Biographien der Wahnsinnigen. Von Christian Heinrich Spieß. Drittes Baͤndchen. Leipzig, bei Voß und Compagnie. 1796. Biographien der Wahnsinnigen. Drittes Baͤndchen. Amalie F… S choͤn und artig war Amalie als Kind, eine der schoͤnsten und artigsten ihres Geschlechts war sie als Jungfrau. Ihre Eltern liebten sie als das einzige Pfand ihrer Liebe mit in- nigster Zaͤrtlichkeit, sahen es gerne, wenn die Juͤnglinge der großen Stadt ihr tiefe Kom- plimente machten, und hoͤrten es noch lieber, wenn sie, hingerissen von der Allgewalt ihrer Schoͤnheit, laut ausriefen, daß solch ein Maͤd- chen des Koͤnigs Krone verdiene. Sie hatten durch thaͤtigen Fleiß und gluͤckliche Industrie Biogr. d. W. 3. B. A ein ansehnliches Vermoͤgen erworben, sie muͤh- ten sich, es nach Kraͤften zu mehren, damit Amalie einst in den Armen eines redlichen Mannes vollkommen ein Gluͤck geniessen koͤnne, welches sie der vielen Sorgen und haͤufigen Geschaͤfte wegen nur sparsam und kaͤrglich ge- nossen hatten. Sie sahen diesem gluͤcklichen Zeitpunkte mit Begierde entgegen, und woll- ten dann im ruhigen Genusse eines geschaͤft- freien Alters zusehen, wie ihr geliebtes Kind ein Gluͤck geniessen wuͤrde, das ihnen so man- chen kummervollen Tag, so manche schlaflose Nacht gekostet hatte. Amalie kannte die wohlthaͤtige Absicht ih- rer guten Eltern, sie ehrte solche mit dem reinsten, kindlichsten Danke, aber sie fuͤhlte noch nicht Drang nach Maͤnnerliebe, noch nicht Sehnsucht nach ihrem oft so gefaͤhrlichen Ge- nusse, ihr war so innig wohl, wenn sie frei und ohne Zwang umher wandeln, die Reitze der Natur — deren eifrige Verehrerin sie von Jugend auf war — ungestoͤrt geniessen, ihre Wunderwerke ungehindert bewundern konnte. Ein nicht allzukleiner Garten, der das Hinter- theil des vaͤterlichen Hauses umgraͤnzte, war im Fruͤhlinge, Sommer und Herbste ihr Lieb- lingsort. Wenn ihre Eltern, oder die Die- ner und Maͤgde derselben sie suchten, so fan- den sie solche allemal in dem angenehmen Gar- tensaale, dessen Fenster hohe Pfirschen und Aprikosenbaͤume, noch hoͤhere Weinreben be- schatteten. Hier naͤhte und strikte, hier las und spielte sie auf dem Klaviere, hier fuͤt- terte sie Huͤhner und Tauben, welche im nahen Hofe nisteten, und immer am Fenster des Saals der reichlichen Wohlthat ihrer Gebie- terin harrten. Ehemals nmfaßten unnuͤtze Buchsbaͤume die regelmaͤssigen Vierecke des Gartens, in ihrer Mitte gruͤnten Tarbaͤume in mancherlei A 2 Figuren, und unter ihren dunkeln Schatten trauerten Tulpen, Nelken und Narzissen. Ama- liens freier Wille hatte ihn in einen der fruchtbarsten Kuͤchengaͤrten verwandelt, sie zog den groͤßten Spargel, den schoͤnsten Blumen- kohl, sie pfluͤckte die saftigste Pfirsche, die suͤs- seste Traube, und fuͤhlte sich ganz gluͤcklich, wenn ihr guter Vater die Frucht ihres Fleisses mit besonderm Appetite genoß, und ihre Kunst mit zaͤrtlichen Ausdruͤcken bewunderte. Der Mutter Ermahnung, daß solche Arbeit die zarten Haͤnde verderbe, machte dann keinen Eindruck auf ihr Herz. Sie sah ihre Schoͤn- heit zwar als ein wohlthaͤtiges Geschenk des Schoͤpfers an, aber sie war nicht eitel genug, sich zur Vermehrung derselben das kleinste Ver- gnuͤgen zu entsagen, und eben dies erhoͤhte den Werth derselben. Sie glich vollkommen der Rose, die in freier Luft, gestaͤrkt durch Thau und Regen, ihre vollen Knospen oͤfnet, da die meisten staͤdtischen Schoͤnheiten sonst so ganz der Blume im Treibhause gleichen, der jedes kuͤhle Luͤftchen schadet, die jeder starke Sonnenstrahl versengt. Eben feierte Amalie ihren zwanzigsten Ge- burtstag, als ihr Vater sie in ihrem Gar- ten uͤberraschte, mit vaͤterlichem Gefuͤhle ihre Hand faßte, und sie nach dem kleinen Saale fuͤhrte. Vater . Du duͤnkst dich wohl recht zu- frieden und gluͤcklich, wenn du in deinem Garten umher wandeln, und zusehen kannst, wie deine Pflanzen so herrlich gedeihen, zur Vollkommenheit, zum Genusse empor reifen? Amalie . Ach ja, lieber Vater, ja! Wenn in der Nacht der Regen mich weckt, und fruͤh die aufgehende Sonne mein Fenster be- leuchtet, da eile ich im schnellsten Fluge herab, um zu sehen, wie alle Gewaͤchse, zum neuen Wachsthume gestaͤrkt, dastehen, und freue mich dann so innig, so aufrichtig mit ihnen. Vater . Ich glaubs, glaubs herzlich ger- ne! Auch ich fuͤhlte einst diese Wonne im staͤrkern Grade. Ich sah Jahre lang zu, wie du, meine theure Tochter, zur Vollkommen- heit empor keimtest, wie sich nach und nach alle deine Reitze und Tugenden entwickelten. Du bluͤhst lange schon herrlich, soll ich nie Fruͤchte von dir erwarten? Amalie . Ich verstehe sie nicht, bester Vater, habe ich sie vielleicht beleidigt, sind dies Vorwuͤrfe — — Vater . Keine Vorwuͤrfe, ein so liebes, gutes Kind verdient sie nicht. Ich will dich nur an deine kuͤnftige Bestimmung erinnern. Du feierst heute deinen zwanzigsten Geburts- tag, dies Alter berechtigt mich, mit dir auf- richtiger, als sonst zu sprechen. Amalie . Ich erwarte noch immer mit gleicher Sehnsucht ihre naͤhere Erklaͤrung. Vater . Sie soll dir sogleich werden. Deine Freundinnen, welche mit dir spielten, mit dir emporwuchsen, haben schon alle ge- heurathet, viele derselben sind schon gluͤckliche Muͤtter, ihre Eltern genießen schon den suͤßen Lohn ihrer Erziehung, ich allein erwarte ihn noch immer vergebens. Amalie (hoch erroͤthend). Wie soll — wie kann denn ich — ich habe ja keinen Lieb- haber. Vater . Aber der Verehrer in Menge, welche sich alle in die zaͤrtlichsten Liebhaber umwandeln werden, wenn es anders dein klei- ner Eigensinn erlaubt. Viele gute und edle Juͤnglinge warben bei mir schon um deine Hand, ich verwieß sie an dich, aber sie kehr- ten bald traurend zuruͤck, und klagten mir, daß du ihre Blicke nicht sehen, ihre Seufzer nicht hoͤren wollest. Amalie . Lieber, theurer Vater, ich bin so gluͤcklich, wollen Sie mich denn un- gluͤcklich wissen? Ich fuͤhle noch keine Neigung zur Heurath, moͤglich, daß sie in Zukunft sich naͤhert, moͤglich, daß sie bald erscheint, dann will ich ihres Rathes achten, aber jetzt. — — O lassen sie mich ferner unter ihrem Schutze leben! Die Liebe meiner Eltern, mein kleiner Garten ist der einzige Wunsch meines Herzens. Goͤnnen sie mir ihn noch laͤnger, ich wuͤrde keines ohne Trauer vermissen koͤnnen. Vater . Es thut mir weh — — Amalie . O wenn es ihnen auch nur unangenehme Stunden verursacht, dann will ich ja gerne mein eignes Gluͤck vergessen, wil- lig selbst ungluͤcklich sein, um nur Sie ruhig zu wissen. Vater . Gott bewahre mich fuͤr jedem Zwange, selbst fuͤr dem Scheine desselben. Nun kein Wort mehr davon! Wenn du auch itzt selbst meine Einwilligung zur vortheilhaf- testen Heirath fordertest, so wuͤrde ich sie dir weigern, weil ichs nur fuͤr ein Opfer des Gehorsams, nicht fuͤr freien Willen achten wuͤrde. Du bist mein einziges Gluͤck, meine einzige Freude auf dieser Erde! Weh mir, wenn ichs durch einen vielleicht thoͤrichten Wunsch gemindert saͤhe. Amalie . Dank, tausend Dank, bester der Vaͤter, ich — — Vater . Halt ein, ich verdiene ihn nicht, ich sagte dirs ja schon deutlich, daß mein Ei- gennutz mich so nachgebend mache. Itzt von etwas andern! — — Dein Garten gruͤnt und bluͤht herrlich, kein Plaͤtzchen ist mehr vor- handen, wo noch eine Staude, ein Baum gepflanzt werden koͤnnte. Du wirst bald ge- schaͤftlos darinne umher wandern muͤssen. — — Amalie . Das eben nicht, denn eben das Wachsen und Gedeien aller, die ich pflanzte, labt mein Herz, aber wenn er groͤs- ser waͤre, wenn ich freien Raum rings um- her haͤtte, dann wollte ich manche schoͤne Idee ausfuͤhren, die itzt ungenutzt schlummern muß, nur manchmal meine Einbildungskraft angenehm beschaͤftigt. Vater . Also haͤtte ich deinen Wunsch doch so ziemlich errathen. Ich sann hin und her, womit ich an deinem Gebnrtstage dein Herz erfreuen koͤnnte — denn ein Bindband hast du doch wohl erwartet? — — Amalie . Erhielte ich nicht schon das schoͤnste und kostbarste? (ihm um den Hals fallend) den deutlichsten Beweiß ihrer vaͤter- lichen Liebe? Vater . Schmeichlerin! Wie innig sie zu kuͤssen versteht! Solch ein Kuß ist des Lohns schon werth! — — Sag mir einmal: Da du so eine große Freundin der Natur und der Oekonomie bist, war denn deine reiche Einbildungskraft nie so freigebig, dich mit einem Landgute zu beschenken, an dessen schoͤ- nen Garten fruchtbare Felder und Wiesen, rieselnde Baͤche und schattichte Waͤlder graͤnz- ten? — Amalie . Oft, lieber Vater, sehr oft. Da wars, als ob sie ihre Fabriken und Hand- lung aufgegeben haͤtten, auf einem ruhigen, stillen Landgute mit mir wohnten, und ich die ganze große Wirthschaft fuͤhrte. Ach, wie ge- schaͤftvoll ich da umher eilte! Aus der Kuͤche in den Stall, aus dem Stalle in den Gar- ten, aus diesem auf die Wiesen oder zu den Schnittern des Feldes, und wie ich mich dabei so froh und gluͤcklich duͤnkte! — — Solch eine Wonne laͤßt sich nur fuͤhlen, nicht be- schreiben. Vater . Und wenns nun wuͤrklich so waͤ- re — — Amalie . (voll Freude) Wenns wirklich so waͤre, guter Vater, wenns wirklich so waͤre! Vater . Deine reine Freude ist der schoͤnste Lohn meiner That, ich habe meine Fabrik mit ansehnlichem Gewinne verkauft, meine Handlung niedergelegt, und gehe itzt, mit dem Hrn. von H** den Kauf seines Landgutes abzuschliessen, will dirs zu deinem Geburtstage verehren. Daß du deine guten Eltern mit dir dahin nehmen, ihrer pflegen, ihnen ein ruhiges Alter verschaffen wirst, bin ich im Voraus uͤberzeugt. Amalie . O gewiß! O gewiß! Ach Gott, mein Dank ist stumm! Ich fuͤhls, empfinde es nur! Vater . Du kennst doch dies Landgut und seine angenehme Lage. Amalie . Ob ichs kenne? Genoß ich nicht mit ihnen im Fruͤhjahre dort einige der gluͤcklichsten Tage meines Lebens? Wenn ich mich noch ruͤckerinnere, am hohen Fenster stehe, hinab blicke ins Thal, das die breite Elbe durchstroͤmt, und an ihrem Ufer fette Schweizerkuͤhe, Schwane, Gaͤnse, Enten, Pferde und Fischer im bunten Gewuͤhle schaue, und nun denke, daß dies immer so dauern, immer so seyn soll! Ach, Vater, die Freude macht mich zum Kinde. Ich wuͤrde weinen wie dieses, wenn sie nur mit mir scherzten. Vater . Nein, ich scherze nicht, ich habe deine Meinung gehoͤrt, sie war mir zu wissen noͤthig. Zu Mittage siehst du mich wieder, und Nachmittage fahren wir auf dein Landgut, um dort in laͤndlicher Einsamkeit deinen Geburtstag zu feiern. Er gieng die entzuͤckte Amalie staunte ihm noch lange nach, sie muͤhte sich verge- bens, den Genuß ihres kuͤnftigen Gluͤcks zu fassen, ihr kleiner Garten ward ihr zu enge, sie eilte zur Mutter, und sank weinend in ihre Arme. Die gute Mutter war von al- lem unterrichtet, sie lobpreißte mit ihr des Vaters Entschluß, meinte aber zugleich, daß eine kleine List denselben gefoͤrdert habe. Er will, sagte sie, dich rastlos beschaͤftigen, da- mit du, wenn du die Last der allzuhaͤufigen Geschaͤfte nicht mehr ertragen kannst, dir ei- nen Gehuͤlfen suchst, der sie mit dir theile. Amalie besaß ein gutes, dankbares Herz. Freude und Ueberraschung hatte es noch mehr geoͤfnet, sie gelobte daher der Mutter, des Vaters Wunsch nach Kraͤften zu foͤrdern, und so bald der aͤchte Geliebte erscheine, ihn zu ihrem Gehuͤlfen zu waͤhlen. Nach dem Essen stieg Amalie mit ihren Eltern in den Wagen, um in ihrer Gesell- schaft nach dem bereits erkauften Landgute zu fahren. Ihre Freude war groß und uͤber- schwenglich. Man muß selbst die Oekonomie leidenschaftlich lieben, um alle das Vergnuͤ- gen fuͤhlen und mit geniessen zu koͤnnen, wel- ches die gluͤckliche Amalie dort im vollem Maaße genoß; ich enthalte mich daher jeder Beschreibung, gehe zu wichtigern Begebenhei- ten uͤber. Es war eben Erndezeit. Amalie eilte je- den Morgen, jeden Abend zu den Schnit- tern, labte sie reichlich und sah dann mit Wonne zu, wie diese den Reichthum des Landmanns dort in Garben sammleten, da auf Waͤgen luden, und endlich hingerissen vom innern Gefuͤhle frohe Erndelieder an- stimmten. An einem schwuͤlen Nachmittage schlenderte sie eben aus dieser Absicht durchs lange Dorf, hatte beinahe schon das Ende desselben erreicht, als sich hinter ihr ein klaͤgliches Geschrei erhob; sie blickte ruͤckwaͤrts, sahe Greise und Kinder aͤngstlich nach den Huͤtten eilen, und hoͤrte deutlich rufen, daß ein großer, wuͤthender Hund durchs Dorf renne, schon einige spielende Kinder gebissen habe. Sie erschrack ob der nahen Gefahr, wußte wußte nicht, ob sie vor oder ruͤckwaͤrts gehen solle, und sah endlich den Hund auf sich zuei- len. Ein altes Muͤtterchen, das seinen kleinen Enkel retten wollte, wurde von ihm zu Boden gestuͤrzt, und nun eilte er unaufhaltsam nach Amalien zu. Angst und Schrecken hemmte ihre Kraͤfte und Stimme. Sie eilte jam- mernd vorwaͤrts, erblickte die wuͤthende Bestie schon hinter sich, und stuͤrzte, indem sie sich in ihr Kleid verwickelte, huͤlferufend und sinnlos zu Boden. Als sich ihre Sinne wie- der sammleten, und sie empor blickte, stand ein fremder Juͤngling vor ihr; er hielte un- ter seiner Linken einen bloßen Degen, und reichte ihr mit traurigem, aber doch freund- lichem Blicke, die Rechte. Unfern von ihr waͤlzte sich der wuͤthende Hund in seinem Blute, vom Dorfe herauf erscholl aus dem Munde der Herbeieilenden das Lob des muthi- gen Retters. Biogr. d. W. 3. B. B Amalie (zu dem Juͤngling). So habe ich ihnen mein Leben zu danken? So haben sie meine armen Eltern der Verzweiflung entrissen? Der Juͤngling (blickte staunend in ihr Angesicht, laͤchelte etwas bitter und schwieg). Amalie . Wie soll, wie kann ich ihnen die edle That lohnen? O Gott, wenn ich mir die drohende Gefahr, den gewissen, schrecklichen Tod denke, so beben alle meine Glieder. (sie lehnt sich auf seine Schultern). Und nun gerettet durch sie, edler Unbekann- ter! Ich muß nochmals fragen: Wie soll ich ihnen die That lohnen? Vermags diese Thraͤne der Freude — —? Der Juͤngling . Sie gnuͤgt! Sie gnuͤgt! (duͤster) Fraͤulein! Ist ihnen itzt besser? Amalie . Bin ich nicht gerettet? Juͤngling . (mit festem, ernsten Tone) So leben sie wohl! Dort kommen Leute, wel- che sie nach Hause fuͤhren werden. Er entfernte sich sogleich mit schnellen Schritten nach dem Walde, welcher unfern dem Dorfe lag. Vergebens flehte Amalie im ruͤhrendsten, schmelzendsten Tone um Ruͤck- kehr, vergebens sandte sie aus dieser Ab- sicht dem immer schneller Eilenden Boten nach, die erstern wurden rasch zuruͤck gewiesen, die spaͤtern konnten ihn nicht mehr erreichen, ihr Auge verlohr ihn im Walde, und Amalie trauerte tief, daß sie den Namen ihres Ret- ters nicht einmal im Gebete nennen koͤnne. Sie setzte sich ermattet auf der kleinen An- hoͤhe nieder, Greise und Kinder standen ne- ben ihr, und erzaͤhlten ihr: Wie der unbe- kannte Juͤngling, als sie um Huͤlfe rief, rasch B 2 aus dem nahen Graben, in welchem er wahr- scheinlich gelagert lag, empor sprang, seinen Degen zog, und mit zwey kraftvollen Hieben den wuͤthenden Hund zu Boden streckte. Sein Bild schwebte klar und deutlich vor Amaliens Augen. Er war groß und schoͤn, sein brau- nes Haar rollte in verwirrten Locken um sein Haupt, deckte seine gewoͤlbte Stirne, an deren Ende ein paar große, schwarze Augen oft wild, nur einmal freundlich hervorblick- ten. Sein von der Sonne verbranntes, aber doch bleiches Angesicht, verkuͤndigte Krankheit oder inneres Leiden. Seine Kleidung verrieth ehemaligen Reichthum, denn sie war nach der neuesten Mode gemacht, bewies aber auch eben so deutlich wenigstens nahende Armuth, denn sie war schon abgetragen, hie und da merklich beschmuzt. Der erst sich faͤrbende Bart war uͤbrigens der aͤchte Beweiß, daß der Unbekannte kaum vierundzwanzig Jahre zaͤhle, vielleicht sich ihnen erst nahe. Er hatte Ama- lien vom schmaͤhligen Tode gerettet, sie nicht eher, als bis die Einwohner des Dorfs zu ihrer Unterstuͤtzung herbei eilten, verlassen. Es war daher kein Wunder, daß die Gestalt des edlen und schoͤnen Retters tiefen Ein- druck auf ihr Herz machte, es mit Wuͤnschen fuͤllte, die sie bisher noch nicht gekannt hatte. Noch staunte sie dem Entflohenen in die weite Ferne nach, hofte vergebens, daß er ruͤckkehren wuͤrde; als ein Greis ihr eine Schreibtafel uͤberreichte, welche er in dem Gra- ben gefunden hatte. Sie war geoͤfnet, nicht unedle Neugierde des Weibes, sondern sehn- liches Verlangen, den Retter durch diesen gluͤcklichen Zufall naͤher kennen zu lernen, ver- leitete Amalie, solche zu durchblaͤttern. Sie war leer, nur zwei Seiten waren beschrieben, es schienen fluͤchtige Gedanken, welche der Verfasser eben entworfen hatte, als Amaliens aͤngstliches Geschrei ihn zu Huͤlfe rief. Ama- lie las sie mehr als einmal, sie karakterisirten das Gefuͤhl, die Denkungsart und den un- gluͤcklichen Zustand des Juͤnglings deutlich. Sie war eitel genug, das Ende derselben auf sich zu deuten, und dies erhoͤhte den Werth des gefundenen Schatzes um ein großes. „Liebe! Liebe! Liebe!“ so stand in der Schreibtafel geschrieben, „du bist ein unbe- „greifliches Wesen! Wie soll, wie kann ich „mir deine entgegengesetzten Wuͤrkungen er- „klaͤren? Du machst aͤußerst gluͤcklich, aber „auch noch weit ungluͤcklicher! Nein, nein! „Nie gluͤcklich! Du bist nur ein suͤßes Gift, „das zum Geunsse reizt, langsam, aber auch „sicher toͤdtet. Du bist das aqua toffana der „menschlichen Sinne, Begierden und Leiden- „schaften! So will ich dich kuͤnftig nennen, „und mich fuͤr deinem Genusse huͤten, nicht „leeren den goldnen Becher, den mir mit „laͤchelnder Miene das Meisterstuͤck der Schoͤp- „fung reicht. Du theilst dich in verschiedene „Zweige, du liebst als Freund, als Mut- „ter und Vater, als Bruder und Kind, als „Gatte und zaͤrtlicher Liebhaber; aber du „bist und bleibst Gift! Betruͤgt nicht auch „der Frennd den Freund, flucht nicht oft der „Vater dem Kinde, haßt nicht das Kind die „Eltern, der Bruder die Schwester, wird „nicht die Gattin dem Manne, die Geliebte „dem Liebhaber oft ungetreu? Aqua toffana „des menschlichen Geschlechts! So will ich dich „kuͤnftig nennen! — — Schoͤn und reitzend „gieng sie gestern vor mir uͤber, lockend und „anziehend war ihre Gestalt! Ich haͤtte vor „ihr niederknien und sie anbeten moͤgen, wie „sie mitleidig und liebevoll den gefallenen „Buben anfhob , ihm das Butterbrod wieder „in die Hand steckte, seine Wangen streichelte, „und seine Thraͤnen trocknete. Millionen — „wenn ich sie besaͤße — haͤtte ich geopfert, „um die Stelle des gefuͤhllosen Buben ein- „nehmen, den Strich ihrer seidnen Hand fuͤh- „len, den unnachahmlichen Blick ihres gro- „ßen Auges auffangen zu koͤnnen; aber, „aber — —“ Hier hatte zum groͤßten Mißvergnuͤgen der lesenden Amalie der unbekannte Schreiber ge- endet. Mit innigem, noch nie gefuͤhlten Ver- gnuͤgen wiederholte sie die lezten Zeilen, wenn sie aber bis ans Ende kam, da sank ihr Blick traurig zu Boden, das zweimal wiederholte Aber schien so ganz das angenehme Lob ver- nichten zu wollen. Daß sie es uͤbrigens sei, von welcher der Unbekannte spraͤche, ward ihr um deswillen zur vollen Ueberzeugung, weil sie sich deutlich der ganzen Handlung erin- nerte, welche sie gestern an einem kleinen Bauernbuben geuͤbt hatte. Sie suchte endlich nach mehrern Lichte in der Schreibtafel umher, und fand in einer Falte derselben zwei kleine Zettel. Großmuͤ- thiger Wilhelm, stand auf einem derselben mit Bleistift geschrieben, kehre zuruͤck, und troͤste deine ungluͤckliche Mutter! Heilloser Bube, war der Innhalt des zweiten, wenn du es noch einmal wagst, in der Naͤhe mei- nes Schlosses zu erscheinen, so vergesse ich, daß ich dein Vater war, und schiesse dich gleich einem schaͤdlichen Raubthiere nieder. Nimm dies zur lezten Warnung, und packe dich auf ewig von hinnen! — — Mit vielen Thraͤ- nen schien das erstere betraͤufelt, mit keiner einzigen das leztere. Amalie nahm innigen Antheil am Schick- sale der ungluͤcklichen Mutter, des wahr- scheinlich noch ungluͤcklichern Sohnes; sie schau- derte fieberhaft empor, wenn sie sich den wuͤ- thenden Vater dachte, der sein eignes, ge- wiß unschuldiges Kind so grausam von sich stieß, es sogar zu ermorden drohete. Sie blickte dankbar gen Himmel, weil er ihr ei- nen so guten Vater geschenkt hatte, aber sie weihte auch dem ungluͤcklichen Juͤnglinge reich- liche Thraͤnen, weil er, mit des Vaters Zorn und Fluch belastet, unstaͤtt und fluͤchtig umher irren mußte. Eben fiel es ihr aufs Herz, daß ihre Eltern durch falsche Nachricht getaͤuscht, um sie zagen koͤnnten, und wollte nach dem Schlosse ruͤckkehren, als man ihr meldete, daß beide schon in schneller Eile sich nahten. Sie verbarg die Schreibtafel in ihre Tasche, und wallte ihnen entgegen. Angstvoll blickten die Aermsten sie an, als sie sich naͤherten, freudetrunken sanken sie in ihre Arme, als sie die gluͤckliche Rettung erfuhren, welche sie vorher nur wuͤnschen, nicht hoffen konnten. Auch sie wuͤnschten den edlen Unbekannten eh- ren, danken und lohnen zu koͤnnen, neue Boten wurden ausgesandt, kehrten aber gleich den erstern ohne ihn zuruͤck. Amalie trauerte aufs neue, ihr gutes Herz war des Dankes so voll, es preßte und aͤngstigte unaufhoͤrlich ihre sonst so sorgenfreie Brust. Sonst ruhte sie die ganze Nacht un- gestoͤrt im Arme des wohlthaͤtigen Schlafes, itzt durchwachte sie oft halbe Naͤchte in ban- gem Gefuͤhle und stummen Staunen. Im- mer stand der edle Juͤngling vor ihr, bald laͤchelte, bald drohte er. Sein Ungluͤck machte gerechten Anspruch auf ihr Mitleid, auf ihre Huͤlfe, sie trauerte tief, daß sie ihm die letztere nicht leisten koͤnne. Schoͤn und reitzend, sprach sie oft hingerissen vom innigen Gefuͤhle, stand er vor mir, lockend und anziehend war seine Gestalt, aber, aber — er floh, und ich kann ihn nicht wie- der sehen, nicht danken fuͤr seine große Wohl- that! Um nicht neues Ungluͤck zu erfahren, so antwortete sie wenigstens oft dem fragenden Vater, besuchte sie nicht mehr die Schnitter des Feldes, saß immer nur unthaͤtig und trau- rend in den Lauben des Gartens, weil sie dort ungestoͤrt an den Unbekannten denken, seine Schreibtafel durchblaͤttern, und seine Sen- tenzen lesen konnte. Oft stand sie auch auf dem hohen Altane des Gartens, irrte gedan- kenlos mit ihrem Blicke in der reizenden Gegend umher, und ward nur dann aufmerk- sam, wenn sie in der Ferne oder Naͤhe einen einzelnen Wanderer erblickte. Sehr oft fuͤhr- te sie ihr forschendes Auge, ihre immer ge- reizte Einbildungskraft irre, sie eilte dann — ohne einer Gefahr zu gedenken — ins Freie, und kehrte mißmuthig zuruͤck, wenn sie uͤber- zeugt wurde, daß der Wanderer ihrem Juͤngling nicht gleiche. Bei einer aͤhnlichen Gelegenheit stieg sie bis ans Ufer der Elbe hinab; gegen uͤber lag eine kleine Insel, welche hohe Weiden und Erlen beschatteten, ihr wohlthaͤtiger Schat- ten, ihre melancholisch umher schwankenden Aeste luden sie zum Genusse ein. Ein kleines Schifchen lag am Ufer, sie rufte die nahen Fischer herbei, und ließ sich nach der Insel fuͤhren. Versunken in suͤßen Traͤumen, um- herschweifend im reizenden, oft aber auch ge- fahrvollen Irrgarten der Liebe — denn Ama- lie liebte schon wirklich — vergaß sie die be- stimmte Ruͤckkehr, sah nicht, daß schwarze Gewitterwolken sich uͤber die Berge herab ins Thal senkten, und fuͤrchterlichen Sturm ver- kuͤndigten. Zu spaͤt erwachten die schlafen- den Fischer, machten Amalien die drohende Gefahr kund, und hoften mit Gottes Bei- stande in schneller Eile noch uͤberzuschiffen, ehe der Sturm zu wuͤthen beginne. Wahr- scheinlich wuͤrde sich Amalie zu der gefahrvol- len Ueberfahrt nicht entschlossen, lieber das Ende des Sturms auf der Insel abgewartet haben, wenn nicht die Schiffer sie versichert haͤtten, daß jeder anhaltende Platzregen die Insel, ihrer niedrigen Lage wegen, uͤber- schwemme, und sie dann sicher ein Raub der Wellen wuͤrde, wenn dieser allen Anzeichen nach erfolgen sollte. Mit bebendem Herzen betrat Amalie das Schifchen, noch mehr zitterte und zagte sie, als in der Mitte des Stroms der Sturm zu wuͤthen begann, den Kahn unaufhaltsam mit sich fortriß, und nach einigen Schifmuͤhlen hinschleuderte, welche am Ufer des Stroms lagen. Schon entsagten die ermatteten Schif- fer jeder Hofnung zur Rettung, schon ließen sie die unnuͤtzen Ruder sinken, und hoben die Haͤnde zum lezten Gebete empor, als das kleine Schiff im vollen Laufe an einen Pfahl stieß, und schnell umschlug. Die Fischer such- ten sich durch Schwimmen zu retten; Ama- lie vermochte es nicht, ob sie gleich ihr langes Kleid, das sich gleich einem Seegel auf dem Wasser ausbreitete, nicht sinken ließ. Die Vorstellung des gewissen Todes raubte ihr die Sinne; wie sie wieder denken und fuͤhlen konnte, lag sie am Ufer des Flusses, der unbekannte Juͤngling stand neben ihr, und hielte ihre Linke in seiner Rechten, um den Schlag ihres Pulses zu beobachten. Sein Haar, seine Kleider trieften vom Wasser, Fieberkaͤlte schuͤttelte seine Glieder, und ruͤt- telte seine Zaͤhne, er laͤchelte freundlich, wie sie die Augen oͤfnete, er ließ ihre Hand sin- ken, wie sie Dank stammelte. Der Muͤller eilte mit seinen Leuten herbei. Pflegt ihrer, bis der Sturm voruͤber zieht, und fuͤhrt sie dann in die Arme der harrenden Eltern zu- ruͤck, sprach der Unbekannte, und entfernte sich schnell. Bleib, bleib! geliebter Retter! rief zwar Amaliens schwache Stimme ihm nach, aber der Sturm verwehete das leise Lispeln der Matten, er hoͤrte ihren Ruf nicht, und zog eilend von dannen. Eine neue Ohnmacht, die Folge des vie- len verschluckten Wassers, bemaͤchtigte sich Amaliens Sinnen, sie erwachte erst nach ei- ner halben Stunde in den nahen Huͤtten, wo- hin sie die Muͤller getragen hatten. Ihre El- tern standen weinend vor ihr, trostlos rang die zaͤrtliche Mutter die Haͤnde, verzweif- lungsvoll raufte der Vater sein Haar, sie sah's, aber ihr erstes Wort war doch die Frage: Ob ihr edler Retter abermals ver- schwunden sei? Eine Thraͤne schlich uͤber ihre bleiche Wange, als die Muͤller versicherten, daß man ihn nicht mehr gesehen, nicht wisse: Wohin er seinen Weg genommen habe? — — Vater und Mutter muͤhten sich vergebens, sie durch Scheingruͤnde der moͤglichen Entdek- kung kung zu troͤsten, sie nannte sich hoͤchst un- gluͤcklich, weil sie nicht dankbar sein konnte. Wie man sie nach dem Schlosse getragen, und der herbeigerufene Arzt versichert hatte, daß sie gluͤcklich gerettet, und keine Gefahr des Lebens vorhanden sei, gab der Vater ih- ren Bitten nach, und sandte in alle Gegen- den Boten aus, welche den Retter seines Kindes wenigstens auf einen Tag, auf eine Stunde in sein Schloß laden sollten. Auch die Muͤller wurden auf Amaliens Verlangen herbeigerufen, und mußten ausfuͤhrlich erzaͤh- len, wie der unbekannte Juͤngling sie geret- tet habe. Er saß, sprach einer derselben, eben in meinem Gaͤrtchen, und trank Milch, um die er mich gebeten hatte, als der Sturm be- gann. Ich trat zu ihm, und bat ihn, in die Huͤtte zu kommen: aber er lachte bitter, Biogr. d. W. 3. B. C und versicherte mich, daß er sich nie besser befinde, als wenn er im Freien zusehen koͤn- ne, wie wilder Sturm in fruchtbaren Gefil- den wuͤthe. Ich gesteh's aufrichtig, daß mir diese menschenfeindliche Antwort wehe that, und wollte ihn eben verlassen, als er mit ein- mal in die Ferne starrte, pfeilschnell auf- sprang, und nach dem Flusse hinab lief, ich folgte ihm muͤhsam, und sah gleich ihm, daß der Sturm das kleine Schiff auf dem Stro- me herab gegen die Muͤhlen treibe, ich rann- te zuruͤck, um mit meinen Knechten dort Huͤlfe leisten zu koͤnnen, beweinte aber auf- richtig ihren Tod, wie ich das Schiff nicht mehr, und die Fischer im Wasser erblickte. Um wo moͤglich, Rettung zu versuchen, rann- te ich mit meinen Knechten am Ufer auf- waͤrts, und sah deutlich, wie die Fischer das Land gluͤcklich erreichten, der fremde Unbe- kannte aber eben unsre Jungfrau schwimmend durch die Wellen trug. Wir frohlockten ihm entgegen, aber seine Blicke waren nur auf die Ohnmaͤchtige gerichtet, er legte sie nahe am Ufer nieder, und entfernte sich erst dann, als wir bei ihm anlangten. Nach dieser Erzaͤhlung wurde die Begier- de, dem edlen Retter danken zu koͤnnen, in den Herzen der guten Eltern gleich stark rege, auch sie wuͤnschten, daß die ausgesandten Bo- ten ihn finden, und aufs Schloß fuͤhren moͤchten. Mit eben so starker Sehnsucht er- warteten sie die Ruͤckkehr derselben, trauerten und weinten mit ihrer Tochter, als alle ohne Hofnung, ohne Trost ruͤckkehrten. Keiner hatte ihn gesehen, keiner mit ihm gesprochen, er schien einer wohlthaͤtigen Gottheit zu glei- chen, die nur dann zu Huͤlfe herbeieilte, wenn Amaliens Leben in Gefahr schwebte; die ploͤtzlich verschwand, wenn sie fuͤr diese Rettung danken wollte. C 2 Ungeachtet aller Versicherung des Arztes, daß alle Gefahr geendet habe, fand man Amalien doch am andern Morgen in einer anhaltenden Fieberhitze. Angst und Schrecken, die jaͤhe Erkaͤltung hatte auf ihren Koͤrper; betrogene Hofnung, getaͤuschte Sehnsucht, den geliebten Retter zu sprechen, auf ihre Seele gleich stark gewuͤrkt. Der Arzt erschrak, als er sie in diesem Zustande traf, er ver- heelte den Eltern die Gefahr nicht, in wel- cher sie einige Tage nachher wirklich schwebte, aus welcher sie endlich nicht die Kunst des Arztes, sondern jugendliche Kraft und Staͤrke gluͤcklich rettete. Groß war diese Zeit uͤber der liebenden Eltern Jammer, sie wichen nicht von dem Bette des einzigen Kindes, und hoͤrten es deutlich, wie sie oft durch Huͤlfe des fie- brischen Irrwahns in Waͤldern umher irrte, ihren Retter suchte, und nirgends fand. Nach vier Wochen konnte sie zum ersten- male wieder im Garten umher schleichen, und die Reize des nahenden Herbstes genießen. Tod waren fuͤr sie seine Freuden, die er auf so vielerlei Art, auf so mancherlei Weise ge- waͤhrt. Ihr Herz war mit Sehnsucht, mit inniger Liebe gefuͤllt, sie fuͤhlte es deutlich, daß sie nur in den Armen des Retters gluͤck- lich leben, nur in diesen die Freuden der Natur genießen koͤnne. Immer schwebte sein Bild vor ihren Augen, bald sah sie ihn, wie er mit maͤnnlicher Staͤrke den wuͤthenden Hund toͤdtete, noch oͤfterer, wie er sie in seinen Armen aus den Fluthen rettete. Ge- taͤuscht durch ihre lebhafte Einbildungskraft, schmiegte sie sich dann fest an seine Brust, und schauderte traurend zuruͤck, wenn das angenehme Bild verschwand, sie verlassen und einsam da stand. Die Schreibtafel des Unbe- kannten, welche sie stets bei sich trug, war ihr ehe schon theuer, itzt theurer als alle Schaͤtze der Erden; sie beschaͤftigte sich stun- denlang damit, und mehrte dadurch ihre Me- lancholie um ein großes, weil jedes Wort, das darinne geschrieben stand, sie uͤberzeugte, daß ihr Liebling ungluͤcklich sei, wahrschein- lich mit Elend und Mangel kaͤmpfte, vielleicht um deswillen unstaͤt und fluͤchtig umher irre. Mit diesen Gedanken beschaͤftigt, ging sie einige Wochen nachher nach einem kleinen Buchenhain spatzieren, ihr folgten zwei Die- ner, welche der besorgte Vater zu ihrem Schutze geordnet hatte, sie waren ihr nicht laͤ- stig, weil solche sie nie in ihren Gedanken stoͤhr- ten, nur still hinter ihr her schlenderten. Der Weg nach dem Haine fuͤhrte durch eine Allee von Obstbaͤumen, ihre Aeste bogen sich unter der Last der vielen Fruͤchte; ehemals wuͤrde dieser Anblick ihr das groͤßte Vergnuͤ- gen gewaͤhrt haben, itzt war er ihrem Auge laͤstig, es weilte nur auf den gelben Blaͤt- tern, die hie und da hervorblickten, und den nahenden Winterschlaf verkuͤndigten. O koͤnnte ich mit euch ruhen und schlafen, rief sie aus, und unwillkuͤhrliche Thraͤnen waͤsser- ten ihr großes Auge. Noch immer war dieser Gedanke ihre Be- schaͤftigung, als sie schon auf einem großen Steine im Walde saß, und die Diener hinter ihr mit einmal laut und aͤngstlich zu schreien begannen. Amalie fuhr erschrocken empor, forschte nach der Ursache, aber die Diener konnten fuͤr Schrecken nicht antworten, zeig- ten mit ihrer Rechten unaufhoͤrlich nach einem Baume. Amaliens Blick folgte, sie sah an dem Aste desselben einen Menschen hangen, ihr zweiter Blick uͤberzengte sie schon, daß dies ihr Retter, der ungluͤckliche, uubekann- te Juͤngling sei. Die Hofnung, Vergelterin zu werden, ihn auch aus den Armen des Todes zu retten, hielte sie aufrecht, sie eilte hinzu, und rufte die noch immer staunenden Diener zur Huͤlfe herbei. Durch ihr flehen- des Bitten bewogen, loͤßte einer derselben mit seinem scharfen Messer das Strumpfband, an welchem der ungluͤckliche Selbstmoͤrder hing, er sank herab, lag starr und tod zu Amaliens Fuͤßen. Sie jammerte, rang nach Huͤlfe, fand keine, und befahl endlich, ihn nach dem Schlosse zu tragen. Unterwegs traͤu- felten ihre Thraͤnen oft auf die bleiche Wan- ge des Juͤnglings, sie beschwor die Diener, daß sie die Art seines Todes niemanden ent- decken moͤchten, sie versprach ihnen immer- dauernde Versorgung, wenn sie ihrer Bitte achten wuͤrden, und sie gelobten strenges Stillschweigen. Jeder der Schloßbewohner glaubte, daß man den Juͤngling tod im Walde gefunden habe, und da sein Gesichte noch nicht ent- stellt, seine Wangen mehr bleich als blau waren, so glaubte dies auch der herbeieilen- de Wundarzt, irrte nicht, wenn er ihn als einen jaͤh Erstickten oder vom Schlage getrof- fenen Menschen behandelte. Als er kurz nach- her die Adern desselben oͤffnete, und noch Blut floß, da gewaͤhrte er der harrenden Amalie Hofuung , und Zeichen des nahenden Lebens machten diese bald zur frohen Gewißheit. Reine, aͤchte Freude glaͤnzte zum erstenmale wieder auf ihren Wangen, faͤrbte diese hoch- roth, als man ihr meldete, daß der Juͤng- ling wieder athmete, und die Augen oͤfne. Vater und Mutter theilten diese Freude red- lich mit ihr, und sahen es gerne, daß ihr Kind auf so schoͤne Art an dem Unbekannten wieder vergolten habe, was er ohne Lohn an ihr uͤbte. Noch hatte der Ungluͤckliche kein Wort ge- sprochen, als der Wundarzt Amaliens Bit- ten nachgab, und sie vor sein Bette treten ließ, sie wuͤnschte absichtlich mit ihm einige Worte allein sprechen zu koͤnnen, und hatte sich deswegen aus dem Zimmer ihrer Eltern weggeschlichen. Des Juͤnglings Auge starrte, als sie eintrat, wild und unruhig umher, es blieb an ihr hangen, und staunte sie an. Amalie trat zu ihm, und bog sich mitleidig auf ihn herab. Thraͤnen sammelten sich in seinen Augenwinkeln, er wollte sprechen, und vermochte es nicht. Amalie (seine Hand ergreifend, und wahrscheinlich auch druͤckend). Sein und blei- ben sie ruhig! Verschmaͤhen sie nicht die Huͤl- fe der dankenden Freundinn. Kann es sie be- ruhigeu , so schwoͤre ich Ihnen auf meine Eh- re, daß niemand weiß, wie ich sie fand und rettete. Der Juͤngling (schwach). Sie? Sie retteten mich? Amalie . War's nicht Pflicht, nicht Schuldigkeit? Nicht Wiedervergeltung? O Grausamer, du thatest mir weh, sehr weh, daß du mir so hartnaͤckig jeden Dank rauben wolltest. Der Juͤngling (sehr geruͤhrt). Ich — ich muß danken — — Und diese Schonung — meiner Ehre — —. Thraͤnen rollten uͤber seine bleichen Wan- gen, er deutete mit dem Finger darauf, um Amalien zu uͤberzeugen, daß diese Opfer sei- nes Dankes waͤren. Der Wundarzt nah'te sich itzt, und bat dringend um Entfernung, weil heftige Gemuͤthsbewegung dem Kranken aͤußerst schaͤdlich sei. Amalie wich diesem Bewegsgrunde willig, und sah mit Vergnuͤgen, als sie an der Thuͤre ruͤckblickte, daß das Auge des Juͤng- lings ihr dankbar folge. Sie hatte wahrge- nommen, daß dem Kranken reine Waͤsche mangle, sie sandte solche sogleich durch ihre Diener, nnd ordnete diese zu seinen Waͤrtern und Waͤchtern, damit nicht neuer Anfall der Verzweiflung ihre Huͤlfe vernichte. Froh ging sie am Abende schlafen, froͤhliche Bilder der Zukunft umgaukelten sie traͤumend, weil Wundarzt und Diener sie versicherten, daß alle Gefahr schwinde, und der Kranke mit gutem Appetite die Suppe genossen habe, welche sie ihm sandte. Noch froͤhlicher er- wachte sie, und kleidete sich mit schneller Eile an, als man ihr am Morgen meldete, daß der Fremde in ihrem Vorzimmer harre, sie zu sprechen verlange. Er trat bald hernach auf ihr Geheiß ein, sie zitterte ihm entge- gen, und reichte ihm ihre Rechte. Der Juͤngling (diese kuͤssend). Mein Fraͤulein, ich komme ihnen zu danken — — Amalie . Nicht auch den schon laͤngst schuldigen Dank abzuholen? Ich verwahrte ihn tief in meinem Herzen, er ward mir oft zur schweren Last. Ich hoffe, daß sie ihn nicht verschmaͤhen, mich davon befreien wer- den. Der Juͤngling . Was that ich, das des herrlichen Danks wuͤrdig waͤre? Ich ret- tete ihr Leben, aber sie, mein Fraͤulein, retteten Leben und Seele. Schon beim na- henden Tode wird's heller! Es giebt eine Ewigkeit, einen Belohner des Guten und Boͤsen! Ich bin nun uͤberzeugt, will dulden und leiden, so lange er's fordert; daß ich's vermag, danke ich ihnen mit dem geruͤhrte- sten Herzen. Leben sie wohl! Er sah die edle That, er nur allein kann sie belohnen, ich traue auf ihn, er wird's gewiß thun! Amalie (zitternd und bebend). Wie, sie wollen uns wieder verlassen? — — (lang- sam) Mich verlassen? Der Juͤngling . Muß ich nicht! Ich habe die ganze Nacht nach Aussicht und Huͤlfe gerungen; ich fand nur eine moͤgliche. Sonst verachtete sie mein stolzes Herz, itzt will, und muß ich sie ergreifen. Ich hoffe, daß irgend ein mitleidiger Offizier mich als einen Soldaten annehmen, und mir diesen harten Stand durch menschliche Behandlung erleichtern wird. Ich muß eilen, ihn auszu- fuͤhren, damit nicht zu fruͤhe Reue ihn ver- nichtet, und mich aufs neue zur Verzweif- lung reizt. Amalie . Nein! Nein! — — Gott be- wahre! Sie bleiben bey mir, bey meinen Eltern, werden ihr Sohn, und mein — — (sie stockt) und mein Bruder, mein Gesell- schafter. (der Juͤngling schuͤttelt mit dem Kopfe) Sie muͤssen bleiben, und sollte ich kniend sie bitten! Werden, koͤnnen sie dann mich ver- lassen? Der Juͤngling . O Gott! Wie selig wuͤrde ich mich in Ihrer Gesellschaft duͤnken! Wie angenehm wuͤrden meine Tage dahin schwinden, aber bald wuͤrde auch schwarze Verlaͤumdung — — O daß ich's als Kind gestehen muß! — — Verlaͤumdung eines Va- ters mich diesem seligen Gluͤcke entreissen, und dann waͤre ich ja noch ungluͤcklicher, muͤßte ein Raub der Verzweiflung werden. Drum ist's Pflicht, daß ich scheide, da es noch moͤglich ist. Das Ungluͤck hat mich zu seinem Lieblinge erwaͤhlt, bisher suchte es mich emsig, ob ich ihm gleich zu entgehen suchte, itzt will ich es suchen, und sehen, ob es mich auf ewig fesseln, oder den An- blick des Duldenden fliehen wird. Amalie . Wenn blos die Sorge, daß irgend eine Verlaͤumdung den lebhaften Dank in meinem und meiner Eltern Herzen mindern koͤnne, sie zu solch einem Schritt verleitet, so schwoͤre ich ihnen bei Gott dem Allmaͤchtigen, daß dies nie geschehen wird, nie geschehen kann, so sollen meine Eltern sogleich in ih- rer Gegenwart meinen Schwur wiederholen. (sie wollte gehen, der Juͤngling hielt sie zuruͤck.) Der Juͤngling . Ich bin schon uͤber- zeugt. Amalie (freudenvoll). Und bleiben? Der Juͤngling . Und bleibe, weil mei- ne Retterin es fordert. Amalie . Und nehmen aus der Hand des Vaters, der Mutter und der Schwester jede jede Huͤlfe, jede Unterstuͤtzung an, die sie noͤ- thig haben. Der Juͤngling (mit sich kaͤmpfend). Verzeihen, vergeben sie, aber es kostet mich Muͤhe, den unbaͤndigen Stolz zu daͤmpfen, der das einzige Erbtheil meines Vaters ist. Ja, ich nehme alles an, womit ihre unver- diente Guͤte einen Ungluͤcklichen beschenken will. — — Amalie . Nur zu belohnen wuͤnscht. Sie fuͤhrte nun den Unbekannten ins Zimmer ihrer Eltern, und sah mit Vergnuͤ- gen zu, wie diese von wahrer Dankbarkeit beseelt, ihm gleiche Antraͤge machten, mit edler Großmuth ihre Neugierde bekaͤmpften, nicht nach der Ursache seines Ungluͤcks forsch- ten, sondern es nur durch das Versprechen aller moͤglichen Huͤlfe zu lindern suchten. Der Biogr. d. W. 3. B. D Juͤngling erkannte ihre edle Behandlung mit innigem Danke, und gelobte, nicht allein zu bleiben, sondern sich auch ganz der Lei- tung des guten Alten zu uͤberlassen, der sich's mehr als einmal von ihm ausbat, daß er ihn Vater nennen moͤge. Kommen sie, lieber Sohn, sprach er endlich zum geruͤhrten Juͤnglinge, ich muß mit ihnen in meinem Kabinete allein sprechen. Mit gluͤhender Wange und weinendem Auge kehrte endlich der Juͤngling zur harrenden Amalie zuruͤck, und gestand ihr auf einem Spaziergange im Garten, daß der gute Vater ihn mit einer vollen Geldboͤrse beschenkt, und von ihm ver- langt habe, daß er morgen nach der nahen Stadt reisen, sich dort seinem Stande gemaͤß equipiren solle. Amalie . Sie kehren doch aber so bald als moͤglich zuruͤck? Der Juͤngling . Gott, im Himmel! Sie koͤnnen fragen? Waͤr's nicht der Wille des neuen, allzuguͤtigen Vaters, der's mit vollem Rechte erkennt, daß man die Men- schen nur nach den Kleidern beurtheilt, ich wuͤrde nicht von der Sonne weichen, die mich itzt so huldvoll anlaͤchelt, in deren Strah- len ich mich nie zu waͤrmen hofte. Amalie (laͤchelnd). Nun wohl, ich will sehen: Ob der neue Bruder die Schwe- ster auch wuͤrklich zaͤrtlich liebt? Ihre fruͤhere oder allzulange verzoͤgerte Ankunft wird's ent- scheiden. Der Juͤngling . Dann bin ich morgen wieder hier. Amalie . Diese Eile wuͤrde die Absicht des Vaters und den Entzweck ihrer Reise vernichten. Warten sie, ich will's berechnen! D 2 Wenn sie kein Geld sparen, und dies haben sie wahrlich nicht noͤthig, so koͤnnen sie in acht, laͤngstens zehn Tagen wieder hier sein. (scherzend) Ja, ja, lieber Bruder Wilhelm, in zehn Tagen erwartet dich deine Schwester mit Sehnsucht, und wird an deiner Liebe zweifeln, wenn du spaͤter wiederkehrst. Der Juͤngling (etwas unruhig). Sie nannten mich Wilhelm? Woher wissen sie es, daß ich mich so nenne? Amalie (etwas verwirrt). Warum soll ich's laͤugnen? Als sie mich aus den Klauen des wuͤthenden Hundes retteten, fand ein Bauer ihre Schreibtafel im Graben. Daß ich sie begierig durchblaͤtterte, wenigstens den Namen meines Retters darinne zu finden hofte, muß ich ihnen frei gestehen. Sie war seit langer Zeit, das einzige,aber gewiß theure Andenken, welches ich von ihnen be- saß, itzt will ich es ihnen gerne zuruͤckgeben, da sie versprochen haben, mich nicht mehr zu verlassen. Wilhelm . So wenig diese Schreibtafel auch enthielt, so sehe ich doch ein, daß sie durch ihren Besitz mein ungluͤckliches, aͤußerst trauriges Schicksal beinahe ganz kennen lern- ten. Wie ich sehe, so habe ich dadurch in ihren Augen nichts verloren, es ist daher Pflicht, ihnen alles aufrichtig zu erzaͤhlen, da- mit mir nicht verlaͤumderische Zungen rauben, was ihr guͤtiges Herz mir bisher in so vol- lem Maaße schenkte. Ich bin der einzige Sohn eines Edel- manns in B —, ich nenne mich Wilhelm von L —. Meine Mutter — — Ach ihr fruͤher Tod war die ganze Ursache meines Un- gluͤcks! — — Meine Mutter liebte mich zaͤrt- lich, und erzog mich sorgfaͤltig, sie ver- mochte wenig uͤber das rohe, oft wilde Herz meines Vaters, aber manchmal gelang es ihr doch, mit ihren sanften Vorstellungen Eingang zu finden, und dann benutzte sie solche redlich, um mein Gluͤck zu foͤrdern. Mein Vater hatte nicht die geringste Erzie- hung erhalten, er konnte nur reiten, jagen, trinken und mit vieler Muͤhe seinen Namen unterschreiben, er achtete es daher gar nicht fuͤr noͤthig, mir eine bessere Erziehung zu gewaͤhren. Nur durch Jahre langes und un- ermuͤdetes Bitten vermochte es meine Mut- ter uͤber ihn, daß ich nach der Hauptstadt in eine ritterliche Akademie gesandt, und dort erzogen ward. Ich war der guten Mut- ter einzige Freude und Vergnuͤgen, sie hatte nicht aus Liebe, sondern aus Zwang geheu- rathet, und doch entsagte sie willig aller ih- rer Freude, um mich nur vor den Mißhand- lungen des oft grausamen Vaters zu retten, und einen bessern, thaͤtigern Mann aus mir zu bilden. Anfangs mußte ich sie jedes Jahr, wenn die Schulferien eintraten, besuchen; als aber mein Vater mich einigemal barbarisch pruͤgel- te, weil ich auf der Jagd einen Fuchs ge- fehlt, einmal gar aus Versehen eine Hirsch- kuh geschossen hatte, so entsagte sie auch die- sem Vergnuͤgen, und ließ mich nicht mehr heimholen. Wie ich endlich meine Studien vollendet hatte, und nun Dienste des Staats suchen wollte, auch wuͤrklich schon gegruͤndete Hof- nung dazu hatte, da sandte mir meine Mut- ter einen Eilboten, und befahl mir, so schnell als moͤglich aufs vaͤterliche Schloß ruͤck- zukehren, weil der Vater wuͤthe und tobe, sie zu ermorden und mich zu enterben drohe, wenn ich seine Ahnen und Familie so schimpf- lich entehren, ein elender Federheld, ein kriechender Hofschranze werden wollte. Als ich dem Befehle der guten Mutter getreu, daheim anlangte, stand sie weinend am Fen- ster, und hob ihre Haͤnde bittend in die Hoͤ- he, mein Vater empfieng mich mit tiefem Ernste an der Thuͤre, und fuͤhrte mich still- schweigend in sein Kabinet. Auf dem Tische lagen zwei Pistolen, er nahm sie unter den Arm, und sah mich lange mit finsterm Blicke an. Bist, sprach er endlich, eine wahre Zuk- kerpuppe geworden! Wie das alles gepudert, geschnerkelt und gedrechselt ist! Wie's witter t , als ob Bisamkatzen hier nisteten! Schwoͤren wollte ich einen hohen Eid, und meine Se- ligkeit rein erhalten, daß du nicht mein Sohn seist, wenn dir nicht der liebe Gott aus Erbarmen eine Nase ins Gesicht gepflanzt haͤtte, welche die verdammten Staͤdter doch nicht verhunzen konnten, die der meinigen noch immer aͤhnlich sieht. Du hast mir neu- lich geschrieben, so hat mir wenigstens deine saubre Mutter vorgelesen, daß du fest ent- schlossen seist, Dinte zu lecken, Federn zu kaͤuen, und mit gleißnerischen Worten den Obrigkeiten ihre Rechte zu schmaͤlern, die einst ihre Vorfahren mit Muth und Blut theuer erkauften, ich kann unmoͤglich glau- ben, daß mein Blut so ganz ausarten sollte, und habe dich herberufen, um deine Mei- nung zu hoͤren, und dir meinen Willen zu verkuͤndigen. Ich kannte den wuͤthenden Jaͤhzorn mei- nes Vaters aus fruͤherer Erfahrung, ich sah ein, daß er fuͤrchterlich wuͤthen, mich sicher vernichten wuͤrde, wenn ich auch nur mit Gruͤnden seine einmal gefaßte Meinung wider- legen wollte, ich gestand ihm daher offen, daß ich Staatsdienste fuͤr meine Bestimmung gehalten haͤtte, weil er mich studieren ließe, daß ich aber Stolz genug von ihm geerbt haͤt- te, mit Freuden jedem Dienste zu entsagen, wenn er es nicht ausdruͤcklich fordere. Nein! nein! rief er hastig aus, und warf die Pisto- len weg, ich fordre es nicht! Du bist doch mein Sohn! Sieh, waͤrst du hartnackig auf deinem verdammten Vorsatze bestanden, ich haͤtte dir, so wahr Gott lebt, eine Kugel durch den Kopf gejagt; itzt umarme ich dich aber als meinen Sohn, werde dich im- mer als solchen erkennen, wenn du fortfaͤhrst, meinen Willen zu beobachten. Laß es gehen, Wilhelm, fuhr er fort, die verdammten Staͤdler haben dich zwar ganz verhunzt, aber ich wills uͤber mich nehmen, noch aus dir ei- nen braven Kerl zu machen, hast du das ver- dammte Geschmiere und Gekritzle begreifen lernen, so wird dir's auch nicht schwer wer- den, dich in ritterlichen Thaten zu uͤben, die schon in deinem Blute keimen muͤssen, wenn's aͤcht und rein auf dich kam. Er erlaubte mir nun, meine Mutter zu besuchen, die mich weinend umarmte, und mir zaͤrtlich dankte, daß ich mich so willig der wilden Laune meines Vaters gefuͤgt hatte. Er war bei Tische munter und froͤhlich, als ich in einem gruͤnen Jagdrocke erschien, und nannte mich zum erstenmale seinen lieben Sohn, als ich nachmittags seinen wildesten Hengst auf der Reitbahn gluͤcklich umher tum- melte. Das ist, rief er dann immer aus, die wuͤrdige Beschaͤftigung eines Kavaliers, und nicht das elende Federgeschmiere, wel- ches jeder buͤrgerliche Schlucker nachahmen kann, weil eine Feder einen Pfennig, ein solcher Hengst aber hundert Dukaten kostet. Ich mußte taͤglich mit ihm auf die Jagd gehen, und da ich nach Monatsfrist so gluͤcklich war, einen Hirsch zu erlegen, den er selbst im Schusse gefehlt hatte, so war seine Freude groͤßer, als wenn ich Vicekoͤnig des Landes geworden waͤre. Am Abende nach dieser in seinen Augen so wichtigen Heldenthat, erklaͤrte er mich wuͤr- dig und faͤhig, seinen Namen auf die Nach- welt fortzupflanzen. Suche dir, sprach er zu mir, ein Maͤdchen, das dir behagt, du mußt binnen Monatsfrist heurathen. Fuͤr deinen und deines Weibes Unterhalt will ich sorgen, und euch beide standesmaͤßig erhal- ten; nur fordere ich, daß sie wenigstens sechszehn Ahnen zaͤhle, und nicht die Toch- ter eines Federhelden, sondern eines aͤchten Ritters sei. Dies sind meine einzigen Bedin- gungen, uͤbrigens hast du freie Wahl in der Nachbarschaft rings umher, mußt aber bin- nen Monatsfrist enden, sonst waͤhle ich, und dann bleibt nur blinder Gehorsam dein Loos! — — Da ich den Starrsinn meines Vaters nur allzugut kannte, zuverlaͤßig wußte, daß seinen einmal gefaßten Entschluß kein Zufall vernichten konnte, so hielte ich am andern Morgen Rath mit meiner Mutter. Mein Herz kannte noch nicht die Fesseln der Liebe, mein Auge hatte wohl manches Maͤd- chen schoͤn gefunden, aber mein Herz noch keins geliebt, ich hofte daher mit Grunde, daß sie mich leiten, mit dem besten und tu- gendhaftesten Maͤdchen der Gegend bekannt machen wuͤrde. Die theure, mir ewig unvergeßliche Mutter vergoß Thraͤnen der Freude, als sie meine Bitte hoͤrte, sie hatte schon oft in den angenehmen Stunden der Einsamkeit, in wel- chen sie ungehindert traͤumen und wuͤnschen konnte, mir eine Gattin auserkohren, sie versprach mich heute noch mit ihr bekannt zu machen, und fuhr mit mir in die nahe Nach- barschaft, wo ein alter Edelmann haußte, welcher Ahnen genug, Geld aber um so we- niger hatte, uͤberdies kein Federheld, sondern ein aͤchter Jaͤger und Ritter war. Meine Mutter hatte mir schon unterwegs erzaͤhlt, daß sie die juͤngste seiner Toͤchter fuͤr mich be- stimmt habe, weil sie fein gefaͤllig, duldsam, und das Ebenbild ihrer Mutter sei, die sich auch nach der wilden Laune und dem harten Starrsinne ihres Mannes fuͤgen muͤsse, der guten Tage nur wenige zaͤhle. Wir wurden aͤußerst freundlich empfangen; schon der bloße Gedanke, daß der reiche Erbe unter seinen Toͤchtern eine Gattin waͤhlen koͤnne, machte den rauhen Alten gefaͤllig und freundlich. Ich sah und sprach die juͤngste seiner Toͤchter, ih- re angenehme Gestalt, noch mehr aber ihre Anmuth und gefaͤlliges Wesen fesselten sogleich mein freies Herz. Moͤglich, daß die Eile, mit welcher mein Vater eine Gattin von mir forderte, und die Furcht, daß ich keine schoͤ- nere und bessere finden koͤnnte, mich sogleich bestimmte. Genug, ich reiste aͤußerst verliebt von dannen, und nahm die suͤsse Hofnung mit mir, daß auch ich geliebt wuͤrde. Amalie (hoch erroͤthend). Das war schneller, als ich's dachte. Wilhelm (tief seufzend). Ja wohl, mein Fraͤulein, ja wohl! und vielleicht eben darum auch so ungluͤcklich! — — Um des Vaters Gunst ferner zu erhalten, entdeckte ich ihm sogleich alles, und er war mit mei- ner Wahl vollkommen zufrieden. Ob ich gleich, sprach er, das Maͤdchen nicht kenne, so kenne ich doch Vater und Mutter, ich habe an die- sen nichts auszustellen, du an jener nichts, auf diese Art sind alle Theile zufrieden. Freilich ist sie arm, wird ausser ihrer Person wenig ins Haus bringen, aber dies ist mir nicht unangenehm, so koͤnnen doch die Leute nicht einmal sagen, daß mein Sohn durch eine Frau reich ward; wie sie's oft von mir schwaͤtzten, weil deine Mutter ein paar elen- de Tausend Thaler von ihren Eltern zur Mit- gift erhielt. Nach seinem Verlangen reiste ich am an- dern Morgen wieder zu meiner Geliebten, bat sie zu uns zu Tische, und fuͤhrte sie mei- nem Vater entgegen, als er von der Jagd ruͤckkehrte. Er empfing sie außerordentlich freundlich, nannte sie schoͤn und liebenswuͤr- dig, streichelte ihre Wange und kuͤßte ihre Stirne, sie mußte bei Tische an seiner Seite sitzen, er sprach nur mit ihr, und ward ganz entzuͤckt, als die Holde aus Liebe zu mir sich außerordentlich muͤhte, seinen Bei- fall zu erhalten. Von dieser Zeit an war sie oft in unserm Hause, der Bund unsrer Lie- be ward daher taͤglich fester und inniger. Mein Vater hatte der Hochzeit wegen schon einmal Abrede mit ihren Eltern genommen, itzt schien er sie absichtlich durch kahle Aus- reden zu verzoͤgern, obgleich meine Geliebte ihm immer theuerer und schaͤtzbarer zu werden schien, sogar manches mit einem Worte von ihm ihm erhalten konnte, was wir oft vergebens von ihm zu erstehen suchten. Schon lange hatte Abzehrung, die Folge des vielen Grams und Kummers, am Leben meiner Mutter genagt, immer kraͤnkelte sie, war wenige Tage gesund, itzt da der Herbst sich nahte, begann ihr Leiden staͤrker, schien nach der Versicherung des Arztes bald ganz enden zu wollen. Mein Vater fand in der Krank- heit der guten Mutter neuen Stof zur Ver- zoͤgerung der sehnlich gewuͤnschten Hochzeit. Obgleich die Kranke ihn oft versicherte, daß ihr die Gewißheit meines Gluͤcks Labsal in ihrem Leiden, Beruhigung in ihrem Tode sein wuͤrde, so bestand der Vater doch hart- naͤckig auf seiner Weigerung, und behauptete, daß der Sohn, wenn die Mutter auf dem Krankenlager schmachte, nicht Feste der Freu- de feiern koͤnne. Wir mußten diesen edlen Biogr. d. W. 3. B. E Bewegsgrund ehren, und den Ausgang ge- duldig erwarten. Zu meinem Troste war meine Geliebte die meiste Zeit auf unserm Schlosse, und pflegte meine gute Mutter, die vielleicht um meinetwillen sich am liebsten von ihr die Ar- zeney reichen, und das Kopfkuͤssen ruͤcken ließ. Ich war dann immer im Zimmer der Kranken gegenwaͤrtig, und genoß die Freude, mich im Blicke meiner Verlobten zu sonnen. Aber mein itzt wieder aͤußerst muͤrrischer Vater goͤnnte mir dies Gluͤck nicht lange, ich mußte stets mit ihm auf die Jagd ziehen, oft im Walde noch laͤnger unter mancherlei Vorwand weilen, wenn er zu Hause der Ruhe genoß. Daher kam's, daß ich selbst in der Sterbestunde meiner Mut- ter nicht zugegen war, erst heimkehrte, als sie schon vollendet hatte. Meine Geliebte brachte mir weinend ihren Segen, aber er haftete nicht, mit ihr ward meine Freude, mein Gluͤck, meine Ruhe zu Grabe getragen. Der Mutter Tod war nun wuͤrklich ein aͤchtes Hinderniß meiner Verbindung gewor- den. Die Verlobte konnte nicht laͤnger in unserm Schlosse weilen, sie schied ahndend und aͤußerst traurig von mir, ich durfte sie nicht begleiten, weil nach der Versicherung meines Vaters kein Platz im Wagen sei, und er sie selbst heimfuͤhrte; ich durfte sie nicht besuchen, weil es sich nach seinem Aus- spruche, nicht zieme, daß der trauernde Sohn geckenmaͤßig auf verliebten Spaziergaͤngen um- herirre. Ihre Briefe waren daher mein ein- ziger Trost, ihr groͤßtes Vergnuͤgen, die mei- nigen. Schon hatte ich einen langen Monden, ohne sie zu sehen und zu sprechen, durch- schmachtet, als mein Vater mich in sein Ka- E 2 binet berief. Ich habe, sprach er kalt und ernst zu mir, die Sache reiflicher und besser uͤberlegt, ich finde, daß deine Heurath un- noͤthig sei, offenbar zur Hinderung deines Gluͤckes zu fruͤh beginnen wuͤrde. Deiner Mutter Tod hat Veraͤnderungen hervor ge- bracht, die ich nicht voraus sah, ich werde vielleicht selbst noch einmal heurathen, kann mehrere Kinder bekommen, und dies verur- sacht dann eine andere Einrichtung, die nur die Zukunft entscheiden kann. Bis dahin wirst du wohl thun, wenn du in die Stadt zu- ruͤckkehrst, sie ohne meine ausdruͤckliche Er- laubniß nicht verlaͤßt, und dich um einen Dienst bewirbst, der dich in den Stand sezt, eine Frau aus eignem Vermoͤgen zu ernaͤhren. — — Vergebens muͤhte ich mich, ihm durch eigne, vorher geaͤußerte Gruͤnde zu wider- legen, er gestand offen, daß er sich geirrt habe, nun allzu gut einsehe, daß der Adel nicht entehrt werde, wenn er dem Staate diene. Vergebens suchte ich ihm zu beweisen, daß itzt Entsagung der Heurath unmoͤglich sei, ihm und mir zum Nachtheile und Schimpfe gereichen werde, er versprach alles auf sich zu nehmen, alles ohne diesen zu enden. Und damit du's nur weißt, fuhr er rasch auf, dein Maͤdchen gefaͤllt mir selbst, ich werde sie ehestens heurathen, bin mit dem Vater schon richtig, in drei Wochen ist die Hoch- zeit. Wollte dir's zwar verheelen, um dir die kleine Kraͤnkung zu ersparen, weil du mich aber zwingst, so sage ich dir lieber itzt, was du am Ende doch erfahren mußt. Du siehst itzt ein, daß deine Gegenwart dir und meiner Braut nicht viel Vergnuͤgen gewaͤhren wird, drum folge meinem Rathe, und kehre nach der Stadt zuruͤck. Ich will, und vermags nicht, ihnen mei- ne Empfindung zu schildern, ich stand nie- dergedonnert und angeheftet am Boden, das glaͤnzende Licht, welches mir so lange schon in der Ferne leuchtete, jeden meiner Schritte leitete, war verloschen, ich tappte im Fin- stern, wagte keinen Schritt vorwaͤrts. Ohne Gefuͤhl und ohne Weigerung duldete ich's, wie mein Vater mich unter dem Arme ergrif, nach dem Wagen schleppte, und mit mir zur Stadt fuhr. Nur dunkle Erinnerung die- ser schrecklichen Reise ruht noch in meinem Gedaͤchtnisse, Plane zur Flucht, zur schnel- len Entfuͤhrung beschaͤftigten meine Einbil- dungskraft, und hielten mich aufrecht. Ich sah ruhig zu, wie der hartherzige Vater mancherlei Stoff zu Frauenkleidern einkaufte, und murrte nicht, wenn er mich wohl gar fragte: Ob diese oder jene Farbe seiner Braut gut stehen werde? Wie er abreiste, wollte auch ich mit dem festen Vorsatze, ihm die Beute zu entreissen, nachfolgen; aber mein Koͤrper unterlag, ein hitziges Fieber ergrif mich in der folgenden Nacht, ich konnte erst nach drei langen Wo- chen wieder anhaltend denken, nach einem Monate erst mein Lager verlassen. Die Hof- nung, daß meine Gelebte wacker kaͤmpfen, nicht des Vaters Hand annehmen wuͤrde, staͤrk- te mich, und gab mir die verlohrnen Kraͤfte wieder. Fremde Waͤrter, die gleichguͤltig in mein Leiden blickten, keine meiner Fragen beantworten konnten, saßen mir bis dahin zur Seite, ich entließ sie, und eilte, so schnell es die wohlbelohnten Postknechte vermochten, nach meiner Heimath. Um des Vaters Zorn nicht zu reitzen, und mich vor seinen Blicken besser verbergen zu koͤnnen, stieg ich bei einem Jaͤger in der Nachbarschaft ab. Er bewillkommte mich mit- leidig, und entdeckte mir endlich unverholen, daß meine Ankunft zu spaͤt erfolgt, meine theure Karoline schon seit einer Woche mit meinem Vater auf ewig verbunden sei. Ich tobte, raßte, sank in Ohnmacht, erwachte wieder und rang vergebens nach Huͤlfe. Be- seelt mit dem wuͤthenden Muthe der Ver- zweiflung, eilte ich gerade aufs vaͤterliche Schloß, stuͤrmte unaufhaltsam nach ihrem Zimmer, in welchem ich sie nach der Versiche- rung einer mitleidigen Magd finden sollte. Die arme Leidende saß am Fluͤgel, spielte traurig ein rasches Jagdlied, mein Vater stand gelehnt an ihrem Stuhle, und horchte mit Wohlgefallen zu. Mein fester Tritt weckte sie und ihn empor, Karoline erkannte mich, sprang eilend auf, und sank weinend in meine Arme. Was ich in diesem schrecklichen Augen- blicke dachte, sagte und that, weiß ich selbst nicht; er rauschte gleich einem jaͤhen Gewit- tersturme voruͤber. Ein Schuß, das Saussen einer nahen Kugel weckte mich zur Empfin- dung empor. Mein Vater, der indeß seine Pistolen geholt hatte, wollte eben die zweite auf mich abdruͤcken, als Karoline in seine Arme sank, und es verhinderte. Wie sie ihn besaͤnftigte, wenigstens am Kindermord hinderte, kann ich ebenfalls nicht sagen, nur so viel erinnere ich mich noch, daß er mir Verzeihung zusicherte, wenn ich mich sogleich entfernen wuͤrde. Was seine Drohung gewiß nicht vermocht haͤtte, vermochte ihre Bitte, ich ging oder wankte vielmehr willig von dan- nen, und durchwachte die quaalvolle Nacht bei dem Jaͤger, bei welchem ich vorher Ein- kehr genommen hatte. Schon am andern Morgen erhielte ich die troͤstende Nachricht von ihr, daß mein Va- ter nicht mehr zuͤrne, daß sie sogar gegruͤn- dete Hofnung habe, er werde mir vergoͤn- nen, im Schlosse wie ehe zu wohnen, ihr durch meine Gegenwart den unertraͤglichen Kummer zu versuͤssen. Ohne zu bedenken, daß dieses Huͤlfsmittel mir und ihr in der Folge gleich stark schaͤdlich sein muͤsse, hofte ich mit ihr, und erhielte noch am nemlichen Tage von ihr den Zettel, welchen sie in mei- ner Schreibtafel gefunden und gelesen haben. Mein Vater liebte sie heftig, er konnte nicht ihren Bitten, noch weniger ihren Thraͤnen widerstehen, sie hatte daher durch mancherlei Scheingruͤnde, vorzuͤglich aber durch erstere, die Einwilligung zu meiner Ruͤckkehr erhalten. Nur machte er's, als ich, ihrer Einladung getreu, wirklich ruͤckkehrte, zur unverletzli- chen Bedingung, daß wir uns nie, als nur in seiner Gegenwart, sehen und sprechen soll- ten. Wir gelobten's, aber wir hielten es nicht. Ich wuͤrde zu weitlaͤuftig werden, wenn ich ihnen alle die Kunstgriffe erzaͤhlen wollte, die wir taͤglich anwandten, um uns nur eine Minute lang allein zu sehen und zu sprechen. Nicht Versicherung der ehemals so zaͤrtlichen Liebe, sondern Klagen uͤber unser Ungluͤck, Ringen und Sehnen nach aͤchter Huͤlfe und Trost waren dann der Inhalt unserer Ge- spraͤche. Ich und sie sahen zu gut ein, daß Liebe nicht mehr moͤglich, im Gegentheile hoͤchst straͤflich sei, und ich schwoͤre zu Gott dem Allmaͤchtigen, daß ich keinen Kuß foderte, sie keinen gewaͤhrte. Einen vollen Monden hatten wir so quaal- voll durchlebt, als mein Vater in die Nach- barschaft auf eine Jagd geladen wurde. Wi- der seine Gewohnheit nahm er mich nicht mit sich, erneuerte aber, als er schied, sein Verboth mit strengem Ernste. Dieser War- nung ungeachtet fanden wir uns doch im na- hen Lustwaͤldchen, wo uns eine dunkle Laube Sicherheit zu gewaͤhren schien. Eben wollte ich mir von ihr erzaͤhlen lassen, wie's moͤg- lich war, daß sie mir untreu werden, daß sie meinen Vater ehelichen konnte, als er wuͤthend in die Laube stuͤrzte, mich beim Haaren ergrif, und sinnlos auf der Erde umher schleppte. Wie ich erwachte, stand ein Jaͤger bei mir, welcher mir im Namen des Vaters kund machte, daß ich ein Kind des Todes sein, das Leben meiner itzigen Mut- ter selbst in Gefahr setzen wuͤrde, wenn ich es je wagte, mich dem vaͤterlichen Schlosse wieder zu nahen. Ich taumelte fort, irrte drei Tage durch in Waͤldern umher, aß und trank nicht, hofte auf diese Art mein Leben und das un- ertraͤgliche Leiden zu enden. Da ich ohne an- dern Endzweck umher wandelte, hatte ich mich dem Schlosse meines Vaters binnen die- ser Zeit oft genaͤhert, einige seiner Jaͤger waren mir sogar begegnet: ich erhielte am dritten Tage durch einen derselben den Zettel, welchen sie ebenfalls in meiner Schreibtafel fanden. Durch diese erfuhr ich zugleich, daß mein Vater die ungluͤckliche Karoline noch am nemlichen Abende nach einem unbekannten Orte fortgefuͤhrt habe, erst heute ohne sie zuruͤckge- kehrt sei. Diese Nachricht, die mehrere be- staͤtigten, nicht die Drohung des unnatuͤrlichen Vaters bewog mich, eine Gegend zu verlas- sen, in welcher ich namenloses Elend, un- nennbaren Schmerz geduldet, der frohen, seligen Augenblicke nur wenige genossen hatte. Nicht Absicht, nur Ungefaͤhr fuͤhrte mich zu dem Jaͤger, bei dem ich abgestiegen war, auch dieses nur, nicht jene war Ursache, daß ich nach meinem Koffre fragte. Schmerz und Wuth ergrif mich aufs neue, als mir der Jaͤger durch Zeugen bewieß, daß mein Vater alle meine Sachen selbst abgeholt haͤtte. Zur gaͤnzlichen Ueberzeugung reichte er mir einen Zettel, auf welchem ungefaͤhr folgende Worte geschrieben standen: Alles was du, ungera- thener Sohn, bisher besaßest, war ein Ge- schenk deines Vaters, er nimmts zuruͤck, weil du dich des Namens eines Sohnes un- wuͤrdig gemacht hast, er laͤßt dir nur so viel, als einem Bettler, wie du in der Zukunft sein wirst, noͤthig ist. Willst du seinen letz- ten Rath achten, so werde Soldat; Preußen und Oestereich ruͤsten sich itzt gegen einander; wo du hingehst, wirst du eine Kugel finden, die dein Lohn sein wird, wenn du es je wie- der wagst, dich meinem Angesichte zu naͤ- hern, oder mich Vater zu nennen. — — Dies schreckliche Todes-Urtheil eines Vaters war itzt, nebst einem kleinen Buͤndel Waͤsche, den mir der Jaͤger uͤbergab, mein ganzer Reichthum. Ich irrte damit planlos umher, ruhte in Waͤldern und Felsenhoͤhlen, floh und haßte die Menschen, suchte sie nur dann, wenn der Hunger mehr als mein innerer Schmerz an mir nagte. Das Schicksal fuͤhrte mich endlich in ihre Gegend. — — Sie forderten aufrichtige Er- zaͤhlung meines Leidens, sie muͤssen es mir daher vergeben, wenn ich aufrichtig spreche, es dem elenden Bettler nicht verargen, wenn auch er schoͤn findet, was doch nur eines Koͤ- nigs wuͤrdig ist. Amalie (verwirrt, aber mit sichtbarem Vergnuͤgen). O nein! sprechen sie ohne Ruͤckhalt; daß ich innigen Antheil an ihrem Leiden nahm, und immer nehmen werde, be- weisen ihnen meine Thraͤnen. Wilhelm . Lohne es ihnen der Ewige, kein Sterblicher vermags nicht, ist's wenig- stens nicht wuͤrdig. — — Am Tage zuvor, ehe der wuͤthende Hund sie verfolgte, sahe ich sie zum ersten male. Die ganze, pracht- volle Natur, die am schoͤnsten ist, wenn sie zur Vollkommenheit reift, hatte bisher nicht den geringsten Eindruck auf mich gemacht, aber das Meisterstuͤck der Schoͤpfung vermoch- te es um so staͤrker. Ich sah's, und das kummervolle Bild meiner ehemaligen Verlob- ten, meiner itzigen Mutter, schwand aus meinen Augen, beschaͤftigte nicht mehr meine Einbildungskraft, ich sah nur das holde, mitleidige Maͤdchen, das sich des armen ge- fallenen Knaben erbarmte, und mit so sicht- barem Vergnuͤgen uͤber die kleine, aber doch edle That bei mir voruͤberging. Ich genoß die Wonne, sie aus einer nahen Gefahr zu retten. Das Bild, wie sie mir so innig und gefuͤhlvoll dankten, blieb fest vor meiner Seele stehen, aber noch fester die Ueberzeu- gung, daß ein solcher Engel den elendesten und ungluͤcklichsten der Sterblichen nur gleich- guͤltig anblicken koͤnne. Amalie (hingerissen vom innern Ge- fuͤhle). O wie ungerecht, wie unbillig! Wil- Wilhelm . Dies war die Ursache, daß ich lieber forteilte, als ichs noch ver- mochte, nicht ruͤckkehrte, um vielleicht, ich gesteh's offen, die Erniedrigung dulden zu muͤssen, daß man mir eine kleine That mit einigem Gelde belohnen werde. Aber die Be- gierde, sie noch oͤfterer zu sehen, und ins- geheim bewundern zu koͤnnen, ließ mich doch nicht aus dieser Gegend wandern, trieb mich immer zuruͤck, und gluͤcklich duͤnkte ich mich dann, wenn ich sie nur sah; ruhte sanft auf Laub oder Stein, wenn ihr Bild vor mir stand und mich anlaͤchelte. Zum ersten- male fuͤhlte ich meine Armuth tief, zum er- stenmale preßte sie mir eine bittere Thraͤne aus, als ich sie nach der kleinen Insel hin- uͤber schiffen sah, ein unwiderstehlicher Trieb mich ihnen nachzog, ich uͤberschiffen wollte, und vergebens in allen Taschen einige Gro- schen suchte, um die Schiffer zu bezahlen. Ich kann die Empfindungen, die mich durch- Biogr. d. W. 3. B. F stroͤmten, nicht schildern, der nahende Sturm stimmte so ganz damit, und hielte mich auf- recht. Ich war so gluͤcklich, sie wieder zu retten, es schien, als sie endlich die Augen oͤfneten, als ob sie mich nicht mehr kannten, sich nicht mehr meiner erinnerten; das Ge- fuͤhl meines Elends, meiner Unwuͤrdigkeit ergrif mich aufs neue, ich eilte fort, und sank entkraͤftet in einer Hoͤhle nieder, in welcher ich schon oft geruhet hatte. Mit Ta- ges Anbruch wanderte ich fort, wollte nach dem Rathe des Vaters die mitleidige Kugel suchen. Verzweiflung hatte schon lange mit mir gekaͤmpft, itzt begann sie mich zu uͤber- winden, weil ich uͤber einen Monat lang ent- fernt von derjenigen, deren Anblick allein mir noch Trost gewaͤhren konnte, umher irrte. Ich beschloß, das Ende meines Lebens selbst zu suchen, es nicht erst durch Sklave- rey zu erkaufen. Nur einmal wollte ich sie noch in der Ferne sehen, und dann sterben; ich kam am vorigen Tage im Walde an, er- fuhr durch einen Holzbauer, daß sie toͤdlich krank waͤren. Da nun auch der einzige Wunsch meines Herzens vernichtet war, so ward end- lich der lange Vorsatz zur ungluͤcklichen That. Das Gefuͤhl des Todes war schrecklich, ich wuͤrde ewig ungluͤcklich sein, wenn sie mich nicht gerettet haͤtten. Der Juͤngling schwieg, Amalie wollte sprechen, ihm wenigstens fuͤr sein Zutrauen danken, und mit der angenehmern Zu- kunft troͤsten, aber sie vermochte es nicht, denn seine Erzaͤhlung hatte Sturm in ihrem Busen erregt. Ihr liebendes Herz hatte schreckliche Qualen geduldet, als er ihr er- zaͤhlte, daß er schon verlobt sei, und die Verlobte auch als Mutter noch liebe, sie nicht vergessen koͤnne; es hatte neue Hofnung ge- schoͤpft und Wonne gefuͤhlt, als der Juͤngling so offen bekannte, daß ihr Anblick der Ver- F 2 lobten Bild aus seinem Herzen verdraͤngt ha- be. und sie nun unumschraͤnkt darinne herr- sche, aber sein namenloses Leiden heischte auch Mitleid, sie zollte es mit haͤufigen Thraͤ- nen, sie konnte aber nicht sprechen, ergrif seine Hand, und druͤckte sie mit Staͤrke. Feuriger glaͤnzte itzt das matte Auge des Juͤnglings, angenehme Roͤthe faͤrbte seine Wangen, als er sah und fuͤhlte, daß er nicht verachtet wuͤrde, er kuͤßte die wohlthaͤtige Hand mit Innbrunst, er druͤckte sie an sein klopfendes Herz, und der Bund der Liebe ward stillschweigend geschlossen. Noch hatten ihn freilich nicht Worte bekraͤftigt, nicht Schwuͤre versiegelt, aber er war doch fest und dauerhaft. Kehren sie nur bald zuruͤck! fluͤ- sterte am Ende Amalie, und wischte sich die Thraͤnen aus den Augen, weil ein Diener nahte, der ihnen verkuͤndigte, daß das Mit- tagsmal bereitet sei. Wie dies geeudet war, meldete ein an- derer Diener, daß der Wagen, welcher Wil- helmen nach der Stadt fuͤhren sollte, ange- spannt sei. Sein Auge suchte Amalien, ein Blick der Liebe staͤrkte, und versicherte ihn, daß man ihn sehnlich ruͤckerwarten werde. Er nahm dankbaren Abschied von allen, und eilte vorwaͤrts. Amaliens Eltern sprachen nun offener und freier, jedes entdeckte seine Meinung uͤber den fremden Juͤngling. Die gutherzige Mut- ter war voll von Lobspruͤchen uͤber sein gefaͤl- liges und sittsames Betragen, sie glaubte uͤberzeugt zu sein, daß sicher unverdiente Un- gluͤcksfaͤlle den Aermsten bisher so unfreund- lich verfolgt haͤtten. Strenger und nicht so billig urtheilte der Vater, auch er ruͤhmte des Juͤnglings hoͤfliche und edle Lebensart, aber er glaubte auch fest, daß nicht unver- dientes Ungluͤck, sondern weit wahrscheinli- cher jugendliche Fehler, Verfuͤhrung und Leichtsinn ihn in dies Ungluͤck gestuͤrzt haͤtten, und nun planlos in der Irre umher jagten. Wenn er wiederkehrt, fuͤgte der Vater hin- zu, will ich offen mit ihm sprechen, sein zerruͤttetes Gluͤck wiederherstellen, und ihn mit seinen Eltern, die freilich nicht ohne Ursache mit ihm zuͤrnen werden, auszusoͤh- nen suchen. Er hat das Leben meines einzigen Kindes zweimal gerettet, er verdient diesen Lohn vollkommen, und wird itzt vorsichtiger handeln, da Ungluͤck ihn weiser gemacht hat. Amalien that's weh, ihren Liebling so verkannt zu sehen, sie vertheidigte der Mut- ter Meinung, als aber der Vater die seini- ge hartnaͤckig behauptete, so erzaͤhlte sie ihm zum Beweise ihrer Meinung die ganze Ge- schichte des ungluͤcklichen Juͤnglings. Der Va- ter schien nun zu ihrem groͤßten Vergnuͤgen vollkommen uͤberzeugt. Wenns wirklich so ist, dann hat der Aermste, sprach er mit Thraͤ- nen im Auge, schrecklich geduldet, dann ver- dient er, daß ich sein Vater werde und ewig bleibe! Amaliens Herz ward durch diese Versiche- rung geoͤfnet, sie ließ es dem geruͤhrten Al- ten nicht undeutlich merken, daß sie es gerne sehen wuͤrde, wenn er ihn durch unaufloͤsliche Bande an sich fessele, und gab ihm sogar Winke, wie er diese am besten knuͤpfen koͤn- ne. Der Vater schwieg, schuͤzte am andern Morgen dringende Geschaͤfte vor, und reiste ab, ohne daß Amalie erfahren hatte: Wohin er reisen wuͤrde? Wenn sie bei der Mutter nach der Ursache dieser schnellen Reise forschte, laͤ- chelte diese geheimnißvoll, versicherte sie aber zugleich, daß kein Ungluͤck diese schnelle Ab- reise verursacht habe. Amalie suchte zwar oft im Stillen die Ursache derselben zu ergruͤn- ben , als aber die Zeit nahte, daß Wil- helm ruͤckkehren sollte, da vergaß sie des Vaters, gedachte nur der Wonne, die ihrer harrte. Ohne es wirklich zu wollen, ging sie am zehnten Tage nach Wilhelms Abreise spazie- ren, ohne es zu wissen, wandelte sie auf der Straße nach der Stadt, schauderte won- nevoll aus tiefen Gedanken empor, als ein Wagen voruͤber rollte, und Wilhelm ihr aus diesem entgegen sprang. Der Willkomms- gruß war innig und herzlich, der Abend so reitzend und schoͤn, ein Fußsteig kruͤmmte sich durch die Wiesen, fuͤhrte durchs Lust- waͤldchen nach dem Schlosse, sie waͤhlten die- sen, und ließen den Wagen fortfahren. Wilhelms Gestalt hatte sich um vieles veraͤndert, sein verwirrtes Haar war itzt kunstvoll und doch kunstlos gelockt, seinen schlanken Koͤrper machte ein wohlgeformtes Kleid noch schlanker. Lust und frohe Hofnung hatte seine Wangen hoch geroͤthet, seine Au- gen mit Kraft und Feuer gefuͤllt. Sie wall- ten nahe am Orte voruͤber, wo Amalie den Verzweifelnden rettete. O damals war's schrecklich! Damals war's ganz anders! rief er aus, und sank vor Amaliens Fuͤssen nie- der. Sie wollte ihn aufheben, und vermochte es nicht, sie ruhte auf seinen Schultern, duldete Kuͤsse des Dankenden, erwiederte sie am Ende, und gestand ihm in abgebroche- nen, aber deutlichen Worten, daß sie ihn schon lange graͤnzenlos liebe. Er dankte aufs feurigste und zaͤrtlichste, Freudenthraͤnen be- nezten ihre Hand, und waren der Beweiß, daß er spreche, wie sein Herz denke. Schon ging die Sonne unter, als sie das Waͤldchen verließen, sie schlichen lang- sam nach dem Schlosse, und doch schienen sie ihrem Gefuͤhle nach zu schweben, die ganze Natur tanzte im bunten Gewuͤhle vor ihren Augen, alles schien zu lachen, zu scherzen und Theil zu nehmen an der Wonne, die ihr Herz empfand. Mit besorgter Miene kam ihnen die Mutter entgegen, und weckte sie aus der gluͤcklichen Schwaͤrmerei. Haͤtte mich nicht der Kutscher versichert, sprach sie im Tone des sanften Vorwurfs zu Amalien, daß dein Retter dein Begleiter sei, ich wuͤr- de uͤber dein langes Außenbleiben Todesangst gefuͤhlt haben. — — Amalie wollte sich entschulgigen , aber eben ihre Entschuldigungen bewiesen der er- fahrenern Mutter deutlich, daß ihr Kind lie- be. Die Blicke, welche beim Abendmale im- mer auf Wilhelmen gerichtet waren, und be- schaͤmt zur Erde sanken, wenn der Mutter Auge ihnen begegnete, uͤberzeugten sie vol- lends. Als die Diener das Zimmer verlas- sen hatten, ergrif die Mutter der Tochter Hand und laͤchelte. Amalie . Theure Mutter! Wie soll ich dies geheimnißvolle Laͤcheln deuten? Die Mutter . Wie du willst, nur nicht ungerecht. Du wuͤnschtest schon laͤngst zu wis- sen: wohin dein Vater gereist sei? Itzt will ich dir's entdecken: Er will dein Gluͤck vermehren! Amalie . (verwunderungsvoll). Mein Gluͤck? Die Mutter . Dies (mit einem bedeu- tenden Blick auf Wilhelmen) scheint freilich keiner Vermehrung faͤhig, aber ich hoffe doch ganz gewiß, daß der gute Vater dir viele Freude ruͤckbringen wird. Amalie . Ich verstehe sie immer we- niger. Die Mutter . Sollst es bald vollkom- men. Ich versprach freilich zu schweigen, aber die Gelegenheit ist zu schoͤn, ich muß zum erstenmale in meinem Leben beweisen, daß ein Weib nicht zu schweigen versteht. Die Erzaͤhlung, welche du uns neulich von dei- nes Retters ungluͤcklichem Schicksale machtest, traf deines Vaters Herz mit Macht. Er be- schloß, ihm seine edle Thaten zu lohnen, ihn mit seinem Vater auszusoͤhnen, oder diesem wenigstens zu sagen, daß er ihm Va- ter werden wolle, wenns der aͤchte wirklich zu sein aufhoͤre. Wilhelm (erschrocken). O dann un- ternahm er eine Unmoͤglichkeit. Gott, ich fuͤrchte nun alles, fuͤrchte mit Recht, daß des unnatuͤrlichen Vaters Jaͤhzorn den groß- muͤthigen Vermittler auch gegen den unschul- digen Sohn erbittern wird. Die Mutter . Sorgen sie nicht! Er reiste mit dem festen Vorsatze ab, alles mit Gelassenheit zu ertragen, sich vorzuͤglich von der Wahrheit ganz zu uͤberzeugen, um dann ungehindert an ihrem Gluͤcke zu arbeiten. Wilhelm . Dies wird meines Vaters Verlaͤumdungskunst vollkommen vernichten. Ha! daß ich nur hoffen, nur waͤhnen konn- te: Ich wuͤrde, ich koͤnne einst noch gluͤcklich sein! Die Mutter . Ruhig, lieber Sohn, ruhig! Sie kennen das Herz meines Gatten nicht. Sein Vorsatz ist, nicht Verlaͤumdung, nur unwiderlegbare Beweise koͤnnten ihn ver- nichten, und diese wird ihr Vater gewiß nicht liefern. Morgen kann er wieder zuruͤck- kehren, bis dahin harren sie geduldig, und glauben indeß fest, daß er, daß ich's red- lich mit ihnen meine. Wilhelm dankte fuͤr ihre guͤtige Meinung, aber sein unruhiger, trauriger Blick bewies deutlich, daß er neues Ungluͤck ahnde. Ver- gebens suchte ihn Amaliens Blick zu ermnn- tern , vergebens fluͤsterte sie ihm zu, daß keine Verlaͤumdung ihre innige Liebe zu ihm schwaͤchen koͤnne, er schied traurig, und blickte seufzend gen Himmel. Amalie saß schon am andern Morgen lange allein in der Gartenlaube; es war zwar ein unfreundlicher, nebelvoller Herbst- tag, aber sie hatte ihrem Wilhelm auf dem gestrigen Spaziergange erzaͤhlt, daß sie je- den Morgen diese Laube besuche, sie hofte, verstanden zu werden, und harrte itzt ver- gebens. Eben wollte sie mißvergnuͤgt ins Schloß ruͤckkehren, als ein Bauer sie im Garten suchte, und ihr einen kleinen Zettel uͤberreichte. Ein fremder Herr, sprach er, gab mir ihn diesen Morgen, und bat mich sehr, ihnen solchen allein zu uͤberreichen. Als er fortging, oͤfnete ihn Amalie ahn- dungsvoll und schaudernd. „Mein unerbittliches Schicksal, stand mit Bleistift darauf geschrieben, zwingt mich zur neuen Flucht. Sie wird mir beinahe unmoͤg- lich, zentnerschwer haͤngts au meinen Fuͤßen, aber ich muß fliehen, wenn ich nicht ganz ungluͤcklich werden will. Erfaͤhrt mein grim- miger Vater meinen Aufenthalt, so ist schmaͤhliches Gefaͤngniß mein unverdientes Loos! O daß ich nicht ganz aufrichtig mit ihnen sprach, sie nicht wenigstens bat, meine ungluͤckliche Geschichte ihren Eltern zu ver- schweigen; aber es ist geschehen, und ich muß fliehen. Ich war einige Augenblicke graͤnzenlos gluͤcklich, um mein kuͤnftiges, im- mer dauerndes Ungluͤck recht lebhaft fuͤhlen zu koͤnnen. Sicher wird mein Vater heute mit dem ihrigen auf dem Schlosse anlangen, hoͤren sie nicht zu, wenn er mir fluchen, glau- ben sie nicht, was er erzaͤhlen, behaupten und zu beweisen suchen wird. Das Unge- heuer, welches mich verfolgt, ist mein Va- ter, ich fuͤrchtete, zu viel zu verliehren, wenn ich ihnen alles erzaͤhlte, sie wuͤrden mit Grunde besorgt haben, daß der Sohn eines solchen Boͤsewichts nicht redlich denken koͤnne. Noch einmal! Glauben sie nicht, was selbst die bestochenen Richter glauben, die mich gleich ihm verfolgen. Sollte es aber doch moͤglich sein, daß die Verlaͤumdung in ihrem Herzen Eingang faͤnde, so bitte, flehe und beschwoͤre ich sie, daß sie mich wenigstens be- dauern, und fest uͤberzeugt bleiben, daß sie immer und ewig mit der groͤßten Zaͤrtlichkeit verehren, bis zum lezten Athemzuge anbe- ten wird, der Ungluͤcklichste unter den Sterb- lichen, Wilhelm L — —.“ Amalie Amalie lehnte sich zitternd an den Stamm einer Linde, sie liebte zum erstenmale, liebte heiß und zaͤrtlich, hatte sich unendliche Won- ne und Freude im Arme des Geliebten ge- traͤumt, sah sie itzt mit einmal schwinden, Kummer und Schmerz sich nahen. Haͤtte sie in diesem Augenblicke die Strasse gekannt, auf welcher ihr Geliebter wandelte, sie wuͤr- de Vater und Mutter verlassen, Ungluͤck und Elend willig mit ihm getheilt haben. So groß, so unumschraͤnkt ist die Macht der Lie- be, wenn einmal das Herz sich ihr geoͤfnet, die Vernunft ihr die Zuͤgel uͤberlassen hat! Darum, liebes Maͤdchen, huͤte dich, zu lie- ben, ehe du uͤberzeugt bist: ob du ohne Hinderniß lieben kannst? Deun bist du ein- mal hingesunken in die Arme des Geliebten, hast du gekuͤßt seinen Mund, gehoͤrt seine Schwuͤre, so rettet dich nichts mehr, du bist fest an ihn gekettet, sinkst und faͤllst mit ihm Biogr. d. W. 3. B. G in den Abgrund, den eigne That oder der Vorsehung Wille zu seinen Fuͤßen oͤfnete. Lange staunte noch Amalie in die Ferne, suchte ihren Wilhelm und fand ihn nicht, al- les war wuͤste und oͤde um sie her, der Ne- bel sank, die Sonne lachte freundlich auf sie herab, aber sie fuͤhlte ihre wohlthaͤtige Waͤr- me nicht, Fieberkaͤlte durchzitterte ihr Herz, und verbreitete sich durch ihren ganzen Koͤr- per, ihre Zaͤhne klapperten, und entpreßten dem starrenden Auge eine Thraͤne des bittern Kum- mers. Sie suchte Trost, fand ihn nirgends, und eilte in die Arme ihrer Mutter. Mit verwirrtem und traurigem Blicke kam ihr diese schon am Eingange des Gartens entgegen, auch sie hatte einen Brief in ihrer Hand, ihre Miene, mit welcher sie ihn oft ansah, be- wies deutlich, daß er die Ursache ihres Kum- mers enthalte. Amalie (weinend und schluchzend). Hat er auch Abschied von ihnen genommen? Die Mutter . Wer? liebes Kind, wer? Amalie . Mein Wilhelm. Die Mutter . Wo ist er? Wo treffe ich ihn? Amalie (kann aus Uebermaaß des schmerz- haften Gefuͤhls nicht sprechen, und deutet mit der Hand in die Ferne). Die Mutter . So ist er fort? So be- staͤtigt er wirklich die Nachricht, welche ich eben durch deinen Vater erhielt? Amalie . Nachricht? Welche Nach- richt? G 2 Die Mutter (fuͤhrt sie nach dem Gar- ten zuruͤck, den Brief oͤfnend). Hoͤre, und staune mit mir: „Theures Weib! Gieb dem ungluͤcklichen Juͤngling, der unserm einzigen Kinde zwei- mal das Leben rettete, den Beutel mit Gold, welchen du rechts in meiner Schatulle findest, rathe ihm zur schnellen, eiligen Flucht aus unserm Lande, aus Deutschlands Graͤnzen. Ich bin ihm das Leben meines Kindes schul- dig, ich halte es fuͤr Pflicht das seinige zu retten, ohne zu uͤberlegen: ob ich recht handle, wenn ich einen uͤberwiesnen Moͤr- der den Armen der suchenden Gerechtig- keit entreisse? Ich wollte sein Gluͤck gruͤnden, und hab's ohne Verschulden ganz vernichtet. Er schmachtete schon zwei Monden lang im Gefaͤngnisse, er ist durch Zeugen uͤberwiesen, daß er mit seiner Stiefmutter im vertrauten Umgange lebte, mit ihr zweimal den Vater zu vergiften suchte, ihn einmal wirklich ver- giftete. Nur die Kunst der Aerzte hat ihn vom Tode errettet, dem er itzt langsam und abzehrend entgegen schmachtet. Die Gehuͤlfin seiner schwarzen That, seine Stiefmutter hat schon durch des Henkers Schwerd ihr Leben geendet, uͤber den Fluͤchtling ist das schreck- liche Urtheil des Rades schon ausgesprochen. Ich konnte und durfte es nicht hindern, daß der mit vollem Rechte Rache heischende Vater seinen Aufenthalt den Gerichten entdeckte, die ihn morgen schon bei euch suchen werden. Ich verzoͤgere aus Absicht meine Ruͤckkehr, da- mit mir nicht Verantwortung uͤber seine Flucht werde. Ich sende euch meinen Bedienten in Geheim mit dieser Nachricht voraus. Sollte der Ungluͤckliche noch in der Stadt sein, wo- hin ich ihn sandte, so schickt diesen Bedien- ten, der von allem unterrichtet ist, ihm mit dem Golde nach, damit er sich rette, und in der Ferne eine That bereue, die ihn in aller Menschen Augen verhaßt machet, die Gott ihm nur allein vergeben kann. Bei aller Angst, die ich hier am Bette des ergrimmten Vaters dulde, danke ich doch Gott, daß ich vorher pruͤfte, ehe ich be- schloß, und ungeachtet du es widerriethest, nicht blindlings glaubte. Gott, was wuͤrde aus dir und mir, aus meinem armen Kinde geworden sein, wenn ich es mit einem Va- termoͤrder verbunden haͤtte! Lies Amalien diesen Brief vor, ich zweifle nicht, daß sein Inhalt maͤchtig genug sein werde, die Liebe zu ihm zu tilgen, welche ich schon in ihrem dankbaren Herzen empor keimen sah.“ Aber der Brief war's nicht vermoͤgend! Amalie trauerte tief und innig, weil sie mehr ihres Wilhelms, als des Vaters Worten glaubte, und die schreckliche Erzaͤhlung fuͤr eine Verlaͤumdung des harten und ergrimm- ten Vaters achtete. Sie sprach mit der Mut- ter laut daruͤber, als der andere Tag ver- floß, und die Gerichte nicht erschienen; sie beweinte noch immer den entflohenen Gelieb- ten, als endlich der Vater ruͤckkehrte, ihr durch umstaͤndliche Erzaͤhlung die Wahrheit seines Briefes so deutlich bewies, daß sie nur im Verborgenen noch um ihn trauern, ihn nur in ihrem Herzen entschuldigen konnte. Sie schiens gleichguͤltig zu achten, als end- lich die Gerichte, welche erst der Formalitaͤt wegen durch die Landesregierung ersucht wer- den mußten, wirklich nach ihm forschten, und genau untersuchten: ob niemand durch fruͤhe Warnung sich zu seinem Mitschuldigen ge- macht habe? Amalie nannte von dieser Zeit an, den Namen ihres Retters nicht mehr, aber ihre Lebhaftigkeit, ihre Theilnahme an allen laͤnd- lichen Geschaͤften ging ganz verlohren, sie saß am liebsten auf ihrem Zimmer, sie bat drin- gend, sie den Winter uͤber nicht nach der Stadt zu fuͤhren, und sah es nicht gerne, wenn ihre Eltern sie in ihrer Einsamkeit stoͤhrten, oder gar Gesellschaft in ihr Zimmer fuͤhrten. Der Fruͤhling begann, Vater und Mutter hoften, daß der Alleserfreuende auch ihrer Tochter Herz erfreuen werde, aber ihre Erwartung ward durch den Erfolg getaͤuscht, Amalie trauerte noch immer in ihrem Zimmer, als die Veilchen lieblich dufteten, und ihre schoͤnen Abrikosenbaͤume schon verbluͤht hatten. Sie gab zwar oft den sanften Ermahnungen des Vaters nach, ging mit ihm im Garten, und uͤber Feld spazieren, aber sie staunte im- mer gedankenvoll in die Ferne, und trat ge- fuͤhllos die Pflanzen zu Boden, welche sie sonst so emsig gepflegt hatte. Moͤglich, daß Gram uͤber das innere Leiden seines Kindes des Vaters Tage ver- kuͤrzte, er starb im folgenden Herbste an ei- nem Nervenfieber, nachdem er zuvor seine Tochter dringend gebeten hatte, ihre Tage mit mehr Freude zu genießen. Sein Tod machte tiefen Eindruck auf Amaliens Herz, und vermehrte ihre Trauer um ein großes. Wenigstens konnte und durfte es ihr niemand verdenken, wenn sie unter diesem Vorwande noch einsamer lebte, ihr Zimmer aͤußerst sel- ten verließ. Ihre Mutter trauerte selbst aufs innigste uͤber den Verlust ihres geliebten Gat- ten, und sah's gerne, wenn ihr Kind mit ihr klagte und weinte; aber sie erschrack auch herzlich, als ihr der besuchende Arzt die ge- wisse Vermuthung entdeckte, daß schleichende Abzehrung am Leben ihrer Tochter nage, und sie nothwendig im nahenden Fruͤhjahre die Wasser zu Spaa trinken muͤsse, wenn das Ue- bel nicht unheilbar werden solle. Da fieberhafte Anfaͤlle die Mutter verhin- derten, Amalien zur bestimmten Zeit selbst zu begleiten, so vertraute sie solche einer al- ten Muhme, die eines Pfarrers Wittwe war, und von Amalien immer vorzuͤglich ge- liebt wurde. Amalie hatte sich lange gewei- gert, die Reise zu unternehmen, und laͤ- chelte sanft, wenn der Arzt ihr die Gefahr groͤßer schilderte, als sie selbst war. Sie wuͤrde seinen Rath nicht befolgt haben, wenn nicht die Mutter ausdruͤcklichen Gehorsam ge- fordert, und sie versichert haͤtte, daß laͤn- gere Weigerung sie aͤußerst kraͤnken werde. Amalie blieb sich auf der Reise immer gleich, nahm an nichts Antheil, bezeugte keine Freude uͤber die schoͤne Gegend, welche sie durchreiste, und trank schon einige Wo- chen ohne Erfolg den Brunnen, als sie einst nach der Versicherung der alten Muhme aͤus- serst lustig und munter von da in ihre Woh- nung zuruͤckkam. Sie ist itzt, schrieb bald darauf die frohe Alte der Mutter, ganz ein anderes Maͤdchen geworden, puzt sich wieder, geht den ganzen Tag spazieren, ist bey al- len Freudenfesten und Pikniks gegenwaͤrtig, und kommt oft spaͤt in der Nacht vom Tanze nach Hause. Die gute Mutter wurde durch diese Nach- richt sehr getroͤstet, sie dankte dem Arzte fuͤr seinen guten Rath, und lobte die kraͤftige Wirkung des Wassers; aber ihr Dank und Lob dauerte nicht lange, verwandelte sich in unheilbaren, tiefen Jammer, als die Muh- me ohne Amalien ruͤckkehrte, der staunenden Mutter die schreckliche Nachricht brachte, daß ihre Tochter wahrscheinlich mit einem Gelieb- ten aus Spaa entflohen sei, all' ihr Geld und Kostbarkeiten mit sich genommen, ihr nur so viel gelassen habe, als zur Ruͤckreise noͤthig war. Zur Bestaͤtigung ihrer Erzaͤh- lung zeigte sie der jammernden Mutter ei- nen Zettel von Amaliens Hand geschrieben, welchen sie auf ihrem Nachttische gefunden hatte. „Eilen sie, stand darauf geschrieben, nach Hause, und troͤsten sie meine arme Mutter mit der Versicherung, daß mich zwar mein unvermeidliches Schicksal wahrscheinlich auf ewig von ihr trennt, daß ich aber den Schritt freiwillig wage, ihn nie zu bereuen, gegruͤn- dete Hofnung habe. Sie soll bald Nachricht von mir erhalten, ich zweifle dann nicht, daß sie mir mein vaͤterliches Erbe nicht vorenthal- ten wird, damit ich in den Armen eines red- lichen Mannes, um deswillen ich eine so gute Mutter verließ, ruhig und zufrieden leben kann. Theure Mutter, trauern sie nicht, wenn sie dies lesen, bedenken sie, daß ihre Tochter daheim verwelkt waͤre, und itzt in der Ferne herrlich bluͤhen, ihnen jederzeit Nachricht von ihrem Befinden geben, und nie aufhoͤren wird, sie um den muͤtterlichen Se- gen zu bitten.“ Dies war aller Trost, alle Hofnung, an welche sich durch einen langen Monat die kla- gende Mutter halten konnte. Die redliche, aber auch mit der großen Welt ganz unbe- kannte Pfarrerswittwe konnte keine ihrer Fra- gen beantworten, ihr in dem Labyrinthe von Zweifel, und Ahndung gar keinen Weg zei- gen. Sie war immer huͤbsch daheim gesessen, hatte Arndts Paradies-Gaͤrtlein durchblaͤt- tert, indeß Amalie ungehinderte Freiheit ge- noß, ihren Plan zu entwerfen, und auszu- fuͤhren. Nach Monatsfrist ward der Leidenden der erste Trost, sie erhielte einen Brief von ih- rer Tochter. Diese bat sie des gewagten Schrittes wegen innig und ruͤhrend um Ver- gebung, schilderte ihr aber die Liebe zu ei- nem der edelsten Maͤnner so groß, und ihr kuͤnftiges Gluͤck in seinen Armen so reizend, daß die gute Mutter willig verzieh, und zum erstenmale wieder froͤhlicher athmete. Noch, schrieb Amalie am Ende, kann ich ihnen den Namen desjenigen, dessen Liebe mich so graͤnzenlos gluͤcklich macht, nicht nen- nen, aber bald sollen sie alles erfahren. In- deß bitte ich sie, mir von meinem vaͤterli- chen Erbe fuͤnf tausend Thaler nach Luͤbeck an Wechsler R —. zu uͤbersenden, welcher be- reits den Auftrag hat, es weiter zu schicken. Verzeihen sie mir diese Vorsicht, sie ist zu meinem Gluͤcke noͤthig. Dies wuͤrden sie uͤbri- gens um ein großes befoͤrdern, wenn sie alle Kapitalien, die mir mein Vater hinterließ, indeß aufkuͤndigten, damit ich solche zur Zeit erhalten, und in dem Lande anlegen kann, wo ich kuͤnftig leben werde. Die getroͤstete Mutter achtete es nicht fuͤr noͤthig, den Rath weiter blickender Freunde zu hoͤren, sie sandte die geforderte Summe nach Luͤbeck, versprach in einem Briefe, alles zu erfuͤllen, was ihr geliebtes Kind fordere, zur Vermehrung ihres Gluͤcks heische, und beschwor nur am Ende ihre Tochter, ihr wenigstens doch noch einmal in ihrem Leben die Wonne zu goͤnnen, sie zu umarmen, und zu segnen. Hoffend und fuͤrchtend verstrichen nun ei- nige Monate ohne weitere Nachricht. Die aufs Neue leidende Mutter wandte sich des- wegen an den Wechsler R —. zu Luͤbeck. Er berichtete ihr, daß er das Geld richtig erhalten, es laut Ordre an einen jungen, schoͤnen aber ganz unbekannten —schen Offizier ansgezahlt habe, und sonst nichts berichten koͤnne. Neue Monate verflossen ohne Trost; das Leiden der duldenden Mutter mehrte sich, nagte an ihrem Leben, und vernichtete es ganz, als die Blaͤtter wieder zu sprossen be- gannen. Sie starb ohne Trost, ohne Nach- richt: wie es ihrem einzigen Kinde gehe? Ob es noch hienieden walle, oder ihrer dort schon harre? Die Gerichte nahmen das große und ansehnliche Vermoͤgen in Empfang, ver- walten es noch, weil erst itzt die naͤchsten Anverwandten solches zu fordern beginnen. Lange blieb diesen Amaliens Schicksal un- erforschlich, erst durch ungefaͤhren Zufall er- fuhren sie es seit kurzem, und setzen mich in Stand, ihre weitere Geschichte zu erzaͤhlen: Amalie trank, wie ich schon erwaͤhnt habe, das Wasser zu Spaa aus Gehorsam, vergaß es oft zu trinken, wenn sie sich aus dem Ge- tuͤmmel, welches den Brunnen umgab, los- riß, und in der schoͤnen Wildniß umher irr- te. Die ganze Gegend stimmte dann so ganz mit ihrem Gefuͤhle, mit ihrer Melancholie, die Herz und Seele fuͤllte. Wenn ich ihn nur noch einmal sehen, und mit der Versicherung troͤ- troͤsten koͤnnte, daß ich ihn noch liebe! rief sie dann immer aus, und suchte ihn vergebens unter den Lustwandelnden, welche hie und da in Gruppen gelagert saßen, dort wieder einzeln auf den Bergen umher kletterten. An einem schoͤnen Morgen saß sie eben mit diesem Gedanken auf einem Abhange, als sie dicht unter sich einen Juͤngling erblickte, welcher, in einen Kaputrock gehuͤllt, nach- denkend da sas, und ein ofnes Buch in der Hand hielt. Seine Phisionomie erinnerte sie lebhaft an ihren Wilhelm, es ward leicht in ihrem Herzen, licht in ihrer Seele, sie zit- terte ahndend bei ihm voruͤber. Der Juͤng- ling sprang erschrocken empor, sank langsam zuruͤck, und rief freudig aus: Sie ist's! Er ist's! antwortete Amalie, und sank in seine Arme. Der Bund der Liebe ward er- neuert, und durch Kuͤsse des frohen Will- komm's gefeiert. Biogr. d. W. z. B. H Schon waren alle Brunnengaͤste nach der Stadt zuruͤckgekehrt, als Wilhelm und Ama- lie noch immer am Abhange saßen, sich ihr Leiden, ihr Schicksal erzaͤhlten. Wilhelm be- wies, daß schaͤndliche Verlaͤumdung und un- gegruͤndete Eifersucht des Vaters ihn so schreck- lich verfolgt habe. Wahr ist alles, was ich ihnen, sprach er, schon ehedem erzaͤhlte, nur verschwieg ich's, daß der Vater meine ungluͤckliche Mutter sogleich nach dem Gefaͤng- nisse schleppte, und mich, da ich seinem Grimme entflohen war, rastlos suchte, end- lich im Walde fand und gleich der Mutter den Gerichten uͤberlieferte. Staunend stand ich und sie, als die Gerichte Bekenntniß der schaͤndlichen Thaten von uns forderten, die wir nie geuͤbt, nie beschlossen hatten. Ver- gebens ruften wir Gott zum Zeugen und Schuͤtzer an, als rachsuͤchtige Buben, die mein Vater im Dienste hatte, wider uns auftraten, und beschworen, was wir nie ge- than hatten. Wahrscheinlich schreckte sie mein drohender Blick, denn erst spaͤter erfuhr ich, daß sie mich weniger als meine Stiefmutter beschuldigt hatten, die Ungluͤckliche wurde zur Folter, und als sie aus Schmerz auf dieser alles bekannte, was die Richter heischten, zum Tode verurtheilt. Ein Brief, den sie in ihrer lezten Stunde an meine Familie schrieb, und worinne sie ihre und meine Un- schuld mit den kraͤftigsten Worten verthei- digte, rettete mich nach der Hand aus dem Gefaͤngnisse, meine Freunde bestachen, von meiner Unschuld uͤberzeugt, den Kerkermei- ster, und entrissen mich der blinden Rachsucht des immer noch tobenden Vaters. Amalie glaubte und trauete Wilhelms Worten, denn sie liebte und versicherte ihn, daß er durch die treue Erzaͤhlung seines un- gluͤcklichen Schicksals in ihrem Herzen nichts verlohren, vielmehr alles gewonnen habe. H 2 Sie forschte emsig nach der Erzaͤhlung seines weitern Schicksals. Als ich sie so schnell verlassen mußte, er- zaͤhlte er weiter, da kaͤmpfte die Verzweif- lung aufs neue mit mir, ich wuͤrde ganz ge- wiß geendet haben, wenn der Gedanke: Ein Engel liebt dich! mich nicht gestaͤrket, mir nicht die Moͤglichkeit, ihn noch einmal wie- der zu sehen, zum neuen Ziele ausgesteckt haͤtte. Ich irrte zwar trostlos, aber doch nach Rettung umherblickend vorwaͤrts, ich duͤnkte mich nirgends sicher vor der grausen Rache meines Vaters, ich schiffte uͤbers Meer und kam nach —. Dort fand ich unvermu- thet Freunde, die sich meines Elends erbarm- ten, ich ward der Monarchin vorgestellt, und sie ernannte mich zum Hauptmanne eines Re- giments, das sie eben errichtet hatte. Um nicht einst auch hier entdeckt und verfolgt zu werden, gab ich mir den Namen einer Fa- milie, mit der ich nahe verwandt bin, und ich haͤtte nun zufrieden und gluͤcklich leben koͤn- nen, wenn nicht die sehnsuchtsvollste Liebe an meinem kleinsten Vergnuͤgen genagt, mich bald unfaͤhig gemacht haͤtte, je mehr eines derselben zu genießen. Ueberall sah ich ihr Bild, uͤberall ruhten sie in meinen Armen, und wenn ich sie dann fest an mein Herz druͤcken wollte, da schwanden sie, und ließen mir Sehnsucht, Kummer und Trauer zuruͤck. Amalie . Ging's mir besser? Wilhelm . Als ich hofnungslos auf dem Krankenlager schmachtete, mit Sehn- sucht das Ende meiner Leiden erwartete, da traten meine neuen Freunde zu mir, und forderten, daß ich nach dem Rathe des Arz- tes den Brunnen zu Spaa trinken sollte. Vergebens schuͤtzte ich die Kosten und deu Mangel an Gelde vor, sie halfen dem leztern auf der Stelle ab, und ich mußte aus Dank- barkeit ihrer Bitte Gewaͤhrung zusichern. Ohne Hofnung eines gluͤcklichen Erfolgs reiste ich ab, die angenehme Reise erheiterte mich ein wenig, und weckte in mir die Lust zum feruern Leben und Dulden. Der Arzt hatte mir vorzuͤglich Zerstreuung angerathen, ich suchte sie emsig, als ich zu Spaa anlangte, und hofte sie im Spiele zu findeu . Moͤglich, daß Betruͤger mit mir spielten, noch moͤgli- cher aber, daß meine geringe Aufmerksam- keit die Ursache meines Ungluͤcks war, ich verlohr in einem Tage mein ganzes Geld, rettete nur etwas weniges zur feruern Zeh- rung, zur Ruͤckreise nichts. Eben saß ich hier, rang nach Mitteln, wie ich der neuen Verlegenheit ausweichen koͤnne, suchte mit gierigem Auge einen Retter — — Amalie (ihn ins Wort fallend). Und fandest ihn in mir. Armer Wilhelm, Kum- mer und Mangel soll dich nimmer kraͤnken, wenn du die Huͤlfe deiner Amalie nicht ver- schmaͤhst, sie wuͤrdigst, deine aͤchte Freun- din zu sein. Wilhelm widersprach, nahm aber end- lich doch das Gold, welches sie ihm mit dem groͤßten Vergnuͤgen reichte. Schon auf dem Spaziergange des Nachmittags ward uͤber die Mittel, wie sie sich in Zukunft ungestoͤrt lie- ben koͤnnten, mancherlei geredet. Wilhelm bewies durch unumstoͤßliche Gruͤnde, daß er ihr ohne Gefahr seines Lebens nicht folgen koͤnne, aber doch folgen wuͤrde, wenn sie sich von ihm trennte. Amalie erkannte durch diesen Entschluß die Groͤße seiner Liebe, und versprach ihm zu folgen, da er's nicht ver- moͤge. Die Liebenden sahen sich nun taͤglich, fast stuͤndlich, und wenn die alte Muhme fest glaubte, daß die ihr anvertraute Tochter auf diesem oder jenem Balle in Zuͤchten und Eh- ren tanze, so schlich diese, verfuͤhrt durch heisses Flehen und Bitten, mit ihrem Wil- helm nach seiner einsamen Wohuung , schmach- tete in seinen Armen, gewaͤhrte und genoß die Fruͤchte der Liebe. Moͤglich, daß sie schon in diesen gefahrvollen Stunden die hei- ligen Lehren der Mutter vergaß, die ange- nehme Stimme der Verfuͤhrung hoͤrte, und dem Geliebten gewaͤhrte, was der Gatte nur fordern soll; moͤglich, daß eben diese That sie so eng und fest an ihn kettete, einer der vorzuͤglichsten Bewegsgruͤnde war, daß sie die Mutter verließ, und mit ihm nach einem fremden Lande fluͤchtete. Genug, daß sie dies that, und nach Monatsfrist mit ihrem Wilhelm im Hafen zu —. landete. Da er ihr schon vorher erklaͤrt hatte, daß zur Heurath eines Offiziers der Wille der Monarchin erfordert wuͤrde, da er hinzu fuͤgte, daß sie solchen nie gewaͤhre, wenn die Braut nicht eignes Vermoͤgen be- weisen koͤnne, so hatte sie schon von Luͤbeck aus an ihre Mutter geschrieben, und Wil- helm hatte selbst den Wechsler bestimmt, wel- chem das Geld geschickt werden sollte. Amalie duldete es uͤberdies aus oben angefuͤhrten Gruͤnden willig, daß ihr Geliebter bis zu erhaltener Erlaubniß fuͤr sie im abgelegen- sten Theile der großen Stadt eine Wohnung miethete, und war zufrieden, wenn er sie nur oft besuchte, und ihr einige Stunden des Tags widmete. Ein neuer, wichtiger Grund, bald Wilhelms Gattin zu werden, aͤußerte sich kurz nachher deutlich. Amalie fuͤhlte sich schwanger, und bat ihren Wilhelm dringend, sie fuͤr der nahen Schande zu retten, sich in Gottes und der Menschen Gegenwart als Vater des werdenden Kindes zu bekennen. Diesen gerechten Wunsch zu erfuͤllen, nahm Wilhelm Urlaub, reiste nach Luͤbeck, um dort das Geld erheben, und dann unge- hindert der Monarchin Erlaubniß fordern zu koͤnnen. Amalie schied ungerne von ihm, nur der Gedanke, daß die Reise der Frucht ihrer Liebe schaden koͤnne, bewog sie, ihn ruhig daheim zu erwarten, sonst haͤtte sie nichts abgehalten, mit ihm zu reisen. Seine Brie- fe, welche sie immer richtig erhielt, troͤste- ten sie anfangs, waren aber bald der Stof zu großem Kummer, als er ihr berichtete, daß er zwar das Geld richtig erhoben, aber wegen gefahrvollen Winden und uͤblem Wetter die Ruͤckreise zu Lande unternehmen muͤsse. Erst nach langen drei Monaten kehrte er in ihre Arme zuruͤck, fand sie jammernd und weinend. Ihre Hausfrau, welche sie freilich nur fuͤr die Maitresse eines Offiziers nahm, aber doch wegen ihres sanften, stillen Ka- rakters und ihrer eingezogenen Lebensart eine Art von Hochachtung gegen sie fuͤhlte, hatte in Wilhelms Abwesenheit Bekanntschaft mit ihr gemacht, und einige Wochen vor seiner Ankunft, sie oft laut und stark bedauert. Da Amalie nach der Ursache dieses sonst nie geaͤußerten Mitleids forschte, so gestand ihr jene, daß sie vollen Grund dazu zu haben glaube. Soll ich sie nicht bedauern, sprach sie, sie sitzen den ganzen Tag daheim, hof- fen und harren auf die Ankunft ihres Gelieb- ten, und waͤhnen nicht, daß er vielleicht nie die Stadt verlassen, sie wahrscheinlich in den Armen einer andern vergessen hat. Amalie . Gott, das waͤre schrecklich. Die Hausfrau . Schrecklich oder nicht schrecklich, aber wahr bleibt's doch. Schon vor fuͤnf Tagen sah ich ihn auf dem Parade- platz stehen, und heute, als ich vom Markte zuruͤckkehrte, fuhr er mit einem schoͤn gepuz- ten Frauenzimmer in einem ofnen Wagen bei mir voruͤber. Sein freundlicher Blick, mit welchem er seine Gefaͤhrtin ansah, die laͤ- chelnde Miene, mit welcher sie seine Erzaͤh- lung anhoͤrte, schien mir Beweis genug, daß ihre Bekanntschaft nicht erst heute begonnen habe. Daß diese Schreckenspost tiefen Eindruck auf Amalien machte, schrecklichen Jammer uͤber die folgenden Tage und Naͤchte verbrei- tete, wird jedes fuͤhlende Herz leicht einse- hen, wenn es sich in ihre Lage versetzt, nur einige Minuten das toͤdtende Gefuͤhl zu em- pfinden sucht: Du gabst ihm alles! Du bist schwanger und nun von ihm verachtet, ver- lassen! Ein Brief, welcher indeß von —. datirt anlangte, der Amalien sichere Hofnung machte, daß der Verfasser in einigen Tagen gewiß nachfolgen wuͤrde, verhinderte es noch, daß die selbstmoͤrderischen Gedanken, welche anhaltend mit ihr kaͤmpften, nicht zum Vor- satze wurden. Eben, als Wilhelm anlangte, hatte die allzu geschaͤftige Hausfrau ihr aufs neue er- zaͤhlt, daß er in einem oͤffentlichen Garten mit dem Frauenzimmer spazieren gegangen sei, daß sie ihn mit dem Finger gedroht, und er sie veraͤchtlich angeblickt habe. Seine Gegen- wart, sein Erstaunen, als Amalie ihm die Ursache ihrer Thraͤnen erzaͤhlte, troͤsteten bald die Leichtglaͤubige. Auch bewies der Brief, welchen er ihr von der Mutter brach- te, und das erhobne Geld nur allzu deutlich, daß Wilhelm wirklich zu Luͤbeck war. Zwar brachte er Amalien nur drei tausend Thaler, und hatte fuͤnfe erhalten, aber es schien ihr ganz natuͤrlich, daß er solche, ob er gleich uͤber Tausend mit sich genommen hatte, auf der weiten Reise verzehrt habe. Der Brief ihrer guten, alles so willig verzeihenden Mut- ter, die Ankunft ihres Geliebten, die Ver- sicherung seiner ewigen Trene waren ihr reich- licher Ersatz fuͤr das wenige Geld, dem nach der Mutter Versicherung ohnehin das vaͤter- liche große Erbtheil binnen einem halben Jahre folgen sollte. Ihr Herz hatte schon lange keine Freude gefuͤhlt, es war begierig nach dem reichen Genusse, es vergab und verzieh willig, und duͤnkte sich aufs neue in den Armen des Geliebten gluͤcklich. Freilich minderte sich dies Gluͤck um ein großes, als ihr Wilhelm entdeckte, daß er keine Hofnung zur Erlaubniß der Heurath ha- be, wenn er nicht deutlich beweisen koͤnne, daß seine Braut sechs tausend Thaler im Ver- moͤgen habe; aber ihre uneigennuͤtzige Liebe fand bald neuen Rath und Trost, sie oͤfnete mit zufriedener Miene ihre Schatulle, legte alle ihre Kostbarkeiten und den groͤßten Theil ihrer Baarschaft auf den Tisch, und fragte Wilhelmen laͤchelnd: Ob dies alles wohl den Werth von sechs tausend Thalern ausmachen werde? Wilhelm meinte, daß es wohl noch mehr betragen koͤnne, und nahms auf ihre Bitte uͤber sich, die Kostbarkeiten in baares Geld zu verwandeln, und dann die vollen sechs tausend Thaler nach gewoͤhnlichem Ge- brauche bei der Kriegskasse zur Sicherheit und zum Beweise im Namen seiner kuͤnftigen Gat- tin verzinnslich anzulegen. Schon am an- dern Morgen brachte er ihr die trostreiche Nachricht, daß er die Juweelen gut verkauft habe, uud nun hineile, um die Bittschrift mit allen erforderlichen Beweisen versehen beim Kriegskollegium einzureichen. Freudig klopfte Amaliens Herz, wenn er ihr dann in der Folge oft die angenehme Nachricht brachte, daß in einigen Tagen die Gewaͤh- rung seiner Bitte erfolgen muͤsse. Eben sprach er mit Amalien von ihrer kuͤnftigen Einrichtung; wie sie ruhig und vergnuͤgt mit einander leben wollten, als sein Bedienter ihn aufsuchte, und ihm eilfertig mel- dete, daß eben ein Hof-Lakei ihn in seiner Wohnung gesucht habe, um ihm zu sagen, daß er morgen fruͤh im Kabinete der Monar- chin erscheinen solle. Beide verschwendeten nun die Zeit mit Muthmaßungen, und da sie keine wahrscheinliche finden konnten, so ward am Ende beschlossen, daß Amalie den Ausgang ruhig erwarten, Wilhelm hingegen so gleich nach erfolgter Audienz sie besuchen, und von allem unterrichten wolle. Obgleich Amalie ruhiges Harren gelobt hatte, so durchwachte sie doch ahndungsvoll die lange Nacht, und blickte ihren Wilhelm trostlos an, als er mit sichtbar verlegner Miene zu ihr ruͤckkehrte. Amalie. Amalie (zitternd). Ich bin auf alles gefaßt, und heische nur strenge Wahrheit. Wilhelm . Sie soll dir werden, doch bitte ich dich vor allem, sei ruhig! Meine Bothschaft kann wohl Verzoͤgerung, aber kei- nesweges Vernichtung uusrer nahen Heurath enthalten. Amalie (traurig). Verzoͤgerung? Als ob in dieser nicht schon namenloses Leiden fuͤr mich laͤge. Wilhelm . Es steht bei dir, sie zu vernichten. Amalie . Bei mir? O dann bist du morgen mein auf ewig. Wilhelm . Hoͤre und urtheile. Als ich ins Kabinet der Monarchin trat, laͤchelte Biogr. d. W. 3. B. I sie sanft. Ich hoͤre, sprach sie, er will heu- rathen? Wenns Ew. Majestaͤt, antwortete ich, gnaͤdigst erlauben, so ist's mein fester Wille. — — Nachdem sie nach dem Namen meiner Braut, nach ihrem itzigen und kuͤnf- tigen Vermoͤgen geforscht hatte, so begluͤckte sie mich mit ihrer Erlaubniß. Amalie . O die Holde! O die Gute! Wilhelm . So dachte auch ich, aber schaudernd zog sich's durch's Mark des Ruͤk- kens, als sie hinzu fuͤgte: Bring' er morgen seine Braut zu mir, ich will mir das Ver- gnuͤgen machen, ihr selbst diese schriftliche Erlaubniß einzuhaͤndigen, und in ihren Mie- nen zu lesen: Ob sie ihn recht innig und zaͤrtlich liebt? Amalie . War's dies alles? O ich gehe ja gerne zu ihr. Mag sie's dann auch sehen, daß deine Liebe mich zur Gluͤcklichsten der Sterblichen macht. Was schadet es? Wilhelm . Es wuͤrde mein groͤßter Triumph sein, wenn dein jetziger Zustand nicht zum offenbaren Verraͤther unsers ver- trauten Umgangs wuͤrde, wenn dieser nicht vielleicht die Monarchin zum Zorne, wenig- stens zur Ungnade gegen mich reizte. Amalie . O Gott, daß ich dies verges- sen konnte! Was soll ich nun beginnen? O, warum uͤberlegten wir's nicht fruͤher, daß dem uͤbereilten Schritte Strafe folgen muͤsse. Wilhelm . Noch ist Abhuͤlfe moͤglich, aber ich wiederhole es noch einmal feierlich, daß ich sie ohne deine Einwilligung nicht be- nutzen werde. In der Eile und Verlegenheit, in welche mich das Verlangen der Monarchin versetzte, fiel mir die vielleicht gluͤckliche Ent- I 2 schuldigung bei, daß ich meine kuͤnftige Gat- tin sogleich zu ihr fuͤhren wuͤrde, wenn sie bereits in der Residenzstadt angelangt waͤre. Es ist moͤglich, fuͤgte ich hinzu, daß sie bin- nen Monatsfrist, aber auch wahrscheinlich, daß sie erst in zwei oder drei Monden hier ankommt. Nun, antwortete die Monarchin, so hat's ja keine Eile! Wenn sie ankommt, so fuͤhre er sie zu mir, und die Erlaubniß soll ihr sogleich werden. Ich dankte ehrfurchts- voll, und eilte hieher, um dir alles zu er- zaͤhlen, und dich nochmals zu versichern, daß es ganz allein von dir abhangen soll: Ob du sogleich und in deinem jetzigen Zustande vor der Monarchin erscheinen, oder die nahende Entbindung abwarten willst? Bist du zum er- stern entschlossen, so werde ich willig dir fol- gen und nicht murren, wenn das scharfsich- tige Auge der Monarchin mich ungnaͤdig an- blicken wird. Behagt dir um deiner und mei- ner Ehre willen die kleine Verzoͤgerung besser, so werde ich dir innig dafuͤr danken, dich aber auch eben so eifrig bitten, mich dann durch keinen Vorwurf zu kraͤnken, weil ich dir freie Wahl goͤnnte, und es ganz bei dir steht, heute schon wider Vermuthen hier anzulangen, und morgen mit mir zur Mo- narchin zu gehen. Amalie . Nein, Theurer, nein! Ich sehe die Wichtigkeit deiner Gruͤnde ein, und ehre sie, ohne an einen Vorwurf zu denken. Ich muß dir ja vielmehr danken, daß du mich auf so gute Art aus der grossen Angst und Verlegenheit rettetest. Ich harre gedul- dig, bis ich ohne Scheu vor den Thron der Monarchin treten kann. Wilhelm . Ehe du sichern Entschluß fassest, mußt du mich noch hoͤren. Die Ret- tung wird gluͤcklich gelingen, aber — ich kann und darf dir's nicht bergen — sie ist auch ge- fahrvoll. Oft spricht die Monarchin mit man- chen der Hofleute uͤber verschiedene Sachen, oft erfaͤhrt sie dadurch Dinge, die gar nicht vor ihr Ohr kommen sollten. Leicht und mehr als wahrscheinlich moͤglich ist's daher, daß sie sich bei einigen nach meinem Thun und Lassen erkundigt, daß diese erzaͤhlen, was sie wissen, und hinzufuͤgen, daß ich meine meisten Stunden bei einem Maͤdchen verlebe, das ich zu heurathen gedenke. Dann wuͤrde sie meine Nothluͤge entdecken, Betrug ahn- den, und ihre Guͤte sich gewiß in immer- waͤhrenden Zorn verwandeln. Amalie . O allzu Vorsichtiger! Aber nein, du hast Recht, der Zufall ist leicht und moͤglich. Wie koͤnnen wir ihn abwenden? Wilhelm . Daruͤber harre ich deines Raths, der meinige, ob er gleich aufrichtig sein wuͤrde, koͤnnte dich an meiner Liebe zweifeln lassen, und dann waͤre mein Gluͤck, meine Wonne auf immer zerstoͤhrt. Amalie . Ich verstehe den Wink, und werde ihn nach Kraͤften benutzen. Du mußt, so schwer es mir auch fallen wird, mich we- niger, und unter dieser Zeit nur im Geheim besuchen, damit die geschwaͤtzigen Hofleute nicht erzaͤhlen, was sie nicht erfahren koͤn- nen. Sprech ich so recht, wie du's forderst? Wilhelm . Wie's die Klugheit heischt, aber der Liebende achtet sie nicht, und ich werde dich fleißiger als je besuchen. Amalie (ihn umarmend). Ich danke dir fuͤr den Beweis deiner Liebe, es wuͤrde mich aͤußerst geschmerzt haben, wenn du ihn nicht geleistet haͤttest, aber ich fordere ihn nicht, weil er dich und mich leicht ungluͤck- lich machen koͤnnte. Du hast Recht, strenge Vorsicht ist noͤthig, ich werde dich daher nur Abends, und auch dann nur, wenn man dich in keiner Gesellschaft vermißt, bei mir erwarten, und mich damit troͤsten, daß die kurze Trennung dich mir auf ewig sichern wird. Wilhelm hatte gegen diesen Entschluß, ob er ihn gleich selbst weise nennen mußte, noch manches einzuwenden; aber er gab end- lich der Vorstellung seiner Geliebten nach, und versprach in Zukunft nur bei Nachtzeit, nur verkleidet zu erscheinen. Im laͤngern Ge- spraͤche fand endlich Amalie noch uͤberdies, daß die ganze Verzoͤgerung ein wahres Gluͤck fuͤr sie sei, weil sie, wenn auch die Heurath noch so schnell vollzogen wuͤrde, doch nicht haͤtte in Gesellschaften erscheinen koͤnnen, sich dort auf jeden Fall uͤbler Nachreden blosstel- len wuͤrde, weil der Tag ihrer Heurath je- dem bekannt sein mußte, ihre nahe Ent- bindung aber eben so wenig verborgen bleiben konnte. Ehe Wilhelm schied, rieth er ihr, daß sie sobald als moͤglich von ihrer Mutter das vaͤterliche Erbtheil heischen sollte, damit sie nach erfolgter Entbindung mit mehr Pracht in der Welt erscheinen, und alle zum Be- kenntnisse zwingen koͤnne, daß sie ihren Gat- ten durch Liebe und Reichthum zum Gluͤcklich- sten der Sterblichen gemacht habe. Amalie fand auch diesen Rath gut und billig, sie schrieb schon am andern Tage an ihre Mut- ter, Wilhelm trug den Brief selbst auf die Post, aber er ging, wie schon das Vorher- gehende beweist, verlohren, kam wenigstens nicht in der Mutter Haͤnde. Wilhelm besuchte nun seine Amalie nie mehr am Tage, und da er oft zum Abend- essen geladen wurde, auch selten am Abende. Sie lebte ganz einsam, war zufrieden, wenn sie ihren Wilhelm wenigstens nur die Woche einmal sah, und schoͤne Buͤcher lesen konnte, die er ihr reichlich schickte. Da Wilhelm der geschwaͤtzigen Hausfrau, welche seiner Amalie durch ihre ungegruͤndete Erzaͤhlung so großen Jammer verursacht hat- te, im gerechten Ausbruche des Zorns sehr hart begegnet war, und nun mit Recht be- sorgen mußte, daß sie aus Rache jeden sei- ner naͤchtlichen Besuche in der Stadt verbrei- ten und erzaͤhlen wuͤrde, so suchte er fuͤr seine Amalie eine andere und bessere Woh- nung, fand sie bald hernach, und Amalien eben so willig, solche sogleich zu beziehen; denn auch sie war mit dem Betragen ihrer Wirthin unzufrieden, weil sie oft noch be- haupten wollte, was doch eine offenbare Un- moͤglichkeit war. Sie war aͤußerst vergnuͤgt, als sie in ihrer neuen Wirthin eine recht gute, gefaͤllige Hausfrau, und in ihren zwei Toͤch- tern warme Freundinnen fand, die sie mit groͤßter Sorgfalt und Eifer bedienten, ieden ihrer Wuͤnsche zu errathen und zu erfuͤllen suchten. Schon war Amalie ihrer Entbindung na- he, als an einem Sonntage Nachmittags, den ihre neue Wirthin sammt ihren Toͤchtern mit einer kleinen Spazierfahrt feierten, et- was leise an ihre Thuͤre klopfte. Ihr Wil- helm hatte sie schon volle acht Tage nicht be- sucht, sie hofte Nachricht von ihm zu erhal- ten, oͤfnete sie freudig, und trat verdruͤß- lich zuruͤck, als sich ihre ehemalige Wirthin mit einem freundlichen Gruße hereindraͤngte. Wirthin . Da ich eben hier vorbeiging, und durch Zufall ihre Wohnung erfuhr, so konnte ich mir's nicht abschlagen, sie ein we- nig zu besuchen. — Amalie (gleichguͤltig). Es ist mir ein besonderes Vergnuͤgen, sie — — Wirthin . Und zu sehen: Wie sie sich befinden? Wie sie sich bei der nun allgemein bekannten Heurath benehmen? Amalie (verwundernd). Heurath? Wirthin . Ich finde sie ruhig nnd ge- lassen! Das ist freilich das beste Mittel, welches sie besonders in ihren jetzigen Umstaͤn- den ergreifen koͤnnen, aber recht und billig ist's doch nicht, daß er ihnen das Maul machte, sie aus den Armen ihrer Eltern ent- riß, und endlich in diesem Zustande sitzen ließ. Amalie . Frau! Wollen sie mir mei- nen Verstand, mein Leben rauben? Doch ich kenne sie ja! — — Womit habe ich's denn verdient oder verschuldet, daß sie sich ordentlich bemuͤhen, mein armes Herz so grausam zu quaͤlen? Wirthin . Hab ich's nicht gedacht, mir's nicht vorgestellt, daß sie immer noch hintergangen und betrogen werden, so will ich nicht ehrlich sein! Also wissen sie wirklich noch nichts? Amalie . Was soll ich denn wissen? Wirthin . Was die ganze Stadt weiß, was sie am meisten betrift, und sie doch nicht erfahren haben. Aber sie werden auch tref- lich bewacht! — — Noch ruhen die schimpf- lichen Namen, mit welchen mich der Herr Offizier zu beehren beliebte, schwer auf mei- nem Herzen, ich dachte: Kommt Zeit, kommt Rath; sie wird's einst zu spaͤt er- kennen, daß ich's gut mit ihr meinte! Itzt bin ich hier, um es ihnen zu be- weisen. Amalie . Zu beweisen? Madam! wenn sie dies koͤnnten! Wirthin . O ich vermags nur allzu gut, und wenn sie mir folgen wollen, so sollen sie in einer halben Stunde mit ihren eignen Augen uͤberzeugt werden. Amalie (hastig). Ich will, ich will! Wirthin . Nur muß ich ihnen zuvor alles erzaͤhlen. Amalie . Alles, ja alles! Wirthin . Sie wohnen itzt in einem Hause, das in der ganzen Stadt im uͤbel- sten Rufe steht. Ihre Wirthin hat keine Toͤchter. Diese und die Maͤdchen, welche sie immer besuchen, sind oͤffentliche Freuden- dirnen, die sich ungescheut der Wollust weihen. Amalie . Gerechter Gott! Nein, es ist unmoͤglich! Wirthin . Sie sollen uͤberzeugt wer- den. Schon am andern Tage kannte und er- fuhr ich ihre schoͤne, neue Wohnung, aber ich dachte mir: was geht's dich an, viel- leicht will sie's selbst nicht besser haben! Wenn ich mich aber wieder erinnerte, daß sie rei- cher und rechtschafner Eltern Kind waͤren, daß sie so innig und fleißig am Morgen und Abende ihre Haͤnde zu Gott empor hoben, so ward mir weh im Herzen, und ich be- schloß, sie einmal im Voruͤbergehen zu warnen. So oft ich aber auch kam, so ward ich unter mancherlei Vorwand abgewiesen, und nicht zu ihnen gelassen. Unter dieser Zeit ward's in der Stadt allgemein bekannt, daß ihr Ge- liebter ein sehr schoͤnes, aber nicht reiches Hoffraͤulein heurathe, und bei Hofe, weil sie ein Liebling der Monarchin sei, großes Gluͤck machen werde. Amalie . Nein, Nein! Das Geruͤcht war falsch! Es ist nicht moͤglich! Wirthin . Hoͤren sie nur weiter, und denken sie immer, daß ich sie von allem zu uͤberzeugen gekommen bin. Wenn ich dies alles hoͤrte, so dachte ich immer an sie, und weihte ihnen manche Thraͤne. Ich erkundigte mich nach allem genauer, erfuhr allezeit mehr Gewißheit, und da ich selbst im Hause, wo das Fraͤulein wohnte, eine alte Bekanntschaft erneuerte, so sah ich nicht allein den Herrn mit dem Fraͤulein recht oft spazieren fahren, sondern hoͤrte auch, daß am verfloßnen Don- nerstage nerstage die wirkliche Vermaͤhlung gefeiert werden wuͤrde. Amalie . O mein Herz! Mein armes Herz! Wirthin . Es kostete mich Muͤhe und Geld, mich mit eignen Augen zu uͤberzeu- gen, ich draͤngte mich gluͤcklich in die Kapel- le, ich sah, wie ihr Geliebter das Fraͤulein nach dem Altare fuͤhrte, und mit ihr auf ewig verbunden ward. Die Monarchin, der ganze Hof war gegenwaͤrtig, es wurde alles praͤchtig gefeiert. Nach der Trauung fuhren sie nach Hof, und speisten an der oͤffentli- chen Tafel; gestern und vorgestern waren be- sondere Feste auf einem Lustschlosse vor der Stadt; heute ist Ball und Souper in dem Hofgarten, wenn sie mir folgen wollen, so koͤnnen sie dort die Neuvermaͤhlten sehen, es Biogr. d. W. 3. B. K aus aller Munde erfahren, daß ich keine Ver- laͤumderin, keine Luͤgnerin bin. Amalie . Ich will! — — Gott wird mir Kraft verleihen! — Ich will mich uͤber- zeugen! Ha, Ha! Das nagt! Das schmerzt! — — (tritt ans Fenster) Allmaͤch- tiger! Du legtest mir die Last auf, du wirst sie mir auch tragen helfen! Kommen sie, kommen sie! ich will mich von seinem Mein- eide uͤberzeugen, und dann ihnen erst recht danken! — — Ach recht innig danken! Sie ergrif nun ihren Mantel, und eilte am Arme der Wirthin auf die Gasse. Oft nahte sich Ohnmacht, oft mußte sie ruhen, aber sie sprang immer wieder hastig empor, und wallte weiter. Als sie in den Garten kam, und die Menge Menschen erblickte, schiens ihr leichter zu werden. Sie ging rn- hig am Arme der Fuͤhrerin, und forschte einigemal, wenn ihr die schreckliche Gewißheit werden wuͤrde. Ihre Fuͤhrerin versprach sie so bald als moͤglich, und drang mit ihr vor- waͤrts nach dem Orangerieplatz, wo sie das Brautpaar zu treffen hofte. Auch fand sie solches bald. Der wirklich ungetreue Boͤsewicht saß mit seiner neuen Gattin auf einem erhabenen Platze, er scherzte, taͤndelte mit ihr, und begoß ihren Busen mit Pomeranzen-Bluͤthen. Die neugierige Menge stand gaffend in der Tiefe, und unter diesen auch Amalie, wel- che sich wankend auf den kraftvollen Arm ih- rer Fuͤhrerin stuͤtzte. Fieberkaͤlte durchschau- derte ihre Nerven, durchbebte ihre Sin- ne, und schuͤttelte sie zur Empfindung, zum Gefuͤhle empor. Sie sah den Treulosen mit seiner Gattin scherzen, sie hoͤrte ringsumher die Menge ausrufen: Dies ist ein schoͤnes, aber auch ein gluͤckliches Paar! Sie fuͤhlte K 2 sich betrogen, verlassen, sie breitete verge- bens ihre Arme aus, druͤckte sie leer an sich, und sank zu Boden. Ihre Fuͤhrerin empfahl sie der Aufsicht der Naͤchststehenden, und eilte, um einen Wagen herbeizuholen, der sie bis nach ihrer Wohnung fuͤhren koͤnne. Indeß sie nach die- sem umher rannte, erregte die Ohnmaͤchtige Aufmerksamkeit unter der Menge, alles reihte sich um sie, und das vergnuͤgte Brautpaar stieg hinab, um ebenfalls zu erfahren: Was die Aufmerksamkeit des Poͤbels mehr als ihr Gluͤck reitzen koͤnne? Eine Ohnmaͤchtige! rief Wilhelms Gattin mitleidig aus, und reichte ihr Riechflaͤschchen hin, um sie damit zu wek- ken. Eine Ohnmaͤchtige! stammelte Wilhelm nach, und erkannte auf den ersten Blick die hintergangene und betrogene Amalie. — Er blickte aͤußerst verlegen umher, und sah zu seinem groͤßten Vergnuͤgen, daß sich eben Amaliens neue Wirthin mit ihren Maͤdchen herbei draͤngte, welche die Ohnmaͤchtige auf- hoben, und eilend forttrugen. Ist's eine solche! riefen viele aus, welche die Wirthin kannten, dann haͤtten wir unser Mitleid spa- ren koͤnnen! Ja wohl! Ja wohl! antwor- teten andere, und die Menge zerstreute sich wieder, folgte nicht der Ohnmaͤchtigen, weil man sie des Mitleids und fernerer Gesellschaft unwuͤrdig achtete. Wilhelms Blick allein folgte ihr, und kehrte erst dann zufrieden zuruͤck, als er sah, daß man in der naͤch- sten Allee die Ohnmaͤchtige in einen Wagen hob, und eilend davon fuͤhrte. Er erdichtete am Abende Dienstgeschaͤfte, um sich auf ein kleines Stuͤndchen von seiner Gattin zu trennen, und eilte in einen Man- tel gehuͤllt nach Amaliens Wohnung, um dort zu erfahren: wie es geschehen konnte, daß sie seines ausdruͤcklicheu Verbots ungeachtet ausgegangen, und bis in den Garten gedrun- gen sei? Die Wirthin, welche von allem, was Wilhelm unternahm, nuterrichtet war, und fuͤr ihr Stillschweigen von ihm reichlich bezahlt wurde, konnte ihm das Raͤthsel nicht loͤsen, weil sie sogleich nach dem Essen mit ihren Maͤdchen nach dem Garten gegangen war, gar nicht vermuthen konnte, daß Amalie eben- falls dahin kommen wuͤrde. Sie hatte solche erst dort ohnmaͤchtig am Boden erblickt, und es fuͤr das rathsamste geachtet, sie so schnell als moͤglich nach Hause zu fuͤhren. Wilhelm billigte diese Vorsicht, aber er tadelte auch um so staͤrker die wenige Wach- samkeit der Wirthin, die er doch so freige- big bezahlt hatte. Er fragte nun: wie es Amalien ergehe? Wie sie sich benaͤhme, und was sie spreche? Die Antwort der Wirthin ließ ihm keinen Zweifel uͤbrig, daß Amalie seine Heurath erfahren habe. Denn sie hatte sich zwar nur erst seit kurzem aus der Ohn- macht erholt, noch nichts Zusammenhaͤngen- des geredet, aber doch einigemale die Worte: Verheurathet! Seine Gattin! ausgespro- chen. Der Treulose uͤberlegte noch lange mit seiner schwarzen Gehuͤlfin: ob es nicht moͤg- lich sei, Amalien eines andern zu uͤberreden, und kam mit der Erstern endlich dahin uͤber- ein, daß so wohl sie, als ihre Maͤdchen, jede besonders und einzeln, ihr erzaͤhlen soll- ten, daß man zwar sogleich von ihrer Krank- heit ihrem Geliebten Nachricht gegeben habe, er aber erst morgen erscheinen koͤnne, weil er schon seit drei Tagen das Vermaͤhlungsfest einer Hofdame feiern helfe, zu ihrem Braut- fuͤhrer sei erwaͤhlt worden, und es ihr wahr- scheinlich um deswillen verschwiegen habe, da- mit die Idee einer vollzogenen Heurath sie wegen der noͤthigen Verzoͤgerung der ihrigen nicht kraͤnken moͤge. Gelingt die List, fuͤgte der Boͤsewicht hinzu, so komme ich morgen wieder, und suche sie zu bestaͤtigen, gelingt sie nicht, so muß ich andere Maasregeln er- greifen, damit ich nicht durch sie verrathen, und in der Laufbahn meines Gluͤckes gestoͤhrt werde. Am folgenden Morgen erschien er aber- mals bei der Wirthin, diese berichtete ihm mit trauernder Miene, daß die List der Er- wartung nicht entspreche. Sie sagte, erzaͤhlte sie ihm, zwar nur ein einzigesmal: Nein, nein! man betruͤgt mich nicht mehr! Aber die Miene, mit welcher sie die ganze Erzaͤh- lung anhoͤrte, bewies deutlich, daß sie kein Wort davon glaube. Uebrigens, fuͤgte sie hinzu, lebe ich der ruhigen Hofnung, daß keine weitere List noͤthig sein, und der Jam- mer bald mit ihr enden wird. Sie liegt in ihrem vollen Anzuge auf dem Bette, will nichts trinken, nichts essen, schlaͤgt oft stun- denlang die Augen nicht auf, und hat sich im Anfalle des Schmerzes, der sie itzt oft ergreift, die Lippen schon ganz wund gebissen. Treibt sie's heute noch so fort, so endet's morgen sicher mit ihr. Um so besser, sprach der Gottlose, so erspare ich mir den Besuch bis auf andere Zeit, und trift ihre Vermu- thung ein, so erwarte ich auf der Stelle Nachricht. Der Bothe soll gut belohnt werden. Er ging also mit dieser schrecklichen Hof- nung von dannen, daß diejenige, welche ihm alles gab, was sie besaß, welche ihm Vater- land und Unschuld opferte, bald enden, und nicht vor Gerichte als einen Raͤuber und Moͤr- der ihn anklagen wuͤrde! Es durchschaudert un- willkuͤhrlich meine Nerven, wenn ich mir ih- ren Schmerz, und seine schwarze That den- ke! Gerne wuͤrde ich an der Wahrheit der leztern zweifeln, und mich der Menschheit zu Liebe mit den Gedanken troͤsten, daß die Sage die That vergroͤßerte, durch erdichtete Nebenumstaͤnde dunkler zu faͤrben suchte, aber aller Trost schwindet, und die That wandelt sich zur vollen Gewißheit, wenn ich mich des ehrwuͤrdigen Greises erinnere, welcher mir die ganze Geschichte erzaͤhlte, fuͤr ihre Wahr- heit buͤrgte, und mich dringend bat, sie bald bekannt zu machen, damit die unbefleckte Un- schuld die Gefahr kennen lerne, und dem Schmeichler nicht traue, nicht glaube, der sie ihr zu rauben sucht. Am folgenden Abende brachte ein Bothe Wilhelmen die Nachricht, daß die Hofnung sich immer mehre, und aͤußerst wahrscheinlich schon die folgende Nacht zur Gewißheit wer- den wuͤrde. Er laͤchelte, und uͤbersandte der Wirthin ein kleines Pulver, welches sie Amalien reichen moͤchte, wenn sich der Anfall erneuere. Wie der Bothe zuruͤckkehrte, ging die Wir- thin mit dem Pulver nach Amaliens Zimmer; sie und ihre Maͤdchen hatten vorher einige Gaͤste zu bewirthen gehabt, waren schon seit einer Stunde nicht bei der Kranken gewesen, und hielten's nicht fuͤr noͤthig, weil sie stets still und meistens sinnlos auf ihrem Bette lag. Die Wirthin erstaunte sehr, als sie solche dort nicht mehr traf, vergebens nach ihr das ganze Haus durchsuchte. Wilhelm ward von diesem neuen Zufalle sogleich benach- richtigt, forschte vergebens ingeheim in der ganzen Stadt nach ihr umher, durchlebte ei- nige Tage in quaalvoller Angst, vergaß aber bald alles, als niemand sie finden konnte, und der Gedanke, daß sie sich wahrscheinlich im Flusse ertraͤnkt habe, immer mehr zur Gewißheit wurde. Wie's kam und geschah, daß Wilhelm so aͤußerst undankbar, so grausam an Ama- lien handelte, will ich itzt in Kuͤrze erzaͤh- len. Alles, was Amaliens Vater von ihm schrieb, war reine Wahrheit. Seine Mutter starb, als er auf der Universitaͤt zu —. stu- dieren sollte, aber die meiste Zeit im Trun- ke, Spiele und naͤchtlichen Schwaͤrmereien verschwendete. Eben hatte er seine akademi- schen Jahre, aber keineswegs sein Studium vollendet, als sein Vater ihm berichtete, daß er naͤchstens wieder heurathen, und es gerne sehen wuͤrde, wenn er zur Hochzeit nach Hause kaͤme. Schon war diese vollzogen, wie er auf dem vaͤterlichen Schlosse anlangte, er sah seine junge, schoͤne Stiefmutter zum erstenmale, fand sie aͤußerst reizend, und sah, seinen Grundsaͤtzen gemaͤß, den Namen, welchen er ihr geben mußte, als gar kein Hinderniß an, sie innig zu lieben. Sein Vater liebte die Jagd ausserordentlich, und gab ihm volle Gelegenheit, der Stiefmutter Gesellschaft zu leisten, ihr zu bekennen, was er fuͤhle. Ihr Gatte war schon uͤber sechzig alt, sie mußte ihn wider Willen ehelichen, sein Sohn war ein schoͤner, feuriger Juͤngling — — Ursa- chen genug, um den Abscheu zu tilgen, der ihr Herz fuͤllte, als sie zum erstenmale hoͤr- te, daß der Sohn ihres Gatten sie liebe. Er heischte Trost, sie gewaͤhrte ihn anfangs schwach, bald staͤrker, und endlich auf solche Art, daß dem Verfuͤhrer nichts mehr zu wuͤnschen uͤbrig blieb. Der betrogene Vater entdeckte bald die schreckliche That, er uͤber- zeugte sich augeuscheinlich , verstieß den unna- tuͤrlichen Sohn, und vergab der flehenden Gattin. Wie sich die Liebenden abermals sahen und fanden, kann ich nicht genau bestimmen, aber daß es geschah, daß sie in diesen Zusammen- kuͤnften die Vergiftung des ungluͤcklichen Al- ten beschlossen, sie dreimal auszufuͤhren such- ten, nur einmal halb vollendeten, ist durch gerichtliche Akten bewiesen. Der aͤußerst gekraͤnkte Alte schwieg nun nicht laͤnger, er bemaͤchtigte sich des in der Naͤhe lauernden Sohns, und uͤberlieferte ihn sammt der ungetreuen Gattin dem Gerichte. Dies sprach uͤber beide das verdiente Todes- urtheil aus, konnte es nur an der ungluͤck- lichen Verfuͤhrten vollziehen, weil Wilhelm wahrscheinlich durch Huͤlfe einiger Universitaͤts- freunde dem schmaͤhlichen Tode gluͤcklich ent- rann. Mit seiner nun folgenden Geschichte habe ich meine Leser schon bekannt gemacht. Er kam auf seiner neuen Flucht, die ihn von Amaliens Seite trennte, bis nach —, fand dort Unterstuͤtzung, und erhielte wirklich eine Lieutnantsstelle. Ein Hoffraͤulein, deren Mutter ein Liebling der Monarchin war, fand den neuen Offizier schoͤn, und dieser war bald kuͤhn genug, ihr ebenfalls zu sagen, daß er sie aufs innigste und zaͤrtlichste liebe. Die Art, mit welcher seine Erklaͤrung aufge- nommen wurde, gab ihm gegruͤndete Hof- nung, daß er nicht vergebens bitten werde, durch solch eine Heurath sich leicht in die Hoͤhe schwingen koͤnne. Er verdoppelte seinen Eifer, und dieser ward bald mit dem Be- kenntnisse belohnt, daß man ihn wieder lie- be, daß selbst die Mutter eine Heurath mit ihm nicht misbilligen wuͤrde, wenn er nur wenigstens Hauptmann sein wuͤrde, und dann so viel Vermoͤgen darthun koͤnne, als zur Sicherstellung des erforderlichen Wittwenge- halts noͤthig waͤre. Fuͤr die Hauptmanns- stelle, setzte die Geliebte hinzu, wird meine Mutter bei erster Gelegenheit sorgen, fuͤr das Geld muͤssen sie aber dann sorgen, weil meine Mutter außer der Gnade der Monar- chin kein großes Vermoͤgen besitzt, und um jener willen ihr Kind nicht ohne die geringste Aussicht einer lebenslaͤnglichen Versorgung verheurathen darf. Wilhelm hatte kein Vermoͤgen, noch weniger eines von seinen Freunden zu hoffen, aber er machte der Geliebten doch zu letztern Hofnung, vermehrte diese bald durch erdich- tete Briefe, weil er eine Zeitlang anhaltend gluͤcklich spielte, und bei der Fortdauer die- ses Gluͤcks die erforderliche Summe bald zu- sammen zu bringen glaubte. Er ward kurz nachher zum Hauptmanne ernannt, aber itzt auch um so dringender von der Geliebten an der Erfuͤllung seines Versprechens erinnert. Nicht um, wie er vorgab, das Geld aus seinem Vaterlande abzuholen, sondern um in Spaa sein Gluͤck im hoͤhern Spiele zu versuchen, nahm er im Fruͤhjahr Urlaub, und hatte hatte dort eben seine ganze Baarschaft ver- spielt, als die ungluͤckliche Amalie ihn sah und fand. Daß ihm in diesen Umstaͤnden ihr Anblick angenehm war, wird jeder ohne Ver- sicherung glauben, wenn ich noch hinzu fuͤge, daß er sie wirklich einst liebte, und sie nie ganz vergessen konnte. Seinem eignen Ge- staͤndnisse nach, fuͤhrte er sie wirklich aus der Absicht nach — , um sie zu heurathen, als er aber dort anlangte, seine ehemalige Ge- liebte ihn mit voller und inniger Liebe em- pfing, aͤußerst sorgfaͤltig forschte: ob er er- fuͤllt habe, was er versprochen hatte, und mit empfindlicher Rache drohte, wenn er sie durch ungegruͤndetes Versprechen am groͤßern Gluͤcke hindere, da ward sein falscher Ehr- geiz rege, er erdichtete eine lange Erzaͤh- lung, die sich damit schloß, daß sein Va- ter gestorben sei, und er erst in einigen Mon- den aus dem ansehnlichen Erbe die erforder- liche Summe erheben koͤnne. Amaliens Gold Biogr. d. W. 3. B. L setzte ihn in den Stand, der Geliebten an- sehnliche Geschenke zu machen, und dadurch seine Aussage zu bestaͤtigen. Wie er nach Luͤbeck reiste, um dort die fuͤnftausend Thaler zu erheben, war's schon in seinem Herzen beschlossen, die Ungluͤckli- che auf die schrecklichste Art zu hintergehen, und dies Geld zu der Heurath mit dem Fraͤu- lein zu verwenden. Seine Neigung zum Spiele, das er nicht genug kannte, haͤtte ihm bald dieser Aussicht beraubt, aber die allzu gute Amalie war guͤtig genug, die fehlende Sum- me durch ihre Kostbarkeiten zu ersetzen, deren Werth weit hoͤher als jene war, und den Un- empfindlichen in den Stand setzte, seiner nunmehr erklaͤrten Braut einen Theil dersel- ben zum Geschenke zu verehren. Die Audienz bei der Monarchin war ein Werk seiner Er- dichtung, er wollte dadurch nur Amalien zur Vorsicht und Verzoͤgerung der versprochenen Ehe bewegen. Wie vollkommen ihm diese List gelang, habe ich bereits erzaͤhlt. Noch hielt er's fuͤr noͤthig, nicht mit der Ungluͤcklichen zu brechen, weil der Mutter Brief ihm Hofnung machte, daß das ansehn- liche vaͤterliche Erbe bald folgen wuͤrde, dies wollte er erst in Sicherheit bringen, und dann die Verlassene, Betrogene, Entehr- te — — Es faͤllt mir schwer, die Mensch- heit durch Erzaͤhlung so schwarzer Greueltha- teu zu entehren! Es thut mir innig weh, mein eignes Geschlecht durch ofnes Bekennt- niß zu brandmarken, aber die Wahrheit for- derts, ich bin ihr zur Warnung aller dies Opfer schuldig — — Der Boͤsewicht gestand es am Ende seiner Tage selbst, daß er sie dann durch Gift zu toͤdten, um sich von ih- ren Vorwuͤrfen zu befreien, beschlossen hatte. L 2 Jeder meiner Leser wird nach dieser Er- zaͤhlung nun uͤberzeugt sein, daß das Pul- ver, welches er ihr nach der zu fruͤhen Ent- deckung durch den Bothen uͤbersandte, sicher auch toͤdtendes Gift in sich enthielt. Wohl ihr, der schrecklichen Dulderin, wenn es fruͤ- her angekommen waͤre, und ihr namenloses Leiden geendet haͤtte. Sie wuͤrde dann ent- fesselt vom irdischen Schmerze und Jammer hinuͤber zum ewigen Lohne, der ihr nur fuͤr ihre unendliche Quaal Ersatz sein konnte, ge- wandelt sein. Wilhelm lebte durch zwei Jahre mit sei- ner Gattin in einer hoͤchst unzufriedenen Ehe, man sah ein, daß er mehr versprochen hatte, als er itzt erfuͤllen konnte, und dies gab oft Anlaß zu Hader und Zanke, weil seine Gat- tin eben so wie er zur Verschwendung geneigt war, uud diese sie ganz natuͤrlich in Schul- den und Noth stuͤrzte, aus der eben die zu guͤ- tige Monarchin sie retten wollte, wie des Unerforschlichen Gericht uͤber den Boͤsewicht be- gann, der ganz sicher uͤberzeugt zu sein glaub- te, daß Amalie schon laͤngst geendet haͤtte, ihn nie mehr zur Verantwortung ziehen wuͤrde. Der Kronprinz ging einst an einem schoͤ- nen Sommerabende, in seinen Mantel ge- huͤllt, ganz allein in den entlegenen Gas- sen der Stadt spazieren; wie er in die klein- ste derselben einlenken wollte, sah er zwei Weiber an der Thuͤr des Eckhauses sitzen, sie waren im tiefen Gespraͤche begriffen, und erregten seine Aufmerksamkeit dadurch, daß sie beide gefuͤhlvoll und theilnehmend weinten. Er blieb an der Ecke stehen, und hoͤrte ih- rem Gespraͤche zu. Gott wird's, sprach die eine, doch einst schrecklich strafen und raͤchen, sie hat daher vollkommen Recht, daß sie ihm nicht vorgreift, nicht im Namen der Leidenden Klage erhebt, die sie doch nicht erweisen kann, und am Ende wohl gar in Schimpf und Schande stecken bleibt. Genießt er, wie sie mich versichert, die Protektion des Hofs, so kann ihm unser eins nicht schaden, aber wenn ich ihm einst begegne, so speie ich doch vor ihm aus, und denke mir in meinem Herzen: es giebt auf der Welt keinen groͤßern Boͤsewicht, als du bist! Diese wenigen Worte, welche dem Hor- chenden gar nichts enthuͤllten, sondern nur zur naͤhern Entdeckung reizten, bewogen ihn, sich dem Platze zu naͤhern, den eben eine der Frauen mit den gewoͤhnlichen Abschiedsworten verlassen hatte. Er gruͤßte die Ruͤckgebliebene freundlich, sprach vom Wetter und andern gleichguͤltigen Dingen, und suchte am Ende dem Ziele naͤher zu kommen. Aber die freund- liche Alte blieb ganz verschlossen, nahm ihn fuͤr einen Spion, und beantwortete keine sei- ner Fragen. Schon wollte er sich unbefriedigt entfernen, als ein Buͤrger voruͤber ging, den Kronerben erkannte, und ihn als diesen gruͤßte. Dieser Gruß machte die Alte so- gleich aͤußerst redselig, sie versprach ihm al- les zu erzaͤhlen, wenn er ihr kleines Zimmer mit einem Besuche beehren wolle. Der Prinz versprachs, und folgte ihr nach. Wenn meine Leser in dieser Alten Ama- liens ehemalige, redliche Wirthin bereits er- kannten, so muß ich ihnen offenherzig geste- hen, daß sie sich in ihrer Muthmaßung nicht betrogen, und zu Frommen derer, welche etwan einer entgegengesetzten Meinung waren, nur noch hinzufuͤgen, daß sie es wirklich war. Ich uͤbergehe die ganze Erzaͤhlung der Alten, weil sie meinen Lesern ohnehin bekannt ist, ich beginne nur, wo Amalie aus dem Hause der schaͤndlichen Kuplerin entfloh. Da schwere und schreckliche Verzweiflung mit der Ungluͤcklichen kaͤmpfte, sie die Last des marternden Gefuͤhls nicht zu ertragen vermochte, so rang sie nach Luft und Huͤlfe, sprang rasch von ihrem Lager auf, kam unbe- merkt aus dem Hause, und wandelte ohne Plan, vielleicht auch ohne Bewustsein in den Gassen umher. Die Hand des Ewigen — denn Zufall und Ungefaͤhr darf ich dies nicht nennen — fuͤhrte sie vor dem Hause ihrer ehe- maligen Wirthin voruͤber. Diese hatte sie lange vergebens im Gar- ten gesucht, erst spaͤter erfahren, daß sie wieder in die Klauen ihrer lasterhaften Wir- thin gefallen sei, und weihte ihr eben, vor der Thuͤre sitzend, einen theilnehmenden Seuf- zer, als Amalie bei ihr voruͤber wankte. Sie sah ihr Leiden, ihre schreckliche Zerruͤt- tung der Sinne, nahm sie mitleidsvoll bei der Hand und fuͤhrte sie nach dem Zimmer, welches sie ehe schon bewohnt hatte. Dort pflegte sie ihrer mit inniger Sorgfalt, eilte nach Huͤlfe, als die ungluͤckliche Dulderin bald hernach ein todtes Kind gebahr. Die Geburt desselben war aͤußerst schmerzhaft und gefahrvoll, aber Amalie sprach diese ganze Zeit uͤber kein Wort, verrieth durch keine Miene den schrecklichen Schmerz, welchen sie dulden mußte. Als man ihr den neugebohrnen, aber auch todten Knaben zeigte, da laͤchelte sie freundlich, wollte ihn kuͤssen, stieß ihn aber hastig von sich, und fragte nie mehr nach ihm. Die Folgen der schweren Geburt wa- ren noch gefahrvoller, sie kaͤmpfte oft mit dem Tode, nur ihre jugendlichen Kraͤfte uͤberwan- den ihn. Als der Arzt sie fuͤr gesund erklaͤrte, da ward man erst uͤberzeugt, daß ihr Ungluͤck ihr den Verstand geraubt habe. Sie aß und trank gleich einer Gesunden, sprach aber nie ein Wort mehr, und verrieth keine andern Symptomen ihres Wahnsinns, als daß ihre Rechte immer auf ihrem Herzen ruhte, sie mit dieser oft den innern, wahrscheinlich stets nagendenden Schmerz herauszugraben suchte, und dadurch oft ihre linke Brust ver- wundete. Immer starrte ihr Auge nach die- sem oder jenem Gegenstande, nur dann, wann ihre Wohlthaͤterin die Stimme ihres Treulosen nachzuahmen suchte, da ward sie aufmerksam, und wenn irgend jemand den Namen Wilhelm nannte, da fuhr sie er- schrocken empor, starrte wild umher, und wuͤhlte am Ende fuͤrchterlich und mit schmerz- hafter Miene in der linken Brust, unter welcher ihr betrogenes Herz klopfte. Ich fand, endete die Wirthin, in ihrer Tasche eilf Louisd'or, ich ernaͤhre sie schon durch volle zwei Jahre, gebe ihr willig zu essen, was gut und theuer ist, will mein weniges Vermoͤgen gerne zu ihrem Besten verwenden, so lange es dauert, aber wenns endet, und ich die Ungluͤckliche nicht mehr un- terstuͤtzen kann, dann will ich sie Gottes Barmherzigkeit empfehlen, und zu ihm sa- gen: Stehe du ihr bei, ich that, was ich vermochte! Des edlen Prinzen Gesicht gluͤhte, er wischte eine Thraͤne aus seinem Auge, und verlangte die Ungluͤckliche zu sehen. Alles uͤberzeugte ihn, daß die Wirthin strenge Wahrheit gesprochen habe, ihr Zimmer war sauber, noch reinlicher ihr Bette und Klei- dung. Sie saß in einem Lehnstuhle, und starrte mit ihrem großen Auge nach einem Bilde, das an der Wand hing. Ihre un- nachahmliche, leidende Miene ruͤhrte das Herz des Prinzen aufs aͤußerste, er wollte den Namen Wilhelm aussprechen, er ver- mochts nicht; druͤckte der Wirthin seine volle Boͤrse in die Hand, und schied schweigend, aber noch tiefer fuͤhlend. Am andern Morgen sandte er nach Wil- helmen, der bereits Obrister geworden war. Sie werden mich begleiten, sprach er mit ernstem Blicke, und ging nebst zwei seiner Ad- jutanten nach dem Hause, in welchem Amalie duldete. Wie er in dieses trat, blickte er nach Wilhelmen um, der mit bleichem An- gesichte folgte, Entdeckung und Strafe um so mehr ahndete, weil die Wirthin den Prin- zen als einen schon Bekannten bewillkommte. Haben sie Muth, sprach der Prinz zu ihm, mir weiter zu folgen? Wilhelm neigte sich zitternd und bebend. Der Prinz . Haben sie Muth mir zu folgen? Ich fordere Antwort. Wilhelm . Wenns Ew. Hoheit — — befehlen! — — Der Prinz . Sie werden kein Wort sprechen, sich mit keinem Laute verrathen, nur hoͤren und sehen! Er ging voran, Wilhelm folgte in der Mitte der Adjutanten, der Prinz oͤfnete leise die Thuͤre, und blieb unter dieser stehen. Amalie starrte wie gestern vor sich hin, nur schien sie des Verraͤthers Gegenwart zu ahn- den, denn sie wuͤhlte mit schmerzhafter Mie- ne in ihrem Busen. Wilhelm stuͤtzte sich auf die Nebenstehenden, welche, ohne seine Schuld zu kennen, das Bild des Kummers und Schmerzes theilnehmend anstaunten. Dies ist ihr Werk, das Meisterstuͤck ih- res Herzens! sprach der Prinz im unterdruͤck- ten aber grimmigen Tone zu Wilhelmen, und lehnte die Thuͤre leise zu. Oder ist's nicht so? fragte er weiter. Koͤnnen sie die That entschuldigen? — — Wilhelm war uͤberrascht, der Leidenden Anblick hatte sein Herz getroffen, und ihm die Verstellungskraft geraubt, er konnte nicht antworten, nicht laͤugnen. Prinz . Und deine Strafe, Boͤsewicht? — — Etwann dieser Rock der Ehre? — — (Wilhelm sank zu seinen Fuͤssen nieder) Um der Unschuldigen willen, die du gleich ihr lok- test, will ich nicht dein oͤffentlicher Anklaͤger werden, aber wenn du nicht noch heute frei- willige Entsagung deines Dienstes einreichst, nicht morgen schon die Hauptstadt, und in drei Tagen meiner Mutter Reich verlaͤßt, so werde ich Strafe fuͤr eine That finden, fuͤr welche das Gesetz keine bestimmte, weil es den Menschen derselben nicht faͤhig achtete. Ich wuͤrde nebenbei von dir Ersatz fuͤr die Ungluͤckliche fordern, wenn du ihr Ehre und Verstand wieder zu geben vermoͤchtest. Geh, und wenn dich Verzweiflung quaͤlt, so sei dies dein einziger Trost, daß ich der Ver- laßnen Vater sein, ihr Leiden nach Kraͤften mildern werde. Wilhelm . Großmuͤthigster der Sterbli- chen! Verzeihung! Erbarmung! Prinz . Mit dir? (bitter lachend) Sie werde dir, wie du sie gabst! Meide mein Angesicht, erfuͤlle die Bedingung, oder ich werde auch der Verlaßnen Raͤcher! Auf seinen Wink mußten die Adjutanten den Obristen hinabfuͤhren, er wankte fort, kam am Abende schon um seinen Abschied ein, und verschwand am andern Tage aus der Re- sidenz. Viele, welche seine Umstaͤnde kannten, meinten, daß er der vielen Schulden wegen entflohen sei; selbst seine Gattin war dieser Meinung, und troͤstete sich bald uͤber seinen Verlust, weil sie ihn laͤngst nicht mehr liebte. Nur einige wenige erfuhren die wahre Ursa- che, und ehrten im Stillen die Gerechtigkeit des Prinzen, der seine Mutter selbst bat, ihr bereits gegebnes Wort zu erfuͤllen, und die unschuldigen Glaͤubiger des Entflohnen zu bezahlen. Ehe der edle Prinz das Haus der Dul- derin verließ, trat er ins Zimmer ihrer wohl- thaͤtigen Wirthin, und forschte genau: wie viel sie fuͤr die anstaͤndigste Pflege, Wartung und Kost der Ungluͤcklichen des Jahrs hindurch fordere? Die Gnuͤgsame heischte zweihundert Thaler, der Prinz gab ihr eine Anweisung auf vierhundert, welche sie jaͤhrlich aus seiner Kasse erheben sollte, und als er am Abende seiner erhabnen Gattin die ruͤhrende Geschichte ver- vertraute, so legte diese sogleich noch jaͤhrlich zweihundert Thaler dazu. Die Wirthin ward dadurch in den Stand gesetzt, sich ganz dem Dienste der Leidenden zu widmen, ihr uͤber- dies noch eine eigne Waͤrterin zu halten. Aber hienieden bluͤhte kein Gluͤck fuͤr die Ungluͤckliche, hienieden konnte ihr fuͤr namen- loses Leiden kein Lohn werden, selbst die vaͤ- terliche Fuͤrsorge des erhabnen Herrschers ward ihr in der Folge Stof zu neuem Leiden. So ernstlich der Prinz auch allen die zugegen wa- ren, Stillschweigen auferlegt hatte, so we- nig ward doch sein Gebot erfuͤllt, weil man ihn aufrichtig liebte, und gerne dem Volke im Voraus kund machen wollte, welch ein gerechter Fuͤrst es einst regieren wuͤrde. Alle, die diese Geschichte erfuhren, wuͤnschten auch die Leidende zu sehen, und unter diesen gabs sehr viele, welche zugleich erfahren wollten: was fuͤr einen Eindruck der Name Wilhelm Biogr. d. W. 3. B. M auf die arme Wahnsinnige mache? Sie spra- chen ihn daher oft in ihrer Gegenwart aus, und Amalie wuͤhlte dann anhaltend in ihrem Busen, verwundete ihre Brust so stark, so oft, daß bald ein unheilbarer Krebs an ihr nagte, und, aller Huͤlfsmittel ungeachtet, ihr Leben unter den schrecklichsten Schmerzen endigte. Das edle Paar beweinte den Tod der Ungluͤcklichen, als es solchen erfuhr, und die gutherzige Wirthin genoß bis an ihr Ende den jaͤhrlichen Gehalt zum Lohne. Vor zehn Jahren ward zu B— der An- fuͤhrer einer Raͤuberbande vor Gerichte ge- stellt, zehne seiner Mitschuldigen starben auf ihn, und beschuldigten ihn graͤßlicher Thaten, er allein laͤugnete jede derselben, uͤberstand die Schmerzen der Folter, und bekannte nichts. Als man aber seines Laͤugnens unge- achtet das Urtheil uͤber ihn aussprach, ihn wirklich zur Richtstatt fuͤhrte, und er den Henker mit dem Rade in der Hand auf sich harren sah, da ward sein Herz erweicht, er versprach alles und noch weit mehr zu beken- nen, und ward zuruͤckgefuͤhrt. Es war Wilhelm, aus seiner freiwilligen Aussage habe ich diese Geschichte gesammlet, die Luͤcken derselben gefuͤllt. Er hatte sich An- fangs nach seinem Abschiede aus — wieder dem Spiele gewidmet, noch einige unschul- dige Maͤdchen verfuͤhrt und betrogen, wurde in manchem Lande verbannt, geaͤchtet, und machte endlich mit Raͤubern Bekanntschaft, die ihn seiner Faͤhigkeiten wegen bald zu ih- rem Oberhaupte waͤhlten. Neunzehn Men- schen bluteten unter seiner mordenden Hand; M 2 ihm wurden sechs Tage zur Reue, zur Ver- soͤhnung vom Gerichte bewilligt. Er bete- te andaͤchtig, dnldete reuemuͤthig hienie- den die gerechte, verdiente Strafe, und dort — — — Allmaͤchtiger, richte du! Ich darf, ich vermags nicht! Marie L... W enn dumpfer Glockenschlag vom Thurme herab einen Leichenzug verkuͤndigt, da wird's mir immer zu enge im Gemache, ich eile ins Freie, und starre dem Zuge nach, welcher den Vollendeten zu Grabe begleitet. Todes- gedanken fuͤllen dann mein Herz, die unlaͤug- bare Gewißheit, daß man auch mich einst zur Verwesung hinuͤber tragen werde, steht fest vor meinen Sinnen, vor meiner Seele. Wallt eine zahlreiche Menge hinter dem Sar- ge, sehe ich haͤufige Thraͤnen fließen, und lese in jedem Gesichte das schmerzhafte Ge- fuͤhl des Verlustes, so wuͤnsche ich eben so zu sterben. Es scheint mir dann so suͤß, so lohnend, die Achtung seiner Mitbruͤder und Freunde mit hinuͤber zu nehmen, es beweißt so deutlich, daß der Vollendete Menschen- und Freundes-Pflicht redlich erfuͤllte, und izt noch den lezten Lohn erndet, der ihm hienieden werden konnte. Traͤgt man aber eine Mutter zu Grabe, und sehe ich hinter ihrem Sarge kleine Kin- der wallen, die ihren großen Verlust noch nicht fuͤhlen, angstvoll umherblicken, und sich durch angenehmere Gegenstaͤnde zu zer- streuen suchen. Ach! dann blutet mein Herz, dann bleibt mein Blick fest an den Ungluͤckli- chen hangen, die alles — alles verlohren ha- ben! Wer wird sie warten und pflegen? Wer uͤber sie wachen? Wer jedes Ungluͤck und Un- gemach von ihnen entfernen? Vertraut die armen Waisen der Tugendhaftesten, der Red- lichsten auf Erden. Sie hat, sie kanns nicht haben das sorgfaͤltige, zaͤrtliche, nie schla- fende Gefuͤhl der wahren Mutter, es ist ein- zig in der Natur, es ist anhaltender In- stinkt, der nie sich mindert, aber auch nicht nachahmen laͤßt. Die armen, verlaßnen Kin- der werden es fruͤh genug fuͤhlen, daß sie keine Mutter haben! Sie gleichen der Blu- me, welche im engen Raume eines Topfes bluͤht, sie waͤchst und gedeiht, aber nicht gleich jener, welche die Mutter Erde in ih- rem Schoose ernaͤhrt. Urtheile ich unbillig? Ein Beispiel, das ich aus tausend aͤhnlichen waͤhle, soll's staͤr- ker beweisen. Marie war die Tochter eines Landkraͤ- mers, der sich und seine treue Gattin durch emsigen und redlichen Fleiß wohl ernaͤhrte. Sie gebar ihm drei Kinder, und starb, als sie ihn mit dem vierten erfreuen wollte. Marie war die aͤlteste unter ihren Geschwi- stern, und noch nicht sechs Jahre alt, als man ihre gute Mutter zu Grade trug. Ihr Vater fuͤhlte den Verlust der geliebten Gat- tin tief, tiefer als viele andere, weil sie ihm drei unerzogene Kinder hinterließ, und sein kleiner Handel ihm nicht erlaubte, da- heim zu sitzen, und die Verlaßnen zu pfle- gen. Um ihnen eine neue Mutter zu geben, suchte er eilend unter den Toͤchtern des Lan- des eine zweite Gattin, nicht wahre, aͤchte Liebe, sondern Nothwendigkeit bestimmte seine Wahl. Sein Herz trauerte noch um die Verlohrne, es war diesem gleichguͤltig, wel- che er waͤhlen wuͤrde, sein Verstand rieth ihm nur, eine fleißige und gute Wirthin zu su- chen, er glaubte sie in der Tochter eines be- nachbarten Kraͤmers zu finden, und zog nach vier Wochen sein Trauerkleid aus, um sie als seine Frau heimfuͤhren zu koͤnnen. Beim ersten noͤthigen Abschiede empfahl er ihr mit nassem Blicke seine Kinder, sie versprach Erfuͤllung, aber sie vergaß nur all- zu bald ihrer Zusage. Es waren nicht ihre Kinder, ihr Herz fuͤhlte keinen Drang zur nothwendigen Pflege, sie vernachlaͤßigte sol- che auf eine auffallende Art, und wie der Vater wiederkehrte, hatte man Mariens juͤngste Schwester schon begraben. Wohl ihr, sprach der Vater im wehmuͤ- thigen Tone, wohl ihr, sie ruht an ihrer Mutter Seite! Bald uͤberhaͤufte er aber die hartherzige Stiefmutter mit verdienten Vor- wuͤrfen, als alle Nachbarn ihm einstimmig erzaͤhlten, daß Mangel an Pflege den Tod des Kindes befoͤrdert habe. Der Friede sei- ner Ehe ward dadurch maͤchtig gestoͤhrt, seine zweite Gattin widersprach anhaltend und stark, reizte seinen Zorn oft so maͤchtig, daß er sie mit Schlaͤgen zum Stillschweigen zwang. Weh dem Manne, Weh der Frau und tausendfaches Weh uͤber jede Ehe, in welcher Schlaͤge den Kampf der haͤußlichen Zwistigkei- ten entscheiden! Friede und Eintracht, die einzigen Stuͤtzen der Ehe, weichen dann un- aufhaltsam von dannen, Haß nud Zwietracht bereitet sich eine sichere Wohnung, und ladet alle Freunde, eine ungeheure Zahl, zum Mitgenusse ein. Um seines Lebens wieder froh zu werden, zog der betrogene Gatte aufs neue seinem Ge- werbe nach, kehrte nur selten heim, und blickte seufzend zum Himmel, als er einst seinen einzigen Sohn, einen lieben, mun- tern Knaben, nicht mehr hienieden fand. Ende nur, Ende! sprach er voll Schmerz zu seiner Gattin, du wirst es dort einst schwer verantworten muͤssen! Daß Vorwuͤrfe dieser Art die unempfind- liche Stiefmutter noch mehr zum Zorne reiz- ten, kann man sich leicht vorstellen, ihre Begierde nach Rache suchte Nahrung, und fand sie darinn, wenn sie jedes geringe Ver- brechen der kleinen Marie mit unnachsichtli- cher Strenge bestrafen konnte. Diese duldete im Stillen, weinte freilich oft ingeheim auf ihrer Mutter Grab, besaß aber doch Muth und Staͤrke genug, die barbarische Behand- lung ihrer Stiefmutter zu ertragen. Sie fand in der Folge, daß Schmeichelei der lez- tern Zorn stillen koͤnne, und muͤhte sich an- haltend, ihr diese reichlich zu zollen; da- durch gewann sie endlich das Herz der Uned- len, ward besser von ihr behandelt, und versicherte dem heimkehrenden Vater, daß es ihr auch in seiner Abwesenheit wohl ergehe. Der erfreute Vater suchte sich nun wie- der mit seiner Gattin zu versoͤhnen, aber seine Muͤhe gelang nicht, sie haßte ihn herz- lich und wuͤnschte ihn oft ingeheim den Tod. Sie zeugte kein Kind mit ihm, und nahm dies immer zum Vorwande, wenn ihre an- haltende, verdrießliche Laune Stof zu neuen Zaͤnkereien gab. Marie war itzt schon siebzehn Jahr alt, und sollte eben, auf ihre eigene Bitte, kuͤnf- tiges Jahr als Magd in die Dienste eines Bauern treten, als ein kleines Kavallerie- kommando, um die verbotene Getraideaus- fuhr zu hindern, ins Dorf verlegt wurde. Die Soldaten kamen oft in den Laden, wel- cher in Mariens Hause zum Verkaufe offen stand. Sie nannten die Kraͤmerin schoͤn, und diese war eitel genug, diese gemeine Schmei- chelei durch wohlfeilen Kauf zu vergelten. Ein junger Unterofficier bewies sich unter al- len am eifrigsten, er kam oft, ohne etwas zu kaufen, scherzte, taͤndelte, und ward von der eitlen Kraͤmersfrau bald stark und innig geliebt. Ich will nicht untersuchen, ob er nur aus eigennuͤtziger Absicht oder aus wahrer Neigung diese Liebe erwiederte, ge- nug, daß er das leztere behauptete, und bald Lohn in Menge erndete. Um ungehindert mit ihrem Liebhaber bu- len zu koͤnnen, lud sie ihn oft zum Besuche ein, und um Mariens moͤglichen Verrath zu hindern, suchte sie die Unschuldige in aͤhnli- che Netze zu verwickeln. Auf ihr Verlangen brachte der Liebhaber die juͤngsten und schoͤn- sten Soldaten mit sich, welche sich eifrig muͤh- ten, in Mariens Herzen Liebe zu wecken. Sie war wirklich reizend und schoͤn, und da- her schon der Muͤhe werth, die diese rohen Seelen an ihr verschwendeten. Lange kaͤmpfte, lange widerstand Marie, endlich unterlag sie den Schwuͤren und Ver- sicherungen eines Einzigen, der ihr anhal- tend nachschlich, ihr die Moͤglichkeit bewieß, daß er sie heurathen, und in seiner Heimath mit ihr zufrieden und gluͤcklich leben koͤnne. Sie gestand ihm Gegenliebe, sie erlaubte ihm Kuͤsse, vergalt sogar einige derselben, aber sie kaͤmpfte wacker, und stieß ihn mu- thig von sich, wenn der Kuͤhne mehr noch fordern wollte. Die leichtsinnige, treulose Stiefmutter hoͤrte diese Nachricht mit innigem Verdrusse; um — es ist schaͤndlich, aber wahr — um Mariens schlafende Begierden zu wecken, hatte sie oft in ihrer Gegenwart den Liebha- ber Gunstbezeugungen gewaͤhrt, die ihre Un- treue an ihrem Ehemanne nur allzu deutlich bestaͤtigten; izt nahte bald die Zeit seiner Heimkehr, ihr grante vor Entdeckung, sie vermuthete sogar, daß Marie blos deswegen so wacker kaͤmpfe, um ungescheut Verraͤthe- rin werden zu koͤnnen, und wandte daher alles an, den Fall der Ungluͤcklichen zu be- foͤrdern. Sie leitete den Kuͤhnen einst selbst zur Nachtszeit nach der Schlafkammer des anvertrauten Kindes, und frohlockte mit in- niger Schadenfreude, als sie nachher uͤber- zeugt ward, daß ihre Schandthat gelungen sei. Die ungluͤckliche Marie fuͤhlte ihren Fall tief, sie sah die hoͤllische List ihrer Stiefmut- ter ein, sie erfuhr sie selbst durch den wirk- lich liebenden, izt bereuenden Liebhaber, und troͤstete sich mit der moͤglichen Hofnung, daß er wenigstens sein Versprechen halten, und sie heurathen wuͤrde. Er erneuerte dies Ge- luͤbde noch oft, als aber die Ausfuhr des Getraides wieder erlaubt ward, und die Soldaten nach ihrem Standquartiere ruͤckkehr- ten, da ward auch an ihr das Spruͤchwort erfuͤllt, daß ein Soldat in einem jeden Staͤdt- chen ein anderes Maͤdchen waͤhle. Er gelobte beim Abschiede, ihr stets zu schreiben, er erfuͤllte sein Geluͤbde nie, beantwortete kei- nen ihrer Briefe, in welchen sie ihm in der Folge ihren ungluͤcklichen Zustand entdeckte, und vergebens um Mitleid und Huͤlfe flehte. Die betrogne Ungluͤckliche konnte ihn nicht vergessen, das Pfand seiner treulosen Liebe ruhte unter ihrem Herzen, mit jedem Mor- gen ahndete sie Entdeckung, und mit dieser das Ende ihres guten Rufs, die Verachtung aller Redlichen des Dorfs. Ihre Stiefmut- ter, welche am leichtesten ihren Zustand arg- wohnen konnte, entdeckte ihn auch zuerst. Sie sprach troͤstend mit der Leidenden, zeigte ihr Wege und Mittel, wie sie der drohen- deu Schande ausweichen koͤnne, und wollte sie eben unter einem erdichteten Vorwande zu einer entfernten Anverwandtin senden, als der Vater unverhoft heimkehrte. Ein Ein scharfer, anhaltender Blick welchen dieser am andern Morgen auf Marien warf, vernichtete ihre Verstellung, sie stuͤrzte schluch- zend zu seinen Fuͤssen nieder, bekannte ihr Ver- brechen und flehte um Mitleid. Er fuͤhlte sein und ihr Ungluͤck tief, aber er vergab, und wil- ligte nicht in den Plan, welchen die Stiefmut- ter entworfen hatte, und izt erneuerte. Was ich und du so leicht entdeckten, sprach er, kann dem ganzen Dorfe nicht mehr verborgen sein, man wuͤrde groͤssere Verbrechen ahnden, wenn sie sich entfernte, und ihr noch staͤrkere Verachtung bereiten. Sie muß bleiben, und mags der ganzen Welt be- weisen, daß sie eine sorglose Stiefmutter hatte! Im ganzen Dorfe behauptete man anfangs mit Recht, daß die Kraͤmersfrau es mit den Soldaten halte, und ihres Mannes Ehre ver- kaufe; als man aber Mariens Zustand — wie Biogr. d. W. 3. B. N der Vater weislich voraussah — schon laͤngst entdeckt hatte, da schwand diese Nachrede, ie- der glaubte nun, daß die leichtfertige Tochter die Soldaten so oft ins Haus gelockt, und da- durch ihren Fall selbst befoͤrdert habe. Man erzaͤhlte diese Meinung dem Vater offen, man bedauerte ihn, daß er ein so unge- rathnes Kind habe, und gab dadurch der listi- gen Stiefmutter die herrlichste Gelegenheit, nicht allein ihren guten Ruf zu retten, sondern auch durch erdichtete und heimliche Verlaͤum- dung das Herz des Vaters von seinem ungluͤck- lichen Kinde abzuwenden. Sie erzaͤhlte und bewies ihm durch hundert geschaͤftige Zeugen, daß sie diesen Umgang nicht geduldet, die Toch- ter oft vergebens gewarnt habe. Marie, welche diese schreckliche List nicht ahndete, duldete die Vorwuͤrfe ihres Vaters, die oͤffentliche Verachtung der Dorfbewohner im Stillen, und achtete sie fuͤr eine natuͤrliche Fol- ge ihres ungluͤcklichen Falls. Weh thats ihrem Herzen freilich, daß der Vater, welcher ihr An- fangs so unbedingt vergab, izt seine Vorwuͤrfe so hart und anhaltend erneuerte, und nach ei- nigen Wochen ohne Seegen, ohne Abschied wie- der von ihr schied, aber der heimliche Trost der Stiefmutter, daß sich dies alles aͤndern wuͤrde, und vorzuͤglich das Bewustsein, daß sie ohne Vorsaz gefallen sei, hielt sie im Sturme auf- recht. Am Abende vor ihrer Niederkunft, wie sie eines nothwendigen Geschaͤftes wegen uͤbers Dorf ging, ward sie von einem Haufen muth- williger Buben aͤusserst gekraͤnkt, sie entfloh ih- rem schrecklichen Spotte mit Muͤhe, und weinte die ganze Nacht hindurch trostlos. Fruͤh ward sie mit einer Tochter entbunden, und genoß die Freuden einer Mutter im aͤusserst kargen Maase. Neue Kraͤnkungen verbitterten ihr solche auf N 2 die schrecklichste Art. Keiner der vielen Dorf- bewohner wollte Pathe des Kindes werden, ie- der entschuldigte sich mit kraͤnkendem Spotte, nur mit vieler Muͤhe beredete man einen ar- men Tagloͤhner, diese nothwendige Pflicht zu erfuͤllen. Auch dieser war hart genug, wie er das Kind auf seine Arme nahm, in Gegenwart der leidenden Mutter zu sprechen: Komm, ar- mes Wuͤrmchen, komm! Da wir dir deinen ehrlichen Namen nicht geben koͤnnen, so wollen wir wenigstens einen Christen aus dir machen! Diese hartherzige Rede fuͤllte Mariens Herz mit unaussprechlichem Jammer. Ihre Stiefmutter raͤumte, als alle weggegangen wa- ren, eben das Zimmer auf. Die trostlose Ma- rie sprach hart mit ihr, und bewies — was sie noch nie gethan hatte — mit unumstoͤßlichen Gruͤnden, daß sie ihr allein dies Ungluͤck, diesen Jammer zu danken habe, nie gefallen sein wuͤr- de, wenn sie ihren Fall nicht vorbereitet haͤtte. Verdiente Vorwuͤrfe erbittern das Herz des Lasterhaften am meisten, er kann ihnen nichts, als ungestuͤme Wuth entgegensetzen. Dies war auch hier der Fall, die Stiefmutter gebot Stillschweigen, die Tiefgekraͤnkte schwieg nicht, und die Grausame schleuderte im Anfalle der Wuth eine Schuͤssel voll Wasser, die sie eben in Haͤnden hatte, nach ihr hin. Die Schuͤssel flog voruͤber, aber das Wasser bespriz- te Marien heftig, sie sank ohnmaͤchtig zuruͤck, erwachte zwar nach anhaltender Bemuͤhung wieder, aber ihr Verstand war auf immer ver- lohren. Groß muß ihr Leid, tief ihr Jammer ge- wesen sein, wenn mit dem Verstande nicht auch Gefuͤhl und Empfindung des Ungluͤcks entfloh, denn man achtete anfangs ihren Wahnsinn fuͤr Verstellung, und suchte diese durch die bitter- sten Vorwuͤrfe, durch die haͤrtesten Mittel zu entfernen. Endlich uͤberzeugte man sich von der schrecklichen Wahrheit, und uͤberließ sie nun, ohne Huͤlfe zu versuchen, dem Raube des Wahnsinnes. Ihr Kind starb nach zehn Wochen, sie hat- te es zaͤrtlich geliebt, aber sie sahs ohne Ruͤh- rung, ohne Thraͤne zu Grabe tragen. Viel- leicht goͤnnte ihr der Wahnsinn die gluͤckliche Ue- berzeugung, daß es ihm jenseits besser, als in diesem Jammerthale, ergehen wuͤrde. Anfangs sprach sie selten und aͤusserst we- nig, saß mit starrendem Blicke in einem finstern Winkel des Zimmers, arbeitete gar nichts, for- derte aber auch nie Speise oder Trank. Man machte dem Vater ihr Ungluͤck kund, er eilte zur moͤglichen Huͤlfe herbei, aber sie wurde vergebens verwendet. Tiefe Reue und innigen Schmerz fuͤhlte der Alte, als ihn sein ungluͤck- liches Kind nicht mehr kannte, ihn mit Verach- tung von sich stieß, stets seinen Anblick floh, nie mit ihm sprach. Wie sich der Fruͤhling nahte, die Baͤume gruͤnten und bluͤhten, schien sichs mit Marien zu bessern, sie ward mit einmal lustiger, puzte sich stets so gut, so schoͤn, als sies vermochte, aber bald artete dieser Putz in Karikatur aus, jeder hellgefaͤrbter Lappen wurde von ihr begierig ergriffen, und ohne Unterschied zu ihrem Putze verwandt. Sie suchte nebenbei jedes Stuͤckchen leeres Papier zu erhaschen, beschrieb's mit sinn- losen Worten, und versiegelte es sorgfaͤltig. Diese Veraͤnderung dauerte einige Mona- te, sie sprach in dieser Zeit immer noch aͤusserst wenig, that sehr geheimnißvoll, begegnete allen mit sichtbarem Stolze, und laͤchelte mitleidig, wenn man diesen Stolz ruͤgte. Wenn sie sich, ihrer Einbildung nach, recht auszeichnend und schoͤn gepuzt hatte, so ging sie im Dorfe umher spatzieren, gruͤßte jeden mit einem gnaͤdigen Kopfnicken, machte sich aus einem breiten Blatte einen Faͤcher, und sah es sehr gerne, wenn die losen Dorfjungen als Bediente hinter ihr her schritten, oder gar den Schlepp ihres Kleides trugen. Einst kam sie athemlos mit einem grossen beschriebenen Papiere nach Hause, und machte es allen Anwesenden kund, daß ihr Geliebter sich im Kriege hervorgethan habe, General ge- worden sei, und naͤchstens im Dorfe erscheinen wuͤrde, um sie als seine Gemahlin nach der Stadt zu fuͤhren. Diese Idee, welche sie wahr- scheinlich schon lange im Stillen beschaͤftigte, blieb nun unausloͤschbar vor ihrer Seele ste- hen, war der Urstoff aller ihrer Reden und Handlungen. Sie stand jeden Tag mit der Gewißheit auf, daß ihr Gemahl heute an- kommen wuͤrde, und legte sich mit der festen Ueberzeugung nieder, daß er morgen erschei- nen wuͤrde. Sie verschwendete jeden Vormit- tag zu ihrem Putze, der oft aͤusserst uͤbertrie- ben war, oft auch nachahmungswuͤrdige Er- findungskraft verrieth. Sie ging jeden Nach- mittag ihrem Geliebten entgegen, und kehrte ohne Trauer am Abende zuruͤck, wenn er ganz natuͤrlich nicht erschien. Ihre geschaͤf- tige Einbildungskraft schuf sich einen kleinen Karren zur Kutsche um, in welchem sie oft viele Stunden im vollen Staate saß, und es jedem Jungen mit dem freundlichsten Blicke lohnte, wenn er sie darinne spazieren fuͤhrte. Als sie eben ein Haufe wilder Jungen auf diese Art spazieren fuͤhrte, und sie auf eine hoͤchst uͤbertriebne Art mit hundert Lappen behangen und gepuzt war, reiste ich in Geschaͤften durchs, Dorf, und kehrte im Wirthshause zur Mittagszeit ein. Ma- riens Karren ward nahe bei mir voruͤberge- zogen, sie sprang eilend herab, und naͤherte sich mir mit hofnungsvollem, aber auch er- wartungsreichem Blicke. Ich stand, ahndete und fuͤhlte. Lange betrachtete mich die Un- gluͤckliche spaͤhend und pruͤfend, endlich begann folgendes Gespraͤche. Marie . Kommen Sie von der Armee? Ich . Nein, liebes Kind! Marie. (mit verachtungsvollem Blicke) Liebes Kind? Mit wem glaubt der Herr wohl zu sprechen? Ich bin die Frau Generalin von Ebsdorf, ich erwarte stuͤnd- lich meinen Gemahl, und wollte mich nur erkundigen: Ob er (sie legte einen be- leidigenden Nachdruck auf dieses Er) seiner Suite nicht begegnet sei? Ich (mich fassend) Nein, meine Gnaͤdige, ich war nicht so gluͤcklich. Marie (sehr freundlich und ge- spraͤchig) O es ist ein schoͤner, junger, al- lerliebster Herr! Man kann's wahrlich ein Gluͤck nennen, wenn man ihn kennen lernt! Er hat mich schon gefunden, und blos aus Liebe geheurathet. Ich bin nur eines armen Kraͤmers Tochter aus diesem Dorfe, aber ich lebe doch, wie sie leicht sehen koͤnnen, voll- kommen meinem Stande gemaͤß. Mein lie- ber Gemahl laͤßt es mir an nichts gebrechen. Er haͤlt mir Pferde, Wagen und Bediente in Menge. Ich habe ihm schon ein schoͤnes, allerliebstes Fraͤulein gebohren, er liebt es rasend, und hat's zu sich genommen. Das gute Kind muß schon recht groß gewachsen sein; ich erwarte ihn und sie mit groͤßter Begierde. Ich konnte nicht antworten, das Gefuͤhl ihres ungluͤcklichen Zustands nagte an mei- nem Herzen, sie nahm mein Stillschweigen fuͤr Bewunderung ihrer Schoͤnheit. Ja, ja, sprach sie laͤchelnd, schoͤn bin ich, das haben noch alle, die mich sahen, willig gestanden. Ich wuͤnsche ihnen gluͤckliche Reise, und, wenn sie etwann ihrer Frau entgegen reisen, so bitte ich, sie in meinem Namen zu gruͤssen. Sie ging wieder nach ihrem Karren, und laͤchelte huldreich auf mich herab, als ihn die Buben voruͤberzogen. Ich starrte ihr lan- ge nach, endlich trat der Wirth herbei, und erzaͤhlte mir ihre ganze Geschichte. Wie ich fortreisen wollte, saß sie in meinem Wagen, und wollte, ungeachtet aller Vorstellung des Wirths, nicht weichen. Mir that's weh, als er sie mit Gewalt heraushob, sie schimpfte schrecklich, als ich in den Wagen stieg, und versicherte mich, daß es ihr Gemahl raͤchen wuͤrde. Erst nach acht Jahren fuͤhrte mich mein Schicksal wieder durch dieses Dorf. Meine erste Frage war nach Marien. Sie lebte nicht mehr, hatte einige Monate vorher ihr Jammerleben vollendet. Haͤufiger Widerspruch hatte sie am Ende rasend gemacht, sie war, mit Ketten belastet, gestorben. Die Idee ihres Wahnsiuues wich auch in der Todes- stunde nicht, als der Priester zu ihr ins Zim- mer trat, streckte sie ihre Arme nach ihm aus, rief: Mein Gemahl, bist du da? und verschied! Ihr Vater war schon vorher gestorben. Kummer uͤber seine ungluͤckliche Tochter, und spaͤtere Ueberzeugung, daß ihre Stiefmutter wuͤrklich die ganze Ursache ihres Ungluͤcks war, hatte seinen Tod befoͤrdert. Niemand weinte an seinem Grabe, denn sein Kind, welches er, ungeachtet seines Wahnsinnes, zum Erben seines Vermoͤgens eingesezt hat- te, fuͤhlte seinen Verlust nicht, und die treulose Gattin war frech genug, ihre Freude uͤber seinen Tod auch nicht an seinem offnen Sarge zu verbergen. Sie heurathete bald hernach einen jungen Tagloͤhner, der Mariens Ungluͤck an ihr im vollen Maase raͤchet, ihr jeden Tag durch saure Arbeit, durch harte Schlaͤge verbittert. Heil mir, wenn die Absicht, aus wel- cher ich diese kleine Geschichte erzaͤhlte, nicht unbelohnt bleibt! Heil mir, wenn ich unter den vielen Tausenden nur ein Maͤdchen vor Verfuͤhrung warne, und es ihm einleuchtend darstelle, daß dieser stets Ungluͤck ohne Zahl, Jammer ohne Ende folgt; daß sie alle an- genehmen Aussichten des Lebens vernichtet, alle Hofnungen toͤdet, und die Gefallne zur immerwaͤhrenden Dulderin und Buͤsserin ver- urtheilt. Praͤge dir dies fest ein, liebes Kind, und uͤberhuͤpfe diese große Wahrheit nicht mit leichtsinnigem Blicke!!! Das Hospital der Wahnsin- nigen zu P. W ie ich zu P — in H — wohnte, mach- te mich mein guͤnstiges Geschick mit dem wuͤr- digen und verdienstvollen Arzte bekannt, wel- chem das in dieser Stadt erbaute große Hos- pital der Wahnsinnigen zur Leitung und Auf- sicht anvertraut war. Wir sprachen oft von diesen Ungluͤcklichen. Ich sah's so gerne, wenn Hofnung zur Genesung in seinem Auge glaͤnzte, und hoͤrte es mit groͤßtem Vergnuͤ- gen, wenn er wuͤrklich durch Kunst und rast- lose Bemuͤhung dem schrecklichen Wahnsinne ein Opfer entrissen, den Geretteten wieder in die Arme seiner Verwandten und Freunde ruͤckgesandt hatte. Seine Erzaͤhlungen weckten Verlangen in mir, das Haus des Jammers in seiner Ge- sellschaft besuchen zu duͤrfen, und er war so gefaͤllig, mir meine Bitte zu gewaͤhren. Mein Herz schlug staͤrker, meine Brust athmete hef- tiger und schneller, als ein Thuͤrhuͤter die verschloßne Pforte oͤfnete, und wir in einen großen, mit hohen Mauern umgebenen Vor- hof eintraten. Es war ein heiterer, warmer Fruͤhlings- tag, mehr als zwanzig, meistens noch junge Maͤnner, wallten darinne auf und nieder. Keiner sprach mit dem andern, alle schritten tiefdenkend umher, sprachen mit sich selbst, oft laut, oft nur mit ansdrucksvoller Pan- tomime. Keiner schien die Waͤrme der wohl- thaͤtigen Fruͤhlingssonne zu fuͤhlen, oder An- theil zu nehmen am Wiedererwachen der ge- nußreichen Natur. Zwei derselben muͤhten sich sogar, jedes Bluͤmchen auf einem großen Ra- Rasenplatze zu vernichten, und von einer Hollunderstaude, welche in einer Ecke gruͤnte, die Blaͤtter abzupfluͤcken, und mit einem deut- lichen Rachegefuͤhl am Boden zu zertreten. Wahrscheinlich war's oͤde und wuͤste in ihrem Herzen, wahrscheinlich konnte ihr Auge, das finsterer Wahnsinn truͤbte, die gruͤnende Hof- nung nicht ertragen. Ich uͤberblickte mit traurigem Gefuͤhle die große Anzahl der Wallenden, und fragte mei- nen Fuͤhrer hastig: Ob diese alle der fuͤrch- terliche Wahnsinn mit seinen schwarzen Fit- tigen decke? Sein trauriges Ja mehrte mein Mitleid, aber aͤchte, theilnehmende Freude fuͤllte mein Herz, als er mich mit dem fe- sten Tone der Ueberzeugung versicherte, daß er von allen diesen noch Besserung hoffe, und rastlos an ihrer Genesung arbeite. Biogr. d. W. z. B. O Wir traten vorwaͤrts; viele gruͤßten uns laͤchelnd und freundlich, nur einige gingen mit trotziger und finstrer Mine voruͤber. Eben wollte ich nach der Ursache dieses auffallenden Unterschieds forschen, als mir mein Freund erzaͤhlte, daß ihm der finstere Blick der Wenigen weit besser, als der freundliche Gruß der Uebrigen behage. Er- fahrung, sprach er, hat mich uͤberzeugt, daß baldige Genesung erfolgt, wenn sich der arme Kranke vor mir verbirgt, oder mich mit finsterm, zuruͤckschreckendem Blicke be- willkommt. Er fuͤhlt, er ahndet eine Ver- aͤnderung seines Zustandes, er trennt sich hoͤchst ungerne von seiner Lieblingsidee, sieht ein, daß meine Arzenei diese Veraͤnderung verursacht, haßt und flieht beide, weil der Kampf der ruͤckkehrenden Vernunft nur schwach beginnt, und der staͤrkere Wahnsinn noch stets den Sieg erringt. Im Hintergrunde des Vorhofes stand ein großer, runder Thurm vor meinem Blik- ke. Kleine, vergitterte Fenster, das dum- pfe Kettengerassel, welches daraus ertoͤnte, gaben ihm das Ansehen eines Gefaͤngnisses, und bewiesen zugleich, daß man Wahrheit geahndet habe. Ich schauderte zuruͤck, als mir mein Freund kund machte, daß in die- sem Gefaͤngnisse nur schuldlose Menschen schmachteten, welche meistens ohne Hofnung die Beute des Wahnsinnes waͤren, oft hart gefesselt werden muͤßten, damit sie im An- falle der Raserei nicht ihre Wohlthaͤter und Waͤrter ungluͤcklich machten. Nie fuͤhlte ich's lebhafter, als izt: Welch ein kostbares Kleinod die Vernunft sei! Nur sie unterscheidet den eingebildeten, stolzen Menschen vom reissenden, grimmigen Thiere! Ohne sie muß er, gleich diesem, um un- schaͤdlich zu sein, mit Ketten belastet und im O 2 Kerker verwahrt werden! Allmaͤchtiger, guͤ- tiger Schoͤpfer! Sie ist das Meisterstuͤck dei- ner Allmacht, ein Theil deines goͤttlichen Ur- stofs, und doch — O daß ich nicht Anklaͤger meiner Mitbruͤder werden muͤßte! — und doch achtet man dein unschaͤzbares Geschenk so wenig! Eine namlose Menge spielt und taͤn- delt mit ihr gleich einer Puppe, giebt sie den wilden Leidenschaften zum Raube, und laͤßt sie schmachten und mißhandeln unter ih- rer Geissel! Nur wenige schaͤtzen, bilden sie, und suchen durch sie zu schoͤpfen im Meere der hoͤhern Kenntnisse, sich an ihrer Hand, der Urquelle des aͤchten Gluͤcks, zu nahen. O daß meine Stimme der Staͤrke meines Ge- fuͤhls gleichen moͤchte, sie wuͤrde wie Posau- nenruf des lezten Gerichts durch die weite Welt ertoͤnen, und jedem Bewohner derselben zurufen: Mensch! achte den Werth deiner Vernunft! Ohne sie gleichst du dem Loͤwen, welchen man im eng vergitterten Kasten zur Schau umher fuͤhrt. Ohne sie bist du un- dankbarer, als ein Hund, der die naͤhrende Hand seines Wohlthaͤters dankbar lekt! Der Arzt fuͤhrte mich durch die Thuͤre des Thurms nach einem großen, runden, aber sehr reinlichen Saale. Ich stand zoͤgernd an der Thuͤre stille. Staͤrkeres Gerassel der Ketten und schallende, zakende Stimmen schreckten mich zuruͤck. Mein Auge blickte furchtsam in die Hoͤhe, aus welcher beides herab ertoͤnte. Ein breiter Gang, zu welchem in einer Ecke des Saals eine kleine Wendeltreppe em- por fuͤhrte, lief rings in der Mitte seiner Hoͤhe an der Wand umher. Ich sah in die- ser viele kleine Gemaͤcher, in welche man durch den Gang gelangen konnte, aller Thuͤ- ren standen offen, aus welchen hie und da ein armer Wahnsinniger mit scheuem, oft fuͤrchterlichem Blicke hervorgukte, und dies schreckliche Laͤrm verursachte. Diese Ungluͤcklichen waren meistens nur mit einem langen, leinenen Hemde bekleidet, weil sie, nach der Versicherung des Arztes, keine andere Kleidung duldeten. Ihre Fuͤsse waren mit Ketten belastet, welche sie hin- derten, den Gang zu betreten, nur, wenn sie den Kopf vorwaͤrts bogen, konnten sie aus ihrem kleinen Gemache herausgucken. Als mich endlich der Arzt vorwaͤrts fuͤhr- te, traten noch mehrere in die Thuͤre ihres Gemachs, sprachen laut, schnell, aber un- verstaͤndlich, und winkten uns, naͤher zu kommen. Zwei noch junge, sehr sauber und an- staͤndig gekleidete Offiziere gingen ganz allein und ohne Ketten mit in einander geschlagnen Armen im Saale auf und nieder. Ihr Blick hing am Boden, sie schienen uns nicht zu sehen, wenigstens nicht zu achten. Mein Blick folgte ihnen, mein Herz war gepreßt, es suchte und hofte Erleichterung, indem ich meinen Freund fragte: Ob diese nicht auch bald genesen wuͤrden? Nie! antwortete der Arzt im festen To- ne der Ueberzeugung. Nie! wiederholte er mit einem Seufzer, sie werden bis ans Ende ihres Lebens so auf und niederwallen, immer Plane zur Befoͤrderung ihres eingebildeten Gluͤcks entwerfen, und sie doch nicht ausfuͤh- ren koͤnnen! O es sind aͤusserst merkwuͤrdige Menschen, fuͤgte er hinzu, wenigstens spielt hier die Natur sehr geheimnißvoll und eben so wunderbar. Haͤtte ich nicht selbst so oft die Simpathie, samt allen ihren Wuͤrkungeu mit Macht und Kraft bestritten, ich wuͤrde hier einen der staͤrksten Beweise ihres Da- seins finden. Diese Rede machte mich aufmerksam, ich forschte weiter, und fand meinen Freund wil- lig, sich naͤher zu erklaͤren. Diese beiden Offiziere, erzaͤhlte er mir, standen zu verschiedner Zeit in der Residenz- stadt eines kleinen Fuͤrstenthums auf Werbung. Am Hofe desselben lebte eine junge, sehr rei- che und eben so schoͤne Dame, beide verliebten sich heftig in sie, beide liebten hofnungslos, wurden melancholisch und endlich wahnsinnig. Ihr hartes Schicksal brachte sie hier zusammen. Es ist sicher und erwiesen, daß sie sich vorher nie sahen, nie kannten, denn, wie der Gros- se, Hagere schon hier als ein Wahnsinniger schmachtete, ward der Kleinere erst von einem ganz andern Regimente nach dieser Stadt auf Werbung gesandt, aber in eben dem Augen- blicke, in welchem er nachher wenigstens vier Jahre spaͤter in meiner Gegenwart in diesen Saal gefuͤhrt ward, eilte ihm der erstere mit ofnen Armen und dem lebhaftesten Gefuͤhle rei- ner Freude entgegen, umarmte ihn zaͤrtlich und kuͤßte ihn unzaͤhliche mal. Von diesem Augenblicke an sind sie unzer- trennliche Gefaͤhrden, scheinen immer nur ei- nen Sinn, einen Gedanken zu haben, nur ein einziges Wesen auszumachen. Alle ihre Bewegungen und Handlungen, selbst die Be- friedigungen aller ihrer Instinkte sind einander gleich, geschehen auf einerlei Art und zur naͤm- lichen Zeit. Sie essen, trinken, wachen und schlafen miteinander. Hoͤrt der erstere auf zu essen, so folgt der andere sogleich nach, laͤßt dieser die Haͤnde sinken, so sinken auch die Haͤn- de des erstern. Laͤchelt er, so laͤchelt jener auch, kurz zu sein — Ich beobachte sie schon vier Jahre, und habe noch nie an einem die- ser seltnen Freunde irgend eine Empfindung, Gefuͤhl oder Stellung bemerkt, welche der an- dere nicht zugleich, ohne ihn anzublicken, nach- ahmte. Sie gleichen vollkommen den fremden Voͤgeln, welche man die Unzertrennlichen nennt, weil sie stets nebeneinander sitzen, mit einander fressen und trinken. Einst wagte ich's, sie zu trennen, aber beide raßten schrecklich, und sanken einander wonnetrunken in die Arme, wie ich sie wieder zusammenfuͤhrte. Merkwuͤrdig, aber durch die sorgfaͤltigste Beobachtung ist es uͤberdies erwie- sen, daß sie nie ein Wort mit einander, oder mit irgend einem Menschen sprachen. Sie ge- hen meistens still, ohne jemanden zu beleidi- gen, im Saale auf und nieder, stehen nur selten stille, und suchen dann durch gleichfoͤr- mige, aber aͤusserst ausdrucksvolle Pantomime ihren Schmerz, ihren Kummer auszudruͤcken. Wenn die Uhr im Saale Zehne schlaͤgt, so eilen sie hastig ins Bette, und stehen mit dem ersten Schlage der sechsten Stunde wieder auf. Sie putzen sich stets sorgfaͤltig, und brin- gen oft zwei Stunden an ihrer Toilette zu, sie zittern und beben, wenn ich sie in die freie Luft fuͤhren lasse, sie koͤnnen den Anblick der Sonne nicht ertragen, und sinken ohnmaͤch- tig zu Boden, w e nn ich sie mit Gewalt der Wuͤrkung ihrer Strahlen aussetze, aber wenn der Mond sich fuͤllt, so stehen sie oft um Mitternacht auf, und starren sehnsuchtsvoll nach ihm hinauf. Wenn ein Frauenzimmer in den Saal tritt, so eilen sie hastig auf sie zu, blicken ihr forschend ins Gesichte, wei- chen aber traurend zuruͤck, wenn sie diejenige nicht fanden, welche sie wahrscheinlich such- ten. Da ich vor zwei Jahren bemerkte, daß sie jedes Stuͤckchen Papier eifrig sammleten, zugleich darnach griffen, und, war das Stuͤck- chen auch noch so klein, sich redlich darein theilten, so befahl ich ihnen, in meiner Ge- genwart Feder, Dinte und Papier zu reichen. Sie ergriffen alles mit groͤßter Begierde, sez- ten sich sogleich zum Tische, schrieben lange und anhaltend, formirten endlich einen Brief, und steckten ihn in einen kleinen Riz der Mauer. Ich harrte mit Ungeduld auf den Augenblick, in welchem ich mich dieser Briefe bemaͤchtigen koͤnne, ich war aͤusserst begierig zu sehen, ob sie auch gleichfoͤrmig dachten und schrieben, aber ich ward in meiner Er- wartung ganz betrogen, weil beide Briefe leer, und in keinem der kleinste Federzug enthalten war. Keine Arzenei wuͤrkt auf ihre Koͤrper, meine ganze Kunst wird an ihnen zur Stuͤm- perin, ich muß sie ganz ihrem ungluͤcklichen Schicksale uͤberlassen, und als Menschenfreund hoffen, daß der Tod ihr Leiden bald enden wird. Ich hoffe dies mit Zuversicht, weil eine starke Abzehrung an ihrem Koͤrper nagt, die ich eben so wenig zu hindern im Stande bin. Vor Jahresfrist wagte ich eine kleine List, und hofte große Wuͤrkung von ihr. Ich schrieb im Namen der Dame, deren Schoͤnheit sie ungluͤcklich gemacht hatte, troͤ- stend an beide, machte ihnen entfernte Hof- nung, und suchte sie dadurch aus ihrer koͤr- perlichen Unempfindlichkeit zu wecken, aber mein Vorsatz mißlang vollkommen, sie sties- sen die Briefe mit Verachtung und zornigem Blicke zuruͤck, waren nicht zu bewegen, sie zu oͤfnen, ob ich ihnen gleich erklaͤrte, daß die schoͤne M — aus B — sie durch mich an sie abgesandt habe. Selbst ihr Name machte keinen Eindruck auf sie, und die Hof- nung zu ihrer Rettung schwand nun ganz. Mein Gefuͤhl war bei dieser Erzaͤhlung mannigfaltig und schmerzhaft. Mein Ohr horchte, mein Auge beobachtete die Wan- delnden, und uͤberzeugte sich bei jeder gleich- foͤrmigen Bewegung, daß mein Freund Wahr- heit spreche. Ich haͤtte so gerne mit den Lei- denden gesprochen, wurde aber bald uͤber- zeugt, daß die Befriedigung dieser Hofnung eine wahre Unmoͤglichkeit sei, denn sie achte- ten meiner und des Arztes nicht, schienen es gar nicht zu hoͤren, wenn dieser sie fragte, und wandelten stillschweigend voruͤber. Wer wagts — wer kann das Gefuͤhl, die Jahre lang dauernden, immer sich ganz gleichen Handlungen dieser Ungluͤcklichen er- klaͤren? Viele geheimen Wuͤrkungen der Na- tur liegen noch verborgen vor unserm Blicke, wir forschen vergebens, koͤnnen nur staunen und anbeten. Mein Freund fuͤhrte mich izt nach der klei- nen Treppe, welche zu den Gemaͤchern der geketteten Wahnsinnigen empor fuͤhrte. Er fragte nach dem Waͤrter derselben, weil nur sein Anblick die Raserei der Ungluͤcklichen daͤm- pfen konnte. Er war nicht zu Hause, aber seine Tochter, eine starke, nicht haͤßliche Dir- ne erschien, und versicherte mich mit einem zufriednen Blicke — der mein Gefuͤhl empoͤr- te — daß mir in ihrer Gesellschaft kein Leid wiederfahren wuͤrde. Sie ging voran, ich und mein Freund folgten. Beim ersten Gemache blieben wir ste- hen. Ein schoͤner, noch nicht vier und zwanzig Jahr alter Juͤngling lag ausgestreckt am Bo- den, stuͤzte sein Gesicht auf seine Hand, und traͤllerte eben ein bekanntes Volksliedchen. Er gruͤßte uns freundlich, wie wir naͤher traten, und traͤllerte weiter. Der Arzt . Nun? wie gehts ihnen? Der Wahnsinnige . Gut, herrlich! Was soll mir abgehen? Haͤtte mir eher den Tod eingebildet, als daß man in einem Narrenhau- se so angenehm und schoͤn bewirthet werden sollte. (mich anblickend und nochmals gruͤssend) Votre Serviteur, Monsieur ! Be- suchen Sie uns auch? Wollen wahrscheinlich sehen: Wie wir hier leben? Ich versichere Sie: Schoͤn und herrlich! Was kann ich mehr fordern? (in seinem Gemache um- her deutend) Ich habe ein praͤchtig moͤb- lirtes Zimmer, und mein schoͤner, allerlieb- ster Engel, (der Tochter des Waͤrters den Fuß kuͤssend) unsre brave Koͤchin kocht uns die besten Speisen! Mir geht nichts ab! Gar nichts! Ich lebe herrlich und zu- frieden! Haͤtte mich der Teufel nicht auf einer Misttrage herein getragen, so waͤre ich ja gluͤcklicher, als ein Koͤnig! Aber nicht wahr, mein mein schoͤnes Kind, (zur Koͤchin) deswe- gen lieben sie mich doch von Herzen? — — Ein Wahnsinniger trat izt grade uns ge- genuͤber in die Thuͤre seines Gemachs, und begann graͤßlich und unverstaͤndlich zu schreien. Der muntere Juͤngling blickte hinuͤber. Hoͤren sie doch, sprach er laͤchelnd, wie der Kerl tobt! Was spricht er denn fuͤr eine Sprache? Ich verstehe Waͤllisch, Franzoͤsisch, Deutsch und Latein, aber das verstehe ich nicht! Es giebt mancherlei Sprachen in der Welt, der Geier mag sie alle lernen! Apropos! Herr Doktor, sie muͤssen er- lauben, daß ich morgen zur Ader lasse. Ich schlafe so unruhig, und wenn der Monsieur Teufel mir wieder einmal eine Visite macht, so bin ich nicht stark genug, den Kerl zur Thuͤre hinaus zu werfen, und hiemit Punk- P tum. Ich will schlafen gehen! (er stand auf, und warf sich auf sein Bette) Angenehme Ruhe, Allerseits! Angenehme Ruhe! Er legte sich nun auf die Seite, und schien sogleich zu schlafen. Wir traten seit- waͤrts, meine erste Frage war: Ob mein Freund Hofnung habe, den Ungluͤcklichen wie- der herzustellen? Er zuckte zweifelnd die Achseln. Noch, sprach er, schaͤtze ich ihn nicht ganz fuͤr verlohren, aber ich habe auch we- nig Hofnung. Er ist erst sechs Monate un- ter meiner Obsorge, aͤndert sichs nicht bald mit ihm, so wird meine Bemuͤhung zwar nicht wanken, aber die Ueberzeugung sich auch mit jedem Tage befestigen, daß ich ver- gebens arbeite. (laͤchelnd) Sie wuͤnschen seine Geschichte zu wissen, ich will sie ihnen in Kuͤrze erzaͤhlen. Er ist das einzige Kind armer Eltern, des Vaters Bruder studierte, schwang sich durch Genie bei Hofe empor, und nahm den hofnungsvollen Juͤngling zu sich, um ihn durch sein Ansehen zu unterstuͤtzen, und, weil er kinderlos war, einst zum Erben seines ansehnlichen Vermoͤgens einzusetzen. Der Juͤngling lernte und studierte mit anhalten- dem Fleisse, ward bald der Liebling seines Onkels, erhielte von ihm, was sein Herz nur wuͤnschen konnte. Schon in seinem zwei und zwanzigsten Jahre ward er zum Doktor der Rechte auf der Universitaͤt promovirt, sollte bald her- nach einen eintraͤglichen Dienst antreten, und die Tochter eines sehr reichen Kaufmanns heurathen. Ob diese Heurath gleich der Lieb- lingsplan seines Onkels war, so widersezte sich der Neffe doch mit Ernste derselben. Der Onkel forschte insgeheim nach der moͤglichen P 2 Ursache, und entdeckte bald, daß der feurige Juͤngling ein schoͤnes Stubenmaͤdchen zaͤrtlich liebe, ihr die Ehe versprochen habe, und eben deswegen die vortheilhafte Heurath so standhaft ausschlage. Ohne die moͤgliche Wuͤrkung zu uͤberle- gen, sandte der Alte die Geliebte seines Vetters insgeheim, ohne daß der leztere ein Wort davon erfuhr, nach einer entle- genen Stadt, und hofte mit Zuversicht, daß Abwesenheit diese Liebe heilen wuͤrde. Der Juͤngling ging voll Verzweiflung umher, als er sich von seiner Inniggeliebten getrennt sah, und wahrscheinlich muthmaßte, durch welche Hand er getrennt wurde. Schon am dritten Tage war auch er aus der Hauptstadt entflo- hen, und alle Nachfrage nach ihm vergebens. Man hofte, ihn bei seiner Geliebten wieder zu finden, aber er erschien nicht; endlich bangte man fuͤr sein Leben, und be- schrieb im ganzen Lande seine Person und Kleidung. Auch ich las sie, und erstaunte, als einige Bauern ihn einst auf einer Trage ins Spital brachten, und mir erzaͤhlten, daß sie ihn im tiefen Walde halb tod gefunden haͤtten, aus seinen verwirrten Reden schluͤs- sen muͤßten, daß er wahnsinnig sei. Ich glaubte das leztere nicht, behandelte ihn mit Sorgfalt und Vorsicht, und hofte, daß mit den koͤrperlichen Kraͤften auch sein Verstand ruͤckkehren werde; aber mein Bischen Kenntniß betrog mich diesmal schrecklich, mit den Kraͤften mehrte sich auch sein Wahnsinn, er drohte, den Waͤrter mehr als einmal zu erdrosseln, und ich mußte ihn fesseln lassen. Ich korrespondirte vorher schon mit sei- nem Onkel, und schrieb ihm izt, daß wahr- scheinlich er nur den Ungluͤcklichen retten koͤnne, wenn er ihn seine Geliebte wieder- schenke, und die Heurath mit ihr erlaube. Ehe ich Antwort von ihm erwarten konnte, erschien der redliche Alte selbst, und brachte die Geliebte seines ungluͤcklichen Neffens mit sich. Ich bereitete diesen auf beider Empfang vor, aber er schien meine Erzaͤhlung gar nicht zu achten, scherzte uͤber andre Dinge, und war lustig und froͤhlich. O bester Freund, vergessen will ich die ruͤhrende Szene nie, als ich endlich den guten Alten samt der Gelieb- ten an sein Bette fuͤhrte. Sie war ruͤhrend und herzangreifend! Der Alte wollte den laͤngst entbehrten Liebling umarmen, aber der Ungluͤckliche stieß ihn von sich, weil er ihn fuͤr den Teufel an- sah, der ihn zu holen kaͤme. Seine Gelieb- te reichte ihm schluchzend die Hand, aber wir mußten alles anwenden, um sie seinen Haͤn- den zu entreissen, weil er sie fuͤr untreu hielt, und mit aller Gewalt morden wollte. So sehr sich beide muͤhten, ihn von seinem un- gluͤcklichen Irrthume zu uͤberzeugen, so war doch jede Muͤhe vergebens, er raßte an- haltend und schrecklich, und ich war gezwun- gen, die Hoffenden trostlos fortzuschicken. Fruͤh fand ich ihn wieder froͤhlich und lu- stig, er erzaͤhlte mir mit lachendem Munde, daß er gestern mit dem Teufel gekaͤmpft, und sein ungetreues Maͤdchen ermordet habe. Izt, rief er munter aus, bin ich wieder frei und ledig, kann mich nach Gefallen in eine andere verlieben. Ich wagte es nicht, seine Freunde wie- der vor sein Bette zu fuͤhren, und sandte sie mit dem Versprechen heim, daß ich alles an- wenden wuͤrde, um ihn gerettet in ihre Ar- me zu liefern, aber noch bin ich nicht vor- waͤrts geschritten. Die Idee vom Kampfe mit dem Teufel sizt fest in seiner Seele, er er- neuert sie oft jeden Tag, und raßt dann fuͤrchterlich! — Sein trauernder Onkel schreibt mir jeden Posttag, und will izt das arme Maͤdchen zur Erbin seines ganzen Vermoͤgens einsetzen, da- mit er doch, nach seinem eignen Ausdrucke, auf einer Seite die große Suͤnde versoͤhne, zu welcher ihn sein Ehrgeiz und zu große Habsucht verleitet hat. Ich blickte nochmals ins Gemach des Un- gluͤcklichen, er schlief sanft, ich haͤtte es ihm so gerne zugefluͤstert, daß sein Maͤdchen treu und gluͤcklich sei, aber der Gedanke, daß er mich fuͤr den Teufel halte, und mir meine Ab- sicht mit Tode lohnen konnte, hielte mich zu- ruck. Wir gingen weiter, und standen am zwei- ten Gemache. Eine lange, hagere Figur mit hohlen Wangen und fuͤrchterlich rollendem Auge saß an einem kleinen Tische, auf wel- chem viele Stuͤcke Papier umher lagen. Der Ungluͤckliche hatte eine Feder in der Hand, starrte ein vor sich liegendes Papier an, und sprach ohne Unterlaß, indem er eine Summe zu addiren schien: Eins und Eins ist Eins! Eins und Eins ist Eins ! — Sichtbare Angst herrschte in seinem gan- zen Gesichte, so oft er diese Worte aussprach, und doch wiederholte sie sein Mund bestaͤn- dig. Eben wollte ich meinen Freund nach der Ursache seines Wahnsinns fragen, als dieser sich dem Ungluͤcklichen naͤherte, und ihm hef- tig ins Ohr schrie: Eins und eins ist zwei ! — Ist zwei! seufzte der Aermste. Ist zwei! wiederholte er laͤchelnd, legte die Fe- der nieder, und wischte die Schweißtropfen von seiner Stirne. Das ist die einzige Wohlthat und Huͤlfe, sprach izt der Arzt zu mir, die ich dem Un- gluͤcklichen gewaͤhren kann, nur Schade, daß sie so kurz dauert, oft nur einen Augenblick fruchtet. Geben sie acht, ehe eine Minute vergeht, wird er wieder zu addiren begin- nen, und wieder: Eins und Eins ist Eins ! ausrufen. Die Prophezeihung des Arztes ward fruͤher erfuͤllt, denn wie ich nach ihm hinblickte, nahm er schon wieder die Fe- der in die Hand, und wiederholte diese Wor- te unaufhoͤrlich. Mein Freund stand traurig da, und blickte seufzend gen Himmel. Sollten sie's wohl glauben, sprach er mit warmen Gefuͤh- le, daß dieses Wort, dieser elende Rech- nungsfehler, den jeder Schulknabe beim er- sten Anblick finden wuͤrde, einem geschickten, rechtschafnen Manne seinen Verstand, sechs unerzognen Kindern einen wuͤrdigen Vater, und einer zaͤrtlichen Gattin ihren Mann rau- ben konnte? Und doch geschah's! Ach! un- ser Verstand ist ein elendes Ding; Prinz Hamlet hat recht, wenn er ihn fuͤr eine Stecknadel feil bietet, wir verliehren ihn oft uͤber Dinge, die diesen Werth nicht enthal- ten. Meine Neugierde war heftig gespannt, ich wuͤnschte, den Ungluͤcklichen naͤher zu ken- nen, und mir ward Erhoͤrung! Friedrich H — hatte sich durch emsigen Fleiß und aͤchtes Verdienst eine Stelle bei der Staatskasse erworben, welche ihn wohl ernaͤhrte, und erlaubte, seine Geliebte als Frau heimzufuͤhren. Er lebte mit ihr zufrie- den und gluͤcklich, sie gebahr ihm sechs Kin- der, welche gesund und munter heranwuch- sen, und den zaͤrtlichen Vater manche Freu- de gewaͤhrten, wenn er nach vollbrachten Dienststunden in die Arme seiner Familie zu- ruͤckkehrte. Er lebte nicht sparsam, aber haͤußlich; konnte zwar bei so zahlreichen Kin- dern nicht sammlen, aber er gab auch nie mehr aus, als er einnahm. Er liebte Ord- nung und Richtigkeit im aͤussersten Grade, trieb sie oft bis zur Aengstlichkeit, aber nie- mand verdachte ihm dies, weil er jaͤhrlich Mil- lionen einzunehmen und auszugeben hatte, und bei so großen Summen aͤusserste Auf- merksamkeit erfordert wurde. Seine Kasse muß- te jaͤhrlich viermal untersucht werden, man kannte seine Redlichkeit und Treue, wollte aus dieser Ruͤcksicht ihn oftmals den Abschluß ersparen, aber er war nie zu bewegen, diese Wohlthat anzunehmen, und bat dringend, daß man das Gesetz streng an ihm erfuͤllen moͤge. Einst nahte wieder die Untersuchungszeit, er kam spaͤter, als gewoͤhnlich, aus dem Amte, brachte immer viele Rechnungen mit sich, verschloß sich in sein Zimmer, und be- suchte nicht, wie gewoͤhnlich, seine Kinder. Er lag schlaflos an der Seite seines Weibes, und antwortete nicht, wenn sie nach der Ur- sache seiner Seufzer forschte. An einem Morgen, dessen vorhergehende Nacht er in seinem Zimmer durchwacht hatte, ließ er sein Weib und Kinder zu sich rufen, er entdeckte der erstern weinend und haͤnde- ringend, daß ihm in seiner Kasse zehntau- send Gulden mangelten, daß ein ungewis- senhafter Beamte ihn um diese Summe be- trogen haben muͤsse, er nun hingehen wolle, um diesen Rest anzuzeigen, und sich freiwil- lig den harrenden Ketten zu uͤberliefern. Er umarmte sein trostloses Weib, segnete seine Kinder, machte dem erstaunten Praͤsidenten den großen Rest bekannt, und ging, ohne daß dieser es gebot, nach dem Gefaͤngnisse. Man untersuchte sogleich seine Kasse, fand seiner abgeschlossenen Rechnung gemaͤß, den Rest richtig, und uͤbergab die Rechnung zur naͤhern Revision einem andern Rechnungs- verstaͤndigen. Jeder, der den Redlichen kann- te, bedauerte ihn, und obgleich der Ungluͤck- liche der Verlaͤumdung am meisten blosgestellt ist, so glaubten doch alle einstimmig, daß ein Listiger ihn betrogen habe, er nun fuͤr frem- des Verbrechen buͤssen muͤsse. Schon am andern Morgen erschien der Redliche, welchem die Revision der Rechnung anvertraut war, mit heiterm Gesichte vor dem Praͤsidenten, und bewies sonnenklar, daß der rechtschaffne H — keinen Pfennig restire, sich nur auf eine unbegreifliche Weise im La- teriren um die Summe von zehntausend Gul- den verstossen habe. Der erfreute Praͤsident sandte sogleich nach dem Gerechtfertigten ins Gefaͤngniß, er ver- sammlete, ehe er anlangte, die vielen Beam- ten seines Departements in seinem Zimmer, und wollte in ihrer Gegenwart den Ungluͤckli- chen von seiner Unschuld uͤberzeugen. Ein Laͤrm auf der Gasse machte ihn bald aufmerksam, er sah hinab, und bereute es izt herzlich, daß er aus wahrer Freude zu rasch gehandelt habe. Er hatte ohne weitern Befehl nach dem Ge- fangnen gesandt, man ahndete Verhoͤr, und fuͤhrte ihn mit Wache durch die Gasse. Der neugierige Poͤbel stroͤmte bald herbei, und uͤberhaͤufte den Ungluͤcklichen mit Beschimpfun- gen mancher Art. Ich muß, ich will dies Versehen schon wie- der durch die herrlichste Genugthuung tilgen, sprach der Praͤsident, und harrte des Kom- menden. Er trat mit blassem Angesichte und verzweiflungsvollen Blicken ein, der Praͤsi- dent eilte ihm entgegen, und umarmte ihn zaͤrtlich. Sie sind unschuldig, rief er aus, ganz unschuldig! Ich bitte tausendmal um Ver- gebung, daß ich sie aus wahrer, aber zu ra- scher Freude dem Spotte des Poͤbels anssezte, aber ehe eine volle Stunde vergeht, soll ihre Unschuld durch den Trommelschlag in der Stadt bekannt gemacht werden. Ich will sie in mei- nem Wagen nach Hofe fuͤhren, und dem Monar- chen als einen seiner treusten Diener vorstellen. Friedrich schien den Inhalt dieser Rede nicht zu fuͤhlen, er starrte stillschweigend vor sich hin. Kommen sie, fuhr der Praͤsident fort, und uͤberzeugen sie sich, daß ihr ganzer Rest nur ein Additionsfehler war. Er fuͤhrte Friedrichen nun selbst nach einem Stuhle, legte ihm die Rechnung vor, und bat ihn, diese ein- einzige Seite zu addiren. Friedrich erfuͤllte den Befehl auf der Stelle, er addirte voll- kommen richtig, wie er aber an zwei Aus- gabssummen kam, von denen jede einzelne zehn- tausend Gulden betrug, und welche eben neben- einander standen, so sprach er: Eins und eins ist Eins! Ist ja zwei, und folglich zwanzig- tausend, rief der Praͤsident frohlockend aus, und alle Anwesenden jubelten mit ihm. Ist zwei! Gott im Himmel! Ist zwei! lallte Friedrich nach, und sank ohnmaͤchtig vom Stuhle. Man hatte große Muͤhe, ihn wieder zu wecken, und noch groͤßere, um sich von der schrecklichen Gewißheit zu uͤberzeugen, daß sein Verstand verlohren sei. Er sprach irre, und begann, fuͤrchterlich zu rasen; man muß- te ihn binden, um ihn nach seiner Wohnung zu fuͤhren. Biogr. d. W. 3. B. O. Das Leiden der guten Gattin muß schreck- lich gewesen sein, als sie ihren guten Mann gerechtfertigt, aber auch wahnsinnig erblickte. Man glaubte anfangs, daß ein hitziges Fie- ber seine Raserei enden wuͤrde, aber sie dau- erte fuͤrchterlich fort, und da seine Gattin und Kinder sich oft aus Liebe zu ihm der To- desgefahr aussezten, er einst beinahe den aͤltesten Knaben erdrosselte, so ward er auf Befehl des Monarchen hieher gefuͤhrt, und meiner Sorge anvertraut. Sein armes Weib genuͤßt mit ihren ver- laßnen Kindern bis an ihren Tod den ganzen Gehalt ihres Mannes. Der groͤßte und moͤg- lichste Ersatz fuͤr ihr Leiden, aber auch der klein- ste fuͤr ihre immer noch fortdauernde Liebe. Erst vor einigen Monaten besuchte sie ihn, er kannte sie nicht. Ihr Jammer war graͤnzen- los, aber ich konnte ihn nicht einmal durch Hofnung lindern, denn sein Verstand wird nie wiederkehren. Nur mit anhaltender Sorgfalt konnte ich seine immer dauernde Raserei mindern, aber sie kehrt noch oft zuruͤck, und er muß aus nothwendiger Vorsicht Fesseln tragen. Ich darf es ihm nie an Papier und Schreibge- raͤthe mangeln lassen, dies beruhigt ihn mehr, als alle Arzeneien, er rechnet dann ohne Unterlaß, spricht immer: Eins und Eins ist Eins , und wenn ich oder ein anderer ihm zurufe: Ist zwei! so scheint zwar, ein noch glimmender Funke seiner Vernunft die Wahrheit zu fassen, aber sie schwindet oft in dem Augenblicke wieder, in welchem er sie zu fassen sucht. Mein Gefuͤhl fand keine Worte, ich weih- te dem Ungluͤcklichen eine Thraͤne, und folgte stillschweigend zum dritten Gemache. O. 2 Ein kleiner, blasser, noch junger Mann hukte in der Mitte desselben. Seine Kette, an welche er angeschlossen war, reichte nicht bis zur Thuͤre, er blickte sehnsuchtsvoll nach uns heraus, kuͤßte, gleich Kindern, seine Hand, und warf diese Kuͤsse unsrer Fuͤhre- rin zu. Das ist mein Schatz! das ist mein Schatz! sprach er leise, und mit einer Mi- ne, die mein ganzes Mitleid heischte. — Treten sie nicht naͤher! rief der Arzt, und riß mich zuruͤck, als ich mich ihm nahen woll- te. Er ist, fuhr er fort, unter allen meinen Patienten der gefaͤhrlichste und voll Heimtuͤk- ke, er sucht jeden mit dieser unschuldigen Miene zu locken, und wuͤrde sie sicher mor- den, wenn sie ihm an Staͤrke und Kraͤften nicht uͤberlegen sind. Ich kann seinen Zustand nicht lindern, bald wird er auch die Sprache verliehren, die ihn noch allein vom Thiere unterscheidet. Ich muß ihn als wahrer Men- schenfreund das Ende seiner Leiden, den Tod wuͤnschen, ob mir gleich eine sehr große Sum- me geboten ist, wenn ich ihn wieder gesund machen koͤnnte. Sein Name und seine Geschichte ist ein Geheimniß, das ich zu verschweigen versprach. Er ist der einzige Zweig einer sehr beruͤhm- ten und reichen Familie, er ward ein Opfer der Liebe, mehr kann ich ihnen nicht sagen. Indem ich noch einmal auf ihn blickte, und mich unmoͤglich uͤberzeugen konnte, daß eine so leidende und anziehende Miene so schreckliche Heimtuͤcke verrathen koͤnne, trat der Waͤrter zu uns, welcher eben nach Hau- se gekommen war. Er sah, daß sich der ar- me Leidende, vielleicht in einem Anfalle von Raserei, sein langes Hemde am Halse zer- rissen habe, er trat zu ihm, um das geloͤß- te Band wieder zu befestigen. Ich staunte, als sich bei seiner Annaͤherung die Miene des Leidenden mit einmal veraͤnderte, er klap- perte, gleich einem wilden Thiere, mit den Zaͤhnen, schnapte oft nach der Hand des Waͤr- ters, und schmiegte sich nur dann furchtsam in Winkel, als dieser ihn aͤusserst rasch an- redete, und Ruhe gebot. Armer, bedauernswuͤrdigster Ungluͤcklicher, auch ich wuͤnsche dir den Tod, und dort vol- len Lohn fuͤr dein unnennbares Leiden, denn hienieden gruͤnt kein Freudenblatt fuͤr dich, hienieden mußt du auch das einzige Labsal des huͤlflosesten Ungluͤcklichen, den Trost dei- ner Mitmenschen entbehren! Dein schreckli- cher Wahnsinn zwingt sie, dich mit Furcht zu quaͤlen, wenn sie dir Huͤlfe leisten wol- len! Hier koͤnnen sie ohne Scheu eintreten, wenn sie anders ruhig zuhoͤren wollen, sprach mein Freund, als wir uns dem naͤchsten Ge- mache naͤherten. Ein junger, aber wohlgekleideter Mann trat uns entgegen, und bewillkommte uns mit freundlichem Blicke; er schlepte eine Ket- te hinter sich, ich wich zuruͤck, weil ich von dieser auf Gefahr schloß. Mein Freund sah's, und versicherte mich, daß diese Kette nur die Flucht des Leidenden, nicht seine Ra- serei hindern solle. Willkommen, willkommen, sprach izt der freundliche Mann zum Arzte, ich danke ih- nen, daß sie mich auch einmal wieder besu- chen, und danke ihnen doppelt, daß sie mir abermals einen ihrer Freunde auffuͤhren. (zu mir) Ich bin ihnen fuͤr die Ehre ihres Be- suches hoͤchst verbunden, sie werden die kurze Zeit, welche sie mir schenken wollen, nicht bereuen, denn sie lernen in mir den Ungluͤck- lichsten aller Menschen kennen. Gern wollte ich ihnen einen Stuhl anbieten, aber ich ha- be keinen. Sehen sie nur, sehen sie! (in- dem er im Zimmer umherzeigte) Eine kleine Bettstelle, ein angenagelter Tisch und Stuhl! Das ist mein ganzer Hausrath! Ge- nug fuͤr einen Wahnsinnigen, aber viel zu wenig fuͤr einen Ungluͤcklichen, der sich besse- rer Zeiten erinnert, und bei der groͤßten Selbstverlaͤugnung dies Gefuͤhl nicht unter- druͤcken kann. Eben saß ich hier, und hader- te mit Gott: Warum er nur mir allein taͤg- lich, fast stuͤndlich einen vollen Leidensbecher reiche, mich mit allmaͤchtiger Hand zwinge, ihn bis auf den lezten Tropfen zu leeren? Ich wollte, aber ich konnte nicht beten, meine Seele murrte, ich war der Verzweiflung na- he! — — Aber izt, izt ist mir wieder wohl und leicht! Wenn ich nur einen Menschen er- blicke, der Antheil an meinem Jammer nimmt, der nur mit einer mitleidigen Miene mich troͤ- stet, so fuͤhle ich mich wieder stark genug, ein Ungluͤck zu ertragen, unter dessen Last der groͤßte Philosoph erliegen wuͤrde. (meine Hand ergreifend) Ha, edler Mann, dein Blick staͤrkt und labt! Du giebst dem armen Bett- ler ein reichliches Allmosen, er kann wochenlang sich damit saͤttigen. Deine warme Theilnahme verdients, daß ich dich mit meinem Ungluͤcke bekannt mache, und weihst du mir dann eine Thraͤne des Mitleids, so will ich sie von dei- ner Wange kuͤssen, und denken, ich habe Nek- tar aus Hebens Hand getrunken! Mein Vater war ein reicher und angesehe- ner Edelmann, ich bin izt sein einziger und hoͤchst ungluͤcklicher Sohn. Er war in seiner fruͤhen Jugend Soldat geworden, hatte mit Ruhm und Ehre dreißig Jahre lang gedient, wurde als General verabschiedet, und liebte noch immer mit inniger Waͤrme jeden Solda- den. Er glaubte fest, daß nur dieser Stand einen jungen Menschen bilden koͤnne, und sand- te mich unter das Regiment eines seiner alten Kriegskammeraden, als ich erst sechzehn Jahre alt war. Ich diente brav und wacker, ward in meinem achtzehnten Jahre schon zum Offi- zier befoͤrdert, und hatte, ehe ich das dreis- sigste erreichte, die wahrscheinliche Aussicht auf eine Kompagnie. Wenn du diese erhaͤltst, sprach mein al- ter Vater zu mir, als ich ihm schon als Un- terleutnant entdeckte, daß ich rasend verliebt sei, so kannst du deine Geliebte ohne Anstand und mit meinem Segen heurathen, aber eher wird aus der Heurath nichts, weil mir von jeher ein Leutnant mit einer Frau unertraͤglich war. Ich machte diese harte Bedingung mei- ner Geliebten mit Thraͤnen kund, und erhielt von ihr das heilige Versprechen, daß sie mei- ner so lange mit aͤchter Treue harren wolle, bis ich sie erfuͤllen koͤnne. Wenn sie je liebten, so werden sie's aus Erfahrung wissen, daß Liebe aͤusserst thaͤtig sei, wenn sie dadurch ihr Ziel erreichen kann. Ich liebte heftig, aber da der Lohn der Liebe von meiner Befoͤrderung abhing, so liebte ich auch eben so stark meinen Dienst, und erfuͤllte jede Pflicht desselben mit rastlosem Eifer. Mein Obrister erkannte diesen Diensteifer, empfahl mich bei jeder Gelegenheit dem Generale des Regiments, ich ward in Jahresfrist zehn andern vorgezogen, und, ehe ichs vermu- then konnte, zum Oberleutenante ernannt. Nun mußte ich aber acht Jahre harren, ehe mich die Reihe zur hoͤhern Dienststuffe wieder traf. Eben war ich der aͤlteste Oberleutenant, als mein alter Obrister starb, und ein jun- ger, reicher Fuͤrst seine Stelle erhielt. Viele der Officiers murrten daruͤber, ich am staͤrk- sten und lautesten, weil ich, wenn unser verdienstvoller Obristleutenant vorgeruͤckt waͤ- re, eben so wahrscheinlich eine Hauptmanns- stelle erhalten haͤtte. Der junge Obriste er- fuhr alles, und ließ mirs bei jeder Gelegen- heit deutlich merken, daß er Rache uͤben wuͤrde. Zufall und Gelegenheit machte ihn mit meiner Geliebten bekannt, sie hing noch im- mer mit seltner Treue an mir, aber ich sah's deutlich, daß auch er sie liebe, und mich durch falsche Versprechungen aus ihrem Her- zen zu verdraͤngen suchte. Ich duldete im Stillen, aber mein Rachegefuͤhl mehrte sich oft so maͤchtig, daß nur meines Maͤdchens Kuß es unterdruͤcken konnte. Wie ein halbes Jahr verflossen war, starb ein Hauptmann unsers Regiments, seine Stel- le konnte mir, meiner Meinung nach, gar nicht versagt werden. Ich reiste zu meinem Vater, und fand ihn willig, mir meine Heu- rath zu erlauben, so bald ich Kapitain sein wuͤrde, er trat mir sogar die Haͤlfte seiner Guͤter im Voraus ab, damit ich mit meinem kuͤnftigen Weibe standesmaͤßig leben koͤnne. Wie ich zum Regimente ruͤckkehrte, hoͤrte ich mit Erstaunen, daß mir ein anderer vorge- zogen sei, und der Obriste oͤffentlich gesagt habe, daß ich mir, so lange er beim Regi- mente sei, keine Hofnung zur weitern Befoͤr- derung machen solle. Ich fuͤhlte diese unedle Rache, dies gros- se Unrecht tief. Ich wuͤthete, ich raßte, eilte zum Obristen, und traf ihn nicht, ich ging nach der Wachtparade, und fand ihn unter einer Menge von Offizieren. Sein Anblick empoͤrte mich schrecklich, ich forderte ihn oͤf- fentlich, und wie er mich voll Verachtung an- blickte, so zog ich meinen Degen, wuͤrde ihn durchbohrt haben, wenn meine Kamme- raden mich nicht abgehalten haͤtten. Ich ward sogleich arretirt und in den Kerker gefuͤhrt. Die scharfen Subordinationsgesetze verurtheil- ten mich ohne Gnade zum Tode. Mein alter Vater eilte zu meiner Ret- tung herbei, er heischte Huͤlfe und Rath von allen seinen Freunden, sie erklaͤrten ihm ein- stimmig, daß nur verstellter Wahnsinn mich vom Tode retten koͤnne. Er fand Mittel, mir den Rath kund zu machen, ich bereute meine That und befolgte ihn getreu. Die erkauften Aerzte bestaͤtigten meinen Wahn- sinn, nur der rachgierige Obriste bezweifelte ihn, und brachte es durch sein Ansehen bei Hofe dahin, daß man mich zwar nicht zum Tode verurtheilte, aber als einen gefaͤhrlichen Wahnsinnigen auf ewig in den Narrenthurm zu sperren befahl. So sehr mein guter Vater auch flehte, mich selbst zu bewachen versprach, und mit alle seinem Haabe fuͤr jeden kuͤnftigen Fall haften wollte, so ward das Urtheil doch an mir vollzogen. Der redliche Alte konnte dies Ungluͤck nicht uͤberleben, er starb, und meine Guͤter sind izt in den Haͤnden eines mir un- bekannten Onkels, der damit nach Gefallen schalten kann, und nur hier meinen duͤrfti- gen Unterhalt bezahlen muß. Schon oft erhoͤrte unser gefuͤhlvoller Arzt mein Flehen, und berichtete nach Hofe, daß ich von meinem Wahnsinne vollkommen geheilt sei, schon Jahre lang nicht die geringste Spur desselben verrathe, aber allemal erfolgte die harte Antwort, daß diese Anzeige mein Ur- theil nicht lindern koͤnne, weil ich nach den klaren Buchstaben desselben zum ewigen Ge- faͤngnisse im Narrenthurme verurtheilt sei. (er ging mit starken Schritten im Gema- che auf und nieder) Ach es ist schrecklich, so leiden zu muͤssen! Zweimal habe ich schon dem Kriegskollegium eine Schrift eingereicht, in welcher ich erklaͤrte, daß mein Wahnsinn Ver- stellung war, ich flehte um den Tod, den das Gesetz gebot; aber man beantwortet meine Bitte nicht einmal, man wirft sie hartherzig in einen Winkel, und vergißt des Elenden. (gen Himmel.) Wenn du gerecht bist, so wirst du's ahnden und raͤchen! Aber es scheint, als ob du mich auch nicht hoͤren wolltest. Wie oft habe ich schon vergebens aus der Tiefe zu dir empor geschrieen! Heischer war meine Stimme, und du hoͤrtest sie doch nicht. Ohne deinen Willen faͤllt kein Sperling vom Dache, ohne deinen Wink trennt sich kein Haar vom Haupte! Bin ich denn weniger als ein Sper- ling oder ein Haar? (seine Ketten ras- seln) Hoͤrst du denn das Rasseln meiner Ket- ten nicht? (er rasselt schrecklich damit) Hoͤrst du's nicht? (er stuͤrzte weinend) auf auf sein Bette ) O ich bin das ungluͤck- lichste deiner Geschoͤpfe! Du hoͤrst, du siehst, du achtest mich nicht! Er verhuͤllte sein Gesicht, und weinte im Stillen, auch meine Thraͤnen flossen, ich sah's ungerne, als der Arzt mich bei der Hand er- grif, und aus dem Gemache fuͤhrte. Er schenkte mir so willig sein Zutrauen, es war grausam, daß ich ohne Abschied, ohne Trost scheiden sollte. Ich wollte wieder ruͤckkehren, mein Freund laͤchelte. Mir mißfiel dies Laͤ- cheln, es verrieth Unempfindlichkeit. Wie koͤn- nen sie izt — izt lachen? fragte ich etwas unwillig. Der Arzt . Weil der Schein sie truͤgt. Es waͤre schrecklich, wenn's so waͤre, wie's der arme Wahnsinnige erzaͤhlte. Ich . So ist's nicht so? Biogr. d. W. 3. B. R Der Arzt . Nein, mein Theurer, nein! Nicht Wuͤrklichkeit, nur sein Wahnsinn quaͤlt ihn so! Sehen sie mich noch so starr an, ich kann's doch nicht aͤndern! Der arme Ungluͤck- liche ist wuͤrklich der einzige Sohn eines sehr reichen Edelmanns, sein Vater starb, als er Leutenant war. Der Vater hatte ihm, seines Geitzes wegen, wenig Zulage gegeben, izt machte ihn sein Tod zum unumschraͤnkten Herrn einer großen Summe, er verschwendete sie sorglos, vernachlaͤßigte den Dienst ganz, ging mit liederlichen Dirnen um, und machte ih- nen große Geschenke. Ganz natuͤrlich war's, daß er unter solchen Umstaͤnden oft praͤterirt ward. So lange sein Geld dauerte, achtete er dies nicht; wie's aber endete, da forderte er mit Ungestuͤm Befoͤrderung. Man versprach sie ihm, wenn er sich bessern wuͤrde, aber er erfuͤllte sein Versprechen nicht, machte haͤufi- ge Schulden, und ward endlich kassirt. Die- se Strafe weckte ihn aus seinem Leichtsinne, er ging tiefsinnig umher, ward melancholisch, und endlich vollkommen wahnsinnig. Als ihn seine Freunde hieher sandten, und die moͤglichst gute Pflege fuͤr ihn zu zahlen ver- sprachen, redete er kein Wort, und wollte sich stets morden. Mit anhaltender Kunst und Muͤhe weckte ich wieder Gefuͤhl und Empfin- dung in ihm, er sprach oft stundenlang ver- nuͤnftig, und gab mir gegruͤndete Hofnung zu seiner Rettung. Ich wollte schon seinen Freunden Nachricht davon ertheilen, und eben einen Brief an diese bei ihm abholen, als der Waͤrter mir berichtete, daß er rase, jeden, der sich ihm nahe, fuͤr seinen Obristen halte, und ihn zu morden drohe. Ich eilte herbei, und mußte ihn fesseln lassen. Nach und nach besserte es sich wieder mit ihm, aber er erzaͤhlte mir und allen, die ihn be- R 2 suchten, die Geschichte, welche sie so sehr ruͤhrte. Ich kann mir die Entstehung derselben deutlich denken. Als er raßte, forderte er seinen Obristen, den er wahrscheinlich der Kassation wegen haßte, bestaͤndig auf ein Du- ell heraus. Wie ich ihn fesseln ließ, hielte er auch mich fuͤr den Obristen, uͤberhaͤufte mich mit Schmaͤhworten, und waͤhnte, daß ich ihn nach dem Gefaͤngnisse fuͤhren lasse. Die schwache Ruͤckkehr seines Verstandes uͤber- zeugte ihn in der Folge, daß er im Narren- thurme sei, die Vorstellung seines ehemali- gen, heftigen Wahnsinns blieb, und daher entstand die Geschichte, welche izt den einzi- gen Gegenstand seines Wahnsinnes ausmacht, aber mich auch uͤberzeugt, daß ich ihn nicht mehr retten kann, denn Erfahrung hat mich belehrt, daß keine Rettung mehr zu hoffen sei, wenn das Bild des Wahnsinnes einmal fest vor der Seele steht, sich nicht mehr wen- det oder dreht, keiner andern Vorstellung Platz gestattet. Schon ein Jahr lang raßt er nicht mehr, thut niemanden etwas zu Leide, koͤnnte un- gehindert im Vorhofe und Saale spazieren gehen, wenn nicht bei dem geringsten Schei- ne der Freiheit die Hofnung zur Flucht in ihm erwachte. Er klettert dann ohne Unter- laß an jeder Mauer empor, wuͤrde sicher den Hals brechen, wenn ich ihm Freiheit goͤnnen wollte. Wir gingen weiter. Im ersten Gemache, das wir betraten, saß in der Mitte dessel- ben ein ehrwuͤrdiger Greis auf einem Lehn- stuhle, sein weisses Silberhaar hing in spar- samen Locken um seine Schlaͤfe; eine große Narbe, die vom Haare herab uͤber den lin- ken Backen lief, und sich erst am Kinn en- digte, verunstaltete den aͤchten Petruskopf ein wenig. Er laͤchelte ruhig und zufrieden, als wir an der Thuͤre stille standen. Er winkte mit der Hand den Waͤrter zu sich. Wie theuer, sprach er, hast du (indem er auf mich und den Arzt deutete) die Sklaven bezahlt? Der Waͤrter . Jeder derselben kostet mich hundert Zechinen. Der Greis . Nimm ihnen die Fesseln ab, sie sind frei! Das Geld dafuͤr wird Dir mein Kassier auszahlen, und noch funfzig Dukaten fuͤr deine Muͤhe! (zu uns) Das erste europaͤische Schif wird euch nach eurem Vaterlande fuͤhren! Gruͤßt in meinem Na- men eure Weiber und Kinder! Wenn sie beim frohen Willkomme Gott inbruͤnstig dan- ken, so gebietet ihnen, daß sie meiner in ihrem Gebete gedenken sollen! Geht! Mehr fordere ich nicht! Kein Wort des Danks! Euer stummes Entzuͤcken, eure Thraͤnen sind mir Danks genug! Gott mit euch! ihr frei- en Maͤnner! Der Waͤrter ging, wir folgten. Der Arzt ergrif meine Hand, und druͤckte sie mit Waͤrme. Das ist mein Liebling, sprach er mit geruͤhr- ter Stimme, sein Wahnsinn ist mir so ehr- wuͤrdig. Ich wuͤrde mich gluͤcklich schaͤtzen, wenn ich ihm seinen Verstand wiedergeben koͤnnte, damit er die wenigen Tage seines Lebens noch fuͤhle, was er andern so willig goͤnnt und schenkt. Er war der Sohn eines sehr armen Edel- manns, seine zahlreichen Ahnen verschaften ihm das Maltheserkreuz. Da er nur von die- sem bessere Tage hoffen konnte, so zog er nach Maltha, um dort die erforderlichen Ka- ravannen mit, und sich einer Kommende wuͤr- dig zu machen. Er kaͤmpfte mit großer Ta- pferkeit im ersten Seegefechte gegen die Tuͤr- ken, vermehrte diese Tapferkeit bei jeder Ge- legenheit, und ward von dem Großmeister nach einigen Jahren zum Befehlshaber einer Galeere ernannt. Sein Muth war groß, er wagte es einst, drei feindliche große Schiffe anzugreifen, und haͤtte gesiegt, wenn alle Ritter gleich ihm gefochten haͤtten. Nicht Tapferkeit, nur allzu große Menge besiegte ihn endlich, und nur dann erst, als er am Boden blutete, und nicht mehr streiten konn- te. Harte Gefangenschaft und Sklaverei war nun sein Loos. Er ward zehnmal verkauft, und duldete oft schreckliche Qualen. Die Mit- glieder des so menschenfreundlichen Ordens der Trinitaren fanden ihn endlich in Smirna, als er auf den Strassen dieser Stadt, gleich einem Pferde, einen Karren ziehen mußte. Er war damals schon fuͤnf und vierzig Jahre Sklave gewesen, und zaͤhlte sechs und siebzig Lebensjahre. Sie erbarmten sich seines Elen- des, und loͤßten ihn, seines hohen Alters wegen, mit einer geringen Summe. Er schifte mit ihnen nach Maltha, und ward dort mit auszeichnender Hochachtung empfangen. Sein Ruhm, seine Tapferkeit lebte noch in den Herzen der alten Ritter, der Großmeister gebot ihm, Belohnung sei- ner vieljaͤhrigen Leiden zu fordern, er bat um eine kleine Kommende in seinem Vaterlande, und reiste mit der Versicherung dahin ab, daß ihm die erste ledige werden solle. Zwei deut- sche Moͤnche des Trinitaͤr-Ordens begleiteten ihn auf seiner Reise, er war aͤusserst froh und munter, und genoß die Frucht der Freiheit mit Juͤnglingskraͤften. Wie er zum erstenmale wieder die deutsche Sprache allgemein sprechen hoͤrte, so weinte er, gleich einem Kinde, stundenlang, und wie er die Graͤnze seines geliebten Vaterlan- des betrat, sprang er aus dem Wagen, kuͤßte die Erde, betete inbruͤnstig und anhaltend. Seine Begleiter harrten lange des Endes, als es aber nicht erfolgen wollte, hoben sie ihn in den Wagen, und hoͤrten mit Erstau- nen, daß er irre rede. Sie nahmens Anfangs fuͤr Schwaͤche des Alters, als es sich aber nicht mit ihm bessern wollte, da wurden sie uͤberzeugt, daß ihm die Erfuͤllung seines sehn- lichsten Wunsches den Verstand geraubet habe. Immer bat er auf der langen Reise Gott, daß er ihm nur das Gluͤck gewaͤhren moͤge, noch vor seinem Ende die Erde seines Vater- lands kuͤssen zu koͤnnen. Er genoß es, aber er bezahlte es auch mit einem unschaͤzbaren Preise, mit dem Verluste seines Verstandes. Die Moͤnche verpflegten ihn einige Zeit in ih- rem Kloster, als aber der arme Wahnsinnige ihre kloͤsterliche Einsamkeit maͤchtig stoͤhrte, da meldeten sie es den Maltheserrittern, und die- se uͤbergaben ihn meiner Pflege. Er lebt in seinem Wahnsinne froh und gluͤcklich, er glaubt, daß er ein aͤusserst rei- cher, christlicher Kaufmann zu Emirna sei, achtet den Waͤrter fuͤr seinen Buchhalter, und sendet ihn taͤglich aus, um Christensklaven los zu kaufen. Wenn er dann in meiner oder eines Fremden Gesellschaft vor ihm er- scheint, so haͤlt er diese fuͤr erloͤste Sklaven, und schenkt ihnen die Freiheit. Auch er koͤnnte ungehindert und frei im Saale und Vorhofe umher wandeln, wenn er nicht die uͤbrigen Wahnsinnigen zur Wuth reizte. Sein Wahnsinn achtet sie alle fuͤr Sklaven, er erloͤst sie in seiner gluͤcklichen Einbildung, und fordert dann, daß sie Gott und ihm danken sollen. Wenn sie sich nun ganz natuͤrlich nicht seiner Laune fuͤgen wol- len, so haͤlt er sie fuͤr Renegaten, und be- leidigt sie so lange, bis sie sich empfindlich an ihm raͤchen. Um ihn daher nicht taͤglicher Mißhandlung auszusetzen, darf ich ihn nicht aus dem Gemache lassen. Anfangs gab ihm der Waͤrter, gleich al- len Uebrigen, eine Kette, aber er weinte schrecklich, und duͤnkte sich wieder in der Sklaverei; ich konnte seine Thraͤnen nicht sehen, nahm ihm die Kette ab, und ordnete einen Waͤchter an seine Thuͤre. Jzt ist die- ser aber nicht mehr noͤthig, weil er fest glaubt, daß vor der Thuͤre Tuͤrken auf ihn lauern, und in die Sklaverei schleppen wol- len, er wuͤrde daher um keinen Preiß in der Welt die Schwelle uͤberschreiten. Ich habe Hofnung, daß der Tod bald sein irdisches Leiden enden, und ihn ins Gefilde des Lohns fuͤhren wird. Er ist oft sehr schwach und kraftlos, die ungeheuren Kraͤfte seines Koͤrpers widerstreben izt nicht mehr, er wuͤrde hundert Jahre uͤberlebt ha- ben, wenn nicht vierzigjaͤhrige Sklaverei dar- an genagt haͤtte. O er muß viel und schreck- lich geduldet haben! Sein Ruͤcken ist von tie- fen Narben durchfurcht, und die Haut seiner Haͤnde und Fuͤsse ist von schwerer Arbeit aͤus- serst abgehaͤrtet. Der Großmeister zu Maltha hat Wort gehalten, ihm ward eine Kommende, welche jaͤhrlich zehn tausend Guldeu traͤgt, da er sie aber nicht genuͤssen kann, so muß ihn sein Nachfolger bis an seinen Tod ernaͤhren. Er thuts mit Gewissenhaftigkeit, und wuͤrde ihm gerne die theuersten Weine, die kostbarsten Speisen bezahlen, wenn ichs erlauben koͤnn- te, und diese nicht sein Elend vermehrten. Der Arzt hatte wahr prophezeit, schon vierzehn Tage nachher starb der arme Greis. Eine Viertelstunde vor seinem Tode erhielt er den vollen Gebrauch seiner Vernunft wie- der. Wo bin ich denn? Bin ich wuͤrklich in meinem Vaterlande? fragte er den Waͤrter, und als dieser es bejahte, so rief er freudig aus: So ist ja mein innigster Wunsch erfuͤllt, so sterbe ich vergnuͤgt und mit der Gewißheit eines jenseitigen Lohns! — — Dies konnte der arme Leidende mit Zuversicht sagen, denn wenn er dort nicht Lohn faͤnde, was sollten, was koͤnnten wir hoffen? Wir, die wir nie Eltern, Freunde und Vaterland auf immer verlassen mußten, nicht schmachteten in Ket- ten der Sklaverei und des Wahnsinns! Oft den Becher der Freude leerten, und schon bebten, wenn nur der Kelch des Leidens vor uns uͤber ging. Mein Freund fuͤhrte mich nun bei eini- gen Gemaͤchern voruͤber. Hier, sprach er, koͤnnen sie nur die hoͤchst traurige Erfahrung sammlen, daß der rasende Mensch tief unter dem Viehe erniedrigt sei. Ich liebe sie zu sehr, als daß ich ihnen diesen schrecklichen Anblick goͤnnen sollte. Wilde, immerdauernde, oft wuͤthende Raserei hat diese Ungluͤcklichen so entstellt, daß sie solche nicht fuͤr Menschen erkennen wuͤrden. Gott gebe, daß sie bald enden, ich kann ihnen mit aller meiner Kunst nicht einmal Linderung geben! Noch will ich sie mit zwei merkwuͤrdigen Maͤnnern bekannt machen, und dann gehen wir mit der Ueber- zeugung von hinnen: Daß Menschenelend nicht zu zaͤhlen sei! Hier, sprach mein Freund, indem er mich an ein anderes Gemach fuͤhrte, wollen wir wieder einkehren. Ein kaum funfzigjaͤhriger Mann, dessen Blick nicht Wahnsinn, sondern tiefes Denken verkuͤndigte, saß an einem niedrigen Tische auf einem kleinen Fußschemel, hielt zwischen seinem Knie einen alten Schuh, und flickte solcheu mit einer eilfertigen Emsigkeit. Gleich, gleich stehe ich zu Diensten, sprach er, indem er uns fluͤchtig anblickte, und noch eilfertiger arbeitete. Ehe ich mit meinem Freunde sprechen konnte, sprang er vom Schemel empor, ergrif ein Stuͤck Papier, verfertigte ein Maas daraus, und trat zu mir. Was verlangen sie, fragte er hastig, Stiefel oder Schuhe? Ich blickte verlegen auf meinen Freund, und dieser antwortete, daß ich nur ein paar Schuhe zu haben wuͤnschte. Alles Alles eins! alles eins, sprach der Wahn- sinnige, indem er an meinen Stiefeln umher maaß, ich mache Stiefeln und Schuhe, wie man sie fordert! Habe zwar sehr viel Arbeit, muß eben fuͤr ein ganzes Regiment neue Schuhe verfertigen, aber mit Gottes Huͤlfe werde ich doch auch fertig werden! Wenn man ein krankes Weib und sieben Kinder zu ernaͤhren hat, muß man keine Kundschaft verachten. Ihr Diener, mein Herr, ihr Die- ner! Morgen um diese Zeit kann ihr Be- dienter anfragen, sie werden wohlfeil und gut bedient werden. (er sezte sich wieder zu seiner Ar- beit rufend) : Anne, gieb dem Herrn ei- nen Stuhl, und laß mir die Kinder nicht so schreien, gieb jedem ein Stuͤck Brod, ich habe ja heute vollanf gekauft. Weine nicht im- mer, hast's nicht Ursache! So lange mir Gott Gesundheit und Arbeit giebt, hat's mit Biogr. d. W. 3. B. S uns keine Noth. Klopft aber auch der Tod bei mir an! (laͤßt seine Arbeit sinken, und blickt sehnsuchtsvoll gen Himmel empor) Je nun, dann wird der da oben euch auch nicht verlassen! (horchend) Was sagst du? Betteln wirst du mit deinen Kin- dern gehen muͤssen? (weinend) Das waͤre schrecklich! Das wird Gott verhuͤten! Ich muͤßte im Himmel oben noch verzweifeln, wenn ichs saͤhe, und nicht helfen koͤnnte! — — Sei froͤhlich, Anne, sei munter! Ich will recht fleißig arbeiten, damit wir uns ein Haͤuschen und ein Stuͤckchen Feld kaufen koͤnnen, dann koͤnnt ihr mich ruhig sterben sehen! Er arbeitete nun aufs neue und aͤusserst emsig. Sein trauerndes Gesichte erheiterte sich nach und nach; Zufriedenheit und frohe Aussicht thronte darinne. Wir traten auf den Gang. Dieser arme Wahnsinnige, sprach mein Freund, ist wuͤrklich ein Schuster. Er lebte ehemals auf einem benachbarten Dorfe, er- naͤhrte sich, sein Weib und sieben kleine Kin- der sparsam, aber ehrlich. Alle seine Nach- barn nannten ihn nur den fleißigen Schuster, weil oft um Mitternacht seine Lampe noch brannte, und die Voruͤberwandelnden ihn arbeitend, und sein Weib spinnend erblick- ten. Wie vor funfzehn Jahren Theuerung und Hungersnoth unser armes Vaterland quaͤlte, viele Tausende huͤlflos verschmachteten, und eine fuͤrchterliche Epidemie den Arm manches arbeitenden Vaters laͤhmte, da nahte sich auch Elend und Jammer seiner kleinen Huͤtte. Es war ihm schlechterdings unmoͤglich, nur das trockne Brod fuͤr seine Familie zu gewin- nen, er und sein Weib mußte jedes entbehr- liche Kleidungsstuͤck, und endlich auch das S 2 Bette verkaufen, um den Hunger der armen Kinder nur nothduͤrftig zu stillen. Als alles verkauft war, selbst die taͤg- liche Arbeit immer sparsamer wurde, warf Elend und Noth seine Gattin und alle seine Kinder aufs Krankenlager, auch er schwankte matt und kraftlos umher, konnte den Kran- ken kaum einen kalten Labetrunk reichen, und die wenige Arbeit nicht mehr foͤrdern. Wie er einst trostlos am Strohlager seines Wei- bes saß, alle seine Kinder wimmerten, und er der Leidenden aufrichtig gestand, daß er nicht wisse: Wo er morgen einen Bissen Brod hernehmen sollte? Da sprach sein Weib: Va- ter, du mußt betteln gehen! Die allgemeine Noth wird die Herzen der Reichen doch oͤf- nen! Geh nach der Stadt, und bring uns Brod, sonst verschmachten wir alle! Er antwortete nicht, weinte schrecklich, und wankte, wie am Morgen die Kinder Brod heischten, haͤnderingend zur Thuͤre hin- aus. Ein eben so armer Nachbar begegnete ihm. Nachbar, sprach er, ich muß betteln ge- hen, seid so barmherzig, und reicht meinem Weibe und Kindern dann und wann einen Trunk Wasser, wenn ich wiederkomme, will ich redlich mit euch theilen. Er eilte nun nach der Stadt, man fei- erte eben Weihnachten, und vieles Volk wall- te nach der Domkirche, wohin er ebenfalls folgte. Ein Priester wollte die Kanzel bestei- gen, der verzweifelnde Vater sprang vor- waͤrts, riß ihn zuruͤck, und betrat selbst die- sen ehrwuͤrdigen Plaz. Hoͤrt mich, rief er im fuͤrchterlich ruͤhren- den Tone aus, hoͤrt mich! Wenn ihr Men- schen — rettet mich, wenn ihr Christen seid. Ich bin der ungluͤcklichste, der elendeste un ter euch! Ich bin Gatte, und habe ein kran- kes Weib! Ich bin Vater, und habe sieben kranke Kinder! Sie heischen Brod von mir, und ich kann ihnen keines geben. Kommt naͤher, blickt meine Haͤnde an, sie sind voll blutiger Schwuͤlen! Wenn ihr lange schon auf weichen Betten ruhtet, arbeitete ich noch, um ihren Hunger zu stillen, aber mein Verdienst reichte nicht zu, ich habe alles verkauft, um sie zu saͤttigen, ich habe nichts mehr, als die- se Lumpen, und die armen Wuͤrmer fordern noch immer Brod. — — Izt muß ich bet- teln gehen! Betteln fuͤr mein Weib, fuͤr meine Kinder! Ich erfuͤlle diese Pflicht mit schwerem Herzen, sie sezt mich in die Zahl der Muͤßiggaͤnger herab, und ich wars doch nicht, verdiente immer mein Brod im Schweis- se meines Angesichts. Ich bettle fuͤr mein Weib und Kinder! Ich bettle in der Gegen- wart eures und meines Gottes, weil ich hoffe, daß ihr um so thaͤtiger seine Gebote erfuͤllen, und die Bitte des Armen nicht ver- schmaͤhen werdet. Erbarmt euch meines ar- men Weibes, sie liegt daheim und jammert! Erbarmt euch meiner kranken Kinder, sie win- seln fuͤr Hunger! Erbarmt euch des ungluͤck- lichsten der Vaͤter, welcher es hoͤren muß, und nicht helfen kann! Wie er die lezten dieser merkwuͤrdigen Worte ausgesprochen hatte, sank er ohnmaͤch- tig zuruͤck. Erstaunen hatte bisher alle Ge- genwaͤrtige gefesselt, izt eilten viele herbei, dem Ungluͤcklichen beizustehen. Man hoͤrte lau- tes Schluchzen und Weinen, auch ich war in der Kirche und weinte mit. Es war ruͤhrend anzusehen, wie alle mit empor gestreckten Haͤnden ihre Gabe zur Unterstuͤtzung darzu- reichen suchten. Es mußte Gott das wohlge- faͤlligste Opfer sein, als hunderte sich herbei draͤngten, und den Schmachtenden nach ihren Wohnungen tragen wollten; ich war auch un- ter dieser Zahl, und man goͤnnte mir nur um deswillen den Vorzug, weil ich ein Arzt war, und jeden Beitrag anzunehmen ver- sprach. Ehe ich ihn forttragen lassen konnte, hat- ten sich schon einige Menschenfreunde mit Tel- lern an die Kirchthuͤren gestellt, sie sammle- ten, was man geben wollte, und ehe es mir gelang, den Ungluͤcklichen aus einer Art von Starrsucht zu wecken, brachten sie ihn schon sechshundert zwei und funfzig Gulden, als einen Lohn seiner ruͤhrenden Predigt. Bis an den Abend mehrten sich diese Beitraͤge bis auf eilfhundert Gulden. Einige der Anwesenden forschten nach sei- nem Namen und Wohnorte, mehr als zwan- zig edle Frauen fuhren dann eilend nach sei- nem Dorfe, nahmen Betten, Kleider und Speisen mit sich, um die Nackenden zu klei- den, die Hungrigen zu speisen! Wie froh, wie gluͤcklich haͤtte der gute und redliche Va- ter nun in der Mitte seiner Familie leben koͤnnen! Ich war so gluͤcklich, sein Weib und alle seine Kinder vom nahen Tode zu retten, aber ihn — dem ich so gerne geholfen haͤt- te — konnte ich nicht wiedergeben, was er zur Rettung der Theuern opferte. Sein Ver- stand war verlohren! Schon ein Anfall von Wahnsinn mußte ihn verleitet haben, die Kan- zel zu besteigen, er siegte ganz, als er seine merkwuͤrdige Rede vollendet hatte. Durch volle drei Jahre raßte er unaufhoͤrlich, ich mußte ihn fesseln lassen, und vermochte seine Pein gar nicht zu lindern. Einst besuchte ihn — was oft geschah — sein Weib mit einigen ihren Kindern, sie hatte sich auf meinen Rath von dem reichen Almosen eine kleine Wirthschaft gekauft, und jammerte diesmal lauter, als je, weil ihr Gatte die Fruͤchte derselben nicht mit genuͤs- sen konnte. Er lag ohne Empfindung da, hatte sie noch nie erkannt, izt richtete er sich mit einmal in die Hoͤhe, blickte starr umher, und rief endlich aus: Weib, so lebst du! so leben meine Kinder noch: Dann muß ich ja arbeiten! — — Nach diesen Worten sprang er vom Bette auf, forderte sein Werkzeug, und raßte aufs neue so lange, bis ich ihm Werk- zeuge von Holz verfertigen ließ, und alles gab, was er forderte. Er kennt nun allemal sein Weib und seine Kinder, aber er glaubt fest, daß er noch in seiner Huͤtte wohne, arbeitet ohne Unterlaß an einem Schuhe, den er bestaͤndig flickt und wieder auftrennt. Wenn ihm sein treues Weib sein Gluͤck erzaͤhlt, und zum Genusse einladet, so laͤchelt er einige Minuten ganz zufrieden, faͤngt aber in den folgenden wieder emsig an zu arbeiten, und troͤstet sie mit der Versicherung, daß er sich durch anhaltenden Fleiß schon noch ein eignes Haus erwerben wolle. Oft hat sie mich kniend gebeten, ihr den geliebten Gatten zur eignen Pflege anzuver- trauen, sie hofte, daß Ueberzeugung ihn viel- leicht retten koͤnne, ich hofte es anfangs mit ihr, aber er raßte, als man ihn aus seinem Gemache fuͤhrte, und endete nicht eher, als bis man ihn wieder dahin gebracht hatte. Ich hab's uͤber mich genommen, Vater sei- ner verlaßnen Kinder zu werden! Seine aͤlte- ste Tochter dient in meinem Hause, sein Erst- gebohrner steht der Mutter in der Wirth- schaft bei, die uͤbrigen drei Knaben lernen ein Handwerk, und die juͤngsten zwei Maͤdchen sind noch bei der Mutter. Alle fuͤhren sich gut und rechtschaffen auf, alle besuchen ihren Vater fleißig, lieben ihn von ganzem Herzen, weil er alles fuͤr sie that, und ihnen am Ende seinen Verstand opferte. Ich trat noch einmal zu seinem Gemache. Ehrfurcht und tiefe Hochachtung fuͤllten mein Herz, ich baute dem edlen Vater Statue und Tempel, und fragte mein Gedaͤchtniß: Ob es einen wuͤrdigern und groͤssern Mann, als diesen, kenne? — — Das ist mein Liebling! rief ich endlich aus, und sank in die Arme mei- nes Freundes! Gott wird's vergelten, sprach ich, daß sie der Vater seiner Kinder wurden, sie werden Theil haben an seinem herrlichen Lohne! Wir gingen weiter, an der naͤchsten Thuͤre stand ein alter, hagerer Wahnsinniger, welcher ein großes Packet Schriften in der Hand hielt, und mich durch eine Menge Gruͤnde zu uͤber- zeugen suchte, daß er seinen Prozeß auf die unrechtmaͤßigste Art verlohren habe. Kommen sie nur naͤher, sprach er, und entfaltete seine Schriften, sie werden das himmelschreiende Unrecht deutlich einsehen, und mir ihren Bei- stand gewiß nicht versagen. Hatte er Weib und Kinder? fragte ich meinen Freund. Nein, antwortete dieser, keins von beiden. Unter allen, welche hier dulden, wuͤrde er am wenigsten Mitleid verdienen, wenn Wahnsinn nicht ein Elend waͤre, welches man ohne Mitleid nicht betrachten kann. Er war der Erbe eines sehr reichen Vet- ters, welcher Kaufmann und Fabrikant war. Zu dumm, um die spekulatifische Handlung fortzusetzen, und zu geizig, um einen ver- nuͤnftigen Gebrauch von seinem Reichthum zu machen, verkaufte er Waarenlager und Fabrik, sperrte das baare Geld in eiserne Kaͤsten, lieh nur auf Pfaͤnder von doppeltem Werthe, und nahm juͤdische Interessen. Sein Geiz mehrte sich taͤglich, und erlaubte ihm nicht, an eine Heurath oder an irgend einen Genuß des menschlichen Lebens zu denken. Er hungerte und darbte, um nur seinen Geldhaufen zu ver- mehren. Ein noch minderjaͤhriger Verschwender ver- pfaͤndete ihm einst einige kostbare Juwelen fuͤr tausend Gulden. Der Vormund erfuhr's, und forderte sie zuruͤck, weil man nach den Ge- setzen einem Minderjaͤhrigen kein Geld leihen darf. Der Geizige wollte nicht erstatten, es kam zum Prozesse, der natuͤrlich verlohren ging, dem Ungluͤcklichen seinen Verstand raub- te, als er die Juwelen zuruͤckgeben mußte, und die Pfandsumme von tausend Thalern ver- lohr. Sein Vermoͤgen steht izt unter gericht- licher Verwaltung, er kann es nicht gen u ssen. Er raßt nie, aber er ist aͤusserst heimtuͤckisch, und will jeden erwuͤrgen, der nicht gleich ihm behauptet, daß er seinen Prozeß auf die un- rechtmaͤßigste Art verlohren habe. Nur naͤher, nur herein! rufte uns eine Stimme entgegen, als wir zum naͤchsten Ge- mache kamen. Ein huͤbscher, noch junger Mann trat an die Thuͤre, haͤtte er nicht eine Kette hinter sich geschlept, ich wuͤrde ihn nicht fuͤr wahnsinnig gehalten haben. Sein ofner Blick, seine heitre Mine, sein laͤchelndes Auge wi- dersprach dieser Vermuthung ganz. Sie kommen wahrscheinlich, sprach er im freundlichen Tone, mein Kunststuͤck zu betrach- ten, ich mache mir ein Vergnuͤgen daraus, sie damit bekannt zu machen, und wuͤnsche von ganzem Herzen, daß es ihnen nuͤtzen und sie warnen moͤge. Er trat izt hinter einen viereckigten Ka- sten, der in der Mitte des Gemachs auf einem Stuhle stand, mit kleinen runden Oefnungen versehen, und vollkommen einem Guckkasten aͤhnlich war. Mein Freund fuͤhrte mich hin, und wir sahen hinein. Der Wahnsinnige . Geben sie Acht, izt wird das Spiel beginnen. ( mit lauter Stimme ) Izt schwebt eine Spinne in der Mitte des Gemachs, sie webt ihr kuͤnstliches Netz, alles ist fein und niedlich, alles schoͤn und simmetrisch! Geben sie acht, viele Flie- gen summen ohne Argwohn umher, eben hat sich eine im Netze verwickelt, die Spinne eilt herbei, saugt ihr das Blut aus, und toͤdet sie qualvoll. Eben so fangen uns die listigen Weiber, und wenn wir im Netze der Liebe verwickelt sind, so quaͤlen und martern sie uns zu Tode. — — Heisa, da kommt ein lustiger Knabe, er macht Seifenblasen, und freut sich der schoͤ- nen Farben. Der Thor bedenkt nicht, daß er sich einst im maͤnnlichen Alter mit Weh- muth muth an dies Spiel erinnern wird. Er wird lieben, er wird Treue von seinem Weibe for- dern, und diese wird gleich der schoͤnsten Sei- fenblase in der Luft verschwinden. — — Hui! mich friert, es ist grimmig kalt! Schnee deckt die Erde, und glattes Eis baut Bruͤcken uͤber den tiefen Fluß. Viele wallen sorglos daruͤber, und stuͤrzen zu Boden, es geht ihnen wie den Maͤnnern, welche den Schwuͤren der Weiber trauen, sie scheinen fest zu halten, aber sie sind glatt wie Eis, wenn man sicher darauf baut, so stuͤrzt man nie- der, und schlaͤgt sich den Kopf entzwei. — — Geben sie Acht, es beginnen neue Sze- nen! Hurra! Hurra! Es giebt eine Jagd! Der sichere Hirsch wird uͤberfallen, er eilt vorwaͤrts, die Jaͤger und Hunde verfolgen ihn! Hurra! Hurra! Das geht schnell und fluͤchtig! Ach der arme Hirsch! er weint, Bio. v. d. W. 3. T lechzt, sinkt und wird zerrissen! — — Ein wahres Bild des menschlichen Lebens! ( mit sanfter und geruͤhrter Stimme ) Der Hirsch ist der Redliche, Jaͤger und Hunde sind seine Feinde — denn welcher Redliche hat keine Feinde? — Er wird verfolgt, bis er unterliegt! Nur Schade, daß so viele große Herren erklaͤrte Liebhaber dieser Jagd sind! ( im vorigen Tone ) Heisa! Da gehts lustig zu! Ein reicher Herr feiert eben sei- nen Geburtstag, eine Menge Gaͤste schmausen an seiner Tafel. Sehen sie nur, wie er sich bemuͤht, jedem vorzulegen, wie er sogar sei- nem treuen Jagdhunde auch ein Bein zu- wirft. — — Alles, spricht der weise Salo- mo, alles dauert auf dieser Welt nur eine kurze Zeit! Der Reichthum des Freigebigen schwindet, und seine Freunde mit ihm. Er muß am Ende betteln gehen. Sehen sie, hier wankt er am Stabe der Armuth voruͤber, nur sein treuer Jagdhund begleitet ihn. Der lez- tere beweißt deutlich, daß man Dankbarkeit nur unter Thieren suchen, sie von Menschen nicht erwarten darf! — — Geben sie Acht, geben sie wohl Acht! Izt kommt das lezte und beste meiner Stuͤcke. Nun, meine Herren, was sehen sie? Der Arzt . Einen Spiegel. Der Wahnsinnige . Und in diesem? Der Arzt . Nichts. Der Wahnsinnige . Gar nichts? Der Arzt . Rein nichts! Der Wahnsinnige . Hm! Hm! Merk- wuͤrdig, aber wahr! Es ist der Spiegel der edeln und uneigennuͤtzigen Handlungen aller le- benden Menschen. Da sie nichts darinne er- blicken, so ists erwiesen, daß alle, die auf T 2 Erden wohnen, vollkommne Taugenichtse sind. Ihr Diener, meine Herren, ihr Diener! Er trat nun seitwaͤrts, und staunte still vor sich hin. Endlich legte er seinen Zeigefin- ger an die Nase, und trat wieder vor uns hin. Was ist, sprach er im langsamen To- ne, listiger als der Teufel und maͤchtiger wie Gott? Wir schwiegen. Ich will's ihnen erklaͤren! fuhr er laͤ- chelnd fort. Das Weib ist's! Das Weib! Denn der Teufel mußte sich der Huͤlfe eines Weibes bedienen, um den Mann verfuͤhren zu koͤnnen. Es ist maͤchtiger wie Gott, denn dieser brauchte sechs Tage, um die Welt zu erschaffen, und das Weib bedarf oft nur eines Augenblicks, um diese schoͤne Welt in eine Hoͤlle zu verwandeln! Leben sie wohl! ( mit vielem Nachdrucke ) Und gedenken sie meiner, wenn ein Weib ihnen Liebe stam- melt! Er ging ruͤckwaͤrts, und der Arzt fuͤhrte mich nach dem Gange. Wer ist dieser seltne Menschen- und Wei- berfeind? fragte ich ihn sogleich. Der Arzt . Ich nicht, und niemand weiß es. Er wandelte vor sechs Jahren mit seinem Guckkasten im Lande umher, drang sogar in die Gesellschaftszimmer der Großen, und sagte ihnen oft die bittersten Wahrheiten. Sein Wahnsinn wurde erst vollkommen entdeckt, als man ihn vor Gerichte zur Verantwor- tung zog. Da er manches Frauenzimmer tief belei- digt und gekraͤnkt hatte, und man durch sorg- faͤltiges Nachforschen seinen Namen, Karakter und Vaterland nicht entdecken konnte, so ward er, auf Befehl des Monarchen, meiner Sorgfalt anvertraut. Er raßt, wenn ich ihm seinen Guckkasten nehme, er lebt ruhig und zufrieden, wenn ich ihm diesen lasse. Dies ist alles, was ich ihnen von ihm erzaͤhlen kann, denn er beantwortet keine einzige Fra- ge, welche mir mehr Licht geben koͤnnte. Wahrscheinlich muß ein treuloses Weib ihn betrogen, und falsche Freunde ihn verrathen haben, weil er den Schmerz daruͤber in allen seinen Handlungen und Reden aͤussert. Ich verließ nun, an meines Freundes Hand, das Haus des Elendes. Den Ein- druck, den seine Bewohner auf mich mach- ten, fuͤhlte ich lange, fuͤhle ich oft noch! Das steinerne Brautbette. W ie ich einst durch einen Theil der hohen und maͤchtigen Bergkette reiste, welche Boͤh- mens Bewohner von seinen Nachbarn trennt, machte mich die schlechte Strasse aͤusserst mis- launisch, ich achtete der brennenden Sonnen- hitze nicht, verließ meinen Wagen, und schlenderte auf einem Fußsteige fort, indeß jener in einem tiefen Hohlwege fuͤrchterlich umher schwankte. Die Gegend war roman- tisch, oft auch fuͤrchterlich wild, ich wollte sie genuͤssen, aber alle meine Rippen wider- sprachen diesem Genusse, und bewiesen mir durch lebhafte Schmerzen, daß eine Gegend, welche dieses Gefuͤhl vernrsache, unmoͤglich schoͤn sein koͤnne. Der Fußsteig, auf welchem ich wandelte, schlaͤngelte sich in ein kleines Thal hinab, wel- ches hohe, unfruchtbare, oft nackende Felsen rings umher einschlossen, und die gerechte Sorge in mir erregten: Ob ich einen Aus- gang finden wuͤrde? In den Ritzen der Fel- sen gruͤnten hie und da Kiefern und Tannen, ihre Zwergengestalt bewies deutlich, daß sie nur sparsame Nahrung fanden. Die Sonne stand hinter den hoͤchsten Bergen, und warf ihren Schatten ins Thal herab, ich eilte, ihn zu genuͤssen, und ward, wie ich ruhte, wie- der heiter und munter. Es war oͤde und leer im ganzen Thale, ein paar Ziegen kletterten auf den nahen Fel- sen umher, und horchten schuͤchtern, wenn vom Berge herab die Raͤder meines Wagens rasselten, oder dem unwilligen Kutscher dann und wann ein lauter Fluch entschluͤpfte. Mir grade gegenuͤber thuͤrmte sich ein Fels empor, dessen Spitze sich in zwei Theile theilte, und dem Kuͤhnen, welcher seinen Gipfel zu erstei- gen wagte, einen Ruheplatz in seiner Mitte bot. Ich untersuchte eben: Ob diesen Platz Kunst oder Natur geformt habe, und wollte mich grade vom erstern uͤberzeugen, als ein altes Muͤtterchen mit einer Holzbuͤrde bei mir voruͤber schlich, und auf einem nahen Stein zu ruhen suchte. Ihr folgte ein jun- ges, starkes Maͤdchen, das eine gleiche Buͤr- de trug, sich unfern von mir lagerte, und nach dem Felsen hinstarrte, welchen mein Auge erst verlassen hatte. Der Alte. (zu ihr) Gaffe nicht so hinuͤber, und bete lieber ein Vater Unser, damit dich Gott fuͤr aͤhnlichem Ungluͤcke be- huͤte. — — Die Dirne machte sogleich ein Kreuz, und betete recht andaͤchtig. Ich untersuche nie die Absicht eines Ge- betes, sei diese auch welche sie wolle, so bleibt mir der Betende immer ehrwuͤrdig, und ich stoͤre ihn hoͤchst ungerne. Ich harrte daher, bis sie gebetet hatte, und nahte mich dann erst der Alten, um zu erfahren, was sich auf diesem Felsen Merkwuͤrdiges zugetragen habe. Die Alte . Ja, mein lieber, guter Herr, das kann ich ihnen so eigentlich nicht erzaͤh- len, ich hab's nur einst von meiner seeligen Mutter erfahren, und diese wußte es auch nur vom Hoͤrensagen, und so mag dann man- ches verlohren gegangen sein, was ich ihnen gerne erzaͤhlen wollte, wenn ich's recht zu erzaͤhlen wuͤßte. So viel ist gewiß, daß vor einigen hundert Jahren auf diesem Felsen ein schoͤnes Schloß stand, und darinne eine rei- che Edelfrau mit ihrer einzigen Tochter leb- te. Diese liebte einen jungen Herrn aus der Nachbarschaft, welchen die Mutter nicht lei- den konnte, und es daher nie erlauben woll- te, daß sie ihn heurathe. Aber die Tochter achtete der Mutter Verbot nicht, und ver- sprach heimlich ihrem Liebhaber, so lange sei- ner zu harren, bis die Mutter sterben wuͤrde. Kurz vor ihrem Tode erfuhr die Mut- ter dies Versprechen, sie ward aͤusserst daruͤber boͤse drohte der Ungehorsamen mit dem Fluche, und bat Gott inbruͤnstig, daß er ihn hoͤren, und der Tochter Brautbette in einen Stein verwandeln moͤge, wenn sie den jungen Ritter dahin fuͤhren wolle. Die Mutter starb, und die ehrvergeßne, ungehorsame Tochter reichte bald hernach ihrem Liebhaber die Hand. Sie feierten ihre Hoch- zeit mit großer Pracht auf dem Schlosse, wel- ches auf diesem Felsen stand. Wie sie um Mit- ternacht nach der Brautkammer gingen, hoͤrte die Nachbarschaft rings umher einen fuͤrchter- lichen Donnerschlag. Am Morgen war das schoͤne Schloß verschwunden, kein Weg und Steg fuͤhrte mehr nach dem Felsen. Die un- gehorsame Tochter saß ganz allein auf der Spitze desselben in dem steinernen Brautbette, welches man izt noch deutlich sehen und be- trachten kann. Kein Mensch konnte sie ret- ten, und jeder, welcher es wagen wollte, zu ihr hinauf zu klettern, stuͤrzte herab. Sie mußte ohne Huͤlfe auf diesem Felsen verzwei- feln und Hungers sterben. Ihren todten Koͤr- per frassen die Raben, und die Uhus schlepten ihre Gebeine in der Gegend umher, damit jedes ungehorsame Kind sich ein Beispiel neh- men, und den lezten Willen seiner Eltern gewissenhaft erfuͤllen moͤge. — — Aber diese allgemeine Volkssage, dies Maͤrchen, wie sie es zu nennen belieben, muß doch Deutung und Ursprung haben! sprach ich zum wuͤrdigen Amtmanne der Herr- schaft, bei welchem ich am Abende Gastfrei- heit genoß, und ihm die Erzaͤhlung des al- ten Muͤtterchens wiederholte. Ich zweifle, antwortete er laͤchelnd, doch will ich ihnen zu Gefallen unser bestaͤubtes Archiv durchstoͤbern, es ist reichhaltig an Nach- richten aus der Vorzeit, und da die Ge- schichtschreiber immer gewissenhaft anzeigen: Wie theuer man in jedem Jahre das Maas Korn, das Bund Knoblauch oder Zwiebeln bezahlte? so werden sie diese merkwuͤrdige Geschichte nicht vergessen haben, so werde ich gewiß etwas Aehnliches finden, wenn auch muͤndliche Sage und Erzaͤhlung das Ganze vergroͤssert und verunstaltet haͤtte. Beim Abschiede erinnerte ich ihn noch- mals an sein Versprechen, und erhielte nach Jahresfrist folgende Geschichte von ihm: Hugo und Kleta . I m Jahre 1316 wurde um die Zeit der Metten, die man am Feste des heiligen Ja- kobs betet, dem edlen und gestrengen Herrn Hanns von Ottenwald ein Toͤchterlein geboh- ren. Am Abende vorher begann die edle Frau die ersten Geburtsschmerzen zu fuͤhlen. Der Himmel war schoͤn und heiter, ehe aber die Mitternacht sich nahte, verfinsterten dun- kele Gewitterwolken die Sterne, der Sturm- wind saußte im Forste, und bruͤllte in den Hoͤhlen der Felsen. Uhue und Eulen flatter- ten am Fensterlein der Schlafkammer, und kraͤchzten fuͤrchterlich. Wie's im Forste noch immer tobte, der Blitz eine Eiche zerspaltete, und der Sturm- wind hohe Tannen entwurzelte, erblickte das Toͤchterlein das Licht der Welt, es war hold und schoͤn, die Mutter kuͤßte es mit In- brunst, der Vater nahm's wonnetrunken in seine Arme, Knechte und Maͤgde jubelten, nur der alte Vogt schlich traurend nach sei- nem Gemache, und bat Gott wehmuͤthig, daß des Fraͤuleins Lebenstage nicht seiner Ge- burt gleichen moͤchten, denn er war wohl er- fahren in mancherlei Deutungen, und hatte die Erfahrung gesammlet, daß Gewittersturm in der Stunde der Geburt auf mancherlei Un- gluͤck deute. Das edle Toͤchterlein gedeihte vortreflich, es wuchs zur mannbaren Jungfrau empor, und reizte Alt und Jung zur groͤßten Be- wunderung seiner Schoͤnheit. Gott hoͤrte das Flehen der Eltern nicht mehr, ihre Ehe ward in der Folge nicht mit mehrern Kindern ge- segnet, sie mußten sich mit dem Einzigen be- gnuͤgen, und liebten es mit groͤßter Zaͤrt- lichkeit. Edel- Edeldrud, so hieß die Jungfrau, ward fromm und tugendsam erzogen, sie konnte kraͤftige Morgen- und Abendgebete aus dem Stegreife sprechen, und wenn sie in der Ka- pelle vorbetete, so eilten alle Bewohner der Veste herbei, um nachzubeten, was ihr hol- der Mund so lieblich und andaͤchtiglich aus- sprach. Auf einem der nahen Felsen, welche sich, links und rechts der Veste, in großer Anzahl in die Hoͤhe thuͤrmten, hatte einer ihrer Vorahnen eine Kapelle zu Ehren der heiligsten Jungfrau erbaut. Dorthin wall- fahrtete sie oft mit ihrer Magd, und betete stundenlang, wenn ihr Vater in der Naͤhe jagte. Eben war sie siebzehn Jahr alt, als sie auch dahin wallfahrtete, und nicht wieder- kehrte, wie die Sonne sich schon hinter dem Forste versteckt hatte. Der besorgte Vater ging aus, um sie zu suchen, und fand sie Biogr. d. W. 3. B. U nicht in der Kapelle. Ihr Schleier hing un- fern davon an dem Aste einer Tanne, unter deren Schatten man viele Huftritte erblickte. Der arme Vater raßte, er sandte schleu- niges Aufgebot an alle seine Leibeigne, und irrte mit ihnen in der ganzen Gegend um- her, um sein einziges Kind zu suchen und zu finden. All seine Muͤhe war vergebens, er mußte heimkehren zur jammernden Mut- ter, und konnte ihr leidendes Herz mit kei- ner troͤstenden Nachricht erfreuen. Die schoͤne Edeldrud war verschwunden, keine Spur ver- rieth ihren Aufenthalt, keine Botschaft von ihr erquickte die trauernden Eltern. Ehe ein Jahr verging, toͤdtete der Jammer die ar- me, schmachtende Mutter, ihre lezten Wor- te waren Seegen uͤber ihre geraubte Tochter, wenn sie noch hienieden wallen sollte; ihr lez- ter Blick bewies es deutlich, daß sie solche dort zu finden, wenigstens wieder zu sehen hofte. Der alte Vater saß nun einsam auf sei- ner Veste, er haßte die Jagd, weil diese ihm einst allzu weit von seiner Tochter ent- fernt hatte, er haßte den Trunk, weil Edel- drud ihm nicht mehr den Becher kredenzte, er haßte Gelage und Gesellschaft, weil bei- des ihn hinderte, an sein geliebtes Kind zu denken, und ihrem Andenken eine Thraͤne zu weihen. Er sprach aͤusserst wenig, oͤfnete sein Thor keinem Freunde, keinem Fremden, und hofte, daß Kummer und Gram sein Meister- stuͤck bald vollenden, ihm gleich der Gattin zu seinen Vaͤtern versammlen wuͤrde. Sechs lange Jahre hofte er dies vergebens, denn sein starker Koͤrper trozte dem Leiden der Seele, er konnte ihn wohl beugen, aber nicht zerstoͤren. U 2 Einst saß er noch um Mitternacht ohne Schlaf in seinem Gemache. Alles ruhte, nur er nicht. Das Bild seiner geliebten Tochter stand lebhaft vor seiner Seele. Nur einmal wuͤnschte er sie noch zu sehen und an sein Herz zu druͤcken. Ein Gepolter, welches aus der Ferne ertoͤnte, weckte ihn aus seinem Tief- sinn, er oͤfnete das Fenster und horchte. Es klopfte anhaltend am aͤussersten Thore der Veste, es daͤuchte ihm, als ob ein Kind wei- ne, und eine unverstaͤndliche Stimme jam- mere. Er berief den Waͤchter, dieser hatte ein gleiches vernommen, und heischte des Burgherrn Rath: Ob er das Thor oͤfnen, oder nur Nachfrage halten sollte? Der Burgherr war noch unentschlossen, er ging mit dem Waͤchter hinab, und bestieg in seiner Gesellschaft die Mauer. Wer klopft bei so ungewoͤhnlicher Stun- de? fragte er, als das Klopfen sich erneu- erte. Jammernde, unverstaͤndliche Toͤne erklan- gen in der Tiefe, ein kleines Kind rief: Mach auf da! Mach auf! — — Der Waͤchter argwohnte Verraͤtherei, und widerrieths dem Burgherrn, als er die Bitte des Kindes erfuͤllen wollte. Er weckte die Knechte, sie zuͤndeten Fackeln, und senkten sie an einem Seile uͤber die Mauer hinab in die Tiefe, ihr Feuer verbreitete Licht umher. Eine edle Dame, an deren Guͤrtel viel- faͤrbige Steine glaͤnzten, deren Hals und Arm mit großen Perlen umwunden war, stand na- he am Thore, sie streckte ihre Haͤnde bittend in die Hoͤhe, und hob stillschweigend und jammernd ein kleines Kind empor, wenn man nach ihrem Namen und der Ursache ih- rer Ankunft forschte. Man sah in der Naͤhe und Ferne niemanden, argwohnte aber doch noch immer, weil die Dame keinem Rede stehen wollte. Schon bat der herbeigeeilte Vogt den Burgherrn, die Unbekannte bis am Morgen harren zu lassen, und wollte es ihr eben kund thun, als sie ihr flehendes Angesicht noch einmal zu ihm empor wandte. Er schau- derte zuruͤck. Gott und Marie! rief er aus, war dies nicht Jungfrau Edeldruds Blick? Ists nicht ihre ganze Gestalt? — — Wie der Burgherr, dessen Auge nicht mehr hell sah, diese Vermuthung hoͤrte, und einige der Knechte sie bestaͤtigten, da achtete er keines moͤglichen Verraths, eilte hinab von der Mauer, half selbst die Riegel zuruͤck- schieben, und zitterte und bebte, als die ed- le Frau mit ihrem Kinde herein, und zu sei- nen Fuͤssen niederstuͤrzte. Er hob sie ahndend empor, er druͤckte sie mit frohem Entzuͤcken an sein Herz, wie er sein einziges, sein ver- lohrnes Kind in ihr erkannte. Es ist unsre Jungfrau Edeldrud! murmelten einige der Knechte. Sie ist's! Sie ist's! jubelte end- lich die ganze Menge, und draͤngte sich lieb- kosend an ihre Seite. Sie riß sich mit einmal vom Halse des Vaters los, und uͤberblickte mit unruhigem, suchendem Blicke die Menge. Ha, ich verstehe! rief der Vater, ob dir dein Gefuͤhl gleich die Sprache geraubt hat, so spricht dein Blick doch deutlich. Du suchst deine Mutter? Sie ist nicht mehr hienieden, sie hinterließ dir Seegen in Fuͤlle, nimm ihn aus der Hand deines Vaters, und murre nicht mit Gott, da er dir diesen noch goͤnnte. Edeldrud sank wieder weinend und schluch- zend in die Arme des Vaters zuruͤck, er lei- tete sie nach dem Saale. Der Vogt trug das kleine Kind auf seinen Armen neben her, es spielte mit dem grauen Haare des Vaters, und fragte ihn mehr als einmal; Ob er es liebe? Wie sie im Saale anlangten, fuͤhrte sie der Vater zum Kredenztische, er schwenkte die Humpe, sie war noch halb gefuͤllt. Ge- liebte Tochter, rief er wonnetrunken aus, fuͤlle mir den Becher! Immer flehte ich zu Gott, daß er mir dies Gluͤck gewaͤhren solle, er hat mein Flehen erhoͤrt, ich will's genuͤs- sen! Edeldrud fuͤllte den Becher, Thraͤnen traͤufelten darein. Es sind Thraͤnen der Freu- de, es sind deine Thraͤnen, sie koͤnnen nicht schaden, sprach der Vater, und leerte den Becher. Izt, fuhr er fort, saͤttige aber auch meine Neugierde, die sich maͤchtig regt. Wo warst du diese lange Zeit? Wie kam dies Kind in deine Haͤnde. Ist's das deinige? O ich will's als Enkel an meine Brust druͤk- ken, und sollte es auch ein Bastard sein! Edeldrud hob das Kind weinend empor, und legte es in die Arme ihres Vaters. Ihr Blick suchte den Himmel, und blieb betend an ihm hangen. Das Kind hing sich an des Greises Hals, kuͤßte seine Wangen, und sprach schmeichelnd: Mir gut sein! Mich lieb haben! — — Der alte Vater fuͤhlte diese Bitte tief, und schloß es mit Vatergefuͤhl an sein Herz. Erzaͤhle, sprach er zu Edeldruden, erzaͤhle offen und aufrichtig, es wird Wollust fuͤr mein Herz sein, wenn es dir recht viel ver- geben kann! Edeldruds Blick sank zur Erde, ihr An- gesicht gluͤhte, Begierde nach Rache funkelte in ihrem Auge, sie oͤfnete ihren schoͤnen Mund, und deutete mit der Hand darauf. Mutter kann nicht reden, sprach das Kind, hat keine Zunge! Der alte Vater schauderte zuruͤck, alle Anwesende falteten die Haͤnde und staunten. Lange wagte es keiner, die schreckliche Muthmassung zu pruͤfen; endlich nahte sich der Vogt, und sah nun deutlich, daß der ungluͤcklichen Edeldrud die Zunge wuͤrklich zur Haͤlfte abgeschnitten, die Wun- de aber schon lange verheilt sei. Des Vaters Schmerz war groß und schrecklich, er zitterte und bebte, wenn er sich das Leiden der Ungluͤcklichen dachte; er wuͤthete, wenn er uͤberlegte, daß er nicht Rache nehmen koͤnne an dem Urheber dieser schaͤndlichen That. Die Nacht verfloß schlaf- los, alles jammerte, alles weinte und be- dauerte das harte Schicksal der Ungluͤcklichen. Nach manchen Fragen, die Edeldrud nur durch Zeichen beantworten konnte, ward dem Burgherrn kund, daß wahrscheinlich maͤchtige Raͤuber sie ehemals aus der Kapelle entfuͤhrt, und so schrecklich mißhandelt hatten. Wie aber in der Folge sich ihr hartes Schicksal ge- aͤndert, wie und durch wen sie die schoͤnen Kleider, den kostbaren Schmuck und die Edel- steine, welche sie am Haupte, Halse und Guͤrtel trug, erhalten hatte, konnte Edel- drud mit aller Muͤhe und Anstrengung keinem der Anwesenden begreiflich machen. Nur so viel erfuhren sie mit Gewißheit, daß das kleine Kind — ein schoͤnes, liebes Maͤd- chen — ihre Tochter, und sie aus einer wei- ten Ferne mit ihr bis hieher geflohen sei. Endlich goͤnnte der Vater seinem wieder- gefundenen Kinde Ruhe, er fuͤhrte sie nach ihrem ehemaligen Gemache; sie weinte sehr, wie sie es betrat, und kniete betend an ihr Lager. Am Morgen besuchte sie der Vater, er hatte die ganze Zeit sich mit seinem Vogte berathet, er hofte, durch wohlgeordnete Fra- gen mehreres Licht zu erhalten. Liebst du den Vater dieses Kindes? sprach er zu seiner Tochter. Edeldrud. (bekraͤftigte es mit den deutlichsten Zeichen.) Der Vater . War er dein Gatte? Wur- dest du auf rechtmaͤsige Weise mit ihm ver- heurathet? Edeldrud. (legte die Hand auf die Brust, und neigte ihr Haupt.) Vater . War er ein Ritter? Oder mehr noch, als ein Ritter? Edeldrud. (bejahte beide Fra- gen.) Vater . War er unter denen, welche dich mir raubten? Hatte er Theil an der schrecklichen That, die sie an dir uͤbten? Edeldrud. (verneinte diese Fra- ge.) Vater . Wurde er vielleicht dein Ret- ter? Edeldrud. (bestaͤtigte es mit gros- ser Freude.) Vater . Wo ist er? Lebt er noch? Edeldrud. (weinte, und gab durch Zeichen zu verstehen, daß sie das be- zweifle.) Vater . Wie ward'st du von ihm ge- trennt? Wie kamst du hieher? Edeldrud. (deutete auf ihr Kind, und suchte dem Vater begreiflich zu machen, daß dieses alles erzaͤhlen wuͤrde.) Der Vater verstand die Deutung, und bestuͤrmte nun das Kind mit vielen Fragen, aber seine Neugierde ward nur hoͤchst maͤßig befriedigt. Das muntere, geschwaͤtzige Maͤd- chen erzaͤhlte zwar vieles, aber doch nichts, was auf naͤhere Entdeckung haͤtte leiten koͤn- nen. Seiner Aussage nach lebte die Mutter mit dem Vater auf einer schoͤnen Veste, die ein praͤchtiger Garten umgab, in welchem sie oft spazieren gingen. Der Vater liebte die Mutter recht sehr, und diese liebte ihn auch recht sehr. Sie hatten viele Knechte, Diener und Maͤgde, und lebten froh und zufrieden, nur die Mutter weinte manchmal; wenn aber der Vater kam, da wischte sie schnell ihre Thraͤnen ab und laͤchelte. Einst gingen sie froͤlich schlafen. In der Nacht erwachte die Kleine, wilde Maͤnner standen mit Fackeln an ihrem Lager, rissen sie empor, und trugen sie nach dem Vorhofe. Die Mutter stand schon weinend und haͤnde- ringend unter einem Haufen anderer Maͤn- ner, welche das Kind nicht kannte. Die Veste stand in Flammen, den Vater sah man nicht. Andere Fremde brachten Rosse herbei, die Mutter mußte eines derselben besteigen; viele Reuter umgaben sie, einer derselben reichte der Mutter das Kind. Lange, lange zogen sie vorwaͤrts, muß- ten oft im Forste schlafen, dann und wann auch hungern. Ehe die Sonne am Tage zu- vor unterging, kamen sie in eine wilde Ge- gend, wo man nichts als Felsen und Steine sah; die Mutter weinte viel. In der Nacht erwachte das Kind auf dem Arme der Mut- ter, diese lief schnell und eilend, sprang wie ein Reh uͤber Steine und Felsen hinweg, und langte endlich am Thore der Veste an, wo sie heftig klopfte, und dem Kinde durch Zei- chen zu verstehen gab, daß es rufen moͤge: Wer sein Vater war? Wie er sich nenne? In welchem Lande sie wohnten? konnte das Kind nicht erzaͤhlen. Da der Haufe, welcher nach der Aussage des Kindes seine Mutter so lange gefangen mit sich fuͤhrte, wahrscheinlich nahe der Ka- pelle gelagert hatte, aus welcher ehemals Edeldrud geraubt wurde, so sandte der Va- ter sogleich den Vogt mit einer Menge Reisi- gen aus, um diesen auf die Spur zu kom- men, und so die moͤgliche Entdeckung zu foͤr- dern. Aber dieser kehrte schon am Abende mit der Versicherung zuruͤck, daß er zwar die Staͤt- te ihres Lagers zwischen den Felsen entdeckt, aber die weitere Spur verlohren habe. Wie ich aber, erzaͤhlte er weiter, beim Ruͤckzuge in der Kapelle betete, und eures Jammers lebhaft gedachte, da gab mir sonder Zweifel Gott Gott einen Rath ein, der euch, wenn ihr ihn nuͤtzen wollt, dem Endzwecke naͤher fuͤhren wird. Beruft einen gelehrten Moͤnch aus dem nahen Benediktiner Kloster, lohnt ihn gut, damit er der gestrengen Frau die Kunst zu schreiben lehre, sie wird dann ihm alles kund machen koͤnnen, was sich mit ihr zugetragen hat, und ihr werdet es durch ihn wieder er- fahren. Der alte Vater ergrif diesen Rath mit vie- len Freuden, er that ihm seiner Tochter kund, und diese aͤusserte große Begierde, diese Kunst bald zu erlernen. Schon am andern Morgen erschien der Moͤnch, und gelobte, binnen Jahr und Tag der edlen Frau die Schreibekunst vollkommen zu lehren. Alles harrte dieser Zeit mit Be- gierde entgegen, ehe aber noch Edeldrud die Buchstaben nachmahlen konnte, warf Alter, Biogr. d. W. 3. B. X und wahrscheinlich auch innerer Kummer, den Vater aufs Krankenlager, er bestellte sein Haus, sezte sein ungluͤckliches Kind zum Er- ben seiner Guͤter ein, und schied mit der sichern Hofnung, daß ihm dort Aufklaͤrung werden, und der Ewige die Rache an dem ruchlosen Thaͤ- ter selbst uͤben werde, die er hier nicht vollen- den konnte. Edeldrud trauerte tief und lange am Gra- be ihres Vaters, sie legte die Trauerkleider nie mehr ab, und ging immer als eine tiefge- beugte Witwe umher. Sie ließ ihre Veste stets sorgfaͤltig bewachen, und das Thor der- selben keinem Fremden oͤfnen. Wie ihr bald hernach der Vogt kund machte, daß er im For- ste einen Haufen Reisige getroffen habe, die ihm nicht Rede stehen wollten, so duͤnkte sie sich auf der Veste nicht mehr sicher, sammlete ihre Schaͤtze, und zog mit ihrer Tochter, wel- che sie innig liebte, gen Regensburg, wo sie sich ein Haus miethete, und aͤusserst einsam lebte. Der alte Moͤnch ward ihr lieb und theuer, sie ernannte ihn zu ihrem Kaplan, nahm ihn mit sich, und lernte bald die damals noch so seltne Kunst, sich durch geschriebne Buchstaben verstaͤndlich zu machen. Er ward in der Folge ihr Dollmetscher, und erklaͤrte dann immer, was sie einem oder dem andern sagen wollte. Auch ihrer Tochter, welche sich Kleta nann- te, mußte die Schreibekunst lernen, und da sie einsah, daß dies das einzige Mittel sei, mit ihrer Mutter sprechen zu koͤnnen, so er- warb sie sich bald so große Fertigkeit darinne, daß sie, nach der Versicherung des Moͤnches, nicht allein sehr schoͤn, sondern auch fertiger, als mancher gelehrte Mann schreiben konnte. X 2 Wie Kleta die Jahre des Maͤdchens ver- ließ, in den Stand der Jungfrauen trat, nach- zudenken und zu uͤberlegen begann, heischte sie oft von ihrer Mutter die Erklaͤrung ihres ehe- maligen wunderbaren Schicksals, aber die Mutter erwiederte allemal, daß dieses ihr izt noch nicht Frucht bringe, mehr Schaden als Nutzen verursachen koͤnne. Ich will, schrieb sie ihr einst mit Thraͤ- nen, dies Geheimniß nicht mit in mein Grab nehmen, du wirst die ganze Erzaͤhlung mei- nes aͤusserst grausamen Schicksals nach meinem Tode in meinem Kleinodienkaͤstchen verwahrt finden. Bis dahin erlaube mir aber zu schwei- gen, denn es wuͤrde mir aͤusserst wehthun, wenn ich durch aͤchte Erzaͤhlung zwar dein Mitleid reitzen, vielleicht aber deine Liebe vermindert sehen muͤßte. Es fiel mir schwer, meinen Vater todt zu sehen, aber ich wuͤrde noch weit staͤrker an seinem Grabe gejammert haben, wenn mich nicht die frohe Hofnung, daß nun das Bekenntniß meines Schicksals niemand mit Gewalt fordern koͤnne, getroͤstet haͤtte. Bedenke dies, und ehre meinen Kum- mer. Kleta thats, und hielte redlich Wort, sie forschte nie mehr darnach, und glaubte izt, was der Moͤnch ihr so oft gesagt hatte, daß die Mutter ihn noch nie zum Vertrau- ten ihres Geheimnisses gemacht habe. Edeldrud lebte zu Regensburg sehr ein- gezogen, sie konnte mit niemanden sprechen, und suchte daher jede Gesellschaft zu vermei- den. Da ihr Haus ganz einem Kloster glich, und sie nur taͤglich mit verschleiertem Ange- sichte nach der Kirche ging, so nannte man sie nur die fromme Stumme. Viele glaub- ten, daß sie wuͤrklich stumm sei, nur we- nige wußten es, daß sie durch einen unbe- kannten Zufall ihre Zunge verlohren habe. Als Kaiser Ludwig von seinem ungluͤck- lichen Zuge aus Italien nach Deutschland ruͤckkehrte, und mit seiner Hofstatt in Re- gensburg einige Zeit weilte, war Kleta eben siebenzehn Jahr alt geworden. Alle, die sie sahen und kannten, lobpreißten ihre ausseror- dentliche Schoͤnheit, und behaupteten einstim- mig, daß noch keine schoͤnere und reitzendere Dirne in dieser Stadt gelebt habe. Dieser Ruf, welcher schon allgemein war, ehe der Kaiser anlangte, verbreitete sich bald am Hofe des- selben. Die jungen Ritter wuͤnschten diese Perl der Schoͤnheit naͤher zu sehen; sie schli- chen an ihrem Hause voruͤber, und sammle- ten sich in der Kirche, wo sie betete. Wann dann Kleta etwan ans Fenster trat, oder in der Kirche ihren Schleier luͤftete, so war's, als wenn die Sonne aufging, aller Augen wandten sich nach ihr, und verehrten sie. An der Spitze aller, welche Kletas große Schoͤnheit verehrten, und nach einem Blicke ihrer schoͤnen Augen geizten, stand Hugo von Immenthal, ein schoͤner, holder Juͤngling. Er war mit dem Kaiser nach Italien gezo- gen, hatte sich durch emsige Dienste, durch seltne Treue bei ihm so beliebt und angenehm gemacht, daß er ihn, gleich seinem Sohne, liebte, und immer an seiner Seite gehen ließ. Alle wichen ehrfurchtsvoll zuruͤck, als sie sa- hen, daß des Kaisers Liebling Kletas Schrit- ten eifrig folge, und offen erklaͤrte, daß er diese Jungfrau als Weib heimzufuͤhren wuͤn- sche. Durch rastloses Bestreben hatte er Kleta aufmerksam gemacht. Wenn er auf seinem schwarzen Streitrosse die Strasse herauf trab- te, so trat sie immer ans Fenster, und laͤ- chelte vergnuͤgt, wenn das gereizte Roß den festen Reiter herabwerfen wollte, und doch nicht konnte. Wenn sein Sporn hinter ihr in der Kirche klirrte, so luͤftete sie stets den Schlei- er, und weilte oft lange mit ihrem Blicke auf ihm. Dies war aber auch alles, was er durch volle zwei Monden, von welchem jeder Tag seine Liebe mehrte, gewinnen konnte. Die Ehrfurcht erlaubte es ihm nicht, die Mutter sammt der Tochter auf der Strasse oder in der Kirche anzureden, und wollte er es wagen, unter irgend einem erdichteten Vorwande in ihr Haus einzudringen, so ward er immer mit der Versicherung zuruͤckgwiesen, daß keinem Ritter der Eingang offen stehe. Jeder, mit welchem er sprach, kannte die schoͤne Kleta, aber keiner unter allen hatte Zutritt in ihrem Hause, oder war faͤhig, ihm solchen zu bewuͤr- ken. Wie schon namenlose Liebe an seinem Her- zen nagte, er in mancher durchwachten Nacht hundert Plane entwarf, von welchen er am andern Tage keinen ausfuͤhrbar fand, machte ihm der Kaiser kund, daß er zur Uebung sei- ner Ritter ein Turnier feiern wolle, welches glanzvoll und praͤchtig beginnen, und zehn Tage lang dauern sollte. Hugos Herz ward durch diese Nachricht hoch erfreut, die immer thaͤtige Liebe zeigte ihm in diesem Augenblicke Moͤglichkeit und Hof- nung. Er fragte: Ob der Kaiser alle edle Jungfrauen der Stadt zum Feste laden wuͤrde, und bat, als dieser es bewilligte, der Herold dieser kaiserlichen Gnade werden zu duͤrfen. Die Bitte ward bewilligt, schon am an- dern Morgen zog er mit kaiserlichem Geleite durch die Strassen, um alle edle Jungfrauen zu laden. Kletas Wohnung war ganz natuͤr- lich eine der ersten, welche er besuchte. Ich komme im Namen des Kaisers, sprach er zum Thuͤrsteher, und dieser oͤfnete nicht allein ehr- erbietig das Thor, sondern ging auch, seiner gestrengen Frau Botschaft zu bringen. Hugo harrte nicht lange, man fuͤhrte ihn nach einem Gemache, wo er Mutter und Tochter an einem Strickrahmen fand; er gruͤß- te die erstere mit Ehrfurcht, und erklaͤrte der leztern des Kaisers Einlandung mit stamm- lenden Worten. Kletas Wange hatte sich hoch geroͤthet, als sie den Ritter erblickte; sie bleichte izt maͤchtig, als sie seine Bothschaft hoͤrte, und nicht wußte, wie sie solche be- antworten sollte. Sie blickte ihre Mutter an, und heischte Rath und Unterricht. Edeldrud ergrif den Griffel, schrieb ihr einige Worte auf die Schiefertafel, Kleta laͤchelte, und antwortete izt dem Ritter, daß sie die hohe Ehre des Kaisers schaͤtze, und seinem Befehle gemaͤß beim Feste erscheinen werde. Hugo dankte, zoͤgerte so lange, als moͤglich, bewunderte die schoͤne Arbeit der noch schoͤnern Haͤnde, und ging endlich, weil er des Wohlstands wegen nicht laͤnger blei- ben konnte. Kleta begleitete ihn bis an die Stufen der Treppe, er stammlete einige Wor- te der tiefsten Verehrung; die Jungfrau laͤ- chelte, und stand noch an der Treppe, wie er schon wieder auf seinem Rosse saß. Wie sie ins Gemach ruͤckkehrte, fand sie ihre Mut- ter in Thraͤnen, sie forschte nach der Ursache, und fragte offenherzig: Ob sie sich vielleicht nicht geziemend betragen, sie durch irgend etwas beleidigt habe? Die Mutter trocknete ihre Thraͤnen, und versicherte, daß diese nur einer traurigen Ruͤckerinnerung wegen floͤssen. Du hast, schrieb sie, dich wohl und anstaͤndig betragen. So sehr ich's wuͤnschte, konnte ich doch die Einladung nicht ablehnen. Es ist eine große Ehre, in Turnierlogen Sitz nehmen zu duͤr- fen; wer sie ausschlaͤgt, beweißt deutlich, daß er sie nicht verdient. Waͤrst du einige Jahre aͤlter, so wuͤrde mir diese Einladung aus mancher Ruͤcksicht willkommen sein. Viele Jungfrauen sahen im Turniere ihren kuͤnfti- gen Gatten. Kummer und Jammer haben mich zum Grabe reif gemacht, ich wuͤrde aͤus- serst schwer sterben, wenn ich dich an meinem Sterbelager ohne Stuͤtze erblicken muͤßte. Vielleicht ist mein Ende naͤher, als ich glau- be, vielleicht ist es Gottes Fuͤgung, ich will ihr nicht vorgreifen. Die Anstalten zum herrlichsten Turniere, welches jemals gefeiert wurde, begannen nun mit vollem Ernste, selbst Edeldrud war ganz damit beschaͤftigt. Ihr Herz hing ganz an dem einzigen Kinde, sie wuͤnschte, daß es glanzvoll erscheinen moͤge, und oͤfnete ihr Schmuckkaͤstchen, um Kletas Guͤrtel und Wams reichlich zu zieren. Hugo trabte unter dieser Zeit taͤglich an Kletas Hause voruͤber, er traf sie immer am Fenster, und ward von ihr stets freundlich gegruͤßt. Sein Herz hofte, und war izt thaͤtiger, als vorher. Noch hatte der Kaiser keine der edlen Jungfrauen bestimmt, welche nach Sitte und Gebrauch den Preiß austheilen sollte; er war sogar verlegen, welche er waͤhlen wuͤrde, weil unter allen Geladnen sich keine befand, die ihres vorzuͤglichen Ranges wegen diese Ehre mit Recht fordern konnte. Gnaͤdiger Herr, sprach Hugo, laßt das Loos entschei- den. Sind die Jungfrauen versammlet, so zaͤhle ich ihre Menge, thue eben so viel sil- berne Kugeln, unter welchen sich nur eine einzige goldene befindet, in einen Beutel, laß dann jede ziehen, und ihr ernennt die- jenige als Preißgeberin, welche die einzige goldene erhaͤlt. Dem Kaiser behagte dieser Vorschlag sehr, er billigte ihn ganz, und Hugo erhielt den Auftrag, alles noͤthige zu besorgen. Schon einige Tage vorher, ehe das Fest begann, zogen aus der Naͤhe und Ferne die aufgebot- nen Ritter herbei, jeder fuͤhrte Reisige und Knappen hinter sich, der Tritt der stolzen Rosse ertoͤnte Tag und Nacht in den Stras- sen, die ganze Stadt glich einem Turnier- platze. Am fruͤhen Morgen des Festes zogen die zwoͤlf Ehrendamen, welche die Schaar der edlen Jungfrauen zu leiten und zu fuͤhren verordnet waren, durch alle Strassen der Stadt, und sammleten die Geladnen hinter sich. Wie sie an Kletas Wohnung anlangten, und der Herold ihre Gegenwart durch lauten Trompetenruf verkuͤndigte, seegnete Edeldrud ihre Tochter, und sandte sie hinab. Lautes Flistern durchlief die Menge, wie sie am Thore erschien; unwillkuͤrliches Staunen und tiefe Ehrfurcht fesselte alle, wie sie ihren milch- weissen Zelter bestieg, und zwoͤlf in Scharlach gekleidete Diener sich hinter ihr auf ihre Rap- pen schwangen. Kleta trug einen Rock und Wams von dichtem, purem Goldstuͤcke, ihr schwarz samt- ner breiter Guͤrtel war mit Edelgesteinen ein- gefaßt, in seiner Mitte schlaͤngelte sich eine Schlange von bunten Edelsteinen rings um ihren Koͤrper. Ihr schwarzes Haar war mit grossen Perlen behangen, welche nachlaͤssig auf die Arme herabsanken, und diese bis an die Haͤnde dicht umschlungen. Ihr aufgeschuͤrzter Schlepp war von schwarzem Sammet, welchen goldne Spangen faßten, und dessen Saum ebenfals viele Edelsteine zierten, selbst an ih- ren Halbstiefeln und an der Decke ihres Zel- ters erblickte man diese Steine im Ueberflusse. Sie glich einer Koͤniginn, welche im Trium- phe durch die Stadt zog; alle Zuschauer nann- ten sie die Sonne, und achteten die uͤbrigeu nur als ihre Trabanten. Selbst der Kaiser erstaunte ob ihrer Pracht und Schoͤnheit, als er den Zug von seinem Erker uͤberblickte, und forschte begierig nach ihrem Stand und Namen. Wie alle Jungfrauen im Saale versamm- let waren, trat Hugo mit dem Beutel, wel- cher die Kugeln enthielt, in ihre Mitte. Freu- de und Wonne glaͤnzte in seinem Gesichte, der Listige war seines Wunsches, seiner geheimen Absicht gewiß. Er hatte sich einen Sack ver- fertigen lassen, den eine Scheidewand an einer Ecke theilte, im grossen Raume lagen die sil- bernen, im abgetheilten die einzige goldne Ku- gel, er druͤckte diesen zu, so lange andere griffen, er oͤfnete ihn, und verbarg jenen, als Kleta mit zitternder Hand hinein grif. Ihre Wangen roͤtheten sich hoch, und aller Uebrigen bleichten maͤchtig, wie sie in ihrer Hand die goldne Kugel erblickten. Niemand ahndete die List, List, nur der Kaiser fragte seinen Liebling laͤchelnd: Wie's moͤglich sei, daß das blinde Loos diesmal so hell gesehen habe? Hugo fuͤhrte nun Kleta, als Koͤnigin des Turniers, in die Schranken, und von dort unter den reichgestickten Baldachin, welcher ihren erhabnen Sitz deckte. Er war vorbe- reitet auf diesen Gang, und suchte ihn nach Kraͤften zu nuͤtzen. Schoͤne Preisgeberin, sprach er kuͤhn und doch zagend, wuͤrde es euch wohl verdruͤssen, wenn ich mich euch als Sieger nahte, und den Preis von euch for- derte? Kleta . Wie waͤre dies moͤglich? Es wuͤrde mich im Gegentheile sehr freuen, wenn ich die Gluͤckliche waͤre, welche eure Tapfer- keit kroͤnen koͤnnte. Biogr. d. W. z. B. Y Hugo . Und wuͤrde der vom Kaiser be- stimmte goldne Helm der einzige Lohn sein, welchen ich aus eurer Hand erhielte? Kleta . Ich verstehe euch nicht. Hugo . Wuͤrde nicht wenigstens ein lieb- voller Blick mir den Preiß unschaͤtzbar ma- chen? Mich nicht mit der Hofnung staͤrken, daß unendlich groͤsserer Lohn in der Hand der Geberin ruhe, mir vielleicht einst werden koͤnne? Kleta. (unschuldig und gut) O ich versichere euch, daß ich euch unter allen Rittern den Preiß am willigsten goͤnne, und euch willig, wenn's in meiner Macht stuͤnde, hoͤher als der Kaiser lohnen wollte. Hugo . O dann wollte ich selbst mit dem Satane kaͤmpfen, und ihn uͤberwunden zu euern Fuͤssen schleppen, damit er das Mei- sterstuͤck der Schoͤpfung knirschend bewundre, und den Gluͤcklichsten unter den Sterblichen beneide! Der Kampf auf Stich und Hieb, auf Beil und Kolbenschlag dauerte zehn Tage lang. Hugo trat in dieser Zeit vierzigmal in die Schranken, und verließ sie immer als Sieger. Nur einmal wankte er maͤchtig, wie ein eisenfester schwaͤbischer Ritter die Lanze an seinem Harnische zerbrach. Kleta schrie laut auf, wie er vom Rosse zu sinken droh- te, aber Hugo ermannte sich schnell, sezte eine neue Lanze ein, und der Ritter schnell- te in Sand herab. Den heutigen Sieg dan- ke ich euch, sprach er zu Kleta, wie er sie am Ende des Spiels die Stuffen herabfuͤhr- te, ich hoͤrte eure Theilnahme, und fuͤhlte mich staͤrker, als je. Kleta druͤckte unwill- kuͤhrlich seine Hand, und gestand ihm offen, daß sie noch vom jaͤhen Schrecken zittere, und Y 2 es gerne sehen wuͤrde, wenn er sich kuͤnftig nicht immer an den staͤrksten wage. In den Tagen des Kampfes wurden keine Freudenfeste gefeiert, die Kaͤmpfenden bedurf- ten der Ruhe. Die Jungfrauen zogen immer unter der Obhut ihrer Ehrendamen wieder heim, und mußten, bis nach entschiednem Siege, der kuͤnftigen Feste und des damals so beliebten Reihentanzes harren. Kletas Mutter laͤchelte zufrieden und stolz, wie ihr kund ward, daß ihre Tochter die Koͤnigin des Festes sei. Das Loos war gerecht, schrieb sie im Taumel der Freude auf die Tafel, deine Geburt berechtigt dich zu dieser Ehre, du verdienst sie wuͤrklich. Kleta forderte naͤhere Erklaͤrung uͤber diese dunkle Rede, aber Edeldrud wischte die Worte schnell hinweg, und trat mit nassem Blicke ans Fen- ster. Kleta hatte von fruͤher Jugend an ihre Tage in stiller Ruhe durchlebt, izt war sie mit einmal ins bunte Hofgewuͤhle verwickelt worden, sie taumlete, gleich einer Traͤumen- den, darinne umher, es war ihr weh und wohl ums Herz. Weh, wenn die Hunderte alle nach ihr hinstarrten; wohl, wenn sie un- ter den Hunderten den tapfern Hugo erblickte, dessen reizende Gestalt ihr immer mehr be- hagte, dessen Tapferkeit sie immer staͤrker bewunderte. Sein Bild wanderte auch mit ihr ins ruhige Gemach, oft sah sie ihn in Augenblicken der erhizten Einbildungskraft nahe vor ihrem Sitze stehen, und fuhr so rasch empor, daß die Mutter sorgfaͤltig nach der Ursache forschte. Gern haͤtte sie ihr solche gestanden, wenn nicht immer geschaͤftige Die- nerinnen gegenwaͤrtig gewesen waͤren, welche den Putz des kuͤnftigen Tages ordneten, und das Gestaͤndniß hinderten. Der eilfte Tag erschien nun, und mit ihm die Stunde, in welcher die Kampfrichter den Tapfersten nennen, und Kleta ihm den Preiß reichen sollte. Sie war diesmal in weisse und himmelblaue Seide gekleidet, und glich voll- kommen einer Huldgoͤttin, welche von hoͤhern Gefilden herabsteigt, um den Menschen be- greiflich zu machen, daß es noch schoͤnere We- sen, wie er, giebt. Die Ritter standen in dichtem Haufen an den Schranken, in welchen die Richter sassen, sie erkannten einstimmig den Hugo von Immenthal fuͤr den tapfersten. Der Herold rief seinen Namen aus, er trat mit entbloͤßtem Haupte aus dem Haufen her- vor, die Jungfrauen warfen Blumen und Kraͤnze auf ihn herab, er dankte, aber sein Blick hing an Kleta, die mit zitternder Hand den Helm hob, und ihn gegen ihn ausstreckte. Du warst der Tapferste, sprach sie mit stammelnder Stimme, du verdienst den er- sten Preiß und Dank! Mit diesem Helme lohnt dich der Kaiser, welcher den Tapfern liebt. Mit diesem Kusse (sie zoͤgerte, und sank endlich an seine Wangen) mit diesem Kusse lohne ich dich im Namen aller edlen Jungfrauen, welche den tapfern Juͤng- lingen hold sind! Jubelgeschrei und Trompetenklang ertoͤn- te weit und breit umher, viele Ritter wuͤnsch- ten sich an Hugos Stelle, mehrere Jungfrau- en neideten Kletas Gluͤck, alle glaubten aber einstimmig, daß Hugo einen doppelten Preiß, des Kaisers Helm und Kletas Herz, erhal- ten habe. Hugo glaubte dies auch mit won- nevollem Entzuͤcken, und muͤhte sich aͤusserst, seinen Glauben durch frohe Hofnung, durch naͤhere Gewißheit zu staͤrken. Er saß bei der Tafel ihr zur Seite, er eroͤfnete an ihrer Hand den Siegesreihen, und Kleta stammle- te ihm Liebe, als er sie einst nach einem Er- ker fuͤhrte, und, vom Tanz und Liebe er- hizt, Entscheidung seines Gluͤckes von ihr heischte. Der beobachtende Kaiser sah seines Lieb- lings Gluͤck, und goͤnnte es ihm vom Herzen. Auch ihm behagte Kletas Gestalt und Betra- gen, nicht Juͤnglingsliebe, nicht Wallung der Wollust zog ihn nach ihr hin; er wußte sich die Neigung selbst nicht zu erklaͤren, sie glich der Liebe eines Vaters, welcher ein verlohrnes, lang entbehrtes Kind unverhoft wiederfindet. Er sprach oft mit ihr, und forschte einst mehr, als gewoͤhnlich, nach ihres Vaters Namen. Kleta achtete es fuͤr ungerecht, dem Kaiser irgend etwas zu verschwei- gen; er hoͤrte mit sichtbarer Ruͤhrung zu, kuͤßte am Ende mit thraͤnendem Auge Kletas Stirne, und versprach, des Ehestens ihre Mutter zu besuchen. Die Tage des Festes flossen schnell vor- uͤber, denn nichts rauscht schneller, als Ge- nuß der Freude. Kleta fuͤhlte sich ungluͤck- lich, als sie wieder in der muͤtterlichen Woh- nung eingeengt war, nicht mehr am Arme des Geliebten die bunten Reihen durchfliegen, sticken oder weben sollte. Ihr geliebter Hugo hatte ihr beim Abschiede versprochen, am fol- genden Tage vor dem muͤtterlichen Hause zu erscheinen, und wuͤrde er eingelassen, bei der Mutter um der Tochter Hand zu werben. Kleta achtete es fuͤr noͤthig, die gute Mut- ter darauf vorzubereiten; sie zoͤgerte lange, endlich begann sie doch. Liebe Mutter, sprach sie stotternd und mit gesenktem Blicke, ihr habt wahrgespro- chen! Das Turnier, die Ehre, welche ich auf diesem genoß, scheint Gottes Fuͤgung zu sein. Hugo von Immenthal erhielte den Preis! Ach! ihr haͤttet nur sehen sollen, wie tapfer er kaͤmpfte! Er ist des Kaisers Lieb- ling! Sein Vater war ein edler, aber auch armer Ritter! — — Dies hat der Kaiser erwogen und den tapfern Sohn mit vielen Guͤtern belehnt, mit noch mehrern be- schenkt! — — Er ist izt wohlhabend und reich! Er koͤnnte zehn Weiber anstaͤndig er- naͤhren. — — Die Mutter. (laͤchelnd, diese und alle folgende Reden schreibend) Was willst du mit allen diesen Reden sagen? Kleta . Je nun! (stotternd) Ich wollte nur — — Wie ich ihm den Preis reichen, und im Namen aller Jungfrauen kuͤssen mußte — — da — dachte ich eurer Rede, und da — — Wie wir einst den Rei- hen getanzt hatten, und ich im Erker Luft sammlete, da trat er zu mir — — da frag- te er mich, drang nngestuͤm — — Nein, nicht ungestuͤm, aber doch auch heftig in mich, und da dachte ich wieder an eure Wor- te, und — — und — — versteht ihr mich denn nicht, Mutter? — — Mutter. (laͤchelnd) O! nur allzu gut! Du liebst! Kleta . Wenn dies Liebe ist — — und freilich — — was kann es anders sein? — — Ihr moͤgt wohl recht haben — — Aber dann liebt er mich auch, recht sehr liebt er mich! — — Er will bei euch um mich wer- ben — — vielleicht heute noch! Ihr werdet ihn doch nicht abweisen? — — Der Kaiser billigt seine Wahl, auch er will ihm sein Vorwort verleihen, und den Kaiser, Mut- ter, den Kaiser duͤrft ihr nicht beleidigen. Er ist so lieb, so gut! Er sprach oft mit mir. Er nannte mich seine Tochter, und Thraͤnen glaͤnzten in seinem Auge, wenu er mich so nannte. Er wird euch naͤchstens heimsuchen, er hat's mir versprochen; er haͤtte viel mit euch zu reden, sagte er einige mal, und hofte, Freude und Trost bei euch zu finden. Die Mutter. (weinte heftig) Kleta . Ihr weint auch? Darf Hugo nicht erscheinen, wenn er kommt? Die Mutter . Er darf! Ich will ihn kennen lernen, und entspricht er meiner Er- wartung, so will ich deine Liebe nicht hin- dern, sondern vielmehr foͤrdern — Mein Ende naht sich, ich fuͤhl's zu deutlich! Du bedarfst eines Gatten! Ich werde vergnuͤgt sterben, wenn ich dich an meinem Lager in seinen Armen erblicke. Kleta. (voll Freude.) Ihr wollt ihn also sehen, sprechen, kennen lernen? O das habt ihr ja schon! War er nicht neu- lich schon bei euch? Brachte er nicht die Ein- ladung zum Turnierfeste? Die Mutter. (hastig) Dieser ist's? Dieser ist Hugo von Immenthal? Kleta . Ja! Ja! dieser ist's? Die Mutter. (immer hastiger) Der Ritter mit dem rollenden, schwarzen Auge? Mit der gebognen Habichtsnase? Kleta . Ja, der Ritter mit dem schoͤ- nen Auge, mit der aͤchten Heldennase! Die Mutter. (stuͤzt ihren Arm auf den Tisch, verdeckt mit der Hand ihr Gesicht, nach langem Kampfe) Ich will ihn noch einmal sehen, aber dann — — Liebe Tochter, wenn ich's hindern muß, so mußt du unbedingt folgen! Kleta . Das waͤre schrecklich! — — Die Mutter . Schrecklich, aber du mußt! — — Der lange Morgen floß nun still und traurig voruͤber. Edeldrud saß mit starren Blicken auf ihrem Sitze, Thraͤnen schlichen oft uͤber ihre bleichen Wangen herab. Kleta schlich zagend und bangend im Gemache um- her, blickte nach ihrer Mutter, hofte, wuͤnsch- te und ahndete. Sie eilte zitternd ans Fen- ster, wenn auf der Strasse Huftritte ertoͤn- ten, sie wankte traurig zuruͤck, wenn ein fremder Ritter voruͤberzog. Wie Nachmittags die Diener die unbe- ruͤhrten Speisen wieder abgetragen hatten, meldete einer derselben den Ritter Hugo von Immenthal. Die Mutter schauderte hoch em- por, Kleta zitterte und bebte; endlich wink- te Edeldrud, und er ward vorgelassen. Ihr Blick starrte nach ihm hin, wie er eintrat; sie verhuͤllte ihr Gesicht, wie er naͤher kam. Hugo staunte ob des Empfanges, er blickte nach Kleta hin, welche ihn zu troͤsten wuͤnsch- te, aber nicht troͤsten konnte. Endlich faßte sich Edeldrud, sie nahm den Griffel in die Hand, und schrieb die Frage auf: Wie nann- te sich euer Vater? Hugo konnte nicht le- sen, Kleta mußte die Frage erklaͤren. Mein Vater, sprach Hugo standhaft, war einer der unschuldigen Edlen, welche man faͤlsch- lich der Theilnahme an Kaiser Albrechts Mord beschuldigte, er nannte sich Otto von Farwangen — — Wie er diese Worte ausgesprochen hatte, sprang Edeldrud von ihrem Sitze empor, sie starrte fuͤrchterlich nach Hugo hin, sie winkte mit der Hand, wollte gehen, vermochte es nicht, und stuͤzte sich auf ihre Tochter. Da sie immer nach dem andern Gemache zu ge- hen wuͤnschte, so leitete sie Kleta endlich da- hin. Hugo stand lange staunend und harrend im Gemache, endlich meldete ihm eine Die- nerin, daß die edle Frau ihn heute nicht sprechen koͤnne, aber morgen um diese Zeit ganz gewiß wieder hier zu sehen wuͤnsche, viel mit ihm zu sprechen habe. Er ging hoffend hoffend und fuͤrchtend, denn er liebte Kleta unaussprechlich, konnte sich ohne ihren Besitz kein Leben mehr denken. Eben so ergings der gleich stark lieben- den Kleta, sie stand weinend an ihrer Mut- ter Seite, welche einen fuͤrchterlichen Kampf zu kaͤmpfen schien, bald ihre Arme mit Em- pfindung der Freude und Sehnsucht ausstreck- te, bald wieder schaudernd zuruͤcksank, und ihr Gesicht verhuͤllte. Als es schon Mitter- nacht war, und Kleta immer noch an ihrem Lager wachte, forderte sie den Griffel, und schrieb folgende Worte auf: Arme Kleta, ich bedaure dich, du kannst, du darfst nie Gattin des Hugo von Immen- Biogr. d. W. z. B. Z thal werden! Entsage dieser Liebe, die ich nicht billigen kann. Naͤhre sie nicht mit der Hofnung, daß mein Tod dir freie Wahl gewaͤhren wird. — — Ich muß sie dir rau- ben, muß alles verhindern, da ich noch lebe. Der Mutter Fluch ist schrecklich, geht immer in strenge Erfuͤllung! Er wuͤrde dich tausend- faͤltig treffen, wenn du mein Gebot verach- test! Kleta! Kleta! wenn du dies vermoͤch- test, dann wuͤrde ich noch in der Ewigkeit die Stunde verwuͤnschen, in welcher ich dich gebahr, und mit Gott rechten, warum er mir ein so ungehorsames Kind schenkte. Kleta! Kleta! wenn du mit ihm zum Al- tare wandelst, so wird der Priester Fluch, statt Seegen, uͤber euch aussprechen, wenn du ihn als Gatte in deine Kammer fuͤhrst, so moͤge dein Brautbette sich in Stein, und die weichen Pfuͤhle desselben in ein brennen- des Schwefelbad verwandeln! Schaudre zu- ruͤck vor diesem Fluche, und erinnere dich dessen all dein Lebelang! — — Schrecklich! Schrecklich! schrie die geaͤng- stigte Kleta, wie habe ich dies verdient, daß meine gute Mutter mir mit dem Fluche droht, mit einmal mich so graͤnzenlos un- gluͤcklich macht? Daruͤber, schrieb Edeldrud, ein ander- mal, vielleicht bald naͤhere Erklaͤrung. Bis dahin ehre aber mein Gebot, und dulde im Stillen. Lange habe ich die Groͤsse meines Ungluͤcks allein getragen, aber bald werde ich einen Theil desselben auf deine Schultern le- gen muͤssen. Hasse mich nicht, verachte mich nicht, ich kann's nicht aͤndern! Z 2 Kleta schwieg, die Groͤsse ihres Jam- mers raubte ihr die Sprache, sie suchte sich zu fassen, aber wenn sie vorwaͤrts blickte, ihren Hugo, in den Armen einer andern, sich verlassen sah, da wollte ihr Herz brechen, ihr Muth ganz sinken. Wie der Morgen nahte, schien ihre Mut- ter zu schlummern, aber bald fuhr sie aus diesem Schlummer empor, und ließ sich nach einem nahen Kloster fuͤhren, von dessen Thurme man eben die Fruͤhmesse verkuͤndig- te. Kleta folgte nicht, sie war's nicht ver- moͤgend, Thraͤnen schienen eben ihren Schmerz erleichtern zu wollen, sie warf sich auf ihr Lager, und nezte es mit diesen. Nach einer Stunde weckte man sie aus ihrem Schlummer, und berief sie ans Lager der Mutter. Sie lag starr und roͤchelnd auf diesem, schien selbst ihr einziges Kind nicht mehr zu kennen. Zwei Maͤgde hatten sie nach dem Kloster geleitet, sie betete dort am Altare der Mutter Gottes, wo eben ein ehrwuͤrdiger Priester die Messe las; schon war diese beinahe geendigt, als der Priester starr stehen blieb, und endlich ohnmaͤchtig zu Boden sank. Wie die herbeigeeilten ihn weg- trugen, sahen erst die Maͤgde, daß ihre Frau sich im gleichen Zustande befinde; sie war ruͤckwaͤrts zu Boden gesunken, und roͤchelte gleich einer Sterbenden. Nur mit Muͤhe konnte man sie nach Hause und auf ihr La- ger tragen. Kleta warf sich uͤber sie hin, und suchte sie durch ihr Geschrei zu wecken, aber Edel- drud hoͤrte sie nicht mehr. Der herbei gerufne Arzt erklaͤrte, daß der kalte Schlag So nannte man damals alle gewaltsame kungen und Laͤhmungen, welche nicht durch die Wallung des Blutes entstanden. sie geruͤhrt habe, und keine Hofnung zu ihrer Rettung vorhanden sei. Kleta sank bei dieser Nachricht trostlos und ohnmaͤchtig zu Boden; wie sie wieder erwachte, hatte ihre Mutter schon vollendet. (Die Fortsetzung folgt.)