1. Fernes Gewittergrollen verliert sich im lauten Treiben des Menschenstroms , der die schwülen Straßen füllt . Über dem ganzen überspannten , überbürdeten Menschentum lastet die große Sonnenhitze und die Enge der Gassen , die Höhe der Häuser . All diese Menschen sind so eingezwängt , wenn sie es auch nicht klar wissen . Die Enge der Herzen , die Enge der Köpfe und Gesinnungen , der Höfe und Gänge , die Enge der Stuben , der ganze Brodel in dem sie leben , alles lastet und drückt und macht sie stöhnen und stimmt sie unbewußt sehnsuchtsvoll , unbewußt unzufrieden . Da kam der erste große , freie Donnerschlag . Oho ! Darauf ein verdächtiges Schauerlüftchen , das den fettigen , feuchten Straßengesichtern den Staub entgegenbläst . Alles wirbelt . Das , was einst lebte und nun als ekler Staub geduldig liegt , beginnt zu tanzen - tanzt und fährt den Lebenden widrig in die Augen und bedrängt sie . Es kommt ein Hasten in die stumpfsinnige Menge , so ein gesundes natürliches Hasten , das der Herdentiere . Wie sie laufen , als ob sie aus Zucker wären und die schweren frischen Regentropfen an ihnen lecken und auflösen würden . Und wie wohl tun diese schweren Tropfen ! Auf den Glutheißen Steinen geben sie dunkle , talergroße Flecken und dem aufgehäuften Staub lassen sie lebendigen Erdgeruch aufsteigen . Blitz und Donner und die schweren gesegneten Tropfen ! Wenn die in den Städtequalm hineinfahren , das ist etwas ! Ein Hochgefühl zum aufjauchzen ! Nur immer ärger ! immer toller ! Die braunen Güsse , die durch die Rinnen jagen , die braunen Teiche und Tümpel auf Schritt und Tritt , in denen die Tropfen aufspringen und hüpfen und spritzen ! Das ist lustig . Und die staubkrustigen Bäume mit dem früh hinsterbenden Laub , wenn in sie die Regenflut rauscht , wenn die nicht wissen , wohin mit dem Überschwall von Frische - da lacht einem das Herz . Nur immer ärger - immer toller , wenn auch ein paar Äste daran glauben müssen ! Und die Straßen so rein gefegt vom Gesindel ! Das tut wohl ! Da sind sie einmal verscheucht , die Alltagsgesichter ! Hei - wie das schön ist ! So sauber , so morgenfrisch ! Wenn sie sich doch so bald nicht wieder herauswagen wollten ! Aber die kommen wieder ; ganz gewiß , - das weiß man schon . * Auf einem alten merkwürdigen Platz , hinter der griechischen Kirche , haben sie eine Fleischbank abgetragen , um eine große Markthalle zu bauen und sind dabei auf menschliche Gebeine gestoßen , - auf eine so große Anzahl von Gebeinen , daß es den Leuten Angst und bange wurde . Auf so etwas waren sie jahraus , jahrein getreten , bei ihren Einkäufen , ihren Spaziergängen und bei manchem Stelldichein . Gerade an der Straßenecke , in dem dunklen Winkel , der abends so ungestört , so einladend war , auf dem so viel Generationen heimliche Küsse getauscht haben , hat so ein Großer , Langer gelegen , kaum einen halben Meter unter den Pflastersteinen , so gut noch beisammen , so langgestreckt , und die hohlen Augen gen Himmel gerichtet . Auf solch einem Grausen hatten die Pärchen also immer gestanden . Hunderte hatten tagsüber den Platz umlagert und auf das Schauerhandwerk der Arbeiter geschaut . Die Knochen wurden aus dem dunkelbraunen Sand herausgewühlt und in große Kisten gelegt . Ein fideler Kapuziner , der zur Beaufsichtigung der Angelegenheit beigegeben war , hatte hin und wieder den Deckel einer Kiste gehoben und schmunzelnd Umschau über seine Schutzbefohlenen gehalten . Es waren halte auch Kapuziner gewesen , diese braunen Knochen . Der Kapuziner hatte daher etwas ganz Kollegialisches im Verkehr mit ihnen . " Wir sind vom selben Orden . Ich kenne eure Schliche , Fratres . " Er wog einen Schädel in der Hand - und schmunzelte . Er wog einen Schenkelknochen und schmunzelte , nahm es , Gott Lob , von der leichten Seite . Und das alte Bahrtuch , das über jede der großen Kisten gebreitet war , deckte er allemal vorsorglich darüber , wenn wieder ein Schupp Knochen eingeschüttet war . Ehre , wem Ehre gebührt . Dabei schmunzelte er nicht , das nahm er ernst . Die Schulbuben waren wie versessen auf das seltene Schauspiel , und auch die alten Weiber hatten gestanden und gestanden ohne Aufhören . Was tut nicht so ein altes Weib , wenn_es was zu sehen gibt . Da haben sie Kräfte wie Dämonen . Die Schulbuben hatten sich um die uralten Sarghenkel gerauft , die hin und wieder zu Tage gefördert wurden , verrostet und wie in eine Schicht von Kies eingebacken . Es waren Altertümer - wirkliche Altertümer , die Jahrhunderte bei den Toten gelegen - also ganz echt , wahre Schätze . Über diesen Haufen neugieriger Lebewesen , die sich um die armen Knochen drängten , war das Hochgewitter hereingebrochen . Der erste , große , freie Donnerschlag hatte auch sie überrumpelt , und der mächtige Regenguß sprühte die Menge an und vertrieb sie . Sie waren wie weggewaschen , - auch der Kapuziner und der pflichtgetreue Schutzmann ; nur die Knochen unter den zerrissenen triefenden Bahrtüchern blieben über der aufgewühlten Erde , die im Nun zu einem braunen Tümpel umgestaltet war . * Ein Schädel war vom Regenstrom aus dem Sande frei gespült . Er lag mitten im Wassertümpel . Seine Glatze schaute ein wenig darüber hinaus . Die Wellchen spülten um die kleine beinerne Insel . Aus dem Fenster eines großen Zinshauses schaute ein Mädchen auf den eirunden gelblich bräunlichen Fleck . » Ein Stein « dachte sie - » oder ? « Schon lange hatte sie sich am Fenster aufgehalten und hinausgesehen , bald halb kniend , auf dem Stuhl , bald im Stuhl lehnend , die jungen Hände um das Knie gefaltet ; bald hatte sie mit den Fingern am Fensterglas leise geklimpert oder eine Lockenspitze zwischen die Zähne genommen und daran geknabbert . Der kleine feste Kopf mit dem dunklen Geschau , prächtig frei aus dem schlanken Hals sitzend , war unverwandt auf das geschäftige Wühlen der Arbeiter gerichtet . Wenn sie da unten wieder einen Fund getan , ist sie immer mit ganzer Seele dabei gewesen . » So etwas ! - so ein Glück , die grausliche Geschichte vor dem Fenster zu haben ! Wie gut , daß sie hier gemietet hatten ! « Sie sah so befriedigt aus . Über ihr , am weißen , verwaschenen Fenstervorhang , hängt ein fünffaches Kißchen , eins über dem anderen , aus gelbem Atlas , ein Riechkißchen mit Irispulver gefüllt , und dieser trockene Duft berührt mit jedem Atemzug ihre Geruchsnerven . Das Zimmer , in dem sie sich aufhält , paßt nicht gerade gut zu der verwöhnten hingerekelt Gestalt des jungen Geschöpfes . Es hat etwas Spießbürgerliches , etwas Verbrauchtes , etwas , aus dem sie herausgewachsen ist . Es sind da auch zwei Seelen in dem einen Raum zu spüren . Zwei grundverschiedene Seelen , mit grundverschiedenen Angewohnheiten . Das eine schmale Bett mit einem roten , altertümlichen Stück Damastseide zugedeckt , das nach einer Altarverkleidung aussieht ; das andere Bett ganz unbedeckt und unsäglich sorgfältig hergerichtet , kein Fältchen , keine Unebenheit . Über diesem Bett hängen Photographien von Familiengliedern , Freundinnen . Ganze Regimenter Kotillonsträußchen sind zu Sternen und Rosetten geordnet , japanische Papierfächer und allerhand Krimskrams , alles wohl abgestäubt . An der Wand des Bettes mit der geflickten Purpurdecke ist nichts dergleichen zu sehen ; nur ein paar unausgezogene Originalphotographien nach alten Meistern sind hier mit gelben Zeichenstiften fest gemacht . Die tiefen , vornehmen Töne unterbrechen das Banale der Wand . * Die Tür zum Nebenzimmer wird geöffnet und eine weinerliche Stimme sagt : " Hast du denn gar_nichts weiter zu tun ? " Die Stimme gehört einer langen schlanken Frau mit kleinem Kopf und feiner Gestalt . " Ach - das ist doch zu arg ! " Jetzt wendete sich das Mädchen um . Sie schien zuerst nicht gehört zu haben . " Mama ? " antwortete sie . " Tust du denn auch gar nichts ? " - dieselbe weinerliche Stimme . " Was soll ich denn tun ? " " Siehst du denn nicht , wie ich mich plage ? " " Ach Mama . " Es lag so etwas in dieser gedehnten müden Antwort , als wollte sie sagen : Laß doch ! Ich weiß wirklich nicht , was ich tun soll . Du plagst dich doch auf alle Fälle ! " Nun , und Marie , weiß die es etwa nicht ? " " Ja wohl , gescheiter wäre es aber , ihr liest das Mädel mehr arbeiten , ihr verderbt jedes Mädchen . " " Werden etwa alle Tage Kapuziner hier ausgegraben ? " " Das fehlte auch noch ! Wie kannst du da nur immer zusehen ? Ich bin froh , wenn ich nichts davon gewahr werde . " " Laß mich doch ! " " Frau Doktor ! " rief dreimal hinter einander die ungebildete überlaute Stimme des Dienstmädchens vor der Tür . Und , als hätte ihr Vorgesetzter gerufen , war Frau Doktor Frey hastig zum Zimmer hinausgeschlüpft . Die junge Isolde seufzte , dehnte sich und hockte sich wieder am Fenster zurecht . Der Regen hatte nachgelassen . Der Tümpel auf dem Totenfeld war fast eingekrochen . Schimmernde Wasserblasen saßen im Sande und platzten und ließen einen feinen schwarzen Ring zurück , aus winzigen Kohlen- und Holzteilchen gebildet . Auch der ganze Tümpel hatte die verschiedenen Stadien seines Einkriechens mit schwarzen Linien bezeichnet - Trip , trapp , troll . Hier hatte er ein wenig gezögert , hier wieder , hier wieder . Es war wie eine feine Linienarbeit . Die kleine beinerne Insel , um die die Wellchen des Tümpels gespült hatten , der Schädel , lag jetzt ganz frei ; auch um die Stirn saß das schwarze Linienwerk in perlmutterschimmernden Bläschen und leichtem Wasserschaum . Das alles sah das junge Mädchen . Sie hatte aus einem Schubfach ein Opernglas genommen und hielt es auf den Schädel gerichtet . Dann ging sie im Zimmer auf und nieder , ganz nachdenklich und nahm dann wieder das Opernglas . Die Dämmerung brach herein und am Himmel drohten schwarzblaue Wolken zu neuem Regenguß . Es kam ein Nachtrab . Vielleicht erst jetzt das Wahre ! Auch der Wind hatte sich wieder erhoben . Die Leute rannten schon mit aufgespannten Regenschirmen . Des Mädchens ganzes Benehmen wurde ein unruhiges ; etwas Unschlüssiges lag in ihren Bewegungen . Sie wanderte weiter im Zimmer auf und ab . Jetzt öffnete sie den Schrank , griff nach dem Hut , band ein Schleierchen vor , vorsichtig huschte sie aus dem Zimmer ; draußen nahm sie ihren Regenmantel um , ging dann zur Korridortür hinaus , und unter dem Regenschirm gerade über das aufgewühlte nasse Erdreich . Mit einem leichten blitzschnellen Niedertauchen hatte sie etwas ergriffen und schüttelte sich vor innerem Ekel . Sie schaute sich ängstlich um und vor der Haustür blieb sie wieder aufatmend stehen . Wie ihr das Herz schlug ! Aber , was sie wollte , hatte sie . Und etwas später wäre sie von den Arbeitern überrascht worden . Sie hörte sie kommen , auch der Kapuziner war unter ihnen . Sie murmelten und lachten ; der Kapuziner hatte etwas Drolliges gesagt , wie es schien . Sie waren alle sehr guter Laune , denn sie hatten während des Regens im nächsten Gasthaus eins getrunken . Durch die enge Jungfernturmgasse , die auf den Platz mündet , kam ein Leichenwagen gefahren , und stand bald vor dem kleinen Totenfeld . Isolde hielt den Schädel unter dem Regenmantel verborgen . Unausgesetzt dieses Ekelgefühl und das Grausen - auch ein Gefühl der Schuld , so geheimnisvoll anziehend , wie aus einer anderen Welt . Die Kisten wurden von den Arbeitern gelupft und in den Wagen geschoben . " Fahrt hin , ihr nassen Deiwel , " sagt einer . " Herrschaft , seid es ihr schwer ! " ein anderer . " Die haben sich zu guter Letzt noch tüchtig eins angedudelt . " Isolde drückte sich voller Grauen eng an die Haustür an und erst als der gefüllte Leichenwagen dumpf davon rollte , trat sie ein . " Du bleibst eben bei mir " , sagte sie warm und trug ihren sonderbaren Schatz die Treppe hinauf . Oben angekommen , warf sie Hut und Mantel ab und ging mit dem Schädel in der Hand in die Küche . Die Magd kreischte auf . Sie kreischte , ohne aufzuhören . Isolde kehrte sich nicht daran und hielt den Schädel unter den Strahl der Wasserleitung . " Das erfrischt , " sagte sie gutmütig . Frau Doktor Frey bügelte mit ihrer ältesten Tochter im Nebenraum . Auf das Geschrei des Dienstmädchens kamen sie herbei . " Isolde ! " schrie auch Frau Doktor Frey außer sich . Isoldes Schwester verbarg das Gesicht in der Schürze , und wagte gar nicht aufzusehen . " Schön ist er doch ! " meinte Isolde gemütsruhig . Sie hob den Schädel mit beiden Händen hoch . " Daß du mir jetzt mit dem Ekel gehst ! In der Küche so 'ne Schmutzerei ! - Pfui Tausend ! " " Wir haben ja doch alle so einen unter dem Gesicht - was ist da weiter ? " Sie ließ sich nicht irre machen , besprühte den Schädel von neuem unter dem Wasserstrahl . " Ide göh doch - ich bitte dich - mir wird ganz schlecht . " Das war so eine weiche , weiche Stimme und diese Stimme kam aus einem Geschöpf , das wie von Samtschimmer umgeben war - dazu rötlich blonde Haare , eine ganze Symphonie von Weichheit . " Sammtaff ' " hatte Isolde ihre Schwester Marie getauft und titulierte sie jetzt so . Jetzt ging sie und nahm den Schädel mit sich . " So was ! " sagte die Köchin und schüttete einen Eimer voll Schmutzwasser in den Ausguß . " Mi beutelt ganz , der soll doch net etwa im Hause bleiben ? Saftig . - Das möchte feierlich werden . " - * Isolde hatte ihre Türe geschlossen und war eifrig dabei , ein kleines hölzernes Postamentchen , ihrem Bett zu Füßen , an die Wand zu nageln . Sie schlug den Nagel mit dem Absatz ihres Hausschuhs ein , so fest wie es mit diesem Werkzeug gehen mochte . Zuerst hatte sie den Rücken ihrer Hausbürste benutzt , als sie aber die Nägelmale in dem polierten Holz merkwürdiger Weise wahrnahm , war sie bedächtig genug gewesen , nach etwas Anderem Umschau zu halten . Auf das Postamentchen wurde der Schädel gesetzt . Und wie er seinen Platz eingenommen hatte und mit seinen hohlen Augen geheimnisvoll grinsend über das purpurne Bett hinwegsah , geschah etwas ganz Wunderliches : des Schriftstellers Heinrich Ewald Frey's Tochter , Isolde , im glücklichen , zu allen Überschwenglichkeiten geneigten Alter von siebzehn Jahren , fiel auf die Knie , reckte die Hände zum Schädel aus und sagte mit heißen Tränen in den Augen : " Du Mensch aller Menschen ! " Über ihr zartes Gesicht mit den tiefen dunklen Augen ging etwas Verzücktes , etwas Überirdisches , etwas Bräutliches , eine wundervolle Verliebtheit , wie sie in manchen siebzehnjährigen Naturen zu Tage tritt , die nicht wissen , wo ein und aus mit der Fülle ihres Wesens . Und diese süße Liebeswonne schüttete sie über das braune , grinsende Knochengehäuse aus , wie eine Nonne über eine heilige Reliquie . Sie sah aber einen eleganten jungen Mann vor sich , mit französisch zugestutztem Spitzbart , einer schönen Stirn , in die das kurzgeschorene Haar in scharfem Winkel hineingewachsen war ; einen jungen Mann , der sich im Hochsommer in weißen Flanell zu kleiden liebte . Ja , es war da etwas , eine Ähnlichkeit in der Kopfform , die ihr verliebter Blick vom Fenster aus entdeckt hatte . Wie sie das große Geheimnis bewegte ! Und dieser Schädel war so neutral . Sie vergab sich nichts . Ihm gegenüber gingen die Dinge in einer anderen Sphäre vor sich , in einer Sphäre , in der alles Eins geworden , alles zusammengeflossen ist . Sie empfand etwas so Beruhigendes und konnte sich gehen lassen . * Die verriegelte Tür wurde kräftig zu öffnen versucht . " Deesse ! " rief eine heftige Stimme . " Sappelot ! " Wie aus tiefem Schlaf erwacht sagte sie " Papa ? " " Seid ihr denn alle des Kuckucks ! Ihr wißt doch , daß ich in einer Stunde . . . . " Da war schon die Tür aufgeriegelt und ein großer blonder Mann mit rötlichem Gesicht , vollem lockigen Haar , das aber auf dem Wirbel einem Glatzchen gewichen war , trat ein . Eine markige Persönlichkeit . " Weibergegacker ! - Draußen laufen sie wie die Hühner umeinand' ! Und was machst du denn hier , Deesse ? Mein Handkofel sollt doch gepackt sein ? Ich werde euch Mal Beine machen ! Fertig sollt es sein und die Mutter bügelt noch an den Stärkhemden . Zum Teufel , - ich will gar keine Stärkhemden ! - Touristenhemden will ich . " Das kam alles herausgepoltert . Das ganze Zimmer war voller Lärm und Spektakel , als wäre ein Bergstrom hereingebrochen . Das war Doktor Heinrich Ewald Frey , Schriftsteller und Allerweltsmann , Vereinsmann , Redner , voraussichtlicher Reichstagsabgeordneter und so weiter . " Na also , packen wir , " sagte das schöne rassige Geschöpf in aller Ruhe . " Na also ? - Großartig ! Was soll denn das » Na also « ? Fertig hätte es sein sollen . Tue net so großartig , Deesse ! " Dabei kniff er sie in die zarte Wange " Götterköpfchen verdammtes ! " " Wo hast du denn dein Kofel , Pa ? " " Hab es denn ich ? " Frau Doktor Frey trat herein und trug das Kofferchen in der Hand . Auf ihrer Stirn glänzten feine Schweißtropfen . " Hättest du mir_es nur gesagt , Heinrich ! Gestern abend sollte doch nichts daraus werden bei schlechtem Wetter ? " " Schlechtem Wetter ? Ist denn das schlechtes Wetter , wann das Barometer gestiegen ist wie noch nie ? Schau doch erst nach , ehe du denkst . Meine Stiefel ! " " Na , ich meine , wenn es gießt , " sagte Frau Doktor Frey zaghaft . " Ja , wenn du anfängst zu denken ! " donnerte er . " Meine Stiefel und die beiden rohseidenen Hemden . " " Heute machst du dich ja fein , " sagte Isolde . " Paar Berliner Schriftsteller ! Solchen Gockeln muß man . . . . den Kofferschlüssel ! Herr Gott noch einmal ! Wo ist denn die Marie ? " " Du hast ja dein ' Schlüssel an die Uhrkett ' gehängt für alle Fälle , " sagte Isolde . " Vorlauter Schnabel ! " Der Vater blinzelte ihr zu . " Wo ist Marie ? " " Marie bügelt die Stärkwäsche , " sagte die Mutter . " Wenn der Vater abreist , hat sie dabei zu sein ; wäre ' net übel ! Wenn wir die Idee der Familie nicht aufrecht erhalten , wer soll es denn tun ? Eins da , das andere dort , der Vater reist ab - kein Hahn kräht danach - das ist ja - weiß Gott - großstädtisch ! Meinen Rucksack ! Marie ! " donnerte er abermals . Frau Doktor Frey war schon vordem aus dem Zimmer gegangen , um Marie zu holen . Jetzt traten sie miteinander ein . " Marie , dein Vater reist ab , " sagte er mächtig . " Ja Papa . Auf wie lang denn ? " " Drei bis acht Tage ' denke ich ; wenn wir das Kaisergebirge mitnehmen , acht Tage . " " Du Glücklicher ! " sagte Marie aufatmend . " Hat sich was » Glücklicher « ! Wenn ich mich net zeige - Teufel auch - die tanzten mir bald auf der Nasen . - Was ist denn das ? " rief er ganz perplex . Seine Blicke hatten den Schädel gestreift . Frau Doktor Frey und Marie bemerkten ihn auch erst jetzt . " Jesses ! über das Mädchen ! " rief die Mutter . "'nen Kapuziner , Deesse , dumme Gans , was bedeutet denn das ? " Das Mädchen war errötet bis in die Stirnhaare . " Zu allererst kommt es bei dem Weib darauf an , daß die Lebensfreudigkeit gewahrt wird , " predigte Doktor Heinrich Ewald Frey wieder mächtig . " Das ist notwendig , daß das Weib lebensfreudig bleibt . " Ein strafender Blick streifte Frau Doktor Frey . " Das Weib soll auch religiös sein . Ein Schädel hat immer etwas mit Religion zu tun . - Wenn du dir den Schädel nicht aus Verschrobenheit , aus unverstandenem Pessimismus heraufgeholt hast , mag er bleiben . " Marie war erblaßt . " Ide ! " sagte sie zu ihrer Schwester leise , " der soll doch net bleiben ? " " Papachen , " begann Frau Doktor Frey sanft und freundlich . " Ehe ' du gehst , - - Karl kann sich nicht auf der Schule halten , - ich glaube Mal nicht . Ich war auch heute beim Direktor . Er kommt auch dies Jahr nicht fort . " " Es muß sich eben ein Hilfslehrer finden , um ihn wieder flott zu machen . Emil hat es auch geleistet . Verpimple ihn nur recht ! - Was nutzt es denn , wenn du bis in die Nacht hinein mit ihm über seinen Arbeiten hockst ? Dazu gehört ' was mehr als so ein Hennenhirn . " In das verarbeitete Gesicht mit den schönen Formen stieg eine flüchtige Röte auf . " Darum eben müssen wir sorgen , daß sich jemand findet . " " Ich werde am Kegelabend Mal mit dem Direktor reden . - Weiber sollen die Hände aus dem Spiel lassen ! Möchte wissen , ob hinter mir immer ein Unterrock gestanden hat . Du mit deinen paar lateinischen Brocken - daß i net lache ! Laß den Jungen in Ruhe ! " " Hättest du mich gewähren lassen , " sagte die Frau klagend , " wäre Isolde jetzt wenigstens eine Person , die etwas leisten könnte . Sie würde sich ihr Brot bald selbst verdienen , " - Frau Doktor Frey sprach weinerlich - " wäre ' jetzt schon bald staatlich angestellte Lehrerin . " " Götterköpfchen , - verdammtes , " lachte Doktor Frey - " Deesse ! Lehrerin ! daß i net lache ! Die soll heiraten , Weib sein ! Gar noch , daß ich meine Bamsen zu so ' was auf die Welt gesetzt hätte . Ja wohl , Lehrerin oder Gott weiß was noch ! Das Weib ist eben Weib . Wenn_es net Weib genug ist , um nur Weib zu sein , soll man es tot schlagen ! " " Aber was soll ich denn mit Karl machen ? " fragte Frau Doktor Frey wieder . " Siehst du net , daß augenblicklich die unpassendste Zeit für dein Gegraunz ist ? Willst du mir alle Bamsen gerade jetzt auf den Buckel hängen ? Sappelot , höchste Eisenbahn ! " Er fuhr mit den Armen in die Träger des Rucksackes , griff nach dem Köfferchen - und war mit viel Geräusch und Gepolter zur Tür hinaus . Tiefe Stille , als hätte sich ein Sturm gelegt . " Weißt du , wie wir vor drei Jahren in Kramsach waren ? " Marie schaute sehnsüchtig zum Fenster hinaus , dem Vater nach . " Alle von unseren Bekannten gehen aufs Land . " " Ja , mein Gott , " sagte die Mutter , " daß trägt_es uns heuer nicht . Daß die Buben auch gar so viel kosten . " " Ja , wenn_es nur ein grünes Fleckchen wäre , auf das man schaute ! " Das war wieder die weiche , weiche Stimme . " Gehen wir heute wenigstens durch den englischen Garten ? " " Ja , wenn ich nicht auf Karl warten müßt . Wo bleibt der denn nur ? der hat ja noch die schwere Menge zu tun ! " * Karl kam erst spät heim . Sie hatten lange mit dem Abendessen auf ihn gewartet . Er war bei Emil gewesen , der auswärts wohnte und Emil hatte gerade einige Kameraden auf der Bude gehabt . Die Mutter seufzte , sie dachte sich ihr Teil . " Das solltest du doch nicht , bevor du deine Arbeiten gemacht hast , zu Emil gehen . Die setzen dir Gott weiß was in den Kopf , Karl . Studenten sind kein Verkehr für dich . " " Mama , " sagte der Bub , " rede doch net . " Er sprach nachlässig , schläfrig . Seine Backen sind außerordentlich ausgebildet und engen ihm die Mundwinkel ein , so daß der Mund etwas sonderbar Säuglinghaftes an sich hat , trotz einer gewissen bräunlichen Färbung , die ihn umgibt und die mit einigen Härchen bepflanzt ist . " Mulier taceat in ecclesia , " sagt der Bursche und schiebt ein großes Stück Butterbrot mit Wurst zwischen die Lippen . " Was hat er gesagt ? " fragt Isolde . " Das Weib schweige . . . . und so weiter , " übersetzt der liebenswürdige Bruder patzig . " Zur Mutter hast du das gesagt ? " fragt Isolde ganz bleich . " Bäh ! " macht der Bruder . Und im Nun hat er von Isoldes Hand eine so derbe Ohrfeige , daß seine etwas gelbe Wange stark gerötet ist . " Mama , wie kannst du dir das von dem Flegel gefallen lassen ? " Karl stürzt wutbleich auf Isolde , die weiß sich aber zu wehren . " Laß ihn doch , " ruft Frau Doktor Frey , " erbittere ihn nicht . Du weißt , er muß heute abend noch arbeiten . " " Ja wohl , ich soll mich schließlich von dem Bengel wiederhauen lassen ! Jetzt müßte noch Emil kommen , der Großhirnmensch , der vor lauter Intelligenz nächstens durch das Examen purzeln wird . " " Bst - bst ! " machte die Mutter , " Friede - Friede - Bedenke , daß du ein Mädchen bist . " " Was soll man da bedenken ? Daß i net lache ! " sagte sie ganz wie ihr Vater . * Am Abend , beim Ausziehen , als sie sich in ihrem Zimmer eingeschlossen hatten und die Mutter noch neben Karl in der Wohnstube saß , um den schläfrigen Burschen beim Arbeiten zu überwachen , gab es eine sonderbare Szene zwischen den Schwestern . " Ide göh " , sagte Marie , " tue ' mir die große Liebe - schaffe den da fort . Ich kann net schlafen , glaube mir . Ich mein , er lebt und wenn wir die Augen zumachen fliegt er im Zimmer ' rum und poltert an die Wand . . . Sie hatte ihren Kopf an Isoldes Wange gelehnt . Da gewahrte sie , daß Isolde heiße Tränen weinte . " Na , was denn ? " " Sammtaff , lieber , " bat Isolde , " laß ihn mir ! Es geschieht dir ja nichts . Er tut ja nichts - und mich freut es so . " " Wie kann denn dich das freuen , " fragte Marie ganz betreten . Isolde aber weinte so wild und schluchzend . " Ich möchte nur wissen , was man vom Leben hat - so was Fad es ! Bei uns is man so wie so geschleckt . Es könnte ganz anders sein . - Weißt du was ich glaube ? - Mama is dumm ! " Isolde schluchzte herzzerreißend . " Ide , Mama ist ein Engel ! - tue keine Sünde . " " Ja , eben ein Engel . Wer sagt dir denn , daß ein Engel net dumm ist ! Weißt du , es ist komisch , aber manchmal kommt es so : da möchte ich den Leuten ins Gesicht schlagen . Alle kriechen sie - alle - wenn man es auch gar nicht merkt . Keins sagt und tut was es will ! Wir bilden uns nur ein , daß die Leute ' auf zwei Beinen gehen . Auf vieren gehen sie , - sie kriechen alle . Mama liegt glatt auf dem Leib - überhaupt fast alle Frauenzimmer - du auch - du erst recht ! Und die Männer erst ! O Gott ! - und wie ! Und was sie im Grund genommen für philiströse , heuchlerische Institutsvorsteher sind , wenigstens uns gegenüber . Dann möchte ich noch auf jeden blank gewichsten Zylinder spucken , mitten darauf , wenn unter den Fenstern so einer vorübergeht - mitten auf die kleine , blankgebürstete Sonne , die oben spiegelt . So eine dumme , steife , kleinliche Sonne . Ach , wie mich das alles aufbringt . Und das Häßliche , mit dem man sich umgibt ! Und das nennt man Leben ! Schau her , so ein Gelump wie da herumsteht ! Alles zum Fenster hinaus ! Zum Kämmen ein widerlich riechender Kautschukkamm . - Ah ! - die riechen alle und machen elektrische Funken ! Pfui ! - Gold muß es sein oder Elfenbein - dann ! Aber was ist das hier - von allem das Geringste , das Schäbigste . Talmi und unechte Spitzen ! So gemein ! - so gemein ! so gemein ! " Sie schluchzte . " Was ich anfasse , soll schön sein , eine Freude - ein Glück ! Ich will Hemden mit echten Spitzen - echte Spitzen - reines Gold ! Elfenbein ! - auch Perlmutter ! Das ist_es ! Das sind Dinge , die man in die Hand nehmen darf - nichts Anderes ! Ach , wie man lebt , wie ein Schwein ! " Sie schluchzt und schluchzt . " Nackt müßte man gehen dürfen und es müßte keine Schande sein . Nackte , schöne Menschen . Gold , Elfenbein und Perlmutter ! - das wäre eine Welt ! - Und dann - immer Seelenräusche . So , wie meine Seelenräusche ! So herrlich ! - und eine Liebe dazu . Seelenräusche und ganz wenig Sachen ; aber alles schön zum anfassen , edel bis in den Kern . Etwa keine japanische Holzpuderbüchse ! Aber wir leben im Schmutz . Unter ekelhaften Lumpen kriecht das alles wie Gewürm , wie Mehlwürmer in der Kleie - Und alle riechen mufflich - und sind mufflich durch und durch ! Oder , wenn man all das Herrliche , das , was sein müßte , nicht haben kann - dann gar nichts - aber auch gar nichts ! Die Haare mit den Fingern kämmen , ein Strohsack - eine wollene Decke - ein grobes Hemd - einen Strick um den Leib - das ist auch eine Welt ! - Aber nicht so wie wir ! Pfui der Plunder ! So ein Nähtischchen , so ein Ferkel von einem Nähtischchen ! So ein Tier von einer Bettvorlage ! Pfui ! Pfui ! Pfui ! Pfui ! " Sie war vollkommen außer sich . Marie hatte die größte Not die heftige jüngere Schwester zu beruhigen . Sie kroch zu ihr ins Bett und hielt Isolde an sich gedrückt und vergaß ganz , daß der Schädel grinsend auf sie beide herab blickte . Isolde schlief in den weichen , süßen Armen ein , ohne in ihr Nachtkleid geschlüpft zu sein , Hals und Arme entblößt . - Und Marie schlich leise und scheu mit klopfendem Herzen und einem Grausen über den ganzen Leib nach ihrem schneeweißen Bettchen . Sie fühlte wie der Schädel ihr spöttisch nachsah und sie wagte nicht sich umzuschauen . Lange konnte sie keinen Schlaf finden und als sie endlich schlief , träumten ihr häßliche Dinge . Der Schädel lebte wirklich und hatte es immer auf sie abgesehen , so schauerlich zudringlich . Sie wachte ein paar Mal vor lauter Angst und Schrecken auf , hielt atemlos die Arme auf die Brust gepreßt , lag wie eine Statue so still und ließ alles Grauen , über sich hingehen , ohne sich zu wehren . Für sie war mit dem Schädel ein nie gekannter böser , banger Geist ins Haus gekommen . 2. Acht Tage war der Vater schon auswärts . Die Zurückgebliebenen hatten in dieser Zeit auch eine Art Sommerfrische durchgemacht , wenigstens eine Änderung ihrer Lebensweise . Mit dem Vater zugleich schien allerhand verschwunden zu sein . Der sogenannte Salon und des Vaters Arbeitszimmer waren sofort , nachdem beide Räume sich einer gründlichen unerbittlichen Reinigung hatten unterwerfen müssen , abgeschlossen worden , und machten jetzt den Eindruck von Kirchen , so still und fast feierlich war es darin , und man lebte in den Schlafstuben . Das Mittag- und Abendessen hatten ihre Hauptbestandteile eingebüßt . Gerichte , die wenig kosteten und sich leicht herstellen ließen , waren an der Tagesordnung , Kartoffeln und Hering oder Reisbrei . Nur Karl erhielt seine Kotelette , die wurde aber der Einfachheit halber gleich fix und fertig aus dem Gasthaus gegenüber geholt , in dem Arbeiter und arme Studenten ihre billigen Mahlzeiten hielten . Am Abend gab es Rettich und Butterbrot und Karl bekam seine Wurst . Mama ging den ganzen Tag in der Nachtjacke . Sie saß mit Marie und Isolde die meiste Zeit über einem Riesenkorb mit zerrissener Wäsche gebeugt . Zwei Tage hatten sie auch die Schneiderin im Haus und holten zwei Koteletten . Mama wollte in dieser Zeit helle Sommerkleider für ihre jungen Mädchen aus dem Wirtschaftsgeld herauspressen und war wie ein Jäger auf die Pirsch ausgezogen , um in allen erdenklichen Restegeschäften die Stoffe zu diesen Kleidern zu erlisten . Und sie hatte auch etwas erbeutet ; hübsche Muhadjierstoffe , den Meter zu vierzig Pfennige . Wie sie zu Hause damit ankam ! Aufgeregt wie ein Wilderer , der mit Lebensgefahr einen Rehbock erlegt hat und heimgeschleppt bringt . Isolde hatte eine glänzende Idee , wie diese Kleider gemacht werden sollten . Anders als andere Leute sie gemacht hätten , ganz etwas Apartes . " Bleibe mir mit deinen glänzenden Ideen vom Leibe , " sagte die Mutter bei solchen Anlässen gewöhnlich . Aber diesmal hatte Isolde durchgesetzt was sie wünschte . Sie bekamen lange Gewänder vom Hals an herabfallend , nur um die Mitte mit einem Seidenband lose gehalten , die Ärmel leicht und duftig wie Blütenkelche . Und die Mutter schaffte ihnen noch braunlederne feine Halbschuhe an , statt daß sie sich selbst ein Sommermäntelchen gekauft hätte . Ihr altes ging immer noch ganz leidlich . Die Kleider waren für beide Mädchen ein Ereignis , ein so viel versprechendes Ereignis . Die duftigen weißen Wolken mit den rosigen Streifchen trugen wie Zauberwolken alles Glück der Welt in sich . Wie Heiligtümer wurden sie in den Schrank geschlossen und die Mädchen warteten nun der Dinge , die da kommen sollten . Ganz umsonst konnten doch solche Kleider nicht im Schranke hängen ! Wegen des Schädels hatte es in dieser Zeit noch manchen Strauß gesetzt ; aber er blieb auf seinem Postament . Und im Grund war es nur Maries weicher Liebenswürdigkeit zu danken , daß Isolde ihn behalten hatte . Marie hatte , so schwer es ihr geworden , klein beigegeben . Ihre behagliche Stube , ihr schneeweißes Bettchen aber waren ihr durch diesen Gast fremd und untraulich geworden , ihre Nächte wurden von schweren Träumen geplagt . In Maries weicher Seele hatten sich das Bild des Schädels und trübe Vorstellungen , die sein Anblick schuf , tief eingegraben . Nie hatte sie noch an den Tod gedacht und jetzt war sie beim Dunkelwerden von bangen schreckhaften Todesahnungen ganz umgeben . Es stand ihr zum ersten Mal greifbar vor der Seele , daß alle Menschen sterben müssen - das schauerliche Ende des wunderschönen Lebens - daß auch Mama sterben mußte ! Bei dem Anblick des Schädels konnte sie unmöglich ihre Phantasie auf das ewige Leben richten , trotzdem sie in der Schule gelernt hatte , daß es ein ewiges Leben gab . Nein , der Schädel Predigt ihr nur von dem in die Erde kommen , von dem zu Erde werden lieber Menschen . Arme - arme Mama ! Sie weinte oft nachts . Hätte sie aber gewußt , weshalb Isolde den Schädel aufgestellt hatte , ihre weiche Seele wäre erschauert und sie hätte das große Opfer nicht gebracht . Wenn der Schädel wirklich in irgend etwas an Henry Mengersen erinnerte , von dem Isolde ihr gesprochen hatte , nein , dann gewiß nicht . Marie ahnte aber von Isoldes Geheimnis nichts . * Es mußte gut zwei Uhr nachts sein . Alle schliefen , die laue Sommerluft drang durch die offenen Fenster . Da klang die Glocke kräftig und anhaltend . Jemand mußte von der Straße aus auf das Läutwerk gedrückt haben . " Da schellen sie schon wieder , die Studenten unten , " meinte Marie ganz schlaftrunken . " Der Vater ! " Isolde saß aufrecht , aus dem Schlaf gescheucht , im Bett . Auf dem Gang hörten sie schlürfende Schritte und sahen einen Schein durch das Glasfenster ihrer Tür . " Es ist doch der Vater " meinte Marie . " Mama schließt die Tür auf . " Mama wollte nicht , daß die Mädchen die Haustür öffneten , wenn der Vater spät heimkehrte . Sie sollten ruhig in den Betten bleiben und schlafen . So blieben sie ruhig liegen . Ehe die Mutter die zwei Treppen herabgekommen war , klingelte es noch einmal schrill und anhaltend , als stände ein auf Leben und Tod Verfolgter unten , der sich retten wollte . " So macht_es Pa nachts doch immer , " sagte Isolde . * " Sappelot noch einmal ! Liegt ihr denn alle miteinander auf beiden Ohren ? " Das war die Begrüßung , die Doktor Frey fürs erste seiner Frau zu Teil werden ließ , als diese die Tür geöffnet hatte . " Da bist du ja " , sagte Mama . " Weshalb hast du denn aber nicht geschrieben ? " " Daß i net lache ! Liebesbriefe etwa ? He Alte ? " Ohne seine Antwort zu beachten , sagte sie : " Du hättest dann auf den schwarzen Kaffee nicht zu warten brauchen . " " Spute dich halte . " Sie nahm ihm das Köfferchen ab und trug es ihm nach . " Gehe in dein Zimmer , Heinrich ! " - Da war sie schon dabei , die Küchenlampe anzuzünden . " Natürlich , " rief Doktor Frey und rumorte mit aller Gewalt an der Tür , " den Schlüssel verschleppt ! " " Bst ! " machte Mama . " Du weckst sie ja ! Hier ist der Schlüssel , " flüsterte sie , reckte sich und langte auf den Schrank , der neben der Arbeitsstubentür stand . " Hier . " Doktor Frey hielt die Lampe , aber hielt sie bedenklich schief . Die Frau streifte ihn mit einem einzigen langen Blick , wie ein Heizer etwa auf das Ventil seiner Dampfmaschine schaut , mit unendlicher Sachkenntnis . Sie nahm Lampe und Schlüssel ihrem Mann aus den Händen und schloß die Tür auf . " Der Kaffee kommt sofort . " " Schlafen die Bamsen ? " fragte er ihr nach . Sie hörte ihn nicht mehr . Kaum aber brannte die Spiritusmaschine unter dem kleinen Schnellkocher , war er ihr auch schon nachgekommen und stand in der Küche . Sie schaute erstaunt auf . Seine Gewohnheit war das nicht . " Na ? " Er schaute blinzelnd auf sie . " Ein zartes Negligé tut oft viel größere Wunder ! " deklamierte er mit mächtiger Stimme " Bst , " machte sie . Sie stand in der Nachtjacke und in einem grauen Flanellrock vor ihm , die bloßen Füße in Bambuschen . " Allerliebst , " meinte er . Er blinzelte weiter . " Wart ihr alle noch bei einander bis heute ? " Sie schüttete den gemahlenen Kaffee in den Trichter . " Unterschiedlich - aber sehr unterschiedlich . " " Wie ? " fragte sie . " Unterschiedlich ! " rief er mit donnernder Stimme . " Was soll denn das heißen , Heinrich ? " mahnte sie mit sanftem Vorwurf . " Schlafen die Bamsen ? " " Natürlich . " " Was sagst du es denn net früher . Weißt du wo wir waren ? " " Nein . " " Heiliger Strohsack , " seufzte er tief auf . " Ja - nein - nein - ja ! - wie eine Maschine . Ein Mann wie ich kommt nach Haus , - Gott sei_es geklagt , ein Mann , den sie die Tage her geradezu gefeiert haben , ein Mann , den sie auf Händen tragen , auf den sie , weiß Gott hören und sich nicht Watte in die Ohren stopfen , wenn er redet ; - ein Prophet - ein - ein - ein - - - und hier ! . . . . . Ich sage dir_es , " donnerte er - denn er war in Begeisterung . Er fühlte und sah und empfand sich und seine eigene Größe . " Stelle dir einen in einem herrlichen Tempel vor , Licht , Glanz - Musik - schöne Weiber ! Er ist der Mittelpunkt . Lebensfreudigkeit , - Lebenshöhe - und der Erdboden tut sich auf und er rutscht ganz sachte , ohne sich weh zu tun in ein schwarzes Loch . Da sitzt er nun ! " - Doktor Frey seufzte tief auf und rieb sich die Nase . " So kommt einer nach Hause ! " Mama Maß ihn wieder mit demselben sachkundigen Blick . Frau Doktor Frey hatte sich angewöhnt , auf das , was ihr Mann zwischen zwei und drei und vier Uhr nachts aussprach , nicht besonders zu achten . Sie goß jetzt den Kaffee über . Es duftete anregend und appetitlich . " So komme , trinke jetzt , " sagte sie , stellte Kännchen , Tasse und Zuckerdose auf ein Tablette und ging ihrem Gatten damit voraus . Ihre Handlungsweise war die einer Person , die ihrer Natur und der Erfahrung nach durchaus so handeln muß , wie sie handelt . Es gab da keinen Ausweg mehr . Aber Doktor Frey mochte heute außerordentlich aufgebracht und unangenehm berührt sein . Er schlug die Küchentür Mama vor der Nase zu , daß es durchs Haus dröhnte . Sie beachtete es nicht , öffnete , als wäre nichts geschehen , die Türe wieder , trat gleich hinter ihm drein ins Arbeitszimmer und goß ihm den Kaffee ein . " Trinke nun , " sagte sie noch einmal . " Weißt du , laß dich wenden ! " schrie er , " an dem Muster hätte ich mich endlich satt gesehen ! " Von zwei bis vier Uhr nachts aber war sie undurchdringlich , unbezwinglich , unverletzbar , zu seinem allergrößten Ärger . Er wußte sich nichts Schlimmeres , denn in dieser Stunde war sie ihm über . Was hatte er ihr in den letzten Jahren in diesen späten Stunden nicht alles angetan ! - nicht alles gesagt - und hatte doch die Fessel nicht abschütteln können . Wie eine Zwangsjacke empfand er sie , eine elende verächtliche Jacke - aber er konnte sich doch nicht bewegen , wie er wollte . Sie hatte sich selbst so ganz verloren , daß sie an sich nichts mehr zu schützen und zu wahren fand . Es war da nichts Heiliges mehr . Und darin lag ihre Kraft und ihre Macht . Nur auf eins hielt sie . Die Mädchen durften zu dieser Stunde dem Vater nicht vor die Augen kommen . Aber heute war er auf die Bamsen ganz versessen . " Sappelot , " rief er mit einem Mal mächtig , " wenn der Vater acht Tage ' net daheim war , wer hat das Recht ihm seine Bamsen vorzuenthalten ? " Er trat zum Korridor hinaus und rief donnernd : " Marie ! Isolde ! " Hoch aufgerichtet stand er wie ein Streiter Gottes , die Brust geschwellt , die Augen mit Mannesmut auf seine Frau gerichtet . Ein ganz klein wenig hielt er sich am Türpfosten . Er hatte heute etwas mehr , als die gewöhnliche Bettschwere , mit heimgebracht - etwas mächtig Heiteres . Unmöglich konnte er sich so zur Ruhe legen , denn er kam von seinem eigenen Triumphzug . Es war ihm vortrefflich ergangen . Marie und Isolde traten ein , trugen auch , wie die Mutter , Flanellröcke und Nachtjäckchen . " Ah ! Spießbürger ! " rief Doktor Frey . " Ist das 'ne Zucht ! So wie die Alten sangen , zwitschern die Jungen . Deesse ! daß i net lache . In a Nachtjacken und Flanellhansel ! Schämt euch net , Bamsen ? " Die Mädchen sahen verdutzt und verlegen auf ihren Vater . Sie waren trotz ihrer spießbürgerlichen Morgentoilette herrlich anzusehen in ihrer scheuen Jugendlichkeit , die kleinen rosigen Häupter mit den köstlichen lockigen Haarschöpfen , die eine dunkel , die andere goldig leuchtend , und die jungen vollen Glieder , in weicher Schläfrigkeit . Mit ihnen schien ein süßer Jugendduft ins Zimmer gekommen zu sein , als wären sie aus einem wundervollen Sommergarten , in dem die Linden , Reseden , Levkojen und Lilien in voller Blüte stehen , hier eingetreten , und hätten einen Hauch dieser Wohlgerüche mitgebracht . Der Anblick seiner prächtigen Mädchen wirkte auf den Vater unbedingt besänftigend . " Bamsen ! " rief er , er hatte sich jetzt an das Fenster zurückgezogen und hielt sich ein wenig ans Fensterbrett gestützt . " Bamsen , ich bringe euch was mit heim . Freut euch , Mädels ! " Noch nie hatten die Mädchen ihre Mutter gesehen wie eben jetzt - so alt - so müde - so gleichgültig . Ihr war soeben ihr letztes Privilegium genommen . Bisher hatte er noch nie gewagt die Mädchen wirklich zu rufen . Ein Blick von ihr hatte immer in diesem einen Fall genügt , ein " Bst " . » Ah so die schlafen , die Bamsen . « Sie hatte die Mädchen vor diesen nächtlichen Eindrücken behüten wollen , für immer . Nun war es geschehen . Und was war denn geschehen ? Er erzählte ihnen harmlos von einer schönen Frau , die am Starnbergersee wohnt , und deren Gast er jetzt drei Tage gewesen . Einer der Berliner Schriftsteller hatte ihn dort eingeführt . " Und euch hat sie eingeladen . He ? Was ? Na , was sagt ihr ? Übermorgen schon . " " Wer ist sie denn ? " fragte Marie leise . " Ja wohl , nur immer vorsichtig Philisterseelchen ! " Doktor Frey lachte laut auf . " Die Frau eines Gesandten ist sie . Genügt das den gnädigsten Bamsen ? Steinreich ! Ein Weib , sage ich ! " Doktor Frey berührte seine Lippen mit den Fingerspitzen und schickte einen Kuß zur Decke . " Ein Weib ! " - Er war verzückt . " Ein Götterbild ! Gott , noch einmal , was man sonst so » Weib « nennt ! daß i net lache ! Was für grundgütiges Gansvolk muß unsere edle Weiblichkeit doch sein , daß ich mein Lebtag nichts Ähnlichem begegnet bin ! Da scharren sie so einen armen Teufel ein , ohne daß er ein einziges Mal das gesehen hat , was der liebe Herr Gott doch für ihn bestimmte , das Weib in seiner Vollkommenheit , das vollkommene Weib ! Und durch eure Spießbürgerlichkeit kommt der Mann um sein bestes Teil , das ihm doch von Rechtswegen zukäme . Nicht einmal rechte Weiber können diese Weiber sein ! Ja , was seid ihr denn eigentlich , wenn man fragen darf ? " Er schwankte ein paar Schritte auf seine Frau zu . " Nichtskönnerinnen ihr ! Kinder auf die Welt setzen , Gott seist geklagt und herum nörgeln und daddeln , vom Manne Kleider und Hüte erlisten , dem Manne auf dem Geldbeutel liegen , dem Manne auf die Finger passen . Wehmutsspritzen , Geldausgeberinnen ! Hemmschuh für alles Große . Blutige Tränen könnte einer weinen ! " Er wischte sich über die Augen . Es war da auch etwas zum Fortwischen . Frau Doktor Frey hörte ihren Gatten ruhig poltern und verzog keine Miene . " Aber das grüne Holz ! " donnerte er . " Ist denn da gar nichts zu machen ? Eben so verstockt ? kein Hauch von Schalkhaftigkeit ? das trottet alles so schwer ! Herr Gott , so ein armer Teufel ! Was hat er denn eigentlich auf dieser Welt ! " Doktor Frey war wieder bis zu Tränen gerührt . " Also ihr seid eingeladen , Bamsen ! in ein Feenreich - sperrt Maul und Ohren auf - und lernt dort was ! Ich bringe euch übermorgen hin . Basta ! Übrigens traf ich dort den faden Bengel , den Mengersen . Der hatte sich natürlich herangemacht , so eine feine Nase ! Modelliert das Prachtweib . Wird aber nichts draus . " Isolde war zusammengezuckt . Sie stand ganz bleich . Das war ein Wunder , die Hand Gottes griff hier an ! Zuerst daß sie diesen Schädel finden mußte - und nun ! - Marie fragte zaghaft : " Und geht Mama nicht mit ? " " Das ist nix für Mama . - Nicht Alte ? " Er wartete ihre Antwort gar nicht ab , sondern predigte weiter . Die Morgendämmerung brach herein , fahl und kalt und beleuchtet das übernächtige müde Gesicht einer alternden Frau , das gerötete eines in jeder Fieber bebenden Mannes , der tagelang seine Nerven durch alle möglichen belebenden und anreizenden Einflüsse in Aufruhr gebracht hatte - und zwei süße junge Gesichter , die nicht recht wußten , wohin schauen . Ihre Mutter war ihnen so unheimlich , wie der Vater . Dies nächtliche Zusammensein berührte sie bang . Sie hatten schon immer allerhand im Halbschlaf gehört . Türen werfen , die laute Donnerstimme des Vaters ; aber es war sie nichts angegangen . Isolde hatte bei dem Anblick der Mutter ein dumpfes , unklares Bild , als ertappte und belauschte sie ein Nachttier auf seinen Gängen , ein Tier , das Nachts sehen kann , das Nachts sein eigentliches Leben lebt , das Nachts kämpft und leidet , das , wenn alles schläft , geheimnisvoll lebt . Sie fühlte ein so sonderbares , nebelhaftes Grauen vor Vater und Mutter ! Was für zwei fremde Menschen waren das eigentlich ? Das war auch nicht das geschäftige Mamachen , das den ganzen Tag so eifrig unbedacht herum wirtschaftete , mit dem Dienstmädchen schalt , immer im Trab war , sparte und zankte und wegarbeitete was ihr unter die Hände kam . Um diese Stunde schien alles Mütterliche von ihr abgefallen zu sein . Da war nur das Weib geblieben , das eigentlich nicht mehr Weib war , etwas Aufgebrauchtes , Zurückgestoßenes , Geduldetes ; aber etwas , ohne das der Mann nicht mehr auskam . Isoldes dumpfe Gefühle wurden ihr nicht zu Gedanken , nahmen die klare Form nicht an , aber beängstigten sie . Es war da etwas Schreckliches . Sie hätte sich an die Brust der Mutter werfen und weinen mögen - aber - das Geheimnisvolle , Nachttierhafte , das sie in der Mutter empfand , hielt sie davon ab . Der aromatische Geruch des starken Moccakaffees lag in der Zimmerluft . Was Mama nachts für vortrefflichen Kaffee macht ! Auch das beängstigte jetzt Isolde und Tränen rannen über ihre Wangen . " Da haben wir die Bescherung ! " sagte der Vater , der sich von seiner Stütze , die er am Fensterbrett gefunden hatte , nicht recht fort traute . " Die Bamsen sind , mit deiner Hilfe , Alte , die fertigen Zierpuppen geworden . Ein nettes Heim , das so ein Mann doch hat ! Bringe euch das Beste , was ich bringen kann , ' was für die Jugend ! Lebensfreude ! Heiterkeit ! Die Gesellschaft einer schönen , vornehmen Frau , eines Weibes von Gottes Gnaden - und die Einladung in ihr Haus - ein Haus ! Ja , so was saht ihr noch nie , Bamsen ! - Und Heulerei , Spießbürgerei ! Daß i net lache ! Habt ihr denn ' was anzuziehen , Mädels ? " rief er mit heiterer Donnerstimme . Sein Geist bewegte sich schon wieder in angenehmen Regionen . Er hielt sich nie lange bei einem Ärger auf . Der Dichter verstand es , einen Schwall von unwirschen Redensarten , Kränkungen , sehr bedenklichen Offenheiten über die Seinen zu ergießen - dann aber , » Schwamm drüber « ! War seine Lust am Kränken vorbei , mußte den Anderen die Lust , sich beleidigt zu fühlen , auch vergangen sein . Das konnte er auf den Tod nicht leiden , das Nachbrummen . " Na , also , wie steht_es ? " fragte er Mama , " sind Kleider da ? " " Ich denke ' schon . " " Natürlich ! Weibsen ! Kleider ! Dazu ist immer Geld da . Und mir wird vorgejammert . Zu nix ist Geld da , zu rein gar nichts ; nirgends schaut was 'raus - aber Kleider ! " Er machte sich von seiner Stütze los und ging leicht schwankend durch die Stube nach dem Schlafzimmer . Mama war mit ein paar Schritten voraus und öffnete ihm hilfreich die Tür . * Die Mädchen suchten ihre Stube wieder auf . Als Marie über die Schwelle trat , schrie sie laut auf . Der erste Strahl der Morgensonne lag dem Schädel auf der Stirn . Die leuchtete hell auf . Es war , als erhellte es das ganze Zimmer . " Ide , der Schädel lebt ! " " Ja , er lebt ! " jubelte Isolde auf und bedeckte ihre Schwester mit heißen , leidenschaftlichen Küssen . Marie war so erregt von allem , so überwacht , daß sie in Tränen ausbrach . " Ich weiß net , Ide , " schluchzte sie , " wie es bei uns ist ! " Sie weinte herzbrechend . " Deck ' wenigstens dem Schädel ein Tüchel über ! " 3. Die beiden Mädchen sitzen ihrem Vater gegenüber in Mrs. Wendlands Landauer , Kutscher und Diener in vornehmer Livree . Das leichte Gefährt rollt die Landstraße am Starnbergersee entlang . " Bamsen , ich sage euch , daß ihr mir keine Schande macht . Schaut net so , als wäre euch die Butter vom Brot gefallen . " Der Dichter trägt einen hellgrauen Sommeranzug , graue Kniehosen und schwarze Strümpfe mit Halbschuhen . Er ist vollkommen der elegante Tourist . Seine mächtige blonde Persönlichkeit nimmt sich vortrefflich aus . Die Kinder konnten sich nicht erinnern , jemals mit ihrem Vater einen Ausflug gemacht zu haben , und wußten sich jetzt nicht recht in ihre Lage zu schicken . Er liebte Familiensimpelei nicht und war als Ehemann Junggeselle geblieben . Als Schriftsteller brauchte er unendlich viel Anregung , auf die die Seinigen keinen Anspruch machen konnten . So war es gekommen , daß er in gewisser Weise ein Leben für sich führte und zwar ein Leben , das sich um eine Kaste höher abspielte . Die beiden Mädchen sitzen wortlos . Aus der dumpfen Stadt in die schöne , reiche Sommernatur gekommen zu sein , tut ihnen weh und wohl , der weiche Seewind , die mächtigen Massen Tiefdunkeln Laubes , das die Luft einzuengen scheint und der Duft nach blühendem Gras - wie bedrängt sie das alles ! Das sollte man immer haben können ! Arme junge Menschen , denen die Natur fremd bleiben muß . Sie biegen jetzt in einen vortrefflich gehaltenen Kiesweg ein , der durch dichten Buchenwald eine Anhöhe hinanführt und kommen bald an ein schönes weitgeöffnetes Gittertor aus kunstvoll geschmiedetem Eisen . Da fährt der Wagen ein , im großen Bogen um einen köstlichen Rasenplatz , auf dessen saftigem Grün Centifolienrosenbüsche wuchern . Sie stehen jetzt in voller Blüte . Tausende von Rosenblüten , alle dasselbe zarte Rosa , und ein so süßer Duft , daß einem Stadtkinde die Tränen in die Augen kommen konnten . So etwas heimlich Ländliches ; paradisisch Zartes liegt in den kunstlos , kunstvoll zerstreuten rosenbedeckten Büschen . Ein Springbrunnen plätschert in einer stillen grünen Ecke , keine Paradefontaine im Zentrum des Zirkels - nein , abseits wie ein verträumter Geigenspieler , der sich selbst zu eigener Lust in einer verlorenen Ecke ein Ständchen bringt . Den beiden Mädchen schlägt das Herz . Wie eine breite laue Welle süß duftender Vornehmheit geht es über sie hin . Der Wagen hält vor der Villa , der Diener öffnete den Schlag . Alles , worauf ihr Auge auch fällt , ist wie in einer anderen Welt , alles sagt ihnen etwas von einem geheimnisvollen Leben , das sie nicht kennen . Ihr Vater hilft ihnen aus dem Wagen - ja , war denn das ihr Vater ? Er hat einen Ausdruck , den sie an ihm nicht für möglich gehalten hätten , so gentlemanlike , eine so ritterliche Bewegung des Arms , die ihnen gilt ! Sie wurden unbeschreiblich verlegen . Der Diener führte sie eine breite , steinerne Treppe hinan . Vorsaal und Treppenhaus ganz in Weiß und Gold gehalten . Eine große Schale vor einem hohen Spiegel mit Centifolien und Reseda , die den Raum mit ihrem Sommerduft erfüllen . Marie und Isolde wünschten sich weit fort . Es war ihnen die Atmosphäre so kühl , als schlüge im Hause kein Herz ! Der Diener öffnete die Türflügel . Isolde ist dieser Diener merkwürdiger als alles . Er war , kam es ihr vor , da und zugleich nicht da . So wesenlos ist ihr noch nie ein Mensch erschienen . Alles Menschliche hatte er , Gott weiß wo , gelassen . Auf seinem Gesicht lag die Vornehmheit des Hauses versteinert . Sie gingen durch ein hohes helles Vorzimmer und schauten nicht recht um sich . Die Tür nach einem anderen Raum stand geöffnet . Sie traten ein und befanden sich einer Gesellschaft von verschiedenen Personen gegenüber . Der Teetisch war gedeckt , Gäste waren um ihn versammelt . Ein leichtes Aroma von Zigaretten und Rosen . Es schienen den beiden Mädchen auf den ersten Blick viel mehr Personen gegenwärtig zu sein , als es in Wirklichkeit waren . Eine Dame hob sich ein wenig aus ihrem Lehnsessel , beugte sich vor , streckte den Arm aus . Gelblich indische Seide floß faltig schlank an ihr herab . Ein liebenswürdiges Lächeln ging über das schmale , von glatt anliegendem schwarzen Haar eingerahmte Gesicht . " Wie gut , daß Sie sind gekommen , lieber Dichter , " sagte die Dame . " Nun , und Ihre jungen Mädchen - wir wollen sehen . " Sie gab jedem der Mädchen die Hand . Tiefe schwarze , feuchte Samtaugen fühlten sie auf sich gerichtet , kühl , vornehm , freundlich . " Kommen Sie , nehmen Sie Platz , lieber Dichter . " Isolde sah weltenweit von sich entfernt Henry Mengersen im weißen Flanellanzug . Sie empfand , wie er hier heimisch war . Ein tödlicher Schreck , ein banges Schamgefühl überwältigte sie , als sie an den Schädel daheim dachte . Die süße mystische Liebeswonne , die bräutlich nonnenhafte Seligkeit , wie erschien ihr das alles jetzt ! Den Schädel hatte sie liebkost ja ! Die beiden Stirnen hatten dieselbe Form - gewiß . Sie hatte vor ihm wie im Gebet versunken gelegen . Es war ihr so natürlich erschienen . So ein törichtes Geschöpf wie sie war ! - Henry Mengersen wurde den beiden Mädchen vorgestellt . Er erinnerte sich Isoldes . Sie hatten sich in einer Gesellschaft bei Freieschen Freunden getroffen . Er reichte ihr die Hand und begrüßte sie als alte Bekannte . Außerdem war ein ältlicher , norddeutscher Baron da , ein jovialer Herr und eine noch junge schlanke Frau mit kleinem Kopf und kräftig voller Gestalt , einem etwas ernsten Kindergesicht , großen Augen , kleiner Nase , hübsch geformtem Mund . Sie schien eine angenehme Person zu sein . Ihr weiches , braunes Haar trug sie in einem nicht geschickt arrangierten Knoten . Zuguterletzt rekelte sich ein , zweifelsohne , hochmoderner Schriftsteller in seinem Stuhl . Er rekelte sich , weil das seiner Lebensanschauung wahrscheinlich entsprach . " Grüß Gott , Übermensch ! " sagte er und schüttelte Doktor Frey kollegialisch , aber auf eine etwas schlottrige Weise die Hand . Ein tadelloser , aber ein wenig zu weiter Salonanzug bedeckte seine gelenke , feingliederige , mit zartem Fett ausgepolsterte Gestalt . Die breite , gestärkte Hemdenbrust stand in weitem Bogen aus der tief ausgeschnittenen Weste heraus . Es war alles nicht so recht niet- und nagelfest an ihm . Doktor Frey aber schien mit allen , die am Tisch saßen , bekannt und vertraut . Er hatte etwas so leicht beweglich Mächtiges , wie eine gut geschmierte große Maschine . Als er sich niedersetzte , sagte er , jovial und wie im Prophetenton , eine seiner Sentenzen : " Wir müssen alle wahr sein , wahr bis zum Äußersten - wahr und lebensfreudig - dann wird die Welt bald ein anderes Gesicht bekommen . " Jede seiner Bewegungen zeugte davon , daß er sich hier sicher und wohl fühlte , daß er sich seines Werts bewußt , daß er ein berühmter Mann war . Als Marie und Isolde in den eigentümlichen englischen Stühlen Platz nahmen , empfanden sie ein lebendiges Behagen , wie sich das glatte zarte Holz an den Körper schmiegte . Unwillkürlich strich Isolde wie liebkosend über die Armlehne auf der ihre Hand ruhte . Sie fühlte sich so geborgen . Wie robust lebte es sich daheim , wie häßlich und grob . Ihren Vater ließ sie nicht aus den Augen . Er war hier wie ein anderer Mensch . Wie zu einem Heiligen neigte sich die schöne Frau zu ihm und fragte ihn , ob er Rum oder Zitrone in den Tee wünsche . Eigenhändig reichte sie ihm das Gewünschte und er schaute wie ein Halbgott um sich . Isolde war etwas wie Weinen und Lachen nah . Ein erschrecklich verquicktes Ding von einem Gefühl . Sie dachte an die Mutter daheim . Der Tee war so duftend , die Tassen so zart , alles Gerät auf dem Tisch als stammte es aus einer vollkommeneren Welt . Die Mädchen saßen ganz still in ihren hellgrauen Lodenkostümen , wie zwei graugefiederte Tauben . Sie dachten beide an ihre Kleider , die sie im Köfferchen mitgebracht hatten und fühlten eine wahre Sehnsucht danach . Mrs. Wendland fuhr im leichten Plaudern fort , in dem sie , durch das Eintreten der neuen Gäste , unterbrochen worden war . " Lu , " wendete sie sich an die junge Frau , " man hat mich gefragt , was ich habe an dir ? Was hast du an ihr ? Ich habe gesagt : das , was du hast an mir , habe ich an ihr . Ich bin wärmer als du , sie ist wärmer als ich . Es ist immer die Wärme . Und weißt du , wer hat gefragt ? Dieser Öflich ! " Mrs . Wendland blickte auf den kleinen dicken Baron . Die junge Frau sah groß auf und lachte . " Ja , " sagte sie , " ich stehe nicht in Gnaden bei dem Baron . " " Verehrteste ! " der kleine dicke Baron machte eine wahrhaft entsetzte Bewegung und steckte seinen goldenen Kneifer auf die Nase . " Verzeihung , gnädigste Frau , da muß ich allerdings einen absolut anderen Zusammenhäng . . . . . " " Mußt dich nicht bemühen , lieber Freund . " Mrs . Wendland stand vor dem Kamin , ihre hohe schlanke Gestalt nachlässig hingelehnt . Sie schaute mit unergründlichen Augen auf die Gesellschaft . Über ihr lag eine eigentümliche Ruhe , wie sie gewöhnlichen Menschen nicht eigen ist . " Merkwürdigerweise , " fuhr sie fort , " sagte Lu dasselbe von dir , lieber Baron : Wie kannst du verkehren mit diesen dummen Baron ? " " Mary ! " rief die junge Frau ganz entsetzt . Mrs. Wendland aber erzählte ruhig weiter : " Ich habe gesagt : Es ist ein alter Liebhaber von mich und ich frag ihn : Wo kaufst du das beste Kaiseröl und ob er seine Leute auch Werktags Wein gibt - solche Dinge - aber das ist das Gemütliche nicht wahr , Baron ? " " Du bist heute ja wieder von fabelhafter Freimütigkeit ! " Die junge Frau war tief errötet und etwas nervös geworden . " Und schließlich , ist denn diese Freimütigkeit so notwendig ? " " Meine liebe Lu , Freimütigkeit ist nie unnötig . Denke , was für ein schönes Wort . Frei ! - Mutig ! - Zum Beispiel . Ich habe das Unglück , unter deutschen Frauen zu leben . Ich weiß nicht , womit ich das verdient habe . Die , mit denen ich muß leben , die werde ich nicht in ihrem Dunkel sitzen lassen . Alle deutsche Frauen sind Kühen , " sagte sie aufseufzend . " Das gehört eigentlich wieder unter vier Augen , " meinte Frau Lu . " Mit deinen , » unter vier Augen « ! " Mrs. Wendland lächelte . " Was man unter vier Augen sagt , ist so gut , als ob man gar nichts sagt - außer in Liebesdingen - ja dann - natürlich . Aber alles andere ist gut , wenn man aller Welt es sagt . Es wird bekannt . Ich sage alles , was ich denke . " Der moderne Schriftsteller hatte eine zarte Applaudierbewegung mit den Spitzen seiner Finger gemacht , als Mrs. Wendland die eigentümliche Bemerkung über die deutschen Frauen vorbrachte . Mrs. Wendland hatte dies bemerkt . " Und was soll ich von den deutschen Männern sagen , wenn ich muß sehen so etwas ? " Sie umgab den Schriftsteller wahrhaft mir der ruhigen Macht ihres Blickes . " Wenn ich sage , die deutschen Frauen sind Kühen , so ist das etwas Trauriges und ein schlechtes Zeichen für den deutschen Mann . Wenn ich bin freimütig und sage , was Frau Lu von meinem guten Baron gesagt hat , so will ich , daß sie nicht soll erschrecken . Sie soll ganz ihr selbst bleiben - ganz ruhig in ihre Seele , nicht aus der Contenance kommen . Eine Frau , die getan und gelebt hat , wie Frau Lu , die so gehandelt hat , muß souverän sein . Lu hat nie zu die Kühen gehört - nie . Lu nie . " Das sagte Mrs. Wendland sehr bestimmt . " Sie ist Ausnahme , first class . Wenn ich denke an Lu , denke ich , daß sie genagelt ist an ein Kreuz mit tausend Rosen überdeckt , so ganz überdeckt von Rosen - ein Golgatha , ganz in Rosen . Niemand sieht , daß sie genagelt ist - aber sie ist_es , mit Händen und Füßen , weil sie eine so glückliche Ehe hat , so ein Wunder von einer Ehe . Eine wirklich glückliche Ehe ! - Nicht , was man so nennt glückliche Ehe , das ist eine Futterehe , was man im allgemeinen nennt " glücklich " . Aber Lus Ehe ist in Wahrheit glücklich - und das ist ein großes Unglück . " Mrs . Wendland ging auf ihre Freundin zu , strich ihr über das Haar . " Arme Lu ! " Frau Lu schlang die Arme um sie und sagte : " Aber wie viel besser es ihm jetzt geht ! - Und er arbeitet ! Wenn Gott nur einmal ein bissel neutral bleibt . " " Übrigens , mir fällt ein , " sagte Mrs. Wendland - " etwas ganz anders : Gestern gehe ich meinen Spaziergang außerhalb meinem Park und begegne einer deutschen Familie - zwei Männern , Kindern und eine Frau . Die Kinder liefen voraus und die Frau war zurückgeblieben . Sie hatte ' was an die Füße und war so eine dicke Bürgerin . » Schau , « sagt die eine Mann zu seinem Begleiter , » wie deine Alte nachhatscht . « - » Na , alter Kachelofen , « ruft ihr der Ehemann zu , » mache voran ! « Und die Frau schaut auf mich und lacht so gutmütig und sagt : » So san die Mannersleut ! « So sind sie alle , da liegt das ganze " Deutsch " darin . Lieber will ich ein Pferd sein , als eine deutsche Frau ! " " Nun , ich dächte , eine schöne Frau darf doch auch in Deutschland reden , wie es ihr gefällt , " sagt der moderne Schriftsteller , und um seine Lippen spielte ein Lächeln , wie er es in der Gewohnheit hatte , wenn er eine Frau über irgend einen Gegenstand sprechen hörte , auch wenn dieser Gegenstand ihre eigene Persönlichkeit und ihr eigenes Geschlecht gewesen wäre , - ein so nachsichtiges , gnädiges Lächeln . " O ja , eine schöne Frau kann auch in Deutschland manches tun ; aber das liegt auf einem ganz anderen Gebiet . Ich bewundere die deutsche Frau , daß ihr nicht die Geduld ausging . Ich würde eine Bombe nehmen und auf die Schlafrock von meinem Mann werfen und auf die Schlafrock von alle Männer , die schreiben und philosophieren und sprechen von die Frau . Mitten in ihr Dunkel würde ich werfen . " " Oho ! Hochverehrte , " rief Doktor Frey mächtig . " Deutsche Liebe ! Deutsches Weib ! Minnesang ! Sie tun uns bitter Unrecht ! " " Da kommen Sie mit die Mittelalter ! - Natürlich , das tun alle deutschen Männer , wenn sie von die Frau reden . Ein deutscher Mann sieht die Frau immer im Mittelalter , auch in solch einem Kostüm . Ich glaube , wenn er von die deutsche Frau spricht , denkt er an eine aus Holz geschnitzte , nie an die lebendige , so wie auf den Titeln von allen deutschen Familienzeitungen zu sehen ist , so kindlich . Das Naivste , was es in dieser Beziehung gibt , ist der deutsche Mann . Deutsche Liebe ! Ich mache zwei Kreuze davor , damit man sich in acht nimmt . Ich will eine lange Geschichte erzählen . ich liebe sehr Geschichten zu erzählen , " sagte sie träumerisch . " Es hat sich eine Ausländerin verheiratet . Sie hat einen deutschen Baron geheiratet . " Mrs . Wendland sah mit ihren tiefen ruhigen Augen , geradeaus über die Gesellschaft hinweg . Wie vornehm kühl stand sie da als wenn alles auf der Welt sie nichts anginge ; auch das Alter nichts . Denn sie war nicht mehr jung . Wie floß aber die gelbe indische Seide an ihrer schlanken Gestalt herab . Diese Frau hatte sich in Nichts nachgegeben , das sah man . Sie hatte ihr Leben mit sich selbst durchdrungen . " Und dieser Baron ist so ein deutscher Lebemann , " fuhr sie fort . " Er hatte gelebt und geliebt , wie man sagt . Er war ein schöner Mann und hatte ein Schloß und Wald und Jagd und war ein große Jäger . Er hatte genug von die Frauen und deshalb heiratete er . Und wie ich sagte : Er heiratete eine junge Ausländerin - schön - klug und sie hatte nicht gelebt und geliebt , wie man sagt , und liebte ihren Mann mit solch einer schönen jungen Liebe und solch einem Verlangen nach Liebe . Und er hatte nicht ein Verlangen nach Liebe und kümmerte sich wenig um sie . Sie aber war traurig darüber und er ging alle Morgen auf die Jagd . Im Winter , vor Sonnenaufgang stand er leise auf und ließ sie in Tränen verliebt allein . Da sann sie , wie sie ihn halten könne . Und einmal war es auch , da wußte sie schon , daß er wieder gehen würde . Draußen lag leichter Schnee über der Welt und der Mond schien helle . Da war sie es , die aufstand , viel , viel leiser als er , so zart , wie eine Hauch und sie legte ihre Nachtkleider ab und schlüpfte nur in eine weiche Pelz - dann schlich sie fort - und zum Schloß hinaus . Und unter einer einsamen Linde warf sie ihre Pelz ab und stand in ihre große Schönheit im Mondschein . Da legte sie sich in den weißen , unberührten Schnee und der Schnee trug die Linien von ihre zarte Gestalt . Dann hob sie sich wieder und schlüpfte in ihr Pelz und eilte schnell in das Schloß zurück in ihr Schlafzimmer - leise - wie ein Hauch . Und als der Baron erwachte und sie wollte verlassen , um zur Jagd zu gehen - da sagte sie : » O denke , es ist ein edles Wild bis nah vors Schloß gewesen , ich habe seine Spur gesehen unter der Linde . « Da lachte er und glaubte nicht . » O gehe , sagte sie , du wirst es sehen , daß ich wahr sagte . « Und er ging . Und als er wiederkam ? Da verließ er ihr , denke ich , nicht mehr . Und meine Geschichte heißt . Die Wildspur . Das ist was ich nenne » Frau « und » Liebe « , so süß und klug . O , es gehört mehr Weisheit und Seele - und Geist dazu , als zu eine Eisenbahn baun . " " Eine Geschichte für junge Damen , " sagte der moderne Schriftsteller lächelnd und verbeugte sich leicht , zu Marie und Isolde gewendet . " Gewiß für junge Damen , " sagte die schöne Frau . " Oder meinen Sie für alte ? " Die kleine Geschichte hatte sie mit solch einer freimütigen Schönheit erzählt , daß es über alle wie ein Hauch von Poesie ging . Doktor Frey erhob sich , goß ein zierliches Kristallglas voll Wein , ließ sich vor Mrs. Wendland auf ein Knie nieder und sagte indem er das Glas an die Lippen führte : " Dem wundervollsten Weib ! " " O , Sie sind ein deutscher Dichter ! Sie sind ein Freiheitsmensch , ich weiß . Es ist sehr nötig hier . " Die beiden jungen Männer , der Schriftsteller und Henry Mengersen verhielten sich bisher passiv . Der Schriftsteller hatte den Blick selten von Mrs. Wendland gekehrt . " Kann so bleiben , " murmelte er ein paarmal vor sich hin , " kann so bleiben . " Henry Mengersen war . wie es schien , ein wenig verstimmt . Mrs. Wendland hatte Doktor Frey und seine beiden Mädchen veranlaßt , mit ihr auf den Balkon hinauszutreten . " Alles angeweiblicht - für Weiber ! "- sagte Henry Mengersen zum Baron gewendet . " Jawohl , Eisenbahnen bauen ! O teure Mistreß , versuchen Sie es Mal . " " Na , " meinte der Baron , " Sie Tiger , das sagt man doch bloß . Und übrigens , ich habe nichts gegen das Ewig-Weibliche hier um diesen Tisch . Reizende Kerlchen - was ? " Er zwinkerte und deutete mit diesem Zwinkern auf die verlassenen Plätze der beiden Mädchen . " Nicht übel , die eine ist mir schon bekannt , ein sonderbares Huhn . " * Zum Souper kleideten sich die beiden Mädchen in ihre duftigen langen Gewänder und es fiel ihnen wie ein Stein vom Herzen , als sie sich so schön sahen . Die Vornehmheit bedrückte sie nun nicht mehr. * Spät am Abend sprach Mrs. Wendland den Wunsch aus , daß Henry Mengersen sie alle miteinander in sein Atelier führen möchte . Auf eine kühle Art zeigte er sich bereit dazu . Isolde schlug das Herz . Und während die anderen im Salon noch eifrig plauderten , stand sie allein draußen auf der Terrasse und sah in die Sommernacht hinaus . * Zwei Jahre mochten es her sein , da hatte sie in einer Münchener Kunstausstellung , kaum fünfzehnjährig , vor einer Reihe Radierungen gestanden - und das Kind hatte geschaut und geschaut , die Zeit war ihr vergangen , ohne daß sie es empfand . Die Leute hatten über das kleine weltvergessene Mädchen gelächelt . Sie aber hatte eine neue Welt gesehen und gefühlt . Da war eine Landstraße gewesen , eine langgestreckte Landstraße , links und rechts mit jungen Obstbäumen besetzt und diese Straße führte geraden Wegs hinein in einen dunklen , drohenden schweren Gewitterhimmel . Niemand ging diese Straße . Sie aber ging sie . Sie ging im Geist auf dieser Straße . Eine große tote Stille - kein Blatt rührt sich - kein Laut - und auch die ungeheure Wolkenmasse stand unbeweglich , ein großes , düsteres Geheimnis . Und diesem drohenden , düsteren Unbekannten lief sie entgegen . Sie ging nicht , sie lief . Sie war ganz entrückt . Und dann ein anderes Blatt : Auf hohen Gebirgsgipfeln mitten in der Gletscherwelt , im ewigen Schnee , kämpften zwei Titanen unter schwerem Himmel . Der ewige Schnee stiebt um sie her . Eisklötze fliegen . Der Grund ist zerwühlt , zerstampft , zerklüftet und zerrissen von der Gewalt der Hufe . Um was kämpfen sie ? Um ein armes Häschen , das tot und winzig im Schnee liegt , das der eine erbeutet hat und der andere ihm nicht gönnt . Da mußte das Kind lachen . Und weiter : Auf einem Bild sah sie ein Liebespaar . Rosen und Nacht . Es war alles so verstohlen . Sie begriff . Es war da ein Duft von Jasmin in der Luft - und das Geheimnis , das große Geheimnis . In der Schule steckten sie die Köpfe immer zusammen , das Eine , nur das Eine ließ ihnen keine Ruhe ; es sprühte ihnen im Blute , es stieg ihnen zu Kopfe , es nahm ihnen den Atem . Und dann war es so widerwärtig - die anderen konnte man darum hassen , daß sie davon tuschelten . Und im Umsehen waren sie wieder dabei - sie mit . Eine zeigte eine Stelle im Religionsbuche , ohne ein Wort zu sagen . Eine errötete . Und alle schauten und machten lange Hälse und wollten es sehen - lesen - genießen - davor erschauern - sie mit . Wie unanständige Kobolde , ganz elementar , ganz naiv . - Ja , und dieses Bild ! da war das Geheimnis . Sie war aber wie reingespült davon . Eine süße , ungeheure Melodie hörte sie . Sie fühlte etwas so Großes , so Einziges , etwas zum Hinsterben . Von dem Tuscheln , Schauern , dem naiv frechen Treiben der unanständigen Kobolde , die die Leute Backfische nennen , war sie von jener Stunde an getrennt . Auf dem nächsten Bild dasselbe Liebespaar . Ja , sie erkannte sie beide wieder . Ein Kind war geboren . Das Weib lag langgestreckt und tot . Es stand da eine Wasserschale und Tücher lagen da . Sie sah das Weib mit Schauern . Es war eben geschehen . Der Mann kniete und hielt den Kopf des toten Weibes in seinen Händen und seinen Kopf hatte er ganz vergraben . Hinter beiden aber stand der Tod , riesig wie eine mächtige Wand , wie ein Fels und auf seinem Arm lag das eben geborene tote Kind , gleich einer welken Blüte , die zufällig ein Sturmstoß auf den Arm des Todes geweht hat , so hing es formlos zusammengefallen . Das junge Ding vor dem Bild war erschüttert , wie vor nichts noch auf der Welt . Ganz verschüchtert stand sie vor etwas Schrecklichem . Und dazu das Geheimnisvolle , das Unenthüllte - das auch sie selbst anging . Sie fühlte sich vor diesem Bilde bang dämmernd als Weib und fühlte dies mit tiefem leidenschaftlichen Erschauern . Sie gehörte zu denen - zu denen , die so namenlos , geheimnisvoll leiden müssen , zu denen , neben deren Liebe der Tod steht , so , wie sie es eben gesehen : der riesige , ernste , feierliche Tod . O , so lieben ! Welches Geheimnis ! Liebe und Tod ! O , so in den Untergang hinein lieben ! Sie fühlte sich stolz , mächtig - und freute sich , daß sie ein Weib war . Es war als ob ihre Füße den Erdboden nicht berührten . Ja , das ist das Größte auf Erden : Weib sein ! Sich opfern ! Mit solchen Gefühlen ging sie damals nach Hause . Von da an liebte sie Henry Mengersen , noch ehe sie ihn gesehen . Sie liebte ihn , wie sie seine Kunst liebte . Und als sie ihn gesehen von Angesicht zu Angesicht , liebte sie ihn kaum mehr als vordem . Nein , durchaus nicht mehr . Der Schädel , dessen Stirn die wunderliche Ähnlichkeit zeigte , war ihr vom Schicksal gegeben worden als ein Symbol , das sie anbeten durfte , leidenschaftlich , ahnungsvoll , wie eine Nonne eine Reliquie anbetet . * Und nun sollte sie in das Heiligtum treten und seine Werke in dem Raum sehen , in dem sie geschaffen wurden . 4. Sie gingen alle mit einander .- Mondschein - Centifolienduft ; - der Springbrunnen spielt wie ein in sich selbst versunkener Spielmann in seiner grünen Ecke . Vom See kam eine feuchtweiche Luft . Das Mondlicht durchfloß die zarten Gewänder der Mädchen , löste sie wie zu einem leichten , weißlichen Nebel auf . Isolde segnete ihre Mutter für diese Kleider. Mrs. Wendland wurde von Doktor Frey geführt . Er führte sie so vorsichtig wie ein höheres Wesen , von dem er befürchtete , daß die bloße Berührung mit dem Erdboden es beschädigen könnte . An jedem Schritt , jeder Bewegung sah man , daß er vor urwüchsiger , ganz naiver Wonne und Befriedigung nicht ein und aus wußte . Marie sah im Geist daheim die Mutter sitzen , wie sie mit ihrem Bengel die Schularbeiten machte , und Marie erschrak , wenn sie daran dachte , daß auf die Mutter auch nur ein Tropfen jener Zartheit , Besorglichkeit fallen könnte , mit der der Vater Mrs. Wendland umgab . Wie würde der Mutter bei so etwas wohl zu Mute sein ? Würde sie darüber lachen oder weinen ? Marie konnte sich das gar nicht vorstellen . Vor ihrem Vater aber fürchtete sie sich , als wäre er sein eigenes Gespenst . Sie mochte gar nicht hinsehen . Sie schämte sich . Wer war nun der Rechte , der zu Hause oder der hier ? Gern wäre sie der Mutter um den Hals gefallen und hätte bitterlich um das geweint , um das , was sie lang und unklar empfand . Sie gingen jetzt durch hohen Buchenwald . Der Mondschein flimmerte durch die dichten Zweige . Der Weg führte sanft abwärts . Sie waren auch alle ganz schön im Sommerzauber drin . Ein jeder spann und sann . Wenigstens gingen sie ziemlich schweigsam durch diese laue , flimmernde Nacht . Henry Mengersens Atelier lag unten am See . Er hatte sich schon seit Jahren ein kleines Landhaus hier gemietet , das er in den Sommermonaten bewohnte . Das Atelier groß und kahl ; die kleinen Abteilungen des Riesenfensters standen zum Teil offen . Das Mondlicht strömte herein . Es lag etwas Kühles , Klares in diesem Raum , als Henry Mengersen die Schraube zum elektrischen Licht aufgedreht hatte und alles bis in den letzten Winkel bestrahlt war . Hier empfand man nichts Weiches , nichts Ungeordnetes , nichts Beengendes , eine peinliche Ordnung und Sauberkeit . Wem die Augen über Henry Mengersens Toilette noch nicht aufgegangen waren , dem gingen sie hier auf . Sie war von jener vornehmen , absoluten , eleganten Reinheit und Neuheit , die ein Deutscher schwer erreicht . Auch Henry Mengersen war Mischling . Seine Mutter stammte aus einer schwedischen Familie . Die Art , sich zu kleiden , hob ihn über das Gewöhnliche , erleichterte ihm vieles im Verkehr mit den Menschen , wirkte auf gewisse Naturen immer verblüffend , ließ ihn über der Situation stehen und zwar , ohne daß er sich irgendwie dabei hätte anstrengen müssen . Was ein armer tapferer Kerl mit schlecht sitzendem Rock und mit an den Knien ausgearbeiteten Beinkleidern mit Aufbietung aller Kräfte und allen Mutes nicht erreichte , das fiel ihm zu . - Er gebrauchte , um das alles zu erreichen , nur etwas mehr Zeit zu seiner Toilette . Für Frauen war er unwiderstehlich . Diese jungen , naiven , deutschen Frauen - wie ennuyierten sie ihn seit Jahren schon ! Er verkehrte jetzt allerdings meist nur mit Ausländerinnen , oder wenigstens mit deutschen Damen aus den höchsten Kreisen . Das war zu ertragen . Eine Frau , wie Mrs. Wendland , schien ihm wirklich erträglich , und auch ein Haus , wie Mrs. Wendland es führte - die ganze Art von Mrs. Wendland stieß ihn nicht ab , trotzdem sie ihre großen Schwächen hatte . Man konnte mit ihr reden und leben , ohne jemals von Naivitäten belästigt zu werden . - Mrs. Wendlands Ansicht war : " Wissen Sie , Henry , man kann tun was man wünscht bei uns . Man muß nur immer in seine Rang bleiben . " * Im Atelier hing keine Studie , nichts von seiner oder irgend eines anderen Hand . Große , bequeme , helle Eichenholzschränke standen längs der einen Wand , ein breiter Arbeitstisch nahe dem mächtigen Fenster . Mengersen ging in den Nebenraum , in das Bildhaueratelier , und bat seine Gäste , einen Augenblick auf ihn zu warten . In dies zweite Atelier ließ er ungern jemanden eintreten . Es währte nicht lange , da kam er mit einer kleinen Marmortafel wieder und stellte diese auf eine Staffelei , rückte sie behutsam , blickte prüfend zur Lichtkrone und trat dann zurück . Ein Relief. Mrs. Wendlands Kopf , leicht gelblich getönt , ein Sphinxkopf . " Also ein Raubtier , " sagte Mrs. Wendland eigentümlich lächelnd . Sie hatte recht , ein Raubtierkopf , so schön er war . Die Augen hatten etwas Packendes , Zugreifendes . Um den Mund lag ein rätselhafter , urweltlicher Zug : " Das Tier . " Hier war es geprägt , das Halbtier Weib . " O , Henry Mengersen , " sagte Mrs . Wendland ruhig , " weil ich bin ganz offen , offen , wie Sie sonst niemanden kennen , weil ich nichts verstecke , nichts Böses und nichts Gutes , machen Sie ein Rätseltier aus mich . - Sonderbar ! " Da lächelte Henry Mengersen überlegen wie ein Richter , vor dem sich einer so eben selbst überführt hat . " O , ich verstehe , " sagte Mrs. Wendland gleichgültig , " so meine ich nicht . Meine Offenheit ist nicht die Offenheit von ein Tier . Sie irren . Halten Sie mich für naiv ? Dann verzeihen Sie , ich muß lachen . Sie verstehen doch , was ein Kunstwerk ist ? Raubtiere sind wir alle . Aber Sie meinen damit nicht das : Ich weiß , ich bin Herrn Mengersen ein Dorn , trotzdem er sehr liebenswürdig zu mir ist , weil ich ein wirklicher Mensch bin , lebe wie er lebt und bin so klug wie er ist . Wenn sich Herr Mengersen auch als Raubtier ausmeißelt , bin ich zufrieden . Ich bestelle mir noch ein Raubtier , es müssen zwei sein . Und Henry Mengersen ist kein schlechtes Raubtier . " " Eine sehr selbstbewußte Dame , die gute Mrs. Wendland ! " Der moderne Schriftsteller wendete sich flüsternd an Doktor Frey . Sie gingen mit einander im weiten Atelierraum auf und nieder . Doktor Frey führte seine zusammengelegten Fingerspitzen zum Munde , machte eine Geste der Verzückung . " Götterweib ! " kam es inbrünstig , unhörbar von seinen Lippen . " Nee ! " dieser Meinung war der moderne Schriftsteller nicht , Hühner und Weiber nur ganz frisch . " Hautgoaut ! Brr ! Künstliches Hautgoaut , Fin de siecle - Hautgoaut als Parfüm für die weibliche Jugend - famos ! Schreibe selbst solches Zeug . Verdammt raffiniert so was ! Geist beim Weib höchst verdächtig ! Hat die gute Dame Kinder gehabt ? Geist beim Weib einfach pathologisch . Übermensch , was ist denn dir in die Krone gefahren ? Warst doch sonst nicht so ? Die Millionen etwa ? Nee - nee - da laß ich mir nix vormachen . " * Mengersen hatte eine Mappe auf den Tisch gelegt , neue Reproduktionen . Er sprach mit dem Baron darüber , war mit irgend etwas zufrieden oder unzufrieden . Sie sprachen kühl hin und her über Geschäftliches und so weiter . Mengersen legte einige Blätter auf den Tisch und zufällig vor Isolde hin . Und es waren jene Blätter . * Mrs. Wendland und Doktor Frey standen am geöffneten Fenster . Der temperamentvolle Prophet und möglicher Weise baldige Reichstagsabgeordnete und so weiter , sprach auf die schöne Frau mächtig ein . Mrs. Wendland schaute gelassen auf ihn hin . Sie trug , wie stets , wenn sie ihr weißes Hauskleid abgelegt hatte , eine schwarze Toilette und machte einen äußerst vornehmen , in sich zusammengefaßten Eindruck . Das Porträt , das ihr guter Freund , ohne ihr Wissen , von ihr vollendet hatte , mochte sie seltsam berührt und verletzt haben . Sie hatte sich ihm offen gegeben . Sie hatte ihm den Genuß geboten , das Weib auf seiner höchsten Stufe , wie sie meinte , das hochentwickelte Weib , ganz kennen zu lernen . Sie war rückhaltlos zu ihm gewesen , vollkommen wahr , im Vertrauen , wie es ein großer freier Mensch zum anderen hat - und er hatte das Tier in ihr erkannt - nur das Tier - das brutale Tier . Sie hatte im Verkehr mit ihm über das " Tier " Mengersen hinweggesehn und hatte in ihm den Gott gehätschelt , angebetet und geliebt . Mit ihrer heiteren Weisheit und Welterfahrung hatte sie ihm etwas schenken wollen - und er ? - " Man ist einsam , ungeheuer einsam ! " sagte sie wehmütig . Doktor Frey wußte nicht , auf was sich dieser Ausspruch beziehen mochte und blickte etwas verblüfft auf sie . " Bitte , fahren Sie fort , " sagte Mrs. Wendland leicht lächelnd . Der berühmte Schriftsteller mochte ihr irgend etwas vorgetragen haben , was sie überhört hatte . * Herr Goldschmitt , der moderne Schriftsteller , machte sich an das schöne blonde Mädchen , an Isoldes Schwester heran und unterhielt sich mit ihr einigermaßen von oben herab ; aber durchaus angenehm berührt . Jung , rosig , blond , sanft und diese weiche , hilflose Stimme - köstlich ! Er fühlte sich wie eingelullt von ihrer ausgeprägten , gesunden , molligen Weiblichkeit . Sie hatte aber trotzdem etwas Träumerisches , Verschlossenes , Kühles . » Etwas hartmäulig noch « , dachte der Schriftsteller in seiner Pferdesprache , die er mit Vorliebe bei Beurteilung von Frauen anzuwenden liebte . Übrigens wußte er weder von Frauen , noch von Pferden etwas Nennenswertes . * Isolde aber stand im Bann von Henry Mengersens großer Begabung . Sie sog das , was sie sah , in ihre Seele ein . In seiner nächsten Nähe schlug ein kristallreines Herz zum Zerspringen vor Seligkeit und Anbetung . Die junge Nonne lag wieder in Verzückung vor der schönen Erscheinung seiner Kunst . Wie Gottes Sohn empfand sie ihn . Und ob er schön und elegant , oder häßlich und schabt war , was ging das sie an . Wie einen Teppich hätte sie sich vor seine Füße breiten mögen . Sie war in diesem Augenblick eigenartig schön . Die hingerissene junge Seele durchleuchtete sie . Henry Mengersen kam zum Entschluß , sich mit dem kleinen verrückten Käfer etwas abzugeben . Er war , wie gesagt , kein Freund der " höheren Tochter " , hie und da aber fand sich doch ein Exemplar , das man sich einmal betrachten konnte . * Als sie wieder nach Mrs. Wendlands Villa zurückgingen , bot er ihr den Arm . Der Mond war untergegangen und der Weg durch den Buchenwald dunkel . Mrs. Wendland ging mit Frau Lu . Sie schwiegen beide das längste Stück des Weges . Endlich sagte sie : " Lu , was ist mit dir ? Du bist so still . Ich weiß nicht wie du mich heute vorkommst ? Es ist mir , wie wenn man denkt , es ist warm und hat seine Wintermantel ausgezogen und es ist kalt . Sage mir , ist was mit dir ? " " Du weißt ja , ich kann nicht von ihm fort sein . " Die junge Frau schien erregt und bedrückt . " Wenn ich du wäre , ich würde auch nicht einen Schritt von ihm gehen . Wenn man so etwas hat in seinem Leben wie du gefunden , muß man es halten mit den Armen , den Händen , den Zähnen . Weißt du Lu , ich möchte mit deinem Mann in ein Kloster gehen . " " Das ist ja lieb von dir , " meinte Frau Lu lachend . " Nein , im Ernst . Es würde eine wunderschöne Zeit , auch für ihn . Bei ihm fühlt man sich nicht degradiert , wie bei die anderen Männer , kann mit ihm verkehren wie mit Gott Vater , so ganz sans gene . " " Ja , wahrhaftig , " sagte Frau Lu , " das ist ja auch so . Weißt du , es ist , als wenn ein guter , großer Geist neben mir herginge , in meinem Haus wohnte und mich liebte . Wenn du wüßtest , wie gut er ist , wie reich unser Leben ist . Wie schön es bei uns ist ! " " Und " , sagte Mrs. Wendland lächelnd , " wie ich mir_es verderbe . " " Ja , ja - aber wenn du an meiner Stelle wärst . " " Ich ? Nun , wenn ich mich in deinen Mann verliebte , würde er es besser haben als bei dir . Glaubst du , ich würde ihn mit meiner Angst um ihn , immer wie mit Salz die Nerven bestreuen ? Wie du ? Bei mir könnte er alles tun , was ihm beliebt , krank sein , gesund sein , arbeiten , auch ruhig sterben , wenn es sein soll . In nichts redete ich ihm drein . " " Du bist kostbar , " lachte Frau Lu leicht . " Und ich habe das Interesse für diese Alltagsmänner ganz verloren . Mögen sie nun ein Genie sein wie Henry oder nicht . In sich , in ihrem Charakter sind sie so schlecht gezogen , so nicht fertig geworden . Für uns Frauen ist es immer eine Kränkung , gleich , ob sie sind brennend zu uns oder kalt . Wir haben immer das Brutale . Sie sind alle wie die ganz reichen Leute , die den Armen zu Weihnachten bescheren . Sie selbst gehen in Kleidern von Worth , wo ist jede Naht ein Kunstwerk . Für ihre Mitmenschen aber lassen sie aus grobem häßlichen Stoff Röcke nähen von plumper Fasson ohne Sinn und Verstand . Sie geben so für das allergröbste Bedürfnis der Natur - und damit basta . Und dieser schreckliche Jüngling , dieser Herr Goldschmitt ! Stadt eine Seele oder ein Herz hat er ein kleines Ferkel in sich , glaube ich . " * Inzwischen ging Isolde an Mengersens Arm zaghaft und in höchster Erregung . Sie wollte etwas sagen und fand kein Wort . Er schwieg auch , um zu sehen , was die Kleine vor hätte . Ihm schwante etwas , schon bei der ersten Bekanntschaft mit ihr . " Sie sind so glücklich , " sagte Isolde nach langem leidenschaftlichem Kampf mit sich selbst . " So ? Bin ich ? - Und weshalb mein Fräulein ? " Das klang banal , so gar nicht als sagte es Henry Mengersen . Aber das war ja kindisch von ihr , zu erwarten , daß er wie ein Gott sprechen würde . Natürlich , er war so durch und durch Gentleman ; wenn sie daran dachte , wie er sich kleidete , wie er sich betrug , wie er verwöhnt war , konnte er ja gar nicht anders antworten . Oder konnte er es ? Sie wußte selbst nicht , was sie eigentlich verlangte . Es war doch ganz das Richtige . Man sprach so . Und was sie gesagt hatte , war dumm und lächerlich . Sie errötete tief . " Nun und weshalb bin ich so glücklich ? " fragte er noch einmal zugänglicher . Es war doch eine gewisse Neugier in ihm wie das Hühnchen mit ihm anzubinden gedachte . Isolde sagte irgend etwas , stockend , abgebrochen , hastig . Sie wußte kaum was . - So etwas : » daß er könnte , was er wollte . « » Oho « , dachte Mengersen , » die kapert so . Was sind diese jüngsten weiblichen Raubtiere doch schon gerieben und schlau ! Einer " höheren Tochter " kommt darin nichts gleich . Was für ein Larvchen hat das Ding und dahinter schon die volle Gier nach anständiger Versorgung . Was ist gegen so ein Hühnchen der schlaueste Börsianer ! . . . Ja wohl , mein Fräulein , sie kommen ganz an den Rechten . « Er lächelte . " Also eine Kunstenthusiastin ; sehen Sie Mal an ! Malen wohl selbst , Porzellan - » Schmücke dein Heim ! « Natürlich ! " " Nein , ich kann gar nichts , " sagte Isolde . " Aber man hat Ihnen gesagt , daß es sich nett macht , wenn eine gebildete junge Dame über Kunst spricht , nicht wahr ? " " Man hat mir gar nichts gesagt . " " Nun , die Tochter eines berühmten Schriftstellers aus einem schöngeistigen Haus ist doch in dieser Beziehung mit allen Hunden gehetzt . " " Wie denn ? " fragte Isolde . " Der Herr Papa wird Sie doch in so manches eingeführt haben ? " " Papa ? " wiederholte Isolde erstaunt . " Na , oder Mama denn . " " Mama ! " sie lachte etwas . " Ach Mama " - ein Seufzer . Allerlei Bilder gingen ihr durch den Kopf . Henry Mengersen war ein wenig aus dem Konzept gebracht . " Meine Sachen gefallen Ihnen also ? " " Unaussprechlich " , sagte das Kind Isolde mit einer Inbrunst und Wärme , als antwortete sie ihrem Richter auf eine Frage um Leben und Tod . * Zwei Tage später . Der Vater hatte Marie nach Hause gebracht , kam aber selbst jeden Tag nach Starnberg hinausgefahren . Der Familie Frey stand ein Todesfall bevor . Die Mutter war zu einem schwer erkrankten Bruder nach Berlin gerufen worden , der mit der Familie seiner Schwester sein Lebtag kaum in Beziehung gestanden hatte . Vor Jahresfrist ungefähr hatte Mama ihm eine Photographie ihrer beiden Mädels geschickt und darauf einen warmen verwandtschaftlichen Brief erhalten . Der Onkel schrieb , daß er sich die beiden schönen Nichten nächstens einmal einladen würde . Diese Einladung war nicht erfolgt . Und die nächste Nachricht war eine Depesche , die Mama schleunigst an das Sterbebett ihres seit Jahren ihr fremd gewordenen Bruders rief . Doktor Frey war gehobener Stimmung . Er wußte zwar von seinem Schwager Apotheker nicht viel mehr , als daß dieser wie ein altbürgerlicher Junggeselle gelebt hatte , bescheiden , aber solid . Angenehm war es auf jeden Fall , daß er seine Schwester bedenken würde . Darauf war eigentlich mit Sicherheit zu schließen . Doktor Frey hoffte , daß es etwas ausgeben würde . * Henry Mengersen wandelte auf der Terrasse vor Mrs. Wendlands Speisezimmer , schaute den blauen Wölkchen seiner Zigarette nach und ließ die Blicke über den See hinschweifen , der bleich wie eine metallene Scheibe ausgebreitet lag und den weißgrauen Himmel wiederspiegelte . Nahe dem Hause ging Isolde . Sie hatte die Arme auf den Rücken zusammengelegt , stieß mit dem Fuß nach kleinen Steinen und glaubte sich unbeobachtet . Henry Mengersen blieb jetzt stehen und sah auf das Mädchen . Es freute ihn , zu sehen , wie harmlos das Ding sich bewegte . Ihre junge Schönheit beschäftigte seine Sinne angenehm . Welch verhaltene frische Kraft lag in den Gliedern . - Und welche Vornehmheit in der ganzen kleinen Bestie ! - In ihr war das Stilvolle ; das würde sich später erst recht entwickeln . Wie selten traf man doch solch ein Weib ! Mrs. Wendland mußte in ihrer ersten Jugend ähnlich gewesen sein . Mrs. Wendlands Sohn war gestern spät abends angekommen , ein achtzehnjähriges Bürschchen , junger Kosmopolit . Sie hatte ihn aus irgend einem Grunde nach Wien gesteckt und er war eben auf dem Weg , in Paris seine Studien fortzusetzen . " Köstlich , den über Weiber reden zu hören , diesen Fratz ! " Henry Mengersen lächelte in der Erinnerung daran . » Aber ich bitte Sie , Henry , man kommt doch nie über diesen lendemain hinaus , « hatte er zu ihm gesagt . » Immer dieselbe Situation . Ihren Kopf an meinem Busen und ich grinse über sie hinweg . Die Psyche des Weibes gibt mir nichts Neues mehr , Henry , es hat mir noch keine " nein " gesagt . Eine einzige - und ich wäre dieser Frau dankbar . « - Teure Mistreß , da hast du dir ja etwas Famoses " ausgebrütet " . Henry Mengersen amüsierte sich , seine Gedanken spazieren zu lassen . Er entsann sich eines Ausspruchs Mrs. Wendlands : " Mir geht es so wohl , Henry ; wenn ich wieder zur Erde komme , werde ich wieder als unabhänglige Witwe geboren . Ich bin ein freier Mensch . Leider mein einzigen Tyrannen habe ich mir selbst ausgebrütet . " Damit meinte sie also dieses Söhnchen . - Alle Achtung ! Und sie glaubt sich von diesem Söhnchen angebetet . » Menschen untereinander ! « - dachte Henry Mengersen . » Jetzt sitzt er bei seiner Mama . Was sie wohl miteinander reden ? Natürlich durchschaut er sie . Sie ihn ? - No ! Mütter sehen nun einmal ihre Söhne immer wie in der zweiten Stunde nach der Geburt . « Henry Mengersen warf seine Zigarette fort und drehte sich eine neue . Es lag eine so köstliche Stimmung in der Luft . Ein feuchtwarmer Wind wehte vom See . Man war wie eingehüllt in solche Luft . Es dachte sich so leicht und angenehm in dieser Atmosphäre , so kühl objektiv . Isolde war inzwischen langsam dem Walde zugegangen . " Weißt du , mein Schatz , weshalb nicht ? Wenn ich ein weniger vorsichtiger Mann wäre - aber deine Basen , Väter , Onkels und Mütter - nee - weißt du ! " und Arthur Wendland trat auf die Terrasse . Ein fabelhaftes Männchen . Gegen ihn schien Mengersen fast philiströs in seiner ganzen Erscheinung . Da war Rasse bis in das Taschentuch , übertriebene Rasse . » Mein Mann und ich waren eine gute Mischung , « hatte Mistreß Wendland gesagt . " Was Mama für eine sonderbare Frau ist ! " Arthur warf sich in einen der indischen Lehnsessel . " Ich soll offen zu ihr sein , sie will ein wenig » Mama « spielen . Wozu man nicht alles herhalten muß ! Ich bin Mama übrigens dankbar ; in allem , was sie tut , ist sie check . Ich hatte mir das früher als höchst ennuyant vorgestellt , Mamas Eingriffe in das Leben eines jungen Mannes . Mama ist Gottlob aber eine Dame von Welt , man kann mit ihr reden ! " " Ja , Sie werden von Ihrer Mutter nicht geniert , junger Mann , " sagte Mengersen . " Wir sahen die kleine Person , die Isolde da unten gehen , Mama und ich . Mama sagt : Sie ist First class . Ich sagte : für ein » Nein « ruiniert man sich mit hundert » Ja « . " Nach diesem Ausspruch dehnte sich der kleine Arthur Wendland in seinem Stuhl . " Man sollte etwas Boot fahren , " sagte er , erhob sich und schickte sich an zu gehen . " Würden Sie geneigt dazu sein , Henry ? " " Augenblicklich nicht , ich fühle mich hier sehr angenehm . " * Etwas später hatte Henry Mengersen ein Gespräch mit Mrs. Wendland . " Nun , Henry , wie gefällt Ihnen mein einziger Sohn ? - eine nette Karikatur ? Vor der Hand Snob . Aber er wird mir einmal danken , daß ich ihn habe par force über die schlimmsten Jahre gebracht . Sie sind ein sehr kluger Mann , aber die Klugheit von einer Frau , wissen Sie , das ist etwas ganz anderes . Ich habe ihn jetzt hier , weil er sich soll in Isold verlieben . Sie ist ein sehr herbes Mädchen und es ist jetzt Zeit , daß er eine unglückliche Liebe bekommt . Heiraten , mon Dieu , so einen Unsinn wird er in Ewigkeit nicht denken - und Isold wird ebenso wenig einen anderen Unsinn denken . Sie verstehen ? " " A la bonheur " sagte Henry Mengersen . " O , liebe Mistreß Wendland . " » Sonderbar , Frauen kennen einander nie « , denkt er , » haben nicht das geringste Urteil , wenn es sich um eine ihres Geschlechts handelt « . " Also Fräulein Isolde ist so außerordentlich herb ? " fragt er belustigt . " Und rein , wie eine junge Quelle , " sagt Mrs. Wendland . " Wir können über das alles reden ; Sie werden sich in Isolde nicht verlieben . Sie ist arm , Sie wissen und aus einem anständigen Haus . Sie werden Sie so wenig heiraten , wie ich den Baron . Was soll ich mit dem fremden Mann in mein Haus ? Und so ist mit Isolde , was sollen Sie mit das kleine Mädchen ? Sie wäre auf alle Fälle schade vor Sie . Was werden Sie einmal Ihrer Frau geben ? Vom ganzen Souper haben Sie nur noch den Dessert . Bei Ihnen möchte ich nicht oft soupieren , Henry . Und ob der Dessert gut geraten ist ? Doch bei einem Halb-Deutschen - sehr fraglich . Ich habe etwas von Ihr Dessert gekostet - damals war es ganz gut - aber kein Meisterwerk ; aber auch von Ihr Dessert haben seitdem viele gegessen . " So sprach Mrs. Wendland zu Henry Mengersen , der einmal wie berauscht von ihr gewesen war , in einer Zeit , in der sie sich beide geliebt hatten . Ja , sie war souverän . Und das mochte es sein , was ihn noch immer an sie kettete ? Sie war so überraschend . Ein für ihn bequemerer Übergang von Liebe zu Freundschaft ließ sich nicht denken . Sie hatte ihn geleitet , wie mit Feenhänden . Ja , er mußte es sich selbst sagen : dieser Übergang gehörte zu seinen angenehmsten Erfahrungen . Er wünschte allen Frauen , daß sie dies so vorzüglich verstehen möchten . Und heute sagte er irgend etwas Derartiges zu Mrs. Wendland und führte ihre gepflegte zarte Hand an seine Lippen . Sie lächelte gedankenvoll . " Ja , es war Ihnen sehr bequem , Henry , und deshalb lassen Sie es gelten . Aber daß ich eine große Künstlerin bin , verstehen Sie nicht . Dazu sind Sie zu philiströs . An eurer Kunst hängt ein großes Stück Philistertum . Es muß alles gezahlt werden mit Gold und Diplomen und so weiter . - - Doch , lassen wir das ! " " Ewig schade , daß Sie ein Weib geworden sind , Mary ! " Henry Mengersen schnippte die Asche von seiner Zigarette mit dem kleinen Finger über die Balustrade . " Du weißt wohl nicht , mein Freund , wie grob du bist ? " entgegnete sie liebenswürdig . " Jeder Geist an einem Weib ist Verschwendung ! Es ist was ich sage : Ihr habt die deutschen Frauen zu Kühen gemacht . Eine Kuh bekommt ihr Junges ohne Geist und ist dazu ein sehr nützliches Tier . Weshalb soll eine Frau dazu Geist haben , was ohne Geist zu tun ist ! " " Ach ! Ach ! Ach ! Ach ! " rief Henry Mengersen und hielt scherzhaft beide Hände auf die Ohren , die eine nur andeutungsweise , denn seine Zigarette brannte noch . " Verehrteste , teuerste , liebste Mary , verschonen Sie einen Armen , der das Unglück hat , »Mann « zu sein und etwas zu leisten ! " " Lassen Sie Ihre Ironie , Henry , - gehen Sie ein wenig spazieren . Zu Abend speisen wir auf der Veranda unten . Sie kommen doch ? " Henry Mengersen küßte ihr die Hand . * » Ennuyant « , dachte er . » Wenn sie das doch lassen wollte ! « Dann schlenderte er dem Walde zu , denselben Weg , den Isolde gegangen war . Über ihm rauschten die Buchenkronen im ersten Abendlüftchen . Was war das ? Er blieb stehen . Eine junge Stimme schmetterte ungeschult und laut aus dem Walde heraus - so frisch - so falsch die Töne , so aus der ersten Jugendkraft heraus . Henry Mengersen lächelte . " Das junge Tier , das durch den Wald läuft in Liebessehnsucht . O , gute Mistreß , hören Sie nur diese Stimme , meine sinnlich übersinnliche Mistreß ! Lehren Sie mich doch diese Stimme verstehen . " Henry Mengersen stand noch immer und horchte . Es war , als hielten die ungezügelten Laute ihn im Bann . Isoldes Gestalt stand ihm vor Augen . » So etwas will eben leben « , dachte er , » keine Ahnung von Wohllaut ! Daß ein Weib je solch lebendige Frische in sich haben kann ! Wie ein Bergstrom lärmt sie ! « Er horchte - horchte . - " Nein unerhört ! Eine nackte Stimme ! " Es war ihm , als sähe er auch das Mädchen wie eine griechische Nixe nackt im Walde laufen und schreiend singen , Liebesklage und Wonne , ein wildes , ursprüngliches Durcheinander . Da hatte er die geheimste Weiboffenbarung ! In seinen kühlen , beobachtenden Augen glimmte es . Er war unbedingt erregt ; als Mann und als Künstler erregt . Er empfand das wilde , verlangende Geschöpf so deutlich , diese jauchzende Naturkraft . In ihm war ein neues Werk entstanden . Nach einer matten , schaffensunlustigen Zeit , die erste lebendige Stunde . Vorsichtig wie ein Jäger , schlich er näher . Er wollte , mußte sie sehen , wie sie saß , stand oder was sie tat während dieses tollen , lärmenden Gesanges . - Und da sah er sie vor sich in ihrem grauen Lodenkleid ; die Arme über dem Kopf gefaltet , stand sie an einen Buchenstamm gelehnt und wie hypnotisiert von ihren eigenen Tönen . In nächster Nähe gellten sie ihm schrill in die Ohren . Ja , das war etwas Urweltliches ; und so etwas lief in modernen Kleidern umher , ließ sich höhere Tochter nennen , benahm sich ganz ehrbar , wie andere auch . - Wie sie dastand ! - Die verkörperte Liebes- und Lebenssehnsucht . So , in dieser Gefühlssituation hatte er das Weib noch nie gesehen . Das war ihm neu . * Er war selbst überrascht , als er ihren Namen rief , wie ihm der Name " Isolde " laut über die Lippen kam . Da zerriß der Gesang wie mit einem Sprung . Als hätte eine Kugel sie getroffen , zuckte sie zusammen . Er sah in ein ganz erbleichtes , starres Angesicht . Kein Wort kam von ihren Lippen , kein Lächeln . - Sie schaute fassungslos . Und er ? Als wäre er mit einem leichtsinnigen Sprung mitten in einen Wasserstrudel hineingesprungen . " Isolde ! " Was war ihm eingefallen ! Dieser verhexte Name ! Einen anderen hätte er nie gerufen . Aber : " Isolde ! - Isolde ! " Wie einen Liebeswonneschrei , solch einen Namen zu tragen ! " Isolde ! " sagte er noch einmal ; aber tonlos . Da kam Bewegung in sie . Aus ihren Augen leuchtete ein ganz seliger Glanz - etwas so traumhaft Seliges . Wie von etwas ganz Unfaßbarem aus dem Schlaf geweckt , stand sie vor ihm ; hilflos , rührend , wie vernichtet - und wieder wie eben erst zum Leben erwacht . Nie hatte er solch eine träumerische Verwirrung auf einem Gesicht gesehen . Ja , und er , der so vielfach Gelangweilte , Abgekühlte war selbst erregt und verwirrt . Was hatte er da angerichtet ! Da stand sie und bot ihm ihre Liebe auf eine so süße , kinderhafte Art , so unverhüllt , so durchsichtig , so widerstandslos . . . . Ja , da war etwas was ihn ergriff . Er mußte den Arm um ihre Schulter legen , mußte sie an sich ziehen . " Das ist doch nicht möglich ? " sagte sie bebend . Und ein Tränenstrom brach aus ihren Augen , so heftig , - so glückselig wild . Im Nun war der Regenschauer über ihr Gesicht hingegangen und sie sah ihn mit leuchtenden Augen fragend an . Der große , forschende Blick irritierte ihn wie ein Sonnenstrahl . Ihr Kopf ruhte jetzt an seiner Brust . Da mußte er an Arthur Wendland denken : » Ihren Kopf an meiner Brust und ich grinse über sie hinweg . « Ihm war zu Mute wie einem reichen , satten Menschen , dem ein anderer mit fanatischer Wonne sein einziges Besitztum , nach dem er gar kein besonderes Verlangen trägt , zu Füßen legt . Er fühlte sich unendlich belastet . Dieses zitternde vor Seligkeit hinsterbende Geschöpf im Arme , das von ihm alles forderte , das ihm unbewußt alles bot , bedrängte ihn . Was sollte er tun ? Sie war sein , das fühlte er . Sie hatte sich ihm auf Gnade und Ungnade ergeben . Sie glaubte an ihn . Jetzt sah sie zu ihm auf . Diese Augen - diese fordernden , glaubenden Augen ! " Daß du mich liebst ! " sagte sie tief träumend wie von Glück übergossen . Er drückte sie fester , inniger an sich . » Armes Ding « , dachte er , » müßte ich jetzt nicht der Vorsichtige , Bedenkliche sein , wärst du - - was du bist - einfach ein verliebtes Mädel . . . « Er schloß sie fest , fest an sich . Sie erschauerte tief . Er empfand es . Er drückte einen Kuß auf ihre halb geöffneten Lippen . Sie schloß die Augen . " Du , Mensch aller Menschen ! " flüsterte sie wie damals als sie vor dem Schädel lag . " Wie , mein Herz ? " Sie antwortete nicht . Sie war wie erstarrt . Mit einem Mal kam Leben in sie . Sie hob den Kopf , machte sich zaghaft und rührend sanft aus seinen Armen los und erzählte ihm von ihm selbst - von jenem Tag als sie zuerst seine Kunst verstanden hatte . " Ja , " sagte sie , " es war als wäre das alles mein eigen , von mir selbst geschaffen , was du schaffst - mehr könnte ich es nicht lieben , mehr könnte es mir auch nicht sein : So wie ich dich , versteht dich kein Mensch . Weißt du , ich bin gar nichts . Ich kann nichts , - ich weiß nichts - man hat mich nichts gelehrt . Aber deine Kunst wohnt seit jenem Tag in mir . Sie ist mein Bestes , mein Einziges , das Gute in mir . Weißt du , ich sehe die Welt , wie du sie siehst . Ich tue alles mit dir . Und deshalb liebe ich dich auch so sehr , " sagte sie einfach . Er hatte da ein wunderbares Abenteuer . Wie sie sich selbst betrog ! Liebte seine Kunst ! Er lächelte , nahm ihr Köpfchen und strich mit der Hand über das lockige Haar . " So ein krauses Köpfchen . " Sie sah ihn ernst an . " Was ich dir sage , ist was ich weiß . " Ihre Augen hatten etwas unergründlich , leidenschaftlich Ernstes . Da kam ihm ein Gedanke . " Isolde , " - sagte er und wieder goß dieser Name seinen Zauber über ihn . " Sage mir , willst du mir etwas zu Liebe tun ? " " Ja , " sagte sie . Er blickte sie forschend an . " Du standest vorhin so an dem Baum , die Hände über dem Kopf und sangst . Willst du mir so ein einziges Mal stehen , daß ich dich zeichnen kann ? " " Ja , " sagte sie . " Sogleich wenn du willst . " Sie war ganz bereit . Da schloß er sie wieder in die Arme , fest , innig , ganz gerührt . - Und er flüsterte ihr ein paar Worte ins Ohr . Sie lag einen Augenblick darauf matt , wie verwundet , schwer in seinem Arm . Es war ihm , als sei sie nicht bei Bewußtsein . " Isolde , " flüsterte er . Sie hob sich , sah ihn ruhig ernst an und sagte : " Ja wenn ich dir wahrhaftig damit helfen kann . " Jetzt reichte sie ihm die Hand . Sie sagte nichts ; aber er fühlte , er sollte jetzt gehen . Es war etwas Ermattetes in ihr . Er war besorgt , sie könnte sich nicht auf den Füßen halten , aber sie stand ruhig und bleich und sah ihn an . " Du kommst also zu mir , Isolde , in der ersten Stunde , in der es uns möglich ist . " Ihre Augen sagten es ihm zu . Sonst war sie ganz unbeweglich . Er ging , und zwar in wunderlicher Erregung ; machte einen weiten Gang um ruhig zu werden . Hier hieß es , Vernunft beieinander halten . Das war ja eine ganz gefährliche Geschichte , die in den Rahmen seiner gewohnten Liebesabenteuer nicht passen wollte . » Sie wird doch nicht ! « dachte er erschreckt , als er sich das erste Wiederbegegnen mit Isolde in der Gesellschaft ausmalte . » Sie wird in ihrer Naivität sich doch nicht als Braut betrachten ! So eine höhere Tochter in ihrer Weltfremdheit weiß nichts als Verlobung und Heirat und Heirat und Verlobung . Wie ihr das beibringen ? « Zuerst meinte er , er wollte sich an diesem Abend zurückziehen , um sie nicht in Versuchung zu führen , ihn und sich zu kompromittieren . Dann verwarf er diesen Plan . Es war besser sie im Auge zu behalten . Und so geschah es . Er behielt sie im Auge und sah an diesem Abend ein stilles , rührend schönes Kind , das in seinem duftigen Kleid einer großen , weißen , träumerischen Blume glich . Er sah , wie sich Arthur Wendland um sie bemühte - und wie sie nichts bemerkte , nichts sah und verstand , was um sie hervorging . Schon bei seinem : " Guten Abend , Fräulein Isolde , " war er fürs erste wenigstens über ihr Betragen beruhigt . An diesem Abend wurde verabredet , daß alle miteinander Frau Lu am nächsten Morgen nach Hause begleiten und erst am Abend zurückkehren sollten . Als Henry Mengersen zu später Stunde seine ausführliche und sorgsame Nachttoilette machte , mochte seine Phantasie genug Beschäftigung haben . Ob er wohl eine Ahnung davon hatte , welch süßes , reines , ganz entflammtes Herz heute an seiner Brust geschlagen ? 5. Der Morgen , an dem Frau Lu nach Hause begleitet werden sollte , war unsäglich taufrisch und wollte ein Sommertag von Gottes Gnade werden . Blaue , weite Schatten , breite Lichtflächen , kühle Nebel , über dem Wasser schimmerndes Aufleuchten . Die stille Frau Lu mit dem ernsten Kindergesicht , den schönen Augen , dem kleinen Kopf und der vollen , schlanken Gestalt , schien allen in diesen Tagen nicht viel näher getreten zu sein . Und doch empfanden sie die Anwesenheit dieser Frau , wie man etwa eine blühende Reseda im Zimmer empfindet . Bei einer Gelegenheit sagte Mrs. Wendland zu ihr : " Eine berühmte Frau und ist wie nicht da . Wenn du dich nicht selbst in Szene setzt , - Lu , wer wird dich in Szene setzen ? " Mrs . Wendland wurde oft ungeduldig über sie . " Man darf sie nicht aus ihrem Haus nehmen , sie ist wie ein Fisch . Sie schwimmt nur in der Liebe von ihre Leute . " Doktor Frey dagegen hob gerade das zurückhaltende , sich selbst verschweigende Wesen seiner Kollegin lobend hervor . " Sie ist wenigstens nicht aufdringlich , " sagte er . " Mir sind schriftstellernde Frauen wie jedem zuwider ; aber sie behelligt einen Gottlob nicht , und ihre Leistungen - ausnahmsweise alle Achtung ! " Mrs . Wendland äußerte sich ein anderes Mal wieder über ihre Freundin : " Sie ist eine Nachtigall . Im Dunklen schlägt eine wehe selige Stimme , so wie das Herz der Nacht . Und man lauscht , und wer versteht , legt die Hände auf seine Brust und sagt . O du großes Leid . Alle tragen dich und wissen nicht - leiden und verstehen nicht , wie sehr sie leiden - und dieser unscheinbare Vogel weiß . Zwischen einem Mann und seinem Leid steht seine nützliche Kraft ; die läßt es nicht so nah zu ihm . Zwischen einer Frau und dem Leid steht nichts . Eine arme nackte Frauenseele wird nie so erstaunt fragen wie ein Mann : Wie ist das Böse in die Welt gekommen ? Sie sieht und fühlt die Welt ganz anders . " Mrs . Wendland hatte Lu Geber vor einem Jahre aufgesucht , nachdem sie ihr mit ein paar liebenswürdigen Zeilen gesagt hatte , wie sehr sie von ihr verstanden würde . Und Mrs. Wendland hatte es nicht bereut , ihrem Impuls nachgegeben zu haben . Sie hatte in Lu und deren Mann Freunde gewonnen und zwar so eigenartige Freunde , wie es ihr Trieb nach Eigenartigem nur wünschen konnte . Beide waren Menschen , über die man sehr viel redete und die viel mißverstanden wurden . Nachdem mit großen Schwierigkeiten Helwig Gebers erste Ehe getrennt worden war , hatte er die junge Schriftstellerin geheiratet , die er schon kannte , als sie fast noch Kind war . In seinem Hause war sie jahrelang ein- und ausgegangen . Er hatte das begabte , junge , wildaufgewachsene Ding arbeiten und denken , ungenutzte Kräfte brauchen gelehrt und hatte Verehrung und Unterwürfigkeit von dem ungezügelten Charakter des Mädchens dafür eingetauscht , hatte einen Kameraden in ihr gefunden , der wie ein treuer Hund zu ihm stand , immer bereit , ihn zu verteidigen , das Leben für ihn zu lassen . Sie hatte einen Gott in ihm gefunden , von dem sie alles hoffte , an den sie glaubte , zu dem sie heranwuchs . Sie wollte ihm ebenbürtig werden . Ihre ganze Jugend war eine große Herzenserregung gewesen . Jahrelang hatte es gewährt , bis sie wußte , daß sie ihn liebte . Und wie ein Todesurteil war dies Bewußtsein über sie gekommen . Sie waren einander unentbehrlich geworden - und mußten sich trennen - und wollten sich trennen . Da , - wie ein Wunder trat ein fremder Wille dazwischen . Sie war es , die eigene Frau , die in Trennung und Auflösung hinein das Wort vom Einanderangehören sprach . Sie hatte dem Manne schon in den ersten Jahren ihrer Ehe Scheidung angetragen und jetzt bot sie ihm wieder ruhig Scheidung an - und Verbindung mit der , die er liebte . Eine Wundermär in all die Todestraurigkeit hinein . Zwei , die sich aufgaben , stehen schon bereit , den Tod im Herzen - und eine Stimme kommt und spricht . " Bleibt beieinander . - Ihr - ihr dürft es und ihr könnt es . Ich wirke das Wunder . " Sie glaubten nicht , konnten nicht glauben . Wozu die Qual des Aufschubs ? Und die Stimme kam wieder , ruhig , eindringlich , überzeugend , bis sie glaubten - und mit einer großen Lebenswonne glaubten . - Alles , was niedergehalten war , erwachte - alle Sinne taten die Augen auf . Die Liebe , die wie ein unaussprechliches Geheimnis geschwiegen hatte , jauchzte in beider Herzen - und die Dankbarkeit der Freigelassenen , der Sklaven die Herren wurden . Und die Stimme kam wieder und wieder , festigte den Glauben , die Liebe und die Hoffnung . Und es verging eine gute Zeit . Die Stimme versprach und hielt die Hoffnung am Leben . Aber die gottgesandte Stimme hatte etwas so Spielerisches , Gedankenloses bekommen . Ja - ja - und _ Ja - ja - ja - und dabei blieb es . Es geschah nichts . Dann kam eine Zeit , da wurde die Stimme spöttisch , so von oben herab , spielte wie ein Raubtier mit seinem Opfer - und gellte von hartem Spott . Ein Lachen kam in die Stimme , in der Machtbewußtsein und böses Gewissen wie mit scharfen , mißgestimmten , schrillen Glöckchen klangen - eine Stimme , die aus einem heiligen Gelübde einen tollen Scherz machen wollte . Und so riß sie Jahr und Jahre zwei unglückliche Menschen an tausend gemarterten Nerven , tanzte wie mit scharfen Füßen über mattes , müdgearbeitetes Hirn . Dann kam eine Zeit , in der die Stimme tödlich wurde , wie eine Peitsche sausend und zischend , auf das Höchste peinigend . Da fand sich ein Ausweg . - Unter anderen Gesetzen Scheidung und Ehe . Rettung ! Rettung für alle , auch für die arme , peinigende , selbstgepeinigte Stimme . Über die aber , die sich mit letzter Kraft gerettet hatten , fielen die Menschen her . Der Lauf der Welt ist so . Die Massen wollen nicht Zuschauer einer Rettung sein . Sie wollen Untergang . Rettung befriedigt sie nicht ; langweilt , enttäuscht und empört . Und die Zuschauer rächen sich , fallen selbst über die Geretteten her , um , was noch am Leben blieb , ihrerseits zu zerreißen . Eine Sturmflut böser Nachrede , Verleumdung , Haß , Vernichtung ging über die Geretteten hin und warf sie krank und matt gehetzt ans Ufer . Sie waren auch jetzt nicht untergegangen . Sie lebten . Ihre Liebe lebte . Mächtiger als alles waren sie gewesen . Gebrochen an Leib und Seele - - aber ohne Reue ! Im tiefsten Herzen unsagbar glücklich ! Jubelnd vor Wonne , daß sie beieinander geblieben waren . Lachen konnten sie über das was die Welt " Liebe " nennt , diese kleine zivilisierte Liebe ! Dies Hündchen mit der Steuermarke um den Hals . Sie hatten die löwenstarke Liebe kennen gelernt , die königliche , über die nichts auf Erden Macht hat . Die noch nie eine Kette litt ! Die noch immer entkam . - Krank , sterbenskrank lagen sie einsam , arm im Krankenhaus einer großen Stadt , dem Tode nahe . Kein Mensch kannte sie . Niemand fragte nach ihnen . Niemand half ihnen . Und wer etwa von ihnen wußte , verachtete sie . Sie hatte sich an sein Bett tragen lassen und er hielt ihre Hand in der seinen . - Beide totkrank . " Was sind wir doch für glückliche Menschen ! " sagte er . Das war die feierliche Stunde der Erlösung , die Stunde des Triumphes . Von da an gesundeten sie . Aber ihr Leben bisher war wie ein Leben auf der Folter gewesen . Die zertretenen Herzen mußten erst wieder heilen und heilten langsam . Oft schien es , daß es nicht zur Heilung käme - aber sie heilten . Und nun waren sie wie Menschen , die , schon einmal gestorben , wiedergekehrt sind . Sie hatten sich immer an den Händen gehalten , und das hatte sie gerettet . Jetzt gingen sie wieder unter den anderen und es war , als ahnten diese , das etwas Königliches in beiden lebte . Sie fanden Freunde und man kam ihnen entgegen . Und nun endlich , nach Jahren , lebten sie in einem kleinen Haus für sich , das in einem wunderschönen Garten stand . Viele lebten auch wie sie und schöner und reicher . Aber die beiden kamen doch aus einer anderen Welt , ihre Liebe war eine andere Liebe , ihr Verstehen ein anderes Verstehen . Sie waren die Wiedergekehrten und sie hatten aus dem Jenseits etwas mit herübergebracht . Sie waren die schon einmal Gestorbenen . Und zu diesem ganz in Laub vergrabenen Heim begleitete Mrs. Wendland mit ihren Gästen , Frau Lu . Eine köstliche Fahrt über den See . Dann eine Wanderung , ein wundervoll sommerlicher Gang durch stille Buchenwälder . In einem kleinen Nest wurde von Mrs. Wendlands Diener serviert , genau so erhaben und feierlich in dem Bauernwirtsgarten wie daheim . Es machte den Eindruck als ignorierte der ausgezeichnete Mann einfach den Wechsel der Umgebung . Unnahbar für alles , nur für die Würde des Hauses nicht , manövrierte er mit der ländlichen Suppenschüssel auf eine großartige Weise . Von da fuhren sie am Nachmittag mit der Bahn bis zu einem Vorort Münchens , mitten im Wald gelegen , am steilen Ufer der Isar . Das ferne München lag in einer leuchtenden Dunstwolke . Und dieser Dunstwolke zu rauscht die Isar , einen lebendigen , starken Gebirgshauch mit sich führend . So nah einer Großstadt war kein frischeres , ursprünglicheres Fleckchen Land zu finden , um ein stilles , in die Natur eingewachsenes Heim zu gründen . Nur wenige , durch bequeme Wege abgeteilte Waldparzellen , hatten ihre Eigentümer schon gefunden . Hier und da lugte aus dichtem Buchengrün ein rotes Dach . Henry Mengersen kannte die Gegend noch nicht und war von der Eigenartigkeit der Landschaft ganz überrascht . " Jetzt werden wir dem guten Philosophen über den Hals kommen , " sagte Mrs. Wendland . " Ist ihm sehr recht , er lebt zu bequem . " " Nein - nein , er weiß schon , " sagte Frau Lu . " Natürlich diese beide sind immer unter einander einverstanden . Wir wollten ihn doch überraschen . " Mitten auf dem breiten Waldweg kam ein winziges , drei Spann hohes Bürschchen in einem roten , faltigen Kittel gewackelt . " Brüderchen ! " rief Frau Lu . Da waren sie beieinander . In Frau Lus Kleid wühlte sich der runde , blonde Kopf des festen Bürschchens ein . Hinter ihm drein kam ein nettes , freundliches Dienstmädchen gelaufen . Das Bürschchen war ihr offenbar entwischt . Es zappelte und wühlte mit dem Köpfchen und hing an seiner glücklichen Mutter . " Brüderchen ! " in ihrer Stimme klang eine so unmittelbare Seligkeit , so etwas urkräftig Warmes , - Frohes . " Wie geht_es dem Herrn ? " fragte sie das Mädchen . " Ganz wohl , gnädige Frau haben schon Besuch bekommen . Es sind mehrere Herrschaften da . " " Natürlich , " sagte Mrs. Wendland , " man kann nie zu euch kommen , ohne so und so viele Zeugen . Da wird wohl die Oriflamme sein mit ihrer Governeß ? Ist die Komtesse gekommen ? " " Ja , und das andere Fräulein ist auch dabei . " " Dann ist der biologische Mensch auch nicht weit . " Mrs . Wendland war ärgerlich . " Ist Herr Meyer auch gekommen ? " fragte Frau Lu lachend . " Ja , auch , " das Mädchen lächelte bescheiden , wie es sich ein besserer Dienstbote erlauben darf . " Dann , " sagte Mrs. Wendland , " sind auch die Adepten da ! " Ja , die Adepten waren auch da : ein Professor mit Frau und Kindern , eben die Adepten . " Lu , " sagte Mrs. Wendland , " ihr solltet nicht mit allen diesen Leuten verkehren ! Ich habe immer gesagt , ihr solltet nicht . " Mrs . Wendland ging mit Isolde und Frau Lu , die ihr Bübchen trug , voraus . " Das sind Leute , die es nicht zu euch wohl meinen können . Dein guter Mann sagt ihnen alles Beste und Höchste , was er weiß . Sie verstehen nicht - und dann kommen die Geschichten . " " Die Adepten sind ganz harmlose Leute , " meinte Frau Lu . " Ja , aber was tut das , ich weiß , es ist nicht gut . " " Ich sage dir , die Oriflamme wird so lang mit deinem guten Mann kokettieren , bis sie finden wird , daß sie sich kompromittiert hat , dann werden die beiden Vestalinnen , die Flamme und die Governeß , Lärm schlagen . Du und dein Mann seid viel zu harmlos für solche Menschen . So eine Jungfrau ist jeden Augenblick bei ihr » j'y pense « . Spricht er von ein Stuhlbein - - sie versteht von ihr Bein und ist empört - O , diese älteren Jungfrauen mit ihr » ji pense « ! " Jetzt traten sie durch eine grüne Gartentür mit grünüberwachsenem Bogen . Frau Lu begrüßte hier als Wirtin ihre Begleiter , Doktor Frey , Henry Mengersen , auch Isolde , die während des ganzen Wegs sehr stille war und gern zurückgeblieben wäre , wenn sie es hätte möglich machen können . Sie war den ganzen Weg nicht von Mrs. Wendlands Seite gegangen . " Wie schön ! " sagte Isolde . " Wie entzückend ! " Es war das erste Mal , daß sie heute lebendig wurde . Frau Lus Garten war wohl eigenartig genug . Ein Stück Wald , kräftige kleine Tannen und hin und wieder ein schöner hoher Baum . Der Waldboden : Heide , die sich schon zum Blühen anschickte . Und mitten in diesem Heideboden Rosenstöcke , Levkojen , Feuerlilien . Neben einer kleinen dichten runden Tanne ein blühender Mohnbusch , von dem großblumigen , mächtigen . Um die hohen Tannenstämme schlangen sich Clematis mit tausend kleinen und großen violetten Blüten , Kresse , Reseda , Verbenen - es war ein entzückendes Durcheinander und wahre , wirkliche Waldluft , harzig und würzig . Aus der Tür des dunklen , norwegischen Blockhauses tritt ein schlanker Mann im blauen Anzug . Etwas Ruhig-Gutes liegt in seiner Haltung und seinem Blick . Frau Lu eilt auf ihn zu . Sie hält noch immer das Bübchen im Arm . Er gibt ihr die Hand und sieht sie an und klopft dem Bübchen auf die Wange . Sie haben kein Wort miteinander geredet - aber sie haben sich wieder . Sie sind beruhigt . - Es ist nun gut . - Sie ist wieder da . Das liegt in seinen Augen , noch als er die Fremden begrüßt . Und sie , sie ist eine ganz andere Person geworden . Die Augen strahlen . Es ist etwas Leichtes , Heimisches in ihre Bewegungen gekommen . Sie sieht viel jünger aus . Es ist als wenn sie einen tiefen Atemzug getan hätte . Da ist sie wieder in der Atmosphäre , in der es sich so tief , so rein atmen läßt . " . . . Ich habe alles zum Tee mitgebracht , du brauchst dich gar nicht zu bemühen , Lu , " sagt Mrs. Wendland und gibt dem Diener einen Wink ; der schließt sich dem Mädchen an . " Ja , " sagt Frau Lu , " wie lieb von dir . " * Unter einer großen Buche im Garten wurde der Tee serviert . Der Dichter , Reichstagsabgeordnete und Prophet Frey und Henry Mengersen kommen hier mit einer Reihe Leuten zusammen , die ihnen in ihrem Wesen und ihren Zielen vollkommen fremd waren . Mit Helwig Geber war für sie ein Verständnis möglich , trotzdem er im Gespräch weder auf Kunst noch Politik besonders einging . Er lebte in einer Welt , die andere kaum streiften . Philosoph so durch und durch , so ganz und gar , daß es ihm schwer fiel , von etwas anderem zu reden . Fand sich ein Mensch , von dem auch nur ein Funken Verständnis zu erhoffen war , so gab er sich dem offenherzig hin , war unermüdlich darin , zu überzeugen und grundehrlich wie ein Kind . " Sehen Sie , wie wunderbar das ist , " sagte er dann und wollte , der andere sollte auch empfinden , was er empfand . Er arbeitete an einem Werk , für das gewissermaßen dies kleine Haus , in dem die beiden lebten , der Tempel war . Das Werk ihres Mannes , war Frau Lus Lebenshoffnung , auch ihre Lebensfreude . wie es die seine wohl sein mochte . An Erfolg dachten sie beide nicht ; aber es sollte sich etwas gestalten , etwas Neues , Einfaches , Großes , und mochten noch Jahre hingehen , mit forschen , vergleichen , prüfen . Das Werk wuchs . Kamen wieder und immer wieder lange Krankheitszeiten , so mußten sie ertragen werden , bis er endlich wieder mit Hoffnung an die Arbeit gehen konnte . Frau Lu wäre es lieber gewesen , er hätte nie mit einem Menschen über das gesprochen , was ihn unablässig beschäftigte ; trotzdem er Anhänger gefunden hatte , prächtige Menschen , fand sich auch viel sonderbares Volk , dessen Neugierde durch die Eigenartigkeit des sich geistig hingebenden , schönen Mannes , erregt wurde , die , Verständnis heuchelnd , eine Weile sich zu ihm hielten um dann , als sie alles gründlich mißverstanden und mißdeutet hatten , abzufallen mit Geschrei und Klatsch . Das Paar hatte schon manches derartiges erlebt . Frau Lu war es müde , diese Leute bei sich zu empfangen , von denen sie nichts hoffte und hinter denen sie auch nichts suchte . Die Komtesse kam abends hin und wieder allein , ohne ihre Begleiterin , dann löste ein Zufall ihr das mächtige Haar , sie hörte kniend zu , was ihr philosophischer Freund sprach , grub seinen Namen mit einem feinen Messerchen in die Tische ein , tat unbeschreiblich hilfreich , war hingebend , fast demütig . Sie hatte etwas so vestalisch , keusch Kokettes . Eine ganz eigentümliche Mischung . Jetzt , als sie alle um den großen Teetisch unter der Buche saßen , hörte sie überhaupt schmelzend , schmachtend auf alles , was gesprochen wurde . Der Professor mit Frau und Kindern waren auch insgesamt komische Käuze . Sie sprachen mit Vorliebe über das , was man essen sollte , um seine geistigen Fähigkeiten zu entwickeln . Sie waren beide Theosophen und machten sich mit tausend Dingen das Leben sauer . Frau Professor hatte heute zum Beispiel ganz auffallend zerstochene und geschwollene Hände , weil sie die Mücken nicht hatte verscheuchen wollen in dem Gedanken , keinem lebenden Wesen zu schaden . Sie war eine liebliche , bleiche , dunkelhaarige Frau . In ihren Augen lag viel Ernst und Aufrichtigkeit . Sie hatten jetzt gerade eine Zeit , in der sie nur Früchte aßen und lobten diese Art sich zu ernähren ganz außerordentlich . Der Frau jedoch schien sie miserabel zu bekommen . Die größte Marter aber , die sie sich auferlegt hatten , das waren ihre beiden Buben , in denen sie mit klarer , sicherer Voraussicht schon jetzt künftige Adepten ahnten . Aus welchem Grund das Ehepaar annahm , daß diese zwei allerliebsten , dicken Bürschchen , die augenblicklich in einem abgelegenen Teil des Gartens , unter Aufsicht des netten Dienstmädchens dem " Brüderchen " Gesellschaft leisteten , so außerordentliche Fähigkeiten in sich verschlossen hielten , ist nie bekannt geworden . Sie hatten eben einfach innerlich geschaut , daß diese beiden Knaben wiedergeboren waren als Adepten , daß sie schon keimende Adepten seien . Auch in " Brüderchen " ahnten sie so etwas und redeten jetzt wieder Frau Lu zu : das wunderbar schauende Kind , " weihevoller " zu erziehen . Das heißt , es schon jetzt als vollgiltigen Menschen zu behandeln . Sie selbst taten das bei ihren Rangen und wären entsetzt gewesen , hätten sie gesehen , daß das nette Dienstmädchen beiden ein paar Tüchtige auswischte , als sie die Adepten dabei ertappte und wie sie darauf bestanden , dem Brüderchen Erde in sein kleines Maul zu stopfen . Die Eltern hörten aus der Entfernung das Geschrei mit Beunruhigung . Die Frau stand auf , um nachzusehen , was Atman und Mitra , so heißen beide , betroffen haben mochte . Sie kamen tief erregt wie von einer Heiligtumsschändung zurück und sprachen einige ernste Worte mit Frau Lu , die ihrerseits meinte , ein paar wohlgemeinte Klapse schadeten selbst Adepten nichts . Die Eltern von Atman und Mitra waren nicht angenehm berührt . " Na , hören Sie Mal , " sagte Doktor Frey , " Ihre Bamsen tun sich aber leicht ! " Mrs . Wendlands Diener ging ab und zu mit Tee und köstlichen englischen Kuchen . Es war , seinem Betragen nach , anzunehmen , daß er wiederum nicht wußte , wo er sich befand . Der Wechsel der Umgebung hatte für ihn nicht das geringste zu bedeuten . Er blieb überall der , der er war . Den Adepten kam jetzt in den Sinn , sich an Frau Lus schönsten Clematis zu vergreifen . Frau Lu sprang auf um zu retten was zu retten war . " Lassen Sie ! lassen Sie ! " bat die zarte Frau , die Mutter der Adepten mit dem tiefen , treuherzigen Blick , " erschrecken Sie sie nicht . " " Ja , um Himmels Willen ! " Frau Lu schaute ganz entsetzt und ratlos . " Wir sagen den Kindern alles zu einer bestimmten Stunde , meine Frau notiert sich ihre Versehen , " begann der Professor , " und dann teilen wir Atman und Mitra unser Urteil vollkommen leidenschaftslos mit , oder wir setzen uns in Rapport mit ihnen , wenn sie schlafen . " " Na , dann vergessen Sie es nur auch mit den Clematis nicht und versuchen Sie Mal jetzt , zu einer Ausnahmsstunde , es ihnen begreiflich zu machen , daß sie die Blumen in Ruhe lassen sollen . " Frau Lu war etwas ungeduldig ; aber doch sehr belustigt . " Ja , das werde ich , " sagte der Professor ruhig . " Lassen Sie mich , liebster Herr Professor , " bat die Komtesse flehend , " ich bitte Sie . " " Nun , versuchen Sie es , Komtesse . Ruhig sich konzentrieren . Sie müssen sich ein " Blank " schaffen , eine absolut stille Fläche in der Seele . Sie wissen ja . " Die Komtesse saß schon und konzentrierte sich . " Lassen wir jetzt unsere liebe Freundin , " sagte der Professor . Die Komtesse versank buchstäblich in sich selbst , erhob sich dann in ihrer ganzen imposanten Länge , schritt mit starren Augen auf die Adepten zu , die sich um die abgerissenen Blüten und Ranken rauften , und wollte sie stumm beeinflussen . Sie stand mit dem geradesten aristokratischen Rückgrat vor Atman und Mitra , die Augen unbeweglich , einen ungeheuren Frieden auf dem Gesicht . Das erschreckte aber die Adepten ; sie starrten ihrerseits auf die merkwürdige Erscheinung und Atman fing zu heulen an . Da machte sich ungeheißen noch eine Gestalt auf , Herr Meyer , der " biologische Mensch " , wie er hier genannt wurde , und ging eben so konzentriert , mit einem ebenso ungeheuren Frieden auf dem Gesicht auf die Adepten zu , um sie mit zu beeinflussen , und um seiner verehrten Freundin und Schwester im Geiste beizustehn . Das begab sich alles gewissermaßen ganz unauffällig , hatte auch ganz wenig Erfolg . Herr Meyer , die Komtesse und das Professorenpaar übten sich immer in solchen Dingen . Sie waren ihnen ganz alltäglich . Sie sprachen untereinander von schwarzer und weißer Magie , wie andere Leute von Konzert und Gott weiß von was und waren sich absolut nicht mehr bewußt , daß ihre Gespräche doch nicht ganz unauffällig waren . Sie dilettierten in allen möglichen okkulten Dingen und befanden sich sehr wohl dabei . Jetzt wollten sie ein vegetarisches Speisehaus ins Leben rufen und warben auf das eifrigste bei Mrs. Wendland dafür , die ihrerseits sehr kühl war und sagte : " Weshalb ? Man kocht Gemüse sehr schlecht in Deutschland , weshalb wollen Sie die armen Leute krank machen ? " Die Komtesse hatte sich seit geraumer Zeit damit beschäftigt , ein Armband aus Grashalmen zu flechten , jetzt bat sie um Gebers Hand und streifte es ihm über . Sie sagte gar nichts dabei , tat es gewissermaßen mystisch , vestalisch , spielerisch und hielt seine Hand merkwürdig lang in der ihrigen . " Was für eine eigentümliche Hand ; ich muß ihre Linien einmal prüfen . " Er entzog ihr die Hand und führte das Armband im Scherz an seine Lippen . " Unverschämt , " dachte die Governeß . " Natürlich , jede Gelegenheit nimmt so ein Mann , so ein » brute « wahr . " Alle Männer erschienen ihr gleichmäßig sehr verdächtig . Das Weib hielt sie für unsäglich rein . Aber jetzt hatte sie ihn einmal wieder , diesen Philosophen : Auf den harmlosen Scherz der Komtesse diese Plumpheit ! Seinen Blick hatte sie dabei sehr wohl verstanden , - o , sie durchschaute ! * Die Theosophen verabschiedeten sich heute früher als sonst . Sie wollten etwas miteinander bei der Komtesse lesen . Frau Lu fiel ein Stein vom Herzen , als sie gingen . Sie sagte auch etwas derartiges . Ihr Mann verwies es ihr leicht . " Es nimmt sich alles Menschliche sonderbar und lächerlich aus , wenn man nicht selbst darin steckt . Das , was die wollen , ist besser als alles andere . " " Sie wollen ja gar nichts , " sagte Frau Lu , " sie spielen . " " Mögen sie spielen , wenn es sie freut , die kleine Frau hat sich doch ihre Pfoten zerstechen lassen . Sie hat wirklich versucht , wie es tut , das " Siechselbstaufgeben " , das " Tat wam asi " der alten Inder , das " das bist du " ! Der kleine Zug ist rührend in unserer Welt , dies gut sein wollen . " Mrs . Wendland reichte ihrem Freund über den Tisch hinüber die Hand . " Danke Ihnen , " sagte sie , " Sie haben recht . " In diesem blumenreichen Garten , in dem sich Reseda- , Rosen- , Verbenenduft mit abendlichem Waldesodem mischten , war eine ganz eigentümliche Stimmung über die Gäste gekommen . Frau Lus guter Philosoph hatte diese Stimmung gebracht . Sie sprachen über Dinge , über die moderne Menschen selten nachdenken , und hörten auf einen Mann , der anders dachte als andere , tiefer , einfacher und sich nicht scheute , seine Gedanken auszusprechen . Ja , er hatte den Mut , sich zu geben wie er war . Henry Mengersen ließ diesen Abend auf sich wirken . Er war zu sehr Künstler , als daß er den Eindruck einer in sich ausgeglichenen Persönlichkeit nicht empfunden hätte , trotzdem er , seiner Natur nach , weder Frau Lu , noch deren Mann je näher treten konnte . Er sah auf Isolde . Isolde hörte mit großen Augen zu . Sie war bleich . In der Abenddämmerung hatte die weiße , zarte Gestalt , etwas so Unbestimmtes , Weiches . Henry Mengersen empfand etwas Scheues , Schuldbewußtes in ihr . Und wie er so auf sie blickte , zieht ein leichtes Lächeln um seine Lippen , ein verächtliches Lächeln . Ihm ist_es , als fühlte und sähe er die Gedanken unter der jungen Stirn ; ihm ist , als fühlte er die erregten , verlangenden Blutwellen in ihren Gliedern . Sie muß wie im Fieber sein ! Ihre Nerven müssen zittern und beben - ein Schauer nach dem anderen muß sie durchfahren . Er hat als Künstler und Mensch über das Problem " Weib " nachgesonnen , als Künstler hat er es auf seine Weise gelöst . Er ist müde und gelangweilt vom Weib . » Entsetzlich , « denkt Henry Mengersen und sieht wieder auf Isolde , » das Weibliche in der Natur ! Dies blinde Sich- ins-Elend-stürzen- wollen , dies Gedankenlose , Nie- die-Folgen- überschauende . Egoistisch wie der Mann , aber so unsäglich dumpf , unbewußt , so instinktiv , so elementar . Wie unangenehm großgezogen ist es in ihnen dies langweilige , aufdringliche Sich-opfern- wollen , die Bestimmung erfüllen wollen . Wie sie sich hindrängen , wie eine dumpfe Herde - ekelhaft ! Das Weib hat die Natur überboten , sich selbst unterboten . Die Natur hat es dem Unfreien , dem Dulden näher gestellt als den Mann - und es hat seinen Vorteil darin gefunden ! Es ist sich selbst zur Ware geworden . Das was es leiden muß , ist ihm vorteilhaft . Es schachert mit seinem Leiden ! Widerlich ! Ein Tier , das gejagt wurde wie das Weib gejagt wird , dem wüchse irgend etwas , ein Horn , ein Giftzahn - dem Weib wuchs nichts . Es wurde zahm und zahmer , widerlich zahm , das Haustier im vollsten Sinne ! Wäre Fräulein Isolde Ladenmädel , würde ich sie zu meiner Geliebten machen . Weshalb nicht ? - und sie davonjagen , wenn sie mir unbequem würde - vielleicht zu kunstsinnig - kunstsinnige Weiber ! - gräßlich ! - Wie selten hat ein Künstler die Freude am schönen Weib . Hier wäre sie , die Freude . Schade ! « Henry Mengersen blies gedankenvoll die blauen Wölkchen seiner Zigarette von sich . Isolde hatte des geliebten Mannes Blicke wohl empfunden . Ja , er hatte recht . Sie erschauerte , im Gefühl ihm anzugehören . Sie war ganz in sich verstummt . Das große Geheimnis des Weibes , wie sie es damals verstanden hatte , als sie zum ersten Mal seine Kunst ganz in sich aufnahm , lag über ihr . Ja , das ist das Größte auf Erden , ein Weib sein - sich opfern . Henry Mengersen hatte ganz recht mit dem , was er vom Weib dachte . Das aber wußte er nicht , daß unter den Frauen auch freie Geschöpfe leben , freier als je ein Mann frei ist , mächtige Seelen , Seelen , die dem großen Zug der Natur , die in ihre Geschöpfe nur den Trieb zum Fressen legt , entgegenstehen , die der Natur zum Trotz sind , wie sie sind , lieben , wie sie lieben - und sich grenzenlos opfern , als stammten sie aus einer Welt mit anderen Gesetzen . 6. Ein uraltes Märchen gibt es . Eine reine Jungfrau wollte sich für ihren Herrn opfern , auf daß er von der Meiselsucht genesen sollte . Lebend wollte sie sich für ihn das Herz aus der Brust schneiden lassen . Und als er durch die Türspalte blickte , da ersah er sie bloß , wie sie zur Welt geboren war , nackt in ihrer großen Schönheit , wie sie geduldig dem Arzt die Brust bot , damit er schneiden sollte und ihren Herrn retten . Da erbarmte sich seine Seele . * In dem stillen , hohen Raum stand sie , wie die im uralten Märchen , die ihren Herrn retten und sich für ihn das Herz lebend aus der Brust schneiden lassen wollte , da stand sie nackt , wie sie zur Welt geboren war , in ihrer großen Schönheit . Sie hatte ihrem Herrn versprochen , ihm einen Wunsch zu erfüllen . Henry Mengersen saß ganz versunken und entrückt über seiner Zeichnung . Große Stille im Raum . Draußen Juliwärme , Julisonne , ungeheure Laubmassen , schneeweißleuchtende , ziehende Wolken auf tiefblauer Wolkenbahn . Sommerliches Treiben , Sommerlaute , Sommerdüfte , Sommerblumen , der Glanz von einem weiten , ruhigen Wasserspiegel - heiliger , warmer Sommerzauber . Drinnen , in dem stillen Raum , der ganz in seine Arbeit versunkene Mann . arbeitend wie an einer Offenbarung . Etwas Ersehntes , etwas Notwendiges war es , was ihm da geschah . Keine Minute , keine Sekunde verlieren ! Wie eine hellleuchtende Blume steht sie regungslos und totenbleich . Er hat hin und wieder auf den Lippen zu sagen : sie soll ruhen . Er will sie aus ihrer Stellung erlösen - aber er wagt es nicht . Was denn ? - Was kann die nächste Minute bringen ? War er seiner sicher ? War er ihrer sicher ? Er arbeitet ohne Zeitmaß - heftig , widerstandslos . Ungespaltenen Willen für seine Arbeit ! Die wundervollen Formen ohne Nebeneindrücke ! Er stellt sich kühl vor , daß sie ein bezahltes Modell sei - und es gelingt ihm . Jetzt erst kann er ganz in sich selbst versinken . Wie einfach ist alles zugegangen ! Ihr leises Kommen , - ein so rührendes Anschmiegen . Er hat sie auf die Stirn geküßt . Vorsichtig war er gewesen vom ersten Augenblick an . Dann hat sie still und ernst die Kleider abgelegt . Ja , und da war ihm das aus dem Märchen vom armen Heinrich gekommen . Märchenhaft , weltfremd , jede Bewegung von ihr wie tief träumend und der große reine Ernst wie bei einem heiligen Opfer . Wundervolle Rosen standen in einem weiten Korbe , die hatte er vor ihr ausschütten wollen . Er wagte es aber nicht . Den Kopf nicht verlieren ! Von vollendeter , junger Schönheit war ihr Körper . Ein Geschenk , eine herrliche Erfahrung . » Dem Schöpfer Dank , daß das Mädchen so leichtsinnig war , daß sie ihrer großen Schönheit froh werden wollte , und daß sie ihn gewinnen wollte - alles beiseite werfend . Unerhört raffiniert ist ein kluges Weib , das auf Beute ausgeht . Diese rührende Gestalt , dieser Ausdruck des völlig bleichen Gesichts ! « Als Künstler nahm er das Eigentümliche ihres Wesens bereitwillig auf , als Mensch fühlte er sich davon fast abgestoßen . Er sah als Mensch tiefer . Er empfand das Märchenhafte . Aber welchen Wert hatte das ? Kann ein Weib , das so rücksichtslos wirbt und auf sein Ziel losgeht , wahr sein ? Wie steht das in Einklang mit solcher Reinheit der Bewegung , solcher Unantastbarkeit ? . . . Lächerlich ! Nicht verblüffen lassen ! Du kluges , schlaues Weibchen . Er blickte über alles Äußere hinweg , in die eitle , beutegierige Weibesseele hinein . * Im alten Märchen heißt es : " Da erbarmte sich seine Seele . " * Henry Mengersen war ein kluger Mensch . Was die Natur etwa versäumt hatte in seinem Charakter praktisch einzurichten , dem hatte er nachgeholfen . Sein Empfinden als Mensch ist vortrefflich geschieden von seinem Künstlerempfinden . Seine große Kühle und Vorsicht ist ganz etwas für sich . Als Künstler kann er leidenschaftlich , warm , groß sein . Er ist sich dessen auch vollkommen bewußt . Er hat sehr viel über sich selbst nachgedacht , beurteilt und behandelt sich gewissermaßen wie ein Kunstwerk . Er hat sich zur Kunst trainiert , wie andere es zu irgend einem Sport tun , genau so kühl und berechnend . Er will sich seine Kunst intakt halten , seine Person , seine Toilette . Alle diese Dinge behandelt er auf das Sorgfältigste . - Und was im geringsten auf eins dieser Dinge störend einwirkt , den belehrt er . Er hat gefunden , daß die kühle Belehrung eine ganz außerordentliche Waffe sei - eine verblüffende Waffe . - Kühl , ganz kühl belehren . Es gibt für den anderen in gewissen Momenten nichts Beschämenderes . Ja und während der Arbeit , als er nicht wußte , wie jetzt enden , wie ein ruhiges Ausklingen des sonderbaren Abenteuers möglich sei , so daß er sich nicht den geringsten Vorwurf zu machen hätte , sonderte sich in ihm schon der Belehrungsstoff ab - wie das Gift in einem Giftzahn . Der tödliche Bis aber erfolgte nicht . Es war nicht nötig . Unauffällig , still , ernst , wie sie gekommen . ging sie wieder . Er wollte sprechen , war verwirrt , etwas verlegen , ja , er war dabei , aus Verlegenheit zärtlich zu werden . Er sprach etwas ungeschickt von Dank . Da sah er , wie sie den Finger flehend auf ihren Mund legte und ihn dabei anblickte . Dann sah er die Gestalt in dem weißen Kleid durch den Garten gehen , ruhig und langsam , nicht scheu und eilig . Nicht ein Wort hatte sie bei ihm gesprochen , stumm war sie gekommen , stumm gegangen . * Als er an diesem Abend zu Mrs. Wendland kam , war Isolde nach München abgereist . * Mama hielt sich noch bei dem schwer erkrankten Bruder in Berlin auf und Isolde fand die Schwester ganz allein daheim . Der Vater hatte seinen Kegelabend . " Wo kommst denn du her ? " sagte Marie ganz erstaunt , als sie ihrer Schwester öffnete . In dem dunklen Korridor war es ganz beklommen . Nach der herrlichen , weichen Seeluft drängt es sich hier wie erstickend in die Lungen . " Ist was geschehen ? " fragte Marie , " was fällt dir denn ein ? Jesus , statt froh zu sein , kommt die Suse hier an ! Willst du was ? " " Ich will heim , " sagte Isolde . " Bist du triste ? " fragte Marie weich . Da schlang Isolde ihre Arme um die blonde Schwester und gab sich wie ein krankes , abgemattetes Kind . Marie war so lieb zu ihr , goß ihr Tee auf , deckte den Tisch zum Abendessen . Isolde ging bei allem , was Marie tat , ihr nach wie ein Kind seiner Mutter . " Ist dir doch was ? " wiederholte Marie hin und wieder ihre Frage . Zu ihrer Schwester samtener Weichheit war Isolde von Kindheit an geflüchtet , wenn sie seelisch fror , wie in einen Sonnenstrahl hinein . Marie war es so gewöhnt , Isoldes unruhiges , flackerndes Gemüt in ihre stille Natur aufzunehmen . Sie machten beide nicht viel Worte , aber das Zueinanderschlüpfen der jungen Geschöpfe , die gegenseitige Wärme das war so gut . Marie wollte ihr Bettzeug holen , um bei Isolde zu schlafen . Sie hatte ihr Lager in einem anderen Zimmer aufgeschlagen , des Schädels wegen . Von seinem Postament hatte sie ihn nicht nehmen wollen und hätte auch nicht gewußt , wohin damit . Und allein mit ihm im selben Zimmer - nicht um die Welt ! " Gehe , bleibe nur wo du bist , " sagte Isolde , dann ging sie schlafen . Sie legte sich mit großen Augen nieder , ließ daß Licht brennen und starrte vor sich hin . Was für ein Weh stieg in ihrer Brust auf - so fremd , so nagend . Sie verstand es nicht . War das Reue ? War das entsetzlich , was sie getan ? Es nagte - nagte - nagte . Aber weshalb sie so fremd , so geheimnisvoll litt , verstand sie doch nicht . Ein Erstarren ging durch ihre Glieder und durch ihre Seele - ein schreckliches , tödliches Erstarren . War das Zweifel ? War das . . . . . . Sie fand keine Worte , keine Gedanken - aber sie litt . Sie fühlt , als grübe ein Messer in ihrer Brust und suchte nach ihrem Herzen . " Du Mensch aller Menschen hast es verlangt ! " und wie damals legte sie die Hände wie im Gebet zusammen und blickte auf den Schädel . " Du hast es verlangt , weil ich dein bin , weil du mein bist und weil ich dir helfen soll . " Sie flüsterte wie in großer Schmerzensnot . " Du wirst kommen - und du wirst mich nicht wieder verlassen ! " » Also doch ein wohlberechneter Heiratsplan , sehr - sehr schlau , « würde der Schädel denken , hätte er das Glück , Henry Mengersens Hirn in seiner Höhle zu haben . Eine ungeheure Sehnsucht erfüllte sie . " Hätte er mich doch geküßt - geküßt ! " ein tiefer Seufzer wie ein Schrei . Sie erzitterte durch alle Nerven . Dann ein Aufschluchzen . " Nun weiß ich , wie ich bin ! Er ist besser . Alles hat er - alles kann er . Was für ein Mensch ist er ! - und auch besser als ich ! " Ein zorniges empörtes Gefühl . Stundenlang tobte es in ihr auf und nieder . Ruhelos , friedlos - und so unsagbar weh ! Dann kam ein dumpfer Schlaf , und dumpfe , tiefe Träume . Sie stand auf einer Bühne und sollte singen und wußte nichts von dem , was sie singen sollte und hatte nie ein Wort davon gehört . Im Hemd stand sie vor allen Leuten , als müßte es so sein - und doch war etwas versteckt , dumpf Schmachvolles dabei - als müßte es doch wieder nicht so sein . Und Heinrich Mengersen ging an ihr vorüber in seinem weißen Flanellanzug . so unantastbar vollendet gekleidet - und lächelte nachsichtig - da wachte sie auf . Ihr Herz schlug - und es war ihr , als hätte das Lächeln sie gebrandmarkt . Ja , als hätte er in Wirklichkeit so gelächelt . Sie hob die Hände zum Schädel auf . " Du liebst mich - ich bin dir das Liebste auf der Welt - wie du mir . Dann ist alles gut . Du hättest ja sonst auch nicht bitten können . " Das fremde , geheimnisvolle Weh lag dennoch auf ihrer Seele und über ihrem Körper , wie etwas , was sie ersticken wollte . * Am Morgen trat Marie ein mit einem Korb voll der herrlichsten Rosen . Das war genau so ein Korb , wie er bei ihm gestanden hatte . " Du , das ist für dich gekommen , " sagte Marie . " Von wem wohl ? " Isolde saß auf ihrem Bettrand , bleich , mit selig gespannten Zügen . Und ihr war , als flöge ein mächtiger , grauer , weicher Vogel , der sich mit ausgebreiteten Flügeln an sie angedrängt hatte , von ihr ab . Sie konnte nicht sprechen . Sie blickte nur mit großen , weitgeöffneten Augen . " Ein Brief ist nicht dabei , gar_nichts ; - ich habe schon geschaut . Der Dienstmann hat es für Fräulein » Isolde Frey « gebracht . » Isolde « hat er gesagt . - Für dich . - Von wem nur ? " Jetzt hatte Isolde den Korb auf dem Schoß , ihre beiden Hände lagen wie zitternd liebkosend über den Rosen . Sie saß regungslos . " Rosen , " sagte sie langsam . " Rosen ! " " Das sind mindestens für fünfzig Mark welche , " meinte Marie , " so ein Haufen ! Herr Gott , Isolde , von wem nur ? Du weißt_es ! " Isolde schüttelte wie geistesabwesend den Kopf . Wie ein weicher , warmer Wind zog Frieden über sie hin . " Nun ist alles gut . " Aus den taufrischen Rosen stieg Seligkeit auf und Hoffnung und ihr eigenes Selbst ganz reingebadet , schön , und ohne jede Schmach - - und gut . Den ganzen Vormittag machte Isolde sich mit den Rosen zu tun . Gläser und Vasen füllte sie damit und stellte sie so und so , und schaute sie an und nahm diese und steckte sie zu jener und sagte : " Wenn sie doch nicht welken würden . Weißt du , Marie , wenn die immer blieben , Winter und Sommer , dann sähe unser Zimmer wie ein Garten aus . " Die Rosen hatten alle Qual von ihr genommen . * Dieser Morgen , der Isolde die Rosen gab , brachte der Familie Frey einen höchst merkwürdigen Tag . Kein Familienglied vergaß ihn je . Um halb zwei Uhr saßen Doktor Frey , Karl , Marie und Isolde bei Tisch . Das Mädchen brachte die Zweiuhrpost : Die Probenummer einer neuen Zeitschrift , einen Geschäftsbrief , eine Rechnung , die Ankündigung eines neuen Tabakladens in der Nachbarschaft und einen Brief von Frau Doktor Frey . Dieser Brief war es , den der Doktor vor allem zuerst ergriff . Marie hatte in diesen Tagen im stillen die Bemerkung gemacht , daß kein Bräutigam auf die Briefe seiner Braut so erpicht sein konnte , wie der Vater auf Mamas Briefe . Zu jeder Tageszeit , wenn er heim kam , das erste : " Ist Nachricht von Mama da ? " - » Das , wenn die Mutter wüsste , « dachte Marie manchmal . Und wenn er einen solchen Brief öffnete , mit welcher Hast ! Und heute ? Was war denn das ? Kaum , daß er in den Brief gesehen , lief Doktor Frey ganz blaurot an . Ein Stöhnen folgte . Isolde bemerkte es zuerst und fuhr entsetzt auf . " Vater ! " Die Augen waren ihm aus den Höhlen getreten . Er sah mit einem Mal erdrückend groß und schwer aus . Die drei Kinder hatten mit den Suppenlöffeln innegehalten und starrten auf ihn . Er stöhnte wieder und wieder , als könne er keine Luft bekommen . Seine Farbe wurde beängstigend . Mit einemmal erhob er sich und ging schwerfällig im Zimmer auf und nieder , griff nach seinem Taschentuch und fuhr sich über die Stirn . " Vater ? " fragte Marie ängstlich . Da stellte er sich vor sie hin . Sein Blick war immer noch starr . " Schwär reich ! " kam es undeutlich , fremd , heiser heraus . Seine Kehle war ihm wie zugeschnürt . So sieht das Glück aus ! Die Kinder starrten . Sie wußten nicht mehr , was sie sagen und denken sollten . Seine Seele und sein Körper waren wie von einem Krampf gepackt . Er war wie ein Tier , das in ein Riesenfaß Wein oder Sirup gestürzt ist . Es muß im Überfluß mit dem Erstickungstod kämpfen . " Ist denn der Onkel tot ? " fragte Isolde . " Mausetot , " sagte Doktor Frey . Da kam es wie ein Luftstrom über ihn und er konnte wieder atmen . Er wurde wieder er selbst . Der tödliche Geldblutdurst , der wie ein häßlicher Krampf ihn überfallen hatte , ließ einen freien Augenblick jetzt wieder in ihm aufkommen . " Ja , da bin ich nun ein schwerreicher Mann ! " sagte er mit der bekannten und berühmten Doktor Freieschen Prophetenstimme . " Mama hat geerbt . " * " Na , Alte , nun hast du einen reichen Mann ! " So empfing Doktor Frey scherzend seine Gattin , als sie nach dem Begräbnis ihres Bruders nach München zurückkehrte . Er trug eine Trauerbinde . Die Mädchen hatte er ins allererste Konfektionsgeschäft geschickt und ihnen Trauerkleider machen lassen , aus dem " ff " wie er sagte . Und wie die beiden im Zimmer geschäftig hin- und wiedergingen , um für Mama den Kaffeetisch zu richten , war in dem einfachen Raum mit seinen altmodischen , verbrauchten Möbeln ein zartes Rauschen und Knistern , so eine intime flüsternde Harmonie zu spüren , die die Bewegungen der beiden jungen Geschöpfe umgab . Doktor Frey wanderte im Zimmer auf und ab und lauschte andächtig auf das süße , seidige , zarte Schürfen , das von den beiden Bamsen ausging . " Froufrou , " sagte er . Wie geschmeidig sahen die jungen Körper in den stumpfen seidenunterfütterten schwarzen Kleidern aus . Donnerstag ! das war ' was anderes , als was die Alte mit der " Störminna " fertig bekam ! Er fühlte sich gehoben und war stolz auf seine Vaterschaft . Zwei gute Partien im Haus ! " Ja , Bamsen , " sagte er , " heute seid ihr eigentlich erst geboren . Ein guter Schneider ist halte doch mehr wert als die beste Mutter . " Er sprach im Prophetenton und schien großartiger Laune zu sein , dampfte und schnaubte Lebensfreudigkeit von sich , wie eine Lokomotive . Etwas Mächtiges war in ihm ; der Raum , in dem er sich befand , schien unbedingt zu eng für ihn und seine kraftvolle Freudigkeit zu sein . " Na , Alte , nun hat die Sache ein anderes Gesicht bekommen ! " Triumphierend , wie ein Eroberer , schaute er auf seine Frau , die , ermüdet von der Reise , still auf ihrem gewohnten Platz saß . Ihr Trauerkleid war in keinem ersten Geschäft gemacht . Es war ihr etwas hergerichtetes , altes schwarzes Sonntagskleid , und ein geschmackloser Trauerhut , mit steifem , grauschwarzem Schleier , der sicher aus einem Ausverkauf stammte , lag neben ihr auf dem Sofa . " Hennenhirn ! " sagte Doktor Frey und befühlte den starkgeleimten schwarzen Krepp . " Daß i net lache ! " sagte er . Zum Begräbnis seines Schwagers war der Dichter nicht nach Berlin gereist . Darin hatte er etwas Goethesches . Durch und durch Optimist , ließ er , wenn es irgend anging , nichts , was diesen Optimismus unangenehm berühren oder in Frage stellen konnte , an ihn heran , denn nichts auf der Welt muß so vorsichtig behandelt werden wie ein guter Optimismus . Mama sprach im wehleidigen Ton vom Hinscheiden ihres Bruders . " Die Sterbesakramente hat er empfangen , Gott sei gelobt , mehrmals sogar . " Sie sprach in dem Leierchen Ton , den manche Weiber annehmen , sobald von einem Sterbefall die Rede ist . " Sonst ist er recht ergeben hingegangen . Ganz dem seligen Vater glich er im Tod - du mein Gott , wie die Zeit vergeht ! Und ausgestanden hat er ganz erschrecklich . " " Verschon ' uns , Alte , " sagte Doktor Frey und klopfte sie auf die Schulter . Er war sehr gnädiger Stimmung und schenkte seiner Frau eigenhändig , zum größten Erstaunen der Kinder , die zweite Tasse Kaffee ein , stellte sich aber so ungeschickt an , daß er den meisten Kaffee auf das Tischtuch brachte . Marie wollte etwas des großen Fleckes halber tun . Die Mutter wehrte ihr aber . Es war , als ob ihr dieser Fleck wohltäte , als ob sie ihn gern sähe , als sollte alles so bleiben , wie es war , wie er es zu tun für gut befunden hatte . In Mamas Benehmen lag etwas verschämt Verlegenes . Tausendmal getreten und einmal dann in die Wangen gekniffen - ihr war das Weinen nah . " Ja , - so viel Geld ! " sagte sie gedankenlos " - so viel Geld ! - Und was in den Häusern steckt ! " da kam sie wieder zu sich . Später , als sie mit ihrem Mann allein im Zimmer war , nahm sie ihn beiseite und faßte ihn zaghaft am Ärmel seines Flauschrocks , um ihm etwas zu sagen . Es wurde ihr , so schien es , nicht leicht sich zusammenzufassen . " Ein komischer Mensch , " sagte sie . " Wer denn ? " " Der selige Bruder . - Weißt du , was er sagte , daß er Marie und Isolde extra bedacht hat ? » Deine Mädel sollen gute Partien werden , die sind viel zu schön , um arm zu sein « . Na ja , das ist ja zu verstehen . Dann aber sagte er , was ich sehr sonderbar fand bei einem so ordentlichen Menschen , wie mein seliger Bruder war . Ich habe das Weib so oft in seiner Erniedrigung gesehen , daß mir es wohl tut , wenn ich zwei schöne Mädel sicher auf die Füße stellen kann . " " Na , da wird er wohl so arg ordentlich net gewesen sein , " sagte Doktor Frey ungeduldig . " So ein Ausdruck von einem ordentlichen Menschen ! " meinte Mama . " Wieso denn erniedrigt ? Was wird er denn getan haben , anderes als andere Männer ? - Da müßten ja alle . . . . . . " Mama hatte sich unbedingt in ihrem Gedankengang verwirrt . " Ich meine , " sagte sie , " es ist doch alles ganz gesetzlich und in Ordnung , wie es ist . Gott verzeih mir , - ein Verbrecher wird er doch nicht gewesen sein ? " " I bewahre , mache dir deshalb keine Sorge . " " Ich habe es eben nicht verstanden . Ich weiß schon , es gibt etwas wie liederliche Mädchen , " sie errötete ; " aber das ist gesetzlich , nicht wahr , das muß doch so sein ? Weißt du , dir kann ich es ja sagen , daß ich davon überhaupt etwas weiß . " " Ungeniert , " sagte Doktor Frey lachend . " Meint er denn die ? " fragte Mama . " Wie gesagt , mache dir deshalb keine Gedanken . In seinen alten Tagen wird er etwas bedenklicher Natur geworden sein - ein Schwärmer , so etwas . Sancta Simplicitas . So eine Henne lebt doch wie mit ausgeschnittenem Hirn . Daß i net lache ! Sucht das Weib in seiner Erniedrigung und kann es net finden ! Na , hochentwickelte deutsche Hausfrau , mache dir halte keine Sorgen . " " Der selige Bruder wird sich eben reichlich seine Gedanken gemacht haben , als es zu Ende ging . Ein reputierlicher Mensch ist er ja sicher gewesen , wie sie es von jeher in der Familie waren und was soll er denn groß anderes getan haben als andere anständige Männer ? Wenn es auf den Tod hinausgeht , werden die Leute halte ängstlich ! " 7. Doktor Frey reiste Tags darauf mit Isolde , seinem Liebling , nach Berlin ab , um in Mamas Namen manches zu erledigen . Isolde war schweren Herzens gegangen . Ihre Rosen blühten noch in den Gläsern . Mittlerweile geschahen Wunder und Zeichen in der Freieschen Wohnung . Mama hatte im Coupe wahrhaft kühne Pläne geschmiedet ; auch Mama waren die Flügel gewachsen . Mama , die in ihrer langen Ehe nie aus der Bedrängnis gekommen war , aus Bedrängnissen , die von Kind zu Kind , von Jahr zu Jahr gewachsen waren , Mama wollte jetzt ihres Glückes froh werden . Es war ihr Geld - ja - das war es doch ? Der Bruder hatte es ihr vermacht - doch ihr ? Nun konnte sie einmal alles nach eigenem Gutdünken tun . Wie gut , daß er jetzt nicht daheim war . In ihrem Hirn hatten sich , so lang sie dachte , die schwierigsten Probleme gewälzt : » Fett oder Schmalz ? Was gibt mehr aus ? Wie dehn ich es am besten ? Heute nehme ich um ein Bröckel weniger , dann reicht der Rest morgen noch halbwegs - und übermorgen - da schöpf ich es von der Suppe . « Und die unheimlichen Kunststücke mit Fleisch und Butter , daß alles ausreiche . - Und das Hängen und Bangen in den letzten Tagen des Monats , wenn das Geld trotz alles Quälens und Marterns nirgends mehr langte ; - und die ewige Unzufriedenheit , daß nichts gut genug war - und das Schuldbewußtsein , die Angst , wenn sie antreten mußte , um das Wirtschaftsgeld zu erbitten - auch wenn es pünktlich um die vorgesetzte Stunde war - er war doch immer entrüstet . Wie eine Verbrecherin , eine Geldfortschlepperin hatte sie vor ihm stehen müssen - ein Mal wie das andere Mal . Da konnte sie sich bis aufs Blut gepeinigt haben und wie ein Raubtier hinter allem drein gewesen sein . Das war alles gleich - immer dieselbe Operation . Ach , wie sie alles dessen müde geworden war - schon längst - längst müde , wie ausgesogen . Als junges Mädchen hatte sie recht gern gelesen , hatte sich Gedichte abgeschrieben und schöne Aussprüche . Davon war nie mehr die Rede gewesen . Nach jeder Wäsche Gebirge morschen Leinenzeugs und von früh morgens an das Sinnen und Kämpfen , daß es zum Mittagessen lange , und daß mit den lächerlichsten Mitteln etwas Anständiges auf den Tisch komme . Kaum war gegessen , hieß es : " Und was zum Abendessen für alle die Leute ? " Und wie das Geld unter den Fingern fortglitt ! - Immer derselbe Schreck - immer dieselbe Aufregung . Plötzlich waren von allen Seiten die Rechnungen wie losgelassen . Das Mädchen brachte sie kühl mit heim , vom Bäcker , vom Metzger , von Gott weiß wem ! Der Mama gab eine jede solche Rechnung einen Stoß in die Nerven . Woher nehmen ? - Wie kann denn das wieder zusammenkommen ! Diese Hetz bis aufs Blut , bis ins innerste Mark . Und dann die Jahre , als die Kinder kamen . Welche Sorgen ! Und immer so hilflos und trostlos , wie ein bis zu Todesmattigkeit getriebenes Tier . Das ohne Kraft und Mut sein . Das Überbürdete ! Und die ganze entsetzliche Qual immer wieder gleichmäßig von Anfang bis zu Ende . Nach jeder Geburt die ungeheure Arbeitsanhäufung , der sie widerstandslos matt in größter Schwäche gegenüberstand ! Wie oft hatte sie sich gewunden vor aufgeregter , entsetzlicher Übermüdung , in Verzweiflung sich in die Finger gebissen , vor Ratlosigkeit geweint ! - Und das alles Tag für Tag - nie ein Aufatmen , nie , daß die Seele sich ihrer selbst einmal bewußt geworden wäre - nie eine Erholung - nie eine Anerkennung . Geistig wie tot und körperlich zerschunden . Und so Jahre lang , Jahre lang . . . . Ein Tier ! ein armes , armes Tier ! Drei Kinder waren ihr gestorben nach langer Krankheit . Alle Qual umsonst . Für den Tod hatte sie sie geboren . Wie gut war es ihr , als sich so eine schwere Dumpfheit über sie gelegt hatte - wie gut war das , als fast nichts mehr weh tat ! Die ersten Jahre hatte sie nach Anerkennung gedürstet wie verschmachtet ; dann war es ihr gleichgültig geworden . Um aber diese Gleichgültigkeit zu kaufen , hatte sie alles hergeben müssen was Leben heißt , was Denken heißt , was Menschsein heißt . * Jetzt aber gedachte sie es sich wohl sein zu lassen . Ja und sie begann mit Trotz , der halb mit bösem Gewissen versetzt war , dieses Siechwohlseinlassen zu genießen . " Und ich tue es eben ! - Ich tue es ! " Sie tat es . Ihre Speisekammer ließ sie weißen und ging in den Konsumverein mit ihrem alten , etwas fettigen Büchlein , um sich Vorräte zu kaufen . - Vorräte ! Ihr Herz , ihre Nerven erzitterten vor Erregung . Sie wählte und wählte , von diesem und jenem - vom Besten - und sann wie ein Kind : " Was noch ? Was noch ? " Und dann kam eine ganze Ladung ins Haus , als wollte sie ein Wirtshaus eröffnen . Ganz allein saß sie lange Zeit mitten unter ihren Schätzen und ein Friede kam über sie , wie aus einer anderen Welt ; oder als wäre sie nach schwerer langer Wanderung endlich in ein Obdach gekommen . Ganz erschöpft so im Gefühl der Sicherheit sitzt sie und hört den schweren , stechenden , klatschenden Regen , dem sie so lang ausgesetzt war . Sie hört ihn - und hört ihn - und denkt wie es gewesen und fühlt ihre schwere Mattigkeit und daß sie nun . . . . . . Und jetzt nimmt das müde , arme kindliche Weib ihr Büchel vom Konsumverein und berechnet , wie viel das , was sie geholt hat , zu Neujahr an Zinsen - Steuern nennt sie es - geben wird . Und da ergibt es fast zwanzig Mark . " Das hat einmal ausgegeben ! " Da lächelt sie - lächelt - lächelt . Ja , und die Geschichte mit dem Konsumverein macht ihr mehr Eindruck , als die ganze Erbschaft und das ganze Erträgnis der fabelhaften Berliner Häuser . Hier ist es ihr nah getreten , hier ist ihr Glück ihr begreiflich geworden . Und sie sitzt und träumt sich in ihre eigenen Gefühle hinein und wundert sich . Ja , da hat sie doch eigentlich recht schwer und unglücklich gelebt - recht unglücklich ! War ihr denn das nie recht ins Bewußtsein gekommen ? Sehr deutlich nie . Alles dumpf , ganz dumpf . Aber eben das Dumpfe , das ist das Schreckliche , das Menschabgewandte . So einsam wie in ihrer seelenertötenden langen Ehe , so ohne jedes Verständnis , ohne jeden mitempfindenden Blick aus ihre große Weibesqual und Arbeit und Mühseligkeit - so einsam war sie auch jetzt in ihrer Befriedigung . Einsam , ganz für sich - in sich selbst verkrochen - eine kleine , bange , dumpfe , unendlich schmerzvolle Welt für sich . Isolde hatte damals das Nachttierhafte in ihrer Mutter gespürt , das Nachttier , dessen Dasein allen ein Rätsel ist , dessen Dasein niemand kennt , und das selbst die Tageswelt nicht kennt . * Von einem fieberhaften Eifer war Mama jetzt besessen , das zu tun , was sie tun wollte . Es mußte durchaus geschehen sein , ehe er zurückkam . Die alten abgenutzten Küchenmöbel ließ sie himmelblau streichen , die ganze Küche rosig tünchen . Alle ihre innersten , tiefsten Herzenswünsche erhoben froh ihre Häupter . Die Flickwäsche gab sie aus dem Haus und handelte um jedes Stück mit der Flickerin auf Tod und Leben . Den Salon ließ sie mit einer weiß und goldigen Tapete neu herrichten . Die Türen wurden auch in Weiß und Gold gestrichen . Die Leute sollten Augen machen ! An die alten Vorhänge setzte sie neue Spitzen . Bis tief in die Nacht hinein arbeitete sie daran mit ihrer Maschine . Ihre Pulse flogen bei dieser Arbeit und sie war vor Anstrengung ganz außer sich . Am anderen Morgen wurden die Vorhänge aufgemacht , nicht vom Tapezier . Sie selbst stand auf der Leiter . Auf den Gedanken , einen Tapezier zu holen , wäre das an Plage gewöhnte Weib nie gekommen . Jeden Nachmittag kam sie mit Marie hochbeladen aus der Stadt wie im Rausch , ganz aufgeregt . Da hatten sie alles Denkbare gekauft , was Mama seit Jahren sich ersehnt hatte . Bar gezahlt wurde nichts ; alles auf Rechnung . Er brachte erst den Reichtum mit heim . Ob Mama sich vorstellte , daß dieser Reichtum etwa wie ein Kohlenwagen vor der Türe abgeladen werden würde ? Jedenfalls dachte sie : » Um Gottes Willen , wohin damit ? « Sie wußte schon von Banken etwas , aber Steuern und Zinsen und all dergleichen ging , wie gesagt , bös bei ihr durcheinander . Sie hatte auch nichts damit zu tun , so etwas besorgte er , - und von höheren Dingen sprach er nun einmal nicht mit ihr . * Unter den Kostbarkeiten , die Mama und Marie fieberhaft erstanden , waren ganz sonderbare Dinge . Die unglaublichsten Bürsten und Bürstchen , allerlei ganz außerordentlich pfiffige Einrichtungen zum Putzen von den verschiedensten Gegenständen , spitze Pinsel und stumpfe Pinsel , allerlei geheimnisvolles Küchenhandwerkszeug , das hatte sie sich alles immer gewünscht und nie war sie zum Besitz gekommen . In der Küche sah es aus , wie in einem Arsenal , als wollte sie gegen den Hunger der ganzen Welt zu Felde ziehen . In dieser Küche hatte sie so namenlos gelitten ! Hier konzentrierte sich alles . Die Schneiderin saß auch im Haus , wie eine Henne auf Eiern , Tag für Tag . Mamas und der Mädchen alte Kleider wurden hergerichtet . Wertvolle Besätze und Gott weiß was kaufte sie , um den alten schlecht sitzenden Plunder wieder aufzustutzen . . . . . . Die alte Geschichte vom Hirtenjungen , was der täte , wenn er König würde . Mama und Marie kehrten jeden Nachmittag nach den Besorgungen bei dem Konditor ein , und Mama verdarb sich regelmäßig den Magen und hatte an Migräne greulich zu leiden . Die beiden Söhne profitierten auch am Freudenrausch und der ganz naiven Art , Einkäufe ohne Geld zu machen . * Tief in der Nacht erscholl ein Läuten durch das stille Haus . » Der Vater ! « dachte Marie und ebenso dachte es die Mutter . Beide waren außerordentlich erregt und konnten nirgends ein Streichholz finden . Inzwischen läutete es auf eine unaufhörliche , nervenerregende Weise . " Um Gotteswillen , was ist geschehen ! " Das sagte die Mama wohl zwanzig Mal , während sie im Dunklen tappte und suchte und die Läuterei kein Ende nahm . " Vielleicht ist alles wieder aus ! Du lieber Himmel ! So kann es nur läuten , wenn ein Unglück geschehen ist , so läutet kein vernünftiger Mensch ! " Sie tappten und tappten . Endlich ! Wie im Fieber , zähneklappernd , mit angstvollem Herzschlag huschte Mama in Nachtjacke , Bambuschen und grauem Flanellrock die Treppe hinab . Bebend , mit zitternden Gliedern , schloß sie auf , öffnete die Tür , - da fiel ihr Lateinschüler und Sorgensohn Karl ihr in die Arme , mit dem Kopf voran , total bezecht . " Herr des Himmels ! " Mit Karl war gar_nichts anzufangen . Er benahm sich störrisch und lärmend wie ein Ferkel , das nicht will , was es soll . Dabei schien der dicke Knabe schwerer und plumper zu sein , als man es sich hätte von ihm vorstellen können . Mama mußte ihn unten an der Haustür lehnen lassen . Zwei Stufen auf einmal nehmend , stürzte sie hinauf , um Marie zu holen . " Daß nur derweil niemand kommt ! " Dann versuchten sie es mit vereinten Kräften . " Na , Alte , " brummte Karl , als Mama ihn unter den Arm zu packen versuchte , " vorsichtig , vorsichtig ! " Marie wagte es gar nicht , ihn anzufassen . Sie hatte einen grenzenlosen Ekel vor ihm . Sie weinte . " So nimm ihn doch , " sagte Mama . " Hennenhirn ! " brummte der dicke Knabe , ganz wie der Vater , nur war diese junge Prophetenstimmen noch rund und etwas schleimig - hatte keine Ecken und Auswüchse . " Weibsvolk , albernes ! " Marie weinte bitterlich . " Das , wenn der Vater wüsste , wie ihr euch anstellt ! " " Karl ! " wimmerte Mama weinerlich . Karl tat einen scharfen , kurzen Schmatz mit den Lippen . Sein Mund spitzte sich . Darauf täschelte er seiner Schwester ins Gesicht . Die schrie schluchzend auf . Karls stierende Augen richteten sich verdutzt auf sie . Marie war ganz auseinander . Die beiden Frauen schleiften ihn wie eine tote Maße die Treppe hinauf . " Wenn ihn nur kein Lehrer gesehen hat ! " wimmerte Mama . " Recht geschähe es ihm ! " meinte Marie ; " das , wenn der Vater erfährt ! " Mama gedachte einer Nacht im vorigen Jahr , als er ihr schon einmal so nach Hause gekommen . Sie war eben dabei gewesen , ihrem Mann den schwarzen Kaffee zu kochen und bebte in Todesangst , daß Karl noch nicht daheim war . Da kam er , das heißt , er versuchte zu kommen . Und wie heute war sie die Treppe hinuntergelaufen und hatte sich dann den Vater zu Hilfe holen müssen . Sie hatte gefürchtet , der würde ihn kurz und klein hauen . Merkwürdigerweise nichts davon . Im Benehmen ihres Mannes hatte sie , zu ihrem höchsten Erstaunen , eine gewisse Rührung konstatieren müssen . Nie hatte sie ihn so sorgsam gesehen , bei keiner der vielen Krankheiten im Haus war er so hülfreich gewesen , so sachverständig . Wie er ihr zur Hand ging , wie behutsam er Karl ins Bett half . So viel Gemüt wie damals , hatte er bei keinem Familienereignis entfaltet . Mama war es auch vorgekommen , als behandelte er Karln Tags darauf mit einer kameradschaftlichen Schonung und Diskretion . Damals zog er ihn auch bei einer Angelegenheit mit in den Familienrat . Es handelte sich darum , ob Isolde doch nicht noch zur Lehrerin ausgebildet werden solle . Den Familienrat pflegten Papa , der älteste Sohn und Karl , der kurz vordem die erste Weihe als vollwichtiger männlicher Mann empfangen hatte . Alle drei beschlossen einmütig , daß Isolde kein Blaustrumpf werden dürfe , trotzdem die Familie so gut wie kein Vermögen besaß und jeder nach dem Tod des Vaters auf sich selbst angewiesen war . Alle dies kam Mama wieder lebendig in die Erinnerung , als sie mit Marie ihren dicken Sprößling die Treppe hinaufbugsierte . Oben angekommen , machte sie sich daran , Karl einen schwarzen Kaffee zu kochen . Inzwischen beängstigte dieser im Zimmer seine Schwester Marie , die auf ihn Acht haben sollte , daß er mit der Lampe nichts anrichte . Und wie ein heiliges Vermächtnis seiner Ahnen und Vorgänger , war diesem angehenden Jüngling in seiner Beneblung und Hilflosigkeit die Weibverachtung als das Nächstliegende erschienen . Die Schwester hatte in dieser Stunde etwas vor ihm voraus ; das paßte ihm nicht . Er fühlte den dunklen Trieb , die Hand gegen sie zu erheben , als sie ihm irgend etwas wehrte , - und machte Anstalt dazu . Da schrie sie auf , warf sich vor einen Stuhl nieder , preßte ihren Kopf in das Polster und schluchzte angstvoll . " Dumme Gans , " sagte Karl . " Ich , wenn jetzt ein Madel habe , - beim ersten Mucks - raus damit ! - Gibt ihrer genug , - Gott Lob ! " Marie fürchtete sich vor ihm . Sie fürchtete , daß er sie anrühren könnte . Ihr war zu Mute , als wäre sie mit einer tollen Bestie im Zimmer . " Mutter ! Mutter ! " schrie sie jetzt laut . Da kam Mama hereingestürzt . " Was ist denn ? " Karl lachte auf . " So ' ne affektierte Gans ! " Die Mutter trat auf ihn zu mit der völlig gleichgültigen , abgestorbenen Miene , die sie zum großen Ärger ihres Gatten so unübertrefflich anzunehmen wußte . Vor dieser Miene duckte sich auch Karl . Damit wußte er nichts zu machen , die verstand er nicht . Da war sie auch ihm über . " Vorsichtig , Alte , vorsichtig ! " lallte er und ließ sich auf Vaters breiten Arbeitsstuhl niederdrücken . * Diesen Abend kroch Marie in Mutters Bett . Sie war ganz außer sich . Das mußte man Mama lassen , ihre beiden Mädels hatte sie zu behüten verstanden . Sie waren gerade so weltfremd , wie andere höhere Töchter auch . Die kleine geheimnisvolle Welt im eigenen Hause kannten sie so wenig wie die große draußen . Vor der kleinen , wie vor der großen Welt , hatte Mama sich wie mit ausgebreiteten Röcken gestellt . Ob sie dachte , daß sie einmal recht überrascht werden sollten ? Oder was sie dachte ? Kurzum , es war ihr einziges : " Daß die Mädels nur nichts erfahren ! " Vor ihren Töchtern schwieg sie wie das Grab . Wenn ihr das Leben das Herz abdrückte , keine Offenheit den Töchtern gegenüber . Wie gern hätte sie manchmal den müden , dumpfen Kopf an Maries Schulter gelegt , um da Verständnis und Trost zu finden . Wie vor einem Unrecht aber war sie jedesmal zurückgeschreckt . Nein , das Kunststück wollte sie auch fertig bringen , wie andere Mütter , ihre Mädels sollten " von nichts " etwas wissen ; darein setzte sie gewissermaßen ihren Stolz . Sie hatte auch " von nichts " etwas gewußt . Dann waren die Überraschungen gekommen ! Weshalb das so sein mußte , wußte Mama nicht . Es war hübsch so - und anständig . Alle Mädchen aus gutem Haus mußten so ins Leben hinausgehen . Und dafür hatte sie das große Opfer gebracht , daß sie den Kindern fremd geblieben war , fremd in ihrem dumpfen , schweren Leid . Wenn sie dennoch etwas wußten - sie war unschuldig daran , das konnte sie mit bestem Gewissen sagen . Ihre Mädchen hatte sie gut erzogen ! So lag auch heute Marie stumm am Halse der Mutter und weinte , und Mama klopfte ihr den Rücken und murmelte , wie sie es bei ihren kleinen Kindern getan hatte , um sie zu beruhigen . " No - no - no - no - no ! " * Mrs. Wendland hatte von dem großen Umschwung der Verhältnisse ihres Freundes Doktor Frey gehört . Sie wußte auch von dem Glück der beiden Mädchen , daß sie im Besonderen von ihrem Onkel bedacht worden waren . Die Besitzerin einer Summe von Dreimalhunderttausend Mark konnte sich schon sehen lassen . Die Mädchen würden jetzt die Auswahl haben . Mrs. Wendland hatte wirklich eine Freude über diese Nachricht gehabt . Sie hatte sich im stillen immer gedacht : » Was sollen diese beiden Kinder mit ihrer großen Schönheit ? Dummheiten - Dinge werden geschehen . Für arme Mädchen ist es viel besser , wenn sie nicht sind schön . « Sie hatte über Freys Glückswechsel auch zu Henry Mengersen gesprochen , der ihr wenige Tage darauf mitteilte , daß er eins dieser Mädchen zu heiraten beabsichtige . Mrs. Wendland war nicht ohne Erstaunen . " Sehr einfach , " sagte Mengersen , " ich habe mir alles überlegt : Meine künftige Frau muß wohlhabend sein , jung , schön , anspruchslos . Diese Dinge trifft man selten beisammen . Hier ist dies der Fall . Bitte , dich zu überzeugen . " " Ich halte Isolde durchaus nicht für anspruchslos , lieber Henry , " sagte Mistreß Wendland . " Isolde ist ein Rassegeschöpf , die sind an und für sich . . . . " " Die andere aber halte ich für vollkommen anspruchslos , " unterbrach Henry Mengersen . " Die ist ganz , was ich suche . " " Die andere ? " fragte Mrs. Wendland verwundert . " Und weshalb nicht ? " meinte er scharf und dachte : » Hat Isolde geplaudert ? « Mrs . Wendland blickte gedankenvoll vor sich hin . " Isolde ist bei weitem interessanter . " " Mag sein . Beste Mary , - eine interessante Frau ? Dazu kunstsinnig , mitempfindend , nachempfindend - Gott weiß , was noch ! Alle Achtung ! Nein - nicht um die Welt ! Und außerdem ist Fräulein Isolde auch in anderer Beziehung nicht mein Geschmack . So etwas heiratet man nicht . Sie ist herb , wie eine junge Quelle ? Nicht wahr ? " Er lächelte fein und kühl . " Und ich behaupte , sie ist ein kleiner , frecher Dachs , dem es recht gut tun wird , wenn sie sieht , daß man ihre Schwester ihr vorzieht . Ich glaube , diese Erfahrung ist außerordentlich wichtig für das Mädchen . " Mrs. Wendland lächelte . " Also aus erzieherischen Gründen wollen Sie Marie die Resten von Ihr Dessert geben und nicht Isolde ? Sie werden ein ganz reizender Ehemann werden . Colt as charity - kalt wie die Barmherzigkeit , man sagt . O , ich möchte mich nicht mit Ihnen heiraten , lieber Henry . Mich friert , holen Sie mir , meinen kleinen Schal , bitte . Ach und nun werden Sie also philiströs ; ein Mann , was hat gelebt , wie du , ist so komisch als tugendhafte Ehemann zu denken ! Nun , also heiraten Sie sich die kleine Frey . Sie machen immerhin ein ganz gutes Geschäft . " Henry Mengersen dachte : » O , meine gute Mistreß , - also doch nicht ganz angenehm überrascht ? « " Und Sie sind der erste , der sich von dem neuen Geld der Freys kaufen läßt ? " fragte sie und beugte sich in ihrem Lehnsessel vor mit einem amüsierten Ausdruck . " Und Sie wollen die kleine Mary wieder eingeladen sehen bei mir ? Sie brauchen gar nichts zu sagen , ich weiß schon . " Henry Mengersen küßte ihre Hand . " Du bist schon ganz in der philiströsen Maske eines keuschen , würdigen , deutschen Bräutigams , mit seinem gut bürgerlich schlechten Gewissen . - Du bist mir nun langweilig ! Nicht deshalb , wie du denkst . O , nein , gar nicht deshalb ! Sie brauchen nicht zu lächeln , Henry . Nein , weil nun eine große , langweilige Lügengeschichte angeht , wie bei allen Männern . Bei dich lächelt es mich noch mehr , als bei den anderen , weil ich dich kenne , wie mein Taschentuch ! Für Sie , Henry , wünschte ich , Sie hätten Isolde gewählt . Vor ihr hätten Sie müssen doch ein wenig gene haben . Sie könnten mit ihr nicht so ganz sans façon sein . Doch deshalb nehmen Sie sie ja nicht . Nun , ich wünsche Glück zu dieser Dudelsackehe . Kommen Sie heute abend zum Tee , Henry , wir trinken auf der Veranda . " * Marie Frey verlebte bei Mrs. Wendland traumhafte Tage . Sie war es gewohnt , von Studenten und den Brüdern ihrer Freundinnen verehrt zu werden ; aber dieser Herr Mengersen war doch ganz etwas anderes . Sie traute der Sache nicht recht . Es kam ihr alles zu unwahrscheinlich vor . Aber Henry Mengersen verstand sich darauf , sie zu überzeugen , trotzdem ihm eigentlich solch ' eine weltfremde , höhere Tochter ein sehr unheimliches Ding war . Er überschüttete sie mit Zartheit . Ein Bouquet , ganz aus Moosrosenknospen , was mußte das solch einem Geschöpf nicht alles sagen ! Und was sagte es ihr nicht alles . Henry Mengersen konnte sich viel Mühe und Geist sparen . Ein Gar_nichts , zarte Farben , zarte Formen taten mehr für ihn , als er je für sich hätte tun können ; dazu seine tadellose Wäsche , die vornehme Reinheit seiner Person , das imponierend elegant sitzende Schuhwerk . Er mußte auf so ein Ding wirken , ohne daß er sich im geringsten anzustrengen brauchte . Dazu sein Ruhm und die Art , wie man ihm begegnete . Nie hatte das blonde Mädchen einen vertrauenerweckenderen Menschen gesehen . Die instinktive Sorge , daß der Mann brutal , roh in seiner Übermacht ihr gegenübertreten könnte , kam hier nicht auf . Die weltfremden Sinne waren noch so kindlich , so ganz vom Äußeren hingenommen . Wie Blasphemie wäre ihr ein Zweifel an diesem Menschen erschienen . Ja , es gab Augenblicke , da schämte sie sich ihrer selbst , ihrer Plumpheit , wie sie ihre Ungewandtheit nannte , ihrer Hände . Man sah ihnen das fleißige Schaffen im Hause an . Es waren reine , junge , kräftige Mädchenhände , aber nicht blütenweiß und die Nägel waren kurz gehalten . Sie konnte ihre Hand gar_nicht neben der seinigen sehen . Wie hoch stand dieser Mann über ihr ! Und als er sie mit weicher Stimme bat , sein Weib zu werden , war es ihr zu Mute , als tanzten Erde und Himmel durcheinander . Ein ganzes Chaos von Glück , Stolz , Überraschung und Verwirrung . Sie hatte ihrer Mutter und niemandem sonst ein Wort über Henry Mengersen geschrieben , auch Isolde nicht , - und nun war sie Braut , die Braut eines Mannes , zu dem sie nie die Augen erhoben hätte . 8. Isolde erfuhr die Verlobung ihrer Schwester unvorbereitet . Sie kam von Berlin zurück , eingehüllt in ihre große , tiefe Liebe wie in eine Wolke von Sehnsucht . Die Mutter empfing Vater und Tochter freudestrahlend , wie es die Tradition will , und verkündete ihnen die Nachricht schon auf der Treppe . Mit einer plumpen , die Knie zusammenbrechenden Wucht , wie ein großes Raubtier auf sein Opfer , sprang die Verzweiflung auf Isolde . Nicht Zeit zu einem Schrei ! Da war es geschehen . Da hatte sie ihr Teil . Sie wollte sich an ihren Vater halten um nicht zu fallen . Ihr kam es aber vor , als griff sie in die Luft . Und die Mutter war auch nichts als ein Gespenst - ein Nichts . Da war kein Körper , der irgend etwas galt . Ihre Hände hielten sich zwar , - aber sie fiel doch . Ihre Seele fiel und hörte gar nicht auf zu fallen in Dunkelheit hinein - endlos - endlos . Und zu derselben Zeit , in der sie so tief und endlos fiel , fühlte sie , wie sie in das Zimmer trat und hörte sprechen und sah dies und das . Ein dumpfes Rauschen umgab sie . Wie aus weiter Ferne hörte sie den Vater ungeduldig schelten . " Was zum Teufel ist denn das ? " Doktor Frey stand mitten in dem weiß und goldenen Salon mit den frisch gewaschenen mit neuen Spitzen besetzten Vorhängen . " Das ist die reinste Verrücktheit ! " Er sperrte ganz verblüfft Augen und Mund auf . " Stellst du dir vor , Alte , ich laß mein gutes Geld von dir zum Fenster hinauswerfen ? Läßt die gekündigte Wohnung neu herrichten ! Daß i net lache ! " Er war in großer Wut . " Gekündigt hast du ? " - fragte Mama ganz betreten und zittrig . " I du meine Güte , davon weiß ich ja gar_nichts ! " Doktor Frey riß die Tür zum anderen Zimmer auf , um zu sehen , wie es dort stand . " So - na ! - Merkwürdig ! " Er war einigermaßen beruhigt . " Freilich ist gekündigt . Glaubst du etwa , ich bleibe in dem Loch ? Und was ist denn noch geschehen , wenn ich bitten darf ? " Nun kam ein Sündenregister . Doktor Frey ging erregt im Zimmer auf und nieder . " Daß i net lache ! Daß i net lache ! Das war auch besonders nötig , daß eine von den Bamsen sofort an den Esel , den Mengersen . . . Nun , ich werde euch auf die Finger passen , ihr ! Das ist ja ein reizendes Willkommen ! " * Als Isolde endlich allein in ihrem Zimmer war , schloß sie die Tür und warf sich auf den Fußboden . Draußen schalt der Vater weiter und die Mutter weinte einmal laut auf . Langgestreckt lag Isolde ; - ein Schwindel erfaßte sie . So tief , so tief , so dunkel und sie mitten darin ! Heute sollte sie ihn noch sehen und auch die Schwester - da griff sie mit den Armen in die Luft , da wollte sie wieder etwas fassen . Auf den Boden warf sie sich vor ihr Bett und bis in den Fuß des Bettes , und verbiß sich darin , wie ein wundes Tier , das mit dem Tode kämpft . Ihre Augen fielen auf das Konsol mit dem Schädel darauf . Da hockte sie sich zurecht , die Arme um die Knie , und starrte dem Schädel in Verzweiflung in die leeren Augenhöhlen und starrte und vergaß die Zeit . Sie wollte denken - aber es ging nicht . Es war ja auch alles ganz gleich . Sie fing an zu singen , einen Leierchen Gassenhauer . Wie mit einem Messer schnitt sie dies Singen ; - dann sang sie weiter übermütig lustig . Wie tat das ? * Am Abend kamen sie wirklich beide . Er hatte seine Braut nach München begleitet . Isolde trat ihm ruhig entgegen ; es gelang ihr ohne Mühe , weil doch alles eins war . Das eine tat so weh , wie das andere . Marie war hingebend weich und selig . Henry Mengersen schien der Situation völlig gewachsen zu sein . Er hatte allerdings erwartet , daß Isolde sich mit " Kopfschmerzen " entschuldigt haben würde . Nun war sie doch da , eine freche , kleine Bestie - und hatte einen ruhigen , undurchdringlichen Gesichtsausdruck . Er aber war gerüstet auf alle Fälle ; umsonst hatte er sich nicht einen Giftzahn wachsen lassen . Von einem Mädchen , das sich erniedrigt hatte wie Isolde - und vergeblich erniedrigt , stand alles zu erwarten . Er hatte sie in der Hand , da war ihm anderes schon geglückt . Die Ruhe war nur Maske . O , er ließ sich nicht täuschen ; er kannte diese Sorte . Ein unpassendes Wort seiner Braut gegenüber , und Isolde würde ihn kennen lernen . * Durch einen Zufall standen sie beide in des Vaters Arbeitszimmer allein am Fenster . Die Hängelampe warf ihren Schein grell in die Mitte des Zimmers und um diesen Lichtkern war eine weiche Dämmerung . Isolde sah ihm ruhig in die Augen . " Eine Bitte , Fräulein Isolde , " sagte er eisig ; " über das , was zwischen uns vorgegangen ist , kein Wort - nicht wahr ? Es gilt das Lebensglück Ihrer Schwester . Sie verstehen mich doch ? Und was mich betrifft , seien Sie meiner ganz sicher - ich bin Gentleman . Ich darf mich ja Ihnen gegenüber aussprechen . " Aber wie er mit sicherem , vornehmem Blick den ihren streifen wollte , fuhr er leise zurück . Nicht mehr Isolde , das rührende , liebende Mädchen , - ein vornehmes , ruhiges Weib stand ihm da gegenüber . Und aus ihrem Mund tönten ruhige Worte . " Ich empfand Ihre Kunst - ich liebte sie - ich tat es . Ich will es auf offenem Markt sagen . Sehen Sie darin etwas Schlechtes ? Ich habe mir nicht denken können , daß ein großer Künstler schmutzig ist . - Ist es so - so gehören Sie zum Haufen . " Isolde wendete ihm den Rücken . Henry Mengersen war zum ersten Mal in seinem Leben verblüfft . * Doktor Frey hatte Champagner auffahren lassen und es wurde eine Verlobung nach allen Regeln der Kunst gefeiert . Doktor Frey war schließlich beim Sekt mit Mengersen ganz einverstanden . Mein Gott , ist es der eine nicht , ist es der andere , im Grund gleichgültig , wen so ein Mädel kriegt . Dem Weib gegenüber ist so ziemlich einer wie der andere . Eine Gans , so ein Mädel ! - könnte jetzt das schönste Leben haben und gibt ihr gutes Geld und ihre Schönheit einem Esel in die Hand , der sie doch nur auslacht . Doktor Frey war ganz gerührt . Auf seine " Bamsen " hielt er etwas . Er reichte Mengersen die Hand über den Tisch , hob sein Glas und sagte weinselig : " Daß du sie mir gut in Obacht nimmst , mein herrliches Kind ! " Mengersen schüttelte würdig die Rechte seines künftigen Schwiegervaters und küßte seiner Braut ritterlich und zart die Hand . * Diese Nacht lag Isolde still wie eine Tote in ihrem Bett . Maries ruhige , sanfte Atemzüge berührten hin und wieder ihr Bewußtsein . Marie war so selig müde gewesen am Abend und wie ein Kind entschlummert . Das große Glücksgefühl ermattete sie . Sie trug wahrhaft daran wie an einer Last . Nun war ihr Schlaf tief und ruhig . Isolde lag auch in ihrem tiefen Weh wie in einem schweren Schlaf , in einer großen Betäubung . Der Mond schien ins Zimmer , der Schädel schimmerte . Die Augenhöhlen glichen zwei dunklen , runden , tiefen Flecken . Und in diese leeren Augenhöhlen mußte Isolde unverwandt sehen . Das war ganz was sie brauchte . Dieser leere Blick ohne Trost ! Wohl tat er ihr ! Es war ihr als wäre etwas Reines , Gutes in dieser Leerheit . So tödlich war sie verwundet worden ! Seele und Körper zugleich . Auch ihre Seele lag ganz still und unbeweglich . Und von einem beschimpfenden Schlag war sie so verwundet - Der , den sie über alles liebte , den sie wie einen Gott in Anbetung liebte , hatte ihr den Schlag ins Gesicht versetzt . Des feinen , klugen , großen Henry Mengersens Roheit hatte die allerzartesten Fäden ihres Daseins unheilbar verletzt und zerrissen . Das war Isolde nicht mehr , das heißempfindende Kind , das Glück und Leid mit übersprudelnder Lebenskraft faßte und das Leben wie einen großen , blühenden Rosenstrauch an die Brust drücken wollte , ganz in Blüten versinkend . Auf alles , was sie sah und was sie fühlte , starrte sie mit einem grenzenlosen Ekel . Gab es denn gar keine Möglichkeit zu zeigen , daß man rein ist ! Konnte sie denn nicht einfach sagen . " Da bin ich - da ! " - Ihr junges Menschentum war noch so ganz in sich zusammengefaßt , so einfach , so rein aus Gottes Hand hervorgegangen . Das dumme , dumpfe , ins Ekelhafte gesteigerte Weibgefühl haftete an ihr noch nicht , das Gefühl , ein Wesen zweiter Ordnung zu sein - ein Wesen , das nicht Mensch , sondern Weib ist , ein Wesen , das nicht wie ein Mensch fühlen und handeln kann , das nur geschlechtlich ist . Welcher Ekel faßte sie , welche Scham ! Welchen Blick tat sie da ! Ja , sie hatte ihn geliebt ! ja ! ja ! ja ! Sie hatte ihm das Schönste gegeben , das Einzige , ihre Schönheit , die sie selbst liebte , die sie kannte und die sie selig und froh gemacht hatte . Seiner heiligen , großen Kunst hatte sie sich geben wollen , als Mensch - und als Weib . Wahrhaftig nicht nur als Weib - und auch als Weib ; - ja , sie hatte sich gesehnt , daß er sie küssen sollte , - heiß , hinsterbend gesehnt . Er hatte ihr ja gesagt , daß er sie liebte , - oder hatte er nicht ? Gleichgültig , jetzt ganz gleichgültig ! Und doch und doch - welche Leere ! Alles erloschen ! - einsam - verlassen - verstoßen - getreten - mißkannt - mißachtet - das Ärmste auf Erden ! Und beschmutzt - ihre reine , frohe Seele ! Sie wußte , daß ihre Seele den Körper umhüllt hatte . Ihre Seele hatte nichts mit Schmutz zu tun . Wie ein Sturm ging es durch ihren Körper . Glaubte er , daß sie mit einem Wort erinnern würde ? Glaubte er - das ? Wie konnte er so schmutzig sein - - so dumm ? Ach , ein Ekel , eine unsäglich Qual packte sie , wie sie mit einem Blick überschaute . Das Weib ist nicht Mensch , nur Weib für ihn - etwas Geistloses - ohne Feinheit - ohne Freiheit - etwas so Brutales - das nur Körper ist ! - Zum Sterben ! - ein Ekel zum Sterben ! Als sie ihm von seiner Kunst gesprochen , wie sie ihn in ihr Herz hatte sehen lassen - und die große Liebe gestand zu dem , was er schuf - da hatte er so sonderbar gelächelt . Pfui ! pfui ! pfui ! es war ihm gewesen , als hätte ein Tier ihm das gesagt - ein freches , dummes Tier . Grad so komisch und lächerlich war es ihm gewesen . Sie durchschaute jetzt alles - alles mit einem Male , wie hellsehend . Das , was sie ihm gab , hatte er auf seine Weise geschätzt . - Und da dachte sie in fieberhafter Angst über " das Weib " nach . Eine so heiße , heiße , brennende Angst stieg in ihr auf . Was war denn das ? Alles , was je gedacht , war vom Manne gedacht worden ; alles , was je getan , war vom Manne getan worden . Nie war ihr das noch klar geworden , - ganz neu starrte sie das an . Das Weib und das Tier haben nichts getan und nichts gedacht , von dem man weiß . Bis in den innersten Grund ihrer Seele erschrak sie . Da lag sie wie gebrandmarkt . Hatte er nicht recht ? Lächerlich war es , wenn sie von Kunst zu ihm sprach ; was hatte sie damit zu tun ? Was ging sie die Kunst an ? Freilich mußte er lachen ! Ihr war , als sollte sie ersticken . Und da fühlte sie die ganze Verachtung , die auf dem Weibe liegt . Wie einen schweren , bleiernen Druck empfand sie diese große Verachtung , die Stolz und Freudigkeit nimmt . Was war sie ? - Zu wem gehörte sie ? Sie hatte wahrhaftig kein Recht , stolz und froh zu sein . Ein dumpfes Stöhnen entrang sich ihr , ein erstickter Schrei , als wäre sie geschlagen . Und sie hatte geglaubt wie ein Mensch zum Menschen sein zu dürfen . Was hatte denn Mrs. Wendland gesagt ? - Da fiel ihr allerhand ein , was sie damals gar_nicht verstanden . Die also auch , die kannte alle die Gedanken , die so neu , so schmählich über sie jetzt herfielen . Nach dem , was die gesagt hatte , müßte die ja auch leiden . Fühlten alle Weiber , wie sie jetzt fühlt ? Und war denn das möglich , daß sie noch nie etwas derartiges empfunden hatte ? Und ihre Mutter ? - und - ihre Freundinnen ? Ja , was war denn das ? Wußten denn die Weiber gar_nichts davon , wie verachtet sie sind ? Ihr zarter Körper wurde von einer tödlichen Erregung gemartert . Da lag sie , getreten , beschimpft , beschmutzt , vereinsamt und gehörte zu der verachteten , dumpfen , gedankenlosen Hälfte der Menschheit , die nicht das Recht hat , voll Mensch zu sein . Da lösten sich Tränen aus ihren Augen , brennende , schmerzhafte Tränen , die wie Blutstropfen aus einer Wunde flossen . 9. Isolde geht an einem blütenschweren Maimorgen in ihrem Atelier gedankenvoll auf und nieder . Das Atelier liegt in einem Garten still versteckt , ebenerdig . Frischer , herber Laubgeruch strömt zu den Atelierfenstern herein , die in der großen Glasfläche weit geöffnet stehen . Der blaue , leuchtende Himmel schaut durch das Oberlicht zu ihr nieder . Schwalben ziehen ihre schrillen Sommertönchen im schnellen Flug wie feine , glitzernde Fäden über den blauen Ätherraum hin . Sie weben im Kreuz- und Querflug ein Netz von diesen süßen , spitzen Lauten . Ein Zug Tauben fliegt über das gläserne , kuppelförmige Dach . Die Flügelschwingungen hören sich so fein , so fließend an , so durchdringend frei , ohne jede Erdenschwere . Isolde ist ganz in sich selbst versunken . Sie bewegt sich in dem starken , mächtigen Licht , in dem großen , kahlen Raum wie im Freien . In ihrer Hand hält sie achtlos den Grabstichel . Auf einem kleinen Tisch liegen zwei geöffnete Briefe . Gipsabgüsse stehen längs der Wände , Abgüsse nach der Natur , Glieder , Häupter , Totenmasken . Der Schädel , der Isolde durch fünf Jahre begleitet hat , ist das einzige im Raum , was gewissermaßen als Schmuck auffällt . Er trägt eine schimmernde Narrenkappe aus einem alten , köstlichen Goldstoff und darüber einen braunen Lorbeerkranz . Sonst im ganzen Atelier kein Schmuck , weder ein Teppich , noch sonst ein Luxusgegenstand . Unter der Kuppel , jetzt ganz von Licht übergossen , ein wunderlich fremdartiges Werk , eine sitzende Buddhastatue aus fleckenlosem Marmor : Isoldes Werk . Um den Sockel der meterhohen Gestalt stehen diese Worte : Inbrünstig bin ich gewesen , Inbrünstig wie noch kein Anderer . Rauhsinnig bin ich gewesen , Rauhsinnig wie noch kein Anderer . Wehmütig bin ich gewesen , Wehmütig wie noch kein Anderer . Abgelöst bin ich gewesen , Abgelöst wie noch kein Anderer . Und diesen Spruch einzugraben , war Isoldes Morgenwerk . Ja , und es war ihr gewesen , als läge in dem sonst geneigten Buddhahaupte der große Friede , - der große Friede der Erkenntnis , der vornehme , ganz von mächtigem Menschengeist durchdrungene und gehaltene Friede , nicht der demütige , unselbständige . Wie ein Jubel , wie eine erstickende Seligkeit war es über sie gekommen . Es schien ihr gelungen , was sie gewollt hatte . In dem Buddhahaupte lag das Königliche , das ganz Souveräne , die große , seltene Menschenmajestät , die noch über dem Menschenschmerz steht , der das Größte auf Erden und über der Erde ist . Du ungeheurer Todesschmerz , Leidens- und Lebensschmerz , du bist zu besiegen ! In Isoldes Augen waren heiße Tränen gestiegen . In Wahrheit , ihr erschien das Haupt das zu sein , was es sein sollte , wie sie es in langer leidenschaftlicher Hingebung ersehnt hatte . Schien es ihr nur so - oder war es wirklich so ? Im Augenblick - jetzt in dieser Stunde war es so . Sie glaubte , wenn sie auch im voraus wußte , daß sie wieder zweifeln würde . Sie ging wie über der Erde schwebend in ihrem lichtvollen Raum auf und nieder . Keine Schwere ! Und es hob sie , daß das Werk für diese beiden Menschen bestimmt sei - für ihre liebsten Menschen auf Erden . Für ihn und sie ! Daß sie das ihnen geben durfte und konnte . Was waren ihr in diesen Jahren Helwig und Lu Geber geworden . O , ihr lieben , wahren , einfachen Menschen ! dachte sie . Und wie würde Lu sich freuen , wie würde es ihr warm ans Herz greifen , wenn sie die schönen , stillen Züge ihres Mannes und seine Seele im Buddhahaupte wiedererkennen würde ? Was alles hatte Isolde ihm zu danken ! was für schöne , tiefe Stunden hatten sie zu drei miteinander erlebt ! » O , ihr weltentrückten Menschen ! « dachte Isolde , » in eurem schönen , stillen Heim - auf eurer Insel der Seligen - mitten in der schmutzigen Welt ! « Wie liebte sie diese beiden ! Bei ihnen hatte sie menschenwürdig fühlen und denken gelernt . Was mit ihnen zusammenhing , war so zweifelsohne ! Daß es etwas so Wahres gab , wie diese Leute ! Wie freute sie sich , beide in ihr Atelier zu führen und zu sagen : " Das danke ich euch ! Dir danke ich es , du weiser , guter , abgeklärter Mann , der du so anders bist als andere , von niemandem draußen in der Welt verstanden , du stiller Großer du ! " * Isolde ist schöner geworden , vornehm , streng im Stil . Sie neigt zu der Art Erscheinungen , wie Mrs. Wendland in ihrer ersten Jugend einst gewesen sein mochte , schlank , bleich , das mächtige , lockige Haar wie eine dunkle Wolke über der Stirn , tiefe Augen , über denen es wie ein Schleier liegt . Ihre Art sich zu kleiden , ist völlig ungesucht ; doch was diesen Körper berührt , wird vornehm . Isolde ist heute in Feierstimmung . Sie denkt heute nicht mehr daran , etwas zu tun . Sie hört jetzt auf die Schwalben , die hoch oben am blauen Firmament mit ihren seidenen Tönen wie mit Fäden weben und wirken . Da steht ihre Schwester Marie geistig ihr vor Augen . Was für ein kleines Gesicht hat der arme Samtaffe bekommen . Das Samtige , Volle ist von ihr geschwunden . Isolde sieht sie vor sich , wie sie oben in Mengersens Sommervilla , die er sich in der Nachbarschaft von Gebers gebaut , in dem schönen Waldgarten mit einander spazieren gingen , hoch über dem Ufer der Isar . Marie war damals Mutter ihres ersten Kindes , dessen Geburt ihr fast das Leben gekostet hatte . Seelisch und körperlich konnte sie sich davon lange nicht erholen . Ihr Kind gedieh , aber sie selbst hatte etwas wie vom Frost Getroffenes , etwas Mattes , Stilles , Banges . Das Kind mochte ein halbes Jahr alt sein , als sie damals mit einander unter den dichtbelaubten Bäumen gingen . Da hatte sich Marie mit einemmal an Isolde geklammert und ihr etwas zugeflüstert , ein Geständnis - ein so banges , schweres , daß sie wieder der Qual und dem Tod entgegenginge , und Isolde war von den fassungslosen , verzweifelten Tränen der Schwester naß am Hals geworden . Die beiden jungen Geschöpfe hingen an einander und wagten sich nicht in die Augen zu sehen . Marie weinte trostlos und Isolde wußte nicht , was sie sagen und fühlen sollte . Es war so peinlich . " Ide , " schluchzte Marie , " er kann mich doch gar nicht lieb haben ! Wie kann er denn ? Er weiß ja wie es war , wie entsetzlich ! - er weiß doch alles . Ide , wenn das Liebe ist ! " Marie schrie wie entsetzt auf und warf sich ins Gras , und lag mit dem Gesicht an die Erde gedrückt , hörte und fühlte und sah nichts vor Weinen . Isolde kniete neben ihr . " Sterben , zu Tode gerissen und gemartert werden - alles , wenn es sein muß ! alle Qual - alle Todesangst - und alles - alles - alles ! - aber Ide , - er ist ja nicht mein Freund ! " Diese arme wehe Stimme ! Isolde hörte sie jetzt noch mit voller Deutlichkeit . " Nichts bin ich ihm ! Gar nichts ! das , was ich ihm bin , haß ich ! Ich weiß , ich bin dumm - ich weiß ! - aber , wenn er mit mir spräche , ich würde es doch verstehen , schon weil ich ihn so lieb habe ' . - Ide , glaube mir , ich würde klug aus Liebe . - Ganz gewiß - ich weiß . Was er Schönes hat , verschweigt er vor mir . Nichts was er denkt , sagt er mir . Wir sind ganz getrennt . " Sie klagt rührend in die Erde hinein . Das alles hörte und sah Isolde im Geiste wieder vor sich , so lebhaft , so ergreifend , wie eben erst geschehen . Sie sah sich selbst , wie sie unbeweglich neben ihrer Schwester kniete . Und was Marie sprach , schluchzte sie immer noch wie in die Erde hinein . " Ein ganz einsamer Mensch ist nicht einsam , aber ich bin so einsam ! Glaubst du , daß er Mitleid mit mir hat ? Nein sage ich dir ! Gar nicht - keine Spur . Es muß halte so sein , denkt er . Das ist ganz in der Ordnung so . Dafür ist sie eine Frau . Er denkt ich brauche nichts anderes - essen , trinken - und sein Weib sein . Ach was sich so ein Mann denkt - so ein fremder Mann . Und dann glaubt er , daß er unsinnig geduldig zu mir ist , wenn er mich einmal anhört . Aber seinem Gesicht sehe ich es an . - Er ist immer schon mit allem fertig . Einfach meint er , das gehört so mit dazu , daß ich klage . Siehst du , daß ich nun wieder Mutter werde : das ist so eine Schmach - so ein Elend für Leib und Seele . Ein Wort , wenn er mir aus seiner Seele gäbe - dann trüge ich alles - alles - auch den Tod - auch alles Leidenmüssen . Die Hände würde ich ihm küssen , wenn er mit mir sprechen würde , wie mit einem Freund . Alles ertrüg ich - alles . Nein , - und ich habe es Mal versucht - mehrmals . - Nie mehr Ide - nie mehr ! Wenn er nicht selbst kommt - ich kann nicht wieder kommen - " Ihr Körper war von wilden , leidenschaftlichen Tränenfluten erschüttert und gepeinigt . " Siehst du Ide - die Mutter - der Mutter ist_es gerade so gegangen ! Du hast Mal gesagt , du glaubst sie wäre dumm - Ach Ide - nein ! Dumm nicht - verprügelt - abgestorben . - Geschlagen hat er sie nicht - - aber doch verprügelt - mit Worten - mit Gedanken . So eine ewige Mißachtung ist wie ein grauer Regentag . Dabei stirbt die Seele . Ich fühle es - ich werde wie Mama . Was er nur glaubt das ich bin ? Ob er glaubt , daß ich mich wohl fühle ? Ob er überhaupt einmal über mich nachdenkt ? - - - Ich weiß nicht ! " Sie war ratlos . Isolde kniete damals in wahrer Todesangst neben ihr und hielt ihre festgeballte kleine Hand in der ihren . Und wie Isolde ihre von Weinen ganz entstellte Schwester ins Haus zurückgeführt hatte , kam Mengersen eben aus seinem Atelier . Er trug , wie immer im Haus , einen weißen Flanellanzug . Man sah ihm an , er hatte mit Glück gearbeitet und befand sich geistig und körperlich außerordentlich wohl , blies behaglich die blauen Wölkchen seiner Zigarette in die Luft , da bemerkte er die beiden Schwestern . " Was ist geschehen , Marie ? " fragte er kurz . " Hast du dich wieder gehen lassen ? Du sollst ja nicht , bedenke doch deine Lage , und verschone mich etwas , wenn es dir möglich ist , mit diesen Launen . Ein wenig kannst du dich ja wohl zusammennehmen . " Er war unangenehm berührt . Isoldes Besuche bei ihrer Schwester mochten ihm auch fatal sein . Sie fühlte , daß sie ihn irritierte . Ihm gegenüber hatte sich bei ihr ein ganz sonderbarer Ton herausgebildet , der ihrer Natur fremd war , eine leichte , kühle Ironie . Dem Schädel , ihrem einstigen Symbol , hatte sie nicht ohne Sinn eine goldene Narrenkappe aufgesetzt und nicht umsonst den Lorbeerkranz . Henry Mengersens Kunst war und blieb ihr das Anbetungswürdige , das Große , das sie liebte . Die Liebe zu diesem Inbegriff von Kunst hatte sie zur Künstlerin gemacht . Eine Anerkennung von ihm war ihr heute noch von höchstem Wert und er konnte sie ihr auch nicht versagen . Sie hatte es erreicht : Er anerkannte ihr Talent und ihren Fleiß und das Ziel , das sie wollte . Wie hatte sie diese Jahre gearbeitet ! Als sollte sie sich mit der Arbeit rein waschen von aller Schmach , die ihrer Seele anhaftete . Nur das konnte heilen und reinigen . Und hätte er ihr zu Füßen gelegen und um Verzeihung gefleht - nichts - nichts hätte das geholfen . Aber , daß er sie anerkennen müßte ! * Asketisch hatte sie diese Jahre gelebt , als gäbe es für sie keine Jugend , keine Schönheit und keinen Reichtum . Daheim , in dem luxuriös ausgestatteten Haus ihrer Eltern , in der Leopoldstraße , bewohnte sie ein kleines , unscheinbares Zimmer , schlief auf einem harten Feldbett , Winter und Sommer bei offenem Fenster , badete täglich kalt , litt nichts Weichliches - nichts Zärtliches in ihrer Umgebung ; bei Wetter und Wind machte sie weite Gänge . In ihr war das Gefühl lebendig : die Schmach abwaschen ! die Schmach , die er ihr angetan , rein werden , stark werden , arbeiten , erreichen , Mensch werden . Daß sie so schön war , freute sie . Wie sie ihre eigene Schönheit verstand und liebte ! Und sie wurde reiner und reiner . Ihre Seele wußte nichts mehr von Schmach - von eigener Schmach . Ein solches Gefühl von Starksein , von Schönsein , von Können , von Macht erfüllte sie jetzt oft . » Ja , das glaube ich , « dachte sie hin und wieder . » Ihr möchtet mich einfangen , einkasteln . Einer möchte mich selbst besitzen , meine Schönheit , mein Vermögen und damit schalten und walten nach Gutdünken . Daß i net lache ! « Das alles ging ihr jetzt durch den Sinn , als sie in ihrem hohen , weiten Atelier auf- und niederwandelte . Was war aus ihr geworden in diesen Jahren - etwas so Freies . So , wie in eine andere Lust , war sie gekommen . Zum ersticken , wenn sie an ihre Schwester dachte , an ihre Mutter . Die Nacht , in der sie still wie eine Tote in ihrem Bett gelegen hatte , war unvergessen , war eingebrannt in ihr Bewußtsein . In ihrem innersten Sein bedeutete es nichts , daß es ihr selbst wohl erging . Sie gehörte doch zu denen , die tief unter dem Begriff Mensch stehen , zu den Körpern ohne Geisteskraft , die beschimpft , mißachtet , ohne Menschenwürde leben , zu der dumpfen , gedankenlosen Hälfte der Menschheit , die nicht das Recht hat , voll Mensch zu sein . Sie stand jetzt vor dem Tisch , auf welchem die zwei Briefe lagen , einer , der heute gekommen war und ein anderer , der seit drei Wochen hier schon gelegen hatte . Sie nahm den älteren Brief in die Hand und las ihn wieder . Von ihrer Schwester Marie aus Berlin ist er , die schreibt ihr nach der Geburt eines Kindes . Ein wirrer , mit Bleistift gekritzelter Brief : " Ide , Todesqual , vierundzwanzig Stunden lang - wie jedes Mal , von Anfang bis zu Ende entsetzlich . Nur mein Wille , meine armen Kinder nicht zu verlassen , erhielt mich am Leben . Nicht chloroformiert , weil Kind sonst absterben - - schon angegriffen . Sonst alles in Ordnung . Henry an Vater geschrieben . Denke an mich . Einsam ! Einsam ! Weißt noch ? Ade . " O ja , sie wußte ! Sie wußte auch , was Henry , Schwager " Weißröckchen " , wie sie ihn nannte , geschrieben hatte : " Alles vortrefflich ! Das kleine Ungeheuer ist , was man so einen " prächtigen Jungen " nennt ! Schwere Entbindung , wie wir das nun einmal in der Gewohnheit haben . Marie befindet sich nach ihren Strapazen jetzt mehr als gut . Der Arzt ist außerordentlich zufrieden . Nicht die geringste Ursache zu Besorgnis . " Und der heutige Brief . Isolde hatte ihn schon mehrmals gelesen . Sie überflog jetzt noch einmal diese und jene Stelle : " Mein Mann reist jetzt , weil er ästhetisch gequält ist . Der Herr Wöchner leidet schmerzlich darunter , daß ich meine Mutterpflichten an dem Jüngsten erfülle , - noch schmerzlicher aber darunter , daß ihm jetzt so viel unpoetische Dinge unverhüllt entgegentreten . Dieser Realität- und Wahrhitfanatiker kann nämlich absolut nicht die Wirklichkeit vertragen . Und da ich noch vollkommen erschöpft bin , sehr wenig außer Bett sein darf , so kann ich mich nicht mehr als gnädig verhüllende Wolken zwischen ihn und die Wirklichkeit schieben . Körperschwäche und Ammendienst halten mich von allem zurück . Die einzige Person , die um mich besorgt war , mußte leider sehr bald zurück . Sie war anderweitig engagiert . Die bis für mich etwas Ruhe heraus . Schade , daß du wegen der armen Mama nicht zu mir kommen durftest . Welcher Trost wäre mir das gewesen ! Seitdem die Wartfrau fort ist , werde ich wieder als " Nützlichkeitstier " von allen behandelt . Wenn ich mich auch kaum bewegen kann vor Schwäche , muß ich doch mindestens ein Kind warten und häufig noch eins dazu beaufsichtigen . Dann kommt der Gatte und schimpft , daß immer Kinder bei mir sind und klagt den Himmel an , daß er Familienvater ist , dann versuche ich einige seiner Schmerzen zu lindern , bis die meinen zu stark werden . So vergehen im Wechsel meiner Pein die Tage . Ich halte mich an meinen alten Trost : die Zeit steht nicht still . Also muß ein Wechsel kommen . Henry hat recht , - so komisch es klingt - eine Frau , die ein Kind erwartet , sollte nicht im Hause bleiben . Er ist so sehr empfindlich darin . Es beleidigt seinen Schönheitssinn , mich in diesem Zustand zu sehen . Es ist ihm unerträglich . Ich weiß das . Zuerst erschien es mir ein grausamer Wahnsinn , wie er es sagte ; - mir war , als täte sich ein Abgrund vor mir auf . Er sprach es so ganz naiv aus , als Künstler , weißt du . Aber wie alles nun einmal ist , hat er von seinem Standpunkt ganz recht . Wundert mich , daß es nicht ein solches Gesetz gibt . Für die Frau wäre es im Grunde auch besser . Meine Ide , schreibe mir doch recht bald einen lieben , langen Brief . Mich verlangt stürmisch danach , denn ganz inwendig sitzt bei mir etwas Heißes - Feuchtes . Das sollst du fortwischen , du hast den Zauber der Liebe , du kannst es . Vergiß mich ja nicht , Ide ! Von dir kommt mein Leben . Was meine Seele auf Erden hat , hat sie von dir ! Einzig von dir . Mit dir wachs ich und denke ich . Du hältst mich . Laß mich nicht ganz fallen . " 10 . Als Isolde spät abends in dieser Maienzeit mit dem letzten Zug aus Ludwigshöhe nach Haus zurückgekehrt war , befand sie sich in einer wunderlichen Stimmung . Sie hatte heute ein Stück aus dem Werke ihres guten Freundes gehört . Das war nicht die Arbeit eines modernen Menschen . So mochte Angelus Silesius gearbeitet haben . Das war die Offenbarung eines Menschen , der wie die Natur schafft , ohne Eitelkeit , ohne Ehrgeiz , ohne Hast . Das , was er erkannt hat , legt er nieder in einer Form , die mit dem Inhalt in eins wächst , ein ganzes Leben der Erkenntnis . Wie schön war es da oben gewesen , auf der Insel der Seligen ! Wie glücklich hatten sie zusammengesessen ! Lu in ihrer rührend überirdischen Liebe die Hand ihres Mannes haltend , als er las . Dann war sie leise zu Isolde gegangen und hatte deren Kopf an ihre Brust gedrückt . Wie konnte diese Frau schön sein , wenn es ihr in ihrer großen Liebe wohl auf Erden wurde . Jede Bewegung von einer süßen , tiefen Zärtlichkeit ; in jeder Silbe Wonne und lebendiger Frieden . Isolde hatte daran gedacht , daß Mrs. Wendland einmal sagte : " Wenn ich die Lu mir vorstelle , sehe ich , daß sie genagelt ist an ein Kreuz , mit tausend Rosen überdeckt , ein Golgatha , ganz in Rosen . " Isolde erschien es immer , als würde der Haushalt da oben in Ludwigshöhe von einem großen Kinde geführt . Nachdem sie so weltentrückt bei einander gesessen und eine Stunde erlebt hatten , wie sie schöner und reiner auf Erden nicht zu denken ist - Isoldes Buddha hatte auf sie niedergeblickt und wie ein Licht im Zimmer geleuchtet - da war Frau Lu mit einer Schüssel voll Schlagsahne aufgetaucht und einer Kanne holländischen Kakao . Schlagsahne und Kakao gab es da oben immer in der größten Seligkeit und auch wenn sie Kummer hatten . Es war eine ganz naive Art zu leben , die von Frau Lu ausging . Ihren Mann behandelte sie auch so naiv mütterlich . Jedenfalls für sie die bequemste Form , ihre strahlende Wärme auf ihn zu richten . Er wendete sich auch in allem an sie wie an eine Mutter . Von ihrer Arbeit stand sie auf , kam ganz unvermittelt herein zu ihm und fragte . " Bist du auch wirklich gut zu mir ? Hast du mich lieb ? Wird alles gut ? " " Es ist alles gut , " sagte er dann . " Verzeih , " sie durfte nicht fragen . " Ist dir auch ein bisserl wohl ? Und das wollte ich noch fragen : Nach dem Bad fühlst du dich doch etwa wie nach einem Spaziergang ? - so wie neu ? Was ? Weißt du , du mußt mir das immer sagen , dann bin ich nachher viel froher . " Sie lebte immer in der großen Sehnsucht nach Sonne , nach Sorglosigkeit . Isolde kam so warmen , weichen Herzens von ihren Freunden zurück , so erfüllt von allem Guten . Dazu heute der milde duftende Maiabend . Schwere bange Wolken am Himmel , Sternaufflimmern und ein Rauschen der neuen Laubmassen . Sie fuhr in offener Droschke vom Bahnhof nach Hause . Mama schlief schon , der Vater war auswärts . Isolde seufzte auf . Seit Mama die Sorgen losgeworden , war sie immer leidend und oft weinerlicher , kleinmütiger Stimmung . Isolde hatte es nicht leicht mit ihr . Mama war eine so unbewegliche müde Seele geworden , die sich wie ein Bleigewicht an eine junge Kraft hing . Der Vater lebte , wie er es von je her getan hatte , nur anderen Stils jetzt . Er hatte sein Heim in Berlin , wie in München , und genoß den Umschwung der Vermögensverhältnisse seiner Frau auf das Energischste . Der Frau selbst waren die Fähigkeiten , zu genießen , abgestorben , so gar der gute Appetit . Mama war meist leidend und mußte knappe Diät halten . Die Kräfte aufgebraucht , die Sinne stumpf , so stand sie dem Schicksal gegenüber , wie der Mann ohne Löffel , wenn es Brei regnet . Das war , wenn auch unbewußt , der Grund eines tief innerlichen Mißmutes . Isolde trat in ihr stilles , ganz von lauem Maienduft erfülltes Zimmer . Vom englischen Garten brachte die feuchte Nachtluft ganze Wolken frischen Laubatems . Sie legte die Hände übers Haupt . Wie empfand sie heute das Frühjahr so stark ! Es war etwas Beseligtes in ihr und in dieser Beseligung eine so wehe , weiche Sehnsucht . Sehnsucht nach Liebe , nach zärtlichen Händen , anschmiegen , Einswerden mit dem anderen . Sie wollte tief , tief lieben ; nur nicht etwas Halbes ! Ein arbeitendes Weib ohne Liebe ! O , nein ! Sie lächelte . Nein , sie wollte das ganze Leben haben , das volle , das bis an den Rand volle . Sie sah ihr Gesicht im Spiegel . Wie beruhigend , welcher Trost , daß sie schön war . Jetzt sollte der kommen , der sie lieben würde - den sie lieben würde . Sie war bereit . Sie stand fest , da wo sie wollte . Nein , von hier verdrängte sie nichts mehr . Jetzt konnte sie lieben ! Wie jung sie war ! Solch eine Jugend , die schwer an all dem trug , was sie besaß , wie eine beladene Biene , die aus Blumenkelchen kommt . So viel Macht und Willen - und ihr Können ! - und die göttlichen selbständigen Stunden ! Diese Seelenräusche , die einsamen , in denen ihre Seele untertauchte und badete , und denen sie glückselig und stark entstieg . Ein Jubel in ihr ! Sie hielt immer noch die Hände über dem Haupt gefaltet . Ja , jetzt durfte er kommen , der , den sie lieben würde , - jetzt ! Ihr Leben sollte reich und schön werden . Da kam ihr die Erinnerung , wie sie als Kind vor Henry Mengersens Radierungen gestanden , zum ersten Mal vom großen Geheimnis der Liebe rein berührt , nach jenem frühlingshaften Koboldstreiben unter den Schulmädchen ; und wie sie nach Haus gelaufen war , das arme junge Herz zerspringend voll von dem Gefühl : das Herrlichste auf Erden ist Weib sein ! - sich opfern ! " Ja , ja , " sagte sie leise , " nur anders . Noch größer muß das Opfer sein . Menschlicher , schöner , bewußter . " Da lag ein Brief , den sie übersehen hatte . Sie nahm ihn , schaute auf die Adresse . Eine fremde Hand . Eine Bangigkeit stieg ihr wie von diesem Briefe auf - etwas sie Überschauerndes , Sonderbares . So erregt war sie in diesen dunklen Frühlingsstunden ! Eine Frauenschrift - eine gelenke Schrift ohne Charakter , mit blaßbrauner , gewässerter Tinte geschrieben . " Ein Bettelbrief , " sagte sie sich und öffnete ihn . " Liebes , hochgeehrtes Fräulein ! " las sie . " Verzeihen Sie einer Ihnen ganz Unbekannten , daß sie sich an Sie wendet . Eine feine junge Dame , wie Sie , lebt so anders wie unsereins und wird sich sehr verwundern . Mißachten Sie mich nicht , ich bitte Sie recht herzlich darum . Ich stehe ganz allein und , liebes Fräulein , ich bitte Sie noch einmal recht herzlich , sein Sie so gut und denken Sie nicht schlecht von mir . Ich bin ein armes Mädchen . Es ist mir immer schlecht und knapp im Leben gegangen . Ich bin Ladnerin und auch Buchhalterin bisher gewesen und kenne Sie auch , gnädiges Fräulein . Sie haben manchmal unser Geschäft besucht . Ich bin in Hoffnung , damit ich_es nur gesagt habe . Ich habe keinen Pfennig Geld in der Hand und meine Entbindung kann ich jede Stunde erwarten . Glauben Sie mir , nur in der größten Not und Angst wend ich mich an Sie . Die Hebamme , wo ich seit ein paar Tagen wohne , will mich nicht behalten , weil ich ganz mittellos bin . Sie will mich in die Anstalt in der Sonnenstraße schaffen . Du lieber , guter , barmherziger Gott ! Haben Sie Mitleid mit mir ! Ich weiß nicht aus und ein vor Angst . Ich bin guter Leute Kind . Die Eltern sind gestorben . Retten Sie mich , gutes , liebes Fräulein , daß mir das nicht geschieht . Ich stürbe vor Scham . Tun Sie was für mich ! Der Vater von meinem Kind will nichts mehr von mir wissen . Er hat jetzt eine Andere . Ach daß er_es zuläßt , daß ich dort niederkommen soll ! so nackt und bloß vor aller Augen . Die Hebamme sagt , der Kopf wird einem verdeckt ! - Es ist doch auch sein Kind , er hat mich doch einmal gemocht . Liebes , gutes , barmherziges Fräulein , tun Sie was für mich ! Ich bitte Sie so sehr ich kann , mit aufgehobenen Händen . Gott Lohns Ihnen , liebes Fräulein . " Hier folgte die Adresse der Hebamme und als Nachschrift stand : " Fragen Sie nur nach dem blonden Mädchen aus Aussäe . " Ja , von diesem Brief stieg es bang und schwer auf . Als wenn zwei arme , zitternde Hände sie faßten und zur Türe drängten , so empfand sie es : " Gehe - gehe - ach gehe doch ! " Sie fühlte sich wie nicht allein in ihrem Zimmer . Das , was aus dem Briefe aufgestiegen , erfüllte es ganz und gar , war leibhaftig da , so weh , so hilflos , hilfesuchend . Und sie ging . Da stand sie im Vorhaus , warf im gehen ihren leichten Abendmantel um . Ihr Käppchen stülpte sie auf . Unter den hohen , flüsternden Pappeln der Leopoldstraße schaute sie noch einmal zum Hause zurück und bemerkte in dem Zimmer ihres Bruders Licht . Der war merkwürdiger Weise schon um diese Zeit zurückgekehrt . Die Fensterflügel standen offen . Er hatte die Haustür wohl gehen hören , war ans Fenster getreten und mußte sie bemerkt haben , denn er bog sich hinaus und schaute ihr nach , rief ihren Namen mit einer ganz sonderbaren Betonung , die sie lächeln machte . Jetzt beschleunigte sie ihre Schritte , denn sie fürchtete , er könnte auf den Gedanken kommen , ihr zu folgen . Am Odeonsplatz nahm sie eine Droschke und fuhr durch die stillen , nächtlichen Straßen ; im langsamen Trab ging es vorwärts . Ihr Herz klopfte der fremden Not entgegen . Vor einem Hause in der Buttermelcherstraße ließ sie halten . Die rote Laterne einer Hebamme leuchtete dort . Auf Isoldes Läuten öffnete sich die Haustür und eine starke Person in einem schabten Prinzeßmorgenkleid , das sie mit einer ordinären Petroleumlampe beleuchtete , trat halbwegs auf die Straße hinaus . Isolde fragte nach dem Mädchen . Die Augen der Frau bohrten sich in Isoldes Erscheinung ein , als wollten sie mit einem Blick durchschauen , wie das vornehme , junge Mädchen mit der armen Ladnerin zusammenhing . Was wollte die denn jetzt ? " Wohnt nicht mehr hier ? " fragte Isolde enttäuscht . " Ich habe sie heute in die Sonnenstraße gebracht , gnädiges Fräulein . Da ist sie wohl aufgehoben , besser dran als bei mir . Sehen Sie , unsereins muß oft mehr herhalten als recht ist . Die jungen Mädchen , - wie das so ist , - sparen Tuns net , mit ei'mal Stehens vor der Bescherung . Da soll die Hebamme herhalten . Wenn_es irgend angeht , hat er sich bei Zeiten gedrückt . Wissens Fräulein - Verzeihens ; wir sind doch auch net da , um alles auszubaden . Für solche ist eben die Anstalt in der Sonnenstraße . Möchte wissen für wen sonsten , wenn net für die ! " Die Frau war noch in dem Eifer , den sie angewandt haben mochte , um das unglückliche Mädchen loszuwerden und anzubringen . " Ich Zahl für sie , " sagte Isolde . " Holen Sie sie wieder zu sich . Benutzen Sie gleich meine Droschke . Fahren Sie sofort . " Isolde war es , als wenn wieder zwei arme , arme Hände sich an sie legten und sie rührend drängten . " Ein paar Stunden , wann_es früher gekommen wären . Jetzt glaube i net . - I mein Mal net . " " Ich Zahl für sie , " wiederholte Isolde noch einmal . " Mein Name ist Isolde Frey . " Da stutzte die Frau eigentümlich . " Erlaubens , Frey ? wenn ich recht gehört habe ? " " Ja , Frey , Leopoldstraße . " Die Frau schaute Isolde ganz perplex an , schloß die Haustür , die noch ein wenig offen stand , stellte die Lampe auf den Fußboden neben sich hin und sagte : " Also vom Herrn Bruder geschickt ? " " Von meinem Bruder ? " fragte Isolde verständnislos . " Herr Studiosus Karl Frey ? " fragte die Frau noch einmal . " Das ist mein Bruder . " " No also ! Und der ist auch der Vater von dem Mädchen seinem Kind . So weit als ich die Kleine kenne , ist sie ganz a sauberes Madel , das was auf sich hält . Also da hat er doch noch ein Einsehn gehabt . Ja , die ganz jungen Herren die sind a Kreuz vorn Mädel . " Isolde war in der größten Verwirrung . " Ich fahre zu ihr , ich bringe sie ! " sagte sie heftig . " Kommen Sie nach . " Sie drückte der Hebamme zehn Mark in die Hand . " Alles wird gezahlt . " * Als Isolde mit zitternder Hand nach der Klingel an dem eisernen Gittertore des roten Hauses in der Sonnenstraße suchte , schlug ihr das Herz zum zerspringen . Sie war wie im Fieber . " Unmöglich ! " sagte sie immer von neuem leise vor sich hin . - " Unmöglich - unmöglich ! " Ein Grausen vor ihrem Bruder stieg in ihr auf . Dies blonde , joviale Gesicht - das breite Lächeln , die Wohlbehäbigkeit , die Überhebung in jedem Wort , die herablassende Höflichkeit gegen die Mutter und sie selbst ! Und nichts hatte man diesem Gesicht angesehen , diesem breiten , frechen Gesicht . So behaglich wie immer hatte er dieser Tage ausgesehn , dieselben dummen , faden Witze , dasselbe rekeln und dehnen daheim . Und seine plumpen Fäuste hatten sich von solch einem armen , unseligen Herzen losgemacht und seine plumpen Füße waren über ein Menschenwesen hingegangen , das sich ihm in Liebe gegeben hatte ! Als die Türe geöffnet wurde , konnte Isolde nicht sogleich zu Worte kommen . Dann erfuhr sie das " zu spät " . " Die Müssens schon jetzt hierlassen . " Isolde stand ratlos . Die Türe wurde geschlossen . Isolde zahlte dem Kutscher . Sie wollte nach Hause gehen . Ja , sie mußte gehen , ihre eigenen Füße gebrauchen , um weiter zu kommen . Das Kind ihres Bruders wurde da drin in dem Haus geboren von einem armen , ganz verlassenen , preisgegebenen Geschöpf . Weil sie arm war , mußte sie alles über sich ergehen lassen , was an Entsetzen auszudenken ist ; weil man ihr Barmherzigkeit erwies , mußte sie mit dem Einzigen , was sie hatte , mit der Scham ihrer armen Seele überzahlen . Ihre Schmerzen , ihre Todesnot wurden kühl beobachtet , notiert , vielleicht belächelt . Welche Einsamkeit ! Das hatte ihr Bruder der angetan , die er geliebt ! die ihm jetzt sein Kind gebar . In Isoldes Seele wurde etwas starr . In ihren Schläfen hämmerte es vor Empörung . Sie ging , als berührte sie den Boden nicht . Jeder Blick , den sie heute ins Leben tat , in das , was die Menschen " Leben " nennen : Ekel ! Eine Welt für Bestien , für Raubtiere , die einander würgen und die dann fragen : " Wie ist das Böse nur auf unsere gute Welt gekommen ! " Da dachte sie an ihren Freund , der seine Lebenskraft gab , um diesen wunderlichen stumpfen Hirnen die Sinne zu öffnen , dadurch daß er das Wunder und Geheimnis enthüllte , wie das Gute auf diese Welt des Fressens und Gefressenwerdens gekommen ist . Ein Wunder ohne gleichen ! * Am anderen Morgen , nach einer schlaflosen Nacht , wurde Isolde zur Mutter gerufen , die sich nicht wohl befand . Es gab da zu trösten und zu ermutigen . Die Mutter litt oft an einer plötzlichen nervösen Herzschwäche und war dann in tausend Ängsten um ihr Leben . " Fühle nur , Isolde , wie der Puls wieder geht , fühle ! " " Gar_nicht so übel , was willst du denn , wie soll er denn gehen ? " " Meinst du ? " fragte Mama aufatmend , " mir war , als wenn er ganz aussetzen täte . Gehe bitte , reib mich Mal ein bissel in der Herzgegend . Nimm aber Öl an die Finger . - Und dann die Hände - auch reiben - da zuckt und druckt bis in die Fingerspitzen. Ah - ah . " Mama stöhnte . Isolde rieb und tröstete . " Die Angst ! die Angst ! - ach Isolde ! So was kannst du dir nicht vorstellen , wie das ist ! Gehe , gib mir mein Brompulverl . " " es ist ja keins mehr da , du weißt ja . " " Dann laß es in der Apotheke schnell machen ; aber schnell ein bissel . " Isolde ging , um es einem der Mädchen zu übergeben . Aus dem Vorsaal hörte sie im Speisezimmer ihren Bruder schelten . Das Zimmermädchen , das den Teetisch zu besorgen hatte , kam aus der Tür . " Der Lachsschinken für den jungen Herrn ist net vom Dallmeier geholt , " sagte sie . Da tat sich die Tür auf und Karl erschien auf der Schwelle . Er hatte Isolde gehört . " Möchte wissen , " rief er , " wie oft ich_es noch wiederholen muß , daß ich keinen anderen Schinken mag . Ich dächte Isolde , du tätest dir auch kein Bein ausreißen , wenn du den Dienstboten ein bissel besser auf die Finger passen tätest ! " Isolde starrte den kauenden Bruder wie eine unbegreifliche Erscheinung an . Er wollte eben die Türe wieder schließen . " Übrigens wo warst du gestern Abend ? " fragte er barsch . Isolde wendete ihm den Rücken . Karl schloß die Türe heftig . Als Isolde endlich von allem , was diesen Morgen sie bedrängt und aufgehalten hatte , frei gekommen und bereit war , dahin zu gehen wohin es sie wie mit Händen zog , hörte sie ihren Bruder behaglich mit dem Vater lachen und plaudern . Die Stunde nach dem Morgende verbrachten Vater und Sohn gewöhnlich im Frühstückszimmer , Zeitung lesend und rauchend . Isolde grauste es vor der vollen männlichen , sorglosen Stimme ihres Bruders , in der so viel Wohlbefinden lag . Die behagliche Stimme verfolgte sie noch auf der Straße und trieb sie wie mit einer Peitsche an . * Und jetzt stand sie wieder vor dem stattlichen roten Haus und drückte wieder bang in schwerer Erregung auf die Klingel . Sie tat ihre Frage und bekam etwas zur Antwort , etwas , das ihr das Blut wie einen Strahl zum Herzen trieb , und die Augen verdunkelte . Sie hatten das Mädchen auf die Anatomie gebracht . " Wie ? " fragte Isolde verwirrt . " Ich will hin , " sagte sie . " Heute können es auch hin , " meinte die Person , die geöffnet hatte . " Aber ich möchts Ihna net raten . " * In einem öden , breiten Gang , wie sie offiziellen Gebäuden eigen sind , stand sie , bis eine Art Hausmeister sie in den Saal führte . Ein kahler Raum , die untere Hälfte der Fensterscheiben mit weißer Ölfarbe verstrichen . Die Wände grauweiß , lange graue Tische , grauer Steinboden - dort um den Tisch , da standen sie dicht gedrängt . Da lag ihres Bruders Weib nackt vor kalten Blicken . Neben der Mutter , ihres Bruders Kind , wie eine welke Blütenknospe , formlos , schlaff . Isolde drückte sich an die graue Wand und starrte auf die Gruppe junger Männer in weißen Röcken und auf den langgestreckten , nackten , zermarterten Leib . Ein weißes , starres Gesicht mit geschlossenen Augen , die Stirn von blonden Löckchen umrahmt , lag wie im tiefen , reinen Schlaf , einen wehen , eisernen Schmerzenszug um die blauen Lippen . Isolde starrte auf diesen Zug . Der Brief des armen Dings knisterte noch in ihrer Tasche . Sie faßte danach . Sie hielt ihn fest in der Hand , wie ein wichtiges Dokument . Da fuhr ein furchtbarer Schnitt über Brust und Leib des toten Weibes . Das stille reine Gesicht mit den schweren , starren Augenlidern lag teilnahmlos , voll rührender Hoheit über all dem Entsetzen , dem blutigen Gräßlichen , was da geschah . Da traf Isoldes Ohr ein Lachen , ein so widerlicher Witz . Der krallte sich in ihre Seele ein und haftet da , ein Witz , so voller Weib-Verachtung . Das jammervoll zerrissene , zermarterte Geschöpf hatte dazu herausgefordert . Der zu Tode gepeinigte Körper predigte vom Leiden des Weibes , von seinem Opfer . Die Weißbeschürzten fühlten sich im Besitz strotzender Kräfte , strammer Jugend . Da lag der ganze Jammer des Weibes vor ihnen , war ihnen preisgegeben ; und das stille Gesicht in seiner Hoheit , das die Welt und den Schmerz überwunden , was wollte das ? Was sagte das ? » Du Schmerzenshoheit , du Todeshoheit ! « dachte Isolde , » wie stehst du doch über allem , bist größer als alles ! « Sie hätte sterben mögen vor Ekel und Entsetzen , wäre dies stille Gesicht nicht gewesen . Der zerrissene , unverhüllte Körper , der hier vor frechen kalten Blicken lag , war das Weib , dem alles ohne Scheu geboten werden konnte , das Weib , das nie zur Menschenwürde noch gelangt war . Etwas wie fanatischer Jubel regte sich in Isolde , weil sie zu den Niederen , den Erniedrigten gehörte . Die Witze galten ihr ! Sie teilte sich darein mit dem zerfetzten Leib dort ! Aber das stille , unberührte Antlitz mit dem furchtbar starren Zug leuchtete wie ein Licht unter den gemeinen , rohen , lebendigen Gesichtern . Ihres Bruders kauendes Gesicht wurde überstrahlt wie von einer Sonne . Da war etwas in dem Totenantlitz , etwas Sieghaftes . Und dies Sieghafte fühlte sie in sich selbst . Sie preßte die Hände an ihre Brust . Wie ein Schatten , wie in sich selbst verkrochen , stand sie ganz entrückt . Es war ihr , als hörte sie ihren eigenen Namen da an dem Tische mit Entrüstung aussprechen . » Es wird mich einer oder der andere wohl kennen « , dachte sie kühl . Ja , da ist etwas groß geworden im Weibe , - unüberwindlich , groß durch Schmach . Mitten in dem dummen , albernen , unentwickelten ist eine Kraft gewachsen , die Kraft , die durch Leiden , Verachtung , Verstoßung wächst . Hellsehend überschaut Isolde das rechtlose . zum Halbtier herabgedrückte , geistberaubte , schmerzbeladene Weibtum dieser Welt . Das lallende , unbewußte , demütige , dumme , niedere , das alles hinnimmt ohne Gegenwehr wie der blutige Leichnam dort . Aber das heilige Weibantlitz , das unerschütterliche in diesem Antlitz , das war das Begeisternde - das Lebendige , die große Hoffnung . Als vier Fäuste den Leichnam achtlos , ohne jede Barmherzigkeit , die der junge , schmerzzermarterte , verlassene Leib als heiliges Recht hätte verlangen dürfen , in eine Kiste warfen , wie etwas völlig Abgetanes und das Kind auf den Körper der Mutter fallen ließen , und der flache Kistendeckel , der zum Sarg der Aller-Allerärmsten . gehört und den sie den " Nasentetscher " nennen , darüber gelegt wurde , da war die Tragödie zu Ende . In Isolde stieg einen Augenblick der Gedanke auf , daß sie einen menschenwürdigen Sarg für den armen toten Leib besorgen wollte . - - Aber nein , daran nicht rühren ! Sie ging , die ganze Seele voller Weltliebe , bereit sich zu opfern , - bereit , mit ihrem Leben einzustehen gegen die ganze Welt . Und draußen war voller Frühling , Werdelust und Werdekraft in der warmen , sonnendurchströmten Luft . Sie atmete tief , tief aus und ging an den gedankenlosen , hetzenden Menschen wie an Larven vorüber . Bis in die kleinste Faser war sie jetzt lebendig und wach , sich ihrer selbst bewußt , ihr Wille so mächtig . Alle Alltagsgesichter , die ihr begegneten , waren ihr wie durchsichtig , das dumpfe Befangensein in diesen Köpfen fühlte sie . Wie Tote erschienen sie ihr alle , im Gegensatz zu sich selbst . Sie aber lebte ! * Sie blieb über Mittag in ihrem Atelier . Unmöglich hätte sie heute ihrem Bruder gegenübersitzen können . In dem großen , weiten Atelier wanderte sie auf und nieder , durchmaß breite Strecken in diesem stundenlangen , unaufhörlichen Sich- hin-und-her-bewegen . Über ihr webten und wirkten wieder die Schwalben mit ihren seidenen Tönen Fäden über den blauen Himmelsraum . Wie sie ihr zu Herzen drangen , diese Sommerlaute ! Und immer dieses starke , weite , alles überwindende Lebendigsein ! Dieser große Wille , dies Sich-opfern- wollen ! * Erst am Abend wagte sie sich zaghaft nach Haus . Im Wohnzimmer traf sie auf ihren Vater . Noch immer war er eine stattliche Persönlichkeit , mit einer Weltzufriedenheit im Auge jetzt , ein zufriedener Prophet . Er trat auf sie zu , legte ihr die Hand weich auf die Schulter . " Deesse ! Extravaganzen ! Du bist - da - heute gesehen worden , bestes Kind ! " Isolde blickte ihren Vater mit großen Augen an . " Karln ist es mitgeteilt worden . Deesse ! - Kind ! " Eine Würde sondergleichen ging von der mächtigen Persönlichkeit aus . Isolde erwiderte mit keinem Wort . Der Vater schwieg auch . Seine volle , lebendige Hand lag noch immer auf Isoldes Schulter . " Sage Mal , Kind , " begann er wieder , " was ging das dich eigentlich an ? Wie kommst du darauf ? Weißt du , Deesse , das ist im vollen Sinn eine Taktlosigkeit ! Mir vollkommen unverständlich , wie du darauf gekommen bist . Spionierst du vielleicht ? Kontrollierst du vielleicht auch . . . . . " Doktor Frey sprach nicht aus . " Weißt du , mein Kind , Karl ist ein junger Mann - kein Pensionsmädel , braucht keine Governeß . Hat der arme Junge Unglück gehabt - laß deine Finger davon . Laß ihn ! Karl ist wild über dein Betragen . Meinst du denn , daß es ihm angenehm war von deiner Anwesenheit - dort - zu hören ? Junge Leute untereinander ! Teufel auch ! Davon verstehst du nichts . - Was für ein Gesicht soll er denn machen . wenn das von dir erzählt wird ? " " Ja , - weißt du , Isolde , das ist denn doch zu toll ! " das war Karl , der das sagte . Er stand in der Tür , voll , breit , schwerfällig , empört . Die Weste stand ihm offen . Sein Gesicht war stark gerötet . " Fahre du nur so fort mit deinen Überspanntheiten , du verrücktes Huhn , das wird noch gut werden , du kannst so bleiben ! Heirat endlich , damit man Ruhe hat ! " Er trat in das Zimmer zurück , aus dem er gekommen war und warf die Tür mit voller Gewalt ins Schloß . " Ein ander Mal laß ihn ungeschoren , " sagte Doktor Frey . " Kein Mensch hätte von der Affäre gehört . Nicht eine Stunde wäre der Frieden gestört , - und nun ! Du weißt , daß ich Ärger im Haus nicht ertragen kann . " Mama machte die Tür vorsichtig auf . " Ach Gott - was ist denn ? " Isolde steht bleich , in sich zusammengefaßt , wie eine Weltdame , die in einer leichten Unterhaltung gestört wird . " Gar_nichts , liebe Mama . Nicht der Rede wert - etwas ganz Alltägliches . " 11 . Sie hatte so in sich selbst verschlossen gelebt - in ihrer Arbeit . Sie hatte gewissermaßen nicht für ihre eigene Person erstrebt , was sie nun anfing , zu besitzen . Das Weib in ihr war es , was sich mühte , was rang , was ein Ziel verfolgte , was tief erregt bei jedem Mißlingen verzweifelte , was aufjauchzte bei jedem Gelingen . Sie wollte den Begriff Weib in sich selbst umwerten , umgestalten . Erlöser - Seligkeit und Schmerzen standen ihrer Seele nach . Weltfremd , jahrelang nur von einem fanatischen Arbeitsgeist besessen , war ihr vieles jetzt so neu . Wie mit wunden Nerven hatte sie seit jener Nacht vor fünf Jahren das Weibsein empfunden . Das Geschöpf zweiter Klasse sein , das Ausgeschlossen- sein von allem geistig Lebendigen , das Stehengebliebene , Unentwickelte - nur Körperliche . Es war so etwas Trauriges - um das Weib . . . Sie arbeitete fanatisch , sprach aber zu keinem von ihrer Arbeit - kein Wort über Kunst ! Taktlos - albern von einem Weib . Wozu ? Einfach lächerlich ! Wo sie hinblickte , traf sie auf eine schmähliche Kränkung . Jedes Buch , das sie aufschlug , bestätigte was sie empfand . Begeisterte sie sich an einem großen Geist der Vergangenheit , mußte sie vergessen und darüber hinwegsehen , daß dieser Geist nicht über die Erde gegangen war , ohne daß er dem Weib ein neues Schandmal aufgedrückt hatte . - Wie ein Fluch traf sie es , als sie auch durchschaut hatte , daß Buddha , der Wundervolle , der Tiefste der Tiefen , der Welterlöser , Leidensüberwinder , das Weib ausgeschlossen hatte - ausgeschlossen aus ihrem ureigensten Reich der Leidensüberwindung und Erkenntnis des Leidens . Wohin sie sah , Schmach ! Sie litt unter der scharfen Einsicht in ihrer Lage - der Lage des Weibes . Wie ein leidenschaftlicher - verzweifelter Fanatismus ergriff sie es oft . Ihre Seele war so eine freie und frohe . Stolz , ausgelassen , freiheitstrunken wäre sie gern gewesen - wenn sie nicht immer alles gesehen und durchschaut hätte . Wie Peitschenhiebe fuhr es oft über sie hin . Sie konnte nicht so dumpf leben wie die anderen - so breit , behaglich , angebetet und verachtet . Das stille , starre Totengesicht mit dem Zug der Weltüberwindung , der Schmerzüberwindung verließ sie jetzt seit Wochen nicht . - Sie wollte und mußte dies Antlitz in sich schaffen . - Sie wollte etwas bilden . - Das Antlitz des Weibes . In dieser Zeit hörte sie zum ersten Mal mit Bewußtsein von der unglaublich wunderlichsten Sklavenbewegung . Das Weib begann zu revoltieren , das Weib , das , so lang es Menschen auf Erden gibt , sich geduckt hatte . Das unüberschaubare Zeiten sich hatte treten und mißhandeln lassen , das wie ein hungriges Raubtier seit Jahrtausenden was es wollte , erlistet und erschlichen hatte . In einer kleinen Provinzstadt , in einer Kochschule war ein sonniger Saal mit Tannenguirlanden und frischen Laubgewinden , Blumensträußen und Fähnchen dekoriert . Da kamen die Frauen zusammen . Isolde trat etwas spät , von der Reise ermüdet , in den Saal ein , als schon alle versammelt waren . Eine heiße , sonnige Luft . Das welkende Laub strömte betäubend duftend seine Säfte aus . So etwas Mattes , wie Herbstgeruch in der schwülen Luft . Kleiderstoffe , ein ganzes Feld von Hüten aller Arten und Formen . - Häßlich , wie jede Menschenansammlung , eine Anhäufung von Lappen , die alles Menschliche versteckt , etwas Formloses , Totes , Trockenes . Diese vielen Frauen , in ihren vielen Kleidern , bedrückten und verstimmten Isolde . Aus all dem Wust die kleinen , welken , dummen , vom Leben angekränkelten Mondchen , die menschlichen Gesichter . Was für ein Angefaultes , Angefressenes ist so eine Menschenmenge ! - so etwas Trauriges , Schauriges , kümmerlich Verdecktes . Vor weißverhangenen , sonnenbeschienenen Vorhängen saßen die Frauen vom Vorstand , kräftige Matronen ; ein schmaler , langer Tisch vor ihnen . Die weißen , blendenden Vorhänge hinter ihnen ließen sie wie kompakte , schwarze Schatten erscheinen . Die Versammlung wurde in würdiger Form geleitet . Ein Präsident konnte den Reichstag nicht vortrefflicher eröffnen . Aus der Menge erhob sich hin und wieder aufgefordert eine und sprach , mit einem befangenen Stimmchen , von ungeheuren Dingen , unter denen die Menschheit seufzt . Sie faßte diese Dinge bei einem kleinen Zipfel und zeigte ihn wie ein winziges Pröbchen von einem ganz wunderbaren , riesigen Stoff , in den ungeheure Gestalten , geheimnisvolle , mächtige Muster eingewirkt sind . * Isolde kannte ein altes Kloster in Südtirol , das hoch auf einem Felsen liegt , ein Kloster zur ewigen Anbetung . Sie hatte einen Winter mit ihrer Mutter in Südtirol zugebracht und am Allerseelentag war sie zu diesem Kloster in der Dämmerung hinaufgestiegen . Weißverhangener Himmel , als wollte schon Schnee kommen ; Regen rieselte , und Nebel stiegen dicht aus dem Tal auf und schieden das Kloster zur ewigen Anbetung von aller Welt ab , so daß es von keinem Auge mehr gesehen wurde . Geheimnisvoll , wie eine Gralsburg , schimmerte , wenn der Nebel ein wenig riß , ein Turm , eine Fensterreihe , wie mitten aus Wolken . Eine unsagbare Einsamkeit war da oben - eine herzbeklemmende , bange Einsamkeit . Und hoch vom Felsen , aus der kleinen , im tiefen Nebel verborgenen uralten Klosterkirche heraus kamen zwei Stimmchen , wie im unendlichen Raume schwebend - so traurig , so weltverlassen . So körperlos mystisch , so übermenschlich weh sangen die Stimmchen am Allerseelentag vom Tod und vom Leiden der Welt. Dieselben Stimmchen , im Raume schwebend , drangen jetzt wieder zu ihr , rührend , weltfremd , schmerzbeladen , ihre Seele bedrängend . Dazu parlamentarische Würde und Sicherheit , ein ganz wunderliches Gemisch . So etwas Strammes , als hätten die mächtigen dunklen Schatten der Frauen am Vorstandstisch , vor dem grellen Hintergrund , Boden unter den Füßen und könnten aus eigenem Grund sich regen , so etwas Gesetzmäßiges , Wichtiges , als wären die Gesetze schon da , um besser , menschenwürdiger zu leben . Dazu der Saal mit den Girlanden und Fähnchen ! so unbeholfen sicher . Ein ganz eigener banger Eindruck . In Isoldes Seele war das reine Totenangesicht wie eingebrannt . Das Gesicht , das mit seinem Ausdruck des Großgewordenen durch Leiden , wie eine Sonne alle lebendigen , befriedigten Gesichter überstrahlte . Es wurde ihr hier schwerer an dies Gesicht zu glauben , als irgendwo sonst . Und doch - in den weltfremden , weltverlassenen Stimmchen zitterten Laute , so rührend und lallend sie auch klangen , in denen das ganz Tiefe , das große Wollen lag - das Wollen , das sich Bahn bricht , sei es wie es sei . * Isolde träumte , während die kompakten Schatten Bericht erstatteten , was in Sache der Frauen in diesem Jahr geschehen und nicht geschehen war . Gut bürgerliche Vereinsbefriedigung lag währenddem über ihnen . Isolde träumte , daß sie aufgestanden und an den Tisch vor den gelben Sonnenhintergrund getreten wäre und in die Blendung hinein und zu den mächtigen , dunklen Schatten gesprochen hätte : " Würdige Frauen , laßt doch eure Barmherzigkeit jung sein ! Jung und stark . Laßt sie nicht alte ausgekrochene , ausgeschlichene Geleise schleichen . Tut doch etwas ganz Erstaunliches ! Etwas , worüber die Welt in Lachen ausbricht , in Zorn und Wut . Weil ihr zu trotten versucht , wie der Mann trottet , so schwer und bedächtig - glaubt ihr , ihr habt es schon erreicht , was ihr wollt - oder werdet_es erreichen ? - O weh , etwas Altes ! " Aber das klagende Stimmchen im Raum ist noch so jung . " Ich beschwöre euch , tut etwas Königliches , etwas Freies ! Nichts Althergebrachtes . Nichts Kluges - nichts Vernünftiges - laßt die Tat der Frau wie eine lang verschüttete , eingeengte Quelle mächtig rücksichtslos hervorsprudeln - tut etwas , das davon zeugt , daß ihr den großen Willen habt , den weltüberwindenden Willen . Breitet eure großen Flügel aus wie Glucken . Bereitet dem jungen starken Weib ein Nest . Ein eigenes Nest mitten in der harten , frechen Welt . Baut eine uneinnehmbare Feste aus eurem Willen . Ohne daß ein Funke von Verachtung in eurem Blick aufsteigt , laßt in unangetasteter Reinheit das junge Weib ein Kind ihr eigen nennen dürfen . - Ein Kind und Arbeit ! Gebt ihnen Arbeit , bei der ihnen die Seele weit wird , und ein Kind , das ihnen das Herz froh macht . Seht ihr - ich gebe euch den großen Willen - nehmt ihn ! Laßt sie nicht in der Arbeit , nach einem Kind hungernd , wie ein Raubtier verlangen . Macht etwas Ganzes aus ihr ! Breitet eure großen Flügel aus wie Glucken und laßt ihnen nichts geschehen ! Schützt sie , und sie sind geschützt , sagt , sie sind ehrbar - und sie sind ehrbar . Schlagt ihn , er hat keinen Freund ! Aber hat er einen Freund , wer will den Menschen dann berühren ? Wer kann ihm ernstlich schaden ? Des Menschen Wille schafft die Welt ! Weshalb dem jungen Weib nicht ein Nest , worin es werden kann , was es werden will und werden muß , wenn es einmal mit beiden Lungen frei atmen kann , wie ein Geschöpf Gottes und beides hat , ein Kind und Arbeit . Und aus diesem kleinen Nest wird eine neue starke Menschheit kommen - allen zum Trotz , die eine Menschheit von Sklaven und Haustieren wollen . Achtung wird das Weib unter der Sonne genießen . Lachen und jubeln wird_es ! Die ungeheure Gesetzeslast und die Mißachtung hat die Frau mit einem leichten Fußtritt bei Seite geschoben wie durch ein Wunder , und wieder wie durch ein Wunder ist sie nun frei geworden - und sieht , daß sie nie gefangen war . Streicht ihr über die verwirrten Augen mit sanften , klugen , wollenden Mutterhänden ! und breitet die großen Flügel aus wie Glucken . " So hatte Isolde , im Stuhl zurückgelehnt , töricht geträumt , gerade als die würdigen Frauen am Vorstandstisch die Frage aufwarfen . " Soll die Frau den Titel des Mannes führen oder nicht ? " Und dann kam wieder eine andere sehr vernünftige , untadelhafte Frage - sehr korrekt . Isolde war es zu Mute , als müßte draußen ein dunkles , starkes Gewitter ausbrechen . Es schien aber helle , grelle Julisonne , kein Wölkchen am Himmel . Schwüle , erdrückende Schwüle im Saal . Die Laubguirlanden strömten ihre Säfte aus . Es duftete nach sterbendem Laub und heißen Körpern , eine einschläfernde Atmosphäre . Und doch stieg aus dieser drückenden Atmosphäre etwas Starkes , Lebendiges auf . Für eine feine Seele voller Weltliebe war es auch zu spüren . Aber was ein Sturm sein sollte , war noch ein kleiner , spitzer Luftzug wie aus einer Fensterritze. 12 . Es war in diesem selben Jahr , Weihnachts-Heiligerabend . - Der Zusammenschlage aller Herzen , alter und junger , trauriger und fröhlicher , durchzieht wie ein mächtiger Strom die Stadt , liegt wie ein leuchtender Nebel über den Häusern , klingt von den Türmen in vollen , schweren Tönen , hallt in den Schritten der Menschen , die durch die Straßen eilen . Weihnacht ! Weihnacht ! Weihnacht ! Der großen Weihnachtsstimmung kann kein Herz entfliehen und wenn es sich in seinem Weh bis in den dumpfsten , tiefsten Keller vergrübe . Es müßte mit hinein in den Zusammenschlage . Da fühlt ihr es einmal : das " All- Eine " . Das Zusammenfließen der Seelen , das Empfinden , Früchte an einem Baum zu sein . In allen Heimstätten feiern sie Weihnachten . Aus den Fenstern der Häuser an der Leopoldstraße strahlt es festlich in die Nacht hinaus , glänzen die lichtvollen Weihnachtsbäume wie Sterneninseln . Draußen leichter , schon hart getretener Schnee und doch ein milder Winterabend , zwischen Gefrieren und Tauen . Die hohen , kahlen Pappeln ragen schattenhaft zart in den blanken Sternenhimmel hinein . Stadtgeräusche klingen heute anders als sonst , so scheint es jedem . Die Pferdebahn kommt so eilig , weihnachtlich daher . Die Droschken fahren , als führen sie irgend eine Überraschung zu irgend einem Ziel . Ja , lebendiger ist alles , als sonst und heimlicher . Einer scheint dem anderen noch bekannt . Man freut sich mit denen , die sich freuen können und freuen . Das fremde Leid greift zum Herzen und nicht nur an die Nerven , und auch nicht nur zum Herzen , nein , bis in den Geldbeutel hinein , der tiefer und unzugänglicher beim menschlichen Geschöpf sitzt als Herz und Nieren . Ja , ein schöner Abend , ein sehr merkwürdiger Abend , der Abend der Weihnachts-Heiligennacht . Bei Doktor Freys waren sie auch in Feststimmung und Festerwartung . Die Mutter , Isolde und Bruder Karl sitzen im Salon und warten auf den Vater , um im Speisezimmer den Weihnachtsbaum anzuzünden und dann während des Lichterglanzes ein kleines , festliches Abendessen miteinander zu verzehren - und Frau Doktor Frey ihr Haferschleimsüppchen . Um den Weihnachtsbaum stehen von Tüchern verdeckte Tische mit Geschenken . Es ist alles bereit . - Das Hasten und Eilen des ganzen Tages ist einer leichten Abgespanntheit gewichen . - Der große schöne Baum hell erleuchtet . Tannennadelduft mischt sich mit dem frühlingszarten Atem von Maiglöckchen , Hyazinthen und Tulpen , die in einer schönen Schale , wie ein ganzes Blumenbeet , aus dem großen Tisch im Salon unter der Hängelampe stehen und ihr zu früh erwecktes Leben in die heiße Zimmerluft ausströmen , statt in hellen Maisonnenschein hinein . Isolde geht ab und zu in das Weihnachtszimmer , schlingt noch ein paar glänzende Fäden über einen Tannenstrauß mit Rosen , oder ordnet etwas an den Geschenken . Die Ausschmückung des Zimmers zu Weihnachten ist immer ihr Werk gewesen . Wie fremd sind sich doch die drei wartenden Menschen in dem Salon - komisch fremd . Mutter , Sohn und Tochter . Fremde wie sich nur Familienglieder sein können . Wie kennen sie jede Äußerlichkeit aneinander , jede Angewohnheit ! Sie kennen sich bis zum Überdruß , das heißt : jedes die Larve des anderen . So sitzen sie und hängen ihren Gedanken nach . Was weiß Mama von dem inneren Leben ihrer Tochter und Isolde von Mamas innerem Leben ? Sie sieht Mama sitzen in ihrem schwarzseidenen Kleid . So fein ist die Gestalt , das müde Gesicht mit dem leidenden etwas stumpfen Ausdruck . In Mamas Gesicht ist etwas Ausgelöschtes . Wer hat das ausgelöscht ? Das Leben ? Jedenfalls . Mama wird doch schon alt ; noch nicht gar so alt - - nein . Sie ist aber wie mitten im Leben eingeschlafen . Gerade als es anfing gut zu werden . Isolde denkt , wie Mama sich früher geplagt hat , eigentlich so stumpf wie eine Magd , die fürs Leben gekauft ist , der der Herr kein freundliches Wort zu geben braucht . Er ist ihrer sicher . Sie kann sich nicht eines besonders liebenswürdigen Ausdruckes erinnern , den der Vater je an Mama gewendet hätte . » Na Alte « , so ganz gedankenlos hingesagt - das hört sie in der Erinnerung , so ein klein wenig Ironie dabei - so von oben herab . Mamas Heirat war eine Liebesheirat gewesen , gegen den Willen ihrer Eltern . " Ah " - Isolde dehnte sich im Stuhl und streckte die Hände von sich . » Triste ! . . . Gott behüte einem vor so etwas . « Mama ist ein Kind geblieben , ein armes unwissendes Kind : - müde gearbeitet , ohne Liebe , ohne Sonne . Isolde hat das Gefühl , sie möchte zu ihr hingehen und sie küssen und streicheln ; dann fängt aber Mama immer zu klagen an um alles Mögliche - und auch darum , daß sie zu nichts Appetit hat und nichts vertragen kann . Isolde weiß das schon . Es ist für Mama nicht gut , zärtlich mit ihr zu sein . Sie kann damit nichts mehr anfangen . Isolde denkt daran , wie Papa vor Jahren Mrs. Wendland den Hof gemacht hat . Er hat immer irgend eine Flamme gehabt . Komisch , wie eigentlich Mama sich damit abgefunden hat . Sie weiß von Mamas Art zu denken und zu fühlen gar nichts . Und jetzt ist_es mit Papa auch nicht so ganz geheuer . Er ist gar zu vortrefflicher Laune . Isolde erinnert sich daran , wie damals Papa sich vor Mrs. Wendlands Tür in einen Gentleman verwandelt hatte und wie Marie und sie selbst darüber entsetzt waren . Ja , das war sehr sonderbar gewesen , unvergeßlich sonderbar . Sie hatten jetzt fast immer einen wohlsoignierten , blühenden , jovialen Papa , gutgekleidet , jugendlich , von bester Gesundheit und vortrefflich im Betragen . Allerdings hatten sie dies Vergnügen nicht allzu oft , denn er hielt sich viel in Berlin auf und auch in München war er , wie immer , der Vielbegehrte . Aber merkwürdig daß er heute nicht kam , heute am Weihnachts-Heiligenabend . Mama saß ganz still wie vor sich hinbrütend . Ungeduldig hatte Isolde Mama überhaupt nie gesehen , und eigentlich kannte sie Mama zumeist nur wartend , - auf den Vater wartend . Auch nachts wartete sie - lang , lang , das wußte Isolde ja . Mama wartete von jeher nachts und schlief nicht eher ein , bis der Vater kam . Was mochte wohl Mama ihr Lebtag diese vielen , vielen Stunden gedacht haben ? Schrecklich . Wie in sich verschlossen sie doch war . Ganz geheimnisvoll - Nachttierhaft , rührend ihre eigenen dunklen Wege gehend . Wie sah Mamas Leben aus , wenn man es mit ihren eigenen Augen betrachtete ? Isolde konnte die Blicke von Mama gar nicht weg wenden . Karl hob sich aus seinem Fauteuil , in den er sich hineingerekelt hatte - zog seine Uhr - " Neun schon ! " Seine Stimme war erregt . Karl hatte auch heute Abend außer der Familienfeier etwas vor . Natürlich . Er ging ein paar Mal im Salon auf und nieder , griff nach der Abendzeitung zum so und so vielten Mal und versank wieder in dem weichen , bequemen Polster , die Hand in seinem dicken Haarschopf vergraben , die Blicke gedankenlos über das Zeitungsblatt hinschweifend . Mit der Spitze seines Fußes klopfte er ungeduldig im Takt auf das Parkett . So ein harter trockener Ton . Isolde wurde ganz nervös davon . Mama sagt : " Heute kommt Papa aber spät . Das Abendessen wird uns verderben . " Dann saßen alle drei wieder ganz still eine lange Zeit . " Karl , klopf nicht so mit dem Fuß auf , " bat Isolde . Draußen an der Haustür schellte es auf eine eigentümliche Weise . " Das ist Papa nicht , " sagt Isolde . Alle drei schauen wie erschreckt , wie unangenehm berührt . " Nein , das ist Papa nicht , " sagt Mama auch . " Bewahre . " " Na , und dreiviertel auf zehn wäre es jetzt glücklich . " Karl war sehr ungeduldig geworden . * Da tat sich die Tür auf . Das Zimmermädchen erschien in blendend weißer , festtäglicher Schürze . " Nun , " - Isolde wollte weiter fragen , da sah sie in ein paar wirre entsetzte Augen , in ein erdfahles Gesicht . Sie fragten jetzt alle drei beunruhigt : " Nun ? Was denn ? Was ist denn ? " Das starre , erdfahle Gesicht über der weißen Schürze veränderte sich nicht . Die Lippen bewegten sich , um zu sprechen , brachten aber keinen Ton hervor . " Nun , " fragte Karl , " was ist denn eigentlich los ? " Und da kam es - in abgerissenen , unklaren Worten . Dem Herrn war was passiert . Alle drei hatten sich von den Stühlen erhoben und standen und starrten im ersten Augenblick . Das Hirn will das Schwere nicht ins Bewußtsein aufnehmen , das Leben soll behaglich sein , gleichmäßig . Nur keinen Schreck , keine schlimmen Überraschungen , das empört , das lähmt . Da drangen Geräusche bis in den Salon , ungeschickte , schwere , fremde Schritte . Karl stürzte zur Tür . Bebend , flüsternd sagte Isolde etwas und faßte heftig nach der Hand des Mädchens . Die starrte ohne Erwiderung - aber der Druck ihrer Hand sagte alles . Da wendete Isolde ihre Blicke auf die Mutter . Die stand noch unbeweglich - nach irgend einem Halt mit ratlosen Augen suchend . Isolde trat zu ihr , schlang den Arm um ihre Schultern , um sie zu stützen . Karl hatte das Zimmer verlassen . Die Tür war angelehnt geblieben , die Schritte draußen drangen jetzt deutlicher schwer in den Salon . " Soll der Herr in sein Schlafzimmer gebracht werden ? " fragte das Mädchen . Mama ging jetzt , auf Isolde gestützt , zur Tür hinaus . Es lag etwas Hausfrauliches in der Art , wie sie das tat , etwas Geschäftiges - ihre alte Weise . Es gab für sie zu tun . Es mußte für einen Gast gesorgt werden . Drei Männer hatten Doktor Frey aus der Droschke die Treppe heraufgebracht . Ein Droschkenkutscher , ein Dienstmann und ein Herr hielten den schlaff herabhängenden Arm des Toten gefaßt . Die Hand des Toten hielt ein mit weißem Wollpelz überzogenes Schäfchen mit rotem Halsband , ein Spielzeug , umklammert . " Er soll in sein Schlafzimmer gebracht werden , " sagte Mama langsam , völlig klanglos . Karl stand verblüfft , der Schreck und der Schmerz ließen seine Züge merkwürdig dumm und ratlos im Ausdruck erscheinen . Die drei Männer folgten Frau Doktor Frey und Isolde . Jetzt hatte auch Karl seinen Vater mit angefaßt und blickte in das bläuliche , schlappe Gesicht und auf den haltlosen Körper , der einer großen , schweren Maße glich . Der Droschkenkutscher sagte etwas , um seine Teilnahme auszudrücken , etwas von einem " bösen heiligen Christ " - das klang schaurig , wie die Stimme aus einem alten Märchen . Mamas in sich gekehrtes Benehmen stach wunderlich gegen das Betragen aller übrigen Personen ab . Das Hausgesinde war so außer sich , daß ein lautes Schluchzen und Heulen den Raum erfüllte . Karl hatte das Dumme , Ratlose , Verblüffte in den Zügen . Isolde war vor Entsetzen ganz überwältigt , wich keinen Schritt von ihrer Mutter - nicht mehr sie zu stützen , um von ihr gestützt zu werden . Und da war über Mama wieder das Nachttierhafte , Geheimnisvolle gekommen , vor dem Isolde vor Jahren sich so gefürchtet hatte . Wie oft hatte Mama in der langen Ehe ihren Mann tief in der Nacht empfangen , wenn er zu ihr zurückgekehrt war , ohne daß ihr von seiner Seele , seinem Wesen auch nur ein Teilchen mehr gehört hätte , als jetzt . Sein Körper war zu ihr zurückgekehrt - sein für sie toter Körper , nicht anders als heute - nein - nicht anders . Ihre Ruhe war die Ruhe langen , stummen Leidens , einer langen , schweren Erfahrung . Sie hatten ihn auf sein Bett ausgestreckt und der Herr , der sich als Arzt vorstellte , versuchte das weiße Wollschaf aus der Hand des Toten zu lösen . Es war ein so ganz unmöglicher Anblick , die gelbe Totenhand um das lächerliche Ding geklammert zu sehen ; so leidenschaftlich geklammert , wie der Mensch die lächerlichen Dinge des Lebens umklammert hält . Es gelang ihm nicht Doktor Frey von diesem komisch grausigen Anhängsel zu befreien . " Lassen Sie doch , " sagte Mama . Sie hatte den Blick nicht von dieser gelben , armen Hand mit ihrem Spielzeug gewendet . Jetzt sprach der Arzt mit Karl , gewissermaßen als mit dem männlichen Oberhaupt der Familie . Er bot seine weitere Hilfe an und tat allerhand geflüsterte Fragen . Dann ging er , ein Mann in Amt und Würden , der augenblickliche Beistand der schwer getroffenen Familie . Isolde lag erschüttert in einem Stuhl , das Gesicht in die Hände vergraben . Karl ging im Zimmer hin und her und schaffte den Rock des Vaters , den dieser vor dem Ausgehen über den Stuhl vor dem Bett geworfen hatte , stumpf und unbewußt beiseite . Darauf goß er ein halbgefülltes Wasserglas gedankenlos ins Waschbecken . Er machte , wie es schien , Ordnung . Seine Züge verloren für keinen Augenblick das Verblüffte . Mama kniete neben der Leiche ihres Mannes nieder , nahm die schwere Hand des Toten sanft in die Höhe und versuchte den starren Fingern das Spielzeug zu nehmen . Durch einen Zufall wohl , gelang es ihr leicht . Isolde schaute entsetzt ihrem Tun zu , auch Karl . Jetzt legte sie die Hand still behutsam zurück und blickte auf . Ihre beiden Kinder sahen in ein bleiches , rührendes Gesicht , auf das der Schmerz , oder sonst ein Gefühl , einen Jugendhauch gelegt hatte . Es war der Ausdruck einer weltfremden Nonne , die von Dingen sprechen sollte , die ihr nicht über die Lippen wollten , von sündhaften , schweren Dingen . Die Lippen regten sich wohl schon , - die Worte fehlten noch . Wie hilfesuchend blickte sie auf Karl und Isolde . " Laßt es ihn nicht entgelten , " sagte sie leise bittend , - " der Vater hatte da was Liebes . Es ist da auch ein Bübchen . " Sie zeigte auf das kleine Schäfchen wie zur Erläuterung . So kniete Mama vor ihren Kindern . Die Hände legten sich ihr bei ihrer großen Bitte wie zum Gebet zusammen . Isolde stürzte mit einem Strom von Tränen zu ihr hin und schlang die Arme um sie und erstickte Mama fast mit ihrer Liebe . Nun kannte sie Mama . Da lag die arme Seele vor ihr , geläutert wie reines Gold - ganz ausgeglüht . - Weltfremd . Ihr Lebtag bedrückt und mißachtet , haftete nichts an dieser Seele von Wissen und Macht , nichts , wovon sie irgend eine Ehre hätte ; - aber stärker schien da etwas zu sein , als alles Starke auf Erden : das große Welt- und Schmerzüberwindende lag in ihr . Es war in ihr etwas geworden , durch Bedrückung und Mißachtung , etwas so Junges in dieser alten Welt , in der alle Kräfte beladen und ausgenutzt sind , etwas so Unbelastetes . Isolde hing schluchzend wie in einer erlösenden , seligen Extase an Mama . Ihre Seele verschmolz mit Mamas Seele . Das war so rein und stark , was sie da in Mama verstand und empfand , so vornehm . Nichts Größeres auf Erden als Weib sein ! Sie empfand die Kraft ihrer armen Mama , als könne solche Kraft , die alte , müde Menschheit , wenn sie sich frei und bewußt über sie ergösse , erlösen und verjüngen ; die Kraft , die in ihrer unscheinbaren , gedrückten Mama verschüttet und begraben war . 13. Ein dumpfer , bedrückter Winter folgte jenem Weihnachts-Heiligenabend , an dem die Lichter am Baum nicht entzündet wurden . Der Tod hatte die Lebendigen angestarrt und wie vom Frost gerührt schienen sie eine Zeit lang welk und schlapp geblieben zu sein , bis neuer Lebenssaft aufstieg , neue Triebe die welken , verkümmerten überwuchert hatten . Dann wurde es wieder , als wäre nichts geschehen . Henry Mengersen zog dieses Frühjahr von Berlin mit Frau und Kindern hinaus in seine Villa nach Ludwigshöhe . Mama freute sich , Tochter und Enkelchen so in nächster Nähe zu wissen . Marie stand ihr so viel näher als Isolde . Marie war das Weib , das die Wege ging , die sie selbst gegangen war . Sie konnte Maries Leben mitleben . Marie brauchte gar_nichts zu sagen . " Das ist nun ma' so , ja , siehst du - das ist nun ma' so . " Das konnte sie immer von Mama hören . wenn sie nur den Mund auftat , um Mama etwas zu klagen oder zu erzählen . Mama wußte alles immer schon im voraus . Sie sah gewissermaßen behaglich zu , wie Marie das Martyrium des jungen Weibes trug , die Extasen des jungen Weibes . Die Extasen hatten bei Mama nie eine große Rolle gespielt . Schwere Entbindungen , lange , qualvolle Schwächezustände , kranke Kinder , Geldsorgen , große Müdigkeit - weiter war ihr nicht viel in der Erinnerung hängen geblieben . Viel geduldiger als Marie war sie gewesen , dessen entsann sie sich - und das sagte sie auch Marie oftmals - und das kam davon , daß Marie doch nicht so selbstlos war , wie eine Frau sein müßte . Marie war eben auch Papas Tochter . Beide Töchter hatten leider etwas so Aufrührerisches , wenn gleich Marie nicht annähernd wie ihre jüngere Schwester . Aber heute noch konnte Marie ganz verzweifelt Mama um den Hals fallen , solcher Dinge halber , deretwegen eine Frau gar kein Wort verlieren darf , die sich von selbst verstehen . Die Frau hat sich eben nach dem Mann zu richten , und wie der ist , so ist er , und was der tut , das tut er . Dafür ist er das Haupt der Familie . Ja und das sagte denn Mama ihr tüchtig . Das aber war gleichgültig , Marie nahm nichts an und wenn Mama noch so recht hatte . In Marie blieb etwas so Wehes , etwas so Sehnsüchtiges . Eine Mutter von fünf Kindern , die Geschichten machte mit Idealen und so etwas ! Nein , Mama hatte auch mit Marie viel Sorge . Da lobte sie sich Henry Mengersens Schwägerin , Pauline , die in Ludwigshöhe mit Mann und Kindern neben Henry wohnte . Das war eine Frau nach ihrem Sinn . Wenn eine von Mamas Töchtern so geworden wäre . So drall und fidel wie die Frau war ! Und so eine bekommt ihre Kinder wie nichts . Frisch vordem , frisch nachdem . Und diese prächtigen Ammen und Wartefrauen und Kinderfrauen , die sie hatte , - ein ganzes Regiment Weiber war da immer im Haus . Und diese Wäsche ! Und wie im Hause gegessen wurde ! Ja , die verstand was aus sich zu machen . Vor der hatte der Mann auch Respekt . Ach ja , Mama hatte es nicht leicht mit ihren Töchtern . * Dies Jahr gab es einen warmen , schönen April . Es hatte sich oben in Ludwigshöhe in einer Nacht über die Wälder wie zarter , grüner Nebel niedergelassen . Der war wie von den Wäldern eingesogen worden , hatte sich schmeichelnd um die rötlichen , knospenden Buchenkronen gelegt und war daran haften geblieben in Millionen zarter grüner Blättertröpfchen . Ein Leuchten ging von diesem jungen Grün aus , ein durchsichtiges , unsäglich zartes Schimmern , das die Seelen wie in ein grünes , helles Bad tauchen ließ , die armen , rußigen Winterseelen . Und der blaue Maihimmel dazu , der endlich als helle Sonnenbahn hervorgebrochen war . Ja , es wurde da oben jetzt schön . Die prächtigen Waldgärten mit ihrem knospenden Buchenlaube , der feuchtbraunen Blätterdecke unter den Bäumen , aus der das frische Leben in tausendfältiger Gestalt brach . Hier ein Himmelsschlüssel , ein zerschlissenes dürres Eichenblatt um den Stängel , dort hebt eine Familie blauer Leberblumen ein ganzes Stück Laubdecke in die Höhe . Wie ein blauer Blick schaut es aus dem Erdreich . In Gebers Garten blüht es wie jedes Jahr auch heuer an allen Ecken und Enden . Sie waren die ersten Ansiedler hier oben gewesen . Bei ihnen hatte sich schon so mancher Obstbaum heimisch eingewurzelt und blühte zwischen den kleinen Tannen und zarten Birken und Buchen . - Frau Lu hatte so ein paar liebe rosige Kerlchen , gefüllte Kirschbäume gepflanzt , die blühten , als wollten sie sich in ungezählten tausend und abertausend rosigen Blumenbüscheln auflösen ; und Apfelbäume , die ihre ersten Knospen jugendsicher trugen . Aus dem grünen Gras schauten weiße Narzissen und allerhand altmodische Bauernblumen . blaue Traubchen und Goldlack . Henry Mengersens und seines Bruders Garten haben diesen intimen Reiz nicht , den Frau Lu ihrem Stück Land gegeben hatte ; aber in ihrer Art sind sie prächtige Besitztümer , groß und schattig . Isolde war , weil Marie es brennend wünschte , auf einige Tage hinauf zu ihr nach Ludwigshöhe gekommen . Sie hatte da oben , wenn sie ihre Schwester zu besuchen kam , ein kleines Zimmer in dem Gartenhäuschen einer Nachbarvilla als Absteigequartier . Henry Mengersens Gastfreundschaft anzunehmen vermied sie , wenn es sich tun ließ . Es war da auch etwas , was sie in seinem Hause bedrückte und erregte . Sie konnte das unermüdliche Werben ihrer Schwester um sein Sich-geistig- ihr-mitteilen auf die Länge nicht ertragen . Quälend war es Isolde von jeher gewesen , Marie im Atelier zu beobachten , wenn Henry einem Gast eine neue Arbeit zeigte . Marie ließ es sich bei solchen Gelegenheiten nicht nehmen , ein wenig die Sachverständige zu spielen . " Henry rück es doch so - siehst du , hier fällt das Licht nicht gut darauf . - - Und das ist von allem mein Liebling , da liegt etwas darin was einem zu Herzen geht . - Ich habe dir doch gesagt daß die Leiste zu dem rohen Eichenholz nicht hübsch aussieht - nun findet es Isolde auch - siehst du . " Sie rückte etwas an einer Staffelei - sie machte ihn aufmerksam , dies oder jenes zu zeigen . Und jedesmal traf sie derselbe spöttische Blick , sie kühl in ihre Grenzen zurückweisend . Über Maries Gesicht ging dann der tief wehe Zug , so gekränkt , so überaus demütig . Isolde wußte sich bei einer solchen Szene kaum zu beherrschen . Ein Gefühl von Haß gegen ihn stieg in ihr auf und zu gleicher Zeit etwas wie Verachtung gegen ihre Schwester , Verachtung und Mitleid . In den letzten zwei Jahren hatte Isolde bemerkt , daß Marie schwerfälliger in der Art sich auszudrücken geworden war , auch ihr gegenüber . Bis dahin war in Marie ein leidenschaftlicher Zug gewesen . mir der Schwester weiter leben zu wollen . Jetzt stand sie Isolde eigentümlich fremd gegenüber ; oder kam es ihr nur so vor ? Marie fragte nicht recht was Isolde getrieben , unterhielt sie von Dienstbotenmisere , von Kinderwäsche , klagte endlos über ihr letztes Wochenbett und lobte ihre Schwägerin Pauline , von der sie das letzte Mal gepflegt worden war . Henry hatte immer gewünscht , daß Marie sich ihrer Schwägerin anschließen möchte , war aber auf Abneigung von Maries Seite gestoßen . Jetzt war das anders geworden . Marie hatte von ihrer Schwägerin , wie es schien , mancherlei profitiert . Man aß dies Jahr ganz vortrefflich bei Mengersens . Paulines Hand war überall zu spüren , ein barscherer Ton schien auch in den Verkehr mit den Kindern gekommen zu sein , die Leibwäsche des Kleinen hingegen war um vieles feiner und luxuriöser geworden . * Kurz ehe das jüngste Kind bei Mengersens geboren worden war , hatte es eine wunderliche Szene zwischen Mann und Frau gegeben . Marie , in der Empfindlichkeit ihres Zustandes , war bei einem abweisenden Blick Mengersens nicht demütig , traurig verstummt , sondern in lautes unaufhaltsames Weinen ausgebrochen , war ihrem Gatten zu Füßen gefallen , hatte verzweifelt seine Hände gefaßt und diese Hände heftig geküßt und dabei geschluchzt : " Verstoß mich nicht , - ich bin doch auch ein Mensch ! " Und das hatte sie wie sinnlos immer von neuem wiederholt . Henry Mengersen war diese Szene unbeschreiblich peinlich gewesen . Was wollten sie denn ? Dieses ewigen ungeschickten Einmischens von ihr in seine eigensten Angelegenheiten war er unendlich überdrüssig geworden . Sie hatte etwas von einer Fliege an sich , die Geduld und Beharrlichkeit einer Fliege . Henry Mengersen wußte gar nicht , was er ihr antworten sollte . Er wollte sie nicht erregen , aber er wollte auch nicht schweigen . " Marie , " sprach er , " was willst du eigentlich ? Hast du etwas zu klagen , - so sage_es . - Aber dies ewige Nörgeln ! " Er ging heftig im Zimmer auf und nieder und sagte mit unterdrückter Erregung : " Wenn ich offen sein soll , mir ist in einer Künstlerehe , und in einer Ehe überhaupt , der weibliche Abklatsch vom Mann in der Seele zuwider - einfach unerträglich ! Bin ich nicht so weit Herr im Hause , daß ich mir gestatten darf , einer Idiosynkrasie , die ich nun einmal habe , auszuweichen ? Weshalb ist es denn durchaus nötig , daß du dasselbe , was ich sage , noch einmal verdünnt nachsprichst ? Darauf kommt es ja doch hinaus . Sage Mal , findest du das so durchaus notwendig , daß du deshalb wieder und wieder kommst und mich peinigst ? Ihr habt nun einmal , wie soll ich sagen , - die tierischen Funktionen im Leben zu erfüllen . - Nun , so erfüllt sie . Jeder das Seine . Sage doch , was hast du geleistet , das dir das Recht gäbe , mitzureden oder mitzuhandeln ? Das was ich errungen habe , rechnest du dir das etwa mit an ? Meinst du , man teilt sich in so etwas , wie in eine Torte oder wie in ein Vermögen ? Bitte , mache dir das einmal klar . Die Frauen berühmter Männer versäumen es gewöhnlich , darüber nachzudenken . Du hast deine Kinder , bist dabei , sie so ziemlich gedankenlos zu erziehen , du stehst deinem Hausstand erträglich vor , läßt mich bei jeder Gelegenheit aber unter deinen Nachlässigkeiten leiden . Erfülle deine Pflichten und laß alles Übrige auf sich beruhen . Nimm dir ein Beispiel an Pauline , die ist wie eine Frau sein soll . Haben wir uns nun endlich einmal verstanden , Marie ? " Er sah in ein bleiches , tränenloses Gesicht . " Ja , " sagte sie . In diesem Augenblick klammerte sich ihre verachtete Seele an die Liebe zu ihren Kindern , und diese Liebe wurde zu einer Extase , die jede Marter des Herzens überwuchs . * Von diesem Tage an warb sie nicht wieder um die geistige Zugehörigkeit zu ihrem berühmten Gatten . Er hatte von diesem Tag an Ruhe vor " der Fliege " , hatte von diesem Tag an sich eines tadellosen Hauswesens zu erfreuen . Der Einfluß der Schwägerin Pauline begann zu regieren . Henry Mengersen lernte jetzt das breite , behagliche Weibtum in seinem Hause kennen , das wie eine Walze alles niederdrückt , was ihm nicht paßt . Aber vorzügliche Mahlzeiten gab es , tadellose Wäsche , geputzte Kinder , ein schwerfälliger Ernst - und das Kleinste war zur Wichtigkeit erhoben . Ein zarter , zudringlicher Geist , der mit erhobenen Händen unermüdlich gefleht hatte . » Nimm mich mit , laß mich nicht verschmachten « , war verstummt . Diese arme , bittende Seele drängte sich nicht mehr an ihn heran . Ob er das wohl bemerkte ? Den ganz kleinen Kindern vertraute Marie sich an , nahm sie auf den Schoß und klagte es ihnen leise in die Öhrchen , was ihr getan worden war . Auch Isolde sagte sie kein Wort . Die fühlte nur eine große Müdigkeit und Stumpfheit in ihrer Schwester , ähnlich der Müdigkeit und Stumpfheit , die sie in Mama empfand . » Triste « ! dachte Isolde wieder , » Triste ! Gott bewahre einen vor so etwas . « Sie war dieses Frühjahr selbst so schwer gestimmt , so schwer wie noch nie . Es war doch der Tod des Vaters und der Tod selbst , der ihr das Leben so bedeutungslos , so unnötig erscheinen ließ . Und was für ein Leben lebte sie denn eigentlich selbst ? Es spielte sich in ihrem stillen , hohen Atelier ab ; da lebte sie - ja - das nannte sie " Leben " , was sie da tat . Zu einer rechten Liebe hatte sie es seit der leidenschaftlichen Anbetung Henrys nicht wieder gebracht , hatte kein einziges Mal warm wieder als Weib empfunden , so viel sie auch begehrt wurde . Ihr lieber Freund , Lus " Guter " ja , der liebte ihre Seele , dem gegenüber durfte sie sich ganz geben wie sie sich selbst empfand . Ein wunderbares Verhältnis , das sie zu diesem seltenen Mann hatte , so wohltätig bis in die innersten Nerven . An dieser Freundschaft war sie gesundet . Bei ihm fühlte sie sich als freies , vollgültiges Geschöpf . Hier wagte sie zu hoffen , daß sie in ihrer Kunst nach Großem streben dürfe . " Schaffe dir deine Welt ; wie du sie schaffst , so ist sie . Sie ist nur in dir selbst , in deiner Vorstellung . Schaffe sie dir und glaube an deine Welt ! " Ja , sie hatte an ihre Welt geglaubt . Wie sie gearbeitet hatte ! Ernst und glühend , um die Seele von Schmach zu reinigen . Henry Mengersen hatte ihr von ihr selbst ein so tief gemeines Bild gezeigt . Ihre junge , heilige Liebe zu ihm , ihr großes Opfer hatte er wie etwas Schmutziges mit dem Fuß beiseite geschoben , so wenig Umstände mit ihr gemacht , wie mit der gemeinsten Straßendirne . Er hatte sie mit seiner Beschimpfung vergiftet , daß sie bis heute nicht wieder gesund hatte werden können , wie andere Leute , die ihre Jugend gedankenlos genießen . Ein tiefer , ungestillter Haß gegen Mengersen war im Grund ihrer Seele . Jahrelang hatte sie es mit angesehen , wie er ihrer Schwester , seinem Weibe , dasselbe tat wie ihr einst , wie er Maries Seele verleugnete und danach schlug , wie nach einem zudringlichen Tier . Er der hochentwickelte Geistesmensch konnte es nicht ertragen , neben sich ein Geschöpf zu dulden , dessen Seele leben wollte . Weil das Geschöpf Weib war , konnte er es nicht ertragen . Unter solcher Mißachtung leben müssen , fühlen müssen , Kinder gebären müssen ! Ja , schaffe dir deine Welt und glaube an deine Welt . » Und so schuf ich sie mit ! « dachte Isolde , » eine so feine Welt ! Und meine lieben Nächsten schufen sich die Gegenvorstellung zu meiner Welt . So ziehen die Träume der Menschen gegeneinander zu Felde und vernichten sich gegeneinander . Nur die Träume der Menschen ! - und doch welches Leid - welche Qual ! « Auf Isolde wirkte in diesem Frühjahr alles so schwer und trostlos . Sie zweifelte an sich . Stand das , was sie in ihrer Kunst erreicht hatte , irgendwie mit dem großen Fleiß , ihrer großen Hingebung in Einklang ? War es doch nur das elende Mittelmäßige ? Weshalb sollte gerade sie etwas Außerordentliches leisten ? Selten , selten , so viel sie wußte , nur in ganz wenigen Ausnahmefällen , hatte das Weib mehr als Mittelmäßiges geleistet . Nun , und weshalb sie ? - Und wenn auch sie - so war sie eben eine armselige Ausnahme im günstigsten Falle . Das Widerlichste , das Unerfreulichste auf Erden ist das Mittelmäßige . Ja , sollte man nicht das Weib mit Feuer und Schwert verfolgen , wenn es die ungeschickte , unbegabte Hand an die Kunst legt ? Isolde empfand den großen Fluch , der auf dem Weibe liegt ; erdrückend , atemberaubend . Nein , es war keine Freude mit klaren Sinnen , geistig so unheimisch auf Erden zu leben . Das , was sie in jener Nacht empfunden , was ihr den Jugendmut genommen , hatte sich ihr ins Bewußtsein wie eingegraben , daß sie zu der Hälfte der Menschheit gehört , die von allem Geistigen auf Erden ausgeschlossen ist , zu der verdummten , stehengebliebenen , unentwickelten Hälfte der Menschheit , die nur Körper ist , - die nur Körper sein soll , für die Geist etwas Krankhaftes , Widernatürliches , Unanständiges ist , zu der Hälfte der Menschheit , die sie die zarte nennen - und die im Grunde die robuste , die ungegliederte ist , die allem Feinen , allem Lebensprühenden , Lebenswerten , allem was Geist und Erkenntnis ist , fremd , feindlich , dumm gegenübersteht . * Isolde machte in dieser Zeit weite Spaziergänge in der Umgegend , währenddem sie dumpf und doch leidenschaftlich vor sich hinbrütete . Henry Mengersen schien von diesem einsamen Umherschweifen seiner jungen Schwägerin nicht angenehm berührt zu sein . Er untersagt es ihr . Sie standen miteinander in seinem Atelier , als er das tat . Es war in diesen langen Jahren keinmal vorgekommen , daß sie ihm Zeit gelassen hatte , sich ihr gegenüber mit ihrer Person zu beschäftigen . Er hatte ihre Nähe nicht wieder empfunden , seit sie , wie im uralten Märchen , in ihrer großen Schönheit nackt , wie sie zur Welt geboren war , vor ihm gestanden hatte , wie die , die ihre Brust geduldig dem Messer bot , damit ihr Herr genesen sollte . Nicht um einen Schritt hatte er ihr sich wieder nähern können , als Künstler wohl - und oft - nie als Mensch . Isolde blickte ihn daher jetzt mit kalten , erstaunten Augen an . Sie würdigte ihn keiner Antwort und verließ daß Atelier . * An diesem Abend fand sie in ihrem Zimmer , als sie spät in der Nacht aus dem Haus ihrer Schwester kam und sich schlafen legen wollte - es waren Gäste bei Mengersens gewesen - ein kleines Paket und einen Brief . Henry Mengersen schrieb ihr : " Verzeih , Isolde , " - sie nannten sich » du « auf Maries ausdrückliche Bitte - " mich beunruhigen deine weiten , einsamen Spaziergänge . Du gestattest mir leider keinen Einfluß auf dich , sonst würde ich dich ersuchen , diese Gänge einzustellen . Ich bitte dich , führe wenigstens dies kleine Ding mit dir , zu deiner Sicherheit . Verstehst du damit umzugehen ? Es ist geladen ! Sei vorsichtig ! Schwager Henry . " Isolde löste das Paket und nahm aus dem Kästchen einen kleinen , zierlichen Revolver . » Sonderbar , « dachte sie . Und aus diesem " Sonderbar " spann sich eine lange , lange Kette von Gedanken und Gefühlen . Eine schwere , drückende Kette . Auf die Knie war Isolde wie von einer Last niedergezogen ; den Kopf an den Tischrand gestützt , so blieb sie lange unbeweglich , den kleinen glatten Revolver zwischen den Fingern . Die Tür ihres ebenerdigen Gartenzimmers stand noch weit offen . Die herbe , frische Luft , die die schäumende Isar mit sich bringt , drang zu ihr ein . Da draußen reckte und streckte sich jedes Blättchen , ungeheure Massen zarter , grüner Lebewesen . Es lag ein Werden , ein mächtiges Gedeihen , ein Sich-ausbreiten- wollen im Dunkel . Die Luft war wie berauscht von all dem jungen Atem , den sie in sich trug . Isolde schluchzte wild und bitterlich auf . Was hatte sie im Leben ? Wen hatte sie im Leben ? War denn das , was sie lebte , das Leben ? Das wirkliche , wahrhaftige , lebendige Leben ? " Ah - einsam ! " Sie reckte die Arme , als wäre sie ans Kreuz geschlagen - und blieb so lange , lange Zeit wie im Schmerz erstarrt . Über ihr Gesicht rannen langsam Tränen . Die Seele war von der großen Sehnsucht des Lebens , nach Glück , gepackt . Die jungen , starken Sinne wollten in Daseinsjubel ausbrechen - und hatten nichts , um in Jubel ausbrechen zu können - nichts - gar nichts - auch gar nichts ! Das , was ihr allein lebenswert erschienen war , ihre Kunst , schrumpfte zusammen , zu einem Unsinn , einer Besessenheit , zu einem Unglück . » Und alles ist wie ein Weinen im Wald « , klang es ihr durch das Bewußtsein . Was konnte sie denn ? - so ein Tappen im Dunklen . Es wurde ja doch nichts . Gegen das was sie wollte - was hatte sie erreicht ? Ja , wäre sie ein Mann ! Da lohnte es sich , für die Kunst zu leben und zu sterben , sich martern zu lassen . Da lag die große , glänzende Vergangenheit des Mannes über seinem Wollen wie eine Sonne , die ihm leuchtete , ihm Leben gab und Mut machte , die ihm alles verhieß . Aber sie als Weib ! Da lag die tote , leblose Vergangenheit des Weibes über ihr wie eine tote , dunkle Maße und drückt und erstickte und machte jede Bewegung schwer , über jeder Hoffnung lag sie , über jeder Freudigkeit - ah - das war etwas Trostloses , da wurde man so müde - so müde . Da sanken die Hände herab in Trostlosigkeit wie vor Unmöglichem . Und wie war sie trotzdem immer tapfer gewesen ! Aber heute nicht mehr - nein , heute nicht mehr . Die Arme , die sie wie ans Kreuz geschlagen gehalten hatte , sanken herab . Nein , heute war sie ganz fertig . Sie hielt noch immer den kleinen glatten Revolver in der Hand . Er war warm geworden von dem Lebensfieber , das in ihr tobte . Da ging sie nun über die Erde und hatte nichts und hatte niemanden . Wenn Lus " Guter " , ihr geliebter Freund , noch einmal auf der Welt zu finden wäre - ja - dann ! O , wie geborgen wäre sie dann . - Du glückselige Lu ! Ja , so eine Insel der Seligen , - so geliebt werden - so lieben ! Wie ein guter Geist ging er neben Lu her . Jetzt stellte sie sich vor , wie er sagte . " Du gewinnst in dem Maße , wie du verlierst . Sei selbstlos aus Selbstsucht . Du tauschest den Himmel ein für die Erde , - für den sterblichen Menschen die ewige Gottheit . Sei selbstlos gegen deinen Nächsten , sei selbstlos gegen Fernstehende , sei selbstlos gegen die ganze Menschheit , gegen alle Wesen , gegen die ganze Welt . Das ist Erlösung ! Gib das » Ich « auf und du bist das » All « . " Was für eine Welt war das , in der die beiden lebten ? Welch eine gesegnete , reine ; und Lu pflanzte Blumen in diese Welt . In Lus Augen aber stand immer . " Wirst du mein Lieber , dein Werk vollenden ? Wirst du mir auch bleiben ? Was kann ich tun , um dich zu halten ? Wie soll ich_es ertragen , wenn du mir genommen wirst ? Was kann ich tun , ich Arme ? Ich möchte mich wie einen Teppich zu deinen Füßen legen , wenn es dir hülfe . " Isolde kannte Lus schmerzvolle Liebe , die den Tod jede Stunde neben dem Liebsten stehen sieht . Es ist leidvoll zu lieben . Aber es ist Leben ! Schweres , banges Leben . Und Isolde lebte nicht ! Leben kann man nur im anderen . Sich ganz fühlen kann man nur im anderen . Im Zusammenfließen mit einem anderen . - Aber wer lebt dann ? Ah - was für ein Schatten sie ist . Wieder breitet sie die Hände aus , als wäre sie ans Kreuz genagelt . Ihr Gesicht trägt einen bitter wehen Ausdruck . Welches Unglück ist über sie gekommen ! Ja , davon hat sie doch keine Ahnung gehabt , daß sie so sehr unglücklich war , so ohne Boden für ihre Füße , ohne Halt für ihre Seele - so ein ganz unsäglich verlassenes Geschöpf . Draußen im Dunklen das Junge - Neue - Wiedergeborene ! Der Jubel und Atem des Werdens . - Ja - und auch sie will ihren großen Frühling haben ! Und mit ausgebreiteten Armen kniet sie leidenschaftlich , trotzig , verzweifelt . Mit dem jungen Laubatem , der zur offenen Tür hereinquoll , kam die heiße , seelenüberquellende Sehnsucht nach einem Kinde über sie mit Frühlingsgewalt . Sie sehnte sich nach Leben von ihrem Leben , nach dem süßen Körper von ihrem Körper - nach dem Ende der großen Einsamkeit , nach dem Wesen von ihrem Wesen , nach der Verkörperung einer großen Liebe , nach einer so alleinigen Liebe , so eng aneinandergedrängt , so trostreich - so Zwei-Eins wie Mutter und Kind sind . Und da war es ihr , als wenn sie sich ganz in Frühlingstränen auflöste ; hingestreckt auf den Teppich , das Gesicht in die Hände vergraben , weinte sie . Und sie wußte von sich nichts mehr , als daß sie weinte - weinte - weinte , wie bewußtlos weinte . Das war ein warmer Regen sondergleichen , der von der Seele barmherzig alles fortspülen und forttauen wollte , ein so junger , mächtiger Regen , der alles verschleiert . Da war es ihr - o Wunder , als legten sich zwei trostreiche Arme um ihren bebenden Körper . Wie denn ? Was denn ? Herr Gott ! Wer auf der Welt ! Wen hatte sie ? Wer kam da ? Wer war da ? - - Ohne Schritte ? Ein Entsetzen durchrann sie . Ein Schrei stockte ihr in der Kehle . Ein Schwindeln des Bewußtseins . - Schwindel . Noch lag sie wie gelähmt , ohne sich regen zu können , das Gesicht in die Hände vergraben . Da fühlte sie sich berührt , so wild , so leidenschaftlich , so brutal , und jetzt riß es sie in die Höhe . " Isolde ! " Eine , erregte Stimme - die sie schon einmal gehört hatte - schon einmal . Stumm , mit fliegendem Atem , außer sich rang sie mit Henry Mengersen , Auge in Auge , Körper an Körper - wie ineinander verschmelzend . Waren das Henry Mengersens kühle Augen ? diese gierigen Raubtierblicke ? War er irre ? " Isolde , armes , schönes Ding ! " keuchte er . " Ich weiß , nach was dich verlangt . Ein hysterischer , kleiner Anfall - was ? Sind wir so weit ? Das ist kein Leben , wie du es führst , so ein Rassetier wie du bist . Damals - ließ ich dich gehen . - Verzeih ! Welch ein Narr ich war ! Herr Gott , was bist du gegen diese Hühner um mich her ? Du Dämon , du kühler , brennender ! Du verstehst dich darauf , Feuer zu schüren , du , mit deinem göttlichen Körper ! " Er hielt sie an sich gedrückt - brutal , heftig , wie ein Opfer . " Und du liebst mich noch ! - Du wirst mich lieben . Du wirst alles genießen , alle Zärtlichkeit der Welt . Was für ein Leben führst du denn , das dich so auf die Erde wirft , wie eine Bacchantin und gekreuzigt stehen läßt , wie eine Märtyrerin , du dummes Schätzchen ! " Er drang auf sie ein , unwiderstehlich durch Entsetzen ihre Kräfte lähmend . " Weißt du auch , was dein Haß bedeutet - weißt du_es ? Du ? Du - du ? Du Märtyrerin , sehnsuchtsvolle , du hast geschmachtet ! Geschmachtet ! Geschmachtet - und dich selbst betrogen . Du haßt mich , weil ich dich gehen ließ damals , weil ich auf deine Künste nicht hereinfiel - tolles Geschöpf . " Mit einem wilden Ruck hatte Isolde sich ihm entwunden , war auf etwas losgestürzt . " Wie einen Hund ! " schrie sie . Ein scharfer , kurzer Knall - ein schwerer Fall . - Isolde hatte ihren Schwager Henry Mengersen , den großen Künstler , erschossen . * Tiefe , tiefe Stille lag über der Welt . Die heilige Stunde , die mit Mensch und Tier nichts zu schaffen hat , nur mit der stummen Erde , die vorweltliche Dämmerstunde , in der die einsame Seele vor der großen Stille erschauert , vor der Stille ohne den Menschen , die Stunde in der die Erde Ruhe hat vor dem gierigen Volk mit seinem Jagen und Hetzen , und Fressen und Wüten , seinem Weisetun und Sichwichtigmachen , seiner Qual und Todesfurcht , seinem Elend , - die heilige Stunde , in der der einsam wache Mensch einmal nicht Herdentier ist , sondern ein Großes , jetzt stilles , von Lebensruhe nur noch vibrierendes Stück Natur . Und in dieser heiligen Stunde steht Isolde erstarrt vor der Leiche ihres Schwagers . Mörderin ! Das Wort schreckt sie nicht . Sie ist ruhig . Der Anblick schreckt sie auch nicht . Ganz wunderlich fühlt sie sich , als wäre sie so gesund wie noch nie . Sonderbar Das ist das hervorstechendste Gefühl . Gesund , - stark , - ruhig . Sie hat Gericht gehalten . Tief ernst ist sie . Sie empfindet sich nicht als kleines Lebewesen , als ein Tropfen im Nichts . Sie steht hier vor dem Toten als der Begriff Weib . Sie hat einen großen Künstler , einen Geistesmenschen , einen schöpferischen Menschen brutal getötet . Das beunruhigt sie nicht . Sie steht hier als eine , die die Hälfte der Menschheit in sich faßt , die Hälfte der Lebenden und Toten , die Hälfte des Riesenreiches der Toten , in das das kleine Häuflein Lebender unausgesetzt hineinschmilzt . Sie steht hier als der Begriff des ewig bedrückten Weibes , des geistberaubten , unentwickelten Geschöpfes , dem alles geboten werden darf , das alles hinnimmt , waffenlos und rechtlos jeder Erniedrigung gegenüber . Was sie jetzt getan , wiegt keinen Hauch gegen das , was sie empfindet und überschaut . Es ist nicht der Rede wert , was sie tat . Ja , so empfindet sie . Ihre Seele ist ruhig und vornehm und gelassen . Sie überschaut alles , weiß , was sie zu tun hat - ist mit allem einverstanden . Sie will noch einmal der Sonne entgegen wandern und will die Sonne noch einmal aufgehen sehen . Das denkt sie . Den kleinen , zierlichen Revolver steckt sie zu sich und verläßt ihr Zimmer ohne zurückzukommen . Henry Mengersen liegt , wie ein Baum gefällt , der Länge nach im Zimmer . Er liegt auf dem Gesicht , die Arme weit von sich gestreckt . Er ist sehr schnell gestorben - ein paar heftige Zuckungen , denen Isolde regungslos vor Entsetzen zugesehen hatte . Ihr Hirn arbeitet jetzt ruhig und sicher . Keine Empörung ist in ihr , kein Sträuben . Am Garten ihrer Freunde will sie noch einmal vorübergehen . Dahin zieht sie es jetzt unwiderstehlich . Ein Wunder auch dies ! so kommt es ihr vor - da steht Frau Lu am Gartenzaun , mit dem Rücken gegen die stille Waldstraße . Sie steht im langen , weißen Nachtgewand mit bloßen Füßen . Wie es scheint , blickt sie auf ihre Blütenbäume , die in dieser weißlichen Dämmerung unsäglich feinfarbig sich von der Luft abheben , ganz anders als am Tage , als schliefen auch sie und träumten . Fledermäuschen schwirren - und lassen hin und wieder sonderbar glucksende Tönchen hören . Es ist so still - so still - leises Vogelgezwitscher . Das Licht ist gleichmäßig , von keinem Punkte ausgehend . Eine Ruhe sondergleichen . Isolde bleibt jetzt stehen und blickt auf die weiße , regungslose Gestalt . » Was hat sie wohl aus dem Schlafe gescheucht ? Was tut sie ? Was denkt sie ? Steht sie hier , um mir Lebwohl zu sagen ? Fühlt sie mit ? Weiß sie ? « Leise kommt Isolde näher . " Lu " ruft sie . " Weshalb bist du denn schon aus ? " " Isolde , du ! " Ein verweintes , überwachtes Gesicht wendet sich Isolde zu , dann gehen die beiden Frauen eng aneinanderangeschmiegt in dem von weißem Dämmerlicht übergossenen Garten auf und nieder . - Lu zaghaft ; ihren bloßen Füßen tun die harten , kühlen Kiesel weh . Wie still ist_es auf der Insel der Seligen mit ihren schlafenden Frühlingsblumen , ihren Buchenbäumen und Büschen , die alle das junge Laub wie einen zarten Schleier tragen ! Lu flüstert mit von Weinen erstickter Stimme : " Isolde , bitte Gott , daß du nie einen Menschen liebst . " " Nein , " sagte Isolde , " das werde ' ich auch nicht . " " Mein » Guter « sagt : laß deine Liebe wie Schnee sein ; selbst kühl , alles wärmend , was sie berührt . Das ist erlöste Liebe . - Du lieber Gott , da müßte man ganz anders werden . Mich hat heute wieder ein Schrecktraum aus dem Bett getrieben . Die Todesfurcht für ihn . Man lebt doch wie vor einer Hinrichtung . " " Ja , " sagt Isolde mit eigentümlicher Betonung . " Du bist heute so sonderbar , " sagt Frau Lu . " Nein - du . Weshalb gibst du dich dem Schicksal nicht hin ? Weshalb sträubst du dich wie ein Tier ? Das ist unvornehm von dir - nein - im Ernst , das ist deiner nicht würdig . Du lebst neben diesem großen , guten Menschen und jammerst immer . Und daß sein Werk vielleicht nicht vollendet wird , deshalb quälst du dich . Du bist eitel ! Das Werk ist in ihm vollendet . Du bist doch noch Herdentier , Lu. Nein , du mußt ganz anders werden . Ja , werde du wie Schnee ; gewiß , so sollst du auch lieben . Man kann nicht wie Schnee verliebt sein - aber lieben - und du liebst ja . Lu und eins - kümmere dich nicht so viel um ihn - er ist sich ja selbst genug ; beunruhige ihn nicht . Du bist so begabt , eine von den ungeheuer wenigen Frauen , die ihre Begabung kennen . " Isolde schlang leidenschaftlich die Arme um ihre Freundin und drückte sie an sich . " Lu arbeite ! Arbeite dich zu Tode meinetwegen , Lu. Verzehre deine Kräfte in deiner Arbeit , aber nicht in Liebe und Angst . Sei ein geistiges Geschöpf . - Gib mir deine Hand und schwöre mir , die Jahre , die du über die Erde zu gehen hast , willst du ehrlich tun was du kannst , " sagte sie warm . " Zieh die Liebe in dir nicht so unselig groß . Siehst du , wir Frauen neigen dazu , alles in die Liebe zu legen . Wir haben die Liebe zu einer Art Untier gezogen , zu einer Bestie . Sie hat unseren Geist gefressen . Wir haben uns an ihr arm und dumm gefüttert . Gib mir deine Hand und schwöre mir , daß du ehrlich tun willst was du kannst mit ganzer Kraft ! " " Ja , " sagte Lu - " wie du . " " Ja , wie ich . Ich tue was ich kann . " Auf ihrem Gesicht lag eine große Ehrlichkeit und Weltentrücktheit . Sie war von einer Schönheit , die Frau Lu ganz eigen berührte . " Du herrliches Kind , " sagte sie . " Sage das noch einmal , " bat Isolde . " Weshalb ? " " Weil ich mich ganz voll davon trinken will , " antwortete Isolde heftig . " Weißt du , und deinem Guten gib du einen Kuß , wenn er heute Morgen hier hinaus in den schönen Garten kommt , einen Kuß von mir auf seine Stirn und sage ihm . Jeder Gedanke von ihm soll gesegnet sein . Und danke ihm für alles , was er mir gesagt hat und was er an mir getan hat . Und sage ihm , ich gehe jetzt , ganz reingebadet - ganz frei und erlöst und sehe die Sonne aufgehen ! Ade ! " Frau Lu sah ihr verwundert nach , wie sie mit leichten , fliegenden Schritten den stillen Weg entlang ging und ihren Blicken entschwand . * Isolde ging in einer wundervollen Extase , in einem ihrer heißgeliebten Seelenräusche , in dem wundervollsten Seelenrausch , den sie je empfunden , durch die weiße Morgenstille . Jetzt stand sie und lauschte . Sie lauschte auf die Bewegungen ihrer eigenen Seele . Es hatte sie ein fremdes , unerträgliches Weh durchzittert , ein Weh , wie es der betäubte Totkranke empfindet , wenn er das Messer des Arztes fühlt , den schneidenden Schmerz wie aus der Ferne , durch die Narkose hindurch , fremd und wie mit ihr unzusammenhängend . Wem galt es ? Ihr ? War es ihr eigenes Weh ? Und weshalb ? Isolde begann zu laufen . » Das muß man abschütteln mit aller Kraft , - sonst frißt sich es ein . « Und sie lief einen stillen Wiesenweg entlang , lief und lief . Das Herz schlug ihr , die Pulse klopften und ihre Seele lief auch durch ungemessene Räume- körperlos . Also dem Tod lief sie zu ? Ja , und mit ausgebreiteten Armen . Nein , sie kroch ihm nicht entgegen . Gottlob ! Das fühlt sie mit Jubel , sie kroch nicht ! Dann hatte sie doch etwas im Leben erreicht . Dann war sie doch etwas . Und da war es wieder das wunderbare Gefühl . Sie empfand sich wieder als der Begriff des ewig bedrückten Weibes , des geistberaubten Weibes , der Sklavin aller Völker . Und da brach ein Jubel in ihr aus . " Und habt ihr eine Welt auf mich geworfen - ich breche durch ! Und habt ihr mich verschüttet mit Schutt von Jahrtausenden - ich breche durch ! " Da mußte sie aufschreien im Kraftgefühl . Dann barg sie ihr Gesicht in einen vollen , jungen Buchenbusch , der am Wege herrlich entfaltet stand , weich und grün , feucht und flaumig . Sie kühlte ihr junges Gesicht in seinem duftenden Laub . Sie wühlte es ganz darin ein , wie in die Freuden der Erde . " Wie in die Freuden der Erde ! " Das sagte sie weich und innig . Dann warf sie sich nieder und küßte den Boden auf dem sie stand . " Ich komme wieder ! " rief sie laut . " Ich komme wieder ! " Und wie im Gebet preßte sie die Hände ineinander . Ja , sie wollte wiederkommen - und sie mußte wiederkommen . Das war ihr fester , großer Wille , ihr heiliger Entschluß . Es gab hier eine Welt dumpfer , dummer , matter Seelen , Halbtierseelen ! Sie wollte einen tiefen Todesschlaf halten , der die Kräfte stählte ; dann wollte sie wiederkehren , stark und rein und gut - und mächtig - alles vermögend , mit der Kraft zu erlösen . So stand sie unerschütterlich , Herrin über Leben und Tod - in der Wonne ihrer großen Kräfte schon entrückt - und wartete auf die Sonne .