1 Eine schlechte Kinderstube wird durch kein Begräbnis erster Klasse wett gemacht . Aus Stilpes zerstreuten Papieren . Erstes Kapitel . Als mein Freund Stilpe geboren worden war , herrschte , wie das so üblich ist , viel Freude in der Familie . Dies umsomehr , als die Sache anfangs gedroht hatte , bös auszugehen . Tante Pauline , die nachgezählt hat , will es beschwören , daß Stilpe-Vater an jenem schweren Tage dreiundachtzig Mal : Umgotteswillen ! gesagt hat , wobei er sich , zornig halb , halb mit der Miene eines zerknirscht auf alles Gefaßten , in den Achselausschnitt der Weste fuhr und mit sämtlichen Fingern , außer den Daumen , die eben hinten steckten , auf beide Seiten der Westenbrust trommelte . Und dabei war Stilpe-Vater eigentlich ein sehr ruhiger Mann , seines Zeichens Lepidopterologe , und konnte von sich sagen , daß er die Welt mit Gelassenheit betrachtete . 1 * Aber dieser Fall war zu sehr außerhalb der Erfahrungen seines Metiers . Das Kind lag nämlich schief , und Doktor Schatzheber , schon durch diesen Namen zum Geburtshelfer prädestiniert , sah sich genötigt , mit der Zange einzugreifen . Umgotteswillen ! Mit der Zange ! Dem Lepidopterologen , der an die gelinde Art dachte , wie sich die Schmetterlinge auf diese Welt bringen , hätte sich das Haar gesträubt , wenn es nicht schweißnaß am Schädel geklebt wäre . -- Nun , nun ! sagte Tante Pauline : das ist das Schlimmste noch nicht . Die Hebamme hat mir erzählt . . . -- Umgotteswillen , Pauline , verschone mich ! Du bist nie in der Lage gewesen . Also solltest du auch nicht . . . Tante Pauline rauschte ab . Es muß gesagt werden , daß die ganze aufregende Geschichte ihr eine gewisse Genugtuung bereitete . Das Verheiratetsein hat also auch seine Schattenseiten ! Ja , ja , ja ! Das versöhnte sie auf eine Weile mit der Welt . Schließlich lief also Alles gut ab , nur daß der kleine Stilpe eine kleine Eindellung am Hinterkopf aufwies . Tante Pauline hatte die Güte , fragend Erstes Buch , erstes Kapitel . zu bemerken , ob derlei nicht Blödsinn zur Folge haben könnte ? -- Nein ! schnaubte Doktor Schatzheber , aber , wenn die Wöchnerin nicht bewußtlos wäre , würde ich Sie . . . . ; dann wusch er seine Zange in Karbol . Tante Paulines Benehmen ist schuld daran , daß ich vergessen habe , den Schauplatz von Stilpes Geburt zu nennen . Es vollzog sich dieser Akt in Leißnig , einer kleinen sächsischen Stadt , über die ich in Kürschners Quartelexikon nichts weiter finde , als daß sie an der Freiberger Mulde und nicht weit von dem Schloß Muldenstein liegt . Ich habe auch keinen Anlaß , mich bei diesem Gemeinwesen länger aufzuhalten , denn , wenn ich auch zu Beginn meiner Geschichte eine kleine Stilpopädie zu liefern gedenke , so bin ich doch weit entfernt , mich nach dem preiswürdigen Muster des lieben Meisters Rabelais auch mit den Windelerlebnissen meines Freundes zu beschäftigen . Selbst die erste Hose und die Schulzuckertüte bringt mich nicht von dem Vorsatz ab , erst in dem Augenblick einzusetzen , wo mein Freund in das versandfähige Alter eintritt , da man ihn von Hause weg und in fremde Hände gab , genauer gesprochen , da man ihn aus Leißnig nach Dresden und zwar in die Königliche Erziehungsanstalt für Knaben in Friedrichstadt-Dresden gab , die unter dem Namen Freimaurerinstitut bekannt ist . Zweites Kapitel . Das Freimaurerinstitut in Dresden-Friedrichstadt verfolgt nicht , wie man aus dem Namen schließen könnte , den Zweck , Freimaurer zu züchten , sondern es erblickt seine Bestimmung darin , aus jungen Knaben , die zu Hause schwer zu glätten sind , wohlpolierte Jünglinge zu machen . Es führt sie aber nicht bis zu jenen Höhen der Bildung , deren Erklimmung die Tore einer Universität öffnet , sondern es begnügt sich mit der bescheideneren , aber zuweilen doch recht mühereichen Aufgabe , seine Pflegebefohlenen nur bis zum Vorhofe des Tempels zu bringen . Dort gibt es ihnen einen leisen Schlag auf die Schulter ( so , wie es den jungen Fohlen geschieht , wenn man sie aus dem Stalle läßt ) und befiehlt sie der fördernden Gnade dessen , der aus Tertianern nach und nach Primaner und weiterhin im sanften Gleisgange Studenten , Doktoren , Pastoren , Professoren , geheime Räte , wirkliche geheime Räte , kurz allerlei Lichter oder auch wohl bloß Leuchter macht . Mein Freund Stilpe , von dem ich hoffe , daß ich ihn einst unseren Freund werde nennen dürfen ( aber man hofft manchmal verwegen ) , wurde aus zweierlei Gründen in die Obhut dieser wissenschaftlichen und moralischen Brutanstalt gegeben . Einmal geschah es deshalb , weil der Vater notwendig nach Südamerika reisen mußte , um dort auf irgendwelchen besonders begnadeten Wiesen irgendwelche Schmetterlinge zu fangen , die sich darauf kaprizieren , just und nur dort ihr Dasein hinzubringen , und die deshalb noch immer nicht in die ihnen gebührende Klasse der wissenschaftlichen Schmetterlingsordnung eingetragen waren . Stilpe-Vater hätte aber nicht mit der Seelenruhe , die zu einem solchen Geschäfte nötig ist , in das ferne Land ziehen können , wenn er seinen Sohn nicht in männlicher striegelnden Händen gewußt hätte , als es die der guten Stilpe-Mama waren . Denn es muß gesagt werden , daß Mama Stilpe kein eigentliches Talent für Knabenerziehung besaß . Sie war , eine liebe , nette und hübsche Frau übrigens , Erstes Buch , zweites Kapitel . zu sanftlebig dazu und hatte das , für andere Kinder vielleicht recht passende , auf Willibald angewandt aber nicht ganz richtige Prinzip , lediglich mit Bonbons zu erziehen . Sie handelte dabei nicht nach irgend einer pädagogischen Schulmeinung , sondern ganz instinktmäßig . Da sie nämlich selber eine Liebhaberin von Konfitüren aller Art war , so hatte sie die Bemerkung gemacht , daß nichts auf ihre Psyche so beruhigend , begütigend , ja im eigentlichsten Sinne bessernd und , wenn die Bonbons besonders auserlesen waren , erhebend wirkte , als die linde sich lösende Süßigkeit dieser Konditorerzeugnisse , und sie meinte nun , es müsse das bei dem noch naiveren Kontakt zwischen der kindlichen Zunge und Seele im Kindesalter erst recht so sein . In den einzelnen Fällen hatte es auch immer den Anschein , als ob sie recht hatte . Der kleine Willibald , so hatte man ihn in der Taufe benannt , reagierte wie ein Engel auf Bonbons . Aber von der höheren Betrachtungswarte der väterlichen Kritik aus machte es sich bald bemerkbar , daß das Allgemeinbild der Willibaldschen Entwicklung sich nicht völlig so süß ausnahm wie die einzelnen Reaktion Erscheinungen . Kurz gesagt : Willibald war außerhalb der jeweiligen Bonbonwirkungen eine beträchtliche Range . Der andere Grund zur Überführung des jungen Knaben ins Freimaurerinstitut lag mehr auf wissenschaftlichem Gebiete . Wenn jemand einen Sohn bekommen hat , so meldet sich , kaum daß die erste Windel trocken geworden ist , die ernste Frage : Was soll der Junge werden ? Ist es erstaunlich , daß Stilpe-Vaters Antwort darauf mit der Sicherheit einer Reflexbewegung lautete : ein Lepidopterologe ? Diese Antwort ist durchaus begreiflich . Stilpe senior empfand wie jeder Vater seinen Sohn als eine Fortsetzung seiner selbst ; was lag da näher , als daß er in ihm auch den zukünftigen Fortsetzer seiner Lebensaufgabe sah ? Und nun konnte er sich zwar sagen , daß er selbst schon manchen Schmetterling zur Ehre der Wissenschaft aufgespießt hatte , aber die sattsam bekannte Bescheidenheit unserer exakten Wissenschaftler erfüllte ihn doch zu sehr , als daß er nicht auch hätte hinzufügen müssen : Es gibt immer noch unaufgespießte Schmetterlinge genug , ja übergenug . Welch ein lieblicher Gedanke aber , daß der Sohn die Schmetterlinge Einregistrieren Erstes Buch , zweites Kapitel . wird , die einzuregistrieren dem Vater von einem neidischen Schicksale versagt gewesen ! Indessen : Stilpe-Vater war ein starker Geist und wußte die Subjektivität des väterlich Angenehmen von der Objektivität der Pflichten zu trennen . Er sagte sich : Man muß alle Türen offen lassen und bis zu dem Zeitpunkt warten , wo man aus den Schritten des jungen Menschen ungefähr ersehen kann , zu welchen er sich am fügsamsten leiten lassen wird . Nur nicht schieben und stoßen ! Er war durch seinen Beruf an zartere Hantierung gewöhnt . Daher gab er denn seinen Sohn , als der im lateinfähigen Alter war ( ach , wie bald ist das ein Deutscher ! ) , nicht mit plumper Hast auf ein Gymnasium , sondern richtete sein Augenmerk auf eine Anstalt , die beide Wege , den in die Humaniora , und den in die Realistik , offen ließ . Eine solche Anstalt war das Freimaurerinstitut . Im Allgemeinen mehr den realistischen Disziplinen des menschlichen Wissens gewidmet , besaß es doch auch eine Selekta für die unter seinen Zöglingen , die es nach den Reizen des klassischen Altertums oder wenigstens nach den Laufbahnen gelüstete , die nur der lateinisch und griechisch geeichte Jüngling betreten darf . So wurde Willibald , als er acht Jahre alt war , in die Zöglingsschaar des Freimaurerinstitutes eingereiht . Acht Jahre alt ! Mit Bonbons erzogen ! Sehr eigensinnig ! Sehr zart ! Sehr blaß ! Und nun plötzlich unter dem Glassturz zärtlichster Bemutterung hervorgezogen und einer Knabenstriegelungsanstalt überantwortet , die geradezu spartanischen Erziehungsgrundsätzen huldigte . . . ! Oh mein kleiner Willibald , was wirst du erleben müssen ! Wehe , die Zeit der Bonbons ist vorüber . Willibald erhielt die Nummer 171 , als er ins Institut eintrat . Man schrieb sie ihm mit Tinte in die Wäsche , nähte sie ihm in die Kleider , klebte sie ihm in Stiefel und Mütze ; sie stand auf seinem Kleider- und Bücherschrank , sie stand auf seinem Bette , sie stand auf seinem Waschbecken , seinem Stiefelwichsplatz , seinem Seifenkasten ; und auch auf dem hölzernen Gewehre stand sie , mit dem er exerzierte . Denn es wurde exerziert in diesem Institute , exerziert unter der Leitung zweier schnauzbärtiger ehemaliger Unteroffiziere , die auch sonst als Knabendresseure einen wichtigen Platz im Erziehungsplane dieser martialischen Anstalt hatten . Erstes Buch , zweites Kapitel . Man kann daraus erkennen , wie eminent modern die Anlage dieses pädagogischen Institutes war . Sie ging nicht aufs Sentimentale , sondern aufs Robuste aus , sie wollte nicht Romantiker erziehen , sondern Realisten , sie wusch die jungen Häute nicht mit Mandelmilch , sondern mit Bimsteinseife . Wie in den meisten dieser Internate , so lebte auch in ihr das bewährte Staffelprinzip des Lebens , das sich in Kürze so darstellen läßt : Die Unteren sind die Fußschemel der Oberen , und keiner kommt ungetreten in die Höhe . So erfüllen diese Anstalten aufs Vollkommenste den erzieherischen Zweck , aufs Leben vorzubereiten . Denn sie nehmen es in seiner ganzen Rohheit vorweg . Der Spaltpilz des Illusionismus wird mit kräftiger Hand ausgemerzt , und die bedenkliche Neigung mancher jungen Seelen ins Optimistische wird durch reichlich und konsequent applizierte Blitzgüsse weggeschreckt . So redet unsere erwachsene Philosophie . Aber , liebe Leute , so ein kleiner Junge von acht Jahren . . . Mein Gott , woher soll der erwachsene Philosophie haben ? Er begreift mit nichten die Heilsamkeit des lebensvorbildlichen Getretenwerdens , er versteht ganz und gar nicht , wie wertvoll es ist , sich die junge Haut durch Schinden abhärten zu lassen , ihm fehlt jeder Sinn für das realistisch Tüchtige dieser ganzen Methode . Er fühlt sich einfach kreuzunglücklich . Er denkt an Müttern und weint . So auch Willibald . Was hat der arme kleine Kerl geheult unter seiner Bettdecke ! Und wie hat er manchmal mit den Zähnen geknirscht vor Ingrimm , wenn ihn die Oberen drangsalten , ihn , den " Battling " . So wurden nämlich die Kleinen genannt . Die Battlingschaft war bitter wie die Rekrutenzeit . Ach nein : Wohl bitterer noch . Denn , was so eine junge Seele empfindlich ist , das kann sich ein erwachsenes Gehirn manchmal gar nicht mehr vorstellen . Deshalb wird es gut sein , ich lasse den Battling selber reden . Drittes Kapitel . Die Briefe des Battlings . Liebste Mama ! Du hast mir gesagt , das ich Dir gleich schreiben soll , wie mir es gesellt im Institut . Es gefällt mir gar nicht . Die Jungen sind furchbar grob und haun mich immer und nennen mich Badlich . Sie sagen , ich wäre ein dummes Gescheeche . Ich mag nicht mehr dableiben und will wieder nach Leisnig . Ach , liebste Mama , ich weine die ganze Nacht und dann kommen sie und haun mit einem Rohrstock auf die Bettdecke , die dünne ist . Und früh läßt mich der Schüsseloberst den Zucker karieren beim Kaffee und Mittags der Schisselvice den Braten , wen es welchen gibt , aber es gibt bloß einmal welchen . Ach liebste Mama komme doch gleich und hole mich ab . Sonst Lauf ich davon . Mit herzliche Grüße Dein Dich liebender Sohn Willibald Stilpe . Meine liebe gute Mama ! Du denkst , ich liege Dir was for , aber es ist doch alles war was ich Dir geschrieben habe . Gestern haben sie mich wieder das Fleisch wollen karieren lassen . Da habe ich gesagt ich sag dem Lehrer , da haben sie mich unteren Tisch gesteckt und gesagt ich soll die Wacht am Rhein singen und sie wollen den Takt treten mit den Beinen , und haben mich auch getreten . Aber gesungen habe ich nicht . Ach meine liebe gute beste Mama , schick mir doch eine Kiste mit Wurst und Gänsefett , daß ich auch was habe auf die trockenen Dreierbrotchen , die wir zum Friestick kriegen , und ich dem Schisseloberst Erstes Buch , drittes Kapitel . was abgeben kann , daß er mich nicht immer den Zucker früh karieren läßt . Mit herzlichen Grüßen Dein Dich liebender Sohn Willbald Stilpe . Ich habe einen Freund , der heißt auch Willi , er sitzt neben mir in der Klasse . Dem will ich auch Wurst geben , weil er mir auch Wurst gibt . Meine allerliebste gute Mama ! Ich liege Dir ganz gewiß nichts vor . Wenn ich in die Ferien komme will ich Dir schon zeigen , was ich für blaue Fleck habe , und einen ganzen Büschel Haare hat mir Einer ausgerissen , wo ich gar nichts gemacht hatte . Bloß , weil ich ihm die Stieweln nicht putzen wollte . Und den Lehrern darf man nichts petzen , dann kriegt man bloß noch mehr Keile , und die Lehrer tun den Großen doch nichts . Wenn ein Battling betzt , missen ihn auch die anderen Battlinge mit verhauen , und er darf auch nicht mitspielen . 2 Die anderen Jungen kriegen alle Taschengeld für wenn die Obstfrau kommt . Die kommt zweimal in der Woche und hat viele schöne Sachen , Johannisbrot und Äpfel und Birnen und Mispeln , aber Blockzucker darf sie nicht haben . Du darfst mir aber das Geld nicht selber schicken , sondern dem Herrn Inspektor Teurig , der gibt mir dann jede Woche zwanzig Fänge . Es grüßt Dich Dein Dich liebender Sohn Willibald Stilpe . Mein Freund Rammer läßt Dich auch grüßen . Liebe , gute , allerliebste Mama ! Ich bedanke mich sehr schön für die große Kiste . Ich habe der ganzen Schüssel Leberwurst und Pfannkuchen gegeben und stehe jetzt sehr gut beim Schüsselobersten und den anderen . Du schreibst , ich soll Dir schreiben , was ich den ganzen Tag mache . Das will ich tun . Also paß auf : Um fünf Uhr früh klingelt eine Klingel am oberen Schlafsaal und dann schreien die beiden Herrn Inspektoren : Erstes Buch , drittes Kapitel . Aufstehen ! Aufstehen ! Die erste Abteilung sich da zuhalten ! Die erste Abteilung sind nämlich die Battlinge . Wir springen nun schnell aus den Betten raus und rennen in den Stiefelwichssaal und wichsen unsere Stiefel an den Beinen ohne Ausziehn sehr blank . Dann rennen wir in den Waschsaal , wo jeder sein Waschbecken hat , aber nicht aus Borzelan , sondern zum Umkippen aus Blech . Die Herren Inspektoren passen auf , daß wir die Hemden runterziehn und nicht so spritzen . Das Wasser ist wie Eis , und die Seife hat jeder in einem Schiebekasten bei sich , wo sich auch der Waschlappen und die Kämme aufhalten . Dann rennt jeder in den Kammsaal und kämmt seine Haare . Ich habe einen Scheitel machen missen links aber ohne Pomade , mit Wasser . Wenn Einer Läuse hat , so nennen sie ihn Lausewenzel . Es kommt beim Haareschneiden raus und ist eine große Schande und wird mit Essiig gewaschen . Ich dachte schon , ich hätte welche , weil mich_es immer picken tat , aber ich hatte keine . Mein Freund Rammer hat Mal welche gehabt , aber dann hat er beim Haareschneiden immer gebetet Lieber Gott gib das ich keine Läuse habe , und dann hat er keine mehr gehabt . 2 * Ich muß nun schließen , weil es gleich zum Betegehen klingelt . Es grüßt und küßt Dich Dein Dich treu liebender Sohn Willibald Stilpe . Meine gute liebe allerbeste Mama ! Der Herr Inspektor hat mir gesagt , das Du Taschengeld für mich geschickt hast . Das hat aber der Schisselvice gehehrt , und da hat er mir gesagt , ich soll_es keim sagen und soll ihm fünf Pfennige borgen . Das ist aber verboten ; aber ich muß ihm doch borgen , weil er mich sonst am Sonntag das Apfelmus karieren läßt und selber ißt . Nun will ich fortfahren , was ich tue , wenn ich meine Haare gekämmt habe . Dann geht_es hinauf in die Arbeitszimmer und wird die Schulsachen nochmal durchgegangen . Wenn alle Abteilungen mit Wichsen und Waschen und Kämmen fertig sind Erstes Buch , drittes Kapitel . wird angetreten und die Herren Inspektoren sehen Einen an , ob man reine gewaschen ist und auch die Stiewelsohlen ganz sind , besonders hinter den Ohren , wo sich manchmal Schmutz befindet und man dann karieren muß . Dann singen wir in der Aula Nun danket alle Gott oder andere schöne Gesangbuchslieder und ein Herr Lehrer betet ein Gebet , was er gerade auswendig kann . Dann geht_es zum Kaffetrinken , wo immer jede Schüssel , welche aus vier jungens besteht und einen Schisseloberst , Schisselvice , Schüsselterz und Schüsselschund hat , eine Kanne Kaffee kriegt und jeder drei Eckchen Semmel und zwei Stickchen Zucker . Der Zucker wird gewöhnlich in die Semmeln nein gebohrt und dann gedunkt , das schmeckt wie Kuchen . Die Schüsselschunds kriegen aber nicht immer alle zwei Stickchen Zucker , weil manchmal welche fehlen . Wenn Kaffee getrunken ist , ist eine Arbeitsstunde , wo Schularbeiten gemacht werden . Ein Herr Lehrer paßt auf , das keiner abschreibt . Manche Jungen schreiben aber doch ab . Ich wage mir_es nicht . Nun lebe wohl meine liebe gute Mama , mein Nachbar schobt mich immer , daß ich Messerspießen soll mit ihm . Das ist ein sehr schönes Spiel . Auch Federtippens wird gespielt . Ich habe drei Goldhahnfedern gewann , eine ganz neue dabei . Es grüßt und küßt Dich Dein treuer Sohn Willibald Stilpe . Liebe Mama ! Du weißt nicht , was Blockzucker ist ? Ich werde es Dir erklären . Das sind rote oder gelbe oder weiße Tafeln , und die roten schmecken nach Himbeere , die gelben nach Apfelsine und die weißen nach Zitrone . Die roten schmecken am schönsten . Wenn man eine Tafel kauft , das kostet zehn Pfennige , und jede Tafel hat fünf Abteilungen zum Abrechen . Nicht wahr , jede Abteilung müßte doch bloß zwei Pfennige kosten ? Kostet aber einen Dreier . Rammer sagt , im Biedchen draußen kostet eine Tafel überhaupt bloß fünf Pfennige . Aber die Jungen , die bloß in die Schule kommen hier und zu Hause wohnen , die bringen sie mit und sagen , sie kosten zehn Pfennige . Wenn ein Junge kein Geld hat , so kann er auch seinen Braten davor geben . Vor Schweinebraten kriegt man zwei Erstes Buch , drittes Kapitel . Stückchen , aber vor Rinderbraten bloß eins , das heißt , weißt Du , das ist bloß bei den Battlingen . Die Großen kriegen schon mehr . Nun weißt Du , was Blockzucker ist . Ich will Dir nun schreiben , was nach der Arbeitsstunde früh kommt . Da kommt die Schule . Rechnen ist sehr schwer hier , weil der Lehrer , den die Jungen Buschklepper nennen , so ein ekliger Fritze ist . Das sagen alle . Biblische Geschichte ist sehr schön , aber im Lateinischen sind die Verba schwer zum abwandeln . Ich will aber doch in die Selekta . Die Selekta darf abends eine Stunde länger aufbleiben . Geographie ist sehr ausgedehnt . In der Geschichte gefallen mir die alten Germanen vortrefflich gut . Aber die Römer siegen immer . Naturgeschichte ist sehr mies , weil sie auch der Buschklepper hat . Nicht wahr , liebe Mama , die Menschen legen keine Eier . Rammer sagt , sie legten welche . Dann kommt das Mittagessen . Erst betet einer komme Herr Jesu sei unser Gast und segne was Du uns beschert hast , und wenn_es alle ist , betet wieder einer Wir danken Dir Herr Jesu Christ , das Du unser Gast gewesen bist . Aber er ist natürlich nicht wirklich da , sondern man muß sich ihn selber denken . Es gibt meistenteils Rindfleisch mit Gemüse , und Brot kann sich jeder nachholen , wenn er noch nicht satt ist . Ich hole mir immer welches . Bier gibt_es keins , bloß Wasser . Wir haben einen neuen Schüsseloberst . Das ist der schönste Junge im ganzen Kasten und ein Serbe . Er ist sehr gut und macht feine Witze . Gestern sagt er zu mir : Du , Schund , jetzt laß ich Dichs Wasser karieren . Da haben wir aber alle gelacht . Er heißt Miokovitsch . Ist das nicht ein schöner Name ? Wenn ich groß bin , gehe ich mit ihm nach Serbien . Er kann den Ball übern Turm pritschen . Auch die Riesenwelle kann er . Er hat aber auch schon beinahe einen Schnurrbart . Ich bab ihn furchtbar gern . Liebe Mama , die Kiste ist schon lange alle . Es grüßt und küßt Dich Dein Dich vielmals liebender Sohn Willibald Stilpe No. 171. Liebe gute Mama ! Der Schisseloberst hat gestern dem Terz eine Schelle neingehaun , weil er mich geknufft hat . Erstes Buch , drittes Kapitel . Schick mir doch Pfannkuchen in der Kiste . Er ißt sie furchtbar gerne . Denke Dir nur : sein Vater ist Feldherr der Serbier . Ich habe sein Bild gesehen . Es ist keine Sohle . Überhaupt : Miokovitsch schwindelt nicht . In seinem Photographiealbum hat er auch viele furchtbar schöne Bilder von Mädchens . Die Großen nennen ihn alle den schönen Mio . Dem seine Muskeln solltest Du Mal sehen , liebe Mama ! Sie sind so dick wie meine Waden . Er braucht sich auch keinen Scheitel zu machen , weil er Locken hat . Niemals läßt er mich karieren , denn er ist überhaupt sehr edelmütig . Seine serbischen Briefmarken Krieg ich alle . Er kann furchtbar turnen . Gestern ist er in der Nacht ausgestiegen und am Blitzableiter nunter geklettert . Weil ich gerade an dem Fenster liege , habe ich_es gesehen . Daß Du nicht petzt , hat er gesagt , und ich soll_es auch keinem Jungen sagen ; ich sag gewiß keinem . Er ist erst nach einer Stunde wieder gekommen , und da war er so lustig , daß er mir einen Kuß gegeben hat . Ich weiß auch , warum er nunter geklettert ist . Er hat sich einen Strauß geholt . Den ganzen Tag hat er ihn immer in seiner Tasche gehabt . Mir gefellts jetzt ganz gut hier . Liebe Mama , schick doch ja recht viele Pfannkuchen . Es grüßt Dich Dein dreier Sohn Willibald Stilpe . Liebe Mama ! Weil Du schreibst , daß ich Dir nicht geschrieben habe , was wir nach dem Essen tun , so will ich es schreiben . Da wird exeziert . Das ist sehr mühsam und mit Grobheit verbunden , weil die Herren Inspektoren so schreien müssen und sich ärgern , wenn die Jungen alles falsch machen , was natürlich ist , denn wenn man es noch nicht kann , so ist es sehr schwer . Ich möchte lieber bei den Trommlern sein , und Miokovitsch will schon dafür sorgen . Dann werden die Kleider ausgeklappt und vorgezeigt . Der Inspektor kloppt auf die Hosen , und wenn Staub kommt , so wird_es aufgeschrieben , und wer drei Mal aufgeschrieben ist , der darf nicht mit spielen später . Bei manchen kloppt der Inspektor aber leise und bei manchen derb . Dann ist wieder Schule . Hernach aber gibt_es Vesperbrot Erstes Buch , drittes Kapitel . und dann dürfen wir drei Stunden spielen . Räuber und Dragoner ist das Schönste . Ich habe einen Versteck , den keiner rauskriegt . Da können sie lange suchen , wenn ich durchs Fenster in den Badebassin krauche . Pritschball ist auch sehr schön , aber die Pritschen sind so lang , daß man oft vorbeihaut , und dann brüllen die anderen . Die Seite , wo Miokovitsch ist , gewinnt immer . Er hat die schwerste Pritsche , aber er macht selten mit . Überhaupt ist er oft nicht da , wenn gespielt wird . Ich habe ihn Mal gefragt , warum er immer nicht da ist . Da hat er gesagt : Du bist neugierig , Schund , aber wenn du_es niemand sagst , will ich Dir es verraten . Aber er hat mich bloß verulken wollen , denn es ist doch Unsinn , daß er auf dem Mond spazieren geht . Solche Witze macht er immer . Liebe Mama , warum schickst Du die Pfannkuchen nicht . Es grüßt Dich Dein teurer Sohn Williwitsch . Liebe , gute Mama ! Ich habe furchtbar lachen müssen , weil Du schreibst , ob es nicht recht wehtut , wenn der Herr Inspektor auf die Hosen kloppt . Du denkst wohl , wir haben sie an , wenn er kloppt ? Nein , das sind die anderen , die erste Garnitur , die gekloppt werden . Nun will ich aber endlich schreiben , was abends gemacht wird . Da wird erstens Abendbrot gegessen , wobei auch Biertrinken stattfindet . Es ist aber natürlich bloß einfaches . Dazu gibt es Brot und Butter oder Fett . Fett ist mir lieber , denn die Butter ist sehr häufig ranzig . Viele Jungen schmieren sie dann unteren Tisch oder schnippen sie mit dem Messer an die Decke . Dann fällt sie manchmal nächsten Tag in die Suppe . Weshalb es ein Unfug ist und man Schellen kriegt , wenn_es gemerkt wird . Natürlich wagen sich_es bloß die Großen . Im Winter soll die Butter auch von vielen Jungen gesammelt werden , und sie machen dann abends auf dem Ofen im Arbeitszimmer Butterbäbe draus mit geriebenen Brot . Das muß fein schmecken . Dann geht_es wieder hinaus zum Spielen und dann ist Arbeitsstunde oder Selbstbeschäftigung , wobei Briefe geschrieben werden oder sonst welcher Unsinn gemacht wird , weil kein In Erstes Buch , drittes Kapitel . Specktor dabei ist . Dann geht_es um Neun schlafen , wobei das Schnarchen durch Anspritzen beseitigt wird . Miokowitsch klettert jetzt egal zum Fenster nunter . Mit Rammern bin ich schiech , weil er sagt , Miokowitsch wäre ein Slowake . Ich brauche überhaupt keinen Freund , weil mich Miokowitsch zu seinem Leibschund ernannt hat . Deshalb heiß ich auch Williwitsch . Dein Dich liebender Sohn W. St . Liebe Mama ! Schiech sein ist , wenn man mit Einem nicht mehr Freund ist . Leibschund ist kein Schimpfname sondern sehr ehrenvoll . Wie es am Sonntage zugeht , das ist sehr langweilig , wenn man niemand in der Stadt hat , zu dem man Urlaub kriegt . Weißt Du denn gar niemand , wo ich hingehen kann ? Früh gehen wir in die Kirche . Da haben wir einen besonderen Platz und alle Bänke sind furchtbar bekritzelt , wo die Freimaurer sitzen . Die meisten Jungen nehmen sich Bücher zum Lesen mit . Ich sitze aber so nahe beim Inspektor . Zu Mittag gibt_es Kompott und abends Tee und Käse . Wenn schönes Wetter ist wird Spaziergang gemacht . Es ist aber ledern , weil man so zwei und zwei in einer Reihe geht . Und ich muß mit Rammern gehen , mit dem ich schiech bin . Er will immer zu reden anfangen , aber fällt mir gar nicht ein . Er soll erst sagen , daß Miokowitsch kein Slowake ist . Liebe Mama , ich danke recht schön für die Pfannkuchen , aber es waren sechs ungefüllte dabei . Es grüßt und küßt Dich Dein teurer Sohn Williwitsch . Viertes Kapitel . Man hat , denke ich , aus den Briefen des Battlings ersehen , daß Klein-Willibald , nicht ohne instinktive Lebenskunst , es verstanden hat , aus dem sauren Apfel , in den zu beißen er gezwungen war , nach Möglichkeit Süßes zu saugen . Er hat unbewußt nach einem Rezept gehandelt , das auch Erwachsenen häufig probat erscheint zur Aufhöhung des Lebens : er hat sich einen kleinen Heroenkult eingerichtet . Und , wie klug der kleine Bursche doch war ! Er blieb nicht in der Ferne stehen und schwärmte platonisch , sondern er begab sich frohgemut und entschlossen in die Klientele seines Idols . Die Gelegenheit , jetzt schon zu konstatieren , wohin sich das Häkchen krümmen will , wäre günstig , aber ich möchte dem Leser auch etwas zu tun geben und überlaße es also ihm , nachzumessen . Nur bitte ich , sich nicht gleich ein Schema zu machen . Des Menschen Seele ist manchmal schwankender als der Gang eines Betrunkenen durch einen Sturzacker . Aber : wie Sie wollen ! An mir ist es , weiter zu erzählen und zu sagen , daß Jung-Stilpe allmählich aus dem Stande eines Battlings in den nächst höheren eines Quarks emporrückte . Das heißt : Er wurde nun nicht mehr bloß geschunden ; er durfte auch selber ein bisschen mitschinden . Es wäre nur menschlich gewesen , wenn er sich in diesem Zustande wohler befunden hätte , als n dem vorigen . Aber es war nicht so . Am Selberschinden fand er wenig Geschmack , und so entging ihm die tröstliche Genugtuung , die nicht bloß im Freimaurerinstitut in Dresden-Friedrichstadt den meisten Menschen das Geschundenwerden erträglicher macht . Er hatte keinen Sinn für das Wohltuende , das in der Möglichkeit liegt , von oben empfangene Puffe nach unten weiter zu geben . Es tut mir leid , aber ich muß es feststellen : Er dokumentierte damit einen betrüblichen Mangel an Begabung für realistischen Lebensverstand . Die Strafe für diesen Defekt konnte nicht ausbleiben : Erstes Buch , viertes Kapitel . Er fühlte sich jetzt elender als früher . Denn , während er sich die jetzt offenstehende Gelegenheit der Ableitung nach unten entgehen ließ , verringerte sich doch nicht seine Empfindlichkeit für die Stöße von oben . Im Gegenteil : Er empfand sie viel peinlicher . Denn er hatte an Kritik zugenommen . Die Großen standen ihm jetzt näher , und so erkannte er , daß allerlei Dinge an ihnen waren , die sie eigentlich nicht berechtigten , die Kleinen stolz und schlecht zu behandeln . Er sah , daß es keineswegs alle Helden waren wie der gepriesene Mio , es entging ihm vielmehr nicht , daß es unter ihnen Burschen von unzweifelhaft gemeinen Qualitäten gab . Von diesen sich schinden zu lassen , das hielt schwer und tat ungemein weh . Es kam für Jung-Stilpe die Zeit der ersten Zweifel an der zweckmäßigen und gerechten Einrichtung dieser Welt . Zehn Jahre erst alt , und schon mußte er an allerlei Warum nagen . Warum darf mich Börner knuffen , da er doch unter den Großen als Feigling verachtet ist ? Warum darf mich Roscher Dummer Quark nennen , da es doch allgemein bekannt ist , daß er der Dümmste in seiner Klasse ist ? 3 Warum darf ich den Bodemann nicht wieder ohrfeigen , da er doch schwächer ist , als ich ? Alles bloß , weil ich noch ein Quark bin ? Ja , zum Teufel , warum tun sich die Quarks nicht zusammen und wehren sich ? Wenn sie alle zusammenstünden und vielleicht noch die Battlinge heranzögen , so müßten sie die Großen , die ja viel weniger sind , unterkriegen ! Aber auf dieses Warum wußte er die Antwort . Die Quarks waren , bis auf wenige , zu denen er gehörte , Memmen , Gesindel . Sie machten es mit den Battlingen nicht besser , als die Großen mit ihnen , und untereinander knufften und pufften sie sich noch mehr , als sie von den Großen geknufft und gepufft wurden . Ganz sicher , wenn er es sich etwa einfallen ließe , gegen die Großen aufzumucken : Die meisten Keile würde er von den Quarks kriegen . Das war eine böse Situation für den kleinen Stilpe , um so böser , als Mio ins Land seiner Väter zurückgekehrt war . Die Umstände , unter denen sich dieses Ereignis vollzogen hatte , waren nicht ganz normaler Natur : Herr Mio war geschaßt worden . Warum ? Der kleine Stilpe hörte was läuten , aber nicht zusammenschlagen . Es ging ein Munkeln Erstes Buch , viertes Kapitel . durch die Jungen , als ob ganz Unerhörtes sich begeben hätte . Mio hatte etwas völlig Unsagbares getan , etwas , wofür den Quarks und gar den Battlingen die Begriffe fehlten . Gewiß etwas Großartiges , dachte sich Stilpe , und sein Held erschien ihm nun im Zauber des Geheimnisvollen noch gewaltiger . Ihn selber hatte er wohl gefragt , aber es war ihm wieder die Antwort vom Monde geworden : -- Die Pauker wollen nicht , daß man auf dem Mond spazieren geht und vorzüglich nicht mit ihren Töchtern . Mit ihren Töchtern ? Auf dem Monde ? Welche furchtbaren Geheimnisse ! Dem kleinen Stilpe rollte es gruselig , aber warm übers Rückenmark . Er fühlte : Der Mond war bloß ein Symbol , so wie der Herr Jesus Christ als Mittagsgast , aber die Töchter der Pauker , die waren reell gemeint . Himmel , wer das Symbol vom Monde ergründen könnte ? Eine Paukerstochter fragen ? Pfui , wer wird sich mit Mädchen einlassen ! Jung-Stilpe war noch im Alter des Jungenstolzes , der im Mädchen etwas befleckend unterge 3 * ordnete sieht . Mädchen ! Das kam noch weit hinter den Battlingen . Was das für jämmerliche Dinger sind ! Höchst feige Geschöpfe . Also kein standesgemäßer Umgang für ritterliche Enkel der alten Germanen . Aber Mio war trotzdem mit solchen Dingern " auf dem Mond spazieren gegangen " ? Konnte Mio , der Held , etwas Unritterliches tun ? Nie ! Es mußte vielmehr etwas höchst Ritterliches gewesen sein . Wer weiß : Vielleicht war eben das Spazierengehen auf dem Monde das einzig Ritterliche , das man mit diesen Wesen tun konnte . Wenn man nur erst wüßte , was es wäre ! Mio hatte , als der kleine Willibald durchaus wissen wollte , was unter dem Mondspazierengehen zu verstehen sei , die Schonung seines Schnurrbartes gestrichen und mit einem sonderbaren Lächeln gesagt : Williwitsch , wenn ich dir das erkläre , schaffen sie dich auch . Warte noch , bis dir so was wächst , und dann wirst du es von selber erfahren . Mein Gott , wie geheimnisvoll ! Es hing also mit dem Schnurrbart zusammen ! Für Quarks war demnach der Mond durchaus unerreichbar , denn ein Quark mit einem Schnurrbart war undenkbar . Erstes Buch , viertes Kapitel . Man mußte mindestens ein Strunk werden . Aber auch unter den Strunks war ein Schnurrbart , d. h. die erste Andeutung eines Anfluges davon , ein unerhörtes Wunder . Fliczek war der einzige unter den Strunks , der so etwas wie einen Flaum auf der Oberlippe hatte . So wurde Fliczek das Idol . Willibald machte sich an ihn heran . Er opferte Hekatomben von mütterlichen Pfannkuchen , ihn zu gewinnen . Schließlich gelang es ihm mit einem Osterfladen . Aber Fliczek war kein Held , kein Mio . Er aß den Osterfladen und würdigte Willibald seines Umgangs , aber es stellte sich heraus , daß dieser schnurrbärtige Strunk vom Monde einstweilen nicht viel mehr wußte als der schnurrbartlose Quark . Also hing es vom Schnurrbart allein nicht ab . Da wurde Willibald selber ein Strunk . Zwölf Jahre war er nun alt . Die Periode der wesentlich körperlichen Schindung mit Ohrenlangziehen , Andenhaarenreißen , Schellenkriegen war im allgemeinen vorüber . Die Drangsale fingen an , Haupt sächlich seelischer Natur zu werden . Die Strunks , die nur die Großen noch über sich hatten , wurden von diesen nicht geprügelt , sondern verhöhnt . So ein Strunk , das ist wohl was ! Bildet sich vielleicht ein , daß er schon ein Großer ist ? So ein Jämmerling ! Hat noch kurze Hosen an und tut sich dicke ! Vielleicht , weil er Selektaner ist ? Weil er seinen Namen mit griechischen Buchstaben in alle Bücher schreibt ? Ist was Rechtes ! Ist doch noch ein kleiner Junge , mit dem man lange noch nicht über Alles reden kann . Aber immerhin kamen die Selektaner unter den Strunks schon mit den Großen in einige Berührung . Da sie mehr Schularbeiten zu machen hatten , als die übrigen , durften sie mit den Großen eine Stunde länger aufbleiben . Diese Arbeitsstunde wurde , da die Inspektoren im Schlafsaal sein mußten , nicht ständig überwacht . Es kam nur zuweilen der Direktor , um nachzusehen , ob die Stunde nicht etwa ausgedehnt wurde , und um nachzuriechen , ob nicht geraucht worden war . Aber , wenn der Direktor Kegelabend hatte , war man sicher . Dann rauchte alles , auch die Strunks . Es gab sogar eine Wasserpfeife ! Und wer gut turnen konnte , kletterte die Mauer hinan , ließ sich auf den Brief Erstes Buch , viertes Kapitel . Kasten hinab , sprang auf die Straße , lief ins Böhmische Brauhaus und holte Bier . Ha , was für Gelage ! Richtige , große Deckelgläser schwang man , und Lagerbier war drin ! Da wurden die Großen vertraulicher . Aber Alles durften die Strunks doch nicht mitmachen . So , wenn ein Nachtscheuern war und die Dienstmädchen in den Korridors herumkicherten . Dann kicherten die Großen draußen mit , aber die Strunks mußten im Hofe und Garten Posten stehen . Zweifellos : Das hing mit dem Monde zusammen . Freilich nicht im hohen Sinne des Miokowitsch ! Der hätte nie mit Dienstmädchen gekichert , die den Scheuerlappen in Händen hatten . So kam Jung-Stilpe ins dreizehnte Jahr , und seine Sehnsucht war vergeblich hinter dem Monde her und was dessen tiefster Sinn eigentlich wäre . In der Schule ging alles passabel , bis aufs Rechnen ; seine Mitstrunks achteten ihn als einen , der alles Verbotene kühn und heiter mitmachte und nie petzte , aber enge Freunde hatte er keine , weil er , wie die anderen sagten , zu eingebildet war . In der Tat hielt er sich für reichlich dreimal so gescheit wie alle übrigen , wenn auch nicht gerade in den Fächern , die auf dem Stundenplane standen . Daß er sich auch in die spezifische Geheimkunst der Knabeninstitute einführen ließ , bedarf nicht besonderer Erwähnung . Er übte sie aber noch ohne jene Perspektive , die erst aus der Erkenntnis vom Wesensunterschiede der Geschlechter erwächst . Indessen : Es liegt in der Natur dieser bedenklichen Kunst , daß sie den Hunger nach jener bedenklichen Erkenntnis weckt . Oh , die Augen Willibalds damals ! Was wollten sie nur , daß sie zuweilen so weit offen und starr waren , glühten und glosten , flackerten und sich weiteten . . . ? Wirklich , meine werten Herren Pädagogen , es genügt nicht , mensa abzufragen und den Jungen auf den Zahn zu fühlen , ob der peloponnesische Krieg fest sitzt , -- Sie müßten ihnen auch manchmal in die Augen sehen . Sie , die Sie mit unfehlbarer Sicherheit jedes Jota subscriptum aufstöbern , das zuviel geschrieben wird , sehen Sie denn nicht , daß da unten in diesem Auge ein häßlicher Wurm sitzt ? Umgotteswillen , Rotten Sie diesen Wurm aus , Herr Professor , er ist viel bedenklicher als zehn falsche Erstes Buch , viertes Kapitel . Jota subscripta . Aber es ist mehr dazu nötig , als rote Tinte , und der Rohrstock tut es freilich nicht . Denken Sie bloß an sich , und was alles Ihnen der Wurm weggefressen hat ! Wie ? Sie verbitten sich diese Verdächtigung ? Ja , dann freilich ! Jung-Stilpe also , dreizehn Jahre alt , war bereits wurmstichig . Werden wir uns wundern , daß er in puncto puncti frühreif wurde ? Nun , es gibt viele solche Wunderkinder . Wir wollen uns nicht anstellen , als fänden wir das so verwunderlich . Oder wollen wir doch ? Schön , wem es würdig dünkt , der tue seinem Herzen keinen Zwang an und entrüste sich . Hier stehe ich mit meiner ganzen Breitseite ; es haben viele faule Äpfel Platz . Also : Jung-Stilpe suchte mit sonderbaren Blicken nach jener Perspektive , die ihm noch fehlte . Da kam das , was wir den Zufall nennen , und was unsere Vorvordern den Teufel genannt haben , riß den Nebel entzwei und sagte leise und mit infam linder Stimme : Bitte , da ! Es kam so : Der Direktor hatte wieder einmal Kegelabend , und die Selektaner taten sich gütlich an Alkohol und Nikotin . Sie waren alle bei einander , nur Einer fehlte , der mit dem Schnurrbart , Wenzel Fliczek . Sie sitzen alle recht sorglos und im süßen Genusse des Verbotenen bei einander , da tut sich die Türe auf und Fliczek schreit herein : Fenster auf ! Lichter aus ! Der Alte kommt übern Hof ! Dann , wie die Lichter ausgelöscht sind , flüstert er leise zu jemand Unsichtbarem hinter ihm : Schnell , da ' nein , unters Katheder ! Willibald war gerade daran , als Letzter zum Fenster hinauszuspringen . Da , aber , wie eigen das war , drehte es ihn um . Was denn nur ? Unters Katheder ! Er duckte sich dort in die Ecke . Da , wie es raschelt ! Und neben ihm , hart neben ihm drückt sich was Weiches . Gott Oh Gott ! Was mag das sein ! Wie warm ! Oh , und wenn tausend Direktoren kämen ! Die süße Angst ! -- Wer bist denn Du ? -- Sei doch stille ! Der Direktor . . . ! Herrgott , wie weich und warm ! -- Rem ! Hm ! Rem ! -- Es kommt den Gang herauf . Die Türe schlägt . -- Rem ! Hm ! Rem ! -- Jetzt ist er wohl im Zimmer ? Ja , man hört ihn ja schnaufen . Erstes Buch , viertes Kapitel . Willibald fühlte zwei Arme an seinem Hals und an seiner Seite ein drängendes Klopfen . Gott , was ist das ! Was ist das ! Er kann nicht anders , er muß seinen Mund darauf drücken . Oh , ist das schön ! -- Rem ! Rem ! Hm ! Rem ! -- Die Türe wieder zu . Schritte . . . fort . . . Das Warme neben ihm bewegt sich . Die Arme lassen ihn los . -- Wer bist Du denn ? -- Wer bist denn Du ? -- Ich bin Stilpe aus der dritten Klasse . -- Laß mich doch los ! -- Nein . Wer bist Du denn ? -- So laß mich doch ! -- Nein . Wer bist Du denn ? -- Die Josephine . -- Buschklepper seine ? -- Ja doch ! Laß mich doch ! -- Du ! Du ! Und er hängt sich fest an sie , und es ist ihm , als wenn er schwerer und größer würde . -- Aber so laß mich doch , ich muß fort . Nein , er kann nicht loslassen . Er wühlt sich mit seinem Kopf in all das Weiche , Warme , was um ihn ist . Da , jetzt hat er ihren Kopf in den Händen und drückt ihn mit aller Kraft . -- Du , das tut ja weh ! Aber sie geht nicht . Sie läßt sich noch eine Weile so halten . Dann kommen auch ihre Hände an seinen Kopf , und nun fühlt er ihr Gesicht an seinem . Ach , wie die Lippen weich sind . -- Du beißt mich ja ! Himmel was ist das ! Sie küßt ihn . Gott ! Gott ! Gott ! Jetzt ist sie fort . Noch eine Weile liegt er unterm Katheder . Dann taumelt er auf und rennt in den Schlafsaal . In seinem Bette weint er . Und stammelt ihren Namen . Schläft , naß von Tränen , ein . Wie er am Morgen aufwacht , ist alles verändert um ihn herum . Er möchte schreien vor Gefühl . Josephine ! Josephine ! Das ist der Mond Das ist er ! Dann wird ihm Angst . Er möchte fort . Ausreißen . Nach Hause . Sich verstecken . Gottlob , daß Sonntag ist . Er singt in der Erstes Buch , viertes Kapitel . Kirche so laut , daß der Inspektor ihn anrüffelt . In sein Gesangbuch , auf seinen Kirchenplatz , überall hin schreibt er Josephine . Und das Wort schiebt sich in ihm hin und her , und nach dem Schema von Nun danket alle Gott schreibt er in unbeholfenen Versen die Erlebnisse dieser Nacht . Das war die erste Regung . Denn von nun ab wollte er -- ein Dichter werden . Fünftes Kapitel . So ein kleiner Junge , der Dichter werden will , ist ein merkwürdiges Phänomen . Es verlohnt sich wohl , es näher zu betrachten . Es ist keineswegs dasselbe , wie wenn etwa Einer in Prima anfängt , die Papierleier zu schlagen . Da pflegt meist Nachahmungstrieb und Ehrgeiz der Hauptgrund zu sein , und die Fälle sind selten bemerkenswert . Schon , weil sie , selbst in unserer Zeit noch , gar zu häufig sind . Aber wenn die Verse so früh flügge werden , wie bei unserem Stilpe , dann liegt die Sache tief und verdient Beachtung . Bloße Nachahmung ist es nicht , Ehrgeiz steckt gar nicht dahinter , -- was also ist es wohl ? Es wird das Beste sein , wir studieren die wunderliche Erscheinung an dem Knaben Willibald . Erstes Buch , fünftes Kapitel . Zuerst die Bemerkung , daß vor der Szene unter dem Katheder sich nichts in ihm geregt hat , was als Hinweis auf das plötzliche Verswesen ausgelegt werden könnte . Höchstens , daß er sehr gerne im Gesangbuch las , ohne daß ihn Frömmigkeit dazu veranlaßt hätte . Er las , weil es ihm gut klang . Aber es kam ihm dabei durchaus nicht der Gedanke , auch Mal so was Klingendes zu machen . Er dachte überhaupt nicht daran , daß das etwas gemachtes sei . Er nahm es wie eine Blume , wie einen Baum und freute sich dran . Und nun , nicht wahr , es ist doch sonderbar : Kaum , daß er eine kleine Josephine neben sich gefühlt hat , setzt er sich hin und schreibt Verse . Und nicht dies bloß , er empfindet plötzlich , wenn auch verworren und wie aus drängenden Nebeln : Dies , das Verseschreiben , ist ein unerhörtes Glück , ein Ziel über allen Zielen . Etwas Schwellendes ist in ihm , etwas , das sich nur mit diesem unsagbaren Gefühle unterm Katheder vergleichen läßt . Und er hütet das Geheimnis dieses Schwellens mit demselben Gefühle von Scham , wie das Geheimnis seines Abenteuers mit Josephine . Vielleicht sind diese beiden Geheimnisse nur eines ? Vielleicht ist es nur der Bis in den verbotenen Apfel der Erkenntnis ? Aber er hat an diesem Apfel doch fürs erste nur geleckt , wenn auch zugegeben werden muß , daß er eine unbestimmte Lust empfindet , nun auch hineinzubeißen . Nein , man kann nicht sagen , daß Josephine und die Verse ein und dasselbe sind . Es sind zwei Offenbarungen auf einmal , von denen die eine die andere mit sich gebracht hat , und sie sind , obwohl sie scheinbar dieselben Erscheinungen zur Folge haben , doch verschieden von einander . Daß sie einander auch feindlich sein können , wird gerade dieses Leben Stilpes beweisen . Der Teufel zieht gerne Unterröcke an . Das wissen wir aus der Geschichte mancher heiligen Männer . Manchmal hat er aber auch ein " hölzin Röcklin " an und " liegt beim Wirt im Keller " . Es gibt ein paar lehrreiche Seiten der Literaturgeschichte , wo sich Belege dafür finden . Heilige und Dichter haben mehr mit dem Teufel Erstes Buch , fünftes Kapitel . zu tun , als gute Christen und schwärmerische junge Mädchen glauben . Wer nicht mit allerhand Teufeln den Tanz bestanden hat , kann weder ein Gloriole noch den Lorbeerkranz erhalten . Und die Teufel , die allerhand Teufel , -- es ist erstaunlich , was sie tanzen können . Zu Anfang wissen sie so sanfte zu walzen , und es geht lieblich dahin mit ihnen , aber auf einmal ist der Wirbel da , der in den Höllentrichter fegt . Guter Gott , ich schreibe doch keine Dämonologie ! Aber mein Held will ( Oh Willibald ! ) Dichter werden . Der kleine Willibald schied sich jetzt von seinen Kameraden noch mehr ab , als früher . Einesteils fühlte er sich hoch erhaben über sie , und andernteils hatte er Furcht vor ihnen . Er empfand , daß es keinen unter ihnen gäbe , dem er seine Geheimnisse verraten dürfte , ohne furchtbar ausgelacht zu werden , und er hätte auch keinen für würdig gehalten , sein Mitwisser zu sein . Auch war er viel 4 zu sehr mit sich beschäftigt , als daß er Lust hätte haben können , sich an sie anzuschließen . Er fing an , mit sich zu phantasieren . In den Schul- und Arbeitsstunden sowohl wie in der freien Zeit ließ er seine Gedanken nach unbekannten Dingen fliegen und machte groteske Ungetüme von Versen daraus . Nebstbei fing er auch an , auf alles Gedruckte zu fahnden , was kein Schulbuch war . Der Hauptinhalt all seiner Phantasien war aber Buschkleppers Josephine . Er trug die Wärme von ihr , die er unterm Katheder gefühlt hatte , mit sich herum , und zuweilen war es ihm , wie wenn er in einer lauen Wolke ginge . Manchmal mußte er die Augen zumachen , so stark überkam es ihn . Wenn er sie nur einmal sehen könnte , ihr ein Zeichen geben , dachte er sich . Aber es schien , als ob sie gar nicht mehr da wäre . Jede Minute , die er allein sein konnte , verwandte er darauf , ihr aufzulauern . Es war im Herbst , und so durfte er hoffen , sie einmal im Lehrergarten zu sehen , der , in verschiedene Parzellen geteilt , für jeden Lehrer ein Sondergärtchen enthielt . Aber immer war es nur der alte Buschklepper in seinem grauen Ziegenbarte , Erstes Buch , fünftes Kapitel . den er botanisierend dort wandeln sah , oder die Frau Buschklepperin , von der unter den Jungen die Rede ging , sie prügele ihren Mann jede Woche mindestens einmal . Das machte sie unter den Jungen zwar sehr beliebt , aber für Willibalds Zwecke genügte es doch nicht . Etwa vier Wochen lang lauerte Willibald auf Josephine , da kam wieder so ein Selektanerabend , der mit des Direktors Kegelvergnügen zusammenfiel . Diesmal waren Alkohol und Nikotin in den Hintergrund gedrängt durch ein großes und heroisches Unternehmen . Einer von den Großen hatte sich den Schlüssel zur Küche verschafft , neben der ein Keller voll Äpfel lag . Und es war die Losung verteilt worden , daß jeder Selektaner seinen Reisekoffer bereit halten sollte zu einem Raubzuge auf diese Äpfel . Nur ein paar Strunks waren ausgewählt , Postendienste zu leisten . Es war ein Beweis für das Vertrauen , das man Willibald entgegenbrachte , daß auch er der Vorpostenkette eingereiht wurde . Der Postenkommandant aber war Fliczek . Er hatte sich zwar dagegen gewehrt und das verantwortungsvolle Amt durchaus nicht annehmen wollen , aber die übrigen Großen hatten ihn beim Ehrenpunkte gefaßt und erklärt , er , als der 4 * Schlaueste , müsse unbedingt die Posten leiten , wenn er nicht für einen elenden Feigling gehalten sein wollte . So rückten die Posten , Fliczek an der Spitze , aus . Leise , auf den Zehenspitzen , obwohl dies eigentlich nicht nötig war , schlich man durch die langen dunklen Korridore , dann ging es eine enge Treppe hinunter in das Souterrain , und von hier aus sollte der Küchenbau umstellt und eine Spähspitze bis vor an das Direktorhaus gesandt werden . Fliczek verteilte die Posten , Willibald behielt er zurück . -- Du mußt bis ans Direktorhaus , Stilpe . Ich gehe an Buschklepper seins . Wenn alles ruhig ist , pfeifst Du , daß Rille in die Klasse läuft und die Anderen ruft . Wenn der Direktor kommt , klatschst Du und reißt aus . -- Was willst Du denn an Buschklepper sei 'm Haus ? Da kommt doch niemand her !? -- Halt 'n Rand und mache , was ich Dir gesagt habe . Willibald ging über den Hof geradeaus und hörte , wie sich Fliczek nach links entfernte . Was wollte der zum Teufel denn dort ? Willibald begriff durchaus nicht , weshalb man sich gegen Erstes Buch , fünftes Kapitel . den alten Buschklepper durch einen Hauptposten schützen wollte , vor diesem alten Mann , der ganz gewiß nicht in der Nacht revidierte . Aber er ging , doch ein wenig stolz darauf , daß er den gefährlichsten Posten erhalten hatte , bis zum Direktorhause und dachte einstweilen nur an seine Pflicht . Als er aber den vorschriftsmäßigen Pfiff getan hatte und ringsum nichts Verdächtiges zu bemerken war , da kam ihm plötzlich der Gedanke an Josephine . Wenn ich durch den Lehrergarten hinten herumginge , dachte er sich , so käme ich an die Hintertür von Buschkleppers Hause . Dort wird mich Fliczek nicht merken , der natürlich an der Vordertür aufpaßt . Vielleicht ist hinten noch Licht , und ich sehe sie . Kaum , daß er sich das gedacht hatte , war er auch schon auf dem Wege . Der war zwar unbequem , denn er mußte immer über die Zäune steigen , die zwischen den einzelnen Lehrergärtchen waren , auch stieß er sich bald an einen Baum , bald kam er in ein Gebüsch , bald sank er in ein Beet , aber er wäre ja durch Meere geschwommen , um in Josephinens Nähe zu kommen . Er zählte die Stakete ab . Fünf hatte er nun , nach dem sechsten war er in Buschkleppers Garten . Herrgott , wie ihm das Herz schlug ! Da , eben , als er übersteigen wollte , hörte er was flüstern . Himmel ! Wer ist das ! Er schlich sich nahe an das Staket , um genau zu hören , wo das Geflüster herkam . Rechts hinten war_es , drüben in der Laube . Er schlich das Staket entlang nach rechts , der Laube zu . Das Geflüster wurde vernehmlicher . Plötzlich hörte er : -- Pscht ! -- Was denn ? -- Da knackte was ! -- Ä , nee ! Willibald wurde es siedendheiß . War das nicht . . . ? Aber er ging näher . Und er hörte : -- Bleibe doch noch e bißl ! -- Nein , nein , ich muß zu den anderen , sonst merken sie es . -- Ach , Du ! Da , an diesem Ach Du ! merkte Willibald , daß Erstes Buch , fünftes Kapitel . die eine Stimme Josephinens war , und mit einem Male wußte er , daß die andere die Fliczecks sein mußte . Eine jagende Wut überkam den kleinen Burschen . Mit einem Sprunge war er übers Staket , mitten in die Finsternis hinein . Ein Aufschrei rechts vor ihm . Nur ein paar Schritte . Noch ehe Fliczek davon konnte , war Willibald dort und drasch auf den Fliehenden mit seinen kleinen Fäusten wie rasend los . Dann wandte er sich um und blieb vor Josephine stehen : -- Du , Du , Du Luder , Du , Du Luder ! -- Ja , Du , was willst denn Du hier ? -- Ich , ich , ich . . . Und nun heulte der arme Junge los , daß das Mädchen seinen Schreck und seinen Zorn über ihn vergaß und ihn tröstete . Er war ganz besinnungslos und legte seine Hände auf ihre Achseln und lehnte seinen Kopf darauf und schluchzte : Du . . . mußt . . . mir . . . nicht böse sein , ich , ich . . . ach . . . Und er heulte wieder . -- Nein , nein , ich bin Dir ja nicht böse , ich . . . ich bin Dir wirklich nicht böse . . . nein , aber nun gehe doch , gehe ! Da war der kleine Junge wieder ganz selig und fiel dem Mädel um den Hals und drückte sie , preßte sie , quetschte sie , daß sie ihre Not hatte , ihn von sich abzustreifen . Ihr Gesicht war ganz naß von seinen Tränen , und die offenen Haare hingen ihr über die Brust vor . Sie sahen einander nicht , aber ihre Blicke hingen ineinander . Schließlich versetzte ihr Willibald einen Kuß , so laut und schallend , daß sie nun , ob auch ungern , es für unumgänglich nötig hielt , ein Ende zu machen . -- Nun gehe , Du , mache , sonst kommt noch jemand . Aber so gehe doch ! Willibald ließ sie nicht los . -- Du , ich schreie nun aber ! Und wenn mei Vater kommt ! Der Gedanke an den alten Buschklepper brachte Willibald zur Besinnung . -- Ja , ja , aber nicht mehr mit Fliczecken ! -- Nee , nee , gehe nur ! Willibald ließ sie los und lief davon . Er lief , als hätte er keinerlei Ursache , leise und vorsichtig aufzutreten , er sprang quer über den Hof , nach dem Klassenzimmer zu . Plötzlich zwang ihn etwas , stehen zu bleiben . Erstes Buch , fünftes Kapitel . Herrgott , wenn jetzt die Anderen geklappt sind ! Und ich bin schuld daran ! Ich ? Nee : Fliczek ! Und jetzt kam die Wut nochmals über ihn , und statt durch die Türe zu gehen , sprang er durchs Fenster in den Korridor . Da roch es wundergut nach Äpfeln . Das besänftigte ihn . Leise schlich er sich hinauf in den Schlafsaal. Nr. 172 , auch ein Selektaner , lag noch wach und kaute an einem Apfel : -- Was kommst Du denn so späte ? -- Ich habe , ich habe gedacht , ich muß noch Posten stehen . -- I , Unsinn . Wir sind schon lange oben . Deine Äppel und Fliczecken seine hat der lange Ayrich . Willst Du een' ? Ich habe_es ganze Bette voll . -- Gib nur ! Und auch der Apfel schmeckte gut . Sechstes Kapitel . Als Willibald am nächsten Morgen erwachte , war sein erster Gedanke Josephine , sein zweiter Fliczek . Bei dem ersten war ihm linde und gut zu Mute , bei dem zweiten ballte er die Fäuste . Er hatte die Empfindung , daß er sich heute seiner Haut zu wehren haben werde . Aber er hatte keine Furcht . Er soll nur kommen , der Böhmake , dachte er sich , und bei dieser Gelegenheit regte sich in ihm zum ersten Male der Raufdeutsche . Er soll nur kommen und mir was sagen ! Eine Schelle kriegt er ! Und er erschauderte nicht vor dem Gedanken , daß er , der Strunk , einen Großen ohrfeigen wollte ! So verrückt das Weib die Standesunterschiede . Aber es kam anders . Der Tag wurde zwar Erstes Buch , sechstes Kapitel . reich an Aufregungen im Institute , aber just Willibald wurde nicht davon betroffen . Fliczek wußte offenbar nicht , von wem er geprügelt worden war . Er war sehr niedergeschlagen und blaß , die einzige Farbe in seinem Gesicht war ein blauer Fleck unterm rechten Auge ; er ließ den Kopf hängen und schien es nicht zu wagen , aufzublicken . Willibald merkte sofort , wie es stand , und es kitzelte ihn , den gehaßten Böhmen zu reizen . -- Du , was hast Du denn da für einen Fleck im Gesichte ? -- Was Dich nix angeht , Strunk dummer . -- Bist wohl hingeplauzt bei Buschklepper gestern ? -- Halt 'n Rand , Strunk , oder ich . . . -- Na , was denn ? Wenn ich doch bloß frage . . . Überhaupt : Warum bist Du denn so gerannt ? -- Hast Du mich gesehen , Stilpe ? Wo hast Du mich denn gesehen ? -- Nun , Du bist ja im Hofe an mir vorbeigerannt , wie besessen . Das war kühn kombiniert von Jung-Willibald . Wenn nun Fliczek gar nicht über den Hof gerannt wäre ? Aber er hatte richtig kombiniert . -- Ich , ich habe was kommen hören , und da habe ich Leine gezogen . Ich dachte schon , ich wäre geklappt . -- Und da bist Du wohl hingefallen ? -- Ja , da , an der Mitteltüre , auf die Treppe hin . Was hast denn Du aufm Hofe zu suchen gehabt ? Du hast doch sollen durch den Souterrain zurück ?! -- Ich habe Dir was sagen wollen . -- Mir ? Was denn ? Warum denn ? Du : Hast Du was gehört ? -- Ja , eben , ich habe was gehört bei Buschklepper hinten , und da habe ich gedacht : Das muß ich Dir sagen . -- Du hast was gehört . . . . War_es laut ? Hast Du auch was gesehen ? -- Nee , s war ja ganz dunkel , aber ich habe jemand schreien gehört . -- Du , Strunk , das sage ich Dir : Daß Du niemand was davon sagst . Sonst setzest Keile ! -- Was soll ich denn sagen ? Ich weiß ja gar nichts . Hast Du denn etwa geschrien , Fliczek ? -- Ich ? Unsinn ? Ich habe auch nichts gehört . Du hast wohl geträumt vor Angst , feiger Strunk . Erstes Buch , sechstes Kapitel . Da hätte ihm Willibald von Herzen gerne Alles durch eine Ohrfeige klargemacht , aber er war doch zu klug dazu . Nur das konnte er sich nicht verkneifen , daß er sagte : -- Ich weiß besser wie Du , wer feige ist . Worauf Fliczek nichts zu erwidern wußte , als ein verächtliches : Strunk ! Dieses Gespräch fand nach dem Frühstück statt , als sich die Klassen zur Arbeitsstunde in ihre Zimmer verteilten . Die Arbeitsstunde selber hatte ein anderes Aussehen , als sonst . Es war ein merkwürdiges Geflüstere unter den Jungen , zumal in den Oberklassen . Unter den Bänken wurden Äpfel herumgegeben , und häufig hörte man das Schnirpsen , wenn Einer in einen Apfel bis . Dazu ein Gekicher und Blicke hin und her . Ein Triumphgefühl ging durch Alle , und wenn sie den beaufsichtigenden Inspektor ansahen , so konnte man aus den Blicken lesen : Der dumme Kerl weiß von nichts . Auch während der Andacht hielt dies Wesen an . Alle Hosentaschen der Selektaner staken voller Äpfel , und man griff sich gegenseitig an die Taschen und kicherte dazu . Als einer , mitten in dem sehr langen und feierlichen Gebete des Vizedirektors , der mit Vorliebe Sprüche aus Jesus Sirach einflocht , zu seinem Nachbar sagte : Ich habe schon Bauchkneipen , da setzte sich diese Mitteilung im Flüstertone durch die ganze erste Reihe fort , und der Vizedirektor mußte in seinen Sirach ein grollendes : Ruhe ! einschieben . Aber schon nach der zweiten Unterrichtstunde , als die Körbe mit Dreierbrotchen eben an die Türe gestellt waren , meldete sich das Verhängnis . Die dicke Küchenmeisterin erschien , ohne angeklopft zu haben , in der 2. Selektaklasse , wo der Direktor gerade Cornelius Nepos traktierte . Entrüstet blickte der Scholiarch die Frau an , und ein aufgebrachtes Rhm ! fuhr ihr entgegen . Sie aber , ohne eine Spur von dem Respekte , der sie sonst nie verließ , schwappte bis an das Katheder vor und rief mit erregter Stimme : Meine Äppel hamse gemaust ! Meine scheinen Äppel , die nischtnutzgen Jungen ! -- Was behaupten Sie !? Erstes Buch , sechstes Kapitel . -- Ich behaupte nichts , Herr Derekter , ich behaupte Se gar nichts , ich sage bloß : Gemaust ham se se , alle ham se se gemaust ! -- Mäßigen Sie sich ! Gehen Sie in Ihre Küche ! Hier wird Schule gehalten ! -- Aber , wenn se doch meine Äppel alle gemaust ham , Herr Derekter ! In diesem Augenblicke hörte man was fallen , und ein großer rotbackiger Apfel rollte langsam aus der ersten Bankreihe vor das Katheder . Es war , als ob sich der Apfel seiner Wichtigkeit für diesen Augenblick bewußt wäre , mit so viel Ausdruck , ja Würde rollte er . Als er zuletzt noch ein paar Mal hin und her schwankte , war es wie der Schlußappell in der Rede eines Staatsanwalts . Aber es ist Staatsanwälten nur selten beschieden , so überzeugend zu wirken , wie es dieser schweigend beredte Apfel tat . Sämtliche Selektaner machten eine unbewußte Bewegung , als wollten sie unter die Bänke kriegen , die Augen des Direktors traten aus ihren Höhlen und hatten ganz offenbar die Tendenz , in aller Körperlichkeit unter die schuldbeladene Schülerschaft zu fahren , die Küchenmeisterin aber warf sich mit dem Aplomb eines trächtigen Elephantenweibchens auf den Apfel und schrie : Hammer nun den Beweis , Herr Derekter ? Hammer dann Beweis ? Ob das nicht einer von mein Äppeln is ? Na ? Oh die verfluchte Jungen , die Mausehaken ! Nee , so e Volk ! Fui Teufel , sage ch , und noch einmal : Fui , schämt eich ! Und sie setzte den Apfel mit der Wucht des Triumphes auf das Katheder und fixierte bald die Schüler , bald den Direktor . Der sprach : Rhm ! Hm ! Das ist . . . Ich sage : Das ist unerhört ! Das ist eine Schmach ohnegleichen ! Wer von euch . . . ! Hm ! Gesteht ! Ich sage : Gesteht auf der Stelle , oder . . . ! Hrm ! Ich werde ein Exempel . . . Rhm ! . . . Plötzlich veränderte sich sein Blick , und er wandte sich zornesvoll zur Köchin : Gehen Sie in Ihre Küche , sage ich ! In Ihre Küche ! In . . . Ihre . . . Küche !!! Hier wird Schule gehalten ! Gehen Sie an Ihre Arbeit ! Alles andere wird sich finden . Rhm ! Die Küchenmeisterin sah den Direktor erschrocken an und floh hinaus . Jetzt aber verließ der Direktor das Katheder . Niemand durfte zweifeln , daß etwas Fürchterliches nahe bevorstand . Erstes Buch , sechstes Kapitel . Es bezweifelte es auch niemand . Gänse beim Gewitter ducken sich nicht scheuer , als die braven Selektaner es taten , während der Direktor stampfend und keuchend auf und ab lief . So tat er immer , wenn er Einen am Ohr nehmen wollte . Man kannte das . Er hatte eine eigene Art , Einen am Ohr zu nehmen ; so eine gewisse Drehung , als wollte er eine Türe aufschließen und der Schlüssel ging nicht . Die in der vordersten Reihe bereiteten sich schon vor , die Ohren zu schützen . Aber es kam anders . Der Fall war zu ausgedehnt . Denn der Direktor hätte vierzig Ohren drehen müssen . Eine Maschine wäre nötig gewesen . Er plante Schlimmeres . Plötzlich donnerte er : Rhm ! Sämtliche Schlüssel auf die Bank gelegt ! Die Schlüssel klapperten herauf . -- Rhm ! Primus , die Schlüssel einsammeln ! Es geschah . 5 -- Rhm ! Hat die erste Selekta auch gestohlen ? Kein Atemzug im ganzen Raume . -- Rhm . Ich frage : Hat . . . -- Ja ! ( Die guten Jungen lispelten das wie kleine Mädchen . ) -- Ach , rhm , das ist ja wirklich . . . ich sage : Das ist ... in der Tat . . . rhm ! Primus ! Der Primus erhob sich und neigte das lilienblasse Haupt . -- Gehe in die erste Selekta und bitte den Herrn Doktor Box , er soll die Schlüssel einsammeln lassen . Der Primus fegte davon , froh , aus dem Bannkreis dieser rollenden Augen zu kommen . Wir folgen ihm . Doktor Box , ein Pädagoge voll Humor , hatte eben einen Witz zum Besten gegeben , und die großen Selektaner wollten sich vor Lachen ausschütten , als der Abgesandte des Zorns seine Botschaft ausrichtete . Rups , wie brach da das fröhliche Gelächter ab . Nur Doktor Box blieb fröhlich , und er sprach : Erstes Buch , sechstes Kapitel . Die adolescentuli sollen ihre werten Schlüssel auf die Bank der Wissenschaften und schönen Künste legen ! Thuts , meine Lieben , tut es ! Mir scheint : Es stinkt in irgend einem Schranke ? Oder in allen ? Da klingelte es , und schon erschien auch der Direktor auf der Schwelle . -- Haben Sie die Schlüssel , Herr Kollege ? -- Hier sind sie . Was ist denn geschehen , Herr Direktor ? -- Sie haben , rhm , Diebe zu Schülern , Herr Kollege ! -- Na , ich danke ! -- Es verläßt niemand das Zimmer ! Beide Selekten haben Zimmerarrest bis auf Weiteres . In der zweiten Selekta wurde der Zimmerarrest damit eingeleitet , daß man den Unglücklichen , der den Apfel hatte fallen lassen , gemeinschaftlich durchprügelte . 5 * Das ist die Art , wie sich die Verzweiflung des Volkes gerne entlädt . In der ersten Selekta ging ein Gemunkel von Verrat , und man hatte natürlich die zweite Selekta im Verdacht . Schon war man daran , über die Strafen zu beratschlagen , die hier am Platze waren , da wurde Fliczek durch den Inspektor herausgerufen . -- Der Hund ! Die Petze ! So ein Schuft ! Also der Zeche ! Natürlich : Der Zeche ! Die entrüstete Schar ahnte nicht , daß ihnen in dem beschimpften Böhmen ein Blitzableiter erstanden war . Die Lehrerkonferenz , vor deren Beschluß die beiden Selekten zitterten , befaßte sich einstweilen gar nicht mit dem Raubzug auf die Äpfel , sondern mit einem viel gräulicheren Faktum : Mit " der unglaublichen sittlichen Verworfenheit dieses entarteten Burschen da " , wie der Direktor sich in gehobener Rede ausdrückte , indem er auf Fliczek wies . Erstes Buch , sechstes Kapitel . -- Wir werden uns nachher mit einer Vergehung zu befassen haben , die leider den beiden Selekten , wie es allen Anschein hat , ausnahmslos zur Last fällt , mit einer Vergehung , die schlimm , rhm , sehr schlimm ist , die wir aber im Vergleich mit der Büberei dieses Menschen noch gelinde ansehen dürfen . Wir können , vielleicht , rhm , ich sage : vielleicht , annehmen , daß dieses Vergehen der Selektaner mehr ein übermütiger Jungenstreich als ein Beweis für böse Lust ist . Aber hier , rhm , hier , meine Herren Kollegen , hier ist sittliche Verlumptheit ! Hier ist , rhm , Seuchenstoff gefährlichster Art ! Hier ist geil wucherndes Unkraut ! Der Vizedirektor , der die Steigerungstendenz im Stile des Direktors kannte , erlaubte sich , einzuwerfen , ob es nicht wohl angebracht sei , den Fliczek einstweilen hinauszuschicken . -- Rhm , ja , ja wohl , hinaus mit diesem Burschen ! Aber unter Bedeckung ! Hinaus , sage ich , Fliczek ! Fliczek ging . -- Es ist keine Frage , meine Herren , daß wir , rhm , daß wir diesen gefährlichen Buben entlassen müssen . Dank der Anzeige des Kollegen Wippe , der nicht bloß als echter Vater , sondern auch als pflichtbewußter Pädagoge gehandelt hat , und von dem wir nie etwas anderes erwartet haben , ist die Unzucht , rhm , ich sage die Unzucht . . . -- Bitte , Herr Direktor , nicht wohl eben dies , denn so weit wage ich meine Tochter nicht mit anzuschuldigen . . . , wimmerte Herr Wippe . -- Ich sage doch : Unzucht , ohne daß ich das Gräßlichste anzunehmen verzweifelt genug wäre . Denn schon der Gedanke , nächtlicher Weile . . . aber genug ! Wir haben , rhm , die Pflicht , auch den Gedanken zu töten , der ... Aber genug und gleichviel ! Wir wissen , daß dieser Bube auf Schleichwegen gewesen ist , und nicht zum ersten Male , auf Schleichwegen , sage ich , rhm , die keinesfalls unschuldiger Natur waren . Er selbst hat es nicht zu leugnen gewagt . Sein Auge -- Oh , aber , rhm , genug ! Wir müssen ihn dimittieren . Kollege Wippe hat sich in rühmenswerter Aufwallung entschlossen , seine Tochter , über deren Anteil an dem Entsetzlichen nicht wir zu befinden haben , noch heute aus dem Hause zu tun , und es muß auch dieser Bursche heute noch das Institut verlassen . Wir schenken unser ganzes Bedauern dem schwer getroffenen Vormund des Erstes Buch , sechstes Kapitel . Verworfenen , aber , rhm , wir müssen das Interesse unserer Anstalt über Alles stellen . Ich zweifle nicht , daß Sie Alle einer Meinung mit mir sind . Sie waren alle einer Meinung . Für die Entscheidung über den Raubzug der Selektaner war dieser Fall Fliczek ungemein günstig . Zum größten Erstaunen der Delinquenten erfolgte nur ein vierwöchentlicher Zimmerarrest und die Bestimmung , daß die Selektanerarbeitsstunden nicht mehr abends , sondern früh stattzufinden hätten . Das war freilich recht bitter , aber , da man sich natürlich auf sehr viel Schlimmeres gefaßt gemacht hatte , so durfte man es mit einem halbwegs angenehmen Gefühle tragen . Gruselig und unheimlich wirkte das Verschwinden Fliczecks . Aber am unheimlichsten auf Willibald . Es muß gesagt werden : Er hatte eine fürchterliche Angst . Er war ja der Einzige , der den Zusammenhäng ahnte . Aber : Hing denn nicht er selber auch damit zusammen ? Kein Zweifel : Josephine war erwischt worden und hatte Fliczek genannt . Und ihn nicht ? Das tat ihm einesteils wohl , aber andernteils hatte er die Empfindung , als ob er da nicht ganz als voll betrachtet worden sei . Doch das Schlimmste war : Josephine war fort . Und jetzt fing er erst recht an , Verse zu machen . Siebentes Kapitel . Im Allgemeinen fühlte sich der kleine Willibald doch recht wichtig mit seinen Geheimnissen , und den alten Buschklepper sah er von nun an immer nur so mit einem gewissen hohen Bedauern an . Aber fatal war es ihm , daß er gar Niemand hatte , den er ins Vertrauen ziehen konnte . Auch wie er mit seinen Altersgenossen in die Reihe der Großen kam , wo denn schon manchmal ein wuchtig Wort geredet wurde , fand er keinen , dem er hätte sagen mögen , was jetzt seine Ansicht vom Monde sei . Er war ja auch ohne daß man_es ihm gesagt hatte dahinter gekommen , was darunter zu verstehen sei , wenn Einer dem der Schnurrbart erschienen ist , nächtlicher Weile auf dem Monde spaziert . Nur fand er , daß es auch ohne Schnurrbart ginge . Denn er mit allen seinen Erfahrungen bekam sicherlich noch lange keinen . Überhaupt , die Natur meinte es nicht gut mit ihm . Er , der nun schon konfirmiert werden sollte , in die Gemeinde der Gläubigen aufgenommen , sah um drei Jahre jünger aus , als er war ; und das will in diesen Jahren sehr viel bedeuten , zumal bei Einem , der sich innerlich etwa drei Jahre älter fühlt , als er in Wirklichkeit zählt , also sechs Jahre älter , als er aussieht . Das machte seine Stellung unter all den Jungen noch fataler . Die Großen hänselten ihn , weil er sie durch sein kleinjungenhaftes Aussehen gewissermaßen kompromittierte , die Jüngeren ließen es ihm zuweilen fast merken , daß sie ihn nicht ganz für groß ansahen , und er selbst fühlte sich dabei im Inneren sehr viel größer , als die größten unter den Großen . Er zernagte sich förmlich vor Ingrimm und fing an , sich gegen alle Welt hochfahrend zu betragen . Die meiste Zeit las er . Wahllos Alles , was ihm unter die Hände geriet . Die Gedichte des Lesebuchs kannte er auswendig , und es war sein Triumph , sich darin auf die Probe stellen zu lassen . Erstes Buch , siebentes Kapitel . Sonst fand er seine Lust in einem wühlenden Fabulieren . Während die Anderen ihre Ballspiele trieben , lief er im Korridor auf und ab und machte sich zum Helden unmöglicher Verhältnisse . Ein unglaublicher Ritter war er auf einem ganz unglaublichen Pferde . Wenn dies Pferd wieherte , fielen die Wälder um , und wenn er bloß sein Schwert hob , fielen die Köpfe von ganzen Armeen in den Sand . Aber , wenn die Obsthökerin kam , so schwanden alle Phantasien , und so lange er was Süßes zwischen den Zähnen hatte , waren ihm seine Heldentaten ganz gleichgültig . In der Schule taugte er wenig und am wenigsten im Rechnen . Aber Deutsch und Religion , das waren seine Gebiete . Er schrieb unorthographischer , als es den Ansprüchen seiner Klasse gemäß war , aber in seinen Aufsätzen war eine gewisse Art von Liebe am Ausdruck . Ungemein oft kam bei ihm das Wort Gott vor . Gleichviel , was er zu schildern hatte : Den Bau des Maikäfers , die Schlacht bei Salamis , die Pflicht , fleißig zu sein , die Ferienreise , -- immer lief Alles auf Gott hinaus . Gott , das war ihm jetzt , was ihm Miokovitsch gewesen war , das schlechthin Große , Fabelhafte . Den alten Pastor , der ihm den Konfirmandenunterricht erteilte , setzte er in ewige Verlegenheiten . Was ist Gott ? fragte Pastor Schulze . -- Ein kolossales Wesen . -- Nicht doch , Stilpe . Wie heißt es im Katechismus ? Nun , das wußte er wohl auch , Aber das genügte ihm nicht . -- Herr Pastor : Ist Gott größer als das Königreich Sachsen ? -- Gott ist so groß , daß ihn menschliche Worte nicht ausdrücken können . -- Herr Pastor : Kennt mich Gott ? -- Freilich , denn er kennt alle Dinge . -- Wenn ich bete , hört er mich ? -- Freilich , freilich , und er freut sich , wenn Du betest . -- Wenn nun aber Rammer auch betet , wem hört er denn da zu , Rammern oder mir ? -- Dir und Rammern und Millionen anderen ! -- Aber vergißt er denn nicht manchmal was ? -- Nie , Stilpe , er weiß jeden Laut und jeden Gedanken , selbst das Summen der Biene versteht er . Erstes Buch , siebentes Kapitel . -- Merkt er es auch , wenn ich nicht bete ? -- Er merkt es und zürnt . -- Warum denn ? -- Weil es Christenpflicht ist , zu beten . Erinnere Dich doch , was ich euch über das Beten gesagt habe . -- Ja , ja , ich weiß . Aber , wenn er mir nun nicht erfüllt , was ich bete ? -- Schweige endlich und frag nicht unnütz . Du hast mir selber ja vorige Stunde ganz genau und gut geantwortet . Bleibe fest bei dem , was ich Dich Lehre . Gott liebt die unnützen Frager nicht . Aber Willibald konnte es nicht lassen , wenigstens für sich zu fragen . Zwar glaubte er felsenfest , was er im Katechismus gelernt hatte , denn es gereichte ihm zu großer Genugtuung , daß er durch solchen Glauben fähig werden sollte , in die Gemeinde der Gläubigen , was so viel wie der Erwachsenen hieß , aufgenommen zu werden , aber das war eine Sache für sich , das war etwas Feststehendes wie die Katechismusstunde im Stundenplan , das ging die Fragen eigentlich gar nicht an . Er glaubte , weil es ja eine Schande gewesen wäre , nicht zu glauben , und weil er zudem in der Religion der Erste war . Das Fragen war mehr ein Spiel mit Gott . Es ging ihm keineswegs tief . Es lief nicht auf Zweifel hinaus , wollte nicht etwa dahin kommen , daß plötzlich Mal keine Antwort mehr da wäre . Nein , es geschah in der wunderbaren Zuversicht , daß man über Gott das Unmöglichste erfragen dürfe , und es würde doch immer eine Antwort kommen . Überdies war Willibald trotz aller Worte des Pastors davon überzeugt , daß er gerade durch seine Fragen Gott sehr interessant werden müsse , und er fing einen förmlichen Sport damit an , Alles in Beziehung zu Gott zu setzen . -- Wenn ich jetzt der Fliege ein Bein ausreiße , so ärgert sich Gott . -- Halt ! jetzt werde ich so tun , als wollte ich ihr ein Bein ausreißen . . . . Was für ein Gesicht wird er da machen ! -- Aber nein : Ich lasse sie fliegen . Jetzt freut er sich . -- Heute werde ich bei jedem Bissen , den ich in den Mund stecke , inwendig sagen : Ich danke Dir Gott ! Und wenn ich_es einmal vergesse , so will ich nicht weiter essen . Aber er führte es nur bei der Suppe durch . Beim Braten vergaß er_es bald und aß doch weiter : Erstes Buch , siebentes Kapitel . Die Anderen habens ja nicht einmal bei der Suppe gesagt ! Christus interessierte ihn viel weniger , und der Heilige Geist gar nicht , obwohl er im Katechismus über sie ebensogut beschlagen war , wie über Gott . Es wäre ihm nie eingefallen , Christus etwa zum Orakel zu machen , wie er_es mit Gott unzählige Male tat , dem er die Entscheidung über die geringfügigsten Dinge ließ . -- Soll ich meine lateinischen Vokabeln noch einmal durchgehen ? Ich zähle bis zwanzig , und wenn der Inspektor sich auf dem Katheder rührt , sagt Gott : Ja . Aber , wenn sich der Inspektor rührte , so galt dies doch nicht sogleich , denn es mußte ein deutliches Rühren sein , und wenn er etwa bloß eine Hand erhob , so hatte Gott schon Nein ! gesagt , und das Vokabularium wurde zugeklappt . Es gab unter den Zöglingen auch einige Katholiken . Die verachtete Willibald unsäglich . Der Pastor hatte durchaus nicht eigentlichen Anstoß dazu gegeben , aber es genügte schon das Wenige , was er gesagt hatte , um Stilpe mit der Überzeugung zu erfüllen , daß sie mit seinem Gott nichts gemein hatten . Unter den Jungen fehlte es nicht an Schimpfnamen gegen die katholische Minderheit . Die gebrauchte Stilpe selten oder gar nicht . Aber " so ein Katholischer " kam ihm innerlich wie aussätzig vor . Da die meisten Katholiken unter den Schülern Ausländer waren , so erhielt dieses Gefühl der stillen Verachtung noch einen Beiton von Deutschgefühl . Darin war er auch sonst sehr stark . Ein " Bardenlied " von Willibald begann mit den Worten : Wir Germanen schleudern mit sperren Nach Römern und nach Bären Und trinken Met ! Unter Met stellte sich Stilpe etwas ungemein Süßes vor , das aber doch wie Lagerbier wirkte . Alles in Allem hatte Gott nebst den allerlei anfliegenden Idealempfindungen von germanischen Urwäldern , Blücher , Kaiser Wilhelm , Moltke den Sinn Willibalds vom Monde etwas abgelenkt . Es war nur noch so etwas wie eine heiße Dehnung in ihm , ein Gefühl , gemischt aus unsagbarer Sehnsucht und augenirrender Furcht . Er hätte jetzt nicht mehr den Mut gehabt , wie damals , als er Fliczek davonprügelte . Er fürchtete sich vor den Mädchen , sobald er einmal eine zu Erstes Buch , siebentes Kapitel . sehen bekam , und empörte sich dann über diese Furcht . Aber manchmal geschah es doch noch , daß er an Buschkleppers Garten ging und seine Hände auf das Gartengeländer lehnte , starr nach der Laube hinüberlugend voll heißester , wirrster Wallungen . Das stammelte er dann Alles in Versen über Thusnelda aus , die Gattin Armins des Befreiers. 6 Zweites Buch Das Jünglinglein 6 * Ich rate Dir , mein Junge , Bewahre Deine Zunge Und hüte Deinen Magen Vorm Obste , wenn_es noch grün . Schwer ist es zu vertragen , Es macht Verdauungsmühn Und anderweite Plagen . Aus Stilpes Maximen und Reflexionen . Erstes Kapitel . -- Was ist denn das ? Schämt ihr euch nicht ? Obertertianer , die sich wie die Quartaner balgen ! Laßt los , sage ich ! Stilpe , wenn Du noch einmal zuschlägst ! Der stämmige Turnlehrer Stürz kam in mustergiltigen Sätzen hinter den Kletterstangen hervorgesprungen zum zweiten Reck , wo die Obertertianer der Leipziger Domasschule mit Kennermiene um einen lebendigen Knäuel herumstanden , der sich bei den gellenden Rufen des Turngewaltigen langsam entwickelte und als dessen Bestandteile sich unser Freund Stilpe nebst seinem Klassengenossen Girlinger präsentierten . -- Was hat_es gegeben ? In einem Vierteljahr soll man euch siezen , und jetzt wälzt ihr euch in der Lohe wie die kleinen Jungen . Wollt ihr euch nicht wenigstens gefälligst entschuldigen ? Wer hat angefangen ? -- Stilpe . Er hat mich geohrfeigt . Da habe ich ihm einen Magenstoß verabreicht . Girlinger sagte das mit der Ruhe eines Statistikers , obwohl ihm die Nasenflügel noch vor Zorn bebten . Es war ein schmächtiger , schwarzhaariger Bursche mit ungemein lebhaften Augen , einer reichlich großen aber schmalrückigen und schön geschwungenen Nase und einem Anflug von Schnurrbart . Stilpe machte sich nicht gut neben ihm . Er war dicker , stämmiger und hatte etwas von einem Bulldog . Seine Lippen waren aufgeworfen wie bei einem Kalmücken , seine Nase hatte gleichfalls die Tendenz nach oben , seine Augen waren klein und wässerig blau . Dazu schwarzes , starres Haar , das zu weit in die Stirn ging und ein paar Wirbel zu viel hatte , und Pockennarben übers ganze Gesicht . Der kleine Willibald hatte sich beträchtlich verändert , bis er_es zum Obertertianer gebracht hatte . Selbst seine gute Mutter fand , daß er ein bisschen " zu charakteristisch " geworden wäre , wie sie sagte . Zweites Buch , erstes Kapitel . Auch ohne die Pockennarben wäre er kein Adonis gewesen . Dazu trug er sich recht sonderbar . Etwas wild-westartig und nicht eben sorgfältig . Ein schwarz karierter Anzug , dessen Grundfarbe ein lehmiges Gelb war ; dazu ein flatternder grüner Hängeschlips . Alles in einem liederlichen Zustande , der jetzt noch besonders zur Geltung kam , wo die Jacke durch die Balgerei einen Riß bekommen hatte . -- So , Stilpe ! Also Du ohrfeigst den Primus Deiner Klasse . Natürlich , wer fast der Letzte ist , muß seinen Zorn an den besseren Schülern auslassen . Willst Du die Güte haben und sagen , wie Du zu dieser Lümmelei gekommen bist ? Stilpe kräuselte seine Oberlippe noch etwas nach oben und setzte ein sehr verächtliches Gesicht auf . Dabei zuckte er die Achseln und wischte sich die Lohe von den Kleidern . -- Also wird_es bald !? -- Ich mag nicht denunzieren . -- Was magst Du nicht ? Denunzieren sagst Du ? Hört Mal , leiht eurem Kameraden doch Heiss Fremdwörterbuch ; er scheint nicht zu wissen , was denunzieren heißt . Jetzt stampfte aber Stilpe mit dem Fuße auf : -- Ich weiß sehr wohl , was Denunzieren bedeutet , und gerade darum sage ich nicht , weshalb ich den Herrn Primus verdientermaßen geohrfeigt habe . -- Höre , Stilpe , jetzt wird mir_es zu bunt . Mit Frechheiten kommst Du bei mir nicht durch . Wenn Du nicht auf der Stelle Antwort gibst , melde ich die Sache , und dann läuft sie übel für Dich ab , das weißt Du . -- Das weiß ich . Aber ich kann nicht antworten . . . d. h. , wenn Girlinger mich vielleicht ermächtigt ? . . . -- Ja , zum Donnerwetter , ihr seid wohl nicht recht . . . Girlinger , was ist_es !? Girlinger machte eine bedeutende Geste und sagte mit kühler Gelassenheit : Stilpe hat meine Ermächtigung . Diese ironische Ruhe brachte Stülpen ganz außer sich . Das war es ja überhaupt , was ihm am Primus so widerwärtig war , diese infame Ruhe und Gleichmütigkeit . Girlinger war der Einzige in der Klasse , der ihm imponierte , der Einzige , mit dem er " über Dinge " sprach , aber immer endete es auf seiner Seite mit Wutausbrüchen , weil dieser Zweites Buch , erstes Kapitel . sich nie dazu herbeilassen wollte , warm zu werden . Er , Stilpe , fuhr immer mit Kanonen auf , und Girlinger tat so , als könne er alles mit seinem Taschentuch wegwedeln . Also Stilpe brach wütend los : -- Gut ! Wenn er mir_es schon gestattet . . . Gut ! Ich habe ihn geohrfeigt , weil er Bismarck beleidigt hat ! Ein schallendes Gelächter brach los . Auch der rotbärtige Stürz lachte . -- Ah , eine politische Ohrfeige ! Ja dann , meine Herren , bin ich nicht kompetent . Das gehört vor den Reichstag . Wir wollen einstweilen im Klimmzug fortfahren . Stilpe hätte in die braune Lohe greifen und sie dem Turnlehrer ins Gesicht schmeißen mögen . Jede Strafe wäre ihm willkommen gewesen , aber dieser Hohn traf ihn schmerzlich . Er wurde blaß vor Zorn und ballte die Fäuste . Aber auch Girlinger war blaß geworden . Dieses Gelächter traf ihn mit . Er fühlte sich plötzlich mit Stilpe auf der einen und alle Anderen auf der anderen Seite . Als die Turnstunde aus war , und die Schüler truppweise nach Hause gingen , trat er auf Stilpe zu . -- Du , Stilpe , wenn Du wieder Mal roh werden willst , dann such Dir wenigstens eine Gelegenheit , wo wir alleine sind . Oder gefällt Dir_es , wenn die Bande sich über Dich amüsiert ? Mir gefällt so was nicht . -- Mir auch nicht . Ich möchte ihnen Allen in den Bauch treten . Elende Hunde Alle miteinander , und zumal dieser Turnpauker . Herrgott , na. . . ! Übrigens , was willst denn Du bei mir ? Ich denke , ich bin ein desolater Reaktionär ? -- Ach , laß doch das . Wir können uns doch unterhalten , wenn wir auch verschiedener Meinung sind . Wir sind ja doch die Einzigen , die überhaupt Meinungen haben . Oder willst Du Dich vielleicht mit Pahlmann über Bismarck unterhalten ? Oder mit Schirmern ? Oder mit Cohn ? Die Drei haben vorhin am lautesten gewiehert . -- Ach was , ich gehe kneipen . -- So . Ich gehe nach Hause . -- Das wußte ich vorher . Du bist ja der solide Knabe Primus . Weißt Du , wie eine Kellnerin aussieht ? -- Das interessiert mich nicht . -- Dafür interessiert Dich dieser Schweinehund , der Lassalle . Zweites Buch , erstes Kapitel . -- Gott , Stilpe , der Mann ist höchstens ein Schweinehund gewesen . Er ist nämlich schon seit einer ganzen Reihe von Jahren tot . -- Ach ! Willst Du mir nicht die Jahreszahl nennen ? Weißt Du , was Du bist ? Ein Protz bist Du ! Bildest Dir Wunder was ein , daß Du ein bisschen mehr von solchen Sachen weißt wie ich . Wenn mein Vater Staatsanwalt wäre und solche Bücher hätte , könnte ich auch Sozialdemokrat sein , d. h. , wenn mir das nicht zu niederträchtig wäre . -- Ich kann Dir sie ja zu lesen geben . Das ist gescheiter , als mit sechzehn Jahren in Bumskneipen zu gehen . -- Bumskneipen ? Du sagst Bumskneipen ? Du meinst also , diese Mädchen sind gemeine Frauenzimmer ? Wahrhaftig Du , ich sage Dir , es gibt nichts Reineres und Schöneres als z. B. Martha . -- Was geht mich denn Deine Martha an ? -- Du hast doch Bumskneipe gesagt ! Wie kommst Du denn dazu , jemand zu beleidigen , den Du nicht kennst ? Aber Du ziehst eben alles Edle in den Staub . So machst Du_es mit Bismarck und so mit Allem . Du kannst nichts als kritisieren und nörgeln . Alles Ideale ist für Dich bloß dazu da , es ironisch schlecht zu machen . Man könnte Dich für einen Juden halten , und Du liest auch bloß Juden . Ewig mit Deinem Börne und Lassalle und diesen anderen Mauschelmeiern , diesen ekelhaften Kerlen , die eine Schande für das deutsche Vaterland sind ! Pfui ! -- Aber Du kennst ja nicht ein Wort von Börne und Lassalle ! Lies sie doch Mal ! Lies doch Mal Börne ! Schimpf doch nicht über das , was Du nicht kennst . Das sind ja alles bloß Phrasen . -- Hast Du nicht Bumskneipe gesagt ? Kennst Du denn die Martha ? Kennst Du denn das Lokal ? . . . Weißt Du was : Komme jetzt mit hin , und dafür will ich dann Börne lesen . -- Ach Gott , das ist mir so unangenehm , ganz abgesehen davon , wenn wir geklappt werden . -- Herrlich ! Da haben wir den Revolutionär ! Feige bist Du , wie diese ganze Judenbande , die auch bloß das große Maul haben . -- Mache Dich nicht lächerlich . So mutig bin ich schließlich auch , abends , wenn_es dunkel ist , in so ein Loch zu kriegen , wo doch kein Pauker hinkommt . -- Also komme mit ! Zweites Buch , erstes Kapitel . -- Bloß , damit Du siehst , daß ich nicht feig bin . Aber dann liest Du auch Börne ! -- Mein Ehrenwort , Girlinger , meine rechte Hand ! Komme ! Es sind bloß ein paar Schritte . Paß auf , Du wirst ein Mädel kennen lernen . . . ! Zweites Kapitel . Diese Martha war eine schöne , schlank üppige Person von etwa zwanzig Jahren mit dunkelblauen Augen , zwei langen blonden Zöpfen und sehr blasser Gesichtsfarbe . Sie hätte zu irgend etwas sehr Unschuldigem Modell stehen können , und wie sie aussah , so stellen sich sämtliche Backfische Fausts Gretchen vor . Dazu hatte sie eine sehr liebe , linde Stimme und die weichsten , rundesten Bewegungen . Professor Tumann hat diesen Typus in die Seele der deutschen Bourgeoisie gemalt , und wir begegnen ihm noch immer auf Wäschekartons , Zigarrenkisten und Glaube-Liebe-Hoffnung-Buntdrucken . Damit wird es begreiflich erscheinen , daß der sechzehneinhalbjährige Stilpe , öffentlicher Obertertianer und heimlicher Dichter , Vaterlands Zweites Buch , zweites Kapitel . Schwärmer und Idealist , unendlich täppisch verliebt in dieses Mädchen war . Sie erschien ihm als der Inbegriff dessen , was er früher in dem Idealbilde der Thusnelda verehrt hatte . Nur kam nun noch das Gretchen aus dem Faust , das Käthchen von Heilbronn und die Lindenwirtin , die Feine , dazu . Dies , soweit es sich in seinen Versen aussprach , die er ausgiebig zum Lobe dieses Mädchens hervorbrachte , und deren Idealismus ihm bitter ernst war . Aber es gab auch noch einen anderen Gesichtswinkel , unter dem er diese Martha ansah . Jener Idealismus war mehr das Gefühl aus der Entfernung , eine Distanceschwärmerei , eine bewegte Andacht hinter blauen Weihrauchnebeln . Zuweilen aber geriet der schwämerische Beter durch diesen duftenden Nebel hindurch und kam auf weiches Fleisch . Und , siehe , mit einem Ruck war die Situation verändert . Die Gefühle bekamen ein anderes Tempo und einen anderen Thermometergrad ; irgend etwas in ihm schien sich zu überschlagen , irgend etwas pochte von innen an die Wände seines Leibes , -- es wurde da etwas lebendig , das nicht Idealismus war . Der gute Junge hatte böse Tage und bösere Nächte dabei . Es warf ihn ge waldig hin und her , und durch seine schwärmerischen Verse quollen zuweilen absonderliche Töne eines unheimlichen Drängens aus der Tiefe . Ich glaube , für die Augen der Götter sah seine Seele damals aus wie ein Glas voll Federweißem , in dem die Gärschichten Durcheinanderwallen und die Blasen steigen . Vielleicht richten die Götter derlei bloß an , weil ihnen dieser Federweiße der menschlichen Pubertät besonders schmeckt . Für den Menschen selber aber ist dieser Zustand keine ungemischte Freude . Stilpe verkam sichtlich dabei . Er war beim Austragen eines wesentlichen Stückes seiner selbst : Er ging mit seiner Mannheit schwanger . Vielleicht war es zu früh , daß es ihm so viel Qualen machte ? Da war es ein großes Glück für ihn , daß er nun als Ablenkung Ludwig Börne kennen lernte . Er stürzte sich auf diesen vielbeweglichen blendenden Geist , wie eine Frau , der es in der Hoffnung nach Dingen gelüstet , die ihr vielleicht schädlich sind , im Augenblicke aber wohltun . Es verging kein Monat , und er war ein wütigerer Revolutionär , als sein Freund Girlinger . Selbst seine deutschen Aufsätze in der Schule brachten Äußerungen zu Tage , die Zweites Buch , zweites Kapitel . über das erlaubte Maß der Lobpreisung antiker Freiheitshelden wie Harmodios und Aristogeiton hinausgingen . Aber in seinen Tagebüchern rumorte sich die Empörung seines Wortschatzes am wildesten aus . Dort fanden sich in wunderlichem Nebeneinander die Namen von Gajus und Tiberius Gracchus , Catilina , Marat , Danton , Robespiere , August Bebel und Eugen Richter . Für Majestätsbeleidigungen hatte er sich eine eigene Geheimschrift erfunden . Der vor vier Wochen noch angebetete Name Bismarcks war von nun an durch das Zeichen eines Dolches wiedergegeben , wofür die Erklärung lautete : " Man kann das nehmen , wie man will . Entweder als den Dolch , mit dem dieser hochfahrende Strunkjunker die Freiheit Deutschlands hingemordet hat , oder als den Dolch , mit dem er . . . ? . . . " Die Freiheit Deutschlands hatte übrigens auch ihr Geheimzeichen ( " denn sie ist ganz und gar verboten " ) , nämlich ein Epsilon und Gamma , was heißen sollte : Eleutheria Germanias . Dieses Epsilon Gamma schnitt sich der entflammte Demokrat sogar auf seinen linken Unterarm ins Fleisch ; aber nicht sehr tief. 7 Es versteht sich , daß auch der Herrgott übel wegkam in diesem Tagebuche : " Was ist denn Gott ? Ein Substantivum generis masculini . Oder ein Eigenname ? Aber was für ein Wesens damit gemacht wird ! Wozu denn nur ? Das gute Lumen ( das war der Religionslehrer ) sieht nie so dumm aus , als wie wenn es Gott sagt . Liegt das nun an diesem Substantivum oder am Lumen ? Ich muß Girlinger fragen . " " Übrigens sollen ja auch große Leute an Gott geglaubt haben . Girlinger behauptet sogar , sie hätten ihn erfunden . Wer weiß , wo er das her hat . Er liest jetzt viel Philosophisches . Wenn nur Kant nicht so dunkel wäre . Diese verfluchten langen Perioden . Schopenhauer geht eher . Aber es ist entsetzlich , wie er über die Weiber schimpft . Ich glaube , man muß ein alter Knacks sein , um diese Philosophen lesen zu können . " Zweites Buch , zweites Kapitel . " Das Lumen ( man sollte es die Funzel nennen ) sagt , Gott sei wie die Luft , die man auch nicht sieht , aber spürt , und ohne die man nicht leben könne . Dann ist die Philosophie wohl eine Luftpumpe . Man setze die Funzel hinein , und sie wird verlöschen . Deshalb hat sie auch so einen Abscheu vor der Philosophie . " Zuweilen gab es aber auch Verzweiflungsausbrüche in diesem Tagebuch , so sehr Stilpe auch bemüht war , in ihm den scharfen Geist zu posieren , dessen Atheismus über jeden Zweifel und jede Angst erhaben war . Dann türmte er bedenkliche Jamben- Quadern aufeinander : Ich bin ein Mensch , und , hat mich Gott gemacht , So soll er einstehen auch für das Gemachte Und soll nicht Sünde heißen , was ich tue , Und seiner Pfaffen ekelhafte Schar Auf mich loslassen wie ein Heer von Geiern . Ich bin voll Wollust , und ich schreie laut Nach Wollust wie der Hirsch nach Wasser schreit . So gebt sie mir , denn Gott hat_es so gewollt , 7 * Und wenn ihr Sünde sagt , so sündigt Gott . Nein , nein und nein , ihr kennt ihn nicht , den Gott , Von dem ihr sprecht ; er ist kein lieber Gott : Ein böser Gott ! -- Ach Gott , er ist ja nicht ! Jeden Sonntag kam Girlinger zu Stilpe und ließ sich von ihm das Tagebuch zeigen . Er war , bei aller eigenen Unreife , doch viel reifer , als jener , denn er hatte vielmehr Verstand und war wirklich fleißig hinter der Literatur her , die er Stülpen zutrug . Vor Allem kam ihm zustatten , daß er alle die zu frühe Gedankenkost kühl in sich aufnahm , während sie Stilpe heiß verschlang . Auch ließ er sich , trotz seiner Jugend , nicht so leicht blenden , und wenn er auch merkwürdig viel Sinn für das Brillante in Stil und Gedanken hatte , so nahm er das doch schon mit einer Art von Kennerschnalzen hin , während Stilpe sofort wie überschüttet und überglänzt war und Alles am liebsten gleich subjektiv für sich zur Tat gemacht hätte . Der Fleiß fehlte ihm , wie in der Schule , so auch hier . Keines der Bücher , die ihn wild bei Zweites Buch , zweites Kapitel . geisterten , las er fertig , und Sitzfleisch hatte er nur in der Kneipe bei Martha . Eines Tages kam er auf Girlingers Wohnung gestürzt . -- Bist Du allein ? -- Meine Schwestern sind im Wohnzimmer . -- Können sie hören , was wir sprechen ? -- Wenn sie nicht horchen : Nein ! -- Aber sie werden horchen , natürlich ! -- Unsinn , sie machen ihre deutschen Aufsätze . -- Nein , ich kann das hier nicht sagen . -- Was denn ? -- Es . . . es . . . Komme nur ! Komme ! Ins Freie ! -- Ja , was hast Du denn nur ? -- Ach , es ist schrecklich ! Schrecklich ! Sie gingen zusammen in den Garten , den Stilpes Pflegeeltern vor der Stadt hatten . -- Also , was ist denn los ? Du siehst ja ganz blaß aus ! -- Wie ? Sieht man mir_es an ? Nicht wahr , ich bin furchtbar blaß ? -- Ja , blaß bist Du . . . Und außerdem stinkst Du nach Sprit . -- Ja , ich habe sechs Glas Bier getrunken . -- Pfui Teufel , und natürlich dieses gräßliche Lagerbier in der Austria . -- Ja , aus Verzweiflung Girlinger . Denke Dir nur . . . Martha . . . ! Ach Gott ! -- Ich kann mir_es wirklich nicht denken . Daß der Engel einen Bräutigam hat , der Unteroffizier ist , weißt Du ja schon seit vier Wochen . -- Ach , ich bitte Dich , sei nicht so spöttisch jetzt . Es ist zu furchtbar . Er war wirklich wie zerschmettert . Girlinger fühlte Mitleiden mit ihm , und wie sie im Garten angekommen waren , redete er ihm sehr teilnahmsvoll zu , sich ihm auszuschütten . Es war ein kleiner Mietsgarten zwischen anderen von der gleichen quadratisch angelegten Art . Selbst in der schönen Jahreszeit sah er trostlos öde aus mit seinen kleinen nach der Schnur gepflanzten Bäumen , den kümmerlichen Sträuchern und den harten gelben Kieswegen . Jetzt , da es Spätherbst war , die kahlen Bäume wie Besen aufragten , verfaultes Laub in den schwarzen Beeten lag und ein kalter Wind unter grauem Him Zweites Buch , zweites Kapitel. Mehl ging , machte er einen völlig jämmerlichen Eindruck . Da sie keinen Schlüssel hatten , sprangen sie über das Staket . Plötzlich rief Stilpe : Wo ist denn die Bank ?! Nicht einmal eine Bank ist da ! Wütend rannte er im Garten herum . Es kam ihm unbewußt sehr gelegen , daß er Ursache zu einem Wutausbruch fand . -- Wir können ja hin- und hergehen ! -- Nein ! Ich will eine Bank ! Ich bin wie zerschlagen ! Ich muß sitzen ! -- Aber , wenn doch keine da ist ? -- In der Baracke sind sie . Wart ! Ich werde sie gleich haben ! Und er stürzte zum Gartenhaus , rüttelte erst mit den Händen an der Tür und trat diese dann mit den Füßen ein . -- Höh ! Bänke genug ! Und er schleppte eine heraus und stellte sie mitten auf den Weg . -- Da , setze Dich ! -- Ich brauche nicht zu sitzen . Ich bin nicht " zerschlagen " wie Du , denn ich bin nicht betrunken . Übrigens werde ich gleich wieder nach Hause gehen , denn ich habe besseres zu tun , als Deine Rohheiten mit anzusehen . Jetzt wurde Stilpe wieder weinerlich . -- Setze Dich doch , ich bitte Dich , setze Dich . Ich muß . . . ach Gott , sei mir nicht böse . . . Ich bin ja so . . . Girlinger setzte sich auf die Bank und sah vor sich auf den Boden . Stilpe stellte einen Fuß auf die Bank und stützte den Kopf in die rechte Hand . Große Tränen rannen ihm aus den Augen . Lange konnte er nicht sprechen . Dann sagte er ganz leise : -- Kennst Du das Haus mit den weißen Fensterscheiben gegenüber der Austria ? -- Das Puff ? Stilpe schlug sich mit der Faust aufs Knie und schrie : Da drin ist sie ! Girlinger sah auf und pfiff durch die Zähne . Dann sagte er sehr bedächtig : So , so ! Ja , ja ! Da packte ihn Stilpe an beiden Schultern und schüttelte ihn wütend : -- Du bist ein Vieh ! Ein Amphibium ! Gehe aus dem Garten , oder ich schmeiße Dich hinaus ! -- Bist Du denn verrückt geworden ? Jetzt höre aber auf ! Was fällt Dir denn ein ? Glaubst Du , Zweites Buch , zweites Kapitel . ich bin für Deine Grobheiten da ? Das war das letzte Mal ! Er wollte gehen . Aber nun hielt ihn Stilpe wieder fest und drückte seine Hände , und indem ihm Träne auf Träne über die Backen lief , rief er aus : -- Ich weiß ja nicht , was ich sage , ich weiß ja nicht , was ich tue , ich bin Dir ja so dankbar ; Du mußt mir alles verzeihen , was ich sage , ich bin ja ganz zerschlagen . Girlinger bekam jetzt Angst vor ihm . Dieses Weinen war gräßlich , und all dies Gehaben war ihm so fremd . Er glaubte im Ernste , daß sein Freund verrückt geworden wäre , und fing an , ihn wie einen Kranken zu behandeln . -- Sei nur ruhig , Stilpe , ich bringe Dich jetzt nach Hause . Du bist so aufgeregt . Du mußt ins Bett gehen . . . . Und übrigens : Ist es denn auch sicher ? -- Sie hat mir_es ja geschrieben ; sie hat mich ja eingeladen , ich soll sie in ihrer neuen Stellung besuchen . . . Girlinger hatte was Ironisches auf den Lippen , aber er bezwang sich . -- Ach Gott , wer weiß , was dahinter steckt . Es ist vielleicht gar nicht so schlimm . Überhaupt : Was ist denn schließlich dabei ? Erinnere Dich , was Lassale über die Prostitution sagt . Es ist mehr ein Opfer , als eine Schande . Und die schlimmsten Huren sind nicht in den Bordells . So , mit vielen Zitaten , abgeklärten Sentenzen und ein paar historischen und ethnographischen Exkursen ins alte Griechenland und nach Japan , tröstete er seinen zerschmetterten Freund nach Hause . Drittes Kapitel . Nicht lange nach dieser herbstlichen Gartenscene wurde Willibald Stilpe , im Alter von 163/4 Jahren , von seiner Mannheit entbunden . Damit ging eine merkliche Veränderung in ihm vor . Er bekam etwas Renommistisches , Überhobenes und trug eine Verachtung seiner Klassengenossen , Girlinger eingeschlossen , zur Schau , die sich von der , die er schon immer gezeigt hatte , deutlich unterschied . Früher war darin etwas Erzwungenes gewesen , als sei er sich doch nicht völlig klar über seine Berechtigung dazu , jetzt hatte sie etwas sehr Entschiedenes , sehr Selbstbewußtes . Er trat diesen Obertertianern gegenüber , wie ein Mann , der von einer Reise in unbekannte Länder nach Hause zu Leuten kommt , die noch nicht den Äquator überschritten haben : -- Ist es sehr heiß in den Tropen ? -- Es macht sich . -- Sind die Schlangen wirklich so lang und dick und giftig ? -- Ach ja . -- Sie sind doch nicht gebissen worden ? -- Ein bisschen . -- Wie ? Und wieder kuriert ? -- So ziemlich . Schade , daß er nur mit Girlinger darüber reden konnte . Dem setzte er aber dafür auch tüchtig zu , und es machte ihm unverhohlenen Spaß , daß dieser so wißbegierig war . Er flunkerte auch ein bisschen und gab mehr tropische Abenteuer zum besten , als er erlebt hatte . Aber auch ohne die Flunkereien hätte er dem Freunde imponiert . Es gab jetzt etwas , worin er dem weisen Primus über war . -- Weißt Du , da helfen Dir alle Deine Bücher nicht hin . Und übrigens : Wie willst Du denn ohne das Deinen Schopenhauer verstehen ? Und dann die Dichter ! Er dachte dabei vornehmlich an Heine und den Tannhäuser in Rom , der zu seinem Brevier und Muster wurde . Zweites Buch , drittes Kapitel . Denn jetzt fing er an , aus dem Vollen zu dichten und zwar mit dem Bewußtsein , ein Dichter werden zu wollen und nichts anderes . Die Schule wurde ihm dabei immer widerlicher , und er schwänzte sie mit großer Frechheit . Seine Pflegeeltern , denen er von Stilpe-Vater übergeben worden war , weil dieser deutlich fühlte , daß jeder andere ein besserer Pädagoge sei , als er , waren gute Leipziger Mittelstandsleute , die , mit Stilpes Mutter entfernt verwandt , den jungen Gymnasiasten aus Gefälligkeit aber nicht mit der Meinung aufgenommen hatten , daß hier besondere Aufsicht und Wachsamkeit nötig sei . Der alte Wiehr hatte einen Porzellanladen am Markte , der ihn ausschließlich beschäftigte , und seine Frau ging in der Hauswirtschaft und zahlreichen Kaffeekränzchen auf . Ihr einziger Sohn war ein zarter junger Mensch gewesen , bleichsüchtig und solide , nicht sehr begabt , aber fleißig ; er war gestorben , als er in Stilpes Alter gewesen war . Die Alten sahen in Willibald dessen Fortsetzung und behandelten ihn wie jenen , nämlich mit vollendetem Zutrauen und vollkommener Ahnungslosigkeit . Dies wurde durch Stilpes mimische Kunst , sich wie ein Lamm zu benehmen , unterstützt . So hatte er eigentliche vollkommene Freiheit , und es fehlte ihm , um mit dieser Freiheit so viel anfangen zu können , wie er wünschte , nur an Gelde . Leider machte sich dieser Mangel , seit sich Martha " verändert hatte , " viel fühlbarer als früher . Ein geradezu lächerlicher Gedanke , jetzt mit den fünf Mark monatlichem Taschengelde auszukommen . Man mußte , da eine regelrechte Erhöhung des Budgets außerhalb jeder Möglichkeit lag , auf Extraordinaria sinnen . Da fing denn der junge Mann zunächst klein und bescheiden an . Er durchmusterte seine Bibliothek . Nun , da fanden sich ja einige Sächelchen , die vom Überflusse waren : Alle die überwundenen Standpunkte der durchlaufenen Klassen , wie sie sich in alten Grammatiken , Lehrbüchern , Schulausgaben , Gesangbüchern verkörperten , und dazu des Knaben Willibald Belletristik : Der Lederstrumpf , verschiedene Walter Scott-Romane , " für die Jugend " bearbeitet , eine " ausgewählter Goethe " ( fahre hin , Castrat ! rief Willibald ) und Anderes mehr . Diese Literatur überlieferte Stilpe einem alten Zweites Buch , drittes Kapitel . verwachsenen Antiquar , der in einem Durchgegangen von der Betersstraße zum Neumarkt seine Bude hatte . Herr Wopf war ein wunderlicher alter Bursche , ausgestattet mit einer sehr schönen Meerschaumpfeife , einer sehr großen , üppigen und noch jungen Gattin und einer eminenten Rundschrift , mit der er die Neuerwerbungen seines Lagers in gewaltig großen Zügen auf Pappendeckel schrieb , die wie die Ahnentafeln vor chinesischen Tempeln rechts und links seiner Ladentüre standen . Außerdem besaß er noch eine verworrene Menge von Literaturkenntnissen und eine erstaunlich tremolierende Stimme , mit der er Passagen aus seinen Büchern vorlas , um diese seinen Kunden begehrenswert erscheinen zu lassen . Wegen dieser Gabe des rollenden Rezitierens nannten ihn Stilpe und Girlinger den Deklamator . Stilpe liebte ihn direkt und sah in ihm den Helden seines ersten Dramas . In wiefern Herr Wopf den Anforderungen an einen dramatischen Helden entsprach , das war ihm freilich unklar , ging ihm aber auch nicht nahe . Sicher war nur , daß die üppig blühende Gattin , die früher scheuern gegangen war , die Rolle der Ehebrecherin haben mußte . Sich selbst dachte Stilpe als den Galan , doch stellte er sich in dieser Tätigkeit etwas älter und als berühmten Journalisten vor . Die Hauptscene , der Drehpunkt des Ganzen , stand schon fest , aber nur im Kopfe , denn , und dies gilt für die meisten dichterischen Pläne Stilpes in dieser und späteren Zeit : Er kam selten dazu , seine Entwürfe in Tinte umzusetzen . Schade übrigens , daß Stilpe diese Szene nicht ausgeführt hat . Sie war höchst verwegen naturalistisch gedacht und sehr geeignet , Ärgernis zu erregen , -- ein poetischer Zweck , der dem revolutionären Obertertianer ziemlich deutlich vorschwebte , obwohl seine Verwegenheit nicht bis zur Phantasmagorie einer Drucklegung ging . Sie sollte sich direkt in Wopfs Ehebette abspielen . Girlinger hatte Einwendungen dagegen , vornehmlich vom Standpunkte der Bühnenmöglichkeit aus . Aber da kam er bei Stilpe übel an : -- Bühne !? Du sagst Bühne ! Was geht mich denn die Bühne an ? Ich pfeife auf die Bühne . Glaubst Du , ich will mich neben Herrn Blumental stellen ? -- Nein , aber neben Schiller . -- Ach , Schiller ! Zweites Buch , drittes Kapitel . Dieses " Ach , Schiller ! " ist um die Zeit , in der Stilpe sein Wopf-Drama plante , auch sonst noch manchmal ausgesprochen worden . Wer es mit dem Phonographen aufgefangen hätte , könnte sich heute damit auf den Jahrmärkten hören lassen . Übrigens war der Deklamator Stülpen in erster Linie doch nicht als dramatischer Held , sondern als zahlungsfähiger Bücherkäufer wichtig . Zwar , er zahlte niederträchtige Preise und verdiente schon deshalb , dramatisch als Hahnrei angemacht zu werden , aber er nahm wenigstens Alles , und in schwierigen Augenblicken gab er auch Vorschüsse auf später zu verkaufende Bücher . -- Nächstes Ostern brauche ich meinen alten Cicero nicht mehr ; können Sie mir 1 Mark 50 drauf geben ? Der Deklamator durchblätterte das dicke Buch und blies seinen Tabaksrauch wie desinfizierend hinein . -- Quousque tandem , Catilina , abutere patientia nostra ! Haben wir auch gelesen ! Wie lange noch , Herr Liebknecht , wollen Sie uns mit Ihren Reden mopsen ? Fünfundsiebzig Fänge , Herr Stilpe . -- Nee , mein Lieber , eine Mark doch mindestens . 8 Der Schmöker kostet neu ja fünf , und er sieht doch noch ganz jungfräulich aus . -- Fünfundsiebzig Fänge , Herr Stilpe ! Und übrigens : Wenn Sie nun sitzen bleiben und die Catilinarischen noch ein Jahr lesen müssen ? -- Na , hören Sie Mal , das finde ich stark ! Sie halten mich wohl für ein Kamel ? Also gut , her mit den fünfundsiebzig , Sie Jude . Der Deklamator zog seinen Beutel und fischte das Geld heraus . Dann notierte er sich das Geschäft in sein Notizbuch , wo eine Seite in tadelloser Rundschrift überschrieben war : Herr Stilpe . Leider hielt die Bibliothek der Jugendzeit nicht lange vor , und es war das Bücherverkaufen überhaupt ein etwas bedenkliches Geschäft , weil Stilpe dabei doch zuweilen den Deklamationen des Herrn Wopf unterlag und für seine alten Bücher andere mit in Zahlung nahm . Zwar verkaufte er die gewöhnlich ein paar Wochen später zurück , aber es versteht sich , daß ihm der Deklamator nicht so viel zahlte , wie er sich hatte zahlen lassen . -- Se machen ze viel Randbemerkungen in de Bücher , Herr Stilpe . Und , sehen Se , wenn de Marginalien auch sehr geistreich sin , wie z. B. hier gleich zweimal hinterenander : Quatsch ! Zweites Buch , drittes Kapitel . Quatsch ! , so verlieren Se de Bücher doch dadurch an Wert . -- Was !? Warten Sie nur , Herr Wopf , warten Sie nur ! Wenn ich Mal berühmt bin , dann verdienen Sie ein Vermögen mit meinen Autogrammen . Ich sage Ihnen : Heben Sie sich die Bücher auf ! -- Sie närrischer Kunde ! Wenn Se nun aber nicht berihmt werden ? -- : Schon Manchen sah ich mit erhobenem Haupt Im Lenz der Jugend mit den Sternen spielen , Der , als das Alter ihm den Kranz entlaubt , Froh war , nach Kegeln auf der Bahn zu zielen . Schie'm Se Kegel , Herr Stilpe ? Das is enne sehr gesunde Übung ! -- Nee , aber fünf Mark können Sie mir pumpen . Der Deklamator zog sein Notizbuch : Sehen Se Mal her , Herr Stilpe : Jetzt ha'm Se schon acht Mark und fuffzig Fänge prae ! Jede Nacht treim ich , Se blei'm m'r sitzen . Nee , pumpen kann ich Se nichts . Also mußte Stilpe auf Anderes denken . Ein Glück , daß er nicht ohne Erfindungsgabe war . 8 * Bald wurde für ein Ehrengeschenk zum Doktorjubiläum des Ordinarius gesammelt . Dann hatte er eine Fensterscheibe in der Klasse zerschlagen . Sehr oft drängte es ihn , eine Klassikervorstellung im Theater zu besuchen . Ein Kamerad war gestorben , ein sehr guter Freund von ihm : Da mußte ein Kranz her . Unendlich häufig mußten Bücher gebunden , Hefte gekauft , neue Schulausgaben angeschafft werden . Aus Versehen hatte er Tinte über den Atlas seines Nachbars gegossen . Ein ekliger Kerl , wie der war , wollte er ihn ersetzt haben . Es war erstaunlich , wie leicht ihm die Lügen fielen . Er schmückte sie sogar mit ersichtlichem Vergnügen novellistisch aus . Erzählte z. B. die ganze Lebensgeschichte des jubilanten Ordinarius , ahmte ihn nach , führte eine ganze Komödie von ihm auf -- Alles freiste Erfindung ; und das Ehepaar Wiehr wollte sich ausschütten vor Lachen . Aber auch diese kleinen Mittel halfen nicht auf die Dauer . Stilpe starrte ins Leere und fand nichts . Zweites Buch , drittes Kapitel . Da überfiel ihn ein Gedanke , vor dem er selber erschrak : Die Ladenkasse . . . -- Aber nein , pfui Teufel , das ist ja eine Gemeinheit ! Weg damit ! Lieber diese Sumpfereien da sein lassen . Es ist überhaupt widerlich . . Lieber arbeiten ! . . . Wieder mehr mit Girlinger disputieren ! . . . Ja , und endlich das Drama schreiben !! . . . Und gleich holte er ein Heft aus dem Schubkasten und schrieb darüber : Der Hahnrei Sittentragödie in . . . Ja , wieviel Akte mache ich !? Natürlich nicht fünf ! Denn das ist banal . Vielleicht vier ? Vier ? Bei dem Stoff ? Nein ! sechs Akte ! Also : in 6 Akten Und nun die Personen : Schopf , ein buckliger Antiquar Clara , seine Frau Walter Wild , ein berühmter Journalist Wen denn noch ? Girlinger ? Ja ! : Wirlinger , ein Agitator . Das ist famos ! Sozial ! Und nun : Volk , Arbeiter , Studenten , . . . Stilpe Nein ! Erst noch eine Hauptperson ! : Martha , eine Prostituierte . Ah ! Das gibt was ! Da haben wir den Konflikt ! Ganz von selber kommt immer das Beste . Natürlich : Martha ! Das ist die Retterin ! Sie opfert sich ! Am Schluß bricht eine Revolution aus ! Er kam ganz ins Fieber . Die Prostituierte als Retterin ! Schopf als Typus des krämerischen Bourgeois . Walter Wild der Idealist . Clara das verführerische Weib . Wirlinger der dämonische Volkstribun . Und am Schluß die Revolution ! Er schrieb gleich die Schlüssen ; ungeheuer wild und natürlich bloß so in Umrissen , hingeklitscht wie mit der Maurerkelle . Glockenläuten . Kanonenschläge . Barrikaden . Brand . Marseillaise . Carmagnole . Martha im schwarzen Hemd mit der roten Fahne . Aber auf einmal war Alles aus . Der Strom war vorbei geschossen . Es wollte nicht mehr fließen . Fortwährend drängte sich , schon bei diesem gewaltigen Hinpatzen der Farben , das Gefühl ein : Aber der erste Akt ? Wieso denn Revolution ? Natürlich muß sie kommen . Freilich ! Aber : Wieso denn ? Es muß doch irgendwie motiviert Zweites Buch , drittes Kapitel . werden ?! Und da blieb er stecken und kam nicht heraus . Das Schlimmste war , daß er sich in seinem dichterischen Tumulte zu lebhaft mit Martha beschäftigt hatte . -- Ach , hol der Teufel ! Ich gehe hin ! . . . -- Haha ! Ich , mit meinen zwanzig Pfennigen ! . . . -- Girlinger anpumpen ? . . . -- Ach der ! Schöne Redensarten ! Und dabei hat er Geld ! . . . . . . . . . . Die Ladenkasse . . . ? . . . ? . . . ! . . . . . . . Es ginge ganz leicht . . . Ich brauche bloß ' nunter zu gehen . . . Wiehr sitzt auf dem Stuhl an der Türe . . . Hinten auf dem Laden steht die Kasse , offen . . . Ich komme durch die Hintertür und stelle mich vor den Laden und spreche mit dem Alten . . . Und , während ich mit ihm spreche , halte ich die Hände auf dem Rücken und greife ganz einfach in die Kasse . . . Immer , während ich mit ihm spreche . . . Ich muß bloß was Komisches erzählen . . . Oder , nein , sicherer , ich sage : Sehen Sie , Vater Wiehr , da wird Einer arretiert drüben , vor Äckerleins Keller ! Da stürzt er sicher gleich vor die Türe . . . Es wurde ihm unbehaglich heiß . -- Aber das ist ja doch niederträchtig ! Das ist ja Diebstahl ! Pfui Teufel ! . . . -- Und , wenn sie es beim Abrechnen merken ? . . . -- Unsinn ! . . . Sie rechnen ja gar nicht ab , Philemon und Baucis ! . . . -- Und schließlich , drei oder meinetwegen fünf Mark . . . Das fühlen Sie ja gar nicht . . . -- Überhaupt : Diebstahl ! Mumpitz ! Ich soll_es ja so Mal erben ! Lachhaft ! . . . -- Ich kann es ja auch später wiedergeben , wenn ich selber Geld habe . . . -- Natürlich : Das versteht sich von selbst . Mit Zinsen ! . . . Und er stülpte sich seinen Hut auf und rannte hinunter . Viertes Kapitel . Stilpe war nach Untersekunda versetzt worden , aber nur versuchsweise und mit Nachprüfung in der Mathematik nach einem Vierteljahr . Zudem fand sich in seinem Zeugnis eine Bemerkung , für die er nur die Bezeichnung Infam ! hatte . Es war da die Rede von " Zerfahrenheit " , " Unaufmerksamkeit " , " Allotria " . Wischiwaschi ! sagte Stilpe , kaufte sich eine Flasche Eau de Javelle und wischte die Bemerkung weg . Er tat es in der Hauptsache wegen der alten Wiehrs , denn es lag ihm daran , daß diese nicht irre an ihm wurden . In sein Tagebuch schrieb er mit Geheimschrift pathetisch ein : " Nachdem ich wöchentlich und konsequent einige Diebstähle begehe , kommt es auf eine Urkundenfälschung nicht mehr an . Ich bin also ein Verbrecher !? Ha ! Das ist ausgezeichnet ! Wenn ich wöchentlich , wie Girlinger , 10 Mark Taschengeld hätte , brauchte ich nicht zu stehlen , und wenn die Pauker keine überflüssigen Bemerkungen schmierten , brauchte ich kein Eau de Javelle . Also ? Logik ? Schluß ? Die Hauptsache ist : Sich nicht erwischen lassen ! " An Girlinger verriet er von seinen Streichen nichts . Er wußte , daß dieser " unfähig war , derlei zu verstehen " . Und doch hätte er gerne Jemand gehabt , dem er_es sagen könnte . Einmal hatte er bei Martha den Versuch gemacht , indem er sie fragte , sehr feierlich , was sie dazu sagen würde , wenn Jemand ihretwegen ein Verbrechen beginge . Es gruselte ihn angenehm , wie er das sagte . Sie aber antwortete bloß : Den würd'ch anzeigen . Das gab ihm einen Stoß , und er fand von jetzt ab , daß " diese Person sehr gewöhnlich " sei . Zweites Buch , viertes Kapitel . Er war ihrer überhaupt überdrüssig und warf sich mehr ins Ideale , Heroische . Es kam , ihm ein Wulst Gedanken wie : Neues Leben ! Freiheit ! Selbständigkeit ! Je näher die Mathematiknachprüfung rückte , um so dringlicher wurden diese Gedanken . Wenn er nun diese Prüfung nicht bestünde ? Die Perspektive war scheußlich , aber das scheußlichste an ihr war der Gedanke , daß er , der jetzt in Untersekunde mit Sie angeredet wurde , in Obertertia wieder geduzt werden würde . Also : Das Symbol der Knechtschaft ! Aber auch , wenn er bestünde ! Wie gräßlich war diese ganze Schule überhaupt ! Und so noch vier Jahre bis zur Freiheit , bis zur Universität ! Und in diesen vier Jahren immer dieses leere Stroh , das Einem vorgeworfen wurde : Da , drisch , aber im Takt ! Und was waren das für Leute , die die Aufsicht dabei führten ! Oh , diese Draschmeister ! Herrgott , diese Professoren ! Ein paar waren ihm ja " interessante Knaben " , ein bisschen steifleinen und Steifbeinen , aber man konnte ihnen gut sein , denn , nun ja eben : Sie waren interessant und hatten zuweilen menschliche Töne . Aber die Anderen ! Diese kalten Pedanten ! Diese langweiligen Schablonenmeister ! Kalbsköpfe alle miteinander ! Er würde einmal eine aristophanische Komödie schreiben : Die Kaulquappen . Dazu , als Modelle , seien sie zu brauchen , sonst zu nichts . Ob wohl Einer von diesen Plärrern eine Ahnung davon hätte , was hinter ihm , dem Stilpe , steckte ? Und solchen Leuten war er untertan , er , der Ziele vor sich hatte , an die sie ebensowenig dachten , wie der Igel an ein Himmelbett ! Nein , er mußte fort aus dieser Sklaverei und fort auch aus diesem Sumpf mit der Person da , die wirklich kein Hetäre war , wie Aspasia . Ja , eine Aspasia , das wäre seine Retterin ! Ein Weib , himmlisch schön und von freier Nacktheit Leibes und der Seele , und voll Poesie ! Voll Ideal ! Ah ! Hellas ! Hellas ! HELLAS ! Zweites Buch , viertes Kapitel . Pfui Teufel , was da auf seinem Arme stand , dieses blödsinnige Epsilon Gamma ! Was ging ihn dieses Deutschland an , ihn , den Kosmopoliten ! Er schrieb mit roter Tinte in griechischen Lettern Hellas auf eine Papptafel und hing diese über seinem Bette auf . Griechenland , ja , das war ein Wort und ein Ruf , und sein Schrei ! Aber nicht das , was dieses Lehrergesindel im Munde führte , sondern das , von dem Heine schrieb als dem Gegensatz zum Christentum . Denn mit dem Christentum war er nun auch im Reinen . Er nannte es die Weltmasern und tat sich auf das Wort nicht wenig zu Gute . Eines Tages ging er mit Girlinger ins Rosenthal . Girlinger war sehr niedergeschlagen . Sein Vater war hinter seine Lektüre gekommen und hatte ihn vor der ganzen Familie als " unreifen Zusammenleser unverschämter Dummheiten " lächer lich gemacht und zugleich Maßregeln getroffen , die seine Lektüre unter eine strenge Aufsicht setzten . -- Der Herr Staatsanwalt hat ein Ausnahmegesetz über mich beliebt . Aber er soll sich irren . Ich bin nicht der unreife Knabe , für den er mich hält . Ich habe es deutlich bemerkt , daß er von den Sachen , die er verdammt , so viel versteht , wie ich von seinem Büttelamte . Ich lasse mich nicht knechten ! Ich werde es ihm zeigen ! -- So ? Du ? Weißt Du , Dein Vater kennt Dich sehr gut . Der weiß , daß Du wie ein Pudel über den Stock springst , wenn Du auch vorher bellst . -- Das wirst Du sehen ! Ich habe zwar nicht das große Maul wie Du , aber ich handle ! -- Da bin ich gespannt . Wirst Du es mir nicht verraten ? -- Nein ! Der Tag wird kommen , wo Du_es siehst . -- Dann muß er bald kommen ! -- Wieso ? -- Ich verrate auch nichts . Sie gingen schweigend nebeneinander her , und Stilpe hieb mit seinem Spazierstock in die Büsche . Endlich sagte er : Zweites Buch , viertes Kapitel . -- Nein , und wenn Du mir auch nichts sagst , ich will offen sein ! Aber gib mir Deine rechte Hand , daß Du_es niemand sagst . -- Ja doch . -- Nein , die Hand ! Und das ist wie geschworen ! -- Ja doch . Habe ich schon was verraten ? -- Also gut ! Und er blieb stehen und sagte leise , aber mit feierlichem Tone : -- Ich gehe nach Griechenland . Girlinger sah ihn groß an : -- Ja , kannst Du denn Neugriechisch ? Die Frage kam Stülpen unerwartet . Daran hatte er noch nicht gedacht . Er bis die Lippen ärgerlich aufeinander . -- Natürlich nicht . -- Ja , was für eine Sprache wirst Du denn dort reden ? -- Es gibt eine deutsche Kolonie in Athen . Stilpe wußte davon eigentlich nichts , es war eine seiner rettenden Improvisationen , aber Girlinger fand sie plausibel . -- So , nun ja , aber was willst Du in dieser deutschen Kolonie machen ? -- Irgend was : Schreiber , Kopist , Sekretär , irgend so was ! Girlinger schwieg eine Weile . Dann meinte er : -- Hast Du denn Geld zur Reise ? Stilpe , langsam : -- Ja . -- Wieviel denn ? -- Weiß ich noch nicht . -- Ach so . . . Ich habe hundertunddreiundfünfzig Mark . -- Was ? Hundertunddreiundfünfzig ! Das ist ja kolossal ! -- Das ist viel zu wenig . Ich habe gedacht , Du würdest mindestens tausend haben . -- Ja , woher denn ? -- Das ist einerlei . Girlinger sagte das etwas im Tone des entschlossenen Bösewichts der Bühne , dumpf , Tremolo . -- Nein , soviel kann ich nicht . . bekommen . -- Was denkst Du denn , was die Reise kostet ? -- Ich laufe natürlich . -- Da werden sie Dich bald Einhaben . -- Ich werde sie auf eine falsche Spur locken . Natürlich denken sie Alle : Amerika . Übrigens : Du willst doch nicht etwa nach Amerika ? Zweites Buch , viertes Kapitel . Girlinger lächelte spöttisch : -- Du hältst mich für sehr dumm . Nein , ich denke an England . Und er setzte nun sehr kühl und eingehend auseinander , welche Vorzüge England habe : Keine polizeilichen Anmeldungen , Nachfrage nach deutschen Kräften für kaufmännische Korrespondentenstellungen u. s. w. , u. s. w. Er hatte Alles , nach seiner Weise , praktisch bedacht und sich über Alles in Büchern Gewißheit verschafft . Englisch und die doppelte Buchführung hatte er sich auch nach Möglichkeit beigebracht . Aber Stilpe übergoß ihn mit ganz anderen Argumenten für seine Idee : -- Was ? England ? Dieses große Krämernest ? Dieses Land des Nebels und der Kommis ? Diese Insel der Pfeffersäcke ? Wo sie die Feigenblätter en groß fabrizieren aus Weißblech mit Ölfarbenanstrich ? Wo man Sonntags nicht niesen darf ? Ja , Mensch , kennst Du denn Byron nicht ? Byron , siehst du , der wollte lieber in Griechenland sterben , als in England leben . Nur Griechenland ! Nur Griechenland ! Denke doch : Dieser Himmel ! Diese Erinnerungen ! Und : Diese Weiber ! Ich sage Dir : Ehe diese Bande hier ihr Abiturientenexamen gemacht hat , sind wir berühmt. 9 -- Ach was , ich will frei sein und nicht dichten . -- In Griechenland wirst Du frei sein ! Und warum verstellst Du Dich denn ? Ich weiß doch , daß Du noch viel ehrgeiziger bist , als ich . Und dann : Die Schönheit ! Die alte Kunst ! Die Akropolis ! Denke : Wenn wir da hinaufschreiten ! Und alles das Südliche überhaupt ! Ölbäume , Orangen , Zitronen , Rhododendren ! Girlinger hatte allerlei praktische Bedenken , aber schließlich legte auch er es sich zurecht . Seine Phantasie war nicht so schnell losgelassen , wie die Stilpes , und sie schwärmte nicht ins Blaue , aber gerade diese Sehnsucht nach dem Süden war in ihm , und um so stärker , als er sich wirklich ein Bild vom Süden machte , während Stilpe nur den Abreiz von Worten spürte . Sie gingen mit dem Versprechen Girlingers auseinander , daß er am nächsten Sonntag , in zwei Tagen , seinen endgiltigen Entschluß kund tun wolle . Girlinger benutzte die Zeit , um gründlich über den Plan nachzudenken und nach Möglichkeit zu studieren , was ihm über das Griechenland von Heute zugänglich war . Stilpe aber schwamm in einem heißen Ent Zweites Buch , viertes Kapitel . zucken bei dem Gedanken , die große Tat im Verein mit Girlinger zu vollführen und weidete sich an der Vorstellung , welchen Eindruck es machen würde , wenn nicht bloß er , der " zweifelhafte Schüler " , durchgebrannt und verschwunden war , sondern mit ihm der gepriesene Musterknabe und Primus . Mit besonderem Genusse stilisierte er sich im Geiste die Notizen , die über dieses Ereignis in den Blättern stehen würden . Er kam sogar auf die Idee , eine " Rechtfertigung " abzufassen , die er auf irgend eine Weise ( das Wie überließ er späterer Überlegung ) drei Tage nach ihrer Flucht ( Flucht ! ) von Leipzig aus dem Leipziger Tageblatt zukommen lassen wollte . Vielleicht durch den Deklamator ? Oder durch Martha ? Diese Frage beschäftigte ihn am meisten . Am Sonntag enthüllte ihm Girlinger in kurzen Worten , aber sehr ernst , daß er bereit sei , mitzugehen , aber nicht vor vierzehn Tagen . Denn es sei noch viel zu ordnen und zu bedenken . Er könne , Alles in Allem , 250 Mark zusammenbringen , teils durch Bücherverkauf , teils durch seine Schwestern . Mindestens so viel müsse aber Stilpe beschaffen . Diese Summe werde für jeden zur Hinreise genügen ( er hatte das Hendschel 9 * sche Kursbuch bei sich ) und außerdem Lebensunterhalt für zwei Wochen sicheren . -- Natürlich werden wir in diesem Klima vegetarisch leben . -- Selbstverständlich . Eine ganze Anzahl praktischer Notizen hatte er auf einem Zettel zusammengeschrieben , und Stilpe mußte sich verpflichten , diese auch für sich anzuerkennen . Da hieß es : Es sind mitzunehmen pro Person : Ein Koffer mit : Einem Anzug ein paar Stiefeln zwei Hemden drei paar Strümpfen ( NB . aus der Wäsche sind die Namenzeichen auszutrennen !! ) sechs Taschentüchern zwei Kragen . Die Koffer werden in St. es Gartenhaus in der Versenkung , wo jetzt das Gartengerät aufbewahrt ist , niedergelegt . Stilpe muß zwei Koffer stellen , da es für G. unmöglich ist , sich mit einem Koffer aus dem elterlichen Hause zu entfernen . Zweites Buch , viertes Kapitel . Ein Revolver , wenn billig zu haben , ist wünschenswert . Stilpe fand den Revolver in allererster Linie für notwendig und machte sich anheischig , einen zu besorgen . -- Natürlich einen , den man in die Brusttasche stecken kann ! -- Ja , aber doch nicht allzuklein ! Bereits am Dienstag brachte Stilpe den Revolver mit in die Schule und zeigte ihn Girlinger auf der Retirade . -- Bist Du verrückt ! Steck ihn sofort ein ! Und er ist ja viel zu groß ! -- Ich werde doch kein Spielzeug mitnehmen ! Girlinger entfernte sich eilig , und als sie nach Hause gingen , sagte er sehr scharf : Wenn Du_es so machst , nehme ich mein Wort zurück ! Überhaupt , wie benimmst Du Dich denn ? Alle Augenblicke nimmst Du mich auf die Seite und machst mir Zeichen . Jeder Mensch muß merken , daß wir was vorhaben . -- Bringe lieber Deine Wäsche ins Gartenhaus statt daß Du mir Moral schwingst . Meine Sachen sind alle draußen . -- Bei mir geht das nicht so wie bei Dir . Hier ( er sah sich nach allen Seiten um ) sind zwei Kragen . Ich muß jeden Tag einzeln was bringen . Wenn ich nur wüßte , wie ich_es mit dem Anzug mache . Ich kann doch nicht mit ein paar Hosen überm Arm in die Schule gehen . -- Zieh den Mantel an und nimm sie unteren Mantel ! Oder , halte : Ich komme und hole sie ! -- Nein , nein , ich werde schon Alles selber bringen . Während so bei Girlinger die Schwierigkeiten mehr ins Einzelne gingen , hatte Stilpe nur ein großes Problem zu bewältigen : Das Geld . So viel war sicher : Die Ladenkasse reichte nicht . Man konnte sie höchstens mit fünfzig Mark ansetzen . Also denn erstmal alles verkaufen , was in Griechenland überflüssig war an Kleidern , Wäsche , Büchern . Geschah . Von Büchern entgingen nur Börnes Werke , Tannhäuser in Rom und Byrons Don Juan dem Deklamator . Aber Alles in Allem kamen nur vierzig Mark heraus . Zweites Buch , viertes Kapitel . Wie wäre es mit ein paar Anzügen Vater Wiehrs ? Ein Gedanke ! Der Mann hatte ja seine ganze Vergangenheit noch im Kleiderschranke hängen . Aber Vorsicht ! Vorsicht ! Und erst in den letzten Tagen . Auf fünfzig Mark konnte man das aber immerhin ansetzen . Fünfzig und fünfzig sind hundert , und vierzig sind hundertundvierzig . . . Wenn ihm nur irgend ein Coup einfiele ! Das Geplempere mit kleinen Posten gefiel ihm gar nicht . Hm . Im Glasschrank stand so allerlei herum , auch Schmuckzeug . . . Aber da verging ja kein Tag , an dem nicht Mutter Wiehr den Kram bestreichelte . Halt ! . . . Aber nein . . . nein . . . ! . . . Freilich , wenn gar nichts übrig blieb . . . ? . . . : Die Paten- und Konfirmationsgeschenke des verstorbenen Filius . . . ? . . . ! . . . Die waren in dem verschlossenen Schranke in seiner Stube , und die Alten hatten eine große Scheu vor diesen Erinnerungen . Sie hatten sie verschlossen , um sie nicht zu sehen ; nie machten sie den Schrank auf . Da mußten ja wohl auch noch Bücher sein und sonst was . . . Das war aber doch ein verfluchter Coup ! Das war schon nicht mehr bloß , pfui Teufel , Diebstahl , das war so was wie Frevel . Oder ? Stilpe versuchte , den Gedanken mit Gewalt loszuwerden und erging sich , um ihn beiseite zu schieben , dafür in den abenteuerlichsten Plänen . Sogar der schmierige Beutel des Deklamators tauchte auf und eine verbrecherische Intrige mit der rosigen Gattin . Hatte sie ihm nicht kürzlich hinter dem Rücken des Alten zugelächelt ? Wie , wenn er mit ihr im Bunde den Alten . . . ? Aber , duliebergott , das war ja eine Kriminalnovelle und kein Coup ! Immer wieder der verschlossene , große , braune Schrank . . . Was da wohl alles drin steckte . . . Natürlich zuerst sämtliche Hosen und Höschen , Jacken und Jäckchen des gepriesenen Filius , von der Wiege bis zur Bahre . Verdammt nochmal : Auch noch Rücksicht auf Sentimentalitäten , wo es seine Freiheit und Zukunft galt ! Da gab_es doch kein Besinnen ! Dort der Tod ! Hier das Leben ! Hier Mottenfraß ! Hier Freiheit ! Zweites Buch , viertes Kapitel . Er ging an den Schrank und versuchte seine Schlüssel am Schloß . Ging nicht . Also : Eintreten ! Einfach eintreten ! Er schlug mit der Faust auf die Schranktüre . Aber wie er das Poltern hörte , lief er gleich weit weg und sah zum Fenster hinaus . Wozu überhaupt diese Menge Geld ? Hundertfünfzig waren auch genug . Er stellte das Girlinger vor . Aber der protzte seine ganze widerliche Konsequenz auf : -- Wie wir_es ausgemacht haben , so bleibt_es . Du hast mein Wort , und ich habe Deins . Stilpe empfand eine kochende Wut über dieses Benehmen . Nicht einmal sagen kann ich_es dem Kerl , was ich vorhabe . Natürlich er : Jede seiner Schwestern gibt ihm fünfzig Mark . Und ich muß solche Gemeinheiten aushecken . Aber wart nur : Diese Erfahrungen , diese Kämpfe , die werden aus mir was Ganzes , Eigenes machen , wo Du bloß eine Molluske bist und bleibst ! Ich bin der Kämpfende ! Ich werde den Sieg haben ! Und dann , oben auf der Akropolis will ich Dir_es ins Gesicht schütteln mit meinen Fäusten : Ich habe stehlen müssen für meine Freiheit und unendliche Frevel auf mich geladen für meine Ideale ! Du aber bist bloß der Pudel , der hinter mir herlief , aufgefüttert und vollgestopft , ohne Mark und Entschluß ! In diesem Aufsud stürmischer Gefühle fiel ihm Karl Moor ein , und er fühlte sich nun nicht bloß gerechtfertigt , sondern geradezu verpflichtet , den Schrank aufzubrechen . Aber Vorsicht ! Vorsicht ! Und : Nicht zu früh ! Jetzt waren es noch sechs Tage bis zu dem Sonnabend , wo sie sich nachmittags im Gartenhause treffen wollten , um abends abzureisen . Von Girlinger fehlte immer noch die Hose und ein Hemd im Koffer , aber er konnte ihn nicht einmal mahnen , denn der Primus blieb aus der Schule weg und hatte ihm verboten , ihn zu besuchen . Er stelle sich krank , hatte er ihm geschrieben , um nicht unnötig durch ihn aufgeregt zu werden , auch habe er einen besonderen Trick vor mit dieser Krankheit . Im Übrigen solle er nur Alles genau Zweites Buch , viertes Kapitel . nach Verabredung besorgen und tun . Sonnabend um 3 Uhr am Gartenhause ! Stilpe hatte einen grenzenlosen Respekt vor Girlingers kühler Klugheit , und er stellte sich irgend etwas unerhört Schlaues vor , das hinter dieser Krankheit steckte . Wer weiß : Er bringt vielleicht 500 Mark mit ! Wenn man_es nur wüßte ! Nur wüßte ! Dann wäre auch diese infame Chose mit dem Schrank nicht nötig . Schon das Verkaufen von Vater Wiehrs Garderobe war eine verdammt schwierige Sache gewesen , und es war bloß Dusel , wenn es nicht zur Unzeit bemerkt wurde . Nun aber der Schrank ! Das Heiterste wäre , wenn mich Mutter Wiehr angeschwindelt hätte , und es gäbe da drin gar nicht diese kostbaren Konfirmationskleinodien und Taufbecher . Ob ich sie nochmal frage ? Er nahm wirklich einen Anlauf dazu , brachte es schließlich aber doch nicht übers Herz . Dafür machte er sich im Stillen einige moralische Komplimente über diese Feinfühligkeit und fand , daß er eigentlich sein Gewissen dadurch für beruhigt ansehen könnte : Denn , wäre ich wirklich ein gemeiner Kerl , so hätte ich gefragt ; aber ich handle eben bloß unterm Zwang der Verhältnisse und schone dabei nach Möglichkeit , was zu schonen ist . Unter diesen Erwägungen brach er kaltblütig den Schrank auf , nachdem er die Kammertür verschlossen und das Schlüsselloch verhangen hatte . Schau , schau , gepfropft voll ! Aber ist es nicht sündhaft , alle diese Sachen von den Motten fressen zu lassen ? Es scheint , die guten Wiehrs wissen nicht , wieviel arme Jungen keine ganzen Kleider am Leibe haben . Natürlich ! Die Sentimentalität geht bei diesen Bourgeois Allem vor . . . Der Überzieher da ist noch wie neu . . . Herrgott , wieviel Hüte hat denn der Filius gehabt ? . . . Sogar seine ersten Hosen sind noch da . . . Übrigens : Insektenpulver haben sie doch gestreut . . . Donnerwetter : Das kann mich ja verraten ! Die ganze Kammer wird stinken ! Er lief und öffnete die Fenster . Unten ging gerade ein Schutzmann vorbei . Stilpe machte eine Verbeugung : Zweites Buch , viertes Kapitel . Das Auge des Gesetzes wacht ! Sie , Schutzmann , hier wird gestohlen ! Ja , das möchte er wohl , der Gute , daß ich ihn raufwinkte . Wird nicht verzapft ! Nun aber die Kleinodien ! In der Pappschachtel ? Nein : Seidene Tücher . Da könnt ich übrigens eins . . . Unsinn ! . . . Aber es scheint wirklich kein Edelmetall . . . Er holte sich einen Stuhl und stieg darauf , um besser sehen zu können , was auf dem oberen Schrankbrett stand . Siehstewoll ? Der Kasten ist schwer . Und : Er klappert . Er nahm ihn langsam herunter . Es war eine alte Schatulle aus eingelegtem Mahagoniholze mit zopfigen Ornamenten . Ein kleiner Schlüssel mit herzförmigem Griff steckte im Schloß . Er trug die Schatulle auf den Tisch und schloß sie auf . Donnerwetter , was für ne Menge ! Zwei Uhren ! Eine silberne und eine goldene ! Und dito zwei Ketten . Dieser Filius ist verzogen worden !! Und goldene Ringe gar drei ! Was ? Auch goldene Manschettenknöpfe ? Das ist ja blödsinnig ! Am Ende hat der Junge auch noch eine Busennadel gehabt . Richtig ! . . . Ekelhaft , das ! So einer muß ja ein Protz werden . Und dabei war er dumm wie ein Heuroß . Gut ! Gut ! Klappe zu ! Er stellte die Schatulle wieder an ihren Platz , lehnte die Schranktüre fest an , klemmte ein bisschen Pappe ein und hatte eine deutliche Empfindung von Zufriedenheit , wie er sah , daß äußerlich nichts an dem Schranke zu merken war . Was aber nun anfangen mit dem Zeug ? Er beschloß , es erst in Athen zu verkaufen . Trödler gibt_es dort sicher auch . . . Nun kam der große Tag heran . Das letzte , was Stilpe ins Gartenhaus getragen hatte , waren seine Tagebücher und Manuskripte gewesen . Die letzten Worte in seinem Tagebuche lauteten schwungvoll so : Zweites Buch , viertes Kapitel . Und nun , mein stolzes Schiff , Stich aus ins Meer ! Du trägst mein Alles , und dein Zeichen heißt : Freiheit , Hoffnung und Zukunft . Meine Hand , Mit der ich nun die Ankerkette schnell Aufwinde , ist beschmutzt , doch wasch ich sie Im Meer der Schönheit , und ich schwöre : Nie , Bei allen Göttern , die ich suche , nie Soll wieder Schmutz an diese heiße Hand ! Die letzte Schulstunde , zu der er sich herabließ , war Griechisch . Es wurden unregelmäßige Verba abgefragt , und da er sich nicht vorbereitet , auch nicht einmal in der Vorpause , wie er sonst zu tun pflegte , in der Grammatik nachgelesen hatte , blieb er jede Antwort schuldig . -- Warum haben Sie Ihr Pensum nicht gelernt ? Er lächelte und dachte bei sich : Freiheit , Hoffnung und Zukunft ! -- Wollen Sie wohl antworten ? Warum haben Sie Ihr Pensum nicht gelernt ? -- Es war mir zu langweilig . Der Professor schnappte nach Luft . Das war der Gipfelpunkt der Frechheit . Das war jenseits aller Bezeichnungsmöglichkeit . Nur das eine Wort : Karzer ! wühlte sich aus dem verstopften Sprachschatze empor . -- Wie viel Stunden , Herr Professor ? fragte Stilpe mit unterwürfigem Lächeln . -- Ist der Mensch verrückt geworden ? Die ganze Klasse hatte mit dem Professor nur diesen einen Gedanken und starrte auf den lächelnden Stilpe . Sein Nachbar rückte ein Stück von ihm ab . Er aber setzte sich gelassen und tat , als ob die Sache für ihn erledigt wäre . Der Professor , eben noch violett , wurde weiß wie weicher Käse und rief , indem er sein Buch von sich warf : Verwegener Bube ! Ah ! Ah ! Am Montag werden Sie erfahren , was Sie sich zugezogen haben . Bei dem Worte Montag hätte Stilpe laut auflachen mögen , aber es kam ihm der Gedanke , daß man ihn gleich heute am Nachmittag einsperren könnte , und so hielt er sich stille . Zweites Buch , viertes Kapitel . Als die Stunde vorüber war und die Sekundaner ihre Bücher zum Heimgehen packten , bildete sich ein Kreis um Stilpe : -- Na , die Unverschämtheit kommt Dir teuer zu stehen , mein Söhnchen . . . Du hast wohl Lust , geschwenkt zu werden ? . . . Du bist wohl nicht bei Troste ? . . . Stilpe lächelte bloß geringschätzig . Gerne hätte er jetzt irgend eine kleine Andeutung gemacht . Es wurde ihm sehr schwer , sie zu verbeißen . Aber er überwand sich . Und nun kam er in Aufregung . Wenn er nur nicht noch zu Tische zu gehen brauchte ! Aber das mußte er natürlich , ganz abgesehen davon , daß er recht gut bei Appetite war . Kaum aber , daß er sich vom Tische erhoben und gesegnete Mahlzeit gewünscht hatte , lief er aus dem Hause und rannte durch die Straßen . Es war ein unfreundliches Spät-Frühlingswetter , Regen und Wind . Da er keinen Schirm hatte , war er bald ganz durchnäßt . Aber er lief , 10 so unangenehm ihm diese eindringende Feuchtigkeit war , immer auf und ab und immer denselben Weg : Grimmmaische und Betersstraße . Er wollte nicht eine Minute früher als Punkt 3 Uhr am Gartenhause sein , aber er wollte auch nirgends vorher einkehren , denn er fühlte , daß er nicht sitzen könnte . Sein einziger Gedanke war : Wenn wir nur erst im Zuge sitzen . Und dann bis Triest in einem Saus ! Ah ! Nacht und Tag und Nacht ! Und dann das Schiff ! . . . Freilich : Die Seekrankheit . . . Unsinn ! Wenn erst die schimmernde Küste Griechenlands auftauchen wird . . . ! Venus Anadyomene ! . . . Und diese Hellenen in ihren bunten Trachten ; auch Türken , Armenier ! Und herrliche Weiber mit Krügen auf den Köpfen ! Großäugig ! Glutäugig ! Und bronzene Brüste schimmern durch paphische Gewänder . . . ! Und Marmorpaläste , südliche Gärten und sengende Sonne ! Und nun mein stolzes Schiff , Stich aus ins Meer ! Plötzlich kam ihm seine Mutter in Sinn . Es kam so unvermutet und grell , daß er mitten im Rennen stehen blieb . Zweites Buch , viertes Kapitel . Herrgott , wie wird sie weinen . . . Es ist doch eigentlich . . . Ah , aber nein : Wenn ich sicher bin , schreibe ich ihr Alles , und wenn sie sieht , wie glücklich ich bin , dann wird sie stolz auf mich sein ! Sie versteht mich ja ! Sie weiß , daß aus mir was Großes werden wird ! Mütterchen weine nicht , weine nicht so , Sieh ich bin in der Fremde froh Und denke Dein . Er hoffte , es würde ein ganzes Gedicht werden , aber es blieb , wie gewöhnlich , beim Anfange . Endlich 3/43 Uhr ! Nun zum Gartenhaus ! Er lief im Trabe mitten durch Pfützen und ohne aufzusehen , wie ein Junge neben dem Reifen . Jetzt am Garten . Nun die Allee hinauf . Ob Girlinger schon da ist ? Nun den Seitengang . Gott sei Dank , daß es regnet und niemand im Garten ist . Aber der Dreck ! Der Dreck ! Ganz bespritzt ! Das wird doch auf der Eisenbahn nicht auffallen ? So , jetzt bei Kürners Garten vorbei und nun mit Barrieresprung übers Staket . Teufel ! Mitten in eine Pfütze ! So ein Blödsinn ! 10 * Punkt drei ! Aber Girlinger ist noch nicht da . Natürlich ; der macht sich_es bequem und kommt sicher in Gummigaloschen und muß um jede Pfütze einen Bogen machen und womöglich bei jedem Buchladen stehen bleiben . Ekelhaft diese Hundsschnauzigkeit . Er ging zum Gartenhaus und griff in seine Tasche nach dem Schlüssel . Plötzlich fuhr er zusammen und starrte auf etwas weißes , das in der Türsperre klemmte . Sein Gesicht verzerrte sich : Ah , du Hund , du ! Er riß das eingeklemmte Papier heraus . Herunter das Couvert . Da stand mit den schönen , so oft in der Schule belobten Schriftzügen unter Einhaltung des Höflichkeitsrandes etc. folgendes : Lieber Stilpe ! Nachdem ich mir unseren Plan noch vielmals und reiflich überlegt habe , bin ich zu der unumstößlichen Überzeugung gelangt , daß es im Grunde bloß ein etwas persönlich drapierter Dummejungenstreich wäre . Wenigstens was mich angeht . Du bist ja anders , und Dein Temperament berechtigt Dich gewissermaßen zu einem solchen Schritte , der ins Ungewisse führt . Zweites Buch , viertes Kapitel . Aber ich bin nicht zu dergleichen kühnen Entschlüssen geeigenschaftet . Also : Ich kann nicht mittun . Verachte mich , soviel Du willst und nenne mich einen Feigling und Wortbrüchigen . Ich kann nichts dagegen tun . Höchstens , daß ich auch Dir rate : Stehe auch Du von dem Plane ab . Selbstverständlich bist Du strengster Geheimhaltung von meiner Seite aus sicher . Aber ich erwarte auch von Dir , daß Du nicht etwa in einem Deiner Wutausbrüche mich als Deinen Komplizen nennst . Das wäre keineswegs honorig . Indem ich Dir , für den Fall , daß Du den Plan zur Ausführung bringst , alles Glück aufrichtig wünsche , bin ich , auch wenn Du mich verachtest , Dein Freund Robert Girlinger. P. S. Meine Sachen nimm , wenn Du gehst , mit . Sie werden Dir nützlich sein . Stilpe geriet in eine maßlose Wut . Zuerst ließ er sie an dem Briefe aus , den er mit den Zähnen zerriß und in das matschige Erde reich hineinstampfte . Dann warf er seinen Hut auf die Erde und schlug mit den geballten Fäusten an die Gartenhaustür . Er war aschfahl im Gesicht und bis sich fortwährend auf die Lippen , als wenn er das Bedürfnis hätte , etwas zu zerfleischen . Dann schloß er die Tür auf und ging ins Gartenhaus . Mit einem Fußstoße öffnete er die Decktür zu der Versenkung , wo die Koffer standen und spuckte auf diese . Dann warf er die Decktür zu , daß es krachte und setzte sich auf einen Gartenstuhl . Ein Windstoß warf die Türe zu , und nun war er im Dunklen allein mit seiner kochenden Wut . Was tun ?! Was tun ?! Ah , vor Allem Eins : Rache an diesem feigen Hund ! Hin zu Girlinger und ihm laut ins Gesicht schreien , was für ein erbärmliches Subjekt er ist . Das ganze Haus zusammenschrein ! Ihm den Koffer vor die Füße , nein , vor den Bauch werfen . Und ihn prügeln ! Prügeln ! Unsäglich und lange prügeln ! Ach was , erschießen müßte man ihn ! Erschießen ! Das ist ein Gedanke ! Ah , und da ist ja auch der Revolver ! Gott_sei_Dank , daß er so groß ist ! Aber das war schon mehr bloß pathetische Zweites Buch , viertes Kapitel . Zierleiste . Er merkte das selber , und den Gedanken , sich hinter her etwa selber zu erschießen , ließ er nur ganz von Ferne vorbeidrohen . Überhaupt nein : Weder Prügel noch Revolver , nur Verachtung ! Ein einziges Wort auf eine Postkarte geschrieben : Lump ! und dann fort ! Fort ! Fort ! Fort ! Er rüttelte das Wort in sich hin und her . Fort ! Fort ! Aber es geschah halb mechanisch , wie er sich das in plumpen Stößen immer wiederholte . Fort ! Fort ! Natürlich : Fort ! Ich werde doch wohl wegen dieser Kanaille nicht hier bleiben !? Aber diese Bestie hat ja das Kursbuch ! Der ganze Reiseplan stand ja bei ihm ! Ich Wickelkind habe ihm ja Alles überlassen ! Sonderbar : Der Gedanke , sich nun selbst ein Kursbuch anzuschaffen und einen Reiseplan zu machen , kam ihm nicht . Dafür entwarf er bereits den Brief , den er nach seiner Ankunft in Athen " diesem Elenden " schicken wollte : " Hier bin ich , auf der Akropolis , und gottlob ohne den Pinscher , der mir folgen wollte . . . Ich habe eine sehr angenehme Stelle als Sekretär eines deutschen Privatgelehrten . . . Meine Adresse Teile ich Dir nicht mit , um vor Deiner Verräterei sicher zu sein . Denn es gibt keine Gemeinheit , die ich Dir nicht zutraute . . . " Dieser Brief , den er vielmal in sich hin und her wandte und mit zahlreichen vergifteten Spitzen versah , beruhigte ihn ungemein . Als er ihn auswendig wußte , war er so weit , die " Jammerhaftigkeit dieses Staatsanwaltssprößlings " für ein Glück anzusehen . Wäre ich denn in seiner Gegenwart frei gewesen ? Hätte er mich nicht in meinen besten Entschlüssen gestört ? Was für eine unglaubliche Verirrung dieser Gedanke überhaupt gewesen ist , mit dieser Hundeschnauze zusammen nach Griechenland gehen zu wollen . Aber eine gute Lehre das ! Immer und Alles allein ! Jedes Vertrauen ist Wegwurf ! Er schrieb sich diese Maxime in sein Notizbuch und empfand das ganze differenzierte Wohlgefühl des Pessimisten . Er wurde sogar übermütig . Warte , mein braver Knabe , dachte er sich und nahm die Girlingerschen Sachen aus dem Koffer , hing sie , nachdem er sie zerrissen hatte , auf eine Bohnenstange und stellte das Ganze nach Art einer Vogelscheuche in ein Zweites Buch , viertes Kapitel . Beet . Daran befestigte er ein Stück Papier mit der Aufschrift : Siegeszeichen des Wohlverhaltens . Dann nahm er den Koffer mit seinen Habseligkeiten und schlug den Weg zu dem Hause ein , in dem Martha waltete . Es war selten , daß dort ein Mensch männlichen Geschlechtes mit einem Koffer erschien , denn , wenn auch viele Handlungsreisende in diesem gastfreien Hause verkehrten , so ließen sie ihre Musterpakete doch gewöhnlich im Hotel . Und so erregte er ein gelindes Aufsehen . -- Ja , Schnutchen , kleines , willst Du denn verreisen ? rief ihm Martha entgegen , die , mit einem schwarzseidenen Hemde bekleidet , nicht mehr an die Gemälde Professor Tumanns erinnerte . -- Ich bin auf dem Wege zum Bahnhofe und will Dir nur Lebewohl sagen , erwiderte Stilpe etwas ernster , als es im Stile dieses Milieus war . -- Nanu , doch nicht ganz fort , Schnutchen ? Dann muß ich ja weinen !? -- Ganz fort . Weit weg . Aber frage nicht . Wir wollen noch einmal fröhlich sein . Er gab sich hier sonst gerne frivol , weil er fürchtete , im anderen Falle seine Jugend zu verraten , die ihn in diesem Hause immer etwas genierte , aber diesmal konnte er die jugendliche Feierlichkeit nicht verleugnen . -- Jetzt wird mir_es aber ängstlich , Schnutchen . Wer soll mir denn dann Verse vorlesen ? -- Du brauchst nicht so spöttisch zu sein . -- Aber nee , ich mein's ernst , auf Ehre . Ich kann sie ja auswendig ! Und sie deklamierte mit unverstellter Genugtuung : Wie jene Ritter in der alten Zeit , Die für die Liebe stritten todbereit , Streit ich für Dich und Deine Edelheit . Ich liebe Dich und glühe mich Dir an , Vor Deinen Füßen liege ich , sieh mich an , Ein Knabe bin ich , küsse mich zum Mann ! Nein , bin kein Knabe ! Denn ich weiß durch Dich , Was Liebe ist , Dein Blick erweckte mich , Darum singe ich Dank Dir heute und ewiglich ! Zweites Buch , viertes Kapitel . -- Siehst Du , ich kann es ganz auswendig ! Stilpe war selig . Seine Verse klangen ihm aus diesem Munde wie der Inbegriff aller Poesie , und er fiel dem Mädchen heiß um den Hals . -- Rotwein ! Champagner ! Und Zigaretten ! -- Aber Schnutchen , hast Du denn soviel Geld ? -- Ja , ja , massenhaft ! Laß nur kommen . -- Nee , Schnutchen , laß das doch die alten Onkels machen . Ein paar Glas Bayrisch tut es bei Dir schon . -- Nein , nein ! Heute müssen wir Wein trinken ! Weißt Du , eine Orgie feiern ! Eine Orgie ! Weißt Du , was das ist ? -- Ja , ja , so was Verrücktes . Aber wozu denn ? -- Mache ! Mache ! Ich habe nicht lange Zeit . Ich muß fort . Bestelle nur ! . . . Ach so , vorausbezahlen ? Da , da ist Geld . Er gab ihr sein ganzes Portemonnaie . -- Gehört das ganz meine ? Stilpe erschrak sehr . Aber er faßte sich und sagte mit edlem Anstande : -- Wie Du willst . Aber dann kann ich nicht reisen . -- Gott , bist Du ein anständiger Junge ! sagte das Mädchen und gab ihm das Portemonnaie zurück . Diesmal ärgerte ihn das Wort Junge nicht . Der Wein nahm seiner Stimmung den Rest von Gedrücktheit . Zwar wollte sich durchaus nicht das entwickeln , was er eine Orgie nannte , denn das Mädchen bemutterte ihn heute noch mehr als sonst , aber wenn er auch nicht tanzte , so lief er doch recht lebhaft in dem kleinen Zimmer , soweit es nicht Bett war , auf und ab . -- Wenn Du wüßtest , was ich vorhabe ! Wenn Du wüßtest , wohin ich reise ! -- Na , so sag mir doch . Er blieb stehen und sah sie ekstatisch an . -- Ja ! Wenn Du mir versprichst , mit mir zu reisen ! -- Ja . wenn Du bei Mutter Zanken meine Schulden bezahlst . -- Wieviel sind es ! -- Na , bloß so dreihundert Märker . -- Herrgott ! Dreihundert ! Nein , das kann ich nicht . Oder ! Halt ! Warte Mal ! Und er stürzte sich auf seinen Koffer und brachte die Uhren und Ringe ans Bett . -- Da , was kriegt man dafür ? Erstes Buch , viertes Kapitel . Martha kniete sich im Bett auf und breitete die Tauf- und Konfirmationsgeschenke von weiland Wiehr junior vor sich aus , hübsch eins neben das andere ; es gab eine lustige Reihe , die im Lichte der roten Bettampel verstohlen blinkte . -- Das kann schon zweihundert Mark geben , wenn Du Dich nicht beschummeln läßt . Sie sah die Sachen verliebt an , steckte sich die Ringe an die Finger , schüttelte die Uhren und hielt sie ans Ohr und ließ die Diamanten der Busennadel leuchten . Plötzlich warf sie den Kopf zurück , daß die langen blonden Haare von den Brüsten weg über die Schultern fielen und fragte erstaunt : Ja , wo hast Du denn die Sachen her ? Stilpe überlegte . Sollte er_es sagen ? Hatte sie sich damals nicht so verdammt moralisch gehabt ? Aber jetzt steht die Sache doch anders . Das Zeug liegt auf dem Bette und gehört beinahe schon ihr . Ob sie da nicht . . ? . . Aber er zögerte doch und sagte bloß : Alte Tauf- und Konfirmationsgeschenke . -- Und das willst Du verkaufen ? Das ist aber nicht schön von Dir ! Was ? Schon das fand sie Unrecht ? Das em Porte ihn förmlich , es kam ein Gefühl von Zorn über ihn , und zugleich regte sich etwas wie Furcht . Er wurde mit einemmal irre . Aber , wart , nun gerade soll sie_es wissen , diese elende Duckmäuserin . Das wird einen Effekt geben ! Ob sie das Zeug aus dem Bette und mir vor die Füße wirft ? Und er erzählte ihr ganz kühl , daß er die Sachen gestohlen habe und wem sie gehörten . Sie sah ihn bloß erstaunt an und schüttelte den Kopf . Dann sagte sie langsam und wie ungläubig : Nein . . ! . . Du . . ! . . Das . . ? . . -- Ach mache kein solches Gehabe . Es ist so , und ich finde gar nichts dabei . Jetzt sprang sie aus dem Bette und faßte ihn an den Schultern : -- Aber , Junge ! Was ist denn mit Dir los ? Du bist doch kein so gemeiner Kerl ! Herr du mein Gott , wie kommst Du denn auf so was ! Sie sagte das fast tonlos und mit einer ganz anderen Stimme , als er an ihr gewöhnt war . Es ging ihm durch und durch . Mit einemmal fühlte er , daß er etwas Gemeines getan hatte . Zweites Buch , viertes Kapitel . Hätte sie nur im Geringsten was pathetisches gesagt oder getan , er würde ihr ins Gesicht gelacht , und , wenn sie etwa Miene gemacht hätte , Lärm zu schlagen , alles geleugnet haben . So aber war_es wie ein Urteil , wie eine Verdammung . Er mußte auf den Boden sehen und fühlte sich gedemütigt , ohne sich dagegen aufzulehnen . Was sie nun noch sagte , war eigentlich überflüssig und schwächte den Eindruck der ersten Worte eher ab . Aber er ließ Alles über sich ergehen und sagte nichts dazu . Sie legte durchaus den Hauptton darauf , daß er den alten Leuten das genommen hätte , was ihnen das Liebste war . Sie sagte das nicht in feinen und gefühlvollen Worten , sondern fast roh und ungeschickt . Immer wieder kam das Wort : So eine Sünde , und gar nichts dabei zu fühlen ! Er wagte nicht ein einziges Mal aufzusehen , und ihre Hände auf seinen Schultern fühlte er wie eine unerträgliche heiße Last . -- Was soll ich aber nun tun ? sagte er ganz verzweifelt , wie sie schwieg . -- Gleich Alles wieder hintragen ! Alles sagen ! -- Das geht nicht ! Und nun erzählte er ihr , schluchzend und unfähig , seine Tränen zurückzuhalten , Alles , was er vorhatte , Alles , was ihm geschehen war , Alles , was ihn drückte . Das machte weniger Eindruck auf sie . Sie verstand es nur unklar , aber das Davonlaufen begriff sie . -- Fahre hin , wo Du willst , wenn Du nicht mehr in die Schule gehen magst . Sie erwischen Dich doch bald . Aber das Zeug da nimmst Du nicht mit . . . Nein . . . So ein Junge ! Gott_sei_Dank , daß Du zu mir gekommen bist ! Denke bloß : Später ! Wenn Du_es gefühlt hättest , was Du getan hast . . . Herr du mein Gott , so ein Unglück ! Du wärst ja ein Lump geworden , Junge ! Gott weiß , was Du noch Alles angerichtet hättest ! Mord und Totschlag ! Wahrhaftig ein Glück , daß der andere Bengel nicht gekommen ist . Sonst hätte ich Dich nicht hier . Es beleidigte ihn gar nicht , daß sie ihn so in aller Deutlichkeit als Junge etc. traktierte . Er war vollkommen mürbe . Nach langen Beratungen kamen sie schließlich überein , daß er die Nacht noch hierbleiben sollte ( denn er fühlte sich nun unfähig zu jedem anderen Zweites Buch , viertes Kapitel . Vorhaben , als eben hier zu sein ) ; am nächsten Tage möge er dann getrost nach Griechenland oder Kamerun fahren ; sie aber werde die Sachen einpacken und mit einem Brief , den er schreiben müsse , an die Adresse der alten Wiehrs schicken . Der Brief lautete : Lieber Vater und liebe Mutter Wiehr ! Seien Sie mir nicht böse , daß ich ohne Abschied von Ihnen fortgegangen bin und nahe daran war , eine große Schlechtigkeit zu begehen . Ich hoffe , Alles gut machen zu können , und bitte Sie , meinen Eltern nichts von dem zu sagen , was ich beinahe begangen hätte . Lassen Sie mich nicht verfolgen und melden Sie mich in der Schule ab . Es dankt Ihnen für alles Gute , was Sie ihm , dem Unwürdigen , getan haben , Ihr Pflegesohn W. St . Die Schlußsätze des Briefes waren eigenste Hinzufügung Stilpes . Sonst war der Brief nicht eigentlich nach seinen Intentionen . Er hatte ihn zerknirschter und umfangreicher angelegt , mit einer 11 großen Diatribe gegen das Geschlecht der Gymnasiallehrer als Mittelstück , aber das Mädchen wollte nichts davon wissen . Als aber der Brief geschrieben war , fingen beide an , vergnügter zu werden , als vielleicht die Leute glauben , die da nicht wissen , zwischen welch fernen Gegenden die Schaukel in der Seele mancher Menschen hin und her schwingt . Denn Himmel und Hölle , Reue und Wollust liegen zuweilen nicht weiter von einander entfernt , als die Lippen zweier Menschen , die sich küssen . Fünftes Kapitel . Die Oberprima des Königlichen Gymnasiums einer kleinen sächsischen Industriestadt war ausnahmsweise Sonnabend Nachmittag in die Schule berufen worden , weil der Geheimrat Ammer , der als Königlicher Kommissarius die bevorstehende Abiturientenprüfung zu überwachen hatte , mit dem Wünsche hervorgetreten war , die Kandidaten schon zuvor persönlich kennen zu lernen . Er hatte sich mit ihnen in einer sehr freundlichen und schmeichelhaften Art unterhalten , nämlich gar nicht so , wie es die Art der Lehrer war , sondern in der gewinnenden Manier eines älteren Freundes etwa , der seinen Vorsprung an Jahren und Reife als nebensächlich behandelt und ein Verhältnis von Vertraulichkeit zu schaffen oder wenigstens vorzutäuschen sucht , soweit dies möglich ist . Er 11 * hatte sogar " Meine Herren ! " gesagt . Und statt der Vorprüfung , die man befürchtet hatte , war es wirklich bloß eine Art Unterhaltung gewesen , bei der der Geheimrat jeden Anschein von Examinieren vermieden hatte . Die Oberprimaner verließen das Schulgebäude also mit stolz erhobenen Häuptern , auf denen hellrote Mützen meist sehr weit nach hinten gerückt saßen . Diese Mützen hatten die Form von umgedrehten kleinen niedrigen Näpfchen , nur drei der jungen Leute trugen solche von anderer Fasson , nämlich breite , hinten etwas nach abwärts gedrückte Deckel . Diese drei Schlappdeckel , wie die anderen sie nach ihren Mützen nannten , gingen in sehr eifrigem Gespräche abgesondert . -- Eigentlich war_es etwas gewagt von Schaunard , ausgerechnet die beiden Gracchen als seine Lieblings-Römer zu nennen , nachdem der Hohe Rat ihn wegen Sozialismus und Atheismus schon Mal hat schwenken wollen , sagte der Eine , ein untersetzter Bursch mit schläfrigen , aber nicht geistlosen Augen und einem bereits sehr dichten Schnurrbart . -- Aber mein süßer Rodolphe ! Du geruhst immer noch , Dich um drei Gramm dümmer zu Zweites Buch , fünftes Kapitel . stellen , als wofür Du uns hältst . Du weißt so gut wie wir , daß Schaunard ein Psychologe von vielen Geraden ist . Er hat diesen vortrefflichen Geheimrat bloß sehr gut erkannt . Denn siehe da : Schon ist er zu einer Privataudienz zurückbehalten worden ! Der das sagte , war ein dürrer brünetter Mensch mit einer sehr schönen Nase und wunderschönen braunen Augen , die leider hinter sehr starken Klemmergläsern saßen . Er ging etwas gebückt , aber nicht aus irgend einem körperlichen Grunde , sondern aus philosophischer Koketterie . Es wäre ihm ein Vergnügen gewesen , buckelig zu sein . -- Marcel hat Recht . Schläue und abermals Schläue ! Heute hat Schaunard seinen Abitur gemacht , sage ich ! Das Backpflaumenmännchen hat sich in ihn verliebt und wird ihn trotz allen Konrektorahlen Gekrähes und Geheules durchschleppen . Wetten ? Der so sprach , war ein sehr jung und zart aussehender Jüngling , der sich aber ein bisschen renommistisch gebärdete und damit den knabenhaften Eindruck seiner Person zu verwischen suchte . Auffällig an ihm war seine Haarfrisur , die etwas an die napoleonische Zeit erinnerte , wo man es liebte , nach dem Vorbilde des Cäsaren die Haare ins Gesicht und über die Ohren zu streichen . Wer Mürgers Boheme-Buch kennt , wird , nachdem die Namen Rodolphe , Marcel und Schaunard gefallen sind , ohne weiteres wissen , daß sich dieser Jüngling des Spitznamens Colline erfreute . Diese Spitznamen waren übrigens in der Schule nicht allgemein gültig , sondern ein Reservatrecht des " Cénacles " oder der Vereinigung der vier Schlappdeckel unter sich , die , als zukünftige Dichter und Künstler , wie sie sich fühlten , sich das Cénacle in Mürgers Vie de Boheme zum Muster genommen hatten und sogar nach Möglichkeit die Ausdrucksweise ihrer Vorbilder nachahmten . Sie hielten sich , im Gefühle ihrer Zukunft , sehr exklusiv gegenüber den anderen Primanern , die eingestandenermaßen bloß Pastoren , Lehrer , Ärzte , Juristen , Offiziere werden wollten , und wurden dafür wieder von diesen als überspannt und lächerlich abgetan . Ihre bürgerliche Nomenklatur war diese : Rodolphe : Bruno Wippert , Marcel : Max Stössel , Colline : Ludwig Barmann , Schaunard : Willibald Stilpe . Zweites Buch , fünftes Kapitel . Stilpe war der Gründer des Cénacles und sein anerkanntes Haupt . Er war damals , nachdem er sich von Martha getrennt hatte , nicht gar weit gekommen . In Halle , das doch nicht auf der Route Leipzig-Athen liegt , hatte man ihn in einem Tingeltangel festgenommen , weil er in der Betrunkenheit unablässig laut und rhythmisch geschrien hatte : Auf die Polizei gebracht und nach dem Grunde dieser mathematischen Rezitation gefragt , hatte er auf die ihm drohende Nachprüfung in der Mathematik als einen höchst triftigen Grund hingewiesen und überdies gebeten , man möge ihm seine Logarithmentafel holen , die in der Untersekunda der Leipziger Domasschule Zötus B auf seinem Platze liege , unten auf der letzten Bank rechts . Damit hatte er sich zur Genüge als der durchgebrannte Gymnasiast aus Leipzig legitimiert , dessen Signalement auch auf der hallischen Polizei eingetroffen war . Was sich dann begeben hat , bleibe im Schatten der Vergessenheit , wie auch Stilpe selbst nie mehr daran dachte . Denn er liebte unangenehme Erinnerungen wenig und besaß ein ausgesprochenes Talent dafür , fatale Dinge zu vergessen . Es fehlte nicht viel , daß er damals wirklich , aber nicht in Athen , die Stelle eines Sekretärs , aber nicht bei einem Privatgelehrten , erhalten hätte . Der verzweifelte Lepidopterologe wollte ihn durchaus als Schreibgehilfe bei der Magistratskanzlei in Leißnig anketten . Aber den Bitten der Mutter und den guten Urteilen über Willibalds Begabung , die einer seiner Leipziger Lehrer abgab , gelang es , den Vater zu einem letzten Versuche zu bewegen . So kam Stilpe an das eben begründete Königliche Gymnasium der kleinen Stadt , in dem er es jetzt wirklich bis zum Oberprimaner gebracht hatte . Auch hier war sein Studiengang nicht ohne Fährlichkeiten abgelaufen , denn die Lehrerkonferenz bedachte ihn mit ausgezeichnetem Mißtrauen , indem sie ihn bald für einen Freund wüster Zechgelage Zweites Buch , fünftes Kapitel . und bedenklicher Mädchen , bald für einen Propagandisten gemeingefährlicher Ideen ansah . Aber er war klug geworden . Ohne nach dem Ruhme eines Musterschülers zu geizen , aber auch ohne sich irgend etwas abgehen zu lassen , was er zu seinem Wohlbefinden für nötig hielt , lenkte er das scharf beobachtete Schiff seiner Schülerexistenz geschickt zwischen allen Präzeptorenklippen hindurch , indem er aufs Genaueste die Taktik befolgte , sich aller offenkundigen Manifestationen seiner Privatvergnügen zu enthalten . Er war , wie er es selber einmal in seinem immer üppiger werdenden Tagebuch ausdrückte , " zur Höhe eines vorsichtigen Kynikers emporgestiegen " . Was er seine Orgien nannte , feierte er in Leipzig , und den verbotenen Ideen frönte er still für sich , ohne etwa in deutschen Aufsätzen , wie damals als " biederer Sekundaner " , davon etwas merken zu lassen . Vielmehr kultivierte er jetzt in seinem Schul-Aufsätzen , deren Gewandtheit und Schwung sogar anerkannt wurde , eine virtuosenhafte Jongleurkunst mit wohlgebauten Phrasen , in die er nur die bestakkreditierten Meinungen silbern und golden einspann . Zum Glück lernte er in den drei bereits genannten Kameraden Leute von ähnlichen Neigungen kennen . Zwar achtete er sie nicht für seiner ebenbürtig , ja er hatte sogar ein stilles Mitleid mit ihnen , weil sie , wie er bemerkte , noch " einige biedere Züge von Wohllöblichkeit " hatten , aber er fühlte es doch als einen sehr angenehmen Zufall , daß er in ihnen " Instrumente fand , auf denen er spielen konnte " . Colline-Barmann war seine Baßgeige , Marcel-Stössel sein Fagott , Rodolphe- Wippert seine Trommel . Natürlich empfanden sich die Drei selber als beträchtlich mehr , und er seinerseits ließ es ihnen nur selten merken , daß er " auf ihnen spielte " . Auch liebte er sie in einem gewissen Sinne wirklich . Einer ganz hingebenden Freundschaft war er zwar nicht fähig , aber die Frivolität seines zur Schau getragenen Zynismus gegenüber diesen Freunden war doch zum guten Teile bewußt angeschminkt . Zuerst begann die Vereinigung der Vier mit einem literarischen Zirkel , " Lenz " genannt . Dieser Titel galt in zweierlei Bedeutung . Einmal in der , wie ihn die Lyriker als Synonym für Zweites Buch , fünftes Kapitel . Frühling verbrauchen , und dann in der des Namens ihres literarischen Hauptheiligen . Denn sie lasen damals ausschließlich Dichtungen der Sturm- und Drangperiode . Dann schoben sich Ibsen und die Russen , dann Zola und der Naturalismus ein , und nun wurde aus dem Lesezirkel , wo man mit verteilten Rollen " Die Kindermörderin " , " Sturm und Drang " , " Der Hofmeister " gelesen hatte , ein Debattierklub , wo man vor allem " Herrn Schillinger " , den Dichter " des pp. Wallenstein " , vernichtete und Vorträge folgender Art hielt : " Die Wahrheit als einziges Prinzip der Kunst " , " Inwiefern Naturalismus und Sozialdemokratie Parallelerscheinungen sind " , " Emile Zola und Henrik Ibsen : Die Tragesäulen der neuen Literatur " , " Worin liegt die Gemeingefährlichkeit des sogenannten Idealismus ? " Zu dieser Zeit waren die Vier sehr rabiat . Ihr zweites Wort war : Konsequenz . Gewisse Namen durften , bei hohen Strafen , bis zu zwanzig Pfennigen , unter ihnen nicht genannt werden , so Paul Heyse und Julius Wolf . Wer es wagte , " Schiller und Goethe " zu sagen , statt " Goethe und Schiller " , mußte , da gab es kein Erbarmen , Tabak für alle Vier auf einen Monat kaufen . Aber auch Goethe galt nur für voll , " insoweit er nicht Geheimrat war " . Das war sogar statutenmäßig festgelegt . Shakespeare wurde fortwährend und mit besonderer Ehrerbietung genannt , aber doch mehr als " merkwürdiges Phänomen eines frühen Naturalismus . " Denn es stand ihnen fest , daß die eigentliche Literatur jetzt erst begänne , und Stilpe führte den Gedanken mit Vorliebe aus , daß man jetzt in dem wirklichen Sturm und Drang stehe , aus dem der " neue und ganze Goethe " hervorgehen werde . Wenn man ihn dann höhnisch fragte , ob er vielleicht Lust habe , diese Rolle zu übernehmen , so grinste er mit sichtlicher Anstrengung und sagte : Vor der Hand sind wir Alle bloß Teig . Das Leben wird uns erst kneten und backen . -- Du aber hast die großen Rosinen , entgegnete ihm darauf Stössel . -- Und Dir fehlt es an Salz , revanchierte sich Barmann aber ließ etwas von " zukünftigen Dreierbroten " vernehmen , und Wippert meinte , auch Hundekuchen sei ein Backwerk . In diesem Stile bewegten sich die Verhandlungen des Debattierklubs , wenn man aufs Person Zweites Buch , fünftes Kapitel . liche kam . Sonst war die Ausdrucksweise trotz der naturalistischen Tendenz mehr auf höhere Tropen bedacht . Aber eines Tages , es war ganz zu Anfang des Oberprima-Jahres , begann Stilpe in einem neuen Stile und von anderen Dingen zu reden . Er baute fürchterliche und schnöde Hyperbeln , fand den " Naturalismus in Worten " lachhaft , fragte , ob es " in diesem Neste " nicht ein Trictrac gebe und erklärte , die famoseste Mädchenfigur der Weltliteratur sei Mamsell Musette . Dazu kamen die Worte : Nasenwärmer , Boheme , Cénacle und eine große Menge französischer Flüche . Auch trug er fortwährend ein kleines Buch aus der Reklamebibliothek mit sich herum , das er sein Brevier nannte . Eine Woche später sah man aber an dessen Stelle ein anderes , französisches . Er sagte : Ich lese jetzt meine Bibel im Urtext . Durch diese Geheimthuerei voll herablassend abgegebener Andeutungen fühlten sich die Anderen beleidigt , und es wäre fast zu einem Bruch ge kommen , denn Stilpe behandelte sie im Grunde wie kleine Knaben , die nicht wissen , was ein Mädchen ist , da rückte der Adept endlich mit seinem Mysterium heraus , indem er eine Versammlung mit einem Schreiben einberief , das folgenden Wortlaut hatte : Die ehrenfesten und rühmlichst bekannten Säulen des königlich sächsischen Gymnasialnaturalismus zu . . . werden hiermit so höflich wie dringend eingeladen , in der bescheidenen Behausung des unterzeichneten Renegaten und Müsettisten Schaunard , weiland Stilpe , zu erscheinen und außer zwei Steinguttellern mit Zwiebelwurst und Muldekaviar einen Vortrag entgegenzunehmen , dessen Titel und Thema ist : Der Müsettismus als einzige und eigentliche Künstlerreligion , nachgewiesen an dem klassischen Werke wahrer Künstlerfreiheit und Laune : Scenes de la Vie de Boheme par Henry Murger . Zweites Buch , fünftes Kapitel . ( NB . ! Das Werk wird auch in einer Übersetzung herumgereicht , und im Urtext sind die schwierigeren Vokabeln in deutscher Übersetzung beigeschrieben . ) Nach beendigtem Vortrag wird der Unterzeichnete sich die Freiheit nehmen , zu beantragen was folgt : Der naturalistische Debatterklub wird aufgehoben , und an seine Stelle tritt Das Cénacle der vier Schlappdeckel . Zur Leitung der unausbleiblichen Debatte wird der ehrenwerte Naturalist Barmann berufen , falls er sich für die Dauer dieses Ehrenamtes seiner ihm angeborenen Grobheit zu enthalten verspricht , die vielleicht einem Naturalisten , nicht aber einem zukünftigen Cenaclier angemessen ist . NB . ! Vier Pariser Nasenwärmer sind heute eingetroffen und stehen , aber erst nach Konstituierung des Cénacles , zur Verfügung . NB . ! Der Unterzeichnete hat sich in Anbetracht des ungewöhnlichen und wichtigen Ereignisses in Unkosten gestürzt und vier Flaschen Bontet Canet ( Marke : Le petit bleu ) herbeigeschleift . Doch wird man gebeten , Weingläser mitzubringen , da es stilwidrig wäre , Rotwein aus Bierseideln oder Kaffeetassen zu trinken . NB . ! Petita Molinarina wird die Honneurs der Schaunardschen Hütte machen , falls der gute Zufall , der Gott des künftigen Cénacles , es so einrichten sollte , daß die schauderhafte Mutter des erfreulichen Mädchens zur Zeit der Feierlichkeit nicht zu Hause wäre . NB . ! Da die Schildkröte des Unterfertigten , deren Intelligenz so häufig als überlegenes Gegenstück zu der des Hüh-Wüh- Konrektors anerkannt worden ist , sich leider entschlossen hat , seit vergangener Nacht als Leiche zu existieren , so erscheint es angemessen , sie künftig als Symbol des verewigten naturalistischen Debattierklubs in pietätvollen Ehren zu Zweites Buch , fünftes Kapitel . halten . Sie wird in einer rosa auswattierten Zigarrenkiste als Tafelschmuck funktionieren . NB . ! Man spanne seine Erwartungen hoch ! Schaunard . Da man das Muster dieser Einladung nicht kannte und überhaupt lauter Rätseln gegenüberstand , so wirkte das Schriftstück auf die Drei ungewöhnlich stark . Völlig verblüfft war man aber , als man , der Einladung folgend , Stilpe erblickte . Er präsentierte sich nämlich in Unterhosen und Frack . Im Munde hatte er eine kurzgebissene rotbraune Tonpfeife , und sein ganzes Benehmen war ungemein zeremoniell und feierlich . -- Petita Molinarina kann leider nicht gereicht werden . Diese beklagenswerte Bourgeoise hat sich an meinen Unterhosen gestoßen und war nicht dahin zu bringen , zu begreifen , daß diese nur als Surrogat für weiße Nangkingpantalons anzusehen und damit nicht nur entschuldigt , sondern geradezu in die Sphäre des Schönen und Wohlanständigen erhoben sind . Dafür ist die Schildkröte mit der 12 ganzen Würde eines amphibischen Leichnams zur Stelle . Sie darf betrachtet werden , und ich bitte zu bemerken , wie sie im Tode noch mehr den rührenden Zug einer Familien- und Intelligenzverwandtschaft mit Sr. Brüllenz Hüh- Wüh hat . Da auch der Rotwein keine Fiktion war , so stand einer fröhlichen Sitzungseröffnung nichts im Wege . Barmann übernahm mit einem geharnischten Proteste gegen den Vorwurf der Grobheit den Vorsitz . Seine Eröffnungsansprache , die er ohne Zweifel auswendig gelernt hatte , schloß schwungvoll so : -- Und nun möge Stilpe , den wir einstweilen noch so und nicht anders nennen wollen , seinen Vortrag halten , an den sich ein so wichtiger Antrag knüpfen soll . Ich bin beauftragt , ihm zu erklären , daß wir ernstlich indigniert sein werden , wenn sich seine Machination ( Stilpe : Oho ! ) als Frivolität entpuppen sollte . Wir sind bereit , uns überzeugen zu lassen , aber wir werden entschieden und scharf Front machen gegen jeden Versuch , unsere augenblicklichen Prinzipien ( Stilpe : Sehr gut ! ) nur mit den billigen Waffen seichten Witzes ( Stilpe : Zweites Buch , fünftes Kapitel . Tautologie ! ) anzugreifen . ( Stössel und Wippert : Bravo ! ) Stilpe hat das Wort ! Stilpe erhob sich und machte jedem Einzelnen , zuerst dem Vorsitzenden , eine tiefe Verbeugung , wobei er beide Hände auf den Bauch legte . Dann fuhr er sich mit entschlossenen Fingerkammstrichen durch die Haare , schleuderte seinen Zwicker ( sämtliche Schlappdeckel trugen schwarze Hornzwicker mit sehr breiten Bändern ) wie etwas überaus Lästiges von sich und begann : Meine Herren Naturalisten ! Gleich vier Edelaustern unter unzähligen Massen niedrigen Kümmelkäses , harter Picklinge , gekrümmter Sardellen und anderer Mopdelikatessen verwandter Art befinden wir uns in dieser schäbigen Industriestadt und versuchen es , wenigstens unter uns den Sinn für Geistiges zu kultivieren . Wir haben zuerst das denkwürdige Lesekränzchen " Lenz " gegründet und unterhalten , indem wir uns an den kühnen , wenn auch künstlerisch mangelhaften Bestrebungen der Sturm- und Drang-Dichter erbauten , die unter dem Rousseaurufe " retournons à la Natur " den Limonadenteich der damaligen Modeliteratur mit riesigen Klumpen Edel 12 * Metalls aus dem Schachte ihrer Seelen ausfüllten und damit beseitigten . ( Wippert : Ist das Bild von Dir ? Stilpe : Ich gebe nur eigene Münze aus und verbitte mir im Übrigen Zwischenrufe von beleidigender Fraglichkeit . Barmann : Die Kritik der Zwischenrufe steht bei mir . Stilpe macht drei Verbeugungen vor der Person des Vorsitzenden . ) Nachdem wir damit zu Ende waren und keine Lust verspürten , die deutschen Klassiker , die im Pennal ohnehin genug malträtiert und zu Popanzen der Langeweile mumifiziert werden , auch unsrerseits privatim zu traktieren , haben wir uns , mitgerissen von der modernen Sturm- und Drangbewegung , entschlossen , den Lesezirkel Lenz durch einen naturalistischen Debattierklub abzulösen . Wir haben die Hauptwerke der nordischen , französischen , russischen und deutschen Naturalisten nicht allein gelesen , sondern auch in heißen Debatten eingehend besprochen , und wir haben so , während unsere biedere Lehrerschaft von der Existenz einer solchen Literaturbewegung nicht viel mehr weiß , als eine Hebamme von unser lieben Frau Aspasia ( Allgemeines Bravo ! Ausgezeichnet ! Famos ! ) , in uns Alles aufgenommen , was heute in der Literatur Zweites Buch , fünftes Kapitel . aller Völker bewegend ist . Wir können , wenn uns auch bei dieser Gelegenheit einige unregelmäßige Verba im Griechischen entfallen sein sollten ( Stössel : Man denke ! ) , auf diese Tatsache stolz sein , denn wir haben nach dem ewig zitierten , aber sonst nie befolgten Satze gehandelt : Non scholae , sed vitae discimus ( Barmann , sehr laut : Jawohl ! Haben wir auch ! Stilpe : Gewiß , haben wir ! ) Wem aber soll unser Leben dienen ? Irgend einem dieser sackleinenen " wissenschaftlichen " Broterwerbe , als da sind : Die Lehre , den Menschen juristisch zu verblöden , die Lehre , den Menschen theologisch zu kastrieren , die Lehre , den Menschen medizinisch zu vergiften , die Lehre , den Menschen philosophisch zu benebeln , die Lehre , den Menschen philologisch zu schweinsledern ? Bei allen schönen Mädchen und guten Geistern , wir rufen : Nein ! Sapristi ! Nein ! ( Tosender Beifall . Barmann schwingt die Arme . ) Unser Leben soll der Kunst dienen ! Wir wollen Dichter werden ! ( Gläserklingen . Hörbare tiefe Schlucke . Stilpe lächelt . ) Aber eben darum , meine lieben Debattiernaturalisten , müssen wir jetzt unseren Debattier Club auflösen , dem Naturalismus Lebewohl sagen und den Müsettismus proklamieren ! ( Alle möglichen Rufe durcheinander : Wieso !? Was ist das !? Nur nicht so fix !? Wo hast Du denn das her ? ) Und nun erging sich Stilpe in einer Schilderung der Mürgerschen Boheme , als eines Musters für alle künstlerischen Seelen , die nicht bloß von Kunst reden , sondern Kunst leben wollten . Natürlich sei " dieser Haufen Steine hier " nicht Paris , und sie selber seien ja noch für elf Monate " Geisteigene verschiedener patentierter Knabenerzieher " , aber der Grundgedanke dieses vorbildlichen Lebens : Die Verbindung von Kunst und Genuß , von revolutionärem Streben und " Lachesinn " ( das Wort wurde beanstandet ) , kurz das , was er Müsettismus nenne , der müsse und könne gepflegt werden . Um praktisch zu reden : Man müsse , statt über Naturalismus zu debattieren , in fröhlichen Zusammenkünften brav trinken und eigene Lieder singen , man müsse sich entsprechende Mädchen beilegen , kurz man müsse nicht bloß in Worten , sondern in Werken " bald zwanzig " sein . So erst werde Zweites Buch , fünftes Kapitel . man sich dem zukünftigen Berufe recht vorbilden : Et nous chanterons à la ronde , Si vous voulez , Que je l'adore , et qu' elle est blonde Comme les bles ! Stilpes glutvolle Rede und zumal die Zitate aus dem Zigeunerleben wirkten absolut überzeugend , und der Antrag auf Gründung des Cénacles wurde mit ungewöhnlicher Begeisterung durch Akklamation angenommen . -- Vive le cénacle ! Vive le cénacle ! Stilpe konnte die eigentliche Sitzung mit der Verteilung der " Nasenwärmer " schließen , aus denen innerhalb einer Viertelstunde solche Massen von Tabakrauch produziert wurden , daß man die Notwendigkeit einsah , morgen in die Schule andere Röcke anzuziehen . -- Vive le cénacle ! Vive le cénacle ! Das Cénacle schloß die vier Schlappdeckel noch viel enger aneinander , als es die früheren Vereinigungen getan hatten . In diesem Müsettistenklub lagen denn doch noch ganz andere Reize und Hilfsmittel der Freundschaft als in jenen Deklamier- und Debattier-Zirkeln . Zwar waren auch jene unerlaubter und daher verführerischer Natur gewesen , aber ihr Fehler war Einseitigkeit . Sie hatten die strotzende Fülle des Unerlaubten nicht kühn genug erschöpft . Stilpe hatte das sehr klar erkannt und mit den an seine Lektüre von Büchners Kraft und Stoff erinnernden Worten ausgedrückt : Wir haben an einer Hypertrophie der Zerebralbedürfnisse gelitten ; besinnen wir uns auf die -- Niederlande , ( hier hatte er gewartet , ob man seinen Witz verstünde ; da es nicht den Anschein hatte , fügte er erklärend hinzu ) -- : Wir müssen unseren werten Sinnen auch was zukommen lassen . Aber das war es nicht allein . Eine Hauptsuggestion lag in dem Worte : Paris . Die vier Oberprimaner spürten das Komische , das in ihrer Imitation lag , nur wenig ( bisweilen Zweites Buch , fünftes Kapitel . nämlich doch , anflugweise ) , aber sie empfanden es als etwas verteufelt Keckes und Unverschämtes , den Ausbund der französischen Künstlerschaft zu kopieren . Natürlich konnte die Kopie nicht sehr treu sein , aber das war ein Reiz mehr , daß sie ihre Muster in vielen Beziehungen wenden und drehen mußten . Sie trieben den verrücktesten Unfug . Die tote Schildkröte wurde allmählich ihr Wahrzeichen , indem sie sich daran erinnerten , daß eine Schildkrötenschale das Urmaterial zur griechischen Lyra abgegeben hatte . Da sie , was Tric-trac sei , nicht ausfindig machen konnten , und es ihnen höchst notwendig erschien , auch ihrerseits etwas zu spielen , das nicht an den üblichen Skat der deutschen Primaner erinnerte , so legten sie sich ein japanisches Brettspiel bei , das " die Gabe hatte , Jeden , der im Verdauen war , unfehlbar und höchst angenehm zu idiotisieren " wie Stilpe behauptete . Mit Eifer frequentierte man die sonntägigen Tanzvergnügungen auf den benachbarten Dörfern , die " Kuhschwöfe " , doch stellte es sich bald heraus daß sich dort nichts fände , was auch nur mit " Phemie Teinturiere " verglichen werden konnte , geschweige denn mit Mimi oder der völlig götzendienerisch verehrten Musette . Dafür verliebte sich Stössel in die Tochter eines Gerbers , Wippert in die eines Viktualienhändlers und Barmann , der immer was ganz Ausgefallenes haben mußte , in das boshafteste und häßlichste Mädchen der Stadt , die Tochter eines Arztes . Diese Liebschaften fand Stilpe allesamt blamabel , denn , so sagte er , selbst ein blindes Huhn sieht , daß sie irreparabel platonischer Natur sind . Dafür ging er selber ein vollkommen und zielbewußt unplatonisches Verhältnis mit dem Dienstmädchen seiner Wirtsleute ein , einem stämmig liebenswürdigen Wesen , das sich für ihn hätte vierteilen lassen , so verliebt war es in ihn . Er machte ganz heillose Gedichte auf dieses Verhältnis , und es gehörte zu den stürmischsten Augenblicken der Cenaclezusammenkünfte , wenn er diese freien Rhythmen losließ , die an Überschwänglichkeit Alles in den Schatten stellten , was den Schlappdeckeln an erotischer Lyrik bekannt war . Im Übrigen wurden die Cénacle Zweites Buch , fünftes Kapitel . Zusammenkünfte mit Theetrinken ( doch war viel Rum dabei ) und den ungeheuerlichsten Gesprächen ausgefüllt . Es durfte von Allem gesprochen werden , nur nicht von der Schule . Hauptsächlich sprach man von zukünftigen dichterischen Plänen . Stössel , der zugleich Musiker war , wollte Opern dichten und komponieren : Wißt ihr , Opern moderner Art , voll fabelhafter Sinnenfreudigkeit , ungeheuer umfassend , allegorisch , aber lebendig ! Mehr war darüber nicht zu erfahren , und wenn er am Klavier saß , Kamms immer auf die ungarischen Rhapsodien von Liszt heraus . Wippert hatte vornehmlich satirische Pläne . " Juvenalia " sollte sein erstes Werk heißen mit dem Untertitel : Ein Hechelepos in sieben Zinken . Jede Zinke sollte " einen Hauptstand der gegenwärtigen Ordnung strählen " . Die erste Zinke , in gereimten Hexametern , behandelte die Sippe der Gymnasiallehrer und begann so : Strähle mir , Zinke , den Mann , der schwitzend auf dem Katheder Mit höchsteigener Hand verteilt sein eigenes Leder ! Barmann hatte noch viel vom alten und neuen Sturm und Drang . Obwohl er am wenigsten von der wirklichen Welt wußte ( wie denn Alle , mit Ausnahme Stilpes , ziemlich unwissend in diesem Punkte waren ) , haßte er diese Welt doch mit einem sehr grimmigen Hasse und wollte ihr " in machtvoll wahren , meinethalben krassen Dramen einen Spiegel vorhalten , daß sie sich vor Selbstekel übergeben sollte . " Stilpe aber hatte so viel Pläne , daß niemand recht wußte , was er eigentlich vorhatte . Manchmal fühlten sie ihm höhnisch auf den Zahn : Ob er vielleicht immer bloß seine jeweiligen Betthasen besingen wolle ? Er aber antwortete gelassen : Wohl möglich ! Jedenfalls wird immer mein Prinzip sein : Erst leben und dann dichten ! Ich heiße doch nicht Müller von der Werra , sapristi ! Ich bin doch nicht bloß zum Skandieren da ! Das Dichten ist bloß Wiederkäuen des Genusses . Aber um wiederkäuen zu können , muß man vorgekäut haben . Verlaßt euch drauf : Ich werde enorm vorkäuen ! Die anderen fühlten instinktiv , daß er der Einzige unter ihnen war , der sein Programm sicher durchführen würde , und sie hatten deshalb viel Zweites Buch , fünftes Kapitel . Respekt vor ihm , obwohl sie auch nicht ohne Neid waren . So rollte das Jahr bis an die Schwelle der Abiturientenprüfung . Bis auf Stilpe waren die Schlappdeckel so ziemlich sicher , daß sie das Examen bestehen würden . Was aber ihn anging , so hatte Barmann recht gehabt , als er sagte , daß auch er jetzt so gut wie durchgekommen sei , da der Königliche Kommissarius ein so auffälliges Interesse für ihn an den Tag legte . Der alte Geheimrat Ammer hatte schon aus den deutschen Aufsätzen dieses " zwar begabten , aber sonst in mehr als einer Beziehung bedenklichen Schülers " , wie er ihm bezeichnet worden war , gesehen , daß Stilpe in der Tat ein merkwürdig frühreifer Kopf und überhaupt ein ungewöhnlich angelegter Jüngling sei . Die Probestunde mit den Abiturienten hatte ihm das noch deutlicher gezeigt . Er hatte die Primaner aufgefordert , ihm zu sagen , welche Männergestalten ihnen aus dem Altertum am nächsten stünden . Die Antworten lauteten durchgängig so , daß er sich über die völlige Gleichgültigkeit , die die jungen Herren gegenüber den antiken Männern empfanden , sehr klar wurde . Wie oft war Odysseus genannt worden , sogar Cicero dreimal ! Nur dieser Stilpe hatte die Kurasche gehabt , die beiden Gracchen zu nennen und " mit schöner Offenheit " , wie der Kommissarius meinte , zu erklären , sie seien ihm deshalb besonders lieb , weil sie ihn " fast modern anmuteten in ihren sozialpolitischen Forderungen " . Der Geheimrat machte sich sogleich ein Bild von der Entwicklung dieses ungewöhnlichen Jünglings , wie sie sich gestalten würde , wenn man ihn rechtzeitig und früh auf die richtigen Bahnen lenkte . Unzweifelhaft : Ein zukünftiger Publizist ! Jetzt natürlich noch unreif und verworren , eines Tages wahrscheinlich sozialdemokratischer Idealist , aber dann , immer eine geschickte Beeinflussung vorausgesetzt , wahrscheinlich einmal eine glänzende und feste Stütze der staatserhaltenden Institutionen ! Dieser alte Geheimrat war ein sehr kluger Herr und ärgerte sich im Stillen rechtschaffen über die Zweites Buch , fünftes Kapitel . Plumpheit , mit der sich die Lehrerschaften der verschiedenen Gymnasien die Gelegenheit entgehen ließen , Talente für den Staat zu erziehen , die den staatsfeindlichen Gewalten in der Hauptsache deshalb zum Opfer fielen , weil sie sich schon auf der Schulbank zu Revolutionären gestempelt sahen . Sein Bestreben war , wenigstens im letzten Augenblicke gut zu machen , was noch gut zu machen war . Daher auch sein Verhalten Stülpen gegenüber . Er behielt ihn , als die anderen Schüler fortgingen , zurück und machte den Weg in sein Hotel mit ihm zusammen . Dabei verhehlte er ihm nicht , daß seine Aussichten , das Examen zu bestehen , nicht eben glänzend wären , aber er ließ auch deutlich durchblicken , daß mancherlei zu seinen Gunsten in die Waagschale fiele . -- Nehmen Sie beim deutschen Aufsatz alle Kräfte zusammen ! Gelingt der Ihnen so gut wie die häuslichen Aufsätze , so haben Sie viel gewonnen . In der mündlichen Prüfung hoffe ich mir eine gute Leistung im Übersetzen aus dem Griechischen und Lateinischen ins Deutsche . Zeigen Sie , daß Sie den Geist der Alten schnell erfassen können ! Daß Sie so manches , zumal Mathe madig und alles Grammatikalische , so vernachlässigt haben , ist schlimm , sehr schlimm , aber , wenn Sie zeigen , daß Sie dafür anderen Dingen um so mehr Liebe entgegenbringen , dann wird sich das gelinder ansehen lassen . Und nun noch dies : Was Sie auf der Schule in Hinsicht der sittlichen Führung gefehlt haben , machen Sie das auf der Universität gut ! Wenn Sie , wie ich hoffe , auf unserer Landesuniversität studieren werden , so wird es mir eine liebe Aufgabe sein , Sie in den Augen zu behalten . Vergessen Sie das nicht ! Stilpe antwortete mit edler Offenheit und in gut zu Tage geförderten Sätzen , die eine heiße Dankbarkeit und tiefe Vorsatzname alles Guten schön erkennen ließen . Der Kommissarius : So sei es ! Ich hoffe , wir werden uns auch in veränderten Verhältnissen noch sehen und sprechen . Meine Anteilnahme für Sie gründet sich auf eine gute Meinung und wird so lange andauern wie diese . Denken Sie immer daran ! Es handelt sich um mehr als die Reifeprüfung . Stilpe ( sehr leise und mit einer fast zärtlichen Tonfärbung ) : Ich werde immer an diese gütigen Zweites Buch , fünftes Kapitel . Worte denken und bestrebt sein , mich ihrer würdig zu erweisen . Händedruck und ein tiefer Abwärtsschwung der Schlappmütze . Als der Geheimrat verschwunden war , setzte Stilpe seine Mütze nicht wie sonst auf den Hinterkopf , sondern tief in die Stirn . Er kam sich unendlich brav vor und stieß seine Vergangenheit energisch von sich . Kein Zweifel : Er würde das Examen bestehen ! Und mehr noch : Seine Zukunft war gemacht . Dieser Geheimrat hatte erkannt , was in ihm steckte , und es wäre ein Frevel , sein Vertrauen zu täuschen . Wer weiß , was er mit ihm vor hatte ! Offenbar ganz hohe Posten ! So etwa als literarischer Regierungssekretär oder . . . aber gleichviel : Irgend etwas sehr Angesehenes . Natürlich : Erst studieren , und zwar neben Kunstgeschichte und Literatur auch Jurisprudenz ! Seine alten Pläne waren durchaus versunken . Hier winkte Außerordentliches ! War 13 nicht auch Goethe Geheimrat und Minister gewesen ? Das war_es , was winkte ! Die Verbindung von Staatsmann und Poet . Sollte er etwa wie Lenz untergehen ? Nein : Seine Sturm- und Drangperiode war vorüber . Endgiltig . Hinter ihm Nebel des Wüstseins , vor ihm die breite , sonnenhelle Marmortreppe zu Einfluß und Ruhm und Reichtum . Oh diese Eselhaftigkeit , zu vergessen , daß ohne Reichtum Genuß undenkbar ist . Was wäre ich geworden ? Ein genialer Lump ! Eine hungrige Berühmtheit , nein , pfui Teufel , ein Literat ! Was hätte ich gehabt ? Nichts zu essen und mediokere Weiber , Nähmädchen , höchstens Choristinnen . Nun aber ! Stellung und Ansehen ! Mitten in den höchsten Kreisen ! Ach , diese aristokratischen Damen ! Alles an ihnen Schönheit und Eleganz , rauschende Seide , feinster Geist ! Er sah einen ganzen Hofball vor sich von nackten Schultern und Brüsten , Diademe in duff Zweites Buch , fünftes Kapitel . tenden Haaren , heiße Blicke hinter Straußfederfächern . Und er fing gleich zu dialogisieren an : -- Ah , Exzellenz , Ihr letztes Drama , wie herrlich ! -- Hat es Ew. Hoheit Beifall ? -- Ach , ich bin hingerissen ! Und die Herzogin sah ihn glühend an , diese Herzogin , die geistreichste Frau des Hofes , und so jung und schön ! Ah ! Ein ganzer Roman entzündete sich in ihm . Zuletzt lag er der Herzogin zu Füßen und küßte ihr die Knie , und sie neigte sich über ihn , und er küßte sie auf die . . . -- Höhe ! Schaunard ! Musterknabe ! Favorit ! Prima-Nota-Jüngling ! Die drei Schlappdeckel ! Ekelhaft ! Er machte ein ärgerliches Gesicht : -- Was wollt ihr !!! -- Na ! Na ! Na ! Stolz und grob wie ein Günstling ! -- Ich verbitte mir diese Albernheiten . -- Köstlich ! Er verbittet sich ! -- Er ver--bit--tet sich ! -- Unglaublich ! Weil ihm der Geheimrat die Hand gedrückt hat , ist er übergeschnappt . 13 * -- Das ist ein Zeichen von schwacher Zerebralkonstitution . -- Affen ! -- Hahahaa ! -- Er sieht förmlich frisiert aus . -- Guckt nur , wie er die Mütze aufhat ! -- Er hat ja einen Heiligenschein ! -- Sogar zweie , einen um den Kopf und einen um den Hinteren . -- Aber ein bisschen verblödet sieht er aus . -- Man könnte fast stupid sagen . Stilpe machte ein Zeichen der Verachtung , und zwar so : Er fuhr über die dünn stehenden schwarzen Haare seines Schnurrbartes und hustete dann in die Hand . -- Der reine Gesandtschaftsattache ! -- Ich glaube , der Geheimrat hat ihm einen Schwor abgenommen , Jurist zu werden . -- Habe wenigstens die Gnade , uns zu sagen , ob Du noch mit uns verkehren willst . Das sagte Stössel . Aber Barmann fuhr hinterdrein : -- Was ! Er ! Ob er will ! Ob wir wollen ! Das ist die Frage ! Ein Mensch , der offenbar zu Kreuze gekrochen ist ! Ein Renegat ! Zweites Buch , fünftes Kapitel . Wippert : Ein Feigling ! Barmann : Pater peccavi hat er gemacht ! Stoffel : Höre Mal , mein Lieber , Du hast wohl die beiden Gracchen zurückgenommen ? Barmann : Ja , und Cicero als Lieblingsrömer proklamiert , wie dieses Stint , der brave Müller-Emil ! Das war Stülpen zuviel . Dieser Vergleich wühlte seine ganze Natur auf , und er sprach : -- So ! Also bis zu dieser Niederträchtigkeit depraviert euch ein jämmerlicher Neid ! Wißt ihr , was ich getan habe ? Ich habe diesem Biedermann gesagt : Nicht die beiden Gracchen verehre ich am höchsten , denn das sind die Nationalliberalen des alten Rom , und sie kommen mir vor , wie zwei rot angemalte Zuckerstengel . . . -- Das hast Du nicht gesagt ! -- Beim Momus , das habe ich gesagt ! Und noch was habe ich gesagt : Mir imponiert überhaupt gar keiner in der ganzen alten Toga-Gesellschaft mit Ausnahme von . . . -- Von . . . !? . . Na . . . ? . . . -- Von Catilina ! -- Donnerwetter ! Ist der Kerl nicht in Ohnmacht gefallen ? -- Ach Der ! So ein Amphibium ! Habt ihr nicht bemerkt , daß er aussieht , als wenn er einem Aquarium entsprungen wäre ? Wenn man ihn grün anstriche , könnte man ihn von einem Laubfrosch nicht mehr unterscheiden . So sprach Schaunard . Sechstes Kapitel . Stilpe kam , während er sich auf das Abiturientenexamen vorbereitete , noch manchmal auf seine Hofdichterphantasien , wie er es nun nannte , zurück . Die Vorstellung , einmal eine Rolle in der großen Welt zu spielen und dabei Verhältnisse mit Herzoginnen anzuknüpfen , tat ihm zu wohl , als daß er endgiltig auf sie verzichten sollte . Aber im Ganzen erwies sich Henri Mürger doch stärker , als Geheimrat Ammer . Wenn sich beides vereinigen ließe ! war sein Lieblingsgedanke . Und er fabulierte sich auch diesen Gedanken . Warum sollte es nicht möglich sein ? Es kam lediglich auf den Potentaten an , mit dem er es zu tun haben würde . War nicht Karl August anfangs ein sehr fideler Bruder gewesen ? Hatte er nicht auch mit der Reitpeitsche geknallt ? Daß er schließlich so gräßlich ernsthaft geworden ist , wer war daran schuld , wenn nicht Goethe selber , der eben in sich den Geheimratskeim schon geerbt hatte von seinem Vater ? Goethe und Lenz in einer Person zu sein das war das Problem , das war das Ideal ! Indessen dachte er dabei doch mehr an Lenz , als an Goethe . Auch Günther , dem " sein Leben wie sein Dichten zerrann " , fiel ihm zuweilen ein , doch kannte er von diesem nichts . Aber er verehrte ihn sehr und nannte ihn oft , nur eben , weil Goethe so von ihm gesprochen hatte . -- Ein fabelhafter Kerl , dieser Günther ! dachte er bei sich , und er las oft , was Goethe über ihn geschrieben hat . Man sollte ihn eigentlich lesen . Na , später ! Überhaupt , er schob jetzt noch mehr auf , als es ohnehin seine Art war . Das Examen bedrückte ihn doch , obwohl er nicht mehr daran zweifelte , daß er durchkommen würde . Aber es blieb eine unangenehme Perspektive und fatal wie alles Unvermeidliche . Zweites Buch , sechstes Kapitel . Sein Haupttrost war Bertha , das Dienstmädchen . In Deinen blauen Augen , Schatz , Sind keine Wolken , Also sage ich : Es gibt Keine Wolken . Stössel machte eine Parodie auf diese freien Rhythmen : Unter Deinen tümpelbraunen Augen , Schaunard , Sind schwarz-grüne Wolken , Also sage ich : Du bist Eine schwarz-grüne Wolke . Und das war richtig : Stilpe sah sehr schlecht aus , so schlecht , daß man wirklich glauben konnte , er überarbeite sich wegen des Examens . Er fand das riesig interessant und gewöhnte sich überdies an , die Lippen nach unten zu ziehen , um das Ansehen beständiger Weltverachtung zu haben . Freilich stimmte das nicht zur Heiterkeitsdevise des Cénacles , aber eben das war wieder paradox , und das Paradoxe hielt Stilpe damals für die Hauptsache . Das Examen kam heran . Alle Vorbereitungen waren getroffen . Die Übersetzung ins Griechische abonnierte er bei Wippert , die ins Lateinische bei Barmann , die Mathematikaufgabe bei Stössel . Es war sehr gut , daß für jedes Manco seiner Schultüchtigkeit im Cénacle Rat geschafft werden konnte . -- Wir sind die reinen Freimaurer , sagte Stilpe , wir lassen keinen *** Bruder bankrott gehen . Es lebe Musette ! Es lebe der Kommunismus der überflüssigen Kenntnisse ! Schade , daß ich euch gar nichts dagegenbieten kann . Höchstens , daß Barmann von meinem französischen Stile zehren könnte . Aber Barmann verzichtete und meinte , er könne seine grammatikalischen Fehler alleine machen . Und es ging Alles gut vorüber , obwohl Stilpe die Mathematikaufgabe sogar falsch abschrieb . Dafür errang er einen Triumph im deutschen Aufsatz , der das tiefe Thema behandelte : Wie befreite sich Goethe von den Fehlern der Sturm- und Drangperiode ? Zweites Buch , sechstes Kapitel . Hei , wie da Stilpe ins Zeug ging ! Er war ganz Hofpoet , ganz Harmonie , ganz " Weltauge " . Ohne es sich merken zu lassen , natürlich , identifizierte er sich während der fünf Stunden , da er seine Perioden baute , völlig mit Goethe und endete mit einem feierlichen Panegyrikus auf Karl August , der gleichfalls " aus Sturm und Drang emporgedieh zur fürstlichen Ruhe schönheitbeschirmender Macht " . So gut hatte er den königlichen Kommissarius verstanden . Auch im mündlichen Examen ging Alles vortrefflich , und das Ende war , daß Stilpe mit Note 2 b das Zeugnis der Reife zum Universitätsstudium erhielt . Eine große Cenaclefeier schloß sich der Verkündigung der Examenergebnisse an . Man trank lediglich deutschen Schaumwein , und Stilpe verwahrte sich gegen alle literarischen Gespräche . Dafür wurde lebhaft darüber debattiert , ob ein Cenaclier in ein Korps oder in eine Burschenschaft einspringen müsse . Man kam aber zu keinem Entschluß , sondern setzte fest , daß darüber endgiltig in einer letzten Cenaclesitzung zu befinden sei , die man im Freien , draußen an den Ufern der Mulde , abhalten wollte . Im Übrigen waren alle Vier vollkommen betrunken , als dieser Beschluß gefaßt wurde , Stilpe aber immerhin noch mehr als die anderen . Er wollte durchaus ein Korps " Bertha " gründen und rief beharrlich mit lallender Stimme : Bertha seist Panier ! Der Abiturientenball war vorüber , der Abiturientenkommers war vorüber . Nun kam am letzten Tage ihres Aufenthaltes in der Gymnasialstadt die Schlußsitzung des Cénacles . Bedeckt mit großen schwarzen weichen Filzhüten ( aber Stilpes Hut war der breiteste ) wanderten sie zu einem an der Mulde gelegenen Dorfe . Jeder trug einen dicken Spazierstock , jeder trug ein rotes Klemmerband . Jeder lächelte Zweites Buch , sechstes Kapitel . souverän , wenn Bürgerin und Bürgersmann mauloffen stehen blieb . Aber Stilpe lächelte am souveränsten , denn er trug in der linken Hand die Schildkröte . Als sie dem Polizisten begegneten , der sie einmal abends beinahe arretiert hätte , lüftete Stilpe mit großem Schwunge seinen Hut und fragte ihn : -- Sagen Sie , Bürger Nationalgardist , ist das der Weg ins Bois de Boulogne ? -- Quatsch ! antwortete der Polizeidiener , worauf Stilpe den Kopf schüttelte und bemerkte : -- Dieser Funktionär spricht ein ungewöhnliches Französisch . Er scheint das hiesige Gymnasium frequentiert zu haben . -- Der Frühling scheint mir noch nicht ganz fertig zu sein , sagte Stössel , als sie außerhalb der Stadt waren . -- Es ist der richtige Mulus-Frühling , erwiderte Wippert . -- Der Religionslehrer an der höheren Bildungsanstalt dieser Stadt würde sagen : Mit ein wenig mehr Eifer hätte der Schüler sein Ziel vollkommener erreichen können ! fügte Wippert hinzu . Stilpe aber sang , indem er Fechthiebe phantastischer Natur in die Luft schlug : Der Frühling ist ein Mädchen , Das Bertha Linke heißt , Oh weh , daß aus dem Städtchen Schaunard , der Knabe , reist , Ein Knabe sonder Makel , Der Knabe Schaunard , Der treu dem Cénacle Und Fräulein Bertha war . Oheh ! Oheh ! Das Leben ist ein Kuhschwof , Und Scheiden tut nicht weh . Sofort schwangen die Drei gleichfalls ihre Stöcke und sangen mit Überzeugung : Oheh ! Oheh ! Das Leben ist ein Kuhschwof , Und Scheiden tut nicht weh . Stilpe aber sang weiter ( es hatte den Anschein einer sorgsamen Vorbereitung ) : Der Tacitus Ist kein Genuß , Zweites Buch , sechstes Kapitel . Wenn man ihn präparieren muß , Dagegen lieb ich sehr Den Vater Homer , Denn ich lese , denn ich lese , Denn ich les ihn nimmermehr ! Stürmischer Kehrgesang der drei , sechsmal wiederholt . Und wieder Stilpe : Und die Mathematik Hatte ich lange schon dick , Fast wäre_es ihr gelungen , und sie brach mir_es Genick . Da sangen die Drei nicht mit , denn in diesem Punkte fühlten sie sich Stülpen überlegen . Aber das hielt ihn keineswegs ab , weiter zu singen : Wer weiß mir zu raten , Wo finde ich , wo , In Schobern und Schwaden Das trockenste Stroh ? Liebwerte Kameraden , Ach , sagt es mir : Wo ? Als wenn er auf Antwort wartete , schwieg er einen Augenblick , dann gellte er in höchster Fistel : Im Ci--cero ! Und alle Kehlen stimmten krähend bei : Im Ci--cero ! Im Ci--cero ! Stilpe aber , in der Melodie des Postillons von Lonjumeau : Hoho ! Hoho ! Das steifste Stroh Verzapft Herr Konsul Cicero ! Unter diesen und ähnlichen anmutigen Gesängen erreichten sie das Dorf an der Mulde , das das Cénacle für würdig gefunden hatte , zum Schauplatz seiner letzten Sitzung zu ernennen . Nun , es ging hoch her , und vorzüglich in Versen . Eigentlich hatte man vorgehabt , hier , mit freier Benutzung des Hambacher Festes als Vorbild , sämtliche Schulbücher zu verbrennen , aber Stilpe hatte sich rechtzeitig des Deklamators in Zweites Buch , sechstes Kapitel . Leipzig erinnert , wo man diese nichtswürdigen Schwarten gewinnbringender anlegen könnte , und so unterblieb dieser Teil des ursprünglichen Programmes . Dafür wurde die Schildkröte des Cénacles , " in ihrer Eigenschaft als Symbol einer in Unfreiheit befangenen Vereinigung und um ihrer nachgerade störend wirkenden Ähnlichkeit mit jenem pp . Pädagogen Willen " , in die Mulde geworfen , wozu man sang : Lebewohl ! Lebewohl , Niederträchtiges Symbol ! Schwimme vorbei ! Schwimme vorbei , Schauderhaftes Konterfei ! Dann aber hob Stilpe seine große Schlußrede an , die mit den beifallumtosten Worten endete : Le cénacle est mort ! Vive le cénacle ! Und man schwor sich , in Leipzig " keinesfalls den atavistischen Farbenblödsinn jener kläglichen Jünglinge mitzumachen , die einer bunten Mütze bedürfen , um sich als Studenten und freie Bürger einer Universität zu fühlen , sondern sofort ein neues , das eigentliche Cénacle zu gründen als die erste künstlerische Studentenverbindung mit neuen Bräuchen und neuen Zielen ! " 14 Eine unendliche Debatte knüpfte sich an diesen Schwor . Stilpe entwickelte das größte Programm : 1 ) Jeder muß ein Mädchen haben ( aber richtig haben , nicht etwa bloß in dieser knabenhaft blümeranten Manier ! ) . 2 ) Jede Ähnlichkeit mit bestehenden Verbindungen muß vermieden werden . Keine Mützen ! Sondern graue Zylinderhüte ! 3 ) Man geht nur auf Säbel los ! Die Schläger sind pur enfantillage . ( Das Wort war ihm aus der Vorrede zur deutschen Übersetzung der Vie de Boheme geläufig. ) 4 ) Man muß eine Zeitschrift gründen . 5 ) Man muß sich einen Barbemuche zu verschaffen suchen , d. h. einen ehrgeizigen Esel , der für " bessere Bowlen " sorgt . Dieses Programm wurde im Allgemeinen angenommen , eine sehr genaue Beratung und Ausarbeitung jedoch vorbehalten . Als man sich dann zum Heimgehen anschicken mußte , weil das Dorf eine " geradezu mittelalterliche " Polizeistunde hatte , war Stilpe so betrunken , daß die Drei ihn schleppen mußten . Unaufhörlich stellte Zweites Buch , sechstes Kapitel . er den Antrag , für Cénacle künftig Berthacle zu sagen und ihn zum Geheimrat Ammer zu bringen , wo er sich durchaus vorstellen müsse . Die Anderen aber sangen unablässig , fast pausenlos : Auf in den Kampf Tore--e--e--ero ! 14 * Drittes Buch VIR IVVENIS Dominus STILPE In Gottes Apotheke gehrt Ein Stoff , der ist mir herzlich wert , Ihm habe ich mich ergeben . Wäre er nicht da , die Welt wäre hohl ; Oh Du viel lieber Alkohol , Von Dir lernt ich das Schweben . Jawohl ! Jawohl ! Das Schweben zwischen den Polen , Das lehrte mich der Alkohol ; Will mir einmal der Teufel wohl , Soll er mich Alkoholen . Aus Stilpes zerstreuten Versen . Erstes Kapitel . Wenn ein neues Semester begonnen hat , pflegen die farbentragenden Studentenkorporationen in Leipzig mit besonderem Eifer das zu kultivieren , was sie den Grimmschen Bummel nennen . Es ist das eine Art stolz geschrittenen Corsos auf der Grimmmaischen Straße , wobei sich die zu einem größeren Gesamtverbande gehörigen Verbindungen sehr feierlich nach der gerade im Schwange befindlichen Mode begrüßen . Denn die Art , die Mütze abzunehmen , ist unter Couleurstudenten gewissen zyklischen Schwankungen unterworfen . Auch hier ist das Walten harmonischer Gesetze erkennbar . Alte Semester haben darüber kulturhistorisch bedeutsame Aufzeichnungen gemacht , aber das Verdienst , das Gesetz des Zyklus erkannt zu haben , gebührt der kleinen Anna , einem Mädchen von sehr ausgedehnten Bekanntschaften in corpsstudentischen Kreisen . Wie die Muse der Geschichte hat sie die Semester an sich vorüber streifen ( ja , streifen ) sehen und dabei dies beobachtet : Als Beginn eines Zyklus ist allemal die primitive Zeit zu betrachten , wo man die Mütze ganz einfach vorn beim Schild ergreift und sie in leichtem Bogen ziemlich senkrecht nach unten schwingt . Dann folgt : Die Periode des rechten Randgriffs , die in zwei Unterabteilungen zerfällt : a ) man ergreift die Mütze am rechten Rande und führt sie mit gebogenem Arm langsam nach vorn , b ) man ergreift sie wie unter a , führt sie aber nicht nach vorn , sondern stößt sie rechtsseitig steif nach oben . Sodann folgt die Periode des hinteren Randgriffs , bei der die Mütze also am hinteren Rande ergriffen wird . Sie hat drei Unterabteilungen : a ) weiter Bogen nach vorn , b ) steifer Stoß nach oben , Drittes Buch , erstes Kapitel. c ) ganz kurze Lüpfung , wobei das Schild und der vordere Rand fest aufliegen bleiben . Diese Phase , als gewöhnlich letzte des Zyklus , hat etwas marode Dekadentes . Zuweilen fügt sich als vierte Periode noch der vordere Randgriff an , der sich als Pendant zu 3c kennzeichnet . Gewöhnlich indessen beginnt der Zyklus nach der kurzen Lüpfung aufs Neue . Natürlich sind in diesem kurzen Abriß alle Nuancen , deren es sehr feine gibt , beiseite gelassen worden . Man befand sich wieder einmal in der Periode 3 b , als das weiland Cénacle die Leipziger Universität bezog , und es gab keinen Fuchs , der die Mütze so energisch nach oben stieß , wie der stud. Phil. et jur . Willibald Stilpe oder , wie er auf der Matrikel feierlich und lateinisch hieß : vir iuvenis dominus Stilpe leissnigensis . Die Mütze , die er in dieser Weise handhabte , sah gelb aus , genauer gesagt : Kanariengelb , und zeigte außerdem einen weißen und einen schwarzen Streifen . Stilpe war , uneingedenk des Schwurs an der Mulde , einer Verbindung beigetreten , einer Verbindung schlechthin , die nicht Korps , nicht Burschenschaft , nicht Landsmannschaft war . Das Kanariengelb war schuld daran . Stilpes koloristischer Blick hatte sofort bemerkt , daß diese Farbe zu seinen glänzend schwarzen Haaren eminent ( das Wort liebte er jetzt ) stehen müsse , und es lag überhaupt etwas Schmetterndes , Verwegenes in ihr , etwas , das zu seiner augenblicklichen Stimmung genau paßte . -- Bitte , was kostet diese Handelsstadt ? Nur keine Bange ! Nur den Preis genannt ! Ich zahle ohne Feilschen . Ein Triumphatoren- , ein Sankt Georgsgefühl ! Hinter ihm , ein widerlich geschwollenes Grau , lag der überwundene Drache Gymnasium , vor ihm breiteten tausend junge schöne Mädchen glänzende Teppiche aus , weit ins Land hinein , wo rechts und links die angenehmsten Dinge als rotgoldene Ähren auf gelbgoldenen Halmen schaukelten . Bloß mitnehmen ! Bloß Einscheuern ! Sklaven Drittes Buch , erstes Kapitel . wimmeln ringsum und schielen aus tiefer Verbeugung nach Seiner Herrlichkeit gelassenen Winken . . . Und diese vielen Restaurants ! Und keins verboten ! Kühn darf man mitten in Damenbedienung sitzen und das Taschentuch behaglicher Paschawünsche werfen . In dieser Stimmung hatte er sich ohne viel Besinnen die kanariengelbe Mütze aufgesetzt . Und nun saß sie fest und sah gut aus . Nachdem er sich für sie einmal entschieden hatte , erbaute er sich aber auch ein System von Gründen dafür , daß er just in eine simple Verbindung , nicht in ein Korps , nicht in eine Burschenschaft , nicht in eine Landsmannschaft eingetreten war : Das Korps : Rückständige Institution aus unfreien Zeiten , daher Fuchsenssklaverei , Burschentyrannis , starrer Formelenkram ; die Burschenschaft : Entweder rückständige Romantik , Tugendbund und Keuschheit bis zum Ehebette oder Form ohne Inhalt ; die Landsmannschaft : Traditionslose Neugründung , bemäntelt mit einem alten Namen , ohne Wurzeln im Alten , ohne Greifranken ins Neue : Zwitter . Die bloße Verbindung dagegen , nun ja : Das war eben eine Sache für sich , etwas mehr Improvisiertes , das daher auch nicht so umklammerte und absorbierte . Zweifellos bot sich hier auch die leichtere Möglichkeit , eine beeinflussende Stellung zu erhalten . Und das ist doch wohl das Wichtigste ! So verteidigte sich Stilpe vor sich selber . Erst hinterher kam ihm der Gedanke : Aber warum denn überhaupt eine farbige Mütze ? Das war ja doch wohl eigentlich eine Kinderei , -- wie ? Ein Atavismus ? Ein testimonium paupertatis animi ? Hatte er nicht das Wort geschliffen : Ein freier Kopf braucht keine bunte Mütze ? Gewiß , gewiß ! Aber : Si duo faciunt idem , non est idem ! ( Seitdem er nicht mehr Latein treiben mußte , zitierte er viel Lateinisches . ) Für jene anderen ist die Mütze eine gewisse Notwendigkeit und ein Ziel ; für ihn aber nichts als ein in souveräner Laune frei gewähltes Mittel . Mittel , -- wozu ? Erstens zur Erzielung gewisser landsknechthafter Empfindungen ! Denn es steckt Historie in dieser Institution des wehrhaften deutschen Rauf- und Sauf-Studenten und ein rechter Kerl zeigt seine Rasse ; und zweitens zur Kenntnis eben dieses Drittes Buch , erstes Kapitel . Milieus für seine zukünftige künstlerische Verwertung , denn : Wie sollte er einmal den deutschen Studenten darstellen , wenn er nicht auch diese Spezies studiert hatte ? So rechtfertigte er , der nicht gerne etwas bereute , aber noch weniger gerne etwas unterließ , was ihm lustig dünkte , vor sich selber den improvisierten Schritt , und er legte sich damit auch gleich die Sätze zurecht , mit denen er den Cénacliers entgegentreten wollte , wenn sie ihm mit den Einwendungen kommen würden , die ja eigentlich aus der Rüstkammer seines Intellekts stammten . Er hatte sogar vor , sie für seine Verbindung zu keilen . Indes : Er kam zu spät . Eines Tages , als er mit seiner Mütze und seinen Verbindungsbrüdern leuchtend den Grimmschen Bummel absolvierte , gewahrte er , obwohl er regelrecht und stolz geradeaus ging und scheinbar kein Auge für andere Couleuren hatte , unter den fünf Mitgliedern eines rotmützigen Korps -- Stössel . Es gab ihm einen Ruck , und schon wollte die Hand zum hinteren Rande der gelben Mütze zucken , da kam ihm noch rechtzeitig die Kluft zum Bewußtsein , die zwischen diesem schmetternden Gelb und jenem trüben Rot lag . Und er lächelte nur ein wenig und dachte bei sich : -- Schau , schau , -- Corpsier ! Dieser Knabe Marcel war immer ein bisschen eitel . Nun , mögen sie ihn bisaken , die Herren C. B. C.B. Übrigens sah er schon verbisakt genug aus . Natürlich wird er mich verachten . . . Wie ? Er ? Mich ? Er möge sich_es gefälligst unterstehen ! Dieses Knickebein ! Sah er nicht aus wie ein frisiertes Meerschweinchen ? Welch ein üppiger Knabe ! Im Grunde war es ihm höchst ärgerlich , daß Stössel Corpsstudent geworden war , und er bemerkte plötzlich , daß seine Verbindungsbrüder an äußerer Eleganz einiges zu wünschen übrig ließen . Er nahm sich vor , da Wandel zu schaffen . Kaum , daß er seinen Ärger ein bisschen verwunden hatte , sah er Barmann als hellrotmützigen Burschenschaftler vorüberziehen . Diesmal dachte er schon nicht mehr ans Grüßen und verfolgte mit innerlichstem Wohlgefühl die Hand des wackeren Colline , die schon an der Mütze saß , um dann freilich schüchtern herabzusinken . Und Stilpe dachte dies : -- Was man nicht Alles erlebt ! Dieser Colline , Drittes Buch , erstes Kapitel . der einen Vortrag im Cénacle hielt über " die Epoche der patriotischen Phrase " , als Fahnenschwinger für Ehre ! Freiheit ! Vaterland ! . . . ! Gut ! Gut ! Allerliebst und sehr niedlich ! Die Haare haben sie ihm aber schon nach hinten gekämmt . Und wie er errötötöte ! Jetzt sieht er sich sicher nach mir um . Nein , mein Lamm , ich nicht ! Ich habe schon genug gesehen . Über diesen Fall ärgerte er sich übrigens weniger . Burschenschaft -- bah ! Aber gespannt war er nun , " in welcher Couleur der tüchtige Rodolphe eidbrüchig geworden sein möchte " . Er taxierte ihn voll Zorn auf Akademischen Turnverein : Wir recken den Arm , wir strecken das Bein , Wir sind der akademische Turnverein . Aber nein : Wippert war Landsmannschaft geworden und trug eine dunkelblaue Mütze stolz an Stilpes gelber vorüber . -- So wären wir denn also glücklich nach allen Windrichtungen auseinandergefahren . Das ist eigentlich eine Direktionslosigkeit . Warum haben es diese Knaben denn nicht für nötig gehalten , mich aufzusuchen , ehe sie so weitgehende Entschlüsse faßten ? Kein Zweifel : Sie wollten sich meinem Einflusse entziehen ! Sie wußten , daß ihr Wille verloren war , sobald sie sich in die Zerreibungszone meiner Beredsamkeit begaben , und feig flohen sie davon . Crapüle ! Dabei trug dieser Rodolphe eine Art von nasensteifem Selbstbewußtsein zur Schau , die mir nicht gefallen hat . Nun , im Walde pfeifen die Handwerksburschen , wenn ihnen die Hosen schlottern . . . Eine erstaunliche Sippschaft . Wie bringe ich sie zur Raison ? Es war ihm doch fatal , daß die Drei sich so ohne weiteres von ihm emanzipiert hatten . Hätte er nur nicht selber schon die gelbe Mütze aufgehabt ! Das komplizierte seine Stellung den Abtrünnlingen gegenüber stark . Es war , als wenn er mit vernagelten Kanonen schießen sollte . Aber es dauerte nicht lange , und er hatte seine volle Sicherheit wiedergewonnen . Er schrieb in drei gleichlautenden Stücken folgenden Brief und sandte ihn an die Drei . Landerirette ! Farben sind stärker als Eide , und was die Mulde gehört hat , braucht die Pleiße nicht zu wissen . Sela . Drittes Buch , erstes Kapitel . Indessen : Soll gelb oder blau oder Dunkelode hellrot auch stärker sein , als Herz und Intelligenz ? Soll die Pleiße völlig entbehren müssen , was die Mulde Füllereiche genoß ? Nein ! Unsere Mützen sind gelb , blau , dunkel- oder hellrot , aber unsere Herzen schlagen noch im Takte des momischen Alexandriners : O l' Amour ! o l' Amour ! prince de la jeunesse ! Oder ? Schmach dem Fragezeichen ! Wir haben nicht aufgehört , Menschen zu sein , indem wir unsere respektiven Mützen aufsetzten , und so haben wir auch nicht aufgehört , Cénacliers zu sein . Und also darum sage ich euch , ich , der ich Schaunard war , bin und sein werde : Wir müssen die farbigen Schranken und Planken , hinter die wir uns , jeder nach freier Wahl und geistvoller Erwägung , begeben haben , wenigstens aller zwei Wochen einmal mit dem Elan unserer Cenacleherzen überspringen und einander in die Arme eilen ! Eine Jammerlende , die diesen Sprung nicht wagt , eine Groschenseele , die sich vor dem Comment mehr fürchtet 15 Stilpe als ehemals vor dem Konrektor , ein Castrat des Herzens , wer nicht wenigstens aller zwei Wochen einmal singen will : Der Freiheit Tabernakel , Ja -nakel ! Der Freude Heiligenschrein Ist einzig das Cénacle Und wird es ewig sein . Landerirette ! Man trifft mich Sonntag Abend in meiner Wohnung , die den Kopf dieses Briefes ziert . Schaunard . Zweites Kapitel . Stilpe hatte sich nicht getäuscht : Die Gründung des " Geheim-Cenaclecs " , so sehr sie gegen den Verbindungscomment der Einzelnen war , geschah , und die vier Cénacliers , die sich , wenn sie ihre Mützen aufhatten , nicht einmal grüßen durften , fanden sich zweimal des Monats an Sonntagen zu Vergnügungen zusammen , die jedem viel lieber waren , als die Pflichten ihrer Verbindung . Zwar , keiner gestand das zu , denn jeder bemühte sich aufs höchste , den Anschein zu erwecken , als fühle er sich unter seiner bunten Mütze über die Maßen wohl . In Wahrheit fühlten sich Alle sehr elend darunter , bis auf Stilpe , der auch in diesem Verhältnisse mit Hingabe aufging . Er war fast nie nüchtern und wurde von seinen Verbindungsbrüdern sehr bald als eine phäno 15 * menale Kraft sowohl auf der Kneipe wie auf dem Fechtboden erkannt . Seine Zügellosigkeit , die ihn in einer Korporation von festerem Gefüge unmöglich gemacht hätte , war ihm hier , wo er sehr bald anfing , die Rolle des Überlegenen zu spielen , nur wenig hinderlich . Schon im zweiten Semester hatte er " seine Leute " ungefähr auf seinen Ton gestimmt . Er pflegte zu den Cénacliers zu sagen : Die Bären tanzen schon ganz wacker die schwierigsten Sachen ; nächstens werde ich ihnen das Dichten beibringen . Aber er dachte selber nur wenig ans Dichten . Nur " was er so für die Liebe und das Cénacle brauchte " , sonst : Wie kann ich singen , da ich saufen muß ? Die heikle Muse meidet meinen Kuß , Pfui , sagt sie , pfui , Du stinkst nach Spiritus ! Das war Selbsterkenntnis , aber keineswegs Selbstanklage . Im Gegenteil , er tat sich innerlich sehr viel darauf zu gute , daß er " in den Wolken des Alkohols taumelte wie nur ein Erkorener der neun Grundräusche taumeln kann " . Die neun Grundräusche waren Drittes Buch , zweites Kapitel . 1 ) das braune Bier , 2 ) die blonden Mädchen , 3 ) der rote Wein , 4 ) die braunen Mädchen , 5 ) der weiße Wein , 6 ) die schwarzen Mädchen , 7 ) die Schnäpse jeglicher Observanz , 8 ) die edle Kunst rasender Reime , 9 ) die große Ewigkeit gewaltigen Ruhmes . Er pflegte zu sagen : -- Hütet euch vor Dichtern , die nicht saufen ! Sie bedeuten für die Literatur dasselbe , was die alten Jungfern für die Fortpflanzung des Menschengeschlechtes bedeuten . Sie sind ein Greuel und eine große Gefahr . Wehe , wenn sie die Welt mit ihrem Laster strohtrockener Verse anstecken . Dann ist das Ende nahe herbeigekommen . Selbst Schiller trank Likör , aber , wenn er nicht trank , schrieb er diese bedenklichen Sachen , an denen heute noch sämtliche Gymnasiallehrer leiden . Shakespeare dagegen soff wie ein Loch . Wie ? Ihr fragt nach den Belegen ? Ja , wenn ihrs nicht fühlt ! Ich mache mich anheischig , bei jedem seiner Stücke zu sagen , was er damals gerade getrunken hat . Im Hamlet steckt viel Porter . Daher diese etwas schwermütige , aber immerhin sublim betrunkene Grundstimmung . Voll Whisky- Brandy ist Othello , doch mit einem Schuß Sherry . Ale , Ale und abermals Ale ist King Lear . Es ist das hohe Lied des Ales . Immer , wenn ich_es gelesen habe , muß ich zum alten Krause gehen , der dieses blondeste aller Biere am besten schenkt . Ein paar Sommersprossen Porter auf diesen weißen Teint gespritzt , und man versteht die Lieder des Narren und weint in großer Seligkeit . Auch Knickebein hat Shakespeare getrunken , und zwar viel . Seine Komödien sind der Beweis dafür . Wie vermählt sich da überall das Ei dem seimigen Liköre ! Und da hat irgend so ein Fünfgroschenphantast behauptet , Andreas Hofer habe den Knickebein erfunden . Wie kümmerlich ! Schon die alten Juden kannten ihn . Das Prinzip der Parallelität der Verse in den Psalmen ist geradezu ein Symbol des Knickebeins . . . Die ganze Literaturgeschichte , wohl gemerkt , so weit es sich um Verse handelt , ist nichts als eine große Tafel der Getränke . Ich werde meine Doktordissertation über dieses Thema schreiben . In diesem Stile sprach er überhaupt oft , und manche seiner Dikta gingen in den Schatz der ge Drittes Buch , zweites Kapitel . flügelten Worte der Studentenkneipen über . Auch war er der fruchtbarste Vermehrer jener ungeschriebenen Literatur , die sich um die Figur der Wirtin an der Lahn gebildet hat . Er konnte sich stundenlang damit abgeben , aus einer Zote einen Reim oder aus einem Reim eine Zote zu locken . Herauskitzeln nannte er das . Zuweilen , aber keineswegs oft , kam ihm der Gedanke , daß er eigentlich etwas Besseres tun sollte . Dann gruppierte er seine Gedanken um die Worte " schal und unerquicklich " und bewarf sich " mit den faulen Eiern des moralischen Katzenjammers " . Aber es war auch nur eine Art Stilübung . Einmal empfing er die Cénacliers in solcher Stimmung und hielt zehn Minuten einen Monolog in Jamben an Dieses Lotterfleisch voll Alkohol Und niederträchtiger Verse , die wie Schmer Von Trichinosen Schweinen blau geädert sind Und übel riechen wie die Pestilenz Des ganz bedreckten Nests des Wiedehopfs . Aber als er zu Ende war , ganz aufgeregt und wie es schien direkt vor einem stürzenden Tränen Ausbruch , so daß niemand im stande war , zu entscheiden , ob hinter diesen burlesken Selbstanklagen nicht doch eine Spur von Ernst steckte , da rief er : Aber das kommt von der Abstinenz ! Seit 75 Minuten habe ich keinen Alkohol gesehen . Auf ! Laßt uns in ein Gebärhaus tröstlicher Gedanken wallen , und wenn es eine Gossenstube wäre . Kennt ihr mein Ritornell ? : Molkige Gose ! Bezeugte nicht Dein Rausch sehr hohen Rang , nennt ich dich Sauce . Mit einziger Ausnahme des Brechweines gab es kein alkoholisches Getränk , dem sich Stilpe nicht mit Hingabe widmete . Aber die " schweren Sachen " bevorzugte er . Das Leipziger Lagerbier war bald nicht mehr im stande , ihm irgend etwas anzuhaben . Er nannte es " schlechterdings Wasser " und konnte es durchaus nicht begreifen , daß man " es noch immer in Brauereien herstellt ; man sollte doch merken , daß es aus dem Schoße der Erde quellt , denn es ist im eigentlichen Sinne kulturlos . " Dagegen zollte er direkt Ehrerbietung der ostpreußischen Bowle , die aus Burgunder , Porterbier , Sekt und Kognak Drittes Buch . zweites Kapitel . besteht . Dieses Getränk , so sagte er , hat die Kraft und das heilige Rauschen des germanischen Urwaldes . Man fühlt direkt Speere in der Faust , wenn man es trinkt . Seine Hauptgnade aber besteht darin , daß es wunschlos macht . Es ist das Katholikon der Getränke . Auserwählten ist es gegeben , zu sehen , daß diese Bowle eine tiefgoldene Gloriole hat . In dieser Weise charakterisierte er im Kreise des Cénacles " die gesamte Aristokratie der Spirituosen " , und er lehnte es durchaus nicht ab , wenn man ihn den Homer des Alkohols nannte . Aber die Getränke , die er liebte , waren kostspielig , und weder er noch die anderen drei Cénacliers waren auf die Dauer im stande , das Geld dafür aufzubringen . Deshalb beschloß man , einen " Barbemuche zu etablieren " , d. h. nach dem Muster des Mürgerschen Cénacles jemand ausfindig zu machen , der " also geeigenschaftet wäre : Ehrfürchtig vor dem Geiste , Sehnsüchtig zur Kunst , Wohlausgestattet mit Gelde , Ein bisschen dumm und dessen dumpf bewußt , Demütigen Herzens und Angenehm lächerlich . " Stilpe war es , der einen solchen Jüngling entdeckte : -- Herrn stud. phil. Lehmann aus Liegnitz . Er hatte ihn in " so einem " Hause der Magazingasse aufgelesen . Dort , in einem Salon , war ihm der blasse , etwas angefettete junge Mann durch eine sehr dicke Brieftasche und schwermütiges Betragen aufgefallen . -- Sie fühlen sich nicht wohl in dieser Umgebung , hatte Stilpe zu ihm gesagt , als sie sich einander vorgestellt hatten . Ich begreife das . Man geht hierher , um sich nicht wohlzufühlen . Man will sich kasteien . Sie peitschen sich lieber mit blonden Ruten , ich lieber mit braunen . Das ist der ganze Unterschied . Temperamentssache . -- Ach ja , es ist schrecklich , antwortete der Philologe Lehmann ; ich verabscheue diese Häuser , aber , sehen Sie , ich finde ja draußen nichts , und dabei bin ich doch so . . . so . . . so sinnlich . Ach , leider ! Drittes Buch , zweites Kapitel . -- Wie ? Leider ? Sie sagen : Leider ? Sie haben doch leider gesagt ? Hm. Hm. Hm ! -- Aber natürlich : Leider ! Es ist doch schrecklich , so direktionslos zu sein ! -- Direktionslos nennen Sie das , wenn Alles so deutlich ins Schwarze zielt ? Das nennen Sie di . . . , aber Herr Lehmann ! Sie sind beneidenswert um diese gerade Tendenz Ihres Wesens ! Seien Sie fröhlich , Herr Lehmann ! Es fehlt Ihnen bloß die rechte Gesellschaft . Sie sind ein Einsiedel-Lehmann , und das ist für solche Naturen eine Gefahr . -- Freilich ist es das . Ich fühle es selber . Aber ich schließe mich schwer an . Wissen Sie , die meisten Studenten sind so banausisch , so entsetzlich interesselos , und ich möchte doch Jemand haben , der auch noch etwas mehr will , als Doktor werden . Sechs Tage ochsen und einen Tag sumpfen , das mag ich nicht mitmachen ! -- Das ehrt Sie , Herr Lehmann ! Sie suchen den Einklang von Lebenskunst und Wissenschaft . Sie wollen Streben und Genuß vereinen . Sie wollen , mit einem Worte , aber verstehen Sie mich recht und nehmen Sie das nicht etwa als einen Witz : Sie wollen ein runder Mensch werden ! -- Ich ahne , was Sie meinen , und es ist wahr , das deckt sich wohl mit dem , was ich suche . -- Rund sein ist alles , Herr Lehmann ! Wissen Sie , wie diese indischen Götter : Rund um den Leib herum tausend Arme , und immer zwischen zwei Armen eine Göttin . Aber Gott bleiben ! Ein runder Gott bleiben mit tausend Armen und fünfhundert Göttinnen dazwischen ! Oder , weniger exotisch gesprochen : Goethehaft ! Herr Lehmann lächelte höchst bitter : -- Sie wollen mich wohl verspotten . Goethe und -- ich ! Ich mit meiner klassischen Philologie . Ich studiere nämlich klassische Philologie . Aber Sie müssen da nicht gleich denken , daß ich Gymnasiallehrer werden möchte . Nein , ich möchte mich der akademischen Karriere fürs Griechische widmen . Es ist da noch viel zu holen , sage ich Ihnen ! Mein Fach ist im Niedergange . Es fehlt an Kapazitäten . Ein neues Alexandrinertum ist eingerissen ! -- So reißen Sie es um , Herr Lehmann ! Schmeißen Sie die Perücken zum Tempel hinaus ! Der Moder stinkt ! Hygiene tut Not ! Fort mit den Schwartenschwenkern ! Das reine Hellas ziehe ein ! Und was ist der Hellene des Altertums ? Drittes Buch , zweites Kapitel . Der runde Mensch ! Was ist Hellas ? Die Synthese von Genuß und Erkenntnis ! . . . Kürzlich stellte ich für einen kleinen Kreis von Freunden , der sich , ganz in Ihrem Sinne , Herr Lehmann , zu einem Zirkel der Lebenskunst und Kunstliebe vereinigt hat , eine Namenstafel der Spezialheiligen unserer Religion auf . Sie ist noch unvollständig , aber es fiel mir gleich auf , wie viel Hellenen dabei sind . -- Ach , das interessiert mich , der ganze Zirkel sowohl , als die Namenstafel . Ich möchte nicht aufdringlich erscheinen , aber vielleicht darf ich Sie bitten , mir Näheres darüber zu sagen ? Herr Lehmann sagte das mit dem Tone ernstester Anteilnahme und zog die Augenbrauen hoch . Stilpe lachte wieder einmal " mit den Eingeweiden " und zog sein Notizbuch . -- Über den Zirkel ist nichts weiter zu sagen , als was ich schon andeutete . Zur Kunst erhöhtes Leben in jedem Betracht . Die Namenstafel aber , nun , wie gesagt , sie ist noch unvollständig , aber ich kann Ihnen das Fragment schon mitteilen . Also : I . Männlichen Geschlechts : Anakreon , Aristophanes , Alkibiades , ( es geht gleich griechisch an , wie Sie sehen ) Georg Büchner ( um Gotteswillen : Georg , nicht Ludwig ! ) Bizet , Gottfried August Bürger , Cervantes , Catull , ( aber der hat ein Fragezeichen ) Michael Georg Conrad . -- Ist das der preußische Prinz , der die Dramen schreibt ? fragte Herr Lehmann bescheidenen Tones . -- Gott behüte und Gott bewahre ! Machen Sie immer solche Witze ? rief Stilpe . Dafür müßten Sie schon eine Bowle schmeißen , Herr Lehmann . Sind Sie bereit ? Der Philologe Lehmann errötete und sagte : Es wird mir ein Vergnügen sein , denn damit werde ich Drittes Buch , zweites Kapitel . ja das Vergnügen haben , auch die anderen Herren kennen zu lernen . -- Gut ! sagte Stilpe schon im Tone des Cenacle-Präsidenten . Dafür werden Sie dann auch erfahren , welches unser Conrad ist . Weder Prinz noch Preuße . Also nun in der Liste der Heiligen weiter : Danton , Demokritos , ( schon wieder ein Grieche ! ) Devrient ( Sie wissen : Lutter und Wegers Weinstube in Berlin ! ) Fischart , Franz der Erste von Frankreich , -- Warum Der ? fragte Herr Lehmann . -- Lesen Sie im Rabelais nach ! Grabbe , Meister Gottfried von Straßburg , Der junge Goethe , ( Sie wissen doch , daß es drei verschiedene Goethes gibt ? ) Eduard Grisebach , Johann Christian Günther , Horaz , ( hat aber zwei Fragezeichen ) Theodor Amadeus Hoffmann , Heinrich Heine , Mozart , Mirabeau , Momus , ( unser Wirt mit der langen Kreide ) Musset , Mürger , Marat . -- Pardon , sagte Herr Lehmann , dessen Vater Fabrikbesitzer war , warum eigentlich diese Revolutionsmänner ? -- Sie tranken sämtlich gerne und waren sehr verliebte Leute . Daß wir keine Sozialdemokraten sind , sehen Sie an Franz dem Ersten . Rabelais , Rembrandt , Sokrates , Sullivan , Tschang-hsien-tschung . -- Wer ist das ? -- Das ist ein chinesischer Pelzhändler , später Gegenkaiser , der einmal an einem Tage 50000 Ge Drittes Buch , zweites Kapitel . lehrte hat köpfen lassen . Ich werde ein Epos auf ihn machen . -- Ach , dichten Sie ? rief Herr Lehmann eifrig . -- In der Tat , bisweilen . Sie natürlich auch ? -- Ach . . . ein . . . ich . . . nein . . . ich kann nicht sagen , daß ich . . . Aber . . . -- Sie möchten gerne ? -- Ich . . . weiß . . . nicht . . . -- Diese Schüchternheit ist ein schönes Zeichen . Übrigens : Dichten , -- na ja . Das is nun so ne Sache . Notwendig ist es nicht , Herr Lehmann . Es . . . aber : Genug !! Wir sind mit dem männlichen Geschlecht fertig und es folgt II . Weiblichen Geschlechts : Aspasia , ( also auch hier Griechenland an der Tete ! ) Die kleine Anna , Anna mit den gewürfelten Strümpfen , Anna Ach--gehn--Se--weg . -- Ja . . . aber . . . ? . . . sagte Herr Lehmann . 16 -- Ich verstehe : Sie kennen diese drei Annas nicht . Es sind vorderhand noch Privatpersonen , und sie kommen auf mein Konto . Die mit den gewürfelten Strümpfen schlägt , glaube ich , in Ihren Geschmack . Ich schenke sie Ihnen . Herr Lehmann war ganz verblüfft . -- Na , wollen sie nicht wenigstens Danke ! sagen ? Das Mädchen kommt noch in die Literaturgeschichte ! Ich habe sogar ein Sonett auf ihre Strümpfe gemacht ! Aber weiter ! Bertha , ( Hat zwei Ausrufezeichen . Es ist aber nicht jene Bertha mit den großen Füßen , die Uhland besungen hat , sondern auch dieses Mädchen geht mich an . Ich habe sie immens geliebt . Und sie liebt mich heute noch , obwohl sie einen Gelbgießer geheiratet hat . Achten Sie die Treue des weiblichen Geschlechtes , Herr Lehmann , aber sehen Sie zu , daß der Andere der Lackierte ist . Übrigens werde ich jetzt die Privatmädchen weglassen , weil ich Ihnen sonst fortwährend Kommentare geben müßte ; ich werde also nur die historischen Damen nennen , nämlich ) : Mimi Pinson , Die Königin Pomare , Drittes Buch , zweites Kapitel . Musette , Lais , Ninon de l' Enclos , George Sand , Bérangers Lisette , Päpstin Johanna , Fränzchen mit dem Muff , Margarethe von Navarra , La belle heaulmiere , Marion Delorme , Die schöne Seilerin , Roswitha von Gentersheim . Die Liste ist noch schrecklich lückenhaft . Vielleicht könnten Sie uns noch ein paar tüchtige Griechinnen empfehlen . Wie hieß doch gleich die , die sich auszog ? -- Sie meinen Phryne ? -- Richtig ! Phryne ! Dieses ganz vorzügliche Mädchen ! Warten Sie , ich werde sie gleich einfügen . Es ist eine Schande , daß ich sie vergessen habe . Aber Sie sehen , wie gut wir Sie brauchen können . Im klassischen Altertum sind wir doch ein bisschen schwach . Herrn Lehmann war es gar sonderbar zumute . 16 * Diese Welt war ihm neu , aber er hatte die Empfindung , daß es sehr lustig in ihr zugehen müsse . Vor allem fühlte er , daß er im Cénacle Anschluß an " Weiber " finden würde , und daran lag ihm viel , denn er hatte es nachgerade bemerkt , daß er von sich allein aus diesen Anschluß nie erreichen würde . Und bei alledem doch diese vielen literarischen Aspirationen , also die Gewähr des Höheren ! Kein bloßer Sumpf ! Sondern , wenn schon Sumpf , so doch von ganz ungewöhnlicher Art ! Ein origineller Sumpf . Ach , danach hatte er sich ja gesehnt ! Er wollte originell , geistreich sumpfen . Da bot sich die Möglichkeit ! Also zugegriffen ! Er verließ am Arme Stilpes das Haus in der Magazingasse mit dem angenehmen Gefühl , es fürder nicht mehr nötig zu haben . Als er am nächsten Morgen erwachte , lag er auf seinem Sofa und Stilpe in seinem Bette . Da dieser ihn duzte , mußten sie wohl Brüderschaft getrunken haben . Auch einen anderen Namen hatte er erhalten : Barbemuche , und auf seinem Nachttisch lag ein völlig mit Porterbierflecken bedeckter Zettel dieses Inhaltes : Drittes Buch , zweites Kapitel . Quittung . Für weiland Herrn Lehmanns Aufnahme ins niedere Barbemuchiat 50 Mark erhalten zu haben , bestätigt i. N. d. C. Schaunard . Drittes Kapitel . Obwohl das Cénacle keine moralische Anstalt war , so bedeutete es für Stilpe doch einen Haltepunkt und eine Verbindung wenigstens mit der Fiktion " extra-alkoholischer Tendenzen " . Stilpe führte damals kein Tagebuch mehr , denn er hatte überhaupt das " unzüchtige Verhältnis mit Büchern " aufgegeben , aber zuweilen , wenn er sich übel fühlte , ergriff er , wiederum in seinem Stile von damals zu reden , den " Stecken und Stab des Bleistiftes und wanderte gedankenvoll über die ausgebleichte Wüste weißen Papieres " . Einige dieser Notizen sind geeignet , ein Stück seiner Seele von damals erkennen zu lassen : Die Gelbmützelei ist ein scheußlicher Unsinn und meiner unwürdig . Aber ich selbst bin Drittes Buch , drittes Kapitel . meiner unwürdig , denn ich werfe die gelbe Mütze diesen Idioten nicht vor die Füße , sondern ich trage sie noch immer mit einer lachhaften Würde . Heiße jetzt Erster Chargierter gar . Kann man tiefer sinken ? Ich tyrannisiere diese gelbmützigen Banausen mit vollendeter Kunst und einigem Genuß , und keiner von ihnen erfreut sich mehr eines intakten Magens . Nie wurde so gesoffen wie unter meiner Ägide . Was soll man auch mit diesen Knaben anderes anfangen ? Frösche muß man in den Sumpf treiben . Ich fange an , unzufrieden mit mir zu werden und erwäge den Plan , diese gelbe Blase zu sprengen . Wenn ich sie nur nicht alle so tiefgründig angepumpt hätte . . . Und außerdem : Was soll ich denn sonst anfangen ? Noch scheint die Zeit nicht erfüllt zu sein , wo ich mich diesem Herrn Geheimrat Ammer , falls er sich nicht schon zu seinen Vätern versammelt hat , als Stütze des Staates anbieten kann . Oder sollte ich tatsächlich studieren ? Welch eine Idee ! Nicht Mal für Liebe habe ich genügend Zeit . Wann , frage ich , wann kann ich mit Hingabe und Hinnahme lieben ? Um zehn Uhr zerrt mich der Leibfuchs aus dem Bett und kredenzt mir das Antidotum gegen den Datterich , die liebliche Las voll Culmbacher Biers . Bis zwölf Uhr pauke ich der Füchse summende Herde für die Mensuren ein . Dann salbt mich der Friseur , und bis um drei Uhr treibe ich die braven Knaben in die Lichtenheiner Schwemme . Hole sie der Teufel , ich beneide sie ! Denn selbst dieses Lehmwasser macht sie betrunken . Auch mein Mittagsmahl erledige ich um diese Zeit . Es ist erstaunlich , wie mäßig ich darin bin . Drittes Buch , drittes Kapitel . Rohes Fleisch und Kaviar , etliche Eier und Bouillon erhalten diesen schwachen Leib . Von drei bis fünf der Kaffeelachs ; doch ist das ein leerer Name , denn ich habe längst den Kaffee durch Liköre ersetzt , und statt des Skates herrscht der Lederbecher mit den Knobelknochen . Das ist meine palaestra musarum , denn erstens erfinde ich neue Knobeltouren und zweitens muß ich beim Mogeln immerhin aufpassen . Das erschöpft mich sehr , und ich begebe mich nun auf das schwarze Ledersofa in der Kneipe , wo ich der Ruhe Pflege , bis das Gas angebrannt wird und die werten Knaben anrücken , um bis früh zwei , drei Uhr von mir vollgeplumpt zu werden . Mir scheint , das ist kein Leben nach dem Geschmacke Apollos und der neun Musen , -- oder sind es zwölf ? Ewig verwechsle ich die Apostel mit den Musen . Und die Liebe ! Sie muß hungern ! Liebe und Alkohol sind feindliche Mächte . Tragisches Geschick , beiden hold zu sein . Zuweilen gibt es Mensuren . Ich leugne nicht , daß diese kleine Aufregung mich amüsiert . Trinkt man vorher fünf Cognacs , so ist man erstaunlich wacker und ließe sich mit Heroismus den Schädel spalten . Nein : Lieber bloß die Backe , denn das ist_es ja , was den Menschen ziert , und dazu wurde ihm der Verstand : Der Durchzieher . Ich glaube , jetzt etwa Einschockmal gefochten zu haben , wenn man diesen mathematischen Wechsel von Schlag und Parade fechten nennen kann . Man gewöhnt sich daran wie der Pudel ans Baden . Das Schönste dabei ist der Geruch , diese allerliebste Mischung von Jodoform , Karbol , Kognak und ein bisschen Schweiß . Es wirkt wie ein Aphrodisiacum auf mich . Aber es ist möglich , daß ich ein bisschen pervers bin . Blutdurst und Wollust ! Gib mir dein Herz zu saufen , Laura : Ich liebe Dich ! Die schweren Sachen meid ich . Meine Säbelmensur war nicht eigentlich prima nota . Ich hatte den Kognak überschätzt . Man muß entschieden Porter dabei zur Hand haben . Porter und Kognak zusammen macht sicher sehr säbelmutig . Man muß nur auch die Dosis richtig bemessen . Ich halte es nicht für ausgeschlossen , daß ich Drittes Buch , drittes Kapitel . ohne Alkohol mehr horazischen als achilleischen Mut bewähren würde . Dies unter uns gesagt . Kürzlich focht ein Jüngling auf unsere Waffen , der entsetzliche Angst hatte , sich aber doch nicht eher umdrehen ließ , als bis er einen ausgewachsenen Durchzieher hatte . Später gestand er mir , daß er " aus Liebe " gefochten hätte . -- Wie ? rief ich , hat Ihr Gegner sich erfrecht , Ihr Fräulein Braut zu betasten ? -- Ach nein , sagte er , meine Braut wünscht nur , daß ich einen schönen Schmiß habe . So heroisch sind die Töchter Thusneldas angelegt . -- Hörst du nicht den Eichwald rauschen ? Als ich noch Bücher las , habe ich irgendwo das Diktum gefunden , daß der Mensch nie verzweifeln könne , denn es bleibe ihm auch beim schlimmsten Zahnweh immer die tröstliche Möglichkeit des Selbstmordes . Ich habe ein Analogon dazu ; ich sage mir : Du kannst zwar versumpfen , aber es bleibt Dir immer noch die Möglichkeit , Journalist zu werden . Diese Verachtung des Journalismus gehörte zum Repertoire des Cénacles , aber Stilpe fing doch bereits an , sich mit dem Gedanken sehr vertraut zu machen , daß ihm schließlich die Laufbahn des Zeitungsliteraten blühen möchte . Zwar war er keineswegs an seiner dichterischen Bedeutung irre geworden ; der Nagel saß fest . Aber der Umstand , daß er jetzt im Grunde nicht einmal mehr Pläne zu künftigen Werken machte , kam ihm doch manchmal zum Bewußtsein , und dann sagte er sich : Ich bin eine zersplitterte Natur , der Fluch des modernen Menschen lastet auf mir , daß wir uns nicht sammeln können ; gut also , so ziehe ich ohne Wehleidigkeit den Schluß daraus und schlage mich zu jenen , die ihre Goldbarren täglich stückweise und halb ausgeprägt vor die Maße werfen müssen . Drittes Buch , drittes Kapitel . Und sofort malte er sich eine vollkommene Umwälzung der deutschen Zeitungsliteratur aus , die vor sich gehen würde , wenn er zu ihr gehörte . Aber , als ihm ein Artikel , den er einmal in den Ferien geschrieben hatte , zurückgeschickt wurde , erfaßte ihn gleich wieder der große Ekel vor diesen " öffentlichen Männern , die sich zeilenweise prostituieren und sich von ihren weiblichen Berufsgenossinnen nur dadurch unterscheiden , daß sie nicht gutmütig wie jene sind . " Und die Zeitungen nannte er nun wieder " Holzpapierbordells " . Um diese Zeit war es , daß Girlinger wieder vor ihm auftauchte . Girlinger hatte in Zürich und Genf studiert , trug schwarze Koteletten , einen Zylinder und immer Handschuhe . Er war sehr gesetzt und durchaus solide . Sein Plan war eigentlich gewesen , romanische Philologie zu studieren , und er hatte diesem Fach , wofür er Fleiß und Talent in sehr hohem Grade besaß , auch wirklich mit Eifer obgelegen , aber , da sein Vater darauf bestand , er müsse sich der Juris prudenz widmen , so hatte er sich schließlich dazu verstanden und trieb nun auch Jurisprudenz mit Eifer und Zielbewußtsein . Ein gewisser Zug von echter Resignation stand ihm dabei sehr gut . Äußerlich erlebt hatte er so gut wie nichts , aber er hatte viel an sich gearbeitet . Als er Stülpen zum ersten Mal in seiner gelben Mütze sah , nahm er seinen Zylinder sehr tief und zeremoniell ab und machte sogar eine Verbeugung dabei . Stilpe empfand das als Hohn und stürzte sich auf ihn : -- Ach , der Herr Referendar ! Welch ein Zylinder ! Wo hast Du die Samtbürste , Freund meiner Jugend ? Girlinger erwiderte : Ich schlage einen anderen Stil vor , wenn wir uns unterhalten wollen . Übrigens bin ich meinem Examen ferner als Du , denn ich stehe im ersten juristischen Semester . -- Ich schlage vor , daß wir weder von Semestern noch von Examen reden , wenn wir uns unterhalten wollen . Ich spreche nicht gerne von gleichgültigen Dingen . Nur zu Deiner Orientierung bemerke ich , daß ich immer noch als stud. jur. et phil. immatrikuliert bin , ohne indes Drittes Buch , drittes Kapitel . von diesen Würden Gebrauch zu machen . Ich fahre noch immer fort , mir das Leben anzusehen . Auch trinke ich gerne Spirituosisches . Du scheinst mir dagegen ein buveur d'eau zu sein . -- So , Mürger kennst Du auch ? -- Es gibt keinen besseren Kenner dieses Klassikers . Schade übrigens , daß die Stelle eines Barbemuche in unserem Cénacle schon besetzt ist , ich würde sonst Dir meine Fürsprache nicht vorenthalten . -- Danke . Ich bin nicht für gelbe Mützen . -- Köstlich ! Nein , diese Biermütze hat mit dem Cénacle nichts zu tun . Dein Zylinderhut läuft keine Gefahr , wenn Du uns die Ehre und das Vergnügen machen willst , der definitiven Aufnahme des Herrn Lehmann in das höhere Barbemuchiat beizuwohnen . Morgen Abend um acht auf meiner Bude , wenn ich bitten darf . Oder fürchtest Du Dich vor ostpreußischen Bowlen . . . -- Herr Lehmann ist wohl ein Idiot ? -- Nein , ein Idealist , aber mit Barmitteln . Du wirst Deine Menschenkenntnis bereichern , wenn Du kommst , und außerdem einige Chorgesänge vernehmen , die sich meiner Verfasserschaft rühmen . Wenn Du aber nicht kommst , so werde ich mich Stilpe aus Gram betrinken und in der Betrunkenheit dem Cénacle Deine Flucht nach Griechenland erzählen . -- Warum soll ich nicht kommen ? Da Herr Lehmann die Bowle bezahlt , bin ich ja sicher . -- Schön , aber Zigarren kannst Du wenigstens mitbringen . -- Ich rauche nicht . -- Um so besser , so wirst Du uns nicht berauben . Aber merke Dir die Marke : Henry Clay . Schreibe Dir_es ins Notizbuch . Eine Kiste genügt . Schreibe aber Clay richtig , nicht wie das Kuhfutter , sondern so : C . . . l . . . a. . . y . So ist_es richtig . Du wirst wohl empfangen sein ! -- Sind Weiber dabei ? -- Pfui ! So einer bist Du ? Daher der Zylinderhut und die Koteletten ? Kalipsichore verhüllt ihr Haupt . -- Wer ? -- Kalipsichore , die Muse der epischen Tanzkunst , wenn_es gefällig ist . Sie wird persönlich da sein . Im Zivil heißt sie Hulda Ranker . Du kennst doch das Zeitwort rankern ? -- Ich glaube , Du bist betrunken . -- Bleibe fest und glaube getrost , Du wirst Drittes Buch , drittes Kapitel . nicht irre gehen . Aber vergiß die Zigarren nicht ! Du kannst auch Huldan ein Korsett mitbringen . Ich habe_es ihr schon lange versprochen . Doch von Seide muß es sein ! Girlinger hielt es für gut , sich nun zu verabschieden . -- Total versumpft ! dachte er bei sich . Und wie der Mensch aussah ! Dieses angeschwemmte Fett unter fast gelber Haut ! Diese unstäten , schwimmenden Augen ! Und salopp ! In einem Korps scheint er nicht zu sein . Sogar die Wäsche nicht sauber . Und die Hand feucht . Wie er dahin geht , der richtige Gewohnheitssäufer , der zwar nicht direkt schwankt , aber doch auch nicht richtig geradeaus gehen kann . Natürlich auch Gedankenflucht . Er kann sicherlich keine zehn Zeilen logisch schreiben . Delirantenphantasie . Ein Ragout im Hirnkasten . Wie viel Schulden mag der Mensch haben ! Girlinger hatte ein schönes psychologisches Thema für sein Tagebuch . 17 Stilpes Wohnung lag im Durchgang der großen Feuerkugel ( Einst wohnte Goethe hier -- jetzt Wir ! ) drei Treppen hoch und bestand aus einem mäßig großen Zimmer und einem Alkoven . -- Der einzige Fehler dieser Bude ist , pflegte Stilpe zu sagen , daß sie gerade Wände hat . Schiefe Wände wären stimmungsvoller . Aber man beachte die charaktervolle Schäbigkeit der Ausstattung ! Wer angesichts dieses pöbelhaften Sofas , dieser kontrakten Stühle , dieses ewig wackelnden Tisches und dieses immer aufklaffenden Kleidersargs , von dem infamen " Napoleon in der Schlacht bei Leipzig " ganz zu schweigen , daran dächte , hier die Miete nicht schuldig zu bleiben , müßte ein gefühlloser Barbar genannt werden . Was aber das Bett anlangt , meine Lieben , so gibt es keine vorlautere Bestie als dies . Es quietscht schon , wenn man es ansieht , geschweige denn . . . aber das ist ein rein musikalisches Thema . In dieser Wohnung also , die wirklich abscheulich war , versammelte sich am folgenden Sonntage das Cénacle zur Feier der endgiltigen Aufnahme des Philologen Lehmann , der soviel Geschmack am Cénacle genommen hatte , daß er sich selber an den gröbsten Verhöhnungen seiner Person beteiligte . Drittes Buch , drittes Kapitel . Stilpe erschien eine halbe Stunde vor Beginn der Festlichkeit . Mit ihm betrat Hulda Ranker das Zimmer . Sie tat es mit der Sicherheit einer Person , die mit den Lokalitäten vertraut ist . Hübsch war sie eigentlich nicht , aber sie hatte das gewisse Pusselig-Graziöse der Leipzigerin , an der der Kenner noch heute die Erbreste aus jener galanten Zeit bemerkt , in der , wie die Kulturhistoriker sagen , " die Leipzigerinnen an lockerer Moral mit den Pariserinnen um die Palme rangen , " Die Moral Huldas war wohl nie sehr fest gewesen , aber Stilpe hatte sie , obwohl er erst vor vier Wochen dem Mädchen " das Taschentuch zugeworfen " hatte , derart gelockert , daß sie vollkommen durchsichtig geworden war . Aber das stand Fräulein Hulda gerade gut . Sie gehörte zu den Mädchen , die an Charakter gewinnen , indem sie an Moral verlieren . Im Übrigen war sie schlank , von guter Taille , brünett und passabel angezogen . Tagüber verkaufte sie Krawatten . Diesem Umstand verdankte die geistsprühende Scherzfrage Stilpes ihr Dasein : Welcher Unterschied besteht zwischen Hogarth und mir ? Antwort : Jener malte ein Crevettenmädchen , ich bedichte ein Cravattenmädchen. 17 * Aber mit dem Dichten sah es auch in diesem Falle windig aus . Außer dem verwegenen Ritornell : O holde Hulda ! Ganz ohne Makel wärst Du , reimtest Du Dich nicht Auf Ludwig Fulda existierte keine Zeile , zu der Fräulein Ranker Pate gestanden hätte , und auch dieses zierliche Stachelpoem verdankte seine Entstehung mehr Stilpes Antipathie gegen " diesen schreibenden Kapitalisten " , als seiner Liebe zu der braunen Verkäuferin , ganz abgesehen davon , daß es eine von den auch sonst nicht seltenen Improvisationen seiner Skandierkunst war , die sich auf einen Reimzufall zurückführen ließen . -- Laß die Rollfahnen runter , Mädchen , und mache Licht ! kommandierte Stilpe . Es gibt hier in der Umgegend keusche Augen , die sehr lüstern sind . So ! Die Beleuchtung ist mangelhaft , aber das kommt Deinem Teint zugute . Im Schummerigen wirken die Weiber überhaupt am besten . Daher die vielen Rendez-vous bei der Gaslaterne . Das elektrische Licht wird die Rendez-vous stark Drittes Buch , drittes Kapitel . reduzieren , und Herr Siemens ist für die Moral sehr viel wichtiger , als der Sittlichkeitsverein . -- Quatsch nicht , Käfer . Heute wird so wie so wieder furchtbar geredet werden . -- Sehr richtig ! Aber auch getrunken , meine braune Taube , ja sogar gegessen , und zwar keineswegs Schweinsknochen mit Klößen , sondern fabelhafte Sachen . Außerdem wirst Du drei neue Männer kennen lernen und zwar 1 ) jenen Lehmann , 2 ) einen Herrn im Zylinder und 3 ) einen Zylinder mit einem Herrn . -- Mit Deinem närrischen Zeige ! ( Huldas Aussprüche müssen immer Leipzigerisch gelesen werden , auch wenn sie deutsch wiedergegeben sind . ) -- Ich rede ernst wie immer . Der dritte Mann ist nämlich der kleine August , den Kenner trotzdem August den Starken heißen . -- Warum denn ? -- Nicht bloß im Biceps liegt die Kraft des Manns ! . . . -- Komme , sage mir , warum er August der Starke heißt ! -- Ich werde mich hüten , denn ich liebe Dich . Nur soviel : Dieser kleine Mann , der sich durch einen hohen Zylinder zu recken trachtet , ist ein fulminanter Musikus und würde schon viele Opern geschrieben haben , wenn er nicht immer trinken müßte . Zwar behauptet er , ich wäre schuld daran , weil ich ihm den Text nicht schreibe , den ich ihm versprochen habe . Aber das ist eben jene Schlange , die sich in den werten Schwanz beißt : Ich dichte nicht , weil er nicht komponiert , und er komponiert nicht , weil ich nicht dichte . Ergo müssen wir beide saufen . -- Sage doch nicht saufen , das klingt so ruppig . -- Kann ich dafür , daß die Wahrheit ein Rauhbein ist ? -- Du bist eins ! -- Und dennoch liebt mich Deine Sanftheit ! Aber es klingelt ! Schwinge Dich hinaus , Mädchen ! Es war Herr Lehmann mit drei Packträgern . Er machte eine tiefe Verbeugung , der man die Tanzstunde ansah , vor Hulda und begrüßte Stülpen ehrerbietig . -- Schön , mein Engel , sprach dieser , ich sehe , Du hast Alles gut in die Wege geleitet . Nun laß mich das Auspacken überwachen . Setze Dich zu diesem schlanken Mädchen , aber halte Dich in den Grenzen der Wohlanständigkeit . Noch bist Drittes Buch , drittes Kapitel . Du nicht in der Gemeinde derer , denen Alles erlaubt ist . Und nun kommandierte er : -- Der die Flaschen hat , vortreten ! . . . Ah ! Sie ! Gut gewählt , der Mann . Er ist würdig , volle Flaschen zu tragen ! Lieben Sie Nordhäuser ? Schon gut ! . . . Nun packen Sie aus ! Vorne ran die dicken Flaschen ! Gut ! . . . Wieviel ? Sechs ? Gut ! . . . Jetzt die kleinen stämmigen ! Das müssen vierundzwanzig sein ! Stimmt ? Gut ! Sehr gut ! . . . Jetzt die rothalsigen ! Süße Kerlchen , was ? . . . Zehn ? Da fehlen zweie ! Mensch , Sie werden doch nicht ? Ah , da strecken sie ja die roten Hälse vor . Zu den anderen ! Schön ausrichten ! Gut ! Ganz gut und wacker ! . . . Sie waren gewiß Unteroffizier . Natürlich ! Es lebe der Reservemann ! . . . Aber jetzt die Gelbkapseln , die feierlichen und steifen . Gelbkapseln ! . . . Drei ! Ja , ja , es werden nicht mehr . Aber reichen Sie mir Mal eine . Schön . Ich bin zufrieden . Lassen Sie sich auszahlen bei dem Herrn dort . Er wird Ihnen auch ein paar Zigarren geben . -- Jetzt der zweite mit dem Freßkober und dem Geschirr ! . . . Umgotteswillen vorsichtig ! Den Bowlenbauch mitten auf den Tisch . Die Gläser wie ein Kranz herum . . . . So ! Sie haben Talent , alter Herr . . . Nun die Teller . Aber da soll dieses Fräulein helfen . . . Hulda , arrangiere das Tellerwesen . Und nimm Dich auch der Messer und Gabeln an . Und nun : Was ruht im werten Schrein !? Gut ! . . . Gut ! . . . Es ist Alles in rechtem Verhältnis , sowohl das , was dem Meere entstammt , wie das vom festen Lande . Die ganze Geographie ist vertreten , von der Adria bis zum schwarzen Meere . . . Ja , die Eisenbahnen sind ein rechter Segen , nicht wahr , Mister ? . . . Und nun lassen Sie sich gleichfalls von dem verehrten Gastgeber auslohnen . Auch Sie haben drei Zigarren extra verdient . -- Und nun der Düstere in der Ecke mit dem schwarzen Sarg ! Heran und ausgepackt ! . . . Wie ? Ein Cello ? Seit wann zählt das zu den Viktualien ? . . . Ah , Du willst Kniegeigen ? Schön ! Placet ! So kann ich mir mein Bettduo sparen . Die Packträger traten ab . Kaum waren sie draußen , so hörte man in einer Art Baßfistel kreischen : Infames Rindvieh ! Haben Sie keine Augen ? Das Luder hat mir die Galoschen abgetreten ! Und herein stürmte ein kleiner Mensch mit Drittes Buch , drittes Kapitel . kurzem weißen Stoppelbarte , kaum einen Meter hoch , aber mit einem hohen Röhrenhute bedeckt . Er schrie immer noch und fuchtelte dabei mit seinem Regenschirm herum : Meine rechte Galosche ! Dieses Trampeltier ! Wie ? Ochse ! Direkt auf die Galosche ! Ich gehe sofort ! -- Aber August ! Siehst Du die Dame nicht ? klagte Stilpe . Und sofort war der kleine Mann friedlich . -- Hehe ! Warten Sie , mein Fräulein , gleich komme ich und lege mich Ihnen zu Füßen . Bloß den Hut und Schirm und Mantel , puh , diesen zentnerschweren Mantel , diese Rüstung , Luder , das . . . Herr Lehmann stürzte herbei und nahm dem Kleinen die Garderobe ab . -- Sehr nett , Herr . . . ? -- Leh . . . Barbe . . . ( Herr Lehmann wußte im Cénacle bis jetzt noch nicht , wie er hieß ) . -- Sehr freundlich , Herr Lehbarb ! Stilpe wieherte vor Entzücken . -- Gottverdammich , was heulst Du wie eine Lokomotive ! Willst Du mich wahnsinnig machen ? Kennst Du keine Rücksicht ? Ich gehe sofort ! -- Aber August ! Du hast Dich dem Mädchen immer noch nicht zu Füßen gelegt . -- Oh , Oh , Oh , Oh , Dein Geschrei ! Dein Geschrei ! Aber jetzt liege ich schon ! Und er fuhr auf Hulda los und ergriff ihre Hände und machte dabei eine Verbeugung , so daß er sie niederzog wie einen Plumpenschwengel . -- Ach , die reizenden warmen Händchen ! Uh , uh , uh , ti , ti , ti , so warme kleine Patschen ! Mm , mm , mm ! Heißen ? -- Hulda heißt das Mädchen , bemerkte Stilpe . -- Hab ich Dich gefragt ? Weg ! Weg ! Kommen Sie , Huldachen , zu mir aufs Kanapee , Huldachen . Er schleppte sie förmlich zum Sofa , auf das er sich nach türkischer Art setzte , weil er europäisch sitzend mit den Füßen nicht zum Boden gereicht hätte . Das Zimmer war jetzt eigentlich schon voll , aber es kamen noch sieben Personen , nämlich : 1 ) Girlinger , der sich überaus schüchtern und mit der ganzen Ratlosigkeit eines stark kurzsichtigen Menschen benahm , dem die Brille angelaufen ist . Die Zigarren hatte er mitgebracht ; Drittes Buch , drittes Kapitel . 2 ) Stössel , der diskret den Corpsstudenten zu markieren bemüht war und übrigens etwas blasiert aussah . Mit ihm 3 ) Fräulein Grete Gramm , genannt das alliterierende Mädchen , eine etwas üppige Blondine , phlegmatisch , aber unendlich verliebt . Übrigens eine " Bürgerstochter " ; 4 ) Wippert , der jetzt einen sehr schönen dichten Schnurrbart hatte und nicht ganz geschickt den ungezwungenen Weltmann spielte . Mit ihm 5 ) Fräulein Clara Winkler , ein sehr lebhaftes rotblondes Ding , das draußen am Carolatheater Choristin war und den braven Wippert ein bisschen tyrannisierte ; 6 ) Barmann , der immer noch wie ein Knabe aussah , obwohl er eine Menge Schmisse auf der linken Backe hatte und ungemein selbstbewußt auftrat . Dieser mit 7 ) Fräulein Anna Obersdorfer . Das war eine sehr kleine , flinke Person mit großen lebhaften schwarzen Augen und braunen , lockigen Haaren , die die Stirn ganz verdeckten . Sie hatte etwas spätzinnenhaftes in ihrer hupfen Hurtigkeit . Auch " Bürgerstochter " , aber schon eigentlich nicht mehr ganz . Die elf Personen wurden folgendermaßen plaziert : Sofa : Linke Lehne : Stössel . Rechte Lehne : Barmann . Neben Stössel das alliterierende Mädchen . Neben Barmann die kleine Anna . Mittelplatz : Der kleine August mit Hulda . Dem Sofa gegenüber , auf Stilpes Koffer ( einst war er , mit Schmetterlingen angefüllt , in Südamerika gewesen ) , Wippert und die rote Clara . An der linken Schmalseite des Tisches Girlinger , an der rechten Stilpe . Herr Lehmann stand , gelehnt an sein Cellogehäuse , zwischen Tisch und Alkoventür . Wenn vier Leipzigerinnen mit sechs jungen Männern und einem alten Herrn von der Art des kleinen August zusammen sind , so geht es nicht leise zu , sondern sehr schnabellaut wie in einem Spatzenschwarme , der sich auf einem vollen Kirschbaume niedergelassen hat . Als ob sie vier Wochen in ein Terapistenkloster eingesperrt gewesen wären , schwatzten die Mädchen , und die Cénacliers taten das Drittes Buch , drittes Kapitel . Gleiche . Aber der Quetschdiskant des kleinen August dominierte deutlich . Allen Mädchen gleichzeitig galante Komplimente zu sagen , aber zugleich die jungen Herren mit Grobheiten zu regalieren , schien sein Programm zu sein . Die anderen spielten nur ihr Instrument , er , der Kapellmeister , beherrschte die Partitur . Es war wirklich eine Leistung . Girlinger , neben Herrn Lehmann der einzig Schweigende , duckte sich unwillkürlich etwas in diesem Gestöber von Worten . Da erhob sich Stilpe mit der gelassenen Eleganz eines Hofmarschalls und sprach : -- Mädchen und Freunde ! Der Wohllaut eurer Stimmen ist lieblich , und ich möchte ihm gerne noch stundenlang lauschen . Aber die Pflicht hebt ihren ernsten Zeigefinger . Wir haben heute eine Sache von Wucht und Wichtigkeit vor ; laßt uns sogleich daran gehen ! Es gilt , diesen Herrn ( treten Sie vor , Novize ! ) , der sich in den niederen Probegraden nicht ganz übel benommen hat , nun endlich und formell zu entlehmannen . Seht ihn euch noch einmal prüfend an und laßt euch nicht den Blick durch diese Flaschen und Viktualien trüben , indem ihr euch die Frage vorlegt : Darf er der Schwelle bittend nahen ? -- Er darf ! riefen die Drei dumpf . -- Aber natürlich ! sagte die kleine Anna . Warum soll er denn nicht dürfen ? S is ja n ganz netter Herr ! -- Colline , binde Deiner Göttin das Gehege der Zähne zusammen ; sie macht den Novizen eitel . Wir aber wollen beginnen ! -- Novize ! Beherrschen Sie die glänzenden Verse , in denen Sie zu uns zu reden haben ? Herr Lehmann verbeugte sich und sagte : Ja ! -- Novize ! Schwören Sie , demütig und ohne Murren Alles zu vernehmen , was man Ihnen jetzt sagen wird ? Herr Lehmann verbeugte sich und sagte : Ja ! -- Novize ! Fangen Sie an ! Herr Lehmann trat einen Schritt vor , legte beide Hände kreuzweise über die Brust , machte in dieser türkischen Haltung eine ganz tiefe Verbeugung , ließ dann die Hände an den Seiten herabsinken und deklamierte , wirklich nicht übel , was folgt : Wie Runkelrübenzuckernachgeschmack Liegt mir im Inneren schlammig schwabbelig Drittes Buch , drittes Kapitel . Ein ekelhaftes je ne sais quoi . Oh welch ein Bandwurm quält mich Unglückswurm ? Ich fragte herum in manchem braven Haus , Des Fenster aus bestrichenem Glase sind Und dessen Hausflur rot beleuchtet ist , Ich . . . Da rief die kleine Anna : Schämen Sie sich , Herr Lehmann ! Stilpe war empört : -- Colline ! Wenn Dein Ideal nicht den Schnabel hält , mußt Du die Bowle . . . aber ich will nicht vorgreifen . Weiter , Novize ! Herr Lehmann fuhr fort : Ich fragte manche blonde Pythia ( Auch manche braune , wie es gerade kam ) : Setze auf den Dreifuß Dich und sage mir Wie heißt der Bandwurm , der mich so zerstört ? Doch da kein Dreifuß gegenwärtig war , Wurde kein Orakel mir . Ich zahlt und ging . Barmann mußte , während Herr Lehmann eine Pause machte , der kleinen Anna eine Serviette um den Mund binden . Aber der kleine August war außer sich vor Vergnügen , und er schrie : Er zahlte und ging ! Hehehe ! Warum war auch kein Dreifuß gegenwärtig !? Hulda ! Warum ? Stilpe machte : Pst ! Herr Lehmann fuhr fort : Da fuhr aus grauer Wolke breit und schräg Ein Balken Licht in mein gequältes Herz , Und eine linde Stimme sprach : Kamel ! Zu viel des Leders fraßest Du , darum Bist Du so ledern selber ganz und gar -- : Gehe hin , purgiere Dich des Pergaments , Stoß aus den Wust vou Chi und Phi und Psi Und zähle fürder keine Kommas mehr In alten Schwarten , denn ich sage Dir , Das ist der Wurm , der Dich zum Wurme macht . Und ich purgierte mich . Das Seminar Mied ich wie böser Gase üblen Stank Und wälzte keine Folianten mehr Und lauschte nicht mehr mit gedehntem Ohr Dem Oberkommazähler , und ich wurde Beinahe ein Mensch . So stehe ich hier am Tor Und klopfe mit gekrümmtem Finger an : Drittes Buch , drittes Kapitel . Laßt mich , nicht in den Tempel , sage ich , Oh , Nein laßt mich in den Vorhof bloß hinein , Daß , ein bescheidener Wandler , rund herum Um des Cénacles wunderbaren Bau Ich leise schreiten darf und hie und da Hinlegen auf der Schwelle Marmorweiß Ein kleines Opfer der Ergebenheit . Herr Lehmann schwieg und machte wieder eine ganz tiefe Verbeugung . Stilpe erhob sich mit Priesterwürde und skandierte : Die ihr Adepten seid , sprecht euren Doppelvers ! Und Barmann brummte : Ein sehr verwegener Knabe , in der Tat ! Weinreben nehmt und schlagt ihn auf den Steiß ! Herr Lehmann erschrak und trat einen Schritt zurück . ( Denn er hielt Alles für möglich . ) Wippert aber rief : Legt mir den Jüngling in ein Lexikon Als Lesezeichen , klappt das Buch dann zu ! Herr Lehmann schüttelte betroffen das Haupt . 18 Und Stössel im Ä-bäh-Tone : Es müsst der Mensch . Er riecht nach Wasserfleck . Desinfiziert ihn mir mit Bibergeil ! Herr Lehmann wollte beinahe ärgerlich werden , er erhob schon die Arme . Aber Stilpe sah ihn durchdringend und zornig an . Dann sprach er selbst : In strenge seid ihr , und ich tadle euch . Seht ihr die Flaschen nicht , das Roastbeef nicht ? Oh lenkt von dieser bangen Menschlichkeit Den strengen Blick zu diesem Kaviar Und seht der Sprotten goldene Enge an , Der Flundern breite Liebenswürdigkeit , Und ach , den Rollmops , wie er zärtlich blinkt Im Zwiebelkranze , pfeffereingekörnt . Seid milde , milde , milde , sage ich euch , Wie dieser Thunfisch , der im Öle schwimmt , Denn wisset , was in Silber rundlich hier Priapisch leuchtet , ist kein leerer Wahn , Nein : Echt Straßburger Gänseleberwurst ! Und also sage ich : Wer kein Unmensch ist , Entlehmannt diesen Lehmann , und mein Wort Drittes Buch , drittes Kapitel . Heißt : Heil Barbemuche , tritt in den Vorhof ein , Und nimm aus Deiner Westentasche das Rezept , Wie man die Bowle , die Imanuel Der große Kant erfunden , weislich mischt ! Bei diesen Worten erhoben sich die drei Cénacliers mit ihren drei Mädchen und riefen selbsechst sehr laut und stürmisch : Es lebe Barbemuche ! Er mache die Bowle ! Heil ! Hurra ! Landerirette ! Der kleine August aber schrie : Komme Se her , Herr Barbemuche , gäm Se mir n Kuß ! Nee , warten Se Mal , lieber nicht ! Gäm Se Huldan n Kuß ! Und Hulda gibt mirn wieder , wenn Stilpe nichts drwider hat . Und jetzt ging_es los . Stilpe sang mit seiner grausamen Stimme das Lied von der Königsberger Bowle : Braun , braun , braun , Braun ist die Bowle , wie was ? Wie was ? Wie was ? Ach , Kinder , seid moralisch , Die Bowle , die ist naß , Die Bowle , die ist naß . 18 * -- Heda , rief Wippert , die Mädchen beengen uns . Sie sollen hinter den Stühlen stehen und uns bedienen . Wir sind die Herren mit dem Peitschenstiel ! -- Du bist wohl verrückt , rief seine rote Clara , wie er sich mausig macht ! -- Nein , er hat recht ! schrie der kleine August . Alle Mädchen raus ! Raus ! Mädchen sind gut , aber erst trinken ! Dann könn se wieder rein ! Zu enge ! Zu enge ! Er hatte schon fünf Glas getrunken . Stilpe schlichtete das Problem salomonisch : -- Es ist zu enge , das ist klar . Aber die Mädchen in den Alkoven zu sperren , wäre grausam und gefährlich . Ich schlage dies Arrangement vor : Barbemuche und mein Freund Girlinger schieben diesen köstlich beladenen Tisch in die Ecke , und wir legen uns in den Lichtkreis dieser Petroleumampel auf die Erde . Hulda , hole die Kissen rein ! So wollen wir schlemmen und schlampampen nach griechischer Art , lang liegend wie Schläuche , immer ein männlicher neben einem weiblichen . -- Ja , liegen , liegen ! rief der kleine August . Hulda , kennst Hamletn ? Und sie lagerten sich griechisch , wie Schläuche . Drittes Buch , drittes Kapitel . Das alliterierende Mädchen nahm sich besonders gut aus . -- Sie sind das schönste Kanapee im Möbelmagazine des Herrn , sagte der kleine August . Herr Lehmann mußte anstatt eines Mädchens sein Cello neben sich legen und die wichtigsten Reden , zumal , wenn sie rhythmisch wurden , mit leisem Saitenrupfen begleiten . Es entwickelte sich ein unbeschreiblicher Lärm , zumal dann , als die Delikatessen , von denen Stilpe übrigens einige beiseite gebracht hatte , aufgezehrt waren und die Henry Clays dampften . Der kleine August wälzte sich von Mädchen zu Mädchen und ächzte nur noch , wenn er nicht trank . Ächzend entwarf er verführerische Schilderungen seines Schlafrockes , den ihm Richard Wagner geschenkt haben sollte : -- Besucht mich doch Mal , Kinder , mein Schlafrock ist aus Seide , hehe , so mollig , und meine Badewanne ist auch nicht aus Pappe , nee ! Wenn aber jemand zur Unzeit lachte , wurde er ungeheuer wild und brüllte Schimpfworte der unerhörtesten Art . Manchmal sang er auch Melodien aus seinen vielen ungeschriebenen Opern , die alle höchst erotischer Natur waren und im Oriente spielten . -- Hehe , was hat der Meister gesagt ? Gott_sei_Dank , hat er gesagt , daß der kleine August säuft , sonst müßten wir uns einpacken lassen . -- Und deshalb säufst Du ja bloß , August , sagte Stilpe . Er säuft aus Liebe zu Wagner , weil er den nicht umbringen will . Es lebe August der Großmütige ! -- Halts Maul , Stilpe , ächzte August , Du bist die frechste Canaille , die ich kenne , aber ich liebe Dich , ich liebe alle frechen Kanaillen . Hulda , klopf mir den Buckel ab ! Es dauerte nicht lange , und Alle waren betrunken , sogar Girlinger , der sich abwechselnd einen Rabulisten nannte und provenzalische Minnelieder sang . Barmann hielt Volksreden , wobei er fortwährend wiederholte , nicht Bebel sei Präsident , sondern Bismarck . Auch der kleine August schrie , daß er Bismarck liebte , nur wäre es schade , daß er kein Sachse wäre . Wippert lag sehr lange auf den Knien und küßte der roten Clara die Schuhe . Dazu sang er : Lang , lang ist_es her . Drittes Buch , drittes Kapitel . Stössel entwickelte Ideen über das Salondrama , das nur geflüstert werden dürfte und wobei man , wie jetzt Operngucker , Hörröhren im Theater verleihen würde . -- Das Flüstertheater ist das Theater der modernen Nerven , das Theater der intimsten Seelendüfte . Seelengesäusel ! Wollustgewisper ! Sanft ! Ganz sanft ! Hauch ! Und er flüsterte selber nur noch so leise , daß ihn kein Mensch mehr verstand . Aus reiner Opposition stellte Stilpe das Ideal eines " Schmettertheaters " auf . -- Nur noch Verse , lang hinhallend Verse wie Fanfaren , Posaunenstöße , die wie lange Donner machtvoll ausrollen . Z. B. so , und er brüllte mit voller Lungenkraft : Ein Meer von Bowle , Dir , Natur , gebracht , in langen , langen , langen Zügen , ohhh ! Sonst sprach man mehr von unliterarischen Dingen , und Stilpe stellte sogar die Behauptung auf , es sei eine Schande , an Literatur auch nur zu denken , so lange der Magen noch gesund sei . -- Nur Magenkranke dichten . Wer gesund ist säuft . Und das ist der Grund unseres Saufens : Wir saufen , um auf dem Umwege über eine Magenkrankheit einmal Dichter werden zu können . Unendlich oft sank man sich in die Arme , zumal , als die Mädchen eingeschlafen waren . Die dicke Grete hatte sich mit Hulda direkt ins Bett gelegt , und die kleine Anna glaubte offenbar , sie wäre zu Hause , denn sie zog sich bis aufs Hemd aus und legte sich aufs Sofa . Herr Lehmann durfte ihr ein Schlummerlied auf dem Cello geigen , und sie küßte ihn dafür recht herzlich , wenn auch im Schlafe . Die rote Clara hatte sich nur die Haare aufgemacht und lag dem kleinen August im Schoße , der aber keinen Sinn mehr dafür hatte und ein paar Mal rief : Nehmt doch die Apfelsine weg ! Früh um drei schlief Alles . Nur Stilpe stieg zwischen den Schlafenden hin und her und trank die Bowle leer . -- Die Betrunkenheit hob und senkte sich in ihm . Ihm war , als führe ihn etwas im Kreise herum . Zuweilen lallte er : Wie dieser Lehmann schnarcht ! Drittes Buch , drittes Kapitel . Dieser Idiot ist ganz selig . Warum ? Er hat seine Kniegeige . Und dieser lasterhafte Greis ! Glücklich ist der Halunke . Warum ? Er glaubt an Richard Wagner . Und diese lieben Knaben , eingeschlossen Girlinger . Unbeschreiblich zufriedene Burschen ! Warum ? Sie haben ihre Frauenzimmer oder ihren Zylinder . Dahingegen ich ! Ich muß über ihre schnarchenden Leichen steigen und kann nicht schlafen . Ach , was bin ich elend ! Ach ! Ach ! Ach ! Heulen ! Heulen ! Warum ist mir so übel ? Warum geht Alles in mir auseinander ? Die Schulden ! Die Schulden ! Überall Schulden ! Und , äh , ich weiß nicht recht , verlohnt sich denn das Alles ? Ich . . . rutsche ja . . . ich . . . rutsche ja . . . Plötzlich gab er Girlinger einen Stoß mit dem Fuße . Girlinger lallte : Drücke mich nicht so , Johanna ! Stülpen erfaßte ein wütender Zorn : Also auch dieser Hering seufzt ! Und er stieß ihn noch einmal : Girlinger ! -- Was denn ? -- Was hältst Du eigentlich von mir ! He ? Nicht wahr , ich bin ein Lump und kuhdumm !? -- Versumpft , ganz versumpft , total . -- So , so ? Reizend ! Hast Du gar keinen Respekt vor mir mehr ? Wie ? -- Laß mich schlafen , ich muß schlafen . Die Zigarren sind sehr teuer . -- Ob Du mich für dumm hältst ! -- Ja , ja doch , meinetwegen , Du bist ja natürlich dumm . Das ewige Saufen . . . Du mußt ja verblöden . Und außerdem . . . geschmacklos . . . Ah . . . Ich muß schlafen . Natürlich : Dumm ! . . . Ja , ja , das Saufen ! . . . Geschmacklos . . . Freilich . . . Blöde . . . Hm . . . Mir ist selber so . . . Äh , wie die Mädchen schnarchen . . . Er stellte sich vor die kleine Anna hin : Wie rund sie ist . Hm. Fest . Warm . Und ich stehe da wie ein Klotz . Ich . . . ich . . . habe nicht Mal mehr Lust an dem . Ich . . . Gott ! Gott ! . . . Er sah sich scheu um und fuhr ihr mit der Hand über die Brust , aber wie angeekelt zog er die Hand schnell zurück . Plötzlich warf er sich mitten ins Zimmer . -- Ein Sauleben ! Ein Sauleben ! Alles hin ! Drittes Buch , drittes Kapitel . Alles leer ! Fertig ! Fertig ! Jetzt schon fertig ! . . . Er lachte laut auf und trank den Rest der Bowle aus dem Löffel . -- Und was für eine Art Besoffenheit das ist . Ich werde jetzt moralisch , wenn ich bezecht bin . Köstlich ! Über alle Begriffe köstlich ! Das ist der Finger Gottes ! Ich soll in mich gehen ! Ein ausgezeichneter Fingerwink ! Eine sublime Ironie ! : Halt ein mit dem Suff , sonst kriegst Du die Moral ! Man kann nicht deutlicher sein . Oh ja , es gibt eine Vorsehung , meine Herrschaften ! Äh , pfui Teufel Viertes Kapitel . Eine kalte Märznacht ; Regen , Wind und zerfetzt jagende Wolken . Das Theater ist aus . Karl Häuser aus München hat den Falstaff gegeben , und trotz des abscheulichen Wetters ist es den Leuten , die aus dem Theater kommen , behaglich zu Mute . Auch Girlinger ist darunter . Eben spannt er den Regenschirm auf , um seinen Zylinder und den neuen langen englischen Überzieher zu schützen , da tritt Stilpe an ihn heran . Er hat keinen Überzieher , und statt der gelben Mütze sitzt ihm ein alter Schlapphut auf dem Kopfe . Seine Hosen sind unten ausgefranzt , seine Stiefel zerrissen , statt Kragen und Shlips trägt er ein wollenes Halstuch . Girlinger erschrickt , wie er ihn sieht , und macht eine Bewegung , als wolle er davon . Drittes Buch , viertes Kapitel . -- Aber es ist ja dunkel , Herr Referendar ! Du wirst Dich nicht kompromittieren , und ich werde Dich nicht einmal anpumpen , denn die zwei Mark , die Du mir spenden würdest , helfen mir nichts . Aber reden möchte ich n bisschen mit Dir . Mir ist , als hätten wir uns eine gute Weile nicht gesehen . -- Ich wußte nicht , daß Du noch hier bist . Ich glaubte . . . -- Was glaubtest Du ? Geniere Dich nicht ! -- Nun , ich dachte , Du wärest vielleicht . . . -- Nach Amerika ? Oder zur Schutztruppe ? -- Ich meinte , Du wärest fort . -- Fort ! Sehr gut ! Aber siehe , noch ist er da ! Ja : Bleibe im Lande und nähre dich redlich , wenn Du kein Reisegeld hast , mein Sohn . . . . Wo gehst Du hin ? -- Nach Hause . -- Ah so ! Nach Hause . Das klingt ungemein nett . Sage Mal , Du hast doch einen Hausschlüssel ? -- Gewiß . -- Schön . Dann kannst Du mir wohl ein paar Viertelstunden schenken ? -- Eigentlich habe ich keine Zeit , da ich morgen Sitzung habe und mich noch etwas in den Akten umsehen muß . -- Sitzung ! Akten ! Nein , daß ich mit solchen Würdenträgern umgehen darf ! Wenn Leipzig russisch wäre , wärst Du sicher schon Beamter der achten Rangklasse . -- Ja , wenn Du mich verhöhnen willst . . . -- Nein , Girlinger , wirklich nicht . Nee . Ich bin so matsch . . Weißt Du , meine Stiefeln haben nur noch nominell Sohlen , und Abendbrot habe ich auch noch nicht gegessen . Da sollte ich höhnen ? Nein , ich höhne nicht . -- Aber , Mensch , wovon lebst Du eigentlich ! -- Sei unbesorgt : Louis bin ich nicht , obwohl . . . na , gleichviel . Du warst im Theater ? -- Ja . -- Ich auch . -- Wie ? Obwohl Du kein Geld zum Abendbrot . . . -- Ja , die Kunst , mein Lieber ! Die Kunst ! Ich bin nämlich Aushilfsstatist . Hast Du mich nicht bemerkt ? Gelbe Schlappstiefel und einen grünen Busch . Ho ! Wenn nur die Wämser nicht so stänken . . . Aber , was : Der Häuser , das ist ein Kerl ! Wie ? Es ist gemein von Heinrich , Drittes Buch , viertes Kapitel . diesen Falstaff am Schlusse so zu behandeln . . . man könnte heulen ! Überhaupt : Das ganze Stück wird zur Tragödie durch diesen Schluß . Und diese Parkett- und Galeriewanzen fühlen das gar nicht . Oder etwa Du ? Oh nein ! Welch eine Genugtuung , daß das fette Laster sein Teil kriegt . Widerlich . Auch Shakespeare war ein kluger Herr und verstand das Geschäft wie Ludwig Fulda . Äh ! Mich hat_es gejuckt , laut aufzuschreien und diesem grünen Tugendprotz von Heinrich meine Schlappstiefel an den Kopf zu werfen . -- Ein angenehmer Effekt . -- Ja , aber er hätte mich meine künstlerische Position gekostet . Nein , ich darf Shakespeare keine Gemeinheit vorwerfen . Ich bin auch ein rechnendes Schwein . Mangelnde Abendbrote demoralisieren . Girlinger fing an , einen psychologischen Bissen zu ahnen . Es mußte wohl interessant sein , das Problem der Verlumptheit an einem konkreten und dabei einigermaßen vertrauten Fall zu studieren . Er liebte solche Studien , wenn sie bequem gemacht werden konnten . Also lud er Stülpen ein , mit ihm in ein Lokal zu gehen und Abendbrot zu essen . Stilpe nahm diese Einladung mit Lebhaftigkeit an : -- Mensch , wie schön sind Deine Gedanken ! Und ich hielt Dich keines Schwungs für fähig ! Verzeihe mir ! Aber Du mußt das Lokal mich bestimmen lassen . Nur ist es schwer , denn Dein Zylinder paßt nicht in meine Milieus . . . Aber es geht schon . Die Gossenstube in der Klostergasse ist ein Rahmen , der für Dich und mich paßt . Auch gibt es dort wunderbare Sooleier und einen Nordhäuser , der die Seele mit feurigem Besen fegt . Du hast das ja nicht nötig ; Deine Seele ist rein ; dafür kannst Du Dich ja an die milde Gose halten . Ich aber werde mich auf Deine Kosten gewaltig ausfegen . Sie gingen in die Gossenstube und fanden einen leeren Tisch . Stilpe aß mit Heißhunger und sehr viel , die Gose aber benutzte er nur als Vorwand für eine große Anzahl von Nordhäusern , die er mit " Kutscherschwung " zu sich nahm , wobei es stets den Anschein hatte , als wolle er das Glas mit verschlingen . Im Lichte der Gasflammen sah Girlinger , wie ihm die letzten drei Jahre zugesetzt hatten . Das unrasierte Gesicht fahl und aufgedunsen , die Lippen bläulich , die Augen scheinbar kleiner geworden und sehr unstet . Eine zuckende Unruhe im ganzen Drittes Buch , viertes Kapitel . Wesen , zumal in der Bewegung der Hände etwas ziellos Fahriges . Aber der Nordhäuser schien zu beruhigen . Zuletzt bekam Stilpe sogar seinen alten Zug von souveräner Ironie und die gewisse , etwas zu deutlich markierte vornehme Lässigkeit der Gesten . Zumal den Rauch der Zigarre blies er ganz wie früher so grandios und dabei mit Genußmiene von sich . Auch seinen alten Stil gab ihm der Nordhäuser ungefähr wieder . -- Ja , mein Teurer , bis auf diese etwas kleckerige Bank da habe ich mich glücklich hinabavanciert , seitdem diese lieblichen Idioten mit den gelben Mützen mich hinausgetan haben . Wie heißt es doch : c. i. , das ist cum infamia . Nun ja : Eine reizende Phrase . Ich hätte die ganze Sache mehr von diesem ästhetischen Standpunkte ansehen sollen . Und wie nett das eigentlich war , ich meine , wie gut es dieses brave Schicksal eigentlich gedeichselt hat , wie mütterlich vorbereitend . Erst diese Jünglinge mit ihrem Mikrokosmos von Bierjudikatur , und drei Monate später dieser Makrokosmos des Senats der freundlichen Alma mater . Nochmal c. i . So sind die Naturgesetze . Du verstehst mich doch ? -- Ja , aber sage Mal : Hast Du denn wirklich . . . ? 19 -- In der Tat : Ich habe wirklich . -- Aber Mensch , Du mußtest doch bedenken . . . -- Was mußte ich bedenken ? Daß die Kasse der gelben Mützen nicht meine Kasse war ? In der Tat ! Dieser Umstand war mir nicht verborgen . Aber ad 1 : Eine andere Kasse hatte ich leider nicht und ad 2 schwang mich die Wiege der Zuversicht , das biedere Cénacle , inklusive die beiden kapitalkräftigen Barbemuches , würden mich momento quo ( das ist mein Privatlatein ) nicht in der Galläpfelsauce sitzen lassen . Ein falsches Kalkül , mein Holder , und wenn Du ein bisschen in der Weltgeschichte blätterst , wirst Du die Erfahrung machen , daß so was schon manchmal mehr als eine gelbe Mütze und eine Matrikel gekostet hat . Übrigens wäre ich wirklich beinahe der honorigen Studentenschaft erhalten blieben . Aber nicht immer vermögen die Unterröcke zu retten , was die Hosen versehen haben . -- Das verstehe ich nicht . -- Tröste Dich : Ich werde es Dir gleich erzählen . Erinnerst Du Dich an meine erste Liebe ? -- Welche ?! Drittes Buch , viertes Kapitel . -- Die chronologisch erste . . . Ich habe es Dir wie jedem Anderen damals unfehlbar erzählt . Josephine hieß sie . -- Ach so , die , wo Du erst acht Jahre alt warst , in dem Dresdener Institut ? -- Präzis die . Josephine . Buschklepper seine . Dieser Engel hat mich retten wollen . Es ist zweifellos rührend . -- Aber wieso denn ? -- Sehr einfach . Du erinnerst Dich , wie ich euch damals die ganze Sache klar machte . Nicht wahr ? Ich sprach doch , wie Cicero und Catilina in einer Person . Es war einer meiner Höhepunkte . Ein paar Anakoluthe habe ich noch in der Erinnerung . Nun , ihr wart mit Talg gepanzert . Es rollte Alles ruhig ab . Besonders Du warst ein großes Achselzucken . Hehe , famos hast Du das gemacht , mein Liebling ! Prost ! Dafür sollst Du heute noch viele Nordhäuser bezahlen . Also schön . Ich raste ab . Du mußt Dich daran erinnern . Ich habe in meinem Leben das Wort Schweinehunde ! nie wieder so schön tremoliert . Und überdies warf ich Dir ja ein Bierseidel an den Bauch . Nicht wahr , Du erinnerst Dich deutlich ? -- Ja , Du warst noch unflätiger , als sonst . 19 * -- Das ist mir lieb , zu hören . Aber Sela ! Als ich draußen war , sagte ich mir : So , die Sache ist nun fix ; wo tröste ich meine Seele ? Und da besuchte ich denn , aber Du darfst nicht rot werden , Referendar , jene Hausbesitzerin , von der wir manchmal gesungen haben : Warum ist Deine Laterne wie Blut so rot , Amalie ? Du hast das sehr schön singen können , mein Engel , und oft habe ich Dich im Scheine dieser Laterne stehen sehen , überglüht wie von der Morgenröte . So magisch wirst Du nie wieder aussehen , nie ! Und darum prost und Sela ! Apropos : Du bist doch verlobt ? -- Das gehört wohl nicht hierher . -- Nein , es fiel mir in diesem Zusammenhänge bloß so ein . Weißt Du , mir fällt immer das Ungehörige ein , hehe . Übrigens fange ich an , in Stimmung zu kommen , und da rutschen mir immer die Gedanken aus . Wart Mal , wovon sprach ich doch . Richtig : Von Deiner Braut ! Ist sie wieder gesund ? -- Sei nicht albern . Du sprachst von dem Hause dieser alten Vettel , dieser Amalie . Drittes Buch , viertes Kapitel . -- A--ma--li--eh ! Richtig ! Und , daß ich damals hinging , wie ihr mich verstoßen hattet . Richtig ! Ich bin im Gleise wie die Pferdebahn . Nun gerade aus ! Hüh ! Brr ! Ulrichsgasse ! Alles aussteigen ! Ah ! Was gibt_es Neues , Mutter der Houris ? War -- as ? Wer ist denn das da ? Ruhe ! Na ja , is gut . . . -- Mensch , Du phantasierst ja . -- Roll mir ein paar Sooleier her , und ich steige auf die Erde . Er aß ein paar Sooleier und kam zu sich . -- Also denke Dir : Ich gehe mit einem Mädchen hinauf und unterhalte mich mit ihr . Sie gefiel mir nicht etwa . Nein , sie gefiel mir gar nicht . Sie war so , ich weiß nicht , so fatal dürr und , ja : Gläsern . Sie hatte entschieden grüne Augen und unendlich viel Sommersprossen . Aber um den Mund rum hatte sie so was Verächtliches , als ob er schon oft vor Ekel ausgespuckt hätte . Weißt Du , wer so einen Mund gehabt hat ? Unser alter Freund Börne . Also , sie setzt sich aufs Bett und sagt : Na ? -- Hm , sage ich , schenken wir uns das ! Sie guckt mich groß an . -- Weißt Du was , sage ich , Du kannst mir dafür Deine erste Liebe erzählen . -- Ich ? sagt sie , ich habe gar keine erste Liebe gehabt . Gerade , wies anfing , war_es aus ! -- Nee , sage ich , so was ! Das mußt Du mir nun gerade erzählen . Sie wollte durchaus nicht , aber ich hatte die Gabe der Eindringlichkeit , weißt Du , mit ein bisschen Schauspielerei und ein bisschen Gefühl neben dran . Denn ich war ja immer gefühlvoll neben dran , hehe . Und so erzählt sie mir denn . . . aber das war wirklich . . . hole mich der Teufel noch einmal ! . . . ich dachte , ich wäre endlich wieder Mal betrunken . . . ja , denke Dir : Sie erzählt mir meine Geschichte von damals ! Ganz genau ! Unterm Katheder und dann im Garten ! Ich kriegte direkt Angst . Ich packte sie an den Handgelenken und sah sie so fürchterlich an , daß sie aufschrie . Und da nannte ich ihren Namen , den richtigen , und dann meinen . Nordhäuser ! Nordhäuser ! Er war ganz aufgeregt . -- Wie sie mich da ansah ! Die grünen Augen wurden tiefblau und strahlig . Und mit einem Male lag sie mir am Halse und heulte , daß ich Drittes Buch , viertes Kapitel . denke , sie läuft aus . Und stammelt und stottert und klappert mit den Zähnen . Herrgott ! In meinem Leben habe ich ein fremdes Leben nie wieder so gefühlt . Mir war_es , als hätte ich ihr Herz leibhaftig und blutend und stoßend in meiner Hand , und es rönne mir über die Finger . -- Du Windelband ! Glotze gescheiter . Hehe ! Dieser Referendar ist ergriffen ! Er lehnte sich zurück und blies den Zigarrenrauch lachend von sich . -- Komisch ! Furchtbar komisch ! Was ? Das Leben ist talentvoll . Es macht die schwierigsten Sachen ohne allen Apparat . Schmeißt da zwei Zerschmissene aufeinander und sagt : Da habt ihr euch ! Er sah Girlinger blinzelnd an : -- Nicht wahr , die Geschichte ist ein paar Nordhäuser mit Sooleiern wert ? Aber mir wird sie langweilig . Was kam auch noch ? Ich hatte das Stichwort und goß nun meine Geschichte von mir : So , na und dann bist Du also gefälligst bald dorthin gekommen , wo Du jetzt bist , mein teures Mädchen ; bon ! Des Herrn Wege sind unerforschlich , und : Wer weiß , wozu es gut ist , sagt der Christ . Ich aber . . . Ach , ich mag nicht mehr erzählen ! Kurz und gut , wie sie erfuhr , was mir bevorstand , wollte sie das Geld aufbringen . Viel Gesuche in allen Kasten , dann Geschrei und Gebettel bei Madame Amalie . . . Satis superque , es langte nicht . Die Beiden schwiegen eine Weile . Dann Girlinger : Und , was hast Du dann eigentlich getrieben ? -- Ich ? Getrieben ? Welch ein Tropus ! Ich habe mich treiben lassen . Ach so , Du willst wissen , was ich " gewesen " bin ? Höhe ! Reichskanzler nicht ! -- Haben denn Deine Eltern . . . ? -- Ich habe eine Schmetterlingssammlung geerbt . Es waren ein paar reizende Kerle darunter . Das andere hat beinahe für die Schulden gelangt . -- Warum bist Du nicht unter die Journalisten . . . -- Du siehst doch , daß ich noch unter die Journalisten gegangen bin . -- Aber , Mensch , Du hast doch Talent ! -- Aber das Leben hat noch mehr , wie ich Drittes Buch , viertes Kapitel . mir schon ein Mal zu bemerken erlaubte . Übrigens , mein Sohn , irrst Du Dich , wenn Du denkst , ich bin unter den Rädern . Ich bin bloß zwischen dem Roßmist . Du brauchst mir nur das Reisegeld nach Berlin zu leihen , und ich stürze Herrn Bleibtreu . Oh , es kommt schon noch die Zeit , wo ihr mit einigem Stolze sagen werdet : Den berühmten Stilpe kenne ich ! Das ist ein Freund von mir. Deinen Nordhäusern von heute wirst Du es zu verdanken haben , wenn ich Dich dann nicht verleugne . Viertes Buch Ecce poeta Reich mir einen Lorbeerkranz , Schicksal , oder aber Einen Bund voll Hafer . Aus Stilpes zerstreuten Weisheiten . Erstes Kapitel . Ein junger Lyriker und ein noch jüngerer Dramatiker saßen im Café Kaiserhof in Berlin und erörterten die Zukunft der deutschen Literatur . Da ging ein Herr an ihrem Tisch vorüber , und der Lyriker hielt mitten in der Bemerkung , daß erst nach völliger Austilgung der Tagespresse wieder an eine anständige Literatur zu denken sei , inne , um diesen Herrn , der sehr elegant gekleidet war und ein etwas blasiertes Wesen zur Schau trug , mit tiefer Verbeugung zu begrüßen . Der Herr , an dem eine Fülle schwarzer , weit in die Stirn gekämmter Haare und ein Klemmer mit sehr breitem schwarzem Bande besonders auffiel , sagte mit einem schiefen Lächeln : Nächste Woche kommen Sie dran ! Die freien Rhythmen habe ich schon klein gehackt . Man tut , was man kann . Der Lyriker machte noch eine Verbeugung und wollte etwas sagen , aber da war der Herr mit dem schwarzen Klemmerbande schon weiter gegangen . An einem Ecktisch , wo der Kellner bereits den Absinth filterte , ließ er sich nieder . -- Wer war denn das ? fragte eifrig der Dramatiker . -- Kennst Du denn den nicht ! antwortete erstaunt der Lyriker : Stilpe ! -- Was ? Den Kerl grüßt Du ? Dem schickst Du Deine Bücher ? Das ist ja der infamste Hund , der je kritisch gebellt hat ! -- Schrei doch nicht so ! Mit dem ist Freundschaft besser als Feindschaft . Übrigens hat er wirklich Geist . -- Ach was : Geist ! Ein Molch ist er ! Eine niederträchtige Bestie ! Ein impotenter Neidbold , der sich einbildet , mit Schnoddrigkeit alles totmachen zu können . Die Reitpeitsche gehört ihm ! Eine Witzwanze ist er ! -- Was hat er Dir denn getan ? -- Mir wird er erst noch was tun , aber ich hasse ihn schon vorher . Dieses Gezücht muß ausgerottet werden , Du hast es ja vorhin selber gesagt ! Viertes Buch , erstes Kapitel . -- Bitte recht sehr ! Ich war noch nicht fertig ! Leute wie Stilpe nehme ich aus . Er ist freilich ein Pamphletist , aber , zum Teufel , er hat einen alten Hut voll Talent . -- Ich pfeife auf diese Art von Talent , hinter dem kein Charakter steckt . Galle , Neid und Größenwahn , nichts weiter ! Den alten Hut haben hier Viele auf . -- Du irrst Dich , es steckt mehr dahinter . Stilpe ist eine der interessantesten Erscheinungen in der Berliner Literatur . Ein giftiges Aas , meinetwegen ! Aber : Unerschrocken ! Kennst Du denn seine Karriere ? -- Ach was ! Er wird sich durchgebohrt haben wie alle diese Holzpapierwürmer . -- Urteile doch nicht so ins Blaue ! Ich sage Dir offen : Ich habe Respekt vor dem Mann ! -- Oder Angst . -- Unsinn ! Respekt sage ich . -- Auch Hochachtung ? -- Ach ! Hochachtung . Vor einem Kritiker hat man nie Hochachtung . Aber er imponiert mir . Die Art wie er sich durchgesetzt hat , gefällt mir , weil sie beweist , daß ihm der ganze Journalismus nur eine Gelegenheit zu Stilübungen ist . Vor drei bis vier Jahren ist er hier in einem Coupe vierter Klasse angekommen , ganz abgerissen , ohne die geringsten Verbindungen . Als Reporter hat er angefangen , d. h. eigentlich bloß als Hilfsreporter , und bei was für Blättern ! Es heißt übrigens , daß er damals in verschollenen modernen Revuen Gedichte veröffentlicht hat . Jedenfalls hat er , während er hier beim literararischen Troß mitschuftete , nach auswärts in Literaturblättern die unerhörtesten Brandartikel geschrieben , als wäre er der heimliche Kaiser der deutschen Literatur . Ich sage Dir : Dreck und Feuer , aber angemacht mit Flammpunsch ! Durch eine Serie von Ohrfeigen , die er von einem Schauspieler kriegte , wurde er berühmt . -- In der Tat : Imposant ! -- Ist es auch ! Denn diese Ohrfeigenserie war nichts weiter als ein abgekarteter Coup , wie sich später herausstellte . Er und der Schauspieler prügelten sich programmmäßig nach gemeinsam aufgestelltem Regieplan und zwar mit nachdrücklichster Naturtreue . Wie der Streiche geglückt und ihr Name in allen Zeitungen war , fuhren sie zusammen in einer offenen Droschke durch die Friedrichstraße und Stilpe ließ eine höchst amüsante Ehrenerklärung , die von Witz sprühte , durch die Viertes Buch , erstes Kapitel . Blätter laufen , und die Aufmerksamkeit der Redaktionen galt nun nicht mehr seinen Ohrfeigen , sondern seinem offenbar großen journalistischen Talent . Er kam an einem konservativ-antisemitischen Blatte an und schrieb nun das boshafteste Zeug , was sich nur denken läßt , gegen die " koschere Literatur " . Er hat geradezu den antisemitischen Knüppelstil erfunden . Und auf einmal , wie mit einem Krach , saß er auf der anderen Seite und drasch auf die Antisemiten los , daß es nur so knackte . -- Na , das ist doch der Zynismus der Charakterlosigkeit in frechster Form ! -- Aber es hat Stil , mein Junge , und , übrigens : Denkst Du heute noch über Arminius so , wie in Sexta ? -- Erlaube Mal , damit läßt sich jede Käuflichkeit entschuldigen . -- Ich behaupte ja nicht , daß er ein moralisches Exempel ist . Er ist ein Landsknecht der Feder , jedem zu Diensten und in jedem Dienste ein Draufgänger . Wie ein General zur Zeit der italienischen Renaissance , der seinem Feldherrenstab bald das , bald jenes Wappen als Knauf aufsetzte , so schwang er bald diese , bald jene Fahne . Aus dem Radtau-Antisemiten und fortschrittlichen Los 20 Gänger wurde erst noch eine Art literarischer Volkstribun der Sozialdemokratie , und es schien , als würde er dabei stehen bleiben . Er schrieb damals mit einer merkwürdigen nüchternen Härte und hieb besonders auf den " Bourgeois-Anarchismus " der jungen Literatur los . Aber plötzlich ein wilder Quersprung , und er enthüllte die Kunstfeindlichkeit der Sozialdemokratie mit einer solchen Unerbittlichkeit und bekannte so flammend seinen Irrtum , daß man wirklich glauben mußte , er sei vom Geiste aller freien Künste apollinisch besessen . Seitdem datiert sein Ruf als literarischer Kritiker . Er verließ die Politik und wurde der Schrecken der Belletristen . Er fing an , fein zu werden , Du verstehst mich : Fein im Berliner Sinne , also witzig und scharf . Natürlich muß er infolgedessen mehr verreißen , als loben . Kritik ist Scheidekunst sagt er ; also : Scheidewasser her ! Aber gerade deshalb liebt ihn sein Leserkreis . -- Und das findest Du also imposant ! -- Nein , das gerade nicht , aber diese ganze Schamlosigkeit , mit soviel Witz und frechem Mute vertreten , zwingt mir sehr viel mehr Respekt ab , als die langweilige Leisetreterei der furchtbar ernsthaften Leute , die konsequent und reputierlich sind , Viertes Buch , erstes Kapitel . weil ihre Beschränktheit es nicht anders gestattet . Sie schulmeistern die Literatur , er macht sich über sie lustig . Nenne ihn einen Lump , aber ist er es in Großfolio , und wenn Du etwa sagen willst , daß er Schaden anrichtet , so behaupte ich , daß er das Interesse für Literatur hundertmal stärker anregt , als die anständigsten kritischen Registratoren . Übrigens interessiert er mich im Grunde als Mensch . Ich bin zwar bloß Lyriker , aber ich wittere hier einen tragischen Fall . -- Köstlich ! Wenn ein Lyriker es mit der Phychologie hält ! Jaja ! Ich sage Dir , dieser Mensch fühlt sich in seinem Salonrocke unendlich wohl und verachtet die gesamte schöpferische Literatur , wenn er nur immer genügend hohes Zeilenhonorar kriegt , um gut essen und trinken zu können . Die Absinth-Flasche hat er schon bald leer . -- Ja , man sagt , daß er säuft , und das stützt wieder meine Meinung von der Tragik , die hinter diesem Menschen steckt . -- Du bist wirklich ein Lyriker . Dann sprachen sie wieder von der Zukunft der deutschen Litteratur. 20 * Der psychologische Lyriker hatte recht : Stilpe fühlte sich in seiner bevorzugten Lage sehr unglücklich . Er lebte allerdings sehr gut , seitdem er " in der Feuilletonmanege die Pausen durch schwierige Scherze ausfüllte " , wie er sein kritisches Amt umschrieb . Er aß bei Kempinsky , ließ bei einem englischen Schneider arbeiten , trank nur ausgesuchte Spirituosen und hatte , wenn auch kein ständiges , so doch eine Art von Wanderharem , " wohlassortiert " . Daß darunter keine eigentliche Geliebte war , empfand er nicht als Mangel . Dieses Bedürfnis hatte er nicht , wenn ihn auch manchmal so etwas wie Sehnsucht danach anwandelte . -- Vielleicht wäre es gut , wenn ich mich einmal richtig verliebte , sagte er sich ; das wäre doch wenigstens ein Surrogat für das Andere . Aber es gelang ihm nicht . Was aber war " das Andere " ? Ein paar Stellen seines " Heftes der Aufrichtigkeiten " geben darüber Aufschluß . Dieses Heft legte er zu dem Zeitpunkte an , als seine Stellung anfing , gesichert zu werden ; und das war dieselbe Zeit , um die er begann , sich unzufrieden zu fühlen . Viertes Buch , erstes Kapitel . Auf der ersten Seite stand dies : " Jede Pflichtgewohnheit ist gemein , also auch das Lügen , als welche Kunst ich jetzt gewerbsmäßig und , wie ich mir sagen darf , nicht ohne Begabung , aber ich will ja hier ehrlich sein , also : Mit ungewöhnlichem Talente betreibe . Deshalb will ich wenigstens zuweilen diese Gewohnheit brechen und auf diesen Blättern die Wahrheit sagen . Daß ich auch dabei lügen werde , versteht sich am Rande . Aber diese Lügen werden eine eigene und amüsante Nuance haben . Ich stelle es mir sehr anmutig differenziert vor : Lügen , die Wahrheiten sein wollen , aber nicht daran glauben , und Wahrheiten , die sich selber keineswegs trauen , aber ihrer Lügenhaftigkeit immerhin nicht ganz sicher sind und sich manchmal im Stillen zweifelnd sagen : Wer weiß , am Ende sind wir wirklich wahr ? Eine liebliche Sorte Schlinggewächs also , -- mein Gehirn mag eine ähnliche Struktur haben . " " Es scheint wirklich : Der Mensch lebt nicht von Brot allein und auch nicht von dem , was besser schmeckt ; er braucht ein Ziel , was er lieb hat , um " glücklich " zu sein . Aber er muß dran glauben . Beispiel : Ich war glücklich , als ich das Ziel lieb hatte , ein -- Dichter zu werden , obwohl ich damals lauter Schulden und keine Aussicht hatte , sie zu zahlen . Oder : Ich war glücklich , als ich das Ziel lieb hatte , ganze Stiefeln zu bekommen . Und ich hatte doch nichts zu essen . Nun aber : Bitte , wo ist das Ziel , das ich lieb hätte ? Ganze Stiefeln habe ich , und ein Dichter mag ich einstweilen nicht werden . . . Alles wüsste und leer . . . Das Ziel , einen Rausch zu bekommen . . . ! . . . ? Ach , wie erbärmlich sind jetzt meine Räusche ! Ich trinke , weil_es schmeckt , und das ist niedrig neben dem eigentlichen Ziel des Trinkens , dem großen Rausch . Vielleicht Morphium ? Aber ich fürchte den Selbstmord . . . Meine Krankheit heißt überhaupt Feigheit . . . Ich habe mich zu sehr an Kempinsky gewöhnt . . . Viertes Buch , erstes Kapitel . Halt ! Ich werde nach Dressel streben ! Jede Woche zwei Feuilletons mehr , und es geht ! . . . Ach , wie kümmerlich und einfältig ! Bin ich denn schon ganz verblödet ? Jeder Tag Dressel , das wäre ja eine Rohheit und unsagbar stümperhaft . Ich würde mir ja selbst die Möglichkeit zu Magenidealen rauben . . . Also : Ideale fehlen mir ? Schau , schau , wie tugendhaft ich bin . . . Unsinn : Ideale ! Schon das Wort ist die verkörperte Maulsperre : I. . . e. . . a ! Pfeifen wir lieber darauf ! . . . Aber das schweiß- und lustlockende Ziel . . . Sollte es die Liebe sein , die Li--a--bee ? Oh nee ! Indessen . . . manchmal . . . ? . . . hm . . . ! . . . Kürzlich liebte ich sehr stark in der Gegend des Weddings . Ich zog mich schlecht an ( wie schade , daß ich meine letzte Leipziger Garderobe nicht mehr habe ! ) und entzündete den Scharlachfeuerbrand bei einem recht süßen Ding von Mantelnäherin . Oh ja , es hatte was . Die Armeleutliebe hat ihre Reize wie die Armeleutmalerei , und ich kam mir vor wie der dicke Kommerzienrat Katz , der einen Ude in seinem Speisezimmer hängen hat . Er vertritt ihm die Stelle des Tischgebets . Aber ich bin wohl nicht so christlich veranlagt wie der Kommerzienrat . Ich zog mich wieder in die Nähe des Wintergartens zurück . . . Nein , die Liebe ist es nicht . . . Zur Liebe bin ich jetzt entschieden zu ästhetisch geworden . . . Oder zu niederträchtig ? Nur keine Gene , werter Freund ! Den Sport will ich mir wenigstens bewahren , daß ich mich selber beim rechten Namen nenne . Und jetzt will ich zu Emmy gehen , die mich " Kaviarbrötchen " nennt . " " Ich nähre mich jetzt hauptsächlich von Lyrikern , und was ich dann von mir gebe , ist das Entzücken meines reizenden Publikums . Nichts erfreut es so von Grund aus , als wenn man ihm einen gerupften Dichter vorsetzt . Es besteht also in dieser deutschen Welt von heute immer noch eine Art Neid gegen diese Profession ? Und , wenn ich mir selber auf die Plombe fühle : Beneide ich das Geflügel nicht auch im Grunde Viertes Buch , erstes Kapitel . ein bisschen ? Zumal die , die sich so verdorben stellen und so selig in der Einbildung sind , gewaltige und verruchte Sünder zu sein , -- sind sie nicht wirklich beneidenswert ? Kerls , die sich noch geißeln können , muß man die nicht beneiden ? Und überhaupt dieses Behagen , sich in Versen auszuschwemmen . Es ist ganz sicher eine ejakulative Wollust . Und der Rhythmus ist das Leben , Und die Prosa ist der Tod . . . Hole sie der Teufel ! Sie genieren mich . Sie erinnern mich an Zeiten , da ich gerade so dumm und pueril war wie sie , und ich finde , es ist ungerecht , daß ich leiden muß , weil ich klüger wurde . . . Also : Ich leide ? Sehr schön gesagt . Ein dekoratives Wörtchen . Schon die Stimmgabel zum lyrischen Gesang . Ich werde mir auch so eine dicke schwarze Halsbinde kaufen , die Einem so was Biedermeierischhalbabgewürgtes gibt und zur lyrischen Livrée von heute gehört . " " Im Grunde genommen , werter Herr , sind Sie den Idealen Ihrer Jugend ein wenig untreu geworden . Fanden Sie nicht dermaleinst , daß es die Gemeinheit der Gemeinheiten sei , ein Dichter sein zu können und um der besseren Speise- und Weinkarte Willen ein Journalist zu werden ? Ganz richtig . Nur erlaubt sich irgend wer die Frage : Kann ich denn ein Dichter sein ? Lächerlich ! Höchst lächerlich ! Sind Sie ein Lump , daß Sie sich verstellen ? Wissen Sie nicht ganz genau , daß Sie ein Dichter wären , wenn Sie nicht , leider , es für bequemer hielten , ein Schubiak zu sein ? Hm ; vielleicht nehmen wir bloß ein Schlammbad ! . . . So zur Austreibung böser Säfte , wissen Sie . . . Aber wer hat es Ihnen denn verschrieben ? Meine Natur , meine schlechte , niederträchtige , gemeine Natur . Durch Schlamm zum Rosenöl ! sagt sie . Reizend , in was für Tropen Ihre Natur lügt . Aber : Sie glauben ihr doch nicht ? Je wo ! Ich kenne sie ja . " Viertes Buch , erstes Kapitel . " Es fängt an , geschmacklos zu werden , wie unwohl ich mich fühle . Mein Ruhm stinkt zum Himmel , daß Pietro Arretino vor Neid semmelblond wird , meine Honorare könnten einem Cirkusklown den Schlaf rauben , mein Stil , dieses Gemächte aus Sprachnotzucht und Drehkrankheit , wird mehr kopiert , als die sixtinische Madonna , -- und ich bin der Gelbsucht nahe . Was , zum Teufel , sitzt mir in der Leber !? Oh , ich fühle_es ! Es ist ein Ekel an dieser Komödie , die ich aus mir gemacht habe mit dem Vorsatz , sie vom Repertoire zu streichen , sobald ich genug an ihr hätte , und die ich nun Tag für Tag seit Jahren spielen muß , weil ich sonst hinter die Kulissen geschmissen würde . Ein schundgemeines Kassenstück , aber wehe , wenn ich ein anderes gäbe ! Es gilt nur die Frage : Verlohnt die Einnahme wirklich den Ekel ? Wäre es nicht besser , ich träte endlich einmal vor und spiee dem werten Publikum ins Gesicht ? Hollah ! Ahmende gäbe das erst recht einen Erfolg , und ich wäre obendrein die Ekelplage los ? Wie , wenn ich Va--banque spielte ? " " Ich sehne mich nach Unordnung , nach Verrücktheit , nach dem Gelächter derer , die nichts zu verlieren haben . Ah , Du altes , treues Wort : Boheme ! Ein gelangweilter Lump zu sein , ein Lump in Wohlsein und Ängsten vor dem bisschen Daseinsgefahr , -- wie schal und schäbig ! Aber ein lachender Lump , ein königlich selbstherrlicher Lump mit leerem Beutel und den Taschen voll Hoffnung , ein dichtender Lump , ein Lump voll Laune und närrischen Plänen , ein freier Lump mit der Grazie des selbstbewegten Lebens , -- wie köstlich und groß ! Boheme ! Boheme ! Der Gedanke läßt mich nicht mehr los : Heraus aus diesem behäbigen Lumpentum und hinein in freche Abenteuer ! Ich muß mich wieder berauschen können und nicht bloß trinken . Ich muß wieder einen Kreis um mich haben , in dem man betrunken wird an sich selber . Viertes Buch , erstes Kapitel . Diese schweren Weine machen faul , diese Champagner lügen bloß von Räuschen , diese kostbaren Liköre sind wie Seidenpolster , in denen man versinkt , ohne daß man glaubt , Houri-Arme schlängen sich um Nacken und Brust . Was ist das für ein Leben ! Kein Ruck und Zuck , kein Taumeln und Drehen . Geradehin , auf Gummirädern , hinter verschlossenen Kaleschenfenstern , allein . Diese " Kollegen " ! Wie ernst ! Wie bedeutend ! " Beamte der öffentlichen Meinung . Richter im Reiche des Schönen . Staatsanwälte des Geistes . Pioniere des Fortschritts . Enkel Lessings . Verantwortliche Redakteure der Moral . " Oh , ihr . . . ! Na ! Ich kenne euch doch ? Ihr habt doch allerhand Respekt vor mir ? Ich unterstehe doch annoch makellos eurem Ehrengerichte ? Wißt ihr denn nicht , daß ich täglich Unzucht mit allen Lastern des Witzes treibe ? Warum werft ihr mich denn nicht hinaus ? Solltet ihr . . . auch . . . ? Bloß nicht mit soviel Frechheit . . . ? . . . Wie , wenn ich einmal meine Komödie , die ja ein Stück der euren ist , ohne Schminke auf eure Papierbühne brächte ? Wenn ich die literarischen Hungerleider , die von Gnaden des Elends noch anständig sind , aufriefe gegen die gewirteten literarischen Beutelschneider und Gaudiebe ? Wenn ich zeigte , was für Wäsche unter den schönen Röcken der Würdenträger der öffentlichen Meinung steckt ? . . . Halt ! Das ist Stil für die Öffentlichkeit ; ich kann die Passage in meiner Broschüre verwenden , die ich wie einen Klotz in den Tintensumpf werfen will . Ah ! Da haben wir ja schon Plan und Titel : Eine Broschüre : Der Tintensumpf . Schon bin ich inspiriert ! Aber hier wollen wir doch lieber nach Möglichkeit ehrlich sein , -- was habe ich also vor !? Wenn ich es mir recht überlege : Ich will mir , da ich von dieser Bühne abzutreten gesonnen bin ( bin ich_es wirklich ? ) einen guten und womöglich praktischen Abgang verschaffen . Ich will sensationell abtreten , um -- drüben ein anderes gutes Engagement zu bekommen ? Nein , das nicht . Aber es wäre vielleicht möglich , daß mir dieser Abgang die Möglichkeit gäbe , eine eigene Bühne , eine Protestbühne zu gründen . ? . . Hm . Die Perspektive ist gut . . . Geht die Broschüre , so findet Viertes Buch , erstes Kapitel . sich wohl ein spekulativer Herr , der mir meine eigene Zeitung gründet : Die Zeitung der Zurückgewiesenen , das Blatt der Boheme auf jedem Gebiete . . . Und : Kein Zweifel , daß die Broschüre gehen wird ! Welcher Skandal ginge nicht ? Aber ich muß rücksichtslos sein , wie ein Wilder und boshaft wie ein Affe . Sagen wir ruhig : Es muß ein braves Pamphlet sein . Machen wir ! Ist nicht der Tintensumpf unleugbar ? Bin ich mir nicht das schönste Modell ? Hat mich dieser Sumpf nicht ruiniert ? . . . Der Teufel , ich komme immer in den Stil für die Öffentlichkeit . Ich bin wirklich allerliebst eingeseucht ; es scheint , ich kann mir schon selber nicht mehr die Wahrheit sagen . Aber für diesen Zweck ist das eigentlich ausgezeichnet ! Ich werde teilweise unbewußt lügen , und eine unbewußte Lüge knattert viel stärker als zehn bewußte Wahrheiten . Eben rieb ich mir die Hände . Es scheint , die Bösewichter auf dem Theater sind echter , als wir glauben . Bösewicht ! Ich möchte jetzt Mal in den Spiegel sehen . Wie sonderbar aufgeregt ich bin . Rein wie betrunken . Oh , ich ahne Räusche ! Wenn ich jetzt schon so außer mir gerate ! Und nun habe ich endlich das Wort für mich : Ich will wieder außer mir geraten können ! Komme , was will : Ich muß aus mir heraus , heraus aus diesem meinen Sumpf , und ich will mit gewaltigem Spektakel ans Land springen ! Platschen soll es . " Zweites Kapitel . Gleich nach dem Erscheinen des Tintensumpfs hatte Stilpe sein Quartier aus dem Karlsbad , das ihm längst zu still gewesen war , in die Nähe der Weidendammer Brücke verlegt . Da hauste er nun vier Treppen hoch nach seinem Geschmack wie ein Student , nur , daß es keine kümmerliche Bude nach dem Hof hinaus war , sondern groß , hell , mit dem Blick nach der Spree und weithin über einen guten Teil Berlin . Und laut war sie , umbrodelt vom Lärm der Friedrichstraße , den man wie ein rollendes Rauschen hörte . Dazu das Rattern der Züge , die in den Bahnhof Friedrichstraße einfuhren , und von den Arbeiten am Neubau der Weidendammer Brücke her die dröhnenden Schläge des Rammwolfs , der die Notpfeiler in das Flußbett trieb . 21 Da aber gefiel es Stülpen gut . Hier fühlte er sich zu Hause . Das war nach seinem Geschmack : Ein schmuckloses Zimmer mit abgenutzten Möbeln , die er nicht mit besonderer Schonung zu behandeln brauchte ; zu Nachbarn Garcons wie er , Studenten , Künstler und ein " besseres Mädchen " ; die Hausordnung dementsprechend liberal , die Wirtin desgleichen . -- Ein guter Dunstkreis , hatte er gesagt , wie er die Wohnung bezog ; hier laßt uns die Götter locken mit Pfeifen und klingenden Gläsern . Er hatte gleich seine alte Frechheit wieder , die er so lange unter einer anderen hatte verbergen müssen . Es fehlten ihm nur noch die Genossen . Aber sein Aufruf am Schluß des Tintensumpfs : An das bisschen Boheme in Berlin ! hatte bald gezogen . Es kamen sogar sehr viel mehr , als er gewünscht hatte , und vor Allem kamen sehr viele falsche Bohemeleute , unglaubliches Volk voll innerlicher Philistrosität , Theorienaushecker , Weltverbesserer , Pseudoanarchisten , auch einige lebendige Beispiele aus Krafft-Ebings Psychopathie sexuales : Alles , was irgendwie in der Welt nicht zurechtkam , glaubte zur Boheme zu gehören und im Verfasser des Tintensumpfs den Mann ge Viertes Buch , zweites Kapitel . fanden zu haben , der ihnen in einer neuen Zeitschrift weißes Papier bogenweise zur Verfügung stellen würde . Dagegen blieben anfangs die aus , an die allein er gedacht hatte : Die Dichter und Künstler . Nur einige Jünglinge , denen der Dilettantismus mit jenem bekannten Strohfeuer aus den Augen leuchtete , waren als Vertreter der Kunst bei dieser ersten Flutwelle . Erst nach ein paar Wochen , wie Stilpe von der gesamten Presse mit Einmütigkeit und ganz kurz als Schandfleck des Journalismus abgetan worden war , fanden sich die Rechten ein . Stilpe merkte es sogleich daran , daß sie ihn unverzüglich anpumpten , und dann beim " Orakel der Buttelje " . Sie tranken ungefähr mit derselben Technik wie er . Nach etwa vier Wochen hatte er wieder ein " Cenacle " beisammen , und diesmal war es ein echtes . Eine Maskerade mit französischem Namen war hier nicht mehr am Platze . Seine neuen Freunde waren selber Originale , kantig geblieben in der großen Rührbüchse eines derb zugreifenden Lebens , und gaben den Freunden Mürgers nichts nach . Es waren köstliche Kumpane für ihn und dabei 21 * entschiedene Talente für feinste Kunst und freistes Leben . Nur ein paar von ihnen waren schon mit Werken an die Öffentlichkeit getreten , und es war nun eine Quelle gemeinsamer herzlicher Freude , wenn sie und Stilpe die niederträchtigen Kritiken zitierten , mit denen " der gefürchtete Kritiker W. St. " sie einst an den Pranger gestellt hatte . Die Mehrzahl war so gut wie ungedruckt , denn es gab kein Blatt , das exzentrisch genug für sie gewesen wäre . Nun sollte Stilpe natürlich dieses Blatt gründen . Bei allen Zusammenkünften , soweit sie nicht bloß mit Trinken oder Rezitationen der " neuesten Sachen von Rang " ausgefüllt wurden , war diese Gründung das Hauptthema . Aber nun waren schon zwei Monate seit dem Erscheinen des Tintensumpfes verstrichen , das Interesse für diese Broschüre ebbte nach der Provinz hin ab , und man war noch zu keinem Entschluss gekommen . Da erlies Stilpe an den " inneren Kreis der Eigentlichen " eine Einladung , die unter dem Hinweis darauf , daß " mit den schwindenden Monden auch die Moneten verrollten " , zu einer letzten und endgiltigen Sitzung " in punkto Blatt " zusammenrief . Postskriptum : " Um nüchternes Erscheinen Viertes Buch , zweites Kapitel . wird gebeten . . . Der Peripatetiker soll die unmündige Tochter des Regenschirmhändlers zu Hause lassen . " Stilpe erwartete die Gesellschaft ganz mit der Heiterkeit , die ihn immer leise hob , wenn ihm Gelegenheit zu Trinken und Reden in Aussicht stand . Das hatte ihm in seiner " fundierten Periode " vornehmlich gefehlt : Gesprächweise trinken zu können . Im Rausche die Welt mit Worten aus den Angeln zu heben , das war ihm immer Bedürfnis gewesen , und das war ihm nicht erfüllt worden , als er das Dasein des gefürchteten Kritikers führte . Denn damals fehlten die rechten Geburtshelfer für seine Worte . Diese Art , sich dem Rausche des improvisierten Wortes hinzugeben , war sein Teil Produktivität , und er hatte sich im Grunde deswegen so unglücklich damals gefühlt , weil er zur Unfruchtbarkeit verurteilt war , weil ihm die Wollust , sich auszugeben , nicht wurde . Hätte er die Fähigkeit und Freiheit besessen , so zu schreiben , wie er sprach , hätte er nicht im Grunde wider sein Wesen und wider seinen Stil schreiben müssen , so wäre die Gewaltaktion des Tintensumpfes kaum in dieser brückenabbrecherischen Art vor sich gegangen . Er selber ahnte dies nur dunkel , in den seltenen Stimmungen , wo er sich einmal vor die Seele führte , was er eigentlich getan hatte mit seinem Schritt , den niemand begriff , und hinter dem man in den betroffenen Kreisen allerlei weitgehende Absichten vermutete , weil man es sich nicht vorstellen konnte , daß ein so " gerissener Kunde " wie Stilpe , der bisher ein Lager immer nur verlassen hatte , weil in einem anderen weichere Polster winkten , sich ohne bestimmte Aussichten eine ausgezeichnete Position verscherzt haben sollte . Gerade jetzt , wie er die neuen Freunde erwartete , bedachte er einmal seine Lage . Die Hände unterm Kopf zusammengeschlagen , die kurze englische Pfeife mit Old Judge im Munde , lag er auf dem breiten Lederdivan und betrachtete ein großes , rot , grün und schwarz gehaltenes Plakat , das an der Wand gegenüber befestigt war . Die Worte darauf , in riesigen ziegelroten Buchstaben , lauteten : Viertes Buch , zweites Kapitel . !! Sensationell !! Der Tintensumpf Enthüllungen und Selbstbekenntnisse von Willibald Stilpe Dazu sah man in stilisierten schwarzen Wellen einen aufgeregten Tümpel , aus dem höchst entsetzte grüne Froschgesichter und die Schwimmfüße nach unten tauchender Frösche herausragten , während ein herkulisch gebauter Frosch , von dem das schwarze Sumpfwasser abfloß , große Ziegelsteine mit Aufschriften , wie : Heuchelei , Prostitution , Bestechlichkeit , Plagiat , Feigheit in den Tümpel warf . Eine große , rote , aufgehende Sonne fehlte nicht . Stilpe lächelte . Der herkulische Frosch war also er , und die anderen saßen in der Tinte . Gut soweit ! Aber was nun ? Wenn die Zeitschrift den Erfolg hätte , wie die Broschüre , so wäre die Sache glatt . Aber : Wenn nicht ? Er war ja ausgesperrt , und es war kaum Aussicht vorhanden , daß man ihn in Gnaden wieder aufnehmen würde . Denn er hatte sie alle beschimpft , von rechts nach links , ausnahmslos : " Aber es gibt doch auch anständige Elemente in der Presse ! rufen Sie , mein werter Mitbürger . Ei ja wohl . Man hört es sagen . Aber das Element selber ist unanständig . " Stilpe überlegte : Da ist eine Redefigur mit mir durchgegangen , scheint mir . Hm . Das war wohl ein taktischer Fehler . . . Aber es klang ! . . . Ach was ! Wenn nur die Figur gut war . Das liegt so in der Technik des Pamphlets . Man muß Stil haben . . . Das Pamphlet liegt mir überhaupt . Jedes Jahr bloß eins , und ich kann auf alle Redaktionen pfeifen . . . Äh , was für Ideen ! Das wäre eine neue Schweinerei . . . Bin ich denn ganz verkommen ? . . . Warum denke ich immer wieder an so was ! . . . Warum denke ich nicht wie meine vier Eigentlichen ? Warum habe ich nicht bloß Verse , Phantasien , Burlesken , Träume im Kopfe ? . . . Es ist schauerlich , wie zerfahren ich bin . Da steckt nun was in mir ; ich hoffe doch , -- Viertes Buch , zweites Kapitel . oder . . . ? Nein , es steckt schon was irgendwo , aber immer wieder hundsföttische Anwandlungen . Zwei Seelen , ach ? Aber die anderen haben ja zwei Dutzend ! Nur fahren sie nicht so auseinander . . . Ein Ziel ! Ein Ziel ! Herrgott nochmal , endlich ein Ziel ! . . . Also die Zeitschrift ! Ja , ja , ja ! Ist das nicht eine Tat ? He ? Die neue Literatur machen ? Die freie Kunst zum ersten Male rücksichtslos proklamieren ! Zum ersten Male sagen : Wir sind die Herren , kuscht euch , Gesindel ! . . . ? . . . Äh , im Grunde ist mir das wohl auch nicht gerade " Herzblut " . . . Diese ganze Schreiberei überhaupt : Geplärr . . . Kann man zeitlebens seine Freude daran haben , Lesefraß zu kneten ? . . . Ist denn Schreiben Leben ? Handlangerei für den besseren Mob ! Kellnergewerbe . . . Er lächelte nicht mehr . Eine scharfe , steile Falte teilte seine Stirn . Seine Heiterkeit war verschwunden . So ging es ihm immer , wenn er allein über sich nachdachte . Deshalb brauchte er Leute um sich , die das wegschwemmten . -- Kommt denn die Bande nicht ? Die Dämmerung kroch ins Zimmer , sie , die der " Bärenführer " den " Teppich der behaglichen Lyriker " nannte . Dazu dröhnten von unten her die Dampframmen . -- Der Bärenführer ist der glücklichste aller Menschen . Zwar hat er kein Portemonnaie , aber er hat Weisheit . Zwar liebt er die Weiber nicht , aber er liebt seinen lieben Gott , der ihm täglich von 10--12 Uhr zwanzig Quarteseiten Phantasien schenkt . Hat er die niedergelegt , und hat ihm sein Kochbär ein tüchtiges Mittagessen mit Grobheiten gewürzt , so wandert er los wie ein tanzender Derwisch , und die Welt ist ihm eine Cremestange mit Cognacfüllung . Er macht sich selbst zum Narren und lacht doch Alle aus , denn seine Narrheit ist ihm sein Spiel . Er will nichts ; das ist sein Geheimnis und seine Heiterkeit . Stilpe dachte das nicht ohne Neid . Der " Bärenführer " war der " Erste der Eigentlichen " , ein wunderlicher Mensch , der mitten in Berlin mit dem Gleichmut eines orientalischen Weisen lebte und , arm wie ein persischer Bettelmönch , sich mit einer köstlichen Grazie des Geistes aushalten ließ . Sein Reich war nicht von dieser Viertes Buch , zweites Kapitel . Welt , aber wer sein Reich kannte , diese weiten kosmischen Räume voll unerhörter Phantasien und diese bunten Fabelstädte mit den intimsten Winkeln genießender Ruhe nach rasenden Räuschen , der wußte , daß seine Welt beträchtlich schöner war , als unsere . Ein Fakir mit Humor . In der Heimat seines Geistes , in Indien , wäre er wohl auch ohne Alkohol weise und heiter gewesen ; in Berlin aber mußte er sehr viel trinken . Doch selbst im Alkohol blieb er harmonisch . Es schien , als ob er wirklich die Fakirkunst besäße , sich durch seelische Kräfte gegen alles Giftige immun zu machen . Besonders darum beneidete ihn Stilpe , der zuweilen selber merkte , wie der Alkohol an ihm zehrte , und wie er immer abhängiger von ihm wurde . Der zweite der Eigentlichen war der " Peripatetiker " . Auch er repräsentierte Weisheit in einem ganz unmodernen Sinne . Stilpe behauptete , er sei die Reinkarnation des alten Diogenes , und diese Meinung traf das Wesen des Peripatetikers im Ganzen wohl . Nur kam ein gut Teil weicher Verträumtheit hinzu . Er übertraf den Bärenführer noch an sozialer Untergrundslosigkeit , denn er besaß keinen weiblichen Bären , der ihm kochte . Es kam vor , daß er im Tiergarten übernachtete . Sonst wohnte er bei Freunden herum . Dabei war er von sehr edlem Anstande und fühlte die Würde seines Geistes . Traf es sich , daß er in " bürgerlicher Gesellschaft " war , so trug er sofort , doch ohne Pose , ganz aus einem inneren Überlegenheitsgefühl , den Propheten zur Schau , der die Gewöhnlichen milde zum Handkuß zuläßt . Er hätte einen guten , feinen Mönch abgegeben , wenn er nicht etwas Vagantenhaftes gehabt hätte . Sein ganzes Leben war ein unausgesetztes Denken und Dichten . Wo auch immer er war : Er schrieb , und stets trug er Manuskripte mit sich herum , reich genug , fünf Nummern der Times zu füllen . Nur konnten sie nicht abgedruckt werden , da sie niemand außer ihm lesen konnte . In schwierigen Fällen war er selber nicht dazu imstande . Stilpe besaß ein Manuskript von ihm , einen Conceptbogen in Quart , der außer den ersten Szenen zu einem Drama zwei Kapitel aus verschiedenen Romanen , sechs Gedichte in Prosa , drei in Versen und außerdem etwa fünf Dutzend Aphorismen und verschiedene Essay-Brouillons enthielt , alles durcheinander geschrieben , erst waagerecht , dann in senkrechten , dann in diagonalen Zeilen dazu . Und Viertes Buch , zweites Kapitel . man durfte mit Recht und ohne Übertreibung sagen , daß ein geordneter , ökonomisch disponierender Literat von diesem einen Bogen gut ein Jahr seine geistigen Ausgabebedürfnisse hätte bestreiten können . Leidenschaften kannte der Peripatetiker nicht , doch liebte er kleine Mädchen , so bis zum 10. Jahre etwa , sehr . Für die Seele des Kindes war er geradezu hellseherisch begabt , und man konnte Kleinodien an Kinderscene von ihm vernehmen . Er konnte übrigens ohne Alkohol auskommen . Nicht so der dritte der Eigentlichen : Casimir , der Fugenorgler . Es war ein gar wilder Pole voll von Dämonie und allen Künsten der Blague . Er hatte als Dichter nur ein Thema , Stilpe nannte es die medizinisch-katholische Abgrundweiss , aber dieses beherrschte er mit der Meisterschaft bornierter Genies . Sein Dichten war eine Art verzückter Drehkrankheit , und man wußte nicht , ob er sich drehte , um zu dichten , oder ob er dichtete , um sich zu drehen . Doch konnte sich keiner der Macht dieser grandios wirren Eintönigkeit entziehen . Es war schöpferische Besessenheit , die indessen manchmal mehr Beängstigung als künstlerischen Genuß hervorrief . Er wäre als Gesell Schafte unmöglich gewesen , wenn er nicht gleichzeitig ein unübertrefflicher Blagueur , geradezu ein Meister der Blague gewesen wäre . Stülpen , der selber in dieser Kunst viel vermochte , konnte er dadurch manchmal rasend machen . Nur der Bärenführer und der Peripatetiker ließen sich nie beirren , der Bärenführer , weil er überhaupt aus Allem nur inwendige Heiterkeit schöpfte , und der Peripatetiker , weil sein Geist doch immer noch schneller lief , als die Blague des Polen . Dagegen ließ sich der vierte der Eigentlichen , den sie den Zungenschnalzer nannten , nicht selten verführen , Kasimirn auf das polnische Glatteis mystischer Schnoddrigkeiten zu folgen . Er liebte das Mystische gar nicht , er war ganz auf das Ästhetische und Erotische gerichtet . Stilpe nannte ihn Doktor der Erotologie . Er bestritt der Menschheit das Recht , in erotischen Dingen irgend etwas pervers zu nennen und machte aus dem , was er nun nicht pervers , sondern kultiviert nannte , ein eifriges praktisches Studium . Er wäre gerne ein Don Juan der Perversität gewesen , indessen entgleiste seine Don Jüanschaft schon auf dem gewöhnlichen Gebiete der Erotik recht häufig . Aber er nahm Alles für genossen und schnalzte mit der Viertes Buch , zweites Kapitel . Zunge . Als Dichter pflegte er das Gebiet des Undruckbaren mit anerkannter feiner Meisterschaft . Und : Einen sachkundigeren Zirkuskritiker als ihn gab es nicht . Als Gesellschafter war er unter den Vieren weitaus der angenehmste , denn er war von einer entzückenden echten Liebenswürdigkeit , voller Geist und Laune . Nur mußte man früh um fünf Uhr nicht schon nach Hause gehen wollen . Doch trat dieser Wunsch unter den Eigentlichen nie auf . -- Es kann eine ganze nette Zeitschrift geben mit den Vieren , dachte sich Stilpe , aber es ist mir unklar , ob irgend eine Nummer davon unverboten bleiben wird . Man wird sie als Brief versenden müssen und von vornherein darauf schreiben : Nicht für die Öffentlichkeit . Hollah ! Ein neuer Trick . Ein unöffentliches Blatt ! Das ist eine unbezahlbare Idee ! Er war Feuer und Flamme dafür und entwickelte sie sofort mit Leidenschaft , als die Viere bei einander waren . Köstlich sahen der Bärenführer und der Peripatetiker aus , die Stilpes abgelegte Kleider aus seiner Kritikerzeit anhatten . Er selber trug sich wieder mit einem Stich ins Salopp-künstlerische . Die eleganten Kostüm aus dem englischen Atelier waren ihm nie sehr zu passe gewesen . Jetzt nahm sich der Bärenführer in einem braunen , unendlich langschößigen Gehrock mit hohem , breitem , geschwungen geschnittenem schwarzem Samtkragen , eine seidene , bestickte Weste dazu , sehr drollig aus , und der Peripatetiker in einem seidenkragigen schwarzen Smoking nebst viereckig ausgeschnittener Weste war ein grotesker Anblick . Der Pole suchte eine halbe Stunde lang in den weiten grauen Hosen nach den diogenischen dünnen Beinen . Dann begann aber die Debatte . Die Idee mit der Unöffentlichkeit schlug ein , doch hielt das nicht ab , sie sofort auch ein bisschen lächerlich zu machen . Der Bärenführer wollte , daß das Blatt in einer Geheimschrift von arabischem Charakter und natürlich von rechts nach links gedruckt würde . Casimir schlug vor , die Beiträge des Peripatetikers als Autogramme drucken zu lassen , um Viertes Buch , zweites Kapitel . jede Gefahr auszuschließen , daß sie gelesen werden könnten . Der Peripatetiker schüttelte langsam den Kopf : Aber ich möchte sie doch lesen ! Stilpe wurde ärgerlich und erklärte , er würde nicht eher etwas zu trinken geben , als bis man anfinge , ernsthaft zu reden . Er fühlte sich beinahe schon als dekretierenden Redakteur . Es wurde die parlamentarische Form bestimmt , damit man doch zu einem Beschlusse käme . -- Also , gut , wie gesagt , selbstverständlich : Eugen Richter ; wie gesagt : Ich bitte ums Wort ! rief der Bärenführer . Stilpe , der natürlich präsidierte , erklärte , daß er ihn vormerken wolle ; zuvörderst aber müsse die Gesellschaft ein paar Worte von ihm entgegennehmen : -- Erstens , meine Freunde , wollen wir uns geloben , heute zu einem Entschluß zu kommen . Ich schlage vor , daß wir dies nicht ohne Feierlichkeit tun . Lasst uns symbolisch vorgehen ! Wer sich verpflichtet , mitzuwirken zu einem endgiltigen Entschluss und wer zu erklären bereit ist , daß er sich jeder Entscheidung , die heute fällt , unterwerfen will , auch wenn sie gegen seine etwaigen Anträge 22 sein sollte , der wähle mit mir aus diesen Flaschen eine gelbgekapselte . Es ist Kognak . Die Weißkapseln enthalten Gin . -- Ich protestiere gegen diesen Wahlmodus ! erklärte zum größten Erstaunen Aller der Peripatetiker . Ich habe noch nie Gin getrunken und möchte deshalb eine weiße Kapsel wählen , obwohl ich zu jeder Verpflichtung bereit bin . -- Also gut ; die Erklärung wird zu Protokoll genommen , und Deine weiße Kapsel gilt für gelb , erklärte Stilpe . Im Übrigen sehe ich , daß das Skrutinium allgemein für gelb entschieden hat . Wir können also beginnen . Um zu verhüten , daß wie bei allen vorigen Sitzungen ein Chaos der Meinungen durcheinander gehrt , schlage ich vor , daß jeder nur einmal das Wort erhält . Damit ist gesagt , daß jeder sich genau überlegen muß , was er vorbringt , denn er wird keine Gelegenheit haben , sich später zu korrigieren . -- Wie gesagt , ich bitte ums Wort ! rief der Bärenführer . -- Du wirst es gleich bekommen . Ich will nur noch das sagen : Die Reden sollen sich an folgende Punkte halten : 1 ) Welcher Art soll die Zeitschrift Viertes Buch , zweites Kapitel . sein ? 2 ) Wie soll sie heißen ? Ich denke , dieses Verlangen ist billig . Wollen wir es so halten ? -- Ich bitte ums Wort , rief Casimir . -- Bitte ! -- Sehr schön ! Ausgezeichnet ! Aber : Muß man so feierlich sein , wie Stilpe , wenn man redet ? -- Das wird sich finden , aber ich bitte allerdings um eine ernste Behandlung des Gegenstandes . Wenn wir uns dazu zwingen , werden wir auch schnell zum Ziele kommen , denn es ist freilich nicht amüsant , Reden zu halten , wie in einer Generalversammlung . Wenn nichts gegen meine Vorschläge eingewandt wird , können nur wohl anfangen . Es wurde nichts eingewendet . Alle hatten das Bedürfnis , dieser ernsten Sitzung bald ein Ende zu machen . Man rauchte stark und trank Toddy dazu . Der Bärenführer begann : -- Wie gesagt , selbstverständlich bin ich für eine in--de--pen--dente wie gesagt . Sie muß anders sein . Wie gesagt : Anders . Ganz anders . Selbstverständlich , wie gesagt , muß sie Honorare zahlen . Aber schließlich , wie gesagt , ist das einerlei . Wenn 22 * sie mir viel Raum hat . Plakatformat , wie gesagt , gelbes Papier und zinnoberrote Lettern , von rechts nach links gedruckt , wie gesagt , in Lederrollen versandt . Stilpe runzelte die Stirn und bemerkte : Ich muß Dich wirklich bitten , ernsthafte Vorschläge zu machen . -- Aber er ist doch ganz ernst , Bruder ! rief Casimir . Ich finde das entzückend ! -- Wie gesagt , natürlich , das ist mein Ernst , selbstverständlich , wie gesagt . Das ist doch sehr fein und , wie gesagt : Praktisch ! Die erste Nummer lassen wir an die Litfaßsäulen kleben , wie gesagt . -- Hehe , und solche nette kleine Sandwichmänner lassen wir laufen , die sie auf dem Rücken herumtragen , hehe , und so werden sie dazu immer schreien und rufen , hehe : Meine Herren Berliner , hehe , lesen Sie bloß , was der Bärenführer wieder gemacht hat ! Der reine Jeute ! Hehe ! Sie kennen doch Herrn Jeute , den Verfasser der Farbenlehre ? Hehe ! Er ist auch ein bisschen pervers gewesen , der gute Mann , hehe ; so ein paar niedliche Epigrämmlein hat er gemacht . . . ah ! er war nicht ohne Begabung ! Viertes Buch , zweites Kapitel . -- Was verstehen Sie denn von Goethe mein werter Pole , bemerkte der Zungenschnalzer . Sie sollen erst einmal an die Ahnungsgrenze der Erotik kommen . . . -- Ich bitte , keine Privatgespräche zu führen , rief Stilpe . Goethe und die Erotik beiseite : Was will der Bärenführer noch ? -- Wie gesagt , ich bin für das Litfaßsäulenplakatformat und rot auf gelb , wie gesagt , und als Titel , wie gesagt , schlage ich vor : Die gesprenkelte Nachtigall . -- Pschakreff , kikeriki , wallahei , Bruder , Du hast recht : Ausgezeichnet ! Casimir stürzte ein Glas Toddy hinunter . Die anderen , außer dem Peripatetiker , lachten . Der Bärenführer mischte Gin in seinen Kognak . Der Peripatetiker aber erhob sich im Tumulte des Lachens , sah gerade vor sich hin und begann ganz leise : -- Unsere Zeitschrift sollte : Das Prisma heißen . Damit ist für Alle Alles gesagt . Wie ein Prisma , das Strahlen fängt und Farben strahlt . Nicht Spiegel des Körperlichen , sondern Lichtsammler und Scheinwerfer . Nicht willkürlich in Kanten und Flächen , nicht roh und rauh , nicht zufallschön oder zufallwahr , sondern nach Gesetzen geschliffen , in reinen Linien verbunden und abgegrenzt ; nicht irgendwo liegend , nicht mit irgend einer Seite flach auf dem Boden , sondern an goldenem Faden aufgehängt in freier Luft , schwebend aus sich bewegt in einem langsamen Schaukelschwunge oder einen Kreis scheibend , da einen roten , da einen grünen , da einen gelben Strahl fangend und wieder von sich gebend , aber im Inneren Alles sammelnd , kernreich , keimheiß , in der Tiefe das Auge Gottes , auf den Flächen der Schein der durchschwebten Lichtwelt . . . Plötzlich zog er ein Stück Zeitungspapier aus seinem herrlichen Smoking und schrieb emsig auf den Rand , so weit er noch unbeschrieben war . Die Anderen lächelten innig und tranken . Stilpe erklärte , daß ihm der Titel Das Prisma gut gefiele . -- Oh , rief Casimir , mir gefällt besonders der goldene Faden . Das ist das Symbol des Honorars . Und dann : Wie es im Kreise schwebt : Ausgezeichnet . Hehe : So angenehm idiotisch , immer im Kreise , hehe , mit dem Auge Gottes . Er stürzte wieder ein Glas Toddy hinunter . Der Bärenführer fand Das Prisma auch gut , Viertes Buch , zweites Kapitel . aber er meinte , als Untertitel müsse Die gesprenkelte Nachtigall stehen : Wie gesagt : Das Prisma , eine gesprenkelte Nachtigall ! Aber natürlich , wie gesagt , in Lederrollen versandt ! Jetzt lehnte sich der Zungenschnalzer in seinen Stuhl zurück und lächelte Stülpen überaus höflich mit einem fragenden Ausdruck in den schönen großen dunkelblauen Augen an . Stilpe machte eine einladende Bewegung , und der Zungenschnalzer begann : -- Meine Herren ! Sie werden ( er war der einzige , der sich mit Niemand duzte ) von mir nicht erwarten , daß ich Pläne und Titel vorbringen werde , die an Originalität und Erhabenheit mit denen meiner Herren Vorredner zu wetteifern vermöchten . Ich bin der Meinung , daß wir in erster Linie volkstümlich sein müssen . In diesem Augenblicke schlug Casimir eine gräßliche Lache auf und trank mit einer ungemeinen Schnelligkeit zwei Glas Toddy aus , dann kniete er vor dem Zungenschnalzer nieder und küßte dessen Stiefel . Der Zungenschnalzer leckte sich den Schnurrbart , grinste und fuhr fort : -- Wir müssen eine Kunst haben , die auf den Mittelpunkt alles Empfindens geht , auf das Geschlecht . Nur eine Geschlechtskunst ist echt , ist Instinkt , ist Genuß , ist Leben , ist Volkskunst . Eine ejakulative Kunst , orgastisch , brünstig . Ein Hineinknieen in die Urakkorde der Animalität , aber in allen Finessen raffiniert , differenziert bis in die äußersten Nervenenden . ( Er schien seinen Schnurrbart verschlucken zu wollen , so verzückt bearbeitete er ihn mit seiner Zunge . ) Dabei aber verwegen bunt , jagend , peitschenknallend , fieberisch ! Tanzmelodien und Hengstwiehern . Korsettkrachen und die Melancholie des Leierkastens . Blechmusik und das Rauschen von seidenen Unterröcken . Pubertätswimmern und das Schollern von Eisplatten in breiten , wälzenden Strömen . Einen Titel dafür weiß ich nicht . Das Unsagbare kann man wohl stammeln , aber nicht benennen . -- Hehe , so sagen Sie doch : Der Stammler , werter Herr , oder : Stimmwechsel . Das sind ausgezeichnete Titel . Hehe , oder : Der Hengst des Volkes . Das ist noch entzückender ! Oder : Der rote Faden ! Oder : Das Nadelöhr der Welt . Hehe ! Ausgezeichnete Titel ! Der Pole schien sich ein bisschen zu ärgern . Der Zungenschnalzer lächelte verbindlich : Viertes Buch , zweites Kapitel . -- Dann würde ich schon lieber gleich Phallus oder Priapus vorschlagen , wenn es nicht fürs Volk unverständliche Fremdworte wären , und die deutschen Ausdrücke sind leider zu Rohheiten gestempelt worden . Es versteht sich , daß sie dadurch für mich unmöglich werden , denn das Rohe schließe ich ja aus . Er lehnte sich wieder vor und lächelte mit einem Ausdruck wie : Ich bin fertig , Herr Präsident ! Stülpen an . Stilpe war mittlerweile betrunken worden und konnte nicht mehr an sich halten ; nun mußte er reden . Er stand auf , setzte seinen Hornklemmer ab und ließ ihn an dem breiten Bande schwingen . Dann begann er sehr laut : -- Die gesprenkelte Nachtigall ! Gut ! Bunt ! Ornithologisch ! Also : Deutsch ! Wir würden sämtliche Mädchen damit verführen . Oder wie ? Es ist kein Zweifel erlaubt ! Denn es ist ein befiederter Titel . . . . Jawohl ! . . . Indessen ! Ah ! : Das Prisma ! . . . Streng ! Keusch ! Gläsern ! Ideal ! Mathematisch ! Die Welt der Gymnasiallehrer würde zu uns strömen ! . . . Sehr gut ! Indessen , mir scheint , . . . aber nein : Sehr gut ! Nur . . . es blendet , es sticht in die Augen , und : es ist kalt , sehr kalt ! Überaus kalt ! Außerdem weiß kein Mensch , was ein Prisma ist . Der Titel erfordert ein Konversationslexikon . Auch kann man keine Lyrik unterbringen . Oder ? Nein , man kann nicht , durchaus nicht ! . . . Dagegen : Phallus ! Ja : Hier ist Lyrik , ausgesprochen Lyrik . Sehr warm . Winkend . Kraft und Saft und Sinndeute der Welt . . . . Aber warum nicht : Der Phalluswald ? Hört doch nur : Der Phalluswald ! In ihm singt die gesprenkelte Nachtigall mit süßem Geschluchze , in ihm auch kann man irgendwo das Prisma aufhängen ! Sinnend wandelt hier der Peripatetiker , anmutig lehnt hier der Bärenführer und läßt aus seiner großen Zehe eine neue Welt wachsen , neue Tänze übt zwischen den fauligen Stämmen der Zungenschnalzer nach der Melodie des Bauchtanzes von Hawaii , tief bohrt sich ins Wurzelgeflecht die blutige Seelensuchekralle Kasimirs , und auch ich werde in diesem Schattenhain der Urgefühle die Lieder finden , die , wie ich mit Bestimmtheit behaupten darf , irgendwo in mir schlummern . Lieben Freunde , trinkt Kognak und Gin , macht ein Feuer in euch an , daß eure Augen glühende Kugeln werden , groß wie die Uhrscheiben am Rat Viertes Buch , zweites Kapitel . hausturm , und eure Fäuste stark wie die Dampframmen der Weidendammerbrücke , trinket Gin und Kognak , Freunde , lieben Freunde und Genies , trinkt und glaubt an meine schlafenden Lieder , diese feisten Murmeltiere , aus deren Fett ich Elender Feuilletons gebacken habe , trinkt , trinkt , trinkt , schlagt euch rotgeränderte Wolken um die Schultern als Regenmäntel und kommt mit mir in den Phalluswald ! Kommt , o kommt und seid nicht träge , Sind auch glitschrig die Wege : Rot wie Rosen lacht das Ziel , Und wir wollen ins Behagen Milde , gütig jeden tragen , Der in eine Pfütze fiel ! Er war unmäßig gerührt und legte sich neben den Polen , der sich mitten im Zimmer niedergelassen hatte und nichts sagte als : Der Seelenkrebs , Bruder , der Seelenkrebs , hehe , das ist der Titel , das ist das Programm ! Der Peripatetiker stand schweigend am Plakate des Tintensumpfs und bedeckte dessen unbedruckte Flächen mit Hieroglyphen , der Bärenführer ordnete die Cognac- und Ginflaschen und kommandierte : Leibgarde des Sultans ! präsentiert ! präsentiert ! Der Zungenschnalzer leckte sich den Schnurrbart und trank weiter . Da klingelte es , und kurz darauf öffnete sich die Türe . Herein trat mit einem leichten Aufschrei eine üppig schlanke , theatermäßig geschminkte Dame mit einem weiten blauen Theatermantel und einem riesigen Federhut . Der Zungenschnalzer ging ihr mit Anstand entgegen , Stilpe drehte sich bloß um und rief : Süße Kamelie , leg Dich an meine Seite , wir haben Großes geleistet ! -- Das sehe ich . Sage Mal , wie findest Du das eigentlich ? Eine halbe Stunde habe ich am Wintergarten gewartet . Is das nett ? Sie sprach mit einem Anflug von Hamburger Dialekt . Wie sie sich im Lichte der Lampe auf Stilpes leeren Stuhl niedergelassen hatte , sah der Zungenschnalzer , daß sie sehr hübsch , wenn auch nicht mehr ganz jung war . Man hätte sie wohl für eine Dänin halten können : Ganz hellblaue Augen mit großem Stern , flachsblonde Haare , die Nase ein klein wenig , aber sehr anmutig abgestumpft ; dazu ein sehr kleiner , schön geschwungener Mund , der ganz besonders zu dem kindlichen Ausdruck Viertes Buch , zweites Kapitel . dieses Gesichtes beitrug . Die Haare trug sie in der Mitte gescheitelt und , die Schläfen wie einen großen Teil der Stirn ganz bedeckend , glatt über die Ohren gelegt ; hinten bildete ihre dichte Fülle einen üppigen Zopfkranz . Diese Frisur gab ihr etwas süß Frauliches zu dem Kindlichen . Wenn man ihr aber genauer in die Augen sah , so spürte man , daß eine heitere Energie der Grundzug dieses Wesens war . Sie war , eine geborene Holsteinerin , dänischdeutsche Liedersängerin und trat jetzt im Wintergarten auf . Stülpen hatte sie sehr gerne , aber sie war nicht eigentlich sein Fall . Er liebte " die Weiber nicht sehr , vor denen man Respekt haben muß " , und vor ihr hatte er Respekt . -- Ach Gott , Du wärst so reizend , wenn Du nicht im Grunde so anständig wärst , hatte er oft zu ihr gesagt . Man kommt sich mit Dir immer verheiratet vor . Der Respekt , den er vor ihr hatte , brachte es jetzt auch zustande , daß er sich erhob und ein bisschen nüchtern wurde . -- Siehst Du , mein blondes Gewissen , ich konnte nicht kommen . Erst die Literatur , dann die Liebe . Wir haben soeben die deutsche Literatur mit einer neuen Zeitschrift begnadet : Der Mastenwald oder so ähnlich , Organ für gesprenkelte Nachtigallen und Seelenkrebs . Ja ! Das wird eine Nummer , Madame ! -- Ich kann mir den Unsinn schon vorstellen . Du bist nicht mein erster Dichter . Ich kenne das mit euren Zeitschriften . Snak ! Dich hätte ich eigentlich für klüger gehalten . Fällt euch denn gar nichts Neues ein ? Der Bärenführer , der auch darin Orientale war , daß er die Weiber nur sexuell nahm , und auch das nicht eben mit Leidenschaft , wurde ärgerlich . Er warf drei Flaschen um und rief : -- Kattarattazambu ! Plokjotratuzupina ! Pschattu ! Pschattu ! Pschattu ! Dazu machte er ein sehr zorniges Gesicht . -- Mein Gott , was hat denn der Herr ? fragte lachend die Sängerin . -- Ich spreche , wie gesagt , die Affensprache , mein Fräulein , selbstverständlich platt , wie gesagt . -- Gott , ist der aber komisch ! Was hat denn das geheißen ? -- Wie gesagt , selbstverständlich gar nichts , das heißt , natürlich : Sehr viel , wie gesagt , nämlich : Viertes Buch , zweites Kapitel . Was verstehen denn die Weiber von der Wortkochkunst , wie gesagt . -- Aber ich verliebe mich doch fortwährend in Dichter , wie gesagt , da gehöre ich doch mit dazu . Nicht ? Jetzt drehte sich der Peripatetiker um und schritt langsam auf die Sängerin zu : -- Guten Abend , Mathilde ! Er sagte das sehr zärtlich . Die Sängerin sah ihn groß mit lachenden Augen an : -- Ich heiße aber Martha ! -- Nein : Mathilde . Ihre Stimme klingt wie Mathilde . Ganz seraphimflügelblau mit einem Kern von willefrohem Ultraviolett . Auch Ihre Hände flüstern Mathilde . So lilienblattschmal und immer betend mit leis durchbluteten Adern . Er nahm ihre rechte Hand und hielt sie vor das Lampenlicht : -- Kinderpatscheken ! Sie sind ein guter Mensch , Mathilde ! Die Sängerin schüttelte ganz ernsthaft den Kopf : -- Nein , so was ! Sind Sie der liebe Gott , Sie freundlicher Herr ? Dann lachte sie belustigt : -- Nein , was hast Du denn da wieder für eine Menagerie ? Jetzt weiß ich schon gar nicht mehr , in wen ich mich verlieben muß . -- Bitte , in mich ! sagte der Zungenschnalzer in einem zärtlich dringenden ernsten Tone . -- Sehen Sie : Ich könnte auf Ihnen spielen ! Seien Sie meine Liebesgambe ! Sehen Sie in meine Augen ! Was sehen Sie ! -- Sie haben sehr schöne Augen , wirklich . -- Bloß schön ? Nicht auch tief ? Sehen Sie noch einmal hinein ! Es sah aus , als wollte er die Sängerin wie eine Auster mit den Augen verschlucken . -- Aber Sie müssen meine Knie in Ruhe lassen . Wirklich : Sehr schöne Augen ! Sind Ihre Gedichte auch so schön ? -- Ach , lassen Sie meine Gedichte ! Meine Gedichte sind nichts , aber meine Liebe ist wie eine tigerbunte Orchidee . Kennen Sie die Orchideen mit den gekrümmten Pistillen , die wie gelbgepuderte Schlangen sind ? Die Sängerin schob ein zweites Mal die Hände des Zungenschnalzers von ihren Knien , dann lachte sie : -- Jetzt tut mir_es bloß leid , daß der da unten schläft . Das is gewiß auch ein Netter ! Viertes Buch , zweites Kapitel . Stilpe bemühte sich sogleich , Kasimirn zu wecken , aber der war endgiltig fertig und konnte bloß noch : Seelenkrebs ! schluchzen . Die anderen aber setzten sich um die Sängerin herum und vereinigten sich , den Bärenführer nicht ausgeschlossen , in wohlausgesuchten Reden zu ihrem Preise . Die Sängerin amüsierte sich sehr und tat auch jedem in Toddy Bescheid . Das rührte den Bärenführer , der nun immer betrunkener wurde , ungemein , und er flüsterte : -- Wie gesagt , Martha , selbstverständlich : Sie sind schön , schön wie mein Bär , wie gesagt . Ich umarme Sie mit meiner Seele . Ich liebe Sie fabelhaft ! Wie gesagt : Sie sind wie ein Bündel rosengelber Schlangen ! Sie müssen die gesprenkelte Nachtigall abonnieren ! -- Und das Prisma ! flüsterte der Peripatetiker . -- Und den Phallus ! stöhnte der Zungenschnalzer . -- Und den Phalluswald ! rief Stilpe . -- Machen wir ! sagte die Sängerin . Da schrie Stilpe laut auf : -- Eine Idee ! Gründen wir vier , nein fünf Zeitschriften ! Auch Casimir muß seine haben . Und jeder schreibt immer seine allein ! Wie ? Ist das 23 nicht die Lösung ? Jeder sein eigener Redakteur ! Ist das nicht , ja , ist das nicht . . . Wie ? -- Selbstverständlich , wie gesagt : Fünf Zeitschriften in Plakatformat ! Die Sängerin schüttelte den Kopf : -- Aber , Kinder , seid ihr denn wirklich verrückt ? Vorhin wart ihr doch bloß duhn . Wenn ihr durchaus was gründen wollt , so gründet doch ein anständiges Tingeltangel ! -- Hu hu hu ! lachte der Bärenführer ; aber die anderen saßen da , als hätte sie jemand von oben fallen lassen . -- Ernsthaft ! Ein literarisches Tingeltangel ! Wirklich ! So was fehlt ! Wo gute Sachen gesungen werden . Sie können ja auch verrückt sein . Aber Sachen von Dichtern . Und dann überhaupt Alles geschmackvoll , so , wie die englischen Balletts ; überhaupt : Was Schönes ! Stilpe und der Zungenschnalzer erhoben sich gleichzeitig wie zwei Ergriffene und riefen durcheinander : -- Herrgott ! Donnerwetter ! Natürlich ! Das ist es ! Das müssen wir tun ! -- Selbstverständlich , wie gesagt : Ein ästhetisches Tingeltangel ! Ach , Martha , Sie sind das Viertes Buch , zweites Kapitel . Sternbild des großen Bären ! Wie gesagt , natürlich , selbstverständlich ein Tingeltangel , wie gesagt ! Auch der Peripatetiker war , in seiner patriarchenhaften Weise , von dem Gedanken ergriffen : -- Eine Renaissance der Kunst , aller Künste ! Leise Singetänze in blauem Lichte . Die verruchte Holdheit der Bajadere . Der Rhythmus griechenmeerplätschernder Oden im Schmiegeschwunge nackter Brüste . Sehen Sie , wie recht ich hatte , daß Sie Mathilde heißen ? Am lebhaftesten aber waren Stilpe und der Zungenschnalzer ; Stilpe war durch die Idee nüchtern geworden , der Zungenschnalzer berauscht . Der Abend endete mit dem festen Beschlusse , keine Zeitschrift , sondern das Literatur-Variete-Theater MOMUS zu gründen . 23 * Drittes Kapitel . Stilpe saß an seinem Schreibtisch und arbeitete . Er machte dazu ein Gesicht wie der lachende Zola , unendlich zufrieden und mit einem Blick , der auch noch im Lachen ein Ziel im Auge hat . Die Pfeife saß im rechten Mundwinkel , von den Zähnen nach oben gestemmt , so daß es gar verwegen aussah . Die Dampfwolken fuhren mit Kraft aus dem vollen Munde mit den aufgeworfenen Lippen . Rechts und links türmten sich neben verschiedenen Liqueurflaschen Papiere , Briefe , Druckproben zu Programmen , Zeitungen , Zeichnungen , Manuskripte , Notenstöße . Große offene Körbe standen im Zimmer , aus denen blumig bedruckte Musselinstoffe , dünne indische Seidengewebe in hellen schönen Farben , schwere dunkle Samte , Spitzen , Gold Viertes Buch , drittes Kapitel . Franzen hervorquollen . An den Wänden hingen große bunte Kostümbilder im Geschmacke der englischen Ästheten , aber heiterer , frecher . Mit dem Geruch des Old Judge mischten sich Parfüms von der resoluten Art , wie man sie in den Garderoben von Varietedivas einatmet . Stilpe war von Grund der Seele aus vergnügt . Wenn er einmal die Feder weglegte , rieb er sich die Hände und pfiff vor sich hin . Ja , er murmelte sogar zuweilen Worte erregter Befriedigung : Hopp ! So ! Tja , tja , tja , tja ! Höhe ! Das reißt ! Und doch war der erste Momus-Rausch , der Rausch der Pläne und Phantasien vorüber , der Rausch der Tage und Nächte , als sie in täglichen Zusammenkünften die Idee der Sängerin im Verein mit ihr genauer durchgesprochen hatten . Wie hatten sie da über die Zeitschrift gelacht , wie hatten sie die Sängerin gefeiert als Retterin aus dem schlimmsten aller Tintensümpfe ; wie war da Stilpe von Tag zu Tag lebhafter , lustiger geworden . -- Ha : Die Renaissance aller Künste und des ganzen Lebens vom Tingeltangel her ! Oh , das ingeniöse Mädchen aus Holstein ! Man wird sie preisen wie eine neue und größere Neuberin , als die moderne Muse in Person . Unter ihrem Zeichen werden wir das neue , echte , ganze , das lachende Heidentum heraufführen mit Bocksprüngen und höchst edlen Faltenwürfen zärtlicher Gewänder . In unserem Schlepptau wird Alles hängen : Malerei , Poeterei , Musikerei und Alles überhaupt , was Schönheit und genießendes Leben will . Was ist die Kunst jetzt ? Eine bunte , ein bisschen glitzernde Spinnwebe im Winkel des Lebens . Wir wollen sie wie ein goldenes Netz über das ganze Volk , das ganze Leben werfen . Denn zu uns , ins Tingeltangel , werden Alle kommen , die Theater und Museen ebenso ängstlich fliehen , wie die Kirche . Und bei uns werden sie , die bloß ein bisschen bunte Unterhaltung suchen , das finden , was ihnen Allen fehlt : Den heiteren Geist , das Leben zu verklären , die Kunst des Tanzes in Worten , Tönen , Farben , Linien , Bewegungen . Die nackte Lust am Schönen , der Humor , der die Welt am Ohr nimmt , die Phantasie , die mit den Sternen jongliert und auf des Weltgeists Schnurrbartenden Seil tanzt , die Philosophie des harmonischen Lachens , das Jauchzen schmerzlicher Seelenbrunst , -- ah , werft mir ein paar Feigenkränze voll Worten zu , blast mir Asso Viertes Buch , drittes Kapitel . ziationen ein , laßt mich in Inkohärenzen lallen , laßt mich farbige Wortflutsäulen ausnüstern , groß wie die Wasserwürfe aus den Nasen verzückter Walfische ! Wir werden ins Leben wirken wie die Troubadours ! Wir werden eine neue Kultur herbeitanzen ! Wir werden den Übermenschen auf dem Brettl gebären ! Wir werden diese alberne Welt umschmeißen ! Das Unanständige werden wir zum einzig Anständigen krönen ! Das Nackte werden wir in seiner ganzen Schönheit neu aufrichten vor allem Volke ! Lustig und listig werden wir diese infame , moralklapprige Welt wieder machen , lustig und himmlisch frech ! Leichtsinnig soll die Bande wieder werden und soll bauchtanzen lernen ! Ah , wir ahnen vielleicht gar nicht , was für raffinierte Sachen die Biedermänner Germaniens leisten werden , wenn unser Geist über sie gekommen ist ! . . . Kinder , küßt unseren blonden Engel hier und umarmt mich , denn wir haben die Welt im Sacke ! In diesem Stile und toller noch gebärdete sich die Wollust Stilpes , endlich einmal ein Ziel gefunden zu haben , das seinem Wesen gemäß war . Und die anderen , der Zungenschnalzer voran , waren nicht weniger außer sich . Dabei entwickelte Stilpe aber auch eine wirk liche Tätigkeit , und , kaum , daß ein Monat vergangen war seit dem ersten Auftauchen der Momus- Idee , da hatte er auch schon " Kapital am Bändel " , und die Aktiengesellschaft Momus war gegründet , ein verkrachtes kleines Theater gemietet und er " artistischer Direktor " des Ganzen . Seine Gabe , sich auch klug zu benehmen , wenn es Not tat , kam ihm dabei sehr zu statt . Es war ein Schauspiel , ihn zu sehen , wie er in seinem Staatsrocke und mit seinen lässigen Gesten des sicheren Geschäftsmannes bei " Leuten von Gelde " am Werke war , die aussichtsreiche neue Idee mit einem großen Aufwande von Zahlen aus dem Geschäftsberichte der Londoner Empire-Gesellschaft zu entwickeln , und wer ihn anzuhörte , wie er in gesetzter Rede , aber mit einem Grundton tiefer künstlerischer Überzeugung und dabei gestützt auf entwickelungsgeschichtliche Ideen origineller Art nachwies , daß das Unternehmen eines " künstlerisch-literarisch bedeutsamen Kunstinstitutes mit Variete-Prinzip " geradezu eine Forderung des Zeitgeistes sei , der zweifelte nicht , daß hier eine " Sache " im Entstehen war . -- Sehen Sie die Theater an ! Sie sind leer ! Gehen Sie in den Wintergarten ! Er ist voll ! Dort Ableben , hier Aufleben ! Wer die Kunst liebt , Viertes Buch , drittes Kapitel . muß von Schmerz ergriffen werden bei diesem Anblicke , und Sie wissen , wie sehr sich kunstfreundliche Kreise bemühen , durch Gründung billiger Theater etc. das Publikum , zumal der breiteren Volksschichten , dem Variete zu entziehen . Ein lobenswerter Plan , aber eine falsche Methode , ein verhängnisvoller Irrtum , entsprungen einem Mangel an Zeitpsychologie und an Verständnis für entwickelungsgeschichtliche Resultate ! Die Zeit des Theaters ist im Ganzen vorbei ! In diesen alten Schlauch füllt nur der Unverstand neuen Wein ! Nein , wie das Theater , ehedem ein Appendix der Kirche , sich von dieser losmachte und sich selber eine neue , damals zeitgemäße Form gab , so muß sich die Kunst heute vom Theater emanzipieren und entschlossen die Form annehmen , für die sich der Zeitgeschmack entschieden hat : Die Form des Variétés ! Beides ist reif zum Untergange : Das Theater , weil seine ganze Struktur zu klotzig , schwer und unbeweglich ist für die Genäschigkeit des modernen Kunsttriebs , und das jetzige Variete , weil es seine überaus günstige , allen Wünschen einer nervösen Zeit gemäße Form nicht mit wahrhaft künstlerischem Inhalt zu erfüllen versteht . Lassen Sie uns ein Variete gründen als ästhetische An stahlt im weitesten Sinne , als Trägerin und Verkörperung all der heute so üppig sich entfaltenden Richtungen in den Künsten , als Schaubühne des Schönen für Auge , Ohr und Gemüt , und Sie werden sehen , daß Sie sich an einer wahrhaft kulturellen und zugleich eminent praktischen Tat beteiligt haben ! Mit dieser Anrichtung seiner Ideen für den Geschmack von Leuten , die in Kunst spekulieren wollten , hatte er umsomehr Erfolg , als er sich gleichzeitig den Anschein des vorsichtig bedachten Geschäftsmannes zu geben wußte , der es fürs Erste ablehnte , ein Rieseninstitut ins Leben zu rufen . Ganz von selbst werde sich aus bescheidenen Anfängen das große Etablissement der Zukunftsbühne entwickeln . Sein bekannter Name , mit dem sich die Empfindung von " geistreicher Schriftsteller " verband , tat das Übrige dazu , auch wirkte es besonders überzeugend , daß er selbst als Erster fünftausend Mark allein zeichnete . So erfolgte die Gründung der Gesellschaft schnell , und er erhielt einen Kontrakt als artistischer Direktor mit vollkommener Selbständigkeit . Da er so klug war , bei den ersten Ankündigungen des entstehenden Unternehmens seinen Namen , ob Viertes Buch , drittes Kapitel . wohl ihm das sehr schwer fiel , beiseite zu lassen , so nahm sich auch die Presse , wenn auch mit den üblichen Vorbehalten , der Sache an , und der Name Momus tauchte in kurzen Zwischenräumen halb geheimnisvoll immer wieder in den Blättern auf . Es konnte kein Zweifel mehr sein , daß das Berliner Publikum , in erster Linie die literarisch und künstlerisch interessierten Kreise , der neuen Sache mit Spannung entgegensahen . Der Umstand , daß die Witzblätter das Schlagwort vom poetischen Tingeltangel aufbrachten , allerlei literarische Chansons vorschlugen , Ernst von Wildenbruch als Hausdichter des Momus , Menzel als Kostümzeichner und Karl Frenzel als Tanzmeister namhaft machten , trug dazu bei , das Interesse wachzuhalten . Indessen arbeitete Stilpe mit heiterer Ausdauer unausgesetzt an der Ausgestaltung des Unternehmens bis ins Einzelne . Der Bärenführer und der Peripatetiker schleppten täglich die unerhörtesten Chansons herbei , der Zungenschnalzer entwarf erotische Szenen von trikotloser Kühnheit , Casimir röchelte im Psalmenstile schauerlich schöne Seelenmonologe voll krebsgeschwürigen Abendröten und satanischen Absinthismen , gestimmt und berechnet auf die Maultrommelbegleitung aztekischer Urmelodien , die ge samte junge Lyrik aller Schattierungen sandte nach Berlin NW. 32 , " postlagernd Momus " , Lieder jeder erdenklichen Art , die Komponisten waren auch nicht faul , und die jungen Maler und Zeichner ebensowenig . Dazu wimmelten Chansonetten und Komiker , Reckturner und Jongleure , Tierbändiger und Zauberkünstler , Knockabouts , Clowns , Gedankenleser , Schlangenmenschen , plastische Poseusen , Schnellmaler , Schnelldichter , Schnellmodelleure , Schnellrechner , Mimik , Negertänzer , Skandalfürstinnen , Antispiritisten , Bauchredner , Zwerg- und Riesenmenschen , kurz alles herbei , was nur auf den Namen Variete hörte und das Literarisch-Künstlerische für Nebensache erachtete . Sogar Herr Alward kam . All das bereitete Stülpen ein herzliches Vergnügen , und er bedauerte fast , daß das Programm des Momus so enge Grenzen hatte . Dabei war er in Auslegung des Begriffes Ästhetisch keineswegs engherzig und legte es im Grunde mit " irgendwie angenehm " aus . Nur mit Aufgebot von außerordentlicher Energie ließ er zumal weibliche Artisten ziehen , wenn sie irgendwie angenehm auf ihn wirkten , und gewaltig groß war die " Liste der für später notierten Mädchen " , die er zwar Viertes Buch , drittes Kapitel . nicht sogleich brauchen konnte , denen er aber mit väterlichem Wohlwollen erklärte : Später peutetre ! Seine Haupthelfer waren der Zungenschnalzer und Martha die Muse . Diese beiden besaßen die eingehende Fachkenntnis , die ihm , dem Organisator und Neuschöpfer , doch abging . Der Zungenschnalzer wurde als " Choreograph " , Martha als " Direktrice für Chanson und verwandte Gebiete " engagiert . Der Bärenführer , der Peripatetiker und Casimir konnten in festen Stellungen nicht verwandt werden , doch übten sie das Amt lyrischer Lektoren aus . Casimir stöhnte am lautesten unter dieser Bürde : -- Lauter Joethes , Bazillenschwärme von Joethes ; es ist sehr scheußlich . Und fortwährend zitierte er die ihm verfallenen Lyriker mit dem Tone ironischer Ergriffenheit . Der Peripatetiker mißbrauchte die ihm anvertrauten Gedichtblätter zu Manuskripten , und der Bärenführer erklärte , daß er nur über solche Lyrik objektiv urteilen könnte , der deutsche Briefmarken als Rückporto beigelegt seien . Im Übrigen interessierte der ganze Momus diese Drei nur insofern , als sie durchaus wünschten , auf dem Programm der Première zu stehen . Stilpe war auch ganz damit einverstanden , nur waren die bis jetzt von ihnen vorgelegten poetischen Erzeugnisse nach seiner Meinung noch nicht momusreif . -- Druckreif und momusreif ist ein Unterschied , meine Süßen ! Ihr seid noch nicht auf der Höhe des Brettls , ihr seid noch zu papieren ! rief er ihnen immer wieder zu . Übrigens entschied er nicht allein darüber ; Martha die Muse hatte das Hauptwort dabei . Wie er mitten im vergnügtesten Korrespondieren war , trat sie ein : -- Na , haben wir endlich ein paar Dichter ? -- Nee , ich glaube nicht . Wir müssen den Stil erst erfinden . Entweder fehlt ihnen der Mut oder der Geschmack zum Gassenhauer . Bloß der Zungenschnalzer hat ein paar gute Sachen produziert , und das Schönste ist , daß er sie auch selber singen kann . Er ist überhaupt unbezahlbar , und ich werde ihn zum Konrektor des Momus ernennen . Er kann direkt Alles , nur muß man ihn eigentlich erst ein bisschen kastrieren . Himmelschreiend diese Erotik ! Die vier Tanzmädchen hat er schon vollständig verdorben , und sie wollen nun schon gar nichts mehr anziehen . Er übt jetzt ein Literaturballett mit ihnen ein und ist schon bei den Roman Viertes Buch , drittes Kapitel . tickern : Pas de Tieck . Dann hat er mit den drei Poseusen eine herrliche Nummer ausgeheckt : Das Heinedenkmal . Die Idee ist von mir , aber ich muß sagen : Er hat sie direkt mit Diamanten übersät . Er wird Heine selber darstellen , im Bett liegend , von anmutigen weiblichen Visionen ergötzt . Auch einen dressierten Bären hat er als Atta Troll aufgetrieben . Na , Du wirst ja sehen ! Es ist eine unbeschreibliche Nummer ! Damit die Antisemiten nicht Spektakel machen , lassen wir darauf das " Journalistische Trio " folgen mit den drei jüdischen Komikern . Sie sind zwar ein bisschen ruppig , aber ohne Ruppigkeiten geht_es nicht . Übrigens ist mein Text dazu um so feiner . Die Bande soll_es spüren ! Jetzt , wo sie wissen , daß ich die Sache mache , druckt kein Mensch unsere Waschzettel mehr . Na , dafür haben wir die Litfaßsäulen ! Totschweigen gibt_es nicht ! -- Nur : Diese verfluchten Lyriker ! Schließlich muß ich alle Couplets alleine machen . Wenn ich nur mehr Zeit hätte ! Und dieser Bärenführer , auf den ich so viel Hoffnung gesetzt hatte ! Der Mensch weigert sich , regelmäßige Strophen zu bauen und steift sich fortwährend auf das , was er " Finesse " nennt . Der Peripatetiker tut auch nicht , was man will , und Casimir kennt seit zwei Wochen bloß noch ein Thema : Die Blutschande . Was soll man mit solchen Leuten machen ? Die Literatur sitzt ihnen im Schädel wie eine Riesentrichine . Keiner begreift , daß wir die Bühne der Zukunft gründen wollen ! Sie werden heute wieder anrücken und Vorschuß verlangen . Ich zahle jetzt aber nicht mehr in bar , sondern in Viktualien . Dabei hat sich Casimir in die zweite Poseuse verliebt und will für sie einen Seelenrhythmus dichten , natürlich ohne Worte , bloß " Gebärden einer profunden Idiotie des Geschlechtszentrums " . Das geht noch über den Zungenschnalzer ! Dafür verlangt der Bärenführer -- den antierotischen Bauchtanz ! Nächstens schmeiße ich alle Drei die Treppe hinunter . Sie haben keinen Ernst , weil sie keine Verantwortung haben ! -- Gott , vorhin hast Du so_ein fideles Gesicht gemacht , und jetzt bist Du der richtige Direktor ! -- Ach , ja , freilich ! Weißt Du : Die ganze Geschichte wäre herrlich , wenn bloß nicht diese verdammte Literatur dabei wäre . Natürlich bin ich fidel ! Ich habe ja was zu tun ! Aber , wie gesagt : Die Literatur ! Wenn wir bloß keine Literatur brauchten ! In diesem Augenblicke schoben sich die Drei zur Viertes Buch , drittes Kapitel . Türe herein , und der Bärenführer rief , indem er Miene machte , sich in einen Dufthaufen hellblauen Musselins zu setzen : -- Verzeihe mir , Stilpe , verzeihe mir , wie gesagt , ich bin betrunken , und Du mußt mein Couplet nehmen ! Es ist ja so schön ! Der Droschkenkutscher Nr. 8715 hat mich dafür gratis fahren wollen ! Wirklich , wie gesagt , Du mußt es als Prolog von mir deklamieren lassen ! Und er schrie ganz wild , fast schäumend : Rum will ich ! Uranusbraunen Rum will ich ! Keinen Tee ! Denn ich will betrunken sein ! Gleich den tiefen Unken sein ! Fröhlich wie ein Schnee- König will ich sein ! Der Peripatetiker fange kindlichen Tones im Refrain : Fröhlich wie ein Schnee- König will ich sein . Der Bärenführer fuhr mit rollenden Augen fort : Arak will ich ! Sehnsuchtblonden Arak will ich ! Keinen Tee ! 24 Denn ich will besessen sein ! Gleich den rauchenden Essen sein ! Fröhlich wie ein Schnee- König will ich sein . Der Peripatetiker säuselte den Refrain dreimal nach . Der Bärenführer aber , mit plötzlich veränderter , sanft flehender Stimme sprach : -- Ach , Stilpe , sieh doch nur : Wie regelmäßig diese Strophe ist ! Siehst du , ich folge dir , ich tue was du willst ! Ich mache , wie gesagt , regelmäßige Strophen . Und nun wieder mit dem knurrenden Zorn eines Ebers : Gin will ich ! Gletscherweißen Gin will ich ! Keinen Tee ! Denn ich will betümpelt sein ! Lilagrün bewimpelt sein ! Fröhlich wie ein Schnee- König will ich sein . -- Wie gesagt , selbstverständlich führe ich die Strophe regelmäßig durch alle Schnäpse fort : Absinth will ich ! Qualwolkigen Absinth will ich ! Keinen . . . Viertes Buch , drittes Kapitel . -- Genug ! schrie Stilpe . Bist Du verrückt !? Denkst Du , ich will mir mein Publikum mit hoher Literatur verjagen ? Du bist ganz unbrauchbar ! Du kannst beim Momus die Lichter putzen ! Der Bärenführer war tief betrübt und setzte sich in die Sofaecke . Der Peripatetiker aber schüttelte den Kopf : -- Ja , aber , was willst Du denn haben ? Dieses Schneeköniglied ist doch essenzhaft tief und dabei heiter wie eine weiße , segelnde Wolke über Fabrikschloten . Es hat etwas modern-goliardisches . Nicht wahr , Mathilde : Es ist ein schönes Lied !? Die Muse lächelte : -- Ach ja , es ist ganz nett , und man könnte es später schon Mal singen lassen , als Alkoholistenintermezzo , aber für den Anfang . . . ? nein : Ihr müßt euch mehr an den Brettlstil anlehnen vorderhand . Habt ihr denn gar nichts Verliebtes ? Der Peripatetiker machte ein mild-ernstes Gesicht und ließ seine rechte Hand in der linken Brusttasche des Smokings verschwinden , der jetzt schon ein bisschen speckig geworden war . Dann entfaltete er eine Nummer der Kreuz-Zeitung und las aus dieser , aber nicht aus ihrem gedruckten Texte , dies : 24 * Gib mir Deine Hände , Kind , Deine kleinen weichen Hände , Die wie Blütenblätter sind , Kühl und feucht . Gib mir Deine Hände leis , Deine kühlen , feuchten Hände , Denn die meinen sind so heiß Wie mein Herz . Gib mir Deine Hände , gib Still sie mir in meine Hände , Kleines Mädchen , habe mich lieb , Hab mich lieb ! Er las das mit einem seltsamen Flüstertone , flehend . Stilpe schüttelte den Kopf : -- Aber wer soll denn das singen ! Das ist ja Lyrik ! Himmlische Mächte : Was soll ich mit Lyrik anfangen ? Das geht ja nicht ! Das ist ja viel zu zart ! Ein Tingeltangel ist doch kein Lesekränzchen ! Der Peripatetiker steckte die Kreuzzeitung ruhig in die Hosentasche und sagte bloß : -- Ich dachte , es paßte . Ich fände das Gedicht sehr passend , wenn es ein junger müder Mann an ein kleines Mädchen hinsänge , und er nähme ihre Viertes Buch , drittes Kapitel . Hand und küßte ihr dann die Füße . Aber ich habe auch komische Gesänge . Ein Lied vom geschorenen Pinscher habe ich einmal gemacht . Ich werde es suchen . Er setzte sich neben den Bärenführer und strich mit seinen schönen schmalen Händen den langen Apostelbart . Casimir grinste : -- Hehe , Du hast wohl genug , Direktor . Weißt Du , meine polnische Rhapsodie werde ich Dir auch hier lassen . Auf diesem sehr umfangreichen Schreibtisch da . Hehe , sie wird auch nicht passen . Du willst natürlich , hehe , Humor ! Und so mußt Du Herrn Stinte engagieren oder diesen , äh , wie heißt doch der Herr , diesen dicken deutschen Biertrinker , hehe , richtig : Hartleben , hehe ; dieser Pilsener-Bier- Jeute paßt für Dich sehr gut . Das ist ein hervorragender Dichter , hehe , geradezu der Onkel der deutschen Poesie . Ich liebe ihn , hehe ! Er hat gerade so einen schönen Hornkneifer wie Du . Stilpe lächelte . Gegen diese Manier fühlte er sich gewappnet . Aber wütend war er doch . Sie fingen also schon an , ihn zu verachten . Bloß , weil er klug war . Weil er langsam vorgehen wollte . Nicht mit dieser tolpatschigen Hast junger Jagdhunde , sondern mit der Ruhe bewußter Verantwortlichkeit . Unter seiner Freude an der bewegten Arbeit eines Sprechstunde abhaltenden Theaterdirektors hob sich mehr und mehr ein Ingrimm gegen die Leute , mit denen zusammen er eigentlich gedacht hatte , das Momus-Theater zu machen . Ihre Unfähigkeit , für die Zwecke dieses Theaters zu arbeiten , empfand er nicht als einen Mangel ihrer Begabung , sondern er ärgerte sich darüber , daß sie auch in diesem Falle keinerlei Konzessionen an den Begriff des Zweckes in der Kunst machten , und er beneidete sie im Grunde darum . Zwar sagte er sich manchmal , daß sich darin auch Schwäche und Zügellosigkeit offenbarte , aber seine eigene Fähigkeit , gerade für das Momus-Theater zu arbeiten , erschien ihm als ein Anzeichen seiner künstlerischen Inferiorität . Er fing mit einemmal an , die " Dichterei " zu hassen , und es war ganz ehrlich , wenn er der Muse gegenüber es verwünschte , daß die " Literatur " ein Hauptprogrammpunkt ihrer Gründung war . Und dabei hätte er doch auch um Alles nicht ein bloßer Tingeltangeldirektor sein wollen . Der Gedanke , auf so paradoxe Weise der Kunst zu dienen , kitzelte ihn angenehm . Viertes Buch , drittes Kapitel . Aber gerade für das Eigentliche des Unternehmens , gerade für die Verbindung des wertvoll künstlerischen mit dem Tingeltangelhaften , tat er am wenigsten . Dafür mußten der Zungenschnalzer und die Muse die Hauptarbeit leisten . Er warf nur zuweilen " Ideen hinter die Kulissen " , schrieb ein paar Couplets von geistreicher Frechheit und entfaltete im Übrigen eine mehr fahrige als zielbewußte Tätigkeit . Besonders groß war er in der Anschaffung schön bedruckter Stoffe aus England und Belgien . Auch ließ er ausgezeichnete Plakate lithographieren und drucken . In Paris und London engagierte er brillante Tänzerinnen und Sängerinnen zu sehr hohen Gagen ; das Beste , was das Ausland an Variete-Theaterkunst hervorbrachte , verpflichtete er dem Momus-Theater . In gewissen Äußerlichkeiten war er sehr erfinderisch und originell . So stellte er anstelle von Logenschließern hübsche junge Mädchen in allerliebst dekolletierten Kleidern an , sorgte für schöne Blumenverkäuferinnen und benutzte seine vorzüglichen Verbindungen in der besseren Berliner Halbwelt zu einer auf das Prinzip der Auswahl des Besten hin systematisierten Verteilung der Freibillets . Der Pole karakterisierte das Ganze in seiner Weise so : -- O Herr Direktor , Du bist geradezu dschenial ! Du eröffnest Ausblicke in geradezu orientalische Kulturen ! Du solltest direkt ein literarisches Bordell gründen ! Weißt Du , hehe , wo die Mädchen auch gleich dichten oder Jeute deklamieren . Hehe , was Du da für reizende Divenchen in die Logen gestellt hast ! Und diese köstlichen Rosa-Ampeln ! Hehe , und daß man die Logentüren von innen verriegeln und an der Brüstung die Vorhänge zuziehen kann , -- daran erkenne ich den Meister ! Und so sollst Du überhaupt gar keine Vorstellungen geben lassen , sondern bloß , hehe , Eintrittspreise verlangen ; hehe : " Damen zahlen die Hälfte . " -- Na , und wenn es so wäre ! entgegnete Stilpe unerschrocken , wäre das nicht auch schon Verdienst genug ? So ein bisschen angewandte Erotik ist genau so wichtig , wie eure ganze Schreiberei . Und deshalb ärgert ihr euch eben : Weil Ihr seht , daß ich ins Leben wirken will mit dem Momus und nicht bloß in die Literatur . Ihr seid die großen Geister ; gut , schön , eminent : Ich laß euch eure Lorbeerkränze . Ich bin ein einfacher Pionier des neuen Lebens . Nur der Zungenschnalzer versteht mich , weil er den Viertes Buch , drittes Kapitel . Willen der Zeit versteht . Und denkt ihr denn , ich habe den alten Hut voll Geld gekriegt , um eine Bouillonkultur Seelenkrebs anzulegen ? Ich habe das Amt erhalten , die Berliner in ein künstlerisches Leben hinüber zu amüsieren , nicht aber , sie mit Literatur zu mopsen . Der Zweck des Momus ist direkt , eurer ganzen Literatur den Rest von Interesse zu nehmen , den sie etwa noch hat . Wir wollen die Berliner ästhetisch machen . Es gibt hier immer noch Menschen , die Bücher lesen . Das muß aufhören . In den Spitzenunterhöschen meiner kleinen Mädchen steckt mehr Lyrik , als in euren sämtlichen Werken , und wenn die Zeit erst so weit ist , daß ich ohne Unterhöschen tanzen lassen kann , dann werdet sogar ihr begreifen , daß es überflüssig ist , andere Verse zu machen , als solche , die bei mir gesungen werden . Umgotteswillen , begreift doch die Situation ! Schöne Kleider , schöne Frisuren , schöne Arme , Brüste , Beine , Bewegungen -- darauf kommt an . Erfindet mir Tänze , dichtet Pantomimen , löst mir das Problem der Emanzipation vom Trikot , -- das sind Sachen , die ich brauchen kann . Und wenn ihr schon durchaus Verse machen müßt , so vergeßt doch nicht , daß sie von schönen Mädchen gesungen werden , die nicht mit leeren Korsetts auftreten . Und seht euch Mal die bunten , feinen Stoffe da an ! Was müssen das für Verse sein , die mit solchen Farben , solchen Mustern konkurrieren wollen ! Zieht doch eure Verse endlich Mal aus ! Ich lasse Rops tanzen , -- habt ihr doch die Kurasche , Rops zu dichten ! Unser Theater heißt doch Momus und nicht Stöcker . Seid ihr denn Predigtamtskandidaten ? Mein Gott , was täte ich , wenn ich auf euch angewiesen wäre ! So polterte er sich aus und genügte seinem Bedürfnisse , ab und an verwegene Worte zu ballen . Aus diesem Grunde waren ihm die renitenten Dichter , obwohl er sich herzhaft über sie ärgerte , doch unentbehrlich . Er konnte " an sie hin reden " und sich bei dieser Gelegenheit klar machen , worauf hinaus er eigentlich wollte . Diese Art , sich in Feuer zu reiben , tat ihm gute Dienste . Er fand sich mit seinem literarischen Gewissen ab , indem er sich mit den ungebärdigen Poeten abraufte . Wären sie nicht immer wieder aufgetaucht , so hätte er die Literatur überhaupt vergessen und wäre ganz in Mußlin und Seide aufgegangen . Viertes Kapitel . Das Leipziger Cénacle , das durch die " fatale Stilpe-Sache " damals gesprengt worden war , hatte sich schließlich doch wieder zusammengefunden . Freilich ohne Stilpe . Dieser war um die Zeit der neuen Vereinigung gerade in den Vollgenuß seiner kritischen Berühmtheit getreten und hatte auf die Einladung , der ersten Sitzung in Leipzig beizuwohnen , eine schnöde Absage erteilt . Es war darin von Kinderschuhen die Rede , die er den Herren gerne zur Verfügung stellen würde , wenn er nicht befürchten müßte , daß auch sie ihnen noch zu groß seien ; im übrigen sei er bereit , die poetischen Werke der erlauchten Cénacliers mit derselben Objektivität zu tranchieren , mit der er die übrigen Erzeugnisse des dichterischen Germaniens der öffentlichen Meinung vorsetzte . Diese Bemerkung war das Boshafteste in dem Briefe , denn die Herren Barmann , Stössel , Wippert und Girlinger hatten ihren künstlerischen und dichterischen Jugendplänen längst den Abschied gegeben . Barmann war Gymnasiallehrer geworden , Stössel hatte reich geheiratet und gab vor , musikgeschichtliche Studien zu treiben , Wippert war auf dem Umwege über orientalische Philologie langsam zur Medizin gelangt und hatte eine Klinik für Frauenkrankheiten , Girlinger steuerte auf die Laufbahn eines königlichen Staatsanwalts zu . Wenn sie sich trotzdem zu einem neuen Aufguß des Cénacles vereinigten , so geschah es in einer gewissen melancholischen Stimmung und in der Hoffnung , unter sich wenigstens eine Art Abglanz jenes einbildungsvollen Übermutes zu erzeugen , an den sie sich nicht ohne ein leises Hochgefühl erinnerten . Es war ihnen im Grunde doch leid , daß jene überschwänglichen Einbildungen einer künstlerischen Zukunft nicht zur Wahrheit geworden waren . Sie gestanden sich das zwar nicht ein , konstruierten sich vielmehr ein Gefühl von ernster Zufriedenheit darüber , daß sie sich in bürgerlich gefestete Zustände und in einen praktischen Wirkungskreis hinübergerettet hätten , aber es gewährte ihnen doch Genug Viertes Buch , viertes Kapitel . Tuung , daß sie auf so etwas wie eine geistige Sturm- und Drangperiode zurückschauen konnten . Auch hegten sie die stille Hoffnung , daß sie vielleicht viribus unitis doch noch die Fähigkeit besitzen möchten , wenigstens unter sich ein bisschen über die Stränge zu schlagen . Da war nun die Absage Stilpes , vor dessen literarischer Stellung sie doch etwelchen Respekt hatten und in dem sie den durchgedrungenen Cenaclier verehrten , sehr fatal gewesen . Ohne ihn entwickelte sich das Cénacle stark ins hausbacken Solide , und eigentlich gab_es eine Wiedergeburt jenes Debattierklubs auf dem Gymnasium , nur daß mit der Unreife auch der Enthusiasmus fehlte . Es wurde aus dem Cénacle eines der kritischen Konventikel , wie sie sich jetzt gerne um die Literatur und Kunst herumgruppieren , wo man sich über das Neue unterhält , die Entwicklung mit bald wärmerer , bald kühlerer Anteilnahme verfolgt , und wo der heimliche Lessing dieser kritisch noch immer nicht unter einen Hut gebrachten Zeit in vielen Exemplaren wächst , blüht und gedeiht . Ein Hauptsport dieses zeitgemäß gewordenen Cénacles war die Psychologie , diese Lieblingsneigung aller unproduktiven Köpfe , die zu klug und zu stolz sind , um zu dilettänteln . An Stoff gebricht es diesem Sporte niemals , aber hier war er besonders üppig und interessant , weil die Cénacliers in ihrem ehemaligen Freunde , dem Ex- Schaunard Stilpe , ein besonders ergiebiges Objekt hatten . Die Debatte drehte sich recht häufig um ihn , und besonders Girlinger wurde nicht müde , ihn zu vivisezieren . Er sprach es direkt aus , daß Stilpe für ihn das interessanteste Schauspiel sei , und daß er ihn ganz sicher niemals aus den Augen verlieren werde . Er hatte natürlich auch schon eine Prognose bis ins Letzte in Bereitschaft , hütete sich aber doch , sie mit Bestimmtheit verlauten zu lassen . Die Kühnheit Wirts , der im Geiste schon das Sterbebett Stilpes in der Charite mit der Aufschrift del. trem. sah , besaß er doch nicht . Dafür dachte er seinem Metier zufolge mehr an Plötzensee . Barmann , der in Secunda deutsche Literaturgeschichte traktierte , huldigte höheren Perspektiven ; er konstruierte sich einen modernen Fall Günther . Stössel war im Grunde voll phantastischer Erwartungen : -- Paßt auf : Plötzlich tritt er mit einem Werke hervor . Jetzt ist alles Schutt und Scherben . Aber Viertes Buch , viertes Kapitel . mit einem Male wird er sich zusammenfassen und aufraffen , und dann zeigt er erst seine wahre Gestalt , seine innerliche Kraft . Vielleicht muß er bloß erst heiraten ! So psychologisierte jeder nach seinen Erfahrungen , und Stilpe wurde nicht müde , in bunter Folge jeder Ansicht neue Nahrung zu geben . Zu einer konkreten Zusammenfassung reeller Unterlagen für diese psychologischen Bemühungen kam es aber erst als Girlinger nach Berlin versetzt wurde . Es war etwa über ein Jahr nach der Gründung des Momus , da sandte Girlinger folgenden Bericht quoad Stilpe an das Leipziger Cénacle : Endlich ist es mir gelungen , nicht bloß Authentisches über den Fall Stilpe-Momus zu erfahren , sondern auch unseren ehemaligen Schaunard selber aufzufinden . Ich hätte euch schon früher allerlei mitteilen können , aber ich wollte mit Tatsachen aufwarten und nicht bloß referieren , was ihr aus den Zeitungen von damals ebensogut wißt , wie ich , und was doch durchweg mehr oder weniger feindliche Preßmage war . Ich verkehre hier ab und zu mit Journalisten und habe in dieser Gesellschaft zuweilen versucht , das Gespräch auf Stilpe zu bringen , aber es ist mir nicht gelungen , von dort her mehr zu vernehmen als Äußerungen einer fertigen Verachtung , die sich nicht zur Darlegung von Gründen herbeilassen wollte . Stilpe gilt in diesen Kreisen einfach als bête Noir , und schon aus Korpsgeist vereinigt man sich zu einstimmiger Verdammung des räudigen Schafes . Nur einige geben noch zu , daß der " Mensch " ein " starkes pamphletistisches Talent besessen habe " , aber auch sie fügen die Bemerkung daran , daß er " nicht einmal für einen Schmähschreiber genug Charakter besitze " . Den Momus- Krach stellen sie als wohlverdiente Strafe hin 1 ) für die Frivolität , die das Gepräge dieser ganzen Gründung gewesen sei und 2 ) für das " ans Gaunerhafte grenzende Gebaren , das Stilpe in der ganzen Angelegenheit gezeigt haben soll und Viertes Buch , viertes Kapitel . zwar sowohl bei Aufbringung wie bei Verwendung der Momusgelder . Durch Zufall lernte ich dann eine Gruppe von Dichtern kennen , die über jedem Verdachte journalistischer Verbindungen stehen , weil sie es schon längst aufgegeben haben , ihre Erzeugnisse durch die periodische Presse zu verbreiten , und die gerade über den Momusfall mitreden können , weil sie an ihm beteiligt gewesen sind . Da sie trotzdem im Grunde von Stilpe nicht viel wissen wollen ( weil er , wie sie sagen , den Momusgedanken prostituiert hat ) , so ist es erlaubt , ihre Aussagen wenigstens für insoweit objektiv zu halten , als die Herren überhaupt einer objektiven Betrachtung der Dinge dieser Welt fähig sind . Von diesen Herren habe ich nun dies erfahren : Das Momustheater erlitt ein vollkommenes Fiasko , weil es als Tingeltangel " immerhin " zu künstlerisch , als Kunstinstitut aber viel zu sehr Tingeltangel gewesen sei . Das Publikum lehnte " das bisschen Literatur und Kunst " , was dabei mitspielte , schon als zu viel ab , und die Presse , die im Verein mit dem " Schock Berliner Kunst- und Literaturfreunde " sich " wenigstens den Anschein gab , etwas Künstlerisches erwartet zu haben " , er 25 klärte mit " der ganzen Entrüstung lackierter Elitemenschen " , daß sie von Literatur und Kunst im Momus nicht mehr zu finden vermöchten , als im " Malepartus . " Das sei nun freilich zuviel gesagt , meinten meine " Dichter " , und sie führten zum Beweis der " Nuance von reeller Literatur im Momus " jeder eine Programmnummer an , die den Zitierenden zum Verfasser hatte . Ich muß gestehen , daß schon die Titel dieser Programmnummern mich in Staunen versetzten , und als mir eine Probe " interpunktionsloser Lyrik " vorgetragen wurde , die im Momus unter " Pizzikatobegleitung von acht Bratschen " deklamiert worden ist , da begriff ich , daß das dem Publikum zu viel gewesen war . Diese merkwürdigen Dichter amüsierten sich übrigens selber am meisten über ihre Programmnummern , und ich vermochte mir nicht darüber klar zu werden , ob sie diese Produkte ernst oder als einen Ulk nahmen , den sie sich mit Stilpe erlaubt hatten . Es war bei der Première sehr lärmhaft zugegangen , und zwar hatten , wie meine Dichter behaupten , zwei Parteien " um die Palme des Radaus gerungen " : In erster Linie die journalistischen Feinde Stilpes und dann ein Aufgebot der christlichen Jünglingsvereine . Nach Allem , Viertes Buch , viertes Kapitel . was ich zumal über die Ballettleistungen des Momus vernommen habe , muß ich erklären , daß ich die Opposition derart inkorporierter Jünglinge verstehe . Es ist auch sehr bald die Polizei gegen den Schnitt der Ballettgewänder im Momustheater eingeschritten . Dieser Umstand in Verbindung mit dem einmütigen Verdikte der Presse , daß der Momus durchaus kein Kunstinstitut im höheren Sinne sei , hat den Aufsichtsrat der Momus-Gesellschaft , also die Geldgeber , veranlaßt , sich den Paragraphen in Stilpes Kontrakt zunutze zu machen , der es gestattete , den " artistischen Direktor " zu entlassen , freilich unter Zahlung einer sehr beträchtlichen Entschädigungssumme für diesen . Der leise unternommene Versuch , diese Entschädigung durch allerlei Anschuldigungen bedenklicher Natur in punkto Geschäftsgebarung zu umgehen , ist schließlich nicht gemacht worden , aber schon der Ansatz dazu hat genügt , jenes von mir bereits erwähnte Gerücht von " Gaunereien " etc. zu erzeugen . Das Momustheater ist sehr bald an einen regelrechten Tingeltangeldirektor übergegangen , und man hat eine Weile geglaubt , daß Stilpe selbst mit seiner Entschädigungssumme der Hintermann 25 * dieses Variete-Mannes gewesen sei . Der Umstand , daß seine damalige Geliebte , eine Hamburger Chantantsängerin , die Diva des neuen Momustheaters wurde , deutete wohl darauf hin , aber die Stellung eines Hintermannes scheint mir nicht im Charakter Stilpes zu liegen . Zweifellos und leider in Stilpes Charakter sehr ersichtlich begründet ist dagegen die Tatsache , daß er sich nach seiner Entlassung einem völlig verrückten Lotterleben hingegeben hat . In seiner Eigenschaft als " Direktor " hatte er eine unendliche Schar von Artisten und Artistinnen kennen gelernt , und er umgab sich nun mit einem wahren Heerbann von stellenlosen Sängerinnen und Tänzerinnen . Es wird euch genügen , das Faktum zu vernehmen , um euch ein Bild davon zu machen , in welchem Stile er eine Weile gelebt hat . Meine dichterischen Gewährsmänner machen ihm nicht sowohl dieses Faktum , als den Umstand zum Vorwurf , daß er jede Beziehung mit ihnen und überhaupt mit dem , was sie Literatur und Kunst nennen , abgebrochen habe . Sie sagen in ihrem Stile so : " Er sumpfte wie ein Kapitalist , der sich eine Leibgarde von Mitsumpfern aushalten muß , weil es ihm an Geist und Größe gebricht , Viertes Buch , viertes Kapitel . allein oder mit erlauchten Leuten kongenial zu sumpfen . Er fing wieder an , schwere Getränke nötig zu haben , wo dem Erlesenen schon Gilka genügt , um den Kontakt mit dem Weltgeiste zu finden . Auch bei ihm war es die Verzweifelung der Impotenz , die ihn zwang , für teures Geld wertlose Räusche zu kaufen . Man brauchte sich schließlich kein Gewissen daraus zu machen , ihn anzupumpen wie einen Kunstfreund von hoher Steuerklasse . " Diese Verachtung von dieser Seite her besagte für mich eigentlich den tiefsten Stand der Stilbischen Dinge . Unser ehemaliger Schaunard , so sagte ich mir , hat also den brutal sinnlichen Zug seines Wesens vollkommen Herr über sich werden lassen und ist , da ihm mehr Geld zur Verfügung stand , als für ihn gut war , in gemeiner und geistloser Schwelgerei untergegangen . Der andere Zug seines Wesens , und wenn es auch bloß eine untergrundlose Verblendung war : Das Hinaufbegehren in freie , schöpferische Geistigkeit , die Zuversicht , aus sich etwas Großes , einen Poeten zu machen , das hat er ganz verloren . Aber ich fügte in mir den Gedanken bei : Er muß , wenigstens in vorüber wehen den Augenblicken der Klarheit , wenn der Alkohol versagt , sehr unglücklich dabei sein . Deshalb gab ich mir Mühe , seiner habhaft zu werden . Aber es gelang mir lange Zeit nicht . So lange er Geld hatte , wohnte er , wenn er in Berlin war , bald in diesem , bald in jenem Hotel , und häufig war er offenbar von Berlin abwesend , vielleicht an den Orten , wo die eine oder andere seiner Favoritinnen gerade ein Engagement an einem Tingeltangel hatte . Jetzt aber haben ihn die Favoritinnen ganz ausgezogen , und -- er hat selber ein Engagement an einem Tingeltangel hier . Ich erfuhr , daß er in einem der kleinen Chantants draußen in Berlin N. , wo die Chausseestraße anfängt , als Komiker auftrete , und ich beschloß sofort den nächsten Abend zu einem Besuche in diesem Lokal , das sich Zum Nordlicht nennt , zu benutzen . Das Milieu brauche ich euch nicht zu schildern ; ihr kennt es aus eigener Erfahrung und aus den Novellen der ersten Periode unseres deutschen Naturalismus . Ich muß sagen : Mit einer wahren Angst sah ich dem Auftreten Stilpes auf dieser Bühne entgegen , auf der sich im Übrigen nur Chansonetten letzten Ranges produzierten . Au , Viertes Buch , viertes Kapitel . dem Programm stand er als -- " Rudolph Schonaar " verzeichnet . Ist das nun ein Stück Selbstironie ? dachte ich mir ; hat er wirklich noch den Humor , sich über sich selbst lustig zu machen ? Wie wird er bloß aussehen !? Und , mein Gott , wie wird er singen ?! Ich war auf alles mögliche gefaßt , aber nicht auf das , was kam . Daß ich es kurz sage : Es war eine Leistung ! Ich bin ja freilich kein Kenner auf diesem Gebiete , aber das getraue ich mir zu sagen : In seiner Art war die Charge , die unser Schaunard von ehedem darstellte , ein brillantes Stück grotesk-realistischer Tingeltangelkunst . Es war im Grunde niederdrückend für mich , was ich sah , und doch ging ein Gefühl nebenher , das ich so ausdrücken möchte : Der Kerl imponiert mir doch ! So sich über sich selber zu stellen mit den Mitteln einer zwar niedrigen , aber in ihrem ganzen Stile fabelhaft erfaßten Kunst , so das ganze traurige Ergebnis seines Lebens mit grotesker Laune tragikomisch dem Pöbel vor die Füße zu werfen , so von oben herab auf sich selber herumzutreten und doch den Eindruck eines Mannes zu machen , der sich dabei amüsiert , -- wißt ihr : Das ist kein gewöhnliches Stück , da steckt trotz Allem eine künstlerische Persönlichkeit dahinter . Also stellt euch vor : Stilpe trat als verlumpter , versoffener alter Dichter auf . Lange graue Haare , zerknüllter Zylinder , Bratenrock , flatternder Künstlershlips , -- dies also die alte schablonenhafte Figur des idealistischen Dichters in übler Vermögenslage . Aber nun hättet ihr sehen sollen , wie das Gesicht , die Bewegungen , die Worte dazu paßten . Zum Gesicht hatte er freilich keine Kunst nötig gehabt : Diese aufgedunsenen Züge , diese alkoholisch poröse , kupferige Nase , diese schwimmenden , unstäten Augen , -- das war leider Alles Natur . Auch die Bewegungen , dieses Fallenlassen der Arme , die dann an den Schenkeln herumsuchten und tasteten , dieses nervöse Zucken der Schultern , dieses zitternde Auflegen der rechten Hand auf die Stirn , dieses langsame Auf- und Niederneigen des Kopfes , dieses Nachschleifen der Füße beim schwankenden Gange , -- auch dies war im Grunde Natur , nur unterstrichen , perspektivisch berechnet . Aber nun : Was er sprach und sang ! Es war so eine Soloßene , wißt ihr : Monologe mit Gesangseinlagen wechselnd ; man kennt das ja ; diese Geschichten sind eigentlich nicht mehr modern ; Viertes Buch , viertes Kapitel . ein paar haben sich indessen sogar auf der großen Bühne erhalten . Aber Stilpe hat , ich sage es ohne Überschwänglichkeit , ein Kunstwerk daraus gemacht . Ich wäre auch ergriffen zwischen Lachen und Grausen hin- und hergeworfen worden , wenn kein persönliches Interesse mitgewirkt hätte . Er kam langsam , ruckweise schwankend ans der linken Kulisse und bewegte sich im Zickzack , scheu sich umsehend , nach einer Bank rechts . Wie er sich auf die hinfallen ließ , wie er den Zylinder müde abnahm , sich durch die Haare fuhr und nun mit einem leeren , ängstlichen Blick rund im Zuschauerraum herumsah , das war für mich schon ein Eindruck , wie ich ihn selten von einer Bühne herab gehabt habe . Plötzlich kicherte er , bückte sich und hob einen Zigarrenstummel auf , griff dann lässig an sich herum , fuhr suchend in die Taschen , zog die Hände resigniert heraus und sagte dann leise vor sich hin : Ja , Feuer ! Is nicht ! Wieder ein paar Blicke im Kreise . Dann plötzliches Aufrichten und im Vorwärtsschreiten das Bemühen , nicht zu schwanken , sondern anständig , mit Würde zu gehen . Und nun , an der Rampe , eine höfliche Verbeugung vor dem Baßgeiger und im Tone vollendeter Höflichkeit mit gebrochener Stimme : Dürfte ich Sie um etwas Feuer bitten , werter Herr ? Er erhält ein Streichholz , verbeugt sich wiederum sehr höflich und zündet sich den Stummel an ; stößt die Tabakwolken mit Genuß von sich , betrachtet den Stummel mit Zärtlichkeit , lächelt und sagt : Sie müssen nämlich wissen : Ich bin auch Künstler ! Der Baßgeiger sieht ihn fragend an . -- Ach nein , so schön geigen kann ich nicht . Nein . Aber -- dichten ! Haben Sie keine Kindtaufe in Aussicht ? Ich machs billig . Wenn nur vom Essen was übrig bleibt . . . Dies sehr demütig , traurig . Aber auf einmal wird er wild und fängt an zu schimpfen : Auf das Gesindel , das Geld und kein Talent hat , auf alle , die ihn verachten , weil sie Kamele sind , während er ein Genie ist u. s. w. -- Ich sage euch : Ein fabelhafter Ausbruch mitten in den johlenden Mob hinein , der sich königlich zu amüsieren anfängt , während der Dichter , an der Rampe hin- und herrennend wie ein Eisbär im Käfig , Zorn , Wut , Verachtung nach allen Richtungen schleudert . Ich hatte die Empfindung , daß Stilpe dies alles improvisierte . Dann fiel er wieder in den demütigen Ton und Viertes Buch , viertes Kapitel . bat um Verzeihung und ein Glas Gilka . Nachdem ihm dies hinaufgereicht worden war und er es mit der Hast eines Verdurstenden hinuntergestürzt hatte , erklärte er , nun wolle er auch nicht so sein und seinerseits etwas zum Besten geben . Und er begann im Schauerballadenstil sein Leben , das Leben des verkommenen Genies , herunterzusingen . Es war einfach grausig , sage ich euch , wie er immer sich selber als zweite Person behandelte und gleichsam mit dem Stocke auf sich wies , wie die alten Jahrmarktsmoritatensänger auf die warnenden Exempel . Dabei stellte er in großen Zügen wirklich sein eigenes Leben dar , natürlich grotesk verzerrt und mit burlesken Beigaben . Aber ich habe dieses sein Leben nie mit so greller Deutlichkeit erkannt , wie während dieser Ballade , die überdies als parodistische Leistung ein Leckerbissen zu nennen ist . Am Schlusse immer der Kehrreim : O lockert eure steinernen Gebärden ! Ich bin ein Lump und ihr könnt Lumpe werden . Seht dieses Fleisch und schlotternde Gebein , Jetzt saufe ich Gilka und einst soff ich Wein . Nachdem er die Ballade zu Ende gesungen hatte , trat er unter johlendem Beifall ab . Der Beifall hielt an , und er erschien wieder , trat ganz an die Rampe vor und sagte : " Übrigens haben Sie mich vorhin gestört . Ich bin nicht hier hergekommen , Ihnen was vorzuflöten . " Dann ganz leise : " Es ist doch kein Schutzmann unter Ihnen ... ? ... " Rufe aus dem Publikum : Je wo ! -- Stilpe : " Ich ... ich ... möchte mich nämlich erhängen . " Ihr werdet es kaum glauben , aber das wurde in einem Tone gesagt , daß selbst dieses Publikum erschrak . Aber nun schlug Stilpe eine Lache auf : Sie denken wohl , das ist unangenehm ? Im Gegenteil ! Ich habe mir sagen lassen , man erlebt da seine schönsten Sachen alle noch einmal . Gott nee , was ich mir auf Laura'n freue ! Und jetzt folgte ein bockiges Herumstolzieren mit vorgestrecktem Bauche , eine laszive Szene ohne Worte , die in mir direkt den Staatsanwalt wachrief . Gemein ! Gemein ! Das Publikum wand sich vor Entzücken . Stilpe aber hielt plötzlich inne und rief : Aber wissen Sie denn auch , warum ich mich erhängen will ? Und nun folgte , ich kann es nicht anders nennen , eine Dissertation über den Selbstmord . Viertes Buch , viertes Kapitel . Und zwar so , daß er erst alle möglichen gewöhnlichen Selbstmordgründe ablehnte , um schließlich als einzig zwingenden und berechtigten Grund den anzuführen : Es gibt kein Getränk mehr , das mich umbringen könnte , darum muß ich mir selber umbringen . Nun zog er den Strick hervor und sang ihn als " Schnaps der Schnäpse " an . Während der Schlußstrophe warf er den Strick um einen Laternenhaken , und während der Vorhang fiel , legt er sich den Strick um den Hals . Ich atmete auf , wie der Vorhang unten war . Das Publikum aber klatschte wie besessen . Nach einer Weile hob sich der Vorhang wieder , und ich sah , daß die Originalität unseres verflossenen Freundes auch als Tingeltangelsänger keine Grenzen kennt : Der Dichter hing an der Laterne und sang , ungeachtet des Einspruchs der Naturgesetze , in dieser Situation , röchelnd und nach Luft schnappend , sein Schwanenlied , eine schauerliche Mischung von Grausen , grotesker Komik und Zynismus . Dann ein letztes Schlenkern mit den Beinen , die Zunge weit heraus , dem Publikum entgegengestreckt , -- der Vorhang fiel . So oft er sich wieder unter dem Beifallgewieher des Publikums hob , sah man den Dichter am Laternenpfahl hängen und mit herausgestreckter Zunge den grinsenden Kopf dankend verneigen . Scheußlich ! Scheußlich ! werdet ihr sagen , und ihr habt ganz gewiß recht , aber ich wiederhole es : Was in meiner Darstellung bloß widerlich wirken kann , machte von der Bühne herab , ich muß es bekennen , in der Hauptsache auf mich doch den Eindruck von ergreifender Kunst , schauderhaft verirrter , gottsträflicher , infamer Kunst zwar , aber ich wäre nicht im Stande gewesen , etwa inmitten dieser schauerlichen Frivolitäten aufzustehen und fortzugehen . Alles in mir empörte sich , aber ich war gefesselt . In jedem anderen Falle wäre ich nun freilich jetzt weggegangen , zumal , da auf diese pièce de Résistance des Nordlichtes nur noch die ausgesungenste aller Chanteusen folgte , aber mich verlangte es , Stilpe nun auch " in Zivil " zu sehen . Wie muß der Mensch , der aus seinem Leben einen solchen grausigen Clownwitz zu machen im Stande ist , aussehen , wie muß er sich benehmen , wenn er mir gegenüber steht , der ihn aus Zeiten her kennt , wo es trotz Allem doch eine solche Perspektive auf das Ende nicht gab ! Viertes Buch , viertes Kapitel . Ich schickte ihm meine Karte hinter die Bühne . Nach einer Viertelstunde erschien er , die Vorstellung war mittlerweile durch den üblichen Galopp geschlossen , an meinem Tische . Unglaublich ! Er gebärdete sich wenigstens ganz wie früher . -- Willst Du mich verhaften , Staatsanwalt meiner Seele ? Wieviel Jahre stehen auf den Bauchtanz meiner Prägung ? Ich hatte Mühe , ihn von diesem Stil abzubringen . Ganz hat er ihn überhaupt nicht aufgegeben . Das Endresultat , was ich euch zu vermelden habe , ist dies : Stilpe erklärt , sich recht wohl zu fühlen , wenngleich es ihm nur in den seltensten Fällen noch gelingt , sich zu betrinken . Als Entschädigung für diesen beklagenswerten Umstand bezeichnet er die " glorreiche Tatsache " , daß er endgiltig darauf verzichtet habe , in die Literaturgeschichte zu kommen . -- Literatur ? Pf ! Das Tingeltangel ist die Kunst der Zukunft . Übrigens hat meine Orgel bloß noch eine Pfeife . Sonst ? . . . Na , mein Junge , wenn alle Pfeifen schweigen , -- die Heilsarmee leckt alle Finger nach mir . Ein bisschen religiös komme ich mir überhaupt manchmal vor . Wer weiß . . . ? . . . Wer kann wissen . . . ? . . . Überhaupt . . . der liebe Gott ! . . . Na . . . einstweilen halten wir Mal die Fahne hoch . . . Aber nicht wahr : Meine Nummer is gut !? Schlußkapitel . Etwa drei Wochen nach dem Gespräche Girlingers mit Stilpe erhielten die Berliner neben anderen Frühstücksbeilagen auch diese Notiz vorgesetzt : ( Selbstmord eines Chantantekomikers . ) Die Besucher der Varietebühne " Zum Nordlicht " waren gestern Abend Zeugen eines grausigen Schauspiels . Der Komiker Schonaar hat sich auf offener Bühne vor den Augen des Publikums erhängt . Da der Schlußtric in der Nummer dieses Komikers ( ! ) darin bestand , daß er sich an einem Laternenpfahl aufhängte , so gewahrte das Publikum es anfangs nicht , daß diesmal das an sich scheußliche Schauspiel entsetzliche Wirklichkeit war . Es applaudierte , die scheinbare Naturwahrheit der Darstellung bei 26 wundernd , anhaltend , so daß sich der Vorhang dreimal über dem zuckenden Körper des Hängenden erheben mußte . Da erst fiel es den " Habitues " dieser Schaustellung auf , daß der Darsteller nicht wie sonst seinen Kopf in der Schlinge gegen das Publikum verneigte . Man eilte über die Rampe weg auf die Bühne und schnitt den Erhängten ab . Da es nicht möglich war , ihn wieder ins Leben zu bringen , so muß mit Bestimmtheit angenommen werden , daß Schonaar , um ganz sicher zu gehen , sich vorher vergiftet hat . Die polizeiärztliche Untersuchung wird zweifellos die Richtigkeit dieser Mutmaßung ergeben . In den Taschen des Selbstmörders fand man ein Paket mit der Aufschrift : An den Staatsanwalt Girlinger . Dies erweckt die Vermutung , daß dieser Selbstmord vielleicht noch anderweites kriminelles Interesse hat . Wir kommen auf den krassen Fall zurück . Schon zum Abendbrot hatten die Berliner volle Aufklärung über den Fall Schonaar . Sie lasen : ( Zum Selbstmord im " Nordlicht " . ) Der scheußliche Selbstmord auf offener Bühne , von dem wir heute früh berichtet haben , hat Viertes Buch , Schlußkapitel . kein weiteres kriminelles Interesse , wohl aber eine psychologisches traurigster Natur . Der Selbstmörder , der unter dem Namen Schonaar ein elendes Dasein als Komiker niederster Gattung gefristet hat , war der ehemals viel genannte und gefürchtete Kritiker Willibald Stilpe , derselbe , der sich in der Literatur durch das berüchtigte Pamphlet " Der Tintensumpf " unmöglich gemacht und dann das bald verkrachte " Literatur-Tingeltangel Momus " gegründet hat . Wieder einmal ein Talent , das an seiner eigenen Charakterlosigkeit zu Grunde gegangen ist ! Über die direkten Motive zu diesem in so schauerlicher Weise in Szene gesetzten Selbstmord haben wir vom Herrn Staatsanwalt Girlinger , an den der Selbstmörder ein Bündel Manuskripte geschickt hat , nichts erfahren können . Man kann sie wohl in das eine Wort zusammenfassen : Delirium . Das war das Amen-Wort der Öffentlichkeit zum Lebensabschluß Stilpes. 26 * Das Leipziger Cénacle hatte den Vorzug , Stilpes eigene Meinung darüber zu vernehmen . Girlinger schrieb den Freunden : . . . Nous allons , si tu veux , Kanter le dernier psaume . . . Hier sind die letzten Worte Schaunards . Seine Leiche ist , wie er wünschte , in der Anatomie . Ich habe sie gesehen und fürchte , daß ich den Anblick nie mehr los werde . Seid froh , daß ihr das nicht gesehen habt . Stilpes Brief an Girlinger lautete so : Landerirette ! Wie schreiben die kleinen Mädchen ( ach , ach , ach , wie nett das klingt , -- Mädchen ist ein liebes Wort ) , die kleinen Mädchen , wenn sie sich vergiften ? So schreiben die kleinen Mädchen : " Lieber Emil ! Wenn Du diese Zeilen liest , dann bin ich tot ! " TOT Das Wort hat rechts und links eine Peitsche und in der Mitte ein Loch . Graphologie ! Graphologie ! Ist es nicht tiefsinnig ? Peitsche -- Loch -- Peitsche . Wie witzig ! Profund ! Viertes Buch , Schlußkapitel . Und dann der Ton , wenn man_es ein bisschen dumpf und gedehnt sagt , -- das O ist sublim . Wie wenn man über einen Flaschenhals hinpfeift . Heisere Sirenen . Indessen ! Höre mich ! Höre mich ! Ich sage Dir : Sterben ist ein dummes Wort . Man sollte sterben schreiben . Da käme die ganze breit hingeschmierte Gemeinheit des Wortes zu Tage . Ekel . Würgen . Fuselaufstoßen . Und quoad Fusel , ich weiß nicht recht : Ist der Fusel von heute schuld oder die ostpreußische Bowle von damals . . . ? Schuld ? Schuld ? Das Wort macht mir Wut . Wie ein Brummer rennt an mich an . Bin ich eine Fensterscheibe ? Fliegenklatsche her ! Fliegenklatsche ! Sei ruhig ! Ich bin nicht betrunken . Wirklich nicht . Das ist es ja eben ! Ich bin nicht betrunken , und ich werde es niemals mehr sein . Bloß manchmal verrückt . Entschieden , Alter ! Verrückt , das heißt : Geschüttelt , gezerrt , gestoßen , an die Wand geworfen , -- und dazu lacht Einer . Das Lachen legt sich Dir um den Hals wie eine Peitschenschnur um den Kreisel , einmal , zweimal , dreimal , viermal , fünfmal , immer nochmal , immer noch , immer noch , immer nochmal ; -- laß los ! laß los ! -- Jetzt : Wwwt ! und Du drehst Dich wie ein Kreiselchen , Kreiselchen , drehst Dich wie ein Kreiselchen auf einem Nagelkopf , scheibum , scheibum , lalalala , lalalala , scheib -- um . . . Hund ! Hund ! Lache nicht , Peitsche , lache nicht ! Wwwt ! Wwwt ! Scheib -- um ! Unwürdig , Staatsanwalt , unwürdig ! Ein homo sapiens ! Wie kann man nur ! Aber das ist es nicht . Auch nicht die roten Mäuse und die weißen Männchen , und die lieben kleinen Drehdingerchen , die immer so hin und her und hin und her , und oben an der Decke und unten an der Diele , -- tritt doch ! tritt doch ! rufen sie -- , du lieber Gott , an die Menagerie bin ich gewöhnt . Wie lange denn schon ? Du , weißt Du noch , meine gelbe Mütze ? Oh , Jugendzeit ! Oh , Porterbier ! Lästig , wie sie kribbeln , die Gedanken ; laufen mir über die Brust wie Ameisen . Und die Springprozession der Flöhe : Meine Ideale . In -- der -- Tat ! I -- de -- ale ! Mit Deiner gütigen Erlaubnis : Ich habe wirklich welche . Sie lassen sich nicht wegsaufen , die höheren Viertes Buch , Schlußkapitel . Ziele . Wie lange schon bemüh ich mich , durchaus ein Lump zu werden , -- und es ist mir immer noch nicht gelungen . Wenn ich doch nur klar denken könnte ! Ich möchte Dir_es so gerne auseinandersetzen , Jurist , der Du bist . Aber : Diese Blasen im Gehirn . Verschlammter Grund . Gurgelgase , Fuselgase . Ich weiß schon nicht mehr , was ich Dir auseinandersetzen wollte . Es wird wohl eine Lüge gewesen sein . Daran darf nicht gezweifelt werden ! Immer habe ich gelogen ! Immer ! Sieh nur meine Tagebücher durch . Die Verse ! Die Verse ! Am liebsten habe ich mich selber belogen , und rhythmisch . Wenn ich nur die Kraft gehabt hätte , das immer so zu fühlen , wie jetzt . Wenn ich mir nur über mein Talent nicht erst jetzt klar würde , wo es zu spät ist , wo ich nicht mehr die Kraft habe , es systematisch auszunutzen ! Ich hätte nie was wollen sollen . Das Wollen war für mich eine ungesunde Lüge . Dichter wollte ich werden , weil ich Verse machen konnte . Das war die Heckeratte , die infame . Wenn ich " Kritiker " geblieben wäre , -- Du , was wäre ich da für ein ganzer Kerl geblieben , in Samt und in Seide , rund und aus einem Stücke , gar wohlgetan . Ein Lump von einem Kritiker meinst Du und beschwörst jenen Gotthold Ephraim . Was tut es ? Das sind Nuancen . Sage Feuilletonist statt Kritiker , sage Pickelhering , Clown , Hanswurst der öffentlichen Meinung . Meinethalben . Aber das war mein Feld . Da hätte ich weiter ackern müssen . Aber das behagte mir nicht . Wollte oben hinaus . Die Hure , die Gouvernante sein möchte . Hole dich der Teufel ! Huren ist auch ein Talent . Bleibe im Bette und nähre dich redlich ! Jetzt ist_es wieder so . Ich habe Dich letzthin belogen . Mich dichterts immer noch . Immer noch möchte ich auf den Poetenberg . Immer noch hebt sich_es da drin und klingt und will . Verse überfallen mich und tönen mir gut . Oh , sie sind gut ! Höre ! Und hinter mir , dem schwarzen Adler gleich , Dem seine Schwingen feucht sind , weil er in Wolken war , Schwebt schwer die Nacht . . . Fühlst Du , fühlst Du , daß das Poesie ist ? Von mir ! Von mir ! Viertes Buch , Schlußkapitel . Bin ich ein Hund ?! Nein : Diese Verse sind von mir ! Ah ! Höre ! Lau , ein Bad von Rosenblättern , Legt sich Sehnsucht um mich , Sehnsucht ; Sinke , Haupt , ertrinke , Seele , Stirb in diesen lauen Düften Und genieße die Erfüllung . . . Wie ? Hat das nicht was ? Der Teufel auch : Das ist ausgezeichnet , sage ich Dir , mi fili ! Dann : Um mein Haus herum Schwirren die Fledermäuse des Grams . Zwei , sieh , hängen am Drachenbalken , Grau am Grau , Und blinzeln in den roten Lichtdunst meiner Lampe . Öde heißt die eine , Gier heißt die andere ; Die Schwirrenden pfeifen . . . Ich lese mir das vor , mit leiser Stimme spreche ich_es den Buchstaben nach ; mir ist es , als hörte ich_es von tief unten wo her aus Glockenmunde mit meiner Stimme , und ich fühle : Das ist gut . Nein , ich bin keiner von den Schweren , Klebenden , in mir sind Stimmen aus der Tiefe , es ist ein Reichtum in mir . Ich habe mehr als ihr Almosenempfänger . Ich bin einer von den grands aumoniers des Herrgotts . Ich kann mich auftun , und es fließt Leben in die Welt . In meiner Seele umschließen sich Zeugung und Empfängnis . Wie jene Blume bin ich , die Phallus und Vulva ist ; so stehe ich da im Garten des Herrn und begatte mich : Liebe dich und löse Dich , Löse dich auf und gebier dich der Welt Aus der bebenden Lotosblume deiner Fülle ! Ich höre Dich lachen , Staatsanwalt ! Lache ! Lache ! Spei mir Dein Lachen ins Gesicht ! Ich will mich nicht einmal abwischen . Ich weiß es ja , jede Zelle meines Wesens fühlt es ja : Das Alles ist krüppelhaft . Ich , die erstaunliche Lilie im Garten des Herrn , stoße nichts als Halbgeburten aus , ich wälze mich in Zeugungswollust und kann nichts austragen . Und die fragmentarischen Bankerte verrecken unter dem Hohn Viertes Buch , Schlußkapitel . Gelächter meiner Erkenntnis , daß ich fürs Ganze impotent bin . " Es fehlt dem Schüler an der rechten Ausdauer , seiner Begabung alles das abzugewinnen , was sie zu leisten vermöchte , wenn sie von Fleiß , Beharrlichkeit , Mäßigung unterstützt würde " . . . Diese Worte , nebst einigen anderen , habe ich einmal von einem Schulzeugnis weggewischt , aber , als wenn ich sie auswendig gelernt hätte , stehen sie in mir fest und knarren sich heute mir vor . Sehr gut , Herr Doktor ! Sie sind ein guter Psychologe gewesen . Aber , weiß Gott , ein schlechter Pädagoge . Warum haben Sie mir alle die guten Dinge nicht beigebracht , Magister Sie ? Warum haben Sie mich schon auf der Schule verlumpen lassen ? War ich ein Talent , Oh , Sie Halunke , warum haben Sie mich nicht gehütet ? Warum haben Sie mich verhöhnt , von sich weggetrieben , meinem Zorn und Trotz in die Arme , daß ich nun erst recht auf mir bestand ? Warum habt ihr mich überhaupt gequält mit eurer Rohheit , eurem Dünkel , eurer Gleichgültigkeit ? Warum habt ihr meine Seele , da sie jung war , wundgescheuert , daß sie ewig schmerzende Narben davontrug und immer zuckender , unstäter wurde ? Freilich , die meisten unter euch waren nicht einmal Psychologen , höchstens , daß sie instinktmäßig ahnten , daß in mir mehr war , als in ihnen , und dafür mußte ich geduckt werden . Geduckt , ich ! In mich hinein fraß ich einen Haß gegen Alles , das nicht ich war , meine ganze Jugend wurde ein Eitergeschwür , all mein Blut verdarb , weil ihr mich drücktet ! Wie das Alles auf einmal vor mir steht . Wie ein schwefelgelber , brunstrot geäderter Sonnenuntergang . Nie , seit Jahren nicht , sah ich so klar . Nie , seit Jahren nicht , war ich so bewegt . Nie , seit Jahren nicht , fühlte ich mich so frei wie in diesem jetzigen Augenblicke . Wird man hellseherisch durch einen großen Entschluß ? Oder -- -- -- bin ich endlich , endlich wieder einmal betrunken ? Dann -- -- könnte ich ja den großen Entschluß wieder aufgeben ? Denn , -- Ruhe ! Ruhe ! nur noch einen Augenblick Ruhe ! -- warum hat sich_es in mir eingenistet , eingegraben wie mit tausend feuchten Klauen , daß ich ein Ende machen muß ? Lauf mir nicht fort , Bewußtsein ! Bleibe , daß ich mir_es sage , klar , glatt , hell , daß ich es wenigstens einen Augenblick lang Viertes Buch , Schlußkapitel . weiß . So ! So ! Ich habe_es ! Nur deshalb . . . Nein ! Nebel ! Kopfschütteln . Müde . Trinken ! Ich laufe den ganzen Tag im Zimmer herum wie ein Tier im Käfig . Und ich merke , daß mich das hypnotisiert , wie einen Fakir das Kopfdrehen . Jetzt bin ich wunderbar ruhig . Das ist sehr schön . Nun weiß ich auch , warum . . . Siehst Du , Robert ( habe ich Dich je Robert genannt , Du Schäker ? ) , so ist_es : Ich fühle , daß ich auch im Sumpf nicht ganz aufgehe . Nein , nicht einmal im Sumpf . Und doch ist Aufgehen Alles . Worin , das bleibt sich gleich . . . Eine Weile schien Alles gut . Ich -- fühlte mich wohl und akklimatisierte mich . Aber von dem Tage an , wo Du mit mir sprachst , begann das Ziehen wieder , das Hinaufwollen . Ein Taumel erst . Verse sprudelten auf , Fragment auf Fragment . Hohes Entzücken ! Phönix aus der Asche ! Dann aus allen Höhen herunter . Wirre Verzweiflung . . . Zuckende Erkenntnis . . . . Hin und her . Ich will ! Ich kann ! . . . Nein ! Nein ! Hund ! Lump ! Mache ein Ende ! . . . Nein ! Ich habe ja die volle Seele ! Ich muß nur ein einziges Mal mit aller Kraft mich ganz fassen ! . . . Ach ! Ich bin mit dem Schädel gegen die Wand gerannt und habe mir , ganz biblisch , die Haare ausgerissen . Geheult und gekreischt in Weinen und Lachen ! Unsinn ! Unsinn ! Noch mehr saufen ! Ecce medicamentum . Vergeblich . Ich reagiere nicht mehr . Ich habe nur noch das Ekelgefühl und eine marode Sehnsucht . Fertig , weißt Du , was man so fertig nennt . Hin und wieder angenehm verrückte Anstöße , aber ich fühle : Die verdanke ich auch bloß dem . . . Entschluß . Der macht mir überhaupt viele Freude . Ja . Ich finde doch , daß ich nicht übel abgehe . Über den Geschmack der letzten Szene kann man ja streiten . Natürlich . Aber was geht das mich an ? Ich finde , daß sie ausdrucksvoll ist . Dem Leben die Zunge herausstrecken , eurem Leben , meine Lieben , das Plaisier müßt ihr mir schon gönnen . Ich bin nun Mal auf die böse Seite hinübergerutscht , wo die Respektlosen , die Giftigen stehen . Wie kann da mein Geschmack der eure sein , ihr Leute von der Harmonie ? Wenn ich Bomben würfe , würde die Geschmacksdivergenz noch mehr klaffen . Viertes Buch , Schlußkapitel . Genug ! Kommen wir zu meinem Vermächtnis : Meinen werten Leichnam , bitte , der Anatomie . Den Befund über das Gehirn mögt ihr dem Cenaclearchiv einverleiben . Meinen werten Feinden von der Presse wende ich Stoff für mindestens zwei Notizen zu . Wer sein Handwerk versteht , kann am Ende gar ein Feuilleton herausschlagen . Dir gehören meine sämtlichen Werke . Wenn Du zu den Versen immer einen Anfang und ein Ende schmiedest , so kommt ein ganz netter Band Lyrik und Spruchweisheit heraus . Sonst habe ich wohl nichts zu vermachen . Qualis poeta pereo !