedoch allerdings die sculpturartige Architektur bestimmt in die architekturartige Sculptur über und wir werden den Faden in der Geschichtsdarstellung der letztern Kunst wieder aufzufassen haben. Die beliebte Verbindung der Bildsäule mit dem Pfeiler oder wirkliche Function derselben als Pfeiler mag hier als Ausdruck eines Zusammenklebens beider Künste noch er- wähnt werden. — Wo nun aber in diese unreife Baukunst auch wirklich die Theilung in ein Inneres und Aeußeres eingetreten ist, setzt sich den- noch die Symbolik auch in dieses Verhältniß fort und äußert sich durch alle Stufen, selbst bis zur vollendetsten architektonischen Leistung der hier zusammengefaßten Völker, hindurch in einer auffallenden Kleinheit des eingeschlossenen Raums im Verhältniß zur Größe und Ausführlichkeit des Umfassenden, einem Mißverhältniß, das ebendaher rührt, daß das Letztere auch abgesehen von jenem, d. h. vom realen Bauzweck, noch für sich sym- bolisch sprechen will. Noch nicht im strengen Sinne kann dieß ausgesagt werden von offenen , mit Umfassungen in geometrischer Form umgebenen Opferstätten, die aber als uralte sinnbildliche Baukunst von Wichtigkeit sind: so jene über Nordamerika von Michigan bis zum Meerbusen von Mexiko zerstreuten, aus Erde und Steinen aufgeworfenen heiligen Kreise, Ovale, Vierecke, griechische Kreuze und andere Formen von Umwallungen, die sicher symbolischen Sinn in ihrer Gestalt an sich trugen, gewiß aber zugleich dem Gottesdienste der Ureinwohner des Landes bestimmt waren. Sie sind eng verwandt mit jenen Zusammenstellungen von Steinen in ein- fachen Kreisen oder Kreisen in Kreisen, auch im Viereck und in Parallel- Linien, die in der Bretagne und in England von den alten Kelten (so namentlich die Trümmer zu Carnac in der Bretagne und Stonehenge bei Salisbury), aber auch in Skandinavien von Germanen errichtet sind. Das Offene solcher Raumeinfassenden Erhöhungen nähert sie noch mehr den oben erwähnten senkrechten Gebilden, Obelisken u. dgl. Allein die letztern Monumente sind zugleich dadurch merkwürdig, daß hier die Anfänge structiver Gliederung, die Trennung und Verbindung von Last und Stütze, Wand und Dach theils in übergelegten Steinbalken bei den Umkreisungen, theils in Platten über Stützen ruhend bei den Altären, theils in wirk- licher Zusammenschließung zu Steingemächern oder eigentlichen Tempel- heiligthümern hervortreten (Dolmin, Cromlech). Die Kreis- und andern Formen der Umfassungen waren sicher symbolisch, ob von astronomischer Bedeutung ähnlich wie die siebenfachen, verschieden gefärbten, übereinander aufsteigenden Ringmauern Ekbatana’s, läßt sich nicht bestimmen. Sym- bolische Bauwerke, deren unendliche Gemächer, Höfe, Irrgänge den Wan- derer zum tiefsten Staunen hinreißen, waren auch die ägyptischen Labyrinthe, das größte am See Möris, dessen unterer Theil Königsgräber bildete und das Herodot mit so großer Bewunderung beschreibt. Die Zwölfzahl der Höfe und die andern Zahlenverhältnisse bezogen sich gewiß nicht blos auf die 12 Könige und die Zahl der Regierungsbezirke, son- dern hatten zugleich astronomische Bedeutung. Sie wurden bekanntlich in Griechenland nachgeahmt (Kreta). Aehnliche Beziehungen mögen auch in den Verhältnissen anderer königlicher Grabdenkmäler Aegyptens, die zugleich den Göttern geweiht waren, den sogenannten Memnonien geherrscht haben (Osymandeum zu Theben). Das Mißverhältniß der Schaale zum Kern ist nun aber gerade da in seiner ganzen Bestimmtheit vorhanden, wo die Baukunst vom klaren Bauzweck geleitet ihre Haupt- aufgaben, aber noch im Dienste der symbolischen Phantasie, löst. Die Terrassenthürme Assyriens und Babyloniens, die Pagoden Indiens, die Pyramiden, die Tempel Aegyptens haben ein im Verhältniß zur Bau- masse so kleines Inneres, daß, wenn die äußeren Formen auch keinen in eine bestimmte Formel faßbaren Sinn hatten, doch die gewaltige Erhebung und Masse für sich schon nicht als bloßes Gewand, in welchem sich eine innere Gliederbildung des Baus ausgeprägt hätte, den Zuschauer in eine geheimnißvolle, ahnende, rathende Stimmung setzen sollten. Die Kleinheit des Innern drückt im Allgemeinen immer aus, daß das Wesen des Gottes ein verborgenes ist; gewöhnlich ist das Heiligthum dem Laien unzugäng- lich und wo er hintritt, findet er nicht, was einem so langen, weitläufti- gen Verweilen in den vorbereitenden äußern Architekturformen entspräche. Es geht daraus eine logische Schwierigkeit in Beziehung auf den Unter- schied von Innen- und Außenbau hervor, die wir kennen lernen werden. Im indischen Grottentempel ist das Dunkel selbst symbolisch, ruft eine dämmernde, bange Ahnung des verborgenen Gottes hervor. Endlich war der eigentliche Tempelbau gerade da, wo er zur höchsten Ausbildung ge- dieh, welche innerhalb dieser Vorstufe reifer, classischer Kunst, mit der wir 18* uns hier beschäftigen, möglich war, in Aegypten, überdieß neben seiner architektonischen Form ebensosehr noch ein großes System von Tafeln für jene symbolische Geheimnißschrift, die Hieroglyphen. §. 579. Ebenso bewährt sich an der Baukunst die in §. 430 aufgezeigte Eigen- schaft dieser Phantasie dadurch, daß das Erhabene , welches im Wesen dieser Kunst an sich liegt, hier zum Ungeheuern, ausschweifend Prachtvollen, dunkel Majestätischen wird. Es fehlt nicht die strenge Messung, aber dualistisch wuchert unter und neben ihr maaßlose Ausdehnung und wilde Gestaltenbildung: der Ausdruck einer noch unfreien Versenkung in die Natur, die sich zugleich in der auch neben dem freien Bau fortbestehenden Neigung zum Bauen in natür- lichem Fels kund gibt. Wir nehmen den Schluß des §. in der Erläuterung herauf und sagen von dieser Baukunst der dunkeln, symbolischen Phantasie, daß die Ver- senkung in die Natur, welche nach §. 558 neben der klaren Verständig- keit aller Baukunst eigen ist, von ihr in einem bestimmten engeren Sinne gilt. Zunächst in dem buchstäblichen, daß der Orient es liebt, den ge- wachsenen Stein architektonisch zu bearbeiten: ein Verfahren, dessen Un- freiheit schon zu §. 562, 1. auseinandergesetzt ist. Die Zufälligkeit und Willkühr der Formen, die daraus hervorgeht, werden wir vorzüglich in den indischen Höhlentempeln ausgesprochen finden. Der Orient (und Aegypten) haben die Vorliebe zur Arbeit in natürlichem Fels auch nach der Ausbildung des Baus aus freigefügtem Materiale nie ganz aufgegeben. In Griechenland finden sich nur noch vereinzelte Nachklänge. Aber auch der freie Bau des Orients selbst ist noch zu sehr naturartig, nicht wahre, volle Idealisirung der unorganischen Natur, sondern streckt und dehnt sich bergähnlich, massenhaft ungegliedert. Den Ausdruck ungegliedert werden wir in der Folge bedeutend beschränken müssen, dabei aber das Urtheil im Wesentlichen doch festhalten. Dieß naturartige Thun, Thürmen, Wühlen ist in dem ungeheuern Aufgebot von Menschenkräften zugleich ein Verachten der Freiheit, des Menschenwerths; man erinnere sich allein, daß an der Pyramide des Cheops nach Herodot 100,000 Menschen mit den Vorarbeiten vierzig Jahre lang beschäftigt waren, man denke an die Riesenarbeit der indischen Höhlenbauten, wo ganze Gebirge harten Granits Stundenweit in den verschiedensten Formen, auch in mehreren Stockwerken übereinander durcharbeitet sind. Diese Art der Kraftentwicklung erinnert an die furcht- bare Thätigkeit des Planeten, wodurch die Gebirge entstanden sind, an das Erhabene des Raumes in seiner formlosen Gestalt; das Erhabene wird in der §. 430 dargestellten Weise zum Ungeheuren. Die Baukunst ist an sich eine vorzugsweis erhabene Kunst, hier wird sie erhaben in diesem besondern Sinne. Der Dualismus des Gemessenen und Unge- messenen (man vergl. zu dieser nähern Bestimmung in §. 430 die interessante Parallele der entsprechenden Pflanzenwelt §. 278) drückt sich nun zunächst darin aus, daß „unter“ dem Gemessenen, d. h. innerhalb des bändigenden Maaßes und dieses Maaß selbst in’s Colossale treibend der dunkle Natur- drang aufgährt; daraus geht eben das Ungeheure hervor, was wir sowohl am Hochbau, als am Längenbau bestätigt sehen werden. Das Ungemessene tritt aber auch „neben“ das Maaß so, daß das Gemessene von aus- schweifender Pracht umwuchert und dadurch wieder aus den Fugen ge- trieben und verdunkelt wird, was sich bei der Gliederung und bei dem Ornamente zeigen wird. Das dunkel Majestätische wird sich ebenfalls bei den einzelnen Formen bestimmter hervorstellen, während es im Allgemeinen schon durch die Zusammenfassung der Symbolik mit der dieser Baukunst eigenen Erhabenheit sich ergibt. §. 580. In der Ausbildung der nationalen Bauformen macht sich nun der Dualis- mus in der Weise geltend, daß die in §. 565 aufgestellten Gegensätze in ein- seitiger Herrschaft hervortreten. Das verborgene Wesen der Gottheit wird von der traumartigen indischen Phantasie (vergl. §. 431) in dem zu einem Außen- bau zweifelhaft umschlagenden Innenbau der in den natürlichen Fels gehauenen Grottentempel dargestellt. Dieser dunkel majestätische Bau ist durch die Stütze seiner niedrigen Decke, die gedrückte Säule, welche sich unreif aus dem Pfeiler hervorbildet, zugleich ein Bau der vorherrschenden Last . Durch die unbestimmt wechselnde Grundform des Ganzen und das wuchernde unorganische Spiel der Glieder und Ornamente erscheint er als unentwickelter Keim der reinen geschichtlichen Baustyle. Das einseitige Auftreten jener großen Gegensätze, welche §. 565 aus den Grundlinien und Erstreckungen, die im Wesen der Baukunst liegen, abgeleitet hat, ist mit dem obigen Ausdruck „nationale Bauformen“ nicht so zusammenzufassen, daß man annähme, es trete je Ein Gegensatz nur bei Einer Nation hervor. Vielmehr ist hier als ganz wesentlich noch hinzuzufügen, daß gerade im Orient und bei den mit ihm hier zusammen- gestellten Völkern die einseitigen Hauptformen fast überall bei Einem und demselben Volke nebeneinander vorkommen, zwar im Werthe nicht coor- dinirt, aber doch so, daß man sieht, wie der reine Styl erst gesucht wird. So erscheint der Höhlenbau auch bei den Aegyptiern, obwohl nur als Grab, nicht als Tempel, er ist depotenzirt durch den ägyptischen Tempel- bau, den wir kennen lernen werden. Allerdings war das ägyptische Felsen- grab tempelartig und sehr interessant wäre es, wenn Gau (Nub. Alterth.) mit seiner Annahme Recht hätte, daß der freie ägyptische Tempelbau von ihnen ausgegangen sei (dagegen s. Schnaase Gesch. d. bild. K. B. I, S. 413 ff.). Uebrigens war der Höhlenbau als Grab auch bei den Persern noch be- deutend entwickelt, in eingeschränkterer Weise kommt er auch bei den anderen Völkern des Alterthums, selbst Griechen und Römern (Katakomben), vor. So werden wir ferner umgekehrt den thurmartigen Terrassenbau, der in Aegypten zur Pyramide wurde, auch bei den Indiern und sonst in weiter Verbreitung finden. — In der Geschichte dieser einseitigen Formen der orientalischen Baukunst stellen wir nun voran den Bau, der von dem ersten jener gegensätzlichen Paare (§. 565, 2. ) das Glied des blos Innern , von dem letzten das Glied des herrschenden Ausdrucks der Last aus- scheidet: den indischen Höhlentempel. Wir können uns hier nicht auf die Frage über sein wirkliches Alter einlassen: uns genügt, daß er seinem Wesen nach der ursprünglichste, Incunabel-artigste Styl ist. Nicht un- wahrscheinlich, daß er aus einem Gräber-Bau hervorgegangen ist, wodurch denn der Uebergang von der Verehrung der abgeschiedenen zu dem der absoluten Person (vergl. §. 556) auch hier in seiner tiefen Bedeutung hervorträte und jene Depotenzirung desselben in Aegypten zugleich als Rückführung auf die ursprüngliche Bestimmung erschiene. Das Einwühlen in den gewachsenen Fels erscheint schon an sich als die ursprünglichste Form, als das Thun einer ersten Kunst, die noch nicht frei aus frei ge- theiltem Material zu schaffen wagt, und die ganze künftiges bestimmter Ausgebildetes vorbildende, keimvoll unbestimmte Formenwelt, die damit verbunden ist, geht eben aus dieser schon oben charakterisirten vollen Ver- senkung in die Natur und Bindung an das gegebene Material hervor. Als bloßer Innenbau weist diese Architektur zunächst in interessanter vor- bildlicher Weise auf den mittelalterlichen Styl hin; dazu kommt, daß der gewöhnliche Grundriß des Quadrats sich auch zur Form des griechischen Kreuzes, zum Oblongum mit halbkreisrundem und halbkuppelförmig ge- decktem Abschluß für das Götterbild gestaltet, ja (in den buddhistischen Höhlentempeln gewöhnlich) sogar die Decke (freilich nur in Tonnen-Form, zum Theil mit Annäherung an die Hufeisenform) gewölbt ist, die Pfeiler- Reihen einen breiteren Mittelgang frei lassen und so ein Hauptschiff mit Seitenschiffen aufzutreten scheint. Wie aller Innenbau, spricht sich auch dieser durch eine geschmückte Fa ç ade aus, freilich kein eigentliches Portal, wie in den gothischen Domen, sondern nur aus den vordersten Pfeilerreihen und einem friesartigen Wandschmucke bestehend. Wo diese Fa ç ade nicht ist (wie in den meisten Buddha-Tempeln), kann eigentlich auch von keinem Innenbau die Rede sein, denn ohne alles Aeußere kann man auch nicht von einem Innern sprechen; man nähme denn die umgebende Felswand mit unscheinbarer Oeffnung als die das Ganze umfassende Mauer, die der Künstler von der Natur wie von einem frühern rohen Künstler überkam: eine Auffassung, wodurch dann auch jener Satz §. 278, 2. , daß überall im Orient das Innere unverhältnißmäßig klein sei, auf diese Grotten seine Anwendung findet. Aber jene Vorbildung einer Baukunst, welche die antike Säulenhalle in den umschlossenen Raum hereinnimmt, verbindet sich nun ohne alles feste Gesetz auch mit einem Außenbau, der als Keim des Classischen erscheinen kann. Es wird nämlich nicht blos eine Höhle in den Fels gehauen, sondern auch wieder nach oben gearbeitet, die Felsen- decke weggenommen, so ein großer freier Hof gebildet, in dessen Mitte ein Fels stehen gelassen, zum Sanctuarium mit Nebenkapellen ausgearbeitet und im Fels rings um den Hof eine Pfeilerreihe so ausgemeisselt, daß er wie das vorspringende griechische Tempeldach über sie überhängt. So namentlich die prachtvolle Kailasa zu Ellora. Nun ist das Innere wieder zu einem Aeußern umgestülpt und es verhält sich wie mit jenen primitiven Thieren, die man gleich einem Handschuh umkehren kann, ohne daß sie Schaden leiden. Eigentlich war freilich schon der Höhlentempel relativ ein Außenbau, denn in ihm stand ein Sanctuarium, zu dem sich der übrige Raum, der als Ganzes doch ein Innenbau war, als Aeußeres verhielt. Man sieht schon hier die zu §. 578 bemerkte dialektische Schwierigkeit des Begriffs von Innen- und Außenbau. Dieser Hofbau steht nun aber durch eine seltsame Nabelschnur mit dem Höhlenbau in Zusammenhang, indem ausgesparte Brücken von dem freistehenden Tempel zu Grotten- tempeln führen, die in Stockwerken übereinander in den umgebenden Fels gemeisselt sind. — Ganz incunabelartig ist namentlich der Pfeiler, von dem man eben nicht weiß, ob man ihn Säule nennen soll. Die Haupt- form unter seinen wechselnden Bildungen ist diese: er beginnt von unten mit einem Würfel, der bedeutend höher, als breit ist; aus ihm entwindet sich ein ungleich kürzerer, verjüngt anlaufender, nach unten meist ausge- bauchter, cannelirter Schaft, der durch einen aus mehreren Ringen be- stehenden Hals in das Kapitell übergeht, das aus einem überstark aus- quellenden gedrückten Pfühl gebildet ist; der Decke ist es durch eine Platte verbunden, an die sich zwei consolenartige Ansätze schließen, auf welchen jene vermittelst eines architrav-artigen Streifens ruht, der im Keime das griechische Gebälke zeigt. Dieser Säulenpfeiler stellt denn den Druck einer ungeheuern Last dar, welche, von der überall niedrigen Decke ausgeübt, das Kapitell zu jener Breite ausquetscht, so daß das Band, das um seinen mit Streifen verzierten Kreis läuft, als ein Ring erscheint, der es dem Drucke gegenüber zusammenhalten muß, und welche zugleich dem kurzen Schafte nicht erlaubt, aus dem Untersatze entwunden frei hinanzusteigen. Wie in dieser gedrückten Form die Säulentheile unentwickelt im Keime da sind, so kommt auch der Pilaster schon vor: an jenen Außenbauten die Gesimse der Stockwerke tragend im Aeußern, in den Grottentempeln den Pfeilern entsprechend an den Wänden; unter den Gliedern glaubt man außer den vorherrschenden Wülsten auch jene andern einfachen Hauptformen (§. 572), welche nachher die classische Baukunst ausgebildet hat, auftauchen zu sehen, aber jede feste Gestalt verschwimmt wieder im bunten Wechsel, der in eine Ornamentenfülle wuchernd ausschlägt, in welcher nun auch spätere Formen entwickelter Kunst, selbst der Spitzbogen, anklingen, aber Alles in der- selben unbestimmbaren Buntheit, und dazu kommen nun die Thier- und Menschengestalten, tragend, mit Wand und Pfeiler verwachsen, frazzen- haft, den traumartigen Eindruck vollendend. Wesentlich ist, daß auch die Dachung der freistehenden Bauten keine Regel hat, sondern bald flach, bald kuppelförmig ist. Dieser Formenwechsel ist nun, wie geistig durch die phantastische Stimmung, so äußerlich durch dieselbe Abhängigkeit vom Material bedingt, aus welcher das Schwanken im Grundplane zu erklären ist, eine Abhängigkeit, die, wie eben der Stein sich hemmend oder zum Spiel auffordernd darbietet, ebensosehr Willkühr ist, vergl. Anm. zu §. 562, 1. Der Schluß-Eindruck, wie er schon zu §. 578 als be- sonders bezeichnender Zug der orientalischen Art, das Wesen der Gottheit als ein verborgenes anzudeuten, hervorgehoben wurde, ist der des traum- haften Dunkels. In der Nacht dieser Höhlentempel, im Schooß der Erde wird das Gemüth mit dämmernden Gefühlen, mit scheuer, schauriger Ahnung des dunkeln Urgrunds aller Dinge, der aus finsterer Tiefe des Absoluten arbeitenden, zeugenden Urkraft erfüllt. Die Seele wird nicht frei, wie die niedrige Decke auf den schweren Pfeilern lastet bang auf ihr das brütende Geheimniß einer unerforschlichen Weltordnung, die den Einzelkräften keine klare, lichte Entfaltung gönnt. §. 581. Dagegen gestaltet sich aus der Kegelform des Grabhügels ein Bau, der bald als Grab, bald als Tempel erscheint und durch das Mißverhältniß des Aeußern zum Innern einseitiger Außenbau , in seiner Richtung einseitiger Hochbau und darin zugleich Bau der einseitigen Kraft ist. Derselbe tritt vor- züglich bei den westasiatischen Völkern auf, gliedert sich als viereckiger, terrassenförmig verjüngt aufsteigender Thurm, verbindet sich vorzüglich bei den Persern mit einem reichen Palastbau, dessen schlanke Säulen aber ebenfalls die einseitige Höherichtung ausdrücken, umschlingt in Indien als Pagode seine Form mit ausschweifender Ornamentik und vereinfacht sich in Aegypten zur krystallischen Keilform der Pyramide. Nirgends tritt der Uebergang zwischen der Bedeutung der abgeschie- denen und der absoluten Person stärker hervor, als hier. Es ist nichts einfacher, als daß über dem Grabe großer Verstorbener eine gewaltige Erhöhung errichtet wird, welche ihr Andenken weithin in die Lande ver- kündigt und selbst das denkbar einfachste Bild der Erhabenheit, der auf- gerichteten Kraft ist, durch die der Todte im Leben sich ausgezeichnet. Solche Hügel, in Kegelform, ursprünglich und theilweise auch später blos aus Erde aufgeworfen, sind in Nord- und Süd-Amerika, wie in Asien und Europa verbreitet. Nun plattet man die Spitze des Kegels ab und opfert auf dieser Höhe: den Manen des Todten oder dem Gotte, der ihn zu sich erhoben hat, dieß geht ineinander über, da eben der Tod selbst den Uebergang in das allgemeine Leben, die Rückauflösung in das Ganze ist, in welcher die Vorstellung das aufgelöste Einzelleben oder das Ge- sammtleben fixiren oder unklar beide zusammenfassen kann. So schwanken die Nachrichten über den Belusthurm zu Babylon, ob er ein Tempel oder Grabmal eines Königs Belus gewesen, und er war vielleicht beides, da im untern Gelasse der Coloß „Jupiters“ (nach Herodot), im obern jenes Ruhebett des Belus stand. Der entwickelte Tempelbau depotenzirt übrigens, wie schon erwähnt ist, auch diese Form wieder zum bloßen Grabmal. Der einfache kegelförmige Erdaufwurf mußte nun, wenn er jene höhere Bedeutung erhalten und zur herrschenden Tempelform werden sollte, aller- dings erst eine künstlerische Gliederung gewinnen. Er nimmt zunächst die Form des viereckigen, verjüngt aufsteigenden Terrassenbaus an, die wir auch in Nordamerika sehen; diese Form wird zu einem aus Werksteinen frei ge- fügten, an der Oberfläche künstlerisch bearbeiteten Werke selbst in Mexiko, wo wir sie unter dem Namen Taocalli (Gotteshaus) finden. Die Terrassen sind zum Theil schon hier wieder ausgefüllt, die Oberfläche verschieden geschmückt, Prachttreppen führen hinan. Das oberste Stockwerk trägt nun in Mexiko gewöhnlich ein kleines Tempelhaus und ebenso war dieß ohne Zweifel in Niniveh, das ähnliche Thurmbauten gehabt haben muß, wie der aus acht ungeheuern Absätzen aufsteigende Belusthurm in Babylon. Dieser Bau gehört nämlich vorherrschend den Assyrern an und theilt sich von ihnen den Persern mit. Das Grabmal des Cyrus im alten Pasargada hat dieselbe Form und trägt auf seinem sechsten Absatze ein kleines Tempelhaus. Die Form der Bedachung dieses Hauses, die selbst in Mexiko auftritt, werden wir später in’s Auge fassen. Hier ist vor Allem die durchgängige Kleinheit dieses Hauses im Verhältniß zu dem ungeheuern Stufenbau hervorzuheben: sie bezeichnet zunächst diesen Bau als einseitigen Außenbau und dadurch ebensogut wie der bloße Innenbau des Grottentempels das verborgene Wesen des Gottes oder Geistes, der im obern Heiligthum des Belusthurms gar keine Bildsäule hatte, während ebenda das Tempelgemach im untersten Geschoße mit der Bildsäule des Gottes auch noch in keinem Verhältniß zur Größe des Ganzen stand. Dieser Hochbau ist aber ebensosehr bloßer Kraftb au; die Stockwerke tragen einander in Wirklichkeit, aber alle zusammen scheinen einer unge- heuern Last entgegenzustreben, die nicht oder in unverhältnißmäßiger Klein- heit da ist, das Streben athmet sich vielmehr in der Verjüngung des Keils von selbst, ohne Widerstand aus. Säulen treten nicht auf, denn es ist nichts zu tragen, es wäre denn richtig, daß die kleinen obern Tempel- häuser in Niniveh und Babylon Anten-Tempel mit zwei Säulen waren, was aber nicht zum Wesen dieses Baus als eines Ganzen gehört. Man kann ohne Widerspruch mit der Ableitung dieser Form aus dem Tumulus die Auffassung Sempers (die vier Elemente der Baukunst S. 70 ff.) ver- binden, welcher den Thurm als Mittelpunct eines ganzen Terrassensystems anschaut, dessen einzelne Absätze oder Etagen (denn in den Stockwerken nimmt er durchgängig Wohnungen an) den Knechten und Untersaßen, dem Fremdenverkehr, lagernden Caravannen, Bazar, Staatsgeschäften, Unter- richt, Gymnastik dienten, worauf höher der öffentliche Palast des Herrschers (Audienz- und Gerichtshof), dann sein Privatpavillon folgt und endlich erst die hohe, ebenfalls terrassirte Pyramide mit dem „Grabmal des Stamm- herrn, der dem unterjochten Volk zum Gott aufgedrungen ward“: das Ganze ein Ausdruck des erobernden Satrapendespotismus, eine lagerartige Gruppirung, ein Bild des Subordinationsprinzips. Der Begriff der auf- ragenden Kraft steigert sich in dieser Auffassung zu dem einer systematisch dargestellten kriegerischen Despotenkraft. Mit dem Terrassensysteme ver- bindet sich nun allerdings ein reicher Palast-Styl, in Persien, wie die Reste von Tschil-Minar zeigen, in einer Mäßigung und künstlerischen Durch- führung des Einzelnen, welche sich weit über den mit Alabasterplatten getäfelten, im Wesentlichen jedenfalls säulenlosen Ziegelbau Assyriens er- erhebt. Man sieht, daß hier die Fortschritte nicht am (Grab-)Tempel, sondern, dem realen persischen Geist (§. 431, 2. ) entsprechend, am Palaste geschehen. Der Säulen-getragene Saal spielt eine Hauptrolle. Die Säule hat den Schaft zur Freiheit entwickelt und zwar in vollem Gegensatz gegen Indien: er ist nicht nur cannelirt, geschwellt, verjüngt, sondern steigt sehr schlank zu bedeutender Höhe auf, wodurch ein Ausdruck des Ueber- gewichts der Kraft über die Last auch hier sich geltend macht. Basis und Kapitell ist entwickelt; an jener entspricht die große fallende Welle unter dem Pfühle mit Riemen, der schon an das Griechische erinnert, nicht dem starken Drucke, der an dieser Stelle stattfindet, diese Form ist leicht, ge- hört mehr dem Gefäß an, bezeichnet aber ebenfalls den Charakter des lastlos Aufsteigenden; das Kapitell ist noch phantastisch mit voll ausge- ladenen Pferden und Stieren oder einem seltsamen, vierfach gerollten Ornamentkörper geschmückt, von dessen Verwandtschaft mit einer griechischen Form die Rede sein wird; das Gebälk an der Fa ç ade der Höhlengräber nähert sich jedenfalls dem jonischen. Reicher polychromischer und plastischer Schmuck zierte diese assyrisch-persische Baukunst. — In Indien treffen wir nun, umgeben von einem Complexe von Reinigungsteichen, Säulengängen, Hallen für die Wallfahrer, Priesterwohnungen, kleineren Tempeln u. s. w., ebenfalls die Stufenpyramide unter dem Namen Pagode (Bhaguwati, d. h. heiliges Haus). Hier wird nicht mehr der Fels bearbeitet, sondern aus Werksteinen frei gefügt. Die Pagode ist Tempel, eines ihrer, nicht großen, Gemächer enthält das Götterbild. Was auch hier an spätere (gothische) Formen entwickelter Baukunst keimartig gemahnt, ist der Uebergang vom Viereck in das Achteck (das aber durch weitere Entkantung als Sechszehn- Eck erscheint), überhaupt der Drang zu einer Brechung des Massenhaften, der jedoch in indischer Weise als krause Ueberladung und Verschüttung der Grundform erscheint: die Uebergänge der Terrassen sind mit gewölb- förmigen Uebergängen ausgefüllt, dazwischen treten kleine Kuppeln her- vor; überall Pilaster, Nischen mit geschweiften Bekrönungen, reichen Ge- simsen, Thier- und Menschengestalten; das Ganze schließt kuppelartig, aber dieser schließende Körper blüht selbst wieder in eine seltsame fächer- oder pfauenschweif-artige Form aus. — In Aegypten dagegen ist es, wo dieser Hochbau, wie der Höhlenbau, sich wieder auf die Bestim- mung des Grab-Denkmals beschränkt, denn ein Tempelbau ganz an- derer Art hat sich ausgebildet, und die Sage, daß die Pyramiden von gottlosen Königen herrühren, beweist eine starke priesterliche Op- position gegen diesen militärisch-despotischen Kraftbau (vgl. Semper a. a. O. S. 86). Die Absätze werden ausgefüllt, mit reich bearbeiteten Steintafeln überkleidet und es erscheint die viereckige Keilform der eigentlichen Pyramide. Das Mißverhältniß des Kerns zu der großen, nun fast ungegliederten, soliden Schaale drängt sich doppelt stark auf. Sieht man diese einfache Form näher an und erwägt, was schon zu §. 564, 1. über ihren ästhetischen Charakter gesagt ist, so eröffnet sich ein eigenthümlicher Blick: sie scheint bestimmt, nicht etwas für sich zu sein, sondern ein Theil, und zwar ein abschließender, d. h., mit weniger Veränderung, ein Dach. Dieß gilt dann von diesem Hochbau in allen seinen Formen in der Art, daß man meint, einen der Absätze der Ter- rassenbauten in der Form gedeckt und abgeschlossen sehen zu müssen, welche die Grundlinie des ganzen Terrassen-Baus ist: der Pyramidalform. Das ist nun aber wirklich geschehen in jenen Grab- und Tempelhäusern, die auf der Höhe der Teocalli, auf dem Denkmal des Cyrus stehen und wohl auch auf den assyrischen Thürmen standen. Auf diesem Puncte werden wir die Sache bei den Griechen wieder auffassen. — Uebrigens hat sich auch der pyramidale Bau als Grabdenkmal bei allen alten Völkern erhalten, wie der Höhlenbau. Bei den Griechen und Römern gliedern sich die so gestalteten Grabmäler wieder stufenförmig, gehen aber im Grundriß auf die Kegelform zurück, d. h. sie sind rund; man denke an die Gruppe abgestumpfter Kegel in Albano (Monument der Curiatier), an das Grabmal Augusts und Hadrians in Rom, des He- phästion in Babylon, das Mausoleum in Halikarnaß. §. 582. 1. Der ägyptische Geist bewährt sich als streng messender (vergl. §. 432), indem er die widerstandslos in die Höhe strebende Form in einen fest an der Erde gelagerten Langbau (§. 565) umwandelt, in welchem zugleich durch die Gestalt der Säule und des Gebälks ein organisches Verhältniß zwischen Kraft und Last einzutreten beginnt, der aber dadurch einseitiger Langbau ist, daß in dem platten Dache der zusammenfassende Abschluß der schrägen Linie ausbleibt, welche dafür als pyramidaler Nachklang in der Richtung der 2. Mauern auftritt. Auch die Glieder werden einfach und klar. Indem dieser Bau die Gemeinde in seine vorbereitenden, Mauer-umschlossenen Theile, aber nicht in sein Innerstes, das Heiligthum des verborgenen Gottes, aufnimmt, erscheint er als unentschiedener Außenbau . Jene Theile: Sphinx-Alleen mit Vorthoren, große Portale mit Flügelgebäuden, vielsäulige Vorhallen, weitere Vorräume, in’s Unbestimmte wiederholbar und dehnbar und dadurch allerdings Ausdruck des fortdauernden Ungemessenen im Gemessenen, stehen in solchem Mißverhältniß zu der kleinen und dunkeln Tempelzelle, daß der Grundcharakter des Ganzen der des Empfangens, der Annäherung, der unbefriedigten Er- wartung ist. 1. Im ägyptischen Tempel ist der thurmartige Hochbau völlig nieder- geschlagen und zu der beruhigenden Form des klaren Oblongums, das sich bestimmt an den festen Boden der Erde hinlegt, umgewandelt. Dieses Oblongum ist allerdings nicht im eigentlichen Tempelhaus zu suchen, son- dern in einer Anreihung verschiedener Räume, die zum zweiten Theile des §. näher zu erläutern ist. Verschwunden sind aber nicht nur die ge- häuften Terrassen-Würfel, in welchen der assyrisch-persische Bau sich erhob, sondern auch die Zusammenneigung zweier schrägen Linien zu einer Spitze, die seiner pyramidalen Gestalt zu Grunde lag und in der eigentlichen Pyramide zu Tage tritt, wird in dem Sinne nicht verwendet, daß sie zu der abschließenden Giebelform des Daches sich umbildete. Durch die flache Deckung (wo es sich überhaupt von gedeckten Theilen handelt), so- wie durch die ausgedehnte Reihe der Vorräume, von welcher zu 2. die Rede sein wird, ist nun dieser Bau zu sehr Langbau; also auch hier wieder einseitiges Hervortreten einer der in §. 565 aufgeführten Rich- tungen. Dagegen hat sich ein Rest des Pyramidalen in der schrägen Neigung der Thore und der Seitenflächen aller Mauern erhalten; diese Richtung hat sich von der geraden senkrechten noch nicht getrennt, um sich über ihren wagrechten Abschluß als höhere Zusammenfassung zu legen, sondern ist noch unreif mit ihr verwachsen, denn die Mauer ist nach der innern Seite senkrecht. Wo nun der Mauer die freistehende Stütze vor- gestellt ist, um einen Säulen-Umgang zu bilden, oder wo sie die Decke eines auch nach oben ganz geschlossenen Raumes trägt, ist dagegen ein weiterer Schritt an die Schwelle organisch reifer Baukunst gethan: die drückende Last, die in Indien den Pfeiler nicht wahrhaft zur Säule werden läßt, das Auffahren in die Höhe, das in Persien auch der tra- genden Säule zu schlanke Verhältnisse läßt, ist verschwunden, Gleichge- wicht von Kraft und Last bis nahe zur Vollkommenheit entwickelt. Die ägyptische Säule sondert sich klar in die durch die Natur der Sache be- dingte Dreiheit der Gliederung; nur erscheinen an jedem Theile derselben Eigenheiten, die auf die Unreife zurückweisen: die runde Form der Fuß- Platte ist nicht das richtige Glied für die Vermittlung mit der Sohle des Baus, der verjüngte, in angemessenem Höhenmaaß aufsteigende Schaft hat häufig über dem Plinthus eine seiner Bedeutung widersprechende Ein- ziehung, ist theils convex, theils concav, aber seicht cannelirt, hat neben senkrecht laufenden Pflanzen-Ornamenten auch horizontale bandartige oder hieroglyphisches Bildwerk darstellende, die seiner Bewegung widersprechen. Neben der als offener Lotoskelch oder Palmblätter-Krater motivirten Welle des Kapitells, die sich über einer Anzahl von Ringen erhebt, tritt eine nach unten statt nach oben ausgeschwellte, also den Druck der Last am falschen Puncte darstellende Knospenform auf, auch Kapitelle mit Isis- Masken sind nicht selten; statt der Platte erhebt sich über dem Kapitell ein Würfel, zu schmal, um eine richtige Vermittlung mit dem wagrecht überliegenden Balken darzustellen; dieser kommt so hoch zu liegen, daß die quer übergelegten Deckenbalken nicht über ihn treten können, sondern ihre Köpfe hinter ihm tiefer auf dem Würfel aufsitzen: damit fällt der schöne mittlere Theil weg, den wir im dreigliedrigen griechischen Gebälke finden werden, und es erhebt sich über dem mit einem Rundstabe ge- säumten Hauptbalken sogleich das Kranzgesimse, das sich, da es nichts weiter zu tragen und nicht vor Regen zu schützen hat, nur als große Hohlkehle mit einem Leisten darüber darstellt. Hiemit sind zugleich die wenigen, einfachen Glieder genannt, zu denen sich das wuchernde indische Formenspiel zusammengezogen hat. Das scharfe Abgrenzen drückt sich auch darin aus, daß die senkrechten Kanten des ganzen Baus ebenfalls mit Rundstäben eingefaßt sind. Reicher Sculptur- und Farbenschmuck bedeckt alle Flächen, hat aber, da Giebel und Fries fehlen, nicht die natürlich sich ergebenden Hauptstellen zu besonderer, reicher Concentrirung gefunden. 2. Neben der klaren Messung, welche demnach die Einzelformen nunmehr beherrscht und vereinfacht, drängt sich in der Anlage des Ganzen auch hier noch die orientalische Ungemessenheit hervor. Der ägyptische Tempelbau ist nicht eigentlich ein „Einschachtelungs System“ (Kugler), sondern ein unbestimmtes fadenartiges Anreihungssystem von lauter Vor- räumen; nur wenn man von dieser Längen-Richtung absieht, bietet sich das Bild der Einschachtelung dar: Schaale auf Schaale, Zwiebelhaut auf Zwiebelhaut und schließlich — kein Kern, eine taube Nuß, d. h. am Ende der langen Anlage, umgeben von Priesterwohnungen, Archiven, Gehegen für die heiligen Thiere u. dergl. ein verhältnißmäßig sehr klei- nes, monolithes, dunkles, nur dem Priester zugängliches, selten auch nur ein Götterbild umschließendes Heiligthum. Daß dieser taube Kern nicht in der Mitte, sondern am Ende einer langen Reihe von Vorräumen liegt, ist freilich gerade das Wesentliche. Diese Räume sind eine große Zeile für ungeheure Wallfahrten. Lauter Thor, lauter Empfangen, Erwarten, Annähern und keine Ankunft, lauter Schwelle, ungelöstes Räthsel, genau entsprechend der Bedeutung der ägyptischen Phantasie, s. §. 432, 2. Die Prozession wird zuerst von einer mit colossalen Sphinx- und Widder-Reihen eingefaßten Straße (Dromos) empfangen; einfache Vorthore, eines oder auch mehrere, fassen dazwischen die Wallfahrer wieder enger zusammen, um sie wieder freier zu entlassen; am Schlusse dieser Allee werden sie von einem Prachtthore mit zwei hohen thurm- artigen Flügel-Gebäuden (Pylonen), davor Obelisken und Colosse stehen, empfangen und treten durch die Pforte in der Mitte, an deren Hohlkehle das geheimnißvolle Symbol des geflügelten Globus angebracht ist. Es folgt ein großer, unbedeckter Vorhof, dessen Umfassungs-Mauer mit Säulen umstellt ist; man kann ihn mit dem Prachtthor als einen Pro- pyläenbau bezeichnen und einen häufig vorkommenden zweiten Vorhof, dem wieder Pylonen vorgesetzt sind und der dieselbe Gestalt hat, zur Unterscheidung von ihm Pronaos nennen, doch nur, wenn der sogleich zu nennende weitere Raum fehlt, was aber bei bedeutenderen Anlagen nie der Fall ist; das Schwanken der Bezeichnungen ist übrigens tief in der Natur dieser Anlagen begründet. Der weitere Raum, auf den wir so eben hingewiesen, ist nun die Vorhalle : ein bedeckter, nur durch kleine Oeffnungen beleuchteter vielsäuliger Saal (Oikos hypostylos oder polystylos), vom Vorhofe aus durch eine Pforte zu betreten, denn er ist nach dieser Seite zwar durch keine Wand, aber in den Zwischenweiten der Säulen durch Brüstungen geschlossen. Die Formen der Säulen in diesem dunkel majestätischen, ahnungsvoll spannenden Raume pflegen nach Reihen abzuwechseln, auch ist die mittlere höher: eine perspectivisch ma- lerische Neigung (vergl. Schnaase a. a. O. S. 402), die merkwürdig auf das Mittelalter hinweist. Eigentlich wäre denn dieser Raum der Pronaos, wenn auf ihn unmittelbar das Heiligthum folgte, aber dazwischen treten nun noch weitere Räume: nämlich abermals eine, zuweilen vorhofähn- liche, zuweilen ein weiteres hypostyles Gemach darstellende Vorhalle, dann ein oder zwei Vorsäle ohne Säulen, und dann erst das Heiligthum. Wenden wir nun auf diese Anlage den Begriff des Innen- oder Außen- baus an, so scheint sie zunächst jenes, ist es auch in gewissem Sinne, denn ganz durch eine Mauer eingefaßt, die andächtige Menge in ihre Räume aufnehmend, schließt sie sich gegen das Aeußere ab und verkün- digt ihre innere Schönheit nur durch die Fa ç ade der Pylonen. So ist das orientalische, griechische, römische Wohnhaus ja ein Innenbau, weil es alle seine Gemächer nach innen um einen Hof umherlegt, wo sich alle architektonische Schönheit versammelt. Ueberdieß ist die bedeckte vielsäulige Halle ein Haupttheil; dieser aber ist eben ganz Innenbau, er erinnert auch durch die höhere Säulenreihe der Mitte an die gothische Kirche. Allein dieß Alles ist ja nicht das Heiligthum selbst, die in diesen Vor- räumen andächtig versammelte Gemeinde ist nicht im Tempel, kann und darf nicht in dieß unverhältnißmäßig kleine Allerheiligste eintreten, sie ist draußen. Also fast lauter Aeußeres mit wenig Innerem; dieß Aeußere ist aber nicht das umgezogene Gewand, in dessen Formen das Innere sich nach außen ausdrückt, es ist nicht umgelegt, sondern vorgelegt, neben das Innere gesondert hingestellt, dem oberflächlich gegliederten Thiere gleich, das seinen Magen an einem fadenartigen Darm nachschleppt. Dieß nennen wir unentschiedenen Außenbau. Was übrigens das Unge- messene betrifft, so ist es auch in der obigen Darstellung eines unbe- stimmten Anreihungssystems noch nicht erschöpft: Sphinx-Alleen, Vorhöfe können auch ganz fehlen, zwischen zwei Vorhöfe noch ein schmälerer, alleenartiger sich fügen (wie im Tempel von Luxor), die Alleen und Vorhöfe stehen auch, ein weiterer Ausdruck der Zusammenhangslosigkeit, nicht nothwendig in gerader Linie. 2. Die griechische Baukunst . §. 583. 1. Die griechische Phantasie (vgl. §. 434—441) macht zugleich mit der Sym- bolik der falschen Selbständigkeit der Baukunst, dem Colossalen, dem Schwanken zwischen Gemessenem und Ungemessenem, ebenso der Einseitigkeit in Beziehung auf die Hauptrichtungen und Gegensätze, die zugleich Unentschiedenheit war, ein Ende, und errichtet dem lichten Gotte sein mäßig großes, schön erhabenes 2. Haus. Diese Erzeugung des Schönen ist zugleich organische Umbildung der orientalischen Elemente: der hohe Terrassenbau wird zu einem Unterbau von wenigen Stufen herabgesetzt, die pyramidale Linie tritt als Giebeldach ab- schließend über den, ebendarum nicht mehr einseitigen, Langbau der vier- eckigen Tempelhalle, der Säulenhof wird, während die Prachtthare gesondert vor den Hauptbau treten, von ihr als seinem Centrum an sich gezogen. Dieß Säulenhaus mit Vor- und Hinterhalle ist ein klarer, aber nicht einseitiger Außenbau . 1. Man vergl. die Darstellung der griechischen Phantasie, um die geistigen Bedingungen, aus denen dieser Bau hervorgegangen, sich zum lebendigen Bilde zu erheben. Durch die „Degradation“ (Hegel) des blos Symbolischen wird auch die Baukunst dem falsch Symbolischen entzogen und auf die Symbolik, welche begriffsmäßig ihre Bestimmung ist (§. 561), beschränkt. Damit ist auch die klare Trennung in ein Inneres und Aeus- seres, der freie Zweckdienst der Baukunst (§. 555) da. Wir werden sehen, wie dadurch die Verwirrung der Begriffe von Innen- und Außenbau geschlichtet wird. Die Klarheit dieser Scheidung ist zugleich reine Ein- führung des Qualitativen in das Quantitative: der Tempel soll durch seine Form, nicht durch seine Masse wirken, er wird mäßig groß; 200′ äußere Länge, 90′ Breite, 50′ Höhe ausschließlich des Giebels ist das ungefähre Maaß der größeren Tempel. Innerhalb des Erhabenen ist dieser Bau durch die Reinheit der Messung, welche alles Ungemessene aufzehrt, ruhig schön. Der Gott ist Person geworden, schöner Mensch; das orientalische Dunkel ist in der Durchbildung des Symbols zum My- thus erleuchtet. Ihm, dem klar gegenwärtigen, soll sein klares Haus errichtet werden. Nirgends im Orient hat der Tempel diese Bedeu- tung in ihrer Einfachheit gehabt: die Bedeutung des Hinantretens, der Versammlung der Gemeinde, die nun aber doch nicht im eigentlichen Heiligthum war, überwog in der architektonischen Darstellung immer das Sanctuarium und dieses war ein Schlupfwinkel für den Gott, häufig so, daß er selbst hier nicht zu finden war. 2. Die griechische Kunst steht auf den Schultern der orientalischen, sie ist eine freie, schöpferische, organische Umbildung derselben, setzt sie zur Vorstufe, zum bloßen Stoff herab. Wie weit dieß so zu verstehen sei, daß die Griechen selbst mit orientalischen Formen begannen, wieweit so, daß die Uebergangsstufen auf den Vermittlungswegen, namentlich in Kleinasien (auch Phönizien mag dabei gerade in der Baukunst wichtiger gewe- sen sein, als wir wissen) sich ausbildeten, wieweit so, daß solche Uebergangsfor- men überhaupt nicht anzunehmen sind, sondern der griechische Geist mit Einem Wurf das ihm bekannte Bild vorclassischer Kunst umschuf, darauf können wir hier nicht eingehen. Der griechische Tempelbau erscheint nach allen Seiten als eine solche organische Umbildung. Sein auf starken Stufen sich erhebender Unterbau ist der schon in Persien bedeutend gemäßigte assyrisch-ägyptische Terrassenthurm, degradirt, eingeschmolzen zur großen, den Bau wie ein Anathema hinanhaltenden Tafel (vgl. Bötticher a. a. O. B. I, S. 123); die Stufen sind nicht zum Steigen, dieser Zweck erfor- derte kleinere Zwischenstufen; daraus erhellt deutlich jene Reminiscenz oder vielmehr Umbildung einer vorausgehenden unorganisch massenhaften Form. Jenes kleine Haus, das auf dem Cyrus-Grabmal und wohl auf allen assyrisch-persischen Stufenthürmen (wie auf den mexikanischen Teocalli) stand, ist, wie es soll, in der entsprechenden Größe zur Hauptsache gewor- den; sehen wir, mit dem Bilde des griechischen Tempels in der Phan- tasie, einen solchen Stufenthurm an, so meinen wir, wir müssen ihn von oben zusammendrücken, damit die Träger, die Stufen, nicht mehr in diesem Mißverhältniß aufgebäumter Größe zum Getragenen, dem Tempelhaus, stehen. Der einseitige Hochbau hat hiemit aufgehört. Aber darum ist nicht der einseitige ägyptische Langbau eingetreten, denn das Oblongum des Tempelhauses ist nicht platt gedeckt, sondern jenes aus der Zusammen- neigung zweier schräger Linien gebildete Dach, das als zuspitzende Wieder- holung der pyramidalen Bewegung des ganzen Terrassenbaus sich über das mehrmals erwähnte kleine Haus, das er trug, breitete, gibt jetzt der Decke den Abschluß, der ihr im ägyptischen Tempel in so störender Weise mangelt. Die Pyramide ist, wie sie soll, ein bloßes Moment geworden. Aber dieses Dach ist nicht Walmdach wie an den Teocalli Mexiko’s, son- dern hat die Form angenommen, die sich auch in Persien, bei dem Cyrus- Grabmal, findet: es ist Giebeldach, hat also die reichere Symmetrie zwei verschiedener Seitenpaare, deren eines das Vorn- und Hinten, das andere die Nebenseiten darstellt. Zugleich aber geschieht der weitere Hauptschritt einer neuen Organisation: das Tempelhaus wird zum Magnet, an den jene Theile anschießen, die in Indien den freistehenden Tempel äußerlich Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 19 getrennt umgeben, in Aegypten dem Sekos vorausgehen, ihn an ihr Ende drücken: der Säulenhof des geöffneten Felstempels, die säulenumstellten Vorhöfe, die säulengestützte Vorhalle rücken an die Cella als ihren Mittelpunct an, werden wahre Vorhalle ( templum in antis mit vorgestellten Säulen, Prostylos) und Hinterhalle (Amphiprostylos) und endlich Säulenhalle, die um das ganze Haus läuft, dessen vorspringendes Dach die Säulenreihe als integrirendes Glied in die Einheit des Ganzen begreift (Peripteros, mit doppelter Säulenreihe Dipteros). Das Rudiment dieser concentrirten Form findet sich jedoch bereits in einer abweichenden Tempelgattung Aegyptens, den sogenannten Typhonien. Hier hat das Haus die Gestalt des länglichen Vierecks und eine Säulenreihe umher, aber an den Ecken nicht Säulen, sondern Pfeiler, d. h. Mauerstücke, Reste der Mauer; die Säulen sind ferner mit einer Mauerbrüstung bis zur hal- ben Höhe des Stammes miteinander verbunden und die Intercolumnien an Vor- und Rückseite weiter, als auf den Langseiten. Also ein großer, wesentlicher Schritt schon in Aegypten, der aber nur halb verstanden, voll- zogen ist und den Griechen das volle Verdienst des Verständnisses und der Vollendung läßt, die so gut als eine Schöpfung ist. Daß auch in Griechenland die Zwischenräume der Säulen durch Gitter, selbst niedrige Mauern gesperrt waren (s. Bötticher a. a. O. B. II, S. 76) hat hier nur den Zweck, die Bildsäulen, Weihgeschenke zu sichern, und ist nicht Ausdruck eines unüberwindlichen Zugs der Abschließung, Heimlichkeit wie dort. — Nun wurde aber von den Griechen die hohe Bedeutung eines würdigen Vorbereitens auf das Heiligthum selbst nicht verkannt; die For- men, die ihr entsprechen, sollten nur nicht die Einheit des Ganzen stören: ein Prachtthor mit Säulenhalle trat daher als Propyläon an den Ein- gang in den Peribolos, den heiligen Bezirk, und einfache Hallen, Stoen zogen sich in Art von Höfen umher (vergl. §. 576). Nunmehr hat auch die Unklarheit über Innen- und Außenbau ein Ende. Angesichts dieses Tempels mit seiner einladenden, heitern Säulenhalle, dessen Inneres dem Volke zwar nicht unzugänglich, jedoch keineswegs für die Versamm- lung der Gemeinde bestimmt ist, wo vielmehr vor der Bildsäule des Gottes nur der Priester auf dem kleineren Altar die unblutigen Opfer verrichtet, während die großen Brandopfer außen vor dem Pronaos auf dem größern Altare vollzogen werden, stellt sich nun der einfache Satz fest: ein Außenbau ist der Tempel, der nicht sein Inneres so organisirt, daß darin die Bestimmung ausgedrückt ist, die Gemeinde zum Gottesdienst in sich aufzunehmen, sondern das Bild der Herrlichkeit des Gottes dem von außen herantretenden Menschen objectiv hinstellt. Das Hauptmoment der Organisation des Innern für jenen Zweck ist die Säule als das Mittel der Raumöffnung für die versammelte Menge; der griechische Tempel kehrt sie nach außen. In Indien bestimmte uns die Anlegung der Pfeiler-Reihen in den Grottentempeln zu der Bezeichnung: Innen- bau; war aber diese Bezeichnung schon darum wieder zweifelhaft, weil in diesem Innern selbst wieder ein Sanctuarium war, so schlug in den offenen Felsbauten mit einem Hofe, um welchen Pfeiler-Stellungen, in den Fels gehauen, liefen, der ganze Bau in einen die Gemeinde in das Außen verweisenden, also einen Außenbau um. In Aegypten bestimmte uns die Aufstellung und Anreihung der Säulenumstellten und Säulen- getragenen Räume innerhalb einer Mauer zu der Bezeichnung eines zweifelhaften Außenbaus, denn in das Innere eingelassen blieb das Volk wieder außen, das Heiligthum selbst war ihm unzugänglich. Jetzt nun haben wir einen klaren Begriff, um die Bezeichnung Außenbau unzweifelhaft aufzunehmen. Dieser Außenbau ist aber nicht einseitig; der orientalische Bau hörte nicht auf, einseitig zu sein, weil er zwischen zwei Gegensätzen schwankte, vielmehr schwankte er gerade, weil er einseitig war; am griechischen dagegen bewährt sich, was §. 565 sagt, daß die entwickelte Kunst jene Gegensätze nicht abstract, sondern nur mit mäßigem Ueber- gewichte des einen oder andern Moments ausbildet; man weiß, woran man ist, und doch ist man durch keine Ausschließlichkeit gebannt. Denn das Innere ist, obwohl nicht für größere Versammlung bestimmt, doch nicht verschlossen, es ist zugänglich, die Herrlichkeit des lichten, nicht ver- borgenen Gottes darf jeder Reine sehen. Die Säulenhalle verkündigt nicht, lädt nicht ein, um zu täuschen, die Nuß ist nicht taub. Weil in der Objectivität des griechischen Geistes der Gott ganz Gestalt geworden ist, bedarf es neben der Bildsäule keines, in demselben Raume vorzunehmen- den, weitläufigen, subjectiven Gottesdienstes; das Innere ist aber ausge- bildet, ein würdiges, zum Schauen bestimmtes, reichgeschmücktes Gemach für den Gott, und die Vorhalle concentrirt noch einmal den Geist des Schauenden zur Sammlung, ehe er eintritt. Ein Rest orientalischer Ver- borgenheit stellt sich allerdings in dem Dunkel der Tempelzellen dar, die nur durch die offenen Metopen des altdorischen Baus oder auch durch Fenster an den Wänden (über beides vergl. Bötticher a. a. O. B. I, S. 160. Bd. II, S. 9) mangelhaftes Licht erhielten. Das schönere Götterbild fordert aber volles Licht und nun wird das Dach durchschnitten, eine Säulenreihe, auch eine zweite, die eine Galerie bildet, darüber um- gibt diesen offenen innern Raum vor dem Götterbilde: hypäthrischer Tempel (in die doch wohl gegen L. Roß entschiedene Debatte darüber können wir nicht eintreten). Der Bau wird jedoch auch dadurch kein Innenbau; denn auch das so nach oben geöffnete Innere ist kein Raum für die andächtig versammelte Gemeinde; es ist ein inneres Aeußeres, ein wiederholtes Aeußeres wie in der Anlage des Wohnhauses, die durch 19* ihren Hofraum, das Peristyl, im Innern nur so zu sagen die Straße oder die Agora in sich hereinnimmt. Im eigentlichen Innenbau muß das Innere reich und weit entwickelt und zugleich bedeckt sein. §. 584. Der maaßvoll objective, im Realen befriedigte und doch von ethischem Schwung bewegte Geist spricht sich in dem Verhältniß der Länge-Richtung zur Höhe-Richtung so aus, daß das Ganze, vorherrschend von jener bestimmt und an der Erde hingelagert, zugleich schwungvoll emporstrebt, dieses Streben auf’s Neue in der Länge-Richtung beruhigt, dann noch einmal kürzer wiederholt, hierauf abermals durch die wagrechte Linie theilt und endlich durch die geneigte abschließt. Das klar beschlossene Gleichgewicht von Kraft und Last , das dieser Gliederung zu Grunde liegt und sich als reine Entwicklung und Lösung des Contrasts darstellt, findet seinen vollen ästhetischen Ausdruck in der nun vollendeten Kunstgestalt der Säule und des Gebälks mit dem Dache. In diesem Organismus, sowie in der schönen Nothwendigkeit der Glieder und alles Ornaments , beurkundet sich die Phantasie des messenden Sehens als eine vom plastischen Geiste beherrschte (§. 439); diese Verwandtschaft ist aber keine verworrene Mischung, vielmehr sind der unterscheidenden Thätigkeit des letzteren die Stellen angewiesen, wo das Ganze seinen innern Reich- thum naturgemäß am vollsten ansammelt: Giebelfeld, Metopen, Cella-Fries. Endlich überkleidet der malerische Sinn alle Flächen und Formen mit einer reichen Farben-Harmonie. Der griechische Geist ist ethisch ohne Bruch mit der Natur (vergl. §. 349. 425. 438). So bleibt denn auch sein Bau fest an der mütterlichen Erde, fährt nicht ruhelos auf wie der eigensinnige, heftige Kraftbau der Assyxer. Er ist demgemäß länger, als hoch, aber es fehlt ihm nicht die feurige Energie des Emporstrebens, nur daß sie wieder von dem Geiste der Lagerung, der horizontalen Linie der Nothwendigkeit be- ruhigt wird, bis sie in der mittleren zwischen der senkrechten und wag- rechten Linie, der zusammengeneigten schrägen ausathmet. Es ist dieß zunächst ein klarer Dreischlag, der aber zu einem Fünfschlage wird, wenn man die Theile mitzählt, in welche die auf das Emporstreben folgende, im Gebälke dargestellte Längerichtung sich unterscheidet: der erste Taktschlag ist das Aufstreben: die Säule; der Unterbau, von dem sie aufstrebt, stellt die Längerichtung, die das Ganze charakterisirt, noch nicht in der Selb- ständigkeit dar, um besonders gerechnet zu werden; der zweite der Archi- trav, der nun die Längerichtung wiederholend zugleich in der durchgreifen- den Form eines ausdrücklichen, künstlerisch hervorgehobenen Moments darstellt; der dritte die Triglyphe, als Stütze des Kranzgesimses die auf- steigende Richtung kurz wiederholend; der vierte das vorspringende Kranz- gesimse, deckend, schützend vor dem Regen, Dachsparrentragend, noch ein- mal horizontal durchschneidend; der fünfte der Abschluß der Bewegung im Dache. Diesen Formen liegt nun structiv das reinste Gleichgewicht von Kraft und Last zu Grunde; hier haben wir jene Ueberwindung der Schwere innerhalb ihrer selbst (§. 557) in der ersten, einfachen Form ihrer Vollkommenheit: es ist noch nicht ein Hinübergreifen von Kraft und Last ineinander, sondern ein voller Gegenschlag, der aber durch die volle Befriedigung der Gegensätze mit voller Ruhe endet. Am strengsten stellt sich dieß im altdorischen Bau dar, wo alle Last auf die Säulen- Axen zurückgeworfen wird, indem über dem Kapitelle der Stoß des frei- schwebend tragenden Architravs, auf diesem nach hinten die Stirn des ebenfalls schwebenden, die Deckplatten tragenden Deckenbalkens, nach vornen die Triglyphe aufliegt, die das Kranz- (Trauf-) Gesimse und mit ihm das Dach trägt. Ein Theil dieser rein beschlossenen Wechselwirkung löst sich durch die spätere Aufstellung einer weiteren Triglyphe auf dem zwischen den Säulen übergespannten Theile des Architravs, noch bestimm- ter im jonischen Bau wieder auf. Diese reine Abrechnung zwischen den fungirenden Massentheilen, diese klare Lösung von Contrasten liegt nun bereits in der Kernform, aber schon in ihrer allgemeinen Hervorhebung mußte die decorative Charakteristik derselben mitberührt werden. Die letztere, wie sie in den Formen der Säule, des Gebälks mit seinen drei Theilen: Architrav, Fries, Traufgesims, des Dachs entwickelt ist, muß jedoch auch ausdrücklich gewürdigt werden. Hiefür können wir uns aber auf §. 572 berufen, wo das Wesentliche schon vorgebracht ist, auch kommen wir im Folgenden noch einmal darauf zurück; daher hier nur einige Be- merkungen. An Fuß, Schaft, Capitell der Säule sind die unpassenden Formen, die in Aegypten neben den der organischen Kunstgestalt nahen noch auftreten, beseitigt und jene einfachen, eben in §. 572 aufgeführten Bildungen und Glieder entwickelt. Auch das vorlaufende Mauerende der Vor- und Hinterhalle ist im Antentempel mit säulenähnlichen Motiven zum Pfeiler ausgebildet. Die Platte (Plinthus), niedriger gebildet, ragt jetzt über das Kapitell hervor und stellt dadurch nicht nur eine klare Vor- ankündigung der wiedereintretenden Längerichtung dar, macht jener fatalen Lücke, die der ägyptische Bau an dieser Stelle zeigt, ein Ende, son- dern gibt auch der Ausbildung des Frieses Raum, indem der Deckenbalken nicht mehr in gleicher Höhe mit dem Architrav auf dem Plinthus auf- liegt, sondern auf dem ersteren. Die Frage über die Herkunft aus dem Holzbau, die an dieser Stelle aufzunehmen wäre, überlassen wir der Kunstgeschichte und gestehen nur, daß die dagegen vorgebrachten Gründe uns nicht völlig überzeugen. Der Würde des Steinbaus verschlägt ohne- dieß die freie Beibehaltung einer solchen Reminiscenz als künstlerischen Motivs ebensowenig, als die Aufnahme von Motiven eines Prachtzeltes, wie man sie an andern Theilen der Gliederung nachzuweisen sucht. Die Triglyphe, die Stütze des Kranzgesimses, ist als kurze Wiederholung des aufstrebend Tragenden in der Säule mit jenen dem Pflanzenstengel ent- nommenen Schlitzen gefurcht. Das Kranzgesimse namentlich führt uns auf die eigentlichen Glieder, die wir ebenfalls aus §. 572 kennen. Der ägyptische Styl hat ihre wuchernde Ueberfülle eingeschränkt, aber bis zur Armuth. Im griechischen Bau ist die Armuth wieder zu wohl gemessener Fülle entwickelt und jedes einzelne Glied hat innere Nothwendigkeit; es symbolisirt frei, aber mit der bezeichnendsten Form, die denkbar ist, die structive Function. So umsäumen reich und doch sparsam die Glieder alle Theilungen des Gebäudes, lassen nichts nackt und stoffartig. Statt weiteren Eingehens heben wir nur hervor, daß die Welle jetzt nicht mehr als kelchförmiges Kapitell, sondern, den Druck des lastenden Dachs zu charakterisiren, namentlich am Traufgesimse auftritt und daß die senk- recht einfassenden Rundstäbe verschwunden sind, weil die äußersten Enden des Baus nicht einer letzten Zierde bedürftige Mauern, sondern Säulen sind. Die Glieder nun blühen durch gewisse eingeritzte und bemalte oder wirklich geschnitzte Formen, die zum Theil ihr ursprüngliches Motiv dar- stellen, zum Theil sich nur als entsprechendster Anklang nachträglich an- legen (vergl. §. 572 Anm.), in das Ornament hinüber: es sind Blumen, Blätter, Zeichnungen von Gewirktem, Geflochtenem u. dgl. Um den or- ganischen Schönheitssinn der Griechen ins Licht zu setzen, fügen wir zu den Bemerkungen jenes §. nur noch hinzu, wie naturgemäß der Abakus des Kranz- und Giebel-Gesimses mit dem Ornamente der Wasserwoge, die Kymatien mit Blumen (Anthemien) und überfallenden Blättern, die horizontalen Platten und Bänder mit Mäander-Tänien (kopfschmuck-artigen Wirkereien), Perlenschnüren, an ihrer Unterseite mit starken geflochtenen Gurtbändern verziert sind. In diesen Ornamenten findet denn Bötticher die künstlerische Reminiscenz der Zeltdecke; Sempers Erklärung aller Ornamentirung der Verschlüsse aus der ursprünglichen Kunst der Matten- flechter und Teppichwirker ist schon zu §. 573 angeführt. Die innere Decke soll durch den Schmuck eines Sternes auf den einzelnen Deckplatten an das Himmelsgewölbe erinnern: der ideale Raum wiederholt in sich auch das Bild des Himmels im natürlichen. Das Dach zieren die aufgeschlagenen, Blumen darstellenden Stirn- und Firstziegel, die wasserausspeienden Löwen- köpfe, den Giebel die Akroterien (große Blumen, Greife u. dgl.), welche das letzte Ausathmen der Höhe-Richtung versinnlichen. Die Löwenköpfe gehören als thierische Formen schon in das Feld der eigentlichen Plastik. Diese hat sich in Indien, in Persien (Säulenkapitelle), in Aegypten (Pfeilerstatuen wie in Indien, Uebersäung der Wände mit Reliefs, Mas- kenkapitelle) mit der Baukunst unreif vermischt. Sieht man nun den griechischen Bau an, so bestätigt sich zunächst an seinem Charakter im Ganzen, daß die griechische Phantasie eine auf das tastende Sehen (Plastik) gestellte war. Der plastische Geist macht sich hier innerhalb des messenden (bauenden) in dem reinen Organismus des Ganzen geltend; es ist gegliedert, aber ruhig gegliedert ohne perspectivische Gruppenwir- kungen, ohne malerische, subjective Bewegtheit. Fernher und leise klingt das Bild des organischen Leibes an (vergl. §. 558). Ebendeßwegen aber, weil das Plastische als bloßer Geist, nicht in seiner eigentlichen Thätigkeit in das Architektonische ruhig eingeströmt ist, vermischt es jene nicht mehr in verworrener Weise mit diesem. Karyatiden, Telamonen sind selten und treten als bewußtes, freies Spiel in herrlicher Behandlung auf. Die Plastik zieht sich von Kapitellen, Wänden zurück und findet ihren gesonderten, begrenzten Ansammlungspunct in den Verschlußtafeln der früheren Oeffnungen zwischen den Triglyphen, den Metopen, am Friese der Cella und den Giebelfeldern, diesen würdevollen Stirnen des Dachbaus, deren Ehre dem Tempel und dem Hause der gefeiertsten Sterblichen vorbehalten war. — Von dem Alles überziehenden Farben- schmuck ist zu §. 573 die Rede gewesen. §. 585. Der griechische Baustyl entwickelt sich geschichtlich (vergl. §. 531) zunächst in zwei Hauptformen, die aber auch gleichzeitig fortbestehen; der streng gebun- denen, männlich starken dorischen und der weiblich weicheren jonischen , die das Einzelne zu selbständigerer Freiheit entläßt und feiner durchbildet. Der spätere, reiche Styl erzeugt aus einer Verbindung dieser Formen eine dritte, die er mit einem an Aegypten erinnernden Zusatze von Pracht umgibt: die korinthische . Zu den drei Hauptstadien, die nach §. 531 aller Styl in seinen Entwicklungsstufen durchläuft, verhalten sich die Baustyle so, daß die beiden dort zuerst aufgestellten: strenger, harter und hoher oder erhaben schöner Styl in der Baukunst noch das Dorische in sich begreift, das sich in eine härtere Form, die altdorische (mit den stämmigeren Säulen u. s. w.), und in die gemilderte der perikleischen Zeit unterscheidet; was in §. 531 einfach schön, reizend, rührend heißt, gilt vom jonischen, und das zuletzt genannte, dort als ein Uebergang der letzteren Stylform bezeichnete Sta- dium der Prachtliebe u. s. w. gilt, nur nicht in dem schon bestimmt tadelnden Sinne, vom korinthischen Styl. In der ohne Platte und Fuß aus dem Stylobat sich erhebenden, enger gestellten, stärkeren, niedrigeren, mit breiteren, nur einen dünnen Grad übrig lassenden Cannelen gefurchten Säule mit dem Wulst und dem starken Abakus (Plinthus, Platte), in dem streng gebundenen, obwohl später verlassenen Verhältniß der Triglyphe zur Säulen-Axe, zum Deckbalken, zum Traufgesimse zeigt sich der sub- stantielle, den Einzelnen streng an das Ganze bindende, in altgediegener Sitte unbeweglich verharrende, männlich starke dorische Geist. Die jonische Säule dagegen spricht schon durch ihre Stellung auf einer besondern Platte und den über ihr herausquellenden, sich wieder einziehenden und wieder ausquellenden Fuß (die schönere, attische Basis) aus, daß die tragende, Raumöffnende Stütze, entsprechend dem leichteren, beweglich fortschreiten- den, demokratischen jonischen Geist, mehr Individuum für sich ist. Eben dieser Sinn liegt in der weiteren Säulenstellung, dem höheren, schlankeren, weniger geschwellten und verjüngten, zwischen seinen tieferen und schmäle- ren Cannelen einen Steg aussparenden, also dem Körper mehr Raum lassenden und ihn daneben schärfer anspannenden Schafte. Das Kapitell zeigt die feinere, reichere Durchbildung im Perlenstabe, der an die Stelle der Ringe tritt, und zugleich die freie Entlassung, vollere Verwirklichung des Einzelnen in der plastischen Ausschnitzung der überfallenden Blätter an dem zarteren Echinus (Wulst), die dem derberen dorischen nur auf- gemalt sind. Was nun die vielgedeuteten Voluten betrifft, so besteht für uns kein Zweifel, daß sie unter jene Motive gehören, welche die Griechen vom Morgenland entlehnt und mit ihrem edlen organischen Sinn umge- bildet haben. Die Ammoniten waren in Aegypten und sind noch jetzt in Indien Gegenstände hoher Heilighaltung; diese versteinerten Zeugen einer untergegangenen Thierwelt erschienen eben, weil die entsprechende Form sich nicht mehr fand und man von der Bildungsgeschichte des Planeten mit ihren früheren Thiergeschlechtern nichts wußte, als ein Wunderbares, Göttliches; sie wurden wegen ihrer Aehnlichkeit mit dem Widderhorn als Lebensspur eines widderhäuptigen Gottes angesehen; das heilige Symbol eignete sich um seiner schönen Windung willen zum Ornament und so sehen wir es in verschiedenen Stellungen an den Säulen auf einem assy- rischen Relief und an persischen Säulen. Die griechische Behandlung dieses Motivs nun läßt sich ungesucht mit dem allgemeinen Motive der runden Glieder zusammenfassen: der Ursprung, die symbolische Bedeutung wurde vergessen, in freier architektonischer Umbildung wurde die Schnecken- windung einfach wie eine verstärkte Wirkung der, einen als ursprünglich weich fingirten Stoff seitlich herauspressenden Last dargestellt und die vier Windungen an den Nebenseiten in den sogenannten Polstern in anmuthi- gem Spiele zusammengefaßt. Es ist eigentlich die aufgelegte Platte (vgl. Hettner Vorsch. d. bild. Kunst d. Alten S. 75 ff.), welche auf den Seiten stark ausladend, da sie an dem dünneren Schafte keinen Stütz- punct hat, in dieser Weise der Umbildung eines orientalischen Motivs so behandelt wird, daß sie vom Drucke des Architravs nicht blos eine Aus- schwellung zu erleiden, sondern sich schneckenförmig in sich einzurollen ge- nöthigt scheint; schlank aufgeschossen fährt die dünn gedeckte Säule bei dichtem Zusammenstoße gleichsam zurück und windet sich an den Seiten in sich selbst ein. Die noch vorhandene Platte, die dennoch als Vermitt- lung mit dem Balken nicht fehlen darf, erscheint nun als ein abgeblätter- tes Stück dieses Körpers um so viel schmäler und daher widerstandsloser, so daß ihr die Last im Profil noch eine Wellenform aufdrückt. Diese Wirkungen muß das Gebälke ausüben, obwohl es der schlankeren Stützen- form entsprechend nothwendig leichter ist, als das dorische. Der Haupt- balken (Architrav) theilt sich in drei Platten oder Streifen, die Triglyphen fallen mit jenem gebundenen dorischen Verhältniß weg, der glatte Fries wird durch Ornament, Bildwerk geschmückt, das mehrfach abgestufte, leich- ter gehaltene Kranzgesimse beginnt von unten mit den (persischen?) Zahn- schnitten. — Der reiche korinthische Styl nun erscheint in Base, Schaft, Weite der Säulenstellung, Gebälke (nur statt der Zahnschnitte Kragsteine, mutuli ) dem jonischen gleich; das Kapitell aber ist offenbar zunächst ein Rückgang von der dorischen Umbildung des ägyptischen Kelchkapitells in einen Wulst zu der ursprünglichen ägyptischen Form. Dieses Kapitell war in Aegypten gewöhnlich ein weit ausladender, oft aber auch über- höhter schlanker, an die Palme erinnernder Krater; zur letzteren Form kehrt der korinthische Styl zurück, umlegt aber den Krater statt mit pal- menartigen, mit Akanthusblättern, die im Geiste der Durchbildung des Einzelnen, welche statt des blos Aufgemalten nun ein noch volleres kör- perliches Heraustreten verlangt, als schon der jonische Styl, plastisch profilirt sind, und läßt unter der wieder etwas stärkeren, an den vier Ecken ausgebogenen Platte vier Rollen heraustreten, welche zwischen den jonischen (nun polsterlosen) Voluten und Pflanzenranken ungewiß spielend in der Mitte schweben. Das Prachtvollere wendet sich zu orientalischem Glanze zurück. Sehr interessant stellt sich nun eine doppelte Spur orien- talischen Einflusses heraus: die jonische Säule weist nach Assyrien und Persien, die dorische ist rein griechische Umgestaltung des ägyptischen Wellen- Capitells, die korinthische erscheint als bestimmtere Aufnahme einer ägyp- tischen Form. 3. Die römische Baukunst . §. 586. 1. Die römische Baukunst nimmt gemäß dem Geiste der Nation (vergl. §. 442 ff.) von den Griechen den reichen korinthischen Styl auf, erhöht im Sinne des Colossalen und Pompösen seine Verhältnisse und steigert seine Pracht. 2. Eigen ist ihr und bezeichnet ebensosehr die umspannende Macht des erobernden Volks, als seinen praktischen Charakter, die Wölbung : ein fruchtbares Prinzip, das auch nach verschiedenen Seiten, insbesondere als kuppelbedeckter Rundbau (vergl. §. 565), ausgebildet wird, ohne daß doch die wahren Ergebnisse desselben zur Entwicklung gelangen; vielmehr wird die Wölbung unorganisch mit den 3. griechischen Formen zusammengestellt. Der praktische Beruf äußert sich zugleich durch reiche und großartige Schöpfungen im Gebiete der Einzelzwecke des per- sönlichen und öffentlichen Lebens (vergl. §. 575. 576). 1. Wir übergehen den etrurisch-römischen Architravbau mit der soge- nannten toscanischen Säule und führen den zur Kaiserzeit aus Griechenland aufgenommenen korinthischen Styl als das eine Moment der römischen Baukunst auf. Neigte dieser Styl an sich schon zu orientalischer Pracht, so liegt nun in der römischen Richtung auf das Colossale und Pompöse ursprünglich auch etwas an den Orient Gemahnendes, das eben darum jene Ausbildungsstufe des Griechischen sich vor allen andern aneignete. Die römische Prachtliebe ist aber mit dem schon an sich Prächtigen dieses Styls nicht zufrieden; das korinthische Kapitell erhält zu den Akanthus- blättern die jonischen Voluten in ihrer ganzen Größe, ja Adler- und Genien- Gestalten treten aus jenen hervor, der Stamm bedeckt sich mit Ornament oder bleibt mit Abwerfung der Cannelen ganz glatt, um Granit und farbigen Marmor in seinem Glanze zu zeigen. Die Verhältnisse werden namentlich in der Höherichtung in’s Colossale getrieben, so daß zwischen der Höhe der Säule und der Tiefe der Halle, der Länge der Architrave in den Zwischenweiten ein Widerspruch entsteht, da die Marmorblöcke in solcher Größe nicht beizuschaffen waren, um Ueberspannungen von ent- sprechender Breite und Länge auszuführen. Die weitere Häufung der Formen zeigt sich erst in der Verbindung des griechischen Styls mit dem Gewölbe. 2. Die Kunst, durch Fügung von Steinen, die im Keilschnitte be- arbeitet sind, zu wölben, tritt in vereinzelten Erscheinungen schon im Orient hervor, selbst die Griechen scheinen von den entfernteren Ansätzen in cyklopischen Thoren und dann in den runden Tholen, nach gewissen Spuren zu schließen, bis zur eigentlichen Wölbung vorgedrungen zu sein, ihre Erfinder aber sind diejenigen zu nennen, welche den unendlichen Vor- theil, den diese Kunst gewährt, zuerst verstanden, benützt und sie demge- mäß im Großen und bleibend angewandt haben; dieß sind die Etrusker und von ihnen haben sie die Römer. Jener Vortheil besteht, wie schon zu §. 562 gesagt ist, in der Freiheit von der zufälligen Vorfindung und Brechung des Materials und daraus folgt sogleich der entscheidende Einfluß, den diese Kunst auf die Bildung der Decke (vergl. 562, 1 . 563), hiemit auf die Linienverbindungen (vergl. §. 564), den Contrast und die Art seiner Lösung (vergl. 568. 569) haben muß. Durch die sich selbst tragende Spannung des Gewölbes kann nämlich ohne Nachhilfe einer Zwischenstütze eine Breite und Länge überdeckt werden, so groß sie immer der praktische und ästhetische Bauzweck fordern mag; es kommt nur darauf an, dem Gewölbe ein Auflager zu geben, das dem senkrechten Drucke desselben und der neuen nun eintretenden Wirkung der Last, dem Seitenschube , wider- steht. Nimmt man aber die Zwischenstütze hinzu und organisirt mehrere Gewölbe nebeneinander, so vermag man jeden Raum zu überspannen, ohne doch die Bögen in’s Uebergroße zu steigern; ein neues Gliederungs- gesetz, eine Quelle von Schönheiten in allen Momenten der Composition ist gewonnen; die Freiheit in der Ueberspannung beliebig großer Räume ist zugleich Freiheit in der Form des Grundplans; Rundbau, Viereck, Verbindung von Vierecken zur Gestalt des Kreuzes, Verbindung von Rund- und Viereck-Bau: jedes Schema kann durch dieses Mittel über- deckt werden und die technische Möglichkeit wird eben zum Motive reicher neuer Schönheits-Entwicklung. Die Römer haben nun die Wölbung in verschiedenen Formen ausgebildet: als einfachen Arkadenbogen, als Tonnen- gewölbe für sich und in Verbindung mit diesem, als Nische (eine zur reicheren Decoration der Wand bei ihnen sehr beliebte Form), als Rotunde mit Kuppel, als Kreuzgewölbe, d. h. als Durcheinanderschiebung oder Kreuzung zweier Tonnengewölbe. Sie haben sogar bereits die stetig wirkende Last eines Kuppel-Gewölbes dadurch zu theilen gewußt, daß sie es in Gurtbögen gliederten, zwischen denen die übrige Füllung nun aus einem leichten Verschluß bestehen konnte (so Minerva Medica vergl. Leibnitz D. struct. Element in d. Archit. S. 41); nur treten freilich die Gurtbögen nicht als Glieder hervor, sondern bleiben versteckt und dadurch ein Schritt von der größten Wichtigkeit, den wir bei der christ- lichen Baukunst wieder aufzufassen haben, unentwickelt. Vergleichen wir nun unter diesen verschiedenen Gewölbformen den kuppelbedeckten Rundbau mit dem Kreuzgewölbe, so erscheint er, so imposant er auch, namentlich im Pantheon, auftritt, doch neben diesem, in welchem ein an sich schon zum Ausdrucke der Mannigfaltigkeit getheiltes Rundes mit dem Viereck sich verbindet, einförmig, als unterschiedslose Einheit, und bewährt sich also, was schon zu §. 565 von ihm gesagt ist. Es erscheint hiemit wieder eine einseitige Richtung, welche in der weiteren Geschichte sich mit ihren Gegen- sätzen versöhnen soll; eine Einseitigkeit, die dießmal allerdings nicht in einer unreifen, sondern einer reifen Kunst auftritt, dafür aber auch selbst in dieser vereinzelt (außer dem Pantheon in Vesta-Tempeln) und in andern Formen vermittelt (eben im Kreuzgewölbe und in jener Gurtbogen- Kuppel), nur noch nicht in wahrhaft concreter Durchbildung, noch nicht so, daß die vermitteltere Form weiterhin angewandt wird und sich als Styl festsetzt. Da nun aber bei den Römern die Gliederung des Runden noch nicht wahrhaft entwickelt ist, so dürfen wir gerade in der einfachen kuppelbedeckten Rotunde ein treues Bild der weltgeschichtlichen Bedeutung dieses Volks suchen, den Ausdruck der übergreifenden Weltmacht, die sich mit demselben Geiste der Klugheit und Kraft über die Völker her- spannt, mit welchem sie in der technischen Praxis ein so wichtiges Gesetz entdeckt. Wir haben dieß schon zu §. 557, 2 . beispielsweise angedeutet; zu dem, was zu §. 564, 2 . über die runde Linie gesagt ist, verhält sich diese Auffassung ungesucht als nähere, geschichtliche Anwendung. Es fehlt aber dem römischen Gewölbebau noch an einem andern wesentlichen Mo- mente. Die freistehende Stütze nämlich erhält in ihrer Verbindung mit dem Gewölbe eine neue Aufgabe; sie soll nicht nur dem senkrechten Drucke, sondern auch dem Seitenschube widerstreben. Diese neue Function fordert statt der Säule den Pfeiler. Der Pfeiler aber soll diese structive Leistung in einer neuen Kunstform aussprechen und es leuchtet ein, daß eine neue, schöne Form der Vermittlung entstehen wird, wenn diese gegliederte Ge- stalt des Pfeilers sich zugleich mit der concreten Durchgliederung des Ge- wölbs, deren Rudiment in jenen Gurtbögen auftritt, verbindet. Auf diesem Puncte aber versagt den Römern die Erfindungskraft. Sie wissen den Pfeiler nicht zu gliedern; wo sie das Gewölbe nicht auf die Wand setzen, belassen sie ihn als rohes Mauerstück und da irgend eine Kunstform doch hinzutreten soll, so stellen sie die ganze Säule, als mittragend an den Pfeilern im Kreuzgewölbe, als ganz unthätig vor den Arkadenbogen. Hier tritt denn über ganzen oder Halbsäulen zugleich ein Gebälke oberhalb des Bogens hervor und so verbindet sich der Architrav- und Säulenbau als reine, nicht fungirende Blend-Architektur mit dem Gewölbebau; die wirk- liche Form bleibt noch, die Kunstform ist bloßer Schein, man „schämt sich“ der ersteren (Hübsch a. a. O. S. 48). Das Organische, das sich entwickeln soll, wird allerdings eine Verbindung von Säule und Pfeiler sein, aber keine äußerliche, todte, sondern eine innige, bewegte, lebendige. Die unorganische Vermischung von zwei grundverschiedenen Stylen tritt nun aber auch im Großen auf, indem Tempel, die mit einem Tonnen- gewölbe überdeckt sind, horizontal abgeglichen und mit einer Säulenhalle ganz im griechischen Style umgeben werden, indem ferner vor die Rotunde ein Säulen-Porticus mit Gebälk und Giebel tritt. 3. Die ungemeine Fruchtbarkeit und Großartigkeit der Römer in nicht religiösen Bauten ist schon in der Aufführung der Zweige §. 575. 576 mehrfach angedeutet. Wir weisen noch einmal besonders auf die Wasser- leitungen, Brücken, Befestigungen, Lager, Triumphbögen, Grabdenkmale, Amphitheater (Colosseum) hin. Unter den öffentlichen Bauten für be- stimmte politische Thätigkeiten ist von besonderer Wichtigkeit die Basilika, die wir sofort in neuem Zusammenhang aufzunehmen haben. Durch das Kaiserthum tritt als umfassender Prachtbau der Palast wieder in seine Bedeutung. Die Privatwohnungen werden reicher, die Nothwendigkeit treibt zugleich in die Höhe: der mehrstöckige Bau, der für die moderne Zeit sich wieder festsetzen mußte, wird eingeführt. Auch in der ungemeinen Solidität ihres Baues, in der Tüchtigkeit und Nettigkeit der Fügung zeigt sich der praktische Charakter der Römer. β . Die Baukunst des Mittelalters . 1. Vorstufe . §. 587. Die romantische Phantasie des Mittelalters (§. 447 — 458) ergreift in ihrem noch an das objective Ideal des Alterthums anknüpfenden Beginne (vergl. §. 460) zunächst, namentlich im weströmischen Reiche, für den christlichen Gottes- dienst den einzigen Innenbau , den die classische Baukunst darbot, die Basilika: einen Langbau mit innerer Säulenstellung, der zugleich durch die Erhöhung und besondere Deckung der Mittelhalle ein Streben zu gegliederter Höhe- richtung andeutet. In diese zu Grund gelegte Form wird durch das Ver- hältniß der Säulenhalle zur Apsis und die Art der innern Verzierung die per- spectivische Wirkung, durch den Zutritt des Querschiffs die reichere Symme- trie eingeführt. Die runde Linie verbindet sich nur erst in untergeordneter Weise mit der geraden. Der angefügte Vorhof wird wieder aufgegeben und weicht der bloßen Vorhalle, welche zunächst allein die Einseitigkeit eines bloßen Innenbaus ergänzt. Die dem Geist aufgegangene innere Unendlichkeit fordert für den Gott, der nun in dem engeren Sinn offenbar ist, daß er als inneres Leben dem Bewußtsein inwohnt, einen Tempel, in welchem die Gemeinde sich versammelt, in deren Andacht eben der Gott gegenwärtig ist. Wie nun die Kunst-Anfänge dieser Phantasie überall an die Formen der antiken Kunst anknüpfen, so auch hier. Daß das eigene Bedürfniß des neuen Gottesdienstes die Form, von welcher nun zu sprechen ist, auch ohne Vorbild erzeugen konnte (vergl. Zestermann d. antiken und die christl. Basiliken), unterliegt keinem Zweifel, aber wenn einmal in der heidnisch- römischen Basilika die Grundform für die christliche so klar vorliegt, ist auch kein Grund da, die Annahme eines wirklichen Ausgangs dieser von jener zu verwerfen. Die antike Basilika war von dem Bedürfniß erzeugt, einen bedeckten Raum für Handel, Börse, Lustwandeln und später zugleich für Rechtspflege zu besitzen. Wir kennen die vielen Hallen, Stoen, Porticus der Alten (§. 575). Persien hatte säulengetragene Säle in seinen Königspalästen, der ägyptische Tempel sein vielsäuliges Vorhaus. Diese Form eines gegliederten Innenbaus war vom Occidente vergessen; jenes Bedürfniß sollte sie in bestimmterer Gestalt neu erzeugen und so führte es denn auf den Gedanken, vier Hallen, zu einem länglichen Viereck zusammengeschlossen, oben zu decken. Man hatte nun einen dop- pelten innern Raum: den breiteren in der Mitte der an den vier Seiten ganz umlaufenden Säulenreihe und den Umgang um dieselbe, der sich namentlich zu Buden, Läden, überhaupt Handelsgeschäften darbot. Dieser hatte gewöhnlich zwei Stockwerke, das obere namentlich für Solche, die lustwandeln oder den Gerichtsverhandlungen im Mittelraume zuhören wollten. Ein rings abfallendes Dach deckte diesen Umgang. Nun aber konnte nicht dasselbe Dach den Mittelraum decken, denn diesem verschafften die Fenster, welche den umlaufenden Porticus erhellten, nicht hinreichendes Licht. Daher mußte derselbe mit einer neuen, Licht einlassenden Erhöhung, die nun ihr eigenes Dach erhielt, über dieses Dach aufsteigen. Nimmt man mit Zestermann an, daß es gar keine gewölbten Basiliken gab, was aber unwahrscheinlich ist, so bleiben nur die zwei Formen übrig: entweder erhob sich über dem Gebälke der ersten Säulenreihe, die den Mittelraum und die umlaufende Halle trennte, eine zweite für das zweite Stockwerk dieser Halle, die das Dach dieses Seitenraums trug, und zugleich eine dritte Stellung von Säulen, Pilastern oder nur eine Mauer als Umfassung des erhöhten Mittelschiffs, worüber dann das Dach desselben sich legte; oder aber es stiegen sehr hohe Säulen von unten bis unter dieses letztere Dach, an welche sich als Träger für das untere Stockwerk und das Dach der Seitenhalle niedrigere Pilaster anlegten. Das Licht für den Mittelraum fiel bei der zweiten Form durch die Zwischenweiten dieser hohen Säulen, bei der ersten durch die Zwischenweiten jener dritten Säulen- oder Pilaster- Reihe oder, wenn es eine Mauer war, durch Fenster. Wir haben also außer der neuen Form eines Innenbaus auch ein Streben in die Höhe und zwar in der gegliederten Weise eines Aufsteigens in zwei Ab- sätzen von verschiedener Breite, deren jeder seine eigene Bedachung hat. In der christlichen Basilika nun sehen wir diesen Bau auf folgenden Puncten weiter entwickelt. Die Säulen, in zwei oder vier Reihen ein breiteres Mittelschiff von zwei oder vier Seitenschiffen abgrenzend, laufen nicht mehr im Viereck um, sondern gehen der Länge nach ganz durch und führen den Blick nach dem Altar hin, der am Ende des Mittelschiffs (Hauptschiffs) steht. Nun ist die Frage, ob schon der römischen Basilika für den Sitz des Richters an ihrem Ende eine halbkreisrunde Nische, die Apsis, concha, tribunal (im christlichen Sprachgebrauch: Tribuna) angebaut war; dieser Theil erhält jedenfalls in der christlichen Basilika als Sitz für die Kleriker, vor welchem der Altar steht, eine so bestimmte neue Bedeutung, daß wir uns bei der Erörterung jener Frage hier nicht aufzuhalten haben; denn dahin, nach diesem geheiligten Raume (Sanctuarium), wo der Altar steht und hinter ihm im Halbkreise die Verwalter des göttlichen Geheimnisses sitzen, ist jetzt perspectivisch der Blick gelenkt: das Schiff erscheint als „die geöffnete Bahn zum Tische des Herrn“ (Schnaase a. a. O. B. III, S. 144); es ist dieß bereits ein Empfindungszug , der, dem Alterthum fremd, nun in die Baukunst eintritt und ihr einen malerischen Charakter gibt (vergl. §. 458). Eine später aufgegebene Anordnung, das Herein- rücken des Raums für die Kleriker in das Hauptschiff durch das mit Schranken umschlossene Presbyterium, fassen wir hier nicht näher in’s Auge; in der ausgebildeten Form gehört das ganze Schiff der Gemeinde. Das größere Raumbedürfniß war es zunächst, was dem oblongen Raume das Querschiff anfügte, das nun mit zwei Armen über das Langschiff hervorzutreten begann und zwar nicht, wie man meint, die Form des lateinischen Kreuzes mit Absicht nachbildete, wohl aber jene reichere Form der Symmetrie (§. 570) einführte, worin die Längsrichtung in eine Be- wegung nach zwei Seiten sich verästet. Die durchlaufende Mauer des Querschiffs, in dessen Mitte nun der Altar stand und das wie ein eigenes Haus für ihn erschien, mußte sich nach dem Langhaus hin öffnen und nach dem Mittelschiff desselben geschah dieß durch einen hohen Bogen, dem sogenannten Triumphbogen. Die Säulen der Schiffe trugen die höhere Mauer des Mittelschiffs anfangs als geradlinig (architravisch) übergelegte Last, dann aber mittelst Arkadenbögen. In diesen, sowie im Triumphbogen, in der Tribune und den Fenstern haben wir vorerst den einzigen Ein- tritt der runden Linie als Halbkreis, denn die Deckung war ursprünglich flach und casettirt, nachher sprach ein offener Dachstuhl den primitiven Charakter dieses urchristlichen Tempels aus. Jene Arkadenbögen aber verstärkten durch ihre Bewegung von Säule zu Säule den hinleitenden, einladenden per- spectivischen Eindruck. Dazu trat der Schmuck. Dieses Ganze nämlich mit seinen antiken Säulen, plastisch unverzierten Flächen, in Beziehung auf die Kunstform (im engeren Sinn) außer den Reminiscenzen und wirklichen Bruchstücken, die es vom classischen Bau herübernimmt, einfach bis zum Rohen, umgibt sich doch mit malerischer Zierde: buntem Mar- mor, Mosaikfußböden und Mosaikbildern, Goldgrund. Die Gegenstände der Bilder nun vollenden den perspectivisch hinleitenden Charakter, denn an der Mauerfläche über den Säulen liebt man Scenen, welche die Kämpfe der ersten Kirche und ihre Vorbereitung im Alten Testament darstellen, am Triumphbogen die mystischen Allegorien des Evangeliums, der durch Gottes Wort erquickten Seele, Christus als Lamm u. dgl., während die Altarnische die wirkliche menschliche Gestalt des Erlösers in riesigen Ver- hältnissen darstellt: also ein Weg vom Kampfe zur Herrlichkeit, von der Geschichte durch das Sinnbild zum leibhaftigen Ideal. — Was die Glie- derung der Höherichtung betrifft, so ist ein Fortschritt über die römische Basilika im Aeußern dann erwiesen, wenn diese zwei Walmendächer hatte, denn das Giebeldach der christlichen ist Fa ç ade-bildend und überhaupt eine belebtere Organisation. Im Uebrigen verkündet dieser Innenbau seine Bedeutung nach außen architektonisch nur durch die Vorhalle am Eingang, zu welcher der frühere säulenumstellte Vorhof (Atrium) mit dem Brunnen ( cantharus ) einschmolz, nachdem die Aufgabe verschwunden war, eine Menge von Katechumenen, Büßenden, Profanen vom Heiligthum abzu- sondern. Dieser Vorhof, der selbst wieder eine Vorhalle hatte, war wirklich etwas Aegyptisirendes. — Noch ist die Anlage von Krypten unter der Tribune zu erwähnen als merkwürdiger Beitrag zur Erweisung jenes mehrbesprochenen Zusammenhangs zwischen Grab und Tempel, denn sie sind Stätten für die Gebeine der Heiligen und aus den Katakomben her- vorgegangen. Hier war Wölbung nöthig, hier pflanzt sich als unter- irdischer Keim das Kreuzgewölbe fort, um seiner Zeit am Tageslichte seine neue Entwicklung zu feiern. §. 588. 1. Von der andern Seite strebt der jetzt im byzantinischen Reich herr- schende runde Kuppelbau , der zugleich eine stärkere Höherichtung ausspricht, in verschiedenen Formen nach Tilgung seiner Einseitigkeit durch reichere Glie- derung, Verbindung mit dem Viereck und mit der Längerichtung , wobei er mit der Kuppel das Tonnen- und Kreuzgewölbe vereinigt; aber seine cen- trale Natur geräth dabei in Widerspruch mit dem neuen Einheitspuncte des christlichen Gottesdienstes, welcher das Perspectivische (§. 587) bedingt. Diesen 2. Styl nehmen die Muhamedaner (vergl. §. 461) auf und bilden ihn zu einem einseitigen Innenbau aus, in welchem die unentschiedene Grundform von einer phantasievollen Ornamentik zelt- und teppichartig überkleidet wird, welche selbst das structiv Dienende in ein Decoratives verwandelt und die Flächen mit jenem Arabeskenspiele schmückt, in dessen bunten Verschlingungen ein dem Krystalle verwandtes Gesetz der Wiederkehr gegen einen Mittelpunct herrscht, das in der Folge bedeutenden Einfluß auf die Kunst des Abendlands gewinnt. 1. Jener reine Rundbau, namentlich im Pantheon dargestellt (§. 586), einseitig und daher in der reifen Kunst sehr vereinzelt (vergl. §. 565), enthält doch einen Keim, den die romantische Phantasie ergreifen und aus- bilden wird: das Runde stellt, wie wir gesehen, in tieferer Vermittlung mit dem Geraden und Eckigen eine subjective Bewegung dar, welche der Innerlichkeit dieses subjectiv bestimmten Bewußtseins zusagen muß. Haben wir dagegen dem Rundbau mit Kuppel, dem diese Vermittlung abgeht, nur die Symbolik übergreifender Herrschermacht zuerkannt, so mußte diese Form dem orientalisch gestimmten byzantinischen Geiste einförmiger despo- tischer Einheit besonders zusagen, während dieser Geist doch als ein christ- licher die ersten Schritte zu jener tieferen Vermittlung zu vollziehen ge- trieben sein wird. Der Rund- und Kuppelbau tritt auch im weströmischen Reiche, in rein orientalischem Lande (Jerusalem) zunächst theils als Tauf- kapelle, theils aber und namentlich als Grabkapelle, Grabkirche auf; nun aber wird er im byzantinischen Reiche zum Gotteshaus und sucht in ver- schiedenen Formen herum, jene tiefere Gestaltung zu finden. Er gliedert sich polygonisch, legt Säulengetragene, in doppelten Stockwerken sich er- hebende, mit Halbkuppeln überwölbte Nischen zwischen die starken Pfeiler, welche die Kuppel tragen, überwölbt den zweistockigen Umgang um diesen Mittelraum mit Tonnengewölbe; so S. Vitale in Ravenna, die Münster- kirche in Aachen als Hauptform der karolingischen Uebertragung dieses Styls neben der Basilika (z. B. Abteikirche in St. Gallen) in das nörd- liche Abendland, die jedoch Abweichungen hat: achteckige Kuppel, keine Nischen, u. s. w. Hat so der Rundbau durch das Polygon sich bereits mit dem Eckigen vermählt, so wölbt er nun auch gewöhnlich die Kuppel über ein Quadrat und als wichtiges weiteres Moment tritt ein, daß er sich neben immer reicherer Gliederung von Nischen und Galerien (diese für den von den Männern getrennten weiblichen Theil der Gemeinde: eine Trennung, welche in der Basilika durch die Schiffe bewerkstelligt wird), die er zwischen seine Pfeiler stellt, in die Länge streckt, indem er an zwei Seiten seiner Kuppeln große Halbkuppeln anlegt, welche mit dieser zusammengefaßt eine elliptische Form darstellen und eine Neigung im Keim anzeigen, ein Oblongum zu überwölben. Allein dieß ist blos entfernte Andeutung; die wahre Form wäre ein Netz von Kreuzgewölben, über ein Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 20 Oblongum gespannt; daß in dem Bau, von dem hier die Rede ist, der Sophien-Kirche in Constantinopel, an die zwei andern Seiten sich Räume legen, die mit Kreuzgewölben überdeckt sind (wie in jener polygonischen Grundform der Umgang um das mittlere Rund mit einem Tonnengewölbe), beweist nur das Unbestimmte des tastenden Suchens, denn diese Räume, die man entfernt mit Seitenschiffen vergleichen kann, bilden kein Con- tinuum und der Hauptraum hat diese tiefere Gliederung der Decke eben nicht. Die Kuppel und die Halbkuppeln (an die größeren wieder kleinere angelegt) treten hier im Aeußern hervor, während sie in jenem Polygon- bau noch überdacht sind: dieß ist wieder mehr Zugeständniß an den Außenbau, während übrigens Vorhof und Vorhalle den reichen Innenbau dort wie hier nach außen kundgeben; aber es tritt ein Aufgehäuftes, un- klar Aufgeschupptes in diesen steigenden Anlagerungen vor das Auge, das eben auch einen dunkel suchenden, thürmenden Geist ausspricht. Anderswo (auf den griechischen Inseln) wird ein einfaches Oblongum kofferförmig mit einem Tonnengewölbe bedeckt; es tritt aber auch eine reichere Form auf: der Grundriß zeigt ein griechisches Kreuz mit vier fast oder ganz gleichen Armen, die Kuppel in der Mitte, die Arme mit Tonnengewölbe gedeckt, mit außen sichtbarer oder (wie in Nazario e Celso in Ravenna) bedachter Kuppel, oder es tritt außer der Hauptkuppel auf jeden der vier Arme eine kleine Kuppel (Apostelkirche in Constantinopel, häufig im späteren byzantinischen Reiche, in Italien noch in der Marcus-Kirche beibehalten); ja der unbestimmte Drang, der doch die wahre Form in der Anwendung des Kreuzgewölbes nicht finden kann, übersetzt alle Nebenräume mit kleinen Kuppeln. Auch auf dem einfachen Quadrate bringt man mehrere Kuppeln an und bildet durch diese ein Kreuz, indem man vier kleinere um eine größere stellt. In Rußland bürgert sich neben einer Form, wo vier Kuppeln auf den Ecken eines Quadrats stehen, die Grundform eines Kreuzes mit fünf Kuppeln stehend ein. — Alle diese verschiedenen Bildungen nun sind ihrer Anlage nach concentrisch. Aber der Altar stand nicht im Centrum (außer in der Apostelkirche in Constantinopel); er trat an die östliche Seite dem Eingang gegenüber in die Apsis, die auch diesen Bauten nicht fehlte. Das war nun ein Widerspruch, denn die Anlage des Ganzen weist auf den Mittelpunct des Kreises, der geistige Mittelpunct aber be- findet sich an einer der Seiten. Die Symbolik der weltlichen überspannen- den Macht in der Kuppel will sich noch nicht hergeben zum Uebergang in eine Form, die sich als jene „Bahn zum Tische des Herrn“ darstellt; gleichsam ein Bild der Cäsareopapie . Reicher Schmuck von Mosaik, Goldgrund, Marmor, Malerei erhöht die Pracht dieser Bauten, aber die architektonische Ornamentik ist auch hier nicht weiter entwickelt, sondern wiederholt nur die alten römisch-griechischen Formen. Nur erst schwach taucht ein neues decoratives Prinzip in der Raumöffnung auf: es kommen Gruppirungen von Fensterbögen vor, zwei kleinere mit einer Trennungs- säule dazwischen und einem größeren darüber, oder drei, wovon der mittlere größer, und dazu ein übergewölbter noch größerer; dieß ist ein Anfang einer innern Vermannigfaltigung der Symmetrie, der sich übrigens auch in Basiliken-Bauten des Abendlands findet. Am Kapitell werden die vege- tabilischen Formen conventionell geometrisch stylisirt und beginnt die weich anschwellende Kelchform in die Würfelform überzugehen: Anfänge einer krystallischen Anschauungsweise, die wir nun immer stärker werden ein- treten sehen. 2. Der muhamedanische Bau ist einseitiger Innenbau durch die Ein- schließung seiner Säulenumstellten Höfe mit der Moschee in rohe Mauern und die Unscheinbarkeit des Aeußern überhaupt. Allerdings tritt das Schwanken des Begriffs wieder ein wie im altorientalischen Bau: im Innern ist die Gemeinde in ihrem Vorhof wieder außerhalb des Heiligthums; doch ist ihr dieß nicht verschlossen wie in Aegypten. Im Uebrigen paßt auf die Baukunst der Muhamedaner (die wir hier schon in der Vorstufe aufführen müssen) ganz, was in §. 461 gesagt ist: „eine Phantasie, die mit üppigem Spiel der Erfindung eine Fülle von Pracht streng messend um einen gestaltloseren Mittelpunct versammelt“. Zahl und Stellung der Hauptgebäude im Hof ist unbestimmt, ihr Plan quadratisch, polygonisch, der Kreuzform genähert, basilikenartig oblong; nur die Kuppel, einfach oder eine Gruppe von mehreren, steht fest. Nun aber ergreift die orientalisch wuchernde Phantasie die structiven Formen und hebt sie in lauter Orna- ment, lauter Spiel auf; die Verzierung und das Glied spricht nicht die thätige Kraft des architektonischen Organs aus, sondern verkleidet sie. Die Kuppel nimmt (wie in Rußland durchgängig) die Zwiebelform (oft mehr birnen- und pinienapfelähnlich) an und erinnert so an das nomadische Zelt; die innern Wölbungen krystallisiren sich zu jenen honigzellenartigen Bildungen, die zugleich wie Tropfsteine überhängend dem Orientalen die Stimmung der kühlen Grotte gewähren, übrigens structiv einen Uebergang vom Viereck des Baus in die Rundung vermitteln. Der Arkaden-, Thor- und Fensterbogen geht vom halbkreisrunden in den (gedrückten) Spitzbogen (Aegypten und Sizilien), Kielbogen (Persien und Indien), Hufeisenbogen (Afrika, Spanien) über, schneidet seine verschiedenen Formen wieder in einzelne Kreisstücke aus, verdoppelt sich zu übereinander aufsteigenden Bögen. Das Auftreten des Spitzbogens ist, weil nur erst im Aeußern als decoratives Moment, unwesentlich für die Entstehung des Spitzbogen- styls. Die meisten dieser Bogenformen nun sind unpraktisch, spielende Willkühr, aber bewegt, reizvoll. Die Säule wird zeltstangenartig dünn, sie verliert den Ausdruck der Stütze, sie spielt ebenfalls mit ihrer Aufgabe. 20* Wie ein bunter, reicher Zelt-Teppich überzieht nun der malerische Orna- mentenschmuck strahlend von Gold, Silber und Farbenpracht dieses Ganze. Die Zeichnungen dieses Schmucks sind Geschlinge von stab-, band-, blumen- artigen Formen, an sich kraus, aber von einem Gesetze gebunden, das wie ein Magnet die ausgewichenen Ranken, Bänder, Linien, Stäbe zur Wiederkehr nöthigt; das Auge verliert und sucht und findet den Faden, der sich in unendlichen scharfsinnigen Verschiebungen und Verwicklungen wie ein Räthsel verbirgt und wieder hervortritt (vergl. insbesondere den trefflichen Abschnitt bei Schnaase a. a. O. B. III, S. 426 ff.). Das Verbot der Nachbildung der menschlichen und thierischen Gestalt hat diese Phantasie genöthigt, ihre Fülle in dieses Gebiet zu ergießen, das vom arabischen Volke auch den Namen Arabeske bekommen hat. Es findet in diesen Formen zwar keine regelmäßige Symmetrie statt wie im Krystall; aber nirgends ist eine Naturform (Pflanze) in dem annähernden Grade der Natur nachge- bildet, wie im classischen Ornament, es herrscht mitten im Spiel eine geometrische Stylisirung, die Brechung aller Winkel erinnert an die Entkantung im Krystall und ein achsenbildender Mittelpunct tritt zwar meist nicht förmlich hervor, wirkt aber in der Weise verborgener Anziehung in jenem Gesetze der Wiederkehr. Es ist ein Gerinnen des einfach Flüssigen und natürlich Fortlaufenden in der classischen Architektur, ein Anschießungs-, ein geome- trisches Umstellungs- und Zusammenstellungs-Prinzip, das wir in strengerer Weise im europäisch mittelalterlichen Baustyl werden auftreten sehen, nicht ohne Einfluß des Maurischen in den Kreuzzügen, aber zugleich aus tieferem innern Grunde. Doch überhaupt und allgemeiner theilt sich auch das Streben der Durchbrechung, Verwandlung des Constructiven in ein Decoratives dem Abendlande mit, nur daß es hier als Moment in einem Höheren aufgeht. Endlich erwähnen wir noch das Wiederauftauchen des Höhestrebens im schlanken Thurmbau des Minarets. §. 589. Die erste wesentliche Fortbildung dieser Elemente geschieht im roma- nischen Style. Derselbe nimmt den abendländischen Langbau der Basilika auf, verstärkt aber seine Höhe und vermittelt ihn mit dem morgenländischen Hochbau zunächst in unvollkommener Weise durch die über die Vierung zwischen dem verlängerten Chor, dem nun stehend gewordenen Querschiff und dem Langschiff übergewölbte Kuppel. Ungleich tiefer aber versöhnt er j enen Gegensatz, hiemit auch den Gegensatz der runden und geraden Linie, der Länge und Breite in der nunmehr durchgeführten Gliederung der Decke zum halbkreisförmigen , zwischen Gurtbögen in einem Uetze von Quadraten gespannten Kreuzgewölbe . Diese Versöhnung wird durch die Wechselaufhebung der Schwere, durch den Uebergriff der Gliederung zwischen Gewölbe und Stütze zugleich zu einer neuen, tieferen, das nun aufgegangene subjective Leben darstellenden Versöhnung des Gegensatzes von Kraft und Last . Wir halten an diesem Style des eilften, zwölften und angehenden drei- zehnten Jahrhunderts, auf dessen neuere Benennung „romanisch“, Verbrei- tung und verschiedene Formen in der Normandie, in Italien, Sizilien (nor- mannisch-arabischer Styl), Deutschland (Köln, Mainz, Worms, Speyer u. and. wichtige Denkmale), England einzugehen Sache der Kunstgeschichte, nicht der Aesthetik ist, zunächst fest, daß seine Grundlage die abend- ländisch altchristliche Form, die Basilika ist, also Langbau und darin das Hauptmoment des Antiken erhalten. Im Grundrisse tritt zu der nun fest und allgemein gewordenen Anordnung eines über das Langschiff zu beiden Seiten hervorragenden Querschiffs die Verlängerung des Chors, richtiger die Verlängerung, wodurch die halbkreisrunde Tribune zusammen mit dem weiteren Quadrate, das ihr vorgeschoben ist, zum Chore wird, der nun dem Cultus der Geistlichkeit vollen Raum gibt und jede Herein- ziehung dieses Theils in das Schiff erspart. Spezielle Formen, wie die Anlegung weiterer Chornischen-artiger Kapellen an den Chor, die Ab- rundung der Querschiff-Enden, übergehen wir. Die Gestalt des lateini- schen Kreuzes steht nun fest: zwei durcheinandergeschobene Langhäuser, ein gedoppelter griechischer Tempel mit eingeschluckter Säulenhalle in zwei verschiedenen Richtungen. Nun aber tritt als ein weiteres Moment der in der Entwicklung begriffenen reichen Concretion von Gegensätzen die verstärkte Höhe-Richtung hervor. Die innere Erhöhung des Chors um mehrere Stufen gehört noch nicht dieser Richtung in ihrer Allgemeinheit an, denn sie verstärkt nur nach innen die perspectivische Wirkung der Herrschaft des geistigen Centrums und ist structiv durch die im romani- schen Styl feststehende Anordnung der Krypta unter dem Chore bedingt. Es steigt aber das allgemeine Höhenverhältniß der Basilika um ein Be- deutendes, der Schwung nach oben, ein natürlicher Ausdruck der wach- senden transcendenten Stimmung, treibt das Mittelschiff um mehr, als das Doppelte seiner lichten Weite, empor. Das Höhestreben tritt aber auch in der besonderen Form der übergewölbten (polygonisch getheilten) Rundung der Kuppel über der Vierung des lateinischen Kreuzes auf. Dieß ist nun Combination des morgenländischen, byzantinischen Rund- baus und des abendländischen Langbaus der Basilika. Der byzantinische Styl hat aber (§. 588) selbst schon das übergewölbte Runde mit dem Geraden und Langgestreckten, nur nicht mit so entschiedenem Langbau combinirt; der Widerspruch des räumlichen und geistigen Centrums, der dadurch eintrat, ist nun auch im romanischen Style, und zwar aus- gesprochener, vollständiger vorhanden: die Kuppel ist eine zu bedeu- tende Bildung, um mit dem von ihr überwölbten Raum als ein vor- übergehender Sammelpunct zu gelten, in welchem der Eintretende aus der Längebewegung des Lang-Schiffs und der Seitenbewegung des Quer- Schiffs sich nur fassen und vorbereiten sollte auf den Hintritt zu dem im Chor- eingang stehenden geistigen Centrum des Altars. Die wahre, tiefe Vermitt- lung des Hohen und Langen, Runden und Geraden liegt vielmehr in dem nunmehr zur Durchführung durch das Ganze des Raums gelangenden Kreuzgewölbe . Wir haben dieses schon bei den Römern gefunden, aber vereinzelt, ohne Consequenz und nicht völlig entwickelt; nun wird es System und ist daher jetzt erst in seiner ganzen Bedeutung als die freieste Gliederung der Decke zu betrachten. Das Tonnengewölbe lagert als ungegliedert fortlaufender Halbkreisbogen der Länge nach auf den Mauern, die es der Quere nach überspannt. Die Mauern bedürfen einer bedeutenden Stärke, um sowohl dem senkrechten Druck, als dem Seitenschube des Gewölbes zu widerstehen. Das Kreuzgewölbe dagegen besteht aus zwei durcheinandergeschobenen Tonnengewölben, die, indem sie sich durchschneiden, vier Dreieckfelder bilden. In den Diagonalen, worin sie sich durchschneiden, nehmen diese zwei Gewölbe ihren Schub gegenseitig auf und werfen ihn auf die vier Ecken des Quadrats, über welches sie gespannt sind. Die Trag- und Widerstandskraft muß sich also an diesen vier Ecken concentriren und fordert zu diesem Zweck an diesen Stellen starke Stützen. Die Wand zwischen diesen Stützen trägt nicht mehr, aller Druck ist diesen zugeleitet; sie kann daher geöffnet wer- den, indem man von Stütze zu Stütze einen Bogen sprengt, welcher aus einem starken Gurte von Steinen gespannt ist, auf dem die Curve der Kreuzgewölbe-Ansätze ruht: Gurtbögen. Dieser freien Oeffnung bedarf ja ein Raum, der eine innere Säulenhalle darstellt und nur an seiner Umfassungs-Mauer und dem erhöhten Mittelschiff von dem Punct an, wo es über die Seitenschiffe emporragt, geschlossen ist. In der geradlinig gedeckten Basilika sahen wir Arkadenbögen, von Säule zu Säule ge- spannt, der Länge nach fortlaufen und das Mittelschiff von den zwei Seitenschiffen, oder diese selbst wieder (wenn die Kirche fünfschiffig war) je in zwei Schiffe abgrenzen. Diese Stützen (zunächst Säulen, es ist von ihrer Veränderung noch ausdrücklich zu sprechen) stellt man nun in wei- teren Abständen und streckt die Bögen nicht mehr nur der Länge nach, sondern auch der Breite nach, so daß sie mit ihren Gurten ein Netz von Quadraten einrahmen, deren jedes mit einem Kreuzgewölbe überspannt ist. Die Gurtbögen, die der Länge nach hinlaufen, heißen Länge- oder Deckgurten, die, welche der Quere nach laufen, Stirn- oder Quergurten. An den Umfassungs-Mauern und an der Mauer des höheren Mittelschiffs bleibt die Verschlußwand; die hier an sie anliegenden, nicht frei geöff- neten Bögen heißen Schildbögen. Da der ganze Querschub auf diese Mauern hinausgeleitet wird, jedoch nur auf die Puncte derselben, welche den frei stehenden Stützen im Innern entsprechen, so wäre nur nöthig, sie an diesen Puncten zu verstärken, im Uebrigen als leichte Verschlüsse zu behandeln. Die Verstärkung ist aber um so nothwendiger, da hier kein weiteres Gewölbe anschließt, das durch Gegendruck den Schub von der andern Seite neutralisiren könnte. Wie die romanische Baukunst diesen Theil behandelt, davon nachher. Nun sind große Räume auf eine Weise gedeckt, in welcher das gebundene Verhältniß des Architrav-Baus in ein unendlich freieres aufgehoben ist; sie sind im Innern nach allen Seiten offen und die Bewegung der Länge und der Breite nach ist gegen- seitig vollkommen ineinandergeschmolzen: die Durchwölbung geht, in allen Gewölbe-Quadraten sich schneidend, nach beiden Seiten und die größeren Zwischenstandsweiten der Stützen erleichtern ebenso die Breite-Bewegung, die sich mit der Längsbewegung kreuzt. Diese Einheit von Gegensätzen stellt sich in den Diagonalen dar, welche die Durchschneidungslinien der vier Dreieckfelder jedes Gewölbes darstellen: es herrscht ein Diagonalen- system, das die Gegensätze der Länge und Breite über’s Kreuz von Stütze zu Stütze laufend versöhnt. Was die byzantinische und maurische Bau- kunst mit ihren vielen Kuppeln auf Einem Bau dunkel suchte, ist jetzt gefunden, der rohe Neubeginn dessen, was schon die Römer begonnen, zur Gliederung erhoben. Die Gliederung wird aber nun noch in einem tieferen Sinne vollbracht durch eine neue Gestaltung der Stütze im Ver- hältniß zu dem von ihr getragenen und gehaltenen Gewölbe. Sie könnte zwar noch Säule sein und ist es auch noch mancher Orten, aber in ge- drückter, stämmiger Form, da eine neue, doppelte Leistung der Stütze aufgelegt ist. Allein offenbar fordert die vereinigte Wucht des Drucks und Schubs eine andere Form, einen Zuwachs an Masse, der dem Begriffe des Widerlagers entspricht; dieß ist der Pfeiler . Dieser soll jedoch ebenfalls kein rohes Mauerstück bleiben und nun beginnt jene Gliederung, in welcher sich verwirklicht, was zu §. 564, 2 . als Aufgabe hingestellt ist: die runde Linie stellt zunächst eine lebendigere, organische Bewegtheit, einen Anklang an subjectives Leben dar; wo sie sich aber über die gerade ohne tiefere Vermittlung überbreitet, erinnert sie weniger an subjective Tiefe, als an ein Uebergreifen der Macht; dagegen wo sie sich mit jener so verbindet, daß beide flüssig ineinander übergreifen, da gemahnt sie an den Geist, der die objective Welt durchdringt, in sich aufnimmt und auflöst. So setzt denn der Pfeiler, nachdem er in der Weise einer neuen, gruppenbildenden Symmetrie mit dazwischentretenden Säulen- stellungen gewechselt, nach und nach an seinen Körper nicht nur pilaster- artige Vorlagen, sondern zuerst schwächere, dann vollere Halbsäulen an, welche die Gurtbögen tragen, und an den Laibungen dieser treten neben eckigen Perfilirungen, die der pilasterartigen Vorlage entsprechen, starke Rundstäbe hervor, welche als Fortsetzung dieser Halbsäulen erscheinen oder umgekehrt als eine Ausquellung durch den Druck am Gurtbogen, welche in den Pfeiler hinabläuft, an ihm fortgesetzt den in ihn hinunter- geleiteten Druck und Schub darstellt. Dieß Hinauf und Herab, Hinüber und Herüber zwischen Gewölbe und Träger ist denn ein schlagendes Bild des subjectiv neu bewegten Lebens. Wo noch die Säule sich behauptet oder wo sie später wieder auftritt, stellen weniger vollkommen seltsam gebildete Consolen-Ansätze an ihrem Schafte dieß Wechselverhältniß dar. Aber nicht genug; die eigentliche Linie des Drucks und Schubs, der sich auf die Pfeiler hinüberwirft, liegt ja in den Diagonalen des Kreuzge- wölbes; mit der Zeit treten auch an dieser Stelle Gurten hervor, eckige, dann in Rundstäbe ausquellende Rippen, Kreuz-Gurten oder Diagonal- Gurten genannt, welche zunächst ein neues Befreiungs-Moment in die Last des Gewölbes einführen, indem die vier Felder zwischen ihnen und den Stirn- und Deckgurten, da alle Kraft in diesem Gerippe concentrirt ist, nun aus Backsteinen ganz dünn als bloße Verschlüsse, als Kappen ausgeführt werden können. Diese Kreuzgurten setzen sich nun ebenfalls in den Pfeiler als weiterer eckiger und zum Rundstab ausgebildeter An- satz fort oder erscheinen umgekehrt als Fortwachsen dieses in ihm gegebenen Ansatzes und nun ist jene Entlastung, jene gegliederte Wechseldurchdrin- gung, jene tiefste Vermittlung von Kraft und Last vollendet. Es bleibt nur noch übrig, nach den Stellen zu sehen, wo statt des frei öffnenden Pfeilers die verschließende Mauer die Gewölbe- Ouadrate begrenzt. An der Mauer der Seitenschiffe steigen Halbsäulen statt der Pfeiler als Gurtenträger hinauf; eine weitere Gliederung tritt hier noch nicht ein, um die Mauer eines Theils ihrer nothwendigen Stärke zu entheben. Am höheren Mittelschiff aber muß, um bis zu dem Gewölb-Ansatz hinauf- zureichen, eine der Halbsäulen von dem Pfeiler über dessen Kapitell hinaufschießen, an der Wand hinauflaufen, bis wo sie dem Gewölbe sein Auflager geben kann: eine neue, kühne Durchschneidung der Horizontal- gliederung, welche nur dann als eine Entstellung der Säulenform be- trachtet werden kann, wenn man eben annimmt, es solle eine eigentliche Säule sein, während es vielmehr eine neue Form ist, ein schlanker Stamm, der wie der Pinienstamm zur kuppelartigen Ueberwölbung hin- aufwächst. §. 590. Das Höhestreben nimmt ferner, jedoch nunmehr als organischen Schluß seiner Durchdringung eines Ganzen, den assyrischen Hochbau als Thurm wieder auf. Mit der Kreisbewegung verbindet es sich in den Anfängen der Gliede- rung der Wandflächen im Innern und Aeußern durch senkrechte Wandstreifen und rundbogige Verzierungen. Das neue System einer reicheren, gruppirenden Symmetrie belebt diese Einzelgliederungen wie das Ganze. Zugleich hebt sich die Einseitigkeit des Innenbaus wie schon durch den Thurm, so durch reiche Portale, durch deren Einschrägung und andere Durchbrechungen der Masse nach außen auf. Die Ornamentik im Einzelnen geht trotz der beziehungsweise stren- gen Einfachheit des Ganzen in ein Formenspiel über, welches einen noch nicht organisch gezügelten Ueberschuß von Bildungstrieb kund gibt und in seiner Will- kühr wie in seiner Regelmäßigkeit auf maurischen Einfluß hinweist. Durch die Einführung des Thurms tritt in der Baukunst des Mittel- alters ein orientalischer Zug hervor, den wir bestimmter im gothischen Styl erkennen und in seinen innern Grund verfolgen werden: dieselbe Kraft, welche den Kern des Hauptkörpers mehr und mehr in die Höhe treibt, schießt auch in dem widerstandslosen Hochbau, dem assyrischen Thurm ähnlich, empor. Dabei kann natürlich von keinem geschichtlichen Zusam- menhang die Rede sein, es ist vielmehr zunächst die Glocke, die diesen Theil des Baus bedingt, aber dieß äußere Motiv schließt den tieferen Grund eines dem Orient verwandten Höhedrangs nicht aus. Dieser Drang ist nun aber qualitativ verändert, er ist nicht mehr Aufschuß roher, sondern Aufschwung vergeistigter Kraft; der Thurm ist nicht mehr isolirt, sondern Glied eines Ganzen, bestimmtester Ausdruck eines Höhestrebens, das durch dessen übrige Gliederung geht und, wie die Alo ë aus ihrem gestachelten Blätterbusche, als seine letzte, besondere Bildung diesen schlan- ken Stengel in die Höhe treibt; der Thurm selbst ist ebendaher nicht eine gelenklose Aufhäufung von Würfeln, welche von unten an die pyramidale Linie beherrscht, sondern viereckig oder rund, durch Glieder und Ornament in Stockwerke getheilt, von Fenstern durchbrochen steigt er gleichförmig auf und setzt nur oben die Pyramide als seinen Abschluß, wie denn diese Form nur dazu bestimmt ist, auf. Eine innere Unklarheit zeigt sich noch in der Häufung der Thürme bis zu vier oder fünf, deren zwei an die Vierung des Kreuzes gestellt der Kuppel, über welcher häufig selbst wieder ein Thurm sich erhebt, noch mehr den Ausdruck eines Mittelpuncts geben, während doch der geistige Zielpunct im Chore liegt. — Der Thurm ge- hört dem Aeußern an; wir gehen von da zunächst zu Formen fort, die so- wohl das Innere, als Aeußere beleben. Die Wandfläche, die noch in’s Lange, Breite und Hohe neben den verhältnißmäßig kleinen Fenstern ausgedehnte Herrschaft hat, fängt an sich zu gliedern, und zwar vorherrschend senkrecht , durch ein Aufschießen des Pilasters, das ihm die weniger stark ausgeladene Form der Lissene gibt, und diese geht, wie der Pfeiler in das Gewölbe, so in den, alle horizontalen Theilungen umlaufenden, Rundbogenfries über; also auch hier Einheit des Geraden und Runden. Im Innern sind Em- poren, Galerien feststehende Form und durchbrechen ebenfalls im Rund- bogensystem die Massen; aber auch das Aeußere, vorzüglich die Chornische (wo sie die Kreisschwingung concentrirt noch einmal aussprechen vergl. Schnaase a. a. O. B. IV, S. 196) umsäumen blinde oder wirkliche Arkaden. Jene gruppirende, reichere Symmetrie spricht sich vornämlich in diesen Arkaden durch die seitliche Umstellung größerer Bogenöffnungen mit kleineren in den Fenstergruppen mit Trennungs Säulchen dar. Wenn nun bereits diese Momente den Charakter der innern Gliederung nach außen aussprechen, wenn der Thurm das Höhestreben namentlich an der Fa ç ade der äußern Beschauung vorführt, so wird dagegen durch das Portal mit seiner reichen Wechselgruppirung von Pfeiler-Ecken und Säulen nicht nur die Schönheit des Innern überhaupt, sondern bestimmter der Charakter des Innenbaus durch die eingeschrägte Form angekündigt (die auch den Fenstern eigen ist). Diese Form macht die Wirkung eines Herein- ziehens; sie ladet den Beschauer ein, in die Räume einzutreten, in welche sie jene äußere Säulenhalle des classischen Tempels eingeschlürft und mit der Herrlichkeit des Gewölbes, die nun noch klarer, als die geradlinige griechische Decke, auf das Firmament hinweist, überspannt hat. Wie im Innern der Pfeiler in die Bögen, so setzt sich hier Säule und Pfeiler- Ecke in die rundbogige Ueberspannung dieses Pracht-Thores als entspre- chende Ausladung fort, kündigt also auch nach dieser Seite den Charakter des Innern im Aeußern an wie die Lissene mit dem Rundbogenfries. Die Füllung des Bogens und die Zwischenräume der abgestuften Säulen und Pfeiler- Ecken bieten zugleich dem plastischen Schmuck das Hauptfeld seiner An- lagerung, während im Innern die Wände noch immer der Malerei einen ausgedehnten Flächenraum gönnen. Ueber diesem Portale prangt die Fenster-Rose (das Radfenster), ein weiterer Schritt in der verschönernden Massenbrechung. Sehen wir schließlich nach den Kunstformen im engern Sinn, Gliedern und Ornament und was unbestimmt zwischen ihnen liegt, so ist namentlich die Umgestaltung des Säulen-Capitells hervorzuheben; es nimmt die Würfelform an: eine in dieß oberste Säulenglied hereinge- zogene Vorankündigung des Bogens mit seiner Laibung. Daneben treten korinthisirende Capitelle, oft mit jener Grundform wieder verbunden, auf und setzen ein reiches Formenspiel an, von dessen Charakter sogleich mehr zu sagen ist. Die eigentlichen Glieder an Säulenfüßen und Gesimsen be- halten im Allgemeinen noch die classischen Musterformen; es ist hier nur auf die unendlich erweiterte Herrschaft des Rundstabs aufmerksam zu machen, die aus der obigen Schilderung des Wölbungs- und Pfeiler-Systems hervorgeht; bezeichnende Umwandlungen einzelner Hauptglieder (Abakus und Welle), die jetzt schon beginnen, sind bei dem gothischen Styl aufzu- fassen. Was nun die eigentliche Ornamentik betrifft, so bricht hier am bestimmtesten in Erfindung seltsamer Linienspiele, krauser Verschlingungen, Zickzackformen u. s. w., noch mehr in den Thier- und Menschen-Frazzen, die sich an Capitelle, Gesimse, Consolen u. s. w. ansetzen, die phantastische Subjectivität des Mittelalters (§. 450) hervor; je mehr gegen Ende die- ses Styls (im Anfang des 13. Jahrhunderts), desto stärker. Allein diese phantastische Subjectivität ist einer eigenen Ordnung und Durchgliederung innerhalb ihres Charakters nicht unfähig; diese hat sie noch nicht gefun- den, dualistisch bricht neben der durch alle jene Momente keineswegs auf- gehobenen Breite, Massenhaftigkeit der Hauptkörper, die immer noch einen primitiven Eindruck urchristlicher Einfachheit macht, jene abentheuerliche Formenwelt hervor, abentheuerlich eben, weil sie das Ganze nicht durch- dringen kann: ein noch unvermittelter Ueberschuß von Bildungstrieb. Nun ist aber diese Formenwelt dennoch streng geometrisch, conventionell behan- delt; die einzelne Form ist zwar, namentlich durch die Einmischung der Thier- und Menschengestalt, phantastischer, als in der arabischen Orna- mentik, doch herrscht bei weniger krauser Verschlingung sichtbarer ein bin- dender Mittelpunct, eine ausdrückliche und gemessene Symmetrie, die an ein kaleidoskopisches Anschießen erinnert. Das nordische Wesen drückt sich in strengerer Bindung einer zum Wilden geneigten Sinnlichkeit gegen- über der vom Maaße liberal beherrschten fließenden Sinnlichkeit des Classischen bereits bestimmter aus. Wie weit dabei wirklicher arabischer Einfluß gegangen sein mag, ist nicht zu bestimmen; verwandter eigener, nordischer Sinn kam jedenfalls der Nachbildung entgegen: verwandt, wenn man zusammenhält, was über den Dualismus im orientalischen und ger- manischen Naturell in den zwei Abschnitten des zweiten Theils gesagt ist. Arabisch und byzantinisch-arabisch erscheint aber allerdings auch der noch vereinzelt in den Oeffnungen auftretende Spitzbogen, Kielbogen, der Bogen mit mehreren Kreisausschnitten; in diesen Kreisausschnitten beginnt übri- gens das Kreissegment so groß zu werden, die Steinspitze, welche zwei derselben trennt, sich so tief hereinzustrecken, daß man eine rein einhei- mische Form, das Kleeblatt, in der Entwicklung begriffen sieht. Ueber- haupt jedoch erinnert die große Neigung zur Behandlung des Structiven als eines blos Decorativen, namentlich in den Arkaden, an das Arabische; die überdünne Zwergsäule, die in der Mitte häufig durch Knoten geschürz- ten Bündel solcher decorativer Säulchen weisen ebenfalls auf solche Ein- flüsse. Diese Buntheit tritt aber in ihrer wuchernden Fülle, wie gesagt, erst gegen Ende dieses Styls auf in dem sogenannten Uebergangsstyl, der dem gothischen unmittelbar vorausgeht. 2. Mitte . §. 591. Der gothische Styl gibt die Kuppel auf und legt die geistige Ein- heit ganz in den Chor; er löst die letzte structive Gebundenheit durch die Spitzbogenwölbung in Freiheit auf und bricht zugleich die letzte Massenherr- schaft durch die Strebepfeiler und Strebebögen, zwischen welchen die Wand sich als hohes, großes Fenster öffnet; er führt Kraft und Last durch die feinere Gliederung des Pfeilers und der Gurten noch vollständiger ineinander über und ruft alle Haupttheile zu gegenseitiger Vermittlung ; er zieht in noch stärke- rem Höhestreben und entschiedenem Durchdringen des Senkrechten alle Theile empor und drückt diese Richtung abschließend in dem gewaltigen, jetzt organisch entwickelten Thurmbau aus, der, vereinigt mit dem gesteigerten Reichthum des Aeußern überhaupt und besondere der Fa ç ade, nunmehr auch den Charakter des Innerlichen mit vollendeter Pracht im Aeußern kund gibt. Zugleich dehnt ein orientalischer, aber durch die reiche Gliederung der Massen ver- geistigter Drang des Colossalen alle Verhältnisse zu Staunenerregender Größe aus. Wir übergehen den sogen. Uebergangsstyl und fassen den gothischen sogleich in seiner Vollendung. Hier sehen wir denn vor Allem jenes Schwanken zwischen einem geistigen und einem örtlichen Centrum ver- schwunden, indem die, allerdings immer noch bedeutend hervortretende Wölbung über der Kreuzung der Arme gewöhnlich nicht mehr mit einer Kuppel, sondern, wenn überhaupt dieser Punct eine Auszeichnung er- fährt, nur mit einem, dem bedeutenderen Thurmbau untergeordneten Thurme gekrönt wird. Der Chor erhebt sich nun zwar, da die Krypta verschwindet, nur um wenige Stufen; aber er wird um mehr als das Doppelte jenes schon im romanischen Bau ihm vorgelegten Quadrats verlängert, er wird in der belebten Polygonform abgeschlossen, um die sich gewöhnlich noch ein Kranz ebenfalls polygonisch geschlossener Kapellen herumlegt, und, was das Wichtigste ist, die Pfeiler der Seitenschiffe des Langhauses setzen sich in ihm als ein Umgang fort und beleben so diesen durch den prachtvollen Hochaltar und die Chorstühle geschmückten Raum mit einer Fülle von Formen, die in der reichen Concentrirung des hier in einen Strahlenbündel zusammenlaufenden Gewölbes ihren Gipfel findet. Jene subjective, malerisch perspectivische Wirkung, die schon die Basilika, noch mehr der romanische Bau hatte, findet in dieser Ausstrahlung oder Einstrahlung nun ihr nicht mehr zweifelhaftes Ziel. — Das zweite wesent- liche Moment ist die Durchführung des Spitzbogens als Gewölbe. Der schon zu §. 557 berührte technische Grund ist der, daß das Rundbogen- gewölbe in der räumlichen Anordnung des innern Planes noch eine Ab- hängigkeit mit sich führt: sollen nämlich die Gewölbe gleiche Kämpfer- und Scheitel-Höhe haben, so müssen hier alle Gewölbefelder mit ihren Stützen aus gleichen Quadraten bestehen; der romanische Styl, der aus diesem Grunde das ganze Innere auf einem Netze von Quadraten durch- wölbte, die aber in den Seitenschiffen nothwendig kleiner waren, konnte daher nicht die Gewölbe der letzteren und die des Mittelschiffs durchgängig auf gemeinschaftliche Stützen stellen, sondern ließ mit den Pfeilern der großen Quadrate die Säulen oder Pfeiler wechseln, welche den kleineren Quadraten des Seitenschiffs angehörten. Nun aber soll das Ganze ein- heitlich auf dasselbe System von Pfeilern gestellt werden, die sich in das Seitenschiff wie in das Mittelschiff verzweigen, daher muß in diesem das Gewölbefeld der Tiefe nach schmäler werden, damit die Abstands- weiten der Pfeiler mit den kleineren Gewölbefeldern des Seitenschiffs zu- sammenfallen. Rechtecke, Oblongen treten daher hier an die Stelle des Quadrats, die Kämpfer- und Scheitelhöhen sollen aber dennoch durchgängig gleich sein: dieß macht der aus den zwei unteren Theilen eines Halbkreises gezeichnete Spitzbogen möglich, den man nur bei weiterer Sprengung ge- drückter, bei schmälerer steiler führen darf, um jene Unabhängigkeit zu erreichen. Mit diesem Bogen ist die größte Freiheit in der Deckenbildung erreicht, welche überhaupt möglich ist; sie kann jeden Raum ohne störende Ungleichheiten der Höhen und, da das Gewölbe selbst durch eine Fort- bildung jener Kreuzgurte, auf die wir übergehen werden, ungemein er- leichtert ist und an sich noch ungleich weniger, als das rundbogige, ein Continuum bildet, ohne Vermehrung der Last überspannen; „das Prinzip der Cohärenz ist völlig besiegt“ (Bötticher). Dieses Gewölbe übt aber auch ungleich weniger Seitenschub aus, als das rundbogige; die Stützen, gegen deren Gewölbe ein zweites gespannt ist, erleiden noch entschiedener, als im romanischen Bau, nur lothrechten Druck; an den Seiten aber, wo dem letzten Gewölbe kein weiteres entgegenwirkt und wohin allerdings der Seitenschub fällt, macht es die nun geringere Macht desselben mög- lich, die starke Mauer, welche den romanischen Bau noch umfing, in ein- zelne Massen, die nur auf den Puncten, wohin jener Schub fällt, den nöthigen Widerhalt herzustellen haben, also in Pfeiler aufzulösen: die Mauer zwischen diesen kann beliebig dünn gehalten sein, ja sie kann ganz geöffnet werden und an ihre Stelle treten denn die großen, schlanken, spitzbogigen Fenster, in die sich das, anfangs sehr kleine, Rundbogen- fenster des romanischen Styls nun verwandelt hat. Die wegen Mangel an zureichender Basis nothwendig schwächeren Strebepfeiler des höheren Mittelschiffs fordern aber eine Ergänzung durch das stärkere Widerlager der Seitenschiffe, und diese wird durch die Strebebögen hergestellt, welche von dem das Dachgesimse des Seitenschiffs überragenden Strebepfeiler hinaufspringen zu dem des Mittelschiffs. Diese Bögen stellen die Wechsel- beziehung zwischen dem Gewölbe der Seitenschiffe und des Oberschiffs ebenso im Aeußern her und dar, wie im Innern die aufschießende Halb- säule, und es erzeugt sich das Bild jener allseitigen Vermittlung, welche ein weiterer Grundzug des gothischen Styls ist und die wir sogleich auf einem andern Puncte noch inniger ausgedrückt finden. Ehe wir nämlich weiter gehen, müssen wir, weil hier die Grundzüge des Styls zusammen- zustellen sind, einen Theil der Einzelgliederung sogleich jetzt beiziehen. Die aufgeführten Momente erscheinen zunächst structiv bedingt; da aber der ganze Fortschritt kein äußerlich nothwendiger, sondern ein geistig ge- wollter ist, so legt sich die errungene Freiheit als ein sichtbarer Geist auch in die Anschauung, jedoch nicht ohne jene Kunstformen, deren Be- deutung wir von §. 572 her kennen. Sie sollen zeigen, daß der Trag- Pfeiler jetzt noch weniger zu leisten hat, daß die Last nicht sich über ihn herlegt, sondern in ihn gleichsam niederfließt, oder umgekehrt; jenes lebendige Herüber und Hinüber, das schon im romanischen Bau sich durch die Rippenbildungen an Quer-Längen- und Kreuz-Gurten sich darstellte, soll noch bestimmteren Ausdruck finden. Der Pfeiler wird daher höher, schlanker; er bedarf keines eckigen Mauerstücks mehr zu seinem Kerne, er kann wieder (unverjüngte) Säule sein; die Rippen, die von dieser Stütze auslaufen, dürfen nicht, wie im romanischen Styl, als er zufolge jener sich entwickelnden Wechselspannung des Kreuzgewölbes wieder zur Säule griff, häufig geschah, auf Consolen auflagern, sondern sie müssen, wenn höher belebte Form entstehen soll, dem Säulenkern wie früher dem Pfei- lerkern von unten angelegt sein und aufsteigend in das Gewölbe und die es einspannenden Gurte sich verästen. Um nun diesen Wechselübertritt zwischen Kraft und Last noch kräftiger auszusprechen, werden zwischen diesen Rundstäben tiefe Hohlkehlen in den Säulenkern so eingeschnitten, daß seine Rundung nicht mehr convex hervortritt und die Rundstäbe nicht mehr angelegt, sondern als Aussprossungen Einer Masse erscheinen. Die eingezogene und ausgeschweifte Gestalt erscheint nun dem Auge als ein- gezeichnet in ein übereckgestelltes Viereck: ein Moment, auf das wir zu- rückkommen werden. Die tiefe Kehle spricht die straffste Zusammenfassung des Körpers aus, der seine Tragkraft entwickeln soll, und die Leistung der Kraft, die nun, je schlanker das Ganze, desto energischer erscheinen muß, schwellt die Rundstäbe zu der belebteren Birnenform aus. Diese Formen mit ihren Kehlen laufen denn durch das Kapitell hindurch fort in die verschiedenen Gurten, an denen nun kein Rest von eckig schwerer Form mehr übrig bleibt, und der Pfeiler enthält daher in seinem Profil schon das ganze Gewölbe, dieses ist seine Entfaltung, er selbst dessen Einheit. Jeder der halbsäulenartigen Rundstäbe („Dienste“) erhält nun sein eigenes Capitell, denn er ist durch seine Bedeutung für das Gewölbe selbständiger geworden; nur der für das Mittelschiff bestimmte läuft ohne Capitell wie vorher durch, um ein solches erst in seiner Kämpfer-Linie anzusetzen. Die Capitelle dürfen jetzt nicht mehr die Wirkung eines satt auflagernden Drucks darstellen; ihr steiler Kelch, das nicht angeschmiegte, mehr sich ablösende, hier weniger geometrisch stylisirte Blattwerk erinnert eher an den blätterbesetzten Knauf eines Baumstamms an der Stelle, wo er in die Verästung übergeht. Später fallen die Capitelle ganz weg. — Das Höhestreben fällt mit dem Spitzbogenstyl an sich zusammen; die hohen Spitzbögen, welche die breiten Räume zu ihrer Ueberspannung fordern, ziehen die Strebepfeiler nach sich; der Drang der structiven Freiheit, der diesen Styl erfand, enthielt zugleich diesen Trieb nach oben. Dieser Zug dringt aber nun durch das Ganze; die Horizontal-Linie beschränkt sich immer mehr, Alles streckt sich aufwärts, das Dach steigt in sehr steilem (nicht, wie man meint, durch das Klima gefordertem) Giebel auf, es herrscht der Verticularismus . Wie derselbe in aller Verzierung und Scheingliederung die wagrechten Abschlüsse und Sonderungen überragt und durchbricht, wird sich im folgenden §. zeigen; der Zug nach oben ist aber wesentlich ein Drang nach wirklicher, gewaltiger Höhe und als letzter, stärkster Ausdruck desselben ist hier wieder der Thurm hervorzuheben. Er legt sich nicht mehr an die Vierung des Kreuzes, wie im romanischen Styl, der an dieser Stelle eine Gruppe von zwei Thürmen aufzustellen liebte, denn mit der Kuppel ist ja auch die Bedeutung dieses Puncts als eines falschen Neben-Centrums aufgegeben, sondern an die Fa ç ade so, daß das Hauptschiff sich nach vorn in ihm abschließt oder sein spitzer Giebel zwischen zwei, die Länge der Nebenschiffe abschließenden Thürmen aufsteigt. Indem sich nun mit einer, und zwar nicht nur an der Ein- gangs-Seite des Langschiffes, sondern auch der Kreuzschiffe, die, durch den breiteren Chor verkürzt, eines solchen Schmucks mehr bedürfen, ge- steigerten Pracht der Fa ç ade dieser Hochbau vereinigt, wird jene schon im romanischen Bau bewerkstelligte Aufhebung der Einseitigkeit des Innen- baus (vergl. §. 590) um so entschiedener vollzogen, da der Thurm nicht nur in eine mit den höchsten Pyramiden wetteifernde Höhe geführt, son- dern zugleich noch weit mannigfaltiger, als im romanischen Bau, geglie- dert wird. Auch hier wird nämlich die Mauermasse mehr und mehr in gewaltige Pfeiler aufgelöst, zwischen denen Fenster sich öffnen, das Viereck geht in das Achteck und dieses in den mit Maaßwerk geschmückten, luftigen Rippenbau des Helms über. Man würde sich durch den hinreißenden Eindruck dieser aufstrebenden Colosse zu dem Hochbau Assyriens als reinem einseitigen Kraft- und Außenbau noch bestimmter, als durch den romanischen Bau, nämlich auch in Beziehung auf das Massenhafte, zurückversetzt glauben, wenn nicht diese formreiche Entwicklung unmittelbar aussagte, daß hier ein Gliederungsgesetz, das seinen wesentlichen Ausdruck in einem reinen Innenbau hat, sich nur überdieß nach außen wirft, um allem Volke dessen Herrlichkeit zu verkündigen und es durch die prachtvolle Pforte in seine Räume zu ziehen. Es strebt aber überhaupt der ganze Bau zum Colossalen und dieses Streben gemahnt überhaupt orientalisch. Auf eine Verwandtschaft des Mittelalters mit dem Orient haben wir aus Anlaß des Charakters der Ornamentik schon zu §. 590 hingewiesen, sie ist ebenso hier hervorzuheben, denn aus einer Vergleichung von §. 343 mit 354, siehe insbesondere Anm. 1 , von §. 426 ff. mit 447 ff., ergibt sich, daß der beiden Weltanschauungen gemeinschaftliche Dualismus beide zum quantitativ Erhabenen in der Kunst treiben mußte; aber der Dualismus des abend- ländisch germanischen Geistes ist nicht ein Schwanken zwischen dumpfem Brüten und wilder Trunkenheit, sondern das eine der extremen Momente ist tiefe Innerlichkeit und die hervorschießende Kraft und Luft, die das andere bildet, wird in seiner Darstellung durch architektonische Massen von dieser Innerlichkeit durchdrungen und gegliedert. §. 592. 1. Die classischen Einzelglieder werden in bewegtere Formen verwandelt, die herrschende tiefe Hohlkehle verstärkt den Charakter des Innerlichen, in der Abstoßung der Ecken und Uebereckstellung, der Durchführung des Polygonischen überhaupt, einem Verhältnißspiele, das ebensosehr ein Gefühl der Freiheit in Beherrschung des Schweren, als eine strenge Bindung darstellt, dringt in neuer 2. Weise der Charakter des Krystallischen durch. Der Bildungstrieb der Phantasie legt sich aber zugleich in einer unendlichen Vielheit des Ornaments nieder, das alle Oeffnungen und Flächen füllend, überkleidend, durchbrechend, allem Aufstrebenden Spitzen aufsetzend sich vorzüglich in den Fensterfüllungen, an den Fa ç aden, an der Thurmspitze ansammelt. Die Regel, welche diese Vielheit beherrscht, ist ein geometrischer Schematismus, der das Einfache ver- ästend fortgliedert, dasselbe Gebilde in verschiedenen Größen in sich selbst wieder- holt, in verschiedenen Stellungen um einen Mittelpunct gruppirt, in dessen Achsenwirkung nun das krystallische Gesetz, hier in freierer Weise, wiederkehrt. Die reichen Pflanzenformen werden von derselben Gesetzmäßigkeit beherrscht. Endlich aber zieht, alles Horizontale durchschneidend, der Schwung nach oben diese ganze Fülle des Schmucks in gemeinsamer Richtung empor. Die Glas- malerei vollendet die Wirkung des Innerlichen, die Plastik entfaltet ihren reichen Beitrag vorzüglich am Portal. 1. Im romanischen Style war der Säulenfuß noch attisch, die Ge- simse aus Gliedern zusammengesetzt, die im Wesentlichen noch die antiken Grundformen hatten; der nun zur Reife gediehene Sinn des Mittelalters ergreift jetzt diese Gebilde, und die Hohlkehle, die wir schon kennen ge- lernt haben und die nun ebenso an allen Oeffnungen auftritt, am Ge- sims die Welle tief unterschneidet und zur Wassernase bildet, führt ihren einziehenden, einschlürfenden und zugleich kräftige Schattenstreifen bildenden Charakter durch; die Platte fällt als Wasserschräge ab und es ist dieß nur eine einzelne Aeußerung des Systems der Einschrägung, das wir schon in der Thür- und Fensterbildung des romanischen Styls kennen ge- lernt haben und das nun allgemein wird und mit der Entrandung, Ent- eckung, Entkantung zusammenfällt. Zunächst trägt dieses Hohlkehlen- und Entkantungssystem, das sich dem Systeme des Vortretens und scharfkantigen Abgrenzens in der classischen Baukunst so eigenthümlich entgegenstellt, einen Ausdruck von lebendiger Wärme, gemüthlicher Heimlichkeit, der entschieden auf das vertiefte subjective Leben hinweist; in den herrschenden tiefen Hohlkehlen liegt dieser Charakter der Innerlichkeit vermöge der Eigen- schaften, wie sie eben bezeichnet sind, schlagend ausgesprochen; die Ab- schrägungen, Entkantungen tragen ihn ebenfalls, denn die Ecken erscheinen abgestoßen, um in das Innere hereinzuziehen, im Innern am Pfeiler, um von dem Mittelschiff in die Seitenschiffe einladend hin- und zurück- zuführen. Dieser letztere Theil des neuen Gliederungssystems hat aber noch seine bestimmtere Bedeutung und Wichtigkeit und ist daher genauer in’s Auge zu fassen. Zunächst erinnert er bestimmter an den Krystall, als die arabischen und romanischen Formen (vergl. §. 588. 590); nur darf man nicht mit Metzger (Gesetze der Pflanz.- und Mineral.-Bildung, ange- wandt auf den altdeutschen Baustyl) meinen, es seien diese Formen dem Krystalle abgesehen, sondern es ist nur eine unbewußte Wiederholung dessen, was die Natur unbewußt thut, im bildenden Menschengeiste (vergl. §. 558 Anm.). Schon das große Thurmgebilde erinnert an eine durch Entkantung und Enteckung vom Viereck in das Achteck, dann in die Spitze überge- führte Krystallsäule. Hieher gehört aber namentlich die Gestalt des Pfeilers; was an Thüren, Fenstereinfassungen einfach Abstoßung der Ecken ist, er- scheint hier vielmehr als Folge der Uebereckstellung . Zunächst entsteht diese Form schon am romanischen Pfeiler dadurch, daß sein, zwar in regelmäßiger Flucht aufgestellter, viereckiger Kern an den vier Seiten der starken Halbsäulen mit Pilastervorlagen ansetzt, die nun eine Form bilden, welche ein zweites, auf dem ersten übereckgestelltes Viereck darstellt; bei dem gothischen Bündelpfeiler sahen wir das übereckgestellte Quadrat als Grund-Schema ebenfalls durch die starken Halbsäulen-Vorlagen entstehen. Wie nun aber die Phantasie einmal diese Form in ihrem Werke sich hat Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 21 bilden gesehen, so fällt ihr ein, daß man’ so überhaupt alle Quadrate umstellen kann und daß dieses aus dem übrigen Entkantungssysteme sich von selbst ergibt; nun führt sie diese Form überall an den eckigen Bau- gliedern durch. Erinnert nun die Entkantung überhaupt an den Krystall mit der concentrischen Anlagerung von Flächen, deren Mannigfaltigkeit durch Entrandung u. s. w. aus dem Einfachen des Dreiecks, Vierecks entsteht, um eine Achse, so sieht man in zwei oder mehreren aufeinander- übereckgestellten Quadraten die Verwachsung von Zwillings-Krystallen. Am Pfeilerfuße bildet sich, den vielen Rundstäben mit abgefasten Ecken folgend, so ein reiches Polygon, das sich vielgetheilt abstuft bis zum kleinen Pfühle hinauf, auf welchem der Schaft der Halbsäule ruht. Es ist nun überhaupt neben dem schwungvoll eingezogenen Runden derselbe polygo- nische Charakter, den im Großen schon der Chor-Abschluß entwickelt hat, in die untergeordnete Formenwelt eingetreten und dieser entspricht dem eckigen nordischen Naturell so entschieden, daß ja selbst die lateinischen Buchstaben eckig ausgebrochen werden und in der Plastik und Malerei alle Falten sich ebenso brechen müssen. Allein im Eckigen ist nun das Spiel mit dem Eckigen eingetreten; das krystallartig Mathematische ist nach dieser Seite ebensosehr ein völlig Freies; die barbarische Gebundenheit, die der fließenden griechischen Einfalt unfähig ist, hat sich innerhalb des Gebundenen frei gemacht, das eisig Winterliche belebt sich zu diesem Schalten eines erfinderisch wendenden, wechselnden, umstellenden Scharfsinns, man möchte sagen: zu dieser Poesie der Meßkunst. 2. Diese Phantasie, welche nicht auf ruhigem Gleichgewichte der Kräfte ruht, wie die griechische, ist zugleich überhaupt eine bunte, vielgestaltige; jener überschüssige Bildungstrieb, der darin begründet ist und im romanischen Style sein Bett noch nicht gefunden hatte (§. 590), findet es jetzt, d. h. nicht, er beschränkt sich, sondern er sproßt in einer unendlichen Fülle des Ornaments auf, aber nicht mehr in jener abentheuerlichen, sondern in einer geregelten Weise. Die Fülle äußert sich in der Umspinnung sämmt- licher Räume; es wird nichts Leeres, nichts Nacktes, nichts Stumpfes mehr geduldet: es wird gefüllt, überkleidet und übergittert, blumenartig zugespitzt, es wird durchbrochen und die Durchbrechung ist nicht mehr Durchbohrung von Steinplatten, sondern Zeichnung mit Stein in’s Leere, ein kühner höchst kunstreicher Gebrauch des schweren Stoffs, als gälte es nur, Formen aus ihm zu bilden wie Linien mit dem Zeichenstift. Indem wir nun die Regeln suchen, welche in dieser zunächst das Auge über- schüttenden Fülle die Einheit durchführen, treten zugleich von selbst die im §. genannten hauptsächlichen Anlagerungsstellen des Ornaments hervor. Wir sehen zunächst den Grundsatz der Verästung wirken; derselbe ist schon im Uebergang zwischen Pfeiler und Gewölbe aufgetreten und schließt den weitern Grundsatz der Wiederholung in sich, doch so, daß beide zu unter- scheiden sind. Dieß zeigt nun sogleich der Schmuck des Fensters. Der Blendbogen, in den die Fenstergruppen des romanischen Styls mit ihren Trennungssäulchen eingerahmt waren, ist nämlich geöffnet worden und in sein Leeres zeichnet sich nun das reiche Ornament ein, das man Maaß- werk nennt. Dasselbe bildet sich aus einer organischen Verästung von Stäben mit eckiger Vorlage, die theils auf der schrägen Fensterbrüstung frei, theils aus einem von Hohlkehlen durchschnittenen Bündel an beiden Seiten als feine Pfostengliederung aufsteigen, während andere Rundstäbe desselben Bündels zur spitzbogigen Einrahmung des Ganzen fortwachsen. An den Stellen, wo man einen Kreis oder Bogen blätterartig theilen will, lösen sich die eckigen Vorlagen der Stäbe oder Sprossen ab, biegen sich in das Leere herein und schneiden so unter dem Namen der sogenannten Nasen eine Blattform aus. Diese organische Verästung kann als eine freiere Wiederholung des Pfeilers und Gewölbes betrachtet werden. Zunächst nun werden auf diese Weise gewöhnlich zwei Spitzbögen gebildet, es wiederholt sich durch sie das Fenster im Fenster und diese Wiederholung wiederholt sich abermals, denn in diesen Spitzbögen sind wieder kleinere, in diesen oft noch kleinere Spitzbögen; es handelt sich aber nun um die Füllung des übrigen Raums, d. h. des noch leeren Hauptfeldes über den größeren secundären Spitzbögen unter dem Spitzbogen des Fensters selbst und ebenso über den kleineren Spitzbögen, die unter den größeren befaßt sind. Dazu dienen in der Zeit des noch reinen Styls fünf Grundformen: der volle Kreis, der Vierpaß und das Vierblatt, der Dreipaß und das Dreiblatt; diese combiniren sich auf die verschiedenste Weise: die Pässe nehmen die Blätter, der Kreis die Pässe und die Blätter, die Blätter wieder Blätter in sich auf; der Kreis theilt sich ohne Vermittlung des Passes in eine vielblättrige Gestalt; die Blätter sind rund oder spitz oder rund und durch Nasen gelappt u. s. w. In diesen Bildern tritt nun die Kreistheilung hervor, wie sie den Krystall in einfacher, die Pflanzenbildung in mannigfaltiger Weise beherrscht (auch hiezu vergl. Metzger a. a. O.). In der wechselnden Stellung und Zusammenstellung derselben aber zeigt sich vornämlich das, was der §. einen mathematischen Schematismus nennt (vergl. Bötticher a. a. O. S. 23): dasselbe Verhältnißspiel, das wir in der Brechung und Umstellung des Eckigen haben schalten sehen, tritt hier in reicherer Weise ein und wendet als eine künstlerische Scholastik das Dogma der Grundform nach allen Seiten: der Drei- und Vierpaß, das Drei- und Vierblatt kann sich auf die breite oder spitze Seite setzen, in das Feld zwischen den Spitzbögen heruntertreten oder auf deren Spitzen lagern, an den äußersten größten Spitzbogen anlegen oder von ihm ab- lösen, mehrere dieser Bilder können sich um einen Kreis oder Kreise um 21* sich her gruppiren u. s. w. Wir nennen auch dieses Gruppirungsgesetz krystallisch wie die einheitliche Wiederkehr im maurischen und romanischen Ornament; der Unterschied ist aber der, daß jetzt die Formen nicht nur die band- und stabartige Verschlingung mit nicht ausdrücklich hervortretendem Mittelpunct aufgeben und als selbständige Ganze sich um einen solchen gruppiren, sondern daß dieß auch in viel mannigfaltigerer, gefüllterer Weise geschieht; das Kaleidoskop (§. 590) ist voller geworden, wird öfter gedreht und daher das Anschießungsprinzip, wie im Dogma durch viele Beweise, reicher belegt. Uebrigens wird durch die vielen gebogenen Spitzen, welche nun theils durch die Nasen, theils durch die leergelassenen kleinen Felder zwischen den Einästungen entstehen, das Eckige des gothischen Styls zum Dornigen, was ebenfalls als ein winterlicher, nordischer Geist gemahnt. — Es liegt nun aber dem Maaßwerke noch ein bestimmteres geometrisches Geheimniß zu Grunde; in der Blüthezeit des Spitzbogenstyls stehen nämlich jene genannten fünf einfachen Grundformen, welche theils einzeln, theils combinirt, über den aliquoten Theilen der Weite des Hauptspitzbogens mit den secundären Spitzbögen zusammengestellt die Grundlinien des Maaß- werks bilden, mit der Art des zu Grunde gelegten Spitzbogens in einem nothwendigen mathematischen Zusammenhang, so daß ihre Messung das Maaß des letzteren und umgekehrt ergibt, also z. B. ein vom Spitzbogen- rande abgelöster Vierpaß nur in einem Spitzbogen bestimmter Form vor- kommen kann. Das Abweichen von diesen einfachen Verzierungsgrund- formen, das Dominirenlassen gewisser willkührlicher Gebilde ohne be- stimmtes geometrisches Gesetz, welche früher (wie die Fischblase) nur in untergeordneter Weise als gelegentliche Ausfüllung von Nebenräumen sich ergeben hatten, bezeichnet den Verfall dieses Styls. Jenen geometrischen Zusammenhang zwischen der Art des gewählten Spitzbogens und der Ver- zierungs-Motive müssen die alten Meister, wie sich nachweisen läßt, zum Theil genau, zum Theil annähernd sich zum Bewußtsein gebracht haben, aber nicht durch starres Festhalten an einmal festgestellten Zahlenverhält- nissen, auch nicht auf rein mathematischem Wege, sondern durch ein von inniger Vertiefung geleitetes Probiren und Suchen mit Zirkel und Lineal Ein unter der Presse befindliches Werk von Reusch, Prof. der Physik in Tübingen, wird über den hier angedeuteten, von ihm aufgefundenen geometrischen Schlüssel, der von den Combinationen Hoffstadts und Anderer wohl zu unterscheiden ist, die ausführliche Rechenschaft geben. . Dieses Maaßwerk wiederholt sich nun als Durchbrechung in den Galerien, welche die Dachgesimse zieren, im Thurmhelm, in den Strebebögen, in den eigentlichen Vergitterungen, welche über Wand oder Fenster frei abstehend die Fensterform wiederholen, als bloßes Relief in den Flächenverkleidungen der Spitzgiebel (Wimberge), in der herrlichen kreisförmigen Rose über dem Portal, an den Flächen, welche neben ihr, zwischen den Strebepfeilern, Fenstern an der reichen Fa ç ade übrig bleiben und nicht nackt gelassen werden dürfen, sparsamer im Spitz- bogenfries, der an den Stockwerken der Thürme, unter dem Dachgesimse sich hinzieht. Haben wir so die Regel gefunden, welche diese Formenwelt innerhalb des einzelnen Theils beherrscht, so tritt nun aber als gemein- schaftliche Einheit für alles Ornament, zugleich selbst wieder Ornamente besonderer Art motivirend, derselbe Verticularismus in Wirkung, welcher diesem ganzen Styl zu Grunde liegt. Dieser Höhenzug führt in gemein- samem Schwunge Alles empor; er setzt dem in Stufen mit Gesims-Ver- kröpfungen verjüngt aufsteigenden Strebepfeiler die Fialen auf, läßt an jenen Stufen überall ebensolche Fialen aufsprossen, um dazwischen liegende Spitzbögen und Spitzgiebel zu umflügeln, er ruft die Spitzgiebel selbst überhaupt hervor und weist ihnen ihre bedeutendere Stelle über den Fenster- und Portalspitzbögen an, um überall die Horizontal-Linie der Galerien, Stockwerkgesimse u. s. w., damit nichts Wagrechtes ungebrochen bleibe, aufsteigend zu durchschneiden, er schließt diese Gesammtbewegung im Thurme ab. Und in diesem Höhenzuge tritt abermals jenes Gesetz der Wiederholung ein: wie das Fenster und Portal die Wölbung mit den Tragepfeilern, so wiederholt der Spitzgiebel und die Gruppe kleiner Giebel, welche auf der Höhe des Strebepfeilers der Fiale vorangeht, den Dach- giebel, die kleine Fiale die größere, alle Fialen den Thurm oder umge- gekehrt. Endlich begnügt sich aber dieser Styl nicht mit einer nackten Schräge, nackten Spitze, zum Theil nicht einmal mit einer nackten Spitzbogen- Umrippung: er läßt an den Gräten des Spitzgiebels, Giebels, Dachs, Thurmhelms, den Kanten der polygonen Fialen jene Blätter aussprossen, die an ein über eine Kugel hergewachsenes Kohlblatt erinnern („Krabben“), und faßt eine Gruppe derselben in der Kreuzblume zusammen, die alle Spitzen krönt. Alles, was im Maaßwerk vegetabilisch erscheint, ist nicht ursprünglich Pflanzenmotiv, sondern nur geometrisch sich ergebende pflanzen- artige Form; hier erst, wie am Kapitell des Tragpfeilers, tritt eigentliche Pflanzenform ein. Heimische Pflanzen, Wein-, Epheu-, Hopfen-, Stech-, palmenblatt werden nachgebildet, aber in der guten Zeit immer streng stylisirt und in dieser Stylisirung spielt die kugelartige schwungvolle Aus- wölbung neben der kräftigen Einkerbung, — also auch hier das nordisch individualisirende Element — eine Hauptrolle (herrliche Kapitelle im Ulmer Münster). Die Thiergestalt erscheint phantastisch in der bestimmten Function des Wasserspeiers, die menschliche stellt sich auf Consolen, von Baldachinen gedeckt an die Tragpfeiler, auf die Strebepfeiler, vorzüglich aber (hier freilich unschön schräg) in die tiefen Kehlen des in reichem Rippenbündel aufwachsenden Portals der Fa ç ade, welches zugleich im Füllungsfelde seines Spitzbogens die Stelle für das Relief bot, das mit den reichen Figurenreihen der Hohlkehlen zu seinen Seiten an diesem Hauptpuncte der concentrirten Pracht ein großes cyklisches Ganzes, ein kirchliches Epos zusammenstellte. — Endlich haben wir noch nach der Farbe zu fragen. Da im Aeußern durch das unendliche Ornament die Baukunst selbst ma- lerisch geworden ist, da im Innern fast keine Wandfläche mehr übrig bleibt, so kann sich dieselbe blos an Einzelnes legen: an die Halbsäulen der Pfeiler, ihre Kapitelle, an die Gurtrippen; häufig beschränkt sie sich hier auf eine Bemalung der nächsten Stelle der Kreuzgurtrippen um den Schlußstein (meist blau, roth, Gold); sie trägt pflanzenartige Aus- strahlungen in die Gewölbekappen ein, sie färbt die Heiligen und ihre Häuschen. Aber es soll ein höherer Ersatz für die großen romanischen und byzantinischen Wandgemälde werden; die Wand ist vom Fenster ein- genommen; auf diese Stelle concentrirt sich nun die Farbenwirkung als eine, den Feldern des Maaßwerks in streng architektonischer, höchst or- ganisch angeschlossener Composition eingeordnete Glasmalerei. Gluthvoll leuchtend dämpft diese dennoch das grelle Licht, das sonst die Hallen er- füllen würde und vollendet so durch farbiges Helldunkel den Charakter des Innerlichen: wie es ein idealer Raum ist, in den wir treten, so ist auch das Licht ein künstliches, ein ideales, vermitteltes, verinnerlichtes. §. 593. Die Freiheit, welche nun so weit geht, daß sie das Structive in eine allgemeine Empfindungsbewegung (vergl. §. 458) hinauftreibt, schlägt jedoch in Abhängigkeit um; das rein geistige Aufstreben von der Erde ist ebensosehr an die äußere Vielheit einer mythischen Ueberfülle gebunden; neben das Innere fällt ein gerippartiges, stachliches, die vielen Einzelglieder structiv nicht zusam- menhaltendes Aeußeres; die Weite und Größe verbunden mit dieser Vielheit und dem farbigen Helldunkel wirkt im Sammeln zerstreuend, berückend: alle diese Züge fassen sich in dem sinnlich geistigen Dualismus der phantastischen Subjectivität (vergl. §. 447) zusammen. Es ist das eigenthümlich Antinomische am gothischen Wunderbau, daß man im Bewundern seine Schwächen tadeln, im Tadeln wieder be- wundern muß. Am bestimmtesten hat diese Schwächen des gothischen „Glashauses“ Hübsch (a. a. O.) aufgeführt, er selbst muß aber das Lob zwischen den Tadel mischen, nur daß jenes nicht in der eigenthüm- lichen Wage mit diesem schwebt, wie wir es für das Richtige halten. Die kühne Freiheit ist ebensosehr Abhängigkeit, weil die nun allzuleichten Ge- wölb-Verschlüsse nicht einmal den Brand des Dachstuhls aushalten können; am Thurm ist der durchbrochene Helm kein genügender Wetterschutz, er bedarf einer besondern hölzernen Eindachung. Tiefer gefaßt schwankt jene kühne Gewölbung an den Grenzen des Structiven hin; es ist zwar des Gesetz- lichen nicht so gespottet wie da, wo nicht in einem großen Styl, sondern in subjectiver Manier das A rc hitektonische sentimental, malerisch behandelt wird in entschieden unberechtigter Art der Einmischung des Styls der einen Kunst in den der andern (vergl. §. 532), aber es ist doch schon haar- scharf an das Unberechtigte angestreift, das stimmungsvolle Hinüberfließen des Tragenden in das Getragene ist eben im Begriff, den Widerstreit von Kraft und Last nicht zu versöhnen, sondern zu verwischen; namentlich in dem allmählichen völligen Aufgeben des Kapitells, das sich doch ganz natürlich ergibt, ist jene Hauptbedingung der schönen Composition, das scharfe Markiren des vollen Contrasts im Zusammenstoße (vergl. §. 568), das trotz der vermittelnden Ueberführung der Glieder nie geopfert werden soll, verflüchtigt. Das Verhältniß zwischen dem Innern und Aeußern des Baus spiegelt klar jenen bei der Betrachtung des Ornaments mehrfach schon in Erinnerung gebrachten Dualismus des Geistlichen und Sinnlichen in der Welt des Mittelalters wieder; die aufgegangene tiefe Geistigkeit ist nicht durch die Persönlichkeit durchgeführt, Innigkeit und Rohheit, spröder Eigen- sinn, geistige Durchsichtigkeit aller Dinge und mythisches Verkörperungs- bedürfniß, das einen neuen Olymp erzeugt, fallen nebeneinander, schieben sich zwischeneinander: so erscheint der Außenbau an sich als ein unter allem Reichthum des Ornaments dennoch trockenes Knochengerüste, das dem stimmungsvollen Innenbau kein genügendes Fleisch umlegt, man ist an die dürren Leiber bei den ausdrucksvollen Köpfen in der deutschen Malerei erinnert; die unendlichen Spitzen sind die spröde Monadenwelt der trotzigen Einzelkräfte der mittelalterlichen Gesellschaft, die noch nicht wahrhaft Staat heißen kann, sie sind zugleich die vielen Götter des Mittel- alters; das Gemeinsame der aufsteigenden Linie faßt zwar diese ragenden Einzelkörper ebenso zusammen, wie die Religion jene spröde Welt von Individuen, Corporationen in gemeinsamem Schwunge vereinigte, und der Thurm, worin sich diese Bewegung abschließt, ist zugleich der eine Gott als Schluß jenes Olypms, aber in der Baukunst reicht jener gemeinsame Höhenzug als bindende Einheit nicht hin, dieselbe fordert vielmehr eine körperlich übergreifende Subsumtion des Vielen (unter gemeinsamer Decke); und ebenso verhält es sich im Leben: kein wahrhaft als Gesetz, Recht, Regierung zusammengefaßtes Allgemeines faßt die kirchlich vereinigten Einzelkräfte des Mittelalters auch vernünftig weltlich zusammen; endlich wie die vielen Spitzen und Ornamente einer durchgängigen Eisenver- rankerung bedürfen, so muß die scholastische Spitzfindigkeit den ganzen Mythenkreis neben dem Einen Gott stützen und heften. In einer früheren Vergleichung fanden wir die Scholastik als geometrischen Schematismus in der Erfindung und Reglung der Ornamente thätig. Man wird den Reichthum derselben und das System der Einzelglieder nicht ganz gerecht beurtheilen, wenn man vom Standpuncte einer so absolut streng nur or- ganisch charakterisirenden Kunstform ausgeht, wie Bötticher; mehr freie Poesie, als der einfache griechische Bau zuläßt, muß berechtigt sein. Aber es gibt auch in diesem weiteren Spielraum ein Maaß, das nur ein so kühner Bau in seiner Selbständigkeit, nie aber eine Zeit, die das Ganze nicht selbst genial erfunden hat, überschreiten darf. — Die colossale Größe macht das Innere zu einer Welt, einer geistlichen Stadt, worin rührend jeder seine Seelenlabung jederzeit holen kann (vergl. Hegel Aesth. II, S. 342. 343), allein die vielen Altäre, die gleichzeitigen Gottesdienste, das Ab- und Zugehen, das hallende Geräusch zerstreut ebensosehr, als es sammelt, und das farbenglühende Helldunkel entspricht einer Andacht, die zu wenig Boden schlichten, hellen Denkens hat, um wahre Erbauung zu sein, die vielmehr eine tiefinnerliche Aufregung ist. 3. Ausgang . §. 594. Den Zuständen §. 362 ff. und der Wandlung der Phantasie §. 464 ff. entspricht von der einen Seite eine Ausschweifung des gothischen Styls von noch gesteigerter Zierlichkeit in Willkühr, von der andern Seite das durch deutliche Vorboten einer ganz veränderten Stimmung innerhalb jener Form an- gekündigte Eindringen classischen, zunächst römischen Styls, dessen anfängliche bewegtere Mischung mit mittelalterlichen Motiven vorerst einer strengeren Nach- ahmung weicht. Der realistischer gewordene Sinn zeigt sich zugleich in dem Ueberwachsen der weltlichen Zweige der Baukunst. Daß die Kühnheit und unendliche Verzierungsfälle, der malerische, bewegte Zug des gothischen Styls noch nicht Willkühr genannt, noch nicht zu den rein unbefugten Einmischungen der Stylgesetze einer Kunst in die andere geschlagen werden darf, sondern in jener antinomisch schwebenden Weise aufzufassen ist, wie wir es zum vorhergehenden §. bezeichnet haben, dafür liegt der sichere Beweis in der Erscheinung einer Stylweise inner- halb desselben, welche unzweifelhaft Willkühr ist, die structiven Gesetze entschieden verspottet, das Ornament augenfällig desorganisirt, also im Grunde vielmehr Manier zu nennen ist. Anfangs erscheint diese Aus- schweifung nur erst als noch größere Zierlichkeit namentlich in der Stei- gerung des Rippengliederbaus im Gewölbe zu Netz-, Stern-, Korb- Gewölben, welche die Masse bis auf ein Aeußerstes zu entlasten suchen, bald aber geht dieser spätgothische Styl in die bezeichnete gesetzlose Spielerei über; sie äußert sich namentlich im Ornament als Abweichen von jener geometrischen Regel in der Verbindung bestimmter Verhältnisse des Maaßwerks mit bestimmten Spitzbögen, als willkührliche Ausfüllung der Felder, besonders mit geschweiften Formen (die Fischblase z. B. wird nun nicht mehr in übrig gebliebene Nebenfelder verwiesen, sondern spielt eine Hauptrolle), als seitliche Ausbiegung (Frauenschuh u. dergl.), als Aufnahme nicht geometrisch stylisirten Zweigwerks, als Einführung der geschweiften Form auch an die Stelle des Spitzbogens (Eselsrücken). Da- neben tritt aber ein anderer Zug hervor: ein Zug zum Einfacheren, weniger Getheilten und zur horizontalen Linie: Vorzeichen jener Stimmung, die ruhiger an der Erde bleiben will, die zu jener Versöhnung mit der Ob- jectivität strebt, welche wir als Prinzip des modernen Ideals aufgestellt haben. In der Wölbung erscheint dieser Zug als erneuerte Liebe zum ruhigeren Rundbogen, als Aufnahme des Stichbogens, im Ornament als Eintritt geradlinigen Stabwerkes in die Füllungen, das nun freilich mit dem Bogensegment in einem schlechten Verhältniß steht und so auch den Ver- fall bezeichnet, den wir nicht weiter verfolgen. Diese Zeichen treten außer- halb Italiens auf, wo der gothische Styl niemals in seinem ganzen Wesen eingedrungen ist, wo vielmehr frühe der romanische Rundbogen wieder vorgezogen und schon im fünfzehnten Jahrhundert zum classisch römischen Style, namentlich zur Kuppel, zunächst in anmuthig bewegter Verbindung mit Basiliken-Grundformen, ornamentistischen Einzelformen des Vorgothischen (gruppirten Fenstern u. dgl.) zurückgegriffen wird. Dann aber wird der römische Baustyl mit vollem Bewußtsein erneuert und bildet sich, was wir Renaissance nennen; in Italien zunächst als freiere, noch immer an die Basiliken-Anlage anknüpfende, die Fa ç aden lebendig gliedernde (Bru- neleschi, anfangs Bramante), dann als nüchtern correcte, auf Vitruv ge- baute Nachahmung (Alberti). Dieser erneuerte römische Styl entspricht genau der Wiederaufnahme des objectiven classischen Ideals in noch un- verarbeiteter Form, welche der lebendigen Aneignung vorangehen mußte; sie verbindet sich, wie die neue Anschauungsweise mit der noch nicht durch- gebildeten Persönlichkeit, auf widersprechende Weise mit der Sitte und An- schauung einer vom Alterthum gänzlich verschiedenen Zeit. Weniger gilt dieß von den Italienern als dem am reinsten romanischen Volke; es stellt sich hier nicht weiter ein Rest Mittelalter mit dem Antiken zusammen, der Widerspruch liegt, abgerechnet die ursprüngliche innere Unwahrheit des römischen Styls an sich, die in der decorativen Verbindung des Architravstyls mit der geschlossenen Fa ç ade und der Wölbung bestand und nun wieder zu Ehren kommt, nur zwischen der Form und dem eigentlichen Bau- und Wohn-Bedürfniß. Es ist übrigens Ausdruck des neuen Zuges zur Wirk- lichkeit, daß dieser erneuerte antike Styl ebenso bedeutend in einem Reich- thum neuer öffentlicher und Privat-Paläste, als an Kirchen, hervortritt. Im Mittelalter wie im Alterthum ging der Styl vom Tempel aus und zog die übrigen Zweige nach; jetzt hört der religiöse Bau auf, stylbildend, maaßgebend zu sein. γ. Die moderne Baukunst . §. 595. 1. Ein phantasiereiches Verzierungssystem verdrängt in Italien wieder jene nüchterne Nachahmung, geht in ein leidenschaftliches, gewaltsames Formenspiel und von da in vollendete, aufgeregt empfindsame, aller structiven Gesetze spottende, üppige und durchaus schnörkelhafte Manier über (vergl. §. 473). Diese ver- pflanzt sich zu den nordischen Völkern, die bis dahin die erneuerte classische Form mit Resten der gothischen in charakteristischer Weise gemischt haben, und 2. beherrscht von Frankreich aus die Welt (vergl. §. 370 ff. und 476). Nach- dem die Revolution des Lebens und der Phantasie diesem Unwesen ein Ende gemacht hat, vermag jedoch auch der geläuterte moderne Geist auf dem Gebiete der Baukunst nicht schöpferisch zu werden, sondern nur die dagewesenen Style in ihrer Reinheit nachzubilden. Die Erzeugung eines dem Wesen des modernen Ideals (vergl. §. 467) entsprechenden neuen Styls hängt von den Bedingungen ab, die sich aus §. 577 ergeben. 1. Der erste Theil des §. umfaßt das Reformationszeitalter und die Zeit bis zu dem Zustande, den der zweite Theil unseres Systems als Mitte des Modernen in der ästhetischen Physiognomik der Geschichte und in der Geschichte der Phantasie aufstellt: vom sechzehnten bis tief in’s achtzehnte Jahrhundert. In Italien gibt sich das raschere, feurige Ge- fühl, das allenthalben erwacht, seinen architektonischen Ausdruck vorerst in brillanter Neubelebung des nüchtern gewordenen Renaissance-Styls, edler, reicher Glieder- und Ornamentfülle (Raphael, Sangallo u. And.); das Wildere geht von einer mächtigen, aber gewaltsamen Persönlichkeit, von M. Angelo, aus: die Riesen-Pilaster und Gebälke, Verkröpfungen, das Brechen und Einschneiden der Giebel über Thür und Fenster, der Anfang des Schnörkels in geschweiften, gerollten Verzierungen. Diese Erscheinun- gen, so wie den reinen Rokoko, der durch Bernini und Borromini, den „Todfeind der geraden Linie“, im siebzehnten Jahrhundert aus diesen Ansätzen sich entwickelt, hat die eigentliche Kunstgeschichte näher zu schil- dern; die Aesthetik begnügt sich, da sie nur, wo ein neuer Originalstyl auftritt, tiefer einzugehen hat, mit der Zurückweisung auf die allgemeinen Zustände, die sich in solchen Formen culturhistorisch spiegeln, sowie auf die geschichtliche Gestalt des Geistes und der Phantasie, der sie entspre- chen. Jene Zustände sind zunächst bei den Italienern zuerst die schönere Humanitäts-Entfaltung des früheren sechzehnten Jahrhunderts, dann die seelenlose Pracht des restaurirten, innerlich verwilderten Katholicismus §. 366, 2. ; in der Geschichte der Phantasie ist es die erste, frische An- eignung des objectiven Ideals des Alterthums §. 467, dann die „empfind- sam gereizte, gewaltsam schwülstige, subjectiv willkührliche“ Stimmung, die in §. 473 aufgeführt ist; diese kräuselt den Stein wie Papierschnitzel, zieht ihn in lauter unbestimmte, schilf- und fasernartige Formen aus, unterbricht alles Tragende in seiner structiven Grundlinie und verhöhnt so mit selbst- gefälligem Lächeln das Gesetz der Schwere, wickelt den Thurm in Schnecken- linien auf u. s. w. Wir haben aber noch nicht das ganze Bild, wenn wir diese Bauformen nur mit den südlichromanischen Zuständen zusammen- halten; wir müssen uns erst nach dem Norden wenden. Der neuitalie- nische Baustyl wandert zunächst nach Frankreich (Franz I. ), dann weiter und namentlich nach Deutschland. Die Reformation konnte keinen neuen Baustyl schaffen, weil sie keine neue Religion schuf; hier wie in Frank- reich verbindet sich nun die Renaissance mit den Resten des Gothischen, mit dem steilen Giebel, den mancherlei Bogenformen, die das Spät- gothische, zum Theil aus dem maurisch-Romanischen, wieder aufgenommen, und diese Mischung ist es, die als besonders charakteristisch hervorzuheben ist, denn in ihr spiegelt sich die rauhere, heftigere nordische Kraft in ihrer unausgeglichenen Verbindung mit dem neuerwachten Humanitätsprinzip (§. 470. 471); die gewaltsameren Formen aber, die von M. Angelo aus- gehen und den Rokoko einleiten, in diesen Ländern immer noch mit jenen gothischen Resten gemischt, charakterisiren genau jene allgemeine wilde Entfesselung der Leidenschaften §. 368. 369 und fallen ganz mit dem „Ausgeschwungenen, Luftigen, Weiten, Bewegten“ der übrigen Culturformen (s. ebend.) zusammen. Die Feststellung und Herrschaft des Rokoko aber, woraus nun jene gothischen Reste verschwunden sind, als allgemeine, ab- solute Convenienz fällt zusammen mit den Zuständen der absoluten fran- zösischen Monarchie, der frivolen Aufklärung u. s. w. §. 370—373 und der entsprechenden geistigen, sog. classischen Dictatur §. 476. Es bedarf, wenn man diese §§. vergleicht, weiterer Schilderung nicht. War schon in der reingothischen Baukunst zu viel malerische Empfindungsbewegung, wurde in der spätgothischen durch die Steigerung dieser Bewegtheit das Structive bereits entschieden beeinträchtigt, so ist nun in die Baukunst geradezu der Affect gefahren und zwar derselbe, der in der Malerei selbst jede satte, ganze, bestimmte Form scheut, nur das Runzliche, Hingeschleu- derte, Ausgefaserte liebt. Die Pflanze insbesondere wird nun in der Baukunst nicht nur nicht, wie es sein soll, geometrisch stylisirt, sondern ihr natürlicher Styl noch entstylisirt. Doch ist anzuerkennen, daß die Franzo- sen in diesem Unwesen nie so weit gegangen sind, als die Italiener, und daß sie zuerst wieder einiges Maaß in dasselbe eingeführt haben. 2. Die politische Revolution ging hervor aus einer Abstraction der Idee, welche auf dem Boden der Culturformen im Sinn der negativen Aufklärung rein durchschneidend, abmähend wirkte, vergl. §. 374. Sie konnte nach manchen früheren Versuchen, zum Einfacheren und Strengeren zurückzukehren, nur den Boden bereiten für die concrete Aufklärung mit ihrer wiedergewonnenen, richtigen Anschauung des römisch Classischen und des rein Classischen, des Griechischen (Stuart und Revett); die Revolution im Gebiete der Phantasie selbst §. 477 ff. wurde nicht schöpferisch in der Baukunst, denn ein neuer Baustyl setzt ganz andere, völkerumfassendere Bedingungen voraus, als eine Umwälzung in der Poesie. Wie sich diese stürmische Gährung zur wahren Humanität mittels der wahren Aneignung des classischen Ideals läutert, so bereitet sich nun in der Baukunst die reine Restauration des Griechischen vor, die moderne Romantik restaurirt das Gothische, und wie einmal der große geschichtliche Gegensatz der Hauptstyle mit unschöpferischer reiner Objectivität anerkannt ist und nach- geahmt wird, so entwickelt sich weiter der reine Eklekticismus, der nun alle Style kennt, anerkennt, wiederholt und in jedem Style bauen kann, nur in keinem eigenen. Vergl. zu diesem Zustand §. 377 und 482. Die Zopfzeit erscheint dieser völligen Zeugungsunfähigkeit gegenüber frisch, kühn, schwungvoll, phantasiereich, würdig wie ihre Tracht gegenüber der Hungrigkeit der modernen. Was nun die Frage nach einem neuen Bau- styl anbelangt, so läßt sich im ganz Allgemeinen wohl bestimmen, was er enthalten muß, und diese Bestimmung entspricht auch ganz der Art, wie jeder neue Baustyl sich zu früheren verhält: er schafft nicht absolut Neues, sondern bildet frühere Style zu Momenten eines neuen, organischen Gan- zen um. Ist nämlich das moderne Ideal überhaupt die Phantasie der wahrhaft freien, mit der Objectivität versöhnten Subjectivität, so sind als die Prinzipien, die so zu Momenten umgebildet werden, die zwei großen historischen Hauptstyle gegeben: der befreiten Subjectivität entspricht die freie Raumüberspannung, die Wölbungskunst des Mittelalters, der harmonischen Objectivität die classische Baukunst, und wie dieser große Gegensatz geistig ver- söhnt werden soll, so liegt in der Baukunst die Aufgabe vor, diese zwei Style zu einem neuen, dritten ineinanderzuarbeiten. Diese Versöhnung ist im Ideal überhaupt sowohl Ausfluß, als Quelle der wahren Freiheit, die dem Mittelalter noch fehlte, daher seine Subjectivität eben die phantastische war. Das Bewußtsein des Mittelalters war zu innerlich, weil es nicht innerlich genug war, d. h. weil es die Geistigkeit der Weltanschauung nicht im freien Denken wirklich innerlich durchzuführen vermochte, und ebendaher fiel es zugleich und neben der aufgegangenen Innerlichkeit der Aeußerlichkeit, der politisch ungeeinigten Vielheit roher Kräfte, der neuen Vielgötterei anheim. Dieß drückte sich in seinem Baustyl aus und diese Seite seines Baustyls soll eben dadurch, daß das ewig Gültige im Classi- schen, die harmonische Gediegenheit, die organische Einheit, die Ruhe, die er voraus hatte, mit dem Wahren des mittelalterlichen Baus sich verschmelzt, getilgt werden. Das antike Bewußtsein hatte aber die Subjectivität nicht entwickelt, dem entsprechend ist sein Baustyl zu gebunden, und wie das Mittelalterliche, so muß daher in dieser Verschmelzung nothwendig auch das Classische einer wesentlichen Umbildung unterliegen. Worin aber diese Umbildung beider Mischungsbestandtheile, denen so entgegengesetzte structive Prinzipien zu Grunde liegen, bestehen soll? Darauf hat nur die Zukunft die Antwort. Bötticher bestimmt die „Synthese“ dahin, daß zum Deckenbau des Mittelalters die classische Baukunst ihre organisch naturgemäße Formensprache (Glieder und Ornament) geben müsse. Allein er selbst hat die reine Strenge dieser Formensprache nur im griechischen Architravstyl nachgewiesen, dieser, als prinzipiell verschieden, läßt sich als solcher offenbar mit dem Gewölbebau nicht verschmelzen. Auch wird man so, nach dem einfachen Gegensatze von Kernform und Kunstform, nicht scheiden können, denn nicht alle Glieder- und Ornamentbildung des go- thischen Styls war phantastisch und abentheuerlich; das Hohlkehlen- und Ecken-Abstoßungssystem, also das Prinzip der einwärts gewendeten Glie- derung mindestens war wohlthuend für das Auge, warm, heimlich, dem Norden angemessen. Hübsch (in der öfters angeführten geistreichen Schrift) sucht den Punct, welchen die moderne Baukunst erfassen und fort- bilden müsse, zwischen der altitalienischen (gemischt romanischen und alt- römischen) Bauart und der Früh-Renaissance; Verbindung der Säule und des Rundbogens (namentlich als flachen oder Stichbogens in der Archivolte) ist das Wesentliche der von ihm empfohlenen Verschmelzung, für die geschlossene Fa ç ade nimmt er die Lissene auf, für die Decke der (protestantischen) Kirche, deren Bild er entwirft, das Tonnengewölbe. Die Wölbungsart bietet noch ihre besondern schwierigen Fragen; die Meisten rathen das romanische Rundbogen-Kreuzgewölbe; dasselbe ließe sich mit dem spitzbogigen in Einem Gebäude immerhin verbinden, aber von dem Gottesdienste, dem der neue Styl dienen soll, wird, so wenig wir ihn noch kennen, doch anzunehmen sein, daß er von dem protestan- tischen das größere Gewicht der Predigt in sich hinübernehmen werde, und dieß fordert Vermeidung des vielfachen Wiederhalls in den vielen Ge- wölbefeldern, lichte Oeffnung der Seitenschiffe, und doch wäre ein Auf- geben jener kühnen Ueberspannungen ein offenbarer Rückschritt zum Aermeren. Also überall ungelöste Fragen, und es kann auch keine Pflicht geben, sie zu lösen, weil es für jetzt keine Möglichkeit gibt. Einem neuen Baustyl muß eine neue Form der Bildung vorausgehen: eine Bildung, welche das Chaos kritischer Gedanken, auflösender und erhaltender Ten- denzen, trennender Leidenschaften, das unsere unzufriedene Uebergangszeit darstellt, zu einem Zustande natürlichen, einfachen Gesammtgefühls aufge- hoben haben muß, eines Gesammtgefühls, welches zugleich die Kluft zwi- schen der Bildungsstufe der Stände in der Beziehung der Religion so ausfüllt, daß trotz den Unterschieden in der Ausbildung des Denkens Ein Höchstes Allen gleich ehrwürdig ist. Ein solches Gemeingefühl muß sich in einem neuen Cultus darstellen und die Bedürfnisse dieses Cultus, der den geläuterten romanisch-katholischen Fest- und Formsinn und die gelichtete germanisch-protestantische Innerlichkeit irgendwie verschmelzen wird, werden auf der Grundlage jenes Gemeingefühls, das eben dem Künstler selbst lebendig inwohnen wird, diesen erwecken, daß er denkend und doch naiv die Frage, die wir mit bloßem Denken nicht lösen können, einfach lösen wird. Hiemit sind wir zu §. 577 zurückgekehrt, der in der Anmerkung bereits auch den naheliegenden Vorwurf eines Widerspruchs zwischen dem Satze in §. 466, im modernen Ideal habe sich das Schöne von der Religion getrennt, und zwischen den nunmehr aufgestellten Sätzen widerlegt. Anhang . Die untergeordnete Tektonik. §. 596. An die Baukunst schließen sich verschiedene Arten technischer Thätigkeit 1. an, welche nur Zweckmäßiges hervorbringen, aber dasselbe auf Grundlage des architektonischen Styls verschönern , wobei die ästhetische Aufgabe darin be- steht, daß der anhängende Schmuck zwar spielend, doch in organisch klarer Weise den Zweck ausdrücke. Am nächsten steht der Baukunst die Fügung und 2. Verzierung unbeweglicher, gewissen im Bauzwecke selbst begriffenen Bedürfnissen dienender Werke; auch die Technik größerer, beweglicher oder zwar kleinerer, aber auf das Geradlinige angewiesener Geräthe schließt sich ihr in innigem Zusammenhang an. Dagegen nähert sich die Technik der Gefäße und des handlichen Geräthes durch Vorherrschen des Runden und der Nachbildung orga- nischer Formen in der Verzierung dem Gebiete der nächstfolgenden, die concrete Gestalt nachahmenden Kunst. Auch die Bekleidung architektonischer Räume und größerer Geräthe mit weichen Stoffen und die ästhetischen Motive in der Anfertigung derselben knüpfen sich an das Gebiet der Architektur. Die Ge- 3. schichte des Styls in dieser reichen Formenwelt folgt überall den Epochen des Bau-Styls. 1. Die Baukunst selbst im Ganzen und Großen ist das Extrem, wodurch die Kunst ihre Wurzel im Lebensbedürfniß und Handwerk hat, indem sie zunächst dem Zwecke der geschützten Wohnung dient und von diesem Ausgangspuncte sich zur würdigen Umschließung eines durch den absoluten Selbstzweck der Idee geforderten Innern erhebt. Jede Kunst hat nun ihre anhängenden Formen, worin ein an sich Außerästhetisches durch ästhetische Zuthat gehoben oder als lebendiger Stoff zu ästhetischer Darstellung verwendet wird vergl. §. 545 ff. Unter diesen verschiedenen Formen kann der Baukust nur diejenige anhängend zur Seite stehen, worin ein der äußern Zweckmäßigkeit dienendes Erzeugniß verschönert wird vergl. §. 546. Unter äußerer Zweckmäßigkeit kann hier natürlich nicht jene umfassendere verstanden werden, welcher die Baukunst selbst dient, sondern nur das Gebiet der untergeordneten Zwecke, das sich nie- mals zu der Höhe jenes absoluten Selbstzweckes erheben kann wie der Bauzweck im Tempel, das Gebiet des einzelnen Bedürfnisses, wofür sich der empirische Mensch durch Geräthschaften, Gefäße u. s. w. die Mittel schafft. Wir nennen dieß Gebiet das der untergeordneten Tektonik. Otfr. Müller befaßt unter dem Namen Tektonik sowohl die Baukunst im Großen, als die Technik der Geräthe und Gefäße; wir folgen ihm, indem wir durch den Beisatz „untergeordnet“ diese Gesammt-Benennung auch für die Architektonik offen lassen. Die tiefere ästhetische Bedeutung aller ver- schönernden Kunst ist schon in §. 545 mit Rückbeziehung auf frühere, allgemeine Sätze ausgesprochen. Niemand rühme sich des Kunstsinns, der sich nicht auch für diese untergeordneten Zweige, wodurch die Kunst sich concret mit dem Leben verschlingt, lebendig interessirt; wer das Auge im Großen für das Schöne gebildet hat, der geht am Laden des Kunst- tischlers, Waffenschmieds, an der Auslage von Gefäßen u. dergl. nicht gleichgiltig vorüber. Das ästhetische Gesetz nun für dieses Gebiet bestimmt der §. dahin, daß das verschönernde Spiel den zierenden Zusatz mit der außerästhetischen Kernform nicht äußerlich, sondern organisch in einer den Zweck selbst klar symbolisirenden Weise vereinigen soll. Wenige Beispiele mögen dieß erläutern. Der thierische Fuß an antiken Tischen und andern Geräthen zeigt sinnig an, daß das Geräthe beweglich ist, die Panther- tatze deutet spezieller die Bestimmung des Weintischs an (Attribut des Dionysos). Am Sturmbock kann der harte, spröde, dumpfe Stoß nicht besser charakterisirt sein, als durch den Widderkopf. Der Hahn am Schlosse des Schießgewehrs schnappt vor, schlägt auf, entzündet das Feuer: das Schnappen mag durch eine Fischform symbolisirt werden, oder mehr als pickender Stoß aufgefaßt durch das Bild des Raubvogels, dagegen be- zeichnet der Drache zugleich den Entzündungsprozeß; so belebt sich die Waffe und es liegt in dem treffenden Spiele des Schmucks dieselbe Poesie wie in Beilegung persönlicher Namen, wodurch bei den alten Völkern jede Waffe zu einem persönlichen Wesen wurde, wodurch die Glocke, das Schiff noch heute beseelt vorgestellt wird. Dagegen mag durch die Be- merkung, daß es sehr schwer ist, für den Mechanismus des Zündnadel- gewehrs eine passende symbolische Verzierung zu erfinden, sogleich auf den schweren Kampf hingewiesen werden, welchen in der modernen Zeit der Kunstsinn mit der Nacktheit zu bestehen hat, die der unendliche Fort- schritt der mechanischen Erfindungen mit sich bringt. 2. Es ist sehr schwer, die unendliche Formenwelt einzutheilen, von der es sich hier handelt. Die Eintheilung nach Gegenständen, an sich schon schwierig, durchkreuzt sich mit der Eintheilung nach Gewerken, da dieselben Gegenstände, aus verschiedenem Materiale geformt, verschiedenen Zweigen der Technik zufallen. Der §. legt seiner Ueberschrift die Richt- schnur zu Grunde, daß er von dem Gebiete, das der Baukunst enger sich anschließt, zu den Endpuncten fortgeht, wo sich diese Welt geschmückter Formen mehr und mehr in die Sculptur verläuft. Dieß geschieht in dem Grade, in welchem die runde Linie und die Zierrath, die Organisches nachbildet, herrschend wird. Je mehr die strenge geometrische Linie herrscht, desto näher stellen sich diese Gebilde an die Seite der Architektur. Wir beginnen die Uebersicht mit jenen größeren Gegenständen, die sich dadurch der Baukunst am engsten anschließen, daß sie unbeweglich im Bauwerk stehen und einem Zwecke dienen, der im Bauzwecke mitenthalten ist; zunächst im idealen Bauzweck des Grabmals und Tempels: Sarkophag, Grabstein, Altar, Chorgestühl, Kanzel, Sacramentshaus, Orgel nach der decorativen Seite ihres Baus, Taufstein. In diesen Bildungen wird sich immer der Baustyl einer Zeit wiederholen, aber reicher, als das Bau- werk selbst, in eine vielfältige Ornamentenwelt hinüberblühen. Im Mittel- alter hat sich an diesen Zweigen vorzüglich die blühende Schnitzerkunst ent- wickelt, denn für die im Innern geschützt stehenden Werke war das Holz ein ganz günstiges Material; doch auch dem Stein wurde nun (vor- züglich in den reichen Sacramentshäusern) ein Formenspiel abgewonnen, das die Nachwelt anstaunt. Die Namen Adam Kraft und Syrlin mögen statt aller weitern Schilderung ein lebendiges und herrliches Bild in der Phantasie hervorrufen. Welcher Schwung, welche strotzende Kraft und welche Genialität der Windung, Verschlingung, welche markige Schärfe dringt nun namentlich in die Pflanzen-Ornamentik ein, die hier einen ungleich reicheren Spielraum hat, als in der großen Architektur! — Von Solchem, was der nützlichen Baukunst angehört, mag hier der Ofen erwähnt werden; die Kunst des Eisengießers und des Töpfers kann aus dem Zwecke der Feurung einen Reichthum charakterisirender ästhetischer Motive entwickeln. In untergeordneterer Weise schließen sich an die Architektur gewisse Aufgaben des Schmieds und Schlossers, zum Theil auch des Eisen- und Bronce-Gießers an: Gitter, Geländer, Träger von Hervorragendem, reiche Schlösser, Thürklopfer u. dergl.; nimmt man die letzteren, kleineren Objecte für sich, so gehören sie freilich in ein weiter unten aufzuführendes, näher der Plastik zuzuweisendes Gebiet, allein wir dürfen sie mit dem Festen des ganzen Bauwerks zusammenfassen. Auch die zuerst genannten größeren Formen gehen ja vielfach in eigentlich plastisches Bildwerk über, das aber hier eben Ornament einer architekto- nisch behandelten Grundbildung ist und deren Gesetzen folgt. Die Bele- gung des Bodens gehört dem Mosaik-Arbeiter und Tischler, der Architekt kann ihm die Motive vorzeichnen, welche hier auf die Technik des Flech- tens, Wirkens hinüberweisen, ein Gebiet, von dessen Stellung nachher die Rede sein wird. — Wir gehen nun zu den Geräthen über, d. h. vorerst nur zu einem Theile derselben, demjenigen nämlich, der durch Größe oder, wenn die Formen klein sind, durch sächlich begründetes Vischer’s Aesthetik. 3. Band. 22 Vorherrschen der geraden Linie immer noch in näherem Zusammenhang mit dem Bildungsgesetze der Baukunst steht. Es handelt sich jetzt um lauter bewegliche Gegenstände, denn auf diese hat sich der Name Ge- räthe durch den Gebrauch beschränkt. Zu dem größeren Geräthe gehört Alles, was man Möbel nennt: Tisch, Sessel (und Prachtsessel: Thron), Bank, Schrank, aber auch Fahrzeuge: Wagen, Schlitten. Es theilen sich je nach dem Materiale verschiedene Gewerke darein: Tischler, Bronce- und Eisen-Gießer, Marmor-Arbeiter (ein unbestimmtes Gebiet zwischen Baukünstler und Bildhauer), Wagner, zum Theil Dreher, Toreut d. h. der Techniker, der aus Metallen oder Elfenbein, Perlmutter u. dergl. treibt, fügt und die Oberflächen des Ganzen in verschiedener Weise künst- lerisch bearbeitet. Diese letztere Technik (römisch caelatura ) begreift nun freilich Vieles in sich, was wir als bereits mehr dem Plastischen ange- hörig, jetzt Sache des Gold- und Silber-Arbeiters, Ciseleurs, Gürtlers weiter unten aufführen, doch ist sie ebenso in dem vorliegenden Gebiete größeren, mehr bauartig gefügten Geräthes thätig. Hieher können wir auch noch Lampen-, Lichter- und Gefäßgestelle, wie Kandelaber, Dreifüße, Leuchter, Kronleuchter ziehen, die freilich schon, dem größten Theil ihrer Form nach, in organische Formen-Nachbildung sich auflösen können, doch in ihren Grundlinien immer structiv, Säulenartig, auch Hängwerkartig bleiben. Aber selbst Kleines, Handliches, zur Aufbewahrung der ver- schiedensten Dinge Bestimmtes gehört noch hieher, sofern das Gerad- linigte darin herrscht; Behälter zu gottesdienstlichem Gebrauche wie Mon- stranzen folgen streng dem Baustyl; doch auch Unbedeutenderes, dem gewöhnlichen Gebrauche Dienendes ist hier zu nennen: Laden, Kästchen (antike Schmuckkästchen: cistae mysticae ), mit eingelegter, erhabener Ar- beit, Niello u. s. w. geschmückt: ein Feld, worin namentlich noch die Cinquecentisten so viel Reiches und Zierliches geleistet haben. Zu den Behältern läßt sich das Uhrgestelle rechnen, dem eine architektonische Bil- dung immer die natürlichste ist. Selbst die Cartonnerie und die Sattler- arbeit in geradlinigten Behältern mag hier noch erwähnt werden. — Gehen wir nun zu dem Gebiete über, das sich bestimmter der Plastik nähert, so ist es zunächst die Herrschaft der runden Linie, was diesen Uebergang bildet, und dieselbe ist durch die Bestimmung, Flüssiges in sich aufzunehmen und auszugießen, im Gefäße gegeben. Das gröbere hölzerne Gefäß, Faß, Bütte u. s. f. schicken wir mit der kurzen Be- merkung voran, daß diese Arbeiten des Küfers und Schefflers nicht immer so nackt und roh gewesen sind, wie heutzutage in den meisten Ländern, vielmehr Schnitzwerk, verschiedenfarbige Holzarten, schön geschwungene Grundform selbst diesem Werke des Bedürfnisses einen höheren Anhauch gegeben haben. Das kleinere Gefäß nun beschäftigt nach dem verschiede- nen Materiale den Marmor-Arbeiter, Dreher, Flaschner, Zinngießer, Eisen- und Bronce-Gießer, wieder den Toreuten, namentlich aber den Kerameuten: den Bildner aus Thon (in neuerer Technik auch Porzellan) und Glas. Bötticher (Tekt. d. Hell. Thl. I, S. 42 ff.) hat gezeigt, wie schön organisch, der Gliederung in ihrer Baukunst entsprechend, die Griechen das Gefäß in seinen Haupttheilen: Kessel oder Bauch, Fuß, Hals mit Lippe und Henkel entwickelt haben. Das Trinkgefäß unter- scheidet sich von dem zum Aufbewahren und Ausgießen bestimmten durch seine weitere Mündung; dagegen öffnet sich die Lampe nur in einem engen Mund für den Tocht, dessen Flamme das flüssige Oel verzehrt. Zu getriebener Arbeit eignet sich besonders die weitgeöffnete Schüsselform. An die Gefäße können wir die Technik des Korbflechtens anschließen, da sie ihre niedlichsten Formen im gefäßähnlich Runden hervorbringt. — Es bleibt nun eine unübersehliche Masse meist „handlichen Geräthes“ übrig, dessen Grundform durch den rein äußern, praktischen Zweck so gegeben ist, daß die höhere Technik aus ihr nichts entwickeln, sondern sich nur an sie anlegen kann; je weniger sie denn in die Fügung selbst einzudringen vermag, um so weniger kann sie in architektonischem Style verfahren, um so mehr wird sie vegetabilische, thierische, menschliche For- men anbringen und daher in die Plastik hinüberweisen, nur daß diese Formen hier vom Organischen in Arabasken-Weise abweichen, Pflanzen- und animalische Gestalten oder diese unter sich mischen können, was ihnen den ornamentistischen, also doch architektonischen Charakter bewahrt. Man denke hier an Waffen, Stöcke, Scepter, musikalische Instrumente (auch Glocken), an Küchen- und Hausgeräthe der verschiedensten Art, und wenn man zweifelt, ob selbst diese letzteren Dinge der Erwähnung werth seien, übersehe man die Ausgrabungen von Pompeji. Dagegen schreitet die Ver- zierung der Speisetafel bis zu Gegenständen fort, die blos der Pracht wegen aufgestellt werden; Tafel-Aufsätze können in ihrem Hauptkörper architektonisch organisirt sein, aber Pflanze, Thier- und Menschengestalt wird doch den Haupttheil ihrer Gruppirung bilden. Das Kleinste in der nun vor uns liegenden unendlichen Masse ist Schmuck in Edelsteinen, edlen Metallen, Elfenbein u. dergl.: ein Gebiet, das wir im Anhang zur Bildnerkunst wieder aufzunehmen haben, denn hier namentlich legt sich die Organisches im Kleinen nachbildende Zierplastik an oder gibt dem niedlichen Ganzen seine Form. Doch bleibt Vieles übrig, was nicht so bestimmt in das Plastische hinübergeht; eine Spange z. B. kann ganz plastisch als Schlange, aber auch in Gelenken als Kette, somit mehr architektonisch-ornamentistisch behandelt werden. — Es versteht sich nun, daß an einem großen Theil des hier vor uns ausgebreiteten Reichs an- hängender Schönheit auch die Malerei als verzierende Kunst thätig sein kann, namentlich an den Thon-Gefäßen. Und nach dieser Kunst führt noch ein anderes großes Gebiet hinüber: die Weberei, Wirkerei, Stickerei von Stoffzeugen und die Bekleidung der innern Architektur und der Möbel mit denselben. Die Farbe ist in der Verfertigung dieser Stoffe allerdings das Haupt-Augenmerk, doch wird sich die Zeichnung vorherr- schend in architektonischen Motiven und architektonisch stylisirten Pflanzen- formen bewegen; die einfachsten jener Motive sind jene uralten Linien- spiele des Mäanders, der Würfelzusammenstellung u. dgl., welche von der im ältesten Zustande zu Verschließung der Räume berufenen Technik ausgingen, der Matten- und Teppichwirkerei (vergl. §. 573, 1. Anmerk.). Weiterhin trat der Teppich seine ursprüngliche Bestimmung größtentheils an die Wandmalerei, in der neuern Zeit auch an die todte Papiertapete ab und diente mehr zur Ueberkleidung einzelner Theile des architektonischen Raums. Werden nun mit den Teppichen und andern Stoffzeugen die innern Räume bekleidet, drapirt, die gepolsterten Möbel überspannt, so ist dabei eines Theils wesentlich ebenfalls auf Farben-Harmonie zu sehen, aber nur ebenso wie in der Polychromie der Architektur; nach der andern Seite handelt es sich von der Form und in dieser Beziehung erinnert das Geschäft des Sattlers, Decorateurs zwar an die Faltengebung in der Plastik, aber der zu überkleidende Körper ist ja hier ein architektonischer und so wird mehr ein Gefühl räumlicher Harmonie im Großen verlangt. 3. Das Gebiet, das wir hier überblickt haben, bildet einen Theil der Culturformen, die uns in anderem Zusammenhang, nämlich als eine wesentliche Seite des geschichtlichen Lebens, wie es Stoff der Phantasie und Kunst wird, durch die Haupt-Epochen der geschichtlichen Schönheit in Th. II, Abschn. 1 C, b. begleitet haben. Nunmehr, da wir sie nicht mehr als Stoff, sondern als Theile der Kunstthätigkeit selbst vor uns haben, erkennen wir ihren tiefen Zusammenhang nicht nur mit dem Bildungs- zustande der Völker überhaupt, sondern bestimmter mit der Stufe ihrer Kunst, und zwar ist gemäß der aufgezeigten Natur dieses Gebiets, so vielfach die Objecte auch in die Bildhauerei und Malerei hinüberragen, das Bestimmende, Tongebende spezieller die Baukunst. Ihrem Style folgt im Großen und Ganzen diese Formenwelt. Die Aesthetik, hier noth- wendig auf das Prinzipielle sich einschränkend, hat daher nur auszusprechen, daß mit den geschichtlichen Hauptformen der Architektur auch der allge- meine Styl-Charakter dieser Zweige geschildert ist. Die bunte, übervolle Pracht des Orients, die edle, den Zweck in der Kunstform einfach aus- sprechende Einfalt der Griechen, die krystallisch-polygonische, mit vielen Spitzen in die Höhe strebende, reich und weit über den Zusammenhang mit dem Zweck hinaus ornamentirende Technik des Mittelalters, ausge- bildet unter Einflüssen des Maurischen, dessen Baustyl selbst schon in lauter Decoration sich auflöst, der phantasievolle Reichthum der Renaissance, der gerollte, gefaserte, geschnörkelte, die Muschelform liebende, doch in seiner leidenschaftlichen Manier immer noch einer gewissen Energie theilhafte Rokoko: alle diese Gestaltungen entsprechen genau der Physiognomie des gleichzeitigen Baustyls. Dagegen ist die moderne Zeit von jedem Bildungs- gesetze verlassen und zwar eben aus dem Grunde, weil sie keinen eigenen Architekturstyl hat; wie sie in der Baukunst prinzipienlos eklektisch ist, so fährt sie in diesem Gebiet anhängender Technik nachahmend zwischen allen dagewesenen Formen umher. Es fehlt ihr nicht an Erfindung und Geist; namentlich die Franzosen, das Volk des Geschmacks (denn diesem nament- lich gehört das vorliegende Gebiet an, vergl. §. 79), aber auch die Deutschen (man denke an einen Schinkel) entwickeln einen Reichthum von Talent, aber alle Erfindung bewegt sich nur auf der Grundlage des Form- gesetzes dieses oder jenes schon dagewesenen Styls und daher haben Völker des Orients, die noch Reste fester, nicht auf einem Widerspruche mit der Natur beruhender Cultur bewahren, auf der Weltausstellung in London die moderne Bildung so vielfach durch das Charaktervolle ihrer Producte beschämt. Wir haben den Grund, warum wir keinen eigenen Baustyl haben, §. 577. 595, 2. in der Unruhe eines Zeitalters aufgezeigt, das es zu keinem Gemeingefühl bringen kann, welches die Bestimmtheit und Festigkeit, die objective Gestaltungsfähigkeit einer Naturkraft hätte. Aus dem Gewühle dieser in unzählich sich durchkreuzenden Thätigkeiten auf eine dunkle Zukunft unbefriedigt hinarbeitenden Zeit sind noch mehrere positive Erscheinungen hervorzuheben, welche, ebensosehr wohlthätig und staunenswerth, als auch Quelle des Uebels und Unschönen, im Gebiete der Culturformen einer positiven Stylbildung ungünstig sind. Die Wissen- schaften, Physik, Chemie, Technologie u. s. w. haben eine Welt neuer Stoffe, neuer technischer Verfahrungsweisen entdeckt und eingeführt; die Stoffe werden zwar wunderbar leicht verarbeitet, aber es ist ihrer zu viel, um ihnen ruhig einen künstlerischen Styl zu entlocken. Der Markt wird mit Maschinenproducten überschwemmt; das Maschinenproduct ist todt, ab- stract, aber wohlfeil, es führt das Bequeme auch dem Armen zu. So un- endlich dadurch die Bedürfnisse gesteigert sind, so muß doch die Speculation athemlos über alles bestimmte Bedürfniß hinaus auf Neues sinnen, um die neuen Stoffe (Guttapercha u. dgl.) zu benützen, die Maschine zu be- schäftigen, und die Hast des Modewechsels, des größten Stylfeinds, wird daher von der Production noch mit doppelter Hetzpeitsche angetrieben. Daß sie durchaus auf den Markt arbeitet, dieß verhindert die Bildung lebendigen Styls auch darum, weil nicht, wie bei der bestellten Arbeit der Hand, die Rücksicht auf Zeit und Ort das Innige des individuellen Motivs hinzubringt. Die höhere Kunst sucht von oben einzuwirken, vergl. über die Umkehrung des Verhältnisses zwischen Kunst und Handwerk §. 514. In der That aber ist der wahre Sinn dieser Umkehrung nicht der, daß der Künstler, der nicht handwerksmäßiger Techniker ist, diesem seine Er- findungen hinüberreicht und bei seiner Ausbildung akademisch mitwirkt, sondern ein großer Theil der Talente, welche sich zur höheren Kunst rechnen, müßte geradezu selbst technisch thätig werden in diesem Gebiete, zu ihm, wenn man will, hinuntersteigen. Aber auch dieser Uebertritt, die Bevölkerung des feineren Gewerkes mit Künstlern, würde, selbst in Massen vollzogen, uns nicht in naher Zukunft zu dem führen, was uns fehlt, einem Styl. Die tröstlichste Betrachtung der gegenwärtigen Zustände ist die von Semper (Wissenschaft, Industrie und Kunst) ausgesprochene; er faßt das nachahmende Formengemisch unserer Zeit als einen Zersetzungs- prozeß aller traditionellen Typen durch ihre ornamentale Behandlung auf, welche einer neuen originalen Stylbildung ebenso vorausgehen muß, wie die fruchtbare Erde sich aus zerriebenen Schichten früherer Formationen, aus verwesten Pflanzenwelten bildet. Im Ganzen und Großen ruht aber die Hoffnung auf derselben Betrachtung wie die Hoffnung auf eine neue Entwicklung der Baukunst. Schnellpressendruck der Buchdruckerei von J. C. Mäcken Sohn in Reutlingen.