Vierter Teil . Berlin , 1790 . Bei Friedrich Maurer . Dieser vierte Teil von Anton Reisers Lebensgeschichte handelt , so wie die vorigen , eigentlich die wichtige Frage ab , in wie fern ein junger Mensch sich selber seinen Beruf zu wählen im Stande sei ? Er enthält eine getreue Darstellung von den mancherlei Arten von Selbsttäuschungen , wozu ein mißverstandener Trieb zur Poesie und Schauspielkunst den Unerfahrenen verleitet hat . Dieser Teil enthält auch einige vielleicht nicht unnütze und nicht unbedeutende Winke , für Lehrer und Erzieher sowohl , als für junge Leute , die ernsthaft genug sind , um sich selbst zu prüfen , durch welche Merkzeichen vorzüglich der falsche Kunsttrieb von dem wahren sich unterscheidet ? Man sieht aus dieser Geschichte , daß ein mißverstandener Kunsttrieb , der bloß die Neigung ohne den Beruf voraussetzt , eben so mächtig werden und eben die Erscheinungen hervorbringen kann , welche bei dem wirklichen Kunstgenie sich äußeren , welches auch das Äußerste erduldet , und alles aufopfert , um nur seinen Endzweck zu erreichen . Aus den vorigen Teilen dieser Geschichte erhellet deutlich : daß Reisers unwiderstehliche Leidenschaft für das Theater eigentlich ein Resultat seines Lebens und seiner Schicksale war , wodurch er von Kindheit auf , aus der wirklichen Welt verdrängt wurde , und da ihm diese einmal auf das bitterste verleidet war , mehr in Phantasien , als in der Wirklichkeit lebte -- das Theater als die eigent X 3 liche Phantasienwelt sollte ihm also ein Zufluchtsort gegen alle diese Widerwärtigkeiten und Bedrückungen sein . -- Hier allein glaubte er freier zu atmen , und sich gleichsam in seinem Elemente zu befinden . Und doch hatte er hierbei ein gewisses Gefühl von den reellen Dingen in der Welt , die ihn umgaben , und worauf er auch ungern ganz Verzicht tun wollte , da er doch einmal , so gut wie die anderen Menschen , Leben und Dasein fühlte . Dies machte , daß er mit sich selbst im immerwährenden Kampfe war . Er dachte nicht leichtsinnig genug , um ganz den Eingebungen seiner Phantasie zu folgen , und dabei mit sich selber zufrieden zu sein ; und wiederum hatte er nicht Festigkeit genug , um irgend einen reellen Plan , der sich mit seiner schwärmerischen Vorstellungsart durchkreuzte , standhaft zu verfolgen . Eigentlich kämpften in ihm , so wie in tausend Seelen , die Wahrheit mit dem Blendwerk , der Traum mit der Wirklichkeit , und es blieb unentschieden , welches von beiden obsiegen würde , woraus sich die sonderbaren Seelenzustände , in die er geriet , zur Genüge erklären lassen . Widerspruch von außen und von innen war bis dahin sein ganzes Leben . -- Es kommt darauf an , wie diese Widersprüche sich lösen werden ! So wie nun Reiser die Türme von H. . . aus dem Gesicht verloren hatte , und mit schnellen Schritten vorwärts ging , atmete er freier , seine Brust erweiterte sich -- die ganze Welt lag vor ihm -- und tausend Aussichten eröffneten sich vor seiner Seele . Er dachte sich den Faden seines bisherigen Lebens gleichsam wie abgeschnitten -- er war nun aus allen Verwicklungen auf einmal befreiet -- denn hätte er auch die Universität in G. . . bezogen , so hätte ihn auch dort sein Schicksal hin verfolgt ; die ganze Zeitgenossenschaft seiner Jugend hätte auch dort wieder auf ihn gedrückt , und sein Mut hätte ganz erliegen müssen . Denn so lange wie er in jenen Kreis hingebannt war , konnte er kein Zutrauen zu sich selber fassen -- und wenn sein Mut sich erholen sollte , so mußte er sobald die Menschen nicht 4ter Teil . A wieder sehen , die vielleicht unvorsätzlich ihm die Tage seiner Jugend verbittert hatten . Nun war er aus diesem Kreise ganz geschieden . -- Der Schauplatz seiner Leiden , die Welt , worin er die Schicksale seiner Jugend durchlebt hatte , lag hinter ihm -- er entfernte sich mit jedem Schritt von ihr , und konnte , so wie er sich eingerichtet hatte , acht Tage wandern , ohne daß ihn ein Mensch vermißte . Nun fand er eine unbeschreibliche Süßigkeit in dem Gedanken , daß außer Philipp Reiser niemand um sein Schicksal , und um den Ort seines Aufenthalts wußte , daß selbst dieser einzige Freund sich bei seinem Abschiede nicht sehr bekümmert hatte ; daß er nun außer allen Verhältnissen , und allen Menschen zu denen er kam , völlig gleichgültig war . Wenn das gänzliche Hinscheiden aus dem Leben durch irgend einen Zustand kann vorgebildet werden , so muß es dieser sein . -- So wie nun die Hitze des Tages sich legte , die Sonne sich neigte , und die Schatten der Bäume länger wurden , verdoppelte er seine Schritte , und machte denselben Nachmittag die drei Meilen bis Hildesheim ununterbrochen , wie einen Spaziergang ; auch betrachtete er es völlig , wie einen Spaziergang ; denn er war nun in Hildesheim , so gut , wie in H. . . zu Hause . Als er an das Stadttor kam , schlug er sich vorher den Staub von den Schuhen , brachte sein Haar in Ordnung , nahm eine kleine Gerte in die Hand , mit der er im Gehen spielte , und schlenderte auf die Weise langsam über die Brücke , auf der er zuweilen stehen blieb , als ob er jemanden erwartete ; oder nach etwas sich umsah . -- Und da er überdem in seidenen Strümpfen ging , so hielt ihn niemand in diesem Aufzug für einen Reisenden , der über vierzig Meilen zu Fuß zu wandern im Begriff ist . Keine Schildwache fragte ihn , und er wanderte mit den Einwohnern der Stadt , die auch von ihren Spaziergängen zurückkehrten , in die Tore von Hildesheim . -- Und der Gedanke war ihm wiederum äußerst beruhigend und angenehm , daß er diesen Leuten gar nicht als fremd auffiel , niemand nach ihm sich umsah , A 2 sondern daß er gleichsam zu ihnen mitgerechnet wurde , ohne doch zu ihnen zu gehören . -- Da ihn nun niemand von allen diesen Menschen kannte , und niemand sich um ihn bekümmerte , so verglich er sich auch mit keinem mehr ; er war , wie von sich selbst geschieden ; seine Individualität , die ihn so oft gequält und gedrückt hatte , hörte auf , ihm lästig zu sein ; und er hätte sein ganzes Leben auf die Weise ungekannt und ungesehen unter den Menschen herumwandeln mögen . Als er nicht weil vom Tore einen Gasthof suchte , kam ihm die Straße bekannt vor , und er erinnerte sich wieder an die Zeit als er vor vier Jahren , mit dem Rektor bei dem er wohnte , am Fronleichnamsfeste hier war , und an die ängstliche und peinliche Lage in der er sich damals befand , weil er von der Gesellschaft mit der er ging weder ausgeschlossen war , noch eigentlich dazu gehörte . -- Es wälzte sich ihm wie ein Stein vom Herzen weg , da er sich das alles nun als gänzlich vergangen dachte . In dem Gasthofe , worin er nun einkehrte , empfing und bewirtete man ihn nach seiner Kleidung , und er hatte nicht den Mut es von sich abzulehnen , sondern ließ es sich gefallen , daß man ihm ein Abendessen zubereitete , ein Bette zum Schlafen anwies , und ihm am anderen Morgen seinen Kaffee brachte . -- Den trank er noch in Ruhe und las im Homer dazu , als er auf einmal , wie aus einer Art von Betäubung erwachte , da er sich lebhaft vorstellte , daß er mit seiner Barschaft , die aus einem einzigen Dukaten bestand , nicht nur über vierzig Meilen weit reisen , sondern notwendig an Ort und Stelle noch etwas davon übrig haben müßte . Er bezahlte schnell seine Zeche , die ihn um nicht weniger als den sechsten Teil seines ganzen Vermögens ärmer machte ; erkundigte sich nach der Straße , die auf Seesen führte , und wanderte mit sorgenvollen Gedanken , und schwerem Herzen aus dem Tore von Hildesheim . Es war noch früh am Tage -- der Weg führte ihn durch eine angenehme Gegend , wo Wald und Flur miteinander abwechselten , und der Gesang der Vögel ihm entgegen tönte , indes die Morgensonne auf die grünen Wipfel der Bäume schien . -- A 3 So wie er nun schneller vorwärts ging , fühlte er auch nach und nach wieder sein Gemüt erleichtert , heitere Gedanken , reizende Aussichten , und kühne Hoffnungen stiegen allmählich wieder in seiner Seele auf , und nun entstand in ihm ein Vorsatz , der ihn auf einmal über alle Sorgen hinwegsetzte , und der ihn auf seiner ganzen Wanderung reich und unabhängig machte . Er durfte nur seine ganze Nahrung auf Brot und Bier einschränken , auf der Streue schlafen , und niemals wieder in einer Stadt übernachten , um seinen Unterhalt während der Reise mit wenig mehr als einem Groschen täglich zu bestreiten . Auf die Weise konnte er länger als einen Monat unterwegs sein , und war am Ende der Reise doch noch nicht ganz entblößt . Sobald er diesen Vorsatz , den er von dem Tage an standhaft ausführte , gefaßt hatte , fühlte er sich wieder frei und glücklich wie ein König -- selbst diese freiwillige Entsagung aller Bequemlichkeiten , und diese Einschränkung auf die nötigsten Bedürfnisse -- gab ihm eine Empfindung ohne Gleichen ; er fühlte sich nun beinahe wie ein Wesen , das über alle irdische Sorgen hinweggerückt ist ; und lebte deswegen auch ungestört in seiner Ideen- und Phantasienwelt , so daß dieser Zeitpunkt , bei allem anscheinenden Ungemach , einer der glücklichsten Träume seines Lebens war . Unmerklich aber schlich sich denn doch ein Gedanke mitunter , der sein gegenwärtiges Dasein , damit es nicht ganz zum Traume würde , wieder an das vorige knüpfte . Er stellte sich vor , wie schön es sein würde , wenn er nach einigen Jahren in dem Andenken der Menschen , worin er nun gleichsam gestorben war , wieder aufleben , in einer edleren Gestalt vor ihnen erscheinen , und der düstere Zeitraum seiner Jugend alsdann vor der Morgenröte eines besseren Tages verschwinden würde . Diese Vorstellung blieb immer fest bei ihm -- sie lag auf dem Grunde seiner Seele , und er hätte sie um alles in der Welt nicht aufgeben können ; alle seine übrigen Träume und Phantasien hielten sich daran , und bekamen dadurch ihren höchsten Reiz . -- Der einzige Gedanke , daß dieselben Menschen , die ihn bis jetzt A 4 gekannt hätten , niemals wiedersehen würde , hätte damals alles Interesse aus seinem Leben hinweggenommen , und ihm die süßesten Hoffnungen geraubt . Als nun der Mittag herannahte , so kehrte er in einem Dorfe in einem geringen Wirtshause ein , wo er ohnedem außer Bier und Brot auch für Geld nichts hätte haben können , und also der Fall nicht eintrat , daß man ihm eine bessere Bewirtung angeboten , und er sie hätte ablehnen müssen . Es machte ihm nun unbeschreiblich Vergnügen , daß er für wenige Pfennige ein so großes Stück schwarzes Brot erhielt , welches ihn den ganzen Tag gegen den Hunger sicher stellte . Er brockte sich einen Teil davon ins Bier , und hielt auf die Weise das erste Mittagsmahl nach seinen eigenen strengen Gesetzen , von welchen er von nun an , während der Reise , nicht abging . Er eilte denn aber , daß er schnell wieder aus der dumpfigen Gaststube ins Freie kam , wo er unter einem schattigen Baum sich niedersetzte , und zur Mittagserholung in Homers Odyssee las . -- Mochte nun dies Lesen im Homer eine zurückgebliebene Idee aus Werthers Leiden sein , oder nicht , so war es doch bei Reisern gewiß nicht Affektation , sondern machte ihm wirkliches und reines Vergnügen -- denn kein Buch paßte ja so sehr auf seinen Zustand , als gerade dieses , welches in allen Zeilen den vielgewanderten Mann schildert , der viele , Menschen , Städte und Sitten gesehen hat , und endlich nach langen Jahren in seiner Heimat wieder anlangt , und dieselben Menschen , die er dort verlassen hat , und nimmer wieder zu sehen glaubte , auch endlich noch wieder findet . Der Weg ging nun immer Berg auf , Berg ab . -- Die Hitze war ziemlich groß , und Reiser löschte seinen Durst , so oft er einen klaren Bach antraf , aus welchem ihm umsonst zu schöpfen frei stand . In dem Dorfe , wo er die erste Nacht blieb , war die Gaststube voller Bauern , die einen großen Lärm machten , so daß es ihm nicht möglich war , zu lesen ; er beschäftigte sich also mit seinen Gedanken ; und eine steinalte Frau , die im Lehnstuhle saß , und mit dem Kopfe bebte , zog seine ganze Aufmerksamkeit auf sich . -- A 5 Diese Frau war hier erzogen , hier geboren , hier alt geworden , hatte immer die Wände dieser Stube , den großen Ofen , die Tische , die Bänke gesehen -- nun dachte er sich nach und nach in die Vorstellungen und Gedanken dieser alten Frau so sehr hinein , daß er sich selbst darüber vergaß , und wie in eine Art von wachenden Traum geriet , als ob er auch hier bleiben müsste , und nicht aus der Stelle könne . -- Ein solcher Traum war bei der plötzlichen Veränderung , die sein Zustand gelitten hatte , sehr natürlich -- und als seine Gedanken sich sammelten , fühlte er das Vergnügen der Abwechslung , der Ausdehnung , der unbegrenzten Freiheit doppelt wieder -- er war wie von Fesseln entbunden , und die alte Frau , mit bebendem Haupte , war ihm wieder ein gleichgültiger Gegenstand . Diese Art aber sich in die Vorstellungen anderer Menschen hineinzudenken , und sich selbst darüber zu vergessen , klebte ihm von Kindheit an -- es war einer seiner kindischen Wünsche , daß er nur einen Augenblick aus den Augen eines anderen Menschen , den er vor sich sah , möchte heraussehen , und wissen können , wie dem die umstehenden Sachen vorkämen . Zum erstenmal legte er mit weitaussehenden Gedanken auf die Streue sich nieder ; seinen Degen legte er neben sich , und deckte sich mit seinen Kleidern zu . -- Seine Gedanken aber ließen ihm keine Ruhe , die Zukunft wurde immer glänzender und schimmernder vor seinen Blicken ; die Lampen waren schon angezündet , der Vorhang aufgezogen , und alles voll Erwartung , der entscheidende Moment war da . -- Darüber kam bis nach Mitternacht kein Schlaf in seine Augen , und als er am Morgen erwachte , war auf einmal der Schauplatz ganz verändert ; die öde Gaststube , die Bierkrüge , das schwarze Brot , und erschlaffende Müdigkeit -- hier rächten sich seine reizenden Phantasien an ihm mit schrecklichem Unmut und Lebensüberdruß , der über eine Stunde währte . Er legte sich mit dem Kopf auf den Tisch , und suchte vergeblich wieder einzuschlummern , bis die ermunternden Strahlen der Sonne , die ins Fenster schienen , ihn wieder zum Leben weckten , und sobald er sich nur erst auf den Weg ge macht hatte , und aus der dumpfigen Gaststube war , verschwand auch schnell sein Unmut wieder , und das reizende Ideenspiel begann von neuem . Er lebte auf die Weise gleichsam ein doppeltes Leben , eins in der Einbildung und eins in der Wirklichkeit . Das Wirkliche blieb schön und harmonierte mit dem Eingebildeten , bis auf die Gaststube , das Gelärm der Bauern , und die Streue -- dies aber wollte sich nicht recht dazu reimen -- denn es war auf die unbegrenzte Freiheit am Tage , eine zu große Beschränkung am Abend ; weil er doch nun bis zum anderen Morgen in keiner anderen Umgebung sein konnte , als in dieser . Freilich hatten die äußeren Gegenstände einen immerwährenden Einfluß auf die inneren Gedankenreihen ; mit dem Horizonte erweiterten sich auch gemeiniglich seine Vorstellungen , und an die Aussicht in eine neue Gegend knüpfte sich immer gern eine neue Aussicht in das Leben . Einmal war er lange mühsam bergan gestiegen , als auf einmal eine weite Ebene vor ihm da lag , und er in der Ferne ein Städtchen , an einem See erblickte -- dieser Anblick frischte auf einmal alle seine Gedanken und Hoffnungen wieder auf . -- Er konnte seine Augen von dem Gewässer in der Ferne nicht verwenden , das ihn mit neuem Mut beseelte , die Ferne aufzusuchen . -- Seine Reiseroute von Hildesheim ging nämlich über Salzdethfurth , Bockenem , und Seesen , auf Duderstadt , von wo er denn über Mühlhausen geradezu nach Erfurt , und von dort auf Weimar gehen wollte , welches das Ziel seiner Wünsche war . Dort glaubte er nämlich die Eckhoffsche Schauspielergesellschaft vorzufinden , und seine Schauspielerlaufbahn sollte dort beginnen . -- Nun spielte er unterwegs auf seinen Wanderungen alle die Rollen in Gedanken durch , die ihn dereinst mit Ruhm und Beifall krönen , und seinen mannigfaltigen Kummer belohnen sollten . -- Er glaubte es könne ihm nicht fehlschlagen , weil er jede Rolle tief empfand , und sie in seiner eigenen Seele vollkommen darzustellen und auszuführen wußte -- er konnte nicht unterscheiden , daß dies alles nur in ihm vorging , und daß es an äußerer Darstellungskraft ihm fehlte . -- Ihm dünkte , die Stärke womit er seine Rolle empfand , müsse alles mit sich fortreißen , und ihn seiner selbst vergessen machen . -- Dies geschah auch wirklich , wenn während dem Gehen seine Einbildungskraft immer erhitzter wurde -- und er denn endlich auf dem Felde , wo er sich ganz allein glaubte , mit Beaumarchais laut zu toben , mit Guelfo zu rasen anfing . Dieser Guelfo aus Klavigo's Zwillingen war vor seiner Abreise aus H... eine seiner Lieblingsrollen geworden ; denn er fand sein Hohngelächter über sich selber , seinen Selbsthaß , seine Selbstverachtung und Selbstvernichtungssucht , dennoch mit Kraft vereint , in dem Guelfo wieder . Und der Akt , wo Guelfo nach dem Brudermord , den Spiegel in welchem er sich sieht , zerschmettert , war Reisern ein wahres Fest . -- Alle dies überspannte Schreckliche hatte ihn gleichsam berauscht -- er taumelte in dieser Trunkenheit über Berg und Tal -- und wo er ging , da war sein Schauplatz unbegrenzt . -- Klavigo , der ihm so viel Tränen gekostet hatte , war ihm nun zu kalt , und Beaumarchais trat an seine Stelle . -- Dann kamen Hamlet , Lear , Othello , an die Reihe , die damals noch auf keiner deutschen Bühne vorgestellt wurden , und die er seinem Philipp Reiser ganz allein in schauervollen Nächten vorgelesen , und alle diese Rollen selbst durchgespielt , selbst durchempfunden hatte . Nun gesellte sich hierzu die Dichtkunst ; so sanft und melodisch floß sein Vers dahin , und so bescheiden und doch voll edlen Stolzes war seine Muse , daß sie die Zuneigung aller Herzen ihm sicher gewinnen mußte . -- Er wußte zwar noch nicht eigentlich , was dies nun für ein Gedicht sein sollte , aber im Ganzen war es das schönste und harmonischste , was er sich denken konnte , weil es getreuer Abdruck seiner vollen Empfindung war . Mitten in einem solchen lyrischen Schwunge seiner Gedanken war es , als er dicht bei Seesen , einen Fußpfad ging , der ihn von der Straße ab , über eine Wiese führte , wo gerade ein Scheibenschießen war , das allen seinen schimmernden Aussichten in die Zukunft beinahe ein plötzliches Ende gemacht hätte : denn eine Flintenkugel sauste ihm dicht vor dem Kopfe vorbei , während daß alles ihm zuschrie , er solle von dort weggehen -- er eilte schnell durch Seesen durch , und wanderte ruhig weiter , bis er in einem kleinen Dorfe wieder übernachtete . Am zweiten Tage seiner Wanderung kam nun Reiser über einen Teil des Harzgebürges , und es war noch früh am Tage , als er zur Rechten an der Heerstraße , die Mauren einer zerstörten Burg auf einer Anhöhe liegen sah ; er konnte sich nicht enthalten hier hinauf zu steigen , und als er oben war , verzehrte er sein Stück schwarzes Brot , das er sich zum Frühstücke mitgenommen , in den Ruinen dieses alten Rittersitzes , und sah dabei auf die Heerstraße durch den Wald hinunter . -- Daß er nun als ein Wanderer in diesem alten zerstörten Gemäuer wieder sein Morgenbrot verzehrte , und an die Zeiten dachte , wo hier noch Menschen wohnten , die auch auf diese Heerstraße durch den Wald hinunter sahen -- dies machte ihm einen der glücklichsten Momente -- es es schallte ihm immer wie eine Prophezeiung aus jenen Zeiten , daß diese Mauren einst öde stehen , daß der Wanderer sich dabei ausruhen , und an die Tage der Vorzeit sich erinnern würde . Sein Stück schwarzes Brot , war ihm hier oben eine festliche Mahlzeit -- er stieg gestärkt wieder hinunter , und wanderte frohen Mutes seine Straße fort , indem er die höheren Harzgebürge linker Hand liegen ließ . Das Wandern wurde ihm nun so leicht , daß der Boden unter ihm eine Welle schien , auf der er sich hob , und sank , und daß er so von einem Horizont zum anderen sich fortgetragen fühlte -- er verhielt sich bloß leidend , und immer stieg eine neue Szene vor seinem Blick empor . Die Mittagseinkehr in der unangenehmen Gaststube war bald vorüber , und er befand sich wieder in der freien offenen Natur . -- Diese Einkehr aber war ihm doch beschwerlich , und er dachte schon darauf , sich auch von dieser zu befreien , als er einmal über ein Kornfeld ging , und ihm die Jünger Christi einfielen , welche am Sonntage Ähren aßen . 4ter Teil . B Er machte sogleich den Versuch eine Handvoll Körner aus den Ähren herauszustreifen , aus welchen Körnern er das Mehl sog , und die Hülsen ausspuckte . Indes aber blieb das Nahrungsmittel doch immer_mehr ein Zeitvertreib , als daß es ihm eigentlich das Einkehren hätte ersparen sollen -- Das Angenehme dieses Nahrungsmittels lag vorzüglich in der Idee davon , welche den Begriff von Freiheit und Unabhängigkeit noch vermehrte . Da er nun wieder eine Tagereise vollendet hatte , kehrte er unweit Duderstadt in einem kleinem Dorfe ein , wo in dem Wirtshause niemand zu Hause war . Es war noch vor der Dämmerung -- der Torweg zum Hofe bei dem Wirtshause stand offen -- und auf dem Hofe war eine Laube , in welcher ein Tisch aber weder Stuhl noch Bank stand . -- Reiser , um sich auszuruhen , legte sich also auf den Tisch , und weil er zum lesen noch sehen konnte , so laß er in der Odyssee die Stelle von den Menschenfressern , die in dem ruhigen Ha fen , die Schiffe des Ulysses zerschmettern , und seine Gefährten ergreifen und verzehren . -- Auf einmal war der Wirt zu Hause gekommen , und sah , da es schon anfing dunkel zu werden , einen Menschen in seinem Hofe in der Laube auf dem Tische liegen , und in einem Buche lesen . Er redete Reisern erst ziemlich unsanft an , da dieser sich aber aufrichtete , und der Wirt in ihm einen wohlgekleideten Menschen sah , so fragte er ihn sogleich , ob er ein Jurist sei , welches in diesen Gegenden die gewöhnliche Benennung für einen Studenten ist , weil die Theologen größtenteils in Klöstern studieren , und schon als Geistliche betrachtet werden . Dem Wirt war seine Frau gestorben , und außer ihm war niemand im ganzen Hause . Der Mann war aber gesprächig , und Reiser hielt seine Abendmahlzeit , die wie gewöhnlich aus Bier und Brot bestand , in seiner Gesellschaft . Der Mann erzählte ihm von vielen sogenannten Juristen , die bei ihm logiert hätten , und Reiser ließ ihn dabei , daß er auch im Begriff sei nach Erfurt zu gehen , um dort zu studieren . B 2 Alle dergleichen Unterredungen , die an sich unbedeutend gewesen wären , erhielten in Reisers Idee einen poetischen Anstrich , durch das Bild von dem homerischen Wanderer , welches ihm immer vor der Seele schwebte , und selbst die Unwahrheiten in seinen Reden hatten etwas Übereinstimmendes mit seinem poetischen Vorbilde , dem Minerva zur Seite steht und wegen seiner wohl überdachten Lüge ihm Beifall zulächelt . Reiser dachte sich seinen Wirt nicht bloß als den Wirt einer Dorfschenke , sondern als einen Menschen , den er nie gekannt , nie gesehen hatte , und nun auf eine Stunde lang mit ihm zusammentraf , an einem Tische mit ihm saß , und Worte mit ihm wechselte . Dasjenige , was durch die menschlichen Einrichtungen und Verbindungen gleichsam aus dem Gebiete der Aufmerksamkeit herausgedrängt , gemein und unbedeutend geworden ist , trat , durch die Macht der Poesie , wieder in seine Rechte , wurde wieder menschlich , und erhielt wieder seine ursprüngliche Erhabenheit und Würde . Der Mann war nicht einmal eingerichtet , eine Streue zu machen , weil selten jemand hier übernachtete ; und Reiser schlief auf dem Heuboden , der ihm ein angenehmes Lager gewährte . Am anderen Morgen früh setzte er seine Reise weiter fort , und der Aufenthalt in diesem Hause mit dem Wirt ganz allein , blieb ihm eine seiner angenehmsten Erinnerungen . An diesem Tage ging es in seiner inneren Gedankenwelt besonders lebhaft zu -- Er hatte sich nun um ein merkliches seinem Ziele genähert , und die Besorgnis trat doch nun bei ihm ein , was er auf den Fall tun würde , wenn seine Aussichten zu unmittelbaren Ruhm und Beifall ihm mißlingen , und die Entwürfe zu seiner theatralischen Laufbahn gänzlich scheitern sollten . Nun traten auf einmal die Extreme auf , ein Bauer oder Soldat zu werden , und auf einmal war das poetische und theatralische wieder da , denn seine Ideen vom Bauer und Soldat wurden wieder zu einer theatralischen Rolle , die er in seinen Gedanken spielte . B 3 Als Bauer entwickelte er nach und nach seine höheren Begriffe , und gab sich gleichsam zu erkennen ; die Bauern horchten ihm aufmerksam zu , die Sitten verfeinerten sich allmählich , die Menschen um ihn her wurden gebildet . Als Soldat fesselte er die Gemüter seiner Schicksalsgenossen allmählich durch reizende Erzählungen ; die rohen Soldaten fingen an , auf seine Lehren zu horchen : das Gefühl der höheren Menschheit entwickelte sich bei ihnen ; die Wachtstube wurde zum Hörsaale der Weisheit . Indem er also glaubte , daß er gerade auf das Entgegengesetzte vom Theater sich gefaßt gemacht habe , war er erst recht in vollkommen theatralische Aussichten und Träume wieder hineingeraten . Es lag aber für ihn eine unbeschreibliche Süßigkeit in dem Gedanken , wenn er Bauer oder Soldat werden müßte , weil er in einem solchen Zustande weit weniger zu scheinen glaubte , als er wirklich wäre . Während er sich mit diesen Gedanken beschäftigte , kam er durch Stadt Worbes , wo ihm einige Franziskanermönche aus dem dasigen Kloster begegneten , die ihn freundlich grüßten . Als er vor dem Kloster vorbeiging , hörte er inwendig den Gesang der Mönche , die da nun von der Welt abgeschieden , ohne Sorgen , Pläne und Aussichten lebten , und alles das , was sie sein wollten , auf einmal waren . Dies machte zwar einigen Eindruck auf sein Gemüt , aber lange nicht so stark , als nachher der erste Anblick eines Kartäuserklosters , dessen Einwohner durch ihre Mauern gänzlich von der Welt geschieden , auch nie mit einem Fuße den Schauplatz wieder betreten , den sie einmal verlassen haben . Durch die wandernden Franziskanermönche aber wurde die Idee von Abgeschiedenheit kleinlich und abgeschmackt . -- Der schnelle Gang vertrug sich nicht mit dem Ordenskleide , und das Ganze hatte auch nicht einmal poetische Würde . Übrigens tönte die hochdeutsche Sprache der Leute in diesen Gegenden immer angenehm in Reisers Ohren , weil dadurch die Idee seiner nunmehrigen Entfernung von dem Plattdeut B 4 schen Lande immer lebhaft wieder in ihm erweckt wurde . Nun war diesen Tag auch sehr schönes Wetter gewesen , und Reiser kehrte den Abend in einem Dorfe , Namens Orschla ein , um den anderen Morgen von dort aus nach der Reichsstadt Mühlhausen seinen Weg fortzusetzen . Das Dorf ist katholisch ; und als er an den Gasthof kam , stand eine Menge Leute vor der Türe , unter denen sich der Schulmeister des Orts befand , welcher ihn mit den Worten anredete : eschene litteratus ? ( ob er nicht ein Gelehrter wäre ? ) Reiser bejahte dies wieder in lateinischer Sprache , und auf befragen wohin er ginge , sagte er wieder : er ginge nach Erfurt , um dort die Theologie zu studieren ; denn dies schien ihm immer das sicherste zu sein . Während der Zeit standen die Bauern umher , und horchten zu , wie ihr Schulmeister mit dem fremden Studenten lateinisch sprach . Der Sohn des Schulmeisters kam auch dazu , der in Hildesheim studiert hatte , und jetzt seinem Vater adjungiert war . Reiser ging nun in die Stube , und legte zu noch mehrerem Beweise , daß er ein Literat sei , seinen Homer auf den Tisch , welchen denn auch der Schulmeister gleich kannte , und den Bauern auf deutsch sagte , daß das der Homer wäre . Mit Reisern aber fuhr er immer fort Latein zu sprechen , so gut es gehen wollte , wobei denn viel komisches mit unter lief ; da er sehr viel von seinem gelehrten Unterricht sprach , so fragte ihn Reiser , ob er auch mit seinen Schülern die Kirchenväter läse ? worüber er erst ein wenig in Verlegenheit geriet , sich aber doch bald wieder faßte , und sagte : alternatim . Er nahm nun Abschied von Reisern , der den anderen Morgen früh schon weiter gehen wollte , und warnte ihn , sich vor den Kaiserlichen und Preußischen Werbern in diesen Gegenden in Acht zu nehmen , und sich durch keine Drohungen schrecken zu lassen , wenn sie etwa äußerten , daß sie ihn mit Gewalt nehmen wollten . Reiser legte sich auf seine Streue ruhig schlafen -- als er aber am anderen Morgen erwachte , B 5 regnete es so stark , daß er in seiner Kleidung mit Schuhen und seidenen Strümpfen , nicht aus dem Hause gehen , viel weniger seine Reise fortsetzen konnte ; da überdem hier ein leimigter Bogen ist , der bei jeder Nässe das Gehen auf der Landstraße ganz außerordentlich beschwerlich macht . Dies war nun freilich etwas Unvermutetes für Reisern -- er hatte dem Wetter in dieser Jahrszeit zuviel zugetrauet , und war auf diesen Fall nicht vorbereitet , da er weder mit Stiefeln , noch sonst mit Kleidung zum Regenwetter versehen war , und sein beständiger Anzug auch seinen ganzen Kleidervorrat ausmachte . Hier war also nichts zu tun , als auszuharren , bis der Himmel sich wieder aufklären , und das Erdreich sich wieder trockenen würde . -- Es hörte aber diesen und den folgenden Tag nicht auf , zu regnen . -- Nun kam schon in aller frühe ein Kaiserlicher Unteroffizier in die Gaststube , der in diesem Orte auf Werbung lag , sich mit seinem Krug Bier ganz vertraulich neben Reisern an den Tisch setzte , und vom Soldatenleben erst von weitem mit ihm zu sprechen anfing , bis er nach und nach immer zudringlicher wurde , und ihm endlich geradezu versicherte , daß er doch vor den Preußischen und Kaiserlichen Werbern nicht über Mühlhausen kommen würde , und sich also lieber nur gleich von ihm für sieben Gulden Handgeld anwerben lassen möchte -- so daß es den Anschein hatte , als wenn nun der Soldat in Reisers Phantasie , eher als er gedacht hatte , realisiert werden könnte . Als der Soldat hinausgegangen war , trat der Schulmeister wieder herein , der Reisern einen guten Morgen bot , und ihn heimlich warnte , sich vor dem Werber in Acht zu nehmen , ob er gleich selbst das Soldatenleben für so schlimm nicht hielte ; denn sein Sohn sei auch zwei Jahr in Mainzischen Diensten gewesen , und wer keinen Paß habe , könne hier schwerlich durchkommen . Reiser versicherte ihm , daß er alles Nötige um sich zu legitimieren bei sich habe . Dies war nämlich der lateinische Anschlagbogen , von dem Schulaktus in Hannover , da er am Geburtstage der Königin von England eine Rede hielt . und worauf sein Nahme nicht Reiser sondern Reiseruss gedruckt stand . Und außerdem noch den gedruckten Prolog zu dem Deserteur aus Kindesliebe , worauf sein Nahme als Verfertiger stand , nebst einem Gedicht auf die Einführung eines Lehrers , wo sein Nahme unter den übrigen Primanern gedruckt mit aufgeführt war . Er wollte diese sonderbaren Dokumente zuerst nicht gerne vorzeigen , bis es ihm äußerst nahe gelegt wurde , und man ihm nicht undeutlich merken ließ , daß man ihn für einen Landstreicher hielte . Nun brachte er seine gedruckten Zeugnisse zum Vorschein , die eine bessere Wirkung taten , als er anfänglich geglaubt hatte , weil er sie nach und nach vorlegte . Zuerst legte er den großen lateinischen Anschlagbogen auseinander , und zeigte auf seinen Namen Reiseruss . -- Der Schulmeister hatte hier wieder Gelegenheit , seine Stärke in der Latinität zu zeigen , indem er den Anschlagbogen ins Deutsche übersetzte ; und so hatte Reiser schon viel bei ihm gewonnen . Darauf zog er den Prolog hervor , und wies die Anwesenden auf seinen deutsch gedruckten Namen ; dies stimmte also überein , und der Schulmeister erzählte bei der Gelegenheit , daß er auch auf der Jesuitenschule mit Komödie gespielt , und sein Nahme gedruckt worden sei . Zuletzt legte Reiser noch das Gedicht vor , wo sein Nahme aufs Neue in der Liste aller seiner Mitschüler gedruckt erschien , und nun vollends aller Zweifel verschwand , daß er der nicht wirklich wäre , der seinen Namen so oft , und auf so verschiedene Weise gedruckt aufzeigen konnte . Der Werber selbst wurde stille , und schien vor Reisern einigen Respekt zu bekommen . Dies verschaffte ihm Ruhe . Er ließ sich Feder und Papier geben , und fing an , eine von den Hymnen des Homers in deutsche Hexameter zu übersetzen . Den Abend kam der Schulmeister wieder , und unterhielt sich mit ihm : so ging dieser Tag vorüber , und Reiser legte sich ruhig schlafen . Als er aber am anderen Morgen erwachte , den Himmel wieder eben so trübe wie gestern sah , und den Regen ans Fenster schlagen hörte , fing ihm an der Mut zu sinken -- Er stand von seiner Streue auf , und setzte sich traurig an den Tisch ; es wollte mit den homerischen Hymnen nicht vorwärts gehen -- er stellte sich ans Fenster , und sah zu , ob der Himmel sich noch nicht ein wenig aufklären wollte , als der Soldat schon wieder hereintrat , um ihm seine Morgenvisite zu machen . Da nun Reiser sich ankleidete , und sein Haar in einen Zopf flocht , fing der Kriegesmann wieder an , ihm über seine Größe , und über die Länge seines Haars sehr viele Komplimente zu machen , und wie Schade es um ihn sei , daß er nicht in den Kriegsstand treten wolle . Der Schulmeister kam nun auch dazu ; sie hatten seit gestern überlegt , daß alle die vorgezeigten Dokumente kein Siegel gehabt hatten , und brachten nun diesen Umstand gegen Reisern vorzüglich in Anregung , daß er doch vor den Werbern nicht durchkommen würde , und daß er sich also lieber dem gönnen sollte , der doch die ersten Ansprüche auf ihn hätte . So dauerte es nun den ganzen Tag über , welcher für Reisern , der nicht fort konnte , einer der traurigsten war , bis es gegen Abend sich aufklärte , und auf einmal sein Mut wieder erwachte . Er nahm alle seine Überredungskraft zusammen , um die Leute durch die nachdrücklichsten Vorstellungen zu überzeugen , daß es wirklich sein Vorsatz sei , in Erfurt zu studieren , wovon ihn nichts in der Welt abbringen könne , daß diese ihm endlich zu glauben schienen . Der Schulmeister sagte ihm auf lateinisch , wenn er Morgenfrüh auf Mühlhausen zureiste , so würde ihm der Wirt von diesem Gasthofe begegnen , der auch lateinisch spräche , und verreißt gewesen sei , um die seinigen ( Fuß ) zu hohlen . Der Soldat aber versprach Reisern , zu seinem Schrecken , ihn den anderen Morgen zu begleiten , und ihn durch ein Gehölz auf den Weg zu bringen . Den anderen Morgen in aller Frühe war der Soldat schon wieder da , um ihn zu begleiten , und wollte im Gasthofe Reisers Zeche bei zahlen , welches dieser aber mit Gewalt nicht zugab . Sie gingen nun aus dem Dorfe Orschla auf Hähnichen zu eine Anhöhe herauf , der Soldat sprach kein Wort , und da sie durch ein Gehölz kamen , so erwartete nun Reiser jeden Augenblick die Entscheidung seines Schicksals , dent er doch nicht entgehen könnte . Auf einmal stand der Soldat still , und hielt an Reisern eine ordentlich pathetische Anrede , er sollte sich noch einmal prüfen , ob er sich wirklich getraute , nicht in die Hände anderer Werber zu fallen ; denn das Einzige würde ihm nur ärgern , wenn er hörte . daß Reiser doch Soldat geworden wäre , und ihn also gleichsam betrogen hätte : wenn es aber sein wirklicher Vorsatz sei zu studieren , und nicht Soldat zu werden , so wünsche er ihm Glück zu seinem Vorhaben , und eine glückliche Reise . Hiermit ging er fort , und Reiser traute immer noch nicht recht , bis er erst eine ganze Strecke gegangen war , und ihm nichts auffallendes begegnete , außer einem buckligen Mann , der zwei Schweine vor sich hertrieb , und ihn lateinisch lateinisch anredete , weil er ihn für einen Studenten hielt . Dies war der Gastwirt aus Orschla , wovon der Schulmeister gesagt hatte , daß er ( Fuß ) die Seinigen holte , welcher aber ( fues ) Schweine geholt hatte , die der Schulmeister in Orschla nach der zweiten Deklination dekliniert , und sie dadurch zu den Seinigen erhoben hatte . Sobald sich nun Reiser wieder im Freien sah , und niemand gewahr wurde , der ihm aufgelauert hätte , so war ihm dies ein unerwartetes Glück -- die Gefahr aber , welcher er entronnen war , machte doch , daß er im Gehen sehr ernsthaft über sein künftiges Leben nachdachte . Er erwog , daß es ihm bei allen Leuten ein ehrliches Ansehen gab , wenn er sagte , daß er auf die Universität gehen und studieren wolle . Die Idee war ihm auch selber nicht zuwider ; dies dauerte aber nur so lange , bis die Kulissen mit den Lichtern in seiner Einbildungskraft wieder hervortraten , und alle anderen Aussichten weichen mußten . 4ter Teil . C Er wanderte bis gegen Mittag auf eine ziemlich unbequeme Weise , weil der Boden noch nicht trocken war , wobei nun zu seinem Schrecken seine Schuh zu leiden anfingen , die unter seinen Umständen gewissermaßen einen unersetzlichen Teil seines Selbst ausmachten . Er fühlte den drohenden Verlust mit jedem Schritte den er tat , als um die Mittagsstunde der Himmel sich wieder mit Wolken umzog , die einen neuen Regenguß prophezeiten , welcher sich auch sehr bald einstellte , und Reisers Wanderschaft zum zweitenmal unterbrach . Zum Glück erreichte er bald ein Jägerhaus , das mitten auf einem rund umher mit Wald umgebenen Felde lag , und wo er eben so voller Zutraun einkehrte , als er höflich und gut aufgenommen und bewirtet wurde . Es war , als ob sein Empfang schon vorbereitet wäre , so freundschaftlich nahmen ihn die Leute in dieser einsamen Wohnung auf . Es war , als ob es sich bei diesen Leuten von selbst verstände , daß man in einem solchen Wetter einen Wanderer aufnehmen müsse . Es hörte den ganzen Tag nicht auf zu regnen , und die Leute nötigten ihn selber , die Nacht zu bleiben . Als sie ihn nun zum Abendessen nötigten , verbat es sich Reiser , weil er nicht hinlänglich mit Gelde versehen sei , um diese Bewirtung zu bezahlen ; indem er eine weite Reise vor sich habe , und sich außerordentlich einschränken müsse ; worauf der Jäger aber mit einer Art von Unwillen ihn an den Tisch zog . Es war für Reisern ein Gefühl ohne Gleichen , sich von ganz unbekannten Menschen so wohl aufgenommen zu sehen . Er fand sich hier , wie zu Hause ; man wies ihm die Nacht ein gutes Bette an , das ihm nun zum erstenmal auf seiner Wanderung wieder geboten wurde . Am anderen Morgen weckte man ihn zum Frühstück , und nötigte ihn , den ganzen Tag da zu bleiben , weil es noch immerfort regnete . Der Mann ging ins Holz , und verwies Reisern auf seine Bibliothek , daß er sich während der Zeit damit unterhalten sollte . Diese Bibliothek bestand aus einer großen Sammlung von alten Kalendern , Todtenge C 2 sprächen , der Geschichte eines göttingschen Studenten , und einem Erfurtischen Wochenblatt , der Bürger und der Bauer , wo der Bauer im Thüringischen Dialekt sprach , und der Bürger ihm in hochdeutscher Sprache antwortete . Reiser amüsierte sich herrlich mit diesen Sachen , und gab von Zeit zu Zeit wieder seinen Gedanken Raum ; denn sein gütiger Wirt und Wirtin waren von wenigen Worten , und nicht im Geringsten neugierig , sondern fragten ihn nicht einmal , wohin er ginge , und woher er käme , so daß er also durch nichts in seinen Gedanken gestört wurde . Diese gastfreundliche Stube mit dem kleinen Fenster , wodurch man weit übers Feld nach dem Holze sah , indes der Regen sich draußen stromweise ergoß , blieb eins der angenehmsten Bilder in Reisers Gedächtnis . Am dritten Morgen hatte sich der Himmel aufgeklärt ; und als Reiser nun von seinen Wohltätern Abschied nahm , suchten sie ihm sogar noch den Dank zu ersparen , indem sie eine nicht nennenswerte Kleinigkeit an Gelde , als eine Bezahlung für die dreitägige Bewir thung von ihm annahmen , und da er wegging nicht einmal nach seinem Namen fragten . Das Andenken an diese Leute machte Reisern während dem Gehen noch manche frohe Stunde , und gab ihm zugleich wieder Mut und Zutrauen zu den Menschen , unter die er sich nun , wie in einem Ozean , verlor . Der Weg war zuerst von dem gestrigen Regen noch ziemlich beschwerlich ; weil aber die Sonne heiß schien , so trocknete der Boden bald wieder , und Reiser erreichte noch gegen Mittag die Reichsstadt Mühlhausen , welche nun als ein neuer ungewohnter Anblick , mit ihren Türmen vor ihm lag . Hier stand ihm nun , wie er gewarnt war , die meiste Gefahr von den Werbern bevor . -- Er gab sich also diesmal alle mögliche Mühe , ehe er ins Tor ging , sorgfältig seine Toilette zu machen ; und die schon einmal versuchte Rolle eines unbefangenen Spaziergängers gelang ihm auch diesmal wieder eben so gut , wie in Hildesheim , so daß er , ohne von einer Schildwache befragt zu werden , glücklich durchs Tor in die Stadt kam . C 3 Durch die Stadt eilte er so schnell wie möglich , erkundigte sich nach dem Tore aus welchem der Weg nach Erfurt geht , und verdoppelte seine Schritte , so oft er etwas einer Soldatenkleidung Ähnliches nur von fern erblickte . Wie froh schüttelte er den Staub von seinen Füßen über diese Stadt , als er den letzten Schlagbaum zurückgelegt hatte , und keinen preußischen Werber hinter noch neben sich sah . Die grünen Turmspitzen blieben das einzige Bild , was er von diesem Häuserhaufen mit sich nahm ; alles übrige war verloschen ; so schnell war seine Einbildungskraft über die Gegenstände hinweggleitet . Er näherte sich nun immer mehr dem Ziele seiner Reise , und betrachtete das Zurückgelegte mit stillem Vergnügen , wobei ihm besonders seine Sparsamkeit und harte Lebensart einen süßen Triumph gewährten , da nun die Beschwerlichkeiten beinahe überstanden waren . Demungeachtet aber fühlte er wiederum eine Art von Ängstlichkeit , je kleiner der Zwischenraum zwischen ihm und seinen ungewissen Aussichten wurde . Denn das , was in der Einbildungskraft keinen Anstoß gelitten hatte , sollte nun zur Wirklichkeit kommen , und mit Hindernissen kämpfen , die sich schon im Voraus darstellten . Es dünkte Reisern nun viel leichter , mit schönen und angenehmen Aussichten in die weite Welt zu wandern , als an Ort und Stelle selbst zu sein , und diese Aussichten wahr zu machen . Darum hätte sich nun Reiser gerne das Ziel noch weiter weggewünscht , wenn er im Stande gewesen wäre , seine Wanderung weiter fortzusetzen . Eine traurige Bemerkung aber , die er an seinen Schuhen machte , deren Verlust für ihn , in den Umständen , worin er sich befand , unersetzlich war , hemmte auf einmal alle seine weiten Aussichten wieder , und machte , daß er ernsthaft über seinen Zustand nachdachte . Es ist merkwürdig , wie die verächtlichsten wirklichen Dinge , auf die Weise in die glänzendsten Gebäude der Phantasie eingreifen und sie zerstören können , und wie auf eben diesen verächtlichen Dingen eines Menschen Schicksal beruhen kann . C 4 Reisers Glück , das er in der Welt machen wollte , hing jetzt im eigentlichen Sinne von seinen Schuhen ab ; denn von seinen übrigen Kleidungsstücken durfte er nichts veräußern , wenn er mit Anstande erscheinen wollte : und doch machten zerrissene Schuhe , die er durch neue nicht ersetzen konnte , seinen ganzen übrigen Anzug unscheinbar und verächtlich . Dies versetzte ihn , indem er auf dem Wege nach Langensalze begriffen war , in traurige und schwermütige Gedanken , bis ein Bauer und ein Handwerksbursch , die eben desselben Weges gingen , sich zu ihm gesellten , und ihn mit Gesprächen unterhielten . Der Handwerksbursch erzählte von seinen Reisen in Kursachsen , und der Bauer hatte eine Klagesache , die er selbst in Dresden bei dem Kurfürsten anbringen wollte . Es war kurz nach Mittag und eine drückende Hitze . Dem Handwerksburschen drückten seine Stiefeln -- Reiser sah mit jedem Tritte seine Schuhe sich verschlimmern , und der Bauer klagte über entsetzlichen Durst , als sie auf dem Felde einige Arbeitsleute antrafen , die einen Eimer Wasser neben sich stehen hatten , und den drei ermüdeten Wanderern zu trinken gaben . Eine solche Szene , wo unbekannte , voneinander entfernte Menschen auf einmal sich nahe zusammenfinden , gemeinschaftliches Bedürfnis , und gemeinschaftlichen Trost und Zuspruch aneinander haben , als ob sie nie unbekannt und entfernt voneinander gewesen wären ; so etwas hielt Reisern für alles Unangenehme auf seinen Wanderungen wieder schadlos , und er konnte sich mit innigem Vergnügen daran zurückerinnern . Seine Gefährten verließen ihn vor der Stadt Langensalze , in der er sich nicht aufhielt , sondern noch den nächsten Ort zu erreichen suchte , wo er übernachten wollte . Er kam spät in dem Gasthofe an , wo er nun die letzte Nacht vor seiner Ankunft in Erfurt zubrachte . -- Als er am anderen Morgen erwachte , so war sein erster Gedanke an einen Schuster ; und wie groß war nun seine Freude , als er an diesem Orte einen fand , der um wenige Groschen , während daß er darauf wartete , seine Schuh wieder in dauerhaften Stand setzte , C 5 und er dadurch auf einmal aus der größten Verlegenheit befreit war . Nun ging er also rasch auf Erfurt zu . -- So wie er gekleidet war , durfte er nun vor jedermann erscheinen , und so hatte er wieder Mut und Zutrauen zu sich selber . In dem letzten Dorfe vor Erfurt ließ er sich einen Trunk Bier geben . -- In dem Gasthofe war es sehr lebhaft . Man bemerkte schon die Nähe der Stadt , aus welcher sich viele Einwohner hier befanden , unter denen auch ein Gelehrter war , mit dem die anderen von seinen Werken sprachen . Von diesem Dorfe aus bekam denn Reiser endlich die Stadt Erfurt zu Gesichte , mit dem alten Dom , den vielen Türmen , den hohen Wällen , und dem Betersberge . -- Das war nun die Vaterstadt seines Freundes Philipp Reisers , wovon ihm dieser so viel erzählt hatte . -- Auf dem Wege nach der Stadt zu waren Kirschbäume gepflanzt . -- Die Hitze der Mittagssonne hatte sich schon gelegt -- die Leute gingen vor dem Tore spazieren -- und als Reiser auf diesem Wege an Hannover zurück dachte , so war es ihm auch gerade , als habe er von dort bis hierher einen leichten Spaziergang gemacht , so klein dünkte ihm nun der Zwischenraum , den er zurückgelegt hatte . Eine so große Stadt wie diese hatte er nun noch nicht gesehen ; der Anblick war ihm neu und ungewohnt ; er kam durch die breite und schöne Straße , welche der Anger heißt , und konnte sich nicht enthalten , noch ein wenig in der Stadt umherzugehen , ehe er seinen Stab weiter setzte ; denn er wollte noch bis zum nächsten Dorfe gehen , das auf dem Wege nach Weimar liegt . Bei diesen Wanderungen durch die Straßen von Erfurt kam er in eine der Vorstädte , und kehrte , weil es noch nicht spät war , in einem Gasthofe ein . Hier saß der Wirt , ein dicker Mann , am Fenster , und Reiser fragte ihn , ob die Eckhoffsche Schauspielergesellschaft noch in Weimar wäre ? Nichts ! antwortete er , sie ist in Gotha ! Reiser fragte weiter , ob Wieland noch in Erfurt wäre ? Nichts ! antwortete jener wieder , er ist in Weimar ! Das Nichts ! sprach er jedes Mal mit einer Art von Unwillen aus , als ob es ihn verdrösse , Nein ! zu sagen . Und dies harte Nichts in der Antwort des dicken Wirtes , verrückte auf einmal Reisers ganzen Plan . -- Nach Weimar war eigentlich sein Sinn gerichtet -- da glaubte er , würden sich unerwartete Kombinationen finden -- er würde da den angebeteten Verfasser von Werthers Leiden sehen -- Und nun klang auf einmal Gotha statt Weimar in seinen Ohren . Er ließ sich aber auch dies nicht irren , sondern stand eilig auf , um sich noch denselben Abend auf den Weg nach Gotha zu begeben , und , um von seiner strengen Regel nicht abzuweichen , im nächsten Dorfe zu übernachten . Ehe die Sonne unterging , hatte er Erfurt schon wieder im Rücken , und ehe es ganz Nacht wurde , erreichte er noch das erste Dorf auf dem Wege nach Gotha . -- Der Dom und die alten Türme von Erfurt machten nun ein neues Bild in seiner Seele , das er mit sich heraustrug , und das ihn zur Wiederkehr in diesen Ort einzuladen schien . In dem Dorfe aber , wo er einkehrte , hatte er noch zu guter Letzt auf seiner Streue sehr unruhige Nachbaren . Dies waren nämlich Fuhr Leute , die von Zeit zn Zeit aufstanden , und sich in einem sehr groben Dialekt miteinander unterhielten , worin besonders ein Wort vorkam , das höchst widrig in Reisers Ohren tönte , und immer mit einer Menge von häßlichen Nebenideen für ihn begleitet war : die Bauern sagten nämlich immer : er quam anstatt er kam . Dieses quam schien Reisern ihr ganzes Wesen auszudrücken ; und alle ihre Grobheit war in diesem quam , das sie immer mit vollen Backen aussprachen , gleichsam zusammengedrängt . Kaum daß Reiser ein wenig eingeschlummert war , so weckte ihn dies verhaßte Wort wieder auf , so daß diese Nacht eine der traurigsten war , die er je auf einer Streue zugebracht hatte . Als der Tag anbrach , sah er die schwammigen aufgedunsenen Gesichter seiner Schlafkameraden , welche vollkommen mit dem quam übereinstimmten , das ihm noch in den Ohren gellte , als er den Gasthof schon verlassen hatte , und nun am frühen Morgen mit starken Schritten auf Gotha zuwanderte . Weil er die Nacht wenig geschlafen hatte , waren seine Gedanken auf dem Wege nach Gotha eben nicht sehr heiter , wozu noch kam , daß mit jedem Schritte seine Aussicht nun enger wurde , und seine Phantasie weniger Spielraum hatte . Es war an einem Sonntage , und ein Schuster , der die Woche aufs Land gegangen war , um Schulden einzufordern , kehrte mit ihm nach Gotha , und sagte ihm unter anderen , daß es dort sehr teuer zu leben sei . Diese Nachricht war für Reisern sehr bedenklich , der nun ungefähr noch einen Gulden im Vermögen hatte , und dessen Schicksal in Gotha sich also sehr bald entscheiden mußte . -- Das Gespräch mit dem Schuster , der ihm als ein Einwohner von Gotha seine Not klagte , war für ihn gar nicht unterhaltend , und stimmte seine Ideen sehr herab , da er nun das wirkliche Leben in so einer Stadt sich dachte , wo noch kein Mensch ihn kannte , und wo es noch sehr zweifelhaft war , ob irgend jemand an seinem Schicksal Teil nehmen , und auf seine Wünsche merken würde . Diese unangenehmen Reflexionen machten , daß ihm der Weg noch beschwerlicher , und er mit jedem Schritt müder wurde , bis sich die beiden kleinen Türmchen von Gotha zeigten , wovon ihm der Schuster sagte , daß der eine auf der Kirche , und der andere auf dem Komödienhause stände . Dieser angenehme Kontrast und lebhafte sinnliche Eindruck machte , daß sein Gemüt sich allmählich wieder erheiterte , und er durch verdoppelte Schritte seinen Gefährten wieder in Atem setzte . Denn das Türmchen bezeichnete ihm nun deutlich den Fleck , wo der unmittelbare laute Beifall eingeerntet , und die Wünsche des ruhmbegierigen Jünglings gekrönt würden . Dieser Platz behauptete dort seine Rechte neben dem geweihten Tempel , und war selbst ein Tempel , der Kunst und den Musen geweiht , in welchem das Talent sich entwickeln , und alle und jede Empfindungen des Herzens aus ihren geheimsten Falten vor einem lauschenden Publikum sich enthüllen konnten . -- Da war nun der Ort , wo die erhabene Träne des Mitleids bei dem Fall des Edlen geweint , und lauter Beifall dem Genius zugejauchzt wurde , der mit Macht die Seelen zu täuschen , die Herzen zu schmelzen wußte . Mitleid den Toten und Ehre den Lebenden war hier die schöne Lösung -- und Reiser lebte und webte schon in diesem Elemente , wo alles das , was die Vorwelt empfand , noch einmal nachempfunden , und alle Szenen des Lebens in einem kleinen Raume wieder durchlebt wurden . Kurz , es war nichts weniger als das ganze Menschenleben , mit allen seinen Abwechselungen und mannigfaltigen Schicksalen , das bei dem Anblick des Türmchens vom Gothaschen Komödienhause , sich in Reisers Seele wie im Bilde darstellte , und worin sich die Klagen des Schusters , der ihn begleitete , und seine eigenen Sorgen , wie in einem Meere verloren . -- Mit seinem einzigen Gulden in der Tasche fühlte sich Reiser beglückt wie ein König , so lange dieser Reichtum von Bildern ihm vor schwebte , schwebte , die die Spitze des Türmchens in Gotha umgaukelten , und Reisern einen schönen Traum in die Zukunft aufs neue vorspiegelten . Da sie nicht mehr weit von der Stadt waren , ließ Reiser seinen Gefährten voran gehen , und setzte sich gemächlich unter einen Baum , um so gut wie nur irgend möglich , seine Kleidung in Ordnung zu bringen , und auf eine stattliche Weise in Gotha seinen Einzug zu halten . Dies gelang ihm so gut , daß einige Handwerksleute , die eben vor dem Tore vor Gotha spazieren gingen , wie vor einem vornehmen Manne den Hut vor ihm abzogen , welches Reisern nicht wenig in Verwunderung setzte , der auf seiner ganzen Reise mit den Fuhrleuten auf der Streue geschlafen , und eine gar nicht glänzende Figur gespielt hatte . Er kam nun durch das alte Tor von Gotha in eine etwas dunkle Straße , die er hinaufgieng , und bald zur rechten Seite den Gasthof zum goldenen Kreuze ansichtig wurde , wo er denn einkehrte , weil dieser Gasthof ihm keiner der glänzendsten zu sein schien . 4ter Teil . D Als er eben hereintrat , fand er gleich vorn in der Gaststube einen Schwarm von Handwerksburschen , die schrien und lärmten ; und er wollte schon wieder umkehren , als der alte Wirt zu ihm kam , der ihn freundlich anredete und fragte , ob er etwa hier logieren wolle ? Reiser erwiderte : dies sei wohl eine Herberge für Handwerksburschen ? Das täte nichts , sagte der Wirt , er solle mit seinem Logis schon zufrieden sein , und hierauf nötigte er Reisern in seine eigene wohleingerichtete Stube , wo ein alter Hauptmann , ein Hoflaquai , und noch einige andere wohlgekleidete Leute waren , in deren Gesellschaft Reiser von dem Wirt introduzieret , und auf das höflichste behandelt wurde . Denn man tat keine einzige unbescheidene oder neugierige Frage an ihn , und bewies ihm doch dabei eine schmeichelnde Aufmerksamkeit . In diesem Zimmer stand ein Flügel , auf welchem ein junger Mann Namens Liebetraut sich hören ließ . Dieser Liebetraut war auch erst vor kurzem zufälliger Weise in eben diesen Gasthof eingekehrt , und mit den alten Wirtsleuten bekannt geworden , auf deren Zureden , weil sie sich gerne in Ruhe setzen wollten , er den Gasthof in Pacht übernommen hatte , so daß er also eigentlich der Wirt war , obgleich die Alten ihm noch immer Anweisung geben , und sich mit um die Wirtschaft bekümmern mußten . Dieser junge Liebetraut ließ sich sehr bald mit Reisern in ein Gespräch über schöne Wissenschaften und Dichtkunst ein , und zeigte sich als ein Mann von feinem Geschmack und Bildung , und was das sonderbarste war , so schien er nicht undeutlich darauf anzuspielen , daß Reiser wohl hierher gekommen sei , um sich dem Theater zu widmen . Dieser ließ sich für jetzt nicht weiter aus , und ihm wurde nun auch eine Stube angewiesen , wo er allein sein konnte . Hier sammelten sich nun seine Gedanken wieder , und er machte sich nun einen Plan , wie er am anderen Tage seinen Besuch bei dem Schauspieler Eckhof machen , und dem sein Anliegen vortragen wollte . Während er auf seiner Stube allein mit diesen Gedanken beschäftigt war , und am Fenster stand , kamen die Chorschüler vor das Haus und sangen eine Motette , die Reiser während D 2 seiner Schuljahre in Wind und Regen oft mitgesungen hatte . Dies erinnerte ihn an jenen ganzen trüben Zeitraum seines Lebens , wo immer Mißmut , Selbstverachtung und äußerer Druck ihm jeden Schimmer von Freude raubte , wo alle seine Wünsche fehlschlugen , und ihm nichts als ein schwacher Strahl von Hoffnung übrig blieb . Sollte denn nun , dachte er , nicht endlich einmal die Morgenröte aus jenem Dunkel hervorbrechen ? -- Und eine trügerische täuschende Hoffnung schien ihm zu sagen , daß er dafür , daß er so lange sich selber zur Qual gewesen , nun auch einmal werde Freude an sich selber haben , und daß die glückliche Wendung seines Schicksals nicht weit mehr entfernt sei . Sein höchstes Glück aber war nun einmal der Schauplatz ; denn das war der einzige Ort wo sein ungenügsamer Wunsch , alle Szenen des Menschenlebens selbst zu durchleben , befriedigt werden konnte . Weil er von Kindheit auf zu wenig eigene Existenz gehabt hatte , so zog ihn jedes Schicksal , das außer ihm war , desto stärker an ; daher schrieb sich ganz natürlich während seiner Schuljahre , die Wut , Komödien zu lesen und zu sehen . -- Durch jedes fremde Schicksal fühlte er sich gleichsam sich selbst entrissen , und fand nun in anderen erst die Lebensflamme wieder , die in ihm selber durch den Druck von außen beinahe erloschen war . Es war also kein echter Beruf , kein reiner Darstellungstrieb , der ihn anzog : Denn ihm lag mehr daran , die Szenen des Lebens in sich , als außer sich darzustellen . Er wollte für sich das alles haben , was die Kunst zum Opfer fordert . Um seinetwillen wollte er die Lebensszenen spielen -- sie zogen ihn nur an , weil er sich selbst darin gefiel , nicht weil an ihrer treuen Darstellung ihm alles lag . -- Er täuschte sich selbst , indem er das für echten Kunsttrieb nahm , was bloß in den zufälligen Umständen seines Lebens gegründet war . -- Und diese Täuschung , wie viele Leiden hat sie ihm verursacht , wie viele Freuden ihm geraubt ! Hätte er damals das sichere Kennzeichen schon empfunden und gewußt , daß wer nicht D 3 über der Kunst sich selbst vergißt , zum Künstler nicht geboren sei , wie manche vergebene Anstrengung , wie manchen verlorenen Kummer hätte ihm dies erspart ! Allein sein Schicksal war nun einmal von Kindheit an , die Leiden der Einbildungskraft zu dulden , zwischen welcher und seinem wirklichen Zustande ein immerwährender Mißlaut herrschte , und die sich für jeden schönen Traum nachher mit bitteren Qualen rächte . Nach seiner langen Wanderschaft brachte nun Reiser wieder die erste Nacht in Gotha in sanftem Schlummer zu , und als er am anderen Morgen früh erwachte , so war es als ob aus Lisuart und Dariolette ihm der Schluß aus einer Arie , welche die verwünschte Alte singt , entgegen tönte : Vielleicht ist dies der Morgen , Der aller meiner Sorgen Erwünschtes Ende bringt . Während daß diese Zeilen ihm immer in Gedanken schwebten , zog er sich an , und erkundigte sich bei seinem jungen Wirt , wo Eckhof wohnte , dem er nun diesen Vormittag seinen Besuch machen wollte . Zu dem Ende hielt er nun seinen gedruckten Prolog in Bereitschaft , den er in Hannover verfertigt und Island gesprochen hatte , und durch welchen er hier vorzüglich Eingang zu finden hoffte . Der junge Gastwirt Liebetraut nötigte ihn noch vorher mit ihm zu frühstücken , und schien an seinem Umgange ein besonderes Vergnügen zu finden , indem er zugleich anfing , ihn zum Vertrauten seiner Herzensgeschichte zu machen , welche darin bestand , daß er den Gasthof gepachtet habe , um ein junges Frauenzimmer , das er liebte , je eher je lieber heiraten zu können . Reiser ging nun zu Eckhof , und auf dem Wege dahin drängten sich alle seine Entwürfe , die er vom Anfang seiner Wanderung an gemacht , noch einmal wieder in seine Seele zusammen , da er sich so nahe am Ziel seiner Reise sah ; die Melodie und der Vers aus Lisuart und Dariolette tönten noch immer in seine Ohren , und diesmal wenigstens täuschte ihn seine Hoffnung nicht . -- Eckhof empfing ihn über D 4 Erwartung gut , und unterhielt sich beinahe eine Stunde mit ihm . Reisers jugendlicher Enthusiasmus für die Schauspielkunst schien dem Greise nicht zu mißfallen -- er ließ sich mit ihm über Gegenstände der Kunst ein , und mißbilligte es gar nicht , daß er sich dem Theater widmen wollte , wobei er hinzufügte , daß es freilich gerade an solchen Menschen fehlte , die aus eigenem Triebe zur Kunst , und nicht durch äußere Umstände bewogen würden , sich der Schaubühne zu widmen . Was konnte wohl aufmunternder für Reisern sein , als diese Bemerkung -- er dachte sich schon im Geist als einen Schüler dieses vortrefflichen Meisters . Nun zog er auch seinen gedruckten Prolog hervor , der Eckhofs vollkommenen Beifall erhielt , und den sich derselbe sogar von ihm ausbat , und bemerkte , wie nahe das Talent zum Schauspieler und zum Dichter miteinander verwandt sei , und wie eins gewissermaßen das andere voraussetze . Reiser fühlte sich in diesem Augenblick so glücklich , als sich ein junger Mensch nur fühlen konnte , der vierzig Meilen weit bei trockenem Brote zu Fuße gereist war , um Eckhof zu sehen und zu sprechen , und unter seiner Anführung Schauspieler zu werden . Was nun sein Engagement anbeträfe , sagte Eckhof , so müsse er sich deswegen vorzüglich bei dem Bibliothekaries Reichardt melden , mit welchem er selbst auch Reisers wegen sprechen wolle . Reiser versäumte keinen Augenblick dieser Anweisung zu folgen , und ging von Eckhof , der in einem Bäckerhause wohnte , nach dem Hause des Bibliothekaries Reichardt , der ihn zwar auch höflich empfing , aber sich doch nicht so viel wie Eckhof mit ihm einließ . Indes machte er ihm zu einer Debütrolle Hoffnung , welches Reisers höchster Wunsch war , denn wenn er nur dazu käme , zweifelte er nicht , seinen Endzweck zu erreichen . Mit Heiterkeit im Gesichte kehrte er nun zu Hause , weil er diesen Anfang seiner Unternehmung für höchst glücklich hielt , und unter diesen günstigen Umständen sich so viel zutraute , daß nun sein Wunsch ihm nicht mehr fehlschlagen könne . D 5 Und ob er sich gleich seinem Wirt nicht ganz entdeckte , so schien dieser doch gar nicht mehr daran zu zweifeln , daß er nun in Gotha bleiben , und seine theatralische Laufbahn hier antreten würde . Voller Zutrauen zu sich selbst und seinem Schicksale , brachte nun Reiser in der Gesellschaft des alten Hauptmanns , des Hoflaquaien und seines Wirts den Mittag höchst angenehm zu ; und voll von schimmernden Aussichten , worin ihn alles bestärkte , überschritt er durch dies Mittagsessen zum erstenmal im Tanmel der Freude , den Bestand seiner Kasse , und dünkte sich nun dadurch um desto fester an diesen Ort und an die hartnäckigste Verfolgung seines Plans gebunden . Er machte nun fast täglich bei Eckhof seinen Besuch , und dieser riet ihn , fürs erste die Proben im Schauspielhause fleißig zu besuchen , welches Reiser tat , und den alten Eckhof hier ganz in seinem Elemente sah , wie er auf jede Kleinigkeit aufmerksam war , und auch den ersten Schauspielern noch manche Erinnerung gab . Auch wurde Reisern erlaubt , die Komödie un entgeldlich zu besuchen , wo das erstemal ein gewisser Bindrim mit dem Vater in der Zaire debütierte . Weil nun dieser keinen besonderen Beifall fand , und Reiser in sich fühlte , wie bei den meisten Stellen der Ausdruck hätte ganz anders sein müssen , so spornte ihn dies noch mehr an , nun selber so bald wie möglich in einer Debütrolle den Schauplatz zu betreten , und er lag Eckhof dringend an , daß in einem der nächstaufzuführenden Stücke ihm eine Rolle möchte zugeteilt werden . Und da das nächstemal die Poeten nach der Mode aufgeführt wurden , so tat Reiser den Vorschlag die Rolle des Dunkel zu übernehmen , welches ihm Eckhof aber aus dem Grunde widerriet , weil er selbst diese Rolle spiele , und es für einen angehenden Schauspieler nicht ratsam sei , sich gerade in einer Rolle zuerst zu zeigen , die man schon von einem alten geübten Schauspieler zu sehen gewohnt wäre . So verschob sich nun sein Debüt von einem Spieltage bis zum anderen , während daß seine Hoffnung dazu immer genährt wurde , und auf dieser Entscheidung nun sein ganzes Schicksal beruhte . Bei Eckhof holte sich nun Reiser immer Trost und neue Hoffnung , so oft er anfing verzagt zu werden ; denn daß dieser sich gerne mit ihm unterhielt , flößte ihm wieder Selbstzutrauen und neuen Mut ein . Demungeachtet aber waren auch ein paar Äußerungen von Eckhof äußerst niederschlagend für ihn ; denn als einmal von seinem Engagement die Rede war , und Reiser sich auf einen jungen Menschen berief , der in den Poeten nach der Mode die Rolle des Reimreich gespielt hatte , so sagte Eckhof , man habe diesen vorzüglich seiner Jugend wegen angenommen , und schien dadurch zu verstehen zu geben , daß dieser Beweggrund bei Reisern nicht mehr statt finde ; der damals doch auch erst neunzehn Jahr alt war , aber wie es schien , von jedermann für weit älter gehalten wurde ; so daß bei dem Verlust aller Freuden der Jugend , auch nicht einmal der Anschein der Jugend ihm geblieben war . Und ein andermal , als von Goten gesprochen wurde , sagte Eckhof , er sei ungefähr von Reisers Statur , aber gut physionomirt , welches aber allein schon den Schauspieler in Reisern ganz vernichtet haben würde , wenn nicht Eckhof gleich darauf zufälliger Weise ihm wieder etwas Aufmunterndes gesagt hätte , indem er ihn fragte , ob er außer dem Prolog sonst nichts gedichtet habe ? welches Reiser bejahte , und sobald er zu Hause kam , seine Verse , die er auswendig wußte , niederschrieb , um sie Eckhof zu überbringen . Er brachte wohl ein paar Tage mit dieser Arbeit zu , und sein Wirt geriet auf den Gedanken , daß Reiser ein dramatisches Werk für die Schaubühne verfertigte . -- Dies ließ er sich auf keine Weise ausreden , und wünschte Reisern schon im voraus Glück zu der glänzenden Laufbahn , die er nun betreten würde . Als Eckhof die Gedichte gelesen hatte , bezeigte er Reisern seinen Beifall darüber , und sagte , er wolle sie auch dem Bibliothekaries Reichardt zu lesen geben . Dies war für Reisern eine Aufmunterung ohne Gleichen , weil er sich immer noch an Eckhofs ersten Ausspruch erinnerte , wie nahe der Schauspieler und der Dichter aneinander grenzten . Er zweifelte nun nicht , daß diese Gedichte ihm seinen Weg zum Theater noch mehr bahnen , und ihn bald seinem Ziele näher bringen würden . Dazu kam noch , daß der Schauspieler Großmann , welcher sich damals in Gotha aufhielt , und Reisern , einmal auf der Straße begegnete , ihm neuen Mut zusprach , indem er den Grund anführte , daß man ihn gewiß nicht würde solange aufgehalten haben , wenn man nicht gesonnen sei , ihn , vielleicht ohne Debüt , für das Theater zu engagieren ; denn es war nun schon in die dritte Woche , daß Reiser sich hier aufhielt . Diese tröstenden Worte und die freundliche Anrede von Großmann waren damals ein wahrer Balsam für Reisern , der bei dem Schlosse , wo gebaut wurde , einsam auf und nieder ging , und gerade mit finsterem Unmut über sein noch ungewisses Schicksal nachdachte . Reiser ging nun mit guter Hoffnung zu Hause , und brachte den Tag bei seinem Wirt noch sehr vergnügt zu . Am anderen Morgen ging er in die Probe , und man führte den Tag gerade die Operette , der Deserteur , auf , worin ein fremder Schauspieler , Namens Neuhaus , den Deserteur , und dessen Frau die Lilla spielte . Eckhof bewies sich bei der Probe besonders geschäftig , und Reiser stand hinter den Kulissen , und sah mit Vergnügen zu , wie durch Anstrengung und Aufmerksamkeit eines jeden Einzelnen das schöne Werk entstand , das am Abend die Zuschauer vergnügen sollte . Er dachte sich lebhaft die Nähe in der er sich nun bei diesen reizenden Beschäftigungen fand , und daß auf eben diesem Schauplatze mit seinem Spiele sich auch zugleich sein Schicksal entscheiden , und seine Existenz auf diesem Fleck sich entwickeln würde . -- Denn auf diesen engumschränkten Schauplatz waren nun nach der weiten Reise alle seine Wünsche beschränkt ; hier sah er sich , hier fand er sich wieder -- Hier schloß die Zukunft ihren ganzen reichen Schatz von goldenen Phantasien für ihn auf , und ließ ihn in eine schöne und immer schönere Ferne blicken -- -- So hatte er schon oft zwischen den Kulissen in Gedanken vertieft gestanden , und stand auch diesmal wieder so , als er auf einmal den Bibliothekaries Reichardt auf sich zukommen sah , von dem er schon seit einigen Tagen eine entscheidende Antwort erwartet hatte . Die Miene desselben verkündigte schon nichts Gutes , und er redete Reisern mit den trockenen Worten an , es täte ihm leid , ihm sagen zu müssen , daß aus seinem Engagement beim Theater nichts werden , und daß er auch zur Debütrolle nicht kommen könne -- Mit diesen Worten gab er Reisern die geschriebenen Gedichte zurück , indem er gleichsam zum Trost hinzufügte , es herrsche eine leichte Versifikation darin , und er solle dies Talent ja nicht vernachlässigen . Reiser der an Leib und Seele gelähmt war , konnte kein Wort hierauf antworten , sondern ging hin , wo das Theater mit seinem letzten Vorhange ganz am Ende an die kahle Mauer grenzt , und stützte sich verzweiflungsvoll mit dem Kopfe an die Wand . Denn er war nun wirklich unglücklich , und doppelt unglücklich -- Der Der eingebildete und der wirkliche Mangel traten in fürchterlicher Eintracht zusammen , um sein Gemüt mit Schrecken und Grauen vor der Zukunft zu erfüllen . Er sah nun keinen Ausweg aus diesem Labyrinthe , in welches seine eigene Torheit ihn geleitet hatte -- hier war nun die kahle öde Mauer , das täuschende Schauspiel war zu Ende . Er eilte vors Tor hinaus , und ging in der Allee , wo er sich schon oft mit den angenehmsten Vorstellungen beschäftiget hatte , verzweiflungsvoll auf und nieder ; die Menschen gingen kalt vor ihm vorbei ; niemand wußte , daß er in diesem Augenblick die einzige Hoffnung seines Lebens verloren hatte , und einer der verlassensten Menschen war . Und sonderbar war es , daß gerade in diesem verlassensten Zustande , sich ein unbekanntes Gefühl von Liebebedürfnis in ihm regte , da seine Verzweiflung in Mitleid mit seinem eigenen Zustande sich verwandelte , und ihm nun ein Wesen fehlte , das dieses Mitleid mit ihm haben könnte . 4ter Teil . E Er getraute sich den Mittag nicht , zu Hause zu gehen , sondern aß nicht , und kehrte erst den Nachmittag wieder zurück -- und am Abend ging er in die Komödie , wo nun die Operette , der Deserteur aufgeführt wurde , die ihm den Tod seiner Hoffnungen bezeichnete . Nie aber in seinem Leben ist seine Teilnahme an einem fremden Schicksale stärker gewesen , als sie es gerade diesen Abend an dem Schicksale der Liebenden war , welche durch den drohenden Todesstreich getrennt werden sollten . Es traf bei ihm zu , was Homer von den Mädchen sagt , die um den erschlagenen Patroklius weinten , sie beweinten zugleich ihr eigenes Schicksal . Selbst die Musik rührte ihn bis zu Tränen , und jeder Ausdruck erschütterte sein Innerstes . Am stärksten aber fühlte er sich durch die Szene bewegt , wo der Deserteur , der schon sein Todesurteil weiß , im Gefängnis an seine Geliebte schreiben will , und sein betrunkener Kamerad ihm keine Ruhe läßt , weil er ihn ein Wort soll Buchstabieren lehren . Reiser fühlte es hier tief , wie wenig ein Mensch den anderen Menschen ist , wie wenig den anderen an seinem Schicksal liegt ; und sein Freund mit der Hutkokarde stand wieder vor seiner Seele da . Weswegen putzte aber jener seine Hutkokarde , als um seinem Mädchen , der Einzigen zu gefallen , die damals seine Göttin war , in der er sich wiederfinden , und wieder von ihr geliebt sein wollte . Das Schauspiel endigte sich froh , die Unglücklichen wurden getröstet , das Weinen verwandelte sich in Lachen , das Trauern in Fröhlichkeit -- aber betrübt und mit schwerem Herzen ging Reiser in seine Wohnung -- vor ihm war alles dunkel , und er sah nun keinen Strahl von Hoffnung mehr . Als er zu Hause kam , legte er sich sogleich zu Bette -- seine Sinne waren stumpf -- seine Gedanken wußten keinen Ausweg mehr zu finden -- und der Schlaf war das einzige , was ihm übrig blieb -- Es war ihm , als ob er aus diesem Schlafe nicht wieder erwachen würde -- denn alle Lebensaussichten waren ihm abgeschnitten , und er hatte keine Hoffnung mehr , wozu er erwachen sollte , E 2 Der Gedanke von Auflösung , von gänzlichem Vergessen seiner selbst , von Aufhören aller Erinnerung und alles Bewußtseins war ihm so süß , daß er diese Nacht die Wohltat des Schlafes im reichsten Maße genoß -- denn kein leiser Wunsch hemmte mehr die gänzliche Abspannung aller seiner Seelenkräfte ; kein Traum von täuschender Hoffnung schwebte ihm mehr vor -- alles war nun vorbei , und endigte sich in die ewigstille Nacht des Grabes . So wohltätig reicht die Natur den Hoffnungslosen auch schon die Schale dar , aus der er Vergessenheit seiner Leiden trinken , und alle Erinnerungen an irgend etwas , das er wünschte , oder wonach er strebte , aus der Seele verwischt werden sollen . Als Reiser am anderen Morgen spät aus seinem tiefem Schlafe erwachte , fühlte er sich wunderbar an Leib und Seele gestärkt -- er fühlte Kraft in sich , alles zu unternehmen , um auch selbst unter diesen Umständen noch zum Ziel seiner Wünsche zu gelangen . Es stieg ein Gedanke in ihm auf , sich hier um Unterrichtsstunden zu bewerben ; sich durch seinen eigenen Fleiß zu nähren , und auf dem Theater umsonst zu dienen . -- Dieser Entschluß wurde immer lebhafter bei ihm , und er traute seinen Kräften alles zu , sobald er nur wieder einen Schimmer von Hoffnung vor sich sah , sein Ziel zu erreichen . Während dieser Gedanken zog er sich an , und ging zu Eckhof , dem er seinen Entschluß entdeckte , und dessen Rat er sich ausbat , indem er versicherte , daß er für sich selbst leben könne , ohne doch von der Art , wie er zu leben dächte , sich etwas merken zu lassen . Eckhof lobte und billigte seine Standhaftigkeit , und sagte ihm , er zweifle nicht , daß dies Anerbieten werde angenommen werden . Der Bibliothekaries Reichardt , welchem Reiser eben diesen Entschluß bekannt machte , versprach , ihm den anderen Tag Bescheid darauf zu geben . Und nun kehrte Reiser voll neuer Hoffnung wieder zu Hause -- sein ganzes Beginnen kam ihm nun selber noch ehrenvoller vor , weil er mit der Kunst zugleich den Fleiß in nützlichen Geschäften und nährendem Erwerbe verband -- E 3 und alle seine übrigen Stunden der Kunst zum Opfer brachte . Er aß nun diesen Mittag wieder voll Zutrauen bei seinem Wirt -- und fühlte in sich einen unwiderstehlichen Mut , der Kunst zu Liebe , das Härteste im Leben zu ertragen , sich auf die notwendigsten Bedürfnisse einzuschränken , und Tag und Nacht nicht zu ruhen , um sich in der Kunst zu üben , und zugleich seine Unterrichtsstunden gehörig abzuwarten . Mit diesen Entschlüssen , die ihm einem recht heroischen Mut einflößten , kam er am anderen Morgen wieder zu Reichardt , und hörte nun sein Endurteil , daß man sich auch auf sein Anerbieten , umsonst auf dem Theater zu dienen , nicht einlassen könne , und jetzt schlechterdings kein neues Engagement bei diesem Theater mehr statt finden solle . -- Wenn Reiser einige Wochen eher gekommen wäre , so hätte sich etwas für ihn tun lassen , nun aber sei alles vergeblich . -- Diese ganz unerwartete zweite abschlägliche Antwort versetzte Reisern in eine Art von innerer Erbitterung -- er fing in diesem Augenblicke an , sich selbst zu hassen , und zu verachten , und fragte : ob er denn nicht etwa Souffleur , oder Rollenschreiber , oder Lichtputzer beim Theater werden könne ? -- Reichardt antwortete : es täte ihm Leid , da Reiser so viel Feuer fürs Theater verriete , daß sein Unternehmen ihm hier mißlungen wäre , indes würde es ihm vielleicht anderwärts gelingen . Reiser ging nun in tiefen Gedanken von Reichard weg , und ging bei dem Bau am Schlosse auf und nieder , wo einige in Schiebkarren Steine zuführten , andere sie ordneten . -- Er stand wohl an eine Stunde da , und sah immer dieser Arbeit zu -- dabei entstand eine sonderbare Begierde in ihm , sein gutes Kleid auszuziehen , und mit den übrigen Tagelöhnern auch Steine zu diesem Bau auf den Schiebkarren herbei zu führen . Es war schon gegen Mittag , und die Sonne schien immer heißer . -- Die Hände der Arbeiter wurden laß -- sie ruhten sich aus , und verzehrten auf der Erde ihr Mittagsmahl . -- Reiser gab sich mit dem einen ins Wort , und fragte ihn , wie viel sein Tagelohn betrüge . Es war eine Anzahl Groschen , die Reiser nicht mehr in E 4 seinem Vermögen hatte ; und das Geld konnte in einem Tage verdient werden . Der Entschluß , um diesen Tagelohn zu arbeiten , war in dem Augenblicke bei Reisern schon so gewiß , daß er innerlich lachen mußte , daß der Arbeiter , während er mit ihm sprach , die Mütze vor ihm abnahm , und nicht wußte , daß sie vielleicht Morgen Kameraden sein würden . Das einzige , was seine Erbitterung , und Selbsthaß und Selbstverachtung milderen konnte , war dieser Entschluß , worin er sich selbst wieder ehrte . Denn nun wollte er seinen wahren Zustand seinem Wirt entdecken , seinen Degen , sein Kleid ihm für die Bezahlung lassen , und dann beim Schloßbau Steine zuführen . Während nun dies in seinen Gedanken vorging , glaubte er selbst , es sei sein wahrer Ernst , und wußte nicht , daß seine Einbildungskraft ihn wieder täuschte , und daß er schon wieder in Gedanken eine Rolle spielte . Denn als Handlanger beim Schloßbau war er nun das Niedrigste , was er nur sein konnte ; diese selbst gewählte freiwillige Niedrigkeit hatte einen außerordentlichen Reiz für ihn -- er lebte nun wie die übrigen von seinem Stande , ging des Sonntags fleißig in die Kirche , und war ein stiller religiöser Mensch -- in einsamen Stunden ergötzte er sich denn mit Shakespeare und Homer , und hatte dasjenige reelle Leben in sich , was er nicht außer sich haben konnte . Besonders rührend war ihm bei dergleichen Vorstellungen immer der Gedanke , daß er am Sonntage fleißig in die Kirche gehen , und dem Prediger recht aufmerksam zuhören würde . -- Denn hierdurch vernichtete er gleichsam sich selbst , weil er alles , was auch der schlechteste Prediger ihm sagen würde , doch für sich noch sehr lehrreich hielt , und nicht klüger als der einfältigste Mensch sein wollte . Er dachte sich nun wieder in dem Zustande , worin er als Hutmacherbursch gewesen war , wo er den Prediger , der ihm gefiel , wie ein Wesen höherer Art , und selbst die Chorschüler auf der Straße mit Ehrfurcht betrachtete . Vom Theater durfte er in diesem Zustande kaum einen Begriff haben -- und doch war es ihm wieder , als ob eben dieser Zustand auf eine wunderbare E 5 Weise ihn seinem ersten Wünsche vielleicht wieder näher bringen könnte . Ehe er sich nun aber um die Stelle eines Tagelöhners bei dem Bau am Schlosse wirklich bewarb , konnte er doch nicht unterlassen , noch einmal zu Eckhof zu gehen , um ihm Lebewohl zu sagen , und ihm zugleich zu erzählen , daß auch seine letzte Hoffnung gescheitert sei . Er konnte diese Erzählung nicht ohne Beklemmung und Rührung vorbringen , weil er sich seinen ganzen nunmehrigen Zustand , und also weit mehr dabei dachte , als er sagte . -- Der gute Eckhof redete ihm zu : er solle den Mut nicht sinken lassen ; drei Meilen von hier in Eisenach sei jetzt die Barzantische Truppe ; es würde ihm nicht fehlen , bei dieser Truppe angenommen zu werden ; er solle sich bei derselben nur erst eine Weile zu üben suchen , und dann wieder nach Gotha kommen , wo vielleicht günstigere Umstände sich für ihn ereignen , und seine Aufnahme desto leichter sein würde , wenn er schon eine Zeitlang bei einer Truppe gestanden hätte , -- er könne dies ja leicht versuchen , und den Weg von Gotha bis Eisenach auf der Chaussee wie einen Spaziergang machen . Mit dieser Anrede von Eckhof war auf einmal das ganze Projekt mit dem Steine zuführen , und dem Arbeiten ums Tagelohn aus Reisers Gedanken verschwunden . -- Denn das Ziel , wohin er doch am Ende wollte , sah er auf einmal wieder nahe vor sich , und alle Bedenklichkeiten hörten auf , da er sich den Weg von Gotha nach Eisenach wie einen Spaziergang dachte , wodurch er gar keine Untreue an seinem Wirt beging , dem er von Eisenach als Schauspieler , doch eher und leichter , wie von seiner Tagelöhnerarbeit bezahlen konnte . Er ging also , da es hoch Mittag war , aus Eckhofs Hause , so wie er war , und ohne sich umzusehen , gerade auf Eisenach zu . Und dieser Weg wurde ihm nun auch wirklich so leicht , wie ein Spaziergang . Denn alle die erstorbenen Hoffnungen waren nun auf einmal in seiner Seele wieder erneuert , und machten einen lebhaften und angenehmen Kontrast gegen die melancholischen Ideen , womit er sich an diesem Vormittage noch zum Tagelöhner hatte verdingen wollen . Er dachte sich immer nahe bei Gotha , und wie er am anderen Tage zurückkehren , und seinem Wirt eine angenehme Nachricht bringen würde . Dies machte , daß die Schönheiten der Natur ihn wieder ergötzten ; er wandelte mit innigem Vergnügen durch die romantischen Täler zwischen den Bergen hin , und als er die Türme der alten Wartenburg , von der er schon in seiner Kindheit gehört hatte , zuerst erblickte , so umfaßte sein Gemüt die Gegenstände umher mit einer Wärme und Anschließung , die ihm alles doppelt schön machte ; es war ihm , als ob er in einem süßen Traume schwebte , worin , was er ehemals gedacht hatte , eins nach dem anderen sich ihm nun wirklich darstellte . Es war ihm , als ob er allenthalben sein könnte , wo er wollte , da er sich so auf einmal in wenigen Stunden von Gotha nach Eisenach versetzt sah , woran er den Morgen desselbigen Tages noch gar nicht gedacht hatte . Seinen Überrock und andere Sachen , die er sonst bei sich trug , hatte er zu Hause gelassen , und wanderte , in seinem besten Anzuge , mit dem Degen an der Seite , so wie er bei Reichardt und Eckhof seinen Besuch gemacht hatte , in Eisenach ein . Zufälliger Weise steckten seine geschriebenen Gedichte , und der lateinische Anschlagbogen , worauf sein Nahme stand , noch in seiner Rocktasche , der Homer aber , und ein Teil der Wäsche , die er bei sich trug , war samt dem Überrocke zurückgeblieben . Als er in die Stadt kam , schien ihm alles ein frohes und heiteres Ansehen zu haben ; die Menschen schienen gleichsam zur Freude gestimmt zu sein , so daß er mit lauter frohen Ahnungen in den Gasthof trat , wo er die Nacht bleiben wollte , und sich , nachdem er sich kaum niedergesetzt hatte , erkundigte , ob diesen Abend nicht etwa Komödie gespielt würde ? Welch ein Donnerschlag war es für ihn , als man ihm antwortete : Die Barzantische Schauspielergesellschaft sei gerade diesen Morgen nach Mühlhausen abgereist ! -- Also war es nun , als ob ein feindseliges Schicksal ihm immer auf dem Fuße nachfolgte , und ordentlich wie mit Absicht alle seine Hoffnungen vereitelte . Dazu kam nun wieder , daß er nicht nur in der Einbildung , sondern wirklich und doppelt unglücklich war , weil die einzige Hoffnung , seinen Unterhalt zu finden , und zugleich seine Schuld in Gotha zu tilgen , auf seiner Annahme bei der Barzantischen Truppe in Eisenach beruhte , und diese nun gerade an demselben Tage ihren Weg eben dahin genommen hatte , wo er hergekommen war . Sein Zustand brachte ihn der Verzweiflung nahe , und machte , daß er zum erstenmal sich über sein Schicksal wegsetzte , und in eine Art von Vergessenheit seiner selbst geriet , welche ihn dem Anscheine nach froh und aufgeräumt machte -- Dabei war es ihm , als ob er durch diesen gar zu unerwarteten und hämischen Streiche des Schicksals von allen Verbindungen losgesprochen wäre , und sich nun selbst wie ein vernachlässigtes und verworfenes Wesen ansehen dürfe , das in gar keinen Betracht mehr kommt . Er hatte den ganzen Tag nichts genossen , und ließ sich den Abend Bier und Brot , und auf die Nacht ein Bette geben , wo er des sanftesten Schlafes genoß , weil er auf keine Zukunft mehr rechnete , und von keinem einzigen Gedanken an die Zukunft oder an sein eigenes Schicksal mehr gestört wurde , denn nun war er mit seinen Aussichten ganz am Ende . Am anderen Morgen aber fühlte er , daß dieser wohltätige Schlaf aufs neue seine schlummernden Kräfte erweckt hatte -- er fühlte wieder statt der Lähmung einen gewissen Trotz und Erbitterung gegen das Schicksal , wodurch er Mut bekam , noch einmal alles zu dulden , und alles zu wagen , um seinen Endzweck dennoch zu erreichen : er entschloß sich , der Barzantischen Schauspielergesellschaft nachzureisen , und von Eisenach bis Mühlhausen denselben Weg , den er gekommen war , wieder zurückgehn . Nachdem er nun in dem Gasthofe seine Zeche bezahlt hatte , so blieben ihm von seinem ganzen Vermögen noch fünf oder sechs Dreier übrig , womit er auf die Wartenburg stieg , und von da die weite und schöne Gegend vor sich übersah . Der Unteroffizier auf der Wartenburg redete Reisern sehr höflich an , und fragte ihn , ob er nicht die Merkwürdigkeiten besehen wollte ? worauf Reiser erwiderte : er würde den Nachmittag mit einer Gesellschaft wieder kommen , jetzt wolle er sich nur in der Gegend ein wenig umsehen . Er fühlte sich , indem er um sich her blickte , auf diesem Standpunkte , über sein Schicksal erhaben : denn aller Widerwärtigkeiten ungeachtet war er doch bis auf diesen Fleck gekommen , und diesen schönen Moment einer reizenden Aussicht in die umgebende Natur konnte ihm doch niemand rauben . Er sammelte sich gleichsam Stärke zu der Mühe und sorgenvollen Wanderschaft , die er nun aufs neue wieder antreten wollte . Sein Plan , den er sich hierzu entworfen hatte , bestand in nichts Geringerem , als die wenigen Dreier , die ihm noch übrig waren , bloß zu Schlafgeld anzuwenden , und bei Tage sich von den Wurzeln auf dem Felde zu nähren , denn er hatte es auf dem Herweg von Gotha schon einmal versucht , ein paar Wurzeln auf dem dem Felde auszuziehen , die ihm , da er den ganzen Tag nichts genossen hatte , eine sehr angenehme Erquickung gewährten . Hieran hatte er sich hier gleich den Morgen beim Erwachen erinnert , und dies war es vorzüglich , was ihm den Trotz gegen das Schicksal einflößte , von dem er sich nun beinahe ganz unabhängig dachte . Er fing noch an diesem Tage an , seinen Entschluß mit eben dem Selbstgefühl durchzusetzen , womit er auf seiner ersten Wanderung sich auf den bloßen Genuß von Bier und Brot beschränkte , und fühlte sich nun doppelt so unabhängig wie damals ; denn während , daß der Unteroffizier auf der Wartenburg ihn mit der Gesellschaft zurückerwarten mochte , um ihm die Merkwürdigkeiten des Schlosses zu zeigen , verzehrte Reiser schon auf dem Felde sein Mal von rohen Wurzeln , die er sich mit einem alten Einlegemesser , das er noch von seinem Freunde Philipp Reisern besaß , in Scheiben schnitt , und sie mit dem größten Wohlgeschmack verzehrte . Nun war er aber , weil er sich zu lange auf der Wartenburg aufgehalten hatte , kaum erst 4ter Teil . F eine Meile von Eisenach , und ihn überfiel , da er seine Wurzeln verzehrt hatte , eine unwiderstehliche Trägheit , so daß er mitten auf dem Felde einschlief , und erst am Abend bei Sonnenuntergang wieder erwachte . Da er nun nach dem nächsten Dorfe zugehen wollte , so kam er vom rechten Wege ab , und erreichte erst spät einen Gasthof , wo er nichts verzehrte , sondern am anderen Morgen bloß die Streue bezahlte . Von diesem Dorfe aus verirrte er sich am anderen Tage wieder zwischen den Feldern , wo er Wurzeln suchte , die gestrige Trägheit überfiel ihn wieder , die Hitze war drückend , und wo er den Schatten eines Baumes fand , da legte er sich nieder , und sogleich überfiel ihn der Schlaf ; so daß er auf dem Wege von Eisenach bis Gotha , den er auf der Hinreise in wenigen Stunden zurückgelegt hatte , beinahe vier Tage zubrachte . So labyrinthisch wie sein Schicksal war , wurden auch nun seine Wanderungen , er wußte sich aus beiden nicht mehr herauszufinden ; vor Gotha schien sich seine Straße zurückzubiegen , und er mußte doch wieder durch , wenn er seinen Weg nach Mühlhausen fortsetzen wollte ; und weil er nun die gerade Straße scheute , so war es ihm gewissermaßen lieb , wenn er sich verirrte . Sein lateinischer Anschlagbogen half ihn auf diesem Wege zweimal durch ; einmal , da man ihn für eine verdächtige Person hielt , weil er keinen Paß vorzeigen könnte ; und ein andermal , da man einen Paß von ihm verlangte , daß er nicht aus einer Gegend käme , wo damals die Viehseuche herrschte ; er zeigte seinen lateinischen Anschlagbogen vor , und fügte hinzu , daß er ein Student sei , und deswegen einen lateinischen Paß bei sich führe . -- Der Dorfrichter oder Schulze des Orts , welcher sich gegen seine Frau , und die anderen Bauern , das Ansehen geben wollte , als ob er Latein verstände , laß mit einer wichtigen Miene den Anschlagbogen durch , und sagte , es sei recht gut ! Während nun Reiser diese Tage in einer Art von Betäubung , gleichsam wie in der Irre umhergieng , herrschte bloß die Imagination in ihm ; denn da er nun auf dem Felde lebte , so F 2 schien er sich an gar nichts mehr gebunden , und ließ seiner Einbildungskraft den Zügel schießen . Nun war ihm aber sein Schicksal nicht romanhaft genug . Daß er hatte Schauspieler werden wollen , und sein Wunsch ihm mißlungen war , das war eine abgeschmackte Rolle , die er spielte -- er mußte irgend ein Verbrechen begangen haben , das ihn in der Irre umhertrieb ; ein solches Verbrechen dachte er sich nun aus : er stellte sich vor , daß er mit dem jungen Edelmann , den er in H. ... unterrichtete , die Universität in Göttingen bezogen , und von diesem im Trunk zum Zweikampf genötigt worden wäre , wo er sich bloß verteidigt , und jener wütend in seinen Degen gerannt sei , worauf er die Flucht genommen habe , ohne zu wissen , ob jener tot oder lebend sei . Diese von ihm selbst gemachte Erdichtung drängte sich ihm bei seinem Herumirren im Felde , fast wie eine Wahrheit auf , er träumte davon , wenn er einschlief ; er sah seinen Gegner im Blute liegen , er deklamierte laut , wenn er erwachte , und spielte auf die Weise mit seiner Phantasie mitten auf dem Felde zwischen Gotha und Eisenach die Rollen durch , welche man ihm auf dem Theater verweigert hatte . Und dies allein war es , was ihn von der Verzweiflung rettete , denn hätte er sich seinen Zustand völlig so leer und abgeschmackt gedacht , wie er wirklich war , so würde er sich selbst ganz weggeworfen haben , und in Schmach versunken sein . Nun aber wurde ihm das Bitterste erträglich : am zweiten Tage , auf seiner Rückkehr von Eisenach nach Gotha , war es gerade Sonntag , und eine drückende Hitze . Reiser kam vom Felde durch ein Dorf und suchte Schatten , den er nicht anders finden konnte , als auf einem grünen mit Bäumen bepflanzten Platze gerade der Kirche gegenüber . Er ließ sich in einem Bauernhause erst ein Glas Wasser geben ; dann legte er sich unter den Bäumen nieder , während daß in der Kirche gegenüber gesungen wurde ; unter dem Singen schlief er ein , und wachte nicht eher wieder auf , als bis der Prediger aus der Kirche kam , mit dem sein Sohn ging , der auch erst von der Universität zurückgekommen war . Beide gingen auf Reisern zu , und fragten ihn , woher F 3 er käme , und wohin er ginge ? er gab verwirrte Antworten , und gestand endlich , daß er wegen eines Duells , das er in Göttingen gehabt habe , flüchtig sei . Es war ihm selber , als ob ihm dies Geständnis äußerst schwer würde , und der Gedanke an die Unwahrheit der Sache fiel ihm fast gar nicht mehr bei : denn da er einmal bloß in der Ideenwelt lebte , so war ihm ja alles das wirklich , was sich einmal fest in seine Einbildungskraft eingeprägt hatte , ganz aus allen Verhältnissen mit der wirklichen Welt hinausgedrängt , drohte die Scheidewand zwischen Traum und Wahrheit bei ihm den Einsturz . Der Prediger nötigte ihn in sein Haus , und wollte ihn bewirten . -- Reiser aber , gleichsam wie von Angst getrieben , entfernte sich sobald wie möglich wieder . -- Denn er mußte in seinem imaginierten Zustande die Gesellschaft der Menschen fliehen . -- Nahe vor Gotha nötigte ihn wiederum ein Prediger in sein Haus , der sich wohl einen halben Tag lang mit ihm unterhielt , und ihm erzählte , daß vor ein paar Jahren auch so zu Fuße , und wohlgekleidet , ein reisender Gelehre ter hier durchgekommen , der sich lange mit ihm unterhalten , er habe sich den Tag im Kalender bemerkt , und zweifele fast nicht , daß es der Doktor Barth gewesen sei . Nun erzählte dieser Prediger Reisern seine Geschichte , wie er sich erst lange als Hofmeister herumgetrieben , und hier nun endlich in dieser alten Pfarre eine Ruhestätte gefunden habe , wo er dem , was in der Welt vorginge , nur so ganz von ferne zusähe . Reiser erzählte nun dem Prediger auch seine eigene imaginierte unglückliche Geschichte , wobei ihm der Prediger in einem Kaffeeschälchen einige Erfrischungen von eingemachtem Obst vorsetzte ; und ihm dabei Mut zusprach , daß er sein Verbrechen vielleicht noch wieder gut machen könne ; dabei sah er auf die weiße Scheide von dem Degen , welchen Reiser trug , und fragte ihn , ob eine solche Degenscheide denn wirklich das Zeichen der Freimaurer , und ob Reiser nicht in diesem Orden sei ? -- Jemehr dieser es verneinte , desto fester glaubte der Prediger , demungeachtet einen Freimaurer vor sich zu sehen , der sich ihm nur in diesem Punkt nicht entdecken wollte . F 4 Dieser Prediger betrachtete Reisern manchmal vom Kopf bis zu Fuß , und schien sich überhaupt sonderbare Vorstellungen von ihm zu machen . -- Er hielt ihn für einen Menschen , der viel mehr verschwieg , als er sagte , und mit dem er nicht recht wußte , wie er dran war . -- Demungeachtet konnte er nicht unterlassen , immer noch Fragen an ihn zu tun , bis Reiser endlich , da die Sonne sich schon zum Untergange neigte , von ihm Abschied nahm , und der Prediger ihm noch die Ermahnung mit auf den Weg gab , vorzüglich sein Verbrechen durch Reue zu büßen . Durch die lange Unterhaltung mit dem Prediger und durch dessen Ermahnungen war Reisers Imagination noch mehr erhitzt . -- Er kam in der Abenddämmerung in Gotha an , und ging in einer Art von hartnäckiger Betäubung und Fühllosigkeit , dicht vor dem goldenen Kreuze vorbei , wo er logiert hatte , aus dem Tore wieder heraus , in welches er das erstemal nach Gotha gekommen war , und nahm wieder den Weg auf Erfurt zu , um dann von da nach Mühlhausen zu gehen , und endlich die Barzantische Schauspielergesellschaft zu erreichen . Denn als er nur erst wieder durch Gotha war ; verschwand auch allmählich die imaginierte Geschichte , die ihn drei Tage vor Gotha in der Irre herumgetrieben hatte , die erste Aussicht öffnete sich noch einmal wieder ; Gotha lag wieder hinter ihm , und war wieder der Mittelpunkt seiner Bestrebungen ; so wie von Eisenach , hoffte er auch von Mühlhausen , und zwar mit besserem Glück , dorthin zurückzukehren . Nun war es aber schon dunkel , ehe er ein Dorf erreichen konnte , und er verirrte sich , und ging beinahe eine Meile um , indes kam er zuletzt doch wieder auf die rechte Straße , und langte in demselben Gasthofe an , wo er auf seiner Hinreise von Erfurt nach Gotha , eine der widerwärtigsten Nächte , in der Gesellschaft von den groben Fuhrleuten zugebracht hatte , deren Quam ihm noch in frischem Andenken war . In diesem Gasthofe fand er noch alles lebhaft , und einen Handwerksburschen unter den Bauern auf dem Flur sitzend , denen er seine Reisen in Kursachsen erzählte . Gerade als F 5 Reiser in den Gasthof kam , trat der Wirt herzu , und gebot dem Erzähler Stillschweigen , weil es schon spät in die Nacht , und Zeit sei , sich schlafen zu legen . Der Handwerksbursch und die Bauern legten sich nun auf die Streue , die schon zubereitet war , und worauf auch Reiser Platz nahm . -- Der Handwerksbursch konnte sich über die Grobheit des Wirts gar nicht zufrieden geben , und gar nicht darüber einschlafen , indem er unzähligemal versicherte , das ihm in ganz Kursachsen noch keine solche Grobheit von irgend einem Wirt widerfahren sei . Als Reiser nun hier am anderen Morgen seinen Dreier Schlafgeld bezahlt hatte , war sein Vermögen bis auf neun Pfennige geschmolzen ; und nun fing er an , auf einmal sich so erschöpft zu fühlen , da rohe Wurzeln schon seit mehreren Tagen seine einzige Kost gewesen waren , daß der Gedanke an eine Meile , die er gehen sollte , ihn mit Schrecken erfüllte ; denn er fühlte sich diesen Morgen wie gelähmt , und der Raum zwischen Mühlhausen und hier kam ihm wie eine furchtbare Wüste vor , durch die er ohne einen Labetrunk und ohne Stärkung reisen sollte . Der Handwerksbursch , der den Abend vorher von seinen Reisen in Kursachsen bis in die späte Nacht erzählt hatte , machte sich nun auf den Weg nach Erfurt , und fragte Reisern ob er auch des Weges ginge ? dieser bejahte es , und sie wanderten in einem nicht übereilten Schritt mit einander fort . Der Handwerksbursch , welcher ein Buchbindergeselle und schon ziemlich betagt war , fragte Reisern nach seiner Profession , und dieser antwortete : er sei ein Schuhknecht , und fand ordentlich eine Art von Würde darin , indem er sich einen Schuhknecht nannte ; denn als ein solcher war er doch etwas , als einer der ein bloßes Blendwerk seiner Phantasie verfolgte , war er nichts . Der Buchbindergeselle schien seiner Erzählung nach schon seit vielen Jahren , aus dem Reisen ein eigenes Geschäft gemacht zu haben , und war gegen seinen Gefährten mit seinen Erfahrungen nicht zurückhaltend , indem er ihn unterrichtete , wie man , besonders im Sommer und in der Obstzeit , mit einem halben Gulden sehr weite Touren machen könne , ohne doch dabei Not zu leiden . Obst , meinte er , würde einem nirgends versagt , und Brot auch nicht leicht , auf die Weise brauche man des Tages oft nur wenige Pfennige zu verzehren . -- So sei er schon mehrmals ganz Kursachsen durchgereist , und habe sich wohl dabei befunden ; kurz er hielt Reisern würdig , in seinen Orden initiiert zu werden , dessen Vorzüge und Annehmlichkeiten er ihm auf die reizendste Art beschrieb , weil es ein Leben voll immerwährender Veränderung und Unabhängigkeit war . -- Reiser aber fühlte seine Knie wanken , und seine Müdigkeit nahm so sehr bei jedem Schritte zu , daß er in diesem Augenblick , das einförmigste und abhängigste Leben sich gerne hätte gefallen lassen , wenn sich ein ruhiger Aufenthalt ihm dargeboten hätte . Sein Gefährte schien seinen Kummer zu merken , und suchte ihm Mut und Trost einzusprechen , als sie schon nahe vor Erfurt an einen kühlen und klaren Quell kamen , der dem Buch Bindergesellen schon bekannt war , und wo sie bei der drückenden Hitze beide ihren Durst löschten . Nicht leicht kann diese wohltätige Quelle , die den Einwohnern von Erfurt wohl bekannt ist , für einen Wanderer erquickender gewesen sein , als sie es für Reisern war , der sich ganz erschöpft daran niederwarf , und den Labetrunk , den er oft von Menschen kaum zu fordern wagte , nun unmittelbar , aus dem Schatz der Natur empfing . -- Und dann erhielt so etwas für Reisern einen doppelten Wert , weil er das Poetische mit hinzutrug , das nun bei ihm wirklich wurde , und wovon man sagen könnte , daß es die einzige Schadloshaltung für die notwendigen Folgen seiner Torheit war , für die er selbst nicht konnte , weil sie nach natürlichen Gesetzen in sein Schicksal von Kindheit auf sich notwendig einflechten mußte . -- Als nun die alten Türme von Erfurt wieder aus dem Tale emporstiegen , und Reiser nun hoffnungslos dahin zurückwanderte , wo er noch vor kurzem mit dem jugendlichen Schim mehr der ersten Hoffnung ausgereist war , so fiel es ihm sonderbar auf , da sein Gefährte der Buchbindergeselle auf einmal zu ihm sagte : er glaube nicht , daß Reiser ein Schuhknecht sei , sondern hielte ihn für einen Studenten , der auf der Universität in Erfurt studieren wolle . Reiser der schon wieder bis zum Hinsinken ermattet war , fühlte sich durch diese zufälligen Worte des Buchbindergesellen wie ins Leben zurückgerufen . Sobald er in dieser Stadt , die so nahe vor ihm lag , studieren und bleiben wollte , war sie das Ende seiner mühseligen Wanderung ; sie war der Endzweck , das Ziel seiner Reise , das er nun so nahe vor sich sah , und wo er noch dazu auf eine ehrenvolle Weise , mit seinem Plane umwechseln konnte . Jemehr seine Müdigkeit zunahm , je reizender und wünschenswerter wurde ihm der Gedanke an den Aufenthalt in dieser weiten Stadt , worin doch auch , wie er dachte , noch wohl ein Plätzchen für ihn sich finden würde . Dieser hoffnungslose traurige Zustand des Umherirrens , worin er sich nun schon seit meh Ren Tagen befand , konnte durch keinen Reiz einer angespannten erhitzten Einbildungskraft mehr übertragen werden , sondern der Gedanke der gänzlichen Hilflosigkeit ermüdete ihn mit jedem Schritte noch mehr , und die Müdigkeit vermehrte wieder den Gedanken der Hilflosigkeit , die vorzüglich aus dem Sinken seines Mutes und aus der Erschöpfung seiner Kräfte entstand . Sie kamen nun in die Stadt , vor einem Bäckerhause vorbei , wo auf dem Laden eine Menge Brote aufgetürmt lagen : Reiser wollte sich eins darunter aussuchen , und als er es kaum berühret hatte , schoß beinahe der ganze Haufen von Broten auf die Straße herunter . -- Die Leute im Hause fingen einen großen Lärm an , und Reiser mußte mit seinem Gefährten sich nur schnell um eine Ecke wenden , um den Schmähungen zu entgehen . So verfolgte Reisern sein widriges Geschick bis aufs äußerste . Sie kehrten nun in einem Gasthofe ein , wo Reiser dem Durst nicht widerstehen konnte und für die letzten neun Pfennige , die er noch übrig hatte , sich Bier geben ließ . Für diesen einen Trunk hatte er also sein Schlafgeld auf noch drei künftige Nächte ausgegeben , und ihm blieb nichts weiter übrig , als ganz unter freiem Himmel zu wohnen . Bei diesem Gedanken war es ihm , als ob er nun mit dem Trunk Bier die Vergessenheit alles Künftigen und Vergangenen trinke , und von allem Kummer auf einmal befreiet werden sollte . Denn nun gab er sich ganz seinem Schicksale hin , und betrachtete sich wieder wie ein fremdes Wesen , für das er nicht mehr denken könnte , weil es unwiederbringlich verloren war ; so schlummerte er ein , und schlief eine Stundelang . Als er erwachte , war es noch eine Stunde vor Mittage , sein Gefährte war weggegangen , und er saß , den Kopf auf die Hand gestützt , in stummer Verzweiflung da , als ein Mann , der gerade gegen ihm über saß , ihn anredete , und sich erkundigte , ob er nicht ein fremder Student sei ? Als dies bejahet wurde , erzählte der Mann , gleichsam , als ob er um Reisers Zustand gewußt hätte ; daß der jetzige Prorektor der Universität , der Abt vom Benediktinerkloster auf dem dem Betersberge ein äußerst menschenfreundlicher Mann sei , der erst vor Kurzem , einem jungen Manne , der auch mit Nichts hierhergekommen sei , sogleich Unterstützung verschafft , und sich seiner auf das menschenfreundlichste angenommen habe . Wenn Reiser diesen Prälaten besuchen wollte , so solle er nur dreist zu ihm gehen ; er würde gewiß eine gütige Aufnahme bei ihm finden . Hierauf kamen andere Leute , mit denen der Mann sich ins Gespräch gab . Reiser aber , den die gänzliche Erschlaffung aller seiner Seelen- und Körperkräfte , und der wohltätige Schlummer , der hiervon eine Folge war , schon wieder etwas gestärkt hatten , fühlte sich auf einmal wieder mit neuer Hoffnung und neuem Mut beseelt , da er sich den Prälaten im Benediktinerkloster auf dem Betersberge dachte . Er machte sich sogleich auf den Weg , und erkundigte sich nach dem Betersberge ; ein junger Student der ihm begegnete ; gab ihm nicht nur höflich Bescheid , sondern begleitete ihn sogar eine Strecke , um ihn gehörig zurechtzuweisen . Dies war ihm ein gutes Omen . Er 4ter Teil . G stieg den befestigten Petersberg hinauf , und die Wachen ließen ihn ungehindert durch . -- Er kam in der Wohnung des Prälaten an , dessen Bedienter ihn mit einem freundlichen Gesicht empfing , und sobald er sagte , daß er ein Student sei , ihn sogleich bei dem Prälaten zu melden versprach . -- Er wurde eine Treppe hoch in einen großen Saal geführt , in welchem Gemälde hingen , unter denen das eine den Petrus vorstellte , wie er sich in des Hohepriesters Hause am Feuer wärmt . -- Indem Reisers Blicke noch auf dies Gemälde geheftet waren , trat der Prälat in seiner schwarzen Ordenskleidung mit dem Brevier in der Hand heraus , und Reiser richtete eine kurze lateinische Anrede an ihn , die er sich beim Hinaufsteigen auf den Petersberg ausgedacht hatte , und deren Inhalt war , daß er vom widrigen Glück umhergetrieben , nach Erfurt gekommen sei , und hier einige Unterstützung zu finden hoffte , um auf irgend eine Weise sein angefangenes Studium hier fortzusetzen . Der Prälat fragte ihn mit großer Leutseligkeit wieder in lateinischer Sprache , ob er katholisch sei oder sich zur Augsburgischen Konfession bekenne , und als Reiser das letztere bejahte , so antwortete ihm der Prälat fast mit seinen eigenen Worten wieder : es täte ihm zwar leid , daß Reiser vom widrigen Glück umhergetrieben sei , doch sähe er noch kein Mittel , wie er gerade auf dieser Universität Unterstützung finden würde ? Indes wolle er ihm die Hoffnung nicht dazu benehmen . Hierauf fragte er nach Reisers Geburtsort , und da dieser Hannover nannte , so fuhr der Prälat fort : er gäbe ihm den Rat sich an den Doktor Froriep zu wenden , weil dieser gewissermaßen sein Landsmann sei . Bei dem möchte er sich also melden , und dann wieder zu ihm kommen . Mit diesen Worten drückte er Reisern ein Stück Silbergeld in die Hand , und fügte hinzu : er möchte mit diesem kleinen Mittagsmahl vorlieb nehmen . Wenn ja etwas den Mut des Zerschlagenen wieder aufrichten , und den völlig Gesunkenen von der Verzweiflung retten kann , so ist es die Mine und der Ton , womit der Prälat Gün G 2 tere damals Reisers Bitte beantwortete , und ihm seinen Rat erteilte . Von dieser Behandlung beinahe bis zu Tränen gerührt , eilte Reiser fort , und glaubte zu träumen , da er wieder draußen vor der Türe stand , sein Stück Geld besah und sich auf einmal wieder im Besitz von einem halben Gulden sah ; da es ihm kurz vorher noch an einem Dreier für ein Nachtlager fehlte . -- Dieser halbe Gulden dünkte ihm jetzt ein unschätzbarer Reichtum , und war es auch wirklich für ihn , weil er ihm wieder den Mut einflößte , woran sein ganzes Schicksal hing . Er ging nun nach einem Speisehause , und genoß zum erstenmal wieder warmes Essen . Gleich nach Tische aber erkundigte er sich nach der Kaufmannskirche , bei welcher der Doktor Froriep wohnte . Er traf ihn gerade , da er eben um zwei Uhr des Nachmittags ein Kollegium lesen wollte , und redete ihn auf eine ähnliche Weise , wie den Abt Günther , lateinisch an . Da der Doktor Froriep von Reisern hörte , daß er aus Hannover sei , nahm er ihn außerordentlich freundlich auf , und führte ihn mit sich in seinen Hörsaal , wo die Studenten schon mit den Hüten auf den Köpfen saßen , welches für Reisern ein ganz ungewohnter Anblick war ; um so vielmehr , da er merkte , daß man sich über ihn aufhielt , weil er nicht auch bedeckt blieb . Er sah sich also nun auf einmal in Erfurt , in dem Hörsaale eines Professors , mitten unter Studenten sitzen , da er am Morgen eben dieses Tages noch weiter nichts als das offene Feld , das er durchwanderte , zu seinem Aufenthalt vor sich sah . Der Doktor Froriep las Kirchengeschichte , wobei auch manche lustige Anekdote mit unterlief , die das Auditorium aufmunterte , und von den Musensöhnen oft mit einem schallenden Gelächter begleitet wurde . Dies alles war Reisern noch wie ein Traum . Er erinnerte sich an die Jahre seiner Kindheit , wo ihm der Hörsaal der Schule schon heilig war , und jetzt fand er sich auf einmal in einem akademischen Hörsaale , über dem nun nichts Höheres mehr war . Als das Kollegium zu Ende war , nahm der Doktor Froriep Reisern mit sich auf seine Stube , und fragte ihn um seine Geschichte . G 3 der er nun die neue Wendung gab , daß er sich in Hannover durch eine Schrift , die übel ausgedeutet sei , den Haß eines vornehmen Mannes zugezogen , und von dort habe weggehen müssen . -- Da er nun weiter keine Aussicht gehabt , so sei er auf die Gedanken gekommen sich dem Theater zu widmen , nach reiflicher Überlegung aber habe er diesen Entschluß fahren lassen , weil er wohl einsehe , daß er sich auf immer für die Zukunft durch diesen Schritt schaden würde ; und darum habe er nun gedacht , sich in Erfurt aufs neue dem Studieren zu widmen . Nun war es merkwürdig , wie Reiser diese Lüge , die er sich während dem Kollegium des Doktor Frorieps ausgedacht , sich selbst , ehe er sie sagte , in Wahrheit zu verwandeln suchte , und wie jesuitisch er dabei sich selber täuschte . Er suchte sich nämlich in seinen Gedanken zu überzeugen , daß er nun wirklich die Torheit seines Unternehmens vollkommen einsehe , und daß er nun ganz freiwillig seinen Entschluß geändert habe , und fest bei diesem Vorsatz bleiben würde , wenn sich ihm auch gleich jetzt die beste Gelegenheit , den Schauplatz zu betreten von selbst darböte . Und was die erste Hälfte seiner Lüge anbetraf , so suchte er sich einzubilden , daß in seiner Rede , die er an der Königin Geburtstage gehalten , wirklich einige verfängliche Stellen wären , die wohl jemand zu seinem Nachteil ausgedeutet haben könnte . Ob dies nun wirklich geschehen sei , das berührte er nun nicht weiter , sondern beruhigte sich diesmal bei der Möglichkeit , weil er sich nicht anders zu helfen wußte . Denn er durfte nicht sagen , daß er aus Neigung zum Theater aus Hannover gegangen sei , wenn sein Trieb zum Studieren wahrscheinlich bleiben sollte , und die Duellgeschichte paßte hier auch nicht her . Der Doktor Froriep schien ihm zwar nicht recht zu glauben , allein er faßte eine höhere Idee von Reisern , als dieser erwarten konnte , lndem er ihn für einen Sohn angesehener Eltern hielt , mit denen er sich entzweiet habe , und deren Namen er nur verschwiege . Reiser fand es für sich schmeichelhaft , daß man eine solche Meinung von ihm hegen konnte , die ihm um G 4 desto lieber war , weil sie auf die gefälligste Art seine Lüge zudeckte , indem der Doktor Froriep die Unwahrheit , welche er selbst nicht glaubte , doch am besten entschuldigte . Und was nun kam , war über alle seine Erwartung . -- Der Doktor Froriep redete ihm zu , er möchte nur gutes Mutes sein ; er wolle fürs erste Tisch und Wohnung für ihn besorgen . Reiser der am Morgen eben dieses Tages sich noch von aller Welt verlassen sah , traute den tröstenden Worten kaum , die er jetzt vernahm , und glaubte in dem Doktor Froriep in dem Augenblick seinen Schutzengel vor sich zu sehen . -- Dieser schrieb ihm nun ein paar Zeilen , womit er am anderen Morgen wieder zu dem Abt Günther gehen sollte , der ihn auf Frorieps Bitte , umsonst als Student immatrikulieren würde . Ein so glücklicher Wechsel des Schicksals versetzte Reisern in einen Zustand , der ihn aller seiner Widerwärtigkeiten vergessen machte , so daß ihn seine Wanderung auf das Ungewisse gar nicht mehr gereute , da sie ihn einen solchen Zeitpunkt erleben ließ , von dem sich wohl nie mand eine vollkommene Vorstellung machen kann , der nicht auch einmal in seinem Leben von aller Hilfe entblößt , und an Körper und Seele gelähmt ohne Aussicht und ohne Hoffnung war . In der Freude seines Herzens eilte er in den Gasthof , wo er die Nacht bleiben wollte , ließ sich Papier holen , und fing an , seine eigenen Gedichte , die er auswendig wußte , nacheinander wieder aufzuschreiben , um sie am anderen Tage dem Doktor Froriep zu bringen , und sich dadurch einigermaßen seiner Aufmerksamkeit wert zu zeigen . Er schrieb bis in die Nacht , und wurde mit einigen Heften fertig . Am anderen Morgen früh stieg er nun wieder voll ganz anderer Gedanken , als gestern , den Petersberg hinauf ; und der gutmütige Abt Günther freute sich , ihn wieder zu sehen , gewährte ihm gern seine Bitte , und fertigte ihm sogleich die Matrikel aus , wobei er ihm die akademischen Gesetze gedruckt übergab , und deren Befolgung durch einen Handschlag sich angeloben ließ . Diese Matrikel , worauf stand : Universitas perantiqua , die Gesetze , der Handschlag , waren G 5 für Reisern lauter heilige Dinge , und er dachte eine Zeitlang , dies wolle doch weit mehr sagen , als Schauspieler zu sein . Er stand nun wieder in Reihe und Glied , war ein Mitbürger einer Menschenklasse , die sich durch einen höheren Grad von Bildung vor allen übrigen auszuzeichnen streben . Durch seine Matrikel war seine Existenz bestimmt : kurz er betrachtete sich , als er wieder vom Betersberge hinunterstieg , wie ein anderes Wesen . Gegen Mittag zeigte er dem Doktor Froriep die erhaltene Matrikel vor , und brachte ihm zugleich seine Gedichte , die diesmal weit mehr Glück machten , als er erwartet hatte . In Erfurt war nämlich das Studium der schönen Wissenschaften unter den Studenten noch etwas seltenes , und dem Doktor Froriep war es lieb , einen mehr zu haben , der in diesem Fache den anderen einigermaßen zum Beispiel diente . Diese Gedichte bewirkten also , daß Reisers neuer Gönner sich nun noch weit mehr für ihn interessierte , und ihn keine Nacht mehr im Gasthofe ließ , sondern sogleich dem Universitätsquartiermeister , der zugleich Fechtmeister war , den Auftrag gab , ihm ein Logis zu verschaffen . Dieser quartierte ihn dann fürs erste bei einem alten Studiosus Medicinä ein , welcher bei ihm im Hause wohnte , und weil er zugleich die Besorgung des Freitisches für die Studenten hatte , so zog er ihn fürs erste an seinen eigenen Tisch . Bei diesen glücklichen Umständen wurde nun Reiser wieder auf manche Stunde lang , der unglücklichste Mensch von der Welt , weil ihn seine Erziehung , und der Kummer von seinen Schuljahren drückten . Die Idee von den Freitischen , die er als Schüler hatte genießen müssen , lag wie eine Last auf ihm , und er fühlte sich im Grunde weit unglücklicher , wie er nun an den Tisch des Fechtmeisters gehen sollte , als wie er auf dem Felde zwischen Gotha und Eisenach rohe Wurzeln aß . Dies machte , daß er bei den Studenten , welche auch mit ihm bei dem Fechtmeister aßen , für einen timiden und blöden Menschen gehalten wurde ; und da sein Wirt , der mit Studenten nach ihrer Art umging , auch nicht viel Umstände mit ihm machte , so wurde dadurch sein Zustand noch unerträglicher ; er schien sich auf einmal aus der unbegrenzten Freiheit in die niederträchtigste Abhängigkeit wieder versunken zu sein . Ungeachtet seines scheuen Wesens aber war man schonend gegen ihn , und dies hatte er wiederum seinen aufgeschriebenen Gedichten zu danken , wovon der Doktor Froriep zu verschiedenen Leuten gesprochen hatte , und die ihm , ohne daß er selbst es wußte , unter den Studenten in Erfurt schon einen gewissen Namen gemacht hatten , so daß man nun sein sonderbares Wesen auf Rechnung seiner Dichtergabe schrieb . Es fehlte ihm nun gänzlich an Wäsche , und hätte er einiges Zutrauen zu den Menschen gehabt , so hätte er auch jetzt diesen Mangel sehr leicht ersetzen können . Allein es war ihm unmöglich diesen Mangel zu gestehen , der ihm am drückendsten war , und im Grunde seine meiste Traurigkeit verursachte , die er aber immer selbst auf etwas anders schob , worüber er zu trauern gegen sich selbst affektierte , weil ihm der Mangel an Wäsche ein zu kleiner und unpoetischer Gegenstand schien . Der Fechtmeister wies ihm nun ein bleibendes Quartier bei einem Studenten Namens R. . . an , bei dem er auch auf der Stube wohnen mußte , und der sogleich eine Wochenschrift mit ihm gemeinschaftlich herausgeben wollte , weil er sich von Reisers Dichter- und Schriftstellertalent schon große Vorstellungen gemacht hatte . Reiser dachte auch bald einen Plan zu einer Wochenschrift aus , welche sich mit einer Satire auf diese Art Schriften anheben , und die letzte Wochenschrift heißen sollte ; als aber sein neuer Stubengenosse merkte daß er kein Geld bei sich führe , und auch keine sehr bestimmte Aussicht habe , welches zu erhalten , fing er an ziemlich kalt gegen ihn zu werden , und riet ihm fürs erste seinen Degen zu versetzen , welches Reiser tat , und nun auf einmal wieder freundlichere Blicke erhielt . Denn der Hr. N. . . , der ein sehr ordentlicher Mann war , wollte bei ihrer beiderseitigen literarischen Unternehmung nicht gerne Auslagen machen . Sie gingen nun beide hin zu einem Buchdrucker in Erfurt , Namens G. . . und brachten den Plan ihrer neuen Wochenschrift zum Vorschein : Dieser stellte ihnen aber sehr nachdrücklich vor , wie mißlich ein solches Unternehmen , und wie viel sicherer es sei , seine Aufsätze in ein Blatt zu geben , welches schon einmal bekannt und vom Publikum beliebt wäre , wie z. E. die Wochenschrift der Bürger und der Bauer , welche er selbst herausgab , und die von Betteljungen in den Bierhäusern in Erfurt herumgetragen wurde . Das war also eben der Bürger und Bauer , den Reiser auf seiner ersten Wanderung bei dem Jäger nicht weit von Mühlhausen vorgefunden hatte , und zu dessen Mitarbeiter er nun nebst seinem Stubengenossen von dem Verleger und Herausgeber erwählt wurde . Beide mußten nun den Abend bei dem Buchdrucker speisen , und es wurden Rettich und eine Art sehr harter länglicher kleiner Käse , die in Erfurt gewöhnlich sind , aufgetragen , wovon die beiden Mitarbeiter unaufhörlich aßen , während daß die Frau des Buchdruckers manchmal dazu sehr sauer sah . Der erste Aufsatz , den nun der Student R. . . in die Wochenschrift der Bürger und der Bauer lieferte , war eine prosaische Nachahmung von dem Beatus ille des Horaz . Und der erste Aufsatz von Reiser , war sein steifes Gedicht über die Welt , das er schon in Hannover auf der Schule gemacht hatte . Da nun aber für diese Aufsätze weiter kein Honorar erfolgte , und der Plan des Studenten R... durch eine Wochenschrift , die er mit Reisern herausgeben wollte , ein Ansehnliches zu gewinnen , auf die Weise ins Stecken geriet , so hatte auch Reiser weiter kein Interesse mehr für ihn ; welches ihm nicht zu verdenken war , da Reiser wegen seiner Melancholie , die vorzüglich bei ihm aus dem Mangel an Wäsche , und nun auch wieder von dem schlechten Zustande seiner Schuhe entstand , nur ein trauriger Gesellschafter sein konnte . Der Student R... suchte also Reisern nach Verlauf von acht Tagen , die er bei ihm gewohnt hatte , schon wieder in einem anderen Logis unterzubringen . -- Dies war auf der Kirschlache , in der Wohnung eines Brauers , wo noch ein Student logierte , und der Sohn im Hause ebenfalls die Schule besuchte . Hier bekam Reiser nun wiederum kein Zimmer für sich allein , sondern mußte , so wie der andere Student mit der Familie zusammenwohnen . -- Das Haus aber hatte eine angenehme Lage -- es stand in einer Reihe kleiner Häuser , vor denen ein schmales Gewässer vorbeifließt , dessen diesseitiges Ufer mit Bäumen bepflanzt ist . Es war also keine ganz eingeengte Straße , sondern das vorüberfließende Wasser , und selbst die Kleinheit der Häuser trugen dazu bei , dieser Gegend der alten Stadt ein freies ländliches Ansehen zu geben . Hinter dem Hause war gleich die alte Stadtmauer , von welcher man die Aussicht nach dem Kartäuserkloster hatte . Die Mauer war oben zum Teil mit Gras bewachsen , und an verschiedenen Orten halb eingefallen , so daß man bequem hinaufsteigen , und alsdann die große Pläne von Gärten , womit Erfurt noch innerhalb seiner Mauren umgeben ist , übersehen konnte . Während dieser Zeit erhielt nun Reiser auch den ordentlichen Freitisch von der Universität , und die Idee des ruhigen Bleibens behielt nun auf einmal wieder so sehr bei ihm die Oberhand , daß daß er jetzt , da er neunzehn Jahr alt war , an seinen Freund in H. . . . schrieb , er hoffe und wünsche nunmehr den Rest seiner Tage in Erfurt zu beschließen . Seine lernende Laufbahn sollte nämlich hier unmittelbar in die lehrende übergehn , und so sollte daß Ziel aller seiner Wünsche und Hoffnungen dann erreicht sein . -- Auf alles übrige Glänzende glaubte er nun Verzicht getan zu haben , und alle die schimmernden Theaterphantasien schienen auf eine Zeitlang aus seinem Kopfe verschwunden zu sein . Er war nun doch auf einmal in eine neue Welt versetzt , und hatte gegen seinen Aufenthalt in H. . . . immer erstaunlich viel gewonnen . Wenn er auf den Wällen von Erfurt um die Stadt spazieren ging , so fühlte er lebhaft , daß er durch eigene Anstrengung sich aus seinem unehretäglichen Zustande gerissen , und seinen Standpunkt in der Welt aus eigener Kraft verändert hatte . Wenn er dann die Glocken von Erfurt läuten hörte , so wurden allmählich alle seine Erinnerungen an das Vergangene rege -- der gegenwär 4ter Teil . H tige Moment beschränkte sein Dasein nicht -- sondern er faßte alles das wieder mit , was schon entschwunden war . Und dies waren die glücklichsten Momente seines Lebens , wo sein eigenes Dasein erst anfing ihn zu interessieren , weil er es in einem gewissen Zusammenhänge , und nicht einzeln und zerstückt betrachtete . Das Einzelne , Abgerissene und Zerstückte in seinem Dasein , war es immer , was ihm Verdruß und Ekel erweckte . Und dies entstand so oft , als unter dem Druck der Umstände seine Gedanken sich nicht über den gegenwärtigen Moment erheben konnten . -- Dann war alles so unbedeutend , so leer und trocken , und nicht der Mühe des Denkens wert . -- Dieser Zustand ließ ihn immer die Ankunft der Nacht , einen tiefen Schlummer , ein gänzliches Vergessen seiner Selbst wünschen -- ihm kroch die Zeit mit Schneckenschritten , fort -- und er konnte sich nie erklären , warum er in diesem Augenblicke lebte . Im Anfange seines Aufenthalts in Erfurt waren dieser Augenblicke nur wenige -- er übersah das Leben immer mehr im Ganzen -- die Ortsveränderung war noch neu -- seine Einbildungskraft war durch das Emmerwiederkehrende noch nicht gefesselt . -- Dies Emmerwiederkehrende in den sinnlichen Eindrücken scheint es vorzüglich zu sein , was die Menschen im Zaum hält , und sie auf einen kleinen Fleck beschränkt . -- Man fühlt sich nach und nach selbst von der Einförmigkeit des Kreises , in welchem man sich umdreht , unwiderstehlich angezogen , gewinnt das Alte lieb , und flieht das Neue -- Es scheint eine Art von Frevel , aus dieser Umgebung hinauszutreten , die gleichsam zu einem zweiten Körper von uns geworden ist , in welchen der erstere sich gefügt hat . Reisers Wohnung auf der Kirschlache schien auch gerade dazu gemacht zu sein , um seine Einbildungskraft aufs neue wieder zu fesseln . Die Aussicht über die Gärten nach dem Kartäuserkloster hin hatte nämlich so etwas Romantisches , das Reisern unwiderstehlich an H 2 zog , und seine Blicke auf jenen stillen Sitz der Einsamkeit heftete , nach welcher er eine heimliche Sehnsucht empfand . -- Da das Gebäude seiner Phantasie gescheitert war , und er die geräuschvollen Weltscene weder im wirklichen Leben , noch auf dem Theater hatte durchspielen können , so fiel er nun , wie es gemeiniglich zu geschehen pflegt , mit seiner ganzen Empfindung auf das andere Extrem . Ganz von der Welt vergessen , von Menschen abgeschieden , in der stillen Einsamkeit seine Tage zu verleben , hatte einen unaussprechlichen Reiz für ihn -- und diese Abgeschiedenheit erhielt in seinen Gedanken einen desto höheren Wert , je größer das Opfer war , das er brachte . -- Denn das worauf er Verzicht tat , waren seine liebsten Wünsche , die in sein Wesen eingewebt schienen . -- Die Lampen und Kulissen , das glänzende Amphitheater war verschwunden , die einsame Zelle nahm ihn auf . -- Die hohe Mauer welche das Kartäuserkloster umschließt , das Türmchen auf der Kirche , die einzelnen Häuschen , die innerhalb der Mauer in einer Reihe nacheinander stehen , und wovon jedes durch eine Mauer vom anderen abgesondert , ein eigenes Fleckchen zum Garten hat ; dies alles macht einen sehr interessanten Anblick , und diese Höhe der Mauer , diese einzelnen Häuser , und diese Gärtchen dazwischen , bezeichnen sehr auffallend und bedeutend die Einsamkeit und Abgeschiedenheit der Bewohner dieses Orts . So oft die Glocke auf dem Türmchen angezogen wurde , tönte sie in Reisers Ohren , wie die Sterbeglocke aller irdischen Wünsche und Aussichten , in die Zukunft dieses Lebens . -- Denn hier war nun das Ziel von allem -- nie durfte der Fuß des Eingeweihten wieder aus dem Bezirk dieser Mauren treten -- er fand hier seine immerwährende Wohnung , und sein Grab . -- Das Geläute der Kartäuser wird noch mehr durch die Art mit der es geschieht , und durch seine Langsamkeit traurig und melancholisch . -- So wie nämlich die Kartäuser sich auf dem Chor versammeln , tut jeder nach der H 3 Reihe einen Zug an der Glocke , und nimmt darauf seinen Platz ein , bis alle , vom Ältesten bis zum Jüngsten hereingetreten sind . Nun horchte Reiser auf den Schall dieser Glocke zuweilen in der stillen Mittagsstunde , zuweilen um Mitternacht , oder bei frühem Morgen , und jedesmal erneuerte sich der Eindruck davon so lebhaft in seinem Gemüte , daß immer das ganze Bild der Einsamkeit und Stille des Grabes mit erwachte . -- Es kam ihm vor , als ob diese abgeschiedenen Menschen ihren eigenen Tod überlebten , in ihren Gräbern umherwandelten , und sich einander die Hände reichten . -- Mit dieser Idee wurde er nach und nach so vertraut , und sie wurde ihm so lieb , daß er sie manchmal um die angenehmsten Aussichten in das Leben nicht hätte vertauschen mögen . Er hatte nun auch wieder einen Brief von Philipp Reiser aus Hannover erhalten , der eben so , wie ehemals die Gespräche desselben , statt einer besonderen Teilnehmung an seines Freundes Schicksale , eine etwas weitläufige Schilderung seiner damaligen Liebe enthielt , und wie weit er nun schon in dieser Liebe gekommen sei , und was ihm noch für Hindernisse im Wege ständen . Demungeachtet trug Reiser diesen Brief beständig bei sich , und las ihn zum öfteren durch , weil Philipp Reiser doch sein einziger Freund war . Unweit der Kirschlache war ein angenehmer Spaziergang , wo zwischen grünem Gebüsch im Tale sich ein klarer Bach ergoß . -- Die Aussicht war rund umher gehemmt , und man befand sich in einer reizenden Einsamkeit . -- Hier brachte Reiser manche Stunde auf dem grünen Rasen am Ufer des Baches zu , und dachte über sein Schicksal nach , und wenn er zu denken müde war , so las er den Brief seines Freundes durch , den er , so wenig ihn auch der Inhalt interessierte , am Ende fast auswendig lernte -- denn er hatte doch einmal nichts zu lesen , was ihm näher gewesen wäre , als dieser Brief . Dazu kam noch der Umstand , daß Philipp Reiser aus Erfurt gebürtig war ; sie hatten also beide ihre Vaterstädte vertauscht -- und Anton Reiser befand sich nun auf demselbigen Fleck , H 4 wo sein Freund die ersten Tage seiner Jugend verlebt , und die ersten Eindrücke von der ihn umgebenden Welt erhalten hatte . Er durchlebte hier in Gedanken Philipp Reisers Kinderjahre , und verdoppelte sich in ihm , wenn er in dem Tal am Bache saß , und seinen Brief las , der ihm denn sein ganzes Wesen wieder in Erinnerung brachte . Darum war ihm unter den Studenten auch O. . . . so lieb , der Philipp Reisern in Erfurt noch gekannt hatte , und mit dem er sich am öftesten von ihm unterredete . Dieser O. . . . war damals ein junger liebenswürdiger Schwärmer , vor seiner Phantasie schwebte noch der jugendliche Lebensreiz , und ihn beseelten hohe Freundschaftsgefühle -- zuweilen lief ein klein wenig Affektation mit unter , im Grunde aber hatte er wirklich ein gefühlvolles Herz . An ihm fand Reiser seinen Mann , und ruhte nicht eher , bis er an einem Sonntage mit ihm in die Kartäuserkirche ging ; denn allein hatte er sich , weil es ihm zu auffallend schien , noch nicht getraut , hereinzugehen . Sie hatten sich unterwegs von der Nichtigkeit und Kürze des Lebens unterhalten , wobei zu bemerken ist , daß Reiser damals neunzehn und O. . . . zwanzig Jahr alt war , und wussten nicht , was sie mit dem Rest ihrer Tage anfangen sollten , als sie in dem Kloster anlangten , und in die Kirche traten , welche schon durch ihre leeren weißen Wände , und den einsamen Chor die Stille des Grabes predigte . Die Kirche wird nämlich außer den Kartäusern selber fast von niemand besucht , und weil keine Gemeinde dazu gehört , so ist hier weder Kanzel noch Stühle oder Bänke , sondern nichts als die leeren Wände und der flache Boden , welches dieser Kirche , bei dem dämmernden Lichte , das von oben durch die Fenster fällt , ein sehr ernstes und melancholisches Ansehen gibt . O. . . . und Reiser knieten ganz allein an einem Pult vor dem Chore , als die weißgekleideten Mönche einer nach dem anderen hereintraten , und jeder sich bückend seinen Zug an der Glocke tat . H 5 Sie setzten sich an ihre Pulte auf dem Chor und stimmten ihren Bußegesang in tiefen , traurigen Tönen an -- bald standen sie auf und sangen Hymnen , die traurig zurück erschallten ; dann fielen sie auf ihr Angesicht , und flehten in tiefen klagenden Tönen um Erbarmung . -- Ganz an den einem Ende des halben Zirkels stand ein Jüngling mit blassen Wangen von ausnehmend schöner Bildung . -- Reiser konnte seine Augen nicht von den seinigen wenden , die er andachtsvoll gen Himmel schlug . -- O. . . . kannte diesen Unglücklichen , der in den Orden der Kartäuser getreten war , weil der Blitz seinen Jugendfreund an seiner Seite erschlagen hatte -- und Reisern schwebte das Bild dieses Jünglings von nun an beständig vor der Seele . -- Halbe Tage brachte er auf der alten Mauer hinter seiner Wohnung zu , und sehnte sich in den Bezirk jener stillen Mauren hin , die seiner Meinung nach eine ganze Welt mit allen ihren Täuschungen und Blendwerken ausschlossen . -- Mit jenem Jüngling wollte er dort verblühen , und dem Grabe zuwelken -- dort wollte er selber sein einsames Gärtchen bauen , -- den sanften Strahl der Abendsonne in seiner Zelle begrüßen -- und allen irdischen Wünschen und Hoffnungen entnommen mit Ruhe und Heiterkeit dem Tode entgegen sehen . In dieser Stimmung machte er nun auf den alten eingefallenen Mauern hinter seiner Wohnung , folgendes Gedicht : Du stille geweihte Behausung , des Grabes rührendes Vorbild , Welch eine geheime Empfindung heftet mein Auge voll Tränen , Auf deine einsamen Hütten ? Ehrwürdiger Greis , du Bewohner Des Orts der Stille und der Andacht , Heil dir ! vom leeren Gewimmel Der gaukelnden Eitelkeit fern , und fern vom Geräusche des Stolzes , Kannst du mit eigenen Händen dein einsames Gärtchen dir bauen , Und deine Seele , die oft , mit edlem Unwillen strebet , Aus ihrem Kerker zu fliehen , mit jedem kommenden Tage , Dem Himmel würdiger machen -- Heil dir ! genieße die Segen Der göttlichen Einsamkeit ganz , daß dein von Erdegedanken Schon lang entwöhnter Geist , in Engelgefühlen zerfließe Und zu seinem ewigen Ursprung sich jauchzend emporschwinge -- herrlich , O Greis , war so das Los deiner Tage ! Du aber , den Jahre , Voll Kummer des Lebens durchlebt , noch nicht die sinkende Scheitel Bereisten , rüstiger Mann , und du starker , blühender Jüngling , Der , für die Freuden des Lebens , die einsame Zelle sich wählte ; O warst du vielleicht das Ziel der Verachtung des höhnenden Stolzes ? Betrog dich vielleicht ein falscher Freund ? oder fühltest du lebhaft , Wie alle die Wünsche der Menschen und ihre Hoffnungen alle So nichtig und doch so stolz sind ? War es verbitternder Ekel Vor diesen schalen unschmackhaften Freuden des Lebens , der dir einst Den blumigen Schauplatz der Welt zur traurigen Einöde machte ; Dann wohl auch dir ! daß du eine sichere Freistadt vor allen Den listigen Ränken der Bosheit fandst , und vor dem Geräusche Der Toren , und vor der Verführung des schön gleißenden Lasters , Und vor des Lebens betrüglichen Freuden fandst ! -- Doch was sehe ich ? Im Auge ' eine stumme Zähre , zittert langsam die Wange Des Jünglings herab , der abgehärmt und bleich sein gebrochenes , Hinsterbendes Leben verweinet , und wie die lechzende Blume In schwülen Tagen dahinwelkt .-- Der du im geheiligten Kerker , Von keinem Strahl erquickt , aus Zwang oderUnbedacht schmachtest , O weine , Jüngling , weine ! Dein Gott vergibt dir die Zähren , Die der unschuldige Wunsch der Natur Auster Seele dir preßte ! O könnte ich doch meine Tränen mit deinenThränen vermischen , Und sanften lindernden Trost in deine Seele hinweinen ! Sanftlächelnd geht die Sonne am Frühlingsabend dir unter , Noch rötet ihr letzter Strahl mitleidig dein einsames Fenster , Du legst dich hin auf dein Lager , und träumst von künftigen Tagen , Voll glänzender Aussichten , schwimmst in Wonnegefühlen , verlierst dich In Labyrinthen von Freuden , erwachst vom glücklichen Schlummer , Und siehst -- ach , deiner traurigen Zelle öde vier Wände ' , und Kein Strahl von Hoffnung lächelt hinein -- o säuselt Zephire Um dieses Jünglings Haus , liebkoset und trocknet mitleidig Vom Auge die Zähre ' ihm ! Blühet ihr Blumen , in seinem Garten , Und um seine Fenster erschalle , dein tröstendes Lied , Philomele ! Bis der Allliebende einst , von des Lebens quälenden Banden Die leidende Seele befreit , dann wirst du voll zärtlicher Wehmut , Noch oft in durchtauten Nächten um seine Grabstätte klagen . Reiser war wirklich so mit ganzer Seele bei den Kartäusern , daß er anfing im Ernst darauf zu denken , wie er auch so abgeschieden von der Welt seine Tage zubringen könnte , und dann von allem was ihn drückte , von seinen Wünschen und Begierden , die ihn quälten , auf einmal und auf immer befreit sein würde . -- Als er schon einige Tage in diesen Gedanken vertieft gewesen war , kam O. . .. . zu ihm und sagte , daß die Studenten in Erfurt Willens wären eine Komödie zu spielen , und daß einige Rollen noch unbesetzt wären . -- -- Diese Anrede wirkte so mächtig auf Reisers Phantasie , daß auf einmal das Kartäuserkloster mit seinen hohen Mauren tief im Hintergrunde stand , und die Kulissen mit den Lichtern sich plötzlich wieder vordrängten ; da nun O. . . . überdem noch hinzufügte , daß man damit umgehe , in dem Stücke , das man aufzuführen Willens sei , Reisern eine Rolle anzu tragen ; so war vollends jeder ernste und melancholische Gedanke , wie verschwunden . Das Stück nämlich , was die Studenten in Erfurt aufführen wollten , hieß Medon oder die Rache des Weisen , und man könnte davon sagen , daß es die ganze Moral in sich enthielt , so erstaunlich viel Tugend wurde von allen Personen darin gepredigt . In diesem Stücke nun sollte Reiser die Rolle der Clelie , der Geliebten des Medon , übernehmen , weil sich an seinem Kinne noch die wenigste Spur von einem Barte zeigte , und weil auch seine Länge als Frauenzimmer eben nicht auffiel , da der , welcher den Medon spielte , von einer fast riesenmäßigen Größe war . Ungeachtet der auffallenden Sonderbarkeit dieser Rolle , konnte Reiser dennoch seinem Hange , das Theater auf irgend eine Weise zu betreten nicht widerstehen , um so weniger , da sich ihm die Gelegenheit dazu , so ganz ungesucht und von selbst darbot . Während der Zeit hatte nun der Doktor Froriep nach Hannover geschrieben , und sich wegen Reisers Aufführung bei seinem ehemaligen Lehrer , Lehrer dem Rektor S. . . , wo er im Hause gewohnt hatte , erkundigt , und dieser hatte ihm ganz wider Reisers Vermuten , ein Zeugnis gegeben , welches ihm bei dem Doktor Froriep noch weit mehr in Gunst brachte . Der Rektor S. . . hatte nämlich geschrieben , daß man allerdings von den Anlagen dieses jungen Menschen sich viel versprochen hätte . Und dies war für den Doktor Froriep genug , um das nachteilige , was dies Zeugnis enthielt , mit Schonung und Nachsicht zu betrachten , und sich nun Reisers mit verdoppeltem Eifer anzunehmen , um ihm , wo möglich , auch die Gnade des Prinzen wieder zu verschaffen . Das Zeugnis selbst aber war auch schonend und nachsichtsvoll abgefaßt , ausgenommen einen Punkt , wo man Reisern , wegen seiner nächtlichen Spaziergänge , im Verdacht der Liederlichkeit gehabt hatte , und ihn also gerade einer Sache beschuldigte , wovon er am weitesten entfernt war , weil er schon durch das Drückende seines Zustandes , durch seine Selbstverachtung , und selbst durch seine Schwärmereien davon abgehalten wurde . 4ter Teil . I Dann war sein Hang zum Theater , dasjenige , worauf man nicht ohne Grund , seine übrigen Unregelmäßigkeiten schob , und wodurch damals so viele junge Leute auf der Schule in H. . . . waren hingerissen worden . -- Und gerade indem nun dieser Brief ankam , war Reiser schon wieder im Begriff mit den Studenten in Erfurt Komödie zu spielen . -- Der Doktor Froriep widerriet es ihm zwar ; da er aber sah , wie sehr sein Herz daran hing , sah er ihm auch noch diese Torheit nach , und entzog ihm darüber nichts von seiner Gunst . Die Vorbereitungen zu der Komödie wurden nun gemacht ; Reiser lernte die Rolle der Klelie auswendig , und nun wurden häufige Proben gehalten , wodurch Reiser mit dem größten Teil der Studenten in Erfurt bekannt wurde , die sich alle gegen ihn sehr höflich betrugen , und alle eine vorteilhafte Meinung von ihm hegten , wodurch er sich in eine Welt versetzt fand , die von derjenigen ganz verschieden war , worin er von Kindheit auf gelebt hatte . Zwischen diesen Komödienproben versäumte nun Reiser nicht , des Doktor Frorieps Prediger Kollegium fleißig zu besuchen . Dies bestand aus einer Anzahl Studenten , die sich in der Kaufmannskirche , in Gegenwart des Doktor Froriep und der übrigen Studenten , bei verschloßenen Türen , im Predigen übten . Hier wünschte nun Reiser ebenfalls auftreten zu können , um seine Deklamation hier hören zu lassen , und es war ihm immer eine der reizendsten Aussichten , wenn der Doktor Froriep ihm einmal verstatten würde , hier die Kanzel zu besteigen . Auch hatte er sich schon ein Thema ausgedacht , worin er die Schönheiten der Natur , den Wechsel der Jahreszeiten mit poetischen Farben schildern , und mit den glänzenden und schimmernden Aussichten in die Ewigkeit auf eine pathetische Weise seine Predigt beschließen wollte . Allein es kamen immer Hindernisse dazwischen , daß ihm dieser Wunsch in Erfurt nicht gewährt wurde . So wie man nun an allem zweifelt , was man heftig wünscht , so zweifelte er auch immer , ob die wirkliche Aufführung der Komödie zu Stande kommen , und er seine Rolle darin behalten würde . Dieser Wunsch wurde ihm J 2 dann gewährt . Er wurde mit aller Sorgfalt als Klelie geschmückt . Die Lichter wurden angezündet , der Vorhang rauschte empor , und er stand nun da vor einem zahlreichen Auditorium , und spielte ganz unbefangen seine lange Rolle durch , ohne daß ihm ein einzigesmal das Unnatürliche davon eingefallen wäre , so sehr war er in dem Gedanken vertieft , daß er in einer theatralischen Darstellung nun wirklich mit begriffen , und daß seine Mitwirkung in jedem Augenblick dazu notwendig war . -- Dies Vertiefen in seinen Gegenstand machte , daß er sich selbst vergaß , und daß auch die Zuschauer das Unnatürliche der Rolle weniger bemerkten , und er über sein Spiel sogar noch Beifall erhielt . Da er also nun den Schauplatz betreten hatte , und doch dabei Student blieb , so machte ihm dies doppeltes Vergnügen , und er fühlte sich in der Wiedererinnerung an diesen Abend ein paar Tage über so glücklich , daß ihm alles das , was ihm in den wenigen Wochen , die er nun in Erfurt zugebracht hatte , schon begegnet war , halb wie im Traume vorkam . Er rückte nun auch in die Wochenschrift der Bürger und der Bauer von Zeit zu Zeit Gedichte ein , wodurch sein Nahme als Schriftsteller unter den Erfurtischen Bürgern bekannt wurde . Dabei besorgte er Korrekturen für den Buchdrucker G. ... , und wurde durch diesen mit einem Gelehrten bekannt , den , bei den größten Vorzügen des Geistes und Herzens bis an seinen Tod , ein widriges Schicksal verfolgte , weil er durch den langwierigen ununterbrochenen Druck der Umstände , verlernt hatte , seinen Wert geltend zu machen , und gerade die Kraft , wodurch er in der Welt festen Fuß fassen , und seinen Platz behaupten mußte , bei ihm gelähmt war . Dieser Doktor Sauer hatte für den Buchdrucker G. ... eine Wochenschrift geschrieben , unter dem Titel Medon oder die drei Freunde , wovon ein Jahrgang herausgekommen war . Man sah auch hieran , wie er mit dem Druck der Umstände hatte kämpfen müssen ; wie schwer es ihm mußte geworden sein , eine Anzahl trivialer Aufsätze niederzuschreiben , wobei noch J 3 immer die Funken des unterdrückten Genies hervorsprühten . So aber mußte er schreiben , und wöchentlich seinen Bogen liefern , um wiederum ein Jahrlang von seinem mühseligen Leben zu atmen . -- Da nun die Wochenschrift aufhörte , so war er genötigt , wieder von Korrekturen sein Dasein zu erhalten . Und da er selber dramatische Ausarbeitungen von vielem Wert in seinem Pulte liegen hatte , die er nicht wagte , zum Vorschein zu bringen , mußte er für einen vornehmen Herrn in Erfurt , mit aller Sorgfalt und Korrektheit eines Kopisten ein Trauerspiel für Geld abschreiben , um mit dem Abschreiberlohn wiederum einige Tage lang sein Leben zu fristen . Als Arzt verdiente er nichts : Denn er fühlte einen besonderen Hang in sich , gerade den Leuten zu helfen , die der Hilfe am meisten bedürfen , und denen sie am wenigsten geleistet wird . Und weil dies nun gerade diejenigen sind , welche die Hilfe nicht zu bezahlen vermögen , so geriet der Arzt selber in große Gefahr zu verhungern , wenn er nicht Wochenschriften herausgegeben , Korrekturen besorgt , und Trauerspiele abgeschrieben hätte . Kurz , er ließ sich für seine Kuren nichts bezahlen , und brachte auch dazu den armen Leuten noch die Arznei ins Haus , die er selbst verfertigte , und das wenige was ihm übrig oder nicht übrig blieb , darauf verwandte . Weil er sich nun dadurch gleichsam weggeworfen hatte , so hatten die Leute aus der großen und vornehmen Welt kein Zutrauen zu ihm ; niemand zog ihn zu Rate , und unter den meisten war sogar sein Nahme nicht einmal bekannt , ob er sich gleich als Arzt schon keine geringe Erfahrung und Geschicklichkeit erworben hatte . Er hatte auch in diesem Fache schon eigene vortreffliche Ausarbeitungen geliefert , die aber das Unglück hatten , sich unter der Menge zu verlieren , und eben so wie ihr Verfasser , von den Zeitgenossen nicht bemerkt zu werden . Und während , daß er nun seine übrigen medizinischen Ausarbeitungen in seinem Pulte verschlossen hielt , mußte er die Schrift eines französischen Arztes , der nach Erfurt kam , und besser , als der Doktor Sauer , sich wußte bemerken zu J 4 machen , ins Lateinische übersetzen , um von dem Übersetzerlohne zu leben , und für seine hülflosen und armen Kranken neue Arzneimittel zuzubereiten . Der müßte ganz abgestumpft sein , der diese Unwürdigkeiten und Demütigungen vom Schicksal nicht fühlen sollte . Der Doktor Sauer machte eine lächelnde Mine dazu , allein im Innersten seiner Seele untergrub doch jede dieser Demütigungen und Herabwürdigungen seine Tatkraft , und lähmte seinen Mut . Wie konnte er seinem inneren Werte noch trauen , da die ganze Welt ihn verkannte . Wegen der Konnexion mit dem Buchdrucker G. . . . für welchen er die Korrekturen besorgte , gab er nun auch zuweilen Aufsätze in die berühmte Erfurtische Wochenschrift der Bürger und der Bauer ; und da las Reiser einmal ein Gedicht von ihm , auf die freigewordenen Amerikaner , welches wohl verdient hätte , in einer Sammlung von den vorzüglichsten Poesien der Deutschen zu stehen , und nun in einem Blatte sich verlor , das in den Bierhäusern von Erfurt feil geboten wurde . Es war als ob in diesem Gedichte sein unterdrückter Geist alle sein Freiheitsgefühl noch einmal ausgehaucht hätte , ein solcher Schwung und feurige Teilnehmung herrschte , in den Gedanken . Ganz entzückt durch dies Gedicht konnte Reiser nicht ruhen , bis er die Bekanntschaft eines so vorzüglichen Mitarbeiters an der Wochenschrift der Bürger und der Bauer gemacht hatte . Es hielt aber schwer , bis er diesen Wunsch erreichte , weil der Doktor Sauer eben keinen großen Hang in sich fühlen konnte , sich noch ferner an irgend einen aus der Klasse von Wesen anzuschließen , die ihn gleichsam ausgestoßen hatte . Indes fand sich doch ein Weg dazu , weil Reiser sein Studium der englischen Sprache auch in Erfurt fortgesetzt hatte , daß er sich erbot , dem Doktor Sauer Englisch zu lehren , weil dieser schon einigemal den Wunsch geäußert hatte , mit dieser Sprache bekannt zu sein . Dies Anerbieten wurde dann angenommen , und so erhielt Reiser Gelegenheit wöchentlich wenigstens ein paarmal mit diesem Mann zu J 5 Samenzukommen , an den er sich nun so nahe wie möglich anzuschließen wünschte . Bei dieser Gelegenheit wurde er nun immer offener gegen Reisern , und erzählte ihm von den mannigfaltigen Unterdrückungen , denen er von seiner Kindheit an , von seinen Anverwandten und von seinen Lehrern ausgesetzt war , und nachher alle die Streiche des Schicksals nacheinander , die ihn bis in den Staub darrniedergebeugt hatten ; so daß Reiser im auffahrenden Unwillen sich nicht enthalten konnte , die Verkettung hämisch zu nennen , worin ein denkendes und empfindendes Wesen gleichsam absichtlich so eingeengt und gequält wird . Während daß nun Reiser auf diese Art seinen Unwillen äußerte , verzog sich Saures Mund zu einem sanften Lächeln , wodurch er freilich über diesen Unwillen erhaben , aber auch zugleich von den irdischen Banden schon gelöst war , und seiner baldigen vollkommenen Befreiung ahnungsvoll entgegen sah . -- Sein Kampf war beinahe durchgekämpft , er brauchte weiter keine widerstehende Kraft , keinen Trotz gegen das Schicksal . Demungeachtet loderte die Lebensflamme noch manchmal wieder in ihm auf . Er hoffte zuweilen noch glückliche Tage zu sehen , und hatte einen großen Eifer zur Erlernung des Englischen , weil er sich von diesem seinem Studium viel versprach , um vorzüglich die in der englischen Sprache geschriebenen medizinischen Werke zu nutzen , und dann auch durch Übersetzungen aus dem Englischen Geld zu erwerben . Dann bot sich ihm auch sogar eine kleine Aussicht zu einer Art von Versorgung in Erfurt dar -- und dies war ihm nun schon eine sehr glückliche Wendung , die er besonders seinem Ausharren zuschrieb . Wer in Erfurt zu etwas kommen wolle , pflegte er nun oft zu Reisern zu sagen , der müsse nur lange Zeit ausharren , und die Geduld nicht verlieren ! so bescheiden und mäßig war er in seinen Wünschen , und so sehr war jeder Schimmer eines besseren Glücks ihm schon aufmunternd . Er wußte nicht , daß alles äußere Glück ihm nicht mehr helfen konnte , weil der Quell des Glücks in ihm selber versiegt , und die Blume seines Lebens zerknickt war , so daß ihre Blätter notwendig welken mußten . Reiser fühlte sich von einer solchen Teilnehmung angezogen , als ob das Schicksal dieses Mannes sein eigenes , oder mit dem seinigen doch unzertrennlich verknüpft gewesen wäre . Es war ihm als müßte dieser Mann noch glücklich werden , wenn die Dinge in ihrem Gleise bleiben sollten . Reisern trog aber diesmal , so wie nachher noch oft seine Ahnung , und sein Glaube an eine Entschädigung für erlittenen Kummer , die notwendig noch auf Erden statt finden müsse . -- Sauer entschlummerte nach wenigen Jahren , ohne bessere Tage gesehen zu haben . Da ihn von außen das Glück ein wenig anlächelte , waren seine inneren Kräfte zerstört ; und er blieb unbemerkt und unbekannt bis an seinen Tod ; so daß in der kleinen Gasse , wo er wohnte , seine nächsten Nachbaren , als man den Sarg hinaustrug , fragten : wer denn da begraben würde ? Ein Grad des Nichtbemerktwerdens , der in einer so unbevölkerten Stadt , wie Erfurt , höchst auffallend ist . Die wenigen Tage nun , welche Reiser mit dem Doktor Sauer in Erfurt verlebte , waren für ihn höchst wichtig , weil sie seiner Seele einen gewissen neuen Anstoß gaben : Er raffte sich gegen alle die Unterdrückungen zusammen , welche jenen Geist so sehr hatten lähmen können . Und der Unwille , den er darüber empfand , flößte ihm einen gewissen Trotz ein , auch dem Schwersten nicht zu unterliegen , und das gewissermaßen durch Widerstand zu rächen , was jener gelitten hatte . Sie waren eines Tages nach einem Dorfe vor Erfurt zusammen spazieren gegangen , und O. ... war mit von der Gesellschaft . -- Als sie gegen Abend zurückkehrten , kamen sie an ein Gewässer , das mit dickem Gebüsch umgeben war , und schwarz zwischen seinen Ufern hinkroch . Hier blieb Sauer stehen , und suchte mit dem Stocke die Tiefe zu messen , die er aber nicht abreichen konnte . Er blieb stehen , und sah mit untergeschlagenen Armen in das Wasser , und bemerkte die schwarze Fläche , und wie langsam fließend es dahin kröche . -- Das Bild wie Sauer mit blassen Wangen , und untergeschlagenen Armen , bedeutungsvoll in diesen Stygischen Fluß herunter blickte , kam Reisern lebhaft wieder vor die Seele , als er einige Jahre nachher die Nachricht von seinem Tode vernahm . -- Denn wenn irgend ein bedeutendes Bild sich formte , wo Zeichen und Sache eines wurden , so war es hier . Für Reisern aber eröffneten sich wieder fröhliche Aussichten : denn die Studenten kamen auf den Einfall noch eine Komödie aufzuführen , weil sie an diesem Vergnügen nun einmal Geschmack bekommen hatten . Die Stücke welche man wählte , waren der Argwöhnische und der Schatz von Lessing : in dem ersten erhielt Reiser wiederum zwei Frauenzimmerrollen , die er mit Umkleidung spielen mußte , und in dem anderen die Rolle des Maskaril , und nun war sein Schauspielerkredit unter den Studenten schon so befestiget , daß man es als eine Gefälligkeit von ihm ansah , wenn er diese Rollen übernehmen wollte , und er sich also auf keine Weise dazu drängen durfte . Während daß nun die Veranstaltungen zu dieser zweiten theatralischen Vorstellung gemacht wurden , fing Reiser zu gleicher Zeit eine Ausarbeitung über die Empfindsamkeit an , womit er zuerst als Schriftsteller auftreten wollte . In dieser Schrift sollte die affektierte Empfindsamkeit lächerlich gemacht , und die wahre Empfindsamkeit in ihr gehöriges Licht gestellt werden . Die seinsollende Satire gegen die Empfindsamkeit geriet nun freilich ziemlich grob , indem er sie mit einer Seuche verglich , vor der man sich zu hüten habe , und jedweden der aus einer Gegend käme , wo die Empfindsamkeit herrschte , den Eingang in Städte und Dörfer versperren müsse . Dieser Unwille war vorzüglich durch die empfindsamen Reisen , die nach und nach in Deutschland erschienen , und durch die vielen affektierten Nachahmungen von Werthers Leiden , bei Reisern erweckt worden , ob er sich gleich selber auch heimlich dieser Sünde anklagen mußte ; um desto heftiger suchte er nun auch zugleich zu seiner eigenen Besserung , dagegen zu eifern . Gerade , da er eines Abends an dieser Abhandlung schrieb , trat der Buchdrucker P. . . . aus Hannover in die Stube , und brachte ihm einen Brief von Philipp Reisern . Dies war eben der Buchdrucker , für den er in Hannover eine Anzahl kleiner Neujahrwünsche verfertigt , und sich zum erstenmal in denselben gedruckt gesehen hatte . Als Reiser den Buchdrucker vor die Türe hinausbegleitete , drückte ihm dieser ein kleines Goldstück in die Hand , welches hinlänglich war , einen Menschen , der nun seit einigen Wochen schon ganz von Gelde entblößt war , und sich doch seinen Mangel nicht wollte merken lassen , auf einmal aus dem Staube zu heben . Dies unvermutete Geschenk erhielt noch einen größeren Wert durch die Art , womit es gegeben wurde , indem der Buchdrucker P. . . . die Worte hinzufügte : es sei diese Kleinigkeit eine alte Schuld , die er abtrüge , weil nämlich Reiser Neujahrwünsche , Gedichte u. s. w. bloß der Ehre wegen in Hannover für ihn verfertigt hatte . In In Reisers Umständen hatte ein Goldgulden , woraus dies Geschenk bestand , für ihn einen unschätzbaren Wert , und riß ihn auf einmal aus einer Menge kleiner Verlegenheiten , die er keinem Menschen hätte sagen dürfen . Dies machte , daß er nun in Erfurt wirklich einige glückliche Tage erlebte , wo er eben durch nichts weder von innen noch außen gedrückt wurde , und auch in die Zukunft keine trübe Aussichten hatte . Der Brief von Philipp Reisern war auch interessanter als der vorhergehende ; denn er enthielt die Nachricht daß verschiedene von Reisers Mitschülern , welche mit ihm zugleich in Hannover Komödie gespielt hatten , seinem Beispiele gefolgt , und auch zum Teil heimlich fortgegangen wären , um sich dem Theater zu widmen . Darunter war vorzüglich I. . . der im Klavigo den Beaumarchais gespielt hatte ; der Sohn des Kantor W . . . . -- der Präfektus aus dem Chore , Namens O . . . und ein gewisser T. . . , eines Predigers Sohn , mit dem Reiser kurz vor seinem Abschiede , noch einige romantische Spaziergänge bei Hannover ge 4ter Teil . K macht hatte . Nun fand Reiser eine sonderbare Art von Stolz darin , da er doch von allen diesen nachgeahmt war , daß er zuerst den Mut gehabt hatte , einen solchen Schritt zu tun . Dann schrieb ihm Reiser in seinem überspannten Stiele , daß der Dichter Hölty in Hannover gestorben sei , und schloß am Ende mit den Worten : freue dich Dichter ! weine Mensch ! -- Von dem Fortgange seines Liebesromans enthielt dieser Brief nur wenig . Während daß nun Reiser mit den Rollen in der zweiten Komödie beschäftigt war , fand er einen neuen Freund in Erfurt , einen Studenten Namens N. . . aus Hamburg gebürtig , der bei dem Doktor Froriep im Hause wohnte , welcher ihm eine Abschrift von Reisers Gedichte , das Kartäuserkloster gezeigt , und dadurch dem Verfasser auf einmal einen neuen Freund verschafft hatte . Dies wurde nun eine Freundschaft gerade von der empfindsamen Art , wogegen Reiser eine Abhandlung zu schreiben im Begriff war . Der junge N. . . hatte wirklich ein gefühlvolles Herz , er ließ sich aber auch durch den Strom hinreißen , und spielte bei jeder Gelegenheit den Empfindsamen , ohne es selbst zu wissen ; denn er eiferte sehr oft mit Reisern gegen das Lächerliche einer affektierten Empfindsamkeit -- weil er aber nicht bloß vor anderen empfindsam zu scheinen , sondern es für sich selber wirklich zu sein suchte , so dünkte ihm das keine Affektation mehr , sondern er trieb dies nun als eine ganz ernsthafte Sache , die keinen Spott auf sich leidet , und zog Reisern allmählich mit in diesen Wirbel hinüber , der die Seele so lange hinaufschraubt , bis sie in den abgeschmacktesten Zustand gerät , den man sich denken kann . Reisern war es schon aufmunternd , daß ungeachtet seiner dürftigen Umstände sich jemand an ihn schloß , dem es nicht an äußeren Glücksgütern fehlte . -- Nach und nach aber bildete sich bei ihm eine ordentliche Liebe und Anhänglichkeit an den jungen N. . . . , welche durch dessen wahre Freundschaft für Reisern immer vermehrt wurde , so daß sie sich immer mehr , auch in ihren Torheiten , einander näherten , und von ihrer Melancholie und Em K 2 pfindsamkeit sich wechselsweise einander mitteilten . Dies geschah nun vorzüglich auf ihren einsamen Spaziergängen , wo sie nur gar zu oft zwischen sich und der Natur eine Szene veranstalteten , indem sie etwa bei Sonnenuntergang die Jünger von Emaus aus dem Klopstock lasen , oder an einem trüben Tage , Zachariäs Schöpfung der Hölle , u. s. w. Vorzüglich lagerten sie sich oft am Abhange des Steigerwaldes , von welchem man die Stadt Erfurt , mit ihren alten Türmen und ihrem ganzen Umfange von Gärten , kann liegen sehen . Da hinauf gehen die Einwohner von Erfurt häufig spazieren , machen sich auch wohl oben selbst ein kleines Feuer an , und kochen sich den Kaffee , um die patriarchalischen Ideen wieder zu erneuern . Hier saßen nun auch N. . . . und Reiser oft Stunden lang , und lasen sich aus irgend einem Dichter wechselsweise vor ; welches die meiste Zeit eine wahre Mühe und Arbeit , und ein peinlicher Zustand für sie war , den sie sich aber einander nicht gestanden , um nur am Ende die Idee mit sich zu nehmen : " Wir haben am " Steigerwalde freundschaftlich beieinander ge " säßen , haben von da in das anmutsvolle " Tal hinuntergeblickt , und dabei unseren Geist " mit einem schönen Werke der Dichtkunst " genährt . " Wenn man erwägt , wie viele kleine Umstände sich ereignen müssen , um das Stillsitzen und Lesen unter freiem Himmel angenehm zu machen , so kann man sich denken , mit wie vielen kleinen Unannehmlichkeiten N. . . . und Reiser bei diesen empfindsamen Szenen kämpfen mußten : wie oft der Boden feucht war , die Ameisen an die Beine krochen , der Wind das Blatt verschlug , u. s. w. N. . . . fand nun einen vorzüglichen Gefallen daran , Klopstocks Messiade Reisern ganz vorzulesen ; bei der entsetzlichen Langenweile nun , die diese Lektüre beiden verursachte , und die sie sich doch einander , und jeder sich selber kaum zu gestehen wagten , hatte N. . . . doch noch den Vorteil des lauten Lesens , womit ihm die Zeit verging : Reiser aber war verdammt zu hören , und über das Gehörte entzückt zu sein , welches K 3 ihm mit die traurigsten Stunden in seinem Leben gemacht hat , deren er sich zu erinnern weiß , und welche ihn am meisten zurückschrecken würden , seinen Lebenslauf noch einmal von vorn wieder durchzugehen . Denn keine größere Qual kann es wohl geben , als eine gänzliche Leerheit der Seele , welche vergebens strebt , sich aus diesem Zustande herauszuarbeiten , und unschuldigerweise sich selber in jedem Augenblicke die Schuld beimißt , und sich selber ihres Stumpfsinns anklagt , daß sie von den erhabenen Tönen , die unaufhörlich in ihre Ohren klingen , nicht gerührt und erschüttert wird . Ob nun gleich N. . . und Reiser fast unzertrennlich beisammen waren , so sehnte sich der Letztere doch wieder nach einsamen Spaziergängen , die ihm immer das reinste Vergnügen gewähret hatten ; allein dies hatte er sich nun auch verleidet ; denn gemeiniglich versprach er sich von einem solchen Spaziergange zu viel , und kehrte verdrießlich wieder zu Hause , wenn er nicht gefunden hatte , was er suchte ; sobald das Dort nun Hier wurde , hatte es auch alle seinen Reiz verloren , und der Quell der Freude war versiegt . -- Der Verdruß , der dann in die Stelle der gereizten Hoffnung trat , war von einer so groben , gemeinen , und niedrigen Art , daß auch nicht der mindeste Grad von einer sanften Melancholie oder etwas dergleichen damit bestehen konnte . Es war ungefähr die Empfindung eines Menschen , der ganz vom Regen durchnäßt ist , und indem er vor Frost schaudernd zu Hause kehrt , auch noch eine kalte Stube findet . Ein solches Leben führte Reiser , und schrieb dabei immer an seiner Abhandlung gegen die falsche Empfindsamkeit fort , wobei er denn bei seinen einsamen Spaziergängen einmal eine sonderbare Äußerung von Empfindsamkeit bei einem gemeinen Menschen bemerkte , bei dem er dieselbe am wenigsten erwartet hätte . Er ging nämlich zwischen den Gärten von Erfurt spazieren , und da es gerade in der Pflaumenzeit war , so konnte er sich nicht enthalten , von einem überhangenden Aste , eine schöne reife Pflaume abzupflücken , welches der Eigentümer des Gartens bemerkte , der ihn sehr unsanft mit den Worten anfuhr , ob er wohl wisse , K 4 daß die Pflaume , die er da abgepflückt hätte , ihm einen Dukaten kosten würde . Reiser suchte abzudingen , mußte aber zugleich gestehen , daß er keinen Heller Geld bei sich habe . Um nun aber den Eigentümer des Gartens wegen der geraubten Pflaume einigermaßen zu befriedigen , mußte er ihm sein einziges gutes Schnupftuch aus der Tasche geben , dessen Verlust ihm sehr leid tat . Als er nun traurig weggieng , sah er , nachdem er nur wenige Schritte getan hatte , ein schönes Einlegemesser vor sich auf der Erde liegen ; er hob es geschwind auf , und rief den Gärtner wieder zurück , dem er einen Tausche antrug , ob er nicht für das gefundene Messer , ihm sein Schnupftuch zurück geben wolle ? Wie erstaunte Reiser , als nun der Gärtner , der vorher so grob gegen ihn gewesen war , ihm auf einmal um den Hals fiel und küßte , und sich seine Freundschaft ausbat ; weil Reiser notwendig ein Günstling der Vorsehung sein müsse , da sie ihn gerade das Messer habe finden lassen , welches niemand anders als der Gärtner selbst verloren hatte , der nun Rei sehr sein Schnupftuch mit Freuden wieder gab , und ihn zugleich versicherte , daß sein Garten ihm zu jeder Zeit offen stände , um so viel Pflaumen , wie er wollte , zu pflücken , und daß er ihm in jeder Sache dienen würde , wo er nur könnte ; denn ein so außerordentlicher Fall sei ihm noch nicht vorgekommen . Als Reiser im Weggehen über diesen sonderbaren Zufall nachdachte , fiel er ihm um so mehr auf , weil dies das erstemal in seinem Leben war , daß ihm ein eigentlich glückliches Ereignis begegnete , wobei mehrere Umstände sich vereinigen mußten , die sich sonst selten zu vereinigen pflegen . Sein Glück scheinet sich in dieser Kleinigkeit gleichsam ganz erschöpft zu haben , um ihn im Großen wieder desto_mehr büßen zu lassen , was er auf keine andere Weise , als durch sein Dasein verschuldet hatte . Es war , wie bei dem Landprediger von Wakefield , der einen ganz ungewöhnlich glücklichen Wurf mit den Würfeln tat , indem er mit seinem Freunde um wenige Pfennige spielte , kurz vorher , ehe er die Nachricht von dem Banque K 5 rot des Kaufmanns erhielt , durch welchen er sein ganzes Vermögen verlor . Noch eine kleine Weile hielt das Schicksal die Demütigungen zurück , welche es Reisern zugedacht hatte , und ließ ihn noch ungestört in seinem Vergnügen , daß ihm nun die zweite Komödien-Aufführung gewährte , und worin ihm drei Rollen zu Teil geworden waren . Sein sehnlichster Wunsch war doch also nun einigermaßen erfüllt , ob er gleich in keiner tragischen Rolle hatte glänzen können . Und was noch mehr war , so hatte man eine Art von Zutrauen zu seinen theatralischen Einsichten , man fragte ihn um Rat , und er wurde nun durch seine Teilnehmung an der Komödie sowohl , als durch seine geschriebenen Gedichte , unter den Studenten noch mehr bekannt , die ihn mit Höflichkeit begegneten , welches ihm für seine Lage auf der Schule in H. . . . . . ein angenehmer Ersatz war . Dabei besuchte er nun fleißig die Universitätsbibliothek , wo er einen besonderen Gefallen daran fand , des Du Halde Beschreibung von China zu studieren , und sehr viele Zeit damit verschwendete . Grade damals erschien auch : Siegwart eine Klostergeschichte , und er las mit seinem Freunde R. . .s das Buch zu Mehrehrenmalen durch , und beide taten sich bei der entsetzlichsten Langenweile Zwang an , in der einmal angefangenen Rührung , alle drei Bände hindurch zu bleiben . Am Ende hatte Reiser nichts weniger im Sinne , als die ganze Geschichte in ein historisches Trauerspiel zu bringen , wozu er wirklich allerlei Entwürfe machte , und die schöne Zeit damit verschwendete . Wenn es ihm dann nicht , wie er wünschte , geraten wollte , so hatte er nach jeder vergebenen Anstrengung dieser Art , die trübseligsten und widrigsten Stunden , die man sich nur denken kann . Die ganze Natur und alle seine eigenen Gedanken hatten dann ihren Reiz für ihn verloren , jeder Moment war ihm drückend , und das Leben war ihm im eigentlichen Verstande eine Qual . Die Leiden der Poesie Können daher wohl in jedem Betracht eine eigene Rubrik in Reisers Leidensgeschichte ausmachen , welche seinen inneren und äußeren Zustand in allen Verhältnissen darstellen sollen , und wodurch dasjenige gewiß werden soll , was bei vielen Menschen ihr ganzes Leben hindurch , ihnen selbst unbewußt , und im Dunklen verborgen bleibt , weil sie Scheu tragen , bis auf den Grund und die Quelle ihrer unangenehmen Empfindungen zurückzugehen . Diese geheimen Leiden waren es , womit Reiser beinahe von seiner Kindheit an , zu kämpfen hatte . Wenn ihn der Reiz der Dichtkunst unwillkürlich anwandelte , so entstand zuerst eine wehmütige Empfindung in seiner Seele , er dachte sich ein Etwas , worin er sich selbst verlor , wogegen alles , was er je gehört , gelesen oder gedacht hatte , sich verlor , und dessen Dasein , wenn es nun wirklich von ihm dargestellt wäre , ein bisher noch ungefühltes , unnennbares Vergnügen verursachen würde . Nun war aber noch nicht ausgemacht , ob dies ein Trauerspiel , oder eine Romanze , oder ein Elegisches Gedicht werden sollte ; genug , es mußte etwas sein , das wirklich eine solche Empfindung erweckte , wovon der Dichter gewissermaßen schon ein Vorgefühl gehabt hatte . In den Momenten dieses seligen Vorgefühls konnte die Zunge nur stammelnde einzelne Laute hervor bringen . Etwa wie die in einigen Klopstockschen Oden , zwischen denen die Lücken des Ausdrucks mit Punkten ausgefüllt sind . Diese einzelnen Laute aber bezeichneten denn immer das Allgemeine von Groß , erhaben , Wonnetränen , und dergleichen . -- Dies dauerte denn so lange , bis die Empfindung in sich selbst wieder zurücksank , ohne auch nur ein paar vernünftige Zeilen , zum Anfange von etwas Bestimmten , ausgeboren zu haben . Nun war also während dieser Krisis nichts Schönes entstanden , woran sich die Seele nachher hätte festhalten können , und alles andere , was wirklich schon da war , wurde nun keines Blicks mehr gewürdigt . Es war , als ob die Seele eine dunkle Vorstellung von etwas ge habt hätte , was sie selbst nicht sein konnte , und wodurch ihr eigenes Dasein ihr verächtlich wurde . Es ist wohl ein untrügliches Zeichen , daß einer keinen Beruf zum Dichter habe , den bloß eine Empfindung im Allgemeinen zum Dichten veranlaßt , und bei dem nicht die schon bestimmte Szene , die er dichten will , noch eher als diese Empfindung , oder wenigstens zugleich mit der Empfindung da ist . Kurz , wer nicht während der Empfindung zugleich einen Blick in das ganze Detaille der Szene werfen kann , der hat nur Empfindung , aber kein Dichtungsvermögen . Und gewiß ist nichts gefährlicher , als einem solchen täuschenden Hange sich zu überlassen ; die warnende Stimme kann nicht früh genug dem Jüngling zurufen , sein Innerstes zu prüfen , ob nicht der Wunsch bei ihm an die Stelle der Kraft tritt , und weil er diese Stelle nie ausfüllen kann , ein ewiges Unbehagen die Strafe verbotenen Genusses bleibt . Dies war der Fall bei Reisern , der die besten Stunden seines Lebens durch mißlungene Versuche trübte , durch unnützes Streben , nach einem täuschenden Blendwerke , daß immer vor seiner Seele schwebte , und wenn er es nun zu umfassen glaubte , plötzlich in Rauch und Nebel verschwand . Wenn nun je der Reiz des Poetischen bei einem Menschen mit seinem Leben und seinen Schicksalen kontrastierte , so war es bei Reisern , der von seiner Kindheit an in einer Sphäre war , die ihn bis zum Staube niederdrückte , und wo er bis zum Poetischen zu gelangen , immer erst eine Stufe der Menschenbildung überspringen mußte , ohne sich auf der folgenden erhalten zu können . So ging es ihm nun jetzt wieder in seiner äußerlichen Lage ; er hatte eigentlich keine Stube für sich , sondern mußte , da es nun anfing kälter zu werden , mit in der gemeinschaftlichen Stube wohnen , deren Einwohner , wenn ausgefegt wurde , so lange herausgehen mußten . In dieser Stube wohnte die ganze Familie , nebst Reisern und noch einem Studenten , und jeder nahm seine Besuche von Fremden darin an ; es wurde dann erzählt , von Kindern gelärmt , gesungen , gezankt und geschrien ; und dies war nun die nächste Umgebung , worin Reiser seine philosophische Abhandlung über die Empfindsamkeit schreiben , und seine poetischen Ideale außer sich darstellen wollte . Hier sollte also nun das Trauerspiel Siegwart geschrieben werden , das sich mit seiner Einkehr bei dem Einsiedler anhob , welches immer Reisers Lieblingsidee , und die Lieblingsidee fast aller jungen Leute zu sein pflegt , welche sich einbilden , einen Beruf zur Dichtkunst zu haben . Dies ist sehr natürlich , weil der Zustand eines Einsiedlers gewissermaßen an sich selber schon Poesie ist , und der Dichter seinen Stoff schon beinahe vorgearbeitet findet . Wer aber zuerst auf solche Gegenstände fällt , bei dem ist es auch fast immer ein Zeichen , daß bei ihm keine echte poetische Ader statt finde , weil er die Poesie in den Gegenständen sucht , die in ihm selber schon liegen müßte , um jeden Gegenstand , der sich seiner Einbildungskraft darbietet , zu verschönern . So So ist die Wahl des Schrecklichen ebenfalls ein schlimmes Zeichen , wenn das vermeinte poetische Genie gleich zuerst darauf verfällt ; denn freilich macht sich hier das Poetische auch schon von selber , und die innere Leerheit und Unfruchtbarkeit soll durch den äußeren Stoff ersetzt werden . Dies war der Fall bei Reisern schon in H. . . . auf der Schule , wo er Meineid , Blutschande und Vatermord , in einem Trauerspiele zusammenzuhäufen suchte , das der Meineid heißen sollte , und wobei er sich dann immer die wirkliche Aufführung des Stücks , und zugleich den Effekt dachte , den es auf die Zuschauer machen würde . Dies zweite Zeichen sollte ebenfalls jeden , der sich wegen seines poetischen Berufes sorgfältig prüft , schon abschreckend sein . Denn der wahre Dichter und Künstler findet und hofft seine Belohnung nicht erst in dem Effekt , den sein Werk machen wird , sondern er findet in der Arbeit selbst Vergnügen , und würde dieselbe nicht für verloren halten , wenn sie auch niemanden zu Gesicht kommen sollte . Sein Werk zieht ihn unwillkürlich an sich , in ihm selber liegt die Kraft 4ter Teil . L zu seinen Fortschritten , und die Ehre ist nur der Sporn , der ihn antreibt . Die bloße Ruhmbegier kann wohl die Begier einhauchen , ein großes Werk zu beginnen , allein die Kraft dazu kann sie dem nie gewähren , der sie nicht schon besaß , ehe er selbst die Ruhmbegier noch kannte . Noch ein drittes schlimmes Zeichen ist , wenn junge Dichter ihren Stoff sehr gerne aus dem Entfernten und Unbekannten nehmen ; wenn sie gern morgenländische Vorstellungsarten , und dergleichen bearbeiten , wo alles von den Szenen des gewöhnlichen nächsten Lebens der Menschen ganz verschieden ist ; und wo also auch der Stoff schon von selber poetisch wird . Dies war denn auch der Fall bei Reisern ; er ging schon lange mit einem Gedicht über die Schöpfung schwanger , wo der Stoff nun freilich der entfernteste war , den die Einbildungskraft sich denken konnte , und wo er statt des Detail , vor dem er sich scheute , lauter große Massen vor sich fand , deren Darstellung man denn für die eigentlich erhabene Poesie hält , und wozu die unberufenen jungen Dichter immer weit mehr Lust haben , als zu dem , was dem Menschen nahe liegt ; denn in dies letztere muß freilich ihr Genie die Erhabenheit erst hereintragen , welche sie in jenem schon vor sich zu finden glauben . Reisers äußere Lage wurde hierbei mit jedem Tage drückender , weil die gehoffte Unterstützung aus H. .... nicht erfolgte , und seine Hausleute ihn immer mehr mit scheelen Blicken ansahen , je mehr sie inne wurden , daß er weder Geld besitze , noch welches zu hoffen habe . Sein Frühstück und Abendbrot , was er hier genoß , war er nicht mehr im Stande zu bezahlen , und man ließ ihm deutlich merken , daß man nicht länger Willens sei , ihm zu borgen ; da man also keinen Nutzen von ihm ziehen konnte , und er überdem ein trauriger Gesellschafter war , so war es natürlich , daß man seiner los zu sein wünschte , und ihm die Wohnung aufkündigte . So wenig auffallend dies nun an sich war , so tragisch nahm es Reiser . Der Gedanke des Lästigseins , und daß er von den Leuten , unter denen er lebte , gleichsam nur geduldet würde , machte ihm wiederum seine eigene Existenz verhaßt . Alle Erinnerungen aus seiner Jugend L 2 und Kindheit drängten sich zusammen . Er häufte selber alle Schmach auf sich , und wollte verzweiflungsvoll sich einem blinden Schicksal aufs neue überlassen . Er wollte noch an diesem Tage wieder aus Erfurt gehen , und tausenderlei romanhafte Ideen durchkreuzten sich in seinem Kopfe , worunter eine ihm besonders reizend schien , daß er in Weimar bei dem Verfasser von Werthers Leiden wollte Bedienter zu werden suchen , es sei unter welchen Bedingungen es wolle ; daß er auf die Art gleichsam unerkannter Weise , so nahe um die Person desjenigen sein würde , der unter allen Menschen auf Erden den stärksten Eindruck auf sein Gemüt gemacht hatte ; Er ging vors Tor und blickte nach dem Ettersberge hinüber , der wie eine Scheidewand zwischen ihm und seinen Wünschen lag . Nun ging er zu Froriep , um Abschied von ihm zu nehmen , ohne ihm eine eigentliche Ursache sagen zu können , weswegen er Erfurt wieder verlassen wolle . Der Doktor Froriep schob diesen Entschluß auf seine Melancholie , redete ihm zu , daß er bleiben solle , und entließ ihn nicht eher , bis Reiser ihm versprochen hatte , wenigstens heute und morgen noch nicht abzureisen . Diese Teilnehmung an seinem Schicksale war nun zwar für Reisern wieder sehr schmeichelhaft ; sobald er sich aber wieder allein fand , verfolgte der Gedanke des Lästigseins in seiner nächsten Umgebung ihn wie ein quälender Geist , er hatte nirgends Ruhe noch Rast ; streifte in den einsamsten Gegenden von Erfurt umher , in der Gegend des Kartäuserklosters , wohin er sich nun im Ernst , wie nach einem sicheren Zufluchtsorte sehnte , und wehmütig nach den stillen Mauern hinüberblickte . Dann irrte er weiter umher , bis es Abend wurde , wo der Himmel sich mit Wolken überzog , und ein starker Regen fiel , der ihn bald bis auf die Haut durchnetzte . Der Fieberfrost , welcher sich nun zu den inneren Unruhen seines Gemüts gesellte , trieb ihn in Sturm und Regen umher , bei altem Gemäuer und durch einsame öde Straßen ; denn in seine bisherige Wohnung zurückzukehren , davon konnte er den Gedanken nicht ertragen . L 2 Er stieg die hohe Treppe zu dem alten Dom hinauf , band sich ein Tuch um den Kopf , und suchte sich unter altem Gemäuer eine Weile vor dem Regen zu schützen . Vor Müdigkeit fiel er hier in eine Art von betäubendem Schlummer , aus dem er durch einen neuen Regenguß , und durch das Getöse des Windes wieder erweckt wurde , und aufs neue durch die Straßen irrte . Indem ihm nun der Regen ins Gesicht schlug , fiel ihm die Stelle aus dem Lear ein : to shut me out , in such a night as this ! ( Die Türen vor mir zu verschließen , in einer Nacht , wie diese ! ) Und nun spielte er die Rolle des Lear in seiner eigenen Verzweiflung durch , und vergaß sich in dem Schicksale Lears , der von seinen eigenen Töchtern verbannt , in der stürmischen Nacht umherirrt , und die Elemente auffordert , die entsetzliche Beleidigung zu rächen . Diese Szene hielt ihn hin , daß er sich eine Zeitlang den Zustand , worin er war , mit einer Art von Wollust dachte , bis auch dies Gefühl abgestumpft wurde , und ihm nun am Ende nichts als die leere Wirklichkeit übrig blieb , welche ihn in ein lautes Hohngelächter über sich selbst ausbrechen ließ . In dieser Stimmung kehrte er wieder zu dem alten Dom zurück , der nun schon eröffnet war , und wo die Chorherren sich zur Frühmette bei Licht versammelten . Das alte gotische Gebäude , die wenigen Lichter , der Widerschein von den hohen Fenstern , machten auf Reisern , der die ganze Nacht umher geirrt war , und sich hier auf eine Bank niedersetzte , einen wunderbaren Eindruck . Er war , wie in einer Behausung , vor dem Regen geschützt , und doch war dies keine Wohnung für die Lebenden . Wer vor dem Leben selber eine Freistatt suchte , den schien dies dunkle Gewölbe einzuladen , und wer eine Nacht , wie Reiser die vergangene , durchlebt hatte , konnte wohl geneigt sein , diesem Rufe zu folgen . Reiser fühlte sich auf der Bank im Dom in eine Art von Abgeschiedenheit und Stille versetzt , die etwas unbeschreiblich Angenehmes für ihn hatte , die ihn auf einmal allen Sorgen und allem Gram entrückte , und ihn das Vergangene vergessen machte . Er hatte aus dem Lethe getrunken , und fühlte sich in das Land des Frie L 4 dens sanft hinüber schlummern . Dabei heftete sich immer sein Blick auf den blassen Widerschein von den hohen Fenstern , und dieser war es vorzüglich , welcher ihn in eine neue Welt zu versetzen schien : es war dies eine majestätische Schlafkammer , in welcher er seine Augen aufschlug , nachdem er wild die Nacht durchträumt hatte . Denn wie Träume eines Fieberkranken , waren freilich solche Zeitpunkte in Reisers Leben , aber sie waren doch einmal darin , und hatten ihren Grund in seinen Schicksalen von seiner Kindheit an . Denn war es nicht immer Selbstverachtung , zurückgedrängtes Selbstgefühl , wodurch er in einen solchen Zustand versetzt wurde ? Und wurde nicht diese Selbstverachtung durch den immerwährenden Druck von außen bei ihm bewirkt , woran freilich mehr der Zufall schuld war , als die Menschen . Als der Tag angebrochen war , kehrte Reiser mit ruhigerem Gemüte aus dem Dom zurück , und begegnete auf der Straße seinem Freunde N. . . , der schon früh ein Kollegium besuchte , und welcher erschrak , da er Reisern ins Gesicht sah , so sehr hatte diese Nacht ihn abgemattet und entstellt. N. . . ruhte nicht eher , bis Reiser ihm seinen ganzen Zustand entdeckt hatte . Nach freundschaftlichen Vorwürfen , daß Reiser nicht mehr Zutrauen zu ihm gehabt , brachte er ihn wieder nach seiner alten Wohnung , suchte ihn dort den Leuten in einem anderen Lichte darzustellen , und tilgte die geringe Schuld seines Freundes . Diese aufrichtige Teilnehmung seines Freundes stärkte bei Reisern wieder das erkrankte Selbstgefühl ; er war gewissermaßen stolz auf seinen Freund , und ehrte sich in ihm . Nun bedung er sich aus , um allein sein zu können , einen Verschlag auf dem Boden des Hauses zu beziehen , wohin man ihm auch ein Bette gab , und wo er nun wieder , ganz sich selbst gelassen , ein paar nicht unangenehme Wochen zubrachte . Er laß und studierte hier oben , und würde in dieser Abgezogenheit völlig glücklich gewesen sein , wenn ihn sein Gedicht über die Schöpfung nicht gequält hätte , welches machte , daß er oft wieder in eine Art von Verzweiflung geriet , L 5 wenn er Dinge ausdrücken wollte , die er zu fühlen glaubte , und die ihm doch über allen Ausdruck waren . Was ihm die meiste Qual machte , war die Beschreibung des Chaos , welche beinahe den ganzen ersten Gesang seines Gedichts einnahm , und worauf er mit seiner kranken Einbildungskraft am liebsten verweilen mochte , aber immer für seine ungeheuren und grotesken Vorstellungen keine Ausdrücke finden konnte . Er dachte sich eine Art von falscher täuschender Bildung in das Chaos hinein , welche im Nun wieder zum Traum und Blendwerk wurde ; eine Bildung die weit schöner , als die wirkliche , aber eben deswegen von keinem Bestand , und keiner Dauer war . Eine falsche Sonne stieg am Horizont herauf und kündigte einen glänzenden Tag an . -- Der bodenlose Morast überzog sich unter ihrem trügerischen Einfluß mit einer Kruste auf welcher Blumen sproßten , Quellen rauschten ; plötzlich arbeiteten sich die entgegenstrebenden Kräfte aus der Tiefe empor , der Sturm heulte aus dem Abgrunde , die Finsternis brach mit allen ihren Schrecknissen aus ihrem verborgenen Hinterhalt hervor , und verschlang den neugeborenen Tag wieder in ein furchtbares Grab . Die immer in sich selbst zurückgedrängten Kräfte bearbeiteten sich mit Grimm nach allen Seiten sich auszudehnen , und seufzten unter dem lastenden Widerstande . Die Wasserwogen krümmten sich und klagten unter dem heulenden Windstoß . In der Tiefe brüllten die eingeschlossenen Flammen , das Erdreich das sich hob , der Felsen der sich gründete , versanken mit donnerndem Getöse wieder in den alles verschlingenden Abgrund . -- Mit dergleichen ungeheuren Bildern , zerarbeitete sich Reisers Phantasie in den Stunden , wo sein Inneres selber ein Chaos war , in welchem der Strahl des ruhigen Denkens nicht leuchtete , wo die Kräfte der Seele ihr Gleichgewicht verloren , und das Gemüt sich verfinstert hatte ; wo der Reiz des Wirklichen vor ihm verschwand , und Traum und Wahn ihm lieber war , als Ordnung , Licht und Wahrheit . Und alle diese Erscheinungen gründeten sich gewissermaßen wieder in dem Idealismus , wozu er sich schon natürlich neigte , und worin er durch die philosophischen Systeme , die er in H... studierte sich noch mehr bestärkt fand . Und auf diesem bodenlosen Ufer fand er nun keinen Platz wo sein Fuß ruhen konnte . Angstvolles Streben und Unruhe verfolgten ihn auf jedem Schritte . Dies war es , was ihn aus der Gesellschaft der Menschen auf Böden und Dachkammern trieb , wo er oft in phantastischen Träumen noch seine vergnügtesten Stunden zubrachte , und dies war es was ihm zugleich für das Romantische , und Theatralische , den unwiderstehlichen Trieb einflößte . Durch seinen gegenwärtigen inneren und äußeren Zustand , war er nun wiederum ganz und gar in der idealischen Welt verloren , was Wunder also , daß bei der ersten Veranlassung seine alte Leidenschaft wieder Feuer fing , und er wiederum seine Gedanken auf das Theater heftete , welches bei ihm nicht sowohl Kunstbedürfnis , als Lebensbedürfnis war . Diese Veranlassung ereignete sich sehr bald , da die Sp... sche Schauspielertruppe nach Erfurt kam , und Erlaubnis erhielt , auf dem Ball Hause zu spielen , wo auch die Studenten ihre Komödien aufgeführt hatten . Reiser war hier schon einmal bekannt , und hatte sogar einen gewissen Ruf wegen seiner Schauspielertalente erhalten , wodurch er dem Prinzipal dieser kleinen Truppe sogleich bekannt wurde , der ihn engagieren wollte , so bald er Lust hätte Schauspieler zu werden . Diese Versuchung , daß ihm das , wonach er mit allen Mühseligkeiten des Lebens kämpfend vergeblich gestrebt hatte , nun auf einmal wie von selbst sich anbot , war für Reisern zu stark . Er setzte jede Rücksicht aus den Augen , und lebte und webte nur in der Theaterwelt , für die er nun wieder wie in H. . . bis auf den Komödienzettel enthusiastische Verehrung hegte , und die Mitglieder bis auf den Souffleur und Rollenschreiber mit einer Art von Neid betrachtete . Einer Namens B. . . der sich damals unter dieser Truppe befand , und nachher ein berühmter Schauspieler geworden ist , zog am meisten seine Neugier auf sich . Er zeichnete sich unter den Mitgliedern dieser Truppe am vorzüglichsten aus , und Reiser wünschte nichts sehnli cher als seine Bekanntschaft zu machen , welches ihm auch nicht schwer wurde ; er entdeckte diesem B... seinen Wunsch , der ihn denn auch in seinem Entschluß , sich dem Theater zu widmen , bestärkte , und an welchem Reiser nun zugleich einen Freund zu finden hoffte . Er setzte nun jede Rücksicht bei Seite ; suchte den Gedanken an den D. Froriep und an seinen Freund N... , so viel wie möglich vor sich selber zu verbergen ; und engagierte sich , ohne jemanden etwas davon zu sagen , bei dem Prinzipal der Truppe ; er hatte den Mut und die Hoffnung in der ersten Rolle sich so zu zeigen , daß jedermann seinen Entschluß billigen würde . Nun kam es auf die erste Rolle an , worin er auftreten sollte ; und zufälliger Weise traf es sich , daß in einigen Tagen die Poeten nach der Mode gespielt werden sollten , worin man ihm eine Rolle antrug . Er wünschte sich , den Dunkel zu spielen , und hatte die Rolle schon auswendig gelernt , als sein neuer Freund , der Schauspieler B... ihn davon abriet , weil er selbst immer diese Rolle gespielt habe , und sie ihm vorzüglich gut gelun gen sei , Reiser möchte also lieber den Reimreich übernehmen , weil ein wenig bedeutender Schauspieler diese Rolle besitze . Reiser ließ sich auch dies sehr gern gefallen , weil er durch den Maskaril und den Magister Blasius , welche Rollen er doch beide mit Beifall gespielt , sich auch einige Stärke im Komischen zutraute . Er schrieb sich also seine Rolle auf , und lernte sie auswendig . Er war wirklich in der Aussicht auf seine theatralische Laufbahn vollkommen glücklich , als eine Bemerkung , die unter diesen Hoffnungen die fürchterlichste für ihn war , ihn mit Angst und Schrecken erfüllte . Ihm war es , wie einem , den des Satans Engel mit Fäusten schlüge : er bemerkte , daß ihm der Verlust seines Haars drohte . Gerade jetzt also , da er einen Körper ohne Fehl am notwendigsten brauchte , betraf ihn dieser Zufall , der ihn schon im Voraus gegen sich selber mit Abscheu erfüllte . Er eilte in dieser Not zu seinem treuen Freunde , dem Doktor Sauer , der ihm zu der Erhaltung seiner Haare wieder Hoffnung machte ; und so fand er sich denn am Abend , wo die Poeten nach der Mode aufgeführt werden sollten , in der Garderobe hinter den Kulissen ein , und kleidete sich komisch genug , um den Reimreich , in seinem lächerlichsten Lichte darzustellen ; sein Name stand an diesem Tage schon auf dem Komödienzettel an allen Ecken mit angeschlagen . Als das Schauspiel bald angehen sollte , kam sein Freund N. . . auf das Theater , und machte ihm die bittersten Vorwürfe ; Reiser ließ sich durch nichts in dem Taumel seiner Leidenschaft stören , und war ganz in seiner Rolle vertieft , woran sogar sein Freund N... zuletzt mit Teil nahm , und über seinen komischen Anzug lachte , als auf einmal ein Bote erschien , welcher dem Prinzipal ankündigte , daß der Doktor Froriep sogleich zum Statthalter fahren , und Beschwerde über ihn führen würde , sofern er es wagte , den Studenten , dessen Nahme auf dem Komödienzettel gedruckt stände , das Theater betreten zu lassen ; Verlust seiner Konzession hier zu spielen , würde die unausbleibliche Folge davon sein . Reiser Reiser stand wie versteinert da , und der Prinzipal wußte in der Angst nicht , wozu er greifen sollte , bis sich ein Schauspieler erbot , die Rolle des Reimreich , so gut es gehen wollte , nach dem Souffleur zu spielen ; denn man pochte schon im Parterre , daß der Vorhang sollte aufgezogen werden . Wütend ging Reiser hinter den Kulissen auf und ab , und zernagte seine Rolle , die er in der Hand hielt . Dann eilte er , so schnell wie möglich , aus dem Schauspielhause , und durchirrte wieder alle Straßen bei dem stürmischen und regnerischen Wetter , bis er gegen Mitternacht auf einer bedeckten Brücke , die ihn vor dem Regen schützte , vor Mattigkeit sich niederwarf , und eine Weile ausruhte , worauf er wieder umherirrte , bis der Tag anbrach . Diese äußersten Anstrengungen der Natur , waren das einzige , was ihm das Verlorene in dem ersten bittersten Schmerz darüber einigermaßen ersetzen konnte . Das fortdauernde Leidenschaftliche dieses Zustandes hatte in sich etwas , das seiner unbefriedigten Sehnsucht wieder neue Nahrung gab . Sein ganzes mißlun 4ter Theil. M genes theatralisches Leben drängte sich gleichsam in diese Nacht zusammen , wo er alle die leidenschaftlichen Zustände in sich durchgieng , die er außer sich nicht hatte darstellen können . Am anderen Tage ließ ihn der Doktor Froriep zu sich kommen , und redete ihm , wie ein Vater zu . Er bediente sich des schmeichelhaften Ausdrucks , daß Reisers Anlagen ihn zu etwas Besserem als zu einem Schauspieler bestimmten , daß er sich selbst verkennte , und seinen eigenen Wert nicht fühlte . -- Da nun Reiser doch die Unmöglichkeit einsah , seinen Wunsch in Erfurt zu befriedigen , so täuschte er sich wiederum , und überredete sich selber , daß er freiwillig der Idee sich dem Theater zu widmen entsage , weil sich alles gleichsam vereinigte , um seinen Entschluß zu hintertreiben , und die Art , wie der Doktor Froriep ihn davon abmahnte , zugleich so viel Schmeichelhaftes für ihn hatte . Kaum aber war er wieder für sich allein , so rächte sich seine Selbsttäuschung durch erneuerten bitteren Unmut , Unentschlossenheit , und Kampf mit sich selber , bis nach einigen Tagen , ihn der härteste Schlag traf , den er noch immer zu vermeiden hoffte , er mußte sein Haar verlieren . Der Gedanke nunmehr in einer Perücke , welches unter den Erfurter Studenten ganz etwas Ungewöhnliches war , erscheinen zu müssen , war ihm unerträglich . Mit dem wenigen Gelde , was er noch übrig hatte , ging er an das äußerste Ende der Stadt , wo er sich in einem Gasthof einquartierte , in welchem er aber nur schlief , und des Abends sich etwas Bier und Brot geben ließ , um desto länger mit seinem Gelbe zu reichen . Bei Tage ging er größtenteils in öden Gegenden umher , suchte , wenn es regnete , in den Kirchen Schutz , und brachte auf die Weise beinahe vierzehn Tage zu , in welcher Zeit niemand wußte , wo er geblieben war ; bis endlich denn doch einer seiner Freunde ihn ausspähte , und er auf einmal von N. . . O. . . W. . . und noch einigen , die sich für ihn interessierten , in dem Gasthofe unvermutet überrascht , und über seine Entfernung ihm freundschaftliche Vorwürfe gemacht wurden. M 2 Er konnte nun sein Haar vor der Stirn über die Perücke schon etwas überkämmen , und wenn er sich dann stark puderte , so hatte es einigermaßen den Anschein , als ob er eigenes Haar trüge . Er entschloß sich also mit den Freunden , die ihn abholten , wieder in die menschliche Gesellschaft zu gehen , aber er wollte auch so viel wie möglich , nur unter ihnen sein , und wünschte auch auf alle Weise entfernt und einsam zu wohnen . Auch diesen Wunsch suchte man ihm zu gewähren . Der gutmütige W... sprach gleich mit seinem Onkel , dem damaligen Regierungsrat und Professor Springer in Erfurt , und stellte ihm Reisers Zustand , und sein Bedürfnis einer einsamen Wohnung lebhaft vor . Der Regierungsrat Springer ließ Reisern zu sich kommen , und wenn dieser jemals aufmunternd angeredet , und mit wahrer Teilnehmung aufgenommen wurde , so war es von diesem Manne , gegen welchen Reiser die innigste Zuneigung und Verehrung faßte . Er las damals ein statistisches Kollegium , welches Reiser ein paarmal mit anhörte , und da ihn die Sache sehr interessierte , vom R. Springer aufgefordert wurde , sich diesem Fache zu widmen , wobei er ihn auf alle mögliche Weise unterstützen wolle . Den Anfang dieser Unterstützung machte nun der R. Springer sogleich damit , daß er Reisern , seinem Wünsche gemäß , eine einsame Wohnung gab , indem er ihm sein eigenes Gartenhaus einräumte , wozu Reiser den Schlüssel bekam , und wo er aus seinem Fenster die schönste Aussicht über einen Teil der aneinandergrenzenden Gärten hatte , welche ganz Erfurt umgaben . Reiser genoß auch wieder seinen Freitisch , der Doktor Froriep nahm sich seiner auf das tätigste an , und suchte ihm auf alle Weise Unterstützung zu verschaffen ; er fing sogar an mathematische Kollegia zu hören , seine guten Freunde zogen ihn mit zu allen ihren literarischen Zusammenkünften , und lasen ihm zum Teil ihre Ausarbeitungen vor , so daß die Sache nunmehr im besten Gange war , wenn ein neuer unglücklicher M 3 Anfall von Poesie nicht alles wieder verdorben hätte . Zuerst mochte wohl sein neuer Aufenthalt in der einsamen romantischen Wohnung nicht wenig dazu beitragen , seine Einbildungskraft aufs neue zu erhitzen . Dann kam ein Brief dazu , den er an Philipp Reisern in Hannover schrieb , und welcher seinen Rückfall beschleunigte . Dies Schreiben war denn ganz im Tone der Wertärschen Briefe abgefaßt . Die patriarchalischen Ideen mußten auch auf alle Weise wieder erweckt werden , nur Schade , daß es hier nicht wohl ohne Affektation geschehen konnte . Denn um diesen Brief schreiben zu können , schaffte sich Reiser erst einen Teetopf an , und lieh sich eine Tasse , und weil er kein Holz im Hause hatte , kaufte er sich Stroh , welches man in Erfurt zum Brennen braucht , um sich selber in seinem Stübchen , in dem kleinen Öfchen seinen Tee zu kochen , womit er endlich , nachdem er vor Rauch beinahe erstickt war , zu Stande kam . Und als dies nun nur erst einmal geschehen war , so schrieb er gleichsam triumphierend an Philipp Reisern . Jetzt , mein Lieber ! bin ich in einer Lage , welche ich mir nicht reizender wünschen könnte . Ich blicke aus meinem kleinen Fenster über die weite Flur hinaus , sehe ganz in der Ferne eine Reihe Bäumchen auf einem kleinen Hügel hervorragen , und denke an Dich , mein Lieber u. s. w. Ich habe die Schlüssel dieser einsamen Wohnung , und bin hier Herr im Haus und Garten , u. s. w. Wenn ich denn manchmal so da sitze , an dem kleinen Öfchen , und mir selbst meinen Tee koche , u. s. w. In dem Tone ging es fort , und wurde ein stattlicher und langer Brief ; und als nun Reiser es nicht über das Herz bringen konnte , diesen schönen Brief nicht auch seinem kritischen Freunde , dem Doktor Sauer zu zeigen : so verdarb dieser vollends die Sache , indem er ihm nach seiner gutmütigen Höflichkeit das Kompliment machte : wenn ihm Reisers Gegenwart nicht selbst zu lieb wäre , so würde er wün M 4 schen , entfernt zu sein , um nur solche Briefe von Reisern zu erhalten . Und nun war auf einmal , der beinahe zur Ruhe gebrachte Dichtungstrieb bei Reisern wieder angefacht . Er suchte nun zuerst sein Gedicht über die Schöpfung vollends durch das Chaos durchzuführen , und hob mit neuer Qual an , in der Darstellung von gräßlichen Widersprüchen und ungeheuren labyrinthischen Verwicklungen der Gedanken sich zu verlieren , bis endlich folgende beide Hexameter , die er aus der Bibel nahm , ihn aus einer Hölle von Begriffen erlösten . Auf dem stillen Gewässer rauschte die Stimme des Ewigen Sanft daher , und sprach : es werde Licht ! und es wurde Licht . Merkwürdig war es , daß ihm nun die Lust verging , dies Gedicht weiter fortzuführen , sobald der Stoff nicht fürchterlich mehr war . Er suchte also nun einen Stoff aus , der immer fürchterlich bleiben mußte , und den er in mehreren Gesängen bearbeiten wollte ; was konnte dies wohl anders sein , als der Tod selber ! Dabei war es ihm eine schmeichelhafte Idee , daß er , als ein Jüngling , sich einen so ernsten Gegenstand zu besingen wählte ; daher hob er denn auch sein Gedicht an : Ein Jüngling , der schon früh den Kelch der Leiden trank , u. s. w. Als er nun aber zum Werke schritt , und den ersten Gesang seines Gedichts , wovon er den Titel schon recht schön hingeschrieben hatte , wirklich bearbeiten wollte , fand er sich in seiner Hoffnung einen Reichtum von fürchterlichen Bildern vor sich zu finden , auf das Bitterste getäuscht . Die Flügel sanken ihm , und er fühlte seine Seele wie gelähmt , da er nichts , als eine weite Leere , eine schwarze Öde vor sich erblickte , wo sich nun nicht einmal das vergeblich aufarbeitende Leben , wie bei der Schilderung des Chaos anbringen ließ , sondern eine ewige Nacht alle Gestalten verdeckte , und ein ewiger Schlaf alle Bewegungen fesselte . Er strengte mit einer Art von Wut seine Einbildungskraft an , in diese Dunkelheit Bil M 5 der hineinzutragen , allein sie schwärzten sich , wie auf Herkules Haupte die grünen Blätter seines Pappelkranzes , da er sich , um den Cerberus zu fangen , dem Hause des Pluto nahte . Alles was er niederschreiben wollte , löste sich in Rauch und Nebel auf , und das weiße Papier blieb unbeschrieben . Über diesen immer wiederholten vergeblichen Anstrengungen eines falschen Dichtungstriebes , erlag er endlich , und verfiel selbst in eine Art von Lethargie und völligem Lebensüberdruß . Er warf sich eines Abends mit den Kleidern aufs Bette , und blieb die Nacht und den ganzen folgenden Tag in einer Art von Schlafsucht liegen , aus der ihm erst am Abend des folgenden Tages , wo es gerade Weihnachten war , ein Bote von seinem Gönner dem Regierungsrat Springer weckte , dessen Frau an Reisern ein sehr großes Weihnachtsbrot zum Geschenk übersandte . Dies war nun gerade , was ihn in seiner unwiderstehlichen Schlafsucht noch bestärkte . Er schloß sich mit diesem großen Brote ein , und lebte vierzehn Tage davon , weil er nur wenig genoß , indem er Tag und Nacht , wo nicht in einem im merwährenden Schlafe , doch , die letzten Tage ausgenommen , in einem beständigem Schlummer , im Bette zubrachte . Hierzu kam nun freilich der Umstand , daß er kein Holz hatte , um einzuheizen : er hätte aber auch nur ein Wort sagen dürfen , um dies Bedürfnis zu befriedigen , wenn es ihm nicht gewissermaßen selbst lieb gewesen wäre , den Mangel des Holzes als einen Beweggrund zu dieser sonderbaren Lebensart vorschützen zu können . Reiser wurde in diesem Zustande auch von seinen Freunden nicht gestört , weil er gegen diese oft den Wunsch geäußert hatte , daß er nur einmal ein paar Wochen lang ganz einsam zu sein wünschte . Nun hatte aber dieser Zustand eine sonderbare Wirkung auf Reisern : die ersten acht Tage brachte er in einer Art von gänzlicher Abspannung und Gleichgültigkeit zu , wodurch er den Zustand , den er vergeblich zu besingen gestrebt hatte , nun gewissermaßen in sich selber darstellte . Er schien aus dem Lethe getrunken zu haben , und kein Fünkchen von Lebenslust mehr bei ihm übrig zu sein . Die letzteren acht Tage aber , war er in einem Zustande , den er , wenn er ihn isoliert betrachtet , unter die glücklichsten seines Lebens zählen muß . Durch die lange fortdauernde Abspannung hatten sich allmählich die schlafenden Kräfte wieder erholt . Sein Schlummer wurde immer sanfter ; durch seine Adern schien sich ein neues Leben zu verbreiten ; seine jugendlichen Hoffnungen erwachten wieder eine nach der anderen ; Ruhm und Beifall krönten ihn wieder ; schöne Träume ließen ihn in eine goldene Zukunft blicken . Er war von diesem langen Schlafe wie berauscht , und fühlte sich in einem angenehmen Taumel , so oft er von dem süßen Schlummer ein wenig aufdämmerte . Sein Wachen selber war ein fortgesetzter Traum ; und er hätte alles darum gegeben in diesem Zustande ewig bleiben zu dürfen . Wenn er daher die gefrorenen Fenster ansah , so war ihm dies der angenehmste Anblick , weil er dadurch genötigt wurde , immer noch einen Tag länger im Bette zu bleiben . Sein großes Brot auf dem Tische betrachtete er wie ein Heiligtum , daß er so sehr wie möglich schonen muß te , weil von der Dauer dieses Brots mit die Dauer seines glücklichen Zustandes abhing . Nun fühlte er sich aber auch wieder , sobald es gelten sollte , zu nichts zu schwach . Das Theater stand wieder so glänzend wie jemals vor ihm da ; alle die theatralischen Leidenschaften durchstürmten wieder eine nach der anderen seine Seele , und die Gemüter der Zuschauer wurden durch sein Spiel erschüttert . Als nun sein Brot verzehrt war , stand er gegen Abend auf , ordnete seinen Anzug so gut wie möglich , und sein erster Gang war ins Theater , wo er sich in einen Winkel setzte , und erstlich ein Stück Namens Inkle und Yariko , alsdann aber die Leiden des jungen Werthers aufführen sah . Der Verfasser des letzteren hatte fast nichts getan , als die werteschen Briefe in Dialogen und Monologen verwandelt , die denn freilich sehr lang wurden , aber doch das Publikum sowohl als die Schauspieler wegen des rührenden Gegenstandes , außerordentlich interessierten . Nun ereignete sich aber gerade bei der tragischen Katastrophe des letzteren Stücks ein sehr komischer Zufall . Man hatte sich nämlich irgendwo ein paar alte verrostete Pistolen geliehen , und war zu nachlässig gewesen , sie vorher zu probieren . Der Akteur , welcher den Werther spielte nahm sie vom Tische auf , und sagte denn alles , wie es im Werther steht , buchstäblich dabei ; " Deine " Hände haben sie berührt ; du hast selber den " Staub davon abgeputzt , u. s. w. Dann hatte er sich auch , um alles genau und vollständig darzustellen , einen Schoppen Wein und Brot bringen lassen , wozu denn der Aufwärter nicht ermangelte auch ein Brotmesser auf den Tisch zu legen . Am Ende aber war das Stück so eingerichtet , daß Werthers Freund Wilhelm , indem er den Schuß fallen hörte , hereinstürzen , und ausrufen mußte : Gott ! ich hörte einen Schuß fallen ! Dies war alles recht schön ; als aber Werther das unglückliche Pistole ergriff , es an die rechte Stirn hielt , und auf sich losdrückte , so versagte es ihm in seiner Hand . Durch diesen widrigen Zufall noch nicht aus der Fassung gebracht , schleuderte der entschloss fene Schauspieler das Pistole weit von sich weg , und rief pathetisch aus : auch diesen traurigen Dienst willst du mir versagen ? Dann ergriff er plötzlich die andere , drückte sie wie die erste los , und o Unglück ! auch diese versagte ihm . Nun erstarb ihm das Wort im Munde ; mit zitternden Händen ergriff er das Brotmesser das zufälliger Weise auf dem Tische lag , und durchstach sich damit zum Schrecken aller Zuschauer Rock und Weste . -- Indem er nun fiel , stürzte sein Freund Wilhelm herein , und rief -- " Gott ! ich hörte einen Schuß fallen ! " Schwerlich kann wohl eine Tragödie sich komischer wie diese schließen . -- Dies brachte aber Reisern nicht aus seiner hochschwebenden Phantasie , vielmehr bestärkte es ihn darin , weil er so etwas Unvollkommenes vor sich sah , das durch etwas Vollkommenes ersetzt werden mußte . Er hörte , daß in acht Tagen die Schauspieler von Erfurt abreisen , und nach Leipzig gehen würden , er hörte ferner daß der geschickteste Schauspieler unter dieser Truppe Namens B. . . einen Ruf nach Gotha erhalten hätte ; er hatte also nun keinen Nebenbuhler mehr zu fürchten ; Leipzig war der Ort um zu glänzen ; seine Perücke konnte er sehr geschickt unter den wiedergewachsenen Haaren verbergen . Wie viele neue Gründe nm der Leidenschaft , die schon vorher da war , und nur eine Weile geschlummert hatte , aufs neue über die Vernunft den Sieg zu geben . Er machte seinen Freunden sogleich den Entschluß bekannt , daß er gesonnen sei , mit der Sp. . .schen Truppe nach Leipzig zu gehen , daß er einen unwiderstehlichen Trieb in sich fühle , der ihn unglücklich machen würde , wenn er ihn überwinden wollte , und der ihn in allen seinen Unternehmungen doch immerfort hindern würde . Er stellte seine Gründe so leidenschaftlich und stark vor , daß selbst sein Freund N. . . ihm nichts dagegen sagen konnte , der ihm sonst schon die reizendsten Schilderungen gemacht hatte , wie sie im künftigen Frühling wieder auf dem Steigerwalde den Klopstock lesen würden u. s w. Reiser hielt sich nun schon bei den Schauspielern auf , und brachte dem Regierungsrat Springer den Schlüssel zu dem Gartenhause wieder , indem er ihm auf das Lebhafteste seinen unglücklichen Zustand schilderte , wenn er den Trieb zum Theater unterdrücken wollte . Der R. Springer behandelte Reisern auch hier noch auf die toleranteste Art . Er riet ihm selber , wenn der Trieb bei ihm so unwiderstehlich sei , demselben zu folgen , weil dieser Trieb , der immer wiedergekehrt war , vielleicht einen wahren Beruf zur Kunst in sich enthielte , dem er sich alsdann nicht entziehen solle . Wäre aber das Gegenteil , und sollte Reiser sich selber täuschen , und in seiner Unternehmung nicht glücklich sein , so möchte er sich unter jeden Umständen und in jeder Lage , dreist wieder an ihn wenden , und seiner Hilfe versichert sein . Reiser nahm mit so gerührtem Herzen Abschied , daß er kein Wort vorbringen konnte , so sehr hatte die Großmut und Nachsicht dieses Mannes sein Gemüt bewegt . Er machte sich selber beim Weggehen die bittersten Vorwürfe , daß er sich einer solchen Liebe und Freundschaft jetzt nicht würdiger zeigen konnte . Als nun Reiser um Abschied zu nehmen , zum Doktor Froriep kam , welcher seinen Entschluß durch N. . . schon wußte , so wurde er von die 4ter Teil N sein eben so nachsichtsvoll , wie von seinem anderen Gönner behandelt ; und der Doktor Froriep erklärte sich , daß er seinen Entschluß ihm nicht nur nicht widerraten , sondern ihn vielmehr darin bestärken würde , wenn die Schaubühne schon in dem Maße eine Schule der Sitten wäre , als sie es eigentlich sein könnte , und sein sollte . Eine kleine Ironie fügte er denn doch am Ende nicht ohne Grund hinzu , indem er zu seiner kleinen Tochter , die er auf dem Arme trug , sagte ; wenn du groß bist , so wirst du denn auch einmal von dem berühmten Schauspieler Reiser hören , dessen Nahme in ganz Deutschland berühmt ist ! Aber auch diese sehr wohlgemeinte Ironie blieb bei Reisern fruchtlos , der sich demungeachtet mit inniger Rührung und bitteren Vorwürfen gegen sich selber an alles das erinnerte , was der Doktor Froriep für ihn schon getan hatte , und wovon er nun selbst den Endzweck vereitelte . Allein es schien ihm nunmehr Pflicht der Selbsterhaltung , allen diesen inneren Vorwürfen kein Gehör zu geben , weil er sich fest über zeugt glaubte , daß er der unglücklichste Mensch sein würde , wenn er seiner Neigung nicht folgte . Die Sp. . . sche Truppe aber war die letzten Wochen , wegen Mangel an Einnahme in die äußerste Armut geraten . Der Direktor Sp. . . reiste mit der Garderobe allein nach Leipzig voraus , und von den übrigen Schauspielern mußte ein jeder selbst zusehen , daß er so gut wie möglich den Ort seiner Bestimmung erreichte , einige reisten zu Pferde , andere zu Wagen , und noch andere zu Fuß , nachdem es die Umstände eines jedeu erlaubten , denn die gemeinschaftliche Kasse war längst erschöpft : in Leipzig aber hoffte man nun , bald sich wieder zu erholen . Reiser machte sich denn auch denselben Nachmittag , wo er Abschied genommen hatte , zu Fuß auf den Weg , und sein Freund N. . . begleitete ihn zu Pferde bis nach dem nächsten Dorfe auf dem Wege nach Leipzig , wo N. . . am künftigen Sonntage predigen wollte . Nachdem sie im Gasthofe eingekehrt waren , und sich noch einmal aller der seligen Szenen erinnert hatten , die sie genossen haben wollten , wenn sie am Abhange des Steigers Klopstocks N 2 Messiade zusammen lasen , so machte sich Reiser wieder auf den Weg , und N... begleitete ihn noch eine ganze Strecke hin , bis es dunkel wurde . Da umarmten sie sich , und nahmen auf die rührendste Weise von einander Abschied , indem sie sich bei diesem Abschiede zum erstenmal Bruder nannten . Reiser riß sich los , und eilte schnell fort , indem er seinem Freunde zurief : nun reit zurück ! Als er aber schon in einiger Entfernung war , sah er sich wieder um , und rief noch einmal : gute Nacht ! Sobald er dies Wort gesagt hatte , war es ihm fatal , und er ärgerte sich darüber , so oft es ihm wieder einfiel . Denn die ganze empfindsame Szene hatte selbst in der Erinnerung dadurch einen Stoß erlitten , weil es komisch klingt , einem , den man auf lange Zeit oder vielleicht auf immer schon lebe wohl gesagt hat , nun noch einmal ordentlich eine gute Nacht zu wünschen , gleichsam als wenn man am anderen Morgen wieder einen Besuch bei ihm ablegen würde . -- Es war eine schneidende Kälte . Reiser aber wanderte nun , ohne irgend eine Bürde zu tra gen , mit reizenden Aussichten auf Ruhm und Beifall seine Straße fort . Oft , wenn er auf eine Anhöhe kam , stand er ein wenig still , und übersah die beschneiten Fluren , indem ihm auf einen Augenblick ein sonderbarer Gedanke durch die Seele schoß , als ob er sich wie einen Fremden hier wandeln , und sein Schicksal wie in einer dunklen Ferne sähe -- Diese Täuschung verschwand aber eben so bald , wie sie entstand ; und er dachte dann wieder im Gehen vor sich , wie Leipzig aussehen , in was für Rollen er auftreten würde u. s. w. Auf die Weise legte er den Weg von Erfurt nach Leipzig sehr vergnügt zurück ; im Gehen aber sprach er häufig den Namen N. . . aus , den er wirklich liebte , und weinte heftig dabei bis ihm das komische gute Nacht einfiel , welches er gar nicht in den Zusammenhäng dieser rührenden Erinnerung mit zu bringen wußte . In Erfurt hatte man ihm schon gesagt , daß er in Leipzig in dem Gasthofe zum goldenen Herzen einkehren müsse , wo die Schauspieler immer logierten , und gleichsam dort ihre Niederlage hätten . Als er in die Stube trat , fand er denn auch schon eine ziemliche Anzahl von den Mitgliedern der Sp. . schen Truppe vor , die er als seine künftigen Kollegen begrüßen wollte , indem er an allen eine außerordentliche Niedergeschlagenheit bemerkte , welche sich ihm bald erklärte , als man ihm die tröstliche Nachricht gab , daß der würdige Prinzipal dieser Truppe gleich bei seiner Ankunft in Leipzig , die Theatergarderobe verkauft habe , und mit dem Gelde davon gegangen sei . -- Die Sp. . . sche Truppe war also nun eine zerstreute Herde .