Die ganze Natuͤrliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Buͤrger von Johann Bernhard Basedow P. P. Gedruckt in Altona bey Spieringks Wittwe . Jn Commißion bey Curte in Halle. An den Durchlauchtigsten und gnaͤdigsten Erbprinzen von Braunschweig- Luͤneburg ꝛc. ꝛc. ꝛc. Durchlauchtigster Erbprinz, Gnaͤdigster Fuͤrst und Herr, Z u der Hoͤhe, worauf Gott Ew. Durchlauchten gesetzt hat, wuͤrde ich nicht wagen, ein Buch, welches nur dem Privatstan- de zum Besten geschrieben ist, ehr- erbietigst empor zu halten, wenn ich nicht aus den sichersten Beweisen uͤberzeugt waͤre, daß Sie wegen der uͤbrigen, eben so wichtigen Fuͤrsten- tugenden, Sich im gleichen Grade den Namen eines Helden erwerben, als Sie von ganz Europa, wegen * 3 krie- kriegerischer Helden-Thaten Jhres von Einsicht geleiteten Muthes, schon viele Jahre bewundert werden. Einem Fuͤrsten von solchem Geiste und Herzen ist ein Huͤlfsmittel der Weisheit des Buͤrgerlichen Pri- vatstandes, wenn es seinen Titel verdient, keinesweges gleichguͤltig. Er ist nicht nur uͤberzeugt, daß der erhabne Stand der Fuͤrsten um der zahlreichsten Staͤnde willen da sey, sondern Er laͤßt es Sich auch gnaͤ- digst gefallen, daß dieses oͤffentlich geglaubt und gesagt werde, ob es gleich in denen Zeiten, die der Bar- barey naͤher waren, zuweilen als eine mißfaͤllige Sache geahndet wurde. Durchlauchtigster Erbprinz und Herr, meine Ehrerbietung, welche nicht laͤnger schweigen kann, gruͤndet sich nicht nur auf den durch ganz Europa verbreiteten Ruhm Ew. Durchlauchten, sondern, wel- ches ches mir noch uͤberzeugender ist, auf die umstaͤndlichen Nachrichten eini- ger Maͤnner, welche sich vornehmlich wegen Jhrer innerlichen Wuͤrde am Geiste und Herzen uͤber die Hoch- fuͤrstl. Gnade freuen, womit Sie dieselben beehren, und welche die Entzuͤckung, worinnen sie von den Haͤuptern des Hochfuͤrstl. Braun- schweigischen Hauses und Seinem Erbprinzen erzaͤhlten, mir, der ich hoͤrte, auf eine unausloͤschliche Weise mitgetheilet haben. Diese Entzuͤckung, gnaͤdigster Fuͤrst und Herr, wuͤrde durch die wahrhaftig Fuͤrstl. Huͤlfe, mit wel- cher Sie das Daseyn und die Voll- kommenheit des Elementarbuchs und der Schulbibliothek, gnaͤdigst zu befoͤrdern geruhen, nicht erhoͤhet seyn, wenn es nur eine Huͤlfe fuͤr meine Person, und nicht fuͤr eine solche Sache waͤre, die nach meiner Ab- Absicht das wahre Beste der Staa- ten, oder die Einsicht und Moralitaͤt der darinnen wohnenden Menschen, in einem nicht geringen Grade befoͤr- dern wird. Die Bewegungsgruͤnde solcher Thaten, welche seltener sind, als viele beruͤhmtere, verehre ich mit der tiefsten Bewunderung und ent- zuͤcktesten Dankbarkeit, und Ew. Durchlauchten mit der vollkom- mensten und wirksamsten Devotion Gnaͤdigster Erbprinz und Herr, Ew. Hochfuͤrstl. Durchl. Altona am 1 September 1768. unterthaͤnigster Diener Johann Bernhard Basedow. Vorrede . D ieses Werk, dessen Brauchbarkeit durch die Kuͤrze befoͤrdert ist, hat vier Ab- theilungen. I. Eignes Nachden- ken uͤber die Seele. II. Eignes Nach- denken uͤber Gott und seine Eigenschaften. III. Die Sittenlehre im Privatstande der vornehmern Buͤrger, aus der natuͤrlichen Erkenntniß Gottes und der Welt. IV. Uebungen des Verstandes, besonders in moralischen Untersuchungen. Jch erwarte das Urtheil, ob es seinen Namen verdiene. Die Weisheit, die ich anpreise, ist eine von wahrer Einsicht geleitete Neigung zu der- jenigen Gluͤckseligkeit, welche sich auf Tugend, das ist, auf ein gemeinnuͤtziges Verhalten in Gedanken, Worten und Werken, gruͤndet. Es ist, meines Wissens, keine Hauptregel, welche fuͤr den benahmten Stand gehoͤrt, uͤber- gangen. Zwar ist nicht jede Regel besonders erklaͤrt und bewiesen, weil viele in sich selbst deutlich sind, und nur des allgemeinen Beweises * * beduͤrfen, Vorrede. beduͤrfen, daß es nach der Erfahrung gemein- nuͤtzig sey, so zu handeln. Aber allenthalben, wo schaͤdliche Dunkelheit und Misdeutung, oder ein verfuͤhrerischer Zweifel zu befuͤrchten war, habe ich fuͤr den wahren Verstand der Worte und fuͤr die Gruͤnde der Ueberzeugung besonders gesorget. Daher nenne ich dieses Buch: Die ganze Weisheit im Privat- stande. Unter den Bewegungsgruͤnden zur Tugend, darf die Erkenntniß unsrer unsterblichen Seele und der goͤttlichen Eigenschaften nicht fehlen. Also waren die beyden ersten Hauptstuͤcke um des dritten willen nothwendig. Jch glaube, es gereiche zu einem ausge- breiteten Nutzen, daß ich die Erkenntniß der Seele, der goͤttlichen Eigenschaften und unsrer Pflichten, bloß aus der Natur oder dem eignen Nachdenken, nicht aber aus irgend einer Offen- barung hergeleitet habe. Denn die Pflichten des Privatstandes, welche nicht nur die Chri- sten, sondern auch die Juden und Naturali- sten angehn, wollte ich nicht mit solchen Lehr- saͤtzen vermengen, die dem Gewissen irgend einer Vorrede. einer dieser Arten unserer Naͤchsten anstoͤssig seyn koͤnnten. Wenn ich dieses beobachtet habe; so lade ich aus wahrer Menschenliebe sie allesammt ein, fuͤr sich und die Jhrigen aus diesem Buche allen Nutzen zu schoͤpfen, wel- chen sie vielleicht in keinem andern, bey der Kuͤrze so vollstaͤndig, und von allen solchen Lehrsaͤtzen, die ihnen falsch und schaͤdlich schei- nen, so abgesondert antreffen werden. Nur die Schlußanmerkungen, welche deswegen auf einem getrennten halben Bogen, der ver- nichtet werden kann, und mit lateinischen Lettern gedruckt sind, enthalten etwas Ent- scheidendes fuͤr diejenige Religion, von welcher mein Gewissen uͤberzeugt ist, und welche die Christen haͤufiger bekennen als verstehen und glauben, und haͤufiger glauben, als gegen ihre Naͤchsten, besonders wenn sie an Religion verschieden sind, ausuͤben. Wegen dieser Ent- haltsamkeit von dem Gebrauche aller Gruͤnde aus der Offenbarung, nenne ich die vorgetra- gene Weisheit natuͤrlich. Wenn Schwaͤchen und Schwierigkeiten derselben, besonders was die Erkenntniß der Seele und Gottes betrifft, * * 2 eingesehen Vorrede. eingesehen werden: so ist der dadurch veran- laßte Wunsch meinen Absichten gar nicht zu- wider. Warum aber habe ich dieses moralische Buch nur auf die Pflichten der gesitteten Buͤrger im Privatstande eingeschraͤnkt? Darum, weil ein jeder Hauptstand unter den Menschen besondere Pflichten hat, welche er oͤfter und lebhafter uͤberdenken muß, als die Pflichten andrer Staͤnde. Deswegen werde ich auch die oft verlangte zweyte Ausgabe der practischen Philosophie fuͤr alle Staͤnde unterlassen, und an deren Statt in einzelnen kleinen Buͤchern fuͤr die Lehre und Erinnerung der Pflichten eines jeden Hauptstandes der Menschen sorgen. Ueberdies ist der gesittete Buͤrgerstand wegen des sehr grossen Einflusses in die niedrigern und hoͤhern, und wegen der Allgemeinheit seiner meisten Pflichten derje- nige, fuͤr dessen Moralitaͤt oder innerlichen Werth ein nachdenkender Menschenfreund seine ersten Bemuͤhungen anwenden muß. Die Regeln der Erziehung fehlen in diesen Bogen. Denn sie verdienen eine besondere Abhand- Vorrede. Abhandlung und enthalten einige Geheimnisse, worauf die Jugend nur zu ihrem Schaden auf- merksam wuͤrde; gleich wie die Unterthanen, in Ansehung gewisser Regeln, welche fuͤr die Obrigkeiten gehoͤren, zum allgemeinen Besten in einiger Unwissenheit bleiben muͤssen, wenn sie nicht, vermoͤge ihres Genies, von selbst das Verdeckte finden und einsehen lernen. Jn wenigen Buͤchern, worinnen so viel gesagt und bewiesen ist, als in diesem, wird man eine solche Enthaltsamkeit von Kunstwoͤr- tern und prahlerischen Beweisen einiger Gelehr- ten antreffen. Wer zum grossen Nutzen seiner Leser so vorsichtig seyn wollte und konnte, der ist in der Kenntniß des Gehalts solcher Woͤrter und Beweise nicht unerfahren. Er muß sei- ner Profession nach ein Philosoph, und nach seiner Absicht ein lehrreicher Menschenfreund seyn. Dennoch gebe ich denen, welche daruͤber urtheilen koͤnnen, mit Bitte um Nachsicht fuͤr menschliche und persoͤnliche Maͤngel, die Frage auf: 1) ob nicht fast alles Gemeinnuͤtzige aus der Logik, (wenn man die Application auf die * * 3 Natur- Vorrede. Naturkunde und die Schriftstellerkunst aus- nimmt,) in dem letzten Theile des vierten Haupt- stuͤckes enthalten sey, ohne ein philosophisches Ansehn zu haben. 2) Ob die Vernunftwahr- heiten von Gott und der Seele, und besonders der Zusammenhang der Vorsehung, sowohl mit unserer Freyheit, als mit dem Boͤsen in der Welt, nicht auf eine sehr natuͤrliche und fuͤr den gesitteten Buͤrgerstand zureichende Art in den beyden ersten, und zum Theil auch in den andern Hauptstuͤcken, verstaͤndlich und uͤber- zeugend vorgestellet sind, ohne meinen Leser durch die Dornhecken der unnoͤthigen Gruͤbe- leyen zu fuͤhren. Ein Kunstrichter kann ohne Gefahr, durch unbillige Verkleinerung dieser Arbeit sich selbst am Ende zu verkleinern, nicht urtheilen, wenn er wenigstens die drey kuͤrze- sten Hauptstuͤcke, nehmlich das erste, zweyte und vierte, nebst den folgenden Absaͤtzen nicht ganz gelesen hat, welche entweder fuͤr mich oder gegen mich eben deswegen entscheiden werden, weil ich sie selbst dafuͤr ausgebe. Solche Absaͤtze sind, ausser den dreyen er- wehnten Hauptstuͤcken, §. 17. von dem Schick- sale Vorrede. sale und dem Boͤsen in der Welt. § 24. von den Gesetzen der Sicherheit oder des buͤrgerlichen Lebens. §. 28. von den Kennzeichen des Be- truges. §. 35-37. von der Ehe, von der Keuschheit nnd Ehrbarkeit, und §. 51. von der Vollkommenheit des Hauswesens. Alsdann kann er von dem Werthe oder Unwerthe des Ganzen mit einiger Sicherheit urtheilen, wenn er es auch nicht ganz lieset, wie ein jeder Beurtheiler, der auf Andre wirken will, doch thun sollte. Das Buch ist von mir bestimmt, sowohl zum Unterrichte der erwachsenen Jugend, als zur taͤglichen Erinnerung im maͤnnlichen Alter, fuͤr den wichtigsten Stand der Menschen, das ist, fuͤr das Privatleben der gesitteten Buͤrger. Fuͤr den ganz gemeinen Mann auf dem Lande und in Staͤdten, kann leicht ein Auszug mit denjenigen Zusaͤtzen gemacht werden, deren der Buͤrgerstand nicht bedarf. Fuͤr Eltern und Vormuͤnder, fuͤr die studirende Jugend, fuͤr Lehrer, fuͤr Sachwalter und Richter, fuͤr den Kriegsstand und fuͤr die hoͤchste Obrigkeit, sollen, wenn dieses Werk Beyfall findet, und * * 4 wenn Vorrede. wenn noch gemeinnuͤtzigere Arbeiten geendiget sind, solche Zusaͤtze von besondern Lehren ihrer Weisheit folgen, vor welchen diese allgemei- nern Lehren als bekannt vorausgesetzt werden. Jch werde diese Bogen auf einem A. Gym- nasio zum Grunde moralischer Unterweisungen legen, wobey ich, da die Zuhoͤrer am Ver- stande und Herzen nicht mehr Kinder seyn sollen, einige Absaͤtze von den Pflichten der Studirenden, und von der Klugheit im Un- terrichte und in der Erziehung, am gehoͤrigen Orte hinzufuͤgen muß. Jch lade andere Lehrer, welche gern die vortheilhafteste Grundlage waͤhlen wollen, zu der Ueberlegung ein, ob ihr Zweck durch dieses Buch besser als durch viele andre, welche gewoͤhnlich sind, und als durch meine eigene practische Philosophie fuͤr alle Staͤude erfuͤllet werde. Dies letzte Buch ist durch viele Projecte, die nur fuͤr Obrigkeiten, Lehrer und Schriftsteller gehoͤren, und aus andern damals unvermeidlichen Ursa- chen, zu diesem Zwecke nicht allezeit in den gehoͤrigen Schranken geblieben, ob ich es gleich Vorrede. gleich noch jetzund mit Vergnuͤgen fuͤr das meinige erkenne. Das gegenwaͤrtige ist also zwar fuͤr die Jugend, aber nur fuͤr die erwachsene, be- stimmt, welche aus der vaͤterlichen Aufsicht bald in die Fremde geht. Es ist nicht der moralische Theil des von mir versprochenen Elementarbuchs der menschlichen Er- kenntniß; sondern setzet schon manche Jahre des Unterrichts voraus. Sollte es die Ele- mente der moralischen Erkenntniß enthalten; so fehlte den ersten Wahrheiten ein unentbehr- licher Grad der Deutlichkeit und Lebhaftigkeit, und so muͤßte ich nicht den dritten Theil des ganzen Weges zuruͤckgelegt haben. Jch koͤnn- te es die moralische Fortsetzung des noch nicht geschriebenen Elementarbuches nennen, wenn die Beziehung auf dasselbe, nachdem es erst geschrieben seyn wird, alsdann nicht manche Abaͤnderung noͤthig machte, um den hoͤchst moͤglichen Grad des Zusammenhanges und der Einfoͤrmigkeit in derjenigen Schulbi- bliothek zu beobachten, welche, so Gott will, aus einer ordentlichen Folge von Schulbuͤ- * * 5 chern, Vorrede. chern, zur Fortsetzung des Elementarbuches, bestehen soll. Mein funfzehnjaͤhriger Sohn geht jetzund aus der vaͤterlichen Aufsicht in die Fremde. Jch wußte kein ihm angemessenes Handbuch zur taͤglichen moralischen Lectuͤre. Dies war der Anlaß, das gegenwaͤrtige so bald, und etwas eilfertig zu schreiben, und zwar groͤß- tentheils in der rathenden oder ermahnenden Schreibart, und zuweilen mit der Anrede, mein Sohn! Denn es war so, wie es ist, anfangs nicht dem Drucke bestimmt. Den- noch fand ich in einigen von der Eile verur- sachten Maͤngeln des Ausdrucks nicht Grund gnug, Etwas, das Andern und mir sehr ge- meinnuͤtzig schien, und nicht jetzund alle Voll- kommenheit erreichen konnte, zu verzoͤgern. Eine merkwuͤrdige Uebereilung findet sich (§. 10.), da unerfahrne Leser durch den Ausdruck leicht auf die Gedanken gerathen koͤnnten, daß die Wirksamkeit Gottes bey der Schoͤpfung aufgehoͤrt haͤtte, welches nur von derjenigen Wirksamkeit wahr ist, die den ersten Anfang aller Dinge verursacht hat. Das Vorrede. Das versprochene Elementarbuch, und die darauf folgende Schulbibliothek, sind, wenn die Vorsehung mich die noͤthige Beyhuͤlfe finden laͤßt, der Hauptzweck in dem kuͤnftigen Theile meines Lebens. Jch wage es, auch in dieser Vorrede folgende zwey Schriften zu empfehlen. Erstlich, Vorstellung an ein- sichtvolle Menschenfreunde und vermoͤ- gende Maͤnner uͤber Schulen, Studien, u. s. w. mit einem Plane eines Elemen- tarbuches der menschlichen Erkenntniß, zur Ostermesse 1768. Zweitens, das Noͤ- thigste aus dieser Vorstellung, zur Mi- chaelsmesse. Die Vorstellung enthaͤlt einen vollstaͤndigen Plan, das wahre gemeine Beste durch eine grosse Abaͤnderung des gelehrten Standes, folglich zuvor der Universitaͤten und Gymnasien, folglich zuvor der gesitteten Buͤr- gerschulen, durch Seminarien der Lehrer und durch das Muster einer einzigen neuen Anstalt, auf eine moͤgliche, den Kirchen nicht mißfaͤllige, und nicht zu kostbare Art zu befoͤrdern. Das Daseyn eines guten Elementarbuchs der menschlichen Sacherkenntniß und Worterkennt- niß, Vorrede. niß, und seine Fortsetzungen, welche eine Schulbibliothek heissen, ist als der erste moͤgliche Anfang dieser noch nie so vorgestellten Verbesserung anzusehn. Dieses Elementar- buch, und, wo moͤglich, diese ganze Schulbi- bliothek, mit der groͤßten Sorgfalt auszufer- tigen, habe ich mich, mit einigen sehr faͤhigen Mitarbeitern, entschlossen. Die Ausfuͤhrung des Vorsatzes kostet, wegen Berathschlagung, Correspondenz, Reisen, Buͤcher, Kupferstiche und Druck, wenn das Elementarbuch zu Stande kommen soll, ohngefaͤhr 2000 bis 2500 Rthlr., und, wenn zu gleicher Zeit von Vielen, nach einerley Plan, auch schon an andern Theilen der Schulbibliothek gearbeitet werden soll, ohngefaͤhr die doppelte Summe. Also ersuchte ich bekannte vermoͤgende Men- schenfreunde, bey Gelegenheit der Vorstel- lung, in einem zwar gedruckten, aber nicht oͤffentlichen Briefe, um einen Vorschuß von 6 Louisdor, fuͤr deren Ersatz, innerhalb Vier Jahren, ich, durch einen rechtskraͤftigen Re- vers, die gewoͤhnliche Sicherheit gab. Aber die vermoͤgenden Menschenfreunde sind oft sehr zerstreuet Vorrede. zerstreuet oder beschaͤftiget. Sie also in die Lesung der eilf Bogen hinein zu leiten, (denn dieser Plan einer sehr zusammengesetzten Sa- che ist schon in moͤglichster Kuͤrze abgefaßt,) schrieb ich drey Bogen unter dem Titel: Das Noͤthigste von der Vorstellung u. s. w., worinnen ich die Theile der Schulbibliothek zusammenhaͤngender beschrieb, und insonder- heit zeigte, welchen unabsehlich grossen Nutzen man stiften wuͤrde, wenn man den Unterricht, und also die Lehrbuͤcher der weltlichen Wis- senschaften von allen, auch von zufaͤlligen, Entscheidungen in solchen Religionssachen, woruͤber die Gewissen in unsern Zeiten und Gegenden mishellig sind, befreyet seyn liesse. Zu diesem Noͤthigsten ward einigen Men- schenfreunden abermals ein zwar gedruckter aber nicht oͤffentlicher Brief gegeben, worinnen ich zur Befoͤrderung einer so wichtigen Sache, und in Besorgniß der bey vielen Kennern an- zutreffenden Schwierigkeit, 6 Louisdor von ihnen zu erhalten, die besonders vermoͤgenden oder fuͤr meine Absicht eifrigsten Personen unter ihnen ersuchte, mir mit einigem Ge- schenke Vorrede. schenke zu den Voranstalten, vornehmlich aber durch ein gewiß nach vier Jahren widerkeh- rendes groͤsseres Darlehn auf Obligation, ohne oder mit 4 Procent Jnteresse, beyzustehen. Wider das Vermuthen Vieler, welche die Nothwendigkeit ihrer Vermuthung bedaureten, erklaͤre ich hiemit dem Publico, daß ich fuͤr diese so gemeinnuͤtzige Absicht, deren Gluͤck von grosser Wirkung seyn wird, jetzund schon mit allen dazu erfoderlichen Arbeiten und Ko- sten zu wirken angefangen habe, indem ob gleich von vielen Angesprochenen noch keine Antwort da ist, schon ansehnliche Summen zusammen gebracht sind, theils durch Empfang der 6 Louisdor, von Einigen als Vorschuß, von Andern als Geschenk, theils durch zuver- laͤssige Zusage, mir quartalweise durch einen mit dem Neu-Jahre anfangenden und zwey Jahre fortgesetzten Vorschuß, der nach vier Jahren bezahlt wird, auszuhelfen. Das Elementarbuch ist, wenn die Vorsehung Leben und Gesund- heit erhaͤlt, innerhalb zweyer Jahren fertig, und die uͤbrigen Theile der Schulbibliothek folgen desto geschwinder nach, jemehr ich im Stande Vorrede. Stande bin, zu gleicher Zeit durch Mitarbeiter nach diesem Plane an denselben zu wirken. Es wird oͤffentliche Rechnung der Einnahme und Ausgabe fuͤr dieses Werk bekannt werden; ein jeder dazu durch Geschenk oder Vorschuß beytragender Menschenfreund, wird nebst sei- ner Summe, entweder seinen wahren oder gewaͤhlten Namen darinnen antreffen. Denn da ich durch eine Koͤnigliche Besoldung ver- sorgt bin: so veranlaßt mich keine Noth, irgend Etwas, welches mir zu diesem Zwecke anvertraut ist, anders anzuwenden. Sollte, wie ich fast nicht mehr fuͤrchten darf, der Bey- trag nicht so vollstaͤndig werden, daß ich es wagen duͤrfte, Druck und Kupferstiche des Elementarbuchs anzufangen: so verspreche ich bey Zwang und Ehre, das mir zu diesem Zwecke Geschenkte oder Anvertraute, dennoch zuruͤck zu geben, und den Schaden der Vor- unkosten durch die beschwerlichste Sparsamkeit und durch gewinnende Arbeiten selbst zu er- setzen. Damit dieses einem Manne nicht noͤthig sey, der nur deswegen kein Vermoͤgen besitzt, weil er sehr gemeinnuͤtzig gehandelt hat Vorrede. hat: so ersuche ich ehrerbietigst um fernere Befoͤrderung dieses Werks, (um einiges Ge- schenk, vornehmlich aber um Vorschuß,) die- jenigen einsichtvollen und vermoͤgenden Men- schenfreunde, welche durch die Vorstellung und das Noͤthigste aus derselben zu einem eifrigen Wunsche veranlasset werden, daß solche Mittel des wahren allgemeinen Besten, in unsern so beduͤrfenden Zeiten, nicht laͤnger fehlen moͤchten. Altona, am 1sten Septem- ber, 1768. I. Eignes I. Eignes Nachdenken uͤber die Seele, das Leben und den Tod. §. 1. D ie Weisheit besteht in der noͤthigen Er- kenntniß und Neigung, Boͤses abzuwen- den, zu vermindern und zu endigen; Gutes hingegen zu befoͤrdern, zu vermehren und zu unterhalten. Wer Weisheit zu seinem eignen Besten verlangt, muß erstlich die Mittel und Handlun- gen, wodurch seine Gluͤckseligkeit befoͤrdert wird, richtig zu erkennen suchen, — und zweytens eine Geschicklichkeit erwerben, die erkannten Mittel seiner Wohlfarth wirklich anzuwenden. Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die zur Weisheit gehoͤren, ist die Erkenntniß unsrer selbst. Denn sowohl unser angenehmes als trau- riges Schicksal wird bey verschiednen Umstaͤnden zum Theil durch unsere Natur und Gewohnheiten gewirkt. §. 2. Also, theurer Sohn, oder wer du auch bist, der du dieses liesest, lerne, richtig von dir selbst denken. A Ein Eignes Nachdenken Ein jeder zum Nachdenken gewoͤhnter Mensch ist sich bewußt, daß er an seinen Gliedern (und den Nerven derselben) sinnliche Eindruͤcke wahr- nimmt, sich des Vergangenen erinnert, etwas Kuͤnftiges voraussieht oder vermuthet, Verdruß und Vergnuͤgen empfindet, vieles begehrt und verabscheuet, und nach seinen Trieben einigermas- sen sowohl den Lauf seiner Gedanken als die Be- wegung der Glieder regiert. Diese Wirksam- keiten des Menschen sind unsichtbar und heissen geistig. Man kann die geistigen Wirksamkeiten in zwey Classen theilen, in blosse Vorstellungen des Verstandes, und in Gesinnungen des Willens. Bey dem Menschen ist also Verstand und ist Wille. Ein Wesen, welches Verstand und Willen hat, heißt ein geistiges Wesen. Also ist ein geistiges Wesen in dem Menschen. Ein geistiges Wesen, welches durch einen be- sondern Koͤrper sinnliche Eindruͤcke wahrnimmt, und denselben zum Theil nach seinem Willen re- giert, oder doch wenigstens eine zeitlang in solcher Vereinigung mit einem Koͤrper steht, heißt eine Seele. Es ist also sonder Zweifel bey dem Men- schen eine Seele. §. 3. uͤber die Seele, das Leben ꝛc. §. 3. Wenn deine Seele nicht da wäre, so wärest du auch selbst nicht da. Denn dein Verstand und dein Wille, und alle deine geistige Wirksamkeit wuͤrde alsdann nicht da seyn. Wenn alsdann dein ganzer sichtbarer Koͤrper auch so bliebe, und sich aͤusserlich so bewegte, wie itzund; so waͤre doch dein lebendiges Selbst, dein Jch, deine Person nicht da. Alle Wirksamkeiten deines Verstandes und Willens (so verschieden sie auch nach ihrer Art, und so weit sie auch der Zeit nach von einander entfernt sind) geschehen von dir selbst, von deiner einzigen Person. Deine Seele ist im Denken und Wollen, in Leid und Freude, und zu ver- schiednen Zeiten, ein einziges fortdaurendes Wesen. Ein jeder Theil deines Koͤrpers, welcher irgend einmal, als du schon warest, sich damit vereinigte, oder, waͤhrend des Daseyns deiner Seele, von dir wird getrennt oder kann getrennt werden, gehoͤrt nicht zu dir selbst, nicht zu deiner Seele. Sondern die Seele ist vielmehr un- sichtbar, und unbetastbar, sie kann nicht ge- sehen, nicht betastet werden. A 2 §. 4. Eignes Nachdenken §. 4. Das Vermoͤgen des Verstandes und Willens heißt auch geistig Leben. Die Seele lebt geistig, so lange sie ist: sie ist, so lange sie geistig lebt. Jm geistigen Leben besteht das Wesen der Seele. Sie wuͤrde aufhoͤren zu seyn, wenn das geistige Leben aufhoͤrte; sie hat angefangen zu seyn, als das geistige Leben anfing. Der besondre Koͤrper, welcher einer Seele die Wahrnehmung sinnlicher Eindruͤcke verschafft, und sich in manchen Bewegungen nach ihrem Willen richtet, heißt von derselben beseelt oder belebt. Die Seele beseelt oder belebt den Koͤrper; der Koͤrper wird von der Seele beseelt und belebt. Also erkennen wir den Unterschied unsrer Seele und unsers Körpers. Zum ganzen Menschen aber gehoͤrt eine menschliche Seele und ein von ihr belebter Koͤrper. Das Leben der Seele, und das Leben des Menschen sind Redensarten, welche nicht gleiche Bedeutungen haben. Das Leben der Seele ist ihr eigenthuͤmlich und geistig, und wir koͤnnen ncht uͤberzeugt seyn, daß es eines Koͤrpers bedarf. Das Leben des Menschen aber ist der Zustand einer menschlichen Seele und eines menschlichen Koͤrpers, in welchem dieser von jener belebt wird. So uͤber die Seele, das Leben ꝛc. So ist auch der Tod der Seele, und der Tod des Menschen unterschieden. Der Tod der Seele waͤre das Aufhoͤren ihres eigenthuͤmlichen Lebens, wenn es jemals aufhoͤrte. Der Tod des Menschen ist das Aufhoͤren des Lebens des Menschen. Dieser Tod wird wirklich, wenn der Koͤrper aufhoͤrt, von der Seele belebt zu seyn, dieselbe mag weiter fortleben, oder zu leben auf- hoͤren. §. 5. Du selbst lebst, so lange deine Seele lebt, denn so lange kann dein Vergnuͤgen und dein Leid Statt finden. Deine Person ist kein Körper, sondern Seele. Der Koͤrper aber ist dein, so lange du ihn belebest, er ist nicht du selbst. Er wuͤrde dich nicht laͤnger angehn, wenn er in die- sem Augenblicke aufhoͤrte, von deiner, und an- finge, von einer andern Seele belebt zu werden. Und wenn deine Seele itzt anfinge, einen andern menschlichen Koͤrper zu beleben; so wuͤrde derselbe Koͤrper der deinige. Das Leben deiner Seele ist dein Leben; der gluͤckliche oder ungluͤckliche Zustand des Lebens deiner Seele ist dein eigner gluͤcklicher oder ungluͤcklicher Zustand. An allen diesen Saͤtzen kannst du nicht zweifeln, mein Leser, wenn du sie verstehest und ihnen nachdenkest. A 3 Wenn Eignes Nachdenken Wenn wir menschliche Koͤrper ersterben oder erstorben sehn; so koͤnnen wir keine Veraͤndrung an ihrer unsichtbaren Seele vernehmen. Also koͤnnen wir nicht schliessen, daß ihre Seele als- dann sterbe oder todt sey. Das Leben der menschlichen Seele oder Person nach dem Tode des Menschen, ist also nicht für un- möglich zu halten. Wer so nachdenkt, daß er sich das Leben der Seele nach dem menschlichen Tode vorstellt, der wuͤnscht, nach dem Tode fortzuleben, und zwar unaufhoͤrlich fortzuleben, wenn er nur kein Ueber- gewicht der Ungluͤckseligkeit fuͤrchtet. Das nicht unmögliche Leben der Seele nach dem Tode, wenn das Böse in demselben kein Uebergewicht hat, gehört also zu den Wünschen einer nachdenkenden Seele. II. Eignes Nachdenken uͤber Gott und seine Eigenschaften. §. 6. O Seele, die du ein unaufhoͤrliches gluͤckseliges Leben verlangest, forsche nach, ob du nicht etwa unsterblich seyst, unvergaͤngliche Gluͤckselig- keit uͤber Gott und seine Eigenschaften. keit zu erwarten habest, und dieselbe durch dein Verhalten befoͤrdern koͤnnest. Forsche der Ursache nach, durch welche du bis- her (obgleich nicht ohne einige Widerwaͤrtigkeit) im Ganzen gluͤckselig lebest, und zwar desto gluͤck- seliger, je weiser du handelst. Die Erkenntniß dieser Ursache wird dir auch die Dauer deines Lebens und deiner Gluͤckseligkeit vermuthen, oder erkennen helfen. Du bist bisher gluͤckselig durch dein menschlich Leben in einem solchen Koͤrper, als du hast; ferner durch andre Menschen, die nebst dir leben, und durch einen solchen Erdboden, als auf welchem du mit ihnen wohnest. Jn das menschliche Leben bist du durch deine Eltern gekommen, welche von ersten Eltern ab- stammen. Das ganze menschliche Geschlecht hat erste Stammeltern gehabt. Denn irgend einer unter den erzeugten und gebohrnen Vorfahren eines jeden Menschen war der erste, und eben derselbe war also von einem ungebohrnen Vater und von einer ungebohrnen Mutter, oder von ersten Stammeltern. Von jeder Art der Thiere und Pflanzen waren erste Stammthiere und Stammpflanzen derselben Art. Also auch war ein Jahr das erste Jahr, und ein Tag der erste Tag. Und uͤberhaupt, eine A 4 jede Eignes Nachdenken jede Reihe von Dingen, die nach einander ihren Anfang nahmen, hat irgend einmal ihren Anfang gehabt. Es war einmal ein erster Anfang aller derer Dinge, die nicht von Ewigkeit waren. Vor dem ersten Anfange war Etwas von Ewigkeit. Denn der erste Anfang geschah nicht ohne Ursache. Alle vergangene, gegenwaͤrtige und kuͤnftige Dinge, welche nicht von Ewigkeit waren, heis- sen die Welt. Die Welt hatte also einen Anfang, und das Ewige war ihre Ursache. §. 7. Jn de r Welt, so weit wir sie kennen, ist ein Uebergewicht der Glückseligkeit, oder eine groͤssere Summe von angenehmen als unangeneh- men Empfindungen und Zustaͤnden der lebendigen Wesen. Das Böse in der Welt ist mit dem Guten so verbunden, daß das Boͤse mehr Gutes wirkt, oder aus solchen Ursachen koͤmmt, welche mehr Gutes wirken. Dieses lernen wir taͤglich mehr einsehn, je mehr wir auf die Ursachen und Wir- kungen der Dinge Achtung geben. Die Welt ist also für die lebendigen We- sen vorzüglich gut. Das Uebel ist zwar kein Theil uͤber Gott und seine Eigenschaften. Theil des Guten in der Welt, dennoch ein Theil der Welt, welche vorzuͤglich gut ist. Wir koͤnnen aber zum Theil einsehen, daß die Welt durch die Ordnung und Verbindung der Dinge, welche neben einander sind, und auf einander folgen, so vorzuͤglich gut sey. §. 8. Die Wirkung des Ewigen, oder die Welt, ist so beschaffen, als wenn ein ewiger Zweck gewesen ist, eine so vorzuͤglich gute Welt zu machen. Und wir koͤnnen von der erstaunlich grossen und unent- behrlich guten Ordnung in der Welt, ohne Vor- aussetzung eines solchen Zwecks, gar keine Ursache erdenken. Je mehr wir Erfahrungen von der Ordnung der Ursachen und Wirkungen sammlen, desto geneigter wird unsre Seele, die Frage von dem Ursprunge der gemeinnuͤtzigen Uebereinstim- mung in der Natur dadurch aufzuloͤsen, daß wir Etwas Ewiges glauben, welches diesen Zweck, und folglich Verstand, Guͤte und Macht hatte. Ewiger Verstand, ewige Guͤte, ewige Macht nennt man itzund wahre Gottheit. Also ist es der Neigung unsers Verstandes gemaͤß, wahre Gottheit, welche von Ewigkeit war, zu glauben. A 5 Ein Eignes Nachdenken Ein Geist, dem die wahre Gottheit zukoͤmmt, heißt in dem erhabensten Verstande ein Gott. Es war also von Ewigkeit zum wenigsten ein wahrer Gott. Wir haben in dem Anschaun der Welt keinen Anlaß, mehr wahre Goͤtter zu glauben. Der Glaube an einen einzigen ist unserm Verstande leichter weil es uns schon schwer ist, einen Gott, weit schwerer aber Unterschiede mehrerer wahren Goͤtter, zu denken, welche wir doch alle erdichten muͤßten. Der Glaube, daß nur ein einziger wahrer Gott sey, ist auch den Wuͤnschen einer nachdenken- den Seele am gemaͤssesten. Denn alsdann kann die Seele ihm alles Gute zuschreiben, was sie genossen hat, genießt und hoffen kann; sie kann sich alsdann auch die ewige Guͤte, Weisheit und Macht mit mindern neuen Fragen und unaufloͤs- lichen Geheimnissen vorstellen. Es ist also dem Verstande und der Neigung einer nachdenken- den Seele gleich anfangs leicht, der Mey- nung, daß nur ein einziger wahrer Gott sey, den Vorzug zu geben. Die Meynung von mehrern Goͤttern beunruhiget unsere Seele, wird sie immer beunruhigen, und wird doch nie- mals aus dem Anschaun der Welt weder Beweis, noch Wahrscheinlichkeit haben. Also sind wir un- sers Besten willen verbunden, den Gedanken, daß nur uͤber Gott und seine Eigenschaften. nur ein einziger Gott sey, immer so fest zu glauben, als wir koͤnnen, mehr Gewißheit dieses Satzes zu wuͤnschen, und diesen Glauben bey denen, welche wir lieben, zu befoͤrdern. Oder im Kurzem, es ist gut zu glauben, es hat keine Gegengründe wider sich, es ist glaubwürdig, es ist für uns wahr, daß ein einziger Gott sey. §. 9. Die nachdenkende Seele glaubt nicht nur einen wahren Gott, so gewiß, als sie kann; sondern sie verweilt sich auch gern bey diesem Gedanken an ihn, um zu erforschen, was sie ferner von ihm denken muͤsse. Gott war von Ewigkeit und hatte Macht, zu wirken, was nicht von Ewigkeit war. Also haben wir aus der Betrachtung der Welt keinen Anlaß, zu glauben, daß ausser Gott irgend etwas von Ewigkeit gewesen sey. Wenn wir uns bemuͤhen, zu denken, daß mehr ewige Ursachen der Welt, oder mehr Dinge von Ewigkeit waren, so verwickeln wir unser Nachdenken in Geheimnisse, die so schwer zu denken sind, als das von Ewigkeit gewesene Daseyn Gottes, und dennoch erleichtern wir da- durch keinen einzigen Gedanken von den Wirkungen Gottes, welche allesammt unbegreiflich sind. Also ist es unserm Besten gemaͤß, glaubenswuͤrdig, und fuͤr Eignes Nachdenken fuͤr uns wahr, daß Gott das einzige Wesen sey, welches von Ewigkeit war. Ein Wesen kann sich selbst so wenig zernichten, als machen. Gott also wird niemals zernichtet. Denn alles, was geschicht, ist in ihm selbst, als in der ersten Ursache, gegruͤndet. Also ist Gott vollkommen ewig, ohne Anfang und Ende. Was vollkommen ewig ist, ist Gott oder eine Eigenschaft des goͤttlichen Wesens; was nicht voll- kommen ewig ist, ist nicht Gott, und auch keine goͤttlicht Eigenschaft. Gott ist an Daseyn und Eigenschaften von Ewigkeit zu Ewigkeit unveränderlich. Alles, was vollkommen ewig ist, ist zusammen Eins. Denn es gehoͤrt zu Gotte und seinen Eigenschaften. §. 10. Das Ende einer Sache ist allemal der Anfang einer andern Sache; und der Anfang einer Sache ist allemal das Ende einer andern Sache. Oder der Anfang einer und das Ende der andern Sache sind allemal zusammen. Bey dem ersten Anfange der Dinge endigte sich also Etwas, das von Ewigkeit war. Dieses Geendigte war nicht Gott selbst, noch irgend eine seiner Eigenschaften; sondern Etwas, welches, nebst uͤber Gott und seine Eigenschaften. nebst seinen Eigenschaften, in ihm von Ewigkeit war, und vielleicht das unbegreifliche göttliche Wirken genannt werden kann. Alle Dinge, welche gewirkt werden, sind in der Wirksamkeit Gottes, welche von Ewigkeit war, gegruͤndet, und ein jedes folget daraus zu seiner Zeit und in seiner Ordnung. §. 11. Durch Gottes Macht und Wirksamkeit ist und folget alles in der Welt, was ist und folget. Darum heißt sie Allmacht. Der Allmacht Gottes kann nichts widerstehen; denn alle Kraͤfte sind allein von ihm. Gott, als ein sehr verstaͤndiger Geist, erkennt sich selbst, und seine Allmacht; folglich alles, was aus ihm selbst erfolgt, folglich seine unmittelbaren Wirkungen, welche die wirkende Kraft von ihm selbst haben; folglich die Wirkungen der Wirkun- gen; folglich die ganze Welt in ihrer ganzen Daur. Also erkennt der Verstand Gottes alles, was sich erkennen laͤßt, und ist daher allwissend. Gottes Guͤte ist allwissend und allmaͤchtig. Es muß das hoͤchstmoͤgliche Gute daraus folgen. Also ist sie Allgüte, oder vollkommenste Guͤte. Gottes Allmacht, Allwissenheit und Allguͤte sind, als goͤttliche Eigenschaften, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Einheit Eignes Nachdenken Einheit, vollkommne Ewigkeit, Allmacht, Allwissenheit, und Allguͤte Gottes, sind unserm Begriffe die Grundeigenschaften Gottes, wor- aus sich vieles, was sonst in Ansehung Gottes noch erkannt werden kann, durch Nachdenken herleiten laͤßt. §. 12. Wenn wir ihm eine Allgegenwart zuschrei- ben; so denken wir nichts anders, als daß er alles, was an jedem Orte geschicht, erkenne, und daß alles, was an jedem Orte geschicht, von seiner Allmacht abhaͤnge, und ihr unterworfen sey. Wenn wir ihn einen Geist nennen, so sagen wir nichts anders, als daß er Verstaud, Willen und Macht zu wirken habe. Ein Geist ist ein unsichtbares und ein einziges Wesen. Also ist Gott unsichtbar. Wenn wir ihm eine, sich uͤber das Ganze und jeden Theil erstreckende Vorsehung oder Provi- denz zuschreiben; so denken wir, daß alles aus seiner Allmacht, mit dem Bewußtseyn seiner All- wissenheit, und nach dem Willen seiner ewigen Allguͤte erfolge. Wir muͤssen uns Gott als hoͤchst selig vorstel- len, weil er seinen ewigen guͤtigen Willen, ver- moͤge seiner Allmacht ohne Hinderniß, vermoͤge seiner Allwissenheit mit Bewußtseyn, erfuͤllet. Gottes uͤber Gott und seine Eigenschaften. Seine Unvergleichbarkeit und Unbegreif- lichkeit ist an sich unleugbar. Seine Guͤte heißt mit einem andern Namen auch Liebe. Sie heisset deswegen Gnade, weil er allmaͤchtig ist, und diejenigen, die seiner Guͤte geniessen, so ohnmaͤchtig sind. Sie heißt Barmherzigkeit, wenn sie das Elend endigt, oder zum kuͤnftigen Besten der Elenden einrichtet. Sie heißt Treue, weil sie bestaͤndig ist. Wenn wir anzeigen wollen, daß Gottes Da- seyn keiner Ursache bedarf, so nennen wir ihn selbstständig. Wenn wir daran denken, daß seine hoͤchste Seligkeit nichts anders bedarf, als was in ihm selbst ist, nehmlich Allmacht, Allwissenheit und Allguͤte; so nennen wir ihn allgnügsam oder sich selbst zureichend. Wenn wir Allwissenheit und Allguͤte zusam- men denken; so nennen wir sie Allweisheit. Denn ein Weiser will Gutes thun, und kennt die rechten Mittel. Weil Gott das Daseyn der Welt und aller Dinge gewirkt hat; heißt er ihr Schöpfer. Weil ihre Fortdauer unter seiner Macht steht; heißt er ihr Erhalter. Weil alle Abaͤnderungen der Ge- schoͤpfe ihm unterworfen sind; heißt er ihr Re- gierer. §. 13. Eignes Nachdenken §. 13. Es ist dir oben gezeigt, mein Sohn, daß das Leben der Seele nach dem Tode nicht fuͤr unmoͤg- lich zu halten sey, und daß eine nachdenkende Seele, unter der Bedingung (daß sie kein uͤber- wiegendes Elend fuͤrchtet) ein unvergaͤngliches Leben wuͤnsche. Wir wollen ferner untersuchen, ob kein ewiges Leben der menschlichen Seele glaubwürdig sey. Erstlich, da die kleinsten Koͤrperchen, unge- achtet aller Abaͤnderungen, die sie leiden, dennoch nicht aufhoͤren zu seyn; so ist es nicht glaublich, daß die andre Art der vor sich bestehenden Haupt- dinge (oder der Einheiten in der Natur) nehmlich die Geister oder Seelen, vernichtet werden. Kein Staͤubchen vergeht, wie sollte ich denn denken, daß meine Seele daß ich selbst vergehe! Zweytens, nur der Geister, nur der Seelen willen schuf Gott die Welt, und wird sie in Ewig- keit erhalten. Jn aller Ewigkeit wird die Welt niemals ohne lebendige Bewohner seyn koͤnnen. Aus der Guͤte und Macht Gottes ist zu vermuthen, daß die Zahl derselben sich nicht vermindre, sondern vermehre. Die staͤrkste Art der Vermehrung aber ist, wenn auch diejenigen Seelen, die einmal da sind, im Leben bleiben. Drittens uͤber Gott und seine Eigenschaften. Drittens, die Erfahrung von der menschlichen Geburt, giebt uns einen Begriff, daß eine Art des Lebens auf die andere folgen koͤnne, ohne daß die Seele in dem fruͤhern Leben sich vorher die Beschaffenheit des spaͤtern vorstellen kann. Dennoch ist das fruͤhere und das spaͤtere ein einziges Leben in verschiedenen Umstaͤnden. Die Schwierig- keit, uns itzund die Beschaffenheit des Lebens der Seelen nach dem Tode vorzustellen, ist also nur ein scheinbarer Einwurf gegen unsre Hoffnung. Viertens, besonders die menschliche Seele hat eine merkwuͤrdige Aehnlichkeit mit Gotte, ihrem Schoͤpfer und Erhalter. Die Stufen der mensch- lichen Erkenntniß koͤnnen schon in diesem Leben erstaunlich weit gehen. Die grossen Naturforscher und Meßkundiger, die großen Moralisten und Staatsmaͤnner, sind uns Beyspiele davon. Nun haben aber alle Seelen sehr aͤhnliche Faͤhigkeiten, und es liegt nur an dem Koͤrper und an Umstaͤnden, daß so viele in einer dicken Unwissenheit verharren. Wir Seelen sind faͤhig, Gott zu erkennen, und seine Weisheit und Guͤte zu bewundern. Gleich- falls hat unser Wille eine natuͤrliche Richtung auf das allgemeine Beste der lebendigen Wesen und besonders unsrer Mitbruͤder. Eine jede durch Jrr- thum schadende, eine jede lieblose, eine jede grau- B same Eignes Nachdenken same Handlung mißfaͤllt uns von Natur, und wir wuͤrden sie unterlassen, wenn wir uns ihre Wir- kungen bedachtsam vorstellten, oder unsre Zwecke auf eine andere Art zu erreichen hofften. Die weisen, liebreichen und gemeinnuͤtzigen Handlun- gen hingegen sind unsern Trieben angenehm, wir uͤben sie mit Vergnuͤgen aus, so bald wir glauben, daß sie der staͤrkern Selbstliebe nicht zuwider sind. Wer erst eine wahre Erkenntniß von Gott hat, liebt und verehrt denselben mit Vergnuͤgen und wuͤnscht, daß er Gott mehr lieben, ihm in der gemeinnuͤtzigen Liebe mehr aͤhnlich werden und deswegen groͤssere Wirkungen der goͤttlichen Gegen- liebe erfahren moͤge. So vortreflich ist die men- schliche Seele nach ihrer Faͤhigkeit und Natur. Jst es nicht von der Guͤte des allmaͤchtigen Gottes zu vermuthen, daß er solche zu seiner Nachahmung geschickte Wesen ewig im Leben und in Wirksamkeit erhalte, und nach und nach durch die noͤthige Ab- aͤnderung zur Vollkommenheit bringe? Diese Vermuthung ist uns eben so angenehm, als wahr- scheinlich. Fuͤnftens, dieser Glaube, daß die menschlichen Seelen unsterblich sind, ist fuͤr einen jeden insbe- sondre, fuͤr das gesellschaftliche Leben, und fuͤr das ganze menschliche Geschlecht von einem unaussprech- lichen Nutzen. Denn da Gott den menschlichen Seelen uͤber Gott und seine Eigenschaften. Seelen einen natuͤrlichen Trieb zur Tugend oder Gemeinnuͤtzigkeit gegeben hat; da seine Vorsehung durch allerley Mittel verursacht, daß die Tugend schon in diesem Leben dem Tugendhaften selbst mehrentheils zum uͤberwiegenden Vortheile, und das Laster dem Lasterhaften zum uͤberwiegenden Nachtheile gereicht; da aber in verschiedenen Um- staͤnden diese Uebereinstimmung der Tugend mit dem persoͤnlichen Besten einige merkwuͤrdige und wichtige Ausnahmen hat; so ist es demjenigen, der ein ewiges Leben der Seelen glaubt, unleugbar, daß der weise Gott und Vater der menschlichen Seelen die in diesem Leben unbelohnten Tugenden irgend einmal herrlich belohnen, und die in diesem Leben unbestraften Laster, furchtbar bestrafen werde. Durch diesen Glauben entsteht die vollkommenste Uebereinstimmung des Triebes zur Gemeinnuͤtzig- keit, und des Triebes zur eignen Wohlfahrt. Als- dann bewegt uns eine weise Selbstliebe und eine weise Liebe unsrer Mitbruͤder, allezeit zu einerley Handlungen. Wie gluͤckselig wuͤrde das menschliche Geschlecht seyn, wenn dieser Glaube wirklich allge- mein, oder ausgebreiteter waͤre? Wie viel von der gegenwaͤrtigen Gluͤckseligkeit wuͤrde es verlie- ren, wenn dieser Glaube, der bey so vielen herrscht, und von so vielen unverstaͤndigen oder menschen- feindlichen Seelen bestritten wird, ferner mehr abnehmen sollte? B 2 Sechstens, Eignes Nachdenken Sechstens, es ist also der Glaube an die Un- sterblichkeit der Seelen so wahrscheinlich, und so wuͤnschenswuͤrdig, und vor allen wahren Einwendun- gen so sicher, daß wir schon waͤhrend einiges Zwei- fels vollkommen so handeln muͤssen, als wenn die Sache gewiß waͤre. Also muͤssen wir die Ueberzeugung davon wuͤnschen, und so viel als moͤglich, befoͤrdern. Die Gefahr ist groß, wenn wir durch Bestreitung dieses Glaubens in uns selbst und Andern, oder durch freywilliges Bestreben nach Zweifeln, unter der Herrschaft eines weisen und allmaͤchtigen Gottes und Vaters der Menschen, die Gluͤckseligkeit unsrer selbst und unsrer Mitbruͤder verhindern oder zer- stoͤren. Kurz, es bleibt immer glaubenswuͤrdig und fuͤr uns wahr, daß die menschlichen Seelen unsterblich sind, und daß weise Tugend in allen Fällen zu unserm eignen Besten ge- reiche. §. 14. Weil nun Gott das Laster unfehlbar bestraft, und die Tugend ohnfehlbar belohnet; so ist er ein Gesetzgeber und Richter, oder mit einem Worte, ein regierender Herr aller Menschen, obgleich wir niedrigen Unterthanen nicht einsehn koͤnnen, wie und wann er diese seine Herrschaft ausuͤbt. Die uͤber Gott und seine Eigenschaften. Die Allweisheit Gottes, das ist, seine mit All- wissenheit wirkende Allguͤte, wird alsdann Ge- rechtigkeit genennt, wenn wir uns vorstellen, daß er auf eine Art, welche der Welt am gemein- nuͤtzigsten ist, die Tugend belohne und das Laster bestrafe. Ein andrer gebraͤuchlicher Name dieser Gerech- tigkeit ist das Wort Heiligkeit. Doch zuweilen wird Gott auch in einer weitlaͤuftigern Bedeutung heilig genennt, wenn nehmlich durch dieses Wort die allgemeine Unvergleichbarkeit oder Vortreflich- keit seines Wesens und seiner Eigenschaften an- gezeigt wird. § 15. Wer sich Gott als einzig, als vollkommen ewig, als allmaͤchtig, als allwissend, als allguͤtig, als allweise, als ein Wesen, welches seine Vor- sehung uͤber alles insgemein, und uͤber jedes ins- besondre ausuͤbt, als einen ewigen Vater unsterb- licher Seelen, und als vollkommen gerecht vorstellt, der hat denjenigen Begriff von Gott, dessen Wahr- heit wir bisher, so gut es moͤglich war, durch eigne Betrachtungen erkannt haben. Diese Vor- stellung von Gott, wollen wir die natürliche Erkenntniß Gottes nennen. C 3 III. Die III. Die Sittenlehre aus natuͤrlicher Erkenntniß Gottes und der Welt §. 16. D ie Pflichten, die wir darum zu beobachten haben, weil ein solcher Gott ist, sind erstlich ein vollkommner Gehorsam bey allen Beleh- rungen, die wir als goͤttlich anzusehn haben, und zweytens, eine vollkommne Liebe zu Gott, welche besteht theils in einer Freude uͤber das Da- seyn eines solchen Gottes, und uͤber alle seine Eigenschaften, als uͤber die Quelle unsrer hoͤchst- moͤglichen Gluͤckseligkeit; theils in dem Verlangen, durch Nachahmung seiner Weisheit und Guͤte ihm aͤhnlicher, und seines Wohlgefallens gewuͤrdiget zu werden. Aus dem Gehorsam und der Liebe folgt erst- lich, daß wir um Gotteswillen in allen unsern Ge- danken, Worten und Werken weise und gemein- nuͤtzig handeln, oder, daß wir um Gotteswillen tugendhaft seyn muͤssen; zweytens, daß wir die wahre Erkenntniß von Gott bey uns und andern zu erhalten, zu bestaͤrken, zu vermehren, und lebendig Die Sittenlehre aus natuͤrlicher ꝛc. lebendig oder wirksam zu machen suchen muͤssen, durch alle Mittel, welche dazu etwas beytragen, und welche deswegen Gottesdienst, das ist, Ver- ehrung Gottes genennt werden. Die Pflicht, Gott zu verehren, erfordert un- ter andern, daß wir in unsrer Seele und vor un- sern Bruͤdern seine Eigenschaften preisen; seine Wohlthaten seiner Guͤte zuschreiben, oder ihm fuͤr seine Guͤte danken; auch daß wir unsre Wuͤnsche fuͤr das Beste unsrer selbst und unsrer Bruͤder mit dem lebhaftesten Andenken an Gott verknuͤpfen, durch dessen Vorsehung sie erfuͤllet werden muͤssen, kurz, daß wir ihn um die Erfuͤllung unsrer Wuͤnsche bitten. Wir muͤssen also Gott, den Schoͤpfer, Erhalter und Herrn oft mit Preis, Dank und Bitte anbeten oder verehren. Durch diese Anbetung bezeugen wir, daß er der einzige wahre Gott sey. Also kann diese al- lerhöchste Anbetung niemanden anders, als ihm zukommen. Das oͤftere Gebet erleichtert, vermoͤge einer unleugbaren Erfahrung, unsern Gehorsam und unsre Liebe gegen Gott, unsre Bereitwilligkeit zu einer standhaften Tugend um Gotteswillen, und unsern Trost in Widerwaͤrtigkeiten. Also ist das Gebet uns nützlich und unsre Pflicht, ob Gott gleich von Ewigkeit alles weiß, und alles, was B 4 geschicht, Die Sittenlehre geschicht, als unfehlbar beschlossen hat. Er hört es vermoͤge seiner Guͤte mit Wohlgefallen, und belohnt es durch Segen, wenn gleich seine Weisheit und die mit unsern Wuͤnschen verbundene Unwissen- heit ihn sehr oft verhindert, uns eigentlich zu erhören, oder unsre Wuͤnsche zu erfaͤllen. Zur Pflicht der Verehrung Gottes gehoͤrt auch die Unterwerfung unter ein gemeinnuͤtziges Mär- tyrerthum, oder der standhafte Vorsatz, fuͤr die Ausbreitung gemeinnuͤtziger Erkenntnisse und Ge- sinnungen, und fuͤr die Tugend, um Gottes-willen Beschwerlichkeit, Verlust, Unehre, Undank, Ver- folgung, Schmerz und Tod zu erduͤlden. §. 17. Folge dem Lichte, welches dir zu hoͤhern Graden der Erkenntniß und der gehorfamen Liebe Gottes leuchtet, und entferne von dir nach Moͤg- lichkeit alle Einwürfe und Zweifel gegen die goͤttliche Vorsehung, gegen die Unsterblichkeit der Seelen, und gegen die uͤberwiegende Vergeltung des Guten und des Boͤsen nach diesem Leben. Der festeste Glaube ist der sicherste Weg zu deiner eignen, und zur Gluͤckseligkeit deiner Mitbruͤder. Habe die Zuversicht zu Gott, daß seine Vor- sehung alles in jedem Augenblicke mit Weisheit zum allgemeinen und zu deinem besondern Besten kehren aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. kehren werde. Sie ist eine Folge des Glaubens an seine Allmacht, Allwissenheit und Allguͤte. Unterdrücke das Verlangen, hier in diesem Leben, und dort gluͤckseliger, oder fruͤher gluͤckselig zu werden, als du es unter der Regierung eines allweisen Vaters werden kannst. Denn dieser Wansch ist ganz vergeblich, und mit unnoͤthiger Unruhe verknuͤpft; er ist lieblos, und wider deine Pflicht. Unterwirf dich also bereitwillig dem mit Weisheit von Ewigkeit bestimmten Schicksale. Jn diesem Schicksal ist es bestimmt, daß Boͤ- ses auf boͤse Gesinnungen und Thaten, Gutes aber auf gute Gesinnungen und Thaten folgen muß. Glaube also nicht dem offenbaren Jrrthum, daß im Schicksale, oder im goͤttlichen Rathschlusse bestimmt oder beschlossen sey, die Weisheit und Tugend vergeblich seyn zu lassen, oder dem Man- gel, und dem Gegentheile derselben gleich zu machen. Kurz, meide den Jrrthum der Fatalisterey ein Ansehung des Schicksals. Er ist wider alle Vernunft und Erfahrung. Eben so falsch und unvernuͤnftig ist der Jrr- thum der Fatalisterey in Ansehung unsers Thuns und Lassens, oder die Einbildung eini- ger, daß die Handlungen der Menschen nicht frey sind, das ist, daß sie sich nicht nach den Ent- B 5 schluͤssen Die Sittenlehre schluͤssen ihres Willens, nicht nach den Urtheilen ihres Verstandes, und nach den Erfahrungen und Belehrungen von den Folgen des Thuns und Las- sens richten, und daß also Unterricht und Nach- denken, Verheissung und Drohung, Belohnung und Strafe uͤberfluͤssig sey. Denn, obgleich alles vorher bestimmt ist, so ist doch alles in seiner Ordnung, und nur durch die Folgen der Ursachen vorherbestimmt. Die Bewegungsgruͤnde aber sind Ursachen unsrer Urtheile, unsrer Entschluͤsse und unsrer Handlungen, als welche sich nach jenen richten, wie die Erfahrung zeigt. Gottes ewiger Rathschluß wird immer erfuͤllt. Gottes Gebot von der Tugend wird oft uͤbertre- ten. Die wirklich geschehenden Uebertretungen sind also seinem Rathschlusse nicht zuwider, son- dern ihm gemaͤß. Aber die traurigen Folgen der Uebertretungen, wodurch die Welt vom Boͤsen abgeschreckt und gebessert wird, sind ihm auch nicht zuwider, sondern vielmehr gemaͤß, weil sie Gutes wirken. Hüte dich also, Gottes Rath- schluß und Gottes Gebot mit einander zu verwirren, wodurch allerley schaͤdliche Zweifel entstehn. Von der wirklichen Folge des Bösen in der Welt mußt du so denken, als es mit den Wahrheiten von der Allmacht, Allwissenheit und Allguͤte, aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Allguͤte, oder mit der Unschuld Gottes bestehen kann. 1) Gott ist erste Ursache aller Dinge, folglich auch erste Ursache des Boͤsen. 2) Gott ist hoͤchst guͤtig, also war das Boͤse nicht sein Zweck. 3) Gott ist allmaͤchtig und allwissend, also ist das wirklich geschehene Boͤse (weder das natuͤrliche noch das in dem Menschen befindliche moralische Uebel) seinem Rathschlusse nicht zuwi- der. 4) Das wirkliche Uebel in der Ordnung, in welcher es folgt, und in der Zeit, so lange es fortdaurt, ist in dem goͤttlichen Verstande von Ewigkeit als erfolgend und als unvermeidlich zu der zuletzt folgenden Vollkommenheit der Welt erkannt worden. Denn sonst muͤßte er es, ver- moͤge seiner Guͤte, aus seinem Rathschlusse ausge- schlossen haben. 5) Die ganze Welt, ungeachtet des darinnen erfolgenden Uebels, ist ein vorzuͤglich gutes, ja das beste Werk, welches die Allmacht machen konnte. Denn sonst waͤre Gott entweder nicht allguͤtig, oder nicht allmaͤchtig. 6) Also ist Gott unschuldig am Boͤsen, weil er alles so gut macht, als es die Allmacht kann. §. 18. Verweile dich oft bey dem Gedanken des Todes, doch nicht mit Zittern; denn er ist entweder kein Uebel, oder in diesen Umstaͤnden zum Die Sittenlehre zum Besten der Welt nothwendig. Werde fuͤr die Vergnuͤgungen und Geschaͤfte dieses Lebens durch den Gedanken an den Tod nicht traͤge und unthaͤtig; denn dieses ist wider dein Bestes und wider die Tugend. Sondern habe die Vergaͤng- lichkeit aller Vortheile und Nachtheile dieses Le- bens vor Augen, damit du in Ansehung derselben niemals eine Tugend aufopferst, welche ewige Wirkungen hat, und damit du im Gluͤcke nicht verwilderst, und im Ungluͤcke nicht ohne bestaͤn- digen Trost und ohne Hoffnung bleibest. Hemme den Lauf deiner Gedanken und Vorstellungen, wenn du weißt oder vermuthest, daß er deiner Tugend und deinem wahren Ver- gnuͤgen hinderlich sey. Die Gedanken sind vor Gott auch Thaten. Heilige die Denkmittel, welche dich Got- tes und seiner Eigenschaften erinnern, und laß sie zu diesem Gebrauche abgesondert bleiben. Scherze nicht mit dem Namen Gottes und seiner Eigenschaften. Bete mit moͤglicher Vorbereitung und Anstaͤndigkeit. Und wenn gewisse Sachen, Schriften oder Oerter zur Verehrung Gottes ge- schickt und bestimmt sind; so entheilige sie nicht durch einen fremden oder gar tadelhaften Ge- brauch. Denn hierdurch wird ein grosser Nutzen gehindert. Laß, aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Laß, so viel moͤglich, keinen Tag anfan- gen oder vergehen, ohne dir eine ruhige Zeit zur Andacht, das ist, zur Verehrung Gottes, und zu Vorsaͤtzen der Fortschreitung auf dem Wege der Tugend zu machen. Die Welt ist voll Gefah- ren der Verfuͤhrung. Der tugendhafte Verehrer Gottes muß sich taͤglich waffnen, und wider seine verirrten Neigungen und die Kraft der boͤsen Exempel streiten. §. 19. Alle Thorheit, wodurch wir uns selbst scha- den, und alles Unrecht an andern, sind Sünde vor Gott, weil sie seinem Gesetze von der Tugend zuwider und seinem Gerichte unterworfen sind. Die Neigung, eine unsichtbar regierende, belohnende und bestrafende Herrschaft uͤber die Menschen zu glauben, und deswegen vor der That zu fuͤrchten und zu hoffen, nach der That beaͤng- stiget oder froh zu seyn, heißt das Gewissen. Suche das deinige mit aller Sorgfalt zu beleh- ren, damit es richtig urtheile; denn die Einge- bungen eines irrenden Gewissens sind oft die ab- scheulichsten Thaten. Handle deinem Gewissen gemaͤß, wenn es mit Zuverlaͤssigkeit entscheidet; denn, wenn du ihm gehorchst, so ist wenigstens dein Vorsatz, Gotte zu gehorchen. Selbst im Zweifel Die Sittenlehre Zweifel handle so, daß die Sicherheit des guten Gewissens befoͤrdert werde. Rufe deine Vernunft taͤglich zur Pruͤfung deiner Gesinnungen und Thaten durch ihre Vergleichung mit dem goͤttli- chen Gesetze, damit dein Gewissen nicht einschlafe oder ersterbe. Diese Pruͤfung ist das heilsamste und unentbehrlichste Gebet. Schwöre nicht falsch, versichre nicht, daß du dich fuͤr eine Verstellung, die du doch ausuͤbst, bey Gott fuͤr strafbar erkennest. Denn hierdurch wird ein Denkmittel Gottes und seiner Eigenschaf- ten entheiligt, und ein brauchbares Kennzeichen der Aufrichtigkeit unter den Menschen vernichtet. Halte eben deswegen dein beeidigtes Versprechen auch in solchen Umstaͤnden, wo es erlaubt waͤre, einem blossen Versprechen zuwider zu handeln. Ueberlege mit der groͤßten Sorgfalt vorher, was du beschwoͤrest. Schwoͤre nicht ohne Noth; ge- brauche der eidlichen Worte nicht ohne Wissen und nicht aus blosser Gewohnheit, weder, wenn du dich verstellst, noch wenn du die Wahrheit sagst. Fluche niemanden, wuͤnsche nicht, daß Gott jemanden so und so strenge strafe, oder ihm dieses oder jenes Ungluͤck zusende. Denn dein Fluch ist nicht nur vergeblich, sondern auch mißfaͤllig und lieblos. §. 20. aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. §. 20. Alle Menschen sind entweder wissentlich oder unwissentlich Suͤnder. Das Gesetz der Tugend ist ihnen entweder gaͤnzlich oder zum Theil unbe- kannt; oder wird oft irrig erklaͤrt, oder theils unbedachtsam, theils mit Kuͤhnheit uͤbertreten. Sie sind allzumal Sünder und des goͤttlichen Gerichts schuldig, und wir wissen nicht, wie harte Mittel es bestimmen darf, sie zu bessern, und durch ihr Exempel andre von dem Ungehorsa- me der Unvorsichtigkeit und der Kuͤhnheit abzu- schrecken. O Suͤnder, der du Gottes Gerechtig- keit kennest, verschiebe deine Besserung nicht einen Augenblick; denn jeder Aufschub vermehrt die Suͤnden und die Strafen, und macht die Besserung schwerer und schmerzhafter. Eine von Jugend auf angewoͤhnte Tugend ist leicht und angenehm. Schwer ist der Uebergang von dem Laster zur Tugend. Aber diese Schwierigkeit, wenn sie einmal da ist, muß dich nicht schrecken. Sie ist der einzige Weg deiner Rettung und Wohlfahrt. §. 21. Das Ziel des Verlangens ist Lust und Ver- gnügen; das Ziel des Abscheues ist die Befrey- ung vom Schmerz und Verdruß. Das Die Sittenlehre Das allgemeine Verlangen nach Lust und Ver- gnuͤgen, und der allgemeine Abscheu vor Schmerz und Verdruß, heißt Selbstliebe. Sie ist die Triebfeder aller unsrer Handlungen. Die Gewohnheit, aus Selbstliebe, vermittelst der Unwissenheit oder des Jrrthums, uns selbst zu schaden, oder vergebliche Muͤhe zu machen, heißt Thorheit. Durch Laster und Suͤnden suchen wir unser Verlangen oder unsre Selbstliebe zu erfuͤllen, und schaden uns dennoch selbst. Also gehoͤren sie auch zu den Thorheiten. Der Trieb einer lasterhaften und thoͤrichten Selbstliebe, heißt Eigenliebe, welche also gleich- falls eine Thorheit ist, und um unsers eignen Be- stens willen abgelegt oder bestritten werden muß. Der Trieb zur liebreichen Tugend oder zum gemeinnuͤtzigen Wandel ist nicht nur gewisser- massen natuͤrlich, sondern auch fuͤr denjenigen, der die Folgen der Tugend kennt, der wichtigste Theil der Selbstliebe. §. 22. Ein Verlangen und ein Abscheu, eine Hoff- nung und eine Furcht, eine Freude und eine Trau- rigkeit, welche so heftig sind, daß sie uns das gewoͤhnliche Vermoͤgen zur Ueberlegung der Hand- lungen und zur Beurtheilung der Umstaͤnde rau- ben, heissen Affecte. Ver- aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Verhüte, so viel du kannst, die Heftig- keit und das Wachsthum, und die oftma- lige Wiederkehr der Affecten. Dieses wird dir nach und nach gelingen, wenn du dich gewoͤh- nest, alle moͤgliche Zufaͤlle vorher zu uͤberlegen, ehe sie da sind; den Schaden, der durch Affecte zu geschehen pflegt, an dir und andern zu bemer- ken; die Umstaͤnde, worinnen der angewoͤhnte Affect dich zu uͤberraschen pflegt, nach Moͤglichkeit zu vermeiden; und in dem schwachen Anfange eines sonst staͤrker werdenden Affects den Rath verstaͤndiger Freunde zu hoͤren, oder dich ehema- liger Lehren und Vorsaͤtze zu erinnern. Verschiebe, wenn es geschehen kann, eine jede wichtige Handlung, so lange du deinen Affect merkest. Denn er ist merklich genug, und selten sind diejenigen Handlungen, die im Affect geschehen, gut oder die besten. §. 23. Du bist um Gotteswillen verbunden, liebreich und gemeinnuͤtzig, oder tugendhaft zu wandeln, wenn es auch in einzelnen Faͤllen nicht durch Ehre, Gegenliebe und andre Vortheile vergolten wuͤrde. Befoͤrdre also mit allen Kraͤften das allge- meine Beste der Menschen, der bekannten und unbekannten, der gegenwaͤrtigen und kuͤnftigen. C Es Die Sittenlehre Es giebt allgemeine Wuͤnsche und Vortheile, die du in deinen Handlungen vor Augen haben mußt. Handle gegen andre Menschen so, wie du ohne Unrecht wuͤnschen wuͤrdest, daß ein andrer, wenn du in seiner Stelle waͤrest, gegen dich han- deln moͤgte. Erfuͤlle die Wuͤnsche andrer eben so wohl als die deinigen auf eine Art, welche nicht wider das allgemeine Beste, nicht wider die Tu- gend, nicht wider das Gesetz ist. Liebe also in diesem Verstande deinen Nächsten als dich selbst. Es ist allen natuͤrlich, sich auch an der Gluͤck- seligkeit andrer zu vergnuͤgen, und sich uͤber das Elend andrer zu betruͤben. Nur der Affect macht, daß man dieser natuͤrlichen Neigung so oft zuwider handelt. Und wer es oft gethan hat, dem wird es zu einer Gewohnheit, welche uͤber die Men- schen mehr zu herrschen pflegt, als ihre eigne Einsicht. Auf solche Art werden lieblose und grausame Menschen. Aber gieb du auf dich selbst acht, und glaube es der Erfahrung der Tugendhaften, wie sanft und wie beständig das Vergnügen sey, die Wohlfahrt andrer befoͤrdert und ihr Leiden vermindert zu haben; wie durch Gewohnheit die Staͤrke dieses Vergnuͤgens ohne alle Reue an- wachse; wie sehr es mit deinem Gewissen uͤber- einstimme; aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. einstimme; welches Zutrauen zu Gott, dem all- gemeinen Vater, damit verbunden sey. Men- schenliebe; Menschenliebe ist die vorzuͤglichste Quelle deiner eignen Gluͤckseligkeit. Aber, die Menschenliebe muß mit Weisheit handeln. Erfuͤlle keine Wuͤnsche, welche gemein- schaͤdlich sind. Diene nicht Einigen mit dem wahren Schaden Mehrerer. Verursache kein solches kurzes Vergnügen, welches ein dauer- haftes Uebel erzeugt. Achte keinen kleinern und kürzern Verdruß oder Schmerz, wenn du von dir und andern einen wichtigern dadurch abwen- dest, oder wichtigere Vortheile verursachst. Handle niemals ohne Ueberlegung der Fol- gen, welche du nach dem Maasse deiner Erfah- rung, oder nach dem Zeugnisse der Verstaͤndigen wahrscheinlich, oder wenigstens vermuthlich fin- dest. Fast die ganze Klugheit besteht darinnen, daß man das Maaß der Wahrscheinlichkeiten rich- tig wisse. Die Weisheit hat zur Haupregel, daß nach dem richtigen Urtheile der Wahrscheinlichkeit muß gehandelt werden. Selbstliebe und Men- schenliebe ohne Weisheit wird oft sehr schaͤdlich, und ist alsdann keine Tugend. Fuͤhre mit deinem Wissen durch gleichguͤltige oder unerlaubte Handlungen niemanden in Ver- suchung zu suͤndigen; kurz, huͤte dich, der Tugend C 2 andrer Die Sittenlehre andrer einen Anstoß, oder ihnen ein Aergerniß zu geben. Lebe so erbaulich, daß andre durch dein Exempel tugendhafter werden. Wenn du fuͤr die Tugend leidest; so verbirg den Schmerz, den du fuͤhlest, wenigstens so, daß die Standhaf- tigkeit dich nicht zu gereuen scheine. Wenn du aber durch Tugend und Weisheit fremde Suͤnden veranlassest, so ist die Verschuldung des Aerger- nisses bloß auf der andern Seite, und an der dei- nigen ein unverschuldetes Schicksal. Weil das Künftige ungewiß ist; so trifft die menschliche Weisheit nicht allemal das Ziel; aber die Gluͤckseligkeit wird dadurch schon sehr groß, weil es seltener verfehlt, als getroffen wird. Laß dich deßwegen, weil der Erfolg oft wider die Wahrscheinlichkeit eintrifft, nicht abhalten, nach derselben zu handeln, wenn nicht der bloß moͤgliche Erfolg so wichtig ist, daß du deßwegen unterlassen mußt, den wahrscheinlichen kleinern Vortheil zu befoͤrdern, oder die wahr- scheinlichen kleinern Uebel abzuwenden. §. 24. Die Arbeitsamkeit ist ein großer Theil der Pflichten gegen die Welt. Sie ist der Trieb, die Kraͤfte zur Erfindung, Beurtheilung, Anzei- gung, Aufsuchung, Bewahrung, Verfertigung, Ver- aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Verbesserung und Vertheilung dessen, was Men- schen nuͤtzlich ist, zu gebrauchen, oder uns zu bemuͤhen, daß wir uns und andre zu solchen Zwecken geschickt machen. Also giebt es vielerley Arbeiten. Die Menschen muͤssen sich so gegen einander verhalten, daß alle, oder wenigstens die mehre- sten unter ihnen, wirksame Bewegungsgruͤnde zur Arbeitsamkeit haben. Also muß das Verhaͤltniß der Menschen so beschaffen seyn, daß die Faulenzer ordentlicher Weise Mangel an Lebensmitteln, Bequemiichkeiten und Vergnuͤgungen leiden, um dadurch gebessert zu werden, oder andre von der Faulheit abzuschrecken. Dieses geschicht, wenn derjenige, der Gewalt oder List brauchen will, sich der Arbeit des andern zu bedienen, auch von menschlicher Macht Strafe zu fuͤrchten hat. Eine brauchbare Sache ist das Eigenthum dessen, der sie zu seinen Zwecken bestimmt, wenn nach gemeinnuͤtzigen Regeln ein jeder andrer, der sie mit Gewalt oder List zu seinen Zwecken brau- chen wollte, Unrecht thut und Strafe zu erwar- ten hat. Wer etwas sich zueignet, daß kein Eigen- thum war, dessen Eigenthum wird dasselbe. Denn sonst fehlt der Trieb, brauchbare Sachen C 3 auf- Die Sittenlehre aufzusuchen, zu bewahren, zu verbessern, und sich selbst zum Gebrauche derselben vorzubereiten. Wer sein Eigenthum nicht kenntlich erhaͤlt, wer es verschenkt, vertauscht oder verkauft, hat das Recht daran verlohren. Wer ein verlohrnes Eigenthum, ohne es dem Herrn wieder geben zu koͤnnen, findet, wer etwas zum Geschenke annimmt, eintauscht oder einkauft, der wird Eigenthums-Herr desselben. Wer sein Eigenthum verleihet, der verschenkt den Gebrauch auf einige Zeit, wer es verpachtet, der vertauscht denselben. Alsdann wird der Andre ein Eigenthums-Herr dieses Gebrauches. Manche verschenken auf einige Zeit den Ge- brauch ihres Vermoͤgens zu arbeiten; manche verdingen ihn fuͤr Lohn, vermittelst der Zusage. Damit uͤber das Eigenthum eines Kranken und Verstorbenen kein ihm und andern gefaͤhrli- cher Streit entstehe, muß sein Testament gelten, oder irgend ein Gesetz von Erbnehmung beobach- tet werden, zum Besten derer, denen der Ver- storbene schuldig war, vorzuͤglich Gutes zu thun. Also wird ein Erbe Eigenthums-Herr dessen, was ihm zufaͤllt. Gewaltsamer Raub und listiger Diebstahl des Eigenthums (oder seines Gebrauches) sind hoͤchst- aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. hoͤchst strafbare Verbrechen, weil das Recht des Eigenthums so wichtig ist. Mordbrennerey, und eine jede Gewalt oder lieblose Unvorsichtigkeit, welche das Eigen- thum des Naͤchsten verdirbt oder in Gefahr setzt, ist gleichfalls hoͤchst strafbar. Ein Sclave ist ein Mensch, der gewaltsam gezwungen wird, fuͤr denjenigen zu arbeiten, der sich seinen Herrn nennt. Und die Sclaverey ist der Zustand des gewaltsamen Zwanges zur Arbeit fuͤr einen andern. Wer nichts verbrochen hat, um zur Strafe Sclave zu seyn, oder wer ausser der Sclaverey nicht gemein-schaͤdlich waͤre, muß von niemanden auf einige Zeit oder auf immer in den Sclaven- stand gesetzt werden. Der Raub der Freyheit, oder der ungerechte Zwang zur Sclaverey ist ein abscheuliches Verbrechen. Der Menschen- raub aber ist die ungerechte Gewalt, die jemand ausuͤbt, einen Menschen zum Sclaven zu haben, oder andern zu verkaufen, oder jemanden seine Kinder zu nehmen. Gewalt an Leib und Leben ist Fesselung, Schlag, Verwundung, Todschlag, oder Drohung dieses Verfahrens. Diese Gewalt ist alsdann ungerecht, wenn sie keine gemeinnuͤtzige Strafe oder Bedrohung der Missethaͤter, oder keine ge- C 4 meinnuͤtzige Die Sittenlehre meinnuͤtzige Art der Gegenwehr ist, sondern mit Vorsatze oder aus straffaͤlliger Unvorsichtigkeit von demjenigen geschicht, der nach gemeinnuͤtzigen Regeln so nicht handeln darf. Die Menschen muͤssen sich so gegen einander verhalten, daß Verträge uͤber das Eigenthum, uͤber den Gebrauch desselben, und uͤber die Arbei- ten kraͤftig bleiben, und daß der Betrüger Zwang oder Strafe zu fuͤrchten hat. Handlungen, deren gewaltsame Strafe oder Bedrohung gemeinnuͤtzig ist, heissen grobe Ver- brechen, 1) wider Leib und Leben, als Mord, Todtschlag, Verwundung und Schlag, oder die Androhung derselben. 2) wider die Freyheit, als Fesselung, ungerechter Zwang zur Sclaverey oder Menschenraub, oder die Andro- hung derselben. 3) wider die Güter oder das Vermögen, als Raub, Diebstahl, Morobrenne- rey, andre Beschaͤdigung der Guͤter, und der Betrug, oder die Androhung derselben. 4) wider andre Gesetze, welche von der Gesellschaft fuͤr nothwendig, und deren Uebertreter fuͤr straffaͤllig erkannt werden, als Unzucht, Laͤsterung des ehr- lichen Namens, und Ungehorsam gegen den Wil- len der Mehresten, oder gegen die Vorsteher der Gesellschaft, das ist, gegen die Obrigkeit. Das aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Das Gesetz, grobe Beleidigungen oder grobe Verbrechen zu vermeiden, heißt das Gesetz der Sicherheit, weil keines Menschen Wohlfahrt ohne dasselbe sicher seyn wuͤrde. Dieses Gesetz wuͤrde von wenigen Menschen, die mancherley Begierden und Affecte haben, be- obachtet werden, wenn kein maͤchtiger Wille zu strafen und das gemeine Beste zu besorgen, da waͤre. Dieser maͤchtige Wille heißt die höchste Obrigkeit oder Majestät, und ist entweder in einer einzigen Person, welche Kaiser, Koͤnig oder Fuͤrst heisset, oder in einer regierenden Rathsver- sammlung. Alle Menschen, welche unter derselben Maje- staͤt stehen, heissen ein Staat. Derjenige Staat, durch welchen du Sicherheit geniessest, ist dein Vaterland. Die Arbeit der Obrigkeit ist, Gesetze ge- ben, das Verhalten der Unterthanen erforschen, Streitigkeiten entscheiden, belohnen und strafen. Einige ihrer Gehülfen oder Staatsbediente, sind Unterobrigkeiten, Raͤthe, Aufseher, Unter- richter, Schreiber, Soldaten und Scharfrichter. Die Regierung oder das Geschaͤft der Majestaͤt soll zum gemeinen Besten des Staats oder der Unterthanen abzielen, und hat in den meisten Stuͤcken wirklich diesen Zweck. Zum Aufwande, C 5 welchen Die Sittenlehre welchen die Regierung und die Anstalt zum ge- meinen Besten erfodert, muͤssen also die Untertha- nen contribulten durch Auflagen, als Steuer, Accise, Kopfgeld, Zoll oder auf andre Art. Daher bedarf die Regierung auch der Einneh- mer und Schatzverwalter. Der Fuͤrst, seine Familie, seine gegenwaͤrti- gen Raͤthe, und seine Hausbediente, heissen der Hof. Der Hof wuͤnscht natuͤrlicher Weise bequem, angenehm und in Pracht zu leben, und hat nach den Regeln der Tugend in einem solchen Grade das Recht dazu, daß die dazu noͤthige Contribu- tion nicht das Land druͤcke. Der Unterthan ist schuldig, der Unterobrig- keit nach dem Willen der Majestaͤt, und der Ma- staͤt selbst nach ihrem eigenen Willen zu gehor- chen, theils, weil das obrigkeitliche Recht zu befehlen gemeinnuͤtzig und also von Gott geboten ist; theils weil der Ungehorsam gemeiniglich Zwang und Strafe zu fuͤrchten hat. Der Ungehorsam gegen die Obrigkeit ist also ein grobes Verbrechen. Dazu gehoͤrt 1) Betrug in Contribution, 2) Widersetzung gegen die obrigkeitliche Macht, in Meuterey und Rebellion, 3) der gemeinschaͤdliche Misbrauch der aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. der von dem Staate aufgetragnen Aemter. 4) Die Versaͤumung der Pflichten in denselben. 5) Alles verbotene Reden und Schreiben wider die Obrigkeit und Gesetze. 6) Alle Erdichtungen eines obrigkeitlichen Befehls. 7) Aller Raub, Diebstahl, Betrug, unerlaubter Gebrauch, uner- laubte Gewalt, unerlaubte Unvorsichtigkeit, wel- che den Guͤtern des Staats schaden u. s. w. §. 25. Du weißt, der Krieg sey ein solcher Zustand, in welchem zwey Majestaͤten ihrer Armee und ihren Unterthanen befehlen, Gewalt gegen die Armee und Unterthanen des fremden Staats zu gebrauchen, oder ihnen mit Gewalt zu widerstehen. Die Ursachen des Befehls zum Kriege sind 1) daß die Majestaͤt ihren Staat ohne die Veraͤnderung, welche durch den Krieg gehofft wird, vor dem andern Staate nicht fuͤr sicher haͤlt; 2) Wenn eine Majestaͤt in Meynung des Rechtes, oder aus Herrschsucht und Geiz etwas fordert, welches die andre aus eben solchen Ursachen nicht thun will. Also ist die Absicht des Kriegs, daß der andre Staat gezwungen und geschwaͤcht etwas thun oder lassen soll, welches er vor dem Zwange und vor der Schwaͤchung nicht will. Der Die Sittenlehre Der Krieg ist eine traurige aber gewoͤhnliche Folge des Streites uͤber das Recht der Staaten gegen einander, oder derer durch die Nachrichten und Raͤthe veranlaßten Begierden und Jrrthuͤmer der Majestaͤten. Der Unterthan soll nicht seinem eignen Urtheile folgen; sondern gehorchen. Also muß man auch dem Befehle zum Kriege folgen, wenn er gleich fuͤr unnoͤthig, und folglich fuͤr unrecht gehal- ten wird. Ueberdieses wuͤrde die Weigerung nichts helfen, und wider das geschehene Versprechen der Soldaten seyn. Aber man muß im Kriege niemanden einen groͤssern Schaden zufuͤgen, als die Obrigkeit gebo- ten hat. Denn weiter von der Ausuͤbung der allgemeinen Menschenliebe abzuweichen, hat man selbst im Kriege keinen guͤltigen Bewegungsgrund. §. 26. Huͤte dich, mein Sohn, mit der aͤussersten Sorgfalt vor den groben Verbrechen. Denn, ausser daß sie gemein-schaͤdlich und lasterhaft sind, unterwerfen sie dich noch der Strafe oder der Angst vor derselben. Gehorche allezeit mit Genauigkeit den Gesetzen deines Vaterlandes, so beschwerlich sie dir auch seyn moͤgen. Denn die meisten sind auch ohne aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. ohne dein Wissen gemeinnuͤtzig; der Ungehorsame aber wird endlich nach und nach verwegener, und mehrentheils entdeckt und ungluͤcklich. Ueberdies hast du deine eigne Sicherheit und einen grossen Theil deiner Wohlfahrt von dem Gehorsame Andrer gegen die Gesetze. Und ein jeder Ungehorsam, welcher gelungen zu seyn scheinet, kann ein dir schaͤdliches Exempel geben. Sollten Laster von der Obrigkeit befohlen wer- den; so fliehe oder leide die Folgen der Weigerung. Aber gehorche nicht. Wenn du weißt, daß du nach den Gesetzen der Majestaͤt Soldat seyn sollst: so entziehe dich nicht dem Vaterlande, sondern trage die Beschwer- lichkeit und wage dein Leben mit Muth, nach den Befehlen der Vorgesetzten, um des Gewissens und der wahren Ehre willen. Waͤhle den gefaͤhrlichen Kriegsstand, welcher nach der itzigen Verfassung zugleich grosse Beschwer- lichkeit und grosse Versuchungen zu Lastern hat, nicht ohne Befehl, wo du nicht glaubst, in dem- selben gemeinnuͤtziger zu seyn, als in einem andern Zustande. Will man dich mit Gewalt auf eine solche Art werben, von der du weißt, daß sie wider die Ge- setze ist, so treibe deine Klage, bis du Recht erhaͤltst, wenn Die Sittenlehre wenn es moͤglich und noͤthig ist, bis an die Majestaͤt. Versperret man dir aber mit Gewalt den Zugang zur hoͤhern Obrigkeit, wider den Jnhalt der Lan- desgesetze; so wehre dich gegen die gewaltsamen Werber, als gegen Menschenraͤuber, damit du zu ihrem Schrecken ein gutes Exempel gebest, wenn du auch leiden mußt. Verlaß dein Vaterland, wenn du daselbst ein gemeinnuͤtziges Leben fuͤhren kannst, nicht um deiner Privat-Vortheile willen: und schade nicht aus Eigenliebe dem allgemeinen Besten. Suche keine Staatsämter, und nimm sie nicht an, wenn du weißt, daß du Andern, die sie besser verwalten koͤnnen, dadurch im Wege stehest. Suche keine Titel von solchen Staatsaͤmtern, die du nicht bekleidest, oder verdienst. Denn solche Ehrenzeichen muͤssen zum gemeinen Besten die Be- lohnung solcher Verdienste seyn. Wenn du zweifelst, welche Personen mit Recht die hoͤchste Obrigkeit im Lande sind, welches in Staatsverwirrungen, da die Partheyen mit einander daruͤber streiten, und innerlichen Krieg fuͤhren, Statt findet; so erklaͤre dich, wenn du nicht gezwungen wirst, bis zum Ausgange der Sache fuͤr keine Parthey, aber gehorche derjeni- gen, welche Gewalt uͤber dich hat. Ver- aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Versaͤume nichts, was deinem Vaterlande nützlich ist, und wenn du auch Undank und Wi- derwaͤrtigkeit davon zu erwarten haͤttest. Thue für das Leben und für die Wohl- fahrt des Fuͤrsten, besonders, wenn er den Ruhm eines weisen und guͤtigen Herrn hat, auch unge- zwungen und mit Vorsatz alles, wozu der Affect der heftigsten Liebe dich zum Besten eines Menschen antreiben koͤnnte. Denn, wenn ein Fuͤrst uͤber- zeugt ist, solcher Unterthanen viele zu haben, so empfindet er einen besondern Antrieb zur Zaͤrtlich- keit fuͤr sein Volk. Alle diese Arten der Liebe zum Vaterlande befoͤrdern das gemeine Beste desselben, ohne andern Menschen mehr zu schaden, und sind also Pflichten der Tugend um Gotteswillen. §. 27. Ein Knabe, welcher Gelegenheit dazu hat, muß ein besondres Handwerk, eine besondere Kunst, ein besondres Gewerbe, oder auch einen Theil der Gelehrsamkeit, mit einem Worte die Beschaͤftigung einer besondern nützlichen Lebensart, in der Jugend erlernen. Denn solcher Tageloͤhner und Hausbediente, die sich durch ihre Kraͤfte, oder ihren Gehorsam naͤhren, ohne ein erlerntes Ge- schaͤfft zu treiben, werden immer gnug seyn. Wider Die Sittenlehre Wider den Rath seiner Eltern und Vormuͤn- der kann ein Knabe sich keine Lebensart waͤhlen, und muͤßte es auch nicht thun, wenn er koͤnnte. Denn diese kennen seine Kraͤfte und Umstaͤnde, und die Geschaͤfte in den verschiednen Lebensarten besser, als er selbst. Die Nahrung in einigen Lebensarten ist stand- hafter, als in andern. Bey gleichen Umstaͤnden sind jene diesen vorzuziehen. Die Wahl gewisser Lebensarten gelingt ordent- licherweise nicht zum allgemeinen Besten und zum Vortheil des Knabens, wenn er kein ererbtes Vermoͤgen oder keinen grossen Beystand der Eltern, Verwandte und Freunde zu erwarten hat. Solche zu waͤhlen, muß ihm nicht angerathen werden. Einige Lebensarten sind besser fuͤr schwaͤchere Personen, andre fuͤr staͤrkere, einige nach einer solchen, einige nach einer andern Erziehung. Alles dieses muß man bey einer Wahl der Lebensart be- denken. Wenn nicht besondre Zufaͤlle kommen, oder der Mangel der Weisheit es verhindert; so sind die Menschen und Familien in den mehrsten Lebens- arten, sie moͤgen vornehm oder geringe seyn, gleich gluͤcklich. Traue dieses den Weltkundigen, du wirst es selbst einsehn lernen. Aber aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Aber huͤte dich vor aller Untreue, vor Faulheit und vor Mißfaͤlligkeit, und bestrebe dich durch Auf- merksamkeit und Fleiß, in deinem erwaͤhlten Ge- werbe einer der Besten und Fertigsten zu werden und zu bleiben, so wirst du wahrscheinlicher Weise in deinem kuͤnftigen Stande zureichendes Brodt haben, wo du es nicht durch Laster verlierest, wo- vor du dich huͤten kannst; oder durch unwahrschein- liche Ungluͤcksfaͤlle, welche zum unvermeidlichen Schicksale gehoͤren. Arbeit ist eine solche Art der Beschaͤfftigung, welche wenigstens scheinet, zum Nutzen der Men- schen zu gereichen. Also ist ein jeder, auch der Reichste, verbunden, in dem groͤßten Theile der Wochen zu arbeiten. Denn wer keiner Bezahlung bedarf, kann seine Arbeiten an Freunde und Aer- mere verschenken. Die Arbeitsamkeit ist dem, der sich dazu gewoͤhnt hat, bis zur Ermuͤdung ein bestaͤndiges Vergnuͤgen, welches durch das Andenken an gesche- hene Arbeiten, an die dadurch geleisteten Dienste, und an die dadurch befoͤrderte Ehre, Vortheile und Hoffnungen, bis zu einem hohen Grade anwaͤchst, und sowohl die lange Weile, als die schlimmsten Laster und Thorheiten verhindert. Ein arbeitsamer Mensch ist schon dadurch halb tugendhaft. D Aber Die Sittenlehre Aber die Aufsicht auf die Geschaͤfte Andrer, die weise und liebreiche Verwaltung eines grossen Vermoͤgens und die haͤusliche Regierung uͤber eine zahlreiche Familie, ist vielen, die in solchen Um- staͤnden sind, Arbeit gnug, wenn sie gleich ihre Haͤnde nicht, wie die Kuͤnstler, Handwerker und Tageloͤhner, brauchen. Dieser Zustand ist gewoͤhn- lich bey bejahrten Personen, welche in der Jugend ordentlich und gluͤcklich auf eine andre Art gearbei- tet haben. §. 28. Alles, es sey klein oder groß, was jemand ohne Wissen und Willen dessen, dem es gehoͤrt, sich zueignet, braucht oder geniesset, macht ihn zum Diebe oder Betrüger. Alle Diebe, welche zuletzt in die Zuchthaͤuser, an den Pranger, oder an den Galgen kommen, haben den Anfang ihrer Laster damit gemacht, daß sie naschten, in Hoffnung des Ersatzes fremdes Geld brauchten; fuͤr ihre Eltern und Herrn mehr einnahmen oder weniger ausgaben, als sie sagten, oder daß sie Unterschleif machten; daß sie Kleinig- keiten stahlen, oder gefundne Sachen dem bekann- ten Herrn nicht zuruͤck gaben. Solche Laster reizen zum groͤssern Diebstahle, entweder weil sie gelun- gen sind, oder weil die Entdeckung eine solche Schande aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Schande verursacht hat, in welcher es schwerer geworden ist, auf eine ehrliche Weise Brod zu verdienen, oder die Mittel zur gewohnten Ver- schwendung zu haben. Werde niemals so gewissenlos, so niedertraͤch- tig und so tollkuͤhn, den ersten kleinen oder grossen Diebstahl und Betrug zu begehn. Wuͤnsche nie- mals, es auch mit der groͤßten aͤusserlichen Sicher- heit zu koͤnnen. Die Augen Gottes, deines Vaters, Herrn und Richters sehen an allen Orten, sogar in deine Gedanken und Wuͤnsche. Einen diebischen und betruͤgerischen Menschen verraͤth fast ein jeder, und man weis gemeiniglich schon Vieles von ihm, ehe er glaubt, einen Verdacht erregt zu haben. Beschimpfe nicht dein ganzes Leben. Der Dieb- stahl und Betrug wird selten vergessen, und das Geruͤcht davon folgt in alle Laͤnder. Fuͤr einen einzigen Dieb und Betruͤger, der unentdeckt stirbt oder sich bessert, sind tausende ganz ungluͤcklich. Ein einziger Diebstahl und Betrug setzt oft viele Unschuldige in Angst und Verdacht. Betruͤbe niemals durch dieses Laster deine wohlthaͤtige Eltern und alle, die bisher aus Liebe Gutes von dir hoffen. Ob Etwas im Gewerbe ein Betrug sey, oder nicht, daruͤber koͤnnen Fragen entstehn, die ich dir itzung nicht alle aufloͤsen kann. Schon im D 2 Zweifel Die Sittenlehre Zweifel muß ein Tugendhafter den Vortheil des Andern dem seinigen vorziehn. Alsdann haͤlt er sich gewiß rein von der Suͤnde. Uebrigens ist es mehrentheils eine Wahrheit, daß alles dasjenige kein Betrug sey, welches, wenn es oͤffentlich be- kannt wird, keine Schande oder uͤble Nachrede nach sich zieht. Wuͤrde aber die Entdeckung eine Schande bringen; so ist in den Handlungen alle- mal Etwas Betrug. Schulden muß niemand machen, der nicht entweder eben so viel Vermoͤgen, oder grosse Wahrscheinlichkeit, sie bezahlen zu koͤnnen, und zugleich den fortdaurenden Eifer hat, durch Fleiß und Sparsamkeit die Mittel zur Bezahlung zu erwerben. Ein Kaufmann, der Banquerot zu machen gezwungen ist, muß seinen Creditoren alle Theile seines Vermoͤgens sagen. Sonst ist er ein Be- truͤger. Jn einigen Sachen entscheiden die Gesetze und Sitten der Zeiten und Laͤnder, ob etwas ein Betrug sey oder nicht. Folge in diesem Urtheile den Gesetzen und Sitten deines Vaterlandes. Es ist ein Betrug, ein Pfand zu geben, welches so viel nicht werth ist, als man sagt. Wer den hoͤhern Werth desselben glaubt, wird leicht dadurch in Schaden gesetzt. Auch aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Auch ist ein Betrug, irgend etwas Anvertraue- tes, ein Pfand oder ein Pachtgut durch einen nicht zugestandnen Gebrauch abzunutzen oder in Gefahr zu setzen. Es ist ein Betrug, mit Wissen falsches Geld auszugeben, Denn zuletzt koͤmmt irgend einer dadurch in Schaden. Hast du es fuͤr gut empfangen, so ist es dein Versehen und Ungluͤck, welches du selbst tragen mußt. Die Münzer falsches Geldes suchen einen grossen Theil des menschlichen Geschlechtes zu be- truͤgen. Denn wenn es gleich an Gehalt so gut waͤre, als das wahre Geld; so haben sie doch wider die Sicherheit des oͤffentlichen Zeugnisses gehandelt, welches in dem Gepraͤge ist. Ohne diese Sicherheit aber wird das nuͤtzliche Gewerbe unter den Menschen verhindert, verzoͤgert und vielen Unschuldigen schaͤdlich. Der Vortheil der Muͤnzung gehoͤrt dem Staate. Die Geldbeschneider verursachen fast aͤhn- lichen Schaden. Denn das zu leichte Geld wird endlich bekannt, und nur mit Abzug angenommen, welches dem Unschuldigen zum Schaden gereicht. Niemand ist berechtigt, das Geld zu kippen und zu wippen, oder, dasjenige, was zufaͤlli- ger Weise etwas zu leicht geschlagen ist, zur Aus- gabe auszusuchen, und das andre, welches zu D 3 schwer Die Sittenlehre schwer geschlagen ist, zur Beschneidung oder zur Umschmelzung zu behalten. Denn 1) grosse Summen von einer Geldsorte werden oft gewo- gen. Alsdann haben die Wipper dem Unschuldi- gen einen Schaden verursacht. 2) Es ist oft noͤthig, daß Geld umgeschmolzen werde. Alsdann hat derjenige einen Schaden, welcher durch Schuld der Wipper zu leichte Stuͤcke gesammlet hat. Niemand darf ohne Wissen des Andern ihm eine Obligation zur Bezahlung dessen, was er nicht empfangen hat, auflegen. Also ist es eine dem menschlichen Geschlechte hoͤchst gefaͤhrliche Art des Diebstahls, falsche Obligationen, falsche Rechnungen, falsche Bancozettel, falsche Wech- selbriefe und falsche Endossementer zu machen. Eine aͤhnliche Art solcher groben Verbrechen ist, falsche Quitungen, falsche Testamente und falsche Contracte zu schreiben. Alle diese Verbrechen werden zum Nutzen der menschlichen Gesellschaft als grobe Arten des Diebstahls und Betrugs von der Obrigkeit, und gemeiniglich an Leib und Leben, gestraft. Beschuldige niemanden des Diebstahls und Betrugs mit Worten, wenn es nicht gewiß und vor der Obrigkeit erweislich ist, daß er ihn begangen habe. Eben so vorsichtig sey mit allen Beschul- aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Beschuldigungen, welche dem ehrlichen Namen schaden. Denn der Mensch kann in diesem Falle unschuldig seyn, und wenn ers auch nicht ist, so hat die Obrigkeit verbothen, solche unerweisliche Beschuldigungen zu sagen, und bestraft den Ueber- treter mit Recht. Jch schweige von dem Ungluͤk- ke, dem Zorne und der Rache des Beschuldigten. Also beschuldige niemanden ohne Erweislichkeit; und selbst alsdann, wenn die Sache erweislich ist, so uͤberlege die Folgen des Schweigens und der Anschuldigung nach den Regeln der Weisheit und Menschenliebe; damit das mehreste Gute und das mindeste Boͤse wahrscheinlicher Weise erfolge. Wer genau zu rechter Zeit bezahlt, erwei- set manchen, und besonders den Aermern, eine Wohlthat, und mehrt seinen Credit, welcher ihm im Handel sehr nuͤtzlich wird. Versprich die Bezahlung lieber spaͤter, als sie wahrscheinlicher Weise geschehen wird. Leiste sie ohne deinen Schaden fruͤher, als du sie versprochen hast. Hoffe sie aber spaͤter von andern, denn die mehresten Menschen sind unvorsichtig im Verspre- chen, und saumselig im Worthalten, weil ihnen viele Grade der Klugheit und Tugend fehlen. Wer des Betruges oder des Diebstahls schul- dig gewesen ist, der faͤhrt gaͤnzlich fort, es zu D 4 seyn, Die Sittenlehre seyn, bis er den Vorsatz ausfuͤhrt, jeden moͤgli- chen Theil des Schadens zu ersetzen, oder den Betrag seines unerlaubten Gewinnstes unbekann- ter Weise an Wohlthaten zu verwenden, die er sich schlechterdings als kein Verdienst anrechnen will. Denn wenn diese Entledigung, von allem unerlaubter Weise gewonnenen Gute, keine Pflicht waͤre: so wuͤrde der Reiz, durch Dieb- stahl und Betrug zu gewinnen, staͤrker werden. Also ist sie eine Pflicht des Schuldigen, welcher sein Gewissen befriedigen will. §. 29. Einiges Vermoͤgen an Geld, oder an solchen Sachen, die dem Gelde gleich sind, ist mehren- theils nuͤtzlich. Sey also erwerbsam, und sparsam, aber ohne Affect der Gewinnsucht und des Geizes. Denn der Geiz ist wieder den ersten Zweck der Geldliebe, stoͤhrt das Vergnuͤgen unsrer Selbst und Andrer, macht mißfaͤllig, lieblos und ungerecht. Grosser Reichthum ist der Tugend und wahren Gluͤckseligkeit gefaͤhrlich. Wenn er dir zufiele, so setze dich durch uͤberlegte Wohlthaten bloß in den Stand einer, vor den gewoͤhnlichen Ursachen des Mangels gesicherten, Mittelmaͤßigkeit. Mit Klugheit und Tugend mußt du dein Ver- moͤgen zum wahren Besten deiner selbst und Andrer an- aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. anwenden, oder zu diesem Zwecke aufbewahren. Alle Sorglosigkeit und aller Aufwand, wenn sie mit dieser tugendhaften Klugheit nicht bestehn, sind Verschwendung und Fehler oder Laster. §. 30. Ehre ist die Meinung Andrer von unserm innerlichen und aͤusserlichen Vermoͤgen und von unserm gewoͤhnlichen Vorsatze, Gutes zu thun. Suche wahre Ehre; sie nuͤtzet sowohl dir, als denen, die dich hochachten, und macht dich geschick- ter, vielen nuͤtzlich zu seyn. Meide den Affect des Ehrgeizes. Er verfehlt seines Zweckes, oder beschaͤftiget dich an Statt des Bessern, mit Kleinigkeiten, oder reizt dich zu Suͤnden und gemeinschaͤdlichen Handlungen. Wer dich nach Verdiensten nicht ehrt, der irrt, oder ist, in Ansehung deiner, unwissend. Handle so, daß er dein Gutes kennen lerne. Aber halte dich nicht so fuͤr beleidigt, daß du ihn hassen oder strafen, oder dich kraͤnken muͤssest. Alles dieses sind keine Mittel wider die Unbekantschaft deiner Verdienste. Trachte nicht nach den willkuͤhrlich gesetzten Zeichen der vorzuͤglichen Ehrwuͤrdigkeit, wenn dir der Werth fehlet, oder wenn die Zeichen dir D 5 und Die Sittenlehre und denen, womit du umgehn mußt, mehr Ver- druß als Vortheil bringen. Der gute Name ist die allgemeine Ehre aller Menschen, von denen nicht bekannt ist, daß sie Friedensstoͤhrer und Bundbruͤchige sind. Erhalte deinen guten Namen bey allen, nicht nur durch Tugend, sondern auch durch Meidung der gewoͤhn- lichen Zeichen des Lasters, und durch Beobachtung des tugendhaften Wohlstandes. Handle allen gleichguͤltigen und selbst den fehler- haften Gewohnheiten gemäß, wenn du ihrent- wegen nur einige Beschwerlichkeit ertragen, nicht aber Suͤnde thun sollst, und wenn du keinen Be- ruf, das ist, nach Wahrscheinlichkeit kein Vermoͤ- gen hast, sie durch dein Exempel zu bessern. Schaͤme dich nicht, deine Fehler und Ver- brechen deinen Freunden, Rathgebern und beleidigten Gegnern zu gestehen; aber schaͤme dich, sie zu rechtfertigen oder fortzusetzen. Der Hochmuth ist eine falsche Meinung, daß wir vorzuͤglich klug, vermoͤgend, schoͤn und tugend- haft, oder doch in solchen vorzuͤglichen Umstaͤnden sind, daß Andre um deswillen uns gewisse andre Vorzuͤge einraͤumen muͤssen, oder daß wir uns dieselben mit Recht anmassen koͤnnen. Der Hoch- muth mißfaͤllt allen, erreicht seine Wuͤnsche nicht, und hindert unser Bestreben nach den Vorzuͤgen, die aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. die wir uns einbildeu. Der Stolz ist das aͤusser- liche Bezeigen eines Hochmuͤthigen. Mancher ist hochmuͤthig, und weiß den Stolz zu vermeiden. Mancher handelt stolz aus Unerfahrenheit, ob er gleich nicht hochmuͤthig ist. Die Demuth ist das bestaͤndige Bestreben, den Hochmuth; und die Bescheidenheit das be- staͤndige Bestreben, den Stolz zu vermeiden. Weil wir taͤglich mehr erfahren, daß die Men- schen zu vortheilhaft von sich selbst, und zu nach- theilig von andern denken; so besteht die Pflicht der Demuth in dem Zweifel an unsern Vorzuͤgen. Wenn die aͤusserlichen Zeichen deines Vorzuges mißfallen und kraͤnken, ohne mehr zu nuͤtzen; so verbirg denselben; alsdann handelst du der Beschei- denheit gemaͤß. Die Ehre des Worthaltens, der Dankbarkeit, der Friedfertigkeit, des Fleisses, der Ordnung in unsern Geschaͤften, der Dienstfertigkeit, der Ge- faͤlligkeit und der Reinlichkeit, ist diejenige, die uns, besonders, wenn wir kein ererbtes Ver- mögen haben, gemeiniglich gluͤcklich und gemein- nuͤtzig macht. Sey weise und gemeinnuͤtzig. Die Ehre wird endlich folgen. Denn Gott vergilt das Gute in Ewigkeit, zum Besten seines ganzen Reiches. Die Sittenlehre Reiches. Also wird es einmal erkannt werden, wie rechtschaffen und gut du gewesen seyst. §. 31. Andern ist ihre Ehre so lieb, als dir die deinige. Luͤgenhafte Verkleinerung, Verleumdung und Lästerung des guten Namens sind also sehr lasterhafte, sehr strafbare Handlungen. Wenn die Entdeckung der Verbrechen deines Naͤchsten uͤberhaupt mehr schadet, als dir oder andern nuͤtzt; so mußt du, wenn es moͤglich ist, sie verschweigen, entschuldigen oder verringern. Die Gesinnungen, Handlungen und Werke einer in ihrem Stande vorzuͤglich weisen und tu- gendhaften Person mußt du bey aller Gelegenheit rühmen, damit sie sich ihrer Verdienste freue, brauchbarer werde, und Nachahmer finde. Ueber- haupt ruͤhme so oft du kannst, schon ohne weitere Ursache, als um gefaͤllig zu seyn. Aber tadle nur, so oft du wegen eines den Verdruß uͤberwiegenden Nutzens mußt. Vornehmlich aber, wenn eine Person oder ein Werk vorzuͤglich gut ist, so rede nicht ohne be- sondern Nutzen, von ihren Fehlern und Män- geln. Denn die mehrsten Menschen sind neidisch, und achten solche Fehler fuͤr zu groß; dazu mußt du nichts beytragen. Die aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Die unschuldig angegriffne Ehre Andrer, be- sonders, wenn sie vorzuͤglich gute Menschen sind, oder wenn du mit ihnen in besondrer Verbindung stehst, oder es ohne deine Huͤlfe schwerlich geschehen kann, mußt du mit tugendhaftem Muthe ver- theidigen, sollte es dich auch im Anfange einige Vortheile kosten. Hast du aus Jrrthum, oder aus andern Ur- sachen jemanden an seiner Ehre beleidigt; so er- setze diesen Schaden so gut du kannst. Denn die Ehre ist oft wichtiger und angenehmer, als vieles Geld. §. 32. Sey jederzeit mäßig im Genusse der Nah- rungsmittel. Jß und trink auf eine solche Weise, in solcher Maasse, und Sachen von solcher Be- schaffenheit, daß du deiner Gesundheit nicht scha- dest; daß du keinen Augenblick den Gebrauch deines Verstandes und deiner Kraͤfte zu einem gemein- nuͤtzigen Leben verlierest; daß es dir nicht viel Zeit koste, welche du besser gebrauchen kannst; und daß du dich keiner Verschwendung schuldig machest, sondern mit gleichen Kosten dir und den Deinigen das groͤßte Vergnuͤgen erkaufest, welches moͤglich ist. Was die mehresten, welche mit dir gleiche Le- bensart fuͤhren, ohne Schaden ihrer Gesundheit essen Die Sittenlehre essen und trinken, das ist auch dir, ausser den Zeiten der Krankheit, gesund. Sey bey einem maͤßigen Tische gastfrey, wenn es dein Vermoͤgen leidet. Dieses ist mensch- lich, angenehm, beliebt und nuͤtzlich, und kann mit denselben Kosten geschehen, welche von den Verschwendern auf Leckerbissen verwendet werden. Geneuß niemals so viel, daß es dir beschwer- lich oder eckelhaft werde, mehr zu geniessen. Dieses ist ungesund, und folglich unmaͤssig. Die Trunkenheit ist eine Raserey von eini- gen Stunden. Kann ein vernuͤnftiger und tugend- hafter Mensch rasend seyn wollen? Das unmaͤssige Verlangen nach starken Ge- traͤnken mehrt sich immer von Jahr zu Jahr, hindert alle Gemeinnuͤtzigkeit und Ehre, ist eine gewoͤhnliche Ursache der Armuth, macht besonders zum Ehestande ungeschickt, oder verursacht den Nachkommen angebohrne Schwachheiten; es un- tergraͤbt sichtbarer Weise die Gesundheit und das Leben. Die Besserung von diesem Laster ist schwerer, als von vielen andern Suͤnden. Die sogenannte Ehre, viel vertragen zu koͤn- nen, ist entweder falsch, oder setzt voraus, daß man oft betrunken gewesen sey. Also mußt du die sogenannte Ehre dieses Vorzuges niemals suchen, noch aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. noch andern darinnen nacheifern. Denn dieser Ehrgeiz hat schon viele ungluͤcklich gemacht. Der bestaͤndige Hang zum Rauchtaback ist an sich wenigstens thoͤricht; oftmals, besonders bey starken Getraͤnken, schaͤdlich; kostet viele Zeit; verursacht einen Geruch und einen Schmutz, der vielen eckelhaft ist, und kann nicht anders anfan- gen, als durch Erduldung mancher Beschwerlich- keit, welche der Trunkenheit aͤhnlich ist. Also wiederrathe ich dir den Gebrauch dieses Krautes, ob es gleich nicht allen vernuͤnftigen Maͤnnern in ihren Umstaͤnden zu verdenken ist, daß sie die Beschwerlichkeit des Abgewoͤhnens nicht ertragen wollen. Eben dasselbe rathe ich vom Schnupf- toback. Benebelnde Getränke, welche stärker als Wein sind, muͤssen nur als Arzeney, und also nicht gewoͤhnlicher Weise genossen werden. Wenn man alle Gruͤnde und Gegengruͤnde zusammen vergleicht, so ist der beste Rath, daß man sie niemals trinke, ohne etwa auf Reisen ein ver- dorbnes Wasser zu bessern, wenn man andre ge- woͤhnliche Getraͤnke nicht vertragen kann. Wenn die noͤthige Sparsamkeit es erlaubt, Wein zu trinken, so ist der sicherste Rath, zu derselbigen Zeit mindestens zweymal so viel Wasser zu Die Sittenlehre zu nehmen, und alsdann, wenn kein Verlangen mehr da ist, mit beyden Getraͤnken aufzuhoͤren. Der starke Hang zu warmen Getraͤnken, (als Thee oder Coffee, ) ist unsrer Gesundheit schaͤd- lich, erfordert viel Zeit und besondre Umstaͤnde, auch einige ersparliche Kosten. Gewoͤhne dich also nicht an dieselben. Doch vielleicht ist ihr Genuß eine rathsame Art gesellschaftlicher Bewirthung. §. 33. Die Gesundheit ist eine vorzuͤgliche Quelle des Vergnuͤgens und der Gemeinnuͤtzigkeit. Auch ihrentwegen sey maͤßig. Suche, so viel du kannst, in reiner und abgeaͤnderter Luft zu leben. Schla- fe, wenn du kannst, sieben Stunden. Trinke nicht kalt und geschwind, wenn du erhitzt bist. Laß den Schweiß deines Koͤrpers auf keine Weise ploͤtzlich zuruͤck treten. Bewege dich, wenn du kannst, taͤglich auf eine Art, die deine uͤbrigen Zwecke am wenigsten stoͤhrt, und wovon du aus der Erfahrung lernest, daß sie deine Gesundheit und Munterkeit erhalte. Huͤte dich vor heftigen Affecten, vor der Einsamkeit in Schwermuth, und vor der Gewohnheit, nach dem Rathe uner- fahrner Leute Arzeney zu nehmen. Dieses sind gute Regeln fuͤr die Gesundheit. Bey aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Bey dem Anfange oder Anscheine einer Krankheit lebe in allen Stuͤcken enthaltsamer, als sonst, und setze deine Arbeit fort, wenn du dich dabey nicht beschwerter befindest, als bey der gaͤnzlichen Ruhe. Mußt du aus Schwachheit oder aus Schmerz ruhen; so folge, wenn du ihn haben kannst, dem Rathe gewoͤhnlicher Aerzte. Du mußt dein Leben und die baldige Genesung wuͤnschen und befoͤrdern; aber ohne quaͤlende Furcht vor einem moͤglichen Tode, oder einer langwierigen Krankheit. Denn solche Furcht ist mehrentheils ein Jrrthum. Oft machen nur die Wirkungen der Angst, daß das geschehe, was man befuͤrchtet. Uebrigens gehoͤren Krankheit und Tod zu denen den Menschen bestimmten Uebeln, welche Gott zum Besten wendet. Wenn du durch Krankheit eine lebhafte Erin- nerung deines Todes bekoͤmmst: so bediene dich ihrer, dich zur wahren Besserung vorzubereiten, falls du leben solltest; ersetze den durch deine Schuld und dein Exempel zugefuͤgten Schaden, so viel du kannst. Setze Betrachtungen Gottes und das Gebet fort, so lange es dich bessert und troͤstet. Aber befoͤrdre dein Uebel nicht durch be- schwerliche und quaͤlende aͤusserliche Uebungen der Andacht, wenn sie nur Affecte und Betaͤubungen verursachen, welche nicht bessern. Denn Gott E richtet Die Sittenlehre richtet dein Leben, und laͤßt sich durch vieles Ru- fen und Schreyen nicht erbitten. Du weißt schon mehr Mittel des demuͤthigen Vertrauens zu Gott in solchen Umstaͤnden. Aber ich will sie hier nicht anfuͤhren. Der Verlust der Glieder, besonders die zu den Sinnen gehoͤren, ist an Wirkungen fast einer bestaͤndigen Krankheit gleich, und macht dich scheuß- lich und unnuͤtzer. Laß dich von Vernuͤnftigen, oder durch dein eignes Nachdenken, und durch die Erfahrung an andern, vor denen Handlungen und Umstaͤnden warnen, welche mit solchen Gefah- ren verbunden sind. §. 34. Das menschliche Leben muß den Seelen nuͤtzlich seyn. Denn es ist eine allgemeine Wir- kung der Natur. Du kannst nicht beurtheilen, oder dir doch das Urtheil nicht zutrauen, wann es dir und andern nuͤtzlich zu seyn aufhoͤre. Also ist der freywillige Tod, wenn uns die Ausuͤbung der Tugend nicht durch wahrscheinliche Zufaͤlle oder durch andre Menschen toͤdten wird, allezeit Suͤnde, und heißt deswegen Selbstmord. Wer sich in Schmerz und Widerwaͤrtigkeit das Leben nimmt, haͤtte sich das Urtheil, daß er immer traurig, schmerzvoll, ungluͤcklich und unbrauchbar in aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. in seinem Leben bleiben wuͤrde, nicht zutrauen sollen. Die Erfahrung zeigt, daß die mehresten, die so dachten, im Jrrthume waren. Wer Hand an sein Leben gelegt hat, und un- vermuthet gerettet ist, empfindet bittre Reue, woferne er nicht raset oder wahnsinnig ist. Dies ist ein Beweis, daß er es nicht gethan haͤtte, wenn er nicht im Affecte gewesen waͤre, der seine Vernunft betaͤubte, oder unwirksam machte. Niemand bringt sich ausser einem Affecte um, oder er muͤßte Grundsaͤtze haben, die bey uns nicht sind, und sich uͤberdies auf Jrrthum gruͤnden. Sollte dein Lauf der Gedanken jemals auf die Frage des Selbstmordes fallen: so ist dieses dir ein Zeichen, daß du in dem Anfange eines starken Affects bist. Verschiebe alle Handlungen, bis du dich wieder ruhig und bey Vernunft fuͤhlest. Die Meinung von der mit keiner Suͤnde zu vergleichenden Suͤnde des Selbstmordes mag wahr oder falsch seyn, so ist sie doch ausgebreitet. Welche Traurigkeit verursacht also ein Selbstmoͤr- der den Seinigen, denen er Liebe und Dank schuldig war? Auch dieses wird ihn der gerechte Gott entgelten lassen. Die Wahl solcher gefaͤhrlicher Gewerbe, die uͤberhaupt gemeinnuͤtzig sind, aber wobey leicht und also von vielen das Leben verlohren wird, ist E 2 kein Die Sittenlehre kein Selbstmord. Denn es ist die Absicht nicht, das Leben zu verlieren. Dennoch muß des Lebens halber eine solche Wahl noch sorgfaͤltiger, als andre, uͤberlegt werden. §. 35. Es ist sehr gemeinnuͤtzig, daß der Vater jedes Kindes bekannt sey. Denn wer sich als Vater erkennt, hat gemeiniglich einen drin- gendern und angenehmern Trieb, fuͤr das Beste des Kindes zu sorgen, als es in Ermanglung des- sen andre thun wuͤrden. Es ist den mehresten, welche Vaͤter sind, ein grosses Vergnuͤgen zu wis- sen, von welchen Kindern sie es sind. Die Fuͤr- sorge, welche aus vaͤterlichem Triebe geschicht, ist am geschicktesten, in den Kindern den ihnen so nuͤtzlichen Gehorsam durch Liebe zu versuͤssen. Ohne ein solches Verhalten der Menschen aber, wodurch die Vaͤter der Kinder bekannt bleiben, ist ordentlicher Weise keine Gluͤckseligkeit in Haͤusern und Familien moͤglich, worauf doch das Beste des menschlichen Geschlechts beruhet. Auch ist die Vereinigung beyder Eltern, (weil auch die Muͤtter natuͤrliche Zaͤrtlichkeit ha- ben, und deswegen von den Kindern vorzuͤglich geliebt werden) am geschicktesten, das Beste der Kinder zu besorgen, bis dieselben erwachsen sind. Es aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Es ist also eine der gemeinnuͤtzigsten Regeln fuͤr die Sitten und wahre Gluͤckseligkeit der Men- schen, daß keine Zeugung, folglich keine koͤrper- perliche Vereinigung zweyer Personen, welche zeugen koͤnnen, ohne eine foͤrmliche Abrede ge- schehe, gemeinschaftlich fuͤr die Kinder zu sorgen, und folglich, so lange es dieser Zweck erfordert, eine besondre Liebe und Freundschaft zu unterhal- ten, auch daß waͤhrend dieser Zeit die Frau mit keinem andern Manne in gleicher Vereinigung stehen wolle. Diese Abrede zweyer Personen, welche Kinder zeugen koͤnnen, heißt die natür- liche Ehe, und, wenn dieselbe von den Vorste- hern des Vaterlandes gebilliget wird, die bür- gerliche Ehe. Wenn beyde Personen, (oder eine derselben) bey der ersten Abrede, daß sie das Recht der koͤr- perlichen Vereinigung haben wollen, offenbar auf immer zur Zeugung ungeschickt sind; so ist ihr Vertrag eine solche Nachahmung der Ehe, welche gemeiniglich diesen Namen fuͤhret. Die Vielmännerey kann keine Ehe seyn. Die Vielweiberey ist fuͤr die Sitten und Gluͤck- seligkeit der Menschen weit weniger nuͤtzlich, als die von beyden Seiten einfache Ehe. Auch muß die Abrede der Ehe zu einer bestaͤndigen Dauer derselben, bis entweder der Mann oder die Frau E 3 stirbt, Die Sittenlehre stirbt, abzielen, da sonst zum Schaden der Men- schen die Ehen sehr veraͤnderlich und unvollkommen wuͤrden. Da wir der Obrigkeit gehorchen muͤssen, so ist die Erfuͤllung der natuͤrlichen Ehe, wenn sie nicht zugleich buͤrgerlich ist, keine erlaubte Sache. Also ist alle koͤrperliche Vereinigung beyder Geschlechter, ausser der buͤrgerlichen Ehe, ein grosses Laster, eine grosse Suͤnde. Man nennt sie Hurerey. Die Hurerey einer verehlichten Person heißt Ehebruch. Wenn die Ehe, der nahen Verwandschaft wegen, von der Obrigkeit nicht erlaubt ist, wel- ches mehrentheils eine wahre Absicht auf das Beste der Menschen hat; so nennt man die koͤr- perliche Vereinigung solcher Verwandten eine Blutschande. Wenn jemand dem Affecte des Geschlechts- Triebes so viel nachgiebt, daß er in dieser Rase- rey ihn auf andre Art, als durch den Umgang mit dem andern Geschlechte, zu erfuͤllen sucht; so heißt seine That sodomitisch, viehisch, ona- nitisch, oder mit einem Worte, widernatürlich. Das widernatuͤrliche Laster ist nicht nur eine Wirkung eines schon rasenden Affects, nicht nur der Gesundheit im hoͤchsten Grade gefaͤhrlich, ver- dirbt nicht nur die Hoffnung zu einer gluͤcklichen Ehe, aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Ehe und den nuͤtzlichen Reiz zu diesem Stande, sondern erfuͤllt auch die Einbildungskraft mit eckel- haften und quaͤlenden Bildern, welche es einem solchen Menschen erstaunlich schwer machen, die- sem Wahnsinne auf kuͤnftig zu entgehn; und zwar desto schwerer, je oͤfterer dieses Laster wiederhohlt wird. Also ist das widernatuͤrliche Laster sehr abscheulich. Die Hurerey hat, obgleich in etwas minderm Grade, alle Folgen des widernatuͤrlichen Lasters, erzeugt mehrentheils schmerzhafte und unheilbare Krankheiten, reizet zur Verschwendung, zum Diebstahle und zur Versaͤumung der wichtigsten Pflichten; stuͤrzt die Schuldigen in eine unaus- loͤschliche Schande, wird von der Obrigkeit be- straft, und veranlaßt aus der Furcht vor Schande und Strafe oft einen Kindermord und das groͤßte Elend der Familien. Das Wort Unzucht oder Unkeuschheit ist ein gemeinschaftlicher Name der Hurerey, des Ehebruchs und des widernatuͤrlichen Lasters. Unehrbare Handlungen aber sind diejenigen, welche ein Zeichen eines unzuͤchtigen Verlangens sind, oder es leicht erregen, oder nach denen unter den Tugendhaften herrschenden Sitten, wegen der Gefahr zur Unzucht, fuͤr schaͤdlich gehalten werden. E 4 Kein Die Sittenlehre Kein einziger Trieb wird so oft und so ploͤtzlich ein starker Affect, als der Geschlechtstrieb. Also ist es niemals erlaubt, die in den mehresten Faͤl- len gemeinnuͤtzigen Regeln von der Bezwingung dieses Triebes, in einzelnen Faͤllen deswegen zu uͤbertreten, weil wir die schaͤdlichen Folgen nicht sehen. Wer fuͤr sich selbst Ausnahme machen will, ist in einem Affecte, der die Richtigkeit seines Urtheils verdaͤchtig macht. §. 36. Uebertritt in keiner Handlung die Ehr- barkeit. Wende die Augen ab von entbloͤßten Koͤrpern, vornehmlich des andern Geschlechts. Entbloͤsse dich selbst nicht im Beyseyn andrer, ohne die aͤusserste Noth. Meide nach Moͤglichkeit die Annaͤherung an Oerter, wo das andre Geschlecht, und selbst dein eignes, auf eine ungewoͤhnliche Weise entbloͤßt erscheint. Gemaͤhlde und Bild- faͤulen entbloͤßter Personen haben wenigstens die halbe Wirkung, als die wirkliche Bloͤsse. Meide also ihre Betrachtung, so bald sie in dir ein unru- higes Verlangen erregt, welches du nicht erfuͤllen darfst. Schlafe, wenn du es kannst, in einem besondern Bette, und nicht in einem Zimmer mit dem andern Geschlechte. Die Theile deines Leibes, welche du wegen der Ehrbarkeit nicht offenbar zeigen aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. zeigen darfst, beruͤhre nur in der hoͤchsten Noth, und mittelbar. Sey nicht einsam mit einer Per- son des andern Geschlechts an solchen Oertern, zu einer solchen Zeit, und in solchen Umstaͤnden, daß es, wenn man es wuͤßte, fuͤr unehrbar gehalten wuͤrde. So lange du jung und unverheyrathet bist, so vermeide nach Moͤglichkeit den Anlaß, von un- zuͤchtigen Handlungen, oder von dem koͤrperlichen Umgange der Eheleute vieles zu reden, zu hoͤren und zu lesen. Fliehe den Anblick derer Eheleute, welche in deinem Beyseyn unvorsichtig, und derer Leichtsinnigen, welche unehrbar mit einander scherzen. Scherze selbst nicht unehrbar mit Per- sonen weder deines eignen, noch des andern Ge- schlechts. Rede, wenn du davon reden mußt, von den Lastern der Unzucht, nur mit Ernsthaftigkeit. Alles Verhalten solcher Personen, die nicht mit einander verheyrathet sind, ist alsdann wirklich unehrbar, wenn es nach den Sitten der Tugend- haften im Lande dafuͤr gehalten wird. Vermeide eine jede Handlung, an welcher du zweifelst, ob sie mit der Ehrbarkeit bestehe. Es ist leicht, ehrbar zu bleiben, wenn man es schon ist, und einem ehrbaren Menschen ist es nicht schwer, in der Keuschheit zu verharren. Die Unehrbarkeit aber ist ein abhaͤngiger Weg E 5 zur Die Sittenlehre zur Unzucht, auf welchem sich ein Mensch schwer zuruͤck haͤlt, weiter zu gehen, als er wollte. Faulenze niemals im Bette, wenn du des Morgens schon erwacht bist. Sey maͤssig im Essen und Trinken. Beobachte sorgfaͤltig alle Regeln der Ehrbarkeit. Fliehe die Langeweile. Enferne dich, so weit es die Pflichten verstatten, von dem Um- gange aller Personen, welche dir als unzuͤchtig bekannt sind, und deiner Unschuld zum Anstosse gereichen koͤnnen. Wenn du diesen weisen Er- mahnungen folgest, so wirst du die Ehre, die Gesundheit, die Munterkeit des Geistes, die reine Einbildungskraft, das gute Gewissen, und die Glückseligkeit einer keuschen Jugend behalten. §. 37. Eine unglückliche Ehe ist eine der groͤßten Truͤbsale, und daurt die Lebenszeit. Wenn es wahrscheinlich ist, daß wir nach einigen Zeiten eine gluͤcklichere Ehe werden schliessen koͤnnen, als wozu wir itzund Gelegenheit haben; so muͤssen wir des Vergnügens einer frühe- ren Ehe, nach den Regeln der Weisheit, billig entbehren. Heyrathe nicht wider den Willen derer, von deren Wohlwollen ein solcher Theil deiner Wohl- aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Wohlfahrt abhaͤngt, welchen du ohne Kummer nicht auf immer wirst entbehren koͤnnen. Verbinde dich gleichfalls mit keiner Person, die an ihrer Seite dieses wagen will. Die Schönheit ist sehr vergaͤnglich; noch veraͤnderlicher ist das Urtheil uͤber dieselbe, und das vergnuͤgende Wohlgefallen, welches dadurch erreget wird. Es ist unmoͤglich, um der blossen Schoͤnheit Willen, eine durch Laster mißfaͤllige Ehegesellschaft, oder die Armuth, oder die Ver- achtung derer, an deren Beyfall am meisten gele- ben ist, in der Laͤnge der Zeit, ohne quaͤlende Reue zu ertragen. Es ist dir nicht moͤglich, in deiner Ehe gluͤck- lich zu seyn, wenn es deine Ehegesellschaft gereuen wird, dich gewaͤhlt zu haben. Wenn eine Ehe beyde Personen in gute Um- staͤnde setzt, und keine herrschende Laster ihre Gluͤck- seligkeit stoͤhren; wenn beyde vor der Ehe keinen solchen Widerwillen gegen einander haben, daß sie lieber unverheyrathet bleiben wollten, falls sie nicht durch die guten Umstaͤnde uͤberredet wuͤrden: alsdann waͤchst die Liebe mit den Jahren in der Ehe, und die Personen verlieren mit der Zeit den Wunsch, welcher auf eine andre Ehe- gesellschaft abzielte, die ihnen der Umstaͤnde wegen unmoͤglich, oder nicht rathsam war. Wenn Die Sittenlehre Wenn sich Personen aus zu ungleichen Stän- den und Altern verbinden, so bleiben die Ehen selten gluͤcklich. Heimliche Verlobungen, wenn die Zeit der moͤglichen Ehe ungewiß oder entfernt ist, wer- den mehrentheils ruͤckgaͤngig, oder eine Ursache grosser Reue. Eine Person, welche keine Vergeltung des Guten und Bösen nach diesem Leben glaubt, hat selten Bewegungsgruͤnde gnug, sich in allen Umstaͤnden als eine wahlwuͤrdige Ehegesell- schaft zu verhalten. Eheleute aus verschiednen Religionen und Kirchen, sind mehrentheils ungluͤcklich, wenn irgend eine Parthey glaubt, daß die Andre mit boͤsem Gewissen bey ihrer Religion bleibet, und eben deswegen kein Kind Gottes seyn kann. Die haushaͤlterische Arbeitsamkeit und Klugheit beyder Eheleute ist eine nothwendige Eigenschaft zur gluͤcklichen Heyrath, besonders, wenn der Reichthum fehlet. Jn diesem Falle macht sogar die Weichlichkeit und Kraͤnklichkeit die Ehe oftmals unrathsam. Der Vertrag zur Ehe ist viel zu wichtig, als daß ein vernuͤnftiger Mensch ihn eingehn darf, ohne sich nach der moͤglichen Wahl Vieler erkundigt zu haben, aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. haben, ohne die Eigenschaften und Umstaͤnde der abgezielten Person genau zu kennen, und ohne vorher den Rath seiner Freunde (anfangs unent- schlossen) angehoͤrt zu haben. Wer eine unschuldige Person durch ein Ehe- versprechen, und durch die Folgen derselben in Schaden und Verdruß gesetzet hat, ist verbun- den, ihn durch die Ehe selbst zu endigen, oder auf andre Art, so gut er kann, zu erleichtern und zu ersetzen. Wer kein Gewerbe versteht, und wer kein Vermoͤgen hat, oder es nicht durch die Heyrath bekoͤmmt, kurz, wer eine Frau und die wahrschein- lichen Kinder, auf eine seinem Stande gewoͤhnliche Art, nicht zu ernaͤhren weis; der muß nicht heyrathen. Denn durch solche Ehen wird die menschliche Gluͤckseligkeit oͤfterer vermindert, als vermehrt. Der eheliche Umgang solcher Personen, die bloß verlobt sind, ist wider die nuͤtzliche Ordnung, wird wider Vermuthen mehrentheils bekannt, und zieht alsdann Unehre und andre Unfaͤlle nach sich, in welche kein vernuͤnftiger Mensch sich selbst und seine beste Freundinn zu stuͤrzen waget. §. 38. Ein Ehemann, der durch Faulheit und Ver- schwendung seine Familie in Armuth und Unzu- friedenheit Die Sittenlehre friedenheit setzt, thut ihr mehr Boͤses, als alle ihre Feinde. Der Mann muß den Rath der Ehefreundinn anhoͤren und pruͤfen, alsdann seiner eignen Einsicht folgen, aber dennoch alle freundschaftliche Mittel anwenden, die Genossinn seines Schicksals damit zufrieden zu machen. Jn wichtigen Geschaͤften der Familie darf die Frau nicht herrschen, sondern muß gehorchen, weil der Mann ordentlicher Weise die aͤusserlichen Umstaͤnde besser kennet, und einen groͤssern Theil der Last des ganzen Hauses traͤgt. Die unter den Tugendhaften herrschende Ge- wohnheit der Vertheilung der Hausgeschaͤfte unter die Eheleute, und des Nachgebens unter ihnen bey Verschiedenheit der Meynungen; kurz, die allge- meine Wohlanständigkeit in dem Umgange der Eheleute mit einander, ist gemeiniglich in dem wahren Besten der Menschen gegruͤndet, und muß also, wenn in besondern Faͤllen das Gegen- theil nicht offenbar ist, allezeit beobachtet werden. Die Frau ist zwar verbunden, bey dem Eigen- sinne und den Fehlern ihres Mannes, sanftmuͤthig und geduldig zu seyn. Aber weit besser ist es, wenn der Mann sich so verhaͤlt, daß die Frau die- ser schweren Sanftmuth und Geduld nicht bedarf. Wer aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Wer Stiefkinder nicht eben so lieben, oder wenigstens aͤusserlich nicht eben so mit ihnen um- gehen kann, als wenn sie nicht Stiefkinder waͤren, der muß in keine solche Ehe treten, in welcher er Stiefkinder annehmen muͤßte. Oder die Kinder muͤssen, wenn es moͤglich ist, ausser dem Hause erzogen werden, um den groͤßten Theil des gewoͤhn- lichen Ungluͤcks zu verhuͤten, welches aus dieser Partheylichkeit entsteht. §. 39. Die Kinder muͤssen von den Eltern, oder auf ihre Veranstaltung, zur Tugend und Arbeitsamkeit erzogen, und bis in dasjenige Alter versorgt werden, in welchem sie sich selbst ohne Huͤlfe der Eltern ernaͤhren koͤnnen. Von der weisen Erziehung kann man vieles mit Nutzen lehren. Aber ich will itzt kein Buch der Weisheit fuͤr die Eltern schreiben. So lange die Kinder der vaͤterlichen Versor- gung in oder ausser dem Hause beduͤrfen, muͤssen sie allen Befehlen ihrer Eltern gehorchen, oder die Folgen der Weigerung leiden. Diese Noth- wendigkeit ist ein starker Reiz zum Gehorsam. Die Eltern ertragen der Kinder wegen grosse Beschwerlichkeit, oder haben es gethan. Die Dankbarkeit ist also der zweite Bewegungsgrund. Die Die Sittenlehre Die Jugend ist zwar unerfahren, aber kann doch gemeiniglich nicht zweifeln, daß die Eltern die Wohlfahrt der Kinder von Herzen wuͤnschen, und dieselben an Einsicht in ihr wahres Beste uͤber- treffen, (wenn gleich der jugendliche Verstand nicht in jedem Falle den wahren Nutzen der vaͤter- lichen Befehle und Verbote einsieht, und es auch bisweilen geschicht, daß die Freyheit der Kinder von den Eltern auf eine unnoͤthige Weise einge- schrenkt wird). Die Liebe und Weisheit der Eltern ist also der dritte Bewegungsgrund, um welches willen die Kinder willig gehorchen sollten. Die Herrschaft der Eltern, und folglich die Pflicht des eigentlichen Gehorsams der Kin- der, hört zwar auf, wenn die letztern sich selbst versorgen, und als Unterthanen unmittelbar unter der Obrigkeit stehn. Aber die Ehrerbietung gegen die Eltern, als gewesene Herren, die Dankbarkeit gegen sie, als die groͤßten Wohlthaͤter, und das Vertraun zu ihnen, als zu treuen und verstaͤndigen Freunden, darf niemals aufhoͤren, oder sie muͤßten des Standes der Eltern ganz unwuͤrdig gewesen seyn. Wie gluͤckselig waͤre ich, mein Sohn, wenn ich dir rathen koͤnnte, mein ganzes Verhalten nach- zuahmen! Die Kinder muͤssen selbst von den Fehlern ihrer Eltern Weisheit lernen, aber nicht gern davon reden. Die aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Die Jugend kann ohne die Gunst der Alten nicht gluͤcklich werden. Eine unbescheidene Zu- verlaͤßigkeit aber ist im hoͤchsten Grade mißfaͤllig. Also, mein Sohn, bestrebe dich nach der deinem Alter noͤthigen Bescheidenheit. Halte dich in Gesellschaften nicht fuͤr wichtig. Hoͤre viel, und denke in der Stille nach; aber rede wenig. Mußt du dem Urtheile der Alten widersprechen; so trage das Deinige so vor, als wenn du das Jhrige nicht verstanden haͤttest. So lange du unter häuslicher Herrschaft stehst, so beobachte ihren Vortheil in grossen und kleinen Dingen so bestaͤndig und so sichtbar, daß sie dich fuͤr ein noͤthiges Werkzeug ihres Gluͤckes halten. Die Nachläßigkeit kann so viele Wir- kungen haben, als die Untreue; und die Unvor- sichtigkeit schadet in einem Augenblicke oft mehr, als die laͤngste Nachlaͤßigkeit. Handle so treu, als wenn allenthalben lauter Augen deiner Herrschaft waͤren. Ein jeder Unterschleif, ein jeder Genuß solcher Dinge, welche man dir nicht zugedacht hat, ist ein Betrug und ein Diebstahl, dessen Gewohn- heit zu einem gewissen Ungluͤcke der Jugend ohn- fehlbar bald entdeckt, verabscheut und bestraft wird. Laß dich das boͤse Exempel deiner Mitgenossen nicht locken. Du siehst ihre Suͤnden, aber nicht die kuͤnftigen und verborgnen Wirkungen derselben. F Wun- Die Sittenlehre Wundre und kraͤnke dich nicht, wenn es dir so scheint, als wenn du in der Jugend von deinen Vorgesetzten oft Unrecht leidest. Denn deine Unerfahrenheit und Partheylichkeit laͤßt dich oft irren, und die Geduld ist die vornehmste Tugend der Schwaͤchern. Wer nicht hat leiden lernen, der lernet niemals, die Gluͤckseligkeit mit Vernunft brauchen. Aendre deinen Zustand und das Gewerbe, dessen Erlernung du dir vorgesetzt hast, nicht, wegen einiger ertraͤglichen Widerwaͤrtigkeiten. Denn es ist das gewoͤhnlichste Schicksal der Jugend, daß sie sich durch dieselben durchdraͤngen muß. Du kennst die Widerwaͤrtigkeiten der Staͤnde nicht, die du dem deinigen vorziehen moͤgtest. Der Stein, der oft gewälzt wird, wächst nicht. Wer vorgiebt, es nirgends aushalten zu koͤnnen, wird zuletzt ein Kriegsknecht, oder wohl gar ein Land- streicher und Bettler. Es ist dir an dem Wohlwollen einer jeden Person im Hause, und sogar der kleinsten Kinder, oder der niedrigsten Hausgenossen, gelegen. Deine Herrschaft kann nicht anders, als den Urtheilen uͤber dich glauben. Halte also auch die Kinder und das Gesinde im Hause zu Freunden; aber ver- schweige keine Verbrechen, welche du Befehl hast, anzuzeigen. Verführe die Kinder und das Ge- aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Gesinde nicht zum Ungehorsam, und zu Thor- heiten. Huͤte dich aber auch, selbst verfuͤhrt zu werden. Die Jugend ist die Zeit, uns mit Erkennt- nissen und Geschicklichkeiten zu bepflanzen. Wende alle Zeit dazu an, welche du von dem Dienste deiner Herrschaft, und von der Erlernung deines Hauptgewerbes frey hast. Es ist in deinem mittel- maͤssigen Zustande ein wichtiges Huͤlfsmittel deiner Wohlfahrt, wenn du geuͤbt bist, geschwind und angenehm zu schreiben; deine Gedanken deutlich und ordentlich aufzusetzen; mit Einsicht zu rechnen und Commerz-Geschafte in Ordnung zu halten; vieles, was zur Zierlichkeit und zum Unterhalte deiner Kleidung gehoͤrt, ohne Bezahlung andrer, selbst zu thun, und so viel als moͤglich, deinen Beduͤrfnissen abzuhelfen. Das Lesen nuͤtzlicher und angenehmer Bücher, und ein Wohlgefallen an einem oder dem andern musicalischen Jnstrumente, muß die gewoͤhn- lichste Ergoͤtzung einer sonst beschaͤftigten Jugend seyn. Der Geschmack an denselben bewahrt vor vielem Uebel, und stiftet viel Gutes. So lange ein Knabe unter haͤuslicher Herrschaft steht, kann es ihm nicht erlaubt seyn, um irgend einen Preis zu spielen, besonders ohne Wissen und Willen der Herrschaft. F 2 Wer Die Sittenlehre Wer einiges Spiels gewohnt ist, hat vielleicht nicht allemal Ursache gnug, sich desselben zu ent- woͤhnen. Aber weit besser waͤre es, wenn sich niemand gewoͤhnt haͤtte, um irgend etwas, als nur um den Beytrag zu Allmosen, Wohlthaten und dem gesellschaftlichen Aufwande zu spielen. Bleibe, wenn du erst uͤberhaupt spielen darfst, in deinem ganzen Leben bey dieser Regel. Die Hoff- nung auf den Gewinn in den Lotterien, ist thoͤ- rigt, und macht hundert Personen aͤrmer, ehe sie eine etwas bereichert. Die Freygebigkeit in Geldsachen, oder in andern Dingen, welche einen Werth haben, ist fuͤr die Jugend, welche kein Vermoͤgen besitzt, keine Tugend. Jn diesem Alter hat man nicht Verstand gnug, zu urtheilen, was, und wie viel von dieser Art geschehn muͤsse. Der Besitz eines kleinen gesammleten Vermoͤgens entscheidet in den maͤnnlichen Jahren oft das ganze Schicksal. Er- werben und Sparen ist vorzuͤglich der Jugend noͤthig. Doch ist Aufwand auf Wohlthaten besser, als auf theure und oͤftere Ergoͤtzlichkeiten. Wie die Umstaͤnde eines jungen Menschen auch beschaffen seyn moͤgen; so muß er mit demjenigen, was ihm durch Recht zufaͤllt, auskommen und etwas übrig haben. Ein Juͤngling, welcher die geringste Last der Schulden auf sich laden kann, ist aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. ist ein verdorbner Mensch, und wird wahrschein- licher Weise ungluͤcklich. Aus der Ordnung und Unordnung in den Kleidern und in dem Geraͤthe pflegt die Welt zu urtheilen, ob ein junger Mensch geschickt oder ungeschickt werde, ein gutes buͤrgerliches Leben zu fuͤhren. Von diesen Urtheilen uͤber dich wird ein Theil deiner irdischen Wohlfahrt abhaͤngen. Ein junger Mensch, der einiges Vermoͤgen hat, oder sich etwas Geld sammlet, muß es auf keine Weise denen bekannt machen, die ihn vielleicht um Anleihe ersuchen wuͤrden. Die mehrsten, welche von ihm leihen wollen, werden es miß- brauchen, und ohne Widerwillen nicht bezahlen. Wer oft Boͤses von Leuten redet, kann weder Freunde noch Goͤnner behalten. Das Unrecht der Eltern, der Herrschaft und der Vorgesetzten muß ohne die aͤusserste Noth von der Jugend nicht erzaͤhlt werden, und selbst, wenn es noͤthig ist, nur in den gelindesten Ausdrücken. Ein gluͤcklicher Hausvater zu seyn, erfordert so viel Erfahrung, und den Zusammenfluß so vieler guten Umstaͤnde, daß man von demjenigen, der die Gluͤckseligkeit seines Standes nicht fuͤhlet, weil ihm nach den Vorrechten eines Hausvaters zu sehr verlangt, fast keine Hoffnung haben kann. F 3 §. 40. Die Sittenlehre §. 40. Neid und Haß sind eigne Quaal und wider die Menschenliebe. Bedarf es wohl mehrere Gruͤnde, um uns davon abzuschrecken? aber der Abscheu an den Lastern der Menschen, und der Eifer, sie davon abzuhalten, ist kein Menschen- Haß, sondern eine Folge der Menschenliebe. Wenn dieser Eifer ein Affect wird, so heißt er Zorn, und wird gemeiniglich heftig, uns und Andern hoͤchst schaͤdlich, entstellt unsre Gebehrden, erhitzt unser Gebluͤt, zerstoͤhrt seinen eignen Zweck, und macht den Beleidigten oder den Vorgesetzten oft tadelnswuͤrdiger, als der Beleidiger oder der- jenige war, der den Fehler beging. Glaube nicht, daß der Zorn, oder ein Schein desselben dir ein Ansehn gebe, weil etwa die Vornehmen und Vorgesetzten sich oft vom Zorne uͤberraschen lassen. Du kannst ja selbst an andern merken, daß der Zorn eine kurze Raserey genannt zu werden verdiene. Kann er uns also wohl ein wunschwuͤrdiges Ansehn verschaffen? Die Strenge ohne Zorn bessert weit mehr, und thut weit minder Boͤses, als der Affect eines Zornigen. Ein junger ohnmaͤchtiger Mensch im Zorn ist ein Esel in der Löwenhaut. Der aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Der bloß eigennuͤtzige Zorn, der Boͤses thut, weil Boͤses geschehen ist, und ohne alle Absicht auf die Verbesserung der Menschen, heißt Rach- begierde, einer der abscheulichsten Affecte. Zorn und Rachbegierde zu verhüten oder zu bekämpfen, denke oft folgenden Wahrheiten nach. Die Menschen lassen sich schwerlich von einem, der selbst zu rasen scheinet, uͤberzeugen, daß sie gefehlt haben. Diejenigen, welche uns beleidigen, wuͤnschen eigentlich niemals unser Un- gluͤck; sie wollten uns gern nicht beleidigen, wenn sie nur glaubten, auf eine andre Art ihre Zwecke erfuͤllen zu koͤnnen. Wie oft beleidigst du andre aus Unwissenheit, Jrrthum und Unvorsichtigkeit? Jst es also nicht glaublich, daß du nur aus gleichen Ursachen beleidigt werdest? Die meisten Menschen werden so schlecht erzogen, und haben so schlechte Beyspiele der Nachahmung, daß es ein Wunder waͤre, wenn sie nicht oftmals Beleidiger wuͤrden. Zorn erzeugt neuen Zorn; Rache erzeugt neue Rache. Was denkst du von deinem Zorn, wenn er voruͤber ist? Denke dasselbe von ihm, wenn er sich annaͤhert. Weil nun Zorn und Rachbegierde nicht erlaubt sind, und weil die Menschenliebe ein allgemeines Gesetz ist, so mußt du auch deinen Feind, oder deinen Beleidiger aufrichtig lieben, aber nach F 4 solchen Die Sittenlehre solchen Regeln gegen ihn handeln, welche dem all- gemeinen Besten der Menschen gemaͤß sind. Ge- genwehr und Strafe, Mißtrauen und Entfernung sind zwar oftmals noͤthig. Aber ohne Absicht auf das Beste der Menschen, muß man seinem aͤrgsten Feinde kein Haar kruͤmmen, noch irgend eine Dienstfertigkeit gegen ihn versaͤumen. Wenn du es verhuͤten kannst, so laß das Mit- leiden nicht bis zum Affect anwachsen, weil du in demselben die beste Art der Huͤlfe nicht erfinden kannst. Hilf den Elenden, wie der geuͤbte Arzt den Kranken, zuweilen sogar durch schmerzhafte Mittel. Wer aus Mitleiden die Zucht der Jugend und die Strafe der Lasterhaften versaͤumet oder verhindert, der vergißt des wichtigern Mit- leidens mit dem menschlichen Geschlechte, welches durch die uͤble Erziehung und durch die Straflosig- keit der Laster vielen Uebeln unterworfen ist, und vieler grossen Vortheile entbehrt. §. 41. Laß dir besonders die Dienstfertigkeit em- pfohlen seyn; erstlich, gegen deine Wohlthäter, denn auch sogar der Schein der Undankbarkeit ist sehr verhaßt, und schreckt von Wohlthaten ab. Zweitens, gegen diejenigen Verwandte und Freunde, aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Freunde, deren Beduͤrfnisse du mehr, als andre, kennst, und die eben deswegen von andern verlas- sen werden, weil man auf deine Huͤlfe Rechnung macht; drittens, gegen die Elenden, die in Lebensgefahr und grosser Beschwerlichkeit zu seyn scheinen, und, so viel du weist, sich selbst nicht helfen koͤnnen; viertens, gegen die vorzüglich tugendhaften Menschen, an deren Wohlfahrt und Freude viele andere Antheil nehmen. Sey wohlthätig aus Tugend, und nicht bloß um der gehofften Ehre und Dankbarkeit wil- len. Rede, so wenig als moͤglich, von deinen Wohlthaten. Das Ruͤhmen wird schwerlich ge- glaubt, oder ist misfaͤllig. Beschuldige niemanden der Undankbarkeit, oder vereinige die noͤthige Beschuldigung mit neuen Wohlthaten an demsel- bigen. Denn sie ist vielleicht falsch und allemal hoͤchst misfaͤllig. Thue oft Gutes, ohne anzuzeigen, von wem es komme; so hast du keinen Undank zu besorgen, und so bist du der Uneigennuͤtzigkeit deiner Absich- ten gewiß. Es ist den mehresten Menschen eine Last, ei- nem einzigen viele Wohlthaten schuldig zu seyn. Jn diesem Falle muß man dem andern oͤftern An- laß geben, durch leichte und angenehme Dienste etwas von der Verbindlichkeit abzutragen. F 5 §. 42. Die Sittenlehre §. 42. Ein aufmerksames Bestreben, auch in Klei- nigkeiten gefällig zu seyn, ist ein grosser Theil der Wohlthaͤtigkeit, die wir den Menschen schul- dig sind, weil die Gelegenheit dazu in jedem Au- genblicke da ist, und die Ausuͤbung uns zu neuen Wohlthaten dieser Art nicht unfahiger macht. Wenn du in deiner Meynung von andern abweichest, so verbirg sie, so oft es nicht nuͤtzlich ist, sie anzuzeigen, oder zu vertheidigen. Hast du das Noͤthige deutlich und auf die gefaͤlligste Art gesagt, so schweige. Aber wenn du in deiner Handlung nicht nachgeben darfst, so handle nach deinen eignen Grundsaͤtzen. Schaͤme dich nicht, durch Belehrung andrer, deine Meynung zu ändern, und es ihnen zu danken. Disputire mit niemanden, der in Gemuͤths- bewegung ist. Denn du kannst dich leicht selbst erhitzen, und wie willst du bey einem Wahnsinni- gen Vernunft finden? Disputire in zufaͤlliger Gesellschaft nicht uͤber Religion. Wollen es andre, so sprich, daß die Frage mehr Ueberlegung brauche, daß Misver- stand herrsche; daß die Sache das Beste der Men- schen nicht zu betreffen scheine; daß nur Gott die Gewissen richte u. s. w. Von aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Von den uͤbeln Gesinnungen, die von andern erzaͤhlt werden, glaube Anfangs nur wenig. Sey bereitwilliger das Gute zu glauben. Bey dieser Gewohnheit wird der Jrrthum dich seltner gereuen. Beschwere niemanden durch Aufdringung deiner Gesellschaft. Man ist oͤfterer und fruͤ- her deiner uͤberdruͤssig, als man es sagt. Trage von der nothwendigen Gesellschaft- lichkeit so viel Last, als du nach deinen Um- staͤnden kannst. Wisse, die mehresten Menschen rechnen alle Kosten, alle Beschwerlichkeit und allen Zeitverlust, die du ihnen verursachst. Sey einer der Mittelmässigen deines Standes im aͤusserlichen Aufwande. So entge- hest du dem Neide. Denen, welche sehr beschaͤftiget sind, raube durch deine unnoͤthige Gegenwart keine Zeit, in welcher sie sich beschaͤftigen, oder erquicken koͤnnten. Was du verbergen willst, das offenbare niemanden, wenn du nicht eine ganz besondre Ursache hast, eine Ausnahme zu machen. Denn sonst giebst du selbst das Exempel der Schwatzhaf- tigkeit, welche du an andern nicht wuͤnschest. Suche keine Geheimnisse, die dich nicht angehen, zu wissen, besonders nicht von Schwaͤtzern, die sich Vielen anvertraun. Gieb Die Sittenlehre Gieb andern oft Gelegenheit, ihren Verstand, ihre Geschicklichkeit und ihre Tugend zu zeigen. Raube sie ihnen nicht durch Gespräche von dir selbst. Es ist vortheilhafter, gefaͤllig zu seyn, als unser eigen Lob auszubreiten. Eine stumme Gesellschaft wird schlaͤfrig und misvergnuͤgt. Fuͤhre etwas auf die Bahn, wenn niemand redet. Zu diesem Ende lies eine Zeitung und richte dich auf gute Gespraͤche. Er- kundige dich nach der Kunst, die dein Gesellschafter weis, oder nach seinem Handwerke und Gewerbe. Dieses ist ihm angenehm und dir lehrreich. Aber laß deine Gespraͤche vollkommen ehr- bar und niemanden eckelhaft seyn. Verachte keinen Stand, kein Gewerbe, keine Kunst, keine Wissenschaft. Es ist noͤthig, daß die mehresten neben einander da sind. Du kannst ohnmoͤglich alle ihre Vorzuͤge wissen. Die Vergleichung ist unnuͤtz und vielem Widerspruche unterworfen. Jn fremden Gesellschaften, deren Glieder du nicht kennst, rede mit solcher Vorsichtigkeit, als wenn du gewiß waͤrest, daß irgend einer das Gegentheil derjenigen Meynung glaubt, welche du vortragen willst. §. 43. aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. §. 43. Die aͤusserlichen Zeichen der Ehrerbietung (als Titel, Verbeugungen) gieb andern nach ihren Wuͤnschen reichlicher, als ihnen nach der Strenge zukoͤmmt, wo du nicht Beruf und Gelegenheit hast, sie von ihrem Hochmuthe und Stolze zu heilen. Gehe mit den geringen Ständen so um, daß du zeigest, wie sehr du ihren Werth und die- ses erkennest, daß der Vorrang nur von Zufaͤllen abhange. Jn unbekannter Gesellschaft glaube nicht leicht, daß du vornehm seyst, oder von den andern dafuͤr gehalten werdest. Erniedrige dich selbst, da- mit man dich gern erhoͤhe. Richte dich mehr nach andern, als es scheinet, daß sie sich nach dir richten. Denn sie thun es oftmals mehr, als du weißt. Und du bist nur ein einziger. Jm Gange, in der Miene, in der Stimme, in der Stellung, in der Kleidertracht und in Ge- braͤuchen, ahme ohne Affectation denen Belieb- testen deines Standes nach, aber nicht in Suͤnden und Thorheiten. Jn gesellschaftlichen Gesprächen verweile bey demjenigen, was andern gefaͤllt; verhuͤte den Anlaß zum Zanke, und zum Andenken ihrer trau- rigen Zufaͤlle und ihrer begangnen Fehler. Doch meide Die Sittenlehre meide den Schein eines einfaͤltigen oder eigen- nuͤtzigen Schmeichlers. Sey fröhlig in fröhliger Gesellschaft, und ernsthaft in trauriger. Mache das Elend andrer nicht empfindlicher durch Vergleichung mit deiner Gluͤckseligkeit. Wenn dein Besuch einem Hause, welches durch Krankheit und Todesfaͤlle betruͤbt ist, nicht beschwerlich, sondern angenehm scheinet, so versaͤume diesen Liebesdienst nicht deswegen, weil er auf eine Zeitlang deine Munterkeit stoͤhrt. Die Maͤnner werden in allen kleinen Angele- genheiten unvermerkt von den Weibern re- giert, als welche viel und lebhaft reden. Also kann man durch den ausgebreiteten Beyfall bey dem Frauenzimmer am sichersten einen allge- meinen Beyfall erhalten, welcher Gluͤck macht. Suche Gesellschaft, welche dich bessert, wenn sie dir auch durch vielen Tadel oder auf andre Art unangenehm waͤre, bis du im Stande bist, dich von denen suchen zu lassen, welche du bessern kannst. Laß es nicht merken, daß solche Fehler und ekelhafte Umstände andrer, welchen du nicht abhelfen kannst, dich in dem noͤthigen Umgange beschweren. Aus dieser Pflicht der Verstellung wird zuletzt Wahrheit werden. Trage aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Trage dein Leid im Verborgenen, und laß andre, die es nicht lindern koͤnnen, keinen Theil daran nehmen. Murre in Gesellschaften nicht uͤber das Verderben der Welt, ohne ihr Gu- tes zu erkennen. Sey heiter und munter, oder scheine es Anfangs zu seyn; so wird selbst diese Bemuͤhung dich oftmals wirklich erheitern. Nimm in Gesellschaften keine von bey- den Partheyen, wenn beyde heftig sind; oder die Dinge disputiren, die nicht leicht ent- schieden, oder die dem Geschmacke eines jeden muͤssen uͤberlassen werden. Solche Streitigkeiten sind uͤber Vorzuͤge der Nationen, der Regierungs- formen, der Sprachen und willkuͤhrlichen Sitten, der Ceremonien, der Prediger und Schriftsteller, der Kuͤnste und Handwerke u. s. w. Rede von der Regierung und den Mäch- tigen nicht übel. Du verstehst vielleicht die oͤffentlichen Angelegenheiten nicht. Der Vogel koͤnnte die Nachricht von deinem Urtheile durch die Luft tragen. Weiche der Macht, welche dir drohet, wenn sie dir nicht befiehlt, zu suͤndigen. Warum willst du durch Widersetzung dich ins Ungluͤck stuͤrzen? Wenn eine nachtheilige Begebenheit einer Person oder Familie ungewiß, oder nur dir und wenigen bekannt ist: so erzaͤhle sie unge- fragt Die Sittenlehre fragt niemanden, und allezeit mit Zweifel und in gelinden Ausdruͤcken. Die Gesellschaft, welche wir andern vor- ziehn, theilt uns einigermassen ihre Ehre und Schande mit. Mancher wird geliebt oder gehaßt, wegen seiner gewoͤhnlichen Gesellschaft. Sey also vorsichtig in dieser Wahl. Dringe dich nicht auf, in gefaͤhrlichen und mißfaͤlligen Dingen, und vielleicht vergeblich, ein Rathgeber zu seyn, oder rede so, daß der andre deinen Rath selbst erfindet, ohne ihn dir zuschreiben zu koͤnnen. §. 44. Verbirg deine längst begangne Fehler, wenn niemand nachfragt, und wenn sowohl die Ersetzung des Schadens, als deine Besserung, ohne Gestaͤnd- niß geschehen kann. Versaͤume kein gewoͤhnliches Zeichen der Achtung gegen solche, von denen du wuͤnschest, daß sie deine Achtung glauben. Condolire und gratulire nach Gewohnheit, und mit so gewaͤhlten Redensarten, daß sie Wahrheit anzeigen koͤnnen, ohne mißfaͤllig zu seyn. Bleibe keinen noͤthigen Brief schuldig. Opfre lieber zuweilen eine Stunde der Schlafzeit. Rede niemals gern von deinen Strei- tigkeiten mit andern. Verdirb dadurch kein gesell- aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. gesellschaftlich Vergnuͤgen. Sey, wenn du kannst, selbst mit deinen Gegnern bey gewissen Gelegen- heiten froͤhlig. Entschuldige sie mehr, als es die- jenigen thun, welchen die Streitsachen bekannt sind. Denn du hast in deiner eignen Sache den Schein und die Gefahr der Partheylichkeit. Scheltwoͤrter oder ähnliche Beschim- pfungen erwiedre niemals. Schaden sie deiner noͤthigen Ehre; so rette sie durch offenbare Zeug- nisse, und allenfalls auch vor Gerichte. Suche den Gemuͤthscharacter derer Per- sonen zu kennen, welche dir wichtig sind. Aber wisse, daß oft die schlimmste Gewohnheit uͤber gute Absichten und uͤber wahre Erkenntniß sieget. Aus der Gewohnheit zu handeln muß mehrentheils das kuͤnftige Verhalten eines Menschen geschlossen werden. Sey durch Aufmerksamkeit in Gesellschaft allen gegenwärtig, welche es dir sind, das ist, viel- leicht auf dich achten. Aber vertheile diese Auf- merksamkeit nach der Wichtigkeit oder auch nach dem aͤusserlichen Range der Personen. Rede nicht lauter, als erfordert wird, daß diejenigen, denen du redest, bequem hoͤren koͤnnen; Enthalte dich solcher Redensarten und Sprichwoͤrter, welche nur den wilden unerzogenen Leuten gewoͤhnlich sind, und den andern Eckel verursachen. Complimentire nicht mit Vornehmern, sondern thue, was sie dir G zweymal Die Sittenlehre zweymal sagen. Den Geringen aber biete die Gleichheit an, und den Gleichen den Vorrang. Man soll keine Feindschaft verachten, son- dern das Ende einer jeden wuͤnschen. Dieser Wunsch wenn er mit Klugheit wirkt, enthaͤlt die Pflichten der Versoͤhnlichkeit. Die Verachtung oder der Schein derselben reizt zu groͤsserer Beleidignng . Der einfaͤltigste und schwaͤchste Feind kann uns in gewissen Zeiten schaden. Die meisten Menschen, besonders arme Ver- wandte und Bekannte, fodern zu grosse Dienstfer- tigkeit von Andern. Aber zuweilen ist es ein klei- neres Uebel, kühnere Prätensionen zu erfuͤllen, als die Zahl der Feinde und Verlaͤumder zu vermehren. Verhuͤte die Nothwendigkeit der Processe. Sie sind kostbar, quaͤlend und ein Anlaß zu bey- derseitigen Suͤnden. Auch darum enthalte dich aller Schimpfwoͤrter und aller schwer erweislichen Beschuldigung. Mache alle deine wichtigen Ab- reden mit Andern schriftlich. Und in Kleinigkei- ten gieb lieber nach, wenn du zu groͤssern Schaden deiner eignen Person und deines Gegners das Recht suchen wuͤrdest. Erbiete dich nicht, Zeuge zu seyn, in Sachen, woruͤber derjenige, der dich dazu verlangt, eigentlich gar nicht rechten sollte. §. 45. aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. §. 45. Jch kann dir nicht rathen, alle und jede Ver- stellung zu meiden. Denn einige ist offenbar liebreich, oder verhuͤtet unsern eignen Schaden, und unsre eigne Unbequemlichkeit, ohne irgend je- manden zu beleidigen. Es ist den Tugendhaftesten und Weisesten zuweilen sogar rathsam und unver- meidlich, die Unwahrheit ausdruͤcklich zu sagen. Aber die meiste Verstellung hat schlimme Ursache, Zwecke und Wirkungen. Nur derjenige lügt, welcher ohne Recht die Unwahrheit sagt, oder sich verstellt. Wer wird einem bekañten Luͤgner glauben? Wie kann er mit Ehre und Vergnuͤgen unter Menschen leben, wenn ihm nicht geglaubt wird? Eine jede erlaubte Verstellung und Unwahrheit muß durch eine besondre dringende Ursache, welche mit der Tugend besteht, gerechtfertiget werden. Die Aufrichtigkeit aber in Worten und Minen ist so natuͤrlich, und von so allgemeinem Nutzen, daß man sie ausuͤben muß, so oft das Gegentheil nicht offenbar ist. Die Pflicht der Aufrichtigkeit ist eine Regel, das Recht der Verstellung ist eine Ausnahme. Die sündlichsten Lügen sind Verleumdung; und diejenigen, welche die Absicht haben, durch Betrug fremdes Guth zu gewinnen. Und dennoch ist das Laster dieser Luͤgen sehr ausgebreitet. Halte G 2 dich Die Sittenlehre dich allezeit so rein davon, daß ein jeder, der dich kennt, dich nicht einmal im Berdachte haben koͤnne. Wer mit Schwuͤren luͤgt, und als ein solcher bekannt wird, dem wird man niemals glauben, wenn er was sagt, woran ihm gelegen ist. Viele sagen die Unwahrheit um irgend Etwas zu reden. Wie leer muͤssen solche Seelen an guten und gefaͤlligen Gedanken seyn. Ein ver- aͤchtliches Volk! Wenn deine Schuld dich auch das Liebste kosten sollte; so waͤlze sie durch Unwahrheit nicht auf an- dre. Denn es ist ein allwissender Vergelter des Guten und des Boͤsen. Wenn deine Aussage irgend einem Menschen Schaden zuziehn oder mißfallen kann; so rede selbst in deiner Ueberzeugung so, als wenn du noch zwei- feltest. Alsdann bist du seltner in Gefahr, schaͤd- liche Unwahrheit zu sagen Halte dein Versprechen, besonders wenn sich der Andre darnach richtet, mit vollkommner Treue des Worthaltens. Ueberlege also vorher, ob du koͤnnest, und ob es gemeinnuͤtzig sey. Verhuͤte den Mißverstand. Bist du selbst Schuld daran, so trage die Last. Jst es der Andre ohne Betrug, so theile sie mit ihm aus Gefaͤlligkeit. Versprich nichts Schweres als gewiß. Sey nachgebend in Foderungen des Versprochnen. Ein aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Ein Versprechen, dessen Erfuͤllung schaͤdlicher ist, als der zu besorgende Zwang und Verdruß, welcher aus Abweichung von dem Versprechen folgt, darf man zwar nicht halten; aber den dadurch ver- ursachten Schaden muß man ersetzen. §. 46. Der Scherz ist eine Verstellung, welche andre vergnuͤgen, oder zum lachen reizen soll. Er muß ehrbar, uneckelhaft und ohne einen solchen Schaden seyn, der groͤsser ist, als das Vergnuͤgen. Scherze nicht auf solche Art, daß du besorgen mußt, auch nach der Entdeckung zu mißfallen. Nie- mals mit deinen Vorgesetzten oder Vornehmern. Denn sie trauen dir den Verstand nicht zu, dich in der Gewohnheit des Scherzes von der Beleidigung ihrer Ehre zu enthalten. Nicht mit Hochmuͤthigen und Zornigen, denn sie haben nicht Verstand gnug, Scherz zu verstehen. Nicht mit Traurigen, uͤber die Ursachen ihres Kummers; denn sie glauben sonst, daß du keinen Antheil daran nehmest. Nicht zwi- schen lehrreichen und ernsthaften Gespraͤchen. Denn der Nutzen derselben wird dadurch gestoͤrt. Nicht mit Argwoͤhnschen, welche sich den Scherz als eine Verachtung vorstellen. Nicht mit unbekannten Personen an oͤffentlichen Oertern, und zwar eben darum, weil du sie nicht kennest. G 3 Ein Die Sittenlehre Ein Mensch, der nur wegen seiner Gabe des Scherzes, und sonst wegen keiner guten Eigenschaft gefaͤllt, oder der aus Begierde zu scherzen, allezeit den Anlaß versaͤumt, die bessern Seiten seines Ver- standes und Herzens zu zeigen, ein solcher Lustig- macher wird von den vernuͤnftigen Menschen nicht geachtet. Sagt er im Scherze sogar Zoten und Beleidigungen, so ist er ihnen ein Abscheu. Der Scherz, welcher zugleich die Absicht hat, Fehler und Laster laͤcherlich zu machen, heißt saty- risch. Er gefaͤllt selten demjenigen, der solche Fehler begangen hat, wenn sie nicht fuͤr klein gehal- ten werden. Dieser Scherz, wenn er unvorsichtig ist, stoͤrt manche Freundschaft und manches Gluͤck, und verursacht Haß und Rachbegierde. Uebe dich also keinesweges in dieser so gefaͤhrlichen Kunst. Affectire nicht, sonderbar oder Etwas zu schei- nen, welches du nicht bist, und zu seyn nicht be- darfst. Affectire nicht den Schein der hohen Ge- burt, des Reichthums und der grossen Hoffnung; den Schein grosser Leibesstaͤrke und der Empfind- lichkeit oder Weichlichkeit; den Schein, in vielen fremden Laͤndern gewesen zn seyn, und viele Kuͤn- ste, Wissenschaften und Sprachen zu wissen; den Schein der Erfahrung sonderbarer und gefaͤhrlicher Begebenheiten; den Schein des Zorns und der Rachbegierde; den Schein der Gunst bey dem Frauenzimmer; den Schein wichtiger Geheimnisse und aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. und Geschaͤfte; den Schein einer ausserordentli- chen Munterkeit; den Schein aͤlter und juͤnger zu seyn; den Schein vieler Wiederwaͤrtigkeiten, und grosser Thaten in Tapferkeit und Dienstfertigkeit. Kurz, meide die Prahlerey, sie wird selten und niemals lange geglaubt, und nach der Entdeckung laͤcherlich und verhaßt. Der wirkliche Eigensinn ist selten; aber viele halten es sich fuͤr eine Ehre, eigensinnig zu scheinen, weil es die Vornehmern und Maͤchti- gern mehr sind, als die Geringen und Schwachen. Huͤte dich vor der Affectation dieser Thorheit. Folge jedem Rathe, welchen deine Einsicht, oder dein Vertrauen zu dem Rathgeber billigt; und handle allemal nach den Wuͤnschen andrer, wenn es keine Pflicht ist, den deinigen zu folgen. §. 47. Mit demjenigen, der zur witzigen oder boshaf- tigen Verkleinerung oder Verlaͤumdung geneigt ist, vermeide nach Moͤglichkeit den zufaͤlligen Um- gang und die vertrauten Gespraͤche. Sey hoͤchst sorgfaͤltig, denen, an deren Beyfall dir vornehmlich gelegen ist, gleich Anfangs einen guten Begriff von deinem Verstande und deinem guten Herzen zu erwecken. Denn dieser Begriff wirkt fast in alle folgende Urtheile, und raubt dir oft die Gelegrnheit, deine guten Seiten hernach zu zeigen. Laß Die Sittenlehre Laß dich die mißlungnen Versuche nicht ab- schrecken, fuͤr deine wichtigen Zwecke noch andre zu machen. Merke auf die guten Zeitpuncte der gluͤcklichen Schritte; und versaͤume nicht, aus Zu- versicht zu demjenigen, was schon geschehen ist, noch dasjenige hinzu zu fuͤgen, ohne welches alle vorige Schritte vergeblich seyn wuͤrden. Sey nicht bloͤde, diejenigen Wuͤnsche zu zeigen, und um diejenige Huͤlfe zu bitten, wodurch du zu einem Theile deiner wahren Gluͤckseligkeit gelan- gen kannst. Bitte mit Anstaͤndigkeit. Aber laß es dich nicht verdriessen, wenn die Erfuͤllung un- moͤglich ist, oder deswegen, weil der andre sie nicht leisten will, fuͤr unmoͤglich ausgegeben wird. Richte deine Handlungen allezeit so ein, daß so wenigen guten Zwecken als moͤglich ist, dadurch geschadet, und so viele, als moͤglich ist, dadurch erleichtert und befoͤrdert werden. Ueberlaß dich nicht dem Zufalle, wenn du durch irgend ein Bestreben, die Erfuͤllung guter Wuͤnsche wahrscheinlicher machen kannst. Schweige von den Zwecken, welche durch deine Schwatzhaftigkeit leicht koͤnnten gestoͤret werden. Viele Handlungen und Sachen sind nur als Mittel andrer Dinge gut und angenehm. Laß dich nicht von der Gewohnheit unvermerkt hin- reissen, dich ohne Nutzen mit solchen Mitteln auch als- aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. alsdann zu beschaͤftigen, wenn du einsehen kannst, daß der Zweck nicht laͤnger vernuͤnftig sey, oder daß solche Mittel nicht dazu taugen und des Opfers nicht werth sind, welches dazu erfordert wird. Trachte nach keiner Vermehrung irgend eines Be- sitzes von solchen Dingen oder Ehrenzeichen, deren Vermehrung dir nicht weiter nuͤtzen wird. Wisse vornehmlich, daß ein ausgebreiteter Beyfall bey vielen, die besondere Liebe bey nicht wenigen, die moͤgliche Vermeidung der Feindschaf- ten, die Enthaltung von allen groben Verbrechen, der Fleiß, die Sparsamkeit und die Ordnung in deinen Geschaͤften zusammen genommen, fast ein untruͤgliches Mittel sind, dir zur äusserlichen Wohlfahrt zu verhelfen. §. 48. Wenn zwischen dir und einem andern die Ge- wohnheit der gegenseitigen Dienstfertigkeit ist; wenn er dir gefaͤllt, und du ihm zu gefallen scheinst; wenn ihr wahrscheinlicher Weise lange an einem Orte leben und von beyden Seiten euch dienen koͤnnet; so vermehre nach Moͤglichkeit den Umgang; sey ihm dienstfertiger und williger als andere; traue ihm nach und nach mehr Wohlwollen gegen dich zu, bis du das Gegentheil erfaͤhrest: alsdann thust du alles moͤgliche, aus ihm deinen wahren Freund zu machen, wenn er es seyn kann. Gelingt es dir, so bleibe auch du sein wahrer Freund. G 5 Ver- Die Sittenlehre Vermittelst der wahren Freundschaft wird die Menschenliebe mit gewisserer Wirkung und mit groͤsserm Vergnuͤgen ausgeuͤbt, als wenn man ohne besondre Freundschaft nur unbekannteren Menschen zu dienen sucht, und von ihnen Gegendienste er- wartet. So lange zwey Personen den Willen haben, sich einander so viel zu dienen, als die Meynung von ihren Pflichten gegen Gott, das Vaterland, ihre Familie und andre Freunde ihnen erlaubt; so lange sind sie wahre Freunde. Das Unvermoͤgen zur Vergeltung der Dienste macht auf der andern Seite die Dauer der wahren Freundschaft schwer, und folglich unwahrscheinlich. Wenn du dem, der dein Freund scheint, wahr- haftige Dienste leistest, so nuͤtzen sie einem Men- schen, und in diesem Falle ist nichts daran gelegen, wenn er auch dein wahrer besonderer Freund nicht seyn sollte. Wenn die Staͤnde der Freunde sehr verschie- den werden; wenn ihr Schicksal sie oft und weit von einander entfernt; wenn ein jeder die Zahl seiner Freunde vermehrt, oder eine zahlreiche Familie bekoͤmmt, so bleibt entweder der Grad oder die Wirkung der Freundschaft nicht so groß, als vorher. Die Gefaͤlligkeit muß unter Freunden groͤsser seyn, als unter andern; aber die Furcht, wegen noth- aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. nothwendiger Kleinigkeiten zu mißfalleu, muß kleiner seyn. Die Dreistigkeit, dem Freunde Last und Eckel zuzumuthen, ist wider die Zaͤrtlichkeit der Freundschaft. Schmeichle deinem Freunde nicht; aber rede oft von seinen wahren Verdiensten. Tadle ihn nicht, wenn er sich gegen dich versieht; sondern wenn er dieselben Fehler in seinen eignen Geschaͤf- ten und gegen andre begeht. Diene ihm deßwe- gen, weil er unvermoͤgend zur Vergeltung wird, nicht weniger, als du sonst thun wuͤrdest. Gewoͤhne ihn gleich anfangs, keine Geheim- nisse von dir zu hoͤren, deren Entdeckung weder dir noch ihm nutzet. Achte jeden Grad der Freundschaft hoch, suche ihn zu erhalten und zu vermehren, ob du gleich groͤßere gehoffet hast. Bey einer Freundschaft zweyer Personen aus verschiedenem Geschlechte, muß die Ehrbarkeit auf das allergenaueste beobachtet werden. Denn sonst erwacht der Geschlechtstrieb, und wird ein wahn- sinniger Affect. Versuche die Moͤglichkeit der Freundschaft vor- zuͤglich bey nahen Verwandten, weil ihr euch der Mode wegen besondern Umgang und besondre Dienstfertigkeit schon schuldig zu seyn scheinet. Hast du dich in der Wahl des Freundes gaͤnz- lich geirrt; so verbirg die Einsicht von dem Jrr- thume; Die Sittenlehre thume; mache den Umgang schwerer und seltener; versage nach und nach mehr Dienste unter einem glaubwuͤrdigen Scheine der Unmoͤglichkeit; gieb nach und nach weniger Gelegenheit zu Gegendien- sten. Kurz, mache den, der dein Freund scheinen wollte und dich sehr kennt, auch von dir sehr gekannt wird, nicht zum giftvollen Feinde. §. 49. Der Zustand des Vergnügens ist Gluͤckselig- keit. Gluͤckseligkeit der lebendigen Wesen ist der Zweck des Schoͤpfers. Also ist das Vergnuͤgen an sich keine Suͤnde, obgleich viele Handlungen, die man des Vergnuͤgens wegen vornimt, Suͤnde sind. Waͤhle dir zu einem der vorzuͤglichsten Denk- spruͤche: Vergnügen ohne Reue, und handle nach demselben in Gedanken, Worten und Werken, sowol bey Erinnerung des Vergangenen, als bey dem Genusse des Gegenwaͤrtigen und bey der Aus- sicht in das Zukuͤnftige. Alsdann wirst du so gluͤck- lich seyn, wie es dir die Tugend und das unver- meidliche Schicksal erlaubt. Traurigkeit und Furcht sind der Gluͤckselig- keit zuwider. Bezwinge diese Affecte nach den Lehren des geduldigen Muthes. Erstlich, gewoͤhne dich nicht zu oͤftern Betrach- tungen derjenigen Uebel der Menschen, welche aus dem unvermeidlichen Schicksale kommen, und denen durch aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. durch keine Klugheit und Liebe abgeholfen wird. Denn durch dieses Andenken wird Traurigkeit und Furcht ohne Nutzen unterhalten. Diese Uebel sind auch weit seltener und geringer, als diejenigen glauben koͤnnen, welche aus der Aufmerksamkeit auf dieselben ein Geschaͤft machen. Zweytens, ein jedes Uebel hat einige gute Sei- ten, und kann durch Weisheit zu einigen Vorthei- len gebraucht werden. Wenn nun das Uebel da ist; so unterhalte dich mit solchen Ueberlegungen, nicht aber mit der muͤßigen Gruͤbeley uͤber die Groͤsse des Uebels und Mannigfaltigkeit desselben. Drittens, rede von dem Boͤsen nicht mehr als noͤthig ist, um ihm vorzubeugen oder abzuhelfen. Denn es kann dir zu nichts dienen, daß andre, welche dir zu helfen nicht faͤhig, oder nicht geneigt sind, dich fuͤr ungluͤcklich halten. Es verursacht ihnen nur Beschwerlichkeit, oder dir Verachtung. Es wird von dem Boͤsen gewoͤhnlicher Weise zu viel, und von dem Guten zu wenig geredet. Durch diese Thorheit werden viele Uebel erzeugt, die sonst nicht waͤren, und viel Vergnuͤgen zerstoͤret, welches Gott durch den Lauf der Natur uns anbietet. Viertens, wenn du durch blossen Vorsatz eine unnuͤtze Traurigkeit und Furcht nicht bezwingen kannst; so beschaͤftige dich, so stark als moͤglich ist, so bald du erwachst und bis du entschlaͤfst, entweder mit Arbeit, oder mit Zerstreuungen, welche dich nach Die Sittenlehre nach voriger Erfahrung zu vergnuͤgen pflegen. Setze dieses Huͤlfsmittel fort, wenn es auch an- fangs nichts oder wenig zu wirken scheinet. Wenn du ohne eine Ursache zu wissen, traurig und beaͤng- stigt bist, so ist der Grund in dem Koͤrper und eine Krankheit. Gieb dir alsdann nicht die Muͤhe, andre Ursachen aufzusuchen; sondern verbessere deine Diaͤt, und schaffe durch Aderlaß oder Arzney dasjenige aus dem Koͤrper, wodurch die Beaͤngsti- gung verursacht wird. Fuͤnftens, vermeide alle Gefahren des Lebens, der Gesundheit, des Beyfalls, der Gunst und der Guͤther, so oft du nach den Regeln der Weisheit und Tugend sie vermeiden darfst. Ersinne vorher die besten Gegenmittel wider die wahrscheinlichen und moͤglichen Gefahren; und suche vorher, sie in deiner Gewalt zu haben. Denn in den Gefahren selbst wird durch die Furcht eine Verwirrung ver- ursacht, in welcher die gluͤckliche Ueberlegung schwer ist. Auch ist es alsdann oft zu spaͤt, zu uͤberlegen und Mittel zu suchen. Diese Furcht vor der mißlingenden Wahl der Gegenmittel, mehret die Furcht vor den Gefahren selbst, und macht das Uebel aͤrger. Sechstens, geh an die moͤglichen Gefahren mit der weisen Unterwerfung unter Gott: HErr, dein guter Wille geschehe. Sie- aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Siebendens, wenn dir gute Absichten und Bemuͤhungen mißlingen; so laß es dich nicht ge- reuen. Denn gute Absichten und Bemuͤhungen sind schon ein Theil der Tugend, welcher fuͤr dich selbst nicht ohne wahren Nutzen seyn kann. §. 50. Ergötze dich und andre so oft, auf eine so gemeinnuͤtzige Art und mit so wenigen Kosten, als es in den Umstaͤnden moͤglich ist. Kein Vergnuͤgen ist dauerhafter, als das An- denken an gute Thaten, besonders an solche, welche gelungen sind, und an gute Vorsaͤtze, be- sonders an solche, welche wahrscheinlicher Weise gelingen werden. Die Natur bietet allen Menschen insgemein, sowol dem Armen als dem Reichen, fast in allen Jahrszeiten, viele Ergoͤtzlichkeiten an, welche nichts, als den Vorsatz des Genusses, kosten. Wenn dich wichtige Geschaͤfte nicht abrufen, so laß die Gelegenheit zu solchem natuͤrlichen Genusse nicht vorbey gehen, sondern gebrauche sie entweder ein- sam, oder in Gesellschaft. Genieß deine Speisen und dein Getränke mit Aufmerksamkeit auf den Wohlschmack dersel- ben, und mit dem Andenken, daß Gottes Vor- sehung dir und den Deinigen dieses Vergnuͤgen im jedem Jahre uͤber tausendmale bestimmt habe. Ent- Die Sittenlehre Entzeuch dir freywillig auf eine Zeitlang einen dir gewöhnlichen Genuß der angenehmen Dinge. Denn er wird schmackhafter nach einer Abwechse- lung. Wenn du zu Tische gehest, so thue alles moͤgliche, um deine Sorgen und muͤhsamen Ueber- legungen fahren zu lassen; gleichfalls, wenn du dich zum Schlafen legest. Der Tisch und das Lager sind, wenn du munter und gesund bleiben willst, keine Oerter der Beschaͤftigung. Die Abaͤnderung der Natur durch die Kunst der Menschen, die Gaͤrtnerey, die Baukunst, die Mahlerey, die Bildhauerkunst, die Poesie und Tonkunst; der Tanz und andere solche Kuͤnste, bieten unserm natuͤrlichen Geschmacke an Schoͤn- heit und Harmonie viele Vergnuͤgungen an, be- sonders, wenn wir uns in der Jugend bemuͤht haben, wenigstens etwas von den Regeln dieser Kuͤnste zu wissen. Also nimm die Gelegenheit dazu wahr, diesen Genuß sowohl vorzubereiten, als wirklich zu haben. Die meisten Werke der Kunst koͤnnen den Besitzer nicht im hoͤhern Grade vergnuͤgen, als den Beobachter. Die Schoͤnheit der Allee, des Waldes, des Gartens, worinnen du spaziren darfst, gehoͤret auch dir; die Music, der Ball, wenn du zuhoͤren und zusehen darfst, gehoͤrt auch dir; das Cabinet von Gemaͤhlden und Naturalien, wo du zu deinem Vergnuͤgen dich aufhalten darfst, gehoͤrt auch dir; der Buͤchervorrath, dessen Ge- brauch aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. brauch man dir erlaubt, gehoͤrt auch dir; die Bild- saͤulen und die Symmetrie der Baukunst sind meh- rentheils oͤffentlich: das Vergnuͤgen daran gehoͤrt auch dir. Verdirb und vermindre es nicht durch die Beneidung des Besitzes. Ohne Tugend ist niemand so vergnuͤgt, als er seyn koͤnnte. Ohne die Gewohnheit, oftmals in der Stille sein eigen Gemuͤth, seine eignen Handlungen und Vorsaͤtze, seine eignen Umstaͤnde und Verhaͤltnisse gegen die Menschen zu untersuchen, ist niemand so weise und so tugendhaft, als er seyn koͤnnte. Also rathe ich dir, nicht selten zu solchen Betrachtungen eine Zeitlang einsam zu blei- ben. Du wirst dadurch desto geschickter werden, mit ruhiger Fassung des Gemuͤths und ohne Sclaverey unter den Affecten, hernach in der Ge- sellschaft der Menschen, sowol wirksam, als gluͤck- selig zu seyn. Alle deine Ergoͤtzlichkeit sey mäßig und ehr- bar. Sey oder stelle dich nicht durch ein solches Geräusch und Gelächter munter, welches andre nicht munter macht. Wenn deine gewoͤhnliche Beschaͤftigung im Stillsitzen und Nachdenken geschicht, so suche Ergoͤtzlichkeiten, welche mit Bewegung ohne Anstrengung des Verstandes verbunden sind. Er- muͤdet dich aber dein Geschaͤft durch Bewegung; H so Die Sittenlehre so suche Ergoͤtzlichkeiten, welche im Sitzen moͤglich sind und den Verstand uͤben. Mußt du spielen; so lerne auf die Affecte der Menschen merken, aber verbirg diese Aufmerk- samkeit. Huͤte dich selbst dabey vor allen Affecten, vornehmlich vor Zank. Gib allezeit nach; aber verhuͤte das Spiel mit solchen, mit welchen das Nachgeben zu deinem Schaden oft noͤthig ist. Wenn du ein gutes Buch kennen lernest, von gesellschaftlichen Ergötzlichkeiten, die vom Spiele unterschieden sind, als von Scherzen, zu- faͤlligen Reimen, muntern Liedern und Sinn- spruͤchen, Raͤthseln, ermunternden Erzaͤhlungen, Comoͤdien aus dem Stegreife u. s. w., so kaufe das- selbe, und lerne daraus die Mittel, in Gesellschaft ermuntert zu seyn. Vors erste kannst du vieles aus dem Vade-Mecum für lustige Leute, und aus dem natuͤrlichen Zauberlexicon neh- men. Vermehre eine solche Sammlung durch Anzeichnung der dazu brauchbaren Dinge, welche du anderswo liesest, oder selbst erfaͤhrest. Dieses dein selbstgemachtes Buch nenne Beytrag zu gesellschaftlichen Ermunterungen und Ge- sprächen. Wenn es deine Zeit und noͤthige Sparsamkeit leidet, so versaͤume keine Gelegenheit, das Ausser- ordentliche und Ungewöhnliche in der Natur und in der Kunst der Menschen zu besehen. Denn aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Denn dieses vermehrt nicht nur deine Erkenntniß, sondern die Beschreibung derselben zur rechten Zeit und am rechten Orte, macht dich auch zum angeneh- men Gesellschafter. Die Zeitungen und Schauspiele sind, unter gesagter Bedingung, aus gleicher Ursache anzu- rathen. Aber ergoͤtze dich nicht an unehrbaren Stellen der Schauspiele; lerne von ihnen nicht poͤbelhafte Gebehrden und Redensarten, nicht den rasenden Eigensinn in der Geschlechtsliebe, nicht den uner- laubten Betrug gegen Eltern, Vormuͤnder und Herren; nicht die Narrheit eines Weibernaͤrr- chens; nicht den tollkuͤhnen Muth eines Schlaͤgers und Renommisten, kurz, nicht die mehrentheils eitle Hoffnung, durch Laster auch nur eine Zeit- lang gluͤcklich zu werden. Alsdann werden dir solche Gemaͤhlde in den Schauspielen nicht schaden, sondern vielmehr zeigen, wie Thoren und Boͤse- wichter denken und handeln, und wie man sich vor ihnen huͤten muͤsse. Sey begierig, Reisebeschreibungen zu lesen, uͤbergehe in denselbigen, was dich nicht vergnuͤgt, oder dir nicht nuͤtzt. Das Merkwuͤrdige trage mit kurzen Worten in deinen Beytrag. Die meisten Romane reizen zur unzuͤchtigen, tollkuͤhnen oder taͤndelnden Geschlechtsliebe. Den Thomas Jones, und den Don Quichott ließ H 2 mit Die Sittenlehre mit gleicher Vorsichtigkeit, als Schauspiele. Pa- mela, Clarissa, Grandison koͤnnen dir vornehm- lich nuͤtzen, wenn du ein vornehmer Mann werden solltest. Robinson Crusoe ist dir ein gutes Buch. Gellerts Schriften, Cramers moralische Schriften, Rabners und Boileaus Satyren, und das Theater des Destouches, les Moeurs von Toussaint, les Pensees de Seneque (merke aber, daß er ein Heide war) und der Nordische Auf- seher sind gute moralische Buͤcher. Lies das, was dich darinnen angeht, lieber oft, als allerley. Du sollst mehr Gutes wirken, als Gutes lesen. §. 51. Die Beobachtung der häuslichen Pflichten und der Regeln der häuslichen Klugheit sind die staͤrkesten Stuͤtzen der menschlichen Tugend und Gluͤckseligkeit. Jch will die vornehmsten sagen, lerne einmal mehr durch eigne Erfahrung. Alle Personen in einem Hause muͤssen die mehrste Zeit wirklich arbeiten; der Mann, in seinen Aem- tern, in seinem Gewerbe, in seiner Kunst, in seinem Handwerke in oder ausser dem Hause, und durch das allgemeine Regiment uͤber das Haus- wesen; die Frau, durch Vertheilung der ihr be- stimmten Ausgaben; durch die Sorgfalt, mit den mindesten Kosten den meisten Beduͤrfnissen abzu- helfen, aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. helfen, das meiste Vergnuͤgen und die groͤßte Rein- lichkeit zu schaffen, nichts Brauchbares umkommen zu lassen, allen Schaden, welcher nach Verzoͤgerung der Gegenmittel groͤsser wird, fruͤh genug zu ersetzen, allen unnoͤthigen Verdruß des Mannes zu verhuͤten, und ihm in der Aufsicht uͤber die ganze Familie zu helfen: Die Kinder, entweder um mit den Eltern zu erwerben, oder zur kuͤnftigen Arbeit, Erkennt- niß und Fertigkeit zu erlangen: Das Gesinde, nach dem Vertrage mit der Herrschaft und nach dem Befehle derselben; ein jeder Bediente zwar vornehmlich in denen ihm zugetheilten Geschaͤften, aber doch auch in allen Beduͤrfnissen des Hauses, wenn unvermuthete Nothfaͤlle vorkommen. Ein Haus, das zu viele Bediente hat, welche nicht die meiste Zeit genug beschaͤftigt werden, wird nicht nur schlecht bedient, sondern auch eine Schule der Faulheit und Laster. Jn jedem Hause sollte wenigstens woͤchentlich einmal im Beyseyn aller Hausgenossen eine kurze Tugendlehre vorgelesen werden, von den Pflichten, die irgend einer in demselben zu beob- achten hat, mit einem solchen Auszuge aus den Landesgesetzen, durch welche die Bewegungs- gruͤnde zur Ausuͤbung gestaͤrket werden. Bey Verlesung dieser Lehren und Gesetze, welche der Hausvater durch solche Anordnungen, die sein Haus insbesondre angehn, nach seiner Einsicht H 3 ver- Die Sittenlehre vermehren muß, koͤnnte derselbe durch einen Blick, durch ein Wort, durch eine Frage manchem Fehler abhelfen, und zwar auf eine Art, welche den Schuldigen nicht so sehr verdroͤsse und andern etwas unverstaͤndlich waͤre. Wer offenbar gegen die Pflichten der Religion handelt, welche er bekennet, oder sogar keine goͤtt- liche Vergeltung der Tugend und der Laster zu glauben scheinet, und sich durch das Exempel eines tugendhaften Hauses nicht bald bessern laͤßt, ist ein gefährlicher Hausbediente. So lange es nothwendig ist, ihn zu behalten, muß mit groͤßter Sorgfalt verhuͤtet werden, deß sein Gespraͤch und Beyspiel auch nicht andre vergifte. Man muß den Bedienten von beyderley Ge- schlechte, so viel als moͤglich, Anlaß und Gelegen- heit nehmen, unehrbar und unzüchtig mit einander umzugehen. Man muß sie mit der Be- dingung annehmen, daß sie dienstlos sind, so bald sie ohne Wissen der Herrschaft sich einander die Ehe zusagen, oder so bald sie Schläge und Gewalt gegen einander gebrauchen. Schwuͤre, Fluͤche, Scheltwoͤrter und Trun- kenheit muͤßten bey Verlesung der Gesetze, nach Befinden der Herrschaft, mit einer Einlage in die Armenbüchse, bestraft werden, bis die Schuldigen sich so unverbesserlich zeigen, daß man sie deswegen des Dienstes entlassen muß. Jn aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. Jn einem Hause muß alles so ordentlich zuge- hen, daß fast alles z. E. Arbeit, Schliessung des Hauses, Aufstehen vom Bette, Ausloͤschung des Lichts, und die Tischzeit nach einem Glocken- schlage bestimmt, und ohne besondere Ursache von der Regel nicht abgewichen werde. Von allen grossen und kleinen brauchbaren Sachen im Hause muß die Herrschaft ein Ver- zeichniß haben, nach der Ordnung der ihnen an- gewiesenen Plätze, nach welcher leicht untersucht werden kann, ob alles in gutem Stande da sey. Diese Untersuchung muß nach Beschaffenheit der Sachen wirklich alle Tage, alle Wochen, alle Monathe, alle Quartale, oder alle Jahre ange- stellet werden. Es muß durch die Gegenanstalt den Haus- genossen sehr schwer seyn, zu stehlen, Unter- schleif zu machen, zu naschen, das Eigenthum der Herrschaft zu verleihen, oder durch Unvorsichtig- keit einen Schaden zu verursachen, welcher ver- borgen bleiben kann. Nichts Brauchbares muß durch Mangel der Aufsicht im Hause umkommen oder verfallen. Der Schade, welcher aus Unvorsichtigkeit erwaͤchst, muß wenigstens zum Theil entweder durch erfor- derte Ersetzung, oder durch Strafe in die Armen-Casse dem Schuldigen zur Last gereichen. Wer nicht hat und der Zuͤchtigung unterworfen ist, H 4 muß Die Sittenlehre muß mit dem Leibe bezahlen. Wenn Schade ge- schehen ist, dessen Urheber unter zweyen oder dreyen Bedienten bekannt ist, welche sich nicht verrathen wollen: so muß man die Ersetzung oder Strafe unter sie alle vertheilen. Keine Bediente des weiblichen Geschlechts, und uͤberhaupt keine Hausgenossen, welche in ih- ren persoͤnlichen Handlungen nicht das Recht der Freyheit haben, muͤssen berechtigt seyn, in und ausser dem Hause einen Umgang zu unterhal- ten, welchen die Herrschaft nicht weiß, oder, wenn er ihn wuͤßte, wahrscheinlicherweise ver- bieten wuͤrde. Die Herrschaften muͤssen durch Quitungen und Contrabücher, durch oftmaliges Nach- messen und Nachwiegen verhuͤten, daß sie we- der von Hausgenossen noch Auswaͤrtigen leicht betrogen werden. Zu diesem Zwecke muß das gesetzmaͤßige Maaß und Gewicht im Hause seyn. Wenn die vornehmern Glieder des Hauses, welche Aufsicht und Ansehn uͤber die andern haben sollen, Mishelligkeit unter einander haben, oder die Oberherrschaft ihnen Verweise geben muß: so ist eine solche Verstellung, eine solche Heimlichkeit und Maͤßigung in Ausdruͤcken noͤthig, daß das unentbehrliche Ansehn nicht geschwaͤcht werde. Es waͤre nuͤtzlich, wenn die naͤchsten Nach- baren sich zuweilen in der Absicht besuchten, um mit aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. mit einander von ihren Kindern und Hausgenossen zu reden. Denn oft weiß der Nachbar von den Kindern und dem Gesinde mehr, als die Herrschaft des Hauses. Alle Ausgabe und alle Einnahme muß angezeichnet werden, damit die Herrschaft alles uͤbersehn und die Fehler ihres Hauswesens ver- bessern koͤnne. Derjenige Hausvater, welcher die Posten der Ausgabe nach dem Maaße seiner ganzen Einnahme bestimmt, und nicht zehn Procent für unver- sehne Zufälle berechnet, wird ganz gewiß in Schulden gerathen. Denn einiger unvermutheter Schaden erfolgt gewiß; aber eine unvermuthete Einnahme weit seltener. Wer die Bedürfnisse seines Hauses in der wohlfeilsten Jahreszeit, in der gehoͤrigen Quan- titaͤt und entweder fuͤr baar Geld oder nur auf kurzen Credit einkauft, und fuͤr die Bewahrung des Eingekauften gehoͤrig sorgt, wird fuͤr sein Geld uͤber ein Zehntel mehr haben, als er sonst haben koͤnnte. Denn die Kaufleute rechnen allezeit Jn- teresse, Gefahr und Zeitverlust. Eine vollkommne Hausmutter muß Wissen- schaft und Fertigkeit haben, Waaren, welche das Haus braucht, nach ihrer Dauerhaftigkeit und Guͤte zu kennen, die Zeit des vortheilhaftesten H 5 Ein- Die Sittenlehre Einkaufs zu unterscheiden, und die billigsten Ver- kaͤufer aufzusuchen. Ein gluͤckseliges Haus muß gastfrey seyn, aber gemeiniglich nur mit den gewoͤhnlichsten Spei- sen und Getraͤnken. Oeftere Schmausereyen sind ein Verderben aller haͤuslichen Gluͤckseligkeit. Eine Ausgabe, welche selten vorkömmt und in welcher die Freygebigkeit einen uͤblen Na- men verhuͤtet, und uns vielmehr beliebt macht, kann und muß mit besondrer Freygebigkeit geschehn. Aber ein Aufwand, welcher zu den gewoͤhnlichen Classen gehoͤrt, muß mit der vorzuͤglichsten Spar- samkeit gemacht werden. Je gefaͤlliger und gemeinnuͤtziger man ist, desto mehr hat man zufällige Besuche zu erwarten, welche uns Zeit zu den Geschaͤften zernichten, die Ordnung des Hauses stoͤhren, und mit unvermeid- lichen Unkosten verbunden sind. Ein tugendhafter und fleißiger Patriot des menschlichen Geschlechts, welcher erst dafuͤr bekannt ist, hat das Recht, gleich- sam auf den innersten Theil seiner Hausthuͤr zu schreiben, daß er, ausser in Nothfaͤllen, in gewissen Zeiten der Wochen und der Tage fuͤr diejenigen nicht zu Hause sey, die ihn zufaͤlliger Weise besuchen wollen. Gewisse Jahrfeste des ganzen Hauses sind noͤthig, die Familie gesellschaftlich zu ermuntern, Ehre und Liebe gegen die Herrschaft zu unterhal- ten, aus natuͤrlicher Erkenntniß ꝛc. ten, und einen sehr tugendhaften Hausgenossen zu belohnen. Die Geburtstaͤge der Herrschaft, der Jahrstag der herrschafftlichen Hochzeit, der Freu- dentag, nach ausgestandner Krankheit, oder nach besondern Gluͤcksfaͤllen der herrschaftlichen Familie, ein Fest des Fruͤhlings, ein Fest des Sommers, und ein Geburtsfest eines vorzuͤglichen Hausge- nossen koͤnnen dazu bestimmt werden. Diese haͤus- liche Ergoͤtzlichkeit aber muß mehr zum Vergnuͤgen der Hausgenossen, als der Herrschaft, eingerichtet seyn, und also jenen keine beschwerliche Arbeit und Aufwartung aufbuͤrden. Die Kleidung muß ehrbar, reinlich und nach dem Stande zierlich seyn. Aber eine Pracht in Kleidung und Mobilien, von welcher viel geredet wird, ist einem Hause schaͤdlich; auch eine solche, die taͤglich viel Zeit kostet. Diese Lehre ist vornehmlich fuͤr das Frauenzimmer. Jch habe eine Vollkommenheit des Haus- wesens gemahlt, welche nicht unmoͤglich ist und sich dennoch vielleicht nirgends im Ganzen antreffen laͤßt. Die Ursache ist begreiflich. Die meisten Menschen sind in einem kleinen Grade weise und tugendhaft, und in einem hohen Grade, geizig, stolz, wolluͤstig, herrschsuͤchtig, faul und unbedachtsam. Du aber trachte einmal nach jedem Grade der Voll- kommenheit eines Hauses, welcher dir moͤglich seyn wird. IV. IV. Uebungen des Verstandes, besonders in moralischen Untersuchungen. §. 52. D u hast die vornehmsten Regeln des tugendhaf- ten und klugen Privatlebens gehoͤrt. Aber es ist noch noͤthig, deinen Verstand zu uͤben, theils andre moralische Schriften zu verstehen, theils in besondern Faͤllen durch eignes Nachdenken die Regeln der Pflicht und Klugheit selbst zu erfinden. Die ganz unversehenen Zufälle, durch welche die Beobachtung einer guten Regel zuweilen schaͤdlich wird, muͤssen uns keine Reue verursachen, noch uns abhalten, nach denselben guten Regeln ferner zu handeln. Denn die meisten Regeln beruhen nur auf starke Wahrscheinlichkeiten, mit denen der unerforschbare Erfolg zuweilen nicht uͤbereinstimmt. Wenn sich aber vor der That ausserordentliche Umstaͤnde zeigen, durch welche die Beobachtung einer sonst gemeinnuͤtzigen Regel, nach unsrer Ein- sicht gewiß oder wahrscheinlicher Weise schaͤdlich werden wuͤrde: so ist oft eine Ueberlegung noͤthig, ob in einem solchen Nothfalle nicht eine Aus- nahme Uebungen des Verstandes ꝛc. nahme aus der allgemeinen Regel gemacht werden muͤsse. Diese Ueberlegung will ich dir erleichtern. Wenn die Ausnahme, nach deren Rechtmaͤßig- keit gefragt wird, nur zum Vortheile deiner selbst und der Deinigen gereichen wuͤrde, und wenn die Ausnahme auf etwas Geringeres, als auf die Vermeidung der Gefahr des Lebens und der Glie- der abzielet: so bleibe bey der Regel und mache keine Ausnahme. Denn es ist wahrscheinlich, daß du von dem Nutzen der Ausnahme mit Partheylichkeit urtheilest. Aber dein Leben und deine Glieder aus einer augenscheinlichen Gefahr, welche auf keine regelmaͤßige Art vermieden werden kann, zu retten, ist es dir allerdings erlaubt, Ausnahme zu machen, wenn durch die unregelmaͤßige Handlung andern nur ein geringerer Schaden verursacht wird. Zum Besten anderer, welche du nicht mit Affecte liebst, ist es dir oͤfterer erlaubt, im Noth- falle Ausnahmen von gemeinnuͤtzigen Regeln zu machen. Denn die Partheylichkeit deines Urtheils ist alsdann nicht so sehr zu besorgen. Ueberhaupt, wenn in einem Nothfalle die Ab- weichung von der sonst gemeinnuͤtzigen Regel, be- kannt werden darf, ohne Besorgung der Schan- de und der obrigkeitlichen Strafe: so ist die Ausnahme gemeinnuͤtzig und nicht wider die Tu- gend. Denn das allgemeine Urtheil der Menschen und Uebungen des Verstandes, und die Obrigkeit urtheilt gemeiniglich recht von der Unstraͤflichkeit eines rechtmaͤßigen Verhaltens in Nothfaͤllen. Z. E. in wahrer Lebensgefahr der Menschen darf man Etwas ohne Wissen des Eigen- thuͤmers mit Gewalt nehmen; in Feuersbruͤnsten eine Thuͤre erbrechen; in Ueberschwemmungen die Balken eines Hauses zum Damme brauchen; auf der Flucht vor einem moͤrderischen Feinde ein Pferd von der Weide nehmen und uͤber verbotene Wege reiten; einem Strassenraͤuber den erzwungenen Eid nicht halten u. s. w. Ausser solchen Faͤllen der Noth ist es nicht er- laubt, aus den gewoͤhnlichen Regeln des Lebens Ausnahmen zu machen. Wer dieses vermeidet, beobachtet die tugendhafte Einfalt oder Ein- förmigkeit. Gegen dieselbe handelt derjenige, welcher in einem vermeynten Falle der Noth, um den Ge- schlechtstrieb zu erfüllen, Unkeuschheit begeht. Denn erstlich, wuͤrde eine solche Ausnahme nur seinetwegen gemacht; zweytens, der Geschlechts- trieb ist ein heftiger Affect, in welchem wir uͤber die Ausnahmen der Regeln nicht urtheilen koͤnnen; drittens, und eben darum wuͤrde die Regel der Keuschheit zum grossen Schaden der Menschen we- gen besorglicher haͤufiger Ausnahmen fast unwirk- sam werden, wenn es nicht ein bestaͤndiges Gesetz waͤre, niemals Ausnahmen zu machen. Zuweilen besonders in moralischen ꝛc. Zuweilen giebt die Obrigkeit Gesetze, welche von vielen uͤbertreten, und, weil sie nur die Staats- Einkuͤnfte betreffen, durch Geldstrafe in einigem Ansehen erhalten werden. Die Regel ist diese, daß man sich auch nach solchen Gesetzen gewissen- haft richten solle. Aber die Verrähter solcher Uebertretungen, wenn sie keine zur Aufsicht dar- uͤber verordnete Staatsbediente sind, werden so durchgaͤngig gehaßt und verfolgt, und koͤnnen bey der Obrigkeit so wenig Schutz finden, daß es keine allgemeine Tugendregel seynkann, sich um die Ent- deckung und Anzeigung solcher Uebertretungen zu bemuͤhen. §. 53. Wenn Familien unter einer Obrigkeit stehen, so leben sie in dem Stande der bürgerlichen Vereinigung, wie in diesen Gegenden alle Men- schen. Wenn Familien ohne Obrigkeit neben ein- ander wohnen, so leben sie im Stande der na- türlichen Freyheit. Eine Regel, welche die Tugendhaften, selbst im Stande der natuͤrlichen Freyheit, beobachten muͤssen, heißt ein natürliches Gesetz. Die Sammlung solcher Gesetze, heißt das natürliche Recht. Die Verabredung zwischen Obrigkeit und Unterthanen, nach welcher sich diese den Befehlen jener mit gewissen Bedingungen unterworfen ha- ben, Uebungen des Verstandes, ben, heißt ein Staats-Gesetz. Die Sammlung solcher Gesetze heißt das Staats-Recht. Von dem Staats-Rechte, welches wirklich gilt, ist verschieden die Sammlung von gemeinnuͤtzigen Regeln, wie Staats-Rechte gemacht werden sollten. Die Sammlung dieser Regeln heißt das vernünftige Staats-Recht. Die Sammlung obrigkeitlicher Befehle uͤber die Handlungen und Streitigkeiten der Buͤrger, heißt das bürgerliche Recht. Von dem buͤrgerlichen Rechte, welches wirklich gilt, ist unterschieden die Sammlung der Regeln, wie nach den Umstaͤnden ein gemeinnuͤtziges buͤrger- liches Recht gegeben werden sollte. Diese Samm- lung heißt das vernünftige bürgerliche Recht. Wenn Staaten mit einer weisen allgemeinen Menschenliebe regieret werden; so haben die Ma- jestaͤten, welche im Namen des ganzen Staates handeln, in Huͤlfleistungen, Zusagen, im Frieden und im Kriege, gewisse Regeln zu beobachten, de- ren Sammlung das vernünftige Völkerrecht heisset. Von diesem vernuͤnftigen Voͤlkerrechte ist zu- weilen unterschieden die Sammlung der Regeln, welche die Majestaͤten in einem großen Welttheile gegen einander zu beobachten pflegen. Diese heißt daselbst das gebräuchliche Völkerrecht. Diese besonders in moralischen ꝛc. Diese verschiedenen Rechte sind zuweilen ein- ander zuwider, nach dem einen ist zuweilen erlaubt oder geboten, was in dem andern verboten ist. Wer in buͤrgerlicher Vereinigung steht, muß seine wirklichen bürgerlichen Gesetze halten, und, ihnen zuwider, weder nach dem Rechte der natuͤrlichen Freyheit, noch nach einer vermeinten Billigkeit handeln, denn er hat sich nicht nur vor der Macht seiner Gesetzgeber zu fuͤrchten, son- dern es ist auch augenscheinlich, daß die meisten nur solche Gesetze vernuͤnftig nennen wuͤrden, welche mit ihrem Privatvortheile uͤbereinstimmten, und daß im Staate andre Umstaͤnde der Menschen sind, als im Stande der natuͤrlichen Freyheit. Folglich koͤnnen in beyderley Umstaͤnden nicht allemal einer- ley gemeinnuͤtzige Regeln seyn. So oft wir in Umstaͤnde kommen, daß bey der Obrigkeit kein Schutz wider gewaltsame Beleidi- ger und keine Strafe derselben, (wegen der gegen- waͤrtigen Gefahr, und weil die Beleidiger unbe- kannte oder unstaͤte Personen sind,) zu erwarten stehet: so sind wir, was die Gegenwehr betrifft, in dem Stande der natuͤrlichen Freyheit. Wer aber lieber Gewalt gegen seinen Beleidiger braucht, als den Weg des buͤrgerlichen Rechtes geht, wird als ein Veraͤchter der Gesetze gestraft, wenn er in der Streitsache auch Recht hat. J Wer Uebungen des Verstandes, Wer nicht Recht und Macht hat, die Staats-Gesetze zu ändern, muß sich denselben gemaͤß bezeigen. Denn wegen Verschiedenheit der Meinungen und Neigungen ist das vernuͤnftige Staats-Recht ewigen Streitigkeiten unterworfen, deren Ausfuͤhrung schaͤdlicher seyn wuͤrde, als die Unvollkommenheit der wirklichen Staats-Gesetze. Ein weiser und liebreicher Staat wuͤrde dem menschlichen Geschlechte schaden, wenn er das ver- nünftige Völkerrecht so beobachten wollte, daß er alle Folgen nicht achtete, welche aus dem wirk- lich gebraͤuchlichen Voͤlkerrechte fliessen. §. 54. Es ist ein unlaͤugbarer Grundsatz, ein jeder sey so zu leben verbunden, daß nach bestmoͤglicher Einsicht in die Folgen, seine wahre Gluͤckseligkeit befoͤrdert werde. Die Handlung, welche man zu thun verbun- den ist, heißt eine Pflicht. Die Handlung, welche man zu lassen verbunden ist, heißt eine Uebertre- tung. Die Handlung, welche man zu keiner von beyden Classen rechnen kann, heißt gleichgültig. Ein Gesetz uͤberhaupt ist ein Ausspruch von Pflichten und Uebertretungen. Wenn dieser Aus- spruch wegen Bemerkung der Folgen des Thuns und Lassens nach dem Laufe der Natur geschicht; so besonders in moralischen ꝛc. so heißt das Gesetz ein natürliches in einer an- dern Bedeutung, als in welcher die Gesetze waͤhrend des Zustandes der natuͤrlichen Freyheit natürlich genannt werden. Wenn ein Oberherr Gesetze giebt, so heissen sie herrschaftlich. Also heisset ein Gebot Gottes ein göttlich Gesetz. Die Pflichten sind demjenigen, dessen Pflich- ten sie sind, entweder bekannt oder unbekannt; sie sind entweder wahre, oder nur scheinbare. Eine Pflicht, welche unmittelbar ein Mittel unsrer eignen Wohlfahrt ist, heißt eine Pflicht gegen uns selbst. Befoͤrdert sie unmittelbar die Wohlfahrt andrer; so heißt sie eine Pflicht gegen andre. Jst sie eine unmittelbare Verehrung Gottes; so heißt sie eine Pflicht gegen Gott. Es ist nicht in allen Fällen eine wahre Pflicht, einem menschlichen Gesetze zu ge- horchen: denn das goͤttliche Gesetz von der weisen Gemeinnuͤtzigkeit, oder von der Tugend, fodert in einigen Faͤllen, daß man sich weigern solle. Die Tugend eines Menschen besteht in seiner Einsicht und Neigung, fuͤr sich selbst, und fuͤr andre gemeinnuͤtzig zu handeln. Kein vernuͤnf- tiger Mensch ist ohne alle Tugend. Denn wir haben alle eine natuͤrliche Neigung, Gutes zu thun, welche wir zuweilen ausuͤben. Wer aber den Na- J 2 men Uebungen des Verstandes, men eines Tugendhaften führt, von dem wird geurtheilt, daß wahre Einsicht in das Beste der Menschen, und die Neigung, Gutes zu thun, in ihm herrschend sey. Wem es an dem gewoͤhnlichen Grade der Tu- gend fehlt, den nennet man einen Lasterhaften. Das Gewissen, wenn es einen unsichtbaren Richter scheuet, der entweder im Leben, oder nach dem Tode Tugend belohnt und Laster bestraft, ist ein wahrer und starker Bewegungsgrund zu aller Tugend, auch zu derjenigen, die von Menschen in unserm Leben nicht belohnt, sondern vielmehr aus Unverstand und Partheylichkeit mit Haß und Verfolgung vergolten wird. Der Grad der Tugendhaftigkeit und der Grad der Lasterhaftigkeit eines Menschen, ist von andern schwer zu entscheiden. Es scheinet auch oft etwas ein Gluͤck Jemandes zu seyn, welches doch in der Folge der Zeit zu seinem Ungluͤcke ausschlaͤgt. Mancher hingegen wird durch ein scheinbares Un- gluͤck hernach sehr gluͤcklich. Daher wuͤrde man oft irren, wenn man urtheilen wollte, daß in die- sem Leben diese oder jene Lasterhafte gluͤcklicher sind, als diese und jene Tugendhafte. Ueberhaupt aber ist es gewiß, daß die meisten Tugenden, auch in diesem Leben, sehr angenehme Folgen fuͤr den- jenigen haben, der sie ausuͤbt und daß das Laster auch besonders in moralischen ꝛc. auch gemeiniglich in diesem Leben dem Lasterhaften ein wahres Ungluͤck zuziehe. Da nun die ganz unvermuthlichen Gluͤcksfaͤlle und Ungluͤcksfaͤlle eben so oft den Tugendhaften, als den Lasterhaften, treffen; so ist es eine ausgemachte Wahrheit, daß mehr Tugendhafte, als Lasterhafte, auch in diesem Leben ein vorzüglich gutes Schicksal haben. §. 55. Das Recht, etwas zu thun, hat derjenige, welchem es, nach dem Jnhalte eines Gesetzes, nie- mand mit Gewalt wehren darf. Das Recht, etwas zu lassen, hat derjenige, den niemand mit Gewalt noͤthigen darf, es zu thun. Diese beyden Arten des Rechts heissen äusserlich. Zwangspflichten gegen andre sind solche, deren Ausuͤbung zu erzwingen, der andre ein aͤusser- liches Recht hat; z. E. die Pflicht, den Vertrag zu halten, und grobe Beleidigungen zu vermeiden. Fehlt dieses aͤusserliche Zwangsrecht, so sind die Pflichten gegen Andre blosse Gewissenspflichten, als die Pflicht der Wohlthaͤtigkeit und Dankbar- keit u. a. m. Beyderley Pflichten gegen Andre zu erfuͤllen, ist ein jeder verbunden. Und ob man gleich bey Versaͤumung der Zwangspflichten mehr Aeusser- J 3 liches Uebungen des Verstandes, liches zu befuͤrchten hat; so ist doch oft die Ueber- tretung einer blossen Gewissenspflicht ein schlim- meres Laster, als die Uebertretung einiger Zwangs- pflichten. Das aͤusserliche Recht Einiger, sich gewisser Vor- theile, welche Andern verboten sind, zu bedienen, heißt ein Privilegium; und wenn dies aͤusserliche Recht vorher niemand hatte; so heißt es eine Dispensation. Jn dem weisen und liebreichen Gebrauche un- serer aͤusserlichen Rechte und besonders des Zwang- rechtes besteht die Billigkeit und Gelindigkeit. Dieselbe erfodert, daß wir in manchen Faͤllen etwas von unserm aͤusserlichen Rechte, besonders von dem Zwangsrechte, nachgeben; daß wir vieles, wozu wir ein aͤusserliches Recht haben, nicht fodern oder nicht erzwingen; sondern zum Exempel einen Beleidiger nicht strafen lassen, einen Schuldner nicht zur Bezahlung noͤthigen. §. 56. Dasjenige, was ein Oberherr, wenn er Gesetze giebt, den Ungehorsamen drohet, und mehren- theils auch an ihnen ausuͤbt, heißt Strafe: was er den Gehorsamen verspricht und mehrentheils auch widerfahren laͤßt, heißt Belohnung. Strafe besonders in moralischen ꝛc. Strafe und Belohnung hat allemahl den Zweck, den fernern Gehorsam zu bestaͤrken und zu befoͤr- dern, den fernern Ungehorsam zu schwaͤchen und zu verhindern. Alle guten Wirkungen der Tugenden in dem Schicksale der Tugendhaften sind Belohnungen; alle uͤblen Wirkungen der Laster in dem Schicksale der Lasterhaften sind Strafen. Denn wir haben ein goͤttlich Gesetz fuͤr die Tugend, und wider das Laster. Jene gute Folgen der Tugenden verspricht uns Gott, und jene uͤbeln Folgen der Laster drohet er uns durch den bekannten Lauf der Natur, welcher unter seiner Vorsehung stehet. Die ganz unvermuthlichen Landplagen, Un- gluͤcksfaͤlle und Gluͤcksfaͤlle erinnern uns sehr lebhaft an unsere Abhaͤnglichkeit von der Vorsehung, und an die Macht Gottes, uns gluͤcklich oder ungluͤck- lich zu machen. Dieser Gedanke ist eben sowohl ein Bewegungsgrund, uns zu bessern, als Strafe und Belohnung. Also vertreten Gluͤcksfaͤlle die Stelle der Belohnung; Ungluͤcksfaͤlle aber die Stelle der Strafe. §. 57. Der Mensch handelt in manchen Dingen nach dem veraͤnderlichen Zustande seines Willens, das ist, er handelt willkührlich. Diese Willkuͤhr ist J 4 mit Uebungen des Verstandes, mit dem Vermoͤgen verknuͤpft, nach dauerhaften Vorsaͤtzen zu handeln, und heisset Freyheit. Viele Handlungen der Menschen sind also freye Handlungen. Es giebt wissentliche und unwissentliche, vorsetzliche und unvorsetzliche freye Handlun- gen. Hingegen ein Thun oder Lassen, welches nicht in dem veraͤnderlichen Zustande des zu dauer- haften Vorsaͤtzen faͤhigen Willens gegruͤndet ist, heisset unfrey. Die willkuͤhrlichen Handlungen der jungen Kinder, der Halb-Schlafenden, der Trunkenen, der Affectvollen und der Wahnsinnigen werden ge- woͤhnlicher Weise nicht frey genennet, weil das Vermoͤgen dauerhafter Vorsaͤtze nicht da oder schwach ist. Die Zurechnung ist ein Urtheil aus der Ab- sicht und freyen Handlung eines Menschen, 1) uͤber seine Geschicklichkeit oder Ungeschick- lichkeit, 2) uͤber seine Klugheit und Thorheit, 3) uͤber seine Neigung und Abneigung, 4) uͤber seine Ruͤhmenswuͤrdigkeit und Ta- delnswuͤrdigkeit, 5) uͤber seine Gewissenhaftigkeit oder Gewis- senlosigkeit, 6) uͤber besonders in moralischen ꝛc. 6) uͤber seine Achtsamkeit oder Unachtsamkeit auf Gesetze, 7) uͤber seine Lohnwuͤrdigkeit und Strafwuͤr- digkeit. Der gemeinschaͤdliche Jrthum und die gemein- schädliche Unwissenheit koͤnnen als straffaͤllig zugerechnet werden, wenn die Strafe, sie aufs kuͤnftige zu vermindern oder zu verhuͤten, geschickt ist, oder wenn sie aus straffaͤlliger Unachtsamkeit entstehen und fortdauren. Wenn in besondern Faͤllen die Begnadigung eines Verbrechers oder die Linderung der Strafe, ohne Schaden des gemeinen Bestens, geschehen kann; so geschicht dieselbe nach der Einsicht eines weisen Oberherrn. §. 58. Wir sind oft verbunden, nach Vermuthungen zu handeln. Je oͤfter unsre Vermuthungen ein- treffen, desto seltner verfehlen wir unsers Zwecks. Es gibt aber gewisse Regeln, unser Vermoͤgen zu Vermuthungen zu verbessern. Diese wichtigen Regeln will ich dir anzeigen. Gleich-mögliche Fälle oder Erfolge sind, davon irgend einer erfolgt, und von welchen allen uns gleichviel und gleichwenig bekannt ist, indem, wie in der Lotterie, die Entscheidung durch ganz unbekannte Ursachen geschicht. J 5 1) Wenn Uebungen des Verstandes, 1) Wenn einer von zweyen Faͤllen gewiß er- folgen wird, und der eine durch eben so viele gleich- moͤgliche Faͤlle geschehen kann, als der andre; so ist der Ausgang vollkommen zweifelhaft. z. E. Wenn in einer Lotterie von 6 Loosen, darun- ter ein Gewinn ist, A drey Loose, und B drey Loose nimmt: so ist der Gewinner vollkommen zweifelhaft. 2) Wenn aber einer von zweyen Erfolgen gewiß ist, und der eine durch mehr gleich moͤgliche Faͤlle geschehen kann, als der andre; so ist jener Erfolg wahrscheinlich, dieser unwahrscheinlich. A gewinnt wahrscheinlicher Weise, wenn er vier, und B nur zwey Loose hat. 3) Was bey gleichen Umständen der Na- tur oͤfter zu geschehen, als nicht zu geschehen pflegt, das ist bey solchen Umstaͤnden in einem einzelnen Falle wahrscheinlich. So prophezeit man Wetter und fruchtbare Jahre. Was aber bey solchen Umstaͤnden eben so oft zu geschehen, als nicht zu geschehen pflegt, ist in einem einzelnen Falle vollkommen zweifelhaft. 4) Das Maaß der Wahrscheinlichkeit findet man, wenn man die groͤssere Zahl solcher bekannten aͤhnlichen Faͤlle durch die kleinere Zahl der Ausnahmen dividiret. 5) Zuweilen erfolgt nicht das Wahrscheinliche, sondern besonders in moralischen ꝛc. sondern das Unwahrscheinliche. Aus vielen wahr- scheinlichen Dingen erfolgt gemeiniglich etwas wider die Wahrscheinlichkeit; und aus vielen unwahrscheinlichen Dingen erfolgt etwas wider die Unwahrscheinlichkeit. Wer Neun Loose unter Zehn nimmt, bekommt wahrscheinlicher Weise den einzigen Gewinn, aber nicht allemal; sondern wer nur ein Loos hat, und oft einsetzt, gewinnt auch zuweilen. 6) Wenn die Specialpräsumtion von einer besondern Art der Dinge mit der Praͤsumtion von ihrer Gattung streitet; so ist jene nur eine gute Regel der Wahrscheinlichkeit. z. E. Es ist wahr- scheinlich, daß ein Franzose munter sey, aber nicht nach einem grossen Verluste oder im Gefaͤngnisse. 7) Unvermuthliche Glücksfälle oder Un- glücksfälle eines Menschen, wozu sein Verstand, sein Wille und seine gewoͤhnlichen Umstaͤnde nichts beytragen, werden nicht wahrscheinlich, wenn sie ihm auch bisher oft widerfahren sind. Es gibt wohl Personen, die bisher durch blosse Zufaͤlle sehr oft gluͤcklich oder ungluͤcklich gewesen sind, aber es wird nicht wahrscheinlich, daß dieselben in ihrem Leben, oder in diesem Jahre, oder, an diesem Abend im Spiele, fortfahren werden, durch neue Zufaͤlle so gluͤcklich oder so ungluͤcklich zu seyn, noch daß ein besonders gluͤcklicher mit einem Uebungen des Verstandes, einem besonders ungluͤcklichen Perioden unmittel- bar bey ihnen abwechseln werde. 8) Wenn wir erfahren, daß innerhalb einer gewissen Zeit, oder bey gewissen Umstaͤnden und Personen, die bisher gemachten Regeln der Wahr- scheinlichkeit weit minder, als sonst, mit dem Er- folg uͤbereinkommen: so laͤßt sich gemeiniglich eine Ursache enedecken, und daraus eine bessere Regel der Wahrscheinlichkeit fuͤr solche Zeiten, Umstaͤnde und Personen finden. z. E. Bey einigen Menschen wirken gewisse Dinge dasjenige weit seltner, was sie bey andern Menschen oͤfter wirken. Wenn jemand, weit oͤfter als andere, im Spiel die besten Charten bekoͤmmt; so ist Kunst und Betrug zu vermuthen. Wenn mit einem Wuͤrfel gewisse Augen weit oͤfter, als mit einer andern geworfen werden, so ist er fehlerhaft und an einer Seite schwerer. 9) Dennoch muß man mit solchen Urtheilen vorsichtig seyn; denn es ist nur wahrscheinlich, daß zu einer gewissen Zeit das Unwahrscheinliche nicht oft geschehe. Also geschicht es zuweilen, daß in gewissen Zeiten, ohne eine besondre erforschbare Ursache, mehr Unwahrscheinliches erfolgt, als ge- woͤhnlich ist. 10) Kein Mensch muß auf Wahrscheinlich- keit wagen, sehr ungluͤcklich zu werden, besonders wenn besonders in moralischen ꝛc. wenn der wahrscheinliche Vortheil gegen ein solches Ungluͤck fuͤr gering zu halten ist. Aber wer in seinem Gewerbe oft Gelegenheit hat, mit grosser Wahrscheinlichkeit eines kleinern Gewinnes, einen groͤssern Verlust, welcher sein Gewerbe nicht stoͤhrt; zu wagen, wird wahrscheinlicher Weise in seinem ganzen Leben diese wagende Handlung mit Vortheil fuͤhren, wie die Exempel der Kaufleute und Ver- sicherer beweisen. §. 59. Von den historischen Nachrichten sind ei- nige fuͤr wahr, andere fuͤr falsch zu halten; viele sind unwahrscheinlich, viele sind wahrscheinlich, viele sind vollkommen zweifelhaft. 1) Wenn ein Zeuge die Wahrheit weiß, und sich nicht verstellen will, und richtig verstanden wird, so ist sein Zeugniß wahr. Wenn einer dieser Puncte nur wahrscheinlich ist; so ist sein Zeugniß auch nur wahrscheinlich. Wenn irgend einer dieser Puncte unwahrscheinlich ist; so ist sein Zeugniß auch unwahrscheinlich. Es ist aber zu der Wissen- schaft des Zeugen von der Wahrheit nicht genug, daß er sie ehemals gewußt habe; sondern daß er sich auch itzund derselben recht erinnere. 2) Ein Zeuge, der ganz sinnliche Sachen, die man fast niemals zu verkennen pflegt, selbst er- fahren Uebungen des Verstandes, fahren zu haben vorgiebt, der weiß die Wahrheit gewiß, wie eine Feuersbrunst und einen dauerhaf- ten Trompeten-Schall. 3) Aber zuweilen sagen die Zeugen, anstatt dessen, was sie gesehn und gehoͤrt haben, unver- sehens ihre Vermuthungen aus dem Gesehe- nen und Gehoͤrten, z. E. sie haben nur die Equi- page eines Mannes und sein gewoͤhnliches Kleid gesehn; sie haben nur den Ausdruck des Worts Schelm von einem Zornigen gehoͤrt, und sie sagen dennoch, der Mann sey vorbey gefahren, der Zornige habe gescholten. 4) Niemand sagt mit Wissen die Un- wahrheit in ernsthaften Sachen auf eine stand- hafte Weise, ohne Vermuthung seines Vortheils und mit Vermuthung seines Schadens. 5) Viele Zeugnisse von verschiednen bey der Sache gegenwaͤrtigen Zeugen, wenn sie in der Hauptsache übereinstimmen, und nur in Neben- sachen, woran eine kleine Unachtsamkeit Schuld seyn kann, nicht uͤbereinstimmen, sind ein wahres Zeugniß von der Hauptsache, wenn ein jedes vor sich betrachtet, auch nur wahrscheinlich ist, vornehm- lich, wenn durch einige Zeugnisse mehr Umstaͤnde entschieden werden, als durch die andern, und wenn bey vorausgesetzter Wahrheit der Hauptsache alle diese Umstaͤnde gewoͤhnlich sind. 6) Die besonders in moralischen ꝛc. 6) Die Umstände einer großen Nation, welche in die Sinne fallen, und woran ein jeder in derselben Theil nimmt, werden niemals so erdich- tet, daß sie von ihren Nachkommen geglaubt wer- den: sondern wenn ein geglaubtes Geruͤcht davon sich fortpflanzt, so ist die in die Sinne fallende Hauptsache der National-Geschichte wahr, wenn gleich durch die Geschichtschreiber und durch die Ueberlieferung einige Umstaͤnde falsch oder zweifel- haft erzaͤhlet werden. 7) Aber viele uͤbereinstimmende Erzaͤhlungen, welche allesammt eine einzige Quelle haben, gel- ten nicht mehr, als die einzige Original-Erzaͤhlung. 8) Wenn etwas Sonderbares, was wider den gewoͤhnlichen Lauf der Natur ist, erzaͤhlet wird; so ist die Erzaͤhlung nur so lange unwahrscheinlich, oder fuͤr falsch zu halten, bis sie durch viele uͤber- einstimmende wahrscheinliche Zeugnisse bestaͤtiget wird. Denn obgleich die meisten sonderbaren Er- zaͤhlungen falsch befunden werden; so geschicht doch zuweilen etwas Sonderbares vor unsern eignen Augen, und so sind doch fast gar keine sonderbare Erzaͤhlungen falsch, wenn sie auf die gesagte Weise bestaͤtigt werden. 9) Die Münzen, Denkmäler und archivi- schen Nachrichten von sinnlichen National-Be- gebenheiten, woran ein jeder Theil nahm, sind in der Uebungen des Verstandes, der Hauptsache eben so gute Beweisthuͤmer, als das geglaubte Geruͤcht. 10) Wenn ein Mensch auf der Tortur ge- zwungen wird, Etwas zugestehen, oder zu bezeugen: so ist sein Gestaͤndniß und Zeugniß wahrscheinlicher- weise so eingerichtet, daß er am geschwindesten der Quaal uͤberhoben werde; oder, wenn die Furcht der kuͤnftigen Strafe groͤßer ist, daß er derselben entgehen koͤnne. Das Zeugniß an sich giebt der Sache nicht mehr Wahrscheinlichkeit, als sie vorher hatte. Aber oftmals werden alsdann Umstaͤnde gesagt, deren Wahrheit auf eine andre Art unter- sucht werden, und in der ganzen Sache ein Licht geben kann. 11) Wenn viele Zeugen von einer Sache ganz einerley oder zu aͤhnliche Worte brauchen; wenn in den allerkleinsten Umstaͤnden, die man nicht zu- bemerken, oder wobey man leicht Etwas zu versehen pflegt, einer mit dem andern genau uͤbereinstimmt: so haben sie sich verabredet, Etwas falsch zu bezeugen. 12) Wenn ein Geruͤcht wider den Willen Vieler geglaubt wird, und die Falschheit desselben vor den Augen aller Welt leicht dargethan werden koͤnnte, und wenn die Gegner entweder schweigen, oder sich mit unwahrscheinlichen Ausfluͤchten behelfen: so ist dieses Verhalten der Gegner ein Beweis der Wahrheit des Geruͤchts. 13) Wenn besonders in moralischen ꝛc. 13) Wenn wahrscheinliche und unbestrittene Zeugnisse uͤber eine Hauptsache da sind; und wenn die Wahrheit derselben die gewöhnlichste Wir- kung der vorhergehenden Begebenheiten und die gewöhnlichste Ursache der hernach gewiß er- folgten Umstaͤnde ist; so muß die Hauptsache fuͤr wahr erkannt werden. §. 60. Die Bedeutungen der Redensarten eines Men- schen oder eines Buches ist oft gewiß, oft nur wahr- scheinlich, oft ganz zweifelhaft. 1) Diejenige Bedeutung, welche einzig in einer vernuͤnftigen Rede mit dem offenbaren Zwecke derselben uͤberein koͤmmt, ist wahr, wenn sie auch sonst ungewoͤhnlich waͤre. 2) Ein Jeder braucht wahrscheinlicher Weise eine Redensart in derjenigen Bedeutung, in welcher es in seinem Stande, in seiner Religion, und in denen Materien, von welchen er redet, ge- wöhnlich ist. 3) Wenn Jemand seine eigene Worte redet, so ist unter zweyen moͤglichen Bedeutungen diejenige die wahrscheinliche, welche mit dem Tone und mit den Gebehrden uͤbereinstimmet. 4) Wer die Gemuͤther fuͤr Etwas, oder wider Etwas einnehmen will, sagt oft durch übertrie- K bene Uebungen des Verstandes, bene Redensarten mehr als wahr ist, und als er selbst glaubt. 5) Wenn eine Redensart dasselbe bedeuten kann, was manche Parallel-Stelle desselben Ver- fassers gewiß bedeutet: so ist diese Bedeutung wahr, oder wahrscheinlicher als andere. §. 61. Aber, was ist denn wahr? Antwort: Alles dasjenige, was unsern vesten und bestaͤndigen Bey- fall verdienet. Alles, was diesen nicht verdient, ist entweder falsch, oder unwahrscheinlich, oder voll- kommen zweifelhaft, oder wahrscheinlich. 1) Grundsätze, welche ein Jeder alsobald fuͤr wahr annimmt, als er sie versteht, und ihnen nach- denkt, sind wahr z. E. derselbe Mensch, der in Eu- ropa ist, ist nicht zu gleicher Zeit in Amerika. Ein jeder Koͤrper hat seine Groͤsse und Figur. 2) Die einzelnen Wahrnehmungen sinnli- cher Eindrücke, des Lichts und der Farben, des Schalles, der riechbaren, schmackhaften und der fuͤhlbaren Dinge sind wahr, wenn wir nicht in dem Zustande starker Einbildung sind, als im Traume, im halben Schlafe, im Affecte, in der Trunkenheit und im Wahnsinne. Denn in diesen Zustaͤnden sind die Wahrnehmungen unsicher. Aber es ist wohl zu merken, daß die Vermuthungen aus dem, was besonders in moralischen ꝛc. was wir wahrnehmen, nicht selbst Wahrnehmungen sind. z. E. Die Vermuthung, daß der Stock ausser dem Wasser krumm sey, dessen Gestalt im Wasser eine Beugung hat. 3) Eines Jeden innerer Seelen-Zustand, Schmerz, Verdruß, Lust, Vergnuͤgen, Ueberzeu- gung, Vermuthung, Zweifel, Begierde und Ab- scheu, Furcht und Hoffnung u. s. w. ist wahr; nehm- lich, es ist wahr, daß er ihn empfindet, wenn er ihn zu empfinden glaubet. 4) Der beständige Lauf der Natur, (die bestaͤndige Ordnung der Dinge, die neben einander sind, und auf einander folgen,) wenn die Menschen unzaͤhlige Erfahrungen und keine Ausnahme davon haben, ist auch in einzelnen unbekannten Faͤllen fuͤr wahr zu halten, z. E. von Kuͤhen werden nur Kaͤl- ber, von Schaafen nur Laͤmmer gebohren. Kein entseelter und verwesender Koͤrper wird von neuem belebt. Ein dichter bleyerner Koͤrper sinkt im Wasser. Anmerk. 1. Wenn wir glauben, mit unsern Sinnen Etwas wider den Lauf der Natur wahrzunehmen; so muͤssen wir wohl unter- suchen, ob wir auch in dem Zustande einer starken Einbildung sind, oder kurz vorher ge- wesen sind. Wenn aber, ohne Gruͤnde dieses Verdachts, von uns selbst oder von Mehreren K 2 zu Uebungen des Verstandes, zu einer gewissen Zeit Dinge wider den or- dentlichen Lauf der Natur wahrgenommen wuͤrden; so waͤren sie fuͤr wahr zu halten, weil wir selbst den Lauf der Natur nur durch die sinnlichen Wahrnehmungen wissen. Anmerk. 2. Wenn nach solchen ausserordent- lichen Zeiten der gewoͤhnliche Lauf der Na- tur wieder hergestellet wuͤrde; so waͤre der- selbe abermals in unbekannten Faͤllen fuͤr wahr zu halten. Anmerk. 3. Die Gauckler und Taschenspie- ler, welche Vieles wider den Lauf der Natur zu thun scheinen, wissen nur durch unver- muthliche und geschwinde Verwechselung der Sachen, oder durch Verhehlung ihrer be- greiflichen Wissenschaft, den wirklichen Lauf der Natur, der auch in ihren Handlungen herrscht, zu verbergen. 5) Wenn eine Sache auf mancherley Art wahrscheinlich ist, 1) schon die durch vorherge- henden Umstaͤnde, 2) schon durch nachfolgenden Umstaͤnde, 3) schon durch die wahrscheinliche Zeug- nisse u. s. w.: so ist sie wegen der Samlung solcher Wahrscheinlichkeiten fuͤr wahr zu halten. So urtheilt der weiseste Richter uͤber Guͤter, uͤber Leib und Leben. 6) Wenn ein Glaube oder ein Lehrsatz wegen einer besonders in moralischen ꝛc. einer natuͤrlichen Neigung des Verstandes aller nachdenkenden Menschen, wahrscheinlich ist, und immer bleibt; wenn derselbe Lehrsatz die gemein- nuͤtzigsten Wuͤnsche der Menschen befriedigt; wenn der Zweifel an demselben allen insgemein und jedem insbesondere immer gefaͤhrlich und schaͤdlich ist; so muß dieser Lehrsatz mit dem höchst möglichen Beyfall geglaubt, oder für wahr gehalten werden. Auf solche Weise ist es durch eignes Nachdenken wahr, daß eine einzige, allmaͤchtige, allweise, allguͤtige Gottheit sey, daß die mensch- lichen Seelen unsterblich seyn, und daß der Tugend und dem Laster auch nach dem Tode Vergeltung bevorstehe. 7) Alle unstreitige Folgen des Wahren sind selbst wahr. Unstreitige Folgen sind diejenigen, welche man bey einem geuͤbten Nachdenken weder laͤugnen, noch an ihnen zweifeln kann, wenn man dasjenige, woraus gefolgert wird, als wahr vor- aussetzt. §. 62. Die vornehmsten Arten der richtigen Schluß- folgen will ich anzeigen: 1) Man schließt aus der Wahrheit des ganzen Satzes die Wahrheit jedes Theiles desselben, und aus der Wahrheit aller Theile die Wahrheit des ganzen Satzes zusammen genommen. z. E. Gott K 3 ist Uebungen des Verstandes, ist allwissend; also hat er Verstand. Dies oder das ist eine Gewohnheit, in dem ersten Lande, in dem zweyten Lande, im dritten Lande u. s. w. also in ganz Europa. Eben so schließt man aus der Falschheit des Theiles eines Satzes auf die Falsch- heit des Satzes selbst. z. E. Es ist falsch, daß der Großvater des Moab nicht zugleich sein Vater war. Also ist es falsch, daß Vater und Groß- vater einer Person allemal verschieden find. Die- ser Schluß kann heissen von Ganzen und Theilen. 2) Stelle dir unter a, b, c, d u. s. w. Na- men, Aemter oder Beschaffenheiten vor, davon das erste derselben Person oder Sache zukoͤmmt, als das zweyte, und das zweyte derselben Person oder Sache zukoͤmt, als das dritte u. s. w. alsdann schließt man, daß auch das Erste und das Letzte derselben Person oder Sache zukomme. z. E. Phi- lipps Sohn war Alexander, Alexander war ein Eroberer, also war Philipps Sohn ein Eroberer. 3) Eben so schließt man, wenn von a, b, c, d, u. s. w. das vorhergehende immer gleich groß, oder groͤsser oder kleiner, oder fruͤher, oder spaͤter als das folgende ist. Alsdann hat auch das erste Glied eben dieses Verhaͤltniß gegen das letzte Glied. Z. E. Anderthalb Gulden ist ein Thaler, ein Thaler ist 24 Groschen. Also sind 1½ Gulden 24 Groschen — Ein Schock ist groͤsser als ein Steige, ein Steige groͤsser besonders in moralischen ꝛc. groͤsser als ein Mandel. Also ist ein Schock groͤsser, als ein Mandel. — Cyrus lebte vor dem Alexan- der, Alexander vor dem Caͤsar; also auch Cyrus vor dem Caͤsar. Diese Arten der Schluͤsse koͤnnen heissen von der Rette äusserlicher Verhält- nisse. Anmerk. Merke, was es bedeute, wenn man sagt: Diese Sache oder diese Per- son a, gehört zu der Art b, oder ist von der Art b, alsdann will man anzei- gen, daß a alle Eigenschaften habe, um wel- cher Willen etwas den allgemeinen Namen b fuͤhrt. z. E. Wenn ich sage: Alexander war ein Eroberer; so ist Alexander die Person, und Erobrer die Art. Wenn ich sage; einige Fürsten sind misver- gnügt; so sind einige Fürsten die Perso- nen, und die Misvergnügten sind ihre Art. Wenn ich sage; alle Steine sind theilbar; so sind alle Steine die Sache, und das Theilbare ist die Art, von wel- cher alle Steine sind. 4) Wenn in einer Reihe a, b, c, d u. s. w. ein jedes Vorhergehende von der Art des Folgenden ist; so folgert man, daß auch das Erste von der Art des Letzten sey. z. E. Sanftmuth ist eine Tugend, jede Tugend wird von Gott geboten, K 4 also Uebungen des Verstandes, also wird auch die Sanftmuth von Gott geboten. — Einige Fuͤrsten sind neidisch; ein jeder Neidi- scher empfindet oft Traurigkeit; ein jeder, der oft Traurigkeit empfindet, ist nicht vorzuͤglich gluͤck- selig. Also sind einige Fuͤrsten u. s. w. — Unsre Feinde sind Menschen, keines Menschen Gluͤckse- ligkeit darf uns gleichguͤltig seyn; wessen Gluͤckse- ligkeit uns nicht gleichguͤltig seyn darf, den muͤssen wir lieben; also muͤssen wir unsre Feinde lieben. Dieser Schluß kann heissen von der Art eines Dinges. Anmerkung. Einige Beschaffenheiten der Dinge sind einander so entgegengesetzt, daß niemals dieselbe Sache in eben derselben Zeit beyde Beschaffenheiten haben kann. z. E. Ein Mensch kann nicht zu gleicher Zeit ein liebreiches Wesen und auch Rachbegierde haben. 5) Wenn zwey Dinge entgegengesetzte Be- schaffenheiten haben; so folgert man, daß sie nicht dieselben sind. z. E. Menanders Braut ist sehr schoͤn, Clelia aber sehr haͤßlich, also ist sie nicht seine Braut. Und wenn unter solchen Dingen, welche entgegengesetzte Beschaffenheiten haben, eines eine ganze Art der Dinge ist, so folgert man, daß das andre gar nicht zu dieser Art gehoͤre. z. E. Alle Gelehrte koͤnnen lesen, Cajus aber nicht, also ist besonders in moralischen ꝛc. ist er nicht von der Art der Gelehrten. Oder: alle Vernuͤnftige arbeiten in der Absicht wahres Nu- tzens; dieses thun einige Gelehrte keinesweges, also sind dieselben nicht vernuͤnftig. Endlich, wenn beyde Dinge, welche entgegengesetzte Beschaffen- heiten haben, ganze Arten sind; so folgert man, daß keines von irgend einer dieser Arten zu der andern Art gehoͤre. z. E. Alle Schmauser ver- schwenden oft die Zeit; dieses thut kein Arbeit- samer; also ist weder ein Schmauser arbeitsam, noch ein Arbeitsamer ein Schmauser. Dieser Schluß kann heissen von entgegengesetzten Be- schaffenheiten. 6) Wenn dieselbe Sache, oder sowol, oder eine ganze Art, als etwas, welches von derselben Art ist, zwey verschiedene Beschaffenheiten haben; so folgert man, daß diese Beschaffenheiten in einigen Exem- peln zusammen da sind, und also zusammen seyn koͤnnen. Z. E. Cajus weiß viel, und thut doch wenig Gutes. Also findet sich das Vielwissen und der Mangel an Gutthaͤtigkeit zuweilen beysammen. So auch: Alle Fuͤrsten haben Macht uͤber viele Menschen, dennoch sind einige Fuͤrsten unzufrie- den. Also kann die Unzufriedenheit mit Macht verbunden seyn. Dieser Schluß kann heissen von vertragsamen Beschaffenheiten, die sich nem- lich einander nicht entgegen gesetzt sind. K 5 7) Wenn Uebungen des Verstandes, 7) Wenn in a, b, c, d, (u. s. w.) das Vor- hergehende jedesmal eine (gewiß oder wahrschein- lich oder moͤglicher Weise) entscheidende Bedin- gung des Nachfolgenden ist: so folgert man, 1) daß das Erste auch eine solche Bedingung des Letzten sey. Z. E. Wenn ich meinem Bekannten die An- kunft melde, so koͤmmt er vermuthlich zu mir; wenn dieses geschicht, so kommen auch andere; wenn so so viele bey mir sind, so habe ich große Unkosten; also, wenn ich meine Ankunft ihm melde, so ver- ursache ich mir vermuthlich große Kosten. Man folgert 2) aus der wirklichen Wahrheit und Erfuͤl- lung des Ersten die Wahrheit und Erfuͤllung des Letzten. Z. E. Wenn ich ihm meine Ankunft melde, so kommt er, so kommen auch andre, so werde ich Unkosten haben; ich will ihm aber meine Ankunft melden, also werde ich Unkosten haben. Man fol- gert 3) aus dem Nichtseyn des Letzten, daß auch das Erste nicht sey, nicht geschehe, nicht geschehen muͤsse. Z. E. Jch will keine große Kosten haben, also muß ich ihm meine Ankunft nicht melden. Dies ist der Schluß von Bedingungen. 8) Wenn man Saͤtze durch entweder, und durch oder, und ferner etlichemal durch oder trennet, so setzt man zuweilen nur voraus, daß einer zum wenigsten wahr seyn muͤsse. Z. E. Mein Freund ist entweder verreiset, oder krank, oder besonders in moralischen ꝛc. oder sehr beschaͤftigt. Jn diesem Falle schließt man aus der Falschheit einiger die Wahrheit des uͤbri- gen Satzes, oder irgend eines der uͤbrigen Saͤtze. Z. E. Nun ist er weder verreiset noch krank, also be- schaftigt. Oder: Nun ist er nicht verreiset, also entweder krank oder beschaͤftigt. Dieser Schluß kann heissen aus der Falschheit einiger getrenn- ten Sätze. Zuweilen aber trennt man Saͤtze durch entweder und durch oder, und abermals durch oder, und setzet voraus, daß nur einer wahr sey. Alsdann schließt man aus der gefundenen Wahrheit des einen Satzes, oder aus der gefunde- nen Zahl derer Saͤtze, unter welchen der wahre Satz ist, die Falschheit aller uͤbrigen. Z. E. Dieser Staat ist entweder eine souveraine Monarchie, oder eine eingeschraͤnkte Monarchie, oder eine Aristo- cratie, oder eine Democratie, oder vermischt. Nun werden wir benachrichtigt, daß er von der ersten Art sey. Also ist er von keiner der uͤbrigen Arten. Oder wir werden benachrichtigt, daß er entweder eine Aristocratie oder Democratie sey, also ist er von keiner der uͤbrigen Arten. Dieser Schluß kann heissen aus der Wahrheit des ge- trennten Satzes. Oft aber bedeutet die Tren- nung der Saͤtze durch entweder und durch oder, daß einer gewiß, und doch nur einer, wahr sey. Alsdann kann man so wohl aus der Falschheit, als aus Uebungen des Verstandes, aus der Wahrheit eines getrennten Satzes etwas schliessen. Z. E. Mein Bekannter, von dem ich jetzund nichts weiß, ist entweder todt, oder lebt in Europa, oder in Asia, oder in Africa, oder in Ame- rica, oder in unbekannten Laͤndern, oder auf der See. Hier kann man auf eine doppelte Art schlies- sen, 1) aus der Falschheit, z. E. weil er nun weder in Asia, noch in Africa, noch in America lebt, noch todt ist; so lebt er entweder in Europa, oder in unbekannten Laͤndern, oder auf der See. 2) Aus der Wahrheit. Nun be- komme ich Nachricht, daß er entweder todt sey, oder in unbekannten Laͤndern, oder auf der See lebe, also lebt er in keinem bekannten Welttheile. 9) Wenn die Folgerung falsch ist; so schließt man, es sey etwas Falsches in demjenigen, woraus man gefolgert hat, oder man habe nicht richtig ge- folgert. Z. E. Man nehme an, 1000 sey mehr als 100 Dutzend; so folgt, 500 sey mehr als 50 Dutzend, 50 sey mehr als 5 Dutzend, 10 sey mehr als ein Dutzend. Dies ist falsch. Dennoch ist richtig gefolgert, also ist der erste Satz falsch. Oder man folgere so: Alle Menschen sind sterblich, alle Geister sind unsterblich. Also haben die Men- schen keinen Geist. Diese Folgerung ist falsch, alles aber, woraus man gefolgert hat, ist wahr, also hat man nicht richtig gefolgert. Dieser Schluß besonders in moralischen ꝛc. Schluß kann heissen aus der Falschheit der Folgerung. §. 63. Eine Belehrung ist ein Zeugniß von den durchgaͤngigen oder gewoͤhnlichsten oder unge- woͤhnlichern Beschaffenheiten ganzer Gattungen von Dingen; von dem Laufe der Natur; von den Beschaffenheiten der Menschen an Seele und Koͤr- per, das ist, von den Kraͤften ihres Verstandes und Willens, von ihren Meynungen, Neigungen und Affecten, von der innerlichen und aͤusserlichen Beschaffenheit ihres Koͤrpers, von den gewoͤhnli- chen Wirkungen und Ursachen ihrer Zustaͤnde, von der Beschaffenheit ihrer Kuͤnste und Gewerbe, von den unterschiedenen Umstaͤnden ganzer Nationen u. s. w. Solche Belehrungen sind theils wahr, theils nur wahrscheinlich, theils vollkommen zweifelhaft, theils unwahrscheinlich, theils falsch, theils ver- mischt. Jn den meisten Belehrungen ist das meiste wahr, besonders aber dasjenige, was unsre eignen Zeiten und Gegenden betrifft, was von erfahrnen Maͤnnern, in Absicht zu lehren, muͤndlich oder schriftlich mit Bedacht behauptet wird, und gegen welches wir keinen achtbaren Widerspruch verneh- men. Uebungen des Verstandes, men. Auf solche Belehrungen ist fast die ganze Sittenlehre gegruͤndet. Denn es ist der Sicher- heit gemaͤß, sie als Wahrheit anzunehmen und darnach zu handeln. Die Rechenmeister und Meßkuͤnstler geben uns viele Belehrungen, von deren Wahrheit sie alle- sammt sich fuͤr uͤberzeugt halten und bekennen. Z. E. von den Regeln der Bewegung, von dem Laufe des Gestirns, von den abwesenden und kuͤnf- tigen Finsternissen. Solche Belehrungen, die nirgends Widerspruch finden, muß man, wenn man auch keine eigne Einsicht von den Sachen hat, dennoch fuͤr wahr annehmen, und zwar wegen der bestaͤndigen Erfahrung, daß Belehrungen dieser Art niemals unrichtig sind. Aber in keinerley Art von Belehrungen, welche unsre Wohlfarth betreffen, ist so leicht Jrrthum und Misverstand zu besorgen, als in denen, welche die Religion angehen. Dieses erhellet schon daraus, weil die Belehrungen von Religion zu verschie- denen Zeiten, in verschiedenen Laͤndern und von verschiedenen Familien und Personen, in vielen Stuͤcken einander offenbar widersprechen. Jch will dich nach meinem eignen Gewissen vorbereiten, das Wahre, was dich angehet, von dem Falschen und Zweifelhaften zu unterscheiden. 64. §. besonders in moralischen ꝛc. §. 64. Glauben heißt in der gemeinsten Bedeutung etwas fuͤr wahr halten. Wird es aber dem Wissen entgegen gesetzt; so unterscheidet man beydes auf zweyerley Art. Erstlich, daß der Glaube den Beyfall bedeutet, welchen man den Zeugnissen und fremden Belehrungen giebt, und daß das Wissen nur Statt findet in dem Beyfalle, womit wir unsre eigne Erfahrungen, unsre eigne Empfindungen, die an sich unlaugbaren Grundsaͤtze, und die richti- gen Folgen dieser Wahrheiten, annehmen. Oder zweytens der Unterschied des Glaubens und Wissens ist dieser, daß das erste mit einigem Zweifel verbunden seyn kann, das letztere aber nicht. Jn der letzten Bedeutung heißt das Glau- ben auch Meynen. Eine Religion ist eine Sammlung von Lehr- saͤtzen, die das Gewissen betreffen, und von vielen als ein Ganzes fuͤr wahr gehalten werden. Wer gar keinen Begriff von dem unsichtbaren Richter hat, oder das Daseyn desselben laͤugnet, der hat kein Gewissen, solglich keine Religion, und wird ein Atheist genannt. Von dieser Art sind einige wilde Nationen, und vielleicht selbst in unsern Gegenden viele ganz einfaͤltige und unbe- lehrte Menschen, einige verirrte Gruͤbler, welche wegen der Unbegreiflichkeit das Daseyn Gottes laͤugnen, Uebungen des Verstandes, laͤugnen, und dennoch weit unbegreiflichere Dinge behaupten; endlich einige leichtsinnige und laster- hafte Menschen, welche die Beweise vom Daseyn Gottes nicht durchdenken moͤgen, und wegen ihrer Laster in der Laͤugnung des goͤttlichen Gerichtes und der Unsterblichkeit der Seelen ihre Beruhi- gung suchen. Die meisten unter solchen Elenden koͤnnen es doch nicht weiter bringen, als daß sie an diesen Wahrheiten zweifeln, und sie bald wieder mit Angst glauben oder mit Leichtsinn verwerfen. Einige Atheisten leiten das Daseyn und die Ord- nung der Dinge von einer unendlichen Reihe vor- hergehender unbekannter Ursachen her, welche sie bald das Fatum, bald das Ohngefehr heissen. Diejenige Religion, welche in der natuͤrlichen Erkenntniß von Gott besteht, und durch eigenes Nachdenken, oder durch Vertrauen auf diejenigen, welche nachgedacht haben, als wahr angenommen wird, heißt die natürliche Religion. Sie findet sich itzund bey vielen einzelnen Personen; aber sie ist niemals, so viel wir wissen, die Religion eines Volkes gewesen. Jn dieser natuͤrlichen Religion herrschet eben sowohl Glauben als Wissen. Denn von denen Beschaffenheiten der Welt, woraus wir Gottes Daseyn und Eigenschaften schliessen, wird sehr Vieles durch Zutrauen auf fremde Zeugnisse und Belehrungen angenommen. Es besonders in moralischen ꝛc. Es ist auch ein schweres und langsames Werk, von der natuͤrlichen Religion gewiß zu werden. Das Boͤse in der Welt machet uns gegen die Einheit und Vollkommenheit Gottes; die Dunkelheit des kuͤnftigen Zustandes macht uns gegen die Unsterblichkeit der Seelen, und folglich auch gegen das kuͤnftige Gericht solche Zweifel, die nach langer Ueberlegung zwar nicht guͤltig bleiben, aber doch mit Muͤhe bezwungen werden und oft neue Kraͤfte erhalten. Es ist also fuͤr das Beste des menschlichen Ge- schlechts zu wuͤnschen, daß die natuͤrliche Religion, das ist, der Jnhalt derselben, auf eine andre Art, welche den Glauben erleichterte, moͤgte bestaͤtigt, und durch solche Zusaͤtze vermehret werden, deren Erkenntniß zur groͤssern Besserung und Beruhi- gung der Menschen diente. Dieser Wunsch fuͤhret uns zu dem Begriffe von einer goͤttlichen Offen- barung. §. 65. Es ist nicht fuͤr unmoͤglich zu halten, daß Dinge übernatürlich oder wider den Lauf der Natur geschehen, z. E. das erste Erdbeben, die erste Ge- buhrt, der erste Tod eines Menschen war damals wider den Lauf der Natur. Aber ein Mensch kann nicht vorher wissen, daß und wann solche uͤberna- tuͤrliche Dinge geschehen werden. L Es Uebungen des Verstandes, Es ist also eine übernatürliche Belehrung moͤglich durch Stimmen und lehrende Gestalten, die kein Mensch verursacht, und zwar sowol im Wachen als im Traume. Eine solche uͤbernatuͤr- liche Belehrung kann in Gottes Namen als eine göttliche Offenbarung und mit dem Befehle gegeben werden, sie zu glauben, Andern als goͤtt- lich vorzutragen, und das Ansehn derselben durch uͤbernatuͤrliche Wirkungen, oder Wunderwerke zu bestaͤtigen. Eine solche Person, welche einer goͤttlichen Offenbarung und des Befehles, sie be- kannt zu machen, gewuͤrdigt wird, heißt ein gött- licher Gesandter. Daß ehemals Offenbarungen gewesen sind, ist wahrscheinlich nicht nur aus dem fast bey allen Voͤlkern durchgaͤngigen Begriffe und Geruͤchte von Offenbarungen; sondern auch daraus, daß das menschliche Geschlecht wirklich zum Gebrauch der Vernunft gelanget ist, wovon keine begreiflichere Ursache gefunden werden kann, als diese, daß in den fruͤhern Zeiten des menschlichen Geschlechts goͤtt- lichen Offenbarungen waren. Eine Religion, welche zuerst durch Offenbarung gelehret ist, oder als eine solche geglaubet wird, heißt eine geoffenbarte Religion, und wer mit andern einerley geoffenbarte Religion glaubt, heißt ein Glaubens-Verwandter. Wer aber alle als besonders in moralischen ꝛc. als geoffenbart angepriesene Religionen verwirft, und dennoch die natuͤrliche Religion, entweder ganz, oder zum Theil glaubt, heißt ein Deist oder Na- turalist. Jch sage, viele Naturalisten glauben nur einen Theil der natuͤrlichen Religion. Denn einige halten sich nicht fuͤr uͤberzeugt von der All- wissenheit Gottes, von der sich uͤber alle einzelne Dinge erstreckenden Vorsehung, von der Unsterb- lichkeit der Seelen, von der kuͤnftigen Vergeltung des Guten und Boͤsen, von der Pflicht des Gebetes und des gemeinnuͤtzigen Martyrerthumes. Wer durch Belehrung von ehemaligen vorgege- benen Offenbarungen mehr hoͤchste Goͤtter, oder zwar einen hoͤchsten Gott, aber auch viele nam- hafte Untergoͤtter glaubt, welche das Schicksal der Menschen in ihrer Macht haben, und deswegen gewisse Arten der Verehrung verdienen sollen; der heißt ein Heide. Wer Offenbarungen fuͤr wahr haͤlt, und ehe- malige Gesandte Gottes glaubt, so wie sie in den Buͤchern des alten und neuen Testaments beschrie- ben sind, der heißt ein Christ, wenn er den uns angehenden Jnhalt jener Offenbarungen kennet, entweder weil er jene Buͤcher selber gelesen hat; oder durch Andere, welche sich darauf berufen, von diesem Jnhalte belehret ist. L 2 Wer Uebungen des Verstandes, Wer die in dem neuen Testamente angepriese- nen Offenbarungen verwirft, aber die im alten Testamente angepriesenen annimmt, der heißt ein Jude. Wer Mahomed, als den groͤßten Gesandten Gottes, so wie er seine Offenbarungen in dem Buche Coran angepriesen hat, verehret, der heißt ein Mahemodaner oder Türk. Der vornehmste im neuen Testamente ange- priesene Gesandte Gottes, war Jesus Christus, der vor siebzehn hundert und Acht und sechszig Jahren gebohren wurde; aber im alten Testamente, Moses, der uͤber funfzehn hundert Jahr fruͤher lebte. Mahomed hat sechs hundert Jahr nach Christo seine Religion gestiftet. Ausser den Atheisten und den Naturalisten, und ausser den Sceptikern oder Zweiflern, gehoͤren alle andere Menschen zu irgend einer Art der Glau- bens-Verwandte, zu den Heiden, zu den Juden, zu den Christen oder zu den Mahomedanern. Eine jede Art der Glaubensverwandte theilet sich in Partheyen, Secten oder Kirchen, welche entweder mehr oder weniger angepriesene Offenba- rungen fuͤr richtig halten, oder uͤber die Bedeutung der uͤberlieferten Lehren so uneinig sind, daß es ihnen ihr Gewissen verbietet, zur Verehrung Got- tes und zur Unterhaltung der Religion mit den Gliedern besonders in moralischen ꝛc. Gliedern anderer Secten gemeinschaftlich zusam- men zu kommen. §. 66. Suche unter diesen Religionen die wahre, wenn du nicht schon von derselben, wie ich hoffe, uͤberzeugt seyn solltest. Fange deine Untersuchung an bey der- jenigen, deren Jnhalt dir schon am bekanntesten ist, und am gemeinnuͤtzigsten scheinet. Verkuͤrze dein Nachforschen Anfangs dadurch, daß du alles das- jenigr nicht untersuchest, dessen Wahrheit oder Falschheit deinem Gewissen gleichguͤltig scheinet; das ist, die Regeln deines Thuns und Lassens nicht veraͤndern, und dir Beruhigung der Seele weder geben noch nehmen kann. Laß in der Religion, die du zuerst vornimmst, Anfangs dasjenige weg, woruͤber die Kirchen und Secten streiten, und be- gnuͤge dich Anfangs mit der Untersuchung derer Lehrsaͤtze, welche von Allen angenommen werden, und also in dem Archive oder dem alten Glaubens- buche dieser Religion am deutlichsten gelehret sind. Setze die Untersuchung fort, und nimm den Rath derer, welche dir die erfahrensten scheinen, zu Huͤlfe, oder bekannte Schriften, die dir angepriesen werden, und deren Anblick dir mit Wahrscheinlichkeit, mehr Erleuchtung verspricht. Zweifle waͤhrend der Un- tersuchung ohne Gewissensangst, wenn du aus Ver- L 3 langen Uebungen des Verstandes, langen nach Wahrheit zweifelst. Nach meinem Gewissen prophezeihe ich, daß du eine andre Reli- gion, als die natuͤrliche, welche ihr aber nicht zu- wider ist, sondern ihre Lehrsaͤtze vielmehr bestaͤtigt, wahr finden werdest. Alsdann uͤbe diese Religion mit der vollkom- mensten Gewissenhaftigkeit aus. Laß sie die Fuͤhrerinn deines Lebens und die Troͤsterinn deines Herzens seyn. Nimm fleißigen Antheil an der gemeinschaftlichen und oͤffentlichen Verehrung Gottes, welche die Glaubensverwandte dieser Re- ligion ausuͤben. Halte dich zu derjenigen Kirche oder Gemeine derselben, welche mit deinen Ge- danken am meisten uͤbereinstimmet, oder am we- nigsten streitet, und welche dich unter sich dulden, und ohne ein erzwungnes Bekenntniß dessen, was du nicht glaubest, dich zu solchen Gemeinschaften zulassen will, die deinem Gewissen nicht zuwider sind. Trage nach deinem kuͤnftigen Vermoͤgen reichlich bey, zu den Kosten, die ein solches Kir- chenwesen erfodert. Leiste und hoffe, in Ansehung einer solchen Gemeine, die Pflichten einer beson- dern Bruͤderschaft. Will dich aber keine Gemeine annehmen, ohne auch dasjenige ausdruͤcklich zu bekennen, was du nicht glaubest, so heuchle schlech- terdings nicht irrdischer Vortheile wegen in Sachen, welche die goͤttliche Verehrung und die gemein- besonders in moralischen ꝛc. gemeinnuͤtzigsten Wahrheiten, oder die gemein- schaͤdlichsten Jrrthuͤmer betreffen. Jn solchem Falle sorge fuͤr deine Privat-Erbauung und fuͤr die Denkmittel deiner Pflichten und deines Trostes, so gut es dir allein, oder mit wenigen, deren Ge- meinschaft du haben kannst, moͤglich ist. Rede nichts von Jrrthuͤmern, die Andern hei- lige Wahrheit scheinen, in ihrer Gegenwart, wenn du keinen Nutzen weder fuͤr dich noch fuͤr andere, sondern nur Verdruß davon vermuthest. Denn viele Glieder auch derer Kirchen, welche alle Gewalt und Verfolgung fuͤr unrecht erkennen, sind dennoch oft geneigt, diejenigen zu hassen und zu verfolgen, die nicht ihres Glaubens sind, und es oͤffentlich anzeigen. Huͤte dich also vor einem kleinen und großen Martyrerthum, wenn es aus ungemeinnuͤtzigen Handlungen erfolgen koͤnnte. Hasse und verachte niemanden wegen seiner Reli- gion, und wenn sie auch von der deinigen im hoͤch- sten Grade verschieden waͤre. Denn die wenigsten irren deßwegen, weil sie nicht gern die Wahrheit glaubten, sondern weil sie in der Jugend fuͤr Jrr- thuͤmer eingenommen sind, und hernach entweder keinen Trieb zur Untersuchung oder keine ihrer Faͤhigkeit angemessene und wohlgeordnete Mittel kennen, zur Wahrheit zu gelangen. Jrrthum verdient Mittleiden, oder Belehrung von dem, der Uebungen des Verstandes ꝛc. der sie geben kann, nicht Haß, nicht Verfolgung, nicht Verjagung aus dem Vaterlande, nicht die Versagung des Rechts zur buͤrgerlichen Gleichheit, wenn der Jrrthum nicht hindert, gemeinnuͤtzige Buͤrger zu seyn, oder den Geist der Verfolgung gegen andre nicht einfloͤsset. Diese Wahrheit, daß niemand wegen seiner Religion, wenn sie der buͤr- gerlichen Tugend nicht schadet, mehr als andre eingeschraͤnkt oder belastigt werden darf, diese Wahrheit von der Gewissensfreyheit be- fördre in deinem ganzen Leben. Zum Werke nicht gehörige Schlußanmerkungen, welche, nach dem Gewissen vieler, zu wenig oder zu viel entscheiden. Anmerkung 1. In der christlichen Religion, wie man aus der Bibel des alten und neuen Testaments leicht sehen kann, werden erstlich die Lehrsätze der natürli- chen Religion von Gott und seinen Eigenschaften, von der Unsterblichkeit der Seelen, von dem gött- lichen Gesetze für die Tugend und wider das Laster, von der Verehrung Gottes, von der Men- schenliebe, und von der künftigen Vergeltung, als geoffenbart vorgestellet. Zweitens wird hinzu- gefügt, daß Jesus Christus, als der eingebohrne oder unvergleichbare Sohn Gottes, zum Besten des menschlichen Geschlechtes, unschuldig gekreuzi- get, von den Todten erweckt, über die Wolken genommen, und ein Mittler zwischen Gott und Menschen sey; der als zur rechten Hand Gottes über Alles regiere, und am letzten Tage das verstorbne menschliche Geschlecht erwecken, die Lebenden verwandeln, und alle in Gottes Namen richten werde, auch zur Ehre Gottes des Vaters Vereh- rung und Anbetung verdiene. Drittens wird durch )( die die christliche Religion ein neuer Anblik der Gei- sterwelt eröffnet, indem darinnen von Engeln oder Geistern geredet wird, welche übernatürliche Wirkungen vornehmen, in menschlicher Gestalt erscheinen und verschwinden, Mittelspersonen der göttlichen Offenbarungen seyn können, und ohne unser Wissen Theil an den Ursachen des mensch- lichen Schiksals nehmen, bis wir einmal mit ihnen in nahere Gemeinschaft unter der Herrschaft Jesu, der über alles regieret, treten werden. Einige lasterhaft, grausam und nnglücklich gewordene Engel werden in der Bibel Teufel genennet. Die christliche Religion fügt viertens hinzu, daß das Leiden, der Tod und die Vermittelung Christi nicht nur eine Ursache der Auferweckung des ganzen menschlichen Geschlechts und des darauf folgenden Lebens sey, sondern daß auch durch dieses Leiden, durch. diesen Tod, durch diese Ver- mittlung, denen Busfertigen und Bekehrten, wenn sie an ihn oder seine Religion glauben, und in die- sem gebesserten Zustande sterben, die bereueten und abgelegten Sünden so vergeben werden, daß sie nach dem Tode kein peinlich strafendes Gericht zu befürchten, sondern ewige Seligkeit zu hoffen haben. Darum wird er der Mittler zwischen Gott und Menschen, der Versöhner der Menschen mit Gott, und der Heiland oder der Erlöser des menschlichen Geschlechts genannt. Sie setzet end- lich lich hinzu, daß die neuen Christen, vermöge eines von Jesu verordneten Gebrauchs auf den Namen Gottes des Vaters, auf den Namen des Sohnes, und auf den Namen des heiligen Geistes, welcher, nach der Lehre der Bibel, mit den Gesandten Got- tes wirkte, getaufet oder eingeweihet werden, und daß die Gläubigen in einem gemeinschaftlichen von Jesu geordneten Mahle, zum Gedächtnisse seines Leibes und Blutes, mit Danksagung essen und trinken sollen, nehmlich ein geheiligtes Brod, welches die Gemeinschaft seines Leibes, oder sein Leib, und den geheiligten Wein, welcher die Gemeinschaft seines Blutes, oder sein Blut ist, damit sie sich seines blutigen und erlösenden Todes beständig erinnern. Uebrigens werden in der christlichen Religion des neuen Testaments keine andre Ceremonien oder Opfer für nöthig erklärt. Dieses ist der Hauptinhalt. Anmerkung 2. Die christliche Religion hat also nicht nur zu- gleich allen Werth der natürlichen: sondern sie zeiget auch in Jesu ein sinnliches Ebenbild Gottes, und ein liebenswürdiges Muster der vollkommnen Tugend. Sie ist dem, der sie glaubt, ein lehrrei- ches Denkmittel von der abscheulichen Zerrüttung, welche in dem Reiche Gottes durch die Sünde angerichtet wird, und von der Absicht und den )( 2 Mitteln Mitteln Gottes, diesen Zerrüttungen abzuhelfen, und von der grossen Wichtigkeit des künftigen unsterblichen Lebens. Der Christ ist in mindrer Gefahr, an der Unsterblichkeit seiner Seele und an dem neuen künftigen Leben zu zweifeln, da er glaubt, daß Jesus nach seiner eignen Auferste- hung durch seine Jünger die Welt davon versichert hat. Der Naturalist mag sich fûr so gebessert halten, als er will, er hat doch gesûndiget, und sein ferneres Leben wird auch nicht vollkommen rein bleiben. Nicht alle Sünden werden in diesem Leben bestraft, und er weis nicht, wie strenge Gott strafen müsse. Der nachdenkende Naturalist muß also sich mit einer zitternden Furcht bey Gefahr und Annährung des Todes in die Hände Gottes liefern, weil ihm unbekannt ist, ob er ohne peinliche Strafe Vergebung haben könne. Aber der bekehrte und gläubige Christ hält sich von der Gnade für versichert, und hat Recht, in entzückender Freude zu sterben. Er sieht in eine grosse Geisterwelt hinein, nach deren Gemein- schaft ihn verlangen muß. Und dennoch be- schwert ihn seine Religion nicht mit ungemein- nützigen und beschwerlichen Gebräuchen; sie zwingt ihn nicht unter ein Joch der Priester, als welche nach dem offenbaren Innhalte des Evan- geliums Jesu und des apostolischen Christenthums keine irrdische Macht zu befehlen, sondern nur das das Mittel der Ueberredung haben dürfen. Beyde Geschlechter nehmen gleichen Theil an dieser Re- ligion. Auch die ewige Glückseligkeit der Kinder wird durch Jesum versichert. Man kann diese Religion in jedem Clima ausûben, und sie ist den gleichgültigen oder guten Sitten keines einzigen Volks zuwider. Wäre sie nicht geoffenbart, so wäre sie doch die beste Religion für das menschli- che Geschlecht, und für jeden insbesondre. Wel- cher verständige und tugendhafte Mensch wird nicht wünschen, daß sie geoffenbart sey! Anmerkung 3. Und sie ist es, nach meiner Einsicht, wahrhaf- tig. Der Stifter und seine Jünger waren keine Betrüger. Sie konnten von ihrer neuen Religion nichts Irrdisches hoffen; aber wie auch die Er- fahrung bezeugt hat, Haß, Verfolgung, Gefahr, Marter und Tod fürchten. Sie waren nicht, als Enthusiasten, wahnsinnig, sich Offenbarungen, welche sie nicht bekommen hatten, und Wunder- werke, welche sie nicht thaten, einzubilden. Denn, sollten die Einzigen, welche eine so vor- trefliche Religion gelehret haben, wahnsinnige Leute gewesen, und bis an ihren Tod geblieben seyn? und zwar mit Uebereinstimmung ihres Zeugnisses von der Auferstehung Jesu, und von den obgesagten gemeinnützigen Lehrsätzen? Wel- )( 3 cher cher vernûnftige und der Sachen kundige Mensch, kann dieses glauben oder vermuthen? Wer darf es thun, wenn er nachdenkt, daß wir durch Wünsche und Vorsätze den Glauben an wichtige Wahrheiten verhindern können, und Gott Re- chenschaft davon fodern werde? Jesus und die Apostel waren also das, was sie sagten, und wo- für sie von vielen zu ihrer Zeit angenommen wur- den, welche den Glauben an ihre Aussprüche, nebst einigen ihrer Schriften, den Nachkommen überliefert haben. Sie waren göttliche Gesandte, sie bestätigten die beste Religion, als geoffenbart durch Wunderwerke. Ihre Religion ist die christ- liche; also ist dieselhe wahr. Wer wird irgend eine heidnische Religion ihr gleich schätzen? Wer wird die beschwerliche Re- ligion des Judenthums, welche durch das Chri- stenthum ihre Endschaft etreicht hat, und sich vormals für die zum theil unbekannten Umstände dieser besondern Nation schickte. itzt allen Völ- kern der Welt aufzubürden wûnsehen? Wer wird nach dieser Erkenntniß des Christenthums nicht den Mahomed verwerfen, der, weil er den Inn- halt desselben nicht verstund, es für verdorben hielt, und sowohl durch seinen Coran, als durch Waffen, unter dem Namen des höchsten göttli- chen Gesandten, ein Verbesserer und Eroberer werden werden wollte? Man darf sich nur die beste Reli- gion als geoffenbart angepriesen, und gleich An- fangs als von Vielen geglaubt, und durch das Märtyrerthum der Bekenner, als gegründet und ausgebreitet vorstellen: so hat man Beweise genug, daß sie göttlich und geoffenbaret sey. In diesem nach seinem Innhalte vortreflichen, und nach seinem Ursprunge geoffenbarten Glau- ben, lebe, theurer Sohn und Leser, tugendhaft, und, so Gott will, glücklich. Dann hoffe, wenn die tödtende Krankheit dich nicht hindert, eine entzückende Freude oder die sanfteste Gemüths- ruhe auf deinem Sterbelager. Gott, sey gnädig meinen Wünschen! Jnhalt der Hauptstuͤcke und Paragraphen in der ganzen Weisheit des Privatstandes. I. Eignes Nachdenken uͤber die Seele, das Leben und den Tod. §. 1. Weisheit und Selbsterkenntniß. §. 2. Geistiges Wesen oder Seele im Men- schen. §. 3. Sie ist unser wahres Jch, ein einziges fortdaurendes unsichtbares Wesen. §. 4. Das geistige Leben. Unterschied der Seele und des Koͤrpers. Leben und Tod des Menschen. §. 5. Wunsch eines nicht unmoͤglichen Lebens der Seele nach dem Tode des Menschen. M II. Eignes Jnhalt der Hautstuͤcke II. Eignes Nachdenken uͤber Gott und seine Eigenschaften. §. 6. Wahrheit des Anfanges der Welt. §. 7. Die Welt als vorzuͤglich gut, beson- ders durch die Ordnung der Dinge. §. 8. Ewiger Zweck und wahre Gottheit. Wahrheit, daß nur ein einziger Gott sey. §. 9. Er allein ist vollkommen ewig. §. 10. Goͤttliche Wirksamkeit, als der Grund aller Dinge. §. 11. Seine Allmacht, Allwissenheit und Allguͤte. Sammlung der Grund- eigenschasten Gottes. §. 12. Die meisten andern Eigenschaften. §. 13. Beweiß der Unsterblichkeit der Seelen und der kuͤnftigen Vergeltung. §. 14. Gottes Gerechtigkeit und Heiligkeit. §. 15. Die natuͤrliche Erkenntniß Gottes. III. Die Sittenlehre aus natuͤrlicher Erkenntniß Gottes und der Welt. §. 16. Gehorsam und Liebe gegen Gott. Tu- gend um Gottes willen. Verehrung und und Paragraphen. und Anbetung Gottes. Gemein- nuͤtziges Martyrerthum. §. 17. Zuversicht zu Gott. Unterwerfung unter das Schicksal. Jrrthum der Fatalisterey von dem Schicksale und den Handlungen der Menschen. Un- terschied des goͤttlichen Rathschlusses und des goͤttlichen Gebotes. Unschuld Gottes am Boͤsen. §. 18. Nuͤtzliche Art der Todesgedanken. Wachsamkeit auf die Gedanken und Wuͤnsche. Heiligung der Denkmittel Gottes. Wahl ruhiger Zeiten zur Andacht. §. 19. Von Suͤnde, Gewissen, Schwur und Fluch. §. 20. Wider den Aufschub der Besserung. §. 21. Begriff von Selbstliebe, Eigenliebe und Thorheit. §. 22. Das Verhalten im Affecte. §. 23. Die natuͤrliche und pflichtmaͤßige Men- schenliebe. Vortreflichkeit und allge- meine Regeln derselben. M 2 §. 24. Jnhalt der Hauptstuͤcke §. 24. Pflicht der Arbeitsamkeit. Recht des Eigenthums. Raub, Diebstahl und Betrug. Mordbrennerey. Men- schenraub. Gewalt an Leib und Leben. Vertraͤge. Sammlung der groben Verbrechen. Gesetz der Sicherheit. Obrigkeit und Majestaͤt, Staat und Vaterland. Staatsbedienten und Auflage. Arten des Ungehorsams gegen die Obrigkeit. §. 25. Etwas vom Kriege. §. 26. Gehorsam gegen die Gesetze. Verhal- ten bey gewaltsamer Werbung. Be- sondre Pflichten fuͤr das Vaterland und den Fuͤrsten. §. 27. Von der Wahl einer besondern arbeit- samen Lebensart. §. 28. Die Kennzeichen des Betruges in vielen Umstaͤnden. Verbrechen in Ver- aͤnderung der Muͤnzen. Schulden und Obligationen. §. 29. Gewinnsucht, Geiz, Verschwendung. §. 30. Die vornehmsten moralischen Regeln von dem Verlangen nach Ehre. §. 31. und Paragraphen. §. 31. Das Verhalten gegen die Ehre anderer. §. 32. Von der Maͤssigkeit in den Nahrungs- mitteln. §. 33. Regeln der Gesundheit. Verhalten in Krankheiten. §. 34. Wider den Selbstmord. §. 35. Von der Ehe. Alle Laster wider die Keuschheit. Unehrbarkeit. §. 36. Besondre Regeln der Ehrbarkeit und Bewahrung der Unschuld. §. 37. Ueberlegung bey der Wahl der Ehe- gesellschaft. §. 38. Etwas von den Pflichten im Ehe- stande. §. 39. Pflichten der Kinder und in der Ju- gend. §. 40. Neid, Haß, Eifer, Zorn, Rachbe- gierde, Liebe der Feinde, Mitleiden. §. 41. Dieustsertigkeit, Wohlthaͤtigkeit und Dankbarkeit. §. 42-44. Tugend und Gefaͤlligkeit im Um- gange. M 3 §. 45. Jnhalt der Hauptstuͤcke §. 45. Verstellung, Luͤge, Aufrichtigkeit und Worthalten. §. 46. Scherz, Affectation und Eigensinn. §. 47. Sehr allgemeine Regeln der Klugheit. §. 48. Die besondre Freundschaft. §. 49. Traurigkeit, Furcht, Geduld und Muth. §. 50. Einsame und gesellschaftliche Ergoͤtzun- gen. Lectuͤre. §. 51. Bild eines vollkommen Hauswesens. IV. Uebungen des Verstandes, besonders in moralischen Untersuchungen. §. 52. Nothfaͤlle. Ausnahme aus allgemei- nen Regeln. Tugendhafte Einfoͤr- migkeit. §. 53. Eintheilung der verschiedenen Rechte. Das Verhalten bey ihrem Wider- spruche. §. 54. Allgemeine Begriffe von Gesetz, Pflicht, Tugend, Laster. §. 55. Aeusserliches Recht. Zwangspflicht und Gewissenspflicht. Privilegium und und Paragraphen. und Dispensation. Billigkeit und Gelindigkeit. §. 56. Strafe und Belohnung; Gluͤcksfaͤlle und Ungluͤcksfaͤlle. §. 57. Freyheit und Zurechnung; Jrrthum und Begnadigung. §. 58. Allgemeine Regeln der Wahrschein- lichkeit. §. 59. Besonders in Zeugnissen und Nach- richten. §. 60. Auch in der Bedeutung der Redens- arten. §. 61. Die Wahrheit und die Hauptgattungen wahrer Saͤtze. §. 62. Die natuͤrlichsten Regeln von Schluͤs- sen oder Folgerungen. §. 63. Von der Zuverlaͤßigkeit fremder Be- lehrung. §. 64. Unterschied des Glaubens und Wis- sens. Atheist. natuͤrliche Religion. Schwierigkeit derselben. Wunsch einer andern. §. 65. Moͤglichkeit des Uebernatuͤrlichen. Begriff Jnhalt der Hautstuͤcke u. Paragr. Begriff von Offenbarungen, Wun- derwerken und goͤttlichen Gesandten. Allgemeine Wahrscheinlichkeit des Daseyns ehemaliger Offenbarungen. Begriff von einer geoffenbarten Reli- gion. Naturalist oder Deist. Die Glaubensverwandten, als Heiden, Juden, Christen und Mahomedaner. Kirchen und Secten. §. 66. Art des Nachforschens nach der wah- ren Religion. Kluges Verhalten gegen fremde Religionsverwandte. Gewissensfreyheit. —— Einige zum Werke nicht gehoͤrige und deßwegen nach den Umstaͤnden in einigen Exemplarien fehlende Schluß- anmerkungen.