Jahresbericht über das Königl. Katholische Gymnasium zu BRAUNSBERG in dem Schuljahre 1848/49 mit welchem zu der Oeffentlichen Prüfung am 2. August und zu den Schlussfeierlichkeiten am 3. August ergebenst einladet der Direktor der Anstalt Dr. Ferd. Schultz. Vorangeht die Abhandlung: Beitrag zur Theorie der Abel’ schen Inte- grale , von dem Lehrer der Mathematik und Physik Herrn Weierstrass . Braunsberg , gedruckt bei C. A. Heyne . Beitrag zur Theorie der Abel’schen Integrale. U nter den sogenannten vollständigen elliptischen Integralen der ersten und zweiten Gattung (den Modular- und elliptischen Quadranten nach Gudermann’ s Benennung) welche zu zwei conjungirten Moduln gehören, findet bekanntlich ein einfacher, zuerst von Legendre aufgefundener Zusammenhang statt, welcher in den jetzt gebräuch- lichen Zeichen durch die Gleichung dargestellt wird. In der vorliegenden Abhandlung beabsichtige ich, für die Abel’ schen Integrale aller Ordnungen eine Reihe analoger Relationen zu entwickeln, welche, wie ich glaube, nicht bekannt sind. Es findet sich zwar ( Crelle ’s Journal , Bd. 19, S. 312) eine gelegentliche Bemerkung von Jacobi , eine von ihm aufgefundene Verallgemeinerung des Legendre’schen Satzes betreffend; allein nach den Andeutungen, die derselbe a. a. O. giebt, glaube ich annehmen zu dürfen, dass die Relation, welche er im Sinne hat, mit derjenigen übereinstimme, die später Hädenkamp (Crelle’s Journal, Bd. 22, S. 184) auf dem von Jacobi angegebenen Wege hergeleitet hat. Die Resultate indess, zu welchen ich gelangt bin, sind nicht nur von dem Hädenkamp’- schen verschieden, sondern auch weit einfacher und mit der Legendre’schen Formel übereinstimmender. Die von mir entwickelten Relationen sind für die Theorie der Abel’schen Tran- scendenten von besonderer Bedeutung. Ich beschäftige mich seit längerer Zeit mit dieser Theorie und namentlich mit der Hauptaufgabe, die von Jacobi eingeführten umgekehrten Functionen der Abel’schen Integrale erster Gattung wirklich darzustellen. Es ist mir gelungen, diese Aufgabe vollständig zu lösen, auf einem Wege, welcher von dem bisher von Göpel u. A. betretenen gänzlich verschieden ist. Ich gehe näm- lich unmittelbar von den Integral-Gleichungen aus, durch welche jene Functionen definirt werden, und zeige zunächst, mit Hülfe des Abel’schen Theorems, dass sie sämmtlich Wurzeln ein und derselben algebraischen Gleichung sind, deren Coefficienten ich sodann durch eine Anzahl von Hülfsfunctionen ausdrücke, welche den sogenannten Θ Functionen, auf welche Jacobi die elliptischen Functionen zurückgeführt hat, voll- kommen analog sind, und gleich diesen durch unendliche, nach einem einfachen Gesetze gebildete und beständig convergirende Reihen dargestellt werden können. Diese Reihen- 1 Entwickelungen gewinne ich, indem ich für die genannten Hülfsfunctionen mehrere charakteristische Eigenschaften nachweise, durch welche sie vollständig bestimmt werden. Dazu aber ist die Kenntniss der Relationen, welche der Gegenstand des ge- genwärtigen Aufsatzes sind, ein wesentliches Erforderniss. Nun hat zwar der Weg, den ich bei Behandlung der Abel’schen Transcendenten eingeschlagen, das Eigen- thümliche, dass man auf ihm selbst in ungesuchter Weise zu jenen Relationen geführt wird, wie ich sie denn in der That auch so zuerst gefunden habe. Es ist aber diese Art der Herleitung einigermassen umständlich, indem namentlich die Bestimmung einiger Constanten Weitläufigkeiten macht. Um so erwünschter war es mir, in einem von Abel in der Abhandlung: Sur une propriété remarquable d’une classe trés étendue de fonctions transcendentes (Oeuvres complètes, Tome II, pag. 54) begründeten Theo- reme, durch welches die bekannten Sätze über die Vertauschung von Parameter und Argument bei der dritten Gattung der elliptischen Integrale eine sehr bemerkenswerthe Verallgemeinerung erhalten, die eigentliche Quelle zu entdecken, aus der die in Rede stehenden Relationen, so wie noch andere weit allgemeinere, auf eben so einfachem als direktem Wege abgeleitet werden können. §. 1. Es sei R ( x ) eine ganze Function von x; a, b seien irgend zwei Wurzeln der Gleichung R ( x ) = 0, und es werde 1. gesetzt, wo R' ( x ), R' ( y ) die ersten Differential-Coefficienten von R ( x ), R ( y ) bedeu- ten, so dass, wie man sich leicht überzeugt, F ( x, y ) eine ganze Function von x, y ist. Alsdann gilt als ein besonderer Fall des angeführten Abel ’schen Theorems die folgende Gleichung, in welcher α, β irgend zwei bestimmte Werthe der Veränderlichen x, y bezeichnen: 2. Als nothwendige Bedingung des Bestehens dieser Gleichung ist noch hinzuzufü- gen, dass innerhalb der Grenzen der Integration x — y nicht = 0 werden darf. Es ist nämlich , , , also Es sei nun und es werde zunächst angenommen, dass die Zahlen a 1 , a 2 . . . . sämmtlich reell und so geordnet seien, dass Alsdann hat R ( x ), wenn x zwischen den Grenzen a μ , a μ + 1 enthalten ist, wo μ irgend eine der Zahlen 1, 2, …, 2n bedeutet, dasselbe Zeichen wie (—1) μ —1 , so dass man setzen kann , wo √[(—1) μ —1 R ( x )] den positiven Werth der Quadratwurzel aus der positiven Grösse (— 1) μ —1 R( x ) bezeichnen soll. Liegt x zwischen — ∞ und a 1 , so hat man , und wenn x zwischen a 2n+1 und + ∞ enthalten ist Um nun einem Integral wie eine ganz bestimmte Bedeutung zu ge- ben, werde für das Folgende festgesetzt, dass bei der Integration von den beiden Werthen, welche √R ( x ) hat, immer derjenige in Anwendung kommen soll, den man erhält, wenn man in den vorstehenden Formeln das obere Zeichen nimmt. Dies vorausgesetzt setze man in der Gleichung (2) a = a μ , b = a ν und nehme zunächst an, dass ν \> μ + 1 aber \< 2n + 1 sei, so darf man a = a μ + 1 , β = a ν + 1 nehmen, weil in diesem Fall die Differenz x — y innerhalb der Grenzen der Integration nicht = 0 wird. Die linke Seite wird alsdann = 0, und man erhält demnach 3. 1* Wenn aber ν = μ + 1, so kann man den Werth des Doppel-Integrals , welches durch S bezeichnet werden möge, mit Hülfe der Gleichung (2) nicht di- rekt auf dieselbe Weise ermitteln; man gelangt jedoch dazu auf folgendem Wege. Es werde a μ durch a, a μ + 1 durch c, a μ + 2 durch b bezeichnet, so ist Sodann seien s, t zwei positive Zahlen, so gewählt, dass c — s \> a und c + t \< b bleibt, so ist S die Grenze, welcher sich das Doppel-Integral uähert, wenn s, t unendlich klein werden. Für dieses letztere Integral aber darf man vermöge der Gleichung (2) setzen Dieser Ausdruck wandelt sich, wenn x = c — u, y = c + v gesetzt wird, in den folgenden um: Es mögen jetzt σ, τ zwei bestimmte Werthe von s und t bezeichnen, die nur so klein anzunehmen sind, dass sich √R ( c — s ), √R ( c + t ) für alle Werthe von s, t , welche nicht grösser als σ, τ sind, durch convergirende Reihen, die nach aufsteigenden Potenzen dieser Veränderlichen fortschreiten, darstellen lassen. Alsdann hat man Die Integrale bleiben für alle Werthe von t, s innerhalb der für diese Veränderlichen bezeichneten Grenzen endlich; √R( c + t ), √R( c — s ) nähern sich aber, wenn t, s unendlich klein werden, der Grenze √R ( c ) = 0. Daraus folgt, dass die Grenze von S' für t = 0, s = 0 dieselbe ist wie die, welcher sich die Formel nähert, wenn s, t unendlich klein werden. Nach den oben für √R ( x ) getroffenen Bestimmungen kann man nun, da c — u zwischen a μ und a μ + 1 , c + v zwischen a μ + 1 und a μ + 2 liegt, setzen wo F ( v ) in eine convergirende Reihe entwickelt werden kann, die nur ganze, positive Potenzen von v enthält, und F (— u ) aus F ( v ) hervorgeht, wenn man — u für v setzt. √ u und √ v sind positiv zu nehmen. Alsdann ist Der zweite Theil auf der rechten Seite dieser Gleichung lässt sich, weil F ( t ) — F (— u ) durch t + u dividirbar ist, in eine Reihe von Gliedern entwickeln, welche nur po- sitive Potenzen von s, σ, t enthalten und für t = 0 verschwinden. Eben so findet man + eine Reihe von Gliedern, die für s = 0 verschwinden. Daraus ergiebt sich denn, dass der Werth von S die Grenze ist, in welcher sich die Formel nähert, wenn t, s unendlich klein werden. Diese Formel lässt sich aber, wenn man bei dem ersten Integrale die Substitution , bei dem andern die Sub- stitution anwendet, und setzt, umwandeln in , welcher Ausdruck für s = 0, t = 0 übergeht in Es ist demnach , oder 4. §. 2. Die Doppel-Integrale auf der linken Seite der Gleichungen (3, 4) des vorher- gehenden §. können, weil F ( x, y ) in Beziehung auf x sowohl als y eine ganze Function vom (2 n —1)ten Grade ist, dargestellt werden als ein Aggregat von Gliedern, von denen jedes ein Product zweier Abel’schen Integrale der ersten und zweiten Gattung ist; die Gleichungen (3, 4) geben also eine Reihe von Relationen unter solchen Integralen, die man in Erweiterung der Legendre’schen Benennung vollstän- dige Abel’sche Integrale nennen kann. Wenn R ( x ) vom dritten Grade ist, so ist , und es reduci- ren sich die Gleichungen auf die einzige 1. , oder 2. Setzt man , so ist , und die Gleichung (2) geht, wenn man , , setzt, über in die folgende: 3. Diese Gleichung ist identisch mit der oben angeführten Legendre’schen. Denn es ist , und wenn man setzt, so erhält man , und durch dieselbe Substitution , mithin , oder 4. Ich werde jetzt zeigen, dass man den Gleichungen (3, 4) des §. 1 eine ganz ähnliche Gestalt geben kann, wie der Gleichung (3) dieses §. Zu dem Ende wird es aber nöthig sein, einige Bemerkungen über die Form, unter welcher nach meiner An- sicht die Abel’schen Transcendenten zu behandeln sind, voraus zu schicken. §. 3. Dem System der Integral-Gleichungen, von welchem man nach Jacobi in der Theorie des Abel’schen Transcendenten ausgehen muss, kann man immer folgende Form geben, welche mir die angemessenste zu sein scheint, wenn man die Analogie dieser Functionen mit den elliptischen so viel als möglich will hervortreten lassen. Es werde die Function R ( x ) in zwei Factoren P ( x ), Q ( x ) zerfällt, und zwar sei Ferner werde gesetzt, wo a , wie überhaupt jeder im Folgenden als Index vorkommende deutsche Buchstabe, eine der Zahlen 1, 2, 3, …, n bedeutet, und es seien x 1 , x 2 , …, x n n Veränderliche, welche als Functionen eben so vieler veränderlichen Argumente u 1 , u 2 , …, u n durch die Gleichungen 1. definirt werden, in denen sich das Summenzeichen auf den Index a bezieht. Es han- delt sich darum, die Functionen x 1 , x 2 , . . . ., x n durch ihre Argumente in einer für alle Werthe der letztern gültig bleibenden Form wirklich auszudrücken. Zunächst erhält man für dieselben unendliche Reihen, die nach ganzen positiven Potenzen von u 1 , u 2 , . . . ., u n fortschreiten, und zwar ist, wenn man durch ( u 1 , u 2 , … u n ) α eine homogene Function des α ten Grades von u 1 , u 2 . . . . bezeichnet, 2. Diese Reihen convergiren zwar nicht beständig, aber doch für alle Werthe von u 1 , u 2 , . . . ., die ihrer absoluten Grösse nach bestimmte Grenzen nicht überschreiten. Sodann kann man mit Hülfe des Abel’schen Theorems nachweisen, das x 1 , x 2 , … x n Wurzeln ein und derselben Gleichung n ten Grades sind, der man die Form 3. geben kann, wo p 1 , p 2 , … p n eindeutige Functionen von u 1 , u 2 , … u n sind, die ganz den Charakter rationaler Functionen besitzen. In Reihen nach Potenzen von u 1 , u 2 … entwickelt hat p a genau dieselbe Gestalt wie die Reihe auf der rechten Seite der Gleichung (2), woraus erhellt, dass p a eine ungrade Function von u 1 , u 2 . . . . ist. Ferner hat man 4. Für n = 1 ergiebt sich, wenn man x, u, p für x 1 , u 1 , p 1 schreibt, woraus folgt, so dass p = sin am u , oder nach Gudermann ’s kürzerer Bezeichnung (Theorie der Modular-Functionen) p = sn u ist. In Erweiterung dieser letztern Bezeichnung setze ich p a = sn ( u 1 , u 2 , …, u n ) a , 2 so wie ferner 5. 6. Auf diese Weise sind in die Theorie der Abel’schen Transcendenten (2 n + 1) Func- tionen eingeführt, welche mit den drei elliptischen Functionen sin am u = sn u, cos am u = cn u, Δ am u = dn u , in welche sie für n = 1 übergehen, eine grosse Aehnlichkeit haben. So z. B. lässt sich sn ( u + v ) rational durch sn u , , sn v , ausdrücken vermittelst der Formel , und ähnliche Formeln gelten für en ( u + v ) und dn ( u + v ). Für die angegebenen Func- tionen mehrerer Veränderlichen aber findet man, setzend: 2. Setzt man in dieser Gleichung b der Reihe nach = 1, 2, …, n , so erhält man n Gleichungen, vermittelst welcher die n Functionen sn ( u 1 + v 1 , u 2 + v 2 , …) a rational durch sn ( u 1 , u 2 , …) a , sn ( v 1 , v 2 , …) a und deren partiellen Differential-Coefficienten, welche letztere algebraische Functionen jener sind, ausgedrückt werden können. Aehn- liches gilt für die durch cn, dn bezeichneten Functionen. Bezeichnet man ferner 8. durch K a, b , 9. durch und setzt 10. , so haben diese 2. n 2 bestimmten Integrale K a, b , K' a, b für die Theorie der Abel’schen Transcendenten eine ganz ähnliche Bedeutung wie die Grössen K, K' für die ellipti- schen Functionen. So z. B. findet man, wenn man 11. ω a = m 1 K a , 1 + m 2 K a , 2 + … + m n K a , n + ( n 1 K' a , 1 + n 2 K' a , 2 + … + n n K' a , n ) i setzt, wo m 1 , n 1 , m 2 , n 2 . . . . . ganze (positive oder negative) Zahlen bedeuten, für die Functionen sn, cn, dn die charakteristischen Gleichungen 12. in welchen Formeln, wenn a = 1 ist, n o = 0 zu setzen ist. Die Functionen sn, cn, dn stehen übrigens in einem einfachen algebraischen Zu- sammenhange, vermöge dessen je ( n + 1) derselben durch die übrigen ausgedrückt werden können. Was nun ferner die Abel’schen Integrale der zweiten Gattung anlangt, so las- sen sich dieselben durch n neue Functionen der Argumente u 1 , u 2 , … ausdrücken, von denen ich die a te durch J ( u 1 , u 2 , …, u n ) a bezeichne und auf folgende Weise defi- nire. Man denke sich x 1 , x 2 , … vermittelst der Gleichung (3) durch u 1 , u 2 . . . . ausgedrückt und setze 13. , Anm . In dieser und in einigen folgenden Formeln habe ich mir erlaubt, die allgemein eingeführte Bezeichnung für ein bestimmtes Integral in einem Sinne zu gebrau- chen, in welchem sie auch dann noch anwendbar bleibt, wenn die Function unter dem Integral-Zeichen an einer der Grenzen der Integration oder an beiden un- endlich wird. Es sei nämlich F ( x ) eine Function von x , die für alle Werthe dieser Veränderlichen innerhalb eines gegebenen Intervalls, dessen Grenzen a, b sind, endlich bleibt, und es lasse sich dieselbe für alle Werthe von x in der Nähe von a durch eine Reihe von der Form S A ( x — a ) m , so wie für die Werthe von x in der Nähe von b durch eine Reihe S B ( x — b ) n darstellen. Sind nun α, β zwei bestimmte Werthe von x innerhalb des gegebenen mit der Bestimmung, dass x und √R ( x ) bei jeder einzelnen Integration dieselben Werthe durchlaufen wie in den Gleichungen (1). Auf diese Weise erklärt ist J( u 1 , u 2 , …) a eine für alle Werthe der Argumente u 1 , u 2 .... völlig bestimmte, eindeutige Function. Drückt man dx 1 , dx 2 … durch du 1 , du 2 … aus, so ergiebt sich (14) für J ( u 1 , u 2 ,…, u n ) a der Ausdruck , wo für b der Werth a auszuschliessen ist. Durch diese Gleichung ist J ( u 1 , u 2 , …) a vollständig bestimmt, wenn noch hinzugefügt wird, dass in der Entwickelung dieser Function nach fallenden Potenzen von u a kein von u 1 , u 2 , … u n unabhängiges Glied vorkommen darf. Für den Fall der elliptischen Functionen hat man , während man gewöhnlich die elliptischen Integrale zweiter Gattung auf die Function zurückführt, was keinen wesentlichen Unterschied macht. Für die Abel- schen Integrale zweiter Gattung haben aber die hier gewählten Formen den Vorzug, dass sich viele Formeln einfacher gestalten, als es der Fall sein würde, wenn man, was ohne Schwierigkeit angeht, Functionen von u 1 , u 2 , einführte, welche dem ange- führten elliptischen Integral conform sind. Intervalls, der erste in der Nähe von a , der andere in der Nähe von b angenom- men, so kann man, wenn unter den Exponenten m, n keiner = — 1 ist (auf welchen Fall ich mich hier beschränke), setzen , wo C einen von α, β unabhängigen Werth hat. Wenn die Exponenten m + 1, n + 1 sämmtlich positiv sind, so ist Weil aber C auch dann noch einen bestimmten endlichen Werth hat, wenn ei- nige der Exponenten m + 1, n + 1 negativ sind, so scheint es mir gestattet und angemessen zu sein, die Formel allgemein als das constante Glied in der Entwickelung von nach Potenzen von ( α — a ) und ( β — b ) zu definiren. In diesem Sinne ist im Verlauf der Abhandlung die Bezeichnung überall aufzufassen. Man bezeichne nun 15. und 16. , so erhält man 2 . n 2 bestimmte Integrale J a,b , J' a,b , welche man in Erweiterung der Legendre’schen Benennung vollständige Abel’sche Jntegrale zweiter Gattung nennen kann, und die in der Theorie der Abel’schen Transcendenten dieselbe Bedeutung ha- ben wie die Grössen K — E, E' auf welche sie sich für n = 1 reduciren, für die elliptischen Functionen. Während z. B. , und daher, wenn m , n ganze Zahlen sind, J ( u + 2 m K + 2 n K' i ) = J ( u ) + 2 m (K — E) + 2 n E' i ist, so erhält man, wenn man setzt, 17. 18. Nach diesen vorläufigen Auseinandersetzungen, deren nähere Begründung einer ausführlichen Bearbeitung der Abel’schen Transcendenten vorbehalten bleiben muss, werde ich nun nachweisen, dass die Gleichungen (3, 4) des §. 1. eine Reihe ein- facher Relationen unter den 4 . n 2 Grössen K a, b , K' a, b , J a, b , J' a, b enthalten. 3 §. 4. Es seien a, b, c, d irgend vier Wurzeln der Gleichung R ( x ) = 0, und es werde durch U durch T bezeichnet. Substituirt man für F a ( x ), F a ( y ) die in §. 3. gegebenen Ausdrücke, so erhält man zunächst und daraus, indem man durch V bezeichnet, . Es ist aber, nach bekannten Sätzen über die Zerlegung der Brüche Entwickelt man beide Seiten dieser Gleichung nach fallenden Potenzen von t und setzt die beiden Coefficienten von t —1 einander gleich, so ergiebt sich Setzt man daher , wo dann R ( x ) = P 2 ( x ) . N ( x ) wird, so ist , und daher Dieser Ausdruck für U lässt sich (s. §. 1 im Anfange) umgestalten in den folgenden: Es ist aber , und daher, wenn man setzt, Bezeichnen nun α, β zwei bestimmte Werthe von x in dem Intervall a, b , und zwar der erste in der Nähe von a , der andere in der Nähe von b gelegen, und eben- so γ, δ zwei Werthe von y in dem Intervall c, d , der erste in der Nähe von c , der andere in der Nähe von d gelegen, so ergiebt sich aus der vorstehenden Gleichung mit Beachtung der im §. 1 bewiesenen Gleichung , Denkt man sich jetzt beide Seiten dieser Gleichung nach Potenzen von α — a , β — b, γ — c, δ — d entwickelt, so ist das constante Glied auf der linken Seite die oben durch T bezeichnete Grösse; auf der rechten Seite aber findet sich als constantes Glied das Doppel-Integral Mithin Nimmt man nun a = a 2 b — 1 , b = a 2 b , c = a 2 c — 1 , d = a 2 c , so erhält man aus der vorstehenden Gleichung (nach §. 1, Gl. 3) 2. Wenn in einer Formel, wie hier, mehrere deutsche Buchstaben a, b, c … vorkom- men, welche, wie schon oben bemerkt worden ist, hier ausschliesslich ganze Zahlen, aus der Reihe 1, 2, 3, …, n genommen, bezeichnen sollen, so bezieht sich das Summenzeichen auf denjenigen von ihnen, der unter dem Σ ausdrücklich ange- zeigt ist, und der dann sämmtliche in der angegebenen Reihe enthaltenen Wer- the durchlaufen muss, während jeder andere einen stehenden Werth hat. Sind unter dem Summenzeichen mehrere Buchstaben bezeichnet, so muss jeder dersel- ben, unabhängig von den übrigen, dieselben Werthe durchlaufen. Nimmt man a = a 2 b , b = a 2 b +1 , c = a 2 c , d = a 2 c + 1 , so ergiebt sich 3. . Setzt man in dieser Gleichung m für b , n für c und summirt von m = b bis m = n , und von n = c bis n = n , so findet man 4. Nimmt man ferner a = a 2 b — 1 , b = a 2 b , c = a 2 b , d = a 2 b + 1 , so findet sich (nach §. 1, Gl. 4) 5. , und für a = a 2 b — 2 , b = a 2 b — 1 , c = a 2 b — 1 , d = a 2 b 6. , oder 7. Nimmt man endlich a = a 2 b — 1 , b = a 2 a , c = a 2 c , d = a 2 c + 1 , und es ist ent- weder c \> b oder c \< b — 1 , so giebt die Gleichung (3) des §. 1 8. Setzt man in dieser Gleichung m für c und summirt von m = c bis m = n , so erhält man, wenn c von b verschieden ist , 9. Denn wenn b \> a ist, so ist jedes Glied, das bei der Summation in Betracht kommt, nach (9) = 0; wenn aber b \< a ist, so sind nur diejenigen Glieder nicht = 0, welche man für m = b — 1 und m = b erhält; deren Summe aber ist in Folge der Gleichun- gen (5, 6, 7) ebenfalls = 0. Setzt man in der Gleichung (9) c = b + 1 und addirt alsdann zu ihr die Gleichung (5), und bemerkt, dass ist, so erhält man 10. §. 5. Die Gleichungen (2, 4, 9, 10) des vorhergehenden §., welche hier noch einmal zusammengestellt werden mögen: 1. , 2. , 3. , 4. , enthalten eine Reihe von (2n 2 — n) Relationen unter den 4n 2 Grössen K a, b , J a, b , K' a, b , J' a, b . Die erste Gleichung nämlich, deren linke Seite identisch = 0 wird, wenn man c = b nimmt, und nur ihr Zeichen wechselt, wenn diese beiden Indices unter einander vertauscht werden, giebt Relationen; eben so viele die zweite; die dritte aber giebt deren n (n — 1), und die vierte n, alle zusammen also enthalten Relationen. 4 Ich werde jetzt aus diesen Relationen noch einige andere herleiten, welche bei den in der Einleitung angedeuteten Reihen-Entwickelungen der Abel’schen Transcen- denten gebraucht werden. Es bezeichne G die Determinante des Systems K 1 , 1 K 1 , 2 . . . . K 1 , n K 2 , 1 K 2 , 2 . . . . K 2 , n . . . . . . . . . . . . . K n , 1 K n , 2 . . . . K n , n , und den Coefficienten von K a, b in dem Ausdrucke von G, so ist, wenn 5. gesetzt wird, 6. , 7. . Nun hat man (Gl. 1) also Summirt man auf beiden Seiten in Bezug auf die einzelnen Indices in der Ord- nung, in welcher sie unter dem Summenzeichen geschrieben stehen, so erhält man mit Hülfe der Gleichung (7) 8. Setzt man daher 9. , so ist 10. F a, b = F c, b Multiplicirt man die Formel G c, n J a, n durch K c, b und summirt dann in Bezug auf c, n , so findet man mit Hülfe der Gleichungen (9, 6) 11. Ferner ist (Gl. 3, 4) daher Aber , also 12. Endlich ist (Gl. 2) , und daher, wenn man J' c, a und J' c, b vermittelst der Formel (12) ausdrückt, indem man das einemal c, a, m für a, b, c und das anderemal c, b, m für a, b, c schreibt, und bemerkt, dass ist, weil man auf der rechten Seite dieser Gleichung m und c mit einander vertauschen und dann wieder F m, c für F c, m setzen darf, 13. Diese Gleichung ist besonders bemerkenswerth, weil in ihr nur Abel’sche Integrale der ersten Gattung vorkommen. Bezeichnet man den Ausdruck auf der linken Seite dieser Gleichung durch H a, b , wo denn 14. H a, b = H b, a ist, so erhält man noch 15. Durch die hier entwickelten Formeln wird übrigens auch der Beweis gelie- fert, dass die (2n 2 — n) Gleichungen (1, 2, 3, 4) unabhängig von einander sind, d. h. dass keine von ihnen eine Folge der übrigen ist. Dies wird der Fall sein, wenn sich sämmtliche in denselben vorkommende 4n 2 Grössen durch (2n 2 + n) andere, will- kührlich angenommene, ausdrücken lassen. Nimmt man nun aber die n 2 Grössen K a, b willkührlich, die durch F a, b , H a, b bezeichneten aber so an, dass den Bedingungs-Gleichungen (10, 14) Genüge geschieht, und drückt dann durch diese Grössen, deren Anzahl (2n 2 + n) ist, vermittelst der Formeln (11, 12, 15) J a, b , J' a, b , K' a, b aus, und substituirt die so erhaltenen Ausdrücke 4* derselben in die Gleichungen (1, 2, 3, 4), so überzeugt man sich mit Hülfe der Re- lationen (6, 7) leicht, dass in jeder dieser Gleichungen die linke Seite identisch = 0 wird. Es ist bei den vorstehenden Entwickelungen ausdrücklich angenommen worden, dass die Wurzeln der Gleichung R ( x ) = 0, a 1 , a 2 , …, a 2n+1 sämmtlich reell und ihrer Grösse nach geordnet seien. Gleichwohl behalten die gewonnenen Resultate unverändert und ohne Ausnahme ihre Gültigkeit, wenn auch diese Bedingungen nicht erfüllt sind; es bedarf alsdann nur einer geeigneten Modification der in §. 1 getroffe- nen Bestimmungen hinsichtlich der Festsetzung desjenigen Werthes von √R( x ), der bei jeder einzelnen Integration genommen werden muss. Ich kann jedoch, des be- schränkten Raumes wegen, in nähere Erörterungen über diesen Gegenstand nicht ein- gehen. Ebenso muss ich es mir versagen, über den in der Einleitung erwähnten Gebrauch der entwickelten Relationen auch nur andeutungsweise etwas Näheres anzu- geben. Ich begnüge mich schliesslich — besonders um darauf hinzuweisen, dass auch die zuletzt gegebenen Entwickelungen nicht ohne Bedeutung sind — den allge- meinen Ausdruck der Hülfsfunctionen hinzustellen, auf welche die Abel’schen Transcen- denten zurückgeführt werden können. Es seien t 1 , t 2 , …, t n unbeschränkt veränderliche Grössen; μ 1 , μ 2 , … μ n , ν 1 , ν 2 , …, ν n ganze Zahlen, von denen jede entweder = 0, oder = 1 zu nehmen ist; α 1 , α 2 , … α n , veränderliche ganze Zahlen, deren jede unabhängig von den übrigen jeden zwischen den Grenzen — ∞ und + ∞ enthaltenen Werth annehmen kann; man bezeichne ferner π H a, b durch ϑ a, b , durch η a, b , und bilde die unendliche Reihe , wo sich das Summenzeichen Σ auf a, b S aber auf α 1 , α 2 . . . . bezieht. Be- zeichnet man die durch diese Reihe dargestellte Function von t 1 , t 2 , . . . . durch H1 ( t 1 , t 2 , . . . ., t n ), so hat dieselbe je nach den verschiedenen Werthen, die man den Zahlen μ a , ν a geben kann, 4 n verschiedene Formen, welche den Jacobi’schen Λ Functionen, in welche sie für n = 1 übergehen, durchaus analog sind. Führt man nun statt t 1 , t 2 , … die Argumente u 1 , u 2 , … ein, indem man t a = η 1, a u 1 + η 2, a u 2 + . . . . + η n, a u n setzt, so erhält man die erwähnten Hülfsfunctionen von u 1 , u 2 , … u n , durch welche die von mir eingeführten Functionen sn ( u 1 , u 2 , …) a , cn ( u 1 , u 2 , …) a , dn ( u 1 , u 2 , …), und noch mehrere andere, mit diesen im Zusammenhange stehende, ausgedrückt wer- den können und zwar eine jede als ein Quotient zweier derselben. Das Nähere hierüber gedenke ich in der erforderlichen Ausführlichkeit in einem grössern Werke zu geben, welches ausser allgemeinen Untersuchungen über die Integrale algebraischer Functionen insbesondere die Grundzüge einer umfassenden Theorie der Abel’schen Transcendenten enthalten soll. Braunsberg , 17. Juli 1849. Karl Weierstrass.