Erstes Buch . Klugheit und Irrtum Erstes Kapitel Erstes Kapitel An einem deutschen Sommertage , wo Gußregen und schwüler Sonnenblick wechselten , und das Gefilde zu öfterem halb unter grauen Wolken , halb unter glühendem Lichte lag , gingen mehrere Männer suchend durch die Heide . " Sie muß sich in die Erde verkrochen haben " , sagte der eine , " wir haben doch nirgends eine Spur von ihr gefunden . " " Wenn nur die Alte , die ihr hat wahrsagen müssen , uns nicht angeführt hat " , versetzte ein anderer . " Sie schickt uns vielleicht nach einer falschen Gegend , und hält das Kind unterdessen in ihrer Spelunke verborgen . Ich habe es dem Landrat oft gesagt , er solle das Luder von hier fortweisen zu den Zigeunern nach Friedrichslohra . " " Zigeuner ! " rief ein Dritter aus . " Das alte Weib ist so wenig eine Zigeunerin , als deine und meine Frau . Ich habe sie als Unteroffizier dazumal im Kriege recht wohl gekannt . Zu der Zeit war sie unsere Marketenderin . Sie ist aus Halle in Sachsen . Mit Büchern und allerhand Schnurren hatte sie immer ihr Wesen , davon sind ihr die Redensarten sitzengeblieben , und nun tut sie so , als wäre sie von weit her , weil sie merkt , daß es in ihrem Gewerbe dann vor den Leuten besser fleckt . Aber da kommt wieder am Himmel so ein Schlauch hergezogen , laßt uns bei den Bäumen untertreten . " Die Männer bargen sich vor dem Wetter an einer Waldecke . Ihr Gespräch verließ bald die Zigeunerin und das entflohene Kind , dem sie nachspüren sollten , und wandte sich auf die Mühsale der Polizei , welche für alles sorgen müsse und von jedermann für überflüssig erachtet werde . Bei diesen Reden machte eine Branntweinflasche , die nicht zu den kleinsten gehörte , fleißig die Runde . Als die Unterhaltung erschöpft , die Flasche ausgetrunken , und der Regen verzogen war , sagte der eine Mann : " Wenn ihr mir folgen wollt , so nehmen wir jetzt am Stern noch einen , und gehen dann zu Rathause . Mit dem Busch können wir uns doch nicht befassen , denn er ist zu groß . Wir haben getan , was möglich war , und der Komödiant mag nun selbst ausgehen , wenn er sein Mädchen wiederhaben will . " Diesem Vorschlage gaben die anderen mit der Bemerkung , daß eine ungesunde Witterung herrsche , lebhaften Beifall , worauf sich alle , ohne dem Walde weitere Aufmerksamkeit zu schenken , nach dem Wirtshause in Bewegung setzten , welches sie vor kurzem erst verlassen hatten . Währenddessen saßen im Dickicht zwei junge Leute auf einem umgestürzten Stamme . Der Regen tröpfelte durch die Blätter und schien dem einen , welcher schlank und wohlgebildet war , beschwerlich zu fallen , wogegen der andere , untersetzt und knochig , dessen nicht achtete . Er hielt eine Landkarte auf seinen Knien entfaltet , und redete , unbekümmert darum , daß sie naß wurde , auf seinen Genossen mit Feuer und heftiger Gebärde ein . " Nach acht Tagen " , rief er , " bin ich in Genf . - In vierzehn Tagen kann ich Marseille erreichen , und wenn die Winde des Himmels dem Wünsche der Freiheit günstig sind , so küsse ich nach sechs Wochen den Boden der heiligen Hellas . " " Nehmt nur eine Taschenausgabe der Klassiker mit " , versetzte der andere lächelnd , " damit ihr die Illusion immer wiederherstellen könnt . Die Neugriechen werden euch mitunter unsanft in euren Träumen stören . " " Es gilt " , versetzte der mit der Landkarte , " ein gesunkenes Volk aus den Fesseln der Knechtschaft erlösen , es gilt , edlen Herzen eine Freistatt erobern , wohin sie sich vor der Zwingherrschaft verrotteter Kerkermeister retten können ; es gilt , den Grundstein zu einer neuen Ordnung der Dinge legen , und du tätest besser , Hermann , statt über das Heilige zu spotten , dich unserem Bunde anzuschließen . Was willst du in Deutschland ? " " Traurig für mich , wenn ich in Deutschland etwas wollte " , erwiderte sein Freund . " Als ob in unserer mit Dünsten geschwängerten Atmosphäre ein Entschluß nur entstehen , geschweige denn ausgeführt werden könnte . Aber eben , weil ich nichts mehr will , tauge ich auch nirgend mehr hin , als nach Deutschland . Ich habe abgeschlossen mit dem Leben . Seit ich das getan , bin ich ruhig . Ich wünsche nichts , ich verlange nichts ; die Zeit der Täuschungen ist für mich vorüber . Tummelt ihr euch immerhin umher zwischen Schein und Irrtum , nur hofft nicht , in mir einen Nachfolger zu finden ! Ich war in London , in Paris ; ich habe sie gesehen , die sogenannten bedeutenden Charaktere der Zeit . Nun , was waren sie denn mehr , als gewöhnliche Figuren , nur deshalb hervorragend , weil der Zufall sie auf hohe Postamente gestellt hatte . Nein , mich soll nichts mehr betrügen , und da jetzt an einen großen Inhalt des Lebens doch nicht zu denken ist , so will ich meine Tage wenigstens heiter hinleben . Ohne Zweck und Ziel sollen mir die Stunden verfließen , denn Zweck ist nur ein anderes Wort für Torheit , und wenn man sich ein Ziel setzt , so kann man wohl gewiß sein , daß man von dem Strudel der Umstände in entgegengesetzter Richtung fortgerissen wird . " Der Freund stand auf , faltete die Landkarte zusammen , und sprach sehr ernsthaft : " Diese Reden klingen wie die Philosophie der Verzweiflung . Möge dich Gott bald von solcher Sinnesart heilen ! - Der Mensch muß würdige Entwürfe verfolgen , darin besteht sein eigentliches Leben . Was man recht will , das kann man auch , und wenn uns das Jahrhundert , dessen Gehalt du gegen deine Überzeugung leugnest , irgend etwas gelehrt hat , so ist es das Gebot , nicht unserem beschränkten Selbst , sondern den allgemeinen Interessen der Menschheit zu leben . Doch , von etwas anderem zu reden , bis ich nach Marseille komme , wo ich den ersten Sold vom Vereine beziehe , reiche ich wohl schwerlich aus . Könntest du mir vielleicht - " Hermann ließ den Philhellenen nicht vollenden , griff in seine Tasche , und reichte ihm eine Note . Der andere steckte , ohne sich zu bedanken , das Papier ein , schüttelte seinem Freunde herzhaft die Hand , und sprach : " Auf Wiedersehen in Napoli . Du kommst uns nach , ich weiß das schon . Du bist besser und wärmer , als du dich stellst . " Stadt einer Antwort faßte Hermann in den Busen , zog ein versiegeltes Päckchen hervor , wandte sich ab , und drückte , wie er meinte , unbemerkt vom Freunde , einen Kuß auf das Papier . " Du gehst über München " , sagte er zum Philhellenen , " gib das an Fränzchen ab , du kennst sie ja . " " Das sieht wie eine Trennung aus . Seid ihr auseinander ? " " Man tut am besten , fallen zu lassen , was sich nicht länger halten kann . Sie ist sonderbar mit mir umgegangen . Und doch war sie allein aufrichtig . Ich habe mich um ein Dutzend Weiber gedreht , und die Schwüre ewiger Treue von ihnen empfangen , die dann in den Armen eines neuen Freundes vergessen wurden . Franziska sagte : » Wir wollen ein paar vergnügte Tage zusammen haben und weiter nichts . « Wenn ich auf eine ernstere Verbindung drang , so lachte sie mich aus , und meinte , sähe ich sie einmal verheiratet , so wüßte ich , wen sie für den größten Gimpel auf der Welt gehalten habe . Sage ihr , ich hätte anfangs diese lieben Briefchen als Unterpfand , daß unser Bündnis nicht ganz zerrissen sei , behalten wollen , aber die Freiheit sei das höchste Gut , sie solle mich vergessen und glücklich sein . " " Daß du die Weiber verachtest " , sprach der Freund , " ist recht und gut . Kein frauenhaft-gesinnter Mensch kann höheren Ideen leben . Du bist auf gutem Wege , ich gehe beruhigt von dir . Ich weiß , daß wir uns nicht zum letzten Male gesehen haben . Tanze nur nicht , hörst du ? Gottlob ! Die Neigung zu diesem entnervenden Vergnügen nimmt doch immer mehr ab . " Er umarmte Hermann feierlich-herzlich , und ging mit großen Schritten , sein kleines Ränzel tragend , quer durch den Wald . Der jugendliche Philosoph blieb auf dem Stamme sitzen . Zweites Kapitel Zweites Kapitel Zufällig hatten sie einander in dem Dorfe , wo beide tags zuvor eingetroffen waren , gefunden . Manche Erinnerungen verknüpften sie , der Abend und ein Teil der Nacht war unter Gesprächen hingegangen . Als Hermann die Gestalt des Freundes hinter den Stämmen verschwinden sah , schlich eine unangenehme Empfindung über sein Herz . Ihm war , als gehe seine Vergangenheit von ihm , er kam sich wie ein ausgesetzter Findling vor . Beinahe wäre er aufgesprungen , jenen zurückzurufen , und sich Fränzchens Liebespfänder wiederzuerbitten , hätte ihn nicht die Scheu vor dem Ausbruche einer solchen Weichlichkeit an seinen Sitz gefesselt . " Ihr grünen Kräuter , ihr schlanken Stauden , ihr kräftigen Bäume , wie beneide ich euch ! " rief er aus . " Ihr steht so gesund da , so selbstvergnügt , daß euch die kränklichen Menschen , die ihr unter euch umherschleichen seht , recht zum Hohn und Spott dienen mögen . Der Frühling ruft eure Knospen hervor , der Sommer schenkt euch Laub und Blüten , der Herbst bringt euch , wie Wiegenkinder , zur Ruhe . Die Knospenzeit denkt nicht an die Blütenmonde , und wenn eure vollen Kronen in den warmen Lüften schaukeln , sie erschrecken nicht vor der Ahnung winterkahler Zweige ! Wir armen Menschen ! Wir Frühgereiften ! Wir haben keine Knospen mehr , keine Blüten ; mit dem Schnee auf dem Haupte werden wir schon geboren . Wahrlich , unser Los ist ein recht lächerlicher Jammer ! Daß man heutzutage so früh gescheit wird , gescheit werden muß , daß es gar nicht möglich ist , die törichten Streiche bis in die Dreißig mit hinüberzunehmen ! O gäbe mir ein Gott die glückliche Dunkelheit , die hoffnungsreiche Nacht , statt des kalten Lichtes , welches Verstand und Erfahrung uns Spätlingen unwiderstehlich anzünden . " Zwei Arme strickten sich um seinen Nacken , zwei weiche , warme Händchen hielten ihm die Augen zu . Erschrocken wollte er sich losmachen , das Ding hinter ihm vereitelte durch aalartiges Drehen und Wenden seine Bestrebungen . " Nun hast du ja , was du wolltest , die Finsternis vor den Augen ! " rief eine zarte Mädchenstimme . Endlich bekam er das Gesicht frei . Er sah sich um . Ein wunderhübscher Kopf steckte , wie das Haupt der Dryas , zwischen den Aststumpfen des Baums , unter welchem er gesessen hatte . Er zog das Wesen hinter dem Stamme hervor . Es war ein schönes Geschöpf zwischen Kind und Jungfrau . " Wer bist du ? Woher kommst du ? Was willst du von mir ? " fragte Hermann , der sich von seinem Erstaunen kaum erholen konnte . " Ich bin Fiametta oder Flämmchen , ich komme aus meiner Grotte hier nebenan , wo ich hörte , was ihr miteinander spracht , du und dein dummer Freund . Was ich von dir will , weißt du , denn die Alte hat es gesagt , und es steht in den Sternen geschrieben . " Sie schmiegte sich bei diesen Worten an Hermann , und sah ihm zärtlich in die Augen . Dieser wußte nicht , ob er mit etwas Menschlichem oder ob er mit einem neckischen Waldgeiste zu tun habe . Er strich dem Kinde die braunen Haare , die , ungefesselt von Kamm und Nadel , in üppiger Fülle bis zu den Hüften niederwogten . Er wollte fragen , und doch unterließ er es , aus Furcht , einen anmutigen Zauber zu zerstören . Das Kind setzte sich auf seinen Schoß , streifte ihm die Weste auf , legte die Hand auf sein Herz , lehnte den Kopf an , horchte , und sagte dann : " Das klingt , wenn man nur so obenhin zuhört , wie : » Vorbei ! Vorbei ! Vorbei ! « wenn man aber genauer acht gibt , so klopft es : » Aufs neu ! Aufs neu ! Aufs neu ! « - Komme , du schöner Prinz , nach meinem Palaste , du sollst sehen , wo Flämmchen dieser Tage gesteckt hat . " Sie zog ihn tänzelnd und singend vom Stamm auf , und den Erdwall hinunter , an dessen Kannte jener lag . Rasch schlug sie ein wucherndes Gesträuch auseinander , und der Eingang zu einer Art von Grotte wurde sichtbar . Man schien dort früher Ton gegraben zu haben , dadurch mochte die Aushöhlung entstanden sein . Hermann sah bei dem Scheine des gedämpft einfallenden Lichts ein Mooslager , und einen Sitz , aus Steinen zusammengefügt . - Er versuchte , das Mädchen auszuforschen , erfuhr aber nichts weiter , als daß ihr wahrer Vater , wie sie sich ausdruckte , längst gestorben sei , daß sie darauf viele Jahre bei dem falschen Vater zugebracht habe , der in dem Städtchen nahebei Hause . Dieser habe sie an einen häßlichen alten Ritter verkaufen wollen , da sei sie ihm entsprungen . " Und wo hast du dich denn seitdem befunden ? " fragte Hermann . " Hier , im Walde , in der Höhle , du siehst es ja . Da ist mein Lager , und hier mein Sitz . Heute morgen hungerte mich , da fiel mir der Mut , ich weinte und rief meinen toten Vater . Der muß mich gehört haben , denn er schickte mir die Alte , die versprach mir Hilfe , und nun ist die Hilfe da . " Hermann redete ihr jetzt mit guten und bösen Worten zu , ihm zu folgen , er wolle sie zu dem Vater zurückbringen , und dafür sorgen , daß sie freundlich empfangen werde . Alles Bitten war jedoch vergebens . Endlich beschloß er , Gewalt zu brauchen , da er die Verirrte sich nicht selbst überlassen zu dürfen meinte . Er nahm sie auf den Arm und wollte sie forttragen . Aber heftig riß sich das Abenteuer von ihm los , stieß ein Geschrei aus , welches ihm durch Mark und Bein drang , warf sich gewaltsam zu Boden , und rief , die Hände vorgestreckt , in einem wunderbar schneidenden Tone : " Du willst mich verraten ? Du ? " Darauf sprang sie empor , der junge knospende Busen flog , ein blutiges Rot überlief ihre Augäpfel , sie schien außer sich zu sein , und nicht zu wissen , was sie begann . Wie eine Wütende zerriß sie das seidene Fähnchen , welches sie trug . Es glitt von ihren Schultern , das Hemd glitt ihm nach , oder warf sie es ab ? er konnte es nicht unterscheiden , so rasch waren ihre Bewegungen . Nun stand sie , nur von ihren langen Haaren umflogen , Hermann gegenüber , und unaufhörlich ertönte aus ihren zitternden , dunkelgeröteten Lippen jener Ruf : " Du willst mich verraten ? Du ? " Endlich gelang es ihm , sie durch Liebkosungen und Schmeicheleien zu beruhigen . Sie legte die Hand an die Stirn , sah betroffen an sich herab , huschte , schnell wie ein Wiesel , in die dunkelste Ecke der Höhle , und hockte dort in der Stellung nieder , welche die Alten , die jedes Ding am besten verstanden , dem weiblichen Gefühl in einer solchen Lage für alle Zeiten geliehen haben . Hermann war in der größten Verlegenheit . Was sollte der Unsinn nun anziehen ? Das rote seidene Kleidchen war von oben bis unten zerrissen . " Es ist kein anderes Mittel " , rief er dem Mädchen zu , " du mußt dich als Knabe kleiden , bis man für dich anderweit gesorgt hat . " Er klomm aus der Grotte den Erdwall hinauf , zu dem Stamme , auf welchem seine Reisetasche lag . Vorsorglich hatte er Kollett und Pantalons für den Fall der Not auf dieser Fußwanderung eingepackt ; beides warf er von der Erhöhung dem nackten Kinde hinunter . - Oben rieb er seine Augen , und fragte sich , ob er wache oder träume ? Dann ging er mit großen Schritten unter den Bäumen auf und nieder , denn er fühlte , daß ihm hier ein kräftiges Eingreifen obliege . Er ahnte ein Bubenstück , und beschloß , das Seinige zu tun , die gekränkte Unschuld zu schützen . Als er mit solchen Gedanken einige Male unter den Bäumen auf und nieder gegangen war , sprang ein allerliebster Junge durch das Gesträuch , dem das veilchenblaue Jäckchen und die gestreiften Hosen sehr hübsch standen . Der Grundtrieb des Geschlechts hatte sich tätig erwiesen . Aller Überfluß an den Kleidungsstücken war so weggebunden , weggesteckt und weggenestelt , daß sie knapp , wie angegossen , saßen . Flämmchen nahm seinen Arm , und sagte : " Ich will dich nun auf den Weg bringen . " Sie führte ihn durch den Wald , und zwar entgegengesetzt der Richtung , welche er , seinem Reisezwecke gemäß , einschlagen mußte . Jede Spur der Leidenschaft , in welcher Hermann sie gesehen hatte , war verschwunden . " Du hast nichts weiter zu tun " , sagte sie gleichmütig , " als in der Stadt dich nach meinem falschen Vater zu erkundigen , und ihm zu sagen , daß du mich heiraten wollest , dann hat er keine Gewalt mehr über mich , und der alte häßliche Ritter muß von mir ablassen . " Hermann sah sie mitleidig an . " Die Mißhandlungen , die sie erdulden mußte , haben ihr den Verstand genommen " , dachte er bei sich . Er legte die Hand auf ihr Haupt und sprach : " Ich schwöre dir , du armes Kind , dich nicht zu verlassen . " Sie standen am Ausgange des Waldes . In einiger Entfernung ragte eine Turmspitze empor . " Das ist das Nest ! " rief Flämmchen . Sie faßte ihren Beschützer schmeichelnd bei der Hand , strich hätschelnd mit dem kleinen Finger über den Ballen und die innere Fläche , und sagte : " Höre , wenn wir erst in deinem Fürstentum sind , und du mein Herr Gemahl bist , dann lassen wir auch die Alte kommen , damit wir immer wissen , was uns begegnet , nicht ? " " Hältst du mich für einen Fürsten ? " fragte Hermann verwundert . Das Mädchen wollte sich vor Lachen ausschütten . " Nun tut er , als wisse er nichts davon ! " rief sie . " Aber alle deine Verstellungen werden ein Ende nehmen . Gib mir deinen Hut ! Die Sonne und die Kälte in meinem Walde machen mir Kopfweh . " Ohne eine Antwort zu erwarten , hatte sie ihm den Strohhut vom Kopfe gestreift , und sich aufgesetzt . Sie gaukelte in den Wald zurück . Hermann sah ihr eine Weile stutzig nach , dann ging er der Stadt zu . Alles dieses begab sich in der ehrbarsten Provinz unseres Vaterlandes , nämlich in Westfalen , auf einer bekannten Heide . Woraus zu entnehmen , daß auch der trockenste Boden mitunter seine Früchte trägt . Drittes Kapitel Drittes Kapitel Vor der Tür des Gasthofs im kleinen Städtchen stand der Gastwirt , wie es schien , erhitzt von der Anstrengung des Tages . Hermann trat zu ihm , und fragte : ob er bei ihm Unterkommen finden könne ? Der verständige Mann , welcher einen sicheren Blick für den wahren Wert seiner Gäste hatte , betrachtete unseren hutlosen Wanderer und sein schmächtiges Reisetäschchen prüfend , und schien auf eine abschlägige Antwort zu sinnen . Endlich aber sagte er zum Hausknecht , der mit eingeknickten Beinen , die Hände in den Hosentaschen , gähnend unter dem Torwege stand : " Führe den Mann nach Nummer Zwölf . " Der Hausknecht schlenderte voran , ohne dem Gaste das Bündel abzunehmen . Sie gingen über den Hof , durch einen langen Garten , und betraten eine Remise , worin der Wirt seine Felle trocknete , denn er war zugleich ein Lohgerber . Eine schmale Treppe , die sich zuletzt in eine Leiter verlor , führte zum oberen Teile dieses Fellmagazins . Als die Leiter erklommen war , machte der Hausknecht einen bretternen Verschlag auf , und sagte : " Dieses ist Seine Stube . " - " Das ist ein Taubenschlag ! " rief Hermann . " Nein , der ist darüber " , versetzte der Hausknecht kaltblütig , und kletterte die Stiegen hinunter . Hermann sah sich in diesem Wohnorte um , und mußte laut lachen . Hierauf machte er die Runde durch denselben , was nicht viel Zeit erforderte , da er , genau gemessen , sechs Fuß im Gevierte hielt . Die Wände waren unschuldig weiß , und nur mit jenen Spielen der Laune bemalt , welche die Bedienten- oder Soldatenkammern zu schmücken pflegen . Es fehlte nicht an Nasen verschiedener Größe ; Zöpfe und Grenadiere wechselten mit Störchen und Blumen ab . Ein beständiges Piepen , Sand und Federn , die von Zeit zu Zeit durch die ritzenvolle Decke fielen , diese Umstände überzeugten unseren Freund , daß der Hausknecht recht gehabt habe . Der Taubenschlag war wirklich über seinem Sorgenfrei vorhanden . Der Wirt hatte unterdessen überlegt , daß heutzutage manche Personen von Stande zu Fuß reisen ( in seinen Augen eine sonderbare Liebhaberei ! ) , und daß ein solcher Querkopf auch wohl einmal den Einfall gehabt haben könne , die Welt barhaupt zu durchstreifen . Um daher nicht etwa einen der Achtung werten Ankömmling zum Nachteile des Gasthofs zu beleidigen , entschloß er sich , durch Höflichkeit mit Worten gutzumachen , was er in der Tat verbrochen hatte ; denn jenes so üble Quartier , welches dem Eingekehrten gegeben worden war , stand selbst bei den Wirtshausleuten in Verachtung und hieß gemeiniglich bei ihnen nur das Loch . Er nahm sich in der Stille vor , dem Fußwandrer ein besseres Stübchen abzulassen , sobald er nur erst die moralische Überzeugung von dessen Zahlungsfähigkeit geschöpft haben würde . Übrigens war der Raum in dem Gasthofe wirklich beschränkt . Ein Herzog , der zu den Mediatisierten gehörte , hatte mit Gemahlin und Gefolge fast alles in Beschlag genommen . Der Wirt trat unter Entschuldigungen über das etwas enge Logis in das sogenannte Loch , welches er , da niemand das Seinige beschälten soll , in seinen Reden zu einer Pièce erhob . " Wahrhaftig ! " rief er , " es tut mir leid , einen solchen Herrn nicht ganz nach Wunsch aufnehmen zu können . Das Hotel steckt aber heute so voll von Fürsten , Grafen und Freiherrn , daß , mit Respekt zu sagen , kein Apfel zur Erde kommt . " " Lassen Sie das gut sein " , versetzte Hermann . " Ein Reisender von Profession ist an dergleichen gewöhnt . In Dijon hat man mich einmal in einem Stalle untergebracht . " " In einem Stalle ! " rief der Wirt , mit einer Miene , die das Entsetzen ausdrücken sollte . " Nein , da ginge ich selbst lieber in den Stall , und gäbe einem solchen Herrn meine Schlafkammer . " Hermann fand an diesen unnützen Reden kein Behagen . Ihm lag das Abenteuer im Walde am Herzen . Ehe der Wirt daher zu seinem Zwecke gelangte , unterbrach ihn jener mit der Frage : Ob nicht vor einigen Tagen hier ein junges Mädchen seinen Angehörigen verlorengegangen sei ? Hierauf bediente ihn der Wirt sofort ausführlich und überflüssig . Er war die wandelnde Chronik des Städtchens , und wußte , was von dem einen Tore bis zum anderen sich ereignete , oder doch hätte ereignen können . " Das ist eine wilde Geschichte ! " rief er . " Haben der Herr auch schon davon gehört ? Kommt hier ein nichtsnutziger Komödiant an , mietet sich ein , lebt , man weiß nicht wovon ? treibt , man weiß nicht was ? Er hat ein Kind bei sich , schön wie die Sonne und wild wie der Teufel , mit dem gibt es alle Tage Lärmen , daß die Nachbarn zum Bürgermeister gehen , und bitten , dem Unfuge zu steuern . Was ist der Grund gewesen ? Denken Sie nur ; der Abschaum von Vater hat das unschuldige Kind einem alten Sündengesellen zur Unehre verkaufen wollen . Seine leibliche Tochter ! Da ist das Mädchen weggelaufen . Die beiden Alten haben gestern und heute die Gegend abgesucht , und der Bürgermeister hat gesagt , er werde suchen . Die arme Person ist weg , und wer weiß , in welchem Weiher schon ihr Leichnam schwimmt ! " Hermann erwiderte , daß man das Beste hoffen müsse , und daß das Schicksal der Witwen und Waisen in höherer Hand Ruhe . Damit war der Wirt zwar einverstanden , aber es beruhigte ihn nicht . Er sagte daher , weil ihm keine feinere Wendung einfiel : " Es ist hier weder Schrank noch Kommode . Wenn der Herr vielleicht Ihre Sachen , und besonders die Barschaften mir zum Aufbewahren geben wollten ... " Hermann fand dieses Anerbieten vernünftig , und griff nach seiner Brieftasche , in welcher er bedeutende Wechsel führte , um sie dem Wirte einzuhändigen . Wie erschrak er , als er nicht die seinige , sondern die des Philhellenen hervorzog ! Beide sahen einander ähnlich , und waren im Nachtquartiere vertauscht worden . Hermann erblaßte ; die Sache konnte von den übelsten Folgen sein . Indessen faßte er sich , und sagte dem Wirte , daß er denn doch lieber alles , was er habe , selbst behalten wolle . Dieser aber hatte ihn erblassen sehen , und verließ ihn mit bedenklichem Gesichte . Hermann kannte die Umstände , in welchen sich ein Philhellene zu befinden pflegt . Er wußte , daß versteckte Schätze hier wohl kaum zu erwarten seien , und öffnete mit einer bösen Ahnung die Brieftasche . Ach , da waren Freiheitslieder in großer Anzahl , Logenzertifikate , und Marschrouten nach allen vier Himmelsgegenden , aber keine Dinge , welche einem irdischen Bedürfnisse abzuhelfen vermochten ! Er verwünschte diesen Zufall . Drei bis vier Taler in der Tasche , ohne Kreditbriefe , ohne Hut auf dem Kopfe , ein einziges Kleid am Leibe , irrte er hier umher , mehrere Tagereisen von seinen Quellen entfernt . Was sollte er beginnen ? Fremde in der Gegend , wie leicht konnte er den Strich verfehlen , den der Philhellene gegangen war , der ohnehin von der Landstraße abzuweichen liebte , um in weniger besuchten Gegenden seine Grundsätze auszubreiten ! Dazu schwebte ihm die Gestalt jenes Kindes vor , dem schleunige Rettung vom Verderben Not tat . Flämmchen und der Philhellene zogen ihn nach verschiedenen Seiten ; er wußte nicht , was er tun sollte , und blätterte zerstreut in den Freiheitsliedern seines Freundes , der dagegen das Geld und die Wechsel hatte . Wie das ferne Licht in der Grube dämmerte ihm aber doch die Hoffnung , sein Geist werde ihm auch dieses Mal helfen , wie er ihm so oft in Bedrängnissen geholfen hatte . Viertes Kapitel Viertes Kapitel Währenddessen hatte sich unten im Gasthofe ein großer Lärmen erhoben . Der Wirt hinkte , ( denn er war lahm ) im Hausflur und in der anstoßenden Stube umher , die Wirtin rang die Hände , vier bis fünf Neugierige standen vor dem Ehebette des Paars ; alles schwatzte durcheinander . Der Grund dieses Aufruhrs war die Kammerjungfer der Herzogin . Diese litt an der Epilepsie , und war eben von ihrem Übel befallen worden , als sie in der Küche das Brenneisen wärmen wollte , um die Gebieterin zu frisieren . Der Wirt sollte einen Friseur schaffen , und konnte es nicht . Von solchem Gewerbe hatte das kleine elende Landstädtchen nie gehört ; das Haarabschneiden wurde dort in den Familien besorgt . Die Person zuckte auf dem Bette , die Umstehenden gaben Mittel an , ihr zu helfen , jeder ein anderes . Die Wirtin rief der Kranken zu , wenn es ihr möglich sei , das frisch überzogene Bett mit ihren heftigen Bewegungen zu verschonen ; worauf die Arme natürlich keine Rücksicht nahm . Der Wirt beteuerte unter allerhand Flüchen , daß der Stadt niemand nötiger tue , als ein Friseur , wie er stets gesagt habe . In dieses Getöse trat Hermann . Das Flattern und Mausern der Tauben über ihm , der Dunst und Geruch der Felle unter ihm , seine Unruhe und Ratlosigkeit hatten ihn aus der abscheulichen Nummer Zwölf ins Freie getrieben . Von einem gelaßenen Karrentreiber , der mit seinem Hundegespann , um besser hören zu können , bis vor die Tür des Zimmers gefahren war , in welchem die Kranke stöhnte , vernahm er die Geschichte . Er ließ sich den Namen des eingekehrten Herzogs sagen , und erschrak , diesmal aber freudig , als der Karrentreiber ihn aussprach . Er schloß aus der für ihn unerwarteten Neuigkeit auf die Nähe seines Dämons . Schnell kam ihm ein närrischer Einfall . Er wußte , daß , um zwei Verlegenheiten zu entgehen , es nichts Besseres gebe , als sich in eine dritte zu begeben . In die Küche eilend , nahm er dort Kohlen und Brenneisen , war blitzschnell die Treppe hinauf , ließ sich durch den Bedienten als den Mann melden , der die Herzogin frisieren solle , und stand bald darauf im Zimmer der Fürstin . Die Dame saß im Lehnstuhl , das Gesicht von dem Haarkünstler aus dem Stegreife abgewendet , und las . Sie mochte an diesem Orte für ihr Haupt nichts Besonderes hoffen , und sagte , vom Buche aufsehend , doch ohne sich umzukehren : " Nur ganz schlicht ! " - Hermann blickte nach der Toilette , da war alles , was er brauchte . Er stellte sich hinter den Stuhl , und da ihm wirklich einige Reminiszenzen des Handwerks beiwohnten , so ging die Sache ganz erträglich von statten . Er prüfte mit Sorgfalt das Eisen , verfuhr behutsam , und so kam denn nach und nach etwas zustande , was wenigstens für die Skizze einer Frisur gelten durfte . Freilich dauerte das Geschäft ziemlich lange . Die Herzogin , welche die Geduld selbst zu sein schien , brachte die Augen nicht von ihrem Buche . Als er dem Ende seines Werks nahte , meinte er , daß nun der Augenblick gekommen sei , den er erharrt hatte , und sagte : " Gnädigste Herzogin , der Geringste hat Rechte , die auch der Vornehmste nicht kränken darf . So ist es ein altes Privilegium meiner Zunft , daß diejenigen , welche ihr Haupt uns anvertrauen , sich auch unserem armen und seichten Geschwätze hingeben müssen . Keiner ist davon befreit ; selbst der König muß den Friseur plaudern lassen . Untersagt er ihm das , so bin ich überzeugt , daß der Mann das Elend der Verbannung einem stummen Herrendienste vorziehen würde . Ew. Durchlaucht haben gelesen ; das hat mich tief verletzt . Ich überlasse Ihrer Gerechtigkeit , zu entscheiden , ob Sie mir nicht werden erlauben müssen , einige Worte zu Ihnen zu reden ? " Die Herzogin legte , erstaunt über diese Apostrophe , das Buch zusammen . Da Hermann schwieg , sagte sie mit einem verlegenen Lächeln : " Nun ? " " Ich habe etwas zu erzählen " , fuhr Hermann fort , " was freilich verdiente , ernsthafter eingeleitet zu wer den . Ein Schauspieler will seine Tochter um ein Stück Geld der Erniedrigung , dem Elende preisgeben . Verzeihung , daß ich so unsaubere Dinge in Ew. Durchlaucht reiner Nähe ausspreche . Wer jenen Stand kennt , wer es weiß , wie seine Lügenkunst das Gemüt bis in die innersten Fasern verfälscht , der wird sich über dergleichen Schändlichkeiten kaum wundern . Ein solcher Mensch hat vielleicht jahrelang den Marinelli gespielt , und , wie er den Charakter auf den Brettern behandelte , gedankenlos , so gedankenlos überträgt er die Rolle auch wohl einmal in das Leben . - Ein sonderbarer Zug des Vertrauens führt das Mädchen zu mir , die Verzweiflung beschwört mich um Schutz vor der Entehrung . Ich bin sonst der Meinung , daß man sich vor allen raschen Verpflichtungen zu hüten habe . Oft wird ja durch ein fürwitziges Helfenwollen das Wirrsal nur noch größer . Hier aber überwältigte mich der Anblick der Not , ich versprach mich und alle meine Kräfte dem Mädchen . Aber wie soll ich für mein Wort einstehn , ohne Einfluß , ohne Verbindung in der Gegend , ich , ein junger Mann , der an und für sich der Welt in solcher Sache als ein zweideutiger Vormund erscheint . Da höre ich , daß Ew. Durchlaucht hier angekommen seien . Augenblicklich war meine Sorge gehoben . Ich wußte , daß ich einer solchen Fürstin den bösen Vorsatz eines ehrvergeßnen Vaters , die Trübsal der Tochter nur schmucklos zu melden brauchte , um Rat zu schaffen . Dieses habe ich denn hiermit getan , und nun meinen Worten nichts mehr hinzuzufügen . " Mit so entschiedenen Farben hatte unser Abenteurer diese Angelegenheit darzustellen sich gedrungen gefühlt . Die Herzogin hörte mehr auf den Ton seiner Rede , als auf den Inhalt . Der reine Dialekt , die gebildeten Wendungen hatten sie ganz verwirrt gemacht . Sie wußte nicht , was sie von dem Menschen denken sollte . Hermann nahm ihr mit einer anständigen Verbeugung den Staubmantel ab . Ihr erster Blick war in den Spiegel . Sie sah sich wenigstens nicht verunstaltet . Ihr zweiter fiel auf Hermann . Wie erschreckt senkte sie die Wimpern , und eine Marmorblässe überzog die zarten , ohnehin nur leicht gefärbten Wangen . Noch einmal schickt sie zweifelnd und forschend ihren Blick aus , als wolle sie die Widerlegung eines Irrtums erspähn . Aber unwillkürlich flüsterte sie : " Mein Gott , welche Ähnlichkeit ! " Die Tür öffnete sich , und ein großer ernster Mann im schlichten Überrock trat ein . Es war der Herzog . " Ist der Not abgeholfen ? " fragte er lächelnd . Dann , näher tretend , musterte er Hermann auch nicht ohne ein gewisses Erstaunen , doch schien die Befremdung weniger durch das Antlitz , als durch den Aufzug Hermanns veranlaßt zu sein , der im modischen Kleide , den Staubmantel der Herzogin auf dem Arme , und die Friseurwerkzeuge in den Händen , dastand . " Ich bin von jemand bedient worden , den man wohl schwerlich zu diesem Gewerbe erzogen hat " ; sagte die Herzogin . " Der Rock sieht freilich nicht nach Kamm und Schere aus " , sagte der Herzog . " Wie heißen Sie ? " Hermann nannte sich . " Ist es möglich ? " rief der Herzog . " Sie sind der Sohn des Senators in Bremen ? des vertrautesten Freundes meines seligen Vaters ? " " Derselbe . " Der Herzog konnte sich über dieses Zusammentreffen nicht zufriedengeben . " So unerwartet muß ich den Sohn des würdigen Mannes hier finden , von dem mein Vater nie ohne Rührung redete ! Aber sagen Sie mir , wie kommen Sie darauf , sich bei uns in dieser wunderbaren Weise einzuführen ? " " Man muß überall aushelfen , wo es fehlt " , versetzte Hermann . " Unserer Fürstin gebrach ein Mann der Pomade , ich konnte allenfalls so ein Subjekt notdürftig vorstellen , wie hätte ich anstehn sollen , mit meiner geringen Kunstfertigkeit zu dienen ? " Der Herzog fragte ihn lachend , wo er denn diese Geschicklichkeit erworben habe ? Hermann versetzte , das dürfe er nicht verraten , das sei ein Handwerksgeheimnis . Die Herzogin hatte an diesem Gespräche nicht Teil genommen , sondern nur von Zeit zu Zeit ihn verstohlen betrachtet . Ihr Gemahl raunte ihr ein Wort ins Ohr , worauf sie nickte , und Hermann eine Einladung zu Mittag empfing . Als er die Treppe hinabging , sagte er für sich : " Das hätte ich nicht gedacht , als ich im Feldzuge bei dem alten Perückenmacher im Quartier lag , und seine Tochter Lotte mich zu ihrem Werther machen wollte , und ich ihr aus Langeweile die Locken und die Touren fertigen half , daß mir die Possen noch einmal bei den vornehmsten Leuten helfen würden . In unserer Zeit muß man sich auf alles schicken , denn man kann alles gebrauchen . Die Lotte und der alte Perückenmacher sollen leben ! " Fünftes Kapitel Fünftes Kapitel " Welche Ähnlichkeit ! " Diese Worte der Herzogin gaben ihm viel zu sinnen . Er fragte den Wirt nach der Ursache , weshalb das fürstliche Paar hier verweile ? erfuhr aber nur , daß es eine Bewandtnis mit den Herrschaften haben müsse , denn es sei viel Fragen es und Schickens nach dem alten verfallenen Schlosse in der Nähe gewesen , von dessen Bewohner man allerhand erzähle . Ein langer grauer Mann von verdrießlichem Ansehn trat ein , und sagte zum Wirte : " Ich habe Sie so sehr gebeten , mir eine Stube ohne Zug zu geben , den ich durchaus nicht vertragen kann , und dennoch ist mir eine angewiesen worden , worin kein Fenster und keine Tür schließt . Ich habe nicht Lust , hier ungesund zu werden , und verlange von Ihnen auf der Stelle ein anderes Quartier . " Der Wirt versicherte , es sei alles besetzt , er werde aber sogleich Schreiner und Glaser kommen lassen , damit jede Ritze verleimt und verstopft werde . Es war um die Zeit der Hundstage , und selbst dem entschiedensten Rheumatiker konnte ein kühles Lüftchen nur willkommen sein . Hermann hatte an der eigentümlichen Falte des Überdrusses um den Mund sogleich den Hypochondristen erkannt . Er trat höflich zu dem Verstimmten und sagte , daß er sich glücklich schätzen würde , wenn er ihm ein besseres Gelaß anzubieten vermöchte , das seinige werde aber auf jeden Fall wohl das allerschlechteste im ganzen Hause sein . Der andere Maß ihn mit einem matten , sterbenden Blick , als verdrösse ihn jede Artigkeit , und ging , ohne ihm etwas auf seine freundliche Anrede zu erwidern , fort . Hermann , sehr böse über dieses rauhe Benehmen , fragte den zurückkehrenden Wirt , wer jener Bär sei und erfuhr , daß er Wilhelmi heiße und bei dem Herzoge in Diensten stehe . Auch der Wirt nannte ihn einen eigensinnigen Kauz , dem nichts recht zu machen sei , " aber " , setzte er hinzu , " man muß ihn schonen , denn er ist des Herzogs rechte Hand . " Hermann beschloß im stillen , die Unart nicht so hingehen zu lassen . Doch für den Augenblick hatte er eine dringendere Sorge . Im Überrocke setzt man sich bekanntlich nicht zu einer fürstlichen Tafel . Er aber besaß kein anderes Kleidungsstück , er hatte sich erst in der nahen Stadt neu equipieren wollen . Lange dachte er darüber nach , was vorzunehmen ? endlich erinnerte er sich aus der Geschichte der Moden , daß der Frack aus dem Überrock entstanden ist , indem nach und nach die Vorderblätter immer weiter und weiter weggeschnitten wurden . Er beschloß , diesen historischen Weg zu verfolgen , und erkundigte sich nach dem besten Schneider , der ihm leicht nachgewiesen werden konnte , da es nur einen am Orte gab . Der Meister , welcher wegen der geringen Nahrung im Städtchen zugleich sein eigener Junge und Geselle war , saß mit gekreuzten Beinen auf dem Tische und nähte , was das Zeug halten wollte . Hermann trat in das kleine Stübchen , an dessen Wänden die papiernen Maße herabhingen , und welches durch schmauchte Fensterchen sein spärliches Licht erhielt . Er sagte dem Meister , was er von ihm wolle , nämlich , er solle die Vorderteile des Rockes abschneiden , denn er habe einen Frack nötig . Der kleine blasse Mann kam von seinem Tische herab , tat die Brille hinweg , prüfte den Schnitt des Kleides , befühlte das Tuch , sah erschrocken empor , und fragte mit wehmütigem Tone : " In dieses Tuch soll ich hineinschneiden ? " " Es geht nicht anders , Meister " , versetzte Hermann , " es muß so sein " . Der Meister schüttelte den Kopf , legte unschlüssig die Hände auf den Rücken , und murmelte : " So ein Rock ! So ein Tuch ! Schade ! Jammerschade ! Die Elle kostet wohl ihre drei Taler ? " " Mehr Meister , mehr . " " Vier ? Fünf ? " " Ich glaube , man hat mir acht auf die Rechnung gesetzt . Rührt Euch , Meister , ich habe nicht lange Zeit . " " Acht Taler die Elle ! Gott ! " war alles , was der Schneider hervorbringen konnte . Er ließ die Schere sinken ; nur Ausbesserung und der gröbste Stoff war ihm sein Leben lang unter die Hände geraten . Jetzt erblickte er ein Prachtkleid , von dem seine seligsten Träume nichts wußten , und dieses sollte er verwüsten ? Hermann sah nicht ohne Teilnahme dem Seelenkampfe dieses Männleins zu , dem ein feiner Rock zur höchsten Lebenserscheinung wurde . Endlich überwand sich der Meister , zeichnete in wilder Hast mit Kreide die Form auf dem Leibe ab , die Schere arbeitete , die Nadel flog , und bald war ein Frack fertig , wenn nicht von elegantem , doch von wohlgemeintem Schnitte . Hermann freute sich der Metamorphose , die so leicht vonstatten gegangen war . Schwieriger konnte es mit der Bezahlung werden , denn er hatte unterwegs für eine Kopfbedeckung seine Barschaft bis auf einen armseligen Rest ausgegeben . " Was sollen mir die Vorderblätter ? " sagte er . " Meister , die wären so etwas für Euch , wollt Ihr sie an Zahlung Stadt annehmen ? " - Der Meister war schon daran gewöhnt , von seinen Kunden in Naturalien , als Butter , Käse , Eiern u. dgl. bezahlt zu werden . Die Vorderblätter galten ihm weit mehr , als er fordern durfte , schon sah er sich im Geiste mit der Sonntagsweste aus dem Achttalertuche bekleidet ; er schlug freudig ein . Hermann klopfte ihm auf die spitzen Achseln und sagte : er sei recht geschickt gewesen . In so kurzer Zeit einen Frack zustande zu bringen , möchte nicht jedem gelingen . Dieses Lob stieg dem Schneiderechen ins Gehirn . Triumphierend rief er : " O , ich habe auch nicht immer geflickt ! Ich bin überhaupt nur durch Unglück hierher unter das dumme katholische Pack geraten . " Dann sich scheu umwendend , als fürchte er das Verhängnis einer großen Mitteilung , setzte er geheimnisvoll hinzu : " Ich habe schon einmal einen ganzen Rock gemacht ! Der Herr Pastor an meinem früheren Orte wollte sich verheiraten ; wie solche Herrn sind , sie haben kein Vertrauen zu unsereinem , er bestellte sich den Bräutigamsrock bei dem Modeschneider in der großen Stadt , den sie den Kleidermacher nennen . Mein Herr Kleidermacher ließ aber meinen Herrn Pastor sitzen . Der wollte zur Braut abreisen , kein Rock war da . Ich hörte von der Not und lief zu ihm . » Er wird es nicht können « , sagte er . » Vertrauen Sie Gott « , sagte ich . Ich ging nach der Stadt , kaufte Tuch , freilich nicht so fein , als das Ihrige , schneiderte Tag und Nacht , und siehe da ! der Rock wurde fertig , und der Herr Pastor sind darin getraut worden , und haben darin das heilige Abendmahl ausgeteilt , und tragen ihn noch zur Stunde , und ich bin doch nur ein lumpiger Flickschneider ! " Seine Augen glühten , er hatte sich auf die Fußspitzen gestellt , und drei Finger der rechten Hand vorn in das aufgeknöpfte Wams geschoben . So stand er , und der siegreiche Feldherr , der gegen Abend die Meldung von der letzten eroberten Schanze empfängt , kann nicht stolzer aussehn . Sechstes Kapitel Sechstes Kapitel Das Gespräch an der Tafel drehte sich um sittlich-anthropologische Fragen . " Wie kommt es nur " , sagte die Herzogin beim Dessert , " daß wir gleichgültiger gegen die Tugend als gegen die Höflichkeit sind ? Wenn man durch seinen Stand gezwungen ist , viele Menschen zu sehen , so muß man auch mitunter Leute empfangen , deren Handlungen sich keineswegs billigen lassen . Ich kann nun wohl sagen , daß mich die Nähe solcher Personen wenig verletzt ; unbefangen sehe ich sie kommen und gehen . Dagegen bin ich gleich aus meiner Fassung , wenn in meinem Kreise ein Verstoß gegen die Lebensart vorfällt . " " Das rührt daher , weil wir alle , auch die Besten unter uns , nie den Hang vollkommen ablegen , uns nach außen zu vergeuden , statt daß wir streben sollten , nur nach innen wahrhaft zu leben " , erwiderte der Kammerrat Wilhelmi . " Ich denke " , entgegnete die Herzogin , " man lebt in jedem Augenblicke zugleich nach innen und nach außen . Übrigens bitte ich Sie , mich nicht einer schlafen Moral anzuklagen . Alles , was ich sagte , bezieht sich nur auf die gewöhnlichen gesellschaftlichen Zusammenkünfte , und wenn jene zweideutigen Figuren mich irgendwo im Heiligtume meiner Verhältnisse berühren , so machen sie mir auch Kummer genug . " " Darin liegt die Antwort auf deine Frage " , versetzte ihr Gemahl . " Das Leben besteht , wo es nicht Geschäft ist , meistenteils aus Repräsentation . Unsittlichkeiten drängen sich uns nicht vor das Auge , wohl aber Roheit , Ungeschick . Was gehen uns also jene an , da wir niemandes Richter sind ? " Hier nahm Hermann das Wort , und sprach : " Vielleicht fordert keine Zeit mehr zur Beobachtung äußerer Sitte auf , als die unsrige . Alle Gegensätze sind bloßgelegt , wo irgend Menschen zusammenkommen , bringen sie die widersprechendsten Gefühle und Überzeugungen in Betreff der wichtigsten Dinge mit . Politik , Religion , das Ästhetische , ja selbst , was im Privatleben erlaubt sei ? alles wurde zum Gegenstande des Zwiespalts . Wie kann man sich aber mit Behagen nebeneinander sehen , wenn nicht wenigstens auf der Oberfläche die in der Tiefe zürnenden Geister beherrscht werden , wenn nicht die strengste Regel der Konvenienz , welche jedem Kunstwerke notwendig ist , waltet ? Und die gute Gesellschaft ist doch , wie man mit Recht gesagt hat , eine Art von Kunstwerk , oder sollte wenigstens eins sein . " " Am schlimmsten hat man es mit den Gelehrten " , sagte der Herzog . " Ich lade auch nie zwei zu gleicher Zeit ein . Denn ich bin dann nicht sicher , daß die Herrn über einen alten römischen König , oder eine Sprache , von der man nur vermutet , daß sie einmal gesprochen sein soll , einander Beleidigungen sagen . " " Auch die Hypochondristen sind böse Gäste ! " rief Hermann . Die Herzogin warf lächelnd einen Seitenblick auf Wilhelmi , der die ganze Tafel über sein verdrießliches Gesicht noch nicht abgelegt , und , sooft die Tür aufging , ängstlich mit den Händen den Kopf bedeckt hatte , obgleich , wie wir bemerkt haben , die Hitze der Hundstage herrschte . Sie meinte , Hermann solle sich in acht nehmen , er werde da Widerspruch bekommen . Angereizt vom Lächeln der Dame , rief dieser aus : " Muß ich doch mich selbst verurteilen , wenn von jenen Üblen geredet wird ! Ich hatte immer gehört , daß man heutzutage , um interessant zu erscheinen , unzufrieden und kränklich sein müsse . Da die Natur mir aber beide Eigenschaften versagt hatte , so bestrebte ich mich , durch Kunst dieselben hervorzurufen , denn ich wollte nun einmal nicht so unbedeutend durch das Leben gehen . Fürs erste schaffte ich mir eine finstere Miene an , und sah aus , als Ruhe die Last der Welt auf meinem Busen . Es war aber nicht so schlimm ; das Essen und Trinken schmeckte mir dabei , und ich schlief mit meinem Grame bis an den Morgen . Aber so schon begann ich zu gelten , einige Damen wollten selbst etwas Byronsches an mir bemerken . Es kam nur noch darauf an , krank zu werden . Ich rief die Einbildungskraft zu Hilfe , und richtete meine Aufmerksamkeit stundenlang auf mich selbst . Ich fragte mich so lange und so ernstlich : » Tut dir nicht da und da etwas weh ? « bis es mir endlich vorkam , als tue mir da und da etwas weh . Nicht mit Darstellung der ganzen Methode will ich Ew. Durchlaucht ermüden , nur so viel darf ich versichern , daß ich es in Erzeugung der Schmerzen bis zur Virtuosität gebracht habe . Kopfgicht , Armweh , Brustkrampf , Podagra , jegliches Übel kann ich nach Gefallen hervorbringen . Denke ich zum Beispiel nur daran , daß jene Tür aufgetan werden möchte , so wütet schon ein ganzes Heer von Rheumatismen mir durch Kopf und Genick . " Diese Beziehungen waren zu deutlich , um nicht verstanden zu werden . Beide Herrschaften hielten den Kammerrat , wie es solchen Leidenden zu gehen pflegt , für krank in der Einbildung . Sie sahen in einer Mischung von Verlegenheit und Schadenfreude auf ihre Teller . Hermann genoß seinen Sieg ; aber nicht lange . Wilhelmi hatte ganz gefaßt dessen Rede mit angehört . Als nun die Pause , die nach dem Schlusse derselben entstanden war , nicht enden wollte , sagte er freundlich zu ihm : " Was Sie vorhin von der Notwendigkeit der feinen Lebensart äußerten , hat mir sehr gefallen . " Hierauf wurde Hermann rot und stotterte einige Worte , die wie ein Dank für den ihm erteilten Beifall klangen . Die Herrschaften aber taten , als gehe sie der letztere nichts an . Die Herzogin rückte den Stuhl , und die Tafel wurde aufgehoben . Er war mit dem Herzoge allein . Die Gemahlin sprach in einem Nebenzimmer mit dem verdrießlichen Freunde über wichtige Angelegenheiten , welche das fürstliche Paar in diesen jämmerlichen Ort geführt hatten . Der Herzog schien sich für den Jüngling zu interessieren , er fragte ihn nach dem Zwecke seiner Reise . Hermann versetzte , daß er sich auf der Wanderung befinde , um seinen Oheim , den großen Fabrikherrn , den er noch nie gesehen habe , zu besuchen . " Da werden Sie einen merkwürdigen Charakter kennenlernen " , sagte der Herzog . " Ich mache oft Geschäfte mit ihm . Er steht ganz einzeln in der heutigen Welt da , und vergegenwärtigt mir immer das Bild eines Bürgers der Hansa . Ihr Vater und er sind ein sehr eigentümliches Brüderpaar gewesen . " " Sie lebten beide , wo nicht in Haß , doch in stiller Entfremdung " , sagte Hermann . " Ich will nun versuchen , ob der Oheim gegen mich auftaut . Wahr ist es : wenn ich an meinen Vater zurückdenke , so suche ich vergebens nach seinesgleichen in der Gegenwart . Er war mit Sinn und Lebensgewohnheit ungefähr in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts stehengeblieben . Von daher schrieben sich die großblumigen Tapeten seines Zimmers , die geschnörkelten Meubles , der Zuschnitt seines Rocks ; an welchen Dingen allen er mit hartnäckiger Strenge festhielt . Und doch soll er als junger Mensch munter und beweglich gewesen sein . Aber etwas Störendes scheint plötzlich seinen ganzen Organismus gehemmt zu haben . Überhaupt liegen die Erinnerungen an meine Eltern wie Märchen hinter mir , an deren Wahrheit zu glauben , mir oft schwerfällt . " Er erzählte noch manches von seinem väterlichen Hause , welches wir später an geeigneter Stelle einschalten werden . Der Herzog , welcher großen Anteil an allem , was aus dieser Familie herrührte , nahm , fragte nach Hermanns Studien und Lebensgange , worauf er die gewöhnliche Geschichte eines unserer jungen Männer hörte . Hermann hatte als Siebenzehnjähriger den Befreiungskrieg mitgemacht , als Zwanzigjähriger auf der Wartburg gesengt und gebrannt , und war dann auch in jene Händel geraten , welche die Regierungen so sehr beschäftigt haben . " Indessen " , fuhr er fort , " war ich der Torheiten selbst bald müde geworden . Und , als wolle mich das Geschick für diese zeitige Reue belohnen , meine Rhadamanthen fanden , daß ich zum Ravaillac verdorben sei , und entließen mich nach kurzem Verhör . " Er erzählte weiter , daß er sodann die jetzt gewöhnliche Reise durch Frankreich , England und Italien gemacht habe , demnächst aber in den Dienst des wegen seiner Verwaltung berühmten Staats als sogenannter Referendar getreten sei . " Sie sind noch in dieser Anstellung ? " fragte der Herzog . Hermann trat drei Schritte zurück , schöpfte tief Atem und rief : " Nein , Ew. Durchlaucht , in dieser Anstellung bin ich gottlob ! nicht mehr . Nachdem ich die Welt gesehen , in Rom und Neapel meine Seele ausgeweitet , in London und Paris mich in die bewegten Wogen großer Völker gestürzt hatte , mußte ich nun mit erheucheltem Ernste protokollieren und expedieren über Dinge , die selten des Federzugs wert waren . Anfangs , solange mir die Handgriffe noch neu waren , trieb ich die Sache wie einen mechanischen Scherz , bald aber ergriff mich die furchtbarste Langeweile , und ein unergründlicher Ekel an meinen Tagen , welche sich in diesem trockenen Nichts dürr und farblos verzettelten . Das altweiberhafte Helfenwollen , wo die Natur schon immer für die Hilfe gesorgt hatte , das Bevormunden von Menschen , welche gewöhnlich klüger waren , als die Herren Vormünder , dieses norddeutsche Vielgeschrei und Vieltun ! Die unendlichen , müden Sessionen ! Kein Blick aus der quetschenden Grube in die lichte Tageshelle des Geistes , alles umbaut mit Kabinettsbefehlen , Paragraphen , Instruktionen , Akten , Tintefässern , Sandbüchsen ! Mir war in dem Getreibe zumute , wie in einer ewig klappernden und sausenden Mühle ; nur das Mehl sah ich nie , welches zu gewinnen , so viele Räder sich abarbeiteten . Zum ersten Male in meinem Leben war ich unglücklich , und als ich das recht empfunden hatte , fragte ich mich : » Warum bist du es denn ? « - Da tat ich mit beiden Füßen einen großen Schritt in die Freiheit , und als ich die Tore der Marterstadt hinter mir hatte , jauchzte ich laut , wie Orestes , als die Furien von ihm abließen , und - ich schäme mich des Bekenntnisses nicht - ich habe mich zu Boden geworfen , und habe die grüne Erde geküßt , der ich nach der Fahrt durch ein wüstes Papiermeer nun erst wieder anzugehören glaubte . Nein , Ew. Durchlaucht , ich bin nicht mehr Referendar ! Ich überlasse das Metier den geistigen Nihilisten , deren ganzer Stolz darin besteht , eine Sache mehr abgemacht und aus der Welt geschafft zu haben , während der geringste Handwerker sich freut , ein sichtbares Produkt von seiner Hände Arbeit in die Welt setzen zu können . " Hermann trocknete von der Stirn den Schweiß ab , in welchen ihn diese leidenschaftliche Herzensergießung versetzt hatte . Der Herzog strich mit einer leichten Bewegung der Hand ihm über die Achsel , als wolle er da etwas wegwischen . Betroffen sah Hermann nach der Stelle hin ; er wußte nicht , was die Gebärde bedeuten sollte . " Beruhigen Sie sich " , sagte der Herzog . " Es kam mir nur so vor , als sei da noch etwas Asche von den Feuern der Wartburg sitzen geblieben ! " Siebentes Kapitel Siebentes Kapitel Inzwischen hatten sich andererorten im Gasthofe wichtige Ereignisse zugetragen . Der Wirt war nämlich nicht so bald innegeworden , daß sein verachteter Gast bei dem Herzoge speise , als er zu seiner Frau sagte , daß man einen solchen Herrn unmöglich auf Nummer Zwölf lassen könne . Nun war aber guter Rat teuer , denn zwischen Vormittag und Nachmittag hatte sich neuer Besuch eingefunden , so daß jetzt wirklich kein Zimmer mehr leer stand . Endlich schlug die Wirtin vor , die Kammerjungfer der Fürstin nach Nummer Zwölf zu verweisen , und Hermann dagegen die von ihr bewohnte Nummer Vier zu geben . Wo es Ungerechtigkeiten und Schelmenstücke galt , war der Wirt mit seiner Gattin immer einverstanden . Die Jungfer war , um nach ihrem Anfalle frische Luft zu schöpfen , spazierengegangen . Die redliche Wirtin unternahm es , ihr bei der Rückkunft vorzuspiegeln , daß die Decke in Nummer Vier eingestürzt sei , und daß dieser Umstand eine Quartierveränderung notwendig gemacht habe . Als Hermann vom Herzog kam , wurde er vom Wirt mit vielen Kratzfüßen nach seinem neuen Zimmer , welches sich in einem Nebenhause befand , geführt . Er freute sich der reinlichen Wohnung und des Blicks nach hinten hinaus über grüne Wiesen . Aber leider sollte dieser ruhige Besitzstand bald gestört werden . Denn er hatte kaum einige Minuten dort zugebracht , als er auf der Treppe ein heftiges Gezänk hörte . Die Jungfer war in den Gasthof zurückgekehrt , hatte von der Wirtin die Umquartierung vernommen und Nummer Zwölf besichtigt . Der Anblick dieses schauderhaften Gelasses setzte sie bei ihrer cholerischen Gemütsart in einen großen Zorn . Über den Hof streichend , fand sie die Wirtin an der kleinen Treppe im Nebenhause , und überschüttete die Frau mit einer Flut von beleidigenden Worten . Hermann riet dem Wirte , den er gern loswerden wollte , hinunterzugehn , und seiner Frau beizuspringen . Der Wirt blieb aber , machte ein ängstliches Gesicht , und rief , indem er an den Nägeln kaute : " Wir haben den Skandal hier oben noch früh genug ! " Diese Besorgnis war nur zu gegründet . Denn alsobald betraten beide Frauenzimmer die Stube , die Jungfer , mit Händen und Füßen vorwärtsstrebend , die Wirtin , vergeblich bemüht , sie am Rocke zurückzuhalten . Jene hatte sich mit eigenen Augen überzeugen wollen , ob die Decke in Nummer Vier wirklich eingestürzt sei . Da sie nun sah , daß dieselbe so heil war , wie ein neugeborenes Kind , so erstarrte sie anfangs über die Tücke der Wirtsleute zu einer stummen Bildsäule . Dann aber brach ein solcher Schwall von Verwünschungen aus ihrem Munde , daß man sich nur wundern muß , wie das Haus stehenbleiben konnte . Sie beschränkte sich nicht auf die eigentlichen Übeltäter , sondern ging bald auch zu Schmähungen unseres Freundes über . Dieser , gescholten , er wußte nicht , weshalb , fragte nach der Reihe herum , was denn der ganze Auftritt bedeuten solle ? Aber keiner gab ihm Antwort . Die Kammerjungfer schrie , in die Höhe deutend : " Ist da etwas eingestürzt ? " Der Wirt schrie : " Bedenken Sie , daß ich Ihr heute morgen die Daumen aufgebrochen habe ! " - " Ist dieses der Dank dafür , daß Sie uns das Bett rammelt hat ? " schrie die Wirtin . Während dieses Geschreis war eine neue Figur an der offenen Tür erschienen . Den Reitknecht Wilhelm hatte der Lärmen herbeigezogen ; er kam , die kurze Pfeife im Munde . Als die Jungfer den Dienstgenossen erblickte , lebten in ihr alle Hoffnungen auf ; sie lief zu ihm , und beschwor ihn bei der Ehre des Stalls und der Gesindestube , ihr das gegen göttliche und menschliche Rechte entrißene Zimmer wiedererringen zu helfen . Es hätte so dringender Worte nicht bedurft . Der brave Kerl war selbst auf den Wirt und dessen schlechten Hafer böse , und eine Gelegenheit , ihm etwas anzuhaben , kam ihm gerade erwünscht . Es rückte nunmehr die Heersäule der Bundesgenossen vor ; die Kammerjungfer , mit einer Elle bewaffnet , die sie irgendwo gefunden hatte , der Reitknecht , sich verlassend auf seine derben rotbraunen Fäuste . Sofort duckte sich der Wirt mit seiner Gattin zwischen zwei Stühlen nieder . Hermann , der endlich merkte , worum es sich handle , rief wiederholentlich ; " Hört mich an ! " Es achtete aber niemand seiner , und nun beschloß er , vorerst die Entwicklung der Begebenheiten abzuwarten . Er zog daher einen Tisch vor das Sofa , auf dem er saß , um sich gegen alle gezwungene Teilnahme an den drohenden Ereignissen der nächsten Zukunft zu sicheren . Der Reitknecht und die Kammerjungfer gingen indessen gerade gegen die Stühle vor . Dem verständigen Gastwirte , welcher zwischen denselben hockte , wurde nicht wohl zumute . " Ihr wollt mich doch nicht in meinem eigenen Hause prügeln ? " rief er mit einer zwischen Mut und Furcht zitternden Stimme . - " Haun Sie zu , Wilhelm ! " redete die Jungfer den Knecht an . " Hurra ! " rief der brave Kerl , welcher nur an seine übelgenährten Pferde , und nicht an den Dienst des Herzogs dachte , und reichte dem Wirte eine Ohrfeige von schwerem Gewichte . Diese Ohrfeige gab das Zeichen zum allgemeinen Kampfe . Der Wirt fuhr grimmig auf den Reitknecht los , und die Jungfer machte sich mit der Wirtin handgemein . Zuerst von den Männern . Mit leichter Mühe hatte der Reitknecht , ein baumstarker Mann , den Wirt zurückgeworfen . Er verfolgte den errungenen Vorteil , und legte den Gegner , alles Sträubens ungeachtet , über einen Stuhl , mit dem Gesichte gegen die Erde . Die Rockschöße des Wirts trennten sich , und nun erst wurde dem Reitknechte das eigentliche Feld seiner Tätigkeit sichtbar . Alsobald begann er auf dieser Tenne zu dreschen , so flink und so gewaltig , als gälte es , die Ernte des ganzen Jahres an einem Tage zu gewinnen . In dieser schrecklichen und letzten Not rief der Wirt inbrünstig alle Heiligen um Beistand an . Einer derselben mußte ihn gehört haben , denn es ereignete sich eine völlige Wendung der Geschicke . Der Reitknecht hatte im Übermaße seiner Siegestrunkenheit sich die Faust an dem Wirte fast lahm geschlagen . Deshalb müde , noch mehr Lorbeern mit Schmerzen zu gewinnen , nahm er den Geprügelten in seine Arme , nicht , um ihn zu küssen , sondern um ihn zur Stube hinauszutragen . Aber er hatte denn doch seiner Kraft zu viel vertraut . Auf der Hälfte des Wegs stolperte er über seine Sporen , stieß an Hermanns Tisch , und fiel mit seiner Bürde donnernd zu Boden . Jetzt fügte es jener unbekannte Heilige so , daß der Wirt eher auf den Füßen zu stehen kam , als der Reitknecht . Hurtig , wie eine wilde Katze , holte jener seinen Marterstuhl herbei , und stülpte denselben dem Reitknecht über den Leib , dergestalt , daß dieser kein Glied zu regen vermochte . Nun war der Augenblick der Vergeltung erschienen . Der Wirt saß auf dem Stuhle und ließ alle zehn Finger im Gesichte des Reitknechts spazierengehn , welcher , die Farben des Regenbogens vor den Augen sehend , vorn wieder empfing , was er hinten ausgeteilt hatte . So rächte der Wirt sein gemißhandeltes Kreuz . Der brave Kerl lag unter dem Stuhle , zerschlagen , wehrlos , regungslos , und rief unaufhörlich : " Jungfer , zu Hilfe ! " Aber wie hätte die Jungfer ihm helfen mögen , sie , die selbst nur zu ernsthaft beschäftigt war ? Anfangs suchten die beiden Frauenzimmer einander mit den Nägeln möglichst zu schaden . Da indessen dieses Gefecht der Kammerjungfer kein genügendes Resultat gab , so drängte sie die fette und unbehilfliche Wirtin in eine Fenstervertiefung und fing an von ihrer Elle Gebrauch zu machen . Die Wirtin konnte sich der ungemein schmächtigen und behenden Jungfer nicht erwehren , tat einen Satz der Verzweiflung , und sprang auf die Fensterbrüstung . Hier wurde nun die Schnur des Vorhangs von der heftigen Erschütterung gelöst , und die Gardine rollte vor der Wirtin nieder . Mit großer Geistesgegenwart ergriff die Jungfer augenblicklich das untere Ende des Vorhangs , hielt die Wirtin wie in einem Sacke gefangen und hämmerte wacker auf die runde Erhöhung los , welche der Leib der Feindin im Vorhange bildete . Die Frau seufzte nach ihrem Manne , wie der Reitknecht nach der Jungfer , aber beide Sieger spürten größere Begierde in sich , die Gegner zu prügeln , als den Ihrigen zu helfen . Endlich fiel der genotängsteten Wirtin das letzte Mittel ein , durch welches sogar eine Hinrichtung hinausgeschoben wird , und welches freilich dem armen Kerl von Reitknecht nicht zu Gebote stand . Sie rief hinter dem Vorhange : " Jungfer , schonen Sie meiner , ich bin in anderen Umständen ! " Bei diesen Worten geriet Hermann in eine Todesangst , denn die funkelnden Augen der Jungfer ließen besorgen , daß sie auch das Ungeborene ihrer Rache opfern werde . Er fürchtete ein Unglück , und fand , wie durch innere Eingebung einen rettenden Gedanken . Vom Sofa aufspringend , den Tisch umwerfend , rief er mit lauter Stimme : " Haltet inne , der Herzog kommt ! " Dies wirkte . Sogleich hörte die Schlägerei auf . Die Wirtin sprang vom Fenster und pustete , die Kammerjungfer stellte sich vor den Spiegel , brachte ihre Flechten in Ordnung und keuchte , der Wirt ließ den Stuhl los und spuckte , der Reitknecht raffte sich auf , und schüttelte sich am ganzen Leibe , wie ein durchnäßte Pudel . Hermann erklärte darauf dieser pustenden , keuchenden , und sich schüttelnden Versammlung , daß es des ganzen Krieges nicht bedurft habe , und daß er lieber im Freien zubringen , als jemandem sein Zimmer nehmen wolle . Der Reitknecht sah die Jungfer verdrießlich an , und sagte : " Auf ein andermal lasse Sie einen mit Ihren Dummheiten ungeschoren . " Den armen Kerl schmerzten seine Beulen , er ging , sich mit Branntwein zu waschen . Hermann wollte auch hinaus . Aber der Wirt , der seine Schläge umsonst empfangen zu haben , nicht begehrte , hielt ihn zurück , und erklärte rund und nett , die Jungfer solle nun durchaus ihren Willen nicht haben , die Stube sei ihm zugeteilt , und dabei habe es sein Bewenden . Auf dieses Manifest machte die Jungfer ein grimmiges Gesicht . Hermann fürchtete den Wiederausbruch der Feindseligkeiten , und um nur die Sache vorderhand beizulegen , schlug er vor , die Stube zwischen ihm und ihr zu teilen ; ob der Wirt nicht ein Saattuch oder sonst etwas habe , womit man die beiden Hälften abscheiden könne ? Wirklich erinnerte sich jener eines alten riesigen Krankenschirms . Dieser wurde herbeigeholt , aufgestellt , und schied das Zimmer in zwei gleiche Teile . Hermann überließ der Jungfer das Kabinett rechts , und zog links vom Schirm ein . Zuerst hatte sich ihr Zartgefühl gegen einen solchen Vorschlag gesträubt , endlich war sie durch wiederholte feierliche Versichrungen Hermanns , daß er jede ersinnliche Rücksicht auf ihre Nähe nehmen werde , beschwichtigt worden . Beim Hinausgehen fragte der Wirt seine Gattin mit dem Ausdrucke einer stillen Trauer , ob denn ihre Nachricht von vorher richtig sei , und der Herr sich an ihrem Leibe noch mächtig erwiesen habe ? Die Frau versetzte , er solle doch nicht so töricht sein , sie sei ja weit über die Jahre hinaus . Das war denn doch eine Freude nach manchem Leid , denn der Wirt hatte Kinder genug , und verlangte nicht nach mehreren . Nun schien Ruhe und Frieden links und rechts des Schirmes eingekehrt zu sein . Die Jungfer nähte , und Hermann hatte sich auf das Bett gelegt , welches in seiner Hälfte stand . Er suchte seine Gedanken zu ordnen , und sich in den mannigfaltigen Zufällen dieses Tages zurechtzufinden . " Ich muß wohl der Mann des Schicksals sein " , rief er , " da um meinetwillen ohne Not Unheil und Katzbalgerei entsteht ! " - Ermüdet , wie er war , von Wandern und Hitze , versank er bald in Schlummer . Die Kammerjungfer drüben wurde auch des Nähens überdrüssig , legte sich mit dem Kopf auf den Tisch , und nickte ein . Aber Eris schlief nicht , und brauchte diesmal statt des Apfels einen Hund , um die Eintracht zu stören . Ein Newfoundländer von der größten und zottigsten Art , den ein Gast mitgebracht hatte , ging , nach Wurstschalen und anderen Leckerbissen umherschnoppernd , durch das Haus . Er kam auch zu Nummer Vier , fand die Tür nur angelehnt , und schob sich sacht hinein . Die Hunde wissen auf der Stelle , wer ihr Freund ist . Dieser sah dem schlafenden Hermann so eine Art von Sympathie an . Er setzte sich vor dem Bette nieder , beroch die niederhängende Hand des Schlummernden , leckte dann an derselben , und setzte dieses Spiel eine Weile fort . Hermann , der bald die kalte Nase , bald die warme Zunge des Tiers an seiner Hand hatte , wachte von dieser Abwechslung auf . Der Instinkt des Hundes war richtig gewesen , Hermann hielt wirklich gute Freundschaft mit allen lebendigen schönen Geschöpfen . Er freute sich des mächtigen Tiers , streichelte seinen Kopf und Rücken , so daß der Hund vor Vergnügen zu gähnen anfing . Hermann ballte das Schnupftuch zusammen , der Hund apportierte lustig . Ihn ergötzten die gewaltigen Sprünge des Newfoundländers , er wiederholte den Zeitvertreib und warf das Tuch nach dem Schirme zu . Der zottige Gesell sprang mit seiner ganzen Stärke gegen den Schirm , dessen Bespannung , alt , mürbe und kaum noch in den Nägeln hangend , einem solchen Stoße nicht zu widerstehn vermochte . Ein großer Fetzen riß aus , der Hund fuhr hindurch , und in das Gebiet der Kammerjungfer ; Hermann hörte den Hund bellen und die Jungfer schrein . Diese war durch das Getöse , welches der Köter machte , längst erweckt worden . Tapfer gegen ihresgleichen , war sie überaus furchtsam , wenn sie nur eine Spinne oder Kröte sah . Und nun gar eine Newfoundländer Dogge ! Sie floh vor der erregten Bestie in eine Ecke , warf sich dort nieder , und brachte , wie der Vogel Strauß , ihren Kopf in Sicherheit , alles übrige preisgebend . Der Hund sprang ihr lustig nach , und mit den Vorderfüßen auf beide Hüften . So stand er halb auf der Jungfer und bellte aus Leibeskräften , ohne etwas Arges im Schilde zu führen . Die Sache schien ihn vielmehr ausnehmend zu belustigen , und er wurde immer vergnügter , je heftiger die Jungfer kreischte . Vergebens rief ihn Hermann durch das ganze Register der ihm bekannten Hundenamen . Indessen war der bedrängten Jungfer bereits ein Retter erschienen und zwar in der Person des verständigen Wirts , welchen der abermalige Lärmen in der verhängnisvollen Nummer Vier wieder herbeigezogen hatte . Um gutzumachen , was er an der Jungfer verbrochen , faßte er den Beller am Schweife , ihn von ihrem Rücken herabzureißen . Der Hund verstand aber , wie alle seine Brüder , am Schweife durchaus keinen Scherz , fuhr herum und versetzte dem Wirt einen solchen Bis in die Hand , daß der Mann sie unter Geheul blutig in die Luft schlenkerte . So wurde jener an einem Tage für beides bestraft , für Laster und Tugend . Inzwischen trat die Kammerjungfer zum Schirme und schalt in den bittersten Ausdrücken nach Hermann hinüber . Dieser aber hörte von allem , was sie sagte , nichts , denn er hatte das Schlachtfeld verlassen , entschlossen , die Stätte so vieler Streitigkeiten mit keinem Fuße wieder zu betreten . Unten begegnete er dem Newfoundländer , der auch gleichgültig fortgerannt war , sobald er den Wirt in die Hand gebissen hatte . Achtes Kapitel Achtes Kapitel Der Abend war schön , Hermann beschloß denselben im Freien zuzubringen . Draußen vor dem Tore zwischen grünen Hecken , unter mächtigen Kastanienbäumen sah er ein blaues Schieferdach . Spitzbogen , Kreuze und hohe schmale Fenster überzeugten ihn , daß das kleine einsame Gebäude eine Kapelle sei ; er erinnerte sich , von einem weit und breit berühmten Marienbilde gehört zu haben , welches hier den Gläubigen seine Wunder spendete . Die Neugier führte ihn in das Heiligtum ; leise trat er durch die nie verschloßene Pforte . Der den katholischen Kirchen und Betörtern eigentümliche Geruch , welcher vom zersetzten Weihrauchs- und Lichterdampfe herrührt , schlug ihm entgegen . Samt , Borten , Blumen von gesponnenem Gold und Silber , Schmelzwerk , und was sonst die Andacht zur Zier verwendet , prangten um den geschmückten Altar . Zwischen diesen glänzenden Dingen nahm sich freilich das von Dunst und Alter gebräunte Bild der Mutter Gottes nicht sonderlich aus . Indessen bewegte ihn ein eigener Anblick . Dieses Bild erzeigte sich besonders Gichtkranken hülfreich . Da hatten nun die Reicheren , welche die Befreiung von ihren Leiden hier erbetet , silberne Votivglieder geschenkt ; kleine blinkende Arme und Füße hingen in großer Anzahl um die himmlische Helferin . Die Armen , welche Silber zu schenken unvermögend waren , stellten ihre Krücken als Denkzeichen hin . Zu Hunderten standen die unnötig gewordenen Notbehelfe rechts und links vom Altar . " Sie ist zur Fabel geworden , diese Religion der Wunder " , sagte Hermann für sich , " aber sie ist eine rührende Fabel . " Er sah zwei Betende in der Kapelle und erkannte den Herzog und die Herzogin , die hier ihre Abendandacht verrichteten . Sonst war niemand darin . Als sie sich erhoben , trat Hermann mit einer unwillkürlichen Bewegung hinter ein Seitentabernakel zurück . Die Herrschaften setzten sich auf die Bänkchen ihrer Betpult . " Man weiset uns an , Gott einzig um geistige Dinge zu bitten " , sagte die Herzogin . " Heute muß ich gestehen von dieser Vorschrift abgewichen zu sein . Ich habe dem Herrn nur allein die Bitte vorgetragen , uns die Spur der unglücklichen Johanna zu zeigen . " " Ich denke " , versetzte der Gemahl , " daß die Ehre unseres Hauses und das Schicksal eines verirrten Wesens wohl auch Dinge sind , von denen man zu dem höchsten Ordner der menschlichen Angelegenheiten reden darf . " " Glaubst du , daß wir morgen auf dem Falkenstein etwas von ihr hören werden ? " fragte die Herzogin . " Wenn ich aufrichtig sprechen soll , nein " , erwiderte der Gemahl . " Der Entführer ist schlau genug , und der alte Amtmann , dem ich längst nicht mehr traue , war vermutlich mit ihm im Einverständnis . Er wird sich anstellen , als sei er selbst getäuscht worden . Liebe wäre es mir , wenn du den geraden Weg nach Hause einschlügst , und mich mit Wilhelmi diese verdrießliche Seitentour allein abmachen ließest . " " Nimmermehr ! " rief die Herzogin . " Es müßte denn sein , daß meine Gegenwart euch in etwas Dienlichem hinderte . Ich bin doch auch schuld daran , daß die Unselige sich so weit vom rechten Pfade verlieren konnte , ich hätte sie vielleicht sanfter behandeln , ihr Herz mehr aufschließen sollen . Deswegen halte ich es für meine Pflicht , alle Mühsale und Verlegenheiten , die sie uns verursacht , mit tragen zu helfen . " " Wer hat hier Schuld ? " sagte der Herzog . " Der , welcher eigentlich für die Fehltritte einer zügellosen Natur verantwortlich ist , liegt im Grabe . Die Sünden der Väter werden heimgesucht an den unsträflichen Kindern ; ich mache mich auf schmerzliche Dinge gefaßt . " Hermann hörte noch manches , was sich auf das Hausgeschick bezog , dessen diese Reden gedachten . Er fühlte sich in seiner gezwungenen Horcherrolle sehr gepeinigt . Wenn man ihn beim Hinausgehen sah , in welchem Lichte mußte er erscheinen ? Und doch war es jetzt unmöglich geworden , unbemerkt aus der Kapelle zu schlüpfen . Die Herzogin stand plötzlich auf , ergriff ihren Gemahl bei der Hand und sagte mit einiger Leidenschaftlichkeit : " Du mußt mir etwas versprechen . Ich weiß , daß du talentvolle junge Männer gern an dich heranziehst . Tue mir den Gefallen , und halte uns unsere heutige Bekanntschaft fern . " Ihr Gemahl sah sie verwundert an . " Wie kommst du darauf ? " fragte er . " Es ist eine Grille " , erwiderte sie , " und ich mag ihr keine Wichtigkeit beilegen . Aber tue mir den Gefallen , und lade diesen jungen Mann nicht über unsere Schwelle . " " Man sollte sich bei seinen Handlungen eigentlich durch Grillen nicht leiten lassen ! " rief der Herzog . " Er ist der Sohn eines Manns , dem mein Vater die größten Verpflichtungen hatte ; Verpflichtungen , die nach hingeworfenen Äußerungen zu schließen , ganz eigener , sonderbarer Art gewesen sein müssen . Er rennt ohne Zweck und Ziel durch die Welt . Ich hatte daran gedacht , ihn nützlich zu beschäftigen . Indessen gehen mir deine Wünsche über alles , und er mag sich daher selbst in der Irre zurechtfinden . " Sie standen jetzt kaum zwei Schritte von Hermann , und er sah der Fürstin in das schöne regelmäßige Antlitz . " Hätten wir doch unsere Pferde bei der Hand " , sagte sie . " Ein Ritt am Flüßchen müßte in dieser Kühle sehr behaglich sein . " " Ich habe leider keinen Bedienten mitgenommen , den wir nach dem Gasthofe schicken könnten " , erwiderte der Herzog . " Laß uns eine Strecke zu Fuß spazieren . " Als sie die Kapelle verlassen hatten , trat Hermann aus seinem Verstecke hervor . " Was hat sie gegen mich ? " fragte er bitter und wehmütig . Es war ihm so neu , in der Damenwelt etwas wie Abneigung zu finden , daß er sich nicht wohl darein zu schicken wußte . Er trat in die Türe der Kapelle , und sah die Herrschaften zwischen wallenden Kornfeldern gehen . Der Schmerz kleidete sich bei ihm leicht in den Scherz . Er strich sich über die Augen , wischte eine Träne aus , und rief : " Weiset ihr den Gast zurück , so werdet ihr doch den Bedienten nicht verschmähen . " In fünf Minuten hatte er das Wirtshaus erreicht . Er stöberte den Reitknecht Wilhelm auf , und hieß ihn satteln ; der Herzog befehle die Pferde . Er wollte ihm die Gegend beschreiben , wo sein Herr lustwandelte , der Reitknecht ließ ihn aber nicht ausreden , sondern schlug sich mit beiden Fäusten in das Gesicht , welches von den Stößen des Wirts schon blau genug war , und rief : " Ich bin aus dem Dienst , wenn die Herrschaft mich so zu sehen bekommt . " Vergebens stellte ihm Hermann vor , morgen bemerke der Herzog ja doch sein geschwollenes Antlitz , und erfahre mithin die Sache . Der Reitknecht dachte wie ein Wilder nicht über den heutigen Tag hinaus . Hermann sah , daß mit dem Menschen nichts anzufangen war . " Was tut's , ob mich das Nest für einen Narren hält ? " rief er . " Sattelt , Wilhelm , ich will den Herrschaften die Pferde bringen . " Diese Großmut schlug dem Kerl bis auf die Seele durch , er küßte Hermann inbrünstig die Hand , und sattelte weinend die Rosse . Bald trabte jener auf einem gedrungenen Polacken , den Zelter der Herzogin , und den Fuchs des Herzogs an der Hand führend , davon , zum Erstaunen des Wirts , dem dieser Gast ein Rätsel war und blieb . Als die Herrschaften den Hufschlag hörten , wandten sie sich um , und machten verwunderte Gesichter . Er war rasch vom Pferde , trat , die Tiere führend , zu jenen , und sagte schnell , um die Entdeckung des wahren Zusammenhangs zu verhüten : " Ich sah Ew. Durchlauchten im Felde spazieren , ich dachte , daß ein Ritt vielleicht angenehmer sein möchte , habe ich mich geirrt , so bringe ich die Pferde zurück . Den Reitknecht konnte ich nicht finden , ich erlaubte mir deshalb , selbst den Stallmeister zu machen . " Der Herzog fixierte ihn , und versetzte nicht ohne eine gewisse Schärfe : " In wie vielen Gestalten wird man Sie denn noch zu sehen bekommen ? " " In jeder , welche schicklich ist , Ew. Durchlaucht Dienste zu leisten " , sagte Hermann trocken . Man sprengte durch Wiesen und lichte Baumplätze . Hermann hielt sich streng mehrere Schritte zurück . Da der Weg breit genug für drei war , so forderte ihn der Herzog auf , Front zu machen . " Der Platz des Dieners ist hinter den Gebietern " , erwiderte er , und blieb , wo er gewesen , der schlanken Reiterin vor ihm im stillen grollend . Es war dunkel , als man zurückkehrte . Hermann half vor dem Gasthofe der Herzogin vom Pferde . Sie flüsterte ihm , als sie ins Haus ging , zu : " Ich habe noch mit Ihnen zu reden . " In der Dämmerung stand er ihr bald in ihrem Zimmer gegenüber . Sie ging nach ihrer Schatulle , holte eine Rolle , drückte sie in seine Hand und sagte : " Sie haben mir heute morgen von einem unglücklichen Mädchen erzählt . Hier ist Geld . Finden Sie den Vater ab , bringen Sie das Kind anständig unter ; wenn ich späterhin gute Zeugnisse zu sehen bekomme , so will ich die Verlaßene selbst aufnehmen . " Hermann weigerte sich , das Geld anzunehmen . " Ich bin Ew. Durchlaucht unbekannt , und kann mir nicht schmeicheln , Ihr Vertrauen schon in dem Maße zu verdienen , um der Depositar einer so großen Summe sein zu können . " " Was meinen Sie ? " fragte die Herzogin befremdet . " Sie sind brav und klug , und Ihr Name hat für unser Haus einen guten Klang . Leben Sie wohl ! Wir sehen uns wohl schwerlich wieder ! " Sie machte ihm ein Zeichen , daß er entlassen sei . Er ging , und wußte nicht , was er von ihrer Abneigung und von dem letzten Lobe denken sollte . Man setzte sich in der größeren Stube , die den Salon vorstellen mußte , zum Spiel . Nachdem einige Partien gemacht waren , sagte die Herzogin : " Wir treiben die Sache so ernsthaft , daß , wenn uns jemand sähe , der uns nicht kennt , dieser glauben müßte , die bunten Blätter lägen bei uns zu Hause beständig auf dem Tische . " " Das Spiel ist in eine unverdiente Mißachtung gefallen und bis jetzt durch nichts Besseres ersetzt worden " , sagte Wilhelmi . " Grade die mäßige Aufmerksamkeit , die es fordert , das Zählen und Anlegen ist wohltätig . Es hält uns in einem heilsamen Mittelzustande zwischen Anspannung und Zerstreuung . " " Unser Freund sagt wieder Schmeicheleien eigener Art ! " rief der Herzog . " Weil wir zu geistlos sind , miteinander zu reden , müssen wir spielen . " " Ich verwahre mich gegen alle besonderen Auslegungen , gnädigster Herr " , versetzte Wilhelmi . " Sie wissen , daß es meine Schwachheit ist , gern im allgemeinen zu reden . Und das darf ich denn doch wohl behaupten , daß unsere deutsche Gesellschaft meistenteils ein wunderbares Gesicht macht , welches nicht schöner geworden ist , seitdem man die Tische mit den Markenkästchen entfernt , und an ihre Stelle die Musikpulte und die Lesebrettchen geschoben hat . Sonst kam man zusammen , ganz einfach und aufrichtig , ein Spielchen zu machen , man freute sich auf seine Partie , der Abend wurde dadurch kürzer , späterhin gelang wohl ein heiteres Gespräch an runder vertraulicher Tafel . Jetzt strömt das Verschiedenartigste in die erleuchteten Säle , Menschen , die keinen Ton leiden mögen , die man , wollten sie aufrichtig reden , mit Gedrucktem und Geschriebenem , wer weiß wie weit , jagen könnte , Leute , die an nichts Wissenswürdigem einen wahren Anteil nehmen , dieser bunte Jahrmarkt flutet zwischen Musik , Vorlesen und sogenannter geistreicher Unterhaltung hin und her , mit erlogenem Interesse , mit scheinbarer Erhebung . Jeder Vernünftige , welchen sein Unstern in dieses Getreibe wirft , seufzt im stillen : , Ach ! ständen doch die Kartentische erst wieder da ! « Ich erinnre mich von meiner letzten Geschäftsreise eines solchen Festes . Ein alter General , dem man die Pein ansehen konnte , saß traurig in einer Fenstervertiefung , und klagte , sich unbelauscht glaubend , in seinem eigentümlichen Deutsch über die verwünschte Bücher- und Singemode . Gleich darauf war ein Hauptaktus beendigt ; ein geckenhafter Mensch trat an den Gelangweilten hinan , und der alte Degenknopf mußte sich nun zwingen , in den Enthusiasmus des Windbeutels einzustimmen . " " Welche Predigt ! " rief die Herzogin . " Was dergleichen kleine Torheiten nur groß schaden ! " " Was sie schaden ? " sagte Wilhelmi . " Ich glaube , daß sie mit dazu beitragen , den Zustand allgemeiner Heuchelei hervorzubringen , der recht eigentlich das Kennzeichen unserer Zeit ist . Wir Deutschen sind ein häusliches und bürgerliches Volk , ehrwürdig durch einen einfachen Sinn , durch gesunden Menschenverstand . Was man Geist nennt , ist nur das Erbteil einzelner , nicht der Nation . Am allerwenigsten kann man sagen , daß das Gefühl für das Schöne bei uns so häufig verbreitet sei , als man jetzt sich und anderen einbilden will . Wir sind und bleiben Barbaren , und wollen die Musen und Grazien , wie jener König in Phokis , immer gleich einsperren , wenn sie ja einmal bei uns einkehrten . Darum wiederhole ich : Ständen doch die Kartentische erst wieder da ! " " Und vergessen , daß Sie an einem sitzen " ; sagte der Herzog . " Sie hätten längst mischen sollen . Dieses Schelten auf die Zeit , auf unsere Zeit ! Gehören Sie denn nicht auch zu ihr , Sie mit Ihren trüben Ansichten eben recht zu ihr ? Es ist charakteristisch , daß wir immer von der Zeit reden , von unserer Zeit . Wo fängt sie denn an , und was hat sie eigentlich so Besonderes , wenn wir einmal ganz auf den Grund gehen wollen ? " " Sie spielt Komödie , wie keine andere " , sagte Wilhelmi . " Die alten Jahrhunderte haben uns ihre Röcke hinterlassen , in die steckt sich die jetzige Generation . Abwechselnd kriecht sie in den frommen Rock , in den patriotischen Rock , in den historischen Rock , in den Kunstrock , und in wie viele Röcke noch sonst ! Es ist aber immer nur eine Faschingsmummerei , und man muß um des Himmels Willen hinter jenen würdigen Gewändern ebensowenig den Ernst suchen , als man hinter den Tiroler- und Zigeunermasken wirkliche Tiroler und Zigeuner erwarten soll . Was aus unserer Jugend , die so recht vom Geiste der Gegenwart durchsogen ist , werden mag , ist in der Tat schwer abzusehn . So ein junger Mensch von heute steht im vierundzwanzigsten Jahre fertig da , alles wurde ihm leicht und mundrecht gemacht , im Fluge hat er den Schaum von der Oberfläche der Dinge abgeschöpft . Daß der Mensch nur durch Erfahrung , unter Arbeit und Not zu irgendeiner Erkenntnis gelangen kann , daß man durch das Kleine sich lange Jahre hindurchwinden muß , bevor man das Größere zu verstehen imstande ist , daß nur das wahrhaft besessen wird , was errungen , ermüht und erlitten wurde , wer möchte dergleichen Dinge jetzt aussprechen ? Die wohlfeilen Kommunikationsmittel fördern den jungen Weisen in reißender Schnelligkeit durch alle Lande , er ist durch den Vatikan gestrichen , nun wurde er ein Kunstkenner , er hat den Tunnel angesehen , seitdem versteht er sich auf Mechanik . Benjamin Konstant sprach mit ihm ein paar höfliche Worte - der Politiker war ausgebrütet . Bescheidenheit , Gehorsam , Unterordnung , Zweifel an der eigenen Unfehlbarkeit sind ihm Ammenmärchen , Großmutterschwächen . Überall und nirgends zu Hause , kehrt er zurück ins Vaterland , ein Riese an Sicherheit , der aber bei jedem Schritte ausgleitet , kluge Reden hält er über gute Lebensart ... " Ein herzliches Lachen unterbrach den schwarzgalligen Redner . " Daher der Zorn ! " rief die Herzogin . " Der arme Hermann ! Sie haben doch ein rachsüchtiges nachtragendes Gemüt , Wilhelmi ! " Währenddem der Herzog den Spott seiner Gemahlin fortsetzte , wurde ein Billet an Wilhelmi abgegeben . Dieser wollte es ungelesen einstecken . " Öffnen Sie doch , es könnte etwas Eiliges sein " , sagte der Herzog . Wilhelmi brach auf und rief : " Von unserem Abenteurer ! " Er las folgende Zeilen : " Es ist mir eine unerträgliche Empfindung , in dem hohen und freundlichen Kreise , welcher mich einige Stunden in seiner Mitte duldete , eine herbe Nachwirkung befürchten zu müssen . Ich habe mich gegen Sie vergangen , und ich gestehe Ihnen mein Unrecht aufrichtig ein . Die Unart des Jünglings kann einem Manne , wie Sie sind , nicht empfindlich sein . Aber um meinetwillen und zu meiner Beruhigung lassen Sie mich glauben , daß Sie mir vergeben . Ich möchte an den heutigen Tag so gern ganz heiter zurückdenken , und ich kann es nicht , wenn Sie mir wegen meiner Torheit zürnen . " Der Herzogin Antlitz glänzte vor Freude . Der Herzog sagte : " Ich hoffe , du hältst mich wegen des braven Jungen nicht beim Worte " ; und Wilhelmi rief mit der Gutmütigkeit , die sich bei den Hypochondristen einstellt , wenn sie tüchtig auf die Welt geschmält haben , aus : " So möchte ich mich wohl alle Tage in einem Menschen irren ! " Neuntes Kapitel Neuntes Kapitel Hermann war indessen nach dem Walde hinausgeeilt , worin er das wilde Mädchen gefunden hatte . Rasch war , sobald er von der Herzogin die Mittel besaß , sein Plan zu Flämmchens Rettung entworfen worden . Vorerst sollte sie in dem Dorfe jenseits des Waldes untergebracht werden , dann wollte er die Sache mit dem Komödianten abmachen , und wenn dies geschehen , hatte er vor , das Kind in eine benachbarte Pension zu geben , deren Vorsteherin ihm bekannt war . So war sein Entwurf , an dessen Gelingen er nicht zweifelte . Es war bei ihm ein Ehrenpunkt geworden , diese Angelegenheit zur Zufriedenheit der Herzogin zu Ende zu bringen , die ihn nach seiner Meinung so ungerechterweise von ihrem holden Antlitze hinwegwies . Flämmchens romantische Gestalt schwebte vor seinem Geiste , sein Blut befand sich in heftiger Wallung . Vielleicht bewirkte es dieser aufgeregte Zustand , daß er im Walde , den er halb laufend erreicht hatte , bald von der Richtung , die er am Morgen genommen , abkam . Der umgestürzte Stamm , welcher ihm den Ort , wo Flämmchen weilte , zeigen sollte , blieb unsichtbar , und es dauerte nicht lange , so sah er sich zwischen fünf bis sechs Kreuz- und Quersteigen verirrt . Anfangs wählte er noch unter denselben , dann ließ er den Zufall walten , und endlich war er durch Wahl und Zufall im dichtesten Forste . Erschöpft sank er an einer Quelle nieder , die durch aromatische Kräuter hinrieselte . Nachdem er seinen brennenden Durst gelöscht , und sich hinlänglich ausgeruht hatte , wollte er seine Irrgänge wieder anfangen , obgleich er bei dem fast taghellen Scheine des inzwischen aufgegangenen Mondes an seiner Uhr sah , daß Mitternacht herannahte . Ein Rascheln wurde im Laube hörbar . Hermann erblickte eine schwarze Gestalt , die gebückt am Stabe daherschlich . Das alte Weib kam näher , setzte sich auf einen Stein , und sagte : " Nun wird mich , wie ich meine , das Ding nicht wiederfinden . Dieses Flämmchen kann wohl eine Flamme heißen ! " Hermann trat heftig auf die Alte zu , faßte sie bei der Schulter , und rief : " Wer bist du ? Von wem sprichst du ? " Ohne aus der Fassung zu kommen schlug die Alte ihr dunkelfarbiges Kopftuch zurück , und ein braungelbes , scharfkantiges , runzelvolles Antlitz sah ihn im Mondenstrahle an . " Das bin ich " , sagte die Alte , " und von dem Flämmchen , dem jungen Teufel , sprach ich . " " Wo ist sie ? " fragte Hermann . " In den Fichten " , versetzte die Alte . " Ich habe sie hingeschickt , um sie loszuwerden , und dort mag sie den Geist erwarten , den ich ihr zitieren sollte . " Er nahm so viel aus den Reden des alten Weibes ab , daß Flämmchen sie vor dem Zusammentreffen mit ihm gesprochen , und nachher wieder aufgesucht habe . Was sie ihr gewahrsagt , vermochten weder Bitten noch Drohungen herauszubringen . - " Es ist gegen unser Gewissen " , sagte sie . " Unsere Reden gehen nur zu zwei Ohren ein ; so lautet ein Sprichwort . " - Den Ort , wohin sie die Abergläubische geschickt , wollte oder konnte sie nicht angeben , sie sei selber fremd in der Gegend , sie habe den Narren auf das Geratewohl nach einem Fichtenkampe gehen heißen , dessen Lage sie nicht mehr bezeichnen könne . Er sei wohl eine Stunde von hier ; ob er nach Morgen oder Abend stehe , wisse sie nicht . " Wenn du mich belögest ! " rief Hermann , " wenn du mit dem Mädchen etwas Schlimmes vorgenommen hättest ... " Die Alte erwiderte : " Ich bin eine gute Christin , und glaube an Himmel und Hölle . Bei dem Kreuz ! Ich habe dem Mädchen nichts zuleide getan . Wartet die Nacht ab , morgen wird sie schon wieder zum Vorschein kommen , und Ihr werdet Eure Perle nach Herzenslust beschauen können . Ich glaube , vor der nimmt Wolf , Bär , Löwe und Tiger Reißaus . Ihr seid ein Aufgeklärter , das sehe ich Euch auch bei Mondenschein an . Ihr würdet mich nur auslachen , wollte ich in Eure Hand sehen , und sagen : so und so . Aber nehmt von einem alten Weibe einen Rat an . Hütet Euch vor dieser Flamme ! Sie hat zehntausend böse Geister im Leibe . Ich habe geschlummert die Nacht hinter dem Dorn am alten Raubschloß , auf der Bahre im Beinhause , im weißen Klippentale und auf der grauen Heide , und ich habe mich nicht gefürchtet . Heute aber fürchtete ich mich , als sie vor mir stand , die junge Hyäne , das blanke Messer in der Hand und von mir verlangte , ich solle ihren toten Vater berufen ! " " Laß dein angelerntes Geschwätz ! " rief Hermann . " Gewiß hast du die Not der Armen benutzt , ihr den letzten Pfennig abgenommen , und dafür ihr Gehirn mit aberwitzigen Dingen erfüllt . " " Nur aus der Hand , auf der etwas Blankes liegt , läßt sich wahrsagen " , versetzte die Alte . " Sie hat bezahlen müssen , was recht ist . Wer gibt Euch die Befugnis , mich auszuschelten ? " In diesem Augenblick trat der Mond hinter eine finstere Wolke , und bei der Dunkelheit , die hierdurch entstand , gewahrte Hermann durch die Bäume den Schimmer eines schwachen Lichts . Der Mondschein hatte vorher das spärliche Leuchten überstrahlt . Er schloß aus diesem Umstande auf die Nähe einer menschlichen Wohnung , und da er seiner Meinung nach von dem Städtchen weit verschlagen sein mußte , die Alte aber fest dabei verblieb , daß sie ihm den Ort , wohin sie Flämmchen geschickt , nicht bezeichnen könne , so entschloß er sich , auf den Schein loszugehn , und den guten Willen der Bewohner um ein Obdach anzusprechen . Er verließ die Alte ohne Abschied . Diese hob , wir wissen nicht , ob zu ihrer Erbauung , oder zum Zeitvertreibe , ein holpriges Lied an , und sang mit tiefer und rauher Stimme Strophen durch die Nacht , deren Worte Hermann nicht verstehen konnte . Zehntes Kapitel Zehntes Kapitel Ein Hirschgeweih über der Pforte , und das Anschlagen der Hunde von einem Hinterhof her , kündigten die Wohnung eines Weidmanns an . Hermann schritt durch den mit Bäumen bepflanzten Vorraum , und klopfte an die aus zwei Hälften bestehende Tür . Von innen riefen zarte Stimmen : " Ach , er kommt ! Er kommt ! " Die Tür wurde auf getan , er trat in eine nur vom Kohlenfeuer des Herdes beleuchtete Küche , zwei Kinder drängten sich an ihn , und fragten ängstlich : " Sie sind doch der Herr Doktor ? " " Ich bin kein Arzt , Kinder " , versetzte Hermann , " ich bin ein verirrter Reisender , der um ein Nachtlager bitten wollte . Wo sind eure Eltern ? " Stadt hierauf zu antworten , warf sich das Mädchen jammernd über einen Stuhl , die hellen Tränen drangen aus dem Gesichtchen , sie rief schluchzend : " Unsere Mutter stirbt , und alles hat uns verlassen ! " Anfangs stand der Knabe , wie verlegen , still und tränenlos neben der Weinenden , dann zuckte es um seine Lippen , er ballte die Hände , stampfte mit dem Fuße , riß das Haupt der Schwester an seine Brust , drückte es heftig an sich , und sagte mit einer Stimme , die halb wie Trotz , halb wie die innigste Liebe klang : " Cornelie , du sollst nicht weinen . " " Muß ich zuletzt noch an ein Krankenlager geraten ! " rief Hermann . Er sah sich um , es war das gewöhnliche Innere eines westfälischen ländlichen Hauses . Die Küche mit dem Feuerherde als allgemeiner Versammlungsort in der Mitte , mit Fliesen gepflastert , mit schwarz-beräucherten Bohlen gedeckt . Hinter diesem Raume der Viehstall , ohne sonstige Trennung von dem Aufenthalt der Menschen , als durch die Krippe . Gegenüber ein paar Türen , die zu den kleinen Zimmern in den vorspringenden Teilen des Gebäudes führten . Ein Ächzen ließ sich nebenan vernehmen . Hermann ging zu dem Bette der Kranken . Sie fieberte und phantasierte , sprach viel von einem Fräulein und von Briefen , und wiederholte oft mit Heftigkeit den Ruf : " Die Briefe weg ! Verbrennt die Briefe ! " Er kehrte zu den Kindern zurück . Sie schienen in dem einsam liegenden Waldhause ganz allein zu sein . Er begriff nicht , wie man die Gewissenlosigkeit so weit hatte treiben können , ihnen die Kranke , und sie sich selber zu überlassen . Aufs neue schien ihm die Schutzrolle zugeteilt zu sein , und der Tag sollte enden , wie er begonnen hatte . Der Knabe sagte ihm , es sei nach dem Arzte in der Stadt geschickt worden , welcher auch versprochen habe , zu kommen . Sie hätten nun von Stunde zu Stunde auf ihn gewartet , und als sie das Klopfen gehört , gemeint , er sei endlich da . Hermann suchte die armen Geschöpfe mit herzlichen Worten zu beruhigen . Er nahm sie bei der Hand , streichelte ihre Wangen , sprach ihnen Mut ein , und versicherte , mit der Mutter habe es keine Gefahr , er sei zwar kein Arzt von Profession , verstehe sich aber doch auf die Krankheiten , es sei nichts als ein Flußfieber . Der getroste Ton , mit dem er sprach , machte einen günstigen Eindruck auf seine Schutzbefohlenen . Cornelie trocknete die Tränen im Schürzchen ab , lehnte sich an ihn , und umfaßte , da er nicht aufhörte , zu trösten und zu ermutigen , mit beiden Händen seinen Arm . Ihren Bruder , den sie Ferdinand rief , schien dies zu verdrießen , er lief in eine Ecke der Küche , stampfte wieder mit dem Fuße , und sagte derb und trocken : " Cornelie , mich hungert , Koch etwas zu essen . " Auch Hermann wären ein paar Bissen angenehm gewesen . Zu seinem Erstaunen wußten die Kinder trefflich Rat zu schaffen . Ferdinand war rasch eine Leiter über dem Kuhstalle hinauf zu einer Art von Verschlage , kroch hinein , Hühner schrien , gleich darauf kam der Knabe mit einem Tuche voll Eier herab . Cornelie hatte unterdessen den Wasserkessel , der nach Landesbrauch nie den Haken über dem Herdfeuer verließ , in die Siedenähe gerückt , und tat die Eier hinein . Ferdinand spürte das Brot und die Butter auf , das Tischtuch , die Messer und Gabeln fanden sich , in wenigen Minuten war der Tisch gedeckt . Cornelie nahm mit der Kelle die Eier aus dem Wasser , setzte sie auf , ging in die Krankenstube , kehrte , ein neues Schürzchen vorgebunden , zurück , und nötigte , zierlich sich verneigend , ihren Gast zum Essen . Hermann hatte mit Behagen den lieblichen Gestalten zugesehn , wie sie sich geschäftig vor dem Feuer des Herdes hin und her bewegten . Es war , als führten sie seit Jahren eine Wirtschaft , so geschickt war alles Häusliche von ihnen besorgt worden . Nun setzte er sich mit seinen jungen Wirten zu Tische , nicht neben Cornelien , denn zwischen sie und ihn hatte sich Bruder Ferdinand geschoben . Hermann mußte über die kindische Eifersucht lächeln . Der Knabe genoß , obgleich er vorher sehr hungrig getan hatte , nun fast gar nichts , hing mit seinen Blicken an Cornelien , und drückte ihr verstohlen die Hand , sooft sie dieselbe vom Tische nahm . Sie litt es einige Male , dann aber zog sie dieselbe hinweg , und sah verschämt nach Hermann hinüber . Nur das Feuer des Herdes leuchtete zu dem kleinen Mahle , Kerzen hatten die Kinder nicht zu finden gewußt . Sie plauderten allerlei ; vom Vater und dem nach ihm geschickten Boten , daß der Vater gewiß morgen kommen werde , daß nun alles gutgehe , da die Mutter nur das Flußfieber habe . Dieses Wort , und die Gegenwart Hermanns hatte sie beruhigt , sie schienen ihre Angst vergessen zu haben . Die Kranke war auch still geworden , und lag in einem tiefen Schlummer . Hermann fühlte sich in dieser Stille ungemein wohl . Er kam sich wie ein Hausvater vor ; alles war so heimlich , traut und natürlich , der kleine Tisch , die schönen Kinder , manch ländliches Gerät umher im ungewissen Feuerschein . Um die Ekloge zu vollenden , erhoben sich ein paar breitgestirnte Kühe , durch das späte Geräusch aufgestört , von ihrer Schlummerstätte und streckten über die Krippe ihre Köpfe dumm und zutraulich nach den Menschen hinüber . Endlich hieß Hermann die Kinder , welche , überwacht , noch munter Fortschwatzen wollten , sich niederlegen . Er versprach ihnen , wach zu bleiben , und auf die Mutter zu achten . Die Wanduhr hatte Eins geschlagen . Ferdinand ging , Cornelie machte noch ein Glas Brotwasser für die Kranke zurecht . Dann wollte sie dem Bruder folgen , und wünschte ihrem Beschützer wohl zu schlafen . Dieser umfaßte sie , und wollte ihr unbefangen , wie man mit Kindern zu tun pflegt , einen Kuß geben . Aber sanft entwand sie sich ihm , und flüsterte ängstlich : " Ach nein , lassen Sie das doch ! " Indem sie ging , kam sie ihm länger vor , er wußte nicht , wo er zuerst die Augen gehabt hatte , daß sie ihm so gar klein erschienen war . Elftes Kapitel Elftes Kapitel Nun war er mit sich allein , in tiefster nächtlichster Stille , die nur von dem einförmigen Schlage des Perpendikels belebt wurde . Er ging in die Krankenstube , wo er jetzt erst in einer Ecke allerhand aufgespeichertes Reisegerät : Koffer , lederne Behälter , Körbe und dergleichen bemerkte . Was diese Zusammenhäufung von Dingen in einem Wohnzimmer , denn das schien jene Stube zu sein , bedeuten sollte , war ihm unerklärlich . Einige Bücher lagen unter den Sachen umher , eins derselben nahm er zur Hand . Er wollte versuchen , am Herde , dessen Glut er mit einigen Kienscheiten erfrischte , zu lesen . Es waren die Schriften von Novalis . Blätternd stieß er auf das schöne Märchen von Hyazinth und Rosenblütchen , welches so lieblich die Lehre ausspricht , daß wir mit allem Suchen nur unsere Kindheitswonne wiederzufinden streben . In den Fragmenten umhersehend , fand er den Satz : " Wer rechten Sinn für den Zufall hat , der kann alles Zufällige zur Bestimmung eines unbekannten Zufalls benutzen . Auch der Zufall ist nicht unergründlich , er hat seine Regelmäßigkeit . " Ihm schmerzten die Augen , er tat das Buch hinweg . " Kann man doch alles behaupten , wenn man nur den Mut dazu hat " , sagte er . " Wir haben so ziemlich jegliches Ding nach Schnur und Maß geordnet , nur der Zufall hatte sich noch seine weltalten Launen vorbehalten . Nun will uns der schlafengegangne Magus überreden , daß wir auch diesen äußersten dunkelsten Winkel der Welt mit unserem Lichte erleuchten können . Wohlan , welche Regel ist in dem Gastmahle , vom Zufall mir in diesen letzten vierundzwanzig Stunden aufgetischt ? Was für eine Lehre hat mir das Begegnen Flämmchens , das sonderbare Benehmen der Herzogin , und meine letzte improvisierte Hausvaterschaft geben wollen ? " Noch einmal das Buch in die Hand nehmend , schüttelte er ein Blatt , lose eingelegt , heraus . Er hob es auf . Es war eine kolorierte Zeichnung ; ein tiefes gewundenes Tal , mit weißen langen Gebäuden besetzt . Er las mühsam die Unterschrift ; wie erstaunte er , als er den Namen der Fabriken seines Oheims fand ! " Wie mag diese Landschaft sich hierher verloren haben ? " fragte er . " Willst du mir vielleicht ein Zeichen deiner Regelmäßigkeit geben , rätselhafter Gott Zufall ? Lauscht hinter den Geldsäcken des Oheims mein Rosenblütchen ? " Die Augen sanken ihm vor Müdigkeit zu . Er fand einen Lehnstuhl , in dem er sich bequem zurechtsetzte . Doch schlief er nicht ein . Er befand sich in dem überreizten Zustande , worin die Phantasie , unwillkürlich , aus eigener , losgebundener Kraft nicht müde wird , ihr mischbuntes Arabeskengedicht zu spinnen . Die Figuren des Tages wuchsen ihm aus Blumen entgegen , zerstäubten in Flocken , setzten sich aus den Flocken wieder zusammen , strichen hinüber und herüber . Zwischen allen diesen Phantasmen kehrte eine Erscheinung am öftesten wieder . Aus weiter Ferne sah ihn ein Haupt erblichen , sanft an , schwebte dann näher , und je näher es kam , desto deutlicher erkannte er das Medusenantlitz , welches ihm zuletzt voll furchtbaren Ernstes , und doch unendlich milde , tief in die Augen blickte . Darauf wich es zurück , und so schwankte dieses wache Traumbild zwischen Nähern und Entfernen , Milde und Schreck einige Male hin und her , bis es plötzlich wie eine Maske umfiel , und eine lachende Gestalt , die sich dahinter verborgen , hervorsprang , welche Flämmchens Züge trug . Sanfte Töne erweckten ihn nach einigen Stunden aus dem dumpfen Morgenschlafe , in welchen sich denn doch zuletzt jene Spiele der Einbildungskraft verloren hatten . Ein roter Schein zitterte durch das Haus . Noch war es leer . Sein erster Gedanke suchte die Kinder . Er stieß eine Tür auf , da wurde ihm ein Anblick , der nicht schöner sein konnte . Auf einer über den Fußboden gebreiteten Matratze ruhten die Unschuldigen lächelnden Gesichts nebeneinander . Die trotzigen Züge des Knaben waren gemildert , der Kopf des Mädchens lag auf der Brust des Bruders , sie hielt ihre Hände gefaltet . Der Knabe hatte seine Schwester im Arme . Das Morgenrot beleuchtete die Gruppe , und gab dem dunkelblauen Pfühle , auf dem die Kinder schliefen , eine tiefe Purpurfärbung . Dazu erklangen von draußen die gehaltenen Töne der Blasinstrumente . Doch nur wenige Augenblicke dauerte dieses schöne Gesicht . Das Morgenrot setzte sich schnell in den gelben Schein des Tages um , die Gestalten der Kinder erbleichten , und die Farbe des Pfühls wurde ein kaltes Blau . Draußen fielen die Instrumente mit einem hallenden Jägerstückchen ein . Hermann ging hinaus . Vier bis fünf Grünröcke standen im Kreise und bliesen . Nachdem sie ihr Stückchen vollendet , wandte er sich an den , der ihm der Herr und Meister der übrigen zu sein schien . " Herr Förster " , sagte er etwas bitter , " Ihre Frau lebt noch , aber Ihre armen Kinder sind fast vor Angst gestorben . " Der Förster , der sich seines Hagestolzstandes in Ehren bewußt war , und schon mit Verdruß einen Fremden aus seinem Hause hatte kommen sehen , musterte Hermann vom Kopf bis zum Fuß , und entgegnete nichts , als ein langgezogenes : " Was ? " Man erklärte sich indessen bald . Die Kinder waren mit ihrer kranken Mutter tags zuvor angekommen , und hatten den Förster um den Liebesdienst gebeten , sie aufzunehmen , weil die Mutter vor übergroßen Schmerzen nicht einen Schritt weiter fahren konnte . Woher sie gekommen ? Wie die Familie heiße ? Was der Frau fehle ? um alles dieses hatte sich jener Westfale nicht bekümmert . Denn er war der Meinung , daß das Wissen aufblase , und unnütze Neugier vom Übel sei . Es war gleich nach dem Arzte geschickt , die Kinder selbst hatten , entschlossen , wie Hermann sie kannte , einen Boten an ihren Vater gedungen . Somit war alles Nötige geschehen , und der Förster hatte sich nicht weiter um die Sache bekümmert , sondern seinen gewöhnlichen Holzgang gehalten . " Es war keine Seele im Hause . Wie konnten Sie die Unglücklichen über Nacht allein und hülflos lassen ? " fragte Hermann mit Heftigkeit . " Mein Herr , was geht Sie denn eigentlich meine Handlungsweise an ? " entgegnete kaltblütig der Förster . " Ich war auf dem Tanz bei dem Hofschulzen , wohin ich alle Jahre mit meinen Leuten gehe . Engel sollte zu Hause bleiben , ist Engel fortgelaufen , so kriegt Engel die Karbatsche ! " - Er verstand unter diesem Engel seine Magd Angela , welchen Namen das Volk dort solchergestalt zusammenzieht . Hermann war überzeugt , daß er hier ins Mittel treten müsse , um die Gefühllosigkeit des Grünrocks durch das Interesse zu bezwingen . Die Goldstücke der Herzogin , die ihm freilich zu einem anderen Zwecke gegeben waren , brannten in seiner Tasche ; er rief : " Ich bezahle alles , was die Kinder mit ihrer Mutter bei Ihnen verzehren , aber ich bitte mir aus , daß Sie gewissenhafter sich ihrer annehmen . Heute abend oder morgen früh bin ich wieder hier . " Er ging , ohne den Förster nach dem Wege zu fragen , was auch unnötig war . Denn nur die Nacht hatte ihn getäuscht . Das Försterhaus lag auf einer Waldblöße , und hinter einem dünnen Saum von nahem Gebüsch lief der große Heerweg . In kurzer Entfernung sah er den wohlbekannten Turm des Städtchens . Er hatte sich also am Abend zuvor im Zirkel umhergetrieben . Der Förster stand nach der leidenschaftlichen Anrede Hermanns einige Minuten schweigend , als müsse sich seine Seele erst besinnen , wie sie solche Beleidigungen aufzunehmen habe . Dann brach er mit einem grimmigen Fluche los , und rief zornig , daß seine Rüden zu bellen begannen : " Brauche ich denn dein Geld ! Bin ich denn ein Schenkwirt ? So soll doch das Donnerwetter dareinschlagen ! " Er ging eiligst in sein Haus , entschlossen , wie rohe Menschen in solchem Fall zu sein pflegen , für die Schuld eines Dritten die Unschuldigen büßen zu lassen . Zwölftes Kapitel Zwölftes Kapitel Nach der tiefsinnigen Bemerkung des seligen Asmus rühren die Mißverständnisse gewöhnlich daher , daß einer den anderen nicht versteht . Dieser Satz erhielt durch das , was nunmehr zwischen Hermann und dem Komödianten vorfiel , eine neue Bestätigung . Flämmchens Fluchtgeschichte war einfach genug . Das Mädchen war die Tochter eines polnischen Offiziers , der , unter den Fahnen des Eroberers dienend , Mutter und Kind auf den Kriegszügen durch Deutschland mit sich umhergeführt hatte . Er blieb in einer großen Schlacht , bald nachher starb auch seine Geliebte , eine Spanierin , von Klima und Mangel aufgezehrt . Aus den Händen armer Leute empfing der Komödiant das elternlose Geschöpf . Er war ein gutmütiger Mensch und spielte schon damals edle Väter . Der Anblick des kleinen Wesens , dem die Augen wie Kohlen im Kopfe brannten , und welches aus seinen Lumpen so keck hervorsah , als sei es eine Prinzessin , rührte ihn . Er ließ das Kind sich abtreten , und beschloß , es zu seinem Gewerbe anzuführen . Indessen brachte ihm diese wohltätige Handlung keinen Segen , sondern nur Herzeleid . Fiametta , die lieber Flämmchen heißen wollte , war das eigensinnigste , widerspenstigste Ding , was polnisches und spanisches Blut , vereinigt erzeugen können . Die sogenannte Erziehung , welche ihr in jener Komödiantenwirtschaft zuteil wurde , fruchtete nichts , und unmöglich war es , sie zum Auftreten zu bewegen . Sie begreife nicht , sagte sie , wozu das dumme Zeug , wie sie das Schauspiel nannte , diene ? der falsche Vater lüge ja den ganzen Tag über , warum er denn des Abends zu seinen Lügen die fremden Kleider anziehe ? Einmal hatte man sie unter Mühe und Not , durch Hunger und Kummer dahin gebracht , die Rolle des Knaben Otto in der " Schuld " zu lernen . Der Abend kam , Flämmchen ließ sich Gehorsam anziehen , schminken wolle sie sich schon selbst , sagte sie . Jerta stand auf den Brettern , und deklamierte die erhabensten Sachen , Elvire zitterte noch von dem Ereignis mit der gesprungenen Saite , da kam Flämmchen , der kastilianische Knabe , aber wie ? Rot , blau , gelb , grün , weiß , und was für Farben noch sonst ! hatte sie sich in das Gesicht gestrichen , sie glich durchaus den Macis mit den Regenbogenwangen , welche die Zierden der umherwandernden Menagerien zu sein pflegen . Jerta verstummte , Elvire kreischte , das Publikum wußte nicht , woran es war . Flämmchen trat an den Rand des Proszeniums , sang ein Lied ohne Sinn und Verstand , sprang ins Orchester , half sich am Bass empor , kletterte über die Brüstung , war im Parkett , wischte sich ge lassen die Schminke aus dem Gesichte , und erklärte den Leuten in den Sperrsitzen , es sei ihr unmöglich , vor der ganzen Stadt die verrückten Streiche zu machen , die man von ihr begehre . Nach der Bühne rief sie hinauf : " Spielt nur weiter , ihr könnt meine Sachen auslassen ! " Man denke sich die Verzweiflung der Schauspieler und den Jubel des Publikums ! Geschrei , Gelächter , Klatschen von oben bis unten , aus allen Ecken des Hauses ! Man verlangte Flämmchen in den Logen , im Parterre , überall . Sie aber blieb ruhig in einem Sperrsitze , und schien sich um den ganzen Lärmen nicht weiter zu kümmern . Bald wurde das Publikum seines Jubels auch wieder müde , man forderte von den armen Schauspielern heftig das Stück ! Don Valeros , der Vater und Pflegevater trat heraus , erklärte , der beklagenswürdige Vorfall mache die Fortsetzung der " Schuld " unmöglich , und kündigte den " Lustigen Schuster " an . Nun gingen die Gebildeten aus dem Theater , ließen sich das Legegeld an der Kasse zurückgeben , und nur der Pöbel blieb . Seit diesem verderblichen Abende , der dem Pflegevater vom Direktor auf Rechnung gestellt wurde , wünschte jener herzlich , der Bürde entledigt zu sein , die seine Gutmütigkeit ihm aufgeladen hatte . Es kam dazu , daß alle Menschen , und insbesondere die jungen Männer , Partei gegen ihn und für Flämmchen nahmen , deren Eulenspiegeleien jedem , der nicht durch dieselben litt , gefielen . Man redete auf ihn ein , er müsse nur zu erziehen wissen , er müsse diese Natur nach Prinzipien behandeln . Der arme Komödiant wußte aber von Pädagogik so viel , wie von den Bewohnern des Sirius . Er war daher mit seinem Verstande durchaus am Ende , und verschwor , jemals wieder die Tugend der Wohltätigkeit zu üben . Nachdem er wegen schwindenden Gedächtnisses verabschiedet worden war , zog er durch das Land , und stoppelte noch hin und wieder ein Deklamatorjam in irgendeinem Winkel zusammen . Auch nach dem kleinen Städtchen war er in dieser Hoffnung gekommen , hatte aber erst nichts zustande bringen können , und stilliegen müssen . Hier fand er eine frühere Bekanntschaft wieder , einen alten verwitterten Menschen , der mit dem Johanniterkreuze geziert war , und , da der Orden nichts mehr zu leben gibt , sich zu einem kleinen Posten , wenn wir nicht irren , im Zollfache hatte bequemen müssen . Sie hatten einander in besseren Verhältnissen gesehen . Damals war der Pflegevater ein beliebter Akteur , der andere ein kräftiger , lebensfrischer Offizier gewesen . Letzterer gehörte zu den Figuren , wie deren so viele in Deutschland umherwanken . Er hatte während der Umwälzungen unseres Vaterlandes mehreren Herrn nacheinander gedient , und war auch eine Zeitlang der Kamerad von Flämmchens Vater gewesen . Er sah das geckenhafte Mädchen bei dem alten Genossen seiner schöneren Erinnerungen , und faßte eine Zuneigung zu ihr . Nach seiner Meinung mußte der schöne Trotzkopf mit vernünftiger militärischer Strenge behandelt werden . " All dein Gebelfere hilft nichts " , sagte er zum Komödianten . " Sie muß durch Disziplin , Kommando , Tempo , Prison und dergleichen in Ordnung kommen . " Er bat , Flämmchen ihm zu geben . Die Ordnung und die Sparsamkeit selbst , besaß er eine kleine Wirtschaft , und mochte vielleicht bei seinem Vorschlage den Gedanken an eine junge Frau zum Troste seines Alters im Hintergrunde der Seele hegen . Wer war froher , als der Pflegevater ? Mit Freude schlug er ein , nur besorgte er im stillen , daß der Johanniter sein Flämmchen nach wenigen Wochen als unverbesserlich ihm zurückgeben werde . Vorderhand vereitelte aber ihre Flucht die Überlieferung . Flämmchen entsprang nämlich , sobald sie hörte , daß ihrer eine strenge militärische Disziplin harre . Die Unordnung war noch das einzige , was sie am Pflegevater liebte , sie hatte schon immer Reißaus genommen , wenn der hagre Johanniter gekommen war . Die Alten suchten und fanden sie nicht , sie war wie verschwunden . So hing die Sache zusammen . Was dem Flüchtling in der Irre begegnete , werden wir späterhin erzählen . Freilich fehlte viel , daß Hermann der Zusammenhäng der Dinge so unschuldig erschienen wäre . Die zärtlichen Blicke des Mädchens , die Verleumdungen des Wirts , seine eigenen übereilten Äußerungen gegen die Herzogin hatten gewissermaßen den Verführungsroman zusammengebaut , in welchem er selbst mit den Goldstücken der erlauchten Geberin als Held und Ritter der Unschuld glänzte . Sein Abscheu gegen die Schauspieler vollendete in ihm die Überzeugung von der Ruchlosigkeit des Pflegevaters . Dreizehntes Kapitel Dreizehntes Kapitel Freilich konnte er nicht zum besten auf diesen Stand zu sprechen sein . Er hatte , wie viele junge Leute heutzutage , ein Stück geschrieben ; wenn wir nicht irren , war es eine Tragödie . Nach dem Urteile derer , die es gelesen haben , fehlte es demselben keineswegs an Geist . Wenn es als Dilettantenarbeit auch vielleicht ohne eigentliche Wirkung vorübergegangen wäre , so hätte das Theater dem Verfasser dennoch wohl den Gefallen tun können , es unter die Fracht aufzunehmen , womit unser Bühnenschiff von Tag zu Tage segelt . Er erfuhr aber die Tücke jener Sphäre , sobald er sich mit ihr einließ . Enthusiastische Versichrungen , brennender Eifer für seine Dichtung , Lauwerden , kritische Zweifel , gänzliches Erkalten , treuloses Zurückziehn , Widerruf des gegebenen Worts unter ersonnenen Vorwänden : alle diese Dinge mußte er in kurzer Frist erleben , wodurch er in die übelste Stimmung versetzt wurde . Seine jungen Leidensgefährten halten sich nun bekanntlich nach solchen Wechselfällen dadurch schadlos , daß sie das Dasein der deutschen Bühne überhaupt leugnen , und neuen Erscheinungen , welche sich die Gunst der Meinung gewinnen , aus allen Kräften rezensierend entgegentreten . Bei Hermann nahmen aber alle Erfahrungen mehr eine moralische Wen dung . Er hatte eine so reine Begeisterung bei seinem Werke gefühlt , dieser war so schmählich vergolten worden ! Sein Haß , seine Verachtung wandte sich nicht bloß gegen das Institut , sondern er begann auch die Persönlichkeit der Schauspieler gering zu schätzen . Es gab nichts , dessen er sie nicht fähig gehalten hätte , und jede Anschuldigung war er geneigt zu glauben , sofern sie einen aus dieser von ihm verworfenen Kaste betraf . So vorgestimmt und verstimmt ging er zu dem armen Komödianten . Daß ein schlechter Plan schwer zu beweisen sei , daß die Obrigkeit den Kuppler vertreten werde , wenn man nicht eine entschiedene Niederträchtigkeit darzutun vermöge , diese Betrachtungen zogen ihm durch den Kopf ; er sah ein , daß er in einem so verwickelten Falle mit seiner ganzen so früh erworbenen Klugheit werde handeln müssen . Da ihm nun ein anderes Mittel schlechterdings nicht einfallen wollte , so geriet er auf den wunderbarsten Gedanken . Er beschloß nämlich , sich anzustellen , als habe er selbst die Absichten auf das Mädchen , welche er bei dem alten Spießgesellen des Pflegevaters voraussetzte , letzteren dadurch in eine Falle zu locken , und wenn er hineinging , wenn er durch unvorsichtige Äußerungen sich bloßstellte , dann im Namen der Tugend mit ihm zu machen , was er wollte . Der Komödiant hatte die Sorge um sein entlaufenes Unkraut gerade etwas beiseite gesetzt , und an das Deklamatorjam gedacht , welches endlich doch zustande kommen sollte . In diesem wollte er unter anderem Lear auf der Heide produzieren , und zwar , die Wirkung zu verstärken , im Kostüme . Er erwartete den Johanniter als Zuhörer zu einer Probe , und ging , für sich rezitierend , die Stube auf und ab . Sein Negligé war das tiefste ; er befand sich nämlich noch im Hemde , hatte aber , um das Mantelspiel einzuüben , die Enveloppe seiner seligen Frau umgeworfen . Grade bei den Worten an die Elemente : Hier stehe ich , euer Knecht , Ein armer , schwacher , tief gekränkter Greis ! trat Hermann , dessen Klopfen nicht vernommen worden war , in das Zimmer . Der Anblick eines barfüßigen Menschen mit der Nachtmütze auf dem Kopfe , dem die alte kurze Weiberenveloppe kaum die Hälfte der dürren Schenkel bedeckte , brachte unseren Helden einigermaßen aus der Fassung ; doch nahm er sich zusammen , und stellte sich dem mißhandelten Könige als einen Kunstfreund dar , der ihm seinen Besuch machen wollte . Er gab sich in der Schnelligkeit den Charakter als Baron , um für sein Kavaliermärchen Grund und Boden zu gewinnen . König Lear , sehr erfreut über den Besuch eines Mannes , welcher , nach rasch angestellter Schätzung zu schließen , ihm mehr als ein Billet abnehmen würde , nötigte den Fremden mit äußerster Höflichkeit , ohne Bestürzung über seine Blöße , zum Sitzen , und verstrickte ihn sofort in ein Kunstgespräch , welches freilich nicht geeignet war , nach dem Punkte hinzuführen , den Hermann im Auge hatte . Konnte dessen Überzeugung , dessen Widerwille gegen den Pflegevater noch gesteigert werden , so geschah es nun . Hermann gehörte zu denen , welche durch eine Physiognomie , durch den Klang einer Stimme bis in ihr Innerstes zu verwunden sind . Der Komödiant hatte jenen weichen bürgerlichen Biedermannston , mit welchem sie auf den süddeutschen Bühnen Helden und Väter spielen , in das tägliche Leben hinübergenommen , sein Gesicht war welk und aufgedunsen von Wein , Schminke und theatralischen Rührungen . Hermann ekelte der widerwärtige Ton an , ihn erhitzte der Anblick des alten schlafen vermeintlichen Lasters , welches wie der deutsche Hausvater sprach , immer heftiger ; er unterbrach den salbadernden Komödianten plötzlich , und sagte : " Nun etwas anderes , weshalb ich eigentlich gekommen bin . " - Er wiederholte mit einem gewissen Akzent , daß er Baron sei , einige Güter in Böhmen und eine Herrschaft in Schwaben besitze . Seine Wangen glühten vor Scham und Verdruß . Der gute und anständige Mensch mag sich nicht einmal zur Erdichtung einer Schlechtigkeit hergeben . Es entstand also eine tiefe Pause . König Lear sah den jungen reichen Baron mit großer Ehrfurcht an , und zerbrach sich den Kopf , was bei diesem Gespräche herauskommen werde . Seinerseits fühlte Hermann , daß er nunmehr durchaus ohne Weg und Steg sei . Unfähig , den angelegten Wüstlingscharakter rein und frech zu halten , verlegte er sich auf Andeutungen . Er stammelte und stotterte allerlei daher ; daß er den anderen mit Flämmchen da und dort gesehen habe , daß es Eindrücke gebe , rasch und augenblicklich und doch tief und entscheidend , daß die Liebe ein Wunder sei , und als Wunder behandelt werden müsse , über kleinliche Formen erhaben , daß die Sehnsucht eines fühlenden Herzens nach Vereinigung lechze , und was dergleichen mehr war . Der Pflegevater begleitete diese verworrenen Reden , solange sie bloß von Flämmchen handelten , mit Ausrufungen , deren Muster in den Stücken zu finden war , worin eine Tochter dem Vater wegläuft . Als er aber von dem Eindrucke hörte , von der Liebe und von der Sehnsucht , als er das erhitzte Gesicht , die feurig umherirrenden Augen des Jünglings erwog , da kam ihm eine andere Gedankenreihe und zwar eine sehr freudige . Was konnte der junge Mann Schlechteres sein , als ein verliebter Edelmann , der einen dummen Streiche machen , und ein schönes Findelkind heiraten wollte ? Es war ein Fall , der ganz in seine Praxis gehörte . Zu Hunderten hatte er abends zwischen neun und zehn Uhr hinter den Lampen die Mißbündnisse eingesegnet . Seine Seele frohlockte ; endlich erschien der Tag , an welchem er Flämmchen gründlich loswerden sollte , und was ging ihm nicht alles noch daneben auf ! Er überlegte in der Geschwindigkeit , ob er seine alten Tage auf den böhmischen Gütern , oder in der schwäbischen Herrschaft zubringen solle , und entschied sich für Böhmen , wegen des Karlsbades . Die Augen trocknend , welche immer weinten , sobald er wollte , schnupfte er stark , und wiegte vergnügt das Haupt hin und her , während Hermann seine Bruchstücke vortrug . Als dieser ausgestattet hatte , stand jener auf , streckte die Hand in Hemdärmeln aus der Enveloppe , nahm unseren Freund bei der Rechten , und sagte , Kriegsrat Dallner in Stellung , Blick und Gebärde : " Lieber Baron , die Papiere über Ihre Angaben ! Sind die Papiere in Ordnung , hegen Sie wirklich die Absichten , welche Sie hegen , so sage ich , es sei ! Nimm sie hin ! " " Und wie machen wir es mit Ihrem alten Freunde ? " " Nun mein Gott , von dem kann ja gar nicht mehr die Rede sein . Wenn ein Mann , wie Sie , mit solchen Anträgen auftritt ... " " Ha , Schändlicher ! " rief Hermann , sich vergessend , packte den Komödianten bei der Brust und schüttelte ihn aus allen Kräften . " Schändlicher Kuppler , habe ich dich endlich ? " - " Donner und Doria , zu Hilfe ! " ächzte der entsetzte Alte . Der Johanniterritter trat ein . " Was gibt es hier ? " fragte er erstaunt . Hermann ließ den vermeintlichen Lastervater los . " Mord ! Mord , und Mortimer ! " rief der Komödiant . " Dieser Mortimer drang zum Heiligtume meines Herdes , begehrte Flämmchen zum Weibe , ich willige ein , da spinnt er meinen Tod , der Entsetzliche ! " " Grauer Lügner ! " rief Hermann . " Ich hätte Flämmchen zum Weibe begehrt ? " - " Nun , was wolltest du sonst , Ungeheuer der Nacht ? " fragte der Pflegevater . - " Hier muß ich Licht anstecken " , rief der Johanniter , und trat dicht vor Hermann . " Wenn dem so ist , wie mein Freund hier sagt , so haben Sie sich , auf Ehre , sehr sonderbar betragen , mein Herr , und ich bitte mir von Ihnen eine Erklärung aus , und zwar eine bestimmte . " " Sie wollen von mir eine Erklärung , und in dem Tone ? " rief Hermann mit funkelnden Augen . " Wohlan , hier ist sie . Sie sollen Ihr Vorhaben mit dem unschuldigen Kinde nicht ausführen , solange ich einen Arm rühren kann ! Pfui , mein Herr ! Sie betragen sich Ihrer Jahre wenig würdig . Das Kreuz auf Ihrem Rocke ist übel daran . " Der alte ehrenzarte Johanniter , der sich ohne irgendeinen Grund so empfindlich beleidigen hörte , geriet in einen schrecklichen Zorn , der sich durch ein dumpfes Lachen ankündigte . Er knöpfte seinen Rock zu , grub mit den Fingern in der schwarzen Halsbinde , zerrte am Schnurrbart , sein gelbes Gesicht wurde dunkelbraun . In der Ecke hatte der Komödiant das Schwert des Otto von Wittelsbach stehen , auf dieses warf der Gekränkte einen Blick , welcher das Schlimmste fürchten ließ . Der Komödiant , der seinen Freund kannte , und nichts inniger haßte , als wirkliches Blutvergießen , war mit einem Satze in der Ecke , packte die Waffe , und sprang damit in die Kammer , welche er hinter sich verriegelte . Der Johanniter sagte , mühsam unter der Wucht seines Grimms atmend : " Es sind nur zwei Fälle möglich . Entweder , Sie sind ein Hergelaufener Landstreicher ohne Namen und Stand , dann werde ich Ihnen angedeihen lassen , was Ihnen gebührt , oder Sie sind imstande , mir Genugtuung zu geben , dann wissen Sie , was ich für Ihre Worte von Ihnen zu fordern habe . " " Ich weiß " , versetzte Hermann . " Man darf sich das Äußerste erlauben , und dann doch sehr entrüstet sein , wenn der andere die Sache bei ihrem Namen nennt . Die Sitten und Gebräuche der Welt sind über mir . Ich war Offizier ; verlangen Sie , mein Patent zu sehen ? " Der Johanniter verneinte kalt und höflich , und das war gut , denn jenes Dokument wanderte ja auch in der eingebüßten Brieftasche mit dem Philhellenen gen Hellas . Man bestimmte Ort und Stunde , der Johanniter versprach auch , da im Städtchen keine Waffen zu bekommen waren , aus seinem Vorrate für diese zu sorgen . Sie schieden voneinander in den Formen hergebrachter Artigkeit . Der Komödiant kam aus seinem Verstecke hervor , noch immer im Hemde , und sagte zum Freunde : " Ich verstehe mich auf den Wahnsinn aus so manchen Sachen her , aber diese Art der Tollheit ist mir fremd , daß der Liebhaber den Vater bei der Gurgel packt , wenn man eben die Einwilligung erteilt . " " Das geht mich alles nichts an , und ist mir ganz einerlei " , versetzte der alte Ritter . " Ich habe mit Ehren gelebt und gedient , und auf meine Ehre , er soll einen Aderlaß bekommen , daß es ihm nie wieder einfallen wird , einen Mann , wie ich bin , zu beleidigen . " Vierzehntes Kapitel Vierzehntes Kapitel Mit der unbehaglichsten Empfindung kehrte Hermann nach dem Wirtshause zurück . Dort erfuhr er , daß die fürstlichen Personen frühmorgens abgefahren seien , und wohl nicht wiederkommen , sondern vom Falkensteine den näheren Weg , eine Stunde von der Stadt , nach ihrem Schlosse einschlagen würden . Auf ein hastiges Erkundigen , ob nicht nach ihm gefragt worden sei ? wurde verneinend geantwortet . Jener schlotternde Hausknecht , der gerade , um eine häusliche Verrichtung abzumachen , hinzugetreten war , und die Anfrage Hermanns vernommen hatte , sagte gähnend , es sei allerdings nach dem Herrn gefragt worden , aber von einem kauderwelschen Jungen , welcher bei ihm hinten im Stalle gewesen sei , und gemeint habe , der Herr nehme ihn in Dienst . Die Beschreibung des Anzugs paßte auf Flämmchen . Sie hatte hinterlassen , daß sie vor Abend wieder nachfragen werde . Hermann gab den Befehl , sie , sobald sie sich zeige , in eine abgelegene Kammer zu bringen . Er mußte nun erwarten , wie die Sache sich weiter entwickeln würde . " Nicht einmal nach mir fragen zu lassen , und sie sehen mich doch vielleicht nicht wieder ! " rief er . " So sind die Vornehmen ! " - Er zog wehmütig die Rolle hervor , welche ihm die Herzogin gegeben hatte , tat die Goldstücke aus dem feinen , roten , wohlriechenden Papiere , welches sie umschloß , wickelte den Schnitzel sorgfältig ein , und steckte die kleine Reliquie in ein Medaillon mit dem Bilde seiner verstorbenen Mutter , welches den Platz über dem Herzen des Sohns nie verließ . Die Stunden sind launenhafte Dirnen . Sie führen bald einen Schwamm , bald einen Pinsel mit Farbe gefüllt , in der Hand . Mit jenem wischen sie so lange über unsere Freuden hinweg , bis diese erbleicht oder ganz verschwunden sind , mit dem Pinsel malen sie das Bild unserer Leiden immer deutlicher und schärfer aus . Hermanns Stimmung wurde trüber und trüber , je länger er in der Gaststube saß . Der Wirt wollte ihm nun durchaus ein gutes Zimmer geben , er verbat es , er hätte zwischen den einsamen vier Wänden nicht ausdauern können . So blieb er denn an dem allgemeinen Versammlungsorte der Gäste , und sah dem Getreibe um sich her zu . Dieses Kommen und Gehen , dieses Fragen , Bestellen und Abbestellen , dieses Durcheinander von gleichgültigen Fragen und schläfrigen Antworten , wie man es in einer solchen Stube bemerkt , war ihm recht das Bild unseres unter tausend Widersprüchen sich abhaspelnden Lebens , und er rief : " Am Ende kommt bei der Sache auch nichts weiter heraus , als daß man dem Wirte die Zeche bezahlt , dafür , daß er uns schlechtes Quartier , versalzene Speisen , und ein hartes Folterlager gegeben hat ! " Langeweile und Ungeduld führten ihn auf die Straße . Aus dem Fenster , aus welchem gestern die holde Fürstin geschaut hatte , sah heute ein neuer Gast , ein graues Männchen mit einem weißen Hute auf dem Kopfe . Das Zimmer dünkte ihn entheiligt , er wendete seinen Blick ab . Der Graue rief den Wirt , welcher in der Tür stand , an , und fragte : " Wird der Bote nicht bald kommen ? " - " Ich sehe mir die Augen nach ihm aus , Herr Kommerzienrat " , versetzte der Wirt . " Das faule Zeug ! ehe das im Gang ist , kann man gestorben und wieder auferstanden sein . " Er wollte den Wirt nach dem Namen des Fremden fragen , als der trotzige Knabe , den er im Försterhause kennengelernt hatte , sichtbar wurde . Der Knabe kam eiligst die Straße herab ; er lief mehr , als er ging . Ohne von Hermann Notiz zu nehmen , wandte er sich an den Wirt , und erkundigte sich , ob er wohl auf der Stelle zwei Zimmer für seine kranke Mutter und seine Schwester haben könne ? Ehe der Wirt Bescheid erteilte , rief der graue Mann aus dem Fenster : " Ferdinand ! " Der Knabe sah empör , die Freude loderte über sein Gesicht , mit dem Rufe : " Vater ! Vater ! " stürzte er in das Haus , die Treppe hinauf . Der Wirt sagte : " Das ist der Kommerzienrat aus *tal , der sein Geld mit Scheffeln mißt , und der junge Herr ist der Herr Sohn . Wie wird sich der Herr Vater freuen ! " Welche neue Überraschung für Hermann ! Der Graue war sein Oheim . Unwissend hatte er seiner Familie die Nacht über beigestanden , die liebliche Cornelie war sein Mühmchen ! Er ging in das Haus , Vater und Sohn standen schon unten in der Stube . " Laß anspannen , Ferdinand " , sagte der Oheim , " und gib dem Wirte das für den Boten , den ich nun nicht mehr nötig habe . " Hermann sah den Oheim mit Verwunderung an . Diese kleine , kümmerliche Figur mit den viereckigen Knieschnallen , den fahlen Strümpfen , und den schweren Schuhen war also der Millionär , vor dem sich schon Fürsten tief gebückt hatten ! Weißes Haar lag um das Antlitz , welches grau war , wie der Anzug , und nur ein Paar helle , kluge Augen verrieten einen nicht gewöhnlichen Geist . Er machte dem Oheim eine Verbeugung , und nannte nach einigen einleitenden Redensarten seinen Namen . Der Oheim stutzte nur leicht , nahm seine Brille , betrachtete den Verwandten durch die Gläser , wie eine zu prüfende Ware , und sagte : " Sieh da ! Du bist also der Neffe . Nun , nun , du siehst ja recht ordentlich aus . Wir haben dich längst erwartet ; nach deinem Briefe konntest du schon vor acht Tagen bei uns sein . Wie gerätst du denn hierher ? das ist ja ganz aus dem Wege . " " Wenn ich vom Wege abgekommen bin , so habe ich mich wenigstens zur Erfüllung einer Pflicht verirrt . Ich war diese Nacht hindurch bei Ihren Kindern ; soviel ich über die Sache urteilen kann , hat es mit der Tante keine Gefahr . " " Das glaube ich auch " , sagte der Oheim . " Sie wird sich erkältet haben . Nach einer Badekur ist man immer sehr reizbar . Kinder wissen sich denn nicht zu helfen , am wenigsten auf Reisen . " Hermann erfuhr nun , daß die Tante Wiesbaden gebraucht , daß der Oheim den Tag ihrer Rückkunft berechnet habe , und ihr heimlich entgegengereist sei . " Ich mag sonst die Überraschungen nicht , und mein Plan war mir unterwegs schon leid geworden , nun ist es mir aber doch lieb , daß ich ihn ausgeführt habe " , sagte er . " Wie hast du sie denn getroffen und erkannt ? " " Ich habe sie nicht gekannt . " " Und ihnen doch geholfen ? - Nun , nun , das ist ja recht hübsch , du scheinst ja einen recht guten Charakter zu haben . " " Ich wurde , wenn etwas Gutes an meiner Handlungsweise war , sogleich dafür belohnt " , versetzte Hermann . " Ich muß Ihnen nur gestehen , lieber Onkel , daß ich mich in Cornelien verliebt habe . Mein Mühmchen wird ihren Mann einmal glücklich machen , sie ist schon jetzt ein vollkommenes Hausmütterchen . " Dem Oheim schien dieser Scherz wenig zu gefallen . " Sie ist nicht dein Mühmchen " , sagte er , " sondern die Tochter meines verstorbenen Buchhalters ; wir erziehen sie nur . " Ferdinand kam . " Das ist dein Vetter " , sagte der Oheim . " So ? " versetzte der Knabe gedehnten Tones , und hielt Hermann , der ihn küssen wollte , gleichgültig nur die Wange hin . " Wie geht es draußen ? " fragte Hermann . " Warum wolltest du hier Zimmer haben , lieber Ferdinand ? " " Weil der Förster uns sagte , wir sollten uns aus seinem Hause machen , wir könnten zu dem Herrn gehen , der sich unserer so sehr angenommen , und ihn so schnöde behandelt habe . " Hermann sah bestürzt vor sich nieder . " Bester Onkel " , rief er , " es empörte mich , daß der Gefühllose die armen Kinder und die Kranke verlassen hatte , und ich mußte ihm sagen , was mir mein Herz eingab ! " Der Oheim schüttelte den Kopf , und versetzte : " Neffe , ich kann dir nicht beistimmen . Die Leute tun jetzt kaum für Geld etwas , leistet einer ausnahmsweise einmal etwas umsonst , so muß man zufrieden sein , und ja nichts mehreres von ihm verlangen . Der Transport hätte meiner Frau doch sehr schaden können . Es ist recht gut , daß ich noch zur rechten Zeit gekommen bin ; der Förster wird sich , wie ich denke , wohl wieder bedeuten lassen . " Fünfzehntes Kapitel Fünfzehntes Kapitel Die Chaise fuhr vor . " Willst du mit ? " fragte der Oheim . Hermann entschuldigte sich mit einem Geschäfte , welches ihn am Orte zurückhalte . " Das ist ein anderes " , versetzte jener . " Geschäfte sind immer die Hauptsache . Auf guten Erfolg ! Wir sprechen uns ja noch , dann kannst du mir sagen , wann du kommen willst . Ich verlange nach deinem Besuche , ich muß wegen der Gelder , die ich für dich verwalte , mit dir abrechnen , auch habe ich geheime Sachen von deinem seligen Vater an dich abzuliefern , da du nun das Alter erreicht hast , in dem du sie nach seiner Disposition bekommen solltest . Mein Bruder war ein Mystiker ; man muß den Toten ihren Willen tun . " Die Chaise rollte davon . Noch immer wollte die Stunde des Duells nicht schlagen . Das unbeschäftigte Warten auf etwas , was , man mag es nehmen wie man will , doch unangenehm bleibt , bringt eine Pein ganz eigener Art hervor . Die Vergangenheit verschwindet , die Zukunft ist bedeckt , und nur das widrige Gefühl einer faden Gegenwart schneidet sich mit stumpfer Gewalt in die Seele ein . Diese nagende Empfindung zehrte an Hermanns Gemüt . Obgleich fest entschlossen , Blut und Leben für die Rettung eines unglücklichen Wesens einzusetzen , mußte er sich bekennen , daß der Schmelz von dem Abenteuer abgestreift sei , seitdem er nicht mehr hoffen durfte , den Lohn seiner Anstrengungen in einem gütigen Lächeln der Fürstin sich zu gewinnen . Die Kinder hatten ihren Vater , die Kranke war unter Obhut , er kam sich in allen Beziehungen , die ihn seit gestern umsponnen hatten , so überflüssig vor . Ja , er begann zu zweifeln , daß er irgendwo nötig gewesen sei . Die Gestalt seines umherirrenden Mündels verflüchtigte sich zu einem luftigen Märchenbilde . " Vielleicht " , rief er unmutig aus , " hatte ich hier an nichts , als an meine verlorene Brieftasche zu denken ! " Endlich war die Zeit hingegangen , und Hermann stand am bezeichneten Orte . Ein finsterer Tannenkamm umgab einen geräumigen Platz . Durch die schwarzen Kronen der alten Stämme sah ein bedeckter Himmel , ein grauer , melancholischer Tag . Hermann war früher da , als sein Gegner ; er vertraute sich , als dem besten akademischen Fechter seiner Zeit , und war entschlossen , den Feind zu schonen . Der Johanniter kam in einem kleinen Cabriolet angefahren . Man begrüßte einander . Hermanns Gegner ließ ihn unter den beiden mitgebrachten Degen wählen . Die Sache gewann wegen des Mangels an Sekundanten ein sehr unförmliches Ansehn , und ein gefährliches , da niemand des Arztes gedacht hatte . Man vereinigte sich , daß jeder das Recht haben solle , die Dauer des Ganges zu bestimmen , und daß ein Haltrufen nicht für unehrenvoll gelten dürfe . Die Streiter warfen die Röcke ab , der Hals wurde von der Binde entfesselt , Hermann legte sich aus , der Johanniter hieb aus . Schon nach den ersten Gängen merkte Hermann , daß er den Gedanken an Schonung aufgeben müsse . Er focht regelrecht auf den Hieb , wie der Universitätsbrauch ist , der Widerpart verfuhr dagegen nach dem komplizierten französischen Systeme von Hieb und Stoß , und machte ihm mit Finten und blitzschnellem Nachschlagen viel zu schaffen . Er hielt sich zwar brav , wie immer , war aber doch zerstreuter als sonst , unruhig von den durchwachten Nächten , und vom Getreibe der vergangenen beiden Tage . Indessen wäre dieser Handel , wie so mancher , durch die Ermüdung der Kämpfer wohl zum unblutigen Ziele gediehen , wenn nicht Hermann plötzlich während einer Pause in der Ferne zwischen den Bäumen eine Figur sich hätte bewegen sehen , die er für Flämmchen halten mußte . Seine Verwirrung nahm zu , er wollte den Kampf um jeden Preis zu Ende bringen , und suchte durch Heftigkeit den Mangel an Sicherheit zu ersetzen . Er drang gewaltsam vor , gab dabei eine Blöße , diese benutzte der Gegner , rasch einspringend , und die Terz hauend . Der Stahl zischte durch die Luft und fuhr in die rechte Seite . Die Degen sanken , das Blut tröpfelte aus der aufgeschlitzten Seite , quoll dann immer reichlicher hervor , floß und floß unaufhaltsam . Der Johanniter schlug sich wie ein Rasender vor den Kopf , und verwünschte den Streiche , der ihn um seinen Posten bringen könne . Hermann war erschöpft zu Boden gesunken , und sagte mit matter Stimme : " Beruhigen Sie sich , eilen Sie nach der Stadt , holen Sie einen Arzt , und sagen Sie überall , Sie hätten hier einen Verwundeten liegen sehen . Ich bestätige jedes Ihrer Worte , und will versichern , daß mich ein Räuber angefallen habe . " Unterdessen war Flämmchen weinend und jammernd herbeigekommen . Sie fuhr mit entsetzlicher Gebärde auf den Johanniter zu . " Du hast ihn erstochen , meinen Gemahl , den Prinzen , er stirbt ! Ich werde nie eine Prinzessin werden ! " rief sie . " Aber dafür sollst du verdorren ! Ich weiß , wo die Hexenmeister wohnen , die einem den Schatten nehmen und das Spiegelbild rauben , und das Galgenmännlein verkaufen . " " Bist du verrückt ! " fuhr sie der Johanniter an . " Komme mit ! Welch ein Aufzug ! " " Bleibe mir vom Leibe ! " rief die junge Furie . " Ich sage sonst , was du begangen hast , und sie sollen dir den Kopf abschlagen . " Hermann richtete sich halben Leibes empor . " Bringt Sie mein Blut nicht zur Besinnung ? " fragte er . " Ich beschwöre Sie , achten Sie die Tugend dieses Mädchens ! " Der Johanniter sah ihn starr an . " Ich alter Tor ! " brach er endlich aus , " über meine verdammte Hitze ! Sich beleidigt zu halten von einem Menschen , der seine fünf Sinne nicht beisammen hat ! " Er warf den Degen weit von sich in das Gebüsch , und jagte mit seinem Wägenchen im Galopp davon . Flämmchen warf sich zu dem Verwundeten an den Boden , stopfte Moos in die verletzte Seite , rief ihm die süßesten Namen zu , und dazwischen dem Johanniter gräßliche Verwünschungen nach . Hermann hörte und sah nichts mehr . Eine tiefe Ohnmacht hatte ihn überschattet . Sein Gesicht war totenbleich . Das Moos hemmte die Blutung nicht . So lag er unter den düstern Tannen , als ein Opfer seines guten Willens . Zweites Buch . Das Schloß des Standesherrn Erstes Kapitel Erstes Kapitel Im Park , dem Schlosse gegenüber , saß die Gesellschaft , und erfreute sich des klaren Herbstabends . " Wie geht es unserem Kranken ? " fragte der Herzog einen Mann von zuversichtlichem Äußeren . " Nach Wunsch " , erwiderte der Arzt . " Das Fieber ist zwar noch vorhanden , doch schon im Abnehmen . Die Krisis ist überstanden . Wenn ich bedenke , daß zu den Folgen der schweren Verwundung sich noch die starke nervöse Affektion gesellt hatte , so muß ich über die Kraft dieser Natur erstaunen , welche so vereinigten Angriffen zu widerstehn imstande war . " " Hat man den Täter noch immer nicht entdeckt ? " fragte die Herzogin . " Der Verwundete konnte bis jetzt keine Auskunft geben . Jener Mann , der ihn gefunden und die Nachricht in das Städtchen gebracht hat , wußte auch nichts Näheres zu sagen . " " Und der Knabe , sein kleiner Diener ? " Der Arzt sah mit einem eigenen Blicke vor sich nieder . " Er erzählt Sachen , gnädigste Herzogin , die zu abenteuerlich sind , als daß ich sie hier wiederholen möchte . Ich fürchte , dieser Knabe ist auf eine greuliche Art verwahrloset oder verbildet . " Das Gespräch wandte sich auf die sonderbare Fügung der Umstände , welche unserem Freunde die Hilfe gebracht hatte . Der Weg , welchen die Herrschaften bei der Rückkehr von dem alten Schlosse Falkenstein einschlugen , führte in geringer Entfernung an dem Tannengehölze durch , in dem Hermann seine Wunde erhielt . Er mochte eine Stunde in seinem Blute gelegen haben , ohne daß ein Chirurg sich blicken ließ . Flämmchen saß ausgeweint , still , verzweifelt bei dem Ohnmächtigen . Da hörte sie von fern den dumpfen Ton der über Kies und Grand fortarbeitenden Kutsche . Sie stürzte durch die Tannen , fiel am Wagenschlage auf die Knie und flehte um Erbarmen für den Halbtoten . Welcher Schreck für die Herrschaften , als sie den jungen Mann , der ihnen in mancher Beziehung interessant geworden war , in solchem Zustande wiedersahen ! Man half sich mit ihm , wie man konnte , und brachte ihn , notdürftig verbunden , langsamen Fahrens nach dem Schlosse . Aber welches Unglück , wenn sie später gekommen wären ! Wenn die Abendkälte , der Tau den Verwundeten auf dem kühlen Boden getroffen hätten ! Wenn der andere Weg , wie der Kutscher anfangs gewollt , eingeschlagen worden wäre ! Alle diese Fälle wurden besprochen , in deren Aufzählung besonders die Herzogin die größte Lebhaftigkeit zeigte . Ein junger blasser Mann , den Tonsur und schwarze Kleidung als den Hausgeistlichen bezeichneten , hatte sich bisher wenig geäußert . Nun aber , als das Reich der Möglichkeiten solchergestalt durchgemustert wurde , nahm er das Wort , und erklärte mit schwärmerischem Feuer , daß es für den Gläubigen kein Ungefähr gebe , daß Gottes Finger in allem sichtbar sei , und daß auch der Fremde nicht ohne den Ratschluß des Himmels sich in diesem Schlosse befinde . Der Arzt warf hierauf schalkhaft die Frage hin , welcher Religion der Fremde wohl sein möge ? " Er ist aus einer protestantischen Familie " , versetzte Wilhelmi sarkastisch . " Indessen wer kennt den Ratschluß des Himmels mit ihm ? " Der Geistliche war still geworden . Der Herzog erklärte , der Ratschluß des Himmels werde wenigstens auf keinen Fall sein , den jungen Mann innerhalb des Burgfriedens zu einem anderen Glauben zu bringen . Er halte als Grundherr auf seinem Gebiete an den Bestimmungen des Westfälischen Friedens fest , und keine Konfession solle da , wo er etwas zu sagen habe , sich gegen eine andere Zudringlichkeiten erlauben . Der Geistliche stand auf , und beurlaubte sich , weil die Stunde seiner Übungen gekommen sei . Nach seiner Entfernung entstand die Stille , durch welche ein gebildeter Kreis die Medisance schlechter Gesellschaften bei sich ersetzt , wenn jemand weggegangen ist , dessen Sinn nicht ganz zu den übrigen paßt . Endlich sagte die Herzogin : " Sich gegen die Ereignisse ungebärdig stemmen , ist meistens so unnütz . Können wir dem armen , in der Dunkelheit forttappenden Menschen einen anderen Rat geben , als : » Gewöhne dich , in jedem Vorfallen das Walten der himmlischen Mächte voll Ergebung aufzusuchen « ? " " Aufzusuchen ! Sehr schön ! " versetzte Wilhelmi . " Aber um alles in der Welt nur nicht zu früh , zu gedankenlos es zu finden . Jedwedes , auch das Herrlichste , kann zur Spielerei , zur Redensart werden . Wer wollte gegen das Schönste , gegen einen wahrhaft gottergebenen Sinn polemisieren ? Aber zu rasch bei einem Unglücke mit der Unterwerfung unter die allmächtige Hand Gottes fertig zu sein , beweiset mir nur , daß das Unglück dem Betroffenen ein so gar großes nicht war . Nur mit abgefallenen Wangen , erloschenen Augen , und kummerbleichen Lippen spricht der Mensch jenes Wort würdig aus . Auch die Heiligen haben ihr Haar zerrauft , und in der Asche getrauert ! Es ist unsittlich und unfromm , immer sittlich und fromm sein zu wollen . Wenn Sie , meine Fürstin , mir nach einem schweren Leid , wovor Sie Gott bewahren möge , sagen : » Der Herr ist über mir ! « dann weine ich mit Ihnen , wenn ich Ihnen nicht helfen kann . Wenn aber die Mutter , der das Kind starb , spricht : » Wie sollte ich klagen , da es bei Gott ist ? « und acht Tage darauf in ihre gewöhnlichen Gesellschaften geht ; wenn der sogenannte Freund dem in weite Ferne , vielleicht für immer , scheidenden Freunde nichts weiter nachzurufen weiß , als : » Man soll sein Herz an nichts Irdisches hängen ! « dann wende ich meine Schritte , und überlasse die gemütlichen Schwätzer ihrer öden Selbstzufriedenheit . Aus dunkler Tiefe , aus tausend Quellen springt das Leben ; man soll ja nicht glauben , die unendliche Flut in einem Fingerhute auffangen zu können ! " Er war sehr bewegt . Unter einer kalten , ja abstoßenden Außenseite verbarg sich bei ihm die höchste Zartheit , und eine bis zum Leidenschaftlichen gehende Wahrheit der Empfindung . Vielleicht bedurfte er jener Kruste , um nicht zwischen den Rädern des Alltags zerrieben zu werden . Der Herzog flüsterte dem Arzte zu : " Bringen Sie etwas auf , was uns vor der Fortsetzung dieser Predigt schützt . " Worauf jener laut anhob : " Mein Metier verschafft mir nicht so tiefe Seelenanschauungen , wie unser Freund sie uns vorgetragen hat . Indessen sehe ich am Krankenbette doch auch manches Menschliche . Nur , daß ich nicht darüber weine , sondern lache . Ich habe in meinem Gedenkbuche eine Anekdote aufgezeichnet , an welche ich durch diese Gespräche erinnert wurde . Wenn für die Teestunde keine bessere Unterhaltung bereit ist , so will ich meine Geschichte von den Fügungen des Himmels hiermit dazu anbieten . " Man verlangte sie zu hören . Die Herzogin erhob sich . Ein alter Bedienter kam , und sagte Wilhelmi etwas ins Ohr , seinen Zorn , wie es schien , schwer verbergend . Wilhelmi sah bestürzt auf den Herzog und entfernte sich . Der Arzt ging , um noch einige Krankenbesuche zu machen . Die Herrschaften wollten durch den Laubgang nach dem Schlosse zurückkehren . Ein kleiner Junge trat aus dem Gebüsch , schlug Rad , stellte sich auf den Kopf , und machte noch mehrere dergleichen Kunststücke , um sein Almosen zu verdienen . Die Herzogin verbot ihm die halsbrechenden Possen , reichte ihm Geld , und fragte : " Wie heißt dein Vater ? " Als der Junge den Namen eines Bettlers genannt hatte , sah die Herzogin ihn scharf an , und sagte : " Ich möchte für diese Unwahrheit dir das Geld wieder abnehmen . Du bist ein Kind des Waldmeiers , und hast nur aus Übermut gebettelt . " Der Junge wurde rot und schlich davon , er gehörte wirklich jenem Manne , der für sich und die Seinigen genug zu leben hatte . " Wie war dir möglich , die Abkunft des Knaben so bestimmt auszusprechen ? " fragte ihr Gemahl . " Du kennst meine unglückliche Gabe , Familienzüge zu erkennen " , versetzte sie . " Ich habe früher geglaubt , es sei Täuschung , aber unzählige Erfahrungen haben mich endlich überzeugt , daß mir die Genealogie auch da erscheint , wo sie anderen Menschen nicht sichtbar wird . Es ist kein gutes Geschenk der Natur . Leider " , fuhr sie schamhaft fort , " sehe ich so manchen geheimen Fehler , wo die Welt nur Pflicht und Tugend erblickt . Ach , es ist nicht alles eines Bluts , was einen Namen trägt . Laß mich dir nun auch ein Geständnis tun . Als ich unserem Kranken zum erstenmal ins Gesicht sah , erschreckte mich die größte Ähnlichkeit mit Johannen . Ich war bestürzt ! Ich möchte so gern mit dir nun ein ruhiges , geordnetes Leben führen ; wir haben schon so viel Verdruß von jener , ich ahnte neue Störungen , die nie ausbleiben , wenn man sich mit Menschen verworrenen Schicksals einläßt , deshalb bat ich dich , uns den Jüngling fernzuhalten . " Ihr Gemahl stand einige Minuten nachdenklich . " Du irrtest dich gewiß . Mein Vater war ja leider so offen gegen mich über seine Fehltritte . Er hätte mir diesen auch gestanden . Und überdies ... es ist nicht möglich ! " " Nein " , sagte sie , " und wir wollen nicht mehr daran denken . Ein unerwartetes Ereignis hat ihn uns , wenn nicht wider , doch ohne unseren Willen gebracht . Ob darin etwas Besonderes zu finden ist , weiß ich nicht , aber ich fühle , daß wir ihn pflegen , und für ihn sorgen müssen , wenn er es verdient . Das Los eines Menschen gilt mehr als Ahnungen und Träume . " Sie sprach das einfach , sanft , wie sie pflegte . Ihr Gemahl sah umher ; es war niemand in der Nähe . Er umfaßte sie , und schloß sie mit der zärtlichsten Liebe in seine Arme . " Bleibe die Genossin meiner Entwürfe , die Freundin meiner innersten Gedanken ! " sagte er gerührt . Sie ruhte beglückt am Herzen des Manns , der ihres Lebens Stolz und Freude war . Sie standen unter der Gruppe des Amor und der Psyche , und die reinen Sterne sahen auf diese Umarmung nieder . Zweites Kapitel Zweites Kapitel Der Arzt zog am runden Tische sein Büchelchen hervor , und las : Der Leutnant und das Fräulein Anekdote aus meiner Praxis Als ich in der Hauptstadt meinen Kursus machte , lernte ich einen Offizier von der Garnison kennen , der mir wegen seines gesetzten Wesens sehr zusagte , und von allen seinen Kameraden als ein ruhiger Charakter bezeichnet wurde . Dieser ruhige Charakter war schon seit einigen Jahren mit einem Frauenzimmer von desto unruhigerer Gemütsart verlobt . Fräulein Ida hatte alles Feuer zugeteilt bekommen , welches die Natur bei der Erschaffung des Leutnants Fabian erspart hatte . Lebendig , galt sie bei ihren Tänzern für geistreich , und konnte allerliebst sein , wenn ihre Partien auf vierzehn Tage hinaus versichert waren . Anfangs spielte sich das Verhältnis überaus artig fort , er wurde von ihrer Beweglichkeit in Bewegung gesetzt , sie gewann durch seinen Ernst mehr Haltung , woran es ihr früherhin zu ihrem Nachteile bisweilen gebrochen hatte . Das Unpassende , was das Publikum sonst wohl in Lieutenantsverlobungen findet , fiel hier weg , da die Braut ein artiges Vermögen besaß , und nur der Eigensinn der Mutter die Heirat bis zu dem Zeitpunkte verschob , wo der Schwiegersohn einen höheren Rang , und die Kompanie erlangt haben würde . Indessen mußte der Monarch wohl noch eine große Anzahl verdienstvollerer oder älterer Leutnants besitzen . Das Patent blieb länger aus , als man gedacht hatte , und da die Mutter ihre Tochter durchaus nicht ohne einen klingenden Titel von ihrem Herzen weggeben wollte , so dehnten sich die Tage der Hoffnung zu Jahren der Erwartung aus . Ein zu langwieriger Brautstand hat aber die bedeutendsten Unannehmlichkeiten . Die Liebe ist für Stunden , die Ruhe für das Leben ; wer kann aber der Ruhe genießen , solange die Früchte noch auf dem Halme stehen ? Das Gefühl gleicht nach so gedehntem Harren einem schönen Weine , den man im offenen Glase hat fade und abschmeckend werden lassen . Grade kurz vor der Zeit , wo dieser bedenkliche Mangel an Geschmack im Verhältnisse der Liebenden eintrat , lernte ich den Leutnant kennen , und wurde durch ihn im Hause seiner zukünftigen Schwiegermutter eingeführt . Ich sah noch die letzten Sommertage der Zärtlichkeit , bald aber nahm ich eine gewisse Kälte zwischen den Brautleuten wahr , die nur mit einem unangenehmfeurigen Wesen abwechselte . Sie ließ sich wohl , wenn er dicht bei ihr stand , durch einen anderen den Mantel holen , und betonte den Befehl ; er rannte mitunter in der zierlichsten Gesellschaft nach heimlich-raschem Zwiegespräch in die Ecke , wo sein Hut und Degen sich befand , und nur meine Zuredungen konnten ihn alsdann bewegen , Aufsehn zu vermeiden und zu bleiben . Denn schon war ich sein Vertrauter geworden . Als junger Arzt mußte ich mir auf jede Weise zu helfen suchen . Ich machte damals in Herzenssachen den Rat und Beistand , um stärkere Praxis zu bekommen . Der Leutnant bekannte mir seinen ganzen Kummer . Er könne seiner Geliebten nichts mehr recht machen . Jede Laune werde an ihm ausgelassen . Bald solle er erkaltet sein , bald sich ohne Gemüt betragen haben , neulich habe sie ihm vorgeworfen , er verstehe sie nie . Er sei wirklich noch ganz und gar der alte , gehe im Frühlinge mit dem ersten Märzveilchen zu ihr , im Junis komme der Rosenstock , im Herbst ein Almanach an die Reihe der Geschenke , wie sonst ; zum Geburtstag mache er seinen Vers , die Weihnachtsbonbonniere fehle nimmer . Aber alles werde jetzt kaltsinnig oder schnöde aufgenommen . Was er denn nur in dieser Not beginnen solle ? Ich konnte ihm freilich als einziges Mittel nur die Heirat nennen . Er versetzte , dieses stehe nicht in seiner Gewalt . Sich selber könne er nicht avancieren , und das Kriegsdepartement wolle es noch nicht . Indessen sind solche ruhige Charaktere nur bis auf einen gewissen Punkt zu treiben , und dieser fand seinen Gleichmut wieder , als er vor seinem Gewissen sicher war , im Dienste der Liebe nicht lässig geworden zu sein . Nun verwies er seine Braut , wenn sie ohne Grund klagte , an die Vernunft . Von dieser wollte sie nichts hören . Darauf kam er mit der Notwendigkeit hervor , sich zufriedenzugeben , wenn die Dinge einmal nicht anders gehen wollten . Worauf sie ihm sagte , er sei unausstehlich . Endlich , da alle Trostgründe niederer Schicht nichts helfen wollten , wählte er als letzte Arznei die Fügungen des Himmels . Wenn sie über ein Fältchen zuviel oder zuwenig im Kleide sich ungebärdig anstellte , sprach er , man könne nicht wissen , wozu ein Mißgeschick fromme . Wenn der Regen eine Spazierfahrt vereitelte , lehrte er , die Vorsehung lasse Tropfen fallen , damit die Sonne nachher um so herrlicher scheine . Und als sie einst weinend auf ihrem Stuhle saß , weil man den Gesang einer Mitschwester stärker beklatscht hatte , als den ihren , gab er , zu ihr tretend , den Spruch zu vernehmen : " Wen der Herr liebt , den züchtiget er ! " Er war ein ordentlicher Kirchengänger , und hatte wirklich den Glauben , daß dem Geduldigen alle üblen Sachen zum Heile ausschlagen müssen . Zuerst war ihr dieser Ton neu , und es vergingen einige Wochen unter solchen Tröstungen ganz leidlich . Indessen wollte das Gute , zu welchem nach ihrer Meinung das Schlechte führen mußte , nämlich das Avancement , immer noch nicht erscheinen . Da wurde sie böser als je , und der arme Phlegmatiker geriet in ein Fegefeuer , welches nicht läuternder sein konnte . Zu gleicher Zeit begann ein Einfluß auf sie zu wirken , welcher den Frieden zwischen beiden bald ganz aufhob . Eine jener alten Jungfrauen , welche , weil sie sitzengeblieben sind , es gern sähen , wenn das Heiraten abkäme , hatte sich des verdüsterten Sinns unserer schönen Ärgerlichen bemächtigt . Sie ließ in ihre Gespräche einfließen , daß sie schon längst mit Kummer bemerkt , wie der Leutnant immer gleichgültiger geworden sei , wie seine Neigung wohl keine Probe bestehen werde , und was dergleichen mehr war . Diese bösartigen Worte fanden ein offenes Ohr . Verdrießlich , von Mißstimmungen geplagt , ließ sich die Getäuschte zu dem Schritte hinreißen , dessen gefährliche Albernheit schon so viele beklagt haben . Sie wollte den Sinn ihres Liebhabers prüfen . Eines Morgens wurde ich an das Krankenlager des Fräuleins berufen . Sie lag , anmutig gekleidet , allerdings im Bette , und klagte fast über jegliches , was den Menschen schmerzen kann . Die Mutter stand untröstlich daneben , sie liebte das Kind , vielleicht zu sehr . Man kann denken , daß mir , als jungem Arzte , eine Krankheit in einem geachteten Hause , welches selbst einigermaßen in der Mode war , höchst angenehm sein mußte , ich strengte daher die ganze Kraft meiner Diagnose , deren Feinheit man stets auf der Klinik gerühmt hatte , an , um die Natur des Übels zu entdecken . Aber der Puls ging vortrefflich , die Augen strahlten vom gesündesten Feuer , die Wangen lachten im reinen Rote der Jugend , die Zunge war unbelegt , alles , ohne Ausnahme alles befand sich leider im wünschenswertesten Zustande . Ich entschied mich , daß hier Verstellung sei , verordnete die unschuldigen Mittel , welche Hippokrates uns für einen solchen Fall an die Hand gegeben hat , äußerte indessen natürlich meine wahre Meinung nicht , sondern sagte der Mutter draußen , auf ihre ängstliche Frage : ob es auch keine Gefahr habe ? mit Ernst und Nachdruck , daß man noch gerade zur rechten Zeit nach mir geschickt habe , und daß eine Stunde später für nichts mehr zu stehen gewesen sei . " Sie glauben nicht , welches Zutrauen sie zu Ihnen hat " , sagte die Mutter . " Den Geheimen Rat durfte ich nicht holen lassen . " - " Nein " , dachte ich . " Der alte grobe Heros würde wenig Umstände gemacht haben , meine blöde Jugend ist für dergleichen Leiden geeigneter . " Auf der Straße fand ich den Liebhaber , dem man schon durch die dritte Hand dieses Siechtum zu wissen getan hatte . Er war so bestürzt , wie es einem Seladon geziemt , und in Verzweiflung , daß er nicht gleich nach dem Hause seiner Braut eilen könne , aber er müsse auf die Parade . Ich beruhigte ihn , und verpfändete mein Ehrenwort , daß die Sache nichts weiter sei , als ein kleiner Schnupfen . Gegen Abend fand ich mich wieder bei der verstellten Kranken ein , denn ich war neugierig , wohin diese Komödie führen werde . " Treuer , sorgsamer Freund ! " sagte die Mutter , welche von meinem Eifer gerührt war . In bescheidener Entfernung vom Krankenbette saß der Leutnant , wie es schien , zerstreut und verlegen . " Es ist doch ein großes Glück um einen gleichmütigen Sinn " , stichelte die Mutter . " Man versäumt dann nichts Notwendiges , und macht die Geschäfte erst ab , bevor man dem Herzen folgt . " " Er will es nicht glauben , daß ich so krank bin , Doktor " , seufzte Fräulein Ida , deren hochrotes Antlitz von großer Bewegung zeugte . Die alte Jungfer saß im Fenster und strickte für die Armen . Diesmal erriet meine Diagnose die Krankheit . Mich gelüstete nach der Krisis , und da ich als junger Arzt , traurig für mich , überflüssige Zeit hatte , setzte ich mich zu den gesunden Damen , und knüpfte mit ihnen eins der Gespräche an , aus welchem man noch immer mit Geistesfreiheit nach etwas anderem hinzuhören vermag . " Wenn ich sterbe , Fabian ... " lispelte das Fräulein . " Teure Ida , an einem Schnupfen stirbt man ja nicht " , versetzte freundlich aber gefaßt der Leutnant . Sie begann immer heftiger und weinerlicher zu reden , kam in den Ton der Jean Paulischen Liane , sagte , im Traume sei ihr ihre selige Caroline erschienen , und sprach viel von Ahnung und Vorgefühl . Ich saß so , daß ich im Spiegel die Szene beobachten konnte . Je pathetischer das Fräulein wurde , desto mehr nahm das Gesicht des Bräutigams den Ausdruck der Abwesenheit an , er half sich fast nur noch mit Interjektionen , als : " Hm ! So ! Ei bewahre ! " Nachmals hat er mir gestanden , daß er an dem Tage einen Verdruß mit seinem Obersten gehabt habe , und daß seine Gedanken freilich mehr bei dem ungerechten Vorgesetzten , als bei dem Schnupfen des Fräuleins gewesen seien . In einem solchen Zustande laufen einem gewisse Redensarten , die man häufig im Munde führt , ohne Sinn und Verstand über die Lippen . Daher geschah es , daß , als das Fräulein , welche über die Fassung ihres Geliebten immer mehr aus der Fassung geriet , mit unterdrücktem Weinen sagte : " Ja , ich empfinde ein gewisses Etwas in mir , ein Weben der Auflösung , die schwarzen Männer werden mich gewiß wegtragen " - der Leutnant , der schon lange nicht mehr wußte , wovon die Rede war , zerstreut und feierlich ausrief : " Wie Gott will ! Der Wille des Herrn geschehe ! " Schrecklich war die Wirkung dieser Worte . Das Fräulein , entrüstet über eine solche Ergebung in die Fügungen des Himmels , die doch gar zu weit ging , warf meine unschuldige Medizinflasche zu Boden , daß die Scherben umherflogen , und rief : " Aus meinen Augen ! Ich habe dich durchschaut ! Fort ! Wir sind für immer geschieden ! " - " Wenn meine Tochter stirbt , sind Sie ihr Mörder " , wehklagte die Mutter . Die alte Jungfer hatte ihr Strickzeug in den Schoß sinken lassen , und äußerte so mit Salbung : daß derjenige zu beneiden sei , der so früh , wie Ida , die Einsicht in die Nichtigkeit aller Erdenlust gewinne . " Erlauben Sie mir nur einige Worte zu meiner Verteidigung ... " stammelte der arme Fabian . " Es ist jetzt nicht Zeit dazu , machen Sie , daß Sie fortkommen " , raunte ich ihm zu . Ich war mit den Damen allein . " Ida ! meine Ida ! " seufzte die Mutter . " Diese Gemütserschütterung in deinen Leiden ! Erhole dich , mein Kind , denke nicht mehr an den Abscheulichen . " - Ich beschloß , die kleine Heuchlerin zu strafen , und die alte Jungfer dazu . Und so ist es gekommen . Ich erklärte den Zustand des Fräuleins für verschlimmert , ich ernannte die bejahrte Freundin zur nächtlichen Wächterin , da die Mutter eine solche Anstrengung nicht aushalten könne . Drei Tage mußte die gesunde Kranke im Bett zubringen , drei Nächte hatte die Friedensstörerin auf dem Wächterstuhl zu versitzen . Endlich erklärte jene sich mit Gewalt für hergestellt , zuletzt lief diese aus dem Hause und verschwor , es wieder zu betreten , wenn ich dort aufgenommen bleibe . Darüber bekam sie mit der Mutter Streit und Feindschaft , die mich einen seltenen Menschen nannte . Kurz , der böse Feind hatte sich diesmal die Grube selbst gegraben . Mehrere Wochen vergingen , in denen ich nichts von meinen Liebesleuten hörte . Einige wirkliche und zwar sehr ernste Krankheiten hatten meine ganze Zeit in Anspruch genommen . An einem schönen Märztage wanderte ich über den neuen Kirchhof , wo alle Sträucher in dem ungewöhnlich frühwarmen Wetter schon die Knospenaugen aufschlugen . Ich wollte die neuen Einrichtungen im Leichenhause besichtigen , welche zur Rettung der Scheintoten angebracht worden waren . Soeben mit dem Meisterdiplom versehen , hatte ich , die Obsorge über jene Anstalten zu führen , von der Stadt den Auftrag bekommen . Als ich durch die gewundenen , mit Kies reinlich gefesteten Wege des parkartigen Gottesackers ging , und das im gefälligen Stil erbaute Leichenhaus hinter einem Rasenplatze liegen sah , sagte ich : " Es ist kein Wunder , daß die Menschen jetzt mit dem Leben unzufrieden sind , man macht die Sterbehäuser und Grabstätten zu anlockend . " Auf einem freien Platze fand ich unvermutet meinen Phlegmatiker . Er stand bei einem Sträußermädchen , die ihren Korb voll Frühlingsblumen ihm vorhielt . Er wählte und suchte sich das Schönste , was sie an Veilchen , Primeln und Aurikeln hatte , zusammen . " Für wen der Strauß ? " fragte ich . " Für Ida " , versetzte er . " Gottlob ! So seid ihr versöhnt ? " " Ach nein ! Ich habe sie nicht wiedergesehn . Aber es ist heute ihr Geburtstag . Ich will den Strauß unter ihrem Porträt in Wasser setzen . " Er sprach diese Worte ruhig , ja kalt . Aber seine Augen waren erloschen , und die Wangen bleich . Ich muß gestehen , daß mich die stummen , geduldigen Patienten immer am meisten zur Teilnahme bewegt haben . Ich sah meinen armen Verstoßenen an , ich überlegte hin und her , ob hier nicht mit einem raschen Streiche zu helfen sei ? Die Natur der Leidenschaften , insbesondere der Liebe , kannte ich aus der Seelenlehre , das Fräulein war mit der Mutter in der Stadt , das wußte ich . Ich war jung , verwegen ! Ohne an die möglichen Folgen eines tollen Einfalls zu denken , lud ich den Leutnant ein , sich von mir in die Rettungsanstalten zeigen zu lassen . Das Sträußermädchen wies ich an , vor der Türe zu warten . Der Wächter war ausgegangen ; alles begünstigte meinen Plan . Ich öffnete mit dem Hauptschlüssel , wir waren allein im leeren , schallenden Hause . Ich erklärte meinem Begleiter jedes Ding : die Einrichtung und Verbindung der Gemächer , die leicht zu bewegenden Glockenzüge , die Wärmmaschinen , die Frottierzeuge , die Bürsten , den Elixier- und Essenzenapparat des Wächters für die ersten Augenblicke des Erwachens aus dem furchtbaren Schlummer . Er fragte , ernst und wissenschaftlich gesinnt , verständig nach allem , und keine empfindsame Betrachtung kam in diesem Hause des Todes über seine Lippen . Endlich sagte er scherzend : " Diese reinlichen schimmernden Wände , die bronzenen Lampen , die blinkenden Stahlgriffe , die schönen Teppiche und Matratzen zeigen , wie jetzt alles auch bei den schrecklichsten Dingen zum Bequemen und Geschmückten strebt . Es fehlen nur noch die Tische mit den Journalen , um den Geretteten Unterhaltung zu bereiten , bis die Ihrigen sie wieder abholen . " Ich bat mir seinen Verlobungsring aus . Er stutzte , wußte nicht , was ich wollte . Ich erklärte ihm trocken , daß ich gesonnen sei , noch heute zwischen ihm und seiner Braut dauerhaften Frieden zu stiften , aber dazu des Ringes bedürfe , nahm ihn bei der Hand , und streifte mit freundschaftlicher Gewalt ihm den Ring vom Finger . Er , in plötzlich auflodernder Hoffnung und Freude , rief : ob ich verwirrt sei ? Ich , ohne zu antworten , schrieb mit Bleifeder auf ein ausgerißenes Blättchen meines Portefeuilles ein paar Zeilen an die Schwiegermutter , legte den Ring bei , verschloß das Billet mit Oblate , eilte zum Mädchen hinaus , sagte ihr , den Herrn habe ein Nervenschlag betroffen , sie sollte das Briefchen auf der Stelle da und da hintragen . Mein bestürzter Freund war bis auf den Flur gefolgt , und hatte die Bestellung gehört . Ich nötigte ihn in eine der angenehmsten Sterbekammern zurück . " Um Gotteswillen ! " rief er , " was treiben Sie ? was machen Sie aus mir ? " - " Einen Scheintoten " , versetzte ich . Er sah mich an , wie einen , von dem man glaubt , er habe den Verstand verloren . " Idas Krankheit " , sagte ich , " führte den Bruch herbei . Ihr Tod soll das Bündnis herstellen ; das nennt man einen Klimax , welcher zu den wirksamsten Redefiguren gehört . Sie haben die Wahl , entweder mich zuschanden zu machen und sich jede Aussicht zu verbaun , oder folgsam zu sein , und Ihr Glück im letzten Akt einer Posse zu empfangen . " Er stand anfangs starr , dann verwünschte er meine Torheit , und überschüttete mich mit Vorwürfen . Ich behielt indessen Geistesgegenwart , kramte Schnepper und Bindzeug aus , setzte eine Menge Flaschen auf den Tisch , ließ den Essigäther duften , verbrannte Federn , kurz , ich richtete das Zimmer so zu , daß es ganz medizinisch aussah und roch . Er , über meine Kaltblütigkeit in Verzweiflung , warf sich auf eine Matratze . Ich erklärte ihm , da könne er liegenbleiben , denn dahin gehöre er in seinem jetzigen Zustande . Ich löste seine Halsbinde , knöpfte die Uniform und Weste auf , und machte mir immerfort zu schaffen , um meine Unruhe zu verbergen , die sich mit dem Nachdenken doch allmählich bei mir einzustellen begann . Nach einiger Zeit sprang er auf , und rief : " Ich muß fort , ich bin an diesen Dingen unschuldig ! Sehen Sie zu , wie Sie aus der Verlegenheit kommen , die Sie angerichtet haben . " Ein Wagen fuhr sturmschnell vor . " Sie kommen " , rief ich , " ich wußte das ja ! " und ging ihnen entgegen . Sie waren es , Ida und ihre Mutter , meine Berechnung war richtig gewesen . Aus dem Schlage stürzte das Fräulein entgeistert , blaß , die Augen voll Tränen , und rief : " Wo ist seine Leiche ? " - " Er lebt , beruhigen Sie sich , er ist erwacht , meine Furcht war zu voreilig ! " rief ich ihr hastig zu . " Wo ? Wo ? " stammelte sie , flog in das Haus , und wie durch Instinkt geleitet , in das rechte Zimmer . Ich half der Mutter aus dem Wagen . Sie wußte sich in diesen Wechsel von Trauer und Freude nicht zu finden . " Teuerster , warum erschreckten Sie uns ? Man muß bei dergleichen doch erst das Ende abwarten " , sagte sie . Ich bat um Verzeihung , ich hätte ganz den Kopf verloren gehabt , sie möchte einem jungen unerfahrenen Manne um des glücklichen Ausgangs Willen nicht zürnen . Wir traten in die Sterbekammer . Da war die Liebe von den Toten auferstanden . Fabian und Ida lagen einander in den Armen . Sie herzten sich und küßten sich , und wußten beide nicht , was sie taten . Sie wollte von ihm wissen , wie ihm zumute gewesen sei ? er erwiderte , in diesem Punkte besonnen , er wisse von nichts , sie müsse den Doktor fragen . Ich verbot alle Erklärungen , und riet ihnen , sich des Lebens zu freuen . Die Mutter trat hinzu , gab ihm die Hand , und sagte sehr freundlich : " Lieber Sohn , Sie machen uns schöne Streiche . Mein Gott , wie das hier aussieht und riecht , es fällt mir auf die Nerven . Verlassen wir den leidigen Ort . " Ich benutzte den Augenblick , küßte ihr ehrerbietig die Hand , und sagte bescheiden : " Edle Frau ! Ida ist vor Liebe krank geworden , Fabian wäre beinahe daran gestorben ; sollen Ihre Kinder noch länger schmachten ? " Die Gewalt dieser Auftritte hatte sie erweicht . Sie gab die Zustimmung zu dem , was die Verlobten wünschten . Es folgte ein neuer Sturm von Liebkosungen und Umarmungen , in dem ich ebenfalls zuletzt von ungefähr mehrere Küsse bekam . Indessen waren die Fügungen des Himmels auch tätig gewesen . Denn als wir eben aus dem seltsamsten aller Boudoir aufzubrechen im Begriff standen , nahte sich der Bursche Fabians mit der in gemessener Haltung vorgebrachten Meldung , daß der Oberst schon dreimal nach ihm geschickt habe , indem das ersehnte Patent nun endlich eingetroffen sei . So führte Ida statt eines erblichnen Leutnants , nach dem sie ausgefahren war , einen lebendigen Kapitän nach Hause . - Sie leben sehr glücklich miteinander , manche Szene , die sonst in die Ehe fällt , haben sie vorher schon unter sich abgetan , dazu ist wenigstens der lange Brautstand dienlich gewesen . Mir brachte die sorgsame Behandlung des Fräuleins während jener drei Tage und die Rettung des Bräutigams große Gunst in den vielen mit dem Hause verbundenen Familien zuwege . Einer lobte mich immer noch mehr als der andere , so entstand mir bald ein Ruf , den mir so manche an armen Leuten im Verborgenen geübte saure Mühe nicht erworben hatte . Zuerst schlug mich das Gewissen etwas , nachher beruhigte ich mich durch den Anblick der allgemeinen Scharlatanerie , die in der Welt herrscht , über die meinige , die wenigstens niemand geschadet , vielmehr eine zufriedene Ehe gestiftet hat . Drittes Kapitel Drittes Kapitel In den folgenden Tagen war in den Zimmern des Herzogs große Geschäftigkeit . Ein fremder Rechtsgelehrter war angekommen , mit dem der Fürst und Wilhelmi in eifrigen Gesprächen unter Papieren und Akten zusammensaßen . Es wurde viel nach dem Archive geschickt , bunte Stammbäume mit vergoldeten Siegelkapseln lagen auf den Tischen umher , man holte Bücher aus der Bibliothek ; eine wichtige Frage beschäftigte die Versammelten . Der Advokat hatte die Nachricht von dem Tode eines Seitenverwandten überbracht , und mit dieser Post ungewünschte Eröffnungen verbunden . Wir fassen das Resultat jener Gespräche in einem kurzen Berichte zusammen . Das alte Haus , dessen Glanz gegenwärtig nur allein noch der Herzog in kinderloser Ehe repräsentierte , teilte sich schon seit hundert Jahren in zwei Linien , in die ältere , und in die jüngere gräfliche . Die Natur schien es auf ein Erlöschen des berühmten Namens angelegt zu haben , denn jener Seitenverwandte , der Graf Julius , war der letzte der jüngern Linie gewesen . Er hätte noch länger leben können , wenn nicht zu rascher Genuß seine Tage abgekürzt hätte . Als Jüngling vaterlos geworden , gebot er über ein bedeutendes Erbe , dem er auf keine Weise vorzustehen wußte . Kühnheit und Leichtsinn verwickelten ihn in vielfältige Abenteuer , er glänzte am Hofe , er wollte auch zu Hause glänzen ; dieser gedoppelte Aufwand hätte die Minen Perus erschöpfen können . Bald war er von Gläubigern umringt , sah sich in Verlegenheit , und bei seinem gänzlichen Mangel an Erfahrung , ohne Mittel , aus derselben zu kommen . Damals lernte er Hermanns Oheim kennen , welcher in der für Tausende unglücklichen Periode , die unserem Vaterlande angebrochen war , eben sein Glück zu machen begann . Vom düstern kleinen Comptoir im Hinterstübchen eines mäßigen Hauses ging er mit sicherem Schritte auf die Million zu . Schon dachte er an Landbesitz , um seine großen , weitgreifenden Fabrikplane zu verwirklichen . Graf Julius sprach ihn um ein bedeutendes Kapital an , womit die dringendsten Schulden bezahlt werden sollten . Der Oheim pflegte sonst an Verschwender , deren Güter bereits über die Hälfte des Werts anderen gehören , nicht zu leihen . Indessen mußte ihm wohl in diesem Falle der Verschwender selbst eine gute Hypothek sein . Er gab und gab , bis die Besitzungen des Grafen , nach einem freilich wohlfeilen Anschlage , sein waren . Nun erklärte er , nichts mehr geben zu können . Jetzt war der Graf erst in der rechten Not . Die Zinsen verschlangen die Einkünfte , niemand wollte sein Geld mehr bei ihm wagen . Man weiß , wie die allgemeine Verzweiflung jener Zeit auch das Letzte , worauf sich sonst der Mensch verläßt , den Grund und Boden , im Werte heruntergedrückt hatte . Zum zweiten Male erschien ihm der Oheim jetzt als Retter und Heiland . Er schlug ihm einen Verkaufe der Güter vor , wollte sie für die vorgeschoßenen Summen annehmen , und dem Grafen freie Wohnung auf dem Schlosse seiner Väter , sowie eine jährliche anständige Rente gewähren . Das Geschäft war zulässig ; die Gesetze der großen Nation , welche uns beherrschte , hatten bekanntlich alle feudalistischen Beschränkungen des Eigentums aufgehoben . Der Graf frohlockte bei dem Gedanken an ein sorgenfreies Leben , wie seine Imagination es ihm vorstellte ; er schlug ein . Die Rittergüter gingen in die Hände des Bürgerlichen über , das Geld hatte gesiegt . Nach einigen Jahren des Verdrusses , welchen der Graf statt der erwarteten Lebensfreude gefunden , war er gestorben , und an diesen Todesfall knüpften sich die wichtigsten Folgen . Die herzogliche Linie , in der jedoch diese höhere Würde ein neues Datum hatte , war im Besitze der Haupt- und Stammgüter , deren Komplex vor kurzem zur Standesherrschaft erhoben worden war . Aber nie hatte sie unangefochten besessen . Der Ahnherr des Hauses sollte sich nämlich mit einer Person unadligen Standes verbunden haben ; man sprach sogar von der Tochter eines Leibeignen . War dies der Fall , so hatte die Deszendenz natürlich nie ein Erbfolgerecht gehabt , und ihr Besitz war eine Usurpation gewesen . Darauf stützten sich die Nachkommen des zweiten , in die gesamte Hand aufgenommenen Bruders , die Glieder der jungen Linie . Sie behaupteten , und hatten immer behauptet , die rechten Erben der Herrschaft zu sein . Die jüngere Linie erlosch , wie gesagt , mit dem Grafen Julius . Als dem Herzoge diese Nachricht wurde , empfand er eine sehr verzeihliche Freude . Nun waren alle Zweifel , die ihn bisweilen noch in seinem Wirken beunruhigt hatten , getilgt ; der letzte war mit dem letzten Prätendenten in die Gruft gegangen . Heiter hatte er an jenem Abende die Anekdote des Arztes angehört . Man blieb bis spät in die Nacht beisammen , lachte und scherzte über die Torheiten der Menschen , und teilte einander in mannigfachen Wendungen die aus den Memoiristen geschöpfte Überzeugung mit , daß die geringfügigsten Dinge , ein Wort , ja ein Buchstabe die Ereignisse so oder so gestalten . Der Arzt hatte die lustigsten Einfälle über die Ahnfrau , deren reines Geblüt noch eine Untersuchung habe bestehen sollen , nachdem die Möglichkeit einer chemischen Analyse längst verschwunden gewesen sei . Zuletzt brachte er einen Toast auf die Ruhe ihrer Seele aus , in welchen der Herzog munter , die Herzogin gefällig , und Wilhelmi widerstrebend einstimmte . Dieser hatte seine ernste Stimmung nicht verloren , und sagte , als die Gläser klangen : " Mit den Geistern ist nicht gut scherzen . " Am anderen Morgen zeigte es sich , daß die Sache nicht zu Ende sei . Der Rechtsgelehrte , welcher abends zuvor seine Müdigkeit vorgeschützt hatte , um auf dem Zimmer bleiben zu dürfen , überreichte eine Zession , welche der Graf bereits vor einigen Jahren ausgestellt hatte . In derselben trat er alle seine Rechte auf die Herrschaft an Hermanns Oheim ab . Man musterte voll Erstaunen diese Urkunde , man wußte von Mißverständnissen , selbst von Streitigkeiten zwischen beiden Teilen , man konnte sich den Beweggrund zu einem so auffallenden Schritte nicht erklären . Aber alles Erstaunen und Verwundern führte zu nichts . Die Urkunde lag vor ; jede Form war beobachtet worden , man sah sich genötigt , auf den Inhalt einzugehn , womöglich dessen Gültigkeit zu widerlegen . Letzteres versuchte Wilhelmi . " Die Güter , welche jetzt die Standesherrschaft bilden , waren unter der deutschen Reichsverfassung Lehen " , sagte er . " Darauf folgte die Fremdherrschaft mit ihren Umwälzungen , dann der Befreiungskrieg . Der Vater meines Gebieters starb nach dem Frieden . Entweder hat nun der Herzog die Standesherrschaft als freies Eigentum überkommen , oder als Lehen . Im ersten Falle waren alle aus den Rechtsantiquitäten hergenommenen Ansprüche der jüngern Linie erloschen , keine Mißheirat eines Vorfahren kann meinem Herrn noch gegenwärtig schaden . Im letzten Falle hatte nur der Graf , nur er für seine Person ein Familienrecht , welches er einem Dritten , Fremden , Ihrem Machtgeber nicht übertragen durfte . " Darauf erwiderte der Rechtsgelehrte : " Der erste Fall ist nicht eingetreten . Man hat es für gut gefunden , nach der Katastrophe , welche Europa den alten Dynastien zurückgab , die schon halbeingeschlafenen Agnattischen Rechte der Familien wiederzuerwecken . Seine Durchlaucht besitzen Ihre Schlösser nicht , wie der Bauer sein Gütchen , der Bürger sein Haus besitzt . Alle Fehler , alle Mängel aus der ältesten Vorzeit her , haften auf dem jüngsten Erwerber . " " Welche also nur der Agnat , nur der ebenbürtige Anwärter rügen dürfte ! " warf Wilhelmi ein . " Keineswegs " , versetzte der Rechtsgelehrte . " Indem man jene abgekommenen Ansprüche herstellte , ging man , wenigstens hiesigen Landes nicht so weit , auch die Verbindung zwischen Lehnsherrn und Vasallen aufs neue erstehen zu lassen . Nur die persönlichen Rechte der Vettern sind restauriert , sie haben aber eben wegen der nur teilweise geschehenen Operation eine Umwandlung erlitten , sie stehen nun mit allen übrigen gewöhnlichen Befugnissen in Reihe und Glied . Ich frage : warum hätte Graf Julius über die seinigen zu verfügen nicht die Macht gehabt ? " Die Deduktion konnte nicht bestritten werden . Wilhelmi äußerte sich sehr leidenschaftlich über das kindische Halbwesen der Zeit , über das ungeschickte Vermischen von Alt und Neu , über die grellen Widersprüche , die aus dem jetzt so häufig ersichtlichen Mangel an allem Gefühl für die Ergründung der eigentlichen Verhältnisse entsprängen . Der Herzog unterbrach ihn und sagte ruhig : " Der Monarch hat mich durch seine Gnade aus der Reihe der übrigen Untertanen emporgehoben . Wir waren Fürsten des Reichs , das sind wir , ich weiß es , nicht mehr , es kam eine Zeit , in der wir nur gewöhnliche Edelleute gewesen sind . Aber die Zeit ist vorüber . Ich stehe wieder bevorrechtet zwischen Thron und Volk , eigentümlich , nur mir selbst und meinen Pairs gleich da . Ich gehöre der Herrschaft und die Herrschaft gehört mir . Wie kann der Bürger , der Fabrikant diesen Zusammenhäng zerreißen ? " " Der Regent wird den Fabrikanten nicht zum Standesherrn machen " , antwortete der Rechtsgelehrte . " Aber der Bürger kann Rittergüter erwerben und benützen . Keine Verfügung des Monarchen schadet wohlerworbenen Rechten dritter Personen . Graf Julius hatte seine Anrechte als freies persönliches Eigentum erworben . Ew. Durchlaucht sind Standesherr erst seit zwei Jahren , es ist kein Geheimnis , daß Ihre Erhöhung eben wegen der Zweifelhaftigkeit Ihres Rechts so bedeutenden Aufschub gelitten hat . Unsere Zession ist vier Jahre alt . Wir haben bis jetzt damit nicht auftreten wollen , weil der Graf bei seinen Lebzeiten dies unterlassen zu sehen wünschte . Zu allem Überflusse steht in Ihrem Diplom die ausdrückliche Klausel : » Vorausgesetzt , daß die jetzt besitzende Familie ein vollständiges Recht hat « . " Der Herzog erinnerte daran , daß die Linie die Herrschaft seit unvordenklicher Zeit innegehabt habe . Hierauf bemerkte sein Gegner , daß , wie man Gegenseite sehr wohl wisse , der Prozeß zur gehörigen Stunde bei den Reichsgerichten angehoben und immer im Gange erhalten worden sei , daß derselbe aber nach wetzlarischer Sitte unter dem Stabe des Kammerrichters seine Endschaft nicht erreicht habe . Er wies die Abschrift eines Dekrets vor , vielleicht des letzten , welches jener Hof erlassen , und schloß mit dem Anführen , daß das Deutsche Reich bekanntlich noch nicht seit dreißig Jahren aufgelöst sei , und daß mithin von einer Verjährung hier nicht geredet werden könne . Ohne den Vortrag des Advokaten einzuräumen , ließ man die Verhandlung über diese Punkte fallen . Von allen Seiten wurde gefühlt , daß die tote Ahnfrau in dem Streite den Ausschlag geben werde . So ging also doch wieder dieses Gespenst , und nicht in theatralischer , sondern in sehr wirklicher Weise durch das Haus . Die Gegner waren im Besitz der unverwerflichsten Zeugnisse , daß der Ahnherr sich mit einer Jungfrau ehelich verbunden hatte , vor deren Namen das Wortlein von fehlte . Die Extrakte aus den Kirchenbüchern wiesen zugleich nach , daß ein Landmann gleiches Namens erst lange nachher in dem Dorfe , welches sich späterhin zum Residenzflecken der Herrschaft erhob , verstorben war . Man hielt ihn für den Vater des Mädchens ; die regierende Linie , so folgerte man , stammte von einer Bäuerin ab . " Alle diese Stammbäume , welche ich hier vor mir ausgebreitet liegen sehe , beweisen nichts ! " rief der gewandte Konsulent . " Es sind einseitig in Ihrem Hause aufgestellte Tafeln , die noch dazu die untrüglichsten Zeichen später Abfassung an sich tragen . Wir nehmen als möglich an " , fuhr er fort , " daß jener Graf Archimbald seiner Maria Sibylla vom Kaiser den Adel erwirkt hat . In diesem Fall würden wir für ein Geringes abzustehn bereit sein . Die Familienstatuten reden nur vom Adel der Mutter schlechthin , als Bedingung der Erbfähigkeit der Kinder , nicht von altem stifts- und turnierfähigem Adel , wahrscheinlich , weil man an einen anderen gar nicht dachte . Wir sehen jedoch ein , daß unsere Ansprüche dann zweifelhaft würden , und daß , wenn die Sache bei Gericht in die Hände eines Referenten von neuen Ansichten fiele , die geadelte Bäuerin leicht für vollwichtig erachtet werden möchte . Aber wo ist der Adelsbrief ? War er je vorhanden , so muß er doch aufbewahrt , er muß herbeizuschaffen sein . " Über diese Urkunde gab der Herzog eine ablehnende Antwort . Er wußte aus seiner frühen Jugend , daß sie dagewesen war . Noch wie von heute erinnerte er sich des Tages , an dem der alte strenge Großvater sie ihm gezeigt hatte , mit den Worten : betrachte das Blatt , es verteidigt uns gegen die Vettern . Noch sah er mit den Augen des Gedächtnisses die braune Saffiankapsel , in welche der alte Mann sie tat . Nachher war sie verschwunden . Beim Kammergericht hatte man ein Jahrhundert hindurch über den Punkt gestritten , welcher von beiden Teilen zu beweisen habe , und zur Vorlegung des Dokuments war man daher nicht gediehen . Wilhelmi suchte Tag und Nacht im Archive , aber seine Mühe war diesmal , wie früher , vergebens . Darauf eröffnete der Advokat die Vergleichsvorschläge des Oheims . Sie liefen auf eine Halbierung der Güter hinaus . Der Herzog ließ den alten Fabrikherrn einladen , mit ihm persönlich zusammenzutreten . Der Rechtsgelehrte übernahm es , seinen Klienten zum Besuche auf dem Schlosse zu vermögen . In seinen einsamen Augenblicken fühlte sich der Fürst sehr erschüttert . Den wilden verschwenderischen Vetter hatte er nie gescheut , vor dem alten eisernen Handelsmann ergriff ihn eine Art von Geisterfurcht , über die er nicht Herr zu werden vermochte . Mit diesen Schlössern , Feldern und Wäldern durch alle Erinnerungen verwachsen , hielt er es für eine Unmöglichkeit , aus solcher Gemeinschaft zu scheiden . Seine Existenz stand auf dem Spiele , das empfand er , und daß er seinen Sturz nicht überleben wolle , gelobte er sich vor den Bildern der Ahnen . Indessen , gewohnt , immer derselbe zu scheinen , wie es auch innerlich wechselte , zeigte er vor anderen das heitere Antlitz eines Manns , den nichts in Erstaunen setzt . Es war ausgemacht worden , der Herzogin diese Verhandlungen geheimzuhalten . Sie ahnte daher nicht , welche Wolke über ihrem Haupte schwebte . Viertes Kapitel Viertes Kapitel Aber auch sie hatte ihr Leid . Jenes unglückliche Kind des Hauses , die verirrte Johanna lag ihr schmerzlich am Herzen . Endlich , nach vielen vergeblichen Erkundigungen wußte man so viel , daß sie in der großen Stadt im Norden mit dem Manne lebe , dem sie ihr Geschick anvertraut hatte . Das Gerücht sprach von einer Vermählung . Man würde früher ihre Spur gefunden haben , wenn man nicht aus Rücksicht auf den Ruf der Entflohenen alle Nachforschungen nur durch die dritte Hand anzustellen sich genötigt gesehen hätte . Die Herzogin war durch das Ereignis im Innersten verletzt . Den Herzog sah sie beschäftigt , gedankenvoll ; sie meinte das Gespräch mit ihm über diese Verwirrung bis zu einem freieren Zeitpunkte verschieben zu müssen . Inzwischen wollte sie nicht feiern . Sie nahm sich vor , der Unglücklichen zu schreiben ; auf welche Weise dieser Brief zu versenden ? das sollte späterhin überlegt werden . Manche Stunde saß sie , das Haupt auf die Hand gestützt , vor ihrem Schreibtische , nie war ihr etwas schwerer geworden , oft legte sie halb unwillig die Feder weg , endlich kam ein Blatt zustande , in welchem ihre ganze Seele zu lesen war . Der Advokat hatte sich der Herzogin vorstellen lassen , und war als Glied der Gesellschaft aufgenommen worden . Man behandelte ihn artig , wie seine Sitte und Bildung es verdiente . Insbesondere ließ ihm der Herzog die unheilbringende Botschaft nicht entgelten . Denn jener benahm sich bei der Erörterung der Frage : wer hier Herr sein solle ? so verständig und bescheiden , daß der Fürst eher eine Art von Neigung zu ihm faßte . Er hielt ihn unter einigen Vorwänden etliche Tage zurück , weil er immer noch hoffte , Wilhelmi werde die vermißte Urkunde finden , und damit dem ganzen Streite auf der Stelle ein Ende machen . In diesen Tagen ging bei dem jungen Manne eine große Veränderung vor , und er bedurfte der ganzen Festigkeit , welche ihn auszeichnete , um das Gefühl seiner Pflicht in sich lebendig zu erhalten . Teils Wilhelmi , teils der Herzog selbst hatten ihn im Schloß und in den Umgebungen , die nicht leicht ansprechender gefunden werden konnten , umhergeführt . Überall stieg ihm das Bild eines würdigen , stillprächtigen Daseins entgegen , welches auf den Erwerbe verzichtet , weil es in seiner Fülle genug hat . Und wie in einer schönen Landschaft ein klarer Wasserspiegel die reizende Natur ringsumher noch einmal verklärt wiedergibt , so erhielt dieses Bild adligen Lebens zuletzt sein seelenvolles Auge in der Anmut der Herzogin . Vom Herzoge hatte er sich beurlaubt . Bei ihr angemeldet , war er nach einem Gartenkabinette beschieden worden . Himmelblaue Tapeten bedeckten die Wände dieses Zimmers , weiße Meubles mit goldenen Leisten standen umher , von Konsolen herab sahen die Büsten der großen Dichter . Heitere und doch ernsthafte italienische Landschaften füllten die Zwischenräume aus ; auf einem runden Tische lagen rote vergoldete Bände . Der Advokat schlug einige derselben auf , und fand " Hermann und Dorothea " , " Tasso " , " Iphigenia " , Homer , die Gesänge unseres Schiller . Die Herzogin hatte dieses Zimmer vor kurzem erst einrichten lassen ; man brachte dort den Abend zu , wenn es draußen zu schwül war , und genoß der Aussicht auf die neuen Anlagen , welche in stetiger Folge die Blüten jeder Jahreszeit spendeten . Alle Hausgenossen , welche zum Zirkel gehörten , besaßen den Schlüssel zu diesem Gemache , um nach Bequemlichkeit dort verweilen zu können . Er war eine geraume Zeit lang allein , und seine Empfindungen wurden immer trüber , je länger er diese gewölbten Marmorstirnen , diese Prospekte auf Felsen und Palmen , Himmel und Meer betrachtete , oder in die gelbrot glühenden Georginenbeete der holden Fürstin schaute . Der junge Mann hatte nichts von dem , was man heutzutage ästhetische Bildung nennt , aber er folgte einem natürlichen Gefühle . Seine erste Empfindung war stets , andere Menschen für edler und klüger zu halten als sich , und das Lied eines Dichters konnte ihn bis zu Tränen rühren . In diesem , der geistigen Erholung gewidmeten Orte , drängten sich ihm nun alle Anregungen der vergangenen Tage zusammen . Schon erblickte er hier , wo das Schöne gute Menschen beseligt hatte , ein ödes rechnendes Comptoir , schon sah er dort , draußen , quer über die armen Blumen , über den samtenen Rasen einen Weg für Karren und Schleifen zu irgendeiner trostlosen Fabrikhütte führen . Er kam sich selber hassenswürdig und niedrig vor , daß er zu solchem Beginnen die mithelfende Hand bieten wollte . Mit dem Buchstaben eines ungerechten Rechts den geheiligten Zustand so verehrungswerter Personen zu zerstören , es erschien ihm gemein und ruchlos . Aber was sollte er tun ? Wie durfte er eine Treulosigkeit begehen , gegen welche sich alle seine Begriffe sträubten ? Im heftigen Kampfe mit sich selbst ging er auf und nieder , und blickte bald diese bald jene Büste an , als fragte er die Helden des Gesangs um Rat in seiner Not . Denkverse standen mit goldenen Buchstaben unter jeder Konsole . Er las den Spruch unter Schillers Haupt : Die Weltgeschichte ist das Weltgericht ! Und plötzlich kam ihm , wie durch innere Erleuchtung der Entschluß . " Ja " , rief er , " es gibt etwas Höheres , als die Form , und das ist der Gehalt . Über alle Worte und Satzungen hinaus liegen die Quellen des Wahren und Guten . Kein Kontrakt kann uns zu einer Schlechtigkeit verpflichten . Mein Machtgeber kennt den ganzen Stand der Sache , ausführlich will ich ihm melden , was ich hier verhandelt habe , aber dann rühre ich keine Feder mehr für ihn an ! " In einer Selbstvergessenheit , wie sie ihn noch nie überwältigt hatte , warf er sich an einem Sessel vor der Büste des Dichters nieder . Er war mit sich im reinen , er hatte eine neue Richtschnur für sein künftiges Verhalten gefunden . Er gelobte dem Verewigten über ihm , daß er fernerhin nur dem seinen Mund leihen wolle , der ein wirkliches , nicht ein bloß papiernes Recht habe , müsse er auch arm und unangesehen darüber bleiben . So kniend fand ihn die Herzogin . Wer beschreibt ihr Erstaunen ? Bestürzt erhob er sich , und konnte kein Wort vorbringen . " Sie knieten an keiner unwürdigen Stelle " , sagte sie nach einer Pause . " Man hat vor diesem Haupte immer so reine Gedanken . Sei es Ihnen nicht unlieb , daß ich Sie überrascht habe . Ich bin von der altfränkischen Partei , und liebe den tugendhaften Künstler , wie man ihn so schön genannt hat . " Ihr Auge schimmerte , sie nahm eine Rose vom Busen , hauchte einen Kuß darauf , und legte sie auf den Sessel unter der Büste . Er hatte sich inzwischen gesammelt und schon ganz wieder die Haltung des schlichten Geschäftsmanns gefunden . " Ich kann keine Worte vorbringen , welche Ihrer , und der Geister , die uns umschweben , wert wären " , sagte er . " Ich versichre nur , daß es mich sehr freut , auf Ihr Schloß gekommen zu sein , und daß ich hier etwas für meinen Beruf gelernt habe . " Man wechselte noch einige freundliche Reden . Sie empfand ein stilles Zutrauen zu dem Manne , der vor ihrem geliebten Sänger das Knie gebogen hatte , und nun so fest und doch so anspruchslos vor ihr stand . Sie reichte ihm die Hand zum Kusse . Hocherrötend empfing er dieses Zeichen des Wohlwollens . So schied der verwandelte Feind . Fünftes Kapitel Fünftes Kapitel Der Herzog hatte nach der Entlassung des Advokaten in seinen Zimmern ein Standrecht abgehalten . Im Schlosse wankte eine alte Gestalt umher , wie man dergleichen wohl als Erbstück in den Häusern großer Familien antrifft . Ein sechzigjähriger Bedienter , der bei dem Großvater und Vater gedient hatte , und nun noch so mitschlenderte ; derselbe , von welchem der Fremde Wilhelmin so zornig angemeldet worden war . Eigensinnig und unverträglich , war er eine Plage der übrigen Dienerschaft , er glaubte mehr Recht zu haben , als sie , weil er seine Kameraden alle hatte eintreten sehen . Oft hatte man , seiner Unbehilflichkeit wegen , ihn von der Aufwartung bei Tafel entfernen wollen , er setzte sich aber hartnäckig zur Wehre , wenn man sein verjährtes Amt ihm zu nehmen gedachte , und einmal , da man ihn mit Gewalt aus dem Saale trieb , fand man ihn kurz nachher auf dem Söller in unheimlichen Zurüstungen mit Strick und Nagel begriffen . Damals hatte der Herzog befohlen , man solle ihn dulden , und in seinem Wesen gewähren lassen . Diesem Menschen erteilte er jetzt einen ernsthaften Verweis . Er hatte bemerkt , daß jener , statt den Fremden zu bedienen , immer mit der Schüssel an ihm vorübergegangen war , so daß der Gast oft von mehreren Gerichten nichts bekommen hatte . Streng fragte er ihn , was für ein Benehmen das sei ? und verbat sich für die Zukunft dergleichen grobe Nachlässigkeiten . Der alte Erich zitterte vor Ärger . " Es war keine Nachlässigkeit , Ew. Durchlaucht " , rief er . " Ich bin noch so akkurat , wie einer von den Jüngsten . Aber dem sollte ich etwas zu essen geben ? dem ? der uns von Haus und Hof treiben will ? Nimmermehr ! So einer muß hier verhungern und verdursten . " " Was meinst du damit ? " fragte der Herzog betroffen . " Hast du gehorcht ? " " Ich mußte ja das Licht immer zu den Konferenzen bringen . Höre ich nicht , wenn gesprochen wird ? Sehe ich nicht , was zu sehen ist ? " Wirklich hatte der Herzog , gleich vielen seiner Standesgenossen , sich gewöhnt , die Diener nicht für Personen , wenigstens nicht für augen- und ohrenbegabte , zu halten . Manches war schon hin und wieder in Gegenwart der Aufwartenden verhandelt worden , was diese dann zum Nachteil der Herrschaft umhertrugen . Er sagte dem Alten , daß er vernünftig sein , und die Sache bei sich behalten solle . » Die Narren haben ihr Herz im Maul , aber die Weisen haben ihren Mund im Herzen « ; Jesus Sirach am Einundzwanzigsten " , versetzte Erich , der gern in biblischen Sprüchen redete . " Sie denken , ihren Stuhl herzusetzen , aber es wird ihnen nicht gelingen . " Er klopfte auf seine linke Brust . Der Herzog wußte nicht , was der Alte damit sagen wollte , und bedeutete ihn mit finsterer Miene , sich zusammenzunehmen , denn aller Geduld sei ihr Ziel gesetzt . Draußen zog der zornige Greis ein langes Messer , welches er immer unter dem Rocke bei sich trug , aus dem Futteral , und murmelte , mit der scharfen Waffe durch die Luft fechtend : » Wer den Stein in die Höhe wirft , dem fällt er auf den Kopf . Wer einem anderen Schlingen stellt , der fängt sich selber . Wer seinem Bruder Schaden tun will , dem kommt es über den eigenen Hals , daß er nicht weiß , woher ? « Sirach am Achtundzwanzigsten . " Sechstes Kapitel Sechstes Kapitel Die Herzogin an Johanna " Es ist mit dem Briefschreiben eine schlimme Sache . Alles , was man spricht , kann man durch Blick und Ton verdolmetschen , aber die schwarzen Buchstaben stellen sich zwischen unsere Meinung und den Dritten , und wer sagt uns , ob sie unseren Sinn getreu überliefern ? Ich schreibe diese Zeilen mit dem innigen Wünsche , Ihnen und uns etwas Heilsames zu erzeigen ; muß ich aber nicht befürchten , daß Sie statt der Gesinnung nur Worte darin finden werden ? Darf ich von demselben irgendeine günstige Wendung des Ereignisses , welches uns betrübt , erwarten ? Ich lasse meines Herzens Meinung fliegen , wie die Taube aus der Arche ; ob ich ein Ölblatt zurückbekomme , oder nicht ? ist mir unbekannt , aber ich lasse die Taube fliegen . Wir dachten immer über einen Punkt sehr verschieden . Sie hassen die Selbstbetrachtung , Sie glauben , man verliere dadurch alle Freuden des Daseins . Mich dagegen führten die äußeren Dinge von jeher in mein Inneres zurück ; nur was ich dort eroberte , genoß ich als wohlversichertes Besitztum . Solchen Beobachtungen , selbst denen , die anderen niederschlagend gewesen wären , verdanke ich die größten Freuden . Mit Entzücken erinnre ich mich noch des Tages , wo mir zum ersten Male recht tief im Busen die durchdringende Überzeugung von meiner schwachen , hülflosen Weiblichkeit wurde . Es war am Morgen nach einem Ballabende , wo man mich mit den schönsten Artigkeiten überhäuft hatte . Da erhielt ich ein Billet , und sah mich in einer Verlegenheit , die ich mit allem Aufwande meines bißchen Verstandes nicht zu besiegen vermochte , und von welcher ich mir doch gestehen mußte , daß ein kluger Mann sie spielend gelöst haben würde . An jenem Tage gelobte ich mir , nie mich als Opfer meiner Täuschungen bekränzen zu lassen , nichts sein und vorstellen zu wollen , als eine untergeordnete , hülfsbedürftige Frau . Welches Glück , welchen Frieden hat mir diese Erfahrung bereitet ! Ich erzähle Ihnen dieses nur , um Sie womöglich zu überzeugen , daß die Einkehr in uns selbst uns nicht dem Leben entfremdet , uns vielmehr mit freierem Blicke dem Leben zurückgibt . Was haben wir denn eigentlich , wenn wir nichts haben , als unsere Irrtümer und den kühnen Willen , sie , koste es , was es wolle , festzuhalten ? Ein Tröpfchen Wahrheit ist ja mehr wert , als der ganze Strom selbstgeschaffener Einbildungen , auf dem wir , vertrauen wir demselben unser Schiff an , wer weiß ? zu welchen öden Küsten geführt werden . Könnte ich Sie überreden , einmal das , was Sie Unmöglichkeit nennen , zu besiegen ! In jedem Menschen ist ein grauer Fleck , den wir doch ja nicht mit Blumen überdecken sollten ! Jenseits dieser dunklen Stelle liegt erst unser besseres Selbst . Alles , was Sie , wie Sie sich auszudrücken pflegen , hemmt , empfängt Ihren Haß , aber wenn ich Ihnen die Frage vorlegte : ob Sie wohl je erforscht haben , was in Ihnen gehemmt werde ? würden Sie mir Antwort geben können , Johanna ? Die Gegenwart umfängt uns mit den Nebeln augenblicklicher Täuschungen . Dagegen ist die Vergangenheit ein fester Spiegel , in dem wir unser Antlitz erblicken können . Diesen Spiegel will ich Ihnen vorhalten , so gut ich es vermag . Vielleicht zeigt er Ihnen , daß an Ihrem Anzuge etwas zu ändern sei . Als der Herzog mich nach dem Tode seines Vaters heimführte , fand ich Sie im Schlosse . Sie waren der Mittelpunkt des häuslichen Lebens gewesen . Die Dienerschaft hatte Ihnen zu gehorchen , jeder Fremde sah in Ihnen die Dame des Hauses . Was für alle Umgebungen seit lange offenbar sein mußte , das Geheimnis Ihrer Geburt , hatte erst kurz vor dem Tode des Vaters aufgehört , für Sie verborgen zu sein . Die Schwachheit entriß dem Greise das Wort , welches seine Liebe zu Ihnen , und den Platz , den er Ihnen eingeräumt , erklärte . Er wollte in Ihnen vor dem letzten Abschiede nicht bloß die Tochter seiner Wahl , er wollte in Ihnen auch das Kind seines Bluts umarmen . Ich kam nun an , die junge Frau ; in strenger Regel erzogen . Meine Lage war nicht angenehm . Hätte der Vater doch lieber sein Geständnis mit in die Gruft genommen ! Mich dünkt , es ist nie gut , zu erfahren , daß unser Dasein mit den Einrichtungen der Welt in Widerspruch steht . Sie fühlten sich ; was war verzeihlicher , als daß Sie sich in Ihrem natürlichen Rechte zu behaupten suchten ? Sie sind großmütigen Sinns ; vielleicht wirkt es auf Sie , wenn ich Ihnen bekenne , daß ich in den ersten Zeiten meines Ehestandes viel gelitten habe . Ich machte keine Ansprüche , aber ich war denn doch die Gattin des Herrn . Und nichts um mich her war so , wie ich es mochte . Jener Kreis , den Sie herbeigezogen hatten , er war der nicht , in dem mir das Herz aufging , er konnte nie der meinige sein . Große Gaben hat mir der Himmel nicht beschert , aber ich vermag das Wahre vom Falschen zu unterscheiden , und in Ihrer Gesellschaft , bei dem Anblick der allgemeinen Kälte wehte mich oft ein Schauder des Todes an . Ich beschloß , diese Menschen zu dulden , aber ihnen entgegenzukommen , mit dem Wünsche , sie zu fesseln - dazu war ich außerstande . Sie verstanden mein Benehmen Unrecht ; ich fühlte , daß ich bei Ihnen für eine stumpfe , neidische Seele zu gelten begann . Am besten kommen wir mit denen , die uns nachgestellt sind , aus , wenn wir uns geradezu entschließen , sie zu lieben . Ich nahte Ihnen mit dem aufrichtigen Verlangen nach Ihrer Freundschaft . Ob Sie hierunter irgendeine künstliche Absicht suchten , weiß ich nicht . Genug , ich wurde wieder mißverstanden . Sie wichen mir mit der ganzen Gewandtheit Ihres Geistes aus . Nun konnte ich freilich nichts weiter tun , als mich auf meinen Gatten und mich selbst beschränken . Es kam jene Zeit des gegenseitigen Beobachtens und Deutens , die uns beiden wohl immer eine trübe Erinnerung sein wird . Inzwischen setzte der Herzog , welcher , mit wichtigeren Dingen beschäftigt , auf den geheimen Zwiespalt seiner Frauen nicht achten konnte , die Reformen fort , welche er nach des Vaters Tode begonnen hatte . Unter den Klagen entlaßener Müßiggänger , die auf meiner Schwelle lagen , umgeben von verdrießlichen Gesichtern derer , die auf schmalere Bissen gesetzt worden waren , sollte ich ihm mit Meinung und Rat beistehn , ich , die ich mir selbst nicht zu raten wußte , ich , unter deren Füßen der Boden schwankte ! " ( Einige Tage später ) " Am tröpfelnden Tage wünschen wir uns klaren Himmel , und wenn dann der schwüle Druck des glühenden Sonnenbrandes auf uns lastet , so hätten wir gern die kleine Unbequemlichkeit wieder . - Jene , mindestens unschuldige Gesellschaft hatte sich weggewöhnt , dafür kam der Verderber ins Haus , und bemächtigte sich Ihrer . Wie oft wünschte ich , von seiner unheimlichen Nähe bedrückt , mir den Schwarm zurück ! Ich rede von Medon . Ich fürchte ihn nicht , und nichts in der Welt soll mich abhalten , über ihn zu sprechen , wie ich denke . Er ist böse , grundböse ; er ist böser als Worte sagen können . Dieser Mann hat gewiß noch niemand ermordet , aber er wäre imstande , das Menschengeschlecht zu vergiften , um den Raum für seine eingebildete Schöpfung zu gewinnen . Ich schelte Sie nicht , daß Sie in seine Schlingen gefallen sind - mußte ich doch selbst meinen Kopf zusammennehmen , um nicht von ihm bezaubert zu werden . Aber als ich an hundert kleinen untrüglichen Zeichen sah , daß er nur ein Schauspieler , wiewohl ein überaus großer war , daß er mit Wissen , Geschichte , Religion , mit dem Ideellen seiner ganzen Erscheinung immer auf Effekt abzielte , da ergriff mich auch ein Widerwille gegen ihn , wie ich ihn noch nie gegen einen Menschen gefühlt hatte . Mit Entsetzen bemerkte ich , daß Ihre Seele einem solchen Eindrucke nicht zu widerstehn vermochte . Ich sah Ihr wachsendes Zutrauen , ich sah , - verzeihen Sie mir , daß ich es ausspreche - wie er mit Ihnen spielte . Leider sind wir ja immer am schwächsten , wenn wir nicht schwach sein wollen . Der Herzog teilte meine Besorgnisse , die Sie freilich von uns nicht hören mochten . Wir waren nun einmal in Ihren Augen prosaische Naturen . Ich sah Sie dem Abgrunde zuhüpfen , und Sie stießen mich zurück , als ich Sie aufhalten wollte . Was ich lange geahnt , erfolgte endlich : ein auffallender Bruch aller Verhältnisse . Medon nahm Abschied und reiste ; Sie entfernten sich gleichzeitig ohne Abschied , und ein zurückgelaßenes kurzes höfliches Billet sagte uns , daß Sie es Ihrer Neigung angemessen fänden , einen anderen Aufenthaltsort zu wählen . Seit dieser Zeit waren Sie für uns verschwunden . In der alten Burg , wo wir uns auf unserer Rückreise aus Osterreich nach Ihnen erkundigten , haben Sie mit ihm unter fremden Namen einige Monate lang gelebt . Betrachtungen über diese Geschichte anzustellen , halte ich für überflüssig . Redet sie selbst nicht zu Ihnen , so würde mein Wort auch kraftlos sein . Nur noch eins : Nicht die Liebe hat Sie hingerissen . Die Liebe macht still und weich ; so sah ich Sie nie , Sie waren aufgeregt , nicht bewegt . Ihre Unzufriedenheit mit dem , was Ihnen das Schicksal zugemessen hatte , Ihre Sehnsucht nach der Ungebundenheit , die nun einmal dem Weibe nicht beschieden ist , fand an Medons größerer Unzufriedenheit mit den Menschen und mit der Gegenwart , an seinem Fanatismus für einen erträumten besseren Zustand der Dinge , gleichsam die Beglaubigung , den Anhalt . Aus dieser Sympathie des Mißvergnügens ist Ihr Verderben gewoben worden . Die Hand auf das Herz , Johanna , habe ich Unrecht ? Man nennt Sie vermählt . Das glaube ich nicht . Ein Medon verheiratet sich nicht . Sie haben Ihr Los jemandem vertraut , der bei seinen Handlungen sehr wenig an Sie denken wird . Kehren Sie zurück , Johanna ! Sie wandeln einen schmalen gefährlichen Weg ; lenken Sie ein in die gebahnte Straße ! Kein Blick des Vorwurfs wird Ihnen hier begegnen . Der Herzog ist Ihnen brüderlich gesinnt ; die Bitte des sterbenden Vaters bleibt ihm ein Befehl für das Leben . Gern wird er Ihnen das Landhaus , welches Sie liebten , so lange Sie wollen , einräumen . Da können Sie in der Stille , fern von unangenehmen Erinnerungen , sich zurechtfinden , können mit uns wieder anknüpfen , wann und wie Sie mögen . Ihr Ruf ist bewahrt ; die Freunde wissen nicht anders , als daß Sie eine Reise gemacht haben . Mich sehen Sie erst , wenn Sie selbst es wünschen . Kehren Sie zurück , Johanna ! " Diesen Brief , so freundlich er klang und so innig er gemeint war , hatte die Herzogin dennoch mit großem Widerstreben geschrieben . Beinahe hätte ein Zufall das mühevolle Werk vernichtet . Sie besaß einen zahmen Papagei , der frei im Zimmer umherspazierte , und von der Gebieterin verzogen , nach der Weise dieser affenähnlichen Vögel , tausend Possenstreiche ausgehen ließ . Er pflegte in der Regel ernsthaft auf der Lehne ihres Stuhls zu sitzen , wenn sie arbeitete oder schrieb . Als sie eben mit dem Briefe fertig geworden war , schoß er von seinem Platze auf die Klappe des Sekretärs , hatte den Brief im Schnabel , und war damit im Umsehn weg . Schon saß er in einer Ecke , bereit , das Papier mit Schnabel und Krallen zu zerarbeiten . Sie jagte ihm den Raub zwar wieder ab ; ob sie aber sehr gezürnt haben würde , wenn der Vogel die Vernichtung vollendet hätte , steht dahin . Siebentes Kapitel Siebentes Kapitel Während seine Wohltäter auf so verschiedene Weise beschäftigt waren , lag Hermann noch immer in der Bewußtlosigkeit des Fiebers . Beinahe etwas zu hart war er für seinen irrtümlich verwendeten Eifer bestraft worden . Denn der Degen des alten Raufbolds hätte nur noch einen Zoll tiefer zu schneiden gebraucht , so wäre die Leber verletzt gewesen . Eine geraume Zeit lang hatte er ohne Hoffnung gelegen . Nach und nach kehrte die Besinnung zurück , anfangs wie ein dämmernder Traum , dann wie ein blasser , zarter Tag . Als er die Augen aufschlug , sah er einen ernsthaften Mann an seinem Lager sitzen , der ihm die Medizin reichte . Er kannte den Mann nicht . Ein anderer Unbekannter , schwarzlockig , kam und fühlte den Puls . " Wo bin ich ? " fragte er mit matter Stimme . " Bei Freunden " , versetzte der Arzt ; " halten Sie sich ruhig . " Die nächsten Tage vergingen unter der treuen Obhut jener Männer . Er hatte das Gedächtnis eingebüßt . Als man ihm den Herzog nannte , die kleine Stadt , in deren Nähe man ihn verwundet gefunden , wußte er von nichts . Seine Sinne litten an krankhafter Reizbarkeit , wenn er etwas Rauhes anfaßte , schmerzten ihm die Fingerspitzen , ein hartes Auftreten dröhnte ihm im Ohr , das helle Tageslicht hätte er nicht zu ertragen vermocht . Bei der Dämmerung verhangener Fenster bekam er Zeit , seine Lebensgeister wieder zu sammeln . Er fand sich in einem hohen ernsten Zimmer . Alte Stukkatur verzierte die Decke , von den Wänden hingen schwere , rote Tapeten herab , massive , vorzeitliche Meubles standen umher . Große eichene Flügeltüren wiesen nach anderen Gemächern . Kaum hallte ein Fußtritt durch den Gang . Man hatte den Verwundeten absichtlich im stillsten Teile des Schlosses untergebracht . Die Einsamkeit und die altertümliche Umgebung machten einen angenehmen Eindruck auf ihn , welcher durch die Töne der Orgel , zu bestimmten Morgen- und Abendstunden aus der nahen Kapelle herüberklingend , noch verstärkt wurde . Wilhelmi und der Arzt erschienen pünktlich mehrmals des Tages , der alte Erich versah die Aufwartung . Nach und nach traten die Bilder der Tage , welche diesem einförmigen Zustande vorhergingen , aus dem Dunkel , aber wie Schatten , ohne rechten Zusammenhäng . Er suchte nach einem festen Punkte , er hätte sich um sein Leben gern auf eine Gestalt besonnen , die ihm nicht erinnerlich werden wollte . Einst brachte ihm Wilhelmi eine Schale voll der schönsten Pfirsichen . " Diese Früchte schickt Ihnen die Herzogin " , sagte er . Die Herzogin ! Der Name durchzuckte ihn wie ein Blitzstrahl . Sie war es , die Gestalt , nach welcher er vergebens bisher gesucht hatte . Nun sah er sie , nun stand sie vor ihm , in dem feinen , braunen , englischen Kleide ; er hörte sie in der Kapelle ihn zurückweisen , er half ihr vom Zelter , er empfing von ihr das Geld , Flämmchen zu retten . Alles , jeder Moment war ihm mit einem Schlage gegenwärtig . Wilhelmi lächelte über die Ausrufungen , welche bei dieser Gelegenheit laut wurden . " Unsere Fürstin verdient Ihren Enthusiasmus " , sagte er . " Sein Sie nur recht dankbar , wenn Sie Ihr Zimmer wieder verlassen haben werden , sie hat große Teilnahme an Ihnen bezeugt . Man hat Sie uns gerade zur rechten Zeit ins Schloß getragen . Wir anderen sind mit unseren Geschäftsgesichtern jetzt wenig geeignet , sie zu unterhalten , wie sie es verdient . Er ließ Hermann allein , der sich in diesen süßschmerzlichen Fall nicht zu finden wußte . " Aufgedrungen bin ich hier . Welches Geschwätz , daß sie Teil an mir nehme ? Ja , den Almosenanteil eines gewöhnlichen Mitleids ! " rief er aus . Nicht lange konnte er dieser Wehmut nachhängen . Die Türe flog auf , und Flämmchen herein . Tränen im Auge fiel sie ihm zu Füßen , drückte und küßte seine Hand , und war wie außer sich vor Freude , daß man sie wieder zu ihm ge lassen habe . - " Ich hatte das beste Mittel , dich in drei Tagen gesund zu machen , das wollte ich dir eingeben , da rief mich der böse Doktor von dir , und sie haben mich abgesperrt gehalten . O , hier ist es sehr häßlich , alles so gleich und langweilig , wie im Grabe , laß uns bald fort ! " Sie drückte seine Hand so , daß er sie unter empfindlichem Schmerze zurückzog . Langsam kehrte ihm die Erinnerung an diese Figur wieder . " Ich habe meine Wunde um dich bekommen , welche Not wirst du mir noch sonst verursachen ? " sagte er . " Wie konntest du so unbesonnen sein , mir als Knabe zu folgen ? " " Es war doch gut , daß der Knabe bei der Hand war " , versetzte sie trotzig . " Du hättest sonst unter den Fichten verbluten müssen . Wie sprichst du denn ? Ich dachte , die Schmerzen hätten dich vernünftiger gemacht . Wo soll ich anders sein , als bei dir ? " " Es ahnet doch wohl niemand hier dein Geschlecht ? " Sie sah ihn starr an . " Geschlecht ? Was ist das ? " Hermann befahl ihr streng , sich ordentlich zu betragen , und nicht aus dem Vorzimmer zu weichen . Er drohte ihr mit augenblicklicher Verstoßung , wenn sie mit irgend jemand , außer mit ihm spräche . Traurig , den Kopf hängend , schlich sie fort . Der Arzt , der ihn schon für geheilt erklärt hatte , fand ihn gegen Abend verändert . Gemütsbewegung und Sorge hatten ihn aufgeregt , es meldete sich wieder ein kleines Fieber . Auf seine Fragen wollte Hermann mit der Sprache nicht heraus . Die Tür zum Vorzimmer war offen geblieben , Flämmchen saß am Tische und studierte in einem Punktierbuche . Ein verlegener Blick Hermanns auf sie verriet , woher das Fieber rühre . Der Arzt zog die Türe zu . " Beruhigen Sie sich " , sprach er , " Ihr Geheimnis mit dem Mädchen ist unentdeckt , und soll unentdeckt bleiben , wenn Sie vernünftig sind . " " Geheimnis ? Mädchen ? Ich verstehe Sie nicht " , stotterte Hermann . " Gemach , mein Freund , nur keine Maske . Vor seinem Arzte muß man offen sein , auch sind wir in solchem Punkte nicht so leicht zu täuschen . Sein Sie unbesorgt , ich weiß es , sonst niemand . Unser Wilhelmi sieht vor der Verderbnis des Zeitalters im allgemeinen , das besondere Fleckchen zu seinen Füßen nicht , dem Herzog sind alle romantischen Dinge Allotria , um welche sich ein Mann , der Geschäfte hat , nicht bekümmert , und unsere schöne fürstliche Tugend glaubt an nichts Schlimmes , weil sie selbst nie einen bösen Gedanken gehabt hat . Die Kammerjungfer , welche etwas erlauscht haben mußte , hat Sie anschwärzen wollen ; sie ist heute als Verleumderin des Dienstes entlassen worden . Daß ich es treu mit Ihnen meine , können Sie daraus abnehmen , daß ich Ihrem Fritz , oder wie dieser Jüngling sonst heißen mag , sein langes Haar , welches leicht zu einer Entdeckung führen konnte , habe abscheren lassen . Als Schwedenkopf geht er schon eher mit durch . " " Um Gotteswillen , urteilen Sie nicht übel von mir ! " rief Hermann . " Ich brauche mich des Verhältnisses zu jener Unglücklichen nicht zu schämen . " " Ich bin kein Richter , und am wenigsten ein Sittenrichter " , erwiderte der Arzt etwas spöttisch . " Die Moralität unserer Kranken geht uns nichts an . Aber mein tugendhafter Freund , hier in diesem ehrbaren Altvaterschlosse darf der Skandal nicht fortgesetzt werden . Denn ein Skandal bleibt es doch immer , wenn ein verkleidetes Mädchen , welches die Kinderschuhe vertrat , sich bei einem jungen Manne aufhält . Nur unter der Bedingung schweige ich , daß Sie diesen Zwitter so bald als möglich fortschaffen . " Hermann erklärte dem Arzte , daß es sein eigener sehnlichster Wunsch sei , Flämmchen irgendwo sicher unterzubringen . Er wollte ihn über das Mädchen ausholen , bekam aber anfangs nur ziemlich ironische Antworten zu hören , welche deutlich anzeigten , wofür er gehalten werde . Zuletzt gab der Arzt dem Andringen Hermanns verwundert nach , und rief : " Entweder sind Sie ein vollendeter Heuchler , oder hier ist etwas , was mir mein Konzept über die Menschen verrückt ! Wie ? Sie sollten von ihr so wenig wissen , und doch wäre sie bei Ihnen ? Sie hätten sie nicht ihrem Vater entführt ! der alte Johanniter hätte Sie nicht für dieses Unterfangen verwundet ? " " Wer kann das behaupten ? " " Die beiden Alten haben es überall ausgesagt . Ich hatte Mühe genug , die Sache zu stillen . " " In welcher schrecklichen Verlegenheit befinde ich mich ! " seufzte Hermann . - Die Mitteilungen des Arztes flößten ihm ein Grauen gegen das Wesen ein , welches sich so gewaltsam so seinen Spuren nachdrängte . " Sie ist " , berichtete jener , " durchaus und bis in die letzte Faser ihrer Natur Aberglauben , und nie habe ich diese geistige Krankheitsform so rein auftreten sehen . Ich habe jetzt über alles , was uns das Mittelalter von Hexen , Besessenen , Doppelgängern und ähnlichen Fratzen erzählt , durch sie eine andere Meinung bekommen ; diese Dinge waren keineswegs Pfaffentrug ; ich sehe an einem lebendigen Beispiele , daß eine verstörte Einbildungskraft alles das hervorrufen kann . Sie tut keinen Schritt , ohne irgendein willkürliches Orakel zu fragen , sie hat Visionen , sie führt im Mondschein sonderbare Gespräche mit ihrem Schatten , dabei ist sie durchaus nicht heimlich und verschlossen , nein , man kann ihre ganze Verkehrtheit in jedem Augenblicke von ihr erfahren , weil die abenteuerlichsten Dinge ihrem Geiste so gemein erscheinen , wie uns der Wechsel der Tageszeiten . Ihr Verderben wäre sie gewesen , kam ich im rechten Augenblicke nicht noch dazu . Gerade , als Sie in der heftigsten Fieberhitze lagen , fand ich sie im Begriff , Ihnen einen Trank einzugeben , der , wie mich die Untersuchung des Gemisches lehrte , Sie in wenigen Stunden getötet haben würde . Woher sie die Spezies Bebkommen ? Von wem das Zeug bereitet worden ? habe ich nicht ausmitteln können . Zufälligerweise geriet mir kurz nachher eins jener alten verworrenen Büchelchen aus dem siebzehnten Jahrhundert in die Hände , worin allerhand Phantastereien als Naturkunde prunken , und darin fand ich das Arkanum Ihrer unberufenen Helferin als allgemeinen Lebensbalsam Gran für Gran verordnet . " " Aber wie ist nur eine solche Verbildung möglich geworden ? " " Fragen Sie mich in Ernst , so kann ich darauf nur Mutmaßungen mitteilen . Sie wuchs auf unter Leuten , deren eigentliches Geschäft es ist , alle ihre Stunden in Schein und Schaum zu verzetteln . Denken Sie sich lebhaft das Innere einer Komödiantenwirtschaft , und Sie haben das Bild der Gemeinheit und faselnden Dämelei , von welcher das Kind immer umgeben war . Die Einbildungskraft überragt in ihr alle anderen Vermögen , dabei fehlt ihr das Talent der Nachahmung , woraus die Schauspielkunst entspringt . Es mangelte ihr also in jenem Kreise die Möglichkeit , mit dem Äußeren , Wirklichen anzuknüpfen . Sie ist sehr unwissend , Lesen und Schreiben hat man sie zur Not gelehrt , übrigens weiß sie von dem Zusammenhänge der Dinge nichts , und alles Überirdische ist ihr völlig fremd . Gleichwohl will ein lebhafter Sinn , eine entzündliche Phantasie Beschäftigung . Früh mögen ihr manche Sachen in die Hände gefallen sein , die im verflossenen Jahrzehnt Mode waren ; jene talentvoll-bizarren Ausgeburten eines vielgelesenen Autors , worin das Märchenhafte , ja das ganz Unmögliche und Widersinnige dicht an die tägliche Umgebung geschoben wird . Fabeln , die aus fabelhaftem Rahmen blicken , wären wohl kaum imstande gewesen , die junge Törin so zu verwirren , aber diesen alten Weibern , welche so vertraut an der und der Straßenecke sitzen , und dann plötzlich Gott weiß was ? werden , diesen Koboldchen und Diavolinis in Schlafrock und Pantoffeln , vermochte das Gehirnchen keinen Widerstand zu leisten . Sie hat sich eine Art von Fetischismus gebildet , und es ist mir oft merkwürdig gewesen , an ihr dasselbe wahrzunehmen , was man uns von den Völkern erzählt , die sich noch auf der Stufe der Kindheit befinden . Im ganzen bemerkte ich nämlich auch an ihr , daß alle Religion aus dem Schrecken entspringt , und daß der Mensch das Gute und Angenehme als sich von selbst verstehend , hinnimmt . Der große Stein im Schloßhofe , an dem sie sich im Sprunge den Fuß verletzte , ein alter fauler Weidenbaum , der ihr , als sie sich eines Abends verspätet hatte , zum Entsetzen ins Auge glühte , die verwitterten , in den dunklen Gang nach dem Archive beiseite geschafften Gartenstatuen , sind die Gegenstände ihrer heimlichen , fürchtenden Verehrung ; während sie bei keiner Blume an etwas anderes denkt , als daß sie wohl rieche , den Sonnenschein und die gute Speise genießt , ohne darüber nachzusinnen , woher beides stamme . " Achtes Kapitel Achtes Kapitel Eine bedeutende Krankheit kann bisweilen ein Glück sein . Unser Leben wird zur größeren Hälfte von Gewohnheiten , und nur zur kleineren von Freiheit und Entschluß genährt . Gewohnheiten aber sind meistens die Polster , welche die schwachen Seiten unserer Natur sich unterlegen . Eine Krankheit unterbricht nun den einschläfernden Gang dieser Nachgiebigkeiten , und macht es dem Genesenden möglich , sich nicht bloß im körperlichen , sondern auch in einem höheren Sinne , wie neugeboren zu fühlen . Wirklich nahm sich Hermann in den ersten Tagen des wiedergeschenkten Lebens ernstlich vor , künftig vorsichtiger zu sein . Die Äußerungen des Arztes hatten schon ein unangenehmes Streiflicht auf seine Ritterschaft geworfen , und Flämmchens eigene Reden dienten nur dazu , den Tag heraufzuführen , bei dessen Glanze er sich zuletzt wie ein zweiter Don Quijote vorkommen mußte . Das wilde Mädchen hatte gar kein Hehl , daß sie sich bloß vor der Strenge des alten Johanniters gefürchtet habe . Ihre Tugend war durchaus nicht in Gefahr gewesen , das sah ihr Beschützer nunmehr zu seinem Leidwesen ein . Es war ihm unbegreiflich , wie sich ein solches Hirngespinst in ihm hatte festsetzen können , und er beschloß , hinfort noch kälter und klüger zu sein , als er nach seiner Überzeugung bereits war . Die Lage , in der er sich trotz aller Unschuld befand , war sehr zweideutig . Ein junges Mädchen , verkleidet , Tag und Nacht in seinem Vorzimmer zu wissen ; welches Mißgefühl für ihn , welch ein Anlaß zu den übelsten Verwicklungen ! Aber wohin sollte er mit dem Kinde ? Vom Pflegevater , an den er gleich geschrieben , hatte er eine in schwülstigen Ausdrücken verfaßte ablehnende Antwort erhalten . So grausam durfte er nicht sein , ein verlaßenes Wesen von sich zu stoßen ; und konnte er hoffen , daß jemand sich mit dem verwahrlosten Geschöpfe befassen werde ? Diese Sorgen hielten ihn mehrere Tage lang zwischen Furcht und Zweifel gespannt . Niemand konnte er sich vertraun . Dabei war ihm der Mangel an aller ordentlichen Bedienung äußerst lästig . Sein Kaleb war ohne Ohr für die Stunde , ohne Sinn für Ordnung , warf alles unter- und übereinander , und wenn er ihr Anweisungen gab , oder Strafpredigten hielt , so fiel sie ihm um den Hals , statt zu gehorchen . Er war daher fast allein auf sich und seine Hände beschränkt , und dazu kam noch , daß schon ihr Geschlecht ihm verbot , manches von ihr zu fordern , dessen ein Genesender bedarf . Der Arzt , der allein hier hätte einschreiten können , schien , voll Schadenfreude , kein Auge für diese Verlegenheiten zu haben . Konnte ihm etwas seine verdrießliche Situation erträglich machen , so war es der Umstand , daß das Mädchen über alles , was Lüsternheit oder nur Sinnlichkeit heißen mochte , in völliger Unbekanntschaft lebte . Er sammelte hierüber merkwürdige Erfahrungen ein , und mußte die ewige Konsequenz der Natur bewundern , welche immer nur in einer Richtung bildet und mißbildet . Während ihre Phantasie ganz vom Abenteuerlichen und Seltsamen geschwängert worden war , blieb sie rein von allen den Dingen , womit sich sonst in den Jahren der Entwicklung ein stilles und gefährliches Nachsinnen zu beschäftigen pflegt . Mit dem Gedanken , daß er sie heiraten werde , woran sie starr und steif festhielt , verknüpfte sie keine andere Vorstellung , als daß sie sich neben ihm in weichgepolsterter Kutsche wiegen , oder den Schmuck einer vornehmen Dame am Halse tragen werde . Eines Tages war er auf einen Augenblick ins Freie gegangen , und fand sie , als er zurückkehrte , nicht in ihrem Vorzimmer . Am Pfosten des Bettes hing ein Täschchen , wie es schien , vollgestopft . Ein Buch , das hervorsah , machte ihn neugierig ; er nahm das Täschchen und leerte es aus . Da zeigte sich ein sonderbarer Inhalt . Allerhand Dornen , Stäbchen , beschmutzte Bilder , halbzerbrochene Whistmarken kamen zum Vorschein . Ein sogenannter Krötenstein wurde sichtbar , nebst Stücken von einem Kindesschädel . Er sah ein Band von ungewöhnlicher Farbe , auf dem fremdartige Charaktere eingestickt waren , vermutlich das Ordensband einer Loge , irgendwo verlorengegangen . Er öffnete ein zugenähtes Säckchen ; dieses fand er mit Salz und Kümmel angefüllt 1 . Er schlug die Büchlein auf , welche das Täschchen enthielt , und sah die Vermutung des Arztes bestätigt . Es waren einige von den Sachen , die vor Jahren die Einbildungskraft aller jungen Leute so sehr in Bewegung setzten : die " Teufelselixiere " , der " Goldene Topf " , " Rasmus Spikher " u.a.m . teils vollständig , teils in zerlesenen Bogen und Blättern . Er hielt also den Kram in Händen , welcher das Gehirn des armen Kindes verdreht hatte . Mit der Vertilgung dieser äußerlichen Dinge meinte er den Aberglauben an der Wurzel zu zerstören , und warf daher alles rasch in das herbstliche Kaminfeuer . Neuntes Kapitel Neuntes Kapitel Eine geheime Scheu hatte ihn noch immer abgehalten , sich seinen Wohltätern vorstellen zu lassen , obgleich er das lebhafteste Verlangen empfand , der edlen Herzogin wieder in das Antlitz zu sehen . Er errötete , wenn er ihrer gedachte , und verschob den Tag des Besuchs von Woche zu Woche , unter dem Vorwande , daß er noch zu angegriffen sei , um in Gesellschaft erscheinen zu können , obgleich der Arzt ihm längst alle Rechte der Gesunden eingeräumt hatte . Diesem Manne mußte er sich dankbar und verpflichtet fühlen ; dennoch empfand er kein Behagen an seinen Gesprächen . Der Arzt hatte seine Wissenschaft mit Geist und Freiheit studiert , die verwandten Naturgebiete waren von ihm in den Kreis der Betrachtung gezogen worden , er teilte sich gern und ausführlich mit . Aber freilich hatten diese Studien die gewöhnliche Folge gehabt . Dem Eingeweihten war das animalische Leben die Hauptsache geworden . Von Natur zweiflerisch gesinnt , hatte er durch ein wundes Verhältnis welches ihn heimlich peinigte , einen noch schärferen Blick für den Zwiespalt der einzelnen Dinge bekommen . Alles Geistige und Gemütvolle fand an ihm einen entschiedenen Verneiner , der die ätzendsten Einwürfe im ruhigsten Tone vortrug . Jene trostlose Meinung , daß der Mensch sich nur durch eine Art von höherem Instinkt über das Tier erhebe , trat hier in reiner ausgeprägter Gestalt auf . Der Arzt war unerschöpflich in Beispielen , welche beweisen sollten , daß alles ideelle Streben der Menschheit und des Menschen immer nur zur Torheit oder zum Verbrechen geführt habe , daß der Kreis , in welchem sich die Geschlechter umherdrehn , ein überaus kleiner sei , und daß nur die unermüdliche Einbildung der Selbstgefälligkeit ihn zu einem großen erweitre , oder seine Peripherie in die beliebte gerade Linie nach dem sogenannten Ziele der Vollkommenheit verwandle . Hermann hatte sich , wie wir wissen , selbst für einen frühreifen Propheten des Nihilismus gehalten . Wie aber das Licht der Kerze neben der Strahlenglut der Sonne erbleicht , so schmilzt die Spielerei eines angeeigneten Wahns am Feuer einer echten Gesinnung . Er bestritt den Arzt mit allen Waffen , die ihm zu Gebote standen , und führte die Sache der Begeisterung , so gut er konnte . An Eifer fehlte es ihm nicht , aber die Rüstkammer , welche für solchen Streit nur in der Geschichte oder in dem eigenen , auf große Weise geführten Leben anzutreffen ist , war ihm verschlossen . Sein Leben , wenn er es gründlich untersuchte , erschien ihm ziemlich dünn , und die Geschichte hatte er , wie er zu seinem Schrecken bemerkte , über der Beschäftigung mit den Zeitungen bis auf einige allgemeine Umrisse fast vergessen . Der Fülle von Stoff , welche der Arzt phalanxartig ihm entgegensetzte , wußte er selten auslangend zu begegnen , und mußte sich eines Tages , als jener jede eigentliche Freundschaft bestimmt leugnete , und mit grausamer Deutlichkeit alle Verbindungen unter Männern aus dem Interesse ableitete , mit dem Argumente der Frauen helfen ; daß er trotz allem Gesagten doch fühle , es sei anders und besser . " Orest und Pylades , Damon und Pythias gehören in das Reich der Fabeln " , sagte der Arzt . " Wenn es wahr ist , was man von Jonathan erzählt , so sehe ich darin nichts Großes . Er wußte recht wohl , daß er von seinem Vater Saul wenig zu befürchten habe , und daß es immer vorteilhafter sei , sich zur aufgehenden Sonne zu halten , als zur sinkenden . Und so geht es noch heutzutage . Wie empfindsam wurde der Göttingische Dichterbund ausgeputzt ! Die Jünglinge umarmten einander unter der Bundeseiche unweit der Leine , hoben die Finger empor und leisteten den Schwor ewiger Treue , Klopstock erschien in ihren Versammlungen als Oberpriester und Erzdeutscher ; wie schön , wie erhebend ! Die Treue hielt auch vor , solange einer vom anderen regelmäßig seine Ode empfing ; als aber dieser Tauschhandel wechselseitiger Begeisterung flau wurde , schlief die Liebe allgemach ein , und an ihrer Stätte erwachte ein grimmiger Haß , der noch nach Jahren gedruckt hervorbrach , und von dem wenigstens ich den Grund nur darin finde , daß Voß Stolberg und Stolberg Voß zu besingen überdrüssig geworden war . Glauben Sie mir , die Sache steht , nüchtern betrachtet , so : Jugendfreundschaften dauern nie aus , und was in den späteren Jahren Freundschaft genannt wird , bezieht sich auf Sachen und Zwecke , nicht auf die Person . Wenn man aufrichtig sein will , so wird man sich gestehen müssen , daß ein Mann immer vor dem anderen im letzten Winkel seiner Seele einen geheimen Widerwillen behält . Auch in dieser Hinsicht sollten wir uns von unseren Mitgeschöpfen nicht so weit entfernt glauben . Der Sozietätstrieb läßt sich nicht leugnen ; er ist aber auch in den Ameisen und Bienen , in der Wanderratte , und unter den Vögeln , in den Krähen und Staren sichtbar . Die Freundschaft soll , wenn sie echt ist , reingeistiger Natur sein , nun frage ich : wie kann sie also uns , die wir in Haut und Knochen , Fleisch und Sehnen hängen , eigenen ? " " Mit solchen Reden kann man freilich den Frühling entlauben , die Menschheit entmenschen , und den Himmel entgöttern ! " rief Hermann . - " Sie selbst aber sind , wie alle Verkündiger des Nichts , Ihr eigener Widerleger . Sie fühlen sich zu anderen hingezogen , ohne Eigennutz ; Sie haben Zuneigungen , die um ihrer selbst Willen vorhanden sind , ohne Rücksicht auf Vorteil , oder sonstige unedle Motive . " - " Was wollen Sie damit sagen ? " fragte der Arzt verlegen . " Ich bin geheilt . Ihr Amt hat bei mir aufgehört " , versetzte Hermann warm und eifrig . " Dennoch kommen Sie täglich zu mir . Ich weiß , daß ich Ihnen nichts bieten kann , was Ihren Verstand beschäftigte . Und doch kommen Sie , und wir sind stundenlang zusammen . Soll ich aus dieser Annäherung , wodurch Sie mich höchlich ehren und erfreuen , die Folgerung gegen Sie machen , oder übernehmen Sie dies nun selbst ? " " Ich muß ja wohl " , erwiderte der Arzt , indem er beruhigt Atem schöpfte , und seine Hand aus der Hand Hermanns , ohne dessen Druck zu erwidern , zurückzog . Er sprach von anderen gleichgültigen Dingen , konnte aber ein Lächeln nicht verbergen , womit er hin und wieder unseren Freund von oben bis unten betrachtete . Beim Abschiede sagte er : " Sie glauben nicht , wie unsereinen , jetzt , wo man fast nur eingebildete Kranke unter Händen hat , ein wirkliches großes Übel , wie das Ihrige war , anzieht . Und dann sah ich , als ich Sie baden ließ , daß Sie den schönsten normalsten Körper besitzen , den ich je erblickte . Ich muß gestehen , daß mir ein solcher Leichnam noch nie auf dem anatomischen Theater vorgekommen ist . " Hieraus merkte denn Hermann freilich , daß er dem Arzte mehr ein pathologisches Objekt sei , als ein Gegenstand der Zuneigung . Verstimmt und traurig fand ihn Wilhelmi , der in der Regel gegen Abend kam , mit ihm Schach zu spielen . Zu diesem zog ihn die Sympathie in dem Maße hin , als ihn der Arzt abstieß . Auch hier trat ihm eine verzweifelnde Ansicht des Lebens entgegen , aber die Verzweiflung entsprang aus dem fruchtlosen Suchen nach der irdischen Erscheinung der himmlischen Urania . Wilhelmi gehörte zu den vielen Deutschen , bei denen der Sinn die Tatkraft überwiegt . Es scheint fast , daß man mit einem gewissen Leichtsinn handeln müsse , um eigentliche Resultate zu erblicken . Er war mit seinem bedeutenden Verstande , mit seinen Kenntnissen und Gesinnungen doch nur in kleinliche Verhältnisse geraten ; unter Zaudern und Wählen waren ihm die besten Lebensjahre verstrichen . Nun war er der Diener eines abgelegen hausenden Dynasten , und konnte sich in dieser Stellung unmöglich gefallen . Aus dem Mißverhältnis , in welchem er sich zu seinem Geschicke fühlte , erwuchs ihm das Gefühl für das allgemeine Mißverhältnis in der Welt , ein Gefühl , welches durch körperliche Leiden noch geschärft wurde . Unzufrieden mit allem , was er in der Wirklichkeit sah , erbaute er sich eine Art von Traumwelt , und suchte sich in allerhand Willkürlichkeiten eine problematische Existenz zu gründen , da das Leben ihm die Mittel zu einer anderen nicht bieten wollte . Die Jugend hat einen natürlichen Hang , die Welt anzuklagen , um das Recht zu bekommen , sie zu verbessern , und wer diesen Ton voll und stark erklingen läßt , wird ihr immer angenehm sein . Hermann hatte von dem ernsten verdrießlichen Manne eine hohe Meinung gefaßt , und überbot sich mit ihm in Reden gegen die Menschheit und Zeit , wo es sich denn oft ergab , daß er über das Ganze gerade das Gegenteil von dem sagte , was er kurz vorher dem Arzte gegenüber im Einzelnen aufrecht zu erhalten versucht hatte . Der Schimmer des Geheimnisvollen , welcher Wilhelmi umwebte , vermehrte nur den Eindruck seiner Persönlichkeit . Hermann hatte bemerkt , daß wenn er jenen nach seiner Wohnung im ältesten Teile des Schlosses begleitete , er nicht in das eigentliche Arbeitszimmer des Freundes gelassen , sondern in einem Vorgemache abgefertigt wurde . Die Spöttereien des Arztes über die Höhle des Sehers , welche kein Profaner betreten dürfe , reizten seine Neugier nur noch stärker , und er spürte mehrmals die Versuchung , wenigstens durch das Schlüsselloch in das Mysterium zu blicken , wenn Wilhelmi , ihn zurücklassend , durch die Pforte abschritt , um ein Buch , oder sonst etwas , worauf die Unterhaltung geführt hatte , zu holen . Wilhelmi seinerseits erfreute sich endlich eines geduldigen Zuhörers , ja einer zweiten Stimme in dem Konzerte , welches er so gern anstimmte , und in dem er bisher fast immer nur Solo hatte spielen müssen . Aus dem Zusammenreden entstand bald ein Zusammenempfinden , und da Hermann ihm mit wahrer Liebe entgegenkam , so konnte ein aufrichtiges Wohlwollen des älteren Mannes nicht ausbleiben . Dieser nahm sich im stillen vor , eine Lieblingsgrille , welche er noch niemand zu eröffnen gewagt hatte , mit seinem jungen Freunde auszuführen . Als einige Partien gemacht worden waren , in denen sich Hermann heute ziemlich schwach verhalten hatte , stand Wilhelmi auf , ging mit feierlichem Anstande durch das Zimmer , trommelte sodann auf den Fensterscheiben , und sagte und tat hiernächst gewisse Dinge , die nicht verraten werden dürfen . Seine Mutmaßung bestätigte sich . Hermann antwortete , wie er mußte , und beide schüttelten einander als Brüder einer weit verbreiteten Genossenschaft herzlich die Hand . " Kommen Sie " , sagte Wilhelmi , " ich habe Ihnen etwas zu vertraun . " Erwartungsvoll folgte Hermann seinem Verbündeten durch die langen Gänge des Schlosses . Es war schon spät , und die Fußtritte hallten auf dem Estrich . Wilhelmi nahm in seinem Vorzimmer zwei Armleuchter vom Tische , zündete die Kerzen an , und hieß mit dem Ernste eines Magus Hermann in das Allerheiligste treten . Wir meinen das Studierzimmer . Hier wurde freilich die Erwartung des Gastes enttäuscht . Er sah nichts , als eine Art Faustischer Zelle , wie sie zu jedem deutschen Gelehrten herkömmlich gehört . Bücher standen auf Brettern , die vom Fußboden bis zur Decke emporreichten , Glasschränke mit Antiquitäten und allerhand Seltenheiten nahmen den übrigen Raum ein , jede etwa noch leere Stelle an der Wand war mit einem Kupferstiche , einer Zeichnung , oder einem Risse zugedeckt . Man konnte sich kaum umdrehen . Vergebens aber spähte Hermann nach Geheimnissen . " Warum halten Sie dieses Zimmer so verborgen ? " fragte er ungeduldig seinen Wirt , der mit ängstlicher Sorgfalt einige Federn , die von dem ein für allemal angewiesenen Orte gewichen waren , zurechtlegte . " Hier ist der einzige Raum auf der Welt , wo ich frei Atem hole " , versetzte Wilhelmi . " Zwischen diesen vier Wänden liegt mein Asyl ; hier kann ich sein , wie ich will , und nur mein innigster Freund soll dieses kleine Königreich mit mir teilen . Kein kaltes , kein freches Gesicht störe den Frieden , der hier mich umsäuselt ! Hier bleibe es Ordnung , wenn die Unordnung draußen auch noch so groß wird . " Wirklich schien dieses Gemach , so überfüllt es war , ein Heiligtum sauberer Genauigkeit zu sein . Kein Stäubchen wäre wegzublasen gewesen , denn Wilhelmi fegte selbst mehrmals des Tages alles ab , und dem Diener war nur erlaubt , den Grund zu kehren . Symmetrisch geordnet lagen und standen auf dem Schreibtische Papiere , Federmesser , Brieffalzer in abgemeßener Entfernung voneinander , umsonst würde ein Maler hier das Modell zu der reizenden Verwirrung eines Stillebens gesucht haben . In Reihe und Glied schnurgerade standen die Bücher , von himmelblau angestrichenen Brettern hoben sich die Raritäten hinter wasserhellen Scheiben nett und deutlich ab . " Helfen Sie mir ! " sagte Wilhelmi zu Hermann , der die Totenurnen , die Elfenbeinsachen in den Schränken , die Zeichnungen und Risse an den Wänden betrachtete . Sie gingen in ein Seitenkabinett , und Wilhelmi schlug den Deckel von einem großen Kasten zurück . Mit Verwunderung sah Hermann darin einen vollständigen mystischen Apparat . Als sie ihn auspackten , horchte Wilhelmi auf . " Mir war es " , sagte er , " als hörte ich ein Geräusch . " Im Zimmer war aber nichts zu erblicken . Vorsichtig schloß er die Türe nach außen ab . Hierauf schmückten beide das Zimmer in seltsamer und geheimnisvoller Weise aus . " Tun wir auch recht ? " fragte Hermann bedenklich . " Es ist auf kein Schisma abgesehen " , versetzte Wilhelmi , " ich stelle diese Zeichen nur um uns her , unsere Gedanken von der gemeinen Alltäglichkeit abzusondern , die leider in jedem Momente sich aufdrängt . " Er nahm in einem thronartigen Lehnstuhle Platz , Hermann mußte sich gegenüber auf einem Tabouret niederlassen . Er war sehr gespannt auf das , was aus diesen Anstalten sich entwickeln werde . Wilhelmi begann seinen Vortrag folgendermaßen . Zehntes Kapitel Zehntes Kapitel " Wir können nicht leugnen , daß über unsere Häupter eine gefährliche Weltepoche hereingebrochen ist . Unglücks haben die Menschen zu allen Zeiten genug gehabt ; der Fluch des gegenwärtigen Geschlechts ist aber , sich auch ohne alles besondere Leid unselig zu fühlen . Ein ödes Wanken und Schwanken , ein lächerliches Sichernststellen und Zerstreutsein , ein Haschen , man weiß nicht , wonach ? eine Furcht vor Schrecknissen , die um so unheimlicher sind , als sie keine Gestalt haben ! Es ist , als ob die Menschheit , in ihrem Schifflein auf einem übergewaltigen Meere umhergeworfen , an einer moralischen Seekrankheit leide , deren Ende kaum abzusehn ist . Man muß noch zum Teil einer anderen Periode angehört haben , um den Gegensatz der beiden Zeiten , deren jüngste die Revolution in ihrem Anfangspunkte bezeichnet , ganz empfinden zu können . Unsere Tagesschwätzer sehen mit großer Verachtung auf jenen Zustand Deutschlands , wie er gegen das letzte Viertel des vorigen Jahrhunderts sich gebildet hatte , und noch eine Reihe von Jahren nachwirkte , herab . Er kommt ihnen schal und dürftig vor ; aber sie irren sich . Freilich wußten und trieben die Menschen damals nicht so vielerlei als jetzt ; die Kreise , in denen sie sich bewegten , waren kleiner , aber man war mehr in seinem Kreise zu Hause , man trieb die Sache um der Sache Willen , und , daß ich bei der Schutzrede für die Beschränkung mit einem recht beschränkten Sprüchlein argumentiere : der Schuster blieb bei seinem Leisten . Jetzt ist jedem Schuster der Leisten zu gering , woher es auch rührt , daß kein Schuh mehr uns bequem sitzen will . Wir sind , um in einem Worte das ganze Elend auszusprechen , Epigonen , und tragen an der Last , die jeder Erb- und Nachgeboreneschaft anzukleben pflegt . Die große Bewegung im Reiche des Geistes , welche unsere Väter von ihren Hütten und Hüttchen aus unternahmen , hat uns eine Menge von Schätzen zugeführt , welche nun auf allen Markttischen ausliegen . Ohne sonderliche Anstrengung vermag auch die geringe Fähigkeit wenigstens die Scheidemünze jeder Kunst und Wissenschaft zu erwerben . Aber es geht mit geborgten Ideen , wie mit geborgtem Gelde , wie mit fremdem Gute leichtfertig wirtschaftet , wird immer ärmer . Aus dieser Bereitwilligkeit der himmlischen Göttin gegen jeden Dummkopf ist eine ganz eigentümliche Verderbnis des Worts entstanden . Man hat dieses Palladium der Menschheit , dieses Taufzeugnis unseres göttlichen Ursprungs , zur Lüge gemacht , man hat seine Jungfräulichkeit entehrt . Für den windigsten Schein , für die hohlsten Meinungen , für das leerste Herz findet man überall mit leichter Mühe die geistreichsten , gehaltvollsten , kräftigsten Redensarten . Das alte schlichte : Überzeugung , ist deshalb auch aus der Mode gekommen , und man beliebt , von Ansichten zu reden . Aber auch damit sagt man noch meistenteils eine Unwahrheit , denn in der Regel hat man nicht einmal die Dinge angesehen , von denen man redet , und womit beschäftigt zu sein , man vorgibt . " " Wie wahr ! Wie haben Sie so ganz recht ! " rief Hermann , den Redner unterbrechend , aus . Die Gedanken , welche Wilhelmi vortrug , hatten ihn in die höchste Bewegung versetzt . Jener fuhr fort : " Ich muß Ihnen gestehen , daß mich die Betrachtung der allgemeinen Schwätzerei oft der Verzweiflung nahe gebracht hat . Wenn ich rings um mich nichts als das lose lockre Plaudern vernahm , wenn ich Kunstvereine mit pomphafter Ankündigung von Leuten stiften sah , die kalt an den Werken des Raffael vorübergehen würden , zeigte man ihnen diese , ohne den Namen des Meisters zu nennen ; wenn ich hörte , da habe wieder einmal einer , vom inneren Drange getrieben , das katholische Glaubensbekenntnis abgelegt , von dem ich recht wohl wußte , daß es mit dem religiösen Bedürfnisse bei ihm betrübt stand , daß er nur ein leichter nachgiebiger Weltcharakter war , wenn die Schneeflocken des politischen kalten Brandes mir aus dem Munde solcher entgegenstäubten , von denen ich voraussehen konnte , sie würden nicht der kleinsten Aufopferung für ein Gemeinwesen fähig sein , dann , mein junger Freund , hatte ich Momente , in denen ich mir hätte das Leben nehmen können ! Ich betastete mich und fragte : » Bist du nicht auch ein Schemen , der Nachhall eines anderen selbständigen Geistes ? « Ich grub in die letzten Tiefen meiner Seele , und suchte nach der Affektation , die , das wußte ich wohl , in irgendeinem verborgenen Winkel bei mir ebenfalls lauern mußte . Ich sah ja alles verfälscht , vom armseligen Journalisten und seinem Handlanger an , die beide mit entwendetem Tiefsinn und geraubtem Scharfblick nur ihr trostloses Leben fristen , und ihre winzige Persönlichkeit bemerkbar machen wollen , bis hinauf zum Fürsten , dem ein faselnder Minister allerhand unregentenhafte Kostbarkeiten vor dem Volke in den Mund legt . Sollte ich denn allein eine Ausnahme machen ? " " Sie sind eine ! " rief Hermann begeistert , Wilhelmin feurig die Hand drückend . " Wir leben in einer erbärmlichen Welt , und man möchte mit Feuer und Schwert darein wüten ! " " Da würden wir nebenher auch verzehrt . Nein , bei uns müssen wir beginnen , und mit unserem Selbst den ersten Baustein zum Tempel der neuen Andacht tragen ; Lege den Gehalt einer Gesinnung auch in das kleinste Tun ! Sprich nichts , als was du wirklich gedacht hast ! Sei wahr in jedem Atemzuge ! Nach diesen drei Vorschriften lassen Sie uns jeden Moment unseres Daseins prüfen , und wenn wir selbst auf solche Weise streng gegen uns sind , dann haben wir die Befugnis , unerbittlich gegen andere zu sein . Antworten Sie mir ! Sind Sie durchdrungen von dem , was ich äußerte ? Haben Sie den Mut , mit mir auf der neuen dornigen Bahn zu wandeln ? " " Ja ! " war alles , was Hermann vorbringen konnte . Sein ganzes Leben ging in diesem Augenblicke ihm vorüber . Er fühlte , wie oft er die Fehler und Zweideutigkeiten sich hatte zuschulden kommen lassen , die Wilhelmi so scharf rügte . Die Sucht zu glänzen und zu scheinen , war ihm leider nicht fremd geblieben . Er gelobte sich mit stillem Schwure , ein anderer und besserer zu werden . Wilhelmi nahm einige Zeremonien vor , die wir unbeschrieben lassen . Dann umarmte er den Neophyten , und rief : " So nehme ich dich denn auf , mein Bruder , in den neuen Grad , den ich hiermit stifte ! " Elftes Kapitel Elftes Kapitel " Der Orden , dem Sie und ich angehören , wird bestehen , solange die Welt besteht , denn seine Formen sind ewig und unsterblich . Aber der Stoff , der in das Gefäß getan wird , veraltet von Zeit zu Zeit , oder verbraucht sich ganz und gar , und auf diesem Punkte stehen wir jetzt . Was soll uns die Humanität , die einst in unseren geweihten Hallen zuerst ihr stilles Reich gründete ? Leider sind wir draußen nur gar zu human geworden . Ein neues Licht tut uns Not , dafür wollen wir Lehrlinge suchen , stufenweise sollen sie zu der Erkenntnis geführt werden , daß die Menschheit eine Maße ist , welche der Verwesung entgegengeht , wenn nicht rasch eingeschritten wird . Das sei fortan das Geheimnis unserer Bruderschaft , und in diesem Sinne helfen Sie , mein Freund , den Orden ohne Feindschaft und ohne Kampf in seinem innersten Wesen verjüngen . " Hermanns Busen schwoll von Entschlüssen . Er wünschte sich die schwersten Proben , um den neugewonnenen Sinn für Wahrheit kräftig zu betätigen . " Wir werden keinen leichten Stand haben " , fuhr Wilhelmi fort . " Neben der Schminke und dem Firnis der anderen wird sich unsere Art arm und einfältig ausnehmen . Jeder gibt sich für mehr , als er ist , wir , die wir uns nur zeigen wollen , wie wir sind , werden auch das Wenige nicht gelten , was wir sind . Schlicht und vernünftig sein , heißt heutzutage dumm sein , und wer handelt , ohne Prätentionen zu machen , kann darauf rechnen , übersehn oder gar verachtet zu werden . " " Ist es zu irgendeiner Zeit anders gewesen ? " rief Hermann . " Wollen wir es besser haben , als die tausend Märtyrer vor uns , welche auch litten und bluteten , weil sie sich nicht entschließen konnten , die Gebrechen ihrer Mitwelt zu teilen ? " Jetzt raschelte es hinter dem Postamente der großen etruskischen Vase in der Ecke ganz vernehmlich . Wilhelmi und Hermann sahen nach und standen beide starr vor Erstaunen und Schreck . Flämmchen saß hinter dem Postamente . Sie warf sich zitternd auf die Knie , und rief : " Vergebt mir , ich konnte mich nicht halten ; schon lange wußte ich , daß der Schwarze ein Hexenmeister sei , es zog mich hinter euch her , als ihr fortschlicht . " " Nur erst das hier weg ! " rief Wilhelmi . Beide packten die Heiligtümer stürmisch auf und warfen sie unordentlich in das Seitenkabinett . Unterdessen huschte Flämmchen durch die Stube nach der Türe , um zu entfliehen . Wilhelmi bemerkte es , eilte ihr nach , und hielt sie beim Arm zurück . " Du gehst nicht von der Stelle , bis du gebeichtet hast " , sagte er . " Ungezogener Knabe , wie hast du dich erkühnen dürfen , hier einzudringen ? Was hast du gesehen ? Was hast du gehört ? " - " Alles ! " stotterte Flämmchen . " Mache mich nur nicht tot ! Du hast mit meinem Zukünftigen ein Bündnis gestiftet , und ihn die Künste gelehrt , den Teufel zu zwingen , daß er allen Leuten den Mund aufbricht , damit sie die Wahrheit sagen ! " Hermann mußte ungeachtet des Ernstes der vorhergegangenen Szene lächeln . Wilhelmi schlug sich vor den Kopf , und sagte französisch : " Wenn der Junge ausplaudert , was er erlauscht hat , so werden wir vor dem Herzoge , dem alle höhere Dinge eine Torheit sind , zum Gespötte ! " " Benutzen Sie seinen Aberglauben , ihm die Lippen zu versiegeln " , versetzte Hermann ebenfalls französisch . Flämmchen sah sie beide ungewiß und furchtsam an . Wilhelmi faßte sie am Kinn , hob ihr den Kopf in die Höhe und sagte in einem ruhigeren Tone : " Es ist wahr , daß ich manches verstehe , was kein Mensch sonst weiß . Wenn du aber von dem , was du hier beobachtet hast , eine Silbe verrätst , so dreht dir der Teufel im nämlichen Augenblicke den Hals um ! " Flämmchen legte den Finger auf den Mund , reckte ihn dann wie zum Schwure in die Luft , und sagte : " Wenn ich etwas sage oder merken lasse , so will ich des Todes sein auf der Stelle . Was denkst du auch von mir ? Werde ich mich gegen euch auflehnen ? Weiß ich nicht , daß , wenn ihr durch das Bild stecht , den Menschen der Schlag rührt , daß ihr eure Feinde Totbeten , oder bei lebendigem Leibe verwesen machen könnt ? " - Sie lehnte sich an ihn , und flüsterte mit dem zärtlich-schmeichelnden Ausdruck , der ihr eigen war , wenn sie etwas erlangen wollte : " Lehre mich auch deine Künste ! Oder " , fügte sie hinzu , " entdecke mir wenigstens , wer mir meine Zaubersachen weggenommen hat ? Ach , der böse Mensch ! Alles hat er mir gestohlen , und ich bin ganz arm ! " Ihre Stimme hatte bei diesen Worten etwas so Tiefklagendes , daß Hermann , der schon in den letzten Tagen ihr verzweiflungsvolles Suchen nach den verschwundenen Kleinodien nicht ohne Bewegung hatte mit ansehn können , gerührt wurde . Er wandte sich ab , und sah durch das Fenster in die Nacht hinaus . Wilhelmi dagegen lachte über die Einfalt des Kindes . " Kommt Zeit , kommt Rat " , scherzte er . " Wer weiß , was ich tue , wenn du folgsam und gelehrig bist . Aber jetzt leiste mir zuerst einen Dienst , spring hinab zum Haushofmeister und bestelle ein kaltes Abendbrot , mit dem nötigen Getränk aus meinem Keller , und sage dem Philipp , er solle zwei Couverts auflegen . " " Woher haben Sie diesen Knaben ? " fragte er Hermann nach Flämmchens Entfernung . " Er ist eine Waise aus guter Familie " , versetzte jener beklommen und suchte ein anderes Gespräch auf die Bahn zu bringen . Aber Wilhelmi ließ sich nicht ablenken , und sagte : " Eine seltsame Erscheinung , der Fritz ! dieser Aberglaube ! man sollte kaum glauben , daß dergleichen sich in unserer Zeit noch so ausbilden könnte ! Überhaupt scheint die Natur es mit ihm auf eine Spielart angelegt zu haben . Seine Haut ist fein , wie aus dem Ei geschält , sein Haar das zarteste , was man nur finden kann , und er ist so eigen gebaut , daß , wenn man ihn zum Scherz in Mädchenkleider steckte , jeder ihn für eine Dirne halten würde . " " Wo denken Sie hin ? " rief Hermann roten Antlitzes , gezwungen lachend . Nachdem , wie vorgedacht , die Gesetze des neuen Ordens betätigt worden waren , kam Flämmchen , sich mit einem Korbe schleppend , woraus weißes Gedeck , die leckersten Sachen und einige verpichte Flaschenhälse sahen . " Es geht auf Mitternacht ; dein Philipp ist schlaftrunken , er würfe alles entzwei , ich habe es ihm abgenommen , laß mich euch bedienen " , sagte sie . " Du bist zu ungeschickt " , rief Hermann , der für sein Leben gern das Mädchen entfernt hätte . - " Lassen Sie den Fritz gewähren " , sagte Wilhelmi , " mit meinem Philipp ist in diesem Zustande , den ich an ihm kenne , nichts anzufangen . " Die Ritter der Wahrheit setzten sich hierauf zu Tische . Hermann bemerkte , daß , wenn auch sein Wirt die Welt im ganzen schalt , diese Verachtung sich nicht auf das einzelne gute Eß- und Trinkbare ausdehnte , was noch hin und wieder in derselben angetroffen wird . Man sprach den feinen Sachen , die aufgetragen waren , wacker zu , der köstliche Burgunder , mit dem man begann , wurde nicht geschont , und man ging über die erste Champagnerflasche ohne Zagen hinaus . Wilhelmi hatte sich durch seine Mitteilung einer langgetragenen Bürde entledigt und war unbeschreiblich vergnügt . Er konnte nicht viel vertragen , und mit Erstaunen sah sein Gast , wie er nach den ersten Gläsern aus dem Extreme der trübsten Gedanken , womit diese Zusammenkunft begonnen hatte , in das entgegengesetzte der ausschweifendsten Lustigkeit überging . Er nötigte ohne Unterlaß , erzählte Schnurren über Schnurren , schwatzte von den Abenteuern seiner Jugend , und nannte Hermann , welcher Grund hatte , sich zu schonen , und sich etwas gelinder verhielt , einen finsteren Moralisten . Endlich begann er , Studentenlieder zu singen , in die , da sie alle Freiheit , Bruderschaft und Recht atmeten , Hermann , von dem neugewonnenen Orden entzündet , feurig einstimmte . Nichts exaltiert so , als Singen beim Glase ; bald war unser Freund so laut , als sein Genosse . Flämmchen war unterdessen auch nicht still geblieben . Man hatte ihr in ihrem Winkelchen des Guten , so viel sie begehrte , zukommen lassen , und bald zeigten sich die Wirkungen . Ihr Grauen verschwand , die leichtfertige Natur kam zum Vorschein , sie hüpfte in drolligen Sprüngen durch das Zimmer , umarmte den singenden Wilhelmi und schwor unter Lachen , er sei der lustigste Teufel , den sie je gesehen habe ; schlug Rad , zertrümmerte dabei eine Scheibe an einem Antiquitätenschranke , schlich sich zu den Büsten des Plato und Pythagoras unter dem Spiegel , malte ihnen mit Kohle Schnurrbärte , kurz , sie trieb alle Torheiten , die in einem Zimmer , welches noch vor kurzem ein Tempel der Weisheit gewesen war , nur verübt werden können . So dauerte dieses Bacchanal unter Singen , Schwatzen und Possenreißen fort , bis des Nachtwächters Stimme Zwei abrief . Da nahm sich Hermann zusammen , stand auf , und wünschte seinem Wirte gute Nacht . Wilhelmi überschaute das Zimmer , welches freilich einen ungewöhnlichen Anblick darbot , lachte herzlich , wie ein vergnügtes Kind , und rief : " Hier sieht es munter aus ! " Flämmchen war an einem Stuhle in tiefen Schlaf gesunken . Hermann versuchte , sie auf ihre Füße zu stellen , vergebens ! sie fiel immer wieder zusammen . Er wußte , daß sie von diesem Todesschlummer oft befallen wurde . Endlich lud er sie auf seine Arme und trug sie fort . Ihr Westchen war aufgegangen , die Nadel war aus dem Hemdkragen gewichen , der schönste , jüngste , frischeste Busen sah ihn an , als er sie auf ihr Lager niederlegte . Sein Blut , von der Schwärmerei des Abends erhitzt , wallte siedend auf , er wollte , wie vor einem Gespenste seiner Gedanken sich flüchten , weit , weit weg , und blieb gefesselt stehen , das schöne Kind mit seinen Blicken verschlingend . Endlich drückte er ihr einen heißen Kuß auf die Lippen , Tränen entstürzten seinen Augen ; er meinte , er sagte sich selber vor , daß er das arme verwahrloste Geschöpf aus Mitleid geküßt habe . Durch die Nacht erklang von draußen ein Lied zur Gitarre . Eine tiefe , sonore Baßstimme sang folgende Strophen : Stehe still mein Herz , und rühr dich nicht , Kannst ja ein zweites Herz nicht rühren ! Doch liebe , bis der Tod dich bricht , Ins Land der Kälte dich zu führen . Aus aller Blüten schönem Reich Habe ich die tauben nur erworben , Mein Leben ist ein welker Zweig , Ich bin allein , und schon gestorben ! Verwundert sah Hermann im nahen Hause des Arztes noch Licht . Er überzeugte sich , daß der Gesang aus dessen Zimmer kam . Was hatte der kalte , abgeschloßene Mann mit solchen Gefühlen zu schaffen ? Zwölftes Kapitel Zwölftes Kapitel Wilhelmis Erwachen war äußerst schmerzlich . Der Diener Philipp hatte nicht gewagt , die Unordnung anzurühren ; er ließ alles stehen und liegen . Denn seiner Meinung nach war es bei dem Herrn nicht mit rechten Dingen zugegangen , und er wünschte , daß dieser sich selbst von dem Greuel überzeugen möge . " Bei uns hat der Satan gewirtschaftet , Herr Kammerrat " , sagte der Mensch , als er ihn endlich spät aus dem Bette holte . Wilhelmi fühlte sich matt und angegriffen , aber er meinte in die Erde zu sinken , als er sein Zimmer betrat . Schon der gedeckt stehengebliebene Tisch mit den Resten der Mahlzeit würde hingereicht haben , ihn höchlich zu verstimmen ; was war jedoch dieser Tisch gegen die Stühle , die Flämmchen in ihrem Mutwillen zu einer Pyramide zusammengeschoben , gegen den Tintenstrom , der sich aus der umgeworfenen Flasche ergossen hatte , gegen die zerschlagene Scheibe , und endlich gegen die Schnurrbärte des Plato und Pythagoras ? Ärgerlich befahl er dem Diener , schnell aufzuräumen , und ging zum Herzog , der , wie er hörte , schon nach ihm verlangt hatte . " Nun , Sie sind gestern abend recht lustig gewesen ! " rief ihm der Fürst heiter entgegen . " Ich habe die Genesung unseres jungen Freundes gefeiert " , versetzte Wilhelmi mit halber Stimme . " So werden wir ihn ja endlich auch wohl zu sehen bekommen " , sagte der Herzog einigermaßen empfindlich . " Aber die Briefe , wo sind sie ? lassen Sie mich sie unterschreiben ! " " Welche Briefe , Ew. Durchlaucht ? Ja , die Briefe ! - Großer Gott , die Briefe ! - O ich Unseliger ! " Es war Posttag . Wichtige Geschäftsbriefe , deren Abgang aus manchen Gründen beschleunigt werden mußte , waren zu schreiben gewesen ; Wilhelmi hatte sich vorgenommen gehabt , den Rest des Abends oder den frühen Morgen dazu zu verwenden , als er Hermann in sein Zimmer führte . Pünktlich sonst in seinem Dienste bis zum Pedantischen , war er jetzt so gröblich von der Regel abgewichen , welche den Ehren- und Angelpunkt seines Lebens bildete , und bei welcher Veranlassung ! Er geriet völlig außer sich , und ergoß seinen Kummer , ohne der Gegenwart des Herzogs zu achten , in einer verzweiflungsvollen Rede über die Schwäche und Inkonsequenz des Menschen . Kaum konnte ihn der Herzog , der diesen gewaltsamen Ausbruch eines unbegrenzten Pflichteifers ( denn darin suchte er den Grund desselben ) nicht ungern hörte , durch herablassende und gütige Worte einigermaßen beruhigen . Indessen kleidete sich Hermann an , um seinen Besuch bei der Fürstin zu machen . Zur guten Stunde war ein schwerer Geldbrief vom Oheim angelangt , nebst Abrechnung und Beilagen , die er durchzusehn , sich noch nicht die Zeit genommen hatte . Sogleich war ein Bote im gestreckten Trabe nach der Stadt geschickt worden , um das Notwendigste herbeizuschaffen , was zur anständigen Kleidung gehört . Mit großer Genugtuung vervollständigte er die ihm für Flämmchen anvertraute Summe wieder , von welcher er die Zeit her zu seinen Ausgaben hatte nehmen müssen . Es blieb ihm ein sehr bedeutender Überschuß , er sah sich im Spiegel vorteilhaft ausstaffiert , er fühlte sich frei , berechtigt , wie jeder mit Gelde versehene Mensch . Nur von der Ausschweifung der vergangenen Nacht empfand er noch einige Nachwehen . Aber auch diese verschwanden , als er in das Zimmer der Herzogin trat . Homer erzählt von einem Kraute Moly , dessen Genuß alle Einflüsse unheimlichen Zaubers abwendet , und es war Hermann , als habe ihm ein himmlisches Wesen so ein schützendes Mittel gereicht , da er den holden Duft süßer Wohnlichkeit einsog , der durch das heitere prächtige Gemach hinwehte . Die Herzogin hieß ihn freundlich willkommen ; er wurde aufgefordert , ihrem Stickrahmen gegenüber Platz zu nehmen . Nun war ihm erst wie einem Gesunden zumute . Unterwegs hatte er einen Entschluß gefaßt , den auszuführen er für Pflicht hielt . " Wie ? " sagte er , " du hast gehorcht , du bist im Besitz der Hälfte eines Familiengeheimnisses , und deine Wohltäter wüßten von diesem Umstande nichts ? - Wahr zu sein hast du geschworen , beweise hier auf die Gefahr , in Ungnade zu fallen , daß du deinen Eid halten willst . " Als daher in dem Gespräche eine Pause entstand , fing er seine Beichte an , in welcher er freilich den Umstand betonte , daß ihn nur der Zwang der Umstände zum unerbetenen Vertrauten gemacht habe . Er beteuerte , daß , was er gehört , für ewig in seinem Busen begraben bleiben werde , und schloß mit der Bitte , ihm zu sagen , ob er auf der Stelle einen Ort verlassen solle , wo sein Anblick vielleicht mißfällig sei ? Die Herzogin hatte sich , um ihre Bewegung zu verbergen , anfangs tief auf ihre Arbeit niedergebeugt ; bald aber fand sie sich , und noch während Hermann sprach , faßte sie einen Plan . Sie glaubte , vielleicht zu sehr , an einen vernünftigen Zusammenhäng der Zufälligkeiten in der Welt , und sah in der Dazwischenkunft des jungen vielversprechenden Fremdlings so etwas von einem Winke der Vorsehung . Ganz beruhigt erhob sie daher ihr Haupt , als jener geendet hatte , und sagte : " Daß es mir nicht angenehm sein kann , von Ihnen belauscht worden zu sein , begreifen Sie selbst . Indessen waren Sie unschuldig daran , und damit ist die Sache abgemacht . " Er hoffte , sie werde ihm irgendeine tröstliche Andeutung geben , wie die seine Näherung ablehnenden Worte , welche sie damals zugleich gesprochen hatte , zu verstehen wären , aber vergebens . Schon erwartete er mit Herzklopfen seine Entlassung , als die Herzogin , scheinbar nur , um das Gespräch fortzuführen , einige Fragen nach seiner Vaterstadt tat . Mit weiblicher Feinheit wußte sie den Faden von Straße zu Straße zu spinnen , bis nach dem Hause seiner Eltern , und so war er auf einmal , er merkte selbst nicht , wie , in einer Erzählung von seiner Jugend und von seinen frühesten Verhältnissen begriffen . " Es ist gewiß " , sagte er , " daß dem Menschen nichts mehr schadet , als wenn über dem Gemälde seiner ersten Tage ein verworrenes unruhiges Licht zittert . Das Kind soll , wie die Pflanze , aus festem Boden , unter dem gleichen Scheine der nach ewigen Gesetzen wiederkehrenden Sonne emporwachsen . Ich dagegen bin in einer Lage zum Bewußtsein gekommen , die viel von dem Schwanken des Schiffsbruchs , oder vom Stegreifsleben einer Nomadenhorde hatte . Ich war etwa neun Jahre alt , als es dem damals Allmächtigen beliebte , auch unsere gute ehrwürdige Reichsstadt unter die Fürsorge seines Zepters zu nehmen . Nun sollten wir Franzosen werden , blieben Deutsche , und niemand wußte , was bei der Sache herauskommen werde . Auf großen Tafeln stand mit ellenlangen Buchstaben zu lesen , daß wir jetzt eine Munizipalität , ein Tribunal , und eine Präfektur statt des Rats der Oberalten , des Schoppenstuhls und der Pfennigmeisterei hätten . Die Patrioten zogen sich ins Dunkel zurück , schweigend , wie grollende Titanen , die Geschichte der eigenen Stadt , womit sonst ein Knabe aufgärt wird , blieb uns fremd ; wer mochte von der Vergangenheit reden , der man das ganze Unglück der Gegenwart aufbürdete ? Wir liefen hinter den neuen Mäntelchen , Krägelchen und Schärpen her , bis wir hörten , in den hübschen Kostümen steckten lauter abgefeimte Schelme . Rings um uns zischte es von nichts , als von Bestechungen , Kabalen , Begünstigungen durch die niedrigsten Mittel . Welche Eindrücke für ein junges Alter , worin alles so scharf aufgefaßt wird . " " Sonderbar " , sagte die Herzogin . " Ich lebte damals in Paris . Es war der ruhigste Ort auf der Welt . Niemand fühlte die Bewegung , die den ganzen Erdboden erschütterte . Man sah derselben , wie einem Schauspiele zu ; die Bulletins glichen den Reden der Helden in der Tragödie , und die Trophäen , welche von Zeit zu Zeit anlangten , kamen den Menschen nur wie neue Szenerien vor , womit seine Hauptstädter zu ergötzen , der Gebieter die kluge Gefälligkeit hatte . Aber Ihre Eltern ? " " Sie ruhn in Frieden ! Teuer sei mir das Andenken dieser verehrten Häupter ! Sie haben in mir das höchste Vertrauen erweckt ; warum soll ich zaudern , von allem zu sprechen , was mich bei dieser Erinnerung bewegt ? Außer dem Hause war das Verderben , im Hause gab es kein Behagen . Nicht , daß irgendein Zwiespalt hervorgetreten wäre ; nein , im Gegenteil , mein Vater bezeugte der Mutter nur Achtung und Aufmerksamkeit , und sie war das Muster weiblicher Sanftmut und Unterwürfigkeit . Aber dem Blicke des Kindes blieb nicht verborgen , daß hier doch jene Eintracht der Herzen fehle , die in tausend kleinen unbeschreiblichen Zeichen sich kundgibt . Ernst und still gingen die Urheber meiner Tage nebeneinander her : Wie oft fand ich die Mutter in Tränen ! Wie oft sah ich den Vater , wenn ich von der Straße und meinen Kameraden kam , trüb und gedankenvoll am Fenster stehen ! Sein schwerer Blick ruhte in den Wolken , als suche er da etwas , was ihm auf der Erde mangle . Er hatte viele Eigenheiten . So durfte in seiner Gegenwart nie von einer Hochzeit gesprochen werden . Er geriet , geschah dies einmal zufällig , in eine solche Schwermut , daß er dann mehrere Tage lang für jeden unsichtbar blieb . Eine andere Sonderbarkeit war , daß nichts in der Welt ein Versprechen ihm abzulocken vermochte . » Wir wollen sehen « , war alles , was er auf die dringendsten Bitten erwiderte . Dann aber tat er , was er nur konnte , und dieses ungewisse Wort galt bei den Leuten mehr als ein Eidschwur anderer . Ich liebte meine Eltern herzlich . Mein Vater war mir eine Art Gottheit , die sich in heiliges Dunkel verbirgt . In mancher Nacht lag ich auf meinen Knien , und bat den Himmel , es so zu fügen , daß meine Eltern einander doch auch so liebhaben möchten , wie ich sie liebte . Aber mein Naturell war munter und beweglich ; alle diese finsteren Dinge konnten seine Fröhlichkeit nicht zerstören . Ich war viel außer dem Hause , viel unter anderen Menschen , man mochte mich gern leiden , eine Antwort fehlte mir nie , und mehrere meiner jüngern und älteren Bekannten schienen ein Vergnügen daran zu finden , wenn sie meine Geistesgegenwart auf die Probe stellen durften . Was sonst einem Kinde so natürlich ist : daß es seine Eltern für einen Wall und Rückhalt in jeglicher Not ansieht , blieb mir immer fremd . Sie waren von einem mir unbekannten Leide schon so sehr bedrückt ; sollte ich ihre Verlegenheiten vergrößern ? Nun erschien das Jahr 1813 . Als Siebenzehnjähriger stand ich in den Donnern von Lützen . Da lernte man sich erst recht fühlen , den Schanzen und Kolonnen gegenüber , sich selbst und seinem Schicksale überlassen . Nachher habe ich meine Eltern immer nur auf kurze Zeiten wiedergesehn . Ich studierte , reiste viel , war hier und dort . So bin ich das unruhige , unstete , ach und leider zu früh mit der Welt und ihrem Laufe bekannt gemachte Wesen geworden , welches Sie mit solcher Nachsicht angehört haben . Bringen Sie mich nicht in eine Klasse mit den eitlen , vorlauten , zerstreuten Jünglingen unserer Tage ; ich stehe vielleicht an Geist in keiner Beziehung über ihnen , aber mein Sinn ist anders . Sie sind so höchst zufrieden mit sich , ach ! und ich bin leider so höchst unzufrieden mit mir ! Ich habe keine Jugend gehabt . Ist das vielleicht die Krankheit und der Mangel meiner Natur ? Die Dinge gewähren mir keine Resultate . Alles , was ich anfasse , löst sich unter meinen Händen in ein Abenteuer auf , welches sich immer in die Gestalt meines Vorteils verwandelt . Wer aber wird nicht müde , vom Leben nur die sogenannten Annehmlichkeiten zu erbeuten ? Wer wünschte nicht , daß ihn eine milde Fügung mit gütiger Hand in die Mitte des Dasein stellen , und in dessen Geheimnisse einweihen wollte ? " Die Herzogin hatte mit größerem Interesse zugehört , als sonst den Erzählungen und Klagen der Jugend zuteil zu werden pflegt . " Milde Fügung ! Gütige Hand ! " sagte sie lächelnd . " Es ist schlimm , daß sich die Fügungen nicht bestellen lassen . - Übrigens glaube ich , daß Sie empfinden , was Sie aussprechen . Und daher denke ich , daß die Schicksale nicht ausbleiben werden , nach denen Sie sich sehnen . " Hermann erhob sich . " Mir ist eben von der dunklen Macht , welche unsere Tage beherrscht , eine Frage vor gelegt worden , und wenn ich nicht gar zu unbescheiden erschiene , so möchte ich mir die Antwort wohl hier erbitten . " Er zog ein kleines Portefeuille hervor . " Diese Brieftasche sendet mir mein Oheim " , sagte er . " Ich soll dieselbe nach dem Willen meines Vaters öffnen , wenn ich das vierundzwanzigste Jahr zurückgelegt habe . Die Worte des Verstorbenen besagen , daß ich nicht eher mich ankaufen , nicht eher ein festes Amt übernehmen und hauptsächlich nicht eher mich verloben soll , bis ich den Inhalt kennengelernt . Vor einigen Tagen erreichte ich jenes Lebensalter . Was soll ich tun ? " Die Herzogin sah ihn betroffen an . Dann beschaute sie aufmerksam das Portefeuille . Es war alt , mit kostbarer eingelegter Arbeit von Goldstäbchen , Perlemutter und Steinen geziert . Auf der hinteren Fläche war etwas , wie ein großes Wappen eingebrannt , dessen Embleme sich aber nicht mehr entziffern ließen . Es schien viel gebraucht worden zu sein . Sie hakte an dem silbernen Schlösschen ; sie schien auf einen passenden Ratschlag zu sinnen . " Hat Ihr Vater in seinen Angelegenheiten etwas ungeordnet zurückgelassen ? " " Nein , sein Leben war dem Gange einer wohlgestellten Uhr gleich . " " Sie lieben Ihre Eltern , nicht ? Sagten Sie nicht so ? " Er neigte sich , stumm bejahend . " Lassen Sie das Portefeuille uneröffnet ! " rief die Herzogin . " Alle Geheimnisse sind verderblich , alle ohne Ausnahme . " Er zauderte , es aus ihrer Hand zurückzunehmen . " Die Neugier ist der unüberwindlichste Fehler unserer Natur . " Er wagte nicht , mehr zu sagen . " Sie haben es so gewollt ! " versetzte sie , indem sie es hastig in den Schreibtisch legte . " Nun ist es für Sie verloren , denn mit meinem Willen lesen Sie kein Blatt darin . " Dreizehntes Kapitel Dreizehntes Kapitel Von diesem Tage an war Hermann auf dem Schlosse einheimisch . Der Herzog beruhigte sich bei einer allgemeinen Erzählung über dessen Geschick unter den Tannen , und schien an dem gesitteten , wohlunterrichteten jungen Manne immer mehr Geschmack zu finden . Da er nicht leicht jemand unbenutzt lassen konnte , so brauchte er ihn bald zu verschiedenen Expeditionen , welche jener unter Wilhelmis Oberaufsicht zu seiner Zufriedenheit ausführte . Nur bei einem Geschäfte gelang es ihm nicht , Beifall zu gewinnen . Die Kriegsschäden waren noch zu liquidieren , welche der Herrschaft vom Staate ersetzt werden sollten . Hermann hatte alle Papiere , die sich auf diesen Gegenstand bezogen , erhalten , und nach deren Einsicht eine billige Rechnung aufgestellt , solche Posten , die bestritten werden konnten , aus derselben weglassend . Der Herzog sah die Arbeit voll Verwunderung durch , und fragte kopfschüttelnd , womit er es denn verdient habe , daß Hermann gegen ihn Partei nehme ? Es könne ja die Hälfte mehr gefordert werden . Er zählte die Summen auf , die nachgetragen werden müßten , und versetzte , als Hermann seine Einwürfe dagegen vorbrachte : " Diese Zweifel wollen wir den Herrn Revisoren überlassen . " " Ich glaubte den Sinn Eurer Durchlaucht durch die Art , wie ich dieses Geschäft behandelt , getroffen zu haben " , wandte Hermann bescheiden ein . " Nach meiner Meinung dürfte ein Teil des Schadens gegen den Gewinn aufzurechnen sein , den uns die glückliche Veränderung der Dinge gebracht hat . " " Was ich oder meinesgleichen ihr Großes zu danken hätte , wüßte ich so eigentlich nicht " , versetzte der Herzog . " Über diesen Punkt gilt das : Post hoc , non propter hoc , mit vollem Rechte . Der Adel ist so alt , als die Welt , und daß man wenigstens in Monarchien ihn nicht entbehren kann , werden Sie mir zugestehen . Da nun der Freiheitsschwindel längst vorüber , und alles bereits wieder in die gewohnten Formen eingelenkt war , da man überall große Reichslehen schuf , so würde man sich auch schon wieder nach uns umgesehen haben , und vermutlich ständen wir , wo wir jetzt stehen , wenn auch die Sachen geblieben wären , wie sie waren . " Hermann mußte sich bequemen , eine Kriegsschädenrechnung anzufertigen , die ihm sehr übertrieben zu sein schien . Gefielen ihm nun dergleichen Grundsätze keineswegs , so war sein Mißvergnügen doch nur vorübergehend . Das Schloß , und die ganze Lebensweise darin , übte auf ihn denselben Eindruck aus , von dem wir bereits bei dem jungen Rechtsgelehrten geredet haben . Er empfand ein eigenes Vergnügen , für sich , allein durch die hohen Bogengänge und Hallen , seinen Gedanken überlassen , stundenlang zu wandern , und er hätte nie geglaubt , daß eine so einförmige Tagesordnung , wie sie hier herrschte , ihm , der an Abwechslung gewöhnt war , in dem Grade behagen könne . Er ließ sich von dem Elemente , welches ihn umgab , fortspülen , und schob die Gedanken an die Zukunft weit hinaus . Freilich trug zu seinem Wohlbefinden die Güte , womit ihn die Herzogin behandelte , vieles bei . Sie hatte gewisse Einflüsterungen , die ihr über ihn gemacht worden waren , mit Verachtung von sich gewiesen , und mochte ein stilles Bedürfnis empfinden , den unschuldig Angeklagten durch besondere Freundlichkeit für die ihm zugefügte Unbill schadlos zu halten . Überdies gehörte sie nicht zu den Frauen , die an unmündigen Männern Gefallen finden , und die Sorge für ihre Erziehung sich aufbürden mögen . Hermanns gewandte Entschiedenheit , der leichte Ton , mit welchem er von allem wenigstens zu reden wußte , waren Eigenschaften , die ihm bei ihr nur nützten . Bald erkannte sie auch , daß der Anschein von Übermut und Selbstgenügen , welchen er bei der ersten Begegnung Fremden zeigte , durch die nähere Bekanntschaft sich sehr minderte . Er schadete in der Tat immer nur sich und nie anderen . An tausend Zeichen nahm sie wahr , daß er in jedem Augenblicke bereit sei , sich im Dienste seiner Freunde aufzuopfern . Die Farbe der Zeit konnte er nicht verleugnen , aber im Innersten mußte man ihn für unversehrt erklären . Wenn er seinerseits durch die Bemühungen für den Herzog sich ein stilles Recht auf das längere Verweilen in diesen Mauern zu erarbeiten meinte , so empfing er dagegen durch die Gemahlin nur Geschenke , für welche er sich ewig als Schuldner fühlen mußte . Solange er Rekonvaleszent war , wurde ihm ihre liebende Sorgfalt zuteil . Sie verbot ihm über Tische die Speisen , welche er nach ihrer Meinung noch nicht genießen durfte , sie warnte ihn , wenn ein Abendspaziergang zu lang zu werden drohte . Wir wissen nicht , ob es Absicht oder Zufall war , daß er , als er dies bemerkte , gegen ihre Gebote zu sündigen liebte ; es könnte sein , daß er den Wunsch empfunden hätte , von solchem Munde recht häufig zurechtgewiesen zu werden . Das ist gewiß : er wäre unter diesen Bedingungen gern immer krank gewesen . Bald erteilte auch sie ihm einen Auftrag , welcher ihm angenehmer war , als die Korrespondenz mit Behörden und Verwaltern , die ihn der Herzog besorgen ließ . Sie zog eines Tages ein Heft aus dem Pulte , und fragte , indem sie es ihm zum Lesen einhändigte , ob er wohl glaube , daß in ihr eine Schriftstellerin verborgen sei ? Er sah den Titel an . Es war eine Übersetzung des Romans " Ivanhoe " von Walter Scott . Dieser Autor stand gerade damals bei uns in der höchsten Blüte seines Ruhms . " Erschrecken Sie nicht , wie die Männer pflegen , wenn sie von einer neuen Gelehrten oder Dichterin hören " , sagte die Herzogin scherzend . " Ich habe das Buch nur für mich übersetzt , um die Sprache aus dem Grunde zu lernen , nicht um den Meßkatalog damit zu vermehren . Aber ich möchte , da ich mir einmal die Mühe gegeben habe , es auch gern in vollkommener Gestalt sehen , und wünsche nicht , daß in meinem Büchlein , wie in dem Produkte jener Prinzessin , von der Sie neulich das Märchen vorlasen , der Mond in der Welt hereinscheine . " Sie fragte ihn , ob er die Mühe übernehmen wolle , das Werk von Stilfehlern und grammatischen Unrichtigkeiten zu säubern ? Wer war froher , als er ? Er nahm das Heft mit , und betrachtete innig erfreut die zierlichen perlenrunden Züge der Handschrift , worin eine Zeile , wie die andere , in gleichen Zwischenräumen gerade fortlief . Wenn irgendwo die Schrift die Sinnesart ausdruckte , so war es hier der Fall . Hermann weidete sich an den Blättern , wie an einem Gemälde , bevor er sein Werk begann , welches er auch mehr als galanter Kavalier , denn als kritischer Zensor vollbrachte . Es schien ihm ein Frevel zu sein , diese anmutigen Charaktere zu zerstören ; er korrigierte mit der feinsten Feder , mit den zartesten Strichen . Vierzehntes Kapitel Vierzehntes Kapitel Des Abends waren die Zusammenkünfte gemeinschaftlich . Man hatte festgesetzt , daß jeder aus seinem Fache immer etwas vortragen solle . Im Anfang hielt man auch diese Anordnung aufrecht ; der Arzt handelte allgemein-verständliche Kapitel der Naturwissenschaft ab , Wilhelmi gab einen populären Abriß der neueren philosophischen Systeme zum besten , der Herzog erzählte von der englischen Landwirtschaft , mit welcher er sich gerade eifrig beschäftigte . Da aber nach dem Willen der Herzogin jeder an jedem Abende sein Pensum enden sollte , so wurde der Kursus doch bald gar zu aphoristisch . Die übrigen Männer zogen sich daher mit guter Manier zurück , und das Regiment gelangte unvermerkt an Hermann , der die Poesie und Unterhaltungsliteratur erwählt hatte . Unangenehm war es freilich , daß auch hieraus , nach der einmal gegründeten Sitte des Hauses fast nie etwas Vollständiges zum Vorschein kommen durfte . Der Eintritt des Bedienten , welcher zu melden hatte , daß serviert sei , zerschnitt mit unerbittlicher Strenge die anziehendste Vorlesung mitten im Akt , Szene , Perioden . Die Herzogin hatte eine eigentümliche Gabe , sich an Einzelheiten zu erfreuen , weshalb sie auch weniger nach einem Ganzen verlangte , ja ein solches nur in Einzelheiten aufnahm . Sie schaffte sich alle Blumenlesen und Geister , welche aus den Schriftstellern gezogen zu werden pflegen , mit besonderer Vorliebe an , und nichts glich ihrem Vergnügen , wenn sie einen schönen Gedanken in schöner Sprache außer dem Zusammenhänge mit weniger glänzenden Dingen genießen durfte . Gesellschaft des umherwohnenden Landadels brachte doch meistens wöchentlich eine Abwechslung in den Kreislauf der Stunden . Grade in dieser Gegend waren die Gutsbesitzer unverrückt auf ihren Schollen sitzen geblieben , und hatten von den Ansteckungen des Stadt- und Hoflebens , die dem Adel anderer Orten so gefährlich geworden sind , kaum etwas gelitten . Hermann wunderte sich nicht wenig , als er in den Zirkeln , die er kennenlernte , auf manchen Mann stieß , dessen einfache Denkungsweise ihm Ehrerbietung einflößte , als er selbst hin und wieder Töchter edler Häuser fand , in deren Unterhaltung er sich schon gänzlich resignieren zu müssen gemeint hatte , und die ein sehr gutes Gespräch zu führen wußten . Denn der Adel dieser Landstriche war bei seinen eleganteren Standesgenossen fast im Verruf , und galt nur für eine Sammlung völlig verbauerter Krautjunker . Schlittenfahrten , die , so oft es sich tun ließ , veranstaltet wurden , gaben ihm Gelegenheit , sich als gewandten Vorreiter , oder als ersten Diener der Herzogin , wie er sich gern in ihrer Gegenwart nannte , zu zeigen . Vor allem aber vergnügte ihn die Jagd , die auch wirklich in dem waldig-hügligen Gebiete des Herzogs von großer Ergiebigkeit war . Es freute ihn indessen weniger , ein Stück zu erlegen , als dieses fröhliche Ausziehn in der Mitte lustiger Gesellen mitzumachen , das sachte listige Streifen und Schleichen durch den Nebel über Heiden und Waldplätze zu versuchen , die Geschichten , die Ahnungen und Vorbedeutungen zu hören , das heitere Mal nach vollbrachter Arbeit verzehren zu helfen . Er fühlte sich auf diesen frohen Zügen in solcher Gemeinschaft mit der Natur , dem kräftigen Urzustande der Menschheit so nahe gerückt ! Auch wenn kein größeres Treiben stattfand , lag er mit dem alten Erich , der ein firmer Schütze war , und einem Menschen , der zuweilen herüberkam und der Amtmann vom Falkenstein genannt wurde , viel im Forste , wobei manche Mondnacht im Kreise kahler reifglänzender Bäume auf dem Anstande versessen wurde . Einmal hatte er bei solcher Gelegenheit das fabelhafte Glück , zwei Füchse , die um die Ecke geschlichen kamen , mit den Schüssen seiner Doppelflinte zu töten . Ein Fall , der noch nicht vorgekommen war , und ihm bei allen Weidmännern ein fast mythisches Ansehen gab ! So gingen unserem Freunde wohl- oder übelbeschäftigt die Tage hin . Die Bäume waren kahl geworden , der Schnee hatte die Erde bedeckt , war wieder geschmolzen , und nun kamen aufs neue die Knospen hervor . Seine Gegenwart schien allen willkommen zu sein , es sah aus , als müsse das immer so fortdauern . Nur einmal wurde er zu einem flüchtigen Nachdenken aufgeregt . Sein Tagebuch fiel ihm in die Augen , welches er sonst sehr ordentlich zu führen gewohnt war . Um das Versäumte der letzten Woche , wie er meinte , nachzuholen , schlug er es auf , sah aber zu seinem Schrecken , daß er schon mehrere Monate lang nichts geschrieben hatte . Auch von früher standen nur Notizen mit einem Worte vermerkt , als : " Jagd den und den " , " Gesellschaft aus * " , " Schlittenfahrt nach * " ohne alle weiteren Zusätze . Er besann sich , er hatte geglaubt , daß ihm viel begegnet sei , konnte indessen nichts darüber zu Papiere bringen . Die weißen Blätter sahen ihn wie strafend an ; in diesem Augenblicke hörte er die Herrschaften unten von einer Spazierfahrt zurückkehren , und eilte , indem er das Buch weglegte , hinab , sie zu empfangen . Fünfzehntes Kapitel Fünfzehntes Kapitel Von Flämmchen war nie die Rede gewesen . Die Herzogin hatte sich mit keinem Worte nach dem Kinde , für welches sie ihm Geld gegeben , erkundigt . Unmöglich aber konnte er sich zu einer Beichte überwinden , welche sein angenehmes Verhältnis gestört , ihn lächerlich und verkehrt gezeigt haben würde . Der Arzt , gegen den er , wie die Sachen standen , seinen Widerwillen hatte niederkämpfen müssen , hatte ihm einen Pädagogen genannt , der nach seiner Meinung das Mädchen in die rechte Bahn bringen würde . Diesen wollte Hermann nun baldigst aufsuchen . Vor seinem Ordensgelübde rechtfertigte er das Verschweigen gegen die Herzogin mit der Distinktion , daß man zwar nie lügen müsse , daß es aber zuweilen unumgänglich notwendig sei , die Wahrheit einigermaßen beiseite zu stellen . Was den anderen Ordensritter betrifft , so hatte dieser nach jener mystisch-lustigen Nacht , als deren Anstifter er sich den unschuldigen Hermann einbildete , mit ihm zu schmollen versucht . Bald aber wich dieser künstliche Zorn , und , als ob Torheit fester verknüpfe , denn Vernunft : sie wurden noch bessere Freunde , wie vorher . Gewöhnlich brachte Hermann , wenn die Gesellschaft auseinandergegangen war , noch einige Stunden bei Wilhelmi zu . Dieser war ein erklärter Liebhaber alles Alten und Veralteten ; er besaß die seltensten Sachen und Pergamente . In einer solchen Zusammenkunft holte er eine Urkunde herbei , woraus sich das schönste Licht über die großen Bauverbrüderungen des Mittelalters verbreitete . Alles war darin bestimmt : wie der Gesell dienen solle , wie jeder verpflichtet sei , sein Zeichen zu führen , wie Hader , Schimpf und Unzucht in der Hütte zu meiden , wie wenn einer der Bauleute mit einer anrüchtigen Person notwendig sprechen müsse , er sich mit ihr über Hammerwurfsweite vom Bauplatze zu entfernen habe , und was dergleichen Vorschriften mehr waren , welche alle auf die strengste , sittlichste Geschlossenheit des Handwerks Bezug hatten . Das Himmlische schwebte auch hier über dem Irdischen . Die Verehrung der heiligen drei gekrönten Baumärtyrer : Claudius , Simplicius und Castorius , welche lieber sterben , als einen heidnischen Tempel bauen wollten , war zur unerläßlichen Pflicht gemacht ; kein Tag sollte , ohne sie anzurufen , begonnen werden . " Schöne Denkmale einer untergegangenen Zeit ! " rief Hermann . " Man verwundert sich weniger über jene Riesengebäude , wenn man dergleichen Urkunden durchliest . Und noch klarer begreift man , daß sie jetzt nicht mehr nachzuahmen sind , und daß alle Versuche dieser Art schwach und kindisch ausfallen . Aber was hilft es , Unwiederbringliches zu beklagen ? Wir müssen doch vorwärts ! Niemand kann in den Leib seiner Mutter zurückkehren . " " Und doch müssen die Zünfte wiederhergestellt werden , wenn wir überhaupt noch künftig vor Wind und Wetter geschützt wohnen wollen " , sagte Wilhelmi . " Jetzt , wo jeder baut , wie er Lust hat , sind wir nahe an den Stand der Nomaden zurückgeführt . Das ist auch eine von den Früchten der gepriesenen Gewerbfreiheit , die denn wieder zu den Blüten unserer Kultur gehört . Aber diese sogenannte Kultur scheint mir nur eine andere Barbarei zu sein , der wir entgegengehen , oder vielleicht schon verfallen sind . Denn , wenn die frühere darin bestand , daß niemand oder wenige etwas wußten , so ist die jetzige wohl nicht minder beklagenswürdig , wo alle zu verstehen glauben , was kaum einer oder der andere überwältigt . Das ist eben das traurige Gefühl , was man gar nicht los wird , daß man die Nichtsnutzigkeit der Gegenwart immer empfinden muß und mit seinem Verstande sich doch vorhält , wie schwierig eine Restauration dessen sein möchte , was vor der Welt freilich zur Ruine geworden ist . " " Auch der Adel ist so eine Ruine " , sagte Hermann . " Ich muß immer lächeln , wenn ich sie noch mit ihren Titeln und Würden sich brüsten sehe . Was macht den Adel ? Die Abgeschlossenheit , das Kastenmäßige . Nun aber haben die Besseren sich längst mit dem gebildeten Mittelstande vermischt . Nirgends finden Sie noch in der guten Gesellschaft den Unterschied der Stände . Leben wir hier auf unserem Schlosse anders , als in einer anständigen Bürgerfamilie ? Erinnert irgendeine Etikette daran , daß wir mit Gliedern eines der ältesten Häuser unseres Vaterlandes Umgang pflegen ? " Wilhelmi lachte bitter . " Sie Neuling Sie in der Welt , trotz aller Reisen und Bekanntschaften ! " spottete er . " Ja freilich ist der Adel im Kern verwest , aber das Gehäuse steht noch aufrecht , und man kann sich daran noch immer die Stirn einrennen . Die Lebensluft der Aristokratie ist der Egoismus . Andere Menschen sind selbstsüchtig aus Not , böser Gewöhnung , angeeigneter Maxime . Der Edelmann ist es von Natur , er muß es sein ; mit der Muttermilch saugt er , wie etwas sich von selbst Verstehendes die Überzeugung ein , daß er da sei um seiner selbst Willen , und daß er die Kräfte anderer von Rechts wegen benutzen dürfe . " Hermann sah ihn voll Verwunderung an . " Es macht Sie stutzig , daß ich so rede " , fuhr Wilhelmi fort . " Ich bin alt und verkümmert , und wäre wohl ein Stück weiter , wenn man in mir je etwas anderes gesehen hätte , als ein Lasttier ; denn der Gelegenheiten gab es genug , mir fortzuhelfen . Und so liefre ich in meiner Person und durch meine Tagelöhnerei eben recht den Beweis für den Satz . " Der Adelsfeind würde noch länger in diesem Tone fortgesprochen haben , wenn nicht plötzlich wieder aus der Wohnung des Arztes das düstre Lied erklungen wäre , welches Hermann schon einmal ungefähr um dieselbe Stunde gehört hatte . Wilhelmi horchte auf , und geriet in eine wilde Lustigkeit . " Nichts als Kontraste ! " rief er ; " feuriges Eis , frierendes Feuer ! Hier ein armer Bürgerlicher , der den Adel haßt , und sich doch für die Hochgeborenen totschlagen ließe , dort der ärztliche Verstand , der mit aller seiner Kälte sich vor der unsinnigsten Leidenschaft nicht zu schützen vermocht hat ! Weil er nicht selbst Dichter ist , paraphrasiert er den Byron , und schüttet dessen Schmerzenstöne verdeutscht in die Lüfte ! " " Der abgelebte ausgetrocknete Mensch ! Sagen Sie mir , wen liebt er ? " " Wen ? - Wen er liebt ? Wenn Sie es wissen wollen : die Herzogin ! Nun machen Sie noch einen recht widersinnigen Streiche , dann können wir Terzett singen ! " Sechzehntes Kapitel Sechzehntes Kapitel Ein für allemal war täglich eine Stunde bestimmt , worin Hermann der Herzogin das korrigierte Pensum des " Ivanhoe " zu bringen hatte . An die Verhandlungen hierüber knüpfte sich seit einiger Zeit eine Lektion im Englischen , welche ein junges Mädchen aus der Stadt , über welches die Fürstin Obsorge übte , von ihm empfing . Alles dieses hatte sich , wie von selbst , gemacht , doch war es Hermann schon oft so vorgekommen , als sei der " Ivanhoe " und das Englische nur Nebensache . Er bemerkte , daß die Herzogin seinen Lehren über deutschen Stil eine mehr gefällige als gespannte Aufmerksamkeit schenkte , und die junge Lucie wurde nicht gescholten , wenn sie unter allerhand Vorwänden vor Ablauf des gesetzten Zeitraums der Grammatik entrann , und sich wieder ins Fenster zum Filet setze . Man benutzte diese Zusammenkünfte zu Gesprächen über wichtige Punkte des Lebens ; es schien , daß man unseren Freund von allen Seiten kennenlernen wolle , und er unterließ nicht , als er diese ihm überaus behagliche Absicht wahrnahm , sich im besten Lichte zu zeigen . Nun war durch Wilhelmis unvorsichtige Eröffnung eine gärende Unruhe in sein Blut geworfen worden , und er ging sehr befangen am anderen Morgen zur Herzogin . Daß sie unschuldig sei , unschuldig bis in den geheimsten Gedanken ihrer Seele , davon überzeugte ihn der erste Blick auf diese reine Stirn , in diese milden Augen . Er bedauerte sie , er verwünschte die Begehrlichkeit der Männer , die kein Heiligtum unangetastet lassen können . Der Arzt erschien ihm gemein und niedrig , er fühlte sich berufen , den Ritter jener hochverehrten Dame zu machen . Zerstreuter hatte er nie Unterricht gegeben . Seine Verwirrung erreichte den Gipfel , als der Arzt sich anmelden ließ , und angenommen wurde . Dieser war , wie immer , frei und unbefangen , was unserem Freunde als die äußerste moralische Verdorbenheit vorkam . Er hätte an Pausen des Gesprächs , an einigen verlegenen Bewegungen der Herzogin wohl abnehmen können , daß der Besuch einen Zweck habe , und daß seine Gegenwart nicht ferner gewünscht werde , doch blieb er sitzen , bis ihn die Herzogin auf die freundlichste Weise entließ . Sie hatte dies nie getan , und es kam ihm vor , als ob ihm der Arzt beim Abschiede einen höhnischen und triumphierenden Blick zuwerfe . Er irrte durch den Park , worin es schon grün zu werden begann . Das junge Laub erfreute ihn nicht . Er sah den Herzog kommen , und wich ihm aus . Seine Seele war in einer wogenden Bewegung , in einem unbestimmten Verdrusse , voll Mißmut , der eigentlich keinen Gegenstand hatte . Die Stunden bei der Herzogin gingen fort , aber wie sehr hatte sich seine Stimmung in ihnen verwandelt ! Nun war ihm die Plauderhastigkeit der kleinen Lucie , welcher ihre Beschützerin viel Freiheit eingeräumt hatte , äußerst zuwider . Das Geschrei des Papageien , über welches er sonst gelacht hatte , klang ihm jetzt ganz unerträglich , und er begriff nicht , wie eine Dame von so feiner Konstitution das überlaute Tier in ihrer Nähe dulden konnte . Die abendlichen Versammlungen gereichten ihm zur Pein , er nahm sich jeden Tag vor , aus denselben fort zu bleiben , und saß doch regelmäßig , wenn die Glocke geschlagen hatte , mit empfindlichen Schmerzen auf seinem Stuhle . Alles war ihm durch die unglückliche Entdeckung verschoben und zerstückt . Sein durch üble Laune geschärfter Blick sah nunmehr auch so manches um ihn her , was ihm lächerlich und abgeschmackt vorkam . Er bemerkte , daß man das Wappen des Hauses überall angebracht hatte , wo sich nur ein Plätzchen dafür finden wollte ; über Toren und Türen , Sälen , Zimmern , Gartenhäuschen und Vorratskammern , und er konnte aus der Neuheit vieler Verzierungen dieser Art abnehmen , daß sie erst während der Besitzzeit des Herzogs entstanden sein mußten . Wilhelmis Sarkasmen über den neualten Aufputz , der hin und wieder im Schlosse sichtbar war , klangen ihm wieder vor den Ohren . Wirklich sahen einige Räume sehr buntscheckig aus . Des Herzogs Vater , ein Charakter , wie er im achtzehnten Jahrhundert unter vornehmen Edelleuten nicht selten vorkam , war im Sinne seiner Periode liberal und modern gewesen . Französische Papiertapeten , Goldleistchen , Phantasieblumen , leichte geschnörkelte Meubles verdrängten den alten schweren Schmuck . Der Sohn , fast in allem ein Gegensatz seines zu Genuß und Empfindsamkeit aufgelegten Vaters , ließ , sobald Graf Heinrich in die Gruft der Ahnen gegangen war , was noch von früheren Zeiten übriggeblieben , wieder hervorsuchen , und machte die Kontrerevolution , inwieweit es anging . Da kamen die bunten Schäfer und Landschaftsbilder , die massiven Schränke und Tische aus ihrem Versteck , aus Böden und Verschlägen wieder hervor , und nahmen sich nun freilich neben den übrigen Dingen im neusten Geschmack seltsam genug aus . Der Herzog äußerte , wenn ihm der Kontrast von Eichenholz und Mahagoni , von dickem Damast und dünner Seide selbst auffallend werden wollte , daß es besser sei , ohne Kosten sich mit den alten soliden Sachen zu helfen , die trotz ihres Jahrhunderts noch aussähen , wie von heute und gestern , als neue Fabrikate anzuschaffen , gegen deren Dauerhaftigkeit jeder ein entschiedenes Mißtrauen empfinden müsse . Hermann sah aber in seiner jetzigen Verstimmung nur das Ungereimte solcher Zusammenstellungen . Und bald überzeugte ihn ein kleiner Vorfall noch mehr , daß er sich unter Menschen anderer Art und Natur aufhalte . Er bemerkte eines Tages , daß unter den Arbeitern im Garten ein Rennen und Treiben entstand , und sah mit nicht geringem Erstaunen nach kurzer Zeit die wohlbekannten Figuren , welche soeben noch in ihren kurzen Jacken gesteckt hatten , in schönen roten Uniformen einherstolzieren . Eine Trommel ließ sich vernehmen , und bald war ein Häuschen vor dem Schlosse , welchem sich dieser Gebrauch sonst nicht ansehen ließ , als Hauptwache von den neugeschaffenen Soldaten besetzt . Zwei Schildwachen faßten gravitätisch vor der Rampe des Mittelgebäudes Posto , kurz , ein kleiner Militärstaat wuchs im Augenblicke , sozusagen , aus der Erde . Als er sich nach der Ursache dieser plötzlichen Verwandlung erkundigte , hörte er , daß der Herzog das Recht der Standesherrn , eine Leibwache zu halten , auf diese Weise ausübe . Man habe vernommen , daß ein fremder General noch heute ankommen werde . In solchen und ähnlichen Fällen nun , wo es gelte , den Glanz des Hauses zu zeigen , werde die Armee zusammenberufen , für welche jeder Arbeiter zugleich geworben sei , und welche nur so lange bestehe , als die Veranlassung währe . Wirklich sah Hermann noch vor Abend die Posten von dem Schlosse abziehen , die Hauptwache verlassen , und die Arbeiter wieder rüstig in ihren Jacken schaufeln und jäten , denn die Nachricht mit dem fremden Generale hatte sich nicht bestätigt . Dergleichen Beobachtungen führten ihn darauf , über die Schlußworte in dem Briefe seines Oheims nachzusinnen . Sie lauteten folgendermaßen : " Du bist da in Umgebungen geraten , wo Du nur verdirbst . Traue ihnen nicht , sie meinen es immer falsch mit uns . Deinen Vater haben sie zum unglücklichen Mann gemacht , laß Dich von seinem Schicksale warnen . " Siebenzehnte Kapitel Siebenzehnte Kapitel Um Flämmchen hatte er sich seither wenig bekümmert . Sie zeigte nach dem mystischen Abende eine heftige Neigung zu Wilhelmi , und schien die Hoffnungen ihres Wahnglaubens auf ihn gesetzt zu haben . Wo er ging und stand , suchte sie ihm zu dienen , und war endlich durch Dreistigkeit und unermüdliches Verfolgen dahin gelangt , daß ihr Wilhelmi erlaubte , einen Teil des Tages bei ihm im Archive zuzubringen , wo er sich im Schweiße seines Antlitzes bemühte , Ordnung zu stiften , soviel dies möglich war , denn die Eigenheiten des Herzogs legten ihm große Schwierigkeiten in den Weg . Flämmchen durfte ihm dabei zur Hand gehen , sie brachte ihm die Akten und Skripturen zu , versah sie mit Papierstreifen und was dergleichen mechanische Dinge mehr sind , welche bei einer Arbeit dieser Art so vielfach vorkommen . Wilhelmi fand sie in allem , was er ihr auftrug , äußerst brauchbar ; er gewann den munteren bildschönen Knaben lieb , und sprach eines Tages gegen Hermann die Bitte aus , ihm den Jungen ganz zu überlassen . Dieser geriet hierdurch in eine große Verlegenheit . Er sah zwar , daß sein Freund wirklich , wie der Arzt sagte , blind für alles Nächste war , allein irgendeine Unbesonnenheit Flämmchens konnte ihm dessen ungeachtet mit jedem Tage gewaltsam die Binde von den Augen reißen . Er kannte Wilhelmis strenge Grundsätze , und wenn er auch hoffen durfte , diese durch einen wahrhaften Bericht zu beschwichtigen , so mußte er doch von dessen Hange , alles gleich auf die Spitze zu stellen , den schlimmsten Verrat fürchten . Sein Aufenthalt im Schlosse war ihm ohnehin verleidet , er nahm sich daher kurz und gut vor , zu reisen , und den ihm empfohlenen Pädagogen um Erlösung aus seiner seltsamen Not zu bitten . Indessen mußte in der Zwischenzeit für sie gesorgt werden . Trotz seiner Abneigung gegen den Arzt , die zuletzt fast in Verachtung übergegangen war , sah er sich gezwungen , mit diesem über ihre vorläufige Unterbringung zu verhandeln . Der Arzt empfing ihn zwischen seinen Elektrisiermaschinen und Spirituspräparaten höflich , als sei nichts vorgefallen . Er wußte gleich Rat . " Sie soll " , sagte er , " solange Sie abwesend sind , zu meiner alten Kräutersammlerin gebracht werden , und wir wollen sofort mit dieser die Sache richtig machen . " Sie ritten auf Wegen , die Hermann noch nie betreten hatte , durch ein wüstes Hügelland , und kamen in ein abgelegenes Tal , welches , obgleich in geringer Entfernung von menschlichen Wohnplätzen , den Charakter völliger Einsamkeit zeigte . Freilich waren die Pfade , die hineinführten , die schlechtesten , sie hatten sich mehrmals genötigt gesehen , abzusteigen , und ihre Pferde hinter sich herzuleiten . Ein Bach floß hindurch ; an demselben zwischen alten Rüstern stand die Hütte der Alten , gegen den Stamm der einen gelehnt . Die Alte kroch zwischen den Klippen umher , und sammelte Pflanzen . Vor sich hatte sie ein blendendweißes Tuch ausgebreitet , auf welches sie die grünen Sprossen und Blätter mit Bedachtsamkeit legte . " So fleißig , Mutter ? " rief sie der Arzt an ; " habt Ihr gesucht , was ich haben wollte ? " - " Nur der Waldmeister fehlt noch " , versetzte die Alte in ihrer gebückten Stellung und ohne sich stören zu lassen , " sonst ist alles da , was Sie befohlen . " " Laßt es jetzt sein , und kommt herunter zu uns , wir haben mit Euch etwas auszumachen " , sagte der Arzt . Ungern schien sie sich von ihrem Geschäfte zu trennen . Sie pflückte erst noch einige Blumen ab , band jede Spezies , behutsam nur den Stängel berührend , mit Halmen in gesonderte Bündelchen , faßte das Tuch locker bei den Zipfeln , und kam , ihr Gewand vorn zusammennehmend , ohne aufzusehen , von den Felsen herab . " Sie sind heute recht frisch und kräftig " , sagte sie , das Tuch oben etwas lupfend ; " damit sie nichts verlieren , will ich sie gleich in den Keller legen . " Der Arzt hielt sie zurück , und eröffnete ihr seinen Wunsch . Er fragte sie , ob sie ein junges Mädchen , welches er ihr zubringen werde , gegen gute Bezahlung auf einige Wochen hinnehmen wolle ? Sie machte eine ehrerbietige Bewegung mit der Hand und rief : " Sie sind mein Herr und Gebieter . Ich werde die , welche Sie mir bringen , wie mein Kind aufnehmen . " Als Hermann das Gesicht der Alten betrachtet , und ihre Stimme gehört hatte , stieg in ihm eine Vermutung auf , die ihn unruhig machte . Um Gewißheit zu erlangen , fragte er den Arzt auf dem Heimritte über sie aus . Dieser erzählte , daß er sie im Spätsommer des verwichenen Jahrs kennengelernt habe . Sie sei als Zigeunerin mit einem Trupp verlaufenen Gesindels durch den Flecken transportiert worden , habe wegen Krankheit liegenbleiben müssen , Hilfe begehrt , und so sei er zu ihr geführt worden . " Die Reden dieser Person " , fuhr er fort , " erregten meine Aufmerksamkeit . Sie beschrieb mir ihre Leiden , und den Sitz derselben , die Milz , mit einer solchen Deutlichkeit , daß ich daraus schließen mußte , sie sehe gewissermaßen das Organ und seinen Zustand . Ich folgerte hieraus eine eigentümliche Stärke der sinnlichen Erregtheit , setzte diese Wahrnehmung mit ihrem Gewerbe zusammen , und da es eine meiner Grundüberzeugungen ist , daß jede Abnormität auf einer natürlichen Anlage beruht , so faßte ich den Vorsatz , aus einer verworfenen Herumtreiberin womöglich ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu machen . Zur Probe hielt ich ihr meine Hand hin ; sie sah weniger auf diese , als in mein Gesicht und sagte : » Ihr wollt mich versuchen . « Ich bemerkte , daß sie mit einem unendlichen Scharfblick für alles Körperliche ausgerüstet war , aus den Lineamenten die geheimsten Seelenregungen las , und mit diesen Kräften , durch Elend und Dürftigkeit gezwungen , auf Prophezeien und Quacksalbern verfallen war , während sie unter günstigen Umständen vielleicht eine berühmte Frau geworden wäre . Ich öffnete ihr die Augen über sich , sagte ihr , daß ich ihr helfen wolle , wenn sie folgsam sei , und fand Zutraun . Meine homöopathischen Kuren , welche ich , wo die Konstitution dieses Verfahren rechtfertigt , zuweilen vornehme , erfordern Mittel , zu welchen die Substanzen mit der äußersten Sorgfalt eingesammelt werden müssen . Niemand hatte mir bis dahin die Sache zu Dank machen können ; ich war genötigt gewesen , selbst stundenlang die Halme und Binsen aus dem eigentlich Brauchbaren zu lesen , um nicht nach großer Mühe noch endlich einen verfälschten , groben Saft durch die Extraktivpresse zu gewinnen . Ich beschloß , mit der Alten einen Versuch anzustellen , und er ist vollkommen gelungen . Als sie von ihrem Lager erstanden war , lehrte ich sie Botanik d.h. soviel davon zu ihrem Geschäfte nötig schien , mietete ihr das Häuschen in dem Hügelkessel , welcher die seltensten Pflanzen weit in die Runde trägt , und schickte sie auf das Suchen aus . Sie hatte mich wunderbar schnell begriffen , ja sie trug die Kunde , welche ich ihr beibringen wollte , sozusagen , schon vollständig , nur unentwickelt , in sich . Sie hat sich mit dem Pflanzenreiche gleichsam identifiziert , entdeckt , was nur entdeckt werden kann , verfährt mit einer Genauigkeit , die Sie selbst zum Teil haben bemerken können , und leistete mir im vorigen Herbste , sowie in diesem Frühjahre schon die wesentlichsten Dienste . Anfangs fürchtete ich für den Winter , weil ich nicht wußte , womit ich sie während desselben beschäftigen sollte . Aber die Natur half auch hier , wie gewöhnlich , aus . Sie verfiel nämlich zu meinem Erstaunen in einen Schlaf , welcher der Erstarrung mancher Tierarten ganz ähnlich war , und aus dem sie oft nur je um den zweiten Tag zu einem Halbbewußtsein erwachte , in dem sie dann wie träumend für ihre Bedürfnisse sorgte , um sich , nachdem diese abgetan waren , wieder auszustrecken . Ich glaube , daß eine furchtbare Krankheit , die , wie ich aus einzelnen Reden geschlossen habe , selbst bis zum Scheintode geführt hat , dergestalt ihre Lebenskraft schwächte , daß diese nur während der warmen Jahreszeit vorhält , und sich , sobald es kalt wird , als Fünkchen in das Innere des Organismus zurückzieht . So gewährt sie mir noch nebenbei ein merkwürdiges Studium . " Hermann entdeckte ihm , daß er die Alte für dieselbe Person halte , welche er schon einmal im Walde gesehen , und welche Flämmchen gewahrsagt habe . Er äußerte seine Besorgnis vor den Folgen , wenn man beide wieder zusammenbringe . Der Arzt teilte dieselbe aber nicht , sondern sagte : " Sie wird eher heilsam auf das Kind wirken , denn sie hegt den größten Abscheu vor ihrem ehemaligen Gewerbe , und bereut , wie sie sich ausdruckt , jeden Augenblick , wo sie in die Hand und in das Antlitz der Menschen gesehen , seitdem sie erfahren , wieviel Gott auf die Blätter der Pflanzen geschrieben hat . " Er erbot sich , Flämmchen , wenn Hermann abgereist wäre , unter einem Vorwande von Wilhelmi zu entfernen , und jener mußte wohl nachgeben , da er keinen anderen Ausweg wußte . Achtzehntes Kapitel Achtzehntes Kapitel Flämmchen kam dazu , als er packte . " Willst du fort ? " fragte sie . Er bejahte es . - " Warum ? " - " Um deinetwillen . " Sie zog ihn mit sanfter Gewalt auf einen Stuhl , kniete vor ihm nieder , und schaute ihm mit einem unbeschreiblichen Blicke in die Augen . " Um meinetwillen ! " sagte sie gedehnt . " Ich meinte schon , mit uns sei es aus , und die Alte und der Geist hätten gelogen . " Sie wollte lächeln , aber der Schmerz verzog ihren Mund , und ein Tränenstrom floß über Lippen und Kinn . Er hielt den Augenblick für geeignet , ihr Inneres zu erforschen . " Sei einmal recht offen gegen mich , mein liebes Kind " , sagte er . " Was hat dir den Gedanken in den Kopf gesetzt , von dem du nicht lassen willst ? " " Ich lag nach meiner Flucht vom falschen Vater im Walde , und weinte , denn zurück wollte ich nicht , und um mich waren nichts als Bäume , und mir graute in der Einsamkeit . Ich wußte mich vor Angst nicht zu lassen ; ach , es ist so schrecklich , ganz allein zu sein ! Ich zog meine Sachen hervor , aber nichts wollte mir helfen . Den falschen Vater hatte ich , wenn er seine weinerlichen Reden hielt , oft » lieber Gott ! « rufen hören . Nun rief ich auch wohl hundertmal : » lieber Gott ! « aber kein lieber Gott kam , und ich merkte , daß der auch nur eine Lüge sei , wie alles , was der falsche Vater gesagt hatte . " " Mädchen ! Mädchen ! " rief Hermann , " du weißt nicht , was du sprichst . Erzähle weiter . " " Da stand die Alte vor mir . Sie mußte aus der Erde gewachsen sein , denn ich hatte sie nicht kommen sehen . Ich solle nicht weinen , sagte sie zu mir , und nannte mich ein schönes Kind , dem es nicht übel ergehen könne . Ich müsse etwas Blankes auf die Hand legen , dann wolle sie mir wahrsagen . Ich hatte noch ein Silberstück von den Geschenken der jungen Herren bei mir , das legte ich auf die Fläche meiner Hand . Sie schlug , nachdem sie die Linien beschaut , die Hände vor Freuden über dem Kopfe zusammen , und rief : » O du gebenedeite Kreatur ! Welch ein großes Glück steht dir bevor ! « Dann weissagte sie mir , ein Prinz werde sich in mich verlieben , und mich zu seiner Frau Gemahlin machen . Ich fragte : » Wann ? wo ? wie bald ? « - Sie machte sich von mir los , und lief durch die Bäume davon , flink wie ein Feldhuhn , aber ich hörte noch aus der Entfernung ihre Antwort : » Bald ! Vielleicht noch heute ! Ganz in der Nähe ! « Und an demselben Vormittage habe ich dich gefunden . " " Mich , Flämmchen , ja . Aber wann den Prinzen ? Ich bin eines Bürgers Sohn . Wer bildete dir ein , daß ich der verheißene Prinz sei ? " Flämmchen sah ihn an , stutzig , als ob sie an diese Frage noch nie gedacht habe . " Wer ? " fragte sie sinnend . " Ich lauschte hinter einem Baume , als du neben deinem Freunde auf dem Stamme saßest , und als ich dein Gesicht erblickt hatte , wußte ich , du seist es . " Eine dunkle Röte hatte bei diesen Worten ihr Antlitz , ja den Hals überzogen . Sie sprach mit einem Tone , welchen er nie von ihr vernommen hatte , tiefer , bebender , als gewöhnlich . Es war , als ob eine andere Person aus ihr rede . Auch ihn ergriff ein mächtiges Gefühl . Die Natur sah ihn durch alle Verkehrtheit mit ihren heiligen Augen an . So muß dem zumute sein , der unter einer Karikatur die Züge einer früheren lieblichen und wohlgefälligen Zeichnung erblickt , die der Zerrmaler übersudelt hat . " Ich lief " , fuhr Flämmchen fort , " als wir auseinandergegangen waren , durch Feld und Busch umher , meine Alte wiederzufinden , die , das wußte ich schon , alles konnte , was sie wollte . Ich traf sie auch glücklicherweise auf der Heide an den großen Steinen , die da im Kreise umher lagen . Ich sagte ihr , sie solle mir den Geist meines Vaters rufen , denn ich mußte ja den auch um dich befragen . Sie wollte nicht , und endlich antwortete sie mir , sie könne nicht . Da bin ich ingrimmig geworden , und weiß nicht , was ich getan habe . Aber als ich zu mir selbst kam , sah ich , daß ich mein Messer aufgeklappt in der Hand hatte , und die Alte lag vor mir an der Erde , zitternd , und bat , ich möchte ihres Lebens schonen . Sie sagte mir darauf die Worte , mit denen ich den Geist rufen müsse , und die ich dir nicht wiederholen darf , sonst sterbe ich in neun Tagen . Nach den Tannen schickte sie mich , und da habe ich gewartet bis Mitternacht unter Furcht und Angst , dann kam er in einer schönen bunten Uniform , ganz bleich , mit einem blutigen Streifen über der Stirn . Ich fragte ihn , und er antwortete mir , ich solle dir folgen , wohin du gehest , und mich ganz auf dich verlassen . " " Und fragtest du ihn denn auch , mein Flämmchen , ob ich ein Prinz sei ? " " Daran habe ich wahrhaftig gar nicht gedacht " , rief das Mädchen , und machte eine Bewegung mit der Hand , wie ein Kind , das sich einer Nachlässigkeit erinnert . " Das habe ich doch wirklich rein vergessen . " Hermann stand auf und beruhigte sie . " Prinz oder nicht " , sagte er zu ihr , " werde ich mich deiner annehmen . " " Es streiten sich zwei um dich " , fuhr sie mit verfinstertem Gesichte fort . " Aber ich hoffe , sie wird es mit dem Tranke , den sie dir eingegeben hat , nicht durchsetzen , ich werde dich behalten . Es wäre recht übel , wenn es anders käme . Denn sie hat genug , aber Flämmchen hat niemand als dich ! " " Trank ? Sie ? Wer ? " " Nun , die Herzogin . Das ist doch zu sehen , daß sie sich in dich verliebt hat . Sie kann ja nicht leben , wenn du nicht ein paar Stunden des Tages über bei ihr bist . " " Du schwärmst ! Ist es möglich , daß dir nur so etwas in den Kopf kommt ? " " Ich denke , die unschuldigen Tiere werden wissen , was sie tun ! " rief Flämmchen leidenschaftlich aus . " Spricht nicht ihr bunter Vogel in einem fort : » Teurer Hermann ! « Wie oft habe ich es gehört , wenn ich unter dem Balkon durchging , auf welchem er sich sonnte . Er muß es doch von ihr haben ! Heißt du nicht Hermann ? Und ich sollte nichts merken ? " Neunzehntes Kapitel Neunzehntes Kapitel In diesem Augenblicke erhielt er den Befehl zur Herzogin zu kommen . " Da haben wir_es ! " rief Flämmchen , und lief schluchzend fort . Er ging bestürzt zur Fürstin . Sie war sehr bewegt . Vergebens suchte sie heiter und unbefangen zu erscheinen . Sie fragte ihn , ob es wahr sei , daß er reise ? Ihre Stimme zitterte , sie machte sich mit Blumen und Büchern allerhand zu schaffen . Er versetzte , daß er sich nur fortbegebe , um ein Geschäft abzumachen , daß er aber , wenn es ihm erlaubt werde , in wenigen Tagen zurückzukehren wünsche . " Wir sehen Sie also wieder ? " rief sie freudig . Sie holte tief Atem , als ob eine Last von ihrer Brust gehoben sei . Dann versank sie wieder in eine stille Verlegenheit , knüpfte ein Gespräch über gleichgültige Dinge an , ließ es fallen , schien kaum zu hören , was er erwiderte . Es war , als ob sie ihm etwas vertrauen wolle , und gleichwohl die Mitteilung scheue . Er befand sich in der peinlichsten Stimmung . Der Boden glühte unter ihm . Und als ob ein Dämon heute sein Spiel triebe , plötzlich öffnete der unbescheidene Vogel im Käfig seinen Schnabel , und wiederholte ein dutzendmal die Worte , welche Flämmchens Eifersucht schon früher vernommen hatte . Er sprach sie mit dem rauhen Tone dieser Tiere . Hermann hatte früherhin auf sein Geschwätz nicht geachtet , nun aber aufmerksam gemacht , konnte er nicht zweifeln , daß der Vogel zum Verräter an den einsamen Stunden und Selbstgesprächen seiner Gebieterin werde . Unwillkürlich sah er nach dem Schwätzer , dann warf er einen scharfen fliegenden Blick auf die Fürstin . Sie errötete , und deckte einen Teppich über den Käfig . " Er spricht recht deutlich " , sagte Hermann , um nur etwas zu sagen . " Man hatte ihn schon diese Worte gelehrt , als ich ihn kaufte " , versetzte sie , mit dem Teppich beschäftigt , ohne sich umzuwenden . - " Reisen Sie glücklich ! " Der alte Erich brachte ihm draußen die Nachricht , daß heute keine Fuhre zu haben sei . So mußte er sich denn entschließen , noch einen Tag zu verweilen . Es wäre ihm nicht möglich gewesen , dem gewohnten Kreise zu nahen , und ebenso unmöglich fiel es ihm , einsam zu bleiben . Er suchte sich selbst , er suchte den Bildern zu entfliehen , die in stürmender Eile an seiner Seele vorüberjagten . In dieser Verfassung war es ihm recht , daß der Hausgeistliche sich zu ihm fand . Die gemeinschaftliche Erinnerung an Rom verknüpfte beide Männer ; auch heute war es wieder jene Weltstadt , welche Hermann wenigstens auf eine Zeitlang über sich und die Gegenwart erhob . Der Geistliche gehörte zu denen , welche dort ein neues Glaubensbekenntnis wählten . Scheu , zurückgezogen , mit äußerster Strenge die Gebräuche seiner Kirche übend , stand dieser junge Mann sehr einsam unter den neuen Glaubensgenossen da . Man kennt den Spott , womit bereits in Rom die sogenannten Nazarener verfolgt wurden ; unser armer Proselyt hatte auch diesseits der Alpen nur Achselzucken und Zweifel an seiner Gesinnung gefunden . Der Herzog duldete ihn , als vom Vater ererbt , Wilhelmi hielt ihn für einen Toren , und der Arzt für einen Heuchler . Er ertrug Kälte , verdeckte und offenbare Angriffe mit musterhafter Geduld , und hatte schon mehrere Vorschläge zu Veränderungen seiner Lage , die ihm nur zum Nutzen gereichen konnten , abgelehnt , weil er nach der Weise solcher Charaktere den Aufenthalt in diesem Schlosse für eine gottverhängte Schickung und Buße ansah . Hermann war ihm immer freundlich begegnet , und der Geistliche , dem diese sanfte Berührung wohltat , hatte sich gegen ihn mehr , als gegen irgend jemand aufgeschlossen . Unser Freund hatte bei dieser Gelegenheit eine nur unserer Zeit eigentümliche Gemütsart kennengelernt ; eine Individualität , die sich mehr fühlen als beschreiben läßt , und von der wir nur den allgemeinsten Umriß angeben , wenn wir sie weibliche Männlichkeit nennen . Er war über die Abreise seines Freundes sehr betrübt . " Sie gehen fort " , rief er , " und wenn Sie auch noch einmal wiederkehren , wie lange wird das dauern ? Ich werde Sie bald verlieren , ich werde bald wieder ganz allein sein . Der Mensch ist eine schwache Kreatur ; es ist , als könne er den holden Schall menschlicher Rede nicht entbehren . Wie fest hatte ich mir vorgenommen , nur in stummen Gesprächen mit Gott meine Tage hinzubringen ! Sie haben mich verwöhnt ! Werde ich leben können ohne Sie ? Von niemand geachtet zu werden , o es ist ein ödes schreckliches Gefühl ! Aufzustehn mit der Überzeugung : Wieder einmal ist der Tag angebrochen , der den anderen Liebe , Traulichkeit , Teilnahme bringt , und dir bringt er nichts , als trostlose Versenkung in dich selbst , als ein unendliches Brüten über den grauenvollen und unergründlichen Tiefen der Gottheit ! Sich niederzulegen mit der Bitte : » Vater , laß diese Nacht die letzte sein ! « und zu erwachen im Dunkel , und schaudernd zu wissen , daß man sein erstorbenes Dasein weiterzuschleppen verdammt ist . " " Armer Mann ! " sagte Hermann , den die Klage des Priesters , der sich selbst kein Heil wußte , rührte . " Wie ich Sie kenne , haben Sie den Schritt , welcher Sie aus der Mitte Ihrer Verhältnisse riß , reinen Herzens getan , und das sollte Sie trösten , wenn andere Sie kalt oder lieblos beurteilen . " " Es ist nicht das " , seufzte der Geistliche . " Reinsten Herzens , jawohl , so tat ich diesen Schritt . Hören Sie die Geschichte meiner Bekehrung ; es kommt weder von Heilandskassen noch von Zeichen und Wundern etwas darin vor ; ach , und sie hat mir nichts eingetragen , als Schmerzen und Dornen ! " Zwanzigstes Kapitel Zwanzigstes Kapitel Eine Bekehrungsgeschichte " Ich war Protestant , d.h. ich wurde in dieser Konfession eingesegnet . Der Religionsunterricht der Katechumenen hatte sich mehr über Naturgeschichte und Physiologie , als über den Katechismus verbreitet . Der Prediger , welcher diese Stunden abhielt , war der Meinung , daß dieselben auf solche Weise noch immer nützlich zu machen seien . Unser Lehrer galt in der Stadt überaus viel . Er besaß die schönsten geselligen Tugenden , erheiterte wöchentlich einen großen Kreis durch Knittelverse und Gelegenheitsgedichte , und wenn er unter ganz vertrauten Personen war , ging seine Vorurteilslosigkeit so weit , hin und wieder auch ein Tänzchen oder ein Pfänderspiel nicht zu verschmähen . Ich stand den übrigen Knaben an Kenntnissen vor , wurde wegen meiner raschen Antworten sehr gerühmt , und wußte mir viel mit dem erhaltenen Lobe . Auch an verliebten Blicken zu den Mädchen hinüber und von ihnen herüber fehlte es nicht . So war ich zur Ablegung meines Glaubensbekenntnisses vorbereitet worden , und meiner Meinung nach fest in demselben , kam ich nach Rom . Erwarten Sie hier keinen Mortimer . Ich kann wohl sagen , daß der Glanz , das Geflitter und der rauschende Pomp , wovon das Leben der Kirche dort begleitet wird , nicht auf mich eingewirkt haben . Ich freute mich an diesen bunten Dingen , ohne daß sie mich religiös berührten . Aber ein anderer Einfluß begann allmählich mich umzugestalten . Sie waren dort , und wissen , welche Stille über so manchen Plätzen und Winkeln , über Trümmern und Schädelstätten , bei den Gräbern der Märtyrer , in den Hallen der weniger besuchten Kirchen und Kapellen weilt . Wer in Rom nicht fühlt , daß der Mensch ein Nichts ist , und wem nach dieser Empfindung , die zum Nichts führt , kein tröstender Geist , riesenhaft und doch vertraulich zuspricht , der muß ein verwahrlostes Herz haben . Überall sah ich Geschichte , überall trat ich auf Boden , den vor mir Menschen beschritten hatten , durch welche die Welt verwandelt worden war ; wie kümmerlich kam ich mir mit meinem neuen Sinne , mit meinem aus bunten Läppchen zusammengeflicktem Wesen unter dieser Herrlichkeit des Todes vor ! Ich kann Ihnen die Versicherung geben , daß ich anfangs an nichts weniger dachte , als an eine Religionsveränderung . Ich besah Gemälde , Antiken , Ruinen , Paläste , Kirchen , war ein Reisender , wie es deren Tausende gibt . Aber nach und nach wurde mir , als ob aus der Gewalt aller dieser verschiedenartigen Erscheinungen doch nur eine Stimme rede . Ich horchte zu , und siehe , es war die Stimme Gottes . Da wurde ich nachdenkend , und je mehr ich hörte , desto fühlbarer weitete sich mein Inneres . Ich wüßte von diesem Zustande keine Beschreibung zu machen . Meine Brust baute sich wie mit granitenen Pfeilern und Bogen himmelanstrebend aus , mein Herz hing und brannte in dem neuen Heiligtume , wie die ewige Leuchte , und ein Choral , ernst , wie das Gespräch der Dreieinigkeit mit sich selbst , durchtönte es . Ich tat nichts zu diesen Sachen ; es wurde etwas in mir , ohne mein Verdienst , ja ohne meinen Willen . Auch fehlten nicht die düstern gramvollen Stunden . Ich sah nicht bloß die Wunder Roms , ich sah auch den Violettstrumpf , den hinterhältig lächelnden Monsignore , die Schnörkel an der Monstranz , die zerstreuten Blicke sogenannter Andacht ; wie sie dem Volke aus jeder heiligen Handlung eine Komödie zubereiteten . » Diesen Wust , diesen Trug , all die Alfanzerei , welche sich darum und daran gehängt hat , willst du mit in den Kauf nehmen ? « fragte ich mich erbleichend . Meine Seele spaltete sich , ich hatte verlassen , was mir zugehörte , und konnte das andere noch nicht ergreifen . Die Karwoche kam heran . Ich hatte mich einem alten Priester anvertraut , und ich müßte die Unwahrheit sagen , wenn ich behauptete , jemals Künste der Überredung von ihm erfahren zu haben . Alles , was man in dieser Beziehung in Deutschland über mich verbreitet hat , ist eine Erfindung . Er riet mir , mich in Ruhe und Sammlung zu erhalten , dann werde mir von selbst das Rechte gezeigt werden . Seine Kirche sei zwar die Spenderin der alleinigen Wahrheit , aber auch zur Wahrheit komme man nur vorbereitet . Ich erlangte durch seine Vermittlung während jener Periode Aufnahme im Kloster der Passionisten , wohin sich , wie Sie vielleicht erfahren haben , gegen die Osterzeit fromme Gesellschaften zurückziehn , um sich zum Feste in der tiefsten Stille geistlich zu rüsten . Man wußte , daß ich noch nicht übergetreten war , gewährte mir aber den Aufenthalt unter der Bedingung , daß auch ich mich der Regel des Hauses fügen wolle . Wer jene Lebensweise erwählt , scheidet sich während der Dauer seines Verweilens völlig von der Außenwelt ab . Kein Brief , keine Nachricht darf von jenseits der Klostermauern zu den Genossen der Übungen dringen . Letztere sind fest bestimmt , und nehmen fast den ganzen Tag , auch einen Teil des frühen Morgens ein . Jeder hat seine Zelle , auf welcher er von niemand Besuche empfangen darf . Selbst bei dem Mahle , welches gemeinschaftlich ist , sind weltliche Gespräche untersagt . Das war nun ein Leben , wie man es nirgends wieder findet , ein eigentliches Leben im Geiste . Ich gestehe , daß gerade dort , zwischen den Wänden meiner Zelle , in mir die schwersten Zweifel aufstiegen . » Ist diese Absonderung menschlich ? Lauert nicht auch hier die Schlange unter den Blumen ? Werden sich deine Mitgenossen , wirst du selbst dich nicht von solcher Entbehrung in gedoppelter Lust und Zerstreuung erholen ? - Vielleicht stirbt dieser einem ein teurer Mensch ab , vielleicht streckt nach einem anderen die Not ihre Arme flehend aus , sie aber hören nichts davon , sie haben zwischen sich und der Natur eine Scheidewand gesetzt ; liegt darin nicht eine Verkehrung der ewigen Ordnung der Dinge ? « - So lauteten ungefähr meine stillen Selbstgespräche . Das Kloster liegt ziemlich hoch auf einem Hügel . Ich saß in den Freistunden meistenteils unter der herrlichen Palme , die in der Mitte des Hofes ihre Schatten verbreitet . Über die Mauer am Abhange sah ich auf den Aventin und die Kaiserpaläste . Aber der Berg und die Trümmer sprachen nicht mehr zu mir , und der Gesang aus der Kirche tönte an meinen Ohren vorüber . Es war völlig finster in mir geworden , und mich verlangte nach dem Ende dieser grabähnlichen Tage . Eines Abends ging ich in meiner großen Bekümmernis zur Kirche . Noch hatte der Gottesdienst nicht begonnen ; ich war allein . Redlich hatte ich gekämpft , es durchdrang mich , wie ein Schwert , daß Gott solchem Suchen sich zeigen müsse . Ein unendliches Zutraun erfüllte mich ; ich wollte am Hochaltare zum Gebete niedersinken , als meine Blicke auf das Kruzifix über demselben fielen . Schon oft hatte ich dieses Bild gleichgültig betrachtet , in meiner damaligen Erregung machte es aber einen äußerst widerwärtigen Eindruck auf mich . In der Tat konnte man sich auch nichts Häßlicheres denken . Groß , plump , von Holz geschnitzt , war es ein getreuer Abdruck der krassesten Vorstellung . In den Zügen des Hauptes die abscheulichste Fratze des tierischen Schmerzes , alles dick mit Farben bestrichen , das Blut in ekelhaften roten Streifen herabrinnend , und mit diesem Jammer in Widerspruch geschmacklose Zieraten auf dem Kreuze in verblichenem Gold und Schmelzwerk eingeschlagen . Meine Gedanken schrumpften vor dieser Mißgestalt ein , ich richtete mich empor , und stand Strafe auf meinen Füßen , mißmutig , ernüchtert , verworren . Mechanisch ging ich einige Schritte zur Seite , da sah ich , daß es von Würmern zerfressen war , und es kam mir zugleich so vor , als ob sich in der Seitenfläche eine ganz feine Spalte befinde . Ich trat wieder hinzu , ich erhob mich über die Brüstung des Altars , und konnte nun deutlich sehen , daß es nicht aus einem Stücke bestand , sondern aus zwei aufeinander gelegten Hälften gemacht zu sein schien . Ich weiß nicht , war es Neugier oder etwas Ernsteres , Besseres , was meine Hand führte , genug , ich faßte das Heiligtum an , wie um ein verborgenes Geheimnis zu erobern . Zu meinem Schreck blieb mir die obere Hälfte , wie eine Schale , in der Hand ; ich traute meinen Augen nicht , als mir der wahre Gehalt dieses Bildes erschien . Das Holz war nur Kapsel , nur Futteral für ein Werk der edelsten Kunst . Aus der zweiten stehengebliebenen Hälfte blickte der Gekreuzigte , im reinsten Elfenbein auf tief glänzendem Schwarz sich abhebend , zu mir nieder . Eine göttliche Arbeit ! sie mußte der besten Florentiner Periode angehören . Nie habe ich einen Christuskopf gesehen , in dem die Pein so geistig und rührend dargestellt war . Und welche Pein ! Nicht um die blutigen Fuß- und Handwunden , nein , um die gefallenen Menschen , die sie schlugen . Überrascht , ergriffen , entzückt , warf ich die rohe hölzerne Decke aus meinen Händen , und stürzte vor dem gefundenen Erlöser nieder . Auf einmal war mir alles klar ; meine Lage , meine Pflicht ! in diesem Gleichnisse erschien mir sichtlich , körperlich , greifbar , der ganze Stand und das innerste Wesen der Kirche . Meine Seele geriet in eine Verzückung . Das war nicht totes Elfenbein und Ebenholz mehr , was ich vor mir sah ; der schwarze Stamm des Kreuzes fing an , sich von innen zu erleuchten , bis er , ganz durchsichtig , in rosenrotem Lichte strahlte , der Leib des Erlösers begann zu pulsieren , Blutstropfen perlten aus den Armen und Füßen , die Wangen färbten sich leicht an , und aus den milden Lippen tönte es mit Geisterlauten : » Willst du den Kern verachten , der Hülle wegen ? Hier bin ich unter allem Tand und Aberwitz ; hier , und nirgend anders ! Die Toren haben ihr Werk getan , und die Würmer tun ihr Werk an dem Werke der Toren , du aber suche mich nicht draußen , sondern drinnen . « Wie lange ich mich in diesem erhöhten Zustande befunden habe , ist mir nicht klargeworden . Als ich erwachte , stand der Prior hinter mir , nebst seinen Mönchen und den Andachtsgenossen . Alle sahen verwundert auf mich , auf das entdeckte Heiligtum , auf die Holzdecke , die von meinem Wurfe in Splitter und Wurmfraß zerfallen , am Boden lag . Ich beichtete meinen Vorwitz , man vergab mir um seiner Folgen Willen . Die starre Regel des Tages war durch das unerwartete Ereignis gestört worden , und sie meinten Gott zu dienen , wenn sie ihren Betrachtungen darüber freien Lauf ließen . Die Ältesten der Kongregation erinnerten sich , daß im Kloster traditionell die Sage von einem unendlich schönen Kruzifix , welches man vor Zeiten besessen , gegangen sei , und daß man auch oft , wiewohl vergebens , Nachforschungen angestellt habe , solches wieder aufzufinden . Nun suchten sie in den Registern und Urkunden zu entdecken , wann , von wem und zu welchem Zwecke dieses Werk so mumienhaft den Augen entzogen worden sei ? Die Jüngeren , welchen das Amt obgelegen , den Leib des Erlösers am Karfreitage in das ausgeschmückte Grab zu tragen , und am Auferstehungsmorgen ihn zum Altare zurückzubringen , meinten , sie hätten sich immer über die unverhältnismäßige Schwere des Kruzifixes verwundert . Einige fragten , wie es doch möglich gewesen sei , daß man nicht früher den Falz in dem Holze gesehen habe ? Darauf erwiderten andere , daß , solange der Stoff noch einigermaßen haltbar gewesen , beide Hälften fest aufeinander geschlossen hätten , erst durch Alter und Zerstörung sei das Volumen verringert , und dadurch ein Zurückweichen der Teile hervorgebracht worden . Was mich betrifft , so hatte ich während alles dieses Fragen es , Verwunderns und Erklärens nur einen Gedanken . Mir war die Decke von der Gestalt hinweggetan , der Katholizismus hatte sich mir in jener Stunde der Erleuchtung göttlich , hüllen- und makellos gezeigt . Am ersten Ostertage ging ich zu meinem guten geistlichen Vater , sagte ihm , wie es mit mir geworden sei , und empfing bald darauf von ihm das hochzeitliche Kleid des neuen Menschen ! Himmel und Erde lagen jungfräulich , wiedergeboren vor meinen Blicken . Nein ! es kann keine Täuschung gewesen sein ! Diese Momente überströmender Seligkeit , diese Gefühle leiblicher Gemeinschaft mit dem Allmächtigen , sie waren nicht Lüge , sie trugen auf ihren Flügeln den Lichtglanz der Urwahrheit . " Der bewegte Mann hatte von dem Tone der Klage , womit seine Geschichte begann , sich bis zu dem Ausdrucke der höchsten Begeisterung erhoben . Er schaute mit glänzenden Blicken in die Sonne , die hinter den Hügeln hinabsank . Sie standen auf einer kleinen Anhöhe . Hermann hatte die Erzählung des Proselyten voll Teilnahme gehört . Erinnerungen schöner Art waren in ihm aufgewacht . Von diesen bewegt , drückte er dem Geistlichen die Hand , und sagte leise : " Rom ! " " Rom ! Rom ! " rief jener außer sich , und warf sich dem Erstaunten leidenschaftlich an die Brust . " Ja , Rom ! Und ist Rom nur über den sieben Hügeln ? Du Unglücklicher , Armer , Darbender ! Komme herüber zu uns , wir haben der Speise die Fülle auch für dich ! Sei der unsere ; du bist dessen wert ! " Hermann erschrak über diese unerwartete Wendung . Gegenüber in einem Fenster des Schlosses erschien die Herzogin . Ihr Blick ruhte lange und durchdringend auf der Gruppe . - " Wir sind nicht unbemerkt " , sagte er ängstlich , und machte sich los . " Die Herzogin sieht uns ! " " So sieht dich der Engel deiner Tage ! " rief der Geistliche . " Auch ihre Wünsche steigen für deine Rettung empor . Auch sie fleht mit den unschuldigen Lippen : » Erlöse ihn aus seiner Unseligkeit , o Heiland , daß wir ihn haben und behalten , diesseits und jen seit ! « " Drittes Buch . Die Verlobung Erstes Kapitel Erstes Kapitel Nach einer ziemlich beschwerlichen Reise durch das Gebirge hatte Hermann sein Ziel erreicht . Als er die Stadt im dampfenden Tale vor sich liegen sah , überdachte er seinen Plan , beschloß im Hause des Pädagogen zuerst pseudonym aufzutreten , und wie im Auftrage eines anderen seinen Wunsch vorzubringen . Auf diese Weise hoffte er die Sache in der für ihn leichtesten Art zum Ende zu führen . Das Gymnasium war aus den Überbleibseln einer Stiftung entstanden . Alte Linden umgaben den Schulhof ; durch einen Kreuzgang gelangte er zu der munter angestrichenen Wohnung des Rektors . Er erfuhr von der Magd , daß dieser verreist sei , und mußte sich daher bei der Frau anmelden lassen . Die Rektorin empfing den Kandidaten Schmidt aus Leipzig - diesen Namen und Stand hatte er sich gegeben - mit lebhafter Freundlichkeit . Als sie ihn zum Sitzen nötigte , wollte er ihrem Sofaplatze gegenüber auf einem Stuhle sich niederlassen . Sie verhinderte es aber , zog ihn auf das Sofa und sagte : " Wir leben hier nicht steif und vornehm . Seine Feinde faßt man ins Antlitz , seine Freunde hat man gern neben sich . " Er eröffnete ihr , daß er sich auf einer gelehrten Wanderung befinde , deren vorzüglichster Zweck sei , die ersten Männer des Fachs kennenzulernen . Schon lange habe er sich gesehnt , dem ausgezeichneten Erzieher , dessen Methode man weit und breit rühme , seine Verehrung zu bezeugen . Das Mütterchen schien das Lob ihres Eheherrn mit Behagen einzuschlürfen . " Er benutzt jetzt die Ferien zu einem Abstecher nach S. , wo wir leider einen verdrießlichen Handel abzumachen haben " , versetzte sie . " Indessen erwarte ich ihn morgen oder übermorgen zurück , und wenn Sie einige Tage hier verweilen können , so soll es mir lieb sein . " Sie gehörte zu den Personen , mit denen man in fünf Minuten bekannt ist . Die gutmütigsten Augen sahen unter dem weißen Spitzenhäubchen hervor ; ihr Herz schwebte auf der Zunge . Sie schien nicht viel Ruhe zu haben , stand öfters auf , quirlte hin und her , setzte ihm ein Frühstück vor , und er mußte , ungeachtet aller Versichrungen , daß er schon im Gasthofe das Nötige genossen habe , wenigstens davon kosten . " Wer in unser Haus tritt , ißt von unserem Brote und trinkt von unserem Weine " , sagte sie . " Wir ahmen darin den Erzvätern nach , und dem edlen Alkinoos , wenn wir gleich keine phäakische Schmauserei anstellen können . " Diese und ähnliche Anspielungen , welche bald darauf zum Vorschein kamen , deuteten dem falschen Schulamtskandidaten den Ton an , in welchem er sich hier vernehmen lassen müsse . Das saubere Zimmerchen , dem aber jede Eleganz fehlte , war mit den Porträts berühmter Gelehrten verziert . Der besten Rähmchen erfreuten sich die Philologen . Heine , Wolf , Ernesti , Gesner , Bentley , Ruhnkenius zeigten ihre ausdrucksvollen Gesichter , Voß war dreimal vorhanden , gezeichnet , im Kupferstich und in Gips . Er suchte daher in aller Eile sein Lateinisch und Griechisch zusammen , sprach von der hehren Göttin Kalypso , besann sich zum Glück auf ein paar Horazische Verse , die er ohne wesentliche Verstümmlungen herausbrachte , und bemerkte , daß die Rektorin nun erst das volle Zutraun zu ihm gewann . Mit Erstaunen hörte er im Verlaufe des Gesprächs völlig regelrechte Hexameter aus ihrem Munde tönen , die nur durch gehäufte Spondeen etwas Unbeholfenes erhielten . Nach einer Viertelstunde waren sie wie alte Freunde miteinander . Indessen entstanden doch , wie es bei raschem Bekanntwerden zu geschehen pflegt , Pausen . Hermann erhob sich daher und wollte gehen . Sie faßte ihn bei der Hand und sagte , ihm treuherzig ins Gesicht sehend : " Ihr Herrn habt es im Kopfe , aber selten viel im Beutel , und obgleich Sie wohlhabender zu sein scheinen , als die Kandidaten , welche uns sonst besuchen , so dächte ich doch , daß frei Quartier bei guten Leuten besser wäre , als teure Gasthofszeche . Ich will Ihnen Ihr Zimmerchen zeigen , und Sie können nur gleich Ihre Sachen vom Wirtshause herüberbringen lassen . " Ohne seine Antwort zu erwarten , nahm sie ihn mit in das obere Stockwerk , wies ihm unterwegs verschiedene wirtschaftliche Einrichtungen , namentlich den Ofen , der zwei Stuben zugleich heizte , und den neuen Wandschrank , und führte ihn dann in ein helles Erkerzimmerchen , von welchem man das ganze Flußtal übersah . Er fragte nach dem Namen eines Dorfs , dessen Turmspitze am Horizonte hervorragte , und erfuhr nicht nur diesen , sondern lernte auch auf der Stelle die Topographie des ganzen Umkreises mit allen Verwandten , Freunden und Gevattern , die da und dort wohnten , kennen . " Sind Sie versprochen , Herr Schmidt ? " fragte sie plötzlich . " Nein ! " - " Rauchen Sie Tabak ? " - " Auch nicht . " - " Dann sind Sie auch kein ordentlicher Kandidat ! " rief sie lachend . " Ich habe wenigstens noch keinen kennengelernt , der nicht eine Braut und eine Pfeife gehabt hätte . Sie müssen sich beides bald anschaffen . " Er erwiderte ihren Scherz , der halb wie Ernst klang , und wurde von ihr mit einem Armvoll Tischzeug beladen , welches er unten in das Eßzimmer tragen sollte . Sie schien es als etwas sich von selbst Verstehendes zu betrachten , daß ein Kandidat der Frau eines Schulvorstehers nötigenfalls dienstbar sein müsse . Unten sagte er , um seinem Zwecke etwas näher zu kommen : " Es ist so still in Ihrem Hause , und ich sehe keinen Ihrer Pensionäre oder Pensionärinnen . " - " Pensionäre ? Pensionärinnen ? " fragte sie erstaunt . " Wir haben bloß unsere Knaben in Pension . Man hat mit den eigenen Kindern Last genug , wer wollte sich noch die Mühe mit fremdem liebem Gute machen ? " Da sie nun merkte , daß diese Worte ihn befremdeten , fuhr sie nach einigem Besinnen fort : " Ach , gewiß ist da wieder eine Verwechselung vorgefallen , und Sie meinen , bei dem Edukationsrate zu sein . Wir werden noch an das Stadttor schreiben lassen müssen : » Da wohnt der Philologe und da der Realschulmann . « " Bei näherer Erkundigung hörte er nun , daß sich noch ein Namensvetter des Rektors am Orte befinde , welcher aber nicht am Gymnasium angestellt sei , sondern eine Privaterziehungsanstalt habe . Er sei in allem der Gegner ihres Alten , sagte die Rektorin , halte nichts auf Römer und Griechen , wolle vielmehr die ganze Bildung der Jugend auf das Praktische richten . " Dies hindert aber nicht " , fügte sie hinzu , " daß wir gute Freunde bleiben . Wir kommen zusammen , die beiden Alten zanken sich tüchtig ab , wenn der Konrektor dabei ist , so spricht auch das Mittelalter noch ein Wort darein , am Ende sind sie müde , der Edukationsrat ruft : » Die Gegenwart gehört der Gegenwart ! « das ist mein Stichwort ; ich sage dann : » Es ist ange richtet « , wir setzen uns zu Tische und verzehren ganz verträglich und lustig ein Gericht Gerngesehen miteinander . " Hermann überzeugte sich im stillen , daß der Arzt ihm jenen Edukationsrat habe empfehlen wollen und daß er verkehrterweise in ein anderes Haus geraten sei . Indessen würde es unartig gewesen sein , das Mißverständnis zu bekennen , und er erwiderte daher auf den scherzhaften Zuruf der Rektorin , sich nunmehr zwischen dem linguistischen und dem Realsysteme zu entscheiden , daß seine Nachfrage nur eine zufällige gewesen sei , und daß er niemand hier habe kennenlernen wollen , als den in der gelehrten Welt hochgefeierten Herausgeber des Eutrop . " Nun wohl " , sagte die Rektorin , " ich glaube Ihnen , aber nehmen Sie sich in acht ; Sie werden auf den Zahn gefühlt werden . Und jetzt lassen Sie uns voneinander scheiden . Sie können den näheren Weg durch den Garten nach Ihrem Wirtshause nehmen ; schicken Sie mir mein Kornelchen daher , wir wollen einen Topf mehr zum Feuer rücken , damit es heute mittag heißen kann : Und sie erhoben die Hände zum lecker bereiteten Mahle ; worauf es dann ferner lauten soll : Aber nachdem die Begierde des Trank_es und der Speise gestillt war , Gingen sie alle gesamt zu dem göttlichen Hirten Eumäos , Dort des Kaffees Gebräu zu schlürfen aus blumiger Tasse . " Zweites Kapitel Zweites Kapitel Indem Hermann über den Hof und durch den Garten ging , war es ihm nicht unlieb , daß er sich in der Person des Schulmanns geirrt hatte . Nach dem Wesen der Frau , nach dem Begriffe , den er durch ihre Reden von dem Manne erhalten , bei dem Anblicke der philologischen Bildnisse , der engen Häuslichkeit , der schmalen Gartenstiegelchen und sauber gehaltenen Beetchen hätte er nicht erwarten können , daß ein Sinn , der diese Umgebung sich geschaffen , geneigt gewesen wäre , sich mit einem wilden Geschöpfe , wie Flämmchen , zu befassen . Nun aber durfte er von dem Edukationsrate noch alles hoffen . Im Pavillon , der am Ende des in eine Spitze auslaufenden Gärtchens stand , sah er ein junges Mädchen mit Blumen beschäftigt . Sie kniete vor den Töpfen , in welche sie Samen und Sprossen senkte . " Mademoiselle ... " sagte er , und wollte den Auftrag der Rektorin ausrichten . Welche Überraschung für ihn , als sie sich wandte , erhob , und er das Hausmütterchen aus der Försterei erblickte ! Sie war es , Cornelie . Aber welche Verwandlung ! Aus dem Kinde war die Jungfrau geworden . Er stand , durch die unerwartete Begegnung aus der Fassung gebracht , verloren in den Anblick dieser reizenden Jugendblüte , und konnte kein Wort vorbringen . Sie dagegen schien von seiner Erscheinung nur erfreut zu sein , und begrüßte ihn mit holder Unbefangenheit . Er wollte sich erkundigen , wie sie hierher komme , als vom Hofe der Ruf der Rektorin nach ihr ertönte . Mit fliegenden Worten konnte er ihr nunmehr nur sagen , daß er unter fremdem Namen hier sei , daß auch sie ihn bei diesem nennen müsse , und die Wahrheit nicht verraten dürfe . Sie erschrak und flüsterte bestürzt : " Ach Gott , das wird mir schwer werden ! " Er faßte sie bei der Hand , und beschwor sie , ihm dennoch den Gefallen zu tun , es sei etwas ganz Unschuldiges . Die Rektorin trat in den Garten , Cornelie zog ihre Hand aus der seinigen , und eilte jener ängstlich entgegen . Hermann hatte sich vorgenommen gehabt , sogleich zum Edukationsrate zu gehen , fühlte sich aber nach diesem Vorfalle zu beunruhigt , und suchte das Freie , um sich zu sammeln . Die Gegend war die anmutigste , die man sich denken kann ; Hügel , mit dem frischesten Laubholze bestanden , liefen in sanften Linien bis beinahe an die Tore des Orts , der mit Ringmauer , Türmen und Graben , altertümlichen Ansehens , dazwischenlag . Hermann setzte sich auf eine Wiese , die von roten , gelben und weißen Blumen ganz bunt war , und genoß den Überblick . Ein Hirte , der in der Nähe stand , und dessen Ziegen und Schafe zwischen den Büschen umher grasten , trat zu ihm und sagte : " Wenn der Herr meinem Rate folgen will , so steht Er auf , die Stelle ist ungesund , Er kann den Schwindel dort bekommen . " Wirklich hatte Hermann ein leichtes Übelbefinden verspürt , als er sich niedergesetzt hatte . Es verlor sich , sobald er aufstand . " Woher wißt Ihr das , Landsmann " , fragte er den Hirten . Dieser versetzte : " Das Vieh frißt dort nichts , es geht in einem Bogen um die Stelle , wie Sie an den Kräutern sehen können . Ein Gift muß da in der Erde verborgen sein . " Hermann bemerkte , daß die Gräser an der Stelle unberührt üppig emporgeschossen waren , während ringsumher der Zahn der Tiere die Halmen abgenagt hatte . Er fühlte sich versucht , mit dem Hirten , der aus klugen Augen schaute , das Gespräch fortzusetzen , und erfuhr eine Menge von Ernten- und Wetterprophezeiungen . Als er seine Zweifel kundgab , und fragte , wie der Hirte das alles erfahren habe , versetzte dieser : " Es trifft doch zu . Die Leute in der Stadt sehen von ihren Fenstern immer nur auf die Straßen und gewahren höchstens ein kleines Stückchen Himmel , und da meinen sie , kein Tag sei dem anderen gleich , und wenn sie das grüne Gemüse bekommen , verwundern sie sich , weil sie es nicht wachsen gesehen haben . Wir aber , die wir immer im Freien sind , merken , wie es mit Wolken und Wind , Wärme und Kälte und Wachstum steht , und ich versichre Sie , es geht jahraus Jahr ein immer in einem fort . Ich habe oft meine Gedanken , wenn die Herrn über die Erziehung , wie sie es nennen , sich streiten , und meine : » Fragtet ihr den Hirten um Rat , der würde es euch sagen . « " " Welche Herrn ? " " Der Herr Rektor , und der andere . Sie trinken ihren Kaffee zuweilen in meinem Baumgarten , weil sie von dort die schöne Aussicht , wie sie es nennen , haben , und ich muß ihnen das Feuer dazu besorgen . Sie haben immer ihr Gespräch , wie man die Kinder am besten in die Höhe bringen soll , und sie treffen es beide nicht . " " Wie würdet Ihr denn die Kinder erziehen , Freund ? " fragte Hermann . " Mehr wie das Vieh " , antwortete der Hirte . " Die Hauptsache bleibt das Waschen und Kämmen , das Füttern , und daß keins sich überfrißt . Für alles übrige sorgt der liebe Gott . Aus einem Schaflamme wird mein Tage keine Ziege , und aus einem Zickchen niemals ein Schwein . Aber soviel ich von den Worten der gelehrten Herrn verstehe , wollen sie immer auf dergleichen mit den Kindern hinaus . Da kommt der eine Herr eben mit seinen Söhnen . " Ein kleiner rascher Mann trat aus einem Hohlwege , gefolgt von vier bis fünf Knaben . Er stand auf der Wiese still , stützte sich auf seinem Stock , schaute umher und fragte dann den Hirten : " Was meint Ihr , Schäfer ? gibt es eine gute Ernte heuer ? " " Die Eichhörner haben noch nicht fertig gebaut , Herr Rat " , versetzte der Hirte ; " es läßt sich noch nicht sagen . " " Wie kann sich die Ernte nach dem Bauen des Eichhorns richten ? " " Wenn das Eichhorn sein Nest sehr dick baut , so gibt es Regen und kühle Witterung bis Fronleichnam , und danach kommt eine gute Ernte . Bauen sie dünn , so folgt Dürre und Trockne und die Saat verbrennt in der Erde . " Hermann trat mit einer höflichen Verbeugung zum Edukationsrat , sagte ihm ungefähr das nämliche , womit er sich bei der Rektorin eingeführt hatte , und bat um die Erlaubnis , ihn besuchen zu dürfen . Der andere verhielt sich zwar darauf freundlich , aber doch ganz trocken und kurz , und Hermann konnte bemerken , daß die Schmeichelei auf diesen Mann keinen Eindruck machte . Desto gesprächiger wurde er , als ihn jener auf sein System brachte , welches ein Gemisch von Basedowischen , Pestalozzischen und Jacototschen Reminiszenzen war . Während dieser Unterredung hatten die Knaben umher ihr Wesen getrieben . Zu seiner Verwunderung hörte Hermann , daß sie einander nicht bei den Namen , sondern nach Ständen riefen . Hinter dem Gebüsche fiel ein Schuß ; einer der Knaben kam mit der Vogelflinte und dem Erlegten heraus , und wurde von einem zweiten als Förster angesprochen mit der Frage , was er geschossen habe ? Der Förster versetzte : " Ich weiß es nicht , besieh du ihn , Naturforscher . " Der Naturforscher nahm den Vogel , betrachtete Brust , Rücken und Flügel , und sagte : " Es ist die gemeine Amsel ; turdus merula . Linné . " Ein kleiner munterer Junge verließ sein Spielwerk von Sand und Steinen an der Erde , sprang neugierig zu den Brüdern und wurde der Baumeister genannt . Außerdem war noch ein Pastor zur Stelle , ein stiller Knabe , der blöde vor sich hinsah . " Wie soll ich die Benennungen verstehen , welche sich Ihre Söhne untereinander geben ? " fragte Hermann . " Wie ich Ihnen schon gesagt habe , ist es mein Grundsatz , die mir anvertrauten Zöglinge auf dem kürzesten Wege zu Menschen , welche dem wirklichen Leben angehören , auszubilden " , erwiderte der Edukationsrat . " Ich wünsche sie ohne Umschweife zu dem zu machen , wozu man nach der alten Manier nur infolge der schmerzlichsten Pilgerschaft wurde , nämlich zu Bürgern . Deshalb ist in meinen Lehrplan nur das aufgenommen , was sie in ihrem künftigen Berufe unmittelbar brauchen : Länder- und Völkerkunde , Gewerbe , Naturwissenschaft , Geschichte der neuesten Zeit . Von Sprachen , namentlich von den toten , nur das Notdürftigste . Ich leugne die Würde des Gelehrten nicht , aber die Menschen so erziehen , als ob sie alle Gelehrte werden sollen , heißt das Bette des Prokrustes von neuem in Anwendung bringen . Am günstigsten steht die Aufgabe des Jugendbildners , wenn früh sich entschiedene Neigungen zeigen , die den künftigen Stand vorbedeuten . Denn der Stand ist eigentlich der Mensch . Dieses Glück hatte ich bei meinen Söhnen . Sobald die beiden ältesten nur auf ihren Füßen stehen konnten , schleppten sie an Steinen , Pflanzen , toten Tieren herbei , dessen sie habhaft wurden . Ich bemerkte indessen , daß der eine sich mehr mit dem Erbeuten , der andere mehr mit dem Trockenen und Aufbewahren abgab . Auch verließ den ersten bald die Lust am Mineralreiche ; er wandte sich ganz zum Vegetabilischen und Animalischen . Steckte nun also nicht in jenem der geborene Jäger , und in diesem der Naturforscher ? Der Kleine dort , der Baumeister , schnitt , seitdem er die Hände zu regen vermochte , Figuren in Papier und Pappe aus , und der Pastor , über den ich am längsten unklar gewesen bin , hat mich endlich dadurch von seiner Anlage überzeugt , daß er stundenlang still sitzen , und dann plötzlich aus dem Stegreife anfangen kann , Verse zu deklamieren . Anfangs gaben wir die Namen , welche Ihre Aufmerksamkeit erregt haben , den Knaben zum Scherz , nach und nach ist bei uns und ihnen , ja in der ganzen Anstalt daraus Ernst geworden , und sie werden nun in jeder Hinsicht so behandelt , als seien sie das schon , was sie werden sollen . " Hermann fühlte , daß man mit diesem Manne in der Kürze handelsein werden könne . Er fragte ihn , ob in seinem Hause auch Mädchen erzogen würden ? " Allerdings " , versetzte jener . " Mit ihnen hat aber lediglich meine Frau zu tun , ich bekümmere mich nicht um sie . Wir nehmen auch nur solche auf , welche durch irgendeine üble Gewohnheit oder einen eingewurzelten Fehler , meiner Frau , welche einen außerordentlichen Tätigkeitstrieb hat , ein Interesse gewähren . Gute , reinsittliche Kinder gehören nirgends anders hin , als unter die Flügel der Mutter , und das neuere Pensionswesen führt nur zur Koketterie oder zur Bleichsucht . An den Verwahrlosten aber verrichtet meine Frau wahre Wunder der Besserung . " Diese Erklärungen waren , wie sie Hermann nur wünschen konnte . Er trug dem Pädagogen sein Anliegen vor und verschwieg nicht , daß Flämmchen diesem vielleicht nur zu unbändig erscheinen werde . " Das hat nichts zu sagen " , versetzte der Edukationsrat . " Wenn Sie meine Frau kennenlernen , werden Ihre Zweifel schwinden . Die Sache ist abgemacht ; wir haben gerade einen Platz offen , da wir gestern eine Gebesserte ihren Eltern zurückschickten . Sie legen die Jahrespension bei mir nieder , und können dann Ihr Komödiantenkind bringen , wann Sie wollen . " Beide gingen miteinander den Abhang hinunter , dem Tore zu ; der Hirte aber , welcher ihrem Gespräche kopfschüttelnd zugehört hatte , sagte : " Wenn ein Stück krank wird , so nehme ich mich der Kreatur an ; aber das sollte mir fehlen , eine räudige Herde mir zusammenzubetteln . " Er wollte sich hierauf in der Mitte der Ziegen und Schafe niedersetzen , um sein Brot mit Käse zu verzehren , als sich ihm vom Walde her eine sonderbar aussehende Figur näherte , welche wir später kennenlernen werden . Drittes Kapitel Drittes Kapitel Leichtern Herzens setzte sich Hermann unter der Laube , wo die Rektorin hatte decken lassen , zu Tische . So rasch war ihm seit lange nichts geglückt . Er war sehr heiter , und überbot sich mit der Alten , welche nichts lieber hatte , als Lachen und Lustigkeit , in drolligen Einfällen . Ein junger Mann , welcher ihm als der Konrektor vorgestellt worden war , und ein wohlgebildetes Frauenzimmer , jedoch schon in gewissen Jahren , auch dem Hause , wie es schien , angehörig , und Wilhelmine genannt , machten die Gesellschaft aus . An verschiedenen kleinen Aufmerksamkeiten , die der Konrektor , der sonst ziemlich zerstreut war , ihr erwies , und an flüchtig gewechselten Blicken konnte er bald abnehmen , daß zwischen ihnen ein Verhältnis entstanden oder im Entstehen sei . Cornelie saß mit niedergeschlagenen Augen ihm gegenüber . Sie berührte die Speisen kaum , sprach nichts und antwortete , wenn er sie anredete , errötend nur das Notwendigste . Die Rektorin , welche schon bei der Szene im Garten ihre eigenen Gedanken gehabt hatte , ließ zwischen beiden prüfende Blicke hin und her wandern . Er brannte , zu erfahren , wie Cornelie hierher komme , und beschloß , die Rektorin darüber sobald als möglich auszufragen . Sie waren beim Obste , als eine kräftige tiefe Baßstimme durch das Weinlaub erscholl , und der Virgilianische Vers : Nunc frondent silvae , nunc formosissimus annus ! den Speisenden zugerufen wurde . Alles sprang auf , die Rektorin rief : " Der Vater ! " und herzte eine lange hagre Mannsgestalt , welche mit heftigem Schritte in die Laube trat . " Quis ? " fragte der Rektor , auf Hermann deutend . " Candidatus , nec non , nisi fallor , baccalaureus " , versetzte seine Frau . " Salve ! " sagte der Rektor , und gab ihm derben Handschlag . " Ubi liberi ? " fragte die Rektorin . " Sie schwärmen noch , sicuti hoedi , wie die Böcklein , in pratis " , antwortete der Hausherr . " Da die Ferien erst morgen zu Ende gehen , so wollte ich ihnen diese fernere Freiheit gönnen , denn auch Cicero scherzte nach den Staatsgeschäften in seinem Tusculo . " Er bat die Gesellschaft , sich nicht stören zu lassen ; er sei ermüdet , und wolle schlummern , worauf er sich entfernte , ohne den Hut vom Haupte zu tun , den er auch bei dem Eintritte nicht abgenommen hatte . Nach dem Essen sagte die Rektorin : " Nun zu unserem Eumäos . Der Himmel ist wunderklar , wir werden einen prächtigen Nachmittag draußen haben . Cornelie " - fuhr sie nach kurzem Innehalten schalkhaft fort- " mag mit dem Gastfreunde vorangehen , und ihm die Gegend zeigen , wir alten verständigen Leute , der Herr Konrektor , du Wilhelmine und ich , schlendern gemächlich hinterdrein . " Auf dieses Wort entfernte sich Cornelie , wie um etwas zu holen , und einige Augenblicke darauf sah Hermann sie zu seinem Verdrusse mit dem Konrektor und Wilhelmminen , denen sie einen verstohlenen Wink gegeben hatte , über die Straße nach dem Tore zu gehen . Die Rektorin hatte sich den Strohhut aufgesetzt und kam zurück . " Noch hier ? " fragte sie . " Wo ist das Jungfräulein ? " - " Es scheint " , erwiderte Hermann etwas verlegen , " daß man meine Begleitung nicht wünscht . Woher ist dieses junge Mädchen ? Wem gehört sie an ? Was führte sie zu Ihnen ? " " Ei , so eifrig ! " sagte die muntere Frau . " Und wie unwissend der Herr Kandidat sich anstellen ! Gut denn , da Sie der Belehrung in dieser Hinsicht so bedürftig sind , so sei Ihnen gedient . Mein Kornelchen ist die Pflegetochter der Kommerzienräten Hermann , von dieser meiner alten Jugendfreundin mir auf einige Monate zum Besuche geschickt . Damit aber hat die Beichte ein Ende ; das übrige bleibe vorderhand noch unter sieben Siegeln . Jetzt auf Ihre drei Fragen eine zurück : Was halten Sie von dummen Streichen in der Liebe ? " " Wie soll ich das verstehen ? " fragte Hermann äußerst bestürzt . " Zum Beispiel so . Wenn ein junger Mann nur geradezu , ehrbar , im schwarzen Frack mit weißen Manschetten , hintreten und um ein frommes schönes Kind werben dürfte , statt dessen aber lieber unter fremdem Namen in ein stilles Bürgerhaus eindringt , und allerhand Angst und Schrecken verbreitet . " " Um Gottes Willen ! " rief er , " was hat Sie in diesen seltsamen Irrtum versetzt ? " " Irrtum ? - Machen Sie mich nicht zu Ihrer Feindin . Ich meine es ja wohl mit Ihnen , mir gefallen die Schleifwege der Zärtlichkeit . Auch mein Alter mußte bei Nacht und Nebel mit mir zusammenkommen , weil die Base den jungen Menschen , der nur einen Rock besaß und weiter nichts , von ihrer Schwelle wies . Es ist mir nichts langweiliger , als die Vernünftigkeit der jetzigen jungen Leute , welche ohne die Aussicht auf ein Amt , oder auf eine reiche Mitgift , dos , dotis , sich gar nicht mehr verlieben . Also nur frisch zu ; die Rektorin steht Ihnen bei . Aber ein Kandidat sind Sie nicht , denn Sie haben keine Pfeife , tragen feine Wäsche und machen Fehler gegen die lateinische Prosodie . " Viertes Kapitel Viertes Kapitel Draußen , auf grünem birkenbesetzten Rasen , machten sich die Frauenzimmer um das Feuer zu schaffen . Der Ort war wirklich allerliebst und verdiente zum Familien- und Nachmittagsplätzchen ausersehen zu werden . Links und rechts sah man in das lichte , weißstämmige Gehölz , zwischen den Bäumen lag das reinlich gehaltene Häuschen des Hirten , am Fuße der Anhöhe sprang die Stadt in einem scharfen , mit Warttürmen gekrönten Winkel vor , der Fluß wand sich blinkend um diese Ecke . Nimmt man dazu , daß unter den Birken ein Sauerwasser aus der Erde quoll , über welchem von vorsorglicher Hand das Brunnendach gewölbt worden war , so hat man das Bild der friedlichen anmutigen Stelle . Der Konrektor sprach mit einem Menschen , der seinen Gesichtszügen nach unkenntlich , auf einer Bank abseits am Hause saß . Er trug einen ziemlich verbrauchten Rock von weißlicher Farbe , und einen Hut mit breiter Krempe , der das Antlitz verschattete . Was davon noch zu sehen gewesen wäre , bedeckte zum Teil wieder eine schwarze Binde , die über dem linken Auge und über der Wange lag . " Wer ist der Mensch ? " fragte die Rektorin , welche jetzt , geführt von Hermann , zum Platze gekommen war . " Ein armer Spätrückkehrender aus Spanien , wie er sagt , wo er die sonderbarsten Schicksale erlebt haben will " , versetzte der junge Schulmann . " Er wandert zu seinen Eltern , die noch weit von hier wohnen sollen . Da er nicht Geld genug hatte , um in der Stadt einzukehren , so hat er seine paar Groschen dem Hirten gegeben , der ihm dafür auf einige Tage Obdach gewähren will . Er hat sich nach Ihnen und Ihrem Gemahle eifrig erkundigt , wie mir der Hirte sagte . " Die Rektorin trat auf den Verhüllten zu , und fragte ihn : " Kennen Sie uns ? Wissen wir etwas von Ihnen ? " " Wohl schwerlich " , versetzte der Fremde mit einer tiefen und rauhen Stimme . " Ich hatte nur von Ihnen , als von mildtätigen Leuten gehört , und da mein Weg noch weit ist , und mein Geld mir ausgegangen war , so ließ ich mir Ihr Haus beschreiben . Sie um eine Gabe anzusprechen . " Sie erwiderte ihm etwas Freundliches und reichte ihm vorderhand , was sie bei sich trug , mit gutmütiger Einladung auf Speise und Trank in ihrem Hause . " Wenn ich auch den Bettlern sonst eben nicht hold bin " , mit diesen Worten wandte sie sich an Hermann , " so bekommt doch jeder Soldat etwas , der aus der Kriegsgefangenschaft in den fremden Ländern , wohin unser junges deutsches Blut geschleppt wurde , zurückkehrt . Mit diesen Almosen ehre ich das Andenken meines umgekommenen Sohns . " Hermann , dem es lieb war , daß sich die Gelegenheit zu einer von ihm ablenkenden Unterredung darbot , erkundigte sich nach diesem Hausunfall und hörte ein Geschick , wie es durch die ungeheuren Kriegsereignisse leider so vielen deutschen Familien bereitet worden ist . Die Rektorin erzählte ihm , daß ihr ältester Sohn , ein wilder Siebenzehnjähriger Bursche , mit dem der Vater nie zurechtkommen können , im Jahre Zwölf ihnen fortgelaufen und der Fahne des Eroberers nach Rußland gefolgt sei . Bis Smolensk , ja bis zur Moskwa habe er , da er bald seinen Schritt bereut , noch Nachricht gegeben , nachher sei er verschollen . " Wir hatten nach dem Frieden alle möglichen Erkundigungen angestellt , wir hatten , da diese nichts fruchteten , ihn betrauert und ihn darauf zu den Toten geschrieben " , fuhr die Rektorin gleichmütig fort . " Da machte er uns vor kurzem auf einmal wieder Unruhe . Ein hübsches Erbteil , welches ihm angefallen ist , und auf welches wir nach seinem Tode Anspruch haben , kann von uns nicht erhoben werden , bevor er nicht bei den Gerichten förmlich für tot erklärt worden ist . Und dieses Geld käme uns gerade jetzt sehr zustatten , da die Bibliothek eines Professors in H. aus freier Hand verkauft werden soll , die der ganze Herzenswunsch meines Mannes ist , weil sie die Lücken seiner eigenen vollständig ergänzt . Auch den beiden halben Liebesleuten da soll die Todeserklärung helfen . Zu den törichten Streichen meines Sohns gehörte auch , daß er sich mit Wilhelmminen , welche damals sechzehn Jahre alt war , alles Ernstes versprochen hatte . Die Sache ist natürlich veraltet , der Konrektor und sie geben ein gutes Paar ab , sie ist auch mit ihm einig ; dann aber kommen wieder Tage , wo ein überspannter Begriff von Treue in ihr aufwacht , wo sie Gewissensbisse empfindet , daß sie einem Zweiten angehören wolle , ehe sie noch völlig überzeugt sei , daß der Erste nicht mehr unter den Lebendigen wandle - kurz auch da wird der Ausspruch nötig sein , daß der Tote wirklich tot sei , um alles zum Abschluß zu bringen . Wir haben viele Umstände von dieser Angelegenheit gehabt , mein Alter war deshalb nach S. gereist , ich hoffe , daß er seinen Zweck erreicht hat . " In dieser Erzählung fuhr sie noch eine Zeitlang fort , und sprach über die Dinge , welche sie und ihr Haus betrafen , mit derselben Rückhaltlosigkeit , welche ihr in Reden über fremde Verhältnisse eigentümlich war . Hermann , welcher diesen Geschichten etwas zerstreut zuhörte , und seine Augen umherschweifen ließ , bemerkte , daß der Fremde von seiner Bank gespannt lauschte , und das Haupt nicht von der Redenden abwandte . Indessen war das Getränk am Feuer zubereitet wor den , Cornelie und Wilhelmine verteilten die Tassen und als hätte die Nachahmung der " Luise " vollkommen getreu werden sollen - die Löffel waren wirklich vergessen und mußten durch Birkenstäbchen ersetzt werden , die der Konrektor rasch zu dem Zwecke zu liefern wußte . Cornelie hatte , da dieser sich seinen Platz neben Wilhelmminen nicht rauben ließ , neben Hermann sitzen müssen , machte ihn aber ihrer Nähe nicht froh , sondern benutzte jeden Vorwand , um aufzustehn und etwas zu besorgen . Als es Abend werden wollte , kam der Rektor den Hügel herauf . Zugleich erschien von der Wiesenseite der Hirte , welcher sein Vieh eintrieb . Sie begegneten einander auf halbem Wege und der Rektor , welcher mit dem Hirten immer seinen archäologischen Verkehr hatte , begrüßte ihn , und sagte : " Wie geht es dir , männerbeherrschender Sauhirt ? " " Herr Rektor " , versetzte der Hirte , " Sie wissen es ja , daß ich keine Schweine hüte , sondern nur Ziegen-und Schafvieh . Und was die Männerbeherrschung angeht , so bin ich froh , wenn ich meine Herde in Ordnung halte , mit weiterem Regiment gebe ich mich nicht ab . Aber Sie haben hier so oft die alte Geschichte von dem Manne erzählt , der , ich weiß nicht , wie ? heißt , und so lange fortgewesen ist , und endlich zurückkommt und bei dem Hirten liegt ... " " Nun , und ? Pergas ! " sagte der Rektor . " Ich meine nur , daß noch alle Tage kuriose Dinge vorfallen können " , sagte der Hirte . " Nun erzähle mir , wie deine Reise abgelaufen ist " , sagte die Rektorin zu ihrem Manne . " Ganz nach Wunsch " , versetzte dieser . " Unsere Zeugnisse und Bescheinigungen sind endlich als gültig angenommen worden . Wir haben nur noch den üblichen Eid zu leisten , daß wir seit dem Verschwinden Eduards nichts von ihm vernommen haben und ihn wirklich für tot halten , und dazu ist schon der nächste Donnerstag angesetzt worden . Tandem aliquando , kann ich sagen ; die Bibliothek ist unter Brüdern das Dreifache wert , was dafür gefordert wird . " Beide Gatten ergingen sich noch in behaglichen Gesprächen über die gehabte Mühe , die nunmehr hinter ihnen lag , Hermann war in eigene Gedanken verloren , und Cornelie zerpflückte wie im Traume Blumen . Aus diesem Gespräche und Sinnen wurden alle durch einen dumpfen Schrei aufgeschreckt , den der Fremde ausstieß . Sie sahen sich um , und erblickten den jungen Schulmann , der neben Wilhelmminen , verlegen , die Augen gesenkt , stand . Auch sie war errötet . Der Fremde erhob sich , und ging in die Hütte . Man konnte bemerken , daß er wankte . Hermann war ihm gefolgt . Der Fremde lag schluchzend , das Haupt auf einen Tisch gelegt , und rief , da er den Eintretenden in seinem Schmerze nicht gewahr wurde , selbstvergessen : " Ja , ich bin ein Toter , und unter den Lebendigen ausgetan ! " - In Hermann stieg blitzschnell eine Vermutung auf , die ihn vermochte , leise wie er eingetreten war , die Stube zu verlassen , um nicht eine zu gewaltsame Szene herbeizuführen . Er sagte der draußen wartenden Gesellschaft , daß der Wanderer von der großen Anstrengung , die er gehabt , ein Übelbefinden gespürt habe , jedoch sich schon wieder erhole , und bewog sie , von weiterer Sorge um ihn abzustehn , und den Rückweg nach der Stadt anzutreten . Nach so mannigfaltigen Vorfällen , die sich im engen Rahmen einer beschränkten bürgerlichen Haushaltung ereignet hatten , fühlte er das Bedürfnis der Einsamkeit , und war sehr froh , als er sich nach überstandenem Abendessen auf seinem Erkerzimmerchen befand . Er ließ den Zustand , in den er , ohne es zu wollen , eingetreten war , an seiner Seele vorübergehen , und wenn ihm die Weise dieser Leute freilich etwas eng und einförmig vorkommen wollte , so fühlte er doch , daß auf so schlichtem Denken und Empfinden eigentlich das Glück des Daseins Ruhe . Aber auch dieser Idylle waren die düstern Farben der entsetzlichen Welterschütterung zugeteilt , auch in sie ragte eine fremde unheimliche Gestalt hinein . " Ach ! " rief er aus , " wer kann jetzt wissen , ob er nicht auch einmal , unkenntlich seinen Nächsten , fremd und abgeschieden umherschwanken wird ? " Er sah durch das Fenster . Ein schöner Stern ging hell am Horizonte auf . In diesem Augenblicke trat das Bild Corneliens wieder vor seine Seele , und eine innige Wärme durchdrang ihn . Er hatte nicht zehn Worte mit ihr gesprochen und doch war es ihm , als kenne er sie seit Jahren . Er hatte geglaubt , sein Herz sei in Liebeshändeln abgemüdet , und nun kam es ihm vor , als habe er noch nie empfunden . Er fühlte ein unaussprechliches Verlangen , sich anzuheften , anzuklammern , und dem zweck- und planlosen Leben ein Ende zu machen . Mit diesen frommen Regungen sank er auf sein Lager zum erquickendsten Schlummer nieder . Fünftes Kapitel Fünftes Kapitel Gestärkt durch einen freundlichen Gruß Corneliens , welche ihm frisch wie der Morgen begegnet war , ging er anderen Tages , sobald es ihn schicklich dünkte , zum Edukationsrat . Sie schien ihm freier zu sein , als gestern . Bei dem Edukationsrate hatte er bald sein Geschäft in Richtigkeit gebracht . Nun lernte er auch die Frau des Erziehers kennen . Er fand sie allerdings geeignet , dem Systeme , wonach hier eingewurzelte Fehler ausgetrieben werden sollten , Nachdruck zu verschaffen . Sie war von ungewöhnlicher Größe , starken Gesichtszügen ; auf ihrer Oberlippe ließ sich ein leichtes Bärtchen nicht verkennen . " Nach Ihrer Erzählung ist das Kind , dessen Sie sich annehmen , mittellos , folglich zum Dienen bestimmt " , sagte sie zu Hermann . " Ich werde sie daher mit besonderer Strenge zum Kochen , Backen und Spinnen anführen , und wenn sie soweit ist , sich selbst zu helfen , ihr eine Kondition verschaffen . " Hermann mußte hierauf mit den beiden Ehegatten einen Gang durch das Gebäude machen , um alle Einrichtungen zu beaugenscheinigen . Das Haus war früher ein städtisches Mehlmagazin gewesen , und konnte noch nicht ganz seine vorige Bestimmung verleugnen . Denn abgesehen davon , daß darin , nach der Klage seiner Führer , eine unermeßliche Anzahl Grillen zurückgeblieben war , wozu sich , wie sie sagten , nunmehr leider auch beträchtliche Wanzenscharen zu gesellen schienen , so waren auch noch nicht sämtliche Räume zu dem Erziehungszwecke ausgebaut . Der Edukationsrat hatte mit mäßigen Geldkräften anfangen müssen , zu wirtschaften , und so grenzten denn noch weite , wüsste Speicher mit Lukenöffnungen an Wohnzellen und Lehrzimmer . Über mehreren Türen stand mit großen Buchstaben der Spruch : Nach Freiheit strebe der Mann , Das Weib nach Sitte ! " Ist Ihnen diese Maxime so wichtig ? " fragte Hermann . " Ganz gewiß " , versetzte der Edukationsrat , " denn in diesen zwei Zeilen ist die Bestimmung der Geschlechter vollständig ausgedrückt , und alles , was noch sonst darüber gesagt werden mag , ist nur ein Kommentar jener Verse . Leider bekomme ich nur meine Zöglinge nicht so unverbildet , wie ich meine eigenen Knaben erhalten habe . In der Regel ist ihnen durch Zwang schon allerhand eingeimpft , was denn erst wieder heraus muß , damit nur die Natur zum Vorschein kommt und ich sehe , wozu eines jeden Sinn und Neigung ihn führt . Habe ich das erkannt , so ist eigentlich das Hauptgeschäft getan , und die junge Raupe frißt sich , wenn ich ihr nur die Blätter gebe , worauf ihr Instinkt sie angewiesen hat , von selbst zum Schmetterling . " Hermann mußte über dieses seltsame Gleichnis lächeln und wandte ein , daß wenn man sich nach eines jeden Neigung richten wolle , man so viele Erzieher haben müsse , als Kinder in die Welt gesetzt würden . " Ein System ist nur unter Beschränkungen auszuführen , das versteht sich von selbst " , versetzte nicht ohne Empfindlichkeit der Realschulmann . " Annähernd aber kann man allerdings verfahren , und um ein Beispiel zu geben : Ich quäle diejenigen , welche einen entschiedenen Sinn für Mathematik und Zeichnen verraten , nicht mit der Technologie , und so umgekehrt . Das glücklichste wäre , wenn meine Methode nach und nach zur Aufhebung der Universitäten führte , die in ihrer jetzigen Gestalt wahre Invalidenanstalten des Geistes sind . Wenigstens müßte die philosophische Fakultät , in welcher man alles Wichtigste : Geschichte , Geographie , Naturkunde und was sonst noch , zusammengerührt hat , in Spezialschulen auseinandergelegt werden . Geschichte kann man nur lernen in einer Gegend , wo die verschiedenen Perioden der Vergangenheit ihre Niederschläge in Denkmalen , Sprache und Sitten abgesetzt haben ; ebenso Erdkunde und Physik nur an wirklich bedeutenden Naturpunkten . Was Jurisprudenz und Theologie betrifft , so möchten diese immerhin bleiben , wo sie sind , und die Philosophie kann freilich auch überall und nirgends gelehrt werden . " " Mit deinem Systeme hat es noch weite Wege " , sagte die Edukationsrätin , welcher Hermann die Ungeduld angesehen hatte , auch zum Wort zu gelangen . " Desto kürzer ist das meinige auszuführen . Ja , mein Herr , das Weib strebe nach Sitte ! das ist die ganze Weisheit weiblicher Erziehungskunst . Und was heißt Sitte ? Gehorsam , Fleiß . Daher : um fünf Uhr morgens aufstehen , gehorchen , bis neun Uhr abends die Hände nicht in den Schoß legen , und dann wieder zu Bett ! Alles andere ist ganz unnütz , wir lernen nichts aus Büchern , sondern nur durch Umgang und Menschen . Wenn sie heiraten und Kinder bekommen , wird Klavierspielen und Französisch an den Nagel gehängt . Stille , Liebe , Verträglichkeit , bescheidenes Fügen , das sind die Eigenschaften , welche uns ziemen und zieren . " Sie bekam gleich Gelegenheit , diese Tugenden einzuschärfen , und zugleich den Besuchenden von ihrem Ansehn zu überzeugen . Denn in einer an den Gang , über den sie wanderten , stoßenden Stube , worin Hermann kurz zuvor eine Menge junger Mädchen bei häuslicher Arbeit eingepfercht gesehen hatte , erhob sich ein ungemeiner Lärmen und heftiger Streit . Sofort rief die Edukationsrätin mit donnernder Stimme : " Still ! " und stampfte mit dem Stocke , den sie beständig in der Hand führte , heftig auf den Fußboden ; worauf augenblicklich die tiefste Ruhe eintrat . Beim Abschiede legte der Edukationsrat Hermann die Hand auf die Schulter , und sagte mit Feierlichkeit : " Ich freue mich , einen Mann gefunden zu haben , der mit Aufmerksamkeit Grundsätze anhört , von welchen , wenn sie durchdringen , die Erneuung des Menschengeschlechts beginnen muß . Mehr könnte ich wirken , wenn mir der Rektor mit seinem Gymnasio nicht auf dem Halse säße . Dieser Mann , sonst ein achtungswerter Gelehrter und gewissermaßen mein Freund , schadet mir durch sein falsches Beispiel über alle Begriffe . So muß ich notgedrungen Ferien halten , weshalb Sie auch jetzt alle Knabenzimmer leer sehen . Denn obgleich sie das ganze Jahr hindurch nur spielend lernen , und also einer besonderen Erholungszeit nicht bedürfen , so regt sich in ihnen jedesmal eine unbezwingliche Unruhe , wenn sie die Gymnasiasten abziehen sehen , und ich muß sie dann wider Willen entlassen . Deshalb habe ich auch vor , wenn es sich irgend tun läßt , fortzuziehn , und meine Anstalt in eine abgelegene Gegend des Gebirges , wo sie vor schädlichen Einflüssen gesichert ist , zu verpflanzen . " Obgleich Hermann in dem , was er von beiden Personen gehört hatte , den guten Willen und auch zum Teil das Richtige nicht verkennen mochte , so war die Lokalität doch wenig geeignet , in ihm die Behaglichkeit hervorzubringen , welche das Haus des Rektors gleich entschieden in ihm erweckt hatte . Denn außer dem Wüssten und wenig Erfreulichen der nicht ausgebauten Räume hatte sein Auge der Anblick mancher Unordnung verletzt , welche in Zimmern und Vorplätzen trotz den Worten der Edukationsrätin sich dort bemerken ließ . Um die Stunden hinzubringen , ging er in die Bibliothek des Rektors , wozu ihm dieser gleich nach den ersten Begrüßungen die Erlaubnis gegeben hatte . Sie war wegen ihrer Größe nicht im Studierzimmer aufgestellt , sondern hing nur mit diesem durch ein kleines Gemach zusammen . Ausgestattet mit allem , was zur klassisch-philologischen Rüstkammer gehört , war sie besonders reich an Apparaten zum Eutropius . Der Rektor hatte auf eine Ausgabe dieses untergeordneten Schriftstellers große Mühe und viele Zeit verwendet , und denn auch ein Werk geliefert , welches in der gelehrten Welt nur rühmlichst genannt wurde . Es fehlte indessen dieser Büchersammlung ebenfalls nicht an Engländern und Deutschen . Er nahm ein englisches Buch , in welchem Menschen- und Weltverhältnisse aphoristisch betrachtet wurden , zur Hand , um darin zu lesen , und fand einen Satz , der ihn stutzig machte , er wußte nicht , warum ? " In flachen Gegenden oder auf dem Meere " sagte jener Autor , " gibt es ein Phänomen , welches man das Heliakallicht nennt . Die Kugel der Sonne bildet sich frühmorgens in den Dünsten ab , welche den Luftkreis durchziehn , das Tagesgestirn scheint schon aufgegangen zu sein , während es in der Tat noch unter dem Horizonte verweilt . Etwas Ähnliches begegnet oft im Leben . Das Schöne , Reizende , Wünschenswerte zeigt sich uns nicht selten zuerst in seinem Dunstbilde , wir meinen es dann schon zu besitzen , und doch ist es vorderhand nur ein Schein , der erst einige Zeit später zum leuchtenden und wärmenden Gestirne unserer Tage werden kann , wenn das Schicksal es uns überhaupt so gönnen will . " Sechstes Kapitel Sechstes Kapitel In der Lektüre und in den dadurch angeregten Gedanken störte ihn ein dumpfes Geräusch , welches vom Nebenhäuschen im Hofe heraufdrang . Er sah die Knaben des Rektors , welche schon abends zuvor im väterlichen Hause wieder eingerückt waren , auf den Stufen der Vortreppe übereinander sitzen , und hörte ihre Vorbereitung zu den morgen aufs neue beginnenden Lektionen . Da sie verschiedenen Alters waren , so reichten sie von Quinta bis Prima hinauf und trieben folglich die Latinität von " alauda cantat " bis zum Exponieren des Virgil . Ganz laut wurden diese Studien betrieben , wodurch ein Geräusch entstand , nicht unähnlich demjenigen , welches in einer Judenschule zu tönen pflegt . Was Hermann in Erstaunen setzte , war , daß keiner den anderen irrte , vielmehr jeder sein Pensum unter den fremden Beschäftigungen , die ihm vor dem Ohr klangen , fortlernte . Nachdem dieses babylonische Sprachgemisch eine Zeitlang angehalten hatte , kamen zwei Söhne des Edukationsrats vorsichtig durch eine Hintertür geschlichen . Es war der Naturforscher und der Baumeister . Ersterer trug eine große Flasche , letzterer einen Topf und ein leinenes Säckchen . Sie sahen sich vorsichtig um , als fürchteten sie , bemerkt zu werden , und schlichen sodann zu den Lateinern . Sobald diese jene bemerkten , warfen sie Brüder , Cäsar und Virgil weg , stießen ein Freudengeschrei aus und hielten mit den beiden Angekommenen ein heimliches Gespräch , wobei von letzteren viel auf Flasche , Topf und Beutel gedeutet wurde . Nachdem einer darauf einen Spaten ergriffen hatte , zog der ganze Trupp durch die Hintertür nach dem wüssten Platze ab , welcher dort zwischen Scheunen der Nachbarn neben dem Garten lag . Durch die offene Türe sah Hermann sie noch an der Erde graben und wirtschaften , ohne gewahr werden zu können , was sie eigentlich vornahmen . Im Verlaufe des Tages fragte er den Rektor , ob seine Söhne Grammatik und Autoren immer auf die Weise behandelten , welche er wahrgenommen hatte . " Jederzeit " , antwortete dieser . " Sprache kommt her von Sprechen . Man kann sie nur laut lernen . An dem hörbaren Schalle prägt sich alles lebendiger ein ; stilles Lesen und Memorieren ist nur ein halbes Werk . " " Ich habe mich deshalb auch genötigt gesehen , die Jungen nach dem Nebengebäude zu verweisen , welches früher eine Waschküche war , denn im Hause war das Getöse nicht auszuhalten " , sagte die Rektorin . " Es gab allerdings zuweilen multum clamoris " , sprach der Rektor gravitätisch . Hermanns Besuch bei dem Edukationsrate war fruchtbar geworden , und diese Nachricht gab zu allerhand Scherzen über diesen Mann und sein Erziehungswesen Veranlassung , worin besonders die Rektorin unerschöpflich war . Sie verschonte auch sein Zöpfchen nicht , welches er freilich , auffallend genug , noch trug , da doch dieser Zierat schon längst abgekommen ist , und meinte , er lasse es nach seinem Grundsatze von der Freiheit der Entwicklung stehen , weil die Haare nun einmal diese Richtung genommen hätten . " Dieser sonst würdige Mann und mein Freund wird durch seine fast pueril zu nennenden Grillen noch einmal das größte Unglück herbeiführen " , sagte der Rektor . " Heute morgen vertraute mir der Apotheker , welcher hier vorbeikam , daß zwei seiner nebulonum , der sogenannte Naturforscher und der Architekt , in der Offizin fünf Pfund Eisenfeilspäne und eine große Flasche Vitriolsäure angekauft hätten . Was nun die Knaben damit Verderbliches beginnen wollen , mögen die unsterblichen Götter wissen . " Bei diesem Hin- und Herreden wurde Hermann , der sich nun auch noch an so manches aus den Gesprächen des Edukationsrats erinnerte , das sonderbarste Verhältnis offenbar , eins von denen , welche der deutschen Stuben- und Gelehrtenwelt eine so wunderliche Gestalt geben . Beide Schulmänner gingen von Prinzipien aus , die , jedes in seiner Art , etwas für sich hatten . Denn alle Bildung bestand ja von Anbeginn der Geschichte nur darin , daß man entweder durch einen mächtigen allgemeinen Begriff das Individuum zu steigern versuchte , oder sein besonderes Inneres erforschend , es zu entfalten suchte . Da sie nun aber diese Grundsätze auf die Spitze trieben , so sahen sie sich mit der Welt , welche eigentlich beide zu einer unbestimmten Mitte verflacht wissen will , in beständigem Widerstreite . Häufig kam der Fall vor , daß Eltern ihre Söhne dem Edukationsrate nach kurzer Frist wieder wegnahmen , " weil sie bei ihm nichts lernten " , und der Rektor war schon verschiedentlich von der oberen Behörde scharf bedeutet worden , die Kräfte der Jugend weniger anzugreifen , und über das Studium der Alten nicht alles andere zu vernachlässigen . Beide hatten aber beschlossen , fest zu beharren bei dem , was sie für wahr erkannten , beide fühlten sonach die Notwendigkeit , zu stets bereiter Polemik gerüstet zu sein . Das Bedürfnis , sich in dieser zu üben , hatte die Gegner zueinander geführt , und da sie nebenbei joviale rechtschaffene Männer waren , so schlich sich unter allem Streit und Hader eine aufrichtige Freundschaft ein , die sich schon durch verschiedene wesentliche Dienste , welche einer dem anderen erwiesen , betätigt hatte . Freilich konnte ein Dritter bei ihren Zusammenkünften , welche wöchentlich regelmäßig einige Male stattfanden , davon nichts merken , denn diese gingen nie ohne hitzige Wortgefechte ab . Zwischen ihren Häusern hatte sich überhaupt ein förmlicher kleiner Krieg ausgebildet , und es war ein eigenes Idiom entstanden , welches dem Nichteingeweihten unverständlich war . So hatte Hermann bei dem Edukationsrate von den Alten , und bei dem Rektor von den Ständen , wie von lebenden Personen reden hören , und erst durch einige Fragen herausgebracht , daß mit dem ersten Ausdrucke die Söhne des Rektors und mit dem zweiten die des Edukationsrats gemeint waren . Die Gattin des letzteren tat sich viel auf den Einfall zugute , daß der Rektor alles Ernstes bedaure , seinen Hirten nicht Schweine hüten zu sehen , weil dieser in seiner gegenwärtigen Verfassung doch noch keine vollkommene Ähnlichkeit mit dem Homerischen Vorbilde zeige ; die Rektorin dagegen nannte ihre rüstige Freundin wegen des schon berührten Stabes nie anders als die speerschwingende Minerva . Das Geschick hatte noch außerdem für Mehrung der Verwicklungen gesorgt . Durch eine besondere Nemesis sah sich der Edukationsrat gezwungen , seinen Pastor , bei dem es denn doch nun einmal ohne Römer und Griechen nicht abgehen konnte , zu dem Widersacher auf das Gymnasium zu schicken . Lange hatte er sich gesträubt ; der Knabe , welcher ohnehin keinen raschen Kopf hatte , war daher für seine Jahre zurückgeblieben und saß in einer unteren Klasse . Diesen Umstand verfehlte der Rektor nicht bei Gelegenheit gehörig aufzustechen . Im stillen hatte er sich vorgenommen , dem Pastor , sobald er nur erst die Rudimente hinter sich hätte , selbst alle mögliche Nachhülfe zu geben , ihn der Kanzel zu unterschlagen , aus ihm einen Philologen zu bilden , und so dem Gegner aus seinem eigenen Blute den Rächer an den verachteten Klassikern zu wecken . Dagegen erlebte der Rektor nun wieder an seinen Knaben manches Leidwesen . Ihnen war streng jeder Umgang mit den Söhnen des Edukationsrates untersagt worden , von welchen der Vater nur Zerstreuung und allerhand törichte Streiche besorgte . Aber die Alten fühlten eine unbezwingliche Neigung zu den Ständen , die immer etwas Neues vorzuweisen und anzugeben hatten , und befriedigten dieselbe auf hundert und aber hundert Schleifwegen . Gegenseitig wurden geheime Besuche abgestattet , denen der Edukationsrat mit stiller Schadenfreude nachsah , der Rektor dagegen durch einen Vorpostendienst , zu dem er sich selbst in Haus , Hof und Garten bequemen mußte , möglichst entgegenzutreten strebte . Alles dieses störte indessen die Geselligkeit beider Familien nicht , und so war auch an dem Tage , von welchem hier die Rede ist , ein Abendessen im Garten des Rektors verabredet worden . Der Fischer hatte der Rektorin einen großen Hecht , frisch aus dem Wasser gezogen , überbracht , welcher nicht allein verzehrt werden durfte . Cornelie , welche das Lusthäuschen zum Empfang der Fremden ausschmückte , kam von ihrer Arbeit eilig zu Hermann und sagte leise zu ihm : " Bringen Sie doch heute etwas auf , worüber kein Streit entstehen kann . Ich weiß gar nicht , warum sie hier zusammenkommen , wenn sie immer miteinander Zwist haben wollen . Es hört sich so unangenehm zu . " Er ging und sann , wie er ihrem Gebote Folge leisten solle . Als gegen die Zeit des Besuches der Rektor in das Lusthäuschen trat , sah ihm seine Gattin einige Verstimmung an . " Wir bekommen noch einen Fremden , der mir nicht ganz gelegen ist " , sagte er " * übernachtet auf seiner Reise nach * in unserem Orte , und hat sich anmelden lassen . Er ist mir als Feind meines teuren , hochverehrten Johann Heinrich , und weil er , der Gelehrte , mit Süßduft und Modeschwatz den Chevalier , equitem , spielen will , äußerst widerwärtig , dennoch habe ich ihn , heuchlerischer Weltsitte gemäß , die auch den Biederen zwingt , willkommen heißen müssen . " " Spricht er denn noch deutsch , oder schon nichts als Sanskrit und Prakrit ? " fragte die Rektorin . " Ich bitte dich , schweige . Bilem moves , ich möchte unartig werden , wenn mir bei seinem Anblicke die indischen Ungeheuer einfielen . " Der Rektor befand sich , wie er immer pflegte , wenn er nicht ausging oder Schule hielt , im Schlafrock und Pantoffeln . Die Gattin ermahnte ihn , für heute , des fremden Gastes wegen , die bequeme Hauskleidung abzulegen , erhielt aber einen verneinenden Bescheid . " Das fehlte noch " , rief er , " daß ich um des alten Gecken Willen , von ehrbarer Gewohnheit abweiche ! Nein , deus haec nobis otia fecit . Wer mich nicht sehen will , wie ich bin intra privatos parietes , der bleibe haußen . " Die Rektorin , welche bei aller Achtung und Liebe für ihren Mann dennoch einen Blick für seine kleinen Lächerlichkeiten hatte , und oft befürchtete , daß er dadurch den Spott Dritter über sich hervorrufen möchte , war über die Weigerung etwas verdrießlich . Wie die Frauen sind , die gern im Angenehmen und Unangenehmen beharren , sie brachte gleich noch ein Zwietrachtsthema hervor . " Ich weiß nicht , was heute einmal wieder mit unseren Kindern sein mag " , sagte sie . " Sie lassen sich kaum blicken ; wenn ich einen sehe , so verkriecht er sich , oder macht ein sonderbares Gesicht . Gewiß ist eine ausbündige Schelmerei und für uns ein tüchtiger Ärger unterwegs . Wenn ich dich doch überreden könnte , den lauten Sprachunterricht einzustellen , damit ich sie wieder in das Haus nehmen dürfte . In der Waschküche sind sie unserer Aufsicht entrückt , können tun , was sie wollen , und überdies habe ich jetzt mit der großen Wäsche wegen Mangels an Raum immer meine liebe Not . " " Du häufest verkehrte Wünsche " , erwiderte der Gatte gehaltenen Tons . " Den lauten Sprachunterricht einstellen , hieße , von einem obersten leitenden Grundsatze abweichen , und dieses wirst du deiner großen oder kleinen Wäsche wegen wohl im Ernste nicht von mir verlangen . Was aber die heutige Unruhe der Knaben betrifft , so beruhige du dich darüber . Es ist morgen die große Klassenversetzung , der Quintaner und Tertianer rücken auf , Quarta und Sekunda bleiben sitzen . Praesentiunt , praesagiunt , spei timorisve pleni , das bringt sie so in Bewegung , und wenn du mehr Menschenkenntnis besäßest , so hättest du wohl den wahren Grund erraten können . " Der letztere Vorwurf , mit welchem der Rektor , der sich für einen großen Menschenkenner hielt , gegen seine Gattin freigebig zu sein pflegte , traf sie empfindlich . Sie bezwang sich indessen dieses Mal und fragte ihn nach einer Pause mit einer gewissen scharfen Freundlichkeit : " Sage mir Väterchen , was hältst du von unserem Gastfreunde ? " " Dieser Kandidat Schmidt hat leider mehr von der modernen ästhetischen als von der gründlich gelehrten Bildung abbekommen " , versetzte der Rektor . " Wenn er sich mir anvertraute , so wollte ich ihm wohl nachhelfen , denn er ist ein gescheiter , offener Kopf . Was sein Hiersein betrifft , so ist dieses nicht ohne geheime Absichten ; er will unter der Hand etwas durchsetzen . " " Hast du das gemerkt ? " fragte die Rektorin , betroffen über den Scharfsinn ihres Manns . " Freilich . Er will etwas über den Eutrop edieren , wozu es denn nun an allen Ecken und Enden fehlt . Da soll der Rektor vorspannen . Deshalb bringt er das Gespräch einigermaßen in fastidium , beständig auf diesen Autor , und sucht mich auszuholen . " Sie schöpfte Atem , im stillen überzeugt , daß , wenn sie auch in Nebensachen sich fügen müsse , ihr doch in den Hauptpunkten wohl die Herrschaft verbleiben werde . Indem sie ging , noch allerhand häusliche Besorgungen vorzunehmen , konnte sie sich nicht enthalten , ihrem Gatten Zurückhaltung über den Eutrop gegen den Kandidaten Schmidt anzuempfehlen . Siebentes Kapitel Siebentes Kapitel Die beiden Ehepaare gewährten einen eigenen Anblick . Der lange und hagre Rektor saß neben der großen Edukationsrätin , deren kleiner Ehegatte bei der kurzen Rektorin seinen Platz gefunden hatte . Wenn man die verschiedenen Längen dieser Personen sich mit Linien umzogen dachte , so kam fast die Figur eines lateinischen Z heraus . Das Gespräch war ziemlich einsilbig ; der junge Konrektor sah sich nach Wilhelmminen um , die abwesend war und das Mal bereiten half , Cornelie , welche Tee einschenkte , wartete ängstlich auf Hermann , der sich noch nicht hatte blicken lassen ; dem Rektor lag , wie man ihm deutlich ansah , etwas auf dem Herzen . Nach einigen nichtsbedeutenden Reden und Gegenreden befreite er seine Brust . " Ehe wir eins in das andere reden " , sagte er zum Edukationsrat , " erfordert es die Pflicht , Ihnen , werter Freund , eine Entdeckung zu machen . Sie haben oft für gut gefunden , meine Warnungen zu verachten , die heutige darf deshalb doch nicht unterbleiben . Ihre Söhne haben in der hiesigen Offizin die gefährlichsten Substanzen angekauft , Dinge , womit sie die Gesundheit , ja das Leben selbst in Schaden setzen können . " " Ist mir schon bekannt " , versetzte der Edukationsrat sehr ruhig . " Vitriolsäure , Eisenfeilspäne , Schwefel , Salpeter , nicht wahr ? der Naturforscher und der Baumeister wollen gemeinschaftlich damit einen künstlichen feuerspeienden Berg verfertigen , wozu sie die Anleitung in Wieglebs » Natürlicher Magie « gefunden haben . Man wirft einen Erdhügel auf , setzt den Topf mit dem Gemische hinein , verbindet diesen Herd durch eine Kraterröhre mit der äußre Luft , verstopft die Mündung ; nach einigen Stunden ist die Gärung der Stoffe , die Entwicklung der Gasarten vollendet , der Propfen wird vom Krater hinweggezogen , und es gibt eine feurige Entladung , welche im kleinen die gewaltige Naturerscheinung recht artig darstellen soll . Ich freue mich selbst auf das Gelingen dieses interessanten Experiments . " " Quid ? " rief der Rektor . " Ist es möglich ? Freund , Sie stehen an einem Abgrunde , und werden , wenn Ihnen das Haus über dem Kopfe angezündet worden , oder einer Ihrer Knaben exanimis auf der Bahre liegt , vergebens beklagen , nicht gehört zu haben . " " Die Natur " , sagte der andere , " verletzt nur den , der sich scheu vor ihr zurückzieht . Dreiste Vertraulichkeit mit ihren Kräften zähmt sie . Sitzen über den Büchern bildet Feiglinge , und es ist einer der gröbsten Irrtümer , die Alten , welche sich gerade durch ihr inniges Gefühl für die sie umgebende Welt auszeichneten , zu Werkzeugen einer solchen Verzärtelung zu machen . " Hierauf setzte der Rektor die Pfeife in den Winkel und nahm eine starke Prise . Die Abwechslung dieser Genüsse war für die Kundigen immer ein Vorzeichen des herannahenden Sturms . Die Frauen legten die Strickzeuge weg , wie sie bei solcher Gelegenheit zu tun pflegten , um als aufmerksame Richterinnen dem Kampfe vorzusitzen . Noch aber sollte durch die Erscheinung eines Dritten der Ausbruch verschoben werden . Der Fremde , den wir von seiner Hauptbeschäftigung den Hindu nennen wollen , trat zur Gesellschaft . Dieser Mann hatte so oft die Schwerfälligkeit deutscher Gelehrten verspotten hören , daß er sich vorsetzte , in seiner Person eine Ausnahme darzustellen . Er trug sich ungeachtet seiner hohen Jahre noch wie der jüngste Modeherr , und hatte seine Manieren durchaus nach Pariser Mustern einzurichten sich bestrebt . Als der Hindu den mitten in anständiger Gesellschaft in Schlafrock und Pantoffeln dasitzenden Rektor wahrnahm , geriet er außer Fassung , und starrte den Verstoß gegen die Sitte einige Sekunden lang an , bevor er die herkömmlichen Begrüßungen finden konnte . Doch erholte er sich , streichelte mit leichter zärtlicher Handbewegung die Ordenszeichen , welche seine Knopflöcher zierten , und kam durch diese Berührung wieder zum Gefühle seiner selbst . Es gelang ihm sofort , einige französische Epigramme vorzubringen , die niemand in diesem Kreise verstand , und darauf in den leichten Weltton zu fallen , den er so sehr innezuhaben glaubte . Bald hatte er sich des Gesprächs bemeistert , und da er gehört , daß vornehme Personen nie von wichtigen Dingen , welche sie zunächst berühren , zu reden pflegen , so hielt er die Abschweifung zu gelehrten Diskussionen mit einiger Gewalt fern . Er erzählte dafür lieber ausführlich das Abenteuer vom Verluste seiner goldenen Brille , welches , da diese Brille , wie er sagte , unersetzlich sei , und er weder eine silberne noch eine von Horn im Gesichte zu dulden vermöge , ihn zwinge , vorderhand unbewaffneten Auges umherzuwandeln , wodurch seiner Kurzsichtigkeit manches Mißverständnis bereitet werde . Von dieser Kurzsichtigkeit , wenn es nicht Zerstreuung gewesen , legte er gleich einen auffallenden Beweis ab , der selbst dem Rektor , welcher sich sonst ziemlich mürrisch verhielt , ein Lächeln entlockte . Der Fremde saß nämlich zwischen der Rektorin und Cornelien , und war der Pflichten seines Platzes , wie man merkte , vollkommen eingedenk . Nur begegnete es ihm dabei , daß er die Rektorin für die Tochter und Cornelien für die Mutter ansah , denn er verwandte an jene galante Scherze , und behandelte diese mit achtungsvoller Kälte . Man wurde ganz fröhlich ; die Männer suchten durch allerhand übertriebene Behauptungen die Stimmung des Fremden zu steigern , die Frauen teilten einander ihre Bemerkungen über seine Perücke und über die berühmte Spiegeldose mit , welche er von Zeit zu Zeit hervorzog , um sich verstohlen in Augenschein zu nehmen . Cornelie war gegangen . Hermann kam und brachte Weltneuigkeiten mit , die er auf dem Kaffeehause in den Zeitungen gefunden hatte , kurz der Abend schien sich zu einem allgemeinen Frieden anzulassen . Unglücklicherweise erwähnte Hermann der Untersuchungen gegen demagogisches Unwesen , die mit besonderem Eifer gerade damals wieder aufgenommen worden waren . Söhne angesehener Familien waren plötzlich verhaftet worden ; der Argwohn hatte seine Schatten in schon gegründete bürgerliche Verhältnisse geworfen . Man beklagte den unglückseligen Schwindel der Jugend , welcher sie selbstmörderisch treibe , ihre ganze Heiterkeit und Frische sich so jämmerlich zu verderben . Der Rektor nahm hiervon die Veranlassung zu bemerken , daß das ganze Unheil davon herrühre , daß in den neuesten Zeiten die eigentlich gelehrte Bildung vernachlässigt zu werden beginne . " Die Beschäftigung mit den Alten " , sagte er , " drückt in die junge Seele das Bild eines vollkommenen in sich zusammenhängenden Lebens . Ein einziger Vers des Horaz , eine Sentenz des Tacitus wirft über ganze Strecken ein mächtiges Licht . Nennen Sie mir etwas , was gleich mit solcher Gewalt die Seele ausweitete , als die bloßen Namen : Rom , Athen . Nicht unpassend hat ein großer Dichter und Weiser gesagt , man fühle sich wie in einer Montgolfiere schwebend , sobald man Homer zur Hand nehme . " " Die Gleichnisse hinken " , versetzte der Edukationsrat , " man könnte aber auch sagen : sie sind Fackeln , die den Pfad dessen , der auf unrechten Wegen geht , erhellen . Ja leider , leider , haben wir in der Luft geschwebt , seit Jahrhunderten in der Luft geschwebt , und es dürfte nicht schwer sein , nachzuweisen , daß auch die Fehltritte jener unglücklichen Jünglinge nur das Stolpern derer sind , die aus der Wolkenhöhe endlich wieder auf festem Grund und Boden sich niederlassen . Dieses ganze politische Traumgebäude ist denn doch weiter nichts , als der Nachklang gewisser Schulbegriffe , die lange Zeit in den Auditorien eingesperrt , durch die unruhige Gegenwart an die Oberfläche des wirbelnden Tages geschleudert worden sind . " " Die Schulbegriffe , wie Sie sie nennen gaben dem Leben der ersten Staatsmänner seinen Halt " , sagte der Rektor . " An solchen Schulbegriffen haben der große Chatham und sein großer Sohn sich auferbaut ; Cannings Reden sind voll von klassischen Zitaten . " " Weshalb man auch sagt , daß sie nach dem Schimmel riechen " , fiel der Edukationsrat ein . " Überhaupt meine ich , daß ein ganz anderer Einfluß , als den Sie beide im Auge haben , bevorsteht " , hob der Hindu mit einer gewissen graziösen Feierlichkeit an . " Ich darf wohl sagen , daß ich das klassische Altertum kenne , ich war der erste , der die Mangelhaftigkeit des Vossischen Hexameters aufdeckte ; ich habe es vorausgesagt , daß die reinen Trochäen in diesem Metro auch ganz verworfen werden würden , und ich denke , daß der Vers : Wieder zur Ebene rollte der frech sich empörende Steinblock ein wenig besser klingt als das : Donnergepolter des tückischen Marmors über welches wir , sobald es durch Germanien zu poltern begann , gleich unsere herzliche Freude hatten . Nachmals , als ich das Glück hatte , jener Frau anzugehören , die , man kann wohl sagen , eines europäischen Rufes genoß , machte ich sie oft zu lachen , wenn ich ihr den fraglichen Vers zum Beweise für den Wohllaut unserer Sprache vorsagte , sie versuchte ihn dann nachzusprechen , kam aber nie damit zustande , besonders machte ihr jenes so kraftvoll gebildete Wort , worin sozusagen , der große Philologe , Dichter und Kämpe für Wahrheit und Recht sich völlig inkarniert zeigt , viele Schwierigkeit ; sie sprach es immer à la française aus , etwa so : Tonnere guepoltere , und vergebens war meine ganze Didaskalie . Ich weiß nicht , ob Sie aus jener Zeit mein Epigramm auf Napoleon kennen , welches ich machte , als Canova seine Statue verfertigte . Dieses Witzwort hatte einer meiner amerikanischen Freunde gehört , und ließ es in der » Baltimorer Zeitung « abdrucken , von wo es denn wieder dem Tyrannen zu Ohren kam ; daher sein Haß auf mich , der mich etwas in den Bemühungen störte , die ich dazumal noch immer dem » Tristan « zugewendet hatte . Ich habe zuerst auf dieses Gedicht hingewiesen , worin süße Frische , Lüsternheit und Unschuld den Becher mit bezauberndem Getränk füllen , unerwartet fand ich vor einigen Monaten eine dritte , weder von Ulrich noch von Heinrich herrührende Fortsetzung , deren Verfasser ich noch nicht habe entziffern können ; es ist sehr leicht , bei diesem Gedichte an Ariosst zu denken , aber welch ein Abstand ! " Er war hierauf im Begriff , das erste Buch des Ariosst auswendig herzusagen , als man ihn erinnerte , daß er von einem Einflusse haben reden wollen , der die Alten verdrängen werde . Er besann sich , und führte nicht ohne Beredsamkeit aus , daß in dem mit so regem Eifer erwachten Studium des Orientalischen sich die gemeinte Wirkung anzudeuten scheine . " Die Modernen sind einmal Aneigner und Verarbeiter " , sagte er . " Seitdem Petrarca sein Gedicht » Afrika « schrieb und es über die süßen Reime stellte , die ihn unsterblich gemacht haben , ist nun ein halbes Jahrtausend verflossen . Mich dünkt , es wird Zeit , sich nach einem anderen Kompendium umzusehen , und welches Füllhorn neuer Begriffe , wunderbarer Anschauungen öffnet uns der Orient ! Ich arbeite an einem Werke über die Elefanten und über die Bedeutung dieses Tiers in den Epen vom Ganges . Der » Mahabharata « , der » Ramayana « , der » Brahma-Purana « ... " " Quousque tandem ... " murrte der Rektor . " Ich kann über diese Dinge nicht gelehrt mitsprechen , weil ich sie nur aus Exzerpten und Rezensionen kenne . Aber was darin steht , macht mich nach dem übrigen nicht lüstern . Monstrum informe , ingens , cui lumen ademtum ! Ich glaube , daß der Inhalt jener Gedichte , alle die Tiger , Affen , Gänse , Gazellen , die ungeheuerlichen Büßungen , welche eintreten , wenn einer ausspuckt , oder sonst etwas Natürliches verrichtet , wo er es nicht soll , weil irgendein Ölgötze mit Schweinsrüssel im Tulpenkelch sitzend , dies nicht leiden kann , daß , sage ich , alle diese riesenhaften Puerilien der Welt nicht so viel Licht geben , als der letzte der Klassiker in einer schlechten Waisenhauser Ausgabe ihr geschenkt hat . Übrigens wird das alles auch nur dicis causa traktiert , ich weiß es wohl , und im Grunde ist_es verkappter Katholizismus , der mit uraltem Bonzen-und Pfafftume eingeschwärzt werden soll . Aber : Dumm machen lassen wir uns nicht , Wir wissen , daß wir es werden sollen ! " Diese sonderbare Grille des Rektors gab nun Veranlassung zu noch heftigeren Debatten , in welchen der Hindu zuletzt den begeisterten Anhänger der evangelischen Lehre spielte , obgleich er , wenn wir die Wahrheit gestehen sollen , gleich Falstaff vergessen hatte , wie das Inwendige einer Kirche aussieht . Die ausschweifendsten Dinge wurden infolge dieses Streites behauptet , der sich denn doch bald wieder auf die Jugend und ihre Führung zurückwandte . Der Konrektor war inzwischen eingetreten , und brachte die vierte Stimme zu diesem Hausund Gesellschaftskonzerte . Die beiden Alten , der Rektor und der Edukationsrat , wiederholten fast mit denselben Worten ihr Thema ; dazwischen wogten Persien und Indien , Nibelungen und Parzival . Es blieb sonach unentschieden , ob das heranwachsende Geschlecht gen Latium oder Delhi geführt werden , ob es an Minne und Ritterkampf sich auferbauen , oder in früher bürgerlicher Hantierung erstarken solle , denn jede Meinung hatte einen kräftigen Verfechter , dem es nicht an triftigen Gründen fehlte . Plötzlich rief die Edukationsrätin mit ihrer Stentorstimme : " Was ist das ? Es riecht nach Schwefel ! " Alles schwieg . Der Gestank war nicht zu verkennen , zugleich hörte man ein sonderbares , aus Zischen , Wimmern und Heulen zusammengesetztes Geräusch ganz in der Nähe des Gartenhäuschens . Indem man noch verwundert und erschreckt über dieses Abenteuer sprach , stürzte eine Magd mit dem Rufe herein : " Kommen Sie um Gottes Willen ! Die Jungen sind alle verbrannt ! " Bestürzt folgten ihr die Streitenden , Hermann , die beiden Frauen . Nur der Hindu blieb zurück . Er nahm sich vor , diesen Augenblick zu seinem Abzuge zu benutzen ; denn es mißfiel ihm höchlich hier . Er tappte also durch die Dunkelheit nach seinem Wirtshause . Unterwegs fielen ihm einige Epigramme auf die Rustizität der deutschen Gelehrten ein , die nachmals auch der Welt bekannt geworden sind . Achtes Kapitel Achtes Kapitel Die Magd führte die anderen nach dem wüssten Plätzchen zwischen den Scheunen . Ein dicker Qualm drang ihnen entgegen , und es dauerte einige Minuten , ehe man recht wahrnehmen konnte , was sich dort begab . Endlich unterschied das Auge bei dem Scheine eines wilden roten Feuers die Gegenstände . Ein sprühender Strahl drang gewaltsam aus der Erde , zwei Knaben des Rektors lagen wehklagend am Boden , die anderen und die Söhne des Edukationsrats standen verlegen umher . Hermann suchte das Feuer mit einem Spaten auszuschlagen , machte aber die Sache nur noch ärger ; das gereizte Element zischte in springenden Funken umher und versengte die Kleider der Anwesenden . Er mußte den Spaten wegwerfen , und die Naturkraft gewähren lassen . Indessen zog der Rektor von der Magd Erkundigung ein , welche diese zögernd gab , da sie sich auch halb schuldig fühlte . Die Knaben des Edukationsrats hatten die des Rektors zur Bereitung eines feuerspeienden Bergs zu überreden gewußt , die Magd hatte allerhand Geräte dazu hergegeben . Unvorsichtig war von einem zu früh der Pfropfen aus der Röhre gezogen worden , während zwei sich darüberhin gebogen hielten , die denn den ganzen feurigen Schuß ins Antlitz bekommen hatten . Das Auge müsse wenigstens weg sein , sagte die Person , nach Art solcher Leute im Unglück noch übertreibend . Der Rektor nahm sich kaum die Zeit , diese Erzählung vollständig zu hören . Rasch ergriff er einen Stecken und eilte , von seinem Grimme übermannt , auf die bestürzte Gruppe der Knaben zu . Diese benahmen sich bei dem Anblicke der herannahenden Gefahr auf sehr verschiedene Weise . Denn während die Stände , als sie den Stecken und den Rektor sahen , zu lauter Füßen wurden , mit katzengleicher Behendigkeit eine niedrige Scheidemauer überklimmend und entrinnend , blieben die Alten , von Schreck gefesselt , stehen und erwarteten das Schicksal . Die Geschichte meldet hierauf von mehreren ausgeteilten und empfangenen Streichen . Indessen war das vulkanische Feuer verglüht , der Konrektor hatte eine Laterne herbeigeholt und auf die Stätte dieses Ereignisses niedergesetzt . Er und Hermann beluden sich mit den Verwundeten , die Frauen folgten , die Geschlagenen schlichen hinterher . Der Rektor wollte ohne Wort und Gruß nachgehn ; der Edukationsrat hielt ihn aber beim Arme zurück , und hob folgende Rede an : " Wahrheit , mein Freund , in allen Verhältnissen , unter jeder Bedingung ! Das ist meine Maxime . Ich kann , ich werde sie auch heute Ihnen nicht verschweigen ; ja , dieses unglückliche Ereignis mahnt nur um so dringender , rückhaltlos mich auszusprechen , als es Sie zunächst am empfindlichsten berührt hat . Sie erfahren heute an einem schlagenden Beispiele , wohin die Richtung , welcher Sie mit starrer Konsequenz sich und andere eigneten , führt . Harmonie , Zusammenhäng gebe der Seele das klassische Altertum ? Ich sehe wenig von diesen schönen Eigenschaften an einem steckenbewaffneten zornigen Manne . " Hier warf der Rektor den Stecken heftig fort , und wollte abermals gehen . Der andere hielt ihn aber mit beiden Händen fest , und sprach also weiter : " Sie sollen und müssen mich aufhören ; nicht sobald wird sich wieder eine gleichgünstige Gelegenheit ergeben . Wenig Besinnung verrät es schon , fremde Kinder in Gegenwart des Vaters körperlich abstrafen zu wollen . Das überläßt man diesem wohl in jedem Falle , der eine so traurige Notwendigkeit erfordern sollte . Nun aber , wie weiter ? Der Gegenstand Ihrer Leidenschaft wird Ihnen entrückt , da fallen Sie völlig blind und unfrei diejenigen an , welche doch in Ihrem Sinne nur die Verleiteten , Schwachen sind . Allerdings erinnert dieser letzte Zug an ein klassisches Muster , nämlich an den rasenden Ajax , wie er anstatt der Atriden die Schafe geißelt ! Wer aber bei allem diesem Gebaren noch jenen spiritum Grajae tenuem Camenae säuseln hört , der hat schärfere Sinne als ich . Kommen wir nun auf unsere Zöglinge selbst ! Denn » an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen « , heißt es hier mit vollem Rechte . Unverletzt sind meine Söhne . Sie hüten sich wohl , ihre Nase über einen gärenden Feuerbrodel zu halten , was wirklich nur abgestumpften , auf der Sitzbank vennüfften Geschöpfen begegnen kann . Diese warten denn auch ruhig die ungerechte Züchtigung ab , während meine gewitzigten , frühpraktischen Gesellen , rasch wie die Hirsche , zu entrinnen wissen . Das kommt vom Vertrautsein mit allen vier Elementen . Sie haben selbst gesehen , mit welcher Schnelligkeit sie sich über die Mauer schwangen . Lassen Sie also , mein Freund , von einem Systeme , welches Ihnen und den Ihnen Angehörigen Welt und Leben verbaut . Nie ist es zu spät , zum Richtigen umzukehren . " " Doch ist es zu spät , die Fortsetzung dieser Moralien zu vernehmen " , sagte der Rektor mit schneidender Kälte . " Rechnen Sie es meinem Erstaunen zu , daß ich bis jetzt geduldig dem mein Ohr lieh , womit Sie einen Vater , dem die Kinder verbrannt sind , besprechen wollen . Apage ! Das ist das letzte Wort zwischen uns . Wir sind Geschiedene Leute . So ist es beschlossen . Staat alta mente repostum ! " - Er nahm die Laterne auf und ging . Der Edukationsrat blieb im Dunkel zwischen den Scheunen stehen . Neuntes Kapitel Neuntes Kapitel Im Hause hatten unterdessen die Frauen und die jungen Leute um die Verletzten Sorge getragen . Nachdem Gesichter und Hände mit einem Schwamme gereinigt worden waren , sah man , daß der Schreck das Schlimmste gewesen sei . Außer versengten Augenbrauen und Haaren ließ sich kein Schaden erspähn . Die Rektorin schickte die Patienten zu Bett , die gleich den übrigen Knaben ganz verdutzt waren und kein Wort sprachen . Sie verbot ausdrücklich , den Arzt zu holen . Kaltes Wasser werde hier vollkommen genügen . Als man sich zu Tisch setzte , stieß sie einen Seufzer über die leerbleibenden Plätze aus . Ihr Mann hatte sich eingeschlossen und wollte nichts essen , die Edukationsrätin war denn doch auch fortgegangen . Der Konrektor , welcher nach Art junger Schulleute zuweilen von auffallenden Grillen geplagt wurde , nahm sich plötzlich eine willkürliche Eifersucht auf Hermann zu Kopfe , der an niemand weniger dachte , als an Wilhelmminen ; genug aber , er war eifersüchtig und entfernte sich mit verdrießlichen Blicken , worauf Wilhelmine um die Erlaubnis bat , bei den kranken Knaben bleiben zu dürfen . So war aus einer Gesellschaft von neun Personen eine von drei geworden , die durch weite Zwischenräume getrennt , an dem beträchtlichen Tische Platz nahm . Ein großmächtiger Hecht wurde aufgetragen , welcher der Rektorin neue Sorge machte , wie er von so wenigen Personen verspeiset werden solle . Dieser Bekümmernis war indessen abzuhelfen , denn die beiden Patienten ließen durch Wilhelmminen um ein Stück Fisch bitten , da sie außerordentlich hungrig seien . Nach dem Essen blieb Hermann mit der Rektorin allein . " Das übelste wäre , wenn der einfältige Vesuv Feindschaft stiftete " , sagte sie . " Das darf nicht sein . Zwar ist der Edukationsrat ein Narr und hat meinen Alten ungeschickt behandelt , aber das Leben währt zu kurz , um nachzutragen . Also muß ich Versöhnung stiften und dazu sollen Sie den Mittelsmann machen . Sie gehen morgen in der Frühe zum Rat , und lassen fallen , mein Mann habe die ganze Nacht vor Schmerz über die Zwistigkeit kein Auge schließen können . Dann sagen Sie dasselbe vom Rat bei meinem Alten , und ich wette , sie sind noch vor Abend wieder gute Freunde . Man kann die Menschen aufeinanderlügen , aber glauben Sie mir , man kann sie auch ebenso leicht zusammenlügen . Das erste ist nicht meine Sache , das zweite darf man sich schon erlauben . " Als Hermann einwenden wollte , er werde die aufgetragene Rolle nicht geschickt genug spielen , lachte ihm die Rektorin in das Gesicht . " Versuchen Sie es nur immerhin " , rief sie ; " Sie Neuling in solchen Händeln ! " Die Verlegenheit , welche er nach den ersten derartigen Worten der kurz angebundenen Frau in ihrer Gegenwart nicht mehr besiegen konnte , wuchs , und erreichte ihren Gipfel , als ihm jetzt ein Zettel des Rektors gebracht wurde , worin dieser ihn bat , morgen anstatt seiner mit den Primanern den Sophokles zu lesen , da er sich zu unwohl fühle , um die Lektion abhalten zu können . Gott weiß es , Hermann verstand zu wenig Griechisch , um einem solchen Ansinnen gewachsen zu sein . Er reichte der Rektorin mechanisch den Zettel hin , die ihn lächelnd überlas , und dann sagte : " Herr Schmidt , setzen wir uns ! Sie spielen Komödie mit uns , das ist nicht fein ; Sie sind darob in Ungelegenheit geraten , das macht mich geneigt , Ihnen zu helfen . Wozu dienen nur diese Winkelzüge ? Warum kommen Sie , trotz ehrlicher Absichten , welche ich doch bei Ihnen voraussetzen muß , mit einem fremden Namen , wie der Betrüger Sinon in unser Haus ? Sie sind nicht der Kandidat Schmidt aus Leipzig , Sie heißen Hermann und wollen Kornelchen heiraten . " Hermann wußte vor Bestürzung nicht , wo er bleiben sollte . " Ich bitte Sie wegen dieses Streichs tausendmal um Vergebung ... Ich habe nichts Schlimmes im Sinne ... Aber Sie irren sich ... Es war nur dem Flämmchen zuliebe ... " stotterte er . " Ach was Flämmchen ! " rief die Rektorin eifrig . " Ein Feuer , welches den Herrn fünfzehn Meilen weit dahertreibt , kann wohl eine Flamme heißen . Aber Ihr Benehmen ist für meinen schwachen Verstand zu spitz . Das arme Kind so in Verlegenheit zu setzen , das heißt einem jungen Herzen für seine unschuldige Neigung übel lohnen . " " Verlegenheit ? Herz ? Neigung ? Liebt Cornelie mich ? " " Sollten Sie das nicht wissen ? Sollten Sie ein Mischling sein von Schlauheit und Kindersinn , der nichts merkt ? Nun ja , der Herr hat in jener Waldhütte ein Unheil angerichtet , er erschien dem armen Dinge wie ein Helfer und Heiland , und da er so ziemlich wohl gewachsen ist , ein Paar feurige Augen im Kopfe hat , und seine Worte sanft zu setzen weiß , so wurde das Geschöpfchen danach ganz still und schwermütig , seufzte , und ... ach es ist eine alberne Kindergeschichte , und recht töricht von mir , daß ich das alles Ihnen so gutmütig hererzähle . " " Fahren Sie fort , beste Frau " , rief Hermann . " Ich schwöre Ihnen bei Gott , ich bin aller dieser Dinge unkundig , aber Sie schenken Ihr Vertrauen keinem Bösartigen . Warum ist Cornelie hier ? " " Das ist ja eben das Tollste . Heutzutage fangen die Menschen früh an zu leben , Gott weiß , wie früh sie aufhören werden , wenn das so fortgeht . Die Kinder haben jetzt Leidenschaften , welche sich sonst erst mit dem zwanzigsten Jahre einstellten . Kurz , Ihr Vetter Ferdinand hat , ohne es zu wissen , sein Pflegeschwesterchen geliebt , als Sie , der Störenfried dazwischentraten , und nun ergriff den Jungen , den mein Alter vermutlich noch nicht nach Sekunda setzen würde , eine unbändige Eifersucht , die zu den ärgsten Dingen geführt haben muß , wiewohl Ihre Tante mir darüber nichts Näheres geschrieben hat . Aber wie ich aus abgebrochenen Reden Corneliens schließe , so hatte der Knabe einmal gegen sie ein Messer erhoben . Die Eltern sahen sich genötigt , das Mädchen auf einige Zeit zu entfernen , bis sich weiterer Rat finden wird . " " Sie haben mir Ereignisse mitgeteilt , welche ich nicht von fern ahnen konnte " , sagte Hermann nach einigem Schweigen . " Nur ein sonderbarer Zufall hat dieses Zusammentreffen mit Cornelien herbeigeführt . Doch warum nenne ich Zufall , was vielleicht die höchste , die heiligste Schickung meines Lebens ist ? " Er berichtete ihr hierauf den Zusammenhäng der Sachen , und da er die Wahrheit sprach , so mußte er Glauben finden . Die Rektorin schien sehr verdrießlich über diese Entdeckung zu sein , und kündigte ihm , offen , wie sie in allem war , an , daß er am besten tun werde , morgenden Tages abzureisen . Aber Hermann fühlte , daß für ihn zu Wichtiges auf dem Spiele stehe , um die nächsten Entscheidungen durch Empfindlichkeit zu verscherzen . Er bezwang sich , wußte der Rektorin so viel Kindlich-Schmeichelndes zu sagen , bat so dringend , ihm doch nur Zeit zu lassen , daß er sich besinnen , zu dem entschließen könne , wovon vielleicht sein ganzes Glück abhange , daß er weniger liebenswürdig hätte sein müssen , um eine alte Frau nicht umzustimmen . Mit einem derben Schlage auf die Schulter , ärgerlichen Worte aber freundlichen Gesichte verließ sie ihn . Als er allein war , warf er sich in einen Lehnstuhl , und ließ seiner inneren Bewegung Raum . Aus dem formlosen Gedränge wunderbarer Vorstellungen entwickelte sich endlich ein lieblich-entzückendes Bild , mit dessen Ausmalung er noch beschäftigt war , als Cornelie , das Nachtlicht in der Hand , ins Zimmer trat . Er saß in einer beschatteten Ecke , so daß sie ihn nicht bemerkte . Was er schon am Tage nach jeder Beschäftigung , sie mochte noch so reinlich sein , von ihr gesehen hatte , sie tat es auch jetzt . Den Hahn des Wasserkränchens am Fenster aufdrehend , netzte sie ihre Finger und trocknete sie dann sorgfältig ab . Es war Hermann , als ob eine leichte Röte ihre Augenwimpern säume , da sie zufällig das volle Antlitz nach der Seite wandte , wo er sich befand . Sie prüfte Fenster und Läden , ob sie verschlossen seien , hing die Schlüsseln in das Wandschränkchen und entfernte sich . Hermann war , wie in zwei Hälften geteilt . Die sichtliche Erscheinung hatte das Bild , womit er beschäftigt gewesen war , zerstört ; sie war anders , als jenes . Er wußte unter beiden nicht zu wählen . Zehntes Kapitel Zehntes Kapitel In jedem Hause , besonders in bürgerlichen , wo ein enges Zusammensein manche Reibung erzeugt , sammelt sich von Zeit zu Zeit allerhand Gärstoff , der denn zu Ausbrüchen des Verdrusses zwischen den Ehegatten oder den Eltern und Kindern notwendigerweise führen muß . Dann wird wieder Friede geschlossen , den alle Teile für einen ewigen halten , obgleich die Verhältnisse bleiben , wie sie sind . Am besten ist es , wenn jener Gärstoff , durch eine Berührung von außen entzündet , sich nach außen entladen kann . Auch unter dem Dache des Rektors hatten verschiedene Meinungen über Häusliches , Kindererziehung und dergleichen ein gewisses Mißbehagen hervorgebracht , welches freilich dem Fremden nicht gleich sichtbar wurde . Dazu kam die Angelegenheit mit der Todeserklärung des verschollenen Sohns und das Verhältnis Wilhelminens zum Konrektor , welches Mann und Frau nicht mit denselben Augen ansah . Letztere , wie alle Frauen , Anhängerin der Natur , wollte die Verbindung , ersterer , sein System über jede menschliche Beziehung setzend , gönnte dem mittelalterlichen Jünglinge nichts , am wenigsten ein Frauenzimmer , woran er selbst einen fast väterlichen Anteil nahm . Nun waren durch den feuerspeienden Berg und den Zwist der beiden Familienhäupter alle verborgenen Fermente entbunden und aufgezehrt worden . Es bedurfte der Unterhandlungen , welche die Rektorin in Hermanns Hand hatte legen wollen , nicht einmal , um die Versöhnung herbeizuführen . Am frühen Morgen war nach vorausgesandtem herzlichen Schreiben der Edukationsrat zum Rektor gekommen , und hatte aufrichtig um Verzeihung gebeten , die ihm denn auch mit einem lateinischen Verse gewährt worden war . Der Rektor fühlte sich hierauf hergestellt , und hielt wohlgemut seine griechische Stunde ab , so daß unser Freund vor den Schülern nicht zuschanden zu werden brauchte . Eine große Heiterkeit verbreitete sich über das Haus , man erwies einander kleine Aufmerksamkeiten , verhielt sich über die streitigen Punkte schonender und nur die Kinder wurden , wie zuweilen die Völker , die Opfer dieses Friedensschlusses ; man nahm sie nämlich von beiden Seiten unter die geschärfteste Aufsicht , um die Gelegenheit zu neuem Hader zu vermeiden . Hermann waren von der Rektorin , die gern in allen Stücken Fristen festsetzte , drei Tage des Verweilens zugestanden worden . Er war viel außer dem Hause , hatte Bekanntschaft mit dem Konrektor gemacht , welcher wieder von seinem Verdachte zurückgekommen war , ließ sich alte Sagen erzählen , und suchte sich auf alle Weise zu zerstreun . Die Eröffnungen seiner Wirtin hatten ihn in eine gespannte , peinlich-süße Lage versetzt . Der unvermutete Anblick einer weiblichen Neigung hat , wir dürfen uns des Ausdrucks bedienen , etwas Erschreckendes . Die Natur , welche verlangt , daß des Manns Gefühl , ausgesprochen , erst jene Blüte hervorrufen soll , kehrt sich in einem solchen Falle um , aber , anstatt den Greuel zu enthüllen , deckt sie das verborgene Schöne auf . Was Wunder , wenn dann die Sinne des Anschauenden in Wonne und Graus durcheinanderschwanken ! Hermann fragte sich hundertmal des Tages über sein Herz aus ; es wollte ihm keine Antwort geben . Was vorher so nahegelegen hatte , schien nun durch Entdeckungen , die es noch näher bringen sollten , weit , weithin entrückt zu sein . Er fühlte ein Bedürfnis , beständig um Cornelien zu sein , und wenn er sie sah , so wich er ihr doch lieber aus . Seine Unruhe wurde durch die ihrige noch vermehrt , sie war , wenn sie mit ihm zusammen sein mußte , augenscheinlich verlegen , ja traurig . Die Rektorin schien sich um beide nicht zu bekümmern . Ein geringfügiger Umstand entschied endlich seine Empfindung . Auf einer Kommode sah er Schreibbücher liegen , auf denen Corneliens Name stand . Er öffnete eins ; in scharfen und doch unsicheren Zügen waren allerhand Sprüche und Vorschriften kopiert , am häufigsten der Satz : " Wer zu rasch nach dem Ziele läuft , bricht unterwegs den Fuß . " Draußen hörte er ein Geräusch und sah , durchs Fenster blickend , die Knaben des Rektors mit Cornelien im Garten Haschen spielen . Eine Kälte , die ihm wohltat , breitete sich durch seine Brust . " Sie ist noch ein Kind " , sagte er für sich . " Mein Verhältnis zu ihr wäre gemacht , unnatürlich , erzwungen . Das beste wird sein , zu schweigen und zu reisen . " Er war ein paar Straßen auf und ab gegangen , um seinen Vorsatz recht reif zu denken , als ihm zunächst dem Tore der Hirte begegnete . " Bester Herr " , rief dieser , " wie gut , daß ich Sie treffe ! Wenn es Ihnen nichts verschlägt , so kommen Sie auf ein Stündchen hinaus . Ich glaube . Sie könnten da durch Zureden etwas Gutes stiften . " " Was ist , Alter ? " fragte Hermann . " Lieber Gott , der Fremde mit dem großen Hute , den Sie bei mir gesehen haben , und der seinen Namen durchaus nicht nennen will , macht mir viel Not . Seine wenigen Groschen sind aufgezehrt , nun wollte ich ihm gern noch weiter borgen , aber er will fort , und wenn ich ihn frage , wohin ? so zuckt er die Achseln und macht so sonderbare Gebärden , daß mir Angst und bange wird . " " Habt Ihr keine Vermutung , wer er ist ? " " Ach " , sagte der Hirte , " Vermutung genug , im Grunde weiß ich es wohl schon . Ich habe ein Historienbuch , das lese ich des Winters richtig durch , darin steht ein großer Vogel abgemalt , der steckt seinen Kopf weg , und meint , dann sehe ihn niemand . So ist_es mit dem Unglücke , es meint , wenn es nur den Kopf verberge , werde es für jedermann unsichtbar . Aber im Gegenteil , dann merkt man erst , wie der Hase läuft . " " Ihr hättet ihn sollen vermögen , zum Rektor zu gehen " ; sagte Hermann . " Habe ich es denn nicht vom Morgen bis zum Abend versucht ? " rief der Hirte . " Aber dann fährt er mich an und brummt : was er bei dem Rektor solle ? und hinterher stürzen ihm die Tränen aus den Augen . Ich sage es ja immer , das Vieh ist vernünftiger als die Menschen , da schreit doch jedes Zicklein , wenn es sich verloren hat , nach seiner Alten , und läuft zu ihr , wenn es sie wieder erblickt . " " Was wolltet Ihr denn jetzt hier in der Stadt ? " fragte Hermann . " Den alten Leuten die Sache ansagen " , erwiderte der Hirte . " Aber unterwegs fiel mir ein , ich könne mich doch irren und nur unnütze Freude verursachen , oder wenn es auch richtig sei , so brächte ich es doch vielleicht nicht auf die rechte Art an , und kurz , es ist mir lieb , daß ich Sie gefunden habe ; Sie werden wohl eher hierin Bescheid wissen . " Hermann war gern bereit , mit dem Hirten nach seiner Hütte zu gehen . Vor dem Tore kam der Konrektor auf seinem gewöhnlichen Abendspaziergange daher geschritten ; leider durfte Hermann seine Begleitung nicht ablehnen , um kein Aufsehn zu erregen . Er dachte noch darüber nach , wie er sich von ihm wieder losmachen solle , als sie schon vor dem Hirtenhause anlangten . Der Fremde saß auf der Bank unter den Birken , wieder , wie früher , den breitkrempigen Hut tief in das Gesicht gedrückt . Als er Menschen kommen sah , wollte er aufstehen , und sich in die Hütte begeben . " Bleiben Sie " , sagte der Konrektor , " wir müssen sonst auch vorübergehen , und wir wollten uns gern hier ein wenig ausruhn . " " Meine Nähe kann niemand erfreulich sein " , erwiderte der Fremde . " Sie sollten uns etwas von Ihren Abenteuern erzählen " , sagte der Schulmann . " Was hat Sie so lange in Spanien zurückgehalten ? Warum kehrten Sie nicht gleich nach den Friedensschlüssen heim ? Es muß eine wunderbare Empfindung für Sie sein , das Land , welches Sie unter dem Faustdrucke des Despotismus betäubt verließen , nun verjüngt , im fröhlichen Regen aller Kräfte wiederzusehn . " " Mein Herr " , versetzte der Fremde , " ich weiß von dieser wunderbaren Empfindung , wie Sie sich ausdrücken , wenig zu sagen . Ich hörte überall nur , wo ich einkehrte , wie ehedem , über die schlechten Zeiten klagen . " " Das ist der Widerhall von dem Liede der Demagogen " , antwortete der Konrektor kaltblütig , indem er sich mit Behaglichkeit zurechtsetzte und seine Pfeife anzündete ; denn er rauchte , wie der Rektor , außer den Schulstunden fast beständig . - " Wir sind Deutsche worden , treu , fromm , guter Art , in aller löblichen Kunst und Wissenschaft fleißig . Welch ein Abstand zwischen Sonst und Jetzt ! Es gibt wirklich Erscheinungen in der Menschenwelt , die einem das , was die Sagas von Zauber und Verblendung melden , ganz glaublich und natürlich darstellen . Wie wäre es ohne einen solchen Zauber gedenkbar , daß ein kleiner , unansehnlicher Mensch , dem die Tücke aus den Augen blickte , von einer altberüchtigten Insel her , die Menschen , Völker , Fürsten auf seine Seite bringen konnte , obgleich ein jeder wußte , daß er von ihm hintergangen werde . " Hermann erinnerte halblaut den anderen , daß dieses Gespräch dem Fremden schwerlich angenehm sein werde , jener aber war im Eifer , ließ sich nicht stören und rief : " Wer deutsche Luft atmet , muß deutsch Wort vernehmen können . Wer an seinem Vaterlande , dem Erobrer zuliebe , ein Verräter werden konnte , muß sich jetzt selbst seines Irrtums schämen , blieb noch ein Funken richtigen Gefühls in ihm . " Der Fremde rückte unruhig hin und her und rief : " Mein Herr , es ist leicht , hinterher zu richten ! Vaterland ! Wir sind beide nicht alt genug , um viel von der Zeit zu wissen , die jener Periode vorherging , welche Sie die verblendete zu nennen belieben . Doch scheinen Sie noch jünger zu sein , als ich . Vaterland ! Ich erinnre mich , daß man an das Vaterland nur dachte , wenn die Soldaten Gassen laufen mußten , wenn die Akzisebeamten am Tore visitierten , oder wenn der Edelmann dem Bürgerlichen vorgezogen wurde . Sicherlich hat man in der Verbannung , im Elende Zeit genug , Jugendträume , die in bittere Wirklichkeit ausgingen , zu beweinen , aber glauben Sie mir , der Zauber , den die Größe ausübt , ist noch nicht der schlimmste ! Wir sind die Geschlagenen , die Besiegten ! Nun gut , so lasse man uns . Aber man denke nur nicht , daß man selbst so ganz und gar in neuen Häuten lebe . Ich komme aus der Fremde , bin unbekannt mit den jetzigen Verhältnissen , aber ich meine immer , nach einer großen Tyrannei kann nichts anderes , als die Tyrannei der Kleinen oder ein wildes Getreibe befreiter Knechte folgen . " " Das spricht ein ... " versetzte der Konrektor . " Aber freilich sind für manche Menschen die Zeiten schlecht , denn die Landläufer haben keine Hoffnung mehr . Glück zu machen . " " Landläufer ! " rief der Fremde außer sich , sprang auf den Konrektor zu , gab ihm einen Faustschlag , daß er zu Boden stürzte , schlug sich dann , als ob er diesen Ausbruch bereue , heftig an die Stirn , und stürzte in die Hütte . Hermann , obgleich erschreckt von dem Vorgefallenen , konnte den Konrektor kaum bedauern , überließ ihn dem Hirten , und folgte dem Zornigen . Diesen fand er eifrig beschäftigt , sein Bündelchen zu schnüren , wobei er einmal über das andere ausrief : " Ich muß fort , weit , weit , bis ans Ende der Welt ! " " Das sollen Sie nicht " , sagte Hermann . " Aber wie konnten Sie sich so vergessen ? " " Einen Landläufer nannte der harte Vater mich , wenn ich mich über den lateinischen Schriftstellern nicht zu Tode quälen wollte ; mit diesem Worte hat er mich endlich hinter die Adler , in die Schlacht , in die Bergwerke gejagt ; ich kann es nicht hören , ohne daß es dem , der es ausstößt , übel bekommt . " " Es ist mir lieb , daß es jetzt dahin geführt hat . Sie mir zu entdecken " , versetzte Hermann . " Stehen Sie von Ihrem unglückseligen Entschluss ab , und kommen Sie mit mir zu den Eltern , denen ein gütiges Geschick Sie erhalten hat . " Der Fremde ergoß sich hierauf in wilden , höhnischen Reden . Hermann ließ aber nicht ab , ihm freundlich zuzusprechen , und brachte es wirklich dahin , daß jener sich etwas beruhigte . Er machte ihm begreiflich , daß es wenigstens unnütze Plage sei , im Dunkel fortzustürmen , und daß er morgen am hellen Tageslichte ja noch alles tun könne , was er wolle . Der Hirte kam , nachdem er den Konrektor draußen abgefertigt hatte , auch in die Hütte , zündete seine Lampe an , und nun gewahrte Hermann erst das Antlitz des Fremden . Es schien völlig blutlos zu sein , der Schädel , nur von Haut bedeckt , sah totenkopfähnlich aus ; dünne , erbleichte , ja ins Grünliche spielende Haare umsäumten den Scheitel . Hermann fuhr unwillkürlich zurück , indessen faßte er sich , und folgte der Einladung des Hirten , der beide freundlich bat , mit ihm vorlieb zu nehmen . Sie setzten sich um den Tisch , der Hirte trug eine große Schüssel dampfender Kartoffeln auf , holte etwas geräuchertes Fleisch aus dem Schornstein , und da zufällig einige Flaschen Wein von einem neulichen Schmause der beiden Familien bei ihm stehengeblieben waren , so fehlte diesem einfachen Mahle auch das Getränk nicht . Jeder zog sein Messer aus der Tasche , Gabeln waren unnötig , zwei Gläser ließen sich auftreiben ; der Hirte trank aus einem Topfe . Der Fremde war , nachdem sein Inkognito aufgehört hatte , zutraulich geworden , und erzählte den beiden anderen eine wunderbare Gefangenschafts- und Rettungsgeschichte . Im Anfange hatte sie noch Ähnlichkeit mit dem , was viele auf jenem furchtbaren Zuge erdulden mußten , dann aber berichtete er etwas , was , nach unseren Verhältnissen angesehen , fast unglaublich klang . Als der Friede geschlossen worden war , befand er sich schon mit einer großen Menge von Unglücksgenossen auf dem Heimwege . Da traf in einem wüssten Landstädtchen , in entgegengesetzter Richtung ziehend , ein Transport schwerer Verbrecher mit ihnen zusammen . Beide Kolonnen machten an dem Orte Rast . In der Nacht entsprang einer der gefährlichsten Verbrecher ; der Führer des Transports , besorgt vor der harten Strafe , welche seiner Nachlässigkeit drohte , ergriff ein schändliches Mittel , sich zu retten . Er wußte den unglücklichen Kriegsgefangenen mit List an sich zu locken , an einem abgelegenen Orte sprangen ein paar Helfershelfer herzu , er wurde geknebelt , in Eisen geschmiedet , und als der Tag graute , befand er sich unter Räubern und Mördern auf dem Wege nach Sibirien . Vergebens war sein Toben , sein Widerstand ; Mißhandlungen besiegten diesen . Keine Behörde konnte oder wollte ihn verstehen , die Menschen , welche in den Dörfern und Städten , durch die der Zug ging , am Wege standen , sahen in seinen Gebärden nur den Trotz eines unfügsamen Missetäters ; so ging es Wirst für Wirst weiter , bis das unselige Ziel erreicht war . Welche Greuel nun da unten in der Nacht der Bergwerke sich begaben , wollen wir , um die Gemüter unserer Leser nicht zu ängstigen , verschweigen . Wie es ihm dennoch gelungen , sich zum Lichte wieder emporzuschwingen , darüber glitt der Fremde selbst einigermaßen hinweg . Er sprach von einem Aufseher , den er überwältiget habe . Aber ein Zittern der Stimme , ein unheimliches Zucken der Augenwimpern deutete an , daß eine blutige Tat dabei vorgefallen sein mochte . Die nun folgende Flucht durch die ungeheuren Wald-und Grassteppen erinnerte an Mazeppas Abenteuer . Mit einer tartareschen Horde , welcher er Dienste leisten konnte , drang er bis an die Grenzen Europas . In Kasan fand er einen alten , durch Liebesgeschick auf dem fremden Boden zurückgehaltenen Kriegsgefährten , der ihn mit Geld , Wäsche und Paß ausstattete . Der Hirte vergaß bei dieser Erzählung beinahe Essen und Trinken , starrte den Fremden mit offenem Munde an und schlug die harten Hände vor Verwunderung einmal über das andere zusammen . Hermann hatte eigentlich einen Widerwillen gegen solche grelle Geschichten , in welchen das Menschliche kaum noch wahrzunehmen ist . Er hörte nur zu , um den Fremden im Fluß zu erhalten , schenkte ihm fleißig ein , und dachte darüber nach , wie er jenen mit seiner Familie wieder vereinigen solle . Denn dazu glaubte er vom Schicksal offenbar berufen zu sein . Elftes Kapitel Elftes Kapitel Als daher der verschollene Sohn auserzählt hatte , der Wein getrunken und Mitternacht herangekommen war , fragte er , um einzulenken : " Warum haben Sie Ihren Eltern nicht früher Nachricht von sich gegeben ? " " Ich schrieb ihnen aus Polen ; der Brief muß nicht angekommen sein " , versetzte der Fremde mit einer wilden Gleichgültigkeit . " Stoßen Sie mit mir in diesem Reste an ! Es lebe der Krieg , es lebe das Vagabundieren ! " " Das ist ein schlechter Toast " , versetzte Hermann . " Lassen Sie uns nun ein vernünftiges Wort reden . Wie lange wollen Sie in der Irre umherschweifen ? Eltern , Geschwister , Freunde , Familie werden Ihnen wiedergegeben , darf ich Sie den Ihrigen ankündigen ? " " Das wäre schade um die schöne Bibliothek , die der gute Vater sich dann nicht anschaffen könnte , und um das zarte Liebesbündnis zwischen dem Schulfuchse und der alten Jungfer . Nein , mein Herr , hüten wir uns vor törichten Streichen . Zehn Jahre Abwesenheit sind in der Tat wie der Tod ; warum soll ein Gespenst die Lebenden erschrecken ? " " Ich fühle , daß Sie von manchem , was Sie sahen und hörten , verletzt sein müssen " , sagte Hermann . " Aber erwägen Sie die Gewalt der Umstände , vertrauen Sie auf die Kraft der Natur . Ihre Angehörigen haben Sie als tot beweint . Wie sollten wir armen Menschen überhaupt fortbestehn können , wenn uns nicht die traurige Fähigkeit gegeben wäre , zu vergessen ? Ist aber mit diesem öden Vermögen der Kreis unseres Wesens umschrieben , das Innerste unserer Seele ausgedrückt ? Lassen Sie uns also auch in diesem Falle fröhlich auf die heilige Empfindung baun , der das Grab seinen Raub wiedergibt , für welche ein Wunder geschieht , nicht ein erzähltes , nein , ein wirkliches . " " Das sind alles nur Redensarten " , sagte der Fremde , bedächtig sein Glas ausschlürfend . " Die Wunder darf man nicht zu nahe besehn , so ein tausend Jahre weit weg nehmen sie sich trefflich aus . Es gibt Nöte , mein Herr , welche nicht beten lehren . Vater und Mutter muß man ehren , solange sie einem etwas zu essen geben , aber in Nertschinsk helfen sie uns blutwenig . " " Kein Schaf spräche so unvernünftig , wenn es das Maul auftäte " , sagte der Hirte leise zu Hermann . " Lassen Sie ihn in Gottes Namen laufen , er ist nichts Besseres wert . " Dann streckte er sich auf sein Lager , murmelte ein Vaterunser und schlief ein , denn er war müde vom ungewohnten Weine . Hermann ergriff der Bekehrungseifer , er machte den Fremden auf das Frevelhafte solcher Reden aufmerksam und beschwor ihn , sich seinen letzten Trost nicht zu zerstören . Aber jener unterbrach ihn ungestüm und rief : " Junger Sittenprediger , was haben Sie erfahren , daß Sie mitreden dürfen ? O mein Herr , mein Herr , Sie wissen nicht , was einem Menschen auszukosten gegeben werden kann . Ich dachte , als ich befreit war , nun sei das Elend vorbei , ich könne auch wieder glücklich sein , und leben , wie andere Menschen . Aber das Schlimmste sollte ich nicht in Sibirien gelitten haben , hier in der lieben deutschen Heimat mußte ich es erfahren . Sie haben ganz recht ; daß Eltern endlich sich über ein totgeglaubtes Kind beruhigen , daß eine Geliebte neue Bande sucht , es ist nichts Besonderes und steht zu verzeihn . Aber daß uns Qualen auferlegt werden können , welche uns zu lebenden Schemen machen , und die Kraft zur Empfindung in uns aufzehren , das möchte ich nicht zu verantworten haben , wenn ich das Weltregiment führte . " " Und doch brach diese Empfindung sehr lebhaft hervor , als Sie das alte Band , welches Wilhelmminen an Sie knüpfte , zerrissen sahen " ; sagte Hermann . " Sie irren " , versetzte der Fremde . " Wilhelmine ist mir ganz gleichgültig geworden , ich wüßte nicht , wie ich mich noch überwinden könnte , ihr einen Kuß zu geben . Sie hat gealtert , und sieht , wie mich dünkt , etwas einfältig aus . So geht mir es auch mit den Eltern . Der pedantische Vater , die schwatzende Mutter - ich empfand wirklich eine Art von Widerwillen , als ich ihre Gestalten erblickte . Sie könnten alle jetzt tot vor mir liegen , ohne daß mir eine Träne in das Auge träte . Darum ist es nicht gut , nach Rußland zu ziehen und in die Bergwerke zu geraten . Daß ich aufschrie , als der Schulmensch Wilhelmminen umarmte , war keine Eifersucht , nein , es war Schmerz um mich selbst . Ich saß dem Vater , der Mutter , der Braut gegenüber , und fühlte doch keine Neigung , aufzuspringen , ihnen zu Füßen zu fallen . Das hatte lange schon in Kopf und Herz gewühlt , endlich wurde mir es zu stark , die Natur machte sich in einem Laute der Pein Luft . Die Erinnerung bleibt dem Menschen ; mein Gedächtnis sagte mir , daß ich nicht aus der Erde gewachsen sei , sondern von Wesen meinesgleichen abstamme , diese Vorstellungen lenkten meine Schritte der Heimat zu . Aber als ich die Wirklichkeit vor mir sah , erkannte ich , daß ich nur noch , sozusagen , in der Theorie Sohn , Bruder , Liebhaber sei . In meines Vaters Haus gehe ich nimmer . In Neapel , Piemont , am Ägäischen Meere gibt es , wie ich höre , tapfere Arbeit , dort will ich mir Brot suchen , gleichviel auf welcher Seite . Und so sei denn diese Neige dem Greuel der Verwüstung als Libation dargebracht ; ein würdiges Opfer für eine solche Gottheit , die einzige , welche ich anerkenne . " Er stand auf , schnellte den Rest des Weins aus seinem Glase auf die Erde , und warf das Glas zum Fenster hinaus . Hermann trennte sich ohne Abschied von dem verwilderten Menschen , hinter dessen wüssten Worten er dennoch etwas Besseres wahrzunehmen glaubte . Seine Meinung , daß wir uns immer nur innerhalb der uns gezogenen Kreise , im Guten , wie im Bösen bewegen , und daß alles , was darüber hinauszugehn scheint , eben nur Schein ist , stand zu fest . Nach dieser Meinung wollte er verfahren . Er tastete sich durch Gebüsche auf engen Wegen in die Stadt zurück , worin eben der Wächter Eins abrief . Das Haus seiner Gastfreunde war verschlossen , und schon meinte er die Nacht auf dem Steinpflaster zubringen zu müssen , als er sich des niedrigen Mäuerchens an den Scheunen erinnerte , über welches die Söhne des Edukationsrats so behend entsprungen waren . Überzeugt , daß ihm nicht mißglücken werde , was den Knaben gelungen war , suchte er , durch ein Nebengäßchen schreitend , den freien Platz auf , von dem das Mäuerchen den Raum zwischen jenen Wirtschaftsgebäuden abschied . Er sah ein Licht im Hofe , erklimmt die Mauer , und war froh , noch jemand wach zu finden , der ihm das Haus öffnen könne . Das Licht brannte in Corneliens nach hinten hinaus zu ebener Erde belegnen Stübchen . Er blickte hinein , und sah sie mit gerungenen Händen weinend umhergehn . Sie setzte sich zuweilen , und stützte ihr Haupt schmerzlich auf , doch schien es sie nicht an einem Orte zu leiden , immer erhob sie sich wieder und begann von neuem ihre unruhvolle Wanderung . Hermann pochte ans Fenster und rief leise ihren Namen . Sie erschrak , fragte ängstlich : " Wer ist da ? " und schauderte wie entsetzt zusammen , da er etwas lauter Antwort gab . Vergebens rief er ihr zu , sich doch zu besinnen , er sei es ja , aus Zufall so verspätet , sie möge ihm öffnen . Sie stand bleich , zitternd da , und er mußte jeden Augenblick besorgen , daß sie umsinken werde . Was sollte er tun ? die Tür nach dem Hofe war verriegelt , er drückte am Fenster , nur angelehnt , gab es nach , leicht schwang er sich in das Zimmer . Er hatte eben noch Zeit , Cornelien aufzufangen , die ohnmächtig in seine Arme sank . Er war in der größten Verlegenheit und Sorge . Er hielt den lieblichen jungfräulichen Körper umfaßt . Die Mittel waren ihm nicht unbekannt , welche in solchen Fällen die stockende Natur wieder in Bewegung bringen helfen , aber er trug eine innige Scheu , ihren Leib durch Blick oder Hand zu entweihen . Er begnügte sich , ihre Schläfen mit kaltem Wasser zu netzen , es gelang ihm , sie damit in das Bewußtsein zurückzubringen . Sie schlug die verweinten Augen auf , errötete , da sie in die seinigen sah , entwand sich ihm , und setzte sich erschöpft zu Füßen ihres Betts nieder . Unter dem Vorwande , daß er sie in diesem Zustande unmöglich verlassen könne , blieb er noch eine Zeitlang bei ihr , obgleich sie ihn , sobald sie wieder zur Besinnung gekommen war , dringend gebeten hatte , zu gehen . Er war mit sich uneins , ob er nach der Ursache ihrer Betrübnis fragen solle , unterdrückte endlich seinen Wunsch , und schied von ihr in sonderbarer Bewegung . Den Rest der Nacht verbrachte er schreibend . Es schien ihm unpassend zu sein , den Familienszenen , welche bevorstanden , als Dritter beizuwohnen , sein Geschäft war vollbracht , wenn er den Eltern den verlorenen Sohn angezeigt hatte . In diesem Sinne setzte er einen Brief an den Rektor auf , worin er ihm sagte , was wir bereits wissen . Während des Schreibens verschwanden einige Bedenklichkeiten , die er anfangs gehegt hatte , gänzlich . Mit Entzücken malte er sich die Freude der Eltern , die Umwandlung des Sohnes aus , wenn die rauhe Rinde von dessen Herzen schmelzen werde . In der Frühe bestellte er Postpferde , und hieß vor dem Tore den Wagen seiner warten . Bei dem Frühstück , welches er gemeinschaftlich mit der Familie einnahm , erkundigte man sich nach seinem nächtlichen Abenteuer . Er gab eine ins allgemeine ausweichende Antwort . Der Rektor sagte zu ihm : " Da Sie durch H. kommen , so tun Sie mir doch den Gefallen , zum Justizrate zu gehen , und ihn zu bitten , daß er einen anderen Termin zur Ableistung des Eides wegen meines Sohns ansetze ; ich habe am Donnerstage dringende Abhaltung . " Hermann stand auf , und nahm Abschied von seinen Wirten . Die Knaben , welche ihn liebgewonnen hatten , hingen sich an ihn , herzten und küßten ihn . " Der Mensch denkt , Gott lenkt " , sagte er feierlich . " Wie ? " fragte der Rektor erstaunt . " Oben auf meinem Zimmer liegt ein Schreiben an Sie " , erwiderte Hermann . " Wichtige Eröffnungen sind darin , es ist ein Schicksal gewesen , daß ich zu Ihnen gekommen bin . Lesen Sie es , wenn ich Ihr Haus verlassen habe , und gedenken Sie meiner im Besten . " - " Gottlob ! " rief die Rektorin . " So ist alles gekommen , wie ich gewünscht und gewollt habe . Ich werde Ihre Fürsprecherin bei den Eltern sein " , setzte sie mit freundlichem Händedrucke hinzu . " Welche seltsame Mißverständnisse ! " sagte Hermann und war zur Tür hinaus . Cornelie hatte an dem Frühstücke nicht teilgenommen . Er konnte unmöglich gehen , ohne ihr Lebewohl zu sagen . Er suchte sie auf ihrem Zimmer , in den Gängen des Hauses , endlich glaubte er ihre Stimme vom Gartenhäuschen her zu vernehmen . Dorthin eilte er . Wieder war sie , wie damals , als er bei seiner Ankunft sie hier fand , beschäftigt . Sie kniete vor Blumentöpfen . Aber diesmal säte und pflanzte sie nicht ; sie nahm einen verwelkten Stock aus dem Topfe . Er trat bescheiden vor sie hin , und sagte : " Ich gehe , Cornelie . " Sie verfärbte sich und antwortete nichts . " Ich weiß " , fuhr er fort , " daß ich Ihnen zuwider gewesen bin , lassen Sie es nun gut sein , da ich mich entferne ; geben Sie mir ein freundliches Wort mit . Und wollen Sie mich in dieser letzten Stunde recht glücklich machen , so vertrauen Sie mir , warum Sie in der vorigen Nacht geweint haben . Ich wüßte niemand , dem ich lieber helfen möchte , als Sie . " Sie stand , die Augen niedergeschlagen , und versetzte : " Es ist nicht recht von Ihnen , daß Sie tun , als hätte ich etwas gegen Sie . Sie haben wohl gesehen , wie herzlich ich mich freute , als Sie so unerwartet hier ankamen . Aber als Sie sich den falschen Namen gaben , und auch mich zwangen , zu lügen , da bin ich so traurig geworden , wie ich noch nie war . Ich hatte nirgends Ruhe , konnte niemand ansehn . Und darum war ich auch in dieser Nacht so betrübt . Ich hatte mich schon schlafen gelegt , als ich vor Angst wieder aufstehen und mich ausweinen mußte . Nun wissen Sie es , sein Sie mir deshalb nicht böse . " Sie erhob ihr Gesicht gegen ihn , und reichte ihm die Hand . Er sah in das gute unschuldige Auge ; das heilige Leidwesen einer reinen Natur , die zum ersten Male von dem Gedanken , daß es ein Böses gebe , berührt worden ist , blickte aus diesen bewölkten Spiegeln . Ein zärtlicher Schmerz durchdrang ihn , mit einer Art von Ehrfurcht neigte er sich zu ihr , und sagte : " Ich will mich nie wieder verstellen , Cornelie . " Nun hätte er wohl scheiden sollen , aber er blieb . Ein unbezwingliches Gefühl trieb ihn gegen seinen Willen . Er hatte sich vorgesetzt , schweigend zu gehen , und schon war die scheue Frage über seine Lippen : " Liebst du mich , Cornelie ? " Sie antwortete nicht ; sie fiel an sein Herz . In diesem Augenblicke rief einer der Knaben im Garten : " Cornelie , wo bist du ? Bruder Eduard ist wieder da ! " Sie fuhr empor und flüsterte ängstlich : " Was haben wir getan ? " Er durfte nicht eine Sekunde länger verweilen . Leidenschaftlich ihren Mund küssend , der nun eher den seinigen vermied , rief er : " Du hast mein Wort ! Ich verlobe mich dir und werde bei deinen Pflegeeltern um dich anhalten . " Er schwang sich über das Mäuerchen . Sie schickte ihm den schmerzlichsten Blick nach , dann wankte sie dem Knaben entgegen , der ihr Wunderdinge erzählte . Sie aber hörte von allem nichts , was er ihr sagte . Viertes Buch . Das Caroussel , der Adelsbrief Erstes Kapitel Erstes Kapitel In einem gotischen Pfeilergewölbe unter Helmen , Kürassen , Schwertern und Streitkolben stand die Herzogin mit dem Arzte in ernstlicher Beratung . " Wenn das Turnier regelrecht sein soll , so muß nicht bloß courtoisiert , sondern auch mit scharfen Waffen gekämpft werden , à outrance " , sagte sie . " Suchen Sie doch die besten Speere und Schwerter aus . " Der Arzt nahm eine Anzahl Waffen von den Pflöcken , und sagte lächelnd : " Mein Amt ist , Wunden heilen , und hier muß ich , in Ermangelung eines besseren Beistandes , welche vorbereiten helfen . Es tut mir leid , daß ich Rene d' Anjous Buch , welches ich einst in Dresden durchblätterte , nicht exzerpiert habe . Die französischen Ritterspiele waren weniger ernsthaft , als das englische , dessen Nachahmung Ew. Durchlaucht beabsichtigen . Gut möchte es auf alle Fälle sein , wenn die Herren sich zuvor erst sorgfältig auf Stoß und Hieb einüben , sonst dürfte der Chirurg eine reichliche Ernte haben . " " Soll ich aufrichtig sprechen " , versetzte die Herzogin , " so wäre ich sehr zufrieden , wenn ich die Sache nicht angefangen hätte . Sie macht so viel Arbeit , bringt eine solche Unruhe in das Haus , daß ich nicht weiß , ob das Vergnügen alle diese Anstalten lohnen wird . " " Dann sollten wir lieber dieses ohnehin fremdartige Fest einstellen " , sagte der Arzt . Die Herzogin entgegnete aber , daß das nicht möglich sei , der Herzog wisse schon darum und scheine sich auf den Tag ungemein zu freuen . Auch könne sie die Einladungen an die Teilnehmer nicht wieder rückgängig machen , ohne zu spöttischen Reden in der Umgegend Veranlassung zu geben . " Wie sehr entbehren wir unseren Wilhelmi bei dieser Gelegenheit ! " rief der Arzt . " In seinen Bilderbüchern , Mappen und Urkunden fand er immer für solche Dinge Rat und Aushilfe . Er besitzt eine große Geschicklichkeit , das Wesentliche von dem Zufälligen zu sondern , und eine gewisse allgemeine Idee von der Sache zu geben , auf die es doch allein ankommt . Ist es denn nicht möglich , den Herrn mit ihm zu versöhnen , und uns den melancholischen Freund zurückzuführen ? " Die Herzogin antwortete hierauf nichts , sondern sagte : " Der Domherr hat Unrecht , uns in der Not zu verlassen , die nur er im Grunde angerichtet hat . Versuchen Sie doch , ihn zu halten . " " Ew. Durchlaucht kennen die Grillen dieses seltsamen Mannes " , versetzte der Arzt . " Ich habe ihn schon dringend gebeten , zu bleiben , aber er sagte , seine Geschäfte litten es nicht . Freilich ist dies ein leerer Vorwand , der wahre Grund liegt in seiner gänzlichen Unfähigkeit , irgend etwas mit Stetigkeit zu verfolgen . Sobald er sieht , daß einem Plane , wie deren seine Seele täglich hunderte gleich Blasen aufwirft , die Ausführung zukommen soll , ergreift ihn ein unbezwinglicher Widerwille , er kann dann nicht ausdauern , es treibt ihn wie mit Geistermacht von solchem Orte hinweg . Nichts Seltsameres soll es geben , als seine sogenannten Sammlungen und die Einrichtung seines Hauses . Alles hat er angefangen , nichts vollendet ; die Zimmer ließ er reich meublieren , ehe sie noch ausgeweißt waren . " " Ein unglücklicher Charakter " , sagte die Herzogin . " Ich möchte von einem solchen Wesen die Worte Glück und Unglück gar nicht gebrauchen " , erwiderte der Arzt . " Sie deuten doch immer auf einen gewissen Zusammenhäng im Menschen hin , und der ist es gerade , welcher hier fehlt . Eigentlich tut er mir leid , da er gutmütig ist und auf seine Weise Verstand besitzt . Wir sehen in ihm doch auch nur ein Opfer vernachlässigter Erziehung , und der Zwangsverhältnisse , welche jüngeren Söhnen vornehmer Familien sonst nur die Wahl zwischen dem Müßiggange des Degens und dem Müßiggange der Tonsur offenließ . An der Wurzel dergestalt getötet , kann jemand zwar , solange die Jugend vorhält , durch Libertinage und Gesellschaftskünste den Schein des Lebens um sich verbreiten , aber wenn die Jahre kommen , die keinem gefallen , weil sie unerbittlich von jedem sagen , was an ihm sei , dann tritt der psychische Tod , die Torheit , unaufhaltsam ein , ehe noch das Spiel der Nerven und Muskeln ausgespielt ist . " " Ich habe immer darüber nachdenken müssen , warum uns die anderen Stände beneiden ? " sagte die Herzogin . " Seitdem das Geld weit mehr bei den Bürgerlichen als bei uns ist , kann man nicht einmal sagen , daß wir leichter imstande seien , uns die Genüsse zu verschaffen , worin doch auch das Leben nicht besteht . Was haben wir also voraus ? Mich dünkt , die Pflichten sind geblieben , während die Rechte verlorengingen . " " Man nennt den Adel häufig eine Ruine " , versetzte der Arzt . " Ich will die Wahrheit dieses Gleichnisses nicht untersuchen , und es dahingestellt sein lassen , ob so wenig Mauer und Fundament geblieben sei , daß ein geschickter Baumeister nicht daraus ein neues Gebäude solle herstellen können . Aber das ist gewiß , der schönste Anblick wird uns , wenn wir die Blume unter Trümmern blühn sehen . Dann ergreift uns ein liebliches Gefühl von Entstehn und Vergehen , von Lust und Trauer . Mögen die Männer Ihres Standes immerhin eine schwierige Aufgabe haben , für die Weiblichkeit bleibt er doch immer noch der günstigste Boden , ihre zartesten Erscheinungen herauszufördern . Grade diese Konvenienzen , Erinnerungen und Schranken , welche in den übrigen Ständen vor der sogenannten praktischen Richtung fast ganz verschwanden , und bei Ihnen doch wenigstens zum Teil noch gelten , sind dem Wesen einer Frau so gemäß . Ich möchte es , wenn Sie den Ausdruck nicht mißverstehn wollen , auch nur eine liebenswürdige Fiktion nennen . Mit Frauenzimmern des Bürgerstandes , wenn sie überhaupt aus der gleichgültigen Menge sich durch irgend etwas sondern , kann der Mann sich immer vergleichen , sie sind , was sie haben , sei es Geld , Verstand , Tüchtigkeit ; und nichts ist der Empfindung nachteiliger , als die Vergleichung , zu welcher sich Ihre Schwestern in jenen Sphären nur zu unvorsichtig drängen . Aber in Ihrem Stande habe ich noch Frauen gesehen , die von nichts getragen und behütet sein wollten , als von anmutigen Mythen . Wie gewinnend ist der Zauber reizender Hilflosigkeit ! Wie saugen sich unsere Sinnen fest an dem , was in jedem Augenblicke ihnen verschwinden kann , eben weil es nur ein wunderbarer Schein ist . Ja , hier überwältigt uns eine trunkene Schwelgerei , in der Gewalt der Empfindung wenigstens das süße Nichtige zu verewigen ; eine schwärmende Wonne , vergleichbar den Entzückungen der Kunstenthusiasten , den Verzückungen des Andächtigen . Ich möchte behaupten , meine Fürstin , daß ein recht männlicher Mann jetzt nur eine Dame von Adel lieben könne . " Die Herzogin lächelte . " Sollte man nicht glauben , daß Sie in eine verliebt seien ? " sagte sie . " Ich wünschte nur , daß Ihre Gesinnung bei unseren jungen Herrn Verbreitung fände . Dann würde es mehr Freiwerber als harrende Jungfrauen geben , statt daß jetzt das umgekehrte Verhältnis sichtbar ist , weil man leider weiß , daß der Erbe die Güter und die Tochter den Segen bekommt . " Der Arzt hatte sein gewöhnliches kaltes Wesen wieder angenommen , und sagte : " Was den Domherrn betrifft , so habe ich mich einigermaßen gewundert , daß er hier so wohl empfangen wurde . Er hat sich durch seine Unzuverlässigkeit überall außer Kredit gesetzt . " " Da er früher ab- und zuging , so müssen wir ihn auch jetzt gelten lassen , obgleich wir uns wenig aus ihm machen " , erwiderte die Herzogin . " Es ist sonderbar , wie die Natur sich durch Kontraste im Gleichgewicht zu halten pflegt " , fuhr der Arzt fort . " Er , der an nichts , und an dem nichts haftet , der demzufolge kein Bedenken trägt , für die unnützesten Dinge Geld auszugeben , hat gleichwohl eine fast kindische Scheu , Bares , wäre es noch so wenig , geradezu einzubüßen . Diese Abneigung geht so weit , daß er sich selbst nicht überwinden kann , einem Armen Almosen zu reichen , und sich lieber von beharrlichen Bettlern mit Sachen , die er eben bei sich trägt , loskauft . Es scheint , daß , wo Grundsätze und Vernunft versagt sind , gewisse starre Launen ihre Stelle in dem des Halts so bedürftigen Menschen vertreten sollen . Hierauf gründe ich auch einen Plan , den ich mit ihm vorhabe ; denn da ich , wie Sie wissen , gern etwas in die Psychologie oder in das Moralische pfusche , so habe ich mir vorgenommen , ihn womöglich zurechtzubringen . " Die Herzogin hatte sich schon mehrmals nach den Bedienten umgesehen , welche nach der Rüstkammer beordert worden waren . Endlich erschienen sie unter Anführung des alten Erich , der ihr Ausbleiben damit entschuldigte , daß die Herrn aus der Nachbarschaft bereits angekommen und nach dem Ahnensaale zu führen gewesen seien . Dies war der Herzogin unangenehm , da sie vor dem Eintreffen der Ritter alle Armaturen dort ordentlich hätte aufhängen lassen wollen . Nun beluden sich die Bedienten hastig mit dem Eisen , wobei nicht gar zu vorsichtig verfahren wurde , und manches morsche Nicht auswich . Auch der Arzt nahm einen Panzer , und so schwankte der Zug , unter der Last des Mittelalters keuchend , nach dem Ahnensaale . Wir lassen sie hin- und Wiedergehen , und erzählen unterdessen die Veranlassung dieser Dinge . Es ist nämlich zu sagen , daß kurz nach der Abreise Hermanns bei Gelegenheit einer wirtschaftlichen Einrichtung , die der Herzog ausführen wollte , die Rüstkammer eröffnet wurde . Seit seiner Kindheit hatte er sie nicht betreten ; nur im allgemeinen wußte er von dem Dasein einer Waffensammlung . Wie freudig erstaunte er , als der vergeßene Raum sich auftat , alle Wände und Gestelle sich mit Schildern , sperren , Brust- und Beinharnischen bedeckt zeigten ! In der Tat war hier weit mehr vorhanden , als man hätte ahnen können . Der Herzog nahm sich gleich vor , bessere Ordnung zu stiften , vor allen Dingen einen Katalog anfertigen zu lassen ; seine Gemahlin aber entwarf in der Stille einen anderen Plan . Er hatte sein Vergnügen über diese Denkmale kräftigerer Zeiten so lebhaft ausgesprochen , so wiederholentlich geäußert ; wie weit die freudigen Kampfspiele jener Tage über allen jetzigen gesellschaftlichen Vergnügungen ständen , daß sie wünschte , ihrem Gemahle zu seinem Geburtstage , welcher herannahte , einen solchen Genuß verschaffen zu können . Die Lektüre in Walter Scott gab ihr das Muster ; eine Nachahmung des Turniers von Ashby de la Zauche , welches der schottische Barde so beredt geschildert hat , schien nicht unmöglich zu sein . Indessen wäre es wohl bei dem Gedanken geblieben , wenn nicht der Zufall um diese Zeit jenen alten Bekannten des Hauses , den Domherrn , auf das Schloß geführt hätte . Kaum hörte er von dem Vorhaben , als er sich niedersetzte , und aus dem Stegreife ein Programm verfaßte , worin alle Momente des Ritterspiels enthalten waren . Randzeichnungen waren an schicklichen Orten hinzugefügt , altertümliche Spruchreime , für den Mund der Herolde bestimmt , leiteten das Fest ein und fort . Als die Herzogin alles so zierlich auf dem Papiere stehen sah , schwand jeder Zweifel über die Schwierigkeit der Ausführung . Der Domherr erhielt die Erlaubnis , alle ebenbürtige junge Edle , alle stiftsfähige Fräulein der Umgegend in ihrem Namen einzuladen , von welcher er den raschesten und ausgedehntesten Gebrauch machte . Nun entstand auf sämtlichen Landgütern und Rittersitzen , mehrere Meilen weit in die Runde , die lebhafteste Bewegung . Pferde wurden probiert . Fechtübungen angestellt , man versuchte , ob die vorläufig mit einem Brette geschützte Brust den Stoß der Lanzen , welche durch Stangen dargestellt wurden , aushielt . Man stöberte jeden Winkel nach irgendetwas Obsoletem durch ; Fahnen wurden gestickt , Wappenschilder gemalt . Noch geschäftiger als die Männer waren die Damen . Es war angeordnet worden , daß niemand anders , als im Kostüm erscheinen solle . Manches frische Gesicht , manche schlanke Gestalt freute sich auf den Spitzenkragen , auf das Kleid mit langem Schoße , auf die bauschigen Ärmel . Zofen und Nähterinnen hatten alle Hände voll zu tun , um all den Samt , die Seide , die goldenen und silbernen Borten , die Federn , das Schmelzwerk zu bewältigen . Im stillen teilten die Hübschen , eine jede sich selbst , die Rolle der Königin der Minne und Schönheit zu , deren Ernennung nicht ausbleiben durfte , wenn das Fest seinen Charakter behalten sollte ; was die Häßlichen betrifft , so beschlossen diese , die Wahl , wenn selbige auf sie fallen würde , bescheiden abzulehnen . Während so in den Wohnungen derer , welche sich vollständiger Ahnen rühmen durften , nur Erwartung , Hoffnung und Freude herrschte , war bei einigen anderen Gutsbesitzern bedeutend angestoßen worden . Auch in diesen Gegenden hatte es im Strudel der Zeiten nicht fehlen können , daß ein Teil der Bodenfläche auf Neugeadelte oder bürgerlich Verbliebene überging . Mehrere davon waren sogar , wenn man den Herzog ausnimmt , die vermögendsten Eigentümer des ganzen Bezirks . Die Herzogin hatte nach mildem verständigem Frauensinne ein Auge zudrücken und auch diese zu ihrem Feste entbieten wollen , allein der Domherr erklärte mit großem Ernste , das gehe durchaus nicht an . Er erzählte ihr so viel von der Wappenprüfung und anderen bei einem Turniere vorkommenden Dingen , wobei die Darlegung eines vollständigen Stammbaums notwendig ist , daß sie endlich , wiewohl ungern , seiner eigensinnigen Gewissenhaftigkeit nachgab . Natürlich erhob sich unter den Ausgeschloßenen großer Verdruß . Einer derselben schlug vor , unter sich ein zweites Turnier zu geben , welches noch mehr Geld kosten müsse , als das herzogliche ; welcher Gedanke indessen , obgleich er ein echt deutscher war , von den übrigen als lächerlich verworfen wurde . Man fuhr jedoch fort , untereinander zu munkeln , und schon wollte verlauten , daß von dort etwas zu Spott und Schimpf ausgehen . werde . Die Herzogin hatte dem Domherrn die Funktion des Waffenkönigs zugedacht , welcher bekanntlich in den alten Zeiten der Zeremonienmeister solcher Festlichkeiten war , von dessen Geschick und Einsicht das Gelingen derselben wesentlich abhing . Wie erschrak sie , als der charakterlose Mann , nachdem er den Aufruhr in Schloß , Stadt und Landschaft angestiftet , erklärte , er müsse sich nun empfehlen . Sie hatte niemand , der seine Stelle vertreten konnte . Der Arzt war schon vermöge seiner Geschäfte dazu unfähig , mit Wilhelmi hatte ein unangenehmer Vorfall stattgefunden . Sie war wirklich in großer Verlegenheit ; zumal da die Anstalten in der Wirklichkeit sich anders verhalten wollten , als auf dem Papiere . Man hatte den jungen Edelleuten , welche nicht selbst für altertümliche Waffen und Rüstungen zu sorgen gewußt , den Vorrat des Schlosses angeboten . Die meisten machten hiervon Gebrauch und so war denn eine beträchtliche Reiterschar eingetroffen , um nach Statur und Leibesumfang das Passende auszuwählen und anzuprobieren . Zweites Kapitel Zweites Kapitel Im Ahnensaale , den Bildnisse , Schenktische und Hirschgeweihe herkömmlich schmückten , warteten gegen zwanzig junge Edelleute , sehr vergnügt über den bevorstehenden herrlichen Zeitvertreib . " Gott strafe mich ! " rief einer , " es war ein vernünftiger Gedanke , auf so etwas zu verfallen . Man hat gar nichts mehr voraus , aber das können sie uns nicht nachmachen . " Nachdem die eintretende Herzogin mit großem Geräusch verehrt worden war , und jeder seine Empfehlungen von Müttern und Schwestern ausgerichtet hatte , warf man sich jubelnd über die herbeigebrachten Waffen her . Die Bedienten hatten eine ungeheure Last Eisenwerk im Saale umher aufgeschichtet , unter dem nun jeder nach dem , was ihm gemäß sei , spürte . Man setzte Helme auf , legte Schienen an , suchte mit den Harnischen fertig zu werden . Die Bedienten halfen , so gut sie konnten , da aber die Ungeduld zu groß , oder das Geräte zu alt war , so riß vieles und zerbrach mehreres . Ja einige der schönsten Rüstungen , die gleich den Leichen in manchen Gewölben nur noch zum Scheine zusammenhielten , fielen gänzlich auseinander , bei welchem unerwarteten Anblicke die Herzogin erschreckt und verstimmt den Saal verließ . Etwa ein Dutzend Ritter kam indessen doch nach vielfältigen Versuchen mit der Wehrhaftmachung zustande , freilich nicht ohne dieses und jenes Mißverständnis . Denn so behauptete einer hartnäckig , die Beinschienen , welche bekanntlich zum Schutze des vorderen Teils der Schenkel dienten , gehörten an die entgegengesetzte Stelle , um gewisse unangenehme Folgen heftigen Reitens zu verhüten , ließ sich auch von seinem Irrtume nicht überführen , sondern die Schienen verkehrterweise anschnallen ; worauf ihn ein anderer mit derbem Scherze in einen Stuhl drückte und fragte : ob er denn nun so sitzen könne ? was er freilich leugnen mußte . Die Fertiggewordenen schwankten , von der ungewohnten Wucht bedrückt , vor die großen Wandspiegel , und brachen bei ihrem Anblicke in ein schallendes Gelächter aus . Und wirklich waren diese wankenden düstern , verrosteten Gestalten eher scheußlich als lieblich anzusehen . Der Arzt , welcher zurückgeblieben war , um den Wirt zu machen , lud die Gesellschaft jetzt zu dem unterdessen aufgetragenen Gabelfrühstück ein . Man war so vergnügt über die Maskerade , man fühlte sich so groß in dieser Hülle der Altväter , daß die meisten sich in Wehr und Waffen zu Tisch setzten . Die Speisen waren vortrefflich , die Eßlust der jungen Leute war es nicht minder . Man schmauste tapfer und zechte weidlich dazu . Die Hitze , welche unter den Rüstungen sich entwickelte , trug dazu bei , daß der Wein noch eher , als sonst wohl geschehen wäre , den Trinkenden zu Kopfe stieg ; bald entstand ein Gespräch , in dem keiner mehr sein eigenes Wort vernahm . Die Bedienten , welche nicht frische Flaschen genug herbeischaffen konnten , schüttelten , an das gemeßene Wesen der Herrschaft gewöhnt , über diesen erstaunlichen Lärmen die Köpfe , der alte Erich murrte ganz laut , und belferte seine biblischen Sprüche daher . Zufälligerweise hatte sich eine Musikbande im Hofe des Schlosses eingeschlichen , welche , angelockt von dem Geräusch , durch Gänge und Vorsäle drang , und von niemand bemerkt , mit stimmenden Instrumenten in den Saal trat . Sogleich verlangten die Trunkenen etwas Lustiges aufgespielt , worauf die Musikanten , welche nichts Besseres hatten , die Marseillaise zum besten gaben . Niemand fand an dieser Wahl Anstoß , denn es war eine völlige Vergessenheit der Zeiten eingetreten ; die ganze gerüstete Schar hüpfte , walzte , oder marschierte nach diesen neusten aufrührerischen Tönen munter im Saale umher , daß die Fenster erklirrten . Der Herzog , welcher von einem Ritt über Land heimkam , hielt im Hofe still und fragte jemand , der ihm begegnete , mit strengem Tone nach der Ursache des Lärmens . Der Mensch glaubte , nichts verraten zu dürfen , und zuckte die Achseln , indem er nur einen Blick nach den Fenstern der Herzogin warf . Der Herzog besann sich und sagte : " Das ist ja aber , als ob Haspe a Spada , Bremser von Rüdesheim und Bumsen vereint dem Grabe entstiegen wären . Ich merke , das deutsche Rittertum ist von starkem Getöse nicht zu trennen . " Der Arzt hatte sich , sobald er gekonnt , von der lauten Gesellschaft getrennt , und in der Eile einige halbversäumte Patienten besucht . Die Beratungen , zu denen er notgedrungen sich hergeben mußte , die Verrichtungen , welche ihm für das Fest aufgetragen wurden , raubten , ihm zu seinem Verdrusse Zeit , ein Gut , mit welchem er sehr haushälterisch umging . Vor allem aber hatten die Worte , zu denen er durch sein Alleinsein mit der Herzogin hingerissen worden war , ihn in die übelste Stimmung versetzt . Er gefiel sich nur in der verschloßenen Kälte , welche er als das ihm geeignete Element sich zubereitet hatte , und war außer Fassung , wenn er befürchten mußte , das Gefühl , welches ihm als Menschen denn doch auch geblieben war , aus seinem Versteck entlassen zu haben . In solchem Unmute war er immer zu harter sarkastischer Laune , willkürlicher Behandlung anderer aufgelegt . Er nahm nach vollbrachtem Geschäfte ein Buch zur Hand , aber das Lesen wollte nicht gelingen . Er ging durch den Park , und hatte schon vor , da niemand sich zeigte , an dem er den Zorn auslassen konnte , Wilhelmi in seinem Exile zu besuchen , als die Alte , zu welcher er Flämmchen gebracht , ihm in den Weg trat . Sie verbeugte sich , kreuzte die Arme über der Brust , und streckte schweigend die flache Hand aus . Der Arzt verstand diese Gebärde , reichte ihr Geld , und sagte : " Ich meinte , Ihr hättet länger mit dem auskommen müssen , was ich Euch neulich gegeben hatte . " " Es wäre auch geschehen , wenn das Flämmchen nicht so viele Schuhe durchtanzte " , versetzte die Alte . " Wie soll ich das verstehen ? " fragte der Arzt . " Es läßt sich nicht erzählen , man muß es sehen " , antwortete die Alte . " Wir haben Mondlicht , da treibt sie es . " Er fragte sie , wie sie sich vertrügen . Die Alte erwiderte : " Sehr gut . Es wäre mein Tod , wenn das Kind wieder von mir genommen würde . Sie legt mir die Kräuter aus , das fehlte mir noch , nun bin ich ganz zufrieden . " Er tat noch allerhand Kreuz- und Querfragen , und brachte dadurch heraus , daß Flämmchen , nachdem sie zu der Alten gekommen , in einen Zustand von Exaltation verfallen war , welcher besonders in der Zeit des Mondlichts sich offenbaren sollte . Was er hierüber erfuhr , dünkte ihn merkwürdig , und er versprach der Alten einen baldigen Besuch . Kaum hatte sie ihn verlassen , als der Domherr reisefertig zu ihm trat . " Wo stecken Sie , Doktor ? Ich wollte Ihnen Lebewohl sagen " , rief er , und umarmte lebhaft den Arzt . " Warum eilen Sie so , fortzukommen ? " fragte dieser . " Sie könnten unserer Herzogin manche Verlegenheit abnehmen , wenn Sie blieben . Ich habe den Auftrag , Sie dringend darum zu bitten . " " Es ist mir wahrhaftig nicht möglich " , versetzte der andere . " Ihr Kinder wißt nicht , was für Geschäfte auf mir lasten . " " O ja , Kanarienvögel zu füttern , Kupferstiche durcheinander zu werfen , Hunde abzurichten , und dergleichen wichtige Dinge mehr . " Auf der Landstraße , welche am Park vorbeiführte , kam in dem Augenblicke der Zug der heimreitenden jungen Edelleute durch . Sie sangen , saßen ziemlich unordentlich zu Pferde ; einige hatten in der Abwesenheit ihrer Sinne die Helme auf dem Haupte behalten . " Da sehen Sie , was Sie angerichtet haben " , sagte der Arzt . " Es wäre Ihre Pflicht , was Sie uns einbrockten , auch mit uns zu verzehren . Indessen reisen Sie nur , wenn Sie sich durchaus eine Krankheit in der Abendkühle holen wollen . " Auf dieses Wort wurde der Domherr stutzig und fragte nach dessen Bedeutung . Der Arzt erzählte ihm hierauf eine Geschichte von den jetzt herrschenden bösartigen Wechselfiebern , welche so allgemein vorkämen , daß man sie fast eine Epidemie nennen könne , und welche durch die kleinste Erkältung herbeigeführt würden . Der Domherr ersuchte den Arzt ängstlich , ihm nach dem Pulse zu fühlen , welchen dieser in der Tat schon fieberhaft erregt fand . Hierauf ließ der Domherr eiligst abspannen , begab sich nach seinem Zimmer und erwartete dort unruhig den Arzt , der ihm noch einen Besuch zugesagt hatte . Dieser verfehlte nicht , sich einzustellen , weil er einen absonderlichen Plan mit ihm durchsetzen wollte . Das Gespräch , welches er auf geschickte Weise einzuleiten wußte , und welches sich bis tief in die Nacht ausdehnte , führte zu dem wunderlichsten Ergebnisse . Um letzteres wahrscheinlich zu machen , müssen wir einiges über die Persönlichkeit des fremden Gastes beibringen . Drittes Kapitel Drittes Kapitel Der Domherr , aus alter Familie als jüngerer Sohn entsprossen , war frühzeitig in eine einträgliche Pfründe eingekauft worden , und , durch verschiedene unerwartete Todesfälle begünstigt , zur Hebung gediehen , sobald er nur das kanonische Alter erreicht hatte . Ohne Beschäftigung , ja selbst ohne die Sorge für die Erhaltung eines Vermögens , genoß er reichlicher Einkünfte , welche ihm keine anderen Pflichten auferlegten , als seine Residenz an dem Orte des Kapitels zu halten , und die kirchlichen Stunden innezuhalten , welche in diesem Stifte , ohne bedeutenden Verlust an Gelde , nicht durch Vikarin abgestattet werden durften . Sein lebhafter und neugieriger Geist trieb ihn , die Langeweile eines solchen Zustandes dadurch zu versüßen , daß er das Verschiedenartigste nacheinander las und vornahm . Da er indessen zu wenig Ruhe besaß , und ein äußerer Zwang , welcher vielleicht allein imstande ist , lockeren Naturen Halt zu geben , hier mangelte , so berührte er von allem nur die Oberfläche , erwarb zwar durch leichte Fassungsgabe und gutes Gedächtnis mannigfaltige Kenntnisse , denen es aber an einer Wurzel in der Seele völlig gebrach . So entstand denn in ihm ein wahres Chaos von unzusammenhangenden Meinungen , und einander aufhebenden Maximen . Ein Spötter hatte ihn einst den lebendig gewordenen Vordersatz ohne Nachsatz genannt . Dagegen galt er wieder bei vielen anderen für einen reichen Geist , ja für ein Genie . Am übelsten stand es mit seinem Verhältnisse zu den übersinnlichen Dingen . Der Katholizismus seiner Jugend war ihm nichts als das lästigste Formenwesen geworden ; die dumpfen Choräle , welche er späterhin als Pfründner in seinem holzgeschnitzten Stuhle täglich geduldig mitsingen mußte , dienten auch nicht dazu , die Liebe zu dem angestammten Glaubensbekenntnisse zu steigern . Er hatte sich bei Voltaire und Holbach Rats erholt , und eine Zeitlang mit großer Dreistigkeit die Sätze versponnen , welche in dieser Schule zu gewinnen sind . Als er aber über das vierzigste Jahr hinaus war , und , er wußte selbst nicht wie ? immerfort auf den Gedanken kam , daß er nicht mehr so lange leben werde , als er gelebt habe , ergriff ihn eine große Unruhe , die bald zur ausschweifendsten Todesfurcht wurde . Daß damit eine ängstliche Sorge für seine Gesundheit sich verband , ist natürlich , allein was half diese ? Endlich müssen wir ja doch sterben . Er faßte daher mit leidenschaftlicher Begierde nach dem Dogma von der Unsterblichkeit der Seele , welches er aber nur physikalisch oder magisch sich anzueignen wußte . Er las Swedenborg , Paracelsus , vertiefte sich in kabbalistische Phantasien , und suchte sich dadurch die Himmelsleiter zu zimmern . Nach der nächsten und einfachsten Quelle empfand er keinen Durst ; vielmehr äußerte er einst mit großer Naivetät gegen einen vertrauten Bekannten , daß ihm an dem Dasein Gottes im Grunde wenig liege , wenn er nur das ewige Leben bekomme . Geistlicher Zuspruch war ihm von seiner Jugend her verhaßt geblieben . Als daher der bekehrte Priester , dessen wir uns erinnern , ihm bei seinem Eintreffen im Schlosse nahen wollte , weil er an dem Gaste so etwas Schadhaftes witterte , wies ihn dieser mit entschiedener Geringschätzung zurück . Dagegen wandte er sich lebhaft dem Arzte zu , den der Fremde belustigte . Jener nahm ein geheimnisvolles Wesen gegen den Domherrn an , und hatte sich bald in eine solche Achtung bei ihm gesetzt , daß selbst die tollen Scherze , zu welchen ihn der Anblick des närrischen Mannes bisweilen hinriß , von diesem für verhüllte Hierophanttische Weisheit erachtet wurden . Sein ganzer gegenwärtiger Zustand war eine Kette von Zerstreuungen . Die Umwälzungen der Zeit hatten ihn seiner geistlichen Pflichten entbunden , ohne ihm die Präbende zu nehmen . Eine Erbschaft war ihm zugefallen , so daß er für reich gelten konnte . In der Nähe der großen Stadt hatte er sich das Landhaus erbaut , von dessen widersinniger Einrichtung der Arzt der Herzogin erzählte . An jenem Abende nun versuchte zwar der Arzt zuvörderst den Domherrn über seine Gesundheitsumstände zu trösten , ließ jedoch ein entscheidendes Wort über die Lebensdauer gewisser Konstitutionen fallen , wobei er ihn bedenklich ansah . Dieser Blick konnte den anderen wenig vergnügen , und seine Stimmung wurde nicht gebessert , als der Arzt ein treffendes Bild der Auflösung entwarf , worin deren einzelne Erscheinungen und Stadien mit schauderhafter Lebendigkeit hervortraten , so daß man froh sein mußte , wenn dieses widerliche Gären endlich in lauter grauem Staube sich beruhigte . Der Domherr ging im Zimmer auf und nieder und sagte : " Possen ! Wer an Fortdauer glaubt , läßt sich durch dergleichen nicht schrecken . " Der Arzt versetzte hierauf , daß der Glaube und die Wissenschaft allerdings zwei gesonderte Gebiete beherrschten , wovon nur das eine den Vorzug habe , daß man wisse , wo es liege , während dies von dem anderen sich nicht so ganz behaupten lasse . Er wollte hierauf das Gespräch abbrechen , und sich entfernen , womit aber dem Domherrn durchaus nicht gedient war . Dieser hielt ihn vielmehr mit schlecht verhüllter Ängstlichkeit zurück , und rief : " Ihr seid Materialist , Doktor , ich weiß das , aber ein innerstes Gefühl sagt dem Menschen , daß seine Seele etwas Grundverschiedenes sei von dem Zucken der Muskeln und dem Umlaufe des Bluts . Sprecht Eure Zweifel nur aus ; es ist mir nichts unerträglicher , als dieses Halten hinter dem Berge . " " Man hat " , sagte der Arzt , " auch lange von den vier Elementen gesprochen , und nun wissen wir denn doch , daß diese für Grundstoffe gehaltenen Dinge aus verschiedenen anderen bestehen , welche erst zusammengefügt das bilden , was wir Erde , Wasser , Luft und Feuer nennen . Und wer weiß , wie weit die Chemie die Scheidung noch treiben kann ! Hiervon die Anwendung auf die menschliche Seele zu machen , scheint mir leicht . Zum Beweise ihrer ewigen Dauer ist viel von ihrer Einfachheit gesprochen worden . Dabei wurde nur vergessen , daß derselbe Mensch unter verschiedenen Umständen oft als ein ganz anderer erscheint , daß Grundsätze , Meinungen und Überzeugungen in demselben Individuo einander widersprechen , und daß daher in dem Dinge , welchem wir so gern eine vornehme Selbständigkeit beilegen möchten , manche gar nicht so notwendig zueinander gehörende Potenzen wirksam sind , die ja auch die empirische Psychologie längst aufgezählt und nachgewiesen hat . " " Also sollte sich die Seele bei dem Tode gewissermaßen in Verstand , Vernunft und Urteilskraft zerlegen ? " fragte der Domherr , froh , seinen Gegner zum Absurden geführt zu haben . Der Arzt versetzte : " Wie die Auflösung des Seelischen vonstatten gehe , weiß ich nicht , ich habe es hier nur mit einem Irrtume zu tun . Sind Sie derselbe noch , der Sie als Kind und Jüngling waren ? Entschwanden nicht ganze Regionen von Erinnerungen und Empfindungen aus Ihrem Geiste ? Wechselten nicht Liebe und Neigung in Ihnen ? Wollen Sie noch , was Sie wollten ? Können Sie einen einzigen Moment in sich nachweisen , wo Ihre Seele anders als zeitlich , räumlich , hinfällig , leiblich dachte und fühlte ? Welchen Teil , welche Stufe dieses Etwas wollen Sie also für jene Ewigkeit retten ? Denn Sie werden immer etwas aufgeben müssen , entweder die Vernunft , wenn Sie das , was im Herzen klopfte , oder das Gemüt , wenn Sie das , was im Haupte leuchtete , erhalten wünschen . Will das nun irgend jemand ? Gewiß nicht . Vielmehr ist es ja gerade das Verlangen , sich in seiner Totalität zu bewahren , was man die Sehnsucht nach dem Jenseits genannt hat , auf welche Sehnsucht denn wieder einer der sogenannten Beweise gebaut worden ist . Weil es einen Hunger gibt , so gibt es eine Speise , weil wir Durst fühlen , so muß Getränk vorhanden sein . Also , weil wir jene Sehnsucht fühlen , so wird der Gegenstand ihrer Befriedigung nicht ausbleiben . So weit bin ich einverstanden . Nur , was der Gegenstand sei , darüber herrscht eine Täuschung . Man hat auch von Nektar und Ambrosia gesprochen , und gewiß hat mancher nach dieser Götterspeise , wie Tantalus , ein Gelüsten empfunden ; gleichwohl , hat sie jemand gekostet ? Mußte nicht jeder sich mit gemeiner menschlicher Kost begnügen ? Und so ist es mit dem Unsterblichkeitsglauben . Ein lügenhaftes , schwärmendes Etwas in uns verlangt nach Nektar und Ambrosia , während die wahre , innige und viel tröstlichere Befriedigung überall uns nachgestellt worden ist , ohne daß unsere blöden Sinne sie wahrnehmen . " " Und die wäre ? " fragte der Domherr . " Das gegenwärtige , irdische Leben selbst " , versetzte der Arzt . " Auch ich sage in meinem Sinne : Der Mensch ist ewiger Dauer . Aber ich setze hinzu : Der Himmel ist auf Erden , und mit dem Tode ist es nicht aus , sondern es beginnt aufs neue . Wie Feuer von oben ergreift das Psychische den Ton , bildet und wirkt ihn aus , und wenn es ihn abgenutzt hat , sucht es sich frischen Stoff . Wir sind alle Revenants , und dieser Erscheinung der Geister oder des Geistes ist kein Ziel der Zeit gesetzt . " " Das ist eine schlechte Fortdauer " , seufzte der Domherr . " Was hilft es mir , zu vermuten , ich habe schon irgendwo einmal gesteckt , wenn ich nicht weiß , wo und in welcher Haut ich steckte . " " Und wenn nun jene Vermutung sich bis zur klarsten Anschauung steigern ließe ? Im ahnenden Vortraume ist letztere schon gesetzt , er heißt Geschichte . Diese in allen so lebendig zu machen , daß jeder sich auf Jahrtausende zurück wiederfinden kann , ist eigentlich die geheimnisvoll-verhüllte Aufgabe der Gegenwart . Wir reifen einer Periode entgegen , worin die Menschen ebensosehr Bürger der Vergangenheit sein werden , als sie eine Zeitlang in der durch das Christentum angewiesenen Richtung Anwärter der Zukunft waren . Das ist der heilig zuckende Wille des Weltgeistes unter der Decke der politischen Bestrebungen unserer Zeit , welche eben dieses , von ihrer bewußten Absicht ganz verschiedene Resultat hervorzubringen bestimmt sind . Hin und wieder ist dieser Unsterblichkeitsglaube , oder vielmehr dieses Wissen schon vorhanden ; es gibt Vorboten der neuen Epoche . So glaube ich von mir sagen zu können , daß ich mit Bestimmtheit sehe , wo ich da und dort schon aufgetaucht bin . " " Ist es möglich ? " rief der Domherr . " Entdecken Sie mir ... " " Diese Kunde gehört nur mir " , erwiderte der Arzt . " Allein ich glaube , daß jeder nicht ganz Verwahrloste sie in sich erzeugen könnte . " " Und wie ? " " Man kommt zu Mysterien bekanntlich erst nach vielen Vorbereitungen . Auch wird nur der eine höhere Seelenerfahrung recht besitzen , der sie selbsttätig sich hervorbringt . Um aber auf Ihre Angst und Not , die ich mit Bedauern wahrnehme , zurückzukommen ; es gibt ein sehr einfaches Mittel , sie zu heben , Sie von aller Unruhe über die Dinge jenseits des Grabes zu heilen , und Ihnen dieses so zu zeigen , wie es ist , nämlich als einen unschuldigen , harmlosen Hügel Erde . " " Nun ? dieses Mittel ? " " Heiraten Sie und zeugen Sie einen Sohn . Wenn wir uns einigermaßen an die Natur halten wollen - und das ist wohl in jedem Falle das Sicherste - so müssen wir erkennen , daß mit jener wunderbaren Funktion , worin der ganze Mensch zu einer belebenden Flamme auflodert , auch der ganze Mensch im natürlichen und im höheren Sinne fortgesetzt wird . Nur eine verdorbene Phantasie hat um sie ihr lüsternes Unkraut gewoben , sie ist für den wahren Priester des Universums etwas so Ernstes und Schweres wie die Bewegung der Himmelskörper , die Reise des Lichts , der Drang der Voltaischen Säule . Hier ist uns auf die liebreichste Weise das Mittel in die Hand gegeben , alle kranken Schrecken abzuschütteln , und ich habe immer die Weisheit der alten Indier bewundert , welche aus dem Geschäfte , zu welchem ich Sie aufmuntern möchte , einen Punkt ihrer Pflichtenlehre machten . Meine Beobachtungen lehrten mich auch fast immer , daß Personen , welche die Zeit nach ihnen verkörpert vor sich sahen , aufhörten , dieselbe zu fürchten , und die wenigen Ausnahmen befestigten mir eben die Regel . Es ist keine Redensart , es ist eine Wahrheit , daß die Eltern in den Kindern fortleben . So aber geht es ; der Mensch sucht über den Sternen , was zu seinen Füßen liegt , wie die Spanier nach dem fernen Eldorado fuhren und in den Wildnissen verhungerten , während sie mit treuer Arbeit zu Hause sich hätten nähren und auch des so heiß ersehnten Goldes ein bescheidenes Teil gewinnen können . " Viertes Kapitel Viertes Kapitel Am folgenden Morgen besuchte der Domherr den Arzt ganz früh , und eröffnete ihm , daß er sich verheiraten werde , da er auf Erlassung der Zölibatspflicht seitens der Staatsbehörde sicher rechnen könne . Der Arzt bezeigte sich darüber nicht im mindesten erstaunt , sondern fragte ihn trocken : " Wen ? " Worauf der Domherr versetzte : er wisse es noch nicht , da es ihm aber an Bekanntschaft unter den Damen des Landes nicht mangle , so werde er leicht eine angemeßene Partie ermitteln , zu welchem Ende er gegenwärtig aufbrechen wolle . " Dieser Plan ist ein unglückseliger zu nennen " , sagte der Arzt . " In Ihren Jahren haben sich Gewohnheiten und Verwöhnungen so festgesetzt , daß ein zweites , freies und selbständiges Wesen nicht mehr in diesen Bann sich finden kann , und die Sache notwendig mit Scheidung oder vollendeter Herrschaft des Pantoffels schließen muß . " Er erzählte ihm aus dem Stegreife einige Geschichten von verspäteten Heiraten , die wirklich ein betrübtes Ende genommen hatten , so daß der andere ganz nachdenklich wurde , und mit trauriger Miene sagte : " Aber heiraten will ich und muß ich , denn , was Ihr gestern abend zuletzt sagtet , Doktor , das hat Grund , und es ist mir über Nacht schon die Bestätigung geworden . Ich konnte nicht schlafen , versenkte mich in Eure Unsterblichkeitstheorie , und auf einmal , nicht träumend , sondern wie gesagt , hellwachend im Bezirke jener Gedanken und Gefühle , die Ihr in mir aufgeregt hattet , empfand ich etwas , was mir die unumstößlichste Wahrheit Eurer Behauptungen erwies . Plötzlich war ich nämlich nicht mehr ich selbst , der Domherr aus dem neunzehnten Jahrhundert , sondern mein Urgroßvater , der General in venezianischen Diensten . Ich hielt um die Hand meiner Urgroßmutter an , ich drückte mich in dem damals üblichen Kauderwelsch von Deutsch und Französisch aus , und , Ihr mögt mir es glauben oder nicht , ich habe den roten Plüsch mit silbernen Litzen , den er zu tragen pflegte , deutlich auf meinem Leibe gefühlt . " " Lieber " , sagte der Arzt mit ungläubigem Gesichte , " transzendentale Dinge so ins Einzelne verfolgen , führt nur zu Phantastereien . " " Ich weiß wohl , daß Ihr gleich wieder skeptisch werdet , wenn Ihr etwas behauptet habt " , versetzte der Domherr . " Aber ich lasse mich dadurch nicht irreführen . Den Verjüngungstrank , von dem Ihr neulich spracht , und den Ihr jetzt ableugnet , muß ich auch noch von Euch herausholen . Kurz , seht mich an : Bin ich mein Urgroßvater oder bin ich es nicht ? " " Domherr " , sagte der Arzt , welcher sich während dieses Gesprächs vor seinem Gaste unbefangen ankleidete , " Ihr seid ein großer Narr . " " Ihr könnt mich gar nicht beleidigen ! " rief der Domherr . " Heimführen wollt Ihr mich , wie man den Bauer nach Hause schickt ; aber es wird Euch nicht gelingen . So gewiß ich in mir die Tatsache erlebt habe , daß der Urgroßvater in mir wirklich fortbesteht , so gewiß werde ich in einem Sohne fortdauern , den ich daher fest entschlossen bin , zu erzeugen . Was soll nun dieses Abschweifen , dieses Ironisieren ? Gestern waren wir ja ganz einverstanden ; geht doch ehrlich mit mir um . " " Kann man sich denn auf Sie verlassen ? " erwiderte der Arzt , indem er begann , sich zu rasieren . " Muß man nicht immer besorgen , daß Sie umschlagen , sobald man glaubt , Sie bei einem Punkte fest zu haben . Seit mehreren Tagen trage ich mich mit einer Idee , Ihre Unsterblichkeit festzustellen , doch , was hilft das ? Sie werden nach Ihrem Kopfe heiraten , höchst unglücklich , vielleicht ein Hahnrei werden , und ohne Ihren Zweck zu erreichen , früh ins Grab sinken . " Der Domherr drang hierauf angelegentlichst in den Arzt , ihm seine Idee zu eröffnen . Dieser ließ sich lange bitten , endlich sagte er ihm , daß Heiraten ältlicher Männer nur dann zum Heile führen könnten , wenn der Gatte die Gattin sich erzöge . Er könne ihm ein schönes durch allerhand Unglück hülflos gewordenes Kind aus guter Familie zuweisen , welches gewiß das Erziehungswerk verlohnen , und mit der Zeit die allein für ihn passende Frau abgeben werde . Als der Domherr nun heftig verlangte , mit diesem Kinde bekanntgemacht zu werden , verwies ihn der Arzt zur Geduld und sagte , er müsse zuerst sich überzeugen , daß er die arme Verlaßene ihm auch sicher anvertrauen könne . Durch seine Reden schimmerte so etwas von fürstlicher Abkunft , wodurch die Einbildungskraft des Domherrn in Feuer und Flammen gesetzt wurde . Ihr Gespräch wurde durch einen Bedienten unterbrochen , welcher die Meldung machte , daß Waffenschmiede und andere Handwerker angekommen seien , die nötigen Zurüstungen zum Turnier ins Werk zu richten . Der Arzt erklärte nun dem Domherrn rundheraus , daß er zuerst das Kampfspiel in Gang bringen helfen müsse , ehe an weitere Unterhandlung über den bewußten Gegenstand zu denken sei . Dieser fügte sich in die Bedingung und ging mit erneuter Tätigkeit an die halbvergeßenen Arbeiten . Nun wurden im Ahnensaale rüstige Schmiede und gewandte Polierer beschäftigt , die Rüstungen zu ordnen , auszubessern und zu putzen , so daß in kurzem alles ein blankes Ansehn gewann . Wo etwas fehlte , wo einem Schwerte , einem Schilde durch leichte Vergoldung nachzuhelfen war , ließ der geschäftige Mann gleich das Nötige besorgen , und da er viel Geschmack besaß , die Kosten nicht schonte , und geschickte Werkmeister unter sich hatte , so konnte er der Herzogin bald eine Sammlung der spiegelhellsten Schutz- und Trutzwaffen vorweisen . Auf einem grünen Platze hinter dem Park , von dem ein gewundener Weg zu der Anhöhe führte , auf welcher der Geistliche Hermann versucht hatte , sollte das Turnier gehalten werden . Der Domherr ließ den Rasen abstechen , Sand anfahren , Schranken und Tribünen aufrichten . Mit Hilfe reichlicher Trinkgelder erhoben sich , zum Erstaunen schnell , zierliche gotische Gerüste , die auf leichten Pfeilern um den reinlichen Plan liefen . Im Inneren des Schlosses beschäftigte er fünf fleißige Tapezierer , welche die Fahnen , Behänge , Festons und Pavillon so rasch lieferten , daß man berechnen konnte , mit allen Vorbereitungen wenigstens acht Tage vor dem Geburtsfeste des Herzogs , welches in die Mitte des Junis fiel , fertig zu werden . Unter dem Hammern , Klopfen und Nieten , wovon das Geräusch durch das ganze Schloß schallte , drangen eine Menge Hausierer und Juden ein , welche immer , wie durch Instinkt geleitet , merken , wo es etwas zu handeln geben möchte , Seiltänzer und Taschenspieler meldeten sich , um bei dem ritterlichen Spiele ihre Künste zu zeigen , ein zudringlicher Mensch , der eine kleine Menagerie umherführte , hatte nur mit Mühe abgewiesen werden können . Der Zulauf so vieler fremder Gesichter verursachte einige Hausdiebstähle , welche , obgleich sie unbedeutend waren , der Herzogin die trübsten Stunden machten . Indessen wußte sie sich gegen den weiblichen Besuch , der ihr jetzt fast täglich aus der Nachbarschaft zuteil wurde , auf das beste zusammenzunehmen . Diese Damen , welche entweder ihre eigene Sache , oder die ihrer Töchter führten , hätten gern erfahren , wer zur Königin der Minne und Schönheit bestimmt worden sei ? und jede schöpfte aus den freundlichen Mienen und gefälligen Worten der liebenswürdigen Festgeberin beim Abschiede die schönsten Hoffnungen . Während nun der Domherr mit Freigebigkeit jedes Hindernis bezwang , die teuersten Rechnungen genehmigte und doppelten Taglohn anwies , warf die Herzogin immer ängstlichere Blicke auf ihre Nadelgelder , mit welchen sie sehr haushälterisch umzugehen gewohnt war , und die unmöglich für diesen Aufwand zureichen konnten . Kaum bemerkte der Herzog , welcher sonst für alles jetzt taub und blind zu sein schien , an seiner Gemahlin eine Verlegenheit , als er , die Ursache ahnend , dem Arzte eine bedeutende Summe einhändigen ließ , mit der Weisung , dafür Sorge zu tragen , daß sämtliche Rechnungen bis zur Hälfte gekürzt , seiner Gemahlin vorgelegt würden . Der Domherr las in den Abendstunden , wann seine Geschäfte zu Ende waren , viel in Memoiren einer gewissen Gattung , von denen der Vater des Herzogs eine starke Sammlung in der Bibliothek hatte aufstellen lassen . Seine Vermutungen , welcher erlauchten Familie Sprößling ihm anvertraut werden solle , schweiften wild umher . Er suchte bei den Orleans , bei italienischen und russischen Geschlechtern . Endlich fand er es so reizend , ein Kind aus dem bekanntlich nie ganz erloschenen Stamme der Komnenen zu seiner Gattin zu erziehen , daß der Gedanke sich in ihm festsetzte , Flämmchen müsse daher rühren . Denn den Namen hatte ihm der Arzt vertraut , der sonst unerbittlich blieb , und erst nach dem Turnier ihn zu dem Mädchen führen wollte . Dieser schrieb indessen in seinem Denkbuche allerhand Bemerkungen nieder , von denen wir einige hier mitteilen . * " Was ist ein Menschenleben ? Ein Nichts . Jedes Ereignis , welches in der Geschichte Front macht , fährt gleichgültig über deren tausend hin , die alle in unseren Augen ebenso kostbar und wichtig erscheinen müssen , als das einzelne , womit wir uns im Zustande des sogenannten Friedens ängstlich zu schaffen machen . Unter allen Wahrheiten ist die wahrste , daß kein Mensch unentbehrlich ist . Der Arzt stellt sich an , als sei er vom Gegenteil überzeugt . " * " Man wird es müde , Blut und Fleisch , Nerven und Eingeweide zu untersuchen . Was wir von diesen Dingen wissen können , wissen wir so ziemlich , und ich für meine Person Teile wenigstens den Eifer meiner Kollegen nicht , zu dem aufgeschichteten Haufen der Tatsächelchen noch das und jenes Sandkörnchen zu fügen . Die einzige interessante Substanz bleibt für mich noch die menschliche Seele . " * " Da gälte es nun , Experimente anzustellen , zu analysieren , zu verbinden . Wie man Blut und andere Flüssigkeiten des Körpers auf den geeigneten Mitteln prüft , so müßte man ein gleiches Verfahren mit den Geistern anstellen , um zu sehen , in welche Bestandteile sie sich zersetzen lassen , was an ihnen wandelbar und was dagegen unbezwinglich erscheint . Freilich verbietet die Moral den Gebrauch der Agenzien und Reagenzien , welche in dieser Sphäre allein wirksam sein möchten . Allein , wie uns niemand darüber Vorwürfe macht , wenn wir , um zu einem wichtigen wissenschaftlichen Aufschlüsse zu gelangen , den Schmerz der Tiere nicht achten , so gibt es ja auch wohl unter den Menschen Exemplare , mit denen man allenfalls sich erlauben dürfte , Versuche zu machen . " * " Und dann habe ich bei den Dingen , die mir jetzt durch den Kopf gehen , doch immer eine gute Absicht : Abweichungen im Psychischen wieder auf die Linie der Natur zurückzuführen . Wer kann mich also tadeln ? " * " Was ich von dem Mädchen höre , lege ich mir als Arzt leicht aus . Dennoch bleibt darin etwas Mystisches . Tanz ? Wer hat seine Bedeutung schon ergründet ? Religiöse Tänze . Tanz der Schamanen . " * " Wenn ich den alten Wilhelmi um eine Lappalie verbannt und trauernd sehe , wenn ich den Lärmen um nichts hier im Schlosse höre , wenn ich daran denke , wie der Herzog , ohne Kinder , spart , um nur das Fideikommiss zu vergrößern , welches einmal Gott weiß wem ? zustatten kommt , wenn ich den Krämer von der einen und den Pfaffen von der anderen Seite lauern sehe , so ist es mir , als müsse über kurz oder lang etwas Fremdes , Unerwartetes hereinbrechen , wovon jetzt keiner einen Begriff hat . " * " Was hat uns denn nur zusammengeblasen und was hält uns noch beieinander ? " * " Es ist mit den Häusern , den Familien , den Freundschaften zu Ende , man sieht es klar . " * " Wenn ich nur der verruchten Liebe quitt werden könnte ! Daß eine weiße Haut , eine kleine Hand , eine Iris von der und der Farbe , ein seidenes Kleid und ein gesticktes Taschentuch einen vernünftigen Menschen aus der Fassung bringen ! Und es ist keine Sinnlichkeit dabei ; das ist das schlimmste . " Fünftes Kapitel Fünftes Kapitel Der Arzt , welcher von Zeit zu Zeit einsame Spazierritte nach Flämmchens Verstecke machte , um sich über ihren Zustand aufzuklären , hatte es dem beharrlichen Andringen des Domherrn endlich doch nicht versagen können , sie wenigstens ihm zu zeigen . Vorher mußte aber der launische Mann eine Verschreibung ausstellen , wodurch er sich anheischig machte , eine bedeutende Summe einzubüßen , wenn er das Mädchen zu sich nähme , und sie dann auf das Geratewohl wieder entließe . Dieses Papier unterschrieb er ohne Zaudern , denn er glaubte fest an die Beständigkeit seiner Entschlüsse , obgleich er , wie wir wissen , darin täglich wechselte . Es war zu Ausgang Mais , und ein wunderschöner Mondabend . Der Arzt hatte vorgeschlagen , zu reiten , jedoch bei seinem Freunde kein Gehör gefunden , welcher die Gefahr der Erkältung vorschützte und anspannen ließ . Jener wunderte sich , daß verschiedene Sachen , die man auf dieser kurzen Fahrt nicht gebrauchte , in den Wagen getragen wurden . Man konnte mit dem Wagen nur bis zu einer gewissen Entfernung von der Hütte der Alten vordringen , und hatte noch eine starke Viertelstunde zu gehen . Der Domherr sagte dem Kutscher etwas ins Ohr , und machte sich dann mit dem Arzte auf den Weg . Dieser erzählte seinem Begleiter , um ihn auf den Anblick , der seiner wartete , vorzubereiten , was er von der Alten gehört hatte . Das Mädchen war nach dem ersten Erstaunen über das Wiederfinden ihrer Zigeunerin in einen sonderbaren Zustand verfallen . In der Einsamkeit zwischen Waldeichen , Klippen und Bachwellen machte sie gewissermaßen zum ersten Male die Bekanntschaft der Natur , und der Eindruck , den diese Gewaltige auf einen halbreifen Geist , der , wie der Arzt sich ausdruckte , eigentlich nur Phantasie war , hervorbrachte , war sehr stark . Sie ging , wie eine Träumende umher , führte Gespräche mit den Bäumen und Steinen , und war dann oft wieder wie erstarrt . Gleichzeitig traten bei ihr gewisse körperliche Erscheinungen ein , die sie sehr angreifen mußten , denn sie begann an Konvulsionen zu leiden , welche die Alte besorgt machten , daß daraus eine Art von Veitstanz entstände . Letztere verschwieg indessen ihrem Beschützer alles dieses , weil sie befürchtete , er möchte ihr das Kind wegnehmen , zu welchem sie , nachdem sie ihm einmal tief in die Augen geschaut , eine unbezwingliche Neigung gefaßt hatte . Sie behandelte ihren Pflegling mit Kräutern und Tränken , und hatte die Freude , ihn bald hergestellt zu sehen . Es entwickelte sich nun etwas an dem Mädchen , was niemand hatte vorausahnen können , nämlich eine Neigung , oder - denn dieses Wort sagt viel zuwenig - eine unwiderstehliche Notwendigkeit , zu tanzen . Als das Mondlicht kam , ging Flämmchen eines Abends fort , und wurde von der Alten , die ihr nachgeschlichen war , auf einer Felsenplatte in den wundersamsten Bewegungen angetroffen . Diese wiederholten sich seitdem alle Abende , und nun , da das Mädchen wieder gesund wurde , erhielt erst der Arzt vom Vorgefallenen Kunde . " Es ist " , sagte er , " als habe ihr Organismus alle Schrecken abschütteln , und zugleich ein geheimes Gesetz der Schönheit , welches lange in dem armen verlaßenen Kinde geschlummert , entfalten wollen . " Unter dieser Erzählung waren sie aus dem Dickicht auf einen frei hervorspringenden Hügel getreten . Der Domherr , welcher immer einige Schritte vorausgehabt hatte , stand plötzlich still , und rief mit gedämpfter Stimme : " Was ist das ? " Der Hügel verlief in ein glattes , Grades , ziemlich geräumiges Felsenstück . Auf dieser natürlichen Bühne schritt Flämmchen umher , in den Vorbereitungen zu ihrem Tanze begriffen . Die Nacht war taghell , so daß man alles genau sehen konnte , die Entfernung so gering , daß kein Laut verlorenging . Beide Männer drückten sich hinter einen Stamm ; seitwärts zwischen den Kanten eines ausgezackten Gesteins wurde der schwarzbraune Kopf der Alten sichtbar , die , am Boden zusammengekauert , gleichfalls horchte und lauschte . Einen Kranz auf dem Haupte , und einen in jeder Hand haltend , schritt das Mädchen gemessen , fast feierlich , erst rund um die Felsenplatte , als vollziehe sie die Weihe des Orts . Dann in die Mitte sich stellend , wandte sie ihr glänzendes Antlitz gegen den Mond , und begann nun , immer seiner leuchtenden Scheibe zugekehrt , ihren ausdrucksvollen Tanz . Bald neigte sie sich ihm mit zärtlicher Gebärde entgegen , bald schien sie vor ihm verstellterweise zu fliehen , jetzt hob sie den einen , dann den anderen Kranz lockend empor , darauf ließ sie beide sinken , verwechselte sie , warf sie in die Luft , daß sie dort Bogen beschrieben , und fing sie jederzeit gewandt und zierlich wieder auf , während Füße und Leib ihr anmutiges Spiel fortsetzten . Der Sinn dieses Tanzes war ein liebliches Gedicht ; der kalte hohe Freund da oben , sollte zur Erde herabgezogen werden , mit welcher er einst in größerer Vertraulichkeit gelebt habe , und auf der jede Sehnsucht nur eine Erinnerung an diese schöne Liebeszeit sei . Was ihre Bewegungen an diesem Mondscheinmärchen noch dunkel ließen , deuteten Strophen aus , die sie dazwischen absang , und womit sie sich den Takt anzugeben schien . Sie hatten alle ein gewisses Metrum , bestanden aber oft nur aus abgebrochenen Worten , deren Verbindung die Zuhörenden ergänzen mußten . Die Alte gab zuweilen in einer fremden Sprache , welche weder der Arzt , noch der Domherr verstand , eine Art von Refrain zu vernehmen . Der Domherr war wie außer sich . Trotz aller Verkehrtheiten , welche diesem Manne anklebten , mußte man ihm wenigstens einen zarten Sinn für das Schöne , besonders der phantastischen Gattung , zugestehen . Er seufzte , drückte dem Arzte die Hand ; dieser sah , daß Tränen aus seinen Augen flossen . " Ist es nicht " , sagte der Domherr leise , " als sei die alte Fabel wieder jung geworden , und schaue uns Spätlinge mit entzückenden Kindesaugen an ? Was sind unsere Ballette mit ihrer absichtsvollen Lüsternheit gegen dieses einzige Schauspiel ? Hier entbrennt eine Seele , deren Drange nichts Geringeres als das Ganze : Fuß , Hand , Leib , Stimme , genügen kann , zu einem lebendigen Kunstwerke , und spricht das aus , wozu der armen , stummen , gefesselten Natur ewig die Organe mangeln ! Wie danke ich Ihnen , mein Freund , für solchen Anblick ! " Die Bewegungen Flämmchens waren langsamer geworden , die Kränze entfielen ihren Händen , sie sank mit dem Ausdrucke einer angenehmen Ermattung auf einen Stein und schien einzuschlummern . Die Alte kam zwischen den Klippen hervor . " So ruht sie nun , und läßt mit sich machen , was man will " , sagte sie . " Wenn ich sie auf ihre Füße stelle , so geht sie auch , von mir gestützt , und weiß dennoch von nichts . " " Kommen Sie " , sagte der Arzt zum Domherrn . " Es ist in der Tat kühl , und ich spreche heute nicht im Scherz , sondern im Ernst von Erkältungen . " - " Lassen Sie mich bei dem schönen Kinde noch einen Augenblick allein " , versetzte der Domherr . " Ich kann mich an ihr nicht satt sehen , und werde sie in die Hütte nachbringen . " Der Arzt stieg mit der Alten die Klippen hinunter . Unten begegnete ihnen ein Mensch , der sich verirrt zu haben schien , denn er fragte ängstlich und eilig nach dem Wege , der auf den Felsen führe . Erst nachdem er zurechtgewiesen und vorbei war , erkannte der Arzt in ihm den Bedienten des Domherrn . Unten in der Hütte kündigte er der Alten an , daß er Flämmchen wahrscheinlich binnen kurzem von ihr nehmen werde . Auf dieses Wort stand sie wie versteinert , und sah ihn mit starren Augen an . Er redete ihr zu , und wollte sie durch die Nachricht , daß er das Geld , welches er für das Mädchen ihr gegeben , auch nach deren Entfernung noch eine Zeitlang fortzahlen werde , beschwichtigen . Sie aber unterbrach ihn , und rief mit einem herzzerreißenden Tone : " Nehmen Sie mir das Kind nicht ! " " Was soll sie ferner bei dir ? " versetzte er . " Überhaupt , wie kommt es , daß du solchen Anteil an dem unbekannten Mädchen nimmst ? " " Unbekannt ! " rief die Alte . " Ach , sie ist mir nur zu wohl bekannt ! O mein Herr , lassen Sie mir das Kind ! Es wehte ein Sturm , und verwehte die Geschlechter der Erde , man schlief ein unter blühenden Mandelbäumen und erwachte im öden , sandigen Blachfeld . Wißt Ihr , was es heißt , im Grabe gelegen haben , und wieder aufwachen ? O ich könnte Euch Dinge erzählen , vor denen Ihr erschrecken würdet ! Aber durch Nacht und Tod und Finsternis geht der Weg des Fleisches , und es fügt sich alles wieder zusammen , was zueinander gehörte . " Er drang in sie , ihm diese dunklen Reden zu erklären . Sie antwortete hierauf etwas in der fremden Sprache , welche er schon draußen von ihr vernommen hatte , und sagte dann : " Wollt Ihr , daß ich mein Kleinod hinwerfe , daß Ihr darauf tretet und es zerstört ? Ich glaube daran , damit gut ; meinen Glauben will ich behalten ! " Sie legte den Finger auf den Mund , dann ging sie umher , bewegte die Arme , als wollte sie ein Kind in den Schlaf schaukeln , und summte dazu ein Wiegenlied . Plötzlich fuhr sie empor , rief heftig : " Was ist das ? Wo bleibt sie ? " und eilte aus der Hütte . Verdrießlich über das lange Ausbleiben des Domherrn ging der Arzt in dem düstern , kleinen Raume hin und her , und erwog bei sich , ob es nicht besser sei , alle diese Abenteuer sich selbst zu überlassen , als er von außen einen gellenden Schrei vernahm , und die Alte in die Stube stürzte . " Verruchte ! Treulose ! Ungeheuer ! " schrie sie . " Betrügen wolltet Ihr mich ! Das Feuer des Himmels über Euer schändliches Haupt ! " Die entblößten Brüste , das flatternde , schwarze Haar gaben ihr das Ansehn einer Furie . " Besinne dich ! " rief der Arzt , und faßte ihren Arm . " Was ist geschehen ? " " Der Bösewicht hat sie geraubt ! Ach , ich unglückseliges Weib ! " erwiderte sie jammernd . Bestürzt klomm der Arzt die Felsen empor . Es war richtig . Niemand war auf der Platte zu sehen . Etwas Weißes flatterte zwischen den Steinen . Es war ein beschriebenes Blatt . Er gab sich Mühe , es zu lesen , was aber selbst in dem hellen Mondscheine nicht gelingen wollte . Von unten hörte er die Klagen der Alten , die schauerlich durch die Nacht tönten . Mit Mühe arbeitete er sich auf den beschwerlichen Pfaden nach dem Orte zurück , wo auf gebahnter Straße der Wagen des Domherrn stehengeblieben war . Er war verschwunden . Als er sein Ohr an den Boden legte , meinte er , in weiter Ferne das Geräusch der fortrollenden Räder zu vernehmen . Er mußte sich zur Rückkehr entschließen , und dem kommenden Tage überlassen , was weiter zu tun sei . Als er nach mehreren Stunden ermüdet heimgekommen war , hörte er noch von dem Bedienten zur Vermehrung seiner üblen Laune , daß spät abends Hermann wieder im Schlosse eingetroffen sei . Er las das Blatt . Es enthielt nur wenige Zeilen , wodurch der Domherr ihm bekanntmachte , daß er das Mädchen , welches ihm zur Erziehung bestimmt sei , mit sich nehme , und alles zwischen ihnen Verabredete ausführen werde . Hinzugefügt war die lakonische Bitte , den übereilten Abschied zu entschuldigen , und bei der Herzogin entschuldigen zu helfen . Sechstes Kapitel Sechstes Kapitel Hermann wurde von der Fürstin mit unverstellter Freude empfangen . Er mußte berichten , wie es ihm ergangen sei , und beeilte sich , sein neues Verhältnis ihr zu entdecken . Sie fragte ihn , ob er schon die Einwilligung des Oheims habe ? Er versetzte , daß er , diese einzuholen , den Umweg über die Fabriken gemacht , dort jedoch vergebens einige Wochen auf den Oheim gewartet habe , welcher nach England verreist gewesen sei . Endlich habe ein Brief von diesem den Seinigen gemeldet , daß er den Rückweg über die Standesherrschaft nehmen wolle , weil er mit dem Herzoge über die streitige Angelegenheit selbst zu sprechen wünsche . " Darf ich " , sagte er , " wie unbescheidene Bitter zu tun pflegen , aus gewährter Gunst auf vermehrte hoffen , so bleibe ich unter dem Schirme Ihrer Huld , bis der Oheim hier eintrifft . " Sie sprach über verschiedene Dinge mit ihm , erzählte ihm von dem bevorstehenden Feste , und es fiel ihm auf , daß sie seiner Verlobung weiter mit keinem Worte gedachte . Der Herzog , welcher dazukam , begrüßte ihn ebenfalls in seiner herablassenden Weise und sagte dann , indem er ihn näher betrachtete : " Was ist mit Ihnen vorgegangen ? Sie haben einen Zug im Gesicht , den ich sonst nicht an Ihnen wahrgenommen habe , und den ich nur den Bräutigamszug nenne . " " Damit könnte es seine Richtigkeit haben " , versetzte Hermann . " Wirklich ! " rief der Herzog . " Siehst du , Ulrike , daß ich mich in diesem Punkte nie irre . Der Bräutigamszug besteht in einem gedankenvollen Senken der Mundwinkel , auch pflegt damit ein eigener Ausdruck der Lippen und Augen verbunden zu sein . " " Er ist in der Tat verlobt " , sagte die Herzogin . " Dann mag er sich nur Gewichte an Hände und Füße hängen , denn er sieht noch nicht danach aus , als ob er Willens sei , Stich zu halten " ; fuhr ihr Gemahl in seinen Scherzen fort , die Hermann mit Verwunderung hörte , da er dergleichen von dem Herzoge nicht gewohnt war . Die Herzogin empfing in diesem Augenblicke die Nachricht von der unvermuteten Abreise des Domherrn . Sie erschrak , dann aber warf sie einen zuversichtlichen Blick auf unseren Freund , und ihr Gemahl sagte , da sie sich hierauf mit etwas anderem beschäftigte , ihm leise ins Ohr : " Sie erscheinen , wie der Spiritus familiaris , immer zur rechten Zeit ; wenn die Not am höchsten , sind Sie am nächsten . Meine Frau würde es ohne Sie nicht zustande gebracht haben , helfen Sie ihr recht treulich , Sie erwerben sich wirklich dadurch ein Verdienst um unseren Stand . " Kaum hatte er sich gefällig entfernt , als Hermann bereits mit einer Menge von Aufträgen für die Anordnung der Festlichkeiten versehen wurde . Er mußte , als er sich darangab , dieselben auszurichten , mancher Reden Wilhelmis gedenken , und sagte zu sich selbst : " Sollte es denn wahr sein , daß das Erbübel der privilegierten Stände , der Egoismus , immer noch , wenngleich von angenehmen Formen bedeckt , in alter Stärke fortwuchert ? Um mein persönliches Geschick hat man sich kaum bekümmert , ja , der Herzog fragte nicht einmal nach dem Namen der Braut . " Waren diese Betrachtungen geeignet , in ihm eine verdrießliche Stimmung hervorzurufen , so mußte ihm dagegen die fröhliche Bewegung , welche unter den Arbeitern entstand , als er ihnen ankündigte , daß er nunmehr die Leitung des Ganzen übernehme , wohltun . Die Menschen leisten gern das Mögliche , wenn ihnen gehörig befohlen wird . Sein sicheres anstelliges Wesen war den Leuten im Schlosse von sonst her bekannt , sie rühmten den fremden Werkmeistern diese Eigenschaften , und gleich war ein erhöhter Eifer überall sichtbar . Hermann ließ sich die Apparate vorweisen , und besuchte den Turnierplatz . Er fand bald , daß , obgleich vieles getan war , doch noch mehreres nachzuholen übrig blieb . Denn der Domherr hatte in seiner hastigen Manier oft das Nötigste vergessen . So waren unter anderem keine Treppen angebracht worden , auf welchen die Zuschauer zu den Tribünen emporsteigen konnten . Hermann mußte sich daher entschließen , einen Teil des Bretterwerks wieder abbrechen zu lassen , um die nötigen Zugänge zu öffnen . Unter den Hausbeamten , welche bei diesen Zurüstungen mitwirkten , bemerkte er einen Mann von unangenehmen Manieren , dessen Wesen etwas Aufdringliches hatte . Man nannte ihn nur den Amtmann vom Falkenstein . Hermann erfuhr , daß er Kammerdiener bei dem Großvater des jetzt regierenden Herrn gewesen sei , daß er bei jenem und bei dem Vater des Herzogs in Ansehn und Einfluß gestanden habe . Die jetzige Herrschaft , hieß es , dulde ihn , obgleich er ihr nicht genehm sei , weil er für den Mitwisser verfänglicher Geheimnisse gehalten werde , die jedoch der Herzog ihrem eigentlichen Inhalte nach selbst nicht kennen solle . Dieser Mensch , welcher über alles seine spöttischen Bemerkungen machte , faßte Hermann scharf ins Auge , und begegnete ihm darauf mit einer übertriebenen Höflichkeit . Er nannte ihn nur den gnädigen Herrn , und sagte zu den Leuten laut , so daß Hermann es hören mußte , sie möchten ja alles pünktlich tun , was der gnädige Herr befehle . Bei Tafel sah er sich vergebens nach Wilhelmi um . Er fragte seinen Nachbar nach diesem alten Freunde . Der Mann blickte verlegen vor sich hin , und gab ihm ein Zeichen , daß er es zu vermeiden wünsche , über jenen hier Auskunft zu erteilen . Mit dem Arzte hatte er über Flämmchen reden wollen , dieser vermied ihn sichtlich , und setzte sich ein paar Plätze weit von ihm weg . Das Gespräch berührte nur die gleichgültigsten Dinge ; alle schienen mit ihren Gedanken abwesend zu sein . Die außerordentlich heitere Laune des Herzogs fiel ihm immer mehr auf . Der sonst ziemlich trockene Herr erschöpfte sich in munteren Einfällen , die nur zuweilen einem eigenen schwärmerischen Ernste Raum gaben . Seine ganze Stimmung schien eine erhöhte zu sein . Auch ein gewisses Zeremoniell hatte sich an der Stelle der sonstigen Ungezwungenheit eingefunden . Früher waren die fürstlichen Personen , jede für sich , wie die Dame ihre Toilette , der Herr seine Geschäfte beendigt hatte , in den Speisesaal getreten . Heute war von zwei Bedienten , nachdem die Gesellschaft eine volle Viertelstunde versammelt gewesen , die Flügeltüre aufgetan worden , und der Herzog hatte seine Gemahlin feierlich-zierlich an den Fingerspitzen in den Saal geführt . In gleicher Weise nahm er mit ihr nach aufgehobener Tafel seinen Rückzug , ohne weiter mit den Tischgenossen zu verkehren . Indessen hatte unser Freund nicht lange Zeit , über diese Veränderungen nachzudenken . Schon waren die jungen Edelleute wieder angekommen , welche , wie neulich die Rüstungen , so nun Lanze und Schwert probieren wollten . Hermann wurde beordert , die Recken zu empfangen , und der Übung als Waffenkönig vorzustehn . Wieder legte man im Ahnensaale unter schallendem Jubel die Panzer und Schienen an , die nun , glänzend , den Gliedern angepaßt , die vielen jugendlichen Gestalten kräftig hervorhoben . Der klirrende , schimmernde Zug stieg eine verborgene Treppe hinunter , um durch eine Hintertür in das Freie zu gelangen . Alle waren außer sich vor Freude und Hermann hatte genug zu tun , um die lauten Ausbrüche des Entzückens , welche ungelegene Zuschauer herbeiziehn konnten , zu mäßigen . Draußen standen die Pferde der Ritter . Sie scheuten bei dem Anblicke ihrer verwandelten Gebieter , und prallten zurück . Die Reitknechte hatten einige Mühe , die brausenden Tiere zu begütigen , was indessen doch zuletzt den angewandten Schmeichelkünsten gelang . Man saß auf , und nach einigem Springen und Bocken schien die Gewandtheit der jungen Männer siegen zu sollen . Nur einer , ein ältlicher Herr , der es aber für seinen Vorteil ansah , sich so lange als möglich zur Jugend zu halten , konnte trotz aller Mühe nicht auf seinen Rappen gelangen , und mußte endlich von dem schweißtreibenden Werke abstehn . Er gab dem armen Tiere , welches in seiner Furcht vor dem stählernen Herrn wahrlich noch mehr ausstand , als er , einen ungerechten Schlag , ließ sich entwaffnen , und setzte sich in seinem grünen Nankingröckchen traurig unter eine Fichte . Seit der Zeit wurde dieser Mann , welcher vorher das Fest eifrigst hatte betreiben helfen , ein Verächter desselben ; die anderen aber gaben ihm unter scherzhafter Anspielung auf den Helden des Scottschen Romans den Spitznamen : el Desdichado , oder der Enterbte . Auch wir sind genötigt , ihn künftighin , wo er uns noch vorkommen sollte , unter dieser Bezeichnung aufzuführen , da die Geschichte seinen wahren Namen nicht aufbewahrt hat . Hermann ließ die Ritter nun zuvörderst einige Volten auf dem Turnierplätze machen , und dabei den Speer senkrecht im Bügel führen . Dann mußten sie in gleicher Weise , zwei Glieder tief und zwölf Lanzen hoch - denn im ganzen hatten sich so viele Kämpferpaare gemeldet - rund um den Plan sprengen . Diese vorläufigen Übungen gelangen vortrefflich , und gaben die besten Hoffnungen . Daß einige etwas hart die hölzernen Schranken streiften , andere nicht die völlige stallmeisterliche Sicherheit in den Sätteln behaupteten , konnte hierbei nichts verschlagen , da solche kleine Unregelmäßigkeiten kaum irgendwo ausbleiben , wo Mensch und Roß sich zusammenfinden . Man war daher kühn geworden , und wollte gleich mit dem Schwierigsten beginnen , mit dem allgemeinen Lanzenstechen , Zwölf gegen Zwölf . Hermann hielt es aber für ratsam , stufenweise zu verfahren , und bestand darauf , daß sich zuerst die Paare einzeln gegeneinander versuchen sollten . Er selbst begann , im knappen Kollett auf einem leichtfüßigen Engländer sich wiegend , an der Sache Geschmack zu finden . Die Herzogin sah zwischen den Bäumen aus ihrer Droschke zu , und man will wissen , daß unser Freund mehr als nötig , sein Roßlein habe kurbettieren lassen , obgleich er sich gewissenhaft bestrebte , nur an die ferne Cornelie zu denken . Wie es bei solchen Gelegenheiten zu geschehen pflegt : die Schwächsten drängten sich zu den ersten Versuchen , während die tüchtigsten Reiter lächelnd warteten , um zuletzt das Hauptstück zu vollführen . Leider zeigte sich nur zu bald , wie gegründet Hermanns Vorsicht gewesen war , da auch sie das Geschick nicht abzuhalten vermochte , welches nun einmal in seinem Eigensinne jeden Versuch , dahingeschwundene Zeiten wiederzuerwecken , vereiteln zu wollen scheint . Man kann nicht sagen , daß diese Adligen das Unmögliche gewollt hätten . Die Aussicht , mit zerbrochenen Gliedern vor Oheimen und Tanten , Schwestern und Bräuten im Sande zu liegen , hatte für keinen der Kämpfer etwas Erfreuliches ; es war daher durch eine stillschweigende Übereinkunft vorgesehen worden , daß so wenig Gefahr , als möglich , entstände . Man hatte die Schäfte der Lanzen dünn und von sprödem , zerbrechlichem Holze machen lassen . Es war mithin mehr Wahrscheinlichkeit vorhanden , daß diese schwachen Waffen auf der beschützten Brust der Gegner zerbrechen , als daß die Kämpfer von der Gewaltsamkeit des Stoßes zu Boden stürzen würden . Die ersten , welche gegeneinander ritten , waren zwei junge Vettern , namens Caspar und Max , denn alle diese Erben riefen sich gegenseitig fast nur bei ihren Vornamen . Sie sprengten hastig ein , und es wäre gewiß zu einem lebhaften Treffen gekommen , wenn nicht die Pferde , als man noch etwa sechs Schritte voneinander war , plötzlich stillgestanden hätten , so daß die Reiter , von dieser unvorhergesehenen Hemmung erschüttert , beinahe über die Hälse ihrer Tiere hinweggeflogen wären . Umsonst war alles Schenkelandrücken und Spornen ; die Pferde sahen einander feurig und wütend mit schnaubenden Nüstern an , ließen sich geduldig auf die Punkte , von denen ausgelaufen wurde , zurückreiten , rannten lustig vor , standen aber dann auf den Stellen , über welchen ein Zauber zu brüten schien , wie angemauert still . Nachdem diese Vereitlungen sich drei- bis viermal wiederholt hatten , wurde einigen Reitknechten geheißen , die Hinterteile der Widerspenstigen mit Peitschenhieben zu bearbeiten , was offenbar nur für einen Ausbruch roher Leidenschaftlichkeit gelten konnte , denn man durfte doch unmöglich beabsichtigen , am Tage des Turniers die Kämpfer auf eine so lächerliche und unwürdige Weise von hinten flott zu machen . Auch halfen jene Hiebe nur insoweit , daß die Pferde ausschlugen , und beinahe einen der Züchtiger getroffen hätten ; vorne wichen und wankten sie nicht . Hierauf stiegen Caspar und Max ab , schleuderten unter lauten , landüblichen Flüchen ihre Lanzen weg , und setzten sich zum Enterbten , der seinerseits bei dem Anblicke dieser Hemmung wieder etwas heiterer zu werden begann . Demnächst ritten zwei andere Vettern , welche Konrad und Bernhard hießen . Deren Pferde blieben keineswegs stehen , schossen vielmehr , als ihre Herrn eben meinten , einander mit den Spitzen der Lanzen erreichen zu können , recht und links abspringend , vorbei , im wütenden Laufe über die niedrigen Schranken hinwegsetzend , gerade auf die Tribünen zu . Da die Pfeilerbogen derselben nicht so hoch waren , daß ein ausgewachsener Mann zu Pferde darunter wegkommen konnte , so wären die Reiter verloren gewesen , wenn sie sich nicht rasch bügellos gemacht und zur Erde gelassen hätten . Glücklicherweise lag auf jeder Seite ein großer Haufen Sand , welcher noch umher verbreitet werden sollte . Auf diese natürlichen Betten stürzten die Jünglinge , und diese Sandhaufen waren es , welche ihr Leben retteten . Denn obgleich dem einen das Blut aus Mund und Nase quoll , und der andere mehrere Minuten betäubt dalag , so zeigte sich doch , als man die Helme abnahm , und die Panzer aufschnallte , außer einigen Quetschungen und Schrunden kein Schaden . Sie standen auf , der Betäubte zuletzt , gingen zum Enterbten , dem die Schadenfreude immer heller aus dem Gesichte leuchtete , begehrten kein Lanzenrennen weiter , sondern nur den Feldscherer , der denn auch bald nachher mit Bindzeug und Seifenspiritus ankam . Hermann sah die Herzogin die Hände ringen und suchte alles fernere Stechen und Tjosten zu hindern . Seine Zurufungen fruchteten aber nichts . Gleichsam als ob der Anblick der Gefahr etwas Verführerisches habe ! Die folgenden sechs Paare stürzten sich nur noch heftiger in den Kampf . Bei ihnen nahmen Ungeschick und Zufall mannigfaltigere Gestalten an . Mehrere fielen ohne Umstände von den Pferden , einer stach , seine Lanze zu hoch führend , durch das Visiergitter des Gegners und bohrte diesem beinahe das Auge aus , etliche rannten so zusammen , daß , wie sie sich nachmals ausdruckten , ihre Rippen knackten . Auch die armen Tiere , welche nicht so geschickt , wie ihre Vorgänger , die Kämpfe des Mittelalters zu vermeiden wußten , litten , denn zwei Pferde wurden lahm und eins brach im Niedersitzen auf die Kruppe , einen Fuß . Kurz , es wurde offenbar , daß weder Rosse noch Reiter zu dem Ritterspiele paßten . Es waren noch vier Paare übrig , und gerade die gewandtesten ; lauter Kavallerie-Offiziere . Obgleich diese mit bedenklichen Blicken das Schlachtfeld überschauten , so machten sie sich doch auch fertig , Wunden und Beulen zu gewinnen . Da hörte Hermann mehrere Male seinen Namen überlaut rufen , wandte sich um , und sah die Herzogin leichenblaß neben der Droschke stehen . Sie winkte ihn ängstlich herbei , und er verfehlte nicht , dem Zeichen eiligst zu folgen , nachdem er den noch unversehrten Kämpfern geboten hatte , wenigstens bis zu seiner Rückkunft ihren Eifer zu mäßigen . Ein Strom von Tränen floß aus ihren Augen ; die armen feinen Lippen zitterten , sie war außer sich . Ohne der Menschen zu achten , welche sich in großer Anzahl versammelt hatten , der Waffenprobe zuzusehn , ergriff sie leidenschaftlich seine Hand , verwünschte das Turnier , den unseligen Domherrn , welcher es angegeben , den Arzt , der ihr nicht mit besserem Rate beigestanden , Wilhelmi , dem Grillen lieber wären , als die Angelegenheiten seiner Freunde ; rief , daß wenn Hermann im Schlosse geblieben wäre , er es ihr ausgeredet haben würde . Augenblicklich sollten Schranken und Gerüste abgebrochen werden , denn sie wolle nicht eine zweite Angst , wie die heutige , erleben . Hermann gab ihr die heiligsten Versichrungen , daß niemand an Leib und Leben geschädigt sei , daß es doch noch zu einem schönen gefahrlosen Feste kommen solle , und daß er schon einen Gedanken darüber habe , den er ihr sofort mitteilen werde . Er hob sie sanft in den Wagen , und hieß den Kutscher auf der Stelle nach dem Schlosse fahren . Sie ruhte willenlos auf dem Sitze , ließ geschehen , was er anordnete , und bat ihn nur beim Wegfahren mit leiser Stimme , ja gleich nachzukommen . Er eilte zu den Edelleuten zurück und verkündete ihnen den Willen der Fürstin . Die noch nicht gekämpft hatten , waren im stillen zufrieden , daß es nicht dazu kommen sollte . Aber alle riefen : " Was wird nun aus unseren schönen Mänteln und Trikots , worin wir tanzen wollten ? " " Sie werden alle in Ihren Mänteln tanzen , es gibt doch ein Fest ! " versetzte Hermann zuversichtlich . " So ? " fragte der Enterbte höhnisch . " Wollen Sie etwa eine Freiredoute geben ? " Man warf die Rüstungen ab . Zwei Birutschen wurden vom Schlosse herbeigeschafft , in welche man die Wunden und Gequetschten lud . Langsam ritten die unversehrt Gebliebenen beiher . Die Reitknechte folgten mit den hinkenden Pferden an der Hand . Das , welches den Fuß gebrochen hatte , und jämmerlich stöhnte , blieb zurück . So sehr verunglückte eine Nachahmung des Turniers bei Ashby de la Zauche im neunzehnten Jahrhundert . Siebentes Kapitel Siebentes Kapitel Unangemeldet , - denn die ganze Dienerschaft befand sich noch auf dem Turnierplatze - trat Hermann in das Zimmer der Herzogin . Sie war nicht dort . Die Vorhänge waren der Sonne wegen niedergelassen ; eine sanfte Dämmerung erfüllte den heimlichen Raum . Hermann warf seine verlangenden Blicke umher , und empfand ganz den süßen Schauder , der uns ergreift , wenn wir für uns die stillen Umgebungen der Frauen mustern dürfen , mit denen sich unsere Einbildungskraft beschäftigt . Seine Augen schweiften von der halbfertigen Stickerei , auf der ihre Hände gelegen hatten , zu den Blumen , die ihr Hauch berührte , von da zu den Porträts , an denen manche Erinnerung haften mochte . Die Blätter dieses Gebetbuchs empfingen ihre unschuldige Morgenandacht , in jenem Sessel mit dem gestickten Fußbänkchen davor , ruhte sie gewiß aus , wenn sie vom Spaziergange zurückkehrte ! Schon wollte er sich bescheiden wieder in das Vorzimmer zurückziehn , als er in der Ecke den Papagei gewahr wurde , der , wenn wir nicht irren , schon zuweilen in diesen Geschichten erwähnt worden ist . Die Klappe des Schreibtisches war offengelassen worden , Papiere , aus farbigen Mappen hervorsehend , lagen darauf . Der dreiste Vogel hatte sich die Entfernung der Gebieterin zunutze gemacht , vieles herausgezerrt , zerbissen , auf den Fußboden gestreut . Jetzt saß er auf dem Rande eines Korbes , welcher zur Aufnahme der weggeworfenen Papierschnitzel diente , und zerstörte mit großer Emsigkeit ein paar feine rote Blättchen , die er zwischen Klauen und Schnabel hin- und herzog . Hermann wollte ihm den Raub abjagen ; der Papagei ließ die Blätter in den Korb fallen und entfloh mit lächerlichen Sprüngen . Hermann sah in dem Korbe die halbzerrißenen Blätter auf anderen gleichfarbigen liegen ; er mußte sie für Wegwurf halten und konnte meinen , wenigstens keine Indiskretion zu begehen , wenn er sich dieselben zueignete . Die Handschrift der Herzogin winkte ihm von ihnen entgegen ; in seinen unklaren verworrenen Empfindungen streckte er nach ihnen die bebende Hand aus , er wollte etwas von der Fürstin besitzen , heute besitzen , er drückte unwillkürlich seinen Mund auf die Blätter , und schob sie unter die Weste ; auf seinem Herzen sollten sie ruhn . Wie ein Schatten schwebte die Gestalt Corneliens seiner Seele vorüber , schon hatten seine Finger die Blätter gefaßt , um sie an ihren Ort zurückzubringen , als das Erscheinen der Herzogin , die aus dem anstoßenden Gemache in das Zimmer trat , dieses gute Vorhaben vereitelte . Verweint trat sie ihm , schamrot er ihr entgegen . " Das gehört auch noch zu den üblen Folgen solcher Zerstreuungen , worin ich seit vier Wochen lebe , daß man das nächste vergißt " , sagte sie , indem sie die Verwüstung erblickte . " Ich kenne den Schelm und seine Unarten , und lasse ihn hier uneingesperrt bei den Papieren zurück . " Hermann hob die am Boden liegenden Blätter auf , sie ordnete sie , so gut es in der Schnelligkeit gehen wollte , in die Mäppchen ein , und sagte : " Es sind meine Erinnerungsblätter , ich hatte heute ein Bedürfnis , darin zu lesen . Welchen eigenen Eindruck macht eine solche Lektüre ! Wie vieles schreibt man auf , worüber man kurz nachher lächeln muß , oder wovor man auch wohl zu erröten hat . - Aber nun , mein Helfer und mein Trost , zur Hauptsache ! Die ganze Gegend ist in Erwartung unseres Festes , es kostet leider , wie ich aus den Rechnungen , die mir nach und nach jetzt schon vorgelegt werden , sehe , Tausende , und doch ist es , wie wir heute erfahren haben , nicht zustande zu bringen . Was für Unglück hätte ich anrichten , welche schreckliche Gewissensbisse hätte ich mir zuziehen können ! Mit Schauder denke ich an die Auftritte , die ich draußen sah . " " Beruhigen sich Ew. Durchlaucht " , sagte Hermann . " Ich hoffe , Ihnen einen Plan vorlegen zu können , dessen Ausführung Sie , den Herrn , und alle Gäste zufriedenstellen wird . " " Ich bin begierig , ihn zu vernehmen " , sagte die Herzogin . " Mein Gedanke ist folgender " , versetzte Hermann . " Die Idee zu dem Feste ist aus dem Bewußtsein Ihres Standes hervorgegangen , es sollte ein adliges sein . Dabei müssen wir also stehenbleiben . Aber warum gehen wir in so entlegene Zeiten zurück ? Warum wählen wir eine Darstellung des Ritterwesens , mit welchem , wenn wir die Sache näher betrachten , unsere heutigen Begriffe durchaus nicht mehr zusammenhängen ? Lassen Sie uns also immerhin einige Jahrhunderte weiter vorrücken und ein Fest aus dem Zeitalter Ludwigs XIV. und Augusts des Starken veranstalten , in welches die Blüte der ersten Klasse der Gesellschaft fiel . " " Und das wäre ? " fragte die Herzogin . " Ein Caroussel " , versetzte Hermann . Sie haben gewiß , meine Fürstin , von den prächtigen Lustbarkeiten gelesen , die in dieser Art besonders am sächsischen Hofe gefeiert worden sind . Auch sie geben reichliche Gelegenheit , Figur , Anstand , Geschick zu zeigen , auch bei ihnen empfängt der Kavalier aus den Händen der Dame den Dank ; Galanterie und Sitte haben auch da freien Spielraum . Und alles ist mit einigen Quadrillen , mit dem Stechen nach dem Ringe und nach dem Türkenkopfe abgetan . Jeder wird sein Vergnügen haben , und wir dürfen vor keiner Leiche besorgt sein . " Die Herzogin entzückte dieser Vorschlag . " Aus welcher Verlegenheit retten Sie mich ? Wie erkenntlich muß ich Ihnen sein ! " rief sie . Hermann fuhr fort : " Alle Anstalten zu dem Turniere können wir auch zu dem Caroussel gebrauchen ; an dem Kostüm der Damen und Herren braucht kaum etwas geändert zu werden , denn es ist nichts törichter , als in solchen Fällen , worin es doch nur auf gesellige Freude ankommt , gelehrt sein zu wollen . Schließt sich an unser Ringelrennen ein Ball für die Herrschaften , ein Scheibenschießen für Diener und Untertanen an , so wüßte ich nicht , wie es einen bunteren und lustigeren Tag geben könnte . " Hermann bekam unumschränkte Vollmacht , alles , was die Umwandlung des Festes erforderte , zu verfügen . Die Herzogin händigte ihm die Schlüssel zu den Zimmern ihres verstorbenen Schwiegervaters ein , worin sich , wie sie meinte , einige Abbildungen befänden , die ihm bei Ausführung des neuen Plans nützlich sein würden . Sie selbst übernahm es , den Herrn , welche bei dem Caroussel tätig sein sollten , die Änderung des Festspiels anzuzeigen ; was die übrigen Gäste betraf , so war man übereingekommen , daß es klüger sei , diesen nichts zu sagen , da sie doch hinnehmen müßten , was ihnen geboten werde . Während Hermann sich in den Zimmern des alten Herrn umsah , empfing der Arzt seine Boten , die er nach der Hütte der Alten , und hinter dem Domherrn her gesandt hatte . Der erste meldete , er habe die Alte nicht in der Hütte betroffen , und in letzterer eine greuliche Zerstörung alles dessen , was nicht niet- und nagelfest gewesen , wahrgenommen . Der zweite , welcher zu Pferde dem Domherrn nachgesetzt war , gab das Wort des Rätsels an . Er hatte den Flüchtigen in einem kleinen Orte getroffen , wo er mit Flämmchen und der Alten ganz geruhig zu Tische saß und speiste . Nach einigem Hin- und Widerreden erfuhr er den ganzen Hergang . Die Alte hatte in der Wut alles in ihrer Hütte zerschlagen und war dann wie rasend der Spur des geraubten Kindes nachgelaufen . Halbtot erreichte sie den Entführer , und beide , Flämmchen und sie , erklärten ihm , er müsse sie entweder zusammen mitnehmen , oder zusammen entlassen . In seiner jetzigen Stimmung war ihm die braune Greisin ein erwünschter Zuwachs , leicht entschloß er sich , sie ebenfalls zu behalten . Dem Arzte ließ er auf dessen Anforderung , das Mädchen zurückzuschicken , sagen , es bliebe beim Erziehen und Heiraten . Zum ersten Male war dieser entschloßene Mann in Verlegenheit . Wir dürfen bei dieser Gelegenheit sagen , daß der Beweggrund zu seiner Handlungsweise gegen den Domherrn nicht bloß die Lust gewesen war , psychologische Experimente anzustellen , sondern hauptsächlich in dem Mißtraun gesucht werden mußte , welches er gegen Hermann fühlte . Dessen ganzes Wesen , diese Mischung von Leichtsinn und Ernst , von Frühreife und Jugendlichkeit war ihm unverständlich , und da er nur das , was er begriff , gelten ließ , so hielt er ihn lieber für einen charakterlosen Abenteurer . Er fürchtete , daß jener nicht wiederkommen , daß ihm die Last der Obsorge für das verwaiste Mädchen bleiben werde , und diese wollte er auf die Schultern des Domherrn abladen , aber freilich nicht so übereilt , bei nächtlicher Weile , auf eine Art , die üble Nachreden geben konnte . Nun war aber Hermann zurückgekehrt . Was sollte er ihm sagen , wenn dieser das Mädchen forderte ? Er war äußerst verdrießlich auf sich , auf die Menschen , auf die Welt . Am meisten schmerzte es ihn , von einem Narren überlistet worden zu sein . Indem er noch erwog , wie er dem jungen Vormunde den Handel am wenigsten zu seinem Nachteil darstellen solle , trat dieser in sein Zimmer . Zufällig war er mit den beiden Boten des Arztes zusammengetroffen . Es waren Bürgersöhne aus dem Städtchen . Sie kannten Hermann , er hatte im Winter oft mit ihnen gejagt ; es bestand zwischen ihnen eine Art von Kamaradschaft . Voll , bis zum Überfließen , von ihrem Geheimnisse , teilten sie es ihm nach den ersten Begrüßungen unter dem Siegel der Verschwiegenheit mit . " Ich weiß alles " , rief Hermann dem verlegenen Arzte zu . " Nur eine Frage : Ist der Mann , der sich so rasch in unser Geschäft gedrängt hat , gut , gesetzt , zuverlässig ? " " Das möchte ich von ihm mit Sicherheit behaupten " , antwortete der Arzt kleinlaut . " So danke ich Ihnen und ihm , daß mir eine Sorge abgenommen worden ist , der ich doch auf die Länge nicht gewachsen war " , sagte Hermann . Der Arzt sah ihn verwundert an . Jener händigte ihm eine Rolle Gold ein und fuhr fort : " Wenden Sie dieses Geld , welches mir von milder gnädiger Hand für das Mädchen vertraut war , zu ihrem Besten an . Ich sage mich hiermit von ihr los , da sie einen anderen Beschützer gefunden hat . " Nach seiner Entfernung brach der Arzt in ein bitteres Gelächter aus . Er schwor sich zu , niemals wieder vor der Beständigkeit und Konsequenz eines Menschen Furcht zu hegen , und erklärte ein für allemal das ganze Geschlecht nur für die höchste Gattung des Tierreichs . Und doch tat er unserem Freunde Unrecht . Dieser war , sobald er nach dem entscheidenden Augenblicke mit Cornelien zur Besinnung kam , in die unruhigste Stimmung geraten . Er fühlte einen Wendepunkt seines Lebens , und fühlte sich doch auf keine Weise der Zukunft gewachsen . Daß ein neuer Zwiespalt in ihm entstand , als er die Türme des Schlosses wieder er blickte , daß dieser wuchs , da die schöne Fürstin ihn begrüßte , wollen wir gerade nicht billigen , gewiß aber ist es , daß er in den Gemächern des schlafen gegangenen Herrn Dinge zu sehen bekam , welche ihn außer Fassung bringen , und sein Wesen an der Wurzel erschüttern mußten . Es hätte eine übermenschliche Kraft dazu gehört , sich in solcher Verfassung mit etwas anderem , als mit sich und mit seinem Geschicke zu beschäftigen . Er freute sich , daß die Tage bis zur Ankunft des Oheims , der über sein Los das Urteil fällen mußte , in wechselnder Beschäftigung vergehen sollten . Denn darin war er glücklich zu preisen : kein Zweifel , kein Leid versenkte ihn unnütz grübelnd in sein Ich , wo so viele Menschen fruchtlos die Auflösung ihrer Bedrängnisse suchen , fruchtlos , weil alle Selbstbetrachtung nur tiefer zerstört . Ihm sagte ein geheimer Glaube , daß die Fragen in uns , und die Antworten in den Dingen liegen , denen er deshalb , wie es mit ihm auch stehen mochte , immer in Liebe und Freundlichkeit zugetan blieb . Man sah ihn daher auch jetzt unbefangen scherzen , plaudern und die Zurüstungen , über welche er selbst im stillen lächelte , eifrig besorgen , während er kaum noch wußte , was aus ihm werden solle , ja , wer er nur sei ? Achtes Kapitel Achtes Kapitel Über Wilhelmi hatte er durch den alten Erich , der ihn jetzt bediente , nur in Erfahrung gebracht , daß er im Kruge wohne , und daß ein Schrank das Unglück herbeigeführt habe . Er konnte sich hieraus nichts zusammensetzen , und der verdroßene Alte gab keine weiteren Erklärungen . Er war einigermaßen in Verlegenheit , wie er sich bei dieser Zwistigkeit benehmen solle , als ein Billet Wilhelmis ihn ohne Verweilen zu dem Freunde rief . Wilhelmi saß in einem elenden Dorfstübchen und schnitt Federn , deren schon eine große Menge zugespitzt auf dem Tische lag . " Ich will " , rief er Hermann entgegen , " den Undank beschreiben , aber so viele Federn ich schon fertig habe , ich denke doch , es sind noch nicht genug , und da schneide ich denn immer noch ein paar mehr . " " Liebster " , sagte Hermann , " was tun Sie hier ? Wie war es möglich , daß zwischen Männern , welche so sehr zueinander gehören , wie Sie und der Herzog , sich der Zwist einschleichen konnte ? " " Ich bitte dich , nenne mich du " , versetzte Wilhelmi . " Schon mit dem Ihr kam das Unglück in die Welt , da gewöhnte man sich , einen Menschen , einen Mitbruder im gleichgültigen Plural zu betrachten , wo individuelle Beziehungen auslöschen . Das verrückte Sie hat aber den Greuel vollendet , nun ist der andere nichts als ein Konglomerat dritter Personen , eine Versammlung toter Atome , die man heute braucht , morgen wegwirft . Aber Du um Du , das heißt Auge in Auge , Arm gegen Arm , in Liebe oder Haß . " " Bester " , rief Hermann , " lassen wir die Abschweifung ! Soll ich dich du nennen , so schenke mir auch ein brüderliches Vertraun . Was hat euch entzweit ? " " Ein Schrank . Du lachst ! Ja , ja , nichts weiter als ein Schrank , ein elender Schrank . Aber in diesem nichtsnutzigen Kasten siehst du ein Gleichnis und Symbol von dem ganzen Tun und Treiben dieser abgelebten Klasse . Sie fühlen sich überholt von dem Sturmschritte der Zeit ; Ehre , Mut , kriegerische Tapferkeit sind bürgerlich geworden , da suchen sie sich denn an Strohhälmchen festzuhalten , und das nennen sie altväterliche Gesinnung . Sie haben mich fortgejagt , wie einen ausgedienten Jagdhund , und werden mich auf dem Dünger sterben lassen . Mühevolle Tage , durchwachte Nächte , ausgeschlagene Verbesserungen meiner Lage , Treue , Fleiß , alles gilt vor diesen nur den Taglohn , womit sie uns von Morgen bis Abend abzufinden meinen . Natürlich ! Der Schrank muß stehen bleiben , das gehört auch in das System des historischen Bestandes der Rechte . Wilhelmi kann eher fort . Bravo ! Ist es denn wahr , daß der Herzog sich jetzt , da er Turnier halten will , für einen Abkömmling Karls des Großen hält ? O glaube mir , diese Anmaßungen , diese Herzlosigkeiten werden ein furchtbares Ende nehmen ! Das Schicksal wird auftreten und wenig danach fragen , ob sie den Schrank stehenlassen wollen oder nicht . " Noch mehrere und krausere Redensarten bekam Hermann zu vernehmen , die ihn ungeduldig gemacht haben würden , hätte er nicht das tiefe Leiden des rechtschaffenen Freundes in Gesicht und Mienen gesehen . Er hörte also geduldig zu und aus , bis der gekränkte Hypochondrist sich erschöpft hatte , und fähig war , auf die Frage : Was es denn nun eigentlich gegeben habe ? ohne Umschweife zu antworten . Die Geschichte war ziemlich einfach . Wilhelmi hatte schon längst , wie wir wissen , Ordnung im Archive stiften wollen , welches durch die Vereinigung mehrerer Registraturen von anderen Gütern des Herzogs eine ungeheure Überfüllung bekommen hatte . Nicht bloß Wertloses und Reponiertes lag über- und untereinander , selbst Urkunden hatten schon aus Bergen von Akten mühsam hervorgezogen werden müssen . Es schien , um diesen Wust zu lichten , und Platz für das Aufbewahrungswerte zu gewinnen , kein anderer Rat möglich , als die Repositorien bis unter die Decke des Gewölbes zu erhöhen . Dieser Einrichtung stellte sich nun hauptsächlich ein Schrank von gewaltiger Tiefe und Breite entgegen , welcher zwei Drittel der einen Wand bedeckte . Wilhelmi bestand darauf , das riesige Möbel zu entfernen , der Herzog wollte es nicht von der Stelle gerückt wissen . Hierüber kam es zwischen beiden zu einem heftigen Auftritte , welcher damit endigte , daß Wilhelmi seinen Dienst aufsagte , und der Herzog ihm erwiderte , er halte niemand , der nicht bei ihm bleiben wolle . Seit diesem Tage lebte er im Kruge , wollte abziehen und ließ doch seine Sachen im Schlosse , indem er sich vorsagte , daß er die Geschäfte erst ordnen müsse , gleichwohl aber von Tage zu Tage verschob , Hand daran zu legen . Seine beste Lebensnahrung entging ihm , seit er nicht mehr von den Blicken der Herzogin zehrte . Er sah übel aus . Hermann suchte den trübsinnigen Lieben , der , wie er sagte , irgendwo Galerieinspektor werden wollte , um nicht mehr mit Menschen , sondern nur noch mit Sachen zu tun zu haben , zu trösten , und nahm sich gleich vor , Versöhnung zu stiften . Er erinnerte sich der Theorie , welche die alte Rektorin für ähnliche Fälle angeraten hatte , begann also damit , dem Herzoge , der jetzt gegen ihn in der gnädigsten Laune war , zu sagen , wie sehr Wilhelmi den Vorfall bedaure und sich seiner Hitze schäme . Der Herzog hatte gerade den Brief des Oheims , welcher seine Ankunft nunmehr auf die nächsten Tage verkündigte , empfangen . Er war nachdenklich und in sich gekehrt . " Ich brauche ihn zwar nicht " , erwiderte er auf Hermanns vermittelnde Reden , " aber wenn er kein anderes Unterkommen hat , so mag er immerhin einstweilen zurückkehren . " Hierauf sagte Hermann zu Wilhelmi , daß der Fürst nur ungern an die Übereilung denke , deren auch er sich schuldig wisse . Er wünsche nichts sehnlicher als die Wiederkehr des alten bewährten Dieners , ohne den er , wie er fühle , nicht bestehen könne . Über Wilhelmis Gesicht flog es , wie wenn die Sonne im Januar auf Eisfelder scheint , er rief : " Dann ist es freilich meine Pflicht , den Vorfall zu vergeben ! " Kurz , nachdem Hermann noch einige Male hin und her parlamentiert hatte , brachte er die Ausgleichung zustande . Die Szene hatte etwas Diplomatisches . Der Herzog kam , wie zufällig , begleitet von einigen Verwaltern , bis an die Grenze des Parks geritten , dort fand er Wilhelmi , der ebenso zufällig daherum spazierengegangen war . Der Herzog hob sich etwas im Sattel , grüßte den Verbannten und sagte in leichtem Tone , als ob nichts vorgefallen wäre : " Ah ! " - Wilhelmi , der gebückt und einigermaßen verlegen vor dem Herrn stand , erwiderte : " Ja ! " Der Herzog machte einen Gestus nach dem Schlosse zu und sagte : " Nun ? " worauf der andere sich von seinem Freunde in das Schloß führen ließ , und noch vor Abend große Päcke Korrespondenz erhielt , welche freilich inzwischen unerledigt geblieben waren . Hermann , der den Friedensstifter , Festordner , Vertrauten abgeben mußte , nebenbei noch Bräutigam war , und zu allem Überflusse die aufregendsten Entdeckungen gemacht hatte , hätte sich nur gleich zerteilen können , um allen den verschiedenartigen Anforderungen zu genügen . Man verlangte ihn hier , man verlangte ihn dort , man verlangte ihn allenthalben . Im stillen durfte er sich doch die Frage vorlegen , was denn aus allen diesen Dingen hätte werden sollen , wenn er nicht zufällig im rechten Augenblicke hergekommen wäre ? Wahrhaft unleidlich war ihm die Aufdringlichkeit des Amtmanns , der wie an seine Fersen gebannt zu sein schien . Die Bemerkungen dieses Menschen hatten alle etwas Gemeines und Höhnisches , er war der Sklave « , der um die Schwächen der Herrschaft weiß , und in dieser Kunde sich dreist und behaglich fühlt . " Sie glauben nicht , mein gnädigster Herr " , sagte er , als er jenen am Abend vor dem Feste auf dem Turnierplätze fand , beschäftigt , die Anstalten noch einmal sorgfältig zu überschaun , " wie viele Veränderungen ein alter treuer Diener mit durchmachen muß , der so ein fünfzig Jahre nebenher gegangen ist . Der Herr Vater würden über diese Gerüste recht lachen und der Herr Großvater kreuzigten und segneten sich gewiß , hörten sie von dem vielen Gelde , was sie gekostet haben . Der Herr Großvater taten nichts , als sparen und schaben , Bäume pflanzen , Feld und Vieh in Ordnung halten . Wie oft erinnre ich mich , aus seinem Munde gehört zu haben : » Wenn man alles hätte , müßte man noch etwas mehr zu bekommen suchen . « Der Herr Sohn war denn schon anders , brachte Mösen und die Propheten wieder unter die Leute , in der Jugend hatte er ein empfindliches Herz , aber schön war es ; die Liebe brachte ihn nie in groß Leid , er wußte sich immer mit so guter Manier zu helfen . Nachmals , als die Kräfte schwanden , wollte der Selige Gold kochen , späterhin sahen wir Geister , und endlich wurden wir gar fromm und ließen uns von Rom einen Priester kommen , nicht so einen , der in der Sache jung geworden und auferzogen worden ist , nein , einen expreß sich selbst Verfertigthabenden , welche immer , gleich der eigengemachten Leinwand , die besten sein sollen . Nun sind denn endlich Seine Durchlaucht an das Regiment gekommen , da geht alles groß und statisch zu , ich glaube , sie legen sich sogar mit ihren Orden zu Bette ; das habe ich nun so insgesamt mit angesehen , und was werde ich vielleicht noch alles erleben müssen ! " In diesem Geschwätze fuhr er fort , obgleich Hermann ihn durch dazwischengeworfene verdrießliche Fragen abzubringen versuchte . Endlich rief er : " Wenn ich nur einmal das Glück hätte , die ganze liebe Familie hier beisammen zu sehen ! " Worte , über die Hermann nachdenken mußte , und deren Sinn er nicht ergründen konnte . Man war nunmehr dicht vor dem Tage , um welchen man sich eine so bedeutende Mühe gegeben hatte . Es herrschte die größte Bewegung . Die gemeinschaftlichen Mittags- und Abendtafeln waren aufgegeben worden ; jeder aß , wie und wo er konnte . Schon war das Schloß von Besuch halb voll , denn mehrere vorsichtige Familien hatten es für ratsam gehalten , sich beizeiten in Besitz zu setzen , um nicht , mit der heranflutenden Maße vermischt , übel quartiert zu werden . Niemand konnte sich um diese Gäste bekümmern , und da sie ihrerseits es für unschicklich hielten , vor der Stunde des Festes öffentlich zu erscheinen , so verbrachten sie , in ihren Zimmern eingesperrt , in der Tat eine sehr unbequeme Gefangenschaft . Noch zur rechten Zeit vernahm Hermann , daß jene Gutsbesitzer , die es nicht verschmerzen konnten , uneingeladen geblieben zu sein , einen satirischen Streiche auszuführen beabsichtigten , und zu dem Ende in der Stadt , wie in einem Feldlager , zahlreich versammelt wären . Er hielt sogleich mit Wilhelmi und dem Arzte einen Kriegsrat , in welchem anfangs mehrere ideelle und geistige Gegenoperationen zum Vorschlag kamen . Zuletzt aber sah man ein , daß hier die körperlichste Abwehr wohl die beste sein dürfte . Man beschloß daher , auf allen Straßen , die zum Turnierplatz führten , tüchtige Schlagbäume errichten zu lassen , und deren Bewachung sicheren Männern mit gemessener Unterweisung anzuvertrauen . Eine augenblickliche Verlegenheit hatte sich erhoben , als Hermann die Liste der Eingeladenen durchging , und deren Zahl mit der Größe der Tribünen verglich , von denen die Standespersonen dem Feste zusehen sollten . Es zeigte sich , daß sie viel zu groß angelegt worden waren ; kamen auch alle Gäste , kaum ein Drittteil der Sitze konnten sie anfüllen . Der Gedanke , das Caroussel vor leeren Polstern stattfinden zu lassen , war nun gar zu unerträglich , man bestimmte sich daher zu einer freilich verzweifelten Auskunft . Die Herzogin sandte nämlich , nachdem vergeblich alle übrigen Mittel und Wege erwogen worden waren , in größter Eile nachträgliche Einladungen an sämtliche Honoratioren des Städtchens , deren Ehehälften und Töchter ab , um durch ihre Gegenwart die dünnen Reihen des Adels zu verstärken . Aber auch dies würde noch nicht genug verschlagen haben , wenn nicht glücklicherweise ein Regiment , welches sich auf dem Marsche befand , in der Stadt eingerückt wäre , um dort auf einige Tage haltzumachen . Kaum wurde bei demselben die Mär von dem Feste fruchtbar , als das ganze Offizierskorps , den Chef an der Spitze , sich auf den Weg machte , und der Herzogin Visite abstattete , worauf es denn auch in corpore seine Einladung empfing . Nun senkte sich die Nacht zur Erde nieder , aber im Schlosse und um dasselbe blieben gewiß gegen hundert Menschen wach . Die Köche sotten und brieten an ihren Feuern , die Tafeldecker ordneten die Speisetische , die Bedienten rannten mit dem Silberzeuge treppauf und treppab , der Haushofmeister bereitete die Dislokation der Gäste vor , und schrieb Nummern an alle Stubentüren . Bei Laternenschein behingen die Tapezierer die Brüstungen der Tribünen mit Teppichen , und vollendeten den Aufputz der Pavillon , in welchen die Kavaliere vor dem Beginne des Festspiels verweilen sollten . Von weitem klang das Hämmern der Zimmerleute , welche die Schlagbäume fertigten , wodurch man die Feier des Tages vor roher Unbill zu schützen gedachte . Auch die fürstlichen Personen genossen wenig Ruhe , insbesondere tat die Herzogin kein Auge zu . Hermann war bei seinem Oheim , der noch vor Abend angekommen , und in der Stadt abgetreten war . Den Inhalt ihrer Gespräche und die denkwürdigen Dinge des nächsten Tages werden wir in den folgenden Kapiteln berichten . Neuntes Kapitel Neuntes Kapitel Der Oheim fuhr erschreckt zurück , als ihm Hermann seine Verlobung ankündigte und Zustimmung begehrte . " Das geht nun und nimmer an ! " rief er . " Jetzt also verstehe ich den Brief des armen Kindes , worin sie ängstlich bittet , sie um jeden Preis zurückzunehmen . " Hermann bat vergebens um eine Erklärung dieses Versagens . " Bin ich Ihnen denn so schlimm abgeschildert , lieber Oheim ? " fragte er . " Auch Ihre Briefe waren immer so kalt , und die Tante empfing mich , wie einen Fremden . Weshalb stoßen mich meine Verwandten zurück , da ich so herzlich wünsche , mich ihrem Kreise anzuschließen ? " - " Du gehst deinen Weg , und wir gehen den unsrigen " , versetzte der Oheim . " Ich bitte Sie , entziehen Sie mir die Hoffnung auf Cornelien nicht ganz ! " rief Hermann . " Lassen Sie mich um sie dienen , prüfen Sie mich , lernen Sie mich kennen ! Diese Bitte dürften Sie auch dem Schlechtesten nicht abschlagen . " " Wir wollen vermeiden , uns zu erhitzen " , sagte der Oheim . " Cornelie ist mir von einem alten Freunde , dessen Fleiße ich einen großen Teil meines Vermögens zu danken habe , hinterlassen , sie ist meine Mündel , meine Pflegetochter , ich habe die Pflicht , für ihr Bestes zu sorgen . Ist sie volljährig , so mag sie nach Gefallen über sich entscheiden . " " Volljährig ! " sagte Hermann mit einigem Eifer . " Sie ist jetzt gerade sechzehn geworden . " " Oder seid ihr einig " , fuhr der Oheim kaltblütig fort , " so tut , was euch die Gesetze erlauben . Es ist vernünftig , daß man das Glück junger Leute nicht einzig von dem Ja oder Nein der Väter und Vormünder abhängig gemacht hat , denn auch die Alten können sich irren . Klagt also gegen mich , gebt der Behörde eure Gründe an , ich werde die meinigen beibringen , wir wollen es auf den Spruch des Richters ankommen lassen , und du sollst es dann an der Ausstattung nicht merken , daß meine Einwilligung ergänzt worden ist . " Hermann verwarf mit Entrüstung diesen Vorschlag . " Niemals " , rief er , " werde ich ein Mädchen , welches ich liebe , in Zwiespalt mit ihrer Dankbarkeit versetzen ! Cornelie weiß , was sie Ihnen schuldig ist , und ich bin der Sohn Ihres Bruders . Können wir nicht in Geduld und Harren Ihre Weigerung auflösen , so wollen wir lieber unglücklich sein . " " Das ist die Jugend " , sagte der Oheim . " Ein wahres Trübsal , daß viele Menschen meinen , das Leben lasse sich auf Empfindungen , Zartsinn und Gefälligkeiten erbaun , denn aus dieser hohen Stimmung entspringen in der Regel gerade die gemeinsten Folgen . Man muß mit Verstand zu rechnen wissen , und von sich und anderen nie eine andere Maxime erwarten , als die , daß erlaubt sei , was nicht verboten wurde . Dann legt man zu seinem Geschicke einen tüchtigen Grundstein , und das Schöne und Gute findet sich wohl obendrein hinzu . In entgegengesetzter Richtung handeln , heißt an Blütenzweige Zentnergewichte hängen . Du siehst , ich kann auch in meinem Fache zum Dichter werden , wenigstens war dieses , wie mich dünkt , ein passendes Gleichnis . " Hermann war an das Fenster getreten , um seine Aufregung zu verbergen . Der Oheim stand eine Zeitlang schweigend am Tische , dann ging er zu ihm , legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte mit dem gutmütigen Tone , der diesem Manne trotz seiner Kälte eigen sein konnte : " Du dauerst mich , armer Narr . Aber sieh ; über gewisse Dinge , Verhältnisse und Konjunkturen habe ich nun einmal meine ganz bestimmte Meinung , von der ich nicht ablassen kann , da meine sechzig Jahre sie mir immer bestätigten . So wenig ich meinen Sohn Ferdinand Soldat werden lasse , so wenig ich Cornelien an einen Seefahrer verheiraten würde , so wenig bekommst du sie mit meinem Willen . Die Sünden der Väter sind eine Last für die unschuldigen Kinder ; es ist schlimm , aber wer kann es ändern ? " " Entdecken Sie mir denn , was Sie von mir , von meinen Eltern wissen ! " rief Hermann . " Was für Gespenster der Vergangenheit schleichen um mich her ? Was bedeuteten die Tränen meiner Mutter ? die Seufzer meines Vaters ? Was sollen die Bilder , Inschriften und Erinnerungsdenkmale , die mich in den Zimmern des Herzogs wie gefährliche Zauberzeichen anstarrten ? Reden Sie , ich will alles erfahren . " " Frage deine Brieftasche " , versetzte der Oheim . " Den Willen meines Bruders habe ich vollstreckt , etwas Weiteres fordre nicht von mir . Den Inhalt fremder Geheimbücher verrät kein rechtlicher Kaufmann . " Er brachte das Gespräch auf einen anderen Gegenstand , und fragte Hermann , wann das Fest vorbei sein werde , da er gleich nachher den Herzog zu sprechen wünsche , indem seine Zeit gemessen sei . Jener sagte ihm darauf das Nötige , und eröffnete ihm , daß er von der Herzogin den Auftrag empfangen habe , ihn ebenfalls einzuladen . Er beschwor ihn , dieser freundlichen Frau mit Freundlichkeit zu begegnen . " Wüßten Sie " , rief er , " was für Menschen diese , die Sie angreifen wollen , trotz aller ihrer Schwächen und Vorurteile sind . Sie würden in Ihrem grausamen Beginnen wankend werden . " " Grausam ! " versetzte der Oheim einigermaßen empfindlich . " Du gehst mit den Worten nicht eben genau um . Ich will ihnen ja einen Vergleich vorschlagen , und einen billigen . Wir wollen miteinander teilen ; sie bleiben dann noch immer reich genug . Ich er zeige ihnen die Ehre , selbst zu kommen , da sie meinen Sachwalter verführt haben . Wie kann man nachgebender , gefälliger sein ? " " Soviel ich von diesem Handel weiß " , sagte Hermann , " ist er der ungereimteste , der sich denken läßt . Sie , der Bürgerliche , werfen dem Edelmann den Flecken seiner Abstammung vor , und wollen aus diesem Grunde , Sie , ihn von Haus und Hof treiben . Ein solcher Erwerbe , den nur der Widersinn mir zuwerfen könnte , würde mir Grauen verursachen . " " Gib mir die schönen Güter , das andere will ich tragen " , erwiderte der Oheim . " Habe ich die Rechte gemacht ? Bin ich schuld an den Verwicklungen der Zeit ? Glaubst du , daß ich mich wie ein Geier auf die Beute stürze ? Kommt es zum Prozeß , und verliere ich ihn , so werde ich an dem Tage , wo ich es erfahre , nicht um ein Haarbreit unzufriedener sein , denn ich weiß recht wohl , daß mit den Reichtümern auch die Sorgen wachsen , und daß man nur bis auf einen gewissen Punkt besitzt . Darüber hinaus hat man eigentlich nichts mehr von dem Seinigen . Aber eine günstige Gelegenheit von der Hand schlagen , zu einem Glücke , welches uns gleichsam zugeworfen wird , sagen : » Gehe , ich mag dich nicht « , das würde ich weder vor mir , noch vor meiner Familie , noch vor den vielen Menschen , die von mir leben , verantworten können . Auch ist es endlich einmal Zeit , daß eine bessere Ordnung in der Welt gestiftet wird . Das Herz blutet einem , wenn man sieht , wie sie mit dem Ihrigen wirtschaften . So erfuhr ich im Vorüberfahren , daß der Herzog einen herrlichen Kalkbruch , der ihm jährlich die sicherste Rente abwerfen würde , aus bloßem Eigensinne nicht aufbrechen läßt . Weil sie nie etwas zu erringen brauchten , so denken sie auch nicht an das Vermehren , kaum an das Bewahren . Man spricht so viel von der vergeltenden Gerechtigkeit Gottes , und wenn sie sich einmal an einem deutlichen Beispiele zeigt , so ist des Verwunderns kein Ende . Du weißt es nicht , denn du bist noch zu jung , wie uns andere dieses bevorzugte Geschlecht drückte , peinigte , verdrängte , wie es sein Gift in das Innerste unserer Häuser spritzte ! Ja , mir kann groß zumute werden , wenn ich an manches , was vorgefallen ist , mich erinnere , und nun bedenke , daß ich es bin , der das Messer in der Hand hat , um ... " Seine Augen blitzten , die hagre Gestalt wurde länger , seine Gebärde hatte etwas Erhabenes . Doch besann er sich , vollendete den Satz nicht , und fuhr in gleichgültigem Tone fort : " Es ist noch nicht so gar lange her , daß wir nur mit dem Beisatz : Bürgercanaille , genannt wurden , wenngleich das jetzt schon wie veraltet klingt . Wir Mittelleute haben ein unbeschreiblich kurzes Gedächtnis für unsere Kränkungen , und halten alle Gefahr der Wiederkehr für so entlegen , wie die Sündflut , oder den Untergang der Welt durch Feuer , obschon manche Zeichen dahin deuten , daß man an tausend Ecken und Orten mittelbarer- oder auch unmittelbarerweise versucht , die Zeit der Junker , ihrer gnädigen Öhme und Basen zurückzuführen . Was mich betrifft , ich will mich wenigstens an meinem Platze bestreben , die alten Feudaltürme und Burgverliese zu sprengen . " " Vergessen Sie nur nicht " , sagte Hermann , " daß man , wenn man die Hand an dergleichen altes Gemäuer legt , leicht Vipern und Nattern mit aufstört , oder giftige Schwaden entbinden hilft , die einem gefährlich , ja tödlich werden können . " " Das ist mir zu hoch , und ich verstehe es nicht " , erwiderte der Oheim . " Wir haben aber die Nacht zum Tage gemacht , laß uns wenigstens noch etwas schlafen . Ich möchte sonst morgen bei eurer Lustbarkeit , die mir ohnehin Langeweile genug machen wird , die Augen nicht offenhalten können . " Zehntes Kapitel Zehntes Kapitel Als der Oheim sich anderen Tages ankleidete , bemerkte Hermann , daß ein schwarzer Flor um den Arm lag . " Wen betrauern Sie ? " fragte er bestürzt . " Meine Frau " , versetzte der Oheim ruhig . " Ihr altes Übel hat sie gleich nach deiner Abreise ergriffen und dieses Mal doch überwältiget . Leider war ich zu entfernt , als ich die Nachricht bekam , um noch zur rechten Zeit zur Bestattung eintreffen zu können , ich habe diese Sorge anderen überlassen müssen . " " Großer Gott ! " rief Hermann , " und davon sagen Sie mir erst jetzt etwas ? " " Warum denn früher ? Du hast sie nur wenige Wochen gekannt , wie kannst du ein Interesse an ihr haben ? Leere Beileidsbezeugungen sind mir zuwider . Sie ist schlafen gegangen ein paar Stunden eher , als ich , das ist alles . Mein Platz an ihrer Seite wird mir nicht entstehen . Nun gehe nur voran , ich will noch etwas in meinen Papieren lesen ; es möchte dir ohnehin bei deinen Gönnern und Beschützern schaden , wenn du in meiner Gesellschaft erschienest . " Hermann ging , ganz verwirrt über diesen Mann , von dessen Fassung er nicht wußte , ob er sie für Wirkung der Gefühllosigkeit oder der Seelenstärke halten sollte . Auf dem Platze vor dem Schlosse kam ihm Wilhelmi entgegen , und rief : " Wo bleibst du ? Die Neidharte sind überwunden , unsere Wächter haben sich tapfer gehalten . " Er erfuhr von dem Freunde , daß sich auf einem der Wege , die sowohl zum Schlosse als zum Turnierplatze führten , ein abenteuerlicher Zug gezeigt habe . Große Schlittenkufen , auf Räder gesetzt , rollten , von schellenbehangenen Pferden gezogen und von Harlekinen gefahren , daher . In diesen Gefahren saßen maskierte Gestalten , deren Aufputz eine Mischung aller möglichen Kostüme war . Sie begehrten am Schlagbaume Einlaß , und hielten dazu eine Rede in Knittelversen , deren Sinn ungefähr dahin ging , daß , wo man Anno dann und dann Turnier spiele , Gäste , die im Sommer Schlittenfahrt hielten , gewiß willkommen seien . Wilhelmi hatte in der Nähe gelauscht , alles verstanden , und auch leicht die Stimme eines der mißgünstigen Gutsbesitzer erkannt . Der Wächter nahm sich bei diesem satirischen Anfalle ganz vortrefflich . Er tat gar nicht , als ob er den Spruch höre , ließ den Balken des Schlagbaums im Schlosse , und drehte den Schlittenfahrern schweigend den Rücken zu . Auf solche Weise wird die Wirkung jedes Hohns am sichersten vereitelt . Nachdem die Schlittenfahrer noch einige Male ihre Xenie wiederholt hatten , ohne etwas auszurichten , kehrten sie , da sie doch nicht geradezu Gewalt brauchen wollten , um , und versuchten , einen weiten Umweg machend , auf einem anderen Punkte einzudringen . Aber auch hier fanden sie einen Schlagbaum und einen Wächter , der dem ersten glich . Es half nichts ; sie mußten abziehen und sich in ihrer lächerlichen Verkleidung , hin und wieder von mutwilligen Buben beschrien , durch die Feldmark zerstreun . Wilhelmi zog Hermann nach dem großen Zimmer des Herzogs , welches im Schlosse nur der Audienzsaal hieß , weil der Fürst darin die vornehmeren Besuche zu empfangen pflegte . Sie fanden ihn , umgeben von dem ganzen Hausstaate , beschäftigt , die Glückwünsche der Versammlung entgegenzunehmen . Er trug seine goldbestickte Generalsuniform , war überaus freundlich , und sagte zu Hermann , als dieser sich ihm mit schicklichen Worten näherte , scherzend : " Nun , heute werden wir wohl auch unsere Stallmeisterkünste genügsam zeigen ; nicht wahr ? " Doch dann sich besinnend , und ehe noch Hermann sagen konnte , daß er dem Feste nur als bescheidener Zeuge beizuwohnen wünsche , Maß er unseren Freund von oben bis unten mit den Augen , und flüsterte dann : " Ah so ! " - Hierauf gab er ihm huldvoll die Hand , und würde gewiß den Kuß darauf geduldet haben , wenn Hermann einen solchen beabsichtigt hätte . Er rief ihn , Wilhelmi und den Arzt in einen Winkel , und sagte dort zu dem Hypochondristen vor diesen Zeugen : " Ich gedenke auch Ihnen in den nächsten Tagen ein Beispiel zu geben , daß ich nicht an Vorurteilen hafte , und vernünftige Neuerungen geschehen lassen kann . Nur muß alles im Wege der Reform vor sich gehen , und nicht auf tumultuarische Weise . " - Wilhelmi nahm Hermann nach diesem Erlasse beiseite und sagte : " Er ist doch durch die Entdeckung der alten Rüstungen rein toll geworden . Wie wenig gehört dazu , um in beschränkten Köpfen das bißchen Vernunft gären zu so machen ! " - " Ei laß ihn , Lieber ! " versetzte Hermann . " Er sieht heute gar zu stattlich aus , und ist ein beneidenswerter Mann ! " Unbeschreiblich reizend war nämlich die Herzogin anzuschaun . Sie hatte mit feinem Sinne einen Putz gewählt , der , obgleich fremdartig und phantastisch , sich doch zu der modernen Kleidung ihres Gemahls harmonisch verhielt . Denn sie wußte wohl , daß dieser nicht zu bewegen sein würde , anders als in seiner eigentlichen Kleidung zu erscheinen . Als Hermann zu ihr trat , sagte sie ihm leise und angelegentlich : " Wir werden Sie nach diesen unruhvollen Tagen noch einige Zeit in der Stille und Einsamkeit hier behalten ? Nicht ? " Man wiederholte in diesem vertrauten Kreise die Ordnung des Tages , wie sie beobachtet werden sollte . Die Einladungen waren auf die Mittagsstunde gestellt worden . Auf dem Georginenplatze , den aber jetzt Schneebälle , Lilien und Maierosen schmückten , hatte man ein geräumiges Gartenzelt errichtet , unter dem sich die Gesellschaft versammeln sollte . Das Lesekabinett war mit seinen anstoßenden Räumen gleichfalls geöffnet worden , damit für jeden Platz und Freiheit bleibe . Eine Seitenverwandte des Hauses , die man Gräfin Theophilie nannte , sollte die Honneurs machen , bis die fürstlichen Personen eintreten würden . Man hatte sie zu diesem Zwecke ausdrücklich kommen lassen . Herzog und Herzogin wollten erst sichtbar werden , wenn alles versammelt wäre . Nach den Bewillkommnungen sollte ein Herold zu Pferde vor dem Zelte erscheinen und das ritterliche Spiel ankündigen . Man hatte die ungefähre Dauer des letzteren berechnet und die Tafelstunde danach auf vier Uhr nachmittags festgesetzt . Gespeist sollte im Ahnensaale werden , wo ein Hufeisen für vierhundert Personen gedeckt war . Um sechs Uhr sollte das Mal zu Ende sein , und jeder nach Belieben sich umtun dürfen . Als heitere Zwischenunterhaltung waren für diesen Zeitpunkt die Ergötzlichkeiten der Leute , das Scheibenschießen , der Hahnenschlag , das Klettern , und was sonst noch daran gereiht war , bestimmt . Im Ahnensaale war unterdessen aufzuräumen , zu erleuchten und alles für den Ball herzurichten , der dort Schlag acht Uhr beginnen sollte . Jeder der Anwesenden hatte seinen Auftrag ; was um so nötiger war , da man , um auch den Leuten möglichst viel Vergnügen zu gönnen , nur den unentbehrlichsten Teil der Hausdienerschaft zur Aufwartung beibehalten und den übrigen erlaubt hatte , an den Volkslustbarkeiten teilzunehmen . Man hatte deshalb von den umliegenden Gütern sich eine Menge fremder Menschen erbitten müssen , deren Dienste immer nicht so zuverlässig erschienen , als die der eigenen , vollkommen regelrechten Livree . Wilhelmi übernahm es , den Wagenzug vom Gartenzelte nach dem Turnierplatze zu ordnen , der Arzt wollte für Aufrechthaltung des Ballreglements Sorge tragen ; was Küche und Keller betraf , so konnte man sich in dieser Hinsicht auf den Haushofmeister verlassen , der ein sehr sicherer , gewandter Mann war . Hermann endlich hatte sich das im stillen wirkende Amt des Ordners bei dem Festspiele selbst erbeten . Unter diesen Besprechungen war es Mittag geworden , und man konnte die Gäste erwarten . Verlangend sahen Herzog , Herzogin und die bei ihnen im Audienzsaal Verbliebenen nach der Allee vor den Toren des Schlosses , in welche sämtliche Wege , die zu demselben führten , einmündeten . Nichts erschien , nur die Stäubchen wehten im Sonnenscheine . Die roten und gelben Fahnen mit den Wappen des Herzogs , auf den Spitzen der Pavillon , flatterten über den Stauden des Parks , Trompeten und Pauken ließen sich von dort hin und wieder in ungeduldigen Fanfaren hören , am Gartenzelte harrten der Haushofmeister und die Dienerschaft mit den bereiteten Erfrischungen , aber kein Wagen , kein Reiter , kein Fußgänger wollte erscheinen , Straße , Hof und Park waren wie ausgestorben . Nachdem man so länger als eine Stunde vergebens gewartet und alle Möglichkeiten in Vermutungen über den Grund dieses auffallenden Zögerns erschöpft hatte , sah man plötzlich einen bunten Jockei atemlos und bestürzt auf den Hof gelaufen kommen . " Zu Hilfe ! " rief der Knabe , " wir können nicht hinein ! Auch ich habe mich nur mit genauer Not so durchgeschlichen . " Auf der Stelle stieg Hermann zu Pferde , und ritt dem Knaben nach , der den Weg einschlug , auf welchem die meisten der Besuchenden kommen mußten . Dieser Weg lief zwischen hohen Erdwänden hin , und war , etwa eine kleine halbe Stunde vom Schlosse , durch einen der Schlagbäume gesperrt worden . An letzterem nahm nun Hermann das lächerlichste Schauspiel wahr . Jenseits des Schlagbaums hielt eine unabsehliche Reihe von Wagen und Reitern , von denen die vordersten mit heftigen Reden die Erhebung des Balkens begehrten ; diesseits stand der Wächter , unbeweglich , ungerührt , und drehte der ganzen Gesellschaft den Rücken zu . Bald hatte Hermann die Erklärung dieses Auftritts vernommen . Der Wächter hielt sich streng an seine Instruktion , welche ihm verbot , Leute von fremdartigem Ansehn durchzulassen . Er meinte , die Worte des Befehls auch auf den Zug der Eingeladenen anwenden zu müssen , von denen die meisten in ungewöhnlichem Anzuge erschienen . Vergebens waren alle Deutungen und Bedeutungen gewesen , der Wächter schwieg und behielt den Schlüssel in der Tasche . Da nun der Weg , wie wir ihn beschrieben haben , durchaus keine Umgehung gestattete , und der Wächter einigen Bedienten , die unter dem Balken durchkriechen wollten , um im Schlosse das Hindernis zu verkündigen , mit unzweideutiger Gebärde seinen Spieß vorhielt , so sah sich der ganze Reigen eine geraume Zeit lang in der seltsamsten Lage , und wie im Zustande des Banns vor einem verzauberten Kastell , bis es jenem gewandten Knaben glückte , vorbeizuschlüpfen . Verdrießlich über die Dummheit des Wächters , entriß Hermann ihm den Schlüssel , machte am Schlage des vordersten Wagens den Damen schickliche Entschuldigungen und erbat sich einige berittene Diener , die er sofort nach den anderen Schlagbäumen abfertigte . Wirklich war diese Vorsorge nötig gewesen , denn überall trafen die Boten auf die nämliche Szene . Die Wächter hatten sämtlich in der Überzeugung gestanden , daß an solchen Tagen eine buchstäbliche Auslegung der Gesetze die sicherste sei , und nach diesem Grundsatze verfahrend , Ritter und Edelfrauen abgesperrt . Überhaupt schien ein schalkhafter Kobold an diesem Morgen die Sinne der Menschen zu betören . Der so kluge und einsichtsvolle Haushofmeister hatte im Strudel seiner Geschäfte gänzlich vergessen , daß der eine Flügel schon von den frühzeitig eingetroffenen Besuchern erfüllt war , und in der Absicht , verwahrt zu halten , was nicht auf der Stelle benutzt werden sollte , die große Türe desselben verschließen lassen . Bei solchem Zudrang eine an sich löbliche Vorsicht ! Nun vernahm der Herzog , während Hermann bei dem Schlagbaume beschäftigt war , von der Seite jenes Flügels her , ein donnerartiges Getöse , schickte hin , und hörte , daß ein Teil der Gäste dort ebenfalls versperrt sei , welcher sich mit trommelnden Händen und Füßen abmühe , Erlösung aus dem Kerker zu gewinnen . Der Haushofmeister war nicht gleich zu finden , und so mußten jene noch eine ganze Weile hinter Schloß und Riegel verharren . Blitzschnell war Hermann vom Schlagbaume zurückgesprengt , und hatte dem Herzoge das dort Vorgefallene gemeldet . Dieser ließ , um das Gedränge vor der Allee zu hindern , verschiedene Seitenwege durch Wiesen und Baumgärten öffnen . Auf einmal verwandelte sich nun die bisherige Einsamkeit in das Getümmel des regesten und buntesten Lebens . Durch die Allee , über Wiesen und Baumflecke von allen Richtungen her , rollten glänzende Equipagen , trabten geschmückte Reiter auf kräftigen oder zierlichen Tieren heran . Barette , Henriquatres , Samtmäntel von allen Farben , Unterkleider von schneeweißer Seide , gelbe oder rote Stiefelchen , goldene Sporen hoben manche jugendliche Gestalt trefflich hervor . In den Wagen klopften die schönsten Busen unter Gold , Atlas , Spitzen und Stickerei , blitzten die anmutigsten Augen unter wehenden Reiherfedern , während ehrwürdige ältere Herrn und Damen in Silbergrau , Braun und Schwarz , gewissermaßen den dunklen Grund bildeten , auf welchem die Blumen des Festes wuchsen . Dazu die scharlachenen Hauptgestelle der Pferde , das weiße und rote Sielzeug , die galonierten Livreen der Kutscher und Diener ! Kurz , als auch die Flügeltüre ihre geputzten Gefangenen hervorgelassen hatte , als die Wege von den Herbeieilenden zurückgelegt worden waren , so gab es im Schloßhofe ein Gewimmel von Farben , Figuren , von Glanz und Schimmer , welches würdig zu beschreiben , eine geschicktere Feder , als die unsrige ist , kaum vermöchte . Abstechend nahmen sich gegen die Gestalten des Mittelalters freilich die neuen Uniformen der Offiziere , und die schlichten Röcke der Bürgerlichen aus , aber auch diese Kontraste erhöhten nur den mannigfaltigen Reiz des Anblicks . Da die Zeit über die Gebühr vorgerückt war , so säumten die fürstlichen Personen nicht , im Gartenzelte zu erscheinen , als sie meinten , daß dort alles sich zusammengefunden haben würde . Bei ihrem Eintritte entstand ein fröhlicher Tumult ; man drängte sich um sie , verneigte sich , begrüßte sie . Der Scharfblick der Herzogin hatte bald wahrgenommen , daß die Gattinnen und Töchter der Honoratioren aus der Stadt sich unter so vielem Samt und so glänzender Seide in ihren weißen Batistkleidern etwas verlegen fühlten , während die Männer und Väter eher trotzig und herausfordernd vor den gleißenden Rittern standen . Mit bezaubernder Freundlichkeit wandte sie sich vorzugsweise an jene Frauenzimmer , und hatte wirklich in kaum fünf Minuten jeder eine Artigkeit gesagt , so daß alle , wie neugeboren , Luft schöpften . Inzwischen bemerkte der Herzog den Oheim , der , grau gekleidet , mit Schnallenschuhen , wie er sich immer zu tragen pflegte , im Lesezimmer stand , und ein eifriges Gespräch mit einigen der prächtigsten Paladine führte , deren Geschäftsfreund er war . Sobald er konnte , ging der Fürst dorthin . Der Kaufmann trat ihm einige Schritte entgegen und sagte bescheiden : " Es tut mir leid , daß ich von dieser Festlichkeit früher keine Kunde bekam , ich würde Euer . Durchlaucht sonst meinen Anblick erspart haben , der gerade heute Denselben nicht angenehm sein kann . " - " Warum das ! " versetzte der Herzog im besten Ton und reichte dem Kaufmann die Hand . " Jedes Ding hat seine Stunde . Heute das Vergnügen , morgen die Arbeit ; auf beides bin ich gefaßt . " Trompeten schmetterten ; ein Herold kam geritten und sagte folgenden Spruch her : Die Bahn ist abgesteckt , die Fahnen wehen ; Wohlauf ihr Kavaliere reinen Bluts ! Wer einen Degen läßt zur Seite sehen ; Der gebe Zeugnis auch des Rittermuts ! Hierauf wurden die Damen wieder zu den Wagen geführt , die Herrn sahen nach ihren Rossen . Ein prächtiger Sechsspäner fuhr vor , in den der Herzog mit seiner Gemahlin sich setzte . Wilhelmi ordnete die Reihenfolge des Zugs . Die Bürgerlichen gingen zu Fuß voran . An einem Kreuzwege schwenkten die Carousselreiter ab . Alles war in der größten Erwartung der Dinge , die da kommen sollten . Die kleinen Neckereien des Zufalls , welche vorangegangen waren , hatten die Stimmung erhöht und leidenschaftlicher gemacht . Von den Wagen flogen zärtliche Blicke nach manchem der schmucken Reiter . Das Fest begann . Elftes Kapitel Elftes Kapitel Um den großen , mit Sand reinlich belegten Platz liefen auf zierlichen Bogenstellungen die Sitzreihen für die Zuschauer von Stande . Man hatte dem Holzwerke eine muntere Färbung , gelb und braun , gegeben , Behänge von rotem Tuch , mit goldenen Fransen gesäumt , deckten die Brüstungen . In der Mitte dieses Amphitheaters bezeichneten bessere Stoffe , ein Baldachin , und das große , im schwersten Zeuge gestickte Wappen des Herzogs den Ehrenplatz . Zu demselben bis dicht unter die Brüstung führten vom Grunde aus tuchbelegte Stufen . Hier sollte die Königin der Schönheit und Minne auf einem thronartigen Sessel Platz nehmen , auf etwas niedrigeren Lehnstühlen neben ihr zu beiden Seiten wollten Herzog und Herzogin sitzen . Zierliche Pagen in Blau und Silber standen hinter Thron und Lehnstühlen , und hielten auf weißen goldgestickten Atlaskissen die Ehrengeschenke , welche die geschicktesten Ritter aus den Händen der Königin als Dank empfangen sollten . In der Auswahl dieser schönen und kostbaren Sachen hatte die Herzogin ihren ganzen Geschmack bewiesen . Auf ihre Veranlassung , durch Wilhelmis und anderer Vertrauten Bemühungen war bunte Reihe gestiftet worden , die verschiedenen Stände , Gäste in und ohne Kostüm , saßen gemischt untereinander , ja sie selbst hatte ein gutes blödes Kind , welches ängstlich nach einem freien Platze umherschaute , auf einen Sessel in ihrer Loge genötigt . Neben dem Kaufmann saß der Enterbte , der an dem Caroussel keinen Anteil nehmen wollte , und mit allerhand spitzigen Bemerkungen halblaut um sich warf . Dem herzoglichen Sitze gerade gegenüber leuchtete der große , geräumige Pavillon von roter und gelber Leinwand , unter welchem sich die Kavaliere zu Roß versammelt hielten . Die Wappen des Herzogs und der Herzogin standen gepaart auf beiden Seiten der breiten Öffnung , behütet von kräftigen Schildhaltern . Als alles sich gesetzt hatte , richtete sich jeder Blick nach dem Pavillon . In diesem war ein kleiner Verzug entstanden . Unterwegs hatte sich nämlich , Hermann wußte selbst nicht wie ? ein Ritter zu den übrigen gefunden , welcher eine halbe Larve vor dem Gesichte trug . Sein Putz überstrahlte an wilder Pracht den der anderen weit , ebenso auffallend erschien sein Tier . Als man ihn fragte , wer er sei , antwortete er , er nenne sich den Neffen des Enterbten . Im Pavillon verlangte Hermann , daß jener sich demaskieren solle , welches höflich aber bestimmt verweigert wurde . Hermann wußte nicht recht , wie er sich hierbei zu benehmen habe , während er aber noch zaudernd stand , ertönte der erste Trompetenstoß , und nun war keine Zeit zu verlieren . Um kein Aufsehn zu erregen , und in der Meinung , daß hier ein artiger Scherz beabsichtigt werde , reihte er den Neffen des Enterbten eiligst bei dem letzten Gliede ein , während die Trompeter schon aus dem Pavillon ritten . So breit war die Öffnung des letzteren , daß mit Bequemlichkeit sechs Mann hoch ausgeritten werden konnte . Voran zogen zwölf Trompeter und Pauker , ihre Instrumente mit schwerem Silberzeug verziert . Hinterdrein folgte der Herold , in der Rechten eine große Pergamentrolle haltend . Nach ihm ritten in vier Zügen vierundzwanzig Kavaliere mit entblößten Schwertern . Dieser herrliche und glanzvolle Aufzug bewegte sich unter den Tönen eines triumphierenden Marsches längs der Umschränkungen des Platzes hin . Als er vor dem Balkone des fürstlichen Paars angelangt war , senkten die Kavaliere die Schwerter , schwieg die Musik , entfaltete der Herold die Pergamentrolle . Er verlas die Namen der Edelleute , und erbat für sie von dem Burgherrn und der Burgfrau Vergunst , ritterlich Wesen sehen lassen zu dürfen . Die Herrschaften neigten sich gewährend , der Zug setzte seine Runde fort . Nach deren Vollendung zogen sich die Kavaliere wieder in den Pavillon zurück , Trompeter und Pauker aber schwenkten ab , und ritten unter dem Balkone der Herrschaften auf . Nunmehr war es an der Zeit , zu der Wahl zu schreiten , welcher alle schönen Busen mit gerechter Bewegung entgegenschlugen . Ein anderer Herold in Friedenskleidern , einen Kranz in den Haaren , kam geritten , hielt in der Mitte des Platzes , und rief mit lauter , verständlicher Stimme : Wann wird der Dank zum lieblichen Gewinne ? Wann ihn die Königin beute der Schönheit und der Minne ! Wem ziemt die Wahl ? Den Schönheit setzt in Qual ; Wohlauf , ihr Herrn ! Erkiest sie allzumal ! Die Herzogin hatte nämlich , um Neid und Eifersucht möglichst zu entfernen , beschlossen , dem Zufall das Amt aufzutragen . Jeder Herr sollte auf ein elfenbeinernes Täflein den Namen derjenigen schreiben , welcher er die Würde zudachte . Aus diesen Täflein , in eine Urne geworfen , sollte dann Damenhand das beglückte Los ziehen . Anfangs hatte sie sich hierbei ganz auf den Takt der Anwesenden verlassen zu dürfen geglaubt , bei der nunmehr doch sehr gemischten Natur der Gesellschaft waren aber den beiden Edelknaben , welche die Stimmen einsammeln sollten , geheime Anweisungen erteilt worden , und wir dürfen wohl verraten , daß bei dieser Gelegenheit der Unterschied der Stände scharf im Auge gehalten wurde . " Was bedeutete der Spruch jenes Menschen ? " fragte der Kaufmann seinen Nachbarn . " Nichts " , versetzte der Enterbte , " er drehte sich , wie das ganze Fest , um nichts . " Die beiden Edelknaben , der eine mit den Täflein , der andere mit der Urne näherten sich ihnen . " Ich wüßte keine , der ich die Palme gönnte " , sagte der Enterbte ; " geschwind , alter Herr , fällt Ihnen kein Mädchenname bei ? " Der Kaufmann erwiderte : " Meine Bekanntschaft unter dem jungen Frauenzimmer ist auch sehr schwach , ich kenne fast niemand außer meiner Tochter Cornelie . " - " Bravo ! " rief der Enterbte , schrieb und warf sein Täflein in die Urne . Nachdem die Knaben den Umgang gemacht hatten , erhob der Herold wieder seine Stimme und rief : Die Lose ruhn verhüllt ! Von Frauenhand Wird nun in des Geschickes Dienst gezogen , Und glücklich , die der zarte Finger fand ! Die anderen doch sind auch nicht ganz betrogen . Ob sie auch fern vom Thron des Festes blieben , Ein Herz beherrschen sie ; des , der sie aufgeschrieben ! Diese Wendung fand allgemeinen Beifall . Man wiederholte sie lachend und scherzend ; die anmutigsten Gesichter mußten die meisten Neckereien anhören . Ein alter lustiger Herr sagte : " Dies ist sonach die wahre Republik Polen , wo jeder , wenn er auch nicht zum Zepter gelangte , im stillen sich dazu berechtigt fühlte . Ich fürchte nur " , setzte er lauter hinzu , " die Erwählte wird ein noch angefochteneres Regiment haben als jene Sarmatenkönige . " Der Edelknabe mit der Urne bog sein Knie vor der Herzogin . Sie wies ihn an die vornehmste Dame nach ihr , welche in ihrer Nähe saß . Diese , eine hohe , majestätische Gestalt , erhob sich , gebot , die Lose in der Urne umzuschütten , griff hinein , zog ein Täfelchen hervor , las und verwunderte sich . " Ich finde hier nur den Namen Cornelie aufgeschrieben " , sagte sie zur Herzogin . " Wer ist diese Cornelie ? Gebe Gott , daß nicht mehrere dieses Namens hier anwesend sind , sonst wird es eine schwierige Entscheidung geben . " Der Herold , welcher aufmerksam nach dem Namen hingehorcht hatte , fiel mit dem auf das Stichwort vorbereiteten Spruche ein : " Cornelie ist zur Königin der Minne und Schönheit erwählt worden . Ihr Edelfräulein , geleitet die Königin zum Throne ! " Ein jauchzender Tusch der Trompeten und Pauken bekräftigte diesen Ruf . Die vier jungen Mädchen , welche von der Herzogin zu Ehrendamen bestimmt worden waren , traten hinter ihr Tabouret , und sahen , der Anweisung bedürftig , auf sie . Ein Murmeln lief rings um die Tribünen , man fragte nach der ausgerufenen Dame , man überzeugte sich bald , daß sie nicht zur Stelle sei . Die Herzogin , das Täfelchen von der anderen empfangend , spielte verlegen damit und befand sich in grausamer Unschlüssigkeit . Der Herzog nahm es ihr aus der Hand und sagte mit gehaltenem Tone , deutlich , daß seine Worte über den ganzen Platz hin vernommen wurden : " Da die Königin des Festes , wie es scheint , abwesend ist , so ersuche ich meine Gemahlin , ihre Stelle zu versehn . Vielleicht ist diese Gestalt der Wahl die richtigste , denn das Höchste soll uns ja eigentlich immer fern und unsichtbar bleiben . Ich erkläre hiermit im Namen der unbekannten Schönheit den Thron für besetzt , und bitte , das Spiel zu ihrer Ehre anfangen zu lassen . " Er legte das Täfelchen auf den Thron . Die Ehrenfräulein setzten sich auf Sessel an den Stufen desselben . Die Herzogin behielt ihren Platz , und blickte zerstreut vor sich hin . Auch ihm sah man an , daß er eine kleine Bewegung niederzukämpfen hatte . Was Hermann betrifft , der von dem Vorfalle durch einen aufmerksamen Zuschauer unterrichtet worden war , so möchte es schwer sein , seine Stimmung genügend zu schildern . Es war ihm , als blicke er durch ein Kaleidoskop , worin sich unscheinbare Kleinigkeiten zu glänzenden Figuren verbinden . Diese deuten auf Gestalten der Wirklichkeit hin , und sind sie doch nicht . Zwölftes Kapitel Zwölftes Kapitel Schon bei den Quadrillen , die zuerst abgeritten wurden , hatte sich die Aufmerksamkeit bald vorzugsweise dem Verlarvten zugewendet . So gut die übrigen , von tüchtigen Stallmeistern eingeübt , ihre Sachen in Schwenkungen und Volten machten ; dem Verlarvten kam keiner gleich oder nur nahe . Das Staunen über seine Geschicklichkeit war um so größer , als er dieselbe durch den Gegensatz noch zu heben wußte . Denn anfangs hatte er wie im Schlafe auf seinem Tiere gehangen und war nur so mitgezuckelt , hatte auch wohl zum Sattelknopf seine Zuflucht genommen , so daß schon mancher über den Ritter von der schneiderhaften Gestalt zu lachen begann . Auf so einmal aber rückte er sich zurecht , alle Muskeln schwollen von kräftigem Fleische , er ritt nicht mehr , er schwebte auf dem Gaule , seine Hand spielte mit dem Zügel , er führte die seltensten Kunststücke so edel-nachlässig aus , als seien sie eigentlich noch unter seiner Würde . Hierauf gefiel es ihm denn auch wohl wieder , zur großen Erlustigung besonders der Leute aus dem Volke , die unter den Bogen der Tribünen , hinter den Schranken zusehen , in den anfänglichen Schneidertrab zu verfallen , und so fesselte er die ganze Versammlung in Lachen und Bewunderung an sich . Was das Merkwürdigste war , sein Tier , eine katzenartig gezeichnete , lange Schecke , die aus tückischen , leuchtenden Augen schaute , schien mit dem Herrn völlig eins zu sein . Wurde er über ihr zum Schneider , so wurde das Tier unter ihm zur Mähre , ließ die Ohren hängen , senkte den Kopf , und tat , als ob es lahme . Sobald dagegen der Reiter er selbst sein wollte , tanzte es wie ein Hirsch , flog es wie ein Vogel . Besonders entzückt über diese Künste war ein alter Landedelmann , der einen Teil seiner Jugend in Großbritannien zugebracht hatte , und alles Pferdewesen leidenschaftlich liebte . Dieser Mann hatte bis dahin seine Nachbarn mit der unaufhörlich wiederholten Erörterung der Frage , was doch wohl aus ihnen allen hätte werden sollen , wenn die Schlagbäume nicht gehoben worden wären ? gepeinigt , als die Freude über den Verlarvten jene Untersuchung niederschlug . Er lehnte sich mit beiden Armen auf die Brüstung , klatschte unmäßig , rief einmal über das andere : " Bravo ! " und schwor , er müsse nach dem Caroussel mit jenem Brüderschaft trinken . " Wenn ich nur wüßte , aus welcher Familie er ist " , sagte er . " Aus unserer Provinz kann er nicht sein , denn hier sitzen sie doch im Grunde alle wie die Mehlsäcke zu Pferde , er muß von mecklenburgischem Adel sein , er macht wahrhaftig Sachen , wie ein englischer Bereiter . " Nach den Quadrillen , welche die Musiker mit den ausgesuchtesten Märschen begleiteten , entstand eine kleine Pause . Knappen in grün- und weißgestreiften Wämsern richteten die bewimpelten Pfähle mit den Ringen auf , nach welchen nun das Stechen beginnen sollte . Eine große Walze wurde angewendet , den von den Huftritten der Pferde aufgewühlten Sandgrund wieder festzudrücken , unter dem Pavillon verschnauften die Kavaliere und ihre Rosse . Der Enterbte war von der Tribüne herabgekommen , trat in den Pavillon , und Hermann sah , daß er mit dem verlarvten Neffen beiseite trat . Eine gewisse Vermutung machte ihn auf den Inhalt des Gesprächs neugierig , er wußte sich scheinbar unbefangen den beiden zu nähern , und konnte wenigstens einige Worte von ihren Reden vernehmen . " Macht es nicht so auffallend " , sagte der Enterbte zum Neffen , " es kommt sonst aus , und wir werden um unseren Spaß gebracht . " " Herr Baron " , versetzte der Neffe in einem rauhen , holprigen Dialekte , " ich nehme mir es auch vor , aber wer kann wider die Natur ? " Die Kavaliere begannen das Ringelstechen ; mancher Ring blieb auf den Degen sitzen , mancher flog auch , von ungeschicktem Stoße berührt , in den Sand . Der Verlarvte schien anfangs die Warnung des Enterbten beachten zu wollen , er zeichnete sich nicht aus , fehlte , traf , wie es kam . Auf einmal aber war es , als ob in ihn wieder ein übermütiger Geist führe . Denn plötzlich ritt er bei dem Baume vorbei , und stach , diesem den Rücken zukehrend , mit einer sicheren Bewegung nach hinten zierlich den Ring ab . Das war noch wenig . Das nächste Mal warf er den Degen nach dem Ringe , traf ihn , und fing den Degen in der Luft auf . Es war gut , daß hiermit dieser Teil des Festes zu Ende ging , denn wer weiß , welche Streiche noch sonst zur Gemütsergötzung der Zuschauer verübt worden wären . Sobald der Zug wieder im Pavillon war , nahm Hermann den geschickten Reiter beiseite , und befahl ihm geradezu , sich zu entlarven . Die bestimmte Mahnung setzte den Menschen aus der Fassung , er nahm die Maske ab und ein braunes , verbranntes Gesicht erschien unter dem Barett . " Sie sind gedungen , unserem Feste zum Hohne zu gereichen ! " redete ihn Hermann hart an . " Verfügen Sie sich zu Ihrer Gesellschaft , bei der die Künste , welche Sie üben , für Geld zu sehen sind . Fort ! " - " Mein Herr " , versetzte der Mensch , welcher zu ebener Erde so verlegen war , als er im Bügel sich keck erwiesen hatte , " ich wollte es nicht gern tun , denn ich fürchtete mich vor Rüge und Bestrafung , aber der Herr Baron setzten mir so lange zu , daß ich mich endlich bewegen ließ . " - " Und was war die Absicht bei diesem Possenspiele ? " fragte Hermann . " Ich sollte " , antwortete der andere , " nach dem Caroussel vor der Frau Herzogin hinknien , und die Geschenke empfangen , die der Herr Baron dann von mir haben wollte . Was weiter im Werke war , kann ich nicht sagen , wir reisen schon morgen fort . " Hermann nötigte den falschen Ritter auf sein Kunstpferd , und begleitete ihn noch einige hundert Schritte , um gewiß zu sein , daß er sich entferne . Als er umkehrte , begegnete ihm der Enterbte auf halbem Wege . Dieser sah dem abziehenden Kunstreiter nach , und sagte dann mit giftigem Blicke : " Sie tun ja , als ob Sie hier Herr im Hause wären . " " Mein Auftrag geht dahin , reine Bahn zu halten " , versetzte Hermann . " Ich hätte nicht übel Lust , den Oheim dem Neffen folgen zu lassen . Das ist auch etwas , worin wir die Wilden unleugbar übertreffen , daß wir uns an jemandes Tafel , Hohn und Schimpf im Herzen , niederlassen können . " Er wandte ihm den Rücken und ließ ihn stehen . Eine laute Fanfare von Trompeten und Pauken verkündete das Ende des dritten Teils , des Stechens nach dem Türkenkopfe , welches inzwischen vor sich gegangen war , und das Caroussel beschließen sollte . Die Kavaliere waren abgestiegen und standen , des Danks gewärtig ; die Pferde wurden von der Bahn geführt . Die Herzogin saß unruhig , eine Träne im Auge , da . Sie fürchtete , jeden Augenblick den Verlarvten wieder hervortreten , und sich mit unter die Dankbegehrenden stellen zu sehen . Sie wußte nicht , wer dieser Mensch sei , aber ihr weibliches Ahnungsvermögen sagte ihr , daß er ihr und ihrem Feste Schlimmes bedeute . Hermann eilte , was er konnte , und trat atemlos hinter ihren Lehnstuhl . Er flüsterte ihr zu , daß der Störer entfernt sei , und nannte ihr diejenigen Edelleute , welche nach seiner Meinung sich am besten gehalten hatten . Die Geschenke , bestehend in goldenen Pokalen , damaszierten Ehrendegen , prachtvollen Schärpen und kostbaren Ringen , wurden verteilt . Auch wer keinen Dank empfing , wurde doch mit einer zierlichen Schleife , welche die verschlungenen Namen des Herzogs und der Herzogin zeigte , geschmückt . Alles dieses geschah bei Pauken- und Trompetenschall im Namen der abwesenden Königin . Die Versammlung erhob sich . Nach dem Verlarvten wurde einige Augenblicke lang gefragt , dann vergaß man ihn . Nur der alte Landedelmann war untröstlich , als er erfuhr , daß dieser Paladin sich entfernt und dadurch seinen Umarmungen entzogen habe . Er verfiel darauf wieder in das Gespräch von den Schlagbäumen , solange er einen Zuhörer finden konnte . Man wollte nicht fahren , im Gehen meinte jeder sich mit denen , die er am liebsten mochte , besser zusammenzufinden . Alles wanderte in buntem Gewimmel nach dem Speisesaale . Sobald die Gesellschaft den Platz verlassen hatte , stürzte eine Menge Knaben aus dem Volke herbei und raffte auf , was an Federn , Schlangenköpfen und sonstigen Kleinigkeiten umherlag . Hermann nahm eine Bandschleife , welche , von der Hand der Herzogin berührt , liegengeblieben war , und wollte sie als Erinnerungszeichen verwahren . Da sah er die verschlungenen Namen und warf sie mit einer schneidenden Empfindung weg . Die Knaben rauften sich um das leichte Zeichen ; bei dem Ziehen und Zerren zerriß es . Was den Herzog betrifft , so hatte dieser nach Beendigung des Caroussels ganz freundlich seine Gemahlin gefragt , wann denn nun das Turnier beginne ? In der Verwirrung der vorangegangnen Tage war man nämlich , wie dergleichen wohl vorzufallen pflegt , völlig vergessen gewesen , die Hauptperson von der Umänderung des ursprünglichen Festplans etwas wissen zu lassen . Er verwunderte sich daher nicht wenig , als er hörte , daß die Sache schon vorbei sei , und dasjenige ausbleibe , worauf er sich eigentlich gefreut hatte . Dreizehntes Kapitel Dreizehntes Kapitel Indessen rauschte das Fest unaufhaltsam weiter . Ein kostbares Mittagsmahl war eingenommen worden , die Gesellschaft zerstreute sich in Sälen , Zimmern , Lauben , Gartengängen . Während ein Teil der älteren Herrn ein frühzeitiges Spiel begann , andere da und dort ihr Nachmittagsschläfchen abhielten , die Matronen und die Frauen in gewissen Jahren , ernsthaft mit der Kritik des Vorfallenden beschäftigt , umhersaßen , verirrte sich so manches zärtliche Pärchen seitab in die entlegensten Teile des Parks . Es gewährte einen bunten und fröhlichen Anblick , die vielen fremdartig geschmückten Gestalten wie Blumen aus dem Grün der Gebüsche und Baumgruppen hervordringen zu sehen . Hermann hatte sich zu einer großen Gestalt von außerordentlicher , wenngleich verblühter Schönheit hingezogen gefühlt . Es war die Theophilie , welche die Herzogin zu ihrem Beistande hatte kommen lassen , die Schwester jenes toten Vetters . Ungeachtet des Streites , welcher die beiden Agnaten entzweit , stand sie mit dem Herzoge in einem freundschaftlichen Verhältnisse . Sie waren einander an Höfen und in Bädern begegnet , und man hatte selbst einmal vorlängst von einer gegenseitigen Neigung gesprochen . Hermann erfuhr von ihr , daß sie in dem Schlosse ihres Bruders , welches nun seinem Oheim gehörte , wohne . " Wie kam es , daß ich Sie dort während meiner Anwesenheit nicht gesehen habe ? " fragte er . " Es geziemt einer alten Hofdame , in ihrer Zelle zu verbleiben " , sagte sie . " Mein Bruder machte sich bei dem Verkaufe einen Teil der Schloßzimmer aus , und nahm mich in den Vertrag mit auf . Dort lebe ich für mich und hüte meine Erinnerungen . Man muß der Welt den Korb geben , bevor sie ihn uns gibt . Übrigens sind wir wie wohlgestellte Uhren . Sobald man uns aufzieht , gehen wir wieder . Ich war seit zehn Jahren nicht in großer Gesellschaft gewesen und meinte , alles vergessen zu haben , was zum guten Tone gehört , aber meine Cousine hat mich aufgezogen und siehe da , die stehengebliebene Uhr geht noch , denn ich machte , wie mich dünkt , nach allen Formen die Honneurs . " Der Oheim kam ihnen entgegen , gedankenvoll vor sich hinsehend . Sobald er Theophilien erblickte , verfärbte er sich , und wendete sich , ohne zu grüßen , kurz um . " Verzeihen Sie ihm " , sagte Hermann betreten , " er ist so kurzsichtig . " - " Nicht doch " , erwiderte sie lächelnd , " er hat mich recht wohl erkannt . Wissen Sie , daß Ihr Oheim ein Geisterseher ist ? " " Diese Eigenschaft hätte ich nicht an ihm vermutet " , erwiderte Hermann . " Doch . Er ist so ein Sonntagskind , d.h. in Beziehung auf mich . Er sieht neben mir immer allerhand graue , schwarze , schalkhafte , tückische Geister . Kennen Sie die Geschichte vom Müller bei Potsdam ? " " Welches Kind kennt sie nicht ! " rief Hermann . " Nun , ich bin der Müller bei Potsdam . Tausende gäbe Ihr Oheim hin , wenn ich weichen wollte , aber ich bleibe in meinem Rechte wohnen . Das ist alles nur Scherz " , fügte sie in einem schneidenden Tone hinzu . " Ihr Oheim sollte meinen Blick vergessen , der ihn so erschreckte , als ihm mein Bruder aus freien Stücken die Zession gab , denn hin ist hin , und tot ist tot ! " Ein Schwarm junger Mädchen näherte sich , lachend und schwatzend . Sie ließ ihn stehen , und lachte und schwatzte mit den Mädchen . Er versuchte noch einige Male , ihr nahe zu kommen , um die Erklärung ihrer spöttisch- geheimnisvollen Worte zu vernehmen , sie wich ihm aber aus , und er hatte über eine neue Verwicklung aus früherer Zeit nachzudenken . Inzwischen waren die Lustbarkeiten der Bürger und Bauern begonnen worden . Auf einer grünen geräumigen Wiese , unfern des Turnierplatzes erhoben sich Schaukeln und Kletterbäume ; zu beiden Seiten waren Schießstände abgesteckt , einer für das Armbrust- der andere für das Büchsenschießen . In der Mitte des Plans stand eine große Bretterbude zum Tanzen , Würfeln und Spielen . Die ganze Wiese war von fröhlichen Menschen bedeckt . Knaben und Mädchen schwebten in den Schaukeln , junge Bursche fielen von den Kletterbäumen , ohne sich weh zu tun . Auf der einen Seite schwirrten Pfeile nach dem Vogel , auf der anderen flogen Kugeln nach der Scheibe . Besonders tat sich der alte Erich mit der Büchse hervor . Er schoß fast jedesmal ins Schwarze , und hatte schon manchen schönen Preis erbeutet . " Wenn Ihr so fortfahrt , wird für uns nicht viel übrigbleiben " , sagte ein Schütze zu ihm . " Der Hauptschuß steckt noch im Laufe " , versetzte der Alte . " Trinkt nur nicht so viel " , sagte der andere zu ihm . " Bedenkt Euer Alter . Ihr habt schon zweimal soviel zu Euch genommen , als wir . " " Meine Seele dürstet nach Kraft wider die Ungerechten ! " rief Erich und leerte einen ganzen Krug des Getränks , welches an den Schießstätten in reichem Maße aufgefahren war . Die Augen des Alten glühten , seine Finger bewegten sich unsicher ; gern hätte man ihm das Gewehr weggenommen , wenn dies in seinem Zustande nicht noch gefährlicher gewesen wäre . " Es ist nur zu verwundern , daß er in der Beschaffenheit so gut trifft " , sagten einige der Umstehenden . " Er muß es mit jemand haben " , sprachen andere , " denn er murmelt beständig von dem Fürsten der Finsternis , den er vertilgen wolle . Ist er von einem beleidigt worden ? " Der Herzog erschien mit seiner Gemahlin . Eine Menge der reichgeputzten Gäste hatte sich schon vorher eingefunden und unter die Volksgruppen gemischt , deren Lust immer stürmischer emporloderte . Junge Herrn setzten sich zu den schmucken Bauermädchen in die Schaukeln ; die Herzogin war , begleitet von einigen Edeldamen , nach der Bretterbude gegangen , und hatte dort mit älteren Leuten aus dem Dorfe ein herablassendes Gespräch angeknüpft . Der Herzog stand bei den Büchsenschützen und besah ihre Gewehre , von denen mehrere sehr künstliche Stücke waren . Auch der Oheim war gekommen und zu dem Schießstande herangetreten . Der Amtmann machte sich um ihn zu tun , und bewies sich auch gegen ihn sehr demütig und vielgesprächig . " Wenn hier viel Geld vertan wird " , sagte der Oheim mehr für sich , als zu seinem Begleiter , " so muß man gestehen , daß es wenigstens auf eine muntere Weise geschieht . Ich werde mich hüten müssen , daß diese Lust nicht mich , wie meinen Advokaten ansteckt . " " Wie schön werden diese Plätze sein " , versetzte der Amtmann , " wenn erst überall hier der Nutzen herrscht . Schon sehe ich z.B. im Geiste auf jener Anhöhe das lange Trockengebäude mit Fachwerk errichtet , denn dicht daneben im Grunde steht das ergiebigste Torflager , welches Seine Durchlaucht nur nicht anbrechen lassen , weil Sie sich einbilden , der Gewinn ertrage die Kosten nicht . " " Lassen wir das " , versetzte der Oheim . " Noch gehört dieses alles ihm , und ich gebe mir heute Mühe , zu vergessen , weshalb ich eigentlich hier bin . " - " Tun Sie das nicht , wertester Herr Kommerzienrat " , sagte der Amtmann . " Betrachten Sie immerhin , was Sie vor sich sehen , als das liebe Ihrige . Denn selbst wenn der alte Adelsbrief aufgefunden werden sollte , wozu kein Anschein , so würde es immer noch Mittel und Wege geben ... " " Wie ? " fragte der Oheim und zog den Amtmann beiseite . Gleich darauf gingen sie miteinander fort , einem Wege durch das Gebüsch zu . " Ich möchte wohl durch jemand einen Schuß auch für mich tun lassen " , sagte der Herzog an der anderen Seite der Schießstätte . " Dessen ist niemand würdig " , versetzte ein Schütze , " als der alte Erich . Der wird einen Meisterschuß , einen Herzogsschuß für Ew. Durchlaucht tun . " Man suchte nach dem Alten . Er war nicht zu finden . Man verwunderte sich ; noch ganz vor kurzem hatte ihn jedermann hier gesehen . Ein Knabe sagte , er habe mit einem Fluche seine Büchse geladen und sei raschen Schritts unter die Menschen gegangen , wo er ihm aus dem Gesichte gekommen sei . Ein Walzer ertönte aus der Bude ; die Herzogin ließ ihren Gemahl bitten , dorthin zu kommen . Ein ehrenfester Bursche wurde der Gnade teilhaftig , mit der Fürstin den Tanz zu eröffnen . Der Herzog machte mit einem hübschen flinken Mädchen die Runde . Auch einige der vornehmen Herren griffen da und dort zu . Demnächst nahm man mit guter Manier seinen Rückzug , um die Toilette für den Ball herzustellen , der nun sogleich im Schlosse beginnen sollte . Unterwegs trat der Bürgermeister den Herzog an und fragte ihn , ob er wohl erlauben wolle , daß auch seine bürgerlichen Gäste verkleidet erschienen ? " Ich bedachte " , sagte er , " als ich die geschmückten Herrn und Damen sah , wie kahl wir uns unter ihnen ausnehmen würden , und erinnerte mich , daß wir auf dem Rathause noch mehrere Kisten voll Maskenzeug von dem Redoutenunternehmer stehen haben , der uns die Saalmiete schuldig geblieben ist . Diese habe ich holen lassen ; das Zeug wird für die Männer vollständig hinreichen , und auch unsere Frauenzimmer werden genug Bänder , Flor , Schmelz , Blumen und Borten finden , um sich ein fremdes Ansehn zu geben . " Der Herzog erteilte mit Vergnügen seine Zustimmung . " Aber freilich " , sagte der Bürgermeister , " sind es nicht lauter Ritterkleider ; es sind Schweizer , Türken , Polacken , Juden , Indianer , Gärtner und Zigeuner darunter . " " Je bunter , desto besser ! " rief der Herzog . " Dieser Tag gehört der Freiheit und Freude . Eilen Sie , sich anzukleiden , wir wollen gleich anfangen , damit unsere jungen Damen und Herrn etwas vor sich bringen können . " Hermann hatte einen Augenblick sich unter den Volkslustbarkeiten umgesehen , dann war er nach dem Schlosse zurückgeeilt , um die Erleuchtungsanstalten um dasselbe zu ordnen . Er meinte hierauf , sich von dem Getöse etwas zurückziehn zu dürfen , und ging durch einen abgelegenen Teil des Parks , um seine Sinne zu beruhigen . Auf einmal war es ihm , als höre er ein Geschrei , und als er noch horchte , um sich dessen zu vergewissern , kam schon etwas quer durch die Büsche , die einen Hügel dort bekleideten , herabgestürzt . Es war der Amtmann . Zitternd , entsetzt , rief er : " Mord ! Mord ! " und rannte über den Weg durch das Strauchwerk weiter . Mit der Schnelligkeit des Blitzes drang Hermann durch die Büsche die Anhöhe hinauf . Oben wurde ihm ein schrecklicher Anblick . Sein Oheim stand bebend , an einem Baume sich haltend , furchtsam weggekrümmt ; einige Schritte von ihm der alte Erich , die weißen Haare wie Borsten emporgesträubt , die Büchse im Anschlage haltend . Mechanisch warf sich Hermann zwischen seinen Oheim und den wütenden Greis . " Laß ab ! " rief er . Der Alte schien durch Hermanns Entschlossenheit außer Fassung zu geraten , ließ die Büchse sinken und schlug sich vor die Stirn . " Unglücklicher , was wolltest du tun ! " sagte Hermann , schritt beherzt auf den Alten zu und nahm ihm , ohne Widerstand zu finden , das tödliche Gewehr ab . " Das Haus meines Herrn beschützen " , versetzte dumpf und kalt Erich . " Sie sollen nicht sitzen , wo meine Herrn gesessen haben . " Es kamen Menschen . Der Amtmann war es und der Gerichtshalter mit seinen Dienern . " Da steht der Mörder ! " rief der Amtmann überlaut . " Assassinat ! " sagte der Gerichtshalter . " Ergreift ihn und bringt ihn in das Gefängnis . Einer aber gehe sofort und zeige es Seiner Durchlaucht an . " - " Halt ! " rief Hermann . " Tun Sie , was Ihres Amts ist , aber niemand soll heute abend von diesem Vorfalle etwas erfahren ; am wenigsten der Herzog . Das Fest darf nicht gestört werden , und ich mache Sie dafür verantwortlich , daß Ihre Leute schweigen . " " Mein Herr " , versetzte der Gerichtshalter , und warf sich in die Brust , " wer gibt Ihnen das Recht , mir Befehle zu erteilen ? " " Sie gehorchen ! " sagte Hermann fest . Der Alte sah ihn an , erhob die Stimme und rief : " Zanke nicht mit einem Gewaltigen , daß du ihm nicht in die Hände fallest . Viele Tyrannen haben müssen herunter , und ist dem die Krone aufgesetzt worden , auf den man nicht gedacht hätte . " Der Gerichtshalter , welcher von Natur verlegen und ängstlich war , bedachte sich einige Augenblicke , dann sagte er zu seinen Leuten : " Es mag so geschehen . Führt ihn auf Umwegen , wo niemand ihn sieht , nach dem Gefängnis , und keiner rede von der Sache . " Als der Alte abgeführt worden war , wandte sich Hermann zu seinem Oheim , der sich kaum auf den Füßen halten konnte . Er verlangte nach dem Gasthofe , schweigend führte ihn der Neffe dorthin . Er erkundigte sich mit Schonung nach dem Hergange ; der Oheim wußte ihm aber weiter nichts zu sagen , als daß jener Unselige , der ihnen nachgeschlichen sein müsse , plötzlich hinter den Bäumen , das Mordgewehr auf ihn gerichtet , hervorgetreten sei , ihn mit furchtbaren Drohworten aus den Propheten anfahrend . Der Amtmann habe gleich die Flucht ergriffen , und ihn dem Grimme des Alten überlassen . Er ließ Postpferde bestellen . Hermann suchte alles mögliche auf , ihn von dem Entschluss zu einer nächtlichen Reise nach solcher Alteration abzubringen , und führte ihm endlich den Plan , mit dem er hierher gekommen , in die Erinnerung zurück . " Das ist vorbei " , sagte der Oheim . " Fernerhin soll zwischen mir und dieser Mördergrube nur von Recht und Gerechtigkeit die Rede sein . " Als Hermann bestürzt seinen Verwandten in den Wagen gehoben hatte , ging er nach der Wohnung des Gerichtshalters , bei welcher sich auch die Gefängnisse befanden . Er erhielt Einlaß in den Kerker des alten Erich , konnte aber mit diesem nichts beginnen , denn der Alte war , als habe er nichts begangen , fest eingeschlafen . Der Gerichtshalter erzählte aus einem kurzen Verhöre , welches er sogleich mit ihm angestellt , folgendes : Er sei dem Amtmann und dem Kommerzienrat nachgegangen , ohne zu wissen , warum ? habe ein abscheuliches Gespräch zwischen beiden belauscht und dann gesehen , wie der Kommerzienrat sich auf den Hügel gestellt , die Arme ausstreckend , und andeutend , wie und wo er niederreißen , zerstören und bauen lassen wolle , wenn er hier Herr werde . Da sei ihm jener wie der Teufel vorgekommen , der die Hand zum Verderben über eine ganze Gegend ausrecke , und er habe es für nichts Böses gehalten , den Teufel totzuschießen . Hermann sagte zu dem Gerichtshalter , daß er es übernehme , den Herzog von diesen finsteren Dingen zu benachrichtigen , und gebot ihm , den Alten mit Schonung zu behandeln . Er eilte nach dem Schlosse , sehr in Sorgen , daß doch eine Kunde bis dahin dringen werde . Es war völlig Nacht geworden . In den Alleen um das Schloß waren alle Lampen angezündet worden , welche , farbig , ein magisches Regenbogenlicht umherstreuten . Vor dem Portale brannten mächtige Pechpfannen , alle Fenster waren hell erleuchtet , aus dem Inneren erscholl die rauschende Tanzmusik . Er schritt , geblendet von dem Glanze , die Treppen hinauf , und stellte sich an den Eingang des Saals . In dem Lichte der Lustres und Kronleuchter bewegten sich die glänzenden und bunten Gestalten , für deren Menge der große Ahnensaal doch fast zu klein war . Es war das prachtvollste Gewimmel , welches seine Augen je gesehen hatten . Auch der Herzog war , zum großen Erstaunen seiner Gemahlin , verwandelt , in dem geheim zubereiteten Schmucke unter die Gäste getreten . Er strahlte , mit Diamanten bedeckt , in einem roten hermelinumfaßten Mantel . Die Augen der Damen folgten , nicht zum Verdrusse der Fürstin , der hohen stattlichen Gestalt . Als er Hermann an der Tür bemerkte , winkte er ihm , in den Saal zu treten . Dieser aber verblieb , wo er war , jeden Hineingehenden sorglich anblickend , ob er auch nicht unvorsichtigerweise die Nachricht bringen werde , wie das Entsetzliche sich diesem schönen Scheine so nahe geschlichen habe . So stand er in seinem schlichten Frack einen Teil der Nacht durch als treuer Wächter an der Schwelle . Vierzehntes Kapitel Vierzehntes Kapitel Am folgenden Morgen wurde er von dem Gerichtshalter zu früher Stunde geweckt . Der Mann trat mit erschrockenem Gesichte vor sein Bett , und brachte ihm stotternd die Nachricht , daß der alte Erich entflohen sei . Der Gerichtshalter hatte ihm auf Hermanns Weisung keine Fesseln anlegen lassen ; so war es ihm möglich geworden , seine Wächter , die in der allgemeinen Freude wohl auch das Ihrige zu sich genommen haben mochten , zu täuschen . Hermann ging mit dem Gerichtshalter nach dem Kerker . Das nicht recht feste Schloß war von inwendig erbrochen worden . Die Wächter , welche draußen im Vorraume gewesen waren , mußten geschlafen haben , während der Alte sein Befreiungswerk verrichtete . An der Wand stand mit Kohle fast unleserlich geschrieben , daß , was einmal mißglückte , nicht immer fehlzuschlagen brauche . Das erste war nun , den Herzog zu benachrichtigen , mit welchem unangenehmen Geschäfte sich Hermann belud , da der Gerichtshalter sich nicht vor den Herrn getraute . Hier sah Hermann den Fürsten zum ersten Male fassungslos . Er konnte kaum sprechen und seine Bewegung wurde noch größer , als er die Abreise des Oheims vernahm . Hermann mußte sich auf eine Viertelstunde entfernen , nach deren Verlauf der Fürst einigermaßen wieder zu seinem Gleichgewichte gekommen war . Er fragte nach dem Verbrecher , und befahl , als man ihm dessen Flucht meldete , daß die strengsten Maßregeln zu seiner Habhaftwerdung getroffen werden sollten . Jedoch schien es Hermann , als ob dieser Eifer nicht ganz wahr , und das Verschwinden des Schuldigen ihm das einzige Tröstliche bei der Sache sei , er begnügte sich daher , dem Gerichtshalter die sogenannten Solita anzuempfehlen , welche bekanntlich selten zum Ziele führen . Im Schlosse sah es wüst aus . Der Ball hatte bis gegen Morgen gedauert . Die Dienerschaft war erst bei Tageslicht aus den Federn gekommen . Im Tanzsaale , in den Seitengemächern , besonders im Trinkzimmer , überall zeigten sich noch die Spuren des Festes . Zum Beweise , wie weit die Zerrüttung dieses so wohlgeordneten Hauswesens gediehen sei , erzählte man sich die Neuigkeit , daß die Herzogin heute dreimal nach ihrem Frühstücke habe verlangen müssen . Nur überwachte abgespannte Gesichter begegneten einander . Dazu strömte der Regen herunter , in welchen sich das heitere Sonnenwetter umgesetzt hatte . Unter ausgespannten Schirmen stiegen die Gäste , welche nicht schon in der Nacht das Schloß verlassen hatten , schweigend-verdrießlich in ihre Wagen , und fuhren hinter zugeknöpften Ledern ab . Die Herzogin hatte sich alle Beurlaubungsvisiten verbeten ; sie entschuldigte sich mit körperlichem Unwohlsein . Als Hermann auf den Turnierplatz ging , sah er die Tapezierer mit heftiger Eile bemüht , die schon durchnäßten und halb verdorbenen Behänge von den Gerüsten zu nehmen . Die gießenden Fluten hatten die Bemalung von den Tribünen und Pfeilern abgewaschen ; sie standen mißfarbig und beschmutzt da . Von dem Pavillon war nur noch das Gerippe zu sehen . Die Herzogin war mehrere Tage hindurch für niemand , als für ihren Gemahl sichtbar . Nur der Geistliche hatte Zutritt zu ihren Zimmern und hielt fortgesetzte Andachtsübungen mit ihr . Unter den Vertrauten ging die Rede , sie mache sich über das Fest Gewissensskrupel . Von diesem schwieg jeder ; man hatte vorher zu viel davon gesprochen . Man suchte nach Gegenständen der Unterhaltung ; sie wollten sich nicht finden . Man gähnte , war übelnehmerisch , ging einander aus dem Wege . Der Arzt schrieb viel . Am verstimmtesten bezeigte sich Wilhelmi . " Ich gehe " , sagte er eines Tages zu Hermann , " meines Bleibens wird hier nicht lange mehr sein . Man muß sich nur einmal versöhnt haben , um gewiß zu werden , daß man nicht mehr füreinander paßt . " " Du wirst deine Gönner in der Krisis , welche vielleicht nahe bevorsteht , nicht verlassen " , erwiderte Hermann . " Ich werde mich immer wie ein ehrlicher Mann betragen " , sagte Wilhelmi . " Auch fällt es mir selbst schwer genug , aus diesen Wänden zu scheiden . Aber der hiesige Zustand ist ein künstlicher , man tut am besten , ihn aufzuheben . Sie haben wegen meiner Sammlungen von der Hauptstadt aus mit mir angeknüpft , wo sie jetzt alles zusammenscharren . Ich bin Willens , darauf einzugehn . " Den Herzog betraf nunmehr fast Tag für Tag etwas Unangenehmes . Das Geschick schien , wie es wohl kommt , durch den Lärmen der Lustbarkeiten aus seinem Schlummer zu feindseliger Tätigkeit emporgestört worden zu sein . Es währte nicht lange , so überbrachte ihm ein Freund und Gutsnachbar , anscheinend sehr entrüstet , die letzte Nummer des vielgelesenen Provinzialblatts , worin geschrieben stand , daß bei einem neuerlich stattgefundenen feudalistisch-ritterlichen Feste der bekannte Äquilibrist und gymnastisch-akrobatische Künstler * den Preis davongetragen , und den Dank aus hoher schöner Hand empfangen habe . Namen und Ort waren zwar nicht genannt , die journalistische Halblüge enthielt aber so viele individuelle Andeutungen , daß die Beziehung sich mit Händen greifen ließ . Auch sagte der Nachbar , daß schon die ganze Gegend davon spreche . Tiefer verletzte ihn eine Entdeckung , welche den Geistlichen betraf . Dieser Mann , dessen Absichten immer unumwundener hervortraten , hatte die Verwirrung , worin sich das Schloß seit einigen Wochen befand , genützt , um etwas auszuführen , wozu ihm sonst doch wohl bei der bekannten Sinnesart seines weltlichen Herrn der Mut gebrochen hätte . Der Herzog empfing kurz nach dem Feste einen Brief angesehener protestantischer Eltern , worin diese sich bitter beklagten , daß man ihre beiden ältesten Söhne in seiner Schloßkapelle katholisch gemacht habe . Er war , wie vom Donner gerührt . Der Geistliche , sogleich zu ihm gerufen , leugnete gar nicht , und sagte mit Freimütigkeit , daß er es für die Pflicht eines Priesters halte , abtrünnige Kinder in den Schoß der allgemeinen Mutter zurückzuführen , sobald sie ein Verlangen danach empfänden . Er gebe , fügte er , den Herzog entschieden anblickend , hinzu , dem Kaiser , was des Kaisers , und Gotte , was Gottes sei . Der Herzog fühlte sich in einer zornigen Verlegenheit . Er war ein ganz guter regelrechter Katholik , doch betrachtete er , wie die meisten vornehmen Männer seines Glaubens , diesen mehr als eine Sache für sich , von der nicht viel Wesens gemacht werden müsse , und alles , was von fern nach Fanatismus oder Verbreitungssucht schmeckte , war ihm im Grunde der Seele zuwider . Nun aber durfte er den , der immer ein nach den Begriffen der Kirche gottgefälliges Werk getan hatte , doch nicht dieserhalb schelten , und so blieb ihm denn weiter nichts übrig , als dem geschäftigen Priester mit scharfer Freundlichkeit zu eröffnen , daß er für seine weitere Beförderung Sorge tragen werde . Unter diesen Verdrießlichkeiten wurde ihm die Klage des Oheims behändigt , welche , lange vorbereitet , ihn vor den höchsten Gerichtshof der Provinz lud , über die Herrschaft , über seine Weiler und Vorwerke , Wiesen , Wälder , Teiche und Flüsse , Gemarkungen und Breiten zu Recht zu stehen . Abermals begann nun das Suchen nach dem verschwundenen Adelsbriefe der Ureltermutter , von welchem er und Wilhelmi das Schicksal dieses Streits abhängig glaubten . Kein Winkel der Bibliothek , des Archivs , der Registraturen blieb undurchforscht . Indessen waren diese Mühen vergebens . Er zog sich hierauf ebenfalls in die Einsamkeit seiner Zimmer zurück , und selbst die Hausoffizianten , welche zunächst mit ihm zu tun hatten , bekamen ihn nicht zu sehen . Fünfzehntes Kapitel Fünfzehntes Kapitel " Welche fremde Gewalt nimmt mich so ungestüm gefangen ! Man hat mir gesagt , es sei unsere Bestimmung , zu lieben und geliebt zu werden . Warum denn nun diese Bangigkeit , diese Angst ? Klopft der Blume auch so das Herz , wenn sie aus der schwachen , farblosen Knospe bricht ? Mir ist immer , als stände ich auf der schwindelerregenden Spitze eines hohen Turms , und selbst seine Nähe beruhigt mich nicht . " * " Ich bemühe mich oft , mir den Eindruck recht klar zu machen , den ich empfand , als ich dich zum ersten Male erblickte , Hermann ! Denn ich meine , wenn ich mir nur darüber Rechenschaft geben könnte , so müßte eine Rettung aus dieser Not sein . Aber es ist vergebens ; je mehr ich darüber nachsinne , desto undeutlicher fließt alles ineinander , bis du mir begegnest , wo denn in Tränen und Lust alles Grübeln weit wegflieht . " * " Warum hast du nicht Platz behalten , Gott , in dem Herzen , welches dir so ganz gehörte ? Warum erlaubtest du deinem Geschöpfe aus Staub , sich neben dir einzudrängen , und die reine Weihrauchwolke , die dort sich dir erhob , zu zerstreun ? " * " Dies ist die Sünde ! Nun weiß ich , was das schreckliche Wort bedeutet . Ich tue nichts Unrechtes , und doch bin ich verstimmt ; meine Gedanken mischen sich und erquicken mich nicht mehr , meine Seele nimmt verschiedene Stellungen an , und in keiner ist ihr wohl . Und doch ist , was ich erleide , nur ein gemeines Schicksal so vieler meines Geschlechts , warum werde ich denn nun dadurch so geplagt ? " * " Ich habe mir vorgenommen , ihn zu meiden , aber was hülfe mir das ? Bliebe nicht immer seine Schattengestalt in meiner Seele störend zurück ? Nein , ich muß versuchen , dies Fremde in mir innerlich zu überwinden , es in den Frieden , der mich sonst durchsäuselte , aufzulösen . Ich muß diese Liebe zur Tugend erheben . " * " Es ist so süß , so lieblich , was ich oft empfinde , wenn ich neben Hermann sitze , daß ich mitunter denke , alle diese Ängstigungen laufen wohl am Ende auf leere Selbstquälerei hinaus . Ich möchte ihn selbst gern zum Richter über unser Verhältnis machen , er sieht mir an , daß ich ihm etwas zu sagen habe , sein freundlicher Blick will mir Mut machen , das Wort schwebt mir auf der Lippe , dann riegelt mir eine unbezwingliche Gewalt den Mund zu . " Über den Blättern , welche diese und ähnliche geheime Ergießungen eines zart liebenden , mit sich zwiespältigen Gemüts enthielten , saß Hermann und las sie , wir wissen nicht , zum wievielsten Male ? Es waren diejenigen , welche der unbescheidene Vogel ihm in die Hände gespielt hatte . Das war die Hand der Herzogin , und sein Name stand hier in so gefährlicher Verbindung geschrieben ! " So ist es denn wahr ! " rief er . " So ist mir das Geheimnis ihres Betragens enthüllt ! So soll ich undankbar an meinem Gönner und Gastfreunde werden ! " Er schrieb mit Heftigkeit an Cornelien , warf ihr vor , daß sie ihm auf seine früheren Briefe nicht geantwortet habe , versicherte ihr seine ewige Liebe , und daß er trotz des Widerspruchs von Seiten des Oheims die Verbindung mit ihr werde zu bewirken wissen . In der Einsamkeit , welche nun zum Gegensatze der früheren Geschäftigkeit im Schlosse herrschte , war nichts , was ihn abzog . Er fühlte sich müßig , gepeinigt ; er wußte nicht , an welcher Handhabe er seine Tage anfassen sollte . Viele Stunden versaß er in den Zimmern des alten Herrn , zu denen er den Schlüssel behalten hatte . Nach dessen letztem Willen sollten sie unberührt bleiben , weil sie die Erinnerungen seines Lebens enthielten . Er selbst war dort in ganzer Figur gemalt , als Schäfer ; rings um dieses große Bildnis wimmelte es von kleineren in ovalem und vierecktem Format , aus welchen jugendlich schöne Gesichter als Nymphen , Diane , Jägerinnen , Armida und Griechinnen hervorsahen . Alle Tische und Schränke waren mit Kleinigkeiten von Holz , Porzellan , Glas , Bernstein , Perlemutter bedeckt , von denen das meiste seinen Ursprung als Andenken genußvoller Stunden nicht verleugnen konnte . Wilhelmi , der die Türe zu diesen Gemächern angelehnt gefunden hatte , trat ein , und fand seinen Freund gedankenvoll an einem Spiegeltische sitzen . " Du scheinst dich mit uns allen in der Stimmung zu befinden , welche die Perser Bidamag Buden nennen . Uns steckt ein Jammer gewisser Art in Kopf und Gliedern . Was mich betrifft , so hoffe ich ihn bald abzuschütteln , ich reise wahrscheinlich in nächster Woche , und nehme einen Teil meiner Sachen mit . Hast du etwas nach * zu bestellen ? " " Du bist mir ganz unerklärlich " , versetzte Hermann . " Willst du dort mit alten Vasen und Bildern die Rolle des vornehmen Antiquars spielen ? Sie werden dich anfangs mit schönen Worten füttern , und am Ende wirst du nicht wissen , in welcher Ecke du dich herumdrücken sollst . Was hast du vor ? " Wilhelmi machte eine geheimnisvolle Miene , legte den Finger auf den Mund und sagte : " St ! Ich nenne dir ein einziges Wort : Staat . Fassest du , was der Staat ist ? Ich habe darüber während meiner Verbannung nachgedacht . Du sollst weiter von mir hören . " Er wollte gehen . Hermann hielt ihn zurück , nahm eine Dose altfränkischen Ansehens vom Spiegeltische und sagte : " Weißt du , der du alle Antiquitäten kennst , was für eine Dose diese ist ? " Wilhelmi besah sie , und versetzte : " Es ist eine sogenannte Lorenzodose . Diese Dosen gehören mit zur Geschichte der Sentimentalitätsperiode . Du erinnerst dich , wie beredt-stumm der Franziskaner Lorenzo dem Yorick Sanftmut und Duldsamkeit Predigt , und wie sie darauf einen Dosentausch vornehmen . Diese Geschichte rührte die beiden Jakobis so , daß sie einen Orden der Humanität zu stiften beschlossen , dessen Patron jener Lorenzo sein sollte . Zum Ordenszeichen wurde die von Sterne beschriebene Horndose des Franziskaners erwählt . Daran wollten sich die Brüder erkennen . Hatte sich einer , wie man es damals nannte , inhuman betragen , so sollte die stumme Vorhaltung der Lorenzodose ihn an seine Pflichten erinnern . Gleim und andere Befreundete des Pempelforter Kreises waren die ersten Glieder dieser Verbindung , welche bald , durch die damalige Empfindelei begünstigt , eine große Ausdehnung gewann . Aber es währte nicht lange , so mußten sich die Begründer von ihr lossagen , die Lorenzodosen waren Gegenstand der Spekulation geworden ; ein Graf von Solms ließ sie , fabrikmäßig verfertigt , zu Tausenden in alle Welt ausgehen ; was denn zur Folge hatte , daß Müßiggänger , Landstreicher und Glücksjäger , die Dosen in der Hand und Tränen in den Augen , betteln , fechten , auch wohl prellen gingen . " " Du glaubst nicht , wie mich diese Dose erschreckt hat " , sagte Hermann . " Eben eine solche erinnre ich mich als Knabe unter den Sachen meines Vaters gesehen zu haben . " " Da finde ich nichts zum Erschrecken " , versetzte Wilhelmi . " Sie sind beide Lorenzobrüder gewesen . Sie gehören ja auch jener Zeit an . " Hermann klappte die Dose auf , zeigte seinem Freunde ein Bild , welches in das Inwendige des Deckels eingenietet war , und fragte , was er davon halte ? " Ein schönes Schwabenmädchen ! " antwortete Wilhelmi , nachdem er das Medaillon lange aufmerksam durch seine Gläser betrachtet hatte . " Es ist meine Mutter ! " rief Hermann . " Ich hätte sie erkannt , wenn der Name auch nicht Darrunterstände . Nun verstehe ich ihre Tränen , ihren geheimen Schmerz , des Grafen Heinrich Besuche bei meinen Eltern , seine Zärtlichkeit gegen mich . Sie ist seine Neigung gewesen , er hat der Freundschaft das heldenmütigste Opfer gebracht , und meine Mutter mag wohl im stillen während eines unerfreulichen Ehestandes bereut haben , dem anderen strengen verdrießlichen Manne gefolgt zu sein . " Sechzehntes Kapitel Sechzehntes Kapitel Im Garten traf mit ihm der Geistliche zusammen . Dieser Mann , welcher während der geräuschvollen Tage sich ganz zurückgezogen , und im stillen sein Werk getrieben hatte , trat , sobald jene Wellen verströmt waren , wieder hervor und suchte eifrig seine Gesellschaft . Er war Hermann seit der Szene auf der Anhöhe einigermaßen verdächtig , und dennoch konnte sich dieser von einem gewissen Anteil , den ihm das feine , schwärmerische Wesen des Priesters abnötigte , nicht ganz losmachen . Heute führte der letztere mit ihm ein leises tastendes Gespräch , welches sehr zart um den Kummer und die Unruhe unseres Freundes strich . Er wußte seine Teilnahme an dessen Verstimmung so freundlich zu äußeren , er vermaß sich so wenig der trockenen Redensarten , womit die Menschen in der Regel ein bedrücktes Herz nur noch schwerer machen , daß Hermann sich wirklich erleichtert fühlte . Zugleich ließ der Geistliche auf eine geschickte Weise einfließen , indem er vor Hermann die Augen niederschlug , daß er auch an der Herzogin sehr zu trösten habe . " Ja , ich bin unruhig und bedrängt " , versetzte Hermann . " Ich tue nichts Unrechtes und doch mischen sich meine Gedanken und erquicken mich nicht mehr " ; fügte er hinzu und errötete , weil er sich erinnerte , nur Worte der Blätter wiederholt zu haben , die seine Aufregung zum Teil verschuldeten . " Ich habe in meinem Amte oft Gelegenheit gehabt , wahrzunehmen , daß die Menschen in Beziehung auf das Böse sich in einem Grundirrtume befinden " ; sagte der Geistliche . " Der wäre ? " fragte Hermann . " Als sei es zu vermeiden , als müsse alle Kraft der Seele daran gesetzt werden , sich davor zu bewahren . " Hermann trat bestürzt zurück . " Sie werden " , fuhr der Geistliche ruhig fort , " nicht glauben , daß ein Diener Gottes sich zum Apologeten der Sünde aufwerfe . Aber sie ist einmal da , durch die heilige unbegreifliche Zulassung des Höchsten . Sie ist so wirklich , so ewig und ursprünglich , wie das Gute . Jeder Mensch muß dieses Messer in seiner Seele fühlen , wodurch sie erschüttert , gelockert , und zum Brautbette der himmlischen Liebe bereitet wird . Gott will nicht die Rechtfertigen , er will die Reuigen . Dieses Finstere als etwas Zufälliges zu behandeln , zu meinen , daß man den Einzug des unwiderstehlichen Feindes durch Gegenwehr verhindern könne , ist ein bodenloser Wahn . Es ist nicht wahr , daß er die Seele zerstört , nur das Irdische , Nichtige in ihr frißt der glühende Atem seines Mundes , dann ersteht , vom Regen der Bußetränen befeuchtet , in der warmen Asche die grüne Saat des Glaubens und der Hoffnung . Sind aber die Kräfte in dem nichtigen Kampfe gegen das Übermächtige vergeudet , erfolgt dann doch der Fall , so möchte in einem so ausgesogenen Boden schwerlich wieder etwas keimen und reifen können , und es bliebe dann wohl nur die dumpfe Gleichgültigkeit übrig , woraus zuletzt die Fertigkeit im Laster entsteht . Darum lehrt auch meine Kirche , welche in allen Stücken die von den Toren verspottete Königin der Weisheit ist , nicht : Hüte dich vor dem Bösen ; sondern : Glaube an den allbarmherzigen Gott , an den Erlösungstod , an die Fürbitte der Heiligen , an die Unnachsichtlichkeit der Beichtpflicht , an die reinigenden Flammen des Fegfeuers . Es gibt Neigungen , die verboten sind . Süße Lippen und Augen locken ; in den Armen des versagten teuren Gegenstandes liegt eine Welt , außer der es für den Liebenden keine zweite gibt . Ich habe nun immer gefunden , daß diejenigen sich gründlicher von einer Verirrung herstellten , welche gefallen waren und mit herzlicher Zerknirschung sich der strafenden und verzeihenden Mutter in den Schoß warfen , als die , welche sich in innerlichen Kämpfen und Krämpfen abarbeiteten , denen tantalische Schatten und die Stacheln nicht gebüßter Leidenschaften in der Seele zurückblieben . O auch hier ist dem , der nur sehen will , der Weg gewiesen , auch hier wallt die sanfte Friedensfahne dem so milde entgegen , der nur nicht in eigensinniger Verstocktheit von der Dürre des Protestantismus saftige Frucht gewinnen , von den Dornen die Feigen lesen will ! Ja , mein Freund ... " Ein Lakai der Herzogin kam und unterbrach diese Rede , nach Hermann fragend . Er ging , im Innersten empört über die frevelhaften Reden des Priesters , und wurde nach dem Garten-Lesekabinette gewiesen . Die Fürstin empfing ihn trauig und leidend . " Das kleine Zimmer ist noch so lieblich , wie sonst " , sagte sie . " Da liegen meine guten Bücher , draußen blühen die Staudenrosen , die Büsten der Dichter sehen von ihren Postamenten herab . Und doch schwankt der Grund unter uns , und die Welt blickt mich verschwommen an , wie ein Traum . Wenn man uns von Haus und Hof triebe ! Ich weiß alles ; der Herzog hat seinen Kummer nicht länger bemeistern können . Wie ist das ? Sagen Sie mir_es ; ich begreife die ganze Sache nicht . Warum sollen wir nicht bleiben können , wo unsere Voreltern waren ? " Hermann wollte einige beruhigende Worte reden ; sie unterbrach ihn aber und sagte mit erstickter Stimme : " Gott sendet uns die Trübsale , er gebe uns die Kraft , sie zu ertragen . Ich ließ Sie rufen , um Ihnen etwas zu sagen , was mir lange auf der Seele lastet , und nun fehlt mir wieder aller Mut . Sie müssen es wissen , vielleicht ist es mir morgen möglich ; kommen Sie um diese Stunde wieder , aber dann reisen Sie gleich , gleich ! " Ihre schönen Hände ergriffen die seinigen . Halb zog sie ihn nach sich , halb drückte sie ihn zurück . Es war ihm , als öffne sich der Boden unter seinen Füßen , ein wonnevoller Schauder flog ihm durch die Glieder . Er war aus dem Kabinette , und wußte nicht wie ? Auf dem Gange nach seinem Zimmer wollte ihm der Geistliche , der auf ihn gewartet zu haben schien , wieder seine Gesellschaft antragen , die Hermann aber ablehnte . Er riegelte hinter sich zu , und ging mit großen Schritten auf und nieder . " Ja , sie liebt mich ! " rief er einmal über das andere aus . Er beklagte diese Verwicklung , er wünschte sich weit hinweg . Keinen Blick wollte er wieder in die gefährlichen Tagebuchblätter werfen , und als er den Entschluß recht fest gefaßt zu haben meinte , nahm er sie doch wieder vor , und las sie noch einmal . Unten am Fuße der letzten Seite bemerkte er heute zum ersten Male die gebräuchlichen Anfangsbuchstaben der Bitte , umzuschlagen . Er tat es , und sah auf der Rückseite etwas von anderer Hand geschrieben , aber mit so blasser Tinte , daß er es bei dem Lichte seiner Abendkerze auf dem gefärbten Papiere nicht zu lesen vermochte . Im Widerstreite seiner Empfindungen , zwischen Wollen und Nichtwollen hin und her geschleudert , ermannte sich seine Natur plötzlich wie durch einen Ruck zu einem moralischen Vorsatze , durch dessen Ausführung er sich und einer zweiten Person den rechten Weg zu weisen , die Pflicht empfand . Er eilte nach dem Gartenkabinette , schlug sich dort Licht an , und schrieb bis spät in die Nacht , unter der Büste Schillers sitzend , welche schon einmal Zeugin einer edlen Entschließung geworden war , Stanzen nieder , von leeren Inhalte wir im folgenden Kapitel zu reden haben werden . Siebenzehnte Kapitel Siebenzehnte Kapitel Anderen Tages ließ ihn der Herzog rufen . Auch diesen fand er verwandelt , blaß und abgespannt . " Ich habe Ihnen etwas zu eröffnen und Sie um eine Gefälligkeit zu bitten " , hob der Fürst an . " Der Anspruch Ihres Oheims ist Ihnen bekannt , der entscheidende Adelsbrief meiner Urgroßmutter bleibt verborgen ; ich habe mit verschiedenen Rechtsfreunden wegen dieser Angelegenheit Rücksprache genommen ; sie meinen , der tollste , widersinnigste Ausgang des Streites sei bei der jetzigen Verwirrung der Begriffe nicht undenkbar . Werde ich vom Schlosse meiner Väter getrieben , so bin ich vernichtet . Andere verhärten sich dem Unglück gegenüber , und werfen stolz den Nacken empor . Ich bin nicht so stark ; der schreckliche Gedanke hat mich gebeugt , ich habe ein Vorgefühl , wie das eines Sterbenden . Empfangen Sie in diesen Geständnissen den Beweis meines vollen Zutrauens . Ich wünsche das Unrecht , welches ich etwa zugefügt , gutzumachen , und für den Fall , daß ich aus Glanz und Macht abzuscheiden bestimmt bin , nur versöhnte Herzen hinter mir zurückzulassen . Ich habe um eine Kleinigkeit , um eine Grille , wenn Sie wollen , die Entfernung eines treuen bewährten Dieners zugegeben , auch nach seiner Rückkehr merke ich wohl , daß sein Gemüt verletzt geblieben ist , ich sehe , daß er auf andere Lebenswege sinnt . Er tue , was er will , ich werde ihn in seiner Laufbahn nicht hindern , aber er nehme , wenn er geht , das Gefühl mit , daß ich nicht schlimm war und nachzugeben verstanden habe . Empfangen Sie hiermit den Hauptschlüssel , der auch die Türe des Archivs öffnet , lassen Sie den Schrank , welcher unseren Hader veranlaßte , aus dem Gewölbe irgendwohin bringen , wo er nicht im Wege steht , sagen Sie dann Wilhelmi , daß die Stelle frei geworden sei , und daß er dort die Umänderungen vornehmen möge , welche ihm belieben . " Der Fürst hatte dieses alles so niedergeschlagen und doch so edel gesprochen , daß Hermann , trotz der Geringfügigkeit des Gegenstandes , um den es sich hier handelte , eine innige Rührung empfand . Mehr um etwas zu sagen , als weil ihm daran gelegen gewesen wäre , es zu erfahren , fragte er den Herzog bescheiden , warum er überhaupt einen so großen Wert auf den unverrückten Stand jenes Schrankes gelegt habe . " Ich hatte dazu einen allgemeinen und einen besonderen Grund " , versetzte der Fürst . " Wilhelmi ist die eigenste Zusammensetzung von Pedanterie und unruhiger Neuerungssucht . Wie er die Sachen stellt und legt , so müssen sie stehen und liegen bleiben , und wehe dem Sonnenstäubchen , welches sich unterfinge , störend dazwischen zu kräuseln ! Aber dann fällt ihm auf einmal selbst ein , alles umzukramen , und die neue Einrichtung wird nun , bis sich eine dritte Laune meldet , ebenso streng , wie die frühere gehalten . Ich fürchte , wenn er den Schrank erst aus dem Archive weg hat , so wird ihm das Archiv selbst bald nicht mehr gerecht sein , er fordert dann von mir wohl einen anderen Raum , und ich habe wieder Verdruß mit ihm . Darum bestand ich auf meinem Willen wegen dieses Schrankes , welcher mir aber auch insonderheit als ein altes schön ausgelegtes Stück lieb und wert war . Nun weiß man wohl , wie es mit solchen vorzeitigen Dingen sich verhält . Sie werden ihn schwerlich unzertrümmert aus dem Gewölbe bringen ; ich habe gesehen , daß die Würmer ihr Werk an ihm getan haben . Mein Großvater ließ ihn , als die Franzosen in den neunziger Jahren heranrückten , in das Archiv schaffen . Der Feind kam , es gab eine furchtbare widerwärtige Nacht , die dem Greise einen Schlagfluß zuzog . Mein Vater war auf Reisen abwesend , mich hatte der Großvater um sich , ich tat ihm alles zu Sinne und war ihm besonders lieb . Nun ist mir der Augenblick immer gegenwärtig geblieben , wie er sich mit gelähmter Zunge und starr gewordenen Händen von mir in das Archiv führen ließ . Er deutete auf den Schrank ; er umfaßte ihn mit sonderbarer Gebärde , er wollte mir etwas vertrauen , was so gleichwohl sein Mund nicht mehr auszusprechen , seine Hand nicht mehr niederzuschreiben wußte . Bald darauf starb er . Mir aber hat die kindische Erinnerung nicht schwinden wollen , und sie mag denn wohl auch mitgewirkt haben , mich zu bestimmen , daß das altväterische Behältnis nicht von dem Platze gerückt werden sollte , welchen ihm der Großvater offenbar aus Sorge für seine Erhaltung vor der zerstörenden Hand des Feindes angewiesen hatte . Sehr traurig , daß ihn der Tod damals überraschte ; viel bares Geld , welches notwendig bei seinem Absterben vorhanden sein mußte , war verschwunden ; er hat es wahrscheinlich irgendwo für immer den Augen entzogen . So bin ich auch im stillen überzeugt , daß er die Urkunde , welche uns jetzt retten konnte , zum Unheil seiner Nachkommen damals versteckt hat . Doch dies führt uns von der Sache ab , die Sie so bald als möglich ins Werk richten wollen . " Hermann ging in den Marstall und ließ das Pferd satteln , welches ihm der Herzog zur Erkenntlichkeit für seine Bemühungen geschenkt hatte . Heute wollte er aus dem Schlosse scheiden , wo ihm so manches begegnet war . Die Stunde rückte heran , die ihm die Herzogin zur letzten Unterredung gönnen wollte . Mit klopfendem Herzen überlegte er sein Verhalten . Er hatte unter der Büste von Schiller einige Stanzen gedichtet , die aus der tugendhaftesten Regung hervorgegangen waren . Mit großer Wärme schilderten sie eine leidenschaftliche Situation , gingen dann zu einer Apostrophe an die Heiligkeit der Pflicht über , und schlossen mit schwunghaften Zeilen , welche eine begeisterte Entsagung predigten . Er hatte sie , reinlich abgeschrieben , auf das Postament der Büste gelegt , wollte nur kurze Worte des Abschieds zur Herzogin reden , jedem Gespräche mit ihr vorbeugen , und stumm auf die Verse deuten , in welchen sie seine Gesinnung , und was ihnen beiden Not tue , lesen sollte . Es setzte ihn in nicht geringe Verlegenheit , und störte seinen ganzen Plan , daß er beim Eintreten die Herzogin schon beschäftigt sah , seine Stanzen zu lesen . " Ich habe da zufällig etwas von Ihrer Hand gefunden , was ja auch wohl kein Geheimnis sein soll " , sagte sie unbefangen . " Es sind recht hübsche Verse , aber so allgemein , daß ich vergebens nach irgendeinem Bezuge geforscht habe . Das ist mir immer das Unbegreiflichste an der Poesie gewesen , daß sie , was wir anderen mit blutendem Herzen empfinden , wieder in ein leichtes Spiel auflöset , wobei der Dichter kaum etwas fühlt , wenigstens nicht in unserem Sinne . Möchte ich doch auch mit schweren Dingen so leicht scherzen können . Setzen Sie sich , mein Freund , so darf ich Sie nennen ; wir sind eine geraume Zeit vertraulich nebeneinander hergegangen . Lassen Sie mich zum letzten Male Ihre Wirtin sein , und sehen Sie mich nicht an , ich bin auch gegen Sie in Schuld . " Sie bereitete ihm hierauf in einer zierlichen silbernen Schale Erdbeeren mit Zucker . Er sah zerstreut dem anmutigen Spiele der schönen Finger zu , und aß , um nur etwas vorzunehmen , denn er war in großer Verlegenheit . " Als Sie in das Schloß kamen " , fuhr die Herzogin fort , " hätte ich Sie anfangs gern entfernt gesehen . Da ich Sie aber näher kennenlernte , segnete ich mein Geschick , welches mir in Ihnen den Helfer gesendet zu haben schien . Ich vertraue Ihnen ein Unglück unseres Hauses . Ein Frevel an Sitte und Gebrauch ist hier geschehen . Ich fühlte mich berufen , die verletzte Würde der Familie wiederherzustellen , und doch war ich zu schwach ; ich bedurfte eines männlichen Arms . Diesen werden Sie mir leihen , wie ich hoffe . " Sie erzählte ihm hierauf mit errötenden Wangen die Geschichte von Johanna und Medon , legte den Brief , dessen wir uns aus einem der vorigen Bücher erinnern , auf den Tisch , und sagte ihm den Inhalt desselben , daß er nämlich den Versuch enthalte , die Irregeführte auf die rechte Bahn zurückzuleiten . Er wußte durchaus nicht zu erraten , wohin das alles zielte , hörte es jedoch nun sogleich . " Wer sollte mein Bote an die Unglückliche sein ? " sagte die Herzogin . " Nur ein zarter , feiner , kluger Mann war imstande , dieses Geschäft zu vollführen . Der Arzt ist hier durch seinen Beruf gefesselt ; Wilhelmi hätte alles durch Laune und trübes Wesen verdorben . In Ihnen sah ich die Eigenschaften , die den Freunden fehlten ; Sie erkor ich im stillen zu dem Dienste , welcher der wichtigste ist , der dem Herzoge und mir geleistet werden kann . Ich hätte Ihnen nun offen mich und die Sache entdecken sollen . Aber nach Frauenart tat ich das nicht , ich liebte es , mich auf Umwegen dem Ziele zu nahen . Ich wollte Sie erst recht tief ergründen , prüfen , ausforschen . Ich suchte jede Gelegenheit , mit Ihnen unter vier Augen zu sein . Wissen Sie , Lieber , daß Walter Scott und das Englische für Lucie mir eigentlich wenig am Herzen lagen , als ich Sie zum Korrektor meiner Übersetzung und zum Lehrer des jungen Kindes ernannte . Diese Dinge sollten nur den Faden spinnen , an dem ich Sie zu meinen Zwecken festhielt . Jeden Tag wollte ich meine Lippen öffnen , und verschob es dann doch wieder . Ich bin Ihnen gewiß oft mit meiner Verlegenheit und Unruhe rätselhaft erschienen . Als Sie abreisten , empfand ich die größte Not . Nun mußte gesprochen werden ; doch ich vernahm , daß Sie wiederkehren würden , und schwieg abermals . Wie durch einen bösen Dämon wurde ich darauf in den Feststrudel getrieben . Ich vergaß die so ernste Pflicht . Ernüchtert , bin ich von meinem Gewissen hart gescholten worden über das Vergessen , über den Leichtsinn , auch über das heimliche und künstliche Betragen gegen Sie . " Sie erhob sich . " Wollen Sie nach dieser Beichte einer Sünderin vergeben ? " sagte sie , liebenswürdig , wie nie . " Darf ich diesen Brief noch in Ihre Hände legen ? Werden Sie ihn nach der Residenz tragen , sagen , was er nicht ausspricht , handeln , vermitteln , leise , schonend , wie ich es an Ihnen kenne ? Ich bitte Sie darum , machen Sie es mir möglich , daß ich mich als die treue , die helfende Gattin des Herzogs erweise , bringen Sie uns seine verleitete Schwester heim . " Er empfing den Brief , bejahte nicht , verneinte nicht . " Was ist das ? " sagte er draußen . " Nur eine Absicht war alles ? Aber das Tagebuch ! Das Tagebuch ! " Er nahm abermals die Blätter in die Hand . Zum ersten Male fiel ihm auf , daß das Papier etwas ausgebleicht war , wie von langem Liegen . Hastig blickte er nach der letzten Seite , wo das geschrieben stand , was er bis dahin immer übersehn hatte . Es war eine so unleserlich kleine Hand , und so blasse Tinte , daß es auch jetzt am Tageslichte ihm schwer wurde , den Inhalt zu entziffern . Doch gelang es ihm endlich . Wer schildert seine Bestürzung , als er folgende Zeilen in französischer Sprache abgefaßt , lesen mußte : " Ich bin , meine Ulrike in ihrem Zimmer erwartend , über ihr Tagebuch geraten . Vergib mir , Geliebte ! Alles , was von Deiner Hand ausgeht , übt eine magnetische Gewalt über mich ; unwiderstehlich zog es mich ; ich mußte in den Bekenntnissen Deines unschuldigen Herzens blättern . Mein Närrchen ! Was für seltsame Sorgen machst Du Dir über unser Verhältnis , auf welches der Segen der Eltern und die Gnade aller Heiligen , mit denen Du so vertraut umgehst , herniederträuft ! Also den lieben Gott habe ich bei Dir so etwas verdrängt ? Nun sieh , das könnte einem bescheidenen Bräutigam fast den Kopf verrücken . Laß es gut sein ; er ist groß , und größer , als wir denken . Er kennt keine Eifersucht . Weißt Du den Spruch nicht , daß der Künstler sich am meisten geehrt fühlt , wenn man seiner bei dem Werke vergißt ? Teuerste , schaffe Dir besseres Schreibzeug an . Diese Tinte ist unglaublich flüssig , und Deine Federchen sind viel zu zart für meine rauhe Hand . Nun schiebe ich das Blättchen mit diesem Postskript wieder unter die übrigen . Du wirst es finden , böse werden , ich werde reuig tun , Du wirst großmütig verzeihn , und zuletzt ... ? Hermann . " Nach diesem wurde unserem Freunde alles zum Schrecken klar . Er erinnerte sich aus dem genealogischen Kalender , was er zwar immer gewußt , aber seither nicht bedacht hatte , daß auch der Herzog Hermann hieß . Nicht also eine in sich selbst entzweite Frau , sondern eine junge devote Braut hatte in den geraubten Blättern ihre Gewissensbedenken niedergeschrieben , an denen er völlig unschuldig war . Die erhabenen Stanzen waren also auch ohne Not unter Schillers Büste abgefaßt worden . Achtzehntes Kapitel Achtzehntes Kapitel Glühend vor Scham und Erbitterung ging er auf und nieder . Es wollte ihn durchaus nicht trösten , daß die Herzogin sich kalt , getreu und fehlerfrei erwies . " Also immer nur Berechnung ! " rief er schluchzend aus . " Und ich das Werkzeug , zum Dienen , Lasttragen und Briefbestellen gut genug ! " Er war eben dabei , das empfangene Schreiben in einem höflich das Geschäft ablehnenden Billetts einzusiegeln , als es an seiner Türe klopfte . Es waren die Arbeitsleute , welche er bestellt hatte , um den Schrank aus dem Archive zu schaffen . " Zum letzten Male denn getagelöhnert ! " murmelte er ingrimmig . Er ging mit den Leuten nach dem Gewölbe , und befahl ihnen , hurtig zu sein , er müsse gleich fort . Drinnen setzte er sich zwischen den bestäubten Urkunden nieder und sagte : " Diese Bogen haben ihnen ein ledernes und papiernes Dasein geschaffen , in welchem kein Blut zirkuliert . Man muß ihnen vergeben , denn sie sind selbst am unglücklichsten daran . " Die Arbeiter hatten unterdessen ihr Werk mit Eifer angegriffen . Ob es die Wirkung des letzteren war , oder ob das alte Holzgebäude wirklich das Ziel seiner Dauer erreicht hatte ; genug , die Worte des Herzogs gingen in Erfüllung . Der Schrank knackte , sobald er gerückt wurde , krachte und fiel in sich zusammen . Eine Wolke von Staub und Wurmmehl stieg aus den zerfreßenen Trümmern . Die Arbeiter sahen Hermann bestürzt an . " Ist es doch , als ob ein Feudalthron einstürzt " , sagte Hermann . " Frisch , ihr Leute vom dritten Stande , die ihr gar nicht die Absicht hattet , ihn zu zertrümmern , sondern ihn nur so ein wenig beiseite bringen wolltet , tragt die Stücke hinaus ! " Die Arbeiter beluden sich damit und gingen . Einer sagte : " Da ist eine Türe hinter dem Schranke . " Hermann trat zu der Stätte und scharrte mit dem Fuße in dem liegengebliebenen Staube . Dann fiel sein Blick auf die Türe , welche der alte Schrank verdeckt hatte . Ohne etwas dabei zu denken , zog er an ihr , sie gab nach , und eine tiefe gemauerte Nische in der Wand wurde sichtbar . Er sah , daß sich Gegenstände darin befanden , die er bei dem Dämmerlichte , welches im Archive herrschte , nicht unterscheiden konnte . Er griff hinein und fühlte an große , gereiht aufgesetzte Geldbeutel , so schwer , daß er sie kaum zu heben vermochte . Erschrocken zog er die Hand zurück . Ihm flog durch den Sinn , was der Herzog von dem Fehlen des baren Geldes bei dem Tode des Ahnherrn gesagt hatte . " Großer Gott ! Wo das gesteckt hat , kann mehr sein ! " rief er überlaut . Er ging umher , und suchte sich zu sammeln , seine Brust keuchte vor Erwartung . Er hauchte auf sein Tuch , und drückte es an die Augen , die doch nicht weinten . Er bat Gott , daß ihm die allerhöchste Freude seines Lebens nicht wie ein Schatten vorüberschweben möge . Hierauf streckte er den Arm , schaudernd , als sollte er die Hand zur Feuerprobe auf glühendes Eisen legen , über die Geldsäcke hinweg in die Tiefe der Nische , und zog eine Saffiankapsel hervor , ganz mit Schimmel bedeckt . Er öffnete sie , ein kostbar eingebundenes Pergament lag darin , an welchem das große Reichswappen in goldener Umschließung , durch schwarze und gelbe Schnüre festgehalten , hing . Sein Entzücken war grenzenlos . Er las , so gut er in dieser Verfassung lesen konnte , daß der Kaiser der Maria Sibylla Freundsberg - nicht den Adel gebe , - sondern den in ihrer Familie längst bestandenen , nur in Abnahme gekommenen , lediglich erneuere . Es war die vermißte , schmerzlich gesuchte Urkunde , der Adelsbrief der Ahnfrau , welcher bewies , daß das regierende Geschlecht mit gutem Fug hier waltete , daß kein Vetter ein besseres Recht als jenes gehabt , und ein solches daher auch nun und nimmermehr auf einen Dritten hatte übertragen können . Fürsorglich hatte der Großvater das teuerste Besitztum nebst seinem Gelde hierher vor dem herandringenden Feinde geflüchtet , und den großen Schrank als verbergende Schutzwehr vor die Nische schieben lassen . Stummheit und Tod des Alten hatten das Geheimnis leider auf dreißig Jahre hin bewahrt . Jauchzend flog Hermann aus dem Archiv , dessen Türe weit offengelassen wurde , und stürmte , den Adelsbrief wie eine Fahne schwingend , durch die Gänge nach den Zimmern der Herzogin . Unangemeldet trat er ein , und hielt ihr , die erschreckt zurückwich , die Urkunde entgegen . " Die Not ist vorüber , Sie sind gerettet ! " rief er . Der Herzog kam ; das laute Reden hatte ihn herbeigezogen . Schweigend reichte ihm Hermann die Urkunde . Der Herzog überblickte sie , wechselte die Farbe , drückte das Pergament an seine Brust , brach in Tränen aus , und sagte seiner Gemahlin mit stammelnden Worten den Zusammenhäng der Sache . Ihr Antlitz verklärte sich , auch sie begann zu weinen . Sie sank zwischen den Männern auf die Knie , faltete die Hände , und ihre lieblichen tränenleuchtenden Blicke erhoben sich bald zum Himmel , bald ruhten sie auf ihrem Gemahle , bald auf Hermann . Dieser stand froh und stolz da , seine Gestalt schien größer geworden zu sein , ein süßes Vergnügen strömte durch seine Brust , er kam sich wie ein wiedergeborenes Kind vor . Unbefangen legte er seine Hand auf das Haupt der Herzogin und sagte : " Der Zufall lauert unseren Torheiten auf und erniedrigt uns in ihnen . Aber dann wird auch gleich wieder dafür ge sorgt , daß wir nicht zugrunde gehen , daß wir uns selbst finden und fühlen lernen . Ich erfahre es heute . Nun , nach dieser Wendung bin ich imstande , Ihren Auftrag zu besorgen meine verehrte Fürstin . Ich will versuchen , auch von dieser Seite Ihre Kümmernisse zu zerstreun . " Fünftes Buch . Die Demagogen Erstes Kapitel Erstes Kapitel Dem Herausgeber dieser Geschichten ist es zuweilen begegnet , daß gute Freunde oder Bekannte , welche er in geraumer Zeit nicht gesehen hatte , und welche ihn nachmals mit einem unerwarteten Besuche überraschen wollten , diese Überraschung auf doppelte Weise bewerkstelligten , nämlich auch durch eine verwandelte Persönlichkeit . Nicht selten geschah es , daß der Leichtsinnige ernst , der Muntere schwerfällig , der Rührige bequem geworden war . Da wir aber dergleichen Änderungen uns nicht vorzustellen vermögen , vielmehr die Menschen in unseren Gedanken immer bleiben , was sie gewesen sind , so geht es bei derartigen plötzlichen Begegnungen nie ohne ein unangenehmes Gefühl ab . Um dem Leser der vorliegenden Denkwürdigkeiten jenes unangenehme Gefühl zu ersparen , müssen wir jetzt ankündigen , daß eine Person , die im Beginne unserer Erzählung flüchtig vorüberstreifte , nunmehr den Boden derselben in verwandelter Gestalt wieder betritt . Man wird sich noch des Freundes von Hermann erinnern , des Philhellenen , welcher ihn über seine unentschiedene Gesinnung einigermaßen mitnahm , und voll Tatendrang von ihm schied . Dieser junge Mann kam wirklich mit dem Gelde Hermanns bis nach München , wo er noch Empfehlungsbriefe mitnehmen wollte , bereit , sein Blut für Hellas zu verspritzen . Dort erkundigte er sich nach dem Mädchen , welche eine Zeitlang Hermanns Herz besessen hatte , um ihr die ihm vertrauten Liebespfänder einzuhändigen . Sie empfing ihn als Freund ihres Freundes , und er ging vom ersten Tage an zu allen Stunden im Hause aus und ein . Denn durch ein Zusammentreffen der Umstände mußte es sich fügen , daß er auch mit ihrem Vater gleich vertraut werden konnte . Dieser , ein wohlhabender Mann , besaß ein großes Brauhaus . Er war , sobald sich dort die Vereinigungen zugunsten der unglücklichen Griechen zu bilden begannen , einer derselben als eifriges Mitglied beigetreten . Vielleicht handelte er hierin nicht ganz ohne Eigennutz ; man sagt , er habe in Erwägung gezogen , daß so viele an das landübliche Getränk Gewöhnte nach jenen fernen Gegenden auswanderten , und im stillen beabsichtigt , eine Niederlage seines Produktes nahe bei Athen anzulegen . Zu diesem Manne hielt sich der Philhellene , der jenem durch sein entschiedenes , feuriges Wesen , und die Gabe ausdrucksvoller Rede ungemein gefiel . Die Gönner , welche dem Wanderer behilflich sein sollten , waren verreiset ; der Münchner Aufenthalt zog sich in die Länge . Unerwartet , aber sehr willkommen , tat sein neuer Freund ihm den Vorschlag , bei ihm Quartier zu empfangen ; welches dankbar angenommen wurde . Sie unterhielten sich nun , sooft es die Geschäfte des Hausherrn erlaubten , von nichts als von ihren Planen für die Herstellung und Beglückung des den Türken abzunehmenden Landes . Die Zwischenzeiten füllten Gespräche mit Fränzchen aus . Dieses gute , muntere , hübsche Kind hatte doch im stillen einige Tränen vergossen , als Hermann aus Scherz Ernst machte , und ihr die Andenken zurücksandte . In solchen Stimmungen sind die Frauenzimmer bekanntlich am geneigtesten , einer neuen Empfindung Gehör zu geben . Sie bemerkte daher nicht so bald , daß die Blicke des Philhellenen ihr zu folgen anfingen , als die ihrigen die Gefälligkeit bezeigten , sich finden zu lassen . Den Herzen , die zueinander strebten , folgten binnen kurzem die Hände und die Lippen , und mit dem feierlichen Schwure von Seiten des Liebhabers , daß sie sein zukünftiges Eigentum am Öta als Hausfrau schmücken solle , wurde der Bund geschlossen . Nun begannen für den Philhellenen Tage , die , wie er zu Franzisken sagte , ihm eine neue Welt öffneten . Er liebte nach seiner Versicherung jetzt die ganze Menschheit ; er schwärmte mit dem Vater und koste mit der Tochter . In dieser Empfindung habe sich erst seine ganze Manneswürde entwickelt , rief er hundertmal des Tages aus . Auch wenn der Vater schon zur Ruhe gegangen war , blieb er noch bei Fränzchen , wo sich denn ihre gegenseitigen Empfindungen nicht selten so steigerten , daß Worte denselben unmöglich mehr genügen konnten . Aber aus den Freuden dieser Abende entsprang eine natürliche Folge , worüber der Philhellene so erschrak , daß er , als Fränzchen sie ihm mit trauriger Miene zuflüsterte , wie vom Donner gerührt , dastand . Denn er , versenkt in seine großen Ideen von Menschenwohl und Volksbefreiung , hatte gewiß niemals an einen so alltäglichen Ausgang gedacht . Er lief zwei Tage hindurch wie ein Verzweifelnder umher , dann fiel er dem Brauherrn zu Füßen und gestand seine Schuld . Der Alte wurde braun vor Zorn , und drohte mit einer unanständigen Bezeichnung , beiden Arme und Beine entzweizuschlagen . Da aber geschehene Dinge nicht zu ändern sind , der Übeltäter seine Neigung besaß , und der Jammer des Mädchens gar gewaltig zum Vaterherzen sprach , so konnte er die Vergebung nicht zurückhalten , die er denn unter der Bedingung erteilte , daß wer für den Balg gesorgt habe , nun auch für den Papp sorgen solle . Dieses war gerade , wofür die Seele des Philhellenen seit der unglückseligen Entdeckung brannte . Sein neuer Stand hatte in ihm das Bewußtsein neuer Pflichten erzeugt . In allen braven heldenhaften Studenten , Kandidaten und Privatdozenten ist es eigentlich nur der Philister , der innerlich juckt , und hinauswill , was denn auch bald zu geschehen pflegt , während an Universitäten und Akademien so arme , kümmerliche übersehne Gesellen umherschleichen , aus denen nachher die Genies und Lichter der Welt werden . Im Philhellenen hatte die Katastrophe den Philister mit Macht herausgeschlagen , der bei einem ruhigeren Gange der Dinge vielleicht längerer Zeit bedurft hätte , um sich zur vollständigen Blüte zu entfalten . Er empfand sich als angehenden Vater und Gatten , verspürte eine wahre Begeisterung für den Broterwerb , zerriß die Bilder der Pallikaren und die neugriechischen Volkslieder , welche er bei sich führte , und dachte nur daran , wie er ein Ämtchen erringen solle , wovon er sich und Fränzchen nähren könne . So war er durch die Natur dem Vaterlande und der Bürgerlichkeit gewonnen worden . Sein zukünftiger Schwiegervater kannte den Legationssekretär einer auswärtigen Macht , welcher gern Bier trank . Dieser empfahl ihn einem Legationsrate , der Legationsrat dem Gesandten . Vom Gesandten schwang sich die Kette der Empfehlungen wieder abwärts bis zu einem Polizeichef in einer bedeutenden norddeutschen Stadt . Wie von da die Kanäle weiter geflossen , ist unbekannt geblieben ; das Ende der Sache war aber , daß man dem Philhellenen erlaubte , im Polizeifache , welches immer frische , rüstige Leute erfordert , zu arbeiten . Kaum waren einige Monate vergangen , als man ihn , der einen unglaublichen Diensteifer an den Tag legte , zum Polizeikommissarius in einem Ackerstädtchen zwischen Hessen und Westfalen ernannte . Er führte Fränzchen , sobald er dieser besoldeten Würde sich erfreute , heim . Sie genas kurz darauf von ihrer Bürde . Nie hatte die Gegend einen tätigeren Beamten gesehen . Die Kraft , welche sonst weit über Berge und Ströme hinausgeschweift war , lenkte sich jetzt ganz auf Vertilgung des Diebes- und Bettelgesindels , von welchem es dort , der schlechten bisherigen Aufsicht wegen , wimmelte . Vor ihm war kein Gauner sicher , kein Vagabunde konnte mehr in Ruhe hinter der Hecke seinen Bissen verzehren ; er lebte fast mehr in verdächtigen Häusern , als in seinem eigenen . Wirklich hatte er sich schon Verdienste um den Bezirk erworben und die Aufmerksamkeit der Oberen sich zugelenkt . Gerade um die Zeit , von welcher wir jetzt reden , geschah die Entdeckung neuer demagogischer Umtriebe ; man war dem Bunde der Jungen hart auf die Spur gekommen . Zugleich hatte man in Erfahrung gebracht , daß ein Schwarm junger Hochverräter nach dem Landstriche , in welchem unser verwandelter Schwärmer hantierte , ziehe , um da herum seinen Frevelsabbat zu halten . Der Polizeikommissarius empfing einen geheimen Auftrag von höchster Stelle . Er war gemessen , ehrenvoll , über die engen Amtsgrenzen hinausreichend . Welch ein Sporn für seinen jetzigen Trieb ! Er wurde etwas tiefsinnig , man sah ihn viel durch Feld und Wald schweifen , seiner Gattin antwortete er kaum noch auf ihre Anreden . Er brachte in größter Heimlichkeit Gefängnisse , Arm- und Beinschellen in Ordnung . Den Gendarmen und niederen Agenten gab er Befehle und Winke , welche diese nicht immer verstanden . Er aß nichts und trank wenig . Seine Nächte waren unruhig . Er flehte Gott an , daß er ihm die Demagogen in das Netz führen möge . Zweites Kapitel Zweites Kapitel Indessen näherte sich Hermann , auf seinem geschenkten Roßlein kleine Tagereisen mit Behaglichkeit machend , dem mittleren Deutschland . Die letzte glückliche Entdeckung hatte ihn unglaublich erfreut ; er wollte nun so recht in Stille und Muße sich und die Welt genießen . Er liebte es , in abgelegenen Höfen und Weilern einzukehren , die Städte vermied er , wo er konnte . Zwei Pistolenhulfter , welche am Sattel befestigt waren , hatte er bald ihres kriegerischen Inhaltes entledigt , und sie dafür mit einer Korbflasche , sowie mit kalter Küche gefüllt . Mittags hielt er gewöhnlich im Freien , unter einem schattenden Baume , hinter einem Felsen , oder in altem Gemäuer seine Rast . Dann verspeiste er den mitgenommenen Tagesproviant und ließ sein Pferd , welches ein außerordentlich gutes und sicheres Tier war , frei umhergrasen . Er hatte die Grille , wenn man es so nennen will , gefaßt , bis zu der großen Stadt , wohin ihn seine neuste Bestimmung wies , womöglich nur sich und der Natur zu leben . In die Erinnerungen eines jungen und doch mannigfaltigen Lebens vertieft , war seine Seele frei von Furcht und Wunsch , und nur die Hoffnung schwebte mit jungfräulichen Zügen von weitem ihm voran . Ganz heiter war er , wenn er auch des Abends bei einem wohlhabenden Hofschulzen freies Quartier fand . Freilich pflegte er am anderen Morgen durch reichliche Geschenke an Kinder oder Mägde immer dafür zu sorgen , daß die Zeche gehörig bezahlt wurde . Mitunter baten sich auch wohl die Wirte ein Andenken aus , so daß er fand , eine solche Reise auf Gastfreundschaft koste heutzutage fast mehr , als wenn man sich unterwegs lediglich an die zahlungbegehrenden Hotels halte . Einige Male hatten ihn Gendarmen , die ihn an abgelegenen Orten gelagert fanden , scharf befragt ; da aber seine Papiere in Richtigkeit waren , so ließ man ihn jederzeit frei durch . Eines Tages gesellte sich ein Fußwandrer zu ihm . Der Mann trug einen Rock , wie ihn Jahn vorschreibt , hinten zu , vorn offen , ging im bloßen Halse , mit langen herabwallenden blonden Locken ; aus dem offenen , treuherzigen Gesichte strahlten die schönsten blauen Augen . Anfangs war das Gespräch zwischen ihnen ziemlich unbedeutend , als aber Hermann bei dem Anblicke eines Zollpfahles sich in freien Scherzen erging , nahm es einen ernsthafteren Charakter an . Bald wurden die Verhältnisse besprochen , an welche die Unzufriedenheit in unserem Vaterlande gleich einer Schmarotzerpflanze sich festgesogen hat . Hermann , der noch nicht gelernt hatte , sich zurückzuhalten , gab seine Meinungen zu vernehmen , und man tauschte gegeneinander die gefährlichsten Dinge aus . Plötzlich sah Hermann , daß der Fremde sich reckte , in die Ferne schaute , und zusammenfuhr . Er bemerkte , daß ein Mensch ihnen entgegenkam , dessen Rock und Kragen den Polizeidiener verriet . " Ich bin ein Landschaftszeichner ! " rief der Fremde eilfertig und ängstlich , " ich will doch von jenem Hügel die Gegend aufnehmen . " Mit diesen Worten sprang er in ein hohes , wallendes Kornfeld , und arbeitete sich mit reißender Schnelligkeit quer durch nach einer buschigen Anhöhe , hinter welcher er verschwand . Hermann hielt betroffen sein Pferd an . Der Polizeidiener kam herzu und fragte : " Wer war der Mensch , der ins Korn sprang ? " Hermann versetzte : " Er sagte , er sei ein Landschaftszeichner , und wolle die Gegend aufnehmen . " - " Der Teufel mag er sein , aber kein Landschaftszeichner ; ich glaube , daß ich den Kerl kenne " , murrte jener , und setzte , achtsam nach allen Seiten umherschauend , seinen Weg fort . Hermann ritt weiter und gelangte nach einem Stündchen an einen Erdrand , von welchem der Boden senkrecht in eine beträchtliche Tiefe abwich . Es war ihm , als höre er aus der Vertiefung pfeifen . Er bog sich über , und nahm den Kopf seines Begleiters zwischen Gestrüpp und hohem Ginster wahr . Dieser winkte ihm und Hermann folgte dem Zeichen . Nicht ohne Mühe kam er mit seinem Pferde den Abhang hinunter , wobei der Fremde ihm behilflich war . " Sie werden sich über mein Benehmen verwundert haben " , sagte dieser . " Allerdings " , versetzte Hermann . " Ich habe nie die Neigung zu den schönen Künsten so sprungartig hervortreten sehen . " " Ich sagte die Unwahrheit ! " rief der Fremde mit einem tiefen Seufzer . " Vergeben Sie mir " , fügte er hinzu , indem er Hermann sanft die Hand drückte . " Sie sind ein edler Mensch , ich will mich Ihnen frei entdecken . Aber vor allen Dingen : wo speisen wir ? Ich verschmachte fast vor Hunger und Durst und darf mich heute wenigstens in keine menschliche Wohnung wagen . " Hermann sagte hierauf , daß , wenn er mit Wegekost vorlieb nehmen wolle , der Not abzuhelfen sei . Er holte Getränk und Speise aus den Pistolenhulftern , und legte die Flasche zur Abkühlung in eine Quelle , die an dem Orte hervorsprudelte . Sie setzten sich beide am Fuße einer hohen Erdwand nieder und verzehrten ihr gemeinsames Mal , wobei der Fremde sich sehr bescheiden verhielt , denn nur auf Hermanns dringendes Nötigen war er zu bewegen , mit diesem gradedurch zu teilen . Das Pferd graste lustig zwischen den Gesträuchen . Nachdem der Fremde sich gesättigt , und den Mund säuberlich abgewischt hatte , fing er plötzlich an , zu weinen , umschlang Hermanns Nacken und rief : " O Freund , Sie sehen in mir eines der Schlachtopfer des Despotismus ! Was habe ich dir getan , mein Vaterland , daß du mich also verfolgst ? Warum dürfen die Füße deines wärmsten Freundes den heiligen Boden nicht unverzagt betreten ? Die Schelme sitzen an der Tafel und prassen , und die Kinder des Hauses irren in der Wüste umher . " " Fassen Sie sich " , sagte Hermann , betroffen über diesen unerwarteten Auftritt , " und entdecken Sie mir , wer Sie sind . " " Ich bin ein politischer Flüchtling " , versetzte der Fremde . " Gequält , gehetzt von den Schergen der neununddreißig Tyrannen weiß ich oft nicht , wohin ich mein Haupt legen , wo ich den Bissen für meinen Mund gewinnen soll . Jetzt ist mir Österreich vor allen auf der Spur , denn unter seinen Fäusten litt ich zuletzt . Und was habe ich getan ? Ich liebte Deutschland . Was ist meine Schuld ? Ich wollte die Enkel Hermanns , vor denen Roms Legionen zitterten , aus ihrer unseligen Zerrissenheit , aus dem jammervollen Schlafe der Schmach , in den sie versunken sind , emporrütteln helfen . Das Mark unserer Brüder wird von seidenen Knechten ausgesogen , wer , der ein Herz hat , kann es mit ansehn , ohne sich zu rühren ? " Hermann antwortete , nicht ohne Mitleid : " Obgleich ich ungeachtet meiner vorigen Scherze die auflösenden Gesinnungen nicht Teile , welche diesen Reden zum Grunde liegen , so weiß ich doch die Stimmung sehr wohl zu würdigen , aus welcher sie entstehen mußten . Kann es Sie erleichtern , so erzählen Sie mir Ihre Geschichte , und seien Sie versichert , daß ich nichts dagegen habe , wenn Sie das Meinige , wie das Ihrige betrachten . " " Ist es so ? " rief der Fremde mit einem feurigen Blicke . " Wohl mir , ich habe wieder einen Edlen gefunden ! Nein , Teuts Volk kann nicht untergehen , in dem so viel Milde und Kraft sich paart . Sind wir nicht die einzigen , die in ihren uralten Sitzen unvermischt blieben ? O , wenn ich daran denke , so wird mir groß zumute ! " Da Hermann nach der Erzählung verlangte , so willfahrte ihm der Fremde , und berichtete ihm seine Schicksale , die aber fast nur in Wanderungen durch die Kerker verschiedener Länder bestanden . Er streifte seinen Arm auf , und zeigte die Spuren der Fesselwunden , dann erhob er das Antlitz gen Himmel , und rief mit glänzendem Gesichte : " Ja , mein Ideal ! An meinem Ideale will ich halten , ob auch die Welt zerbricht . So willst du treulos von mir scheiden ? Wer steht mir tröstend noch zur Seite ? Du meines Lebens goldene Zeit ! Beschäftigung , die nie ermattet ! Mit deinen hole den Phantasien ! " Er schien von seinen Gefühlen und Erinnerungen ganz außer Fassung gesetzt worden zu sein , beugte sich auf Hermanns Hand , und schluchzte heftig . Dieser suchte den Weinenden mit den freundlichsten Reden zu beruhigen . " Trösten Sie sich " , sagte er , " es wird noch alles gut , diese Verwicklungen der Gegenwart können nicht immer dauern , wer weiß , wie bald Sie Ihrer jetzigen Not entkommen . " - " Das hoffe ich auch " , versetzte der andere , noch immer weinend : " Was ist des Deutschen Vaterland ? Ist es Stierland , ist_es Bayerland ? Ist es , wo des Marsen Rind sich streckt ? Ist es , wo der Märker Eisen reckt ? O nein , nein , nein , mein Vaterland muß größer sein . Hätten Sie wohl die Güte , mich auf Ihrem Pferde etwas reiten zu lassen ? " " Warum das , Lieber ? " fragte Hermann . " Nichts stellt die Seele so sehr zum Gleichgewichte her , als die schüttelnde Bewegung des Rosses " , versetzte der unglückliche Mann . " Da wird der Mensch wieder in sich selbst einig , und alle Sorgen bleiben unter seinen Füßen . Von den entsetzlichsten Bedrängnissen hat mich oft ein rasches Tier befreit . " Hermann gab ihm gern die Erlaubnis , sich auf diese Weise zu erholen , jener bestieg sein Pferd und ritt davon . Hermann sagte , als er allein war , die Worte des Sallust her , welche die Catilinarische Verschwörung beginnen . " Ja " , rief er , " gälte die Geisteskraft der Könige und Helden so viel im Frieden , als im Kriege , so würden die menschlichen Angelegenheiten einen gerechteren und festeren Bestand haben , es triebe nicht alles nach verschiedenen Richtungen , man würde nicht so viel Wandlung und Mischung sehen . Denn leicht wird das Reich durch die Mittel bewahrt , durch welche es erobert wurde . - Das aber ist eben der Fluch ungewöhnlicher Zeiten , daß sie , wie ein gärender Stoff , das Bessere , Flüchtige entstellt und widerlich umtreiben , während die tote Maße , als Bodensatz bald ihren unverrückten Stand erhält . Dann heißt das , was doch eigentlich zum Leben sich entbinden will , das Nichtige , und jene trägen Hefen zaudern nicht , sich den Ruhm des Nützlichen und Bleibenden beizulegen . Wer wird mit diesen Abenteurern , die jetzt zu Hunderten das Land durchstreifen , irgend gemeinschaftliche Sache machen , ja nur in ihren Träumereien einen haltbaren Zusammenhäng antreffen ? Und gleichwohl , wer , der Dinge und Menschen mit menschlichem Blicke betrachtet , mag es sich verbergen , daß aus ihren Hirngespinsten doch ein viel zarteres Gefühl , ein höherer Schwung und ein entschiedenerer Charakter hervorsieht , als aus der Pflichtmäßigkeit der Leute , welche jetzt , nachdem die Tage der Gefahr vorüber sind , als die treusten und beehrtesten Söhne des Vaterlandes umhergehn ? Wahrlich nicht durch diese ist es errettet worden , wahrlich nicht durch solche wird es je errettet werden . Gar leicht ist es gegenwärtig , ein guter Patriot zu heißen , denn es kommt fast nur darauf an , in allerhand zeitgefälligen Bestrebungen sein Licht nicht unter den Scheffel zu setzen , bei Gelegenheit tapfer zu schmausen und eine schwülstige Rede zu halten . Aber wenn das Verderben wieder hereinbricht von Osten oder Westen , dann werden wohl die Schmauser und Geburtstagsredner verschwunden sein , dann wird man sich wieder nach den verfolgten Vagabunden umsehn , welche dann auf eine Zeitlang zu Ehren kommen und späterhin abermals an ihren blutigen Sohlen erfahren werden , wie hart der Boden der Heimat ist . O seltsamer und trauriger Widerspruch der irdischen Dinge ! Immer nur bringen hoher Mut und kühne Gesinnung die Sachen zum glücklichen Ausgange , von welchem der Held gleichwohl selten etwas zu genießen bekommt , sondern , wenn das Mal bereitet ist , setzt sich der Philister zu Tische , und läßt sich die Gerichte wohlschmecken . " Nach diesen und anderen Reden saß er eine geraume Zeit schweigend , und harrte auf den politischen Flüchtling . Da derselbe nicht sichtbar werden wollte , so stieg er aus der Vertiefung auf die Höhe des Erdrandes , erblickte aber weder den Mann noch das Pferd . Betroffen horchte er , ob sich nicht Hufschlag vernehmen lasse , aber vergebens . Er rief und pfiff , aber nur Echo gab ihm Antwort . Ein Argwohn stieg in ihm auf , den er jedoch , als des edlen Geächteten unwürdig , sogleich aus seiner Seele verbannte . Gleichwohl blieb dieser Sohn des Vaterlandes unsichtbar , obschon Hermann nach ihm in verschiedenen Richtungen die Gegend umher durchsuchte . Drittes Kapitel Drittes Kapitel Dieses Wandern und Suchen dauerte bis gegen Abend . Nun ließ er davon ab , noch immer bemüht , sich eine unbestreitbare Wahrheit zu verbergen . Er lenkte in die Heerstraße ein , um nach einem bewohnten Orte zu gelangen . Unmutig ging er auf derselben einher . Nicht lange , so hörte er Menschentritt hinter sich . Er wandte sich um und erblickte den Polizeidiener wieder . Nachdem er dem Manne vorsichtig das Ereignis vertraut hatte , schlug dieser ein helles Gelächter auf , und rief : " Also sind Sie doch von dem Strolche angeführt worden ? Nun , trösten Sie sich , es begegnet Ihnen nicht allein . Der Vogel ist uns und der ganzen Welt zu schlau . Wenn wir denken , wir haben ihn im Netz , so sitzt er ganz vergnügt auf dem Baume und lacht uns aus . Was für Mühe hat sich der Herr Polizeikommissarius um ihn gegeben ! " " Wer ist er denn eigentlich ? " fragte Hermann . " Ein Jude aus Hameln " , sagte der Polizeidiener . " Wir heißen ihn nur den Rattenfänger , weil er zuerst mit Mäusebutter handeln ging , was er aber nun aufgegeben hat . " " Wie kann er ein Jude sein , da er lange blonde Haare hat ? " fragte Hermann . " Falsch , falsch ! " rief der Polizeidiener . " Der Kerl führt alle möglichen Perücken im Sack : Struppkopf , Bonvivant , Pastor , Zopf , Strohdach . Aus dem Rocke macht er auch , was er will , Frack , Mantel , Uniform , es ist unglaublich , was für Streiche er ausführt . " Sie setzten ihren Weg zusammen fort und der Polizeidiener erzählte Hermann von den Listen , womit der Rattenfänger die Leute betrogen habe . Unser Freund mußte sich zu seiner Beschämung gestehen , daß jener bei den meisten anderen mehr Klugheit nötig gehabt hatte , um zum Ziele zu gelangen , als bei ihm . Mißgestimmt trat er in das Wirtshaus ein , welches vor den Toren der nächsten Stadt angenehm zwischen Gärten lag . Sie hatten es mit dem letzten Strahle des Tages erreicht . Es bekümmerte ihn in seiner jetzigen Gemütsverfassung wenig , daß der Wirt ihn fast ebenso zweifelnd betrachtete , wie jener , welcher im Eingange dieser Denkwürdigkeiten auftrat . In der Tat pflegt ein Fußgänger mit Sporen an den Stiefeln immer ein Gegenstand scherzhafter Verwunderung zu sein . Mürrisch forderte er eine Stube , und ließ sich den Abgang der nächsten Schnellpost nach Osten anzeigen . Denn er hatte beschlossen , nunmehr auf die gewöhnlichste Weise seine weitere Reise zu veranstalten . Kaum hörte er auf den Polizeidiener hin , welcher sich hoch und teuer vermaß , ihm das gestohlene Pferd wieder zu verschaffen , es koste , was es wolle . Indessen trieb ihn der Ärger , der in der Einsamkeit immer nagender wurde , bald wieder in das abendliche Wirtszimmer . Dasselbe war von einem Dampfe erfüllt , welcher beinahe die Lichter auslöschte . Um den Tisch saßen sechzehn junge Leute , Bier trinkend und Tabak rauchend . Hermann erkannte bald an den polnischen Röcken , bloßen Hälsen , an den Samtbaretten und bunten Pfeifentroddeln die Studenten . Er verwunderte sich über den tiefen Ernst , womit diese Jünglinge ihr stummes Geschäft verrichteten . Niemand von ihnen sprach ein Wort , nur jezuweilen schlug einer oder der andere den Wirt zutraulich-derb auf die Schulter und sagte : " Bier ! " Ihr Präses , der am oberen Ende des Tisches saß , ein starker , vierschrötiger Mensch , rief aber bei solchen Gelegenheiten : " Mehr Zerevis , eherner Roche ! " Der wohlbeleibte glänzende Wirt bediente sie mit gelenkiger Schnelligkeit , warf ihnen allerhand Scherzreden ins Gesicht , ohne jedoch irgendeinen aus seiner Haltung zu bringen . In der Ecke des Zimmers strickte ein Frauenzimmer , sah den Präses mit wehmütigen Blicken an , und stieß schwere Seufzer aus . Hermann erwartete von Minute zu Minute den Beginn eines Kommersliedes , aber die ganze Studentengesellschaft blieb so stumm und ernst , wie sie bei seinem Eintritte gewesen war . Er wandte sich endlich mit der höflichen Frage an den Präses , ob die Herrn auf einer Ferienwanderung begriffen seien ? Der Präses erhob sich , warf ihm einen wilden Blick zu , und versetzte dann in rauhem Tone : " Der deutsche Mann hat keine Ferien . Es ist jetzt nicht an der Zeit , zu lottern , sondern zu wirken . Ich bin aus Mecklenburg und heiße Brüggemann . " " Diese Antwort finde ich etwas sonderbar " , sagte Hermann . " Sonderbar ? Tusch ! " riefen alle einhellig , und der Mecklenburger raunte seinem Nachbar etwas ins Ohr . Das Frauenzimmer stand auf , nahm ein Licht , gab Hermann mit ängstlicher Miene einen Wink und ging hinaus . Er folgte ihr . In einem abgelegenen Zimmer erwartete sie ihn . Zu seinem höchsten Erstaunen warf sie sich ihm hier zu Füßen , und rief : " Sie sind ein edler Mann , ich lese Menschlichkeit in Ihren Blicken . Retten Sie die Armen , ich beschwöre Sie darum . Ich liebe den Mecklenburger und kann sein Verderben nicht sehen . " " Lassen Sie mich zuvörderst wissen , wovon hier die Rede ist " , sagte Hermann . " Es sind Demagogen " , versetzte das Frauenzimmer . " Der Herr weiß , worin die Anziehungskraft unseres Gasthofes für diese Jünglinge liegt . Das ist nun schon der vierte Bundestag , welcher bei uns abgehalten wird , und immer sind bald darauf die Unglücklichen hier oder in der Nähe festgenommen worden , und werden doch nicht scheu , sich in den Rachen der Klapperschlange zu stürzen . Endlich habe ich das furchtbare Geheimnis entdeckt . Mein Vater , der Entsetzliche , schenkt ihnen das Bier ein , und verrät sie der Polizei . " " Wenn die Sachen so stehen , so sollten Sie Ihren Geliebten warnen " , antwortete Hermann . " Wer sind Sie , daß Sie mir dieses raten ? " rief das Frauenzimmer pathetisch . " Kennen Sie Ziegenhainer , mein Herr ? Die Wütenden würden den Greis mit Schlägen bedecken . Nein , eine Tochter , welche den eigenen Vater seinen Feinden zu überantworten imstande ist , verdient diesen Namen nicht , den heiligsten in der ganzen weiten Natur . Ich heiße Thusnelde , und bin ein deutsches Mädchen . " " Eine Närrin bist du , und heißest Sophie Christine " , sagte der Wirt , der lachend in die Stube trat . " Marsch fort ! Was steckst du hier mit dem fremden Herrn zusammen ? " " Die Bücher haben ihr den Kopf verdreht " , sagte er zu Hermann . Dieser versetzte : " Sie sprach von Ihnen und von den jungen Leuten , und ich wollte wünschen , es wäre nicht wahr , was sie mir entdeckt hat . " " Der liebe Gott segnet mein Haus mit Demagogen , wie er andere Häuser mit Kindern oder Schätzen segnet " , sagte der Gastwirt behaglich . " Es gibt gar kein dümmeres Vieh , als Studenten . Sie wissen , daß ihre Kameraden immer hier aufgehoben worden sind , und doch rennt es noch beständig hierher . Es geht mit des Himmels Segen zu . Ich bekomme gute Extrapräsente , und das Allgemeine Ehrenzeichen kann mir in ein vier , fünf Jahren durchaus nicht entgehen . " " Wie mögen Sie ein so hinterlistiges Verfahren nur entschuldigen ? " rief Hermann zornig . " Hinterlistig ? " sagte der Wirt , ohne sich aus seiner Laune bringen zu lassen . " Es ist noch keinem der Kopf abgerissen worden . Sie werden in bequeme Postchaisen gepackt , kommen auf ein Jährchen in Prison , haben dort Zeit zu studieren , schlagen in sich , dann erfolgt eine schwere Sentenz , dann die Begnadigung , dann die Beförderung , weit schneller , als bei anderen Landeskindern , denn im Himmel und in * ist mehr Freude über einen Sünder , der bereut , als über hundert Gerechte , die nie fielen . " " Das Unglück von Menschen zu bespotten , verrät ein gefühlloses Herz ! " rief Hermann . " Ein jeder denkt auf seinen Profit " , erwiderte der Wirt . " Die Schnellposten haben den armen Wirten fast alles Brot entzogen . Wenn ich keine Demagogen anzugeben hätte , müßte ich wohl betteln gehen . Morgen ist also hier der vierte Bundestag und übermorgen früh , denke ich , hängen sechzehn Drosseln in den Dohnen . Wollen aber Sie das verhindern , mein Herr , so nehmen Sie sich vor dem Polizeikommissarius in acht , denn ich denunziere Sie dann als den Mitschuldigen des Hochverrats , und da Sie kein Student mehr sind , so möchte man vielleicht mit Ihnen schärfer verfahren . " Hermann war nicht einen Augenblick unschlüssig , was er tun sollte . Das Schicksal , welches diesen armen jungen Leuten bevorstand , erschien ihm fast noch gelinder , als die rasende Verblendung , wodurch sie sich dasselbe zuzogen . Er , selbst eingeweiht in diese Verirrungen , konnte jetzt kaum begreifen , wie es möglich gewesen sei , so frevelhaften Unsinn zu treiben . Er beschloß , die jungen Toren ihrem Geschicke zu entziehen , indem er sie von ihrer Verblendung heilte . Da man aber , um sich den Wölfen überhaupt zu nähern , mit ihnen heulen muß , so schien ihm ein besonders geschicktes Benehmen hier durchaus notwendig zu sein . Er fand den Mecklenburger auf einem Vorplatze des Hauses , seine Pfeife ausklopfend . Hermann legte die drei ersten Finger der rechten Hand an den Pfeiler und fragte : " Wohin gehst du ? " Betroffen sah ihn der Mecklenburger an , legte aber die letzten Finger seiner Rechten an den Pfeiler und versetzte : " Nach Leipzig . Sage mir die neun Grundartikel . " Hermann trug hierauf , ohne zu stocken , die begehrten Sätze vor . Der Mecklenburger drückte nach diesen unzweifelhaften Zeichen ihm kräftig die Hand , und rief : " Die Begegnung hätte ich nicht vermutet . Ich wollte dich fordern lassen , denn sonderbar ist unter allen Umständen Tusch ; nun aber wird natürlich daran nicht mehr gedacht , auch hätte ich gleich erwägen sollen , daß du Philister bist , mithin von dir nichts zieht . Bringst du uns Nachricht vom Männerbunde ? " " Allerdings " , versetzte Hermann doppelsinnig . " Es gibt einen Bund der Männer , dem Unrecht zu wehren , Schaden zu verhüten , den Frieden zu schützen . " " Recht so " , versetzte der Mecklenburger , " so meinen wir es auch . Die Zeit ist groß , wir müssen Großes leisten , um vor ihr groß zu bestehen . Eingreifen müssen wir in ihre Räder , mit dem Strome schwimmen , und die Dämme und Klippen zerbrechen , welche die Hölle ihnen in den Weg türmt . Jetzt sind wir daran , das Volk aufzuklären . Frisch , frei , fromm , fröhlich , das ist immer die Hauptsache . Auf einen Kopf oder ein paar krummgeschloßene Knochen kommt es dabei nicht an ; mehr als totmachen können sie uns nicht . " " Wie weit seid ihr denn gediehen ? " fragte Hermann . " Das Reich ist eingeteilt , es geht wieder in die zehn Kreise nach Homanns Karte " , erwiderte der Demagoge . " Das war das sicherste . Die Festungen sind unser , der Ölmüller hat einen geheimen Gang neben seinem Teiche , und der Major wird Großfeldherr . Ich nehme Mecklenburg hin , ausgenommen Güstrow , was Schnee aus Greifswald nicht fahren lassen wollte . Berlin wird niedergerissen und Jahn baut die neue Hauptstadt an der Elbe . Er wird auch Obermeister der Zucht , aber das Turnen bleibt vorderhand abgestellt , denn wir wollen nichts übertreiben . In der Bundeskasse haben wir an dreiundsechzig Taler ; es kann alle Tage losgehen . " " Was führt euch aber eigentlich hier zusammen ? " fragte Hermann . " Die letzte Frage , welche noch zu entscheiden ist " , erwiderte der Demagoge . " Morgen wird bestimmt , was aus den Fürsten werden soll , ob wir sie alle erstechen müssen , oder ob man wenigstens in Betreff einiger Gnade vor Recht ergehen lassen kann . In der Buschmühle Tagen wir , fehle ja nicht in der Versammlung . " Dieses sinnreiche Gespräch würde noch länger fortgedauert haben , wenn nicht im Hofe ein plötzlicher Lärmen entstanden wäre . Eine Menge Menschen mit Laternen und Windlichtern drang herein , in deren Mitte Hermann bei dem Näherkommen des Zuges den Polizeidiener , den Rattenfänger und sein Pferd wahrnahm . Der Rattenfänger führte das Pferd , der Polizeidiener den Rattenfänger . Er hielt ihn am Ohrläppchen gefaßt , und rief unaufhörlich : " Haben wir dich endlich , du sauberer Kavallerist ? Haben wir dich ? " Wunderbar war es anzusehen , wie der Mensch nun als schwarzlockiger Pudelkopf erschien , und den abgelegten blonden Schopf wehmütig in der Hand hielt . Hermann würdigte diesen politischen Flüchtling keines Blickes und empfing sein Pferd , welches von Schweiß triefte . Der Polizeidiener erzählte ihm , wie er des Vagabunden habhaft geworden sei , und gab ihm den Rat , sobald als möglich fortzureiten , und sich den Schaden zur Lehre dienen zu lassen . Viertes Kapitel Viertes Kapitel Am folgenden Morgen wanderte Hermann nach der Buschmühle , mit sich einig über den Plan , nach welchem er die verirrten Jünglinge in das rechte Gleis zurückführen wollte . " Wie doch das Unangenehme meistens die besten Ausgänge hervorbringt ! " sagte er zu sich selbst . " Ohne den gestrigen Vorfall würde ich meines Weges weitergezogen sein , und die Gelegenheit verabsäumt haben , etwas Gutes und Heilsames auszurichten . " Als er am Orte der Zusammenkunft eintraf , fand er die Studenten schon auf einer Dachkammer versammelt . Fahl schien das Licht durch beräucherte Fensterscheiben und gab den ohnehin mit frühen Runzeln gezeichneten blassen Gesichtern dieser jungen Leute ein noch trübseligeres Ansehen . Sie saßen und standen umher , die Pfeife war , wie sich von selbst versteht , auch hier in voller Tätigkeit und der Qualm in dem engen Raume beinahe unerträglich . Der Mecklenburger kam auf Hermann zu , faßte ihn bei der Hand und stellte ihn mit den Worten : " Da seht ihr endlich einen vom Männerbunde " , den anderen vor . Alle drängten sich um ihn und wollten vom Männerbunde wissen . Hermann versetzte : " Ich werde euch noch genug nachher zu sagen haben , jetzt tut ihr erst das Eurige . " Die Studenten zogen Dolche aus ihren Röcken , zückten sie , und riefen mit dumpfer Stimme : " Den Verräter treffe der Tod ! " Darauf warfen sie dieselben zusammen auf einen Haufen . Der Mecklenburger setzte sich an einen kleinen wackligen Tisch , in der Mitte der Kammer ; ein anderer , der den Sekretär vorstellte , ihm gegenüber . Dieser zog ein Heft beschmutzter unordentlicher Papiere , welche Akten bedeuten sollten , hervor , und schlug seinen Kollegienstecher in die Tischplatte . Die übrigen saßen oder lagerten sich umher . Hermann nahm zu seiner Sicherheit einen Platz an der Türe . Der Sekretär erhob die Stimme und fragte : " Welche Kreise Deutschlands sind hier auf diesem vierten Tage des Bundes der Jungen versammelt ? " " Obersachsen ! " antwortete einer mit unzweideutiger scharfer Kopfstimme ; " Franken ! " riefen vier . Schwaben wurde durch fünf . Niedersachsen und Westfalen jedes durch zwei vertreten , für Burgund meldeten sich drei schwarzhaarige einigermaßen heimtückisch aussehende Belgier . Bayern , Oberrhein , Niederrhein , Österreich fehlten . Der Sekretär stand auf und sagte : " Bruder Präses , sechs Kreise Deutschlands sind versammelt . " Der Mecklenburger entblößte sein Haupt und sprach : " Ich erkläre hiermit den Tag für beschickt und eröffnet . Geliebte Brüder des Bundes für Freiheit und Recht , Vernunft und Wahrheit ! Frisch , frei , fromm , fröhlich , das ist immer die Hauptsache . Schwer Werk liegt auf deutscher Jugend , wir sollen die alte , dumm und faul gewordene Zeit wieder einrenken , die Flicker und Stücker vertreiben , den Stall lüften , das Molch-und Otterngezüchte aus seinen Höhlen schwefeln , daß alles deutsch werde , christlich und gut . Es ruht , wie gesagt , auf der Jugend , die Alten sind nichts nutze . " " Davon habe ich eben ein Beispiel gehabt " , sagte einer aus Franken . " Ich stehe mit meinem Alten in Rechnung , so viel für Hauspump , so viel für Bücher , Wäsche und so weiter . Nun hatte ich ihm sechzig Gulden für Kollegia angesetzt . Denkt euch , verlangt das Kamel , ich soll nachweisen , daß ich sie gehört habe . " " Bruder , unterbrich mich nicht ! " rief der Mecklenburger . " Laß deine eigenen Angelegenheiten hinweg , wo es die große Sache des Vaterlandes gilt . Brüder ! Lange Reden zu halten ist nicht meine Sache , ich bin aus Mecklenburg und heiße Brüggemann . Zuschlagen muß man , das ist das kürzeste , und jeder versteht , wie er dieses zu nehmen hat . Lange genug hat das Wort die Welt verfitzt , gesunde Knochen und tüchtige Fäuste sollen ihr wieder zum Besinnen verhelfen . Also Bruder Schreiber und Schriftwart , lies kurz und gut die Frage des Tages ab . Dann stimmt , und hernach streife jeder den Arm auf , gürte seine Lenden , und tue , was der Beschluß ihm auflegt ! " Der Sekretär las aus den sogenannten Akten : " Der dritte Bundestag hat die Königs- und Fürstenfrage zur Entscheidung des vierten gestellt . Die heute versammelten Kreise und Stände des Reichs , welches da kommen soll , haben folglich darüber abzustimmen : Sollen die Könige und Fürsten alle ohne Ausnahme niedergemacht werden , oder kann man in Betreff einiger und welcher ? mildere Entschließung eintreten lassen ? " " La mort sans phrase ! " riefen die Belgier hastig . " Burguntier " , versetzte der Präses , " es steht noch nicht einmal fest , ob wir euch zum Reiche nehmen , oder euch nicht lieber den Pariser Wölfen überlassen . Wollt ihr aber mit uns Tagen , so redet die Sprache Teuts , und nicht die der Welschen und Franschen . " " Ich lasse meinen König nicht umbringen " ; sagte der aus Obersachsen . " Ich habe eine Freistelle auf der Fürstenschule gehabt , er heißt Friedrich August der Gerechte ; was kann er dafür , daß er ein König ist . " " Alle ohne Ausnahme abgemuckt ! " riefen die Franken . Niedersachsen stand zu Obersachsen ; die Debatte wurde stürmisch . Einige Schwaben und einige Westfalen suchten vergeblich einander deutlich zu werden . Ein Kreis verstand den anderen nicht . Der Präses klopfte auf den Tisch , und redete , nach dem alles still geworden war , so : " Zankt euch nicht ! Durch Span und Zwist sind die Reiche verfallen , das hat Rom und Griechenland gestürzt , soll auch unsere Stärke dadurch schwach werden ? Ich meinesteils bin für Mäßigung . Furchtbar ist ein Volk , welches sich im Glücke zu fassen weiß . Wir haben die Oberhand , laßt sie uns nicht mißbrauchen . Ich schlage eine Sonderung vor . Die bis zur Leipziger Schlacht deutscher Sache noch nicht beigetreten waren , sollen sterben , und denen , die vor diesem Zeitpunkte ihre Pflicht erfüllt haben , geben wir Pension , oder Leibzucht , vaterländischer zu reden . Auf diese Weise sind wir zugleich gerecht und milde . " Über diesen Vorschlag entstand ein hitziger Streit , bei welchem die äußerste Rechte und die äußerste Linke einander beinahe zu Kragen geraten wären . Endlich siegte die gemäßigte Mitte , die Mehrheit nahm den Vorschlag an , und der Mecklenburger entwarf sogleich die Pensionssätze , wobei der für den größten Fürsten von Norddeutschland mit besonderer Rücksicht auf dessen Verdienste und Schicksale bis zu achthundert Talern jährlich anstieg , obgleich die gewöhnliche Pension eines Königs nicht mehr als fünfhundert betragen sollte . Während man noch mit der Festsetzung dieser Angelegenheit beschäftigt war , sagte ein Franke : " Ihr habt einen Hauptpunkt vergessen . Was soll mit den dirigierenden Bürgermeistern der freien und Hansestädte werden ? " Es entstand eine Pause allgemeinen Nachdenkens . " Daß auch in den sogenannten freien Städten keine Freiheit weilt , daß dort die Gewalt oft noch verderbter ist , als in den Fürstentümern , kann niemand leugnen " , sagte endlich der Präses . " Wo wird man mehr mit dem Paß geschoren , als in Frankfurt ? Wo ist teurer leben , als in Hamburg ? Aber dein Bedenken ist ganz richtig , Bruder . Wenn wir auch die Bürgermeister hinwegräumen , so bleiben ja immer noch die Senate übrig , fünfzig Mann in jeder Stadt , die zur Zwingherrschaft berechtigt , ja auch daran beteiligt sind . " Die Burguntier rieten zur Abschlachtung der gesamten Senate , welcher Gedanke jedoch als zu blutdürstig von den eigentlich deutschen Kreisen einstimmig verworfen wurde . Man sprach von Kerker , eidlichem Verzicht und dergleichen , fand aber diese Mittel alle zu ungenügend . Zuletzt rief ein Schwabe : " Brüder ! Eine nach der anderen frißt der Bau 'r die Würste . Laßt uns die Könige und Fürsten erst einmal auf_dem Kraut haben , unterweil fällt uns vielleicht wegen der Bürgermeister etwas ein . " Alles lachte über den Schwaben , konnte aber gleichwohl keinen besseren Rat ersinnen , denn er . Wer weiß , wie lange dieses Nachdenken noch fortgesetzt worden wäre , wenn nicht Hermann , der dem Wahnsinne nicht länger zuzuhören vermochte , eine Doppelpistole , welche er in der Stadt erhandelt , herausgezogen und sie vor den Studenten langsam scharf geladen hätte ? " Was soll das ? " fragten einige . " Der Männerbund führt nur Schießgewehr " , versetzte Hermann kalt . Er spannte den Hahn und hielt die Pistole vor sich hin . Dann sagte er : " Der erste , welcher mir zu nahe kommt , wird totgeschossen . Ihr albernen Toren , ihr verblendeten Jünglinge ! Ein schlimmes Übel erfordert bittere Arzneien . Indem ich euch zu heilen unternehme , sage ich daher , daß ich nicht weiß , ob ich über eure Schlechtigkeit zürnen , oder über eure Dummheit lachen soll . Ihr beruft euch , irregeführt von euren Verleitern immer auf das Altertum ; ahmt demselben nach und erinnert euch zuerst daran , daß zu jenen Zeiten die Jungen nicht mitsprechen durften ; in Sparta mußte einer dreißig Jahre alt sein , wenn er den Mund über Staatsangelegenheiten auftun wollte . Ihr Unsinnigen , die ihr euch herausnehmt , Könige und Fürsten absetzen , pensionieren , ja erdolchen zu wollen , weil sie , wie ihr wähnt , ihrer Würde nicht vorzustehen wissen , und die ihr selbst noch nicht den allerkleinsten und abgeleitetsten Teil dieser Würde zu bekleiden vermöchtet ! Geht in euch , lernt eure Hefte , singt Trink- und Burschenlieder , genießt die schöne Jugend , und überlaßt die Sorge um den Staat den Alten . Eines sage ich euch noch . Ich halte euch nicht für so unvernünftig , daß ihr auf eure eigene Faust , ohne Hilfe älterer gewichtigerer Männer zu revolutionieren die Tollkühnheit besitzen solltet . Nun denn , so erfahrt , daß , wenn ihr aufsteht , kein Torschreiber und Supernumerarius euch beispringen wird ; alles , was den Burschenrock ausgezogen hat , sitzt ruhig , mit Tabagiegespräch zufrieden , im bürgerlichen Leben , der Männerbund ist eine Lüge , womit euch irgendein Bösewicht geködert hat ; ihr seid die Affen , welche für die Katze die Kastanien aus dem Feuer holen sollen . " Schwer würde es sein , die Wirkung dieser Anrede auf die Studenten zu beschreiben . Sie hatten sich in einem Winkel zusammengedrängt , zitterten vor Grimm , waren jedoch keineswegs lüstern , der Mündung des Pistole näher zu treten . Vielmehr gaben sie ganz das Bild gemalter Wüteriche ab , wie Shakespeare sagt . Hermann war eben im Begriff , seinen Spruch mit einer gesteigerten Nutzanwendung zu schließen , als von unten Stimmen ertönten und Pferdegetrappel hörbar wurde . Diese Laute verwandelten auf einmal die Szene . Hermann und die Studenten rannten einträchtig zu einer Bodenluke und sahen den ganzen Hof voll von Gendarmen , Häschern und bewaffneten Bauern . Sogleich ergriffen die jungen Leute mit katzengleicher Geschwindigkeit die Flucht . Einige ließen sich eine Falltüre hinunter , andere verkrochen sich in den dunkelsten Ecken des Gebälks , die Entschlossensten kletterten auf die den Häschern abgekehrte Seite des Dachs , sprangen in den Garten und eilten zu Walde . In einem Augenblicke war der ganze Söller von den Demagogen leer , nur Hermann blieb im Gefühle seiner Unschuld auf demselben zurück . Fünftes Kapitel Fünftes Kapitel Nicht lange , so erschien ein Gendarm , blickte forschend in die Dachkammer , und rief seinen Kameraden mit den Worten : " Komme , einer ist noch hier ! " herbei . " Sieh nur die Wirtschaft ! " sagte der zweite , als er eintrat . " Die Dolche ! Und da die Brandbriefe ! " - " Gut , daß wir wenigstens den Oberdemagogen haben , schau , was für eine Pistole er führt ! " - " Es ist ein Halbkarabiner " , versetzte der zweite Gendarm . Sie schritten auf Hermann zu , und kündigten ihm in barschem Tone Arrest an . " Gänzlich im Irrtum , meine Herrn ! " versetzte er . " Ich wollte die verführte Jugend zum Besseren bekehren . " Die beiden Männer schlugen ein helles Gelächter auf , und meinten , er sehe nicht nach einem Propheten aus . Um sich nicht übler Behandlung auszusetzen , gab er sich gefangen . Er fragte nach ihrem Befehlshaber und verlangte zu diesem geführt zu werden . Sie versetzten , daß der Herr Polizeikommissarius nicht zu sprechen sei , indem er , bei Verfolgung eines Flüchtigen zu Boden gestürzt , sich das Bein aufgeschlagen habe . Nachdem die Gendarmen ihm die Pistole abgenommen , die Dolche und Akten zusammengerafft hatten , führten sie ihn hinunter . Mit genauer Not erhielt er es , daß man ihn nicht fesselte , doch war auch so schon seine Lage die unbehaglichste . Hunderte von Menschen hatte die Neugier herbeigezogen , deren gaffende Blicke alle auf ihn gerichtet waren . Unaufhörlich wurden die Gendarmen befragt , wer er sei ? worauf sie jederzeit kaltblütig erwiderten : " Es ist der Oberdemagoge . " Auf seine Bitten wurde eine verdeckte Kalesche angespannt . Die Gendarmen , zu beiden Seiten des Wagens reitend , brachten ihn darin nach dem Städtchen , aus welchem er in so guter Absicht nach der Buschmühle gegangen war . Dort lieferte man ihn in der Wachtstube des Orts ab . Bei dem Eintritte in dieses Gelaß hätte er vor Scham und Verdruß sterben mögen . Es war nämlich am gedachten Tage auch das sogenannte allgemeine Vagabundengreifen gewesen , und die Wachtstube wimmelte daher von übel aussehenden Leuten . Heftig fragte er den einen Gendarmen , ob man für Verbrecher seinesgleichen hier nicht einsamen Kerker bereit halte ? Die beiden Männer sahen einander kopfschüttelnd an , einer griff an seine Stirn , dann sprachen sie leise zusammen . Man willfahrte ihm indessen und brachte ihn über einen finsteren schmutzigen Hof nach dem Hintergebäude der Fronfeste , wo sich denn hinter Schloß und Riegel , seinem Wünsche gemäß , einsames Gefängnis auftat . Er war nun zwischen vier einst weiß gewesenen Wänden allein . Beständig mußte er sich zurufen , daß dieses Ungemach ja lediglich aus einem lächerlichen Irrtume entspringe und von kurzer Dauer sein werde , um dem Mißmute nicht zu erliegen . Endlich warf er sich auf die Strohschicht , welche der Kerkermeister frisch besorgt hatte , und schlief trotz seiner üblen Laune ein . Die Gendarmen , ihrer scharfen Anweisungen eingedenk , nahmen indessen nach kurzer Abwesenheit vor der Kerkertüre Platz . " Weißt du " , sagte der eine zum anderen , " woher alle die Teufelei rührt ? Ich kann es dir sagen . Die Juden stiften den ganzen Spektakel an . " " Nicht möglich ! " rief der andere . " Ich dachte , die Franzosen steckten dahinter . " " Franzosen hin , Franzosen her ! " sagte der erste . " Das ist ja eben die Sache . Die Franzosen sind auch alle heimliche Juden . Dazumal in Ägypten hat der Bonaparte seine ganze Armee dazu herumgekriegt , und die Soldaten haben dann nach ihrer Rückkehr das Judentum weiter gestiftet , und auch bei uns ausgebreitet , bis der Krieg kam , und davon rühren die Demagogen her . " " Darum aßen auch die Kerle so viel Knoblauch " , sagte der zweite Gendarm . " Richtig " , versetzte der erste . " Der Knoblauch ist der erste Grad im Judentum . Der Bart ist der zweite . Merkst du was ? Geht es dir auf ? Alle tragen sie lange Bärte . Ich muß nur lachen , wenn die Herrn sich so viele Mühe mit dem Volke geben , um ein Geständnis herauszubringen . Am Leibe visitiert , da würden sie bald das untrügliche Zeichen finden . " " So wäre man ja seiner Gliedmaßen nicht sicher , wenn das Zeug die Oberhand bekäme " , rief der zweite Gendarm mit so Entsetzen . " Das wäre noch das wenigste " , sagte der erste , " aber alle Kinder würden sie totschlagen und das Blut trinken , und kein Krämer dürfte mehr ein Lot Salz verkaufen . " Der zweite Gendarm erinnerte sich wieder an Ägypten und fragte , ob da nicht die Türken anstatt der Juden hausten ? " Laß dir sagen " , antwortete der erste . " Die Reichen sind mit Mose nicht ausgezogen , sondern im Lande sitzen geblieben , wo hast du je gehört , daß ein Jude sein Eigentum verlassen hätte ? Nur das Schacherpack lief fort , und vierzig Jahre in der Wüste umher , das heißt , sie gingen hausieren : » nichts zu handeln drin ? « bei den Leuten , die da so in den Gegenden wohnten . Die zurückgeblieben waren , kamen bei den Türken unter den Druck . Bonaparte wollte sie befreien , um dem Engländer einen Tort zu tun . Denn wo die Juden aufkommen , sind die Engländer verloren . Aber die merkten den Schlich , und lieferten ihm die große Schlacht da oben bei Dings . " " Daher kommt es denn auch , daß sie in Hannover so scharf sind mit den Demagogen " , sagte der zweite . " Es ist wegen den englischen Handelsverbindungen . " Dieses scharfsinnige Gespräch hörte Hermann zum Teil mit an , denn er war von Hitze und Unruhe bald wieder munter geworden . Die Wachtmänner , welche nach den Gendarmen aufzogen , hielten sich in ihren Gesprächen mehr an seine Person , und machten eine schlimme Beschreibung von ihm , die sich denn von Ablösung zu Ablösung steigerte , so daß er gegen Morgen in den Reden dieser Leute wie ein Ungeheuer mit Klauen und Hörnern aussah . Im Strahl der frischen Morgensonne fand er seine gute Laune wieder . Er lachte über die Ungereimtheiten , die er von draußen vernahm , laut auf , so daß die wachenden Männer ein Grauen ergriff . " Hoffentlich " , sagte er , " ist denn dieses doch der letzte dumme Streiche , den ich mache . Oder nein ! " fügte er hinzu , " wer wollte die Torheit verschwören ? Nur diejenigen Menschen irren sich nicht , deren Leben von Anfang bis zu Ende ein einziger trockener Irrtum ist . " Sechstes Kapitel Sechstes Kapitel Man führte ihn vor den Polizeikommissarius zum Verhör . Der Beamte saß hinter einem Tische , auf welchem die Hermann abgenommenen Sachen lagen , Geld , die Doppelpistole und die Brieftasche . Ein kleiner Schreiber saß dem Beamten zur Linken , mit steilrecht erhobener Schreibefeder . Hinter dem Polizeikommissarius standen zwei Häscher , ernst und regungslos , ihre Blicke ruhten auf dem Haupte des Vorgesetzten . Dieser hatte das verletzte und bewickelte Bein seitwärts auf einen Sessel gelegt , so daß er sein Gesicht bei Hermanns Eintreten von diesem abkehrte . Der kleine Schreiber fuhr den Gefangenen herkömmlich grimmig an , und bedrohte ihn mit den schlimmsten Dingen , wenn er nicht die reine Wahrheit sage . Jetzt wandte sich der Polizeikommissarius um , und wollte mit noch höherer Würde diese Gewissensschärfung vornehmen , kam jedoch nicht über das erste Wort hinaus , blieb vielmehr stocken und starrte seinen Inkulpaten geöffneten Mundes an . Ein gleiches Erstaunen prägte sich in der Miene und Gebärde Hermanns aus ; sie standen einander gegenüber wie die Salzsäulen . Zuerst fand der Polizeikommissarius einige Laute wieder . " Abtreten ! " rief er , dem Schreiber und den Häschern winkend . Betroffen verließ das Personal die Amtsstube . " Hermann ! " - " Ernst ! " Mit diesem Rufe fielen die beiden Freunde einander in die Arme . " Unglücklicher , so sehen wir uns wieder ? " sagte der Polizeikommissarius . " Dasselbe möchte ich dir entgegnen " , erwiderte Hermann . " Warum bist du denn nicht in Hellas , warum steckst du in dem Rocke da ? " " Achtung vor dem Könige , dessen Farbe ich trage " , sagte der ehemalige Philhellene mit gebietender Haltung . " Aber o ich Schwergeprüfter ! " rief er , außer Fassung geratend . " Meinen besten Freund , meinen Herzbruder finde ich unter Hochverrätern , als ihr Haupt , als ihren Rädelsführer wieder . Dahin führen verkehrte Grundsätze , das ist die Frucht einer unruhigen Sinnesart ! Wie oft habe ich dich gewarnt , wie oft sagte ich dir : über das Gewöhnliche sich erheben wollen , führt zum Allerschlechtesten ! " - " Du vergeßlicher Mensch ! " rief Hermann , " dieses sind ja eben meine Worte an dich , als du den abenteuerlichen Zug nach Griechenland unternehmen wolltest . " Aber sein Freund hörte ihn nicht . Er war aufgestanden , hinkte feierlich mit steifem Knie auf und nieder und sagte : " Pflicht ! Du Polarstern des Beamten , du Ankergrund der Diensttreue , stärke mich jetzt ! Ein Mann , der mit blutendem Herzen tut , was ihm obliegt , ist ein Schauspiel für Götter . In diesem Zimmer hört der Mensch auf ; es kennt nur den Diener des Staats . " Hermann fing den ausgestreckten Arm des Freundes , rüttelte ihn und sagte heftig : " Die erste deiner Pflichten ist , den Beschuldigten anzuhören . Ich bin kein Demagoge , geschweige ihr Oberhaupt und Rädelsführer . Ich bin ein so unschädlicher Mensch , wie nur einer Brot ißt . Du hättest mich eher aus den Händen deiner dummen Gendarmen und Scharwächter befreien sollen . " " Bist du nicht unter den Wütenden betroffen worden ? " fragte der Polizeikommissarius . " Liegen da nicht die Dolche , die Schriften voll der Teilung Deutschlands und des Mordes der Könige ? Liegt dort nicht dein eigenes Schießgewehr ? " Hermann gab ihm mit der überzeugenden Kraft , welche der Wahrheit eigen zu sein pflegt , die Einsicht in den Hergang der Dinge . Der Polizeikommissarius wurde wankend , nachdenklich , erholte sich aber wieder und sagte : " Und diese Brieftasche , hast du die auch in der Absicht , zu besseren , bei dir geführt ? Blick hinein , was siehst du ? Aufrührerische Traktätchen , » Freie Stimme frischer Jugend « , den » Bauernkatechismus « , kurz den ganzen Arsenal der liberalen Propaganda . Wie willst du dieses unumstößliche Beweismittel entkräften ? " " Mensch , hast du denn aus der Lethe getrunken ? " rief Hermann . " Sieh doch die Brieftasche genauer an . Es ist ja die deinige , dieselbe , welche damals aus Irrtum in meiner Tasche blieb , mit diesem deinem Freiheitsschwindel angefüllt , während du mit meiner und mit meinem Gelde von dannen zogst . " Da nun die Brieftasche in einer Ecke des vordersten Blattes wirklich noch den Namen des ehemaligen Philhellenen führte , so konnte der Polizeikommissarius sie nicht verleugnen . Diese Entdeckung hatte die Wirkung auf ihn , daß er den Pflichtbegriff fahren ließ und sich den freundschaftlichen Empfindungen ganz hingab . Es verstand sich , daß er Hermann in seiner Häuslichkeit bewirten wollte , von deren Lobe er nun überströmte . Beide schüttelten einander herzlich die Hand und genossen die Freude des unverhofften Wiedersehens . " Was wird Fränzchen dazu sagen ! " rief er . " Und mein Junge ! Zwar der kann noch nichts sagen . " Er brachte ihn durch einen bedeckten Gang , welcher die Gefängnisse mit seiner Wohnung verband , nach dieser . Unterwegs wurde er wieder still . " Bei allem dem bleibt es doch ein eigenes Unglück " , sagte er niedergeschlagen , " daß ich mit der vielen Mühe , mit der Plage bei Tag und bei Nacht nichts anderes ausgerichtet habe , als mir das Knie zu zerfallen , meinen besten Freund gefangenzunehmen und meine eigene Brieftasche wiederzufinden . " Siebentes Kapitel Siebentes Kapitel Fränzchen schrie laut , als Hermann vor sie trat . " Gebt euch nur einen Kuß " , sagte der Polizeikommissarius , " alte Liebe rostet nicht , daraus mache ich mir gar nichts , es bleibt in der Freundschaft . " Noch hatte Hermann den Weg zu ihren Lippen nicht vergessen ; errötend duldete sie , was sie an vergangene Zeiten erinnerte . Sie war still , und schien verlegen zu sein ; Hermann bemerkte , daß ihre Blicke vergleichend zwischen ihm und ihrem Manne hin und her wanderten . Ein Kindergeschrei ließ sich vernehmen . " Das ist Hermann , der Sassen Herzog " , sagte der Polizeikommissarius , " Mutter , bringe den Jungen herein . " Sie brachte das Kind , einen starken , rotbäckigen Knaben , den Hermann ungeachtet des Zustandes , in welchem er sich eben befand , abküssen mußte . Hermann verbrachte einige Tage in dieser Häuslichkeit , welche der spärlichen Umstände wegen , worin beide Gatten lebten , die beschränkteste war . Der Diensteifer seines Freundes hatte eine eigene Verwicklung herbeigeführt . Gleich nach seiner Gefangennehmung war nämlich von diesem eine Stafette mit der Meldung von dem Geschehenen gen * abgesendet worden , welcher er zwar , als er den Zusammenhäng der Dinge in Erfahrung gebracht hatte , einen zweiten reitenden Boten mit einer Berichtigung der früheren Anzeige nachschickte , jedoch ohne den gewünschten Erfolg . Er empfing nämlich einen Verweis , daß er sich herausnehme , in dieser Angelegenheit selbst urteilen zu wollen ; man finde dies unangemessen und habe er den Gefangenen schleunigst abliefern zu lassen . Diese Hiobspost kündigte er seinem Freunde mit bestürzter Miene an . Fränzchen weinte . Hermann tröstete sie beide , sprach von seinen Bekanntschaften in der Residenz , die ihm bald aus der Verlegenheit helfen würden , und sagte , daß wenn man auch in diesem Punkte dort strenge Grundsätze hege , die Unschuld doch etwas Siegreiches habe , was die Richter sofort zu seinen Gunsten stimmen werde . Im Grunde war er froh , als der Wagen vorfuhr , die beiden bekannten Gendarmen zu den Seiten aufritten , und dergestalt einigen beklommen-langweiligen Tagen ein Ziel gesetzt wurde . Die ersten Gespräche mit seinem Freunde hatten ihn überzeugt , daß alle Berührungspunkte zwischen ihnen verlorengegangen waren . Der Polizeikommissarius bezog jetzt alles im strengsten Sinne auf den Dienst oder die Hausvaterschaft . So hatte Hermann einmal lange mit Geist und Suada von den streitenden Bestandteilen des Staats gesprochen , aufmerksam , wie es ihm schien , angehört von dem Freunde . Als er aber geschlossen hatte , rief die sehr aus : " Du hast ganz recht ; es wird nicht eher besser bei uns , als bis wir wissen , wie weit die Polizei gehen darf und wie weit die Justiz . " Die Pflichten des Hausvaters übte er wirklich in vollem Maße . Nicht genug , daß er bei der Wartung des Kindes in den unangenehmsten Vorkommenheiden mit zur Hand ging , er grub im Garten und beschickte die Küche , wo es irgend Not tat ; ja Hermann hatte ihn eines Morgens im Ställchen die Ziege melken sehen , welche diesem Haushalte die tägliche Milch gab . Oft geriet der Gast durch die Art und Weise in Verlegenheit , mit welcher der Wirt sein früheres Verhältnis zu Fränzchen zum Gegenstande der Unterhaltung machte . Er war unerschöpflich in Anspielungen und Scherzreden , welche nicht immer die feinste Wendung nahmen . Umsonst versuchte Hermann abzulenken ; endlich verbat er sich geradezu dergleichen . Worauf der Polizeikommissarius entgegnete : " Du bleibst , wie du warst , nicht für das Praktische , nicht für das wirkliche Leben . " Am meisten hatte Hermann in der Seele der jungen Frau gelitten , welcher , ungeachtet ihres Fehltritts und ihrer jetzigen Dürftigkeit , immer noch die feine anständige Manier geblieben war , durch welche Hermann sich ehedem so sehr angezogen gefühlt hatte . Er stieg , ohne Abschied von ihr zu nehmen , in den Wagen . Was hätte er ihr sagen sollen ? " Dahin wäre ich denn auch gediehen " , sprach er zu sich selber , " wenn ich den sogenannten vernünftigen Weg im Leben eingeschlagen hätte . Vielleicht in größeren Zimmern wohnend , und die Ziege nicht melkend , wäre ich denn doch vielleicht im Grunde schon ebenso ein Philister geworden , Welt , Zeit und den Pulsschlag der Geschichte nicht mehr vernehmend , die Neigung unserer niederen Natur zu schläfriger Bequemlichkeit in das lügenhafte Gewand erhabener Pflicht kleidend . Ehe ! - wie rauschen die Redensarten , wenn das Wort ausgesprochen wird . Das Sakrament der Ehe ! Die Heiligkeit der Ehe ! Der Segen des Ehestandes ! - Und was bringen denn nun diese schönen Dinge bei vielen hervor ? Daß sie einen Stillstand in ihrem Leben machen , daß die edelsten Verhältnisse , die unschätzbarsten Verbindungen ihren Reiz verlieren , die zarte Berührung mit dem Leben und den Menschen aufhört , und am Ende jene dumpfe Erstarrung eintritt , welche für das Ziel des Daseins ausgegeben wird . Man sollte daher auch über diesen Gegenstand natürlicher zu denken anfangen und sagen , daß der Staat der Sache bedürfe , um nicht selbst sich mit der Sorge für die Kinder befassen zu müssen , und folglich von Rechts wegen sie beschütze . Oder wenn man von einem Sakramente der Ehe und des Hauses reden wollte , so sollte man den Leutchen zurufen : » Macht euren Bund durch ein erhöhtes Leben in Geist und Gemüt zum Sakramente , aber glaubt nicht , daß ihr den Stand der Gnade schon durch die Liebeleien des Brautstandes , durch das Wechseln der Ringe , und durch das Anschaffen von Linnen , Betten , Töpfen und Schüsseln erworben habt « . " Sechstes Buch . Medon und Johanna Erstes Kapitel Erstes Kapitel Die Reise ging ohne weitere Vorfälle Tag und Nacht fort . Eines Morgens rollte der Wagen durch breite , schnurgerade Straßen zwischen prächtigen Palästen hin und die Hauptstadt war erreicht . Der Postillon hielt vor einem geräumigen Gebäude , welches man für eine stattliche Privatwohnung hätte ansehen können , wenn nicht durch die eisernen Gitter vor den Fenstern seine Bestimmung klargeworden wäre . Hermann stieg aus und wurde eine breite Treppe hinaufgeführt . Auf der Mitte derselben kam ihm ein wohlgekleideter Mann entgegen , begrüßte ihn äußerst höflich und sagte : " Haben Sie die Güte , mir zu folgen , ich hoffe , Sie auf der Stelle entlassen zu können . " Oben im Verhörsaale öffnete sich eine Seitentüre und herein trat , von einem Schließer begleitet , der mecklenburgische Präses . " Kennen Sie den Herrn ? " fragte der Beamte den Mecklenburger . Dieser wälzte seine rollenden Augen nach Hermann und sagte : " Er ist der Bösewicht , der , Deutschlands Sache abtrünnig , auch uns mit vorgehaltener Pistole zum Abfall verleiten wollte . " - " Gut " , versetzte der Beamte sehr sanft , " bringen Sie , Schließer , den Mann wegen ungebührlicher Ausdrücke vor Gericht auf acht Tage in den einsamen Kerker bei Wasser und Brot ; und Sie , mein Herr , sind frei . " Nach der Entfernung des Präses erzählte der Beamte unserem Freunde , daß ein Teil der Demagogen , welche dem Polizeikommissarius entgangen waren , sich in unbegreiflicher Verblendung nach der Hauptstadt gewendet habe , wo sie denn ihre unbedachte Einfalt gegenwärtig hinter Schloß und Riegel büßten . " Unter diesen befindet sich " , sagte er , " auch jener freche Mensch , welcher seines Verbrechens kein Hehl hat , vielmehr sich dessen rühmt . Er bekannte auf der Stelle die ganze Geschichte des sogenannten vierten Bundestags , und wie Sie , mein Freund , mehr wohl- als kluggesinnt , es unternommen hätten , die Versammlung zum Rücktritte von ihren Verirrungen zu bewegen . Nun waren in den oberen Regionen allerhand Bedenken , ob man Sie nicht doch noch vorläufig festhalten müsse " , fügte der Beamte hinzu . " Diese hat ein Mann , der vielen Einfluß besitzt , zu überwinden gewußt ; ihm haben Sie daher für Ihre Freiheit zu danken . " " So bestände denn also das ganze Unglück darin , daß ich die Reise , die ich auf meine Kosten hätte ma chen müssen , auf die des Staats zurückgelegt habe ! " rief Hermann heiter . " Aber wo ist mein unbekannter großmütiger Wohltäter ? " Eine zweite Seitentüre öffnete sich , und ein großer , würdig , ja majestätisch aussehender Mann trat ein . " Glücklich los ? " fragte er Hermann mit freundlichem Tone . " Mein Herr " , erwiderte dieser , " niemals noch hatte ich das Glück , Sie zu sehen . Wer sind Sie ? Womit habe ich Ihre Güte verdient ? " " Ich finde es so natürlich , anderen Ungelegenheiten zu ersparen , wenn man es kann , daß ich einen solchen Dienst nicht der Rede wert halte " , versetzte jener . " Zufällig wußte ich von Ihrer Reise , zufällig erfuhr ich , welche Hemmung Sie unterwegs angetroffen hätten , und zufällig ließ man mein Wort zu Ihren Gunsten gelten . Sie sind mir keinen Dank schuldig , denn in einem ähnlichen Falle erwarte ich dasselbe von Ihnen . Übrigens heiße ich Medon . " Wer beschreibt das Erstaunen Hermanns ? Er ging mit ihm die Treppe hinunter , keines Wortes mächtig . " Warum sind Sie doch so betroffen ? " fragte ihn Medon . " Freuen Sie sich lieber , daß Sie jemand , der Ihnen vermutlich wie ein Ungeheuer beschrieben worden ist , in ganz menschlicher Art und Gestaltung finden . Und nun entledigen Sie sich vor allen Dingen Ihrer Kommission und vertrauen Sie mir getrost den Brief an meine Frau , welchen ich nicht unterschlagen werde . " Hermann suchte den Brief aus dem Portefeuille , welches ihm wiedergegeben worden war , hervor , und sagte zu Medon : " Wie erfuhren Sie das , was meines Wissens niemand außer der Herzogin und mir bekannt war ? " " Die Herzogin " , versetzte Medon lächelnd , " welche nach Art der Frauen ihrer Natur entweder etwas halb tut , oder zuviel des Guten gibt , hatte den ersten Grundsatz der Diplomatie vergessen , durch Überraschung zu wirken , wenn man nicht mit ganz zureichenden Mitteln versehen ist . Sie vertraute ihren Plan einer hiesigen Bekannten und ersuchte sie , Johannen auf Ihren Empfang stimmend vorzubereiten . Die Gute , welche durch diesen Auftrag in einige Verlegenheit geriet , weil wir leider hier in ganz erträglichem Ruf und Ansehen stehen , suchte an dem verschwiegenen Busen einer Freundin Rat , welche ihrerseits , und so weiter ; Sie kennen diesen Hergang der Dinge . So kam es , daß wir Ihre Ankunft durch ein Stadtgespräch vorauswußten ; etwas verdrießlich für uns ; indessen läßt sich zu dergleichen nichts tun , man muß die abweichenden Ansichten der Menschen , besonders wo sich Stand und Befangenheit mit einmischen , schon in Geduld ertragen . " Er empfing den Brief der Herzogin , lobte die Handschrift der Adresse , und steckte ihn gleichgültig ein . " Ich würde Sie bitten , bei uns zu wohnen " , sagte er zu Hermann , " wenn wir nicht so beschränkt uns halten müßten , wie es überhaupt hier Ortssitte ist . Doch habe ich Ihnen ein Quartier nicht gar zu weit von uns gemietet , wo Sie aus Ihrem Fenster alle die neu aufsteigenden Bauten überschaun . " Er führte ihn nach einem großen Hause unter der Lindenallee der Stadt , in ein geräumiges heiteres Zimmer . Wirklich überblickte Hermann von dort die großen , teils fertigen , teils der Vollendung entgegensteigend Architekturmassen , zu welchen der Friede nun wieder die Kräfte und den Mut gegeben hatte . Medon verließ ihn , nachdem er ihn zu baldigstem Besuche eingeladen hatte . In ein neues wundersames Verhältnis zu freundlichen Feinden geklemmt , konnte Hermann den Schlummer nicht finden , durch den er sich auf die erzwungenen Nachtfahrten zu erholen gedachte . Er sprang von seinem Lager auf , und suchte in der Zerstreuung sich zu beschwichtigen . Er durchstrich die wohlbekannten Straßen und Plätze , erneuerte einige Bekanntschaften , und wünschte , daß der Tag vorbei sein möchte . An enghäusliche Zustände seit einiger Zeit gewöhnt , fühlte er sich ungeachtet der günstigen Wendung seines Schicksals in der weiten , breiten Stadt , unter den rasch und gleichgültig aneinander vorbeirennenden Menschenhaufen ziemlich unlustig . Daß er nunmehr am Sitze der Intelligenz sich befinde , wurde ihm bald fühlbar . Denn er war noch nicht zwei Stunden in der Hauptstadt , als er bereits von mehreren Leuten aus der niedrigsten Volksklasse , mit denen er sich in nachfragende Gespräche eingelassen , ein unzweideutiges Verhöhnen seiner provinziellen Einfalt hatte erfahren müssen . Zweites Kapitel Zweites Kapitel Einige Tage vergingen , bevor Hermann sich entschließen konnte , Medons Haus zu besuchen . Wie peinlich war seine Stellung Johannen gegenüber geworden ! Das Gefühl der Unhöflichkeit , welche in seinem Meiden lag , schien ihm erträglicher als der Gedanke an das Zusammentreffen mit einer Frau , welcher er , er mochte es deuten , wie er wollte , das Verletzendste überbracht hatte . Medon war einige Male gekommen , ohne ihn zu treffen , nachher hatte er diese Bemühungen eingestellt . Die alten Bekannten zeigten sich unverändert gegen ihn . Man wußte schon von seinem Abenteuer , die Männer lachten darüber , die Frauen , welche hier sämtlich sehr loyal waren , staunten seinen Heldenmut an , und beide Geschlechter vereinigten sich in dem Behagen , welches die Gesellschaft immer empfindet , wenn man ihr zu reden gibt . Er konnte in weniger Zeit einen großen Kreis durchlaufen , weil jedermann äußerst beschäftigt war , seine Stunden genau eingeteilt hatte , und man ihn nach fünf oder zehn Minuten überall gern entließ , um zu einer neuen Tagesobliegenheit übergehen zu dürfen . Freilich empfand er bald in diesem unruhigen Drängen , Treiben und Quirlen einen moralischen Schwindel . Um sich einigermaßen zu fassen , forschte er nach einem gemeinsamen Mittelpunkte aller dieser kurzen geistigen Wogenschläge , und fand denselben freilich da , wo er ihn am wenigsten wünschen konnte . Die Bewohner einer großen Stadt , von den auf sie einstürmenden Lebensreizen überdrängt , sind unfähig , wie die Pfahlbürger kleinerer Orte ihren stillen eigensinnigen Gang zu gehen . Ein Heerführer tut ihnen Not , um ihr gefährdetes Inneres an ihn zu klammern . Es wird daher immer von Zeit zu Zeit irgend jemand Mode , welcher nun fast als ein weltlicher Messias dem der Erlösung aus Unsicherheit und Langeweile bedürftigen Geschlecht dasteht . Nicht selten entscheidet das Verdienst über die Wahl , mitunter freilich auch der Zufall , und im ganzen ist an diesem Vasallendienst auszusetzen , daß die Dauer dem Feuer , womit er begonnen wird , nicht gleichzukommen pflegt . Eben war Medon Mode geworden . In seinem Hause versammelten sich die bedeutendsten Gelehrten , Staatsmänner , Künstler und Dichter der Hauptstadt . Wohin Hermann hörte , überall vernahm er ein fast andächtig zu nennendes Lob . Die Männer wollten in ihm einen Charakter des Altertums finden . Es sei schön , sagten mehrere , daß einmal wieder jemand sich zeige , der ohne Gehalt , ohne Dienstpatent und Ordensband an den Geschäften des Staats teilnehme , denn man hielt es für ausgemacht , daß sein Rat bei manchen weitgreifenden Einrichtungen im stillen benutzt werde . Die Frauen schwärmten dagegen mehr über seine musterhafte Häuslichkeit . Kurz vor ihm war ein geistreicher Kopf Mode gewesen , welcher sich in witzigen Schlagreden auszeichnete , die seine Anhänger umhertrugen und groß nannten . An Medon fand man es dagegen groß , daß von ihm kein einziges Bonmot zu berichten sei , vielmehr das Anziehende der Erscheinung in ihrer ruhigen schlichten Kraft bestehe . Doch muß , um die diplomatische Treue dieser Denkwürdigkeiten nicht zu verletzen , bemerkt werden , daß mehr von Großartigkeit als von Größe die Rede war , denn dieses Zwitterwort besaß damals schon den Ruf , in welchem es sich noch jetzt erhält . Einem solchen Manne gegenüber , in diesem Ansehn gegründet , sollte also Hermann den Auftrag der Herzogin vollziehen . Ein tiefes , sonderbares Gefühl sagte ihm , daß sie recht habe , hörte er auf seinen Verstand , traute er so vielen klugen Leuten nur einiges Urteil zu , so mußte er seine Botschaft für unnütz und lächerlich erachten . Er konnte seinen Besuch nicht länger verschieben , und wählte dazu einen Abend , an welchem , wie er erfahren , bei Medon regelmäßig große Gesellschaft war . Unter vielen glaubte er am besten über die Verlegenheit der ersten Begegnung hinauszukommen . Wirklich waren die geräumigen , anständig verzierten Zimmer von den ausgezeichnetsten Personen mehr als gefüllt . Diplomaten , höhere Offiziere , Geschichtsschreiber , Philologen , Länder- und Völkerkundige , Philosophen , Schriftsteller , Reisende und Maler standen in eifrig redenden Gruppen zusammen . Hermann wurde am Sofa der Frau vom Hause vorgestellt , trat aber , sobald es schicklich war , von ihr zurück und mischte sich unter die Redenden . Wie wohl fühlte er sich denn doch nach überwundener Beklemmung in diesem Kreise ! Politik , Geschichte , Sprache , die ganze Breite der Welt ging im Gespräche an ihm vorüber . Eine Maße von Ideen wurde angeregt , mit Einsicht besprochen und doch nicht erschöpft , sondern unendlicher Betrachtung aufbewahrt . Ein Strom des geistigen Lebens umwogte ihn , er fühlte sich engen kleinlichen Verhältnissen entrückt und wie nach einem stärkenden Bade auf heiterer Höhe . Der Philosoph verstand den Empiriker , dieser bekannte der Spekulation gegenüber die Grenzen seiner Kunde , die Praktiker ließen die Gelehrten gelten , und so umschlang ein Band gegenseitiger Achtung diesen Tauschmarkt , zu welchem die köstlichsten Güter : Kenntnisse und Wahrheiten , gebracht wurden . Eine ganz eigene Stellung nahm Medon zu seinen Freunden ein . Er enthielt sich des lebhaften Gesprächs und hörte viel zu . Waren aber die Meinungen zu ihrer letzten Divergenz gediehen , so wußte er auf die glänzendste Weise zu resümieren , wo dann jeder die seinige in so schöner Gestalt wieder erblickte , daß dem eifrigsten Streite ein allgemeines Wohlbehagen folgte , die Sache selbst freilich unerledigt blieb . Empfand nun Hermann schon am ersten Abende über diesen ihm neu gewordenen Verkehr die größte Freude , so läßt sich wohl denken , daß sein Fuß bald öfter das Haus betrat . Binnen kurzem genoß er den näheren Umgang der beiden Gatten , und erblickte ein Verhältnis , welches im Gegensatze zu der modernen Barbarei , klassisch genannt werden konnte . Hier hatte man die Ehe und das Haus nicht zum Polster nachlässiger Sitten gemacht ; die engsten Bande dienten nur dazu , Glanz und Strenge der feinsten Formen als etwas Natürliches herauszustellen . Selbst ein Anflug schmerzlicher Kälte , der ihm hin und wieder entgegenwehte , erhöhte den Ausdruck der Antike , welcher dieser Gruppe Angehörte . Johanna trat wenig hervor , aber sie war eine der Frauen , hinter deren gemessenem Wesen man ein unendliches Lieben und Leiden vermutet . Von dem Briefe der Herzogin war nicht die Rede . Er schrieb an diese einige gefühlte Zeilen , worin er zwar die Ausrichtung seiner Kommission meldete , jedoch hinzusetzte , daß er die Umstände zu verschieden von seiner Erwartung gefunden habe , um ein ferneres persönliches Einwirken versprechen zu können . Drittes Kapitel Drittes Kapitel In Medons Hause hatte er eine Dame kennengelernt , deren lebhafte Gesprächigkeit ihn anzog . Er folgte einer Einladung und war bald ihrem Kreise als willkommener Besucher einverleibt . Madame Meyer war eine enthusiastische Verehrerin des Schönen , besonders der bildenden Künste , in deren Wesen ihre Freunde ihr tiefe Einsichten zutrauten . Es machte auf Hermanns Augen einen sonderbaren Eindruck , als er zum ersten Male bei ihr vorgelassen wurde . Man führte ihn durch eine Reihe von Zimmern , worin Dämmerung und blendender Lichtglanz abwechselten . Denn , hatte er eins durchschritten , von welchem gemalte Fensterscheiben den Tag abhielten , so trat er in ein anderes , in welchem goldgrundierte , heftig-bunte Gemälde die Wände bedeckten , und die Sehnerven sich fast verwundet fühlten . In diesem Hause war der eigentliche Sammelplatz der Künstler und Kunstfreunde , welche bei Medon mehr nur wie Zugvögel einsprachen , weil man ihm anmerken konnte , daß , so gefällig er auch auf artistische Gespräche einzugehn , und so verständig er sie zu führen wußte , sein Sinn und seine Neigung doch mehr anderen Gebieten zugewendet waren . Zwei Abende in der Woche waren zu regelmäßigen Zusammenkünften bestimmt , in denen man sich über Gegenstände des Fachs unterhielt , Stein- und Handzeichnungen besah . Blieb nach diesen Beschäftigungen noch Zeit übrig , so pflegte man im Konzertzimmer Musik zu machen , zu welcher meistenteils altkatholische Hymnen auserwählt wurden . Madame Meyer hatte dieses Gemach wie eine kirchliche Kapelle ausschmücken lassen , und sich eine wohlklingende Haus- und Handorgel zu verschaffen gewußt . Das Bild der heiligen Cäcilia , augenscheinlich der ältesten Kunstepoche angehörend , wenn hier nicht etwa eine geschickte moderne Nachahmung sich ins Mittel geschlagen hatte , sah von einem Pfeiler hernieder . Da nun die Besitzerin , um die Illusion auf das Äußerste zu treiben , in diesen künstlichen Raum Altärchen und Meßbüchlein , ja sogar ein ewiges Lämpchen hatte stiften lassen , so befand man sich wirklich in der angenehmsten Täuschung , welche nur dadurch hin und wieder unterbrochen wurde , daß die Bedienten auch dort ohne Scheu mit dem Teebrette umhergingen , und die Gäste die geleerten Tassen nicht selten auf den Sockeln der Pfeiler , ja wohl gar auf dem Altare absetzten . Ein junger Dichter erhöhte von Zeit zu Zeit die Mannigfaltigkeit dieser Abende . Er hatte unternommen , das Leben der größten Maler in Terzinen zu beschreiben , war so gefällig , aus diesem Werke , wie es fortrückte , vorzulesen , und so durfte jeder , welcher an den Soireen der Madame Meyer teilnahm , hoffen , nach und nach die Kunstgeschichte in geglätteten Versen kennenzulernen . Es war um die Zeit , als die " Herzensergießungen des Klosterbruders " das Volk zu entzünden begannen , nachdem sie viele Jahre hindurch nur in einem engen Kreise weniger Geweihter Einfluß bewiesen hatten . Jetzt ist diese Zeit fast auch schon wieder verschollen . Wer erinnert sich aber nicht noch jenes Sturms und Dranges nach Kirchenfenstern , Schnitzwerk in Holz und Elfenbein , nach unscheinbaren Tafeln , auf welchen man , wenn Schmutz und Moder weggenommen waren , endlich ein rundes altdeutsches Gesicht erblickte . Madame Meyer teilte ganz diese Leidenschaft , ihr beträchtliches Vermögen gab ihr die Mittel , ein ansehnliches Besitztum jener Art um sich zu versammeln . Jedoch hielt sie , besonders was Gemälde anging , streng auf die älteste Periode , welche ihr allein Andacht und Begeisterung widerzustrahlen schien . Von Raphael hätte sie vielleicht noch etwas an- und aufgenommen ; wer ihr aber mit einem Guido , oder gar mit einem der Caraccis nahegekommen wäre , würde sie gewiß tief verletzt haben . Ihr Kreis widersprach diesen Meinungen nicht , wiewohl man versucht sein konnte , manche Glieder desselben , namentlich die Bildhauer , anderes Sinnes zu vermuten . Indessen mochte niemand es gern mit der angenehmen Wirtin verderben , welche die Güte und Gefälligkeit selbst war . Hermann , der sich überall zu finden wußte , beschloß , diese Gelegenheit , seine Kenntnisse zu erweitern , treulich zu nützen . Jene älteste Kunstregion war ihm , so gut , als fremd , jetzt suchte er sich nun auf alle Weise an den byzantinischen Tafeln aufzuklären . Die liebenswürdige Witwe war seine gewissenhafte Führerin durch diese Schätze , und ein steigendes Wohlwollen ließ sich ihrerseits bald nicht mehr verkennen . Die Gespräche der Künstler waren ihm immer lehrreich , besonders wenn sie die Empirie berührten . Weniger fand er sich erbaut , sobald die Unterredung zum Allgemeineren emporstieg , oder gar einen philosophischen Charakter annahm . Es war viel von der Auferweckung eines früheren , verlorengegangnen Stils die Rede , von der Wahl religiöser Momente , von dem Bunde der Kirche mit den Künsten , ohne daß ihm Gelegenheit gegeben wurde , bei diesen Worten etwas Bestimmtes zu denken , oder Hoffnungen auf das Gelingen eines Werks zu schöpfen . Ja , er nahm sogar bald wahr , daß hier mehr ein berechneter Austausch gewisser übereinkömmlicher Redensarten , als das Bekenntnis eines festen Glaubens und Erwartens zu walten schien . Wollte ihm jedoch diese Affektation Unbehagen verursachen , so stellte die Freundlichkeit der Wirtin immer bald seine Heiterkeit wieder her . Sie fühlte sich im Besitze ihrer Altertümer , und in dem Umgange mit den ersten Talenten der Hauptstadt so wohl , daß das Vergnügen , welches sie empfand , zum Teil wenigstens auf jeden übergehen mußte , der sich ihr näherte . Dabei tat es vielleicht auch etwas , daß die Augen an der noch immer sehr hübschen Frau , welche nur für ihre Fülle etwas zu klein war , ihre Rechnung fanden . Unerwartet führte ihn diese neue Bekanntschaft Johannen näher . Madame Meyer verehrte Medon und liebte seine Gattin zärtlich . Diese schien sich bei der Freundin wohler als im eigenen Hause zu befinden , wo man ihr oft ein seltsam gespanntes Wesen ansah . Unter den fremden Umgebungen ruhte sie von unbekannten Schmerzen aus . Dort , in einem artigen , von mattlieblichem Lampenlichte erhellten Seitengemache , in welchem Madame Meyer die freundlichsten Madonnenköpfe versammelt hatte , pflegte sie zu sitzen , die großen , schönen Augen wie in eine weite Ferne richtend . Ihre Züge , welche sonst etwas Strenges hatten , bekamen in dieser milden Dämmerung einen unendlich sanften Ausdruck , selbst ihre Stimme wurde weicher . Hier fand sich Hermann , so oft er nur konnte , zu ihr , und manche Stunde verfloß ihnen beiden dort unter traulichen Gesprächen , während die an deren sich in den hellerleuchteten Sälen mit Dürer und Hemling beschäftigten , oder den Chorälen Leos in der Kapelle horchten . In diesem Lichte , auf diesen Tönen schwebten ihre Worte am liebsten zu frühen Bildern zurück ; in der Nähe dieser Frau trat ihm seine erste Jugend wunderbar nahe , er wurde ganz Erinnerung , während sie die zarten Ranken aufblühender Hoffnungen an seine mutige Kraft zu knüpfen schien . " Was machen Sie nur mit Johanna ? " fragte ihn Madame Meyer . " Wir anderen haben gepredigt und gescholten , um sie aus ihrer Resignation , worin sie nur noch mit den abgeschiedenen Geistern der Vergangenheit zu leben schien , emporzurichten , aber alles war vergebens . Nun kommen Sie , und schon spricht sie von Reisen , Festen , die sie geben will , Bekanntschaften , die sie anzuknüpfen vorhat , kurz von lauter zukünftigen , angenehmen und vergnüglichen Dingen . " Die Gesellschaft unterhielt sich bereits von dem vertraulichen Verhältnisse beider . Und doch hatte sie Unrecht . Hier war keine Spur von Leidenschaftlichkeit , von trübem Verlangen . Es war ihnen natürlich , zusammen zu sein ; sie folgten dieser Notwendigkeit , ohne selbst davon zu wissen . Eines Abends sagte Johanna zu ihm : " Wie preise ich meine Freundin glücklich , daß sie an diesen Zimmern , Gemälden und Putzsachen ihr Vergnügen haben kann ! Ich mag das alles auch , es ergötzt mich sogar , und doch wäre es mir nicht möglich , mich mit diesen oder anderen dergleichen Dingen zu beschäftigen . Ach , die Natur ist oft recht grausam ! Man spricht von Mannweibern , man spottet ihrer , man glaubt von jeder Frau , welche sich nicht mit Kleidern , Zierat , oder , wie es jetzt Mode wird , mit Kunstsachen zu behaben weiß , oder keine Kinder , als eine andere Art von Spielwerk , um sich herstellen kann , sie gehe aus hochmütigem Gelüste über die Grenzen des Geschlechts hinaus , und doch ist es oft nur unser Eigenstes , des Weibes Kleinod und Perle , die tiefe Sehnsucht , das heiligste und hülfloseste Liebesbedürfnis , welches zu solcher Einsamkeit verdammt ! " " Sind Sie so unglücklich ? " fragte Hermann , und faßte teilnehmend ihre Hand . " Sehr ! " versetzte sie . - Er wagte die schüchterne Bitte um volles Zutraun . " Auch dazu wird die Stunde kommen " , antwortete sie , indem sie sich erhob . " Mein Schicksal ist wohl entschieden , aber der Himmel zeigt sich wenigstens darin der Geknickten gnädig , daß er ihr eine Stütze sendet , an welcher sie dem Kloster oder sonst einer verborgenen Freistätte entgegenwanken kann . " Viertes Kapitel Viertes Kapitel Die Errichtung und Ausstattung des großen , den Kunstsammlungen des Staats gewidmeten Baues beschäftigte damals in hohem Grade die Gemüter . Schon überdeckte die Wände das Dach , Maler und Vergolder waren im Inneren tätig , man mußte nun daran denken , wie der aufgespeicherte Vorrat einzuordnen sei . Von allen Orten und Seiten her hatten diese Schätze sich zusammengefunden ; es war die Absicht der Herrschenden , daß die durch glorreiche Kriegstaten wiedererrungene Macht sich im mannigfaltigsten Besitze abspiegeln sollte . Nur über das Wie ? herrschte einige Verlegenheit . Nach der Weise früherer Zeiten auf das Geratewohl die vorhandenen Bilder aufhängen zu lassen , und nur dafür zu sorgen , daß jedes wertvolle Werk ein ziemliches Licht erhalte , war der Klarheit des Bewußtseins , womit in dieser großen Stadt alles betrieben wurde , durchaus zuwider . Es sollte , wie man sich hier auszudrucken pflegte , eine Idee im neuen Nationalmuseum herrschen , die Geschichte der Kunst sollte aus der Sammlung hervorleuchten , und zwar nicht eine Kunstgeschichte , wie sie herkömmlich falsch bisher überliefert worden , sondern die gereinigte , welche die neusten archäologischen Forschungen geschaffen haben . Hier zeigte sich nun aber , daß die Bestrebungen scharfsinniger Geister denn doch nur erst bis zum Zweifel geführt hatten . Die Zeitfolge , das Verhältnis der Schulen war angefochten worden . Ungewiß erschienen die Zeichen der Meister . Warnend hatten die Kenner auf die ausgebildete Technik so mancher geschickten Kopisten aufmerksam gemacht . Kurz diejenigen , welchen die Sorge des Geschäfts anvertraut worden war , trieben in einem Meere von Bedenken und Einwürfen um . Man wollte sicher zu Werke gehen , und sein Gewissen vor der Schande bewahren , einen Cinquecentisten übersehen oder irrtümlich angenommen zu haben , und über diesem kritischen Bestreben gelangten die Werkleute nicht zum Einschlagen der Nägel . Das Schlimmste war , daß , da Laien und Frauen eifrig mit einzureden begannen , und eine siegreich durchgeführte Meinung die Aussicht auf eine wohlausgestattete Pfründe bei der neuen Anstalt gab , die Leidenschaften sich mit in das Spiel mischten . Bald stritten die Kenner persönlich und feindselig gegeneinander , und man beobachtete in dieser Angelegenheit nicht immer die Urbanität , wozu die schönen Künste führen sollen . Eine andere Schwierigkeit entsprang aus der Beschaffenheit der vorhandenen Sachen . Man hatte vieles , aber unter diesem Vielen , was zum größeren Teile ganz gut war , gab es keine eigentlichen Haupt- und Glanzbilder ; es fehlten die Fürsten der Säle , um welche sich das übrige gruppieren ließ , solche Werke , welche einer Sammlung erst die rechte Haltung geben . Nimmt man nun dazu , daß eine bedeutende Partei , welche die Kunst vom ideellen Gesichtspunkte betrachtete , gegen die Aufnahme des Genres und der Landschaft sich erklärte , während andere , realistisch gesinnt , sich ebenso entschieden dafür aussprachen , so wird man einen Begriff von dem Chaos haben , in welches die beste und hochherzigste Gesinnung der Waltenden eine Menge verständiger Männer und Frauen gestürzt hatte . Was Madame Meyer betraf , so versetzte sie dieser Streit , so oft er bei ihr anzuklingen begann , in die übelste Lage . Sie hatte sich über die früheste Periode der Kunst so ziemlich unterrichtet , und da ihr hier und in Beziehung auf ihre Sammlungen keine unhöfliche Gegenrede der künstlerischen Freunde beschwerlich fiel , so wußte sie , wenn die Betrachtung sich in jenen Regionen verhielt , ein auslangendes Gespräch zu führen . Aber sobald man die erwähnten Streitpunkte aufregte , fühlte sie sich ganz verlassen , und indem sie als Sachverständige doch mitzureden die Pflicht empfand , gleichwohl eigentlich nichts beizubringen imstande war , kam nichts ihrer Verlegenheit gleich . Diese wurde ihr um so häufiger bereitet , als gerade die gelehrtesten und hartnäckigsten Kämpfe sich nicht selten auf den Teppichen ihrer Zimmer entspannen . Welchen Stoff dieser Bilderstreit den lustigen Köpfen der Stadt , die allem ihre Einfälle anzuheften pflegen , gegeben , läßt sich denken . Ein Spottvogel äußerte , die Gemälde würden nicht eher hängen , als bis die Gelehrten hingen ; und ein anderer versetzte auf die Frage , wann die große Galerie zustande kommen werde : " Nach dem Dreißigjährigen Kriege . " Plötzlich erschien inmitten dieser Bewegungen ein fremder Handelsmann , welcher durch Gunst des Geschicks in Italien , Flandern und Deutschland die seltensten Stücke zusammengebracht hatte . Er kramte seine Sachen aus , und stellte sie in dem hellen Saale eines großen Gasthofs den Schaulustigen zur Betrachtung auf . Nicht leicht hatte man einen bestimmten Abschnitt der Kunstgeschichte in so stetiger Folge überschaut , als hier . Die Sammlung umfaßte den Zeitraum vom dunkelsten Altertume vor Cimabue bis auf Raffaels Jugend ; allem Späteren hatte der Besitzer Neigung und Geldbeutel versagt . Hier taten einem unter allem dem Gold , Lack , und bunten Farbengetümmel im eigentlichen Sinne des Worts die Augen weh . Niemand konnte einem so zusammenstimmenden Ganzen seine Achtung versagen , ohne daß gleichwohl der Gedanke entstand , diese Anhäufung von Inkunabeln werde einer in umfassenderem Sinne zu behandelnden Sammlung von erheblichem Nutzen sein . Madame Meyer geriet bei dem Anblicke der glänzenden Tafeln fast außer sich und der junge Dichter teilte ihr Entzücken . In seinen Produkten erschienen seitdem noch mehr Brunnen und Wonnen , Lichtstrahlen und Waldesnächte , Engelsköpfe und Tauben des Heiligen Geistes . Sie aber vernachlässigte über diesen Genuß fast eine Zeitlang ihre Freunde und den musikalischen Gottesdienst in der künstlichen Kapelle . Es war wunderbar anzuhören , auf welche Weise der Handelsmann in die enthusiastischen Reden dieser beiden Begeisterten einstimmte . Er hatte , von klugen , mit dem Geiste der Zeit vertrauten Männern unterstützt , das ganze Sammelgeschäft aus Spekulation getrieben , und wußte , bei seinen Sachen stehend , anfangs durchaus nicht , wie er sich bei jenen Hymnen zu verhalten habe . Endlich merkte er deren äußeren Schall sich zu eigenem Gebrauche ab , und gab , wenn darin eine Pause entstand , den hohen Ankaufspreis der Bilder , in dem nämlichen schwärmerisch-verzückten Tone fortfahrend , an . Auf einmal , ohne daß man sich dessen versehen , wurde bekannt , daß die Sammlung für die Nationalgalerie angekauft sei . Das Erstaunen über diesen Entschluß war sehr groß . Die unterrichtendsten Prachtstücke jenes Besitztums hätte jeder gern in den neuen Hallen gesehen , das Ganze aber schien außer allem Verhältnisse zu dem Zwecke der Anstalt zu sein . Die Köpfe mühten sich ab , den Grund jener befremdenden Entscheidung aufzufinden , und in Ermangelung der Wahrheit behalf man sich mit ziemlich unglaublich klingenden Gerüchten . So hörte Hermann erzählen , Medon habe einen starken Einfluß auf die Sache ausgeübt . Auf geschickte Weise sei von ihm Madame Meyers Enthusiasmus in das Spiel gezogen , und sie selbst bestimmt worden , einem angesehenen , ihr leidenschaftlich zugetanen Manne , der in dieser Angelegenheit das Votum besaß , sich gefälliger und geneigter zu erweisen , als früherhin . Der Staatsmann , ganz beglückt über die ihm aufgehende Liebessonne , habe in einer schwachen zärtlichen Stunde dem Andringen seiner Freundin auf Erwerbung der alten Kunstschätze nicht widerstehen können , und so sei durch das Herz hier ein Ankauf vermittelt worden , gegen welchen der Verstand des Staatsmanns sich eigentlich gesträubt habe . Hermann Maß diesen und ähnlichen Einflüsterungen keinen Glauben bei . Zwar hatte er wirklich in der letzten Zeit lange vertrauliche Gespräche zwischen Medon und Madame Meyer bemerkt , und eine Annäherung ihrerseits an den sonst ziemlich kühl von ihr behandelten Staatsmann wahrgenommen , aber jenes intrigierende Benehmen widerstritt zu grell seiner Meinung von Medon , welche von Tage zu Tage günstiger wurde . Auch hatte sich Medon einmal sehr kräftig gegen die Spielerei mit längst verschollenen Empfindungs- und Auffassungsweisen ausgesprochen , und die Liebhaberei der Madame Meyer geradezu eine Buhlschaft mit geputzten Leichen genannt . Wie sollte er also darauf gekommen sein , jetzt wider seine eigene Überzeugung zu wirken ? Etwas Gutes hatte der Ankauf der alten Bilder ; der Zank der Gelehrten war sofort geschlichtet . Die Sammlung , als Ganzes erworben , sollte als ein solches zusammenbleiben . Verfuhr man nun aber , wie man mußte , nach dieser Bestimmung , so nahm sie den bedeutendsten Teil des zugemeßenen Raumes hinweg , und das andere war , ohne daß mehr sonderlich auf die kritisch-archäologischen Streitigkeiten Rücksicht genommen werden konnte , unterzubringen , wie es sich eben schicken und fügen wollte . Hermann , der von allem dem , was sich um ihn , und in ihm bewegte , schon nichts mehr gern unbesprochen mit Johannen ließ , hatte auch sie einstmals um ihre Meinung von diesen Dingen befragt . Sie versetzte : " Wenn ich das Museum zu ordnen hätte , würde ich bald fertig werden . Ich hinge die liebsten Bilder , die mir Tränen der Rührung oder des Lachens in die Augen treiben , in das hellste Licht , und es würde mir nicht darauf ankommen , ob eine Himmelskönigin sich neben einer Schenke voll Bauern befände . " " Aber die Geschichte ! die Kunstgeschichte ! " rief Hermann . Johanna lächelte und sagte : " Es muß wohl etwas daran sein , weil ich so viele kluge Männer davon reden höre . Nur sehe ich sie auf ihrem Wege mitunter dahin geraten , daß sie über die Wiege und den Taufschein das Kind vergessen . Wenn ich meine gute Meyer betrachte , und wahrnehme , wie sie ihr schönes Vermögen in lauter Dingen vergeudet , von denen das wenigste einem gesunden Sinne eigentlich Vergnügen machen kann , so möchte ich glauben , daß mindestens für uns Frauen die Kunst nur die Geschichte hat , welche sie in der Gegenwart erlebt , wenn auf ihre Wunder der Blick einer reinen Seele fällt . Indessen lassen Sie uns von diesem Gegenstande abbrechen . Das Schöne will nicht beredet , es soll gefühlt werden . Ich kenne nur ein Gespräch , welches noch unnützer ist , als das über Bilder , und das ist das über Musik . " Fünftes Kapitel Fünftes Kapitel Medons Kreis verarbeitete währenddessen ein Thema von großer politischer Wichtigkeit ; das Verhältnis der neu erworbenen Provinzen zu dem Haupt- und Stammlande . Man hatte nicht ungeschickt den Staat mit zwei auf dem festen Lande ausgesäten Inseln verglichen , und dieses Gleichnis war insofern von moralischer Bedeutung , als dessen beide durch weite Strecken auseinandergehaltene Teile nach ersiegter Ruhe sich gegenseitig schroff insularisch abzuschließen drohten . Diesen Krieg im Frieden zu schlichten , und eine Verschmelzung des Gemeinwesens herbeizuführen , war nicht bloß das Geschäft der mit Lösung der Aufgabe unmittelbar beauftragten Staatsmänner , sondern die Sorge jedes einsichtigen Patrioten , und Medon schien sich hier in seinem eigentlichen Felde zu bewegen , während er anderen Gegenständen der menschlichen Betrachtung oft mehr nachgiebig und geschickt , als wahrhaft und aufmerksam folgte . Die Meinungen , wie das Neue zum Alten zu stellen sei , waren sehr mannigfaltig , doch konnte man drei Hauptrichtungen unterscheiden . " Wir haben erobert " , so ließ sich ein Mann von entschloßener Gesinnung zu öfterem vernehmen , " warum zögern wir also , nach dem unter allen Völkern und zu allen Zeiten üblich gewesenen Eroberungsrechte zu verfahren ? Der Sieger gibt seine Einrichtungen , seine Gesetze , ja , wo Verschiedenheit der Sprache obwaltet , nicht selten auch diese dem Besiegten . Der Sinn aller Kriege und Umwälzungen ist nur der , daß die den Völkern zugeteilten Fähigkeiten und Eigenschaften nach der Reihe im weiteren Kreise herrschend werden , und den Gang der Ereignisse bestimmen sollen . Auf solche Weise wird die in der einen Richtung müde gewordene Welt durch eine andere erfrischt , und das ist der Grund , warum das Reich von den Römern zu den Germanen kam , darauf die spanische Herrschaft folgte , und den Franzosen demnächst auch ihre Rolle gegeben wurde . Der Sieg soll den Zwang in seinem Gefolge haben , nur dadurch kann er sich als gerecht betätigen . Wieviel mehr als andere sind wir aber in diesem Falle , da es hier nur gilt , den nunmehrigen westlichen Brüdern ein ihnen von fremder Hand vor kurzem aufgedrücktes Gepräge wieder abzunehmen , und ihnen dagegen eine stammverwandte Gestalt zu geben ? Jetzt erst sind sie in die rechte Stellung zu Deutschland gekommen , sie sind Deutsche geworden , und es wäre wahrlich eine verdammende , ihnen selbst den größten Schaden bringende Schwäche , wenn man ihnen aus Furcht vor den Regungen einiger Egoisten die Segnungen der Nationalisierung vorenthielte . " Indem er diese Ansichten weiter ausführte , vertrat er die Notwendigkeit einer schnellen und kräftigen Organisation . Gesetze , Finanzen , Verwaltungs- und Kulturanstalten des alten Landes sollten so rasch als möglich jenen neu herantretenden Staatsgenossen nutgeteilt werden . Ganz im entgegengesetzten Sinne sprach sich ein anderer Staatsmann aus . " Diese Umbildung oder Organisation , wie man dergleichen Gewaltsamkeiten nennt , als wenn man in einer neuen Provinz nur eine tote Maße empfinge , welcher durch den Erwerber erst die Lebensorgane gegeben werden müßten , scheint mir gänzlich außer der Zeit zu sein . Im Grunde rührt jenes System von den Römern her , welche freilich alle überwundene Völker mit der Geißel ihres Rechts und ihrer Verwaltung zu züchtigen pflegten . Jeder spätere Versuch der Art ist nur eine Nachahmung der Maxime des einst weltbeherrschenden Staats gewesen . Am reinsten wurde derselbe von den Spaniern in den Eroberungen der Neuen Welt durchgeführt , wie denn überhaupt die spanische Herrschaft die meiste Ähnlichkeit mit der römischen Tyrannie hatte . Aber um sich zu einer so harten Zwangslehrmeisterstelle berufen zu fühlen , muß man sich für das erste Volk der Erde halten können . Römer und Spanier taten dieses , erstere vom politischen , letztere vom religiösen Stolze getragen . Ohne solchen Wahn , ohne diesen festen und unerschrockenen Fanatismus wird man in jener Bahn immer nur die Rolle des an sich selber zweifelnden Despoten spielen , die schlechteste , welche es gibt . Nun wird doch wohl niemand im Ernste sagen , daß unser achtbarer , aber etwas schmächtiger Mittelstaat jene unermeßliche Befangenheit Teile . Wir freuen uns des eingetretenen Umschwungs der Dinge , wir wissen , daß wir redlich und nach Kräften an dem Rade der Zeit haben schieben helfen , aber alle Vernünftigen sind von dem Rausche jener begeisterten Jahre ernüchtert , in denen wir freilich glaubten , daß Körners Lieder und die Freiwilligen den Usurpator verjagt hätten . Eine kühlere , aber richtigere Betrachtungsweise ist an die Stelle jener Überspannung getreten . Friedrichs Ehre glänzt bei den Sternen , dort leuchte sie uns fort und fort als heiliges Erinnerungszeichen , aber gefährlich wäre es , sie etwa als Kokarde an unseren Hüten zu tragen ; wir sind bescheidener geworden . Noch weniger glauben wir im Ernste , daß unsere Einrichtungen wirklich die besten seien , im stillen weiß ja jeder Kundige , daß wir so manches nur noch des Herkommens und der Gewohnheit halber mitmachen . Wie sollte es uns also einfallen dürfen , anderen mit Gewalt aufzudringen , was uns selbst zum Teil überlästig geworden ist ? " Der erste Redner stellte hierauf mit Lebendigkeit alle die Nachteile dar , welche aus einer so verschiedenartigen Gestalt der öffentlichen Lebensform entspringen müßten . " Wahrlich ! " rief er aus , " wie Öl und Wasser sich nicht mischen , so werden wir , wenn man jenen gelinden und zaudernden Weg verfolgt , das entfernte Besitztum mit uns niemals verbunden sehen , es wird nur unser Scheineigentum sein , welches der erste beste Sturm uns wieder zu entführen droht . Und warum die großen Besorgnisse ? möchte ich doch fragen . Sind wir nicht eines Stammes , muß daher nicht bei ihnen selbst eine Art von Verlangen nach unseren germanischen Einrichtungen bestehen ? " " Das möchte ich doch leugnen " , nahm ein Dritter das Wort . " Wie man über Westdeutschland denken möge , so viel ist gewiß , daß man einen merklichen Unterschied wahrnimmt , sobald man sich dem Stromgebiete der Weser nähert . Bei uns ist alles häuslich , bürgerlich , familienhaft . Arbeit und Erwerbe um der Frau und Kinder Willen zu unternehmen , nach des Tages Last und Hitze im Kreise der Seinigen auszuruhn , dem Sohne zu einer Stelle , der Tochter zu einer Heirat zu verhelfen , darauf bezieht sich alles Streben der Stände , welche hier , wie überall vorzugsweise das Volk ausmachen . Blickt der Bürger aus seinen vier Pfählen in das Gemeinwesen , so sieht er dasselbe eigentlich nur in der aufsteigenden Beamtenhierarchie , die jedes selbsttätige Eingreifen seinerseits verbietet , und in dem Herrscher , der ihm fast nur wie der oberste Familienvater vorkommt . Kein Adel , oder ein solcher , welcher verschuldet und machtlos , nur zu dienen weiß . Über ein weites plattes Land derselbe Zustand , dieselbe Stimmung verbreitet , höchst achtbar , aber sehr einförmig und ein wenig tonlos . Wie anders wird es , wenn wir durch die Westfälische Pforte gegangen sind ! Erinnerungen der verschiedensten Art beherrschen die Geister der Menschen . Hier lag eine freie Reichsstadt , dicht daneben waltete der Krummstab des Bischofs , unfern gebot ein kleiner Dynast . Nun dauert aber das Gedächtnis einer politischen Vergangenheit länger , als unsere Staatskünstler sich träumen lassen . Weiterhin , in den rheinischen Kreisen , war bekanntlich die Landkarte noch bunter zu den Zeiten des Reichs , welches doch noch kein Menschenalter tot ist . Betrachte man denn eine eigentümliche Folge , welche die Verhältnisse kleiner Staaten in den Menschen erzeugen ! Wenn in einem großen Reiche etwa ein Dutzend Personen zu dem Bewußtsein politischer Würde und Wichtigkeit gelangen , so entsteht auf einem viermal geringeren Raume , welcher von kleinen Staaten besetzt ist , wenigstens das Vierfache jenes Bewußtseins und des daraus entspringenden Sinns für das Öffentliche . Auf Flächeninhalt und Einwohnerzahl kommt es hierbei nicht an . Der Geheime Kammerrat des Beherrschers von wenigen Dörfern und Weilern trägt ein Selbstgefühl mit sich umher , welches dem des Ministers in dem Staate von dreizehn Millionen Einwohnern nichts nachgibt , vielleicht dasselbe noch übertrifft , weil jenen die großen Welthindernisse nicht so bedrängen , wie diesen . Die kleinen Staaten sind untergegangen , aber die Menschen sind geblieben . Die Söhne oder Enkel jener Geheimen Kammerräte , Bürgermeister , Schöffen und Patrizier leben , und wollen an ihrem Teile die Stelle der Väter und Ahnen einnehmen . Im Dienste des großen Reichs , welcher ihnen nun offensteht , gelangen aber nur sehr wenige , ich wiederhole es , zu dem Gefühle eigener Wichtigkeit im ganzen Staatsbetriebe , der unendlich größeren Mehrheit bleibt die Last des passiven Gehorsams ohne Ruhm und Auszeichnung . Was folgt also hieraus ? In einer großen Zahl von Menschen entspringt dort die Neigung , sich neben dem Staate , allenfalls auch wider denselben stehend , geltend zu machen . Nimmt man nun noch dazu einen hohen und reichen Adel , der jene Gegenden mit bevölkern hilft , und der keineswegs Willens ist , sich so ganz leidend in die uniforme Staatseinheit verschlingen zu lassen , vielmehr eher den Wunsch hegen möchte , sich zu einer neuen Art feudalistischer Zwischenmacht zu erheben , bedenkt man , daß bis zu den jüngsten Zeiten in den dortigen Gegenden auch unter Bauern und Kleinbürgern so manche Reste unabhängiger Selbstregierung fortdauerten , und bringt man schließlich in Anschlag , daß wir zum Teil von Slawen , Sarmaten , Wenden und Langobarden , jene aber von Sachsen und Franken abstammen , so wird man wohl fühlen , daß so bedeutende Gegensätze nicht wohl mit einem Federzuge ausgestrichen werden können . " Mehrere , welche jene Gegenden kannten , stimmten dem Redner bei , und sagten , daß auch ihnen dort ein größerer Sinn für das Öffentliche , dagegen ein völliger Mangel eigentlichen Familienlebens bemerkbar gewesen sei . " Gewiß " , versetzte jener , " und wenn uns dieser Mangel namentlich am Rheine , unangenehm berührt , so können wir dagegen dem höheren Gemeingefühle der dortigen Menschen Achtung nicht versagen . Die Angelegenheiten der Stadt , des Kreises , der Provinz sind dort wirklich mehr zugleich auch Sache der Einzelnen , als bei uns . Man kollektiert , petitioniert , stiftet Vereine aller Art , ein jeder sucht , wo irgend möglich , in das Ganze mit einzugreifen . Darum hat auch das französische Wesen , wo es dort noch besteht , tiefere Wurzeln geschlagen , als mancher hier sich denkt . Denn , man sage über dasselbe , was man will , es schmeichelt der Eitelkeit , der persönlichen Selbstschätzung , kurz jenen Eigenschaften , welche so nahe mit dem politischen Streben verwandt sind . Unsere Einrichtungen sind dagegen alle auf eine gewisse Selbstentäußerung berechnet , sie sind patriarchalischer Natur und müssen uns ehrwürdig sein . Für die Anwohner des großen Stroms sind sie aber keineswegs gemacht , sie würden ihnen schwach und lax , und dann doch auch wieder hart und quälend erscheinen . Daß ich übrigens keineswegs jene Landgebiete auf Kosten unserer Provinzen loben will , muß ich ausdrücklich hinzufügen . Mich verblendet kein Advokaten-und Rednergeschwätz , und mir ist , während ich mich dort aufhielt , das seichte , oberflächliche , unruhige Wesen , der Hang zum Verleumden und Verkleinern , die Geistesdürre und die Gemütskälte nicht entgangen , wodurch man sich dort , wie überall , wo eine politische Regung herrscht , angewidert fühlt . Nur sage ich nochmals : Sie sind nicht , wie wir , warum sollen sie so scheinen ? Saladins Wort , es sei nicht nötig : Daß allen Bäumen eine Rinde wachse ! paßt auf die Völker noch in einem weit höheren Grade , als auf die einzelnen Menschen . " Man versagte dieser ganzen Auseinandersetzung den Beifall nicht , doch vereinigten sich auch die bedeutendsten Stimmen in der Überzeugung , daß , wenn dem auch so sei , die Dinge nicht so bleiben könnten , da die neueren Regierungsgrundsätze durchaus eine gewisse innere Einheit der verschiedenen Bestandteile des Staats verlangten . Ein Mann von gemäßigter Denkungsart schlug einen Mittelweg vor . " Die Revolution " , sagte er , " hat eigentlich die jetzige Gestalt der dortigen Distrikte bestimmt , was uns entgegenzustehn scheint , sind doch nur ihre Erzeugnisse . Ich sage scheint , denn in der Wirklichkeit möchten die Kontraste nicht so unvereinbar sein . Wir haben während der schlimmen Jahre , wo es galt , jedermann auf seine Füße zu stellen , damit er , wenn der Tag der Entscheidung käme , Lust hätte , sich totschießen zu lassen , auch unsererseits revolutioniert , wenngleich auf eine stille gesetzliche Weise . Wie nun bei jenen vielleicht ein Schritt zu weit getan ist , so könnten wir noch einige vorwärts tun . Wir könnten den Besitz der neuen Provinzen zu einer Art von Tauschhandel benutzen , ihnen von uns , und uns von ihnen anzueignen , was jeder des Guten hat , auf diese Weise aber eine fortschreitende Reform des ganzen Reichs bewirken . " Der Vorschlag hatte eine gefällige Außenseite , als man aber zu der Anwendbarkeit desselben im einzelnen überging , zeigten sich gerade die meisten Schwierigkeiten , wie dies bei allen Mittelwegen einzutreffen pflegt . Diese und ähnliche Gespräche wurden an vielen Abenden im Hause Medons geführt . Er selbst verhielt sich dabei kritisch oder referierend , vermehrte durch geschickte Einwürfe die Menge der Streitpunkte , oder faßte die Darstellungen der Redenden in lichtvollen , oft glänzenden Übersichten zusammen , wodurch denn freilich die Untersuchung nicht weiter gedieh . Seine eigene Meinung , was zu tun sei ? verbarg er , denn er hatte eine solche , und eine sehr bestimmte , wie er nicht selten merken ließ . Da man nun von seiner Einsicht groß dachte , und deshalb oft eifrig in ihn drang , sich auszusprechen , er aber immer den Fragenden gewandt zu entweichen wußte , so hatte ihm der heimliche Spott , der als Landesfrucht auch an dieser Tafel nicht fehlen durfte , den Spitznamen des Abbe Sieyes beigelegt . Johanna nahm in der Regel ein Buch zur Hand , wenn die Herrn sich in ihre administrativ-politischen Gespräche vertieften . Nur wenn Medon zu reden begann , schien sie ein Zwang zu ergreifen , welcher sie nach fruchtlosen Versuchen , fortzulassen , trieb , ihm zuzuhören . Mit einer Mischung von Wohlgefallen und Schmerz tat sie dies , sie konnte lächeln , während ihr Mund vor Pein zuckte . Hermann betrachtete sie mit inniger Teilnahme , obgleich er durchaus nicht wußte , wo er ihr Unglück finden solle . Denn die Verhältnisse des Hauses waren glänzend , die angesehensten Personen suchten die schöne , merkwürdige Frau eifrigst auf , der Gatte behandelte sie mit einer Achtung , die an Ehrfurcht grenzte . Daß sie gewissermaßen dem herzoglichen Hause entführt worden war , schadete ihrem Rufe in einer Welt nicht , welcher alles Gewürz zu den Lebensumständen lieb und angenehm war . Der Verdacht der Herzogin endlich hatte keinen Grund ; Hermann überzeugte sich aus dem Kirchenbuche , daß beide wirklich ehelich verbunden und vom Priester eingesegnet worden waren . Die Staats- und Regierungsfragen , welche er hier aufwerfen , wenn auch nicht beantworten hörte , beschäftigten ihn selbst angelegentlich . Wurden auch keine Resultate erzielt , die Tatsache drängte sich ihm unwiderstehlich auf , daß er inmitten eines großen Verbandes sei , welcher sich von Rußland nach Frankreich erstreckte . Es konnte nicht fehlen , daß das Gefühl solcher Umgebung auch in ihm lebendige Wirkungen hervorbringen und den Tätigkeitstrieb anfachen mußte , welcher allen jungen Männern eingeboren ist . Eines Abends , als die Gesellschaft das Zimmer verlassen hatte , war er mit Medon und Johanna allein zurückgeblieben . " Sie haben " , sagte er zu Medon , " auch heute uns Ihres Zutrauens in Betreff jener allgemeinen Angelegenheit nicht gewürdigt . Sein Sie wenigstens offener , wenn ich für meine Person von Ihnen einen Rat begehre . Ich sehe um mich her alles betriebsam , wirkend ; ich selbst aber verzehre mein Geld , verzettle doch im Grunde nur meine Tage und kann nicht leugnen , daß ich mich unbehaglich zu fühlen beginne . Ich habe schon wieder an den von mir so rasch verlaßenen Staatsdienst gedacht . " Medon schwieg einige Zeit , dann hob er an : " Und doch würden Sie in einen zweiten , härteren Irrtum verfallen , wenn Sie diesem Gedanken die Ausführung gäben . Wie ich Sie kenne , sind Sie nicht geschaffen , zu dienen , am wenigsten hier , wo , man mag sagen , was man will , doch meistens nur der Zufall , der Schlendrian , und die geschmeidige Charakterlosigkeit zu den Stellen emporführen , in welchen ein Mann von Geist und Talent ausdauern kann . Indessen wüßte ich einen anderen Weg , Ihr Feuer , Ihre Kenntnisse und Rednergaben der Welt nützlich zu machen , Sie mit der Welt in eine werktätige Verbindung zu setzen . " " Und der wäre ? " fragte Hermann gespannt . Johanna rückte unruhig näher . " Es ist mir ein schönes Gut im Badenschen zum Kauf angeboten , dessen Besitz die Landtagsfähigkeit gibt . Ich kann von diesem Eigentume obgleich die Bedingungen äußerst billig sind , keinen Gebrauch machen . Wollen Sie es erwerben ? Ein Teil des Preises darf stehenbleiben . Meine Verbindungen in dortiger Gegend sind ziemlich ausgebreitet . Ich will Ihnen allenfalls dafür haften , daß Sie in die Kammer gewählt werden sollen . Die nächsten Sitzungen werden aller Wahrscheinlichkeit nach wichtig und erfolgreich sein , kurz die glänzendste Bahn liegt , wenn Sie auf diesen Vorschlag eingehen , Ihren Fähigkeiten offen . " Johanna erhob sich . " Laß das ! " rief sie Medon mit einem Tone zu , welchen Hermann noch nicht von ihr vernommen hatte . " Er gehört hierher und in einen ordentlichen ehrlichen Beruf " , fuhr sie ruhiger fort . Medon schien anfangs etwas bestürzt zu sein . Bald aber faßte er sich , und sagte , als Johanna das Zimmer verlassen hatte : " Meine Frau hat oft die seltsamsten Launen , und ist dann nicht imstande , sich zu gebieten . Gleichwohl würde sie ohne dieselben nicht die schöne Empfindungsfähigkeit haben , um welche ich sie so unaussprechlich liebe und verehre . " Sechstes Kapitel Sechstes Kapitel Der Gedanke , Badensger Volksdeputierter zu werden , hatte , so unerwartet und seltsam er Hermann anfangs vorgekommen war , dennoch bald für ihn etwas Reizendes . Er las die Papiere , welche ihm Medon mitgeteilt , achtsam durch , und konnte an manchen darin enthaltenen Winken abnehmen , daß eine rührige Partei ein geschicktes Werkzeug suche , welches man aus unbekannten Gründen am liebsten im Auslande finden zu wollen schien . Dies machte ihm die Sache noch anziehender . Man will behaupten , daß er aus der großen Bibliothek damals mehrere Bände englischer Parlamentsverhandlungen und französischer Journale erborgt , und wenigstens angefangen habe , in diesen Musterurkunden zu studieren . Ein Blick auf die nächsten Verhältnisse überzeugte ihn wirklich , daß Medon wenigstens darin recht gehabt habe , ihm den Eintritt in diese zu widerraten . So sehr man Persönlichkeit , Geist , Talent als gesellige Tugenden achtete , eine so verschiedene Gestalt nahmen die Dinge an , wenn die Rede vom Dienste des Landes war . Dann trat behutsam und indirekt , aber ganz unzweideutig die alte Furcht vor dem Genie auf , mit welchem man in Amt und Stelle nichts zu schaffen haben mochte . Auch nahm er binnen kurzem wahr , daß , wenn man nicht das Glück hatte , einer der Familien anzugehören , in welchen sich die Beförderung sozusagen erblehenartig machte , ein rasches Fortkommen zu den seltensten Zufälligkeiten gerechnet werden mußte . Gern hätte er sich mit Johanna , die ihn seit jenem Auftritte mit zweifelnder Miene betrachtete , verständigt , sie wich aber allen Erklärungen aus , und sagte nur einmal in Selbstvergessenheit zu ihm : " Wer sich das Netz über den Kopf werfen läßt und merkt es nicht , verdient kein Mitleid ! " Es war noch so manches , was ihn jetzt in diesem Kreise befremdlich anstieß . Zuerst , daß er sah , wie es Mode geworden war , auf eine jüngstvergangene Zeit voll Glut und Erhebung vornehm hinunterzublicken . Man schämte sich fast der verübten Großtaten , wie wilder Studentenstreiche ; die Helden jener Epoche wurden von allen Seiten kritisch beleuchtet , sie waren unbequem geworden , und das berüchtigte Gleichnis , daß in dem denkwürdigen Jahre jeder zum Kampf geeilt sei , pflichtmäßig , wie der Bürger bei entstandenem Feuerlärmen zur Spritze , erfreute sich vieler eifriger Verehrer . Einstmals traf er mit einem Bewohner der westlichen Gegenden zusammen , welcher gekommen war , ein persönliches Anliegen durchzusetzen . Er merkte ihm bald ab , daß der Mann zu den Unzufriedenen gehörte . Auf seine Fragen , worüber man sich denn dort zu beschweren habe ? versetzte der andere derb : " Zum Henker , über die Unredlichkeit ! Wir sind so oft umgemodelt worden , daß wir uns auch jetzt wieder eine Veränderung gefallen lassen würden . Aber was macht man ? Die Formen läßt man bestehen , und in der Sache tun sie hier denn doch , was den hiesigen Grundsätzen gemäß ist . Dadurch sinkt die Achtung vor den Gesetzen und vor der Verfassung , denn man sieht , daß diese nur ein Spielzeug sein soll , welches man dummen und blöden Kindern in Händen läßt , damit sie nicht schrein . Viele sind darüber verdrießlich und in manchem ist eine noch üblere Stimmung erzeugt worden . " Als er sich nach dem Näheren erkundigte , hörte er von mehreren Fällen , welche die Klage des Unzufriedenen zu bestätigen schienen . Besonders sollte dieses zweideutige System in einer Sphäre befolgt worden sein , mit deren Vorstande er zufällig näher bekannt geworden war , weil er zu den fleißigsten Besuchern des Medonschen Hauses gehörte . Er nahm sich vor , von Medon , den er oft in tiefen vertraulichen Gesprächen mit jenem Staatsmanne bemerkt hatte , über die Angelegenheit Erkundigung einzuziehn . Als er dies tat , Maß ihn Medon mit den Augen , und gab keine bestimmte Antwort , welche er überhaupt im Augenblicke irgendeiner bedeutenderen Frage immer zu vermeiden pflegte . Allein nach einigen Tagen ließ er sich auf einem Spaziergange so gegen Hermann aus : " Wir leben in der unumschränktesten Monarchie , welche vielleicht jetzt auf der Erde besteht , und selbst unsere östlichen Nachbarn können in dieser Hinsicht neben uns nicht genannt werden . Ich heiße unseren Staat so , weil das Volk in ihm von jeher nicht viel bedeutet hat , wir vielmehr von den Erinnerungen an einige große Regenten zehren , die das wundersame Geschick gerade auf dieser dürftigen Erdscholle geboren wissen wollte . An diesen Erinnerungen hängt unser Dasein , aus ihnen ist Sturz und Wiederherstellung des Reichs hervorgegangen . Der Träger der obersten Macht ist alles bei uns , seiner Entscheidung und Beschlußnahme würde mit Erfolg weder ein Gemeingefühl der Beherrschten , noch die hemmende Kraft selbständiger Institutionen , auch wenn man die Absicht hätte , sie zu schaffen , entgegentreten können . So ist es , und so muß es sein , wenn wir uns erhalten wollen . Da wir nun aber gegenwärtig den sogenannten Geist der Zeit zu schonen haben , so scheint mir eine Verfahrungsweise , wie Sie mir sie schildern , nicht so übel zu sein ; daß man nämlich den jüngsten Kindern des Hauses die Formen läßt , welche sie liebgewonnen haben , in den Sachen aber autokratisch nach alten Prinzipien beschließt . " Hermann widersprach diesen Ansichten lebhaft , welche er im Fortgange eines ziemlich eifrig werden den Gesprächs Machiavellismus nannte . Worauf Medon versetzte , daß er den Machiavelli für einen der größten Staatsweisen halte , welche es je gegeben , und daß er der Zeit Glück wünschen wolle , wenn ihr wieder so ein Kopf beschert würde , welcher das eigentliche unter den politischen und administrativen Phraseologie versteckte Gewebe des jetzigen öffentlichen Seins aufzudecken tüchtig genug wäre . " Übrigens weiß ich nicht " , fuhr er mit einer abbrechenden Wendung fort , " ob man so verfährt , wie Sie sagen , und so verabscheuungswürdig finden . Den Unzufriedenen ist nirgends zu trauen . " Dieses Gespräch flatterte sonach , gleich den meisten , die er mit Medon geführt , zuletzt in Luft ; das einzige , was ihm in seinem Umgange mit diesem bedeutenden Manne mißfiel . Denn sonst zog ihn alles nun immer mächtiger zu ihm hin , Wissen , Beredsamkeit , Kraft , ja selbst der Blick des hellblauen Auges , welches , wenn Medon in Eifer geriet , im eigentlichen Sinne des Worts blitzte , so durchdringend wurde der Glanz desselben . Hermann teilte hierin nur die Stimmung sämtlicher jüngeren Leute , welche in großer Anzahl bei Medon aus- und eingingen . Er schien den Verkehr mit diesen besonders zu lieben . Sie dagegen ahnten hinter seinen Andeutungen und Winken etwas Außerordentliches , welches um so reizender für sie war , als sie sich von der Gestalt desselben keine Rechenschaft zu geben wußten . Da er nun in jedem das Selbstgefühl durch Lob und Ermunterung ungemein zu steigern wußte und ihren Talenten die schimmerndsten Kreise anwies , so hatte er um sich eine Art von Hofstaat versammelt , welcher sich in angenehmen Gedanken und schönen Erwartungen von Tag zu Tage gehenließ . Siebentes Kapitel Siebentes Kapitel Er hatte indessen immer tiefere Blicke in die badenschen Grund- und Erwerbspapiere geworfen , und da ihm um diese Zeit einige feurig aufmunternde Briefe ehemaliger Ordens- und Gesinnungsbrüder zukamen , des Inhalts , daß er aus der Untätigkeit hervortreten möchte , da Medon auch , ohne zuzureden , seinen Entschluß für gefaßt annahm , so war eines Morgens in einer leeren unmutigen Stunde die bindende Unterschrift unter dem ihm vorgelegten Dokumente geleistet und letzteres zur Post gefördert . Er saß nachdenklich , die Feder noch in der Hand , und überlegte den wichtigen Schritt , welchen er soeben getan , als Medon eintrat . Dieser umarmte ihn , da er das Geschehene vernommen , und rief : " So sehe ich Sie doch endlich in der rechten Straße , und dem zwecklosen Umherstreifen enthoben ! " " Es ist sehr zu wünschen , daß dem so sei " , versetzte Hermann . " Denn mein väterliches Vermögen reicht kaum zu , den Kaufpreis des Gutes zu decken , und ob ich bei der Bewirtschaftung desselben sonderliche Geschäfte machen werde , steht dahin , weil ich in diesen Dingen noch völlig unwissend bin . " Wie groß war sein Schreck , als er die Verfassungsurkunde jenes Landes nachsah , was er bis jetzt unterlassen hatte , und bemerkte , daß er das wahlfähige Alter noch gar nicht erreicht habe ! Er konnte sich nicht enthalten , Medon einige Vorwürfe darüber zu machen , daß er von ihm auf diesen Umstand nicht aufmerksam gemacht worden sei . Medon lehnte dieselben jedoch ganz sanft mit der Bemerkung ab , daß er ja nicht verordnet gewesen sei , seine Jahre zu zählen , und daß er ihn nach der Reife seines Urteils und nach seinem äußeren Ansehen schließend , für älter gehalten habe . " Übrigens ist noch nichts verloren " , fügte er hinzu . " Sie sind nur als Bürgerlicher zu jung ; wenn Sie geadelt werden , besitzen Sie die erforderliche Weisheit . Wir wollen also auch diese Metamorphose versuchen , und ich werde Ihnen dazu die Mittel und Wege angeben . " Diese neue Aussicht , für deren Verwirklichung gleich allerhand geschah , vermehrte die Unruhe , welche das Wesen unseres Freundes aufregte , seitdem er in den Zauberkreis der großen Stadt getreten war . Nicht leicht ging ein Tag hin , an welchem nicht das , was ihm festzustehen schien , von anderen bezweifelt , und häufig auch widerlegt worden wäre . Die Stadt war gewissermaßen eine Freistätte aller Gedanken und Meinungen , und wenn diese selbst friedlich nebeneinanderher gingen , so hatte der Anblick so vieler unvermittelter Gegensätze für den dritten Beschauer auf die Länge etwas Seelenzerstörendes . Um nur ein Beispiel anzuführen : Er hatte geglaubt , durch die Gespräche in Medons Hause über die Lage des Staats , und über das , was dessen vorzüglichste Männer hauptsächlich beschäftige , ziemlich in das Klare gesetzt worden zu sein . Wie erstaunte er , da er an einem anderen Orte zufälliger Zeuge einer Unterredung wurde , aus welcher er abnahm , daß die Frage über das Verhältnis der neuen Provinzen von den eigentlichen Lenkern nur als eine untergeordnete betrachtet wurde , daß man sich vielmehr im höchsten Rate mit Dingen beschäftige , welche , weitgreifender Art , über ganz Deutschland ihre Folgen zu verbreiten bestimmt waren ! Diese ganze Welt , in welcher er sich seit einigen Monaten bewegte , kam ihm so doppeldeutig und unsicher , und trotz alles scheinbaren Lebens so tot vor , daß ihm oft übel zumute wurde . Was ihn vor allem unangenehm berührte , war der Mangel jeglicher Poesie , der ihm bald anschaulich wurde . Zwar arbeitete der junge Dichter rastlos an seinen Bildern aus der Kunstgeschichte fort , und hatte für den nach Weimar mitgeteilten florentinischen Zeitraum von dort ein aufmunterndes Schreiben empfangen , " in so löblichen Bestrebungen treufleißig fortzufahren " , zwar bestanden einige literarische Gesellschaften ; aber Hermann wollte durch alles , was er hier hörte und sah , wenig erbaut werden . Was einem Fremden , wie er war , bald kein Geheimnis blieb : Es hielt niemand etwas von dem anderen , und wenn sie sich auch gegenseitig besangen , so lachten sie sich im stillen doch nur untereinander aus . Vom Theater zu reden , wurde beinahe für unanständig gehalten , es stand in einer Art von Verruf , warum ? ließ sich auch nicht wohl begreifen ; es war um nichts schlimmer , als manches andere , was in hohen Ehren gehalten wurde . So zwischen Staatskunst , Gelehrsamkeit und dem Enthusiasmus für Malerei eingeklemmt , fühlte Hermann recht deutlich , daß ihm nur wohl werden könne , wo der frische Glaube an die fortzeugende Kraft der Dichtung wehe . Hier aber wurde alles Neue mehr oder minder höflich verneint , man hatte sich und sein ästhetisches Gewissen in der schwärmerischen Verehrung des alternden großen Autors abgefunden . Es ließ sich aber erkennen , daß mindestens ein Teil der Verehrer ihn auf gut Nicolaitisch wiederum gekreuzigt haben würde , wenn er unter ihnen neu mit dem " Werther " aufgetreten wäre . Die Tage waren kurz geworden . An einem Abende , an dem es draußen recht unheimlich stürmte , besuchte er Johannen . Er hatte gewünscht , sie allein zu finden , und es wurde ihm so wohl . Sie saß in einem kleinen Zimmerchen , und hatte Briefe , getrocknete Blumen , Schattenrisse vor sich auf dem Tische ausgebreitet . An den Wänden dieses Zimmerchens hingen viele kleine Bildnisse , Freunde und Freundinnen einer glücklicheren Zeit . Ihre Augen waren verweint , sie schien matt und abgespannt zu sein . " So kommen Sie doch noch " , rief sie ihm sanft und freundlich entgegen , " das ist schön ! Der Abend wurde mir unter meinen lieben Schatten hier gar zu schwer , ich kam mir selbst schon ganz vergangen vor , und meinte , zum zweiten Male zu leben . Wie es draußen stürmt , und hier die kleine friedliche Lampe ! So wütet es überall feindlich um das stille liebliche Feuer , was hin und wieder die Mächte des Himmels entzünden ! " " Was hat Sie betrübt , Johanna ? " fragte Hermann , und setzte sich teilnehmend zu ihr . " Nichts und alles ! " versetzte sie . " Mein Herz ist eben zum Überlaufen voll , und da genügt ein Tröpfchen zum Ergusse . Wir hatten zu Mittag Gesellschaft und die trostlosen Gespräche begannen wieder , welche mir schon oft den Busen zerspaltet haben . Die armen , törichten Menschen ! Auf den Knien sollten sie Gott danken , daß er doch hin und wieder einen warmen Frühlingsatem über die Erde streifen läßt , unter welchem das kleinste Gräschen sich aufrichtet , und selbst verdorrte Keime neu zu sprießen beginnen . " " Ich weiß , was Sie meinen " , sagte Hermann . " Auch mich hat es schon oft verdrossen , daß man hier fast geflissentlich bemüht ist , der Erinnerungen an eine große Zeit sich zu entschlagen ! Und doch , was steht ihr gleich , was kann das gegenwärtige Geschlecht ihr Ähnliches hoffen ? " " Sie war die hohe Brautwoche , der süße Honigmonat meines Lebens ! " rief Johanna und ihre Augen glänzten . " Ich war zwanzig Jahre alt , auf meines Vaters Schlosse erwachsen , der , wie ihn die Leute auch beschälten mögen , mir ein guter Vater war , und mich aufstreben ließ , frei und ungezwängt , gleich den Tannen in unserem Park . An seiner Seite zu Pferde , oder im leichten Jagdwagen , wenn der Hirsch verfolgt wurde , war es mir oft , als müßten Flügel mir an beiden Schultern wachsen , so leicht und rein rollte in mir das mutige Leben ! Daheim horchte ich den Erzählungen der Reisenden und klugen Männer , welche meinen Vater besuchten , und von fremden Ländern und Menschen sprachen , oder ich las Geschichte mit meiner alten , würdigen Erzieherin . Denn , Dank sei es denen , welche über mein Geschick geboten ; nichts Gemeines und Eitles durfte mich berühren , und ich erinnre mich noch , daß in meinem Zimmer der Spiegel fehlte . Welt und Vorzeit umgaben mich wie ein schönes , sinnvolles Märchen , in dessen Mitte ich , allen Helden und Weisen vertraulich nahe , liebe Tage hinspann . Nun erschien jener große Winter mit seinen Eis-und Leichenfeldern , mit seinem Stadt- und Herzensbrande ! Meines Vaters Entschluß war sogleich gefaßt , als die ersten Zuckungen des wieder erwachenden Lebens sich verspüren ließen . Obgleich , nach der Sitte seiner Jugend , gern die fremde Sprache redend , war er ein deutscher Mann und Edelmann geblieben ; sein Herz hatte bei dem Jammer des Vaterlandes oft geblutet . Wir zogen , damit er tätiger eingreifen könnte , auf eine Zeitlang nach der großen Stadt , welche der Herd des heiligen Feuers war . Was schwatze ich Ihnen vor ? Sie waren ja selbst dabei , haben selbst die Waffen getragen . Welche Tage ! Welche Gefühle ! Nun waren Rom und Griechenland und die Ritterzeit kein Märchen mehr für mich , alles Größte strahlte wiedergeboren im grünen , frischen Lichte , mich an . Mein Mädchenherz wollte mir oft die Brust zersprengen , wenn ich bis Mitternacht , ja bis an den frühen Morgen die Binden zuschnitt , welche das Blut der Wunden hemmen sollten . Ich weinte , daß mein Vater reich war , daß ich nicht auch mich genötigt sah , mein Haupthaar auf dem Altare der allgemeinen Begeisterung zu opfern . Nie , nie kann ich das vergessen , und wenn die ganze Welt umher in Zweifel und Klügelei starr wird , so soll der Busen einer armen Frau wenigstens ewig das Fest der Erinnerung feiern ! " Sie war aufgestanden und ging mit großen Schritten durch das Zimmer . Ihre Züge hatten sich verklärt , sie glich einer Priesterin , einer Velleda . Nach einer Pause , während welcher ihr Antlitz vom herrlichsten Angedenken wie durchsichtig zu werden schien , stand sie still und rief : " Ja , wenn es eine Liebe je auf Erden gegeben hat , so habe ich geliebt ! Und o des Glücks ! Die zärtlichste Empfindung war nur eins mit der heiligsten und größten ! Im Waffenschmuck trat er mir entgegen , dem Kampfe sich entgegensehnend , in den er nach wenigen Wochen zog . Mild war er und edlen Zornes zugleich voll , nie hat ein reineres tugendhafteres Herz unter dem Rocke des Kriegers geklopft . Er war wie ein Verschlagener von einer fernen seligen Insel unter uns anderen . Die Augen pflegte er zu senken , als erliege seine Seele unter ihrer eigenen Größe . Stumm war unsere Liebe und ohne Erklärung . Nur , als ich ihm beim Abschiede die Feldbinde reichte , verstanden sich unsere Blicke . Er zog dahin , und ich sah ihn nicht wieder . Er trug , wie alle jugendliche Frühlingsherzen , die Todesahnung im Busen . Sein einziger Wunsch war , in deutscher Erde zu ruhn , er schauderte vor dem Gedanken , fern unter den Fußtritten des feindlichen Volkes vermodern zu müssen . Das Schicksal ist oft grausam , es kann uns nicht allein das Leben , wie wir es wünschen , sondern auch den Tod , wie wir ihn zu sterben würdig gewesen wären , versagen . Nicht in einer der großen herrlichen Befreiungsschlachten fiel mein Freund , nein , vereinzelt , seiner Schar nachgeblieben , wurde er von umherstreifendem Gesindel auf dem fremden Boden erschlagen . Ich erfuhr seinen Tod , noch ehe die Nachricht davon zu mir gelangte . In der Nacht aus tiefem Schlummer ohne vorhergegangenen Traum emporschreckend , sah ich das blutige Haupt des Ermordeten am Fuße meines Lagers aufsteigen , und alsobald auch wieder verschwinden . Augenblicklich wußte ich um meinen ungeheuren Verlust , aber zugleich durchdrang mein Herz ein unvergänglicher Trost , der es so ganz erfüllte , daß ich mich kaum erinnere , damals geweint oder sonst getrauert zu haben . Nur jetzt , nach manchem Jahre fließen meine Tränen zuweilen . Als die Ruhe hergestellt war , beschäftigte uns alle , die wir ihn geliebt hatten , sein Wunsch . Ein treuer Gefährte seiner Tage machte sich endlich in der Stille auf , scheute nicht Mühe noch Gefahr unter dem noch immer schmerzlich empörten Volke , fand die Grube , in welcher man den Körper verscharrt hatte , kaufte die teuren Reste los , und brachte sie in die Heimat . " Sie näherte sich einer schmalen , länglichen Kiste , welche in der Ecke des Gemachs stand , öffnete sie und warf sich mit Lauten des tiefsten Schmerzes über sie . Hermann trat hinzu und fuhr zurück ; ein menschliches Gerippe starrte ihm aus der Kiste entgegen . " Warum erschrickst du ? Was macht dich zu fürchten ? " rief sie . " Dies ist mein lieber , mein einziger Freund , den ich nun wiederhabe , und nicht von mir lasse . Betrachte den holdseligen Mund , die guten , schönen Augen , die denkende Stirn ! Nun ruht er , umweht vom Hauche der Liebe , nun ist ihm wohl ! " " Teure , warum gaben Sie der Erde nicht wieder , was der Erde gehört ? " fragte Hermann , als er sich einigermaßen von seinem Erstaunen erholt hatte . Sie versetzte nichts . Mit den zärtlichsten Namen rief sie den Geschiedenen Freund , schmeichelnd strich sie über den kahlen Schädel , ihre Lippen küßten die leeren Augenhöhlen . Dazwischen führte sie Reden , deren Sinn und Bedeutung Hermann nicht verstand . Sie sprach von dem Vampir , der , auferstandene Leiche , umhergehe und den Lebenden das Blut aussauge , und beschwor die Gebeine des Toten , sie wie bisher , so auch ferner vor dem Schrecknis zu schützen . Achtes Kapitel Achtes Kapitel Es schien , als seien die nächsten Tage bestimmt , unseres Freundes Herz , welches schon in kalten , seltsamen Umgebungen zu frieren begann , wieder von neuem auszuwärmen . Johannas Not regte mächtig sein Gefühl auf , und kurz nach jenem Abende sollte er auch einen alten Freund wiedersehen . Er war in Madame Meyers Gesellschaft gewesen . Als geborener Hansestädter an reichliche Mahlzeiten gewöhnt , empfand er nach den dort Landüblicherweise genossenen dünnen Butterschnittchen immer noch einen lebhaften Appetit , den er nun in einer Restauration stillen wollte . Aber obgleich es erst elf Uhr war , so herrschte in diesem Teile der Stadt doch schon eine Totenstille , die Fenster waren dunkel , die Läden geschlossen und nur die Laternen warfen ihr mattes Licht über die menschenleeren Straßen . Er kam endlich in die Nähe eines Gasthofs , vor dessen Türe sich jemand in ähnlicher Not befand , wie er . Ein Reisender suchte mit Rufen , Schelten und Klopfen vergebens Einlaß durch die bereits fest verschloßene Pforte zu gewinnen . Das Geräusch zog Hermann mechanisch näher , und er erkannte mit freudigem Schreck die Stimme seines Freundes Wilhelmi . Dessen Freude war nicht geringer , beide begrüßten einander auf das herzlichste . Nachdem sie durch vereinte Bemühungen die Öffnung des Wirtshauses erwirkt hatten , Wilhelmis Wagen und Gepäck untergebracht worden war , blieben sie noch einen Teil der Nacht in traulichen Gesprächen beisammen . Hermanns erste Frage war , was Wilhelmi so unerwartet herführe ? worauf jener ihm erwiderte , daß sein Verhältnis zum herzoglichen Hause gelöst sei , und daß er komme , um seine Sammlung dem großen Museum zu verkaufen . Man habe ihm die bestimmte Hoffnung gemacht , ihm als Preis eine feste Anstellung bei jenem Institute zu geben . Hermann wußte , wie leicht man es mit solchen Versprechungen des Orts nehme , und erschrak über den unbedachten Entschluß des Freundes . Er hütete sich indessen , seine Befürchtungen ihm mitzuteilen , um Wilhelmis Hypochondrie nicht rege zu machen . Wahrhaft schmerzlich war ihm aber die Lösung der Bande , welche er in Achtung , Liebe und Bedürfnis fest gegründet erachtet hatte . Auch der Arzt , so hörte er von Wilhelmi , sinne darauf , dem Schlosse Lebewohl zu sagen . Am befremdlichsten klang , was er über die Herzogin vernahm . Sie sei , erzählte Wilhelmi , nach Hermanns Abreise in eine düstre Melancholie verfallen , welche sich durch einen sonderbaren Widerwillen gegen die Gesellschaft ihres Gemahls ausgezeichnet habe . In dieser Stimmung habe sich der Geistliche ihrer bemächtigt , mit welchem sie nun den größten Teil ihrer Zeit in Andachtsübungen , die zuweilen selbst in Kasteiungen ausarten sollten , verbringe . Der Herzog sei über diesen Zustand um so bekümmerter , als ihm gerade jetzt der vom Kaufmann nun mit vollem Eifer betriebene Prozeß viel zu schaffen mache . Alles dieses konnte Hermann wenig erfreuen . Es tat ihm wehe , daß ein so treuer gefühlvoller Mann , wie Wilhelmi , sich seinen Gönnern in einem solchen Augenblicke hatte entziehen können . " Ich will mich nicht rechtfertigen " , sagte dieser , als Hermann nach einigen Tagen eine leise Andeutung seiner Empfindung blicken ließ . " Es gibt Dinge und Worte , die mit magischer Kraft das Gemüt unwiderstehlich nach sich reißen , und so muß ich dir gestehen , daß ich , in abgelegenen Winkelverhältnissen hingehalten , nicht zu widerstehn vermochte , als mir die Aussicht erschien , mich dem Öffentlichen angereiht zu sehen . Wie einst das Heilige Grab und späterhin die Neue Welt jeden strebenden Geist siegreich lockte , so ist es jetzt mit dem Staate . Nur das , was an ihn sich lehnt , nur das , was von ihm erkannt wird , hat Glauben an sich selbst , die Zeit der Privatdienstbarkeit ist durchaus vorüber . " " Du sprichst da etwas aus , welches mir schon lange das Herz beschwert hat " , versetzte Hermann . " Wenn ich die Dokumente jener verspotteten empfindsamen Zeiten betrachte , so muß ich sagen , daß diese schwärmerischen Freundschaften auf Leben und Tod , diese leidenschaftlich-platonischen Liebesverhältnisse , diese begnügten Familienglückseligkeiten , wie sie damals Gang und gäbe waren , jetzt fast aufgehört haben . Das Gemüt hat die Fähigkeit verloren , sich in so traulicher Enge zu regen , alle Kräfte und Sinne der Menschen streben weiteren und höheren Zwecken zu . Das wäre nun recht schön , wenn wir nur schon ein Vaterland , oder große öffentliche Einrichtungen hätten . Aber alle diese erhabenen Tröstungen zeigen sich bei näherer Betrachtung denn doch meistens als Schein , höchstens als ziemlich schwache Versuche . Und so darbt unser Herz über den Mangel eines Freundes , einer Geliebten , eines Hauses sich zu Tode , und wenn es sich auf einem anderen Altare opfern möchte , so fehlt eben dieser . Wahrlich , es ließe sich ein Werther des neunzehnten Jahrhunderts schreiben , der an diesem Doppel- und Nichtzustande verginge , und dessen Klagen auch rührend und beweglich ertönen würden . " " Ja , wir leben in einer Übergangsperiode " , sagte Wilhelmi . " Das ist ein trivial gewordenes Wort , welches alle Schulknaben jetzt nachplappern . Schwieriger ist es , die ganze Bedeutung desselben zu fühlen , sympathetisch mitzuempfinden , wie viele Menschen an einem solchen Übergange zugrunde gehen . Wohl befinden sich in der Gegenwart eigentlich nur die oberflächlichen Naturen , welche von Schatten und Klängen genährt werden , während jede tiefer gehöhlte Brust ein heimliches Verzagen erfüllt . Auf alle Weise sucht man sich zu helfen , man wechselt die Religion , oder ergibt sich dem Pietismus , kurz , die innere Unruhe will Halt und Bestand gewinnen , und löst in diesem leidenschaftlichen Streben gemeiniglich noch die letzten Stützen vom Boden . " " Wunderbare Gedanken und Träume beherrschen die Menschen " , sagte Hermann . " Trotz alles Redens von der praktischen Richtung des Zeitalters laufen die Vorstellungen und Dinge weit auseinander , und der Wahn hat eine furchtbare Macht gewonnen . Es ließe sich der Fall denken , daß jemand unter der Last eines eingebildeten Schicksals sein Leben hinkeuchte , und stürbe , ohne das Antlitz der Wahrheit geschaut zu haben . " " Wiederum aber sind auch die außerordentlichsten Glücksfälle gedenkbar " , versetzte Wilhelmi . " Eigentum und Besitz haben ihre schwere , tellurische Natur aufgegeben , sie streichen , gasartig verflüchtigt , durch die Lüfte , und niemand von uns weiß , ob nicht auch er in den Bereich eines solchen ziehenden Schwadens kommen werde . Kurz , Freund , es kann an deiner , und es kann an meiner Stirn mit unsichtbarer Schrift das Wort : Millionär , geschrieben stehen , so wenig Anschein die Sache auch jetzt für sich haben mag . " " Nein , in der Tat , danach sieht es bei mir nicht aus " , sagte Hermann lächelnd . " Ich will nur froh sein , wenn ich aus meinem badenschen Ankaufe mit einem blauen Auge davonkomme . Übrigens wüßte ich auch nicht , was ich mit vielem Gut und Gelde beginnen sollte , es hat wenig Reiz für mich . " " Um so geschickter bist du vielleicht , Vermögen zu bewahren " , antwortete Wilhelmi . " Oft kommt mir alles Eigentum wie ein Depositum vor , welches bei uns für ein nachkommendes glücklicheres Geschlecht hinterlegt worden wäre , welches wir treulich den Enkeln aufzuheben , aber selbst nicht zu genießen hätten . " Neuntes Kapitel Neuntes Kapitel Hermann führte den Freund in seinem Kreise umher , an welchem Wilhelmi aber viel auszusetzen fand . Mit Johannen gelang es noch am besten ; nachdem eine leichte Verlegenheit von beiden Seiten überwunden war , kam ein erträglicher Umgang zustande , obgleich beide in ihrer Gereiztheit wenige Berührungspunkte füreinander hatten . Dagegen nannte er Medon geradezu den Jugendverführer , ohne sich über den Sinn dieses Ausdrucks näher zu erklären . Auch die übrigen Persönlichkeiten , Einrichtungen und Anstalten der Hauptstadt fanden keine Gnade vor ihm . Er sah nur die Hast , womit hier alles sich zur Erscheinung drängen mußte , um bemerkt zu werden , und übersah den Kern , welcher von jener Hast hervorgestoßen wurde . Bald nannte er den ganzen Zustand eine große Lüge , und die Stadt selbst ein Konglomerat von zwölf Krähwinkeln , welches Paris vorstellen wolle . Dieses Thema führte er in unzähligen spitzigen und witzigen Variationen aus , worüber Hermann anfangs lachte , späterhin aber zuweilen verdrießlich wurde . Die Spötter rächten ihrerseits wieder die Stadt an dem Hypochondristen , und einer derselben verfaßte eine parodistische Geschichte von Jona , dem neuen Propheten , welcher berufen worden sei , Ninive Buße und Zerstörung zu predigen , und welcher sich nun ärgre , daß die Stadt nicht untergehen wolle . Das Schloß des Standesherrn wurde in dieser Travestie mit dem Bauche des Walfisches verglichen , in welchem der unzufriedene Seher drei zyklische Tage zugebracht habe . Als Hermann das Produkt zu Gesichte bekam , trachtete er , es den Augen Wilhelmis verborgen zu halten , weil er von seiner Aufregung einen heftigen Ausbruch befürchtete . Allein er hatte sich in ihm geirrt . Wilhelmi erhielt die Blätter von einem Dienstfertigen zugesteckt , lachte herzlich darüber , suchte den Verfasser auf , und bat um seine Freundschaft . Am übelsten stand er anfangs mit Madame Meyer . Sie hatte nach Art der Weltfrauen darin ein ganz eigenes Talent , bisweilen jemand , der ihr mehr als andere hätte empfohlen sein sollen , zu übersehen , was denn bei ihr immer um so mehr wie eine Beleidigung erschien , weil sie sich sonst so zuvorkommend zu benehmen wußte . An einem dieser dem Zerstreutsein verfallenen Tage wurde ihr Wilhelmi vorgestellt , welcher nach den Erzählungen Hermanns auf einen besonders freundlichen Empfang gerechnet hatte . Er sah sich durch die über ihn hinschweifend Blicke der Wirtin , die seine Anrede mit einer Bemerkung über das Wetter erwiderte , bitter getäuscht , und machte seinem Freunde beim Nachhausegehen lebhafte Vorwürfe darüber , ihn dort eingeführt zu haben . Hermann kannte ihn schon in solchen Stimmungen , und ließ schweigend die erregten Wellen ausschäumen . " Sie kann ihren Stamm nicht verleugnen ! " rief Wilhelmi zum Schlusse einer heftigen Zornrede . " Mir wurde unter allen diesen Porzellanen , Gläsern , Schnitz- und Kritzelwerken zumute , wie in einer Trödelbude . Es ist der Schachergeist ihrer Väter , welcher in der Sammelwut der Tochter fortspukt . Überhaupt haben die modernen Juden eine seltsame Stellung gegen Welt und Gesellschaft " , fuhr er ruhiger fort . " Es ist noch kein Menschenalter her , daß dieses Volk an vielen Orten Leibzoll bezahlen , an anderen wie krankes Getier abgepfercht wohnen mußte . Plötzlich ist ein Umschwung eingetreten , sie stehen jetzt in den bürgerlichen Rechten uns gleich , und wollen , besonders hier , in Geist , Geschmack und Ansehn den ehrlichen Christenseelen womöglich noch den Rang ablaufen . Nun ist es aber ein eigen Ding um elegantes Dasein . Das geht nämlich immer nur aus völlig gesicherten Notwendigkeiten des Lebens hervor . Dieses Gefühl haben sie nicht , können es auch nicht haben , denn die Verbesserung ihres Zustandes ist weit mehr das Erzeugnis sentimentaler Schriftsteller und schlaffer Staatsmänner , als einer Umstimmung des Volksglaubens . Im Volke hat sich vielmehr das alte Bei wußtsein unzerstört erhalten , daß der Jude nichts tauge . Folglich denken alle diese unsere großen israelitischen Häuser im stillen immer noch an die Möglichkeit einer rückgängigen Bewegung , an den Leibzoll , und an die Judengassen . Dadurch erhalten ihre Bestrebungen um Eleganz etwas Unsicheres und Hastiges ; ihre Gesellschaften haben durchaus mehr den Charakter einer Hypothese , als den eines Postulats . Die produktiven Köpfe der Nation verfahren dagegen nach den Grundsätzen des Gewerbgeistes , welcher ihre Ahnen auszeichnete ; sie schachern und trödeln . In Gedichten , Musiken , in Philosophie und Wissenschaften sind sie mit kleinem Profit , mit allerhand netten , charmanten , glänzenden Effekchen und Wahrhitchen zufrieden , bringen auf solche Weise auch wirklich manches zusammen , obwohl man schwerlich im Reiche des Geistes durch geschickt zubereitete Bagatellen großes Vermögen erwirbt . " Als Hermann einiges zum Schutze der Geschmähten vorbringen wollte , fuhr ihn Wilhelmi beinahe an , und rief : " Du wirst auch noch durch Schaden klug werden . Deine ägyptische Kavaliergarde wird dir Verdrusses die Fülle machen . " Dies bezog sich darauf , daß sich um Hermann eine Menge junger Israeliten versammelt hatte , welche ihm mit großer Freundschaft begegneten . Die Laune Wilhelmis schärfte sich von Tage zu Tage . Zum Teil wurde dieser üble Humor durch sehr wesentliche Bedrängnisse erzeugt . Er konnte nämlich bald merken , daß an einen Verkaufe seiner Sammlungen nicht zu denken sei , und daß er die leichte Zusage eines hohen Mannes viel zu schwer genommen habe . Ein sicherndes Verhältnis hatte er aufgegeben , außer seinen Kunstsachen besaß er nichts , und jede Aussicht schwand , mit diesen dem Museum einverleibt zu werden . Bald war er in Geldverlegenheit und sprach Hermann um Hilfe an . Wie erschrak er , als dieser ihm eine gleiche Not offenbaren mußte ! Im Badenschen bestand man streng auf Innehaltung der Zahlungstermine , ein Kapital nach dem anderen war schon dorthin gewandert , einen Besitz zu bezahlen , den anzutreten der Eigentümer weder Lust , noch Geschick in sich verspürte . So führten denn unsere beiden Glücksritter ein ziemlich gewagtes Leben . Der eine war , wenn man so sagen darf , in böhmischen Dörfern angesessen , der andere stand mit Raritäten in teuren Mietzimmern aus . Ihre Lage konnte übel genug werden , wenn der Himmel sich nicht ins Mittel schlug . Indessen trugen sie ihre Lasten zu zwei , und das will viel sagen . Da die Taler ausgingen , so teilten sie die Groschen miteinander . Hermann zog sich aus vielen großen Gesellschaften zurück , und begann eine Art von genießendem Einsiedlerleben zu führen . Mit der ägyptischen Kavaliergarde , mit den jungen Juden , hatte Wilhelmi nur zu sehr recht gehabt . Einer derselben , ein angehender Künstler , war ihm besonders eifrig genaht , hatte einige Billetts an ihn sogar " mit Ehrfurcht " unterzeichnet . Im Hause der reichen Eltern begegnete man unserem Freunde fast wie einem höheren Wesen . Eines Tages ersuchte ihn der junge Künstler bescheiden um seine vortreffliche Kritik über dieses und jenes . Bei der näheren Nachfrage erfuhr Hermann , daß ihn ein Gerücht zum Verfasser mehrerer anonymen Rezensionen in dem gelesensten Blatte der Stadt gemacht hatte , welche durch ihren geistreichen Gehalt allgemeines Aufsehn erregten . Da er nun diese Vaterschaft ablehnen mußte , so bemerkte er an den Gesichtszügen und an dem Benehmen seines feurigen Anhängers bald eine merkliche Veränderung , welche sich demnächst auch dem Hause der Eltern mitteilte , und nach und nach eine gänzliche Erstarrung des Verhältnisses herbeiführte . Noch früher hatten ihn die übrigen verlassen , sobald sie wahrnahmen , daß er nicht mehr viel mit vornehmen Leuten verkehrte . Er klagte Wilhelmi sein Leid . Dieser lachte und rief : " Sei froh , daß du von ihnen los bist ! Jude bleibt Jude , und der Christ muß sich mit ihnen vorsehn , am meisten , wenn sie sich liebevoll anstellen . Sie sind allesamt freigelaßene Sklaven , kriechend , wenn sie etwas haben wollen , trotzig , wenn sie es erlangten , oder wenn sie merken , daß es nicht zu erlangen steht . " Zehntes Kapitel Zehntes Kapitel Alle Übertreibungen sind von kurzer Dauer . Madame Meyer hatte nicht sobald bemerkt , daß die beiden Freunde seltener in ihren Zirkeln zu erscheinen begannen , als sie ihrerseits alles tat , das traulich-gesellige Verhältnis zu erhalten . Freundliche Einladungen drängten sich , und Wilhelmi wurde für die frühere Vernachlässigung durch das liebenswürdigste Benehmen entschädigt . Bald war er völlig umgestimmt und ebenso freigebig in seinem Lobe , als er früher verschwenderisch im Tadel gewesen war . Die Dame entdeckte ihrerseits an dem verwandelten Hypochondristen eine Eigenschaft , welche ihn ihr höchst schätzenswert machte . Wilhelmi besaß eine Fülle von antiquarischen Kenntnissen , und setzte Madame Meyer über manches , was sie hatte , durch seine Erläuterungen erst in das Klare . Was ihn aber einer Frau besonders empfehlen mußte , war seine Art , die Tatsachen vorzutragen . Er teilte sie nämlich nicht nach der Weise deutscher Gelehrten weit ausholend mit , sondern gab seine Kunde in kurzen , aphoristischen , alles ausdruckenden Sätzen , welche sich dem Gedächtnisse leicht einprägten und ohne Mühe nachgesprochen werden konnten . Auf diese Weise hatte er die Freundin bald mit einer Menge von Thesen bekanntgemacht , welche sie rüsteten , den Verlegenheiten schlagfertig zu begegnen , denen sie sonst in ihrem Gesprächskreise hin und wieder mit Leidwesen unterlegen war . Denn obgleich manches der Wilhelmmischen Lehre nur für problematisch gelten konnte , so verfehlte es doch , mit angenehmer Keckheit von einem schönen weiblichen Munde axiomatisch vorgetragen , nie seine Wirkung auf den überraschten Gegner . Es war , als wolle der Himmel selbst in diesem Falle durch Zeichen und Wunder wirken . Eines Tages , als Wilhelmi mit ihr ein früher noch nicht besehenes Kabinett durchmusterte , stand er vor dem Altarbilde eines heiligen Stephanus still , von welchem die Hälfte fehlte . Die Tafel war dicht an dem Körper des Märtyrers abgespalten worden , von den Peinigern ließ sich nichts erblicken . Madame Meyer , welche Wilhelmi in den Anblick dieses Werks versunken sah , legte die Hand auf seine Schulter und sagte : " Wohl mögen Sie über dieses liebe , gemütliche Bild erstaunen , welches mir doch nur Schmerzen verursacht . Ich achte es für die Krone meiner Sachen , aber ich entsage oft für Monate seinem Anblicke , weil mir der verstümmelte Zustand desselben durch die Seele geht . Was habe ich nicht versucht , getan , aufgewendet , um die andere Hälfte herbeizuschaffen , welche durch die Ungebühr der Zeit oder eine rohe Faust vielleicht für immer vernichtet ist ! " " Madame " , versetzte Wilhelmi , der ganz Erstaunen war , " mich ergreift weniger der Anblick dieses vortrefflichen Werks von seltener Innigkeit des Gefühls , als daß , wenn mich nicht alles trügt , ich den anderen Teil der Tafel besitze . Ich verlangte nach dem Heiligen , wie Sie sich nach den Steinigern sehnten . " Die Meyer stand sprachlos . Auf einen Wink Wilhelmis entfernte sich der Bediente , und brachte aus dessen Quartiere das bezeichnete Fragment herbei . Es blieb kein Zweifel ; sobald man nur das Stück angepaßt hatte , zeigte sich die Vermutung bestätigt . Die Gruppe der Steiniger war vollständig , fast noch besser erhalten , als der gemarterte Jüngling . Nie sind häßliche Frevelgesichter von hübschen Augen mit gerührteren Blicken betrachtet worden . Es waltete unter den beiden Kunstfreunden ein langes Schweigen ob , während welches jeder seinen besonderen Gedanken nachhing . Endlich brach Wilhelmi dasselbe und sagte , daß , solange er am Orte verweile , er sehr gern die beiden Hälften vereinigt lassen wolle . Madame Meyer nahm dies dankbar an , und fragte schüchtern , ob ihm sein Fragment nicht feil sei , was Wilhelmi ernsthaft verneinte . Man erzählte einander von der Erwerbung dieses Kunstwerks , und brachte bald heraus , daß beide Stücke an einem und demselben Orte von dem spekulierenden Verwalter aufgehobener Klostergüter eingehandelt worden waren . Man untersuchte die Kanten der Fragmente und fand , daß der Riß keineswegs alt war . Aus allerhand sonstigen Anzeichen schloß man zuletzt mit ziemlicher Gewißheit , daß jener klug berechnende Mann , der herrschenden Neigung vertrauend , welche derartige Altertümer auch im verstümmeltsten Zustande aufsuchte , selbst die Tafel zerspalten haben möge , und denn auch wirklich die beiden Teile teurer losgeschlagen hatte , als er vom ungetrennten Ganzen erwarten dürfen . Er hatte also im kleinen mit dem Gute der Kirche vorgenommen , was der Staat im großen ; er hatte dismembriert . Ein eifriges Gespräch , welches dieser fröhlichen Begebenheit folgte , wurde durch den Eintritt der gewöhnlichen Abendgesellschaft unterbrochen . Bei dem Erscheinen der Fremden zeigten sich Madame Meyer und Wilhelmi sehr verlegen , wovon der Grund darin zu suchen , daß zum Schlusse jener andächtigen Kunstunterredung die Hände sich gefunden hatten , und die ersten Eintretenden von dieser Vereinigung Zeugen geworden waren . Die Gäste nahmen nun gebührenden Anteil an dem hergestellten Stephanus und an der Freude der Wirtin , es ließ sich aber aus manchen Mienen und Flüsterworten abnehmen , daß man sich während dieses Abends doch mehr mit dem natürlichen , als mit dem Kunstereignisse beschäftige . Wilhelmi sprach in den nächstfolgenden Tagen nichts als Gutes von der Stadt und ihren Bewohnern , kehrte alles zum Besten , und verwies Hermann seine finstere Laune , obgleich dieser sich ganz ruhig und gleichmütig verhielt . Elftes Kapitel Elftes Kapitel Inzwischen hatten die Untersuchungen gegen die Demagogen ihren weiteren Verlauf genommen , lieferten jedoch nicht die Ergebnisse , nach welchen die Behörden hauptsächlich hinsteuerten . Die Verschuldungen der Jünglinge lagen so ziemlich klar zutage , ihnen aber war im voraus verziehen ; sie sollten mit dem Schreck davonkommen . Was man am eifrigsten suchte , war , das Dasein und die Glieder jenes Männerbundes zu ermitteln , welcher Staat und Thron allerdings ernstlicher mit dem Umsturze bedrohte . In dieser Beziehung waltete noch ein undurchdringliches Dunkel ; die geheimen Störenfriede und Verderber waren mit solcher Klugheit zu Werke gegangen , daß trotz aller Korrespondenz nach den verschiedensten Gegenden Deutschlands hin , mehr nur Vermutungen als Tatsachen zum Vorschein kommen wollten . Der Beamte , welcher jene Nachforschungen zu leiten hatte , ging in Medons Hause viel ein und aus . Er erzählte dort im Vertraun manches von jenen Dingen , und so erfuhr Hermann , daß der grimmige Mecklenburger durch das ihm , wie wir wissen , in größter Sanftmut zuerkannte einsame Gefängnis gezähmt worden sei , und seine Bekenntnisse abzulegen beginne . " Er gesteht " , sagte der Beamte , " daß ihm in Zürich ein Mann erschienen sei , welcher ihm von dem wirklichen Vorhandensein eines Männerbundes Kunde gegeben und ihn aufgefordert habe , einen Bund der Jungen zu stiften , welcher sich an jenen anlehnen solle . Er hat von jenem Manne Zeichen und Symbole empfangen , und ist denn auch wirklich der Stimme der Verführung gefolgt . " Medon hörte dieser Erzählung mit Gleichgültigkeit zu . " Man sollte " , sagte er , " den jungen Leuten kurzen Prozeß machen , sie sind einmal für ihre Lebenszeit vergiftet , der Staat müßte , wenn er mehr klug als milde wäre , den schädlichen Stoff zerstören , welcher , wenn man ihn bestehen läßt , in wechselnder Gestalt sich immer wieder hervordrängen wird . " " So sind Sie für strenge Maßregeln ? " fragte der Beamte . " Durchaus " , versetzte Medon . " Auch hierin könnte uns das Altertum zum Lehrmeister dienen . Es vertrug sich nicht mit seinen Feinden , es vernichtete sie . " " Nehmen Sie sich in acht , daß Sie nicht über sich das Verdammungsurteil aussprechen " , sagte der Beamte scherzend . " Sie können leicht auch in diese Untersuchung verwickelt werden . " " Wieso ? " fragte Medon . " Sie müssen doppelt in der Welt umhergehn " , versetzte jener . " Der Student beschreibt den Mann , welcher ihn so freventlich verlockt , Zug vor Zug , wie Sie aussehn ; selbst das Mal , welches Sie an der linken Handwurzel haben , hat er bei dem Hokuspokus , den der falsche Prophet mit ihm getrieben , bemerkt . Zuletzt muß ich Sie mit ihm konfrontieren , und Sie können noch als Rädelsführer der politischen Verschwörungen unserer Zeit in meine Gefängnisse wandern . " Man lachte hierüber , und der Sache wurde eine Zeitlang nicht weiter gedacht . Doch fing der Beamte einmal später wieder an , von dem Gegenstande zu reden , und sagte zu Medon : " Wir Aktenleute sind eine Art von Fetischanbetern , die Dienstpflicht ist unser Götze , dessen Gebote wir erfüllen müssen , sie seien noch so unsinnig . Wollen Sie mir glauben , daß ich bei meinem Mecklenburger Demagogen den Gedanken an Sie nicht mehr aus dem Kopfe loswerden kann ? Ich rede mir tagtäglich das Ungereimte dieser Ideenverknüpfung vor , und dennoch , sobald der Mensch wieder anfängt , den Apostel des Männerbundes zu beschreiben , ist es mir , als müsse ich Sie ihm vorstellen , weil das Signalement nun einmal schwarz auf weiß in meinen Protokollen steht , und ich ein Individuum kenne , auf welches dasselbe zu passen scheint . Es läßt mir keine Ruhe ; abgeschmackte Träume phantastisch-juristischer Art ängstigen mich . Letzte Nacht träumte mir , ich stände am Jüngsten Tage vor den Schranken des Weltgerichts . Der Engel mit der Posaune fragte donnernden Tons : » Warum hast du die Konfrontation unterlassen ? « worauf ich keine Antwort geben konnte . Ich wurde deshalb zur Höllenstrafe verurteilt , welche darin bestand , daß ich alle meine Corpora delicti aufessen sollte , obgleich sich darunter Sachen von Stahl und Eisen befanden . - Etwas Auffallendes , um eines aberwitzigen Spiels des Zufalls Willen zu veranlassen , würde ich mir nie vergeben können ; allein ich wollte Sie schon ersuchen , doch einmal wie von ungefähr auf mein Verhörzimmer zu kommen , wo Ihnen denn ebenso von ungefähr der Demagoge vorgeführt werden sollte . Dann wäre mein Gewissen beruhigt ; versagen Sie mir also diese Gefälligkeit nicht . " " Ich will das recht gern tun " , versetzte Medon . " Nur müßte ich Sie bitten , noch einige Zeit in Geduld zu stehen . Ich habe eine Reise vor , und bis dahin jede Minute besetzt . " " Liebe wäre es mir doch , wenn sich ein halbes Stündchen dazu vor der Reise finden wollte " , sagte der Beamte . " Die Sache ist im übrigen zum Spruche reif , und wenn ich gesehen , daß Sie es nicht waren , welcher dem Demagogen in Zürich begegnete , so kann ich das Papier getrost den Herrn am grünen Tische zuschicken . " " Es wird sich noch davon reden lassen " , versetzte Medon , und brach das Gespräch ab ; welchem Hermann , unbemerkt nahestehend , zugehört hatte . Kurz danach wurde er zu Johanna berufen . " Wollen Sie mir einen Dienst leisten ? " fragte sie ihn . " Jeden " , versetzte er . " Können Sie schweigen ? " fuhr sie fort . " Ich hoffe es " , erwiderte er . " Ich werde diesen Ort vielleicht auf einige Zeit verlassen müssen " , sagte sie mit leiser Stimme . " Bis hierher hat mich ein schlimmes Geschick führen dürfen , weiter aber nicht . Ich werde Sie vielleicht um Schutz und Begleitung ansprechen auf heimlicher Wanderung . Vor allem suchen Sie ein einsames Haus , womöglich mitten im wildesten Walde zu entdecken , darin ich verborgen leben kann . " Hermann , bestürzt über dieses Ansinnen , tat stammelnd einige Fragen nach dem Beweggrunde eines so leidenschaftlichen Entschlusses . Sie legte den Finger auf seine Lippen und sagte : " Stille ! Wollen Sie mir nicht helfen , so wird Gott mir beistehn . " - Verwirrt gelobte er ihr jeden Dienst , welcher sich mit Ehre und Pflicht vereinigen ließe . Der Charakter Medons , das Verhältnis der beiden Gatten wurde ihm immer rätselhafter . Hier schien kein einzelnes Verschulden , keine besondere Zwistigkeit vorzuliegen , sein und ihr Dasein schien eine große Unseligkeit zu sein . Medon war gesprächig , belehrend , wie sonst , doch nahm Hermann an seinen Reden und Scherzen etwas Überreiztes wahr . Er ließ fallen , daß er vielleicht den Winter in Italien zubringen werde , doch müsse ein solcher Entschluß , wenn man ihn überhaupt ausführen wolle , urplötzlich ausgeführt werden , denn Reisen gelängen nur , aus dem Stegreife unternommen . Sein häuslicher Zirkel hatte den höchsten Glanz erreicht . Ein Prinz , der für das Musterbild aller Geistreichen galt , war auf Johanna aufmerksam geworden , hatte sich ihr genähert , Zutritt zu ihren Abenden erbeten , und war seitdem beständig dort . Dieser vornehme Stern zog andere Planeten und Monde nach sich , so daß der Glanz der Kerzen dort bald durch das Blinken aller der Ordenskreuze und Ehrenzeichen beinahe ausgelöscht wurde . Man sprach davon , daß der Staat sich nicht länger so außerordentliche Kräfte , wie die Medons , entgehen lassen werde , daß ihm Anstellung in einem hohen Posten bestimmt sei , wobei man nur von seiner Liebe zur Ungebundenheit eine abschlägige Antwort befürchtete . So viel ist gewiß , daß er noch längere vertrauliche Zusammenkünfte mit obersten Beamten hatte , als früherhin , und daß nach und nach dienstliche Papiere und Hefte von den Zentralstellen zur Begutachtung in sein Kabinett zu wandern begannen . Der Prinz belebte die Gesellschaft durch Mitteilungen aus seinem Hof- und Reiseleben . Er hatte ein großes Talent im Erzählen , und die gewöhnlichsten Vorfälle bekamen durch eine epigrammatische oder satirische Wendung in seinem Munde etwas Anziehendes . Noch stärker war er im Vortrage von Märchen , zu welchen sich unser lockerer Lebensstoff ihm gern verflüchtigte . Er gab deren mehrere an jenen Abenden , aus dem Stegreife beginnend , ohne Anmaßung von etwas Außerordentlichem , in so schlichter Einfalt nur noch stärker die Zuhörer fortziehend . Eins derselben ist aufbewahrt worden , und mag dieses Buch beschließen . Johannas Wangen wurden blasser und blasser . Oft kam sie Hermann in ihrem samtenen Gewande , unter ihren Perlen und Juwelen , wie eine geschmückte Leiche vor , und nur ihre Worte , das tiefste Gefühl atmend , wenn er sich ihr nahte , bewiesen ihm , daß hier noch ein schönes Leben sich rege , aber freilich unter einer ungeheuren Last zuckend . Zwölftes Kapitel Zwölftes Kapitel Mondscheinmärchen In jener grauen Urzeit , von welcher sich die Menschen die verworrensten Begriffe machen , war es , wie neuere Forschungen lehren , mit der Welt folgendermaßen beschaffen . Die Erde war alles , und außer ihr gab es nichts , nur eine falsche Bescheidenheit späterer Zeiten hat vom Chaos oder Universum gefabelt , aus welchem unser guter Ball nebst vielen anderen Ballen und Bällchen hervorgesprungen sei . Die Erde hatte aber dazumal die Form eines Nestes , nämlich in der Mitte war sie einige tausend Meilen vertieft , und die Seitenflächen bogen sich als schützende Ränder hoch und weit über . Es gab weder Gras noch Baum , weder Tiere noch Menschen auf der Erde , auch schien keine Sonne , dennoch war es auf ihr , und in der Höhlung des großen Nestes weder unfein , noch still , noch dunkel . Ihre Oberfläche war glatt und sanft anzufühlen wie der feinste Samt , sie sang sich selbst ein süßes Lied von jener frohen Ewigkeit vor , und phosphoreszierte dabei im buntesten Lichte . Dieser selige Zustand hat ziemlich lange gedauert . Endlich aber , wie denn nichts ungestört bleiben kann , regte sich ein gefährlicher Fürwitz in der Erde , und sie sprach so zu sich : " Wozu ein Nest ohne Eier ? Meine Bestimmung ist nur halb erreicht . " Flugs empfand sie ihre Einsamkeit und die Sehnsucht nach Eiern , aus denen sich , wie sie meinte , die anmutigsten Gesellschafter und Gespielen für sie entwickeln würden . Wie froh erstaunte sie , als sie eines Morgens beim Erwachen in ihrem Schoße eine Menge der schönsten Eier fand ! Auf welche Art sie dieselben gewonnen , auf welchem geheimnisvollen Wege der Zeugung ihr diese Bescherung geworden , darüber schweigt Geschichte und Märchen . Genug , sie lagen , in Kreisen gereiht , im Grunde des großen Nestes , waren durchsichtig , wie die Edelsteine , herrliche Figuren schmückten die glänzenden Schalen , im Inneren pulsierte es , ein eigenes , wildkräftiges Leben . Mutter Erde , vor Freude ganz wirblig , machte eine schräge Bewegung , woraus später die Schiefe der Ekliptik entstanden ist , erinnerte sich aber noch zur rechten Zeit ihrer neuen Pflichten , nahm sich zusammen und weinte nur einige Tränen in den unendlichen leeren Raum hinab . Darauf begann sie liebevoll ihr vertrautes Gut zu wärmen und machte tausend Plane , wie sie mit den Vöglein , wenn sie aus den Eiern gekrochen wären , freundlich und herzlich verkehren wolle . Unter diesen Sorgen , Gedanken und Träumereien war es in dem einen Ei rege geworden , es pickte , und eine leuchtende , beflügelte Gestalt brach durch die Schale . Anfangs war sie noch einigermaßen in den Grenzen erträglicher Größe , aber mit Sturmseile wuchs sie , wahrscheinlich durch die einströmende atmosphärische Luft geschwellt , ins Ungeheure , so daß der Erde vor dieser Geburt Angst und bange wurde . Doch faßte sie sich und sagte : " Gesell , du wirst nicht vergessen , wer deine Stärke also gepflegt ? Komme , sei mein Freund . " - " Was Freund ? " fuhr sie der feurige Recke an , " ich habe nicht Zeit zur Empfindsamkeit , meine Bahn geht selbständig durch die unermeßlichen Räume . " Und damit schoß er fort , der Undankbare , und wurde der erste Fixstern . Seinem Beispiele folgten die anderen Geburten , die nun bald nacheinander kamen , sie wollten alle nichts von Häuslichkeit und gemütlichem Zusammenleben wissen , vielmehr eigene Fortüne droben im Blauen machen , was ihnen denn auch gelungen sein muß , wie der gestirnte Himmel besagt . Nur ein Flüchtling , eine schöne üppige Person von lebhaftem Temperament , bereute den Undank , als sie ein paar Millionen Meilen weit fortgerannt war , hielt inne in ihrem wüssten Laufe , und wurde feuerrot vor Scham . Sie sieht sich noch immer von Zeit zu Zeit nach dem verlaßenen Neste um , und das Erröten dauert auch noch fort , welches uns sehr zustatten kommt , denn wenn die Sonne sich nicht so schämte , und uns dadurch nicht mit einheizte , wären wir alle längst erfroren , weil die Dinge bald eine betrübte Gestalt annahmen , wie ich gleich erzählen werde . Zuerst schüttete die Erde , in ihren Hoffnungen so schmerzlich getäuscht , einige noch nicht ausgekommene Eier zornig über Bord . Sie fielen eine geraume Zeit unaufhaltsam in die Tiefe , endlich stießen sie doch irgendwo an eine scharfe Weltecke , die Schalen zerbrachen , und die unreifen Geburten taumelten heraus . Diese haben nun ein Leben und haben keins , im halbwachen Traume schießen sie dahin und dorthin , ziehen einen feurigen Schweife von allerhand Eulenspiegeleien hinter sich her , und sind mit einem Worte unglückselige Kometen , auf die am ganzen Sternenhimmel kein Verlaß und Glaube ist . Doch , was gehen uns die Kometen an ? Auf der Erde entstanden ganz andere Folgen der mißlungenen freundlichen Absicht . Zuvörderst zog sie sich aus der offenen Nestgestalt in die abgeplattete Kugelform zusammen , welcher nur bis auf eine geringe Tiefe etwas anzuhaben ist . Sodann schlug sich in ihren Eingeweiden durch einen heftigen Gallenerguß Proteus , der Metallkönig , nieder , der also eigentlich der kristallisierte Verdruß der Erde ist , und bei allen nachfolgenden Händeln eine große Rolle spielt . Darauf , um ihr einigen Ersatz zu geben , geschah die Schöpfung in sechs Tagen mit Kräutern und Bäumen , Fischen , Vögeln , vierfüßigem Getier und endlich dem Menschen . Die Erde tröstete sich wohl , als sie das alles auf sich grünen und blühen , krabbeln und zappeln sah , aber dann war_es ihr doch wieder nicht recht , und sie sprach alle Tage unzählige Male zu sich selbst : " Das tut es doch alles nicht . " Und sooft sie das für sich sagt , stirbt oder verdorrt etwas . Proteus aber , der Metallkönig , der alte Verdruß , drängt sich unaufhaltsam an das Tageslicht . Denn es ist nicht wahr , daß die Menschen ihn suchen , und daß er gern in seinen dunklen Kammern bliebe ; nein , er blickt und lockt nach ihnen aus dem Finsteren , und wenn er ihnen nicht anders beizukommen vermag , so sucht er ihre Träume heim . Dann müssen sie , von Unruhe gepeinigt , die Erde aufreißen und ihr Elend herauffördern . Denn wenn er oben ist , so ergreifen den alten Griesgram kindische Launen ; er kann es nicht leiden , in zerstückten Gliedern sich durch die Welt zu breiten , er will immer beisammen sein . Aus dieser Sehnsucht des Metalls nach sich entstehen dann alle Plagen , welche das unglückliche Menschengeschlecht heimsuchen : Krieg , Eigennutz , Dieberei , Raub . Denn so strebt z.B. der aufgespeicherte Vorrat an Schwertern , Gewehren und Kanonen in den Zeughäusern des einen Landes nach seinesgleichen in dem anderen , das Eisen reizt durch geheime Einflüsse den Arm des Menschen so lange , bis dieser sich zu seinem Dienste darbietet , und es mit großem Getöse aus dem Verschluss hervorholt . Dann heißt es , die und die Nation habe der anderen den Krieg erklärt . Nun ziehen die Heere , oder vielmehr die verstreuten Glieder des Proteus einander entgegen . Endlich treffen sie sich , und es gibt ein frohes Wiedersehen und Umarmen , bei welchem die dazwischen befindlichen Menschen übel wegkommen ; das nennen sie dann eine Schlacht , und meinen , sie wären es , die selbige geschlagen , während doch nur Eisen und Stahl sich lebhaft begrüßten , und die Schlünde des Erzes einander feurige Küsse zuwarfen . Ebenso geht es mit Silber und Gold . Wo dessen eine Menge vorhanden ist , da regt sich in ihm die Lust , mit einem Schatze , der anderswo liegt , verbunden zu sein . Die bösen roten und weißen Zauberaugen schauen nach Händen um , welche den Gefallen ihnen täten , der Wucherer und Betrüger , den sie erblicken , wird von ihnen bestrickt , er muß daran , und mit allerhand schlimmen Künsten die getrennten Horte zusammenbringen . Er meint , den Mammon zu haben , und der Mammon hat ihn . Aber über den Redlichen ist diesem die Gewalt versagt , daher der auch für die Vereinigung der Metalle nichts tut , den Proteus , wenn dieser sich aus Irrtum einmal zwischen seine Finger verirrte , sogleich wieder aus denselben fallen läßt , mit anderen Worten zeitlebens arm bleibt . Also geht es zu in der Welt ; das wissen wir alle . Wie anders und schöner es aber geworden wäre , wenn die Erde die Vöglein aus den Eiern sich zur Gesellschaft hätte ausbrüten können , das deutet in gewissem Maße uns der Mondschein an . Nämlich , als schon die Fixsterne die Flucht ergriffen hatten , und die Kometen zu früh zur Welt gekommen waren , tönte es aus einem Winkel gar lieblich und bat um milde Behandlung . Die Erde sah nach , und bemerkte , daß eins der Eier zurückgeblieben war , dessen Inwendiges sich eben zum äußeren Leben hindurchrang . Es war eine sanfte Mädchengestalt , viel sanfter und zarter , als die anderen , welche , sobald sie nur auf ihren kleinen Füßen stehen konnte , unaufgefordert der Erde den Eid der Treue leistete , und versprach , ihr immer hold und gewärtig zu sein . Die Erde aber , welche der Undank der übrigen tief erbitterte , und in welcher sich schon Proteus , der Metallverdruß abgelagert hatte , ließ , wie es in solchen Fällen geht , die Unschuldige büßen , verstieß sie mit harten Worten , und rief , sie möchte sich ihre Kameraden am Sternenhimmel suchen , ihr solle sie nicht vor die Augen kommen . Und damit schüttelte sie sich dermaßen , daß die arme kleine Luna eine weite Strecke weit weggeschleudert wurde . Aber sie ließ sich in ihrer treuen Sinnigkeit nicht irremachen . War ihr auch ein näheres Verhältnis untersagt , so konnte ihr doch niemand verbieten , der zornigen Mutter zu folgen , und sie in gemessener Entfernung zu umkreisen . Das hat sie denn nun auch redlich die vielen tausend Jahre her getan und wird es tun bis an der Welt Ende , was aber wahrscheinlich noch lange ausbleibt . Der Zorn der Erde ist längst vorüber , und sie lechzt eigentlich im stillen innigst nach der Vereinigung mit Lunen . Allein diesem Umstande tritt die inzwischen entstandene Schöpfung entgegen , da sich voraussehn läßt , daß , wenn die beiden großen Mächte zusammenkämen , Wälder und Felder , Tiere und Menschen dazwischen zerquetscht werden würden . Ein solches Verderben will nun die Erde als gute Haushälterin nicht , und so hat denn an ein Auskunftsmittel gedacht werden , und Luna hat sich entschließen müssen , nur zu scheinen . Der Mondschein ist der schwärmerische Ersatz für den Kuß der Mutter und Tochter . Er ist kein bloßer Schein ; Luna haucht in ihm ihre Liebe an den Busen der Mutter , welche davon bis in ihre Tiefen selig erschüttert wird . Nicht Geheimes , oder Unbekanntes verkünde ich , was ich erzähle , ist jedem bewußt . Wer hat nicht die Zauber der Mondnacht empfunden ? Alle Geschöpfe fühlen , daß etwas Großes , Liebes vorgehe , und sind in einer Art von Verwandlung , die Läuber der Bäume zittern , die Blumen spenden süßen Duft , die Lilien schicken leichte Flämmchen aus ihren Kelchen , die Vögel singen im Schlafe , und in den Herzen der Menschen sprießt die Liebe . Immer stärker wird das Verlangen Lunas nach der guten , gekränkten Mutter , sie wächst mit ihren Wünschen und wird aus der Sichel zur Halbscheibe , aus dieser zum Vollmonde . Aber Proteus , dem alles sanfte Zerfließen ein Greuel , ärgert sich und ergrimmt zu wilden Gedanken , wenn die Sachen so weit gekommen sind . Die Erze in den Schachten rauschen und glimmern , die Waffen in den Rüstsälen klirren , die Goldstücke und Taler in den Säckeln der Reichen klappern unheimlich . Vor diesem bösen Wesen erschrickt Luna , nimmt ab bis zum Neumonde , und scheint für immer verschüchtert zu sein . Aber wer kann das Herz zwingen ? Kaum hat sich der grimme Proteus wieder etwas zur Ruhe begeben , so blinkt auch die liebe Sichel wieder am Saume des Horizonts hervor , und das trauliche Spiel beginnt aufs neue . Den Tod hätten wir gewiß alle davon , wenn Luna das Verbot der Mutter überwände , und sich , anstatt des Scheins , an ihr Herz legte . Aber gedenke ich , wie glücklich mich schon der Mondschein gemacht hat , in welchen süßen Frieden er mich einschlummernd gewiegt , so möchte ich mir oft einen so frohen Untergang wünschen , nach welchem wir vielleicht als leichte Wolkenträume in einer höheren Ordnung der Dinge wieder auferständen . Siebentes Buch . Byzantinische Händel Erstes Kapitel Erstes Kapitel Abermals sah Hermann das tiefe gewundene Tal vor sich liegen , aus welchem die weißen Fabrikgebäude des Oheims hervorleuchteten . Die Maschinen klapperten , der Dampf der Steinkohlen stieg aus engen Schloten und verfinsterte die Luft , Lastwagen und Packenträger begegneten ihm , und verkündigten durch ihre Menge die Nähe des rührigsten Gewerbes . Ein Teil des Grüns war durch bleichende Garne und Zeug dem Auge entzogen , das Flüßchen , welches mehrere Werke trieb , mußte sich zwischen einer Bretter-und Pfosteneinfassung fortzugleiten bequemen . Zwischen diesen Zeichen bürgerlichen Fleißes erhoben sich auf dem höchsten Hügel der Gegend die Zinnen des Grafenschlosses , in der Tiefe die Türme des Klosters . Beide Besitzungen nutzte der Oheim zu seinen Geschäftszwecken . Auch die geistliche hatte er unter der Fremdherrschaft zu billigem Preise erworben . Lange Gebäude , mit einförmigen Trockenfenstern versehen , unterbrachen die Linien der gotischen Architektur auf der Höhe und in der Tiefe ; der Wald , welcher die Hügel bedeckte , war fleißig gelichtet . Gräfin Theophilie kam ihm entgegen , in einem Buche lesend . " Was führt Sie her ? " fragte sie ihn . Er gab eine allgemeine , ausweichende Antwort , und da er von ihr manches über den Oheim zu erfahren wünschte , so trug er sich ihr zum Begleiter an . Sie gingen über angenehme Busch- und Wiesenplätze . Die Bleichen und Betriebsamkeitsstätten vermied sie , nach anderen Gegenden strebte sie mit einer gewissen Leidenschaftlichkeit hin . Er sah an solchen Stellen Rasenbänke oder Überbleibsel ehemaliger Pavillons und Tempel . Sie stiegen den Berg hinauf , und standen nach einer kurzen Wendung vor dem Seitenflügel des Schlosses . " Wenn meine Gesellschaft Sie nicht langweilt , und die enge Wendeltreppe Sie nicht abschreckt , so kommen Sie immerhin noch ein wenig zu mir " , sagte sie . Als er sich oben nach kurzem Gespräch von ihr beurlauben wollte , hielt sie ihn angelegentlich zurück und rief : " Sie sehen ein , wie wohl es mir tut , mit jemand mich zu unterhalten , auf dessen Stirn nicht der Wechselkurs geschrieben steht , oder dessen Kleider nicht vom Rauche der Maschinen duften ! Das Plaudern ist von alters her mein Element , ich finde es sehr begreiflich , daß jene Französin in den amerikanischen Wildnissen einige hundert Meilen weit wanderte , um mit einer Nachbarin zu schwatzen , und ich könnte es in gleichen Verhältnissen ihr wohl nachtun . Da nun heute zum Glück ein Herr Nachbar mich besucht , so will ich diese Gunst des Zufalls auch recht ausbeuten . " Er erwiderte ihr , der Oheim werde es übelnehmen , daß er in seiner Nähe verweile , ohne ihn zu begrüßen . Sie erzählte ihm darauf , daß jener nicht mehr oben im Schlosse wohne , sondern mit dem ganzen Hausstande in das Kloster unten im Tale gezogen sei , um dem Arzte näher zu sein , da er seit dem Mordanfalle auf dem Feste des Herzogs beständig kränkle . " Überhaupt " , fügte sie hinzu , " ist er jetzt mit einem Hausgeschicke so beschäftigt , daß ihm alles andere ziemlich gleichgültig sein wird . Unsereiner , die von Haus und Hof weggekauft worden ist , tut es recht wohl , zu sehen , wie die Fügungen der Natur sich nicht abkaufen lassen , und dem größten Rechner eine unsichtbare Gestalt zur Seite geht , welche allerhand Ziffern dem Kalkül einmischt , auf die er nicht gezählt hatte . " Da diese Anspielungen sein verwandtschaftliches Gefühl beleidigten , so suchte er dem Gespräche eine andere Wendung zu geben , und befragte sie über einige Verhältnisse des Hofes , an dem sie ihre Rosenzeit zugebracht hatte , worüber er denn auch gleich die genaueste und freigebigste Auskunft erhielt . Sie ging hinaus , um einige Bestellungen für das Abendessen zu geben , welches er mit ihr einnehmen sollte , und er benutzte diese Pause , sich in ihrem Zimmer umzuschauen . Eine Menge sehr sauber gezeichneter Geschlechtstafeln der ersten Familien des Landes hing an den Wänden umher , zwischen denselben sah man viele vornehme Gesichter in Miniaturporträts . Als er den Inhalt eines kleinen Bücherschranks musterte , erblickte er sämtliche Jahrgänge des Gothaer historisch-genealogischen Kalenders in Reihe und Glied aufgestellt , damals einundsechzig an der Zahl , welche in solcher Vollständigkeit sich wohl schwerlich in der Bibliothek einer zweiten Dame versammelt haben mögen . " Das ist mein Zirkel " , sagte sie lächelnd , als sie ihn in die Betrachtung dieser Dinge versenkt fand . " Die Stammbäume habe ich selbst gezeichnet , und mich dabei im Gedächtnis der Personen erfreut , die ich gekannt , und wenn ich die Blätter der Kalender aufschlage , so blühen mir bei jeder Familie Geschichten entgegen . Die Gegenwart kann mir nicht gefallen , Zukunft hat ein armes Fräulein bei Jahren nicht mehr , da suche ich denn an der Vergangenheit , in der das Leben etwas wert war , meine Tage zu fristen . " Er fühlte , welcher Ton hier anzuschlagen sei , um sich behaglich zu empfinden . In einem der Kalender blätternd , nannte er den Namen eines der darin verzeichneten gräflichen Häuser , und hörte sogleich aus dem Munde seiner Wirtin das anmutigste Reise- und Liebesabenteuer , welches den Stammherrn vor soundso vielen Jahren betroffen hatte . Nun waren die Schleusen der Unterhaltung einmal aufgezogen . Erzählungen entwickelten sich aus Erzählungen , eine Geschichte nach der anderen schachtelte sich ein , und wenn der ursprüngliche Faden schon ganz verlorengegangen zu sein schien , so sprang irgendwo wieder durch eine Hof- und Staatsfigur unvermutet der Zusammenhäng hervor . Scheherezade schien aus ihrem Grabe erstanden zu sein , um einem andächtigen Zuhörer die Gesamtchronik des Lebens der höheren Stände zu offenbaren . Hermann fühlte sich auf das angenehmste gefesselt , und berührte die Speisen kaum , welche inzwischen aufgetragen worden waren . Alle diese Verwicklungen , Galanterien , Mißverständnisse , Entzweiungen und Versöhnungen , welche so vielen hohen Personen , von denen die meisten ihr Blatt in der Geschichte besaßen , einen bedeutenden Teil ihrer Zeit hinweggenommen hatten , drehten sich zwar eigentlich um nichts , aber es war das liebenswürdigste Nichts , was man sich denken konnte , und selbst der feine Duft zierlicher Sünde , welcher sich durch die Kapitel dieses weitschichtigen Romans hindurchzog , verlieh den Begebenheiten , wie sehr man sie auch hin und wieder tadeln mußte , einen besonderen Reiz mehr . Was aber die Hauptsache war : eine lebende Person gab in diesen Historien ihr Leben , das was ihr das Leben bedeutet hatte , aus , und Lebendiges wirkt immer , es sei auch was es sei . Als die erzählende Dame einmal Atem schöpfen mußte , und hierdurch eine Unterbrechung ihrer Mitteilungen entstand , nahm Hermann die Gelegenheit zu reden , wahr , und sagte : " Eins ist mir bei Ihren Geschichten höchst merkwürdig . Ich sehe Fürsten , Heerführer und Staatsmänner , welche mit dem größten Ernste das Schicksal der Völker geleitet und entschieden haben , während der Zeiten ihrer würdigsten Tätigkeit in die leichtesten , ja leichtfertigsten Händel verstrickt . Was uns andere leidenschaftlich abwärts getrieben haben würde , scheint sie , wie ein flüchtiges Aroma , nur zu noch energischerem Wirken zu begeistern , und das Bewußtsein , welches uns in derartigen Strudeln abhanden gekommen wäre , in ihnen zu steigern . Es kommt mir daher fast so vor , als ob man , um die recht großen Dinge in der Welt zustande zu bringen , weniger arbeiten , als genießen müsse , und daß Mühe und Fleiß eigentlich doch nur Ameisenwerk schaffen . " Theophilie versetzte : " Das ist Philosophie , und auf diese habe ich mich nie verstanden . Aber die Uhr schlug eins , und ich muß Sie entlassen , so gern ich auch die Nacht hindurch noch fortplauderte . " - Ihre Wangen glühten von den lebhaften Gesprächen , ihre Augen glänzten von fröhlicher Aufregung . Beim Abschiede gab sie ihm die Hand und sagte : " Ich ahne , weswegen Sie gekommen sind , glaube aber nicht , daß Ihr Vorhaben Ihnen gelingen werde . In jedem Falle haben Sie an mir eine treue Freundin . " Er tappte die Wendeltreppe , auf welcher das Licht der aufgehängten Lampe erloschen war , hinunter , und klinkte an der Pforte , um hinaus und nach dem Wirtshause zu gelangen . Zu seinem großen Schreck war sie verschlossen . Über einen Gang sich tastend , nicht ohne Furcht , irgendwo zu stürzen oder anzulaufen , fühlte er zwar mehrere Türen , aber kein Drücker wollte seiner Bemühung zu öffnen , weichen . Er horchte , ob sich nicht ein Geräusch wollte vernehmen lassen , aber umsonst ; in dem ganzen Gebäude herrschte eine Totenstille . Um nicht auf dem kalten Estrich schlafen zu müssen , suchte er die Wendeltreppe wieder und klemmte empor . Er hoffte , Theophilien noch wach zu finden . Oben stieß er an eine Türe , die gleich aufging . In dem dunklen Gemache stand etwas , wie ein Bette ; wie es schien , mit Kissen versehen . Kurz entschloß er sich , und um eine ihm doch eigentlich ganz fremde Dame nicht zu stören , warf er sich in seinen Kleidern auf die Lagerstätte , die , sonderbar schmal und kurz , ihm nach einer ermüdenden Reise doch einige Stunden Schlummer versprach . Wirklich schlief er ein , erwachte aber bald wieder von einem lauten Reden in seiner Nähe . Er rieb sich die Augen , und konnte , als er ganz munter geworden war , nicht zweifeln , daß er neben dem Schlafzimmer Theophiliens , und von ihr nur durch eine dünne Tapetentüre geschieden , sein Nachtquartier aufgeschlagen hatte . Höchst bestürzt über diese Indiskretion des Zufalls zog er den Atem an sich , um seine Anwesenheit auch nicht durch das leiseste Geräusch zu verraten . Aber er hörte in diesem gespannten , ängstlichen Zustande nur um so genauer , und verlor kein Wort von dem , was die Schläferin mit den vier Wänden laut verhandelte . Sie redete nicht , wie dies sonst zu geschehen pflegt , in abgebrochenen Worten , sondern fließend , zusammenhängend , als setze sie die Erzählungen des Abends fort . Plötzlich macht sie eine Pause ; es war Hermann , als ob sie sich im Bette aufrecht setze . Sie brach in ein leises , inniges Lachen aus , daß es durch die Nacht unheimlich klang . Nun begann sie französisch zu sprechen , und mit Erstaunen hörte er die Namen seines Oheims , der Tante und des Grafen Julius . Dieses Erstaunen wurde Bestürzung , Scham , ja Entsetzen , als sich nach und nach eine Geschichte vernehmen ließ , in welcher jene Personen die handelnden Figuren waren , und welche am allerwenigsten für die Ohren des Neffen taugte . So wurde er in tiefer grauenvoller Nacht durch eine Unbewußte , ihrer Sinne nicht Mächtige , Mitwisser eines schrecklichen Familiengeheimnisses . Er wendete sich , um nichts weiter zu hören , aber immer zog ihn das Gelüste des Schrecks nach der verhängnisvollen Kunde , und erst als die Redende aufhörte , sank er erschöpft zurück . Ein Schrei erweckte ihn . Es war heller Tag . Theophilie stand im Morgengewande vor ihm . " Um des Himmels Willen ! " rief sie , " wie kommen Sie in dieses mein Zimmer ? Ich hätte den Tod von Ihrem Anblicke haben können . " - Er versuchte , seine Sinne zu sammeln , und stammelte die Geschichte seiner Einsperrung und seines Fehlgehens daher . Noch hatte er nur auf sie geachtet . Wie wurde ihm aber , als er seine Lagerstatt in Augenschein nahm ! Ein seltsames Bette ! In einem Sarge hatte er geschlafen , in einem Sarge , welchen Taburetts umstanden , auf denen die zu einem vollständigen Leichenanzuge gehörigen Stücke lagen . Entsetzt sprang er von diesem furchtbaren Lager auf . Theophilie lächelte . " Tun Sie doch , als sähen Sie Gespenster , und doch ist es das Gewöhnlichste , Bekannteste , was Ihre Augen erblicken " , sagte sie . Sie lud ihn zum Frühstücke ein . Als er die ihm vorgesetzte Tasse unangerührt stehen ließ , und noch immer , wie abwesend , dasaß , stieß ihn Theophilie an , und rief : " Wie ist es möglich , daß ein Sarg und ein Sterbekleid einen beherzten Mann so außer Fassung bringen können ? Ich bin allein , eine Fremde unter Fremden . In Ihrer Tante starb die einzige Freundin , welche ich noch hatte . Was ist natürlicher , als daß ich mir meine letzte Behausung und Hülle fürsorglich zubereiten ließ , da mir die Arme der Liebe nach meinem Hinscheiden diesen Dienst doch nicht leisten werden . Man stirbt wegen dergleichen nicht eine Stunde früher . " Sie hatte bald ihren fröhlichen Ton völlig wiedergefunden , neckte ihn mit seinem Tiefsinn , und meinte , das Abenteuer , einen jungen Mann so Wand an Wand zu beherbergen , sei allerliebst . " Und ungefährlich für Tugend und Ruf " , sagte sie mit freiem Scherze , wie er nur ihr anstand , " denn dieser Jüngling war eine Leiche , und scheint , auch auferstanden , noch keine Kraft gesammelt zu haben . " Er versuchte , in diese Scherze einzustimmen ; es wollte nicht gelingen . Nachdenklich versetzte er : " Das Schicksal gibt uns oft sonderbare Zeichen . Es ist eigen , daß ich gerade jetzt , wo so manche Entscheidungen sich an mein Leben herandrängen , mich wider Willen in einem Gehäuse ausstrecken mußte , worin , wenigstens auf geraume Zeit , Sinn und Gefühl und Erinnerung erlöschen werden . " Zweites Kapitel Zweites Kapitel Er stieg den Berg zum Kloster hinunter . Die mannigfaltigen Gewerbvorrichtungen , welche er nun im einzelnen musterte , berührten seine Auge noch unangenehmer , als Tages zuvor . Diese anmutige Hügel- und Waldnatur schien ihm durch sie entstellt und zerfetzt zu sein . Das freie Erdreich mit Bäumen und Wasser , welches die Seele sonst von jedem Drucke zu erlösen pflegt , lastete auf der seinigen mit stumpfem Gewichte , weil es doch auch nur als Sklave im Dienste eines künstlich gesuchten Vorteils sich zeigte . Um alle Sinne aus der Fassung zu bringen , lagerte sich über der ganzen Gegend ein mit widerlichen Gerüchen geschwängerter Dunst , welcher von den vielen Färbereien und Bleichen herrührte . Erst als er sich dem Kloster ganz nahe befand , wurde ihm wohler . Rings um die wellenförmige Erhöhung , auf welcher die Gebäude standen , zogen sich die schönsten Blumenpartien . Alle Umgebungen waren in einen wohlausgestatteten Garten verwandelt worden . Orangerien und Gewächshäuser zeigten sich an mehreren Punkten . Er fand den Oheim , zu dem er ohne weiteres geführt wurde , in seinem Comptoir , umgeben von vielen Geschäftsleuten und Kommis . Sie saßen um einen großen grünen Tisch nach Art eines Kollegiums , der Oheim nahm in einem Lehnstuhle die Oberstelle ein . Er begrüßte Hermann mit kurzen , freundlichen Worten , und bat ihn , zu verziehen , bis die Konferenz beendigt sei , welche darauf ihren Gang ungestört weiter nahm . Hermann konnte bald an den Verhandlungen sehen , daß hier keine Geschäftsführung im gewöhnlichen Sinne stattfinde . Nicht ein Herr mit verschiedenen , nur die Ausführung besorgenden Dienern war vorhanden , sondern ein jeder Geschäftszweig hatte seinen unabhängigen Vorstand , welcher innerhalb desselben frei nach eigenem Ermessen verwaltete . So trat in der Versammlung ein Direktor der Glasfabrik , der Bergwerke , der Brau- und Brennerei , der Webstühle , der Porzellanmanufaktur hervor , und noch manche andere Fabrikstätten wären zu nennen . Diese Vorstände berichteten dem Oheim die Resultate ihrer Tätigkeit in der verfloßenen Woche . Wo mehrere oder alle Gewerbeszweige ineinandergriffen , wie bei dem Verkehr mit Amerika , wurde die Beratung ganz kollegialisch , die Stimmenmehrheit entschied streitige Punkte . Jedes Departement schien auch seine abgesonderte Kasse zu haben , denn die Vorstände rechneten miteinander ab , und es kam vor , daß einer von dem anderen sich eine Anleihe erbat , die dann auch , wie die dabei gemachten Bemerkungen erwiesen , ihre kaufmännischen Zinsen tragen mußte . Ein Sekretär , welcher am unteren Ende der Tafel saß , führte über den Einhergang Protokoll . Die Autorität des Oheims bestand nur in der Präsidentschaft . Er hörte die Berichte der einzelnen Direktoren an , äußerte darauf seine Meinung , die jedoch niemals wie ein Befehl klang , lächelte beifällig , wenn sie angenommen wurde , und ließ es geschehen , wenn der Referent sie verwarf . Trat eine allgemeine Beratung ein , so beschränkte er sich darauf , die Debatte zu leiten , abschließlich den Inhalt der verschiedenen Meinungen zusammenzufassen , und bei Stimmengleichheit durch sein Votum zu entscheiden . Hermann wohnte mit Verwunderung dieser Sitzung bei . Die Größe der zirkulierenden Summen , die Mannigfaltigkeit der Geschäfte , die Unabhängigkeit der Verwaltungen , und dann doch wieder ihre innige Verzweigung , der Blick nach Rio und Vera Cruz , der sich von Zeit zu Zeit auftat , alles dieses zusammengenommen gab ihm das Bild des Welthandels und zugleich eines " königlichen Kaufmanns " der Gegenwart . Wunderbar stach gegen die kolossale Gestalt dieses Betriebes die körperliche Erscheinung des Herrn und Meisters ab . Hermann fand den Oheim sehr verändert . Er saß gebeugt , und mit dem Kopfe zitternd in seinem Lehnstuhle , und nur die Augen , sowie seine Reden verrieten noch die ungeschwächte geistige Kraft . Als die Geschäftsvorstände sich entfernt hatten , bewillkommte ihn der Oheim , sich mühsam im Sessel emporrichtend . Hermann nötigte ihn zum Sitzen zurück , und wollte nach den ersten Reden die Absicht seines Kommens darlegen . " Laß es " , sagte der Oheim , " du kennst meine Grundsätze darüber . Oder wenn du dich durchaus getrieben fühlst , die Sache weiter zu verfolgen , so warte damit noch ein acht Tage , sieh dich indessen in der Gegend und in den Fabriken um , vielleicht kommst du dadurch selbst von deinem Vorsatze ab . " " Wenigstens müssen Sie diesen vernehmen " , sagte Hermann . " Ich kann die Ungewißheit , worin ich über Cornelien schwebe , nicht länger ertragen . Was Sie mir damals auf dem Schlosse des Herzogs eröffneten , wurde in Eile und Zerstreuung gesprochen ; eine ruhige Überlegung verhinderte das unglückliche Ereignis , welches Sie zu schleuniger Abreise zwang . Cornelie hat mir auf alle meine Briefe nicht geantwortet . Eine Entscheidung will und muß ich haben , und deshalb bin ich hier . " " Diese Entscheidung soll dir werden " , versetzte der Oheim , den der bewegte Ton , mit dem Hermann sprach , nicht ungerührt zu lassen schien . " Warte die Zeit ab . Ich will ja dir , ich will keinem mit Absicht Unrecht tun , gönne mir ein paar Tage , die Sache noch einmal für und wider zu überlegen , und unterdessen sei mein Gast . " Mit dieser Erklärung mußte Hermann vorderhand zufrieden sein . Bei Tische erwartete er vergebens Cornelien , nach deren Anblicke er sich sehnte und den er doch fürchtete . Dagegen zeigte sich Ferdinand auf einen Augenblick . Sowie der Knabe aber Hermanns ansichtig wurde , färbten sich seine Wangen hochrot , er warf entrüstet die Serviette auf den Teller und rannte hinaus . Der Oheim schickte ihm einen zornigen und kummervollen Blick nach . Nachdem die Verlegenheit , welche durch diesen unzweideutigen Auftritt entstanden war , sich verloren hatte , überblickte Hermann die Tischgesellschaft . Sie war ziemlich zahlreich , und bestand wohl aus dreißig Personen . Die Hausgenossen , die unverheirateten Geschäftsleute und Vorstände , und mehrere junge Engländer und Franzosen , welche , angezogen vom Rufe des Oheims , bei ihm in die Lehre gingen , bildeten sie . Man setzte sich , sobald die Suppe erschien , ohne auf die Ausfüllung einiger leeren Plätze zu warten ; das Gespräch war ziemlich laut , und Hermann konnte bemerken , daß der Ton , welcher hier herrschte , sehr ungezwungen , ja derb war . Der Oheim sprach halbleise nur mit seinem nächsten Nachbar , und sah meistenteils niedergeschlagen vor sich hin . Von Frauenzimmern war , außer einigen Wirtschafterinnen , niemand zu erblicken . Als man schon ziemlich weit in der Mahlzeit vorgeschritten war , erschienen die verspäteten Tischgenossen ; Hermann sah überrascht zwei alte Bekannte wieder , den Rektor und den Edukationsrat . Letzterer begrüßte ihn freundlich , dagegen dankte der Rektor kaum der Bewillkommnung , und schien die ganze Tafel über mit einer heimlichen Entrüstung zu kämpfen . Nach Tische suchte Hermann mit dem Oheim ins Gespräch zu kommen , und sich über so manches , was hier bereits seine Aufmerksamkeit gereizt hatte , Belehrung zu verschaffen . " Ich bin heute morgen Zeuge einer Verhandlung gewesen " , sagte er , " nach der es den Anschein gewann , als hätten Sie sich bereits zur Ruhe gesetzt , und anderen Ihr ganzes Geschäft übertragen . Und dennoch widerspricht dem alles , was ich von Ihnen sonst sehe und weiß . " " Wenn ich nicht irre , sagte ich dir schon einmal , daß man nur bis auf einen gewissen Punkt besitze " , versetzte der Oheim . " Erreicht das Vermögen eine Größe , welche das Maß der sogenannten Wohlhabenheit übersteigt , sind die Geschäfte zu einem hohen Grade der Ausdehnung gediehen , so muß man andere schalten und walten lassen . Wer dann noch selbst in alles eingreifen , jedes einzelne in eigener Person ordnen zu können wähnt , macht über kurz oder lang die Erfahrung , daß nichts nach seinem Willen geschieht , und wird allerorten getäuscht und betrogen . Ich sah diesen Wendepunkt meines Schicksals , als ich das Kloster und die Besitzungen des Grafen angekauft hatte , und meine Fabrikplane anfingen , in Erfüllung zu gehen . Deshalb entschloß ich mich , aus meinen Dienern und Faktoren , welche zum Glück sich in meiner Schule tüchtig herangebildet hatten , selbständige Herrn zu machen , ihnen als Gesellschaftern die Kapitalien , welche ich für die verschiedenen Geschäftszweige bestimmt hatte , vorzustrecken , und einen jeden übrigens auf eigene Gefahr sein Departement verwalten zu lassen . Bis jetzt habe ich mich bei dieser Einrichtung sehr wohl befunden . Die Direktoren treiben das Geschäft zu eigener Ehre und Vorteil , und bringen deshalb einen weit lebhafteren Schwung hinein , als wenn sie nur meine Handlanger wären , die wöchentlichen Konferenzen erhalten mich mit dem Ganzen im Zusammenhänge , und da in den Hauptsachen doch immer auf meinen Rat gehört wird , so lenke ich im Grunde alles nach wie vor . " " Eins fiel mir auf " , sagte Hermann . " Warum lassen Sie von Anleihen , welche ein Institut von dem anderen macht , Zinsen geben , da doch das gesamte Betriebskapital Ihnen gehört ? Sie scheinen solchergestalt sich selbst die Interessen zu entrichten . " " Nicht so ganz " , versetzte der Oheim . " Die Direktoren haben nur von den reinen Überschüssen ihren Anteil . Sie müssen sich daher bestreben , die Zinsen durch vorteilhafte Spekulationen einzubringen ; und da dies in den meisten Fällen gelingt , so gewinnt die Anleihe ihre Interessen in der Tat und nicht bloß zum Schein . " Jemand , der wie ein Metallarbeiter aussah , kam und brachte ein Päckchen Papiere in einem blauen Umschlage . " Es sind die bestellten Kassenscheine " , sagte er , " sehen Sie zu , ob sie Ihnen recht sind . " Der Oheim nahm die Papiere aus dem Umschlage , hielt sie gegen das Licht , prüfte die Stempel , und gab einige Stücke an Hermann . Dieser sah , daß es Banknoten waren , über größere und kleinere Summen lautend , mit dem Geschäftssiegel und der Namensunterschrift des Oheims versehen . " Es ist gut so " , sagte er zu dem Arbeiter , " die Proben gefallen mir , und ihr könnt nun die euch aufgegebene Anzahl verfertigen . Ich habe es für vorteilhaft gehalten , dieses Papiergeld zu kreieren , dessen Honorierung mir von allen bedeutenden Handelshäusern in den benachbarten Städten zugesagt worden ist " ; mit diesen Worten wandte er sich gegen Hermann . " Es ist ein leichtes Zahlungsmittel für alle meine Angehörigen und Arbeiter , und ich erspare damit ebensoviel bares Geld , welches nun wieder andrerorten tätig sein kann . Ich sehe " , fuhr er fort , " in den so übel berüchtigten Anleihen der Staaten nichts Schlimmes . Nicht in der vorhandenen Maße der edlen Metalle , sondern in den produktiven Kräften beruht der Reichtum einer Nation , und es ist gleichgültig , ob diese Kräfte durch Silber und Gold , oder ob sie durch Papier in Bewegung gesetzt werden , ja , es ist ein gutes Zeichen , wenn man zu letzterem greifen muß , um den Überschuß der Tätigkeit auszugleichen . " Ein kleiner Rollwagen fuhr unter dem Fenster vor , von zwei rüstigen Burschen gezogen . Der Oheim sah mit einem schwermütigen Lächeln seine schwachen und gebrechlichen Füße an , und sagte : " Dagegen hilft nun freilich weder Spekulation , noch Papiergeld . Willst du , neben diesem kindischen Fuhrwerke hergehend , mich durch die Anlagen begleiten ? " Hermann half ihm in den Wagen , und das Gespann setzte sich in Bewegung . Der Oheim ließ sich durch seinen Blumengarten fahren , welcher von der geschmackvollsten Auswahl und sorgfältigsten Pflege zeugte . Bei den schönsten Exemplaren mußte der Wagen stillhalten , der Oheim hob die Kelche mit leiser Hand auf , und senkte seinen sehnsüchtigen Blick in ihre bunte Tiefe , oder sog den Wohlgeruch verlangend ein . Zwischen dieser zarten Beschäftigung fuhr er fort , den Neffen über Handels- und Gewerbesverhältnisse zu unterrichten . Auf einer Anhöhe , welche die eigentlich botanische Region bildete , stand ein Gartenhaus , worin die Bibliothek befindlich war , die zu solchem Platze sich eignete . Der Oheim stieg aus , nahm ein Werk zur Hand und schlug darin etwas nach . In einiger Entfernung , an der Abdachung des Hügels sah Hermann Leute beschäftigt , und ging , da der Oheim bei seiner Lektüre blieb , zu ihnen . Man hatte eine Wand des Hügels mit künstlichem Fels umsetzt , zwischen dessen Spalten Rhododendren und andere Staudengewächse blühten . In der Mitte öffnete sich dieser Felsen zu einem Gewölbe , dessen Ausmauerung die Arbeiter beschäftigte . Hermann vernahm auf Befragen , daß das Gewölbe bestimmt sei , die Reste der Tante aufzunehmen , welche der Oheim nur vorläufig im Erbbegräbnisse des Schlosses habe niedersetzen lassen . Dieser Platz aber sei zu ihrer Ruhestätte erwählt worden , weil sie denselben vorzugsweise geliebt habe . Wirklich hatte man von dort die reizendste Aussicht . Gerade aus der Tiefe , beinahe senkrecht ihr gegenüber , stieg ein mächtiger Fels auf , den eine schöne frische Wiese , von klaren Quellbächen befeuchtet , umgrünte , hinter demselben erhob sich die Waldhöhe , von welcher das Schloß stolz herabblickte . Das Maschinenwesen war nach dieser Seite noch nicht vorgedrungen . Man sah auf Berg und Tal , wie sie Gott geschaffen hatte . Was Hermann von den Marmoren , die weither geschafft würden , von den prächtigen Gußeisenarbeiten , die der Oheim bestellt habe , vernahm , überzeugte ihn , daß Gattenliebe hier das kostbarste Mausoleum gründen wolle . Sich selbst hatte der Oheim in dieser Gruft auch die letzte Rast bestimmt , wie die Arbeiter sagten . Er saß noch bei sinkendem Abend , und lange nachdem die Leute den Platz verlassen hatten , an dieser ernsten Stätte . Dachte er an die Erzählung aus Theophiliens Schlafreden , so mußte er wünschen , geträumt zu haben ; denn hatte sie wirklich gesprochen und die Wahrheit gesagt , so erschien der ganze Zustand der armen Menschen ihm unselig hohl und lügnerisch . Drittes Kapitel Drittes Kapitel In den folgenden Tagen durchstreifte er mit einem erfahrenen Führer , welchen der Oheim ihm beigegeben hatte , die Gegend , und besah die Fabriken . Fast alle Zweige dieser Art menschlicher Tätigkeiten hatten sich hier im Umkreis weniger Stunden abgelagert . Man mußte wirklich über den Geist des Mannes erstaunen , der in verhältnismäßig kurzer Zeit eine ganze Gegend umzuformen verstanden hatte . Aus einfachen Landbauern waren Garnspinner , Weber , Bleicher , Messer- und Sägenschmiede , Glasbläser , Töpfer , Vergolder , ja sogar Zeichner und Maler gemacht worden . Als er sich bei einigen Vorstehern nach den Mitteln erkundigte , welche diese Verwandlung bewerkstelligt hatten , sagten sie , daß nichts leichter gewesen sei . Man habe von fernher geschickte Leute des Fachs kommen lassen , welche ihre Kunststücke anfangs wie zum Scherz auf Tanzböden und in Schenkstuben vorgewiesen hätten . Alsobald sei der Nachahmungstrieb , besonders bei den jüngeren Leuten , rege geworden , da man denn hauptsächlich auf die zweiten und dritten Söhne der Hofsbesitzer Augenmerk genommen habe , welche , zum Dienen bestimmt , unzufriedenen Geistes , sehr froh gewesen wären , einen lohnenderen und ehrenvolleren Erwerbe zu finden . " Auf diese Weise " , sagten die Vorsteher , " hatten wir in wenigen Jahren aus den Bewohnern der Gegend selbst unsere Pflanzschule herangebildet . Nun sind von den damaligen Lehrlingen die Geschicktesten schon wieder als Lehrer in die Fremde gegangen . Es ist zugleich hier ein neues Geschlecht entstanden , ein Mittelstand neben der bäuerlichen Aristokratie , ähnlich den englischen Verhältnissen . Der Erstgeborene erbt den Hof , und wird nach dem Hofe benannt , setzt also auch eigentlich allein die Familie fort , die anderen Söhne und die Töchter gehen in die Fabriken , und legen sich in der Regel von ihrer Beschäftigung neue Namen bei , gegen das Zeugnis des Kirchenbuchs , und ohne daß die Verbote der Obrigkeit , welche daraus allerhand Verwirrungen befürchtet , etwas fruchten wollen . " Mußte Hermann diesen Ausweg für eine Menge durch die Geburt hintangesetzter Menschen sehr ersprießlich finden , und sah er auf allen Maschinenstätten , in jedem Lager und Speicher die größte Ordnung und Nettigkeit , wurde es ihm hier recht klar , welch ein großes Ding das Geld , und ein diese Weltkraft bewegender verständiger Geist sei , so fehlte auf der anderen Seite viel , daß ihn alle die nützlichen und lehrreichen Anschauungen , welche er auf dieser Wanderung einsammelte , erfreut hätten . Vielmehr empfand er einen tiefen Widerwillen gegen die mathematische Berechnung menschlicher Kraft und menschlichen Fleißes , gegen die Verdrängung lebendiger Mittel durch tote , und er konnte dieses Gefühls nicht Herr werden , so bedeutende Resultate er auch vor Augen sah , so große Achtung er vor dem Oheim und seinen Helfern haben mußte . Abschreckend war die kränkliche Gesichtsfarbe der Arbeiter . Jener zweite Stand , von welchem die Vorsteher geredet hatten , unterschied sich auch dadurch von den dem Ackerbau Treugebliebenen , daß seine Genossen bei Feuer und Erz oder hinter dem Webstuhle nicht nur sich selbst bereits den Keim des Todes eingeimpft , sondern denselben auch schon ihren Kindern vermacht hatten , welche , bleich und aufgedunsen , auf Wegen und Stegen umherkrochen . Wie die beiden Beschäftigungen , die natürliche und die künstliche , dem Menschen zuschlagen , sah Hermann in diesem Gebirge oft im härtesten Gegensatze . Während er hinter den Pflügen Gesichter erblickte , die von Wohlsein strotzten , nahm er bei den Maschinen andere mit eingefallenen Wangen und hohlen Augen wahr , deren Ähnlichkeit die Brüder oder Vettern jener Gesunden erkennen ließ . Die Amtleute und Richter klagten sehr über die Vermehrung der Frevel , besonders gegen das Eigentum , seit die Gegend eine so veränderte Gestalt angenommen habe . In den Schleifereien und Erzschmieden griff man jetzt bei der leichtesten Zänkerei gleich zum Messer . Wenn er mit diesem Zustande das Leben auf dem Schlosse des Herzogs verglich , so fühlte er sich nur noch unbehaglicher erregt . Es ist wahr , hier gehörte alles tätig der Gegenwart an , und dort zehrte man von Erinnerungen , bestrebte sich umsonst , der Vergangenheit neues Leben einzuhauchen , aber jene Örtlichkeiten und ihre Bewohner erzeugten doch in der Seele eine Stimmung , während er hier vergeblich danach rang , den Knäuel der dumpfen und niederdrückenden Wirklichkeit sich zum Gespinste zu entfalten . Entschieden war es ihm : wenn diese Bestrebungen weiter um sich griffen , so war es in ihrem Umkreise um alles getan , weswegen ein Mensch , der nicht rechnet , leben mag . Der Sinn für Schönheit fehlte hier ganz . Die Stunde regierte und die Glocke ; nach deren Schlage füllten und leerten sich die Arbeitsplätze , traten die Träger ihre täglichen Wege immer in der nämlichen Richtung an , versammelten sich die Hausgenossen zu den gemeinschaftlichen Mahlzeiten . Bei diesen griff ein jeder nach englischer Manier zu , wo es ihm beliebte ; der Reihenfolge der Speisen achtete man wenig , da sie fast sämtlich zu gleicher Zeit aufgesetzt wurden . Keine aufwartenden Diener ; eine Magd , welche ziemlich ungeschickt war , nahm Teller und Schüsseln weg , oder ließ sie auch wohl stehen , wie es sich eben traf . Auf niemand wurde gewartet ; verspätete Ankömmlinge setzten sich , kaum grüßend und begrüßt , nieder , und holten in Hast das Versäumte nach . Alle diese Unsitten waren für jemand , der in den letzten zwei Jahren in der besten Gesellschaft gelebt hatte , sehr empfindlich . Lästig fiel Hermann , welcher das Wasser nicht vertragen konnte , auch die Entbehrung jedes sonstigen Trinkbaren bei Tische . Der Oheim hatte nämlich die Laune , seine Tafel nur mit eigenen Produkten besetzt sehen zu wollen . Hinsichtlich der Speisen tat dies der Güte des Mahls keinen Abbruch . Die Meiereien lieferten das saftigste Fleisch , die Gärten das zarteste Gemüse und die schönsten Früchte , die Weiher gaben schwere Karpfen und Hechte her . Allein mit dem Getränke verhielt es sich anders . Man braute hier ein sogenanntes Ale , und preßte aus Äpfeln und Birnen Cider . Nur diese Getränke kamen in geräumigen Flaschen auf den Tisch , wurden aber selbst von den daran Gewöhnten nur mit Zurückhaltung genossen . Hermann versuchte von beiden , bekam jedoch von dem Ale Kopfweh mit Schwindel verbunden , und wurde nach dem Genusse des Ciders von einem heftigen Erbrechen befallen , so daß er seitdem lieber Durst litt , als so schlimmen Einwirkungen abermals sich aussetzte . In den Zimmern sah es verworren aus . Meubles vom teuersten Holze mit schwerer Vergoldung standen neben tannenen Kommoden und Tischen , überall fehlte etwas , oder vielmehr der Widerspruch trat allerorten hervor ; ehemalige bürgerliche Einfachheit und neu erstrebte Pracht lagen miteinander in Streit . Wertvolle Gemälde , welche der Oheim in den damals aufgekommenen Kunstverlosungen erworben hatte , hingen in dunklen Winkeln , meistens uneingerahmt , während geschmacklose kolorierte Kupferstiche in kostbarer Einfassung an den hellsten Stellen der Wände prunkten . Zwischen diesem Ungeschick und verdrießlichen Wesen blickte nur ein rührender Zug durch , des Oheims Liebe zu den Pflanzen . Für sie hatte er den feinsten Sinn , niemand verstand so , wie er , die Gruppen der Blumen , Stauden und Bäume zu ordnen ; die kundigsten Landschaftsgärtner hätten von ihm lernen können . Unter seinen Gewächsen mußte man ihn sehen , wenn man sich überzeugen wollte , daß die Natur keinem Menschen irgendeine zum Ganzen der Seele notwendige Richtung versagt . Diese Neigung und die Liebe zu seiner Familie waren die schönen menschlichen Eigenschaften des merkwürdigen Mannes . Täglich sah ihn Hermann in seinem Wägenchen durch die Anlagen fahren , und stundenlang oben im Gartenhause , oder bei der Gruft der Tante verweilen , deren Schmückung ihm die liebste Beschäftigung geworden war . Aus manchen Äußerungen ging hervor , daß seine Gedanken ebenso oft bei der schlafengegangenen Gattin , als bei den irdischen Dingen verweilten . Viertes Kapitel Viertes Kapitel Von der Vergrößerung dieser gewaltigen Besitzungen durch die Standesherrschaft wurde unter den Geschäftsleuten des Oheims , wie von einer ausgemachten Sache gesprochen , obwohl Hermann nicht begreifen konnte , worauf sich , da der Adelsbrief der Ahnfrau aufgefunden worden war , diese Zuversicht stützte . In den Gesprächen jener Männer , welche , wie wir wissen , bei der Ausdehnung und dem erhöhten Schwunge der Geschäfte selbst beteiligt waren , traten weitgreifende Plane hervor , wie jene Güter zum Fabriknutzen umgewandelt , oder zerstückelt werden sollten , so daß dem Gaste , dessen Erinnerungen sich noch mit Vorliebe dorthin wandten , übel zumute wurde . Einmal traf er den verdächtigen Amtmann vom Falkenstein bei dem Oheim , der ihm wieder die höhnisch freundlichen Blicke zuwarf , über welche Hermann schon auf dem Schlosse des Herzogs verdrießlich geworden war . Der Oheim ließ sich über diese Angelegenheit noch gleichgültiger als früher vernehmen . Seinen Adelshaß verriet er zwar auch jetzt wieder , und wiederholte mit Lebhaftigkeit die Meinung , daß es an der Zeit sei , das Eigentum aus den Händen derer , welche es nicht zu benutzen verständen , in fleißigere übergehen zu lassen . " Allein mir für meine Person " , fügte er hinzu , " liegt an dem Erwerbe der mir zedierten Besitzungen kaum noch etwas . Die Sache ist mehr für meine Direktoren , welche noch vorwärts wollen . Ich werde nur Last und Sorge von diesen Schollen haben . Zudem " , sagte er schwermütig , " für wen sammle ich ? " Diese Worte bezogen sich auf eine Verlegenheit , welche dem Oheim in seinem eigenen Hause erwachsen war . Sein einziger Sohn Ferdinand , von dem er natürlich nichts heißer wünschen konnte , als daß er der Erbe seines Sinnes werden möchte , zeigte , sobald er sich zu entwickeln begann , auch nicht die mindeste Neigung zu dem , was eine solche Hoffnung rechtfertigen durfte . Alles Stillsitzen war ihm zuwider ; es kostete unendliche Mühe , ihm die Elemente der Rechenkunst beizubringen , die Maschinen , zu denen er früh geführt wurde , damit er Geschmack an ihnen bekomme , waren ihm lächerlich und widerwärtig . Er schlich sich heimlich zu den Werken , verdarb manches schadenfroh , und hatte einmal durch ein geschickt eingeworfenes Hemmnis eine Dampfpresse gewaltsam zum Stehen gebracht , dadurch aber beinahe den Mechanismus zerstört . Hingegen war es seine Leidenschaft , die gefährlichsten Orte zu erklettern . Seine ersten Spiele waren Soldatenspiele ; er hatte bald eine Kompanie Knaben zusammengetrieben , welche er zum Erstaunen eines durchreisenden Offiziers völlig regelrecht einexerzierte , obgleich er die Handgriffe nie gesehen hatte . Als er heranwuchs , war ein Pferd sein dringendstes Verlangen , und der Vater , der für dieses ihm nach langer kinderloser Ehe spätgeborene Kind die weichste Zärtlichkeit hegte , konnte sich nicht entbrechen , ihm eins anzuschaffen . Nun entband sich erst die ganze Natur des Knaben . Der Sattel war ihm lästig , er schied ihn von dem Geschöpfe , mit dem er in eins zusammenzuwachsen sich sehnte . Den Bauchgurt zerschneidend , schwang er sich auf den nackten Rücken des Tiers , umfaßte dessen Hals zärtlich , und ließ sich von ihm über Stock und Stein tragen . Das alles hatte er insgeheim vorbereitet , denn es zeigte sich in ihm eine merkwürdige Vermischung von Schlauheit und verwegenem Mute . Dem Oheim sträubten sich vor Entsetzen die Haare , als er von dem tollkühnen Ritt hörte . Er wollte dem Knaben das Pferd wieder wegnehmen lassen , aber da erfolgten so heftige Ausbrüche der Wildheit , daß man für seinen Körper besorgt wurde , und ihn lieber dem Geschick überließ , welches dem Unerschrockenen nicht selten günstig ist . Späterhin verfiel er auf das Schießen , wogegen aber der Vater sich mit Festigkeit erklärte , so daß Ferdinand von dem ungestümen Verlangen nach Pistolen und Flinten wenigstens scheinbar abstand . Gleichwohl sah der Oheim die Wiederholung eines alten Unglücks in seiner Familie voraus , sah voraus , daß der Sohn zerstreuen werde , was der Vater gesammelt ; und diese trübe Besorgnis wirkte dazu mit , die Fäden seines Daseins abzunutzen . Um das Seinige zu tun , hatte er die beiden Schulmänner zu einer Beratung über das Erziehungssystem , welches in Betreff des Knaben zu verfolgen sein möchte , einladen lassen . Man kann aber denken , daß deren Gutachten ihm wenig genügten , da ihre Meinungen nur beschränkt und einseitig waren , und seinem scharfen Verstande einleuchten mußte , daß die Mittel , welche sie vorschlugen , und welche einander noch dazu widersprachen , gegen eine entschiedene Richtung der Natur nichts verfangen würden . Hermann hatte von dem Edukationsrate einen Teil der obigen Notizen eingezogen . Sprache er mit Theophilien , die er oft des Abends besuchte , von dieser Angelegenheit , so machte sie ein zweideutiges Gesicht . Sie war recht eigentlich zur Plage des Oheims im Schlosse zurückgeblieben . Er empfand eine sonderbare Furcht vor ihr , wich ihr aus , wo er nur konnte , und hätte viel darum gegeben , wenn mit ihr die letzte Erinnerung an den ehemaligen Besitzer verschwunden wäre . Zu dem Ende hatte er ihr bedeutende Summen anbieten lassen , wenn sie ihren Wohnsitz verändern wolle ; welches aber immer höflich von ihr abgelehnt worden war . Eines Tages brachte Hermann die Sache gegen sie zur Sprache , und fragte in schonenden Wendungen , warum sie einen Ort nicht verlasse , der ihr unmöglich angenehme Gefühle erwecken könne ? " Lieber " , versetzte Theophilie , " Sie kennen das Unglück nicht . Wenn Sie wüßten , was es heißt , vom Erbe verdrängt worden zu sein , nicht mit Gewalt und Übermacht , das wäre leidlicher , nein ! auf stillem , rechtlichem Wege , mit erlaubtem Wucher , mit zulässiger Geschäftskunst , Sie würden mich nicht so fragen . Ihr Oheim hat meinen Bruder zerstört , verführt , zerrüttet und ich bin die Schwester des Grafen Julius . Er besitzt unsere Schlösser , gönne man uns nur noch , wie jene Frau sagt , ein Grab bei den Gräbern unserer Ahnen ! Hier sind meine Erinnerungen , dieser Schmerz füllt mein Leben aus , es hätte seinen Inhalt verloren , wiche ich von hinnen . Nein , es bleibe bei der Übereinkunft , die mein Bruder bei dem Verkaufe der Güter machte , daß ich hier zeitlebens Wohnung , und nach dem Tode auch Unterkommen im Erbbegräbnis finden solle . Ich bin die Hüterin der Rasensitze , der Pavillon , aller der Plätze , die unsere munteren Feste sahen , sie verwildern , verwittern , veralten , wie ich ; ein geheimes Band der Sympathie schlingt sich von ihnen zu mir , ich muß es ehren . " Hermann wunderte sich über die Erhebung , womit Theophilie sprach . Dieser Ton war ihr sonst nicht eigen , sie pflegte leicht , ja leichtfertig zu reden , aber sie geriet , wie er nunmehr öfter wahrnehmen konnte , jedesmal in jenen Schwung , wenn sie an das Unglück ihres Hauses dachte . Aus hingeworfenen Reden ließ sich schließen , daß sie ein Geschick ahne , welches den Oheim ganz daniederwerfen werde , und leider schien sie sich darauf zu freuen , wenn sie sich dies auch nicht eingestehen mochte . So bedroht , so innerlich gefährdet und untergraben war der Zustand des Oheims , während nach außen hin Vermögen und Ansehn ins Unermeßliche wuchsen . Man konnte sagen , daß er eine Macht darstelle . Denn nicht allein , daß seine Handelsverbindungen über die ganze Erde griffen , auch mit den Fürsten und Regierenden war er in Verhältnisse gediehen , bei welchen er , da er mehr zu gewähren , als zu erbitten hatte , sich ziemlich auf gleichem Fuße zu ihnen halten durfte . Sie ehrten ihn denn auch auf mancherlei Weise , verliehen ihm Titel , die er nicht führte , weil sie ohne Ertrag waren , und noch in den Tagen von Hermanns Anwesenheit traf ein Orden hoher Klasse ein , von welchem aber der Neffe nur durch die dritte Hand etwas vernahm , weil das schimmernde Kreuz , nachdem der Empfänger es flüchtig beschaut hatte , still weggestellt worden war . Vom Schlosse hatte der Oheim seine Wohnung , wenigstens zum Teil , deshalb hinabverlegt , weil ihm die Nähe Theophi-liens immer widerwärtiger geworden war . Aber im Kloster erwartete ihn ein anderer Verdruß . Bei der Säkularisierung hatte man für die katholische Umgegend den Gottesdienst in der Kirche erhalten , der Weg zu ihr führte quer durch das nunmehrige Wohnhaus , und sie selbst befand sich hart an den Geschäftszimmern des Besitzers . Seinem Sinne , welcher dem Kirchlichen durchaus abgeneigt war , wurde nun täglich die Pein , einen Zug Andächtiger durch das Haus wandern zu sehen , und das Klingeln der Messe vernehmen zu müssen . Um so unangenehmer für ihn , als er den katholischen Kultus eigentlich geradezu haßte , da dieser die Menschen nach seiner Meinung zum Unfleiße verführe . Schon mehrmals hatte er versucht , sein Eigentum von jener Last zu befreien , hatte sich selbst erboten , den Katholiken eine neue Kirche bauen zu lassen , allein die Geistlichkeit , wohl wissend , wie ersprießlich ihrer Sache ein traditionelles Altertum sei , war dagegen stets auf das Bestimmteste eingekommen , und die Behörden konnten wohlerhaltene Rechte nicht aufheben . Mit allem Gelde vermochte er daher nicht , sich vor den Reminiszenzen des Adels und der Kirche zu schützen , über deren Eigentum der Zeitgeist ihn zum Herrn gemacht hatte . Unter den protestantischen Arbeitern aber tat sich eine neue Wirkung umgestalteter Lebensverhältnisse auf , die dem Oheim fast noch unleidlicher war , als der unter seinen Augen sich rührende Katholizismus . Die sitzende Lebensart , welche an die Stelle der Bewegung in freier Luft getreten war , hatte bei vielen den Boden für die pietistische Richtung zubereitet ; einige Werkmeister , welche von der Wupper kamen , brachten den Samen mit , und bald war eine zahlreiche stille Gemeine entstanden , in welcher die Erweckten predigten , und jedermann mit der Gnade des Herrn , dem Blute des Lamms , und wie die Schlagworte jener Herde sonst noch heißen mögen , gewandt umzuspringen wußte . In Hermann , welcher alle diese Unannehmlichkeiten kennengelernt hatte , regte sich der alte Eifer , zu helfen . Der Oheim bezeigte sich immer freundlicher gegen ihn , sein Widerwille schien verschwunden zu sein , er hatte die Gesellschaft unseres Abenteurers gern , und schenkte ihm über manche Dinge Vertraun . Dieser bedachte nun schon dankbar im stillen , wie das Fräulein dennoch zur Verlegung ihres Wohnsitzes auf eine zarte Weise zu vermögen , das Naturell des wilden Knaben in die dem Oheim gefälligen Wege zu leiten , und die widerstrebende Geistlichkeit biegsamer zu machen sein möchte , hatte auch über alle diese Dinge bei sich einen Plan entworfen , in welchem jedes Hindernis beseitigt war , als ihn eine Mitteilung des Edukationsrats stutzig und an diesen wohlgemeinten Entwürfen irremachte . Es war ihm aufgefallen , daß der Rektor ihn sichtlich vermied , und wenn er nicht ausweichen konnte , ihm nur mit Widerstreben Rede stand . Da er sich nun durchaus keiner Verschuldung gegen den Schulmann bewußt war , so mußte er den Grund zu jenem Betragen in einer allgemeinen Verstimmung des Alten suchen . Er fragte den Edukationsrat bei Gelegenheit danach , worauf dieser versetzte : " Allerdings hat meinen Freund das schlimmste Schicksal betroffen . Ein wundersam scheinendes Glück führte nur dazu , sein Hauswesen heftig zu erschüttern , wo nicht von Grund aus zu zerstören . Jener totgeglaubte , aus Rußland zurückkehrende Sohn wurde von den Eltern , die ihn gleichsam aus dem Grabe wiederempfingen , mit einer Mischung von Liebe , Graun und Mitleid aufgenommen . Der Vater , durch Ihren Brief benachrichtigt , kaum seiner mächtig , holte den Verlorenen aus der Hirtenhütte ab , welche der Unglückliche eben hatte verlassen wollen , um in die weite Welt zu schweifen . Man erschrak über seine Gestalt , sein Wesen , hoffte aber durch Sorgfalt und Pflege ihn wieder zum Menschen zu machen . Aber es zeigte sich bald , daß diese Hoffnungen eitel gewesen waren . Der Elende hatte zu viel gelitten , sein Physisches und Moralisches war zerrüttet . Bald mußten die Eltern zu ihrem Schmerze sich überzeugen , daß Eduard zwar alles Liebe und Gute , was ihm geboten wurde , sich gefallen ließ , daß aber kein dankbares Gefühl in seiner Seele dadurch geweckt wurde . Nur die Not und das Elend schienen ihn noch aufrecht gehalten zu haben , sobald ihn das bequeme , gemächliche Leben im väterlichen Hause umfing , brachen jene herben Stützen zusammen , und er versank von Tage zu Tage mehr . Ein unmäßiger Hang zu geistigen Getränken begann sich zu äußeren , den der Verwilderte auf alle Weise heimlich zu befriedigen wußte . Bald nahm man Spuren des Irrsinns wahr , der endlich zur Tobsucht führte . Die Paroxysmen dieses Zustandes zerstörten die letzten Kräfte der Seele ; es folgte eine stille Verrücktheit , in welcher er , unschädlich , willen- und gedankenlos , nur noch so fortbrütet . Die Eltern haben ihn aus dem Hause und zu guten Leuten getan , welche ihn verpflegen und am Morgen bei hellem Wetter in die Sonne setzen , wo er dann , ohne sich zu bewegen , oder zu sprechen , den Tag über sitzen bleibt . Der Gram über dieses Geschick warf die Mutter auf ein Krankenlager , von dem sie nur langsam , schwer , erstanden ist . Der Unglückliche hatte den Stoff so mancher Ansteckung in die Familie gebracht , die Wirkung seines Aufenthalts ist die übelste auf die jüngeren Knaben gewesen . Zwischen den Konrektor und Wilhelmminen trat er wie ein Gespenst ; sie gaben einander nach heftigen Zwistigkeiten ihr Wort zurück , und der Verlobtegewesene hat sich einen anderen Wohnort gesucht . Kurz , diese Vorfälle bestätigen die Lehre , daß keiner heimkehren muß , wenn er nicht mehr vermißt wird . " " Sie bestätigen noch eine andere Lehre ! " rief Hermann sehr traurig aus . " Man soll die Hände in den Schoß legen , und nichts für andere sinnen und tun ; dann ist man sicher , daß man ihnen nicht schadet . Was in der reinsten Absicht geschieht , bringt Tod und Verderben , und wer seinen Nebenmenschen aus dem Wasser zieht , kann ihn dabei erdrücken . " Fünftes Kapitel Fünftes Kapitel Er hatte gehört , daß Cornelie sich auf einer kleinen Meierei , unweit der Fabrikbesitzungen befinde , wo sie die Molkenwirtschaft lerne . Dorthin war sie vom Oheim gesendet worden , um die täglichen Berührungen zwischen ihr und Ferdinand zu hindern , welche nach der Rückkehr des Mädchens bei dem Knaben einen immer leidenschaftlicheren Charakter angenommen hatten . Ohne selbst recht zu wissen , was er beginnen wollte , und ungeachtet er dem Oheim das Wort gegeben hatte , nichts in dieser Sache eigenmächtig zu unternehmen , befand er sich eines Tages kurz nach den erzählten Vorfällen auf dem Wege zur Meierei . Dieser führte ihn an schroffen Felsen und bebuschten Hügeln vorbei , bis endlich im anmutig grünsten Wiesentale sich das reinliche , rot und weiß angestrichene Gebäude zeigte . Schönes , saubergehaltenes Vieh graste auf dem samtenen Rasen umher ; unter niedrigem Gesträuch , zwischen Gitterwerk eingehegt , scharrte und pickte allerhand Geflügel ; hübsche kräftige Mägde gingen mit ihrer Marktladung auf dem Haupte durch das Tal den umsäumenden Hügeln zu ; der blauste Himmel spannte sich über der friedlichen Szene aus . Hermann betrat das Haus , in welchem ihm der frische Molkengeruch entgegenduftete , mit einiger Beklemmung , da er von der Zusammenkunft mit Cornelien einen heftigen und ängstlichen Auftritt besorgte . Niemand begegnete ihm , und so ging er auf das Geratewohl nach einem Gemache , in welchem er ein Geräusch vernahm . Die Türe öffnend , sah er Cornelien bei der ländlichen Arbeit in Gesellschaft der Schaffnerin und einiger Dienerinnen . " Ich bin es , Cornelie , erschrecken Sie nicht ! " sagte er . " Warum sollte ich erschrecken ? " versetzte sie unbefangen . " Ich habe Sie längst erwartet , da ich wußte , daß Sie bei dem Oheim waren . " Sie wies ihn nach ihrem Zimmer und bat ihn , dort allein zu verweilen , bis ihre Arbeit , welche sie nicht aufschieben könne , getan sei . Er ging durch das Haus , welches von holländischer Reinlichkeit glänzte , betrat das Stübchen , und sah sich dort von dem lieblichsten Bilde der Ordnung angelächelt . Nicht lange , so erschien Cornelie . Sie reichte ihm von freien Stücken die Hand , begrüßte ihn mit dem traulichen Du , und da er , von ihrer Lieblichkeit bezwungen , seine Lippen den ihrigen näherte , duldete sie , ihm zum Erstaunen , seinen Kuß . " Warum bist du so lange ausgeblieben ? " fragte sie . " Du warst in meiner Nähe und ich erwartete dich täglich . " Hatte er sich vor Zwang und peinlichem Wesen gefürchtet , so setzte ihn dieser unbefangene Empfang noch mehr außer Fassung . Um sich zu sammeln , bat er sie , mit ihm einen Spaziergang zu machen , was sie gern gewährte . Sie führte ihn auf einen Hügel , von welchem er den Überblick über das ganze Tal hatte . Man sah nur dieses , und nirgends sonst menschliche Wohnplätze , weil die Turmspitzen der benachbarten Ortschaften sich alle hinter den vorspringenden Hügeln verbargen . Hierdurch erhielt die Gegend etwas unglaublich Stilles und Einsames . Dieser Eindruck wurde noch dadurch vermehrt , daß hier seit Menschengedenken nur das einfachste Geschäft , die Viehzucht betrieben worden war , das Geschäft , welches dem Boden die wenigsten Spuren menschlichen Verkehrs aufprägt . Denn das Tier wandelt da und dort über den Anger , sein Schritt Furcht ihm keine Straße ein , und was sein Zahn abrupfte , ist in wenigen Wochen wieder nachgewachsen . Hermann , der das heitere , lebenskräftige Mädchen neben sich in dieser Abgeschiedenheit ansah , fragte sie , ob ihr diese , und ihre einförmige Beschäftigung nicht doch bisweilen zuwider werde ? " Niemals " , versetzte Cornelie . " Bin ich nicht eine Waise ? Ist mein Los ein anderes , als dienstbar zu sein ? Ich muß dem Vater herzlich danken , daß er mir Gelegenheit bietet , die Hände zu rühren . Und dann fällt unter den Kühen und Schafen auch so manches vor , was immer Abwechslung gibt . Da entsteht Zank und Eifersucht , Versöhnung nebst allerhand Geschichten , wie unter den Menschen . Es ist ein trauriges Schicksal , keine Eltern zu haben " , setzte sie ernster hinzu . " Dein Oheim und deine Tante wollten mich es nie fühlen lassen , und doch konnte ich es wohl merken . Ich kann nie vergelten , was sie an mir getan haben , und doch bin ich immer dessen mir bewußt gewesen , daß ich niemand Angehörte . Wenn von der Zukunft , von ihren Planen die Rede war , da hörte ich immer nur Ferdinands Namen , und meinen nicht mit . Das hat sich mir tief eingeprägt . Aber man lernt unter solchen Umständen früh , sich selbst helfen , und so jung ich bin , so fühle ich doch , daß ich wohl allein durch die Welt kommen wollte . Das Härteste erfuhr ich in dem Waldhause , wo du uns trafst . Die Mutter begehrte in ihrer Fieberhitze zu trinken , Ferdinand und ich , wir kamen beide mit einem Glase zum Bette , mich wies sie zurück und nahm von Ferdinand das Getränk an . Es war freilich nur Phantasie , aber es kränkte mich doch sehr ; ich setzte mich , bitterlich weinend , in eine Ecke . Nicht lange danach tratest du ein . " Unter solchen Gesprächen waren sie in das Tal hinuntergestiegen . Hermann nahm wahr , daß die Hirten und Melkmädchen , Cornelien , wie sie an ihnen vorüberging , mit einem Ausdrucke grüßten , der an Ehrfurcht grenzte . Ja , eine junge schwarzbraune Dirne , die aus feurigen Augen schaute , sank vor ihr , wie vom Gefühl überwältigt , in die Knie und legte die Hand Corneliens sich auf das Haupt . Ein Lämmchen kam aus der Herde munter auf Cornelien zugesprungen , und gab durch schmeichelnde Gebärden ein Anliegen zu erkennen . Sie beugte sich zu dem zarten Tiere hinab , nahm ein Milchfläschchen aus dem Busen , und tränkte das Geschöpf , welches sich vertraulich an die Kniende anschmiegte , aus der hohlen Hand . Hermann betrachtete mit Vergnügen das reizende Bild . Nachdem sie ihr mildes Geschäft vollbracht , erhob sie sich und sagte : " Das Närrchen hat seine Mutter verloren , und obgleich ein anderes mitleidiges Stück der Herde deren Stelle schon oft bei ihm vertreten hat , so sucht es doch immer mich und mein Milchfläschchen , wenn ich mich zeige . " Alles , was Hermann hier sah und hörte , gab ihm das Gefühl eines süßen Friedens , und er malte sich mit Entzücken das Bild der Häuslichkeit aus , welche ihm Cornelie gewähren würde . Denn daß sie nicht länger sich seinem treugemeinten Werben widersetzen werde , war ihm nach dem traulich-liebevollen Empfange , den er hier über alle Erwartung gefunden hatte , gewiß . Bei der Mahlzeit , die aus den einfachsten Gerichten bestand , war nur noch eine dritte Person zugegen , die alte Schaffnerin . Ihre Verneigung , tief und förmlich , verriet die ehemalige Klosterjungfrau , und wirklich war sie es . Sie hatte den Oheim ersucht , ihr dieses Amt zu geben , und er , der jeder Tätigkeit hold war , hatte ihren Wunsch gern gewährt , ihr überdies die Pension gelassen , welche ihre übrigen Schwestern , die Hände im Schoß , verzehrten . Obgleich auch durch den Oheim aus dem gewohnten Lebenskreise vertrieben , gehörte sie wenigstens nicht zu seiner Gegenpartei , und bildete durch ihre Reden einen anmutigen Kontrast mit Theophilien . Sie verhehlte gar nicht , daß sie schon im Kloster sich zu den Freidenkerinnen geschlagen habe , und daß ihr die Erlösung aus der Klausur herzlich willkommen gewesen sei . Sie wußte hundert lächerliche Geschichten von den kleinen Intrigen jenes Zwangszustandes zu erzählen , und wie die Nonnen sich die lange einförmige Zeit durch allerhand seltsame Spielereien verkürzt hätten . " Einer dieser Zeitvertreibe " , sagte sie , " war das Spiel mit dem Jesulein . Jede der Klosterschwestern hatte so ein Püppchen in der Zelle , welches sie auf das köstlichste aufputzte , alle Abende entkleidete , und mit zu Bette nahm . Man nährte es , wartete es ab , behandelte es völlig wie ein lebendes Kindlein . Wenn dann die Nonnen zusammenkamen , so erzählte eine jede , wie klug ihr Jesulein sei , der einen ihres konnte schon lesen , ein anderes lernte das Zimmerhandwerk , ein drittes hatte der Mutter die Brust wund gesogen , daß sie Umschläge auflegen müssen , und was der Possen mehr waren . Die Äbtissin sah der Sache lange nach , endlich hielt sie sich doch in ihrem Gewissen verbunden , die fromme Tändelei dem Beichtvater zu entdecken , durch den es vor den Bischof kam . Dieser traf plötzlich eines Tages im Kloster ein , hielt eine strenge Visitation und predigte scharf gegen Profanation der heiligen Dinge , worauf denn die Jesulein abgeschafft werden mußten , und wir nicht mehr die Mütter Gottes spielen durften . Einige Schwestern behaupteten aber nach diesem Verbote ganz treuherzig , das Milchfieber zu haben . " Cornelie hatte bei dieser und anderen derartigen Plaudereien still und schweigsam gesessen . Höchst wohltuend war ihm die Sitte und Ordnung , welche , im Gegensatze zu des Oheims Tafel , an diesem kleinen Tische herrschten . Servietten und Tücher waren zierlich gefältelt , Schüsseln und Teller symmetrisch gestellt , die Magd , welche aufwartete , und dies Geschäft flink und geschickt verrichtete , säuberte nach jedem Gerichte Messer und Gabeln . " Wo hat sie das gelernt ? " fragte Hermann die Schaffnerin , als Cornelie sich nach Tische auf einige Augenblicke entfernte . " Es muß ihr so angeboren sein " , versetzte die Alte . " Bei dem Oheim hat sie alles das freilich nicht absehen können , und die selige Tante verstand auch nicht , diese Zierlichkeit in die alltäglichen Dinge des Hauswesens zu bringen . Ich aber hatte hier mehrere Jahre lang einsam gehaust , und wenn man für sich allein ist , hat man auf dergleichen nicht acht . Sobald sie herkam , fing sie an , es so einzurichten , und in kurzer Zeit hatte sie jeden an diese Akkuratesse gewöhnt . Überhaupt ist mir das Kind ein rechter Segen in der Meierei . Vorher ging es zwischen den Hirtenknaben und den Mägden wild und liederlich zu ; und seit sie hier ist , hat sich auch das gegeben , ist alles keusch und sittsam geworden . Es scheint , daß in ihrer Nähe nichts Unreines den Mut hat , sich hervorzuwagen . " Er machte sich von der Alten , die gern noch fortgeschwatzt hätte , los , und brachte einige Stunden des Nachmittags für sich zu , um seinen Entschluß in Ruhe vorzubereiten . Aber ein solches Abwarten bringt den entgegengesetzten Erfolg hervor ; er wurde nur immer unruhiger und betrat gegen Abend mit starkem Herzklopfen das Blumengärtchen , welches sich Cornelie neben dem Hause angelegt hatte , und worin er sie ihre Pfleglinge begießen sah . Doch nahm er sich zusammen , trat zu ihr , ergriff die Gießkanne , und tränkte die Pflanzen . Nachdem dies geschehen war , wobei ihm Cornelie lächelnd zugesehen hatte , faßte er sanft ihre Hand , und sagte : " Du weißt , geliebte Cornelie , warum ich gekommen bin . " " Ich kann es mir denken " , versetzte sie leicht errötend . " Und da du nun hier bist , so wollen wir die Sache auch recht klar besprechen . " Sie gingen zusammen nach einer Laube und setzten sich . Noch hielt er ihre Hand , die sie ihm ohne Widerstreben ließ . " Du hast mir nicht geschrieben ! " rief er . " Aber alles ist vergeben . Das Gedächtnis dieser lieblichen Stunden , die ich heute mit dir verleben durfte , löscht jede bittere Rückerinnerung aus . Ich habe es durchgedacht und durchgefühlt , Cornelie , nur deine süße Unschuld , deine holde Stetigkeit kann mich dem Leben gewinnen , meinem Dasein die Grundlagen geben , ohne welche es doch sonst früh oder spät versinken wird . Ich wiederhole die Frage und die Bitte , die ich an jenem stürmischen Morgen tat , ich wiederhole sie heute mit voller Ruhe und Sicherheit des Gemüts . Willst du die Meine sein ? - Der Oheim wird einwilligen , wenn er unseren Ernst sieht ; sein Sinn hat sich gewendet , er ist mir nicht mehr unfreundlich . " " Ich habe dich angehört , nun höre auch du mich an " , versetzte Cornelie mit niedergeschlagenen Augen . " Daß ich mich nicht gegen dich verstellen kann , weißt du , und mein Herz kennst du . Ich denke an dich , wo ich bin und Weile , das war seit der Nacht im Walde so bei mir entschieden , und mit Freuden ginge ich für dich in den Tod . Es wäre mir auch kein größeres Glück auf der Welt , als wenn ich dich so täglich einige Stunden sähe , oder wenn das nicht anginge , so wäre ich schon zufrieden , wenn du nur abends im letzten Strahle der Sonne auf die Spitze des Hügels dort trätest , der so grün in das Tal schaut , und ich dann dein Bild von fern in mir empfinge , und es still mit mir zur Ruhe nähme . Sieh , so ist es mit mir. Deinen Wunsch erfülle ich nicht , das ist auch beschlossen . " " Um Gottes Willen " , rief Hermann bestürzt , und sprang auf , " was ist das ? " " Bleibe ruhig , Lieber " , sagte Cornelie . " Wie übel wäre es , wenn wir jetzt uns nicht zu finden wüßten . Du fragst mich , was das sei , was zwischen dir und mir so hindernd steht ? ich weiß es selbst nicht . Wie gern möchte ich , daß es anders wäre , aber kann ich dafür , daß es nun einmal so ist ? Die Tage , welche deiner heftigen Erklärung im Hause des Rektors folgten , waren schrecklich , ich hatte nie geglaubt , daß ich solche Schmerzen je würde zu ertragen haben . Ich war dumpf , und wie zerstückt in mir , wüstes Wunderliches bedeckte meine ganze Seele , ich hatte beinahe einen Haß gegen dich , und empfand Ekel vor mir selber . Nachher klärte sich alles , ich wurde ruhig , mein Gefühl für dich schied sich recht lieblich aus diesem Wust , aber neben demselben stand auch ganz fest der Widerwille gegen eine Verbindung mit dir , und dieser ist durch nichts vermindert worden . " " Sollte man nicht glauben , ein bleichsüchtiges , krankes Mädchen aus der Stadt zu vernehmen ? " murmelte Hermann dumpf vor sich hin . " Eine von denen , die verzärtelt und überbildet , nur noch in Überspannungen und künstlichen Nöten einen gemachten Halt für ihr Wesen gewinnen ? " " Wie du mich kränkst " , sagte Cornelie leise . " Kaum verstehe ich , was du meinst , aber recht hart muß es sein . " " Cornelie ! " rief er überlaut , indem der gewaltsamste Schmerz Ströme von Tränen aus seinen Augen trieb , " ändre dein Wort , sage mir etwas Gutes , Liebes ! " " Ach , was hülfe es dir , wenn ich dich und mich betröge " , versetzte sie , auch weinend , und drückte seine Hand mit der zärtlichsten Gebärde gegen ihre Brust . " Du beharrst bei deinem Entschluss ? " " O , daß ich dein Herz quälen muß ! " rief sie , indem sie aufstand , und nach dem Hause ging . Er machte eine Bewegung , ihr zu folgen , sie winkte , daß er es unterlassen solle . Er schlug die Hände vor das Gesicht , und blieb eine Weile in dieser Stellung . Als er wieder aufsah , war er allein . Er riß eine Blume vom Stängel und warf sie wild weg . Die Sonne schickte ihre letzten glühenden Lichter über die Hügel ; er blickte starr hinein , bis er es vor Schmerz nicht mehr ertragen konnte . Geblendet , taumelnd machte er sich auf den Weg , der zu den Hügeln führte . " So muß dieser Tag enden , so ! " rief er laut vor sich hin , und lachte und schluchzte , daß die Begegnenden ihm scheu auswichen . Sechstes Kapitel Sechstes Kapitel Zwischen den Felsen , an Steinbrüchen und Abgründen vorbei , irrte sein Fuß , und es war ihm gleichgültig , wohin er gelangen möchte . Da er des Weges nicht achtete , so war er bald von dem gebahnten Pfade abgekommen , und mußte sich durch Dornen und Schlinggewächse auf steilen Klippenstegen weiterarbeiten . Die Anstrengung , welche ihm dies verursachte , die Pein , welche seine Hände von den scharfen Dornen verspürten , brachte ihn wieder zum Gefühle seiner selbst , die wildflutenden Gedanken fingen an zu ebben , er war fähig , einen reinen Schmerz über Corneliens Verlust zu empfinden . Auf einer Höhe angelangt , wo niedriges Brombeergebüsch den Überblick über einen beträchtlichen Raum gestattete , hörte er von weitem ein Geräusch , welches wie Pferdegalopp klang . Obgleich es ihm unmöglich schien , daß jemand auf solchen Felsen reiten könne , so mußte er sich doch bald davon überzeugen , denn aus dem gegenüberliegenden Dickicht drang der Kopf eines Rosses hervor , welches der Reiter zu gefährlichen Sprüngen durch diese Einöde anspornte . Wie erschrak Hermann , als er in dem tollkühnen Reiter Ferdinand erkannte . Er rief ihm zu , zu halten ; der Knabe aber , als er Hermanns Stimme hörte und ihn sah , schien nur noch verwegener zu werden , denn er drückte dem Tiere beide Sporen in die Seiten , daß es in gewaltigem Satze vorwärts schoß , nach der Gegend zu , wo Hermann stand . Es war grauenvoll anzusehen , wie die geängstigte Kreatur , schäumend vor Furcht , und doch grausam vorwärts genötigt , über die nach allen Seiten hin tief zerrissene Klippenhöhe setzte , stolperte , stürzte , und halb schon am Boden liegend , sich immer wieder emporraffte . Endlich an einem senkrecht hinuntergehenden Abhange glitt das Pferd aus , und schoß in die Tiefe . Hermann schloß entsetzt die Augen , und meinte , da er sie wieder auftat , Ferdinands Leiche unten zwischen dem spitzigen Gestein erblicken zu müssen ; zu seinem Erstaunen aber sah er diesen unversehrt aus der Tiefe heraufklimmen , während das Pferd unten lag und ächzte . Wahrscheinlich hatten ihn , bügellos geworden , die Gesträuche im Falle aufgehalten , während das Roß , in seiner stärkeren Last von nichts gehemmt , unaufhaltsam hinabstürzte . Ohne seines beschädigten Tiers zu achten , trat der Knabe mit funkelnden Augen auf Hermann zu . " Du bist bei ihr gewesen ? Nicht ? Warst du nicht bei ihr ? Ihr seid einig ! " rief er mit von Zorn erstickter Stimme . " Beruhige dich " , versetzte Hermann , " keiner von uns wird sie haben , sie entzieht sich uns beiden . " " Du lügst ! " rief Ferdinand . " Habe ich je zu ihr gedurft ? Schreckte sie mich nicht immer von den Hügeln mit einem Blicke zurück , vor dem keiner standhalten kann ? Mit dem Blicke aus den großen , glänzenden Augen , die ich Blindküssen möchte , daß sie sich von mir leiten lassen müßte , wohin ich wollte . Aber du sollst das nicht so ungestraft tun , du sollst sie nicht haben , und müßte ich dir es in deinem Blute verbieten . " " Dazu kann Rat werden " , versetzte Hermann mit kaltem Spott . " Ich habe ein Paar gezogener Lütticher Pistolen zu Hause . Komme mit , wir wollen laden , das Maß nehmen , und wer den anderen totschießt , der nehme Cornelien hin . " " Sacht ! " rief Ferdinand , indem er sich einige Schritte zurückzog . " Mit dir mich zu schießen , ist mein einziger Wunsch , aber erst will ich es vom alten Kammerjäger lernen , den ich hier im Gebirge ausfindig machte , und wann ich ein Kartenblatt im Fallen treffe , dann sollst du mir schon Rede stehen . " " Recht " , sagte Hermann , " du bist ein echter Kaufmannssohn , willst eine sichre Spekulation auch auf deines Gegners Tod machen . Nun so lerne das Schießen von deinem alten Kammerjäger , und wenn du es kannst , wollen wir uns weitersprechen . " Er ging . Der Knabe blieb auf den Felsen zurück und überließ sich ganz der Raserei wütender Eifer sucht . Mehrere Tage lang blieb er unsichtbar . Hermann kam in später Nacht erst wieder heim . Er warf sich auf sein Lager , drückte das Haupt in die Kissen , und versuchte zu schlafen , jedoch vergebens . Welche traurige Tage er nach diesem verlebte , wird jeder mitzufühlen wissen , der die Gewalt reiner Empfindung kennt . Kein wildes Verlangen zog ihn nach Cornelien , es war das lauterste Bewußtsein , daß er in ihr einen Halt für sein zerstreutes , zweckloses Leben finden werde , und darin war er nun so schmerzlich , und wie es schien , für immer gestört . Was sie zu ihrem Verhalten bewege , war ihm unerklärlich . Er suchte nach geheimen Gründen , und der offenbare , welcher vielleicht alles aufgehellt hätte , blieb ihm verhüllt . Den Oheim sprach er nur noch einmal an der Hügelgruft der Tante . Der alte Mann war über den eigenmächtigen Schritt Hermanns sehr verdrießlich , und seine Stimmung mochte durch die Besorgnis über das wilde Herumtreiben Ferdinands nur noch übler geworden sein . Er barg dem Neffen seine Erbitterung nicht , und dieser hatte alle Selbstbeherrschung , welche ihm die Rücksicht auf Alter und Verhältnis zur Pflicht machte , nötig , um nicht einen schlimmen Auftritt herbeizuführen . " Du hast das gute Kind erschreckt , das war nicht recht , nicht löblich ! " rief der Oheim . " Vor meinem unsinnigen Knaben habe ich sie geborgen , nun kommt ein anderer Störenfried , der auf ihre Ruhe einstürmt ! Wie kannst du dich rechtfertigen , ja , wie willst du dich nur entschuldigen ? " " Sie kennen meine Absichten " , versetzte Hermann gelassen , " und in ihnen liegt meine Rechtfertigung . " " Und warst du der Mann , sie zu realisieren ? " fragte der Oheim . " Weißt du , wer du bist , wem du angehörst ? Hast du eine Familie ? Es besteht alles in der Welt nur durch Ordnung , Häuslichkeit , Bürgertugend ; wer dagegen angeht , ist mir verhaßt , er sei , wer er wolle . Mit Ehren habe ich mein Haus auferbaut , zu dem ich Cornelien rechne , unseren Kreis hat nie eine vornehme Sünde , nie die Leichtfertigkeit eines großen Herrn befleckt ; still und fleißig , mäßig und nüchtern haben wir unsere Tage hingearbeitet , das Unsrige vermehrt . In diesem Lebensgange will ich , bis ich hier an der Seite meiner guten Frau Ruhe , verbleiben , und bin entschlossen , von dem , was mir lieb ist , alle Abenteurer , Müßiggänger und Blendlinge fernzuhalten , deren Nähe uns anderen doch nur Schaden , Auflösung und Elend aller Art bringt . " " Ihre Vorwürfe sind zum Teil ungerecht , zum Teil verstehe ich sie nicht einmal " , erwiderte Hermann . " Wohl dir , wenn du mich nicht verstehst ; lies die Brieftasche , da wirst du erfahren , was ich meine ! " rief der Oheim , und stieg in sein Wägenchen , welches die Burschen herangefahren hatten . Das Wägenchen setzte sich in Bewegung , ohne daß der Oheim zu Hermann ein Wort des Abschieds gesprochen hätte . Dieser blieb auf einem Steine sitzen , und sah in dumpfer Betäubung den Arbeitern zu , welche das Grabgewölbe austieften . Sein Herz zerrissen tausend widrige Empfindungen , daß alles , was so freundlich sich anzulassen geschienen hatte , nun so hart sich löste . Er fühlte seine Schulter angerührt und wendete sich . Theophilie stand hinter ihm . " Es ist sonst meine Art nicht , diese Region zu besuchen " , sagte sie , " aber da ich vom Tale aus Sie hier so traurig sitzen sah , und den Wortwechsel mit dem Oheim gehört hatte , so trieb mich die Neugierde her . Was hat es mit ihm gegeben ? " " Er beschalt mich ohne Grund , und hielt eine Lobrede der Bürgertugend , von der ich die Veranlassung bei dieser Gelegenheit , und an diesem Orte nicht einzusehen vermag " , sagte Hermann . " Bürgertugend ! " rief Theophilie spöttisch . " Und fühlt er sich denn so sicher , der ehrenfeste , tugendbelobte Bürgersmann ? Es ist ein eigenes Gefühl , eine frohe Genugtuung , seinen Feind in der Gewalt zu haben . Denn es kostet mich nur ein Wort , so fällt dieser aufgespreizte Bürgerstolz , dieses Prunken mit unbefleckter Häuslichkeit zusammen , wie ein Kartenhaus . " Sie wollte sich rasch entfernen , und schien zu bereuen , was sie gesagt hatte . Hermann hielt sie zurück . " Abermals vernehme ich Reden aus Ihrem Munde , welche mir in Zusammenhänge mit Entdeckungen der Mitternacht zu stehen scheinen " , sagte er . " Entweder lehren Sie mich diese vergessen , oder geben Sie mir das volle , wenn auch schreckliche Licht . " Sie stutzte . Er erzählte ihr , was er in tiefer Nacht von ihren unbewußt plaudernden Lippen erhorcht hatte . Ihre leichtfertige Natur brach in ein herzliches Gelächter aus . " Nun " , rief sie , " da sieht man , daß es sogar gefährlich ist , einen Mann im Sarge neben sich liegen zu haben ! Was für schönes Zeug hätten Sie da von mir erfahren können ! Also ich spreche im Schlafe , das ist etwas , was ich noch nicht wußte , und was mich bestimmen wird , in Zukunft beim Schlafengehen ein Papagenoschloß auf den Mund zu legen , denn nicht immer möchte man so diskrete Wandnachbarn haben . " Er unterbrach diese Reden mit heftig eindringenden Erkundigungen . " Lassen Sie es doch gut sein " , versetzte sie , " begnügen Sie sich mit dem , was Sie hörten . " " Nein ! " rief er . " Es ist unsere Natur , daß wir alles zu ergründen streben bis auf den letzten Schauer des Abgrunds . Es betrifft meine Familie , Sie sind mir die Aufschlüsse , welche ich begehre , schuldig . " " Ungestümer Mensch ! Hätten Sie meinen Schlaf nicht belauscht , so erführen Sie doch nichts . - Hören Sie denn ; die Arbeiter haben Feierabend gemacht , wir sind allein . Ihr Oheim tut nicht wohl , sich an dieser Stelle mit seiner Familienehre zu brüsten , und lächerlich ist es , daß er hier , hier oben ein Monument ehelicher Liebe und Treue mit so vielem Aufwande in Erz und Marmor prunken lassen will , denn hier , gerade hier war es , wo die zärtliche Gattin in linder lauer Mondnacht mit meinem Bruder die ersten leidenschaftlichen Schwüre wechselte , und deshalb hatte die Frau den Ort so lieb ; er erinnerte sie an die glühende Stunde , welche die verbotene Wonne ihres sonst armen und traurigen Lebens schuf . " Hermann lag mit dem Gesichte auf der Lehne des Stuhls . Theophilie fuhr fort : " Die Tante hatte in halber Kindheit den Oheim heiraten müssen . Sie war ein lebhaftes Mädchen voll Feuer und Einbildungskraft gewesen . Nun , was einem solchen Geschöpfe dieser Herr Gemahl bieten konnte , vermögen Sie so einzusehn . Sie hat mir nachmals , als ich ihre und ihres Verhältnisses Vertraute geworden war , gestanden , daß sie unter den Comptoirbüchern und Zählbrettern des rechnenden Eheherrn oft dem Selbstmorde nahe gewesen sei . Mein Bruder trat mit Ihrem Oheim in Verbindung , er bemerkte die junge , in ihrem Darben anziehende Frau , und von dem Augenblicke an war die Sache zwischen ihnen entschieden . Ihm widerstand zu seiner Zeit kein weibliches Herz , er gab ihren Lippen freilich eine andere Speise als der gute Kommerzienrat , und rührend ist mir gewesen , wie sie mir noch auf ihrem Sterbebette , ungeachtet aller Gewissensskrupel , die ich ihr nicht ausreden konnte , klagte , sie werde , wenn sie noch einmal anfinge zu leben , dieser Liebe sich dennoch wieder ergeben müssen . Mein Bruder widmete ihr die heftigste Leidenschaft ; es war das letzte Auflodern seiner Natur , die sich noch einmal in ihrer ganzen Flammenpracht zeigen wollte , bevor sie erlosch . Er dachte auf Entführung , sie sollte sich scheiden lassen , und als diese Wünsche an den Bedenken der Tante , welche ihren Ruf über alles schätzte , scheiterten , stürmte er seinen Kummer und Verdruß in der unbändigsten Verschwendung aus . Der Oheim mochte mit stiller Schadenfreude zusehen , wie mein Bruder sich ihm rücksichtslos in den gefährlichsten Verschreibungen hingab , er wußte nicht , welch eine Unruhe es war , die seinen Schuldner trieb , die unerschwinglichsten Zinsen zuzusagen , und wie der Graf sich denn doch anderweit im Hause des Bürgers entschädigte . So gewann Ihr Oheim Geld und Land , und verlor die Frau . Mir , die ich ihn seit dem Beginne dieser Dinge herzlich haßte , war es recht erquicklich , zu sehen , wie der Mann , welcher sonst das Gräschen wachsen hörte und die Sonnenstäubchen zählte , in Betreff der nächsten Angelegenheiten taub und blind war . Seine Neigung zu der Tante wuchs , je weiter diese in ihrem Herzen von ihm hinwegtrat , wobei er , echt spießbürgerlich , auf alle die Zeichen der Entfremdung , welche einem kundigen Auge nur zu offenbar waren , durchaus nicht achtete , sondern vermutlich meinte , sie müsse ihn , weil sie sein angetrautes Weib sei , auch lieben . Als nun endlich nach langem Hoffen und Harren ein Söhnlein erschien , da war des Familienglücks kein Maß und Ziel . Es kommt alles zu seinem Gleichgewichte , und zu seiner Vergeltung ; diese Erfahrung tröstet einen , wenn man dem Verlaufe der Sachen in der Welt zusehen muß , ohne glücklich geworden zu sein . Meinen Bruder richtete die Torheit für die schöne Kaufmannsfrau vollends zugrunde , und sein Verderber handelte sich von ihm die Schande ein . Denn selbst die Zession , womit Ihr Oheim unsere Verwandten ängstiget , ist doch nur ein Denkmal der Unehre . Julius wollte auf sein Kind , auf das Kind seiner heimlichen Entzückungen , die Ansprüche auf die Standesherrschaft übertragen , und deshalb stellte er jene Akte dem Titularvater aus . " Hermann fuhr heftig auf . " Das ist nicht wahr ! " rief er , sich selbst vergessend , aus . " Ei , ei , mein Herr " , versetzte Theophilie , " eine Lügnerin nannte mich bis jetzt noch niemand . Ich versichre Sie , Ihr Oheim hat so wenig Anteil an seinem sogenannten Sohne Ferdinand , als ich an den Bergwerken von Peru . Wollen Sie mir nicht glauben , so lesen Sie die Liebesbriefe meines Bruders und Ihrer Tante , welche sich in meinem Gewahrsam befinden , und alles , was ich Ihnen erzählen mußte , mit vielen schwärmerischen Ausrufungen bestätigen . Sind Sie noch so jung , zu glauben , daß ein Paar Verliebter sich auf die Länge damit begnügt , in den Mond zu sehen , oder Vergißmeinnicht am Bache zu pflücken ? " " Die Briefe ! " rief Hermann . " Das also waren die Briefe , wovon die unglückliche Frau im Försterhause auf ihrem Krankenlager so ängstlich phantasierte ! Ich bitte Sie um alles in der Welt , vernichten Sie diese Urkunden der sträflichsten Verirrung , lassen Sie sich von Ihrer Leidenschaftlichkeit gegen meinen Oheim nicht hinreißen , und schonen Sie das Andenken Ihres Bruders , einer Frau , welche Sie ja selbst Ihre Freundin nannten ! " Sie wollte sich seinem Andringen entziehen , und meinte , es sei immer gut , die Waffen in der Hand zu behalten . Allein er ließ nicht ab , er wußte so gutmütig zu flehen , und ihr Herz , welches im Grunde nicht schlecht war , so in Bewegung zu setzen , daß sie endlich mit dem Ausrufe : " Sie sind ein Narr ! " nachgab . Er durfte sie in ihre Wohnung begleiten , wo beide ein Kaminfeuer entzündeten , und mehrere Pakete Briefe und Billetts auf buntem oder goldgerändertem Papier , aus welchem Locken , getrocknete Blumen und Bandschleifen in nicht geringer Anzahl herausfielen , den Flammen opferten . Als das erste Paket verbrannt war , hatte zwar Theophilie Reue verspürt , und die übrigen vor der Vernichtung bewahren wollen , allein sein Eifer siegte über sie , und da er von ihr zuletzt nach manchem weigernden Worte das feierliche Versprechen erhielt , nie ihre Kunde von diesen geheimen Sünden gegen den Oheim benutzen zu wollen , so schien dessen Ruhe wenigstens für diese Welt gesichert zu sein . Siebentes Kapitel Siebentes Kapitel Hermanns erster Gang nach der Rückkehr in die Stadt war zu Wilhelmi . In seinem Quartiere hörte er , daß der Freund zur Meyer in das Haus gezogen sei . Dort vernahm er von einem Bedienten einen abermals erfolgten Wechsel der Wohnung . Bestürzt meinte er schon , daß sich auch hier unangenehme Dinge ereignet haben möchten , als er Madame Meyer im Gespräch mit einigen Handelsleuten die Treppe herabkommen sah . Es wurden Bestellungen gegeben , und die Dame schien in diese Geschäfte so vertieft zu sein , daß sie selbst der Anwesenheit Hermanns eben keine Aufmerksamkeit widmete . Sie rief ihm flüchtig die jetzige Wohnung Wilhelmis zu , und sagte bescheiden errötend , daß unter den eingetretenen Verhältnissen eine kurze Trennung schicklich gewesen wäre , und daß ihm der Freund viel zu erzählen haben würde . Im neuen Quartiere fand er Wilhelmi ebenfalls nicht . Um die Zeit hinzubringen , begab er sich nach einem öffentlichen Garten , wo er hoffen durfte , Bekannte zu treffen . Einer derselben , ein Hausfreund der Madame Meyer , und einer der Spottvögel , nahm ihn sogleich beiseite , und fragte ihn , ob er die Neuigkeit des Tages schon kenne ? Ohne seine Antwort zu erwarten , fuhr er fort : " Saturn und Pallas sind in Konjunktion getreten , Wilhelmi und die Meyer haben sich verlobt . " Nichts hätte ihn mehr überraschen können , als diese Nachricht , die bei Wilhelmis krittelndem Sinne und der von Madame Meyer oft ausgesprochenen Ehescheue auch wirklich sehr auffallend war . Er fragte den Spötter nach der Zeit und dem Einhergange dieses Vorfalls , worauf er eine Stadt- und Tagesgeschichte zu hören bekam , von welcher wir freilich nicht wissen , wieviel davon der Wahrheit und wieviel der Läst-rung Angehörte . " Unsere Freunde " , berichtete der Spötter , " sind unter lauter Kunstbestrebungen auf den Weg der Natur geraten . Schon lange hatten wir eine Annäherung zwischen beiden bemerkt ; die Vereinigung der Hälften des Sankt Stephansbildes mochte die der Herzen gewaltsam nach sich ziehen , aber den eigentlichen Ausschlag gab doch ein verfehltes Fest zu Ehren des byzantinischen Stils . " " Wie soll ich das verstehen ? " fragte Hermann . " Sie wissen " , versetzte der Spötter , " daß die Meyer mit fester Treue an jenen langen Spinnenbeinchen Gestalten , an den gebräunten Schwarten und glitzernden Goldgründen hanggeblieben ist , welche die übrige Welt nun auch schon wieder zu ermüden beginnen . Das wissen Sie aber nicht , und wir wußten es auch nicht , daß sie im stillen beschlossen hatte , das Ihrige werktätig zur Auferweckung dieses kindlichen Stils beizutragen . Eines Tages , kurz nach Ihrer Abreise , erhielten die nächsten Freunde des Hauses Einladungen zu einem Frühstücke . Sie waren nicht förmlich , sondern der eine sollte dem anderen wissen lassen , daß , wenn man sich von ungefähr zu der und der Stunde einfände , man willkommen sein würde . Wir schlossen aus diesen Anstalten zu einer Vereinigung durch Zufall , daß etwas Besonderes im Werke sein müsse , und verfehlten nicht , uns sämtlich einzustellen . In einem Vorgemache trafen wir Wilhelmi , der uns unter allerhand Gesprächen dort zurückhielt , dann wie zufällig die Tür öffnete , und uns in die Kapelle führte , wo uns denn durch Zufall der Anblick eines lebenden Bildes wurde . Die Meyer stand nämlich , durch Diadem , gescheiteltes Haar und altdeutsches Gewand der heiligen Elisabeth verähnlicht , in einer Blende , zu welcher Stufen emporführten , und reichte aus einem Korbe , den ein schöner Knabe ihr vorhielt , Semmeln und Wecken an arme Leute , welche von den Stufen oder von dem Fußboden der Kapelle in mannigfaltigen Stellungen zu ihr emporsahen . Einige Dienstmägde in ansprechender Kleidung vollendeten die Gruppe , welche wirklich ein recht artiges Tableau bildete . Die Zofen verrieten durch ihr Blinzeln , daß sie uns wohl bemerkten , während die Meyer mit niedergeschlagenen Wimpern tat , als habe sie unser leises Eintreten nicht wahrgenommen , und durch Wählen und Verwerfen der Eßwaren im Korbe die armen Leute in ihren Stellungen festzuhalten wußte . Endlich mußte man uns aber doch sehen , und nun löste sich das lebende Bild schnell auf . Die heilige Elisabeth kam , anscheinend überrascht , von den Stufen herab , bewillkommte uns höflichst , der Junge mit dem Brotkorbe lief davon , ihm folgten die armen Leute , und auch die Dienstmägde verloren sich still durch Seitentüren . Man servierte uns hierauf in der Kapelle Schokolade und Likör , doch wußte die Meyer das Gespräch durchaus in einer religiös-gemütvollen Schwingung zu erhalten , wobei ihr Wilhelmi trefflich sekundierte . Nur die Vertrautesten des Hauses waren eingeladen worden ; die Gesellschaft betrug nicht über zehn Personen . Wie gewöhnlich , wurde nur von Kunst gesprochen . Die Meyer äußerte fromm-seufzend den oft vorgetragenen Wunsch , daß die Maler sich doch nur alle erst zu jener ältesten kindlichsten Auffassung zurückwenden möchten , durch welche allein das Höchste und Tiefste darzustellen sei . Das letztere wurde ihr zwar in diesem zu gefälliger Nachgiebigkeit eingewöhnten Kreise einstimmig zugestanden , dagegen erhoben sich bescheidene Zweifel , ob jene alte Kunst mit Glück wieder heraufzubeschwören sei . » Man hat doch nun einmal Jahrhunderte hindurch seinen Blick für die menschliche Gestalt , wie sie ist , und für die übrigen Dinge , wie sie wirklich erscheinen , geöffnet « , sagten einige . » Wie sollte man also die Augen wieder verschließen können , und den Menschen zumuten dürfen , anstatt der Muskel eine Linie , gewissermaßen eine Chiffre anstatt des verständlich ausgeschriebenen Worts anzunehmen « . Da diese Sätze , welche in mannigfachen Nutzanwendungen erläutert wurden , den gesunden Menschenverstand für sich hatten , so trieben sie unsere gute Wirtin etwas in die Enge . Sie warf einen ängstlichen Blick auf Wilhelmi , der denn auch die Stimme erhob und sich also vernehmen ließ : » Die Kunst « , sagte er , » sieht wohl nie die Dinge , wie sie sind , hat sie nie so gesehen , und noch weniger in ihrer Reinheit jemals versucht , sie so nachzubilden . Wollte man dies annehmen , so käme man auf jenes System von der Nachahmung der Natur zurück , welches denn wieder den Gemälden den höchsten Wert beilegen würde , in welchen sich die getreuste Abschrift der menschlichen Haut mit allen Haaren , Malern , Warzen und Schrunden zeigt . Diese Wahnmeinungen sind aber abgetan , und man braucht sie kaum noch zu bestreiten . « » Aber was sieht denn die Kunst , und was versucht sie darzustellen ? « fragte jemand . » Den Geist in der Natur « , versetzte Wilhelmi , » oder vielmehr die Form , welche der jedesmaligen Evolution des Geistes draußen in der Welt der Erscheinungen entspricht . Die Kunst ist geistiger Abkunft , sie erscheint immer im Gefolge irgendeiner großen religiösen , philosophischen oder poetischen Bewegung , selten mit ihr zugleich , meistenteils etwas nach ihr . So schuf Phidias in seinem erhaben-strengen Stile gewissermaßen noch einmal die ernsten Betrachtungen des Tales und der Pythagoräer aus , welche dieser Kunstepoche vorangegangen waren , so waren die späteren schönen und anmutigen Werke Nachklänge der allgemeinen Geistesblüte der Griechen , in welcher die reichste Mannigfaltigkeit nur die einfachste Harmonie umkleidete . Und um nun auf unsere byzantinischen Bilder zu kommen , so sehe ich in ihren steifen , schmalen , langen Gestalten , in ihrer symmetrischen Anordnung keineswegs eine so unschuldige Kindlichkeit , die nicht weiß , was sie will und erstreben möchte . Vielmehr erscheint mir hier auf der Holztafel und in Farben dieselbe Richtung , welche sich kurz zuvor auf dem reingeistigen Felde der Scholastik offenbart hatte . Das Christentum hatte die Welt von Grund aus umgekehrt , und der menschlichen Seele ein Gebiet eröffnet , auf welchem sie sich nur tappend bewegte . Durch die Scholastik suchte sie sich zu orientieren , das schwankende Göttliche auf die Festigkeit des Begriffs zu bringen , das unerklärbar- Eine durch die Entgegensetzungen dem Dialektik dem Verstande anzunähern . Die erste Kunstform , welche nach der Scholastik , und zum Teil noch gleichzeitig mit den späteren Entwicklungen derselben durch Occam , auftrat , zeigt nun alle diese Elemente vereinigt , und zugleich das Ehrwürdige , wie das Subtile und Dürftige jener Richtung . Ganz bewußt , mathematisch-streng , nicht etwa schwachgemütlich bildet der Kirchenglaube die Grundlage der Werke , von diesem gehen sie aus ; in der Steifheit und Magerkeit der Formen erscheint der Begriff , und in der symmetrischen Anordnung die Dialektik , kurz jene Bilder sind nichts als gemalte Scholastik . Diese verfiel , der Glaube verlor von seiner Strenge , der Geist suchte in Freiheit sein Ziel , und konnte auf diesem Wege der ganzen Fülle der Realitäten nicht entbehren . Wieder treu diesem Vorgange schreitet die Kunst der Periode nach , von welcher Cimabue und Giotto die Anführer sind . Das Strengkirchliche tritt mehr und mehr zurück , Maria wird ein schönes , wunderbares Weib , Christus ein begeisterter Lehrer , statt der symmetrischen bildet sich die dramatische Gruppe aus , und wenn die Maler nun allerdings Muskeln statt der parallelen und triangulären Linien malen , so sind es doch Muskeln in Handlung , mithin nur Träger einer geistigen Bewegung . Auch hier ist es nicht die sinnliche Natur , welche gesucht wird , sondern der Geist spiegelt in ihr , welche alle Bilder wiedergibt , nur seine eigene Emanzipation ab . Jene Periode erreicht ihren Gipfel und stirbt darauf in kranken Zuckungen nach und nach ab . Die Symptome des Verfalls sind trockene Empirie , wollüstiger Materialismus , kokettierende Selbstsucht . Alle diese Übel hat die Kunst mitgelitten . Wir sind nun auf dem Punkte angelangt , wo wir uns von geistiger Schwelgerei übersättigt fühlen , das heftigste Bedürfnis nach einem Obersten , Leitenden empfinden , und uns selbst einen gewissen Schematismus gefallen lassen würden , wenn er nur dahin führte , in unsere Unordnung Ordnung zu bringen . Ich frage : Liegen einer solchen Stimmung die freien , sinnlichglänzenden Kunstwerke nahe ? Wird uns aus den fliegenden Gewändern , aus dem gefälligen Faltenwurfe , und den runden Gliedern und Formen nicht immer eine gewisse Leere und Kälte entgegenhauchen ? Wird unser nach der Einheit der Regel schmachtender Geist nicht eine innigere Wahlverwandtschaft mit den alten strengen , symbolischen Bildern empfinden ? - Und in diesem Sinne muß ich unserer Freundin vollkommen recht geben , und wenigstens meinesteils auch so viel behaupten , daß wenn in unserer Zeit eine eigentlich große Kunst entstände ( was ich aber aus vielen Gründen für mehr als zweifelhaft halte ) diese mit der sogenannten byzantinischen eine starke Ähnlichkeit haben müßte . « Diese Rede , welche manchen Widerspruch fand , wurde von Wilhelmi mit so geschickten und glänzenden Wendungen verfochten , daß er endlich alle Opponenten zum Schweigen brachte . Die Meyer genoß ihren Triumph , und holte leise ein paar uns noch unbekannte Täflein herbei , von welchen allerhand heilige Gestalten , so schmal , als man sie nur verlangen konnte , auf Goldgründen die Beschauer ansahen . Eine allgemeine Erbauung griff um sich ; man fragte die Besitzerin , aus welchem Kloster diese Schätze herrührten , welche jeder anwesende Kenner unbedenklich dem dreizehnten Jahrhundert zuschrieb . Unsere Wirtin lächelte und sagte : » Freund Wilhelmi zweifelt an dem Aufblühn einer großen Kunst unter uns , so viel ist aber gewiß , daß es Gemüter heutzutage gibt , in welchen die ganze Begeisterung jener alten Meister schlummert . Ja , meine Freunde , diese Tafeln , von welchen Sie glauben , sie seien ein halbes Jahrtausend alt , sind vor noch nicht zwei Monaten , und hier in meinem Hause gemalt . « Sie weidete sich an dem Erstaunen der Gesellschaft , und fuhr fort : » Ich halte einen frommen Jüngling bei mir verborgen , welcher diese Bilder verfertigt hat . Durch Zufall machte ich seine Bekanntschaft , und fühlte mich verpflichtet , ihm fortzuhelfen , da ich sah , daß der Geist der Väter auf ihm Ruhe . Noch mehreres als dieses hat er bereits geliefert . Ich sehe Ihr Erstaunen über das wundersame Talent , und da wir so freundlich beisammen sind , so erlauben Sie mir , ihn unter Ihnen einzuführen , Ihrer Huld und Gunst ihn zu vertrauen . Gewiß , Sie werden ihn lieben und fördern , wie ich . Gegenwärtig malt er an einem Heilande , mit mystisch geschlitzten Augen , welcher die Welt segnet , überaus ähnlich einem lieben Bilde , dessen ich mich aus einer böhmischen Kirche erinnre . Wenn es Ihnen ebenso viele Freude macht , wie mir , das stille Weben des Genius zu belauschen , so folgen Sie mir zu jenem Schiebefensterchen , durch welches ich oft stundenlang , von ihm unbemerkt , in seine stille Werkstatt blicke , und meinem Angelo ( denn so nenne ich ihn wegen seines engelreinen Gemüts ) zusehe . « Wir erhoben uns , und zufällig war ich in dem Zuge nach dem Schiebefenster der vorderste . Ich schob sacht das Vorhängelchen von den Scheiben hinweg , und sah in die Werkstatt des jungen Byzantiners . Hier bekam ich aber etwas zu schauen , worauf ich keineswegs gefaßt war , und welches mir zugleich bewies , daß unsere Zeit wenigstens noch zwischen der Sehnsucht nach dem Symbolischen und dem Verlangen nach sinnlicher Naturwahrheit sich schwankend mitteninne hält . In der Werkstatt lag nämlich auf einem dunkelroten Teppich , der über ein Ruhebett gebreitet war , ein schönes Mädchen , in dem Zustande , wie sie Gott der Herr erschaffen , und in der Stellung der Danae oder Leda ; denn der Einzelheiten erinnre ich mich so genau nicht mehr . Der Byzantiner stand neben ihr , mit Kohle und Malerstock bewaffnet , und rückte an ihren Gliedmaßen , um die Stellung noch natürlicher zu machen . Ich hütete mich wohl , meine Überraschung laut werden zu lassen , sondern trat , nachdem ich einige Sekunden dieser keineswegs unerfreulichen Anschauung genossen , still zurück . Nach mir gelangte ein Pietist zum Schiebefenster , welcher in ein Gebetbuch geschrieben hatte , er bezeuge mit seiner Hand , daß der Herr an ihm ein Zeichen gesetzt habe . Dieser sagte auch kein Wort , sondern seufzte nur nachdrücklich , und zog dann den Kopf , scheinbar nicht ohne Widerstreben , hinweg . Bis dahin war alles leidlich gegangen ; nun aber wollte eine alte Dame das Weben des Genius sehen , legte Augen und Nase dicht an das Glas , fuhr aber dann mit einem fürchterlich zu nennenden Geschrei zurück . Dies hörten der Byzantiner und die Nackte ; sie sahen die fremden Zuschauer hinter den Glasscheiben . Rot und sprachlos stand der junge Mann da , stampfte mit den Füßen , und hielt den Malerstock gleichsam drohend in die Luft ; das arme Geschöpf schlüpfte hinter die Staffelei , welche sie nicht ganz verdeckte . Die Wirkung dieses so ganz unerwarteten Ereignisses war außerordentlich . Wir jüngeren Leute sahen verlegen vor uns hin , und taten , als ob wir uns schämten , der Pietist faltete die Hände und blickte gen Himmel , die alte Dame eiferte gegen die Meyer , welche , durch einen flüchtigen Blick in die Werkstatt auch von dem Unheil in Kenntnis gesetzt , wie vernichtet dastand , und sich auf Wilhelmi lehnte . Umsonst war dessen Trostspruch , daß es ja nur ein Modell sei , sie flüsterte ihm unter zornigen Tränen zu , er solle den sittenlosen Heuchler auf der Stelle aus dem Hause schaffen . Einige junge Mädchen , welche sich im Zuge verspätet hatten , und nun neugierig herandringen wollten , wurden von der alten Dame mit der Eröffnung , daß eine Fledermaus dort umherschwirre , die sich ihnen leicht in die Haare setzen könne , zurückgehalten . Nachdem Wilhelmi seinen strengen Auftrag in der Stille ausgeführt hatte , und wir wieder zu unseren Sesseln in der Kunstkapelle gelangt waren , fühlten wir wohl , daß fernere gesellschaftliche Freuden schwerlich geraten möchten , und wollten uns in schicklicher Weise entfernen . Leider aber hatte die Meyer einen fremden durchreisenden berühmten Künstler auf ihren Byzantiner bitten lassen , zu dessen Veröffentlichung und Ruhm der Tag ausdrücklich von ihr bestimmt worden war . Dies erfuhren wir durch einige Reden Wilhelmis , als wir der beim Abschiede empfangenen Einladung uns entziehen wollten . Unter solchen Umständen wäre ein Außenbleiben unhöflich gewesen , und so stellten wir uns denn sämtlich , mit Ausnahme der alten Dame , am Abend wieder ein , obgleich mir von einem Tage , der so quer begonnen hatte , nichts Gutes ahnte , und die verstörten Augen der Wirtin zu erkennen gaben , daß ihr die härteste Strafe lieber gewesen sein würde , als eine zierliche , im heiligen Geiste der Kunst versammelte Gesellschaft . Wir kamen in Zimmern zusammen , wo wir früher nie waren empfangen worden , weit von der Kapelle und von den Sammlungen der alten Periode . Papiertapeten bekleideten die Wände , gleichgültige elegante Meubles standen umher . Nur ein Gemälde war vorhanden , das Bildnis des seligen Meyer , im braunen Frack , von Weitsch gemalt . Es hing über dem Sofa ; wie ich hörte , hatte der verstorbene Eheherr diese Gemächer bewohnt . Das Gespräch lahmte , und wurde eigentlich nur von dem fremden Künstler im Gange erhalten , den ein Kreis andächtiger Verehrer umgab . Er erzählte viel von seinen Reisen , von seinen Bekanntschaften mit Kaisern und Königen , wobei eine angenehme Selbstgefälligkeit zum Vorschein kam , die unter uns , wie Sie wissen , nie ihre Wirkung verfehlt . Seine beiden Knaben , junge mutwillige Eulenspiegel , trieben sich umher und verübten allerhand Possen , welche die Zeit hinbringen halfen . Zuletzt , und ziemlich spät , erschien unser Dichter , welcher sein neuerdings bedeutend angeschwollenes Manuskript mitbrachte und nach kurzer Weigerung sich bereitwillig finden ließ , daraus die zuletzt ausgearbeiteten Kapitel vorzutragen . Nun war er aber leider an die Darstellung des fünfzehnten Jahrhunderts geraten und hatte diesem wegen seiner Wichtigkeit die gründlichste Durchführung gewidmet . Besonders erschöpfend handelte er die Frage ab , ob die Kunst jener Zeiten noch eine religiöse zu nennen sei ? und hatte das Für und Wider nach allen Richtungen hin in seinen Versen versammelt . Die Terzinen wälzten sich wie ein endlos flutender Strom daher , eine Stunde nach der anderen schlug , und noch war kein Ziel der Sache abzusehn . Ich betrachtete zu meiner Unterhaltung die Gesellschaft ringsumher , und sah die verschiedenartigsten Versuche , sich durch tiefes Atemholen , Rücken auf dem Stuhle , Spielen mit den Uhrketten usw. munter zu erhalten . Nur die Höllenstrafen sind ewig , jede Vorlesung aber hört denn doch endlich auf . Der Kunstdichter schloß und trocknete sich den Schweiß ab , wir durften uns von unseren Stühlen erheben und die abwesenden Lebensgeister wieder herbeirufen ; die Meyer aber , welche vielleicht allein an dieser poetischen Leistung Behagen gefunden hatte , weil dieselbe sie über einen lästigen Abend hinwegbrachte , nötigte mit artiger Verbeugung in ein Nebenzimmer , wo uns eine kalte Kollation erwarten sollte . Ich hatte die Knaben des fremden Künstlers nach der ersten Lesestunde in das Nebenzimmer schleichen sehen , und die Glücklichen beneidet , welche dort ruhig auf einem Sofa die Vorlesung verschlummern durften . Nicht ahnte ich , daß sie weit verhängnisvollere Absichten im Schilde führten und wirklich durchsetzten . Als wir nämlich das Nebenzimmer betraten , und die Wirtin uns mit dem verbindlichen : » Wenn es Ihnen gefällig wäre ... « zu Tische nötigte , sahen wir zwar diesen , weißgedeckt , von Lampen beleuchtet , auch darauf verschiedene Schüsseln , Assietten und Fruchtkörbe , alle diese Eßgeschirre aber durchaus leer und ihres Inhalts beraubt . Die Urheber des Raubes konnten nicht lange zweifelhaft bleiben , denn die beiden Knaben standen am Tische , beschäftigt , die letzten Reste der Konfekte und Früchte zu verzehren . Von den Salaten , Fleischschnitten und Cremen war keine Spur mehr zu erblicken . Sie hatten der Tat auch kein Hehl , denn auf die zornige Frage des Vaters , wie sie sich das hätten unterstehn können , versetzten sie unbefangen , daß nach ihrer Meinung diese Sachen zum Essen hingesetzt worden , und daß sie hungrig gewesen wären . Unglaublich würde Ihnen diese Aufzehrung eines Abendessens für zwölf Personen durch zwei Knaben klingen , wenn Ihnen nicht die Frugalität unserer Genüsse bekannt wäre . Die arme Meyer dauerte mich . Es war viel zu spät , um noch einen Ersatz des verschwundenen Abendessens herbeischaffen zu können . Sie wollte über den Vorfall scherzen , aber es gelang ihr übel . Die Gesellschaft gab ihr die Versicherung , daß niemand Appetit verspüre , aber wer hätte dieser Behauptung nach so langwierigem Vorlesen Glauben geschenkt ? Der Künstler , welcher die nächste Verpflichtung hatte , die Anwesenden für die durch die Gefräßigkeit seiner Knaben erlittene Einbuße zu entschädigen , fand sich am ersten zurecht und sagte : » Wir haben hier leider erlebt , wie die Natur , aller Ästhetik spottend , in roher Weise ihren Weg geht . Angenehmer ist es , zu sehen , wie sie sich dem Zwange zum Trotz , den ihr Narren antun wollen , unaufhaltsam die Bahn bricht , und eine solche Erfahrung habe ich heute hier gemacht . Ich fand ein junges Talent , welches man von seinem Ziele abzuleiten gedachte , und welches sich dennoch zu dem machen wird , was es ist . Als ich in den Morgenstunden aus den Fenstern meines Gasthofs sah , hörte ich unten auf der Straße ein lautes Schluchzen . Ein junger Mensch stand vor der Pforte des Hauses und ließ einem Kummer , der auch halb wie Zorn aussah , auf solche ungezähmte Weise freien Lauf , ohne der Umstehenden zu achten . Die prächtige Gesichtsbildung des Jünglings , seine hohe Stirn , gebogene Nase , und das reich wallende Haupthaar zogen mich an , ich ging hinunter , und fragte nach der Ursache seiner Tränen . Anfangs wollte er mir nicht Rede stehen ; ich ließ jedoch nicht ab , nahm ihn mit auf mein Zimmer und brachte ihn dort zum Geständnis . Er sei ein armer Junge ohne Eltern und Beschützer , erzählte er . Von Kindheit an habe er die größte Lust zum Zeichnen gehabt , und alles nachgeahmt , was ihm zu Gesicht gekommen , Bäume , Tiere , Soldaten . Niemand aber sei ihm behilflich gewesen , daß er etwas lernen können . Endlich habe sich eine reiche Dame seiner angenommen ; nun sei er in ihrem Hause untergekommen , wo er aber verborgen habe leben müssen . Die Dame habe ihm gesagt , er werde ein großer Mann werden , wenn er sich ganz nach gewissen Bildern richte , die sie ihm denn auch gezeigt habe . Der Jüngling nannte diese Bilder in seiner Natursprache Herrgötter mit Eidechsenleibern , und ich wußte bald , woran ich war . Er beschrieb mir seine Pein , welche er empfunden , da er diese Mißgestalten nachbilden müssen , in so rührenden Wendungen , daß mein Anteil immer höher stieg . Indessen , sagte er , habe er doch gemerkt , daß jene Herrgötter menschliche Körper vorstellen sollten , und da sei das brennendste Verlangen in ihm erregt , einen wirklichen natürlichen Leib in seiner wahren Gestalt zu erblicken . Zufällig habe er gehört , daß es Personen beider Geschlechter gebe , die sich wohl zu solchem Zwecke den Malern darliehen , und nun habe er nicht eher geruht , bis er des ersehnten Anblicks teilhaftig geworden sei . Da habe er denn etwas zu sehen bekommen , worüber nichts in der Welt gehe ; jegliches so ebenmäßig , fein , rund und doch Strafe . All sein Taschengeld habe er nun auf Modelle verwendet , deren verschiedene Stellungen er in seinen heimlichsten Stunden , selig vor Vergnügen , abgezeichnet habe . Heute sei er mit einer wahren Wollust bemüht gewesen , die Glieder und Formen eines wunderschönen Mädchens auf das Papier zu übertragen , als er wahrgenommen , daß man ihn belausche . Es sei hierauf ein großer Lärmen im Hause entstanden , und die Dame habe ihm , als einem schlechten liederlichen Menschen die Türe weisen lassen . Außer sich vor Ärger und Beschämung sei er nach dem Gasthofe gelaufen , um sein Brot anderweit zu verdienen , sei es auch durch Laufen und Packentragen für die Reisenden . Ich wollte den Namen jener guten Törin wissen , welcher es unbekannt zu sein scheint , daß man , um Menschen zu malen , ihre Gestalt kennenlernen muß ; mein junger Exilierter weigerte sich aber , da er aus meinen Worten abnahm , wie ich über den Vorfall denke , sie zu nennen , die immer , so fügte er hinzu , seine Wohltäterin bleibe . Durch diesen Beweis von Zartsinn wurde er mir noch lieber . Ich ließ ihn seine Zeichnungen bringen , und hatte über ein urkräftiges Talent zu erstaunen , welches in Gefahr gewesen war , durch verrückte Modetorheit , wenn nicht erstickt , doch aufgehalten zu werden . Roh und unfertig waren diese Sachen , das ist richtig , aber aus jedem Punkte , aus jeder Linie leuchtete ein so tiefer Sinn für die Natur , ein so reines Schönheitsgefühl hervor , daß ich wahrhaft in Erstaunen gesetzt wurde . Es versteht sich , daß ich ihn nicht hierlasse , sondern mit mir nehme , obgleich ich voraussehe , daß er mich in kurzem überholen wird . - Wissen Sie vielleicht mir die altertümelnde Beschützerin zu nennen ? Denn ich muß ihr doch danken , daß ihre Kenntnis von dem Studiengange eines Malers mir zu dieser Bekanntschaft verholfen hat . " Achtes Kapitel Achtes Kapitel " Die letzte Frage und Aufforderung hörte die Meyer nicht mehr . Sie hatte sich schon während der Erzählung , sobald deren traurige Beziehung klar wurde , hochrot , eine Unpäßlichkeit vorschützend , still entfernt . Unsere Gesichter können Sie sich denken . Der gute Künstler war ganz verwundert , daß seiner Geschichte nichts als ein dumpfes Schweigen folgte . Beim Nachhausegehen fragte er mich , ob er gegen jemand verstoßen habe , worauf ich ihm versetzte , der ganze Tag sei nur ein Verstoß gewesen . Kurz nach diesem unglücklichen Ausgange byzantinischer Bestrebungen schickten die Meyer und Wilhelmi Verlobungskarten umher . Wir erfuhren , daß Wilhelmi nach ihrem Rückzuge aus der Gesellschaft ihr gefolgt sei , und sie auf dem Sofa liegend , erschöpft und weinend , gefunden habe . Sein Herz war gegen die Leidende übergegangen , aus sanften Tröstungen hatte sich bald eine zärtliche Erklärung entwickelt . Da sie , zu beständigem Wittum entschlossen , dieser widerstanden hatte , soll er auf eine kluge Weise haben einfließen lassen , daß ein kunstkundiger Gemahl ihr gesagt haben würde , die Maler ständen nun einmal von nackten Mädchen nicht ab , und wer solches nicht ertragen könne , der müsse sie nicht in das Haus nehmen . Da hat die Meyer auf einmal die ganze Mißlichkeit ihrer Stellung erkannt , hat eingesehen , daß eine gelehrte Frau , welche sich behaupten will , durchaus eines Gatten bedarf , der seine Schulen durchgemacht hat ; und aus diesen Gefühlen und Erwägungen ist das Bündnis erwachsen , worüber die Stadt beinahe eine ganze Woche zu reden hatte , welches aber jetzt über andere Dinge von Belang schon wieder vergessen worden ist . " Nur ungern hörte Hermann diese Erzählung mit an , welche ihm zwei Personen , denen er zugetan war , in einem lächerlichen Lichte zeigte ; indessen konnte er der unermüdlichen Zunge des Spötters nicht entrinnen . - " Wie sie bemüht sind , sich alles zu sprechen , damit nur gar nichts übrigbleibe , woran Liebe und Verehrung haften kann ! " rief er , als er allein war , aus . " Dieser Mensch nennt sich einen Freund des Hauses und scheut sich nicht , mit der giftigsten Lästerung über die Herrin des Hauses herzufallen ! " Er hatte vergessen , daß ein geheimer Hohn die Lebensluft der guten Gesellschaft ist , weil nur durch ihn das Gleichgewicht bewahrt wird , dessen sich jedes Mitglied bewußt sein muß , um zur Unterhaltung beizutragen . Nach manchen vergeblichen Gängen traf er endlich seinen Freund Wilhelmi , und wünschte ihm herzlich Glück . Mußte er auch über dessen Emphase lächeln , womit Wilhelmi lauter Eigenschaften an seiner Verlobten hervorhob , welche diese wirklich nicht in ausnehmendem Grade besaß , so war in dessen Äußerungen doch so viel Empfundenes , so fühlte der Freund doch so tief das Glück , einem einsamen Leben zu entrinnen , daß er sich wahrhaft über dessen Schicksal freuen konnte . Selbst das Äußere Wilhelmis hatte der Bräutigamsstand verwandelt , seine Wangen waren röter geworden , seine Augen lebhafter , und er sah wieder wie ein stattlicher Mann in den besten Jahren aus . Auch Madame Meyer fand er vorteilhaft verändert . Sie war stiller und sinnender , trug sich nicht mehr so viel vor , redete auch mehr von den gewöhnlichen Dingen des Lebens , als von der Kunst . Die Kapelle und die altertümlichen Sammlungen waren geschlossen . Sie empfing ihre Freunde wirklich in den Zimmern , die der Spötter beschrieben hatte . Der Kreis ihrer Gesellschaft hatte sich verengt , und sie bekannte unserem Freunde in einer traulichen Stunde , daß sie sich dabei wohler fühle . Dagegen sagte Wilhelmi , daß er nur die Hochzeit abwarten wolle , um dann die Vereinigung seiner Sammlungen mit denen seiner Frau vorzunehmen , und in das ganze Besitztum eine systematische Ordnung zu bringen . Er fügte triumphierend hinzu , daß diese verbundenen Schätze von der Art sein würden , um auch noch neben den Sammlungen des Staats die Aufmerksamkeit der Kenner und Liebhaber zu erregen . " Dein gutes Geschick hat freundlich für dich gesorgt " , versetzte Hermann . " Du wolltest Direktor des Nationalmuseums werden , worin du manchen Verdruß und Zwang würdest zu erdulden gehabt haben . Anstatt dessen macht dich die Liebe zum Kustos eines Privatkabinetts , mit dem du wirst schalten können , wie du magst . " War es ihm von Herzen lieb , das Los seiner Freunde auf so zuverlässige Art gesichert zu sehen , so konnte er sich doch eines stillen Neides nicht erwehren . " Der Misanthrop , der Grillenhafte wird ohne sein Zutun , aller Wahrscheinlichkeit zuwider , in den Hafen geführt , während ich , der ich das Glück einfach und gerades Weges suche , plan- und bahnlos mich von meinem Ziele fortschleudern lassen muß ! " rief er . " Wo ist da noch Zusammenhäng in der Welt , wenn Launen und Seltsamkeiten das Gute und Zweckmäßige gebären , dem wirklichsten Bedürfnisse aber sich grausam die Erfüllung versagt ? " Er fühlte lauter Widersprüche in seinem Schicksale , und ein unbestimmtes Grauen vor der nächsten Zukunft überschlich ihn . Um Schutz gegen sich und seine Gedanken zu finden , nahm er die Bibel zur Hand , welche aber hier , wie in jedem Falle einer aus dem Stegreife mit ihr gesuchten Bekanntschaft , dieselbe ablehnte und dem heftig Andringenden ein hartes , undeutsames Antlitz zeigte . Von Johannen und Medon hörte er wenig . Sie hatte sich seit einiger Zeit fast ganz zurückgezogen und selbst den Umgang mit Madame Meyer aufgegeben : Er war , wie man sagte , von seinem Plane , zu reisen , abgegangen , und sollte sehr ernsthaft an einer staatswirtschaftlichen Schrift arbeiten . Hermann schob seinen Besuch von Tage zu Tage auf , obgleich ihn eine tiefe Sympathie zu dem unglücklichen schönen Wesen hinschmeicheln wollte . Das Museum war jetzt der Sammelpunkt der feinen Welt geworden . Eines Tages traf Hermann dort den Prinzen , welchem er in Medons Hause vorgestellt worden war , den Erzähler des Mondscheinmärchens . Er war so gefällig , sich seiner zu erinnern , und freute sich , ihn wiederzusehn . " Man wollte hier wissen " , sagte der Prinz , " Sie würden nicht zurückkehren . Sie wären der Associe Ihres Oheims in seinem Geschäfte geworden . " - " Die Welt " , versetzte Hermann , " hat einen entschiedenen Hang , uns Dinge anzudichten , welche gewöhnlich dem , was wir eigentlich tun und begehren , schnurstracks entgegen sind . " " Das ist wahr " , erwiderte der Prinz . " Hierin zeigen sich die Menschen wahrhaft erfindungsreich , und aus den gewöhnlichsten Köpfen entspringen nicht selten die sinnreichsten Mythen . So hat man mich zum Beispiel - und ich wüßte durchaus nicht zu sagen , wodurch ich die Veranlassung gegeben hätte - zu einem begeisterten Verehrer oder gar Protektor der bildenden Künste gemacht , während ich mir bewußt bin , für sie eigentlich kein Auge zu besitzen . Das Lustigste bei solchen Gesellschaftsfabeln ist , daß man unversehens und unwillkürlich aus einem Objekte derselben , zu ihrem Subjekte und Helden wird . Nach und nach versammelte sich um mich allerhand Gemaltes und Plastisches , ich übernahm das Patronat eines Vereins , und gehöre zu den fleißigsten Besuchern dieser Säle , obgleich ich , die Wahrheit zu gestehen , mehr der Menschen , welche sich hier einfinden , als der Gemälde wegen komme . " " Gnädigster Prinz " , sagte Hermann höflich , " Sie werden heute auf Ihre eigenen Unkosten zum Märchendichter . " " O nein " , erwiderte der Prinz , " und ich schätze mich deshalb nicht geringer , weil ich der Mode meine Neigung versage . Ein lebendiges Interesse kann nur an einer Sache sich entzünden , welche in der Gegenwart kräftig wurzelt . Nun aber sehe ich an den Handlungen der Zeitgenossen durchaus nichts für das Auge , mithin auch nichts für den Pinsel oder Meißel . Wo die Kanonen und die taktischen Bewegungen das Schicksal der Reiche entscheiden , gibt es keine Heldengruppen , wo die Predigt im Gottesdienste das Wort führt , keine Erscheinungen , wo die Leute bis zu den Schustern und Schneidern hinunter den Frack tragen , kein Genre . Was soll also entstehen ? Entweder ein geschmackvoller Eklektizismus , welcher niemals eine Epoche macht , oder ein romantisches Unbestimmtes ; Versuche , der Poesie nachzutreten , die in wenigen Jahren schon , wenn gewisse momentane Stimmungen vorübergegangen sein werden , unverständlich sein müssen . Man darf sich ja nicht durch die jetzige allgemeine Neigung zu diesen Dingen täuschen lassen . Ein Unterschied der modernen Zeit von der griechischen besteht darin , daß unter uns Neueren das wahrhaft geniale Schöne fast immer im Gegensatze zu der herrschenden Stimmung erwächst , welche dagegen ihrerseits das als vorhanden zu präkonisieren pflegt , woran es ihr eben ganz gebricht . Dagegen ging in jener glücklichen griechischen Periode das besondere Genie der Künstler aus dem allgemeinen Talente der Nation hervor . Um an einem Beispiele meine Meinung klarzumachen , so glaubten wir an Klopstocks Oden , Bardieten und an den Nachahmungen derselben eine große vaterländische Poesie zu besitzen , und doch waren diese frostigen Exerzitien am allerfernsten von einer solchen . Nur eine Entwicklung der Schönheit sehe ich noch vor uns , nämlich die poetische ; in der Dichtkunst hat , wie ich glaube , Deutschland den Gipfel noch nicht erreicht . " " Diese Meinung ist für die Poeten der Gegenwart sehr tröstlich " , sagte Hermann , " um so tröstlicher , als viele Stimmen das dichterische Element der Zeit ganz leugnen wollen . " " Ich rede nicht von einem einzelnen , nicht von Individuen " , erwiderte der Prinz . " Urteile über Personen und Werke , deren Zeitgenosse man ist , sind meistens sehr mißlich . Meine Hoffnung bezieht sich auf etwas Allgemeines . Nun ist es wohl klar , daß eine Periode , in welcher alle Schätze des Geistes gewaltsam aufgeregt worden sind , so daß sie gleichsam in das Freie fielen , von selbst einen Fähigen hervorrufen muß , welcher sich dieses Reichtums bemächtigen wird . Diesem wird gerade der Mangel an äußerem plastischen Leben höchst förderlich sein , da unserer Stimmung die deskriptive Poesie immer langweilig erscheint , und die Dichter dieser Jahrhunderte mit Glück nur das Innerliche , die bewegenden Ursachen der Dinge ergriffen haben . " Hermann hatte nur aus schuldiger Rücksicht dem letzten Teile dieser Auseinandersetzung zugehört , denn eine unerwartete Erscheinung wendete seine Gedanken von den Reden des Prinzen ab . Zu der Flügeltüre des Saals , in welchem sie standen , trat nämlich herein , abenteuerlich aufgeputzt , im bunten Gewande , eine Gestalt , in welcher er nach kurzem Besinnen Flämmchen erkannte . Flatternde Bänder zierten Achseln und Schulter , Schmelzbesatz säumte Busen und Leib , das kurze Röckchen war zackig ausgeschnitten , darunter sahen rotflammige Strümpfe und goldene Schuhe hervor . Die schönen nackten Arme umschlossen an den Gelenken Korallenschnüre , ein safrangelbes Bindentuch , welches sich durch ihre Locken zog , vollendete den fremdartigen Anblick . Sie betrat den Saal mehr schwebend , als gehend , spielte mit einem Elfenbeinstäbchen , warf es empor , und fing es mit reizender Beugung des Arms wieder auf . Ihr nach drang ein Schwarm verwunderlich-geschmückter junger Herrn ; eine ältliche korpulente Figur mit kahlem Haupte , die Brille vor den Augen , bewegte sich mühsam hinterher . Flämmchen scherzte und schäkerte mit ihrer Begleitung , der ganze Zug rauschte an den Wänden umher , und auf die Gemälde wurde wenig geachtet . Es war das Bild einer leichtfüßigen Nymphe , welche Satyren und Faunen umspringen , und der Silen mit Anstrengung folgt . " Was ist Ihnen ? " fragte der Prinz Hermann , welcher starr nach Flämmchen hinsah . Dieser versetzte , daß er ein Frauenzimmer bemerke , welches er früher sehr wohl gekannt habe . " Ach , unsere herkulanische Tänzerin und junge gnädige Frau dort " , sagte der Prinz , der nun erst auf den Zug aufmerksam wurde . " Ja , ich erinnre mich , von Ihrer Mentorschaft gehört und herzlich darüber gelacht zu haben . Nun , Ihre Erziehungsplane sind nicht geglückt , anstatt eines Kunstprodukts hat Natur das wundersamste , entzückendste Geschöpf ausgebildet . Ich behaupte , wer sie tanzen gesehen , kann nie wieder ganz unglücklich werden . Wäre ich ein Freund von Paradoxen , so würde ich sagen : Sie tanzt Geschichte , Fabel , Religion , ihre begeisterten Wendungen und Stellungen weihen uns in die geheimsten Dinge ein . Unter uns muß ich Ihnen gestehen , daß jenes Märchen , mit welchem ich in Medons Hause so viel Glück machte , nur der schwache Nachhall einer Pantomime war , durch die sie an einem unvergeßlichen Mondabende meine Sinne außer Fassung gesetzt hatte ! " " Verzeihen Sie meinem Erstaunen , gnädigster Prinz " , rief Hermann , " wenn ich unbescheiden werde , und mir eine Frage erlaube ! Sie sprachen das Wort : Frau , aus . In welcher Verbindung steht dasselbe hier ? " Der Prinz lachte und versetzte : " In der natürlichsten von der Welt . Der närrische Domherr , mit dem wir manchen Scherz getrieben haben , entführte sie , um sie , es koste , was es wolle , zu seiner Frau zu machen , von der abgeschmacktesten Theorie beherrscht , die ihm ein Schalk in den Kopf gesetzt hatte . Die Heirat kam wirklich in reißender Schnelligkeit zustande , und kurz darauf starb der Domherr , völlig beruhigt , wie man sagt , über seine Fortdauer nach dem Tode . Das junge Witwenkind lebt nun , wenn sie nicht , wie jetzt , zu kurzem Besuche nach der Stadt kommt , auf der Villa ihres Eheherrn , wo sich die albernsten Verhältnisse angesponnen haben . " Er verbeugte sich gegen Hermann , und ging zu Flämmchen , die ihn mit zierlicher Begrüßung empfing . Der Prinz deutete nach Hermann hinüber , Flämmchen erblickte diesen , und die hellste Freude loderte über ihr Antlitz . Er , etwas Auffallendes an diesem öffentlichen Orte besorgend , trat rasch durch eine Kommunikationstüre in einen Vorraum zurück . Die Treppe hinuntergehend , flüchtete er sich zu den Antiken und Vasen , welche man in den Gemächern des Erdgeschosses aufgestellt hatte . Hier war es menschenleer . Er schritt hin und her und überlegte , wie und wo er seinen ehemaligen Schützling am besten sprechen möchte , als aus einem Seitenkabinette Flämmchen hereinflog . Mit dem Rufe : " Liebster ! Bester ! Einziger ! " hing sie ihm am Halse und die leidenschaftlichsten Küsse brannten auf seinen Lippen . " Habe ich dich endlich wieder ! " rief sie , indem sie ihm Augen und Stirn küßte . " Nun aber werde ich dich nicht lassen , nun sollst du mein werden , sie mögen tun , was sie wollen . " Hermann war in großer Verlegenheit , jeden Augenblick fürchtete er , Zeugen dieser befremdlichen Szene eintreten zu sehen . Er suchte sich ihren Armen zu entwinden ; sie hielt ihn aber fest , und rief : " Sei doch nur auf diese wenigen Augenblicke mein Freund , mein Geliebter , nicht lange wird die Wonne dauern , das abgeschmackte Volk oben , dem ich davongelaufen bin , wird bald kommen , mich zu suchen . Laß deine arme Flamme die kurze Zeit an dir glühen ; ach , du weißt es freilich nicht , wie einem Mädchen zumute ist , die nicht an Gott und Teufel , nicht an Himmel und Hölle , sondern nur an ihren Liebsten , an das süße Fleisch und Blut glaubt ! Siehst du , ich bin erwachsen , ich spreche im Zusammenhänge , das rührt daher , weil ich kein Kind mehr bin . " " Beruhige dich , mein Flämmchen " , sagte Hermann , " erzähle mir ordentlich , wie es dir gegangen ist , ich hörte Dinge , die mir unglaublich vorkamen . " " Etwa , daß ich Witwe bin ? " versetzte sie , überlaut lachend . " Ja , ich bin eine , und müßte eigentlich Schwarz tragen , denn der Domherr ist erst seit sechs Wochen tot , aber ich traure in Rot und Gelb , wie die Bäume , wenn die Blätter abfallen . Setze dich in den Großvaterstuhl , frage , und ich will Antwort geben . " Sie drückte ihn in einen antiken Lehnsessel , hockte sich vor ihm nieder , und lehnte ihr Haupt an sein Knie . " Wie hat sich deine Heirat so rasch gemacht ? Wer sind deine Begleiter ? Wer nimmt sich deiner an ? " fragte er . " Der Domherr bat mich inständig darum , die Alte redete mir so lange zu , daß ich es ihm zu Gefallen tat , und dann tat ich es auch , um dich zu ärgern , weil du mich so ganz vergessen hattest . Denn ich wußte doch , daß es dir leid sein würde , wenn du mich als Frau fändest . Die Jungen mit den hohen Halsbinden und Backenbärten machen meinen Viehstall aus , sie haben sich alle in mich verliebt , und müssen sich gefallen lassen , was ich mit ihnen vornehme ; den Dicken nennen sie den Kurator . Die Verwandten meines Mannes haben ihn angestellt , mich zu beaufsichtigen ; die Alte sagt , ich sei guter Hoffnung , ich wüßte zwar nicht , wie es zugegangen sein sollte , aber die Verwandten sind doch bange , daß ihnen die Erbschaft entgehen möchte , und darum muß er mich bewachen . Nun ist es ein himmlischer Spaß , daß der dicke Sünder sich auch in mich vernarrt hat . Er schleicht mir nach , seufzt und stöhnt ; ich könnte ihn weit führen , wenn ich nicht auf Tugend hielte . Die Alte nimmt sich meiner in Treuen an , sie spricht oft dummes Zeug , ich glaube , das alte Weib ist zuweilen etwas verrückt , aber ich könnte doch ohne das gute Tier nicht leben . Nun habe ich dir auf alles geantwortet , jetzt tue auch mir so auf meine Frage : Wirst du deine Flamme in ihrem Häuslein besuchen , und bald ? " " Liebes Herz " , sagte Hermann , " das kann ich dir nicht gewiß versprechen . Ich habe noch manches hier abzutun , auch führst du allem Anscheine nach eine sonderbare Wirtschaft , zu welcher ich eben nicht passen würde . " " Nicht ? Nicht ? " rief sie mit dem wilden Ausdrucke , welcher ihn erschreckt hatte , als er sie zum ersten Male in der Höhle traf . Blitzschnell hatte sie einen Dolch aus dem Busen gerissen , und die Spitze würde in ihrer Brust gesessen haben , hätte er nicht ihren erhobenen Arm festgehalten . " Was wolltest du tun , wahnsinniges Kind ? " fragte er entsetzt . " Mich erstechen " , sagte sie gleichgültig . " Du bist , wie du warst , Holz und Stein , was soll Flämmchen auf der Welt ? " " Ich will ja zu dir kommen ! " rief er bestürzt . - " Bald ? " - Er bejahte . " So schwöre mir es zu den Füßen dieser Liebesgöttin . " Er tat , was sie begehrte , um sie nur zufriedenzustellen . Ihr Schwarm drang herein , sie suchend . Flämmchen trat ihnen mit komischer Würde entgegen und sagte : " Dieser ist ein alter Bekannter von mir , und wenn der einmal zu mir kommt , habt ihr euch alle zum Hause hinauszuscheren , mit Ausnahme des Dicken , der ein vernünftiger Mann ist und eine anständige Gesellschaft für ihn . " Sie ging , ohne nach Hermann sich weiter umzublicken , oder ihm Lebewohl zu sagen . Neuntes Kapitel Neuntes Kapitel Was er in den folgenden Tagen von der Lebensweise Flämmchens hörte , war das Ausschweifendste von der Welt . Sie hatte wirklich in ihrem einsamen Landhause eine Art von Hof oder Menagerie , wie man es nennen will , versammelt , bestehend aus den wildesten jungen Leuten der Residenz , die , durch den Ruf ihrer Schönheit angelockt , dorthin geströmt waren . Mit ihnen wurden die tollsten Streiche verübt , zuweilen toste dieses wütende Heer bei Nacht auf schnellen Pferden unter entsetzlichem Geschrei durch die Gegend , so daß die Landleute in ihren stillen Hütten sich vor dem Unwesen segneten , oder man sprengte falsche Nachrichten von Räuberbanden und Unglücksfällen aus , welche Scharwachen und Beamte aufregten , so daß sich auch schon die Polizei hier in das Mittel hatte legen wollen , jedoch höheren Ortes bedeutet worden war , solches zu unterlassen , da sich denn doch alles außer dem Bereiche eigentlicher Vergehungen hielt . Am brausendsten aber schäumte Flämmchens üppige Lebenskraft im Tanze aus . Täglich war Ball bei ihr , wozu man freilich die Damen unter den Hausmädchen und den Bauerdirnen der Nachbarschaft suchen mußte , denn anständige Familien wollten ihre Töchter zu diesen Vergnügungen nicht abordnen . Wer Flämmchen tanzen gesehen , sprach darüber , wie der Prinz ; einstimmig erklärte man , daß keine Beschreibung den Zauber dieser Anschauung wiedergeben könne . Die Seitenverwandten des Domherrn , lüstern nach dem Besitze der beträchtlichen Erbschaft , und erschreckt durch die Angabe von Flämmchens Zustande , welcher , wenn er gegründet war , ihnen ihre Aussicht entzog , hatten in dieses Gewirre jenen ältlichen Mann als Aufseher gesendet . War Flämmchens Angabe über ihn richtig , so konnte freilich sein Amt nicht wohl schlechter versehen sein . Zum Teil hörte Hermann diese Dinge aus Flämmchens Munde selbst , welcher er eine Zusammenkunft in ihrem Gasthofe nicht hatte abschlagen können . Dort , den Kopf an seine Brust gelehnt , ihn mit beiden Armen umklammernd , tat sie ihm Entdeckungen , welche man von einem so leichtfertig erscheinenden Wesen nicht hätte erwarten sollen . Es waren abgebrochene Schmerzenstöne , nur der Ahnung verständlich , in geordneten Worten kaum auszusprechen , am wenigsten auf dem Papiere . Der Naturgeist zuckte hier gleichsam in seiner ganzen neckischen Ungebundenheit unter seiner menschlichen Hülle , All und Individuum lagen miteinander im Streite , und aus ihrem Ringen entsprangen die Zuckungen , welche äußerlich wie Possen aussahen . Merkwürdig waren ihm besonders ihre Geständnisse , wie sich die unbesiegliche Lust zum Tanze in ihr entwickelt habe . " Als du mich in die grüne Einöde zu der Alten gebracht hattest , wurde ich von einer unsäglichen Angst befallen " , sagte sie . " Die Berge und Felsen wuchsen mir in der Brust , die Zweige der Bäume wanden sich durch meinen Kopf und peitschten , vom Sturme geschüttelt , mir das arme Hirn wund , ich fühlte in mir die Kräuter und Moose stechend sprießen , und mir war , als flösse ich auseinander , dahin nach weiten kahlen Eisfeldern und dorthin nach blutroten Granatenbüschen . Ich wollte mir Luft machen in Worten , aber die Zunge versagte mir den Dienst , ich wollte es abzeichnen , mein Elend , an hoher Steinwand , aber die Hand sank lahm herunter , da merkte ich , daß meine Füße sich zu regen begannen , daß meine Arme folgten , der Leib in sanften Drehungen sich schwang , Erlösung zu finden von dem Inneren , Großen , Entsetzlichen ; ach wie süß schlummerte ich nach dieser Anstrengung ein , Fels , Berg , Baum und Kraut standen wieder außer mir , der Mond wurde mein bester Freund ! Das ist nun der Tanz , den ich nicht lassen kann , der mich mir selbst wiedergibt , wenn der Weltgraus mich überwinden und in mir einziehen will . Könntest du mich lieben , und immer bei mir sein , so wäre alles gut , dann hätte ich eine Stütze und würde auch aufhören zu tanzen ; leider wird es nicht so gut werden . " Sie nahm ihm noch einmal das Versprechen ab , sie recht bald zu besuchen , was er ihr nun um so lieber gab , als er einsah , daß sie in ihrem wilden Treiben dem Verderben zueile , und hoffen durfte , durch seine Anwesenheit auf der Villa vielleicht manches ordnen und schlichten zu können . Dies sollte den Abschluß der Verwicklungen bilden , welche sein Leben , wie er sich überzeugte , seit einigen Jahren unnütz aufgesponnen hatten . Er hatte die Freiheit von bürgerlichen Verhältnissen gesucht , und nicht bedacht , daß eine solche eigentlich ganz in das Leere führe . Er hatte überall auf die gutmütigste Weise geholfen , und die Welt war indessen unbekümmert um ihn ihren selbstischen Gang weitergeschritten . Sein Vermögen erschöpfte der unüberlegte Ankauf im Badischen ; er konnte in Not geraten . Alles drängte ihn zu einer vernünftigen Entsagung , zu einer bescheidenen Rückkehr . Nach mancher Träne bitteren Unmuts , die er verweinte , beschloß er , die Verhältnisse wieder aufzunehmen , auf welche er so stolz herabgesehen hatte , und die Vorbereitung zu einem Staatsamte aufs neue zu beginnen , die ihm früher so unleidlich geworden war . Wilhelmi , dem er seinen Vorsatz mitteilte , lobte ihn sehr , und bestärkte ihn darin . Durch dessen eifrige Bemühung wurde er des fernen Grundeigentums entledigt , freilich mit großer Einbuße , indessen zog er so viel aus diesem Handel noch heraus , daß er sich eine Zeitlang allenfalls damit hinhalten konnte . Wilhelmi tröstete ihn , wenn er ihn schwermütig sah , und seine Klagen über die verlorenen Jahre hörte . " Was ist es weiter ? " rief er . " Du hast eine Weile vagabundiert , das wird dir doch zugute kommen . Viel besser ist es so , als wenn du dich , wie ich , zu früh gefesselt hättest . Die Jugend soll verschwärmt werden , manches ist gewiß an dir hängen und kleben geblieben , wovon du jetzt selbst nichts ahnest . " " Ich will es wünschen " , versetzte Hermann , " wenn ich es gleich nicht zu hoffen wage . Der Reichtum eines sogenannten bewegten Lebens ist wohl nur täuschend . Von einem Punkte aus soll der Mensch erwerben . Wer , zerstreut , von der Mannigfaltigkeit Resultate begehrt , kommt mir wie einer vor , der mit verdecktem Teller in einer gemischten Gesellschaft sammeln geht ; die Summe pflegt nicht groß zu sein , wenn der Teller abgehoben wird . " Er mietete ein stilles Quartier in der entlegensten Gegend der Stadt , schaffte sich juristische Bücher an und tat die nötigen Schritte , seine bürgerliche Laufbahn wieder zu betreten . So gewann es den Anschein , als solle der Strom seines Daseins , wie der so vieler , nach kurzem mutigem Laufe im Sande der Gewöhnlichkeit auslöschen . Zehntes Kapitel Zehntes Kapitel Die Sozietät pflegt sich für unangreifbar zu halten , schon die leiseste Verletzung des Persönlichen erscheint wie ein Attentat . Dann bricht plötzlich etwas ganz Unerwartetes , Niebefürchtetes in diese Kreise ein , alle Bande sind auf einmal zersprengt , und eine Geisterfurcht ergreift die Menschen . Von solchen Gefühlen wurde Hermann bestürmt , als Wilhelmi eines Abends atemlos auf seine Klause mit der Nachricht trat , daß Medon verhaftet worden sei . Über den Grund dieses erschreckenden Vorfalls konnte er nichts Näheres angeben , nur so viel wußte er , daß derselbe mit den Untersuchungen gegen die Demagogen zusammenhänge . Hermann eilte in der Hoffnung , daß ein falsches aberwitziges Gerücht den Freund betrogen habe , nach Medons Wohnung . Leider fand er hier die Sache nur zu wahr . Er hatte Mühe , in das Haus zu kommen , welches scharf bewacht war . Auf dem Flur standen Koffer und allerhand Reisegepäck ; durch eine Glastüre blickte er in das Zimmer , worin er so manche lehrreiche Stunde erlebt hatte ; Medon , dem vorderhand nur Hausarrest gegeben worden war , saß darin auf dem Sofa , sah blaß und angegriffen aus . Der Gerichtsbeamte stand neben ihm und schien ihn zu verhören . In anderen Zimmern wurde versiegelt . Von den Hausleuten , die sehr verwirrt und bestürzt waren , konnte er nichts Genaues herausbringen . Nur so viel wußten sie , daß man Anstalten zu einer Reise gemacht habe , daß aber mitten in denselben der Gerichtsbeamte plötzlich mit einem jungen Menschen von wildem Ansehen erschienen sei , welcher auf Medon zuschreitend , und ihn scharf ins Auge fassend , gerufen : " Dieser ist es , welcher in Zürich uns vom Männerbunde erzählte ! " worauf der Beamte Medon in Haft genommen habe . Ängstlich fragte er nach Johannen . Ihr Kammermädchen entdeckte ihm weinend , daß die gnädige Frau heimlich in großer Eile abgereist sei , noch ehe die Verhaftung stattgefunden habe . Sie habe an verschiedenen Reden , die zwischen dem Herrn und der Frau vorgefallen seien , gemerkt , daß letztere mit dem Herrn verreisen sollen und sich dessen geweigert habe . Mit Tränen in den Augen habe darauf ihre Gebieterin sie bei ihrer Treue beschworen , ihr einen Wagen nach entgegengesetzter Richtung zu verschaffen , was denn auch von ihr geschehen sei . Die gnädige Frau habe den Wagen nach einem abgelegenen Sträßchen bestellen lassen , wo sie , kaum mit den nötigsten Sachen versehen , eingestiegen und in schnellster Eile fortgefahren sei . Sie habe die arme gnädige Frau begleiten wollen , sei aber von ihr mit den Worten , daß sie fortan nur Gott zum Begleiter haben wolle , zurückgewiesen worden . Schmerz und Wehmut zerrissen Hermanns Brust . Aus dem Hin- und Herreden der Leute konnte er abnehmen , daß die leidenschaftlichen Vorfälle zwischen den Gatten die Veranlassung zu Medons Unglück mochten gegeben haben . Das geängstigte Mädchen hatte davon überall geplaudert , um sich Luft zu machen , dadurch hatte aller Wahrscheinlichkeit nach der Beamte Kunde von diesen Dingen erhalten . Denn gleich nach der Flucht Johannas war ein subalterner Agent der öffentlichen Macht unter einem Vorwande im Hause erschienen , hatte verschiedene Fragen getan , und das aufgeschichtete Reisegepäck achtsam betrachtet . Unmittelbar nach seiner Entfernung aber erfolgte das , was alle in Schreck versetzte . Der Beamte erschien , und bat Hermann höflich , sich zu entfernen . Dringend verlangte dieser , zu Medon gelassen zu werden . Nach einigem Zaudern wurde ihm eine kurze Unterredung zugestanden . Mit einer furchtbaren Empfindung betrat er das Zimmer . Medon hielt den Kopf in der Hand gestützt , und bemerkte den Eintretenden nicht . Leise sagte Hermann , an der Türe stehenbleibend : " Ich bin gekommen , Sie zu fragen , ob ich Ihnen in irgend etwas nützlich sein kann ? " Medon sah empor , versetzte kein Wort , sondern winkte ihm schweigend , daß er ihn verlassen möge . Hermann konnte den Blick seines Auges nicht ertragen , es lag darin der gläserne Ausdruck der Verzweiflung , einer völlig zerstörten Seele . Draußen fragte er den Beamten , ob für Johannen etwas zu fürchten sei ? was dieser mit Bestimmtheit verneinte . Er wollte über Medons Schicksal einiges erfahren ; hier versagte jener aber alle Aufklärungen und rief : " Glauben Sie mir , daß die Erfüllung meiner Pflicht mir schwer genug geworden ist , und daß ich viel darum gäbe , einen Irrtum , vielleicht mit strenger Rüge , büßen zu müssen , als leider die von mir nach und nach geahnte schlimme Wahrheit bestätigt zu sehen . " Es war Nacht geworden . Er begab sich zur Meyer , wo er Wilhelmi noch vermutete , um mit diesem zu beraten . Eine Menge von Männern und Frauen war dort versammelt , welche die Bestürzung über diese Vorgänge zusammengeführt hatte . Über den eigentlichen Zusammenhäng war der Schleier des Rätsels gebreitet , die wildesten Gerüchte kreuzten sich . Wie sollte man es sich auch erklären , daß ein Mann , den Angesehensten des Staats nahestehend , ein Mann von den loyalsten Gesinnungen , ein ganz anderer , ein Feind des Staats gewesen , oder noch sein sollte ? Man hoffte ein Mißverständnis , man glaubte , binnen kurzem diese Schatten , welche die geachtetste Persönlichkeit der Stadt jetzt verdunkelten , schwinden zu sehen . Nur Wilhelmi rief : " Ich wünsche es , aber es wird nicht so werden , er ist ein Catilina , und zwar ein gefährlicherer als der römische , weil er keine Laster hat . " Die gute Seite der Menschen zeigte sich bei dieser Gelegenheit . Alle sprachen ihr innigstes Bedauern über die unglückliche Johanna aus , welche man sich bei Nacht , umherirrend auf öden , bösen Wegen dachte ; die Spötter erklärten sich zu jeder Hilfe bereit , Madame Meyer war außer sich . Man besprach , ob man einen Boten mit Briefen schicklichen Inhalts ihr nachsenden solle , oder ob es nicht besser sei , wenn ein Freund selbst dieses Geschäft übernehme . Hermann erklärte sich zu letzterem bereit . Er gedachte seiner Versprechungen , er fühlte , daß er nicht ohne Schuld der Vernachlässigung gegen die Geflüchtete sei , und gutzumachen habe ; stärker aber , als diese Erwägung der Pflicht trieb ihn das heißeste Mitleid der Armen nach . Man freute sich über seinen Entschluß , die Meyer und Wilhelmi packten eilig verschiedene Reisenotwendigkeiten zusammen , und so fuhr unser Freund nach Mitternacht mit raschen Postpferden davon , begleitet von den besten Wünschen der ganzen Gesellschaft , welche bis zu seiner Abreise vereinigt geblieben war . Elftes Kapitel Elftes Kapitel Von dem Kammermädchen war ihm die Richtung angegeben worden , welche Johanna genommen hatte ; es war zufälligerweise dieselbe Straße , an welcher in der Entfernung von zwei Tagereisen Flämmchens Landhaus lag . Nur die Verzweiflung konnte Johannen auf diesen Weg getrieben haben , er führte , fortgesetzt , nach dem Schlosse des Herzogs , und vor der Rückkehr zu ihrem Bruder und seiner Gemahlin hatte sie stets den größten Widerwillen gezeigt . Bei der Abreise war ausgemacht worden , daß Hermann ihr zwar in nichts hemmend entgegentreten , jedoch ihr die liebevollste und dringendste Einladung zu der Meyer überbringen solle . Man meinte , daß sie in deren Hause , wohlberaten von aufrichtigen Freunden , am leichtesten die schwere Zeit überwinden werde , welche ihr bevorstand . Die Meyer hatte in ihrem gutmütigen Eifer noch vor der Abreise Hermanns die Auswahl der Zimmer getroffen , welche die Freundin aufnehmen sollten . Es waren die schönsten und stillsten des Hauses . Hermann nahm sich vor , Johannen mit allen Gründen , die ihm zu Gebote standen , zur Wahl dieses Asyls zu vermögen , da er von einem Zusammentreffen mit der Herzogin bei dem so entgegengesetzten Charakter beider Frauen wenig Gutes hoffen durfte . Er war mehrere Stationen gefahren , ohne eine Spur von ihr anzutreffen . Schon glaubte er , daß sie ihren Entschluß geändert habe , und von dieser Straße abgewichen sei , als er in einem Landstädtchen , welches er um die Mitte des folgenden Tages erreichte , plötzlich die verlangten Nachrichten bekam . Der Wirt erzählte ihm , daß die Dame , welche er zu suchen scheine , abends zuvor angekommen sei , sehr unruhig getan , und von ihrem Fuhrmanne verlangt habe , weitergefahren zu werden . Dieser habe die Müdigkeit seiner Pferde als Weigerungsgrund angegeben , und sich , aller Versprechungen ungeachtet , nicht dazu verstehen wollen . Die Dame , welche durchaus fort gewollt , sei in großer Bekümmernis gewesen , da sich keine Post am Orte befinde . Sie sei schluchzend auf ihrem Zimmer hin und her gegangen , als plötzlich ein Wagen vor dem Hause gehalten habe , umgeben von einer Menge junger Herrn zu Pferde , die ein großes Geschrei vollführt und einem bildschönen Frauenzimmer in bunter Tracht herausgeholfen hätten . Das Frauenzimmer habe durch Zufall von dem Leidwesen der Dame erfahren , sich gleich zu ihr führen lassen , und sie mit der zierlichsten Höflichkeit gebeten , einen Platz in ihrem Wagen anzunehmen , in dem sie , wenn sie befehle , bis an das Ende der Welt fahren könne . Anfangs sei die Dame das nicht Willens gewesen , da aber das Frauenzimmer nicht abgelassen habe , endlich ihr zu Füßen gesunken sei , und ihr Knie umfaßt habe , so sei die Dame mit den Worten : " Du arges Kind , wohin führtest du mich ? " in den Wagen gestiegen , auf dessen Rücksitze das Frauenzimmer Platz genommen habe , ungeachtet der wiederholten Bitten der Dame , sich doch neben sie zu setzen . Der Wirt erzählte noch , daß beim Abfahren der Zug der jungen Herrn mit lautem Geräusche sich habe anschließen wollen , auf einen ängstlichen Blick der Dame nach diesem Schwarme hin , habe aber das Frauenzimmer sich emporgerichtet und ihren Begleitern in gebieterischer Stellung zugerufen : " Zurück , ihr Tiere ! " Hierauf seien die jungen Leute , Gehorsam diesem Befehle , geblieben , die Nacht sei von ihnen unter tausend Eulenspiegeleien hingebracht worden , und erst am Morgen habe sich das Rudel in Bewegung gesetzt . Nicht ohne Unruhe hörte Hermann diese Erzählung . Daß das junge Frauenzimmer Flämmchen gewesen sei , stand außer Zweifel , und daß Johannen in ihrer Gesellschaft so manches begegnen könne , was diese verletzen mußte , hatte er zu besorgen . Alles das spornte ihn zur größten Eile an ; er gab doppelte Trinkgelder , der Wagen flog nur über die Tennengrade Chaussee , und so erreichte er noch vor Sonnenuntergang die Gegend , in welcher Flämmchens Haus , eine Viertelstunde von der Heerstraße hinter Birken- und Tannenwäldchen lag . Sie kam ihm im Garten entgegen , durch welchen man zu dem Hause gelangte . " Habe ich es nun recht gemacht " , rief sie , " die Schöne , Prächtige bei mir in Sicherheit zu bringen ? Ich bin doch das gutherzigste Geschöpf von der Welt , euch beide bei mir zu beherbergen , denn daß du nachsetzen würdest , konnte ich mir wohl denken . " " Wo ist Johanna ? " fragte er . " Droben auf ihrem Zimmer , das deinige ist daneben " , versetzte Flämmchen und sprang fort , um sie von der Ankunft des Freundes zu benachrichtigen . Nach einigen Gängen , die er durch den Garten machte , erschien Johanna , Flämmchen an der Hand , welche neben der vollen , schlanken , hohen Gestalt wie ein Kind aussah . Er nahte sich der verehrten Frau , und beugte sich in tiefer Rührung über ihre Hand . " Können Sie mir vergeben ? " fragte er leise . " Es würde mir unaussprechlich wehe getan haben , wenn ich Sie nicht wiedergesehen hätte " , versetzte sie sanft . " Doch nun ist es ja gut , Sie sind wieder da , und nehmen durch Ihre Ankunft einen Teil meiner Leiden mir vom Herzen . " Sie standen , gegeneinander geneigt , die Hände vereinigt , Auge in Auge , und es würde schwer sein , von dem Zuge , der ihre Seelen jetzt bewegte , Rechenschaft zu geben . Flämmchen hob sich auf die Füße , faßte ihr Gewand mit anmutiger Gebärde , und begann in lieblichen Kreisen die Gruppe zu umschweben . Immer weiter wurden diese Kreise ; endlich berührten sie ein Gebüsch , hinter dem die Tänzerin verschwand . Er fragte Johannen , wie es ihr hier gefalle , und wie lange sie an diesem Orte zu weilen gedenke ? Sie versetzte , daß er ihren Entschluß am folgenden Tage vernehmen solle , und daß sie dabei auf seine Hilfe rechne . " Das wundersame Kind , bei dem Sie mich finden " , sagte sie , " hat mich fast gezwungen , ihren Wagen und ihr Haus anzunehmen . Sie scheint von der Gewalt plötzlicher Eindrücke abhängig zu sein , und der , welchen ich auf sie gemacht , muß mit großer Stärke gewirkt haben , denn sie klammerte sich so fest an mich , daß ich mich kaum ihr entwinden konnte . Im Wagen setzte sie sich mir gegenüber , um mich immer betrachten zu können , wie sie sagte . " Hermann , der unter diesen und anderen Gesprächen mit seiner Freundin durch den Garten ging , mußte sich im stillen bekennen , daß Flämmchen so Unrecht nicht habe . Wenn Mißgeschicke gewöhnlichen Menschen leicht etwas Widerliches geben , so verschönen sie dagegen den Ausdruck höherer Naturen und breiten auch über die Gestalt einen Zauber der Verklärung . Johanna schritt neben ihm wie eine tragische Königin ; selbst die Marmorblässe ihrer Wangen erhöhte den Reiz , der von ihr ausging . Vor dem Hause entließ sie ihn , und wünschte ihm gute Nacht , da sie den Abend allein zuzubringen wünsche . Flämmchen stand in der Türe , kniete vor ihr nieder , und fragte : " Darf ich dich bedienen ? " - " Wenn es dir Freude macht , so tue es immerhin " , versetzte Johanna . Nachdem er seine Sachen auf dem ihm angewiesenen Zimmer hatte ablegen lassen , trieb es ihn wieder in das Freie . Nur durch eine Tür von Johannen geschieden , ohne bei ihr sein zu dürfen , war er von einer Unruhe überfallen worden , welche ihn zwischen den vier Wänden nicht litt . Ein lauter fröhlicher Gesang zog ihn nach einem entlegeneren Teile des Gartens . Das lustige Lied erscholl aus einem geräumigen Gewächshause , hinter dessen großen Glasfenstern er bei dem ungewissen Lichte des Abends noch eben die Sänger erkennen konnte . Die jungen Leute waren es , Flämmchens Gefolge . Sie hüpften zwischen den Palmen , Pisangs und Geranien wie verrückt umher , und mancher Topf fiel von seinem Brette . Der beleibte Mann , welchen Flämmchen den Kurator genannt hatte , saß ärgerlich unter einem Kaktus , und schien sich dieser Gesellschaft zu schämen , besonders als er Hermanns ansichtig wurde . Er machte seine jungen Genossen auf den Fremden aufmerksam , worauf der ganze Schwarm an die Scheiben sprang , und Hermann mit possierlichen Gebärden anstarrte . Dieser hielt es der Höflichkeit angemessen , dem ältlichen Manne einige Worte zu sagen , konnte aber seine Absicht nicht erfüllen , weil er die Türe des Gewächshauses verschlossen fand . Als er noch vergeblich klinkte , hörte er hinter sich gehen . Er wandte sich um , und sah die Alte mit einem großen Korbe voll Eßwaren herbeikommen . Ihre Züge waren noch schärfer geworden , ihre Farbe hatte sich tiefer gebräunt . Ein buntes wollenes Tuch , welches sie um das Haupt trug , gab ihr ein ausländisches Ansehen . " Seid mir gegrüßt " , sagte sie mit der rauhen Stimme , an welche er sich von dem westfälischen Walde her erinnerte . " Ja , ja , was einmal sich getroffen hat , kommt immer wieder zusammen . " " Was tust du hier ? " fragte Hermann . " Ich will die Menagerie füttern " , erwiderte die Alte , öffnete die Türe des Gewächshauses und schob den Eßkorb hinein , über dessen Inhalt die jungen Leute gierig herfielen . " Dürfen wir nicht heraus ? " fragte einer . " Nein " , antwortete die Alte , " bis auf weiteren Befehl bleiben die Tiere eingesperrt . Nur der Dicke soll in Freiheit gesetzt werden , und dem Herrn Gesellschaft leisten . " Auf diese Worte kam der Kurator heraus , und sagte zu Hermann mit anständiger Verbeugung : " Rechnen Sie mir es nicht zu , mein Herr , daß Sie mich unter so lächerlichen und fast unschicklichen Umständen kennenlernen . Ich bin wirklich ein ganz geachteter Geschäftsmann , und werde von vielen angesehenen Familien mit ihrem Vertrauen beehrt . Das junge eingesperrte Gesindel zwang mich , so sehr ich mich auch dagegen sträubte , mit in den Käfig zu gehen , worin ich denn bei ihren Possen , ohne Speise und Trank , diesen ganzen Tag habe versitzen müssen . " Auf nähere Erkundigung vernahm Hermann , daß Flämmchen sehr in Zorn geraten sei , als der Schwarm ihrer unreifen Verehrer ungeachtet des Gebots , mehrere Tage lang fernzubleiben , sich dennoch bei dem Landhause wieder gezeigt habe . Mit dem Rufe : " Ich habe jetzt Besuch , der für euch zu gut ist ! " sei darauf die Einsperrung im Gewächshause anbefohlen und auch sogleich vollzogen worden , denn die jungen Leute täten alles , was sie wolle . Die Alte verschloß das Gewächshaus , und Hermann ging zwischen ihr und dem Kurator nach der Villa zurück . " Ist es wahr " , fragte er den Kurator lateinisch , um von der Alten nicht verstanden zu werden , " daß Sie sich hier als Kurator ventris aufhalten ? " " Leider " , versetzte der Kurator seufzend in derselben Sprache . " Es ist die Torheit der jetzigen reichen und vornehmen Leute , alles delikat anfassen zu wollen . Die junge Witwe hat sich für schwanger erklärt , oder vielmehr , das alte Weib hat dies ausgesprengt , möglicherweise in betrügerischer Absicht , weil , wenn ein Erbe erscheint , die Mutter desselben noch lange Jahre hindurch den Nießbrauch aller dieser Besitzungen behält . Stadt nun schlichtweg eine Hebamme zur Untersuchung abzusenden , bin ich erwählt worden , den Lebenswandel des Flämmchens zu beobachten , weil man durchaus mit Zartheit in der Sache verfahren wollte . Was diese aber bewirken soll , ist mir unbegreiflich . Das Flämmchen lebt , wie es mag , und es fehlt mir an allen gesetzlichen Mitteln , dagegen hindernd einzuschreiten , so daß ungeachtet meiner Anwesenheit dennoch jeder Unterschleif geschehen kann . Aber man ist abhängig und muß sich daher auch den Grillen seiner Klienten fügen . Das Verzweifeltste bei der Sache ist , daß ich selbst von der Unwahrheit jener Angabe überzeugt bin , und nichtsdestoweniger glaube , die Spitzbübin , welche uns da begleitet , wird ihre Künste in das Werk zu richten wissen , wie sie es denn auch wahrscheinlich gewesen ist , welche den seligen Domherrn mit dem Mädchen zusammenkuppelte . " Die Alte , welche bis jetzt still vor sich hin gegangen war , blieb stehen , warf auf beide einen höhnischen Blick und murmelte : " Sprecht ihr nur lateinisch ; das Kind ist auf der Reise nach Deutschland , und wird zur rechten Zeit ankommen . " Das Landhaus war hell erleuchtet , auf allen Gängen , in jedem Vorsaale und Zimmer brannten Lampen und Lichter . " Diese Verschwendung findet hier beständig statt " , sagte der Kurator , " denn Flämmchen fürchtet sich vor dem Dunkel , und läßt daher , sobald der Abend einbricht , die Finsternis aus jedem Winkel jagen . Besonders empfindet sie ein Grauen vor den Hinterzimmern des Gebäudes , in deren einem noch die Leiche des seligen Domherrn einbalsamiert und unbedeckt 10 steht . Der Gute hatte im Testamente anbefohlen , ihn in Spiritus zu setzen , um sich physisch bis in die spätesten Zeiten erhalten zu wissen . Da nun diese ungereimte Verfügung nicht wohl auszuführen war , so wählte man jene annähernde Art der Bewahrung , und wird die Leiche beisetzen , sobald in dem dazu bestimmten Gartentempel die nötigen Vorkehrungen getroffen sein werden . " " In der Tat " , rief Hermann , " es kommt mir hier so vor , als ob ich mich in einem Irrenhause befände . " " Ja " , versetzte der Kurator , " es weht in dieser Luft etwas Ansteckendes , ich bin oft für meinen Verstand hier besorgt , um so mehr , als ich das gefährliche Beispiel vor mir habe , daß Menschen auch ohne denselben fertig zu werden wissen . " Flämmchen zog beide hüpfend nach einem strahlend hellen Zimmer , in welchem ein runder Tisch gedeckt stand . Gute Speisen waren aufgetragen , feine Weine fehlten nicht . " Nun eßt , was euch beliebt " , rief sie , " es ist mir nichts Langweiligeres , als die Reihenfolge der Gerichte zu halten , das kommt mir vor , als wenn man nach einer Karte spazierengehn wollte . " Mit diesen Worten verzehrte sie einige Früchte und Konfekte , die zum Nachtische gehörten , und ließ diesem Genusse Fische und Fleischspeisen folgen . Der Kurator , welcher keinen Blick von ihr verwandte , suchte sich dennoch im Gleichgewichte zu erhalten , und begann , allerhand Geschäftsverhältnisse zu erzählen , welche sämtlich seine rechtschaffene und edle Gesinnung bewahrheiten sollten . Die Erinnerung an seine Tugend rührte ihn so , daß er häufige Tränen vergoß . Flämmchen , welche ihn beständig auslachte , versicherte ihn zu öfterem , er sei dennoch ein abgefeimter Vogel , und flüsterte Hermann zu : " Jetzt will ich den Hanswurst fortschaffen . " Mit einem Sprunge war sie auf seinem Schoße , küßte ihn , und rief schmeichelnd : " Sprich , mein Liebster , wie hast du es angefangen , so brav und gut zu werden ? " - Der Kurator war unfähig , etwas zu erwidern , seine Augen starrten das schöne Kind an , sein Mund war durch die Küsse in den Zustand versetzt worden , welchen man die Sperre nennt ; so gewährte er einen überaus lächerlichen Anblick . Flämmchen stieß , wie von ungefähr an das Glas , welches er , mit Burgunder gefüllt , in der Hand hielt ; es entsank ihm , und die rote Flut strömte über den Tisch . " O weh ! " rief Flämmchen , " da verdirbt er mir das feine Gedeck , hurtig in die Küche , und Salz geholt ! " - Verlegen , ohne aufzusehen , schlich der bestürzte Geschäftsmann fort , und Flämmchen schloß hinter ihm die Türe ab . Hermann sagte , als er mit ihr allein war : " Wie magst du nur dieses wilde , leichtfertige Treiben rechtfertigen ? Gehe doch endlich in dich , und bedenke , daß du durch dein unschickliches Benehmen dich selbst aus den Kreisen vernünftiger Menschen bannst . Ich nehme herzlichen Anteil an dir , aber wie soll ich ihn betätigen , wenn solche Streiche beständig allem Rate , jeder Warnung entgegentreten ? Zu spät , wenn ein aufgegebener Ruf , ein siecher Körper dich elend gemacht haben werden , wirst du Reue empfinden , dann bin ich vielleicht dir fern , und niemand steht bei dir , der auf deine Seufzer hört . Versprich mir , Flämmchen , deine Lebensweise zu ändern , entferne vor allen Dingen diese sittenlosen jungen Leute , welche sich wenig für deine Gesellschaft ziemen , und schicke die böse Alte fort , von der ich nichts Gutes glaube . " Noch mehrere wohlgemeinte Ermahnungen fügte unser Freund hinzu , und hatte dessen nicht acht , daß Flämmchen während seiner Rede leise weg und hinter einen Ofenschirm geschlichen war . Er schmeichelte sich , daß er Eindruck auf sie gemacht habe , daß sie ihre Beschämung hinter dem Schirme verbergen wolle , als dieser umgeworfen wurde , und Flämmchen , ihr Tagesgewand über den Arm gehängt , im leichtesten Nachtröckchen sich zeigte , welches den Glanz der Achseln und des Busens unverhüllt ließ , und kaum bis an die Knie hinabreichte . " Ungezogenheit über Ungezogenheit ! " rief er . " Es ist Schlafenszeit " , sagte sie gähnend , " und ich konnte deine Predigt nicht besser benutzen , als mich während derselben zu entkleiden . Ihr müßt die Flamme flackern lassen , wie sie mag . Gute Nacht . " Sie wandte sich , und wies ihm , durch eine Tapetentüre entschlüpfend , den gewölbten Nacken und die runde , zierliche Wade . Draußen sang sie folgendes Lied : Wer mir sagte , wo das Mädchen Ihres Auges Blick gewonnen ! O verkündet , wo das Fädchen Ihres Leibes wurde gesponnen ? Ach , zerginge ich in die Lüfte , In die leichten , in die warmen ! Durch die Wälder , durch die Klüfte Schwebt ' ich dann mit freien Armen ! Er hob den Ofenschirm auf . Eine große tragische Maske war in demselben eingestickt . Sein Traum im Försterhause , welcher ihm das umfallende Medusenhaupt , und Flämmchen dahinter hervorspringend gezeigt hatte , trat ihm wieder vor die Erinnerung . Die Maske mit ihren starren , furchtbaren Zügen und toten Augenhöhlen konnte wenigstens für ein Analogon jenes erstarrten Antlitzes gelten . Noch näher aber dem Traume kam seine Stimmung , in welcher üppige und grauenhafte Bilder durcheinanderschwankten . Zwölftes Kapitel Zwölftes Kapitel Am folgenden Morgen wurde er zu Johannen berufen . Sie machte ihm ihren Entschluß bekannt , das Verlangen der Herzogin erfüllen , und den einsamen Aufenthalt , welchen ihr diese in ihrem Briefe bezeichnet hatte , annehmen zu wollen . Hermann wurde ersucht , dies dem Bruder und der Schwägerin zu melden . " Also werden Sie doch noch Ihren Auftrag ausrichten " , sagte Johanna schmerzlich lächelnd . " Sie vermitteln meine Rückkehr , nachdem jeder Gedanke daran Ihnen und mir verschwunden war . So geht es oft im Leben . Wir glauben uns von manchen Anforderungen , von diesem und jenem Verhältnisse weit , weit entfernt zu haben , und unerwartet fühlen wir uns in längst abgeschüttelten Banden gefesselt . " Hermann erlaubte sich , manches gegen diesen Plan einzuwenden , der ihm durchaus unheilsam zu sein schien . Er sprach den Wunsch der Meyer aus , und fügte hinzu , daß wenn sie auch diesem sich abgeneigt zeigen möchte , ein Leben und Wohnen unter gleichgültigen , fremden Menschen in ihrer Lage gewiß doch noch dem Drucke widerstrebender Umgebungen vorzuziehen sei . Johanna versetzte : " Zu meiner Freundin kann ich mich nicht begeben . Bei manchen Schicksalen ist Entfernung , Veränderung von Luft und Boden unerläßlich . Wie sollte ich es ertragen , da , wo ich unaussprechlich gelitten , noch einmal in der Erinnerung alle Qualen nachzuleben ? Was mich bei dem Herzoge und seiner Gemahlin erwartet , weiß ich recht wohl . Waren wir doch schon in jenen früheren Tagen einander unverständlich ! Er ist mehr ein Begriff , als ein Mensch , und sie hat , ungeachtet aller Güte , etwas unendlich Peinliches in ihrem Wesen . Ich mochte tun , was ich wollte , für mich sein , oder in Gesellschaft , lesen oder frische Luft schöpfen , so hatte ich beziehungsvolle Reden über weibliche Genialität , Gelehrsamkeit und dergleichen anzuhören . Daneben glaubte sie denn , und glaubt es noch in ihrem Briefe , mich zu lieben , während sie doch immer nur mit dem ganzen Dünkel solcher wohlwollenden Quälgeister eine anmaßliche Vormundschaft über mich hat ausüben wollen . " " Und dennoch ? ... " " Und dennoch . - Ich sehe voraus , wie man mich beobachten , bemitleiden , und auf die beste Manier von der Welt nach und nach einzwängen wird , und dennoch wähle ich diesen Kerker . Soll uns das Bittere süß schmecken ? Ist eine Eigenschaft des Jochs nicht die Schwere ? Ich habe gefehlt , nicht wie meine Verwandten meinen , aber ich irrte , indem ich wähnte , uns Frauen der neueren Zeit sei die Begeisterung erlaubt , sei es erlaubt , auf den Schwingen der Begeisterung dem Manne entgegenzuschweben , der unserer wert ist . Wir sind Geschöpfe der Familie , auf sie sind wir gepflanzt , und so ist es nur ein gerechter Gang meines Lebens , wenn ich nun dem mich demütig ergebe , was mir die Familie bedeutet , wenn ich alles geruhig erdulde , was auf diesem Boden drückend und feindlich für mich emporsteigt . " Da er sie fest bestimmt sah , so ließ er von weiterem Zureden ab und entwarf den Brief an die Herzogin . Johanna überlas ihn und strich daraus alles weg , was ein Lob ihrer Person enthielt . Nachdem die von ihr gebilligte Abfassung zustande gekommen war , wurde ein reitender Bote damit nach dem Schlosse des Herzogs gesendet , der die Antwort zurückbringen sollte . Diese wollte Johanna auf dem Landhause erwarten . In diesem wurde es nun sehr lebendig . Johanna hatte ausdrücklich befohlen , daß um ihretwillen kein Zwang eintreten solle , indem sie sich schon zurückzuziehen wissen werde , wenn das Getöse ihr beschwerlich falle . Es waren daher auch die jungen Leute in Freiheit gesetzt worden , die es nun an Lärmen und Unruhe nicht fehlen ließen . Von den Beschäftigungen , womit sie ihren Tag hinbrachten , führen wir nur beispielsweise an , daß einer derselben auf nichts bedacht war , als vom Morgen bis zum Abend seinen Backenbart in Ordnung zu halten , und daß ein anderer in einem mitgebrachten blechernen Reisekomfort fort während Beefsteaks briet , welche er dann zum Fenster hinauswarf . Hermann konnte daher Flämmchen eigentlich nicht Unrecht geben , als sie auf seine wiederholte Ermahnung , sich dieser Umgebung zu entäußern , versetzte : " Warum schiltst du mich ? Andere halten sich zur Gesellschaft Hündchen und Äffchen , wogegen ich einen Widerwillen habe ; ich halte mir diese , die aus guter Familie und nicht so unreinlich sind , wie jene Geschöpfe . " Zu den possenhaften Bewohnern paßte die Örtlichkeit vollkommen . Die Villa war der treue Abdruck des Sinns , wodurch der Domherr sein Leben zersplittert hatte . Daß nichts an seiner Stelle stand , die Stühle fast überall in ungerader Zahl vorhanden waren , Schränke und Sofas häufig schief gerichtet mitten in den Zimmern angetroffen wurden , konnte auf Flämmchens Rechnung kommen , welche behauptete , das Geräte sei da , sich umherstoßen zu lassen . Allein so manches andere bezeichnete das Gehäuse , welches der verstorbene Besitzer selbst um sich geschaffen hatte . So war die Bibliothek , wenn man einen Haufen willkürlich zusammengeraffter Bücher mit diesem Namen belegen will , unmittelbar an der Küche , ja fast in derselben angebracht , weil der Domherr sich eine Zeitlang eingebildet hatte , der Dampf der Speise stärke , als eine Art leichter olympischer Nahrung den Geist beim Studieren . Rosenkreuzerische Symbole fanden sich neben schlüpfrigen Bade- und Toilettenszenen , ein astronomisches Kabinett wies bei näherer Untersuchung nur pappen Fernröhre und Quadranten auf . Der Verstorbene war nämlich , gerade als Maler und Schnitzler die entsprechende Verzierung des Raums vollendet hatten , seiner schnell entstandenen Liebhaberei zu den Sternen wieder überdrüssig geworden , und hatte sich nun begnügt , die Instrumente und Vorrichtungen selbst nur als theatralische Requisiten hinzuzufügen . Einmal besah Hermann , der hier viel müßige Stunden hatte , um die Zeit hinzubringen , die Naturalien , welche in einem kleinen Kämmerchen aufbewahrt wurden . Ausgestopfte Tiere , neuseeländische Waffen , Walfischrippen , Erze , Konchylien waren über- , unter- , nebeneinander gestopft ; man konnte sich zwischen dem Gerölle kaum durchwinden . Große chinesische Figuren standen in den Ecken , und wiegten wie Denker , bedächtig die Porzellanhäupter . Hermann öffnete eine Türe , und betrat ein angrenzendes dunkles Gemach , in dem seine Fußtritte widerhallten . Hier die eigentlichen Schätze vermutend , ließ er sich Licht bringen , und erstaunte nicht wenig , als er sich in einem ganz leeren , blau angestrichenen , großen , saalartigen Zimmer sah , in welches kein Tagesstrahl dringen konnte , weil demselben die Fenster fehlten . Er erkundigte sich bei dem Bedienten , wozu dieser leere Raum diene , und weshalb man nicht hier , wo Platz genug vorhanden sei , die Sammlung aufgestellt habe ? Der Bediente versetzte , daß die beiden Gemächer eine Allegorie darstellen sollten , das kleine mit seinem Inhalte bedeute die Mannigfaltigkeit der Natur , und das große , leere , blaue , die Ewigkeit , zu welcher die Natur hinführe ; so habe es der selige Herr erfunden und ausgedacht . Ein Vorhang an der Hinterwand reizte Hermanns Neugier . " Dahinter " , sagte der Bediente auf seine Frage , " sollte der liebe Gott angebracht werden , aber der selige Herr ist darüber gestorben , und nun haben wir ihn selbst dort als Mumie vorderhand beigesetzt , weil kein anderes Gelaß dafür übrig war . " - Er zog an einer Schnur , der Vorhang flog zurück , und Hermann erblickte auf einem Stufengerüste in der Nische einen Sarkophag in ägyptischem Geschmack . Ohne sich durch seinen Ruf , daß er nach dem Anblicke nicht verlange , irremachen zu lassen , hob der Bediente in seinem Eifer , dem Fremden die größte Seltenheit des Hauses zu zeigen , den Deckel ab , und Hermann mußte mit Widerwillen eine eingetrocknete menschliche Gestalt , von weißem Faltengewande bekleidet , wahrnehmen , welcher die Kunst diesen kümmerlichen Scheinbestand gesichert hatte . Er wandte sich nach kurzem Hinblick ab , zur Verwunderung des Bedienten , welcher diesen Abscheu nicht begreifen konnte , und seinerseits die größte Zufriedenheit über den so wohl erhaltenen seligen Herrn aussprach . Der Gedanke , mit einem Leichname unter Dach zu sein , war nicht angenehm . Die albernen Einrichtungen und Zusammenstellungen des Hauses verwundeten Sinn und Auge . Das Getöse , welches die jungen Leute machten , war oft unleidlich . Eine große Menge hinterlaßener Kanarienvögel , für welche Tierart der Domherr eine besondere Vorliebe gehabt hatte , warf in dieses Wirrsal die schmetternden , ohrzerreißenden Töne . Wollte er dem Schwindel draußen entgehen , so schreckte ihn der vernachlässigte Garten , in welchem allerorten wilde Ranken und Sprossen überwucherten , wieder in das Haus zurück . Flämmchen sah er wenig . Sie fuhr in der Nachbarschaft umher , eine große Ballgesellschaft zusammenzubitten . " Gebt acht " , hatte sie beim Einsteigen gesagt , " wenn ich nur selbst komme und ihnen das Wort gönne , so fliegen alle alten und jungen Gänse in meinen Stall . " Die braune Zigeunerin umschlich ihn mit sonderbaren Blicken . Noch immer sah er sie Kräuter sammeln , welche sie aber jetzt zu eigenen Heilzwecken verwendete . Sie machte nun selbst den Arzt , täglich kamen Leute aus der Gegend zu ihr ; man hielt sie für eine Wundertäterin , und ihr Ruf stieg um so höher , als sie nie Bezahlung nahm . Sie schien unserem Freunde etwas vertrauen zu wollen , denn sie machte sich oft ein Gewerbe bei ihm , und sah ihn dann so eigen an , daß ihm in ihrer Nähe wunderbar zumute wurde . Er wünschte sehnlich die Rückkehr des Boten herbei , denn er wollte nur Johannen zum Wagen führen , um dann sogleich in die selbstgewählten Beschränkungen einzutreten , da er doch wohl einsah , daß er keinen Einfluß auf Flämmchen habe . Dreizehntes Kapitel Dreizehntes Kapitel Nur wenn er sich bewußt wurde , daß er Johannas Wandnachbar sei , oder wenn er bei ihr verweilen durfte , empfand er eine Beruhigung in diesem Treiben . Er war viel bei ihr , aber doch nicht so oft , als er wünschte . Eine Zärtlichkeit ohne Leidenschaft trieb ihn gegen sie , er begriff nicht , wie er nach ihrer Abreise sich werde zu fassen imstande sein , und doch konnte er Corneliens zu gleicher Zeit gedenken , lebhaft und schmerzlich nach ihrem , ihm für immer entzogenen Besitze verlangen . Er wollte sich Vorwürfe über diese Doppelempfindung machen , die seinem Verstande zweideutig erschien , aber es stellte sich keine Reue ein , sein Gefühl blieb unversehrt . Er war ein Fremdling in seinem eigenen Herzen geworden . Es gibt nicht Erquickenderes , als den Anblick einer großen vornehmen Seele , welche das Unglück als etwas ihr Gehöriges , als das heilige ihr von den oberen Mächten verliehene Eigentum nimmt und hinnimmt , während kleine Gemüter sich gegen dieses Erbteil unseres Lebens unter Winseln und Wehklagen fruchtlos sperren . Johanna war ruhig , selbst heiter . Sie verhehlte gegen Hermann nicht , daß ihr Los ihr für immer zerstört zu sein scheine , " aber " , setzte sie hinzu , " wie unendlich wohler ist mir jetzt , wo ich die Brandstätte überschaue , als damals , wo ich noch mit Rauch und Flammen unselig kämpfte ! " Über die Geheimnisse ihrer unglücklichen Ehe , über Medons Charakter , und die plötzliche Wendung seines Schicksals beobachtete sie ein strenges Stillschweigen . Einmal hatte Hermann versucht , von weitem und in der bescheidensten Weise ihre Lippen über diese Dinge aufzuschließen , war aber mit den Worten , daß man von unheilbaren Schäden nicht reden müsse , zurückgewiesen worden . Alle diese sonderbaren Verwicklungen blieben ihm also tief zugehüllt , und er brachte von denselben nur in Erfahrung , was die Gerüchte aus der Hauptstadt meldeten , aus welcher ihm während dieser Tage mehrere Briefe zukamen . Sie sprachen von einer großen Verschwörung , welche auf den Umsturz des Thrones und auf Fürstenmord berechnet gewesen sei . Die bedeutendsten Männer seien in das Komplott verflochten , selbst Staatsminister bezeichne die öffentliche Stimme wenigstens als entfernte Teilnehmer . Einen dieser Briefe , den ihm Madame Meyer geschrieben , mußte er Johannen , wiewohl er es ungern tat , zum Lesen geben , da er mehreres für sie insbesondere enthielt . Nachdem sie ihn durchgelesen , sagte sie : " Es steht besser und schlimmer , als diese Zeilen berichten . " Sehr wohltuend war das Verhältnis , in welches sie sich zu den Umgebungen gesetzt hatte . Zuvörderst war in den Zimmern , welche sie innehatte , unter ihren und Hermanns Händen Ordnung und Ebenmaß entstanden , alles Anstößige hatte sich aus denselben still verloren , manches würdige Kunstwerk , welches der Domherr denn doch auch mit vielem Tande zufällig hin und wieder erworben , war ihr von Flämmchen und der Dienerschaft , als müsse dieses so sein , zugebracht worden . So hatten ihre Gemächer bald das Ansehen einer schönen Insel inmitten eines wüssten Meeres von Unsinn . Von dem Getöse , welches unserem Freunde so beschwerlich fiel , schien sie nichts zu vernehmen . Als ihr Hermann seine Bewunderung über dieses gleichmütige Erdulden aussprach , erwiderte sie : " Ich habe mir vorgenommen , nicht danach hinzuhören , und so gelingt es mir auch . Man sagt , daß die Bewohner einer Mühle sich an deren Klappern gewöhnen können , daß sie sogar aus dem Schlummer erwachen , wenn die lärmenden Räder gehemmt werden , und die hiesigen Töne sind doch noch nicht so laut und schlimm , als Mühlengeräusch . " Trat sie aus ihren Zimmern , so verwandelte sich vor ihrer Erscheinung alles , was der Verwandlung fähig war . Die jungen Leute ließen von den Albernheiten ab , nahten ihr bescheiden und waren auf eine Zeitlang anständig und gesittet . Die Diener und Mägde , welche sich in dieser aufgelösten Wirtschaft ein gemeines lautes Wesen angenommen hatten , gingen , still , mit niedergeschlagenen Augen , ihre Wege , und widersprachen , wie sie sonst pflegten , den erteilten Befehlen nicht ; Flämmchen endlich trocknete Tränen , welche ein ihr ewig Versagtes beweinten . Zum zweiten Male in kurzer Zeit erblickte Hermann die Wirkungen der Weiblichkeit über eine rohe Welt . Wie Cornelie dort über die Hirten , so herrschte hier Johanna über die Barbaren , welche die Verfeinerung unserer Zeiten wieder erzeugt hat . Auch sie wußte , wie Cornelie , nichts von ihrer Macht . Sie ordnete selbst kleine gemeinschaftliche Vergnügungen an , nahm an Spazierfahrten und Wasserpartien Teil , und schien sich einfach und natürlich zu dieser Gesellschaft zu rechnen , von welcher sie ein unermeßlicher Abstand trennte . Das ist die heilige Gewalt der Frauen , welche sie zu Priesterinnen , Heerführerinnen und Königinnen kraftvoll aufstrebender Völker macht , und der sich zu keiner Zeit jemand ohne seinen Schaden entzieht . Vierzehntes Kapitel Vierzehntes Kapitel Flöten , Geigen und Bässe ertönten im Ballsaale , welchen Flämmchen so hell hatte beleuchten lassen , daß der Glanz den Augen fast empfindlich wurde . Eine zahlreiche Gesellschaft war versammelt , deren Kommen die Vorhersagung des wilden Kindes bestätigte . Man war nur stark genug gewesen , früheren geschriebenen Einladungen zu widerstehn , sobald die mutwillige Festgeberin sich in Person zeigte , und einige schmeichelnde Worte verwendete , schwanden die Bedenken ; alle Väter und Mütter sagten sich und ihre Töchter zu , vielleicht zum Teil auch aus Neugier , die berühmte unglückliche Frau kennenzulernen , deren Anwesenheit auf dem Landhause schnell in der Nachbarschaft kund geworden war . Johanna hatte von Hermann ausdrücklich verlangt , daß er am Feste teilnehmen solle . Auch sie erschien , geschmückt und strahlend , und versagte sich den ruhigeren Tänzen nicht . Als Hermann sie in der Polonaise führte , flüsterte sie ihm zu : " Alles in diesem Landhause ist zu ertragen , nur die empfindsame Zudringlichkeit des Kurators nicht . Er hat mich mit seinen Anträgen , mir helfen und beistehn zu wollen , diese Tage her sehr gepeinigt , wenn er mir nur heute fernbleibt ! " Wirklich hatte Hermann bemerkt , daß der Kurator Johannen , sobald sie sich öffentlich zeigte , nicht aus den Augen ließ , und allen ihren Schritten folgte . Flämmchen schien bei ihm außer Gunst gekommen zu sein . Auch an diesem Abende zeigte sich die Beeiferung des Verehrers . Er nahm während einer Pause des Tanzes Hermann beiseite und sagte : " Welche Erscheinung ! Wie wert , daß man sich der Frau annehme ! O Freund , lassen Sie uns für die Herrliche sorgen , stehen wir nicht ab , bis wir sie vermögen , in ihre Verhältnisse zurückzukehren ! Ganz gewiß beruht Medons Schicksal auf einem Irrtume , bald wird er seine Freiheit wiedererlangen , welche Schmach dann für die Gattin , den Gatten zur Zeit der Not verlassen zu haben ! Nein , helfen Sie mir , eine gestörte Ehe herzustellen , leiten wir die verirrte Frau in die Arme des Mannes zurück ! " " Ich dächte , man überließe den Personen , gegen welche man Verehrung fühlt , selbst ihr Los zu bestimmen " , sagte Hermann mit Empfindlichkeit . Der Gedanke , Johannen und Medon wieder beisammen zu wissen , den der Kurator in ihm angeregt hatte , war ihm äußerst unangenehm . Dieser machte sich an Johannen , und es verdroß Hermann , daß sie ihm freundlicher , als er es wünschte , und wollte , zu begegnen schien . Er trank mehr Wein , als er sonst pflegte , und suchte seine Aufregung in raschen Walzern mit munteren , schönen Mädchen zu vergessen . Mitternacht war vorüber . Er setzte sich in ein Nebenzimmer und sah in die Nacht hinaus . Das ganze Gefühl seiner ersten Jugend , welches er immer gegen das Ende von Bällen gehabt , kam über ihn . Wie die Töne des Tanzes gegen die große stille Nacht draußen in buntem Gewimmel ankämpften , und doch ihren Tod schon in sich trugen , so erschien ihm das ganze Dasein im kurzen schönen Kriege gegen das Unendliche , Farben- und Formlose befangen . Johanna hatte sich zurückgezogen . Er machte sich Vorwürfe , auch nur in Gedanken ihr gezürnt zu haben . Morgen mußte der Bote vom Schlosse des Herzogs zurückkehren , wie nahe stand die traurige Trennung bevor ! Sehnsucht und tiefe unbezwingliche Liebe trieben ihn zur Türe ihres Zimmers . " Kann ich Sie noch sprechen , Johanna ? " flüsterte er . Sie öffnete und sagte : " Welch ein später Besuch ! Was führt Sie zu mir ? " " Schmerz , Wehmut , Johanna . Wir gehen morgen auseinander , und wann sehen wir uns wieder ? Tief verbergen Sie Ihre Leiden , und gönnen dem Freunde nicht den Trost , sie mit Ihnen teilen zu dürfen . " Sie reichte ihm die Hand und sagte : " Keiner soll mir helfen , wenn ich der Hilfe bedarf , als Sie . In aller Not und Trauer will ich ewig nach Ihnen schauen . Wir sind verbunden ; was kann uns scheiden ? Rollt die Liebe auf den Rädern des Wagens davon ? " Er hielt ihre Hand fest und fragte leise : " Lieben Sie mich , Johanna ? " " Von Herzen " , versetzte sie . " Soll denn nur das Blut , und immer nur das Blut Geschwister schaffen ? Darf nie das Gemüt in freier schöner Wahl das reinste Band knüpfen ? Nein , ich werde den Glauben nicht aufgeben , daß solche Neigungen möglich sind . Vom ersten Augenblicke , da ich Sie sah , sind Sie mir wie ein Bruder erschienen ; lassen Sie mich Ihre Schwester bedeuten ! Und zum Angedenken dieser Stunde und meines Bekenntnisses empfangen Sie das beste , was eine Frau darbieten kann . " Sie schlang ihren Arm um seinen Nacken und die schönen unentweihten Lippen berührten die seinigen . Sanft sich emporrichtend , sagte sie : " Wer würde , das sehend , nicht rufen , es sei Leidenschaft , Frevel ! Und doch , wie fern bin ich von allem ungestümen Wesen ! Wie ruhig könnte ich Sie in den Armen einer anderen sehen ! So wenig reichen unsere Begriffe an die Geheimnisse des Herzens . " Zitternd , sprachlos , ging er durch die erleuchteten Gänge . Noch klang die Musik in rauschenden Weisen . Wie hätte er zu schlummern vermocht ! Über alles Hoffen hinaus war ihm sein Leben erhöht ! An seiner Brust hatte die Königliche geruht ; er erlag fast unter der Bürde eines fremden , unbegreiflichen Glücks . Ohne Absicht klinkte er an einer Türe . Sie tat sich auf , und da er in dem dunklen Raume an eine Tapete rührte , so sah er sich , da dieselbe gewichen war , unverhofft in dem großen , blauen Zimmer , welches er schon kannte , und zu dem dieser zweite , verborgene Eingang führte . Die Alte saß auf einem bunten Teppich am Fußboden und hatte zwei Flaschen neben sich stehen . Aus einer füllte sie sich ein großes Kelchglas bei Hermanns Eintreten , und leerte es auf einen Zug aus . " Das ist schön " , rief sie , " daß Ihr mich besucht ! Ich liebe den Lärmen nicht , und habe mich hierher in die blaue Ewigkeit zurückgezogen , um meinen Genuß in der Stille zu finden , aber die Gesellschaft eines Mannes , wir Ihr seid , soll mir ein köstliches Zugemüse zum Weine sein . " In seiner Stimmung widerlich durch ihren Anblick gestört , wollte er das Zimmer verlassen . Sie trat ihm aber rasch in den Weg , und sagte : " Nein , mein Herr , so kommt Ihr nicht fort . Ist es recht , undankbar gegen gute Gesinnungen zu sein ? Nicht wahr , Ihr habt Euch heute so hoch erhoben im Fluge mit dem Paradiesvogel , daß Ihr das , was unter Euch zappelt , gar nicht mehr wahrnehmt ? Nun , nur Geduld , auch wir sinnen auf Euer Vergnügen , wir wissen nur noch nicht , wie es auszuführen . " Ihre Augen funkelten , ihre Lippen lallten , sie glich einer Hexe . Hermann , welcher den Zustand sah , in den sie der Genuß des Weins versetzt hatte , tat sich , um einen verdrießlichen Auftritt zu meiden , Zwang an , und sagte : " Ich kann recht gern bei dir verweilen , wenn dir das einen Gefallen erzeigt . " " So sprecht Ihr vernünftig " , erwiderte die Alte , trug den Teppich zur Schwelle der Türe , und setzte sich dort nieder , ihm den Ausgang versperrend . " Es gibt gar kein größeres Unglück " , sagte sie , indem sie fortfuhr , zu trinken , " als eine Wissenschaft mit sich umherzuschleppen , die dann im Grabe mit einem verfault . Dem Arzte sagte ich sie , der wollte sie nicht glauben und lachte mich aus , danach verlor ich das Zutraun , und erst Ihr habt es wieder in mir erweckt . Warum ? weiß ich selbst nicht ; Ihr scheltet mich aus , und macht Euch aus dem Flämmchen nichts , eigentlich müßte ich Euch hassen , aber ich tue es nicht , der Teufel muß mir die Freundschaft für Euch angetan haben . " " Was soll das ? Was hast du mir zu entdecken ? " fragte Hermann verwirrt . " Die Heimlichkeiten der Bahre ! " kreischte die Alte , und leerte das Kelchglas . " Genieße das Leben , junges Blut , stampfe die Erde im Tanze , schlürfe das Öl und Feuer der Traube , bette dich auf den Hüften des Mädchens , denn wenn du im Sarge dich streckst , so wird es anders , greulich und fürchterlich . Die einen sagen , es sei aus mit dem letzten Hauche , das ist nicht wahr , die anderen glauben , frei und ledig fliege die Seele auf vom Kote zum Himmel , das ist auch nicht wahr , die einen lügen , wie die anderen , ich weiß es besser ; Leben und Tod sind nicht geschieden , wie Schwarz und Weiß ; ein entsetzliches Grau steht dazwischen , die Verwesung . Da fühlt sich das modernde Fleisch noch als Fleisch , da möchte das Blut , das in Klumpen und Wasser auseinanderrannte , noch beisammenbleiben und vermag es nicht , da brennt in schaudervollem Schmerze das Auge , dem die Säfte vertrocknen . O welches Wort nennte diese Pein ! Welcher Jammer reichte an solche Verwüstung ! Warum soll ich allein diese Furcht tragen , an welcher das Menschengeschlecht umkäme , wenn sie die Wahrheit erführen ? Einer wenigstens muß mit mir zittern und beben , und der eine sei du ! " " Wahnwitzige , schweige ! " rief Hermann , dem bei diesen Reden das Zimmer sich umdrehte . " Wahnwitzig ? - Ich bin die Prophetin , du höre mir zu ! Ich weiß es , denn ich habe es erfahren . Schon hatten sie mich ins Leichentuch gelegt , die Kerzen brannten zu meinem Haupte , die schwarzen Männer wurden bestellt , und ich konnte mich nicht regen und rühren . Alles begann in meinem Leibe vorzugehn , buchstäblich , wie ich es Euch gemeldet , und die Würmer rüsteten ihre Zähne zum Nagen . Ich war nicht lebendig und ich war nicht tot , ich war zwischen beiden . So wäre es dann fortgegangen , Schritt vor Schritt , bis dahin , wo die arme in eins gefügte Kreatur , zerrissen , zersplissen , in der Luft stürmet und weht , als Erde friert , klebt und starrt , auf den feurigen Zungen der Flammen hüpft und lodert , und immer noch von sich weiß , und wieder zu sich kommen möchte , aber nicht kann . Hast du das klägliche Ächzen nicht gehört in der Natur ? Es ist der Hilferuf der verwesten Seelen , die so umherflattern . Und mit anderen Worten haben das die Priester schon gesagt , wenn sie vom Fegfeuer sprachen . Mich aber gelüstete nicht nach diesem ; in der letzten Angst rief ich den Starken zum Beistande , und der erhörte mich . Er fachte das Lebenslicht in mir an , daß es Herr wurde über das Elend und die faulen Düfte ; da konnte ich die Finger regen und bald darauf die Hand . Die Leute sahen es , sprengten mir flüssige Geister in das Antlitz , und sagten danach : » Diese ist von den Toten erstanden . " « Sie strich ihre schwarzen Haare und hing sie sich wie Schlangen um das Haupt . " Sage mir , wer bist du . Unheimliche , und woher stammst du ? " fragte Hermann , dem die wilden Reden durch Mark und Bein dröhnten . " Ich bin eine Nonne aus Spanien " , versetzte die Alte , gierig trinkend . " Ich betete öfter als die anderen alle zur Jungfrau Maria und den Heiligen , war über die Maßen fromm . Keine Übung konnte mir streng genug sein , die erste war ich auf und die letzte von dem Chore . Sie nannten mich die Begnadigte , und ich stand in hohen Ehren weit und breit umher . Da brach der Krieg herein , unser Kloster wurde von den fremden Scharen erstürmt . Durch Rauch und Flammen , bei dem Zetergeschrei der Schwestern , welche mit zerrißenem Schleier die Gänge hinabirrten , drang der schöne Pole zu mir , ergriff mich und schleppte mich in die Kirche . Dort auf dem Altare , unter dem Bilde derer , welche wir die Mutter Gottes hießen , bezwang er mich , ungerührt von meinem Weinen und Flehen . Ich schickte die jammervollsten Bitten in den Schmerzen der Wollust empor zu dem Bilde , mir zu helfen , und meinen himmlischen Brautkranz zu schützen ; aber es war umsonst , und ich lag da , vernichtet und mir selbst ein Ekel . Da erkannte ich , daß die Heiligen von Holz seien , und der Himmel ein Rauch und verfluchte Gott noch an der nämlichen Stätte . Folgte nach diesem dem Polen , und lebte mit ihm in verschiedenen Landen in großer brünstiger Herrlichkeit . Das Kind aber , so ich von ihm empfangen , trug ich aus in der Verachtung Gottes , immer in mich hineinsprechend : » Wachse du Frucht meines Schoßes ohne ihn , der da ist das uralte Nichts . « Und da es zur Welt kam , hatte es sich nicht , wie die anderen Kinder , welche weinen , wenn sie geboren werden , nein , es hat gelacht und der Wehmutter ein Gesicht geschnitten , als sie es in ihren Händen auffing . Aber ich war unselig ohne Gott , denn der Mensch muß einen Herrn haben . Wie ich diesen gefunden in den Ketten der Zerstörung , sagte ich schon ; Er , der Starke , Dunkle , ist mein König und Gebieter worden , der mich in alle Wege leitet . Ihr seht mich zweifelnd an , und schüttelt das Haupt , weil ich im Walde vom Kreuz zu Euch gesprochen , und von Himmel und Hölle , weil ich mich nach wie vor eine gute Christin nenne . Das ist eben seine Güte und Großmut ; er erlaubt es uns , damit uns die Menschen nicht steinigen , er rät uns selbst , die Larve zu tragen , und ist zufrieden mit unseres Herzens stillem verschwiegenem Dienste . Und ich sage Euch , es gibt mehrere dieser Art außer mir . Aber horch , ich höre das Flämmchen , sie soll uns den Tod und die Auferstehung tanzen . " Die Alte richtete sich auf , wankte in eine Ecke , kniete dort nieder , stemmte die Arme in die Seite , und hob an , ein Lied zu singen , welches Hermann , der , sobald die Türe frei geworden war , hatte entfliehen wollen , mit magischer Gewalt zurückhielt . Bei seinen Tönen trat Flämmchen ein , im vollen , üppigen Putze , schritt , ohne selbst Hermanns zu achten , wie gefesselt und bezwungen auf die Alte zu , senkte vor ihr das Haupt , und bewegte sich dann nach dem Takte der Melodie rund im Kreise um ihn . Die Worte des Liedes waren wieder aus der fremden Sprache , welche Hermann nicht verstand , aber Melodie und Ausdruck gaben den klaren Sinn . Tief und wehmutsvoll klangen die ersten Strophen , ein Schmerz , der keine Grenzen und keinen Namen hat , zitterte in ihnen , aber gehalten und bewußt . Auf einmal fielen in einem ganz wunderbaren , raschen Tempo wirbelnde , schneidende Töne ein , und zuletzt sprudelte daraus ein Gewimmel von Lauten hervor , als wollten Rhythmus , Worte , Musik einander aufheben und vernichten , ohne daß gleichwohl die dämonische Harmonie in diesem Aufruhre aller Takt - und Tongesetze unterging . Angemessen dem Liede waren die Tanzbewegungen Flämmchens . Das Haupt gesenkt , die Arme schlaff am Leibe niederhangend , den Leib matt in den Hüften wiegend , setzte sie die kleinen , wie durch Starrsucht gefesselten Schritte , lieblich immer , aber träge in die Runde . Es war mehr ein Schleichen , als ein Gehen , die Augen hielt sie halbgeschlossen , die Lippen waren wie von Erschöpfung geöffnet . So gab sie das Bild einer sterbenden Magdalena , an deren süßen Fleische schon der grimmige Freudenhasser nagt . Bald ging dieses Schleichen in ein völliges Stocken über , kaum merklich waren noch die Bewegungen , sie erstarrte endlich , sich auf die Knie niederlassend , zu einer Gestalt von Stein , durch deren Adern und Fibern es nur noch wie ein unseliges Rieseln und Wirbeln lief . Der Anblick dieses schönen Mädchenkörpers , seiner leisen , zuckenden Regungen war unbeschreiblich rührend , die Augen tat sie auf , und warf auf Hermann einen erloschenen Blick , vor dem er gleichwohl die seinigen senken mußte . Denn es rief aus demselben wie mit schluchzendem Munde : " Erlöse mich , o du mein Geliebter , aus den Krallen der zerwühlenden Elemente ! " So blieb sie einige Sekunden haften , dann aber warfen die raschen schneidenden Strophen der Alten den Aufruhr auch in ihre Glieder . Sie erhob die Arme , sie richtete sich auf ihre Füße , vorwärts und rückwärts flog der Leib , von den geschwungenen Schenkeln bewegt ; immer wilder , zerbrochener wurde dieser rasende Tanz , die Glieder schienen sich voneinander zu lösen und dahin und dorthin zu zerflattern , endlich schwebte das lemurische Gebilde hauchartig in den Lüften , denn kaum den Fußboden noch berührten die Spitzen der Zehn . Die Kreise hatte das tanzende Schattenähnliche aufgegeben , in einer geraden Linie schwebte es gegen den Sarkophag in der Nische , von welcher die Alte den Vorhang hinweggezogen hatte , und zitterte dann mit ängstlichem Wenden von seinem Mumieninhalte zurück . Nachdem dieses Hinan - und Zurückschweben einige Male stattgefunden hatte , verklang das Lied der Alten . Welches Ende das geisterhafte Schauspiel genommen , hat Hermann nie erzählen können . Er hatte , als er das gespenstische Schweben eine Zeitlang angeschaut , vor dem verwirrenden Anblicke die Augen geschlossen , und sich mit abgekehrtem Gesichte wider die Wand gelehnt . Da er sich umwendete , war er allein . Noch immer rauschten die Weisen des Balls fort , noch immer hüpften unfern fröhliche Menschen , und hier waren ihm Offenbarungen des Grabes geworden ! Die Menschen , welche Zauberstätten betreten , deren Augen und Ohren in das Wesen und Weben solcher Orte verstrickt werden , büßen Sinn und Willen ein , die überwältigte Seele lebt Jahre in Augenblicken , das Fernste , Unglaublichste tritt ihr als Wahrheit nahe , die Wirklichkeit hat keine Macht mehr auf sie . In solcher Verfassung war Hermann . Seinen durch Tanz und Wein aufgeregten Geist hatten im Verlauf einer Stunde die fremdesten Gegensätze berührt . Das edelste Menschliche hatte ihm in tiefster Brust mit Liebesarmen geschmeichelt , höllischer Spuk war dieser Seligkeit in aller Pracht des Abgrunds gefolgt . In den Haushalt der Engel und in den der Teufel hatte sein erblindendes Auge schauen müssen , leider fehlte ihm die Festigkeit des Dante , welcher einst die Last solcher Gesichte unverzagt zu ertragen wußte . Ohne zu wissen , was er tat , hob er jetzt selbst den Deckel des Sarkophages ab , und starrte gedankenlos die trockenen Züge der Mumie an . Eine Weile hatte er so gestanden , als durch die Türe , die nach dem Naturalienkabinette führte , der Kurator eintrat . " Ich bringe eine gute Neuigkeit " , sagte dieser . " Johanna verlangt noch nach Ihnen , zu so später , oder so früher Stunde , denn es geht auf zwei Uhr , kann diese Bestellung nur das Beste bedeuten . Gewiß ist in ihr der einzige richtige Entschluß , den sie fassen konnte , aufgekeimt , und Sie sollen ihr denselben ausführen helfen . Gehen Sie schnell zu ihr . " Hermann ging . Draußen auf dem Gange verließ ihn jener . Der Ball hatte aufgehört , unten fuhren die Wagen ab . Die Alte sah er umhertaumeln und auf den Vorsälen die Lichter und Lampen auslöschen . Als er bei ihr vorbeiging , lachte sie ihn an , und rief : " Ihr schleicht noch zu Eurem hohen Liebe ? Nun , eine glückselige Nacht ! " Er öffnete sacht Johannas Zimmer . Es war dunkel , der Duft süßen Räucherwerks floß ihm entgegen . Er meinte , sich geirrt zu haben , trat einen Augenblick auf den Gang zurück , und sah die Türe an . Aber das war seine , das war Johannas Türe ! Er tastete im Zimmer nach einem Stuhle , setzt sich auf denselben , und wollte erwarten , daß seine Freundin mit Licht komme . Da hörte er leise die Vorhänge des Betts rauschen . Was er noch von Besinnung gehabt hatte , schwand . Er wankte der Gegend zu , von welcher das Rauschen vernommen worden war . " Johanna ? " fragte er glühend , bebend . " Ja " , antwortete es kaum hörbar unter innigem Weinen . Ein Busen und Leib , dessen Berührung die Glut des Fiebers in ihm entzündete , drängte sich aus den Kissen ihm entgegen . Weiche Arme umschlangen ihn , er sank auf das Lager , welches ihn erwartete , und die Wogen des höchsten Genusses schlugen über ihm zusammen . Fünfzehntes Kapitel Fünfzehntes Kapitel Man hat den Maler gelobt , welcher , die Grenzen seiner Kunst erwägend , auf dem " Opfer der Iphigenia " dem Vater Agamemnon das Haupt verhüllte . Zu diesem oft angeführten Beispiele müssen auch wir unsere Zuflucht nehmen , wenn wir bekennen , daß unsere Feder die Empfindungen nicht schildern mag , welche Hermanns Brust zerrissen , als der Tag in sein Gemach schien . Es gibt ein Bewußtsein , von welchem kein menschliches Wort das Genügende aussagen kann . Ach , und dennoch sind die Dinge möglich , die so wütende Schmerzen in uns hervorrufen , und werden uns Armen auferlegt ! Im tiefsten Dunkel war er nach seinem Lager zurückgekehrt . Aus unerquicklichem Schlummer mit dem Morgenrote emporfahrend , wollte er sich überreden , das Erlebte sei nur ein lasterhafter Traum gewesen . Aber da brannten und schmerzten seine wunden Lippen noch von wilden Küssen , da fehlte seinem Finger der goldene Ring , den er zu tragen pflegte , und der ihm unter reizenden Liebesspielen entschmeichelt und abgestreift worden war . Er war unglücklich , ganz unglücklich . Ein Heiligtum war geschändet , ein Götterbild von seinem hohen Stande schmählich in den Kot gestürzt worden . Er ging in den Garten , die Bäume schienen ihm falbe Asche statt des Laubes auf ihren Zweigen zu tragen , Luft und Sonne waren ihm zuwider . In die Laube , worin er sich niedergesetzt , flog ein Vögelchen und sah ihn unschuldig - neugierig an . " Willst du meiner spotten ? " rief er und schlug nach dem Tiere . Im Garten , wie im Hause war alles still . Die jungen Leute , die Diener verschliefen ihre Anstrengungen . Flämmchen war nicht zu sehen . Die Alte kam , ein dampfendes Getränk auf silbernem Teller tragend , und sagte feierlich - höhnisch : " Ich bringe Euch Stärkung , Ihr munterer Ritter . Seht Ihr wohl ? Nun habt Ihr doch getan , was der Starke , Dunkle mir versprochen hatte . Ihr lagt so recht der Tugend im Schoße , nicht wahr ? " " Fort , du Scheußliche ! " rief Hermann , und schleuderte heftig die Alte zurück , daß die Tasse auf den Boden fiel und das Getränk verschüttet wurde . " Ei behüte und bewahre , laßt nur meine Knochen ganz ! " murrte sie und schlich davon . Ein Reiter sprengte an das Gittertor , in welchem Hermann den nach dem Schlosse des Herzogs gesendeten Boten erkannte . Er zog einen paketartigen Brief aus der Tasche und sagte : " Ich bringe Antwort . " - " Gebt sie an die gnädige Frau ab " , versetzte Hermann . Er zitterte , Johannen zu sehen . Er schauderte vor dem Gedanken , ihr Zimmer zu betreten , auf dessen Schwelle sich die Erinnerungen der Nacht mit Furienantlitzen lagerten . Die Vernichtung wäre ihm willkommen gewesen . Ein Knabe kam und sagte : " Sie werden im Birkenholze erwartet . " Bewußtlos schwankte er hin ; Johanna trat ihm dort entgegen und rief : " Ich selbst in schlimmer Lage , soll noch anderen helfen . Medon , seiner Haft entwichen , ist hier in unserer Nähe , spricht mich um Rat an . Sie ließ ich holen , um Schutz und Beistand bei diesem unseligen Wiedersehen zu haben , da ich doch schwächer bin , als ich meinte . " Eine Gestalt im Mantel näherte sich , schlug die Verhüllung zurück und Medons bleiches , verwildertes Antlitz wurde sichtbar . Er stürzte vor Johannen nieder . " Vergeben Sie mir alles , was ich an Ihnen getan ! " war sein erstes Wort . " Stehen Sie auf , Medon " , versetzte Johanna . " Sie sind unglücklich ; wie vermöchte ich , Ihnen zu zürnen ? Wir Frauen haben die Eigenheit , selbst unsere Irrtümer zu lieben , in diesem Worte werden Sie eine Beruhigung über mich und mein Gefühl für Sie jetzt und künftig finden . Es war ein Irrtum , daß ich Sie liebte , aber ich habe Sie geliebt ; vor dieser Wahrheit zerschmilzt alles Bittere und Zürnende . " Der Unglückliche brach in ein unendliches Weinen aus . " Ist keine Hoffnung , daß wir uns je wiedersehen ? " fragte er leise . " Keine " , versetzte sie . " Ich habe abgeschlossen mit Ihnen und mir . Ich könnte noch für Sie dulden und leiden , aber nicht mehr mit Ihnen leben . " " So höre denn , daß in diesem Augenblicke , der mich auf ewig von dir scheidet , mein Herz sich für ewig an dich knüpft ! " rief Medon mit aller Glut der heftigsten Leidenschaft . " Ja , nun , da ich dich einbüße , sehe ich , was ich verscherzt habe ! Diese Anmut und Hoheit konnte mein sein und ich Sinnloser warf sie hin um Nichtiges ! " " Enden wir " , sagte Johanna , " auch mich verläßt die Kraft . Gehen Sie aus Europa ; meine Briefe , welche ich Ihnen nach Ihrem verborgenen Aufenthalte senden werde , öffnen Ihnen durch Freunde die Mittel und die Wege . Hier nehmen Sie die Hälfte dessen , was ich besitze . Sie dürfen nicht Mangel leiden . Und nun gehen Sie , daß Sie kein Späher ausforscht . Fassen Sie sich . Die Verzweiflung ist für schwache Seelen . " Er bedeckte ihre Hand mit inbrünstigen Küssen , dann verschwand er zwischen den Bäumen . Johanna wandte sich zu Hermann und sagte zu ihm mit der himmlischen Ruhe und Klarheit , welche ihre Worte an Medon durchleuchtet hatte : " Auch wir scheiden . Die Herzogin schreibt mir , daß sie bei ihrem Anerbieten , mich wieder aufnehmen zu wollen , beharre . Mein Wagen ist bestellt . Dieses Paket sendet sie für Sie . Leben Sie wohl . Ich fühle keine Reue , daß sich mein Wesen Ihnen in schrankenloser Zärtlichkeit ergab . Vielleicht löset das Leben , gewiß der Tod dieses schöne Rätsel des Gemüts ; die selige Nacht , in der es aufblühte , gehört uns beiden zu unveräußerlichem Eigentume . " Hermann war unvermögend , zu antworten . Er sank auf eine Steinbank , als sie ging . Die Welt wankte vor seinem Geiste in ihren Grundfesten . " Erhalte mir das Licht im Haupte , du heilige Macht da droben ! " rief er , und rang die Hände . " Diese war Johanna , die Reine , die Unbefleckte ! Sie lächelte und redete auch noch ganz so , wie mein lieber hoher Engel von ehedem . " Er erbrach das Paket . Die der Herzogin einst anvertraute Brieftasche , das geheimnisvolle Vermächtnis seines Vaters , war in demselben . Folgende Zeilen hatte die Herzogin in französischer Sprache dazu geschrieben : " Mir ist hinterbracht worden , welche Unsittlichkeit Sie auf unserem Schlosse sich erlauben zu dürfen meinten . In dem durch Ihr Verhalten mir aufgeregten Gefühle bin ich außerstande , länger , was Ihnen gehört , zu bewahren , und entlaste mich durch die Rücksendung der bisher geübten Pflicht . " " Recht so ! " rief Hermann und lachte ingrimmig . " Unsere Sünden werden uns zu Tugenden , und um das Unschuldige verwerfen uns die Menschen . Es ist nur eine kleine Zugabe zu großem Elend . Venus Urania ist bei Nacht nichts als die Hetäre Kallipygos , aber wenn die Sonne wieder scheint , stellt sich die Göttin in Worten und Mienen unverletzt her . Schein und Schaum die Welt und die Wahrheit , oder umgekehrt : Schein und Schaum das allein Wahre ! Nun wäre ich ja wohl auf dieser hohen Schule der Folterkünste , aus welchen böse Geister das Leben wirken , genügsam vorbereitet , zu erfahren , was die Lippen meines alten Vaters mit in das Grab genommen haben . " Er öffnete das Portefeuille und las den Inhalt . * Wenn es erlaubt ist , bei einem Werke des Orts und der Stunde , welche ihm das Dasein gaben , zu gedenken , so sei dem Verfasser gegönnt , ein solches Taufzeugnis hier niederzuschreiben . Wunderbar übereinstimmend war der Boden aller Verhältnisse , auf welchem das gegenwärtige Buch dieser Denkwürdigkeiten wuchs , mit dem Inhalte desselben . Denn seltsame Ereignisse mußten beschrieben , die unvereinbarsten Gegensätze in den Schicksalen der Personen , welche uns beschäftigen , dargelegt werden . Und heimatlos war der Verfasser zu der Zeit , zwischen zwei Städten flüchtig hin und her geschleudert , in ein labyrinthisches Geschäft mit Menschen und Dingen verstrickt , an welchen selbst die Götter ihre Meister finden könnten . Was Wunder , daß diese grause Harmonie der Äußerlichkeiten und Stimmungen mit seiner Aufgabe ihn oft fürchten machte , letztere werde ungelöst in jenen Knäuel der Umgebung sich verlieren . Da tat ihm ein ehrwürdiger , geistlicher Freund die stille Arbeitszelle in dem aufgehobenen Kloster hinter ruhig - säuselnden Bäumen und friedlich - dunklen Bachwellen auf . Für diese Freistatt sei dem guten Abte Beda der Dank auch hier bezeugt , dessen ihn mein Mund schon oft versichert hat . Der Liebesdienst wurde zur rechten Zeit erwiesen , und war daher wie alles , was zur rechten Zeit kommt , ein unschätzbarer . Achtes Buch . Korrespondenz mit dem Arzte . 1835 1 . Der Herausgeber an den Arzt I. Der Herausgeber an den Arzt Sie erinnern sich vielleicht kaum noch unserer Zusammenkunft in * , wo ich Sie inmitten der damals Ihnen kurz zuvor untergebenen Anstalten und im Feuer einer frischen , mannigfaltig wirkenden Tätigkeit traf . Der Umfang dieser Geschäfte , welche Ihnen neu waren , der Lebensatem , den die große Stadt dem wissenschaftlichen Manne zuhauchte , und dessen Macht sich noch nicht durch Gewöhnung abgeschwächt hatte , mochte in Ihnen eine erhöhte Stimmung hervorgerufen haben . Unsere Unterhaltung war die inhaltreichste . Mit schlagenden Worten gaben Sie mir in der Kürze den deutlichsten Begriff von dem Stande Ihrer Wissenschaft in der Gegenwart . Ich würde mich , wie ich schon andeutete , vermutlich sehr irren , wenn ich glauben wollte , daß meine Person und Erscheinung in Ihnen einen Eindruck zurückgelassen hätte , nur von fern demjenigen gleichkommend , welchen ich mit mir fortnehmen durfte . Es ist mir so angeboren , bedeutenden Menschen gegenüber mich still zu verhalten , da ich es für einen größeren Vorteil erachte , ihnen zuzuhören , als mich selbst vorzutragen . Dennoch wage ich , als seien wir einander Freunde und Vertraute geworden , Sie um eine Gefälligkeit anzusprechen und zwar um eine große . Es gibt Dienste , welche so sehr in einem allgemeinen Interesse erbeten werden dürfen , daß deren Leistung auch gegen den ganz Fremden vielleicht kaum mit Recht zu versagen ist . Lassen Sie mich Ihnen bekennen , daß mich nicht der Anteil an Ihrem Institute , und nicht Ihr öffentlicher Ruf mich zu Ihnen trieb , sondern daß ich aus einem mehr persönlichen Beweggrunde kam . Nahe hatten Sie einem Teile der Personen aus den höchsten Ständen und der mittleren Schicht der Gesellschaft gestanden , deren Schicksale sich eine Zeitlang auf eigene Weise berührten und durchkreuzten . Sie waren in der Verkettung der Leidenschaften und Umstände durch Rat und Tat , in Liebe und Widerwillen selbst handelnd gewesen . Durch Zufall auf die Betrachtung jener aristokratisch - bürgerlichen , politisch - sentimentalen Haus - und Herzensereignisse geführt , durch Neigung bei der Betrachtung festgehalten , wünschte ich den Mann kennenzulernen , welcher in diesen Dingen - verzeihen Sie mir den Ausdruck - hin und wieder den Mephistopheles gespielt hatte . Nun war aber Ihre Erscheinung ganz verschieden von meinen Gedanken . Ich bemerkte nach den ersten Reden , welche wir wechselten , daß Ihre Seele eine philosophisch - religiöse Färbung erhalten hatte , die zu meinem Bilde von Ihnen nicht paßte . Überrascht durch diese Entdeckung vermochte ich daher auch nicht , das Gespräch auf jene Begebenheiten zu lenken , die mich so sehr beschäftigten , und es entspann sich die Unterredung allgemeinen Inhalts , welche , so anziehend sie auch für mich war , dennoch meinen Wünschen widerstritt . Denn zwölf Jahre bin ich den Lebensvorfällen der Menschen , welche , wie wir alle , als duldende Epigonen den von einer früheren Zeit uns hinterlaßenen Kelch auskosten mußten , aufmerksam gefolgt , ich habe niedergeschrieben , was ich von ihnen erkundete , und mich bestrebt , die verborgenen Fäden nach den bekannten Tatsachen ergänzend darzulegen . Wie weit mir dieses Werk gelungen , vermag ich zwar nicht zu entscheiden , gewiß aber ist es , daß die Bücher dieser Geschichten , teils im Plane bedacht , teils in der Anlage entworfen , und teils in der Ausführung vollendet , einen großen Abschnitt meines eigenen Lebens hindurch mir unausgesetzt - treue Begleiter waren . Jetzt sind die Entwicklungen nach tiefem Dunkel tröstlich erfolgt . Fröhliche Kinder umspielen die Knie derer , welche einst unrettbar verzweifeln zu müssen schienen , leidende Seelen haben sich in edler Tätigkeit erholt , nur die starren , eigentlich schon im Leben toten Naturen , nur einige lieblichwilde Auswürflinge geheimer Sünde oder gottschändender Vermischung umhüllt das Schweigen des Gewölbes , oder deckt die grüne Erde , welche alles zuletzt mütterlich verhüllt . Aber eine düstre Zwischenzeit trat diesen heiteren Ausgängen vor . Am Schlusse meines Werks fühle ich mich unfähig , jenen wesentlichen Teil desselben zu liefern . Alles war damals verdeckt , entweder von den Vorhängen des Krankenbettes , oder von dem Siegel der Beichte , oder von der Scham der sich selbst zerwühlenden Brust . Die Geretteten bewahren ihre Erinnerungen zu heilsamer Scheue vor den Ungeheuren , welche unser Dasein umlagern , aber sie reden nicht davon , sie entziehen sich der Mitteilung über diese Gemüts - und Geistesnächte , wenigstens gegen mich . Das neunte und letzte Buch , das Buch der Entwicklungen , ist geschrieben , und ich würde allenfalls auch das achte zusammenphantasieren können . Aber etwas Halbrichtiges würde mir selbst am wenigsten genügen . Gerade für diese Zwischenzeit wäre mir diplomatische Treue höchst erwünscht . Ich habe oft die Feder schon angesetzt , aber sie unwillig immer wieder weggelegt . So müßten die " Epigonen " vielleicht ein im Wichtigsten verstümmeltes Bruchstück bleiben , wenn Sie , mein Herr , sich nicht helfend in das Mittel schlagen wollen . Sie waren in jener Zeit den Leidenden nahe ; es ist unmöglich , daß Ihnen verborgen blieb , was mir zu entziffern nicht gelingen will . Ich weiß nicht , ob ich recht tue , es gibt vielleicht eine Leidenschaft für die Wahrheit , die wir gleich den anderen bezwingen sollten . Wenn dem so ist , so kann ich wenigstens ihrer nicht Meister werden , und ich bitte , ja ich beschwöre Sie , meinem Drange nachzugeben , mir Ihre Kunde von dem Verlaufe der beiden Jahre , welche ich meine , und die Sie kennen , nicht vorzuenthalten . Schreiben Sie mir , was das Gewissen der Herzogin bedrückte ? welches Unglück auf der Ehe Johannes gelastet ? was beide Frauen nervensiech machte ? welche Antriebe den Herzog so unvermutet dahin brachten , alle seine Güter dem Widersacher abzutreten ? Mit einem Worte : Lösen Sie mich auf einige Zeit in der Autorschaft ab , und übernehmen Sie die Redaktion des vorletzten Buchs , es sei , in welcher Form Sie wollen . 2. Der Arzt an den Herausgeber II. Der Arzt an den Herausgeber Drei Briefe , jeder spätere immer noch dringender , als sein Vorgänger , liegen auf meinem Pulte . Daß mich Ihr Ansinnen überraschen mußte , haben Sie selbst wohl vorausgesehen , daß ich mir Zeit nehmen würde , Ihnen zu antworten , war natürlich . Geschäfte und Pflichten mancher Art haben das Ihrige dazu beigetragen , diesen Brief länger zu verzögern , als ich wollte . Ich soll zum Memoiristen werden , ich , der Arzt , der alle Hände voll zu tun hat , seine Patienten wahrzunehmen , die Aufsicht über die Anstalt zu üben , Ministerialberichte zu verfassen , Doktoranden und Pharmazeuten zu prüfen ? Zum Memoiristen über Personen , die mir so nahestehn , ja zum Teil über mich selbst und über eine Zeit , an die ich nicht gern zurückdenke ? Dilettieren soll ich in einem Fache , während ich allenfalls in dem anderen mein Zeichen aufweisen kann ? Es müßte sonderbar zugehn , wenn Sie mich überredeten , aber verschwören will ich es nicht , denn der Anblick eines Feldes , welches uns versagt worden ist , wie Sie ihn mir öffnen , hat etwas Lockendes , und reizt uns , wie der Rachen der Klapperschlange den Vogel anzieht . Vor allen Dingen , ehe ich mich entschließe , muß ich die Bücher in Händen haben , deren Sie erwähnen . Mich verlangt , zu erfahren , wie Sie uns , die wir an keinen Beobachter dachten , abzuschildern vermochten , und danach will ich sehen , was zu tun ist . 3. Derselbe an Denselben III . Derselbe an Denselben Ihre Hefte haben die sonderbarste Nachwirkung in mir zurückgelassen . Soll ich mich eines Gleichnisses bedienen , so möchte ich sagen : Die Bienen arbeiten in ihrem Stocke , tragen Honig ein , halten in den Zellen ihre kleinen Kriege ab , und meinen , das alles für sich in völligster Abgeschiedenheit zu tun . Aber der Korb hat an der Rückseite ein Glasfenster und einen Schieber . Diesen öffnet dann und wann der Lauscher und lugt in das stille Getreibe . So haben Sie uns verstohlen betrachtet , freilich mit Vorsicht ; sonst würden wir die Scheiben zu verkleben gewußt haben . Die Tatsachen sind ziemlich richtig , soweit dies bei einer Erzählung , welche Rücksichten zu nehmen hatte , überhaupt möglich war . Die Psychologie ist so , so . Hin und wieder ging es wohl anders in uns zu , als Sie geahnt haben , wenigstens in mir . Am wahrsten sind die Figuren , welche die Menge vermutlich für Erfindungen halten wird : Die Alte , der Domherr , Flämmchen . Es ist zu loben , daß Sie diesen Blasen der von Grund aus umgerüttelt Zeit nichts hinzugefügt , noch ihnen etwas abgenommen haben . Sie klagen sich der Leidenschaft für die Wahrheit an . Lassen Sie sich denn die Wahrheit gefallen , daß ich mich bei Empfang Ihres ersten Briefs wirklich Ihrer und unserer Unterredung nicht erinnerte . In meinem Zimmer drängen sich der Menschen viele . Auf mein Fach , und wenn ich sonst noch ein Buch zur Hand nehme , auf die Engländer mich beschränkend , kannte und kenne ich Ihre Schriften nicht . Es ist besser , daß ich als Fremder Ihnen gegenübertrete , und daß unsere Bekanntschaft auf eine solide Art vermittelt wird , als daß ich mich gegen Sie mit faden Komplimenten abfinde , die in der Regel nachmals sich auf die eine oder andere Art bestrafen . Der Zeitabschnitt , in welchen unsere Entwicklungskrankheiten fielen , denn so möchte ich die Geschicke , welche uns betrafen , nennen , war vor vielen geeignet , ein deutsches Sitten- und Charakterbild hervorzubringen . Es war Friede im Lande geworden , die alten Verhältnisse schienen hergestellt , das Neue war auch in seinen Rechten anerkannt , alle Bestrebungen hatten eine feste , naive Färbung , während die neuesten Weltereignisse jegliche Richtung an sich selbst irre gemacht und in das Unsichere getrieben haben . Die Gefühle und Stimmungen jener Periode - der letzten acht oder neun Jahre vor der Julirevolution - liegen fast schon als mythische Vergangenheit hinter uns . Der Adel suchte sich mittelalterlich zu restaurieren , das Geld glaubte treuherzig , wenn es nur den privilegierten Ständen den Garaus machte , so werde die Welt den harten Talern gehören , der Demagogismus wollte studentenhaft die Festung stürmen , die Staatsmänner meinten nach Ideen regieren zu können , es gab Schriftsteller , welche mit großer Macht die Einbildungskraft beherrschten ; ein Denker stand unter seiner weit sich breitenden Schule und katastrierte den Geist . Was ist von allem dem übriggeblieben ? Die französische Thronveränderung hat abermals das Antlitz der Welt verändert , und sowenig ich in weichliche Klagen über dieses Ereignis und seine Folgen auszubrechen geneigt bin , so muß ich doch sagen , daß die Jahre , welche ihr vorangingen , an geistigem Gehalt und an einer gewissen Dichtigkeit des Daseins die Gegenwart übertrafen . Man könnte Ihnen also Dank wissen , daß Sie es unternommen , ein Zeugnis jener verschwundenen Zeit aufzustellen . Aber zwei Fragen möchte ich an Sie richten . Wenn Sie die Neigung so unwiderstehlich zur Betrachtung der menschlichen Schicksale treibt , warum schreiben Sie nicht lieber Geschichte selbst ? Da hätten Sie die volle Traube am Stocke vor sich , und könnten uns einen gesunden reinen Wein zubereiten , während Sie in der Sphäre , welche Sie wählten , notwendig mischen müssen , und also auch nur einen Zwittertrank hervorbringen . Die zweite Frage ist : Was soll das Publikum mit diesen Büchern anfangen ? Die Hauptperson wird die Menschen schwerlich interessieren , da sie keine " Tendenzen " hat . Und was ist daran wichtig , daß ein Bürger mit einem Fürsten über dessen Güter prozessierte , daß wir ein Caroussel veranstalteten , daß es in den Häusern des Mittelstandes noch hin und wieder häuslich herging , daß an unserem Sitze der Intelligenz allerhand Liebhabereien und Theoriewirtschaften getrieben wurden ? Meine Meinung über den Wert dieser Zustände habe ich oben angedeutet , aber sie ist nicht die Meinung der Menge . Sie wird auf solche Geringfügigkeiten mißschätzend herabsehn. N.S . Auf einige Fehler : ... quas aut incuria fudit , Aut humana parum cavit natura ... muß ich Sie doch aufmerksam machen . Hermann will als Neunjähriger die Einverleibung seiner Vaterstadt Bremen in das französische Kaiserreich erlebt , und als Siebenzehnjähriger in den Donnern von Lützen gestanden haben . Da aber jenes Ereignis im Jahre 1810 stattfand , und die Schlacht von Lützen nur drei Jahre später vorfiel , so widerspricht seine Rede aller Chronologie . Der Jude aus Hameln , der falsche Demagoge , behauptet , von neununddreißig Tyrannen verfolgt zu werden , was nach der deutschen Verfassung völlig unmöglich ist . Der Amtmann vom Falkenstein tritt schon im ersten Teile als Jagdgenosse Hermanns auf , und doch wird im zweiten so getan , als ob der Held erst bei dem Caroussel die Bekanntschaft dieses Mannes gemacht habe . Die Interpunktion und Orthographie steht nicht recht fest . Es sind mir sogar Grammatikalia aufgestoßen , die freilich wohl mehr dem Abschreiber zur Last fallen ; denn von Ihnen setze ich voraus , daß Sie ihren Schulkursus durchgemacht haben . Ob aber alle Leser , und besonders diejenigen , welche sich Kritiker nennen , diesen guten Glauben teilen werden , steht dahin . 4. Der Herausgeber an den Arzt IV . Der Herausgeber an den Arzt Ich bin an der Elbe geboren , und erinnre mich aus meinen Kinderjahren einer großen Überschwemmung dieses Stroms . Weit über die Ufer , ja über die niedrigeren Dämme hin , wogte die graugelbliche Wassermasse mit weißkräuselnden Wellenhäuptern , Landstraßen und Fluren waren verschwunden , nur in der Ferne deuteten Turmspitzen und Waldsäume das Feste noch an . Man führte mich auf die Brücke , von welcher man in dieses wogende Getöse hinabsah , und meine Begleiter forderten mich auf , über das große Naturschauspiel zu erstaunen . Ich aber konnte an dem wüssten Einerlei , an dem Unabsehlichen , Nichtzuunterscheidenden keine Größe entdecken , und blieb in meiner Seele ganz ungerührt . Die anderen schalten mich verstockt , fanden aber gleichwohl auf meine Frage : ob Millionen Tonnen Wassers , zusammengegossen , eben mehr wären , als Wasser ? nichts zu erwidern . Gleich danach reiste ich in unser Oberland , in den Harz , welcher einen Teil der Fluten aus seinen von Schnee und Regengüssen geschwellten Wässern dem Strome zugesendet hatte . Wild und hastig stürzten die Flüsse , Flüßchen und Bäche dem ebnen Lande zu , aber jedes Bette hatte seine eigentümliche Gestalt , die Wände faßten noch das Gerinne , welches hier rasch und tosend fortschoß , dort sich um Baumstücke oder Felsblöcke brausend wirbelte , und jegliche dieser schäumenden Adern gewissermaßen zu einer lebendigen Person machte . Hier wurde nun mein Entzücken laut , ich konnte mich nicht satt sehen an diesem Toben und Wesen , und sagte , das sei das wahre , große Naturschauspiel , wenn die Kräfte so besonders und für sich aufträten , und doch so innig zusammenhingen . Denn Seitenspalten und Nebenkanäle verknüpften diese Söhne des Gebirges , die Elementargeister reichten einander die silberweißen Arme . Die Knabenerinnerung soll eine parabolische Antwort sein auf die Frage , warum ich statt der Familiengeschichten nicht Welt- und Zeitgeschichte geschrieben habe , und warum ich sie vermutlich niemals schreiben werde . Mir erscheint ihr Geist nur in großen Männern , nur die Anschauung eines solchen vermöchte mir den Sinn für irgendeine Periode aufzuschließen . Wir besitzen aber keinen , haben seit Friedrich keinen besessen . Napoleon schien sich eine Zeitlang dazu anzulassen , aber es fehlte ihm die letzte Weihe , das organisierende Genie . Er hat nicht einmal vermocht , einen originalen französischen Staat zu schaffen , seine Institutionen sind schon jetzt veraltet . Im Laufe der Jahrhunderte wird er nur wie ein Attila und Alarich , die Vorläufer Karls des Großen , dastehen , und diesen zweiten Karl , diesen Erneuer des mürbe gewordenen Weltstoffs werden unsere Augen leider nicht mehr erblicken . Was ist also das politische Leben unserer Zeit ? Eine große , weite , wüsste Überschwemmung , worin eine Welle sich zwar über die andere erhebt , aber gleich darauf von ihrer Nachfolgerin wieder umgestürzt und zerschlagen wird . Ich kann daran nichts Schönes erblicken . Leider haben die Beherrschten mehr Geist als die Herrscher , deshalb vermag nicht einer dieser feste Gestalt zu gewinnen , und jener sind viele , so daß sie sich gegenseitig aufheben . Ich fühle mich daher immer versucht , von der Ebene , in welcher diese Wogen als Revolutionen , Thronstreitigkeiten , Kongresse und Interventionszüge sich brausend mischen , aufwärts nach dem Gebirge emporzusteigen , welches durch seine hinabgesendeten einzelnen Fluten jene allgemeine Wasserwüste erschafft . Nie sind die Individuen bedeutender gewesen , als gerade in unseren Tagen , auch der Letzte fühlt das Flußbette seines Inneren von großen Einflüssen gespeist . Dort also , auf entlegener Höhe , an grüner Waldsenkung , zwischen einsamen Felsen , im Rücken der politischen Ebene , wachsen und springen meine Geschichten . Jeder Mensch ist in Haus und Hof , bei Frau und Kindern , am Busen der Geliebten , hinter dem Geschäftstische und im Studierstübchen eine historische Natur geworden , deren Begebenheiten , wenn wir nur das Ahnungsvermögen dafür besitzen , uns anziehen und fesseln müssen . In diesem Sinne reicht die Gegenwart oder die jüngste Vergangenheit dem , welchem das besondere , gegliederte Leben mehr gilt , als der unentschiedene Strudel , in welchen die verschiedenen Strömungen der Lebenstätigkeiten endlich zusammenrinnen , wenn sie in den Konflikten des Öffentlichen einander begegnen , des Stoffes die Fülle dar , und es ist nicht nötig , in die Zeiten der Kreuzzüge , oder der Jesuitenherrschaft , oder des Dreißigjährigen Kriegs zurückgehen , um bedeutsame Anschauungen zu gewinnen . Man hat unsere Tage mit denen der Völkerwanderung verglichen . Das Römische Reich zerfiel in jenen , und die Germanen traten an dessen Stelle . Auch wir hatten so ein Römisches Reich an der Autokratie der Fürsten oder gewisser allgemeiner Begriffe . Beides neigt sich zu seinem Untergange , und die Individualitäten in ihrer schrankenlosen Entbindung stehen als die Germanen der Gegenwart da . Noch haben sie nur zerstört , nicht das geringste Neue ist von ihnen bisher erfunden und gebildet worden . Mein Sinn , in welchem etwas Dichterisches sich nicht austilgen lassen will , neigt sich mit Wehmut und Trauer dem Verfallenden zu , denn die Musen sind Töchter der Erinnerung ; aber eine Tatsache läßt sich nicht ableugnen , nicht verschweigen . 5. Derselbe an Denselben V . Derselbe an Denselben Nachschrift um Nachschrift . Dieser Brief soll nämlich eine sein . Daß Hermann bei seiner Rede an die Herzogin im Feuer der Emphase sich an der Chronologie versündigt , und daß der falsche Demagoge behauptet hat , von neununddreißig Tyrannen verfolgt zu werden , ist historische Tatsache , welche mir der Held noch vor wenigen Wochen bestätigte . Dagegen ließ sich also nichts machen . In Betreff des Amtmanns vom Falkenstein bin ich unschuldig . Sie haben die Bleistiftkorrektur an der Seite übersehen , nach welcher der Satz so lautet : " Unter den Hausbeamten , welche bei diesen Zurüstungen mitwirkten , bemerkte er wieder seinen Jagdgenossen , den Amtmann vom Falkenstein , einen Mann von unangenehmen Manieren , dessen Wesen etwas Aufdringliches hatte . Hermann erfuhr usw . " Sollten Setzer und Korrektor gleichfalls den Bleistift übersehn , so diene dieser Brief zur dereinstigen Berichtigung . Über Orthographie und Interpunktion hege ich meine Grillen . Alles in der Welt hat sein individuelles Leben bis zu den Buchstaben , bis zum Kolon , bis zum Punkte hinunter . Inkonsequenzen machen erst das Dasein aus ; warum mißgönnt man es den kleinen Schelmen , zuweilen außer der strengen Regel der Feder zu entschlüpfen , und sich auch wohl einmal in krauser Willkür zu emanzipieren . Ein Komma will sich in der Spalte des Kiels bilden , plötzlich aber überkommt den Narren ein Stolz , und zum Semikolon avanciert , erscheint er auf dem Papiere . Im Gegenteil : Ein großer Buchstabe bekehrt sich , da es eben noch Zeit ist , vom Hochmut , und siehe , als demütigfrommer kleiner steht er da . Zusammensetzungen geraten in Zank und Hader , häuslichen Zwist , flugs rücken sie auseinander , wie grollende Eheleute , um vielleicht auf der nächsten Seite schon wieder in der schönsten Eintracht verbunden zu sein . Das spitzige , giftige ß stößt das gute , runde s über den Haufen , und was dergleichen Vorfälle mehr sind , von denen Adelung und Wolke nichts gewußt haben . Eigentliche Grammatikalia begehe ich wohl nicht , da ich , wie Sie richtig vermuten , in meiner Jugend eine gelehrte Schule besucht habe , überdies aber auch nachmals mich immer mit Lesen und Schreiben beschäftigte . Sollte der Kopist dergleichen gemacht haben , und der Korrektor sie stehenlassen , so wäre das freilich schlimm für den Stil , aber ich glaube nicht , daß es mir bei den Lesern schaden würde . Die meisten Autoren tragen sich mit dem Gedanken , der Leser nehme das Buch zur Hand , um sich zu belehren , oder doch etwas Neues zu erfahren . Grundfalsch ! Der wahre Leser greift danach mit dem Gefühle des Patronats ; der Schriftsteller ist sein Klient , und in je traurigeren Umständen dieser sich befindet , je kläglicher die Rede ist , die er an ihn hält oder schreibt , desto größeren Eindruck macht er auf den guten Patron . Daher kommt das wunderbare Glück der ganz erbärmlichen Schriften . Bei ihnen bleibt der Leser im steten , ihm so wohltuenden Genusse des Mitleids gegen das menschliche Elend . 6. Derselbe an Denselben VI . Derselbe an Denselben Doch von den Minutien zum Ernste zurück . Lassen wir das Publikum ! - Es gibt kein Publikum mehr . Dieses Wort setzt eine Anzahl empfänglicher Hörer voraus . Wer hört nun noch , und wer will empfangen ? Leicht ist es , hierüber verdrießlich zu werden und zu schelten , schwerer , das Phänomen in seinem Ursprunge zu begreifen , in seinen Folgen mit Gleichmut zu erdulden . Und doch entspringt die scheinbare Gefühllosigkeit der jetzigen Menschen für Schönes , Geistiges nur aus der von mir in meinem vorletzten Briefe erwähnten Überfülle der Geister . Jeder ist von einem unbekannten Etwas überschattet , welches die Seelen erhebt und gänzlich beschäftigt , alle haben eine große Aufgabe in sich zu verarbeiten , keiner ist müßig . So sehe ich Zeit und Zeitgenossen , entgegenstehend manchen in den Büchern der " Epigonen " verlautbarten Stimmen , an . Wie sollen sie fähig sein , zu nehmen , da sie schon mehr haben , als sie bewältigen können ? Die Literatur ist eine Literatur der Einsamen geworden . Der sinnende und bildende Geist wird von einer ewigen Notwendigkeit getrieben , sich zu offenbaren , und zur Vollständigkeit dieser Offenbarung gehört die äußere Erscheinung . Man schreibt daher und läßt drucken , nach wie vor , ohne die Aussicht der Vorgänger zu haben , gelesen zu werden . Anfangs und in der Jugend bereitet dieses Verhältnis bittere Schmerzen ; es ist so traurig , sich mit einer Welt von Anschauungen , Gedanken und Empfindungen in der Wüste zu sehen , allmählich beruhigt sich das Gemüt , und endlich kann in der durchgeprüften Seele das Bewußtsein einer glorreichen Dunkelheit entstehen , welches so unzerstörbar schön ist , daß man es mit nichts vertauschen möchte . Oder ist es nicht besser , unter Reichen als Wohlhabender zu verschwinden , denn unter Bettlern mit seinem Etwas sich hervorzutun ? Ich schrieb den " Merlin " und wußte sein Schicksal vorher , nämlich , daß man seiner nicht achten werde . Glauben Sie , daß mich dieses Wissen niedergeschlagen hat ? Keine der Entzückungen , aus welchen jenes Gedicht entsprang , hat es auch nur im mindesten getrübt . So habe ich an den Büchern der " Epigonen " gearbeitet , ohne irgend etwas davon zu erwarten , was man Wirkung nennen könnte . Und dennoch sind mir die Stunden , Tage und Wochen , welche ich ihnen widmete , unverfinsterte , liebe Erinnerungen . Die Pfade zum Heldentum sind immer steil , die Pfade zu dem , welches ich meine , vielleicht die steilsten . Zart und weich soll der sein , der sie wandelt , und doch auch wieder die Kraft des Ajax haben , um die himmelansteigenden Felsen zu bewältigen . Den noch gelingt es wohl , emporzuklimmen , wenn wir nur verstehen , uns mit dem Blute unserer Sohlen auf den Absätzen der Klippen neben den furchtbaren Tiefen Festzuleimen . Lassen wir also das Publikum und helfen Sie mir nur , wie ich gebeten , mein Werk vollenden . 7. Der Arzt an den Herausgeber VII. Der Arzt an den Herausgeber Niemals bin ich in der Stärke Materialist gewesen , wie Sie angenommen haben . Darin muß ich zuvörderst Ihre Geschichten berichtigen . Religion wird einem jeden angeboren , und nach meiner Meinung ist der Vorwurf , daß man keine habe , womit die frommen Seelen sehr freigebig zu sein pflegen , der schwärzeste , welcher einem Menschen nur gemacht werden kann , denn er wirft ihn zu den Tieren hinab . So hatte ich früh beim Abdämpfen und Präzipitieren , bei dem Öffnen und Zerschneiden der Leichen gefühlt , daß ein Etwas vorhanden sei , welches im Feuer des Schmelzofens sich nicht fangen lasse , vor keinem Agens niederfalle , dem Messer und der Sonde immerdar entfliehe . Dieses Etwas trieb doch nun aber unleugbar Gestein und Metall , Blatt und Blume hervor , und figurierte " das kleine Königreich , Mensch genannt " . Wer durfte mir verwehren , es Gott zu nennen ? Aber dem Arzte wird es schwer , über dieses Eine und Einfache zur Wärme zu gelangen . Er ist seiner ganzen Stellung nach auf Betrachtung der Mannigfaltigkeit verwiesen , er darf darin nicht nachlassen , wenn er nicht sehr bald zurückgehen will , und so pflegt es denn zu kommen , daß der Mehrzahl meiner Standesgenossen der den Erscheinungen untergebreitete Urgrund , das Heilige , das Imponderabelste , etwas Theoretisches wird , an dessen Vorhandensein zwar keiner zweifelt , mit welchem aber gleichwohl wenige eine Beziehung anzuknüpfen vermögen . An dieser Beziehung mangelte es auch mir . Mein Gott war der des Amsterdamer Philosophen , der mit einer intellektualen Liebe von Anfang an sich selbst , aber sonst nichts anderes Liebende . Er ließ mich gehen , ich ließ ihn meinerseits wieder seine unendlichen Kreise in sich beschreiben . Zuweilen stieg wohl eine Ahnung in mir auf , daß wir einander noch einmal begegnen würden , aber sie hatte weder Form noch Farbe , und war mir gleichgültig . Gegen alle Vermittlung durch die Kirche verspürte ich aber den entschiedensten Widerwillen . Was mich auf das Schloß des Herzogs brachte , mich dort einige Jahre festhielt , wird man aus Ihren Geschichten herauslesen können . Es gibt Dinge , über welche der Mann , auch wenn sie abgetan sind , gegen den Mann sich auszusprechen , immer Scheu empfindet . Der Gemahlin des Herzogs an einem fremden Orte , durch welchen sie reiste , in einer leichten Unpäßlichkeit genaht , entschied sich mein Lebensgang zur Nachfolge in die einsame Gegend , wobei ich mir vorsagte , daß Beweggründe des Interesses meinen Entschluß rechtfertigten . Leidenschaften , besonders unerwidert - verzehrende , löschen immer auf eine Zeitlang Gott und Himmel in uns aus . Der Ferne schwebte nur noch wie ein leichtes blasses Wölkchen an meinem Horizonte , und verbarg sich wohl auch ganz hinter den schwarzen Dunstschichten , welche die Luft oft genug trübten . Byron wurde mein Prophet , mein Evangelium . Ein glühendgeistiges Verlangen in mir blieb ungestillt , die Folge davon war , daß , wenn ich auch dem da droben nichts anhaben konnte , ich doch gegen seine irdischen Gefäße , die Seelen , eine Nichtachtung faßte . Doch ich sehe , daß ich schon in das hineingeraten bin , wovor ich mich hüten wollte , nämlich in das Erzählen . Noch zwar betrifft alles nur mich , nun aber verschlingen sich meine Begebenheiten in die anderer Personen , und die erste Bedingung wäre , deren Einwilligung zu weiteren Berichten zu erhalten . Ich will Ihnen nur gestehen , daß ich schon an die Herzogin und an Johannen geschrieben , den Damen Ihr Werk übersandt , und die Entschließung auf die Bitte des Autors anheimgestellt habe . Warten wir denn ab , wie weibliches Gefühl sich in diesem Falle benehmen wird . Darauf müssen wir wohl beide submittieren . 8. Derselbe an Denselben Bekenntnisse der Herzogin Bekenntnisse der Herzogin Sind wir Frauen denn nur auf der Welt , um zu leiden ? Im stillen , frommen Kreise meiner Zöglinge , durch den Sarg des Gemahls von einer früheren unruhigen Zeit geschieden , ausgesöhnt mit der Schwägerin , wird mein Auge in Regionen zurückgenötigt , worin alles schwankte , gärte und schien . Mit Erschrecken sehe ich , daß ein Fremder , in welchem ich zuletzt diese Fähigkeit vermutet hätte , meinen Schritten unbemerkt folgte , meine Gesinnungen erriet , und Schwächen auffand , wo ich nur Tugenden zu haben glaubte . Ich kann nicht umkehren auf einen anderen Ausgangspunkt , muß des Weges wandern , der mir allein gerecht ist . Möglich , daß ich zu manchen Zielen auf demselben nicht gelange , aber soll ich das Erreichbare aus dem Auge verlieren , und mich abmühn , das , was mir doch versagt bleiben wird , mir scheinbar anzueignen ? Die Orientalen halten es für Sünde , das Bild einer Person zu malen . Es ist gewiß auch Unrecht , das geheime Leben anderer so schwarz auf weiß zu töten , denn was bleibt davon auf dem Wege vom Kopfe durch den Arm in die Feder übrig ? Nur in einem liebevollen Geiste können die Buchstaben wieder Leben gewinnen , und das Beste wird immer sein , was er zwischen den Zeilen liest . Eins tröstet mich : meine Grundempfindung , daß wir nicht oft genug an uns erinnert werden können . Und eine solche Erinnerung war mir das Buch . Zugleich lehrte es mich , wie seltsam unerwartet oft das im Leben eintritt , was kurz zuvor als eine Täuschung sich hingestellt hatte . Ich verzeihe dem Verfasser . Er ist offenbar zu dieser Arbeit genötigt worden , nicht leichtsinnig , nicht willkürlich hat er sie unternommen . Wenn er von seiner Leidenschaft für die Wahrheit gegen Sie redet , so hat er gewiß recht . Dieser Affekt bemächtigte sich vieler Menschen , leider , daß er mit Schonung und Rücksichtnehmen selten zu vereinigen ist . Lassen Sie mir nur einige Tage Zeit . Ich muß den unerwarteten Fall erst überdenken . Als der Autor an mich schrieb , war sein Begehren so dunkel und unbestimmt gefaßt , daß ich nicht wußte , was er meinte , und am allerwenigsten auf eine Produktion vorbereitet war , wie die ist , welche ich nun kenne . Daß jemand ein Werk , woran er jahrelang geschrieben , dem Feuer preisgeben werde , weil andere sich dadurch unangenehm berührt fühlen , wäre grausam , nur zu denken . Die " Epigonen " werden also unvernichtet bleiben , sie werden ihren Gang über Straße und Markt nehmen . Sollen nun die Zeiten , welche freilich nur wir allein kennen , durch Erdichtungen entstellt werden ? Soll unser Bild gerade in der wichtigsten Krisis unseres Lebens undeutlich und verworren der Menge entgegenschwanken , deren Bekanntschaft wir jetzt notgedrungen machen müssen ? Ich sehe schon , ich werde dem Zwange unterliegen , der meine stockende Feder bedrängt . Nun ja , auch ich habe gefehlt , auch mich bewahrte eine klösterliche Erziehung und das innigste Grausen vor dem Schlimmen , nicht ganz unverletzt . Eine Täuschung war es von Hermann , daß ich anders , als mit freundlichen Gedanken bei ihm geweilt , solange er unter uns auf dem Schlosse war , aber in den Dünsten solcher Einbildungen schreitet schon das Böse heran . Großer Gott , wie soll es eine arme Frau anfangen , ihr Inneres vor anderen zu enthüllen ? Aber ich sehe diese gezwungene Konfession als die letzte mir vom Himmel auferlegte Buße an , dafür , daß ein Hauch sich über den Spiegel meiner Seele breiten durfte , und deshalb will ich mich ihr auch nicht entziehen . Als Hermann uns verlassen hatte , glaubte ich , die frohsten Tage im Nachgenusse der letzten schönen Stunde erleben zu dürfen . Das Dokument , welches uns in unserem Eigentume schirmen sollte , war gefunden und durch ihn , der mir so manchen Beistand geleistet hatte . Immer stand er vor mir , wie er freudeleuchtend das Pergament emporhielt , meine Gedanken ruhten an ihm , wie an einer festen Säule . Aber es war kaum eine Woche vergangen , als mich dieser Trost nicht mehr befriedigte . Eine Unruhe ergriff mich , von der ich mir keine Rechenschaft geben konnte , es fehlte mir , was ich nicht zu nennen wußte , mein Sinnen schweifte über Buch und Stickerei hinaus , wenn ich sie , um mich auf etwas zu heften , zur Hand nahm . Dem Gemahle , welchem ich doch vor allem Zutraun über jedes Begegne meiner Seele schuldig war , verbarg ich diese peinigende Zerstreutheit , und zwang mich , in seiner Gegenwart so zu erscheinen , wie sonst . Wie tief wucherte schon das Unkraut in mir ! Am bedrücktesten fühlte ich mich des Abends - sonst meine liebste Tageszeit ! Die Nacht , welche früher die Ruhe Gottes über mich gebracht hatte , schien mich nun in ein Unendliches , Wüstes zu führen , vor dessen hohlbrausenden Wogen meine Seele erzitterte . Ich schlummerte zwar auch jetzt nie ohne Gebet ein , aber die Worte desselben regten mich zu wehmütigen Tränen auf . Es gemahnte mich , als könne ich mir selbst während des Dunkels abhandenkommen , als könne der Mensch verwandelt , schlimm aufstehen , der sich gut und unschuldig niedergelegt habe . Eines Tages sagte ich plötzlich unversehens laut für mich hin : " Es ist ja natürlich , daß ich ihn vermisse , war er doch beständig um uns ! Warum soll man sich nicht an einen Freund gewöhnen können . " Ich erschrak heftig , da ich diese Worte gesprochen hatte . Mein Zustand war sehr schlimm . Nach und nach hatte sich aus dem Gefühle des Zwangs , welches mir die Gegenwart des Herzogs einflößte , eine stille Furcht , aus der Furcht eine Abneigung entwickelt . Ich rechtete , ich haderte mit ihm , ich meinte , er vernachlässige mich , und wenn er mich aufsuchte , so bestrebte ich mich eher , ihn zu vermeiden . Der Herzog war unglücklich , ohne daß es mich schmerzte , seine stillen Blicke fragten mich , was er mir getan habe ? Ich schlug die meinigen nieder , um nur nicht aus der Verschanzung des Trotzes und der Hartnäckigkeit , in welcher ich nun schon eingewohnt war , gelockt zu werden . Von Franklin hatte ich gelesen , daß er die ihm obliegenden Pflichten nicht auf das Geratewohl hin erfüllt , sondern über seine Sittlichkeit förmlich Buch gehalten habe . Ich beschloß , etwas Ähnliches bei mir einzurichten . Vielfach war ich angesprochen , als Hausfrau , als Erzieherin , als Armenpflegerin . Ich legte mir ein Heft mit verschiedenen Rubriken an , in welchem ich abends vor dem Schlafengehen die Werke des folgenden Tages einzeln verzeichnete . Auf der Gegenseite sollten die Unterlassungen als Debet diesem Kredit gegenüber eingeschrieben werden . Eine Kolumne war den allgemeinen menschlichen und christlichen Tugenden , der Sanftmut , Bescheidenheit , Verträglichkeit usw. gewidmet . Gewissenhaft besorgte ich eine Zeitlang diese moralische Rechnungsführung . Da es mir Ernst war , der Öde meines Zustandes zu entrinnen , da ich nicht feierte , und lieber zuviel als zuwenig mir auferlegte , auch seit meiner Jugend die höchste Achtung vor allen ausdrücklichen Verpflichtungen hegte , so füllten sich die Spalten meines Buchs ziemlich an ; immer geringer wurden die Rückstände , je weiter ich in der Übung der guten Werke vorrückte , und nach Verlauf eines Monats war ein beträchtlicher Überschuß aus der Bilanz ersichtlich . Diese Beschäftigungen und die damit nicht selten verknüpfte körperliche Bewegung machten mich ruhiger . Mein Schlaf wurde wieder erquickend und ich hielt mich für hergestellt . Meine Gedanken an den Abwesenden waren , oder schienen in den Hintergrund gedrängt , das Behagen der Häuslichkeit war mir zwar noch nicht zurückgekehrt , die Stunden , welche ich mit dem Herzoge zubrachte , behielten etwas Formelles , indessen setzte mich dies nicht in Erstaunen . Schon früh hatte ich mich mit der Vorstellung vertraut gemacht , daß der eigentliche Atem des Lebens doch nur die Pflicht sei , welche man mit Überwindung übe , und daß der Mensch gegen nichts vorsichtiger sein müsse , als gegen das Glück . Hatte ich nun früher mir oft im stillen gesagt , daß mir das Dasein ohne den Gemahl zur Einöde werden , daß ich seinen Verlust nicht überstehn , daß ein Ersatz für ihn mir undenkbar sein würde , so mußte die jetzige etwas kältere Empfindung mir als offenbarer Gewinn erscheinen . Nun fühlte ich , daß ein stilles Zurückziehn mich nicht zerstöre , daß er , eingeordnet in den ganzen Zusammenhäng meines Lebens , zwar darin eine hohe , vorzügliche Stelle einnehme , aber doch nicht Grundfläche und Spitze der Pyramide ausmache . Über diese Entdeckung jauchzte ich , und glaubte , durch sie eine Bürgschaft unantastbaren Seelenfriedens erhalten zu haben . Wie täuschte ich mich , wie fern war ich vom Ziele , da ich es schon mit den Händen zu fassen meinte ! Ich litt , obgleich ich sonst gesund war , seit einiger Zeit an einer erhöhten Reizbarkeit der Nerven , welche sich besonders dadurch äußerte , daß mir unwillkürlich Phantasmen vor die Augen traten . Diese blieben zwar nur einen Moment sichtbar , während der kurzen Dauer desselben hatten sie aber die ganze sinnliche Deutlichkeit wirklicher Gegenstände . So sah ich nicht selten ferne Gegenden , in welchen ich einst gewesen war ; abwesende Personen , besonders Verstorbene zeigten sich mir in schnell vorüberschwebenden Schattenbildern . Ein eigentümlicher Zug dieser Wahngesichte war , daß keine Neigung sie hervorrief . Nur Gleichgültiges erschien , oft das , woran ich seit Jahren nicht gedacht hatte . Der Arzt verordnete mir allerhand Mittel , welche aber nichts halfen , im Gegenteil meine Konstitution noch mehr aufregten . Ach , leider wird es nur zu sehr verkannt , daß die Krankheiten , wenigstens ein Teil derselben , weit mehr sittlicher als sinnlicher Natur sind , und daß daher in vielen Fällen Tränke und Pulver wenig nützen können ! Eines Abends kam ich aus einem benachbarten Dorfe zurück , wohin ich zu Fuß gegangen war , um Kranke zu besuchen . Ich wollte das Schloß noch bei guter Zeit erreichen , in welches andere Hülfsbedürftige bestellt worden waren . Nur ein Bedienter folgte mir . Ich ging etwas rasch , und wählte , um früher nach Hause zu kommen , den Weg über den dem Schlosse gegenüberliegenden Hügel , obgleich derselbe an der einen Seite durch Dornen und Steilheit etwas beschwerlich war . Vom frühen Morgen an war ich tätig gewesen , es hatten sich gerade recht viele Pflichten und Geschäfte an diesem Tage zusammengedrängt , und ich dachte nicht ohne Selbstzufriedenheit daran , wie mancherlei ich werde zu Buche tragen können . Auf einmal war es mir oben auf dem Hügel , als wenn sich um meine Füße unsichtbare Schlingen legten , oder als ob ich an einen Stein stieße , der zugleich meine Schritte gewaltsam hemmte . Ich kann diese Empfindung durchaus nicht genauer beschreiben ; sie war zwischen Schmerz und Lähmung , und am nächsten komme ich ihr in Worten , wenn ich sage : Sie hatte Ähnlichkeit mit dem Gefühle des sogenannten Einschlafens der Gliedmaßen . Ich war unfähig , weiterzugehn , meinte zu fallen , und wußte doch , daß ich mich werde aufrecht halten können . In dem nämlichen Augenblicke erhob sich die Gestalt des Abwesenden aus dem Boden , deutlich , daß mir die Knöpfe an seinem Kleide erkennbar wurden , neigte sich gegen mich , legte - mit welcher Scham schreibe ich dieses nieder ! - seinen Arm um meinen Leib , und zog mich an seine Brust . Mich verließen die Sinne , und als ich von einem ohnmachtähnlichen Zustande erwachte , fand ich mich auf einer Rasenbank sitzend wieder , von dem zitternden Bedienten gestützt , der mir stotternd und totenbleich erzählte , daß ich plötzlich wie vor einem entsetzlichen Schrecknisse gestarrt , dann gewankt und einen angstvollen Schrei ausgestoßen habe . Meine Verfassung war fürchterlich . Messer durchschnitten mir die Brust . Die Sünde hatte sich mir unversehens in nackter Abscheulichkeit gezeigt . Da war nun keine Zeit zu verlieren , um zu retten , was sich noch retten ließ . Ich blickte umher , und sah , daß mich nichts vor dem Gedankenfrevel geschirmt hatte , weder die Ehe , noch die guten Werke . Die Kirche allein war der Felsen , an welchen ich mein irrschwankendes Schifflein noch knüpfen konnte . Nach einer qualenvollen Nacht , nach einem durchweinten Tage entdeckte ich mich in später Abendstunde unserem Geistlichen , und soll ich es gestehen ? das verzweifelnde Herz trug sich mit der verstohlenen Erwartung , er werde mich nicht so strafbar finden , als ich mich selbst . Aber ich hatte mich getäuscht . Ein strenges Gericht ließ er über mich ergehen . In schrecklichen Zügen , in drohenden Beispielen machte er mir anschaulich , daß die Kluft von der Tugend zu der ersten Abweichung von ihr sehr groß , der Raum zwischen dieser und den letzten Tiefen des Lasters aber unendlich klein sei . Er führte mir die Wahrheit , daß der Körper nie , sondern immer nur die Seele sündige , in ihrer ganzen Strenge vor das Gemüt , und nannte zur Bezeichnung meines Zustandes ein Wort , welches meine Ohren nie zu hören geglaubt hatten . Düstre , aber heilsame Tage folgten . Ich ergab mich ganz seiner Führung . Der Arzt , so mancher Freund , der Herzog selbst wollten hemmend dazwischentreten ; Gott schenkte mir die Standhaftigkeit , ihre Angriffe zurückzuweisen . Hier galt es das Ewige , da durfte keine Menschenfurcht zu Rate gezogen werden . Das erste , was der Geistliche vornahm , war , daß er meine moralischen Rechenbücher zerriß . Er untersagte mir die guten Werke , mit denen ich mich gegen Gott auszulösen gewähnt hatte . Dergleichen , erklärte er mir , sei völlig unnütz , und führe immer nur zu verkapptem Hochmute . Dagegen legte er mir die strengsten Andachtsübungen und eine völlige Versenkung in Gott und die göttlichen Dinge auf . Oft meinte ich , daß ich in diesem Ringen nach dem Unsichtbaren erlahmen werde , aber wundersam stärken die Leiden der Heiligung ; wenn unsere Wangen auch darüber bleich werden , so wächst doch freudige Gesundheit durch sie um das Herz . Nach und nach erwarb ich , sagen darf ich es , Fertigkeit im Büßen . Man wollte mich zerstreun , ich versetzte , daß mir die Sammlung notwendiger zu sein scheine . Erheiterungen sollten mir bereitet werden , mir , die ich von meiner immer wachsenden Heiterkeit schon anderen hätte mitteilen können . Diese konnten keine Anfechtungen zerstören . Der Herzog begann , gewiß in guter Absicht , mir unmutig zu begegnen , ich opferte gern den Frieden des Hauses auf dem Altare meines Gottes . Nachmals gab es noch einen gewaltsamen Krampf in dem schwachen Geschöpfe , der zuletzt in eine Krankheit sich auflöste . Von dieser erstanden , war ich geheilt in jedem Sinne des Worts . Der Weg war mir jetzt ganz gebahnt , von welchem mich auch die schwersten Unglücksfälle nicht haben abbringen können . Wem kein so reicher Geist gegeben worden ist , daß ihm nur das verworrene Mancherlei des Lebens Beschäftigung gewährt , wer an einfachen Wahrheiten und Grundsätzen die Nahrung seines Inneren findet , der soll erziehen . Denn dieses Geschäft besteht nur darin , daß man den jungen Seelen eine Ausstattung schlichter Begriffe mitgibt , mit denen sie durch das Irrgewinde des Markts sich helfen sollen , so gut es gelingen mag . Diese in geduldiger Treue immer zu wiederholen und einzuprägen , habe ich meine jungen Mädchen um mich versammelt . Ich unterrichte und bilde sie , nicht als ob ich damit etwas Verdienstliches zu vollbringen meinte , sondern weil ich eben dazu passe , und an den Ort gestellt worden bin , wo diese Pflicht geleistet werden sollte . Johannas Bekenntnis Johannas Bekenntnis Von dem kriegerischen Schauspiele , welches die Menge der Fürsten und Prinzen unglaublich glänzend machte , mit dem Generale zurückgekehrt , fand ich Ihren Brief und die Bücher , welche die Herzogin inzwischen gelesen , und mir übersendet hatte . Also so haben wir ausgesehen ? Sonderbar , daß man von seinem inneren Antlitze keinen Begriff hat , wie oft man sich dies auch einbilden mag . Oder vielmehr die Sache steht so : Wir wissen um unsere Verhältnisse , Stimmungen , Irrtümer und Schwächen recht wohl , aber sie im Spiegel zu erblicken , ist schauderhaft . Anfangs war ich auf den Autor bitterböse , und keineswegs gemeint , mich , wie die Herzogin , der durch ihn von Gott mir verhängten Buße zu unterwerfen . Auch der General wollte nichts von Nachgiebigkeit gegen den im stillen an uns herangeschlichenen Memoiristen wissen . Als wir aber die Sache näher bedachten , sahen wir ein , daß meine Geschichte Frauen und Mädchen , in deren Hände unsere Denkwürdigkeiten doch auch wohl gelangen mögen , zur Lehre dienen kann , und daß , wenn auch alle Beispiele die Wiederholung der Irrtümer nie verhüten , die Irrenden doch an meinem Falle zu ihrem Troste erkennen werden , wie das Gemüt uns in großes Leid bringt , die Arme unseres Schutzgeistes aber stark genug sind , uns aus demselben emporzuziehn . Da käme ich nun in das Fach der Herzogin und wollte auch erziehen . Aber freilich beruht mein Unterricht auf anderen Voraussetzungen . Die Stille , Liebe meint , so sehr die Demut ihr auch gebietet , ihre ganze Wirksamkeit vor der Welt als zweifelhaft darzustellen , insgeheim denn doch , daß ihre moralischreligiösen Vorschriften die jungen Seelen vor dem Strudel bewahren werden . Ich habe dagegen die Überzeugung , daß gerade die edelsten Naturen unseres Geschlechts unbedingt tiefen Verwicklungen dahingegeben sind , welche keine Regel der Klugheit , kein Präservativ der Sitte , und keine Andachtsübung aufhält . Viele gehen in denselben unter , wenige werden gerettet . Zu diesen gehöre ich , und wenn auch die Art meiner Herstellung sich nicht bei jeder Unglücklichen wiederholen wird , so lehrt sie wenigstens , daß das Leben selbst aus seiner Fülle den Stab wachsen macht , welchen die Dressur der Pensionsanstalt nicht darreicht . Dies will ich erzählen , schlicht , einfach , kurz ; zu ausgeführter , oder gar kunstreicher Behandlung habe ich weder die Lust , noch das Geschick , noch die Zeit . Die Stellung der Frauen in der Gegenwart ist sonderbar . Was hat unsere Mütter beschäftigt , ihren Geist und ihr Gemüt ausgefüllt ? Das Haus oder die Gesellschaft . Die Ruhigen wandten sich jenem , die Lebhafteren dieser zu . Nun gibt es aber keine Häuslichkeit mehr im alten Sinne , und aus der Gesellschaft ist der feine Zauber längst verschwunden , durch dessen Verwaltung wir die Priesterinnen und Fürstinnen der Salons wurden . Unser Platz in der Welt ist also leer oder anderweitig besetzt , wie man dieses Mißverhältnis ausdrücken will . Wenn wir uns auch vor der durch die Saint - Simonisten uns zugedachten Emanzipation schönstens bedanken wollen , so läßt sich doch ahnen , daß unser Zustand bedeutenden Veränderungen entgegengeht . Der Autor hat der Wahrheit gemäß erzählt , daß mich schon als Mädchen auf dem Schlosse meines Vaters das Gefühl eines Vaterlandes mächtig bewegte . Die Natur mußte vielleicht so bei mir verfahren , mir Ersatz durch eine allgemeine Empfindung geben , weil mir der Segen einer gesetzlichen Geburt , mir eine Mutter vorenthalten worden war . Madame de Staël - wenn ich nicht irre - hat einmal gesagt , daß in Zeiten , wo man auch den Frauen die Köpfe abschlage , ihnen notwendig erlaubt sein müsse , sich um die Politik zu bekümmern . So schlimm steht es nun bei uns nicht . Aber da wir durch die Staatsumwälzungen unser Vermögen einbüßen , uns mit den Männern versetzen lassen müssen und Söhne für den Krieg gebären , so scheint uns weder das Recht noch die Veranlassung zu fehlen , an allen den öffentlichen Dingen teilzunehmen , durch welche auch uns Freude und Entsagung , das Lachen und die Träne bereitet wird . Diese Vorstellungen bewohnten wie in der Knospe den Kopf des jungen Mädchens , es sprach sich und anderen dieselben nicht aus . Die Frau , welche Schritte in die Dreißig getan hat , wird wohl davon reden , und eingestehen dürfen , daß sie von jeher sie gehabt . Nun aber ist es eine eigene Sache um dieses Vaterland . Wir sind und bleiben denn doch arme Gefühlswesen , bei welchen der Weg zum Haupte immer und ewig durch das Herz geht . Wenn die Trommel gerührt wird , wenn sie dahinziehen in langen Reihen , und die Fahnen den Tüchern , und die Tücher den Fahnen Abschied zuwinken , und nun der Busen um Reich und Thron , und zugleich um das Schicksal der Lieben bangt , dann die herrlichen , freudigen Kampfes- und Siegesnachrichten erschallen , jeder in diesem Sturme sich zum Außerordentlichen gehoben fühlt , ach und endlich bei dem Friedensheimzuge die Freunde uns die teuersten Güter erobert dahergetragen bringen - dann weiß eine Frau , daß auch sie in ihrer schwachen , furchtsamen Seele eine Empfindung beherbergt , welche über die Spindel und das Nähzeug hinausreicht , dann dürfen wir uns eines Geschlechts mit der Mutter der Gracchen , und den Weibern der Numantiner rühmen . Oder auch dann kann unser Geist bewegt und erregt sein , wenn kluge , weltgestaltende Männer im Schweigen des Kabinetts mit der stillen Feder , oder der feinen gewinnenden Rede Bündnisse stiften , Provinzen erwerben , die Entschlüsse so leise vorbereiten , welche nachher den Erdkreis erschüttern und die Menschen in Staunen und Verwunderung setzen . Da wissen wir wohl bei uns die Gegner zu friedlicher Annäherung zu versammeln , Geheimnisse zu empfangen und zu bewahren . Aber wie wird es im Frieden , im gleichgültigen Gange des Alltags ? Stadt der Heldentaten Manoeuvres , statt des regsamen Spiels seltener Kräfte ein stockendes Schleichen im Geleise trockener herkömmlicher Tätigkeit . Was soll denn nun die Frau beginnen , welcher die Kleinigkeiten nicht genügen , auf die wir dann einzig und allein angewiesen sind ? Da müßte sie etwa Dichterin , Schriftstellerin , Kunstkennerin werden . Aber wenn die arme Seele zu der Einsicht gelangt ist , daß die Lieder ihrer Schwestern am Parnaß nüchtern und dünn erklingen , daß die Bücher der Weiber aus den abgetragenen Gedanken der Männer bestehen , daß sie vor den Bildern und Statuen doch auch nur diesen bevorzugten Geschöpfen nachsprechen , wenn sie also zu allen derartigen Zeitvertreiben weder Lust noch Belieben trägt , womit wird sie dann ihre verlangende , glühende Brust ausfüllen ? Ich hatte nach dem Tode meines Vaters schlimme Tage auf dem Schlosse . Gute Menschen walteten dort , aber unsere Seelen waren zu verschieden . Der Herzog war früh gewissen Personen in die Hände gefallen , welche ihm die größten Vorstellungen von der Würde des Adels beigebracht und ihm die Heiligkeit der Pflicht , alles an die Herstellung dieses Standes zu setzen , eingeschärft hatten . Diese Begriffe regierten ihn mit unumschränkter Macht , er hatte für nichts anderes Raum in sich . In den Militärdienst eines kleineren Staates eingetreten , war er rasch von Stufe zu Stufe gestiegen , hatte auch an einigen Vorfällen des großen Kampfs auf der deutschen Seite teilgenommen , aber ohne Liebe und Wärme für die Sache , welche ihn nur insofern interessierte , als er von ihrem Siege den Triumph der Aristokratie hoffte . Meine gute Schwägerin war in Paris erzogen worden , und hatte Deutschland erst nach dem Untergange unseres großen Feindes kennengelernt . Ich , voll von den Eindrücken einer unbeschreiblichen Zeit , mochte meinen nächsten Umgebungen wohl wie eine Närrin vorkommen , welche sich abmühte , Schattenbilder der Wirklichkeit unterzuschieben . Der ganze Enthusiasmus eines zwanzigjährigen Mädchens war eins geworden mit dem Enthusiasmus eines Volks , diesen Gewinn festzuhalten , das herrliche Gedächtnis mir nicht zu einem Traume verdämmern zu lassen , war die Aufgabe meines Lebens . Ich baute mir ein kleines Museum aus Erinnerungszeichen und Bildnissen der Feldherrn zusammen , sang meine lieben Schlacht - und Kampflieder am Fortepiano , steuerte von meinen schmalen Mitteln , soviel ich nur entbehren konnte , an die Vereine , welche sich überall zur Unterstützung der Invaliden gebildet hatten . Man stutzte , verstand mich nicht , lächelte über mich . Ich ließ mich das nicht anfechten . Aber freilich fühlte ich nur zu bald , daß ich mit dem , was mir das liebste war , mich in einer völligen Einsamkeit befinde , und dieses Bewußtsein fiel mit um so größerer Schwere auf mich , als es die nächsten waren , die es mir bereiteten , und als ich voraussah , daß bald mein ganzer Zustand in dem Hause , welches doch auch als mein Vaterhaus gelten sollte , unterhöhlt sein würde . Ich versank in eine Schwermut , die mich auch wohl zuweilen ungerecht gegen das Gute machte , welches mich umgab . Wenigstens muß ich jetzt über manches lächeln , was mich damals gegen die liebenswürdige Frau einnahm , mit der ich nun so verträglich leben kann . Sie hatte z.B. eine ängstliche Sorgfalt für ihre Gesundheit , scheute den Zug , den Tau , und was dergleichen mehr ist . Als ich mich einst hierüber im entgegengesetzten Sinne vernehmen ließ , stellte sie mir sehr beredt die Pflicht dar , welche jeder habe , auf solche Weise über sich zu wachen . Ich fand diese bewußte Ansicht von der Sache nur noch egoistischer und schwächlicher , und hatte doch Unrecht . Denn wie verderben wir uns und anderen durch üble Laune die Tage , und wie selten entspringt sie aus geistigen Ursachen , wie viel öfter aus kleinen Indispositionen , welche meistens durch Regime zu meiden wären ! Wie hindern oder zerstören Krankheiten das Glück ganzer Familien ! Was begünstigt überhaupt mehr die Entwicklung eines harmonischen Lebensgangs , als das leichte , reine Gefühl , welches nur die Blüte vollkommener körperlicher Wohlfahrt sein kann ? In jenen Stimmungen und Verstimmungen lernte ich nun Medon kennen , welcher auf das Schloß kam , mir die erste Nachricht von dem Auffinden der teuren Reste des erschlagenen Freundes zu überbringen . Es wird nicht von mir erwartet werden , daß ich die Geschichte unserer Herzen , oder vielmehr des meinigen , denn das seine hatte leider keinen Anteil daran , novellistisch erzähle . Nur das muß ich sagen , daß die Herzogin Unrecht hatte , wenn sie in ihrem Briefe behauptete , die Sympathie des Mißvergnügens habe uns zusammengeführt . Nein , es war etwas anderes , etwas Höheres von meiner Seite . Medon gehörte zu den geistigen Ruinen , aber zu den mit aller Pracht üppiger Vegetation bewachsenen . Soll es denn einer arglosen Frau ewig verdacht werden , wenn sie der Duft und Glanz solcher Stauden und Blumen anzieht , wenn sie in ihrer Gutmütigkeit nicht zu ahnen vermag , daß unter diesen Reichtümern und Schönheiten der Abgrund laure ? Sein Name war mit Auszeichnung im Kriege genannt worden , das mußte ihm wohl zur Empfehlung bei mir gereichen , er brachte mir eine Nachricht , worin für mich ein trüber Trost über einen ungeheuren Verlust lag , wie konnte mein Herz noch einen Rückhalt gegen ihn haben ? Endlich , ich fand nach langem Darben jemand wieder , mit dem ich meine Sprache reden durfte . Ich habe beinahe zwei Jahre hindurch den Namen dieses Mannes getragen , und wer wird mir daher glauben , daß ich über seine frühere Geschichte , über seinen Charakter und seine Grundsätze nur Vermutungen zu geben weiß ? Das allein ist mir bekannt , daß ich durch ihn eine Zeitlang sehr elend geworden bin . Er war aus Franken gebürtig und von einem ehemaligen Jesuiten erzogen worden . Dieser Lehrer hatte ihm die ganze verschlagene Festigkeit seines Ordens zu eigen gemacht , und ihm in jungen Jahren schon den Grundsatz eingeimpft , daß der Zweck die Mittel heilige . Als Jüngling muß ihm etwas Schreckliches begegnet sein ; ich ahne , daß er eine Geliebte aus Unvorsichtigkeit getötet hat . Ein solches Mißgeschick mag auf den Menschen die zerstörendste Wirkung äußeren . Denn ein Verbrechen läßt sich durch Reue und Buße sühnen , aber wo findet der Beruhigung , welcher als blindes Werkzeug geheimer , gräßlicher Mächte sein Teuerstes vernichtete ? Die Sonne geht einer so belasteten Seele unter , und Frostnacht breitet über sie erstarrende Schatten aus . Er hat mehrere Monate in Wäldern und Felsklüften , dem Wilde gleich , verlebt , wie er mir selbst gestand . Welche Gedanken da sich seiner bemächtigt , weiß nur der finstere Geist des Felsens und des Waldes . Als der große Ruf der Freiheit durch Deutschland erscholl , klammerte er sich an die Hoffnung eines einigen Vaterlandes an , und diese wurde nun der Gott seines Busens . Seine tollkühne Tapferkeit im Kriege entsprang wohl aus dem Wünsche , zu sterben . Der Tod wurde ihm nicht und auch das einige Vaterland blieb nach dem Frieden aus . Ein tiefer Haß gegen alles Bestehende , worin er nur das Hemmnis einer besseren Ordnung der Dinge erblickte , bemächtigte sich seiner , um so gefährlicher und hartnäckiger , als dieser Gesinnung jede Leidenschaftlichkeit abging . Viele sind in jenen Tagen gegen Fürsten und Machthaber stürmisch und drangvoll zu Felde gezogen , sie trugen das Panier ihrer Vorsätze im Antlitz ; Medon schien dagegen mit allen Einrichtungen der Gewalt zufrieden zu sein . Er gehörte zu den kalten Fanatikern . Diese vermögen , wenn die Umstände sie begünstigen , etwas auszurichten . Denn die Dinge , welche auf solchen Gefilden erstrebt werden , entstehen nicht durch die Begeisterung , sondern durch den Kalkül . Eine kurze Zeit hat er sich in dem damals aufkommenden geheimen Bundeswesen versucht . Wie diese unzulänglichen Intrigen nach Jahren entdeckt wurden und zum Schreck vieler , dem im öffentlichen Ansehen fest wurzelnden Manne das Gebäude seines künstlich - errungenen Zustandes zertrümmerten , ist in den Büchern unserer Geschichten erzählt . Lange wirkte dieser Sturz im gesellschaftlichen Leben der großen Stadt nach ; niemand hielt sich im Verkehr mit anderen mehr sicher . Ein Geist , wie Medon , mußte aber sehr bald einsehen , daß sich mit Studenten nichts durchsetzen läßt , und daß überhaupt Verschwörungen nie die Beschaffenheit der Dinge , sondern immer nur ihre Oberfläche , und auch diese meistens nur vorübergehend ändern . Er gab daher alles derartige Tun und Treiben auf , sagte sich von den Häuptern und Gliedern los , und folgte dem Strome , mit welchem zu schiffen jeder gute ruhige Bürger verpflichtet ist . Sein Name , seine Kenntnisse , seine Persönlichkeit führten ihn in vorteilhafter Art bei den Machthabern ein ; es dauerte nicht lange , so war der Grund zu der glänzenden Existenz gelegt , welche unser Autor beschrieben hat . Indem ich nun darangehen soll , die Fäden , welche das Gewebe seiner Handlungsweise zusammensetzen halfen , aufzudrehen , fehlen mir fast die Worte , um das Verhältnis von Kette und Einschlag richtig darzustellen . Ein Wahn , ein Irrstreben der schlimmsten Art entbehrt vielleicht schon seiner Natur nach der eigentlichen Gestalt , des dichten Zusammenhangs , welchen ihm die schildernde Feder gibt . Nur in Träumen und abgerissen - flatternden Momenten mag der so arg Fehlende sich seines Systems bewußt werden . Ich bitte daher den Schatten des Dahingegangenen zum voraus um Verzeihung , wenn die Armut der Sprache mich zu bestimmteren Ausdrücken zwingt , als wie sie der Sache eigentlich gemäß sind . In den Geschichten der Revolutionen , namentlich in denen der französischen wird zuweilen das Wort : Pessimismus , gebraucht . Es bedeutet das Streben der Faktionen , durch künstliche Hervorbringung eines allerschlechtesten Zustandes die Menschen in eine Wut zu stürzen , welche sie blindlings den Planen der Bösen zutreibt . Die Mittel , deren man sich bei diesem furchtbaren Verfahren bedient , sind mannigfaltig , jedoch laufen die meisten darauf hinaus , daß man entweder die Gegner zu unbedachten Schritten zu bringen weiß , oder selbst den Schein feindlicher Operationen erzeugt , oder durch gemachten Mangel der ersten Lebensbedürfnisse Kummer und Not unter die Menschen wirft . Ich weiß nicht anders mich auszudrücken , als : Medon hatte sich vorgesetzt , ein Pessimist in deutschem Sinne zu sein . Voll von dem ätzenden Gefühle , daß die öffentlichen Einrichtungen Deutschlands im Widerspruche mit einer schönen , freien , großen Entwicklung seien , hielt er dafür , daß der Weg zu einer Erneuung unseres Lebens durch das Labyrinth einer vollkommenen Anarchie gehe , und daß dahin nur eine Zersetzung aller moralischen Bande , welche uns zusammenhalten , die er aber für morsch ansah , führen könne . Ob er allein , von jeder Verbindung mit anderen gesondert , in dieser entsetzlichen Täuschung einen abenteuerlichen Plan ausgesonnen hat , ob mehrere Teilnehmer einer solchen Verkehrtheit gewesen sind , ich weiß es nicht . So viel ist mir aber klar geworden , daß seine Ratschläge , seine Einwirkungen auf hochstehende Personen verwendet wurden , um unheilvolle Maßregeln hervorzubringen , welche unsere allerdings zweideutigen Verhältnisse in eine nur noch tiefere Zweideutigkeit und Halbheit senken sollten , Maßregeln , welche er mit großem Geschicke und vielem Scheine als nützliche , kluge , billige , darzustellen wußte . Und in dieser Absicht regte er auch besonders junge Leute auf , sich zu überheben , die ihnen gezogenen Schranken zu verkennen , natürliche , ihnen gemäße Lebenslose mißzuschätzen , so sich innerlich zugrunde zu richten , und sich zu einem gärenden Stoffe der Zeit zuzubereiten . Das war endlich der Grund , warum er Hermann in so törichte Pfade verlockte . Auch er sollte ein Opfer dieser Künste werden , die Herde der Mißvergnügten , Zerstörten mehren . Ach , mir entsinkt die Feder ! Ich habe das dunkle Bild entworfen , erlaßt mir , es auszumalen ! Nur so viel noch . Seine eigenen Andeutungen und einige Blätter , welche er mir in ausforschender Absicht , wie ein Spiel des Witzes , übergab , liehen mir die Züge dar . Die Schrift war nach Art und in der Form des " Fürsten " abgefaßt , und hieß : " Das Volk " . Er hatte , wie Machiavelli , darin eine finstere Theorie nach allen Richtungen kapitelweise behandelt . Genug ! Genug ! - O , und doch ist das Schlimmste noch zurück ! - Wirst du es denn glauben , junge arglose Seele , die du diese Bekenntnisse liest , daß wir unsere Brust , heißer Liebe voll , an die Brust eines Mannes legen , und daß er , kalt berechnend , während der Umarmung uns zu einem Hebel in dem Getriebe seiner Entwürfe , zu einem Werkzeuge ausersehen kann ? Es ist fürchterlich , sich an dem Gefühle einer Frau zu versündigen , denn der Frevler tötet darin ihren Gott ! - Tausendmal ist es gesagt worden : Wir haben nichts als die Liebe , aber es geht damit , wie mit allen uralten Wahrheiten ; niemand achtet ihrer . Zwar merkte ich an Medon , als es ihm gelungen war , mein Herz zu überwältigen , oft eine gewisse Unruhe , ein Zerstreutsein , was wie Kälte aussah , aber ich schob diese Dinge auf Verwicklungen , aus früherer Zeit herrührend , auf das Unbehagen , welches auch ihm das Haus des Herzogs erregte , auf momentane Stimmungen , auf das Gefühl des Nichtbefriedigtseins endlich , wovon ausgezeichnete Menschen immer von Zeit zu Zeit heimgesucht werden . Wie hätte ich in meiner Hingebung und bräutlichen Trunkenheit die Wahrheit ahnen können ? Aber als wir die Ringe gewechselt hatten , als ich sein Haus teilte , und nun Einrichtungen getroffen wurden , welche auf die Absicht einer Sonderung aller Lebensverhältnisse schließen machten , als er sein Zutraun still und höflich zurückzog , die Zeichen und Beweise freundlicher Neigung immer sparsamer und erzwungener wurden , überhaupt unsere Ehe nach und nach die Gestalt eines gewöhnlichen Konvenienzbündnisses unter abgeflachten Personen der höchsten Stände annahm , ohne daß von meiner Seite diese Wandlung durch etwas anderes verschuldet war , als durch wachsende Innigkeit , und steigende Sehnsucht , im Hause mein Alles zu finden , da befiel mich ein Grauen , ich fing an zu argwöhnen , daß ich schwer hintergangen sei , und fühlte die Notwendigkeit , einem schlimmen Geheimnisse auf die Spur zu kommen . Was mich am meisten erschreckte , war die Art , wie Medon sich gegen mich vor anderen benahm . Unsere Zimmer hatten sich nach und nach mit den bekanntesten Personen der Hauptstadt gefüllt , ein glänzender Kreis umgab uns , der mir wohlwollend und achtungsvoll begegnete . Medon erschöpfte sich vor diesen Zeugen in Aufmerksamkeiten gegen mich . Aber sobald die Menschen uns verließen , sobald die Kerzen ausgelöscht wurden , verschwand auch er , und barg sich in seinen Gemächern . Ich hatte mir anfangs vorgenommen , ihn zu beobachten , insgeheim zu forschen und den Falten seiner Seele nachzuspüren . Bald aber verwarf ich diese kleinlichen Mittel als meiner unwürdig , und erkannte , auf welche Weise es sich einzig und allein für mich zieme , in dieser Sache zu verfahren . Eines Tages , da ich mich ruhig genug glaubte , erklärte ich Medon zwar mit zitternder Stimme , aber durchaus fest und gesammelt in mir , daß mich sein Wesen befremde , daß es nicht das eines Gatten sei , und daß er mir die Wahrheit zu sagen habe , welche ich sofort , ganz , im unumwundensten Geständnisse von ihm verlange . Die Kraft der Unschuld und des Rechts muß wohl sehr groß sein , da sie selbst das schwache Weib zur Meisterin des starken Mannes macht . Medon , der sonst jeglichem standhalten konnte , wurde durch meine Anrede überwunden . Zwar versuchte er , mir in ausweichenden Antworten zu entgehen , als ich ihm aber erklärte , daß ich diese verwerfe , vielmehr fordre , er solle seine Pflicht erfüllen , und als meine Augen , welchen die himmlischen Helfer in dieser schweren Stunde weichliche Tränen fernhielten , nicht abließen , ihm , der unruhig hin und her ging , zu folgen , so brach seine Fassung zusammen . Er stürzte mir zu Füßen , barg die errötenden Wangen in meinen Händen , und stammelte , so demütig niedergebeugt , seine Bekenntnisse . Er gestand mir , daß er mich nie geliebt habe , daß er überhaupt keine Frau werde lieben können , weil sein Haupt gänzlich von dem öffentlichen Interesse eingenommen sei , daß er allerhand Plane mit den Menschen verfolge , daß er aber eingesehen habe , wie niemand selbständig auf viele wirken könne , der nicht ein Haus mache , weil jeder ledige Mann über kurz oder lang aus dem Mittelpunkte der Beziehungen an die Peripherie gerate , zum Anhing fremder Verhältnisse werde . " Unglücklicher ! " rief ich vorahnend aus , " und deshalb bedurftest du einer Frau , um deren Sofa sich die Gäste versammeln sollten , die ihnen den Tee einzuschenken bestimmt war , du mußtest eine Wirtin für dein Intrigenstück haben . Und so hast du kalt und lauernd mit meinem Herzen gespielt , betrügerischen Glimmer für mein reines Gold gezahlt , welches ich dir aus überströmender Fülle verschwenderisch hinschüttete ! Hast mich mir selbst entfremdet , nicht aus Leidenschaft , nein , wie der Vogelsteller mit süßgiftigem Tone die Nachtigall aus ihrer grünen Laubzelle in seine Netze lockt ! " Er konnte nichts erwidern und nickte nur seine schweigende Bejahung , dann ging er still und gebückt , ohne die Augen vor mir aufzuschlagen . Bald erhielt ich einige Zeilen von ihm , worin er mir sagte , daß , nach dem , was ich nun wisse , er keine Macht mehr über mich haben wolle , und daß es von mir abhange , unser Verhältnis aufzulösen . Ich antwortete ihm darauf , daß man die Frauen in Europa nicht so von Tag zu Tage nehme und entlasse , daß ich überlegen und zu seiner Zeit das Nötige beschließen werde , daß aber vorderhand unsere Scheinehe fortdauern müsse . Diese Entdeckungen waren kurz vor Hermanns Ankunft geschehen . Es hatte sich eine dunkle Nacht über mich und mein Leben ausgebreitet . Seine Erscheinung war der erste Lichtstrahl in dieser Finsternis , sie gab mir wieder die Möglichkeit einer Hoffnung , einer Zukunft . Ich glaube , daß ich nur durch ihn die Stärke zu dem Entschluss gewonnen habe , den ich nachmals ausführte , als Medon bei der herannahenden Gefahr mich in seine Irrbahn wieder mit fortreißen wollte ; mein Geschick nämlich von dem seinigen durch rasche Flucht für immer abzusondern . Hier schließe ich . So kann eine Frau für die edelsten Regungen büßen . Und von solchem Falle kann sie wieder erstehn . In der freudigen Rührung , die mich immer ergreift , wenn ich meines gewendeten Schicksals denke , werde auch dem Verirrten ein entschuldigendes Wort nachgerufen . Er schläft fern in dem fremden Lande , jenseits des Weltmeeres . Klima und Kummer zehrten ihn dort auf , nachdem seine phantastischen Verbrechen hier gescheitert waren . Er hat schwer gefehlt , es ist wahr . So übel stehen unsere Angelegenheiten nicht , wie er sich einbildete , und seine Denkungsweise war übler , als das Übelste . Aber man erwäge , daß vieles bei uns zusammentrifft , gerade die lebendigen , strebsamen Geister in unheilbaren Trübsinn zu versenken , aus welchem denn auch wohl Frevel der seltensten Art hervorgehen können . 9. Der Herausgeber an den Arzt IX . Der Herausgeber an den Arzt Sie haben mir durch die Mitteilung der beiden Bekenntnisse große Freude bereitet . Diese Frauen stellen gewissermaßen die Pole der weiblichen Natur dar . Die eine zieht sich keusch in ihr Innerliches zurück und steigert sich bis zu einer krankhaften Zartheit , welche freilich die nächsten Verhältnisse zerstört , ihre Umgebungen unglücklich macht . Die andere , mit heiteren Sinnen gegen die Welt gewendet , wird Patriotin aus Lebhaftigkeit . Besonders anmutig erscheint mir Johanna , und es ist gar lieb und schön , wie sie das scheinbar der Frau ganz Widerstrebende in ihrer weichen Brust verarbeitet . Amor , mit den Waffen des Mars spielend , ist ein reizendes Bild , und ähnlich dem Eindrucke , den diese Zusammenstellung erregt , ist die Empfindung , die man hat , wenn man ihre weißen , feinen , schmalen Hände ( bekanntlich die schönsten , welche Gott je in seiner besten Laune einer Frau gegeben ) mit den strengen , geschichtlichen , politischen Begriffen gebaren sieht . Daß sie eine Zeitlang ein Opfer ihrer geistigen Weite und Freiheit werden konnte , ist ebenso tragisch , als anziehend . Der Briefwechsel , wenn er ein wahrer ist , vertritt die Stelle des Gesprächs , und dieses besteht aus Rede und Gegenrede . Lassen Sie mich Ihnen also erzählen , was Sie , damals von * entfernt , nicht so genau wissen können ; wie nämlich Johanna sich herstellte . Der Krieg ist nicht so schlimm , als seine Folgen es sind . Man könnte , wenn man Lust an auffallenden Reden hat , sagen : der Krieg mordet erst im Frieden . Außerordentliche Kräfte ruft er hervor , und in denen , welche die Kugel des Feindes nicht trifft , regt er unendliche Erwartungen an . Wie sollten diese auch geringer sein , da jeder ein Unendliches , das Leben , auf das Spiel zu setzen gewohnt war ? Nun können aber jene Erwartungen auch nicht im entferntesten befriedigt werden ; der schleppende Gang der wieder eintretenden Gewöhnlichkeit hemmt die Seelen und ist doch nicht imstande , sie zu fesseln , dadurch entsteht in feurigen Geistern eine Art von Verzweiflung ohne Gegenstand , welche manchen hinrafft , ohne daß sich eine äußere Ursache entdecken läßt . So viel ist gewiß , die eigentlichen Helden einer denkwürdigen Periode überleben sie selten lange . Zu den Opfern des Krieges im Frieden gehörte unser alter würdiger Freund , der General . Auf seinem Rosse , kühner Reiter , verwegener Reiterführer , war ihm das Leben in jenen unruhigen Zeiten ein tägliches Glücksspiel gewesen . Wo sich ein Widerstand gegen den Unterdrücker auftat , hatte sein Degen geblitzt , so gingen ihm zehn Jahre in der beständigen Abwechslung der Schlachten und Belagerungen , der Nachtuend Tagemärsche hin . Seine Locken waren sparsam geworden und erbleicht , aber seine Augen scharf geblieben , als die letzten Donner des großen Völkergewitters in Paris verhallten . Nun kehrte er zurück , Lorbeeren auf dem Haupte , Orden auf der Brust , im Munde des Volks als einer der unermüdlichsten Streiter hoch emporgetragen . Aber wie es zu gehen pflegt , die Menge vergißt sehr bald ihre Begeisterung und erinnert sich derselben erst wieder bei dem Leichenbegängnisse , und die Machthaber werden von großen Verdiensten , die nicht ganz in der Stille geblieben sind , immer nur belästigt . Man lobte ihn , ließ es an leeren Auszeichnungen nicht fehlen , in den wesentlichen Dingen aber fing man binnen kurzem an , ihn zu vernachlässigen . Er wurde so umhergestoßen , wo es eigentlich nichts zu tun gab , endlich schob man ihn sacht beiseite . Der alte feurige Mann wurde nicht sobald dieser gesetzlichen Unbilden inne , als ihn ein tiefer Verdruß ergriff . Zu stolz , sich zu beschweren , schlang er den Ingrimm hinunter , und zehrte dadurch nur noch mehr an seiner Seele . Von Stufe zu Stufe im Mißmute versinkend , hatte er zuletzt weder Hoffnung , noch Aussicht vor sich , und fühlte diesen trostlosen Zustand um so herber , als ein beschäftigtes , zerstreutes Leben ihm die allgemeinen Hilfsmittel , wodurch sich sonst der geschlagene Mensch aufrichtet , nicht zugänglich gemacht hatte . Er verzagte an sich und an dem Vaterlande , und war in dieser trüben Stimmung im Begriff , seinen Abschied zu fordern , und die reinerhaltene , tapfere Kraft als Mietling irgendwo zu vergeuden . Damals kamen Johanna und die Herzogin nach der Hauptstadt , von Ihnen zur Heilung bedenklicher Nervenleiden dorthin gesendet . Nur mit Widerstreben hatte Johanna Ihrem Befehle gehorcht , sie scheute sich , den Ort aufs neue zu betreten , der so manche traurige Erinnerung in ihr weckte . Sie mied Gesellschaften , und konnte selbst von dem Anblicke ehemaliger Freunde schmerzlich berührt werden . Die Herzogin hielt sich ebenso zurückgezogen , man sah beide Frauen nur auf einsamen Spaziergängen , doch auch dort von dem Auge der Neugier beobachtet . Eines Tages konnte ihnen der General , der auch fern von den Menschen zu wandern liebte , einen Dienst leisten . Er empfing den artigen Dank der Damen und versetzte , Johanna scharf ins Auge fassend , daß , wenn ihm Dank für die unbedeutende Gefälligkeit werden solle , er ihn nur darin zu finden wünsche , daß er sie nicht zum letzten Male gesehen habe . Er sprach dies mit der Galanterie eines alten Manns , aber kurz , trocken , soldatisch . Sie , der alle solche Töne zum Herzen dringen , antwortete ebenso entschieden , er möge nur kommen , sie werde sich nicht vor ihm verleugnen lassen . Dem ersten Besuche folgte der zweite , diesem der dritte usw . Aus kurzen Zusammenkünften wurden lange , aus Gesprächen allgemeinen Inhalts vertrauliche Unterredungen . Sie kam dem feurigen Greise mit der Unbefangenheit einer Tochter entgegen , er lebte in ihr , in ihrem adligen , glänzenden Wesen ein neues Leben . Dennoch blieb er seinem Vorsatze getreu , und entdeckte ihr in einer hingebungsvollen Stunde , daß er entschlossen sei , dem Vaterlande den Rücken zu wenden . Als sie das Nähere von ihm erfahren , und gehört hat , wie dieser edle Charakter mit sich , seiner Jugend und seinen Erinnerungen uneins zu werden im Begriff stehe , ist sie in eine große Bestürzung verfallen , und weder Bitten , noch Tränen sind gespart worden , den verehrten Helden von seinem Vorsatze abzubringen . Er bleibt indessen fest , und fragt bitter , was ihn denn eigentlich in diesem Staate halten solle , wo man seiner nicht mehr bedürfe ? - " Ihre Taten , Ihre Ehre , Sie selbst " , versetzte Johanna . " Die Taten sind getan , meine Ehre nehme ich überall mit hin , und was mich selbst betrifft , so weiß ich kaum , wenn ich die jetzigen Emporkömmlinge betrachte , ob ich der nämliche noch bin , von dem man einmal geredet hat . " - Er geht bis zur Türe , dann wendet er sich , und sagt mit niedergeschlagenen Augen , aber festem Tone : " Es gibt ein einziges , was mich an diesen undankbaren Boden fesseln könnte , und das wäre , wenn Sie , Johanna , sich entschließen möchten , die Tage eines alten Soldaten zu teilen . Meine Seele würde dann eine Beruhigung finden , und die Ungerechtigkeiten zu ertragen vermögen , unter welchen sie jetzt daniedersinkt . " - Ohne eine Antwort abzuwarten , verläßt er rasch das Zimmer . Am anderen Morgen empfängt er einen Brief von ihr , worin sie ihm sagt , daß sie keine Leidenschaft für ihn empfinde , aber ihm herzlich ergeben sei , daß sie überhaupt vielleicht nicht mehr in dem Sinne zu lieben imstande sei , wie die Welt dieses Wort nehme , am wenigsten einen Jüngling , daß ihr ganzes Wesen vielmehr seine Erfüllung nur in einem zweiten , reichen , gehaltvollen , durchgeprüften Leben finden könne . Wenn ihm diese Geständnisse genügten , so sei sie die Seine , sobald eine natürliche Lösung ihres früheren Verhältnisses eintrete , denn zu öffentlichen Schritten gegen Medon könne sie sich nicht verstehen . Vor allen Dingen aber habe er zu bleiben und zu haften am Herde seiner Väter und Fürsten . Der alte Held war überglücklich durch diese Zeilen . Er eilte zu ihr , versicherte ihr , daß sie ihm sein Dasein zurückgegeben habe , und daß er nicht mehr an seinen Vagabunden - Einfall denke . Sie habe über die Gestaltung der Zukunft allein zu bestimmen . Hierauf haben beide die Entwicklung der Dinge ruhig abgewartet . Medons Tod machte endlich Johannen frei , und nachdem die Erschütterung , welche dieses Begebnis in ihr erregen mußte , überstanden war , reichte sie dem Generale ihre Hand . Ihre Seele wurde dadurch völlig hergestellt , ihr Schicksal gesichert . Kein schönerer Anblick , als die beiden hohen Gestalten , die eine unter dem Schnee des Alters blühend , die andere in reifer Fülle prangend , nebeneinander zu sehen . Die liebenswürdige Patriotin hat als Frau ihre Lebensaufgabe gelöst ; indem sie einem verdienten Feldherrn häusliches Behagen gab , erhielt sie ihn bei seiner Pflicht , und leistete dadurch dem Gemeinwesen selbst einen Dienst . Er , sobald er nur wieder fröhlicher und mitteilender wurde , auch von neuem bemerkt , erlebte es , daß man ihn bei einigen Gelegenheiten , die dem Kriege ähnlich sahen , und wo " die hohlen Namen und die Figuranten " es nicht tun wollten , hervorsuchen mußte . Die Scham , welche zuweilen die Menschen ergreift , wenn sie ihrer Verschuldungen sich bewußt werden , brachte es hierauf dahin , daß seine Stellung in der ehrenvollsten Weise geordnet wurde . An seiner Gemahlin hängt er mit der eifersüchtigen Zärtlichkeit eines Liebhabers , und daß an der Seite einer schönen vielumworbenen Frau seine Empfindung etwas von der des Danville hat gibt dem Bündnisse nur noch einen Reiz mehr . Nun aber möchte ich von Ihnen wieder allerhand wissen . Ich müßte mich sehr täuschen , oder Sie denken über den Geistlichen und dessen Verfahren etwas anders , als die gute , fromme Herzogin . Wie erklären Sie ihre Phantasmen , besonders das auf dem Hügel ? Was vermochte sie , an Hermann den harten Brief zu schreiben ? Ließen Sie sich zugleich bewegen , in die Geschichte des Herzogs und Hermanns einzugehen , auch über sich das Nötige beizubringen , so rundeten sich diese Mitteilungen allgemach aus . Die Flut der Offenherzigkeit ist einmal hereingebrochen , das Dämmen hilft doch nichts mehr , lassen Sie sie ungehindert und ganz strömen . 10. Der Arzt an den Herausgeber X . Der Arzt an den Herausgeber Ja freilich habe ich eine von der Verehrung unserer lieben Kränklichen verschiedene Meinung über den sauberen Heiligen und Priester , der die arme Frau beinahe in das Erbbegräbnis geliefert hätte . Zuvörderst muß ich über ihn anführen , daß der lose Vogel keineswegs so frisch , wie ein neugeborenes Kind nach Rom gelangte , was man aus seiner Erzählung von dem hölzernen Herrgottswunder , erlebt im Kloster , man weiß selbst nicht recht , wo ? heraushören soll . Vielmehr hatte derselbe zu seiner Zeit , wie man zu sagen pflegt , nichts verbrennen lassen , und die Ehemänner wußten von ihm zu erzählen . Dazwischen war denn allerhand Ästhetik getrieben worden , so daß der ganze Kerl nicht viel über fünfundsiebenzig Pfund wog , als er durch die Porta del Popolo seinen Einzug hielt . Dort über den Sieben Hügeln vollendete der Katholizismus , was die Liederlichkeit angefangen hatte , und brachte ihn einer Nervenschwindsucht nahe , vor welcher ihn ein wackerer deutscher Arzt nur mit Mühe durch die sorgfältigste Kur bewahrte . Sein Geist aber ging unrettbar unter in leistenartigen und sozusagen klebrigen Begriffen . Ob er ein elfenbeinernes Christusbild in einem groben hölzernen Futterale entdeckt , oder dies dem Hermann nur vorgelogen hat , um seine sogenannte Bekehrung nazarenisch aufzustutzen , weiß ich nicht ; ich würde mich aber jedenfalls schämen , von einer solchen groben Handgreiflichkeit meine Wiedergeburt zu datieren . Mir ist alle bewußte und sich vortragende Religiosität in der Gegenwart ein Greuel , denn sie tritt , wo sie sich zeigt , aus dem Rahmen der Kirche , welcher sie angehören will . Sie entbehrt sonach des einzigen Zusammenhangs , durch welchen sie sich als echt beglaubigen könnte . Es gab oder es gibt wenigstens jetzt durchaus keine andere aufrichtig - fromme Menschen , als die es unwillkürlich , und ohne viel Wesen davon zu machen , sind . Wie mich der Anblick des Siechlings , der sich denn auch , um die Sache bis zur Spitze zu treiben , die Tonsur hatte scheren lassen , anwiderte , da ich das Schloß betrat ! - Ich erwartete gleich wenig Gutes von ihm . Dieser unglückselige Mensch hatte sich nach und nach gewöhnt , alles in der Welt unter der Verknüpfung von Schuld und Buße anzusehen , und sich so die große , grenzenlose Mannigfaltigkeit , welche durchaus verlangt , daß man vieles mit leichtem Blicke als gleichgültig und läßlich betrachte , in einen grauen , ekelhaften Brei zusammengerührt , von dem zu dieser Stunde eine Kelle voll als Schuld , und zu der nächsten eine zweite als Buße einzunehmen sei . Die natürlichen Folgen , die zufälligen Ereignisse waren für ihn nicht mehr vorhanden , in jedem Zahn- und Kopfschmerz sah er ein göttliches Strafgericht . Daß ein solcher devoter Taugenichts bei Gelegenheit , wenn es eben an Sünde gebricht , auch wohl darauf ausgehen kann , selbige künstlich zu verfertigen , um wieder Stoff für die Pönitenzmühle zu liefern , haben Sie in seinem Verhalten gegen Hermann , was ziemlich nach Kuppelei schmeckt , richtig geschildert , obgleich Sie sonst den Patron viel zu milde behandeln . Ihm fiel die arme Schwache in die Krallen , als sie sich mit ihren erträumten Gewissenslasten im stillen plagte . Bei Durchlesung und Vergleichung der beiden Bekenntnisse habe ich gefühlt , daß eine , um mich des Ausdrucks zu bedienen , robuste Sittlichkeit diejenige ist , welche uns zu unserer und anderer Freude durch das Leben geleitet . Auch die Tugend kann kränkeln , scheinbar in ihrer höchsten Blüte vorhanden sein , gleichwohl aber das Geschöpf von einem Irrtume in den anderen jagen . Was ist es mehr , daß eine junge verheiratete Frau einige Augenblicke an einen jungen Mann mit größerem Interesse denkt , als an den Gemahl , und wie bald heilen Entfernung , Pflicht und Verhältnisse solche leichte Seelenwunden aus ! Sie zu einem Gegenstande ängstlicher Betrachtung machen , heißt aber , nach und nach dahin arbeiten , unter lauter Pflichterfüllungen , guten Werken und Andachtsübungen Gatten und Haus aufzugeben . Doch trägt die Hauptschuld an der ganzen Wendung der Dinge der Neophyttische Priester . Wäre er , wie ein unschuldiger Mann und Diener Gottes es getan hätte , tröstend und beruhigend zu der schönen Selbstquälerin getreten , so würde sie sich in seinem Zuspruch bald ausgeheilt haben . So aber stürzte er sich auf ihr wundes Gemüt , wie der Geier auf die Beute , und es ist nicht zu beschreiben , mit welcher kasuistischen Grausamkeit er ihr Inneres zerlegt , der fiebernden Einbildungskraft Schrecknisse aus dem ganzen Gebiete der Möglichkeit vorgeführt , und sie so völlig mit sich uneins , verworren und elend gemacht hat . Unsere Bestürzung können Sie sich denken . Ohne daß irgend etwas vorgefallen war , floh uns , verbarg sich vor uns die geliebte Herrin , welche als belebende Sonne unseren Kreis erwärmt hatte . Das ganze Hauswesen des Schlosses neigte sich einer Auflösung entgegen , denn die Frau bleibt ja immer und ewig die innerste Seele aller der gemütlich - traulichen Beziehungen , welche verschiedene Menschen zwischen vier Mauern zusammenhalten . Der Jammer des Herzogs war groß . Die Liebe zu seiner Gemahlin war vielleicht der einzige recht menschliche Punkt an ihm , da er sonst freilich wohl nur aus Aristokratie und Repräsentation bestand . Nun behandelte ihn diese angebetete Frau mit Kälte , die zuletzt in einen unverhüllten finsteren Widerwillen ausging . Nach und nach konnte ich mir aus einzelnen Symptomen wohl zusammensetzen , daß der junge Fremde an den Gewissensskrupeln der Herzogin schuld sein möge , und in einer unvorsichtigen Stunde , in der guten Absicht , mit dem Gemahle einen vernünftigen Heilplan festzusetzen , entdeckte ich ihm meine Vermutung , welcher ich jedoch die Beteuerung hinzufügte , daß ich fest , wie von meinem Leben , von der völligen Vorwurfslosigkeit der Büßenden überzeugt sei , und das Ganze nur für eine Folge überstrenger Begriffe halte . Ich hatte aber diese Mitteilung zu bereuen . Denn er , nach seiner Sinnesweise vermutlich unfähig , eine Pein um nichts zu begreifen , ließ mich durch seine schwermütigen Blicke , seine verfallenden Züge , seine gebeugte Haltung schließen , daß er mehr , daß er wahre Fehltritte argwöhnte . Alle Versuche , die Schmarotzerpflanze von dem schönen , schlanken Stamme , an welchem sie sich festgesogen , abzureißen , wurden mit konvulsivischer Heftigkeit zurückgewiesen . Meine Mittel nahm die Kranke , aber was konnten die helfen ? Das beste wäre gewesen , dem geschäftigen Seelsorger eine Dosis Bilsenkraut einzugeben , wozu ich nicht selten , Gott verzeihe mir die Sünde ! bei mir die stille Anwandlung verspürte . Denn wer mir an das Heiligste und Wunderbarste , an den menschlichen Leib , die frevelnde Hand legt , der greift als Feind in des Arztes Gebiet , den hasse ich bis in den Tod . Da nun aber eine Vergiftung sich doch für mich nicht wohl schickte , so ersann ich ein anderes , nämlich ein Abführungsmittel . Es war mir bekannt , daß der Oberhirt der Diözese , seine und seiner Kirche Stellung mit Klarheit überschauend , und wohl wissend , daß dem Katholizismus nur noch durch eine heitere Verständigkeit zu helfen ist , trübliche Fanatiker durchaus nicht liebte , und alle Versuche , eine gemachte Devotion und Rigorosität früherer Zeiten wieder hervorzubringen , bei jeder Gelegenheit streng zurückgewiesen hatte . Hierauf mich verlassend , und mit raschem Entschluß meinen Polacken besteigend , war ich nach einem tollen schweißtriefenden Ritt in der Metropole . Im Offizialate angelangt , ließ ich mich zu einem der ehrwürdigen Herrn führen , von dessen derbem naturfrischem Wesen ich viel gehört hatte . Ich fand ihn , seltsam genug , in einer kahlen Arbeitszelle , die kurze Pfeife im Munde , hinter der Flasche und dem grünen Weinrömer , Akten lesend . " Wundern Sie sich nicht " , rief er mir mit heiserem Lachen entgegen , indem er eine dicke Rauchwolke von sich blies , und den Römer füllte , " mich unter solchem Rüstzeuge zu finden ! Den Arbeitern im Weinberge des Herrn wird oft schwach zumute , und sie bedürfen dann leiblicher Erstarkung . " Ich versetzte , daß gerade diese Umgebung mir Mut mache , mein Anliegen vorzutragen , weil ich ihn für einen von denen halte , welche den Herrn in Freudigkeit suchten ; eröffnete ihm darauf , ich sei Doktor und der Leibarzt der Herzogin von * . Die Dame kranke , meine Kur könne aber nicht anschlagen , weil ein anderer , ein Seelendoktor entgegenoperiere . Wie es nun ein Gesetz der Stereometrie sei , daß , wo ein Körper , sich kein zweiter befinden könne , so gelte ein Ähnliches auch in der Medizin , und deshalb wolle ich ihn , als Beisitzer der höchsten geistlichen Behörde , um abhilfliche Maßnahmen angehen . Das Sokratesgesicht verzog sich wieder zu einem faunischen Lachen , er schürzte seine Nasenflügel empor und fragte ungefähr mit den Worten des Patriarchen im " Nathan " ( obgleich diesem im Gemüte ganz unähnlich ) : " Ist solches ein Problema , oder ein wirklicher Kasus ? " Ich erzählte ihm darauf , was ich wußte , und wie ich nun aus dem Memoire ersehe , die Sache bis auf Nebenumstände ziemlich richtig und vollständig . Der alte rechtschaffene Mann , dessen treuer Wandel nach den Geboten Gottes und nach dem Beispiele der Heiligen allgemein bekannt war , ließ mich kaum zu Ende reden , warf seine kurze Pfeife auf den Boden , daß der Kopf zerbrach , und rief in Selbstvergessenheit : " Den soll ja der Teufel holen ! " Darauf sich kreuzigend und den verpönten Fluch mit üblichem Spruche bereuend , fügte er hinzu : " Zu solcher Sünde hat mich der Zorneifer fortgerissen . Doch nur Geduld , es ist gerade eine Stelle in der wilden Eifel offen , wo er unter den Haferbauern seine Künste versuchen mag . Ihr Herzog hat ihn zwar zu seinem Hauskaplane gemacht , da er aber zugleich die Pfarrei des Orts versieht , so ist er unserer Gewalt unterworfen . Er soll in Bälde versetzt werden . " Nach einigen Gesprächen wurde ich mit dem derben Alten ganz vertraut . " Diese neumodischen , aufgespreizten Überläufer geben uns viel zu tun " , sagte er . " Sie wollen uns Alten vorbeirennen , es immer besser machen , als gut , damit nur ja niemand an der Aufrichtigkeit ihrer Gesinnung zweifle , und bringen solchergestalt manche Unruhe zuwege . Sie laufen umher , stänkern , rühren den Dreck , mengen allerhand Subtilitäten in das Dogma , verfälschen dadurch selbiges , und verführen eine Quälerei und Deutelei , davon unsere Kirche gar nichts weiß , noch wissen will . Wir müssen jetzt dahin streben . Geistliche zu bekommen , die alert , aufgeweckt , sich helfen können , und nicht , wie leider Gottes bis jetzt der Fall war , als Dummerjane neben den protestantischen Predigern stehen . " Ich konnte mein Erstaunen über diese Freimütigkeit nicht bergen und er fuhr fort : " Das ist auch so ein alter abgenutzter geistlicher Kniff , über alles hinter dem Berge zu halten , was vor jedermanns Augen offen daliegt . Ich für meine Person habe ihn in den Winkel geworfen , weil ich fest an den ewigen Bestand meiner Kirche glaube , ohne diese Gaukeleien . " Schon nach acht Tagen kam der Versetzungsbefehl aus dem Offizialate , der zwar große Bestürzung erregte , dem aber nach dem Grundsatze der Obedienz nicht widerstrebt werden mochte . Die Herzogin konnte dem Gewissensschärfer doch nicht auf sein Dörflein folgen , er mußte sich also damit begnügen , eine ausgearbeitete Heilsordnung zu hinterlassen , und wir sahen dem abziehenden Sykophanten mit stillem Jubel nach . Bei diesem Siege hätte ich mich beruhigen , ich hätte der Kraft der Zeit vertrauen und erwarten sollen , daß , wenn auch unsere Freundin nach der Entfernung des Priesters fortfuhr , zu beten und sich zu kasteien , diese Exaltation ohne einen immer gegenwärtigen Schürer und Anblaser allgemach erlöschen würde , zumal da der Nachfolger des Geistlichen ein durchaus mäßiger heiter denkender Mann war . Allein auch mich riß die Ungeduld , die uns allen jetzt so eigen ist , fort . Ich wollte das Übel mit Stumpf und Stiel ausrotten , und muß mich nun leider selbst eines recht törichten Streichs anklagen . Wie man Sturzbäder anwendet , um durch Erschütterung des ganzen Organismus eine Hauptkrisis zu bewirken , so wollte ich in diesem Falle von einem moralischen Sturzbade Gebrauch machen , durch welches ich zugleich das Luftbild , welches die Phantasie meiner Herrin quälte , auszulöschen , und der entnervenden Irrwirkung des Priesters entgegenzutreten hoffte . Ich ließ also - um kurz zu sein , denn warum soll ich etwas Schlimmes weitläufig hin und her wenden ? - die Herzogin durch dritte glaubwürdige Hand wissen , daß der junge Mann , den wir auf dem Schlosse beherbergt , eigentlich ein ziemlich lockerer Gesell gewesen sei , der ein verkleidetes Mädchen , mit welchem er schon eine Zeitlang gelebt , hier unter uns bei sich gehabt habe . So weit kann man , in Mißstimmungen und Willkürlichkeiten verloren , von der geraden Bahn abkommen . Der Erfolg meiner Torheit war keineswegs der beabsichtigte , sondern ein sehr trauriger . Ich wurde zur Herzogin berufen , welche , ausgestreckt auf dem Sofa , im furchtbarsten Krampfe lag . Nachdem die verzweifeltsten Mittel diesen gebrochen , entwickelten sich intermittierende Zufälle , welche monatelang anhielten , und das zarte Gebilde zu vernichten drohten . Mein Zustand war schrecklich . Ich rannte wie rasend durch Felder und Wälder , verweinte meine Nächte , verfluchte mich und meinen Unsinn . Die Schlaflosigkeiten , woran ich noch jetzt periodenweise leide , sind Nachwehen jener trauervollen Zeit . In einem freien Zwischenraume schrieb die Herzogin den Brief an Hermann und sandte ihm die Brieftasche zurück . Über das Phantasma auf dem Hügel habe ich selbst meine eigenen Gedanken gehabt . Soviel ist gewiß , es war der Hügel und die Stelle auf demselben , wo der Pfaff sich bestrebt hatte , in Hermann den Gedanken an einen Übertritt zur katholischen Kirche mit listigen Entzückungen zu erregen , und wo nachmals der Mordanfall auf den Oheim geschehen war . Empfängt die Erde einen Eindruck vom Frevel , daß der Ort , wo ein solcher geschah , vergiftet wird , und in einem dazu disponierten Gemüte Gedanken , die vom Rechten abirren , hervorzurufen vermag ? Seelisches und Körperliches stehen im engsten ununterscheidbarsten Zusammenhänge , Körper und Außenwelt wirken auf die Seele , trübe Luft , Steinkohlendämpfe erzeugen Niedergeschlagenheit und Mißmut , Sonnenschein , Gebirgsatmosphäre , Heiterkeit und Energie des Geistes . Ist es nun so ungereimt , anzunehmen , daß jene Wirkung , wie jede vollkommene , eine Wechselwirkung sei , daß auch die Seele ihrerseits , als höchst durchdringendes Fluidum , auf die Außenwelt Einfluß übe , und in ihren stärksten Äußerungen den Boden , diesen analog , zu imprägnieren vermöge ? Ja , wenn man konsequent denken , nicht bei Halbheiten stehenbleiben will , so kann man eigentlich nichts anderes annehmen . Freilich dürfte man jetzt nur erst als Hypothese hinwerfen , daß der gute Mensch die Luft und den Boden gesund mache , der böse und die böse Tat dagegen die Stelle verpeste , so daß den Tugendhaften dort ein Schauder , den Schwachen ein Gelüst zum Unerlaubten anwandle . Noch klingt dies barock und aberwitzig , nach hundert Jahren gehört es vielleicht zu den trivial gewordenen Sätzen . Sie haben schon im zweiten Buche des Volksglaubens erwähnt , welcher diese Dinge für wahr hält . Er spricht überall etwas Ähnliches aus . Wo ein Mord geschah , hat niemand sich gern angesiedelt , ist leicht wieder etwas Übles vorgefallen . Hebel singt vom dem Platze , wo der Michel , der vom bösen Jäger den Karfunkel empfing , sich den Hals abschnitt : es isch e Plätzli Neumen , es Gott nicht Ege no Pflug druf , Hurst an Hurst scho hundert Jahr und giftige Chrüter , es singt kei Trostle drin , kei Summervögeli bsuecht sie , breite Dusche hüte dort e zeichnete Chörper . Der Volksglaube ist aber für die Erkenntnis der natürlichen Dinge eine sehr wichtige Quelle , denn er ist das Unisono derjenigen Menschen , welche Augen und Ohren für sie haben , und nicht mit Reflexionen ihnen beikommen wollen . Es tut mir leid , daß ich bei einem Manne , der außer den fünf Sinnen noch einen sechsten hatte , den alten Heim meine ich , unterlassen habe , nachzufragen , ob er in den Zimmern der verschiedenen Menschen , welche er behandelte , nicht schon durch den Geruch ihre Individualitäten und Charaktere gewittert hat ? In den Tagen , da die Herzogin noch immer heftig , wenngleich mit der Aussicht der Herstellung , an ihren Krämpfen litt , kam Johanna auf das Schloß . Sie hatte , da sie von dem Siechtum der Schwägerin vernommen , es sich als eine besondere Gunst erbeten , ihr zur Pflege dienen zu dürfen , und deshalb das einsame , ihr vorläufig zur Wohnung angewiesene Landhaus verlassen . Die Herzogin nahm das Anerbieten an , vielleicht mit von der religiösen Vorstellung bestimmt , daß es eine gottgefällige Schickung sei , so wider Willen und Gemüt eine ihr eigentlich unangenehme Frau täglich um sich zu sehen . Indessen wurde aus dieser künstlichen Empfindung bald eine wahre . Johanna , durch das Unglück um vieles sanfter geworden , schien wirklich zu fühlen , daß es nicht heilsam gewesen sei , sich so eigene Wege gesucht zu haben ; auch sie büßte , aber auf ihre Weise , stolz und herrlich auch in der Demut . Ihr Benehmen gegen die kranke Schwägerin war musterhaft , nichts Feineres , Edleres , Leiseres konnte man sehen . Diese dagegen wurde hier zum ersten Male wieder von etwas schönem Menschlichen berührt , und unbewußt mag sie empfunden haben , daß die Segnungen des Gemüts doch tiefer und gründlicher heilen , als die Rezepte eines Priesters . Aus der Pflicht , Johannen bei sich zu haben , wurde nach und nach eine Freude , und da sie erfuhr , jene sei wirklich verheiratet gewesen , so fiel die letzte Scheidewand zwischen den beiden Frauen nieder . Ich aber sah , daß innerlich gute Menschen sich von dem Boden des Hauses und der Familie nie für immer entfernen , sondern nach den schwersten Irrungen auf demselben wieder zusammentreffen . Leider hatte ich an Johannen bald eine zweite Kranke . Kräftige Naturen täuschen sich über sich selbst ; die ersten Zeiten nach einem großen Schlage können selbst den Schein erhöhter Gesundheit tragen , aber die Wirkungen bleiben dennoch nicht aus . Sobald das Übel der Herzogin gelinder wurde und die Tätigkeit der Pflegerin nicht mehr unausgesetzt in Anspruch nahm , sank diese zusammen , ihre Gestalt verfiel , nur ihre Augen bekamen ein noch durchsichtigeres Feuer , was mich aber freilich um so ängstlicher machte . Ein tiefer Harm zehrte an ihr , daß sie um ihre Jugendblüte , um die Krone und das Herz ihrer heiligsten Empfindungen nichtswürdig hatte betrogen werden können . Die folgenden Geschichten will ich Ihnen ohne Vorrede und Kommentar übersenden . 11. Geschichte des Herzogs XI. Geschichte des Herzogs Der deutsche Adel war , seitdem die mittleren Stände einen Drang verspürten , sich durch Geist und Tüchtigkeit hervorzutun , in eine gefährliche Stellung geraten . Der Entwicklung männlicher Energie sind Hindernisse förderlich ; das Verdienst kann nur auf rauhen Bahnen sich seine Pfade suchen . In dieser Hinsicht steht nun der Bürger , wenn er nur einigermaßen erträgliche Verhältnisse für sich hat , bevorzugt da , während es in den höchsten Ständen schon einer außerordentlichen Kraft bedarf , um nicht in dem schwächenden Elemente gar zu leichter und geebneter Tage unterzugehen . Der deutsche Adel empfand weit mehr , als daß er sich dessen bewußt geworden wäre , die Schwierigkeit seiner Lage , geraume Zeit vor der Revolution , welche zuletzt die tiefe Verderbnis aller gesellschaftlichen Einrichtungen an den Tag legte . Es entstand daher in denjenigen seiner Glieder , welche nicht fähig waren , durch Talent und hervorstechende Begabung die verhängnisvolle Last einer privilegierten Geburt gründlich auszugleichen , ein Streben , durch allerhand Scheinmittel die gefährdete Existenz für sich und die Nachkommen zu retten . Hier boten sich nun zunächst die von den Ahnen ererbten Besitztümer nach einer Seite , und die Illusionen eines vornehm gleißenden Lebens nach der anderen dar . So fest , wie in diesem Stande , hatte sich nirgendwo der Begriff unveräußerlichen Eigentums ausgebildet , gleich eisernen Klammern hielten es fideikommissarische Bestimmungen , Familienstatut , Lebensnexus umwunden ; die Scholle um jeden Preis zu erhalten , wo möglich zu mehren , war also das Dichten und Trachten vieler Edelleute , was nun freilich in seinem Gefolge Geiz , Habsucht , selbst Unredlichkeit haben konnte . Die Leichteren und Lebhafteren gingen dagegen einen entgegengesetzten Weg . Sie wußten oder fühlten , daß der Bürger ihnen noch lange nicht zu den Spieltischen der Fürsten , in das Boudoir hochgeborener Schönheiten , in alle Konvenienzen eines dem Vergnügen und dem persönlichen Selbstgenusse gewidmeten Lebens werde folgen können , daß auch solche flitternde , schimmernde Bestandteile ihnen ein eigentümliches , und wie es ihnen schien , den Plebejern unantastbares Dasein zu erschaffen vermöchten . Sie schritten daher von ihren Gütern zu den Hoflagern , Bädern , Sammelpunkten der eleganten Welt , schwebten wie beflügelte Götter oder Halbgötter durch die Reihen der niederen Menschen , traten auch wohl auf deren Köpfe . Beide irrten , denn weder kann der Schein ein Leben erbauen , noch soll derjenige sparen und geizen , der ohne sein Zutun schon mehr überkommen hat , als andere . Oft wechselten jene krankhaften Richtungen in den Geschlechtsfolgen ab ; nach dem harten , ängstlichen Vater kam wohl der weiche , alles durchkostende Sohn . Gegenwärtig hat der Adel eigentlich gar kein Prinzip . Die Standesvorrechte in Maße wirklich noch einmal aufbieten zu wollen , ist eine Hoffnung , die kaum dem Kühnsten schmeicheln möchte , das Eigentum geht von Hand zu Hand ; die Flatterien des hohen Tons sind aber meistens auch verwischt . In manchen Edelleuten , deren Sinne diese Prosa nicht genügen will , hat sich daher ein mythisch - poetisches Gefühl abgelagert , welches , über die nächste Vergangenheit zurückgreifend , entlegene Zeiten mit ihrer Treue , Frömmigkeit , mit ihrem Rittermute wiedergebären möchte , der Seele eine gewisse Erhebung gibt , freilich aber ohne allen Gegenstand ist . In der Familie des Herzogs hatten sich während eines Zeitraums von fünfzig Jahren alle drei Stimmungen und Gesinnungen erzeugt . Der Großvater war ein Mann gewesen , welcher im Notfall auf Feldern und Wiesen selbst mit Hand anlegte , wenn es eben fehlte ; er trug das gröbste Tuch , und saß am liebsten mit Verwaltern und Bauern in Wirtschaftsgesprächen zusammen . Die Grundstücke zu verbessern , durch Ankäufe abzurunden , und außer dem Liegenden noch ein beträchtliches Geldkapital zu hinterlassen , dies waren seine einzigen Lebenszwecke . Um sie zu erreichen , speiste er von Zinn , und versagte sich jeden Genuß . Noch zeigte man im Schlosse den Hut , den er dreißig Jahre lang getragen hatte . Er war zwar nicht , wie der in der Fabel , siebenmal verändert worden , aber durch Stutzen und Beschneiden von der ansehnlichen Größe eines dreieckigen bis zu der winzigen Gestalt einer sogenannten Lampe zusammengeschrumpft . Der Sohn vereinigte nun das gerade Gegenteil aller dieser Eigenschaften in sich . Prachtliebend , empfindsam , phantasievoll , gereichte er seinem Vater , sobald diese Seiten sich zu entwickeln begannen , auch nicht einen Augenblick zur Freude . Gern hätte er ihn enterbt , wenn er nur gedurft , allein er mußte ihn sogar seines eigenen Weges gehen lassen , da Graf Heinrich mit der erlangten Mündigkeit Herr eines ansehnlichen mütterlichen Erbteils wurde . Er vermählte sich früh mit einem reizenden Fräulein , welcher aber der Gatte wenig zustatten kam , denn dieser reiste auch nach seiner Heirat viel allein , und hielt sich durch die Bande der Ehe in seinen Freuden nicht gehemmt . Zärtliche , an Schwärmerei grenzende Freundschaften schmückten sein Leben , bei den Weibern hatte er ein fabelhaftes Glück , eine zahlreiche Nachkommenschaft war die Frucht so mannigfacher Begegnungen . Um diese kümmerte er sich nicht . Was ihn bewogen , Johannen nach dem Tode seiner Gemahlin ausnahmsweise auf das Schloß bringen zu lassen , und sie halb und halb anzuerkennen , hat man nie erfahren . In dem Ernste des Enkels glaubte der Großvater eine Spur seines Charakters zu entdecken , und tröstete sich daran über den Leichtsinn des Sohns . Er hatte ihn beständig um sich , und man vermutete , daß er ihn besonders bedacht haben würde , wäre er nicht vom Tode überrascht worden . Wie dieser Enkel sich ausgebildet , erzählen Ihre Bücher . Das aber konnten sie nicht erzählen , und würden sie auch nie erzählen können , wie er ein Opfer der Schuld seiner Altvordern wurde . Nur ich weiß es . Ich habe keine Verpflichtung , ein Geheimnis daraus zu machen , und die Frauen , um Deernwillen ich vielleicht schweigen müßte , werden , wenn ich mich irgendein wenig auf die weibliche Natur verstehe , keinen Blick in die gedruckten Memoiren werfen , nachdem sie schreibend dazu beigesteuert haben . Was aber über alles : Ich glaube , daß ich von Ihrer Leidenschaft für die Wahrheit durch Sie etwas angesteckt worden bin . In den Tagen , wo ich zwischen zwei Krankenbetten , dem der Herzogin und Johannas meine Sorgen zu teilen hatte , nahm der Prozeß über die Standesherrschaft eine besonders lebhafte Wendung . Es sollte zur Vorlegung des Adelsbriefs geschritten werden , und ich saß im Archiv , davon eine Kopie für den Herzog zu fertigen , welche er zurückbehalten wollte . Nach Wilhelmis Abgang und bei noch fortdauerndem Mangel eines tüchtigen Stellvertreters verrichtete ich manche Geschäfte , die ein Nichtjurist allenfalls besorgen konnte . Da hörte ich einen lebhaften Wortwechsel in einem Seitenkabinette , und sah nach einigen Sekunden den Herzog mit dem Amtmann vom Falkenstein heraustreten . Letzterer sah sehr erhitzt aus , und rief : " So wollen mich der gnädige Herr wirklich fortjagen ? " " Bedienen Sie sich anständigerer Ausdrücke , solange Sie noch in meinen Diensten sind " , versetzte der Herzog , welcher seine Fassung ziemlich beibehielt . " Übrigens sehen Sie selbst wohl ein , daß in einer wohlgeordneten Wirtschaft der Herr zu befehlen und der Untergeordnete zu gehorchen hat , und daß , wo sich die Sache umdrehen will , man schleunig Einhalt tun muß . " Der Amtmann warf einen höhnischen Blick auf meine Arbeit , murmelte : " Ich werde dazu gezwungen " - und verließ das Gewölbe . Ich fragte den Herzog , was vorgefallen sei , und erfuhr , daß er den Trotz und die Willkür dieses bösen Alten nicht länger dulden könne . Er scheine es darauf anzulegen , die Autorität der Herrschaft zu untergraben , und habe neuerdings in der Administration des Falkensteins Anordnungen getroffen , die im geraden Widerspruche mit den Verfügungen des Herzogs ständen . Darüber zur Rede gestellt , sei nicht einmal eine Entschuldigung erfolgt , vielmehr das freche Erwidern , daß es so besser sei , worauf der Herzog ihm den Dienst gekündigt habe . Auch mir war das gemeine Wesen dieses Menschen , welches sich in der letzteren Zeit , und besonders , seitdem der Rechtsstreit über die Herrschaft anhängig war , immer mehr gesteigert hatte , sehr auffallend gewesen . Er tadelte laut seine Gebieter , hielt sich über sie auf , klatschte und verklatschte , benahm sich überhaupt so , als könne er hier schalten und walten , wie er wolle . " Das ist die Frucht davon , wenn die Leute zu sehr sich einnisten " , sagte der Herzog . - " Dieser Reinhard war schon bei meinem Großvater , und dessen rechte Hand . Nun muß ich zu einem Schritte gegen ihn übergehen , der mir leid tut , aber nicht abzuwenden ist . Der alte Erich wurde in seiner Heftigkeit beinahe zum Mörder und irrt vielleicht unter Räubern umher , und was soll der Amtmann beginnen , wenn ich ihn , wie ich muß , forttreibe ? Man wechsle auch mit den Menschen , wie mit den Kleidern , es wird viele Unbequemlichkeit dadurch erspart . " Er sah das Diplom an und fuhr mit einem trüben Lächeln fort : " Auf welchem schwachen Grunde die Pfeiler unseres Daseins stehen ! Dieses schlechte und dünne Pergament wäre denn nun die letzte Bürgschaft eines erträglichen Lebens , nachdem so manches sich in meiner Häuslichkeit verändert hat , und dieses Schloß zum Siechenhofe geworden ist . " Einige Wochen vergingen , und des Vorfalls , der uns unbedeutend schien , wurde nicht weiter gedacht . Mein Schreck war groß , als eines Abends spät der Herzog auf mein Zimmer geeilt kam , blaß , mit verwandeltem Antlitz , bebenden Gliedern . Sprachlos reichte er mir einen geöffneten Brief hin , und sank , sich in seinen Mantel hüllend , auf einen Sessel . Der Brief war von Hermanns Oheim und enthielt eine Nachricht , die allerdings den Festesten erschüttern konnte . Der Gegner schrieb , der Amtmann sei bei ihm gewesen , und habe ihm in Betreff der Adelsurkunde , von welcher das Schicksal der zwischen ihnen schwebenden Sache abhange , eine unerwartete Nachricht gegeben . Jene Urkunde sei nämlich verfälscht und vom Amtmann selbst auf unablässiges Bitten , Dringen und Befehlen des Großvaters , welcher sich den Prätendenten der jüngeren Linie gegenüber in großer Verlegenheit gefühlt , unter genauer Beobachtung der Kurialien und mit treuer Nachmalung der Kanzleischrift angefertigt worden . Künstlich vergilbte Tinte sei von einem Chemiker leicht zu beschaffen gewesen , auch habe es nicht schwergehalten , dem Pergamente selbst die Farbe des Alters zu leihen . Man habe einen geschickten Stempelschneider für eine große Summe gewonnen , das kaiserliche Insiegel vorhandenen Mustern in Metall nachzustechen . Zu solchem Frevel habe der Amtmann sich nur erst dann verstehen wollen , als ihm vom Großvater ein eigenhändiges untersiegeltes Bekenntnis über den ganzen Einhergang ausgestellt und überliefert worden sei . Mit diesem Reverse sei ihm das Schicksal des Hauses in die Hände gegeben worden , und er habe in der Stunde , da er dem Herrn zuliebe so schwer sein Gewissen belastet , geschworen , dies nicht umsonst tun , vielmehr , wenn man ihm einmal nur im entferntesten Sinne schnöde begegne , alsobald das Amt der Rache ausüben zu wollen . Der Oheim schrieb , daß der Amtmann alle diese Entdeckungen ihm in einem äußerst gereizten Zustande getan habe , und daß von ihm keine Rücksicht auf diese Aussage eines entlaufenen Dieners genommen worden wäre , wenn nicht der ihm gleichfalls überreichte Revers des Großvaters den schlagenden Beweis der Wahrheit geliefert hätte . Dieser Revers lag in beglaubigter Abschrift bei , und enthielt leider die Bestätigung des schmachvollen Ereignisses . Wer hätte dies ahnen können ? Ich starrte den Herzog an , er mich , wir fanden beide keinen Rat in uns . Der Oheim hatte seinem Schreiben die Bemerkung hinzugefügt , daß er aus Schonung diese Mitteilung zuvor privatim gemacht habe , und vor Gericht dieselbe nur dann benutzen werde , wenn der Herzog auch jetzt einen gütlichen Ausweg in der Sache verschmähe . Der Herzog lag stumm und wie ein Toter im Sessel . Da mich sein Schweigen ängstigte , fragte ich ihn , was er auf die letzte Andeutung beschließen wolle ? Er erwiderte mit tonloser Stimme : " Nichts ! Wir sind verloren und haben keine Beschlüsse mehr zu fassen . Nur für die Herzogin muß gesorgt werden , das ist das einzige , was noch geschehen kann . " Da ich ihn in den folgenden Tagen ganz zerschmettert und fassungslos sah , ( von der Echtheit des Reverses hatten wir uns inzwischen durch die Vorlegung des Originals notgedrungen überzeugen müssen ) suchte ich ihn mit allerhand Trostgründen aufzurichten , und stellte ihm vor , daß , wenn auch aus den zutage gekommenen Umständen der nicht adlige Stand der Ahnin beinahe zur Gewißheit erhelle , doch es noch immer sehr zweifelhaft bleibe , ob der Richter die Rechtsbeständigkeit des Übertrags reiner Familienanrechte auf einen Fremden , Bürgerlichen aussprechen werde . Er versetzte , daß mein Zuspruch den Punkt nicht treffe . Scheinbar habe das Schicksal die Lösung des Knotens vorbereitet , um unter der Hülle dieser Anstalten einen viel festeren und härteren zu schürzen . Ich merkte , daß die Gefahr , seine Besitzungen einzubüßen , ihn weniger drücke , als ein anderes , nagendes Gefühl . Er war im innersten Mittelpunkte seiner Empfindungen geknickt , zerbrochen . Das Falsum des Vorfahren hatte den Begriff , den er von sich hatte , vernichtet . Die reine Abstammung , auf welche er , wie das Hermelin auf die unbefleckte Weiße seines Pelzes , gehalten , war besudelt durch den Fehltritt , wozu die Angst zu verlieren , einen geizigen Alten fortgerissen hatte . Seine Tage schienen ihm an ihrer Quelle vergiftet zu sein , und seine Vorstellungen nahmen die krankhafte Verderbnis an , zu welcher es in der körperlichen Sphäre ein Gegenbild in dem scheußlichen Übel gibt , welches ich nicht nennen mag . Ich versuchte , den irregehenden Gedanken die natürlichen Wege zu eröffnen , und sagte , daß ja ein jeder der Sohn seiner Taten sei , nur sein Bündel zu tragen , nur seine Schuld zu verantworten habe . Allein diese geistige Krankheitsform , welche man Aristokratismus nennt , nimmt solche Mittel nicht an , man kann sie nur aus sich selbst durch Illusionen heilen , welche mir nicht zur Hand waren . Nach und nach rang sich der Herzog zu einer kalten Fassung empor . Er verlangte von mir die Entfernung der Frauen , wenn deren Umstände diese tunlich machten , da er allein zu sein wünsche , und die geschäftlichen Anordnungen , welche nun bevorständen , auch nur in der Einsamkeit treffen könne . Sein Wunsch stimmte mit meinen Ansichten überein . Welche üble Wirkung mußte die Verwicklung der Hausgeschicke auf die langsam genesende Herzogin machen , wenn sie davon , wie doch bei ihrer Anwesenheit kaum zu vermeiden war , Kunde bekam ! Ich brauchte daher den Vorwand , daß zu ihrer völligen Herstellung nichts kräftiger wirken werde , als eine magnetische Behandlung , und sandte beide Damen , diese scheinbar einzuleiten , nach der Hauptstadt . Mancher Widerstand war zu besiegen gewesen , insbesondere bei Johanna , welche ich zuletzt nur dadurch zur Abreise bestimmte , daß sie einsehen mußte , wie die Schwägerin ohne sie in der großen Stadt ganz verlassen sein werde . Mein Ernst war es nicht mit dem Magnetismus , gegen welchen ich vielmehr von jeher gewesen bin , da er den Organismus nur noch tiefer zerrüttet . Ich empfahl die beiden Leidenden in die Obhut eines dortigen Freundes , auf welchen ich mich , wie auf mein zweites ärztliches Ich verlassen konnte . Diesem band ich ein , daß er meine Heilmethode , als Vorbereitung zu jener mystischen , verfolgen , und so ohne Streichen und Manipulieren den Zweck zu erreichen sich bestreben solle . Nun waren wir Männer allein , verkümmert , auf dem Schlosse , welches sonst von freundlicher Geselligkeit eine so angenehme Belebung empfangen hatte . Der Herzog schien ruhig zu sein , er erklärte verschiedentlich , daß ich recht gehabt , daß jeder nur für sich und seine Handlungen einzustehen verpflichtet sei , daß die Vergehungen dritter Personen in den Augen der Vernünftigen unserer Ehre nicht schaden könnten , und was dergleichen mehr war . Allein mir wurde nicht wohl bei diesem Gleichmute , der offenbar sich als erkünstelt zeigte . Der Kaufmann hatte seine Anträge gemacht , welche dahin gingen , daß der Herzog die Güter auf den Todesfall abtreten , bei seinen Lebzeiten aber den Nießbrauch behalten solle . Letzteres und ein bedeutendes Wittum für die Herzogin sollten den Kaufpreis bilden . Unter diesen Bedingungen war die Zurücknahme der Klage , die Ausantwortung des Reverses und die Geheimhaltung der ganzen Sache andererseits versprochen worden . Der Herzog hatte sich nicht einen Augenblick bedacht , den entscheidenden Federzug unter die ihm vorgelegte Abtretungsurkunde , welche die gedachten Punkte enthielt , zu setzen . Als ich ihm über diesen eiligen Schritt Vorstellungen machte , sagte er : " Wollten Sie , daß der Krämer den Namen derer von * an den Pranger schlage ? Wäre ich nicht gebrandmarkt ? Besteht die Welt aus Vernünftigen ? Zudem , ich habe keine Leibeserben , und so möge denn unser altes Geschlecht in diesen gepriesenen jüngsten Tagen erlöschen . " Ich sah ihn ernst und nachdenklich , oft in später Nachtstunde , durch die Gänge des Schlosses wandern . Er stand vor den Türen , den Geräten , den Wappenschildern still , und musterte sie mit zerstörten Blicken . Am längsten pflegte er im Ahnensaale zu verweilen , wo er manches an den Familienbildern ausbessern , die durch Staub und Alter verdunkelten reinigen ließ . Das Bild des Großvaters wurde herabgenommen und beiseite geschafft , das seinige an die leer gewordene Stelle befördert . Wo es nur irgend geschehen konnte , brachte er das Gespräch auf den Selbstmord , gegen den er sich mit der größten Lebhaftigkeit erklärte . Alles , was über diesen Gegenstand Verwerfendes von jeher gesagt worden ist , trug er in den mannigfaltigsten Wendungen vor , und hob bei diesen Gelegenheiten besonders das Unanständige eines solchen Lebensabschlusses heraus , welcher in den meisten Fällen eine Menge von verletzenden Nachforschungen und das widerwärtigste Getümmel errege . Er sprach leider zu oft davon , als daß ich nicht die Absicht hätte durchschimmern sehen , und nicht um so besorgter werden sollen . Das Leben mußte ihm , wie er nun einmal war , unter den jetzigen Umständen eine Last sein , das erkannte ich wohl . Dennoch sträubt sich unser modernes Gefühl hartnäckig gegen den Entschluß , sie freiwillig abzulegen . In meinen trüben Ahnungen wurde ich nur noch mehr befestigt , als ich eines Tages bei einem Gange durch die Bibliothek ein toxikologisches Werk aufgeschlagen fand . Der Leser hatte gerade bei der Seite innegehalten , welche von jenem mit grauenvoller Raschheit spurlos wirkenden Gifte , von der Blausäure , handelte . Da der Herzog nun fast gleichzeitig über plötzliche Anwandlungen von Schwindel zu klagen begann , und seine Ahnung aussprach , daß er vielleicht einmal plötzlich am Schlagfluß sterben werde , ( zu dem seine Konstitution sich durchaus nicht hinneigte ) ; so wußte ich , daß er zu enden entschlossen sei , wie er gelebt hatte , nämlich ohne Verstoß gegen die äußere Sitte , in der Weise , die ihm für einen vornehmen Mann die schickliche bedünkte . Mich erschreckte , mich bekümmerte diese finstere Absicht , und dennoch war bei seinem Charakter keine Hoffnung vorhanden , sie zu wenden . 12. Auch eine Bekehrungsgeschichte XII . Auch eine Bekehrungsgeschichte Mich machten alle diese Vorfälle , Mißgeschicke , Krankheiten sehr unglücklich . Das Feuer einer verbotenen Leidenschaft hatte mich unter Menschen getrieben , die sich nun allgemach von mir und voneinander ablösten . Alles Behagen um mich her war dahin . Meine Zeit schien in dieser Einöde ohne Frucht vergangen zu sein und die Beziehungen des Lebens kamen mir wie kurze Fäden vor , die man mit Mühe von einem verworrenen Knäuel abwickelt . Meinen Kranken widmete ich zwar eine pflichtgemäße Sorgfalt , aber ohne Freude am Berufe zu haben . Das eigentliche Leiden der Welt schien mir dem Arzte so unerreichbar zu sein , daß seine ganze Beschäftigung mir kleinlich und nutzlos vorkam . Wie sich das Leben vor meinen Augen zersetzte , so bröckelte mir auch die Wissenschaft auseinander und wurde ein lockeres Aggregat problematischer Einzelheiten , welchen der eigentliche Mittelpunkt fehlte . Auch mich warfen die Anstrengungen und Gemütsbewegungen , verbunden mit einer starken Erkältung , die ich mir bei einem nächtlichen Ritt zuzog , auf das Lager . Ein starkes Fieber hielt mich drei Wochen lang zwischen glühenden Phantasien gefangen , und möchte leicht einen gefährlichen , nervösen Charakter angenommen haben , wären meine Eingeweide nicht frei von jeder Indigestion gewesen . Als ich erstand , war ich wie neugeboren , ich hatte das Gefühl eines Kindes , dem jeder Gegenstand tausend frische unabgenutzte Seiten zeigt , in den unbedeutendsten Dingen erkannte ich ein Glück , der Gruß eines Bekannten , seine Frage , wie es mir gehe ? konnte mir auf einen ganzen Tag Freude machen . So lebte ich einige Wochen für mich hin , mit Eifer meine Berufsgeschäfte treibend , und mich um die Wirrsale der Welt wenig kümmernd . Da wurde mir eines Tages , es war gerade um zwölf Uhr mittags , die wunderbarste innere Erfahrung . Sie kam ungesucht , unvorbereitet , wohl recht , wie das Höchste erscheinen muß . Ich will mich nicht besser machen , als ich bin , will gestehen , daß auch nachmals mein Inneres voll Schlacken geblieben ist , aber ich kann , wie Cromwell , von mir behaupten , daß ich einmal im Stande der Gnade gewesen bin , und deshalb nicht verlorengehn werde . Ich wanderte für mich eine gerade , keineswegs zur Erhebung stimmende Landstraße hin , ruhig , ohne Bewegung des Gemüts , nur an eine ganz gewöhnliche Tagesobliegenheit denkend . Da , auf einmal , fühlte ich in mir die Existenz Gottes , und seine unmittelbarste Gegenwart in mir , so daß ich nun ganz bestimmt wußte : Er ist . Und zwar nicht als Begriff , Idee , sondern sein Dasein ist ein reelles . Der Sitz dieser Empfindung war der ganze Mensch zwar , jedoch hauptsächlich und vorzugsweise das Herz , in welchem sich dieselbe wie ein sanftes Wirbeln gestaltete , welches das Herz zugleich in den Mittelpunkt des Weltalls rückte , und es auf einen Zug begreifen lehrte , in welchen Gesetzen der Unschuld , Schönheit und Güte dieses ungeheure Ganze erbaut worden sei . Damals wußte ich auch sofort , daß wir nie Gott anschauen werden , daß vielmehr die Seligkeit darin bestehen soll einen solchen Moment für immer zu haben , und daß dann Gott , wie ein ewiges Pulsieren der Heiligkeit , in uns die Stelle des fleischlichen Herzens einnehmen wird . Alles dieses war keine Phantasie , keine Spekulation , sondern eine fast sinnliche Gewißheit . Es dauerte nur wenige Sekunden , auch kann ich den Moment nicht näher beschreiben , denn es würde doch nur auf schmückende Armseligkeiten hinauslaufen . Dantes Worte kommen ihm noch am nächsten , wenn er singt : All ' alta fantasia qui manco Posse ; Ma gia volgeva il mio disiro , el velle , Siccome ruota , che igualmente e mossa , L'amor , che muove » l Sole e l'altre stelle . Doch klingen auch sie nur wie Lallen von hoher Musik . Das Ganze aber war ein Gemütswunder , welches sich nachmals nicht hat wiederholen wollen , mir jedoch auch in seiner einzelnen und einzigen Erscheinung zur Beruhigung über einen höheren Zusammenhäng der Dinge vollkommen genügt . Bin ich Ihnen in meinem Wesen umgestimmt erschienen , so ist es die Nachwirkung dieses Augenblicks gewesen . Als ich nach Hause kam , fand ich den Ruf zur Vorsteherschaft über die großen Anstalten in der Hauptstadt , mir höchst unerwartet und überraschend , da ich nicht geglaubt hatte , daß meinem Wirken anderwärts Aufmerksamkeit zuteil geworden wäre . Mein Entschluß konnte nicht zweifelhaft sein . Hier traf eine äußere Gunst genau mit einem inneren Glücke zusammen . Meine Verhältnisse hatten sich ausgelebt , und ich erkannte , daß es für mich an der Zeit sei , in neue , bedeutendere Kreise überzugehn . Man hatte mir den Auftrag erteilt , nach England und Frankreich zu reisen , dort verschiedene Beobachtungen zugunsten des Instituts anzustellen . So kam es , daß ich erst nach geraumer Zeit in * anlangte , wo ich denn die Frauen geheilt antraf , Johannen durch den alten , würdigen Kriegshelden , die Herzogin durch ihre jungen Mädchen . Daß auch bei dieser das Herz , freilich in sehr zarter Weise , die Herstellung vermittelt hat , ist Ihnen vielleicht nicht so bemerkbar geworden . Der junge Lehrer , welcher nach dem Tode der Vorsteherin für die hut- und mutterlose Pension , welche er nicht gern untergehen lassen wollte , ihren Schutz anflehte , wirkte durch seine Persönlichkeit wohl bedeutend auf ihren Entschluß , sich der Mädchen anzunehmen , die den Stamm aller nachherigen Zöglinge bildeten . Er gehört zu den jungfräulichen Männern , ist schamhaft , verschwiegen , bescheiden wie keiner . Nun wohnt er schon seit längerer Zeit im Hause der Herzogin , und man kann diese Neigung , obschon sie ganz unschuldig ist , und nur die Farbe des Dienstverhältnisses trägt , worin er zu ihr steht , kaum noch Freundschaft nennen . Ich hatte meine törichte Leidenschaft längst besiegt , und mochte daher dieses Wirken der Natur unbefangenen Sinnes anschaun . Freilich wurde mir dabei ihre Ironie klar , welche nirgends ausbleibt , und hier durch ein eheähnliches Verhältnis für Übertreibungen der Sitte und Sittlichkeit das Gleichgewicht herzustellen gesucht hat . Denn jenes Verhältnis war nach so vielen Gewissenszweifeln , Büßungen und Gebeten dennoch schon bei Lebzeiten des Herzogs eingeschritten . Der Arzt hat eine große Aufgabe in der Gegenwart zu lösen . Krankheiten , besonders die Nervenübel , wozu seit einer Reihe von Jahren das Menschengeschlecht vorzugsweise disponiert ist , sind das moderne Fatum . Was in frischeren , kürzer angebundenen Zeiten sich mit einem Dolchstoße , mit anderen raschen Taten der Leidenschaft Luft machte , oder hinter die Mauern des Klosters flüchtete , das nagt jetzt inmitten scheinbar - erträglicher Zustände langsam an sich , untergräbt sich von innen aus , zehrt unbemerkt an seinen edelsten Lebenskräften , bis denn jene Leiden fertig und ausgebildet dastehen . Zwischen diese verlarvten Schicksale ist nun der Arzt gestellt . Er muß , will er seinen Beruf mit Weisheit erfüllen , ein Eingeweihter sein , Gott und die Welt im Busen tragen , er muß gewissermaßen das Amt eines Priesters und Hierophanten üben . Mittel und Wege hat er aufzufinden , wozu ihm die materia medica keine Anleitung gibt . Unserer Wissenschaft steht überhaupt eine Umbildung bevor , und wenn es erlaubt ist , der Entwicklung der Dinge vorzugreifen , so möchte ich sagen : Wir werden uns der antiken Richtung wieder näher anschließen . Lange genug haben wir mit Pulvern und Pillen die Natur zu zwingen gewähnt , oder den lebendigen Leib an das Kreuz des Systems geschlagen , in Zukunft werden wir mehr beobachten . Selbst der Auswuchs der jetzigen Heilkunde , die Homöopathie , deutet schon diesen richtigeren Weg an , wenn sie verschmäht , die sogenannten inneren Ursachen analysierend sich zur Anschauung zu bringen , in welcher isolierten Analysis auch eigentlich nichts mehr vorhanden ist , was dem Arzte einen Fingerzeig geben könnte . 13. Hermann XIII. Hermann So bewegte sich die Welt , worin unser Freund eine Zeitlang einheimisch und tätig gewesen war , gänzlich umgestaltet , in Erbaun und Verfall , Trost und Verzweiflung auf und ab , ohne daß er selbst von diesen Ereignissen etwas verstanden , oder an ihnen teilgenommen hätte . Mit schwerem Finger hatte ihn das Schicksal berührt , an ihm ein Zeichen gesetzt , welche Gefahren unsere Zeit den Jünglingen bereitet , die mit Empfindung und Geist ausgerüstet , ungebunden dahinleben zu können meinen . Nach der Rückkehr von meiner Reise war mein erster Gang zu Wilhelmi , den ich , durchaus verwandelt , das zweite Kind auf dem Schoße haltend , neben seiner munteren , artigen Frau antraf . Von den Gemälden und sonstigen Seltenheiten , als deren eifrige Sammlerin die nunmehrige Madame Wilhelmi bekannt gewesen war , erblickte ich nichts , vielmehr sah ich nur eine gewöhnliche elegante Einrichtung . Da meine Augen die verschwundenen Schätze suchten , erriet mich Wilhelmi , und ich wurde als alter Freund gleich in einen Ehekrieg eingeweiht . Die Kunstkennerin hatte seit ihrer Vermählung allen Geschmack an den Antiquitäten verloren , sie , Wilhelmis Einreden ungeachtet , nach entlegenen Kammern verwiesen , und wollte dieses ganze Besitztum gern losschlagen , wozu aber der Gatte seine Zustimmung beharrlich versagte . Seine Neigung war die nämliche geblieben . Er suchte die verwiesenen Lieblinge in den engen Räumen so gut als möglich unterzubringen . Alles dieses erfuhr ich in der ersten halben Stunde durch halb ernste , halb scherzhafte Gespräche , welche jedoch von vollkommener gegenseitiger Zufriedenheit zeugten . Bald wurde aber die häusliche Szene durch eine Figur gestört , bei deren Erscheinung die Gatten mitleidig und betrübt ihre Blicke niederschlugen . Der Eintretende wollte sich , da er einen Fremden sah , alsobald entfernen , Wilhelmi hielt ihn indessen zurück , führte ihn mir entgegen , und sagte : " Erkenne ihn nur , Hermann , es ist unser alter Freund , der Doktor . " Hermann gab mir die Hand , lächelte mich wie ein Kind an , und sagte : " Hippokrates war der berühmteste griechische Arzt , von der Insel Kos gebürtig , und brachte zuerst die Lehre von den kritischen Tagen auf . " - Dann setzte er sich neben Wilhelmis Frau , und warf von Zeit zu Zeit historische oder philosophische Bemerkungen hin , welche alle richtig waren , nur freilich nicht die mindeste Beziehung zu der Umgebung hatten . Es ist schrecklich , unvorbereitet den Tod eines Bekannten zu erfahren , aber es erschüttert Mark und Bein , ihn plötzlich lebendig , so wiederzusehn . Niemand hatte mir noch etwas von dieser traurigen Veränderung gesagt . Ich war meiner ganzen ärztlichen Fassung benötigt , um nicht in Tränen bei dem Anblicke des Unglücklichen auszubrechen , der mit blassem Antlitze , erloschenen Augen und einem steten Lächeln , sonst aber unentstellt , dasaß . Unter einem Vorwande nahm ich Wilhelmi beiseite und begehrte draußen Aufschluß von ihm . Ich hörte darauf die Begebenheiten , welche nun , da ich Ihre Bücher gelesen , mir nicht mehr dunkel sind , damals aber mir völlig rätselhaft vorkommen mußten . Wilhelmi erzählte mir , daß Hermann mit den Gebärden eines Verzweifelnden von Flämmchens Landhause fortgestürmt sei . Die Landleute hätten ihn in der Gegend mit zerrißenen Kleidern , scheu wie das Wild ihnen ausweichend , umherirren gesehen . " Wir Zurückgebliebenen " , sagte er , " die wir erfuhren , daß Johanna nach dem Schlosse abgereist war , wurden über das Ausbleiben Hermanns sehr bestürzt . Ich schrieb an ihn , und da der Brief unbestellt wieder in meine Hände gelangte , so reiste ich selbst nach der Gegend , wo ich denn jene Vorfälle hörte . Er war verschwunden , trat jedoch nach mehreren Monaten , während welcher Korrespondenz , Nachfrage , öffentliche Bekanntmachungen vergeblich angewendet worden waren , seinen Aufenthaltsort zu ermitteln , eines Abends , da es dämmerte , in mein Zimmer , fiel mir weinend um den Hals , sagte , daß er da und dort gewesen sei , aber nirgends Ruhe finde , daß ich ihm ein Plätzchen bei mir gönnen möge , wo er sterben könne . Meinen Schreck werden Sie ermessen . Ich sprach mit meiner Frau , die sich kaum zusammennehmen konnte , da sie ihn so außer sich sah , und verstört . Wir brachten ihn darauf in einem stillen Gartenzimmer bei uns unter , baten ihn , sich zu schonen , seine Sinne zu sammeln , dann werde sich ja alles finden , was auch vorgefallen sein möge . Er ließ sich diese Obsorge gefallen , und saß einige Tage vor sich hin . Als ich glaubte , er sei so weit beruhigt , daß man mit ihm reden könne , suchte ich zu erforschen , was sein Inneres so gewaltsam aufgeregt hatte . Ich bekam jedoch keine anderen Antworten von ihm , als , daß er der verworfenste aller Menschen sei , daß nichts auf Erden sich mit seinem Elende vergleichen lasse ; ob ich den Ödipus kenne ? - Da ich sah , daß ihn mein Andringen schwer leiden machte , so gab ich es auf und habe auch nachmals nicht versucht , sein Geheimnis zu entdecken . Nur so viel ist mir aus unwillkürlichen Äußerungen klargeworden , daß das Bewußtsein einer Schuld , die furchtbar gewesen sein muß , seine Brust zerfrißt , daß sich auf dem Landhause Flämmchens das Schlimme begeben haben mag , und daß dieses wahrscheinlich einen Zusammenhäng mit dem Inhalte der Brieftasche hat , welche ihm von seinem Vater vererbt worden ist . Ich glaubte , Beschäftigung werde ihn am ersten wieder zum Gefühle seiner selbst bringen , und äußerte ihm diese Meinung . Er ergriff sie mit Leidenschaft und rief : » Du hast das Wahre getroffen . Beschäftigung mangelt mir . Gibt es nicht manches , was einem die bösen Träume verscheuchen mag : Philosophie , Religion , Kunst , Staatswissenschaft ? Versuchen wir es mit diesen erhabenen Mächten und Geistern der Zeit , deren einer uns gewiß hülfreich sein wird ! « Ich hatte leider mit meinem wohlgemeinten Worte nur den Punkt berührt , der die Krisis zum Ausbruch bringen mußte . Es begann eine Zeit , an welche ich mich nicht gern erinnre , denn ich mußte in ihr wahrnehmen , ohne helfen zu können , wie die Seele eines Freundes sich jammervoll auflöste . Er eilte in die Kirchen , schrieb Predigten nach , saß zu den Füßen des Philosophen und las in dessen Büchern bis spät in die Nacht . Er durchstrich die Säle der Galerie ; studierte Kunstgeschichte , ging die Staatsmänner seiner Bekanntschaft um praktische Arbeiten an , die sie ihm auch , seinen Zustand bemitleidend , wenigstens zum Schein gewährten . Aber alle diese religiösen , philosophischen , ästhetischen und praktischen Aufspannungen , welche mit einer stürmischen Hast , ja mit Wut betrieben wurden , konnten dem Geängstigten , Versinkenden keinen Anhalt geben . Noch sind Zettel von ihm aus jener Periode übrig , worin er die rührendsten und zerreißendsten Klagen dem Papiere vertraut . » Ach « , ruft er in einer dieser Ergießungen aus , » dem befleckten Gemüte steht alles fern ! Gott und die Natur , Schönheit und Wahrheit , Staat und Menschenwohl schweben dem ausgeleerten , öden Geiste , wie dünne Schatten vorbei , welche er nicht zu fassen , an denen er sich nicht anzuklammern vermag ! « So sich abarbeitend , die Kräfte gegeneinander treibend , verfiel er nach und nach in den Zustand , wo nun alles ruht und tot ist , den wir trauernd anschaun , worin wir ihn duldend unter uns wandern lassen , und von dem wohl keine Heilung zu erwarten ist . " Nachdem Wilhelmi mir diese Eröffnungen gemacht hatte , beobachtete ich den Unglücklichen in allen Stunden , welche meine öffentlichen Geschäfte mir frei ließen . Hier wurde mir die seltenste und bedauernswerteste Geisteskrankheit sichtbar , die ich je wahrgenommen habe . Hermann war körperlich gesund . Die Blässe seines Antlitzes , die Mattigkeit seiner Augen hinderte nicht , daß alle Lebensfunktionen bei ihm den natürlichen , regelrechten Gang nahmen . Er aß und trank hinreichend , seine Füße trugen ihn auf meilenlangen Wandrungen , die er in der Umgegend anzustellen pflegte , ohne daß bei der Heimkehr eine Erschöpfung an ihm zu verspüren gewesen wäre ; er schlummerte tief und ruhig . Auch war er keineswegs Wahn - oder blödsinnig ; er las viel , hörte Gesprächen von allgemeinerem Interesse gern zu , und ließ seine Bemerkungen vernehmen , die immer verständig , zuweilen scharfsinnig , hin und wieder selbst tief waren . So gab er einst , da wir viel über Schicksal und Selbstbestimmung geredet hatten , den Begriff der Freiheit dahin an , daß sie die Form der Notwendigkeit sei , und führte diesen Satz auf eine Weise durch , welche uns alle in Erstaunen setzte . Dennoch war er im Kerne des Seins gestört , ja getötet . Das Leben , welches in Freude und Leid , in Begehren und Verabscheuen , in Liebe und Haß , in den Wechselbeziehungen zu unseren Nebenmenschen besteht , war in ihm durch eine schreckliche Erinnerung ausgelöscht . Er weinte und lachte über nichts , ein stehendes gleichgültiges Lächeln machte seine Züge zur Maske . Er wollte nichts , und wendete sich von nichts hinweg , er hatte keinen Freund und keinen Feind , die besonderen Verhältnisse anderer waren für ihn so wenig vorhanden , als seine eigenen , mit einem Worte : Das Individuum schien in ihm völlig untergegangen zu sein . Nur allgemeine Gedanken und Vorstellungen nahm diese Seele , wie ein leeres Gefäß noch auf , ohne die Federkraft zu besitzen , sie in ihr Eigentum zu verarbeiten , und daraus die Nahrung zu Entschlüssen zu saugen . So lebte er , scheinbar ein Mensch , aber ohne Anteil , und in der Tat den Kreisen , welche unser Dasein umschließen , entrückt , seine Tage hin . Die Zeit war für ihn keine Zeit , denn er empfand den Wechsel der Begebenheiten nicht , der Ort kein Ort , denn keine Sympathie fesselte ihn mehr an eine Stätte . Es war der Zustand der Pflanze , er vegetierte . Daß in einer so vernichteten Seele dennoch richtige Anschauungen , ja Ideen einkehren konnten , bestätigte meine alte Überzeugung von der Natur der menschlichen Seele überhaupt . Wir sind weit mehr Depots des geistigen Fluidums , welches durch das Universum streicht , als daß wir es selbsttätig erzeugten . Auch hier sind die Volksredensarten von den Gedanken , die einem Gott , und denen , die einem der Teufel eingegeben , wohl zu beachten und tiefen Sinnes . Nie hätte ich freilich gewünscht , den Beweis für meine Hypothese durch einen Menschen zu erhalten , dessen Los mir naheging . Meine Abneigung gegen ihn war schon früher verschwunden gewesen , ich hatte mir seine guten Seiten klargemacht , und seine jetzige Krankheit schnitt mir durch das Herz . Ich sah ein , daß in diesem Falle am allerwenigsten positiv zu verfahren sein werde , daß man treu aufmerkend neben dem Leidenden stehen und irgendein günstiges Ereignis abwarten müsse , was zur Heilung benutzt werden könne . Am erwünschtesten wäre mir gewesen , wenn ich der verborgenen Quelle des Kummers hätte auf die Spur kommen können , allein in dieser Beziehung scheiterten alle meine Versuche . Der Unglückliche verschloß die Ursache seiner Schmerzen in tiefster Brust , und auch die Brieftasche war verschwunden . Wir durchsuchten in seiner Abwesenheit alle Winkel des Zimmers , ließen Schränke und Kommoden öffnen ; umsonst ! sie war nicht zu finden . Eine Geschäftsreise führte mich in die Nähe von Flämmchens Landhause . Ich machte einen Abstecher dorthin , weil ich glaubte , ich würde vielleicht da einige Aufklärungen über diese dunkle Geschichte erhalten . Das Haus war unter Sequestration , welche die Verwandten des Domherrn ausgebracht hatten . Das Witwenkind hatte man mit der Alten ausgetrieben , da binnen der gesetzlichen Zeit kein Leibeserbe hatte erscheinen wollen . Neue Leute befanden sich im Hause , welche mir nichts , was mir diente , sagen konnten . Als ich nach * zurückkehrte , war Johanna an der Hand des Generals soeben aus ihrer Dunkelheit hervorgegangen . Wie sie sich bis dahin fast menschenscheu abgeschlossen hatte , so verspürte sie nun das Bedürfnis , mit ihren alten Freunden aufs neue anzuknüpfen . So besuchte sie denn auch Wilhelmis Haus , und erfuhr dort Hermanns Schicksal . Ihr Mitleid war grenzenlos . Mir machte sie die bittersten Vorwürfe , daß ich ihr die Sache verborgen , wozu ich meine guten Gründe gehabt hatte . Sie verlangte von mir die Erlaubnis , den Kranken zu sehen , zu sprechen , ich weigerte mich auf das bestimmteste , dieselbe zu erteilen , da alle Aufregungen mir in seinem Zustande bedenklich zu sein schienen . Indessen , wie die Frauen sind , die zuweilen hartnäckig auf ihrem Sinne bestehen , sie gibt das Vorhaben nicht auf , dessen Ausführung die mächtigsten Gefühle ihrer Brust heischen . Im stillen erforscht sie , daß zu dem Gartenzimmer , worin er wohnt , ein besonderer Zugang über den Hof führt , und macht sich eines Morgens allein und heimlich auf , ihn zu besuchen . Der Kranke saß , da sie eintrat , mit dem Rücken gegen die Türe gekehrt . Liebreich begrüßt sie ihn , er wendet sich , und starrt , regungslos wie eine Bildsäule , sie an . Sie will ihm die Hand reichen , er aber zieht mit den Worten : " Wir sind nicht in Griechenland , wo die Greuel erlaubt waren ! " einen Dolch aus dem Busen , und zückt ihn mit schrecklicher Gebärde auf sie , die vor Entsetzen in die Knie zu sinken meint . Dann läßt er das Mordgewehr fallen , wirft auf sie einen Blick des Abscheus , der sich tiefer in sie einbohrt , als dem Dolche möglich gewesen wäre , schlägt die Hände vor das Gesicht , stößt ein Jammergeschrei aus , daß Wilhelmi es im Vorderhause hört , und springt an ihr vorbei aus dem Zimmer . Wilhelmi kam , außer sich vor Bestürzung , zu mir . Wir fanden Johannen ohnmächtig , die uns nur langsam , von der fürchterlichen Szene bis zum Sterben erschüttert , das Vorgefallene entdecken konnte . Wir suchten nach dem Unglücklichen ; er war verschwunden . Durch Gärten , an unbewohnten Hintergebäuden vorbei , mußte er seine Flucht genommen haben . Alle Erkundigungen nach ihm an den Toren , in den Umgebungen der Stadt waren fruchtlos . 14. Der Herausgeber an den Arzt XIV . Der Herausgeber an den Arzt So sehen wir die Männer der Nichtigkeit oder dem Tode entgegengehen , denn auch der Oheim seufzt unter der Last seiner Besitztümer die letzten Hauche eines ersterbenden Lebens . Nur die Frauen , die Schwächsten , und die am verlorensten zu sein schienen , sind beschwichtigt . Eine sentimentale , genußsüchtige Vergangenheit hat heimliche Irrungen aufgehäuft , an welchen die schuldlosen Enkel sich zu plagen haben . Die Verhältnisse sind verschoben , die Menschen voneinander entfernt , sich halb fremd geworden , der Held ist kindisch , und nur die Maschinen des Oheims arbeiten , wie von je , in toter , dumpfer Tätigkeit fort . Aber die Gegenwart ist im Besitze unendlicher Heilungs- und Herstellungskräfte , und ich wüßte diese unsere brieflichen Unterhaltungen , welche etwas chaotisch sind , wie ihr Gegenstand , die Zeitfolge aufheben , und zuweilen in spätere Tage vorausgreifen , nicht besser abzuschließen , als mit den Worten Lamartines , wenn er sagt : " Ich sehe kein Zeichen des Verfalls im menschlichen Geiste , kein Symptom der Ermüdung oder Veraltung . Zwar sehe ich morsch gewordene Einrichtungen , die dahinstürzen , aber ich erblicke ein verjüngtes Geschlecht , welches der Atem des Lebens beunruhigt und in jedem Sinne vorwärts stößt . Dieses wird nach einem unbekannten Plane das unendliche Werk wieder aufbaun , dessen stete Erschaffung und Herstellung Gott dem Menschen anvertraut hat : sein eigenes Geschick . " Neuntes Buch . Cornelie . 1828-1829 Erstes Kapitel Erstes Kapitel Cornelie stützte das Haupt des Oheims . " Ist dir diese Lage recht ? " fragte sie ihn mit sanfter Stimme . " Ja , mein liebes Kind " , versetzte der Alte . " Wie wohl tut mir der Atem deiner Sorgfalt ! Es ist recht schön von dir , daß du von der grünen Wiese hereingekommen bist , einen hinsterbenden Greis zu pflegen . " " Du wirst dich erholen , Vater " , sagte Cornelie . " Nein , meine Tochter " , antwortete der Oheim , " wir werden bald voneinandergehn . Ein arbeitsames Leben zehrt auf ; es ist ein sonderbares Gefühl , deutlich das Kapital seiner Kräfte überschlagen zu können , aus deren nicht zu berechnendem Reichtume man in der Jugend mit so verschwenderischen Händen schöpfte . Ich habe diese Empfindung jetzt oft . " Der Dirigent einer Abteilung des Gewerbebetriebs trat ein , um die Meinung des Prinzipals über eine neue Anlage einzuholen . " Verfahren Sie hierin ganz nach eigener Einsicht " , erwiderte der Oheim , nachdem er sich die Sache hatte vortragen lassen . " Sie müssen sich nach und nach gewöhnen , selbständig zu handeln . " " Welche Besorgnisse Ihnen auch Ihre Gesundheitsumstände einflößen " , sagte der Mann nicht ohne Rührung , " Besorgnisse , die , will es Gott , sich als ungegründet ausweisen werden , so seien Sie überzeugt , daß Ihre Weisheit unsere unverbrüchliche Richtschnur immerdar bleibt , daß keiner von uns an eine Zukunft nach Ihnen denkt . " Eine andere Türe wurde gewaltsam aufgerissen , Ferdinand stürmte herein , die Jagdtasche an der Seite , die Flinte über den Rücken geworfen . Er warf ein paar Feldhühner Cornelien zu Füßen , und rief : " Da hast du einen Braten in die Küche ! " - Dann entfernte er sich ebenso laut , wie er gekommen war , ohne von dem Kranken Notiz zu nehmen . Dieser schickte ihm einen kummervollen Blick nach ; der Geschäftsmann sah seufzend vor sich nieder , Cornelie weinte still in einer Ecke des Zimmers . " Fürchten Sie nichts " , sagte der Kommerzienrat zu seinem Freunde . " Ich werde Verfügungen treffen , daß die Schöpfungen unserer redlichen Mühe , die Anstalten , zu deren Begründung sich Kenntnisse , Fleiß und gegenseitiges Zutraun so vieler Männer verbinden mußten , nicht zusammenstürzen , wenn zwei Augen sich schließen , daß sie wenigstens nie von den Launen eines unbändigen Jungen abhangen sollen . " Als jener das Zimmer verlassen hatte , sagte Cornelie : " Er wird gewiß noch anders und besser , Vater . " " Nein " , erwiderte der Kranke , " ich täusche mich nicht mehr mit leerer Hoffnung . Die wilden , verderbten Neigungen sind zu tief bei ihm eingewurzelt , ich muß ihn aufgeben und seinen Weg ziehen lassen , denn es ist fruchtlos , gegen des Menschen Natur anzugehen . Liederlich wird der Bube nun auch , ich habe das leider erfahren . Großer Gott , wie war es möglich , daß zwei stille , einfache Menschen , wie meine Frau und ich , ein solches unstetes Wesen erzeugen konnten ? " Cornelie suchte den Leidenden zu beruhigen , und der Abend ging in Gesprächen mit dem Prediger , der sich , als es dunkel geworden war , wie gewöhnlich einfand , friedlich hin . Der Oheim hatte , als er die Abnahme seiner Kräfte merklicher werden sah , von manchen seiner Eigenheiten abgelassen ; sein Wesen war von Tage zu Tage gütiger und milder geworden . Die Geschäfte ruhten schon seit einiger Zeit fast ganz in den Händen der Untergebenen , und wenn ihm auch die Erhaltung des Ganzen am Herzen lag , so nahm er doch an dem Einzelbetriebe und an dem merkantilischen Resultate wenig Anteil mehr . Dagegen hatte sich seine Neigung für die Pflanzen zu einer wahren Zärtlichkeit gesteigert , und eine andere Jugendrichtung , die Liebe zur Chemie , stellte sich ebenfalls wieder ein . Dieser verdankte er die erste glückliche Wendung seines Schicksals . Er hatte als junger Mensch eine große Schiffslast für völlig verdorben gehaltener Ware an sich gebracht , und sie durch eine geschickte Behandlung in verkäuflichen Zustand gesetzt , dadurch aber in wenigen Wochen einen Gewinn von vielen Tausenden gemacht . Nun , in seinen letzten Lebenstagen , saß er wieder , wie damals , sooft es seine Umstände erlaubten , im Laboratorio vor dem Ofen , glühte und schied , ohne einen weiteren Zweck , als die Vermehrung seiner Kenntnisse dabei zu verfolgen . Besonders eifrig untersuchte er die Mischungen der Bodenfläche seiner Besitzungen , da er , wie er scherzend sagte , doch zu wissen wünsche , welchen Elementen sein Staub sich dermaleinst verbinden werde . Eines Tages ließ er den Prediger , diesem sehr unerwartet , rufen . Nach einigen vorbereitenden Reden eröffnete er demselben , daß er seinen Umgang und Zuspruch wünsche , da er das Herannahen des Todes fühle . Der Prediger , ein verständiger Mann , welcher einen Rückkehrenden von der konsequentesten Denkungsart , welcher sich von jeher allem Kirchlichen so ferngehalten , vor sich sah , begriff wohl , daß er auf die gewöhnliche Weise hier nicht einwirken dürfe , daß er vielmehr vor allen Dingen den eigentlichen Zustand des Kranken zu erforschen habe . Er tat daher einige geschickte Fragen , welche den Oheim auch wirklich dahin brachten , sich über sein Inneres ohne Rückhalt auszusprechen . " Zuvörderst muß ich Ihnen versichern " , sagte er , " daß ich mich vor dem Tode durchaus nicht fürchte . Nur für den Müßiggänger kann dieser Rechnungsabschluß beschwerlich sein ; wer es sich immerdar hat sauer werden lassen , empfindet gewiß endlich ein Bedürfnis , auszuruhn . Weder Gewissensbisse , noch Angst vor dem Unbekannten da drüben treiben mich zu Ihnen . Aber es ist so natürlich , daß , wenn die eine Art der Beziehungen zu verschwinden anfängt , und eine andere beginnt , man sich über diese aufzuklären wünscht . Diese Aufklärung suche ich nicht unter Heulen und Zähnklappern , sondern mit einem stillen Verlangen , dessen Befriedigung mir so das Liebste wäre , was mir hier noch begegnen könnte . " Der Prediger sah wohl ein , daß eine solche Stimmung mit der eigentlichen christlichen Sehnsucht nichts gemein habe . Gleichwohl durfte er , in seinem Amte angesprochen , sich dem Suchenden nicht versagen . Er wählte daher den Weg der historischen Belehrung , und schlug dem Oheim vor , sich zuvörderst davon zu unterrichten , wie Lehre und Dogma seit ihrem Entstehen von den Menschen aufgefaßt worden seien , und unter ihnen gewirkt haben . Dem Oheim war dies ganz genehm , und so brachte denn der Prediger von da an in jeder Woche mehrere Abendstunden bei seinem Patrone zu , ihm aus einem Handbuche der Kirchengeschichte vorlesend und seine Erläuterungen hinzufügend . Mit großem Interesse verfolgte der alte Mann die Entwicklungen der christlichen Kirche , und wies oft mit vielem Scharfsinne die Verwandtschaft unter den verschiedenen Lehrmeinungen und Sekten nach . Sehr bald hatte er herausgefunden , daß das eigentümliche Leben des christlichen Geistes sich in den drei ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung erschöpft , und daß alles Spätere doch nur mehr in Wiederholung und Modifikation einer schon früher dagewesenen Entfaltung bestanden habe . Bei den Gesprächen über diesen Gegenstand erwähnte der Prediger einst des Umstandes , daß sich auch die Versuche der frühesten Häretiker , den göttlichen Geheimnissen auf magische oder sinnliche Weise beizukommen , bis in die jüngsten Zeiten erneuert hätten . " So befand sich hier ganz in der Nähe " , sagte er , " vor etwa hundert Jahren eine Gemeinde , welche alle Schwärmereien der Gnostiker und Manichäer in sich vereint wieder aufleben ließ , und ziemlich lange ihr Wesen trieb , bis die herrschende Kirche sie mit solcher Strenge unterdrückte , daß nicht einmal ihr Gedächtnis in den Nachkommen geblieben ist , und auch ich von ihrem Dasein nichts wissen würde , hätte ich nicht ihre Geschichte , von einem Märtyrer der Sekte aufgeschrieben , ganz zufällig unter vergeßenen Papieren gefunden . Woher sie ihre Irrtümer genommen , ist mir dunkel geblieben ; aus den Papieren ging so viel hervor , daß die Bekenner jenes Wahns geringe Leute gewesen waren , von denen sich nicht vermuten ließ , daß sie die Sache aus gelehrter Kunde geschöpft haben sollten . Ich bin daher schon auf den Gedanken gekommen , daß sich gewisse Einbildungen immer von Zeit zu Zeit wie Krankheiten von selbst aus dem Leben der Kirche erzeugen , und daß namentlich die böse Täuschung , dem Göttlichen durch geheime Zeichen und eine willkürliche Allegorie beikommen zu können , fortwuchern wird , solange es ein Christentum gibt . Auch ihre Begräbnisstätte habe ich vor kurzem entdeckt " , fuhr der Prediger fort . " Sie liegt in einer einsamen wüssten Gegend , und wie durch Instinkt getrieben , haben sie sich ihren Ruheplatz um Trümmer bereitet , die wohl ohne Zweifel dem Heidentum angehören . An den vermorschten hölzernen Kreuzen und Denktafeln , sowie an einigen roh und dürftig zugehauenen Steinen lassen sich noch sonderbare Embleme erkennen , die ohne Zweifel eine mystische Bedeutung hatten . Wenn es Ihnen gelegen ist , so kann ich Sie einmal dorthin begleiten . Die Sache ist immer merkwürdig genug , um eine Spazierfahrt bei schönem Wetter zu verlohnen . " Der Oheim erklärte sich mit Vergnügen dazu bereit , und man beschloß , den ersten heiteren Tag zum Besuche dieses Altertums anzuwenden . Einmal um jene Zeit sagte der Oheim zum Prediger : " Ich fühle , daß auch das religiöse Organ von Jugend auf geübt sein will , und daß im Alter die Fasern zu zähe werden , um in dieser Hinsicht noch mit Erfolg sich etwas anzueignen . Aber so viel begreife ich , daß etwas , was die Menschen neunzehn Jahrhunderte hindurch beschäftigt hat , kein Possenspiel sein kann , und Sie mögen daher , wenn wir auseinandergehn , von mir die Hoffnung schöpfen , daß ich vielleicht anderwärts nachholen werde , was ich hier versäumt habe . " Auch gegen die Katholiken war der Oheim nachgiebiger und freundlicher geworden . Er sah jetzt gelassen zu , wenn sie durch das Haus zur Messe gingen , ja er schenkte dem Altare ihrer Kirche eine neue prächtige Bekleidung , und ließ an die Stelle der messingnen , kostbare silberne Leuchter setzen . Hierüber mußte er selbst lächeln . Scherzend rief er aus : " Im Grunde bleibe ich mir doch treu , ich mache den Schaffner jetzt bei dem lieben Gotte , wie ich ihn lange auf irdische Weise gemacht habe . " Zweites Kapitel Zweites Kapitel Nicht lange nachher fuhr der Oheim mit dem Prediger nach dem Kirchhofe der verschollenen Sektierer . Der Weg ging bald von der Landstraße ab , und wurde für die Pferde beschwerlich , da er , ohne in das eigentliche Gebirge zu führen , sich über lauter welliges , zerbröckeltes und zerfurchtes Erdreich schwang . Endlich verlief er sich zwischen hohen Lettenwänden , wo allenfalls mit einer schmalen Karre durchzukommen gewesen wäre , der breitspurige Wagen aber bald festsaß . Der Kutscher hielt , und erklärte , nicht weiterfahren zu können . Der Prediger , welcher bei seinen Fußwandrungen nach dem entlegenen Orte auf diesen Umstand nicht geachtet hatte , machte sich laute Vorwürfe über seine Unbedachtsamkeit , der Oheim tröstete ihn indessen , ließ aus Baumzweigen und Wagenkissen eine Tragbahre bereiten , und nahm die Kräfte zweier jungen Bauern , welche in einiger Entfernung vorübergingen , für dieses Transportmittel aus dem Stegreif in Anspruch . So gelangte man denn doch , wenn auch später , als man gewollt , an das Ziel . Der Ort , auf einer Höhe zwischen heidekrautbewachsenen Hügeln gelegen , war außerordentlich einsam und mußte durch sich selbst schon Gedanken der Melancholie erwecken . Eine niedrige Mauer , die aber an den meisten Stellen zu Trümmern zerfallen war , umschloß einen runden Platz von mäßigem Umfange . Was der Prediger für die Überbleibsel eines Heidentempels angesehen hatte , war die Substruktion eines kleinen achteckigen Gebäudes , von welcher nur hin und wieder noch einige Steinzacken über der Erdoberfläche emporragten . In der Mitte des inneren Raums nahmen sie eine tiefe Versenkung wahr , in welche ein Bächlein , welches von den Höhen herabkam , und sich unter der Mauer durch Bahn gemacht hatte , sein Wasser ergoß . Um diese Trümmer - der Hünenboren , wie der Prediger sagte , von den Landleuten geheißen - hatte die Sekte ihre Toten rings im Kreise bestattet . Aber die Gräber waren zum größten Teil schon wieder eingesunken , die Kreuze verfault , die Steine lagen umgefallen in aufgerißenen Erdrinnen , oder neigten sich gegeneinander . Über eine ganze Reihe tiefer Höhlungen , durch das Einstürzen mehrerer Gräber entstanden , hatten die Landleute , welche ihren Fußweg nach einem nahen Walddorfe über die Höhe nahmen , eine Notbrücke von Baumstämmen , Leichensteinen und Kreuzen gemacht , deren sie sich bedienten , wenn Regenwasser diese Senkungen ausfüllte . Alles war an dem verlaßenen Platze eigen , traurig ; die Bilder der Vergänglichkeit hatte schon wieder die Hand der Vergangenheit berührt . Der Boden schien nicht die Fruchtbarkeit anderer Orte , wo menschliche Leiber verwesen , zu haben ; ein kümmerliches Gras bedeckte spärlich den weißgelblichen Grund , hohe fahle dürre Halmen stachen lang und spitzig aus demselben hervor , sonst zeigte sich weder Baum noch Staude ; nur über den sogenannten Hünenboren neigte eine große Trauerweide , deren Stamm aber auch schon im Absterben war , ihre mattgrünlichen Zweige . Nachdem der Oheim am Arme des Predigers einen Gang zwischen den Gräbern hindurch gemacht und sich an den noch erhaltenen Kreuzen , sowie an einigen Steinen rohe Schlangenzeichen hatte vorzeigen lassen , ruhten beide in dem alten Gemäuer unter der Trauerweide . Der Prediger sprach seine Meinung aus , und behauptete , daß jene Bildwerke genau mit denjenigen übereinstimmten , deren sich in den ältesten Zeiten die Ophiten bedient hätten . " Was mich Wunder nimmt " , sagte der Oheim , " sind die Steine . Sie haben mir erzählt , daß die Sekte nur aus armen Leuten bestanden habe ; woher nahmen diese das Geld zu so kostbaren Denkzeichen ? " - " Auch mir fiel dieser Umstand auf " , versetzte der Prediger , " bis ich entdeckte , daß in * noch vor hundert Jahren eine Steinmetzzunft bestanden hat , ähnlich den mittelalterlichen Gilden dieser Art . Wahrscheinlich hat das Geheimnis , welches jene Zunft in ihre Verhandlungen wob , sich mit dem Geheimnisvollen der Sekte , als etwas Wahlverwandtem berührt , Mitglieder des Gewerks mögen zu ihr gehört , oder sich wenigstens zu ihnen hingeneigt , Steine und Arbeit ihren Bestattungen umsonst , oder für die billigsten Preise geliefert haben . " Der Oheim warf aufmerksame Blicke umher , scharrte mit seinem Stabe in dem harten , steinigten Boden und sagte : " Ich müßte mich sehr trügen , oder das Erdreich hat hier eine eigentümliche alkalisch-ätzende Beschaffenheit . Die geringe Vegetation und jene gelben Halmen , welche sich immer an Orten derartiger Bodenmischung finden , bringen mich auf diese Vermutung . Ich hätte große Lust , etwas Erde von hier mitzunehmen , und sie zu Hause auszulaugen . " Einer der jungen Bauern , welcher achtsam zugehört hatte , und endlich begriff , wovon die Rede war , mischte sich in das Gespräch und sagte : " Der Herr hat ganz recht , unser Gerber braucht , um seine Felle gar zu machen , nichts , als diese Erde ; sie tut dieselben Dienste , wie Lohe . " " Es ist schade " , sagte der Oheim , " daß nicht in neuerer Zeit hier jemand bestattet worden ist . Bei der Aufgrabung würden sich gewiß nach dem , was ich höre , merkwürdige Resultate finden . " " O " , rief der junge Bauer , " davon könnte man die Probe auch zu Gesichte bekommen ! Es ist kaum etwas über ein Jahr her , daß hier ein neugeborenes Kind verscharrt wurde , und ich weiß noch genau die Stelle , wo dies geschah . " Ein Verbrechen befürchtend , fuhren beide Männer zusammen ; jener aber lachte und sagte : " So schlimm , wie die Herrn glauben mögen , verhält sich die Sache nicht . Ich hatte nahebei im Felde etwas zu tun , da sah ich ein junges Weibsbild mit einer Alten , die im Gesichte ganz gelbbraun war , vorübergehen . Mich konnten sie nicht erblicken , weil ich hinter einem Busche stand , ich aber bemerkte durch die Spalten der Zweige alles sehr wohl . Die Junge , welche bleich , aber bildschön war , ächzte und stöhnte , man konnte ihr anmerken , in welchem Zustande sie war , und daß ihre Stunde sie überfallen hatte . Die Alte führte sie und sprach ihr zu , und beide gingen nach dem Hünenborne . Ich folgte ihnen , und versteckte mich draußen hinter einem Mauerstücke , das Gesicht abgekehrt , da es doch für mich nicht anständig war , in diesen Nöten den Weibern nahezukommen . Nun hörte ich da , wo Sie jetzt sitzen , kläglich stöhnen und wimmern , und nach einer Weile den lauten Schrei ausstoßen : » Es ist tot ! « Ich meinte , jetzt sei es an der Zeit , mich auf ziemliche Weise zu nähern , kroch eine Strecke zurück , richtete mich dann auf , und ging wie von ungefähr auf den Hünenboren zu . Sowie mich die Alte erblickte , winkte sie mir . Sie kniete unter der Trauerweide , und hielt die Junge in den Armen , die matt und kraftlos ausgestreckt lag . Zwischen ihnen lag das neugeborene Kind auf Zweigen des Baums . Die Mutter weinte bitterlich , und blickte zuweilen so nach dem Kinde , daß es mir durch Mark und Bein ging . Die Alte sagte , ich solle es begraben , und wollte es in ihr buntes Kopftuch einwickeln , was aber die andere verbot . Sie sagte , so wie es sei , solle es in die Erde kommen ; die sei gut und sanft , alles andere tauge nichts . Ich höhlte hierauf an der Mauer mit meinem Werkzeug eine Grube in der Erde aus , und baute darüber ein kleines Gewölbe von Steinen . Das Frauenzimmer nahm das Kind auf , herzte es , dann gab sie es mir . Sie wollte auch einen goldenen Ring dem Kinde mitgeben , besann sich aber , und sagte seufzend : » Den will ich doch noch behalten . « Hierauf brachte ich das Neugeborene in die kleine Gruft , bedeckte dieselbe mit Schieferplatten und schaufelte Erde darumher , daß alles eine Festigkeit bekam , und die Tiere den Leichnam nicht herauszerren , oder die Regenwässer mein Gebäude nicht zerstören möchten . " Nach dieser Erzählung , die der junge Mensch mit einfachem Wesen , in guten schicklichen Worten vorgetragen hatte , schwiegen der Oheim und der Prediger eine geraume Weile . Endlich sagte letzterer : " Ihr habt Unrecht getan , Eurem Pfarrer die Sache nicht sogleich anzuzeigen . Wer weiß , welcher Frevel hier dennoch in die Erde versenkt worden ist ! " " Und wo blieben jene Personen ? " fragte der Oheim . " Ich mußte sie nach unserem Dorfe bringen " , versetzte der junge Bauer . " Dort verweilten sie einige Tage , bis die Junge soweit gestärkt war , fahren zu können . Darauf besorgte ich ihnen eine Fuhre , und sie zogen von dannen , ohne zu sagen , wohin . Von ihren Gesprächen habe ich auch nicht viel verstanden . Sie redeten Deutsch , aber es waren lauter Sachen , die mir unbekannt waren . " " Wüßtet Ihr wohl die Gruft des Kindes noch zu finden ? " fragte der Oheim . " Ei warum denn nicht ! " rief der junge Mensch . " Dort in der Ecke ist sie . " Wirklich sah man in einem Winkel der zertrümmerten Mauer eine rundliche Erhöhung von Erde , welche frischer war , als der Boden umher , denn kein Grashalm hatte noch in ihr Wurzel geschlagen . Da der Oheim seine verlangenden Blicke nach dem Erdhügel warf , und dem jungen Bauer etwas sagen zu wollen schien , woran ihn die Gegenwart seines Freundes hinderte , so rief dieser : " Tun Sie , was Sie nicht lassen können , nur erlauben Sie mir , daß ich mich solange entferne , denn meine Priesterpflicht ist , die Ruhe der Gräber zu schützen , nicht , sie zu stören . " Er ging . Sobald er den Rücken gewandt hatte , sagte der Oheim zu dem Bauer : " Tue mir den Gefallen und öffne die Gruft , denn ich bin äußerst neugierig , die Einwirkungen dieses Bodens auf den Leichnam zu er fahren . " Jener hatte Bedenken , die der Oheim indessen zu überwinden wußte . Er trennte mit seinem Grabscheit vorsichtig die Erde von den Steinen , nahm , nachdem sie bloßgelegt worden waren , den obersten ab , und rief , in die Höhlung blickend , verwundert aus : " Wie das glänzt ! " Der Oheim ließ sich zu dem Platze geleiten . Die Abendsonne warf glühende Strahlen in die kleine Gruft , und bei diesem Scheine nahm er ein wunderbares Schauspiel wahr , in dessen Anblick er lange mit stummem Ergötzen versunken stand . Auf allen Punkten der Wände , welche das Grab umschlossen , war der vom nahen Wasser angegriffene Kalk des Bodens in Kugeln , Zacken , Büscheln und Spitzen hervorgequollen , und bildete mit seinen mannigfaltigen kristallinischen Gestalten , welche , tropfenbehangen , im Sonnenlichte farbenreich glänzten , eine funkelnde Zaubergrotte , in deren Mitte die Überbleibsel des Neugeborenen lagen , zum reinlichsten , weißesten Skelette verzehrt , derart , wie man kleine Tierkörper verwandelt wiederfindet , welche die Hand des Naturforschers in einem wimmelnden Ameisenhaufen beisetzte . Alles Fleisch und alle Weichgebilde hatten die Einflüsse dieses Bodens in so kurzer Zeit völlig aufgesogen , nur die zarten Knöchlein waren bisher nicht zu überwinden gewesen . Auch sie besetzten und umzogen zarte Kristalle , ähnlich dem Flitter und Schmelz , womit die Andacht an heiligen Orten die Gebeine der Märtyrer zu zieren liebt , und so lag das Leuchtende zwischen den leuchtenden Wänden . Der Oheim wollte die Hand nach den von der Natur geweihten Resten ausstrecken , zog sie aber zurück und sagte : " Nein ! dies ist zu schön , als daß man es nicht , so wie es ist , lassen müßte . " Er befahl , den Deckstein wieder aufzulegen , und gebot dem Bauer , noch sorgfältiger , als zuvor geschehen , die Erde umherzuschütten , damit das schöne Phänomen so lange als möglich bewahrt bleibe . Den Prediger befremdete die Schweigsamkeit des alten Manns auf dem Heimwege . Er war ernst und schien eigenen Gedanken nachzuhangen . Endlich sagte er : " Wenn uns die Kirchengeschichte lehrt , daß der Mensch auf dem Wege zum Göttlichen sich fast immer in das Gebiet des Absurden verirrt , so hält die Natur in ihrer regelrechten Tätigkeit zu jeder Zeit die frischesten Wunder in Bereitschaft . Sie haben mich an einen Ort geführt , wo eine aberwitzige Schlangenbrüderschaft ihre Toten begrub , und an demselben Orte entdeckte ich etwas , was meiner Sinnesart die ihr gemäße religiöse Erhebung gab . " Er hatte in seiner Bewegung selbst verabsäumt , Erde von jenem Platze mitzunehmen , wie er doch behufs einer chemischen Behandlung zuvor Willens gewesen war . Drittes Kapitel Drittes Kapitel Es war ihnen aufgefallen , daß Cornelie sich nicht unter der Pforte des Hauses zeigte , dem Oheim töchterlich aus dem Wagen zu helfen , wie sie sonst pflegte , wenn er von seinen kleinen Spazierfahrten zurückkehrte . Unerwartet fand sie der Prediger in seiner Wohnung , und trat erschreckt zurück , da er an ihrem Gesichte Spuren der äußersten Bestürzung wahrnahm . Sie warf sich ihm mit einem Tone des tiefsten Schmerzes an die Brust , und sagte unter Weinen und Schluchzen , daß sie bei einem Gange nach der Meierei im Holze jemand angetroffen habe , den sie so wiederzusehn nie vermutend gewesen sei . Auf freundliches Eindringen des Geistlichen erfuhr er , daß dieser Wiedergefundene Hermann sei , der sich ganz anders , wie ehemals , benehme , und auch verändert aussehe . Das arme Mädchen hatte in ihrer Not nirgendhin mit ihm gewußt , und ihn vorläufig im Hause des Predigers untergebracht . Sie öffnete ein Seitenzimmer , deutete mit abgewandtem Antlitz hinein , der Prediger betrat dasselbe , und erkannte in einem Manne , der früh gealtert war , den Unglücklichen , dessen er sich von seinen früheren Besuchen bei dem Oheim noch wohl erinnerte . Jener las in einer Bibel , die er dort aufgeschlagen gefunden hatte , und begann , sobald er den Prediger wahrnahm , eine Geschichte des Alten Testaments zu erzählen . Der Prediger , den dieser sonderbare Empfang ganz verwirrt machte , ließ ihn dennoch ausreden , und sagte dann : " Dem mag so sein , aber nun entdecken Sie mir , was Sie uns unerwartet wieder zuführt ? " Hermann strich sich über die Stirn , als müsse er sich erst besinnen , dann versetzte er gleichgültig : " Ich muß doch irgendwo bleiben . Ich bin an vielen Orten , hier und da gewesen , meine Kleider fangen an , abzureißen , ich habe auch wenig Geld mehr . Nun erinnerte ich mich , daß hier herum Verwandte von mir wohnen , deren Verbindlichkeit es nach römischem und deutschem Rechte ist , für einen dürftigen Angehörigen zu sorgen . " Er setzte hierauf , ohne zu stocken , die ganze Lehre von der Alimentationspflicht der Verwandten auseinander , und führte die betreffenden Gesetzstellen mit der größten Sicherheit an . Der Prediger , welcher gar nicht wußte , was er aus diesem Benehmen machen sollte , musterte ihn mit erstaunten Blicken . Der Anzug des Unglücklichen war äußerst sauber , die Wäsche sehr weiß , aber alles bis auf den Faden abgetragen . Die Verwunderung des anderen schien ihn wenig zu kümmern ; er setzte sich , da der Prediger in seinem Schweigen verharrte , wieder zur Bibel und las darin ruhig weiter . Cornelie weinte im Nebenzimmer heiße Tränen . " Wie mager seine Hände sind , wie bleich das Gesicht ist , und an den Schläfen hat er graue Haare ! " sagte sie zum Prediger . " Ist es wirklich so , wie ich denke " , fragte sie mit leiser , von innigen Schaudern unterbrochener Stimme ; " hat er den Verstand verloren ? " " Ich kann mich noch nicht in seinen Zustand finden " , versetzte der Prediger . " Seine Worte zeugen von keiner Verwirrung der Geisteskräfte , aber es ist , als ob ein totes Buch , und nicht ein lebendiger Mensch rede . Machte es denn auf ihn keinen Eindruck , als er dir unvermutet begegnete ? " " Nein " , erwiderte Cornelie . " Ich war , wie vom Schreck gelähmt , als er unter den Bäumen in dieser Gestalt mir entgegentrat . Er aber reichte mir , als sei er täglich mit mir zusammen , freundlich die Hand und bot mir den gewöhnlichen Gruß . So ließ er sich auch von mir willenlos hierherführen . " " Wir müssen nun überlegen , wohin wir ihn bringen , da er doch hier unmöglich bleiben kann " , sagte der Prediger . Cornelie wurde blaß , ihre Lippen zuckten , die Tränen , welche schon in den guten treuen Augen versiegt waren , überströmten wieder ihre Wangen . So stand sie eine Weile schweigend da . Endlich fiel sie dem Prediger zu Füßen , drückte seine Hände flehentlich gegen die zarte Brust und rief : " Stoßen wir ihn nicht hinaus in die Fremde ! Ist seine Wanderung zu uns nicht ein Zeichen , daß wir ihn behalten sollen ? " Der Prediger wußte von den Hausgeschichten so viel , daß er das Bedenkliche dieser Entschließung einsah . Er stellte Cornelien vor , wie unangenehm es dem Oheim sein müsse , wenn er erfahre , daß jemand , der ihm zuwider sei , von seinen nächsten Umgebungen beherbergt werde , und wie jede Gemütsbewegung den dünnen Lebensfaden des Greises zerreißen könne . " Das fasse ich wohl " , versetzte Cornelie ruhig , " und dennoch müssen wir unsere Pflicht tun . Er scheint still und sanft zu sein , wir werden ihn hier in der Verborgenheit hüten können , alle Sorgfalt will ich anwenden , daß dem Oheim seine Anwesenheit nicht bekannt werde . " Der Prediger wollte noch immer nicht nachgeben . Da rief Cornelie plötzlich mit einer Lebhaftigkeit , die ihn von dem schüchternen , bescheidenen Kinde in Erstaunen setzte : " Wohlan , treiben Sie ihn von Ihrer Schwelle , so nehme ich ihn auf , so soll er in meinem Stübchen wohnen , und ich will mich auf dem Söller betten . Auf die Landstraße lasse ich ihn nicht jagen . " Der Prediger sann nach , und erklärte sich zuletzt bereit , den Armen wenigstens vorläufig bei sich zu behalten . Dagegen mußte ihm Cornelie die tiefste Verschwiegenheit geloben . Hermann nahm die Nachricht , daß er bei dem Prediger bleiben solle , wie alles , gleichgültig auf . Sein Wirt beobachtete ihn in den nächsten Tagen sorgfältig , und fand , was wir schon aus der Feder des Arztes über ihn berichtet gelesen haben . Er suchte ihn auf verschiedene Weise anzuregen , ließ sich von ihm im Garten helfen , strebte , durch Gespräche über naturgeschichtliche Gegenstände , in welchem Fache er sich viel versucht hatte , auf seinen Kranken zu wirken , jedoch vergebens . Jener ging auf alles ein , las die Bücher , die ihm der Prediger hinlegte , und sprach im Zusammenhänge über ihren Inhalt , blieb aber in die Lethargie versunken , welche alle seine Seelenkräfte umsponnen hielt . Vor dem Oheim wurde die Gegenwart des Unglücklichen sorgfältig verborgen . Cornelie war , wenn sie sich allein befand , sehr ernst . Ihr Versprechen , welches sie dem Prediger hatte geben müssen , den Kranken nicht zu besuchen , hielt sie gewissenhaft , nur konnte der Prediger , sooft er abends zum Besuche kam , an ihren ängstlich-fragenden Augen abnehmen , mit welcher Sehnsucht sie den Nachrichten von seinem Hausgenossen entgegenharrte . Diese lauteten freilich nicht tröstlich , und meldeten nur ein trauriges Einerlei . Um den Oheim vor einer plötzlichen Begegnung zu schützen , waren dem Kranken , der noch immer gern weite Spaziergänge machte , seine Wege vorgeschrieben worden . Er mußte , wenn er frische Luft schöpfen wollte , von den Fabriken abwärts , auf einsamen , wenig betretenen Wiesen sich ergehen , die am Fuße waldiger Hügel lagen . Diese Vorschrift ließ er sich auch geduldig gefallen , wie er denn überhaupt alles ohne Widerstreben tat , was seine Pfeger ihm geboten . Nur einmal , als man auch jene Erlaubnis noch für gefährlich hielt , und ihn auf das Haus und allenfalls den Garten beschränken wollte , kündigten sich Zeichen einer geheimen innerlichen Wut an , welche die Besorgnis vor einer verhängnisvollen Szene erwecken mußten , und zu einer raschen Aufhebung des Verbots nötigten . Am folgsamsten war er gegen die Frau des Predigers , welche , eine gute schlichte Matrone , ihn auch sehr zweckmäßig zu behandeln wußte . Während die anderen ihn doch mehr oder minder merken ließen , wofür sie ihn hielten , tat diese , als sei sein Zustand nichts Abweichendes , als müsse alles so sein , wie es war . Es war ihr aufgefallen , daß er von seinem Rocke , welcher , obgleich völlig rein gehalten , doch kaum noch in den Nähten hing , durchaus nicht lassen , ja nicht einmal die Säuberung dieses Kleidungsstücks einem anderen übertragen wollte . Jeden Morgen klopfte und bürstete er selbst ihn aus . Irgend etwas Besonderes hierunter ahnend , schlich sie eines Abends spät , da Hermann schon fest schlummerte , in sein Zimmer , nahm den Rock hinweg , und untersuchte ihn . Plötzlich fühlte sie etwas Hartes vorn in der Gegend der Brustteile , trennte an der Stelle das Futter vorsichtig vom Tuche , und zog jene Brieftasche hervor , nach deren Eröffnung eine so unglückliche Wendung in den Schicksalen unseres Freundes eingetreten war . Sie war verschlossen . Der Prediger , welcher herbeigerufen und mit dem Fand bekanntgemacht wurde , wollte sie gewaltsam öffnen , seine Frau war aber dagegen und sagte : " Dies möchte , wenn unser Pflegling es entdeckte , ihn aufbringen ; seien wir zufrieden , zu wissen , wo aller Wahrscheinlichkeit nach das Wort des Rätsels steckt , und stellen wir der Zeit die Lösung anheim . " Sie nähte hierauf die Brieftasche wieder ein und tat den Rock an seinen Ort . Am anderen Morgen trat Hermann , den Rock über den Arm gehängt , in ihr Zimmer und erklärte , er werde sich einen neuen machen lassen , dieser sei nachgerade gar zu schlecht und dünn geworden . " Ich will dir es nur gestehen , Mutter " , fügte er hinzu , " der Rock war mir lieb , weil er so viel mit mir ausgehalten hat , aber es ist etwas damit vorgegangen , und nun mache ich mir auch aus ihm nichts mehr . Hebe ihn wohl auf , meine Geheimnisse sind darin . " " Wenn dem so ist , mein Freund " , versetzte sie , " so laß uns die Geheimnisse zusammen erwägen . Dergleichen Dinge werden oft besser , wenn vier Augen dar über kommen . " " Das ist unmöglich " , erwiderte er , entblößte seine Brust , und ließ sie ein Schlüsselchen sehen , welches er am schwarzen Bande um den Hals trug . " Sieh , dieser Schlüssel ist eigen zu der Brieftasche gemacht , von meinen Vätern - denn du mußt wissen , daß ich deren zwei habe - mir vererbt und doch schließt er nicht mehr dazu . Ich habe es oft versucht , und es wollte immer nicht gehen , auch bin ich überzeugt , daß keine Menschenhand einen dazu verfertigen kann . Also laß du diese Dinge immerhin unter dem Schlosse . " Er zog sie an sich und flüsterte ihr zu : " Es ist mir recht lieb , daß du mich nicht für verrückt hältst . In meinen guten Tagen traf ich einmal einen Menschen an , den sie in Rußland in die Bergwerke gesetzt hatten , und dem nun Mutter , Vater , Brüder und Braut gleichgültig geworden waren . So ist es mir auch ergangen ; muß man deshalb blödsinnig sein ? " Sie erzählte ihrem Manne den Inhalt dieses Gesprächs . Ihm wurde die Sache immer unheimlicher , da sein geordneter einfacher Lebensgang einen so fremdartigen Bestandteil nicht wohl vertragen mochte . Er schrieb unter der Hand an den Arzt und Wilhelmi , von deren früheren Verbindung mit Hermann er allerhand erkundet hatte . Der Arzt antwortete nicht ; er war wieder auf einer gelehrten Reise begriffen . Von Wilhelmi liefen dagegen umgehend einige Zeilen voll des regesten Eifers für den kranken , so lange verschollen gewesenen , Freund ein . Er versprach seinen Besuch , sobald ihm nur ein abermaliges Kindbette seiner Frau die Reise gestatten möchte . Viertes Kapitel Viertes Kapitel Das Familiengrabgewölbe war vollendet . Säulen von grauem Marmor stützten ein ernstes Portal , von dessen Stirnfläche ein freundliches : Willkommen ! in großen goldenen Buchstaben leuchtete . Am inneren Eingange lehnten zwei Genien sich als träumerische Hüter auf die umgestürzte Fackel , das Gewölbe selbst war einfach aber würdig mit großen Werkstücken ausgesetzt , und empfing durch eine Kuppelöffnung , deren Seitenluken das stärkste Kristallglas verschloß , ein dämmerndes Licht . Diese Begräbnisstätte hatte der Oheim mit großen Kosten und vieler Mühe in dem Berge , den seine verstorbene Gattin geliebt , austiefen und schmücken lassen . Je näher er sich selbst so dem Ziele seiner Tage fühlte , desto eifriger wurde sein Bestreben , das Werk noch vollendet , die Asche der ihm so teuren Frau dorthin gebracht zu sehen . Nach seinem Willen sollte der Ort und dessen Umgebung zwar etwas Feierliches , aber nichts Düsteres haben . Er ließ den Platz vor dem Gewölbe mit klarem Kies belegen ; Zypressen , Taxus und anderes dunkelfarbiges Gesträuch mußte die Umsäumung desselben bilden , Mauerwerk , welches in die Runde geführt wurde , war bestimmt , den Vorplatz vor dem Verwaschen und Abschießen durch Regenfluten zu schützen , an dasselbe lehnten sich schönblühende Rankengewächse , damit das Auge nirgends durch tote Massen ermüdet werden möchte . In der Tat bekam die Anlage durch den Kontrast der gediegenen Architektur mit der umgebenden Baum-Pflanzen- und Blumenwelt einen eigenen Reiz , so daß jeder sich gern auf den zu beiden Seiten des Portals zum Verweilen einladenden Steinsitzen niederließ . Noch ganz zuletzt hatte sich ein bedeutendes Hindernis aufgetan . Der Architekt sah nämlich , als das Gewölbe schon völlig ausgemauert war , daß eine reichliche Flüssigkeit durch den Kalk und Mörtel der Fugen hindurchsinterte und den Raum mit verderblicher Nässe zu erfüllen drohte . Bald hatte er auch die Ursache dieses unwillkommenen Einflusses entdeckt . Oberhalb dem Grabesberge lag nämlich ein beträchtlicher Weiher , der vermutlich durch geheime , erst durch die Arbeit im Berge eröffnete Kanäle jene Wässer der Gruft zusendete . Wurde diese Gefahr nicht abgewendet , so stand , davon mußte man sich überzeugen , dem Mausoleum eine rasche Zerstörung bevor . Er machte sogleich dem Oheim die Anzeige , welcher sich auf den Berggipfel tragen ließ , die Gefahr , aber auch die Schwierigkeit , entgegenzuwirken , begriff . Die Wände jenes Weihers bestanden nämlich aus Felsen ; zwischen denselben blinkte und rauschte das Wasser , wie in einer großen natürlichen Schale . Ein Durchbruch der Felsen , und eine dadurch zu bildende Abzugsrinne würden so viel Zeit hinweggenommen haben , daß inzwischen wahrscheinlich schon geschehen wäre , was man verhindern wollte . Davon mußte man also abstehn ; auf andere Weise war die Trockenlegung des Weihers zu versuchen . Rasch hatte der Oheim , der in dieser ganzen Angelegenheit mit der schnellen Kühnheit seiner Jugend verfuhr , das entsprechende Mittel gefunden , und zur Ausführung gebracht . Große Züge von Pferden schleppten auf notdürftig gebahnten Wegen eine gewaltige Dampfmaschine den Berg hinan , rüstige Maurer arbeiteten Tag und Nacht , den Ofen zu errichten , dessen Gluten die ungeheuren Kräfte der Dämpfe entwickeln sollten ; sobald er stand , stand auch binnen kurzem die Maschine , ein kräftig wirkendes Pumpen-Saug- und Schöpfwerk , welches in jeder Sekunde mehrere Tonnen Wassers zu entheben vermochte , wurde an den Spiegel des Weihers geführt und mit den Armen der Dampfmaschine in Verbindung gesetzt . Nun glühten die Kohlen des Ofens , nun hoben sich die langen eisernen Arme der Maschine , griffen in die Öhre der Pumpenstengel , trieben die Schöpfräder um . Die abgezogenen Fluten bildeten den Berg hinunter einen Gießbach , und über den wirkenden Kräften ruhte die dichte , schwarze Wolke , welche dergleichen Stätten zyklopischer Feuertätigkeit bezeichnet . Sobald der Grund sichtbar werden würde , sollten Sachverständige prüfen , ob die Quellen zu verstopfen sein möchten . Jedenfalls war vorauszusehn , daß man nach der Seite des Mausoleums zu durch Letten- und Sandsäcke jede Verbindung mit dessen Wölbung werde aufzuheben vermögen . Dies wurde für so gewiß gehalten , daß der Oheim , der überhaupt mit krankhafter Ungeduld nach der Beendigung des Werks verlangte , das Austrocknen des Weihers nicht abwarten wollte , um die Beisetzung des Leichnams zu veranstalten . Was ihn in seiner Zuversicht bestärkte , war der Umstand , daß , wie die Wassermasse sich verringerte , auch das Durchsintern bedeutend abnahm , so daß man mit Hilfe einer bleiernen Rinne schon jetzt das Gewölbe entnässen konnte . Er entwarf daher den Plan zu der Feierlichkeit , die übrigens höchst einfach und schmucklos sein sollte . Seine Geschäftsfreunde und Vorstände hatten sich erboten , den Sarg auf ihren Schultern aus dem Erbbegräbnis der Grafen herabzutragen . Der Prediger sollte mit der Schuljugend folgen , jedoch wegen Länge des Weges auf diesem kein Lied anstimmen . Oben , bei dem Mausoleum wollte der Oheim mit Cornelien und einigen anderen jungen Mädchen , deren sich die Verstorbene angenommen hatte , den Zug erwarten . Die Mädchen hatten einen schönen Psalm eingeübt , mit welchem sie die sterblichen Überreste ihrer Wohltäterin begrüßen wollten ; unter diesen ernsten Tönen sollte der Sarg in der Gruft niedergesetzt werden , und ein kurzes Gebet des Predigers den Schluß der Bestattung machen . Am Vorabende unterhielt sich der Oheim mit dem Prediger lange über Dinge , auf welche die Umstände wohl führen mußten . " Ich kann ganz genau meine Lebenskraft berechnen " , sagte er , " und sehe voraus , daß ich noch den Winter hindurch vorhalten , und erst im Frühjahre , wo alles Mürbgewordene sich sacht von dannen begibt , abscheiden werde . Es ist mir lieb , daß die Natur sich gegen die Eigentümlichkeit meines Wesens gefällig bezeugt , mich nicht unvermutet aus der Mitte ungeordneter Geschäfte hinwegreißt , sondern mir Zeit läßt , mein Haus als ein ordentlicher Wirt zu bestellen . Dieser Winter ist zur Anfertigung meines Testaments bestimmt , und ich darf Ihnen von dessen Inhalte so viel voraussagen , daß ich damit umgehe , eine Art von Fideikommiss zu errichten , um meinem Sohne die Zerstörung des Werks , welches ich mit meinen Freunden gegründet habe , für immer unmöglich zu machen . Es ist sonderbar , daß man noch in seinen letzten Tagen zu Schritten kommen kann , die man bei anderen früher nie billigte . Ich war von jeher der entschiedenste Gegner solcher Tötungen des freien Eigentums , und sehe nun doch ein , daß es Fälle und Verhältnisse gibt , welche dazu gebieterisch nötigen . " Der Prediger wollte ihm die Todesgedanken ausreden ; jener versetzte aber : " Lassen Sie mir doch meinen Kalkül , in dem für mich etwas Angenehmes liegt . Wenn ich sterbe , so wird es sein , wie ein kaufmännischer Jahresabschluß , wie eine gewöhnlich Comptoirhandlung . Alles wird danach im hergebrachten Geleise bleiben , kein Stuhl braucht deshalb verrückt zu werden . Wir können uns in Beziehung auf den sonderbaren Akt , der mit nichts , was wir sonst erfahren , Ähnlichkeit hat , von einmal gangbar gewordenen Vorstellungsweisen nicht losreißen , so wenig sie auch auf die Sache passen " , fuhr er fort . " Was heißt das : An der Seite seiner Gattin im Grabe ruhn ? Ist es nur denkbar , ja wäre es nicht die größte Ungereimtheit , anzunehmen , daß mit der Gemeinschaft der Gruft irgendeine Empfindung für die Individuen verbunden sein sollte ? Und dennoch muß ich Ihnen gestehen , daß ich voll wahren Entzückens an diese Vereinigung mit meiner Frau denke , und daß ich dann das Bild des süßesten , seligsten Schlummers nicht aus dem Sinne verbannen kann , so sehr mir sonst jede Schwärmerei auch widersteht . " " Lassen wir , was wir nicht begreifen , auf sich beruhn , es hat wohl immer seinen Wert " , erwiderte der Prediger . " Gewiß ist es menschlicher und natürlicher , fügt sich in den ganzen Zusammenhäng unserer Vorstellungen leichter ein , den Tod nicht so für sich , sondern gewissermaßen als Fortsetzung gewöhnlicher menschlicher Zustände zu betrachten . Und auf diesen Zusammenhäng der Vorstellungen kommt doch alles an . Es gibt kein Volk , welches nicht die letzte Rast in Verbindung mit dem menschlichen Geselligkeitstriebe , oder mit den Zuneigungen des Verstorbenen für bestimmte Plätze , da er noch lebte , brächte , und jenem Triebe und diesen Neigungen eine Schattendauer über das Grab hinaus beilegte . Nur die abgeschwächte Grübelei , das erkältete Gemüt wird gleichgültig gegen die letzte Wohnung ; in den Zeiten der Stärke beherrscht jener freundliche Wahn , wenn man ihn so nennen will , das Volk und jeden einzelnen . Ich halte nun sehr viel von dem Spruche : » An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen « , und meine , daß das , was die Menschen im Zustande der physischen und moralischen Gesundheit denken oder auch nur träumen , das uns eigentlich Gemäße sei , womit wir uns zu begnügen haben . " Ein Geräusch im Nebenzimmer unterbrach diese friedlichtraurigen Gespräche . Die Vorstände der Fabriken traten herein , und an ihren Mienen ließ sich abnehmen , daß etwas Bedeutendes vorgefallen sein mußte . Der Oheim , verwundert über den späten Besuch , fragte nach der Ursache , worauf ihm einer ein großes Schreiben , ohne zu reden , mit bedeutenden Blicken hinreichte . Der Prediger sollte es lesen ; er besah Siegel und Aufschrift und sagte : " Nach dem Postzeichen kommt es aus der Standesherrschaft . " " Ich will nicht hoffen " , rief der Oheim ahnend aus , " daß dort sich etwas begeben hat ! " " Allerdings " , versetzte einer , " wir haben , was wir haben wollten . " Der Prediger hatte das Schreiben eröffnet und sagte : " Man meldet Ihnen das Ableben des Herzogs , und jene großen Besitzungen sind nun ebenfalls die Ihrigen . " Die Geschäftsleute konnten ihre freudige Bewegung nicht unterdrücken ; der Oheim entließ sie mit einem stummen Winke , und saß , die Hände im Schoße gefaltet , das Haupt gesenkt , lange Zeit schweigend da . Der Prediger hatte einen zweiten Brief erbrochen , der von jemand herrührte , welcher sich im Interesse des Oheims auf die erhaltene Todesnachricht sogleich nach dem Schlosse begeben hatte , um etwaige Veruntreuungen der Offizianten und Diener zu hindern . Er berichtete die näheren Umstände über das Ende des Standesherrn . Mit Weglassung des Unwesentlichen schalten wir folgende Stelle seines Briefs unserer Geschichte ein : " So versank der Herzog von Tage zu Tage in eine immer tiefere Schwermut . Er hatte seine Geschäfte dergestalt vereinfacht , daß er sie fast allein besorgen konnte . Nur die notwendigste Bedienung litt er um sich , seine Mittags- und Abendmahlzeiten waren einsam , aller Gesellschaft hatte er entsagt . Wenn ihm jemand leise Vorstellungen über diese Absonderung zu machen wagte , so versetzte er , daß ihn seine wankende Gesundheit zu einer so regelmäßigen Lebensweise nötige ; jeden Gedanken an einen Schmerz der Seele suchte er durch seine Erklärungen bei anderen sorgfältig zu entfernen . Über die Abtretung der Herrschaft an Sie auf den Todesfall sprach er sich mit völliger Ruhe und Fassung aus . Wer ihn aufmerksamer betrachtete , mußte die Angabe über seine körperlichen Umstände bezweifeln , denn das äußere Ansehen deutete durchaus nicht auf etwas Krankhaftes . Aber oft kam er nach Hause , am Arme eines Landmanns , hinfällig , wie es schien , und sagte dann , daß ihn ein Schwindel unterwegs betroffen habe , und daß er zu Boden gestürzt sein würde , wenn ihn der Führer nicht aufgefangen hätte . Gestern hat man ihn denn tot , auf dem Fußboden seines Zimmers ausgestreckt , gefunden . Noch zwei Tage vorher war an ihm eine merkliche Erheiterung sichtbar geworden . Er hatte sich geäußert , daß er ein größeres Wohlsein verspüre , von Besuchen , die er wieder abstatten , ja von einer Reise , die er unternehmen wolle , gesprochen . Der Landphysikus ist sogleich berufen worden , hat den Körper untersucht und den Ausspruch gefällt , daß ein Schlagfluß den Tagen des Herzogs ein Ende gemacht habe . Diesem ärztlichen Gutachten spricht nun jedermann nach ; ich aber habe meine besonderen Vermutungen . Ich brachte in Erfahrung , daß er seine Angelegenheiten in einer Ordnung hinterlassen habe , die beispiellos sei . Selbst die gewöhnlichen Rechnungen , welche sonst in jedem großen Hauswesen das Jahr hindurch unbezahlt stehenbleiben , sind bis auf die kleinsten Posten quittiert vorgefunden worden . Nun meine ich , daß der natürliche Tod niemand so in Bereitschaft antreffen kann . Ist mein Argwohn richtig , so hat er verstanden , die Repräsentation , welche seine Schritte von jeher bestimmte , bis an das Ende zu führen . Es ist ihm möglich geworden , dem Überdrusse am Dasein die beabsichtigte Folge zu geben , dennoch alle zu täuschen , und anständig , wie er gelebt , zu sterben . Ich selbst , der ich mich unter einem Vorwande in sein Zimmer geschlichen und mich überall umgesehen habe , konnte nichts Verdächtiges entdecken . Die Herzogin , welche sich unfern im Bade * befand , eilte auf die erste Nachricht mit Kurierpferden herbei . Ihr Schmerz ist grenzenlos und exzentrisch ; vielleicht schärft ihn das geheime Bewußtsein begangner Vernachlässigungen , zu denen eine überfeinerte Seelenstimmung sie verleitet hat . Man ließ ein Wort vom Begräbnisse fallen , worauf sie , wie außer sich , ausgerufen hat , daß davon keine Rede sein dürfe , daß der Leichnam über der Erde bleiben solle , von ihr gepflegt und behütet . Wie man diese Laune des Kummers überwinden werde , steht dahin . Was die übrigen hiesigen Verhältnisse betrifft , so werden Sie selbst das Richtige erraten , da Sie die Menschen genügsam kennen . Sie sind nun allhier der Herr und Meister , und Ihnen wendet sich ein jeglicher bereits in seinen Gedanken zu . Man hat mich verschiedentlich um günstiges Vorwort bei Ihnen angesprochen ; ich denke , Sie werden in eigener Person prüfen , und die Spreu vom Weizen zu sondern wissen . " Da der Oheim in seinem Schweigen beharrte , und durch die Nachricht ungewöhnlich erschüttert zu sein schien , sagte der Prediger : " Ich kann es wohl fassen , wie ein großes Glück unsere Natur zu ängstigen vermag . Wir sind doch alle eigentlich nur auf die Gewohnheit eingerichtet , und wollen , wenn sich etwas Außerordentliches ereignen soll , dieses uns lieber durch Dulden und Schmerz , als durch Genuß und Freude aneignen . " " Sie erraten den Grund meiner Stimmung nicht " , versetzte der Oheim . " Jene Todespost verrückt mir mein Konzept , darum setzt sie mich so in Unruhe . Nie habe ich geglaubt , den Herzog überleben zu müssen . Ich war eingerichtet auf Abreise , ich zählte die Stunden bis dahin , nun kommt ein Ereignis , welches auf längeres Verweilensollen deutet . Denn wenn eine vernünftige Macht unsere Schicksale beherrscht , so wird sie mir nicht eine Vermehrung meiner Besitztümer um das Doppelte zuwerfen , in dem Augenblicke , wo sie mich zum Scheiden reif erklärt . Ich werde also fortvegetieren , vielleicht noch lange , bis ich dieses neuen Geschäftes Herr geworden bin . " Fünftes Kapitel Fünftes Kapitel In der Nacht , welche diesem Abende folgte , lag Ferdinand in der Hütte des alten Kammerjägers , mit dem er seit längerer Zeit geheimen , vertrauten Umgang pflog . Spät war er zu ihm gekommen , hatte hastig mehrere Gläser des geistigen Getränks , an welches er sich in dieser wilden Gesellschaft gewöhnen mußte , hinuntergestürzt , und war dann nach heftigen und unbändigen Reden eingeschlafen . Der Alte , welcher auf der einsamen Klippenhöhe - derselben , wo einst die leidenschaftliche Begegnung zwischen Hermann und Ferdinand sich ereignet hatte - abgesondert von aller menschlichen Gemeinschaft hauste , trieb schon eine geraume Zeit in der Gegend sein Wesen . Er bot allerhand Kräuteröle und Essenzen feil , vertilgte die Ratten und Mäuse , und da er zu seinen Mitteln und Hilfsleistungen immer noch einen biblischen Spruch obenein in den Kauf gab , so hielten ihn die Landleute für einen Vertriebenen Priester , und erzählten sich die wildesten Geschichten von ihm . Woher er gekommen war , wußte niemand ; da er indessen einen Erlaubnisschein zu seinem Gewerbe hatte , keinen belästigte und nichts Übles tat , so mußte man ihn unangefochten gehen lassen . Zuweilen hielt er sich in der Nähe der Fabriken auf , sah starr nach dem Herrenhause und murmelte unverständliche Worte für sich hin . Da aber hier ein jeder mit seinem eigenen Tagewerke genug zu schaffen hatte , so achtete niemand dessen , was außer dem Arbeitswege lag , und der murmelnde Alte war ihnen schon zur gewöhnlichen Erscheinung geworden , aus der keiner ein Arg hatte . Er leuchtete dem Schlummernden , dessen Züge von stürmischer Leidenschaft zuckten , mit der Lampe scharf ins Gesicht , blickte nach einem auf dem Tische liegenden blanken Messer , und sagte : " Jetzt könnte ich es tun , und den Samen der Feinde vertilgen ! Sie sind hinter sich getrieben worden , sie sind gefallen und umgekommen vor dir . Denn du führest mein Recht und meine Sache aus , du sitzest auf dem Stuhl , ein rechter Richter . Du schiltst die Heiden und bringest die Gottlosen um , ihren Namen vertilgest du immer und ewiglich . " Er griff nach dem Messer , legte es aber wieder hin , und rief : " Steht nicht geschrieben ? Wer einen Menschen schlägt , daß er stirbt , der soll des Todes sterben . Ein jegliches hat seine Zeit , und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde . Anschläge bestehen , wenn man sie mit Rat führt , und Krieg soll man mit Vernunft führen . Wie man einen Knaben gewöhnet , so läßt er nicht davon , wenn er alt wird . " Er setzte sich zu seinen Wurzeln , Ölen und Schmalzen , und begann , in diesen unsauberen Dingen zu wühlen . Ein widerlicher , für nicht ganz abgestumpfte Geruchsnerven unerträglicher Dunst begann sich zu verbreiten , von dem auch wohl der Schläfer erwachen mochte . Er rieb die Augen , riß sie dann weit auf , sprang von seinem Strohlager empor , stellte sich vor den Alten und rief : " Laß deine albernen Schmierereien und hilf mir ! " " Was fehlt Euch denn , und wo sitzt es , Junker ? " fragte der Alte . " Hier " , rief Ferdinand , und schlug mit der geballten Faust auf die Brust . " Sprecht und sagt an , daß man Euch verstehe " , erwiderte der Alte . " Vorhin , als Ihr zu mir gestolpert kamt , wart Ihr so außer Euch , daß ich meinte , Ihr hättet vom Bilsenkraut genossen , welches der Menschen Gehirn verstört . Nichts habe ich von allem dem begriffen , was Euren Lippen da entsprudelte . " Der verwilderte Jüngling setzte sich dem Alten gegenüber , stemmte den Kopf auf , und aus seinen Augen brach ein Tränenstrom mit einer Gewalt , wie wenn Quellen sich durch Felsen die Bahn erzwingen . Dieser Regen des Schmerzes erweichte seine Züge , welche , ungeachtet aller Entstellung durch Ausschweifungen , noch immer viel von ihrem ursprünglichen Adel und von der unschuldigen Schönheit der Kinderjahre hatten , so daß sein Anblick jeden Empfindenden mit Rührung erfüllt haben würde . Der Alte aber ließ ihn weinen , rieb gleichgültig seine ekelhaften Spezies ferner ab , und sagte nach einer Weile : " Vom Trauern kommt der Tod , und des Herzens Kummer schwächt die Kräfte . Redet endlich , denn am Lachen und Flennen soll man den Narren erkennen . " " Er ist wieder da ; bei dem Pfaffen versteckt er sich , der Leidige , das Ungeheuer , dem ich das Herz aus dem Leibe reißen möchte , und es in die Tiefe werfen , da , wo es die Füchse fressen ! " rief Ferdinand . " Wie lange wird es dauern , so heiraten sie einander ! Ich glaubte , es sei vorbei , dein Branntwein schmeckte mir , und der Spaß mit dem Mädchen , zu dem du mich führtest , tat mir wohl , aber nun er wieder da ist , hat sich alles umgekehrt . Ich will nur gleich zwischen des Vaters Maschinen geraten , und von ihren Rädern zerquetscht werden , wenn ich Cornelien lassen soll , die mein Leib , meine Seele , mein alles ist , um die ich durch die brennende Hölle ginge ! " " Da wäre nun kein anderer Rat " , sagte der Alte , " als , Ihr müßtet Euch des Kerls zu entledigen suchen . Lauert ihm auf , wenn er allein geht , und stoßt ihn von hinten nieder , so ist der Weg zum Mädchen frei . " " Wie dumm du bist ! " rief Ferdinand . " Mord kommt an den Tag , das habe ich in allen Geschichten gelesen . Sie schlügen mir den Kopf ab , und ich hätte nichts davon . Nein , wozu ich noch immer Verlangen trüge , das wäre ein Duell auf Leben und Tod . Wenn man darin seinen Gegner niederschießt , so kommt man zwar auch auf die Festung , aber sie lassen einen bald wieder frei . Das erzählte neulich einer über Tisch . " " Ihr habt ja Pistolen , fordert ihn also " , sagte der Alte . " Und wer versichert mich , daß ich ihn treffe ? " fragte Ferdinand . Er sann eine Weile stumm vor sich nieder , dann riß er das Haupt des Alten , der immer in seiner Beschäftigung fortfuhr , gewaltsam beim Schopfe empor , sah ihm mit einem seltsamen Blicke in das Antlitz , und sagte leise : " Höre du ; weißt du , ob es Treffkugeln gibt ? " Der Alte legte seine Sachen weg , und versetzte : " Oho ! Wollt Ihr da hinaus ? In der Stadt haben sie , wie ich mir sagen lassen , einen großen Spektakel und Gesang darüber gemacht . Sie ziehen einen rot an , den nennen sie den Simon oder Samuel , ich weiß nicht recht , wie er heißt , und dann geht ein aberwitziger Lärmen in der sogenannten Wolfsschlucht vor sich . Nichtsnutzige Possen das ! Auf solche Lappalien horcht nichts in dem Abgrunde der Kräfte , die muß man an einem anderen Zipfel zu fassen wissen . Ob es wahr ist , weiß ich nicht , gesprochen wird davon unter uns Leuten vom Fache . Es steht geschrieben im zweiten Buche Mose am einundzwanzigsten : Auge um Auge , Zahn um Zahn , Hand um Hand , Fuß um Fuß , Seele um Seele . Davon machen sie die Nutzanwendung ; wer seines Lebens nicht achtet , um das Schießblei zu gewinnen , dem wird das Blei auch alles Leben in die Hände geben , an welches er will . Sie sagen , wer ein Stück Blei , aber es muß nicht von einer Kirche sein , mit Todesgefahr erobert , der kann daraus Kugeln gießen , vor denen kein Kraut gewachsen ist . Wißt Ihr ein solches Stück Blei , so tut , was Ihr nicht lassen könnt , und plagt mich nicht weiter , denn es ist hoch Mitternacht , und ich bin schläfrig . " Die Lampe war über diesem Gespräche erloschen . Ferdinand tappte im Dunklen fort , und der Alte streckte sich mit den Worten : " Wenn ihm nun ein Unglück begegnet , so ist die Brut der Ungerechten zertreten , ohne daß ich schuld daran habe " , auf sein Lager . Sechstes Kapitel Sechstes Kapitel Am folgenden Morgen bat Hermann die Frau des Predigers um die Erlaubnis , dem Begräbnisse zusehen zu dürfen . Sie wollte davon nichts wissen , weil ihn der Oheim zu Gesichte bekommen könne . Er versprach , auf dem obersten Teile der Anhöhe hinter Büschen verborgen bleiben zu wollen . Um ihren Mann über das Anliegen zu befragen , ging sie in dessen Studierzimmer . Dieser hatte es sich nicht nehmen lassen wollen , außer dem Gebete eine kurze Rede am Sarge zu halten , und schritt , Inhalt und Ausdruck in Gedanken erwägend , auf und ab . Er war im Zustande der Meditation von allen anderen Dingen immer gänzlich abgekehrt , antwortete daher seiner Frau , ohne recht zu wissen , wovon sie redete , auf ihre Frage zerstreut : " In Gottes Namen , störe mich nur nicht ferner ! " Der Kranke rief , als er die Einwilligung vernahm : " Das ist mir recht lieb ! Ich muß mehr Zerstreuung haben . Seitdem mit meinem Rocke etwas vorgegangen ist , bin ich so unruhig ! " Nach einigen Stunden hörte der Prediger erst , wozu er seine Beistimmung gegeben hatte . Er war darüber sehr erschrocken , und wollte durchaus , daß der Kranke von seinem Vorhaben abgebracht würde . Indessen mußte man es gehen lassen , denn Hermann verriet in Farbe und Mienen wieder einen heimlichen Zorn , sobald seine Pflegemutter versuchte , ihm jenen Gang auszureden . Im Hause des Oheims herrschten sehr verschiedenartige Beschäftigungen . Cornelie übte mit den jungen Mädchen den Psalm ein , welcher an der Gruft gesungen werden sollte , und wand mit ihnen die Kränze , zum Schmuck des Eingangs bestimmt . Der Oheim war dagegen mit seinen Geschäftsleuten in die weltlichsten Beratungen versenkt . Der Vorteil , welcher dem ganzen Fabrikbetriebe und also nach der gestifteten Einrichtung auch ihnen teilweise durch den Anfall der Standesherrschaft zuwuchs , war unermeßlich . Kaum hatten sie das Erwachen ihres Herrn und Meisters abwarten mögen , ihm alles das , was die Nacht hindurch in ihren Köpfen gegärt , vorzutragen ; um seinen Frühstückstisch versammelte sich schnell eine zahlreiche Gruppe von Ratschlagenden , Entwürfeverkündenden , welche ihre Gedanken auch sogleich dem Auge durch Listen , Rechnungen , und schnell gefertigte Risse anschaulich zu machen sich bestrebten . Einer der Rührigsten wurde noch an demselben Vormittage nach jenen Gütern abgefertigt , um namens des nunmehrigen Eigentümers Besitz zu ergreifen . Nutzte man die Kräfte , welche durch den neuen Erwerbe gewonnen worden waren , in bisheriger schwunghafter Weise , so ließen sich einem solchen Geschäfte kaum noch Grenzen ziehen , nur in England waren die Ähnlichkeiten für derartige Gewerbesgröße aufzufinden . Diese Betrachtungen rührten zu dem Vorsatze , eine bedeutende überseeische Abzweigung des Kapitals zu bewirken . Der Oheim nahm an der Unterredung lebhaft Teil . Jedem Menschen ist eine Signatur in die Seele eingeschrieben , und die Entfernung von diesem Urzeichen der Lebensentfaltung bleibt immer nur eine scheinbare . Auch er hatte eine unruhige Nacht gehabt . Mit siegender Gewalt nahmen ihn die Bilder der neuen Tätigkeiten gefangen , und drängten die stillen entsagenden Vorstellungen zurück , mit welchen er bis zum Ende seiner Tage auszureichen gemeint hatte . Besonders war ihm der Blick verlangend über das Meer gerückt ; er wünschte sehnlich eine Herstellung von seinen Gebrechen , um sich noch die Anschauung jener fernen erzeugnisreichen Gegenden gewinnen zu können . Zwischen diesen Verhandlungen langte eine Botschaft Theophiliens an . Sie hatte den Schlüssel zu dem Erbbegräbnisse der Grafen in Verwahrung , und diesen heute den Männern herausgeben müssen , welche den Sarg der Tante von seiner vorläufigen Ruhestätte zu erheben bestimmt waren . Nun bat sie den Oheim schriftlich , allen ferneren Ansprüchen auf die Gruft ihrer Ahnen zu entsagen , welche ihm von keinem Nutzen mehr sein könne , da er für sich und die Seinigen ein eigenes Gewölbe errichtet habe . Der Oheim sagte , nachdem er den Brief gelesen hatte : " Da uns das Schicksal gewaltsam in das Leben zurückdrängt , so wollen wir immerhin den Toten die Toten überlassen . Es ist mir lieb , den Grillen dieser untergegangenen Frau eine Nachgiebigkeit erzeigen zu können . Vielleicht versöhne ich sie dadurch mit mir . " Er setzte sich nieder , stellte eine verzichtende Erklärung , wie sie dieselbe begehrt hatte , aus , und überließ die Gruft der erloschenen Familie dem letzten Sprößlinge zur uneingeschränkten freien Verfügung . Nach dem Mittagsessen , welches man noch mehr , als gewöhnlich , abgekürzt hatte , begaben sich die Männer , welche den Sarg tragen wollten , eilig den Schloßberg hinauf . Der Oheim verweilte eine kurze Zeit bei Cornelien , deren Augen über das zerstreute und der Feier des Tages abgekehrte Wesen trübe geworden waren . Man sah es allen nur zu deutlich an , daß sie das Totenfest abgetan wünschten , um sich den so mächtig andringenden irdischen Hoffnungen mit ganzer Seele hingeben zu können . In ihrer reinen Trauer über diesen grellen Widerspruch der Menschen und Dinge nahm sie den Oheim , als sie mit ihm allein war , beiseite , und sagte zu ihm : " Nicht wahr , Vater , wir fahren nach der Bestattung mit dem Prediger spazieren , und bleiben auch den Abend für uns ? " " In deiner sanften Frage liegt für mich ein schwerer Vorwurf " , versetzte der Oheim . " Wenn es wahr wäre , daß zwischen den Seelen der Menschen ein wesentlicher Unterschied bestände , wie manche haben lehren wollen ! Wenn nur einige zur Erhebung , zum Leben des Geistes bestimmt wären , andere dagegen unwiderruflich in den Schlamm und Tod versinken müßten , und alle Mühe , von diesem eingebrannten Male der Nichtigkeit sich zu reinigen , umsonst aufwendeten ! " " Welche Gedanken ! " rief Cornelie . " Ich will wenigstens hienieden nützen , wie ich kann " , fuhr der Oheim fort . " Zu meinen Beschickungen gehörst auch du , Cornelie , du bist die süßeste derselben . Sollte ich aus der Welt gehen , ehe ich dich an der Seite eines Gatten versorgt weiß , so wird dein Los von mir genügend festgestellt worden sein . " Cornelie sank ihm zu Füßen , und sprach mit leuchtenden Blicken : " Sorge du nicht um mich , und nicht für mich , mein Vater . So gewiß dies meine Hand , und jenes meine Füße sind , so gewiß weiß ich , daß , wo ich stehe , oder mich niederlege , wohin ich gehe und trete , ich behütet und geschirmt bin . Wenn das nicht wäre , so hätte ich ja so früh meine Eltern nicht verlieren können . Glaube mir , mein Vater , mir wird es immer wohl gehen , recht wohl . An meinem Herde wird sich der Dürftige wärmen , und unter meiner Pforte werden die Müden sitzen . Darum entziehe du deinem Sohne und den Freunden , die mit dir gearbeitet haben , nichts von dem Deinigen ; Cornelien schenke du nur , wenn es denn einmal so weit ist , deinen letzten Blick und Hauch , das soll meine Erbschaft sein . " Er fragte einen Eintretenden , welcher meldete , daß der Leichenzug vom Schloßberge herabzusteigen beginne , nach Ferdinand . Jener versetzte , daß er den Knaben aufgefordert habe , ihm zu folgen , daß dieser aber , ohne ihm Antwort zu geben , den Berg nach der Gegend des Weihers zu hinaufgestürmt sei . Seufzend machte sich der Oheim in seinem kleinen Fuhrwerke , neben welchem Cornelie herging , auf den Weg . Den Vorplatz des Mausoleums bedeckte eine zahlreiche Menschenmenge , welche nicht die Neugier allein , sondern auch so ein dankbares Erinnern herbeigezogen hatte , denn die Verstorbene war die Wohltäterin vieler Bedürftigen gewesen . Die Pforten des Gewölbes waren aufgetan , zu beiden Seiten standen die festlichgeschmückten Jungfrauen im Halbkreise . Cornelie gesellte sich , sobald sie mit dem Oheim auf der Höhe anlangte , zu ihnen . Er ließ seinen Sessel der Pforte gegenüberstellen , und erwartete den Zug , dessen Nahen die in immer dichteren Haufen den Berg heraufdringenden Menschen verkündeten . In der Mitte des Platzes war mit leichten Stäben ein freier Raum für den Sarg , seine Träger , den Prediger und die Schulkinder abgesteckt worden . Siebentes Kapitel Siebentes Kapitel Sobald der Sarg niedergesetzt war , und die wogenden Menschenwellen , welche nun nicht allein den Platz oben , sondern auch alle Abhänge des Berges überfluteten , sich beruhigt hatten , erhoben die Jungfrauen ihre Stimme , und sangen den Psalm ab , dessen gehaltene , ernste Melodie die Herzen noch tiefer angerührt haben würde , wenn nicht das vom Weiher herklingend Geräusch der heftigarbeitenden Dampfmaschine den sonderbarsten Gegensatz zu jenen frommen Tönen hervorgebracht hätte . Nach beendigtem Gesange trat der Prediger zum Sarge , verrichtete das Gebet , und knüpfte an dasselbe folgende Worte : " Ihr seid es von mir schon längst gewohnt , meine Zuhörer , daß ich euch in meinen Vorträgen nicht zwischen die Dornenhecken dunkler Glaubenslehren , nicht auf die kalten leeren Höhen spitzfindiger Grübelei zu führen pflege , weil ich der Meinung bin , daß das Christentum , ist es echter Art , dem Blute gleichen müsse , welches , mit den Werkzeugen des Lebens verbunden , sie in ungetrennter Gemeinschaft durchdringend , ihnen eben gerade das Leben schafft , während dasselbe , von jenen Werkzeugen getrennt , für sich allein nicht bestehen kann , vielmehr dann bald sich scheidet , gerinnt und verdirbt . Ich liebe es daher , euch aus noch so geringfügig scheinenden Gelegenheiten , aus eurer Arbeit und aus eurem Gewerbe , aus den kleinsten Vorfällen eurer Hauswesen , die Quellen der Erbauung zu öffnen , und bestrebte mich , den Gott , welcher jedem erscheinen muß , wenn er das Samenkorn in die Erde legt , oder sein Tagewerk am Webstuhle vollendet hat , vor aller Augen zu enthüllen . Laßt mich also auch an dieser Bahre meines Brauche_es pflegen , laßt uns nicht in allgemeinen Todesbetrachtungen , welche ohne Frucht und unnütz sein würden , sondern in dem besonderen Hinblicke auf den Fall , welcher uns hier zusammengeführt hat , unsere Gedanken vereinigen ! Es ist ein Gerede unter den Menschen , daß Mäßigkeit , Nüchternheit , Vorsicht , die heilsame Kälte , welche die Schritte erwägt und den Fuß nicht eher zum Weitergehn aufheben mag , bis man habe , wo man ihn niedersetze , daß diese Dinge , sage ich , zwar gute und einträgliche Eigenschaften seien , daß sie aber zu höheren und selteneren Gewinnen nicht hinzuführen vermögen , und daß sie namentlich den Menschen , welcher mit ihnen begabt ist , unfähig zu den sanften und warmen Empfindungen machen , auf welchen die Liebe ihr schönes Gebäude gründet . Man nennt die Verbindungen , welche nicht im Rausche der Leidenschaft geschlossen werden , Scheinbündnisse , man glaubt , daß bei ihrer Eingehung nur der Trieb der Gewohnheit oder eine herzlose Berechnung obgewaltet haben könne . Sehet hier ein Beispiel von der Nichtigkeit dieses Redens und Meinens ! Über die Jünglingsjahre längst hinaus , ohne stürmische Aufwallung , bedächtig das Wichtige überlegend , knüpfte der verehrte Mann , um den uns eine fromme Feier versammelt hat , das Band , dessen Unzerreißbarkeit eben diese Feier aussprechen soll . Wohl allen denen , welche einander im Augenblicke der ersten , oft so oberflächlichen Bekanntschaft die Ewigkeit ihrer leichtentstandenen Aufregung versichern , wenn sie mit der Innigkeit verbunden blieben , welche hier dem ruhig gegebenen und empfangenen Worte folgten ! Sämtlich sind wir Zeugen gewesen der Zucht und Einigkeit , des Vertrauens und des Glücks , aller der Gnaden und Segnungen , welche diese wahrhaft gottgefällige Ehe schmückten . Aber nicht genug , daß sie auf Erden die Bestimmung der göttlichen Einrichtung - das Bild der vollkommenen Menschheit durch zwei darzustellen - im genügendsten Maße erfüllte ; auch über das Grab hinaus reichten ihre Einflüsse und Wirkungen . Die Gattin scheidet , und der Zurückbleibende richtet seine Blicke beharrlich der Entschwundenen nach . Fest die Zügel der ihm überwiesenen irdischen Angelegenheiten haltend , blüht ihm doch nur noch Genuß in der Sehnsucht nach ihr , welche seine Augen nicht mehr schauen ; sein Gemüt entbrennt zu dem schönen Werke in Erz und Marmor , welches nun vollendet vor uns steht , die sterbliche Hülle der teuren Schlafengegangnen aufzunehmen , an deren Seite er selbst dereinst ruhen will . Sanften Trost empfindet er in diesen Beschwichtigungen , womit unser von Wolken überdecktes Auge sich die Ewigkeit und ihre Geheimnisse anzunähern versucht . Wenn andere Menschen von dem Weine und Brote leben , dessen sie genießen , so läßt sich von unserem Freunde behaupten , daß ihn die Erinnerung speiste und die Hoffnung tränkte . Nehmet denn , ihr Ehelich-verbundenen , oder die ihr in diesen Stand treten wollt , von solchem Vorgange ein Muster der Nachahmung ! Jenes stille Heiligtum , welches heute seine Weihe erhält , der Sarg und der lebende Freund - sie mögen in eurem Herzen Gelübde erzeugen , würdig des Wortes , welches der Apostel sprach : » Wer sein Weib liebet , der liebet sich selbst . « In dieser allesumfassenden Liebe zu einem zweiten Wesen ist der Inbegriff jeglicher sittlichen Veredlung gesetzt , der Mensch löset sich von der Selbstsucht ab , und empfängt dadurch sein Inneres erhöht und gereinigt zurück . Ja , meine Freunde ... " Ein dumpfes Geräusch , wie von dem verworrenen Durcheinanderreden vieler Menschen , ließ sich in der Ferne vernehmen . Es kam aus der Gegend , wo der Weiher lag . Der Prediger hielt betroffen inne . Die Menschen wendeten sich nach dem Schalle . " Es muß etwas an der Maschine zerbrochen sein , man hört sie nicht mehr " , sagte der Oheim . " Gehe einer hin und sehe zu . Welche widrige Unterbrechung ! " Einige Arbeiter schwangen sich den steilen Pfad hinauf , der nach dem oberen Teile des Berges und nach dem Weiher führte . Doch nur wenige Augenblicke vergingen , so kamen sie wieder herabgestürzt , totenbleich , mit entsetzten Gesichtern . Der Maschinenmeister folgte ihnen , und fiel mit einem Jammergeschrei am Wägenchen seines Herrn nieder . " Was ist geschehen ? " fragte der Oheim erschreckt . " Hat das Werk Schaden genommen ? " " Ihr Sohn liegt zerschmettert oben auf dem Berge ! " rief der Mann , seiner nicht mächtig . Entsetzt drang die Menge herzu . Man bestürmte ihn mit Fragen , wie dieses furchtbare Ereignis sich begeben habe ; er war unfähig , zu antworten . Sprachlos starrte ihn der Oheim an , seine Augen standen ohne Bewegung in ihren Höhlen , seine Lippen verloren die Farbe , sein Haupt ruhte an Corneliens Brust . " Den Sarg in die Gruft , unseren Vater nach Hause ! " rief das Mädchen , welches inmitten dieser Schrecknisse die Besinnung noch hatte , deren die anderen beraubt waren . Indem man sich anschickte , ihrem Befehle zu gehorchen , rief von den Klippen über dem Mausoleum eine laute Stimme : " Halt ! " und Hermann trat auf ein vorragendes Felsenstück . Die Bauerburschen , welche den Wagen des Oheims zogen , hatten mit demselben eine Wendung nach vorwärts gemacht , so daß Hermann dem Alten gerade gegenüberstand . " Tröste dich , Onkel ! " rief der Unselige hinunter . " Ferdinand ist dein Sohn nicht , die Tante hatte ihn vom Grafen , darum verschrieb dir der die Standesherrschaft , damit die Güter dereinst an sein Blut kämen ; frage nur Theophilien , sie weiß alles , aber die Liebesbriefe haben wir verbrannt . " Cornelie fiel nun selbst ohnmächtig in die Arme ihrer Freundinnen . Auch bedurfte das Haupt des Oheims keiner Stütze mehr ; nur die ersten Worte hatte er aus Hermanns Munde vernommen , dann sank er mit einem tiefen Atemzuge in sich zusammen , erdrückt von diesen Schlägen , und der Ruf der Umstehenden : " Er stirbt ! " wurde Wahrheit . Langsam zogen die Burschen den Wagen hinunter nach dem Hause . Schweigend , unter der Last dessen , was sich begeben hatte , schaudernd , ging die Menge von dem Berge . Es war etwas Grauenvolles , diese vielen hundert Menschen zu sehen , deren Lippen das ungeheure Schicksal versiegelt , deren Herzen es versteinert hatte . Auf einen stummen Wink des Predigers , welcher mit dem Unglücksboten auf dem Berge geblieben war , wurde der Sarg hastig in das Mausoleum geschafft . Er stieg mit dem Maschinenmeister den Klippenweg hinauf . Sie näherten sich dem Weiher . Die Maschine stand . Zu ihren Füßen lagen die blutenden Gebeine eines , der ein Mensch gewesen war . Ein unseliger Anblick ! Nachdem der Prediger sein Entsetzen bewältigt hatte , fragte er den anderen : " Wie ist dies zugegangen ? Reden Sie jetzt , daß wir alle Tatumstände feststellen , und nicht noch Unschuldige zur Verantwortung gezogen werden mögen . " " Gott weiß es , ich nicht " , erwiderte der bewegte Mann . " Schon vor einigen Stunden hatte er sich bei uns hier eingefunden , und war spähend um die Maschine hergegangen . Er machte uns auf den gelockerten und halb zersprungenen bleiernen Ring dort aufmerksam , welcher an jenem das Pumpenwerk in Bewegung setzenden Arme hängt , in seinem unverletzten Zustande bestimmt , die Widerstandsmittel gegen etwaige Explosionen der Dämpfe zu verstärken . Seine Frage , ob es wohl möglich sei , dieses Blei dem Balken , wenn er eben niedersteige , mit raschem Griffe zu entreißen , hielten wir für Scherz . Wir antworteten , daß es ja auch Menschen gegeben habe , die zwischen den sausenden Flügeln einer Windmühle hindurchgegangen , oder wohl gar geritten seien , und ebenso möge es gelingen , das Blei zu erobern , aber freilich könne der Kopf mit in den Kauf kommen . Er verhielt sich nach diesen Gesprächen still , und wir vergaßen bald die ganze Sache . Nun erschien plötzlich der junge Mann , der bei Ihnen wohnt , und sobald er den sah , wurde er wie von einer rasenden Wut befallen . Er blickte bald ihn , bald die Maschine mit grimmig funkelnden Augen an , und schoß pfeilschnell auf den Arm zu , da er und der bleierne Ring im Niedersteigen waren . Das taube Eisen faßte ihn , seine Kleider mußten sich in das Gestänge verwickelt haben , denn dreimal wurde er im wilden fürchterlichen Umschwunge gegen die Balken , und von diesen wieder in die Lüfte geschleudert . Augenblicklich ließ ich hemmen , aber schon war es geschehen , und wir hatten , als die Maschine stillstand , nur die zerbrochenen Gebeine aus ihren Klammern und Fugen zu nehmen . " " Eilen wir hinwegzutun , was die Blicke der Menschen beleidigt ! " sagte der Prediger , ließ die jammervollen Überbleibsel erheben , und in eine Kiste legen . Auch diese wurde im Mausoleum , neben dem Sarge der Mutter beigesetzt . Unten im Dorfe fand er alles wie ausgestorben . Niemand ließ sich blicken , jeder fühlte eine dunkle Furcht vor herandrohenden Schreckgerichten . Im Herrenhause war Bestürzung , Weinen und Wehklagen . Cornelie lag danieder und fieberte . Die Leiche des Oheims hatte man auf einem Bette ausgestreckt . Als der Prediger ihm in das Gesicht blickte , fuhr er zurück , und gebot , es mit einem Tuche zuzudecken ; die Miene des Toten sei von einer eigenen , den Lebendigen nicht heilsamen Beschaffenheit . Er trat in sein Haus . Dort saß Hermann , wie gewöhnlich , ruhig über den Büchern . " Sie haben Ihren Oheim getötet ! " rief er ihm mit strengem Tone zu . Gelassen versetzte Hermann : " Warum schelten Sie mich ? Ich meinte es gut ; konnte er sich nicht zufriedengeben , da er hörte , daß der wilde Knabe ihn nichts angehe ? " Achtes Kapitel Achtes Kapitel Eine solche Wendung war den Mächten , welchen das menschliche Dasein nur zu leicht verfällt , gelungen . Voraussicht , Klugheit , Berechnung waren zuschanden gemacht worden , ein furchtbarer Blitz hatte sein grelles Licht auf die Nichtigkeit frommer Zuneigung geworfen , den fürsorglichsten Mann riß das Schicksal mitten aus ungeordneten Verhältnissen in Verzweiflung hinweg . In einem Hause , worin nur der Verstand galt und anerkannt wurde , hatte der widersinnigste Aberglaube seine Flügel , bis zum Wahnwitz treibend , schwingen dürfen , und über Lippen , die nicht wußten , was sie sprachen , war das Geheimnis der Familiensünde elementarisch gesprungen . Diesen Ausgängen war hier niemand gewachsen . Die Arbeit stockte , mutlos schlichen die Geschäftsleute umher . Man mußte an die Bestattung der Leiche denken , und auch da zeigte es sich , daß der Zorn jener dunklen Gesetze , welche in ihr volles Recht hier eingesetzt zu werden forderten , noch nicht vorüber sei . Theophilie , von welcher man den Schlüssel zum Erbbegräbnisse wiederverlangte , weigerte sich , ihn zu geben , und berief sich auf die Entsagungsurkunde , welche der Oheim an seinem letzten Lebenstage ausgestellt hatte . Man bewog den Prediger , zu ihr zu gehen , der denn auch alle Beweggründe der Milde und Versöhnlichkeit anwendete , ihren Willen zu beugen . Sie ließ ihn ruhig ausreden und sagte dann : " Ich ehre diese Grundsätze des Friedens , aber man kann verschiedene Wege gehen , die alle recht und gut sind . Auch die Vergeltung hat ihre Ehren . Ich bin die Rächerin meiner Familie . Er hat uns im Leben aus unserem Eigentume getrieben , dafür versage ich ihm die Ruhe bei meinen Toten . Immer noch eine sehr glimpfliche Rache , sollte ich meinen . Das Geheimnis , welches ich wußte , wäre mit mir zu Grabe gegangen , der Schlaf verriet es einem fremden Ohr ; nun wurden Versprechungen gewechselt , und Briefe den Flammen übergeben , um es ja recht sicher zu bewahren . Aber ein kindischgewordener Geist plaudert es wider Willen und Absicht dem Sterbenden aus , und stößt ihm damit das Herz ab . Ich finde etwas Großes und Göttliches in diesem Hergange ; er erinnert an alte Märchen , worin Bachwellen und rauschende Baumzweige das Tiefverborgene an den Tag bringen . " Da er sah , daß sie nicht zu überreden war , so stand er ab ; man beschloß , kein Aufsehn zu erregen , indem man Zwang gegen sie versuchte . Die Menschen hatten durch die stattgehabten Ereignisse alle Besinnung verloren . Einer schlug vor , den Oheim im Mausoleum zu bestatten , wie er ja selbst verfügt habe , und die anderen billigten seinen Rat , zu dessen Ausführung alles in Bereitschaft gesetzt wurde . Aber die Natur hat zuweilen in ihrem tiefen Busen ein Gefühl für Wahrheit , und will nicht dulden , daß das ganz Unschickliche geschehe . In der Nacht wurden die Bewohner des Dorfs von einem Getöse erweckt , in welchem sie bald das Rauschen stürzender Fluten erkannten . Man machte sich mit Fackeln und Windlichtern hinzu , und sah bei deren Scheine den Bergweg zum schäumenden Wasserfalle verwandelt . Unten im Dorfe flossen die Wogen zu einem Bache ab , der an manchen Stellen gürteltief war . Als es tagte , nahm man ein grauses Schauspiel wahr . Durch die Eingangspforte des Mausoleums , wie durch einen Brückenbogen , schoß der weißschäumende Strom bergab , und hatte Mauerstücke , Bäume , ja auch die Behältnisse , welche die Gebeine der Mutter und des Sohns bargen , mit sich fortgerissen . Diese lagen , kläglich umgeworfen , von Schlamm und Graswust widerlich umsäumt , am Abhange des Berges . Ein Teil des Gruftgewölbes war eingestürzt , und dem Ganzen drohte dasselbe Schicksal , wenn die Gewalt der immer weiter wühlenden Fluten nicht bald gebrochen wurde . Die Ursache dieser Zerstörung war nur zu bald entdeckt . Der Weiher , von der Maschine , an deren Wiederbelebung niemand in der allgemeinen Bestürzung gedacht hatte , nicht mehr ausgeschöpft , und überdies durch Regengüsse in den Bergen über seinen gewöhnlichen Inhalt angeschwollen , hatte mit der ganzen Wassermasse durch die verborgenen Rinnen auf die Auswölbung der Gruft gedrückt , und wahrscheinlich in kurzer Zeit den Widerstand des Gemäuers überwunden . Es geschah , was geschehen konnte , um die Gefahr einer Überschwemmung von den Talbewohnern abzuhalten . Die Maschine arbeitete wieder unausgesetzt , so daß der Zufluß zum Gewölbe bald vermindert wurde , und man auch von dort dem Elemente entgegenwirken konnte . Das einzige Mittel kräftiger Begegnung war , die Gruft auszuschütten , und den Berg in seiner dichten Rundung herzustellen . Dies geschah mit rastloser Tätigkeit . Felsblöcke , Buhnengeflecht , Lehm- und Schuttlagen mußten die Höhlung füllen , und nach vierundzwanzig Stunden war von dem schönen Werke der Baukunst nichts mehr zu erblicken , als der Marmor der Pforte , welcher unnütz und wehmuterregend aus jenen niederen Stein- und Erdumgebungen hervorblickte . Bei der gewaltsamen Arbeit hatte man natürlich der Wege und Anlagen nicht schonen können , so daß , als die Sache getan war , zertretener Rasen , abgebrochene Stauden , verwüstete Blumenflecke , Sumpf und Nässe den Rahmen um jenes ausgetilgte Denkmal ehelicher Liebe bildeten . Inzwischen wartete der Prediger seines Amtes , ließ im Dunkel des späten Abends Mutter und Sohn erheben , und unbemerkt ohne Geleit auf dem Kirchhofe des Dorfs einsenken . Auch war nach diesen letzten trüben Dingen von ihm sogleich ein reitender Bote an den Rechtsfreund des Oheims in der Standesherrschaft abgesendet worden , dort das Gewölbe für die Leiche auftun zu lassen , und sie so dem Hasse und den wütenden Naturkräften zu entrücken , welche sich hier gegen ihre letzte Rast verschworen zu haben schienen . Traurig und langsam rückte der schwarzbehangene Wagen in kleinen Tagereisen gegen die Grenze jenes adlig gewesenen Gebietes vor , welches nun die eingefallenen und geschloßenen Augen des bürgerlichen Erwerbers nicht schauten , wo keiner dem neuen Herrn mit verehrendem Gruße entgegenkam . Aber in der Nähe des Schlosses erhielt der Verblichene Gesellschaft ; auch der Herzog befand sich auf dem letzten Wege zur Gruft seiner Ahnen . Man hatte , die Bestattung möglich zu machen , die Herzogin unter einem Vorwande zu entfernen gewußt , und jene , sobald man erfuhr , daß auch der Oheim dort ruhen solle , beeilen wollen , um fertig zu sein , wenn diese zweite Leiche einträfe . Allerhand Zufälligkeiten verzögerten indessen die Ausführung der Anstalten , und so kam es , daß die beiden Züge in dem breiten Wege , welcher nach dem Erbbegräbnisse führte , zusammentrafen . Der Prediger trat mit dem herzoglichen Kaplane in kurze Beratung , und beide Männer , von einer religiösen Empfindung erschüttert , ordneten an , daß der Tod keinen Vortritt gewähren , sondern seine stillen Untertanen mit gleichen Rechten empfangen solle . Weg und Pforte waren geräumig genug , zwei Särge nebeneinander aufzunehmen , und so gingen die Gegner einträchtig zusammen in die dunkle Wohnung ein . Nach diesen Entscheidungen des Todes und der Nacht wandten sich die Hinterbliebenen in das Leben zurück . In den Fabriken trat aus den Vorstehern eine Kommission zusammen , welche die Geschäfte in der bisherigen Weise und im Geiste des Verblichenen fortzusetzen sich bemühte . Auf dem Schlosse des Standesherrn wurde von ihren Bevollmächtigten inventarisiert , auf Feldern und Waldgründen vermessen . Die Maschinen begannen wieder zu klappern , die Arbeiter ihre Packen auf den gewohnten Wegen zu tragen , in den Comptoirs schrieb und rechnete man wie früher . Wenn sie sich nun aber fragten , wer der Herr der unermeßlich angewachsenen Güter sei , und für wen alle diese Arbeit geschehe , so war die Antwort von der Art , daß sie , selbst nach allen den wunderbaren und erschreckenden Fügungen des Zufalls , noch staunen machen mußte . Wie man sich wenden mochte , die Lage der Sache ließ sich nicht bestreiten . Der Oheim war ohne Testament , kinder- und geschwisterlos gestorben , und Hermann als Neffe daher ohne allen Zweifel sein nächster , gesetzlicher und rechtmäßiger Erbe . An Verderben und Untergang mag niemand , der seine Hände rüstig bewegt , denken ; wie jedoch unter einem solchen Eigentümer ein fast unübersehlicher Besitz , das weitverzweigteste Geschäft sich steigern , ja nur sich notdürftig erhalten lassen sollte , mußte dem klügsten menschlichen Auge verborgen bleiben . Wilhelmi war angekommen . Auch ihn bewegten die Ereignisse tief , als er ihren Gang und Zusammenhäng vernahm . Er meinte einen Augenblick , Hermanns Abspannung durch die plötzliche Nachricht von dem märchenhaften Glücke , welches ihn betroffen , aufzurütteln , aber vergebens . Hermann empfing die Meldung , daß er nun ein Millionär sei , wie etwas Bekanntes , woran er , wie er sagte , gleich bei dem Absterben des Oheims gedacht habe . Neuntes Kapitel Neuntes Kapitel Der Oheim war kaum einige Monate tot , als die Folgen einer Verwaltung durch mehrere bereits sichtbar zu werden begannen . Obgleich der Verstorbene in den letzten Tagen seines Lebens nur wenig persönlich eingegriffen hatte , so war er doch der Mittelpunkt alles Wirkens und Schaffens gewesen , in ihm bestand eine Autorität , durch welche das Zweifelhafte entschieden , jedes Wagnis gerechtfertigt wurde . An einer solchen obersten Gewalt fehlte es nunmehr gänzlich , es zeigte sich hier , was in den Welt- und Staatsverhältnissen immer eintritt , wenn ein großer König oder ein Held von hinnen geht , und sein Werk von den Stellvertretern weitergeführt werden soll . Unendlich ist der Abstand tüchtiger Ausführung von dem Blitze der Erfindung . Man zagte oder hazardierte , und verlor durch beides . Die Verluste erzeugten Mißmut und Anklage , aus solchen üblen Stimmungen entsprangen Sonderungen und Parteien , jeder glaubte am besten zu tun , wenn er nur in seiner Sphäre isoliert-tätig sei , und darüber kam bald der Zusammenhäng des Ganzen abhanden , welcher doch allein den Gedanken des Oheims erhalten konnte . Schon erklärte einer und der andere , daß er sein Schicksal weiter zu suchen gedenke , und alle fühlten sich von einer Gemeinschaft bedrückt , die noch vor kurzem ihr Stolz gewesen war . Inmitten dieser Einbußen und Spaltungen lebte der Herr der Reichtümer sein dämmerndes Pflanzenleben fort . Man war übereingekommen , so lange als nur möglich ihn für geistig gesund gelten zu lassen , um die Einmischung des Staats , die alle als das größte Übel fürchteten , abzuhalten . Seine Unterschrift mußte daher jedes wichtigere Geschäft bekräftigen ; er gab sie , ohne zu fragen , was er unterschreibe ? Nur die große Rechtlichkeit aller dieser Leute verhinderte , daß sich schlimmes Unheil an ein so seltsames Verfahren heftete . Aus der Predigerwohnung war er wenige Tage nach dem Tode des Oheims in das Haus gezogen , welches ja nun das seinige war . Dort lebte er in stillen Hinterzimmern , den ganzen Tag über lesend , schreibend oder mit sich selbst redend . Vor dem Verkehr mit unbekannten Menschen hegte er eine große Scheu , und mied deshalb die Gemächer nach der Straße , während er dagegen mit den Hausgenossen sich leicht und zutraulich zu benehmen wußte . Diese wichen ihm aber aus , wo sie konnten ; seine Erscheinung war ihnen zuwider , und sie vergaben ihm den Tod ihres Herrn nicht . Nur Cornelie ging leise und mild neben ihm her , sorgte für seine Bedürfnisse , ohne gleichwohl irgendeine tiefere Bewegung blicken zu lassen . Unvermutet kam eines Tages der Arzt angefahren . Er hatte , auf der Heimkehr begriffen , den Brief des Predigers erhalten , und den Umweg mehrerer Meilen nicht gescheut , den wiedergefundenen Kranken zu besuchen , und zu ergründen , ob vielleicht jetzt zu helfen sei . Mehrere Tage verweilend , sprach er nach genauer Beobachtung Hermanns gegen einige Vertraute die Unheilbarkeit des Übels aus , da sich keine Reizbarkeit zeige , und folglich kein Mittel eine Erregung oder Krisis hervorbringen werde . Auf diese Nachricht nahmen mehrere Vorsteher ihre Entlassung , und die noch zurückblieben , wurden mehr von einer Notwendigkeit gefesselt , als durch einen Wunsch bestimmt . Wilhelmi reiste ab und zu , wie seine Häuslichkeit es ihm nur gestatten mochte . Dieser treue Freund litt unendlich bei der Betrachtung des Unglücklichen . Über Cornelien , zu deren Vormunde der Prediger bestellt worden war , sprach er mit diesem einen Plan ab , welcher wenigstens ihre nächsten Jahre sicherstellte . Seine Frau wünschte , bei erweiterter Familie , eine Gesellschafterin , der sie Kinder und Haus mit Zutraun übergeben konnte , wenn Zirkel , Theater oder Reisen sie selbst abberiefen . Wer war zu einer solchen Stelle geeigneter , als das schöne , sanfte , feste Mädchen ? Als beide Männer ihr diese Kondition vorschlugen , willigte sie ohne Zaudern ein . Wilhelmi bestimmte den Tag der Abreise , Cornelie ordnete ihre kleine Habe , und schien ganz ruhig und gefaßt zu sein . Nur fiel es denen , die sie näher kannten , auf , daß sie jede Stunde , welche ihre häuslichen Geschäfte ihr frei ließen , zu einsamen , oft weit wegführenden Wandrungen durch die Gegend benutzte . Ging sie , so schwand auch der letzte frische Ton aus dem blassen Nebelbilde stumpfer aussichtsloser Tage . Der Zustand der Menschen hier und in der Standesherrschaft war ein kaum zu beschreibender . Man spricht von einem Schattenreiche ; hier hatten die Toten eins auf Erden hinter sich zurückgelassen . Zehntes Kapitel Zehntes Kapitel Der Wagen stand gepackt , Wilhelmi , bereit zum Einsteigen , wartete im Mantel , die Reisemütze auf dem Haupte . " Wo bleibt sie ? " fragte er etwas ungeduldig . " Sie pflegt sonst , die erste , fertig zu sein , was hat sie drinnen noch zu schaffen ? " " Geben Sie acht . Sie reisen allein ! " rief die Frau des Predigers , welche mit ihrem Manne , Lebewohl zu sagen , gekommen war . " Wie ? " riefen voll Erstaunen der Prediger und Wilhelmi . " Ihr Männer seid so daran gewöhnt , eure Absichten durchgesetzt zu sehen , daß ihr zuweilen die nächsten und größten Hindernisse nicht wahrnehmt " , erwiderte die Frau . Wilhelmi schickte jemand in das Haus ab , und ließ Cornelien bitten , sich zu beeilen . Der Bote kam sogleich mit der Meldung zurück , daß Mademoiselle ihren Koffer wieder begehre , da sie hier bleiben werde . Unwillig eilte Wilhelmi nach ihrem Zimmer . Der Prediger und seine Frau folgten . Sie fanden Cornelien beschäftigt , Reisehut , Umschlagetuch und andere Dinge , die sie noch hatte mitnehmen wollen , in den Schrank zu tun , wobei ihr Hermann half . " Sie geht nicht ! " rief er den Eintretenden entgegen , und sein blasses , unteilnehmendes Gesicht hatte einen Ausdruck , wie wenn in tiefster Nacht der Höhle oder des Schachtes aus dem entlegensten Gange der Strahl des kleinen Lämpchens aufdämmert . Es war nicht Freude , aber dieser Blick sagte , daß das Wesen , welchem er Angehörte , einst Freude gefühlt habe , und sie vielleicht dereinst wieder fühlen werde . " Was soll das bedeuten ? " fragte Wilhelmi unmutig . " Haben Sie mich zum besten ? " " Gehe auf dein Zimmer , Hermann " , sagte Cornelie ruhig . Er ging . " Hören Sie mich an , ehe Sie mich schelten " , fuhr sie fort . " Ich war Willens , mit Ihnen zu reisen , den Dienst in Ihrem Hause anzunehmen ; ich freute mich auf die große Stadt und alle die neuen Dinge , welche ich da sehen würde . Den Abschied von Hermann hatte ich bis zuletzt aufgeschoben . Nun aber konnte ich doch ohne den nicht von ihm gehen , da ich allen Leuten im Hause Lebewohl gesagt hatte . Als ich zu ihm trat , und er mir still glückliche Reise wünschte , seine Hand den Druck der meinigen nicht erwiderte , da war es mir auf einmal , als ob eine Decke von meinen Augen hinweggetan würde . Ist es Ihnen nicht auch begegnet , daß Sie , in träumerischer Vergessenheit vom Wege abgekommen , plötzlich bei dem Anblicke eines Baums , eines Felsens stutzen mußten , und Ihren Irrtum einsahen . Und sollen denn solche Male nur immer unserem Geiste , unserem Herzen fehlen ? " " Dies ist in der Tat die außerordentlichste Leidenschaft , welche ich jemals gesehen habe ! " fuhr Wilhelmi heraus . " Dem Gesunden versagten Sie sich , als ein gewährendes Wort ihn vielleicht gerettet , vor den Verwicklungen bewahrt haben würde , die seinen Zustand herbeigeführt haben mögen . Nun wollen Sie dem Kranken erstatten , was dieser nicht entbehrt , denn Sie sind ihm so gleichgültig , wie wir anderen alle . Bedenken Sie , welche Unschicklichkeit Sie zu begehen Willens sind . Wollen Sie etwa , wie Flämmchen einst , verkleidet , als sein Diener bei ihm bleiben ? " Eine Purpurröte überzog Corneliens Antlitz , ihre zarte Brust wurde von heftigen Atemzügen bewegt , sie hob die Augen gegen Wilhelmi auf , und sagte mit zitternder Stimme , aus welcher aber der tiefste Ernst hervorklang : " Wenn es sein müßte , so würde ich allerdings das tun , was Sie , mich zu verspotten , da gesagt haben . Warum ich hier meine Frauenkleider ablegen sollte , weiß ich nicht . Da Sie einmal so unbarmherzig mit Geheimnissen umgehen , zu deren Vertrauten ich Sie nicht gemacht habe , so will ich auch ohne Rückhalt aussprechen , was ich fühle , und dessen ich mich nicht zu schämen habe . Nun denn , ich habe dem Gesunden mein Ja nicht geben wollen , weil es nicht reif war , und die Liebe ihre Zeitigung noch nicht er langt hatte . Man erzählt mir hin und wieder von Büchern , worin geschrieben stehen soll , daß jenes Gefühl im ersten Augenblicke des Sehen_es und Treffens entstehe . Wenn es sich dergestalt verhält , so mag das eine Liebe sein , die auch in einem Augenblicke wieder vergeht . Ich aber denke , daß die Ergebung der Seele an eine zweite auf Leben und Tod etwas so Schweres und Wichtiges ist , um wohl einen innerlichen Schauder , eine tiefe Bangigkeit und ein langes scheues Bedenken vor so strenger Gefangenschaft hervorbringen zu können . Ich habe alle diese Kämpfe durchmachen müssen ; nun sind sie überwunden , und ich bin sein , wie er auch anderen erscheinen möge . Gott hat ihn gemacht und wird ihn wiederherstellen , wenigstens soll meine Hoffnung darauf nicht untergehen , so lange ich atme . Niemand hat er jetzt als mich , sie fliehen ihn alle , verabscheuen ihn auch wohl , ich aber liebe ihn und will ihm Diener und Freund und Schwester sein , Vergangenheit , Gegenwart und Zukunft , die der Arme eingebüßt hat . Das verspreche und gelobe ich hier , und werde mich fürwahr nicht zwingen und mißhandeln lassen , so hülflos ich auch bin ! " Ein Tränenstrom hatte die letzten Worte begleitet ; schluchzend verließ sie das Zimmer . Alle waren sehr betreten und Wilhelmi gereute von Herzen seine hypochondrische Heftigkeit , welche er seit der Wandlung seiner Verhältnisse ganz überwunden hatte , und die doch nun auf einmal wieder zu so ungelegener Zeit ausgebrochen war . Er ließ abspannen und beschloß mit den Freunden , einige Tage auf Corneliens fernere Entschließungen zu warten . Sie hofften , daß das schöne gute Kind , zu ruhiger Überlegung gediehen , von selbst in die gebahnte Straße des Herkömmlichen wieder einlenken werde . Man erfuhr , daß sie nach der Meierei gegangen sei , wie sie öfters tat , um ihre alte Schaffnerin zu besuchen . Es wurde daher auch noch nichts Schlimmes geargwöhnt , als sie zu Mittage ausblieb , weil sie oft bis gegen Abend dort zu verweilen pflegte . Indessen begann es zu dämmern , ohne daß sie zurückkehrte . Zugleich war das Wetter schlecht geworden . Nun entstand doch einige Unruhe . Ein nach der Meierei gesandter Bote überbrachte , daß sie dort nicht gewesen sei . Wilhelmi war äußerst bestürzt . Augenblicklich mußten nach allen Richtungen hin Leute mit Fackeln und Laternen sich auf den Weg machen . Er selbst begleitete einige , welche in die gefährlichsten Gegenden des Forstes und Gebirges spähend zu dringen befehligt waren . Cornelie war in ihrem Kummer dem Walde zugeeilt , unter dem Schirme der grünen Bäume die Ruhe wiederzufinden , aus welcher die rücksichtslosen Menschen sie so unbarmherzig gescheucht hatten . Ihr Inneres war wider ihren Willen an das grelle Tageslicht herausgekehrt worden , sie empfand eine innige Scham über die Entweihung des Heimlichsten , und einen tugendhaften Zorn gegen die Roheit , welche sie dazu genötigt hatte . Jedoch machten sich diese widrigen Gefühle in keinen Worten und Ausrufungen Luft , sie seufzte und weinte nur still für sich hin . Sie wollte wirklich nach der Meierei gehen , und dort so lange bleiben , bis ihr das bündigste Versprechen gegeben würde , sie in ihrer Freiheit nicht zu beschränken . Indem sie mit schnellen Schritten vorwärts eilte , wurde sie plötzlich von einem kläglichen Stöhnen gehemmt , welches in geringer Entfernung abseits vom Wege erklang . Dem Schalle folgend , fand sie eine Alte auf dem abgehauenen Stumpfe einer Rüster sitzen , der ein junges totenbleiches Frauenzimmer im Schoße lag . Die Finger , das Gesicht , die ganze Gestalt der Jungen waren abgezehrt , ihre arme Brust keuchte von schneidenden Schmerzen . Ein dünnes und spärliches Gewand bedeckte die entkräfteten Glieder , auch der Anzug der braunen Alten zeugte von großer Dürftigkeit . " Wir bekommen Hilfe , mein armes Kind " , sagte diese zu der Kranken , " siehe da , es bewegt sich durch das Gebüsch eine liebe , schöne Jungfrau her , welche uns beistehn wird . " Die Kranke öffnete die Augen und warf einen geisterhaftscharfen Blick auf Cornelien , wie er den Schwindsüchtigen eigen zu sein pflegt , wenn ihre Leiden sich dem Ende nahen . Cornelie hatte bei diesem Anblicke vergessen , was sie selbst bedrückte , trat mitleidig näher , und sagte : " Steht auf , ihr armen Weiber , und folgt mir ; ganz in der Nähe sind Menschenwohnungen . " Die Junge machte eine ablehnende Bewegung , und die Alte rief : " Nein , nicht zu Menschen will mein Kind , zu dem Kleinen will sie , welches oben am Hünenboren schlummert ; weißt du den Weg dahin , schöne Jungfrau , so hilf mir die Schwache stützen und führen . " Cornelie wandte ein , daß die Kräfte der Kranken nicht hinreichen würden , den beschwerlichen Gang bergauf zu machen , diese aber richtete sich empor , sah ihr durchdringend in die Augen und flüsterte kaum hörbar , aber mit melodischem Tonfall in der Stimme : " Ja , führt mich zum kleinen Grabe , es liegt geschützt vom Mauerstein ; der Mutter winkt im Schlaf der Knabe , sie soll nun immer bei ihm sein ! " Sie schlugen den Pfad quer durch den Wald ein . Cornelie kannte die Anhöhen recht wohl , zwischen denen der Hünenboren lag , und nahm mit genauer Aufmerksamkeit auf jedes Wegzeichen die Richtung dorthin . Während dieser Wanderung , welche wegen der Schwäche , womit die Kranke bei jedem Schritte zu kämpfen hatte , langsam vonstatten ging , fragte die Alte Cornelien leise über die Schulter der Jungen hinweg : " Ist es wahr , was die Leute mir sagten , daß einer , namens Hermann , jetzt hier wohnt ? " Cornelie versetzte unbefangen , laut : " Allerdings , Hermann wohnt in dem Kloster , eine halbe Stunde von hier . " Bei diesen Worten zuckte die Kranke , und ihre Brust flog in heftigen Schlägen . Sie brachten sie kaum noch tausend Schritte weit , auf eine hochgelegene Wiese , als sie vor Ermattung umsank . " Sie stirbt ! " schrie die Alte mit herzzerschneidendem Tone . " Es ist am Ende ! " sang Flämmchen , denn warum sollen wir verschweigen , daß sie es war ? " Die Sonne geht zur stillen Rast , und Nacht empfängt den müden Gast ... Es ist am Ende ... " Ausgestreckt lag sie am Boden , die Alte vergaß vor unbändigem Kummer sogar , die Leidende zu unterstützen . Flämmchen richtete sich mit Anstrengung empor , streifte einen goldenen Ring vom Finger und sang : " Gib ihm den Ring ! zum Angedenken nahm ich ihn jener süßen Stunde , als unterging mein Sinn und Denken , im holden lasterhaften Bunde ! Er wurde getäuscht , verführt , betrogen , ich aber schmeckt ein einzig Glück ... und unserer Leiber sanft Verschränken ... " Sie sank , ihre Augen verwandelten sich , die Atemzüge wurden langsamer , bald stand der Hauch still . Über ihr Antlitz hatte sich eine kindliche , schwärmende Freundlichkeit gebreitet , sie sah schön aus . Die Alte rührte die erkaltenden Lippen an , warf sich nieder , raufte eine Hand voll Gras und Blumen aus dem Boden und sprach : " Sie ist tot . Diese Halme und bunten Kelche erhebe ich zum Zeichen , daß ich sie aus meiner Hand der Erde und den vier Winden zurückgebe , aus welchen alles Menschengebilde entsteht . Fluch soll mich treffen , wenn ein Priester ihr nahe kommt , oder ein Kirchhof den schönen Leib aufnimmt , oder ein Sarg und Leichtuch sie von dem kühlen guten Rasengrunde scheidet ! Auf dieser frischen , blühenden Wiese sei ihr Grab gehöhlt von meinen Händen , und da die Augen der Mutter von Mangel und Elend trocken sind , so beweinet ihr sie , ihr Oberen , Fremden , Unbekannten , denn nicht unbetrauert soll mein Kind von dannen gehen ! " Der Himmel hatte sich verfinstert , und eine tröpfelnde Wolke erfüllte den Wunsch der Alten . Diese setzte sich , in ihr Kopftuch eingehüllt , zu der Toten , die Knie zum Haupte emporgezogen , das Haupt in den aufgeschlagenen Armen und im Schoße verborgen , nun ganz einer erstarrenden Niobe ähnlich . Cornelie sprach ihr zu , da jene aber schweigend sitzen blieb , so entfernte sie sich in Verlegenheit , Angst , Schrecken über diese abermaligen unerwarteten Vorfälle . Ein heftiger Wind hatte sich erhoben , der Regen strömte stärker nieder und machte die Gegend ihr unkenntlich . Sie wollte nach einem Bauernhause , dessen Lage ihr ungefähr bekannt war , gehen , um die Bewohner zur Hülfeleistung bei der Alten zu vermögen , nahm jedoch bald wahr , daß sie , vom Wege abgekommen , zwischen Strauchwerk , Äckern und Angern umherirrte . Vergeblich suchte sie , wandernd und zurückwandernd , eine gebahnte Straße zu entdecken . Zuweilen stand sie still , um sich zu besinnen , oder ein Geräusch zu vernehmen , welches ihr die Nähe des Dorfs anzeigen möchte , umsonst ! nur der Regen rauschte hernieder , nur der Sturm pfiff über die grauen Felder . Sie betete still , daß keine Verzweiflung sie überkommen möge . Wirklich behielt sie ihre Ruhe , obgleich es dunkel geworden war , die Nässe ihre Kleider längst durchdrungen hatte , und wiewohl sie vor Erschöpfung kaum noch gehen konnte . Bereit , die Nacht über draußen , in der wüssten Gegend , unter den herabströmenden Fluten zuzubringen , suchte sie nur noch nach einem Baume , einem Steine , oder einer Erdhöhle zum Schutze gegen die grimmigsten Launen des Wetters . Unaufhaltsam und unwillkürlich quoll in ihrer Seele eine Geschichte nach der anderen empor , die sie gelesen , von Menschen , die aus den übelsten Lagen gerettet worden waren . Diese Bilder des Trostes umgaben sie mit einer Fülle erquickender Sicherheit . Auf einmal hörte sie in der Ferne Tritte und eine Stimme , die etwas rief , was wie ihr Name klang . Entzückt sprang sie von dem harten nassen Lager , welches sie bereits erwählt hatte , und antwortete . Der Ruf und Menschentritt kam näher , eine Gestalt arbeitete sich über Sturzacker und durch Dorngebüsch . Mit den Worten : " Bist du hier , Cornelie ? " faßte Hermann ihre Hand . " Du , du findest mich ? " war alles , was sie vorbringen konnte . " Die anderen suchen dich auf den Wegen , welche du sonst zu gehen pflegst " , sagte er . " Ich meinte aber , daß , wenn du da wärst , du dich wohl selbst heimgefunden haben würdest , und schlug mich lieber hierher in die Wüstenei . " Der Regen hörte auf , hinter einer Wolke trat der Mond hervor , und beleuchtete den Ort , wo sie standen . Im Augenblicke der äußersten Gefahr war ihr die Hilfe geworden . Dicht neben einem verlaßenen , tiefen , mit Wasser ausgefüllten Steinbruche hatte sie ihre Rast genommen , ein Schritt , ja nur eine Bewegung würde sie hinabgestürzt und ihrem Leben ein Ende gemacht haben . " Du bist mein Retter ! " rief sie mit einer Empfindung , welche alles ausgestandene Leid vergütete . " Komme nur , arme Cornelie " , sagte er , " du bist ja ganz naß , und wir haben eine gute Stunde nach dem Kloster . " Sie hing an seinem Arme , zuweilen mußte er sie auch tragen , wo angeschwollene Bäche den Weg durchschnitten . Ein stilles Entzücken rieselte durch ihre Adern , sie verspürte nichts von Feuchtigkeit und Frost . Nach angestrengter Wanderung öffnete sich ihren Blicken das Tal , und die Lichter des Dorfs schimmerten ihnen entgegen . Im Kloster war alles dunkel . Sie tasteten sich nach dem gemeinschaftlichen Familienzimmer , wo Hermann seine Gefundene , die vor Mattigkeit kaum noch stehen konnte , sanft auf das Sofa legte . Elftes Kapitel Elftes Kapitel Niemand war in dem weitläufigen Gebäude zurückgeblieben ; alle suchten noch auf verschiedenen Orten und Flecken Cornelien . Hermann zündete Licht an , eilte nach ihrem Zimmer , holte Kleider und Wäsche , ging dann in die Küche , entflammte dort ein mächtiges Feuer , und bereitete ein stärkendes Getränk aus Wein und wärmenden Gewürzen . Erst nachdem er Cornelien umgekleidet und durch eine Tasse Glühwein erfrischt sah , dachte er an sich , und wechselte auch seinen triefenden Anzug . Corneliens Jugend und Gesundheit überwand solche Anstrengungen leicht . Sie versicherte Hermann , als er nach kurzer Weile in trockenen Kleidern erschien , daß ihr vollkommen wohl sei , und bat ihn , nun auch für sich zu sorgen . Sein Antlitz , von Mühe , Luft und Regen erhitzt , kam ihr gesundet vor , sie schlürfte schmerzlich-froh die süße Täuschung ein . Er zog den Tisch mit dem Getränke vor das Sofa , und setzte sich zu ihr . Einige Kerzen , welche sie angezündet hatte , verbreiteten durch den Raum ein liebliches Licht . Sie mußte ihm einschenken und bemerkte , daß er ihre Hand , wenn sie ihm die Tasse reichte , scheu und flüchtig , als solle es nur Zufall sein , berührte . Draußen kam jemand zur Haustüre herein , öffnete das Zimmer , und rief : " Gottlob , da sind Sie ja ! " Es war einer der Ausgeschickten , der nach lange fortgesetzter Mühe verzweifelt war , seinen Zweck zu erreichen . " Geht , guter Mann " , rief Cornelie , " versucht , die anderen , welche sich um mich bemühn , zu finden , und sagt ihnen , daß ich hier geborgen sei ! " " Nun wird bald das Getöse entstehen " , sagte Hermann , " und ich wäre so gern mit dir noch allein geblieben . " Sie nahm ihn bei der Hand und blickte ihn liebevoll an . " Ich will dir wohl etwas entdecken " , fuhr er fort . " Seit ich erfuhr , daß du bei mir bleiben wolltest , und darum so viele Drangsale von den anderen ausstehn mußtest , ist es mir , als werde ich vielleicht einmal wieder lachen oder weinen können . Vermutlich irre ich mich darin , aber eine Veränderung spüre ich an mir , denn es ist auch wahrhaftig keine Kleinigkeit , daß ein so liebes schönes Mädchen es mit einem armen dummen Menschen , der zu nichts mehr nütze ist , aushalten will . Was hast du davon ? " Ihre Arme umschlangen seinen Nacken , er legte sich wie ein Kind an ihren Hals . " Wenn du recht offen gegen mich wärst , mein Hermann " , flüsterte sie , " vielleicht könnte dir geholfen werden . " " Das ist nicht möglich " , seufzte er , " mir steht nicht zu helfen . Kannst du aus Sünde Tugend , aus Ekel Lieblichkeit , aus Unrat Gold und Perlen machen ? Nein , nein , ich bin ein ganz zerstörtes , um und um gekehrtes Bild , da ist auch kein Zug mehr ohne Schrammen , Brandmale und Flecken . Toll bin ich nicht , habe meinen Verstand und ach ! ein nur zu gutes Gedächtnis . Aber wenn ich denke , das möchte ich wohl , oder jenes , oder den würde ich liebhaben können und den hassen , so liegt immer etwas dazwischen , worüber ich nicht hinwegkann , was mich in die Kälte und in das Nichts absperrt . Beschreiben läßt sich der Zustand nicht , schweigen wir davon ! Mir wird schwindlig , wenn ich da hineinblicke . " " Du mußt sonderbare Schicksale erlebt haben " , sagte Cornelie . - Sie erschrak , und rief : " Mein Gott , wie konnte ich das vergessen ? Draußen auf der Wiese liegt ja ... " " Was liegt draußen auf der Wiese ? " fragte Hermann . " Nichts " , versetzte sie , innehaltend , weil sie befürchtete , ihn mit der Erzählung aufzuregen . " Aber eine Bekannte traf ich von dir heute ; sie gab mir den Ring für dich . " Sie reichte ihm den Ring . Hermann sah ihn an , stutzte , hielt ihn gegen das Licht , rieb sich die Stirn , ging sinnend im Zimmer auf und nieder , und fragte dann , wie in einem wachen Traume : " Wer , sagst du , hat dir den Ring gegeben ? " " Ein junges , krankes Frauenzimmer . Ihre alte Begleiterin nannte sie Flämmchen . Sie sagte , sie habe ihn einst von dir bekommen . " " Wie ? " fragte er , in einen Abgrund von Gedanken versenkt . Er nahm ein Licht , und ging auf sein Zimmer , den Ring immer vor sich hinhaltend , und der wirklichen Welt , so schien es , entrückt . Zwölftes Kapitel Zwölftes Kapitel Geräusch , fröhliches Rufen , Leuchten und Fackeln verkündigten das Nahen der zurückkehrenden Hausgenossen . Cornelie trat ihnen im Flur entgegen , und wurde von allen auf das herzlichste bewillkommt . Der Prediger schloß sie in seine Arme , Wilhelmi nahte sich ihr schüchtern und bat sie um Vergebung . Sie gelobten ihr , daß ihr künftiges Schicksal nur von ihr abhangen solle . Alle waren naß und der Erquickung bedürftig . Man versammelte sich , nachdem die feuchten Röcke , Westen und Fußbekleidungen mit trockenen vertauscht worden waren , im großen Zimmer , wo denn bei einer guten Mahlzeit und einem Glase Punsch die Besorgnisse des Tages und die Mühseligkeiten des Abends vergessen wurden . Cornelie nahm , sobald es sich tun ließ , den Prediger beiseite , und erzählte ihm von dem Finden der Alten und ihrer sterbenden Tochter . Dieser teilte die Sache Wilhelmi mit , und sie entschlossen sich , am folgenden Morgen nach der Wiese zu gehen , welche Cornelie ihnen beschrieben hatte . Auch von dem Ringe , und welchen Eindruck derselbe auf Hermann gemacht , war ihnen etwas gesagt worden . Wilhelmi klopfte daher , als die übrigen sich zur Ruhe begeben hatten , an Hermanns Zimmer , worin noch Licht zu sehen war , und wollte öffnen , fand aber die Türe von innen verriegelt , und bekam auf sein Rufen keine Antwort . Den Prediger hielten am folgenden Tage Amtsgeschäfte zurück ; Wilhelmi machte sich daher , nur von einigen Arbeitsleuten begleitet , auf den Weg nach der Wiese . Dort hatten sie einen Anblick , welcher sie in Erstaunen setzte . Die Alte saß noch , wie Cornelie sie ihm geschildert hatte , ohne Regung , mit aufgezogenen Knien , das Haupt im Schoße und in den umfassenden Armen ; ein Bild des versteinernden Schmerzes , und neben ihr lag der schöne , blasse Leichnam , vom Regen und Winde tief in wilde Blumen hineingewühlt , welche ihre bunten Glocken über dem erstarrten Antlitze wie leidtragend hin und her wiegten . Wilhelmi erkannte die Züge des Knaben , der ihm auf dem Schlosse lieb gewesen war , wieder , und fühlte sich ohne Faden in diesem Labyrinthe rätselhafter Begegnungen . Er wollte die Alte erwecken lassen , diese fiel aber bei der ersten Berührung zusammen . Sie war nicht tot , denn ihr Atem ging , wenn auch kaum hörbar , aber in einem bewußtlosen , schlafartigen Zustande . Ein rüstiger Arbeiter mußte sich mit ihr beladen und sie nach dem Kloster tragen ; den anderen gab Wilhelmi die nötige Anweisung , wie der Leichnam zu bestatten sei . Überwältigt von so vielen außerordentlichen Dingen , befahl er , daß ganz nach den Worten der Alten hierbei verfahren werden solle , die ihm Cornelie hinterbracht hatte . Schweigend machten die Männer eine tiefe Gruft auf der Wiese , schweigend senkten sie den zarten Leichnam , um den nur ein feines Musselintuch geschlagen wurde , ein . So wurde das wilde , ausgelaßene , unglückliche Flämmchen unter Gräsern und Blumen zur Ruhe gebracht . Zwischen ihr und der Erde bildeten keine Sargwände eine Scheidung . Nicht unpassend erschien diese Art des Begräbnisses . Den Elementen hatte sie im Leben näher angehört , als der menschlich-geselligen Ordnung , den Elementen wurde sie nun im Tode zu unmittelbarer Gemeinschaft zurückgegeben . Die Alte hatte man in ein bequemes Bette gelegt . Ihr Starrkrampf , Schlaf , oder was es sonst war , dauerte fort . Der herbeigerufene Hausarzt erklärte , man müsse die Natur walten lassen , welche die inneren Organe wohl wieder so weit beleben könne , um an die Stelle dieses Scheintodes ein wirkliches Bewußtsein zu setzen . Wilhelmi , Cornelie , der Prediger , ja selbst die kalten Geschäftsmänner wandelten umher , halbkrank , von schwärmenden Einbildungen erfüllt . Denn auch Hermann war für sie unsichtbar geworden . Seit jenem Abende hatte er den Verschluß seines Zimmers noch nicht aufgehoben , nur die notwendigsten Speisen ließ er sich einmal des Tages hineinreichen , und schob dann sogleich wieder den Riegel vor . Wilhelmi beobachtete ihn vom Fenster eines gegenüberliegenden Hauses , und sah , daß er unaufhörlich den Ring anstarrte , dann emsig schrieb , und von dieser Beschäftigung nur wieder zu jener Gebärde überging . " Was wird aus allem diesem werden ? " sagte Wilhelmi eines Tages zum Prediger , mit dem er viel zusammen war . " Wo liegen die Knoten , durch deren Lösung ein verworrenes Gewebe zu ordnen sein möchte ? " " Ich bin auf alles gefaßt " , versetzte der Prediger . " Es sollte mich nicht wundern , wenn hier in unserer friedlichen Gegend plötzlich ein Vulkan den feurigen Schlund auftäte , oder ein Erdbeben unsere Häuser in ihren Grundfesten erschütterte , so wilde Begebenheiten haben einander gedrängt und überstürzt . " " Große Besitzungen ohne Herrn , ein guter , zu allen Freuden des Daseins berechtigter Mensch in Nacht und Kindheit des Geistes gestürzt ! " rief Wilhelmi . " Verborgene Schuld abgelaufener Zeiten grausam an das Tageslicht gerissen , und keine Sonne der Hoffnung aufgehend über den Gräbern des Herzogs , des Oheims , der Tante , Ferdinands , Flämmchens ! Wir sehen gleichsam in einer Gruppe und abgekürzten Figur um uns her das ganze trostlose Chaos der Gegenwart . " " Wäre in unserer Brust nicht der Glaube an ein Gleichgewicht der Dinge unvertilglich , so müßte uns das Leben wie ein gewisses Spiel vorkommen , welches die Schulknaben zu treiben pflegen " , erwiderte der Prediger . " Sie schreiben auf die erste Seite ihrer Grammatik : » Wer meinen Namen wissen will , schlage Pagina da und da auf . « Dort wird wieder nach einer anderen Seite hinverwiesen , und so weiter . Endlich , wenn der Suchende sich nach und nach durch das ganze Buch vor und zurück hindurchgearbeitet hat , bleibt der Name mit einem albernen Scherze aus . " Dreizehntes Kapitel Dreizehntes Kapitel Beide Männer machten häufige Spaziergänge in der Gegend , um die trüben Gedanken , von denen jeder bedrängt war , zu verscheuchen . Wilhelmi hätte wohl reisen können und sollen , denn seine Frau ermahnte ihn in rasch einander folgenden Briefen zur Heimkehr , aber das anhängliche Gemüt des sonderbaren Manns litt nicht , daß er gerade jetzt das Kloster verließ . Er wollte wenigstens warten , bis Hermann aus seiner selbstgewählten Einsamkeit hervorginge , und dann , wenn der Unglückliche derselbe geblieben war , mit weinenden Augen von dem verlorenen Freunde scheiden . Auf diesen Gängen kamen sie auch einmal in die Nähe des Hünenborns , und der Prediger , welcher seinem Begleiter von dem dort befindlichen Naturspiele erzählt hatte , mußte sich dazu verstehen , ihm auf die Höhe zu folgen . Wilhelmi nahm vorsichtig den Stein von der kleinen Kindesgruft , schüttelte aber , da er hineingeblickt hatte , unmutig das Haupt , denn er sah nur ein gewöhnliches Skelett und einige unscheinbare Tropfsteingebilde umher . " Ich bin durch Ihre Erzählung so neugierig gemacht worden " , rief er , " und nun werde ich nichts gewahr , was nur von fern dem mir so sehr gerühmten Wunder ähnlich sieht . " " Die Feuchtigkeit wird vertrocknet sein , deren Tropfen in allen Farben des Regenbogens geglänzt haben mögen , wenn die Sonne ihre Strahlen in die Höhlung warf " , antwortete der Prediger . " Über uns spannt sich heute ein trüber Himmel aus , der nichts beleuchten kann . Tag und Stunde machen viel , und eigentlich ist dieses um so mehr ein Wunder zu nennen , wenn die Schönheit nur einmal und nur einem sichtbar wird . " Wilhelmi deckte verdrießlich den Stein über , und war auf dem Rückwege ziemlich schweigsam , so daß der Prediger , der kein stummes Zusammensein ertragen mochte , mehr redete , als gewöhnlich . " Erinnre ich mich des Entzückens meines verewigten , keineswegs zur Schwärmerei geneigten Freundes , so werde ich mir mancher Gedanken noch bewußter , die mich auch sonst wohl bei dem Hinblicke auf die sogenannte leblose Natur verfolgt haben . Sie stellt gleichsam in sich ein zweites Evangelium auf , welches neben dem geoffenbarten freundlich hergeht , und sich von diesem nur dadurch unterscheidet , daß in ihm alles sichtbar und äußerlich wird , während in jenem die Entfaltung des göttlichen Lebens , soll sie nicht auf kindische Täuschung oder katholisierende Bilderei hinauslaufen , nur innerlich und unsichtbar geschieht . Auf solche Weise mag die Natur uns die wahre Ergänzung der Offenbarung darbieten sollen ; mir wenigstens hat sie in dieser Art oft Trost für mein Bedürfnis gegeben . In dem Schauspiele , welches der Oheim mir schilderte , sprach sie gleichsam das Geheimnis der Erlösung aus . Wie diese nicht dem Gerechten , sondern dem Gnadenbedürftigen zuteil wird , so hatte sie jenes , aller Wahrscheinlichkeit nach in großer Sünde empfangene Kind erwählt , um es mit himmlischer Pracht im Tode zu verklären . " " Das sind Meinungen , welche das Konsistorium doch ja nicht hören darf " , sagte Wilhelmi . " Die Zeit der Konsistorien ist wohl auch vorbei " , versetzte der Prediger . " Ich glaube , daß die Herrn , wenn sie versammelt sind , das Gefühl der Auguren haben , und sich große Mühe geben müssen , einander mit ernsthaften Gesichtern gegenüberzusitzen . " Man hatte unter diesen Gesprächen das Kloster erreicht , und der Prediger trennte sich an der Pforte von Wilhelmi . Dieser ging , über die Reden des Geistlichen nachdenkend , in sein Zimmer , wo eine Überraschung auf ihn wartete , die ihn für das vermißte Wunder reichlich entschädigte . Am Fenster stand Hermann mit frischen , gesunden Wangen , hellen Augen und rief dem Eintretenden entgegen : " Wo bleibst du so lange ? Ich habe dich viel zu fragen , du sollst mir auf vieles Antwort geben . " Zweifelnd , zwischen Furcht und Freude , nahte sich ihm Wilhelmi , und betrachtete prüfend den Verwandelten . " Was ist mit dir vorgegangen ? Du siehst anders aus , als ehedem " , sagte er endlich . " Ich glaube , es wird noch alles gut " , erwiderte Hermann mit dem alten zuversichtlichen Tone seiner Jugend . " Lies , was ich in diesen Tagen aufschreiben mußte , um mir meine Geschichte deutlich zu machen . " Er reichte ihm die Blätter , an welchen ihn Wilhelmi im verschloßenen Zimmer so emsig hatte schreiben sehen . Sie enthielten die Erzählung jener abenteuerlichen Nacht auf Flämmchens Landhause , deren Rest er mit Johannen zugebracht zu haben meinte . Wilhelmi wechselte die Farbe bei der Lesung . " Schauderst du schon jetzt ? " sagte Hermann . " Lies erst diese Papiere . Ich habe mir den Rock von der Predigersfrau wiedergeben lassen , und die Brieftasche aus dem Futter genommen . Hier ist der Schlüssel dazu . " Jener öffnete , und durchlief die Papiere , welche das Portefeuille enthielt . " Barmherziger Gott ! " rief er , und ließ einen der Briefe vor Schrecken fallen , " und dieses Bewußtsein hast du mit dir umherschleppen müssen , o du Armer , du Ärmster ! " " Ja " , versetzte Hermann . " Nun begreifst du wohl , daß einem dabei übler zumute werden kann , als ihr übrigen Menschen euch vorzustellen vermögt . Aber den Ring , den mir die Wilde , in deren Schoße ich schwelgte , geraubt , sendet mir nicht Johanna , sondern das Flämmchen durch Cornelien , welche die Wahrheit ist und ein herabgestiegener Engel des Lichts . Es haben also , wie ich vermute , die Mächte des Himmels nicht zulassen wollen , daß greuliche Fabeln des Altertums auf meinem jüngsten Haupte wirklich werden sollten . " Jemand kam und sagte : " Die Alte ist erwacht , nimmt Speise und Trank , wollen Sie nicht mit ihr reden ? " " Komme ! " rief Wilhelmi begeistert . " Aus diesem verruchten Munde wird uns , die Ahnung sagt es mir , die volle Klarheit quellen . " Er nahm ihn mit zu dem Gemache , worin die Alte lag , doch mußte Hermann auf dem Gange vor der Türe bleiben , welche halb offengelassen wurde . " Ach ! " rief die Alte und richtete sich von ihrem Lager empor , " sind Sie der Hausherr , so tun Sie mir nichts zuleide , das Flämmchen ist , wie ich höre , gestorben , damit ist mein Leben eigentlich auch hinweggetan , ich bilde mir nicht mehr ein , mit dem Teufel Bekanntschaft gehabt zu haben , oder vom Grabe etwas Besonderes zu wissen , bin nur noch ein altes , müdes Bettelweib . Bringen Sie mich in einem Spitale oder sonstwo unter , und lassen Sie mir notdürftige Kost reichen , ich bin dann schon zufrieden und werde nie mehr Böses tun . " " Alles soll dir vergeben sein , und wir werden für dich sorgen , wie du wünschest " , sagte Wilhelmi , " wenn du mir auf meine Fragen die Wahrheit bekennst . " " Was Sie wollen ! " rief die Alte und legte bekräftigend ihre Hand auf die Brust . " Nun denn , was ist in der Nacht , worin der Ball bei Flämmchen war , vorgefallen ? " " O Elend ! Elend ! Muß ich darüber beichten ? - Und gerade die Niederkunft war es , welche mein zartes , heftiges Kind so angriff , daß sie seitdem den Keim des Todes in sich trug . Freilich taten die Not und der Mangel , in dem wir umherziehn mußten , als uns die hartherzigen Verwandten aus dem Hause gestoßen hatten , auch das ihrige . Wir besaßen zuletzt nur noch die Fetzen , welche unsere Blöße verhüllten , alles andere mußten wir auf unseren Wandrungen losschlagen , um den Bissen für unseren Mund zu haben . Aber den eigentlichen Stoß hatte ihr leichter , feiner Leib doch nur von der Geburt empfangen , und ich war die Anstifterin von allem und habe mein Kind schlachten helfen ! " Sie krümmte sich , von der furchtbarsten Pein gefaßt , konvulsivisch auf dem Lager . Wilhelmi ließ diesen Anstoß vorübergehen , und redete ihr dann zu , sich durch ein offenes Geständnis zu erleichtern . " Ja so , von der Nacht wollen Sie wissen . Nun , ich bin in Ihrer Hand . Der Herr war in die fremde vornehme Dame verliebt , und das Flämmchen in den Herrn . Sie lachte , schäkerte und tanzte , aber ich wußte wohl , daß es nur ihr blutendes Herz war , welches in diesen Scherzen abstarb . Ich war ergrimmt auf den Herrn , und ein Kind brauchten wir , um die Erbschaft uns zu erhalten , die , wehe mir Unglückseligen ! doch nachmals verlorenging , da das Flämmchen zu spät guter Hoffnung wurde . In jener Nacht ging alles über- und untereinander . Der Ball und der Wein , den ich genossen , und meine eigenen Einbildungen hatten mich ganz verrückt gemacht , so daß ich einen Plan ausbrütete , verwunderlich wie die Nacht . Der Zufall half denn auch . Die fremde Dame wollte der Ruhe genießen und bat um ein anderes Zimmer , was entfernter vom Tanzsale läge , worin die Musik noch immer fortlärmte . Als das besorgt und sie umquartiert war , kam mir der alberne Kurator in den Weg , und in der Frechheit meines Hohns band ich ihm auf , die Dame verlange noch nach dem Herrn . Diese Botschaft hat er auch treulich ausgerichtet . Unterdessen wartete das Flämmchen , welches ganz in meinen Stricken und Fesseln gebunden war , zitternd vor Angst , Scham und Sehnsucht schon an der Stelle der Dame . Er kam zum Flämmchen , nicht zu der Dame ; Rausch und Lust haben die Sache vollendet und ihn die Verwechselung nicht merken lassen . " Ein tiefer Atemzug , ein Ruf der Wonne ließ sich draußen vernehmen . Wilhelmi eilte vor die Türe und fand seinen Freund auf den Knien liegen , die Arme betend emporgehoben , die von den seligsten Tränen überströmenden Augen gen Himmel gerichtet . Bewegt von der freudigsten Rührung beugte sich der alte Getreue nieder , und drückte schweigend einen Kuß auf Hermanns Stirn . Dann riß er ihn stürmisch an sein Herz , und die Zähren der Freunde mischten sich . " Wo ist Cornelie , daß ich vor ihr niedersinke , sie im Staube verehre und anbete ? " fragte Hermann leise . Wilhelmi führte ihn zu ihr . Als sie die beiden eintreten sah , in deren Gesichtern der Himmel spielte , trat sie , erschreckt von der Ahnung eines überschwänglichen Glücks , einen Schritt zurück . Hermann fiel vor ihr nieder , umfaßte ihre Füße und küßte sie inbrünstig . " Was soll das ! " rief sie erstaunt . " Er ist hergestellt ! " jauchzte Wilhelmi . " Gott ! Gott ! " jubelte Cornelie mit brechender Stimme . " Hergestellt ! " wiederholte Wilhelmi . " Durch dich , du heiliges Kind . Aus den Händen der Unschuld hat er die Entlastung seiner Seele empfangen . " " Durch mich ? Ich weiß ja von nichts " , sagte Cornelie , und ihre Hand streichelte wie trunken das Haar des Geliebten . " Nein , du weißt von nichts , mußt auch von nichts wissen " , erwiderte Wilhelmi . " Die ewige Gnade erwählte das reine Gefäß , und dieses vollbrachte in Einfalt und Liebe das Werk der Entsühnung . " Und nun erst hält sich der Herausgeber befugt , die Papiere der Brieftasche einzuschalten . Aus ihnen wird erhellen , welche Last auf der Brust unseres Freundes drückte , aus welchen Nächten er zum Lichte wieder emporgeführt wurde . Vierzehntes Kapitel 1. Graf Heinrich an Hermann , den Vater I. Graf Heinrich an Hermann , den Vater Hamburg , den 10. April 1795 Hermann , noch klingt und zittert unser Abschied in allen Fibern meiner Seele nach ! Als ich die Räder Deines Wagens rollen hörte , barg ich mein feuchtes Antlitz im Tuche , warf mich über den Tisch , und fraß meinen Schmerz hinunter . - Nun bist Du fort , ich suche Dich überall , und umarme nur ein ödes Luftbild . Du fehlst mir überall ; " das würde ich ihm sagen , diese Empfindung in seinen Busen ausschütten ! " spreche ich hundertmal des Tages vor mich hin , ach , Du weißt es nicht , Du Kalter , welches Gefühl für Dich in diesen Adern siedet ! Nur die Freundschaft konnte mein Herz ganz ausfüllen , ich zweifle , ob es die Liebe je wird vermögend sein . Ach , daß Du mir fehlst ! Hamburg und Bremen , und Bremen und Hamburg ! wirst Du sagen . Fünfzehn Meilen , ist das eine Entfernung ? Wie bald können wir wieder zueinander kommen ! Und dennoch , wie fern liegt die Aussicht dazu ! Dieses Wiedersehen nach unseren glücklichen akademischen Jahren war das letzte Auflodern der Jugend , Dich werden Deine Verhältnisse , in denen Du schon so ziemlich eingesponnen bist , nach und nach immer mehr wie mit eisernen Zangen fassen , und ich muß ja nun auch wohl zu Hause hocken , wenn ich meinen Vater nicht ganz aufbringen , und ihn dazu treiben will , daß er mich auf den Pflichtteil setzt . Hier bleibe ich noch ein paar Wochen , um dem Meere nahe zu sein , welches mit wunderbarer Gewalt in mir Windstille und Sturmwogen schafft , und dieses eigensinnige , kranke Herz zum Genusse seiner selbst mächtig aufwühlt . Freilich , unter den Krämern wird mir nicht wohl . Gestern wollte mich einer auf ein Schiff mitnehmen , um mir eine Vorlesung über Befrachtung , Segel- und Steuermannskunde zu halten . Ach " , versetzte ich , " lassen Sie das ; mir wäre nötiger zu wissen , wie wir unseren Lebensnachen an Klippen und Untiefen vorbeibringen , welche Winde ihn weiterführen , vor welchen Strömungen wir ihn zu hüten haben ! " Hermann , unser Schwor , unser heiliger Schwor ! Daß sich keiner dem anderen in der höchsten Not seiner Seele versagen soll , und gälte es das Opfer des eigenen Lebens und Glücks . Wir haben es uns gelobt , als wir das Blut unserer Adern zusammen in die silberne Schale rinnen ließen , und die Flut dann mischten zu dem Weine , den wir genossen , als Kelch eines weltlichen Abendmahls . So schließen die Wilden ihre Todesbrüderschaften , und wir haben es ihnen nachgemacht , und wollen immerhin gar gern außerhalb der sogenannten Kultur mit unseren Gefühlen stehen . Wie dürste ich , meinen Eid durch eine Tat für Dich auszulösen ! Ich habe Klopstock besucht , der sich ganz verjüngte , als ich ihm von unserer Freundschaft erzählte . So meinte er , habe er nur seinen Schmidt , seinen Ebert , seinen Giseke geliebt , und sei diese Liebe , wie er geglaubt , aus der Welt verschwunden gewesen . Er sprach viel von seiner Jugend , von Halberstadt und Gleim , von Fanny und Meta , und sagte , er könne sich in die jetzige Welt nicht mehr recht finden . Die jungen Meister wähnten , die Kunst treiben zu können , während sie , die Alten , von der Kunst getrieben worden wären . Ich bat um seinen Segen , den er mir auch als Hohepriester in Thuiskons Heiligtume feierlich-gerührt erteilte . Dieser schönen Stunde Anteil fliege Dir , mein Geliebter , auf den Schwingen Idunens zu ! Sei mein , wie ich bin Dein ewiger H. 2 . Derselbe an Denselben II . Derselbe an Denselben Hamburg , den 15. April 1795 Hermann , ich reise . Der Frühling will vor den Seestürmen , die von Cuxhaven herüberwehn , nicht zum Durchbruch kommen , ich gehe also , ihn an seiner Wiege , im Süden aufzusuchen . In Schwaben oder in der Pfalz will ich mich unter Mandelbäume und Kastanien lagern , alte Burgen erklimmen und mich in schönere Zeiten träumen . Und wenn ich erwache und sehe , daß das Geschlecht der Edleren von der Erde verschwunden ist , so soll mir die jüngste Blüte die ganze Weltgeschichte ersetzen . Zudem sei Dir vertraut , daß ich von hier fort muß . " Kein Mensch muß müssen " , sagt Lessing , aber ich muß doch fort . Die schöne Frau , mit der Du mich oft zusammen sahst , bezeigte sich gefälliger gegen mich , als ich anfangs selbst erwarten durfte , das hat nun Folgen gehabt , und so weiter . Die Tränen des armen Weibes fallen wie glühende Tropfen auf meine Seele , aber kann ich ihr helfen ? Was geschehen konnte , ist geschehen , und so muß denn dieses Kapitel meiner Lebensgeschichte vorderhand abgeschlossen sein . Ich sehe Dich saure Mienen machen , und höre Dich über Freigeisterei schelten , alter treuer Moralist . Höre mein Credo in Betreff der Weiber . Sie sind so einseitig und eng , daß es eine Umkehrung aller Gesetze der Natur wäre , den Mann zum Sklaven einer einzigen Neigung machen zu wollen . Vielmehr hat sie , die ewigwahre , hier schon das richtige Verhältnis angedeutet , indem sie dem Weibe die Frucht gab , die ihr verbleibt , während der Mann von allen glücklichen Stunden nur ein bald erblassendes Andenken sich erhält . Bequemen wir uns , die wir Erde und Himmel mit unserem Geiste umfassen , eine Zeitlang zu den Füßen einer Frau zu girren , so dächte ich , daß ihr das genügen könnte , und mehr begehren , heißt das Unmögliche verlangen . Daß ich verheiratet bin , daß ein Junge von mir bereits das Abc lernt , was ist_es nun weiter ? Mein Vater wollte es gern , daß ich , fast noch Student , unterducken sollte , weil er davon , was weiß ich ? welche Mirakel der Besserung erwartete , und mir war es angenehm , daß ich , der ich in so vielem ihm hatte entgegen sein müssen , in diesem Punkte ihm einen Gefallen tun konnte . Hierauf traten wir vor den Altar , das kalte Fräulein Celeste sagte Ja , der warme Graf Heinrich sagte Ja , ein bezahlter Pfaffe sagte Amen , und ich war ein Ehemann worden . Wir haben einen Sohn gezeugt , pflichtmäßig , wie die Herrnhuter , und es müßte ganz verkehrt zugehn , wenn der Bube nicht ein Ausbund von Tugend und Ordnungsliebe wird , da bei seiner Erschaffung alles im regelrechtesten Gange verblieben ist . Und damit sollte das Leben eines Menschen beschlossen sein ? - Verdammt sollte er sein , den Feuerstrom seines Inneren in rostigen Formen erstarren zu lassen ? Du wirst mich davon nicht überreden . Du nicht , keiner wird es . Du denkst es auch nicht . Um eines bitte ich Dich . Halte mich in dieser Materie für keinen Don Juan , der tierisch umherwütet . Immer ist mein Herz bei der Sache , nie wende ich Verführerkünste an , die ich hasse , wie den Abgrund der Hölle . Wir sind schwach , das ist das ganze Geheimnis . Das Himmelsfünkchen : Seele ist in einem Ballen Fleisch und Blut verpackt , haben wir das zu verantworten ? Der Gott , welcher uns so hinfällig schuf , wird mit unserer Hinfälligkeit Mitleid haben , wird von tönernen Gefäßen nicht die Härte des Marmors erwarten . Auch die Lolo habe ich wahrhaft geliebt , und der unglückliche Ausgang wird eine Narbe in mir zurücklassen , die gewiß so bald noch nicht verharscht . Bleibe Du mir nur , der Du mir bist , dann steht alles gut . 3. Derselbe an Denselben III . Derselbe an Denselben Heidelberg , den 1. Mai 1795 O Hermann , wie grünt und blüht es hier ! Diese Pracht ist nicht zu beschreiben , man muß in ihr mit allen Sinnen wühlen . Ich wohne dicht unter dem Schlosse . Nur wenige Schritte , und ich bin mitten unter dem Schnee der Mandelbäume , Kastanien und Apfelstämme . Siehst Du , wieviel besser die Erde auch hierin ist , als der Himmel ! Er sendet ihr kalte Flocken zu , und sie wirft ihm von ihrer Brust die warmen duftenden entgegen . Obgleich kein Liebhaber von Werther , da ich aller Sentimentalität abhold bin , und glaube , daß das Vaterland Männer nötig habe , nicht solche schwärmende Siechlinge , so kann ich doch hier nur seine Worte nachsprechen : " Man möchte zum Maikäfer werden , um in dem Meere von Wohlgerüchen herumschweben , und alle seine Nahrung darin finden zu können . " Deinem Briefe läßt sich leider anmerken , daß Du in der freien Reichsstadt Bremen stark eingepfercht bist . Was soll nur das Geschwätz von Graf und Bürger , und daß die Verhältnisse doch einmal zerstörend zwischen uns treten würden ? Wenn das geschieht , wenn in mir je eine Empfindung von den sogenannten Schranken des Standes Dir gegenüber entsteht , so möge mich der Donner des Allmächtigen im nämlichen Augenblicke vertilgen ! Herzbruder , wir haben einer des anderen Blut getrunken , unsere Seelen sind nicht mehr zwei , es sind Saiten derselben Harfe , auf welcher die Akkorde des hohen Liedes von ewiger Freundschaft dröhnen . Säßest Du nur hier bei mir unter den Mandeln , und der Baum bewürfe uns beide mit Blüten , da würden Dir schon die Grillen vergehen . Von Klopstock habe ich ein paar Zeilen , die mich ganz glücklich machen . Da sie Dich mit angehen , so sende ich sie Dir , und Du magst sie behalten , so schwer es mir fällt , mich von diesen teuren Schriftzügen zu trennen . Aber was teilte ich nicht gern mit Dir ! Zwei Worte Dir ins Ohr , aber sprich davon nicht weiter : Ich liebe ! - Du lachst und rufst : Nichts Neues ! - Sachte , Kind , Kind , das ist etwas ganz anderes . Lange behilft sich der Laie mit den äußeren Bildern des Altarschreins und meint , die Schönheit an ihnen zu besitzen , und nun werden die Flügel aufgetan , und da sieht er erst , welche Herrlichkeit sich auf Erden begeben kann . Worte sind Worte , und Phrasen geben kein Gefühl von den Dingen . Also nichts dergleichen . Nur so viel sei Dir gesagt , daß hier ein Markstein meines Lebens gesetzt ist , und daß Dein Freund viel anders werden wird . Sah doch Petrus auch ein Tuch voll reiner und unreiner Tiere , und war eines so gut , als das andere . In dem Tuche sind wir nun auch aufbehalten , von einem Engel berührt und geheiligt . O pfui , das ist Gewäsche , nichtssagendes Gewäsche ! Kurz und trocken also referiere ich Dir , daß ich hier in einem Weinhügelwinkel am Neckar , hart an der Grenze von Schwaben sitze , und einem Mägdlein helfe Blumen pflanzen und junge Schoten lesen . Gott gebe der Seligkeit Bestand , lasse mich die übrige Welt vergessen und von ihr vergessen sein ! Sie ist die Tochter eines Landpredigers , der mich unter seinen Obstbäumen empfing , wie ein Patriarch des alten Bundes . Ich entdeckte das Kleinod auf einer meiner Streifereien den Fluß hinaufwärts . Auf ihren Wangen blüht die Unschuld , und süße Unschuld blüht ihr im Herzen , und um sie weht guter Friede und aller holdseligen Dinge die Fülle . Nun habe ich doch einmal einen Busen , der ganz erfüllt ist von mir , und nichts fassen und halten will außer mir . Den ersten Mai habe ich diesen Brief begonnen , nun so erhalte ich Deinen vom zehnten Juli , der mich über mein Schweigen ausschilt , und da sehe ich mit Erschrecken nach , und finde meine paar Sätze , die ich diese Monate her auf das Papier gestrudelt , noch unabgesendet vor . So mögen sie Dir denn zukommen , als ein Beweis , daß es Deinem Freunde wohlgeht , denn , wenn man nicht schreibt , und nichts zuschreiben hat , so ist man glücklich . Denke Dir eine Knospe , frisch und herb aus dem Grün der umhüllenden Blätter brechend , und die ganze Pracht der Blüte im jungen Rot andeutend , und Du hast das Bild von Babetten , weißt , wodurch sie mich so unwiderstehlich fesselt . Fern von städtischer Weichlichkeit ist sie aufgewachsen , kräftig unter den Nußbäumen und Weinranken . Ach , wie wohl tut es , nach so manchem Mischgebräu , was wir haben verschlucken müssen , unseren Gaumen einmal an dem kühlen , klaren Trunke der Quelle laben zu dürfen ! Ich lebe hier unter dem Namen eines Herrn von Müller , der Alte sieht unserem Umgange nach , ich bin mit ihr vom Morgen bis zum Abend , und der Tag ist um , ehe wir uns dessen versehen haben . Deinen Namen muß sie mir hundertmal des Tages nennen , ich empfange ihn von ihren Lippen wie ein heiliges Geschenk des Himmels . Unser ganzes Verhältnis habe ich ihr erzählt , sie liebt Dich , ohne Dich gesehen zu haben , und wenn sie mich küßt , so spricht sie : " Dieser da ist für Dich , und der für Deinen Freund , da Ihr ein Herz und eine Seele seid , so darfst Du nicht eifersüchtig werden . " - Neulich sagte sie mir mit ihrer himmlischen Naivetät : " Du bist ein Edelmann und wirst mich armes Schwabenmädel nur verführen ; wenn das ist , so möchte ich Deinen Freund am liebsten heiraten , bitte , rede mir beizeiten das Wort bei ihm ! " 4. Derselbe an Denselben IV . Derselbe an Denselben * den 4. September 1795 Was daraus werden soll ? fragst Du , und hast den Arsenal der Pflichtenlehre geplündert , mich hier in meinem Versteck mit allerhand Tugendermahnungen zu beschießen . Freund , wenn ich in ihren Armen Ruhe , möchte ich die ganze Welt beglücken , ich bin so froh , wie Jupiter , wenn er von Liebe geschmeichelt . Regen und Sonnenschein den harrenden Geschlechtern der Menschen sendet . Ich könnte dann alles tun , opfern , hingeben , ein weinendes Auge zu trockenen , einer guten Seele eine freudige Minute zu schaffen . Ist das nun Laster ? Sind wir nicht schon unglücklich genug durch unsere Verhältnisse , ist dem wundgedrückten Sklaven auch das versagt , auf eine kurze Stunde die Kette zu lockern , die sein Fleisch schmerzlich preßt ? Hat mich mein Geschick gefragt , ob ich dieses reizende Mädchen lieben wolle ? Sind wir dafür verantwortlich , was ein geheimnisvoller Zug in uns ohne unser Zutun schafft ? Da ich ihre Augen sah , mußte ich in sie mit den Pfeilen meiner Blicke eindringen , da ihre Lippen mir winkten , wie konnten die meinigen widerstehen ? Da an ihrem Busen die süßeste Ruhestätte mir bereitet wurde , hätte ich ein Tier sein müssen , mich nicht dort zu betten . Ich wälze abenteuerliche Plane um . Meine Frau macht sich nichts aus mir , mein Vater hat mich nie geliebt , was bin ich ihnen also ? Mein Dasein ist ihnen völlig unnütz , und ich bedarf wieder der Flittern des Standes nicht . Wenn ich mich mit der , die meine Seele liebt , verberge , weit , weit hinter großen Strömen und undurchdringlichen Wildnissen , und löschte aus im Angedenken der Menschen , außer in Deinem , in dem unterzugehen , für mich der moralische Tod wäre , härter als der physische . 5. Derselbe an Denselben V . Derselbe an Denselben * den 8. September 1795 Daß mich meine Narrheit zwingt , alles Dir zu vertraun , obgleich ich weiß , daß Du schmälst ; aber ich besitze und genieße etwas nur , wenn ich es mit Dir Teile . Ich merke es Deinen Briefen an , besonders dem letzten , daß Du mit mir zürnest , Du sprichst keine Vorwürfe mehr aus , aber alle Zeilen sind ein Vorwurf . Da wäre es nun an der Zeit , sich auch zurückzuziehen , bis der böse Freund dem anderen seine Wonne mit gutem Herzen gönnte . Aber ich kann das nicht , zu meinem Glück oder Unglück ist mir die überströmende Seele gegeben , die nur in schrankenlosem Vertrauen , in unendlicher Hingebung sich befriedigt fühlt . Ich lebe jetzt mit Babetten auf diesem alten Bergschlosse , tief im wildesten Gebirge . Der Vater , nachdem er unsere Liebe lange toleriert , wollte auf einmal den Strengen spielen , untersagte mir das Haus , sperrte mein Mädchen ein . Gegen Zwang hat sich seit Adams Zeit noch immer die freie Liebe empört ; in einer Nacht , welcher Venus den funkelndsten Schein spendete , folgte mir die Getreue , die Holdselige . Nun führen wir , von Waldkronen umrauscht , zwischen Trümmern und Klippen hausend , ein Leben wie die Ritter und ihre Trauten in den alten Märchen . Es ist , außer einem alten Pachter mit seiner tauben Magd und einem halb blödsinnigen Knechte keine Menschenseele in diesem Steinklumpen , auch wohnen auf eine Stunde Weges hin keine Leute . Diese Einsamkeit hat etwas Großes , wundersam Süßes . Wenn die Sonne den Wald in einen grüngoldenen Zauberpalast verwandelt , oder der Sturm , wie der Atem des Geistes , durch die Zweige der Buchen geht , und ich mein Mädchen in den Arm fasse , da dünkt uns oft , wir seien dieser Zeit entrückt , und lebten in den Tagen der Fabel . Die Liebe lebt ihre eigene Geschichte , und braucht der Außendinge nicht . Babette besorgt die Küche , ich spalte ihr das Holz , oder suche mit der Jagdflinte ihr einen Braten zu erlegen , und wenn ein Gericht wohl geraten ist , oder mein Weidwerk gute Beute gab , so sind das große Ereignisse , an welchen wir lange nachzuzehren haben . Sie hat mir eines nicht versagen dürfen , was ich Dir zitternd , leise und scheu , wie ein Kind , das vor der Mutter sich fürchtet , vertraue . Wenn Dunkel sich über Berge und Täler goß , und auch die Abendlampe erlosch , dann Ruhe ich selig und froh an ihrer Seite . Wehe Dir , wenn Du etwas Übles davon denkst ! Nein , heilig und unsträflich teilen wir das liebliche Lager , und tiefe Ehrfurcht vor der Unschuld liegt zwischen uns , wie ein geschliffenes Schwert . Es war nur so eine Laune und Grille von mir ; zu proben , ob man nicht lieben kann , wie die Engel sich lieben . Und siehe da , die Probe ist gelungen . Ach , wie süß sie zitterte , da ich zum ersten Male von meiner erstürmten Befugnis Gebrauch machte , und wie ruhig sie nun mir am Busen entschläft ! 6. Derselbe an Denselben VI . Derselbe an Denselben * den 20. Oktober 1795 Lieber , man ist oft nicht in der Stimmung , anderen zu antworten . Nimm es mir also nicht übel , wenn ich auf Deine Fragen nichts erwidre , als die Bitte , mir mit guter Art meinen Taufschein zu verschaffen , dessen ich zur Ausführung eines notwendigen Vorhabens bedarf . Ich habe Babetten meinen Stand und Namen entdecken müssen , Du kannst mir also das Verlangte nur unter meiner wahren Adresse hierher senden . Der alte Kaplan ist mir ergeben , er wird reinen Mund halten , wenn Du den Schein unter dem Siegel der Verschwiegenheit von ihm forderst . Ich mag nicht an ihn schreiben , denn aus allerhand Anzeigen schließe ich , daß mein Vater und meine Frau mir auf der Spur sind , und ein Brief von mir könnte leicht durch eine schadenfrohe Zufälligkeit ihnen bekannt werden . 7. Babette an Hermann VII. Babette an Hermann * den 24. Oktober 1795 Ein unglückliches Mädchen , elender als Worte es zu nennen vermögen , beschwört Sie bei der Pflicht der Wahrheit , und Sie erinnernd an die letzte Stunde , welche alles uns vorhält , Gutes und Schlimmes , ihr zu sagen , ob ein Edelmann , namens von Müller , der auch Graf * heißen soll , bereits vermählt , und Vater eines Sohns sei ? 8. Graf Heinrich an Hermann VIII. Graf Heinrich an Hermann * den 6. November 1795 Es bedarf keiner Antwort auf die Zeilen Babettens , welche Du mir überschicktest . Sie weiß alles , und wir mögen uns nur die Haare ausraufen , mit den Nägeln unser Antlitz zerfleischen , und dem Kitzel unseres Vaters , der warmen Stunde unserer Mutter fluchen , welche ein Tier mehr : Mensch genannt , in die Marterkammer , Leben , trieben . November sollte das ganze Jahr hindurch sein , so schwarz , stürmisch und regnerisch , wie dieser ! Der Mai ist eine Lüge , und jeder Sonnenblick ist eine ! Da sitzen wir nun ; Babette in ihrer Stube , die sie vor mir verschlossen hält , und ich in meiner , und der Vater geht unter dem Burgwalle auf und nieder , und zerstampft das Gras mit seinem Stocke . Unsinn der Welt , Chaos , weites , wüstes Narrenhaus ! Die Natur erbaut auf Gefühlen den ganzen großen Tempel des Seins , und wenn wir ihnen folgen , lohnt sie uns mit Verzweiflung ab . Ich will versuchen , Dir zu erzählen , wenn meine von Weinen geschwollenen Augen , meine zitternden Finger mir erlauben , den Brief zu Ende zu bringen . Der Zustand Babettens war unzweideutig geworden , ich entschloß mich , in ferne Länder mit ihr zu fliehen , dort mich mit ihr zu verbinden , und für meine deutschen Verhältnisse fortan tot zu sein . Was an diesem Vorsatze unerlaubt war , erschien mir leicht und verzeihlich gegen die Sünde , das Mädchen meines Herzens dem Jammer preiszugeben . Ich sprach mit ihr davon , arglos willigte sie in alles , schöpfte auch keinen Verdacht , als ich ihr meinen Grafenstand entdeckte , ließ meine Vorwände gelten . Den Taufschein erbat ich mir von Dir , damit kein Priester der Trauung Hindernisse in den Weg legen könnte . Da muß mein böser Stern unseren Freund Miller in die Nähe des Neckars führen . Du weißt , wie er mich mit seiner Freundschaft verfolgte , wie mir seine übertriebene Empfindsamkeit zuwider war . Er hört durch Zufall von mir , und beim wildesten Wetter steht er auf einmal in meiner Burgzelle vor mir . Ich empfange ihn kalt , verlegen , er macht mir Vorwürfe , aber bleibt , ich rede von einer Reise , die ich sogleich in einem Geschäfte anstellen müsse , er erbietet sich , mich einige Meilen zu begleiten . Ehe ich noch einen Entschluß fassen , ein unglückliches Zusammentreffen verhindern kann , hat er Babetten gesehen , gesprochen , und mich in ihrer Gegenwart nach meiner Frau , meinem Kinde befragt . Wenn auch alle Güter , alle Zauber des Lebens sich vereinigten , mich so hoch zu heben , als ich jetzt tief gestürzt bin , den Blick , das Antlitz Babettens werde ich nicht vergessen , womit sie diese Entdeckung anhörte . Die Stunde wird wie ein schwarzer Schatten über meinem Dasein lasten bleiben , und stiegen die Engel mit Schalen voll himmlischer Fluten herunter , meine Seele rein zu waschen . Es war nicht Zorn , nicht Schreck , nicht Bestürzung , was in ihrem Gesichte sich malte , es war , ach , wer kann , wer mag das Furchtbare schildern , wenn treue heiße Liebe auf einen Ruck sich in ihr Gegenteil umsetzt ? Die Donner des Schicksals waren durch den Unberufenen nur beschleunigt , abzuwenden wären sie dennoch nicht gewesen . Nach einem grauenvollen Tage , den ich vergeblich flehend vor Babettens verschloßener Türe zernichtet zubrachte , drang durch Sturm und Regen ihr Vater hierher , der uns durch seine Späher endlich doch ausgekundschaftet hatte . Briefe von den sogenannten Meinigen hatten sich in seine Pfarrwohnung verirrt , und waren von dem argwöhnischen Alten erbrochen worden . Er kannte also alle meine Verhältnisse . Anfangs wollte Babette auch ihn nicht einlassen , die Gewalt der väterlichen Autorität siegte aber endlich , und es gab eine erschütternde Szene . Ich erklärte mich zu allem bereit , was nur im Umfange menschlicher Kräfte stehe ; man nahm meine Versprechungen nicht an , und der Alte bediente sich harter Ausdrücke gegen mich , die ich seinem Kummer zu vergeben hatte . So ist denn diese Ruine zur Hölle geworden , die im engen Raume drei unselig Leidende vereinigt . Ich bin keiner Entschließungen fähig , mein ganzes Wesen ist eine blutende Wunde , in welcher die scharfen Messer der grimmigsten Reue wühlen . Hast Du ein Wort , ein Zeichen für mich , was mir Rat oder Linderung geben kann , so laß es mir werden ! 9. Derselbe an Denselben IX . Derselbe an Denselben * den 8. November 1795 Lies den anliegenden Brief Babettens , und schaffe Hilfe ! Die Verzweiflung überspringt alle Schranken , wer das Mittel bei sich trüge , uns aus der greulichen Not zu retten , dem könnte ich den Degen auf die Brust setzen , und ihn um das Mittel ermorden . Hermann , unser Schwor , geleistet über den vereinigt-rinnenden Blutwellen der Freunde ! Nun ist die Gelegenheit da , nun beweise , daß Du ihr Dasein fühlst ! Ich sage nicht mehr ; Du mußt mich verstehen , oder der Bund zweier Männer war eine Posse , eine gemeine Lüge . Beilage . Babette an den Grafen Heinrich Beilage - Babette an den Grafen Heinrich Sie stürmen und dringen an der Türe meines Zimmers , um mit mir zu reden ; ich wiederhole , was ich Ihnen schon durch meinen Vater sagen ließ , daß ich nimmer mit Ihnen mehr spreche . Was Sie von mir zu erfahren haben , sei diesen Zeilen anvertraut . Ich habe gestern die Absicht gehegt , mir das Leben zu nehmen , welches mir völlig gleichgültig ist , seit ich weiß , daß Sie ein unehrlicher Mann sind . Ich stieg auf die Spitze des Felsens hinter der Burg , und wollte mich von seiner jähen Höhe hinunterstürzen in die schwarze Tiefe , daß da drunten mein zerbrochenes , blutiges Gebein von den Wogen des Waldstroms fortgeschwemmt werden möchte . Mein alter unglücklicher Vater war mir nachgegangen , und hat mich zurückgehalten . Was er mir über die Sünde dieses Schrittes , soweit es nur mich allein betrifft , gesagt , habe ich nicht verstanden , denn mein Leben ist so ganz unnütz geworden , daß ich nur glauben kann , ein so verwelktes und zerknicktes Blütenblatt werde am besten dahin getan , wo der Kehricht ist . Allein das zweite Leben , welches mein verfluchter Schoß empfangen , darüber darf ich allerdings nicht verfügen , ohne zur Mörderin zu werden . Hiervon haben mich die Reden meines Vaters überzeugt . Ich soll also nicht sterben und kann nicht leben . Ihren Antrag , sich scheiden zu lassen , und mich zu heiraten , verabscheue ich . Dadurch würde ich mir einen neuen Frevel aufladen , und mich an Ihrem Ehebruche beteiligen . Meine Ehre will ich gleichwohl von Ihnen wiederhaben , und diese mir zu schaffen , gebiete ich Ihnen . Wie es geschieht , gilt mir gleich , ich bin völlig willenlos , alle Dinge sind mir recht , die geschehen , den einzigen Wunsch , den ich noch habe , zu erfüllen . Was man mir vorschlagen wird , es sei noch so fremd und widerwärtig , ich genehmige es schon jetzt , ohne es zu kennen . Wenn Sie in dieser Beziehung etwas ausfindig machen , so haben Sie mir es zu melden , ohne Beisatz und Redensart , die mich von Ihnen anwidern , da ich Ihnen nichts mehr glaube , nicht einmal Reue und Scham . 10. Hermann an den Grafen Heinrich X. Hermann an den Grafen Heinrich Abschrift Bremen , den 16. November 1795 Es gibt Dinge , die nichts weiter zulassen , als die Handlung , alles Reden darüber ist unnütz . Was hülfe es mir , Dir meine Betrachtungen über die trostlose Geschichte mitzuteilen ? Es ist nun dahin gekommen , - was ich immer vorausgesehen , und Dir vorhergesagt habe , - daß Dein Sinn Dich vor einen Punkt führen würde , wo Dir Blick und Aussicht , ja Bewußtsein verschwinden müßte . Aber wie gesagt , hier gilt es die Tat , die Worte sind leere Spreu . Aus den Briefen des Mädchens sehe ich , daß sie keine Metze , keine Närrin ist , die mit Phrasen umgeht ; der Lapidarstil , in dem sie an Dich schreibt , zeugt von einer starken Seele . Und ein solches Wesen hat mein Freund entwürdigt , und sein Kind soll ein Bankert heißen ? Dem soll nicht so sein . Du nennst mich kalt , der Kalte wird Dir seine Kälte beweisen . Wenn Du diese Zeilen empfängst , bin ich schon unterwegs . Ich werde vor Babetten hintreten und sie fragen , ob sie meine Hand annehmen will , und ob ich ihre Schande mit meinem ehrlichen Namen zudecken soll ? Dich wünsche ich nicht zu treffen ; diese Sache ist nur zwischen dem Mädchen und mir ; Dein Anblick würde mir nur unnütze Schmerzen machen . Antworte mir nicht , danke mir nicht , laß uns überhaupt eine Zeitlang , bis die Gemüter sich einigermaßen beruhigt haben werden , für einander nicht vorhanden sein . Ich weiß , was ich tue , opfre mich für Dich , gebe ein Leben und seine Freuden dahin , Dir zu helfen . Ein solches Gefühl will geschont sein , und wird durch jedes Anrühren , auch durch das wohlgemeinte , nur noch quälender aufgeregt . In seinen Tiefen werde ich mit der Zeit , wo nicht Trost , doch Beschwichtigung schöpfen . Was mir schon jetzt Halt und Stärke gibt , ist die Empfindung , daß ich ja gewußt habe , wie alles sich fügen würde . Graf und Bürger sollen die Hand einander nie zu so engem Bunde reichen , sollen bleiben , wohin der Stand einen jeden gestellt hat . Den einen treibt sein Geschick in das Weite und Freie , den anderen weiset es in ziemlich enge Schranken . Überspringen sie die gezogenen Grenzen , so hat sich der , welcher den Fehltritt erkannte , da er ihn beging , über die schlimmen Folgen nicht zu beklagen , die früh oder spät eintreffen müssen . Nachschrift des Senators Hermann Nachschrift des Senators Hermann 1816 Du empfängst in diesen Briefen , mein Pflegesohn , ein verhängnisvolles Geschenk . Ich darf es Dir nicht vorenthalten , denn wenn Du nicht wüßtest , wer Du bist , und von wem Du abstammst , so könnten sich ja entsetzliche Dinge ereignen , unbewußt könntest Du Frevel begehen , vor denen die Natur zurückschaudert . Daß eine Schwester von Dir lebt , weiß ich mit Bestimmtheit , sie heißt Johanna , und wird auf dem Schlosse ihres Vaters erzogen . Gern hätte ich Dir sonst diese Entdeckungen erspart , welche Dein Herz zerreißen , und Dich vielleicht auf lange Zeit unglücklich machen werden . Nach meinem Willen sollst Du die Briefe , welche wir damals wechselten , erst lesen , wenn Du Dein männliches Alter erreicht haben wirst . Du wirst dann die Stärke haben , der Eltern Schuld zu wissen , und doch an diesem Wissen nicht unterzugehen . Vor allem suche das Bild Deiner Mutter in Dir rein zu erhalten . Wir haben ein unglückliches Leben zusammen geführt , aber ich muß ihr das Zeugnis geben , daß sie die edelste und bravste Seele war , welche ich je gekannt . Was mich betrifft , so wird Dir hoffentlich Deine Erinnerung sagen , daß ich Dir ein treuer Pfleger gewesen bin . Ich habe mein Gelübde gehalten , und dieser Gedanke gibt mir eine gewisse Heiterkeit . Meine Tage sind gezählt , ich fühle das ; Melancholie hat meine Lebenskräfte verzehrt , und mich vor der Zeit zum Greise gemacht . Suche auch nach dieser Entdeckung ein freundliches Verhältnis mit meinem Bruder zu erhalten , der das Legat Deines Vaters Dir ausantworten wird . Er ist eigen und schroff , aber zuverlässig und wacker . Ich glaube , Du Armer , daß Dir verschlungene Lebensschicksale bevorstehn . Sobald Deine Eigenschaften sich zu entwickeln begannen , sah ich an Dir ein Gemisch von Deines Vaters Leichtsinn und Deiner Mutter Schmerzen . Mögen denn gute Geister sich Deiner annehmen , wenn die Sorge in das Grab sank , welche Deine Kinderjahre behütete ! Mit diesem Segenswunsche sei in das Leben entlassen . Fünfzehntes Kapitel Fünfzehntes Kapitel Rasch war Hermanns Besserung vorwärtsgegangen . Neu war ihm die Welt geworden , er nahm von ihr zum zweiten Male Besitz , ausgerüstet mit allen Erfahrungen der früheren Zustände . Unglück und Glück hatten ihre , bis zum Überlaufen vollen Schalen auf seinem Haupte ausgeleert ; Stimmungen , wie sie durch solche Wechselfälle erzeugt werden , entziehen sich der Schilderung . Er fühlte , daß sein Geschick ihn jeder selbstsüchtigen Tätigkeit für immer entrückt habe , und daß er dennoch nur um so fester mit allen Fasern der Erde verwachsen sei . " Wir würden nicht glauben , daß dergleichen erlebt werden könnte , hätte es uns nicht selbst betroffen " , sagte er nach diesen Tagen einmal zu Wilhelmi . " Wie hat mich der Wahn in wechselnden Gestalten , lächerlichen und schrecklichen , verfolgt ! Als Zwanziger meinte ich fertig zu sein , und muß mich nun in den Dreißigen als Anfänger und jungen Schüler bekennen . " " Du bist hierin nur der Sohn deiner Zeit " , versetzte Wilhelm ! . " Sie duldet kein langsames , unmittelbar zur Frucht führendes Reifen , sondern wilde , unnütze Schößlinge werden anfangs von der Treibhaushitze , welche jetzt herrscht , hervorgedrängt , und diese müssen erst wieder verdorrt sein , um einem zweiten gesünderen Nachwuchs aus Wurzel und Schaft Platz zu machen . Wohl dem , der hierzu noch Kraft und Mark genug besitzt ! Ich sage dir , blicke fröhlich vor dich hin , denn du kannst es . " " Das tue ich auch " , erwiderte Hermann . " Mir ist fromm zu Sinne , obgleich ich nicht bete und den Kopf nicht hänge . " Auch er machte einen einsamen Gang nach dem Hünenborne . Dort nahm er die Decke von der Gruft des Kindes - seines Kindes - und stand lange in die Betrachtung dieser Überbleibsel eines Lebens versenkt , welches , ihm unbewußt , von ihm entsprungen , und , ihm unbewußt , auch schon wieder in die dunkle Nacht zurückgesunken war , aus welcher die Geburten der Erde auftauchen . Er legte den Ring zu dem Skelette , und ließ dann ein fest umschließendes Gewölbe aufmauern , die Hand und den Blick der Neugier für immer von diesen Gebeinen abzuwehren . - " Das ist gut " , sagte Wilhelmi , der davon hörte ; " nun sind die bösen Geister der Vergangenheit unter Salomos Siegel gelegt . Der Mensch bedarf solcher symbolischer Handlungen , um sich von einer Last gänzlich zu befreien . " Er selbst hatte die Alte zu guten Leuten an einen einsamen Ort geschickt , wo sie in gehöriger Kost und Pflege ihre noch übrigen Tage zubringen sollte . Unter den Angehörigen und Bekannten des Hauses herrschte die größte Freude . Alle nahmen den herzlichsten Anteil . Der gute Prediger und seine Frau , die Geschäftsleute , welche noch da waren , empfanden ein reines Behagen . Wilhelmi erhielt von seiner Frau unbeschränkten Urlaub , bei Hermann zu bleiben , bis dessen sämtliche Angelegenheiten geordnet wären . Der Arzt schickte einen Brief , der ein Dithyrambus war auf die Trüglichkeit medizinischer Prognose . Selbst die alte Nonne kam von ihrer Meierei herbeigewankt , dem Genesenen die Hand zu schütteln . Auch Theophilie hatte sich glückwünschend genaht . Ihr schien leicht und frei um das Herz zu sein , daß Hermann nun hier waltete . Sie sah verjüngt aus . Mit einem ihrer kecken Scherze stellte sie an ihn den Schlüssel zum Erbbegräbnis zurück . Neben solchem Lichte begann freilich auch der Schatten sich schon wieder einzufinden , welcher keinem Gemälde des Menschlichen fehlen darf . Hermann mußte , sobald er mit ruhigem Blicke seine wunderbare Lage übersehen hatte , über die ihm angefallenen Reichtümer sehr nachdenklich werden . Das alles gehörte ihm vor der Welt und von Rechts wegen , und doch war dieses Recht nur ein Schein , denn - er war nicht der Neffe seines Oheims . Durfte er gleichwohl der Wahrheit in diesem Falle die Ehre geben , das Verborgene enthüllen , und die Asche auch seiner Mutter noch im Grabe beunruhigen ? Sein Innerstes empörte sich dagegen 2 . Im Widerstreite der Pflichten wollte er wenigstens tun , was möglich war . Er ließ daher der Herzogin den Rückkauf der Standesherrschaft unter Bedingungen anbieten , welche das Geschäft einer Schenkung so ziemlich nahe brachten . Wilhelmi , welcher die Unterhandlung leitete , hatte ihm aber bald die ablehnende Antwort der Dame zu eröffnen , da sie sich mit der ausgeworfenen Apanage begnügen könne , und jede Verwicklung in die Dinge der Erde scheue . Auch einem Besuche , zu dem er um die Erlaubnis gebeten hatte , versagte sie sich . " Schwerlich wird sie dich jemals wiedersehen mögen " , äußerte Wilhelmi bei dieser Gelegenheit ; " Frauen ihrer Art haben eine Unwiderruflichkeit der Stimmungen , ähnlich der Gnadenwahl . Wer ihnen einmal unangenehm geworden ist , bleibt es , auch wenn sie sich von der Nichtigkeit ihrer üblen Meinung überzeugt haben . Sie wird es dir nie vergeben , daß du Flämmchen auf ihrem Schlosse bei dir gehabt hast , obgleich sie durch den Arzt nun wohl wissen mag , daß die Sache damals die schuldloseste von der Welt war . " Cornelie zog sich , je mehr Hermann der Welt und den Menschen anzugehören begann , wieder sichtlich von ihm und in ihr Inneres zurück . Sie mied die Gesellschaft und ihn , wo sie konnte . Eine stille Verlegenheit war an ihr bemerkbar ; es schien ihr an dem Orte , wo ihr Herz , durch gewaltsame Angriffe erschüttert , sich verraten hatte , unwohl zu sein . Hermann blickte zu ihr , wie zu einem höheren Wesen auf , er wagte keinen Wunsch , er erlaubte sich keine vertrauliche Benennung , er gestattete sich nicht , ihre Hand zu ergreifen . Eines Tages sagte sie zu Wilhelmi , daß sie bereit sei , mit ihm abzureisen . Er stutzte . " Nun wollen Sie von hier fort ? Nun ? " fragte er . " Veränderliches Kind ! " " Und warum nicht ? Ich bin hier nicht mehr nötig . Er ist gesund . Also lassen Sie mich in die Dienstbarkeit wandern , der ich von jetzt an doch verfallen bin . " Wilhelmi sann nach . " Wir wollen der Standesherrschaft einen Besuch abstatten " , sagte er , " mein Freund und ich . Von dort kehre ich über diesen Ort nach * zurück , und dann können Sie mich begleiten , wenn Sie noch bei Ihrem Vorsatze beharren . " Er ging zu dem Prediger und hielt mit diesem und mit dessen Gattin Beratung . Darauf schrieb er einen langen Brief an Johannen . Hermann hatte diese erst sehen wollen , wenn noch einige Zeit verflossen wäre . Er sehnte sich , und scheute sich doch , mit der Schwester wieder zusammenzutreffen . Letztes Kapitel Letztes Kapitel Wieder glänzte der klare Herbsthimmel über Park , Schloß und Hügeln , wieder blühten die Georginenbeete der Fürstin , und die Abendsonne verklärte abermals die gelbroten Kronen der Bäume . In großem Ernste hatten die beiden Freunde den Tag über alle die Zimmer , Säle , Stätten und Plätze durchwandert , welche sie nun unter so gänzlich veränderten Umständen wiedersahen . Jetzt saßen sie ausruhend in dem bekannten Gartenkabinette . Dort lag noch ein von der Herzogin vergeßenes Buch aufgeschlagen . Hermann nahm es , und drückte sein tränenfeuchtes Auge auf die Blätter , welche ihre zarte Hand berührt hatte . Wie wurde ihm , als er einen Blick hineinwarf ! Es war wieder ein Band von Novalis und das Märchen von Hyazinth und Rosenblütchen , welches ihm einst im Försterhause so prophetisch begegnet war . Er seufzte und legte das Buch weg . Wilhelmi hatte nachgesehen und sagte : " Im Bilde stellen oft die unsichtbaren Lenker unsere Geschicke an beiden Seiten des Lebensweges auf . Erinnerst du dich noch unserer Gespräche über den Wahn , ferner über die Verflüchtigung des Eigentums ? Das alles ist an dir nun eingetroffen . Und wie viele andere Vorzeichen wurden uns gegeben ! Schon vor Jahren , bei unserem Ritterspiele machtest du hier den Herrn , und Cornelie wurde zur Königin des Festes ausgerufen . In unseren Geschichten " , fuhr er mit Erhebung fort , " spielt gleichsam der ganze Kampf alter und neuer Zeit , welcher noch nicht geschlichtet ist . Fürchterlich hatte der Adel an seiner eigenen Wurzel gerüttelt , seine Laster brachten trostlose Zerrüttung in die Häuser der Bürger . Der dritte Stand , bewehrt mit seiner Waffe , dem Gelde , rächt sich durch einen kaltblütig geführten Vertilgungskrieg . Aber auch er erreicht sein Ziel nicht ; aus all dem Streite , aus den Entladungen der unterirdischen Minen , welche aristokratische Lüste und plebejische Habsucht gegeneinander getrieben , aus dem Konflikte des Geheimen und Bekannten , aus der Verwirrung der Gesetze und Rechte entspringen dritte , fremdartige Kombinationen , an welche niemand unter den handelnden Personen dachte . Das Erbe des Feudalismus und der Industrie fällt endlich einem zu , der beiden Ständen angehört und keinem . " " Und der diesen rechtmäßig-unrechtmäßigen Erwerbe nimmer mit Ruhe um sich gelagert sehen würde , hätte er sich mit seinem Gewissen nicht wenigstens abzufinden vermocht " , sagte Hermann . " Dir , meinem Getreusten will ich hierüber meine Entschließungen eröffnen , damit dir das Bild des Freundes rein und unentstellt bleibe . Ich fühle die ganze Zweideutigkeit meiner Doppelstellung . Laß dir also sagen , daß ich Willens bin , das , was sie mein nennen , und was mir doch eigentlich nicht gehört , nur in dem Sinne , von dem du einst redetest , nämlich als Depositar , zu besitzen , immer mit dem Gedanken , daß der Tag der Abtretung kommen könne , wo denn die Rechnungslegung leicht sein wird , wenn der Verwalter für sich nichts beiseite geschafft hat . " " Es klingt gut " , versetzte Wilhelmi , " schwer wird es mir aber , dabei an etwas Bestimmtes zu denken . " " Vor allen Dingen sollen die Fabriken eingehen und die Ländereien dem Ackerbau zurückgegeben werden . Jene Anstalten , künstliche Bedürfnisse künstlich zu befriedigen , erscheinen mir geradezu verderblich und schlecht . Die Erde gehört dem Pfluge , dem Sonnenscheine und Regen , welcher das Samenkorn entfaltet , der fleißigen , einfach-arbeitenden Hand . Mit Sturmsschnelligkeit eilt die Gegenwart einem trockenen Mechanismus zu ; wir können ihren Lauf nicht hemmen , sind aber nicht zu schelten , wenn wir für uns und die Unsrigen ein grünes Plätzchen abzäunen , und diese Insel so lange als möglich gegen den Sturz der vorbeirauschenden industriellen Wogen befestigen . Ich habe bemerkt , daß die Männer , welche unter dem Oheim so tätig waren , jetzt im stillen alle sich nach Selbständigkeit sehnen , was ja auch ganz natürlich ist . Sie haben ihre Lehrjahre unter diesem Meister vollendet , und sind durch seinen Tod losgesprochen . Mögen sie also ihre Prozente nach reichlichster Berechnung aus meiner Bank ziehen , und dann den vorangegangnen Genossen in alle Welt folgen ! " " Diese Handlungen dürften doch die Befugnisse eines Depositars übersteigen " , sagte lächelnd Wilhelmi . " Ich bitte dich " , versetzte Hermann , " streite mit mir nicht über Worte . Jener Ausdruck konnte nur etwas sehr Beschränktes andeuten , und mein Gefühl ist ein unendliches . Sei zufrieden , wenn du in meinem ferneren Leben wenigstens ein Streben erblickst , die Gegensätze , welche auf meine Schultern geladen sind , würdig zu schlichten . " " Sei denn auch du nur zufrieden , mein Geliebter " , sprach Wilhelmi . " Schon in den letzten Tagen unseres Tortseins , und dann auf der Herreise bemerkte ich an dir eine schwermütige Trauer , welche zu der jetzigen heiteren Wendung der Dinge nicht paßt . " " O mein Freund , diese Trauer werde ich wohl ewig fühlen ! " rief Hermann mit ausbrechendem Schmerze . " Ich danke Gott , daß ich das alles wiedererlangen durfte , was ich entbehrte , und doch ist mir in vielen Stunden , als besäße ich nichts . Ist denn die Staude etwas ohne ihre Blüte ? Vollendet den Baum nicht erst seine Krone ? Zuletzt , nach allen Irrfahrten , Abenteuern , Widersprüchen des Denkens und Handelns ist dem Menschen , welcher sich nicht selbst verlorenging , gegeben , mit dem Einfachsten sich zu begnügen , und alle Fieber der Weltgeschichte werden endlich wenigstens in dem einzelnen Gemüte von zwei treuen Armen und Augen ausgeheilt . Mir aber soll diese uralte , ewigneue Lösung und Schlichtung immerdar fehlen ! Die Heilige hat ihren Beruf erfüllt , indem sie mir wieder zu einem guten Gewissen verhalf , nun zieht sie sich in Regionen zurück , dahin ich ihr nicht folgen kann , und doch wird sie mir das wahrste , steteste Bedürfnis sein und bleiben . " Ein Bedienter kam und überbrachte Wilhelmi ein Billet . Dieser las das Blatt mit funkelnden Augen und sagte : " Fühlst du dich stark genug , eine unsägliche Freude zu erleben ? " " Was meinst du ? " " Sehr selten treffen die Erfüllungen mit unseren Wünschen zusammen . Alles pflegt entweder zu früh oder zu spät zu kommen . Hier wäre denn einmal das beglückende Gegenteil . Ich habe früher viel durch Hitze und Schärfe verdorben , nun , als alter , beruhigter Knabe , wollte ich versuchen , ob es mir nicht auch gelingen möchte , zu vermitteln . Was sich in der Not gefunden , drohte , in guten Zeiten wieder auseinander zu geraten . Das durfte nicht sein , aber nur Frauenhände wissen dergleichen zarte Händel zu entwirren . Ich schrieb deiner Schwester , die schon vor Verlangen nach dir brannte . Sie ist über das Kloster gereist , hat das jungfräuliche Herz Corneliens in Pflege genommen und ihren Lippen Mut gegeben . Sie meldet mir ihre Ankunft ; bist du bereit , sie zu sehen ? " Hermann wankte und Wilhelmi mußte ihn führen . So traten sie aus der Türe des Kabinetts in die grünen Anlagen . Zwei Frauengestalten kamen ihnen den Gang herauf entgegen . Ein schöner Greis in Uniform folgte . " Ich bin es , mein Bruder , und bringe dir die Braut ! " rief Johanna , in Seligkeit blühend . Sprachlos fiel er in die geöffneten Arme Corneliens und dann an die Brust der hohen Schwester . So ruhte er zwischen den beiden , die seine Seele liebte . Zärtlich hielten sie ihn umschlungen . Wilhelmi blickte mit gefalteten Händen nach den Vereinigten hin . Der General stand , auf sein Schwert gestützt , und sah , eine Rührung bekämpfend , vor sich nieder . In dieser Gruppe , über welche das Abendrot sein Licht goß , wollen wir von unseren Freunden Abschied nehmen . Fußnoten 1 Ein solches Säckchen schützt nach dem Glauben des Volkes als Amulett gegen die sogenannte böse Stelle . Orte nämlich , wo ein Frevel verübt worden ist , wo ein Mord geschah , wo ein ruchloser Mensch einen Meineid schwor , oder den Namen Gottes schändete , sind ungesund . Dort gedeihen nur Würmer unter Nesseln und Quecken , und wer , nichts ahnend , salbt viele Jahre später über die vom Unheil verpestete Stelle hinweggeht , der empfängt davon den Schaden an seinem Leibe . 2 Sonderbare Zufälligkeiten , eine Folge der mit dem Jahre 1830 eingetretenen Umwälzungen , brachten den Herausgeber in den Besitz dieser Hausgeheimnisse , und machten die Veröffentlichung derselben ohne Nennung von Namen und Ort nach seiner Meinung wenigstens verzeihlich .