Belphegor , oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Of all Animals of Prey, Man is the only so- ciable one. Every one of us preys upon his Neighbour, and yet we herd together. GAY . Zweyter Band. Leipzig , bey Siegfried Lebrecht Crusius . 1776 . Sechstes Buch . A 2 D er Bewegungsgrund, warum Belphe- gor von seinem Patrone die Erlaub- niß erhielt, ihn bis nach Abißinien zu be- gleiten, war nicht der loͤblichste: er wagte den Unterhalt auf der Reise an ihn, um diese Auslage dort tausendfach durch ihn wieder zu gewinnen. Einer von den Va- sallen des großen Neguz, die bloß das Ceri- moniell der Huldigung verrichteten, aber ihm keinen Gehorsam leisteten, der Koͤnig von Niemeamaye, hatte ein Projekt un- ter der Hand, daß das Projekt aller Pro- jekte genennt zu werden verdient. Er konnte es nicht erdulden, daß einer seiner Nach- barn ein einziges Koͤrnlein Gold außer ihm besaß, und weil durch sein Land nur ein einziger Fluß gieng, der Goldkoͤrner bey sich fuͤhrte, die er doch ungemein liebte, so wollte er es veranstalten, daß alle Goldkoͤrner sei- ner Nachbarn in sein Gebiet gebracht wer- den, und sie keine bekommen sollten. Er ließ deswegen den Fluß an der Graͤnze seines A 3 Gebiets Gebiets mit einer standhaften dreyfachen Mauer verdaͤmmen, und leitete ihn in un- zaͤhlbaren Kanaͤlen in seinem Lande herum; da er aber doch nothwendig endlich einmal ihn einen Ausgang wieder geben mußte, wenn er sein Reich nicht zu einer offenbaren See machen wollte, so ließ er in einiger Entfernung von seinem Ausflusse in das be- nachbarte Gebiet, von Weite zu Weite tau- send immer feinre Netze, von dem staͤrksten Baste geflochten, vorziehen, die das unnuͤtze Wasser durchließen und den Sand mit den kostbaren Goldkoͤrnern zuruͤckhielten. Das Projekt wurde zwar ausgefuͤhrt, hatte aber einen so schlechten Erfolg, daß der Fluß ent- weder die Netze zerriß, oder sich daneben einen heimlichen Ausgang grub, oder gar die Wohnungen der Einwohner durch Ueber- schwemmungen verwuͤstete. Ob man ihm gleich alles das vorstellte, so glaubte er es doch vor großer Herzensfreude nicht und triumphirte bey jeder Handvoll Goldkoͤrner, die man ihm in seinen Schatz lieferte, daß er bald der einzige gluͤckliche Besitzer des Goldes, und seine Nachbarn ganz entbloͤßt davon seyn wuͤrden: nichts schlug seine Wonne Wonne so sehr nieder, als daß er sich nicht des Flusses von seiner Quelle an bemeistern konnte und so viele Koͤrner vor ihm schon fremde Haͤnde bereicherten. Dieser widrige Gedanke brachte ihn eines Tages auf den tollen Anschlag, den Fluß von der Quelle weg mit einem ungeheuren Umschweife durch eine Sandwuͤste in sein Gebiet zu leiten, ohne daß er ein fremdes beruͤhren sollte: doch sehr bald, obgleich mit dem bittersten Widerwillen, verließ er diese ausschweifende Idee und begnuͤgte sich, von der Nothwen- digkeit gezwungen, mit dem Antheile, den er seinen Nachbarn abschnitt, die den Fluß von ihm empfiengen. Demungeachtet bemerkte er zu seinem Leid- wesen, daß fuͤr die Lebensmittel, die sein Land nicht hinlaͤnglich lieferte und die Ein- wohner doch fuͤr unentbehrlich zu ihrem Da- seyn hielten, ein mittelmaͤßiger Theil von seinem Golde wieder zu den Nachbarn uͤber- gieng, die ihnen mit den fehlenden Beduͤrf- nissen aushalfen: er verbot diesen Handel: die Einwohner beschwerten sich uͤber Man- gel, und er gab den Befehl, daß kuͤnftig, um keines fremden Zuschusses zu beduͤrfen, A 4 jeder jeder Einwohner des Tags nur einmal essen sollte. Alle diese Anstalten waren noch nicht hin- reichend, dem Golde jeden Ausgang zu ver- wehren: der Mensch hat Grillen; das Frem- de gefaͤllt ihm, weil es fremd ist, und er wuͤnscht es zu besitzen: auch fuͤr diese Ein- faͤlle fluͤchtete noch eine ziemliche Menge Gol- des uͤber seine Graͤnzen. Sogleich verbot er den Einwohnern dergleichen Einfaͤlle auf immer und ewig, und wer sich derselben nicht enthalten konnte, mußte sich von ihm das verlangte Fremde einhandeln: er gab ihnen fuͤr das Gold, das der fremden Waare bestimmt war, innlaͤndische Kleinigkeiten, und gebot ihnen bey Vermeidung einer star- ken Strafe, sich einzubilden, daß es die ver- langten fremden Kostbarkeiten waͤren: er verkaufte ihnen die Zaͤhne von wilden Katzen, und befahl ihnen zu glauben, daß es Ele- phantenzaͤhne waͤren, getrocknetes Schweins- blut mußte statt des Zibeths, und Haasen- felle statt der Pantherhaͤute dienen. Damit aber die fremden Originalwaaren sich nicht unvermerkt einschleichen und heimlich etwas von seinem Golde herausziehen moͤchten, so zog zog er eine Mauer um sein Land, besetzte sie mit streitbaren Maͤnnern, die jedem, der sei- nem Verbote zuwiderhandelte, hundert Ru- thenstreiche auf den bloßen Ruͤcken stehen- des Fußes mittheilen und ihn aus seinen Graͤnzen verjagen mußten. Nachdem er durch dergleichen Veranstal- tungen seine Goldbegierde zum Nachtheile der Nachbarn gesaͤttigt hatte, so konnte er es eben so wenig dulden, daß jemand außer ihm in seinem Lande dieses herrliche Metall besaß. Er sann auf Mittel, auch diesen Vorrath, wo nicht ganz, doch zur Haͤlfte in seinen Schatz zu leiten. Da seine Unter- thanen mit allen ihren Habseligkeiten sein Eigenthum waren, so maßte er sich das Monopolium aller ihrer Beduͤrfnisse an: von ihm mußten sie selbst die Fruͤchte kau- fen, die sie durch ihren Fleis auf ihrem Grund und Boden gezeugt hatten; sie muß- ten ihm sogar fuͤr den Durchgang der Luft durch ihre Lunge einen Zoll bezahlen, bis er endlich alles Gold in seinem Palaste aufge- haͤuft, und die Einwohner zu einem Lastviehe gemacht hatte, dem er das Futter umsonst gab, weil sie es ihm nicht mehr abkaufen A 5 konn- konnten. Das ganze Land war Eine große Familie, dessen Hausvater der Regent vor- stellte, der sein saͤmmtliches Gesinde mit den Fruͤchten des Landes naͤhrte, keine Auflagen, keine Taxen erhob, weil es in die gluͤckliche Situation gekommen war, daß niemand mehr etwas geben konnte. Alle Kanaͤle des Reichthums auf der Ober- flaͤche der Erde waren versiegt, oder doch so bekannt, daß sie ihm keine besondre Freude machen konnten. Er wollte auch die Einge- weide des Erdbodens pluͤndern: nur fehlte es ihm an Leuten, die die Kunst verstunden, der Erde ihre Schaͤtze abzunehmen. In die- ser Hinsicht ließ er aus allen Gegenden Kuͤnstler von dieser Art zu sich einladen, und that ihnen Versprechungen, die jeden anlocken mußten, sich dafuͤr auszugeben. Von allen diesen Umstaͤnden hatte Bel- phegors Patron genaue Nachricht, und war fest entschlossen, sie nicht ungenutzt zu laßen. So bald seine Geschaͤfte in Abißinien verrich- tet waren, begab er sich mit Belphegorn auf den Weg nach Niemeamaye, in des- sen Nachbarschaft er vormals schon einen Handel getrieben und eben bey dieser Gele- genheit genheit die vorhergehenden Nachrichten von dem Koͤnige jenes Landes gesammelt hatte. Auf der Reise dahin offenbarte er erst Bel- phegorn seinen Anschlag. Wir wollen, sagte er ihm, uns fuͤr die erfahrensten Berg- maͤnner ausgeben, dadurch das Vertrauen des Koͤnigs gewinnen, unter der Hand seine im Herzen mißvergnuͤgten Unterthanen auf unsre Seite bringen, den geizigen Barbaren umbringen, und uns in seine aufgehaͤuften Schaͤtze theilen: — im Grunde aber — was er weislich in petto behielt — sollte Belphegor fuͤr seine Absicht nur zur Maschine dienen, auf die er, wenn der Streich mis- laͤnge, alle Strafbarkeit laden, und die er nach einer gluͤcklichen Ausfuͤhrung ohne, oder mit einer kleinen Vergeltung sich vom Halse schaffen koͤnnte. Belphegor erschrak: kaum merkte dies sein Gefaͤhrte, als er sich seine Bestuͤrzung zu Nutze machte, und ihn mit dem grausamsten Tode bedrohte, wenn er sich nicht zu dem Vorschlage bequemen wollte: Belphegor straͤubte sich lange. — Wohl! so verhungre hier in der Wuͤste! sprach jener, und machte eine Bewegung zum Abmarsche. Selbstliebe, Rechtschaffen- heit, heit, Abscheu gegen eine so grause That, wie ein Mord, stritten mit dem wildesten Auf- ruhre in dem verlegnen Belphegor: er wollte ihn zuruͤckrufen, er setzte einen Fuß bedaͤcht- lich vorwaͤrts und zog ihn hastig wieder zu- ruͤck; er aͤchzte, er zitterte, er sann, und endlich eilte er dem boͤsen Manne nach, um ihm seine Huͤlfe zu versprechen, ob er gleich bey sich den festen Vorsatz hatte, nicht Einen Finger zu einem Morde anzulegen: nur aus Liebe zur Selbsterhaltung that er ihm dies verstellte Versprechen, und war willens, sich lieber einer Verraͤtherey gegen diesen Boͤse- wicht, als einer Mordthat schuldig zu machen. Der Listige, um sich ihn desto fester zu ver- binden, schlug anfangs sein Anerbieten aus, und versicherte, daß er einen solchen feigen Undankbaren nicht zu einer Unternehmung zulassen wuͤrde, fuͤr die er von einem so schlechten Werkzeuge alles fuͤrchten muͤßte. Belphegor wurde aͤngstlich, die Qual des Verhungerns stellte sich ihm in der fuͤrchter- lichsten Schwaͤrze vor, er setzte in ihn, be- schwor ihn und erhielt endlich, doch als eine Freundschaft, die Erlaubniß, an der moͤrdrischen That einen ruͤhmlichen Antheil zu neh- zu nehmen. Belphegor wuͤnschte nur durch diese Einwilligung mit ihm in bevoͤlkerte Ge- genden gebracht zu werden, um alsdenn sich seiner Gesellschaft, ohne Hungersnoth, heim- lich entziehen zu koͤnnen. Auch dieser An- schlag wurde ihm vereitelt: die Wuͤste dauerte bis an die Mauer, die die Graͤnze von Nie- meamaye bezeichnete, und er mußte wi- der seinen Willen an die Betruͤgerey Hand anlegen. Noch immer hoffte er seinem Gefaͤhrten entwischen zu koͤnnen, so sehr ihn dieser auch beobachtete und aus Furcht vor Verraͤthe- rey fast nicht von der Seite ließ. Sie wur- den nach der Gewohnheit des Landes dem Koͤnige hinter einem Schirme vorgestellt, der ihren profanen Augen seine geheiligte Person verdeckte und nur seine Stimme durchließ. Belphegors Gefaͤhrte verstund die Sprache des Landes, und jener mußte daher ein stummer Zuhoͤrer seyn. In acht Tagen war es schon so weit gekommen, daß sie der Koͤ- nig unter die Zahl der Auserwaͤhlten erhub, denen es vergoͤnnt ist, ohne Schirm mit ihm zu sprechen: doch bey solchen Unterredun- gen wußte es Belphegors Gesellschafter jedesmal jedesmal dahin einzuleiten, daß er dieser Ehre allein genoß, und Belphegor in einem verschloßnen Zimmer zu Hause bleiben mußte, weil seine Treue durch verschiedene bedenk- liche Aeußerungen zu verdaͤchtig geworden war, um ihn bey dem Vorhaben eine spie- lende Person seyn zu lassen, oder sich voͤllig von ihm zu trennen. Der kritische Tag ruͤckte heran, an wel- chem der Koͤnig von dem Gefaͤhrten des Bel- phegors mit einem Dolche aufgeopfert wer- den sollte. Laͤnger konnte er den Gedanken nicht ertragen, der Mitbewußte einer so na- hen schrecklichen That zu seyn: er arbeitete sich aus seiner Gefangenschaft heraus, be- gab sich in den koͤniglichen Palast, wo er auf das vorgewiesene Zeichen, daß er unter die Vertrauten des Koͤniges gehoͤre, zu ihm eingelassen wurde und ihm die drohende Lebensgefahr eroͤffnete. Sobald er in den Saal trat, machte ihn die Physiognomie des Koͤnigs stutzig: sie schien ihm so bekannte Zuͤge zu haben, die nur durch Zeit und Zu- faͤlle verdunkelt waren, daß er den unbe- weglichsten Blick auf sie heftete. Die naͤm- liche Aufmerksamkeit verwandte auch der Koͤnig Koͤnig auf Belphegorn, und uͤber der wechsel- seitigen unaufhoͤrlichen Betrachtung vergaßen sie lange, daß sie zusammengekommen wa- ren, um sich zu sprechen. Belphegor ließ in der Verwirrung sich einen europaͤischen Ausruf entfahren, den der Koͤnig in der naͤmlichen Sprache beantwortete, und sehr bald war es entwickelt, daß auf dem nie- meamayischen Thron — der Herr Medar- dus, Magister der Philosophie und freyen Kuͤnste, sein bester Freund, saß. Sie be- willkommten und freuten sich einige Zeit, worauf Belphegor seinem wiedergefundenen Freunde die Absicht seines Besuchs bekannt machte; man kehrte sogleich Anstalten vor, dem gefaͤhrlichen Streiche zuvorzukommen, setzte den boshaften Unternehmer desselben gefangen, bestrafte ihn und that andre so alltaͤgliche Sachen, daß ich mich schaͤme, eine darunter zu beruͤhren. Nachdem man sich hinlaͤnglich uͤber das Unvermuthete dieser Zusammenkunft gewun- dert hatte, so fand sich bey beyden die Neu- begierde ein, zu wissen, wie sie moͤglich war. Belphegor that seinem koͤniglichen Freunde seiner Seits bald voͤllige Genuͤge und dankte B ihm ihm besonders mit vieler Ruͤhrung fuͤr die Befreyung vom Tode, die er ihm zu Se- gelmesse unter dem Charakter eines heili- gen Thiers haͤtte angedeihen lassen. Siehst du, Bruͤderchen! unterbrach ihn Medardus, davon weiß ich Dir kein Wort; in meinem Leben bin ich nicht in das Ding — Selenmesse, oder wie Du es nennst — gekommen. Da ich von euch weggerissen wurde — Um des Himmels willen! wie gieng das zu? — Wie das zugieng, Bruͤderchen? — Das mußte eine Hexerey oder eine andre Teufe- ley seyn. Da ich so mitten unter euch stehe, war mirs auf einmal, als wenn mir leise ein Strick um den Leib geschlungen wuͤrde, und siehst Du, Bruͤderchen? in der Minute hieng ich Dir in einem Walde an einer hohen Stange, zu welcher sie mich, wie ich hernach gewahr wurde, mit einem starken Seile und einer Rolle hinausgezogen hatten. Kurze Zeit darauf wurde ich herabgelassen, um dem Loͤwen vorgesetzt zu werden, den Fromal ku- rirte: doch was denkst Du wohl, Bruͤder- chen? — Das naͤrrische Thier ließ sich bey mir mir nieder, belekte mich, wie Fromaln, von der Stirn bis zum Kinne, und bruͤllte so freudig, als wenn er seinen leiblichen Bru- der in mir angetroffen haͤtte, legte die ge- heilte Klaue auf mich und behandelte mich recht freundschaftlich. Die Priester wurden stutzig, hielten mich fuͤr ein besondres Ge- schoͤpf und glaubten gar, daß die Seele ei- nes nahen Anverwandten aus der Familie des Loͤwen auf ihrer Wanderung in mir her- berge: denn anders konnten sie sich die glimpfliche Begegnung des Thieres nicht er- klaͤren, als daß er sich scheue, die Banden des Bluts in mir zu verletzen. Die Leute muͤssen eine Kolonie von den Aegyptern seyn, oder ihren Glauben an die Seelenwande- rung in Aegypten geholt haben: wer Lust hat mag das untersuchen, — genug, mir schafte die Seelenwanderung herrlichen Nu- tzen. Sie thaten mir die Ehre an, mich als ein heiliges Thier zu bewirthen, und weil ich doch aͤusserlich die Menschenfigur hatte, so gab man mir menschliche Nahrung und einen eignen Stall gleich neben meinem vermeinten Blutsfreunde. B 2 Nicht Nicht lange, nachdem ich diese Wuͤrde zu bekleiden angefangen hatte, entstund Krieg, und weil das Koͤnigreich, wo ich mit mei- nen uͤbrigen heiligen Kameraden lebte, das einzige heidnische war, so hielten es die ma- hometanischen Feinde desselben fuͤr ihre erste Pflicht, alle Spuren des heidnischen Got- tesdienstes zu vernichten; und die Reihe traf vor allen Dingen zuerst uns heilige Thie- re. Als man meine europaͤische Abkunft aus meiner Gesichtsfarbe schloß, so nahm man mich voller Freuden in Triumphe mit sich fort Dies war vermuthlich einer von den Koͤnigen, die mit aller Gewalt eine weiße Gesandschaft aus dem Norden haben wollten. : doch mein Trupp wurde von den Feinden zerstreut, man ließ mich zuruͤck, und ich entfloh den schwarzen Barbaren. Ich irrte herum und stieß auf eine Kara- vane, die nach Nigritien gieng. Es waren Europaͤer dabey, die mich verstunden; ich bat um Aufnahme und erlangte sie. Was sollst du in Nigritien, unter den kohlschwar- zen Kreaturen? dachte ich. Siehst Du, Bruͤ- derchen? ich wußte aus einer alten Geogra- phie, daß weiter herunter die Goldkuͤste liegt: liegt: wo es Gold giebt, glaubte ich gewiß einen Europaͤer, wenigstens einen Spanier anzutreffen. Ich wußte auch, daß die edel- denkenden Englaͤnder hier ein Monopolium mit ihren Nebenmenschen treiben; wenn also alles fehl gieng, hofte ich wenigstens mit einer Ladung dieser Waare nach Amerika und von da nach Europa zu schiffen, oder wie ich sonst dahin kommen moͤchte. In dieser Meinung, Bruͤderchen, suche und finde ich eine Gelegenheit, wie ich sie wuͤnschte. Die Abreise verzoͤgerte sich, und indessen machte ich eine Bekanntschaft, die mich ganz davon zuruͤckzog. Dem Manne, der mich nach Europa transportiren wollte, war durch seinen Ab- geordneten, die den Einkauf besorgten, von den schwarzen Toͤchtern des Landes eine zugefuͤhrt worden, die in ihrer pechschwar- zen Haut so schoͤn war, als jede europaͤische Venus von dem glaͤnzendsten Marmor. Das Gesicht war zwar etwas afrikanisch; aber ihre runden fleischichten Arme, ihr luxuri- render Busen, ihre vollen Huͤften, das — Bruͤderchen, alles, alles war schoͤn an ihr. Ihr Herr hatte die keuschesten Absichten von B 3 der der Welt auf sie; er fuͤhlte nicht ein Fuͤnk- chen Liebe zu ihr, sondern sie gefiel ihm, weil ihm ihre Person mit allen ihren Schoͤnheiten ein baares Kapital zu seyn schien, das er in Amerika mit reichen Interessen durch ihren Verkauf haben wollte. Deswegen enthielt er sich aller unerlaubten Begierden gegen sie, weil er fuͤr sie und daher auch fuͤr seinen Vortheil gefaͤhrliche Folgen davon besorgte. Er unterrichtete sie selbst in Franzoͤsischen und Englischen, worinne es ihm aber nicht sonderlich gluͤckte, weil ihm seine Geschaͤfte so vielfaͤltig daran verhinderten: er uͤber- gab sie meiner Unterweisung. Sie wußte wenig von den beiden Sprachen, die sie ler- nen sollte, aber doch zur Liebe und zur Er- zaͤhlung ihrer Geschichte genug. Bruͤder- chen, seitdem meine Frau von Gottes Erd- boden weg ist, habe ich kein einziges Maͤd- chen so lieb gehabt, als die allerliebste nied- liche Zaninny. Bruͤderchen, fuͤhle einmal, wie mir das Herz pocht, indem ich sie nen- ne! Sie merkte wohl, ohne daß ichs ihr sagte, daß eine Revolution in meinem Herze vorgehn mußte, wenn ich sie sah; und daß es unter ihrer schwarzen Brust eben so zu- gehn gehn mochte, das sagte ihr aufrichtiges Ge- sicht und Auge ohne Huͤlfe der Zunge: dem guten Geschoͤpfe stiegen gleich alle Empfin- dungen in die Mine, und wer ihr Gesicht buchstabirte, buchstabirte ihr Herz. Sie hatte ein Paar zaͤrtliche funkelnde Augen, die sie uͤber der platten Nase so verliebt herum- waͤlzte, daß ich mannichmal mir nach dem Pulse fuͤhlte, ob ich noch athmete, oder von ihnen versteinert waͤre. Ich wußte schon, daß sie ihren Eltern gestohlen worden war, und sie sagte mir durch Geberden und mit ihrem Bischen Franzoͤsisch, daß sie ihr Land nicht gern verließe, und sagte mir noch oben drein — daß sie mich von Herzen lieb haͤtte, bat mich, sie wieder zu ihren Eltern zu bringen, und bat mich so, daß ich dachte: Nun, so bist du doch mit deiner guten Za- ninny wahrhaftig fast so gluͤcklich als mit deiner verstorbenen Frau, und wenn dich ihre Eltern zum Schwiegersohne annehmen und sich nicht daran stoßen wollten, daß ich so haͤßlich weiß bin — ja, ich bliebe mit mei- ner Zaninny in ihrer Huͤtte und wuͤrde ein Afrikaner, aͤß, traͤnk, schlief, spielte mit ihr, jagte, sammelte Datteln fuͤr sie, huͤte- B 4 te das te das Vieh mit ihr, oder was es sonst hier zu Lande zu thun giebt: die afrikanische Sonne wuͤrde ia wohl mit der Zeit einen huͤbschen Neger aus mir machen. — Kurz in meinem Herze war sie schon voͤllig meine zweyte Frau. Endlich kamen zu ihren Bit- ten gar Thraͤnen, so recht aus der Empfin- dung herausgeweinte Thraͤnen, daß ich al- ter Narr neben ihr saß und eine nach der andern unter die ihrigen auf ihren Schoos fallen ließ. Sie schlang ihre Negerarme um meinen Hals, und waͤhrend der Umar- mung troͤpfelte eine Thraͤne auf meinen lin- ken Backen — Bruͤderchen, die brannte! die brannte, daß mir die Waͤrme bis zur Zehe herunter lief; ich schwitzte, das Herz klopfte, alle meine fuͤnf Sinne waren in Bewegung, und in meinem Kopfe gieng es so verwirrt her, wie in der Welt — alles unter und uͤber einander! Ich konnte nicht anders, ich mußte ihr versprechen, sie von dem Sklavenhaͤndler zu erretten. Was fuͤr eine Freude, als sie das hoͤrte! wie unsin- nig sprang und huͤpfte sie, und fiel mir um den Hals, um die Kniee, druͤckte mir die Hand, streichelte mir die Backen, daß ich wie wie ein alberner Toͤlpel da stand, unbeweg- lich, und nicht wußte, daß ich stand, nicht einmal, daß ich existirte. Des Nachts marschirten wir aus. Ich wollte sie, aus Mitleid zu ihren Fuͤssen, auf die Schultern nehmen: aber ehe ichs konnte, faßte sie mich in der Mitte, nahm mich auf ihren Ruͤcken und galopierte, wie ein Rennthier, mit mir davon, so lange, ohne Aufhoͤren, so sehr ich auch bat auszuruhen, bis sie mit ihrem africanischen Accente rief: Je meurs! und entkraͤftet mit mir in den Sand niederfiel. Kein Tropfen Wasser, keine menschliche Huͤlfe, nichts war bey der Hand. Ich aͤng- stigte mich, ich lief um sie herum, ich faßte ihre Hand, ich fuͤhlte an ihr Herz, ob es noch schlug, ich bat sie nur ein Wort zu spre- chen: umsonst sie schlief vor Mattigkeit ein. Schlafe sanft, sagte ich, aber erwache mir nur wieder! — Ich setzte mich neben sie und faͤchelte ihr das Gesicht. Ja, Maͤd- chen, wenn du mir nicht wieder erwachst! dachte ich immer; aber sie seufzte, und nun war ich froh; ich faͤchelte bis sie endlich er- wachte; so muͤde ich war, konnte ich doch vor Sorge und Angst kein Auge zu thun. B 5 Hun- Hungernd und durstend wanderten wir von neuem durch lange Sandfelder, kamen dem Ufer zufallsweise nahe, wollten es nicht wie- der verlassen, und verließen es doch wider unsern Willen. Bruͤderchen, nichts war ge- wisser als unser Tod; und mir giengen die Augen schon uͤber, wenn ich nur daran dachte, wer wohl zuerst sterben wuͤrde: was sollte aus meiner gutherzigen Zaninny wer- den, wenn ich vor ihr aus dem Leben muͤß- te; und wenn sie vorangieng — daran konnte ich gar nicht denken. Ploͤtzlich, da wir mit der groͤßten Angst kaͤmpften, kamen wir an Huͤtten: wir waren im Lande der Maladellasitten. Wir fanden wieder Dat- teln, und ich hielt mit meiner Zaninny die erste frohe Mahlzeit: wir labten uns, wa- ren zusammen froͤlich und giengen tiefer ins Land. Auf einer Ebne, die mit gruͤnen ein- zelnen Straͤuchen und Palmbaͤumen besetzt war, saß an einem Fluͤßchen, das sich viel- faͤltig auf dem Platze herumschlaͤngelte, ein Kreis von nackten Damen, die auf den kreuz- weis untergeschlagenen Fuͤssen mit einer Feier- lichkeit und Ernsthaftigkeit da saßen, als wenn sie uͤber die Staatsangelegenheiten des ma- ladella- ladellasittischen Reichs rathschlagten. Ue- ber ihre Schultern hiengen ungeheure Ma- schinen von Fleische, deren eigentliche Be- schaffenheit ich anfaͤnglich nicht zu erklaͤren wußte; allein bey naͤherer Bekanntschaft fand ich, daß es die Bruͤste dieser Damen waren, die hier zu Lande zu einer solchen Groͤße anwachsen, daß man sie uͤber die Schultern wirft: auf welcher Gestikulation die vornehmste Grazie der dasigen Frauen- zimmer liegt, weswegen viele, die beson- ders gefallen wollen, sich oft so kuͤnstliche Bewegungen zu geben wissen, daß jene schoͤ- nen Auswuͤchse von den Achseln herunter- fallen muͤssen, worauf man sie mit einer so annehmlichen reizenden Nachlaͤssigkeit zu- ruͤckwirft, wie mein ehemaliger Superin- tendent die Knoten an seiner Alongenperu- cke. Um den Kreis herum huͤpften und sprangen eine Menge Meerkatzen von einer besondern Art. Bruͤderchen, die lustigsten Thierchen, die ich gesehn habe! Sie spran- gen den Franenzimmern auf den Ruͤcken, knippen sie in die Ohren, guckten ihnen durch die Arme, bissen sie in die Backen, schlugen Burzelbaͤume uͤber sie weg, setzten sich sich auf die Schultern und graueten ihnen mit den Tatzen sehr lieblich die Koͤpfe, kitzelten sie, balgten sich mit einander und spielten tausend andre kurzweilige Possen, welche von den ern- sten da sitzen den Frauenzimmern, die außer dem den Mund zu keinem Worte oͤffneten, mit der lustigsten Laune belacht wurden. Die drollichten Thierchen hatten von der Natur am Ende des Ruͤckens ein glattes polirtes Horn, wie der Spiegel auf den Ruͤcken ei- nes Hirschkaͤfers, nur vielmal groͤßer, das voͤllig die Dienste eines Spiegels verrichtete. Nie war das Gesicht dieser Damen heitrer und ihre Mine froͤlicher, als wenn jene Lustigmacher ihnen ihre Spiegel zukehrten, worinne sie ihre ganze Figur in der schoͤn- sten Miniatur erblickten, so verschoͤnert, daß ich selbst, als ich mich einst darinne besah, von meiner Gestalt begeistert wurde, ob sie gleich in Natur nicht sonderlich begeisternd ist; und die listigen Kreaturen sprangen alle Mal mit einer solchen Wendung, daß eine aus dem Kreise ihr liebes Ich in dem Spie- gel zu ihrer großen Herzensfreude erblickte, worauf derjenige, der ihr diese Lust gemacht hatte, einen sanften Schlag mit ihrer rech- ten ten Brust empfieng, um sie alsdann mit ei- ner zierlichen Grazie wieder uͤber die Achseln werfen zu koͤnnen. Da war noch nicht Be- wundernswuͤrdiges genug. Ein Theil von diesen Meerkatzen bediente die Nymphen so ordentlich und regelmaͤßig, als vernuͤnftige Menschen nur haͤtten thun koͤnnen. Sie reichten ihnen in Cocosschalen Erfrischungen, sie vertrieben die Fliegen von ihren Schoͤn- heiten, die vom Kopfe bis auf die Fuͤße mit einem roͤthlichen Safte uͤbertuͤncht waren, sie dienten statt der Pferde, wenn sie von einem Orte zum andern wollten, und wenn sie weiter nichts thaten, giengen sie wenig- stens auf den zween Hinterfuͤssen neben ih- nen mit sehr niedlichen Grimassen her. — Ich wollte mich nicht vor dieser Gesellschaft voruͤber wagen, und gleichwohl konnten wir doch keinen Umweg nehmen, um sie zu ver- meiden. Endlich faßte ich meine Zaninny bey der Hand und gieng mit ihr auf sie zu. Man sah uns an, lachte und schwieg. Die Meerkatzen bedienten uns mit Cocussafte, und wir ließen uns hinter dem Kreise, ein jedes auf seine gewoͤhnliche Art zu sitzen, nie- der. Nicht lange waͤhrte es, als die Meer- katzen katzen ihr Spiel um meine Zaninny trieben; sie kehrten ihr den Spiegel so oft und so vielfaͤltig zu, daß das Maͤdchen mit ihrem ganzen Gesichte in Freundlichkeit und Wohl- gefallen zu zerfließen schien. Was ist Dir denn, Zaninny? fragte ich etliche Mal und schuͤttelte sie bey der Hand, als wenn ich sie aus dem Traume erwecken wollte, in welchem sie versenkt schien. Ich fragte noch einmal, und — Bruͤderchen! ploͤzlich sezte sie sich auf eine Meerkatze und trabte davon. Ich gerieth vor Schmerz und Schrecken außer mir; ich lief ihr nach, ich rufte: um- sonst! sie galopirte frisch hinweg und war mir in kurzer Zeit ganz aus den Augen. Ich wußte nicht, ob ich uͤber sie weinen oder zuͤrnen sollte. Ich wollte vor Unwillen allen Meerkatzen ihre verdammten Spiegel ausrei- ßen, die doch einzig daran schuld waren; ich seufzte und schmaͤhte, ich aͤchzte und tobte, warf mich auf den Boden und machte mei- ner Beklemmung durch einen Strom von Thraͤnen Luft. Indem ich, vertieft in mei- nen Schmerz, dort liege, und die Augen aufschlage — Bruͤderchen, so hat mich die ganze Gesellschaft umringt, und lacht! und und lacht! daß einer jeden zwo Meerkatzen die Huͤften halten mußten. Ich lachte mit: Du weißt, Bruͤderchen, ein sroͤliches Gesicht macht das meinige gleich zu seinem Gefaͤhr- ten: ich mußte lachen, ob ich gleich vor Schmerz halb verruͤckt war. Denkst Du wohl, Bruͤderchen? — das brachte mich in ihre Gunst. Ich mußte in der Mitte sitzen bleiben: die Meerkatzen lagerten sich hinter den Damen, und diese lachten uͤber jede Bewegung, jede Mine, die ich machte, uͤber meine Art zu sitzen, und machten sich uͤberhaupt auf meine Unkosten so lustig, tur- lepinirten mich bisweilen, um das Gelaͤch- ter zu schaͤrfen, stießen, warfen mich, ließen ihre Meerkatzen auf mir herumspringen, um uͤber mich zu spotten, wenn mir eine einen losen Streich spielte: kurz, ich schien mir in meinen Augen eine erbarmenswuͤrdige Figur, weil ich eine laͤcherliche abgeben mußte. Ja, Freund, unterbrach ihn Belphegor, Du hast Recht. Aber welch ein trauriger Beweis von der Neigung des Menschen zum Unterdruͤcken! Fromal, wenn Du es hoͤrtest, wuͤrdest Du nicht sagen? — wo der Mensch nicht nicht mit ehernen Waffen, nicht in der That unterdruͤckt, da thut er es mit der Lunge, in der Einbildung, durch die Vorstellung sich so lange andre unter sich zu denken, als er uͤber sie lacht. Mensch! Mensch! — Ach, Bruͤderchen, die Erniedrigung war mein Gluͤck auf einige Zeit — Belph. Daran zweifle ich gar nicht Weißt du noch, was du mir einst sagtest? — Gegen Kreaturen unter sich ist der Mensch guͤtig, gerecht, mitleidig, wenn sein Vortheil nicht in den Weg tritt, nur uͤber und neben sich ist ihm alles verhaßt. Medardus uͤbergieng diese Erinnerung mit einem erroͤthenden Stillschweigen und fuhr in seiner Erzaͤhlung mit dem Tone fort, wie ein Mensch, der sich bey einer Satyre getroffen fuͤhlt. — Ja, Bruͤderchen, sie war mein Gluͤck, sagte er. Sie luden mich durch ihre Winke ein, ihnen zu folgen; weil ich fuͤr meinen Appetit dabey zu gewinnen hofte, nahm ich die Einladung ohne Beden- ken an: die ganze Gesellschaft ritt mit sittsa- men Ernste auf ihren großen Meerkatzen fort, und ich hatte die Ehre ihnen zu Fusse nach- zuspatzieren. Nach Nach unsrer Ankunft in eine Huͤtte von Baumaͤsten wurde die Tafel von Meerkatzen besetzt, die in dieser Gegend alle haͤusliche und galante Verrichtungen unter Haͤnden haben, und sehr fruͤhzeitig dazu abgerichtet werden. Sie lernen ihre Wissenschaften so schnell, daß in einem Jahre eine Meerkatze den hoͤchsten Grad ihrer Vollkommenheit er- reicht. Siehst Du, Bruͤderchen? es wurde viel aufgetragen, von wenigem gegessen, und nichts fuͤllte uur eine Viertelelle Hunger in meinem Magen aus. Man spielte nur mit dem Essen; und ich hatte Lust, im voͤlli- gen Ernste damit zu verfahren. Man lach- te abermals uͤber mich; und da man sich uͤberdruͤßig gelacht hatte, sahe man mich mit keinem Blicke mehr an. Ich wurde aus der Huͤtte verwiesen, mußte eine ziemliche Strecke von dem Schlafgemache meiner Goͤnnerinnen in einer kleinen Kabane schla- fen und mich mit Seilen von Bast fest an- binden lassen; — vermuthlich damit sie ungestoͤrt n nd sicher fuͤr meinen naͤchtlichen Ueberfaͤllen schlafen koͤnnen, dachte ich: aber es mußte wohl nur eine Cerimonie seyn; denn mit jeder Viertelstunde bekam ich von C einer einer meiner uͤberfirnißten Damen einen Be- such, der mich keine Minute ruhig schlum- mern ließ, so sehr meine ermuͤdeten Lebens- geister der Erhohlung bedurften. Ich ward ungeduldig, riß mich von meinen Banden los, ergriff die Muthwillige, die mich eben beunruhigte, um sie aus meinem Schlafge- mache hinauszuwerfen: sie schrie Gewalt, und aus ihren aͤngstlichen Geberden konnte ich schließen, daß sie ihren herbeyeilenden Schwestern meine That als einen Anfall auf ihre Tugend abmalen mochte, ob sie gleich vorher mehrere auf die meinige gethan hatte. Sie schrieen, laͤrmten und tobten alle, stei- nigten mich, hezten ein ganzes Regiment Meerkatzen auf mich los, die mich mit ihren Tatzen elendiglich zerkratzten. Ich ertrug mein Schicksal mit Geduld; aber den Tag darauf wurde ich ausgelacht! Bruͤderchen, ausgelacht, bis zur aͤrgsten Beschaͤmung! Ich forschte nach meiner Zaninny, ich lief allenthalben herum, sie aufzusuchen; ich fand sie nirgends: ich war untroͤstlich, doch wurde ich bald durch ein laͤcherliches Schau- spiel wieder aufgemuntert. Die Meerkatzen haben das feinste Gefuͤhl der Ehre: Neid und und Vorzugssucht beherrschen sie ganz. Tages vorher hatte einer das Gluͤck gehabt, daß uͤber seine Kapriolen der Zirkel am lau- testen und haͤufigsten gelacht hatte: alle uͤbrigen wurden neidisch und versengten ihm mit einem Feuerbrande im Schlafe sei- nen Spiegel auf dem Ruͤcken: weil er aus einer harten fuͤhllosen Haut besteht, so wird er es nicht eher inne, bis der Brand die Hinterkeulen schon zu verwuͤsten anfaͤngt. Das arme Geschoͤpf hinkte traurig herum und mußte mit seinen Schmerzen der Gesell- schaft oben drein zur Kurzweile dienen, die sich in ein ausgeschuͤttetes Gelaͤchter uͤber seinen Zustand ergoß, das zunahm, je mehr seine Kameraden ihn neckten und quaͤlten. Die ganze Erklaͤrung des Vorfalles theilte mir eine von den rothen Nymphen durch ihre kuͤnstliche Geberdensprache mit: denn sie waren insgesamt geborne Pantomimen- spielerinnen und sprachen deswegen selten anders als durch Minen und Gestikulationen. Durch eben diesen Weg erhielt ich auch die Eroͤffnung, daß in diesem Distrikte nichts als lauter Frauenzimmer mit ihren bedienenden und zeitverkuͤrzenden Meerkatzen wohnten, C 2 und und daß sie bey andern Beduͤrfnissen der Natur ihre Maͤnner aus einem nahgelegnen Gebirge zu sich beriefen, die dort das Land fuͤr ihren beyderseitigen Unterhalt bauen und Schminke fuͤr die Koͤrper ihrer Damen sammeln mußten. Lange konnte ich in dem Lande nicht mehr ausdauern; unter lauter Meerkatzen bekoͤmmt man leicht Langeweile; auch ich wurde den schoͤnen Bewohnerin- nen des Landes beschwerlich, weil ihnen alles so alltaͤglich an mir geworden war, daß sie nicht mehr uͤber mich lachen konnten. Der ganze Himmelsstrich war mir verhaßt, weil er meine geliebte Zaninny ohne mich besaß: ich nahm meinen Abschied, und diejenige Dame, die ich in der ersten Nacht zu einem keuschen Geschrey genoͤthigt hatte, und die mir seitdem gewogner als alle andre war, gab mir mit dem langen Nagel ihres Dau- mens, die sie dort zu der ansehnlichsten Groͤße anwachsen lassen, zum Andenken ihrer Ge- wogenheit einen Schnitt auf den rechten Backen, wovon du noch bis itzt die Narbe siehst. Alle Mannspersonen mußten sich in dieser weiblichen Republik mit einem solchen Schnitte zeichnen lassen, zum Beweise, daß sie sie diejenige Schoͤne, von welcher sie ihn em- pfiengen, als Sklaven unter sich gebracht hat; und wenn man der Meerkatzen uͤber- druͤßig ist, so ist es die einzige Zeitverkuͤr- zung unter ihnen, einander die Schnitte vorzuzaͤhlen, mit welchen eine jede ihre ver- meinten Sklaven gebrandmahlt hat. Ich begab mich auf den Weg und wandelte langsam mit trauriger Beklemmung von dem Orte, wo ich meine beste Zaninny zuruͤckließ. — Doch, dachte ich, wer weiß, wozu dies gut ist, daß du sie verlieren muß- test? Vielleicht — ach, wer kann sich alles Boͤse denken, dem ich dadurch entkommen bin, und alles Gute, das ich moͤglicher Weise dadurch erlangen kann? Wer weiß, wozu es gut ist? — Mit diesem Gedanken beruhigte ich mich auf meinem Marsche und kam mit ihnen zu den Emunkis, einem elenden Volke, das unter dem abscheulich- sten Regimente lebte. Ihr Herr war der geilste, geizigste, grausamste Tyrann der Erde. Meine Ankunft fiel auf einen Tag, wo alles in der groͤßten Feierlichkeit war. Der neue Despot hatte den Thron bestiegen und nach dem dasigen Staatsrechte seinen uͤbrigen zwey C 3 und und siebzig Bruͤdern goldne Stricke zugeschickt, an welchen sich ein jeder mit eigner Hand aufhaͤngen mußte: das ganze Volk lief einer Gallerie zu, wo sie alle nach der Rang- ordnung des Alters an ihren goldnen Stri- cken schwebten, und der tumme Poͤbel fro- lockte uͤber diese ersten Opfer, die der Despot seiner Tyranncy gebracht hatte. Ich habe mich lange Zeit an seinem Hofe aufgehalten, und ihm muß ich mein Koͤnigreich Nie- meamaye verdanken. — Medardus seufzte ein wenig bey dieser Stelle und fuhr sogleich wieder fort. — Der dicke Goͤtze saß unauf- hoͤrlich in einer dichten Wolke von Wohlge- ruͤchen, die ihm alle Sinne so sehr benebel- ten, daß er nie zu sich selbst kam: unauf- hoͤrlich mußte ein Haufen Gold und eine von seinen Weibern zu seinen Fuͤßen liegen. Seine Leibwache bestand bloß aus Weibern, die nie eine maͤnnliche Seele zu ihm ließen: die hoͤchsten Stellen des Landes waren zwar mit Maͤnnern besetzt, allein die obersten Be- fehlshaberinnen der Leibwache hatten in allen Rathsversammlungen die ausschlagen- den Stimmen, und jene mußten nur vor- tragen und vollstrecken, was diese geboten. Alle Alle Maͤdchen von den ersten Augenblicken des Lebens waren im ganzen Reiche seine Leibeignen: die Vornehmern und Reichern hatten sich des Rechts bemaͤchtigt, seine Leibwache auszumachen, und die Gemeinen oder Armen wurden in sein Serail nach dem Maaße ihrer Schoͤnheit gewaͤhlt, und die Haͤßlichen im Namen des Koͤnigs an die Liebhaber oͤffentlich verkauft. Der Despot hatte eine so unsinnige Liebe zum Golde, daß er nicht schlafen konnte, wenn nicht einige Haufen neben seinem Lager aufgeschuͤt- tet lagen. Also war er dein Lehrmeister? unterbrach ihn Belphegor etwas bitter. Der gute Medardus erschrak: er wollte seine Erzaͤhlung fortsetzen, und die Bitterkeit der Frage nicht zu fuͤhlen scheinen; allein Belphegor faßte ihn staͤrker und ließ ihn nicht durchwischen. Er malte ihm mit den frischesten Pinselzuͤgen, doch mit etwas Galle vermischt, den Neid und die Unter- druͤckung vor, die er, als der sonst treuher- zige wohldenkende Medardus, als Beherr- scher von Niemeamaye gegen seine Nach- barn und Unterthanen ausgeuͤbt hatte. C 4 Dem Dem Monarchen wurde bange; er raͤusperte sich, er ruͤckte sich auf seinem Sitze hin und wieder, er wußte nicht, ob und was er reden sollte, bald schien er sich entschuldigen, bald anklagen zu wollen, waͤhrend dessen sein Moralist unaufhoͤrlich fortfuhr, mit aller Staͤrke seiner Beredsamkeit sein eingeschlaͤ- fertes gutes Herz aufzuwecken. — Bruͤder- chen, sprach er endlich, ich bitte Dich, schweig! Du machst mir so baͤnglich ums Herze, daß ich heute noch lieber zu einem Glase frischen Apfelwein mit Dir zuruͤckgehn, als hier eine Minute laͤnger befehlen moͤchte. Du uͤbertreibst! — Nicht Einen Strich in dem Gemaͤlde uͤbertreibe ich, antwortete Belphegor, und ließ den Strom seiner Gesezpredigt von neuem hervorbrechen. Was bist Du denn besser? schloß Belphe- gor; worinne besser als der wilde Despot, an dessen Hofe du deinen Geiz lerntest? Weniger grausam, aber der naͤmliche Un- terdruͤcker. Sein Freund fiel ihm um den Hals, erbot sich alles gesammelte Gold unter seine Nachbarn auszutheilen, allen seinen Skla- ven ven das Ihrige wieder zu erstatten, wie der geringste unter ihnen zu leben, seine ganze Macht niederzulegen, mit ihm zu einem Kruge Apfelwein zuruͤckzuwandern und so viel Gutes zu thun, als er koͤnnte. Bel- phegor war mit seiner Reue zufrieden und fragte ihn, um ihre Aufrichtigkeit zu versu- chen, welchen Tag er alle diese Versprechun- gen erfuͤllen wuͤrde. Er stuzte ein wenig uͤber die Frage, doch setzte er lebhaft hinzu: Morgendes Tages! Belphegor nahm seine Hand darauf an und brach die Materie ab, doch sein Freund kehrte oft zu ihr wieder zuruͤck. — Bruͤderchen, sagte er, es ist ein verzweifelt schweres Ding, allein Herr von seinem Willen zu seyn und lauter Gutes zu thun. Sonst, wenn ich einem armen dur- stigen Manne einen Trunk Apfelwein reichte, wuͤnschte ich immer: o wer dich doch auf einen Thron setzte, daß du die Leute gluͤckli- cher machen koͤnntest! Jaͤmmerlich ist doch die Armuth, daß man nicht mehr fuͤr den armen Nebenmenschen thun kann, als ihm hoͤchstens auf ein Paar Minuten den Durst loͤschen oder den Hunger stillen! wenn ich reich, wenn ich maͤchtig waͤre — kein C 5 Mensch Mensch auf Gottes Erdboden, so weit nur mein Auge reichte, sollte mir Zeitlebens hun- gern oder dursten. — Bruͤderchen, ich hab es erfahren. Ich habe sonst mit meinem Kruge Apfelwein Mehrern Gutes gethan, als itzt mit meinem Golde. Das boͤse Men- schenherz! Fromal sagte mir wohl, ich sollte nicht schwoͤren, ich wuͤrde einen Meineid begehn; ich habe ihn begangen. Aber, Bruͤderchen, nicht ein Troͤpfchen Menschen- blut klebt an meinem Gewissen. Siehst Du? ich fand an dem gelben Unrathe so vie- len Gefallen, ich wollte gern viel und immer mehr haben, ich nahm es, wo es zu bekom- men war: ich habe doch wenigstens nie- manden Leides gethan. Wenn man so bloß sich selbst, seine Begierden und seine Macht zu Rathe zu ziehn braucht, da laͤßt man leicht die Zuͤgel schießen: doch Du, Belphe- gor, Du sollst in Zukunft mein einziger Rath- geber seyn. — Belphegor fand bey dieser Erklaͤrung fuͤr seine moralisirende Laune eine herrliche Aus- sicht und nahm deswegen den Vorschlag zur Mitregentschaft mit Freuden an; und seit diesem diesem Augenblicke theilten sie Macht und Ansehn mit einander. Den ersten und zweyten Tag that Belphe- gor ernstliche Erinnerungen wegen der ver- sprochnen Wiedererstattung, und es fauden sich tausend Entschuldigungen und Verhin- derungen: Belphegor drang alsdann weni- ger ernstlich, seltner und endlich gar nicht mehr darauf; tadelte alle getroffne Anstalten als unbillig, unfreundlich, unterdruͤckend, und behielt sie bey: es blieb alles, wie es war, und statt daß sonst alles Gold aufge- haͤuft wurde, ließ er etwas mehr von den gesammelten Schaͤtzen in den Umlauf kom- men, damit das Volk wieder die Ingredien- zen zu zwo Mahlzeiten kaufen konnte. Unter seinen Leidenschaften war die Liebe zum Golde schwaͤcher als bey seinem Mitre- genten: er war freygebig und ermahnte auch diesen es zu seyn: aber desto heftiger war sein Ehrgeiz: allmaͤhlich vermehrte er die Ehrenbezeugungen, die er von seinem Volke foderte, und wenn er nicht reich zu seyn wuͤnschte, so wollte er angebetet seyn, ohne zu fuͤhlen, daß es auch eine Unter- druͤckung giebt, die dem Menschen seine Wuͤrde Wuͤrde nimmt und ihn zum kriechenden Sklaven macht. Genug, der weise Mora- list wurde zum Unterdruͤcker, haßte und liebte die Menschen nach ihrer groͤßern oder geringern Kunst zu schmeicheln und sich zu demuͤthigen, der Kriechendste, der Hinge- worfenste war ihm der Beste, und man mußte kriechen oder leiden — eine Alterna- tive, die dem voͤlligen Zwange gleich ist! Inzwischen waren die benachbarten E- munkis von ihrer Sklaverey so uͤbermaͤßig niedergedruͤckt worden, daß ihr betaͤubtes Gefuͤhl rege wurde; sie empfanden, daß sie Menschen waren, stuͤrzten ihren Tyrannen von dem Throne, ermordeten die Leibwache, die bisher den Meister gespielt hatte, wie vorhin der Koͤnig von Niemeamaye er- zaͤhlte, und da Faktionen unter ihnen ent- stunden, vertrieb eine die andre, welche itzt mit dem wuͤtendsten Ungestuͤme in das Reich einbrachen, dessen Herrschaft Belphegor und Medardus theilten. Der Sturm drang mit einer unglaublichen Schnelligkeit bis zur Hauptstadt, alles gerieth in Verwirrung und Unordnung, man setzte sich zur Gegen- wehr, und niemand wußte, warum man ange- angegriffen wurde. Die beyden Regenten, die nicht sonderlich kriegerischen Muth be- saßen, hielten es fuͤr das heilsamste, sich mit der Flucht dem Ungewitter zu entziehn. Belphegor versorgte alle Taschen von dem aufgehaͤuften Golde und entkam gluͤcklich: doch Medardus, der sich zu reichlich damit versehen wollte, zauderte so lange bis die Burg umringt wurde, die die aufgebrach- ten Vertriebnen einnahmen, pluͤnderten und ansteckten. Belphegor entkam wohl, aber der Sturm folgte ihm nach. Seine vorigen Untertha- nen, die Niemeamayen, waren von den Emunkis vertrieben, jene brauchten einen andern Platz, sie vertrieben die naͤchsten Voͤl- ker, deren sie maͤchtig werden konnten, und man vertrieb und ward vertrieben, so lange bis zwey Voͤlker vernuͤnftig genug waren, sich unter Einem Himmel neben einander in Friede zu vertragen. Von dem Tumulte wurde Belphegor mit fortgerissen, machte sich aber gluͤcklich davon loß, und nahm seinen Weg allein nach Aegyp- ten, wo er bey einem europaͤischen Kauf- manne sein rohes Gold in Geld umsetzte und sich sich sehr in seine Gunst empfahl, weil er sich nach seinem Verlangen nur die Haͤlfte des Werthes dafuͤr bezahlen ließ. Er versprach ihm fuͤr hoͤfliche Worte und einen maͤßigen Vortheil seinen Schutz und seine Gesellschaft, in welcher er nach Asien uͤbergieng. Weil der Werth seines Goldes nicht lange mehr aushalten zu wollen schien, so bot er seinem Beschuͤtzer seine Dienste an, der sie nicht ausschlug und ihm in kurzer Zeit einen Auf- trag nach Persien gab, wo er gewisse Hand- lungsgeschaͤfte fuͤr ihn besorgen sollte. Seine Reise gieng gluͤcklich und ohne wi- drige Zufaͤlle von statten bis zu seiner Annaͤ- herung an die persischen Graͤnzen. Bey der Gesellschaft, mit welcher er reiste, befanden sich einige Aliden, Eine von den mahomedanischen Sekten. die zu jeder Zeit des Tags, wenn es die Gesetze ihrer Religion foderten, seitwaͤrts giengen, um ihr Gebet einsam zu verrichten. Belphegor ward von der Innbrunst, mit welcher er sie es ver- richten sah, wenn er sie belauschte, so ent- zuͤckt, daß er nur eine Ueberredung und ein Messer brauchte, um sich auf der Stelle be- schneiden schneiden zu lassen und ein Juͤnger des Ma- homed und Ali zu werden. Er gewann die Leute lieb, unterredete sich oft mit ihnen uͤber ihren Glauben und bewies ihnen sehr viel Guͤte, welche sie ihm reichlich erwieder- ten. Die Freundschaft war geknuͤpst, und er ersuchte sie sogar, ihn einen Zeugen ihres Gebets seyn zu lassen, welches sie ihm be- willigten: doch bediente er sich dieser Er- laubniß mit vieler Bescheidenheit, und nie gebrauchte er sie, ohne daß das Feuer ihrer Andacht ihn zu einem Kniefalle und zur Verei- nigung seiner Innbrunst mit der ihrigen hin- riß. — Aber warum nennt man nur diese Leute Unglaͤubige? dachte er oft bey sich selbst; sie, die mit den feurigsten Regungen Gott verehren, deren ein Christ nicht faͤhiger seyn kann? Kann ein Herz, das zu einer so ruͤhrenden Erhebung von seinem Schoͤpfer begeistert wird, das Herz eines Unglaͤubigen seyn? Mag er doch den Mahomed, den Ali oder Abubecker fuͤr große Menschen halten, mag er sich doch ein Stuͤckchen von seinem Fleische verschneiden lassen, mag er doch nach Mekka oder nach Bagdad sein Ge- sicht bey dem Gebete kehren: wenn sein Herz nur nur zu Gott gekehrt ist, gilt jenes nicht alles gleich? — O daß doch die Menschen keine Gelegenheit entwischen ließen, sich zu ent- zweyen, sich zu trennen, sich zu hassen, zu verfolgen, sich zu schlagen, wuͤrgen, morden! Ja, Fromal, Recht hattest du: — die Menschen vereinigten sich, um sich zu tren- nen. Konnten sie nicht alle in stiller Ein- tracht auf diesem weiten Erdenkreise sich nie- derwerfen und das ewige Wesen mit der vollen starken Empfindung anbeten, die es verdient? Konnten sie die Welt nicht einen allgemeinen friedsamen Tempel seyn lassen, wo Millionen Menschen, Nationen und Voͤl- ker in unuͤbersehlicher Weite mit vereintem Gefuͤhle ihren Dank zu dem Allguͤtigen em- porsandten, der sie faͤhig machte, ihm zu danken? Konnte es nicht dem einen gleich- guͤltig seyn, ob sein Nachbar das Gesicht nach Osten oder Westen kehrte, ob er sich im Staube waͤlzte oder auf den Knieen lag, sich dabey die Haut blutig rizte oder das schoͤnste Festkleid anzog, die Haͤnde erhub oder senkte, ein flammendes Opfer zu seiner Andacht hinzuthat, oder sein Herz nur flam- men ließ? Und sollte es nicht vielleicht dem Schoͤpfer Schoͤpfer und also auch dem Menschen gleich- guͤltig seyn muͤssen, ob der Hoͤchste, der Groͤßte, dessen Begriff unser Gedanke doch niemals umfaßt, in dem Wurme, dem Stier, der rohen Misgeburt, der ungebil- deten Phantasie, im Stein, Holze, Metall oder in der bloßen Idee, als Tien, Jeho- vah, Jupiter angebetet wird? Sollte dies nicht vielleicht seyn? Wenn so viele Tau- sende durch einen unvermeidlichen Zusam- menhang von Ursachen unter die Stufe der Erleuchtung, der Aufklaͤrung des Verstan- des hinabgestoßen werden, sollte der Ewige ihre Empfindung verschmaͤhen, die sie ihm in einem Bilde opfern, das ihre schwache Vernunft und wilde Phantasie nicht anders zu schaffen vermochten? Sollte er sie darum verschmaͤhn, weil er sie durch eine Reihe von Begebenheiten zu tumm bleiben oder werden ließ, um sich zu den Begriffen eines christlichen Philosophen zu erheben? Im Grunde, bey genauerer Untersu- chung war es nicht der Peruaner aus eigner Wahl, der seinen Schoͤpfer in der Sonne fand und das Blut seiner eignen Kinder zu ihr empor dampfen ließ, nicht der Mexikaner, D der der sich an dem geopferten Fleische seiner Feinde labte — nein, eine lange Reihe von nicht selbst gewaͤhlten Ursachen ga- ben den Erkenntuißkraͤften dieser Voͤlker eine solche Wendung, drangen ihnen solche Ideen in einem solchen Lichte auf, daß sie sich ih- ren Gott so und nicht anders, seine Vereh- rung so und nicht anders denken konnten: ihre Begriffe vom Guten und Boͤsen, von Recht und Billigkeit bildete das Schicksal, nicht sie. Sie deswegen strafen, weil ihr Geist zu schwach war, sich durch aufge- drungne Irrthuͤmer hindurchzuarbeiten, hieße das nicht einen Menschen mit Stricken und Fesseln allmaͤhlich auf den Boden niederziehn und ihn zuͤchtigen, daß er nicht gerade steht? Hieße das nicht einen Bucklichen peitschen, weil er seine verwachsne Brust nicht gerade ausdehnt? — Und gleichwohl unterstan- den sich es Sterbliche, dem Richter der Welt dies Verfahren zuzuschreiben, ja sogar es an der Stelle des Richters der Welt zu thun! — Gewiß, die Menschen sammelten sich, um sich zu trennen, um zu kriegen, und weil es ihrem Neide und ihrer Vorzugssucht an hinlaͤnglichen Platze fehlte, so peitschen sie sie sich auch herum, weil der Zufall in dem Kopfe des einen die Ideen anders geordnet hatte, als in dem Gehirne des andern: o Unsinn! und oft zankte man sich oben drein nur deswegen, weil der eine etwas weniger einfaͤltiges glaubte als der andre. — Eine Sekte, wo die dogmatische Sucht kein Herze nagt und seinen Leidenschaften zum Lanzen- traͤger dient — wo ist eine solche, sie ist mir willkommen! sie ist mir die beste! — Freund, rief er dem Aliden zu, der sich eben naͤherte, Freund! wenn alle Juͤnger des Ali mit solcher Inbrunst beten wie Du, so wer- de ich noch heute ihr Bruder! Wenn sie sich selbst so lieben, wie ihren Gott, so schneide mir ein Stuͤck Haut ab, ritze mir die Ba- cken, bade mich, oder mache eine Cerimo- nie, wie du willst, um mich zu deiner Sekte einzuweihen, oder mich zu zeichnen, daß ich zu ihr gehoͤre! — genug, ich will der Genosse deines Bekenntnisses seyn und unter Menschen leben, die sich weniger hassen als andre: denn daß sie sich mehr lieben soll- ten, das fodre ich von Menschen nicht. — Der Alide erstaunte uͤber den Eifer, mit welchem er diese Anrede hielt, und war im D 2 Begriffe, Begriffe, ihm seine Freude daruͤber auszu- druͤcken, als eine Stimme aus dem Gestraͤu- che hervorbruͤllte: Du Verworfner, der du die heilige Sonna Bey den Mahometanern dasjenige, was bey den Katholiken die Tradition ist. verachtest, und den triegerischen Ali uͤber den erhabnen Abube- cker setzest, stirb von meinen Haͤnden, Un- glaͤubiger! — Sogleich durchrennte ein her- vorstuͤrzender Mann schaͤumend mit einem Spieße den betaͤubten erschrocknen Aliden, daß er leblos auf den Fleck niedersank, den kurz vorher sein Knie in dem Feuer seines Gebetes gedruͤckt hatte. — Blut! setzte der Moͤrder hinzu, gottloses Blut! fließe zur Ehre des großen Propheten und seiner recht- maͤßigen Nachfolger! — Belphegor war von Schrecken und Er- staunen einige Zeit uͤberwaͤltigt, doch bald kehrte sein Muth und seine Fassung zuruͤck, und er sprang auf, den Tod seines Gefehr- ten zu raͤchen: allein er war ohne Waffen, und sein Gegner verwundete ihn mit der naͤm- lichen Wuth, womit er jenen durchbohrt hatte; doch nicht toͤdtlich. Als Belphegor von von dem Stoße niedergestuͤrzt war und in der Ohnmacht von dem Sonniten fuͤr todt gehalten wurde, so begab sich dieser hinweg, nachdem er vorher in einem lauten Gebete dem großen Propheten und seinem Nachfol- ger Abubecker zu Gemuͤthe fuͤhrte, was fuͤr eine wichtige Verbindlichkeit er ihnen durch die Ermordung dieser beiden Unglaͤubigen auferlegt, und was fuͤr einen vorzuͤglichen Anspruch er sich auf die schoͤnste Huri des Paradieses erworben habe. Sein Reli- gionseifer war gesaͤttigt, und nach einer so verdienstlichen Handlung gieng er an seine Berufsarbeit zuruͤck und pluͤnderte mit seinen Gesellen die Karavane, zu welcher Belphe- gor gehoͤrte: denn er war ein Raͤuber vom Handwerke. Belphegor lag ohne Besonnenheit in sei- nem Blute und erwachte nur, um seine Ent- kraͤftung zu fuͤhlen: er sah sich um, er rief, so stark er vermochte; alle menschliche Huͤlfe war von ihm fern. In einem so trostlosen Zustande war Geduld das einzige Uebrige, ihm die Erschoͤpfung seiner Lebensgeister zu erleichtern; Er war vor Mattigkeit in einen Schlummer verfallen, aus welchem ihn der D 3 Ruf Ruf einer Stimme erweckte. Er schlug die Augen auf und wurde einen Mann gewahr, der ihn arabisch anredete. So wenig er auch von der Sprache wußte, so konnte er doch seine Begebenheit und sein Verlangen nach Huͤlfe darinne ausdruͤcken. Der Ara- ber machte sogleich die großmuͤthige Anstalt ihn fortzuschaffen, und ließ ihn auf ein Ka- meel laden, daß er kurz vorher nebst etlichen andern einer reisenden Karavane abgenom- men hatte, wobey er seinen Leuten den Be- fehl gab, den Verwundeten in sein Schloß zu bringen und bis zu seiner Ankunft gehoͤ- rig zu pflegen. Der Mitleidige war, wie man leicht merkt, gleichfalls ein Raͤuber von Profession, kam in einigen Wochen auf sein Schloß zuruͤck und fand Belphegorn von seinen Wunden geheilt. Er war so edelmuͤthig, jeden Dank von sich abzuleh- nen, und bot ihm Wohnung und Tafel auf so lange Zeit an, als ihm beliebte. Bel- phegor wurde von Dankbarkeit uͤber eine solche Begegnung um so viel lebhafter ge- ruͤhrt, weil die uͤble Behandlung, die er bisher von den Menschen in verschiedenen Welttheilen erdulden mußte, das menschli- che che Geschlecht in seinen Augen so erniedrigt hatte, daß er eine solche Denkungsart von einem Mitgliede desselben gar nicht mehr er- wartete. Der Raͤuber schenkte ihm eins von den schoͤnen Kleidern, die er mit seiner lezten Beute erobert hatte, gab ihm verschie- dene andre Kostbarkeiten und ließ ihm nicht die mindeste Bequemlichkeit mangeln. Belphegor wurde durch diesen freygebi- gen Raͤuber mit dem Menschen um vieles wieder ausgesoͤhnt: nur blieb es ihm ein unaufloͤsliches Raͤzel, das oft sein Nachsin- nen deschaͤftigte, wie man so vortreflich und so schlecht zu gleicher Zeit handeln, zu glei- cher Zeit so gutdenkend und ein Raͤuber seyn koͤnne. Da er keine befriedigende Erklaͤ- rung dieses Phaͤnomens zu finden im Stan- de war, so wandte er sich an seinen Wohl- thaͤter selbst und legte ihm die große Frage vor, deren Beantwortung ihm so schwer fiel. Der Araber war ungemein erstaunt, daß er so fragen konnte, und versicherte, daß er nicht begreife, warum jene beiden Dinge nicht beysammen seyn sollten, da das eine sowohl wie das andre, eine gute wohlanstaͤndige Sache waͤre. — Gastfrey, D 4 sagte sagte er, sind meine Voreltern vom Anfan- ge her gewesen: der Mensch war in ihren Mauren ihr geheiligter, unverletzlicher Freund, und außer denselben jederzeit ihr Feind. Der weise Allah Das hoͤchfte Wesen. theilte seine Guͤter unter seine Kinder aus; wer keine Portion davon be- kam, muß sie sich verschaffen, oder darben. Ich wage mein Leben, um eine zu erhal- ten: mein Gegner wage das seinige, um seine zu behalten: wohlan! der Tapferste ist der Besitzer. Der Elende, der Arme, der Kranke, der sich nicht in den Streit mengen und Wohlseyn und Bequemlichkeit erkaͤmpfen kann, muß der Sklave des Maͤch- tigern seyn, oder von seinem Wohlthaten leben. Jeder rechtschaffne Araber haͤtte Dich in sein Haus, wie in eine Freystaͤtte aufge- nommen, weil Du ihrer bedurftest; Du warst zu elend, mein Sklave zu seyn: ich mußte also dein Wohlthaͤter werden; und so lange Du in meinem Bezirke wohnst, hoͤre ich nie auf, dies zu seyn: Du bist der Sohn meiner Familie. — Aber Aber außer demselben dein Gegner, un- terbrach ihn Belphegor, den Du pluͤnderst, oder zum Sklaven erniedrigst? — Nicht anders? Ich und meine Familie sind zu Einem Koͤrper vereinigt: was nicht mit diesem Bande an mich geknuͤpft wird, ist Feind. Denkt ihr unter euerm Himmel anders? — „Allerdings? Ungestoͤrt genießt jeder den „Antheil von Gluͤck, den ihm der Zufall zu- „warf: Gesetze und Henker sind seine Waͤch- „ter. —‟ Und Niemand raubt dem andern einen Pfennig? Einer darbt, wenn der andre sich fuͤttert, ohne sich mit seinen Faͤusten etwas zu erkaͤmpfen? — „Nein, wir kaͤmpfen nicht mit Faͤusten, „sondern leider! mit unserm Verstande — „wir betriegen. —‟ Betriegen? Elende feige Kreaturen! der listigste Haufe hat bey Euch also das Ober- gewicht? — Fi! — „Der Maͤchtige, der Große genießt seinen „Ueberfluß sorgenlos; denn er ist auf allen „Seiten verschanzt: der Arme genießt das „Brod seines Schweißes eben so ruhig; D 5 „Man- „Mangel schuͤtzt ihn wieder Bevortheilung: „der ganze uͤbrige Haufe ist im Krieg verwi- „ckelt, und der Hinterlistigste ist der gluͤck- „lichste Sieger. —‟ Was fuͤr jaͤmmerliche Kreaturen ihr seyd! die niedertraͤchtigsten Raͤuber des Erdbodens! Jede Beute ist bey uns der Preis der Tapfer- keit, jede bey euch ein Denkmal einer nie- drigen Seele. Trenne mein Haupt sogleich von meinen Schultern, wenn Ein Betrug darinne gebruͤtet worden ist! Was ich bin, wurde ich durch mich selbst, durch meinen Muth. Belphegor war wahrhaftig am Ende sei- ner Disputirkuust, und der zuruͤckgebliebene Grad von Abneigung gegen den Menschen ließ ihn auch keine sonderliche Muͤhe neh- men, etwas fuͤr die polizierten Raͤube- reyen zu sagen: er schwieg mit einem Seuf- zer und gab den Grundsaͤtzen des Arabers Recht. Eine so angenehme Ruhe stoͤrte nichts als der Einfall eines benachbarten Raͤubers in das Schloß, wo sie Belphegor genoß. Die- ser Held hatte in Erfahrung gebracht, daß Belphegors Goͤnner bey dem letzten Meister- streiche streiche, den er spielte, zwo der herrlichsten cirkaßischen Schoͤnheiten in seine Gewalt bekommen hatte. Ein solcher Preis war es wohl werth, daß man sein Leben einmal daran wagte: die Liebe setzte seiner Tapfer- keit den Sporn in die Seite, und er zog mit seiner ganzen Mannschaft aus, jene zwo Nymphen entweder in seine Haͤnde zu bekommen, oder sie wenigstens ihrem gegen- waͤrtigen uͤbergluͤcklichen Besitzer zu entreis- sen, sollte es auch durch den Tod geschehen muͤssen. Er ruͤckte an, uͤberraschte seinen Gegner, der sich nicht in der mindesten Be- reitschaft befand und sich schon ergeben mußte, ehe er sich zur Wehre stellen konnte. Der Feind begnuͤgte sich, alle Oerter zu durch- suchen, wo er die verlangten Schaͤtze ver- muthete, und ward nicht wenig ungehal- ten, da ihm allenthalben sein Wunsch fehl- schlug. Er erhielt zwar die Nachricht, daß der uͤberwundne Herr des Schlosses, den sein Alter uͤber die Begierden der Liebe schon ziemlich hinwegsetzte, die schoͤnen Cir- kaßierinnen nach ihrer Erbeutung sogleich in Geld verwandelt habe: allein da er dies bey seiner jugendlichen Lebhaftigkeit nicht begrei- begreifen konnte, so erklaͤrte er es schlecht- weg fuͤr eine Erdichtung, stellte seine Nach- forschung noch etliche Mal an und fand jedesmal nichts. Um aber doch seinen Gang und seine hintergangne Hoffnung be- zahlt zu machen, nahm er dem Ueberwund- nen seine Slaven und eine Auswahl von seinen besten Habseligkeiten mit sich hinweg, das Uebrige nebst dem Schlosse steckte er in Brand, und war so großmuͤthig, und gab Belphegorn und seinem Wohlthaͤter, weil er sie beyde zu nichts anzuwenden wußte, die Freyheit und voͤllige Erlaubniß, alles Gluͤck in der ganzen weiten Welt aufzusuchen. Sie giengen beyde mit einander fort, und es war schwer zu unterscheiden, welcher von ihnen eigentlich den Verlust erlitten hatte. Sie nahmen ihren Weg nach der Landschaft Diarbek und fanden sie bey ihrem ersten Eintritte mit Empoͤrung und Blute uͤber- schwemmt. Kaum hatten sie ein Dorf er- reicht, als sie schon mit dem Schwerdte in der Hand auf ihr Gewissen befragt wurden, ob sie sich zu Dubors oder Misnars, oder Abimals, oder Ahubals, oder des Sul- Sultans Amurat Parthey hielten. — Zu derjenigen, die das meiste Recht fuͤr sich hat, oder lieber zu keiner, antwortete Belphegor. Ich kenne weder Amuraten, noch Duborn, noch die du mir nennst; es herrsche uͤber Diar- bek, wer kann oder will! — Da ein Tuͤrke keine andre als lakonische positive Antwort an- nimmt, so wurde die Frage noch einmal und zwar peremtorisch gethan, und um ihn zu einer bestimmten Antwort desto schneller anzutreiben, schwangen die Examinanten ihre Saͤbel uͤber ihren Koͤpfen und hielten sich zum Hiebe bereit. Jede entscheidende Antwort konnte ihnen den Tod bringen, und jede Verzoͤgerung brachte ihn gewiß: sie waͤhlten blindlings ihre Parthey und trafen gluͤcklicher Weise diejenige, zu welcher die Fragenden sich bekannten. Diese vortheil- hafte Wahl errettete sie vom Untergange: man ließ ihnen die Freyheit, in Diarbek zu existiren, und bekuͤmmerte sich weiter nicht um sie. Bey dem Fortgange ihrer Reise ge- schah ihnen von Zeit zu Zeit die naͤmliche An- frage, und der Zufall, auch zuweilen List half ihnen jedesmal aus der Gefahr! Um sich ihr aber nicht laͤnger auszusetzen, be- schlossen schlossen sie ein Land mit dem ehesten zu ver- lassen, wo die Neutralitaͤt schlechterdings unerlaubt war. An den Graͤnzen erfuhren sie, daß Misnar alle seine Nebenbuhler be- sieget, ermordet und sich auf drey Wochen die Herrschaft uͤber Diarbek errungen hatte, nach deren Verlaufe der Sultan Amurat fuͤr gut befand, ihn vom Throne heruntertreiben und stranguliren zu lassen, nebst allen denje- nigen, die die kurze Gnade seiner Regierung erhoben hatte. Sieben- Siebentes Buch . E inem Blutbade entgiengen sie, um in ein andres zu gerathen: bey dem ersten Schritte, den sie auf persischen Boden setzten, kamen ihnen schon blutige Stroͤme entgegen: je weiter sie ihr Weg fuͤhrte, desto mehr haͤuften sich die Spuren des Mordes und der Grausamkeit, und zuletzt gelangten sie an einen graͤßlichen Wahlplatz, wo Schaa- ren uͤber einander gestuͤrzter Leichname in graͤßlichen Haufen, mit getoͤdteten Kameelen und Maulthieren vermischt, lagen. Belphe- gor fuhr mit Entsetzen vor dem schrecklichen Anblicke zuruͤck, und sein Gefaͤhrte zitterte eben so sehr vor Furcht und Grauen, und beyde standen lange in einem stummen Erstaunen. Bald aber machte die Furcht der Neube- gierde Platz: sie verlangten außerordentlich, die Ursache zu wissen, die Menschen zu einem so unmenschlichen Todtschlage berechtigt ha- ben konnte: demungeachtet zog sie die Be- sorgniß, in die naͤmlichen unbarmherzigen E Haͤnde Haͤnde zu verfallen, bey jedem Tritte zuruͤck. Sie faßten aber dennoch Muth, setzten ihre Wanderschaft fort und fanden hin und wie- der halblebende Todte, aber nirgends einen voͤllig Lebendigen. — Was soll das? rief Belphegor. Sind das Anstalten, die mensch- liche Gattung in diesen Gegenden auszurot- ten? Eine so ausgesuchte Begierde hat doch keiner der beruͤhmtesten Tollkoͤpfe noch gehabt. Wohlan, Freund! wir wollen weiter drin- gen! Werden wir unter dem allgemeinen Ruine begraben, was schadets? — Wir athmen die verpestete Luft dieses Erdkreises nicht mehr, deren kleinstes Theilchen durch den Hauch eines Unmenschen entweiht, durch die Lunge eines Barbaren gegangen ist. Gewinn ist ein solcher Verlust. — Sie setzten ihren Weg noch einige Tage fort und trafen nichts mehr als die vorher- gehenden Gegenstaͤnde an — Beweise der Unmenschlichkeit genug, aber keinen Men- schen. Endlich wurden sie gewahr, daß die Einwohner aus den Doͤrfern nur gefluͤchtet waren und einzeln mit bedaͤchtlicher Schuͤch- ternheit aus den Waͤldern zu ihren Wohnun- gen zuruͤckkamen. Sie forschten so lange bis bis sie erfuhren, daß vor einigen Tagen eine schoͤne Europaͤerinn in dem Harem des großen Koͤniges von Persien gefuͤhrt worden sey: eine Karavane von Reisenden war dem Zuge begegnet, und da sie ungluͤckseliger Weise ihm nicht ausweichen konnte, so hat- ten sich die Evnuchen einen Weg mit dem Schwerdte durch sie gebahnt. Das naͤm- liche Schicksal betraf alle, die die Unvorsich- tigkeit oder das Ungluͤck hatten, sich auf dem Wege finden zu lassen: der kluͤgere Theil war aus den Wohnungen, die an der Straße lagen, gefluͤchtet, um nicht durch einen unbedachtsamen Blick auf eine ver- schleierte Schoͤnheit das Leben zu verwirken. Belphegor haͤtte gern dem großen Sohne des Himmels fuͤr diese Barbarey den Kopf abgeschlagen, wenn er bey der Hand gewe- sen waͤre, und machte verschiedene Anmer- kungen in seinem Tone daruͤber, die bey andern, als sklavischen erstorbnen Gemuͤ- thern, einen foͤrmlichen Aufruhr veranlaßt haͤtten. Wenn es aber gleich nicht diese Wirkung that, so fuͤhlten doch seine Zuhoͤrer einen gewissen Schwung in seiner Denkungs- art und seiner Beredsamkeit, welcher sie E 2 dunkel dunkel uͤberredete, daß er keiner vom gemei- nen Haufen, sondern ein Weiser seyn muͤsse, weswegen sie ihm riethen, die Bekanntschaft eines gewissen Derwisches zu machen, der in einer voͤlligen Einsamkeit lebte und ihnen unter dem Namen des Derwisches in den Bergen bekannt sey. Sie setzten hinzu, jedermann, der ihn gesprochen, sey voller Bewundrung und Ehrfurcht zuruͤckgekom- men und habe versichert, daß sein Mund von einem unerschoͤpflichen Strome von Weisheit und heilsamen Lehren uͤberfließe. Eine solche Nachricht war fuͤr Belphegors Begierde ein Sporn: kaum konnte er sie endigen lassen, als er um einen Wegweiser bat, der ihn zu dem gluͤcklichen Orte fuͤhren sollte, wo er einen Menschen zu finden hoffte. Sein Gefaͤhrte, dessen Durst nach Weisheit nicht so heftig brannte, warnte ihn sehr eifrig, sein Leben und das wenige gerettete Geld nicht der Treulosigkeit dieser Boͤsewichter anzuvertrauen, die ihn in un- wegsame Gebirge fuͤhren und in den ersten Abgrund stuͤrzen wuͤrden. So sehr er ihm mit seiner arabischen Beredsamkeit zusetzte, und so stark er seine Warnung mit Gruͤnden unter- unterstuͤtzte, so blieb doch Belphegor in sei- nem Vorsatze unbeweglich: eben so unbe- weglich blieb auch der Araber in dem seini- gen, und trennte sich von seinem Gefaͤhrten, um wieder in sein Vaterland zuruͤckzukehren, wo man nach seiner Meinung viel edelmuͤ- thiger stiehlt und raubt als irgendwo. Belphegor kletterte nebst seinem Wegwei- ser mit seinem gewoͤhnlichen Ungestuͤme uͤber Felsenspitzen, steinichte unsichre Wege, schluͤ- pfrige hervorragende Stuͤcken Stein, wo ein einziger Fehltritt in unabsehbare Tiefen stuͤrzte, wo den herabfallenden Millionen hervorstehende Spitzen erwarteten, um ihn zu zermalmen, durch stechendes Gestraͤuch von Wacholdern, die einen kleinen ver- schlungnen Wald bildeten, uͤber Wasserfaͤlle, uͤber Schnee, Eis und fast durch die Wol- ken, um zu dem Derwische der Berge zu gelangen. Nachdem sie drey Tage mit dem hoͤchstmuͤhsamen Wege gekaͤmpft hatten, so wurde er selbst ein wenig mißtrauisch gegen seinen Fuͤhrer: doch druͤckte die Hitze seiner Erwartung und die Groͤße der gehofften Freuden bald jeden Argwohn nieder; er beruhigte sich damit, daß er dem Wegweiser E 3 alles alles bey sich habende Geld uͤbergab und ihn versicherte, daß der ganze Schatz sein wer- den sollte, wenn er ihn durch Verkuͤrzung des Weges nur etliche Stunden fruͤher zu dem weisen Derwische zu bringen wuͤßte: der Andre nahm es mit Dankbarkeit an und versprach sein Verlangen so sehr als moͤglich zu erfuͤllen. Auch fanden sie sich beym An- bruche des Tages auf einem Felsenruͤcken, von welchem sie eine schoͤne muntre lachende Ebne uͤbersahen, die durch den Anblick schon ihnen die ausgestandnen Beschwerlich- keiten hinlaͤnglich verguͤtete. Belphegors Herz schlug vor Entzuͤcken, als er die Woh- nung des Derwisches durch ein duͤnnes Palmwaͤldchen hervorschimmern sah: gern haͤtte er mit Einem Sprunge die heilige Schwelle betreten: jedes Lufttheilchen, das er einhauchte, schien ihm reiner und heili- ger zu seyn. Wenn die Musen gegen einen Prosaisten nicht etwas sproͤde waͤren, so rief ich sie mit lautem Schreyen um ihren Beystand bey der Schilderung eines der schoͤnsten Thaͤler an; aber so muß ein armer Verfasser in ungebundner Rede die Sache allein bestreiten. Will Will indessen eine sich herablassen, meinen Pinsel zu fuͤhren, so greife sie zu! — Die ganze Flaͤche des beynahe eyfoͤrmi- gen Thales war ringsum von Bergen um- schlossen, die sich amphiteatermaͤßig in man- nichfaltigen Absaͤtzen erhuben: hier steilte sich eine schneeweiße Felsenspitze, wie ein Thurm, in die Hoͤhe, hinter ihr dehnte ein brauner Berg den langen Ruͤcken weg, und hoͤher als beyde verlor sich eine Menge zackichter graͤulicher Gebirge mit ungleichen Hoͤhen am Horizonte: dort hiengen Felsen- stuͤcken in der Luft, die nur Einen Stoß zu brauchen schienen, um herabzustuͤrzen, neben ihnen bedeckte ein duͤstres Strauchwerk den phantastisch gekruͤmmten Berg, der sich mit einer Menge kahler Beugungen und Hoͤlun- gen endigte, und die breitsten weitschim- mernden Haͤupter entfernter Gebirge daruͤber emporsteigen ließ: bald stuͤrzte sich ein klei- ner Bach beynahe haͤngend an einer Felsen- wand herab, verschwand, brach eine weite Strecke davon wie ein brausender schaͤumen- der Bach aus dem Felsen hervor, flog uͤber ausgehoͤlte schwebende Steine hinweg und wurde von einem Schlunde gierig verschlun- E 4 gen, gen, um nie in dieser Gegend wieder zu erscheinen: bald stieg eine allmaͤhliche schief- gedehnte berasete Anwand bequem in die Hoͤhe und thuͤrmte sich ploͤtzlich in unzaͤhli- che Hoͤhen, die sich gleichsam wetteifernd uͤber einander erhuben, hier nackt, dort in einem Mantel von gelbgruͤnem Gestraͤuche, bald aus Pyramiden, bald als umgestuͤrzte Kegel, hinter welchen eine weißgraue Ko- lonnade vom majestaͤtischen Felsen den Ge- sichtskreis begraͤnzten und weitgedehnt in ungleicher Groͤße allmaͤhlich verschwanden. Die Seite, von welcher sie in die Ebne hinabstiegen, war ein hoher platter Berg, der an sich schon die Aussicht beschloß, mit einem Cedernwalde bedeckt, durch welchen sie hindurchwandern mußten, und kaum waren sie heraus — siehe! so stund, wie hinter einem eroͤffneten Vorhange das ganze schoͤne Thal, in seine vielfaͤltigen Waͤlle von Gebuͤrgen und Felsenwaͤnden, wie sie vorhin gemalt worden sind, eingezaͤunt, mit etli- chen kleinen schmalen Wasserkanaͤlen durch- zogen, mit einzeln Bucketen von Obsibaͤu- men, lichten und dunkelgruͤnen Buͤschchen, beynahe regelmaͤßigen Pflanzungen, frisch- gearbei- gearbeitetem Acker, bluͤhenden kriechenden und aufgestengelten Gewaͤchsen, Gruppen von Citronenbaͤumen mit goldnen blinken- den Fruͤchten, zerstreuten kleinen Huͤttchen gleichsam bestreut — kurz, das herrlichste lachendste Mosaik der Natur vor ihren Augen. Belphegor war uͤberrascht, betaͤubt, uͤber- waͤltigt, hingerissen, er staunte, er war sei- ner Sinnen nicht maͤchtig; er warf sich vor Begeisterung auf die Erde und kuͤßte den Boden, als den Eingang zu einem Heilig- thume. So bald seine Empfindungen we- niger gewaltsam wurden, so besahe er die Gegend um sich mit unersaͤttlicher Begierde, sahe und hatte nie genug gesehn. Sein Fuͤh- rer ermahnte ihn zur Eilfertigkeit, wenn er noch vor Abend bey dem Derwische anlan- gen wollte, weil seine Wohnung fast an dem andern Ende des Thales liege und noch viele Stunden erfodre, wenn sie gleich ihre Schritte verdoppeln wollten. Belphegor riß sich, wie- wohl mit einigem Widerstande, von dem entzuͤckenden Anblicke los, um einem noch entzuͤckendern zuzueilen. Kaum waren sie die langgedehute An- hoͤhe hinuntergestiegen, als sie ein krumm- E 5 laufen- laufender Gang einlud, durch einen kleinen dunkeln Hain zu wandeln, an dessen Ende sich zwo vierfache Reihen von Pomeranzen- baͤumen anschlossen, die dahinterliegende Saatfelder von Mais durch die Zwischen- raͤume der Staͤmme durchschimmern ließen. Am Ende derselben fanden sie etliche Huͤtten von Baumzweigen, doch ohne Bewohner. Belphegorn befremdete diese Entweichung, und er ward um so viel neugieriger, die Be- wohner aufzusuchen. Sie giengen in der Folge uͤber verschiedene kleine Kanaͤle, die mit Obstbaͤumen eingefaßt waren, durch kurze ganz natuͤrliche Wildnisse von Ahorn- baͤumen, durch Felder mit funkelnden Kuͤr- bissen, Melonen und andern lachenden Fruͤch- ten. Schoͤner, als alles, war der Zugang zu der Wohnung des Weisen: Reihen Maul- beerbaͤume, um die sich die herrlichsten Wein- reben mit halbreifen roͤthlichen lang herab- haͤngenden Trauben schlangen; hinter ihnen Beete mit Gartenfruͤchten, besonders Melo- nen; darauf Pfirschbaͤume mit rothschim- mernden samtnen Fruͤchten beladen, Abri- kosenbaͤume mit Reichthume uͤberschuͤttet; die ganze Scene schlossen vier erhabne Zy- pressen, pressen, die uͤber dem laͤchelnden Kolorite der Fruchtbaͤume mit ihrem melancholischen Gruͤn in vier Spitzen emporstiegen und un- ter ihre Zweige die Wohnung des Derwisches gleichsam wie unter Fluͤgel nahmen. Der ehrwuͤrdige Alte saß mit zwo Toͤchtern in persischer Kleidung auf einem Steine vor seiner Wohnung und schaute mit entbloͤß- tem Haupte nach der Sonne hin, die eben hinter dem gegenuͤber stehenden Berge ver- sinken wollte. Belphegor hatte ihn kaum in der Ferne erblickt, als er mit seiner Hastigkeit auf ihn zuflog sich ihm zu Fuͤßen warf und mit der feurigsten Innbrunst seine Kniee umfaßte. Der Alte hub ihn laͤchelnd auf und noͤthigte ihn durch ein freundliches Zeichen, sich neben ihm niederzusetzen. Das Gefuͤhl einer ge- genwaͤrtigen Gottheit koͤnnte kaum feuriger und mehr uͤberwaͤltigend seyn, als Belphe- gors Empfindungen: er war sich seines Da- seyns nicht bewußt, ein Schwarm ununter- schiedner Vorstellungen und glaͤnzender Bil- dern schwebten um seine betaͤubte Seele, und eben so viele verwickelte Gefuͤhle fuhren durch sein Herz. Lange saß er, so außer sich sich gesetzt, neben dem Alten, der den in- nerlichen Tumult in seiner Mine las und darum ihn geruͤhrt bey der Hand faßte, ohne sein Stillschweigen zu unterbrechen. Endlich machte sein Gast den Anfang: er schuͤttete ihm in einem Strome von persi- schen Worten sein Herz aus, die aber mei- stens halberstickt und abgerissen hervorka- men, weil er der Sprache zu wenig maͤch- tig war, als daß seine Empfindungen und Gedanken die Gelaͤufigkeit der Zunge nicht uͤbereilen sollten. Der Derwisch bat ihn, von seinem Wege auszuruhn und alsdenn ein kleines Mahl mit ihm im Mondscheine einzunehmen. Belphegorn uͤberlief ein suͤßer Schauer, als er dieses hoͤrte, und er begab sich hinweg. Die aͤlteste von den beyden Toͤchtern fuͤhrte ihn in ein Kabinet, wo sie ihm ein reinliches Lager von Blaͤttern mit einer Decke von einem orieutalischen Halbtuche zu seiner Ruhe anbot und zu ihrem Vater zuruͤckkehrte. So ermattet er war, so hatten doch die vor- hergehenden heftigen Empfindungen seine Nerven zu sehr angespannt, als daß der Schlaf sie haͤtte uͤberwaͤltigen sollen. Er lag voller voller Gedanken in einem oft unterbrochnen Schlummer, und konnte endlich seinem Ver- langen nach dem Gespraͤche des Derwisches nicht mehr widerstehen: er sprang auf und gieng zu ihm. Waͤhrend der Mahlzeit entwickelte es sich bald, daß der vermeinte Derwisch ein Euro- paͤer war. — Ein Europaͤer! rief Belphe- gor voll Freuden: und aus welchem Lande? Aus Frankreich, antwortete jener und seufzte. Aus Frankreich, das mich mit vielen seiner Soͤhne undankbar ausstieß. Ich bin der Bruder der ungluͤcklichen Markisinn von E. — Der Markisinn von E.! unterbrach ihn Bel- phegor. Der ungluͤcklichen Markisinn, die die graͤulichen Tuͤrken in vier Stuͤcken spal- teten, daß sie großmuͤthig den Prinzen Amurat bey sich aufgenommen hatte! — Ein Zug ihres Charakters! die gute Schwe- ster! sagte der Alte. Freund! erzaͤhle mir die Geschichte, daß ich hoͤre und in meinen weißen Bart dazu weine. Belphegor gehorchte ihm; und sein Zuhoͤ- rer hoͤrte ihre widrigen Schicksale mit ge- ruͤhrter Aufmerksamkeit, erhub bey dem Ende der Erzaͤhlung seine Augen gen Himmel, in- dessen dessen ihm etliche Thraͤnen die Wangen heruntertroͤpfelten: diese, sprach er, weih ich dir! Aber, fieng Belphegor nach einer kleinen Pause an, wie konnte dich, ehrwuͤrdiger Va- ter, deine Flucht in diese himmlische Einsie- deley, so weit von deinem Vaterlande fuͤh- ren? Du flohest Frankreich. — Um einer Ursache willen, unterbrach ihn der Alte lebhaft, die die Menschheit mit ewigen Flecken brandmalt — Flecken, die keine Thraͤnen auswaschen koͤnnen. Wir wurden Opfer der Ruhmsucht eines stolzen Monarchen, Ludwig des 14. des eingewurzelten Vorur- theils, politischer Raͤnke und des Privat- hasses; und wurden, nach dem oͤffentli- chen Vorwande, der Religion, der Recht- glaͤubigkeit geopfert. Ich floh nach Deutsch- land mit einigen meiner vertriebnen Mitbruͤ- der, um es zu bereichern und poliren zu helfen. Ich floh, aber mein Herz blieb in Frankreich, oder es irrte vielmehr mit mei- ner S ** herum: denn unmoͤglich konnte ihre Liebe sie in einem Lande zuruͤckbleiben lassen, das ihren zaͤrtlichen Freund verstossen hatte. hatte. Ich lebte indessen nur zur Haͤlfte: ich bin von jeher ein Geschoͤpf gewesen, das mehr in der Imagination als in der Wirklichkeit lebte, gluͤcklich und un- gluͤcklich war. Meine verlaßne Liebe er- zeugte bald mit Huͤlfe meiner Einbildungs- kraft eine Melancholie in mir, die mich von aller Gesellschaft entfernte: ich lebte, dachte und fuͤhlte in der tiefsinnigsten Einsamkeit, und ich dachte nichts, als meine S **, und fuͤhlte nichts als meine Liebe. Geschaͤfte und andre Verbindungen zwangen mich haͤu- fig, meine Einsiedeley zu verlassen: ich that es mit Widerwillen, mit dem groͤßten Wi- derwillen, weil keine andre S ** in der ganzen schimmernden Gesellschaft, in wel- cher ich, wie ein Gespenst, taͤglich herum- wanderte, anzutreffen war: keine, auch nicht die schoͤnste, auch nicht die bewun- dertste bewegte den Perpendickel meines Her- zens nur um eine Sekunde schneller: alles waren mir steife unnatuͤrliche Kreaturen, die den Mangel des natuͤrlichen Reizes durch Kunst und Anstand ersetzen wollten, aber ihn fuͤr mein Gefuͤhl unendlich wenig ersetz- ten, durch den falschen Anstrich nur desto mehr mehr vermissen ließen; mein Herz fand nir- gends anziehende Kraft und allenthalben Widrigkeiten. Je weniger mein Gefuͤhl gleichsam ausgefuͤllt wurde, desto mehr ver- staͤrkte es sich! und zuletzt war gar nichts mehr uͤbrig, das nicht, so zu sagen, wie ein leichter Span auf einem Weltmeere, dar- auf geschwommen haͤtte: gar nichts druͤckte sich ihm ein. Geschwind zerriß ich alle Ban- den, die mich an die Menschen fesselten, und floh eine Gesellschaft, wo ich allzeit Ge- legenheit zum Misvergnuͤgen fand, weil kein Vergnuͤgen meinen Foderungen gleich kam. Nicht lange nach dieser Entfernung von den Menschen that ich einstmals eine kurze Ausflucht in die Gesellschaft: ich fand ein Maͤdchen, das gleich bey dem ersten Anbli- cke eine mehr als magnetische Kraft fuͤr alle meine Sinne hatte. Mein Gefuͤhl, das in meiner einsamen Periode mit der Einbil- dungskraft in genauere Vertraulichkeit gera- then war, erhob sich ploͤzlich zu einer solchen Staͤrke, daß ich mir selbst sagte: ich habe sie gefunden! — Ein Maͤdchen voll der suͤßesten Naifetaͤt, mit der aufrichtigsten Mi- ne, die mit der Zunge und dem Herze in Einer Einer vollkommnen Harmonie stund, ohne Zwang, ohne studierte Hoͤflichkeit, ohne ga- lante Grimassen, voll Natur, voll der un- schuldigsten Natur, ohne glaͤnzenden Wiz, aber mit einem feinen Verstande und den gesundesten Grundsaͤtzen geziert — alle diese Zuͤge leuchteten mir auf einmal mit vereinig- ter Kraft in die Augen. Mein Herz wankte, alle meine Kraͤfte bis zu den innersten wur- den erschuͤttert, meine Empfindungen vom Grunde aufgewiegelt, mein Kopf schwindel- te, die Augen wurden truͤbe, ich schwaͤrmte, ich schwatzte wie im Phantasieren des hitzi- gen Fiebers, ich taumelte und sank — durch eine geheime Veranstaltung des Schick- sals — an ihren Busen, an den Busen des Maͤdchens, das jenen Tumult in mir erregte. — O edler Freund! mein altes Herz schlaͤgt noch itzt hurtiger, wenn ich an das Erwachen gedenke, das auf jenen Fall erfolgte. — Das unschuldige Maͤdchen ent- sagte aus natuͤrlichem Mitleide allen Fode- rungen des Wohlstandes und ließ mich an ihrem Busen liegen, trieb alle zuruͤck, die mich von ihr reißen wollten. Er ruhet hier sanft, sprach sie mit dem naifsten Tone der F Guther- Gutherzigkeit: er liege, bis er wieder er- wacht. — Alles sagte sie, ohne zu wissen, daß sie das brennbarste Herz an das ihrige druͤckte und ein Feuer einsaugen ließ, das nie die Vernunft wieder loͤschen wuͤrde. Ich lag an sie gelehnt; und an sie gelehnt, er- wachte ich. Himmel! welche Empfindung, als ich um mich blickte! als ich bey meiner ersten Bewegung mit ihrem Blicke zusam- mentraf! Ich war nicht mehr mein: sie ver- stund meine Verwirrung, wollte sie min- dern und vermehrte sie. Endlich ermannte ich mich; ich sprang auf und gieng hinweg. Das gute Maͤdchen merkte genau, daß sie die Ursache meiner Unruhe und meiner Entfernung war: aber ungluͤcklich, daß die- se Bemerkung sie selbst in die schrecklichste Un- ruhe stuͤrzen mußte! Sie war schon verlobt: das ist mit Einem Worte alles gesagt. Mei- ne natuͤrliche Melancholie wuchs zu der hoͤch- sten Staͤrke an, ohne daß ich das Hinder- niß meiner Liebe wußte: alles war mir schwarz: ich quaͤlte mich mit selbstgeschaff- nen Schwierigkeiten; ich marterte mich mit Kummer, daß ich zu dem Besitze meiner Ge- liebten nicht gelangem konnte, ohne mich im im mindesten erkundigt zu haben, ob ihr Besitz unmoͤglich oder schwer zu erlangen sey. Sie war arm, und eine kleine Ueberlegung waͤre zureichend gewesen, meine traurigen eingebildeten Schwierigkeiten zu zerstreuen; allein mein schwermuͤthiges Gefuͤhl ergoͤtzte mich: die Vernunft wuͤrde mir meine Gluͤck- seligkeit geraubt haben, wenn sie es wegraͤ- sonnirt haͤtte. Oft genug unterbrachen es meine Geschaͤfte, auf die ich zuͤrnte, und die ich doch gut abwarten mußte, wenn ich nicht an meinem Einkommen leiden wollte. — Gott! dachte ich oft in meinen einsa- men Stunden, warum ordnetest du deine Welt so an, daß tausend geschmacklose Geschaͤf- te, Millionen mit der Empfindung nicht zu- sammenhaͤngende Dinge den Menschen im Wirbel herumdrehen, daß elende Berufsar- beiten die Zahl der Stunden verringern muͤs- sen, die er in dem suͤßesten Schlummer des Gefuͤhls und der Einbildung vertraͤumen koͤnnte? — Freund! hast Du nie einen Mangel in Deinem Leben empfunden, der jede fuͤhlende Seele unvermeidlich treffen muß? — Die Natur hat eine unendliche Menge Anlaͤsse zur Empfindung in die Welt F 2 aus- ausgestreut, aber zu einzeln ausgestreut, jeder Mensch trift auf seinem Wege nur sel- ten einen an: der große Haufe, dessen Ge- fuͤhl vom Sorgen und Geschaͤften zusam- men gepreßt ist, vermißt nichts; er laͤßt so- gar die aufstoßenden Veranlaßungen vor- uͤbergehn, ohne daß eine sich an seinem Herze einhaͤngt, und es auf sich zieht: aber der Mann, bey dem Gefuͤhl alle seine uͤbrigen Kraͤfte uͤberwiegt, bey dem sich, so zu sagen, alles in Empfindung aufloͤst, was soll der thun, wenn er allenthalben Saͤttigung sucht, wenn er seine Gluͤckseligkeit gern haufenweise verschlingen moͤchte, und sie ihm doch nur gleichsam in einzelnen Bissen zugezaͤhlt wird: muß ein solcher nicht bey der gegenwaͤrti- gen Einrichtung der Welt einbuͤßen? Konnte die Natur unsern Planeten und seinen Be- wohner nicht so anlegen, daß er, mit weni- gem, mit dem Nothduͤrftigen zufrieden, seine Beduͤrfnisse niemals erweiterte, niemals in die tolle Geschaͤftigkeit sich hineinwarf, zu welcher ihn itzt unzaͤhlige, unvermeidliche Nothwendigkeiten hinreißen? Waͤre die Welt gleich weniger thaͤtig, weniger lebhaft ge- worden, waͤre sie nicht dafuͤr gluͤcklicher? Was Was nuͤtzt es, daß itzt jedermann eilfertig nach seinem Vortheile laͤuft, rennt und an- dre wegstoͤßt? Nimmt man diese ungluͤckliche Geschaͤftigkeit der Welt, diese Mutter so un- zaͤhlbarer Uebel hinweg, muͤssen nicht als- dann alle die unseligen Leidenschaften weg- fallen, die itzt Menschen von Menschen tren- nen und selbst den empfindenden Zuschauer dieses allgemeinen Kampfjagens der Welt das Leben verbittern? Die Menschheit ist ge- wiß nichts dadurch gebessert, daß sie sich zu den gegenwaͤrtigen Bequemlichkeiten und dem Ueberflusse der Europaͤer emporarbeitete, daß man nicht mehr Eicheln, sondern die man- nichfaltigen Schmierereyen der Mundkoͤche genießt, daß man nicht mehr auf Stroh, fondern Matratzen oder Federbetten schlaͤft, daß man statt des klaren Bachs in einen franzoͤsischen oder venetianischen Spiegel sieht: gewiß im Grunde nichts gebessert, nichts gluͤcklicher! Alles hierinne bestimmt die Gewohnheit : diese machte es, daß vormals englische Lords auf einem Schnee- ballen so sanft ruhten, als itzt ein englischer Zaͤrtling auf dem seidnen Kopfkuͤssen. Nach meinem Wunsche und meiner Einbildung F 3 sollte sollte der Mensch mitten auf seinem Wege zur Verfeinerung stehen bleiben, wenn er auch gleich nicht auf der ganz untersten ewig seyn wollte: die Materialien der Geschaͤftig- keit und der Begierden, die ihn itzt herum- treiben, sollte vor ihm verborgen und er ein ruhiger sanfter Hirte, hoͤchstens ein Ackers- mann bleiben: die Erde waͤre nicht zu enge fuͤr die Beybehaltung dieser Lebensart gewe- sen, wenn nur die Menschen nicht die tollen Begierden besessen haͤtte, uͤber und neben einander her zu kriechen: und Freund! bey jener geringen mittelmaͤßigen Geschaͤftigkeit sein Leben unter dem Schatten der Empfin- dung ohne Politik, ohne Oekonomie, Ju- risprudenz, Handel und andre Vervollkom- mungen, die den Menschen zum kalten fuͤhl- losen Geschoͤpfe, leer von Imagination und Empfindung machen, ordentlich und ruhig hinwandeln, welch ein Gluͤck! Welch eine Herrlichkeit, wenn ich damals fuͤr mich und meine Lucie die Erde so haͤtte umschaffen koͤnnen! Wahr ist es, ich haͤtte getraͤumt: aber suͤßer Traum ist doch besser als bittres Wachen. Meine Geschaͤfte verbitterten mir wirklich mein Leben außerordentlich: sie stoͤr- ten ten meine Melancholie und wurden von mei- ner Melancholie gestoͤrt; und am Ende mei- nes Haͤrmens erfuhr ich, daß Lucie verlobt und gar verheirathet war, daß sie an einen der veraͤchtlichsten Maͤnner des Landes ver- heirathet war. Welch ein Donnerschlag fuͤr einen truͤbsinnigen Liebhaber! Ich em- pfieng taͤglich die schrecklichsten Nachrichten von seinem Betragen gegen sie. Der Un- mensch, das unsinnigste Geschoͤpf des Erd- bodens, das gar nicht aus der Hand Got- tes gegangen seyn kann, quaͤlte sie aus Ei- fersucht und zuletzt aus bloßem tyrannischen Muthwillen: er merkte, daß auf dem Bo- den ihres Herzens eine Zuneigung lag, die durch die aufgezwungene eheliche Pflicht nur niedergedruͤckt, aber nicht getoͤdtet war: er merkte dies blos, weil seine angeborne Ei- fersucht; oder vielleicht das Bewußtseyn sei- nes Mangels am Verdienst ihn voraussetzen hieß, daß sie ihn nicht ganz und jeden an- dern mehr lieben muͤßte. Ohne die minde- ste Veranlassung zu diesem Argwohne behan- delte er sie, als wenn er voͤllig bewiesen waͤre. Er foderte eine Bedienung von ihr, die er kaum der niedrigsten Magd zumuthen konn- F 4 te: te: sie mußte ihn auf seinen Befehl die Spei- sen auftragen, auf seinen Befehl fasten oder essen, ihn ankleiden und ausziehn, und die schlechtesten Dienste verrichten, indessen daß die Aufwaͤrterinn, die im Muͤßiggange zu- sah, von ihm geliebkost wurde und die Rechte der Frau genoß. Der Barbar wollte sich an seiner unschuldigen Ehefrau auf diese Art, gleichsam wie durch Repressalien, raͤchen; und da sie ohnmaͤchtig, empfindlich, zaͤrt- lich und schwach zum Wiederstande war, so verdoppelte der Unbarmherzige seine Mar- tern, jemehr er wahrnahm, daß sie dadurch niedergeschlagen und gekraͤnkt wurde. Sie kam in die Wochen, sie wurde gefaͤhrlich krank; und waͤhrend, daß sie nach Troste und Wartung schmachtete, hetzte der Boͤse- wicht Dachse mit seinen Hunden im Hause, ließ seine Pferde im Hofe unter ihren Fen- stern herumfuͤhren und dazu trommeln, des Nachts, oder wenn sie sonst schlummerte, ploͤzlich Toͤpfe oder Flaschen vor ihrem Zim- mer entzweyschlagen, oder ein andres hefti- ges Geraͤusch erregen, das sie aufwecken mußte. — kurz, er marterte sie auf alle er- sinnliche Weise und studierte darauf, sie nicht allein allein zu quaͤlen, sondern jede Qual noch mit einer Bitterkeit zu begleiten, die staͤrker als die Qual selbst schmerzte. Er nahm ihr das Kind und uͤbergab es sremden Haͤnden, wo sie es ohne die aͤngstlichste Besorgniß nicht wissen konnte, da es unter den ihrigen die beste Erziehung, den nuͤtzlichsten Unter- richt haͤtte genießen koͤnnen. Sie bat, sie flehte auf den Knieen: der Tyrann lachte. Sie fiel ihm um den Hals, sie badete sein Gesicht mit Thraͤnen, sie beschwor ihn bey der Wohlfahrt seines Kindes, bey seiner eignen Gluͤckseligkeit, sie nicht von ihrem eignen Herze zu trennen, das allzeit mit ihrem Kinde an Einem Platze wohnte. Der tuͤckische Boͤsewicht verbarg die Empfindung, die ihm eine solche Bitte wider seinen Willen aufdrang: er verließ sie, gab zwar Befehl, ihr das Kind zu uͤberliefern, wiederrief ihn aber gleich, ehe es noch gebracht wurde. Seine Launen waren gewiß die einzigen un- ter dem Himmel: er war ihr bestaͤndiges Spiel und wurde von ihnen von einer Ent- schließung zur andern herumgeworfen; ehe er eine ausfuͤhrte, riß ihn eine andere hin, so eine dritte, und nach einem weiten Zirkel F 5 kam kam er wieder auf den ersten Fleck. So gieng es ihm hier: seine Tochter blieb in den Haͤnden, denen er sie zu ihrer Verwahr- losung anvertraut hatte, und ihre Mutter eine betruͤbte, ungetroͤstete Mutter. Von allen diesen Drangseligkeiten em- pfieng ich Nachricht, so wie sie geschahen; und was denkst Du, das ich thun sollte, Freund? — Dem Henker den Kopf zerbrechen! rief Belphegor und stampfte, ihn erwuͤrgen, und mit dem ungluͤcklichen Schlachtopfer auf dem Arme davon fliehn! — Nein, Freund meines Herzens, so hastig war ich nicht: ich nahm allen empfindlich- sten Antheil an ihrem Unstern und graͤmte mich in Stillen fuͤr sie, da ich weiter nichts vermochte. Mein Kummer wollte mich toͤd- ten: die Liebe spornte mich an, die Ungluͤck- liche zu erloͤsen, aber Muthlosigkeit schraͤnkte meine Ueberlegung und meine Kraͤfte ein: ich Feiger erloͤste sie nicht. Himmel! konntest du mich nicht rufen? fuhr Belphegor hastig, wie aus einem Trau- me, empor. Der Der Derwisch sah ihn laͤchelnd an. — Ed- ler Mann! wo sollte ich dich suchen? fragte er mit gefaͤlliger Freundlichkeit. Belphegor besann sich und merkte, daß ihm die Schwaͤrmerey seiner Einbildungs- kraft den Streich gespielt hatte, ihn einen solchen Anachronismus begehen zu lassen. — Nun, so fahre fort! sprach er erroͤthend. — Bester Freund, sagte der Derwisch nach einer Pause, dieser einzige Zug macht dich mir theuer. — O haͤtte ich dich damals gekannt, haͤttest du damals mit deinem Feuer meinen erloschnen Muth wieder anzuͤnden koͤnnen, wie gluͤcklich waͤre ich gewesen! ich waͤre nicht die Speise eines heimlichen Grams geworden! — Doch das Schicksal half schnell: der Tyrann spannte seine Fol- ter so stark an, daß alle Erduldung und Ge- lassenheit zerreissen mußte. Da alle seine Erfindungskraft im Quaͤlen erschoͤpft schien, so gab ihm eine wolluͤstige Laune den tollen Gedanken ein, sie nackt sehen zu wollen. Er gebot ihr, sich auszukleiden, und vor seinem und etlicher Freunde Angesicht — wie er es nannte — à la grecque zu tanzen. Sie wiedersetzte sich, sie stritt, sie focht: um- sonst! sonst! sie wurde uͤberwaͤltigt: man riß ihr die Kleider ab, man entbloͤßte sie, und sie, die leidende Unschuldige, stand, wie die Bild- saͤule der Geduld auf einem Monumente, mit bethraͤntem Gesichte und versteinertem Blicke da, um den Hoͤhnereyen der Unsinnigen zum Ziele zu dienen. Sie gieng verwildert hin- weg und gerieth in eine Verruͤckung, von welcher sie, bis an ihren Tod, zuweilen Ruͤckfaͤlle spuͤrte. Zween Tage lang irrte sie zerstreut und ohne Besonnenheit im Hause herum, seufzte und sprach kein Wort; end- lich warf sie in einem Anfalle von Raserey in der Nacht verzweiflungsvoll alle Bande der Mutterliebe von sich, vergaß sich selbst und entfloh, ohne bemerkt zu werden. Doch bey aller Verwirrung fuͤhrte ihr das Ge- daͤchtniß mein Andenken zuruͤck: sie fuͤhlte in sich selbst, daß sie ehmals fuͤr mich em- pfunden: ihre verungluͤckte Liebe suchte in der meinigen Trost, und sie floh zu mir. In dem eutsetzlichsten Zustande der Verwil- derung, mit herumhaͤngenden Haaren, ro- then aufgeschwollnen Augenliedern, in offner flatternder Kleidung, mit bloßen Fuͤßen kam sie in dem fuͤrchterlichsten Regenwetter eines Abends Abends auf meine Stube, als ich tief fl nnig uͤber Mittel, sie zu retten, nachdachte. Sie fiel auf die Kniee, sie flehte mich um meinen Beystand an: ich erkannte sie nicht, so sehr war sie entstellt, und so wenig ließ mich die Betaͤubung des Schreckens meine Sinne ge- brauchen. Sie stuͤrmte, wie unsinnig, auf mich los; und noch kannte ich sie nicht, bis sie ihren Namen nennte, bis sie an meine Liebe mich erinnerte — da erwachte ich, aber nur wenige Augenblicke, um desto laͤn- ger mit allen meinen Kraͤften niederzusinken. Ihr Bild erschuͤtterte mich bis in das Mark; in einer todtenaͤhnlichen Fuͤhllosigkeit saß ich da: ich glaube, wir waͤren zu Monu- menten unsers eignen Kummers versteinert, wenn uns nicht mein Nachbar, der neben meiner Stube wohnte und uͤber die Stille, die so ploͤtzlich das lauteste Wehklagen un- terbrach, erstaunt war, durch seine Dazwi- schenkunft getrennt haͤtte. Er hatte Kalt- bluͤtigkeit genug, unsrer Sinnlosigkeit durch gesunde Ueberlegung zu Huͤlfe zu kommen: er schlug der ungluͤcklichen Entlaufnen einen Zufluchtsort vor, wo sie weder Mann noch Gesetze wiederfinden sollten. Es ge- Es geschah; und ich beschloß, mich von meinen laͤftigen Geschaͤften loszureißen, mein Vermoͤgen heimlich aus dem Lande zu brin- gen und mich in einer hinlaͤnglich sichern Entfernung mit ihr niederzulassen: ich waͤre nicht stark genug gewesen, ein solches Pro- jekt zu bewerkstelligen, aber mein Freund unterstuͤtzte mich. In einiger Zeit war alles vorbereitet, der Tag bestimmt, und ich eilte, meinen Anschlag ins Werk zu setzen. Ich komme in das Haus, wo ich sie abholen sollte, und wohin ich, seit ihrem Eintritte darein, nicht gehen durfte; ich finde sie vol- ler Erwartung und Zittern in den Armen eines Frauenzimmers, die vor Verwundrung oder Schrecken zusammenfuhr, als ich hin- eintrat. Meine Aufmerksamkeit war auf mein Vorhaben zu sehr geheftet, um sie mehr als sluͤchtig zu uͤbersehn: ich bot mei- ner Lucie schon die Hand, um mit ihr fort- zugehn, als mir ihre bisherige Beschuͤtzerinn die andre ergriff, und in der Sprache mei- nes Vaterlandes mir die Geschichte meines Lebens und meiner Liebe bis zu meiner Flucht aus Frankreich erzaͤhlte, und zuletzt mich fragte, ob ich mich dazu bekennen wollte. Ich Ich erstaunte, daß sie alles dies wissen konnte, und noch mehr, als ich in ihr — meine S ** fand. Guͤtiger Gott! welche Begebenheit! Zu einer Zeit sie wieder zu finden, wo mein Herz schon ganz an ein andres geknuͤpft war! Die Liebe zu ihr war zwar durch die Laͤnge der Zeit verdunkelt, aber ihr Andenken kehrte doch stark genug in mich zuruͤck, um mich in einen Streit mit mir selbst zu versetzen. Ohne Anstand sprach sie mich, da sie meine Verlegenheit gewahr wurde, von meiner ersten Verbindung frey und kam mit mir uͤberein, meine Liebe in Freundschaft zu ver- wandeln, die Alter und Zeit bey ihr von der ehemaligen Waͤrme zu einer kaͤltern Gesetzt- heit herbeygebracht haͤtten. Sie begleitete uns eine kleine Strecke; in kurzem war ich mit meiner Lucie an Ort und Stelle und gleich darauf ihr Mann. Ich hatte die Verwegenheit, in mein Va- terland nach einiger Zeit zuruͤckzugehn, mich um Gelder zu bewerben, die ich dort zuruͤck- gelassen und in den Haͤnden meiner Anver- wandten glaubte: doch wie betrog ich mich! Der Sturm der Verfolgung hatte aufgehoͤrt zu wuͤten, aber sie wuͤtete noch durch die Gesetze. Gesetze. Allenthalben fand ich noch Spu- ren der Unmenschlichkeit, allenthalben hoͤrte ich die vergangnen Graͤuel noch erzaͤhlen, bald im triumphirenden, bald im klagenden Tone. Meine Mitbruͤder, die sich noch heimlich dort aufhielten, zogen mich mit aller Muͤhe von dem Ansuchen um mein Ruͤckgelaßnes ab; aber sie konnten mich nicht zuruͤckhalten. Ich erlangte nichts und brachte mich durch meine Zudringlich- keit ins Gefaͤngniß. Meine Frau und meine beyden Toͤchter, die mir itzt das Alter und die Einsamkeit versuͤßen, befanden sich in der klaͤglichsten Lage: sie mußten sich im Verborgnen bey einem meiner gutherzigen Anverwandten aufhalten, der mit der Gri- masse ein Katholik und im Herzen der auf- richtigste Hugenott war, und mich der Will- kuͤhr einer blinden zelotischen Justiz uͤberlas- sen, oder sich entdecken und mit mir zugleich dem Aberglauben aufopfern wollte. Guͤtiger Gott! wie wir litten! wie ich in meinem Kerker seufzte! Ich war schon beynahe von mei- nem Schmerze aufgezehrt und troͤstete mich mit meinem nahen Ende, ich war schon gegen alle Vorstellungen von den kuͤnftigen Ungluͤck- Ungluͤckseligkeiten meiner Familie abgehaͤrtet, als ich ploͤtzlich die entsetzlichste Nachricht er- hielt, daß meine Frau und Kinder in dem Gefaͤngnisse neben mir schmachteten. Auf ein- mal stuͤrzten alle meine schlafenden Empfin- dungen, wie ein Donnerwetter, uͤber mich her und warfen Besonnenheit, Leben und alle Kraͤfte darnieder: ohnmaͤchtig lag ich da, und mein Waͤrter hielt mich fuͤr todt. Als ich wieder zu mir zuruͤckkam, ver- langte ich nichts so angelegentlich, als meine Familie ein einziges Mal zu umarmen und dann zu sterben: diese Guͤte war zu groß, um sie mir nicht zu verweigern: meine grausamen Richter schlugen sie nicht allein ab, sondern setzten sogar die grausame Be- dingung hinzu, daß ich, um sie nur zu sehn, um nicht sie und mich auf ewig den Ketten zu uͤberliefern, in vier und zwanzig Stun- den das Bekenntniß meiner Vaͤter abschwoͤ- ren und in den Schoos der Kirche, dieser verfolgenden Kirche, als in den Schoos einer Mutter zuruͤckgehn muͤßte. Alles setzte mir zu, eine Heucheley zu begehn, um einer Grausamkeit auszuweichen. Ich uͤberlegte G und und uͤberlegte, kaͤmpfte und stritt mit mir selbst. — Guͤtiger Gott! rief ich endlich und sank auf meine Kniee, konntest du den Menschen so schaffen, daß nothwendig einer mit dem andern nicht gleichfoͤrmig denken mußte, und daß doch gleichwohl jeder sich fuͤr den einzigen Besitzer der Wahrheit hielt, konntest du zulassen, daß einer den andern zu seiner Meynung zwingen wollte; warum solltest du es mir als ein Verbrechen anrech- nen, wenn ich den Gesetzen deiner Einrich- tung folge, wenn ich, der Schwaͤchre, dem Staͤrkern mich unterwerfe und in die Anord- nung fuͤge, die von Ewigkeit her in deiner Welt geherrscht hat — daß der Schwaͤchre Unrecht behielt, thun und selbst glauben mußte, was der Staͤrkre zu glauben gebot. Glauben kann ich nicht: aber um drey Menschen aus einem martervollen Leben zu erloͤsen, um sie nicht ewig in Banden seufzen zu lassen, um sie der Gluͤckseligkeit faͤhiger zu machen, wozu du doch jedes Geschoͤpf auf diese Erde, nach unsrer aller Gefuͤhle, gesetzt haben willst — kann ich nicht um solcher edlen Endzwecke willen, die dein eig- ner Wille seyn und deine Billigung haben muͤssen, muͤssen, den Staͤrkern ohne Suͤnde betriegen, thun als wenn ich das Joch seiner Meynung annaͤhme, und bleiben, was ich meiner Ein- sicht nach seyn muß? Nach den naͤmlichen Gesetzen der Natur, die meine Seele befolgt, wenn sie meine Meynung fuͤr wahr erkennt, handelt auch die seinige, wenn sie der ihri- gen anhaͤngt: du hast uns einmal so ange- legt, daß unser Glaube von erlernten Vor- urtheilen, Leidenschaften, unmerkbaren Nei- gungen und Trieben, wie eine Marionette, regiert werden soll, was kann ich dafuͤr, daß mich die meinigen zur Linken ziehn, und meine Feinde zur Rechten? Noch mehr! was kann ich dafuͤr, daß meine Gegner die Staͤrke haben, mich nach ihrer Rich- tung hinzureissen oder zu wuͤrgen? — Ich schwoͤre: wer von uns beyden Recht hat, weißt du nur, du Richter der Welt: du willst es nicht unmittelbar entscheiden; ich bleibe also bey der Wahrheit, die mir die Nothwendigkeit des Schicksals als Wahrheit aufgedrungen hat, und entsage ihr mit dem Munde, weil ebendieselbe Nothwendigkeit der Staͤrkern mich dazu zwingen laͤßt. Wohl! mein Meineid muß das edelste Werk G 2 seyn; seyn; denn es rettet drey zur Gluͤckseligkeit bestimmte Geschoͤpfe vom Elende. — Und du schwurst? fragte Belphegor. — Ja, ich that es! und mein Gewissen hat mir noch nie einen Vorwurf daruͤber ge- macht: ich glaube, ich that die nuͤtzlichste, die beste That. Sie machte mich und meine Familie frey, sie brachte uns der Moͤglich- keit, nicht ungluͤcklich zu seyn, naͤher: was konnte ich mehr? — daß meine Absicht nicht erreicht wurde, daß wir einem Un- gluͤcke entgiengen, um in ein andres zu fal- len, war das meine Schuld? Und, guter Mann, noch kamst du nicht zur Ruhe? unterbrach ihn Belphegor. — Nein, ich wurde herumgetrieben. Der Glaube der Europaͤer war damals in einer allgemeinen Gaͤhrung: niemand glaubte als was er mußte, und wenige glaubten, was sie bekannten. Nirgends konnte man neu- tral seyn: allenthalben wurde man in den Krieg verwickelt. Meine Melancholie er- neuerte sich: die duͤstre Vorstellung, daß ich, ein Geschoͤpf, das sich dem Engel gleich duͤnkte, nicht die Gluͤckseligkeit des niedrig- sten Insekts genießen sollte, daß meine Bruͤ- der der um mich herum sich zerfleischten, erwuͤrg- ten, elend machten, daß sie, wie Raubthiere, einander aufrieben, eins der entschloßne Feind des andern war und nur Gelegenhei- ten, untriftige Gelegenheiten ablauerte, um die Feindschaft in Thaͤtlichkeit ausbrechen zu lassen — die noch schwaͤrzere Vorstel- lung, daß dies der ewige Lauf der Mensch- heit gewesen war, womit sich tausend andre Ideen vergesellschafteten, die mir dieses Leben und unsern ganzen Planeten wild, oͤde, duͤster, neblicht abmalten — ein Ge- maͤlde, das nicht bloß in meiner Einbil- dungskraft wohnte, sondern das ich in der Wirklichkeit um mich, hinter und vor mir erblickte, so bald ich nur Einen Blick aus mir selbst that! — alle diese melancholi- schen Gedanken machten meine laͤngstgefaßte Neigung zur Einsamkeit wirksam: ich be- schloß, außer der Welt zu seyn, bloß in meiner Einbildungskraft zu existiren, fuͤr mich und meine Familie zu leben. Ich un- ternahm mit einem Kaufmanne, der Ge- schaͤfte in Persien hatte, die Reise, suchte den abgelegensten Winkel und suchte so lange, bis ich diesen Plaz fand, wo mein G 3 Haupt Haupt grau geworden und meine Schlaͤfe eingesunken sind. Mein Gefaͤhrte war un- gluͤcklich in seinen Geschaͤften, wurde gepluͤn- dert, entfloh mit Muͤhe den Haͤnden der Barbaren, die ihn zerstuͤcken wollten, fluchte der Welt und begab sich mit zween seiner Gefaͤhrten zu meiner Gesellschaft. Wir haben diesen Platz angebauet, bepflanzt, wir haben uns in kleine Gesellschaften getheilt; wir haben gluͤcklich, ruhig und im Frieden zusammen gelebt, weil wir klein an Anzahl und unsre Nahrung hinreichend war: aber fuͤrchterliche Aussicht, wenn dieser kleine Trupp zu einer Groͤße anwachsen sollte, die den Eigennutz anfachen und die schoͤne Ruhe dieses Winkels in eine kriegerische Scene verwandeln wuͤrde! Aber vielleicht sehe ich noch selbst den Tod diesen ganzen Schau- platz leer machen, und dann moͤge ein an- drer tugendhafter Trupp ihn finden und be- wohnen, aber nie zu einem Volke werden! — Freund! ich habe es dahin gebracht, wohin ich wuͤnschte: ich habe mir in meinem Kopfe den Menschen zu den Vollkommenheiten eines hoͤhern Geistes erhoben, ich ließ ihn in dieser gluͤcklichen Illusion mit den Ge- schoͤpfen schoͤpfen der hoͤchsten Ordnung wetteifern, ich liebte diese Idee, ward stolz darauf und war — gluͤcklich. Um in dieser Welt sich zu freuen, daß man ein Mensch ist, um sich und seinem Geschlechte Wuͤrde zu geben, um auf seine Natur stolz zu seyn, muß man sich illudiren: man muß die Augen ver- schließen, keinen Blick außer sich thun, und dann in suͤßen Schwaͤrmereyen dahintraͤu- men. Itzt, da meine ganze Seele von ih- rer Hoͤhe und anschauenden Kraft herunter- gesunken ist, itzt will sie nicht mehr traͤumen: aber wohl mir! ich werde bald zu einem an- dern Traume hinuͤberschlummern. — O edler Mann! unterbrach ihn Belphe- gor; ich habe ebenfalls in deinem Traume gelegen, aber das Schicksal und Akante verscheuchten ihn; und seitdem habe ich ge- sehen! gesehen und gelitten! Ich mischte mich in das Gedraͤnge und — „Und du bekamst Wunden und Beulen an „Ehre, Vermoͤgen und gutem Namen!‟ Noch mehr! kein Fleck ist an meinem Koͤrper, den nicht eine Narbe brandmarkt! und wenn ich aus dem Getuͤmmel zur Stille kam, so verwundeten die graͤßlichsten Vorstellun- G 4 gen gen meine Seele: die Welt sollte mir eine friedliche Wohnung gluͤcklicher Kreaturen seyn, und die Erfahrung stellte sie mir als eine Hoͤle auflauernder Raͤuber vor: in dem Menschen wollte ich einen guten freundli- chen Bruder finden, und ich fand einen eigennuͤtzigen habsuͤchtigen Wolf. — „Lieber Fremdling! wenn du mit dem bloßen innern Geistesauge die Erde uͤber- siehst, so findest du ein gewisses Leere, ein gewisses Geistliche darinne, daß dir ekelt, daß du sie ein fades Werk nennen mußt; gleichwohl ist es dein Beruf auf ihr zu leben. Um das zu koͤnnen, finde ich nur zween Wege: entweder stuͤrze dich in das Gewirre, das Getuͤmmel der Freuden, der Geschaͤfte, des allgemeinen Streites des Eigennutzes, ficht, siege oder stirb! Laß dich in dem Wir- bel des Taumels herumdrehen, ohne zu den- ken, ohne anders als uͤber die Oberflaͤche der Dinge zu reflektiren: zum ruhigen stillen Anschauen der Sachen, zum Eindringen in sie laß es nie kommen! Lebe, wie die mei- sten Einwohner der Welt leben, das heißt, komme nie zu dem Grade des Nachdenkens, wo du mehr als einen kleinen Zirkel der Welt uͤber- uͤberschaust, siehe nicht uͤber dich und deinen Nutzen hinweg! Sey ein menschliches Thier, kein menschlicher Geist! — Oder waͤhle den andern Weg: reisse dich von allen Banden loß, die dich an die Menschen fesseln, existire nur in deiner Seele, vergrabe dich in ruhige einsame Stille! und dann alle Fittige deiner Einbildungskraft und Empfindung angespannt! laß sie fliegen so hoch sie die Luft traͤgt, bis zum Aether! uͤberlaß dich ganz den suͤßesten Illusio- nen, Unter Illusion versteht der gute Alte wahr- scheinlicher Weise die Meynungen, die nicht mit einer solchen Strenge bewiesen werden koͤnnen, daß gar kein Zweifel mehr uͤbrig bleibt, sondern wo im Grunde allemal der ausschlagende Grad Ueberzeugung zugenom- men , und nicht durch die Beweise allein ge- wirkt wird; und in diesem Falle waͤre im Grunde die ganze Philosophie Illusion. Alle Meynungen, die jemals von Philosophen er- dacht sind, oder kuͤnftig erdacht werden, sind nichts als verschiedene Vorstellungsarten von den Dingen: die Dinge selbst kennt niemand: z. B. den Lauf der Welt stellen sich einige als die die die Menschheit ersinnen mag, G 5 dem dem Glauben an Vorsicht, Unsterblichkeit und Erhabenheit der Seele: setze deine Natur und also auch dich selbst auf die hoͤchste Staffel der Wesen, ruͤcke sie der Gottheit nahe: weide dich an diesen Schauspielen der Ima- gination und der Empfindung: sey mehr Geist als Thier, lebe mehr in der Idee als in der Wirklichkeit und kenne nichts auf der die Wirkung eines blinden Zufalls, andre als die Folge einer festgeketteten Nothwendigkeit, eines Fatums, andre als die abgezweckte An- ordnung einer nach Plan und Absicht handeln- den Vorsicht vor: jede unter diesen Vorstel- lungsarten hat Gruͤnde fuͤr sich, aber keine so viele, daß sie die Beweise der uͤbrigen und alle Zweifel ganz vernichtete: es sind Verstellun- gen von dem Laufe der Welt, aus verschiede- nen Gesichtspunkten genommen: wer nun un- ter diesen eine fuͤr die einzige wahre haͤlt, der setzt dem Gewichte ihrer Gruͤnde etwas wissentlich oder unwissentlich hinzu — wel- ches meistentheils unsre Leidenschaften und Ideen ohne unser Bewußtseyn thun — und illudirt sich, in so fern dieses zur Ueberzeu- gung ausschlagende Etwas nicht die reine Wirkung ist. Glauben kann man in dieser Welt nie ohne Illusion. der Erde außer dir! — Einer von beyden Wegen muß dich zur Gluͤckseligkeit fuͤhren: du mußt entweder mit der Welt rasen, oder dich von ihr trennen! Der denkende Mann, mit starkempfindendem Herze, der nur zu- weilen sich in ihr Spiel mischt und nur sel- ten eine Karte zugiebt, der verliert allzeit an seiner Ruhe, besonders wenn er jedesmal den Fuß zuruͤckzieht und nachdenkt und ver- gleicht und erwaͤgt. — Ich betrat den zweyten Pfad: dich stieß das Schicksal auf den ersten, aber du verließest ihn, wie ich merke, du irrtest von einem zum andern, du wolltest rasen und auch vernuͤnftig seyn; und siehe! die Stunden der Vernunst, des Nachdenkens wurden fuͤr dich Stunden der Angst, der Beunruhigung.„ — Weiser, ehrwuͤrdiger Mann! rief Belphe- gor entflammt, fuͤhre mich auf den Weg meiner ersten Jugend zuruͤck, in die Gefilde der Einbildung, in welchen du bisher ge- wandelt hast! Ich bleibe bey dir: ich baue statt deiner das Feld und erarbeite meine und deine Nahrung: wenn der Abend mir den Schweis abkuͤhlt, dann sitze ich mit dir unter dem Schatten dieser Zypressen und schwaͤrme schwaͤrme mit dir in bilderreichem Nachden- ken und suͤßen Grillen herum; wir traͤumen wachend uͤber unser Selbst, du lehrst mich deine alte Erfahrung, wir leben in uns, mit uns, und denken nicht Eine Minute dar- an, ob Kreaturen, die sich mit uns zu Ei- ner Art rechnen, außer unsern Bergen ein- ander zerfleischen, wuͤrgen, braten, roͤsten, essen. Wehe euch, ihr Freunde, daß ihr noch auf der ofnen See der Welt herumge- worfen werdet, noch nicht wenigstens eine kleine Bucht gefunden habt, die euch vor den Gefahren sicherte, wenn ihr gleich das tolle Spiel der Welt mit ansehn muͤßtet. — O wuͤßtet ihr, welchen Hafen ich hier ent- deckt habe, der mich vor Stuͤrmen, selbst vor dem Anblicke der Stuͤrme verbirgt, wie wuͤrdet ihr uͤber mein Gluͤck frohlocken und eilen, es mit zugenießen! Kommt, kommt! Meine Arme sind offen, weit ausgebreitet, euch zu empfangen! Hier wollen wir in seli- ger Entzuͤckung, wie gekroͤnte Streiter, die Wunden zaͤhlen, die wir erfochten haben. — Die Freude riß ihn so heftig hin, daß er den Alten umarmte, kuͤßte und nicht aus seinen Armen lassen wollte. Mitten unter diesen diesen Freudensbezeugungen hub sich der Alte empor und sprach mit ernster Mine: Freund, noch eine Pflicht ist mir uͤbrig — eine traurige aber doch suͤße Pflicht: begleite mich! Du kanst empfinden; Du wirst also kein uͤberfluͤßiger, kein muͤßiger Zeuge davon seyn. — Belphegor staunte voller Erwartung, als die beiden Toͤchter den Alten unter die Arme faßten und ihn seitwaͤrts durch einen ge- kruͤmmten Weg in ein dunkles Zypressenwaͤld- chen fuͤhrten, das jedem, der hineintrat, einen heiligen Schauer entgegen sandte: durch die Spitzen der Baͤume fiel duͤstrer Mond- schein auf den Weg und auf einzelne Plaͤtze zwischen den Baͤumen, wo ihn eine zufaͤllige Oeffnung durchließ: Stille herrschte uͤberall und weit sahe das Auge in eine langgedehnte Duͤsternheit hinab, die aber der Blick mehr vermuthen als sehen ließ. Der Greis gieng stillschweigend fort bis zu einem Steine, wo er sich seufzend niedersetzte und mit einem Tone, der Thraͤnen vermuthen ließ, zu Bel- phegorn sprach: Itzt, Freund, will ich Dir ihre Geschichte erzaͤhlen, dann troͤpfle ein Paar Thraͤnen auf diesen Stein! und wir gehn. gehn. — Eines Morgens kurz nach unsrer Ankunft in diesem Thale, als die frischeste Heiterkeit die ganze Natur belebte, saß ich, meine Lucie im Arme, auf diesem Stein und freute mich mit ihr uͤber die Ruhe, die wir genossen, und die Drangsale, denen wir ent- gangen waren, und waren so zufrieden und liebten uns in der gluͤcklichsten Trunkenheit und Vergessenheit unsrer selbst; wir dachten auf den Plan, wie wir unser kleines Feld bepflanzen, und diesem freygebigen Boden unsre nothduͤrftige Nahrung abgewinnen wollten. — Siehe! rief sie und wies auf ein bluͤhendes Gewaͤchs, das zwischen den Baͤumen stund, auch dieses muͤssen wir pflanzen; es lacht so lieblich; wer weis, welche heilsame Kraͤfte es in sich verbirgt? Laß uns versuchen! So sprach sie und langte darnach. Nein, sagte ich und hielt sie zu- ruͤck, laß mich lieber zuerst sehn; waͤre es Gift, es koͤnnte dich toͤdten. Wie koͤnnte, erwiederte sie, unter einem so einladenden Blicke toͤdtendes Gift verborgen seyn? ich pflanze es um unser Haus, waͤre es auch nur um seiner reizenden Bluͤthe willen. — Sie pfluͤckte einen Zweig ab, kostete die Frucht Frucht der herabhaͤngenden Schote und fand ihren Geschmack weniger schoͤn als die Mine, aber doch nicht uͤbel. Sie kostete noch ein- mal, und dann wieder, gab mir davon, ich konnte aber nichts genießen. Ich bat noch- mals, die Frucht wegzuwerfen; allein sie fand den Geschmack suͤßer und angenehmer, je mehr sie genoß. Wir beschlossen, die Pflanze zu versetzen, sprachen und ergoͤtzten uns an kuͤnftigen Einrichtungen noch lange Zeit. Ploͤzlich verstummte sie, entsank sich windend meinem Arme, ich faßte sie auf, rief; umsonst! alle Glieder zitterten mit kon- vulsivischer Bewegung, die Muskeln des Ge- sichts verzerrten sich in schreckliche Minen, sie schluchzte noch einige unvernehmliche Worte, starrte dahin und — starb. Er verstummte, und die Geschichte selbst lehre den Leser seine Empfindung. — Mitten in der Nacht als die ganze kleine Kolonie in dem tiefsten sorgenlosesten Schlafe lag — denn vor welchem Eigennutze sollten sie in der abgesondersten Einsamkeit sich fuͤrchten? — weckte Belphegorn ploͤzlich ein Getoͤse, das immer mehr sich verstaͤrckte, und naͤher ruͤckte: er hob sich empor und wurde wurde von einem Widerscheine erhellet, der die schrecklichste Feuersbrunst ankuͤndigte. Er sprang auf, schaute herum und erblickte Wohnungen und Baͤume vom Feuer ergrif- sen, uud zahlreiche Truppe mit lodernden Harzfackeln uͤber die Ebnen hinstreichen, um die Verwuͤstung noch weiter auszubreiten. Er erschrak, wollte seinen Freund retten, wurde inne, daß seine Huͤtte beinahe schon niedergebrannt war, vermuthete, daß er das Opfer der Flammen geworden sey, dachte an sich und floh. Der Ueberfall geschah von einem Truppe Einwohner, die jenseits der Berge zunaͤchst angraͤnzten. Die Ruchlosen vermutheten, daß Niemand einen so beschwerlichen Weg, wie Belphegor, unternehmen koͤnne, wenn ihn nicht wichtige Reichthuͤmer lockten: da ihnen der Mann etwas auslaͤndisch vorkam, so war der naͤchste Einfall, ihn fuͤr einen Zauberer zu erklaͤren, der durch geheime Wissenschaften in den Bergen verschloßne Schaͤtze in der Ferne gespuͤrt habe und itzt gekommen sey, sie abzuholen. Aus dieser Ursache versammelten sie sich sogleich als der vermeynte Schatzgraͤber seinen Weg in das Gebuͤr- Gebuͤrge antrat, folgten ihm heimlich nach und beschlossen, seine Ruͤckkunft mit den Schaͤtzen zu erwarten: da ihnen aber einfiel, daß der Mann, als ein Zauberer, wohl seine Ruͤckreise auf gefluͤgelten Drachen oder mit einer andern Art von Hexentransporte veranstalten koͤnnte, so aͤnderten sie weislich den Plan und faßten den Schluß, ihn noch die naͤmliche Nacht mit Feuer, als den si- chern Waffen wider alle Zauberey anzugrei- fen, wiewohl sie auch noch die menschen- freundliche Nebenabsicht hatten, ihn vermit- telst desselben aus seiner Wohnung hervorzu- scheuchen, sich die Schaͤtze zeigen zu lassen, und ihm alsdann zur Belohnung die ver- dammten Zaubergebeine zu Asche zu verbren- nen. Noch mehr wurden sie in ihrer Mey- nung bestaͤrkt, da der zuruͤckkommende Weg- weiser ihnen das empfangne Geld zeigte und, um seine Erzaͤhlung interessanter zu machen, hinzusetzte, daß ihm dieses der Mann durch einen Schlag mit seinem Stabe aus der Er- de habe hervorspringen lassen. Jedermann brannte vor Verlangen auf diese Nachricht und sahe schon aus jedem Flecke, worauf er trat, Silber und Edelgesteine hervormar- H schiren, schiren, besichtigte jedes besondere Stein- chen und vermuthete unter jedem abgefallnen Blatte eine verdeckte Kosibarkeit. Sie war- teten in einem Hinterhalte, bis der Zauberer schlafen wuͤrde, wo seine Kraͤfte nicht wir- ken koͤnnten, und fuͤhrten ihr schreckliches Stratagem aus. Sie zuͤndeten die Huͤtten des Derwisches an, der wegen langer Si- cherheit ungewohnt worden war, Feindse- lichkeiten von Menschen zu besorgen, und mit seinen Toͤchtern verbrannte, ehe sie ihr trauriges Schicksal wahrnahmen. Belphe- gor erwachte, ehe das Feuer seine Wohnung verheerte und entrann in den nahen Wald, indessen daß die Feinde an der brennenden Huͤtte des Derwisches und den uͤbrigen lauer- ten, um den herauskommenden Zauberer zu erhaschen: sie lauerten, bis alles niederge- brannt war, sie lauerten bis zum Morgen: der Zauberer erschien nicht, weswegen sie vermutheten, daß er durch die Luͤfte ent- wischt sey, und da sie sich nicht getrauten, ihm auf diesem Wege nachzusetzen, so ver- fluchten sie ihn, giengen unwillig fort, mach- ten eine Eintheilung von den Schaͤtzen, die sie haͤtten bekommen koͤnnen, und pruͤgel- ten sich tapfer herum, wenn einer zu hab- suͤchti- suͤchtige Anspruͤche machte: so nahm die Ko- moͤdie doch wenigstens ein wuͤrdiges Ende. — So sind meine schoͤnen Hoffnungen aber- mals zerstaͤubt? rief Belphegor, als er sich ein wenig gesammelt hatte. Ich wollte erst anfangen zu traͤumen, und habe schon aus- getraͤumt! daß doch jede Gluͤckseligkeit auf diesem elenden Planeten voruͤberfliegender Traum ist, und nur die Leiden nicht! — So will ich wenigstens die Umstaͤnde brau- chen, wie sie sind: kann ich in diesem Win- kel nicht mit meinem ehrwuͤrdigen Freunde gluͤcklich leben, so will ichs ohne ihn thun. Hier in diesen Bergen will ich wohnen, die Fruͤchte der verscheuchten und getoͤdteten Be- wohner genießen, und dann Tod! dann in deiner Umarmung gluͤcklich werden! — So beschlossen, so gethan. Er schlich schuͤch- tern zu den Wohnplaͤtzen zuruͤck, fand alles verheert, verwuͤstet, verbrannt und keine lebendige Seele. Die wenigen Fruͤchte, die er antraf, reichten auf einige Tage hin, und so eifrig er die Huͤlfe des Todes vorhin wuͤnschte, so bekuͤmmert war er itzt, da ihr Termin so nahe herbeyruͤckte. Er machte schon verschiedene Anschlaͤge, wie er sich mit H 2 dem dem vorhandnen Vorrathe beladen und aus den Gebuͤrgen hinausbringen sollte. — Al- lein, sprach er endlich unmuthsvoll, ob mich der Hunger oder die Menschen toͤdten! Sollte ich ihrer Grausamkeit gar den Gefal- len erzeigen und mich von ihnen umbringen lassen? Nein, hier sterbe ich! Hier, Tod, erwarte ich deinen huͤlfreichen Schlag! — Mit dieser Entschließung setzte er sich un- ter einen Baum und wartete voller Verlan- gen auf den Tod. Mitten unter seinen Erwartungen hoͤrte er das Geraͤusche eines Fußtrittes, hielt es fuͤr einen Feind, und weil er schlechterdings nicht von Men- schenhaͤnden umgebracht seyn wollte, so sprang er auf und floh. Der andre sezte ihm nach und erhaschte ihn: in der ersten Hitze, ehe sie einander erkannten, thaten sie sich ein Paar Feindseligkeiten an, und wur- den endlich zu ihrem Leidwesen gewahr, daß sie sich unnoͤthige Wunden gemacht hatten. Es war einer von der Kolonie des Derwi- sches, der Belphegorn bey diesem gesehn hatte und also wohl schließen konnte, daß ihn Eine Ursache mit ihm in die Flucht ge- trieben habe. Sie verstaͤndigten sich hier. uͤber, uͤber, und Belphegors erste Frage war als- dann, wo der Derwisch hingekommen sey. Er ist nebst seinen beiden Toͤchtern zu Pul- ver verbrannt, war die Antwort. Ich ha- be in den Ruinen seiner Wohnung ihre Ge- beine gefunden, gesammelt und dort unter jenem frischen Erdhuͤgel verscharrt. — So verscharre mich neben ihm! unter- brach ihn Belphegor; denn ich will sterben, hier auf diesem Flecke sterben. — Der andere that etliche unmaßgebliche Vorschlaͤge, wie sie wohl mit Ehren beide noch laͤnger leben koͤnnten, und ermahnte in dieser Ruͤcksicht Belphegorn, mit ihm sich durch das Gebuͤrge durchzuarbeiten, franzoͤ- sische Kaufleute aufzusuchen und dann nach Frankreich zuruͤckzukehren. Nein, ich will sterben! rief Belphegor. In Frankreich sind Menschen; wo die sind, ist man ungluͤcklich: ich will sterben. — Sein Freund sezte ihm mit seiner ganzen Beredsamkeit zu, weil ihm daran lag, einen Gefaͤhrten zu seiner Reise zu haben, und brachte es endlich so weit, daß er wenig- stens seine Vorschlaͤge in Erwaͤgung zog. — Wir wollen als Gaukler, als Leute, die H 3 Merk- Merkwuͤrdigkeiten zeigen, herumziehn, bis wir in eine Stadt kommen, wo uns die Zu- flucht zu einem Konsul meiner Nation offen steht: — das war sein Vorschlag. — Bel- phegor weigerte sich, wollte sterben, willigte drein und blieb leben. Sie versorgten sich mit allem, was sie tragen konnten, traten den Weg an und Belphegor sandte einen schwermuͤthigen Seuf- zer in das verwuͤstete Thal zuruͤck, als sie in den Wald hineintraten, um es nie wie- der zu erblicken. Sie sanuen nunmehr auf Projekte, wie sie die Neugierde der Perser reizen und ihnen fuͤr eine kleine Belustigung den Unterhalt abgewinnen koͤnnten. Nachdem vieles Nach- denken verschwendet war, so brachte Bel- phegorn ein Einfall darauf, die Geschichte Alexanders des Großen nach seinem Tode zu malen, und sie als ein den Persern hoͤchst interressantes Schauspiel fuͤr Geld zu zeigen: — versteht sich, daß die Vorstellung nicht zum Vortheile des Macedoniers ausfallen sollte. Belphegor war nun einmal geschworner Feind der Eroberer und aller, die jemals zum zum Wuͤrgen und Morden Anlaß gegeben hatten: weil er bestaͤndig wider sie zuͤrnte, so wollte er schon vor vielen Jahren in einer unwilligen Laune, sie insgesammt der oͤffent- lichen Verachtung aussetzen, doch gluͤckli- cher Weise hatte er die Idee aufgehoben, um izt sein Brod damit zu verdienen. Die Komposition des Gemaͤldes war er- funden, und man schritt zur Ausfuͤhrung; aber zur groͤßten Bestuͤrzung wurde man ge- wahr, daß man zum Malen Leinwand und Farbe brauche und doch kein Geld bey der Hand habe, um diese Materialien anzukau- fen. Belphegors Gefaͤhrte wußte Rath zu schaffen: er schlich des Abends in ein klei- nes Dorf, kam zuruͤck und uͤberbrachte sei- nem Gefaͤhrten, so viel er fuͤr noͤthig erach- tete, was er aller Wahrscheinlichkeit gemaͤß gestohlen haben mußte: es wurden Farben aus Wurzeln gepreßt, aus Erden zuberei- tet, die Leinwand aufgespannt, das Palet ergriffen und das Ganze meisterlich ausge- fuͤhrt. Belphegor konnte etwas zeichnen und sein Gefaͤhrte hatte es ehemals gekonnt: dieser wenigen Talente ungeachtet, brachten sie doch ein Werk zu Stande, dem man we- H 4 nigstens nigstens mit Huͤlfe einer deutlichen Erklaͤ- rung ansehn konnte, was der Kuͤnstler aus- zudruͤcken gemeynt gewesen war. Dies Mei- sterstuͤck der Kunst wurde auf Stangen zu- sammengerollt getragen und jedem neugieri- gen Auge zur Ansicht geoͤfnet, sobald dafuͤr etwas bezahlt war. Ein neues Hinderniß! Beide waren nicht stark genug in der Landessprache, um ihr Gemaͤlde mit der gehoͤrigen Fluͤchtigkeit der Zunge redend zu machen: und gleichwohl war eine woͤrtliche Erklaͤrung mehr als Licht und Schatten in ihrem Werke. Sie mach- ten indessen einen Versuch. Belphegor er- zaͤhlte in dem naͤchsten Dorfe den erstaunen- den Zuhoͤrern mit lauter Stimme von dem Wuͤtrich, dem bekannten Alexander, der ganz Persien bezwungen, und versprach ih- nen zu zeigen, wie dieser Erzfeind des per- fischen Namens nach seinem Tode zur ver- dienten Strafe gezogen, wie sein Koͤrper zer- stuͤckt und in die niedrigsten Gestalten ver- wandelt worden, und wie er zulezt mit sei- nem uͤbermuͤthigen Stolze sey gebraucht wor- den, um ein Mausloͤchlein zuzustopfen u. s. f. Nie- Niemand wußte etwas von diesem Blut- hunde, dem Alexander: den Ali kennen wir wohl, sagten die Anwesenden, welcher hoch- gelobt und gepreist sey. Andre glaubten, daß er den Ali laͤstern und von ihm so schaͤnd- liche Aergerlichkeiten erzaͤhlen wolle. Diese machten dem Schauspiele ein ploͤzliches En- de, huben Steine auf und bombardirten auf Gemaͤlde und Kuͤnstler los, daß beide nicht ohne Loͤcher davon kamen: sie ergriffen die Flucht und besserten, als sie sich in Si- cherheit sahen, Tapete und Malerey wieder aus. Die Leute sind hier zu devot, sagte Bel- phegor. Freylich muß man Plaͤtze suchen, wo schon ein gewisser Luxus herrscht, und wo die Menschen nicht mit ihren Beduͤrfnis- sen zu sehr beschaͤftigt sind, um am Verguuͤ- gen Geschmack zu finden. Dummheit und Devotion muͤssen Leute, die fuͤr den Ge- schmack und die Philosophie arbeiten, wie das Feuer vermeiden. Sie giengen in eine kleine Stadt, aber auch hier wußte niemand etwas von dem großen Alexander, doch sah man, um das Beduͤrfniß der Langeweile zu befriedigen, H 5 die die wunderbaren Schicksale des todten Halb- gottes auf der Leinwand an. Sie schauten also erstlich: wie dem seynwollenden Halb- gott Alexander und großen Menschenwuͤrger die Wuͤrmer aufm Leib herummarschiren und jedes sein Portionlein abzwackt. — Ferner schauten sie: wie von dem großen Alexander und Erzfeind der Perser ein Theil in den Magen eines Schweins uͤbergeht. — Die Idee, sieht man wohl, war sehr moralisch, und Belphegor bedeutete sein Auditorium dabey, daß die Theilchen Materie, die ehe- mals den Alexander ausmachten, als er Per- sien schaͤndlicher Weise bekriegte, nach sei- nem Tode zerflogen und verschiedenen Men- schen, Pflanzen und Thieren zu Theil ge- worden waͤren. Er ließ daher seinen Hel- den unter einer Eiche begraben liegen, seine Bestandtheile in den Baum aufsteigen und zu Eicheln werden, dann unter dieser Ge- stalt in den Magen einer Sau hinunterstei- gen, von dieser seinen Ausgang nehmen, einen Fleck duͤngen, zu Flachse aufwachsen und in dieser Form von einem alten babylo- nischen Weibe gebraucht werden, um ein Maͤuseloch zu verstopfen. Auf aͤhnliche Weise Weise mußte ein andrer Trupp von seinen Bestandtheilen eine Reise thun, so ein drit- ter und noch mehrere, und jede Reise endigte sich mit einer hoͤchstunangenehmen Herber- ge. — So viel sinnreiches und wahres die Erfindung auch enthielt, so konnten die Ein- wohner doch nicht viel Belustigung daran finden, weil sie nichts davon begriffen; be- sonders wollten sie nichts mit dem Alexan- der zu thun haben, der nie einem unter ihnen den Kopf entzwey geschlagen hatte, und ih- nen also auch nicht bekannt war: der Ge- winnst war ungemein geringe. Sie machten einen dritten Versuch in einer groͤßern Stadt: abermals Unwissen- heit! keine Seele wußte nur Eine Sylbe vom Alexander; man konnte ihn nicht ein- mal aussprechen. Sie stellten sich auf einen Marktplatz, wo das Volk sich um einen Gau- kler aufmerksam versammelt hatte, den es aber sogleich haufenweise um der Neuheit willen verließ, als die beyden Europaͤer ihre Stangen hoch in die Luft aufrichteten. Man wurde durch den Anblick der Gemaͤlde nicht sonderlich ergoͤtzt, man gaͤhnte: indes- sen hatte der Gaukler es doch einmal uͤbel genom- genommen, daß er durch die Ankunft dieser Leute einen Verlust an Zuschauern erlitte; er hoͤrte also kaum die erste Sylbe von dem Namen des Alexanders, als er, um sich zu raͤchen, unter die Menge das Geruͤchte aus- streute, daß diese Ruchlosen den großen Pro- pheten Ali verspotten und laͤcherlich machen wollten: das Volk, das ohnehin wegen sei- ner betrognen Erwartung wider die Euro- paͤer eingenommen war, fieng bald Feuer, gab eine Salve Steine und Knittel auf die Gemaͤlde, stuͤrmte darauf loß, eroberte und vernichtete es unter dem lautesten Jubel. Ein Gluͤck war es, daß der Poͤbel Gelegen- heit fand, seine Wuth an der fuͤhllosen Lein- wand zu saͤttigen: denn waͤhrend dieser Ra- serey erwischten die beyden Europaͤer eine Oeffnung in dem Gedraͤnge, durch welche sie wohlbedaͤchtig hindurchkrochen und mit leidlich heilen Gliedmaßen zum ersten Thore hinausliefen. O Wohnung des Neides und des Un- gluͤcks! rief Belphegor; haͤßliche Erde! Auch in dem niedrigsten Gewerbe ist Krieg! findet sich Gelegenheit fuͤr Menschen, einan- der mißguͤnstig zu verfolgen! O Erde, du Woh- Wohnung des Neides! — Freund! was sollen wir nun thun? — Betteln! sagte der Gefaͤhrte seines Ungluͤcks. Betteln! schrie Belphegor und seufzte. — Nicht anders! Weg mit dem Stolze! Unverschaͤmtheit her! das ist itzt unsre noth- wendigste Brustwehr. Belphegor stieß einen Valetseufzer an den Stolz aus, ließ sich von seinem Freunde die Haare abschneiden und wanderte mit ihm auf gutes Gluͤck hin. Die Lebensart war nicht wenig eintraͤg- lich fuͤr sie: doch fuͤr Belphegorn weniger als seinen Gefaͤhrten, weil dieser die Kunst der Unverschaͤmtheit besser inne hatte. Bel- phegor troͤstete sich damit, daß er sein schlech- teres Fortkommen einer hoͤhern natuͤrlichen Wuͤrde zuschrieb, und sein gesicherter Stolz hielt den Neid zuruͤck. Ploͤtzlich wandte sich durch einen Zufall das Gluͤck. Der zuruͤck- gesetzte Belphegor gerieth auf den Einfall, das Frauenzimmer zu seiner Goldmine zu machen, und bediente sich dabey der bekann- ten Wuͤnschelruthe — der Schmeicheley: jeder, die er ansichtig wurde, sagte er eine Suͤßig- Suͤßigkeit — je haͤßlicher sie war, je staͤr- ker gab er die Dosis — und er lebte im Ueberflusse. Sein Gefaͤhrte war schon zu sehr gewohnt, einen Vorzug vor ihm zu ha- ben, als daß er sich itzt so ruhig von ihm uͤberholen lassen sollte: es kam ihm als ein Eingriff in seine Rechte vor, sein Neid wurde rege, und da er ihm nichts entgegenzusetzen hatte, so wuchs er taͤglich im Stillen, bis er mit Sturm ausbrach. Er suchte Ursache zum Zwiste, und wie leicht kann jedem in dieser Welt damit gedient werden! Er fand sie, Belphegor gab nach, bis er endlich durch den Ungestuͤm des Andern gleichfalls erhitzt wurde; es wurde offner Krieg, worinne Belphegor den Kuͤrzern zog: sein Gefaͤhrte pluͤnderte ihn, und versetzte ihn in einen Zustand, daß er ihm nicht sogleich nachfol- gen konnte, entfloh und trennte sich von ihm auf ewig. Belphegor lag mit blutendem Gesichte und halbgelaͤhmten Lenden an einem kleinen Flusse, wo er abermals uͤber Welt und Men- schen sein Klagelied sang und von den Be- schwerlichkeiten des vorigen Treffens aus- ruhte. Endlich da er weiter nichts vor sich sah, sah, als seinen Weg und sein Bettlergewerbe fortzusetzen, stund er unwillig auf und hinkte laͤngst des Flusses hin. Nach einer kleinen Strecke stieß er an ein Frauenzimmer, das an einem Scheidewege auf einem Steine saß und ihn schon in der Ferne mit den wolluͤstigen Geberden bewill- kommte: er merkte also leicht, daß es eine von den orientalischen Schoͤnheiten war, die ihre Reize auf den oͤffentlichen Straßen selbst verhandeln. Sein Muth war zu sehr gesunken, um an ihren Einladungen Theil zu nehmen: er gieng also ungeruͤhrt vor- uͤber und wuͤrdigte sie kaum eines Seiten- blickes. Sie folgte ihm und beunruhigte ihn mit den Bemuͤhungen, sein Felsenherz zu erweichen, so lange bis er unwillig sie zuruͤckwies: sie verfolgte ihn unaufhoͤrlich. Um wenigstens die Qual ihrer Zudringlich- keit zu mindern, bat er sie, ihm den Weg zur naͤchsten Hauptstadt zu zeigen, welches sie gern that, weil der naͤmliche Platz fuͤr ihre Geschaͤfte der vortheilhafteste war, und unterwegs, da sie durch seine Offenheit gleichfalls offen geworden war, unter- hielt hielt sie ihn mit ihrer Geschichte, den Be- schwerlichkeiten ihres Handwerks und ihrem Ekel dafuͤr. Sie bewies besonders bey dem letzten Punkte eine Empfindsamkeit, die sie ihrem Begleiter merkwuͤrdig machte, und versicherte, daß sie nichts als die aͤußerste Noth in eine der schaͤndlichsten erniedri- gendsten Lebensarten gestuͤrzt habe, die sie haßte und verfluchte, und nur, um nicht zu verhungern, emsig betreiben muͤßte. — O, setzte sie hinzu, Schicksal! du bist der Schoͤ- pfer unsrer Vergehungen! Achtes Achtes Buch. I B elphegors Begleiterinn fieng ungeheißen an, ihm etliche Stuͤcke ihrer Geschichte mitzutheilen, und zwar mit dem Tone eines geheimen Kummers, der sich oͤffnen will, um sich zu erleichtern: allein ihr Zuhoͤrer war mit seinen eignen truͤbsinnigen Gedanken zu sehr beschaͤftigt, um von ihrer Erzaͤhlung intereßirt zu werden. Sie fuhr demungeach- tet ungehindert fort und versicherte, daß der ganze unuͤbersehliche Faden ihrer grausamen Schicksale von einem gewissen Fromal an- gesponnen sey, dem sie dafuͤr allen Fluch des Himmels und der Erde zur Belohnung an- wuͤnschte. Belphegor fuhr auf und sah sie unbeweg- lich an. Von einem gewissen Fromal! rief er, wie aus einem Traume erwachend. Ja, von diesem schaͤndlichsten aller Boͤse- wichter, der mich verleitete, einen gewissen Belphegor zum Hause hinauszuwerfen — Einen gewissen Belphegor! unterbrach sie ihr Gefaͤhrte erschrocken, doch ohne sich I 2 zu ver- zu verrathen, ob er gleich merkte, mit wem er zu sprechen die Ehre hatte. Sie erzaͤhlte ihm hierauf mit gelaͤufiger Zunge ihre ganzen Schicksale bis zu der großen Wolkenreise, Im ersten Bande. wo sie von ihrem versoͤhnten Liebhaber und seinem Freunde Me- dardus getrennt wurde, und zwar mit den naͤmlichen Umstaͤnden, unter welchen meine Leser ihren Bericht bereits vernommen haben. Belphegor konnte daraus nichts anders schließen, als daß die Geschichte wahr und sein Freund Fromal ein treuloser Freund sey, der ihn doppelt hintergangen, als er ihn nach seiner Verweisung aus Akantens Hause beruhigte, und als er ihm die Ursachen her- rechnete, warum er zu seiner Vertreibung etwas beygetragen hatte. Er naͤhrte schon lange einen bittern Unwillen wider alles, was menschlich heißt, bey sich, und glaubte um so viel leichter, daß sein Schluß richtig, und Fromal, wie alle Menschen, ein Boͤse- wicht sey. Waͤhrend daß er mit einer geheimen me- lancholischen Freude dieser Meynung beyfiel, fuhr Akante in ihrem Berichte fort und erzaͤhlte erzaͤhlte ihm, daß sie von ihrer Wolkenfahrt in die Tuͤrkey herabgelassen worden sey und sich, um ihrem gaͤnzlichen Mangel abzuhel- fen, an einen reichen Kaufmann als Skla- vinn verhandelt habe. Mein Herr, sagte sie, ward meiner bald uͤberdruͤßig: so sehr ich selbst nach dem Ver- luste meiner hauptsaͤchlichsten natuͤrlichen Schoͤnheiten in Europa gefiel, so wenig wurde dieser fuͤhllose Tuͤrke von meiner mar- mornen Hand und meinem schoͤn lackirten Gesichte geruͤhrt, das leider! itzt nur noch Ruinen seiner vormaligen Schoͤnheit aufzu- weisen hat. Er verkaufte mich an einen Herrn, der sich besser darauf verstand, weil er ein Paar elende Goldstuͤcke bey dem Han- del gewinnen konnte. Mein neuer Herr nahm mich in sein Serail und verkaufte mich in etlichen Wochen an Mulai Jas- sem, einen Handelsmann aus Antiochien; Mulai Jassem verkaufte mich an Abi Nizza nach Bagdad; Abi Nizza uͤber- ließ mich seinem Bruder, dem Abi Esser: Abi Esser, ein aufbrausender Mann, ward zornig auf mich, warf mich zum Hause hin- aus, ließ mich wieder zuruͤckholen, um mir I 3 hun- hundert Peitschenhiebe mitzutheilen, und ver- tauschte mich gegen ein schoͤnes kastanien- braunes Pferd an einen Franken, So werden die Christen im Oriente genennt. der mich endlich in die Haͤnde eines persischen Herrn brachte, eines der maͤchtigsten Herrn im Koͤnigreiche; und ich wurde unter die Zahl seiner Beyschlaͤferinnen aufgenommen. Ob er gleich aus besondern Absichten nur zwey Weiber hatte, so war doch sein Haus ein bestaͤndiger Schauplatz des Zanks und Tumultes: es theilte sich in zwo Faktionen, die einander toͤdtlich haßten und mit aller Erfindungskraft auf Mittel sannen, ihren Haß zur Thaͤtlichkeit werden zu lassen: Sklaven, Sklavinnen, alles hatte den Groll von seiner Gebieterinn angenommen und verfolgte sich, als wenn es seine eigne An- gelegenheit waͤre. Vorzuͤglich aͤußerte sich diese Feindschaft bey der Geburt eines Kindes; die eine von den beyden Weibern war ganz unfruchtbar, und die andre hinge- gen hatte ihrem Herrn schon drey Kinder ge- boren: ein solcher Vorzug war des bittersten Neides werth. Als diese Gluͤckliche zum vier- viertenmale niederkam, so biß sich ihre Nei- derinn vor Zorn und Unwillen bey der ersten Nachricht davon so heftig in die Unterlippe, daß man sie abloͤsen mußte, um eine Ent- zuͤndung des ganzen Gesichts zu verhindern. Kaum hatte sie den Schmerz ausgestanden, als ihr die Rachsucht den grausamen Ent- schluß eingab, die Woͤchnerinn nebst ihrer Frucht im Bette zu verbrennen: sie gab ih- rer Partey Befehl dazu, die mit der groͤß- ten Bereitwilligkeit eilte, ihn zu vollstrecken. Im Augenblicke loderten die Flammen in ihrem Zimmer und allen Ecken hervor, er- griffen die naͤchst daran stoßenden, verbrei- teten sich weiter, und in wenig Minuten war der ganze Palast in Rauch und Flam- men gehuͤllt: man rettete sich, wie man konnte, und mit dem groͤßten Theile der Sklavinnen entlief ich, um ein leichter Joch zu finden, als das wir bey unserm gegen- waͤrtigen Tyrannen zu tragen hatten: doch wir wurden von etlichen Verschnittnen ein- geholt, gemustert und bis auf eine kleine Anzahl verkauft, bey welcher Gelegenheit ich in die Haͤnde des großen maͤchtigen Fali gerieth, um die Aufwaͤrterinn einer seiner I 4 Bey- Beyschlaͤferinnen zu werden. Er hatte dem Sultan, seinem Herrn, wichtige Dienste im Kriege gethan und noch vor kurzem etliche Provinzen erobert, weswegen ihm sein Herr mit vieler Achtung und Schonung begegnete. Einer von den Feldherren, der mit ihm eine gleich lange Zeit gedient hatte und es hoͤchst uͤbel empfand, daß ihm das Gluͤck weniger gewogen war und ihn etliche Stufen niedri- ger in der Gunst seines Despoten sitzen ließ, hielt sich fuͤr verpflichtet, einen solchen Mann zu hassen, zu verfolgen, und wo moͤg- lich, unter sich zu erniedrigen. Er suchte jede Gelegenheit anzuwenden, ihn seinem Herrn verdaͤchtig zu machen; und keine gluͤckte ihm. Seine Mißgunst stieg zu einer solchen Hoͤhe, daß es ihm genug war, sei- nen Nebenbuhler zu stuͤrzen, wenn er gleich selbst in seinen Fall mit hinabgezogen wer- den sollte. Unter den vielen fehlgeschlage- nen Listen erfand er endlich eine gluͤckliche, wobey ich die Hauptrolle spielte. Als ich eines Tages dicht an den Mauern des Harems Feldblumen fuͤr meine Gebie- terinn suchen mußte, so naͤherte sich mir ein alter Evnuche und versprach mir gleich bey der der ersten Anrede, mein Gluͤck auf ewig zu machen, wenn ich mich in ein Verstaͤndniß von der aͤußersten Wichtigkeit mit ihm ein- lassen wollte. Ich wurde neugierig, und er verlangte von mir, daß ich mich schlech- terdings in die Gunst des Fali einschmei- cheln und zu der Ehrenstelle einer wirklichen Beyschlaͤferinn erheben lassen muͤßte. Wie kann ich das? fragte ich. — Dafuͤr laß mich sorgen! war seine Antwort: gieb mir nur dein Wort, daß du dich zu allen Schrit- ten, die die Sache erfodert, gehorsam be- quemen willst, ohne jemals zuruͤckzuweichen oder furchtsam vor Schwierigkeiten zu er- schrecken, die sich dir in Menge entgegen- stellen werden. Ueberlaß dich meiner Fuͤh- rung, und folge an meinem Arme jeder mei- ner Bewegungen ohne Widerstreben nach! In wenig Wochen sollst du im Triumphe auf dem Gipfel stehen, von welchem deine Gebieterinn itzo auf dich herabsieht. — Ich versprach, ihm in allem zu gehorsamen: und sogleich verließ er mich, ohne mir das mindeste von dem Gange seines Anschlags zu entdecken. Ich war erstannt, ich sann nach, und gieng voll unruhiger Erwartung I 5 und und Erstaunen mit meinen Blumen in den Palast zuruͤck. Ich mußte jeden der fol- genden Tage Blumen suchen; ich glaubte jedesmal den alten Evnuchen zu finden, um etwas bestimmteres von meinem bevorste- henden Gluͤcke zu erfahren: allein statt sei- ner kam den dritten Tag der große Fali und eine kleine Weile darauf der alte Evnu- che, der uns aber bald wieder verließ, nach- dem er mir einen verstohlnen Wink gegeben hatte, die Gelegenheit zu nuͤtzen. Ich nahm die schoͤnste unter meinen Blumen, uͤber- reichte sie ihm demuͤthig und warf mich vor ihm nieder. Herr, sprach ich, siehe in Gna- den das geringe Geschenk deiner Magd an und verschmaͤhe nicht die Gabe ihrer Haͤn- de! — Er befahl mir aufzusehn, und ver- sicherte mich sehr freundlich, daß ich Gnade vor seinen Augen gefunden haͤtte, worauf er mir zu meiner Arbeit zuruͤckzukehren gebot und mich verließ. Ich pfluͤckte gedanken- voll weiter und fand in diesem Raͤthsel alles unaufloͤslich: ich brachte vier und zwanzig Stunden in der quaͤlendsten Ungewisheit zu, bis der alte Evnuche zu mir kam und mir das Geheimniß zum Theil entwickelte. Du Du sollst, sagte er mir, von Stund an zur Beyschlaͤferinn des erhabnen Fali, des gro- ßen Feldherrn ausgerufen werden, und so- gleich wirf die Sklavenkleider von dir und ziehe dieses Gewand an, das dich mit dei- ner bisherigen Gebieterinn in gleichen Rang setzt, und, wenn du klug genug bist, mei- nen Rathschlaͤgen getreulich folgst und die noͤthige Vorsichtigkeit gebrauchst, dich an die Spitze des ganzen Harem emporheben wird. — Ich zog das kostbare Kleid an, gelobte ihm den unverbruͤchlichsten Gehorsam und folgte ihm, worauf ich in ein schoͤnes moͤblirtes Zimmer kam, das mir nebst etlichen andern zu meiner Wohnung bestimmt war: die fuͤr mich bestellten Verschnittene und Sklavinnen empfiengen mich und stunden auf jeden mei- ner Winke in Bereitschaft: — kurz, ich war die geehrteste gluͤcklichste Bewohnerinn des ganzen Harems und in der Gunst mei- nes Herrn die oberste. Guter Mann! Du weißt es vielleicht aus eigner trauriger Erfahrung, daß der Neid unmittelbar in die Fußtapfe tritt, wenn die Groͤße den Fuß von ihr aufhebt: ich erwar- tete ihn und trug ihn daher desto standhafter. Meine Meine vorige Gebieterinn setzte den ganzen Harem wider mich in Aufruhr; ihre ehema- ligen Feindinnen — welches alle ihres glei- chen waren — wurden itzt die auserlesen- sten Freundinnen, die sich mit ihr zu meinem Umgange verschwuren. Der alte Evnuche stellte mir die Groͤße der Gefahr oft vor Au- gen, da ich sie ohne ihn nicht einmal erfah- ren haben wuͤrde, so versteckt waren alle Minen, die mich sprengen sollten, ermahnte mich zu vorsichtiger Standhaftigkeit und schwur mir theuer zu, daß mich nicht der mindeste Stoß von der angelegten Untergra- bung treffen werde, weil er mein Beschuͤtzer sey. Sein Wort war mir um so viel sichrer, weil ich wußte, daß er der Liebling unsers Herrn war und so viel uͤber ihn vermochte, daß auch die Neigungen des großen Fali von dem Willen und der Billigung dieses alten Geschoͤpfes abhiengen: alle Unternehmun- gen wider mich giengen also fehl, nur die einzige, die ungluͤcklichste unter allen waͤre beynahe gelungen — man trachtete mir nach dem Leben. Weil man nirgends zum Zwecke gelangen konnte, so ließ man die Decke meines Schlafzimmers allmaͤhlich so zer- zerwuͤhlen und die Befestigung derselben so locker machen, daß sie unfehlbar herunter- fallen und mich toͤdten mußte. Ob man gleich bey diesem moͤrderischen Anschlage die noͤthigsten Maasregeln ergriffen hatte, um den voͤlligen Einsturz zu veranstalten, wenn ich den Untergang nicht vermeiden konnte, so kam doch der Zufall ihren weisen Veran- staltungen zuvor, und warf die Decke mit einem gewaltigen Krachen hernieder, als ich eben auf den gluͤcklichen Sofa in den Armen des großen Fali in der vollsten Em- pfindung lag. Der Feldherr, der uͤber diese Stoͤrung seines Vergnuͤgens ergrimmte, forschte nach dem Thaͤter; denn man fand deutliche Spuren, daß Kunst gebraucht wor- den war, den Fall zu befoͤrdern: er forschte mit aller Strenge nach ihm, doch ohne ihn zu entdecken. Diese Fruchtlosigkeit seiner Bemuͤhung ließ ihm eine Verschwoͤrung ver- muthen, in welche, wo nicht das ganze Harem, doch wenigstens der groͤßte Theil desselben verwickelt seyn mußte: theils um zu strafen, theils um abzuschrecken, ließ er ein schreckliches Blutbad anrichten, das die Haͤlfte des Serails und mit derselben auch meine meine vorige Gebieterinn wegnahm. Ich bat, ich flehte; aber der rasende Fali war unerbittlich und ruhte nicht eher als bis er die Zusammenrottung in Stroͤmen Menschen- blut ersaͤuft hatte. Kurz nach diesem grausen Auftritte ent- zuͤndete sich ein neuer Krieg: alles war in Zwietracht; und mein alter Evunche berich- tete mir, daß er der einzige Urheber dieser Unruhen sey und sie zu Befoͤrderung seiner Absichten nie erloͤschen lassen duͤrfe. — Und welche sind das? fragte ich neugierig. — Absichten, erwiederte er, deren Reife her- annaht. So hoͤre dann! Den Mann, in dessen Umarmung du bisher die suͤßesten Em- pfindungen der Liebe geschmeckt hast, sollst du stuͤrzen. — Ihn? fuhr ich auf: ihn, von dessen Haͤnden ich Gluͤck und Wohlseyn empfieng, der mich auf die oberste Staffel seiner Gunst erhob, ihn sollte ich stuͤrzen? Undankbar will ich nimmermehr seyn. — So stuͤrze dich! war seine kalte Antwort. Waͤhle zwischen seinem und deinem Unter- gange! — Ich wollte Einwendungen ma- chen und Fragen thun, aber er schnitt mir meine Rede gerade zu ab, verbot mir alle Decla- Declamationen und befahl mir zu waͤhlen, und dann zu hoͤren, was ich gewaͤhlt haͤtte. Keine Verlegenheit kann in der Welt groͤßer gewesen seyn, als die meinige damals: sich selbst, oder seinen Wohlthaͤter schaden muͤs- sen, ein trauriger Wechsel! Ich gehorchte dem Verlangen meiner Selbsterhaltung und bezeigte mich zu den Anschlaͤgen des boͤsen Evnuchen bereitwillig, der mich alsdann durch den schrecklichsten Schwur die Bewah- rung des Geheimnisses angeloben ließ. Der große Edzar, fieng der Boͤsewicht an, der Nebenbuhler unsers Herrn, hat mich zu der Ausfuͤhrung seiner Absichten ausersehen; ich habe mich ihm verpflichtet und muß schlech- terdings seinen Auftrag zu Stande bringen. Er gebot mir eine von den niedrigsten Skla- vinnen in die Gunst des Fali zu bringen, deren Gluͤck in meiner Gewalt waͤre, und die also entweder sich in unsre Entwuͤrfe fuͤ- gen oder ihrer eignen Erhaltung entsagen muͤßte: ich waͤhlte dich dazu, und du hast dein Gluͤck dem Gluͤcke eines andern vorge- zogen, was man leicht voraussehn konnte. Vernimm also was dir weiter zu thun ob- liegt! Der große maͤchtige Herr deines Herrn Herrn wird dich von ihm verlangen: es wird ihm schwer werden, und ich will ma- chen, daß es ihm unmoͤglich wird, dich zu missen, eben so wie der Feldherr Edzar es bey seinem Herrn dahinbringen wird, daß es ihm unmoͤglich ist, dich nicht zu besitzen. Der erhabne Herrscher aller Herrscher wird uͤber die Verweigerung deines Herrn er- grimmen, und siehe! so ist sein Fall gewiß, und du wirst zu der Umarmung des maͤch- tigsten Regenten erhoben. Die so lange vorher ausgesonnene Bos- heit wurde ihrer Ausfuͤhrung taͤglich naͤher gebracht: in kurzer Zeit hatte der tuͤckische Edzar seinen Herrn beredet, daß ich die groͤßte Schoͤnheit des Orientes sey, und diese Ueberredung war hinreichend, ihn bis zum Unsinne in mich verliebt zu machen, ob er mich gleich nie gesehn hatte. Er verlangte mich schlechterdings zu besitzen, und erwar- tete nichts weniger, als daß sein getreuer Knecht Fali seinen Wuͤnschen den mindesten Wiederstand entgegensetzen werde! je mehr dieser wankte, dem Verlangen seines Herrn zu gehorsamen, je mehr feuerte der alte Evnuche seine Liebe an, je mehr suchte er ihm ihm glauben zu machen, daß er ohne mich der ungluͤcklichste Sterbliche sey, und sich da- her den ungerechten Zumuthungen seines Herrn gerade zu wiedersetzen muͤsse: der alte Boͤsewicht, um den Untergang seines Herrn desto schneller zu befoͤdern, rieth ihm sogar, den Antrag der Haͤrte und Unwillen abzu- weisen. Auf der andern Seite blies Edzar die Leidenschaft des Despoten unermuͤdet an, und die beiden Alten, der Koͤnig und sein Feldherr Fali, waren wie zween gierige Raubthiere, die sich auf die Aufmunterung und Loshetzung jener beiden Verbrecher um mich, ihre Beute, haßten, verfolgten und lieber gar gewuͤrgt haͤtten. Der Koͤnig mußte meinen Herrn schonen, wenn er sich nicht der Gefahr eines Aufruhrs aussetzen wollte: denn Fali war der Liebling aller Soldaten, die ihn, wie ihren Vater, vor jeder Verle- tzung zu sichern suchten und fuͤr seine Erhal- tung ihre eigne verachtet haͤtten. In dieser quaͤlenden Verlegenheit griff er nach der List und wollte mich durch verdeckte Wege aus den Haͤnden des widerspenstigen Fali reißen: Edzar erfuhr seinen Anschlag und beguͤn- stigt ihn. Man legte an dem Theile des K Pala- Palastes, wo ich wohnte, Feuer an, und wenn ich mitten durch die Flammen mich retten wuͤrde, so sollten mich einige Auflaurer auffangen und dem Koͤnige uͤber- liefern. Der alte Evnuche, der von allen diesen Raͤnken voͤllig unterrichtet war, ließ zwar die Flammen ungehindert auflodern und mich eben so ungehindert von meinen Entfuͤhrern davontragen, allein auf seine Veranstaltung wurden einige von den koͤni- glichen Aufpassern eingefangen und vor dem Fali gebracht, der mit der Wuth eines Loͤ- wen wider seinen Herrn tobte, Schaͤtze, Pa- last, Weiber und alles der Willkuͤhr der Flamme uͤberließ, und davon eilte, um mich zuruͤckzuholen, oder alles zum allge- meinen Aufstande aufzuwiegeln und dann seine Beleidigung mit Blute zu raͤchen. Er raste wie sinnenlos, und Zorn und Rachsucht machten seine Liebe zu mir staͤrker als sie wirklich war: er lief, ohne zu wissen wohin, indessen daß ihm der Dampf von seinem ver- brennenden Vermoͤgen nachrollte. Wem er auf seinem Wege begegnete, dem erzaͤhlte er mit der aͤußersten Hastigkeit seine Geschichte, und jeder war schon auf seiner Partey, ehe er ihn er ihn noch dazu ziehen wollte: in kurzer Zeit verbreitete sich der Tumult allenthalben, Soldaten und andre Einwohner eilten in vermischter Ordnung einher, und alles rief: es lebe Fali! es sterben alle seine Feinde! — Der beleidigte Feldherr selbst war an ihrer Spitze und schnaubte vor Zorn und Rache: das Scharmuͤtzel fieng an und wur- de bald zur offnen Schlacht. Man er- wuͤrgte sich, man schlug sich blutig, man hieb sich nieder, mir und dem Fali zu Eh- ren. Der Sieg schien ungezweifelt fuͤr den Feldherrn, als ploͤzlich seine ganze Partey sich von ihm trennte und ihn der Wuth sei- ner Gegner uͤberließ, die ihn gefangen nah- men. Dieser ploͤzliche Unfall war Edzars Veranstaltung, der unter dem Hintertrupp von Falis Verfechtern das Geruͤchte aus- streuen ließ, daß ihr Anfuͤhrer in einer ent- legnen Straße große Gefahr laufe, in die Haͤnde der Feinde zu fallen: sogleich stuͤrzte sich der getreue Trupp an den Ort, wohin sie das falsche Geruͤchte rief; die Uebrigen, die dies fuͤr Flucht hielten, folgten ihnen zum Theil nach, um sich mit ihnen zu ret- ten, zum Theil um die Entflohenen zu ihrer K 2 Schul- Schuldigkeit zuruͤckzubringen. Diese Tren- nung verursachte bald allgemeine Unordnung und Verwirrung: dieser fuͤrchtete sich, jener zuͤrnte, dieser tobte, jener stand vor Zer- streuung unthaͤtig: ein jeder wurde durch eine Leidenschaft von der Gegenwehr abgeru- fen, die Feinde drangen ein, trieben sie fort umringten den verlaßnen Fali und brachten ihn vor seinen Herrn, der ihn gern mit dem Blicke vor Wuth getoͤdtet haͤtte und ihn so- gleich den graͤulichsten Martern uͤbergeben ließ. Nunmehr, da der Sturm voruͤber war, hatte er Muße, die Schoͤnheit in Betrach- tung zu nehmen, die ihn veranlaßt hatte: ich wurde zu ihm gefuͤhrt. War es Unmuth und boͤse Laune oder entsprach meine Gestalt seiner uͤberspannten Erwartung nicht! — ich mißfiel ihm im hoͤchsten Grade, so sehr daß er mich von zween Evnuchen zum Se- rail hinauspeitschen ließ und sogleich Befehl gab, dem Edzar, der die Wollust seines Herrn so unverantwortlicher Weise zu der falschesten Erwartung verfuͤhrt hatte, den Kopf glatt vom Rumpfe herabzusaͤbeln. — Da Da sieht man doch, daß die Vorsicht noch lebt! wuͤrde Freund Medardus ausrufen — sprach Belphegor, ohne zu uͤberlegen, daß dieß ein Mittel seyn koͤnnte, sich vor der Zeit zu verrathen: allein Akante war zu sehr in ihre Geschichte vertieft, um sich ein sol- ches Anzeichen nicht entwischen zu lassen. Sie hielt sich also blos an das Wesentliche des Ausrufs und fiel ihm hastig ins Wort: — Ja, so wuͤrde ich auch denken; aber warum mußte denn der ungluͤckliche Fali um- kommen, der treu fuͤr seinen Herrn gefoch- ten und eine niedertraͤchtige Beleidigung nicht als ein feiges Lamm erdulden, son- dern den Urheber derselben muthig bestrafen wollte? warum ließ da deine Vorsicht nicht lieber den Streich des Fali gelingen, der in seinem Herrn einen groͤsern Boͤsewicht ge- zuͤchtigt haͤtte als Edzar war? — Belphegor wollte antworten, aber sie ließ ihn nicht zum Worte: in Einem unaufhalt- samen Strome fuhr sie zu fragen fort. — Warum mußte ich, die ich zu dem gottlosen Anschlage hingeschleppt worden war, die ich wie eine leblose Maschine dabey gleich- sam fortgestoßen wurde, warum mußte ich K 3 aͤrger aͤrger als Edzar, der gottlose Anstifter des Verbrechens, behandelt werden? Mit Ei- nem kurzen Hiebe war sein Leben und seine Marter aus: aber ich Elende wurde von zween wilden Evnuchen zum Serail unter tausend empfindlichen Hieben hinausgetrie- ben, dem Schmerze, dem Kummer, der Duͤrftigkeit und allen nur erdenklichen Un- gluͤcksseligkeiten uͤbergeben; ich mußte vier- und zwanzig Stunden lang unter freyem Himmel, allen Unfaͤllen der Witterung aus- gesetzt, mit einem von Blute unterlaufnen Ruͤcken liegen, durch die Barmherzigkeit eines Fremden in ein Haus gebracht, geheilt und durch seine ploͤzliche Abreise mitten in der Kur dem Elende von neuem ausgesetzt wer- den, ich mußte von Almosen leben und die meiste Zeit hungern, ich mußte endlich, um weniger zu hungern, mich der Willkuͤhr eines jeden uͤberlassen und — — hier ver- siummte sie. Alles verdiente Strafen! fuhr Belphegor hastig auf, fuͤr die lahme Huͤfte, die du mir — — hier besann er sich: denn Akante sah ihn sehr ernsthaft und bedenklich an; und weil ein Argwohn leicht Gruͤnde zur Gewiß- Gewisheit findet, so erblickte sie, aller Unkenntlichkeit ungeachtet, ungemein vie- le Aehnlichkeit in den Gesichtszuͤgen des Mannes mit demjenigen, dem sie ehemals lahme Huͤften gemacht hatte. Sie hielt es wenigstens der Muͤhe werth, einem Versuch mit einer Anfrage zu thun; und da ihr ehmaliger Liebhaber ein Bettler war, so konnte sie nichts dabey verlieren, sich ihn unter den Charakter einer Hure dar- zustellen. Sie sah ihn immer steifer an, sagte die ersten Sylben seines Namens, bis sie ihn ganz heraussprach, und der gute Mann aus angeborner Aufrichtigkeit es ihr laͤnger nicht verhelen konnte, daß er es war, den sie nannte. Beide, obgleich keins vor dem andern viel voraus hatte, schaͤmten sich mit ihrem Reste von europaͤischem Gefuͤhle, sich in so traurigem erniedrigendem Zustande widerzufinden. Haͤtte auch gleich kein Ue- berbleibsel von Liebe mitgewirkt, so waͤre die Gleichheit des Elends und ihrer Abkunft schon kraͤftig genug gewesen, sie fuͤr einan- der anziehend zu machen: doch mitten unter den Empfindungen, die ihre Wiedererken- nung begleiteten, konnte Akante nicht K 4 verges- vergessen, daß ihr bisheriges Ungemach eine Folge von den Huͤftenschmerzen seyn sollte die sie Belphegorn gemacht hatte, besonders da Leute, die viel gelitten haben, alle Bey- spiele wider die Billigkeit der Vorsehung begierig auffangen, um sich gleichsam fuͤr ihr ausgestandnes Ungluͤck dadurch an ihr zu raͤchen. Was? rief sie; so vieles Herzeleid soll ich durch zween oder drey Ribbenstoͤße ver- dient haben, die ich dir, verblendet von un- willkuͤhrlicher Leidenschaft und von Fromals ruchloser Ermunterung angetrieben, ohne deinen großen Schaden gab? indessen daß Edzar, dieser uͤberlegende studierte Boͤsewicht, mit Einem leichten Schwerthiebe davon kam, und sein niedertraͤchtiger Herr, der keine Sonne ohne eine That der Grausamkeit un- tergehen ließ, noch lebt und in hohem Wohl- seyn uͤber Persien herrscht? — Welche Pro- portion? Oder hat vielleicht mein ganzes Geschlecht schon vor der Geburt lahme Huͤf- ten gemacht, daß es unter diesem ganzen Himmelsstriche zur elendesten Sklaverey ver- bannt ist? schon von dem ersten Augenblicke seiner Existenz dazu verdammt ist? Warum ist mein ist mein ganzes Geschlecht von ewigen Zeiten her der Jochtraͤger des eurigen, eurer Be- duͤrfuisse, eurer Bequemlichkeit, eurer uͤblen Laune gewesen? Wodurch hat es eine solche Zuruͤcksetzung unter das eurige verdient? — Nichts als seine ungluͤckliche Schwaͤche warf es in die allgemeine Unterdruͤckung! Uebersieh alle Zeiten und Laͤnder! Mußte die Gattung vernuͤnftiger Kreaturen, die ihr in Europa als Engel anbetet und vielleicht durch Schmeicheleyen einschlaͤfern wollt, da- mit sie euch ihre Ueberlegenheit nicht fuͤhlen lassen, der schoͤnste Theil der Schoͤpfung nicht bestaͤndig dienen, in jedem Verstande dienen? und nicht blos dienen, sondern der Sklave des rohen grausamen staͤrkern maͤnn- lichen seyn? Allenthalben war dies, den ein- zigen kleinen Punkt ausgenommen, auf wel- chem wir das Leben empfiengen, und auch hier noch vor wenigen Jahren. Ihr Maͤn- ner konntet in der tollsten Raserey zu Tau- senden nach einem kleinen Striche steinichten unfruchtbaren Erdreiches laufen Nach Palaͤstina in den Kreutzzuͤgen. und Tod und Gefahren in jeder Gestalt entgegengehn; K 5 ihr ihr konntet euch um eines lecren Titels, ei- ner einfaͤltigen Grille: eines blendenden Nichts, wuͤrgen, zerfetzen, verstuͤmmeln: und doch kam keiner noch auf den edlern Vorsatz, das weibliche Geschlecht in allge- meine Freiheit zu setzen. Schaͤmt euch, ihr Elenden! Um euern verfluchten Durst nach Golde, nach Laͤndern, Titeln oder an- dere noch niedrigere Leidenschaften der Ra- che, der Zanksucht, des Neides zu saͤttigen, macht ihr, so oft es euch beliebt, die Erde zum Schlachtfelde und wißt euren unmensch- lichen Thaten tausend schimmernde Maͤntel umzuhaͤugen und tausend glaͤnzende Anstriche von Edelmuth, Großmuth, Menschenliebe, Patriotismus zu geben: doch fuͤr das Ge- schlecht: das euch mit Schmerzen gebar, wagtet ihr nie einen Schritt! vergoßt ihr nie einen Tropfen eures menschenfeindlichen Blutes! Wohl den guten freundlichen Rit- tern, die waͤhrend der Barbarey unsers va- terlaͤndischen Himmelsstrichs sich uͤber alle Vortheile und Ruͤcksichten des Eigennutzes emporschwangen und mit der Lanze in der Hand, von dem einzigen Triebe der Ehre und Menschenliebe begeistert ausgiengen, die Ban- Banden der weiblichen Knechtschaft zu zer- brechen und rohen Unterdruͤckern des schwaͤ- chern Geschlechts die Koͤpfe zu zerspalten! Wohl ihnen, sie waren die edelsten Krie- ger, die jemals die Waffen ergriffen: deren Namen in alle Felsen des Erdbodens mit unausloͤschlichen Zuͤgen haͤtten eingegraben werden sollen, und welche die Verewigung mehr als alle beruͤchtigte Laͤnderverwuͤster, Staͤdtezerstoͤrer und Menschenwuͤrger verdient haͤtten. O daß ihr geheiligter Staub nicht hier unter meinen Fuͤßen ruht! daß die Staͤtte unbekannt ist, die ihre edlen Gebeine be- wahrt! Jedes Mitglied des weiblichen Ge- schlechts sollte zu ihnen eine Wallfahrt thun und sie mit Blumenkraͤnzen und Raͤucherwer- ke ehren: jedes Maͤdchen sollte ihnen die er- sten Locken weihen, jede an ihrem Hochzeit- tage ihnen ein Fest feiern. Dann wuͤrde einem unter euch vielleicht das eiskalte Blut genug erwaͤrmt werden, um nach einem aͤhn- lichen Lorber zu streben: dann wuͤrde ein solcher Preiß vielleicht die Tapferkeit einiger ruhmsuͤchtigen Waghaͤlse beleben, sich zu der groͤßten Unternehmung zu vereinigen; dann wuͤrden Schaaren von edlen Streitern den nuͤzlich- nuͤzlichsten Kampf wagen, muthig uͤber Seen, Berge und Schluͤnde hineilen, um in Nor- den und Suͤden, in Osten und Westen die Ketten zu zersprengen, womit mein Ge- schlecht an das Joch der maͤnnlichen Unter- druͤckung angeschmiedet ist. O Freund! haͤttest du Geist und Feuer genug, so koͤnn- ten wir zuerst diese Lorbern einerndten! so koͤnnten wir, wie der enthusiastische Peter Peter der Eremit, der die Kreutzzuͤge veran- laßte. uͤber den Erdboden hinfliegen und Kaiser, Koͤnige und Fuͤrsten aufmuntern, dem hal- ben Theile der Menschheit Friede, Ruhe, Freiheit und Gluͤckseligkeit zu erkaͤmpfen! Komm, Freund! Laß uns jeden, der Macht hat, das schwarze Gemaͤlde der weiblichen Sklaverey mit den schauderndsten Farben vor die Augen halten, und wer dann keinen Sporn in seinem Herze fuͤhlt, den treffe Fluch, den verzehre der Donner des Him- mels! den Feigen! den Nichtswuͤrdigen! — Belphegorn schauderte bey dieser lebhaften Deklamation, und er fuͤhlte in seinem Kopfe so etwas, als wenn seine Einbildungskraft anfien- anfienge Feuer zu fangen; sein Herz schlug gleichfalls schneller, und in allen seinen Adern regte sich seine vorige Tapferkeit: allein zu Akantens Begeisterung konnte er sich doch nicht erheben, um das Mißliche und Phan- tastische in der vorgeschlagnen Unterneh- mung nicht zu fuͤhlen. Die ganze Sache war: Akante hatte kurz vor ihrer Zusammen- kunft mit Belphegorn von einem ihrer Lieb- haber, weil er ihr seine Erkenntlichkeit nicht besser zu beweisen wußte, eine große Schach- tel mit Opium empfangen, wovon sie in der Geschwindigkeit eine ziemliche Portion verschluckte, die ihre Nerven zu jenem Schwunge der Begeisterung anspannte, daß sie ein solches phantastisches Projekt entwer- fen und Belphegorn mit solcher Lebhaftigkeit zur Ausfuͤhrung antreiben konnte. Da sie endlich nach vielen Zunoͤthigungen gewahr wurde, daß ihr Gesellschafter nie genug befeuert werden konnte, so bot sie ihm in einer Art von Trunkenheit das Mittel an, das bey ihr eine so wirksame Kraft geaͤußert hatte. — Nimm, sprach sie, und iß! Diese Frucht muß deiner Einbildungskraft Fluͤgel ansetzen, sie muß dich uͤber dich selbst em- por- porschwellen: nimm, iß! und wenn du dann zu der wichtigen Unternehmung dich nicht hingerissen fuͤhlst, so bist du nicht werth, daß du aus der Brust deiner Mutter einen Tropfen Blut empfiengst. — Der gluͤhende Belphegor nahm den ange- botnen Opium und verschluckte eine große Menge, die in kurzer Zeit eine fluͤchtige An- spannung aller seiner Gefaͤße veranlaßte, daß seine Imagination aufbrauste; und in diesem Taumel gab er Akanten die Hand, schwur ihr einen theuern Eyd, und nichts war gewisser, als daß sie beide, wie irrende Ritter, zu der Erloͤsung des weiblichen Ge- schlechts auswandern wollten. Da sie in einem Lande waren, das ihnen Gelegenheit genug anbieten konnte, ihre ritterliche Tapfer- keit zu uͤben, so sollte das Kriegstheater zuerst dort eroͤffnet werden. Sie fiengen den Zug an, und ihre vier Arme duͤnkten ihnen in ihrer stolzen Berauschung so stark als hundert- tausend zu seyn, weswegen sie nicht die min- deste Bedenklichkeit hatten, ohne Huͤlfstrup- pen mit dem ganzen Oriente allein fertig zu werden. Sie ruͤckten an den naͤchsten Ort an, drangen mit Geschrey in ein Haus und verlan- verlangten von dem Manne die Befreyung seines Weibes und seiner Toͤchter aus der haͤuslichen Sklaverey. Der Mann, der weder ihre Anrede noch ihre Foderung ver- stand, aber doch aus ihrem Betragen schlies- sen konnte, daß sie nichts weniger als in friedlichen Absichten zu ihm kamen, hielt es fuͤr rathsam allen Gewaltthaͤtigkeiten vorzu- beugen, weil es noch in seiner Macht stuͤnde, setzte sich zur Gegenwehr, und seine Weiber, zu deren Erloͤsung unsre Helden ausgereist waren, gesellten sich zu ihnen wider ihre Be- freyer, die sie mit Faustschlaͤgen, Naͤgelkratzen und andern Waffen zum Hause hinauskom- plimentirten, vor der Thuͤre ließen und in Friede und siegreich wieder in ihre vier Mauern zuruͤckkehrten. Theils von ihren ritterlichen Thaten und den empfangnen Schlaͤgen, theils von der Ueberspannung des Opiums ermuͤdet, blie- ben sie beide auf dem naͤmlichen Flecke lie- gen, wohin sie der letzte feindliche Stoß ver- setzt hatte, und im kurzen waren sie in dem tiessten Schlaf, worinne sie unter den schwaͤr- merischsten Traͤumen und Entzuͤckungen bis zum Morgen verblieben. Als Als sie erwachten, sahen sie sich voller Verwundrung an einem Orte, den sie vor ihrem Schlafe niemals gekannt hatten, ent- deckten voller Verwundrung Beulen und ge- ronnenes Blut eins in des andern Gesichte; erblickten mit Erstaunen Spuren eines Schar- muͤtzels, dessen Folgen sie deutlich fuͤhlten, ohne daß sie nach ihrem lebhaftesten Be- wußtseyn dabey gewesen waren. Das ganze kriegerische Projekt, wovon sie eine mislun- gene Probe geliefert hatten, war bis auf das kleinste Sylbchen aus ihren Koͤpfen verflo- gen: sie sannen, aber ihr eigner Zustand blieb ihnen ein unaufloͤsliches Raͤthsel, wes- wegen sie ohne ferneres Kopfbrechen sich von der Erde erhuben und bedaͤchtlich ihren Weg antraten. Sie bettelten und waren bey diesem Ge- werbe ehrlich und redlich in die chinesische Tartarey hineingerathen, wo neue Unfaͤlle auf sie warteten. Bekanntermaßen herrscht noch der voͤllige Naturkrieg unter dem tar- tarischen Himmel, und eben damals hatten die Nunni, weil sie an ihren Plaͤtzen Lan- geweile hatten, sich es einfallen lassen, einen Spatziergang von etlichen funfzig Meilen Meilen zu den Hiutschis zu thun und sie aus ihren Wohnsitzen herauszutreiben: die Hiutschis, welche einmal auf Gottes Erd- boden existiren sollten und zu ihrer Existenz Platz brauchten, thaten den Niungis ein Gleiches und noͤthigten sie, ihnen zu wei- chen: die Niungis raͤchten sich dafuͤr an den Aldschehus; allein diese waren so halsstarrig tumm, nicht weichen zu wollen, welches die Niungis, die ihrentwegen einen so weiten Weg nicht umsonst gethan haben wollten, so uͤbel nahmen, daß sie alle umzubringen beschlossen: da dieses aber nicht so schnell von statten gehen wollte, als sie anfangs vermutheten, und sogar ihnen selbst den Untergang zu drohen schien, so waren sie zeitig genug so klug, daß sie Friede anboten und den Aldschehus einen Plan vorschlugen, wo sie sich auf Unkosten ihrer Nachbarn fuͤr die Koͤpfe entschaͤdigen konn- ten, die sie ihnen nicht entzweygeschlagen hatten. Die Aldschehus ergriffen begierig eine so schoͤne Gelegenheit, ihrem Schaden beyzukommen, und wanderten mit ihnen zu den Mogolutschis, die sie bis auf das kleinste Kind dem Vergnuͤgen ihrer Tapferkeit L aufzu- aufzuopfern gedachten: allein die Mogo- lutschis waren kluͤger als ihre Angreifer, und entwischten ihnen, weil sie sich ihrer ungleichen Kraͤfte sehr wohl bewußt waren. Eine solche unverantwortliche Vereitlung aller ihrer Absichten machte sie hoͤchst unwil- lig, daß die Mogolutschis ihre Haͤlfe zu lieb hatten, um sie sich von ihnen zerbrechen zu lassen, und die vereinigten Aldschehus und Niungis faßten in ihrem Grimme den ruͤhmlichen Vorsatz, alle ihre tartarischen Ne- benmenschen, deren sie nur habhaft werden koͤnnten, bis auf die Wurzel zu vertilgen. Sie hielten Wort: sie schweiften nach allen Himmelsgegenden zu, und welches Men- schenkind in ihren Weg gerieth, das hatte gelebt. Durch diese erhabne Tapferkeit brachten sie es in wenig Jahren dahin, daß in einem weitlaͤuftigen Distrikte keine Spur von Gottes Schoͤpfung mehr anzutref- fen war. Gerade zu einer Zeit als man eine Tro- phee von Erwuͤrgten errichtet hatte, fuͤhrte das Schicksal unsre beyden Wanderer unter Muͤhseligkeiten und Hunger dahin: ihre Kleidungen waren sehr abgenutzt, sie hielten es also es also fuͤr dienlich, sie auf der Stelle von den Fragmenten, die an den Leichnamen hiengen, so gut zu rekrutiren als es die Um- staͤnde erlaubten. — Wohin sollen wir nun? fragte Belphegor. Wir wollen gehn, bis uns der Hunger toͤdtet, es sey wo es wolle. Kaum hatte er den Entschluß gefaßt, als sie ein Trupp Niungis umringte und auf ihre bittenden Zeichen, besonders wegen ih- res friedfertigen auslaͤndischen Aussehns, mit sich zu ihrem Oberhaupte schleppte, der ihnen bey dem Truppe zu bleiben verstattete und sie dem Hauptanfuͤhrer seiner Nation als eine Seltenheit vorzustellen gedachte. Die Maͤrsche waren uͤbermaͤßig schnell und eilfertig: sie wurden durch etliche vereinigte feindliche Horden getrennt, und diese hatten die Bosheit, den Trupp, zu welchem unsre Europaͤer gehoͤrten, zu versolgen, bis ihn ein Morast von der Gefahr der Nachsetzung befreyte, wo der groͤßte Theil desselben stecken blieb und starb. Unsre Europaͤer wa- ren mit einigen Tartarn seitwaͤrts in einen Wald gesprengt, wo sie der Feind ruhig ließ und zu andern erhabnen Kriegsthaten wie- der umkehrte. L 2 Bel- Belphegor und Akante hatten nebst ihren Gefaͤhrten einige Zeit in dem Gehoͤlze zuge- bracht; als diese sie ploͤtzlich verließen und durchaus nichts mehr mit ihnen zu schaffen haben wollten. Trauriges Schicksal! rief Belphegor. Trauriges Schicksal! rief Akante; und bey- de wollten mit aller Gewalt sterben: sie ba- ten den Tod instaͤndigst, mit ihren Koͤrpern die Raubthiere der dortigen Gegend zu be- dienen, aber der Tod war taub: sie erblick- ten Fruͤchte, langten zu, erquickten sich und wurden durch die einzelnen Staͤmme der Baͤume Wasser gewahr, giengen darauf zu und fanden — offenbares Meer. Viel- leicht, sprach Belphegor wieder auflebend, vielleicht hat uns hier uͤber diese Fluthen der Himmel einen Weg gebahnt, um in das koͤstliche Europa wieder zuruͤckzukehren. Lebe auf, Akante! Hier ist der Weg in unser Va- terland. Alles, was ich dort ausgestanden habe, von deinen Huͤftenstoͤßen bis zum Auf- haͤngen unter den Lettomanern, ist nichts gegen die Schmerzen, die ich in andern Welttheilen habe ertragen muͤssen. Wenig- stens kann man dort ruhiger Zuschauer von dem dem allgemeinen Kriege bleiben und so leid- lich ohne Schmerzen leben, wenn man sich nicht in das tolle Spiel der Welt mischt, wenigstens die Leute nicht einen vernuͤnfti- gern Weg fuͤhren will, als sie selbst zufaͤlli- ger Weise oder aus eigner Wahl eingeschla- gen haben. Ich sehe es wohl — leider zu spaͤt! — daß ich selbst, von meinem war- men zelotischen Herze und von uͤbertriebner Rechtschaffenheit verleitet, Millionen Schmer- zen auf mich geladen habe: aber wohl mir! dieses Meer fuͤhrt mich nach Europa zuruͤck, und da will ich mit dir, Akante, die gemein- schaftliches Ungemach an mich fesselt, gluͤck- lich leben: denn Erfahrung hat mich auch klug gemacht, mein Feuer ist verdampft, und selbst der Neid der Menschen soll mir meine Rechnung auf ein ruhiges zufriednes Leben nicht verderben. — Akante! freue dich! Unser Schicksal heitert sich auf. Akante, die diese Aufheiterung in der Ent- deckung eines offnen weiten unbekannten Meeres nicht finden konnte, blieb ungeruͤhrt und beschloß mit einem Seufzer und dem Ausrufe: trauriges Schicksal! L 3 Auch Auch warteten sie wirklich lange auf den gehoften Beystand des Himmels und die Ueberfahrt nach Europa, naͤhrten sich kuͤm- merlich mit gesammelten Fruͤchten und Wur- zeln, bis endlich die Saiten der Hofnung schlaff wurden, und der Muth gleichfalls. — Trauriges ungerechtes Schicksal! — dabey blieb Akante und beschloß verzweiflend, sich in die See zu stuͤrzen. — Laß mich voran! rief Belphegor. Gab mir die Natur das Leben und doch keine Mittel es zu erhalten, so werfe ich die unnuͤtze Last von mir und sterbe. — Mit diesem Worte sprang er un- aufgehalten in die Fluth: allein ein Rest von Liebe zum Leben oder eine andere Ursache machte, daß er sich unbewußt im Wasser, ohne zu sinken, fortarbeitete und nach dem Ufer zuschwamm, wo er ganz durchnaͤßt und kraftlos sich auf das Trockne hinwarf. Er erholte sich; sein erster Blick gieng nach Akanten, aber fand sie nicht: er suchte, er rief und fand sie eben so wenig. Nach langem vergeblichem Bemuͤhen blickte er endlich seufzend nach der See hin, als wollte er zum zweytenmale sich ihr uͤberge- ben; — siehe! ploͤtzlich wurde er ein Fahr- zeug zeug gewahr, das mit etlichen Personen an einer andern Seite des Ufers abfuhr. Er rief, er suchte das Geraͤusch des Wassers zu uͤberstimmen, es gluͤckte ihm, und man ru- derte auf ihn zu. Es war ein Kanot aus einer benachbarten Insel, das ihm wiewohl weigernd einnahm und ihm seine geliebte Akante wiedergab. Sie hatte sich nicht ent- schließen koͤnnen, nach seinem Beyspiele ihren Tod in den Wellen zu suchen, war trostlos am Ufer hinaufgeirrt und hatte in einer Bucht das Kanot mit zween Wilden gefun- den, die Muscheln suchten: sie wurde von ihnen aufgenommen, und auf ihr Bitten waren die Wilden Belphegors Geschrey zu- gerudert, ob sie gleich mehr wuͤnschte als hefte, daß sie seine Errettung bewirken wuͤrde, weil er nach aller Wahrscheinlichkeit schon als Leichnam von den Wellen empor- getragen werden mußte. Sie ließen sich mit freundschaftlicher Freude fortrudern und liebkosten ihre Erretter mit allen ersinnlichen Zeichen der Dankbarkeit; doch konnten sie nicht den ganzen Rest von Mistrauen aus- loͤschen, der ihrem Geschlechte eigen ist. Die Reise waͤhrte lang, und ehe sie sich es L 4 ver- versahen, setzten sie ihre Fuͤhrer unter einem listigen Vorwande an einem weitausgedehn- ten festen Lande aus, an welchem sie hin- fuhren, woranf sie in ihre Kanote sprangen und mit der groͤßten Eilfertigkeit hinwegru- derten. Die beiden Betrognen riefen ihnen nach, aber vergeblich. Abermals durch die Bosheit der Menschen ungluͤcklich! sprach Belphegor. Von einem festen Lande zum andern fortgeschleppt, was haben wir gewonnen? — Daß wir nicht die Voͤgel jenes Landes, sondern die Raub- thiere dieses Bezirkes fuͤttern! — O Akante! welch ein Ungeheuer ist der Mensch! Unbe- leidigt, bey den groͤßten Zeichen des Zu- trauens, der Dankbarkeit, der Freundschaft ist er doch, selbst außer dem Stande der Gesellschaft, der hartherzigste Feind von jedem, den er nicht kennt. Muß nicht tief in die Seele der Zug der wechselseitigen Feindschaft gegraben seyn, wenn er jeden als seinen Gegner behandelt, ihm als sei- nem Feinde nicht traut, so lange er nicht durch die Bande der Gewohnheit und der Gesellschaft mit ihm verknuͤpft ist? — O Fromal! du hattest Recht: die Menschen sammel- sammelten sich, um sich zu trennen. — Was sollen wir nun, Akante? — Wir wol- len uns ins Land wagen; ob uns der Hun- ger und das unbarmherzige Schicksal im Stillesitzen oder auf dem Marsche aufreibt: gleich viel! Wohlan, wir gehn! — Akante war es zufrieden: die Reise wurde angetreten, und in wenig Tagen hoͤrten sie das Geschrey von Menschen. — Hoͤre, Freundinn, sagte Belphegor dabey, wohl ist mir bestaͤndig in der Einsamkeit: aber so bald ich Menschen merke, so ist mein Wohlseyn voruͤber: ich erwarte einen Feind. Wir wollen den Rufenden entgehn: eher will ich hier in der Wuͤste unter Thieren ster- ben, als unter Menschen leben. — Ploͤtzlich, als er noch redete, flog lang- sam ein glaͤnzender goldgelber Vogel nahe vor ihrem Gesichte vorbey: seine Federn warfen an der Sonne den Strahl eines Sterns von sich, und ihre Augen waren so sehr davon geblendet, daß sie seine schoͤne Bildung kaum bemerken konnten. Unmit- telbar auf ihm folgte ein Paar nackte Men- schen, die keuchend und mit aller Anstren- gung des ganzen Koͤrpers ihm nachsetzten, L 5 beide beide Augen unverwandt auf ihn emporge- richtet, ohne neben sich mit Einem Blicke zu schauen. Der Vogel schien zuweilen nur zu schweben und ihre Ankunft zu erwarten: seine Verfolger sammelten ihre letzten Kraͤfte, eilten hinzu, und kaum glaubten sie mit ihren Fingerspitzen den strahlenvollen Spie- gel seines Schwanzes zu beruͤhren, als er langsam fortschwebte und sie entkroͤftet hin- ter sich zuruͤckließ. Da das Schauspiel auf einer weiten ausgebreiteten Ebne vor sich gieng, so konnten die beyden Zuschauer un- gehindert jede Bewegung bemerken. Die Nachsetzenden rafften sich zwar jedesmal, daß ihnen der Vogel einen solchen Betrug spielte, wieder auf und verfolgten ihren Raub von neuem, allein da ihre Kraͤfte un- gleich waren, so kam ihm der eine meistens um etliche Schritte naͤher als der andre, woruͤber dieser sich so erbitterte, daß er alle seine Staͤrke anwandte, jenen Gluͤcklichern von seinem Vorsprunge zuruͤckzuziehn, und da eine solche Aufhaltung gleichfalls Erbit- terung erregen mußte, so zankten sie sich so lange herum, bis keiner von beiden einen Schritt weiter gehen konnte, oder der Vogel indessen indessen so weit aus dem Gesichte gekommen war, daß sich keiner ohne Narrheit die Lust ankommen lassen konnte, seine Beine nach ihm zu ermuͤden, oder von den uͤbrigen, die in verschiedenen Entfernungen gleichfalls nachfolgten, waren einige so weit zuvorge- kommen, daß sie sich unmoͤglich uͤberholen ließen. So jagten unzaͤhlige Truppe hinter dem goldnen Gefieder drein, keiner erhaschte es, und alle hatten am Ende — muͤde Beine. Kaum hatten die beiden Europaͤer diese Lustjagd aus dem Gesichte verloren, als ein neuer Laͤrm ihre Aufmerksamkeit auf eine an- dre Seite zog. Sie horchten; und bald stuͤrzte sich ein schlankes Reh, dessen Laͤufte aus Einem großen Kristalle gemacht zu seyn schienen, und dessen ganzer Leib so hell leuch- tete, daß die Gegend, wo es lief, Buͤsche und Baͤume, wie von dem aufsteigenden Lichte der Morgensonne, uͤbergoldet wurden: seine Augen strahlten wie Fixsterne, und wer in seinem Leben nie einem Rehe zu Ge- fallen sich wunde Fuͤße gemacht hatte, der mußte doch durch die Schoͤnheit dieses Thiers gereizt werden, die seinigen einmal daran zu zu wagen. Belphegor war schon im Be- griffe, darnach zu haschen, als ein Trupp Reiter in voͤlligem Galope, mit verhaͤngtem Zuͤgel, schaͤumenden, schnaubenden Rossen uͤber Buͤsch, Gestraͤuch, Huͤgel und Steine daherflogen und das funkelnde strahlende Thier zu ereilen suchten. Alle Rosse hatten nicht gleichen Athem und alle Reiter nicht gleiche Geschicklichkeit; es mußten also eini- ge zuvorkommen, einige zuruͤckbleiben: um sich nicht mehrere zuvorzulassen, wandten sie sich zu den Folgenden, und nun focht man mit allen Kraͤften, wer die Ehre haben soll- te, voranzureiten: man verwundete, man verstuͤmmelte, man laͤhmte, man toͤdtete sich, und wer die Oberhand behielt, gewann nichts als den leidigen Vortheil, seine Weg und seine Thorheit weiter fortzusetzen. — Himmel! wo sind wir? rief Akante. — In der Welt, antwortete Belphegor: denn man zankt, man ermordet sich. — Aber, fuhr Akante fort, was fuͤr ein herrlicher Theil der Welt ist das, wo solche kostbare funkelnde Voͤgel und so strahlende Rehe an- getroffen werden! Kaum kann ich glauben, daß wir noch auf unserm Planeten sind. — Wir Wir sind es, mitten auf dem Kothhaufen, wo alles funkelt und glaͤnzt, und alles nichts ist. Laß uns weiter gehn! — O wer doch einen so reizenden Vogel, oder so ein goͤttliches Thier fangen koͤnnte! Was haben wir zu verlieren? Ich daͤchte wir wag- ten eine Jagd mit. — Eine solche thoͤrichte Jagd! die so viele Beschwerlichkeiten kostet, wo die Beute sich bald naͤhert, bald ent- fernt und, wie es scheint, nie erhascht wird! Und was haͤttest du am Ende, wenn du den goldnen Vogel auch gleich vor Tausenden einholtest? Nimm ihm das schimmernde Ge- fieder! und vielleicht hast du ein uͤbelschme- ckendes unnahrhaftes Fleisch als die veraͤcht. lichsten Federn bedecken. Nein, ich kenne die Welt mit ihren Taͤuschereyen. — Aber sieh nur, Belphegor, das volle feurige Gold, das dem Vogel vom Ruͤcken blitzt! Ach, so ein goͤttlicher Vogel und ihm nicht nachzu- laufen! Du bist erstaunend finster und traͤ- ge. Ich gehe: willst du mit mir? — Belphegor hielt sie zuruͤck und schwur sehr nachdruͤcklich, daß er nie einen Fuß nach dem glaͤnzendsten Vogel bewegen werde, sollte er sich gleich seinen Haͤnden selbst dar- bieten bieten. Sie ließ sich zwar durch ihn abra- then, weil keiner von den reizenden Voͤgeln bey der Hand war, allein sie wiederholte doch ihr Verlangen darnach so oft, daß sie bey jedem Schritte einen erwartungsvollen Blick auf die Seite warf, ob nicht vielleicht bald einer von den paradiesischen Voͤgeln erscheinen werde, um ihm sogleich nachzu- setzen. Sie hofte und hofte, aber keiner wollte ihr diesen Gefallen erzeigen. Nachdem sie sich indessen, bis auf guͤn- stigere Zeiten, die sich Akante voͤllig gewiß versprach und Belphegor voͤllig unmoͤglich glaubte, mit etlichen wilden Fruͤchten gesaͤt- tigt hatten, uͤberließen sie sich von neuem dem Schicksale und dem Wege, die sie beide nach etlichen Tagen an einen Platz fuͤhrten, wo alles den Hauptsitz des Landes vermuthen ließ. Eine zehnfache Mauer von hohem dornichten Gestraͤuche umschloß den Platz, aus welchem die Stimmen der Freude und des Vergnuͤgens so weit und so laut erschall- ten, daß selbst Belphegors Herz, so dis- harmonisch auch seine Stimmung war, wi- der Willen zu einer gleichlautenden Empfin- dung hingerissen wurde; und Akante war ganz ganz Gefuͤhl, sie brannte vor Begierde nach einem Orte, der schon durch die Annaͤhe- rung so bezaubern konnte. — Wir muͤssen hinein, sprach sie zu ihrem Gefaͤhrten, es koste, was es wolle! Wir muͤssen hinein! Was fuͤr Wonne muß an diesem Orte woh- nen und jede Empfindung der Traurigkeit verdraͤngen, der uns so munter, so froͤlich, so himmlisch einladet! — Der Ort ist auf der Erde, antwortete Belphegor; es sind Menschen drinne: das ist genug, um alle diese verfuͤhrerischen Toͤne fuͤr Sirenentoͤne zu halten. Nicht einen Schritt thue ich. — Aber wie kannst du einer so goͤttlichen Musik wiederstehn? Du, der du sonst, bey jeder leisen Beruͤhrung fuͤhltest, der du nichts als Gefuͤhl schienst! — Meine Seele erhebt sich uͤber sich selbst; ich denke und empfinde ganz anders, seitdem ich jenen goldnen Vo- gel erblickt und diese reizende Musik gehoͤrt habe. Komm! deine Erfahrung hat dich mißtrauisch gemacht. — Menschen sind Menschen, und Welt ist Welt; und desto gefaͤhrlicher, wenn sie mit solchen Taͤuschereyen lockt! — Aber Aber hoͤre nur! Auf dem Todbette, unter dem Kampfe mit Hunger und Schmerz, muͤßte dein Herz noch bey solchen Toͤnen erwachen und schneller schlagen. Komm! wir muͤssen hinein! — Belphegor straͤubte sich lange, setzte ihr noch manche schwarze und bittre Anmerkung uͤber das arme Menschengeschlecht entgegen: nichts half! Je laͤnger er ihr Vergnuͤgen aufhielt, desto staͤrker wurde ihr Verlangen. Sie quaͤlte ihn so lange, bis er sich endlich nach einem Eingange, und da er diesen nicht fand, nach einem bequemen Orte zum Durchbrechen umsah. Akante, die uͤber seine saumselige Bedachtsamkeit hoͤchst unge- duldig war, versuchte selbst allenthalben, den Weg zu eroͤffnen, rizte sich blutig, entkraͤf- tete sich und kam nie zum Zwecke. Indessen fand Velphegor eine kleine schmale Oeffnung, wo die Dornen weniger dicht stunden und einer vorsichtigen Beugung nachgaben: hier machte er einen Versuch und es gelang ihm wirklich, mit etlichen leichten Verwundun- gen durchzuschluͤpfen. So sehr er auch Akan- ten Behutsamkeit und Langsamkeit empfahl, so war doch ihre Begierde zu feurig, sie uͤber- eilte eilte sich, schluͤpfte zwar hindurch, aber zer- riß sich das Kleid, und das ganze Gesicht war voller Ritze. Die erste Dornenpallisade war durchkro- chen: kaum hatten sie ausgeschnaubt, als sie eine zweite aufforderte. Sie thaten das naͤmliche mit dem naͤmlichen Gluͤcke und Un- gluͤcke. — Es zeigte sich eine dritte: auch diese wurde uͤberwunden; und so arbeiteten sie sich noch durch zwo Mauern hindurch, wo sich Belphegor ungeduldig hinwarf und schlechterdings nicht weiter wollte: allein Akante bat ihn mit allen weiblichen Kuͤnsten, mit einem Kniefalle, mit Thraͤnen, mit Lieb- kosungen; er war unerbittlich. — Sagte ich dir nicht, sprach er unmuthig, daß wir in Dornen und Suͤmpfe gerathen wuͤrden? Wo gehst du auf diesem Planeten Einen Schritt, ohne daß deine Fuͤße nicht bluten? Verstopfe deine Ohren! verschließe deine Au- gen! sey kein Mensch, wenn du auf ihm ohne Ungemach leben willst! — War das nicht mein Rath? — Wer weis, wie viele Tage- reisen lang wir ohne Nahrung, ohne Klei- dung uns unter tausend Schmerzen durch diese vermaledeyten Doruenzaͤune durchar- M beiten beiten muͤssen, um zu dem Platze zu gelan- gen, wohin uns dieses Zauberkonzert ruft; und wenn wir angelangt sind, was wird alsdenn geschehn? — Entfliehn wird die Musik, wie die goldnen Voͤgel und die strah- lenden Rehe! entfliehn, je naͤher wir kom- men, und uns, wie alle Guͤter dieses Koth- balles, zum Narren haben! herumfuͤhren, Muͤhe machen, um uns am Ende einsehn zu lassen, daß wir Thoren gewesen sind! — Ich gehe nicht weiter. — Auch ließ er sich wirklich durch keine Vor- stellung weiter bewegen, sondern uͤbernach- tete da, Akante konnte mit Muͤhe einschlum- mern, so beschaͤftigte sie ihre Erwartung und die Gewalt der Musik, die ihr mit jedem Augenblicke voller und hinreißender zu wer- den schien; und wenn ja eine kurze Zeit der Schlummer sie uͤberwaͤltigte, so rollten doch so viele Gedanken und Empfindungen unauf- hoͤrlich durch Kopf und Herz, daß sie nie zu einem anhaltenden erquickenden Schlafe uͤbergehn konnte. Kaum warf der Morgen den ersten Schimmer auf ihre Lagerstaͤtte hin, als sie schon aufstand und Belphegorn mit neuen Kraͤften antrieb, seinen Weg fortzu- setzen. setzen. Die Ruhe hatte seine Seele der Kraft der Musik und der Staͤrke von Akan- tens Vorstellungen geoͤffnet: es schien ihm gleich thoͤricht umzukehren und weiter zu gehn: er waͤhlte also, wohin ihn seine Em- pfindung zog; er fieng die Arbeit von neuem an. Sie legten noch den naͤmlichen Tag die fuͤnf uͤbrigen Dornenhecken zuruͤck, und obgleich die Dornen weniger verschlungen, die Oeffnungen haͤufiger und die Musik auf- munternder und entzuͤckender wurde, je wei- ter sie kamen, so traten sie doch erschoͤpft und kraftlos aus der letzten hervor, beson- ders da sie auf ihrem heutigen Wege nur hin und wieder einige nicht sonderlich schmecken- de Fruͤchte zu Stillung ihres groͤßten Hun- gers angetroffen hatten. Bey ihrem Heraustritte aus der letzten Dornenwand eroͤffnete sich ihrem Blicke ein weites merkwuͤrdiges Theater; aber die Mu- sik wurde nur noch leise in der Entfernung gehoͤrt, welches unsre beiden Wanderer um so viel weniger bemerkten, weil ihre Augen genug Beschaͤftigung hatten, um das Ohr sein Vergnuͤgen nicht vermissen zu lassen. Eine weite unuͤbersehlige Ebne dehnte sich M 2 vor vor ihnen aus, und die Aussicht wurde durch eine Menge großer und kleiner Gebaͤu- de unterbrochen, worunter besonders eins in der Mitte derselben wegen seiner Schoͤn- heit und seines Umfangs hervorleuchtete: alle waren von Reißig und Baumstaͤmmen sauber geflochten, weitlaͤuftig und kuͤndigten auf allen Seiten Bewohner von Geschmack und Liebhaber des Schoͤnen an. Auf der Ebne zeigte sich ihnen eine Menge großer riesenmaͤßiger Figuren, die gravitaͤtisch auf und abwandelten, indessen daß ihnen eine Menge Personen einen Platz fuͤr ihre Schritte frey machen mußten, worauf ein homeri- scher Gott mit seinem goͤttlichen Riesengange Raum genug gefunden haͤtte. Je mehr sie sich diesen Kolossen naͤherten, jemehr nahm ihre Groͤße ab, und als sie endlich ihrem Wirkungskreise so nahe waren, als es die abhaltenden Platzmachenden Kreaturen zu- ließen, so fanden sie zu ihrer großen Ver- wunderung, daß es Zwerge waren, Zwer- ge von der kleinsten Art, die auf unmaͤßig hohen Stelzen daherwandelten. Ihr einzi- ger Zeitvertreib war ein solcher gravitaͤtischer Spatziergang, und ihre ganze Beschaͤftigung bestund bestund darinne, daß einer den andern durch irgend ein Mittel von seiner Stelze abzuwer- fen suchte. Je hoͤher die Stelze ihren Mann emportrug, desto aufmersamer waren aller Augen auf ihn gerichtet, und desto eifriger waren die Bemuͤhungen, ihn herunterzustuͤr- zen. Einige zielten von Ferne mit Steinen und Stangen nach ihm, von welchem jeder, der zu ihrem Ziele geworden war, gewiß allemal Beulen und Quetschungen bekam, wenn er sich auf seiner Stelze im Gleichge- wichte erhielt: andre draͤngten sich so nahe zu ihm, daß sie, wie renomistische Studen- ten, bey dem Ausschreiten mit den Stelzen zusammenstoßen mußten, und wer fiel, — fiel, oft der Angreifer, oft der Angegriffne: noch andre ließen einem so vorzuͤglich hohen Stelzenzwerge ploͤzlich Steine in den Weg waͤlzen, die den Zirkel seiner Leibwache so schnell uͤberraschten und mit dahin rissen, daß sie dieselben nicht fortschaffen konnten; und wenigstens stolperte der Mann mit der Stelze, wenn er auch nicht ganz stuͤrzte, und die uͤbrigen hatten wenigstens die Freude uͤber ihn zu lachen. So war dieser Platz ein bestaͤn- stig abwechselnder Schauplatz, wo neue M 3 Zwer- Zwerge mit hoͤhern Stelzen erschienen, und andre von den ihrigen heruntergeworfen wurden, einige stolz daherwandelten, und einige mit zerbrochnen Armen, zerquetschten Koͤpfen, beschundnen Beinen schmerzhaft sich im Staube wanden. Lustig ist es, sprach Belphegor, Zuschauer von diesem Stelzenkaruselle zu seyn; aber sich drein zu mengen! — bewahre dafuͤr der Himmel jeden Mann, der solche Stelzen entbehren kann! — Aber, sieh, Akante! was wimmelt dort? — Sie sahen beide hin, und wurden einen Trupp kieinere Zwerge gewahr, die auf kur- zen niedrigen Stelzen das ganze Spiel der vorigen auf einem kleinen Platze nachaͤfften, sich wechselsweise herunter warfen und sich, um die Ehre der Gleichheit mit jenen groͤs- sern Zwergen zu erlangen, Beine, Arme und Haͤlse zerbrachen. — Siehst du, Akante? das alberne Men- schenvolk! rief Belphegor. Sonst wuͤrde mir dieser Anblick ein Laͤcheln abgenoͤthigt haben, izt zwingt er mich zum Aerger. Kannst du etwas rasenderes denken, als sich die Haͤlse zu zerbrechen, um sie sich wie an- dre dre zerbrochen zu haben. Fort! laß uns keine Menschen sehn, so sehn wir keinen Un- sinn! — Wo ist nun die Freude, die dir jene lockende Musik versprach? Horche doch! Wo ist es hin, das toͤnende Konzert? Ver- stummt! Nicht einen Laut, nicht ein Ge- schwirre hoͤrst du izt mehr. — Was zu ver- wundern? Sagte ich dirs nicht? — Es ist eine Freude unsers Planetens, und also eine Betriegerinn. — Akante erstaunte, horchte und wurde itzo erst inne, daß sie sich durch einen so be- schwerlichen Weg dem Vergnuͤgen naͤher ge- bracht hatte, um es zu verlieren. Sie troͤ- stete sich inzwischen mit der Moͤglichkeit, es mit einer doppelten Verguͤtung wiederzufin- den, und munterte Belphegorn auf, sie zu den uͤbrigen Merkwuͤrdigkeiten des Ortes zu begleiten. Sie giengen weiter, und sogleich zog ein weitlaͤuftiges Gebaͤude ihre Aufmerk- samkeit an sich, besonders war Akante vor Entzuͤcken ganz außer sich selbst gesetzt, da ihr aus demselben ganze Reihen von den goldnen Voͤgeln entgegenstrahlten, denen sie vor etlichen Tagen mit aller Gewalt nachja- gen wollte, da sie ganze Truppe von den M 4 helleuch- helleuchtenden Rehen erblickte, und Schaa- ren Menschen bey ihnen, die mit ihnen ver- traulich umgiengen. O Belphegor! seufzte sie, wie gluͤcklich muͤssen diese Menschen seyn, die die schoͤnen Voͤgel in solchem Ueberflusse besitzen, wo- von mich ein einziger schon hinlaͤnglich be- gluͤcken wuͤrde! Siehe! Diese Gluͤckseligen koͤnnen sie pflegen und warten, sie streicheln, sie liebkosen, den goldgelben Samt ihres Gefieders beruͤhren, ihre Ohren an den lieblichen Liedern ihrer Kehle weiden — o wer ein Glied von diesem beneidenswuͤrdi- gen Haufen waͤre! Sie haben errungen, wo- nach vermuthlich so viele noch keuchend lau- fen, dem ich gern nacheilte — ach! komm! Laß uns wenigstens die Augen an diesen eng- lischen Geschoͤpfen ergoͤtzen! — Gute Akante! Du beneidest diese Leute; aber, aber! — ich sehe schon ein trauri- ges Anzeichen. Was gilts? Sie fuͤhlen ein Gluͤck dieser Erde, das heißt, eine beneidete Last. Siehst du nicht? — Und was? rief Akante hastig. — Sie haͤngen ja alle die Koͤpfe. Deine Einbildungskraft berauscht sich bey dem Ver- gnuͤgen gnuͤgen gleich, und du vergißt, daß du auf der Erde bist. — Nein, da sind wir nicht! Weder bey dem Pabst Alexander, dem sechsten, noch bey dem Markgrafen, wo meine Schoͤnheiten so jaͤmmerlich verwuͤstet worden sind, weder bey dem großen Fali, noch bey irgend ei- nem Herrn, dessen Sklavinn ich gewesen bin, habe ich eine so entzuͤckende Kostbarkeit angetroffen, als diese goldnen Voͤgel oder diese strahlende Rehe: sie sind uͤber alle Herr- lichkeiten dieser Welt erhaben, und wir muͤs- sen nothwendig in einem Paradiese seyn. — Wohl! aber wissen moͤchte ich nur, war- um die guten Leute in ihrem Paradiese die Koͤpfe haͤngen. — Sie giengen, um Er- kundigung daruͤber einzuziehn, allein da sie die Sprache nicht verstunden, so erfuhren sie blos, was sie ihre Augen belehrten, naͤm- lich daß die Leute muͤhsam die goldnen Voͤ- gel und Rehe warten und fuͤttern mußten, und nach aller Wahrscheinlichkeit Lange- weile bey diesem Amtsgeschaͤfte hatten. Weil ihre Neubegierde auf diese Art nicht weiter gesaͤttigt werden konnte, so wandten sie sich auf die andre Seite, wo sich ihnen M 5 neue neue Merkwuͤrdigkeiten darboten. Ein Zwerg, der die uͤbrigen an Kleinheit merklich uͤber- traf, lag auf einem sehr erhoͤhten von Zwei- gen geflochtnen Sofa, an welchem eine Men- ge Zwerge zu ihm hinaufzuklettern versuch- ten. Ob er gleich nur von der Hoͤhe war, daß ihn die beyden Europaͤer aufrecht ste- stend bequem uͤbersehen konnten, so kostete es doch den armen Kreaturen unendliche Muͤhe daran hinaufzusteigen, besonders weil einer dem andern aus Neid die Muͤhe viel- faͤltig vermehrte: denn sobald einer nur um ein Paar Zolle mit dem Kopfe hoͤher zu ruͤ- cken schien, so beeiferten sich ganze Schaa- ren aus allen ihren Kraͤften, ihn hernieder zu reißen: man schlang sich um seine Fuͤße, man hieng sich ihm an die Huͤften, man suchte ihn durch Kuͤtzeln oder durch Gewalt- thaͤtigkeiten herunterzubringen, und meisten- theils gelang es den Misguͤnstigen, ihre Schadenfreude an dem Falle eines solchen Gestuͤrzten zu vergnuͤgen. Die wenigen aber, die allen diesen Hinderungen wiederstanden, alle diese Beschwerlichkeiten uͤberwanden und gluͤcklich zu dem Sofa emporkamen, genos- sen fuͤr ihre angestrengte Bemuͤhung kein an- dres dres Gluͤck, als daß sie neben dem kleinen Zwerge, der den Sofa inne hatte, sich nie- dersetzen und ihn taͤglich und stuͤndlich an- sehn durften. Dabey waren sie unaufhoͤr- lich, ein jeder fuͤr sich, beschaͤftigt, den Blick des kleinen Zwergs durch alle nur er- sinnliche Mittel auf sich zu lenken und seine Gesichtsmuskeln in eine laͤchelnde Mine zu versetzen. Zu diesem Ende zwickten ihm ei- nige sanft die Ohren, andre hielten ihm starkriechende Essenzen vor, andre boten sei- nen Lippen die auserlesensten Fruͤchte und wohlschmeckende Konfituren dar, diese be- lustigten ihn mit burlesken Grimassen und kurzweiligen Gaukeleyen, jene rieben ihn am ganzen Leibe mit kleinen Samtbuͤrstchen so einschlaͤfernd sanft, daß er oft durch ihre Dienstfertigkeit in einen wohlthuenden Schlummer versezt wurde. Sobald einer es durch sein angewandtes Mittel dahin brachte, daß er einen freundlichen Blick weg- haschte, so mußte er sogleich mit allen seinen Kraͤften sich Festigkeit auf seinem Sitze ver- schaffen, um nicht hinuntergestuͤrzt zu wer- den: denn sobald die Sehnerven des kleinen Zwergs nur anfiengen, sich in die Richtung nach nach ihm hinzuwenden, so war der ganze uͤbrige neidische Haufe schon in Bereitschaft, Hand an ihn zu legen, um ihn durch einen wohlabgezielten Stoß aus dem Gleichge- wichte von der Hoͤhe hinabzuwerfen. O Akante! rief Belphegor unwillig aus, bin ich denn bestimmt, zu meiner Qual be- stimmt, taͤglich mehrere — taͤglich abge- schmacktere Narrheiten zu erblicken? — Komm! ich muß mich dem schmacklosen kindischen Spiele entreissen oder zu meinem Aerger hier bleiben. Thorheit oder Bosheit! daß ihr doch der ewige Wechsel auf diesem verhaßten Planeten seyn muͤßt! — Obgleich Akante nicht so viel Aergerliches in jenem Schauspiele fand und es gern und mit Vergnuͤgen noch einige Zeit genossen haͤtte, so mußte sie ihm doch nacheilen oder allein zuruͤckbleiben: denn kaum hatte er die letzten Worte gesagt, als er hastig fortlief und einen Ausgang aus diesem fuͤr ihn wi- drigen Orte suchte, den er ohne Muͤhe ent- deckte, und nicht den zwanzigsten Theil so viel Zeit brauchten sie, um herauszugehn, als sie noͤthig hatten, um hineinzukommen: in wenigen Augenblicken sahen sie sich wie- der der auf freyem Felde, und die Musik erhub sich von neuem so lieblich als jemals und haͤtte sie es bereuen lassen koͤnnen, daß sie dem Orte entflohen waren, wenn sie nicht ge- wußt haͤtten, daß es eine suͤßklingende Taͤu- scherey war, die nur außer ihm in der Ferne anlockte, aber in ihm selbst ganz verloren gieng. Demungeachtet hielt sich Akante oft- mals auf, um sich von dem lieblichen Kon- zerte entzuͤcken zu lassen, allein Belphegor trabte so frisch davon, daß sie jede Minute nutzen mußte, um ihm nachzukommen. Belphegor konnte nicht aufhoͤren, uͤber das Gesehne zu eifern, und Akante unterließ eben so wenig, es zu bewundern: jenem schmeckte jeder Bissen uͤbel, weil er — nach seinem Ausdrucke — in diesem Vaterlande der Thorheit gewachsen war, und diese war noch zu voll von Entzuͤcken uͤber diese naͤm- lichen Abgeschmacktheiten, um Appetit und Speise zu suͤhlen. Einen kleinen schmalen Weg wurden sie gewahr; sie uͤberließen sich ihm, und er fuͤhrte sie in einen Wald: sie giengen lange Zeit Zeit, und siehe! — ploͤtzlich stießen sie auf eine große Gesellschaft Zwerge, die sich in verschiedene kleine Partien getheilt hatten. Belphegor, der in seiner misanthropischen Laune alles vermied, was mit dem Menschen verwandt war und ihm nach seiner Mey- nung nichts als Aerger erwarten ließ, drehte sich unwillig und fluchend um, als ihm ein Alter nacheilte und ihn durch Zeichen bat, mit seiner Gefaͤhrtinn naͤher zu kommen: er ließ sich endlich bewegen und wurde von ihm in die Gesellschaft eingefuͤhrt. Man sollte vermuthen, daß die Zwerge, da sie nie andre Menschen als von ihrer Groͤße gesehn hatten, uͤber die Statur der beiden Europaͤer erstaunt seyn wuͤrden, allein weit gefehlt! Aus dieser Gleichguͤltigkeit konnte man schon schließen, daß sie die weisesten Zwerge im Lande seyn mußten, die vermoͤge ihres Verstandes wohl praͤsumiren konnten, daß der Kreis ihrer Erfahrungen nicht mit dem Kreise der Wirklichkeit und Moͤglichkeit Eine Peripherie habe. Diese ehrwuͤrdige Gesellschaft besaß ein Geheimniß, dessen Erfindung noch in unserm Jahr- Jahrhunderte einem der groͤßten europaͤi- schen Genies Leibnitz. Kopfschmerz und Nachden- ken vergeblich gekostet hat — das Geheim- niß der allgemeinen Sprache. Sie konnten sich mit den Menschenkindern aller Zonen und Mittagskreise unterhalten, ohne ihre Sprache zu wissen, wenn diese nur eine kleine Anzahl Zeichen verstehen lernten, die sie einem jeden durch eine eigne Methode schnell und leicht beyzubringen wußten. So bald diese Schriftzeichen gefaßt waren, de- ren ungemeine Simplicitaͤt ihre Erlernung außerordentlich erleichterte, so setzten sich die beiden Interlokutoren an eine Tafel, die mit feinem Sande bedeckt war, in welchem jeder mit einem weissen Staͤbchen seine Ge- danken zeichnete, die er ausdruͤcken wollte; der andre, so bald er den Sinn davon ge- saßt hatte, machte den Sand mit einem platten Instrumente wieber eben und setzte das Gespraͤch durch die naͤmliche Zeich- nung fort. Auf diese Weise erfuhr Belphegor, der sich mit seiner Gefaͤhrtinn zu seinem Vergnuͤ- gen gen und zu ihrem Leidwesen lange unter jenen weisen Zwergen aufhielt, eine um- staͤndliche Beschreibung von diesem sonder- baren Lande, der Lebensart und den Be- schaͤftigungen seiner Einwohner, wovon der Leser hier das Vornehmste antreffen soll. Wir haben lange Zeit, zeichnete ihm der Alte, der ihn bey seiner Ankunft so guͤtig aufnahm, auf dem Sande vor — wir ha- ben lange Zeit unser Land fuͤr das einzige dieser Erde, und uns daher fuͤr die einzigen Bewohner derselben angesehn; allein schon laͤngst haben wir auch durch die tiefsinnig- sten Schluͤsse entdeckt, daß dieß ein ungeheu- rer Irrthum ist, der uns weit von der Wahr- heit abgefuͤhrt hat. Der ganze Lebenslauf unser aller ist — daß wir geboren werden, eine Zeitlang in Dummheit und Unwissenheit herumwandeln, in einem gewissen Alter, wenn wir Thaͤtigkeit und Staͤrke genug be- sitzen, auf die Jagd nach goldnen Voͤgeln, helleuchtenden Rehen und Hirschen, auf den Fang nach buntschimmernden Fischen aus- gehn, oder die nicht Geist, Muth und Athem genug besitzen, sich in diese Jagd einzulassen, diese diese kriechen verachtet und abgesondert in einem Winkel herum, wo sie fuͤr sich und die uͤbrigen Einwohner Wurzeln ausgraben, Fruͤchte sammeln und andre Nahrungsmittel aufsuchen muͤssen. Wir andern, die wir zu jener Jagd und Fischerey tuͤchtig genug sind, wir wenden alle unsre Kraͤfte dazu an, wir verfolgen Voͤgel, Wild oder Fische, nach- dem unser Geschmack oder die Gelegenheit uns bestimmt; keiner hat noch jemals eins erhascht, und doch sind tausende dabey um- gekommen, weil ihnen der Athem ausgieng, tausende haben einander aus Neid darum gebracht; nur wenige erjagen zuweilen eine goldne Feder, die sie kaum besitzen, als sie des erlangten Besitzes uͤberdruͤßig sind: demungeachtet bleibt keiner, der es nur im mindesten vermag, von diesem muͤhsamen Geschaͤfte zuruͤck, laͤuft und laͤuft, und hat am Ende — nichts, oder wenigstens ein Etwas, das so gut als ein Nichts ist, sieht ein, daß es ein Nichts ist, und begiebt sich endlich an diesen Ort, der der letzte allge- meine Sammelplatz unser aller ist, wo wir uͤber die Thorheit unsers Lebens weinen oder lachen, schmaͤlen oder laͤcheln. Siehe! alle N diese diese Truppe hier thun nichts als daß sie mit lustiger oder trauriger Geberde sich uͤber die Narrheit derjenigen aufhalten, die noch itzt goldnen Voͤgeln und rothschim- mernden Fischen nachlaufen, ohne zu wissen, daß sie leeren Fantomen nachjagen, die sie am Ende eben so betriegen werden, wie uns alle; und wenn wir einige Zeit so geseufzt oder gelacht und gelernt haben, daß wir Narren Zeitlebens gewesen sind, so schlaͤgt uns der große maͤchtige Tod mit der Kenle auf den Kopf — und weg sind wir! Wir gehn hinweg, um kuͤnftig unter andern Ge- stalten die naͤmliche Reihe unbewußt wieder durchzumachen. — So waͤrt ihr ja Menschen, wie wir alle sind! dachte Belphegor bey sich; und euer Land nicht ein Haarbreit anders als die uͤbrige Welt! Das wahre Ebenbild unsrer Erde! — Akanten lag nichts so sehr am Herzen als den Ort kennen zu lernen, der sie mit dem schoͤnen Konzerte entzuͤckt hatte, und Belphe- gor bekam auf seine Anfrage folgende Ant- wort: wort: — Das ist der Ort, der außen lockt und inwendig schreckt, außen lauter Ver- gnuͤgen verspricht und inwendig lauter Lan- geweile giebt, wo ein Theil auf Stelzen stolz daherschreitet und sich wechselsweise ab- wirft, ein andrer muͤhsam, mit Ueberdruß und Ekel goldne Voͤgel, Rehe und Fische pflegt und unter vieler saurer Beschwerlich- keit wartet, und ein dritter sich um suͤße und saure Blicke zankt, beneidet, verfolgt; wo jeder ein beneideter Lasttraͤger ist — Und was fuͤr ein Ort ist das? wollte eben Belphegor fragen — Himmel! was fuͤr ein Krachen! welches Getoͤse! rief Akante ploͤtzlich. — Welche Erschuͤtterung! Wir gehn unter! Die Erde wankt! rief Belphe- gor; und im Augenblicke versenkte ein schreckliches Erdbeben eine unuͤbersehliche Flaͤche Landes in den Abgrund, das Meer schwoll an seinen Platz in hohen gethuͤrmten Wellen empor, das Stuͤcke Boden, auf wel- chem unsre Gesellschaft saß, riß sich mit der entsetzlichsten Erschuͤtterung los und schwamm, wie Delos als es Latonen wider die Wuth ihrer Feinde schuͤtzen sollte, mit N 2 seinen seinen Bewohnern auf der See fort und fuͤhrte sie — der Himmel und das neunte Buch wissen es wohin. Dieses war der große Riß, den das liebe Schicksal, nach der Muthmaßung vieler Geographen, Historiker und Philosophen, in das feste Land unsrer Erdkugel gemacht hat, um alle diejenigen zum Aprile zu schicken, die trocknes Fußes aus Asien nach Amerika uͤbergehen wollen; und wenn Bel- phegor und die schoͤne Akante eine Zeichnung von dem Wege hinterlassen haͤtten, den die schwimmende Insel mit ihnen nahm, so wuͤrden wir ohne Zweifel mit Gewisheit er- fahren, wie man aus Asien nach Amerika segeln soll. Neun- Neuntes Buch . N 3 W ie, wenn der Fuhrmann, der seine Rosse durch Fluch und Peitsche zum unumschraͤnkten Gehorsame gewoͤhnt hat, sein allmaͤchtiges O! ruft, der ganze Post- zug sogleich in einem Tempo, wie ange- mauert, stillsteht; so schwamm das abge- rißne Stuͤck Land mit Belphegorn und seinen Gefaͤhrten eine lange Strecke fort, und ploͤtz- lich ruhte es unbeweglich und ward zur festen Insel, nicht weit von Kalisornien; und wie verschiedene große Gelehrte an ih- rem Schreibetische uͤberzeugend eingesehn haben, so wurde der schwimmende Boden auf einen spitzigen Felsen aufgespießt, der ihn bis an den juͤngsten Tag tragen kann, wenn nicht ein Erdbeben einen Strich in die Rechnung macht. Die Gefellschaft, die diese bedenkliche Fahrt nicht ohne eine kleine Besorgniß, daß der Tod mit dem Spiele Ernst machen moͤchte, aber doch gluͤcklich und wohlbehal- ten zuruͤcklegte, bestund aus Belphegorn, N 4 Akan- Akanten und dem Alten, der in seiner Unter- redung mit ihnen durch das graͤuliche Erd- beben gestoͤrt wurde. Belphegor war nicht uͤbel zufrieden, daß ihn das Schicksal so ein- sam, fern von allen Menschen, auf die offne See hingesetzt hatte, und ward es viel we- niger, als er sich gegenuͤber ein großes festes Land wahrnahm, welches die uͤbrigen, weil sie nicht so viel Menscheufeindlichkeit besaßen, doppelt erfreute. Doch auch fuͤr ihn mußte das Vergnuͤgen uͤber seine Einsamkeit nur von kurzer Dauer seyn, wenn er die Duͤrf- tigkeit und Huͤlflosigkeit betrachtete, worinne sie sich befanden. Das Erdbeben hatte ih- nen wohl einen guten Vorrath Brennholz mitgegeben, aber nicht einen einzigen Frucht- baum, nicht ein einziges Gewaͤchse, nicht eine Staude, die nur im mindsten geschickt gewesen waͤre, einen menschlichen Hunger zu stillen. Fische zu fangen hatten sie keine Werkzeuge, und eben so wenig Materialien, sie zu verfertigen; gleichwohl war dieß die einzige Nahrung, deren sie habhaft werden konnten. Zum Gluͤcke hatte der Alte auf seiner Jagd nach goldnen Fischen in juͤngern Jahren die Kunst gelernt, sie bey hellem Wasser Wasser mit der Hand zu fangen: der Hun- ger trieb ihn an, daß er eine Fertigkeit wie- der versuchte, die er schon laͤngst aufgegeben hatte, allein durch das Alter und die Unge- wohnheit waren seine Haͤnde unsicher und unstaͤt geworden, daß er also mit der aͤußer- sten Anstrengung in einem Tage kaum genug fieng, um sich und seiner Gesellschaft das Leben zu fristen, aber nicht um sie zu naͤhren. Oben drein mußte das Ungluͤck ihren Jam- mer vermehren und den Alten, dessen schwaͤchlicher Koͤrper einen so kuͤmmerlichen Unterhalt nicht ertragen konnte, in wenig Tagen sterben lassen. Was nun zu thun? — Nichts als zu hungern oder zu sterben! In dieser schrecklichen Verlegenheit mußte sich Belphegor bequemen, den Ton seiner Menschenfeindlichkeit um vieles herabzustim- men: so sehr er sonst vor dem Anblicke der Menschen flohe, so eifrig spaͤhte er itzt an dem Rande seiner Insel, um vielleicht an dem entgegenstehenden Ufer menschliche Fi- guren zu entdecken, denen er durch Rufen und Zeichen verstaͤndlich machen koͤnnte, daß hier einige von ihren Bruͤdern ihres Beystandes beduͤrften: er duͤnkte sich zwar N 5 etwas etwas bewegliches wahrzunehmen, allein sein Auge reichte nicht voͤllig bis dahin, um es gehoͤrig zu unterscheiden. Endlich, nach langem vergeblichen Warten, warf er sich verzweiflungsvoll nieder und rief: O Natur! o Schicksal! daß ihr doch in ewiger Uneinigkeit wider einander seyn muͤßt! Sollte das Ungluͤck die Bande der Mensch- heit naͤher zusammenziehn, sollte es ein Ge- schoͤpf dem andern theuer und nothwendig machen, warum mußte das Schicksal wohl tausend Ungluͤcksfaͤlle in unser Leben hin- werfen, aber unter diesen tausenden kaum einen die Wirkung thun lassen, wozu er nach unsrer Meynung bestimmt ist? — Meine traurige Huͤlflosigkeit, die Naͤhe des Todes, die Moͤglichkeit der Rettung, die Zudring- lichkeit der Gefahr — alles zusammen hat mein Herz wieder geoͤffnet: ich fuͤhle einen Zug nach Menschen; ich wuͤrde sie vielleicht lieben, wenn sie mich retteten; ich hasse sie schon weniger: aber wenn ich meine Haͤnde gleich zu Freundschaft und Wohlwollen aus- strecke, und Niemand mir die seinigen bie- tet? Wenn mich das Schicksal auf der einen Seite zu den Menschen hinstoͤßt, und auf der der andern sie wieder von mir entfernt? — O Labyrinth! O Raͤthsel! Der Tod schneider den Knoten am besten entzwey. Wohlan! zeugt die Natur Geschoͤpfe, um sie in Qual zu versenken; macht sie so herrliche Anstal- ten, um sie unter einander zusammenzu- knuͤpfen, daß sie erst hungern, frieren, schmachten, die aͤußerste Erschoͤpfung der Kraͤfte durch Schmerz und Gefahren erdul- den, sich kraͤnken, verfolgen, martern, er- wuͤrgen muͤssen, damit der kleine Rest, der der Gefahr und dem ganzen tollen Spiele der Welt entrann, sich lieben und in Friede bey einander wohnen koͤnne; durchwebte sie dieses Leben mit Dornen, um uns die ein- zeln bluͤhenden Bluͤmchen desto wohlthuen- der, einnehmender zu machen; gab sie ihren Geschoͤpfen eine so traurige Fruchtbarkeit, daß sie mehrere ihres Gleichen hervorbrach- ten, als nach der Veranstaltung des Schick- fals ernaͤhrt und erhalten werden konnten: — mag sie es verantworten! Ich kann nicht mit ihr rechten: denn — ungluͤcklich genug! — wir haben keinen Richterstuhl, der uͤber uns erkennt; der Mensch, ihre Kreatur, muß leiden, weil er der schwaͤchere, weil weil er nichts ist. — O Akante! warum sollten wir uns nach Huͤlfe umsehen? Um noch einmal so lange unter Schlangen, Ei- dexen, Skorpionen herumzukriechen? Haben wir nicht Bisse und Stiche genug bekom- men? — Laß das veraͤchtliche Geschlecht, das zum Quaͤlen allzeit, und zur Huͤlfe nie bey der Hand ist, laß es! Wir wollen ihn fluchen und sierben! — Mit diesen schwarzen Gedanken faßte er sie halb sinnlos in die Arme; sie weinte, er fluchte; sie dachte an alle Oerter der Freude zuruͤck, wo sie jemals in Lust und Entzuͤcken geschwommen hatte. — O wie schoͤn, dachte sie, war es im Serail des großen Fali! wie schoͤn bey dem Markgrafen von Saloica, ob ich gleich alle meine Schoͤnheiten dort einbuͤßte! wie schoͤn bey Alexander dem sech- sten! wie schoͤn uͤberhaupt in Europa in den Armen meiner Geliebten, Belphegors und Fromals und Stentors und Bavs und Maͤvs und Euphranors und andrer schoͤnen Juͤnglinge! Ach, die gluͤckliche Zeit ist vor- uͤber; und hier soll ich nun auf dieser duͤr- ren oͤden Insel ohne Gesang und Klang — nicht einmal begraben, sondern vermodern und und von den Voͤgeln des Himmels zerstuͤckt werden! Kein Juͤngling soll eine einzige Strophe auf meinen Hintritt singen! kein Lieb- haber eine Thraͤne auf meine erblaßten Wan- gen troͤpfeln und sie wieder aufkuͤssen! — Nichts, alles nichts! alles nichts! alles ist aus! Ich muß sterben, unbeklagt sterben! — Belphegor, du hast Recht: das laͤcher- liche thoͤrichte Leben ist nicht werth, daß man es durchlebt, weil man es so bald mis- sen muß. Ich habe von Heiden, Juden und Christen leiden muͤssen, und die graͤuli- chen Keile waren alle eins: aber ich habe auch Freuden genossen, und da ich sie wie- der zu erlangen hoffe, so soll ich gar sterben! sie auf ewig missen! — O du tolles abge- schmacktes Leben! waͤrst du nur schon vor- uͤber! — Sie weinte bitterlich. Beide wollten sterben; allein da der Tod mit seiner saumseligen Huͤlfe nicht allzeit auf die erste Bitte erscheint, so kam indessen zu Stillung ihrer Schmerzen sein Bruder — der Schlaf. Bey ihrem Erwachen, das etwas spaͤt des Tages darauf erfolgte, sahen sie einen Trupp Kanote nicht weit von ihrer Insel in Ord- Ordnung gestellt und mit einer Menge wil- der Mannspersonen augefuͤllt; und so sehr sie Tages vorher unwillig waren, daß nicht zween Menschen zu ihrer Huͤlfe herbeyeilten, so sehr erschraken sie itzt, daß ihrer eine so große Menge bey der Hand war. Wirklich hatten sie auch alle Ursache zu erschrecken: denn nicht aus bruͤderlicher Liebe, sondern aus Besorg- niß fuͤr Feindseligkeiten waren sie herbeyge- kommen. Sie hatten ihre Schiffahrt mit der Insel angesehn und viel Bedenkliches dabey gefunden, daß sich in ihrer Nachbarschaft eine so große Masse niederließ, die vorher nicht vorhanden gewesen war: da dieses verschiedne wunderliche Gedanken veranlaßte, besonders daß es vielleicht gar eine Rotte boͤser Geister seyn konnte, die nicht in den besten Absichten auf die Nachbarschaft mit einer so ansehnlichen Wohnstaͤtte angekom- men seyn moͤchten, so beschlossen sie, nicht laͤnger in einer quaͤlenden Ungewißheit zu bleiben, sondern die Sache siehendes Fußes in Augenschein zu nehmen. Daher waren sie in der Nacht mit ihrer ganzen Flotte von Kanoten abgesegelt, einige hatten sich in der Entfernung gehalten, und andre waren ge- landet, landet, um heimlich die neue Insel zu un- tersuchen. Als sie aber so wenig erschrecken des und nur zween in tiefen Schlaf versenkte Sterbliche antrafen, so schien es ihnen das rathsamste den Tag in Schlachtordnung ab- zuwarten und sie alsdenn die Probe ihrer Gottheit oder Sterblichkeit ablegen zu lassen. Zu diesem Ende wurden die beyden Schla- fenden durch ein heftiges Geschrey, das alle anwesende Haͤlse zugleich anstimmten, bey Tages Anbruche ausgeweckt, und etliche toll- kuͤhne Wagehaͤlse hatten sich schon in ihren Kanoten um die Insel herumgeschlichen, um sie von hintenzu anzufallen, zu binden und triumphirend in ihre Heimath zu fuͤhren, um ihren Stand und ihre Macht weiter zu un- tersuchen. Sabald als Belphegor bey seinem Erwa- chen die Menge Menschen erblickte, so war seine erste Empfindung — Schrecken, wie bereits gesagt worden ist: doch belebte die Nothwendigkeit der Huͤlfe und eine Art von Verzweiflung seinen Muth so sehr, daß er durch bittende Zeichen und demuͤthige Geber- den sie auf seine Insel zu locken und ihnen zu glei- zu gleicher Zeit verstaͤndlich zu machen suchte, wie sehr er ihres Beystandes beduͤrfe. An- statt einer guͤtigen freundschaftlichen Antwort toͤnte ihm ein fuͤrchterliches Kriegsgeschrey entgegen, das bald hinter seinem Ruͤcken wiederholt wurde, worauf etliche sie uͤber- fielen, mit Seilen von Baste fesselten und ihren Gefaͤhrten winkten, mit den Kanoten herbeyzurudern und die Gefangnen einzuneh- men, welches im Augenblicke geschah. Obgleich die Art, mit welcher diese Wil- den die beiden Europaͤer bewillkommten und aufnahmen, nicht die erfreulichsten Aussich- ten versprach, so war doch Belphegor aͤu- ßerst zufrieden, das er auf ein langes festes Land gebracht werden sollte, wo er wenig- stens Einen Fleck mit hinlaͤnglicher Nahrung anzutreffen hofte: Akante hingegen, deren Keuschheit eben keine sonderliche Muͤhe und Vorsorge mehr verdiente, weil sie schon lei- der! so sehr als ihr Gesicht zerfezt und ver- stuͤmmelt war, dachte an alles, waͤhrend der Ueberfahrt, nicht so sehr und angelegent- lich als an die Gefahren, die unter so wil- den Barbaren ihrer weiblichen Ehre drohen konnten. So natuͤrlich, so tief mit dem weib- weiblichen Wesen verwebt ist Sittsamkeit und Keuschheit, daß hier Akante so gar, nachdem sie schon in neun und neunzig Faͤl- len besudelt worden sind, doch im hunder- ten noch fuͤr die Erhaltung ihrer Reinlichkeit sorgte! Belphegor raͤsonnirte indessen unaufhoͤr- lich bey sich uͤber die Feindseligkeit und das Mistrauen, das die Wilden bey ihrer Auf- nahme blicken ließen. — Ein neuer Beweis, sagte er sich, unter den vielen, die ich schon er- lebt habe, daß die Natur ihren Soͤhnen keine angeborne bruͤderliche Zuneigung zur Mitgift ertheilte. Warum fuͤhlt der Wilde diesen Zug zu keinem Fremden? Warum ist ihm außer der kleinen Gesellschaft, die lange Gewohn- heit mit ihm eins hat werden lassen, alles Feind! — O Natur! Natur! Du mußtest dem Menschen dieses Mistrauen einpflanzen, um deine Kreaturen Selbsterhaltung zu leh- ren: aber trauriges Mittel! damit jedes sich erhalte, muß jedes des andern gebor- ner Feind, von allen sich trennen und nur durch Gewohnheit, Eigennutz, Zwang der Freund von etlichen wenigen werden! Un- gluͤckliche Geselligkeit! magst du doch In- O stinkt stinkt oder vom Beduͤrfnisse erzeugt seyn, du bist allzeit ein trauriges Geschenk: du sam- meltest die Menschen in Rotten, um sich zu befeinden und zu zerfleischen. War es aus Oekonomie oder um das Schauspiel blutiger zu machen, daß nicht Menschen gegen Men- schen, sondern Trupp gegen Trupp streiten mußte? Doch weg mit den truͤben Gedan- ken! Ich bin vom Hunger und vom Tode gerettet: diese unverdorbnen Kinder der Na- tur, die Unerfahrenheit fuͤrchten, und die Furcht feindselig verfahren lehrte, werden unsre friedlichen Gesinnungen kaum merken und uns eben so friedlich begegnen. Der Zunder der Feindschaft, der in der ganzen Welt glimmt, kann sich nicht bey ihnen ge- gen uns entflammen: freue dich, Akante, wir sind wenigstens dem Tode, wo nicht fer- nern Ungemaͤchlichkeiten entflohen! — Es muß doch so eine Anordnung, so ein geheimes Etwas seyn, das die menschlichen Begebenheiten zum Besten der einzelnen Mit- glieder der Erde zusammenknuͤpft: ein Et- was, das aus den widerwaͤrtigsten Saa- men den entgegengesezten Vortheil, aus Mis- Mistrauen und feindlicher Furcht Errettung entwickeln kann. — Die Freude, sich aus der augenscheinlich- sten Todesgefahr so unvermuthet geholfen zu sehn, gab seiner Philosophie einen so ge- schmeidigen Fluß, daß sie bis zum Landen sich in diese Selbstbetrachtung ergoß. Nachdem sie unter einem ununterbroch- nen Jubel in das erste Dorf eingezogen wa- ren, so glaubte Belphegor nichts gewisser, als daß man auf seine erste Bitte, sobald sie nur verstanden worden waͤre, mit der groͤß- ten Bereitwilligkeit seinen Hunger befriedi- gen werde. Er that zwar seine Bitte, aber niemand schien sie zu verstehen, sondern man sperrte ihn nebst Akanten nach einer langen Prozession in ein Gebaͤude ein; und eine kleine Weile darauf trug man ihnen Speisen im Ueberflusse auf, deren Ungewohnheit ih- nen die Ueberladung ersparte. Die Einwoh- ner, die sie genau beobachteten, frohlockten nicht wenig als sie ihre Gefangnen mit so vielem Appetite essen sahen, welches Vel- phegorn, der es sich als eine Freude der Menschenliebe und des Mitleids ausgab, beinahe auf bessere Gesinnungen von der O 2 mensch- menschlichen Natur brachte und seine bishe- rigen Beschwerden uͤber sie bereuen ließ. — Hier, sagte er zu Akanten, hier ist unver- dorbne Natur: in keiner sogenannten poli- zierten Gesellschaft wuͤrde man so naife Aus- druͤcke des Mitleids und vielleicht auch schwer- lich eine so sorgsame Verpflegung, ohne alle Ruͤcksicht auf eignes Interesse, angetroffen haben. Nur das einzige war ihm unbegreiflich, daß diese mitleidigen Versorger sie gleich an- fangs aller Kleider beraubt hatten, bestaͤn- dig gefesselt hielten und auf das schaͤrfste be- wachten: er sann tausend guͤnstige Ursachen dafuͤr aus, die insgesammt ganz wahrschein- lich, aber keine die wahre war. Nach einer achttaͤgigen Wartung und Be- koͤstigung, die ihnen ihre Kraͤfte voͤllig wie- der hergestellt hatte, wurden sie des Mor- gens unter dem Zusammenlaufe des ganzen Dorfs ausgefuͤhrt, und jedes in der ganzen natuͤrlichen Bloͤße an einen Pfahl gebunden: beide zitterten nicht ohne Grund fuͤr ihr Le- ben; doch war ihnen alles noch Raͤthsel. Verschiedene von den Umstehenden waren mit bedenklichen Werkzeugen bewaffnet, die zu nichts zu nichts als zum schneiden und saͤgen ge- schickt waren: ein großes Feuer loderte in hohe Flammen empor, und nichts war wahr- scheinlicher, als daß sie beide gebraten wer- den werden sollten. Mitten unter dieser unseligen Vermuthung rennte eine Weibs- person, unsinnig wie ein Maͤnade, auf Bel- phegorn zu und zwickte ihm mit einem stei- nernen Instrumente ein Stuͤck Fleisch aus dem Arme, daß er vor Schmerz vergehn mochte; das Blut quoll aus der Wunde, und schnell hielt einer der Dastehenden ein Gefaͤß unter, um es aufzufangen und zu ver- schlucken. Dem Beispiele des rasenden Wei- bes folgten einige andre, und in kurzer Zeit waren die beiden Leidenden vor Schmerz fast erschoͤpft und ganz mit Wunden bedeckt, ihr Blut von verschiedenen getrunken, und Stuͤcken von ihrem Fleische im Triumphe davon getragen worden. Aus diesem tragi- schen Ende, das ihre guͤtige Verpflegung nahm: konnte man schließen, daß man nur die menschenfreundliche Absicht dabey gehabt hatte, ihr Blut und ihr Fleisch fetter und wohlschmeckender zu machen und ihnen Kraͤfte zu geben, daß sie durch ihre Martern desto O 3 laͤnger laͤnger ihrer Grausamkeit zur Kurzweile die- nen konnten. Von dem schrecklichen Schauspiele war kaum der erste Akt voruͤber, als ploͤzlich ein Schwarm von der benachbarten Voͤlkerschaft eindrang, nach einem kurzen Gefechte die Barbaren vom Schauplatze fortschlug, das Dorf anzuͤndete und die blutenden Eu- ropaͤer mit sich hinwegnahm, die diese Sie- ger sogleich nach der Ankunft in ihrem Dorfe verbanden und sorgfaͤltig verpflegten. We- der Belphegor noch Akante trauten itzt dem Gluͤcke mehr, sondern argwohnten eine neue Grausamkeit hinter dieser Guͤtigkeit: da sie aber so sehr lange bis zur voͤlligen Heilung anhielt, so wußten sie wenigstens nicht, was sie denken sollten, wenn sie auch gleich nichts Gutes erwarteten. Ihre gegenwaͤrtigen Verpfleger waren sehr religioͤse Leute. Sie hielten es fuͤr hoͤchstsuͤndlich, einen Menschen zu essen, ohne ihn vorher den Goͤttern geopfert zu haben; und um ihre Nachbarn, die gewissenlose Leute waren und sie fraßen, ohne ihren Goͤttern einen Bissen davon anzubieten, von dieser aͤrgerlichen Gottlosigkeit abzuhalten, unter- unternahmen sie bestaͤndige Anfaͤlle auf sie: so oft sie durch Kundschafter erforschten, daß man eine solche Mahlzeit halten wolle, so brachen sie auf, befreyten die fuͤr die Gefraͤ- ßigkeit jener Barbaren bestimmten Opfer mit Gewalt, kurirten sie sorgfaͤltig wieder aus, opferten sie ihren Goͤttern und aßen sie mit der groͤßten Anstaͤndigkeit. Kein andres Schicksal ist also von der Froͤmmigkeit dieser Leute fuͤr unsre beiden Europaͤer zu hoffen: und kurzer Zeit nach ihrer voͤlligen Genefung erfuhren sie es selbst, daß kein andres auf sie wartete. Belphe- gor raste vor Zorn und Verdruß; er wollte nicht essen, und wan zwang ihm die Spei- sen ein: er wurde gemaͤstet, um ein wuͤrdi- ges Gericht fuͤr die Tafel der Goͤtter zu werden. Der Termin des Opfers, das Hauptfest des Jahres, naͤherte sich, und die Vorbereitungen nahmen ihren Anfang. Unterdessen fuͤhlten ihre Nachbarn ein ge- waltiges Jucken der Tapferkeit in Armen und Fuͤßen, sie hatten lange muͤßig zu Hau- se gelegen, und wie das unvernuͤnftige Vieh nichts gethan als gegessen, getrunken und bey ihren Weibern geschlafen. Um sie die- O 4 ser un- ser unruͤhmlichen Ruhe zu entreißen, sand sich bey einem unter ihnen gerade zu geleg- ner Zeit ein Traum ein, der kaum erzaͤhlt war, als alle bis zum kleinsten Nervengefaͤ- ße sich begeistert fuͤhlten, nach den Waffen griffen und auszogen, als brave Menschen- kinder ihre Gliedmaßen gegen ihre Nachbarn zu brauchen, die izt mit ihrem Feste beschaͤs- tigt waren und also ihren Muth nicht in der gehoͤrigen Bereitschaft hatten. Sie kamen; sie fielen das Dorf an, wo Belphegor und Akante zum Opfer aufbewahrt wurden, sie ermordeten und erwuͤrgten, was ihnen in den Weg kam, und um so viel hitziger und unbarmherziger, weil die lange Ruhe ihre Kraͤfte und ihren Muth thaͤtiger gemacht hatte. Die Uebereilten wurden in die Flucht getrieben, und die Sieger bemaͤchtigten sich der zum Opfer bestimmten Gefangnen, unter welchen auch Belphegor und Akante mit fort- geschleppt wurden: allein da sie von den Einwohnern des Dorfs eine hinreichende Anzahl bekommen hatten, um ihr blutbegie- riges Vergnuͤgen an ihnen zu befriedigen, so gaben sie auf die uͤbrigen weniger sorg- faͤltig Acht. Als sie nach Hause kamen, wurden wurden sie wegen großen Ueberflusses aus- getbeilt, und jedermann, der einen Anverwaudten im Treffen eingebuͤßt hat- te, bekam einen von den Gefangnen an dessen Stelle: unter welchen die bei- den Europaͤer zu einer Wittwe kamen, die ihnen die Ehre anthat, erstlich den Verlust ihres Mannes auf das empfindlichste an ihren Leibern zu raͤchen, und dann sie zu ihren Sklaven zu machen. Der gegenwaͤrtige Zustand war unange- nehm, aber in Vergleichung der naͤchstvor- hergehenden vortreflich; wenigstens war das Leben sicher. In kurzer Zeit bekam das ganze Dorf einen neuen Paroxismus von Tapferkeit, und alles zog aus, sogar die Weiber waren nicht davon ausgenommen: auch Belphegor und Akante mußten, so we- nig sie auch den Kuͤtzel der Tapferkeit em- pfanden, den Zug verstaͤrken helfen. — Da sie aber voraussehen konnten, daß das En- de des Feldzugs ihren Zustand wohl ver- schlimmern aber nicht verbessern koͤnne, so beschlossen sie bey der ersten Gelegenheit zu entwischen, in eine Einoͤde zu fliehen und da lieber kuͤmmerlich zu verhungern, als in O 5 bestaͤn- bestaͤndiger Gefahr zu seyn, daß man der Grausamkeit eines Barbaren mit langsamen Martern zur Belustigung und endlich gar mit seinem Fleische zur Saͤttigung dienen muͤsse. Die Gelegenheit zeigte sich, und sie entflohen, versteckten sich lange Zeit, um der Nachstellung zu entgehn, in einem Mo- raste, und ruͤckten, so oft sie sich sicher ge- nug glaubten, weiter fort. Aber ihre Noth hatte nur eine andre Mine angenommen: der Tod drohte ihnen immer noch, nur un- ter einer neuen Larve. Ihre Nahrung muß- ten sie muͤhsam suchen und fanden sie nicht einmal in zureichender Menge, und die Be- schwerlichkeiten der Witterung machten ihre traurige Situation vollstaͤndig. Wer haͤtte sich in solchen Umstaͤnden nicht den kummervollsten Reflexionen uͤberlassen sollen, auch ohne so viele Misanthropie, wie Belphegor, im Leibe zu haben? — Um so viel mehr mußte er es thun: der Strom seiner aͤrgerlichen Klagen ergoß sich von neuem uͤber den Menschen und die Natur. Als er eines Morgens sein Kummerlied unter einem Brodfruchtbaume sang, so hoͤrte er ploͤzlich einige Stimmen und erschrack, wie leicht leicht zu vermuthen, weil er izt bey jeder un- bekannten Stimme einen Menschen vermu- thete, der ihn schlachten wollte: er verkroch sich und horchte. Der Ton hatte nichts barbarisches, und bey seiner Annaͤherung wurde er inne, daß es Akante war, die zween Fremde in europaͤischer Kleidung zu ihm fuͤhrte. Er verließ also seinen Schlupf- winkel und erfuhr, daß es zween Spanier waren, die man mit einem Schiffe von Panama abgesendet hatte, um Untersu- chungen in dieser Gegend anzustellen, Fahr- ten und Laͤnder zu entdecken. Akante, die bey dem Don, dessen Maͤtresse sie ehemals gewesen war, ein wenig Spanisch gelernt hatte, wußte wenigstens noch genug davon, um zu erkennen, daß es Spanisch war, was diese beiden Leute mit einander sprachen, als sie ihrer bey einer Quelle ansichtig wur- de, wo sie tranken: sie wagte sich zu ihnen, entdeckte ihnen die Verlegenheit, in welcher sie nebst Belphegorn hier schmachtete, nebst einigen andern Umstaͤnden so deutlich, als ihre kleine Fertigkeit in der Sprache es zu- ließ. Die Fremden ließen sich bewegen, zu Belphegorn mit ihr zu gehn, kamen zu ihm, und und erboten sich, sie beide auf das Schiff mit sich zu nehmen. Der Vorschlag wurde freudig angenommen, und der Marsch zu dem Schiffe angetreten. Sie kamen an den Ort, wo sie das Boot befestigt hatten, das sie uͤber einen nicht allzu breiten Fluß wieder zuruͤckfuͤhren sollte; aber sie suchten umsonst: das Boot war un- sichtbar. Sie riefen, sie sahen, und siehe da! in einer weiten Entfernung sahen sie es, mit Huͤlfe eines Fernglases, den Fluß hinuntertreiben, und nur einen einzigen Menschen auf ihm, der, so viel sich unter- scheiden ließ, durch unaufhoͤrliche Bewe- gungen, die auch von einem Geschrey be- gleitet werden mochten, seine Rettung ver- muthlich zu bewirken suchte. Man eilte, so schnell man konnte, an dem Rande des Wassers hin, es einzuholen, und bemuͤhte sich durch bestaͤndiges Schreyen theils die Leute herbeyzubringen, die es verlaßen hat- ten, theils dem armen Huͤlflosen, der darauf zuruͤckgeblieben war, Hofnung zu machen, daß seine Errettung vielleicht nicht weit mehr sey. Das Boot stieß indessen an eine kleine kleine Sandbank an, wo es aber der Strom bald wieder losarbeitete. Dieser Umstand ließ wenigstens die, welche ihm nacheilten, Zeit gewinnen, und sie waren ihm itzt schon so nahe, daß sie mit dem Verlaßnen darinne sprechen konnten. Man wollte ihm helfen und wußte nicht wie: man hielt sich in- dessen mit Stangen in Bereitschaft, um sie bey der ersten guͤnstigen Gelegenheit anzu- wenden. Der Strom naͤherte zuweilen ih- rem Ufer das Boot und einmal so sehr, daß einer von den Spaniern es mit seiner Stange erreichen konnte; er zog es ein gu- res Stuͤck naͤher, der darinne sitzende froh- lockte schon, Belphegor warf sich ins Was- ser, schwamm zu dem Taue, womit es am Ufer befestigt gewesen war, und das itzt nicht weit vom Rande schwamm, ergriff es, nahm es zwischen die Zaͤhne und schwamm zuruͤck, der andre Spanier haschte es mit seiner Stange, man griff zu, und nach etli- chen Drohungen und Wendungen war man so gluͤcklich es mit vereinten Kraͤften so nahe zu bringen, daß man es bis zu einem Aussteigeplatze von dem Strome forttreiben lassen und mit dem Taue zuruͤckhalten konnte, daß daß es sich nicht zu weit vom Ufer wie- der entfernte. Mit einer unbeschreiblichen Freude sprang der Erretter aus dem Boote und dankte sei- nen Errettern so lebhaft, daß man beynahe das Fahrzeug, das ihnen zu ihrer eignen Zuruͤckfahrt zu dem Schiffe unentbehrlich war, haͤtte entwischen lassen: besonders wurde Belphegor fuͤr seine muthige Hand- lung mit Liebkosungen uͤberschuͤttet und in Umarmungen fast erdruͤckt. Man besich- tigte das Tau und wurde mit Erstaunen uͤberzeugt, daß es entzweygeschnitten war. Jedermann war deswegen um so viel mehr begierig, die besondern Umstaͤnde von der Losreissung des Bootes zu wissen: man stuͤrmte von allen Seiten auf den Erretteten mit Fragen zu, und er versicherte sie, daß er weiter nichts von dem traurigen Vorfalle sagen koͤnne, als daß die vier uͤbrigen, die sie im Boote bey ihm zuruͤckgelassen, unter dem Vorwande, daß sie Enten auf einem na- hen Sumpfe schießen wollten, aller seiner Vorstellungen und Verweise ungeachtet, aus- gestiegen waͤren und mit einem Jagdmesser hinterlistig den Tau entzweygehauen haͤtten, um um ihn der Willkuͤhr des Stroms zu uͤber- geben. Die Ursachen ihrer Bosheit waren ihm unbekannt: wenn er aber eine vermu- then sollte, so mußte es nach seiner Mey- nung Unzufriedenheit seyn, daß man ihm die Aufsicht uͤber das Boot anvertraut und ihn einen Fremden jenen Eingebornen vor- gezogen habe. Die Spanier, die man itzt fuͤr ein Paar Offiziere erkannte, wuͤteteu wider die Boͤsewichter, und am meisten dar- uͤber, daß sie sich durch die Flucht ihrer Strafe entzogen hatten. Unterdessen flog der Gerettete, den seine Dankbarkeit noch ganz begeisterte, noch ein- mal auf Belphegorn zu und versuchte — als er merkte, daß er kein Spanisch ver- stand — eine Sprache zu finden, worinne er ihm seine Empfindungen frey und gelaͤu- fig auszudruͤcken wußte: es gelang ihm, und dann empfieng Belphegor eine feurig warme Danksagung, eine so freundschaftlich warme, als sie ihm sein vertrautester Freund haͤtte geben koͤnnen, und oben drein die Versichrung, daß er nebst seiner Gefaͤhrtinn in Karthagena so lange bey ihm bewirthet werden sollte, als es ihm nur gefiele. — Die Die Vorsicht lebt noch, sprach der dankbare Mann mit froͤlichem Tone: sie hat mir mit meinem Bootchen aus dem grimmigen Flusse geholfen, warum sollten sie mir denn nicht nach Karthagena wieder verhelfen, um dir fuͤr deine Wohlthat zu danken? — Ja die Vorsicht lebt noch: wenn wir zum Schiffe kommen, Bruͤderchen, so wollen wir ihr zu Ehren eine Flasche zusammen ausleeren. Das Boot wurde unterdessen bestiegen, und man ruderte den Strom hinab, um wieder zu dem Schiffe zuruͤckzukehren, und jeder spannte dabey seine Geschicklichkeit und seine Kraͤfte an. Sie erreichten das Schiff, und Belphegor wurde mit Akanten von ihrem neuen Freunde auf das herrlich- ste bewirthet: die Flasche loͤßte allen die Zunge, und jedes ließ seinen Gedanken und Worten ungehinderten Lauf: man erzaͤhlte sich und erzaͤhlte sich so lange bis der Be- wirther die Flasche vor Hastigkeit hinwarf und Belphegorn um den Hals flog. — Bruͤderchen, schrye er, bist Du es? bist Du es? Gewiß? Du, Bruͤderchen? der mich, deinen Medardus, in dem ab- scheulichen Palaste zu Niemeamaye mit- ten ten in den Flammen zuruͤckließ? — Sagte ich doch: die Vorsicht lebt noch: wir dach- ten einander nimmermehr wieder zu finden, aber siehe! hier sind wir beysammen. Wer haͤtte das denken sollen? — Und Du auch, Akantchen? — Wohl uns! wenn wir erst wieder in Karthagena sind! Dann solls euch gehn! — so gut, als ihrs itzt schlecht ge- habt habt! Gluͤckliches Wiedersehn, und nimmermehr wieder Verlieren! — und so trank er munter sein Glas aus. — Aber, sprach Belphegor, wenn die Vor- sicht noch lebt, wie Du noch immer fest glaubst, warum ließ sie mich erst so lange Zeit zweifeln, ob uͤberhaupt eine existirte? Warum mußte ich geschunden, zerschnitten, gesengt und beynahe gefressen werden, um davon uͤberzeugt zu werden? und noch kann unser Wiedersehn eben so sehr die Wirkung eines Ohngefehrs, eines zufaͤlligen Schick- sals als einer Vorsicht seyn? Meine Leiden machen meinen Glauben an sie kein Haarbreit staͤrker; ja so gar — sie schwaͤchen ihn. — Bist Du noch so ein Gruͤbelkopf, Bruͤ- derchen? unterbrach ihn Medardus. Er- saͤufe Zweifel und Grillen in der Flasche: P genug, genug, ich glaube, daß eine Vorsicht ist, und wers nicht glaubt, den soll der Teufel holen! — Nun, Bruͤderchen! — und so stieß er an sein Glas — alle, die eine Vor- sicht glauben, sollen leben! — Man merkte es, daß die Flasche den jovialischen Medardus begeistert hatte; und da Belphegors Rausch ein truͤber melancho- lischer Rausch war, so haͤtten beyde beynahe uͤber Schicksal und Vorsicht in einen unseli- gen Zwist verwickelt werden koͤnnen, wenn nicht Akantens Dazwischenkunft sie getrennt und im Frieden erhalten haͤtte. Als der Rausch ausgeschlafen war, so kehrte zwar die alte Vertraulichkeit wieder zuruͤck, allein Belphegor blieb doch truͤbsinnig. Akante heiterte sich mit jeder Stunde wieder auf: mit jeder Erzaͤhlung, die ihr Medar- dus von dem Reichthume und den Schoͤn- heiten zu Karthagena machte, mit jeder Aus- sicht auf Ruhe, Bequemlichkeit, Ergoͤtzlich- keit, die er ihr eroͤffnete, verschwand das Andenken der uͤberstandnen Beschwerlichkei- ten, und es verstaͤrkte sich ihre Munterkeit und Lebhaftigkeit; sie quaͤlte sich nicht, ob diese angenehme Erwartungen ein Geschenk des Schick. Schicksals oder der Vorsehung seyn moͤch- ten: genug, sie sollte sie genießen, und war damit zufrieden, daß sie sie genießen sollte. Belphegor hingegen lief taͤglich und stuͤnd- lich die traurige Geschichte seines vergang- nen Lebens durch, fand uͤberall Gelegenheit zu klagen und mit seinem Glauben sich auf die Seite eines blinden Schicksals zu neigen, wozu Medardus mit seinem unumschraͤnkten Vertrauen auf eine Vorsehung nicht wenig beytrug, weil er ihm dadurch immer Gele- genheit gab, zu seinen Zweifeln und dem Nachdenken daruͤber zuruͤckzukehren. Indessen hatte das Schiff seinen Weg nach Panama angefangen und jede Stunde, die Medardus missen konnte, brachte er mit Belphegorn zu, um einander zu erzaͤhlen und Aumerkungen daruͤber zu machen. Was findest Du nun in meinem ganzen Lebenslauf? fragte Belphegor eines Abends, als er seine Geschichte von dem Brande in Niemeamaye bis auf den gegenwaͤrtigen Augenblick geendigt hatte — was findest Du darinne, blindes Schicksal oder uͤberlegte Vorsehung? Ich wollte durch eine Reihe Beschwerlichkeiten dahin, die Neid und Bos- P 2 heit heit meistens nur gelegentlich uͤber mich ausgossen: keins haͤngt mit dem andern zu einem gewissen Zwecke zusammen, sondern ich wurde gequaͤlt, weil die Menschen nun einmal so gemacht sind, daß sie nach ihren Gesinnungen und Leidenschaften, die auch nicht ihr Werk sind, nicht anders als mich quaͤlen mußten. Die Barbaren, die mich und Akanten nach einer langsamen Marter fressen, oder die uns ihren Goͤttern opfern wollten — was koͤnnen diese dazu, daß sie dieß nicht eben so sehr, wie wir, fuͤr die schrecklichste Grausamkeit halten? Eine fort- gesetzte Reihe von Begebenheiten, nebst ih- ren urspruͤnglichen natuͤrlichen Anlagen, Trieben und Neigungen, stellten ihnen all- maͤhlich jenes als zulaͤßig und dieses als vortreflich vor, so wie uns eine andre lange Reihe von Begebenheiten die Handlung, einen Menschen zu schlachten, als abscheulich abmalte. Was fuͤr ein Plan ist es aber, Menschen so anzulegen, daß aus ihrem er- sten Triebe der Selbsterhaltung Leidenschaf- ten aufwachsen muͤssen, die solche barbari- sche Grundsaͤtze erzeugen? Was sind diese in jenem vorgeblichen Plane? Zweck oder Mit- tel? tel? — Zweck koͤnnen sie nicht seyn: denn welche Idee, Kreaturen zu schaffen, damit sie einander fressen! — Mittel eben so wenig: denn wozu fuͤhren solche Unthaten im Ganzen oder im Einzelnen? — Entwe- der muͤßte also hier in dem Plane der Bege- benheiten ein thoͤrichter Zweck oder ein thoͤ- richtes Mittel angenommen werden, oder die ganze Sache muß ein zufaͤlliger, nicht intendirter Umstand seyn; und, und! — vielleicht war die ganze Reihe meines, deines Lebens, die Begebenheiten der ganzen Erde nichts als dieses — Wir- kungen des Zufalls und der Nothwendigkeit, wo Leute, die diese Woͤrter nicht leiden konn- ten, Zweck und Mittel herauskuͤnstelten, und, wie die Wahrsager, auch zuweilen diese beyden Sachen selbst herausbrachten. — Bruͤderchen, Du schwatzest zu subtil: Du gruͤbelst und gruͤbelst, und hast am Ende nichts als Unruhe und Ungewisheit zum Lohne: ich glaube frisch weg, ohne mich links oder rechts umzusehen, daß alles gut und weise angeordnet ist, und wenn mich die Kerle, die Dich verschlingen wollten, schon halb hinuntergeschluckt haͤtten, so daͤchte P 3 ich doch: ich doch: wer weiß, wozu das gut ist? Ich komme am besten dabey zu rechte: ist auch wirklich alles Nothwendigkeit und Zufall; muß ich mich von diesen beyden Maͤchten herumstoßen laßen — wohlan! ich wills gar nicht wissen, daß sie mich blind herum- stoßen. Der Kopf wird so dadurch wirb- licht genug, soll ich mir ihn noch durch Gruͤ- beleyen wirblicht machen? — Nein! jede Freude genossen, wie sie sich anbietet, jeden Puff angenommen, wie er koͤmmt, und im- mer gedacht: wer weiß, wozu er gut ist? — das heißt klug gelebt! — Und das kannst Du mir doch nicht laͤugnen, Bruͤderchen, daß die gottlosen Kerle, die mich mit dem Boote fortwandern ließen, mich in die Angst versetzen mußten, damit ich dich wie- derfaͤnde? Waͤre ich in dem Palaste zu Nie- meamaye nicht beynahe verbrannt, haͤtte ich nicht so viele Gefahren zur See und in Ame- rika ausgestanden, so waͤre ich itzt nicht bey Dir, so freueten wir uns itzt nicht — Bester Freund! unterbrach ihn Belphe- gor: dieser Zweck ist auf deiner Seite er- reicht, aber auf der meinigen nicht. In dem Sturme der Leidenschaften, unter dem Gefuͤhle Gefuͤhle der Widrigkeiten wuͤtete meine Seele, wie ein Betrunkener; alles war mir schwarz, ich deklamirte, aber ich raͤsonnirte nicht Itzt da sich durch dein Wiedersehn meine Aus- sichten erheitern, da der Taumel des widri- gen Gefuͤhls verfliegt, itzt tritt eine Stille ein, die tausendmal quaͤlender als der Sturm ist — uͤberlegtes Raͤsonnement in dem truͤben Tone, in welchem ich vorher de- klamirte: kurz, ich bin aus dem Getuͤmmel der Schlacht, Wunden und Schmerzen her- ausgerissen worden, um an mir selbst zu nagen. Soll dieses Zweck oder Mittel von einem kuͤnftigen Zwecke seyn? — und so wird wohl der letzte, auf dem alles abzielt, der Tod seyn. — Wer weiß, wozu Dir das gut ist, Bruͤ- derchen? sprach Medardus. Du mußt nur Muth schoͤpfen — Lieber Mann! heißt das nicht zu einem lahmen Fuße sagen: hinke nicht? — Fuͤhre ich die Federn meines Denkens und Em- pfindens an der Schnute, um sie nach Wohlgefallen lenken zu koͤnnen? — Bruͤderchen, mir war bange, als ich in dem Palaste zu Niemeamaye mitten unter P 4 den den Flammen, wie in einem Feuerofen, steckte: aber ich dachte doch, wenn Du gleich zu Pulver verbrennst, wer weiß, wozu das gut ist? wo nicht Dir, doch einer leben- digen Kreatur auf der Erde itzt oder in Zu- kunft; und siehst Du? ich kam gluͤcklich durch. — Aber wie kamst Du durch, Freund? — Durch einen besondern Zufall. Du weißt, der Boͤsewicht, der mit Dir nach Niemea- maye kam, um mich schaͤndlicher Weise zu toͤdten, wurde zu einem ewigen Gefaͤngnisse verdammt, weil wir kein Blut vergießen wollten, ob er gleich den Tod verdient hatte. In dem Tumulte, als ihn seine Wache ver- ließ, hatte er sich durchgearbeitet, strich durch die Burg, fand die Kleidung, die Du von Dir geworfen hattest, zog sie an, weil sie ganz mit Goldkoͤrnern angefuͤllt war, und wollte so in ihr entfliehen. Da aber die koͤniglichen Insignien darauf waren, so hiel- ten ihn die Feinde fuͤr den Koͤuig, nahmen ihn gefangen, und waͤhrend daß alles jauchzte nnd nach dem Orte zulief, wo man den ge- fangenen Koͤnig zeigte, erwischte ich eine Oeffnung und entkam gluͤcklich. Ich wan- derte derte bis zur Hauptstadt des großen abißi- nischen Reichs, wo ich mir durch die mitge- brachten Goldkoͤrner die Bekanntschaft eini- ger Kaufleute erwarb, die mir nach Neu- guinea zu helfen versprachen, damit ich von da nach Europa zuruͤckgehn koͤnnte, wo- hin ich mich außerordentlich wieder wuͤnschte. Mein Verlangen wurde befriedigt: ich gieng mit einem englischen Sklaventransporte ab, aber um zwischen zwey Elementen, Wasser und Feuer, beynahe umzukommen. Siehst du, Bruͤderchen? Den schwarzen Afrikanern wurde in ihrem engen Loche bange: sie woll- ten mit Gewalt in ihr Vaterland zuruͤck, soll- ten sie auch durch den Tod dahinkommen: denn die naͤrrischen Kreaturen bilden sich ein, daß sie sicher ihre Heimath wieder fin- den, so bald sie gestorben sind. Um diese Reise zu thun und sich zu gleicher Zeit an den Leuten zu raͤchen, die sie wider ihren Willen in eine andre Gegend versetzen woll- ten, stiegen sie in der zwoten Nacht nach unsrer Abreise einer dem andern auf die Schultern, um die Fallthuͤre ihres Behaͤlt- nisses aufstoßen und herausklettern zu koͤn- nen: der Raum von dem Boden bis an die P 5 Thuͤr Thuͤr war so hoch, daß wenigstens drey Mann uͤber einander stehen mußten, um sie zu oͤffnen. Der boͤse Streich gelang ihnen wahrhaftig: einer von ihnen kletterte heraus und fand die Sklavenwache schlafend. Hur- tig warf er seinen zuruͤckgebliebnen Kamera- den eine Strickleiter hinunter, ergriff das Gewehr der Wache und brachte sie mit einem guten Degenstoße um, worauf er den Getoͤdteten mit Huͤlfe der uͤbrigen herzuge- eilten Negern uͤber Bord warf. Zum Un- gluͤcke schlief alles, was schlafen durfte, fest, weil jedermann die ganze vorhergehende Nacht hatte arbeiten muͤssen, und die weni- gen Wachenden wachten nur halb: dieser Umstand verstattete den Negern durch das Schiff zu streichen. Sie fanden einen schla- fenden Matrosen, der seinen Tabaksbeutel mit dem Feuerzeuge an sich haͤngen hatte: sie schnitten ihn los und brachten wirklich ein Stuͤck Schwamm zum brennen; durch etliche andre brennbare Materien brachten sie es zur Flamme, die sie in verschiedene Theile des Schiffs ausstreuten. Damit aber niemand sie fuͤr die Urheber des Bubenstuͤcks erkennen moͤchte, krochen sie in ihr Behaͤltniß zuruͤck, zuruͤck, und waren bereit, in dem Feuer mit umzukommen, wenn es das Schiff ganz zu Grunde richten sollte, welches sie von Her- zen wuͤnschen mochten. Die Flamme griff auch schon wirklich weit um sich, verwuͤstete hin und wieder, als man es erst gewahr wurde. Bruͤderchen, das war ein Schrecken! das war ein Tumult! — Verbrennen oder ertrinken! Das schien die einzige Wahl: aber, Bruͤderchen, ich sollte Dich wieder- sehn: das Feuer wurde gedaͤmpft und die Urheber entdeckt. Die einfaͤltigen Geschoͤpfe hatten vergessen, die Strickleiter an ihrer Fallthuͤre wegzuschaffen: kurz, der boͤse Han- del wurde ausfuͤndig gemacht und hart gestraft. Waren wir dem Feuer entgangen, so war es nur, um in die Haͤnde der Feinde zu fallen. Die Spanier und Englaͤnder hatten damals das Recht, einander allen ersinnlichen Scha- den und Feindschaft anzuthun: denn kurz vorher war zwischen beiden ein Krieg aus- gebrochen. Siehst Du, Bruͤderchen? wir wußten nichts davon, und erwarteten also gar nicht, daß jemand unser Feind seyn wollte, weil wir niemanden etwas zuwider gethan gethan hatten: allein da die beiden Maͤchte uneinig waren, so mußten wir arme Unschul- dige ihren Zorn entgelten und uns — moch- ten wir, mochten wir nicht — als Feinde behandeln lassen, weil uns ein englisches Schiff trug. Ein spanisches griff uns an und fuͤhrte uns gluͤcklich nach Karthagena, wo ich bewies, daß ich kein Englaͤnder war und auch nicht einmal den Namen nach an dem Mißverstaͤndnisse zwischen den beyden Koͤnigen einigen Antheil haͤtte: auf diesen Beweis gab man mir die Erlaubniß, mein Gluͤck zu suchen, wo ich es finden konnte. Ich fand einen Platz bey einem Kaufmanne, wo ich mich gegenwaͤrtig noch befinde, und auf dessen Verlangen ich diese Reise nach dem kalifornischen Busen mit unternehmen mußte. — Gluͤckliche Reise! ich habe Dich wiedergefunden; ich bringe Dich nach Kar- thagena, und nun leben und sterben wir beysammen. Seine Wuͤnsche wurden erfuͤllt: sie er- reichten gluͤcklich Panama und machten als- dann in kurzer Zeit den Weg bis nach Kar- thagena, wo Medardus seinem Freunde eine anstaͤndige Versorgung verschafte, und dieser dieser Akanten, die Gefaͤhrtinn seiner Schmer- zen und seines Ungluͤcks, zu seiner wirklichen Ehegattinn erhub. Belphegor glaubte sich nunmehr am Ende seiner Leiden, heiterte sich durch seine Zer- streuungen und Geschaͤfte genugsam wieder auf, um seine bisherige truͤbe Laune ziemlich zu vergessen; allein der herrschende Ton sei- ner Empfindungen und seiner Gedanken blieb bestaͤndig der schwermuͤthige, der me- lancholische, und seine Unterhaltungen mit seinem Freunde betrafen meistens das große Labyrinth — die Begebenheiten und Schick- sale der Menschen. Er wankte mit seinem Glauben zwischen Nothwendigkeit und Vor- sehung hin und wieder, und seine eigne Ueberzeugung zog ihn allezeit zu der erstern, ob ihn gleich sein Freund zu der letztern zu ziehen suchte. Wenn aber auch sein inner- licher Zustand nie voͤllig ruhig werden konnte, so glaubte er wenigstens, daß die Menschen und das Schicksal seinen aͤußerlichen nicht weiter beunruhigen wuͤrden; aber auch hierinne glaubte er falsch: die Menschen mußten ihn in seiner Ruhe stoͤren, weil er sie im Laster und der Unterdruͤckung stoͤren wollte. Seine Seine Geschaͤfte fuͤhrten ihn oft in solche Verbindungen, daß er das ganze Spiel der Leidenschaften und des Eigennutzes in dem deutlichsten Lichte sehen konnte: er fand, daß auch in dieser neuen Welt, wie in der alten, der Neid bestaͤndig den Bogen ge- spannt hielt, und jeder seine Obermacht zur Unterdruͤckung mißbrauchte. Anfangs ließ er sich zwar von der Klugheit zuruͤckhalten, allein in kurzem haͤuften sich die Reizungen so sehr, daß sein Unwille alle Klugheit uͤber- stimmte: er riß ihn hin und stuͤrzte ihn in täusend Unannehmlichkeiten und eben so viele Gefahren. Der Herr, in dessen Diensten er stand, war ein Kreole Ein in Amerika von europaͤischen Eltern geborner. und hatte deswegen den Haß aller gebornen Spanier auszustehn: bey jeder Gelegenheit, wo von einem unter diesen das Interesse oder die Ehre seines Herrn gekraͤnkt wurde, focht Belphegor mit allen Kraͤften seiner Beredsamkeit und sei- nes Leibes, ihn zu vertheidigen. Sein Ei- fer machte ihn bey seinem Herrn beliebt und wurde dadurch um so viel staͤrker angefacht. So lange So lange er wider die Ungerechtigkeiten und den Stolz der gebornen Spanier dekla- mirte und mit seiner gewoͤhnlichen Heftig- keit auf die Verachtung loszog, die sie gegen alle Kreolen blicken ließen, auch zuweilen dadurch, daß er zu heftig die Partie der Kreolen nahm, sich blaue, braune, gelbe und rothe Flecken, Wunden und Beulen verursachte, so uͤberhaͤufte ihn sein Herr mit Liebkosungen und Geschenken, Belphe- gor empfieng die freundlichsten guͤtigsten Bli- cke unter allen im ganzen Hause, sein Ge- spraͤch war die liebste, die einzige Unterhal- tung seines Herrn, und dieser konnte ihm stundenlang zuhoͤren, wenn er eine Straf- predigt uͤber Welt und Menschen hielt und die Zuͤge in seinen Gemaͤlden des kindischen menschlichen Stolzes von gebornen Spa- niern entlehnte: sobald er aber Einen Zug der Unterdruͤckung einfließen ließ, die der Kreole so gut als der Spanier begieng, so schwieg man anfangs still, und wenn er seine Schilderungen mit solchen Dingen gar zu sehr uͤberladete, so wurde die Unterhal- tung abgebrochen. Belphegor, der seinen Herrn, im Durchschnitte gerechnet, fuͤr gut hielt, hielt, duͤnkte sich verpflichtet, ihm auch die kleinen Flecken abzuwischen, die die Grund- flaͤche seines Charakters beschmuzten und die sich nur durch die Laͤnge der Gewohnheit so tief eingefressen hatten, daß er sie, wie alle Menschen seines Schlages um ihn, fuͤr keine Flecken hielt. Dahin gehoͤrte vorzuͤglich die- se Art von Grausamkeit, die auch Menschen begehen, wenn sie nichts als gerecht sind, andern zwar sehr puͤnktlich ihre eignen Ob- liegenheiten entrichten, aber auch mit der aͤußersten Strenge ihr Recht von andern ver- langen. Da diese Strenge sich am meisten da aͤußert und auch, ohne gerichtliche Straf- faͤlligkeit, am meisten da aͤußern kann, wo eine alte verjaͤhrte Unterdruͤckung zum Recht geworden ist, und ein Trupp armseliger Kreaturen, so bald sie zu existiren anfangen, schon die Moͤbeln eines andern sind — kurz, wo Leibeigenschaft und Sklaverey herrschen; so fand Belphegor fuͤr seinen Strafeifer nir- gends reichlichern Stoff als in seinen gegen- waͤrtigen Umstaͤnden. Die Indianer, diese armen Lasttraͤger, diese Soufre-douleurs von Amerika, und man moͤchte sagen, der ganzen Menschheit, reizten seinen Unwillen am am heftigsten. Er sah, daß alles sich ver- einigte, auf die Kosten dieser Elenden wohl zu leben, und sein Ungestuͤm, da er so viele Nahrung fand, brach von neuem los. — Ihr seyd Unmenschen, sprach er einst zu sei- nem Herrn; ihr macht eure Schultern leicht und legt alle Lasten der Menschlichkeit diesen Kreaturen ohne Mitleid auf: ihr druͤckt sie, weil sie keine rechten Christen sind, ohne zu bedenken, daß sie Menschen sind. Laßt die- sen Ungluͤckseligen ihren Pachacamac Gott der Peruaner. oder wie sie ihn sonst nennen wollen, und erleich- tert ihnen die Muͤhe zu leben, und ihr seyd ihre wahren Wohlthaͤter. Ist es nicht ewige Schande, eine halbe Welt zu erobern, ihre Einwohner zu Sklaven zu machen und dann noch an ihrem duͤrftigen Unterhalte zu sau- gen? — Aber warum konnte nun die Natur ihr Werk so anlegen, daß alle diese Haͤrte eine nothwendige Folge von seiner Einrich- tung seyn mußte? daß ein Theil der Men- schen von dem andern nicht allein zur Arbeit gezwungen, sondern auch uͤberdieß noch hart behandelt werden mußte? daß ein Theil ganz ernie- Q erniedrigt werden mußte, damit der andre desto hoͤher sich emporhebe? — O Gott! mir schwellen alle meine Adern, wenn ich diesen tollen Lauf der Welt uͤberdeuke! — Was sind diese Befehlshaber, diese Corre- gidoren anders als privilegirte Unterdruͤcker! Was seyd ihr, die ihr den Reichthum des Landes der Erde abgewinnt, anders, als immerwaͤhrende Unterdruͤcker? als vom Recht geschuͤzte Unterdruͤcker, wenn ihr auch noch so gelinde verfahrt? Und wenn der Elendediese beiden Ruthen bis zum Verbluten gefuͤhlt hat, dann setzt noch der geistliche Blutsauger den Ruͤssel an und zieht dem armen Einfaͤltigen den wenigen Saft aus, der ihm uͤbrig blieb, verkauft ihm schnoͤde nichtsnutze Possen und pflanzt ihm den haͤßlichsten Aberglauben ein, damit ihn Gewissen und Bloͤdsinn zum Kaufe zwingen. — Ist es erhoͤrt, o Natur, daß du eine Gattung von deinen Geschoͤpfen so ganz stiefmuͤtterlich vernachlassigen konntest? Waren die Indianer nicht auch dein Werk? Und doch ließest du sie vielleicht viele tausend Jahre in Dummheit und dem grausamsten Aberglauben herumkriechen, Sklaven ihrer Tyrannen und ihrer Goͤtter seyn, dann sie zu tau- zu tausenden erwuͤrgen, in das Joch der Eu- ropaͤer stecken und nun langsam von allen Seiten bis zur Vernichtung quaͤlen: du schufest sie, um sie langsam aufzureiben. — Einen solchen Sermon hielt natuͤrlicher Weise sein Herr nicht laͤnger aus, als bis er sich das erstemal getroffen fuͤhlte, wo er sich meistentheils wegwandte, raͤusperte, eine Beschaͤftigung vornahm, jemanden rief, das Zimmer verließ, oder etwas anders that, das ihn darauf zu hoͤren hinderte. Eine jede solche Unterhaltung schwaͤchte bey ihm den Geschmack an Belphegors Umgan- ge, und obgleich dieser sich sehr oft durch ein kleines Lob auf die Gutherzigkeit des Mannes wieder in Gunst sezte, so hieß das doch nur, einen schlimmen Eindruck beneh- men, aber keinen guten geben. Diesen Um- stand nuͤzten seine Kameraden, die schon laͤngst mit schielen Augen die Vorzuͤge an- gesehn hatten, die er von seinem Herrn ge- noß, ihn dieser Vorzuͤge zu berauben. Sie stellten Belphegors Deklamationen von der schlimmen Seite vor, erdichteten etliche, die er wider seinen eignen Herrn namentlich in seiner Abwesenheit gesagt haben sollte: sie Q 2 fanden fanden leicht Glauben, und bald wurde Belphegor zuruͤckgesezt, verachtet, und jedes auch das mindeste seiner Worte uͤbel genom- men, man machte ihm, ob er gleich von Wunden und Beulen verschont blieb, das Leben doch so schwer, daß er diesen innerlichen Schmerz gern gegen alle koͤrperliche vertauscht haͤtte: er wurde es endlich muͤde, verlies das Haus und lebte von der Guͤtigkeit seines Freundes Medardus, der sich mit der groͤßten Bereit- willigkeit seiner annahm und auf einen an- dern Plaz fuͤr ihn dachte. So schwer ihm diese Bemuͤhung wurde, so gieng sie ihm doch endlich gluͤcklich von statten: er verschafte seinem Freunde einen andern Platz, aber keine Ruhe. Er brachte ihn in das Haus eines Mannes, der recht dazu geschaffen schien, seinen bisherigen Un- willen uͤber die amerikanische Unterdruͤckung zu erhoͤhen, und den ganzen Belphegor in Feuer und Flammen zu setzen. Ein Mann war es, der sein Leben in der wolluͤstigsten Traͤgheit dahinschlummerte, und wenn er ja handelte, doch nie uͤber die Graͤn- zen der Sinnlichkeit hinauswich: wenn er geschlafen hatte, so aß oder trank er, und wenn wenn er gegessen oder getrunken hatte, so schlief er, und wenn er dessen uͤberdruͤßig war, so ließ er sich von einem Pferde tragen oder von etlichen ziehen: zuweilen gebrauchte er sogar Sklaven, hierzu, um zugleich sei- nen Stolz zu kuͤtzeln, wenn er Geschoͤpfe, die mit ihm einerley Figur hatten, so unter sich erniedrigt sehen konnte. Wenn er speiste; mußte einer von seinen Hausbedienten ihm mit lauter Stimme seinen Stammbaum, der von Erschaffung der Welt anhub, vorlesen, desgleichen jede Lobrede, die auf einen seiner Vorfahren gehalten worden war; und da er meistens uͤber dem Lesen einschlief, so war es kein Wunder, daß die Geschichte seiner Abstammung seine einzige Lektuͤre schlafend und wachend ausgemacht hatte, ohne daß er mehr davon wußte, als daß Adam sein erster Stammvater gewesen sey, weswegen er es bey jeder Gelegenheit mit großem Stolze zu ruͤhmen wußte, daß seine Familie unmittelbar von Gott selbst gemacht wor- den sey. Der Anblick eines so vegetirenden Ge- schoͤpfes mußte Belphegorn natuͤrlich auf- bringen, besonders wenn er es mit den huͤlf- Q 3 losen losen Mitgeschoͤpfen verglich, die ihm die Mittel zu einer so weichlichen Bequemlichkeit erarbeiten mußten: er wollte nicht mehr die- selbe Luft mit ihm athmen, oder von Einem Dache mit ihm bedeckt seyn; und als er eines Tages den Auftrag bekam, ihu mit der Vorle- sung seines Geschlechtsregisters einzuschlaͤ- fern, so that er ihm mit dem Eifer eines Bußpredigers eine so nachdruͤckliche morali- sche Vorhaltung seiner noch weniger als thie- rischen Lebensart und der Unterdruͤckung, die er begehn muͤßte, um sie genießen zu koͤnnen, daß der Mann kein Auge zu thun konnte, woruͤber er so ergrimmte, daß er den armen Belphegor, als einen unbrauchbaren Be- dienten, zum Hause augenblicklich hinaus- weisen ließ. Das Schicksal war hart, aber ein kleiner Rest von Stolze, der ihn uͤberre- dete, fuͤr die Wahrheit eine Aufopferung ge- than zu haben, staͤrkte ihn hinlaͤnglich, daß er so aufgerichtet und froͤlich, wie ein Maͤr- tyrer, uͤber die Schwelle schreiten konnte. Er nahm seine Zuslucht zu Akanten, die noch, so sehr sich ihre Reize auch vermin- dert hatten, aus dem naͤmlichen Grunde gern mit der Liebe spielte, aus welchem ein alter alter Fuhrmann gern klatschen hoͤrt, wenn sein Arm zu steif ist, die Peitsche selbst zu re- gieren. Sie war — wenn man ihre Ver- richtung bey dem eigentlichen Namen nennen darf — eine Kupplerinn, und genoß die Freuden ihrer Jugend wenigstens in der Einbildung, wenn sie den fremden Ge- nuß derselben vor sich sahe, da das unbarm- herzige Alter sie leider! unfaͤhig gemacht hatte, sich in der Wirklichkeit daran zu ver- gnuͤgen. Ihr Mann, der mit seinem Kopfe immer auf irrendritterliche Fahrten ausgieng, konnte uͤber dem Eifer, die ganze Welt zu bessern, nicht daran denken, sein Haus zu bessern, das durch die Geschaͤftigkeit seiner Frau einem Bordelle nicht unaͤhnlich gewor- den war. Er merkte nicht das mindeste hier- von, sondern lebte nunmehr von der Ein- nahme seiner Frau, unbekuͤmmert, daß sie der Gewinst einer Unterdruͤckung war, die alle andern uͤberwiegt — der Unterdruͤckung der Tugend. Indessen daß diese ohne sein Bewußtseyn taͤglich hinter seinem Ruͤcken geschah, schwaͤrmte er mit seinen Gedanken in der Welt herum, suchte Materialien zum Aerger auf und zuͤrnte, daß die Natur nicht Q 4 ihn ihn um Rath gefragt hatte, als sie eine Welt schaffen wollte. Mitten unter seinem traurigen Zeitvertreibe gerieth er in die Be- kanntschaft eines Mannes, der sein Haus oft besuchte, Akanten reichliche Geschenke machte, ohne jemals mehr zu thun, als bey ihr ein und auszugehen. Da er also bey den Lustbarkeiten, die an dem Orte vorge- nommen wurden, blos ein uͤberfluͤßiger und oft laͤstiger Zuschauer war, so bekommpli- mentirte ihn Akante so lange, bis er sich zu- weilen bereden ließ, sich zu ihrem Manne zu begeben und mit ihm zu unterhalten. So zuruͤckhaltend und lakonisch der Frem- de war, so offenherzig aus der Brust her- aus redte hingegen Belphegor: und bald fan- den sie beide, daß ihre Denkungsart nicht ganz disharmonisch war; sie wurden einan- der interressant und in kurzem Freunde, doch lange nicht so sehr, daß der Fremde auf die vielen Zunoͤthigungen, sich entdeckt haͤtte. Endlich machte einstmals die Flasche, wo- mit er Belphegorn haͤufig bewirthete, seine Zunge so gelaͤufig, das er folgendes Bekennt- niß ablegte: — Ich war ehemals ein Her- renhuter, konnte aber den verschleierten De- spotis- spotismus, der diese Gemeine unter den hei- ligsten Benennungen tyrannisirt, nicht laͤn- ger mehr erdulden, und trennte mich deswe- gen von ihr. Menschen geboten uns will- kuͤhrlich und wollten uns uͤberreden, daß die Stimme des heiligen Geistes durch sie gebiete. Ich glaubte dem heiligen Geiste nicht mehr blindlings und wurde deswegen gemishandelt: ich verlies eine Sekte, wo die natuͤrliche Freiheit ungleich mehr einge- schraͤnkt ist, als in der despotischten Monar- chie, und die Schranken ungleich schwerer erweitert werden, weil sie mit der Heiligkeit uͤberfirnißt und zugleich die Stuͤtzen des Ganzen sind, um dessentwillen sie je laͤnger, je mehr vervielfaͤltigt werden muͤssen, so daß zuletzt entweder ein Pabst mit etlichen listi- gen Fuͤchsen den uͤbrigen Haufen ganz ab- rutiren muß, um ihn in Ruhe nach Will- kuͤhr, wie Marionetten, zu regieren, oder die ganze Gesellschaft ein Trupp so verdorb- ner Christen voll Zanks, Uneinigkeit und Tu- mult werden wird, wie die uͤbrigen alle. Solltest du denken, daß unter der stillen friedfertigen Mine des Bruders das naͤmli- che Herz lauscht, und daß seine Gesellschaft Q 5 eine eine Welt ist, wo der Schwaͤchre eben so sehr unter schoͤnen Namen betrogen und tyrannisirt wird als in andern Gesellschaften? — Glaube mir, es ist so! Ich entsagte dem separatistischen Despotismus und durchlief Koͤnigreiche, Herzogthuͤmer und Fuͤrstenthuͤ- mer, Aristokratien und Republiken, allent- halben begegnete ich dem Despotismus im Großen oder im Kleinen, unter dieser oder jener Maske, versteckt oder offenbar. In jedem, auch dem kleinsten Staate lauschte dieß vielkoͤpfichte Ungeheuer, und ganz Eu- ropa schien von ihm verschlungen zu werden. Regierungsgehuͤlfen, denen die Gunst des Fuͤrsten mehr galt als die Gluͤckseligkeit des Volks, untergruben listig die Schutzwehren, die die Monarchie vor den Eingriffen des Despotismus sichern sollten, oder warfen sie aus eigner Herrschsucht mit Gewalt nie- der: sie legten der Nation Lasten auf, daß sie sich unter der Buͤrde kruͤmmte: und be- schwerten sie, um sie gluͤcklich zu machen. Um es gluͤcklich zu machen! rief Belphe- gor verwundert. — Ja, Freund! Man ersann eine Philoso- phie, deren oberster Grundsatz im Grunde war: war: man muß den Menschen das Leben sauer und schwer machen, um sie gluͤcklich zu machen. Man hatte bemerkt, daß Staa- ten durch Industrie und Geschaͤftigkeit bluͤ- hend und glaͤnzend geworden waren: man hielt den Glanz des Staats und die Gluͤckse- ligkeit seiner Mitglieder fuͤr untrennbare Dinge! oder man wuͤrdigte vielleicht nicht einmal die leztern einiger Ruͤcksicht, und sezte es also als einen Grundsatz fest, daß die Gluͤckseligkeit eines Volks mit seiner Indu- strie zunehme; und jedermann dachte auf Mittel sein Volk auf diesen sichern Weg zur politischen Gluͤckseligkeit zu fuͤhren. Sogar Junker, die eine Hand voll Bauern unter ihrem Kommando hatten, die ihnen ihr Feld pfluͤgen und ihr Vieh huͤten mußten, spra- chen von Industrie, und wollten ihre Ar- beiter industrioͤs machen, weil sie alsdann noch mehr faullenzen zu koͤnnen hoften. In- dem man allenthalben Mittel zur Industrie aufsuchte, bemerkte man, daß die Einwoh- ner einiger Laͤnder mit wenigen Auflagen be- schwert und nicht industrioͤs gewesen waren: sogleich erklaͤrte man dieß fuͤr die Wirkung von jenem, was es vielleicht in einigen ein- zelnen zelnen Faͤllen wirklich seyn mochte, ob es gleich in den meisten nur ein begleitender, oder hoͤchstens mirwirkender Umstand war. Das Geheimniß war gefunden, und jeder Politiker, der rechnen gelernt hatte, machte es zum Glaubensartikel, daß man dem Volke viel nehmen muͤsse, damit es viel gewinne; und ein junger Sekretaͤr einer Kam- mer fertigte mich, da ich aus meinem gesun- den Menschenverstande Einwendungen da- wider machen wollte, frisch weg damit ab, daß ich das Ding nicht verstuͤnde. — Freund! heißt das nicht einen Esel mit Peit- schenschlaͤgen zum Laufen bringen? Gut! er laͤuft staͤrker nach Empfang der Hiebe; aber ist nicht ein gewisser Punkt, wo das gute Muͤllerthier nicht staͤrker laufen kann, wo er entweder unter den Schlaͤgen erliegen, oder seinen Fuͤhrer sich wiedersetzen muß? und ist nicht ein gewisser Punkt, innerhalb dessen die Industrie durch die erschoͤpften Kraͤfte der Menschen, durch die besondre Lage und Beschaffenheit des Landes und tausend an- dre Ursachen eingeschraͤnkt wird, uͤber die sie nie hinausgebracht wird, man lege dem Volke jeden Tag neue Lasten auf? — Und ist denn ist denn die Gluͤckseligkeit der einzelnen Mitglieder bey der Berechnung eine bloße Null? Sollen die Menschen nichts als Last- traͤger seyn, denen man taͤglich mehr auf- legt, damit sie taͤglich mehr tragen lernen? Sollen sie immer gieriger nach Gewinn trachten, um immer mehr geben zu koͤnnen? Heißt das nicht, sie zu allen den Lastern hinstoßen, die man fuͤr Schandflecken der Gesellschaft erkennt? zur Habsucht, List, Be- trug — kurz, zu allen Vergehungen, die durch den leichten Zaun der Gesetze durch- schluͤpfen koͤnnen? — Verflucht sey die Industrie! rief Belphe- gor. Je mehr sie steigt, je mehr raubt sie der Gesellschaft Annehmlichkeit, Zierde, und den einzelnen Mitgliedern die Gluͤckselig- keit. — Was thut sie? Sie schiebt einigen wenigen das Kopfkuͤssen der Bequemlichkeit unter, macht alle, mehr oder weniger, zu habsuͤchtigen Woͤlfen und listigen Fuͤchsen, und wirft den groͤßten Haufen auf den har- ten Pfuͤhl der Arbeit, der Beschwerlichkeit, der Kuͤmmerniß, des Mangels. — Wohl euch! ihr Thiere, und ihr Menschen, die ihr ihnen ihnen gleicht, denen thierisches Beduͤrfniß den ganzen Kreis ihrer Gluͤckseligkeit schließt! — Freund! Du bist voreilig. Die Industrie rottet eben so viele Laster aus als sie giebt — Was ist da gewonnen? — Was bey jedem Wechsel auf unserm Pla- neten gewonnen wird — man tauscht ein andres Uebel ein. Daran kann ich mich gewoͤhnen, nur an die Unterdruͤckung nicht. Mein Gefuͤhl von Freiheit, das bey jeder Spur von ihr bis zum Tumulte aufruͤhrisch wird, trieb mich aus der alten Welt, wo despotische Grundsaͤtze die Schranken dersel- ben immer enger zusammenzogen, so enge, daß an manchen Orten kein Mensch mehr ein freies Wort zu fluͤstern wagte. Aber Freund! welch ein Wechsel! hier fand ich die Unterdruͤckung in roher unbekleisterter Gestalt, und mit feiner Tuͤnche uͤberzogen; gerade dieselbe Welt, wie auf der andern Halbkugel, an manchen Orten besser, an manchen schlimmer. Ebendieselbe Kraft, die in der Bewegung der koͤrperlichen Welt ein gewisses Gleichgewicht erhaͤlt, muß auch die moralische und politische Vollkommen- heit des Ganzen in einer gewissen Tempera- tur tur erhalten, daß alle Zeiten und alle Orte im Besitz und Mangel sich die Wage halten. Leider! seufzte Belphegor, ist die Welt sich allenthalben gleich. Aber muß es so seyn? Oder ist nicht zu vermuthen, daß einst ein Mann, der mehr Geist ist als seine Mitbruͤder, die groben Fesseln zerbrechen wird, die diesen und jenen Theil der Mensch- heit an den Bock der Sklaverey anketten: denn die feinen gewohnten Banden, an welchen der Gewaltige den Schwachen all- zeit fuͤhrt, diese zu zerreissen, ist Gott und Mensch zu schwach, so lange die Natur keine Umschaffung unternimmt: aber ein solcher Mann, der die Indianer an ihren Unter- druͤckern raͤchet, zwar tausend Unschuldige bey seiner Rache mit hinraft, aber sie doch zu einem edlen Zwecke hinraft — Diese Erloͤsung wird die Zeit bewerk- stelligen. — O die leidige langsame Zeit, die erleich- tern aber nicht erloͤsen kann! — Die Men- schen kaͤmpften um Herrschaft, bis der Maͤch- tigere obsiegte und den Schwaͤchern nieder- warf: so lange diesem das Joch neu war, trug er es unwillig und regte sich, wenn jener zu hart zu hart druͤckte: mit der Zeit wurde er durch die Gewohnheit eingeschlaͤfert, und fuͤhlte gar nicht mehr, daß ihm der Druck auf dem Halse lag: — siehe! das ist bisher die Huͤlfe gewesen, die die traͤge langsame Zeit gereicht hat. — O Freund! ich bin nicht der Mann, der diese hohe Unternehmung wagen koͤnnte; aber eins kann ich! ich kann Vorschlaͤge und Projekte thun. Von jeher war es mei- ne Lieblingsbeschaͤftigung, uͤber die Gebre- chen der Regierungen nachzudenken und Plane zu ihrer Verbesserung auszusinnen: keine darunter sind ausgefuͤhrt worden, aber die Welt befaͤnde sich gewiß wohl da- bey, wenn sie alle ausgefuͤhrt waͤren. Ich habe einen Entwurf ersonnen, wie alle Kriege, wenigstens in Europa, auf immer unthaͤtig gemacht und ganz vertilgt werden koͤnnten. — Willkommnes Projekt! O Natur! warum gabst du mir nicht Kraͤfte in meinen Arm und Muth genug in mein Herz, ein so er- habnes Projekt zu bewerkstelligen? — Er braucht weder Muth noch starken Arm dazu, um die Uebereinstimmung aller Maͤchte von von Europa, uͤber die Beylegung ihrer Feh- den etlichen aus ihrem Mittel den Auftrag zu geben. Vermuthlich ist seine Meynung, daß eine Ver- anstaltung getroffen werden sollte, die den Austraͤgen der Fuͤrsten im deutschen Reiche gleich kaͤmen, wo bey entstehenden Zwistigkei- ten die Untersuchung und Entscheidung eini- gen selbstgewaͤhlten Maͤchten von Europa auf- getragen wuͤrde. Freylich ein herrliches aber schweres Projekt! Herrliches Projekt, das Schwerdt und Kanone unschaͤdlich, einen ganzen Welttheil ruhig, bevoͤlkert, wirklich polirt machen, und jedes empfindende Herz mit dem Menschengeschlechte aussoͤhnen wird! Freund, wenn ich den Anfang eines solchen Gluͤcks erlebte! und sich dabey bewußt zu seyn, daß man die Idee dazu im Kopfe ge- habt hat, was fuͤr eine Freude muͤßte das seyn! — Bester Freund! eine uͤberschwengliche Freude! Allein Krieg ist seltner, doch Unter- druͤckung dauert Tag fuͤr Tag: haͤttest Du ein Projekt, dieß Ungeheuer zu vertilgen. — Auch dafuͤr weiß ich eins. Alle Regenten duͤrften nur mehr fuͤr die Gluͤckseligkeit ihrer Staa- R Staaten als fuͤr ihren eignen Glanz sorgen, alle despotische Grundsaͤtze aus sich und ih- ren Dienern verdraͤngen, das Leben und Wohlseyn des geringsten Unterthans hoͤher schaͤtzen als allen Pomp, sich und das Volk nicht als zwo Parteyen betrachten, worun- ter eine die andre immer feiner zu uͤberlisten sucht, eine nicht geben, und die andre neh- men will, sondern sich als eine Gesellschaft behandeln, die ein gemeinschaftliches In- teresse vereint — Wenn soll dieß Projekt ausgefuͤhrt seyn? — Ja — wollte er antworten, aber man rief Feuer im Hause, und die Antwort blieb unvollendet. Zehn- Zehntes Buch . R 2 D as Feuer war bald gedaͤmpft, und die beiden Unterredenden kehrten beru- higt zu ihrem Gespraͤche wieder zuruͤck. Belphegor nannte kein Gebrechen in dieser Welt, wofuͤr sein Gesellschafter nicht ein Recept wußte: er wußte eins fuͤr die Unord- nung der Finanzen in Deutschland, Frank- reich und andern Laͤndern; er konnte hab- suͤchtige Minister kuriren, er wollte muͤßige Regenten von ihrer Liebe zum Vergnuͤgen heilen, er wollte ihnen Kraft und Willen zur Ausuͤbung ihrer Pflichten einpfropfen — ach, was weiß ich, was fuͤr trefliche medi- einische Geheimnisse er weiter noch in seiner Gewalt hatte? Doch ließ sich seine Kur nie- mals unter einen Fuͤrsten, einen Minister oder einen ganzen Staatskoͤrper herab und war so ziemlich den Verfassern politischer Systeme gleich, die Fuͤrsten und Koͤnigen vorschreiben, was sie thun sollen, um uns zu lehren, was sie nicht thun. Sagt ich weiß nicht wer? Demun- R 3 geachtet geachtet mußte sich ein Mann, wie Belphe- gor, ungemein uͤber so kuͤnstliche Spinne- weben freuen und brachte manche Nacht schlaflos hin, um aͤhnliche Gespinste aus seinem Gehirne zu erzeugen. Er erzaͤhlte sie seinem neuen Freunde und ließ sich die seini- gen erzaͤhlen, wodurch ihre gegenseitige Zu- neigung taͤglich fester wurde, wiewohl auch der Fremde noch eine andre Absicht hatte, warum er Belphegors Haus so oft besuchte, und mit welcher er gleich anfangs hineinge- kommen war. Auch dieses war nichts geringers als ein Projekt, das aber nicht die weitlaͤuftige Bes- serung eines Fuͤrsten oder Staats, sondern die Kur eines Anverwandten betraf, der sich allen Ausschweifungen uͤberließ, ihm, um sie desto freyer zu geniessen, entlaufen war, und den er darum Schritt vor Schritt betrachten wollte. — Wir hatten, erzaͤhlte er eines Tags Belphegorn, ansehnliche Besitzungen in New Wight: mein Verwandter und ich sollten eine Erbschaft heben, auf die wir laͤngst gewartet hatten; allein der Befehls- haber des Gebiets, der ungerechte Fro- mal — Fro- Fromal? rief Belphegor erstaunt. — Ja, er selbst, dieser gewissenlose Mann, verwickelte uns in feingewebte Schwierigkei- ten, die uns den Besitz der Erbschaft lange Zeit aufhielten. — Fromal! Er that das? — Ja, und zwar aus einem Grolle wider den Erblasser und aus Habsucht, ein Stuͤck Landes zu besitzen, welches an einem seiner Gaͤrten stieß, den er dadurch zu erweitern wuͤnschte. Der Verwandte, den wir beerb- ten, schlug ihm sein Ansuchen darum etliche Mal ab, aus welchen Ursachen weiß ich nicht; und haͤtte der ruchlose Fromal ihn nicht gefuͤrchtet, so wuͤrde er ohne Bedenken Gewalt gebraucht haben, zu seinem Zwecke zu gelangen; allein da ihm seine eigne Sicherheit dieses widerrieth, so versteckte er sich hinter tausend Kunstgriffe, die ihm aber unser Verwandter gluͤcklich zu vereiteln wuß- te; doch ließ die Vereitelung einen Groll in ihm zuruͤck, den nichts als unser Verlust versoͤhnen konnte — Alles dieß that Fromal? — Ja, alles that er, der Ungerechte! Er legte uns mannichfaltige Fallstricke, als R 4 unser unser Verwandte starb, wovon jeder eine rechtmaͤßige Foderung zu seyn schien; die Schwierigkeiten waren unendlich, und wir wuͤrden unsre Erbschaft noch nicht gehoben haben, wenn wir uns nicht entschlossen haͤt- ten, ihm das Stuͤck Landes zu uͤberlassen, das die Ursache seiner Verfolgung war. Wir mußten unsern Bedruͤcker liebkosen, ihm ein Geschenk damit machen und noch oben drein allen Schein der Bestechung sorgfaͤl- tig vermeiden, und in kurzer Zeit waren wir die ruhigen Besitzer unsrer Erbschaft. — Alles dieß that Fromal? — Er that noch mehr als alles dieß; wir sind nicht die einzigen, zu deren Unter- druͤckung er seine Gewalt mißbrauchte. — Komm! wir muͤssen ihn bessern oder stra- fen! — Er war mein Freund, sein Herz war gut, ich will ihn sprechen, er wird mich hoͤren; schon einen meiner Freunde habe ich von dem Wege der Unterdruͤckung zuruͤckge- bracht, warum nicht auch diesen? — So bald Du in sein Gebiet wieder gehst, so nimm mich mit Dir! Er muß ein gerechter oder kein Befehlshaber seyn. — Wenn Wenn dieß moͤglich zu machen waͤre, Freund! Ich habe schon uͤber manchem Entwurfe gebruͤtet, wie man ihn bessern koͤnnte, aber wer will sie ausfuͤhren? — Ich! unterbrach ihn Belphegor hitzig. — Einen schlafenden Loͤwen mag ich nicht wecken. Die Schuld einer Ungerechtigkeit, die er an uns begangen, liegt auf ihm. Ich werde, so bald ich meinen Anverwand- ten gewonnen habe, in sein Gebiet zuruͤck- kehren und dem Goͤtzen opfern muͤssen, da- mit er mich nicht verschlingt: siehe! das ist das Grundgesez des Schwaͤchern. Alles, was man thun kann, ist — Plane entwer- fen; aber sie ausfuͤhren zu wollen, dafuͤr bewahre der Himmel! — Ich will meinen ausfuͤhren, sagte Bel- phegor, und seitdem war er unaufhoͤrlich mit seiner Reise zu Fromaln und mit seiner Besserung beschaͤftigt, deren Anfang er so sehnlich wuͤnschte, und wovon er so gewiß einen gluͤcklichen Erfolg hofte, daß er mit Ungeduld und oft mit Haͤrte seinen Freund ermahnte, die Abreise zu beschleunigen. Nachdem dieser seine Geschaͤfte abgethan, seinen Neffen, dem er ungekannt in alle R 5 luͤder- luͤderliche Haͤuser nachfolgte, wieder gewon- nen und von seinen Ausschweifungen abge- zogen hatte, so wurde die Fahrt angetreten, und Belphegor erhielt unter der Bedingung die Erlaubniß, der Reisegefaͤhrte seines Freundes und sein Hausgenosse zu werden, wenn er sein Projekt, den ungerechten Fro- mal zu bessern, aufgeben wollte, wenigstens sich es nicht befremden ließ, wenn er, so bald Ungelegenheit von seinem Verfahren zu besorgen stuͤnde, sein Haus und seine Freund- schaft meiden muͤßte. Belphegor versprach alles, vergaß Akanten, seinen Freund Me- dardus, sein Haus, und folgte allein dem Triebe seines warmen Gerechtigkeit lieben- den Herzens. Sie erreichten vie Insel New Wight gluͤcklich; und Belphegors erste Bemuͤhung war, seinen alten Freund zu besuchen. Er glaubte, daß seine Person seinem Vortrage ein großes Gewicht geben werde, und suchte sich darum so gleich zu entdecken, als er sich um den Zutritt zu ihm bewarb. Fromal empfieng ihn mit der lauen Hoͤflichkeit eines Vornehmen, begegnete ihm freundlich, aber nicht freundschaftlich. Belphegor vermißte die die ehemalige Waͤrme der Vertraulichkeit bald und gab sich alle Muͤhe, ihn zu be- feuern: Er lenkte das Gespraͤch auf die Vor- fallenheiten seines Befehlshaberamtes, und sein Freund wurde noch zuruͤckhaltender: er kam auf die Begebenheit des Mannes, der ihn mit sich gebracht hatte, ließ etliche hin- geworfne Worte verrathen, daß er von der Sache wohl unterrichtet war und sie als eine Ungerechtigkeit verabscheute. Er er- zaͤhlte ihm die Geschichte davon unter veraͤn- derten Namen und mit starken lebhaften Ausdruͤcken der Mißbilligung. Fromal schien dabey zu empfinden: er machte die gewoͤhnlichen Geberden eines Menschen, der sich getroffen fuͤhlt, und eben als Belphegor die Moral zu seiner Erzaͤhlung hinzusetzen wollte, brach er ab und entschuldigte sich mit dringenden Geschaͤften, daß er sich von ihm beurlaubte. Sein Gesezprediger war zwar mit dieser Entwickelung des Gespraͤchs nicht sonderlich zufrieden, doch hoffte er einen gluͤcklichen Ausgang seines Vorhabens, weil sein Freund noch Gefuͤhl hatte. Er wiederholte seinen Besuch’ zum zwey- ten, zum dritten und mehrmalen: allemal wurde wurde es mit der groͤßten Hoͤflichkeit beklagt, daß unaussezbare Geschaͤfte die Annehmung seines Zuspruchs nicht verstatteten, und wenn der gute Mann von der Vortreflich- keit seines Unternehmens nicht zu sehr ge- blendet gewesen waͤre, so haͤtte er leicht darauf verfallen koͤnnen, daß man jeman- den oft abweist, um ihn nicht wieder zu sehn: allein eine so ruhige Bemerkung ver- stattete ihm die Hitze, womit er seinen Zweck verfolgte, nicht zu machen: er ließ sich ge- trost abweisen und setzte getrost seine Anfra- gen fort. Endlich merkte er wohl, daß er mehr Schwierigkeiten bey Formals Bekeh- rung fand, als bey dem ehrlichen treuher- zigen Medardus, und begriff den Bewe- gungsgrund, der den Befehlshaber gegen eine Unterredung mit ihm abgeneigt machte: seinen Plan aufzugeben, war fuͤr ihn der Tod; er entschloß sich kurz und nahm seine Zuflucht zur Feder. Er schrieb ihm die leb- hafteste angreifendste Vorhaltung seiner Un- gerechtigkeiten, bat, beschwor, drohte in schauernden Ausdruͤcken, und verlangte nichts als eine Wiedererstattung aller be- gangnen Bedruͤckungen. — Gieb, schloß er, gieb gieb den Bedruͤckten, die Du vor Raͤube- reyen schuͤtzen solltest und selbst beraubt hast, gieb ihnen alles wieder, sey kuͤnftig gerecht, billig, menschenfreundlich! — und Du bist wieder mein Freund; wo nicht, so soll Dich meine Nachkommenschaft bis in Ewigkeit verfluchen, und jeder Tropfen mei- nes Blutes, so lange er noch in einer Ader fließt, um Rache wider Dich schreyen. — Der Brief that seine Wirkung. Belphe- gor hatte sehr sorgfaͤltig verhelt, daß er der Urheber von ihm war, und Fromal, der dieß nicht vermuthete, hatte bereits zu viel gelesen, um wieder aufhoͤren zu koͤnnen, als er den Verfasser desselben errieth. Er las ihn unruhig und zitternd durch, mußte es noch einmal thun und wurde in ein tiefes Nachdenken versenkt, las ihn wieder und sann, konnte nicht essen und nicht schlafen. Die schauerhaften Beschwoͤrungen seines Freundes schlichen unaufhoͤrlich, wie Ge- spenster, vor seiner Seele voruͤber: er wuͤnschte, sich bey dem Manne rechtfertigen zu koͤnnen, der einen solchen Aufruhr in ihm gemacht hatte, und doch schaͤmte er sich, ihm in die Augen zu sehn. In dieser unru- higen higen Unentschlossenheit ließ er zween Tage verstreichen, und Belphegor seufzte und trauerte schon, daß ihm sein Zweck so ganz fehl gegangen, und sein Freund so verhaͤr- tet sey. Mitten in seiner Unzufriedenheit daruͤber bekam er die Nachricht, daß der Befehlshaber ihn zu sprechen verlange: er gieng nicht, er flog. Ob sich gleich eben so leicht vermuthen ließ, daß seine Vorstel- lung beleidigt habe, und daß man ihn nur rufen laße, um ihn den Unwillen uͤber seine Besserungssucht zu empfinden zu geben, so war doch bey allen schmaͤhenden Deklama- tionen, die ihm eine gegenwaͤrtige Mis- handlung wider den Menschen auspreßte, noch zu viel Rest guter Meynung von der menschlichen Natur aus den ersten Jahren der Einbildungskraft bey ihm uͤbrig, als daß er insbesondre seinen ehmaligen Freund einer gaͤnzlichen Verhaͤrtung faͤhig hal- ten sollte. Seine gute Erwartung wurde zum Theil erfuͤllt: Fromal dankte ihm fuͤr die wohl- meynende Absicht seines Briefs und verbarg ihm keine von den Regungen, die er in ihm erweckt hatte; er erkannte sich aller Vor- wuͤrfe wuͤrfe werth, die ihm darinne gemacht wur- den, hatte aber auch fuͤr jede eine schoͤne Entschuldigung in Bereitschaft, und bat Belphegorn, sein Freund wieder wie vor- mals zu seyn, welches gewissermaßen ein stillschweigender Vertrag seyn sollte, ihn ins kuͤnftige mit solchen Unruhen zu verscho- nen. — So legte es auch Belphegor aus und sprach daher mit dem ganzen Ernste eines Bekehrers: Nicht Eine Minute kann ich Dein Freund seyn, so lange Deine Reue nicht wirksamer ist: nicht bloß vergessen, sondern wieder gut machen mußt Du Deine Ungerechtigkeiten, nicht bloß unterlaßen, sondern besser handeln. — Fromal wieder- holte die Versichrung seiner Reue nochmals und glaubte damit wegzukommen, allein Belphegor wich auch nicht Einen Punkt von seinen Foderungen ab und gieng in dem Feuer der Unternehmung so weit, daß er von ihm, wie ehmals vom Medardus, ver- langte, seine Befehlshaberstelle aufzugeben, um sich vor neuen Mißbraͤuchen zu huͤten. Die Anfoderung war uͤbertrieben, und ver- darb darum die Haͤlfte der gemachten guten Wirkung: Fromals Eigenliebe fuͤhlte etwas zu wi- zu widriges dabey, um ihm nicht ein Vor- urtheil wider den Mann einzusloͤßen, der sie thun konnte. Aus dieser Ursache brach er kurz darauf abermals das Gespraͤch ab, ohne weiter einen Anspruch auf Belphegors Freundschaft zu machen, der ihn ungern verließ, weil er von dieser Unterredung den entscheidenden Ausschlag gehoft hatte. Indessen blieb doch Fromaln, so schwer es ihm fiel, sich mit seiner Eigenliebe ganz zu entzweyen, ein Stachel zuruͤck, der ihn von Zeit zu Zeit an Belphegors Vorhaltun- gen erinnerte: er liebte ihn wegen seines Eifers fuͤr seine Besserung, er wollte ihn gern oft sehen, und gleichwohl fuͤrchtete er eben diesen Eifer zu sehr, um ihn oft sehen zu koͤnnen. Endlich schlug seine Eigen- liebe einen Mittelweg ein: er bemuͤhte sich, ihn durch Liebkosungen, Geschenke und Eh- renbezeugungen zu gewinnen, oder seine ernste Beredsamkeit einzuschlaͤfern: er zer- streute ihn durch verfchiedene Vergnuͤgun- gen; er kuͤtzelte ihn durch Wohlleben und dachte seine ernste Tugend im Weine zu er- saͤufen. Zur Haͤlfte gelangs ihm; aber mit- ten unter Ergoͤtzlichkeiten mußte er sichs oft gefallen gefallen lassen, einen verwundenden Stich zu empfangen: doch muß man es zu Fro- mals Ehre ruͤhmen, daß er oft selbst den Faden zu ernsten Betrachtungen anspann und mit seiner vorigen Staͤrke und Lebhaf- tigkeit uͤber Welt und Menschen philoso- phirte: er beruͤhrte so gar oft seine eignen Vergehungen, tadelte und entschuldigte sie. Belphegor ließ keine Gelegenheit voruͤber- gehn, die Wiedererstattung fuͤr alle zu ver- langen, die Fromals Unterdruͤckung gefuͤhlt hatten: um sich auch diese beschwerliche An- foderung zu ersparen, bot er Belphegorn das Stuͤck Land zum Geschenke an, das er seinem Hausherrn durch Bedruͤckungen ab- genoͤthigt hatte. Belphegor weigerte sich, und seine Gerechtigkeitsliebe stellte ihm den Besitz dieses Geschenkes als einen zweyten Diebstahl an: doch Fromal, der den Men- schen kannte, machte ihn durch haͤufige Zu- noͤthigungen, durch die Vortheile und An- nehmlichkeiten, die er ihm dabey versprach, mit der Idee davon so vertraut, daß er wirklich nach langem Weigern das Geschenk annahm, ohne es weiter fuͤr einen Diebstahl zu halten. Der Genuß mannichfaltiger S Ver- Vergnuͤgungen bey dieser Besitzung und die Erkenntlichkeit dafuͤr minderten allmaͤhlich den Unwillen wider Fromals begangne Un- gerechtigkeiten, und bald wurde nur davon gesprochen, um daruͤber zu spekuliren. So war nach vielfaͤltigen, meistens selbsterregten Leiden Belphegor in Ruhe, besaß ein klei- nes Landguͤtchen mit einer fuͤr ihn bequemen Wohnung, mit schattichten Baͤumen, um darunter philosophisch zu traͤumen, uͤber sein Leben nachzudenken, die Welt nach Maaßgebung seiner Laune zu schimpfen oder zu bewundern — mit einem Gaͤrtchen, um darinne, wie die Patriarchen, zu graben, zu saͤen, zu pflanzen — mit einem Felde, um darauf seinen Unterhalt von etlichen Ne- gern erbauen zu lassen, die ihm Fromal dazu geschenkt hatte. Itzt, da er selbst die Nuͤtz- lichkeit dieser Schwarzen genoß, verschwand das Duͤstre in der Vorstellung von ihrem Zu- stande ganz: ob er sie gleich als Menschen- freund beklagte und behandelte, so schienen sie ihm doch nicht mehr so ungluͤcklich wie ehmals, und die Idee von einem Sklaven, von dem Verkaufe desselben, diese sonst fuͤr ihn so aufbringende Idee, familiarisirte sich so sehr so sehr mit ihm, daß sie ihm gleichguͤltig wurde. Er lebte in der gluͤcklichsten Ein- samkeit, in der beneidenswuͤrdigsten Ruhe; was ihm mangelte, ersetzte ihm sein Freund, und beide waren itzt wieder mit ganzer Seele einig und vertraut. Belphegors Gluͤckseligkeit weckte bald in Fromaln ein Verlangen nach einer aͤhnli- chen Ruhe auf, welches die Ermuͤdung von Geschaͤften verstaͤrkte, besonders da er von Natur eine starke Neigung zur Spekulation hatte, die itzt durch Belphegors Beispiel wieder aufgelebt war. Lange blieb sein Verlangen ein bloßer Wunsch, und Belphegors Auffoderung ver- mochten nicht, ihn zu einem Entschlusse zu bringen, zu welchem ihm eine widrige Be- gebenheit zwang. Schon lange hatte einer von seinen Unterbedienten, vermuthlich von Neid und Eifersucht angetrieben, heimlich eine Partie wider ihn gemacht, die itzt zu seinem Schaden ausbrach. Man wollte ihn durch Verdrießlichkeiten abmatten und noͤthigen, die Befehlshaberstelle niederzule- gen, zu deren Erlangung sein Nebenbuhler schon die noͤthigen Veranstaltungen getrof- S 2 fen fen hatte. Er sah ein, worauf es angefan- gen war, und um einem gewaltsamen Sturze zu entgehen, stieg er selbst von seiner Wuͤrde herunter und vergrub sich mit seinem Freun- de Belphegor in der Einsamkeit: da er aber die Schikane und Beunruhigung des neuen Befehlshabers fuͤrchtete, so verließ er mit Belphegorn die Insel und kaufte sich eine maͤßige Besitzung in Virginien, die er auf den Rath seines Freundes in drey gleiche Theile zerschnitt, um sie so mit seinen zween Freunden zu besitzen: denn man hatte sich schon Muͤhe gegeben, Akanten und den gu- ten Medardus gleichfalls zu der Gesellschaft zu ziehn. Die Nachfragen blieben lange fruchtlos; man schrieb und schrieb, und er- fuhr nichts, bis endlich, da sie bereits ver- zweifelten, sie wiederzufinden, Fromal die Nachricht erhielt, daß sie einer seiner Be- kannten auf seinem Schiffe zu ihnen fuͤhre. Die Nachricht wurde bald durch ihre An- kunft bestaͤtigt, und die gluͤcklichste Stunde vereinigte drey Freunde wieder, die Schick- sal und Leidenschaften oft von einander ge- trennt hatte, um hier in stiller Ruhe dem Tode langsam entgegenzuwandeln. Akante Akante erschien nicht; sie hatte kurz vor der Abreise eine verliebte Kuppeley unter- nommen, und da der Mann, dessen Frau sie durch ihre Bemuͤhungen zur Untreue ver- leiten wollte, die Sache sehr uͤbel nahm, so raͤchte er sich mit einem guten Schlage an ihr, der so uͤbel abgepaßt war, daß sie nach langen Schmerzen verschied. Aus alter Liebe, und weil er ihre schlimme Seite nicht genug kannte, betrauerte sie Belphegor und beklagte ihren Tod als einen Verlust fuͤr sich: allein Medardus unterbrach sein Kla- gelied und rieth ihn, nicht Einen Seufzer an ein schaͤndliches Weib zu verschwenden, das nicht verdient haͤtte, Athem zu holen. — Bruͤderchen, sprach er, sie haͤtte die Minute nach ihrer Geburt einen so gesunden Schlag auf den Hirnschaͤdel bekommen sollen: so waͤren viele Menschen weniger ungluͤcklich, und Du nicht betrogen worden. Sie war eine Falsche, die listig die Grundsaͤtze und Neigungen desienigen annahm, dessen Huͤlfe sie eben brauchte: in einer Minute war sie zaͤrtlich, feurig verliebt und bis zur Ueber- treibung einschmeichelnd, die folgende Mi- nute, wenn es ihr Vortheil verlangte, kalt, S 3 verach- verachtend stolz, und warf vielleicht einen Liebhaber zum Hause hinaus, in dessen Um- armung sie kurz vorher den Himmel zu fuͤh- len vorgab. — Belphegor seufzte. — Sie trieb, fuhr Medardus in seiner Pa- rentation fort, zuletzt die schaͤndlichste Kup- peley, und war so geschickt, Dir ihr ab- scheuliches Gewerbe zu verbergen. In Ei- nem Hause unter Einem Dache mit ihr wuß- test Du am wenigsten davon, und oft, wenn Du in Deiner Stube spekulirtest, wurden vielleicht unter oder neben Dir der Wohllust die schaͤndlichsten Opfer gebracht. Sie hat mich, sie hat Dich hintergangen, durch Luͤ- gen und durch That: wie fuͤhrte Dich nur das liebe Schicksal wieder zu ihr? Belphegor ertheilte ihm daruͤber die ge- hoͤrige Nachricht, und am Ende seiner Er- zaͤhlung rief Medardus aus: Da sieht man doch, daß die Vorsicht noch lebt! Betruͤge- rey und Laster finden am Ende allezeit sol- chen Lohn. Aber, unterbrach ihn Belphegor, ist das Vorsehung, ein Geschoͤpf, das tausend an- dre ungluͤcklich gemacht hat, mit einer Keule vor vor den Kopf schlagen zu lassen? Wenn heute, wenn morgen einen unter uns ein herabfallender Stein quetscht, oder die Keule eines Raͤubers verwundet, daß wir unter langen Schmerzen sierben muͤssen, so sind wir Akanten gleich: was ist aber bey uns die Absicht der Vorsehung? — Ist es Stra- fe? — warum soll ich oder Du, die wir nicht zur Haͤlfte so viel Boͤses begangen ha- ben, warum sollen wir mit jener ungleich groͤßern Verbrecherinn gleich gestraft seyn? und das ist eine uͤble Gerechtigkeit, wo alle Vergehungen auf gleichen Fuß behandelt werden: wenn wenig oder viel mit Einem Grade von Bestrafung wegkoͤmmt, so haͤtte ich Lust, lieber viel zu begehen. — Ist es in unserm Falle keine Strafe? — desto schlimmer! warum trift den Unstrafbaren mit dem Strafbaren ein Gleiches? Woher weiß ich das, daß Einerley Begebenheit in einem Falle es ist, im andern nicht? und wie kann ich aus Akantens Vorfalle schlies- sen, daß eine Vorsicht mit Absicht ihr dieses Schicksal wiederfahren ließ? — Bruͤderchen, Du disputirst mir nichts aus dem Kopfe. Vielleicht wuͤrden wir von S 4 einem einem Steine erschlagen, um großen Lastern und Ungluͤckseligkeiten zu entgehn. Wer weiß! wozu es gut ist? — Elende Ausflucht! Warum wurde denn Akante, die dadurch von ungeheuren Lastern und vielem Ungluͤcke haͤtte bewahrt werden koͤnnen, wie man nun deutlich sieht, nicht im sechsten oder siebenten Jahre erschlagen? und warum geschah dieß so vielen, deren wohlgefuͤhrtes Leben es nicht vermuthen ließ, daß ihnen durch ihren Tod große Laster erspart wurden? Sollten wir Akantens Ge- schick erfahren, um großem Ungluͤcke zu ent- gehn? — Wahrscheinlich keinem groͤßern als wir schon erduldet haben! — Nach Deiner Philosophie, Freund, waͤre es der hoͤchste Grad der Vorsehung, alle Kinder unmittelbar nach der Geburt vor den Kopf schlagen zu lassen. — Aber, Bruͤderchen, wenn viele, die es nicht verdienten, eben so gestorben sind, so ist ja das nichts sonderbares: es braucht nicht Strafe zu seyn: sie mußten einmal sterben, so galt es ja gleich, ob ihnen eine Krankheit die Kehle zudruͤckte, oder ein Stein den Kopf zerquetschte. Alles Alles gut, Freund! Aber woher weißt Du, daß dieß bey Akanten nicht eben der- selbe Fall war? Woher weißt Du, daß Eine Begebenheit in zween Faͤllen zwo ver- schiedene Absichten hatte? — Das kannst Du nicht beweisen; Du kannst gar nicht be- weisen, daß eine Absicht dabey war, Du kannst — Freund, unterbrach ihn Fromal, darf ich auch meine Meynung sagen? — Ich erblicke in den Begebenheiten der Erde und jedes einzelnen Menschen einen Zusammen- hang, der sie so zusammenkettet, daß eine wirkt, und die andre gewirkt wird, um wie- der zu wirken. Dieß ist das einzige, was ich mit Gewisheit sehe, und wenn ich daran zweifeln wollte, so wuͤrde ein Stein, der auf meinen Kopf faͤllt, mich lebhaft da- von uͤberzeugen: es ist eine Bemerkung, die eine leichte Aufmerksamkeit macht, und sie hat, deucht mich, die naͤmliche Evidenz, die das Zeugniß unsrer Sinnen giebt. Dieser bemerkte Zusammenhang soll einen Namen bekommen: richte ich meinen Blick bloß auf die Nothwendigkeit und Unwidersteh- lichkeit dieses Zusammenhangs, daß ein S 5 Glied Glied in der langen Kette der Begebenheiten genau an das andre schließt, daß ich keins herausnehmen kann, ohne die Ordnung und Folge des Ganzen zu aͤndern und also eine andre Kette zu machen, daß durch lange Vorbereitungen eine guͤnstige und widrige Begebenheit, der Sturz vom Pferde und der Gewinnst eines großen Looses seit dem An- beginne der Dinge schon gewiß war und izt, wenn sie geschieht, unvermeidlich ist: se nen- nen wir den Zusammenhang der Dinge, von dieser Seite betrachtet — Schicksal, Fatum. Betrachten wir ihn aber auf einer andern, in so fern eine jede Wirkung die abgezielte Absicht von dem Urheber der Din- ge bey der Anordnung aller vorhergehenden Ursachen seyn konnte: so nennen wir es Vorsehung. In beiden Faͤllen bleibt der Zusammenhang derselbe, gleich nothwendig und unausweichbar, nur der Name und die Vorstellungsart wird geaͤndert. In dem ersten Gesichtspunkte ist die Welt ein von dem Ueheber der Welt veranstaltetes Spiel der natuͤrlichen Kraͤfte: er warf Schwerkraft, Centralkraft, elektrische, ma- gnetische und andre Kraͤfte der Koͤrperwelt zusam- zusammen, er warf denkende und wollende Vermoͤgen, Neigungen und Leidenschaftrn in die Geister, und gab einer jeden Kraft eine bestimmte Regel fuͤr ihre Wirkungen. Das Spiel begann: Ideen, Neigungen, Leidenschaften kaͤmpften unter einander, Koͤr- per stritten mit Koͤrpern: die Maschine der Welt ist ein perpetuum mobile, wo Stoß auf Stoß, Wirkung auf Wirkung unaus- bleiblich folgen, der Gerechte und Ungerech- te von einem Steine zerquetscht wird, wenn er gerade voruͤbergeht, indem ihn seine Schwerkraft zur Erde herabzieht, wo der Boͤse und Gute von der Kanonenkugel weg- gerissen wird, wenn sie ihn auf ihrem Wege antrift — kurz, wo aus dem verwirrten streitenden Haufen der Weltkraͤfte eine Wir- kung nach der andern hervorsteigt, und jede der ihr angewiesnen Regel allein folgt. — Im zweyten Gesichtspunkte ist die Welt eine kuͤnstlich ausgesonnene Maschine, wo Rad in Rad greift, der Gang und die Wirkung eines jeden nach einem Risse ausgerechnet und bestimmt ist, es sey nun, daß der Kuͤnst- ler durch unsichtbare Federn unaufhoͤrlich bey jedem Raͤdchen mitwirkt, oder daß er nur nur einige dieses Einflusses wuͤrdigt, oder daß sein Werk nach seiner ersten bestimmten Anlage ohne fernere Beyhuͤlfe seinen ange- wiesnen Gang vor sich fortgeht. Da nun jede Wirkung auf die vorhergehende Ursache so gut paßt, daß diese um jener willen da- zuseyn scheint, so stellen wir uns vor, daß der Stein darum einem Menschen auf den Kopf faͤllt, weil er getoͤdtet werden soll: die Einbildungskraft hat hierbey Raum die Menge zu ihrem Spiel; wenn der Stein ei- nen Menschen trift, den wir nach unserm Urtheile fuͤr boͤse halten, so nennen wir es Strafe: trift er einen guten, so nennen wir es Schickung, oder wie es uns sonst beliebt. Aber allzeit ist es blos unsre Erfindung, unsre Vorstellung, die wir nie zu einiger Evidenz erheben koͤnnen. — Jeder Mensch wird durch Erziehung, Unterricht, natuͤrli- che Anlagen und Neigungen zu einer von die- sen Vorstellungsarten hingerissen und gleich- sam so gestellt, daß er den Zusammenhang der Welt in einem von jenen Gesichtspunk- ten sieht. Dich, Freund Medardus, lei- teten die Umstaͤnde auf das System der Vor- sehung, mich auf das andre. Wir wollen nicht nicht uͤber Namen und Vorstellungs- arten streiten: darinne kommen wir alle uͤberein, und dieß sehen wir alle so evident, als unsre Augen uns von dem Daseyn einer Sonne uͤberzeugen, daß ein festgeketteter, nothwendiger, unwidertreiblicher Zusam- menhang in den Begebenheiten der Erde und jedes Bewohners derselben vorhanden ist: wer dieß laͤugnet, spielt mit Worten. Wer sich eine von den beiden Vorstellungsarten dieses Zusammenhangs waͤhlt, waͤhle dieje- nige, die ihm nach seiner Lage Thaͤtigkeit zur Handlung und Beruhigung in der Wider- waͤrtigkeit mittheilt; und er hat wohl ge- waͤhlt: aber wessen Gewalt ist es uͤberlassen, eine solche Wahl zu treffen? Allmaͤhlich er- zeugt sich aus seinen Kenntnissen, Schicksa- len und Beobachtungen daruͤber ein gewisser lichter Schimmer der groͤßern Wahrschein- lichkeit, der eine von jenen Meinungen in seinem Kopfe hervorstechender macht; und ich kann mir vorstellen, daß dieser Mann bey dem Fatum eben so viele Beruhigung findet, als ein andrer bey der Vorsehung. — Medard. Unmoͤglich, Bruͤderchen! Das trockne, leere, geistlose Fatum vergli- chen chen mit einer lebenden, thaͤtigen, wirksa- men Vorsehung — welch ein Unterschied! From. Ja, Freund, fuͤr die Einbil- dungskraft! die freylich ein freyeres Feld fuͤr sich findet, wenn sie den Zusammenhang der Dinge personifieiren und ihn mit allen Eigenschaften eines sorgsamen Vaters aus- putzen kann. Ich tadle dieß nicht: da die meisten Menschen blos durch Einbildungs- kraft und Empfindung geleitet werden, so muß das System der Vorsehung fuͤr sie ein unendlich wohlthaͤtiges und vorzuͤgliches System, und die Menschen desto gluͤcklicher seyn, je ausgebreiteter es wird: und doch besizt es nur der kleinste Theil der Mensch- heit. Medard. Ganz Europa besitzt es ja. From. Dem Namen nach! Der groͤßte Haufen, Gelehrte und Ungelehrte, moͤchte ich behaupten, hat im Munde und in der Imagination die Vorsehung und im Verstan- de das Fatum: pruͤfe sie, und du wirst fin- den, daß die Vorsehung der meisten ein per- sonificirtes, mit etlichen glaͤnzenden Eigen- schaften der Vorsehung ausgeschmuͤcktes Fa- tum ist. Von Europa faͤllt also ein großer Theil Theil wahre Anhaͤnger dieses Systems hin- weg; und welche Menge in den uͤbrigen Welttheilen, die insgesammt bey der ersten einzig gewissen evidenten Beobachtung stehen geblieben sind, dem Grunde, von wel- chem alle unsre Erklaͤrungen und Vorstel- lungsarten entstanden sind, und in welchen sie sich alle aufloͤsen lassen, naͤmlich: daß ein festgeketteter unwidertreiblicher Zusam- hang in den Begebenheiten der Welt ist. Frage den Neger, den Indianer, den Kal- mucken! und wenn er seine dunkle Empfin- dung hiervon auszudruͤcken weis, so wird er dir diese Idee geben; und doch, obgleich das Fatum der herrschende Glaube von mehr als der halben Menschheit ist, streitet der Tuͤrke mit der Kuͤhnheit eines Loͤwen, und jederman glaubt, er habe seinen Muth seinem Glauben an das unausweichbare Schicksal zu verdanken. Das System der Vorsehung scheint mehr die Staͤrke zum Dulden als zum Handeln zu geben; und, Freund, du wirst herrlichen Trost von ihm empfangen haben? Medard. Herrlichen Trost? Wer weis wozu mir das gut ist? — so dachte ich bey dem dem fuͤrchterlichsten Sturme des Ungluͤcks, und ich konnte getrost hindurch gehn. Belph. Gluͤckliche Illusion! Wie wohl waͤre mir gewesen, wenn sie mein Unmuth nicht aus meiner Seele getrieben haͤtte: aber mein Ungluͤck war zu ungestuͤm; eine eiserne Seele haͤtte es kaum tragen koͤnnen: und wenn ich gleich alle Fittige meiner Einbil- dungskraft ausgespannt haͤtte, um mich zu uͤberreden, daß alles zu etwas gut sey, wie haͤtte ichs vermocht? — Wozu konnte es gut seyn, daß die Natur die Menschen so anlegte, daß sie in dem allgemeinen Hand- gemenge auch meinen Scheitel so oft ver- wundeten? Wozu konnte das gut seyn? — Fromal fiel ihm ins Wort: Du hast erfahren, Belphegor, daß die Menschen nicht das sind, wofuͤr wir sie uns in dem ersten Rausche der Jugend ausgaben: keine friedlichen Geschoͤpfe, die vom Verlangen wohl zu thun gluͤhn, die in Ruhe und Ein- tracht neben einander leben, sich uͤber ihr wechselseitiges Gluͤck freuen, und heiter, froh, zufrieden den muntern Tanz des Le- bens dahinhuͤpfen: Du hast sie gefunden, wie ich dir verkuͤndigte — eine Heerde Raub- thiere, thiere, die Eigennutz, Herrschsucht, Neid ewig zusammenhetzet, die sich in Truppe versammelten, um einander desto wirksamer befeinden zu koͤnnen, durch ihre natuͤrlichen Anlagen, durch die Oekonomie ihres Wesens zum immerwaͤhrenden Kriege bestimmt, den sie bestaͤndig in roher grausamer, oder min- der grausamer, oder verkleideter Gestalt fort- setzen, blutig oder unblutig, so wie Gesetze, Sitten und Verhaͤltnisse es ihnen erlauben; eine Heerde Raubthiere, wo eins uͤber das andre will, eins das andre zu unterdruͤcken sucht, und wo die meisten auch in einer be- staͤndigen verjaͤhrten Unterdruͤckung gehalten werden: — denn uͤbersiehe die ganze Flaͤ- der Erde, ob nicht blos kleine Flecken von der Sonne der Freiheit mit schwaͤcherm oder staͤrkerm Schimmer erhellt werden, indessen daß große weite Ebnen von der tiefsten Fin- sterniß der Sklaverey uͤberdeckt sind, wo je- des muthige Wort auf der Zunge stirbt, wo der Geist der Freundschaft nie athmet, und jeder mit ruͤckhaltender. Kaͤlte den andern in langer Entfernung von sich haͤlt, wo der Elende nicht einmal das Eigenthum seines Lebens besitzt: uͤbersieh alle Zeiten, und sie T werden werden Dir das naͤmliche Trauerspiel der Unterdruͤckung vorstellen: uͤbersiehe Dein eignes Leben, Freund, und hast Du nicht allenthalben, wenige gute, edlere Seelen ausgenommen, die Menschen im einzel- nen und im Ganzen mit meiner Schilde- rung passend gefunden? Belph. Ja, leider! sind mir Laͤhmun- gen, Narben, Beulen unverwersliche Zeu- gen davon! From. Wovon Du Dir aber den groͤß- ten Theil erspart haͤttest, wenn Du der Par- tie jenes londuer Jungen gefolgt waͤrest, des- sen Beispiel fuͤr mich die goldne Regel mei- nes Verhaltens jederzeit gewesen ist. Ein Haufen groͤßerer Buben, in deren Mitte er stund, geriethen in Zank: das Handgemen- ge wurde allgemein, man schlug sich blut- ruͤnstig, man riß sich Haare aus, nur mein Knabe buͤckte sich und kroch mit besondrer Geschicklichkeit durch die erhabnen Arme der Streiter hindurch und kam allein unversehrt aus dem Kampfe. Laß den Menschen die wilde Lust ihres Kampfjagens, laß sie sich balgen und raufen, mit dem Degen, mit der Feder, mit Verlaͤumdungen, mit den Naͤgeln! Naͤgeln! schleiche dich durch sie hindurch und laß dich nie geluͤsten, ihnen zu sagen, daß sie Narren find, noch vielweniger sie gescheidter machen zu wollen! Die Maschine kann nichts mehr oder weniger und nichts anders thun, als wohin sie der Stoß der auf sie wirkenden Raͤder treibt, und wer sie aus ihrer Richtung herauslenken will, muß Kraͤfte genug zum Wiederstande haben, oder er bekoͤmmt Stoͤße, wovon ihn vielleicht der erste schon zu Boden wirft. — Entdeckte ich Dir nicht diese Erfahrung, Freund? Und warum folgtest Du ihr nicht? Belph. Folge einer kalten Erfahrung, wenn dein Herz in lichten Flammen lodert, und die Gluth Dich ersticken oder den Busen zersprengen will! Folge ihr, wenn Du kei- nen Schritt thun kanst, ohne daß Dich nicht tausend Gegenstaͤnde umgeben, die Dich durch ihre Narrheit oder Schaͤndlichkeit zum Unwillen reizen, wenn du bessern oder nicht sehen, kein Mensch seyn, kein Gefuͤhl von Recht und Unrecht, vom Guten und Boͤsen haben mußt! From. Alles dieß besitze fuͤr Dich, zu Deinem Gebrauche, um Dich in Deinem T 2 eignen eignen Verhalten davon leiten zu lassen, und danke der Natur und dem Schicksale, daß sie sich beide vereinigten, Dich zum warmen gefuͤhlvollen denkenden Manne, zum Ken- ner und Verehrer des Guten und Rechtschaf- nen zu machen! daß sie unter Deinen uͤbri- gen Mitgeschoͤpfen nur wenigen diese Wohl- that erzeigten, ist das Dein Werk? oder kannst Du das aͤndern? Es ist im Laster und in der Thorheit eine gewisse Fatalitaͤt — hier in Virginien zwischen zween Freun- den kann ich dieß sagen — die Erfahrung lehrt es, man folgre daraus, so viel schaͤd- liches man wolle: was kann ich dafuͤr, daß die Erfahrung mich eine Wahrheit lehrt, die aus schaͤdlichen Folgen beschwaͤngert ist? — Mein eignes Beispiel lehrte mich sie. Ich habe zwo Hauptvergehen in meinem Leben begangen: ich habe Dich, Belphegor, mei- nen Freund, hintergangen, und bin ein Unterdruͤcker geworden. Ich war es — ich gestehe dieß, Freund — ich war es, der Akanten antrieb, Dich aus ihrer Liebe und ihrem Gesichte, obgleich nicht mit der gebrauchten Haͤrte, zu verbannen: allein die Liebe riß mich hin; sie uͤberwaͤltigte meine Freund- Freundschaft fuͤr Dich so ganz, daß ich Dich unmoͤglich ohne Neid in ihren Umar- mungen die suͤßeste Wohllust genießen sehen konnte: die Freundschaft kaͤmpfte wider die Eifersucht, und ich war blos ihr Tummel- platz: ich konnte nichts wollen und nichts beschließen: die Leidenschaft siegte, ich ver- draͤngte Dich, und wurde ein Falscher, um mir die Scham vor Deinen Vorwuͤrfen zu ersparen, hintergieng Dich zweimal mit Luͤ- gen: doch Akantens Treulosigkeit strafte mich dafuͤr. — Freund, vergiebst Du mir einen Fehltritt, zu welchem mich alles hinriß? Ich war meiner nicht maͤchtig, ich mußte ihn thun, in meiner Lage war er unvermeid- lich, nothwendig. Belph. Meine Freundschaft vergab Dir ihn, ehe Du ihn thatest. Umarme mich! Verzeihung geben und empfangen ist die Ge- schichte des Menschen. Jeder dieser Fehl- tritte ist mir begreiflich; allein wie Du, ein so entschloßner Feind aller Unterdruͤckung, verleitet werden konntest, Handlungen zu begehn, die Du jederzeit verabscheutest, das, das ist mir unerklaͤrbar. T 3 From. From. Nicht unerklaͤrbarer, als da Du uͤber den Tod eines einzigen Schwarzen einen Krieg mit mir, Deinem Freunde, an- fangen konntest — Medard. Oder da ich eine Mauer um Niemeamaye ziehen und allen Einwohnern ihr Gold abnehmen ließ. Siehst Du, Bruͤ- derchen? dazu wird man Dir durch die Ge- legenheit so hingerissen, daß man hinter drein sich nicht einmal erzaͤhlen kann, wie es zugieng. From. Als Sklave verkauft, kam ich un- ter den weißen Knechten nach Amerika, in die Pflanzung eines Tyrannen, der uns das Joch seiner Gewalt bis zur Uebertreibung fuͤhlen ließ. Ich wurde durch eine solche Behandlung gewissermaßen wild und grau- sam gemacht: ich faßte oft den Entschluß den Mann umzubringen, oder selbst zu ster- ben und ein qualvolles Leben zu endigen. Waͤhrend daß ich unentschlossen mit diesem Gedanken umgieng, entstund ein Aufruhr auf der Insel: man halte sich allgemein zu dem Untergange des Befehlshabers verschwo- ren, dessen Bedruͤckungen und Kraͤnkungen alles Rechts schon laͤngst unertraͤglich ge- worden worden waren. Man stuͤrmte sein Haus, man nahm ihn gefangen, man steinigte ihn, und er wurde im Getuͤmmel erdruͤckt. Die- sen Tumult nuͤzten einige Banden weiße Knechte, setzten sich in Freiheit, erschlugen ihre Herren, und unter diesen Streitern der Freiheit war auch ich. Da das. Volk sich selbst einen Befehlshaber waͤhlen wollte und doch in zwo Parteien getheilt war, so stellte ich mich mit meiner Bande an die Spitze der maͤchtigern, half ihr siegen, und ihre Wahl, weil sie keinem unter sich einen so wichtigen Vorzug goͤnnten, fiel auf mich: ich wurde ihr Befehlshaber und blieb es so lange, bis mich die Kabalen eines Nichtswuͤrdigen be- fuͤrchten ließen, daß ich, da mir die Bestaͤ- tigung des Hofs fehlte, zulezt unterliegen wuͤrde. Mein Sklavenstand und die rohe Behandlung darinne hatten mir einen Theil meiner Menschlichkeit genommen: druͤcken und bedruͤckt werden, hatte sich mit mir so fa- miliarisirt, daß es mir nicht mehr wie sonst einen Schauer abnoͤthigte, sondern ich konnte es mit kaͤltern Blute sehen und denken, weil es mein taͤglicher Anblick und mein taͤgliches Gesuͤhl gewesen war. Ich kam mit dieser T 4 ver- verminderten Menschlichkeit in meine Wuͤrde, erhielt einen weitern und freyern Wirkungs- platz, mehr Gegenstaͤnde der Begierden und mehr Gewalt, meine Begierden wuchsen, wuchsen uͤber meine Kraͤfte hinweg und — Freunde, soll ichs euch weiter erzaͤhlen? Meine Geschichte ist die Geschichte aller Men- schen. Ich wurde die Marionette meines Eigennutzes und meiner Eigenliebe; und Belphegor, Du weißt es, wie sehr ich unter ihrem Befehle stund, als Du mir Deine freundschaftliche Huͤlfe zur Besserung anbo- test. Wegen dieses einzigen gluͤcklichen Er- folgs laß Dich alle Wunden und Beulen nicht gereuen, die Dir Dein zu feuriger Ei- fer fuͤr Recht und Gerechtigkeit geschlagen hat. Du hast mich zum Menschen wieder umgeschaffen, Dir bin ich mehr als mein Leben — meine Ruͤckkehr zur Vernuͤnftig- keit schuldig. Freunde! laßt uns unsre Er- fahrung nicht umsonst mit dem Verluste unsrer Tugend, eingesammelt haben! Wir haben bewiesen, daß man nie gut genug seyn kann, um es bestaͤndig und in allen Vorfallenheiten zu seyn, daß der Sauerteig des Neides und der Herrschsucht in jedem Herze liegt und bey staͤrkrer staͤrkrer oder schwaͤchrer Veranlassung die ganze Masse unsrer Begierden durchsaͤuert, daß Freundschaft, Rechtschaffenheit und selbst die Religion zu schwach ist, seiner bei- ßenden Schaͤrfe zu wiederstehen: wir wollen es nicht ohne unsern Nutzen bewiesen haben. Hier auf diesem Flecke laßt uns in froher Einsamkeit und ruhiger Eintracht den Rest unsrer Tage hinleben, und unsern Begier- den jeden Sporn, jeden Reiz benehmen, die sie aufwiegeln koͤnnten, diese schoͤne Ruhe zu stoͤren. Wir wollen diesen Flecken Erde, der unser Eigenthum geworden ist, zu glei- chen Theilen besitzen; unsre Beduͤrfnisse koͤn- nen nicht uͤber unser thierisches Selbst hin- ausreichen, und sie werden uns nicht ent- zweyen, so lange uns nicht gaͤnzlicher Man- gel um Leben und Nahrung kaͤmpfen laͤßt. Wir wollen uns von unserm Geschlechte tren- nen, damit nicht ein neidischer Anfall von ihnen unsre Gluͤckseligkeit unterbricht: so sind wir von innen und von außen verschanzt und machen fuͤr uns allein eine Welt aus — eine Welt, wie wir sie in den ersten Jahren unsers Lebens traͤumten, Belphegor — eine Gesellschaft, die Freundschaft, Liebe, T 5 Sym- Sympathie des Kopfs und des Herzens zu- sammenknuͤpft, die so arm ist, daß keine neidische habsuͤchtige Begierden sie zu tren- nen vermoͤgen, und so reich, daß sie außer sich selbst nichts weiter beduͤrfen. Alle billigten den schoͤnen Plan, und Bel- phegor fiel seinen beiden Freunden vor Ent- zuͤcken um den Hals, segnete und preiste sie, daß sie ihm das goldne Alter seiner Jugend wieder zuruͤckfuͤhrten. — So werden wir, sezte er hinzu, die einzigen Gluͤcklichen auf der Erde seyn, die im Himmel sind, waͤh- rend daß alles außer unsrer Gesellschaft im Aufruhr der Leidenschaften herumgetrieben — Ja, unterbrach ihn Fromal, wir koͤnnen es seyn, so lange nicht die Menschen uns unsre Freude misgoͤnnen. Du weißt, Bel- phegor, in dem Rausche unsrer fruͤhen Jah- re schufen wir uns ein Ideal von Gluͤckselig- keit, womit wir aus Mangel an Erfahrung die Wohnung des Menschen ausschmuͤckten: ich suchte sie, als ich in die Welt trat, al- lenthalben, und erblickte sie nirgends. Je mehr ich von der Erde kennen lernte, je mehr mußte sich meine Vorstellung von der menschlichen Gluͤckseligkeit verengern, und zulezt zuletzt schrumpfte sie gar bis auf das magre Etwas zusammen — Abwesenheit wirklicher Leiden; wer diese errungen hat, der ist menschlich gluͤcklich. Die Freuden des Lebens sind duͤnne, wie die Frucht eines sandigten Ackers, verstreut: es gehoͤrt zu beiden gute Oekonomie. Freiheit, dieses hauptsaͤchlichste Ingredienz einer positiven Gluͤckseligkeit, wie wenige genießen sie! Die meisten muͤssen sich mit dem Schatten und dem Worte begnuͤgen: macht die Rechnung und ziehet die Summe, und unter allen Voͤl- kern der drey Welttheile unsrer Halbkugel werdet ihr nicht bey dem zehntausendsten Theile die Illusion der Freiheit finden. Der nackte Wilde kaͤmpft mit Hunger, Durst, Kaͤlte und Regen: der polizierte Europaͤer mit tausendfachem kuͤnstlichen Mangel, mit Arbeit, mit dem Eigennutze, der unterdruͤ- ckenden Gewalt und Millionen Leidenschaf- ten: Asiater, Afrikaner und Amerikaner sind mehr oder weniger vom Despotismus und Geize ihrer Beherrscher gequaͤlt: nirgends sind die Bewohner der Erde zufrieden, und nirgends koͤnnen sie es seyn: Die Gluͤckselig- keit unsers Planetens scheint in die gemaͤßigte Zone Zoar der Gluͤckseligkeit des Ganzen zu gehoͤ- ren, eine mittlere laue Temperatur, nicht befeuernd und auch nicht ganz kalt. Ge- wohnheit und Unwissenheit sind ihre beiden Endpunkte. Wer die Erde zum Garten, zur Heimath der Gluͤckseligkeit macht, ist ein Schwaͤrmer oder ein Unwissender; wer sie als eine Wuͤste, ein Jammerthal schildert, ist ein Milzsuͤchtiger oder ein Boͤsewicht. Sie ist ein Mittel zwischen beiden, ein what d’ye call it — Belph. Das aber doch bisweilen mehr der letztern Schilderung gleicht. From. Ja, es scheint, besonders wenn man den Lauf der vergangnen Begebenhei- ten im Ganzen uͤberschaut: aber merke auch, daß die Geschichte derselben ein gedung- nes voll gruppirtes Gemaͤlde ist, dessen Theile sich in der Natur nicht so nahe be- ruͤhrten, wo zwischen den armseligen Spitz- buͤbereyen und Moͤrdereyen etwas heitre Intervalle waren. — Doch laßt uns alle diese leidigen Kenntnisse wegwerfen! Laßt uns nichts als unsern kleinen Zirkel der Freund- Freundschaft uͤbersehen, und wenn sich un- sre Spekulation uͤber ihn hinauswagt, mit Medardus Auge alles anschaun, in der Ab- sicht alles gut zu finden: sich so beluͤgen, ist eine Pflicht, die unsre Zufriedenheit fodert. Belph. Oft war dieß meine Rede. Gluͤckliche Menschen, ihr Unwissende, ihr, denen der Himmel bloß schlichten Menschen- verstand und keinen forschenden gruͤbelnden Geist gab! Ihr schleicht den Pfad eures Lebens dahin, weint oder lacht, wie euch die Umstaͤnde gebieten, ihr laßt euch gewisse fuͤr eure Ruhe heilsame Meinungen ein- pfropfen, sie durch die Laͤnge der Zeit zum festen unverwelkenden Glauben aufwachsen, ohne zu untersuchen; und wohl euch! Da euer Auge nicht weit reicht, so erblickt es in dem kleinen Horizonte wenig Boͤses, von der Unordnung der Erde nur kleine einzelne Fragmente, die euch nicht eher stark ruͤh- ren, als bis sie auf euern Scheitel fallen. Freund, wenn es moͤglich waͤre, den laͤsti- gen Plunder der Erfahrung von uns zu werfen, das Auge unsers Geistes zu stuͤm- pfen pfen und seinen Gesichtskreis so sehr als moͤglich zu verengern, waͤren wir nicht gluͤcklich? Ja, unterbrach ihn Medardus, wir wer- den dieß seyn, Bruͤderchen; und wenn mein gutes Weibchen, oder meine Zaninny, oder das schoͤne Negermaͤdchen in Kartha- gena bey uns waͤre — wir waͤren doppelt gluͤcklich; und dann einen Trupp kleine Nachkommenschaft um uns herum — Bruͤ- derchen, das waͤre Dir ein Himmelreich. Fromal nickte und schwieg. Beschluß. Beschluß . S o war der Plan fuͤr ihre Einsamkeit, die fuͤr sie ein Zustand der erfreulich- sten Ruhe und der suͤßesten Zufriedenheit, die gluͤcklichste Periode ihres ganzen Lebens war. Sie suchten sich je laͤnger, je mehr von dem Geiste des Nachforschens und der gruͤbelnden Untersuchung abzuziehn, weniger zu denken und mehr zu handeln, sich in alle die kleinen Beschaͤftigungen des Garten- baus, der Feldarbeit zu zerstreuen, zu saͤen, zu pflanzen, zu begießen, zu erndten, und dadurch ihre Lebensart derjenigen nahe zu bringen, die die geringste an Achtung, und die oberste an Gluͤckseligkeit ist, der sriedli- chen Lebensart der ersten Vaͤter, des arka- dischen Dichterlandes und des Landmanns in den Zonen der Freiheit. Ein jeder hatte in seiner Besitzung eine kleine reinliche Woh- nung, worinne er nebst seinen Sklaven Raum hatte, ein jeder machte mit seinen Skla- Sklaven eine Familie aus, wovon er der Vater war, der seine Kinder nur so lange in leichten Einschraͤnkungen erhielt, bis sie erkannt hatten, wie liebreich ihr Vater war. Hinter jeder Wohnung breitete sich ein Gar- ten in eine laͤngliche Flaͤche aus, mit Kuͤchen- kraͤutern und Gewaͤchsen, auch mit einigen Blumen, die das Klima vertrug, geschmuͤckt, den jeder Besitzer mit eigner Hand pflegte und bearbeitete: jeder aß das Werk seiner Haͤnde, und jede Staude, die auf seinem Tische erschien, schmeckte ihm doppelt suͤß, weil er sie mit dem Schweiße seiues Ange- sichts erkauft hatte. Wenn sie die Arbeiten des Gartens ermuͤdeten, giengen sie auf das Feld, die Verrichtungen ihrer Sklaven — wiewohl sie ihnen nie diesen Namen gaben — zu uͤbersehen, sie durch ihre Gegenwart zum Fleiße und durch Freundlichkeit zu Muth und Geduld anzufrischen. Zu gewissen Jahrszeiten und nach Endigung gewisser Arbeiten, des Pflanzens, des Saͤens, der Erndte stellten sie kleine Feste an, wo sie unter hohen Baͤumen oder am Eingange ih- rer Wohnung saßen und sich vaͤterlich an den Ergoͤtzlichkeiten ihrer Angehoͤrigen ver- gnuͤgten: gnuͤgten: Diese spielten die rohen Spiele ih- res Vaterlandes, sangen mit rauher Kehle und mit der vollsten Empfindung, tanzten mit unabgezirkelten Schritten, wilden Spruͤn- gen, huͤpften sich lustig, mengten in alles ihren ungebildeten Scherz und plumpe Schaͤkereyen, und lachten sich froͤlich, froͤ- licher als die Tafel der auserlesensten witzi- gen Koͤpfe. — Oft versuchten ihre Herren, ihre Spiele und Taͤnze nachzuahmen, und wurden fuͤr jeden Fehler der Ungeschicklich- keit mit einem lauten Gelaͤchter bestraft. Die kleine Bande wurde durch diese Ermun- terungen belebt und erfindsam: sie streng- ten oft ihren Wiz an, ihre Herren gleich- falls mit kleinen Freuden zu ergoͤtzen. Sie uͤberraschten sie unvermuthet mit einer vor- zuͤglich großen oder schoͤnen Frucht, mit einem ansehnlichen Gewaͤchse, das sie ent- deckt und verborgen, oder mit Fleiß und in der Absicht heimlich gewartet hatten, ein unvermuthetes Vergnuͤgen damit zu er- wecken: sie sannen neue Taͤnze und Ver- schoͤnerungen fuͤr die alten aus, um sie bey dem naͤchsten Feste aufzufuͤhren, und die Er- wartung des Vergnuͤgens machte ihre Haͤnde U und und Fuͤße thaͤtig. Waͤhrend daß in der Entfernung etlicher Meilen von ihnen, laͤngst der ganzen Kuͤste von Nordamerika, Sklaven von ihren Herren, und die Herren von ihren Sklaven geplagt, und beide ein Paar feindliche Parteien ausmachten, die sich wechselseitig quaͤlten und wechselseitig dafuͤr raͤchten, saß hier Herr und Knecht, in Eins vereinigt, beysammen und machte sich das Leben angenehm: niemand ließ die Subordination fuͤhlen, und niemand fuͤhlte sie, und jeder, der sich eines solchen Gluͤcks unwerth machte, wurde aus der Gesell- schaft verbannt und an einen Herrn ver- kauft, der ihn den Unterschied zwischen har- tem und leichtem Joche lehrte. Auf diese Weise, ohne politisches Regiment, beynahe in dem Stande der Gleichheit, wie er nie war und Philosophen ihn traͤumten, in der bloßen Familienunterwuͤrfigkeit der Natur, entgieng diese kleine Gesellschaft allen den beschwerlichen Folgen zweyer Dinge, die dem Menschengeschlecht die groͤßten Wohl- thaten erwiesen und den groͤßten Schaden zugefuͤgt haben — der Geselligkeit und des Eigenthums. Bel- Belphegorn zerstreute diese ruhige un- angefochtene Lebensart allmaͤhlich die duͤstern Wolken, die seine Widerwaͤrtigkeiten um seine Seele versammelt hatten; er sahe die Dinge der Welt weniger schwarz, weil der Zirkel um ihn erheiterter war, und weil er sich ge- woͤhnte, mehr das Gegenwaͤrtige zu empfin- den als daruͤber nachzudenken, seinen Blick mehr in sich und den kleinen Umkreis seiner kleinen Beduͤrfnisse und Freuden zuruͤckzu- ziehn und uͤberhaupt den Horizont seines Nachdenkens mehr und mehr zu verengern, mehr finnlich als geistig, mehr empfinden- des und handelndes als denkendes Thier seyn zu wollen. Zu gleicher Zeit nahm er unvermerkt die gutherzige Philosophie seines Freundes, Medardus an, sich zu uͤberre- den, daß alles gut sey, und daß vielleicht die groͤßten Unordnungen der moralischen und koͤrperlichen Natur zu einem unbekann- ten Guten abzwecken, nichts der Natur zur Last zu legen, zu glauben, daß sie ganz Nordamerika Jahrhunderte hindurch sich be- kriegen, fressen, schinden lassen kann — Denn das konnte er sich nicht ausreden, daß die Natur die erste Urheberinn dieser U 2 herge- hergebrachten Grausamkeiten sey — daß sie die Mexikaner Jahrhunderte durch viele tausend Menschen schlachten und uͤber- haupt den Menschen zum grausamsten Raubthiere schaffen konnte, um ihn langsam nach den schrecklichsten Unthaten zum listigen feinen Fuchse oder zum friedsamen Schafe werden zu lassen — zu glauben, daß alles dieses die Natur wollen mußte, da sie der menschlichen Gattung die Disposition dazu gab, ohne daß sie dabey etwas anders als die heilsamsten besten Endzwecke vor Augen hatte, und daß sie die Menschen recht schlimm werden ließ, um sie leidlich gut wer- den zu lassen, ohne daß sie deswegen Tadel verdiene. So unvertraͤglich auch jene ge- sammelten Erfahrungen mit dieser medardi- schen Philosophie scheinen, so stiftete doch die Liebe zur Ruhe nebst der Abwesenheit aller Widerwaͤrtigkeiten, wie auch die Sen- kung seiner Imagination, die vollkommen- ste Vereinigung zwischen ihnen, die nur zu- weilen eine duͤstre Stunde unterbrach, aber nicht trennte. Fromal Fromal war stets ein kaͤltrer Raͤsonneur gewesen, als Belphegor, und diente auch itzt noch dazu, Wasser in die Flamme zu giessen, wenn sie zuweilen bey diesem auflo- derte. Er gestund frey, daß er sich nicht in die gluͤckliche Illusion versetzen kann, welche seinem Freund Medardus so vielsaͤl- tig das Leben erleichtert habe und noch er- leichtere, daß ihm aber sein Glaube an Noth- wendigkeit und unvermeidliches Schicksal die naͤmlichen wohlthaͤtigen Dienste erzeige, und daß auch uͤberhaupt seine Meynung hieruͤber von der medardischen nur im Na- men und der Vorstellungsart unter- schieden sey. Zugleich verbat er aber, mit Einwilligung seiner uͤbrigen Freunde, anders als mit Kaͤlte uͤber diesen Punkt zu sprechen, um sich nicht durch warme Imagination und durch ein warmes Herz in eine neue Tiefe von Zweifeln und Beunruhigungen stuͤrzen zu lassen. Medardus erhielt sich in seiner Heiter- keit und Zufriedenheit bis an sein Ende, und da er im Begriffe war zu sterben, war noch sein letztes Wort: wer weiß, wozu U 3 mirs mirs gut ist? — Er hatte vor seinem Tode noch zwo fuͤr ihn sehr erfreuliche Begeben- heiten erlebt. Der Kaufmann, der Fro- mals und Medardus Gelder untet sich hatte und ihnen von Zeit zu Zeit Provisio- nen zuschickte, die sie in ihrer kleinen Kolo- nie nicht besaßen, sendete ihnen solche einst- mals unter der Aufsicht eines jungen Men- schen, der sein Faktor war und andre Ma- terialien, die in der Kolonie erbaut wurden, mitnehmen sollte. Medardus, ein Freund vom Gespraͤche, ließ sich mit ihm ein, er- zaͤhlte ihm, wie gewoͤhnlich, sein Leben und ließ sich das seinige erzaͤhlen; und aus deutlichen Beweisen erhellte es sonnenklar, daß der Fremde des Herrn Medardus — leiblicher Sohn war, der ihn berichtete, daß seine Geschwister außer einem alle ver- blichen, seine uͤbriggebliebne Schwester ver- heirathet und er hieher geworfen worden sey. — Alle gestorben? sprach Medardus. Siehst Du, mein Sohn? wer weiß, wozu das gut ist? — Er sollte mit der Zeit in die Kolonien aufgenommen werden, allein ehe es geschah, starb sein Vater und die fol- genden Unruhen hintertrieben es. Die Die zwote angenehme Begebenheit war das Wiederfinden seiner geliebten Zaninny, die als Sklavinn nach Amerika verkauft, unter einem harten Herrn gelitten hatte, ihm entlaufen war und sich in die Kolonie unsrer Europaͤer rettete, wo sie ihren gelieb- ten Medardus an der Narbe erkannte, die ihm eine von den gleißenden Damen im Lande der Meerkatzen mit dem Nagel ihres Zeigefingers geschnitten hatte; und da der Schnitt in einer eignen Figur gemacht war, die sie in diesem Lande oft gesehen hatte, so brachte es ihr das Andenken ihrer alten Liebe zuruͤck: doch umsonst! Denn sie war so hoͤflich geworden, oder der Geschmack ih- res Liebhabers hatte sich so geaͤndert, daß er ihr einen Platz in seiner Wohnung aus Wohlthaͤtigkeit, aber nicht aus Liebe anwieß. Kaum drang zu Anfange des gegenwaͤr- tigen Krieges das Geruͤcht bis in die Kolo- nie, daß jeder Kolonist fuͤr die Freyheit wi- der ein unterdruͤckendes Vaterland fechten muͤsse, als Belphegorn sein Enthusiasmus von neuem ergriff; er riß sich, ungeachtet aller aller Vorstellungen seines Freundes Fromals, der ihn mit Gewalt und mit List zuruͤckhal- ten wollte, aus seinen Armen und ward unter einem andern Namen eiller von den Vorfechtern der kolonistischen Armee. — Er war es, der einige der kernhastesten Re- den in einigen Versammlungen hielt: er er- langte etliche ansehnliche Vortheile uͤber die Englaͤnder; der Auszug des Krieges wird lehren, wer von beyden Theilen Recht be- halten, und ob Belphegor als Patriot und Menschenfreund allgemein bekannt werden, oder im Streite fuͤr die Freyheit ungeruͤhmt umkommen soll.