" Papa , Diana hat Junge ! " Mit diesen Worten trat ungestüm ein junges , schlankes Mädchen von fünfzehn Jahren in das Zimmer , in welchem sich außer dem Angeredeten , dessen Frau und dem Prediger des Ortes , noch Besuch aus der Nachbarschaft , ein Herr von Schäffer mit Frau und seinem erwachsenen Sohne , befand . Alles lachte und wandte sich dem kleinen Backfische zu , der ohne jede Verlegenheit auf den Papa zueilte und ausführlich über das wichtige Ereignis berichtete . " Es sind vier Stück , Papa , " erzählte sie lebhaft , " und braun sehen sie aus , wie Diana . Komme sieh dir sie an , es sind zu reizende Tierchen ! Vorn an den Pfötchen haben sie weiße Spitzen . Ich habe gleich einen Korb geholt und mein Kopfkissen hineingelegt , sie müssen doch warm liegen , die kleinen Dinger . " Herr Oberamtmann Macket hatte den Arm um die Schulter seines Lieblings gelegt und strich ihm das wirre Lockenhaar aus dem erhitzten Gesicht , dabei sah er sein Kind mit wohlgefälligen Blicken an , was eigentlich zu verwundern war , da Ilse in einem Aufzug hereingekommen , der durchaus nicht geeignet war , Wohlgefallen zu erregen , besonders in diesem Augenblicke , wo fremde Augen denselben musterten . Das verwaschene , dunkelblaue Kattunkleid , blusenartig gemacht und mit einem Ledergürtel gehalten , mochte wohl recht bequem sein , aber kleidsam war es nicht , und einige Flecken und Risse darin dienten ebenfalls nicht dazu , die Eleganz desselben zu heben . Die hohen , plumpen Lederstiefel , die unter dem kurzen Kleide hervorblickten , waren tüchtig bestaubt und sahen eher grau als schwarz aus . Aber wie gesagt , Herrn Macket genierte dieser Aufzug gar nicht , er sah in die fröhlichen , braunen Augen seines Lieblings , um dessen Kleider kümmerte er sich nicht . Er war im Begriffe , sich zu erheben , um seines Kindes Wunsch zu erfüllen , als seine Gattin , eine vornehme Erscheinung mit sanften und doch bestimmten Zügen , ihm zuvorkam . Sie hatte sich erhoben und trat auf Ilse zu . " Liebe Ilse , " sagte sie in freundlichem Tone und nahm dieselbe bei der Hand , " ich möchte dir etwas sagen , Kind . Willst du mir auf einen Augenblick in mein Zimmer folgen ? " Sehr ruhig , aber sehr bestimmt waren die Worte gesprochen und Ilse fühlte , daß ein Widerstand dagegen vergeblich sein würde . Ungern und gezwungen folgte sie der Mutter in das anstoßende Gemach . " Was willst du mir sagen , Mama ? " fragte sie und sah Frau Macket trotzig an . " Nichts weiter , mein Kind , als daß du sogleich auf dein Zimmer gehst und dich umkleidest . Du wußtest wohl nicht , daß Gäste bei uns waren ? " " Doch , ich wußte es , aber ich mache mir nichts daraus , " gab Ilse kurz zur Antwort . " Aber ich , Ilse . Ich kann nicht gleichgültig dabei sein , wenn du in einem so unordentlichen Kostüme dich blicken läßt . Du bist kein Kind mehr mit deinen fünfzehn Jahren ; bedenke , daß du seit Ostern konfirmiert bist , eine angehende junge Dame aber muß den Anstand wahren . Was soll der junge Schäffer von dir denken , er wird dich auslachen und dich verspotten . " " Der dumme Mensch ! " fuhr Ilse auf . " Ob der über mich lacht oder spottet , ist mir ganz gleichgültig . Ich lache auch über ihn ! Tut , als ob er ein Herr wäre mit seinem Klemmer und geht doch noch in die Schule . " " Er ist in Prima auf dem Gymnasium und zählt neunzehn Jahre . Nun sei vernünftig und kleide dich um , Kind , hörst du ? " " Nein , - ich ziehe kein anderes Kleid an , ich will mich nicht putzen ! " " Wie du willst , aber dann bitte ich dich , ja ich wünsche es entschieden , daß du in deinem Zimmer bleibst und dein Abendbrot dort verzehrst , " gab Frau Macket mit großer Ruhe zur Antwort . Ilse bis auf die Unterlippe und trat mit dem Fuße heftig auf die Erde , aber sie sagte nichts . Mit einer schnellen Wendung ging sie zur Tür hinaus und warf dieselbe unsanft hinter sich zu . Oben in ihrem Zimmer ließ sie sich auf einen Stuhl fallen , stützte die Ellbogen auf das Fensterbrett und weinte Tränen des bittersten Unmutes . " O wie schrecklich ist es jetzt ! " stieß sie schluchzend heraus . " Warum hat auch der Papa wieder eine Frau genommen , - es war so viel , viel hübscher , als wir beide allein waren ! Alle Tage muß ich lange Reden hören über Sitte und Anstand und ich will doch keine Dame sein , ich will es nicht - und wenn sie es zehnmal sagt ! " - - Als sie mit ihrem Vater noch allein war , führte sie freilich ein ungebundeneres und lustigeres Leben . Niemand hatte ihr Vorschriften zu machen oder durfte ihre dummen Streiche hindern ; was sie auch ausführte , es galt alles als unübertrefflich . Das Lernen wurde nur als langweilige Nebensache betrachtet und die Gouvernanten fügten sich entweder dem Willen ihrer Schülerin oder sie gingen davon . Beklagte sich ja einmal diese oder jene bei dem Vater und hatte derselbe auch wirklich den festen Entschluß gefaßt , ein Machtwort zu sprechen gegen sein unbändiges Kind , er kam nicht dazu , es auszuführen . Sobald er mit ernster Miene ihr gegenüber trat , fiel Ilse ihm um den Hals , nannte ihn ihren " einzigen , kleinen Papa " , trotzdem er ein sehr großer , kräftiger Mann war , und küßte ihm Mund und Wangen . Versuchte er , ihr ernste Vorstellungen zu machen , hielt sie ihm den Mund zu . " Ich weiß ja alles , was du mir sagen willst , und ich will mich ganz gewiß besseren ! " mit solchen und ähnlichen Worten und Versprechungen tröstete sie den Papa - ach und wie gern ließ er sich also trösten ! Er konnte dem Kinde nie ernstlich zürnen , es war sein alles . Als Ilses Mutter starb , legte sie ihm das kleine hilflose Ding in den Arm . Es hatte die schönen , frohen Augen der früh Geschiedenen geerbt , und blickte sie ihn an , war es ihm , als ob die Gattin , die er so sehr geliebt hatte , ihn anlächle . Lange Jahre war er einsam geblieben und hatte nur für sein Kind gelebt . Da lernte er seine zweite Frau kennen . Ihr kluges , sanftes Wesen fesselte ihn so , daß er sie heimführte . Frau Anne betrat das Haus ihres Mannes mit dem festen Vorsatze , seinem Kinde die treueste , liebevollste Mutter zu sein und alles aufzubieten , um ihr die früh Verlorene zu ersetzen ; indes jede herzliche Annäherung von ihrer Seite scheiterte an Ilses trotzigem Widerstande . Bald ein Jahr waltete sie nun schon als Frau und Stiefmutter und noch immer hatte sie es nicht vermocht , Ilses Liebe zu gewinnen . - - - Die Gäste blieben zum Abendessen auf Moosdorf , so hieß das große Gut des Oberamtmann Macket . Als der Tisch gedeckt war und alle sich an demselben niedergesetzt hatten , fragte Herr Macket , warum Ilse noch nicht anwesend sei . Frau Anne erhob sich und zog an der Klingelschnur . Der eintretenden Dienstmagd befahl sie , das Fräulein zu Tisch zu rufen . - - - - Ilse saß noch in derselben Stellung am Fenster . Sie hatte sich eingeschlossen und die Magd mußte erst tüchtig pochen und rufen , bevor sie sich bequemte , die Tür zu öffnen . " Sie sollen herunterkommen , Fräulein , die gnädige Mama hat es befohlen , " sagte Kathrine und betonte das " sollen " und " befohlen " so recht auffallend . " Ich soll ! " rief Ilse und wandte den Kopf hastig herum , " aber ich will nicht ! Sage das der gnädigen Frau Mama ! " " Ja , " sagte Kathrine , so recht befriedigt von dieser Antwort , denn auch sie war durchaus nicht damit einverstanden gewesen , daß wieder eine Frau in das Haus gekommen war , welche der schönen Freiheit ein Ende gemacht hatte , " ja , ich werde_es bestellen . Gnädiges Fräulein haben ganz recht , das ewige Befehlen , wenn man selbst alt genug ist , ist höchst unpassend , noch dazu , wenn fremde Leute dabei sind . " Und sie ging hinunter in das Speisezimmer und führte wörtlich Ilses Bestellung aus . Herr Macket blickte seine Frau verlegen an , er wußte gar nicht , was diese Antwort bedeuten sollte . Sie verstand seine stumme Frage und ohne im geringsten den Unmut merken zu lassen , den sie in ihrem Inneren empfand , sagte sie gelassen : " Ilse ist nicht ganz wohl , lieber Mann , sie klagte etwas über Kopfschmerzen . Kathrine hat ihre Bestellung ungeschickt ausgerichtet . " Alle Anwesenden errieten sofort , daß Frau Anne eine Ausrede machte , nur Herr Macket glaubte , daß es sich in Wahrheit so verhielt . " Wollen wir nicht lieber einen Boten zum Arzt schicken ? " fragte er besorgt . Die Antwort hierauf gab ihm sein Kind selbst , das heißt , sie bewies ihm , daß ihr kein Finger weh tat . Laut jubelnd und lachend trieb sie einen Reif mit einem Stock über den großen Rasenplatz , und der Jagdhund , Tyras , sprang demselben nach , und wenn er mit seinen Pfoten den Reif beinahe erhascht hatte und ihn doch nicht halten konnte , stieß er ein ärgerliches Geheul aus , worüber Ilse sich totlachen wollte . Herrn Mackets Gesicht verklärte sich ordentlich bei diesem Anblicke . Er stand auf , trat in die offenstehende Flügeltür des Zimmers und eben im Begriffe , Ilse zu rufen , hielt ihn Frau Anne davon zurück . " Laß sie - ich bitte dich , - lieber Mann , " bat sie , vor Unwillen leicht errötend , und zu den Gästen gewendet setzte sie hinzu : " Es tut mir leid , nun doch die Wahrheit sagen zu müssen , indes Ilses Benehmen zwingt mich dazu . " Und sie erzählte so mildernd als möglich den kleinen Vorfall . Es wurde darüber gelacht , ja Herr von Schäffer behauptete , die kleine habe Temperament und es sei schade , daß sie kein Knabe sei . Seine hochgebildete Frau konnte ihm nicht beistimmen , sie fand das wilde Mädchen geradezu entsetzlich und nannte es auf dem Heimwege ein _ enfant terrible _ . Als die Gäste fortgefahren waren , blieb der Prediger noch zurück . Derselbe war ein wohlwollender , nachsichtiger Mann , der Elsen väterlich zugetan war . Er hatte sie getauft und eingesegnet , unter seinen Augen war sie herangewachsen . Seit kurzer Zeit , seitdem die letzte Gouvernante ihren Abschied genommen hatte , leitete er auch ihren Unterricht . Es trat ein augenblickliches , beinahe peinliches Stillschweigen ein . Ein jeder der drei Anwesenden hatte etwas auf dem Herzen und scheute sich doch , das erste Wort zu sprechen . Herr und Frau Macket saßen am Tische , er rauchend , sie eifrig mit einer Handarbeit beschäftigt . Prediger Wollet ging im Zimmer auf und ab und sah recht ernst und nachdenklich aus . Endlich blieb er vor dem Oberamtmann stehen . " Es kann nichts helfen , lieber Freund , " redete er denselben an , " das Wort muß heraus . Es geht nicht mehr so weiter , wir können das unbändige Kind nicht zügeln , es ist uns über den Kopf gewachsen . " Der Oberamtmann sah den Prediger verwundert an . " Wie meinen Sie das ? " fragte er , " ich verstehe Sie nicht . " " Meine Meinung ist , geradeheraus gesagt , die , " fuhr der erstere fort , " das Kind muß fort von hier , in eine Pension . " " Ilse ? In eine Pension ? Aber warum , sie hat doch nichts verbrochen ! " rief Herr Macket ganz erschreckt . " Verbrochen ! " wiederholte lächelnd der Prediger . " Nein , nein , das hat sie nicht ! Aber muß denn ein Kind erst etwas Böses getan haben , um in ein Institut zu kommen ? Es ist doch keine Strafanstalt . Hören Sie mich ruhig an , lieber Freund , " fuhr er besänftigend fort und legte die Hand auf Mackets Schulter , als er sah , daß dieser heftig auffahren wollte . " Sie wissen , wie ich Ilse liebe , und wissen auch , daß ich nur das Beste für sie im Auge habe ; nun wohl , ich habe reiflich überlegt und bin zu dem Resultate gekommen , daß Sie , Ihre Frau und ich nicht Macht genug besitzen , sie zu erziehen . Sie trotzt uns allen drei , was soll daraus werden ? Sie hat soeben ein glänzendes Beispiel ihrer widerspenstigen Natur gegeben . " Der Oberamtmann trommelte auf dem Tische . " Das war eine Ungezogenheit , die ich bestrafen werde , " sagte er . " Etwas Schlimmes kann ich nicht darin finden . Mein Gott , Ilse ist jung , halb noch ein Kind , und Jugend muß austoben . Weshalb soll man einem übermütigen Mädchen so strenge Fesseln anlegen und es Knall und Fall in eine Pension bringen ? Was ist dabei , wenn es einmal über den Strang schlägt ? Verstand kommt nicht vor den Jahren ! Was sagst du dazu , Anne , " wandte er sich an seine Frau , " du denkst wie ich , nicht wahr ? " " Ich dachte wie du , " entgegnete Frau Anne , " vor einem Jahre , als ich dieses Haus betrat . Heute urteile ich anders , heute muß ich dem Herrn Prediger recht geben . Ilse ist schwer zu erziehen , trotz aller Herzensgüte , die sie besitzt . Ich weiß nichts mit ihr anzufangen , soviel Mühe ich mir auch gebe . Gewöhnlich tut sie das Gegenteil von dem , was ich ihr sage . Bitte ich sie , ihre Aufgaben zu machen , so tut sie entweder , als ob sie mich nicht verstanden hat , oder sie nimmt höchst unwillig ihre Bücher , wirft sie auf den Tisch , setzt sich davor und treibt allerhand Nebendinge . Nach kurzer Zeit erhebt sie sich wieder und fort ist sie ! Da hilft kein gütiges Zureden , keine Strenge , sie will nicht ! Frage den Herrn Prediger , wie ungleichmäßig Ilses wissenschaftliche Bildung ist , wie sie zuweilen sogar noch orthographische Fehler macht . " " Was kommt bei einem Mädchen darauf an , " entgegnete Herr Macket und erhob sich . " Eine Gelehrte soll sie nicht werden ; wenn sie einen Brief schreiben kann und das Einmaleins gelernt hat , weiß sie genug . " Der Prediger lächelte . " Das ist Ihr Ernst nicht , lieber Freund . Oder würde es Ihnen Freude machen , wenn man von Ihrer Tochter sagte , daß sie dumm sei und nichts gelernt habe ! Ilse hat gute Anlagen , es fehlt ihr nur der Trieb , die Lust zum Lernen . Beides wird sich einstellen , sobald sie unter junge Mädchen ihres Alters kommt . Das Streben derselben wird ihren Ehrgeiz wecken und ihr bester Lehrmeister sein . " Die Wahrheit dieser Worte leuchtete Herrn Macket ein , aber die Liebe zu seinem Kinde ließ es ihn nicht laut eingestehen . Der Gedanke , dasselbe von sich zu geben , war ihm furchtbar . Nicht täglich es sehen und hören zu können , - ihm war als ob die Sonne plötzlich aufhören müsse zu scheinen , als solle ihm Licht und Leben genommen werden . Frau Anne empfand , was in ihres Mannes Herzen vorging , liebevoll trat sie zu ihm und ergriff seine Hand . " Denke nicht , daß ich hart bin , Richard , wenn ich für den Vorschlag unseres Freundes Stimme , " sagte sie . " Ilse steht jetzt auf der Grenze zwischen Kind und Jungfrau , noch hat sie Zeit , das Versäumte nachzuholen und ihre unbändige Natur zu zügeln . Geschieht das nicht , so könnte man eines Tages unser Kind als unweiblich bezeichnen , wäre das nicht furchtbar ? " Er hörte kaum , was sie sprach . " Ihr wollt sie einsperren , " sagte er erregt , " aber das hält sie nicht aus . Laßt sie erst älter werden , es ist dann immer noch Zeit genug , sie fortzugeben . " Dagegen protestierten Frau Anne und der Prediger auf das entschiedenste ; sie bewiesen , daß jetzt die höchste Zeit sei , wenn die Pension noch etwas nützen solle . " Ich wüßte ein Institut in W. , das ich für Ilse ausgezeichnet empfehlen könnte , " erklärte der Prediger . " Die Vorsteherin desselben ist mir genau bekannt , sie ist eine vorzügliche Dame . Neben der Pension , die unter ihrer Leitung herrlich gediehen ist , hat sie eine Tagesschule in das Leben gerufen , die sich von Jahr zu Jahr vergrößert hat . Ilse würde den besten Unterricht und die liebevollste Pflege vereint finden . Und welch ein Vorzug ist nicht die wunderbare Lage dieses Ortes . Die Berge ringsum , die kostbare Luft - - - " " Ja ja , " unterbrach ihn Herr Macket unruhig und abwehrend , " ich glaube das alles gern ! Aber laßt mir Zeit , bestürmt mich nicht weiter . Ein so wichtiger Entschluß , selbst wenn er notwendig ist , bedarf der Reife . " - Er kam schneller als er geglaubt hatte . - Am anderen Morgen , es war noch sehr früh , traf der Oberamtmann sein Töchterchen , wie es eben im Begriffe war , hinaus auf die Wiese zu reiten , um das Heu mit einzuholen . Ungeniert hatte Fräulein Ilse sich auf eines der Pferde , das vor dem Leiterwagen gespannt war , von dem Kutscher hinaufheben lassen , derselbe stand auf dem Wagen und hielt die Zügel in der Hand . " Guten Morgen , Papachen ! " rief sie ihm laut schon von weitem entgegen , " wir wollen auf die Wiese fahren , das Heu muß herein ; der Hofmeister sagt , wir bekommen gegen Mittag ein Gewitter . Ich will gleich mit aufladen helfen ! " Der Vater hatte heute nicht die unbefangene Freude an dem Wesen seines Kindes , ihm fielen die Worte seiner Frau vom gestrigen Abend ein . Ilse sah wenig weiblich in diesem Augenblicke aus , eher glich sie einem wilden Buben . Wie ein solcher saß sie auf dem Pferde und hatte die Füße an beiden Seiten herunterhängen . Das kurze blaue Kleid deckte dieselben nicht , man sah den plumpen , hohen Lederstiefel und noch ein Stück des bunten Strumpfes . Es war wahrlich kein schöner Anblick . " Steige ' herab , Ilse , " sagte Herr Macket , dicht zu ihr tretend , um ihr beim Heruntersteigen behilflich zu sein , " du wirst jetzt nicht auf die Wiese reiten , hörst du , sondern deine Aufgaben machen . " Es war das erste Mal in ihrem Leben , daß der Vater in so bestimmter Weise zu ihr sprach . Im höchsten Grade verwundert blickte sie ihn an , aber sie machte keine Miene , seiner Aufforderung Folge zu leisten . Sie schlug die Arme ineinander und fing an , herzlich zu lachen . " Hahahaha ! Arbeiten soll ich ! Du kleiner reizender Papa , wie kommst du denn auf diesen komischen Einfall ? Mache nur nicht ein so böses Gesicht ! Weißt du , wie du jetzt aussiehst ? Gerade wie Mademoiselle , die letzte , Papa , von den vielen , - wenn sie böse war ! { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Fräulein Ilse , gehen Sie auf Ihr Zimmer _ mais tout-de-suite _. Aben Sie mir _ compris _ !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Dabei zog sie die Stirn in Falten und riß die Augen auf - so " , und sie versuchte es nachzuahmen . " Oh , es war zu himmlisch ! Adieu Papachen , zum Frühstück komme ich zurück ! " Sie warf ihm noch eine Kußhand zu , lachte ihn schelmisch an und fort ging es im lustigen Trabe hinaus auf die Wiese in den taufrischen Sommermorgen hinein . Herr Macket schüttelte den Kopf , mit einem Male stiegen ernstliche Bedenken wegen Ilses Zukunft in ihm auf . Er fand den Gedanken , sie in eine Pension zu geben , heute weniger schrecklich , als gestern . Sie hatte ihm soeben den Beweis gegeben , daß sie auch ihm Widerstand entgegensetzte . Freilich mußte er sich gestehen , daß er durch seine Nachgiebigkeit denselben in ihr groß gezogen hatte . Er ging in das Speisezimmer und trat von dort auf die Veranda , die weinumrankt sich an der Vorderseite des Hauses entlang zog . Seine Frau erwartete ihn dort am gedeckten Frühstückstische . Ganz gegen seine Gewohnheit war er still und einsilbig . " Hattest du Unannehmlichkeiten ? " fragte Frau Anne und reichte ihm den Kaffee . " Nein , " entgegnete er , " das nicht . " Er hielt einen Augenblick inne , als ob es ihm schwer würde , weiter zu sprechen , dann fuhr er fort : " Ich möchte dir eine Mitteilung machen , oder richtiger gesagt , dir meinen Entschluß wegen unseres gestrigen Gespräches verkünden . Zum 1. Juli soll Ilse in die Pension . " " Du scherzest , " sagte Anne und sah ihn fragend an . " Es ist mein Ernst , " erwiderte er . " Wirst du im stande sein , bis zu dem Termine alles zu Ilses Abreise einrichten zu können ? Wir haben heute den 12. Juni . " " Ja , das würde ich können , lieber Richard ; aber verzeihe , mir kommt dein Entschluß etwas übereilt vor . Wird er dich nicht gereuen ? Laß Ilse die schönen Sommermonate noch ihre Freiheit genießen und gib sie erst zum Herbste fort . Der Abschied von der Heimat wird ihr dann weniger schwer werden . " " Nein , keine Änderung , " sagte er , bei einem längeren Hinausschieben seinen Wankelmut fürchtend , " es bleibt dabei - zum 1. Juli wird sie angemeldet . " Nach einigen Stunden kehrte Ilse wohlgemut mit erhitzten Wangen und über und über mit Heu bestreut zum zweiten Frühstücke zurück . Wie sie war , ohne den Anzug zu wechseln , trat sie höchst vergnügt auf die Veranda . " Da bin ich , " rief sie . " Bin ich lange geblieben ? Ich sage dir , Papa , das Heu ist kostbar ! Nicht einen Tropfen Regen hat es bekommen . Du wirst deine Freude daran haben . Der Hofmeister meint , so gut hätten wir es seit Jahren nicht gehabt . " " Laß das Heu jetzt , Ilse , " entgegnete Herr Macket , " und höre zu , was ich dir sagen werde . " Er sagte es ziemlich ernst , es wurde ihm nicht leicht , von seinem Plane zu sprechen - sie war so ahnungslos , ja sie nahm gar keine Notiz von seiner Stimmung . Ihr Augenmerk war auf den wohlbesetzten Frühstückstisch gerichtet , sie war sehr hungrig von der Fahrt . " Soll ich dir Frühstück schneiden ? " fragte Frau Anne freundlich , aber Ilse lehnte es ab . " Ich will es schon selbst tun , " sagte sie , nahm das Messer und schnitt sich ein tüchtiges Stück Schwarzbrot ab . Die Butter strich sie fast fingerdick darauf . Nachdem sie ein dickes Stück Wurst zugelangt hatte , fing sie an , wohlgemut zu essen . Bald von dem Brote , bald von der Wurst , die sie in der Hand hielt , einen Bissen nehmend . Höchst ungeniert lehnte sie dabei hintenüber in einem Sessel und schlug die Füße übereinander . Es schmeckte ihr köstlich . " Ich denke , du wolltest mir etwas sagen , Papachen ! " rief sie mit vollem Munde , " nun schieß los , ich bin ordentlich neugierig darauf . " Er zögerte etwas mit der Antwort , noch war es Zeit , noch konnte er seinen Entschluß zurücknehmen - einen Augenblick überlegte er und es fehlte nicht viel , so hätte er es wirklich getan , aber die Schwäche ging vorüber und so ruhig wie es ihm möglich war , teilte er Ilse seinen Beschluß mit . Wenn er erwartet hatte , daß sie sich stürmisch widersetzen würde , so hatte er geirrt . Zwar blieb ihr buchstäblich der Bissen im Munde stecken vor Überraschung und Schreck , aber ihr Auge flog zur Mutter hinüber und sie unterdrückte den Sturm , der in ihr tobte . Um keinen Preis sollte diese erfahren , wie furchtbar es ihr war , die Heimat , den Vater vor allem , zu verlassen , sie , die doch sicherlich nur allein die Anstifterin dieses Planes war , denn der Papa - nein ! Nimmermehr würde er sie von sich gegeben haben ! " Nun , du schweigst ? " fragte Herr Macket , " du hast vielleicht selbst schon die Notwendigkeit eingesehen , daß du noch tüchtig lernen mußt , mein Kind , denn mit deinen Kenntnissen hapert es noch überall , nicht wahr ? " " Gar nichts habe ich eingesehen ! " platzte Ilse heraus , " du selbst hast mir ja oft genug gesagt , ein Mädchen brauche nicht so viel zu lernen , das allzu viele Studieren mache es erst recht dumm ! Ja , das hast du gesagt , Papa , und nun sprichst du mit einemmal anders . Nun soll ich fort , soll auf den Schulbänken sitzen zwischen anderen Mädchen und lernen , bis mir der Kopf weh tut . Aber es ist gut , ich will auch fort , ja ich freue mich auf die Abreise . Wenn nur erst der 1. Juli da wäre ! " Und sie erhob sich hastig , warf den Rest ihres Frühstücks auf den Tisch und eilte fort , hinauf in ihr Zimmer , und jetzt brachen die Tränen hervor , die sie bis dahin nur mühsam zurückgehalten hatte . Frau Anne wäre dem Kinde gar zu gern gefolgt , sie fühlte , was in dem jungen Herzen vorging , aber sie wußte genau , daß Ilse ihre gütigen Worte trotzig zurückweisen würde ; so blieb sie zurück und hoffte auf die Zeit , wo Ilses gutes Herz den Weg zu ihrer mütterlichen Liebe finden werde . - - -------------- Die wenigen Wochen bis zum festgesetzten Termine vergingen schnell . Frau Anne hatte alle Hände voll zu tun , um Ilses Garderobe in Ordnung zu bringen . Die Vorsteherin der Pension hatte auf Herrn Mackets Anfrage sofort geantwortet und sich gern zu seiner Tochter Aufnahme bereit erklärt . Zugleich hatte sie ein Verzeichnis der Sachen mitgeschickt , die jede Pensionärin bei ihrem Eintritt in das Institut mitzubringen habe . Ilse lachte spöttisch über die , nach ihrer Meinung vielen unnützen Dinge , besonders die Hausschürzen fand sie geradezu lächerlich . Sie hatte bis dahin niemals eine solche getragen . " Die dummen Dinger trage ich doch nicht , Mama ! " sagte sie , als Frau Anne dabei war , den Koffer zu packen , " die brauchst du gar nicht einzulegen . " " Du wirst dich doch der allgemeinen Sitte fügen müssen , mein Kind , " entgegnete die Mutter . " Warum wolltest du auch nicht ? Sieh einmal her , diese blau und weiß gestreifte Schürze mit den gestickten Zacken ringsum , ist sie nicht ein reizender Schmuck für ein kleines Fräulein , das sich im Haushalte nützlich machen wird ? " " Ich werde mich aber im Haushalte nicht nützlich machen ! " rief Ilse in ungezogenem Tone , " das fehlte noch ! Ihr denkt wohl , ich soll dort in der Küche arbeiten oder die Stuben aufräumen ? Die Schürzen trage ich nicht , ich will es nicht ! " " Übertreibe nicht , Ilse , " entgegnete Frau Anne , " du weißt recht gut , daß man dergleichen nie von dir verlangen wird . Wenn du durchaus die Schürzen nicht tragen magst , so kannst du ja deinen Wunsch der Vorsteherin mitteilen , vielleicht erfüllt sie dir denselben . " " Ich werde sie nicht erst darum fragen ! Solche Dinge gehen sie gar nichts an ! " war Ilses unartige Antwort . Sie verließ die Mutter , auf welche sie einen wahren Groll hatte . All die schönen Wäsche- und Kleidungsstücke , die Frau Anne mit Liebe und Sorgfalt für sie ausgewählt hatte , fanden keine Gnade vor ihren Augen , nicht einen Funken Interesse zeigte sie dafür . Dem Papa erklärte sie , daß sie ein kleines Köfferchen für sich selbst packen werde . Niemand solle ihr dabei helfen , niemand wissen , welche Schätze sie mit in das neue Heim hinüberführen werde . " Das ist eine prächtige Idee , Elschen , " stimmte Herr Macket bei , " nimm nur mit , was dir Freude macht . " Und er ließ sofort einen allerliebsten , kleinen Koffer kommen und überraschte seinen Liebling damit . Als Ilse ihm erfreut und dankend um den Hals fiel , als sie ihn seit längerer Zeit zum erstenmal wieder " mein kleines Pa chen " nannte , da wurde es ihm so weich ums Herz , daß er sich abwenden mußte , um seine Rührung zu verbergen . [ Illustration ] Am Tage vor ihrer Abreise schloß sich Ilse in ihr Zimmer ein und begann zu packen . Aber wie ! Bunt durcheinander , wie ihr die Sachen in die Hand kamen . Zuerst das geliebte Blusenkleid nebst Ledergürtel , es wurde nur so in den Koffer hineingeworfen und mit den Händen etwas festgedrückt , dann die hohen Lederstiefel mit Staub und Schmutz , wie sie waren , dann eine alte Ziehharmonika , auf der sie nur ein paar Töne hervorbringen konnte , ein neues Hundehalsband mit einer langen Leine daran , ein ausgestopfter Kanarienvogel , und zuletzt , nachdem die wunderbarsten Dinge in den Koffer gewandert waren , griff sie nach einem Glase , in welchem ein Laubfrosch saß . Es ist kaum zu glauben , indessen auch dieses sollte mitverpackt werden , - sie hatte sich so an das Tierchen gewöhnt . Sie nahm ein gutes , gesticktes Taschentuch aus dem Kommodenkasten , band dasselbe über das Glas , legte auch noch eine Papierhülle darüber , schnitt ganz kleine Löcher in beides und steckte einige Fliegen hindurch . " So , " sagte sie höchst befriedigt von ihrer Packerei , " nun bist du gut versorgt , mein liebes Tierchen , und wirst nicht verhungern auf der weiten Reise . " Wie sie das Glas hineinbrachte in den Koffer , war wirklich ein Kunststück , das ihr erst nach vieler Mühe gelang . Aber endlich war sie doch so weit , daß sie den Deckel schließen konnte . Er klemmte etwas und Ilse mußte sich erst darauf knien , bevor derselbe ins Schloß fiel . Den kleinen Schlüssel zog sie ab , befestigte ihn an einer schwarzen Schnur und band diese sich um den Hals . Als das Abendbrot verzehrt war und die Eltern noch am Tische saßen , ging Ilse in den Hof und machte eine Runde durch alle Ställe . Von den Hühnern , Tauben , Kühen , Pferden - sie hatte so viele Lieblinge darunter - nahm sie Abschied ; morgen sollte sie ja alle auf lange Zeit verlassen . Das Lebewohl von den Hunden wurde ihr am schwersten , sie waren alle ihre guten Freunde . Dianas Sprößlinge , die schon allerliebst herangewachsen waren und sie zärtlich begrüßten , lockten ihr Tränen des tiefsten Leides hervor . Neben ihr stand Johann . Er hatte das kleine Fräulein vom ersten Tage ihres Lebens an gekannt und liebte sie abgöttisch . Als er ihre Tränen sah , liefen auch ihm einige Tropfen über die Wangen . " Wenn das kleine Fräulein wiederkommt , " sagte er mit kläglicher Stimme und fuhr mit der verkehrten Hand über die Wange , " dann wird es wohl eine große Dame sein . Ja ja , Fräulein Elschen , unsere schöne Zeit ist dahin ! Ach und die Hunde , wie werden sie das Fräulein vermissen ! Die sind gescheit ! Menschlichen Verstand hat das dumme Vieh ! Wie sie schmeicheln , die kleinen Krobaten , als ob sie wüßten , daß unser kleines Fräulein morgen abreist - - " hier wurde seine Stimme so unsicher , daß er nicht weiter sprechen konnte . " Johann , " entgegnete Ilse unter Schluchzen , " Sorge für die Hunde . Und wenn du mir einen großen - den letzten Gefallen tun willst , so , " hier sah sie sich erst vorsichtig nach allen Seiten um , ob auch niemand in der Nähe war , " so nimm Bob , " diesen Namen hatte sie Dianas kleinem Söhnchen gegeben , " mit auf den Kutscherbock morgen , wenn du mich zur Bahn fährst , aber heimlich . Niemand darf es wissen , ich will ihn mitnehmen . Ein Halsband und eine Leine habe ich schon eingepackt . Aber Johann , heimlich , hörst du ? " Der Kutscher war glücklich über diesen Auftrag und daß er dem lieben , kleinen Fräulein noch einen Liebesdienst erweisen konnte . Er lächelte verschmitzt und versprach , Bob so geschickt unterzubringen , daß keine menschliche Seele von dem Hunde etwas merken solle . Früh am anderen Morgen stand der Wagen vor der Tür , der Ilse fortbringen sollte . Herr Macket begleitete sie bis W. , um sie der Vorsteherin , Fräulein Raimar , selbst zu überbringen . Er mußte sich doch persönlich überzeugen , wo und wie sein Liebling aufgehoben sein werde . Frau Anne nahte sich Ilse im letzten Augenblick , um zärtlich und gerührt von ihrem Kinde Abschied zu nehmen , aber diese machte ein finsteres , trotziges Gesicht und entwand sich der Mutter Armen . " Lebe wohl , " sagte sie kurz und sprang in den Wagen ; nicht um die Welt hätte sie der Mutter verraten mögen , wie weh und schmerzlich ihr das Scheiden wurde . Als der Wagen sich in Bewegung setzte und Diana denselben laut bellend noch eine kurze Strecke begleitete , bog sie sich weit zum Wagen hinaus mit tränenden Augen und nickte ihr zu . Gut war es , daß der Vater nichts von den Tränen merkte , er würde vielleicht augenblicklich Kehrt gemacht haben . Auf dem Bahnhofe , als alles besorgt und Ilse mit dem Papa in das Coupé gestiegen war , trat Johann hinzu mit Bob unter dem Arme und der Mütze in der Hand . " Leben Sie recht wohl , Fräulein Elschen , und kommen Sie gut hin , " sagte er etwas verlegen . " Die Hunde werde ich schon besorgen , dafür haben Sie nur keine Angst nicht . Den hier nehmen Sie wohl mit , es ist doch gut , wenn Sie nicht so allein in der Pension sind . " Ilse jauchzte vor Freude . Sie nahm den Hund in Empfang , liebkoste und streichelte ihn , dann reichte sie Johann die Hand . " Lebe wohl , " sagte sie , " und habe Dank . Ich freue mich zu sehr , daß ich ein Hündchen mit mir nehmen kann . " " Ja , aber Ilse , das geht doch nicht , " wandte der erstaunte Oberamtmann ein , " du darfst doch keine Hunde mit in das Institut bringen . Sei vernünftig und gib Bob Johann wieder zurück . " Doch daran war nicht zu denken . Ilse ließ sich durch keine Vorstellung dazu bewegen . " Die einzige Freude laß mir , Pagen ! Willst du mich denn ganz allein unter den fremden Menschen lassen ? Wenn Bob bei mir ist , dann habe ich doch einen guten Freund . Nicht wahr , Bobchen , du willst nicht wieder fort von mir , " wandte sie sich an den Hund , der es sich bereits höchst bequem auf ihrem Schoße gemacht hatte , " du bleibst nun immer bei mir ! " Es war dem Oberamtmann unmöglich , ein Machtwort dagegen zu sprechen , zumal ja Ilse so triftige Gründe für ihren Wunsch anführte . Am meisten überzeugte ihn der Gedanke , daß die Kleine doch einen heimatlichen Trost mit in die Fremde brächte . Es war eine lange und ziemlich langweilige Fahrt , meist durch flaches Land , erst zuletzt kamen die Berge . Für Ilse tat sich eine neue Welt auf , sie hatte noch nie eine so große Reise gemacht . Auf jeder Station schaute sie mit neugierigen Augen hinaus , jedes Bahnwärterhäuschen amüsierte sie . Über all den neuen Eindrücken , die sich ihr aufdrängten , trat der Trennungsschmerz in den Hintergrund . Spät am Abend , es war zehn Uhr vorbei , langten sie in W. an . Natürlich übernachtete Ilse mit ihrem Vater im Hotel , erst am anderen Morgen sollte sie in ihre neue Heimat eingeführt werden . Als es am nächsten Tage neun Uhr schlug , stand Ilse fertig angezogen vor ihrem Papa . Sie sah in ihrem grauen Reisekleide und den zierlichen Lederstiefeln ganz allerliebst aus . Unter dem runden , weißen Strohhute , der mit einem Feldsträußchen und schwarzen Samtband aufgeputzt war , fielen die braunen Locken herab . Die schönen , großen Augen blickten heute nicht so fröhlich wie sonst , sie hatten einen ängstlich erwartungsvollen Ausdruck , und um den Mund zuckte es in nervöser Aufregung . " Dir fehlt doch nichts , Elschen ? " fragte Herr Macket und sah sein Kind besorgt an . " Du bist so blaß , hast du schlecht geschlafen ? " Die herzliche Frage des Vaters löste mit einemmal die unnatürliche Spannung in Ilses Wesen . Sie fiel ihm um den Hals , und die bis dahin trotzig zurückgehaltenen Tränen brachen mit aller Macht hervor . " Aber Kind , Kind , " sagte Herr Macket sehr geängstigt durch ihre Leidenschaftlichkeit , " du wirst ja nicht lange von uns getrennt bleiben . Ein Jahr vergeht schnell , und zu Weihnachten besuchst du uns . Komme , Kleines , trockene die Tränen . Du mußt dir das Herz nicht schwer machen . Du wirst uns fleißig Briefe schreiben und die Mama oder ich werden dir täglich Nachricht geben von uns , von allem , was dich in Moosdorf interessiert . " Und er nahm sein Taschentuch und trocknete damit die immer von neuem hervorbrechenden Tränen seines Kindes . Der Oberamtmann befand sich in einer gleich aufgeregten Stimmung wie sein Kind , es wurde ihm nicht leicht zu trösten , wo er selbst des Trostes bedürftig war . So schwer hatte er sich die Trennung nicht gedacht , er würde sonst nicht darein gewilligt haben ; aber da er das einmal getan hatte , wollte er sich in die Notwendigkeit fügen . Er strich Ilse das Haar aus der Stirn und setzte ihr den herabgesunkenen Hut wieder auf . " Komme , " sagte er , " jetzt wollen wir gehen . Nun sei ein verständiges Kind . " " Die Mama soll mir nicht schreiben ! " stieß Ilse schluchzend heraus , " nur deine Briefe will ich haben ! Meine Briefe an dich soll sie auch nicht lesen ! " " Ilse ! " verwies Herr Macket , " so darfst du nicht sprechen . Die Mama hat dich lieb und meint es sehr gut mit dir . " " Sehr gut ! " wiederholte sie in kindischem Zorne , " wenn sie mich lieb hätte , würde sie mich nicht verstoßen haben ! " " Verstoßen ! Du weißt nicht , was du sprichst , Ilse ! Werde erst älter , dann wirst du das große Unrecht einsehen , das du heute deiner Mutter antust , und deine bösen Worte bereuen . " " Sie ist nicht meine Mutter , - sie ist meine Stiefmutter ! " " Du bist kindisch ! " sagte der Oberamtmann , " aber merke dir , niemals wieder will ich dergleichen Äußerungen von dir hören . Du kränkst mich damit ! " Ilse sah schmollend zur Erde nieder und konnte nicht begreifen , wie es kam , daß der Papa sie nicht verstand , er mußte doch einsehen , wie Unrecht ihr geschah . " Komme jetzt , " fuhr er in mildem Tone fort , " wir wollen gehen , mein Kind . " Sie ergriff den Hund , nahm ihn auf den Arm und wollte so ausgerüstet dem Vater folgen . " Laß ihn zurück , " gebot derselbe , " wir wollen die Vorsteherin erst fragen , ob du ihn mitbringen darfst . " Aber Ilse setzte ihren Kopf auf , " dann gehe ich auch nicht , " erklärte sie mit aller Bestimmtheit . " Ohne Bob bleibe ich auf keinen Fall in der Pension ! " Macket tat dem Eigensinne den Willen aus Furcht , von neuem Tränen hervorzulocken . Aber Ilses Widerstand war ihm im höchsten Grade peinlich . Was sollte Fräulein Raimar denken ! Eine Viertelstunde darauf standen Vater und Tochter vor einem stattlichen , zweistöckigen Hause , das vor dem Tore der kleinen Stadt mitten im Grünen lag ; es war das Institut des Fräulein Raimar . Der Oberamtmann blieb überrascht davor stehen . " Sieh Ilse , welch ein schönes Gebäude ! " rief er höchst befriedigt . " Der Blick von hier aus in die nahen Berge ist geradezu bezaubernd . " Was kümmerten sie die Berge ! Sie fühlte sich so gedrückt von Kummer , daß ihr die ganze Welt ein Jammertal dünkte . " Wie kannst du dies Haus schön finden , Papa , " entgegnete sie . " Wie ein Gefängnis sieht es aus . " Herr Macket lachte . " Betrachte doch die hohen , breiten Fenster , Kind , " sagte er . " Glaubst du , daß in einem Gefängnisse ähnliche zu finden sind ? Die armen Gefangenen sitzen hinter kleinen , blinden Scheiben , die außerdem noch mit einem Eisengitter versehen sind . " " Ich werde jetzt auch eine Gefangene sein , Papa , und du selbst lieferst mich in dem Gefängnisse ab . " " Du bist eine kleine Närrin ! " lachte er und brach das Gespräch , das ihm bedenklich zu werden schien , ab . Er stieg die breiten , steinernen Stufen , die zu dem Eingange führten , hinauf und zog an der Klingel . Ilse , die ihm langsam gefolgt war , schrak unwillkürlich zusammen , als sie den hellen Schall im Hause vernahm . Gleich darauf wurde die Tür von einer Magd geöffnet . Nachdem dieselbe die Angekommenen gemeldet hatte , wurden sie in das Empfangszimmer der Vorsteherin geführt . Bevor sie dasselbe erreichten , mußten sie den Hausflur und einen langen Korridor , von welchem zwei Ausgänge in einen schönen , großen Hof führten , durchschreiten . Es war gerade die Frühstückspause in der Schule und so war es natürlich , daß überall lachend und plaudernd große und kleine Mädchen umherstanden . Sie verstummten , als sie die neue Pensionärin , von der sie wußten , daß sie heute ankommen werde , erblickten , und aller Augen richteten sich auf Ilse , der es plötzlich höchst beklommen zu Mute wurde . Es schien ihr , als höre sie verstecktes Kichern hinter sich und sie war herzlich froh , als die Tür in dem Empfangszimmer sich hinter ihr schloß . Noch war dasselbe leer . Ilse blickte sich um , und in diesem großen , vornehmen Raume , der künstlerisch und elegant zugleich eingerichtet war , stieg mit einem Male ein etwas banges Gefühl in ihr auf wegen Bob , sie wünschte fast , des Vaters Willen gefolgt zu sein . Hätte sie den Hund in ihrem Arme plötzlich unsichtbar machen können , sie hätte es getan . Nun wollte der Unartige auch noch herunter auf den Boden , und diesen Wunsch konnte sie ihm doch unmöglich erfüllen , wie hätte sie wagen dürfen , ihn auf den kostbaren Teppich , der durch das Zimmer gebreitet lag , herab zu lassen ! Die Tür öffnete sich und Fräulein Raimar trat ein . Sie begrüßte Herrn Macket mit steifer Freundlichkeit , dann blickte sie mit ihren stahlgrauen Augen , die einen zwar strengen , ernsten , trotzdem aber gewinnenden Ausdruck hatten , auf Ilse . Diese war dicht an den Vater getreten und hatte seine Hand ergriffen . " Sei willkommen , mein Kind ! " Mit diesen Worten begrüßte die Vorsteherin Ilse und reichte ihr die Hand . " Ich denke , du wirst dich bald bei uns heimisch fühlen . " Als sie den Hund sah , fragte sie : " Hat dich dein Hund bis hierher begleitet ? " Ilse blickte etwas hilflos den Papa an , der dann auch für sie das Wort nahm . " Sie mochte sich nicht von ihm trennen , Fräulein Raimar , " sagte er etwas verlegen , " sie glaubte , daß Sie die Güte haben würden , ihren kleinen Kameraden mit ihr aufzunehmen . " Das Fräulein lächelte . Es war das erste Mal , daß man ihr eine solche Zumutung machte . " Es tut mir leid , Herr Oberamtmann , " sagte sie , " daß ich den ersten Wunsch Ilses rücksichtslos abschlagen muß . Sie wird verständig sein und einsehen , daß ich nicht anders handeln kann . Stelle dir einmal vor , liebes Kind , wenn alle meine Pensionärinnen den gleichen Wunsch hätten , dann würden zweiundzwanzig Hunde im Institute sein . Welch ein Spektakel würde das geben ! Möchtest du das Tier gern in deiner Nähe behalten , so wüßte ich einen Ausweg . Mein Bruder , der Bürgermeister hier , wird deinen Hund gewiß aufnehmen , wenn ich ihn darum bitte ; dann kannst du täglich deinen Liebling sehen . " Ilse war rot geworden und dicke Tränen perlten in ihren Augen . " Dann bleibe ich auch nicht hier ! " - sie wollte es eben aussprechen , aber sie wagte es nicht . Die Dame vor ihr hatte so etwas Unnahbares , Vornehmes in ihrem Wesen . Wie eine Fürstin erschien sie ihr trotz des schlichten , grauen Kleides , dessen kleiner Stehkragen am Halse mit einer einfachen goldenen Nadel zusammengehalten wurde . Ilse senkte den Blick und schwieg . Der Oberamtmann lachte . " Sie haben recht , Fräulein , " sagte er , " und wir hätten das selbst vorher bedenken können . Ihre große Güte , den Hund bei Ihrem Herrn Bruder unterzubringen , wird Ilse mit vielem Danke annehmen , nicht wahr ? " Sie schüttelte den Kopf . " Fremde Leute sollen Bob nicht haben , Papa , du nimmst ihn wieder mit nach Moosdorf . " Herr Macket schämte sich der Antwort seines Kindes , aber Fräulein Raimar überhob ihn geschickt seiner Verlegenheit . Mit ihrem erfahrenen Sinne hatte sie sofort das Trotzköpfchen vor sich erkannt . Sie tat , als merkte sie Ilses Unart nicht . " Du hast ganz recht , " sagte sie freundlich , " es ist das beste , der Papa nimmt das Tier wieder mit in die Heimat . Du würdest durch dasselbe vielleicht doch mehr zerstreut , als mir lieb wäre . Soll die Magd den Hund in das Hotel zurücktragen , wo Sie abgestiegen sind , Herr Oberamtmann ? " " Ich will ihn selbst dorthin tragen , nicht wahr , Papachen ? " fragte Ilse und hielt Bob ängstlich fest . " Ich wünsche nicht , daß du es tust , liebe Ilse , " wandte Fräulein Raimar ein . " Ich möchte dich gleich zu Mittag hier behalten , um dich den übrigen Pensionärinnen vorzustellen . Ich halte es so für das beste . Es tut nicht gut , Herr Oberamtmann , wenn ein Kind , sobald der Vater oder die Mutter es mir übergeben haben , noch einmal mit ihnen zurückkehrt in das Hotel . Der Abschied wird ihm weit schwerer gemacht . " " Nein , nein ! " rief Ilse zitternd vor Aufregung , " ich bleibe nicht gleich hier ! Ich will mit meinem Papa so lange zusammen sein , bis er abreist . Du nimmst mich mit dir , nicht , Papa ? " Es wurde Herrn Macket heiß und kalt bei ihrem Ungestüm , indes auch diesmal half ihm Fräulein Raimar über die peinliche Lage hinweg . " Gewiß , mein Kind , " entgegnete sie mit Ruhe , " dein Wunsch soll dir erfüllt werden . Darf ich Sie bitten , Herr Oberamtmann , heute mittag mein Gast zu sein ? Sie würden mich sehr erfreuen . " Ilse warf ihrem Papa einen flehenden Blick zu , der ungefähr ausdrücken sollte : " Bleibe ' nicht hier , nimm mich mit fort ! Ich mag nicht hier bleiben bei dem bösen Fräulein , das mich schlecht behandeln wird ! " Leider verstand er den Blick anders , er hielt ihn für eine stumme Bitte , die Einladung anzunehmen und sagte zu . Die Vorsteherin erhob sich und zog an einer Klingelschnur . Der eintretenden Magd trug sie auf , Fräulein Güssow zu rufen . Wenige Augenblicke darauf trat dieselbe in das Zimmer . Die Gerufene war die erste Lehrerin im Institute und wohnte daselbst . Weit jünger als die Vorsteherin , war sie eine höchst anmutige , liebenswürdige Erscheinung von sechsundzwanzig Jahren . Sämtliche Tagesschülerinnen und besonders die Pensionärinnen schwärmten für sie , sie verstand es , durch gleichmäßige Güte sich die jungen Herzen zu gewinnen . " Wollen Sie die Güte haben , Ilse auf ihr Zimmer zu geleiten , " sagte die Vorsteherin , nachdem sie die junge Lehrerin vorgestellt hatte , " damit sie dort ihren Hut ablegen kann . " " Gern , " erwiderte die Angeredete und trat auf Ilse zu . " Komme , liebes Kind , " sagte sie freundlich und ergriff sie bei der Hand , " jetzt werde ich dir zeigen , wo du schläfst . O , du hast ein schönes , großes Zimmer ; aber du wohnst nicht allein dort . Ellinor Grey wird deine Stubengenossin sein . Sie ist ein liebes Mädchen . Du möchtest gern gleich mit ihr bekannt werden , nicht wahr ? " Ilse überhörte die Frage . Mit scheuen , ängstlichen Augen sah sie den Vater an und fragte : " Du gehst doch nicht fort , Papa ? " Als er sie darüber beruhigte , folgte sie Fräulein Güssow . " Aber den Hund mußt du wohl hier lassen , du kannst ihn doch nicht mit hinauf in dein Zimmer nehmen , " sagte Fräulein Raimar . " Du kannst ihn draußen der Magd übergeben , damit sie ihn so lange in Verwahrung nimmt . " Fräulein Güssow dachte weniger streng als die Vorsteherin . Sie fand es nicht so schlimm , wenn Ilse ihren Hund im Arme behielt . " Hast du ihn so sehr gern ? " fragte sie , als sie mit dem jungen Mädchen den Korridor entlangging . " Ja , " entgegnete Ilse , " sehr , sehr lieb habe ich Bob . Und ich darf ihn nicht hier behalten . " Sie legte ihre Wange auf des Hundes Kopf und kämpfte mit dem Weinen . " Gräme dich nicht darum , Kind , " tröstete Fräulein Güssow , " das ist nicht so schlimm . Du findest hier viel etwas Besseres . Du sollst einmal sehen , wie bald du den Bob vergessen haben wirst . Wir haben zweiundzwanzig Pensionärinnen jetzt im Institute , du wirst manche liebe Freundin unter ihnen finden . Hast du Geschwister ? " " Nein , " sagte Ilse , die ganz zutraulich gegen Fräulein Güssow wurde , " ich bin allein . " " Nun , siehst du ! Da kann ich mir deine Liebe zu dem unvernünftigen Tiere erklären , dir fehlten die Gespielinnen . Gib deinen Hund getrost dem Papa wieder mit zurück , du wirst ihn nicht vermissen . " Sie stiegen eine Treppe hinauf und kamen auf einen großen , hellen Vorsaal , auf welchem eine Anzahl Türen mündeten . Eine derselben öffnete die Lehrerin , und sie traten in ein geräumiges Zimmer ein , das nach dem Garten führte . Die Fenster waren geöffnet und ein mächtiger Apfelbaum streckte seine Zweige fast zum Fenster hinein . Die Einrichtung war nicht elegant , nur das Notwendigste befand sich in dem Zimmer . Zwei Betten , zwei Kommoden und zwei Kleiderschränke , dann noch ein großer Waschtisch und einige Stühle . Als Fräulein Güssow mit Ilse eintrat , erhob sich schnell ein junges Mädchen von ungefähr siebzehn Jahren , das mit einem Buche in der Hand am Fenster gesessen hatte . Es war ein schlankes , zartgebautes Wesen , mit goldblondem Haar , das sie in einem Knoten aufgesteckt trug , mit blauen Augen und mit schelmischen Grübchen in den Wangen , sobald sie lachte . Es war Ellinor Grey , eine Engländerin . " Hier bringe ich dir Ilse Macket , Nellie , " so wurde der Engländerin Namen allgemein abgekürzt . " Ich denke , du wirst dich ihrer liebreich annehmen . " " O ja , ich werde ihr sehr lieben , " antwortete Nellie und reichte der Neuangekommenen die Hand . " Bleibt die Hund auch hier ? " fragte sie . " Nein , " sagte Fräulein Güssow . " O wie schade ! Es ist ein so süßes Tier ! " Und sie streichelte Bob . Es klang so drollig und sie sah so schelmisch aus , daß Ilse sofort sich von ihr angezogen fühlte . Gern hätte sie noch ein Weilchen dem komischen Geplauder Nellies zugehört , aber sie mußte dem Fräulein folgen , die sich vorgenommen hatte , ihr einige Schulräume zu zeigen . Zuerst öffnete sie die Tür zu dem Musikzimmer , dann gingen sie in den Zeichensaal und zuletzt wurde Ilse in den sogenannten großen Saal geführt . Die junge Lehrerin erzählte ihr , daß in demselben alle Examen und zuweilen auch Festlichkeiten stattfänden . Ilse hörte mit halbem Ohr , sie hatte nämlich durch eine offenstehende Tür einen Blick in eine leerstehende Klasse getan und Schulbänke darin entdeckt . Dort eingeklemmt sollte sie von jetzt an sitzen , nicht aufstehen dürfen , wenn es ihr beliebte - o , es war entsetzlich ! Ein Grauen überkam sie plötzlich , ihr war , als würde ihr die Brust zusammengeschnürt . " In welche Klasse meinst du , daß du kommen wirst ? " fragte das Fräulein , " deinem Alter nach müßtest du wohl in die erste versetzt werden . Hast du deine Arbeitsbücher mitgebracht ? Wie steht es mit den Sprachen ? Französisch und Englisch sind dir wohl geläufig , da du stets , wie dein Papa schrieb , eine englische oder französische Gouvernante hattest . " Von unten herauf tönte eine Glocke . Dies war eine sehr gelegene Unterbrechung für Ilse , der es unheimlich bei dem Examen wurde . Sie sagte , daß sie nicht wisse , wie weit sie sei , französisch glaube sie sprechen zu können . " Nun laß nur , mein Kind , " meinte das Fräulein , " heute wollen wir noch nicht an das Lernen denken , bei deiner Prüfung morgen werden wir ja sehen , welch kleine Gelehrte du bist . - Wir wollen jetzt hinunter in den Speisesaal gehen , die Glocke hat uns zu Tisch gerufen . " Als sie in denselben eintraten , fanden sie die Vorsteherin mit dem Oberamtmann bereits dort . Erstere machte ihn mit der herkömmlichen Einrichtung während des Essens bekannt . Zum Beispiel , daß die zuletzt angekommene Pensionärin stets ihren Platz neben der Vorsteherin angewiesen erhalte . Dann , daß zwei junge Mädchen wöchentlich den Tisch zu besorgen hatten . Dieselben mußten denselben decken und genau acht geben , daß nichts fehlte und sämtliche Gegenstände sauber und blank waren . Die Jüngste der Pensionärinnen sprach stets das Tischgebet . Dem Oberamtmann gefielen die Anordnungen vortrefflich und als er seinen Blick über die junge Mädchenschar hingleiten ließ , mußte er seine Freude aussprechen , wie gesund und fröhlich fast alle aussahen . Ilse sah auch umher , aber es waren nicht die fröhlichen und gesunden Gesichter , die sie interessierten , sondern die Schürzen . Jede Einzelne trug ein solches von ihr verachtetes Ding , und Fräulein Raimar sah nicht aus , als ob sie eine Ausnahme bei ihr gelten lassen würde . Nach dem Gebete wurden die Speisen aufgetragen . Dieselben waren kräftig und gut gekocht , und Herr Macket konnte sich überzeugen , daß sein Kind auch in dieser Hinsicht gut versorgt sein werde . Nach dem Essen verabschiedete er sich bald , und Ilse durfte ihn begleiten . Nellie hatte kaum davon gehört , als sie wie der Wind die Treppe hinaufflog , um gleich darauf mit Ilses Hut und Handschuhen zurückzukommen . Diese dankte ihr dafür , und Herr Macket reichte ihr die Hand . " Leben Sie wohl , mein Fräulein , " sagte er herzlich , denn Nellie hatte durch diese kleine Aufmerksamkeit ihn sofort für sich eingenommen , " und haben Sie Geduld mit meinem kleinen Wildfang . " " O ja , " entgegnete Nellie , " ich werde mir schon gern von sie annehmen . " " Nun , Ilse , wie gefällt dir das Institut ? " fragte der Oberamtmann , als sie auf der Straße gingen , " ich gestehe , daß ich sehr befriedigt von hier abreise , ich weiß , ich lasse dich in guten Händen . " " Mir gefällt es gar nicht hier ! " erklärte Ilse höchst verstimmt . " Es ist mir alles so fremd , und vor dem grauen Fräulein mit dem blonden , glatten Scheitel fürchte ich mich . Sie ist so hart , so ungefällig ! Du sollst sehen , Papa , sie ist nicht gut gegen mich . Warum soll ich Bob nicht behalten ? " " Du hast gehört , weshalb nicht , nun mußt du auch nicht mehr so hartnäckig auf deinen Wunsch zurückkommen , " verwies er sie leicht . " Nun fängst auch du an , mit mir zu zanken ! Niemals hast du so böse mit mir gesprochen , " rief Ilse schmerzlich beleidigt . Und sie fühlte sich in dem Gedanken , daß kein Mensch , selbst der Papa nicht , sie leiden möge , so unglücklich , daß das große Mädchen auf offener Straße zu weinen anfing . Der Oberamtmann nahm ihren Arm und legte ihn in den seinigen . Des Kindes Tränen machten ihn so weich . " Aber Kleines , " sagte er zärtlich und versuchte zu scherzen , " was machst du denn ? Sollen dich die Leute auslachen , wenn das große , kleine Mädchen weint ? " Er führte sie zurück in das Hotel und dort fanden sie bereits Bob . Freudig bellend begrüßte er Ilse , und diese nahm ihn hoch und liebkoste ihn unter lautem Schluchzen . Um fünf Uhr reiste der Oberamtmann wieder zurück in die Heimat . Die wenigen Stunden bis dahin vergingen schnell und stürmisch . Je näher der Abschied rückte , desto aufgeregter wurde Ilse , und es bedurfte seiner ganzen Festigkeit , um ihrem Wünsche , sie wieder mit nach Moosdorf zu nehmen , entgegenzutreten . " Sei doch verständig ! " Wie oft bat er sie in dringendem Tone darum , wenn sie in leidenschaftlicher Erregung allerhand Drohungen ausstieß , wie : " Ich laufe heimlich davon , " oder " ich werde so ungezogen sein , daß mich das böse Fräulein wieder fortschickt ! " Er wußte , sie werde beides nicht tun , aber es machte ihm doch Kummer , seinen Liebling so trostlos zu sehen . Sie wollte ihn wenigstens zur Bahn begleiten , auch das litt Herr Macket nicht . " Ich fahre dich zurück in das Institut und dann allein zur Bahn . So ist es am besten . Nun komme , Elschen , " fuhr er fort , als der Wagen unten vorfuhr , und nahm sie zärtlich in den Arm , " und versprich mir ein gutes , folgsames Kind zu sein . Du sollst einmal sehen , wie bald du dich eingewöhnt haben wirst . " Sie hing sich an seinen Hals und mochte sich nicht von ihm trennen . Es fiel ihr mit einemmal schwer auf das Herz , wie sehr sie den Papa gequält hatte in den letzten Stunden . " Sei mir gut , mein lieber , lieber Papa ! " bat sie , " sei mir gut ! Du bist ja der einzige Mensch auf der Welt , der mich lieb hat ! " Als der Wagen vor der Anstalt hielt , trennte sich Ilse lautschluchzend von ihrem Vater , und als sie denselben davonfahren sah , war es ihr zu Mute , als ob sie auf einer wüssten Insel allein zurückgelassen , elendiglich untergehen müsse . * * * Noch eine Weile stand sie vor der verschlossenen Pforte , sie konnte sich nicht entschließen , an der Klingel zu ziehen . Da wurde die Tür von selbst geöffnet und Fräulein Güssow stand in derselben . Sie hatte von einem Fenster in der oberen Etage den Wagen kommen sehen und war hinuntergeeilt , um Ilse zu empfangen . " Jetzt gehörst du zu uns , liebes Kind , " sagte sie mit warmer Herzlichkeit und nahm sie in den Arm . " Weine nicht mehr , wir werden dich alle lieb haben . " Ilse gab keine Antwort , sie fühlte sich so unglücklich , daß selbst der liebevolle Empfang der jungen Lehrerin kein Echo in ihrem Herzen fand . " Möchtest du auf dein Zimmer gehen ? " fragte diese . [ Illustration ] Ilse nickte stumm , sie hielt noch immer das Tuch gegen die Augen gedrückt . " Nellie ! " rief Fräulein Güssow , " gehe mit Ilse hinauf und sei ihr beim Auspacken ihrer Sachen behilflich . Du möchtest doch sicher gern deine Sachen in Ordnung haben , liebe Ilse . " Sie wußte sehr wohl , daß Ilse durchaus nicht diesen Wunsch hatte , aber sie wußte auch , daß die Tätigkeit das beste Heilmittel gegen Kummer und Herzeleid ist . Die beiden Mädchen begaben sich auf ihr Zimmer . Ilse setzte sich auf einen Stuhl , behielt den Hut auf dem Kopfe und starrte zum Fenster hinaus . Es fiel ihr nicht ein , ihre Sachen auszupacken , und sie war geradezu empört , daß man Dinge von ihr verlangte , die den Dienstboten zukämen . Nellie hatte schweigend den Schrank geöffnet und die Schubladen der Kommode aufgezogen , dann sah sie Ilse an , ob diese sich nicht erheben werde . " Gib mich deiner Schlüssel , ich werde aufschließen die Koffers , " sagte sie , " wir müssen auspacken . " Unlustig verließ Ilse ihren Platz und da sie an irgend etwas ihren augenblicklichen Unmut auslassen mußte , nahm sie ihren Hut vom Kopfe und warf ihn mitten in das Zimmer . " Warum soll ich alles auspacken ? Ich weiß gar nicht , ob ich hier bleiben werde , " sagte sie . " Mir gefällt es hier nicht ! " Nellie hatte den Hut aufgenommen und ihn auf ein Bett gelegt . " O , " sagte sie sanft , " du gewöhnst dir schon . Es geht uns alle wie dich , wenn wir kommen . Du mußt nur deiner Kopf nicht hängen lassen . Nun gib die Schlüssels , daß ich öffnen kann . " Ilses Trotz konnte durch keine Waffe besser geschlagen werden , als durch Nellies Sanftmut . Sie gab den Schlüssel und jene schloß auf und begann auszuräumen . Ilse stand dabei und sah zu . " O , du mußt dich dein Sachen selbst aufräumen in dein Kommode , " sagte Nellie . " Ich werde dich alles zureichen . " Ilse hatte wenig Lust dazu , Ordnung kannte sie nur dem Namen nach . Sie nahm die sauber , mit roten Bändern gebundene Wäsche und warf sie achtlos in die Schubkasten , es war ihr gleich , wie alles zu liegen kam . Nellie sah diesem Treiben einige Augenblicke zu , dann fing sie an zu lachen . " Was machst du ? " fragte sie . " Weißt du nicht , wie Ordnung ist ? Taschentücher , Kragen , Schürzen - alles wirfst du durcheinander . Das sieht sehr bunt aus . Hübsch nebeneinander mußt du es machen , so - , " und sie zog einen Kasten nach dem anderen in ihrer Kommode auf und zeigte Ilse , wie sauber dort alles geordnet lag . " Das kann ich nicht ! " entgegnete Ilse . " Übrigens fällt es mir auch gar nicht ein , so viel Umstände um die dummen Sachen zu machen ! " " Dumme Sachen ! " wiederholte Nellie . " O Ilse , wie kannst du so sagen ! Sieh diesen feinen Taschentücher , wie sie schön gestickt , - o und diese süße Schürzen ! Und du hast die schwere Bücher daraufgetan - wie hast du sie zerdrückt ! - Laß nur sein , " fuhr sie fort , als Ilse im Begriffe war , Schuhe und Stiefel auf die Wäsche zu werfen , " ich werde ohne dir machen - du verstehst nix ! " Ilse ließ sich das nicht zweimal sagen . Ruhig sah sie zu , wie Nellie das Schuhzeug nahm und es unten in den Kleiderschrank stellte , wie sie überhaupt jedem Dinge den rechten Platz gab . " O , ein schönes Buch ! " rief diese plötzlich und nahm ein Buch aus dem Koffer , das höchst elegant in braunen Samt gebunden und mit silbernen Beschlägen verziert war . In der Mitte des Deckels befand sich ein kleines Schild , auf welchem eingraviert war : Ilses Tagebuch . Ilse nahm dasselbe Nellie aus der Hand und sah es verwundert an . Was war das für ein Buch ? Sie wußte nichts davon . Ein kleiner Schlüssel steckte in dem Schlosse desselben und als sie es aufgeschlossen hatte , fiel ein beschriebenes Blatt ihr gerade vor die Füße . Sie hob es auf und las : Mein liebes Kind ! Möge dieses Buch Dein treuer Freund in der Fremde sein . Wenn Dein Herz schwer ist , flüchte zu ihm und Teile ihm mit , was Dich bedrückt . Es wird verschwiegen sein und Dein Vertrauen nie mißbrauchen . Gedenke in Liebe Deiner Mama . Ohne ein Wort zu sagen , legte Ilse das Buch beiseite . Sie empfand keinen Funken Freude über die reizende Überraschung , auch blieben die liebevollen Worte der Mutter ohne Eindruck auf sie . " Freut dir das Buch nicht ? " fragte Nellie , die sich über diese Gleichgültigkeit wunderte . Ilse schüttelte den Kopf . " Was soll ich damit ? " fragte sie und ihr hübscher , frischer Mund zog sich trotzig in die Höhe , " ich schreibe niemals etwas hinein . Ich werde froh sein , wenn ich meine Aufgaben gemacht habe . Zu langen , unnützen Geschichten habe ich keine Zeit und keine Lust . " " Ich würde viel Freude haben , wenn ich ein Mutter hätte , die mir so beschenkte , " sagte Nellie traurig . " Ist deine Mutter tot ? " fragte Ilse teilnehmend . " O sie ist lange , lange tot , " entgegnete Nellie . " Sie starb , als ich noch eines klein Baby war . Meine Vater ist auch tot - ich bin ganz allein . Niemand hat mir recht von Herzen lieb . " " Arme Nellie , " sagte Ilse und ergriff ihre Hand . " Aber du hast Geschwister ? " " O nein ! keine Schwester - ganz allein ! Ein alte Onkel laßt mir in Deutschland ausbilden , und wenn ich gutes Deutsch gelernt habe , muß ich ein Gouvernante sein . " " Gouvernante ! " rief Ilse erstaunt . " Du bist doch viel zu jung dazu ! Alte Mädchen können doch erst Gouvernanten werden ! " Über diese naive Anschauung mußte Nellie herzlich lachen , und nun war ihre traurige Stimmung wieder verschwunden und ihre angeborene Heiterkeit brach hervor , wie der Sonnenstrahl durch graue Wolken . Auf Ilse aber hatte Nellies Verlassensein einen tiefen Eindruck gemacht . " Laß mich deine Freundin sein , " bat sie in ihrer kindlich offenen Weise , " ich will dich auch sehr lieb haben . " " Gern sollst du meine Freundin sein , " entgegnete Nellie und reichte Ilse die Hand . " Du hast mich von der erste Augenblick so nett gefallen . " Der große Koffer war nun leer , und Nellie ergriff den kleinen und war eben im Begriffe die Riemen desselben loszuschnallen , als Ilse ihr ihn unsanft aus der Hand nahm . " Der bleibt geschlossen ! " sagte sie , " du darfst nicht sehen , was darin ist ! " " O je ! Was du machst so böse Augen ! " rief Nellie und stellte sich höchst erschrocken . " Hast du Heimlichkeiten in der kleine Koffer ? Ist wohl Kuchen und Wurst darin ? " Nellie begleitete ihre Worte mit so komischen Gebärden , daß Ilse lachen mußte . Sie bereute auch schon ihre Heftigkeit . " Ich war recht heftig , Nellie , sei mir nicht böse , " bat sie . " Wenn du mich nicht verraten willst , dann werde ich dir zeigen , was darin ist ; aber gib mir die Hand darauf , daß du schweigen wirst . " Nellie legte den Zeigefinger auf den Mund und besiegelte mit einem Händedrucke ihre Verschwiegenheit . Jetzt nahm Ilse den Schlüssel , den sie am schwarzen Bande um den Hals trug , und als sie eben im Begriffe war aufzuschließen , wurde zum Abendessen geläutet . " O wie schade ! " rief Nellie , die vor Neugierde brannte , die geheimnisvollen Schätze zu sehen . " Nun müssen wir hinunter und erst nach die Schlafgehen können wir auspacken ! " " Nach dem Schlafengehen ? " fragte Ilse erstaunt . " Da liegen wir ja doch in unseren Betten . " " Schweige ! " entgegnete Nellie und legte abermals den Finger auf den Mund . " Das ist meines Geheimnis . " - - Ilse erhielt ihren Platz neben der Vorsteherin . An ihrer anderen Seite saß eine junge Russin , Orla Sassuwitsch . Dieselbe war eine pikante , elegante Erscheinung mit kurzgeschnittenem , schwarzen Haar , sehr lebhaften , dunklen Augen und einem Stumpfnäschen . Sie zählte siebzehn Jahre , sah aber älter aus . Übrigens sprach sie fließend deutsch . Ilse hätte gern neben Nellie gesessen , mit der sie in den wenigen Stunden so vertraut geworden war , die aber saß weit entfernt von ihr . Augenblicklich hatte sie ihren Platz noch gar nicht eingenommen , sondern sie stand mit noch einem Mädchen an einem Nebentische und war der Wirtschafterin behilflich , den Tee zu servieren . Es war ein allerliebster Anblick , die jungen Mädchen mit ihren sauberen Latzschürzen so häuslich geschäftig zu sehen . Geschickt gingen sie an den Tafeln entlang und reichten die Tassen herum . Verschiedene Schüsseln mit Butterbrötchen , die reichlich mit Wurst und Braten belegt waren , standen verteilt auf den Tischen . Fräulein Raimar ergriff die vor ihr stehende und reichte sie Ilse . " Nimm dir , " sagte sie , " und gib dann weiter an deine Nachbarin . " Ilse war hungrig . Am Mittag hatte sie fast keinen Bissen genießen können , jetzt aber machte die Natur ihre Rechte geltend . Sie nahm sich vier Schnitten auf einmal , legte zwei und zwei aufeinander und verschlang den ganzen Vorrat in drei bis vier Bissen . Freilich hatte sie den Mund recht voll , die Backen traten wie geschwollen heraus , das kümmerte sie indes wenig , sie war gewohnt , von einem ländlichen Butterbrote tüchtig abzubeißen , so zarte Theebrötchen hatte sie daheim stets verschmäht . Als sie trank , hielt sie ihre Tasse mit beiden Händen und stützte die Ellbogen dabei auf den Tisch . Fräulein Raimar hatte nicht acht auf Ilse gegeben und wurde erst aufmerksam , als sie in ihrer Nähe unterdrücktes Kichern hörte . Melanie und Grete Schwarz , zwei Schwestern aus Frankfurt am Main , die Ilse gerade gegenüber saßen , amüsierten sich köstlich über deren Ungeniertheit , stießen heimlich ihre Nachbarinnen an und zeigten verstohlen auf die nichts ahnende . Ein strenger Blick der Vorsteherin brachte die Mädchen zur Ruhe . Sie liebte es nicht , daß über anderer Schwächen und Fehler gespottet wurde . Über Ilses unmanierliche Art zu essen sagte sie vorläufig nichts , um sie nicht vor den vielen Mädchen zu beschämen , erst unter vier Augen pflegte sie dergleichen Fehler zu rügen . " Bist du noch hungrig , Ilse ? " fragte sie . Stadt einer Antwort nickte diese mit dem Kopfe , sie hatte ja erst angefangen zu essen . Abermals wurde ihr die Brotschüssel gereicht und abermals nahm sie die gleiche Portion und verzehrte dieselbe genau in der früheren Weise . " Die ist gefräßig ! " flüsterte die fünfzehnjährige Grete ihrer um zwei Jahre älteren Schwester zu . " Sieh nur , wie sie wieder stopft . " Melanie mußte die Hand vor den Mund halten , sonst hätte sie laut herausgelacht . Um halb acht Uhr war das Abendessen vorbei und zugleich den Pensionärinnen die Erlaubnis gegeben , frei zu tun , was sie wollten , bis neun Uhr . Dann war Schlafenszeit . " Komme , " sagte Nellie und trat auf Ilse zu , " ich werde mit dich in die Garten spazieren . Aber du hast ja dein Serviette noch nicht schön gelegt und die Ring drauf gezogen ! Das mußt du erst machen . " " Nein , " entgegnete Ilse , " das werde ich nicht ! Wozu sind denn die Dienstmädchen da ? Zu Hause hatte ich niemals nötig , solche Dinge zu tun . " " Ist egal , meine liebe Kind . Hier mußt du solche Dinge tun , wir machen es alle . " Richtig , da lagen sämtliche Servietten sauber zusammengewickelt , sie war die einzige , die es nicht getan hatte . Ungeduldig nahm sie die ihrige , schlug sie flüchtig zusammen und zog den Ring darüber . " So nicht , " meinte Nellie , " das ist ungeschickt . " Und sie faltete die Serviette noch einmal schnell und geschickt mit ihren kleinen Händen . Die junge Engländerin hatte bei allem , was sie tat , Grazie und Anmut , es war eine Lust , ihr zuzusehen . " Nun schnell in der Garten ! " sagte sie , nahm Ilses Arm und führte sie dorthin . Es war ein hübscher Garten , den Ilse jetzt kennen lernte . Nicht so groß und parkartig wie der heimatliche , aber wohl gepflegt . Schöne , hohe Bäume standen darin , auch fehlte es nicht an lauschigen Plätzen . Von allen Seiten sah man auf die grünbewaldeten Berge . " Ist es nicht nett hier ? " fragte Nellie , habt ihr bei dich auch so schöne Berge ? " " Nein , Berge haben wir nicht , " entgegnete Ilse , " aber es gefällt mir doch besser bei uns . Es ist alles so frei , ich kann das ganze Feld übersehen . Eine Mauer haben wir auch nicht um unseren Park , nur eine grüne Hecke , das ist viel hübscher . " Nellie zeigte ihr sämtliche Lieblingsplätze . Sie führte sie zur Schaukel , zum Turnplatz und zuletzt zu einer alten Linde , die mit ihren breiten Zweigen und Ästen einen großen , runden Raum beschattete . " O , es ist süß hier ! Nicht wahr ? " fragte sie entzückt und sah mit leuchtenden Augen hinauf in das grüne Blätterdach . " Hier machen wir unsere Ruhe zu Mittag . Dieser alter Baum kann viel erzählen , wenn er sprechen will ! Er weiß so viel Geheimnisse , die hier verraten sind ! " Bei dem Geplauder Nellies verging die Zeit schnell . Ilse , die am Morgen sich so unglücklich gefühlt hatte , die am Nachmittage geglaubt hatte , daß sie nie die Trennung vom Papa überleben könne , hatte schon verschiedenemal herzlich über Nellie lachen müssen , denn diese hatte eine so drollige Art , sie auf diese oder jene Pensionärin aufmerksam zu machen . " Wie heißt das junge Mädchen , das bei Tische neben mir sitzt ? " fragte Ilse . " Die mit die kurze Haar und der Klemmer auf die Nase ? Das ist Orla Sassuwitsch . Oh sie ist klug ! Wir haben alle eine kleine wenig Furcht für sie , weil sie immer die Wahrheit gerade in die Gesicht sagt . " " Das ist doch hübsch , " meinte Ilse . " O ja , wenn sie angenehm ist , aber zuweilen tut die Wahrheit weh , das hört keiner Mensch gern . Wenn ich zu sie sagen würde : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Orla , du hast geraucht !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } das würde sie gar nicht gefallen , und es ist doch die Wahrheit . Ich habe durch ihr Schlüsselloch geluxt und habe große , rauchige Wolken gesehen . - " Sie waren jetzt bei einer Trauerweide angelangt , die ihre grünen Zweige bis auf den Boden gesenkt hatte . Nellie blieb stehen und bog einige Zweige auseinander . " Hier , Ilse , stelle ich dich unsere Dichterin vor , " sagte sie lachend . Die Angeredete blickte hinein und sah ein junges Mädchen auf einer kleinen Bank sitzen , die hochaufgeschossen , blond und blaß , und deren Gesicht mit zahllosen Sommersprossen bedeckt war . Dieselbe hatte auf dem Schoße ein dickes , blaues Heft , in welchem sie eifrig schrieb . Mit einer gewissen neugierigen Scheu blickte Ilse sie an , es war ihr so neu , daß junge , siebzehnjährige Mädchen schon dichten können . " Sie schreibt Romane , " fuhr Nellie fort , " aber wie ! Es kommen immer zerbrochene Herzen drin vor . - Du wirst dir die Auge schaden , du hast ja keine Licht genug zu deine Romane ! " Bis dahin hatte Flora Hopfstange sich nicht stören lassen in ihrer Arbeit , jetzt aber wurde sie ärgerlich . " Ich bitte dich , laß mich in Ruhe , Nellie ! " rief sie und schlug ihr hellblaues Auge schwärmerisch auf . " Ich hatte eben einen so wundervollen Gedanken , nun habe ich ihn verloren ! " " O , ich will ihn suchen ! " neckte Nellie und bückte sich auf die Erde nieder , als ob sie ihn dort finden könne . [ Illustration ] " Du bist unausstehlich ! " entgegnete Flora aufgebracht . " Du freilich hast keine Ahnung von meiner Poesie , verstehst du doch nicht einmal deutsch zu sprechen ! " " Das ist wahr , " meinte Nellie lachend und verließ mit Ilse die schwerbeleidigte Dichterin . Melanie und Grete kamen ihnen jetzt entgegen . In ihrer Mitte führten sie ein junges Mädchen , sie mochte in Melanies Alter sein , mit lieben , sanften Gesichtszügen . Das braune Haar trug sie einfach und glatt gescheitelt , kein Härchen sprang widerspenstig hervor . Freundlich lächelte sie Ilse und Nellie an , die beiden Schwestern dagegen musterten im Vorübergehen die Neuangekommene mit spöttischen Blicken . " Die Schwestern kennst du , " bemerkte Nellie , " sie sitzen dich gradeüber bei Tisch , aber unsere { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Artige{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } ist dich noch unbekannt . O , ich sage dich , Ilse , sie ist so artig wie eines ganz wohlgezogenes Kind . Sie ist immer der erste in alle Stunden und macht nie eine dummer Streiche , kurz , Rosi Möller ist eines Musterkind . " " Was sagst du von unserem Musterkinde ? " rief plötzlich eine fröhliche Mädchenstimme . " Nellie , Nellie , dein böses Zünglein geht sicher mit dir durch ! " " Du irrst dir , liebes Lachtaube , " entgegnete Nellie , " Ilse ist noch so fremd , ich mache ihr bekannt . " " Wer war das ? " fragte Ilse , als die kleine , runde Mädchengestalt , die an Orlas Arme hing , vorüber war . " Das ist Annemie von Bosse , genannt Lachtaube . Sie lacht sehr viel , eigentlich immer , und sie kann keine Ende davon finden . Man muß mitlachen , sie steckt an . - Nun habe ich dich aber alle Mädchen gezeigt , die in unsere Alter sind , die anderen sind zu jung oder es sind Engländerinnen . Von die ist nicht viel zu sage , sie sind alle langweilig und sie sprechen noch viel weniger gut deutsch als ich . " - Mit dem Schlage neun begaben sich sämtliche Pensionärinnen zurück in das Haus . Bevor sie zur Ruhe gingen , war es Sitte , daß sich alle erst in das Zimmer der Vorsteherin begaben , um ihr gute Nacht zu wünschen . Dieselbe reichte jeder einzelnen einen Kuß auf die Stirn . Zuweilen ermahnte , lobte oder tadelte sie diese oder jene dabei , wenn sie den Tag über etwas gut oder schlecht gemacht hatten , alles geschah aber in liebevollem Tone , nicht anders als wie eine Mutter zu ihrem Kinde spricht . " Ich möchte noch mit dir sprechen , liebe Ilse , " sagte Fräulein Raimar , als Ilse ihr gute Nacht bot . " Verweile noch einen Augenblick hier . " Und als sämtliche Mädchen das Zimmer verlassen hatten , ermahnte sie Ilse , etwas manierlicher zu essen . " Du darfst die Tasse nicht mit beiden Händen fassen und die Ellbogen dabei aufstützen , Kind , du glaubst nicht , wie unschön das aussieht . Achte auf deine Mitschülerinnen , du wirst sehen , daß keine einzige es wie du macht . Und dann , weißt du , stecke nicht wieder so große Bissen in den Mund . Die kleinen Kinder machen es zuweilen so , aber dann nennt die Mama sie : Nimmersatt ! " Ilse war dunkelrot geworden vor Ärger über die erhaltene Ermahnung . Trotzig bis sie die Lippen aufeinander und unterdrückte eine ungezogene Antwort . " Gehe nun zu Bett , mein Kind , und schlafe gut . " Sie war im Begriffe , Ilse einen Kuß auf die Stirn zu reichen , als diese mit einer heftigen Bewegung den Kopf zurückbog . Es war ihr unmöglich , sich von der Vorsteherin küssen zu lassen , die sie in diesem Augenblicke geradezu haßte . Fräulein Raimar wandte sich unwillig von dem Trotzkopfe ab , ohne noch etwas zu sagen , und Ilse verließ das Zimmer . Sie lief die Treppe hinauf und trat atemlos zu Nellie in das Zimmer . Die Türe warf sie heftig in das Schloß und schob auch noch den Riegel vor , was in der Pension streng untersagt war . " Mache nicht der Riegel zu , " sagte Nellie , " wir dürfen das nicht tun . Wenn wir in die Bett liegen , kommt Fräulein Güssow bei uns nachsehen . " Ilse rührte sich natürlich nicht , und Nellie mußte das selbst besorgen . Ungestüm warf sie sich auf ihr Bett und brach in Tränen aus . " O , was ist dich ? " fragte Nellie erschrocken . " Hier bleibe ich nicht ! - Ich reise morgen fort ! Wenn das mein Papa wüßte , wie sie mich behandelt hat ! " rief Ilse aufgeregt . Durch viele Fragen bekam Nellie in einzelnen abgerissenen Sätzen von Ilse heraus , was Fräulein Raimar gesagt hatte . " Ich esse ungeschickt , - ich nehme zu große Bissen - und ich bin ein Nimmersatt ! Zu Hause darf ich essen , wie und was ich will ! - Ich will wieder fort ! Morgen reise ich ! - " " Du mußt dir nicht so viel grämen um so kleine Sache , " sagte Nellie sanft und strich liebkosend Ilses lockiges Haar . " Fräulein Raimar ist sehr gerecht , sie meint es gut und will dir nicht beleidigen . Mit uns alle macht sie es so . Wir sind doch jung und dumm und müssen noch lernen . - Nun komme , wir legen uns jetzt in die Bett und später , wenn Fräulein Güssow bei uns eingesehen hat , stehen wir ganz leise wie die Mäuschen wieder auf und packen deiner kleine Koffer leer . " Aber so leicht war Ilse nicht zu beruhigen . " Nein ! " rief sie und sprang auf , " der kleine Koffer bleibt verschlossen ! Ich reise wieder fort ! " Hastig zog sie sich aus , warf ihre Kleidungsstücke drunter und drüber und legte sich schluchzend in ihr Bett . Schweigend ordnete Nellie die zerstreuten Sachen , sie hing das schöne Kleid an einen Nagel , Ilse hatte dasselbe auf einen Stuhl geworfen , und legte alles übrige glatt und ordentlich zusammen . Dann ging auch sie zur Ruhe . Bevor sie indes ihr Lager bestieg , kniete sie vor demselben nieder , faltete die Hände und betete leise ein kurzes Gebet . " Gute Nacht , Ilse , " sagte sie dann und gab ihr einen Kuß . " Du mußt nun nicht mehr weinen , - alle Anfang ist schwer . " Aber Ilse weinte noch lange . Ihre Gedanken kehrten zum Vater zurück und begleiteten ihn auf seiner Rückreise . In wenigen Stunden mußte er die Heimat erreicht haben . Ach , wenn er wüßte , wie sein einziges Kind behandelt wurde ! Sie fühlte sich zu unglücklich in der Gefangenschaft ! - Wie ein Kind weinte sie sich in den Schlaf , aber böse Träume schreckten sie mehrmals auf . Bald hielt sie eine mächtige Theetasse in der Hand und ließ sie zur Erde fallen , bald hielt ihr die Vorsteherin im grauen Kleide ein heimatliches Butterbrot dicht vor den Mund , wollte sie aber zubeißen , war es verschwunden . * * * Um sechs Uhr am anderen Morgen hieß es : Aufgestanden ! Da galt kein langes Besinnen , und wenn die jungen Glieder noch so sehr vom Schlafe befangen waren , es wurde keine Gnade geübt . Ilse pflegte daheim bald früh , bald spät aufzustehen , wie sie gerade Lust hatte . Einer bestimmten Ordnung , wie sie die Mama so sehr gewünscht , hatte sie sich nicht fügen wollen . Es wurde ihr denn auch nicht wenig schwer , so auf Kommandowort sich erheben zu müssen , gerade heute hatte sie den Wunsch , noch einigemal sich im Bette herumzudrehen , sie war so spät erst eingeschlafen . Aber daran war nicht zu denken , Nellie stand schon da und wusch sich . Mit einem Sprunge war sie Schlag sechs Uhr aus dem Bette gewesen . " Wach auf , Ilse , " sagte sie , " um halb sieben trinken wir Kaffee . " " Schon aufstehen , " antwortete die Verschlafene , " aber ich bin noch so müde . " " Tut nix , du darfst nicht mehr schlafrig sein . " Aber Ilse zögerte noch . Nellie stand schon fertig da , ja hatte schon alles , was sie zur Nacht- und Morgentoilette nötig hatte , beiseite geräumt , als sie sich langsam erhob . " O Ilse , eile dir , du hast nur zehn Minuten Zeit ! Schnell , schnell , ich will dich helfen ! Wo sind dein Kamm ? " Ilse zeigte auf ein Papier , das im Fenster lag . " Dort liegen sie eingewickelt , " gab sie zur Antwort . " Das ist nicht nett , das gefällt mir nicht , " meinte Nellie und rümpfte das Näschen . " Du mußt dich ein Taschen nähen , von grauer Stoff und rote Band , sieh , wie dies da , " und sie zeigte ihre Kammtasche , " siehst du , so ist es fein . " Ilse machte nicht viel Umstände mit ihrem Haar . Sie kämmte und bürstete es , damit war alles abgemacht , die natürlichen Locken ringelten sich von selbst ohne weitere Bemühung . Ein hellblaues Band schlang ihr Nellie durch dieselben und band es mit einer Schleife seitwärts zu . " Nun noch die Schürze , " sagte sie , als Ilse soweit fertig war , " sie darf nicht fehlen . " Sie lachte , als Ilse sich dagegen sträubte . " Du bist ein klein , albern Ding , " schalt sie und band ihr die Schürze vor , trotz Ilses heftigem Widerstande . " Gleich hältst du still ! Ohne ein Schürzen gibt es kein Kaffee . " Die lustige Nellie setzte es wirklich durch , daß Ilse sich ihrem Willen fügte . " So , " sagte sie , " nun bist du schön ! Die blau gestickter Schürze ist sehr nett und du bekommst einer süßer Kuß . " An langen Tafeln saßen die Mädchen bereits , Nellie und Ilse waren die letzten . Fräulein Raimar war des Morgens niemals zugegen , nur Fräulein Güssow führte die Aufsicht . Ilse mußte sich zu ihr setzen . Als ihr der Kaffee gereicht wurde , nahm sie die Tasse ganz manierlich beim Henkel in die Hand , aß auch wie es sich gehört nicht mit großen Bissen , wie am Abend zuvor ; aber sie hatte eine andere Unart , die ebenfalls zu tadeln war , sie schlürfte den Kaffee so laut , daß sie allgemeine Heiterkeit erregte . Ilse hatte keine Ahnung , daß ihr das Gelächter galt , Orla machte sie damit bekannt . " Du führst ja ein wahres Konzert auf , " sagte sie . " Machst du das immer so ? Schön hört sich diese Tafelmusik nicht an , das kann ich dich versichern . " Ilse fühlte sich schwer beleidigt über diese Zurechtweisung . Hastig setzte sie die Tasse nieder , erhob sich und eilte hinaus . " Du durftest sie nicht vor alle den übrigen so beschämen , Orla , " tadelte Fräulein Güssow , indem sie ebenfalls aufstand , um Ilse zu folgen , " das kränkt sehr . " Ilse war gerade im Begriff in den Garten zu gehen , als die junge Lehrerin sie zurückrief . " Wo willst du hin , Ilse ? " fragte sie . " Was fällt dir ein , mein Kind , daß du nach deinem Gefallen davonläufst ? Es ist nicht Sitte bei uns , daß jemand eine Mahlzeit verläßt , bevor dieselbe beendet ist . Komme gleich zurück und verzehre dein Frühstück . " " Ich mag nicht mehr frühstücken , " entgegnete Ilse , " und ich gehe nicht wieder hinein ! Sie haben mich alle ausgelacht und Orla war ungezogen gegen mich . Es geht niemand etwas an , wie ich esse und trinke , ich mache es , wie ich will ! Vorschriften lasse ich mir nicht machen , nein ! " " Ehe ich weiter mit dir spreche , bitte ich dich erst ruhig und vernünftig zu sein , liebe Ilse . Ich kann nicht dulden , daß du in einem so unartigen Tone zu mir sprichst . " Sehr ernst und nachdrücklich hatte Fräulein Güssow gesprochen , aber es klang doch ein Ton der Liebe hindurch . Ihr schönes , weiches Organ verfehlte selten den Weg zum Herzen , das lernte auch Ilse in diesem Augenblicke kennen . Sie blickte zu Boden , und etwas wie Beschämung stieg in ihr auf . Die Lehrerin las in Ilses beweglichen Zügen und wußte , was in ihr vorging . " Gib mir deine Hand , du kleiner Brausekopf ! " sagte sie freundlich , " und versprich mir , nicht wieder so stürmisch zu sein und deiner augenblicklichen Laune zu folgen , selbst wenn du glaubst , im Rechte zu sein . Heute warst du es nicht einmal , du trankst wirklich etwas unappetitlich . Orla hat es gut gemeint , daß sie dich darauf aufmerksam machte , du darfst ihr darum nicht böse sein . So eine kleine wohlverdiente Lehre muß sich jede von euch gelegentlich gefallen lassen . Es ist doch besser , jetzt als Kind zurechtgewiesen zu werden , als wenn deine Fehler und Angewohnheiten späterhin zum Spott der Gesellschaft würden . " Daheim hatte Ilse niemals hören wollen , daß sie eine junge Dame sei , und jetzt berührte es sie gar nicht angenehm , daß man sie gewissermaßen noch zu den Kindern rechnete . " Nun siehst du das ein , Ilse ? " fragte die Lehrerin . Vielleicht tat sie es , aber sie würde ein Ja nicht über die Lippen gebracht haben . Fräulein Güssow begnügte sich mit ihrem Stillschweigen und nahm dasselbe für eine Zustimmung . Sie meinte , daß eine Natur wie Ilses nicht mit Gewalt zum Nachgeben gezwungen werden dürfe . " Nun wollen wir zurück in den Speisesaal gehen , " sagte sie , und Ilse wagte keine Widerrede . Sie folgte dem Fräulein mit niedergeschlagenen Augen , sie hatte Furcht vor den vielen peinlichen Blicken , die sich alle auf sie richten würden . Als sie eintraten , war das Zimmer leer und die Frühstückszeit vorüber . Niemand war froher als Ilse , die sich wie erlöst vorkam . " Ich habe noch einen Auftrag für dich , Ilse , " sagte die Lehrerin . " Fräulein Raimar wünscht deine Arbeitshefte zu sehen , auch sollst du zugleich mündlich geprüft werden . In einer Stunde finde dich in dem Konferenzzimmer ein , du wirst dort zugleich deine zukünftigen Lehrer und Lehrerinnen zum Teil kennen lernen . " " Wollen sie mich alle prüfen ? " fragte Ilse etwas besorgt . " Nein , " entgegnete das Fräulein , " aber sie werden zuhören , wenn Fräulein Raimar dich examiniert . Später wirst du dann erfahren , in welche Klasse du gesetzt bist , und morgen nimmst du zum erstenmal an dem Unterricht Teil . " Ilse ging in ihr Zimmer und suchte ihre Hefte zusammen . Sie waren nicht in der besten Verfassung . Das deutsche Aufsatzheft machte besonders keinen Staat . Verschiedene Tintenflecke zierten es , und sogar einige naseweise Fettflecke machten sich darauf breit . Das französische Heft wurde ganz beiseite gelegt . Sie hatte versucht , einige Seiten , die gar zu verschmiert aussahen , herauszureißen und durch diesen Gewaltstreich waren alle anderen Blätter gelockert - unmöglich konnte sie das Buch in dieser Verfassung vorzeigen . Nellie , die gerade eine freie Stunde hatte , sah erstaunt Ilses Treiben zu . " Was tust du ? " fragte sie . " Willst du dein Bücher so an Fräulein Raimar vorzeigen ? das darfst du nicht . Hat deiner Herr Pastor dir dies erlaubt ? Gib schnell , ich will dich blaues Umschläge darum wickeln , das ist nett und man sieht die alte Flecken nicht . " " Gib her ! " rief Ilse gereizt . " Sie sind gut so ! Es ist mir ganz egal , ob Fräulein Raimar die Flecken sieht oder nicht ! " " Nicht so zornig , Fräulein Ilse ! Sie sind eine kleine , unordentliche junge Dame ! Würde es dir vielleicht spaßig sein , wenn Fräulein Raimar deine Buch mit spitze Finger hoch hielt und sie alle Lehrer zeigte ? O nein , das wäre dich nicht egal und nicht spaßig . Besonders wenn Herr Doktor Altoff , unser deutscher Lehrer , mit seine bekannte , höhnische Lachen dir so von die Seiten ansieht und fragt : Wie alt sind Sie , mein Fräulein ? " Trotzdem Ilse ungeduldig wurde , trotzdem sie entschieden erklärte , es wäre höchst unnütz , daß so viele Umstände wegen der dummen Bücher gemacht würden , setzte Nellie ihren Willen durch . " So , nun kannst du gehen , " sagte sie , als sie auch dem letzten Hefte ein blaues Kleid gegeben hatte , " nun bedanke dir für mein Mühe . " " Du bist doch sehr gut , Nellie , " meinte Ilse . " Wie ist es dir nur möglich , stets so sanft und geduldig zu sein ? Ich kann das nicht ! " " O , du lernst schon , Kind . Wirst noch eine ganz zahme , kleine Vogel sein ! " entgegnete Nellie . Um elf Uhr ging Ilse hinunter in das Konferenzzimmer . Als sie eintrat , fand sie mehrere Lehrer und einige Lehrerinnen anwesend . Sie saßen um einen Tisch , Fräulein Raimar nahm den Platz obenan ein . " Tritt näher , Ilse , " sagte sie und machte mit einigen freundlichen Worten die neue Schülerin mit ihren zukünftigen Lehrern bekannt . Darauf ließ sie sich die Schreibhefte reichen . Das Aufsatzbuch fiel ihr zuerst in die Hand . Sie blätterte und las darin , und einigemal schüttelte sie den Kopf . " Oft recht gute und klare Gedanken , " bemerkte sie zu dem neben ihr sitzenden Lehrer der deutschen Sprache , Doktor Altoff , " und dabei diese oberflächliche , flüchtige Schrift . Sehen Sie einmal , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } uns ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } mit einem { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }z{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } geschrieben - { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Land{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } mit einem { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }t{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } . Da werden wir viel Versäumtes nachzuholen haben . Wie schreibst du { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Land{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } , Ilse , buchstabiere einmal . " Ilse konnte unmöglich diese Frage für ernst halten . War sie denn ein kleines Mädchen aus der A-B-C-Klasse ? Sie zögerte mit der Antwort . Die Vorsteherin indes war nicht gewöhnt zu scherzen , sie sah erstaunt die schweigende Ilse an . " Wie du Land schreibst , möchte ich von dir wissen , " wiederholte sie noch einmal in bestimmtem Tone , der jeden Zweifel , ob er ernst gemeint sei oder nicht , benahm . Ilse kräuselte etwas unwillig die Stirn , zog die Lippe in die Höhe und buchstabierte so schnell , daß man ihr kaum folgen konnte : L-a-n-d . Den Blick hatte sie zum Fenster hinausgewandt , um Fräulein Raimar nicht anzusehen . " Also nur flüchtig , ich dachte es mir , " sagte diese . " Wenn du in Zukunft deine Aufsätze machst , wirst du sehr aufmerksam sein . Fehler , wie ich sie in deinen Aufgaben finde , kommen bei uns nicht mehr in der dritten Klasse vor . " Es wurden nun Ilse Fragen in den verschiedensten Fächern vorgelegt . Manchmal fielen die Antworten überraschend aus , zuweilen dagegen geradezu einfältig . Doktor Altoff lächelte einigemal , was Ilse das Blut bis hinauf in die braunen Locken trieb . Sie ärgerte sich darüber und drehte ihr Taschentuch wie eine Wurst fest zusammen . Im Französischen bestand sie gut . Monsieur Michael , der französische Lehrer , ein älterer Herr mit weißem Haar , redete sie gleich in dieser Sprache an , sie antwortete ihm korrekt und fließend . Miß Lead , die englische Lehrerin , die ebenfalls im Institute wohnte , hatte weniger Glück bei ihrer Anrede . Ilse holperte sehr , als sie die Antwort gab . " Nun kannst du uns verlassen , Kind , " sagte Fräulein Raimar . " Dein Examen ist zu Ende . Später werde ich dir mitteilen , welche Klasse du besuchen wirst . " Nachdem Ilse das Zimmer verlassen , wurde nach einigem Hin- und Herberaten der Beschluß gefaßt , sie in die zweite Klasse zu geben , im Französischen solle sie indes die erste besuchen . " Ich glaube , Ilse wird uns viel Not machen , " äußerte die Vorsteherin besorgt . " Sie ist widerspenstig und trotzig , auch kann sie nicht den geringsten Tadel vertragen . " " Aber sie hat ein gutes Herz , " fiel Fräulein Güssow lebhaft ein . " Ich habe noch keine Beweise dafür , aber ich lese es in ihrem schönen , offenen Auge . Ich bin überzeugt , daß ich mich nicht täusche . Eins ist mir indes klar , mit Strenge werden wir wenig ausrichten , dagegen hoffe ich , mit Liebe und Energie wird es uns gelingen , ihren Trotz zu zähmen . " " Das ist ganz meine Ansicht ! " stimmte Monsieur Michael bei , " Sie werden sehen , meine Damen und Herren , Mademoiselle Ilse wird eine Zierde der Pension sein ! Mit welcher Eleganz spricht sie französisch , wie gewählt setzt sie die Worte ! Ah , sie ist ein Genie ! " - Der kleine Herr hatte sich ordentlich in Begeisterung gesprochen und seine Worte mit lebhaften Gestikulationen begleitet . " Ich wünsche von Herzen , daß Sie recht haben mögen , " entgegnete Fräulein Raimar und erhob sich von ihrem Platze . " An Liebe und Nachsicht wollen wir es nicht fehlen lassen , vielleicht gelingt es uns , Ilse verständig und gefügig zu machen . " - Fürs erste schien noch wenig Aussicht dazu . Beim Mittagessen legte Ilse wieder den Beweis ab , wie recht Fräulein Raimar hatte , wenn sie behauptete , daß Ilse keinen Tadel vertragen könne . Sie hielt die Gabel schlecht . Die Fingerspitzen berührten fast die Speisen . Das Gemüse verzehrte sie mit dem Messer und so heiß , daß sie manchmal , um sich nicht zu verbrennen , den Bissen wieder aus dem Munde fallen ließ . Auch hielt sie den Kopf sehr tief über den Teller gebeugt , was ihr das Aussehen eines hungrigen Kindes gab . " Sitze gerade , liebe Ilse , " ermahnte die Vorsteherin , " es ist dir nicht gesund , so krumm zu sitzen . " " Ich esse immer so , " erwiderte sie ziemlich kurz . " Ich aß immer so , meinst du wohl , mein Kind , denn hier wirst du dich daran gewöhnen , zu tun , was Sitte ist ... Hast du zu Hause auch stets die Gabel so kurz gefaßt und mit dem Messer gegessen ? " " Ja , " sagte Ilse und warf den Kopf leicht in den Nacken . " Papa hatte nie etwas an mir auszusetzen , er war zufrieden , wenn es mir nur schmeckte . " " Aber die Mama , hat auch sie deine Art zu essen gutgeheißen ? " Ilse schwieg . Eine Unwahrheit konnte und mochte sie nicht sagen , denn wie oft hatte die Mutter sie ermahnt , und wie oft hatte sie derselben zur Antwort gegeben : " Dann will ich gar nichts essen , wenn du mich immer tadelst . " Das Fräulein hatte leise , nur für Ilse verständlich gesprochen . Niemand ahnte , was sie sagte , denn ihre Züge sahen mild und freundlich aus . Eine Antwort auf ihre Frage wartete sie nicht ab , aber es gefiel ihr , daß Ilse lieber schwieg , als gegen ihre Überzeugung sprach . " Nun esse nur , Kind , " fuhr sie fort , " mit der Zeit wirst du dich schon gewöhnen . In wenigen Wochen hast du alle deine kleinen Unebenheiten abgestreift und wir werden niemals nötig haben , etwas an dir zu rügen . Nicht wahr ? " " Ich weiß es nicht , " erwiderte Ilse und sah mit einem ziemlich verdrießlichen Gesicht auf ihren Teller nieder . " Du mußt dir Mühe geben , dann wird es schon gehen . " Dazu schwieg Ilse . Natürlich war sie fest davon überzeugt , daß ihr das größte Unrecht geschah . Warum sollte sie nicht natürlich essen ? Der Papa hatte stets gesagt , sie solle keine Zierpuppe werden , nun hatte man bei allem , was sie tat und wie sie es tat , etwas auszusetzen . Sie wagte kaum noch etwas zu genießen und wenn das so weiter ging , wollte sie lieber verhungern . - * * * Am Abend , als Nellie und Ilse sich schlafen gelegt hatten , als Fräulein Güssow bereits ihre Runde gemacht , als das Licht gelöscht und alles still im Hause war , rief Nellie , " wachst du , Ilse ? " " Ja , " antwortete diese , " was soll ich ? " " Zieh dir leise an , wir wollen dein kleiner Koffer auspacken . " " Es ist ja aber dunkel , " meinte Ilse . " O laß nur , ich habe schon eine Licht . " Leicht und unhörbar stieg Nellie aus ihrem Bette und ging auf Strümpfen an ihre Kommode . Sie zog den oberen Kasten vorsichtig heraus und nahm einen kleinen Wachsstock aus demselben . Nachdem sie ihn angezündet hatte , stellte sie ein Buch davor , damit kein Lichtschimmer durch das Fenster drang . " Ist doch fein , nicht ? " fragte sie . " Nun eile dich aber , " trieb sie Ilse , die sich flüchtig ankleidete . " Wo hast du der Schlüssel ? " " Hier habe ich ihn , " entgegnete Ilse und zog ihn unter dem Kopfkissen hervor , " ich werde selbst aufschließen . " Nellie leuchtete mit dem Wachsstocke und hielt die Hand davor . Vornübergebeugt stand sie in neugieriger Erwartung , der Schätze harrend , die sich vor ihren Augen auftun würden . Recht enttäuscht wurde sie , als Ilse anfing auszupacken . Die erwarteten Delikatessen - Nellie war eine Freundin davon - kamen nicht zum Vorschein . " O , hast du keine Kuchen ? " fragte sie , warf den Plunder heraus und durchsuchte mit der Hand bis auf den Grund . " Au , au ! " rief sie plötzlich und fuhr mit der Hand zurück . " Was ist dies ? Ich habe mir gestochen ! " Und richtig , ein roter Blutstropfen hing an dem kleinen Finger . Ilse begriff nicht , woher die Verwundung kam , bis sie selbst in den Koffer griff und die Ursache entdeckte , - - o Schrecken ! das Glas mit dem Laubfrosche war zerbrochen , und Nellie hatte sich an einem Glassplitter geritzt . " Wo nur der Frosch ist , " sagte Ilse ängstlich und räumte die Scherben fort . " Was ? - eine Frosch ? Eine lebendige Frosch ? O je - hast du ihn verpackt ? Wie kannst du so eine arme Tier in die Koffer tun ? Ohne Luft muß er tot gehen ! " Ilse hatte soeben den kleinen Laubfrosch gefunden , - natürlich war er tot . Sie legte ihn auf die flache Hand und hauchte ihn an , vielleicht brachte sie ihn wieder zum Leben . Nellie lachte sie aus . " Du hast die arm , klein Frosch gemordet , " sagte sie und nahm ihn in die Hand . " O , er ist kaputt ! Er kriegt keine Leben wieder , niemals ! Morgen früh wollen wir ihn in ein Schachtel legen und unter die Linde vergraben . " Ilse sah traurig auf den Frosch und die Tränen traten ihr in die Augen . Sie hatte das Tierchen selbst gefangen , es stets gefüttert und eine große Freude daran gehabt , nun hatte sie es getötet durch eigene Schuld . [ Illustration ] " Wie schlecht von mir , daß ich so dumm sein konnte ! " klagte sie sich an . " Ich dachte gar nicht daran , als ich meine Sachen packte , daß er ersticken müsse . Es ging so schnell - " Einigermaßen tröstete sie die Aussicht auf das Begräbnis unter der Linde . " Wir machen eine kleiner Hügel , " sagte Nellie , " und pflanzen Blumen darauf . Und ein klein Holzkreuz stecken wir in die Erden und schreiben daran : Hier ruht Ilses Frosch . Er mußte sein junge Leben lassen , weil ihm der Luft ausging . " Dieser komische Einfall trocknete Ilses Tränen , sie mußte darüber lachen . Als sie den ausgestopften Kanarienvogel ansah , fand sie , daß er sehr gelitten hatte . Das Köpfchen war ganz breit gedrückt und der eine Flügel hing herunter . Nellie gab ihm wieder einige Fasson . Sie drückte den Kopf rund und versprach auch , den Flügel wieder gut zu machen . Sie wollte ihn am anderen Tage anleimen . " Laß mir nur machen , " sagte sie , " ich werde ihm schon wieder in die Ordnung bringen . " " Was ist denn das ? " fragte sie plötzlich und hielt Ilses Blusenkleid in die Höhe , " warum hast du diese schmacklose Robe eingepackt , - und die alte schmutzige Stiefel , - was soll damit ? " Warum ? Darüber hatte Ilse selbst noch nicht nachgedacht , aber sie war ärgerlich , ihr Lieblingskostüm so verachtet zu sehen . " Du verstehst nichts davon , " sagte sie und nahm es Nellie fort . " Es ist mein liebster und schönster Anzug ! Ich mag die anderen Kleider gar nicht leiden , sie sitzen so fest und sehen so geziert aus . " " O laß mir ihn probieren , " bat Nellie , " ich will ihn anziehen . " Dagegen hatte Ilse nichts einzuwenden . Sie half Nellie ankleiden und in wenigen Augenblicken stand diese in einem ganz wunderbaren Aufzug da . Der Rock war ihr zu kurz , da sie etwas größer als Ilse war , unter demselben sah das lange , weiße Nachtgewand hervor , die Bluse war stellenweise zerrissen und Nellie hatte den Ärmel verfehlt und war durch ein großes Loch dicht daneben herausgefahren , so daß der Ärmel auf dem Rücken hing . Nachdem sie auch noch den schäbigen Ledergürtel um ihre zierliche Taille geschnallt hatte , stand sie fertig da , bis auf die Stiefel , die sie nicht anziehen mochte , weil sie zu schmutzig waren . " Bequem ist diese Kostüm , das ist wahr , " sagte sie und fing an , allerhand lustige Sprünge auszuführen und sich im Kreise zu drehen . " Man ist so luftig - so leicht ! " Ilse brach plötzlich in ein so herzhaftes Gelächter aus , daß Nellie auf sie zueilte und ihr den Mund mit der Hand verschloß . " Du darfst nicht so toll lachen , " sagte sie , " du wirst uns verraten ! " " Ich kann nicht anders , du siehst ja zum totlachen aus . " Nellie trat mit dem Wachsstocke vor den kleinen Spiegel und betrachtete sich . " O wie abscheulich ! " sagte sie und riß die Sachen herunter , " wie kannst du so ein häßlicher Anzug schön finden ! " Ilse verschloß ihre Herrlichkeiten wieder in den Koffer , dann wurde das Licht gelöscht und in wenigen Augenblicken schliefen die beiden Mädchen fest und tief. * * * Vierzehn Tage waren seit Ilses Aufnahme in der Pension vergangen . Manche bittere Träne hatte sie in der kurzen Zeit , die ihr wie eine Ewigkeit erschien , geweint , und oft , recht oft hatte sie die Feder angesetzt , um dem Vater zu schreiben , daß er sie zurückholen möge . Nur weil sie sich vor der Mutter scheute , tat sie es nicht . Erst zweimal hatte sie die vielen und langen Briefe , die sie aus der Heimat erhalten , beantwortet , nur ganz kurz und mit der Entschuldigung , daß ihr die Zeit zu längeren Briefen fehle . Endlich , eines Sonntag Nachmittags , den fast alle Pensionärinnen zum Briefschreiben benutzten , setzte auch sie sich dazu nieder . Große Lust hatte sie indessen nicht . Sie wußte gar nicht recht , was sie schreiben sollte ; wie es ihr eigentlich um das Herz war , mochte sie ja doch nicht sagen . Sie schlug die neue Schreibmappe auf , wählte nach langem Suchen einen rosa Bogen mit einer Schwalbe darauf , tauchte eine Feder in das Tintenfaß und - malte allerhand Schnörkeleien auf ein Stückchen Papier . Nachdem sie diese Unterhaltung ein Weilchen getrieben , begann sie endlich den Brief . Nach wenigen Zeilen hörte sie auf und legte das Geschriebene beiseite . Der Anfang gefiel ihr nicht . Es wurde ein neuer Schwalbenbogen geopfert und noch einer . Der vierte endlich hatte mehr Glück . Sie beschrieb denselben von Anfang bis zu Ende , ja , sie nahm noch einen fünften Bogen dazu . Sie war nun einmal in das Plaudern gekommen , immer wieder fiel ihr etwas ein , das sie dem Papa mitteilen mußte . Als sie zu Ende war , durchlas sie noch einmal ihre lange Epistel und wir blicken ihr über die Schulter und lesen mit . " Mein liebes Engelspapachen ! Es ist heute Sonntag . Das Wetter ist so schön und im Garten blühen die Rosen ( da fällt mir eben ein , hat meine gelbe Rose , _ maréchal Niel_ , die der Gärtner im Frühjahre verpflanzte , schon Knospen angesetzt ? bitte , vergiß nicht , mir Antwort zu geben ) - und die Vögel singen so lustig - ach ! und deine arme Ilse sitzt im Zimmer und kann sich nicht im Freien umhertummeln . Mein liebes Pagen , das ist recht traurig , nicht wahr ? Ich komme mir oft vor wie unser Möpsel , wenn er genascht hatte und zur Strafe dafür eingesperrt wurde . Ich möchte auch manchmal , wie er es tat , an der Türe kratzen und rufen : macht auf ! Ich will hinaus ! Es ist gar nicht hübsch , immer eingesperrt zu sein . Zu Haus konnte ich doch immer tun und treiben , was ich wollte , im Garten , auf dem Felde , in den Ställen , überall durfte ich sein und meine reizenden Hunde waren bei mir und liefen mir nach , wohin ich ging . Ach , das war zu himmlisch nett ! Was macht Bob , Papachen , und Diana und Möpsel und die anderen ? O , wenn ich sie gleich hier hätte ! Es ist in der Pension alles so furchtbar streng , man muß jede Sache nach Vorschrift tun . Aufstehen , Frühstücken , Lernen , Essen , - immer zu bestimmten Stunden . Und das ist gräßlich ! Ich bin oft noch so müde des Morgens , aber ich muß heraus , wenn es sechs geschlagen hat . Ach , und wie manchmal möchte ich in den Garten laufen und muß auf den abscheulichen Schulbänken sitzen ! Die furchtbare Schule ! Ich lerne doch nichts , Herzenspagen , ich bin zu dumm . Nellie und die anderen Mädchen wissen viel mehr , sie sind auch alle klüger als ich . Nellie zeichnet zu schön ! Einen großen Hundekopf in Kreide hat sie jetzt fertig , als wenn er lebte , sieht er aus . Und Klavier spielt sie , daß sie Konzerte geben könnte - und ich kann gar nichts ! Wenn ich doch lieber zu Hause geblieben wäre , dann wüßte ich doch gar nicht , wie einfältig ich bin . Nellie tröstet mich oft und sagt : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Es ist keiner Meister von der Himmel gefallen , fang nur an , du wirst schon lernen !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Aber ich habe angefangen und doch nichts gelernt . Ich weiß nur , daß ich sehr , sehr dumm bin . Am fürchterlichsten sind die Mittwoch Nachmittage . Da sitzen wir alle von drei bis fünf in dem Speisesaale . Die Fenster nach dem Garten sind weit offen und ich blicke sehnsüchtig hinaus . Es zuckt mir förmlich in Händen und Füßen , daß ich aufspringen möchte , um in den Garten zu eilen - ich darf es nicht , ganz still muß ich dasitzen und muß meine Sachen ausbessern , - Strümpfe stopfen und was ich sonst noch zerrissen habe , wieder flicken . Denke Dir das einmal , mein kleines Papachen ! Deine arme Ilse muß solche fürchterliche Arbeiten tun ! - Und Fräulein Güssow sagt , das wäre notwendig , Mädchen müssen alles lernen . Sie war ganz erstaunt , daß ich nicht stricken konnte . Man kauft doch jetzt die Strümpfe , das ist ja viel netter , warum muß ich mich unnütz quälen ? Es wird mir so schwer , die Maschen abzustricken , und ich mache es auch sehr schlecht . Melanie Schwarz , sie ist sehr hübsch , ziert sich aber und stößt mit der Zunge an , und dann sagt sie immer zu allem : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Furchtbar nett , furchtbar reizend , oder furchtbar scheußlich ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } - sie meinte neulich : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Du strickst aber furchtbar scheußlich , Ilse .{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Du siehst , Pagen , ich kann nichts ! In den Arbeitsstunden wird einmal französisch , einmal englisch die Unterhaltung geführt . Französisch kann ich mich allenfalls verständlich machen , aber englisch geht es sehr schlecht , so schlecht , daß ich mich schäme , den Mund aufzutun . Nellie ist gut , sie hilft mir nach und will oft mit mir sprechen , wenn wir allein sind . Du fragst mich , lieber Papa , ob ich schon Freundinnen habe , - ja - Nellie und noch sechs andere Mädchen sind meine Freundinnen , Nellie aber habe ich am liebsten . Wie sie alle heißen , will ich Dir das nächstemal schreiben , auch Dir erzählen , wie sie aussehen , heute kann ich mich nicht dabei aufhalten , sonst nimmt mein Brief kein Ende . Eine Schriftstellerin ist auch dabei , das muß ich Dir noch mitteilen . Wenn wir spazieren gehen , nämlich jeden Mittag von zwölf bis eins und jeden Nachmittag von fünf bis sieben , gehe ich fast immer mit Nellie in einer Reihe . Wir müssen nämlich wie die Soldaten zwei und zwei nebeneinander marschieren . Eine Lehrerin geht voran , eine hinterher mit einer kleinen Pensionärin an der Hand . Nicht rechts , nicht links dürfen wir gehen , immer in Reihe und Glied bleiben . Ach ! und ich habe so oft Lust , einmal recht toll davonzulaufen , auf die Berge hinauf - immer weiter ! - aber dann würde ich nicht wieder in mein Gefängnis zurückkehren - - In die Kirche gehen wir einen Sonntag um den anderen , dort gefällt es mir aber gar nicht . Ich sitze zwischen so viel fremden Leuten , und der Prediger , ein ganz alter Mann , spricht so undeutlich , daß ich Mühe habe , ihn zu verstehen . In Moosdorf ist es viel , viel hübscher ! Da sitzen wir eben in unserem Kirchstuhle und wenn ich hinunter sehe , kenne ich alle Menschen . Und wenn unser Herr Kantor die Orgel spielt und die Bauernjungen so laut und kräftig anfangen zu singen - und mein lieber Herr Prediger besteigt die Kanzel und Predigt so schön zu Herzen , dann ist es mir so feierlich , so ganz anders als hier ! - ach , und manchmal , wenn die Sonnenstrahlen durch das bunte Kirchenfenster fallen und so schöne Farben auf den Fußboden malen , dann ist es so herrlich , so herrlich , wie nirgendwo auf der ganzen Welt ! " [ Illustration ] Hier mußte Ilse mitten im Lesen innehalten und eine Pause machen . Der Gedanke an die Heimat und die Sehnsucht dahin überwältigten sie dermaßen , daß sie weinen mußte . Erst als ihre Tränen wieder getrocknet waren , las sie zu Ende . " Grüße nur alle , du einziger Herzenspapa , auch die Mama ; das Tagebuch , das sie mir mit eingepackt hat , kann ich nicht gebrauchen , ich habe keine Zeit , etwas hineinzuschreiben . Aber ich bedanke mich dafür . Nun lebe wohl , mein lieber , süßer , furchtbar netter Papa . Ich küsse Dich hunderttausendmal . Bitte , gib auch Bob einen Kuß und grüße Johann von Deiner Dich unbeschreiblich liebenden Tochter _ Ilse _. _N. S. _ Ich will gern Zeichenunterricht nehmen bei dem Herrn Professor Schneider , ich darf doch ? Morgen fange ich an . _N. S. _ Beinahe hätte ich vergessen , Dir zu schreiben , daß Du mir doch eine Kiste mit Kuchen und Wurst schickst . Nellie ist immer so hungrig , wenn wir des Abends im Bette liegen und ich auch . _N. S. _ Lieber Papa , ich kriege immer so viel Schelte , daß ich so ungeschickt esse , schreibe mir doch , ob das nicht sehr Unrecht ist . Der Mama sage nichts hiervon . Deine Hand drauf ! - Fräulein Güssow habe ich sehr lieb . " - Gerade saßen Ilses Eltern mit dem Prediger zusammen auf der Veranda am Kaffeetische , als ihr langer Brief eintraf . Der Oberamtmann las ihn vor und wurde bei einigen Stellen so gerührt , daß er kaum weiter zu lesen vermochte . " Ich möchte das arme Kind zurückhaben , " sagte er , nachdem er zu Ende gelesen , " es fühlt sich unglücklich , und ich sehe nicht ein , warum wir unserer einzigen Tochter das Leben so verbittern sollen . Was meinst du , Annchen , und Sie , lieber Vollert , wäre es nicht besser ? " Der Prediger durchlas noch einmal den Brief , faltete ihn wieder zusammen und machte ein höchst zufriedenes Gesicht . " Ich bin nicht Ihrer Meinung , " entgegnete er , " ja ich würde das für eine Sünde halten . Ilse ist bereits auf dem Wege einzusehen , daß sie noch vieles lernen muß , sie vergleicht sich mit den Genossinnen und erkennt ihre Fehler , die Lücken in ihrem Wissen . Wir haben schon mehr erreicht in dieser kurzen Zeit , als ich mir gedacht habe . " " Das Heimweh ist ja natürlich , " fiel Frau Anne ein , " bedenke nur , wie schwer es einem an die Freiheit gewöhnten Wesen werden muß , sich plötzlich in den Schulzwang zu fügen ! Die Regelmäßigkeit des Instituts ist ihrer ungebändigten Natur zuwider ; zu Ilses Glück , sie wird sich fügen lernen , ihre Wildheit abstreifen und ein liebes , herziges Mädchen sein . " Der Oberamtmann war verstimmt , daß man ihn nicht verstand . Weder der Prediger noch Frau Anne überzeugten ihn mit ihren Vernunftgründen . Er urteilte eben nur mit seinem weichen Herzen , und das litt sehr bei dem Gedanken an sein heimwehkrankes Kind . Ilses Wünsche wurden natürlich alle erfüllt und zwar umgehend : Es mußte Kuchen gebacken und die schönste Wurst , nebst einem Stück Schinken aus der Rauchkammer geholt werden . Der Oberamtmann packte selbst die kleine Kiste und legte noch allerhand Leckereien mit hinein . " Not soll sie wenigstens nicht leiden , " sagte er zu seiner Frau , die ihm lächelnd zusah . " Junge Menschen , die noch wachsen , haben immer Hunger . Wenn der Magen knurrt , muß er sein Teil haben ; der beruhigt sich nicht , wenn man zu ihm sagt : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Warte nur bis es zwölf schlägt oder Morgen oder Abend ist , dann bekommst du etwas .{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } " Frau Anne hätte gern erwidert , daß es viel besser sei , den Magen an regelmäßige Mahlzeiten zu gewöhnen , als zu jeder Tageszeit zu essen , aber sie schwieg . Sie dachte mit Recht , daß mit der Zeit Ilse von selbst von dieser Untugend zurückkommen werde . * * * Es war an einem Mittwoch Nachmittag im Monat August . Die erwachsenen Mädchen der Pension saßen im Speisezimmer beisammen , stopfend , flickend oder mit anderen Arbeiten dieser Art beschäftigt . Es war sehr heiß und gewitterschwül , und durch die geöffneten Fenster drang kein erfrischender Luftzug . Ilse hielt ihren Strickstrumpf in der Hand und quälte sich , Masche auf Masche abzuheben . Es machte ihr Mühe mit den heißen , feuchten Fingern . Die Nadeln saßen so fest in den Maschen , daß sie kaum zu schieben waren . Sie glühte wie eine Rose bei ihrer sauren Arbeit , und der graue Strumpf , der eigentlich weiß sein sollte , wurde öfters aus der Hand gelegt . Nun fielen auch noch einige Maschen herunter , und Fräulein Güssow , die anwesend war , forderte Ilse auf , einmal zu versuchen , ob sie dieselben nicht allein wieder aufnehmen könne . " Ich kann das nicht , " sagte Ilse , " die Nadeln kleben so , ich mag sie nicht mehr anfassen . " " Wasche dir die Hände , " riet Fräulein Güssow , " dann wird es besser gehen . " " Das hilft nicht , " erwiderte Ilse unmutig und legte das Strickzeug vor sich hin . Die Mädchen lachten , und Grete , die ihr gegenübersaß , nahm es vorwitzig in die Hand , um den Fehler zu verbessern . Ilse nahm es ihr fort . " Laß liegen , " sagte sie , " es ist mein Strumpf ! " Ehe noch Fräulein Güssow sie wegen ihres unpassenden Wesens zurechtweisen konnte , trat Fräulein Raimar in das Zimmer . Sie ging von einer Schülerin zur anderen und prüfte deren Arbeiten , sie tat dies zuweilen , um sich an den Fortschritten zu erfreuen , oder auch zu tadeln , wenn es nötig war . " Nun , wie steht es mit dir , Ilse ? " fragte sie . " Hast du deinen Strumpf bald fertig ? Zeige ihn einmal her . " Ilse tat , als habe sie die Aufforderung nicht verstanden , sie schämte sich ihrer schmutzigen Arbeit . " Ich will dein Strickzeug sehen , Ilse , hast du mich nicht verstanden ? " Etwas streng und hart klangen die Worte der Vorsteherin , und nun war es Trotz , weshalb sie den Gehorsam versagte . Aufgebracht über diesen Widerstand nahm Fräulein Raimar ihr den Strumpf unsanft aus der Hand . " Ich bin gewöhnt , daß meine Schülerinnen mir gehorchen und du wagst es , dich zu widersetzen ? - Seht einmal Kinder , " fuhr sie fort und hielt mit spitzen Fingern das Strickzeug in die Höhe , " was sagt ihr zu dieser Arbeit ? Sieht sie wohl aus , als ob sie einem erwachsenen Mädchen angehöre ? Schäme dich ! Niemals wieder will ich ein so unsauberes Strickzeug sehen . " Aller Augen waren auf dasselbe gerichtet , und einige Pensionärinnen glaubten sich durch die Frage der Vorsteherin berechtigt , ein Wort mitzureden . Die vorlaute Grete meinte , daß ihre kleine fünfjährige Schwester daheim weit besser und sauberer stricke , ihr Strumpf sähe wie Schnee gegen Ilses aus , sie dürfe aber auch niemals mit schmutzigen Händen stricken . Die ästhetische Flora verglich das fassonlose Ding mit einem Kaffeebeutel , ein Vergleich , der Annemie so in das Lachen brachte , daß sie sich gar nicht wieder beruhigen konnte . Was in diesem Augenblicke in Ilses Innerem vorging , ist schwer zu beschreiben . Sie sah sich verlacht und verspottet von allen Seiten und durfte sich nicht dagegen verteidigen . Ihr heißes Blut , ihre unbändige Natur bäumten sich mit aller Macht auf gegen die , wie sie glaubte , ihr öffentlich angetane Schmach . Sie geriet in eine so blinde Wut , wie sie bis jetzt noch niemals empfunden hatte , sie ballte die Hände und bis hinein , ihre Augen füllten sich mit heißen , trotzigen Tränen . Fräulein Raimar hatte bereits das Zimmer verlassen , doch die Tür desselben hinter sich offen gelassen , sie hielt sich noch auf dem Korridor auf . Welchen Aufruhr sie in Ilse heraufbeschworen , ahnte sie nicht , sie würde ihn auch schwerlich begriffen haben , glaubte sie doch fest , durch eine öffentliche Beschämung Ilses Widerstand ein für allemal geheilt zu haben . Wie wenig verstand sie ein leidenschaftliches Gemüt ! Gerade das Gegenteil hatte sie hervorgerufen . Ilses wilder Trotz stand in lichterlohen Flammen . " Neckt sie nicht ! " gebot Fräulein Güssow , die Ilse besser verstand . " Ich will nicht , daß ihr sie auslacht ! " Und Nellie , die einzige , welche mitleidig dem ganzen Auftritt zugesehen , nahm gutmütig den verachteten Strumpf in die Hand , um ihn wieder in Ordnung zu bringen . " Laß ! " rief Ilse und ihr ganzer Grimm entlud sich auf Nellies unschuldiges Haupt , " laß ! Was kümmern dich meine Sachen ? " " Gib doch her , " bat diese sanft , " ich mache ' dich alles wieder gut . " Aber Ilse hörte nicht darauf und riß es Nellie aus der Hand , und ehe noch diese sie zurückhalten konnte , warf sie im höchsten Zorne das unglückselige Strickzeug gegen die Wand . Die Nadeln schlugen klirrend aneinander und das Knäuel kollerte weit fort , zur offenen Tür hinaus , bis zu den Füßen der Vorsteherin . Vielleicht hätte dieselbe kein Arg an diesem kleinen Zufall gefunden , wenn nicht zu gleicher Zeit laute Ausrufe wie " Ah ! " und "o ! " ihr Ohr getroffen und ihr verkündet hätten , daß etwas Unerhörtes passiert sein müsse . " Was gibt es ? " fragte sie hastig eintretend . Sie erhielt keine Antwort ; aber ihr Blick fiel auf das Strickzeug am Fußboden und sie erriet das Ganze . " Warfst du es absichtlich hierher ? " richtete sie an Ilse die Frage , und ihre Stimme bebte vor Aufregung , in ihren stets so ruhig blickenden Augen blitzte es unheimlich auf . - " Antworte - ich will es wissen ! " " Ja , " sagte Ilse . " Komme hierher und nimm es wieder auf ! " Die Heftigkeit der Vorsteherin machte Ilse nur verstockter , sie rührte sich nicht . " Hast du verstanden , was ich dir befahl ? Glaubst du mir trotzen zu können ? Ich verlange , daß du mir gehorchst ! " " Nein , " entgegnete Ilse zum Entsetzen der anwesenden Pensionärinnen , " ich tue es nicht ! " Fräulein Güssow sah die Widerspenstige traurig und bekümmert an . Nicht Zorn , nur Mitleid empfand sie mit derselben . " Wenn ich dich ändern könnte ! Wenn es mir gelänge , dich auf einen anderen Weg zu bringen , armes , verblendetes Kind ! " dachte sie und beschloß , nichts unversucht zu lassen , um Ilse von ihrem bösen Fehler zu heilen . Solange sie Vorsteherin des Pensionats war , hatte Fräulein Raimar niemals Ähnliches erlebt . Trotz ihrer stets so maßvollen Ruhe war sie für den Augenblick fassungslos und ungewiß , was mit Ilse geschehen solle . " Gehe auf dein Zimmer , " befahl sie kurz , " und bleibe dort ! Das andere wird sich finden . " Ilse erhob sich und ging hinauf . Nachdem sie in ihrem Zimmer angelangt , brach der furchtbare Sturm , den sie mühsam zurückgehalten hatte , los . Sie warf sich auf einen Stuhl und weinte laut . Stürmisch rief sie nach ihrem Papa , daß er komme und sie holen möge - klagte die Mama an , die sie in diese fürchterliche Anstalt gebracht - kurz fühlte sich verzweifelt und verlassen , wie nie im Leben . Allerhand Gedanken jagten durch ihren Kopf , der zum Zerspringen brannte , kindisch und unausführbar . Zuerst wollte sie davonlaufen , - wohin war ihr gleich , nur fort , damit sie die böse Vorsteherin , die stets einen Ärger auf sie gehabt , und die abscheulichen Mädchen , die sie verhöhnt hatten , von denen keine sie lieb hatte , nicht wieder sehe - niemals ! Kein Mensch mochte sie leiden , nur der Papa . O , wenn sie gleich bei ihm wäre ! Der Gedanke , daß sie zurück müsse nach Moosdorf , behielt die Oberhand . Sie fing an , ihre Sachen aus der Kommode zu räumen und war eben im Begriff , das Mädchen zu beauftragen , ihr den Koffer vom Boden herabzuholen , als Nellie und gleich darauf Fräulein Güssow in das Zimmer traten . Erstaunt blickte letztere auf die umherliegenden Sachen . " Nun , Ilse , was soll denn das bedeuten ? " fragte sie . Anstatt zu antworten vergrub Ilse das Gesicht in beiden Händen und schluchzte laut . Fräulein Güssow ließ sie einige Augenblicke gewähren , dann zog sie ihr leise die Hände vom Gesicht . " Beruhige dich , Kind , " sprach sie in sanftem Tone , " dann will ich mit dir reden . " " Ich kann nicht ! Ich will fort ! " stieß Ilse leidenschaftlich heraus . " Du mußt dich beherrschen , Herz . Ich glaube gern , daß es dir schwer wird , dein trotziges Ich zu zähmen , aber du mußt es tun , es ist notwendig . Siehst du nicht ein , Ilse , wie Unrecht , wie ungezogen du gehandelt hast ? " Diese schüttelte den Kopf . " Sie haben mich alle gereizt , " entgegnete sie abgebrochen schluchzend - " Fräulein Raimar hat mich so furchtbar blamiert - alle haben mich ausgelacht ! " Fräulein Güssow hatte das Gefühl , als sei es besser gewesen , wenn die Vorsteherin ihren berechtigten Tadel in einer anderen Weise ausgesprochen hätte , - doch das war nun einmal geschehen und nicht zu ändern . " Du irrst , " entgegnete sie , " nicht Fräulein Raimar , sondern du selbst hast dich lächerlich gemacht . Denke einmal zurück , wie du dich benommen hast . - Übrigens , " fuhr sie fort , " du darfst nicht so trostlos sein und dir nicht allzuschwere Gedanken darüber machen . Wenn du morgen verständig bist , ist alles vergessen . Die Mädchen haben dich alle lieb . " " Nein , nein , " rief Ilse , " mich hat niemand lieb ! Ich weiß es wohl ! - Ich bin dumm und ungeschickt und ich will fort - zu meinem Papa ! " " Wenn du so sprechen willst , Ilse , dann verlasse ich dich . Du weißt , wie sehr ich dich lieb habe , dergleichen kindische Reden aber will ich nicht von dir anhören . Soll ich gehen ? - willst du vernünftig sein ? " - Ilse schwieg und die junge Lehrerin wandte sich der Tür zu . Als sie im Begriffe war dieselbe zu öffnen , eilte Ilse auf sie zu . " Bitte , bleiben Sie , " bat sie und hielt sie an der Hand fest . " Von Herzen gern , wenn du mich ruhig anhören willst . " Sie setzte sich auf einen Stuhl am Fenster und nahm Ilse in den Arm . " Wie heiß du bist , du böser Trotzkopf , " sagte sie und streichelte ihr liebevoll die erhitzten Wangen . " Nellie , gib Ilse ein Glas Wasser . " Die Angeredete hatte stumm und still am anderen Fenster gelehnt und der Freundin lautes Schluchzen mit heimlichen Tränen begleitet , jetzt sprang sie hinzu und reichte das Gewünschte . " Trinke einer kühle Schluck , er wird dir ruhig machen , " redete sie herzlich zu . " Du mußt nie wieder sagen , daß wir dir nicht liebten , du böse , böse Ilse ! - Nicht mehr weinen darfst du , komme , ich mache deine Gesicht kalt . " Und sie tauchte einen Schwamm in das Wasser und kühlte damit Ilses brennende Augen und Wangen . " Nun , mein Kind , " fragte Fräulein Güssow , als Ilse sich etwas beruhigt hatte , " was gedenkst du zu tun ? " " Ich muß heute noch abreisen , " entgegnete sie , " hier bleiben kann ich nicht . " " Also noch immer möchtest du mit deinem Kopfe die Wand einstoßen . Der Gedanke , daß du nachgeben mußt , daß es an dir ist , um Verzeihung zu bitten , kommt dir gar nicht in den Sinn ! Du hast Fräulein Raimar bitter gekränkt , denkst du nicht daran , sie wieder zu versöhnen ? Sprich ! " " Nein , " rief Ilse und warf den Kopf zurück , " Fräulein Raimar hat mich beleidigt und furchtbar gekränkt ! Ich bitte sie nicht um Verzeihung ! Noch niemals habe ich jemand um Verzeihung gebeten - und ich tue es auch jetzt nicht ! Nein ! " Das war wieder ein trotziger , böser Ausfall von ihr , dennoch verlor Fräulein Güssow nicht die Geduld , sie blieb ruhig und sanft . " Du batest niemals um Verzeihung , Ilse ? Das wundert mich ; aber du hast deinem Papa ein gutes Wort gegeben , wenn du unartig warst und er dir zürnte . " " Meinem Papa ! " wiederholte Ilse und sah höchst erstaunt die junge Lehrerin an . " Niemals hat er mir gezürnt , er war immer , immer gut , ich konnte machen , was ich wollte . " " So , " sprach Fräulein Güssow und meinte jetzt den Schlüssel zu Ilses Eigensinn in des Vaters zu großer Nachgiebigkeit gefunden zu haben . " Und die Mama , war auch sie stets damit zufrieden , was du tatest , - kränktest du sie niemals ? Sage einmal aufrichtig . " Ilse blickte nachdenklich vor sich hin . Sie konnte nicht leugnen , sie hatte dieselbe oftmals durch ihren Widerstand gekränkt . " Ich glaube , daß ich es tat , " sagte sie zögernd . " Und dann sagtest du : vergib mir , liebe Mama , nicht wahr ? " Ilse schüttelte den Kopf . " Nein , " sagte sie , " niemals habe ich das getan . Mama hat es auch gar nicht von mir verlangt , sie weiß , daß ich einmal nicht bitten kann . " " Ein Kind muß bitten können ! Und ein Mädchen vor allem. O Ilse ! Auch du mußt es lernen , noch ist es nicht zu spät ! " sprach Fräulein Güssow sehr erregt . " O Ilse , wenn doch meine Worte es vermöchten , dich so recht aus deiner Verblendung aufzurütteln ! Lerne nachgeben , mein Kind , lerne vor allem dich beherrschen ! Tust du es nicht , so nimmt das Leben dich in seine harte Schule und bereitet dir viel Herzeleid und Kummer . Glaube mir , Trotz und Widerstand sind böses Unkraut in einem Mädchenherzen , und oftmals überwuchern sie die besten , heiligsten Gefühle ! Gehe hinunter , Kind , bitte Fräulein Raimar um Vergebung . Überwindest du heute deinen harten Sinn , so hast du gewonnen für alle Zeit ! " Sie hatte warm und eindringlich gesprochen , und in ihren braunen Augen standen Tränen . Ilse war auch seltsam ergriffen von ihren Worten , aber Abbitte tun , - das konnte sie trotzdem nicht . " Ich kann es nicht , " sagte sie zögernd , aber bestimmt . " Du willst nicht , aber du mußt , " entgegnete Fräulein Güssow im höchsten Grade erregt . " Gott ! gibt es denn kein Mittel , daß ich dich von deinem Starrsinn heilen kann ! " - " Komme , setze dich zu mir , " fuhr sie ruhiger fort , " ich will dir eine wahre Geschichte von einem trotzigen , widerspenstigen Mädchenherzen erzählen , das sein Lebensglück einer kindischen Laune opferte , und wenn du dann noch sagen wirst : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Ich kann nicht ,{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } dann gehe hin und folge deinem harten Kopfe , - ich werde nie wieder den Versuch machen , ihn zu beugen ... " Noch niemals hatte jemand in einem so überzeugenden Tone zu Ilse gesprochen , derselbe verfehlte seine Wirkung nicht . Willig und Gehorsam setzte sie sich der jungen Lehrerin gegenüber und sah erwartungsvoll und gespannt auf sie . Der häßliche , trotzige Ausdruck schwand aus ihrem Gesichte und wer sie jetzt sah , würde nicht geglaubt haben , daß diese Ilse und die andere , die sich vor kaum einer Stunde so wild und unbändig betragen , ein und dieselbe sei . Fräulein Güssow hatte den Kopf auf das Fensterbrett gestützt und blickte gedankenvoll hinaus in den Garten . Ihr blasses Gesicht hatte sich leicht gerötet und um den Mund lag ein schmerzlicher Zug . Es schien fast , als ob ein heftiger Kampf in ihr arbeite , als ob es ihr schwer werde , mit dem ersten Worte zu beginnen . Plötzlich erhob sie sich . " Es ist hier so drückend und schwül , " sagte sie und öffnete die Fensterflügel . Ein erquickender Luftzug strömte ihr entgegen , ein Gewitter war im Anzuge . Sausend fuhr der Wind durch die Wipfel der Bäume , in der Ferne grollte der Donner . " Wie das wohl tut , " fuhr sie mit einem tiefen Atemzuge fort , " die Hitze lag mir schwer wie Blei auf der Brust . - Wie alt bist du , Ilse ? " unterbrach sie sich plötzlich wie in halber Zerstreuung . " Im nächsten Monat werde ich sechzehn Jahre . " " Sechzehn Jahre ! " wiederholte die Lehrerin , " dann bist du alt und auch verständig genug , denke ich , die traurige Geschichte meiner Jugendfreundin zu begreifen . Höre zu . " Es war einmal ein junges , fröhliches Menschenkind , das mit seinen sechzehn Jahren die Welt zu erstürmen meinte . Vater und Mutter waren ihm früh gestorben und so kam es , daß die kleine Waise zu der Großmutter gegeben wurde , die sie erzog und von Grund auf verzog . Lucie , so wollen wir das Mädchen nennen , hatte nie gelernt zu gehorchen oder sich zu fügen , sie erkannte nur einen Willen an , und das war der eigene . Das war sehr schlimm für sie , denn bei manchen guten Eigenschaften des Herzens besaß Lucie einen häßlichen Fehler , den Trotz . " Anstatt denselben durch unerbittliche Strenge schon in der Kindheit zu zügeln , pflegte ihn die Großmama durch allzugroße Nachsicht . "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Warum soll ich dem Kinde nicht seinen Willen tun ?{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } fragte sie , wenn man sie zuweilen auf ihre Schwäche aufmerksam machte , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } ist es nicht schlimm genug , daß es keine Eltern hat ? Ich kann es nun einmal nicht traurig sehen .{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } " " War Lucie hübsch ? " fragte Nellie , die sich hinter Ilses Stuhl gestellt und den Arm um deren Schulter gelegt hatte . " Ich glaube wohl , " entgegnete die Angeredete und errötete leicht , " wenigstens hat man es dem erwachsenen Mädchen oftmals gesagt . Doch das ist Nebensache - hört mich weiter an . " Die Großmutter besaß ein herrliches Landhaus , dessen Park sich an einen bewaldeten Bergesabhang lehnte . Man durfte nur eine kleine Pforte , die sich am Ausgange des Grundstückes befand , durchschreiten und befand sich im schönsten Walde , den ihr euch denken könnt . " Selten kamen Spaziergänger aus dem nahen Städtchen dorthin , desto öfter benutzte Lucie die kleine Ausgangspforte , durchstreifte den Wald bis an die Spitze des Berges , oder was sie noch häufiger tat , sie lagerte sich an irgend einem versteckten Platze . So im weichen , schwellenden Moose zu liegen , ein gutes Buch zu lesen und darüber die Welt zu vergessen , - das war die höchste Wonne ihres Lebens . " Eines Tages hatte sie wieder ihren Lieblingsplatz am Fuße einer Eiche aufgesucht . Die Luft war heiß und schwül und doppelt wohltuend empfand sie die Waldeskühle . Sie streckte die schlafen Glieder im Moose aus und blickte hinauf in das grüne Blätterdach . Nicht lange , dann öffnete sie das mitgebrachte Buch und las . So vertieft war sie bald in den Inhalt desselben , daß sie der Gegenwart ganz entrückt war . - " Eine männliche Stimme schreckte sie plötzlich auf . Ärgerlich über die Störung blickte sie auf und sah in das lächelnde Antlitz eines jungen Mannes , der mit Pinsel und Palette in der Hand vor ihr stand . "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Ein wunderbares Bild !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } rief er aus . { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Wahrlich , ich hätte Lust , dasselbe zu malen ! Bleiben Sie in der Stellung ,{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } bat er , als Lucie sich schnell erheben wollte , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } nur wenige Augenblicke ! Aber so böse dürfen Sie nicht aussehen , - nein , ich bitte , wieder derselbe Zug von Spannung um den Mund , - dasselbe erwartungsvolle Lächeln - bitte !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Was fällt Ihnen ein ?{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } rief Lucie aufgebracht und erhob sich mit einem Sprunge . Dabei fiel ihr das Buch aus der Hand . " Er kam ihr zuvor , als sie sich schnell danach bücken wollte ; doch ehe er es ihr überreichte , las er das Titelblatt . "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Werthers Leiden ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } , bemerkte er und lachte lustig . { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Dachte ' ich es doch ! Natürlich verbotene Lektüre , die in der Waldeinsamkeit verschlungen wird ! Oder hat der Herr Papa vielleicht Ihnen diese gefährliche Geschichte erlaubt ?{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } " Lucie entriß ihm das Buch , aber sie wurde über und über rot . "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Ich verbitte mir Ihre Bemerkungen !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } entgegnete sie zornig . { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Wer hat Ihnen erlaubt , mich zu beobachten ?{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Ich nahm mir selbst die Freiheit ,{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } sagte er sich verbeugend , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } und bitte dafür um Verzeihung . Ein Zufall brachte mich in Ihre Nähe , dort jene Buchengruppe war ich im Begriffe zu malen , - da erblickte ich Sie , und können Sie mir verdenken , daß ich dem Zauber nicht widerstehen konnte , Sie zu betrachten ?{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } " Sie gab keine Antwort , ja sie grüßte nicht einmal , als sie eilig davon ging . Sie empfand Unwillen und Ärger über den Aufdringlichen und doch - gefiel er ihr . " - " War er ein schön Mann ? " fragte Nellie . " Ja , er war schön und klug und gut . Von den letzteren Eigenschaften konnte Lucie sich bald überzeugen , denn der Maler machte unter irgend einem Vorwande einen Besuch in der Großmutter Hause . " Wie bald er der Liebling derselben , wie er nach und nach täglicher Gast bei ihr wurde und wie er endlich der trotzigen Lucie Herz gewann , das kann ich euch nicht erzählen , nur so viel , daß sie eines Tages seine Braut war . " Es war ihm nicht leicht geworden , ihr Jawort zu erringen , denn wenn er heute glaubte , daß sie ihn gern möge , war er morgen vom Gegenteil überzeugt . Wenn er im Begriffe war , sie zu fragen : hast du mich lieb ? reizte sie ihn gerade durch Trotz und Widerstand , und das Wort erstarb ihm auf den Lippen . " Endlich trug er den Sieg davon . An ihrem achtzehnten Geburtstage war es , als sie mit ihm vor die Großmama trat und jubelnd ausrief : "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Ich bin Braut !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } " Nun , glaubt ihr , Lucie ist eine andere geworden ? Das Glück und die Liebe haben sie nachsichtiger gestimmt , nicht wahr , ihr glaubt , das könne nicht anders sein ? - Wie seid ihr im Irrtum ! Das Gegenteil war der Fall . Ihr Widerstand trat gegen den Mann , den sie von ganzem Herzen liebte , oftmals heftiger hervor , als je vorher . " Welche Mühe gab er sich , sie von diesem Fehler zu heilen , wie eindringlich und liebevoll stellte er ihr die Folgen desselben vor ; sie hörte ihn an und versprach sich zu besseren , - aber ihr Wort hielt sie nicht , - - leider ! - Hätte sie es getan , wie viel Kummer und Herzeleid hätte sie sich erspart ! " Einen Augenblick hielt die junge Lehrerin inne , ein scharfer Beobachter hätte ihr ansehen können , wie schwer es ihr wurde , die Geschichte weiter zu erzählen , - die jungen Mädchen indessen merkten nichts davon . Sie glaubten , die Heftigkeit des Gewitters habe die Pause hervorgerufen . " O bitte , fahren Sie fort , " bat Nellie , deren Augen vor Entzücken glänzten ; niemals bis jetzt hatte das Fräulein ähnliches erzählt , " bitte , weiter ! O , ich bin zu gierig , weiter zu wissen ! " Ilse saß still und sinnend da . Was sie da hörte , berührte eine verwandte Saite in ihr , oftmals hatte sie das Gefühl , als ob das junge Mädchen nicht Lucie , sondern Ilse geheißen habe . - " Lucies Brautzeit neigte sich zu Ende , " fuhr Fräulein Güssow fort , " in vier Wochen sollte die Hochzeit sein . An dem Morgen eines herrlichen Maitages saß das Brautpaar auf der Veranda vor dem Hause und träumte sich in die Zukunft hinein . Es wurde eine Reise nach der Schweiz und Italien geplant , - den ganzen Sommer wollten sie umherschweifen , und wo es ihnen am schönsten gefiel , dort wollten sie für den Winter ihr Nest bauen . " Der Himmel wölbte sich hoch und blau über ihnen , die Frühlingssonne lachte sie freundlich an , - ringsum blühte , duftete und zwitscherte es , kein Mißton störte das wunderbare Lenzesleben . " Lucie machte Pläne und malte sich aus , wie sie leben und wie sie sich einrichten wollten . Sie hing am Äußeren und hatte eine lebhafte Phantasie , da war es denn am Ende ganz natürlich , daß ihre Wünsche und Hoffnungen bis an den Himmel reichten . " Er hatte ihrem Geplauder lächelnd gelauscht , ohne sie zu unterbrechen . Da gab ihm ein unglücklicher Zufall die Frage ein : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Wie würdest du es ertragen , Lucie , wenn wir uns ganz einfach einrichten müßten , wenn wir nicht reisen könnten - wenn wir wenig Mittel hätten , - mit einem Worte , wenn die Not an uns herantreten würde ?{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Die Not ?{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } fragte sie erstaunt und sah ihn beinahe entsetzt an . { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Das wäre furchtbar !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Du gibst mir keine Antwort auf meine Frage , liebes Herz . Ich meine , ob deine Liebe zu mir so stark sein würde , daß du ohne Klage auch ein armseliges Los mit mir teilen würdest ?{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } - " Es verdroß sie , daß Curt , so hieß der Maler , durch unnütze Fragen einen Mißklang in ihre frohe Stimmung brachte . "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Laß doch den Unsinn !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } wehrte sie ab , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } wir werden nie in solche Lage kommen . Ich bin reich und deine Bilder werden hoch bezahlt .{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Man kann nicht wissen , was in den Sternen für uns geschrieben steht ,{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } entgegnete er ernst . { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Du könntest zum Beispiel dein Vermögen verlieren , - und ich - nun wenn ich krank würde und nicht malen könnte ?{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Warum quälst du mich mit allerhand dummen Möglichkeiten , Curt ,{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } sagte sie ungeduldig . { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Ich antworte dir nicht auf solche Fragen .{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Und sie wandte sich halb von ihm ab . "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Du sprichst jetzt gegen deine bessere Überzeugung , du kleine Widerspenstige ,{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } sagte er halb ernst , halb scherzhaft . { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Ich weiß , du wirst mir ganz bestimmt meine Gewissensfrage beantworten , ich weiß auch , meine Lucie würde den Mut haben , ein sorgenvolles Leben mit mir zu teilen , wie sie meine Gefährtin in Glück und Wohlstand werden wollte . Nicht wahr ? Du siehst ein , Liebling , daß ich von meiner zukünftigen Frau das verlangen kann ?{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Das sehe ich nicht ein !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } rief Lucie sehr entrüstet und entzog ihm ihre Hand , die er liebevoll ergriffen hatte . { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Armselige Verhältnisse würden mich unglücklich machen - ja , unglücklich machen !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } wiederholte sie , als er sie zweifelnd ansah , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } lieber würde ich gar nicht heiraten !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } " Er wurde blaß bei ihren Worten , aber noch wollte er nicht an den Ernst derselben glauben . { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Hast du mich lieb , Lucie ?{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } fragte er sie . "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Ja , aber in einer Hütte bei Salz und Brot mag ich nicht mit dir wohnen !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Kein { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Aber ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } , Lucie . Hast du mich lieb ? Sage ja und nimm zurück , was du gesagt hast .{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Nein !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } rief sie entschieden und sprang von ihrem Platze auf . { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Nichts nehme ich zurück ! Was ich gesagt habe , ist meine wahre Meinung !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Lucie !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } rief er erregt , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } besinne dich ! Es ist nicht wahr , du denkst nicht wie du sprichst ! Dein Widerspruch gab dir die Worte ein .... ! Nimm sie zurück , Herz !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } und flehend blickte er ihr in das Auge . "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Du irrst ,{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } entgegnete sie mit scheinbarer Kälte , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } nicht aus Widerspruch , sondern mit voller Überzeugung sagte ich dir meine Ansicht .{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Nein , nein ! Ich kann_es , ich will es nicht glauben ! - Komme her , sieh mich an . Deine Augen sollen mir die Antwort geben , ich weiß , daß sie nicht lügen können . - Du liebst mich ? Ja ? Nicht wahr , du hast mich lieb ?{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } wiederholte er noch einmal dringend - { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } und du nimmst zurück , was du gesagt ?{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } " Unglücklicherweise hatte die Großmama auf der entgegengesetzten Seite der Veranda gesessen und war so eine stumme Zeugin dieser Szene geworden . Ängstlich erhob sie sich und trat dem jungen Paare näher . "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Sie dürfen Lucie nicht so übel nehmen , was sie sagt , lieber Curt ,{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } sprach sie beruhigend , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } es kommt ihr nicht vom Herzen , glauben Sie mir .{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } " Die alte Frau hatte es gut gemeint , aber sie stiftete Unheil an . Hätte sie sich nicht in den Streit gemischt , vielleicht war es besser . Ihre gütigen Worte stachelten Lucies Trotz noch mehr an . "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Es kommt mir wohl aus dem Herzen !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } rief dieselbe aufgebracht , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } und ich wiederhole noch einmal : Lieber heirate ich gar nicht , als daß ich Not und Mangel leide !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } " - " O , wie hart ist sie ! " warf Nellie ein , als Fräulein Güssow wie erschöpft einen Augenblick innehielt . " Sie war nicht hart , nur verblendet , " fuhr diese fort . " Niemals hatte sie gelernt , sich einem anderen Willen zu beugen , niemals war sie im stande gewesen nachzugeben . Jetzt , wo das ernste Verlangen ihres Verlobten in aller Entschiedenheit an sie herantrat , ihren Widerstand zu zähmen , da bäumte derselbe sich dagegen auf und sie unterlag seiner Macht . "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Ist das dein letztes Wort , - Lucie !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } - Wie ein Schrecken kam es über seine Lippen . Sie blieb ungerührt , wandte sich von ihm und eilte aus dem Zimmer . " Besorgt folgte ihr die Großmama , aber sie klopfte vergeblich an der verschlossenen Türe , dieselbe wurde nicht geöffnet . - " Lucie befand sich in keiner beneidenswerten Stimmung . Es kochte und tobte in ihr und verworrene Gedanken durchzuckten ihr Hirn . War es recht , wie sie gehandelt hatte ? { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Ja ,{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } antwortete sie sich darauf , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } ich bin im Rechte . Warum schreckt er mich mit den Gespenstern Sorge und Not , warum peinigt er mich damit ? Ich will in eine glückliche Zukunft sehen und er will mir das Herz schwer machen mit Unmöglichkeiten . Und welch eine wichtige Sache er daraus macht ? - Ich soll zurücknehmen , was ich gesagt habe ! Solch ein Verlangen ! Abbitte soll ich tun - Abbitte ! Und er hat mich doch erst herausgefordert . Er ist an allem schuld .{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } " Aus einem Winkel ihres Herzens meldete sich auch eine Stimme , die ihr zurief : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Gib nach ! Reiche ihm die Hand , oder du hast ihn verloren !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Sie wurde nicht beachtet , und als eine Stunde vergangen war , hatte sie sich so völlig in den Gedanken an ihre Schuldlosigkeit eingelebt , daß sie erwartete , Curt müsse kommen und sie um Verzeihung bitten . " Er kam auch und begehrte Einlaß . { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Oeffne mir , Lucie ,{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } rief er stürmisch , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } es hängt unser Glück davon ab ! Ich muß dich sprechen ! - Ich will dich sprechen !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } " Das klang wie ein Befehl , sie schwieg und gab keine Antwort . Wohl klopfte ein guter Engel an ihr Herz und rief ihr warnend zu : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Erhöre ihn und es wird alles gut ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } - sie war taub gegen seine Stimme . Ein böser Geist hielt sie für den Augenblick gefangen und trauernd floh ihr guter Engel von dannen . "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Ich will nicht mit dir reden !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } rief sie zurück , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } ich wüßte auch nicht , was du mir noch sagen könntest !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } So treibst du mich fort von dir , Lucie !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } - rief er außer sich . { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Bedenke was du tust ! Ich gehe und nicht eher kehre ich zu dir zurück , bis du mich zurückrufst : Lebe wohl !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } - - " Es waren die letzten Worte , die sie von ihm gehört hat . " Nach einer in Aufregung durchwachten Nacht brach der nächste Tag an . Der trotzige Aufruhr in Lucies Inneren hatte sich gelegt und einer unzufriedenen Stimmung Raum gemacht . Nachzugeben fühlte sie sich auch heute nicht geneigt , aber sie wollte ihn heute anhören , wenn er kam , - und daß er kommen werde , darauf hoffte sie fest . " Aber sie hoffte vergebens . Die Großmama überhäufte ihre Enkelin mit bitteren Vorwürfen und forderte sie unter Tränen auf , sie möge nachgeben . "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Wird es dir denn so schwer ,{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } sagte sie , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } dem Manne , dem du in vier Wochen die Hand für das Leben geben willst , ein bittendes Wort zu sagen ? Überwinde dich , Lucie , nimm deine bösen Worte zurück , oder es gibt ein Unglück .{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Ich kann nicht , Großmama . Ich müßte ja abbitten , so verlangt er , und du weißt , ich tat es nie ! Er kehrt auch ohne meinen Ruf zurück , du wirst es sehen .{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } " Aber auch der nächste Tag verging und er blieb aus . Lucie befand sich in einer fieberhaften Aufregung und schrak zusammen , sobald sich die Tür öffnete . - Am dritten Tage , - es war gegen Abend , sie hatte wieder vergeblich ihn erwartet , da brachte Curts Diener ihr einen Brief . Sie eilte auf ihr Zimmer , um ihn allein und ungestört zu lesen - es war doch endlich - endlich ein Zeichen von ihm ! " Hastig öffnet sie und in zwei Teile gebrochen fiel ihr Curts Verlobungsring entgegen . Wenige Zeilen nur schrieb er dazu . - Ich will versuchen euch dieselben zu wiederholen , " unterbrach sich Fräulein Güssow , " Lucie hat sie mir oftmals zu lesen gegeben . " Du hast mich nicht zurückgerufen , - - so sehnsüchtig ich auch darauf gehofft habe . Liebtest Du mich , wie ich Dich , wäre es Dir nicht schwer geworden , ein versöhnendes Wort zu sagen . Lebe wohl denn , ich muß von Dir scheiden , Lucie , weil ich Dir nicht versprechen kann , Dir stets Wohlstand und Glück zu bieten . - - Mit welchem Rechte könnte ich vom Schicksal verlangen , daß mein Leben nur von der Sonne beschienen werde ? Lebe wohl , - ich habe Dich sehr geliebt . " - " Wie gebrochen sank sie zur Erde nieder und hätte vor Schmerz vergehen mögen . Das hatte sie nicht gedacht , - so weit hatte sie es nicht treiben wollen . - Nun war es zu spät , alle Reue , alle Selbstanklage , brachten ihr den Geliebten nicht zurück . " Die Großmama fand Lucie in einem verzweiflungsvollen Zustande , und heimlich , ohne ihr Wissen , schickte sie einen Boten in Curts Wohnung . Er kehrte zurück mit der Meldung : der Herr sei seit zwei Stunden abgereist . - Sie hatte ihn auf ewig verloren ! " - " O , die arm Lucie ! Der schlechter Mensch , warum konnte er ihr verlassen ! " rief Nellie unter Weinen . " Er hat ihr gar nix lieb gehabt . " " Er hat sie sehr geliebt , " entgegnete die Lehrerin und sah hinaus auf den strömenden Regen ; " aber er war ein ganzer Mann , der Lucies trotzigen Widerstand nicht länger ertragen konnte . " " Und wo ist Lucie geblieben ? " " Lucie ? " wiederholte Fräulein Güssow zögernd , - " ein trauriges Geschick hat sie getroffen . Ein Jahr nach dem Geschehenen verlor die Großmutter fast ihr ganzes Vermögen . Die Villa mußte verkauft werden und Lucie , das verwöhnte und verzogene Mädchen , war gezwungen , für die Zukunft ihr eigenes Brot zu verdienen . " Ilse sah entsetzt die Lehrerin an . " Ja , ihr Brot zu verdienen , " betonte dieselbe . " Das erschreckt dich , nicht wahr ? Aber es wurde ihr nicht so schwer , als sie einstmals geglaubt . Seit jenem Tage , da sie das Schwerste erfahren , war eine Änderung in ihrem Wesen vorgegangen . Still und ernst ging sie einher und ihr übermütiges Lachen war verschwunden . - Sie bereitete sich vor , Gouvernante zu werden , und als sie ihr Examen bestanden hatte , ging sie , nachdem sie die Großmama durch den Tod verloren , nach London . Sie wirkt dort als Lehrerin in einem Institute . " " Und der Maler ? Hat die arm Lucie nie gehört davon ? " " Seine Werke hat sie oft in den Galerien bewundert - er selbst blieb verschollen . " " Oh wie ein furchtbar trauriges Geschichte ist das ! " rief Nellie . " Es tut mich sehr weh . " Und Ilse ? Sie saß da , die Hände gefaltet , mit gesenktem Blick . Sie war bis in das Innerste getroffen . Wie Lucie hätte auch sie gehandelt , auch sie würde es bis zum äußersten getrieben , auch sie würde ihr Lebensglück im trotzigen Übermute geopfert haben . - Noch schwankte sie einen Augenblick , wie im Kampf mit sich selber , dann aber erhob sie sich schnell und ergriff Fräulein Güssows Hand . " Ich will um Verzeihung bitten , " sagte sie in leisem Tone , es war , als ob sie sich scheue , ihre eigenen Worte zu hören . Über der Lehrerin Gesicht glitt ein Freudenschimmer . Sie nahm die Reuige in den Arm und küßte sie zärtlich . " Gehe ' - gehe , " sagte sie gerührt , " und wenn je ein böser Geist wieder über dich kommen will , denke an Lucies traurige Geschichte . " Zögernd und beklommen stieg Ilse die Treppe hinunter . Vor der Vorsteherin Zimmer blieb sie stehen . Sie konnte sich nicht entschließen , die Tür zu öffnen . Zweimal hatte sie schon die Hand nach dem Drücker ausgestreckt und wieder zurückgezogen . Es war so furchtbar schwer , die erste Abbitte zu tun . Ob sie umkehre ? Einen Augenblick war sie es Willens , ja , schon machte sie eine leichte Wendung zurück , da hörte sie Fräulein Güssow die Treppe herabkommen . Sollte dieselbe sie unverrichteter Sache hier finden ? Sie hätte sich vor ihr schämen müssen . Mit einem tiefen Atemzuge öffnete sie die Tür . [ Illustration ] Die Vorsteherin saß an ihrem Schreibtische ; als sie Ilse eintreten sah , erhob sie sich . Ilses Herz klopfte zum Zerspringen . Als sie das strenge , zürnende Auge Fräulein Raimars auf sich gerichtet sah , entsank ihr der Mut . Sie versuchte zu sprechen , aber es war ihr unmöglich , ein Wort hervorzubringen , die Kehle erschien ihr wie zugeschnürt . Es war eine Folterqual , die sie ausstand , und wenn jetzt der Boden unter ihren Füßen sich plötzlich geöffnet und sie hätte verschwinden lassen , sie würde es für eine Wohltat des Himmels angesehen haben . Aber diese Wohltat blieb aus , und Ilse stand noch immer wortlos vor der Vorsteherin . Schon regte sich wieder der alte Trotz , der ihr eingab , es ruhig darauf ankommen zu lassen und sich nicht zu beugen - da war es , als ob Lucie sie traurig anblicke , als ob sie ihr mahnend zurief : " Nicht zurück ! Gehe mutig vorwärts ! " " Nun Ilse ? " unterbrach Fräulein Raimar das minutenlange Schweigen . " Was ist dein Begehre ? " Ilse machte eine vergebliche Anstrengung zu sprechen und brach in ein krampfhaftes Schluchzen aus . Abgebrochen und unverständlich kam es von ihren Lippen : " Ver-zeih-ung ! " Fräulein Raimar war sehr aufgebracht über Ilses Betragen gewesen und sie hatte die Absicht gehabt , ihr eine derbe Lektion dafür zu geben , als sie indes dieselbe so zerknirscht und reuevoll vor sich stehen sah , wurde sie milder gestimmt . " Für diesmal , " sagte sie , " will ich dir vergeben , ich sehe , daß du dich selbst mit Vorwürfen strafst , und daß du zur vollen Erkenntnis deines Ungehorsams gekommen bist . Bessre dich ! Beträgst du dich ein zweites Mal in ähnlicher Weise , würde ich die strengsten Maßregeln ergreifen , das heißt : ich würde dich zu deinen Eltern zurückschicken ! - Ich hoffe , du vergißt dich niemals wieder , versprich mir das ! " Beinahe hätte sie sich sofort gegen dieses Versprechen aufgelehnt und geantwortet : " Schicken lasse ich mich nicht ! Dann gehe ich lieber gleich zu meinen Eltern , " - da war es wieder Lucies warnendes Beispiel , das diese böse Antwort von ihren Lippen scheuchte . Zögernd und noch immer schluchzend ergriff sie des Fräuleins Hand . " Nie - wieder ! " stammelte sie . Und Fräulein Raimar war von der Wahrheit ihres Versprechens überzeugt und hatte beinahe Mitleid mit der Reumütigen . " Nun gehe und beruhige dich , " sagte sie in mildem Tone , " und sehe ich , daß du dich besserst , wird der heutige Tag von mir vergessen sein . - " Als Ilse die Treppe zu ihrem Zimmer wieder hinaufstieg , fühlte sie sich leicht wie nie im Leben , es war ihr so frei und froh in der Brust , niemals hatte sie eine ähnliche Empfindung gekannt . Es war das Bewußtsein , sich selbst überwunden zu haben . - Der Juli und August waren vorüber und man befand sich in den ersten Tagen des September . Ilse hatte sich mehr und mehr in das Pensionsleben eingelebt und fühlte sich längst keine Fremde mehr . An vieles , das ihr anfangs unmöglich erschien , hatte sie sich gewöhnt , ja gewöhnen müssen . Wie hätte sie auch vermocht , sich gegen das einmal Bestehende aufzulehnen ! Das frühe Aufstehen , das regelmäßige Arbeiten , die Ordnung und Pünktlichkeit , die streng innegehalten wurden , - schwer genug hatte sie sich in all diese Dinge gefunden , und wer weiß , ob sie es überhaupt je getan hätte , wenn Nellie nicht wie ein guter Geist ihr stets zur Seite gestanden hätte . Mit ihrer fröhlichen Laune half sie der Freundin über manche Schwierigkeit hinweg und oft verstand sie es , durch ein Wort , ja durch einen Blick dieselbe zu zügeln , wenn sich die alte Heftigkeit melden wollte . Eine heftige Szene hatte sie übrigens nicht wieder herbeigeführt . Fräulein Güssows Erzählung war auf fruchtbaren Boden gefallen und hatte ihren trotzigen Sinn etwas nachgiebiger gemacht . Über ihre Fortschritte und Fähigkeiten herrschte unter ihren Lehrern und Lehrerinnen eine sehr verschiedene Ansicht , wie dieses in der letzten Konferenz recht deutlich zu Tage trat . Der Rechenlehrer und der Lehrer der Naturgeschichte behaupteten , daß Ilse ohne jede Begabung sei , daß sie weder Gedächtnis , noch Lust am Lernen besitze . Andere waren vom Gegenteile überzeugt . Fräulein Güssow , die in der Literatur und Doktor Altoff , der Deutsch , Geschichte und in der französischen Literatur unterrichtete , waren in jeder Beziehung mit Ilses Kenntnissen und ihren Fortschritten zufrieden . Professor Schneider lobte ganz besonders ihren Fleiß und ihre Ausdauer , die sie bei ihm entwickle , und erklärte mit aller Entschiedenheit , wenn Ilse so fortfahre , würde sie es mit ihrem Talente weit bringen , sie habe in den acht Wochen , in denen sie seine Schülerin sei , so große Fortschritte im Zeichnen gemacht , wie nie eine andere zuvor . Über dieses Lob geriet Monsieur Michael in Entzücken . Ja er vergaß sich in seiner lebhaften Freude so weit , daß er ausrief ; " Bravo , Monsieur Schneider ! So spreche auch ich , sie ist eine hochbegabte , eine entzückende , junge Mademoiselle . " Fräulein Raimar lächelte über diese Ekstase und erkundigte sich nach Ilses Betragen . Da kam denn leider manches bedenkliche Kopfschütteln an den Tag . Besonders wurde von einigen sehr gerügt , daß sie bei dem geringsten Tadel eine trotzige Miene mache , daß sie sogar mehrmals gewagt habe , zu widersprechen . " Leider , leider ist dem so , " bestätigte die Vorsteherin , " und ich habe nicht den Mut , zu glauben , daß wir sie ändern können . Ich fürchte sogar , daß ihr zügelloser Sinn uns eines Tages eine ähnliche Szene , wie die bereits erlebte , machen wird , und was geschieht dann ? " " Dann geben wir sie den Eltern zurück , " fiel Miß Lead lebhaft ein . " Ich glaube , daß es dahin kommen wird . Ilse ist nicht nur verzogen , sie ist - wie soll ich sagen - sehr bäurisch , sehr brutal , sie paßt nicht in unsere Pension . " Doktor Altoff warf der Engländerin einen etwas ironisch lächelnden Blick zu , als wollte er sagen : Du freilich mit deinen übertriebenen , strengen Formen hast kein Verständnis für das junge , frische Wesen mit seinem natürlichen Sinn - " Ich glaube , Sie irren , meine Damen , " wandte er ein , " in unserer kleinen Ilse steckt ein tüchtiger Kern . Lassen Sie nur erst die etwas rauhe Schale sich von demselben abgestoßen haben und Sie werden sehen , in welch ein liebenswürdiges , natürliches , echt weibliches Wesen sich die bäurische , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } brutale Else ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } , " er betonte die letzten Worte etwas stark , " verwandeln wird . Von der Natur ist sie dazu beanlagt , glauben Sie mir . Man muß nur nicht von der kurzen Zeit , die sie bei uns verweilt , gar zu viel verlangen . " Miß Lead zuckte die Achseln und machte eine abweisende Miene . Fräulein Güssow dagegen sah Doktor Altoff dankbar an . " Das sage ich mit Ihnen , Herr Doktor ! " stimmte sie bei . " Wir müssen Geduld haben mit unserem wilden Vogel , der bis jetzt nur die Freiheit kannte . Fehler , die durch jahrelange , allzunachsichtige Erziehung in dem Kinde groß gezogen wurden , können unmöglich in wenigen Wochen vollständig abgestreift sein . Mir scheint , daß wir schon viel erreicht haben , wenn wir daran denken , wie wenig Arbeitstrieb Ilse mit in die Pension brachte und wie sie jetzt gewissenhaft und sogar in manchen Fächern ihre Aufgaben sehr trefflich anfertigt . " Fräulein Güssows Behauptung war vollständig berechtigt . Ilse war weit strebsamer geworden , das gute Beispiel der übrigen Mädchen spornte sie mächtig an . Anfangs war es ihr gleichgültig gewesen , ob man sie in die erste oder zweite Klasse brachte , als sie indes die Bemerkung machte , daß alle ihre Mitschülerinnen jünger waren , als sie , da erwachte der Ehrgeiz und zugleich ein Eifer in ihr , der sie antrieb , das Versäumte nachzuholen , zu lernen und zu arbeiten , damit sie bald in die erste Klasse komme . Ihre Aufsätze besserten sich mit jedem Mal , auch nahm sie sich sehr zusammen , keine orthographischen Schnitzer mehr zu machen . Sie hatte allen Respekt vor Doktor Altoff , der stets mit einem leichten Spott dergleichen Fehler zu rügen wußte . Ihr letzter Aufsatz war der beste in der Klasse gewesen . " Ein Spaziergang durch den Wald " hieß das gegebene Thema und sie hatte ihre Aufgabe in anmutiger und lebendiger Weise gelöst . Sie wurde dafür gelobt , und Doktor Altoff las ihren Aufsatz der Klasse vor , was stets als eine besondere Auszeichnung galt . Mitten im Lesen unterbrach er sich lachend . " Da ist Ihnen ein ganz abscheulicher Irrtum passiert , Ilse , " sagte er , " denn ich kann mir kaum denken , daß Sie wirklich dachten , was Sie hier niederschreiben . " Und er trat zu ihr und zeigte ihr die verhängnisvolle Stelle , die also lautete : " Ich war eine gans , tüchtige Strecke allein gegangen . " - Sie errötete , nahm schnell eine Feder und machte aus dem s ein z . " Ein anderes Mal sehen Sie sich besser vor , solche Verwechselungen können höchst komisch wirken . Auch mit den Kommas , Punkten u. s. w. , rate ich Ihnen weniger verschwenderisch umzugehen , oder haben Sie die Absicht , es wie jene junge Dame zu machen , die , sobald sie eine Seite zu Ende geschrieben hatte , ganz willkürlich die Zeichen hineinsetzte . Etwa zehn Kommas , sieben Ausrufungszeichen , fünf Fragezeichen und neun Punkte , wie sie gerade Lust hatte , manchmal mehr , manchmal weniger . Das gab dann zuweilen einen tollen Sinn , Sie können es sich denken . " Die Mädchen lachten und Ilse mit . Ohne jede Empfindlichkeit nahm sie eine Rüge von diesem Lehrer auf , der es verstand , stets die richtige Art und Weise zu treffen . Mit liebenswürdigem Humor , in welchen er einen ernsten Tadel oftmals kleidete , richtete er weit mehr aus , wie mancher andere , der in der Aufregung sich zu zornigen Worten hinreißen ließ . Aber wie schwärmten auch seine Schülerinnen für ihn ! In jeder Mädchenschule gibt es gewiß einen Lehrer , der zum allgemeinen Liebling erkoren wird , in dem Institute des Fräulein Raimar hatte Doktor Altoff das Los getroffen . " Er ist furchtbar reizend ! " beteuerte Melanie und schlug den Blick schwärmerisch gen Himmel . " Das bezaubernde Lächeln um seinen Mund , das blitzende , geistvolle Auge , das schmale , vornehme Gesicht , das dunkle , lockige Haar ! Wirklich furchtbar nett ! " Die neugierige Grete hatte sogar entdeckt , daß Schwester Melanie in einem Medaillon , welches sie an der Uhr befestigt trug , ein Stückchen Papier mit seinem Namen geborgen hatte . Es war eine Unterschrift von seiner Hand , die sie unter einem früheren Aufsatze fortgeschnitten hatte . Flora Hopfstange besang den Gegenstand ihrer Verehrung in den überschwenglichsten Gedichten , auch war er der Held ihrer sämtlichen Novellen und Romane . Wie zufällig verlor sie zuweilen eines ihrer schwärmerischen Gedichte , natürlich nur in der Literaturstunde , indessen vergeblich . Doktor Altoff hatte noch niemals eine ihrer kostbaren Dichterblüten gefunden . [ Illustration ] Selbst Orla teilte diese allgemeine Schwäche , trotzdem sie dieselbe stets verspottete . Längst aber hatte sie sich verraten und das ging so zu . Doktor Altoff trug eine Nelke in der Hand , als er die Klasse betrat und ließ dieselbe auf dem Katheder liegen . Kaum hatte er das Zimmer verlassen , als fast sämtliche Schülerinnen , wie die Stoßvögel auf die rote Blume zustürzten , um sie für sich zu gewinnen . Orla eroberte sie glücklich . Hoch hielt sie ihre Siegestrophäe in die Luft und eilte damit auf ihr Zimmer . Vom Juwelier ließ sie sich dann ein goldenes Medaillon anfertigen mit einer russischen Inschrift darauf . Grete hatte das bald genug herausgewittert , aber leider stand sie vor einem unlösbaren Rätsel , denn Orla würde ihr nimmermehr vertraut haben , daß die beiden Worte ins Deutsche übertragen hießen : " Vom Angebeteten . " - In diese kostbare , goldene Hülle legte sie die Nelke und trug sie immer . Nellie machte es am ärgsten . Eines Abends , als sie mit Ilse allein auf ihrem Zimmer war , nahm sie ein Federmesser und ritzte damit den Anfangsbuchstaben seines Vornamens in ihren Oberarm . Mit spartanischem Mute ertrug sie lächelnd diese schmerzhafte Operation . " Aber Nellie , wie albern bist du ! " rief Ilse . " Warum machst du denn den Unsinn ? Wenn Herr Doktor Altoff alle eure Dummheiten erfährt , müßt ihr euch doch schämen . " " Schweige ! " gebot Nellie scherzhaft , " du bist noch ein klein grüner Schnabel . Du verstehst nix von heimliche Anbetung . Komme erst in der Jahre und lerne ihr begreifen . Dein Herz lauft noch in der Kinderschuhe . " Ilse wollte sich totlachen . Ihr gesunder , urwüchsiger Sinn verstand und begriff dergleichen krankhafte Dinge nicht . " Ach Nellie ! " rief sie fröhlich , " du sprichst so weise , wie eine alte Großmama , und bist doch nur zwei Jahr älter als ich . " Nellie war aber keineswegs wie eine Großmama , oft sogar konnte sie recht kindlich denken und handeln , wenn es darauf ankam , irgend etwas für ihren Schnabel zu gewinnen . Eines Sonntags , es war gegen Abend , stand sie am offenen Fenster in ihrem Zimmer und blickte sehnsüchtig auf den Apfelbaum , dessen Früchte goldgelb und rotwangig , höchst verlockend zwischen dem dunklen Laube hindurch lachten . " Die schöne Äpfel ! " rief sie aus , "o , hatte ich doch gleich einer davon ! Er ist reif , Ilse , ich weiß , ich kenne dieser Baum genau . Ich habe jetzt so große Lust , Apfel zu speisen , und darf ihn doch nur ansehen ! Sehen - und nicht essen - es ist hart ! " Ilse , die nach Nellies Muster und Angabe einen grauen Wäschebeutel mit roten Arabesken benähte , legte die Arbeit beiseite und trat zu der Freundin . " Ja , die sind reif , " sagte sie und betrachtete mit Kennermiene die Äpfel , " wir haben dieselbe Sorte daheim , das sind Augustäpfel . Wenn ich doch gleich in Moosdorf wäre , dann stieg ich in den Baum und holte welche herunter , aber hier - - ach ! " Nellie horchte auf und blickte Ilse an , die mit wehmütigem Verlangen hinauf in den Baum sah . Plötzlich kam ihr ein guter Gedanke . " Du bist in der Baum gestiegen ? " fragte sie . " O , Ilse , ich habe eine furchtbar nette Idee ! - Du steigst in der Baum und holst uns von der Apfel ! " Die letzten Worte sprach sie flüsternd , damit ja kein unberechtigtes Ohr etwas erlauschte . Ilses braune Augen leuchteten auf . " Wie gern würde ich das tun ! Aber ich darf ja nicht ! Denke nur , Nellie , wenn Fräulein Raimar oder irgend jemand anderes mich sehen würde ! " " Laß mir nur machen , " meinte Nellie und machte ein höchst listiges Gesicht . " Heute ' abend , wenn Fräulein Raimar und alles andere auf seines Ohr liegt , dann erheben wir uns wieder von unserem Lager und die mutige Ilse wird wie eine Katz ' leise aus die Fenster steigen und in der Baum klettern . Der lieber Mond steckt sein ' Latern ' dazu an und leuchtet sie , daß sie die besten und Großesten Apfel finden kann . Und ich gebe acht , daß nix kommt , - ich werde eine gute Spion sein . " Ilse strahlte vor Wonne . Der Gedanke war auch zu verlockend , als daß sie noch länger Bedenken tragen sollte . " Das ist zu himmlisch ! " rief sie so laut , daß Nellie ihr die Finger auf den Mund legte . " Ich ziehe meine Bluse und den blauen Rock dazu an und steige hinauf in das grüne Blätterdach . Es ist himmlisch , Nellie ! " Und sie ergriff die Freundin am Arme und tanzte mit ihr durch das Zimmer . " O , du bist einer Engel ! du kluge Ilse ! Wenn wir nur erst Nacht hätten ! " Ilse stand schon wieder am Fenster und warf prüfende Blicke in den Baum . " Siehst du , auf diesen Zweig steige ich zuerst , " sagte sie ganz erregt , " und dann auf den dort , - es hängen drei herrliche Äpfel daran , - die pflücke ich zuerst und werfe sie dir zu , - dann geht es höher hinauf bis an Melanies und Orlas Stubenfenster , - sie lassen es immer offen stehen des Nachts - dann stecke ich den Kopf hinein und rufe : Gute Nacht ! " " Ilse ! " rief Nellie entsetzt , " du darfst der Unsinn nicht tun ! Gib deine Hand darauf ! " " Es war nur Scherz , " entgegnete Ilse . " Sei ohne Sorge , Nellie , ich werde ganz artig und still sein , niemand soll von unserem entzückenden Abenteuer erfahren ! " - Die Zeit verging den beiden Mädchen wie mit Schneckenpost . Ilse , die sich wenig verstellen konnte , war während des Abendessens ganz besonders lustig und aufgeregt . " Du siehst so unternehmend und fröhlich aus , " bemerkte Fräulein Güssow , " hast du eine gute Nachricht aus der Heimat erhalten ? " Ilse wurde rot und fühlte sich wie ertappt . Ein Glück für sie , daß die Lehrerin ganz arglos die Bemerkung machte und gar nicht weiter auf sie achtete , vielleicht wäre ihr doch die verräterische Röte aufgefallen . Endlich , endlich , war alles still im Hause . Die Runde durch sämtliche Schlafgemächer war gemacht , und Fräulein Güssow war bereits in ihr Zimmer zurückgekehrt . Nellie saß in ihrem Bett und lauschte . Sie hatte unten die Tür sich schließen hören , wartete noch eine kleine Weile , dann erhob sie sich und glitt wie ein Geist durch das Zimmer und lehnte sich weit zum Fenster hinaus . " Was machst du ? " fragte Ilse . " Ich will sehen , ob Fräulein Güssow noch Licht in seine Schlafstube hat - " flüsterte sie . " Noch ist hell unten , - immer noch - - " " Soll ich aufstehen ? " fragte Ilse . " Nein , du sollst dir ganz ruhig halten und nicht so laut sprechen . Sie hat noch immer hell . Wie langweilig ! Was sie nur anfangt ! Warum geht sie nicht in ihr Bett und macht die Auge zu . " Sie beugte sich weit zum Fenster hinaus und sah unverwandt auf die seitwärts liegenden , noch immer erleuchteten Fenster . Im Flüstertone rief sie Ilse ihre Bemerkungen zu . Plötzlich fuhr sie schnell mit dem Kopfe zurück und legte den Finger auf den Mund . " Sei ganz still , Ilse , rühr dir nicht , " sagte sie dann , sich auf den Zehn zu derselben heranschleichend , " sie hat eben der Kopf zum Fenster ausgesteckt und sieht in der Mond . Beinahe hat sie mir erblickt . " Nach einem kleinen Weilchen hörte sie das Fenster schließen und als Nellie vorsichtig hinunter blickte , war das Licht gelöscht . " Jetzt ist die große Augenblick gekommen , " wandte sie sich in pathetischem Tone an Ilse und streckte die Hand aus , " erheben Sie sich , mein Fräulein , und gehen Sie an das großes Werk ! " Ilse war so aufgeregt durch den Gedanken an das nächtliche Abenteuer , daß sie gar nicht bemerkte , wie urkomisch Nellie aussah , als sie in ihrem langen Nachtgewande , den Arm weit ausgestreckt , so vor ihr stand . Eilig erhob sie sich und begann sich anzukleiden . Das war bald geschehen , da das Blusenkleid , und was sie sonst noch nötig hatte , schon bereit lag . Gegen die Stiefel erhob Nellie Einsprache . " Sie sind zu unschicklich , zu plump , du machst eine so laute Schritt , daß alles aufwacht . " Ilse hörte nicht darauf . Sie hatte dieselben bereits angezogen und schlich auf den Zehn zum Fenster hin . " Gib mir das Körbchen , " bat sie . Nellie hing ihr ein solches um den Hals , damit sie den Arm frei behalte . " So , nun bist du reisefertig , mache deine Sache brav , mein Kind , " sagte sie und küßte Ilse auf die Wange . Die hörte nichts . Mit leichtem Sprunge schwang sie sich auf das Fensterbrett und von dort stieg sie in den Baum . Ängstlich blickte ihr Nellie nach . Aber sie hatte nicht Ursache , besorgt zu sein . Ilse kletterte leicht und gewandt wie ein Eichkätzchen trotz ihrer schweren Stiefel . Als sie die drei bewußten Äpfel erreichen konnte , brach sie dieselben und warf sie Nellie zu . " Da hast du eine Probe ! " rief sie übermütig in halblautem Tone , " damit dir die Zeit nicht lang werde , bis ich wiederkomme ! " Die Früchte kollerten bis an das Ende des Zimmers zu Nellies Entsetzen . " O , was tust du ! " flüsterte sie und erhob drohend die Finger . " Die Köchin schläft unter dieser Zimmer , soll sie von der Spektakel aufwachen ? " " Bärbchen schläft fest , ich höre sie draußen schnarchen , " gab Ilse zurück . - " Wir können ganz ohne Sorge sein - alles schläft - alles ist still und dunkel . - Nun lebe wohl , Nellie , jetzt trete ich meine Reise an . Ach , es ist köstlich hier ! " Plötzlich bekam es Nellie mit der Angst . " Ich zittre für dir , " sprach sie mit bebenden Lippen , - " komme wieder her , - es könnte ein Unglück sein . " Ilse lachte in sich hinein und stieg keck höher und höher . Sie war so recht in ihrem Elemente und frei wie der Vogel in der Luft regte sie ihre Schwingen . Bald hatte sie die Spitze erreicht . Der Mond schien voll und klar und zeigte ihr jeden Schritt , den sie zu machen hatte . Als sie in gleicher Höhe mit dem Schlafgemache Orlas und der Schwestern war , konnte sie der Versuchung nicht widerstehen , einen Blick in das Fenster zu tun . Vorsichtig und behende balancierte sie auf dem Ast , der sie trug und dessen grüne Spitzen beinahe das eine Fenster berührten , und sah hinein . Ruhig , nichts ahnend lagen die Schläferinnen da , hell vom Mondlicht beschienen . Einen Augenblick regte sich der Übermut in ihr . Ob sie den Mädchen einen Schabernack spielte ? " Nur einmal gegen die Fensterscheibe klopfen , " dachte sie , und schon streckte sie den Finger aus dazu , - da bewegte sich Orla im Schlafe . Unwillkürlich fuhr Ilse zurück und ihre tolle Idee blieb unausgeführt . Es hingen so viel schöne Äpfel rechts und links und überall , mit kleiner Mühe hätte sie in wenigen Augenblicken ihr Körbchen damit füllen können , aber dazu hatte sie keine Lust , immer höher hinauf strebte ihr Verlangen , sie hatte nun einmal die Freiheit gekostet , so schnell wollte sie dieselbe nicht wieder aufgeben . Die Krone des Baumes war ihr Ziel , wohl eine beschwerliche Fahrt , aber sie schreckte nicht davor zurück . Wie ein Bube erklomm sie die manchmal schwer zu erreichenden Zweige , - ein einziger Fehltritt und sie lag unten mit zerbrochenen Gliedern , - dieser Gedanke kam ihr nicht in den Sinn , sie hatte daheim ganz andere tollkühne Kletterpartien ausgeführt und jede Furcht vor Gefahr verlernt . Mutig ging es vorwärts . Die lauschende Nellie vernahm dann und wann ein Knacken der Äste , oder das Herabfallen eines Apfels . Einmal schrak sie heftig zusammen , ein Vogel flog auf . Ilse mochte ihn in seiner Nachtruhe gestört haben . - Es wurde ihr recht ängstlich auf ihrem Lauscherposten , eine Ewigkeit dünkte es ihr , daß Ilse sie verlassen hatte . " Ilse ! " rief sie leise . Keine Antwort erfolgte . Wie war es auch möglich , daß ihr Ruf zu derselben emporgetragen wurde , die oben in der Krone stand und die erfrischende Nachtluft mit vollen Zügen einsog . Wie fühlte sie sich glückselig , wie frei , wie heimatlich wurde es ihr zu Mute ! Keine Fesseln drückten sie mehr , Schulzwang , Pension , Vorsteherin - alles entschwand ihr wie in nebelweite Ferne - der Garten da unten gehörte dem Papa , der Baum , auf dem sie war , stand vor seinem Fenster , es war der alte Nussbaum , in dessen grünem Laubwerk sie so manchmal neckend Versteck gespielt hatte mit dem Papa , wenn er sie überall suchte , von dessen oberster Spitze sie dann plötzlich mit einem schlichen " Juchhe ! " ihm antwortete . " Juchhe ! " Ganz in Erinnerung versunken , brach es plötzlich laut und kräftig aus ihrer Kehle hervor , daß es weithin durch den Garten schallte . Im selben Augenblicke erwachte sie aus ihrem Traume und ganz erschrocken fuhr sie mit der Hand nach dem Mund . Was hatte sie getan ! Aber die Reue kam jetzt zu spät , vor allem mußte sie an den schnellsten Rückzug denken , denn wie sie vermutete , so war es , ihr unvorsichtiger Ruf war im Hause vernommen worden . Melanie war davon erwacht und richtete sich entsetzt in ihrem Bette auf . " Grete ! " rief sie mit bebenden Lippen , " hast du gehört ? " " Ja , " tönte es gedämpft zurück . " Melanie , ich fürchte mich tot ! " Sie hatte sich die Decke über den Kopf gezogen und erwartete mit zitternder Angst ihr Schicksal . Auch Orla war erwacht . " Was war das ? " fragte sie , " wo kam der laute Schrei her ? Mir war es , als ob er dicht vor meinem Bette ausgestoßen wurde . " " Allmächtiger Gott ! " schrie Melanie auf , " siehst du nichts ? O , ich habe etwas furchtbar Schreckliches gesehen ! Eben dort ! - dicht am Fenster flog es vorüber ! Ein Gespenst war es , mit fliegenden Haaren und großen , glühenden Augen ! Hu , wie es mich ansah , als ob es mich verschlingen wollte ! O , Orla - ein Gespenst - ein Gespenst ! " Sie klapperte mit den Zähnen vor Furcht und Schrecken , und Orla , die nichts gesehen hatte , sondern nur ein lautes Brechen und Knacken im Baume vernommen , sprang mutig aus ihrem Bette , schlug ihre Steppdecke über die Schultern und sah zum Fenster hinaus . Grade hatte Ilse ihre tolle Fahrt beendet . In rasender Hast und Angst hatte sie dieselbe von der Höhe des Baumes bis zu ihrem Zimmerfenster gemacht , und Nellie , sie erwartend , streckte ihr beide Arme , soweit sie konnte , hilfreich entgegen . Sie war leichenblaß und außer sich über Ilses Tollkühnheit . " Was hast du gemacht ? " flüsterte sie , " du hast uns verraten ! - hast du gehört ? Über uns sind sie aufgeweckt ! - Orla spricht ... Wir sind verloren ! " Eilig nahm sie der am ganzen Körper zitternden Ilse , deren Hände blutig geritzt waren , das Körbchen ab , warf die wenigen Äpfel , die nicht herausgefallen waren , in ihr Bett , das Körbchen hinter den Schrank , und legte sich nieder , alles in der größten Hast . Ilse hatte ein gleiches getan . Ohne sich zu entkleiden , mit Stiefel und Blusenkleid , sprang sie in ihr Bett und deckte sich bis an das Kinn zu . Sie schloß die Augen und erwartete in Todesangst das furchtbare Strafgericht , das ihrer wartete . - Bei dem trügerischen Lichte des Mondes konnte Orla nicht erkennen , was eigentlich vorging . Sie sah wohl eine Gestalt - sah ein Paar weiße Arme , die ihr fabelhaft lang erschienen , aber nur einen flüchtigen Moment , dann war die ganze Erscheinung lautlos und still wie im Nebel verschwunden . Sie lauschte noch einige Augenblicke atemlos , aber der Spuk war vorbei - nichts rührte sich . Trotz ihres Mutes wurde es ihr unheimlich zu Mute . Sie zog den Kopf zurück . " Nun ? " fragte Melanie , " sahst du etwas ? " " Ja , " entgegnete Orla , " deutlich habe ich eine Gestalt gesehen , und ich könnte darauf schwören , daß sie von zwei langen , weißen Armen in Nellies Zimmer gezogen wurde . " " Liebe , liebe Orla ! " bat Melanie kläglich und mit gerungenen Händen , " wecke die Leute ! Wenn das Gespenst noch einmal erscheint , sterbe ich vor Angst ! " [ Illustration ] Orla ergriff die Klingelschnur , die sich dicht neben ihrem Bette befand , und läutete . In jedem Zimmer war eine solche angebracht , für den Fall , daß ein plötzliches Unwohlsein eine Pensionärin des Nachts befiel . Sämtliche Schnüre führten zu einer Hauptglocke , die unten , dicht neben Fräulein Raimars Schlafzimmer angebracht war . Laut und schrill , wie eine Sturmglocke , tönte ihr Klang , der noch niemals die Ruhe gestört , durch die Stille der Nacht . Nellie und Ilse erzitterten , als ob sie ihr Sterbeglöcklein hörten . Wie mit einem Zauberschlage wurde es lebendig im Hause . Die Fenster , die eben noch dunkel und wie träumend in den Garten geblickt hatten , erhellten sich . Türen wurden geöffnet , Stimmen laut . Die Vorsteherin , im tiefen Negligé , ein Licht in der Hand , trat zuerst aus ihrem Zimmer . Fast gleichzeitig erschien Fräulein Güssow . Als beide den Korridor passierten , schoß Miß Lead aus ihrer Zimmertür , ängstlich fragend blickte sie die Damen an . Sie war nicht gerade eine Heldin , die gute Miß , der Glockenschall war ihr in alle Glieder gefahren . Zitternd war sie aus dem Bette gesprungen und hatte nach ihren Kleidungsstücken gesucht . Im Dunklen tappte sie vergeblich danach . Sie hatte Licht anzünden wollen , aber die Schachtel mit Streichhölzern war ihr in der Aufregung entfallen . In nervöser Hast ergriff sie einen schottischen Plaid und drapierte sich denselben wie einen Mantel um ihre Gestalt . Ihr spärliches Haar , das sie jeden Abend eine gute Viertelstunde kämmte und bürstete , hing gelöst auf ihre Schulter herab . Sie machte einen höchst komischen Eindruck in diesem abenteuerlichen Kostüme und die Vorsteherin gab ihr den ernstlichen Rat , sie möge sich wieder niederlegen , aber Miß Lead wehrte dieses Ansinnen lebhaft ab . " Nein , nein ! " Und sie hing sich an Fräulein Güssows Arm so fest , als ob sie bei ihr Schutz und Beistand suche . Auch mehrere Pensionärinnen waren von dem ungewohnten Lärm erwacht und aufgestanden . Angstvoll stürzten sie aus ihren Zimmern und folgten den Lehrerinnen dicht auf dem Fuße , Flora hatte sogar einen Rockzipfel der Vorsteherin erfaßt . Orla hörte Stimmen auf der Treppe und öffnete die Tür . " Ist dir oder den Schwestern etwas passiert ? " fragte Fräulein Raimar schnell in das Zimmer tretend . Stadt Orla antwortete Melanie : " Etwas furchtbar Schreckliches haben wir erlebt ! " rief sie . " Ein Gespenst , ein furchtbares Gespenst haben wir gesehen ! " " Du hast geträumt , " sagte die Vorsteherin , " es gibt keine Gespenster ! " " Ich sah es mit offenen Augen , Fräulein ! " entgegnete Melanie mit voller Überzeugung . " Erst erwachten wir alle drei von einem furchtbar lauten Schrei , nicht wahr , Orla ! gleich darauf sauste das Gespenst hier ganz dicht am Fenster vorbei . " " Es war vielleicht ein Spitzbube , der sich Äpfel holen wollte , " beruhigte die Vorsteherin . " Hast du auch etwas gesehen , Orla ? " " Ja , " sagte sie . " Ich sah zum Fenster hinaus und da schien es mir , als ob etwas in Nellies Zimmer verschwand - " Die Pensionärinnen , sogar Miß Lead , drängten sich im dichten Knäuel ängstlich um Fräulein Raimar . Gespenster - Spitzbuben ! das war ja um sich tot zu fürchten . So schauerliche Dinge hatte man noch niemals in der Pension erlebt . Flora zitterte zwar vor Furcht und Erregung , trotzdem fand sie dieses Erlebnis höchst romantisch . Sie nahm sich vor , in ihrem nächsten Romane dasselbe zu verwerten . Fräulein Güssow hatte kaum vernommen , daß der Spuk in Nellies Zimmer verschwunden sein solle , als sie still die Treppe hinunterstieg und sich zu den beiden Mädchen begab . Sie öffnete die Tür und leuchtete in das Zimmer . Ihr Blick glitt prüfend durch dasselbe , es war nichts Verdächtiges zu sehen . Die Fenster waren geschlossen und Ilse schien fest zu schlafen . Nellie hatte sich im Bett erhoben und tat ganz erstaunt beim Anblick der Lehrerin . " O , was gibt es ? " fragte sie . " Warum ist der Glocke gezogen ? Ich habe mir so erschreckt . " " Es soll hier jemand in das Fenster bei euch gestiegen sein , " antwortete Fräulein Raimar , die mit den übrigen Fräulein Güssow gefolgt war . Nellie stockte der Atem vor Angst . Was sollte sie beginnen ? Die Wahrheit gestehen ? Unmöglich ! Es wäre zugleich Ilses und ihre Entlassung aus der Pension gewesen . Und lügen ? Sie wäre nicht dazu im stande gewesen . Entsetzt blickte sie die Vorsteherin an und gab keine Antwort . Dieselbe deutete Nellies stummes Entsetzen anders und sah es für eine Folge des plötzlichen Schreckens an . " Nun , nun , " beruhigte sie , " du darfst dicht nicht weiter ängstigen . Orla und die Schwestern wollen durchaus einen lauten Schrei gehört haben und Orla behauptet fest , es sei ein Gespenst vor ihrem Fenster vorbeigeflogen und hier in eurem Zimmer verschwunden . " " O , eine Gespenst ! Wie furchtbar ! " wiederholten Nellies zitternde Lippen und ihr blasses Gesicht - die Angst , die sich in ihren Zügen malte , erweckten Mitleid in Fräulein Raimars Herzen . " Beruhige dich nur , " sagte sie , " die Mädchen werden geträumt haben . Das ganze Haus haben sie in Aufruhr gebracht . - Ich denke , wir legen uns wieder nieder , " wandte sie sich zu Fräulein Güssow , " es ist das beste Mittel , die aufgeregten Gemüter zur Ruhe zu bringen . " Schon im Herausgehen begriffen , fiel ihr die schlafende Ilse ein . Sie trat an das Bett derselben und beugte sich leicht darüber . " Ist denn Ilse gar nicht erwacht von dem Spektakel ? " fragte sie erstaunt . Mit Todesangst verfolgte Nellie jede Bewegung der Vorsteherin . Wenn sie sich ein wenig zur Seite wandte , wenn ihr Blick das Fußende des Bettes streifte - dann waren sie verloren . Unter dem Deckbette - o Entsetzen ! sah eine Spitze von Ilses fürchterlichem Stiefel vor . " Sie hat immer ein so fester Schlaf , " brachte Nellie mühsam hervor und plötzlich - im Augenblicke der höchsten Not kehrte ihre Geistesgegenwart zurück . " Bitte , bitte , Fräulein Güssow , " sagte sie und erhob flehend die Hände , " sehen Sie unter meines Bett , ob keine Gespenst daliegt . " Sofort lenkte sich die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf Nellie und die Angeredete nahm wirklich das Licht und leuchtete unter das Bett . Fräulein Raimar schüttelte unwillig den Kopf . " Sei nicht kindisch , Nellie , " verwies sie dieselbe , " du wirst in deinem Alter doch wahrlich nicht mehr an Spukgeschichten glauben ! " Und Miß Lead , die bis dahin mit den Pensionärinnen vor der äußeren Tür gestanden , trat zu ihrer Landsmännin und schalt sie wegen ihrer Furchtsamkeit . Kaum hatte Nellie die sonderbar Gekleidete erblickt , als sie in ein lautes Gelächter ausbrach . " O , Miß Lead ! " rief sie aus . " Sie haben die Aussicht wie eine Räuberhauptmann ! Seien Sie nicht böse , aber ich muß lachen ! " Und die übrigen Mädchen stimmten fröhlich ein in das Gelächter , sie hatten bis jetzt nicht auf die englische Lehrerin geachtet . Miß Lead wurde hochrot vor Ärger , und die Vorsteherin gab Nellie einen ernsten Verweis über ihr unartiges Benehmen . Es wurde darüber die Gespenstergeschichte vergessen und Ilse nicht weiter beachtet . Oder doch ? Fräulein Güssow entfernte sich , mit dem Lichte in der Hand , sehr schnell aus der Tür - hatte sie vielleicht die unselige Stiefelspitze entdeckt ? " Wir wollen Ilses Ruhe nicht stören , " sagte sie , " warum soll die Ärmste auch noch ermuntert werden ? " " Sie haben recht , wir wollen sie nicht stören . Aber sie hat einen wunderbar festen Schlaf . Nun geht zur Ruhe , Kinder . Melanies Gespenst war sicherlich nichts weiter , als eine Katze , die sich im Baume einen Vogel gefangen hat . Ihr könnt ganz ohne Sorge sein , zum zweitenmal wird es nicht wiederkehren . " Damit hatte der nächtliche Spuk sein Ende erreicht . In kurzer Zeit lag alles wieder im tiefen Schlafe . Melanie hatte die Lampe brennen lassen , um keinen Preis würde sie im Dunklen geblieben sein . Als Nellie sich vollkommen überzeugt hatte , daß alles wieder still im Hause war , da kehrte mit dem Gefühle der Sicherheit auch ihre frohe Laune wieder . Sie suchte die Äpfel unter der Bettdecke hervor und fing an , gemütlich zu essen , als ob nichts vorgefallen wäre . " Was machst du denn ? " fragte Ilse , als sie das knirschende Geräusch hörte . Sie hatte bis jetzt noch nicht gewagt , sich zu rühren , und lag wie im Schweiße gebadet da . " Ich speise Äpfel , " entgegnete Nellie sorglos . " Aber , Nellie , wie kannst du das nur ! " rief Ilse ganz entrüstet . " Ich zittre noch an allen Gliedern , mein Herz schlägt wie ein Hammer - und du kannst essen ! Wirf die Äpfel fort - sie gehören ja gar nicht uns . Ach , Nellie , ich ärgere mich über meinen dummen Streiche ! " " O was ! " sagte Nellie ruhig weiter essend , " man muß tun , als ob man zu Haus ist ! Gräm dir nicht mit unnütze Gedanke , ziehe dir lieber aus und packe deine Sache fort in deine Koffer . Du kannst ruhig schlafen , mein Darling , morgen weiß kein ' Seele ' von unser lustiges Abenteuer und du wirst sehr klug sein , liebe Elschen , und schweigen . " Ilse ging heute nicht auf Nellies scherzenden Ton ein ; der Gedanke , die Vorsteherin hintergangen zu haben , drückte sie schwer . Schweigend entkleidete sie sich und verschloß ihre Sachen sorgfältig in den Koffer . Dann legte sie sich nieder . Der Schlaf aber wollte nicht kommen . Nellies regelmäßige Atemzüge verrieten längst , daß dieselbe sanft und süß eingeschlummert war , als sie noch immer wachend im Bette lag . Der Gedanke , wie nahe sie daran gewesen war , entdeckt zu werden , schreckte sie immer von neuem auf . Sobald sie im Begriffe war , einzuschlafen , fuhr sie angstvoll in die Höhe . Endlich schlief sie ein , aber selbst im Traum quälten sie die schrecklichsten Bilder . Bald wurde sie verfolgt , bald fiel sie vom Baume und zuletzt hatte sie sich in einen Vogel verwandelt und eine große Eule wollte sie fressen . - Früh am anderen Morgen , als Fräulein Raimar ihren Spaziergang durch den Garten machte , blieb sie vor dem Apfelbaume stehen . Sie schüttelte den Kopf und rief den Gärtner . " Es müssen Diebe in diesem Baume gewesen sein , Lange , " sagte sie , " sehen Sie nur das viele Laub und sogar einige abgebrochene Zweige darunter . Da liegen auch mehrere Äpfel , die sie verloren haben mögen . Machen Sie doch , solange das Obst noch nicht abgenommen ist , öfters des Nachts eine Runde durch den Garten . " " Es ist mir ein Rätsel , wie sie hereingekommen sind , " bemerkte der Gärtner kopfschüttelnd , " die Gartenpforte war fest verschlossen . Sie müssen geradezu über die Mauer geklettert sein . " " Wohl möglich , " stimmte Fräulein Raimar ihm bei , und im Weitergehen dachte sie , daß Melanie doch im Rechte gewesen sei . Freilich ein Gespenst hatte sie nicht gesehen , wohl aber einen Spitzbuben . Oben , am offenen Fenster , standen die beiden Mädchen und hatten jedes Wort vernommen . Ilse war es heiß und kalt dabei geworden und sie hatte sich wie eine arme Sünderin ertappt und beschämt gefühlt . Nellie dagegen lachte so recht vergnügt in sich hinein und nahm alles wie einen köstlichen Scherz hin . " Das ist eine spaßige Sache , " sagte sie übermütig , " ich kann mir totlachen ! Wenn sie wüßte , daß die böse Spitzbuben mit sie unter eine Dach wohnen . - Wie würde sie sich staunen ! " Ilse hielt ihr den Mund zu . " Du darfst nicht darüber lachen , Nellie , " gebot sie entschieden , " ich schäme mich so sehr ! Spitzbuben hat uns Fräulein Raimar genannt , und das sind wir auch . Ich hatte gar nicht daran gedacht , und das war recht dumm von mir . " " Wer wird so strenge richten , kleine Weisheit , " tröstete Nellie . " Was man in der Mund steckt , ist kein Diebstahl , merken Sie sich das ! Fräulein Raimar bekommt auch so große Kostgeld , da bezahlen wir die paar lumpige Apfel alle mit . - Komme , gib mir ein Kuß und sieh nicht so trübe aus , du klein Spitzbube ! " Mit Nellie war schwer streiten . Sie widerlegte so harmlos und sah so schelmisch dabei aus , daß Ilse , wenn sie auch nicht überzeugt wurde , sich wenigstens nicht mehr so hart anklagte . Aber auf einem bestand sie . Nellie mußte ihr die Hand darauf geben , daß niemals wieder ein ähnlicher Streiche von ihnen ausgeführt werden solle . - - * * * Die Tage wurden kürzer und kürzer . Der Oktoberwind fuhr sausend durch die Bäume und trieb sein lustiges Spiel mit den trockenen , gelben Blättern . Öde und verlassen lag der Garten des Instituts , denn der schöne Aufenthalt im Freien hatte so ziemlich ein Ende , die Mädchen waren mehr und mehr auf die Zimmer angewiesen . In den Wochentagen empfanden sie das kaum , aber an den Sonntagnachmittagen , die sie gewohnt waren , im Garten zu verleben , da fühlten sie sich doppelt eingeengt . In den Zimmern war es so dumpf , so langweilig ; so war Ilses Ansicht . Man konnte doch nicht immer Briefe schreiben , oder nähen . Sich die Zeit verkürzen mit Romanschreiben , das konnte nur Flora , die denn auch den innigen Wunsch hatte , die Sonntagnachmittage möchten ewig dauern . [ Illustration ] " Ich komme heute auf euer Zimmer , " sagte sie eines Sonntagmorgens zu den Freundinnen . " Ich werde euch meine neueste Novelle vorlesen , natürlich nur den Anfang und den Schluß , das andere habe ich noch nicht geschrieben , ich mache es immer so . Ich sage euch , ihr werdet entzückt sein , Kinder ! Ich selbst fühle , wie entzückend mein neuestes Werk mir gelungen ist ! " Nellie lächelte . " Wie ich mir auf dieser neue Werk freue ! " sprach sie neckend . " Immer nur die Anfangs und die Endes macht Flora . Die langweilige Mitte laßt sie aus ! O , sie ist ein großer Dichter ! " Flora war heute gar nicht empfindlich , sie tat , als höre sie Nellies Neckereien nicht . " Also auf heute nachmittag ! " sagte sie und drückte Ilse die Hand . Nach der Kaffeestunde begleitete sie denn auch die beiden Mädchen auf ihr Zimmer , und nachdem alle drei am Fenster Platz genommen hatten , zog sie mit wichtiger Miene mehrere lose Blätter aus ihrer Kleidertasche hervor . " Fange doch an deine Novelle , warum besinnst du dir ? " fragte Nellie , als Flora ein Blatt nach dem anderen ansah und wieder beiseite legte . " Entschuldigt einen Augenblick , " entgegnete Flora , " das ist mir alles so durcheinandergekommen . - Seite 5-10-11-3- " zählte sie . " Halt ! hier ist Blatt I. So , nun will ich beginnen ! - Und Nellie , tue mir den einzigen Gefallen , unterbrich mich nicht fortwährend mit deinen witzigen Einfällen , du schwächst wirklich den ganzen Eindruck damit . - Nun hört zu . Meine Novelle heißt : _ Ein Schmerzensopfer . _ Das Meer brauste und der Sturm tobte . - Weiße Möwen flogen krächzend darüber hinweg . - Der Mond lugte dann und wann zwischen zerrissenen Wolken hervor - traurig - einsam . - - Da schaukelt ein kleines Schiff auf den hohen Wogen und nähert sich dem Strande . Ein junges Mädchen sitzt allein darin . Leichtfüßig schwingt sie sich aus dem Schiff und setzt sich auf ein Felsstück , das von den Wellen des Meeres umspült wird und hart am Strande liegt . Tief seufzt sie auf und ihre großen Vergißmeinnichtaugen füllen sich mit Tränen . [ Illustration ] { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Was soll ich beginnen ?{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } flöten ihre Lippen und in ihrem süßen Blumenangesichte drückt sich ein schmerzliches Entsagen aus . { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Er liebt mich - und ich ihn ! Aber Aurora liebt ihn auch und sie ist meine geliebte Schwester ! Kann ich sie leiden sehen ? - Nein - nimmermehr ! Und sollte ich darüber an gebrochenem Herzen sterben !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Sie seufzte tief . { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } O sterben ! Aber ich fühle_es , ich werde nicht sterben - mein Herz wird nicht brechen , - es wird weiter schlagen , - - wenn es auch besser wäre , das zähe Ding stände zur rechten Zeit für ewig still !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } - - " Hier machte Flora eine kleine Pause und Nellie konnte es nicht unterlassen , sie zu unterbrechen . " O wie furchtbar traurig ! " rief sie aus , " das arme Blumenangesicht mit die Vergißmeinnichtsauge und das zähe Herz ! Wo ist sie denn hergekommen auf ihres kleines Schiff , - so allein auf die brausende Meer ? " Und sie lachte mit ihren Schelmengrübchen so herzlich über Floras Unsinn , daß ihr die Tränen in die Augen traten . " Wie abscheulich von dir , Nellie , " fuhr Flora sehr erzürnt auf , " daß du mich so unterbrichst ! Wenn nur ein Funken Poesie in deinem Busen schlummerte , würdest du meine Werke verstehen . Aber du bist nüchtern vom Scheitel bis zur Sohle ! " " O , o ! " lachte Nellie ausgelassen , "o , wie komisch bist du , Flora ! Lies nur weiter dein { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Schmerzensopfer{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } , ich will nun artig hören und kein Laut mehr lachen . " Aber Flora nahm schmollend ihre Blätter zusammen . Das heißt , es war ihr nicht so recht Ernst damit , denn als auch Ilse sich aufs Bitten legte , sie möge doch nun auch den Schluß ihrer Novelle vorlesen , da ließ sie sich erweichen . Schon hatte sie die Lippen geöffnet , um fortzufahren , da wurde sie unterbrochen durch Melanies hastigen Eintritt . " Kinder ! " rief diese aufgeregt , " es ist etwas furchtbar Interessantes passiert ! Denkt euch , eben ist eine höchst elegante Dame vorgefahren mit einem reizend netten , kleinen Mädchen . Fräulein Raimar empfing sie schon an der Tür und Orla hat deutlich gehört wie sie sagte : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Sie bringen das Kind selbst , gnädige Frau !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } - Es bleibt also hier in der Pension , und wir haben nichts davon gewußt ! Warum wird nun die ganze Geschichte so furchtbar geheimnisvoll gemacht ? Wir haben doch stets gewußt , wenn eine neue Pensionärin ankam ! Ich finde das , aufrichtig gesagt , klassisch ! " - Die Mädchen horchten erstaunt auf und selbst Flora vergaß das Weiterlesen . Welch eine Bewandtnis hatte es mit dem kleinen Mädchen , das so plötzlich hereingeschneit kam ? " O , welch eine klassische Geschichte ! " rief Nellie . " Kommt , wir wollen gleich die fremde Dame mit ihres Kind uns ansehen ! " Und sie eilten die Treppe hinunter mit einer Hast und Neugierde , als ob ein neues Wunder aufgegangen sei , Nellie den anderen immer voran , sie mußte die erste sein , die dasselbe in Augenschein nahm . Es war aber gar nichts zu sehen , denn vorläufig verweilten die Fremden in Fräulein Raimars Zimmer . Indessen der Wagen hielt noch auf der Straße und Nellie schloß daraus , daß die Dame sich nicht allzulange aufhalten werde . " Sehen müssen wir ihr , " sagte Nellie , " kommt , wir stellen uns an der großen Glastür im Speisesalon und warten , bis sie kommt . " Als sie dort eintraten , fanden sie bereits die Tür belagert . Es gab noch andere Neugierige in der Pension . " Ihr kommt zu spät ! " rief Grete , die natürlich den besten Platz hatte . " Dahinten könnt ihr nichts sehen ! " Nellie aber wußte sich zu helfen . Sie zog einen Stuhl heran und stellte sich darauf . Ilse natürlich kletterte ihr nach . Die Geduld der Mädchen wurde auf eine harte Probe gestellt , wohl eine gute halbe Stunde mußten sie noch warten , bevor die Erwartete erschien . - Langsam und lebhaft sprechend ging sie mit der Vorsteherin an den Lauschenden vorüber . Zum Glück war es bereits dämmerig und die Damen waren so in der Unterhaltung begriffen , daß sie nicht auf die vielen Mädchenköpfe hinter der Glastür achteten , Fräulein Raimar würde die kindische Neugierde ernstlich gerügt haben . " O , wie sie hübsch ist ! " bemerkte Nellie halblaut . " Sei doch still , Nellie , " gebot Orla , die das Ohr dicht an der Tür hielt , um einige Worte zu erlauschen . " Was sagt sie ? " fragte Flora , " ich glaube , sie spricht französisch . " " Nein , italienisch , " behauptete Melanie , die nämlich seit einigen Tagen angefangen hatte , diese Sprache zu treiben . " Sie spricht deutsch , " erklärte Grete . " Eben hat sie gesagt : Meine kleine Lilli . " " Gott bewahre , was du gehört hast ! " widerstritt Orla , " sie spricht englisch . " " O , eine Landsmann von mir ! " rief Nellie laut und erfreut . Über diese drollige Bemerkung kam Annemie in das Lachen . Orla wurde ganz böse darüber und hielt ihr den Mund zu . " Fräulein Raimar ist ja noch im Korridor mit der Dame , " flüsterte sie , " wenn sie sich umsieht , sind wir blamiert . " In diesem Augenblicke kam von der anderen Seite des Korridors Rosi Müller . Erstaunt sah sie auf die Belagerung der Glastür . Die Mädchen mußten zurücktreten , um sie einzulassen . " Wie könnt ihr euch nur so kindisch benehmen , " sagte sie sanft und vorwurfsvoll . " Ich begreife eure Neugierde nicht . " " Du bist auch unsere { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Artige{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } , " meinte Grete . Rosi überhörte diese vorlaute Bemerkung . " Kommt , setzen wir uns an die Tafel mit unseren Handarbeiten , " fuhr sie fort , als das Gas angezündet war , " wir haben die Erzählung von Ottilie Wildermut noch nicht zu Ende gehört . Willst du heute vorlesen , Orla ? " Aber es kam nicht dazu . Gerade als Orla beginnen wollte , trat Fräulein Güssow mit der kleinen Lilli an der Hand ein . Sofort sprangen die Mädchen von ihren Plätzen auf und umringten dieselbe . " Sieh ' , Lilli , " sagte die junge Lehrerin , " nun kannst du gleich deine zukünftigen Freundinnen kennen lernen . " Die Kleine schüttelte den Kopf . " Die Madel sind schon so groß , " antwortete sie im süddeutschen Dialekt und ohne Befangenheit , " die können doch nicht meine Freundinnen sein ! " Nellie fand gleich einen Ausweg , sie kniete sich zu dem Kinde nieder und sagte : " Jetzt bin ich ein klein Madel wie du und du kannst mit mich spielen . " Lilli lachte . " Nein , du bist groß , " sagte sie , " aber du gefallest mir . Und du auch , " wandte sie sich zu Ilse , die neben Nellie stand . " Du hast halte so schöne Lockerl wie ich . Weißt , du sollst meine Freundin sein , mit dir will ich spielen . " Sie ergriff Ilses Hand und sah dieselbe mit ihren großen Augen treuherzig an . Das junge Mädchen war ganz entzückt von der Zutraulichkeit der Kleinen und küßte und liebkoste sie . Natürlich waren sämtliche Pensionärinnen ganz hingerissen von dem Kinde , das wie eine zarte Elf in ihrer Mitte stand . Lange blonde Locken fielen ihm über die Schulter herab und die schwarzen Augen mit den feingeschnittenen , dunklen Augenbrauen darüber bildeten einen wunderbaren Kontrast zu denselben . Das gestickte , sehr kurze weiße Kleidchen ließ Hals und Arme frei . Eine hochrote , seidene Schärpe vervollständigte den höchst eleganten Anzug . " O du süßes , entzückendes Geschöpfchen ! " " Du Engelsbild ! Kleine Fee ! " und mit ähnlichen überschwänglichen Ausdrücken überschütteten die Pensionärinnen das Kind . Fräulein Raimar war unbemerkt eingetreten und hörte diese Ausrufe kopfschüttelnd an . Sie trat in den Kreis und nahm Lilli bei der Hand . " Komme , " sagte sie zu ihr , " du sollst erst umgekleidet werden . Du möchtest dich erkälten in dem leichten Anzuge . " " Bitte ' schön , laß mich hier , Fräulein , " bat das Kind . " Ich habe gar nicht kalt . Schau , ich gehe halte immer so . Die Madel sind so gut , es gefallt mir hier ! " Fräulein Raimar ließ sich nicht erbitten . " Komme nur , Kind , " sagte sie gütig , " du wirst die Mädchen alle wiedersehen zum Abendessen . " Die abgeschlagene Bitte verstimmte Lilli nicht . " Laß Ilse mit mir gehen , Fräulein , " bat sie . Dieser Wunsch wurde ihr erfüllt . Als Ilse mit dem Kinde das Zimmer verlassen hatte , wandte sich die Vorsteherin mit ernsten , ermahnenden Worten an ihre Zöglinge . " Ich bitte euch , in Zukunft Lilli nicht wieder so große Schmeicheleien in das Gesicht zu sagen . Wollt ihr sie eitel und oberflächlich machen ? Sie ist ein sehr schönes Kind und wird bereits manche Äußerung hierüber gehört haben , es gibt ja unvernünftige Leute genug . Wir wollen nicht in diesen Fehler verfallen , und ich denke , ihr werdet mir beistehen und in Zukunft vorsichtiger sein . - Lilli bleibt bei uns . Ich hatte noch nichts davon zu euch gesprochen , weil ihr Eintritt in die Pension noch nicht fest beschlossen war . " " Wo wohnen Lillis Eltern ? " fragte Flora . " In Wien , " entgegnete das Fräulein . " Der Vater ist tot und die Mutter ist eine bedeutende Schauspielerin . Weil sie sich in ihrem Berufe wenig um die Erziehung ihres Kindes kümmern kann , hat sie es in eine Pension gegeben . " " Lillis Mutter ist ein schönes Frau , " bemerkte Nellie . " Wo hast du sie gesehen ? " fragte die Vorsteherin etwas erstaunt . " O , ich habe ihr vorbeigehen sehen , " entgegnete Nellie leicht errötend . " Sie konnte leider nicht länger verweilen , " wandte sich Fräulein Raimar an die junge Lehrerin , " mit dem Schnellzuge fährt sie heute abend wieder fort . " Die jungen Mädchen hatten die Damen dicht umringt und horchten auf jedes Wort . Sie hätten so " furchtbar " gern recht Ausführliches über Lillis Mutter erfahren , die als " bedeutende Schauspielerin " ihre Gemüter lebhaft erregte und interessierte . Aber sie erfuhren nichts . Das Gespräch wurde abgebrochen und Fräulein Raimar führte die Wißbegierigen recht unsanft in die Wirklichkeit zurück . " Wer hat den Tisch zu besorgen ? " fragte sie . " Es ist Zeit , daß wir den Tee einnehmen . " Ilse und Flora hatten heute dieses Amt . Letztere verließ sofort das Zimmer , um kurze Zeit darauf mit Ilse zurückzukehren . Jede trug einen Stoß Teller , welchen sie auf einen Seitentisch stellten . Sie legten die Tischtücher auf und fingen an , die Tafel zu decken . Vor wenigen Monaten hatte Ilse es für eine Unmöglichkeit gehalten , daß sie je eine solche Beschäftigung tun würde , - heute stand sie da in ihrer rosa Latzschürze und besorgte alles so geschickt und manierlich wie irgend eine andere Pensionärin . Manierlich und geschickt war sie freilich nicht immer gewesen und es hatte manche Mühe gekostet , ehe sie es so weit gebracht , bis sie überhaupt sich überwunden hatte , " Dienstbotenarbeiten " zu verrichten . Die gutmütige Wirtschafterin konnte manches Lied über Ilses Widerspenstigkeit singen , manche unartige Antwort hatte sie derselben zu verzeihen . Einmal , als sie einen Teller mit Butterschnitten fallen ließ und auch noch den Milchtopf umgestoßen hatte , ermahnte sie die Wirtschafterin , vorsichtiger zu sein . " Nein , " hatte sie trotzig geantwortet , " ich will nicht vorsichtiger sein , solche Arbeit brauche ich nicht zu tun . " Aber sie nahm sich das nächste Mal doch mehr in acht , es war am Ende kein sehr angenehmes Gefühl , von allen ausgelacht zu werden . Auch bemerkte sie , daß keine der Pensionärinnen , selbst die ungraziöse Grete nicht , sich so einfältig benahm wie sie , die meisten verrichteten die kleinen häuslichen Geschäfte mit Anmut und besonders mit einem freundlichen Gesichte , - sollte sie die einzig Dumme unter allen sein ? Lilli erhielt ihren Tischplatz zwischen der Vorsteherin und Ilse . Während der Mahlzeit belustigte sie die ganze Gesellschaft . Sie plauderte ganz unbefangen , gar nicht schüchtern und blöde . " Das macht , " bemerkte Flora , " weil sie unter Künstlern groß geworden ist . " " Du , Fräulein , gib mir noch a Gipfel , bitte schön . Ich habe halte so großen Hunger , " rief sie ungeniert . Und als Fräulein Güssow fragte , welches ihre Lieblingsgerichte seien , meinte sie : " Wianer Würstel und Sauerkraut . " " Aber eine Mehlspeise wirst du doch lieber essen , " meinte Fräulein Raimar . " O nein ! Mehlspeis eße i gar nicht gern - aber a groß Stückel Rindfleisch mit Gemüse - das mag i ! " Alles lachte . Selbst die Vorsteherin stimmte ein . Wer hätte auch nicht mit Vergnügen dem Geplauder der Kleinen zuhören sollen ! Mit Lilli war ein anderes Leben in die Pension gekommen . Alles drehte sich um sie , jeder wollte ihr Freude machen . Und wenn die Mädchen auch vermieden , ihr Schmeicheleien in das Gesicht zu sagen , so waren doch alle bemüht , ihr den Hof zu machen . Am glücklichsten waren sie , wenn Lilli sich herabließ , ein kleines Volkslied zu singen . Ich sage herabließ , denn wenn sie nicht aufgelegt war , ließ sie sich durch keine Bitten dazu bewegen . - Flora geriet jedesmal in Verzückung , prophezeite Lilli eine große Zukunft und schwor darauf , daß sie einst mit ihrer vollen , weichen Stimme ein Stern erster Größe am Theaterhimmel sein werde . Voll und weich war die Stimme nicht , Flora blickte einmal wieder durch ihre romantische Brille , aber es klang weh und traurig , wenn das Kind mit so ernsthafter Miene dastand und sang . " Sie ist furchtbar süß ! " lispelte Melanie , als Lilli zum erstenmal { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Kommt a Vogel geflogen ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } vortrug . " Sieh nur , Flora , wie melancholisch sie die Augen in die Ferne richtet . " " Ja , melancholisch , " wiederholte Flora langsam und pathetisch , " du hast recht . Weißt du , Melanie , es liegt so etwas Geheimnisvolles - Traumverlorenes in ihren samtenen , dunklen Mignonaugen , so etwas , das sagen möchte : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Du fade Welt , ich passe nicht für dich .{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } " " Denn es kümmert sich ka Katzerl - ka Hundchen um mi , " schloß Lilli ihr Liedchen . " O wie reizend ! " rief Nellie und klatschte in die Hände . " Wie kann man diese Worte reizend finden ! " rief Flora entrüstet . " Traurig - düster - das ist der rechte Ausdruck dafür . Ein einsames , verlassenes Herz hat sie empfunden und welche Folterqualen mag es dabei erlitten haben . " " O , das Herz ist eine sehr zähe Ding , und doch wäre es manchmal besser , " deklamierte Nellie mit komischem Pathos , aber sie kam nicht weiter . Flora hielt ihr den Mund zu . " Du bist schändlich - ganz abscheulich ! " rief sie , " nie , nie wieder weihe ich dich in meine geheimsten Gedanken ein ! Wie kannst du mein Vertrauen so mißbrauchen ? " * * * Weihnachten rückte heran und fleißig rührten sich aller Hände . Da wurde genäht , gestickt , gezeichnet , Klavierstücke wurden eingeübt , um die Eltern oder die Angehörigen liebevoll zu überraschen . Ilse hatte noch niemals den Vater oder die Mutter mit einer Arbeit erfreut . Zuweilen hatte sie eine kleine Arbeit angefangen , auf dringendes Zureden ihrer Gouvernanten , aber sie war nicht weit damit gekommen . Sie habe einmal kein Geschick dazu , behauptete sie , und dachte nicht daran , daß es ihr nur einfach an Geduld und Ausdauer mangele . " Was willst du deine Eltern geben ? " fragte Nellie , die eifrig dabei war , einen sterbenden Hirsch in Kreide zu zeichnen , er sollte ein Geschenk für den Onkel in London werden , der sie im Institute ausbilden ließ . " Ich habe noch nicht daran gedacht , " entgegnete Ilse . " Meinst du , Nellie , " fügte sie nach einigem Besinnen hinzu , " daß die Rose , die ich jetzt zeichne , dem Papa Freude machen würde ? " " O sicher ! Aber du mußt sehr fleißig sein , mein klein Elschen , sonst wird die liebe Christfest kommen und du bist noch lang nicht fertig . Und was willst du deine Mutter geben ? " fragte Nellie . " Meiner Mama ? " Sie dehnte ihre Frage etwas in die Länge . " Ich werde ihr etwas kaufen , " sagte sie dann so obenhin . Nellie war nicht damit zufrieden . " Kaufen , das macht keine Freude ! " tadelte sie . " Warum wollen deine Finger faul sein ? " " Nellie hat recht , " mischte sich Rosi in das Gespräch , die neben Ilse saß und an einer altdeutschen Decke arbeitete . " Deine Mama wird wenig Freude an einem gekauften Gegenstand haben . " " Ich bin zu ungeschickt , " gestand Ilse offen . " Wir werden dir helfen und dir alles gern zeigen , " versprach Rosi . Und Fräulein Güssow , die gerade hinzutrat , benahm Ilse den letzten Zweifel . " Du kannst ein gleiches Nähkörbchen , wie Annemie anfertigt , arbeiten , ich weiß bestimmt , es wird dir gelingen . " Und es gelang wirklich , ja weit besser , als Ilse sich selbst zugetraut . Sie hatte eine kindliche Freude , als das Körbchen so wohlgelungen in acht Tagen fix und fertig vor ihr stand . " Es sind noch vierzehn Tage bis Weihnachten , " sagte sie zu Rosi , " und ich möchte noch etwas arbeiten , für Fräulein Güssow und Fräulein Raimar . " " Und für meine Lori , bitte schön , meine gute Ilse ! " bettelte Lilli , die gewöhnlich an den Mittwochnachmittagen im Arbeitssaale zugegen war und dann ihren Platz dicht bei Ilse wählte , die sie , wie sie sich ausdrückte , zum aufessen liebte . " Meine Lori muß halte a neues Kleiderle haben , " fuhr sie fort und hielt ihre Puppe in die Höhe , " bescher ' ihr eins zum heiligen Christ . Schau , das alte da ist ja schlecht ! " Natürlich versprach Ilse , ihr diesen Herzenswunsch zu erfüllen , und zur Besiegelung drückte sie dem kleinen Liebling einen Kuß auf die roten Lippen . " Ich habe eine famose Idee ! " ( famos war seit kurzer Zeit Modewort im Institute ) rief Ilse am Abend desselben Tages aus , als sie mit Nellie allein war . " Ich kaufe für Lilli eine neue Puppe und kleide sie selbst an . Was meinst du dazu ? " " O , das ist wirklich ein famos Gedanke , " entgegnete Nellie , " aber lieb Kind , hast du auch an der viele Geld gedacht , die so eine Puppe mit ihrer Siebensachen kostet ? Wie steht_es mit deine Kasse ? " " O , das hat keine Not , ich habe sehr viel Geld ! " versicherte Ilse sehr bestimmt . Und sie nahm ihr Portemonnaie aus der Kommode und zählte ihre Schätze . " Zwölf Mark , " sagte sie , " das ist mehr , als ich brauche , nicht ? " " Sie sind ein sehr schlecht Rechenmeister , mein Fräulein , " riß Nellie sie unbarmherzig aus ihrer Illusion , " ich meine , Sie reichen lang ' nicht aus . " Ilse sah die Freundin zweifelnd an . " Du scherzest , " meinte sie , " zwölf Mark ist doch furchtbar viel Geld ? " " Reicht lang nicht ! " wiederholte Nellie unerbittlich , " höre zu , ich will dir vorrechnen : 1 ) Ein Nähtischdecken für Fräulein Raimar macht vier Mark , 2 ) ein Arbeitstaschen für Fräulein Güssow macht drei Mark , 3 ) eine schöne Geschenk für die liebe Nellie und all die anderen junge Fräulein - macht - sehr viele Mark . Wo willst du Geld zu der Puppen nehmen ? " " Ach , " fiel Ilse ihr ins Wort , " und unser Kutscher daheim und seine drei Kinder ! - daran habe ich noch gar nicht gedacht ! " Sie machte ein recht betrübtes Gesicht , denn sie hatte es sich gar zu reizend ausgedacht , wie sie Lilli überraschen wollte . Nun konnte es nichts werden . Nachdenklich saß sie einige Augenblicke , dann leuchteten plötzlich ihre Augen freudig auf . " Halt ! " rief sie aus , " ich weiß etwas ! Heute abend schreibe ich an Papa und bitte ihn , mir Geld zu schicken . Er tut es , ich weiß es ganz bestimmt . Mein Papa ist ja ein zu reizender Papa ! " " Und deine Mutter ? " fragte Nellie , " ist sie nicht auch eine sehr gütiger Frau ? Wie macht sie dich immer Freude mit die viel schöne Sachen , die sie an dir schickt . Freust du dir sehr auf Weihnachten ? Ja ? Es ist doch schön , die lieben Eltern wieder sehen . " Ilse zögerte mit der Antwort . Es fiel ihr ein , wie sie im Sommer ihrem Vater entschieden erklärt hatte , zum Christfest nicht in die Heimat zu reisen . Ihr Sinn hatte sich nicht geändert . Noch hatte sie den Groll gegen die Mutter nicht überwunden . Trotzdem sie sich sagen mußte und zuweilen auch ganz heimlich eingestand , wie nötig für ihr Wissen und ihre Ausbildung der Aufenthalt in einer tüchtigen Pension war , so hielt sie immer noch an dem Gedanken fest : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Sie hat mich fortgeschickt .{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } " Ich werde hier bleiben , " sagte sie , " ich will das Weihnachtsfest mit euch verleben . " " Das ist famos ! " rief Nellie entzückt , " ich freue mir furchtbar , daß du nicht fortreisen willst ! All unsere Freunde reisen auch nicht , und es ist so schön hier , die heilige Christ . - Alles bekommt eine große Kiste von Haus , mit allen Bescherung und Schokolade ' und Marzipan ! - und die Christabend wird jede Kiste aufgenagelt , und ich helfe auspacken bald der eine , bald der andere . " " Erhältst du keine Kiste ? " fragte Ilse . " Du weißt ja - ich habe kein Eltern - wer sollte mir beschenken ? " " Gar , gar nichts bekommst du ? " Ilse konnte es nicht fassen . " Zu Neujahr schenkt mein Onkel für mir Geld , da kaufe ich mir , was ich notwendig habe . " Ilse sah die Freundin schweigend an . Am Abend aber schrieb sie einen langen Brief in die Heimat , worin sie zuerst ihren Entschluß mitteilte , daß sie die Weihnachtstage mit den Freundinnen feiern möchte . Dann ging sie zu dem Geldmangel über und schilderte dem Papa mit vielen zärtlichen Schmeichelnamen ihre Not , und zuletzt gedachte sie mit warmen Worten Nellies . - " Noch eine dringende Bitte habe ich zum Schlusse , " fuhr sie in ihrem Briefe fort , " an Dich , Mama , " wollte sie schreiben , aber sie besann sich und schrieb : " an Euch , liebe Eltern . Meine Freundin Nellie ist nämlich die einzige in der Pension , die keine Weihnachtskiste erhalten wird . Sie ist eine Waise und steht ganz allein in der Welt . Ihr Onkel in London läßt sie zu einer Gouvernante ausbilden . Ist das nicht furchtbar traurig ? Ach ! und die arme Nellie ist noch so jung und immer so fröhlich , ich kann mir gar nicht denken , daß sie eine Gouvernante wird ! Es ist doch schrecklich , wenn man kein liebes Vaterhaus hat ! - Nun wollte ich Euch recht von Herzen bitten , Ihr möchtet die Geschenke , die Ihr mir zugedacht habt , zwischen mir und meiner Nellie teilen und zwei Kisten daraus machen . Bitte , bitte ! Ihr schenkt mir stets so viel , daß ich doch immer noch genug habe , wenn es auch nur die Hälfte ist . Ich würde gewiß keine rechte Freude am heiligen Abend haben , wenn Nellie gar nichts auszupacken hätte . Ihr hattet mir Erlaubnis gegeben , an den Tanzstunden nach Weihnachten teilnehmen zu dürfen , und du , liebe Mama , versprachst mir ein neues Kleid dazu , kaufe mir keins , mein blaues ist noch sehr gut und ich komme damit aus . Schenkt Nellie dafür etwas - bitte , bitte ! [ Illustration ] Mit diesem _ heißen _ Wünsche umarmt Euch Eure dankbare Ilse . _N. S. _ Das Geld schicke nur recht bald , einziges Papachen , ich habe es furchtbar nötig . " Umgehend erhielt denn auch Ilse das Gewünschte . Der zärtliche Papa hatte in seiner Freude über die Herzensgüte seines Kindes eine große Summe schicken wollen , Frau Anne hielt ihn davon zurück . Sie stellte ihm vor , daß es für Ilse weit besser sei , wenn sie mit geringen Mitteln sich einrichten lerne und stets genügsam bleibe . Ihr Wunsch , Weihnachten nicht in die Heimat zu kommen , wurde gern erfüllt , der Papa schrieb sogar , er lobe ihren verständigen Entschluß . Die weite Reise war im Winter nicht ratsam . Freilich werde er seinen Wildfang schmerzlich vermissen und es werde der Mama und ihm recht einsam sein , aber er wolle sich mit dem Gedanken trösten , daß das nächste Christfest desto schöner ausfallen werde . - Beinahe kränkte sie diese bereitwillige Zustimmung , indes sie kam zu keinem Nachdenken darüber , der Briefträger kam und brachte ihr dreißig Mark . " Dreißig Mark ! " jubelte Ilse . " Nellie , nun sind wir reich ! - Komme , laß uns gleich gehen und unsere Einkäufe machen , ich kann die Zeit nicht erwarten . " " O nein , Kind , " entgegnete Nellie bedächtig , " erst müssen wir ein langer Zettel aufschreiben mit alle Sachen , die wir kaufen werden . Wir müssen doch rechnen , was sie kosten . " Daran hatte die lebhafte Ilse gar nicht gedacht . Ohne zu überlegen , würde sie blind drauf los gekauft und am Ende wieder nicht gereicht haben . Die beiden Mädchen machten sich nun daran , eine Liste aufzusetzen . Die nötigen Geschenke wurden aufgeschrieben und von der praktischen Nellie der ungefähre Preis dahinter gesetzt . Als Ilse für die Kinder des Kutscher Johann ebenfalls Sachen zu kaufen aufschrieb , rief Nellie : " Halt ! Du kannst von deine alte Sachen die Kutschermädchen schenken , dann sparen wir Geld . " " Ich habe nichts , " meinte Ilse , " kaufen geht schneller . " Nellie hatte sich bereits daran gemacht , in Ilses Kommode und auch im Schranke nachzusehen , um sich zu überzeugen , ob sie nichts fände . " Man muß sparen und nicht seine Geld aus die Fenster schmeißen . " Und siehe da , es fand sich allerhand unter Ilses alten Sachen . Schürzen , die sie nicht mehr trug , ein Kleid , das ihr zu eng und zu kurz geworden war , und zuletzt noch das vorjährige Pelzzeug , welches die gütigen Eltern durch neues , weit kostbareres ersetzt hatten . " Siehst du , Verschwender ! " triumphierte Nellie . " Du weißt nicht deine große Schatze . Nun kaufen wir für deine Kutscher ein Paar warme Handschuh und fertig ist die ganze Kutschergesellschaft . " Die wenigen Wochen bis zum heiligen Abend vergingen in rasender Schnelle . Nellie und Ilse hatten neben so mancherlei anderen Arbeiten auch noch die neue Puppe anzukleiden . Das war für Ilse eine schwere Aufgabe , und ohne ihre geschickte Freundin wäre sie niemals damit zu stande gekommen . " Wie geschickt du bist , Nellie , " sagte Ilse , als diese der Puppe das schottische Kleid anprobierte , " das hast du doch geradezu klassisch gemacht . Ich hätte es wirklich nicht fertig gebracht . " " Aber hast du niemals ein Kleid für dein ' Puppen genäht - oder eine Hut - oder ein Mantel ? " " Nein , " antwortete Ilse aufrichtig , " niemals ! Ich habe an den toten Dingern mein Lebtag keine Freude gehabt . Viel lieber habe ich mit den Hunden gespielt . " " Da ist kein Wunder , wenn du ein klein , dumm Ding geblieben bist ! Deine Hunde brauchen kein Kleid , " lachte Nellie . " Nun mußt du auf deine alte Tage nähen lernen , siehst du . " Ilse lachte fröhlich mit und bemühte sich , das weiße Batistschürzchen für die Puppe , an welchem sie rings herum Spitzen setzte , recht sauber und nett fertig zu bringen . - Einen Tag vor der Bescherung erhielten die erwachsenen Mädchen , denen es Vergnügen machte , die Erlaubnis , die schöne , große Tanne auszuputzen . Das war ein Fest und für Ilse ganz und gar neu . Niemals hatte sie sich bis dahin selbst damit befaßt , und sie kannte es nicht anders , als daß am Weihnachtsabend ein mit vielem kostbaren Zuckerwerk behangener Baum ihr hell entgegengestrahlt hatte , - hier lernte sie kennen , daß auch ohne Zuckerwerk derselbe herrlich zu schmücken war . Nach dem Abendbrot , als die jüngeren Mädchen und auch die Engländerinnen , die kein Verständnis für das harmlose Vergnügen hatten , zu Bett gegangen waren , begann das Werk . Orla brachte einen großen Korb mit Tannenzapfen , selbst gesucht auf den Spaziergängen im Walde , und setzte denselben auf die Tafel . Annemie stellte zwei Schälchen mit Gummiarabikum daneben , in das eine schüttete sie Silber- , in das andere Goldpuder und rührte es mit einem Stäbchen um . " Wer will mir helfen , " rief Orla . " Ich ! ich ! " antwortete es von allen Seiten ; nur Ilse schwieg , sie hatte keine Ahnung , was eigentlich mit den vielen großen und kleinen Tannenzäpfchen geschehen solle . - Daheim verkamen dieselben unbeachtet im Walde . - Es sollte ihr bald kein Geheimnis mehr sein . Melanie und Rosi hatten die Pinsel ergriffen und fingen an , den unansehnlichen braunen Dingern ein goldenes oder silbernes Gewand zu geben . Und wie schnell das ging . Kaum hatten sie ein paarmal darüber gepinselt , so waren sie fertig . " Sieh nur , Rosi , " rief Melanie aus und hielt einen vergoldeten Zapfen unter die Gaslampe , " ist der nicht furchtbar reizend ? Wundervoll , nicht ? Gleichmäßig , wirklich künstlerisch ist er vergoldet , kein dunkles Pünktchen ist an ihm zu sehen ! " Und sie betrachtete das Prachtexemplar höchst wohlgefällig nach allen Seiten . Orla und Rosi hatten fleißig weitergepinselt und stillschweigend einen Tannenzapfen nach dem anderen beiseite gelegt . " Du bist im höchsten Grade langweilig mit deinem ewigen Selbstlobe , " tadelte Orla , " ich habe noch nie jemand kennen gelernt , der sich so vergöttert wie du . Pinsle lieber weiter und halte dich nicht bei unnützen Lobhudeleien auf . " Melanie fühlte sich sehr getroffen und errötete . " Wie grob du bist , Orla ! " sagte sie gereizt , " du hast freilich keinen Sinn für harmlose Vergnügen . " " Kinder ! " unterbrach Fräulein Güssow , die am anderen Ende der Tafel saß und Äpfel und Nüsse vergoldete , " keinen Streit ! Melanie , komme zu mir , du kannst mir helfen , und du Ilse , versuche einmal , ob du Melanies Stelle ersetzen kannst . " Ilse ließ sich das nicht zweimal sagen . Eilig griff sie zum Pinsel und flink und gesandt tat sie ihre Arbeit . Orla war sehr zufrieden damit . " Nur nicht ganz so dick aufstreichen , " mahnte sie , " sonst reichen wir nicht mit unserem Gold- und Silbervorrat . " Flora und Annemie fertigten Netze aus Goldpapier an . " Eine geisttötende Arbeit , " flüsterte Flora Annemie zu , " und außerdem ohne jede Poesie . Warum die Tanne mit allerhand Tand aufputzen ? Ist sie nicht am herrlichsten in ihrem duftigen , grünen Waldkleide ? - Lichter vom gelben Wachsstocke in ihr dunkles Nadelhaar gesteckt , - ein goldener Stern hoch oben auf ihrer schlanken Spitze , - schwebend - strahlend ! - das nenne ' ich Poesie ! " - Hier hielt sich Annemie nicht mehr , sie bekam einen solchen Lachreiz , daß sie aufsprang und hinauslief , um sich draußen erst auszulachen . Dicht unter dem Baume standen Grete und Nellie . Letztere hoch auf einer Trittleiter , eine große Tüte Salz in der Hand haltend . Die andere mit einem Leimtiegel in der Hand war ihr Handlanger . Das heißt , sie reichte Nellie den Pinsel zu , damit diese die Zweige mit dem Leim bestrich , bevor sie Salz darauf warf . " Jetzt bin ich eine große Sturmwind und mache der Baum voller Schnee , " scherzte Nellie . " Wirklich ! - die Zweige werden weiß ! " rief Ilse und verließ einen Augenblick ihre Arbeit , um sich das Schneetreiben genau anzusehen . " Das ist aber klassisch ! Das gefällt mir ! Nein , das sieht zu reizend aus ! " Freilich fiel ein großer Teil Salz unter den Baum , indes Nellie ließ sich die Mühe nicht verdrießen , immer wieder kehrte sie dasselbe zusammen und strich es mit der Hand dick auf den Leim . " Du alte Baum wirfst sonst alles Schnee auf die Erde , " meinte sie . " Aber das ist schlechte Arbeit , alle meiner Finger kleben . " Rosi trat jetzt auch an den Baum heran , um ihn mit den glänzenden Tannenzapfen zu schmücken . Sie sah heute ganz anders aus als sonst . Ihre sonst so gleichmäßigen Züge trugen den Ausdruck froher Erwartung , ihre milden Augen strahlten und rosig waren ihre Wangen angehaucht . " O du selige , o du fröhliche Weihnachtszeit , " summte sie mit ihrer frischen Stimme leise vor sich hin , und Fräulein Güssow rief ihr zu : " Singe nur laut heraus , Rosi , das bringt uns bei unserer Arbeit so recht in die echte Weihnachtsstimmung . " " Wir wollen alle singen ! " riefen Grete und Annemie , " bitte , Fräulein Güssow ! " " Meinetwegen , aber hübsch gedämpft , Kinder , damit die Kleinen nicht davon erwachen . " Und nun erklang aus den jugendlichen Kehlen das schöne Lied vierstimmig . - - Die junge Lehrerin senkte den Kopf herab , - der Gesang stimmte sie traurig . Ihre Kindheit - ihre erste Jugendzeit stand mit einemmal lebendig vor ihrer Seele . - - Was hatte sie gehofft - - und wie hatten sich ihre Träume erfüllt ! - - Durch ihre eigene Schuld ! - Mitten im Gesange wurde plötzlich die Tür geöffnet und Fräulein Raimar , begleitet von Herrn Doktor Altoff , trat herein . Sie hatten soeben eine notwendige Besprechung in der Vorsteherin Zimmer beendet . Das war eine Überraschung , die niemand vermutet hatte . Der Gesang verstummte und die Mädchen wurden mehr oder weniger verlegen , als der Gegenstand ihrer stillen Verehrung so unerwartet vor ihnen stand . Flora errötete bis an die Haarwurzeln . " Nun , warum singt ihr nicht weiter , Kinder ? " fragte die Vorsteherin . " Laßt euch nicht stören durch unsere Gegenwart . " Aber es wollte nicht wieder so recht in Zug kommen . Orla setzte zwar ein , aber falsch , sie war sehr wenig musikalisch . - Annemie mußte über den Mißton lachen , und da Lachen ansteckt , - stimmten die übrigen ein . [ Illustration ] " Was machen Sie denn , Miß Nellie ? " fragte Doktor Altoff und trat auf sie zu . " Warum verstecken Sie Ihre Hände so ängstlich ? " Er lächelte sie an . Flora warf einen verstohlenen Blick auf ihn , und bevor sie sich zur Ruhe legte , schrieb sie in ihr Tagebuch : " Er hat sie angelächelt ! Beneidenswerte Nellie ! - Bezaubernd - hinreißend - sah er in diesem Augenblicke aus ! Die geistvollen , dunklen Augen sprühten Feuer - um die schmalen Lippen zuckte es sarkastisch - wunderbare Perlenzähne schimmerten durch den dunkelblonden Bart . - Aber Nellie ist kokett ! Leider ! - Dieser Augenaufschlag ! " - " O , " entgegnete Nellie höchst verlegen , " ich habe die Finger verklebt mit der häßliche Leim ! " und schnell lief sie hinaus , um sich gründlich zu reinigen . Doktor Altoff sah ihr wohlgefällig nach . " Nellie spricht doch sehr schlecht deutsch , " bemerkte Flora etwas spöttisch , " ich begreife das eigentlich nicht . Ein Jahr ist sie bereits in der Pension und wie falsch drückt sie sich noch immer aus . " Sie hatte ihre Bemerkung so laut gemacht , daß der junge Lehrer sie hören mußte . " Die deutsche Sprache ist schwer zu erlernen , Flora , " entgegnete er , " und ich muß gestehen , Nellie hat in dem einen Jahre schon sehr gute Fortschritte gemacht . Übrigens klingen die kleinen Schnitzer , die sie zuweilen macht , ganz allerliebst und naiv , - wir wollen sie nicht deshalb verdammen . " Fräulein Raimar blickte etwas erstaunt auf den Sprechenden , der sich so warm Nellies annahm . Vielleicht fand sie seine Entschuldigung in Gegenwart der übrigen Mädchen nicht ganz passend . " Es ist sehr spät , Kinder , " unterbrach sie das Thema , " wollt ihr nicht für heute aufhören und morgen in eurer Arbeit fortfahren ? " Aber die Mädchen baten so sehr , heute schon ihr Werk vollenden zu dürfen , daß sie die Erlaubnis erhielten . Zu Floras Ärger , welche die Zeit nicht abwarten konnte , bis sie die vielen großartigen Gedanken , die in ihrem Kopfe spukten , erst schwarz auf weiß vor sich hatte . Fräulein Raimar und Doktor Altoff entfernten sich und Nellie trat gleich darauf wieder in das Zimmer . Flora konnte nicht umhin , ihr einen kleinen Seitenhieb zu versetzen . " Warum verstecktest du deine Hände auf dem Rücken ? " fragte sie . " Ich fand das furchtbar komisch von dir . Du dachtest wohl , Doktor Altoff wolle dir die Hand geben ? " Die arme Nellie war über diesen Angriff so erschrocken , daß sie nicht darauf antworten konnte . Aber Ilse half ihrer Freundin aus der Verlegenheit . " Ich finde nichts Komisches darin , Flora , " sagte sie lustig , " wenn Nellie nicht gern beschmutzte Finger sehen lassen will ; aber daß du ihr deine eigenen Gedanken zutraust , das finde ich komisch ! - Ja , ja , Florchen , du bist erkannt ! " Flora errötete , aber sie war klug und antwortete nur mit einem wegwerfenden Achselzucken . - Alle Vorbereitungen waren zu Ende . Die Mädchen trugen Ketten , Netze , kurz allen Schmuck herbei , um den Baum zu behängen . Wie er sich füllte ! Wie festlich geschmückt er bald dastand ! Ilse bewunderte hauptsächlich die glänzenden Tannenzapfen , die sich zwischen den dunklen Nadeln ganz herrlich ausnahmen . " Wie ein Märchenbaum ! " rief sie fröhlich , und " Bäumchen rüttle dich und schüttle dich ! " setzte sie übermütig hinzu . " O , nein ! " rief Nellie in komischem Ernste , " nicht schüttle und rüttle dir , Baumchen , es fallt sonst all der Salz von deiner Nadel und ich muß mir noch einmal die Finger zerkleben . " " Nie in meinem Leben sah ich einen so schönen Christbaum ! " erklärte Ilse . " Wir sind noch nicht fertig , Ilse , " entgegnete Fräulein Güssow , " bald hätte ich das Gold- und Silberhaar vergessen . " - Und nun begann sie feine Fäden rings um den Baum zu spinnen . " Wie schön ! wie schön ! " jubelte Ilse und schlug wie ein Kind vor Freude in die Hände . Dann nahm sie Nellie in den Arm und tanzte mit ihr um den Baum . " Du wirst mit deiner lauten Freude die Schlafenden aufwecken , " ermahnte Fräulein Güssow ; aber sie sah Ilse mit inniger Teilnahme an . - Es gab eine Zeit , wo auch sie so fröhlich hinausgejubelt hatte in die Welt , - bis der Sturm kam und ihr die Blüte des Frohsinns abstreifte und verwehte . - " Geht nun zu Bett , Kinder , " bat sie , " aber leise , hört ihr ? Gute Nacht ! " " Gute Nacht , gute Nacht ! " rief es zurück und Ilse setzte hinzu : " Ach , Fräulein ! Wenn es doch erst morgen wäre ! " - Das war ein Leben am anderen Tage ! Die Mädchen waren ganz außer Rand und Band . Ilse war ausgelassen fröhlich und Nellie stand ihr darin bei . Annemie lachte über jede Kleinigkeit , ja selbst Rosi , die stets Vernünftige , machte heute eine Ausnahme und schloß sich der allgemeinen Stimmung an . Als Flora ein selbstgedichtetes Weihnachtslied zum besten gab , und die ganze übermütige Schar sie dabei auslachte , lachte Rosi mit , - nur als Nellie an zu necken fing , bat sie sanft : " Bitte , Nellie , nicht spotten ! Wir haben die arme Flora schon genug gekränkt , als wir sie auslachten . " Melanie und Grete waren die einzigen , die eine leise Verstimmung nicht unterdrücken konnten . Sie hatten gehofft , Weihnachten zu Hause verleben zu können , und waren enttäuscht , als die Eltern ihnen nicht die Erlaubnis gaben , weil sie es nicht passend fanden , daß junge Mädchen allein eine so weite Reise machten . Melanie fand diesen Grund geradezu furchtbar kränkend . " Als ob ich noch ein Kind wäre ! " sprach sie ärgerlich zu Orla . " Ich bin siebzehn Jahre alt ! Und doch wahrhaftig alt und verständig genug , uns beide zu schützen ! " " Aber du bist hübsch , " entgegnete die Angeredete mit leichter Ironie , " und das ist gefährlich . Denke einmal , wenn dir unterwegs ein Abenteuer begegnete ! Das wäre doch furchtbar schrecklich ! " " Ich bitte dich , Orla , verschone mich mit deinen albernen Spöttereien ! " wehrte Melanie entrüstet ab . Aber sie fühlte sich doch in ihrem Inneren geschmeichelt , die kleine Eitelkeit . " Du hörst es ja doch gern , Herzchen , " lachte Orla . " Warum auch nicht ? Hübsch zu sein ist ja keine Schande , - besonders wenn man so wenig eitel ist wie du ! Übrigens tröste dich mit uns , wir sind ja fast alle zurückgeblieben , bis auf die wenigen Pensionärinnen , die in der Nachbarschaft wohnen , und die vier Engländerinnen , die Miß Lead wieder zurück in ihre Heimat bringt . - Störe nicht unsere fröhliche Laune durch ein verstimmtes Gesicht . Sieh doch nur Lilli an , - kannst du bei dem Anblicke so seliger Freude noch mißmutig sein ? " Das Kind lief nämlich von einer zur anderen , treppauf , treppab und fragte jede Viertelstunde , ob es noch nicht dunkel würde , und ob das liebe Christkindel noch nicht bald käme . - Endlich , endlich brach der Abend herein . Die Vorsteherin und Fräulein Güssow verweilten schon seit zwei Uhr in dem großen Saale , und in einer Klasse , die dicht daneben lag , saßen erwartungsvoll die Pensionärinnen . Natürlich im Dunklen , denn Licht durfte vor der Bescherung nicht angesteckt werden . Lilli fühlte sich etwas unheimlich in der Finsternis . Sie kletterte auf Ilses Schoß und schlang den Arm um ihren Hals . " Kommt denn das Christkindel noch nicht bald ? " fragte sie wieder . " Schau , es ist halte schon stockfinster . " " Nun bald , " tröstete Ilse und drückte Lilli zärtlich an sich . Das Anschmiegen des Kindes tat ihr so wohl und seine Liebe machte sie so glücklich . " Bald kommt das Christkind , ach , und wie schön wird das sein ! - Soll ich dir ein Märchen erzählen , damit dir die Zeit schneller vergeht ? " " Bitte schön ! Vom Hansel und Gretel ! " Ilse hatte indes kaum begonnen " es war einmal " , als Lilli ihr den Mund zuhielt . " Nicht weiter ! " unterbrach sie , " ich mag das heute nicht hören ! Ich muß immer an das Christkindel denken . Kennst du das liebe Christkindel , Ilse ? Hast du es schon g' schaut ? " " Nein , " sagte Ilse , " gesehen habe ich es noch niemals . Niemand kann es sehen , es wohnt nicht auf der Erde . " " Wohnt es im Himmel ? " fragte Lilli . " Schau , da möchte ' ich halte auch wohnen , da ist_es schön , nicht ? Da singen die lieben Englein , und die lieben Englein , die wohnten früher auf der Erde , das waren die artigen Kinder , nicht ? - Der liebe Gott hat sie in sein Himmelreich geholt , nicht wahr , Ilse ? " Die Worte des Kindes riefen sentimentale Ahnungen in Flora hervor , sie war auch im Begriff , dieselben auszusprechen , als Nellie ihr das Wort abschnitt . " Was schwatzt der kleine Kind für Zeug ? " sagte sie und streichelte liebkosend Lillis Hand . " Wo hast du dies gehört ? Keiner Mensch hat noch in der Himmel geschaut . " " Aber die Mama hat es gesagt , - sie weiß es , nicht wahr , Ilse ? " rief Lilli heftig . Die gab ihr keine Antwort darauf , sie versuchte , das Kind auf andere Gedanken zu bringen . " Möchtest du wieder zu deiner Mama ? " fragte sie . " Nein , " entgegnete Lilli , " ich bleibe ' lieber bei euch . Die Mama kümmert sich halte so wenig um mich , sie hat kein Zeit . Sie muß immer studieren , " setzte sie altklug hinzu . " Alle Abend geht sie ins Theater . " " Denn es kümmert sich ka Katzerl - ka Hundchen um mi ! " rezitierte Flora schwärmerisch . " Komme zu mir , Lilli , " bat Melanie , " ich will dir eine herrliche Weihnachtsgeschichte erzählen . " " Bitte ' , bitte , laß mich bei Ilse bleiben , Melanie , ich will ganz gewiß recht genau zuhören auf dein Geschichte . " Und während Melanie ihre Erzählung zum besten gibt , wollen wir einen Blick in den Weihnachtssaal werfen . Die beiden Damen waren so ziemlich fertig mit ihrer großen Arbeit . Fräulein Güssow war dabei , noch einige versiegelte Pakete auf verschiedene Plätze zu verteilen . Es waren in denselben die Geschenke enthalten , welche die junge Welt sich untereinander bescherte . Der Name der Empfängerin war darauf geschrieben , die Geberin mußte erraten werden . Fräulein Raimar stand neben dem Gärtner , der eifrig beschäftigt war , die angekommenen Kisten zu öffnen , die Deckel wurden lose wieder darauf gelegt , denn das Auspacken besorgten die Empfängerinnen selbst . Nur mit Lilli wurde eine Ausnahme gemacht , Fräulein Raimar packte deren Kiste aus und schüttelte den Kopf , als sie damit beschäftigt war . " Sehen Sie nur den Tand , liebe Freundin , " sagte sie . " Nicht ein vernünftiges Stück finde ich dabei . Zwei weiße Kleider , so kurz , daß sie dem Kinde kaum bis an die Knie reichen , aber schön gestickt , hier eine breite rosa Atlasschärpe , ein kleiner Hermelinmuff , ein Paar feine Saffianstiefel und eine Puppe im Ballstaat . Und vieles Zuckerwerk - das ist alles ! Warme Strümpfe und eine warme Decke , um die ich so sehr gebeten , und die dem Kinde so nötig sind , - sie fehlen ganz . " " Hier scheint ein Brief für Sie zu sein , " sagte Fräulein Güssow und nahm ein duftiges rosa Billet von der Erde auf . Wahrscheinlich war dasselbe aus dem Muff gefallen , den die Vorsteherin noch in der Hand hielt . Sie erbrach das an sie gerichtete Schreiben und las wie folgt : " Ich ersuche Sie freundlich , meiner Lilli die Kleinigkeiten unter den Baum zu legen . Hoffentlich ist das liebe Herzl recht gesund . Nun ich habe halte nicht nötig , mich zu sorgen , weiß ich doch das goldene Fischel in so gute Hände ! - Wollene Strümpfe und a Jackerl habe i halte nicht mitgeschickt , i wünsche das Kind nicht zu verwöhnen . Es soll immer a weiß Kleiderle anziehen , - Hals frei und Arme frei , - so ist sie_es gewohnt , und dabei möchte ich es halte lassen . Geben Sie mein Herzblatterle tausend Schmazerl , und daß es die Mama nicht vergißt ! Mit dankbaren Grüßen verbleib ich Ihre ergebene _ Toni Lubauer _. " " Weiße Kleider und dünne Strümpfe ! " wiederholte Fräulein Raimar kopfschüttelnd . " Es ist gut , daß wir für einiges gesorgt haben , ich könnte es nicht vor mir selbst verantworten , das kleine Ding so durchsichtig und wenig bekleidet zu sehen . " Die junge Lehrerin stimmte bei und warf einen recht befriedigten Blick auf all die schönen und nützlichen Sachen , die auf Lillis Tischchen aufgebaut lagen . Der Gärtner war mit seiner Arbeit fertig und hatte das Zimmer verlassen - die Damen zündeten die Lichter des Baumes an , und als auch das geschehen war , ergriff die Vorsteherin eine silberne Klingel und läutete . Wie mit einem Zauberschlage flogen die Flügeltüren auf und die junge Schar stürmte herein . Einen Augenblick standen sie wie geblendet da . So plötzlich aus der Dunkelheit in das helle Licht , - der Kontrast war fast zu grell . Lilli besonders stand wie gebannt da und hielt Ilses Hand krampfhaft fest . " Komme , " redete Fräulein Raimar sie an , " ich will dich an deinen Tisch führen , du bist ja ganz stumm geworden . " Als das Kind vor seiner Bescherung stand , kehrte seine Lebhaftigkeit zurück . " Die schöne Puppe ! " rief es entzückt und schlug die Händchen zusammen . " Die ist aber halte zu schön ! Meine alte Lori ist lang nicht so süß ! - Und ein Strohhüterl hat sie auf - ach Gotterl ! und die langen Zopferl ! Und ein Schultascherl tragt sie am Arm ! Bitte schön , Fräulein , darf ich sie in die Hand nehmen ? Ich möchte sie ganz nah anschaun ! Bitte schön , erlaube mir_es ! " Fräulein Raimar erfüllte gern die Bitte des Kindes , das behutsam sein Püppchen in den Arm nahm . " Sie kann die Augerl schließen ! " fuhr dasselbe fort . " Schau , Fräulein , sie will schlafen ! " Das Kind war ganz außer sich vor Entzücken bei dieser Entdeckung und hielt sein Plappermäulchen nicht einen Augenblick still . " Meine Lori hat die Aeugerl immer auf , sie kann nicht schlafen , nicht wahr , Fräulein ? Die ist dumm , lang nicht so gescheit wie diese . - Hast du mir die Puppe geschenkt , Fräulein ? " " Nein , " entgegnete diese , die sich an Lillis jubelnder Freude erquickte . " Ilse und Nellie haben sie dir angezogen . Aber sieh einmal , hier hast du noch eine Puppe , die hat dir deine Mama geschenkt . " Kaum einen Blick hatte sie für die kostbare Balldame . " Die ist mir zu geputzt , " sagte sie , " die kann ich doch nicht in das Bett legen ! Die kann mein Kind nicht sein ! " - Und mit der Puppe im Arme lief sie zu Ilse , um sich zu bedanken . Diese aber war sehr beschäftigt . Sie packte ihre Kiste aus und hatte nicht Zeit , an etwas anderes zu denken . " Später , Liebling , " sagte sie , und fertigte die Kleine mit einem flüchtigen Kuß ab. - Soeben hielt sie einen prächtigen rosa Wollstoff in der Hand und Nellie stand neben ihr und bewunderte denselben lebhaft . " O wie süß ! " rief sie . " Wie von Spinnweb so fein ! Und wie er dir kleidet , " fuhr sie fort und hielt den Stoff der Freundin an , " das wird ein schön ' Tanzstundenkleid ! Du wirst dir wie eine Fee darin machen ! " Ilse aber war gar nicht recht vergnügt über das kostbare Geschenk , es malte sich sogar etwas wie Enttäuschung in ihren Zügen . Warum mochten die Eltern ihre Bitte nicht berücksichtigt , ja nicht einmal eine Antwort darauf gegeben haben ? Und Nellie war so gut - so neidlos teilte sie ihre Freude . So mochte auch Fräulein Güssow denken , die näher getreten war . Sie legte den Arm um Nellies Schulter und fragte : " Warum packst du nicht deine eigene Kiste aus ? " " Meine Kiste ? " wiederholte Nellie . " O Fräulein , Sie spaßen ! Für mir gibt es das nicht ! " Ilse horchte auf . Einen schnellen , fragenden Blick warf sie der jungen Lehrerin zu und diese antwortete mit einem geheimnisvollen Lächeln . " Wer weiß ! " fuhr sie fort , " sieh einmal nach , vielleicht hat eine gütige Fee dir etwas beschert . " Ilse erhob sich schnell aus ihrer knienden Stellung und nahm die Freundin unter den Arm . " Komme , " sagte sie , " wir wollen suchen . " Kiste an Kiste stand da in der Reihe , jede indes war bereits in Besitz genommen , Ilses Auge aber flog voraus . Sie hatte am Ende des Saales eine herrenlose Kiste entdeckt , dorthin zog sie Nellie . Und richtig , da stand mit großen Buchstaben auf dem Deckel : " An Miß Nellie Grey . " - Es war kein Zweifel , die Adresse lautete an sie . " O , was ist dies ! " rief Nellie überrascht und ihre Wangen röteten sich , " wer hat an mir gedacht ? Ist es gewiß für mir ? " " Ja , sie ist wirklich für dich , " versicherte Ilse strahlend , denn nun hatte sie erst die echte Weihnachtsfreude , " nimm nur den Deckel hoch . " Immer noch etwas zögernd folgte Nellie dieser Aufforderung . Welche Überraschung ! Da lag obenauf ein gleicher Stoff in blaßblau , wie sie soeben denselben in rosa bei Ilse bewundert . Und wie sie nun weiter auspackten , jetzt eine jede ihre eigene Kiste , da hielten sie sich jubelnd stets die gleichen Herrlichkeiten entgegen . Bald war es eine gestickte Schürze , dann kamen farbige Strümpfe an die Reihe , Handschuhe , sogar die Korallenkette , die schon lange ein sehnlicher Wunsch Ilses war , fehlte bei Nellies Bescherung nicht . Auch die vielen Leckereien waren gleichmäßig verteilt . Ilse hatte in einem Karton mit Briefpapier einen langen zärtlichen Brief der Eltern gefunden und als Nellie den ihrigen öffnete , lag auch für sie ein kleines Briefchen darin . " Meine liebe Nellie , " schrieb Ilses Mama , " ich darf Sie doch so nennen als meiner Ilse liebste Freundin ? Mein Mann und ich möchten Ihnen so gern einen kleinen Beweis geben , wie dankbar wir Ihnen sind für die Liebe und Freundschaft , die Sie stets unserem Kinde zu Teil werden ließen . Zwei Freundinnen aber müssen auch gleiche Freuden haben - und mit diesem Gedanken bitten wir Sie herzlich , den Inhalt der Kiste freundlich anzunehmen . Mit dem aufrichtigen Wünsche , daß Sie auch fernerhin unserer Ilse eine treue Freundin bleiben mögen , grüßt Sie herzlich _ Anne Macket _ . " Nellie fiel Ilse um den Hals und vermochte kein Wort hervorzubringen . Die Rührung schnürte ihr die Kehle zu - Tränen waren seltene Gäste bei unserer Nellie . Das frühverwaiste Mädchen , das sich von klein auf stets bei Verwandten herumdrücken mußte , dem das Sonnenlicht der elterlichen Liebe fehlte , hatte das Weinen beinahe verlernt . Wer hätte auch auf seine Tränen achten sollen ? " Dein Mutter ist ein Engel ! " brachte sie endlich , so halb unterdrückt , heraus . " Wie soll ich sie für alles danken ? " " Ja , meine Mama ist sehr gut ! " bestätigte Ilse , und zum erstenmal stieg ein warmes , zärtliches Gefühl für dieselbe in ihrem Herzen auf . Für sentimentale Stimmungen waren Ilse und Nellie indes nicht angetan , und als erstere ein Stück Marzipan der Freundin in den Mund steckte , war die Rührung zu Ende . Tränenden Auges verzehrte es Nellie , und dieser Anblick kam Ilse so possierlich vor , daß sie lachen mußte , - natürlich stimmte Nellie ein . " Seid ihr fertig , Kinder ? Habt ihr alle eure Kisten ausgepackt ! " rief Fräulein Raimar und unterbrach das Gewirr von Stimmen , das laut und lebhaft durcheinander klang . " Ja , ja ! " rief es zurück und nun beeiferte sich eine jede , die heimatliche Bescherung vorzuzeigen , und die Vorsteherin blickte in lauter freudig erregte und zufriedene Gesichter . Nur Flora sah etwas enttäuscht aus . Sie hatte anstatt " Jean Pauls Werke " , die sie sich so glühend gewünscht , " Schlossers Weltgeschichte " erhalten mit dem Versprechen vom Papa , daß , wenn sie erst reifer für solche Lektüre sei , sie dieses Werk erhalten werde . Reifer ! Es klang ihr wie bitterer Hohn . Sie fühlte sich mit ihren sechzehn Jahren schon so überreif , daß sie selbst poetische Werke in das Leben rief - und sie - sie sollte nicht " Jean Paul " lesen ! Nachdem die Geschenke der Eltern auf eine leer gelassene Tafel aufgebaut waren , und nachdem die Mädchen auch diejenigen der Lehrerinnen in Empfang genommen hatten , kamen endlich die versiegelten und verpackten Überraschungen an die Reihe . Da kamen denn allerhand drollige Dinge zum Vorschein und der Jubel und das Lachen wollten kein Ende nehmen . Flora hatte soeben einen langen , blauen Strumpf aus zahllosen Papieren herausgewickelt und hielt ihn hoch in der Hand . Etwas verwundert drehte sie diese wunderbare Gabe nach allen Seiten , die ironische Anspielung fiel ihr nicht sogleich ein . " Ein Strumpf ? " fragte sie , " was soll ich damit ? " " Er ist dein Wappen , lieber Blaustrumpf , " belehrte sie Orla . " Die Idee ist wirklich famos ! " " Er ist von dir ! " beschuldigte sie Flora . " Leider nein , " entgegnete Orla . Annemie lachte so laut und herzhaft , daß sie sich als die Geberin verriet . " Bist du mir böse , Flora ? " fragte sie gutmütig . [ Illustration ] Sonderbare Frage ! Ganz im Gegenteil , Flora fühlte sich höchst geschmeichelt , daß man sie zu den Blaustrümpfen zählte . Der gestickte Schlips , den Annemie in den Strumpf versteckt hatte , erfreute sie nicht halb so wie die dichterische Anerkennung . - In bester Stimmung löste sie jetzt den Bindfaden von einem Pappkasten . Derselbe war eng damit umschnürt . Auf dem Deckel war ein Weinglas gemalt und mit großen Buchstaben stand " Vorsicht " daneben geschrieben . Ganz behutsam nahm sie denn auch den Deckel ab , warf die Papierschnitzel heraus und fand in feines Seidenpapier eingeschlagen ein zerbrochenes Herz von Biskuit ! " Wie abscheulich von dir , Nellie ! " rief sie gekränkt und wandte sich sofort an die richtige Adresse . Das Herz warf sie achtlos beiseite . " Nicht so hitzig , Flora , " riet Grete , " sieh doch das zerbrochene Herz erst näher an . " Zögernd entschloß sie sich dazu , und als sie ein reizendes , kleines Toilettekissen höchst künstlich verborgen entdeckte , söhnte sie sich einigermaßen mit der bösen Nellie aus . Aber nicht Flora allein , auch all die übrigen mußten manche kleine Neckerei in den Kauf nehmen , so manche schwache Seite wurde an das Tageslicht gefördert und schonungslos gegeißelt . Die Vorsteherin wachte darüber , daß diese Reibereien stets in den Grenzen des Scherzes blieben ; im allgemeinen hielt sie dieselben für ein gutes Mittel , sich gegenseitig auf die Fehler aufmerksam zu machen , es half oft mehr als alle ernsten Ermahnungen . Nellie stand vor einem großen Berg Eßwaren , die sie aus ihren Paketen , in welchen sie außer einem kleinen Geschenke immer noch nebenbei allerhand Süßigkeiten fand , herausgewickelt hatte . Schokolade , Marzipan , Apfelsinen , Rosinen und Mandeln , Lebkuchen , und in einem reizenden Kasten von Porzellan zwei saure Gurken . Diese waren eine besondere Lieblingsspeise von ihr . Sie lachte und fragte , ob sie ein so hungrig Mädchen sei . " O , da ist ja noch ein Paket , " fuhr sie fort , " was für ein leckerer Bissen wird wohl darin sein ? " Aber sie irrte sich , diesmal kam ein Buch zum Vorschein und wie sie es aufschlug , las sie auf dem Titelblatte : " Deutsche Grammatik . " Ein Blatt Papier mit einem kleinen Gedichte lag dabei . Nellie las es vor . " Lerne fleißig die deutsche Sprache - Willst du begreifen holde Poesie . Dies Buch ist einer Verkannten Rache , Die du verstanden hast noch nie ! " " Flora ! " rief Nellie . " Du hast mir mit deine edle Rache sehr beschämt ! Ich werde lernen aus dieser Buch und dir verstehen ! - Komme , gib deine Hand , ich verspreche dich , daß ich nie wieder deine holde Poesie auslachen will , und wenn sie voll lauter zerbrochene Herzen ist . " - Orla hatte unter anderem einen Klemmer erhalten und - o Schrecken ! auch ein Etui mit Zigaretten . Fräulein Raimar stand neben ihr und sah das verräterische Ding . " Was ist denn das ? " fragte sie . " Ich will nicht hoffen , Orla , daß du wie eine Emanzipierte rauchst ! Du würdest mich sehr erzürnen , wenn das der Fall wäre . Doch , " unterbrach sie sich , " wie komme ich dazu , einen Scherz für Ernst zu nehmen , am Weihnachtsabend sind dergleichen Witze erlaubt . " Leiser und nur für die Russin vernehmbar setzte sie hinzu : " Ich habe das feste Vertrauen zu dir , daß du niemals rauchen wirst ! " Die Angeredete schwieg und senkte die Augen . Der Tadel traf die Wahrheit , sie hatte wirklich manchmal im Verborgenen eine Zigarette geraucht . War es doch in ihrer Heimat nichts Auffallendes , wenn eine Dame sich ein kleines Rauchvergnügen machte . Innerlich schalt sie die Pedanterie der Deutschen , der sie eine so harmlose Freude zum Opfer bringen mußte , denn niemals würde es ihre Wahrheitsliebe gestattet haben , gegen das Verbot der Vorsteherin zu sündigen , - mit einiger Überwindung reichte sie derselben die Zigaretten . " Bitte , bewahren Sie mir dieselben , " bat sie und lächelnd fügte sie hinzu : " Damit ich nicht in Versuchung komme ... " Melanie liebäugelte mit einem zierlichen Handspiegel . Sie freute sich sehr über denselben , noch mehr aber über ihr eigenes Bild , das ihr entgegenlachte . Grete blickte ihr über die Schulter . " Das ist eine Anspielung auf deine Eitelkeit , Melanie ! Ich habe nichts bekommen , was mich ärgern oder wodurch ich mich getroffen fühlen könnte ! " " Nun glaubst du dich wohl fehlerfrei , liebe Grete ! " spottete Melanie . " Bilde dir das ja nicht ein , liebes Kind , du bist noch längst kein vollkommenes Wesen . Es gibt sehr vieles an dir auszusetzen ! " Und als ob ihre Worte sofort in Erfüllung gehen sollten , rief Fräulein Güssow : " Grete , da steht noch eine vergessene Schachtel auf deinem Platze ! Du hattest Papier darauf geworfen und wirst sie deshalb übersehen haben ! " Vergnügt und erwartungsvoll öffnete Gretchen die Schachtel . O weh ! als sie den Deckel abhob , lachte ein glänzendes , zierlich gearbeitetes Vorlegeschloß sie boshaft an . " Das ist eine Anspielung für dich , teures Plappermäulchen ! " rief Melanie mit schwesterlicher Schadenfreude , und hielt das Schloß an Gretes Lippen . " So , damit du in Zukunft hübsch schweigst und nicht so vorlaut bist . " Unwillig wandte Grete sich ab , sie war gar wenig erbaut von der Überraschung . Sie warf das Schloß wieder in die Schachtel , schloß den Deckel und verriet durch ihre Empfindlichkeit , wie sehr sie sich getroffen fühlte .... Ilse hatte aus einer mächtigen Kiste , die bis obenhin mit Heu gefüllt war , einen Hund herausgeholt . Keinen lebendigen , o nein ! es war nur einer aus Pappe . Braun sah er aus und hatte weiße Pfötchen . Um den Hals trug er einen Zettel am roten Bande , auf welchem mit großen Buchstaben " Bob " geschrieben stand . " Orla ! " erriet Ilse sofort . Dieselbe hatte sie oft genug mit ihrem Hunde aufgezogen . Es kam ihr jetzt selbst recht lächerlich vor , wenn sie sich ihren Einzug in der Pension mit Bob auf dem Arme ausmalte . Wie einfältig war sie gewesen - wie unnütz hatte sie den armen Papa gequält ! - Ilse hatte noch eine Überraschung , bei der sie fast erschrak . In einem reizenden Arbeitskorbe fand sie mehrere Äpfel von Marzipan . Nellie stand neben Ilse und flüsterte ihr zu : " Diese sind Äpfel von der Baum - weißt du noch ? " Als die Angeredete ängstlich zur Seite blickte , fuhr sie beruhigend fort : " Du darfst nicht Angst haben , niemand hört uns . " Sie hatte recht . Die Aufmerksamkeit aller war auf einen Vogelbauer gerichtet , in welchem eine lebendige Lachtaube saß . Annemie hielt denselben höchst angenehm überrascht in der Hand . " Nun könnt ihr um die Wette lachen , " scherzte die Vorsteherin , " denn das Täubchen darfst du behalten und in deinem Zimmer aufhängen . Aber vergiß niemals , Annemie , daß du das Tierchen regelmäßig füttern mußt , hörst du ? " So erhielt eine jede ihre scherzhafte Rüge , nur Rosi nicht . Sie zerbrachen sich den Kopf , um einen Tadel an ihr zu entdecken , aber zu ihrem Bedauern fanden sie keinen . " Ganz ohne Scherz darf sie nicht sein , " erklärte Nellie , ging hin und kaufte ein Bilderbuch , auf dessen Titelblatt in goldenen Buchstaben drei Worte glänzten : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Für artige Kinder ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } . - " Dies paßt sehr für ihr , " sagte sie , und die übrigen Mädchen stimmten ein . Rosi nahm das Buch , lächelte und legte es beiseite . Sie konnte nicht so recht begreifen , was es bedeuten sollte .... Nachdem die Bescherung zu Ende und nachdem auch für die beiden Damen ein Tisch mit allerhand selbstgearbeiteten Sachen ausgebaut war , wurde der Tee eingenommen und kurze Zeit darauf zur Ruhe gegangen . Lilli wurde es schwer , sich von ihren schönen Sachen zu trennen , sie wollte nicht zu Bett gehen , aber der Sandmann kam und streute ihr den Schlaf in die Augen . Schlafend wurde sie entkleidet und in ihr Bett , das in Fräulein Güssows Zimmer stand , getragen . Und nun wurde es still und dunkel im Hause . Der schöne Christabend war zu Ende mit seiner frohen Erwartung , seinem Lichterglanze .... Ob wohl der Baum im nächsten Jahre für alle wieder angezündet wird , die heute unter ihm versammelt waren ? - * * * Nun war alles wieder im alten Geleise ! Der Unterricht hatte begonnen und Miß Lead war wenige Tage nach Neujahr von ihrer überseeischen Reise zurückgekehrt . Sie hatte sechs junge Engländerinnen mitgebracht , die kein Wort Deutsch verstanden und sehr viel Heimweh hatten . Nellie versuchte es , sie zu trösten , aber sie verschlossen sich starr gegen jedes Trosteswort , sie fühlten sich unglücklich im fremden Lande . Sie wollten nicht Deutsch lernen , sie haßten diese Sprache und die Menschen , erklärten sie . Lange Jammerbriefe sandten sie in die Heimat , in denen sie die Angehörigen himmelhoch baten , sie wieder zurückkehren zu lassen . Es war diese Art und Weise nichts Auffallendes und nichts Neues . Fräulein Raimar legte keinen Wert darauf , ähnliche Erfahrungen machte sie stets mit den Engländerinnen . Es war schon vorgekommen , daß diese oder jene sich vornahm , zu verhungern , und Speise und Trank hartnäckig verweigerte . Vor Hunger gestorben war indes noch keine , wenn der Magen zu energisch sein Recht verlangte , entsagten sie dem Hungertode . " Ich mag meine Landsmänner gar nicht sehr ! " bemerkte Nellie eines Tages zu Ilse . " Die Deutsche liebe ich mehr . Ich will nicht zurück in meine Heimat . " " Landsmänner ! " wiederholte Ilse . " Gleich sage einmal , wie es richtig heißt . Neulich habe ich es dir erst gesagt . " " O ja , ich weiß , Landsfrauen heißt es , " verbesserte sich Nellie . " Du bist klassisch ! " lachte Ilse laut . " Landsmänninnen heißt es . Sage einmal nach - so - und nun vergiß dieses Wort nicht wieder , du liebe , englische Deutsche ! Du bist auch ganz anders wie deine Landsmänninnen , lange nicht so steif , so zurückhaltend und so hochmütig wie die ! Sie sehen immer auf uns herab , als ob sie sagen wollten : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Gott sei Dank , daß ich keine Deutsche bin !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } " " O nein ! " wehrte sich Nellie , in der plötzlich der Nationalstolz wach wurde , " so schlimm darfst du nicht sagen ! Es hat den Schein , daß sie hochmütig sind , weil sie dir nicht verstehen , sie macht ein fremdes Gesicht , weiter nix ! " " Sie sind hochmütig , Nellie ! " neckte Ilse . " Entschuldige deine langweiligen Engländerinnen nicht . Eben sagtest du selbst , daß du sie nicht leiden möchtest . " Das gestand Nellie zu . Sie meinte aber , sie selbst könne so sprechen , ein gleiches Urteil aus einem anderen Munde könne und dürfe sie nicht anhören . Sie wolle es auch nicht . " Du bist doch aber ganz wunderlich , Nellie , " lachte Ilse , " Doktor Altoff würde sagen : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Sie haben verdrehte Ansichten , Miß Nellie .{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } " " O nein , " entgegnete Nellie eifrig und leicht errötend , " Doktor Altoff würde mir verstehen . Er weiß , wie es in mein Herz aussieht ! " Das kam Ilse äußerst komisch vor und sie neckte die Freundin damit sehr . " Er hätte viel zu tun , wenn er in alle eure Herzen blicken wollte ! " rief sie lachend , " und wenn er sich wirklich einmal die Mühe gäbe , so würde er euch schön verhöhnen , dich und alle die anderen , die ihr für ihn schwärmt . " - Ilse lernte jetzt mit rechtem Eifer und schon längst war ihr das Arbeiten keine Last mehr . Das Zeichnen machte ihr besondere Freude , und seitdem der Papa so glückselig über die ihm geschenkte Rose geschrieben , strebte sie danach , auch das zu erreichen , was derselbe in seiner blinden Liebe zu ihr schon erreicht sah . Er hielt sie bereits für eine Künstlerin und mit Stolz hatte er ihr geschrieben , daß er die Rose habe einrahmen lassen und daß sie nun über seinem Schreibtisch hänge . Ilse war gar nicht damit einverstanden , sie wußte ja genau , wie der zärtliche Papa jeden Besuch , der zu ihm kam , zu ihrem schwachen Erstlingswerk führen werde . Auch die Mama war hocherfreut über Ilses Weihnachtsgeschenke gewesen . Sie gaben ihr ein glänzendes Zeugnis von deren Fortschritten und der Ausdauer , die der Wildfang bis dahin nicht gekannt hatte . Die größte Freude indes hatte sie an Ilses Dankesbrief gehabt . Es war das erste Mal , daß sie in so herzlich warmer Weise das Wort an sie richtete und Frau Annes Augen füllten sich mit Tränen freudiger Rührung . Sie fühlte jetzt bestimmt , daß die Zukunft ihr Ilses volle Liebe bringen werde . - Die längst ersehnten Tanzstunden hatten bereits seit vierzehn Tagen begonnen und brachten etwas Abwechslung in das gleichmäßige Pensionsleben . Zweimal in der Woche kam von sechs bis acht Uhr abends der Tanzlehrer mit einer Geige und unterrichtete im großen Saale . Nicht alle Zöglinge nahmen Teil daran . Die kleineren Mädchen nicht und auch die Engländerinnen schlossen sich aus , sie verstanden noch zu wenig Deutsch , auch konnten sie vorläufig keinen Geschmack an den einförmigen Pas finden . Melanie konnte das freilich auch nicht und fand bis jetzt die Tanzstunde { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } furchtbar öde ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } . " Es ist ein furchtbar langweiliges Vergnügen , diese Hüpferei , " äußerte sie auf einem Spaziergange zu Flora , " wozu diese Pas - diese Verbeugungen ? Wir können doch alle schon tanzen , und wie wir uns zu verbeugen haben - und grüßen müssen , das wissen wir doch erst recht . Wir sind doch erwachsene Mädchen ! " " Ach ! " seufzte Flora und ein schwärmerischer Blick glitt seitwärts über den spiegelglatten Teich - zu den schlittschuhlaufenden Gymnasiasten hinüber - " ach ! das möchte noch alles gehen . Das Fürchterlichste ist doch , daß wir zwei volle Monate ohne Herren tanzen müssen ! " " Wie furchtbar öde ! " Melanie rief es ordentlich entrüstet . " Man behandelt uns wahrhaftig mit puritanischer Strenge ! Ohne - Herren ! Es ist kaum zu glauben ! " " Ja , mit puritanischer Strenge ! " wiederholte Flora , der dies Wort außerordentlich gefiel . " Ich begreife nicht , warum uns der Verkehr mit den Herren so lange entzogen wird . Man behandelt uns eben wie Kinder ! " Die { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } furchtbar öden ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Monate gingen indessen auch zu Ende und Fräulein Raimar schickte Einladungen aus an junge , wohlerzogene Herren , die das Gymnasium besuchten , und ersuchte sie , die letzten vier Wochen an dem Tanzunterrichte teilzunehmen . Mit welcher Freude diese Einladungen begrüßt wurden , brauche ich nicht zu sagen . Die jungen Leute schätzten es sich zur besonderen Ehre , zu den Tanzabenden in der Pension zugezogen zu werden . Diesmal brannten sie besonders darauf , weil sie behaupteten , daß noch niemals so hübsche Mädchen in dem Institute gewesen seien . Sie kannten dieselben von Ansehen sehr genau , denn , wenn irgend möglich , suchten sie ihnen auf den Spaziergängen zu begegnen . Nun sollten sie mit ihnen tanzen , sich mit ihnen unterhalten dürfen , es war zu famos ! " Ihr werdet heute abend zum ersten Male mit Herren tanzen , Kinder , " kündigte Fräulein Raimar eines Mittwochs bei der Mittagstafel an . Und als sie bemerkte , wie vergnügt die meisten diese frohe Botschaft entgegennahmen , fügte sie hinzu : " Ich hoffe , daß ihr euch nicht zu lebhaft mit den jungen Leuten unterhalten werdet ! Vergeßt nicht , daß dieselben nur des Tanzes , nicht der Unterhaltung wegen da sind ! " Annemie kamen diese Ermahnungen so komisch vor , daß sie zu kichern anfing . Ein strafender Blick traf sie dafür . " Für dich sind meine Worte besonders gesprochen , Annemie , " nahm die Vorsteherin wieder das Wort , " ich fürchte , du wirst dich durch dein albernes Lachen auffallend machen , hüte dich davor . Und dich , Grete , ermahne ich ernstlich , nicht so viel zu schwatzen . Überlege erst , was du sagen willst , damit kein Unsinn herauskommt . " So und in ähnlicher Weise warnte und ermahnte sie ihre jungen Zöglinge , die in ihrer erwartungsvollen Aufregung heute nur mit halbem Ohr hörten , was ihnen so eindringlich vorgestellt wurde . Viel wichtiger erschien ihnen die Frage : " Was werdet ihr heute abend anziehen ? Womit werdet ihr euch schmücken ? " Sie hatten auch kaum das Speisezimmer verlassen , als sie die Treppen hinaufstürmten , um in Orlas und der Schwestern Zimmer eine große Beratung zu halten . Melanie holte einen großen Pappkasten hervor und fing an , Blumen und Bänder herauszukramen . Sie hatte sich vor den Spiegel gestellt und hielt eine Rose in ihr schönes aschblondes Haar . " Wie findet ihr diese Rose ? " fragte sie . " Bitte , seht doch einmal ! Kümmert sich denn kein Mensch um mich ? " rief sie laut und ungeduldig den Durcheinanderschwatzenden zu und stampfte sogar etwas mit dem Fuße auf . " Sie steht dir gut , Melanie , " antwortete Rosi , die eben erst eingetreten war und die letzten Worte hörte , an ihre eigene Toilette dachte sie nicht . " Das dunkle Rot in deinem blonden Haar sieht prächtig aus ! " " Du hast nicht viel Geschmack , liebste Rosi . Nimm mir nicht übel , daß ich es dir frei heraussage , " fertigte Melanie die Ärmste ab . " Orla , bitte , gib du dein Urteil ab . " Die Russin galt als die eleganteste , deren Toilette stets am geschmackvollsten war . Mit Kennermiene musterte sie denn auch Melanie . " Die dunkle Rose ist zu grell , " entschied sie , " für dein Haar paßt eine blaßrote besser . Übrigens , was willst du denn anziehen ? Das ist doch am Ende die Hauptsache und danach mußt du die Blumen wählen . " " Mein blaues Batistkleid , denke ich . " " Dein bestes Kleid ! " rief die vorlaute Grete erstaunt . " Gut , dann ziehe ich mein geblümtes an ! " Gerade wie die Verhandlungen am lautesten waren , öffnete sich die Tür und Fräulein Güssow trat ein . " Fräulein Raimar läßt euch sagen , ihr möchtet heute abend eure Sonntagskleider tragen , " verkündete sie . " O ! ... " Langgedehnt und unzufrieden kam es über Melanies Lippen . " O , Fräulein Güssow , die alten , dunklen Kleider ! Die hellen sind so viel besser ! " Aber es blieb bei den Wollkleidern . Gegen das Machtgebot der Vorsteherin galt kein Widerstreben . Bevor sie in den Tanzsaal hinuntergingen , fanden sich die Mädchen noch einmal bei Orla ein . Diese hielt erst eine allgemeine Musterung über die Toiletten , besserte hier und dort und verstand es , durch eine Kleinigkeit dem einfachsten Anzuge einen netten Anstrich zu geben . Melanie hatte sich nach besten Kräften elegant herausgeputzt . Ein weißes Spitzenfichu schmiegte sich in weichen Falten um ihren Hals , und eine blaßrote Rose , seitwärts an demselben befestigt , kleidete sie ganz allerliebst . Sie war tadellos und sah trotz des einfachen braunen Kleides sehr geputzt aus . An Gretes ungeschickter Figur war nicht viel zu ändern . Lange Arme , große Füße , schlechte Haltung und dicke Taille , das waren Dinge , die leider nicht zu verbergen waren , auch trugen die ungraziösen Bewegungen durchaus nicht zur Verschönerung bei . " Für dich ist die dunkle Tracht ganz vorteilhaft , " meinte Orla , indem sie eine dicke Korallenkette aus ihrem Schmuckkasten nahm und sie dem darüber hocherfreuten Gretchen um den Hals schlang . " So , die will ich dir leihen , damit du nicht zu einfach aussiehst . " Flora unterwarf sich keiner Musterung , sie fand es unnütz , da ihr Geschmack weit eigenartiger sei als Orlas . Sie hatte mit endloser Mühe eine griechische Haartour zurechtgebracht . Im Nacken trug sie ihr Haar im Knoten , mit einigen herausfallenden Locken , vorn hatte sie dasselbe mit einem schwarzen Sammetbande , das mit weißen Perlen benäht war , dreimal abgebunden . In die Stirn fielen gekräuselte Fransen . Sie fand sich entzückend , diese Haartour söhnte sie sogar mit dem grünen Wollkleide aus , in dem sie lang und schlank wie eine wirkliche Hopfenstange aussah . Rosi hatte sich nicht besonders geschmückt . Ihr schwarzes Kaschmirkleid war unverändert geblieben . Eine weiße Spitze am Halsausschnitt , zusammengehalten von einer Spitzenschleife , die einen silbernen Pfeil trug . So ging sie Sonntags gekleidet und Fräulein Raimars Vorschrift lautete , daß sie sich heute sonntäglich kleiden sollten . " O Gott , wie hausbacken siehst du aus , Rosi ! Als ob du in die Kirche gehen wolltest , so ernst und feierlich ! " rief Orla . " Hast du denn nicht ein farbiges Band anstatt der weißen Schleife ? " Sie hatte keins und jetzt half Melanie aus . Bereitwillig lieh sie Rosi eine ganz neue rosa Atlasschleife und freute sich herzlich , wie furchtbar nett sie derselben stand . " Betrachte dich nur einmal , " sagte sie und hielt ihr den Handspiegel vor die Augen . " Nun , was meinst du dazu ? Nicht wahr , jetzt siehst du nicht mehr aus wie { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Gottesfurcht vom Lande ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } ! " " Die Schleife gefällt mir wohl gut , " meinte Rosi , " aber es ist mir ein peinliches Gefühl , geliehene Sachen zu tragen . " "_O sancta simplicitas ! _ " rief die geniale Flora . " Kind , du gehst in deiner Pedanterie wirklich zu weit ! Unter Freundinnen herrscht Gleichheit , da kann von geliehenen Sachen keine Rede sein ! " Und um dies Wort gleichsam zur Tat zu machen , griff sie in Melanies offenstehenden Blumenkasten , nahm eine feuerfarbene Nelke heraus und befestigte dieselbe an ihrem Gürtel . " Du erlaubst doch , Melanie ? " fragte sie so nebenhin , " die rote Farbe steht mir wirklich brillant ! " und mit einem wohlgefälligen Blick betrachtete sie sich in dem Spiegel . " Nellie und Ilse , wo bleiben sie nur ? " fragte Orla . Eben traten sie ein . Beide waren geschmackvoll gekleidet . Nellie im schottischen Kleide , am Hals und den Ärmeln mit echten Spitzen garniert , sah graziös und vorteilhaft aus , ebenfalls Ilse , die über ihr blaues Kleid einen breiten Spitzenkragen gelegt hatte . Darüber trug sie die Korallenkette , mit welcher auch Nellie sich geschmückt hatte . " Schnell noch diese Margueriten in dein Haar ! " rief Melanie und machte Miene , dieselbe Ilse in ihren Locken zu befestigen . Aber die wehrte es ab . " Gehe mit deinen Blumen ! " entgegnete sie abwehrend , " ich mag die toten , nachgemachten Dinger nicht leiden ! " " Wie du willst , " sagte Melanie etwas schnippisch und warf die verschmähten Gänseblümchen wieder in den Kasten . Die Mädchen verließen das Zimmer und stiegen die Treppe hinunter . " Orla ist doch die eleganteste von uns , " bemerkte Melanie nicht ohne einen Anflug von Neid zu Nellie , und musterte die vor ihr Gehende , die allerdings in der blauen Samttaille und einem gleichfarbig seidenen Rocke höchst vornehm erschien . " Freilich in Samt und Seide kleiden mich meine Eltern nicht , so reich sind wir nicht . " " Tut nix ! " erwiderte Nellie , " man muß mit weniges auch zufrieden sein ! " " Bitte , bitte - wartet einen Augenblick ! " rief es plötzlich hinter ihnen . Annemie war es , die in voller Eile allen nachgelaufen kam . " Ich bin noch nicht ganz fertig , " fuhr sie atemlos fort , " ich kann aber nichts dafür ! Als ich mein Kleid überzog , riß ein Band irgendwo , - nun hängt der eine Zipfel vom Überwurfe bis auf die Erde . Bitte , seht einmal nach ! " Alle waren stehen geblieben und betrachteten Annemie . Nellie , praktisch wie immer , untersuchte gleich , wo der Schaden saß . " Komme her , " sagte sie , " ich werde dir ausbessern . Aber ein Nadel und Faden muß ich haben , dann nähe ich dir gleich mit weniger Stich in Ordnung . " " Sei nicht umständlich , " meinte Flora . " Hier hast du eine Stecknadel , damit wirst du es ebenso gut machen können . Wie manchmal habe ich mir schon ein Band oder einen kleinen Riß schnell mit der Nadel gesteckt . " Aber davon wollte die Engländerin nichts wissen . Sie nahm Annemie mit in ihr Zimmer und nähte die wenigen Stiche . " Bitte , liebe , gute Nellie , mir ist hier am Ärmel ein Endchen Spitze abgerissen , willst du mir nicht die gleich annähen ? Du bist auch ein Engel ! " Nellie brachte auch diesen Schaden in Ordnung , und als sie fertig war , zupfte sie an Annemie hier und dort zurecht , nichts saß an der kleinen , runden Lachtaube , wie es sitzen mußte . Die Handschuhe waren nicht zugeknöpft , die Halskrause saß schief und an dem halbhohen Lackschuh fehlte ein Knöpfchen . " Du bist aber ein sehr unordentlich Mädchen , liebes Lachtaube , " schalt Nellie , " aber ich kann dich nicht helfen , du mußt mit deiner abgerissener Knopf gehen . Es schlägt sechs , wir müssen pünktlich erscheinen . " Die übrigen Mädchen hatten an der Treppe gewartet , jetzt gingen alle zusammen hinunter und an der Tür des Saales blieben sie stehen , sie hatten mit einem Male keinen Mut , hineinzugehen . " Ich höre sprechen , " sagte Orla gedämpft , " ich glaube , die Herren sind schon da . " Sie legte das Ohr an die Tür und horchte . " Wirklich , sie sind da ! " bestätigte sie . " Lasse ' mich durchs Schlüsselloch sehen , Orla , " bat die neugierige Flora und schob die erstere leicht beiseite . Sie beugte den Kopf , als sie das Auge an die Tür legen wollte , packte Grete der Übermut , so daß sie Flora einen Stoß gab und diese mit dem Haupte gegen die Tür flog . Das war ein Schreck ! Wie der Wind flogen alle bis an das andere Ende des Vorsaals , - wenn Fräulein Raimar das Geräusch gehört hätte ! " Dann sind wir einfach furchtbar blamiert , " erklärte Melanie und schalt Grete albern und ungezogen . " Du bist ein Tollpatsch , Grete , im höchsten Grade ungebildet ! " sagte Flora entrüstet , und Annemie lachte , daß ihr die hellen Tränen über die Wangen liefen . " Sei mir nicht böse , daß ich dich auslache , Flora , " sagte diese , " aber ich kann nicht anders . Du sahst zu komisch aus und machtest ein so entsetztes Gesicht , als du mit deinem griechisch frisierten Kopf gegen die Tür flogst . " Fräulein Raimar hatte wirklich ein Klopfen an der Tür vernommen , sie öffnete dieselbe , und als sie die Mädchen stehen sah , rief sie ihnen zu , sich zu beeilen . Das war ein kritischer Moment . Unbemerkt stießen sie sich untereinander an und stritten sich leise , wer die erste sein solle . " Du mußt vorangehen , Orla , du bist die älteste , " flüsterte Ilse . " Ich bin die jüngste , ich komme zuletzt ! " rief Grete , die sonst immer mit ihrem Munde die erste war . " Laß mich die letzte sein , Grete , " bat Annemie , " ich habe mich noch nicht ausgelacht . " Rosi war die verständige , wie immer . " Komme , Orla , " sagte sie , " wir dürfen Fräulein Raimar nicht warten lassen . Wir benehmen uns überhaupt höchst kindisch , finde ich . An allem ist Gretes Albernheit schuld . " Das gute Beispiel der beiden ältesten wirkte wohltuend auf die übrigen . Sie nahmen sich zusammen und gingen ruhig und ernst in den Saal . " Meine Damen , erlauben Sie , daß ich Ihnen die Herren vorstelle , " mit diesen Worten empfing sie der Tanzlehrer . Es folgten Verbeugungen von beiden Seiten . Flora schwamm in Seligkeit , sie hatte unter den Herren einen Primaner erkannt , für den sie bereits längst im Geheimen schwärmte . Erst kürzlich hatte sie ihn als Apoll in Jamben besungen . Fräulein Güssow stand neben der Vorsteherin und hatte ihre Freude an den jungen Mädchenblüten . An Ilse hing ihr Auge am zärtlichsten . Wie reizend hatte sich ihr Liebling entfaltet ! Körperlich und seelisch . Wie viel gleichmäßiger war das stürmische Kind geworden . Wo war der böse Trotz geblieben ? Sie verglich Ilse mit den übrigen und fand , daß sie nicht allein die hübscheste , sondern auch weit natürlicher und unbefangener war , als die meisten anderen . Keine Spur von Koketterie äußerte sich in ihrem Wesen , frei und fröhlich blickte sie mit den großen Kinderaugen in die Welt und schien die glückliche Frage auszusprechen : " Liebe Welt , bist du immer so schön ? " Melanies Züge waren regelmäßiger , aber längst nicht so unbewußt lieblich , man merkte dem hübschen Mädchen an , daß sie schon gar zu oft den Spiegel um seine Meinung befragte . Flora und Melanie standen beisammen und machten ihre Bemerkungen über die Herren , zu denen sie verstohlen hinüber schielten . Natürlich gaben sie sich den Schein , als ob sie sich gar nicht um dieselben kümmerten . Orla war aufrichtiger . Sie hatte den Klemmer auf die Nase gesetzt und betrachtete die Jünglinge ganz ungeniert . Später erhielt sie einen Tadel deswegen von der Vorsteherin . Grete und Annemie hatten sich in eine Fensternische gesetzt und kicherten und schwatzten das dümmste Zeug . Sogar Nellie war nicht ganz frei von einer harmlosen Gefallsucht . Sie hatte sich so zu setzen gewußt , daß ihr kleiner , schmaler Fuß im Goldkäferstiefel wie absichtslos unter ihrem Kleide hervorsah . Rosi war natürlich weder kokett , noch empfand sie die geringste Erregung . Ruhig und freundlich , wie immer , saß sie da , und so tadellos gerade hielt sie sich , daß sie auch in der Tanzstunde das Musterkind für die anderen war . " Anfangen ! " rief der Tanzlehrer und klatschte in die Hände . Und das Orchester , das aus einem Klavier und einer Geige bestand , begann . Wie herrlich klang die Musik den jungen , unverwöhnten Ohren , wie " furchtbar entzückend " fanden sie die Walzerklänge . - " Bitte die Herren , sich zu engagieren ! " kommandierte der Tanzlehrer , und wie von einem Zauberstabe berührt stürzten die tanzlustigen Jünglinge auf die Dame zu , die sich ein jeder bereits still und verschwiegen als Ziel seiner Wünsche ausgesucht hatte . Vor der blendenden Melanie verbeugten sich zugleich drei Herren . Welch ein Triumph für ihr eitles Herz ! - Leider konnte sie nicht mit allen drei auf einmal tanzen und mußte sich mit der Genugtuung begnügen , daß alle Anwesende doch sicher diese Auszeichnung bemerkt hatten . - Alle wohl nicht , aber Flora und Grete hatten sie bemerkt und mußten die schmerzliche Erfahrung machen , daß die Verschmähten zu ihnen kamen , um sie zu erlösen . Sie waren von all den jungen Damen die allein Übriggebliebenen . Flora fühlte sich besonders tief gekränkt und mit neidischen Blicken folgte sie Ilse , die eben mit " Apoll " an ihr vorüberwalzte . Recht lebhaft war die Unterhaltung am ersten Herrenabend nicht . Die Gegenwart der Vorsteherin , ihre beobachtenden Blicke legten einigen Zwang auf . Nellie , die sich sehr zusammennahm , um ja keinen Sprachfehler zu machen , war ganz besonders schweigsam , und einige Male , als sie angeredet wurde und sich recht gewählt ausdrücken wollte , brachte sie die drolligsten Dinge zum Vorschein . Ein junger Mann erzählte ihr , daß er in einigen Jahren , wenn er ausstudiert habe , nach England gehen werde . " Werden Sie dort verständig ( beständig , meinte sie ) sein ? " fragte sie . - Ein anderer fragte , ob sie gern in Deutschland Weile . " O ja , ich bin ganz verliebt in der Deutsche ! " gab sie freudig zur Antwort . Aber Nellie konnte nie mißverstanden werden . Ihre kindliche Naivetät nahm sofort alle Herzen für sie ein . Die jungen Herren waren denn auch sämtlich entzückt von der jungen Engländerin , und da sie obenein sehr gut tanzte , wurde sie bald zum allgemeinen Liebling erkoren . Grete wurde ihre schweigsame Zurückhaltung äußerst sauer , verschiedene Male fiel sie aus der Rolle . Einmal ertappte sie Orla , die gerade hinter ihr stand , auf einer argen Indiskretion . " Wie heißt die junge Dame mit den Locken ? " wurde sie von ihrem Tanzherrn gefragt . " Das ist Ilse Macket , " gab Grete schnell zur Antwort . Und nun fing sie an , ausführlich über dieselbe zu berichten . " Sie ist erst seit Juli hier , " fuhr sie fort und der Mund ging ihr wie eine Plappermühle , " ihr Vater brachte sie hierher . Sie ist nämlich weit her , aus Pommern , und , denken Sie sich , sie hatte ihren Hund mitgebracht und wollte ihn durchaus mit in die Pension nehmen ! Natürlich Fräulein Raimar erlaubte es ihr nicht . Ach , und ungeschickt war sie ! Kein Mensch kann sich davon einen Begriff machen . Einmal hat sie einen ganzen Stoß Teller - " " Grete , " unterbrach Orla ihren Redefluß , " du verlierst eine Nadel . Tritt einen Augenblick mit mir zur Seite , damit ich sie wieder befestige . " " Wie ungezogen , wie abscheulich von dir ! " schalt Orla , indem sie sich scheinbar an Gretes Kragen zu schassen machte . " Warum blamierst du Ilse so ? - Du siehst den Herrn heute zum ersten Male und machst ihn sofort zum Mitwisser unserer Pensionsgeheimnisse ! Möchtest du denn , daß die arme Ilse verspottet würde ? " Grete erschrak . Daran hatte sie gar nicht gedacht ! Die Schwatzhaftigkeit war wieder einmal mit ihr durchgegangen und hatte ihr einen bösen Streiche gespielt . Höchst betrübt und niedergeschlagen trat sie wieder in die Reihe der Tanzenden . Sie faßte auch den festen Entschluß , in Zukunft vorsichtiger zu sein , aber wie lange ! Es ist so schwer , eine lebhafte Zunge zu zügeln ! Doch es liegt nicht in meiner Absicht , die Tanzstundenereignisse genau und ausführlich zu schildern . Ich nehme an , meine Backfischchen , denen ich meine Erzählung widme , haben die Leiden und Freuden derselben aus eigener Erfahrung bereits kennen gelernt . Es ist immer dasselbe . Harmlose Koketterien , kleine Eifersüchteleien , ein wenig Neid , schwärmerische Verehrung , etwas Courschneiderei , zuweilen auch Klatscherei - u. s. w. Dazu noch die kleinen Aufmerksamkeiten , die hinter den Kulissen spielen , z. B. Fensterparaden , duftige Blumenspenden , manchmal sogar eine gemeinsame Schlittschuhpartie auf dem Eise . Die letztgenannten Aufmerksamkeiten waren natürlich vollständig ausgeschlossen in der Pension . Fräulein Raimar würde dieselben nicht geduldet haben . Streng hielt sie darauf , daß außer den Tanzstunden nicht die geringste Annäherung mit den Herren stattfand . In diesem Punkte kannte sie keine Nachsicht . Schon in höchstem Grade unangenehm war es ihr , daß die jungen Leute sich herausnahmen , ihre täglichen Spaziergänge mit den Zöglingen zu durchkreuzen und grüßend an ihnen vorüberzuschreiten . Es war ihr geradezu unbegreiflich , wie sie es herausbrachten , welchen Weg sie wählte . Denn wenn sie ihre junge Schar heute durch den Park - morgen in dieses Tal - übermorgen über jenen Berg führte , immer konnte sie überzeugt sein , die roten Primanermützen auftauchen zu sehen - sie konnte ihnen nicht entgehen . Die Lösung dieses Rätsels war einfach genug , der Verrat wurde durch die Tagesschülerinnen ausgeführt . Sie waren die Vermittlerinnen zwischen ihren Brüdern , Vettern oder Bekannten und den Pensionärinnen . Sie schmuggelten Grüße , Gedichte , sogar Photographien ein und Flora benutzte diesen Weg , ihr Album den Herren zuzusenden mit der Bitte , ein selbstverfaßtes Gedicht hineinzuschreiben . Eines Tages , es war so ziemlich gegen den Schluß der Tanzstunden , erhielt Nellie nach dem Schulunterricht ein kleines Billet zugesteckt . Sie ging auf ihr Zimmer , wo Ilse anwesend war , und öffnete dasselbe . " Wie albern ! " rief sie hocherrötend aus , als sie die wenigen Zeilen gelesen hatte . " Wie kann der einfältige Mensch sich so dreist gegen mir benehmen ! Ich habe ihm nie Ursache zu so große Dreistigkeit gegeben ! " Und sie zerriß die Zeilen . Ehe noch Ilse ihre Meinung aussprechen konnte , kam Melanie hereingestürzt , strahlend vor Eitelkeit und Freude . " Kinder ! " rief sie mit ihrer lispelnden Stimme , " ich muß euch etwas mitteilen ! Aber verratet mich nicht ! Schwört , daß ihr niemand etwas sagen werdet ! Du auch , Grete , " wandte sie sich an die eintretende Schwester . Natürlich wartete sie in ihrer Erregung den Schwor gar nicht ab , sondern geheimnisvoll die Tür verriegelnd zog sie ein kleines Briefchen aus ihrer Kleidertasche und begann vorzulesen . " Mein gnädiges Fräulein ! Sie würden mich zu dem glücklichsten aller Sterblichen machen , wenn Sie mir Ihre Photographie verehrten ! - Meine Bitte ist kühn , ich weiß es , aber Sie werden mir diese Kühnheit großmütig verzeihen , wenn ich Ihnen gestehe , daß es mein glühendster Wunsch ist , Ihre wunderbar klassischen Züge täglich , stündlich sehen und anbeten zu können . Darf ich auf Ihre Gnade hoffen ? _ Georg Breitner _ . " Nellie hatte die Papierstückchen von der Erde aufgenommen und dieselben so ziemlich wieder zusammengesetzt auf ihrer Kommode . Nun las sie die Zeilen vor . Sie waren von demselben Verfasser und enthielten die gleiche Bitte , nur waren die Worte ein wenig anders gesetzt , auch nannte er Nellies Züge { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } liebreizend ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } anstatt { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } klassisch ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } . Sie wurde doch etwas herabgestimmt bei dieser Entdeckung , die siegesstrahlende Melanie ! Einen Augenblick schwieg sie und sah Nellie an . " Was tun wir , Nellie ? " fragte sie dann , " wir können doch Herrn Breitner die Bitte nicht abschlagen ! " " Du darfst dein Bild nicht geben ! " platzte Grete , die nebenbei etwas Neid gegen die weit hübschere Schwester empfand , heraus . " Auf keinen Fall , oder ich schreibe es dem Papa ! " " Dich habe ich nicht um deine Meinung gefragt ! " gab Melanie kurz zur Antwort . " Nellie , was sagst du ? " " Aber , Melanie ! " rief Ilse ganz erregt , " wie kannst du nur einen Augenblick im Zweifel sein ! Du wirst doch wahrhaftig dein Bild nicht an einen Herrn verschenken , der dir eigentlich ganz fremd und noch kein ordentlicher Herr ist ! Er will dich zum Narren halten , weiter nichts ! " " Du schwatzest geradezu Unsinn , liebe Einfalt vom Lande ! " entgegnete Melanie gereizt . " Was verstehst du denn unter { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } ordentliche Herren ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } ? " " Solche , die nicht mehr in die Schule gehen und auf Schulbänken sitzen ! " erklärte Ilse . " Herr Georg Breitner wird dein Bild mit in die Klasse nehmen und die { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Herren{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Schüler werden es bewundern . Dann bist du furchtbar blamiert ! " " Nellie , du bist ja so still ! " wandte sich Melanie etwas kleinlauter als vorhin an diese , " sage doch , was wir tun sollen ! " " O gar nix ! " entgegnete dieselbe trocken , " wir werden tun , als ob wir der dumm Brief nicht bekommen haben . " " Und wenn er fragt ? Was sagen wir dann , Nellie ? " " O , auch nix . Wir zucken mit die Schulter und schweigen . Das nennt man in Deutsch : Mit Nichtachtung strafen ! " Einverstanden war Melanie durchaus nicht mit dieser Entscheidung , sie hätte so gern ihr " klassisches Konterfei " vergeben , trotzdem mußte sie sich der Notwendigkeit fügen . Warum mußte er auch noch um Nellies { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }liebreizendes Bild ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } bitten ? " Ihr habt furchtbar öde Ansichten ! " sagte sie spottend und verließ das Zimmer . * * * Die Tanzstunde nahte ihrem Ende . " Leider ! " seufzten die jungen Leute . Fräulein Raimar indes atmete auf , denn wenn sie auch der Jugend gern fröhliche Stunden bereitete , so sehnte sie doch wieder Ruhe und Gleichmäßigkeit zurück , weil sie die Erfahrung gemacht hatte , daß durch die Zerstreuung stets der rechte Ernst zum Lernen etwas abhanden kam . Den Schluß und Glanzpunkt bildete alljährlich ein kleiner Ball , und morgen , am Sonnabend , sollte derselbe stattfinden . Die Benennung " Ball " klingt eigentlich zu hoch für das kleine Fest . Es wurden noch einige Gäste geladen , das Orchester schwang sich zu einer zweiten Geige auf , dem Tee nebst belegten Butterbroten folgte eine leichte Bowle mit Pfannkuchen , und die jungen Mädchen zogen ihre besten Kleider an . Das war alles ! Aber der große Saal erhielt ein festliches Ansehen , dafür trug stets Fräulein Raimar Sorge . Sie liebte es , den Schönheitssinn ihrer jungen Zöglinge zu wecken , damit dieselben späterhin imstande seien , mit wenigen Mitteln auch dem einfachsten Feste ein künstlerisches Ansehen zu geben . Soeben stand sie neben dem Gärtner und ordnete an , wie er die Tannen , die er am Morgen aus dem Walde geholt , mit blühenden Topfgewächsen zu lauschigen Ecken und Plätzen gruppieren solle . Als das geschehen war , mußte er Konsolen von rotem Tone zwischen verschiedenen Wandleuchtern befestigen , - üppige Schlingpflanzen wurden darauf gestellt und fielen anmutig herab . Auch der altmodische Kronleuchter , geformt wie eine bronzene Schale mit Lichterarmen , erhielt seinen grünen Schmuck . Es wurde eine Schlingpflanze in die Schale gestellt , so daß die grünen Ranken zwischen den Armen herabfielen . Am Abend , wenn die Kerzen brannten , machte dieser einfache Schmuck einen reizend malerischen Eindruck . Als alles fertig war , übersah die Vorsteherin noch einmal den Saal , und recht befriedigt verließ sie denselben . Die jungen Mädchen waren natürlich in großer Aufregung . Es war der erste Ball , der ihnen bevorstand , und dieses wichtige Ereignis nahm all ihre Gedanken in Anspruch . Einige betrachteten wieder und wieder die duftigen Kleider , andere versuchten besondere Haartrachten , so Flora , die eine Passion dafür hatte , wieder andere probierten die Kleider an , der Sicherheit wegen , wie Nellie meinte , die soeben mit Ilse die Weihnachtskleider von der Schneiderin erhalten hatte . Gerade als beide angekleidet dastanden , kam Lilli hereingejubelt . " Ich gehe mit auf euren Ball ! " rief sie , " das Fräulein hat es mir erlaubt . Und mein neues , weißes Kleiderle zieh ich an und die rote Atlasschärpe bind ich um , - und ich darf halte mittanzen ! Ich freue mich halte zu sehr auf morgen ! " Und sie faßte mit beiden Händchen an ihre Schürze und tanzte zierlich und graziös durch das Zimmer . Es war schon ziemlich dunkel , und die Kleine hatte nicht bemerkt , wie geputzt Nellie und Ilse waren . Als die erstere Licht anzündete , blieb sie plötzlich überrascht stehen und sah erstaunt von einer zur anderen . " Wie schön schaut ihr aus ! " rief sie bewundernd und mit gefalteten Händen , und fast andächtig sah sie die beiden Mädchen an . " Weißt , Ilse , " fuhr sie lebhaft fort , " du schaust aus gerade wie des Kaisers Tochter ! Ich führe dich morgen in den Saal - bitte schön ! " Ilse nahm ihren Liebling zärtlich in den Arm und küßte ihn herzhaft auf den Mund . " Du bist ja so heiß , Lilli , " sagte sie und befühlte Stirn und Wange des Kindes . " Fehlt dir etwas ? " " Der Kopf tut mir halte a bissel weh , " entgegnete Lilli , " aber gar nicht viel , - gewiß nicht , " beteuerte sie , als Ilse sie besorgt ansah . " Morgen tut er nicht mehr weh , - morgen gehe ich ganz gewiß auf den Ball ! Du gehst auch mit , " sagte sie zu ihrer Puppe , die nach ihrer Geberin , Ilse , getauft war . " Aber artig mußt halte sein , sonst wirst in dein Bett gesteckt ! " - " Doch mit des Geschickes Mächten Ist kein ewiger Bund zu flechten Und das Unglück schreitet schnell . " Acht Tage später schrieb Flora diese inhaltschweren Worte in ihr Tagebuch . - Am anderen Morgen lag Lilli heftig fiebernd in ihrem Bette . Der herbeigerufene Arzt machte ein ernstes Gesicht . " Sie hat starkes Fieber , " sagte er und verordnete Eisumschläge auf den Kopf , die jede halbe Stunde gewechselt werden mußten . Das lebhafte Kind lag still und teilnahmlos da . Fräulein Güssow saß recht sorgenvoll an Lillis Bett , die eben etwas eingeschlummert war . Die Vorsteherin beruhigte sie und meinte , daß Lillis ganze Krankheit ein heftiges Schnupfenfieber sein werde , sie habe bei Kindern oftmals ähnliche Fälle erlebt . Die junge Lehrerin schüttelte ungläubig den Kopf . " Wenn nur der Ball heute abend nicht wäre ! " sprach sie seufzend . " Der Lärm im Hause und das kranke Kind - es will mir nicht in den Kopf ! - Wenn wir ihn hinausschöben , Fräulein ? " " Sie sehen zu schwarz , liebe Freundin , " entgegnete die Vorsteherin . " Der Lärm wird Lilli nicht stören , wie sollte er aus dem Vorderhause bis hierher in Ihr stilles Zimmer dringen ? Bedenken Sie , wie sehr sich die Kinder auf den heutigen Abend gefreut haben ; wie grausam wäre es , wollten wir ihre Freude zerstören ! Noch sehe ich keine Gefahr und wir können unbesorgt den Ball stattfinden lassen . " " Ball ! " wiederholte Lilli , die erwacht war und das Wort gehört hatte ; " ich will tanzen ! Zieh mich an , Fräulein ! Bitte schön , laß mich tanzen ! " Fräulein Güssow warf der Vorsteherin einen verständnisvollen Blick zu , jetzt mußte dieselbe sich doch überzeugen , wie krank die Kleine war , - sie phantasierte . Aber Fräulein Raimar war nicht überzeugt und auch nicht erschrocken . Sie trat zu Lilli an das Bett und ergriff deren Hand . " Es ist ja noch heller Tag , Lilli , " sagte sie freundlich ; " siehst du nicht , wie die Sonne scheint ? Heute abend sollst du tanzen , jetzt ist es noch viel zu früh . Lege dich nieder und schlafe noch etwas ; wenn du aufwachst , bist du gesund und ziehst dein gesticktes Kleid an . " " Die liebe Sonne scheint , " wiederholte das Kind , wie aus einem Traume erwachend , und sah mit müden Augen zum Fenster hinaus . Dann legte sie die Hand gegen die Stirn und sagte leise : " Ach Gotterl , Fräulein , mir tut der Kopf halte so weh ! " " Das wird sich geben , mein Herz . Nimm nur recht artig deine Medizin ein . " Sie küßte Lilli und versicherte der sehr geängstigten Lehrerin , das Phantasieren der kleinen Kranken habe nichts zu bedeuten , bei lebhaften Kindern stelle sich dasselbe bei einem harmlosen Schnupfenfieber ein . Und mit diesem aufrichtig gemeinten Troste verließ sie das Zimmer . Es schien , als habe sie wahr gesprochen . Gegen Mittag schlief Lilli ein . Das Fieber hatte etwas nachgelassen und Fräulein Güssow atmete erleichtert auf . Als Ilse kam und teilnehmend mit trauriger Miene nach Lillis Befinden fragte , winkte sie derselben freudig zu und flüsterte : " Sie schläft , - es scheint eine Besserung eingetreten zu sein . " Ilse teilte sofort diese gute Nachricht den Freundinnen , die schon in ängstlicher Sorge um den kleinen Liebling waren , mit , und brachte sie alle wieder in fröhliche Stimmung . Nur Flora blieb bei ihren düsteren Prophezeiungen . " Meine ahnungsvolle Stimme täuscht mich nicht , ich fühle es , der Tod wird diese zarte Knospe brechen , " sagte sie in tragischem Tone und probierte dabei ihre neuen Ballschuhe an , streckte den Fuß weit von sich und bewunderte mit sehr befriedigter Miene die zierliche , elegante Form des Schuhes . Es war ihr wenig ernst mit ihren düstern Ahnungen ! Lillis Besserung war leider nur trügerisch gewesen . Während die jungen Mädchen heiter und glücklich Toilette zum fröhlichen Feste machten , lag sie im heftigsten Fieber . Fräulein Güssow wich nicht von ihrem Bette und erklärte mit aller Bestimmtheit , daß sie diesen Platz nicht verlassen werde . Auf Fräulein Raimars Wunsch wurde die Verschlimmerung der Krankheit vorläufig geheim gehalten ; sie mochte keinen Mißklang in die unbefangene Freude ihrer Zöglinge bringen , mußte sie sich doch bei ruhiger Überzeugung sagen , daß nichts damit gebessert werde . - So blieb denn die junge Lehrerin allein im Krankenzimmer . Sie hörte das unruhige Getappel im Vorderhause ; dann und wann schlug wohl ein fröhliches Lachen an ihr Ohr - und endlich vernahm sie die gedämpften Töne der Polonaise . " Ilse , komme ! " rief Lilli plötzlich und Fräulein Güssow fuhr erschreckt zusammen . " Ilse , bitte , bitte schön , komme ! Ich führe dich in den Saal , komme ! " - Hoch hatte sie sich im Bett aufgestellt und machte alle Anstrengungen , aus demselben zu springen . Fräulein Güssow legte den Arm um das fiebernde Kind und versuchte es niederzulegen , aber Lilli stieß sie von sich . " Gehe fort ! " rief sie ; " du bist nicht des Kaisers Tochter , du hast kein schönes Kleiderle an ! - Ilse ! Ilse komme ! " Angstvoll und gellendes stieß sie ihre Worte heraus und mit starren Augen blickte sie ihre Pflegerin an . " Wenn du ruhig bist , wird Ilse kommen , " sagte dieselbe mit zitternder Stimme , die Angst schnürte ihr fast die Kehle zu . " Sei ruhig , mein Liebling , willst du ? Lege dich nieder - ganz still - so . " Und sie betete mit sanfter Gewalt die immer noch aufrechtstehende Lilli in die Kissen . " Ganz still , " wiederholte das Kind mechanisch ; " Ilse komme , - ganz still ! " Fräulein Güssow zog an der Klingelschnur , und nach einiger Zeit ängstlichen Harrens erschien die Köchin . Sie war die einzige , welche die Glocke vernommen hatte , die beiden anderen Dienstboten waren im Vorderhause beschäftigt . " Rufe sofort Fräulein Ilse , " gebot sie mit halblauter Stimme , " und dann hole den Arzt . Das Kind ist sehr krank . Aber still und ohne Aufsehen , Bärbchen , niemand darf es wissen . " " Aber wenn mich Fräulein Raimar fragen sollte , " wandte die etwas schwerfällige Köchin ein , " dann muß ich es ihr sagen , nicht ? " " Sie wird dich nicht fragen , wenn du deine Sache klug machst . Eile dich nur , ich bitte dich ! " Der Zufall kam Bärbchen zu Hilfe . Gerade als sie sich dem Saale näherte , traten Ilse und Nellie lachend und plaudernd , mit ganz erhitzten Wangen , Arm in Arm , aus der Tür desselben . Geheimnisvoll winkte ihnen die Köchin zu . " Fräulein Elschen , " sagte sie , " Sie möchten gleich zu Fräulein Güssow kommen ! " " Es ist doch nichts passiert , Bärbchen ? " fragten beide Mädchen fast zugleich . " O nein , passiert gerade nichts , aber das Kind ist kränker geworden , ich soll gleich den Doktor holen . Es soll aber niemand etwas wissen . Sie brauchen keine Angst zu haben , Fräuleinchens , " beruhigte sie , als sie die erschrockenen Gesichter vor sich sah , " so schnell geht das nicht mit so kleinen Kindern . Krank - tot - gesund - man weiß nicht , woher es kommt ! Aber nun will ich laufen ! " Und wie der Wind war sie die Treppe hinunter und zum Hause hinaus . " Ich gehe mit dich , " sagte Nellie , aber Ilse wehrte ihr ab . " Du mußt in den Saal zurückkehren , Nellie , " erklärte Ilse entschieden , " es würde Aufsehen erregen , wenn wir beide fehlten . Ich gehe allein und bringe dir bald Bescheid . " Traurig sah Nellie der Freundin nach , dann kehrte sie zurück in den hellerleuchteten Saal . Schwer legte es sich auf ihr Herz , als sie ringsum nur glückliche , fröhliche Menschen sah - unwillkürlich füllte sich ihr Auge mit Tränen . Aber ihr betrübtes Gesicht durfte niemand sehen , sie trat deshalb unbeachtet hinter eine Tannengruppe . Einer indes hatte sie doch beachtet und das war Doktor Altoff . Als er sie mit so ernstem Gesicht eintreten und gleich darauf verschwinden sah , näherte er sich ihr langsam . " Weshalb suchen Sie die Einsamkeit , Miß Nellie ? " fragte er herzlich . " Haben Sie Kummer ? " " O Herr Doktor , ich ängstige mir so um das Kind ! Bärbchen hat Ilse gerufen und holt jetzt der Arzt ! " Und Nellies sonst so fröhliche Augen blickten in Angst und Trauer den jungen Mann an . Doktor Altoff hatte sie nie so lieblich gesehen als in diesem Augenblicke . Die schelmische , lustige Nellie in dem duftigen , hellblauen Kleide , den Kranz von Tausendschön im goldblonden Haar , hatte ihn schon den ganzen Abend erfreut , die trauernde Nellie , die ein so warmes Mitgefühl verriet , entzückte ihn geradezu . " Beruhigen Sie sich , " tröstete er , " ich werde sofort in das Krankenzimmer gehen und verspreche Ihnen , Sie zu benachrichtigen , wie es dort steht . " Als er die Tür desselben nach leisem Anklopfen öffnete , bot sich ihm ein rührender Anblick dar . Ilse kniete an dem Bett und hatte ihr Haupt dicht neben Lillis Köpfchen gelegt , so daß ihre braunen Locken sich mit den lichtblonden des Kindes mischten . Eine frische , rote Rose , der einzige Schmuck , den sie heute abend getragen , hatte sich aus ihrem Haar gelöst und lag halb entblättert auf dem Boden . Fräulein Güssow legte soeben einen neuen Eisumschlag auf der Kranken glühende Stirn . Doktor Altoff fragte nicht , - ein Blick auf die kleine Kranke sagte ihm alles . Groß und fremd sah sie ihn an , ihre Händchen zuckten und griffen unruhig in die leere Luft . Als Ilse sich erheben wollte , klammerte sie sich fest an sie . " Du sollst nicht fortgehen , du bist des Kaisers Tochter ! " stieß sie in abgerissenen Sätzen heraus , " du bist die Schönste ! - Tanz mit mir - komme ! " Plötzlich sprangen ihre Phantasien davon ab , und sie sah Ilse für das Christkind an . " Du liebes Christkindel hast ein goldenes Kleiderle an , - und ein Kronerl tragest auf dem Kopf - ah , wie das strahlt ! Du willst mit mir spielen , " fuhr sie geheimnisvoll lächelnd fort , " wart nur , ich komme zu dir , zu den lieben Engelein ! - Ich komme - nimm mich mit ! " Ermattet sank sie nach diesem Anfall in die Kissen zurück . Ilse war wie gelähmt vor Schreck . Niemals zuvor hatte sie an dem Lager eines Schwererkrankten gestanden , es war daher natürlich , daß sie ganz fassungslos war . Sie umklammerte Fräulein Güssow und wurde totenblaß , ohne ein Wort über die bebenden Lippen zu bringen . " Kehren Sie in den Saal zurück , Ilse , " riet Doktor Altoff und ergriff ihre Hand . " Kommen Sie , ich werde Sie führen . " Aber sie schüttelte den Kopf . " Ich bleibe hier , " sagte sie leise aber fest , " ich verlasse Lilli nicht . " Und wie auch die Strausschen Klänge der blauen Donau schmeichelnd und verlockend durch die Nacht in das stille Krankenzimmer drangen , Ilse dachte nicht daran , zur Lust und Freude zurückzukehren . Ihre ganze Seele war von den Leiden ihres Lieblings erfüllt . Nur wenige Augenblicke lag Lilli still und mit geschlossenen Augen da , dann fing sie von neuem weit heftiger an zu phantasieren . Bald rief sie nach Ilse , um mit ihr zu tanzen , bald wollte sie mit dem Christkindel spielen , zuletzt fing sie an , mit leiser , matter Stimme zu singen : " Kommt a Vogel geflogen - " Wie klang heute des Kindes Lied so weh und traurig ! Ilse mußte sich abwenden , heiße Tränen rannen über ihre Wangen , es war , als müsse ihr das Herz zerspringen . " Ich befürchte das Schlimmste ! " sprach Fräulein Güssow tief ergriffen . " Wenn nur der Arzt käme ! " Nach kurzer Zeit , die den Wartenden eine Ewigkeit dünkte , trat derselbe ein . Sein Blick fiel auf das Kind , und er erschrak . Wie hatte es sich verändert , seitdem er es verlassen , was war seit gestern aus dem blühenden , lebensfrohen Wesen geworden ! Die runden Wangen waren eingefallen und die großen , schwarzen Augen starrten wie abwesend in die leere Luft . Er nahm ihre Hand und fühlte nach ihrem Puls , - sie merkte nichts davon , leise fing sie wieder an zu singen : " Und es kümmert sich ka Hundchen - " " Au , au ! " schrie sie plötzlich auf und griff nach ihrem Kopfe . " Das Katzerl beißt mich ! Nimm es weg , Fräulein ! Au weh ! " Der Arzt rührte ein Pulver in ein Glas Wasser und reichte es ihr . Nur mühsam war ihr dasselbe beizubringen und erst auf Ilses sanftes Zureden öffnete sie die Lippen . Nachdem sie getrunken , wurde sie ruhiger und verfiel in einen Halbschlummer . " Wo wohnen die Eltern der Kleinen ? " wandte der Arzt sich an Fräulein Güssow . " Ich rate , dieselben unverzüglich von der Krankheit zu benachrichtigen . Ich kann für den Ausgang nicht stehen . - Wir haben es mit einer bösartigen Gehirnentzündung zu tun . " " Nur die Mutter lebt , " nahm Doktor Altoff das Wort und erbot sich , sofort ein Telegramm an dieselbe abgehen zu lassen . Nach seiner Berechnung konnte sie schon am Abend des nächsten Tages eintreffen . Bevor er das Haus verließ , kehrte er noch einmal in den Saal zurück , um die Vorsteherin mit dem Ausspruch des Arztes bekannt zu machen . Nellie , die gerade mit Georg Brenner Française tanzte und nicht aus der Reihe treten konnte , warf einen ängstlich fragenden Blick auf ihn , flüchtig nur streifte sie sein Auge , und doch erriet sie , daß er nichts Gutes zu melden habe . O , wäre nur der Tanz erst zu Ende , daß sie ihn fragen könnte ! Aber er wartete nicht darauf , nach wenigen Minuten verließ er schon wieder den Saal und ließ Nellie in den peinlichsten Zweifeln zurück . War es schlimmer geworden ? Der Vorsteherin ruhiges Gesicht gab ihr keine Antwort auf ihre Frage . Es lag dasselbe wohlwollende Lächeln auf demselben wie zuvor . Sie unterhielt sich mit einigen Gästen ohne jede sichtbare Erregung . Und doch war sie bis in das Innerste erregt . Aber sie verstand die seltene Kunst , sich meisterhaft zu beherrschen . Warum sollte sie plötzlich Schreck und Aufregung in die Freude bringen ? In einer Viertelstunde war der Tanz vorüber , dann sollten die jungen Mädchen sich niederlegen , ohne zu erfahren , wie es mit der Kranken stand . Die Jugend bedarf des Schlafes , sagte sie sich , besonders nach einer halb durchtanzten Nacht . Verschlimmerte sich Lillis Zustand , so erfuhren sie diese traurige Botschaft am Morgen noch früh genug . Ilses Verschwinden , das allgemein bemerkt wurde , hatte Nellie auf ihre Art entschuldigt , sie hatte jedem Fragenden geantwortet : " O ja , sie wird gleich wieder da sein , sie hat nur auf ein Augenblick Kopfschmerzen . " Der Vorsteherin hatte sie so halb und halb die Wahrheit gesagt . Aber der Ball ging zu Ende und Ilse war nicht wiedergekehrt . - Miß Lead hatte von der Vorsteherin den Auftrag erhalten , dafür Sorge zu tragen , daß die Mädchen still und geräuschlos ihre Gemächer aufsuchten , das wurde befolgt , aber als sie sich sicher glaubten , als die englische Lehrerin sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatte , da huschten sie alle noch auf eine kurze Zeit zu Rosi hinüber , deren Stübchen ganz am Ende des Korridors lag . Sie mußten noch einen kurzen Austausch haben , ihre jungen Herzen waren zu voll von dem herrlichen Feste . Melanie brachte ihre duftigen Sträuße , die sie im Kotillon erhalten hatte , mit und breitete sie auf dem Tische aus . Mit wehmütiger Freude betrachtete sie den reichen Segen . " Ach ! " rief sie aus , " wie schade , daß alles vorbei ist ! " " Alles Schöne ist vergänglich , nur die Erinnerung bleibt ! " entgegnete Flora weise . Und sie betrachtete bei ihren Worten die Photographie eines jungen Mannes , die sie vorsichtig und geschickt in ihrem Taschentuche verborgen hielt . - Es war Georg Breitners Bild . Er hatte dafür das ihrige eingetauscht . " Ach , Kinder , es war doch zu schön ! " brach Annemie in plötzlicher Begeisterung aus . " O , was ich euch alles erzählen könnte ! " " Und ich ! Und ich ! " klang es durcheinander . " Ihr würdet staunen , wenn ich sprechen wollte ! " rief Melanie stolz und schlug ihr Auge kokett gen Himmel , " ich habe viel erlebt ! " - In ihrem Eifer vergaß sie ganz , ihre Stimme zu dämpfen . " Nicht so laut , Melanie , " ermahnte Rosi und Orla stimmte ihr bei . " Wir wollen zu Bett gehen , " riet sie ernstlich , " denn wenn ihr erst anfangt , eure Erlebnisse zu erzählen , dann können wir bis zum hellen Morgen hier sitzen . " " Morgen ist Sonntag , da können wir ausschlafen ! " meinte Grete , die darauf brannte , die geheimnisvoll angedeuteten Geschichten zu hören . " Wo sind denn aber Ilse und Nellie ? " unterbrach sie sich plötzlich und sah sich um ; " ich habe Ilse den ganzen Abend nicht gesehen . Hatte sie wirklich Kopfschmerzen ? Kommt , wir wollen uns zu ihnen schleichen und nachsehen ! " Doch dieser allgemein Beifall findende Vorschlag kam nicht zur Ausführung . Eben als sie auf den Zehn einige Schritte getan , stand Miß Lead wie ein Nachtgespenst vor ihnen . " Wo wollt ihr hin ? " fragte sie erzürnt . " Habe ich euch nicht Ruhe geboten ? Sofort legt euch nieder , - und morgen werde ich euren Ungehorsam der Vorsteherin melden ! " So wurde es denn still in den oberen Räumen . Die plaudernden Lippen verstummten nach und nach - die Augen schlossen sich zu süßem Schlummer und ein gütiger Traumgott führte die Schlafenden zurück in den festlichen Saal . Noch einmal ließ er die Musik erklingen und die junge Schar im lustigen Tanze dahinfliegen . - " O wie öde ist die Wirklichkeit ! " war Melanies erstes Wort , als sie erwachte . * * * In dem Krankenzimmer dachte man nicht an Schlaf , noch weniger an glückliche Träume . Traurig sah es dort aus . Lilli tobte zwar nicht mehr , aber sie lag ohne Teilnahme da . Das Fieber war noch immer im Zunehmen begriffen . Als die Vorsteherin eintrat , erhob sich der Arzt und teilte ihr seine Befürchtung mit . Ilse schluchzte leise in sich hinein ; es wurde ihr so schwer , sich zu beherrschen . " Gehe zu Bett , Ilse , " sprach Fräulein Raimar sanft zu ihr , " du darfst nicht länger hier verweilen . " Der Arzt stimmte energisch bei , und so schmerzlich bittend das junge Mädchen auch die Vorsteherin ansah , dieselbe beharrte bei ihrem Willen . " Du bist ein gutes Kind , " sagte sie weich und ihre Stimme klang wie verhaltene Tränen , " aber ich darf deinen Wunsch nicht erfüllen . Ein längerer Aufenthalt hier könnte deiner Gesundheit schaden . Du kannst dem Kinde auch nicht helfen , - sieh hin - es kennt dich - uns alle nicht mehr ! " [ Illustration ] Bevor sie das Zimmer verließ , trat Ilse noch einmal zögernd und leise an Lillis Bett . Zitternd ergriff sie die kleine , fieberheiße Hand , beugte sich nieder und drückte einen Kuß darauf . " Gute Nacht , Liebling , " hauchte sie leise , " gute Nacht ! " Und mit einem langen , tränenschweren Blick auf das blasse Gesichtchen nahm sie Abschied , ach , sie fühlte es , es war ein Lebewohl für immer . Dann eilte sie hinaus , das Taschentuch fest vor den Mund gepreßt , damit sie vor Herzeleid nicht laut aufschreie . Draußen , dicht vor der Tür , stand Nellie . Unbemerkt war sie der Vorsteherin gefolgt und hatte die Freundin erwartet . Ilse fiel ihr um den Hals und Nellie führte die Trostlose hinauf in ihr Zimmer . Dort angelangt warf Ilse sich verzweifelnd auf ihr Bett und begrub ihr Gesicht laut weinend in die Kissen . " Ist sie so sehr krank ? " fragte Nellie . " Sie stirbt , Nellie ! " schluchzte Ilse außer sich , " unser süßer , kleiner Liebling stirbt ! " Nellie wurde blaß und ein heftiges Zittern überfiel ihren Körper , aber sagen konnte sie nichts . Sie vermochte niemals ihren Schmerz laut herauszujammern , die ungestüme Art Ilses war ihr fremd . War das zu verwundern ? Ilse hatte Kummer und Leid noch niemals Auge in Auge gesehen , ihre frohe Jugendzeit war bis dahin einem sonnigen Maitag zu vergleichen , der wolkenlos mit blauem Himmel auf die Erde niederlacht , - wie anders Nellie ! So mancher trübe Schatten hatte bereits ihr junges Dasein verdunkelt ! Sie mußte an den Tod des geliebten Vaters denken , der sie so jung als Waise zurückließ ! Still setzte sie sich neben die Freundin auf den Bettrand und ergriff deren Hand . " Komme , " sagte sie mit unsicherer Stimme , " setze dir hoch . Du machst dir auch krank , wenn du so hitzig bist ! Und wenn wir uns tot weinen , wir machen doch der arm klein Herz nicht gesund . Wenn der liebe Gott sagt : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Ich will der klein Engel zu mich nehmen ,{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } was können wir da machen ? - O Ilse ! es ist gar nicht so schrecklich , als ein jung Kind zu sterben ! Wer weiß , welch traurig Schicksal unsere Lilli aufwartete : Ist es nicht besser , da tot zu sein ? - Ich wäre sehr glücklich , wenn mich der liebe Gott als klein Kind zu sich genommen hätte ! " Wie traurig das klang ! Sofort wendete sich Ilses ganzes Mitleid ihrer einzigen Nellie zu . Sie antwortete nichts , aber sie erhob sich und umschlang dieselbe fest und innig . Und die beiden jungen Mädchengestalten in ihren duftigen Ballgewändern , die sie nur zur Freude zu tragen gehofft hatten , schlossen in diesem ernsten Augenblick einen innigen Freundschaftsbund für das ganze Leben . Der Mond trat plötzlich hinter dem dunklen Gewölk hervor und verklärte mit seinem blassen Schimmer die lieblichen , tränenvollen Gesichter der Freundinnen wie zwei betaute Rosen , die an einem Stängel erblüht sind . - * * * Es war ein trübseliger Sonntag , der dem Ballfeste folgte . Als die junge Schar , noch ganz erfüllt von der Erinnerung an dasselbe , beim Morgenkaffee saß , trat Fräulein Güssow ein . Bei ihrem Anblick verstummte das fröhliche Geplauder , ihr blasses und verweintes Gesicht verkündete nichts Gutes . Ilse und Nellie waren sofort an ihrer Seite , sie hatten bis dahin seitwärts gestanden ; es war ihnen unmöglich , an der Fröhlichkeit der anderen teilzunehmen . " Ist es besser ? " fragte Ilse hoffend und bangend zugleich . Traurig schüttelte die Angeredete den Kopf und ihre Augen füllten sich mit Tränen . " Nein , " sagte sie , " es ist nicht besser . Die Krankheit hat sich gesteigert und ihr müßt euch auf das Schlimmste gefaßt machen . Ich Teile euch dies mit , Kinder , damit ihr nicht allzusehr erschreckt , wenn - " Sie konnte den Satz nicht vollenden , Tränen erstickten ihre Stimme . Eine augenblickliche Todesstille trat bei dieser Eröffnung ein . Als aber Ilse laut zu schluchzen anfing , da erhob sich ein allgemeines Jammern und Wehklagen . Kein Auge blieb trocken bei dem Gedanken , den herzigen Liebling für immer hergeben zu müssen . Die junge Lehrerin entfernte sich und Ilse eilte ihr nach . " Lassen Sie mich zu ihr , " bat sie dringend und erhob die Hände . " Bitte ! " Sie konnte ihr diesen Wunsch nicht erfüllen . " Du darfst sie nicht wiedersehen , Ilse , " sagte sie fest und entschieden . " Sie hat sich so verändert , daß deine lebhafte Phantasie ihr trauriges Bild für lange Zeit nicht vergessen würde . Sie ist nur noch ein Schatten des schönen , fröhlichen Kindes . " Und sie küßte die trostlose Ilse und kehrte in das Krankenzimmer zurück , das Fräulein Raimar seit Mitternacht nicht wieder verlassen hatte . Als Ilse wieder in den Speisesaal eintrat , stand Miß Lead fertig zum Kirchgang angekleidet mit dem Gesangbuch in der Hand da . Sie trieb zur Eile an , da es hohe Zeit sei , zur Kirche zu gehen . " Ich kann Sie heute nicht begleiten , Miß Lead , " entgegnete Orla , die ganz gegen ihre Gewohnheit sich vom Gefühle übermannen ließ und heftig weinte ; " ich kann es nicht ! " " Ich auch nicht ! - Ich auch nicht ! " erklärten die übrigen . Selbst Rosi , die stets Sanfte und Gefügige , bat um Verzeihung , wenn sie ebenfalls zurückbleibe . " Ich bin so aufgeregt und könnte nicht andächtig auf die Predigt hören , " fügte sie hinzu . " Ich begreife euch nicht , " sprach die Engländerin höchst erstaunt von einer zur anderen sehend . " Ist das Gotteshaus nicht der beste Ort für ein gequältes Herz ? Sagt nicht der Herr : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Kommt her zu mir alle , die ihr mühselig und beladen seid , ich will euch erquicken !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Ich gehe und will für die Kranke beten , vielleicht erhört mich der Herr . " Und sie ging , und die englischen Pensionärinnen schlossen sich ihr an . Sie teilten in ihrem strenggläubigen Herzen die Ansicht der Lehrerin . Nur Nellie blieb zurück . Nicht weil sie weniger gläubig war - o nein ! Sie hatte ein kindlich frommes Gemüt , aber sie hatte auch ein tiefempfindendes , warmes Herz ; es wäre ihr unmöglich gewesen , das Haus , das ihr eine liebe Heimat geworden war , in einem Augenblicke zu verlassen , wo der Todesengel seinen Einzug halten konnte . " Ich will auch beten , " sagte sie leise wie für sich . Und sie trat in den Hintergrund des Zimmers , kniete nieder , legte die gefalteten Hände auf einen Stuhl und beugte den Kopf darüber . In dieser andächtigen Stellung verbrachte sie lange Zeit und betete heiß und innig zu Gott , daß er Lilli am Leben erhalten möge . - Aber es stand anders in den Sternen geschrieben . Gegen Abend öffnete die Vorsteherin plötzlich weit die Fensterflügel im Krankenzimmer - Lilli war tot . Sanft hatte der Todesengel sie auf die Stirn geküßt und sie hinweggetragen in sein dunkles Schattenreich . Wie ein sorglos schlummerndes Kind lag sie da , der krampfhaft entstellende Zug war geschwunden und ein friedliches Lächeln lag über den leise geöffneten Lippen . Die beiden Lehrerinnen standen stumm und mit gefalteten Händen am Bette der kleinen Verstorbenen und konnten den Blick nicht von ihr trennen . Die Abendsonne verklärte mit rosigem Schimmer das zarte Gesicht und in dem knospenden Apfelbaume vor dem Fenster sang ein Star sein melodisches Abendlied - draußen erwachendes Frühlingsleben - hier die junge Menschenknospe - gebrochen , ehe sie sich zur Blüte entfalten konnte . " So früh und in der Fremde mußtest du sterben , armes Kind ! " unterbrach Fräulein Güssow die feierliche Stille . " Sie fühlte sich glücklich und heimisch bei uns , " entgegnete Fräulein Raimar tief ergriffen . " Die eigentliche Heimat war ihr fremd geworden . - Sie hat nicht einmal nach der Mutter verlangt . " " Wie sanft sie schlummert , als ob sie leben und atmen müßte . O , sie ist glücklich ! " Und in einem plötzlich überwallenden Gefühle beugte sich die junge Lehrerin laut weinend über Lilli und küßte ihr die kalte Stirn . " Schlaf wohl , Schlaf wohl , teures Kind ! Gott hatte dich lieb , darum nahm er dich zu sich ! " " Fassen Sie sich , liebe Freundin , " ermahnte Fräulein Raimar , indem sie die Hand auf der Erregten Schulter legte , " uns bleibt jetzt die schwere Aufgabe , die Kinder mit dem traurigen Ausgang bekannt zu machen . So ruhig als möglich müssen wir ihnen diese Mitteilung machen , damit die ohnehin erregten Gemüter nicht ganz außer Fassung kommen . " Aber sie kamen doch außer Fassung , besonders Ilse , deren lebhafte Natur sich dem Schmerze zügellos hingab . Sie glaubte vergehen zu müssen . Noch nie hatte sie sich so unglücklich gefühlt , als in der ersten Nacht nach Lillis Tode , selbst damals nicht , als sie den Wagen fortfahren sah , der den geliebten Vater entführte , und sie fremd und verlassen an der Pforte dieses Hauses stand. * * * Lilli war in die Erde gebettet . Unter Schneeglöckchen und Veilchen schlummerte sie . Der kleine Sarg war mit den holden Frühlingskindern über und über bedeckt gewesen . Tief betrauert wurde das kleine Wesen von allen , die mit ihm in nähere Berührung gekommen , und es hatte allgemein schmerzliche Verwunderung erregt , daß die Mutter fern geblieben war . Am Todestage Lillis war ein Telegramm angekommen , worin sie meldete , daß sie erst am Dienstag abend eintreffen könne . Es sei ihr unmöglich , früher zu kommen , da sie am Montag in einem neuen Stücke die Hauptrolle zu spielen habe . Als ihr an diesem Tage der Tod ihres Kindes gemeldet wurde , kam umgehend ein Brief voll überschwenglicher Klagen , aber sie blieb fern . Kostbare Blumen hatte sie gesandt , auch der Vorsteherin den Auftrag gegeben , ein Marmormonument , einen knienden Engel darstellend , für des Kindes Grab anfertigen zu lassen , mit goldenen Buchstaben solle auf dem Sockel eingegraben werden : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Teures Kind , bete für mich .{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Äußerlich war somit alles geschehen , aber das Herz blieb kalt bei diesen pomphaften Kundgebungen . " Meine Mama wäre gekommen , wenn sie mich sterbenskrank gewußt hätte , " bemerkte Ilse , als sie Nellie den Brief vorlas , den ihr die Mutter so herzlich und tröstend geschrieben hatte . " O sicher , sie wäre von der Welten Ende zu dich gereist , " beteuerte Nellie lebhaft . " Und sie ist nicht einmal meine rechte Mutter , " fuhr Ilse nachdenklich fort . " Ach Nellie , ich habe sie oft recht sehr gekränkt ! Glaubst du wohl , daß sie mir vergeben wird ? " Ilses Herz war so weich und empfänglich durch den Schmerz geworden und eine ernste , weihevolle Stimmung durchdrang ihr ganzes Wesen . Nie waren ihr bis dahin ähnliche Gedanken gekommen , und wäre es der Fall gewesen , hätten sie früher einmal bei ihr angeklopft , sie würden keinen Einlaß gefunden haben . Heute war es anders , sie hatte das Bedürfnis , sich gegen ihre Herzensfreundin auszusprechen und sich anzuklagen . " O mache dich kein Kummer darum , Kind . Deine Mutter hat ein so Liebesreiche Herz , kein Titelchen Bosheit für dir ist darin . Sie vergebt dir alles . Du warst ja auch noch ein ungezogen , dumm Baby , als du bei sie warst , jetzt aber bist du eine sehr anständige ( sie meinte verständige ) junge Dame . " " Ist das dein Ernst , Nellie ? " fragte Ilse und sah mit ihren Kinderaugen Nellie zweifelnd an . " Es ist mein Ernst , und ich gebe dir den guter Rat , schreibe an deiner Mutter ein lange Brief und bitte ihr um Verzeihung . " Ilse überlegte einen Augenblick . " Du hast recht , Nellie , " sagte sie dann entschlossen , " ich werde ihr schreiben , ich bin es ihr schuldig . Heute noch will ich es tun ! Wenn sie mir nur bald darauf antwortet , ich werde nicht eher ruhig sein ! " Als sie sich eben niedergesetzt hatte , ihr Vorhaben auszuführen , trat Flora mit strahlenden Augen ein . " Ich muß euch meine neuesten Gedichte vorlesen , " sagte sie erregt , " sie sind das beste , was ich bis jetzt geschrieben habe ! Ihr müßt mich anhören ! " Und sie entfaltete ein starkes Heft , in welchem sie Lillis Tod in den verschiedensten Dichtungsarten besungen hatte . _ Elegie auf den Tod einer vom Sturm geknickten Rosenknospe ! _ begann sie zu lesen . Nellie hielt sich die Ohren zu . " Schweige still ! Ich mag dir nicht anhören mit dein dumm Zeug ! Ärgere mir nicht damit ! " Ilse stimmte ihr bei . " Laß uns zufrieden , Flora , " sagte sie , " wir sind noch zu traurig , als daß wir lachen möchten ! Und du weißt doch , daß alle deine Gedichte uns lustig machen . " Tief verletzt schloß Flora ihr Heft , auf dessen Umschlag mit großen Buchstaben zu lesen stand : " Floras Klagelieder ! " - " Ihr habt keinen Sinn für erhabene Dichtkunst , und ich will Gott danken , wenn es Ostern ist und ich diesen prosaischen Aufenthalt verlassen kann ! " Sie verließ die Undankbaren und suchte Rosi auf . Wenn niemand ihre Dichtkunst bewundern wollte , fand sie an ihr stets eine geduldige Zuhörerin . " Das rechte Verständnis freilich fehle ihr , " meinte Flora mit einem ergebungsvollen Seufzer . Der Brief an die Mutter war abgeschickt . Acht Tage waren seitdem vergangen und noch war keine Antwort eingetroffen . Ilse war unruhig und aufgeregt darüber . Nellie , ihre einzige Vertraute , tröstete sie . " Es ist ja noch kein ' Ewigkeit vorbei , seit du schriebst , " sagte sie . " Es scheint dich nur so , weil du immer daran denkst . Ich wette , heute wirst du ein schön , lang Brief haben . Mich ahnt das ! " Und richtig , Nellies Ahnung , die eigentlich gar nicht so ernst gemeint war , ging in Erfüllung . Es kam ein Brief an Ilse . " Komme sogleich in mein Zimmer , Ilse , ich habe dir etwas mitzuteilen ! " Mit diesen Worten empfing Fräulein Raimar dieselbe , als sie eben aus der Kirche kam . Klopfenden Herzens folgte ihr das junge Mädchen , sich den Kopf zerbrechend , welch eine geheimnisvolle Mitteilung ihrer wartete . - " Ich habe soeben einen Brief von deinem Papa erhalten , liebes Kind , worin er mich bittet , dir etwas recht Erfreuliches zu verkünden . Ahnst du nicht , was es sein könnte ? " " Nein , " entgegnete Ilse und blickte die Vorsteherin erwartungsvoll fragend an . " Dir ist ein Brüderchen beschert worden ! Da , hier lies selbst , der Papa hat für dich einen Brief eingelegt . " Aber Ilse vermochte nicht zu lesen in diesem Augenblick . Die Nachricht hatte sie bis in das Innerste erfreut und durchzittert . Das Blut schoß ihr heiß in die Wangen , und ehe sie noch ein Wort über die Lippen bringen konnte , flog sie dem Fräulein an den Hals und küßte dieselbe . Sie mußte an jemand ihre jubelnde Freude auslassen . Als sie zur Besinnung kam , schämte sie sich ihrer Übereilung . Wie konnte sie allen Respekt außer acht lassen und so ungeniert die Vorsteherin umarmen ! " Verzeihen Sie , " sagte sie befangen und trat bescheiden zurück . Aber Fräulein Raimar schnitt ihr das Wort ab und nahm sie noch einmal herzlich in den Arm . " Komme her , mein Kind , " sagte sie warm , " und laß mich die erste sein , die dir von ganzem Herzen Glück wünscht . " - Später äußerte sie gegen Fräulein Güssow , daß Ilses strahlende Freude ihr so recht den Beweis für deren kindlich unbefangenes Herz gegeben habe . Anfangs habe sie nicht geglaubt , daß Ilses trotzige Natur sich jemals zügeln lassen werde . Der Brief an Ilse war nur kurz und von der Mutter schon vor mehreren Tagen an sie geschrieben . Der Papa trug an der Verzögerung schuld , er hatte noch einige Zeilen hinzufügen wollen und war nicht gleich dazu gekommen . " Lies erst , was sie schreibt ! " bat Nellie , zu der Ilse jubelnd in das Zimmer gestürzt war , " lies erst , nachher sprechen wir von die Baby . " Und Ilse las : " Mein teures Kind ! Dein letzter Brief hat mich sehr glücklich gemacht ! Ich kann den Augenblick kaum erwarten , wo ich Dich an mein Herz nehmen darf , um Dir mit einem herzlichen Kuß zu sagen , daß ich Dir niemals böse war . Ich wußte immer , daß mein Trotzköpfchen schon den Weg zu mir finden werde . Mache Dir nur keine Sorgen um vergangene kleine Sünden , sie sind längst in alle Winde verweht , denke lieber an die zukünftige Zeit , in der wir wieder beisammen sind , und Male sie Dir so rosig aus , wie Deine junge Phantasie es nur zu tun vermag . Ich habe Dich sehr , sehr lieb ! Mit zärtlichen Küssen _ Deine Mama . " Und der Papa hatte gestern flüchtig dazu geschrieben : " Hurra ! Wir haben einen prächtigen Jungen ! Ich habe nur den einen Wunsch , ihn Dir , mein Kleines , gleich zeigen zu können . Er sieht Dir ähnlich , hat gerade so lustige , braune Augen wie Du ! Morgen schreibe ich Dir mehr . " [ Illustration ] " O ! " jammerte Ilse unter Lachen und Weinen , " wenn ich doch gleich dort sein könnte ! Ich habe so große Sehnsucht , die Mama , den Papa und das kleine Brüderchen zu sehen ! " Dabei umarmte und herzte sie Nellie , und als Fräulein Güssow hinzutrat , fiel sie auch dieser um den Hals . Sie hätte in ihrer Seligkeit am liebsten die ganze Welt umarmt ! - Am Nachmittag , als der erste Freudenrausch sich gelegt hatte , kehrten Ilses Gedanken zu der verstorbenen Lilli zurück . Sie machte sich Vorwürfe , daß sie deren Andenken heute so ganz vergessen konnte ! " Komme , Nellie , " sagte sie , " laß uns im Garten Veilchen pflücken zu einem Kranz auf Lillis Grab . " Fräulein Güssow stimmte diesem Vorschlage bei und begleitete gegen Abend die Freundinnen hinaus auf den stillen Friedhof . Ilse beugte sich nieder und legte den Kranz auf den frischen Grabhügel . Noch lagen die vielen anderen Kränze von dem Begräbnisse darauf , aber sie waren verwelkt und trocken , und in den langen , weißen Atlasbändern spielte der Abendwind . - Die Tage kamen und gingen , und das Osterfest war vor der Tür . Die Prüfungen waren bereits vorüber , und die ausgeteilten Zeugnisse hatten Freude oder Kummer hervorgerufen , je nachdem sie für die Betreffenden ausgefallen waren . Ilse konnte zufrieden sein . Mit Ausnahme einzelner Fächer , bei denen obenan das Rechnen stand , hatte sie sehr gute Fortschritte gemacht . Ihr ernstes Streben , ihr Betragen , das besonders seit dem Tode Lillis tadellos geworden war , wurde von ihren Lehrern und Lehrerinnen rühmend hervorgehoben , nur die englische Lehrerin schloß sich dieser Ansicht nicht an . Sie blieb bei ihrem Vorurteile und fand , daß Ilse nach wie vor ohne jede Manier und Grazie sei , auch tadelte sie sehr ihre englische Aussprache . " Laß dir nix vormachen , Ilse , " sagte Nellie , als sie allein waren . " Du sprichst schon ganz nett englisch und drückst dir stets sehr fein aus . Übrigens tröste dir mit mir , sieh , was sie hier geschrieben haben , " - und sie reichte betrübt der Freundin ihr Zeugnis , und Ilse las : Besondere Bemerkung : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Nellie macht sehr langsame Fortschritte in der deutschen Sprache .{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } - " Ist das nicht Unrecht ? " fragte sie . " Ich gebe mich so furchtbar große Mühe mit eure schwere Sprache . " Nun war die Reihe zu trösten an Ilse . Dieselbe versprach ihr von jetzt an , keinen Schnitzer mehr durchgehen zu lassen , Nellie dagegen wollte täglich eine volle Stunde nur englisch mit der Freundin plaudern . Flora war in höchster Aufregung . Sie fand es geradezu großartig , daß Doktor Altoff ihr eine II in der Literatur geben konnte . " Mir das ! " rief sie aus , sobald er sich entfernt hatte , " mir das ! die ich selbst schon so lange literarisch tätig bin ! Aber Sie werden sich wundern , Herr Doktor , Sie werden sich wundern ! " Diese geheimnisvolle Anspielung bezog sich auf ihr jüngstes Werk . Sie hatte gestern den letzten Federstrich daran getan und es dann sogleich mit einem Briefe auf rosa Papier dem Lehrer zur Durchsicht gegeben . Mit bescheidenem Selbstbewußtsein hatte sie hinzugefügt , sie rechne darauf , daß ihr Zauberspiel am Geburtstage der Vorsteherin aufgeführt werde . Sollte Herr Doktor einige kleine Änderungen für notwendig finden , so würde sie sich gern seinem Rate fügen . - Es waren einige Tage darüber vergangen und noch hatte sie keine Antwort erhalten . Warum mochte er zögern ? Gefallen mußte ihm " Thea , die Blumenfee " , darüber war sie nicht im Zweifel . Sie hatte sich so hineingelebt in ihre Zauberposse , und ihre Phantasie flüsterte ihr einen großartigen Erfolg in das Ohr . Sie hörte den stürmischen Beifall der Anwesenden , - die Dichterin wurde gerufen ! - Sie träumte wachend , langsam - gesenkten Auges trete sie aus den Kulissen hervor . - " Flora ! " ruft es von allen Seiten , und voller Staunen richten sich aller Augen auf sie . - Ja , staunt nur , ihr Ungläubigen , die ihr die arme Flora so oft verkannt habt ! Jetzt hat sie euch überzeugt , daß ihre Dichtkunst kein leerer Wahn ist ! - Bescheiden und demütig verneigt sie sich nach rechts und links - ohne den Blick zu erheben - sie war vor den Spiegel getreten , um Blick und Verbeugung einzustudieren . - " Die Blumenfee werde ich vorstellen , " träumte sie weiter , " natürlich ! Wer anders könnte sich so in den Geist der Rolle versetzen , als ich ! Wie herrlich wird mir das Kostüm stehen ! Ein Kleid von Silbergaze mit Rosen durchwebt , eine goldene Krone auf dem Haupte , ein langer , duftiger Schleier und offenes , wallendes Haar ! " Ganz in Gedanken versunken löste sie die aufgesteckten Flechten und drapierte das Haar malerisch um ihre Schultern . Unwillkürlich kamen ihr dabei die ersten Verse ihres großen Werkes auf die Lippen und laut , mit pathetischer Stimme , fing sie an zu deklamieren : " Heraus , ihr Blumen , aus euren Kelchen , Ich will mit euch spielen ! Eilt euch , ihr lieben Tulpen und Nelken , Laßt mich nicht warten , ihr vielen , vielen , Heraus , heraus ! " Ein lautes Pochen an der Tür und ungestümes Auf- und Niederdrücken des Griffes unterbrach sie höchst unangenehm . Zugleich wurde Gretes Stimme laut . " Warum schließt du dich denn ein ? Mache schnell auf , ich bringe dir etwas ! " In aller Eile befestigte Flora ihr Haar , schob dann den Riegel zurück und fragte ärgerlich : " Was willst du denn ? " Grete war in das Zimmer getreten und sah sich verwundert um . " Du sprachst doch eben laut , " sagte sie , " mit wem hast du dich denn unterhalten ? " Flora blieb ihr die Antwort schuldig ; sie sah ihr Manuskript in Gretes Hand , ungestüm nahm sie es an sich . " Gib her ! Wie kommst du zu meinem Hefte ? " " Nur nicht so heftig , " entgegnete Grete , " was fällt dir denn ein ? Es ist die reine Gefälligkeit , daß ich es dir bringe . Doktor Altoff hat es mir für dich übergeben . " " Warum ließ er mich nicht selbst rufen ? Du wirst dich wohl wieder vorwitzig aufgedrängt haben , es ist so deine gewöhnliche Art. Übrigens jetzt kannst du wieder gehen , ich möchte allein sein ! " Aber Grete verspürte keine Lust , sie zu verlassen , sie witterte ein Geheimnis , das mußte sie erst heraus haben ! " Ich habe aber keine Lust , dich zu verlassen , " sagte sie und setzte sich mit aller Gemütlichkeit nieder . " Du bist wirklich unausstehlich ! " stieß Flora ärgerlich heraus und drehte Grete den Rücken . Plötzlich kam ihr ein Gedanke . " Wenn du durchaus hier bleiben willst , so tue es meinetwegen , " fuhr sie fort und näherte sich der Tür , " mich geniert es nicht . " Und sie hatte die Tür geöffnet und war hinaus , noch ehe Grete sich erhoben hatte . Schnell drehte sie den Schlüssel im Schloß um und - das neugierige Gretchen war eine Gefangene . Geflügelten Schrittes eilte sie in den Garten , der Traueresche zu . Sie huschte zwischen den bis auf den Boden herabhängenden Zweigen hindurch und sank auf einem Bänkchen von Birkenstämmen nieder . Hier war sie vor jedem Lauscherblicke sicher . Sie preßte die Hand auf das hochklopfende Herz und ein Zittern überlief sie vor der Entscheidung ! Wie wird sein Urteil ausgefallen sein ? Nicht lange hielt die zagende Schwäche an und ihre Zuversicht kehrte zurück . Mutig und siegesbewußt schlug sie das Heft auf . Natürlich suchte sie zuerst nach einigen Zeilen von seiner Hand . Aber sie blätterte und fand nichts . Sie breitete das Heft auseinander , hielt es hoch , schüttelte es tüchtig , der erwartete Brief fiel nicht heraus . Sie war höchst betroffen , da sie bei einer flüchtigen Durchsicht des Manuskripts auch nicht die kleinste Notiz entdecken konnte . Schon wollte sie es unwillig beiseite legen , als ihre Augen zwei Worte entdeckten , die Doktor Altoff mit seiner zierlichen und doch festen Handschrift mit roter Tinte gerade in den Schnörkel hineingeschrieben , den sie dem Schlußworte " Ende " malerisch angehängt hatte . Sie las und fiel wie gebrochen hintenüber . " Abscheulich ! " riefen ihre bebenden Lippen , " empörend ! " Floras Entrüstung war wohl natürlich , zertrümmerten doch die beiden kleinen Wörtchen den ganzen Prachtbau ihres Luftschlosses . " Konfuses Zeug ! " stand da deutlich geschrieben und erbarmungslos war hiermit das Todesurteil ihrer Dichtung besiegelt . Sie ballte die Hände in ohnmächtiger Wut und haßte den Mann , den sie bis dahin so schwärmerisch angebetet hatte . Warum verkannte er ihr Genie , oder vielmehr , warum wollte er dasselbe nicht anerkennen ? Sie wollte zu ihm eilen ... sogleich ... er sollte ihr Rechenschaft über sein vernichtendes Urteil geben ! Aber sie verwarf diesen Entschluß , weil sie befürchtete , vor Aufregung ohnmächtig zu werden . Und schwach sollte er sie nicht sehen ... nimmermehr ! Sie wollte ihm schreiben und zwar sofort ! Sie zog ein Notizbuch aus ihrer Tasche und begann einen stürmischen Brief aufzusetzen . Kaum hatte sie indes einige Sätze niedergeschrieben , als sie durch den grünen Blättervorhang Grete gerade auf die Esche losstürmen sah , es blieb ihr eben noch Zeit genug , das Notizbuch zu verbergen , als dieselbe bereits vor ihr stand . Floras Gedanken waren nur mit dem Briefe beschäftigt gewesen , sie hatte darüber ihr Manuskript , das sie neben sich auf die Bank gelegt hatte , vergessen . Grete hatte es indes mit ihren Spüraugen sofort entdeckt . Wie ein Vogel schoß sie darauf los , ergriff es und eilte mit ihrer Beute davon . " Etsch , Fräulein Flora ! " rief sie noch triumphierend , " nun werde ich doch hinter deine Geheimnisse kommen ! Jetzt bist du meine Gefangene ! " " Grete , gib her ! " rief Flora angstvoll und eilte derselben nach , " bitte , bitte ! Ich will dir auch schenken , was du haben willst ! " Grete aber blieb taub bei ihren Bitten . Lachend eilte sie weiter . " Du mußt mir mein Eigentum zurückgeben , ich will es ! " drohte Flora , als sie einsah , daß Güte nicht half , " ich befehle es dir ! " Darüber brach Grete in ein lautes Gelächter aus . " Du befiehlst es mir ? Das ist reizend ! " rief sie , " du bist wirklich furchtbar naiv ! " Und sie hatte das Haus erreicht , während Flora weit hinter ihr zurückblieb . Trotz ihrer schwerfälligen , plumpen Figur war sie doch weit schneller als letztere , die etwas steif und ungelenk war . Als Flora einsah , daß ihre Verfolgung nutzlos war , blieb sie weinend stehen . Einen wahrhaft verzweiflungsvollen Blick warf sie der Räuberin ihres Schatzes nach , denn nun war sie verloren , das heißt preisgegeben dem Hohn und Spott der Mitschülerinnen , an die sie Grete verraten würde . Aber es kam anders . Gerade als Grete die paar Stufen zum Korridor hinaus sprang , lief sie beinahe Doktor Altoff in die Arme . Sie hatte ihn nicht gesehen , weil sie den Kopf nach rückwärts gewandt hielt . Das Heft hoch in der Luft schwenkend , hatte sie der armen Flora zugerufen : " Jetzt lese ich deine Geheimnisse ! " Mit einem Blick hatte der Lehrer erkannt , um was es sich handelte ; er wäre darüber nicht im Zweifel gewesen , selbst wenn ihn Grete weniger erschrocken angesehen hätte . " Sie sollten ja dies Heft an Flora abgeben , " sagte er vorwurfsvoll , " wie kommt es , daß Sie es noch mit sich herumtragen ? " Sie antwortete nicht und sah ziemlich betreten und beschämt aus , auch war sie rot bis über die Ohren geworden . " Ich werde Ihnen nie wieder einen Auftrag geben , " fuhr er fort , " da ich sehe , wie wenig ich mich auf Sie verlassen kann . Geben Sie mir das Heft , ich werde es selbst an Flora abliefern . " Grete reichte ihm das Verlangte . " Sie ist selbst schuld daran , " stieß sie zu ihrer Entschuldigung hervor und warf den ohnehin großen Mund noch mehr auf ; " sie hat ... sie hat mich eingeschlossen ! Zur Strafe habe ich ihr das Buch fortgenommen ! " " Zur Strafe ! " wiederholte Doktor Altoff mit einem zweifelnden Lächeln , " und was wollten Sie jetzt damit machen ? " " Ach , " verriet sie sich , " hineingesehen hätte ich ganz gewiß nicht ! Floras Dichtungen sind viel zu überspannt und langweilig ! Ich wollte sie nur necken . " " Grete , Grete ! " drohte der junge Lehrer lächelnd mit dem Finger , " wenn dies Wort eine Brücke wäre , ich ginge nicht hinüber . Seien Sie in Zukunft nicht wieder so indiskret und neugierig , Neugierde ist kein schöner Schmuck für ein junges Mädchen . " Er wandte sich von der Beschämten ab und ging auf Flora zu , die langsam heran kam . Noch zitterten Tränen in ihren Augen , die sie wie in Verklärung auf ihren Erretter richtete . Wo war der Haß geblieben , der soeben noch in ihrem Inneren getobt hatte ? Verschwunden und verweht ! Die alte Liebe und Begeisterung für Doktor Altoff hatten ihn zurückgedrängt und waren wieder eingezogen in ihr großmütiges Herz . So mächtig wallte die Begeisterung in ihr über , daß sie plötzlich , hingerissen von Dankbarkeit , sich niederbeugte , seine Hand ergriff und einen heißen Kuß darauf drückte . " Ich danke Ihnen , " hauchte sie leise , dann eilte sie fort , zurück zu ihrer Friedensstätte , ihrem Musentempel , und anstatt den angefangenen Brief zu vollenden , dichtete sie ein Sonett , das die Aufschrift trug : " An ihn . " Doktor Altoff blickte der Davoneilenden kopfschüttelnd nach . " Ein überspanntes , verdrehtes Wesen ! " mußte er unwillkürlich sagen , " und das schlimmste ist , sie wird niemals zu heilen sein . " - Der Geburtstag des Fräulein Raimar , der in den Mai fiel , war stets ein großartiges Fest . Tagesschülerinnen und Pensionärinnen wetteiferten mit einander , dasselbe durch musikalische und theatralische Aufführungen , durch lebende Bilder u. s. w. so bunt und unterhaltend zu gestalten als möglich . Auch in diesem Jahre wurde keine Ausnahme gemacht , trotzdem Lilli kaum vier Wochen in der Erde ruhte . " Ich würde gern auf eine größere Feier verzichten , " sprach eines Tages die Vorsteherin zu der englischen Lehrerin und Fräulein Güssow , " aber ich darf es unserer Zöglinge wegen nicht tun . Mehr oder weniger hat sie Lillis Tod sehr ergriffen und sie hängen die Köpfe ; da ist das beste Mittel , sie wieder aufzumuntern , daß wir ihnen eine Zerstreuung schaffen . Mit aller Trauer können wir ja den Tod des lieben Kindes nicht ungeschehen machen . " Die beiden Damen stimmten ein und beschlossen untereinander , mit den Vorbereitungen zu dem Feste zu beginnen . Miß Lead übernahm es , ein englisches Stück , Fräulein Güssow , ein französisches Lustspiel einzustudieren . Erstere wählte nur Tagesschülerinnen zu ihren Mitwirkenden , während letztere ihre Rollen nur mit Pensionärinnen besetzte . Sie hatte aber erst einen kleinen Kampf mit den Mädchen , bevor dieselben die ihnen zugedachten Rollen annahmen . Flora , die eine alte Dame vorstellen sollte , war durchaus nicht damit einverstanden , sie behauptete , Rosi passe weit besser zu dieser Rolle , diese aber hatte nicht einen Funken schauspielerischen Talentes und würde sich niemals dazu verstanden haben , Theater zu spielen . Sie sprach auch weniger fließend französisch als Flora . Fräulein Güssow machte nicht viel Umstände . " Wie du willst , Flora , " sagte sie , " macht es dir kein Vergnügen , diese allerliebste Rolle zu übernehmen , so wähle ich eine Tagesschülerin dafür und du kannst diesmal nur Zuschauerin sein . " Das behagte Flora noch weniger . Nach einigem Zögern entschloß sie sich , freilich wie sie sagte , mit großer Selbstüberwindung , die Alte zu spielen . Ilse und Melanie stellten deren Töchter dar und paßten in ihren Charaktereigentümlichkeiten prächtig dazu . Melanie putzsüchtig , elegant und eitel , Ilse das Gegenteil . Wild und unbändig , trotzig und widerspenstig , natürlich nichts weniger als elegant führt sie die übermütigsten Streiche aus und die schwache Mutter ist nicht im stande , sie zu zügeln . Da erscheint ein junger , entfernter Verwandter , interessiert sich für den Wildfang und versteht es , durch Güte und Festigkeit die Tugenden in demselben zu wecken und die Widerspenstige zu zähmen . Zum Schlusse wird sie seine Braut . " Orla , du kannst die Rolle des Vetters übernehmen , " bestimmte die Lehrerin . " Orla ? " fragte Ilse verwundert , " sie kann doch keinen Mann darstellen ? " Es erhob sich ein wahrer Sturm unter den jungen Mädchen bei Ilses unschuldiger Frage . Die Stimmen schwirrten durcheinander , denn jede war bemüht , Ilse über ihre Unwissenheit aufzuklären . " Weißt du denn nicht , wie es bei uns Sitte ist ? " fragte Orla . " Mit Herren dürfen wir nicht Theater spielen , " bemerkte Flora spottend , " sie sind verpönt in der Pension ! " " Du bist naiv , Ilse ! " rief Melanie . " Das ist ja eben so ledern und furchtbar öde , daß wir Mädchen auch Männerrollen geben müssen ! " " Herren , Herren ! " wiederholte Annemie unter lautem Lachen , " es ist zum totlachen ! " " Ja , wenn Herren mitspielten , dann möchte ich Ilses Rolle spielen , " überschrie Grete mit ihrer kräftigen Stimme alle übrigen , " so aber - " " So aber wirst du den Bauernjungen übernehmen , Grete , " fuhr Fräulein Güssow dazwischen . Die Aufgeregten hatten ganz deren Gegenwart vergessen . " Und jetzt bitte ich mir Ruhe aus , ihr unbändigen Kinder ! Fräulein Raimar hat ihre triftigen Gründe zu ihren Bestimmungen , wie könnt ihr euch dagegen auflehnen ? Daß ihr noch zu kindisch seid , dieselben zu verstehen , habe ich in diesem Augenblicke klar und deutlich gesehen ! Schämt euch ! ... Jetzt macht euch daran , eure Rollen auszuschreiben , morgen werden wir eine Leseprobe halten . " Mit diesen Worten verließ sie die aufrührerische Gesellschaft . Alle schwiegen bis auf Grete , sie konnte nicht unterlassen , noch einmal zu sagen : " Langweilig ist es doch ohne Herren ! Und den dummen Bauernjungen spiele ich nicht ! " Aber sie spielte ihn doch und es zeigte sich bald , daß sie ganz vortrefflich dazu paßte . Die täglichen Proben brachten die gewünschte Zerstreuung . Ilse besonders fand viel Freude an einem Vergnügen , das ihr bis dahin unbekannt gewesen war . Die anfängliche Befangenheit überwand sie bald und sie spielte ihre Rolle zur vollen Zufriedenheit Fräulein Güssows , die zuweilen ein Lächeln über die höchst natürliche Darstellung nicht unterdrücken konnte . Zur Hauptprobe mußten alle in ihren Kostümen erscheinen , damit sie sich gegenseitig an den veränderten Anblick gewöhnten . Diese Bestimmung war sehr gut , denn als sie sich in ihren komischen Anzügen betrachteten , konnten sie das Lachen nicht zurückhalten . Flora mit langen Scheitellocken und einer Spitzenhaube , mit einem Lorgnon , das sie vor die Augen hielt , war kaum zu erkennen . Das elegante , schwarze Schleppkleid ließ sie weit größer erscheinen , als sie war . Sie war übrigens ganz ausgesöhnt mit ihrer { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } alten ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Partie und das Lob , welches Fräulein Güssow ihr einige Male erteilte , hatte sie zu der Idee gebracht , daß ihr eigentlicher Beruf der einer Schauspielerin sei , und sie träumte Tag und Nacht { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } von der Welt , welche die Bretter bedeuten ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Dichterin - Schauspielerin ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } . Eine große Zukunft stand ihr bevor ! Orla sah in ihrem Jägeranzuge , den grünen Hut keck auf das eine Ohr gesetzt , wirklich gut aus , und der kleine Stutzbart , mit dem sie die Oberlippe geziert hatte , gab ihr ein keckes Ansehen und stand ihr allerliebst . " Famos siehst du aus , Orla ! " meinte Melanie und betrachtete mit besonderem Entzücken deren Stulpenstiefel . " Du solltest immer so gehen , " setzte Flora ganz ernsthaft hinzu . Natürlich wurde sie ausgelacht . [ Illustration ] Grete war ein Bauernjunge , wie er sein muß . Plump und ungeschickt , dreist und laut . Melanie fühlte sich himmlisch wohl in dem koketten und eleganten Kostüm , das sie sich gewählt hatte . Sie stand vor dem Spiegel und putzte noch hie und da an sich herum . Und Ilse ? Sie trat als letzte herein und bei ihrem Anblick erhob sich ein so stürmisches Gelächter , daß Fräulein Güssow Mühe hatte , es zu dämmen . " Wie siehst du aus , Mädchen ? " sprach sie lachend , " komme näher , ich muß dich genau betrachten . Willst du wirklich in diesem Aufzug spielen ? Nein , Ilse , so geht es wirklich nicht . Wir müssen an deinem Kleide durchaus Verschönerungen anbringen ! Du bist auch gar zu wenig eitel , sonst würdest du wohl selbst darauf gekommen sein . " " Lassen Sie mich so ! " bat Ilse inständigst , sie war ja so glücklich , ihr geliebtes Blusenkleid bei dieser Gelegenheit tragen zu dürfen . Sie war aus demselben herausgewachsen , zu eng und zu kurz war es geworden , natürlich erhöhte dieser Mangel noch den komischen Eindruck . " Nein , Kind , unmöglich ! Du siehst wie eine Bettlerin aus . Der Ärmel darf nicht ausgerissen sein , der schlechte Gürtel muß durch einen neuen ersetzt werden , um den Hals wirst du einen Matrosenkragen legen und die fürchterlichen Stiefel laß vor allen Dingen blank putzen . Dann wird es gehen . Man darf nicht übertreiben , " fügte sie hinzu , als Ilse ein etwas betrübtes Gesicht machte , " stets muß das richtige Maß inne gehalten werden . Auch die Locken dürfen dir nicht so wirr über die Augen fallen , du kannst ja kaum sehen . Vergiß nicht , daß du die Tochter einer Baronin bist , dein Anzug darf verwildert , aber nicht zerrissen sein . " " Wollen wir nicht anfangen ? " trieb Miß Lead , die sich mit ihren Künstlerinnen ebenfalls zur Hauptprobe eingestellt hatte . Sie war schon etwas ungeduldig bei der genauen Musterung der Kostüme geworden und fand es höchst überflüssig , daß Fräulein Güssow überhaupt Wert darauf legte . Die Hauptsache war nach ihrer Meinung die vollständige Beherrschung der fremden Sprache , und daß die Mädchen ihre Rollen gut gelernt hatten , alles andere war Nebensache . Viel Gesten litt sie um keinen Preis , wollte ja eine Mitspielende es wagen , sich frei und natürlich zu bewegen , geriet sie förmlich außer sich und rief : " Ruhe ! Ruhe ! Wo bleibt die Plastik ? " Wie es fast immer der Fall ist , so war es auch hier ; die Hauptprobe fiel herzlich schlecht aus . Die Mädchen waren schon aufgeregt in Erwartung des nächsten Tages und wurden es noch mehr durch die Ungeduld von Miß Lead , die heftig erklärte , daß sie es für das beste halte , wenn die ganze Theateridee aufgegeben werde . Das französische Stück fand sie entsetzlich und sie gab Fräulein Güssow den guten Rat , es nicht aufführen zu lassen . " Ich bitte Sie , " rief sie aus , " es handelt sich um eine Liebesgeschichte ! Das wird den größten Anstoß erregen ! " Fräulein Güssow setzte der Engländerin lächelnd auseinander , daß nicht Kinder , sondern erwachsene Mädchen das Stück aufführten . " Die Liebesgeschichte , " wandte sie ein , " ist nur eine harmlose Nebensache , es handelt sich hauptsächlich um die Heilung eines widerspenstigen Mädchens . " Miß Lead schüttelte mißbilligend den Kopf , sie wollte sich nicht davon überzeugen . " Ilse wird Ihnen , wenn Sie wirklich auf Ihrem Vorsatz bestehen , alles verderben . Wie sieht sie aus , und wie spielt sie ? Plump , ohne jeden Anstand ! Das Podium der kleinen Bühne erdröhnt förmlich bei ihren furchtbaren Schritten , ihre Bewegungen sind frei und keck . " Fräulein Güssow schwieg zu diesem harten , ungerechten Urteil . Sie hatte es längst aufgegeben , die Engländerin von ihrem Vorurteile zu heilen . Starr hielt dieselbe daran fest . Ilse war und blieb ihr ein Dorn im Auge . Miß Lead hatte sich geirrt . Am nächsten Abend ging alles über Erwarten gut . Der glänzend erhellte Saal , die festlich versammelte Gesellschaft brachten eine belebende Stimmung unter das junge Volk . Die ganze Festlichkeit leitete ein Prolog ein , den eine Schülerin der ersten Klasse gedichtet hatte . Sie trug ihn selbst recht hübsch vor und erntete wohlverdienten Beifall . Nur Flora , die hinter den Kulissen stand , zuckte die Achseln . " Kein Schwung , keine Poesie und kein Talent ! " lautete ihr kritischer Ausspruch . Die Aufführung des englischen Stückes ging vorüber , glatt , reizlos und langweilig . Und wenn die Anwesenden sich dies in ihrem Inneren auch einstimmig eingestanden , so waren sie doch am Ende des Stückes mit Beifallsspenden nicht sparsam . Die Mitspielenden wurden herausgerufen , und als der rote Vorhang in die Höhe ging und die Mädchen sich dankend verneigten , strahlte Miß Lead vor Stolz und Seligkeit . " _Very well _ , " rief sie laut , " ihr habt eure Sache gut gemacht ! " Nachdem verschiedene lebende Bilder und musikalische Aufführungen vorüber waren , bildete das französische Lustspiel den Schluß . " Wollen Sie es wirklich wagen ? " wandte sich die englische Lehrerin in wohlwollendem , etwas herablassendem Tone zu Fräulein Güssow . " Schreckt Sie der große Erfolg , den wir erzielten , nicht ab ? Folgen Sie meinem Rate , treten Sie zurück ! Wir werden eine Entschuldigung finden . Der französische Flattersinn muß abfallen gegen die englische Gediegenheit . " Trotz Miß Lead's Bedenken begann das französische Stück , und sie mußte die niederschlagende Erfahrung machen , daß es weit beifälliger aufgenommen wurde , als das englische . Die Gesellschaft amüsierte sich köstlich und kam aus dem Lachen nicht heraus . Zweimal wurde Ilse bei offener Szene gerufen , so drollig und natürlich spielte sie . " Sie ist _ charmante , charmante _ ! " rief Monsieur Michael feurig , " ich habe Ursache , stolz auf sie zu sein . Leicht und elegant wie eine Pariserin spricht und spielt sie ! " " Sie spielt sich selbst ! " entgegnete Doktor Altoff lachend , " aber ich hätte dem Wildfang kaum so viel Anmut zugetraut . " Einen kleinen Triumph sollte Miß Lead doch noch feiern , - Ilse verdarb die Liebesszene am Schluß . In dem Augenblick , als Orla sie umarmen wollte , kam ihr das so komisch vor , daß sie in ein lautes Gelächter ausbrach . " Wie schade ! " rief Nellie halblaut . " Warum muß sie lachen ? Sie war zu nett , nun verderbt sie die Schluß . " Doktor Altoff , der zufällig in Nellies Nähe stand , hörte ihren Ausruf . " Trotzdem , Miß Nellie , " entgegnete er , auf einem leeren Stuhl neben ihr Platz nehmend , " ist ihre Freundin die Siegerin des Abends ; aber warum wirkten Sie nicht mit , warum sind Sie nur Zuschauerin ? Sie würden gewiß eine gute Schauspielerin sein . " Nellie senkte die Augenlider . " O , Sie sind sehr gütig , " sagte sie befangen , " aber ich weiß nicht zu spielen , Herr Doktor , ich habe nicht Talent . " " Das käme auf einen Versuch an ! Sehen Sie Ilse an , wer hätte geglaubt , daß sie eine so allerliebste Schauspielerin sein könne ! " " Nicht wahr ? " stimmte Nellie lebhaft und mit aufrichtiger Freude bei , " sie ist reizend und ich bin entzückend über ihr ! " Der junge Lehrer schwieg und sah sie teilnahmvoll an . Wie neidlos kamen ihr die Worte aus dem Herzen , wie leuchteten ihre Augen freudig auf , als sie die Freundin lobte ! Und im Vergleich zu Ilse , wie wenig hatte sie doch von der Zukunft zu hoffen ! Jene ein Kind des Glückes - und diese ? Ein armes Wesen , das den mühevollen Pfad einer Lehrerin pilgern sollte ! " Nicht wahr , ist sie nicht reizend ? " wiederholte Nellie und blickte fragend auf . " Gewiß , gewiß ! " gab der Lehrer zerstreut zur Antwort , und von dem Gegenstand plötzlich abspringend , fragte er : " Woher haben Sie die herrlichen Veilchen ? " und deutete dabei auf einen Strauß , den sie in der Hand hielt . " Sie duften wundervoll ! Ich liebe die Veilchen sehr . " Sie hörte nur , daß er die Veilchen liebe , bedurfte es da einer großen Überlegung ? " O nehmen Sie , " sagte sie naiv und errötete dabei , " bitte , es macht mich großer Freude ! " " Nicht alle , " entgegnete er lächelnd und zog einige Blumen aus dem Strauß , den sie ihm gereicht , " so , nun habe ich genug . Haben Sie Dank dafür . " Er erhob sich und verließ sie . Mit glänzenden Augen sah sie ihm nach , sie hatte bemerkt , wie er ihre Veilchen im Knopfloch befestigte . " Wie taktlos von dir ! " redete Miß Lead , die ihren Platz dicht hinter Nellie hatte , dieselbe an und riß sie mit ihrer scharfen Stimme aus allen Himmeln . " Welch ein Betragen ! Ich habe jedes Wort mit angehört . Schämst du dich nicht , einem Herrn Blumen anzubieten ? " Als ob ein eisiger Wind plötzlich in eine kaum erschlossene Blütenknospe gefahren wäre , so wurde Nellies kurze Freude zerstört . " Habe ich ein Unrecht gemacht ? " fragte sie geängstigt . " O bitte , Miß , sagen Sie , war ich ungeschickt ? Wird Herr Doktor mich für unbescheiden halten ? " Dieser Gedanke peinigte sie sehr und übergoß sie mit heißer Glut . Mit wahrer Angst wartete sie auf ein beruhigendes Wort und sah in der Lehrerin Gesicht , das indes nicht aussah , als ob sie zur Milde geneigt sei . " Jedenfalls wird er dich für sehr einfältig halten , " erwiderte sie unbarmherzig , " wenn er nicht vielleicht deine Handlungsweise zudringlich nennt . " " O nein , nein ! " rief Nellie beinahe entsetzt , " er wird nicht so hart von sein Schüler denken ! " " So , weißt du das so bestimmt ? " quälte Miß Lead sie weiter , " du bist kein Kind mehr , dem man allenfalls dergleichen Taktlosigkeiten vergibt , ein erwachsenes Mädchen darf niemals blindlings seinem Gefühle folgen ! " " Ich will bitten , daß er mir die Blumen wiedergibt , " sagte Nellie tief beschämt . " Das darfst du nicht , wenn du dich nicht noch mehr bloßstellen willst . Du wirst schweigen und dich niemals wieder vergessen ! Eine zukünftige Gouvernante muß jedes Wort , jeden Blick , und vor allem jede Handlung reiflich überlegen . Das merke dir ! " Traurig sah Nellie nach diesem harten Verweise zu Boden . Dahin war ihre fröhliche Laune , sie hatte keine Lust mehr an dem Feste . Eine heiße Träne tropfte ihr aus dem Auge und fiel auf die Veilchen , die Urheber ihres Kummers . Sie brannten ihr förmlich in der Hand und am liebsten hätte sie dieselben weit von sich geschleudert . Still und einsilbig blieb sie den ganzen Abend , und sobald Doktor Altoff in ihre Nähe kam , wich sie ihm ängstlich aus . Es war ihr unmöglich , ihm in das Auge zu blicken . Miß Lead hatte ihre frohe Unbefangenheit zerstört . Als die Freundinnen sich nach dem Feste zur Ruhe begaben , saß Nellie ganz gegen ihre Gewohnheit noch einige Zeit sinnend da . " Du bist so still , " fragte Ilse , " was hast du ? " " O nichts , nichts ! " erwiderte Nellie schnell und erhob sich aus ihrer träumenden Stellung , " es ist gar nix ! " Zum ersten Male verschwieg sie der geliebten Freundin die Wahrheit , sie vermochte es nicht , über ihren Kummer zu reden , und doch - was war es , das trotz allen Kummers ihr Herz schneller klopfen ließ und wie ein Frühlingswehen durch ihre Seele zog ? * * * Holunder und Maiblumen hatten ausgeblüht und die Rosen öffneten ihre duftigen Kelche . Nellie und Ilse wandelten nach dem Abendessen durch den Garten , und als sie im Gebüsch die Nachtigall schlagen hörten , blieben sie stehen und lauschten . " Wie süß ! " rief Nellie , " komme , laß uns auf der Bank setzen und lauschen . " Sie hielten sich beide umschlungen und sprachen kein Wort . Der herrliche , duftende Abend , der Mond , der silbern am Abendhimmel aufstieg , der schmelzende Gesang der Nachtigall weckten eine ahnungsvolle , nie gekannte Stimmung in ihren jungen Herzen . " O Ilse , " unterbrach Nellie mit einem Seufzer die feierliche Stille , " wie bald gehst du fort und läßt mir allein zurück ! Ich bin sehr traurig , wenn ich daran denke ! " Auch Ilse war wehmütig und der Gedanke , von Nellie scheiden zu müssen , machte ihr das Auge feucht . Aber sie unterdrückte mutig die weiche Stimmung und versuchte , die Freundin zu trösten . " Es ist noch lange hin , bis ich die Pension verlasse , " sagte sie , " du weißt ja , daß meine Eltern meinen Aufenthalt bis zum ersten September verlängerten . Noch acht Wochen sind wir beisammen , Nellie , das ist noch eine sehr lange Zeit , denke einmal , acht volle Wochen ! " Nellie schüttelte traurig den Kopf . " O nein , es ist nur sehr kurze Zeit , " erwiderte sie , " es sind auch nicht acht Wochen voll , du mußt ordentlich rechnen . Heute haben wir schon der siebente Juli , - macht bis zu der erste September vierundfünfzig Tage - fehlt also zwei volle Tag an der achte Woche - " Trotz ihres Kummers mußte Ilse lachen . " Du liebe , süße Nellie , " rief sie und küßte diese herzlich auf den Mund , " du bist doch immer komisch , selbst wenn du traurig bist ! Weißt du , wir wollen uns das Herz nicht heute schon schwer machen mit dem Gedanken an unsere Trennung , wir gehen ja nicht für immer auseinander ! Du besuchst mich bald , - ja ? " Aber Nellie war einmal weich gestimmt heute abend und der Freundin Trost fand keinen Eingang in ihrem Herzen . Sie versuchte zwar die Tränen zu unterdrücken , aber sie brachen immer neu hervor . Ilse lehnte den Kopf an ihre Schulter und schwieg . In ihrem Inneren kämpften der Schmerz und die Freude . Sie hätte so gern sich auf das Wiedersehen ihrer Lieben , besonders des kleinen Brüderchens , gefreut , sie vermochte es nicht ungetrübt , weil der Abschied von Nellie dazwischen stand . - " Hier sind sie ! Kommt , hierher ! Sie sitzen beide unter dem Holunderbusch ! " Keine andere als Grete war es , die durch ihren lauten Ruf die Träumenden aufschreckte . Unbemerkt war sie aus einem Seitenweg hervorgetreten und stand nun wie aus der Erde gewachsen vor ihnen . Ilse sprang auf und trat den anderen Mädchen , die herbeigeeilt kamen , entgegen . Nellie trocknete verstohlen ihre Tränen und machte wieder ein heiteres Gesicht . " Wir haben euch überall gesucht , " sagte Orla , " was macht ihr denn hier ? " " Ich glaube wahrhaftig , ihr schwärmt im Mondenschein , Kinder , " lispelte Melanie , " ihr macht so furchtbar schmachtende Augen alle beide , habt ihr geweint ? " Grete mußte sich hiervon genau überzeugen , sie trat zu Nellie und sah sie neugierig prüfend an . " Du hast geweint , Nellie - und du auch Ilse - " behauptete sie entschieden . " Was habt ihr denn ? Warum weint ihr ? " " Um nix ! " entgegnete Nellie ärgerlich über die unzarte Grete . " Um nichts weint man doch nicht , " fuhr dieselbe unbeirrt fort , " bitte , sagt es doch , warum ihr geweint habt . " " Laß deine zudringlichen Fragen , " verwies sie Flora , " und wenn sie dir sagen würden : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Der silberne Mond , die duftenden Rosen , der entzückende Sommerabend , so recht zur Liebe und Traurigkeit geschaffen , haben unseren Herzen Wehmut und Tränen entlockt ,{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } - würdest du das verstehen ? Niemals ! Denn du hast keinen Sinn für die höhere Sphäre - du bist zu prosaisch ! " Sie begleitete ihre Worte mit einem schwärmerischen Aufschlag ihrer wasserblauen Augen . Floras hochtrabende Äußerung stellte sofort die fröhlichste Stimmung her . Nellie vergaß ihr Herzeleid darüber und sagte lachend : " O Flora , was für ein zarter Seele ' du hast ! Sei bedankt du hoher Dichterin , du hast uns verstanden ! " " Kinder ! " unterbrach Orla die Sprechenden , " nun hört auf mit euren Albernheiten , ich habe euch eine höchst wichtige Mitteilung zu machen ! " Wichtige Mitteilung ! Grete sperrte Mund und Nase auf und sah gespannt auf Orla , zu der sie sich ganz dicht herangedrängt hatte . " Nicht hier ! " fuhr diese fort , " folgt mir unter die Linde ! " " Unter die Linde ? " fragte Annemie ängstlich . " Laß uns doch hier , es ist ja schon dunkel unter dem alten , großen Baum ! " " Ja , und es ist schon spät , wir müssen uns eilen , " fiel die ebenfalls furchtsame Flora ein . " Mache dir keine Sorge darum , liebste Flora , " gab Orla zurück , " denn höre und staune : Weil heute mein Geburtstag ist , hat Fräulein Raimar auf dringendes Bitten die hohe Gnade gehabt , unseren Aufenthalt im Garten heute abend bis um zehn Uhr zu verlängern ! " " Himmlisch ! Furchtbar reizend ! Zu nett ! " u. s. w. rief es durcheinander und Grete machte sogar einen kleinen , ungeschickten Sprung in die Luft . " Also auf zur Linde ! " kommandierte Orla und schlug den Weg dorthin ein . Ohne Gegenrede folgten ihr alle , in wenigen Augenblicken waren sie dort . Orla stieg auf eine Bank , die dicht am Stamme lehnte , schlug die Arme untereinander und sah schweigend auf die Mädchen herab , die einen dichten Halbkreis um sie bildeten und mit höchster Spannung auf sie blickten . " Meine lieben Freundinnen , " hob sie an , da raschelte es über ihnen in den Zweigen . Die Mädchen schraken zusammen . " Was war das ? " fragte Annemie , " Gott , wenn sich im Baume jemand versteckt hätte ! " " Oder wenn ein Gespenst wieder seinen Spuk triebe ! " sprach Melanie mit bebenden Lippen . " Wie unheimlich ist es hier ! " fiel Grete ein , " ich fürchte mich ! " " So ein Gespenst mit großer Feuerauge und fliegender Haar , " meinte Nellie und stieß Ilse an , "o , es wäre furchtbar ! " Orla stand ruhig und unerschrocken da , sie kannte keine Furcht . " Schämt euch ! " rief sie den Zagenden zu , " seid ihr erwachsene Mädchen ? Kann euch eine harmlose Fledermaus in die Flucht treiben ? Geht zurück , wenn ihr euch fürchtet , für Kinder passen meine Worte nicht ! Wollt ihr vernünftig sein ? " " Ja , ja ! " tönte es zurück , zwar etwas zaghaft , aber die Neugierde trug doch den Sieg über die Furcht davon . " So hört mich an ! Hier an dieser Stätte , unter dem Schutze unserer geliebten Linde laßt uns einen Bund schließen , der uns in Freundschaft für das ganze Leben vereinen soll . Wie lange wird es dauern und wir verlassen die Pension , und das Schicksal zerstreut uns in alle Winde ! " " In alle Winde ! " wiederholte Flora halblaut . " Nun frage ich euch , soll uns dasselbe für immer trennen ? Ich sage : nein ! wir werden uns wiedersehen ! Wir haben stets treu zusammengehalten , unsere Freundschaft darf nicht wie ein leerer Wahn verrauschen - " " Wie ein leerer Wahn verrauschen - " gab Flora als Echo zurück . " Ruhig ! " geboten die anderen , " laß Orla sprechen ! " " So frage ich euch denn : wollt ihr mit mir in diesem feierlichen Augenblicke geloben , daß ihr heute in drei Jahren zurückkehren wollt ? Hier unter der Linde , am siebenten Juli , morgens elf Uhr , soll uns ein frohes Wiedersehen vereinen . Seid ihr mit meinem Vorschlage einverstanden ? " " Ja ! " rief es einstimmig und begeistert , " wir kommen ! " " Schwört einen Eid darauf ! " Sie erhob drei Finger der rechten Hand und alle übrigen folgten ihrem Beispiele . Nur Rosi zögerte . " Es könnten doch Hindernisse eintreten , die eine Reise hierher unmöglich machten , " warf sie mit ihrer sanften Stimme ein . " Hindernisse , das heißt , nur wichtige Hindernisse heben den Eid auf ! " erklärte Orla . " In diesem Falle ist die Ausbleibende verpflichtet , durch einen ausführlichen Brief den Grund ihres Eidbruches anzugeben . Beschwört auch das ! " Wieder erhoben sich die Hände und diesmal zögerte Rosi nicht , sich dem Schwure anzuschließen . " Nun haben wir uns für ewig verbunden ! " nahm Orla wieder das Wort , " und jede von uns wird ihren Eid halten , damit wir indes stets desselben gedenken , mache ich euch einen Vorschlag . Wir wollen zur Erinnerung an diese heilige Stunde einfache , silberne Ringe anfertigen lassen , die wir an dem kleinen Finger der linken Hand tragen . Jede von uns erhält einen solchen und trägt ihn bis zu ihrer Sterbestunde . " " Bis zu ihrer Sterbestunde ! " sprach Flora langsam und elegisch nach . Die Ringidee wurde von allen reizend , famos und entzückend gefunden und mit Begeisterung angenommen . Orla , die von ihrem erhabenen Platze heruntergesprungen war , wurde umringt und mit schmeichelhafter Anerkennung überhäuft . Melanie prophezeite ihr geradezu eine große Zukunft als Rednerin , sie habe { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } furchtbar reizend ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } gesprochen . Alle befanden sich übrigens in einer gehobenen Stimmung , sie fielen sich in die Arme , küßten sich und versicherten sich gegenseitig der zärtlichsten Freundschaft , die nur mit dem Tode enden könne . Sie glaubten ganz ernst an ihre Versprechungen , kein Zweifel vergiftete ihre unschuldsvolle Zuversicht . Der Mond lugte wischen den Zweigen hindurch und blickte wie spottend mit einem Auge auf das rührende Schauspiel . Vielleicht verstand ihn der alte Baum , vielleicht bedeutete das leise Rauschen in seinem Wipfel die Antwort : Du Zweifler da oben , spotte nicht über die gläubigen Kinder . Weißt du nicht , daß es immer so war und immer so sein wird ? Die Träume der Jugend gehören zur jungen Brust , wie der Tau zur Rose . Enttäuschung und Nüchternheit töten früh genug diese Blüten der kurzen Maienzeit . " Orla , " sagte Flora , als sie langsam in das Haus zurückkehrten , " auch ich möchte einen Vorschlag machen . Wenn eine von uns Freundinnen , die wir uns bis in den Tod verbunden haben , in den Bund der heiligen Ehe tritt , so soll es ihre Pflicht sein , ihre Genossinnen zu diesem hohen Feste einzuladen . " " Ja , " stimmte Orla bei , " das ist ein guter Gedanke , wir wollen denselben mit einem Handschlag besiegeln . " Sie schlossen einen Kreis und reichten sich die Hände , verzogen auch keine Miene dabei . Nur Ilse konnte das Lachen nicht lassen , die Hochzeitsgedanken kamen ihr gar zu komisch vor . " Ich trete zwar niemals in den Bund der heiligen Ehe , aber ich gebe doch mein Handschlag zu die Einladung , " neckte Nellie . " Spotte nicht über so ernste Dinge , " sprach Flora zürnend . " Wir sind nicht aufgelegt zu deinen Scherzen . " " O , ich scherz gar nix , aber wie soll ein arm häßlich Engländerin mit sehr viel Sommerspross auf der Nase ein Mann bekommen ? " Diese komische Bemerkung verscheuchte den Ernst von den jugendlichen Stirnen und Scherz und Frohsinn kehrten zurück . Ehe sich Flora zur Ruhe begab , schrieb sie in ihr Tagebuch : " Welch ein großer , ereignisvoller Tag ! O , ich zittere noch , wenn ich daran denke ! Mondschein ! Rosenduft ! Linde ! Sang der Philomele ! Orla hinreißend gesprochen ( Meine nächste Heldin Orla heißen ! ) Freundschaftsbündnis ! Schwor ! Hochzeitsversprechen ! ( Meine entzückende Idee ! ) Handschlag darauf ! Wie heißt die Hochbeglückte , die zuerst denselben löst ? Schicksal , du dunkles , laß mich den Schleier heben ! Gibt es Ahnungen , sollte ich ? - " Sie legte die Feder nieder , schloß das Buch und verbarg es tief in ihrem Kommodenkasten . Ihre Hand zitterte und ihre Gedanken verwirrten sich . Sie legte sich nieder und schlief ein . Träumend sah sie sich im Brautkranz und weißen Atlaskleide . * * * Die acht Wochen , oder wie Nellie sagte : " vierundfünfzig Tage " , waren vorübergegangen . Der erste September brach an . Nellie hatte die ganze Nacht nicht schlafen können vor Herzeleid , der Abschied von der geliebten Freundin raubte ihr die Ruhe . Auch Ilse war es gleich ergangen und es war rührend , wie beide Mädchen bemüht waren , ihre Schlaflosigkeit und ihre Tränen sich gegenseitig zu verbergen . Als der Morgen anbrach , hielt Nellie es nicht mehr aus . Sie stand auf , warf ihr Morgenkleid über und schlich an Ilses Bett . " Wachst du ? " fragte sie , als dieselbe sie mit offenen Augen ansah , " das ist schön , nun können wir noch eine ganze Stunde plaudern , es hat eben Fünf geschlagen . " Sie setzte sich auf Ilses Bettrand und ergriff deren beide Hände , und als sie aufblickte und Tränen in Ilses Augen schimmern sah , da war es aus mit ihrer künstlichen Fassung . Sie beugte sich zu der Freundin nieder und indem sich beide fest umschlungen hielten , vermischten sich ihre heißen Tränen . " O , Ilse ! Wie einsam wird es sein , wenn dein Bett leer ist ! Oder wenn ein anderer Gesicht mir daraus ansieht , o , ich bin sehr , sehr traurig ! " Ilse hatte sich aufgerichtet und drückte die Weinende innig an sich . Zu sprechen vermochte sie nicht , es war ihr zu weh . " Wir sehen uns bald wieder , " sprach sie endlich mit zitternder Stimme und versuchte Nellie zu trösten . " Du besuchst uns in Moosdorf ; den ganzen Winter über wirst du bei uns bleiben . " Nellie schüttelte ungläubig den Kopf . " Das wird nix , ich werde nicht Erlaubnis bekommen zu ein so lange Besuch . Meine Zeit ist Ostern vorbei , dann heißt es : fort aus der Pension ! Ich muß eine Stelle annehmen und Kinder Unterricht geben . Aber ich weiß noch nicht viel und muß sehr fleißig lernen , Fräulein Raimar sagt es alle Tage . " " Aber die Michaelisferien darfst du gewiß bei uns zubringen . Meine Eltern werden selbst an Fräulein Raimar schreiben und sie dringend darum bitten , sie wird es ihnen nicht abschlagen , " entgegnete Ilse . " Es geht nicht , ich muß lernen ! " Ilse sah die Freundin traurig und bedauernd an . " Wenn du wirklich eine Gouvernante werden mußt , Nellie , so versprich mir fest , daß du alle deine Ferien bei uns in Moosdorf zubringen willst . Meine Heimat soll auch die deinige sein . " Mit einem Handschlage wurde dies Versprechen besiegelt . " Du bist sehr gut , Ilse , ich werde nie wieder ein Mädchen lieben wie dir . Vergiß mir nie ! Sieh dieser klein ' silbern ' Ring recht oft an und denke dabei immer an deine Nellie , die in Einsamkeit zurückgeblieben ist . " " Nicht einsam , " tröstete Ilse , " sie haben dich alle so lieb im Institute . " " Und wenn ich fort bin , aus der Auge , aus der Sinn , dann bin ich fremd für sie . " " Nein , Nellie , du wirst Fräulein Raimar und Fräulein Güssow nie eine Fremde sein ! " entgegnete Ilse mit vollster Überzeugung . " Sie haben dich furchtbar lieb ! " " O ja , ich weiß ; aber sie sind nicht mehr in Jugend und werden mir nie verstehen , wie du . Sie haben vergessen , wie man ein dumm Streiche macht ! Denkst du noch an der Apfelbaum ? " Die Erinnerung an diese lustige Fahrt trocknete ihre Tränen und rief ein fröhliches Lächeln auf ihre Lippen . Jede geringe Kleinigkeit durchlebten sie in Gedanken noch einmal . Die Spukgeschichte . Miß Lead in ihrem wunderbaren Aufzug . Die Stiefelspitze , die sie beinahe verriet , ach , und die Angst , die sie ausgestanden ! - " Und es war doch schön ! " rief Nellie aus , " ich wünsche , daß wir noch einmal alles machen könnten ! " " Wenn du nach Moosdorf kommst , " sagte Ilse , " dann wollen wir in die Bäume klettern nach Herzenslust ! Du wirst es bald lernen ! O , es wird dir bei uns gefallen ! Wir haben ein großes , schönes Wohnhaus mit Türmchen und Söllern , fast wie ein Schloß . Du wirst dein Zimmer dicht neben mir haben , das ist doch reizend , nicht wahr ? Ich fahre dich alle Tage mit meinen Ponies spazieren , und Hunde haben wir zum Entzücken ! " So plauderte Ilse von der Heimat und schilderte der Freundin lebhaft und feurig die dortigen Herrlichkeiten . Auf diese Weise kamen sie für den Augenblick über das Weh des Abschieds hinweg , die Aussicht auf ein nicht allzufernes Wiedersehen versüßte ihren herben Trennungsschmerz . - Wenige Stunden später stand Ilse reisefertig vor Fräulein Raimar und sagte ihr Lebewohl . Die Vorsteherin hielt sie im Arme und redete liebevoll auf sie ein . " Es tut mir leid , daß dein Vater verhindert ist , dich abzuholen , " sagte sie , " nun mußt du die weite Reise allein machen ! Gern hätte ich ihn auch noch einmal gesprochen und mancherlei mitgeteilt , was ich nun schriftlich tun mußte . Wie erstaunt wird er sein , wenn er dich wiedersieht , er wird die frühere Ilse gar nicht wieder erkennen ! Weißt du wohl noch , wie ungern du damals zu uns kamst ? " " Verzeihen Sie mir , " bat Ilse unter Tränen , " und vergessen Sie , wenn ich Sie kränkte ! " " O , rede nicht davon ! Du bist uns allen eine liebe Schülerin geworden und ungern sehen wir dich scheiden . Ich hoffe , du schreibst mir zuweilen , liebe Ilse , und gibst mir Nachricht , ob du gute Fortschritte in der Musik und besonders im Zeichnen machst . Ich habe den Papa gebeten in diesem Briefe , " sie übergab Ilse denselben , " daß er dir noch in einigen Fächern Nachhilfe geben lassen möge , besonders möge er für einen tüchtigen Lehrer im Zeichnen sorgen , da du viel Talent dazu habest . " Fräulein Güssow trat ein und meldete , daß der Wagen vor der Türe stehe , sie und Nellie begleiteten Ilse zur Bahn . " Lebe wohl denn , mein Kind , " sagte die Vorsteherin , " und wenn du einmal Sehnsucht nach der Pension bekommen solltest , so kehre zu uns zurück , jederzeit wirst du uns von Herzen willkommen sein . " Im Hausflur standen die Freundinnen versammelt . Sie umringten die Scheidende und reichten ihr Blumensträuße . Natürlich küßten und herzten sie sich unter Tränen . " Vergiß uns nicht ! " " Schreibe bald ! " " Ich habe dich furchtbar lieb gehabt ! " so und ähnlich klang es durcheinander , und ehe Ilse in den Wagen stieg , flüsterte Flora ihr zu : " Gedenke deines Schwurs ! " " Die Blumen werden dir lästig sein unterwegs , Ilse , " meinte Fräulein Güssow , die bereits mit Nellie im Wagen Platz genommen hatte , " laß sie zurück und nimm aus jedem Strauße nur einige Blümchen mit . " Aber welches junge Mädchen würde auf diesen vernünftigen Vorschlag eingegangen sein ! Eine Abreise ohne Strauß ist gar keine richtige Abreise nach heutigem Begriffe . Natürlich schüttelte Ilse den Kopf und sah das Fräulein bittend an . " Ich möchte sie so gern alle mitnehmen , " sagte sie . " Aber wie ? " Darauf gab Rosi die Antwort . Sie hatte ein offenes Körbchen herbeigeholt und legte den ganzen Blumenvorrat vorsichtig hinein . Und nun zogen die Pferde an ; noch ein " Lebewohl " , ein letzter Abschiedsblick , ein Grüßen mit dem Tuche und hinter ihr lag die Stätte , an der sie eine glückliche und lehrreiche Zeit verlebt . Ilse lehnte sich im Wagen zurück und weinte laut . Als die Damen am Bahnhofgebäude anlangten , war der Zug soeben eingefahren . Er hatte fünfzehn Minuten Aufenthalt und Fräulein Güssow hatte Zeit , ein passendes Coupé für Ilse auszusuchen . " Wo ist ein Damenkupee ? fragte sie den Schaffner , " diese junge Dame fährt nach W. " " Hier ! hier ! " rief es aus dem Fenster eines Kupees hinter ihr , " hier können junge , hübsche Damen Platz nehmen ! " Das Fräulein wandte den Kopf und blickte in ein fröhliches Studentenangesicht . Das Zereviskäppchen saß ihm keck auf einem Ohr und kaum geheilte " Schmisse " schmückten Kinn und Wange . Hinter ihm standen noch einige andere Studenten und lachten zu dem Scherze ihres Freundes . Laut und ungeniert bewunderten sie die jungen Mädchen . " Entzückend ! Wunderbar ! Fortuna mit dem Füllhorne ! " riefen sie den Damen nach , die sich eilig entfernten . - Fräulein Güssow ergriff unwillkürlich Ilses Hand , die hocherrötet war . [ Illustration ] " Wie unverschämt ! " sagte sie entrüstet , " wie konnten sie das wagen ! Ach Ilse , ich bin in Sorge um dich ! " - Und sie ließ einen recht besorgten Blick über das junge Mädchen hingleiten , das in seinem schottischen Reisekleide , dem passenden Barett mit blau schillerndem Flügel an der Seite , überaus lieblich aussah . - " Du reistest noch niemals allein , und jetzt mußt du ohne Schutz die lange Fahrt machen . Wenn doch dein Papa dich abgeholt hätte ! " " Das war nicht möglich ! " entgegnete Ilse . " Er mußte daheim bleiben , um Mamas einzigen Bruder , der zehn Jahr in der Welt umhergereist ist , heute zu begrüßen . Ich habe ihn selbst darum gebeten , als er mir schrieb , daß er trotzdem kommen wolle . Ich bin auch gar nicht ängstlich , es ist ja heller Tag . Papa hat mir auch die ganze Reiseroute so genau aufgeschrieben , daß ich mich nicht irren kann . " " Lies mir das noch einmal vor , " sagte Fräulein Güssow . " Ich möchte dich gern mit meinen Gedanken begleiten . Du , Nellie , könntest indessen Ilses Handgepäck in das Coupé legen . " Ilse nahm aus einem roten Ledertäschchen , das sie an ihrem Gürtel befestigt an der Seite trug , einen Brief und las : " Um elf Uhr Abfahrt von dort , um zwei Uhr Ankunft in M. Bis drei Uhr Aufenthalt daselbst . Dann Weiterfahrt _ ohne umzusteigen _ bis Lindenhof . Um fünf Uhr langst du dort an , steigst aus und wirst von meinem alten Freunde , Landrat Gontrau mit seiner Frau , empfangen . Sie nehmen dich mit hinaus nach Lindenhof , wo du , auf ihre dringenden Bitten , übernachtest . " Am anderen Mittag fährst du weiter und Gontrau hat mir versprochen , dich sicher zur Bahn zu befördern und alles Nötige für deine Weiterreise zu besorgen . " Vergiß nicht , eine Photographie von mir in die Hand zu nehmen ; Gontraus , denen du ja unbekannt bist , werden dich daran erkennen . " " Hast du das Bild ? " fragte das Fräulein , und als Ilse bejahte , gab sie derselben noch mancherlei gute Lehren mit auf den Weg . " Ich weiß , du bist verständig und wirst auch vorsichtig sein , aber du bist noch unerfahren und kennst die Welt und die Menschen nicht ; - es gibt Leute , die gar zu gern unsere ganzen Lebensverhältnisse herauslocken möchten und höchst geschickt zu fragen verstehen ; weiche ihnen soviel wie möglich aus und sei höchst vorsichtig in deinen Äußerungen . Für alle Fälle warne ich dich aber , in keiner Weise eine Aufmerksamkeit oder eine Gefälligkeit , wenn sie dir überflüssig erscheint , von einem Herrn , sei er jung oder alt , anzunehmen . Folge nur stets deiner zurückhaltenden Natur , liebes Herz , dann wirst du auch das Rechte tun . " " Einsteigen ! " rief der Schaffner und unterbrach die liebevollen Ermahnungen der jungen Lehrerin . Weinend umarmte Ilse dieselbe , und alles , was sie an Liebe und Dankbarkeit für dieselbe empfand , stammelte sie in zwei Worten mühsam hervor : " Dank - Dank - " " Lebe wohl denn , mein geliebtes Kind ! " entgegnete diese und schloß ihr den Mund mit einem innigen Kusse . Und Nellie ? Der Abschied von ihr war der schwerste Augenblick für Ilse . " Behalte ' mir lieb , " bat sie kaum hörbar und sah dabei so unglücklich aus , als ob das Glück für immer von ihr scheide . Und Ilse hielt sie fest umschlungen und vermochte kein Wort hervorzubringen , - dann riß sie sich los und stieg ein . Im letzten Augenblicke stieg noch eine alte Dame mit weißen Locken ein . Sie war ganz außer Atem von dem eiligen Gehen und schien etwas ängstlich und unbeholfen zu sein . Fräulein Güssow war ihr beim Einsteigen behilflich und als der Schaffner ihr Billett kupierte , erfuhr sie zu ihrer großen Freude , daß die Dame und Ilse die gleiche Reisetour hatten . Sie richtete die herzliche Bitte an dieselbe , daß sie das junge Mädchen unter ihren Schutz nehmen möge . Mit größter Liebenswürdigkeit versprach dies die Dame . Langsam setzte sich der Zug in Bewegung . Ilse lehnte zum Fenster hinaus und grüßte mit dem Tuch die Zurückbleibenden . - Schmerzlich bewegt blickte Fräulein Güssow dem Zuge nach , es war ihr , als ob er ein Stück von ihrem Herzen mit sich nähme ! Noch nie hatte sie mit so vieler Liebe und Hingebung sich der Erziehung einer Schülerin gewidmet , noch nie hatte sie sich durch den glücklichen Erfolg so belohnt gefühlt . - Nun ging sie fort und wer konnte sagen , ob sie das Kind je wiedersehen werde ? " Komme , " wandte sie sich der laut schluchzenden Nellie zu , " wir wollen gehen ! " Und sie zog Nellies Arm durch den ihrigen und sprach tröstende Worte zu ihr - und hatte doch selbst ein so tiefbetrübtes Herz . * * * Im Flug entführte der Dampfwagen Ilse dem Orte , den sie unter so verschiedenartigen Gefühlen betreten und wieder verlassen hatte . Reichlich flossen ihre Tränen . Sie hielt das Tuch gegen die Augen gedrückt und die liebliche Gegend , an der sie vorüberfuhr , die Berge , die ihr vertraute Bekannte geworden , erhielten keinen Abschiedsgruß von ihr . Ein Sonnenstrahl stahl sich zum Fenster hinein , fiel auf ihr lockiges Haar und färbte es golden , aber Trost in ihrem Kummer vermochte er ihr nicht zu bringen . Die Dame sah teilnehmend auf die Weinende , aber sie störte sie nicht in ihrem Schmerze . Erst als sie bemerkte , daß Ilse ruhiger wurde , knüpfte sie ein Gespräch mit ihr an . " Ich verstehe Ihren Kummer wohl , liebes Kind , " sagte sie herzlich , " und kann Ihnen nachempfinden , wie Ihnen um das Herz ist . So ein Abschied von der Pension ist ein wichtiger Abschnitt , es tut weh , von den Freundinnen scheiden zu müssen , die man lieb gewonnen hat , - aber Kind , so gar trostlos müssen Sie das alles nicht ansehen . Die Trennung ist ja nicht für das ganze Leben , die Freundinnen werden Sie in Ihrer Heimat besuchen . Es ist wohl schön in Ihrer Heimat ? " Das war eine Frage zur rechten Zeit . Ilses Kinderaugen lachten noch unter Tränen die Fragerin an . Sie fing an , lebhaft zu erzählen , ihre Gedanken kehrten in das Elternhaus zurück , und zum erstenmal dachte sie seit längerer Zeit mit ungetrübter Sehnsucht an dasselbe . " Wie werden Sie sich freuen , die Eltern wiederzusehen ! " fuhr die Dame fort , die großes Wohlgefallen an dem jungen Mädchen fand . " O sehr , sehr ! " entgegnete Ilse , " und besonders freue ich mich auf den kleinen Bruder , den ich noch gar nicht kenne ! Ich habe sein Bild bei mir , darf ich es Ihnen zeigen ? " [ Illustration ] Sie nahm eine Ledertasche von oben herab , öffnete dieselbe und nahm ein Album daraus hervor . " Das ist er ! " sagte sie und zeigte mit Stolz auf einen kleinen , dicken Buben , der im Hemdchen photographiert war . " Ein schönes Kind ! " bewunderte die Dame , " und ist das Ihre Mama , die den Kleinen auf dem Schoße hält ? " Ilse bejahte . " Hier ist mein Papa , " fuhr sie fort und holte sein Bild aus dem Saffiantäschchen . Was war natürlicher , als daß sie bei dieser Gelegenheit erzählte , daß ihr das Bild zum Erkennungszeichen dienen solle , wenn Gontraus sie empfangen würden . " Gontrau ? " fragte die alte Dame , " Landrat Gontrau ? Das sind ja liebe Bekannte von mir . Mein Mann , Sanitätsrat Lange , ist seit langen Jahren Arzt in ihrem Hause ! Wir wohnen in L. , das ist die nächste Station von Lindenhof . Wie sich das wunderbar trifft ! Nun stecken Sie das Bild Ihres Papas nur getrost ein , wir haben es nicht mehr nötig ; jetzt werde ich Sie meinen Freunden zuführen ! So viel Zeit habe ich bei meinem kurzen Aufenthalte ! " Ilse war sehr erfreut über diesen wunderbaren Zufall , und im Geplauder mit der liebenswürdigen , feingebildeten Frau Rat verging ihr die Zeit mit Windesschnelle . Sie war ganz erstaunt , als der Schaffner das Coupé öffnete und hineinrief : " Station M. ! Sie müssen aussteigen , meine Damen ! " " Schon ! " rief Ilse und griff nach ihren Sachen . Frau Rat hatte sich auch erhoben und suchte ihr Handgepäck zusammen . Es geschah alles mit ängstlicher Hast , ihre Hände zitterten etwas in nervöser Aufregung . Eine Ledertasche , die sie von oben herabnahm , entfiel ihrer Hand . Das Schloß an derselben sprang auf und verschiedene kleine Gegenstände kollerten auf den Boden . " O Gott ! " rief sie erschrocken , " was habe ich da gemacht ! " - Sie wollte sich bücken und ließ eine Schachtel dabei fallen . " Bitte , lassen Sie mich alles besorgen ! " beruhigte sie Ilse . Schnell hatte sie alles aufgesucht und wieder in die Tasche getan . Das Portemonnaie der Frau Rat , das sich ebenfalls unter den herausgefallenen Dingen befand , steckte sie tief hinein in die Tasche , verschloß dieselbe vorsichtig und gab sie der geängsteten Dame in die Hand . " So , " sagte sie , " nehmen Sie das an sich , für Ihre übrigen Sachen werde ich Sorge tragen . " Sie legte sämtliches Handgepäck zusammen auf den Sitz , stieg dann hinaus , ließ sich dasselbe von der Dame zureichen , übergab es einem bereitstehenden Packträger und half endlich der Frau Rat vorsichtig die hohen Stufen hinabsteigen . " Danke , danke , liebes Kind , " sagte diese . " Wie umsichtig und verständig Sie alles besorgen ! Ich hätte das bei Ihrer Jugend kaum erwartet . " Ilse wunderte sich selbst darüber , wer weiß aber , ob ihre Selbständigkeit sich so plötzlich entwickelt hätte , wenn die hilflose Art und Weise ihrer Begleiterin dieselbe nicht herausgefordert hätte . - Ganz stolz hob sie den Kopf bei diesem Lobe und wünschte : wenn Fräulein Güssow doch gleich dasselbe hören könnte ! Sie hatte so große Besorgnisse gehabt , und jetzt war sie Beschützerin , anstatt daß sie beschützt wurde ! - Es war wirklich ein recht erhebendes Gefühl für sie , leider nicht von langer Dauer ! Als sie mit Frau Rat langsam dem Stationsgebäude zuschritt , hörte sie laute Zurufe aus einem Coupé des noch haltenden Zuges . Ein flüchtiger Blick und sie hatte sofort die Studenten erkannt . Ganz ängstlich ergriff sie den Arm der Dame , denn in diesem Augenblick war all ihre frohe Sicherheit geschwunden und sie fühlte sich recht eines Schutzes bedürftig . " Lebe wohl - lebe wohl - du süße Maid ! - Nur einen Abschiedsblick , reizendes Lockenköpfchen ! " riefen die Übermütigen , und als der Zug schon im Weiterfahren war , warf einer von ihnen ihr eine herrliche Rose zu , sie fiel gerade zu ihren Füßen . Ilse wandte sich ab , sie wußte vor Scham und Verlegenheit nicht , wohin sie den Blick wenden sollte . " Kannten Sie die jungen Herren ? " fragte Frau Rat. - Ilse verneinte und erzählte , daß sie dieselben zum ersten Male bei ihrer Abreise gesehen . " Ja , das ist lustiges Blut ! " meinte Frau Rat . " Die ganze Welt gehört ihnen und man darf es ihnen nicht übel nehmen , wenn sie sich mehr herausnehmen als andere . - Wollen Sie die Rose nicht aufnehmen , Kind ? " Ilse hatte wohl den Wunsch , aber sie schüttelte doch den Kopf . " Ich darf nicht , " sagte sie , und Fräulein Güssows Worte : " keine Aufmerksamkeit von einem Herrn anzunehmen , " standen mahnend vor ihrer Seele . - Der Werfer fuhr freilich auf und davon und niemals hätte er erfahren , ob sie die Rose nahm oder nicht , - trotzdem schwankte sie nicht , ihre Gewissenhaftigkeit und das eigene Bewußtsein waren die Wächter , die sie zurückhielten . Frau Rat verstand sofort Ilses Benehmen und freute sich über ihr Taktgefühl . " Sie haben recht , Kind , " sagte sie , " und eigentlich beschämen Sie mich etwas . Aber ich dachte nicht gleich daran , wer die Blume geworfen hat . Ich sah das herrliche Prachtexemplar im Staube liegen und es tat mir leid um die unschuldige Rose . " Nach einer Stunde Aufenthalt fuhren die Damen weiter . Ilse hatte die Zeit benützt , eine Korrespondenzkarte an Fräulein Güssow zu schreiben . Als sie schrieb , meldete sich der Abschiedsschmerz aufs neue . Es verwischten sogar einige Tränen die frische Schrift ; aber sie meldete , daß ihr die Reise bis jetzt furchtbar schnell vergangen sei , und Frau Rat wäre eine zu entzückende Frau . Die Erwähnte dachte ungefähr ebenso von ihrer jungen Reisegefährtin . Sie hatte in der kurzen Zeit eine warme Zuneigung zu derselben gefaßt . Ilse war so ganz anders als all die jungen Mädchen ihrer Bekanntschaft . Sie verglich sie mit einem sprudelnden Waldquell , dessen Wasserspiegel bis auf den klaren Grund sehen läßt . Wahr und offen und doch nicht geschwätzig , natürlich und ohne jede Ziererei . Und doch , wie hübsch war die Kleine ! - Frau Rat blickte mit innerer Freude in Ilses rosiges Gesicht , in ihre braunen Augen , die ein so getreuer Spiegel ihrer Seele waren ; die sie traurig und tränengefüllt , fröhlich und schelmisch aufleuchten sah , und deren dunkle Wimpern sich sittsam senkten , als übermütige Studenten ihr huldigen wollten . " Nun sind wir in wenigen Minuten in Lindenhof und müssen uns trennen , " sagte Frau Rat . " Es tut mir von Herzen leid , ich habe Sie sehr lieb gewonnen . Versprechen Sie mir fest , mich zu besuchen , wenn der Zufall Sie in die Nähe von L. führen sollte . " Ilse versprach das gern und gestand , daß auch ihr das Scheiden schwer werde . Frau Rat hätte so { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } himmlisch ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } verstanden , sie zu trösten . " Da sind wir schon ! " rief Frau Rat und steckte den Kopf zum Fenster hinaus , um sich nach Gontraus umzusehen . Sie waren nicht zu erblicken . Einige Bauernfrauen standen wartend mit ihren Tragkörben da , sie wollten mit dem Zuge weiterfahren , das war alles . - Ilse hatte auch hinausgeschaut und als sie niemand anwesend sah , der sie erwartete , wurde es ihr recht bange . " Ach ! " seufzte sie , " was fange ich nun an ! Ich bin ganz verlassen hier ! Lassen Sie mich mit Ihnen weiterfahren , liebe Frau Rat , und nehmen Sie mich für die eine Nacht auf . Bitte , bitte ! " " Wie gern täte ich das , mein Kind ; aber das wäre gegen die Bestimmung Ihrer Eltern . Gontraus werden noch kommen , auf jeden Fall ! Sie haben sich etwas verspätet , Sie können es glauben . Was würden sie sagen , wenn Fräulein Ilse davongeflogen wäre ? " Ilse seufzte schwer und stieg aus . Ihr Gepäck , auch die Blumen , die trotz des häufigen Besprengens mit frischem Wasser die Köpfchen traurig hängen ließen , hatte sie aus dem Coupé gehoben , - nun stand sie da und sah sich hilflos nach beiden Seiten um . " Machen Sie nicht ein so trostloses Gesicht , liebes Kind , " beruhigte die alte Dame , " es wäre ja noch immer kein Unglück , wenn Gontraus durch irgend ein Mißverständnis Sie heute nicht erwarteten ! In diesem Falle bestellen Sie einen Wagen im Stationsgebäude und fahren nach Lindenhof hinaus . In einer guten Stunde sind Sie dort , und daß Sie bei den lieben Menschen mit offenen Armen empfangen werden , dafür stehe ich ein . " " Nein , nein ! das tue ich nicht ! Das würde ich nicht wagen ! " rief Ilse ganz erschrocken . " Ich weiß ja gar nicht , ob man mich haben will ! Ich kann doch nicht unbekannten Leuten in das Haus fallen ! " Es leuchtete so etwas vom alten Trotze dabei aus ihren Augen und die Oberlippe kräuselte sich in verdächtiger Weise . Frau Rat lächelte über den jugendlichen Ungestüm . " Man will Sie haben , und fremde Leute sind es auch nicht , zu denen Sie kommen , kleine Ungeduldige , " sprach sie scherzhaft . " Der Landrat ist ein sehr guter Freund Ihres Vaters . " Ilse konnte sich nicht dabei beruhigen , sie wurde sogar noch niedergeschlagener . Als Frau Rat bemerkte , daß sie nur noch fünf Minuten beisammen sein würden , füllten sich ihre Augen mit Tränen . " Gehen Sie einmal schnell um das Gebäude , dort können Sie die ganze Chaussee überblicken , die nach dem Rittergute führt . Vielleicht sehen Sie den Wagen kommen . " Sie tat , wie ihr geraten wurde . Im vollen Laufen öffnete sie das Saffiantäschchen und nahm Papas Bild heraus . " Es ist zwar doch vergeblich , " dachte sie , " aber ich will es für alle Fälle in die Hand nehmen . " [ Illustration ] Kaum hatte sie sich entfernt , kaum war sie links um das Haus gegangen , als von der anderen Seite desselben ein junger , schlanker Mann mit leichtem , elastischen Schritt eilig hervortrat . Sein Auge glitt suchend über den Perron , dann ging er dicht an dem Zuge entlang und spähte forschend in jedes Coupé . Frau Rat hatte ihn sofort entdeckt und ihre Züge verklärten sich , - der Suchende war niemand anders als der Sohn des Landrats . " Leo ! Leo ! " rief sie ihn an , " komme , schnell ! Wo sind deine Eltern ? Du suchst sie , nicht wahr ? Ich bin mit ihr gefahren - sie ist ein reizendes , junges Mädchen ! Frisch wie eine Waldblume , sage ich dir . Dort ist sie um das Haus gegangen ! " " Was für eine Waldblume meinst du , Tante Rat ? " fragte der junge Mann etwas erstaunt und sah mit seinen offenen , klugen Augen die Angeredete , die sehr schnell und mit lebhaften Gesten gesprochen hatte , an . " Von wem sprichst du ? " " Von ihr - von ihr ! " rief sie zurück . " Von Ilse , die ihr erwartet , " wollte sie eigentlich sagen , aber der Name fiel ihr im Augenblick nicht ein ; das betäubende Läuten der Glocke , die das Zeichen zur Abfahrt gab , machte sie nervös und verwirrte sie , es kam noch hinzu , daß der junge Mann ihren Worten wenig Aufmerksamkeit schenkte und immer auf dem Sprunge stand , sie zu verlassen . " Ich muß dich verlassen , Tante ! " sagte er denn auch , " ich muß mich nach einem Kinde umsehen , das ich mit diesem Zuge erwarte - " " Sie ist es ! Sie ist es ! " rief sie lebhaft , aber er hörte ihre Worte nicht mehr , sondern von neuem ging er suchend den Zug entlang . " Haben Sie ein allein reisendes Kind bemerkt - und ist dasselbe vielleicht hier ausgestiegen ? " fragte er einen Schaffner . " Nein ! " antwortete dieser und schwang sich auf seinen hohen Sitz hinauf , denn der Zug setzte sich langsam in Bewegung . Als Frau Rat an ihm vorüberfuhr , rief sie ihm einige Worte zu , leider vergeblich , er verstand sie nicht . Assessor Gontrau blieb stehen , etwas ratlos und nachdenklich . Der Oberamtmann Macket hatte seinen Vater gebeten , daß er sofort bei Ilses Ankunft telegraphieren möge , ob sie glücklich angekommen sei . Was sollte er jetzt tun ? Es blieb ihm nichts anderes übrig , als eine Depesche abzusenden mit den Worten : " Nicht angekommen ! " Eben im Begriffe , sich zu diesem Zwecke in das Büro zu begeben , fiel sein Blick auf einen Brief , der auf der Erde dicht vor ihm lag . Er hob ihn auf und las die Aufschrift auf dem geöffneten Kuvert . Nicht wenig erstaunte er , als er die Adresse las : " Fräulein Ilse Macket , " - sonderbar ! Der Schaffner und die Leute hier haben kein Kind aussteigen sehen und doch muß es angekommen sein ! " Wissen Sie nicht , wer den Brief verloren hat ? " wandte er sich an eine Frau , die einen kleinen Obststand in der Nähe hatte . " Gesehen habe ich es gerade nicht , " meinte die , " aber ein junges Fräulein mit Locken hat ihn gewiß mit aus der Tasche gezogen . Ich sah , daß sie etwas herausnahm . Die dort war es , " unterbrach sie sich plötzlich und zeigte auf Ilse , die um das ganze Haus gegangen war und von der entgegengesetzten Seite gerade hervortrat , als der Zug abfuhr . Ihre alte Freundin grüßte noch einmal zärtlich zum Fenster hinaus , machte auch allerhand bedeutungsvolle Zeichen , winkte nach der anderen Seite zu Leo hinüber , - Ilse verstand nichts von allem . Höchst unglücklich stand sie da und blickte dem Zuge nach , der ihre einzige Bekannte hier in die Ferne führte . " Nun bin ich verlassen ! " sprach sie für sich , " was soll ich nun anfangen ! " Es war merkwürdig , wie ihre mutige Sicherheit ein so schnelles Ende genommen hatte . - Wie recht hatte Fräulein Güssow mit ihrer Besorgnis ! Auf diesen Fall war sie gar nicht vorbereitet ! Was sollte sie nun beginnen ? Am liebsten hätte sie wie ein kleines Kind angefangen zu weinen , sie schämte sich nur vor dem jungen , blonden Postbeamten , der zu einem Parterrefenster hinauslehnte und sie neugierig beobachtete . Aus ihrer peinlichen Ratlosigkeit schreckten sie plötzlich eilige Schritte auf und gleich darauf erfolgte die Anrede : " Gnädiges Fräulein , ich bitte um einen Augenblick ! " Ilse wandte den Kopf , und als ihr Auge flüchtig die Gestalt eines jungen Mannes streifte , erfaßte sie eine unnennbare Angst . Was wollte er von ihr - warum redete er sie an ? Sie verlor alle ruhige Fassung und nur der eine Gedanke beherrschte sie : Du darfst ihn nicht anhören ! - Als ob sie nichts gehört habe , ging sie weiter , und als sie bemerkte , daß sie verfolgt wurde , beschleunigte sie ihre Schritte . Wie ihr das Herz klopfte vor Angst und Aufregung ! " Sie haben etwas verloren , gnädiges Fräulein , wollen Sie nicht die Güte haben , mir einen Augenblick Gehör zu schenken ! " rief er dringend . Nun stand sie still , aber sie wagte nicht , sich nach ihm umzusehen . Er benützte schnell diesen Moment und trat vor sie hin . Mit einem leichten , spöttischen Lächeln betrachtete er den kleinen Backfisch , der so ängstlich und blöde vor ihm davonlief . Schon schwebte ihm eine etwas ironische Bemerkung auf den Lippen , die er indes unterdrückte , als er in das liebliche , rosige Antlitz sah . Mit niedergeschlagenen Augen und in ängstlicher Verlegenheit stand sie vor ihm . - { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Wie eine Waldblume ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } hatte Tante Rat zu ihm gesagt , jetzt wußte er , wen sie damit gemeint . " Ich fand diesen Brief dort , " sprach er , " gehört er vielleicht Ihnen ? " Ein flüchtiger Blick belehrte Ilse , daß er den Brief ihres Papas in der Hand hielt . " Ja , " sagte sie , ziemlich beschämt über ihr albernes Davonlaufen , " er gehört mir . " - Sie nahm ihn in Empfang , ohne den jungen Mann anzusehen . " Ich danke Ihnen , " fügte sie noch hinzu und wollte mit einer schüchternen Verbeugung weitergehen . " Und war die Adresse an Sie gerichtet ? " fragte er weiter , so daß sie zögernd still stand . Doch bevor er noch ihre Antwort abwartete , rief er plötzlich erfreut und lachend zugleich : " Sie - Sie sind Fräulein Ilse Macket ! ich sehe die Photographie in Ihrer Hand ! Das ist ein wundervoller Spaß ! " Erstaunt blickte Ilse ihn an , und nun sah sie zum ersten Male in das hübsche , von der Sonne etwas gebräunte Gesicht des jungen Gontrau . " Verzeihen Sie mein unschickliches Lachen , " entschuldigte er sich , " aber Sie werden dasselbe verstehen , wenn ich Ihnen Aufklärung gegeben habe . - Zuvor erlauben Sie , daß ich mich Ihnen vorstelle , mein Name ist Gontrau . " - Er hob den weichen Filzhut ab und begrüßte sie in liebenswürdiger , ehrerbietiger Weise . " Gontrau ! " rief Ilse strahlend vor Freude , " ist es wahr , Gontrau ? Aber Sie sind doch nicht - doch nicht - " " Der Landrat ? " ergänzte er ihre Frage . " Nein , der bin ich nicht , nur sein Sohn . " " Ich war recht einfältig , daß ich Ihnen davonlief , " sprach sie errötend , " aber ich wußte nicht , wer Sie waren ; ich hielt Sie für einen fremden Herrn , der mich ausfragen wollte . Ach , Sie glauben nicht , wie ich mich geängstigt habe , als ich so ganz allein hier stand ! Wie ein verirrtes Kind kam ich mir vor , das nicht weiß woher und wohin . Nun bin ich froh , furchtbar froh ! Aber wo sind Ihre Eltern ? " plötzlich fiel es ihr ein , daß dieselben nicht anwesend waren . " Bitte , führen Sie mich zu ihnen . " " Leider konnten sie nicht die Freude haben , Sie hier zu begrüßen , " entgegnete Leo , den ihr kindliches Geplauder geradezu entzückte . " Meinem Vater ist ein kleiner Unfall zugestoßen . In dem Augenblick , als er den Wagen besteigen wollte , um hierher zu fahren , vertrat er sich den Fuß und zwar so böse , daß er zurückbleiben mußte . Die Mutter konnte zu ihrem Kummer nun auch nicht fort , sie mußte dem Vater behilflich sein . Dieser Unfall ist denn auch an meiner Verspätung schuld , die ich von ganzem Herzen bedaure , doppelt bedaure , da sie Ihnen Sorge und Kummer bereitet hat . Mama hatte sich so darauf gefreut , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } die Kleine ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } in Empfang nehmen zu können ! Ja , ja , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } die Kleine ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } , " wiederholte er und amüsierte sich über ihr verwundertes Gesicht . " Ihr Herr Papa trägt die Schuld an dem Irrtum , in dem wir befangen waren . Er sprach in seinen Briefen nur von seiner { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Kleinen{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } , oder von { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } seinem Kinde ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } , das er allein und schutzlos die weite Reise machen lassen müsse , er fürchtete , daß dem { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } kleinen Mädchen ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } , das die Pension verließ , etwas zustoßen könne . Natürlich erwarteten wir nun auch ein Kind , so ein halberwachsenes Mädchen von zwölf , höchstens dreizehn Jahren . " " Nein , aber der Papa ! " rief Ilse und lachte , aber nicht so frisch und frei wie gewöhnlich , es klang etwas gezwungen . Es war ihr nicht ganz angenehm , daß der Papa noch eine so kindliche Meinung von ihr hatte . " Papa ist zu komisch ! Er hält mich noch immer für die halberwachsene Ilse ! Wie wird er sich wundern , wenn er mich wiedersieht ! Mit siebzehn Jahren ist man kein Kind mehr , nicht einmal ein Backfisch ! " " Bewahre ! " stimmte der Assessor ihr bei , " mit siebzehn Jahren ist ein junges Mädchen eine vollendete Dame . " Es kam halb wie leichter Spott heraus , aber er machte ein ganz ernstes Gesicht und verzog keine Miene . So glaubte sie denn mit Stolz an die " vollendete " Dame . Nur ihr Handgepäck nahm Ilse mit hinaus nach Lindenhof , dasselbe war schon in dem Wagen untergebracht , den Korb mit den Blumen stellte der Kutscher eben hinein . " Die vielen Sträuße ! " bemerkte Leo Gontrau und diesmal lächelte er wirklich etwas . " Der Korb muß Ihnen doch eine Last gewesen sein ? " " O nein , nein ! " sprach sie eifrig dagegen , " es sind ja lauter Abschiedsgrüße von meinen Freundinnen ! " " So viele Freundinnen ! " meinte er und sah in den Korb . " Es sind sieben Sträuße , " belehrte ihn Ilse , die nämlich glaubte , er wolle dieselben zählen . " Sie waren schön , " meinte er , " jetzt sind sie schon etwas welk . Nur dieser Rosenstrauß mit der Vergißmeinnichteinfassung ist noch frisch . " Ilse ergriff denselben und beugte ihr Antlitz darauf . Eine augenblickliche Rührung überkam sie , als sie der Geberin gedachte . " Ich habe ihn von meiner liebsten Freundin , " sagte sie innig - " von Nellie Grey . " " Nellie Grey ? " fragte er . " Wohl eine Engländerin ? Ist sie hübsch und liebenswürdig ? " setzte er scherzend hinzu . " Sie ist reizend ! " rief Ilse und geriet förmlich in Feuer , als sie von der Freundin erzählte . Er hörte ihr stillschweigend zu und amüsierte sich über die Begeisterung , mit der sie lobte , und besonders über die überschwänglichen Ausdrücke , die dabei ihren Lippen entschlüpften . Sie wußte es gar nicht , wie sehr sie sich Melanies Angewohnheit zu eigen gemacht hatte und wie Ausrufe , als : furchtbar reizend ! himmlisch ! entzückend ! süß ! u. s. w. u. s. w. ihr ebenso geläufig waren als Melanie und den übrigen Backfischen . " Wollen Sie nicht erst im Bahnhofsgebäude eine kleine Erfrischung einnehmen ? " fragte Leo und bot ihr den Arm , um sie dorthin zu führen . Dankend lehnte sie sein Anerbieten ab , trotzdem sie es eigentlich gern angenommen hätte . Sie war nämlich hungrig und ihr Magen trug rechtes Verlangen nach einem kräftigen Imbiß . Eine vollendete Dame aber durfte den Hunger nicht merken lassen , es wäre doch geradezu kindisch gewesen . " Es ist kühl , " bemerkte er , als er ihr in den Wagen geholfen , " und mein Auftrag lautet : Hülle { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } das Kind ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } gut ein , damit es sich nicht erkältet in der halboffenen Chaise . " Und er nahm ein warmes Tuch , das schon bereit lag , und wickelte sie fest darin ein , auch eine Decke schlug er um ihre Füße . Sie ließ es gern geschehen , denn der Herbstwind pfiff kalt über die leeren Felder ; sie lachte sogar über seine Fürsorge ; aber hinterher kamen die Bedenken . War es recht , daß sie sich von ihm einhüllen ließ ? War es nicht eine Vertraulichkeit , die sie gestattet hatte ? Würde Fräulein Güssow ihr Benehmen schicklich finden ? Ob Nellie wohl so gehandelt haben würde , wie sie , oder ob sie nicht lieber ihren Regenmantel angezogen hätte ! Sie konnte es auch tun , er lag im Riemen geschnallt dicht bei ihr . Mitten in ihren peinlichen Zweifeln und Sorgen vernahm sie ein herzliches Lachen ihres Nachbars . Natürlich brachte sie es sofort mit ihren Gedanken in Verbindung . " Lachen Sie über mich ? " fragte sie beinahe ängstlich . " Nein , nein ! " entgegnete er , " wie kommen Sie zu dieser Frage ? Wie würde ich mir je erlauben , eine junge Dame auszulachen ! Diese Birne ist an meiner Heiterkeit schuld . Sie fiel mir soeben aus der Wagentasche auf die Hand und erinnerte mich an Mamas letztes Wort , das sie mir nachrief , als ich fortfuhr . " " Was sagte sie ? " fragte Ilse und sah ihn neugierig an . " Vergiß ja nicht , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } dem Kinde ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } die Birnen zu geben , Leo , sprach sie . Die Kleine wird wohl hungrig sein . Ich glaube , " unterbrach er sich und griff in die Seitentasche , " sie sprach auch von einem Stück Kuchen . Richtig ! " rief er lachend und zog ein kleines Paketchen hervor , " da ist er ! Darf ich es wagen , gnädiges Fräulein , Ihnen Kuchen und Birnen anzubieten ? " Dieser Verlockung konnte sie nicht widerstehen . " Warum nicht ? " entgegnete sie unbefangen und griff zu . " Obst ist meine ganze Leidenschaft und Kuchen esse ich furchtbar gern ! In der Pension haben wir nicht viel davon zu sehen bekommen , Fräulein Raimar behauptete , der Magen werde schlecht vom vielen Kuchenessen . Ist das nicht eine furchtbar öde Ansicht ? " " Ja , eine furchtbar öde Ansicht ! " wiederholte er mit ganz ernsthaftem Gesicht , " ich begreife nicht , wie Sie es aushalten konnten , ohne Kuchen zu leben ! " " Manchmal , " erzählte sie , " ließen wir uns heimlich ein Stückchen holen , über Mittag , wenn das Fräulein schlief . " " So , so ! " lachte er , " das sind ja schöne Geschichten , das muß ich sagen ! " " Wir taten es nicht oft , " entschuldigte sich Ilse , " nur dann und wann , wenn wir gar zu großen Appetit darauf hatten . Finden Sie das Unrecht ? " " Daß Sie den Kuchen aßen , finde ich durchaus nicht Unrecht , " neckte er sie , " aber daß Sie ihn heimlich holen ließen , gefällt mir nicht . Warum fragten Sie nicht die Vorsteherin um Erlaubnis ? " " Sie sind aber klassisch ! " rief Ilse , " dann hätten wir es doch nicht gedurft ! Es war doch nichts Böses , was wir taten , nur ein ganz harmloses Vergnügen , Fräulein Raimar hatte nicht den geringsten Schaden davon , ob wir Kuchen aßen oder nicht . " " Sie sind eine kleine Rechtsverdreherin ! " tadelte er sie lachend , " ob Schaden oder nicht , darauf kommt es gar nicht an . Die Dame hatte ihre Gründe , weshalb sie Ihnen den Genuß des Kuchens verbot . Nummer I : Sie handelten gegen ihren Willen - folglich sind Sie strafbar ! Nummer II : Sie taten es heimlich - das erschwert das Vergehen ! " Sie lachte höchst vergnügt . " Herrgott , sind Sie aber pedantisch ! " " Ich bin Jurist , gnädiges Fräulein , und gehe jeder Sache auf den Grund . " " Jurist ! " wiederholte Ilse und sah ihren Nachbar etwas mißtrauisch an . " Das glaube ich nicht ! Sie sehen nicht so aus . " " Warum nicht ? Haben die Juristen ein besonderes Aussehen ? " Diese Frage brachte sie etwas in Verlegenheit . Sie hätte ihm keine andere Antwort daraus geben können , als daß die Juristen , die öfters auf Moosdorf zu Gaste kamen , ganz anders ausschauten . Es waren lustige Herren , die gerne ein Glas Wein liebten , aber jung und schön waren sie nicht . Sie sah ihn an und schüttelte ungläubig den Kopf . " Sie sind nicht Jurist , " widerstritt sie . " Nun , ich bin doch neugierig , wofür Sie mich halten , " fragte er höchst amüsiert , " jetzt legen Sie eine Probe von Ihrer Menschenkenntnis ab ! " " Sie sind Künstler - vielleicht Musiker - oder Maler ? " Er lachte laut . " Musiker ! " rief er , " ich ein Musiker ! Wenn Sie wüßten , gnädiges Fräulein , welch ein großes Wort Sie gelassen aussprachen ! Ich verstehe keine Note und bin so unmusikalisch wie ein Stock ! Es tut mir leid , daß ich Ihre für mich so schmeichelhafte Illusion zerstören muß , indes was kann es helfen ! Ich muß mich Ihnen leider als ein ganz gewöhnliches Menschenkind vorstellen , das weder Maler noch Musiker ist . Trotz Ihres Zweifels bin ich Jurist und seit vier Wochen Assessor . Sind Sie nun überzeugt ? " " Also kein Künstler , ach , wie schade ! " sprach Ilse bedauernd . " Es müssen doch reizende Menschen sein ! " " Nicht immer , " wollte er sagen , doch tat er es nicht . Warum ihre naiven Anschauungen zerstören ? Sie war noch so jung und sah so gläubig aus . " Sehen Sie dort die Kirchturmspitze ? " brach er das Gespräch ab , " die Wetterfahne darauf glänzt hell im Mondenschein , das ist die Kirche von Lindenhof ! In zehn Minuten sind wir dort . " Als der Wagen vor dem Portale des Hauses hielt , trat Frau Gontrau schnell auf denselben zu , um ihren kleinen Gast in Empfang zu nehmen . Als das erwachsene Mädchen dafür ausstieg und Leo den Irrtum erklärte , nahm sie dasselbe lachend in den Arm . " Ob groß , ob klein , " sagte sie mit Wärme , " Sie sind mir von Herzen willkommen ! " Und sie führte Ilse in das Speisezimmer , in welchem sich der Landrat befand . Er saß in halbliegender Stellung auf dem Sofa und streckte dem jungen Mädchen beide Hände entgegen . " Das ist eine kostbare Überraschung ! " rief er aus , " eine kostbare Überraschung ! Anstatt des Kindes kommt eine junge Dame an ! Hat uns Freund Macket mit Absicht getäuscht ? " Ilse lachte und zeigte die weißen Zähne . " Wie Sie dem Papa ähnlich sehen ! " fuhr er lebhaft fort , " derselbe Mund , die Zähne , das Kinn , es ist auffallend ! " Er schob die Lampe näher zu ihr , damit er sie noch besser betrachten könne . " Das Haar haben Sie von der Mutter geerbt , auch die braunen Augen , das heißt nur in Farbe und Schnitt . Der Ausdruck der Ihrigen ist lebhafter , er verrät nicht das sanfte Taubengemüt der seligen Mama . Können Sie zornig blicken ? " fragte er scherzend . " Aber lieber Mann , " unterbrach ihn Frau Gontrau lachend , " erst stellst du ein peinliches Examen mit dem Äußeren unseres lieben Gastes an , nun gehst du auch noch auf die Charaktereigenschaften über ! - Kommen Sie , liebes Kind , ich will Sie erlösen . Ich werde Sie auf Ihr Zimmer führen , damit Sie sich von der langen Reise etwas erfrischen können . Ich habe Sie dicht neben mein Schlafzimmer einquartiert , die Fremdenzimmer liegen eine Treppe höher , und ich dachte , die Kleine fürchte sich , allein dort zu schlafen . " " O wie reizend ! " rief Ilse kindlich erfreut und verriet , daß sie im Punkte der Furcht noch ganz wie ein richtiges Kind empfand . " Leo , " redete der Amtsrat den Sohn an , als die Damen das Zimmer verlassen hatten , " ist sie nicht ein reizendes Kind ? " Der Angeredete schien sehr vertieft in seiner Zeitungslektüre , wenigstens mußte der Vater noch einmal die Frage wiederholen , bevor er eine Antwort erhielt . " Ja , ja , " gab er gleichgültig zur Antwort , " sie ist ein ganz netter , kleiner Backfisch ! " " Netter Backfisch ! Ist das ein Ausdruck für ein so liebliches Wesen ! Hast du denn gar keine Augen im Kopfe ? Ich sage dir , Temperament steckt in dem { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } kleinen Backfisch ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } , mehr als du dir träumen läßt ! Ein Blick und ich weiß Bescheid ! Du hast kein Urteil , mein Junge , darin ist dein Vater dir über ! " Leo gab keine Antwort darauf und las andächtig weiter . Die Abendstunden entschwanden in Frohsinn und Heiterkeit . Ilse plauderte und erzählte ganz ohne Scheu . Sie fühlte sich heimisch bei den lieben Menschen . Der Landrat liebte es , sie zu necken , und sie verstand seinen Scherz . " Bleiben Sie einige Tage hier , " redete er ihr zu , " die Zeit ist so kurz bis morgen mittag . Wir telegraphieren den Eltern , daß wir Sie hier behielten , sie werden nicht böse darüber sein . " Leo warf einen schnellen Blick zu Ilse hinüber , der fast wie eine Bitte aussah , auch erbot er sich , ganz früh am anderen Morgen nach dem Stationsgebäude zu reiten , um ein Telegramm aufzugeben . Frau Gontrau unterstützte die Bitte ihres Mannes mit großer Wärme . " Es wäre eine große Freude für uns , wenn Sie blieben , " sagte sie , " es fehlt uns ein frisches Element in unserem Hause . Sie haben die glückliche Gabe , Leben und Frohsinn um sich zu verbreiten ! " " Bitte , bitte , quälen Sie mich nicht , " bat Ilse , " ich kann nicht bleiben ! Ich kann es nicht , so reizend es mir auch hier gefällt ! Meine Eltern erwarten mich morgen und ich habe auch große Sehnsucht nach ihnen und auf den kleinen Bruder freue ich mich furchtbar ! Er weiß noch gar nicht , daß er eine große Schwester hat ! " Dagegen war nichts einzuwenden . Ilses Antwort war so echt kindlich und natürlich . Frau Gontrau strich ihr die krausen Locken zurück und klopfte ihr leicht die Wange . " Sie haben recht , liebe Kleine , Ihren Entschluß nicht zu ändern . Wir wollen auch gar nicht weiter in Sie dringen mit unseren Bitten . Besuchen Sie uns bald auf längere Zeit , Leo verläßt uns in einigen Wochen und dann ist es einsam in unserem großen Hause . " " Daraus wird doch nichts ! " erklärte der Landrat . " Ich kenne meinen Freund Macket und weiß , daß er so bald sein Töchterchen nicht wieder fortgibt . Halt , da fällt mir ein guter Gedanke ein ! In seinem letzten Briefe ladet der Papa uns zum Erntefeste ein , das in vier Wochen etwa stattfinden soll . Ich nehme die Einladung an für uns , Punktum ! Aber ich knüpfe die Bedingung daran , daß er Sie mit uns zurückreisen läßt . " Ilse jubelte vor Vergnügen , " das wäre ' zu - zu himmlisch ! " rief sie aus . " Aber Sie müssen auch Wort halten , geben Sie mir die Hand darauf . " Mit einem kräftigen Handschlag besiegelte er sein Versprechen . " Ein Handschlag galt bei uns in der Pension für den höchsten Eid , " sagte sie mit einem ernsten Kindergesicht , " dagegen handeln heißt meineidig sein . - Sie werden doch mitkommen ? " wandte sie sich an Leo . " Natürlich , " entgegnete er freudig , " der feierliche Eid gilt auch für mich . Wollen wir ihn auch mit einem Handschlag besiegeln ? " " O nein , " entgegnete sie leicht errötend , " ich glaube Ihnen schon auf Ihr Wort . " Als es elf schlug , mahnte Frau Gontrau zur Ruhe . " Sie werden müde und abgespannt sein von der Reise und den vielen fremden Eindrücken , liebe Ilse . " " Ich empfinde gar keine Müdigkeit , " entgegnete diese , " und könnte noch lange aufbleiben ! " Sie hätte es auch getan , wenn sie nur Papier und Feder in ihrem Zimmer gefunden hätte ! Wie gerne hätte sie ihrer Nellie so ganz frisch ihre Reiseerlebnisse erzählt ! Am anderen Morgen gleich nach dem zweiten Frühstück rüstete sich Ilse zur Weiterreise . Eben trat sie mit dem Korbe mit den Blumen vor die Türe , sie hatte sie noch einmal mit Wasser besprengt . " Wollen Sie denn die welken Sträuße wirklich wieder mit sich nehmen ? " fragte Assessor Gontrau . Ilse blickte auf den Korb und stand unschlüssig da . " Freilich , " sagte sie betrübt , " sie sehen traurig aus , meine lieben , schönen Blumen , nun sind sie alle welk ! " " Wissen Sie was , Fräulein Ilse , " riet der Assessor heiter , " wir wollen ein Autodafé anstellen und sie verbrennen ! Dann sammeln wir die Asche und Sie bewahren dieselbe in einer kostbaren Urne auf , welche die Inschrift trägt : Diese Urne birgt die Asche der Blumensträuße meiner geliebten sieben Freundinnen in der Pension . - Wie gefällt Ihnen diese Idee ? " " O , Sie sind abscheulich ! " rief sie . " Sie wollen sich über mich lustig machen ? Trotzdem , " fügte sie echt logisch hinzu , " gefällt mir das Verbrennen ganz gut . Errichten Sie schnell einen Scheiterhaufen , so viel Zeit bis zu meiner Abfahrt bleibt mir noch , ich will die Blumen in Flammen aufgehen sehen ! Die Asche aber sammeln wir nicht ! " Leo trug eilig etwas trockenes Reisig auf dem Kiesplatze vor dem Hause zusammen und in wenigen Sekunden flackerte ein lustiges Feuer auf . Ein Strauß nach dem anderen verfiel dem Feuertode , nur als Nellies Rosen an die Reihe kamen , hielt Ilse ihm den Arm fest . " Halten Sie ein ! " rief sie , " der darf nicht geopfert werden , die Blumen meiner lieben Nellie bewahre ich bis zu meinem Tode auf ! " " Mit in das Grab , " fügte er neckend hinzu . Frau Gontrau , die mit ihrem Sohne Ilse bis zur Bahn begleiten wollte , erschien jetzt fertig angekleidet in der Türe und mahnte zum Aufbruch . Ilse ging in das Haus und nahm Abschied von dem Landrate . So gerne wäre er mitgefahren und mußte nun des bösen Fußes wegen zurückbleiben . Es war eine rechte Geduldsprobe für ihn . Noch einmal erinnerte sie ihn dringend an seinen Schwor . " Sie müssen kommen ! " war ihr letztes Wort . " Es bleibt dabei ! " rief er ihr nach , " der Schwor gilt ! " Als sie im Begriffe war , in den Wagen zu steigen , überreichte ihr Leo ein kostbares Rosenbukett . " Die Blumen sind aus der Asche erstiegen , " sprach er , " Sie werden dieselben nicht verschmähen , " fügte er hinzu , als sie vor Überraschung vergaß , dieselben in Empfang zu nehmen . " O , wie reizend ! Wie furchtbar liebenswürdig ! Sie glauben nicht , wie ich mich freue ! " Mit holdem Erröten reichte sie ihm die Hand . " Ich danke Ihnen tausendmal ! Ich liebe die Rosen so sehr und so schön wie diese sah ich noch keine . Wie sehr , wie furchtbar haben Sie mich erfreut ! " Und sie konnte den Blick nicht von den herrlichen Blumen wenden und wiederholte noch einige Male : " ich freue mich zu sehr ! " Leo lächelte seine Mutter an und sie verstand ihn wohl . War doch auch sie entzückt über die kindliche Freude und die Anmut , mit der Ilse zu danken verstand . Die Stunden vergehen schnell , besonders die glücklichen . Die Fahrt bis zum Bahnhof war geschwunden , Ilse wußte nicht wie . Jetzt saß sie im Dampfwagen und fuhr der Heimat zu . Ihre Gedanken schwirrten bunt durcheinander , sie flogen voraus und träumten vom Wiedersehen - und sie kehrten zurück und führten sie wieder nach Lindenhof . Es hatte ihr himmlisch dort gefallen ! Der Abschied war ihr beinahe schwer geworden . Leo hatte ihr die Hand geküßt und sie hatte es sich gefallen lassen . Ob das wohl recht war ? Am Ende hätte sie ihm die Hand entziehen müssen ? - " Ach , " seufzte sie laut , zum Glück war sie allein im Coupé , " ach ! Es ist doch zu öde , wenn man gar nicht weiß , wie man sich zu benehmen hat ! Am Ende spottet er jetzt über mich ! " Sie errötete bei diesem furchtbaren Gedanken . Da fiel ihr Blick auf den Rosenstrauß , und wie sie den süßen Duft desselben einatmete , stand plötzlich sein Bild lebhaft vor ihr . Ein wunderbares Gefühl überkam sie , aber es war ihr fremd und sie schreckte davor zurück . Sie legte den Strauß aus der Hand und erhob sich . Sie wollte nicht weiter an ihn denken , sie wollte es nicht ! Um sich zu zerstreuen , blickte sie zum Fenster hinaus . Erst auf der einen , dann auf der anderen Seite . Aber sie sah nicht viel , nichts als leere Stoppelfelder , das war langweilig . Sie setzte sich wieder und nahm ihre Handtasche vor . Nachdem sie ein Weilchen darin gekramt , fiel ihr ein Buch in die Hände , das Nellie ihr hineingesteckt hatte , damit sie Unterhaltung habe . Sie hatte gar nicht daran gedacht , jetzt griff sie freudig nach Chamissos Gedichten . Im Begriffe , das Buch zu öffnen , fiel ihr etwas ein . " Halt , " sagte sie für sich , " jetzt werde ich das Orakel befragen , wie Flora uns gelehrt hat . " Sie schlug drei Kreuze über das Buch und sah gen Himmel dabei , dann öffnete sie es schnell und die erste Zeile , auf die ihr Blick fiel , hieß : " Helft mir , ihr Schwestern , Kränze zu winden - " " Unsinn ! Ich will es nicht gelten lassen ! " rief sie , " also noch einmal ! " Das Buch wurde wieder geschlossen und recht , recht fest zusammengedrückt , dann wieder die drei üblichen Kreuze , wieder langsam und feierlich geöffnet - und siehe da , dieselben Worte gaben ihr Antwort auf ihre Frage . " Sonderbar ! furchtbar sonderbar ! " dachte sie sinnend und einen Augenblick war sie in Versuchung , der prophetischen Stimme zu glauben , dann aber siegte ihre gesunde Vernunft . " Es ist doch nur ein Zufall und die ganze Geschichte dummes Zeug ! " Mit diesem vernünftigen Gedanken gab sie alle Schicksalsfragen auf und vertiefte sich in Chamissos herrliche Gedichte . Einige Male freilich ertappte sie sich auf dem Wege nach Lindenhof und Leos Bild neckte sie aus den Zeilen , aber sie wehrte sich tapfer gegen diese Traumbilder . Sie schwanden von selbst , je näher sie der Heimat kam . Sie legte das Buch beiseite und blickte zum Fenster hinaus . Schon erkannte sie verschiedene Ortschaften , die in der Nähe von Moosdorf lagen , schon konnte sie den Bahnhof erkennen ! Ihr Herz schlug vor Erwartung und Freude , ihre Augen flogen voraus und jetzt erkannte sie die Eltern , die auf dem Perron standen , um sie in Empfang zu nehmen . Welche Seligkeit ein Kind empfindet , wenn es nach langer Trennung zu den geliebten Eltern zurückkehrt , das , meine jungen Leserinnen , kann nicht geschildert , sondern muß empfunden werden . Ilse lag in den Armen ihres Vaters und dachte an nichts weiter , als an das Glück , wieder daheim zu sein . [ Illustration ] " Bist du groß geworden ! " rief der Oberamtmann und betrachtete sie mit stolzer Freude ; " ich hätte dich kaum wiedererkannt ! Als halbes Kind gingst du von uns und jetzt kehrst du heim als junge Dame ! " Er hielt sie noch immer in seinen Armen und konnte sich nicht satt sehen an ihr . Sanft entwand sie sich ihm , noch hatte sie die Mutter nicht begrüßt , die mit Tränen im Auge daneben stand und ihr die Arme entgegenstreckte . Ilse flog an ihr Herz und umschlang sie innig . " Meine liebe Mama ! " das war alles , was sie sagen konnte . Und Frau Macket verstand sie , innig drückte sie ihr Kind an sich , sie wußte , daß sie jetzt sein Herz für immer gewonnen hatte . " Hier ist noch jemand , der dich begrüßen will , Kleines , " unterbrach der Oberamtmann die kleine rührende Szene , die ihn selbst schon ganz weichmütig machte , " sieh , Onkel Curt , berühmter Maler und Afrikareisender , möchte gern deine Bekanntschaft machen ! " Ilse reichte ihm die Hand und stand nun einem wirklichen Künstler gegenüber . Ob sie ihn " reizend " fand ? - Als sie ihn ansah , den mittelgroßen , etwas breitschultrigen Mann , in der Samtjoppe , die mehr bequem als elegant saß , mit dem breitkrempigen Hute , der ein braun gebranntes , etwas verwittertes Gesicht tief beschattete , da drängte sich unwillkürlich ein anderer in ihre Gedanken und sie verglich . " Die Juristen gefallen mir doch besser als die Künstler , " - so meinte sie still in ihrem Herzen . Ehe Ilse in den Wagen stieg , wurde sie von Johann feierlich begrüßt . Zur besonderen Überraschung hatte er Bob mitgebracht , der nun in toller , ausgelassener Freude seine Herrin begrüßte . Johann vergaß dabei seine Empfangsrede , die er sich mühsam zurechtgedacht hatte . Verlegen drehte er seine Mütze und sein breiter Mund zog sich von einem Ohr zum anderen . " Da ist der Hund , Fräulein Elschen , " sagte er . " Das unvernünftige Vieh hat das Fräulein gewissermaßen gleich erkannt . Ich auch , wenn auch das Fräulein gewissermaßen schön und stattlich geworden sind , wie ein Kürassier . " - Diesen wunderlichen Vergleich gebrauchte Johann nur bei ganz außergewöhnlichen Gelegenheiten , er galt für ihn als höchster Ausdruck des Vollkommenen . Alle lachten und Ilse reichte dem Freunde ihrer Kindheit die Hand . " Es ist gut , Johann , " sagte der Oberamtmann , " du hast eine schöne Rede gehalten . Nun aber steige auf und lasse die Pferde tüchtig zugreifen , in einer halben Stunde müssen wir in Moosdorf sein . " Im Vaterhause war alles festlich bereitet . Fahnen , Kränze , Blumen , sogar eine Ehrenpforte mit einem mächtigen " Willkommen ! " begrüßten die heimkehrende Tochter . - Aber sie hatte nur einen flüchtigen Blick für alle Herrlichkeiten , ihre Ungeduld trieb sie hinein in das Haus , sie mußte zuerst das Brüderchen sehen . Frau Anne , die vor ihr hineingegangen war , trat ihr schon mit demselben entgegen . " Du süßer , süßer Junge ! " rief Ilse im höchsten Entzücken und der prächtige Knabe streckte ihr jauchzend seine Ärmchen entgegen . " Er will zu mir , Mama , darf ich ihn nehmen ? " Glücklich lächelnd reichte die Frau ihr den Kleinen . Und Ilse tanzte mit ihm im Zimmer herum und küßte und herzte ihn , bis er zu weinen anfing . Die Mutter nahm ihr den kleinen Schreihals ab . " War ich zu wild , Mama ? " fragte Ilse bedauernd , " sei mir nicht böse darum ! Ich freue mich ja zu furchtbar über ihn ! - Was er für dicke Ärmchen hat , " fuhr sie zärtlich fort und küßte dieselben . " Ach , und die lieben , schönen Guckäuglein schwimmen in Tränen ! Daran ist nur die böse , böse Schwester schuld , mein kleines Herz ! " So plauderte Ilse bunt durcheinander und war so glücklich wie ein Kind am Weihnachtsabend , wenn es seine neue Puppe begrüßt . Sie mochte sich gar nicht von dem Kinde entfernen , bis endlich die Mama dasselbe der Wärterin übergab . " Nun ist es genug , Kind , " scherzte Frau Anne , " du verwöhnst mir sonst den Jungen , auch vergißt du uns andere darüber . Sieh ! Papa und der Onkel stehen schon wartend da , sie wünschen , daß du sie in das Speisezimmer hinüber begleitest . Oder möchtest du erst einmal hinauf in dein Zimmer gehen ? " Sie ergriff Ilses Arm und führte sie in die obere Etage , die beiden Herren folgten ihnen , und Ilse mußte darüber lachen , sie ahnte ja nicht , weshalb sie es taten . Es war eine großartige Überraschung , die ihrer wartete . Als sie ihr Zimmer betrat , blieb sie sprachlos an der Türe stehen . Sie erkannte die früheren Räume nicht wieder . Wohn- und Schlafgemach hatten die Eltern im altdeutschen Stil eingerichtet . Nichts war vergessen . Vom Schreibtisch bis auf die kleine Schmucktruhe , die vor dem Spiegel auf einem Schränkchen stand . Sogar eine Staffelei war am Fenster aufgestellt . Ilses Freude war unbeschreiblich , die Eltern hatten ja ihre kühnsten Wünsche erfüllt . - Etwas befangen betrachtete sie Staffelei und Maltisch . " O , Papa , " sagte sie schüchtern , " das ist zu schön für mich , ich kann ja noch gar nicht malen . " " Bedanke dich bei dem Onkel dafür , er ist der Anstifter davon ! " entgegnete der Oberamtmann . " Er hat versprochen , dein Lehrmeister zu sein , das heißt : solange der Wandervogel bei uns aushalten wird . " Nach dem Essen schlich sich Ilse hinaus in den Hof , sie mußte es fast heimlich tun , denn der Papa konnte sich heute nicht von ihr trennen . Johann hatte auf diesen Augenblick längst gewartet und stand schon bereit , das Fräulein zu führen . Zuerst mußte sie ihm in den Pferdestall folgen , und als sie die Runde durch sämtliche andere Ställe gemacht , alle Kühe , Hunde u. s. w. begrüßt hatte , da wollte er ihr auch noch den neuen Schweinestall zeigen , diesen Besuch aber schob Ilse bis auf eine andere Zeit auf . " Schade , schade , " meinte Johann und machte ein niedergeschlagenes Gesicht , " ich hätte dem Fräulein so gern das neue Schweinehaus gezeigt . Es ist gewissermaßen schön drin , man könnte selbst drin wohnen . " " Morgen , Johann , " entgegnete Ilse , " heute habe ich keine Zeit mehr dazu , ich muß zu den Eltern . " Kopfschüttelnd blickte der Kutscher ihr nach . " Früher hätte sie das nicht gesagt , " sprach er für sich und bedenklich setzte er hinzu : " Sollte sie vornehm geworden sein ? " Als der Tag zu Ende war , als Ilse allein in ihrem Zimmer saß , um zur Ruhe zu gehen , hielt sie zuvor noch eine Einkehr in ihr Herz . Der heutige Tag war so reich an wechselvollen und freudigen Eindrücken gewesen , was lag nicht alles zwischen Abend und Morgen ! Trennung und Wiedersehen ! War sie wirklich erst heute früh von Lindenhof abgefahren , und hatte sie erst gestern morgen die Pension verlassen ? Der Abschied von dort schien schon so weit hinter ihr zu liegen . - Es war so süß , mit wachen Augen noch etwas zu träumen , und sie mochte noch nicht an den Schlaf denken . Ihr Blick fiel auf den geöffneten Reisekoffer und sie bekam Lust , denselben auszupacken . Sie fing auch an , einige Sachen herauszunehmen und in die herrlich geschnitzte Kommode zu räumen , dabei mußte sie sich an Nellie erinnern ; es fiel ihr ein , wie treu und lustig sie ihr geholfen hatte , damals , am ersten Tage in der Pension . Die gute , geduldige Nellie ! Wäre sie doch gleich bei ihr ! Als sie ihr Tagebuch aus dem Koffer nahm , behielt sie es sinnend in der Hand . Was es enthielt , waren nur weiße Blätter , denn nie hatte sie das Bedürfnis gefühlt , ihm etwas anzuvertrauen . Wie in halber Zerstreuung schloß sie es auf und legte es geöffnet auf den Schreibtisch . Sie griff nach der Feder , tauchte sie ein und plötzlich - wie von einer inneren Macht getrieben , schrieb sie die Worte nieder : " Seit ich ihn gesehen - " Weiter kam sie nicht . Sie warf die Feder weit von sich und hielt beide Hände vor ihr heißerglühtes Gesicht . Eine tiefe Beschämung preßte ihr die Brust zusammen . Was hatte sie geschrieben , wessen Bild hatte ihr die Worte diktiert ? Als ob sie sich auf einem schweren Unrecht ertappt , so schnell schloß sie das Buch und barg es in einem versteckten Fach ihres neuen Schreibtisches . Fort mit den törichten Gedanken , die ihr Unruhe machten und an denen nur Chamissos Lieder die Schuld trugen ! Sie wollte sie niemals wieder lesen - niemals ! - Drei Wochen waren Ilse im elterlichen Hause vergangen und sie fühlte sich so glücklich und wohl darin , wie nie zuvor . Gleich in den ersten Tagen hatte sie ihre Zeit nützlich eingeteilt . Auf ihren Wunsch gab ihr der Prediger noch einige Nachhilfestunden in verschiedenen wissenschaftlichen Fächern . Er war überrascht über die Fortschritte seiner früheren Schülerin , besonders aber freute er sich über ihren Ernst , ihre Beständigkeit beim Lernen . Er hatte sich nicht geirrt , als er die Pension einen Segen für Ilse genannt . Auch Frau Anne segnete das Institut , das aus dem wilden Kinde eine liebliche , sinnende Jungfrau geschaffen hatte . Eine solche Umwandlung hatte sie vor Jahr und Tag kaum für möglich gehalten . An Ilses gutem Herzen hatte sie niemals gezweifelt , aber sie war überrascht von der geduldigen Liebe , die sie dem kleinen Bruder entgegenbrachte . Nur der Amtsrat konnte sich noch nicht in sein verändertes Kind finden . Manchmal sah er es prüfend von der Seite an , als ob er fragen wollte : " Ist sie es , oder ist sie es nicht ? " " Ich weiß nicht , " sagte er eines Tages zu seiner Gattin , " Ilse ist mir zu zahm geworden . Ich kann mir nicht helfen , aber mein unbändiges Kind mit dem Loch im Kleide gefiel mir besser , als die junge Dame im modischen Anzuge . " " Aber Ilse ist jetzt wirklich eine junge Dame , lieber Richard , " lachte Frau Anne , " sie ist kein Kind mehr und du mußt dich daran gewöhnen , sie nicht mehr als solches anzusehen . Übrigens ist sie so heiter und ausgelassen wie früher , nur hat sie gelernt , ihren Übermut zu zügeln . Ich bin sehr zufrieden , wie sie ist , und bin ganz stolz auf mein Töchterchen . " " Du magst ja recht haben , " entgegnete Herr Macket , ohne indes von der Wahrheit ihrer Worte überzeugt zu sein , " und mit der Zeit werde ich mich auch an das erwachsene Mädchen gewöhnen , aber ich glaube , es wird noch mancher Tag darüber hingehen . " " Wer weiß ! Wer weiß ! Ilse reißt dich vielleicht , ehe du es denkst , aus deiner Täuschung und gibt dir den Beweis , daß sie kein Kind mehr ist . " " Ich verstehe dich nicht , liebe Anne , " sagte der Oberamtmann und sah seine Frau fragend an , " du sprichst so geheimnisvoll und machst mich neugierig . " " Ich habe eine Beobachtung gemacht und glaube nicht , daß ich mich täusche . Der junge Gontrau ist Ilse nicht gleichgültig geblieben . " Sprachlos blickte Herr Macket seine Frau an . Eine solche Möglichkeit zu fassen , war er nicht im stande , sie war ihm noch niemals in den Sinn gekommen . " Du irrst , Anne , " sprach er endlich , " das ist geradezu unmöglich . Oder , " fügte er besorgt hinzu , " hat sie dir etwa ein Geständnis abgelegt ? " " Behüte Gott , " wehrte Frau Anne ab , " wo denkst du hin ? Ilses Herz ist wie eine Sinnpflanze , die ihre Blätter schließt bei der leisesten Berührung . Noch weiß und ahnt sie selbst nichts von ihren Gefühlen , in ihrer kindlichen Unbefangenheit hat sie mir ihr Geheimnis verraten . Sie spricht gern und oft von Gontraus und weilt am liebsten in ihrer Erinnerung bei dem Sohne , von dem sie ausführlich jede Kleinigkeit erzählt . Du müßtest sie hören , wenn sie die Erkennungsszene am Bahnhof in Lindenhof erzählt , und sehen , wie ihre Augen dabei strahlen . " " Nun ja , " fiel er ihr ins Wort , " das war romantisch ! Du bist eine so kluge Frau , mein Annchen , weißt du denn nicht , daß alle Backfischchen gern schwärmen ? " " Höre nur weiter zu , Richard . Neulich fragte sie mich ganz aus dem Stegreife , ob ich den Namen { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Leo ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } schön fände , und ob Juristen kluge Menschen wären ? Den Rosenstrauß , den sie bei ihrem Abschied erhielt , hat sie aufbewahrt . Als neulich die Hausmagd denselben wegwerfen wollte , wurde sie fast ärgerlich . Sie nahm ihr denselben aus der Hand und steckte die vertrockneten Blumen in eine Vase , die heute noch auf ihrem Schreibtische steht . " " Ist das alles , was du weißt ? " lachte der Oberamtmann vergnügt und auch sehr erleichtert , " dann muß ich dir sagen , liebes Kind , daß deine Beobachtungen auf sehr wacklichen Füßen stehen . Ich kenne meinen Wildfang besser und weiß , daß er noch fern von solchen Allotrias ist . Elschen verliebt ! Ha , ha , ha ! Vergib , Frauchen , daß ich dich auslache , aber ich kann nicht anders ! " Sie mochte nicht weiter seine sichere Unbefangenheit stören und brach das Gespräch ab . " Was kommen soll , kommt doch , " dachte sie , " und wer kann sagen , wie bald ! " - Wenige Tage nach diesem Gespräche fand das Erntefest statt . Frau Macket und Ilse befanden sich am Morgen dieses Tages in dem großen Gartensaale . Sie ordneten noch hier und da einiges an der gedeckten Tafel , die festlich geschmückt und zum Empfange vieler Gäste bereit stand . Ilse beschäftigte sich damit , die Vasen mit Blumen zu füllen . Es war ihr so vergnügt und froh um das Herz und singend und trällernd verrichtete sie ihre Arbeit . " Mama , " unterbrach sie sich plötzlich , " weißt du , daß ich eigentlich recht betrübt heute bin ? " " Nein , " entgegnete die Angeredete lächelnd , " davon habe ich noch nichts gemerkt . Weshalb wolltest du auch betrübt sein ? " " Weil Nellie mir nicht geschrieben hat . Ich habe sie so herzlich zu unserem Erntefeste eingeladen und sie hat mir keine Antwort darauf gegeben . Heute sind es sechs Tage , daß ich ihr schrieb . " " Sie wird keine Erlaubnis erhalten haben , Kind . Du zweifeltest selbst daran , hast du das vergessen ? Es wird ihr sehr schwer werden , dir der Vorsteherin abschlägige Antwort mitzuteilen . Oder sollte sie dich heute unangemeldet überraschen ? " " Das wäre famos , himmlisch ! Gontraus und Nellie hier - dann wären alle meine Wünsche erfüllt ! Aber daran ist nicht zu denken , Fräulein Raimar erlaubt das auf keinen Fall . Nellie muß immer lernen und immer lernen . Ach Mama ! Es muß furchtbar schrecklich sein , eine Gouvernante zu werden ! Findest du nicht auch ? " Frau Anne versuchte , Ilse von ihrem Vorurteile zu heilen , aber vergeblich . Sie blieb dabei , Gouvernanten könnten nur alte Mädchen werden und ihre Nellie passe gar nicht dazu . Plaudernd und singend hatte Ilse endlich sämtliche Vasen gefüllt und auf der Tafel verteilt . Sie stand noch bewundernd vor ihrem Werke , als die Mutter sie antrieb , sich anzukleiden . " Es ist hohe Zeit , Ilse , wir müssen uns eilen , in einer Stunde wird Papa mit Gontraus zurück sein . " Wie ein Vogel flog Ilse die Treppe hinauf in ihr Zimmer . Kaum hatte sie indessen mit ihrer Toilette begonnen , als ihr die Magd einen Brief überbrachte , den der Briefträger soeben für sie abgegeben hatte . Er war von Nellie . Sie erbrach ihn sofort und las . Die ersten Worte schon brachten sie in eine lebhafte Aufregung , kaum vermochte sie weiter zu lesen . Mit stockendem Atem überflog sie die Zeilen , und als sie zu Ende war , eilte sie mit dem Briefe hinunter in der Mutter Gemach . Sie hätte es nicht ausgehalten , die wichtige Neuigkeit , die sie eben erhalten , länger für sich zu behalten . " Mama ! " rief sie ganz atemlos , " ein Brief von Nellie ! Ich muß ihn dir vorlesen ! " - Und sie begann : " Mein süß Elschen ! " Ich bin eine Braut ! O ! und ein sehr glückliches Braut ! Errätst Du , mit wem ? Ja ? O Ilse , Doktor Altoff ist meiner liebe , liebe Schatz ! Ich möchte gleich Deine liebes Gesicht schauen , wenn Du diese groß Ereignis liest , ich sehe , wie Du Dein braun Lockenkopf schüttelst und höre Dir rufen : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Nellie will mir pfoppen !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Aber nein , sie Pfote Dir nicht , alles , was sie heute schreibt , ist wahr . Du sollst alles wissen , meine liebe Freundin , ich will erzählen , wie es kam . O , es ist ein schwer Aufgabe für mich , - ich bin so wirrt vom Glück und ich finde mir so schlecht zurecht mit der deutsch Sprache . Du mußt Geduld mit Dein Nellie haben , die eigentlich sehr dumm ist ! Ich schäm mir , Ilse , wenn ich denke an mein furchtbaren Dummheit . Es ist mir ein Rätsel , wie Alfred mir lieb haben kann . - Doch still darüber . - Höre weiter . " Mit Dein lieber Brief , den Du mir schriebst , wo Du mir zu Dein Erntefest einladest , kam ein anderen Brief an Fräulein Raimar . Als ich nun begriffen war , in ihr Zimmer zu steigen , um sie recht für die Erlaubnis zu bitten , tritt sie ganz plötzlich - ohne Anmeldung bei mir ein . Das war ein Wunder , denn sie macht uns niemals ein Visite , immer läßt sie uns rufen , wenn sie einiges von uns will . Ich errötete vor Schreck , Du kannst denken . { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Nellie ,{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } spricht sie und hält ein offener Brief in ihr Hand , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } dieses Schreiben hier enthält die Anfrage an mir , ob ich nicht ein junge Engländerin zu sofortiger Antritt empfehlen kann . Vollkommen deutsch braucht diese nicht zu sprechen , sie soll nur die drei Kinder englisch beibringen . Ich denke Dir vorzuschlagen , Nellie , bist Du einverstanden ? Die Dame bietet hohe Gehalt .{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } " Ich glaube , daß ich ein sehr traurig Gesicht machte zu ihr Vorschlag und ich konnte auch gar nix sagen . Dein Brief hielt ich noch in die Hand , aber ich habe nicht gewagt , Fräulein Raimar zu sprechen , sie hätte doch mein Bitten abgeschlagen . "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Du hast wohl keine Lust ,{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } fragte sie , weil ich schweigend war . "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } O , gar keine Lust ,{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } dachte ich , aber ich durfte nicht sagen , wie furchtbar schrecklich mich der Gedanke war , ein Vierteldutzend Kinder zu unterrichten . Immer so weise und artig sein , - immer so mit der guten Beispiel vorangehen - nein , das macht mir gar nicht Spaß . "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Bestimmen Sie für mir , Fräulein ,{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } sagte ich , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } ich werde tun , wie Sie denken . Werde ich aber klug genug sein , zu eine so großer Aufgabe ?{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Laß das meine Sorgen sein ,{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } sagte Fräulein Raimar sehr bestimmend , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } ich würde Dich nicht empfehlen , wenn ich nicht wüßte , daß Du diese Stellung vollkommen erfüllen kannst .{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } " Damit verließ sie mir und ich blieb tief betrübt zurück . " Die Zubereitung für mein Abreise wurde gemacht und ich hatte viel zu tun , o - und viel zu hören ! " Miß Lead hielt langen , strengen Predigten und vorbereitete mich zu eine würdige Gouvernante . Fräulein Raimar mahnte mir täglich zu Ernst und Gediegenheit , nur Fräulein Güssow sah mir oft mit ein lang traurigen Blick an , der zu mich sprach : Tust mich leid , Darling , daß Du unter fremde Leute dienen mußt . " Der ernste Abschiedstag war da . Es war der achtundzwanzigste September , morgens 11 Uhr , ein Stunde vor meine Abreise . Ich saß in mein Zimmer auf mein Reisekoffer und weinte . Ich war so gefüllt von Kummer , das Herz drückte mir so schwer wie ein Mühlstein in der Brust . Kannst Du Dich das vorstellen ? Nein , süß Elschen , Du kannst nicht . Als Du von uns gingst , weintest Du auch und warst sehr betrübt , aber Du kehrtest in ein liebe Vaterhaus heim und Deine Eltern trocknete Deine Träne , - wer trocknet meine ? Niemand . Ich ging fort in die Fremde und { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } ka Katzerl , ka Hunderl{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } kümmert sich um mir . Ich wünschte mir tot zu liegen , wie unsere süße Lilli . " Wie ich mir so ganz verlassen fühle und laut schluchze , steht plötzlich Doktor Altoff , mein Doktor Altoff vor mir . Ich hatte ihn nicht gehört , als er anklopfte und die Tür öffnete . Du kannst mein Schreck denken ! Ich spring von mein Reisekoffer und halte das Tuch vor mein weinend Gesicht , ich schämte mir so . " Leise zog er es fort und fragte mich mit seiner schöner , tiefer Organ : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Warum weinen Sie , Miß Nellie ? Tut Sie es weh , aus dem Institut zu scheiden , möchten Sie hier bleiben !{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } " Ich sagte gar nix , weil ich nicht konnte vor lautes Schluchzen . "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Sehen Sie mich an , Miß Nellie ,{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } bat er , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } ich möchte gern in Ihr Auge sehen bei das , was ich Sie fragen will .{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } " Ich versuchte ihn anzublicken , aber ich musste mein Auge niederschlagen , er hatte ein so sonderlicher Blick , niemals hat er mir so angesehen . O , ich wurde so Angst und es lief mich ganz heiß über mein Gesicht . Er griff meine Hand und hielt sie fest und dann - ich weiß nicht , wie es kam - mit einem Male hatte er mir in seinen Arm genommen und fragte : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Haben Sie mich lieb , Nellie ?{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } " Ilse , kannst Du Dich denken , was ich empfand bei diese Frage ? Es war , als ob der Himmel plötzlich offen war und alle Seligkeit auf mein Haupt schüttelte . Im Wachen und im Träumen immer höre ich dieser Wort in mein Ohr und zuweilen denke ich , es ist alles nicht wahr ! Doch höre weiter . Du bist mein beste Freundin und nichts soll dir verborgen sein . "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Hast Du mich lieb ?{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } fragte er noch einmal , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } willst Du mein kleines Frau sein ?{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } O ja - herzlich gern ,{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } sagte ich und ich weiß nicht , ob es sehr geschickt ( schicklich ) vor mich war , daß ich so schnell und ohne Besinnen mein Jawort gab , aber ich konnte nicht anders , ich hatte ja mein Alfred schon lange still in mein tiefster Herz geliebt . " Und nun küßte er mir auf die Stirn und nannte mir seine Braut . Mein Seligkeit war ohne Grenzen , ich war nicht mehr verlassen , hatte mit ein Mal ein wonnige Heimat gefunden . " Als wir uns verlobt hatten , gingen wir sogleich zu Fräulein Raimar und Alfred stellte mir als seine Braut vor . O , Ilse ! Du hättest die erstaunte Gesichter sehen müssen ! Es war zu spassig ! Fräulein Raimar weniger , sie weiß immer so gut ihr Gesicht in die gleiche Falte zu legen , man weiß nicht , ob sie Freude oder Trauer hat . Aber ich glaube , diesmal hatte sie Freude , denn sie nahm mich in ihr Arm und küßte mir . Zu Alfred sagte sie : { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Wie ist das so schnell gekommen , Herr Doktor ? Ich habe niemals von Ihr Neigung gemerkt .{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } "{ ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Ich bin selbst erst klar geworden , als ich Nellie verlieren sollte ,{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } sagte Alfred und bat Fräulein Raimar , die Gouvernante abzubestellen und mir unter ihr mütterlicher Schutz zu behalten , bis wir heiraten . Sie hat es versprochen . So blieb ich hier und packte meine ganze Siebensachen wieder aus . " Miß Lead Glückwünsche mir auch , aber wenn sie auch meiner Landsmann ist , war sie doch kalt wie ein Frosch . Ich glaube , sie hat viel Neid . Aber ich mache mir nix davon und strahle voll Wonne . Fräulein Güssow freut sich furchtbar über mein Glück , ich habe sie so lieb als eine Schwester und bitte jetzt alle Tag der liebe Gott , daß er sie von ihr schwer ' Beruf ablöse , sie ist zu gut für ein streng Lehrerin . " Unsere Freundinnen waren reizend nett ! das heißt nicht alle , denn Melanie und Grete sind schnell abgereist , weil ihr Mutter krank war , sie wissen noch nichts . Orla beschenkte mir gleich mit ein kostbar Armband zum Andenken und zur Freude über unsere Verlobung . Das klein Lachtaube konnte vor Lachen kein Wort sagen . Rosi sprach { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } artige ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Worte wie immer , und Flora ? Sie machte ein lang Gesicht und sah Alfred mit ein schwärmerischer Blick an , dann drückte sie uns stumm die Hände . Gestern hat sie mir mit ein lang { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ }Elegie an ein Braut ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } beglückt , sie ist sehr schön wie alle Gedichte von Flora . " Heute früh ist mein Alfred abgereist zu sein Mutter , das war ein sehr schwer ' Abschied ! Wir fühlten uns gegenseitig ein wenig schwanken , doch ließe wir die Kopfe nicht fallen . Ich schluckte die Tränen tapfer hinter , Fräulein Raimar sollte mir nicht schwächlich sehen . Alfred kommt ja auch bald zurück , nur acht Tage ist er fort . " Nun lebe wohl , _ dear _ Elschen . Ich habe Dir ein langer , langer Brief geschrieben , nun antworte mich gleich , bitte , bitte ! Ich freue mir furchtbar auf Dein Brief , Du kommst doch zu mein Hochzeit ? Neujahr werden wir getraut . Tausend Küsse , mein Herzkind , und grüße Deine lieber Eltern und das klein Babi von Dein seligste Nellie . " " Nellie Doktor Althofs Braut ! " rief Ilse jubelnd . " Nun wird sie keine Gouvernante , Mama ! " " Nein , nun hat sie die beste Heimat gefunden ! " entgegnete Frau Macket , die zuweilen über Nellies komische Ausdrücke gelacht , zuweilen aber auch eine Träne der Rührung nicht zu unterdrücken vermocht hatte , " sie ist dem alleinstehenden Kinde von Herzen zu gönnen . Es muß ein liebes , drolliges Geschöpfchen sein , ihr Brief gibt ein sprechendes Zeugnis davon . " Wenn Ilse auf dieses Kapitel kam , war sie unerschöpflich . Frau Anne mußte sie ernstlich mahnen , sich anzukleiden . [ Illustration ] " Gleich , Mama , gleich ! Ich werde mich furchtbar eilen ! " Aber zwischen Tür und Angel wandte sie sich noch einmal , um zu fragen , warum Doktor Altoff sich wohl gerade in Nellie verliebt haben möge . Die Antwort auf diese sonderbare Frage wartete sie indes nicht ab , sondern sprang die Treppe hinauf , immer zwei Stufen auf einmal nehmend . " Nellie Braut ! " Ihre Gedanken konnten sich nicht davon trennen . Sie durchlebte mit der Freundin das wichtige Ereignis von Anfang bis Ende und war so der Gegenwart entrückt , daß sie lauter Verkehrtheiten machte . Anstatt des weißen Batistkleides hatte sie ihr Morgenkleid übergezogen , sie merkte es erst , als sie die blaßroten Schleifen daran befestigen wollte . Eilig machte sie ihren Fehler gut . Aber ihre Toilette war noch nicht vollständig vollendet , als sie dem Verlangen nicht widerstehen konnte , erst noch einmal Nellies Brief zu durchfliegen . " Haben Sie mich lieb ? " " Willst Du mein kleine Frau sein ? " Diese Stelle war zu schön , sie mußte sie nochmals lesen , dann ließ sie den Brief in den Schoß sinken und sann und träumte , ohne daß sie es wußte , wiederholten ihre Lippen die Worte : " Hast Du mich lieb ? " Der Ruf der Mutter , die an die verschlossene Tür klopfte , schreckte sie auf und brachte sie in die Wirklichkeit zurück . Da lagen die Schleifen , dort die Blumen , an nichts hatte sie gedacht . " Gehe nur hinunter , Mama , ich folge dir gleich ! " rief sie und sprang in die Höhe . Aber Frau Anne ließ sich nicht abweisen , " sie müsse erst Ilses Anzug prüfen , " rief sie zurück . " Noch nicht fertig ! " schalt sie eintretend . " O , du böse Ilse , was hast du gemacht ? Warum ließest du dir nicht von Sofie helfen , wenn du allein nicht fertig werden konntest ! Nur schnell , schnell ! Jeder Augenblick ist kostbar ! " Unter ihren geschickten Händen stand Ilse bald fertig geschmückt da . Frau Anne betrachtete sie mit freudigen Blicken , so reizend hatte sie ihr Kind noch niemals gesehen . War der duftige Anzug daran schuld ? Oder hatten die Augen einen besonderen Glanz ? * * * Kaum zehn Minuten später kam der Wagen vom Bahnhof zurück und brachte die Gäste . Der Landrat stieg zuerst aus demselben . Ungeniert nahm er Ilse , die mit ihrer Mama zum Empfange bereit stand , in die Arme und küßte sie auf die Wange . Leo begrüßte die Damen mit einem Handkuß . Ilse wußte jetzt , wie sie sich bei einem so kritischen Falle zu benehmen hatte , sie zog die Hand nicht fort , die Mama hatte es auch nicht getan . Die Eltern führten Gontraus hinauf in die bereitstehenden Gastzimmer , Leo blieb noch zögernd auf der Veranda stehen . Er trat zu Ilse , die etwas entfernt von ihm stand . Sie lehnte gegen einen Pfeiler und zupfte sehr eifrig an einer Weinranke . Sein Blick ruhte auf dem reizenden Mädchen , das ihm in den wenigen Wochen , seit er sie nicht gesehen hatte , größer und schöner geworden schien . " Sie sind so still und so ernst , " redete er sie an , " gar nicht wie im Lindenhof . Wo ist Ihr fröhlicher Übermut geblieben ? Drückt Sie ein Kummer ? " " Kummer ? o nein ! " Und ihre Augen lachten ihn mit der alten Fröhlichkeit an . " Im Gegenteil , eine große , große Freude habe ich gehabt ! " Und sie verkündete ihm Nellies Verlobung . Eigentlich wunderte es sie , daß er so wenig darauf zu erwidern hatte . Fast keine Miene hatte er bei dieser hochwichtigen Nachricht verzogen . Sein Blick hing unverwandt an ihren Lippen , und doch schien es , als wären seine Gedanken in weiter Ferne . " Ist sie sehr glücklich ? " fragte er in halber Zerstreuung . " Glücklich ? " wiederholte Ilse verwundert über seine Frage . " Selig ist sie ! Sie müssen nur ihren Brief lesen ! " " Lesen Sie ihn mir vor , " bat er . " Lassen Sie uns die schöne Einsamkeit benutzen , jetzt sind wir ungestört . " " Das geht nicht ! Nein , gewiß nicht ! " rief sie beinahe ängstlich . Es schreckte sie plötzlich der Gedanke : Wie kannst du ihm Nellies geheimste Empfindungen offenbaren ? - Doch war es dieser Gedanke allein , der sie so seltsam beklommen machte ? Entsprang die Furcht , mit ihm allein zu sein , aus derselben Quelle ? " Wenn ich Sie sehr darum bitte , auch dann nicht ? " Sie war schon halb auf der Flucht , als seine dringende Bitte ihr Ohr berührte . " Ich kann nicht ! Ich habe im Hause zu tun ! Später ! " rief sie ihm verwirrt zu , flog über die Veranda hinweg durch den Speisesaal bis in die offenstehende Tür des kleinen Boudoirs der Mama . Er sah ihr nach , bis der Zipfel ihres weißen Kleides entschwunden war . Auf seinem Antlitz spiegelten sich die verschiedensten Gefühle , sie drückten Zweifel , Hoffnung und Entzücken aus . Als Ilse so hastig in das kleine Zimmer trat , atemlos und mit heißen Wangen , erschrak sie fast , als sie den Onkel antraf . " Nun , Backfischchen , was ist dir denn begegnet ? " fragte er und legte das Buch , in welchem er gelesen , aus der Hand . " O nichts , nichts , gar nichts ! " rief sie schnell . " Ich bin nur so heiß und mein Herz klopft so furchtbar . " Ehe er noch nach der Ursache ihrer Erregung fragen konnte , schnitt sie ihm das Wort ab . " Eine furchtbar interessante Neuigkeit , Onkel Curt ! Nellie ist Braut ! " Wer Nellie war , wußte er längst , oft genug hatte Ilse ihm in den Malstunden , die sie mit vielem Eifer nahm , von ihr erzählt , aber wie sie aussah , wußte er noch nicht , heute konnte sie ihm das Bild derselben zeigen . Es war ihr jetzt das Album nachgesandt , welches Fräulein Raimar ihr bereits bei der Abreise versprochen hatte . Es enthielt die Bilder der Lehrerinnen und Freundinnen . " Also Nellies Verlobung macht dir Herzklopfen ? " meinte er etwas zweifelhaft lächelnd . " So , so ! Sage Mal , Fischchen , sind Gontraus schon da ? " Diese Frage hatte Ilse überhört . " Hier ist Nellie ! " fiel sie dem Onkel in die Rede und reichte ihm das Album . " Sage ' , ist sie nicht reizend ? " " Reizend ? Das kann ich nicht finden , " entgegnete er etwas gedehnt und nach einigen prüfenden Kennerblicken . " Anmutig , graziös , ja , der Mund ist lieblich , Augen und Nase aber - " " Ach , Onkel , " unterbrach ihn Ilse , " du darfst sie nicht mit so kritischen Blicken ansehen , du kannst mir glauben , Nellie ist reizend ! Das Bild ist auch schlecht , in Wirklichkeit ist sie viel hübscher ! " Er hatte in dem Album weiter geblättert und nach dieser oder jener sich erkundigt . Plötzlich fragte er erregt : " Wie heißt diese Dame hier ? " " Das ist meine liebste Lehrerin , Fräulein Güssow . Wir hatten sie alle furchtbar lieb und schwärmten für sie . Du kennst sie wohl ? " wandte sie sich fragend an ihn . Es fiel ihr auf , daß er das Bild so starr betrachtete . " Ich kenne sie nicht , nein . Aber es muß mir im Leben ein Mädchen begegnet sein , das diesem Bilde glich . Doch , das ist lange her . Wie alt ist deine Lehrerin ? " " Sie ist nicht mehr jung , schon siebenundzwanzig Jahre alt , " entgegnete Ilse nach echter Backfischart . " Ja , da ist sie schon ein altes Mädchen , " bestätigte der Onkel . Aber nur seine Lippen scherzten , sein Auge hing mit Ernst und Wehmut an dem getreuen Bilde der Lehrerin . Wäre Ilse nicht so jung und allzu sehr mit ihrer eigenen kleinen Person beschäftigt gewesen , es hätte ihr auffallen müssen , wie andächtig und wie lange er das Bild betrachtete . " Du findest sie wohl hübsch ? " fragte sie unbefangen . " Wie heißt sie ? Güssow ? " fragte er , und jetzt hatte er ihre Frage überhört . " Wie ist ihr Vorname ? " " Charlotte . " " Lotte , " nickte er zustimmend , " ein schöner Name ! " Er schloß das Album und nahm sein Buch wieder zur Hand . Ilses Anwesenheit schien er vergessen zu haben . Sie kannte ihn schon als einen Sonderling , darum fiel ihr sein Wesen nicht auf . " Komme mit hinaus auf die Veranda , Onkel , " bat sie , " Gontraus sind gekommen . " Diese letzten Worte setzte sie mit abgewandtem Gesicht hinzu . " Ja , ja , bald ! " entgegnete er zerstreut und ließ sich nicht stören . " Ich folge dir gleich . " Zögernd und auf den Fußspitzen durchschritt sie den Speisesaal . Mehrmals blieb sie stehen und lauschte . Alles war still . Als sie die geöffnete Türe erreicht hatte , bog sie den Kopf etwas vor und spähte nach beiden Seiten ; als sie die Veranda völlig vereinsamt sah , wagte sie sich hinaus . Der Frühstückstisch stand bereit , sie machte sich daran zu schaffen , horchte dann wieder , ob die Eltern noch nicht kämen . Sie blieben recht lange . Wo sie nur verweilten ? Wenn sie gewußt hätte , daß sie mit dem Landrat und seiner Frau oben im Wohnzimmer waren , wo sie durchaus erst dem kleinen Bruder eine Visite abstatten wollten , wie würde sie zu ihnen geeilt sein . Endlich vernahm sie Schritte . War das der Onkel ? Es war nicht sein Schritt , auch würde er nicht durch die Hausflur und von außen herum auf die Veranda gekommen sein . Vorsichtig lugte sie durch das Blätterwerk und erkannte zu ihrem Schrecken - Leo . Das Blut schoß ihr in die Wangen und der Atem stockte ihr in der Brust . Unmöglich konnte sie ihm jetzt gegenüberstehen ! Sie würde nicht im stande gewesen sein , ein Wort hervorzubringen , und wenn sie so stumm und dumm vor ihm stand , was sollte er von ihr denken ? Flucht ! das war das einzige , was sie aus dieser peinlichen Lage befreien konnte , aber es war zu spät , er hatte sie gesehen , und gerade , als sie ihren eiligen Rückzug nahm , als sie den Salon bereits halb durchschritten hatte , holte er sie ein . " Jetzt müssen Sie bleiben , gnädiges Fräulein , " sprach er scherzend , " ich lasse Sie nicht fort ! Sie haben mich auf { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } später ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } vertröstet und jetzt ist es { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } später ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } , und Sie werden sich allergnädigst herablassen , mir Miß Nellies Brief vorzulesen ! eine Frau - ein Wort ! " Nun war sie gefangen ! Entfliehen konnte sie ihm nicht mehr , es wäre zu einfältig gewesen . Sie drückte die Hand fest auf das stürmisch klopfende Herz und wandte sich um . Scheu , wie eine wilde Taube , die sich im Netze gefangen hat , erhob sie das braune Auge und sah ihn an . Ihre Befangenheit entging ihm nicht , aber mit feinem Gefühle brachte er sie mit leichtem Scherze darüber hinweg . Er bot ihr den Arm und führte sie zu einer Ecke der Veranda , in welcher ein kleiner eiserner Tisch und zwei Stühle standen . Die Oktobersonne stahl sich durch das blutrote Weinlaub und neckte das junge Mädchen . Gerade in die Augen blitzte sie ihm ihre Strahlen hinein , so daß sie dieselben schließen mußte . " Die Sonne blendet , " bemerkte Ilse und war froh , ein gleichgültiges Wort gefunden zu haben . " Es ist auch so warm hier , " fuhr sie fort und erhob sich . " Die böse Sonne ! Wir wollen ihr aus dem Weg gehen ! " Und er führte sie auf die entgegengesetzte Seite . Hier war es schattig und kühl und Ilse hatte keinen Grund mehr , sich zu erheben . Sie war auch nach und nach mehr Herrin ihrer Beklommenheit geworden , und als er noch einmal an den Brief erinnerte , fand sie sogar den früheren scherzhaften Ton . " Sie sind ein Quälgeist , " sagte sie . " Was kann es Sie interessieren , { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } wie ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } - und { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } was{ ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Nellie mir schreibt ! Sie wollen nur darüber spotten und das dürfen Sie nicht ! " " Wie können Sie mich in so bösem Verdacht haben ! " wehrte er ab . " Sie haben mir Ihre Freundin so liebenswürdig geschildert , daß mein Wunsch , von ihr zu hören , wie sie mit eigenen Worte von ihrem Glücke schreibt , ganz natürlich ist . " Ilse sah ihn noch etwas ungläubig an , doch , da sie den spottenden Zug um seinen Mund nicht entdeckte , glaubte sie ihm und zog den Brief aus der Tasche . Sie schlug ihn auf und las ihn für sich . " Nun ? " fragte er . " Immer Geduld , Herr Assessor ! Erst muß ich die Stellen aussuchen , die Sie hören dürfen ! Der ganze Inhalt ist nicht für Ihre Ohren bestimmt ! " " Das wäre grausam ! " protestierte er dagegen , " das ist gerade so , als ob Sie einem Kinde ein Stückchen Zucker hinhalten und sagen zu ihm : du , lecke Mal dran ! Den Zucker aber steckten Sie selbst in den Mund . " Sie lachte lustig über seinen Vergleich , er brachte sie ganz in die alte , fröhliche Laune zurück . " Nun hören Sie zu , aber nicht spotten ! " drohte sie ihm mit dem Finger . Es war ein anmutiges Bild , das die jungen , schönen Menschenkinder boten . Dicht nebeneinander saßen sie beide , sie lesend und er aufmerksam ihren Worten lauschend . Er hatte den Arm auf den Tisch gestützt und sah auf Ilse herab , die den Kopf etwas vornübergebeugt hielt . Plötzlich hielt sie inne . " Lesen Sie weiter , bitte ! Warum hören Sie auf ? Denken Sie an das Stück Zucker ? " Sie schwieg , wie mit sich selbst überlegend . Warum eigentlich wollte sie ihm das Schönste im ganzen Briefe verschweigen ? Nellie hatte ihre Verlobung so drollig , so gemütvoll geschildert , ihre ganze Eigenart sprach sich darin aus . Als er sie noch einmal so dringend bat , fortzufahren , tat sie es . Erst etwas zögernd , dann aber las sie fließend , ohne nur einmal zu stocken , zu Ende . Warum saß er so stumm ? Sein Schweigen mußte sie verletzen . Sie hatte so fest erwartet , daß er sein Entzücken laut äußeren würde ! Nun sagte er gar nichts . Fast vorwurfsvoll sah sie ihn an , aber wie schnell senkte sie ihr Auge . Es traf sie sein Blick so sonderbar . Sie mußte an Doktor Althofs { ~ SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } sonderlicher ~ SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK ~ } Blick denken . " Ihre Freundin hat ein warmes , tiefes Empfinden , " bemerkte er endlich , aber es kam gezwungen heraus . Er fühlte das selbst und brach ab . " Fräulein Ilse , " fuhr er nach einer kleinen Pause ganz ohne Zusammenhäng fort , " was würden Sie antworten , wenn - wenn jemand Sie fragen würde : Haben Sie mich lieb ? " Sie war so verwirrt , so erschrocken bei seiner Frage , die sie wie ein Blitz aus blauem Himmel traf . Ihr heißes Blut wallte auf bei dem Gedanken , daß er sie verspotten könne . Fast hastig erhob sie sich . " Nein , würde ich sagen ! " fuhr sie heraus , " ich habe niemand lieb ! Niemand ! " wiederholte sie , als ob sie erst noch einen Trumpf darauf setzen wollte . Wenn der Brausekopf nur einen Blick auf ihn geworfen hätte , wie bald würde sie ihn verstanden haben ! Sein Auge hing mit Entzücken an ihr , der Widerstand verlieh ihren Zügen einen neuen Reiz für ihn . " Ilse , " sagte er zärtlich und ergriff ihre Hand . " Wenn ich es wäre , der Sie fragte : Haben Sie mich lieb , wollen Sie meine kleine Frau sein ? Würden Sie auch dann so sprechen ? " Hastig entzog sie ihm ihre Hand und verhüllte das Gesicht . " Hast du mich lieb , Ilse ? " - Seine Stimme klang weich und innig und traf ihr Herz - ein " Ja " aber brachte sie nicht über die Lippen . Ihr spröder Sinn ließ es nicht zu , oder regte sich noch einmal der alte Widerspruch in ihr ? " Nein ! Niemals ! " sagte sie schnell und wandte sich heftig ab . " Nein ! - niemals ? " wiederholte er und sah sie in schmerzlicher Erregung an , "o Ilse ! nehmen Sie das Wort zurück , es hängt das Glück meines Lebens davon ab ! - Ich war zu schnell mit meiner Frage - nicht wahr ? Ich habe Sie erschreckt ! - Nicht jetzt geben Sie mir die Antwort , erst wenn Sie ruhiger sein werden , dann - " Er sank auf einen Stuhl und bedeckte die Augen mit der Hand . Ilse stand noch immer von ihm abgewandt , in ihr kämpften die widerstreitendsten Gefühle . Ihr Herz zog sie zu ihm hin , aber sie konnte die Brücke nicht finden , die über den breiten Strom führte , der sie noch von ihm trennte . Da war es plötzlich , als stiege Lucies Bild vor ihr auf , als vernähme sie eine Stimme , die ihr warnend zurief : " Willst du ihn verlieren ? - Denke an mein Geschick ! " " Leo , " sagte sie schüchtern und trat ihm einen Schritt näher , aber erschreckt über ihre Kühnheit blieb sie hocherrötend und mit niedergeschlagenen Augen stehen . [ Illustration ] Wie ein Hauch fast war sein Name über ihre Lippen gekommen , aber er hatte ihn doch vernommen . Jubelnd sprang er auf und sein Auge , das eben noch so verzagt und traurig geblickt hatte , leuchtete in freudigem Glanze . " Nun bist du meine Ilse ! " rief er aus und zog sie an sein Herz , doch als er den ersten Kuß auf ihre Lippen drücken wollte , da wendete sie den Kopf zur Seite und die spröde , widerspenstige Ilse meldete sich noch einmal . " Küssen ist nicht erlaubt , " erklärte sie mit aller Entschiedenheit , " wie könnte ich mich von einem fremden Manne küssen lassen ? " " Aber die Hand , " bat er lachend , " die Hand darf ich küssen ! " Das wurde ihm gnädig bewilligt . Er hielt sie noch in dem Arm , als die beiden Elternpaare auf der Veranda erschienen . Alle hatten sofort begriffen , was hier geschehen war , nur der Oberamtmann stand wie versteinert da . Der Landrat und seine Gattin waren die ersten , die das Brautpaar begrüßten , beglückt nahmen sie Ilse als ihr Töchterchen an ihr Herz . Herr Macket hatte sich noch nicht vom Fleck gerührt . Frau Anne trat zu ihm und legte die Hand auf seinen Arm . " Siehst du , Richard , aus dem Kinde ist eine Jungfrau geworden , glaubst du es nun ? " fragte sie zärtlich . " Ilse ! Meine kleine Ilse ! " brachte er endlich mühsam hervor und seine Brust hob und senkte sich im heftigen Kampfe . " Ist es wahr ? Willst du mich verlassen ? " Da flog sie an seinen Hals und küßte ihn stürmisch , dabei rief sie unter Weinen und Lachen : " Mein kleiner , einziger Herzenspapa , ich habe ihn ja so lieb ! " * * * Nun ist eigentlich meine Erzählung zu Ende , denn die überraschten Gesichter der Gäste zu schildern ist langweilig , selbst wenn die Überraschung ihnen so unerwartet kam , wie Ilses Verlobung am Erntefeste . Eins aber muß ich meinen lieben Leserinnen noch mitteilen , wie nämlich Onkel Curt an demselben Tage plötzlich verschwunden war . Während alle fröhlich bei der Tafel saßen , hatte er sich von Johann still und ohne Aufsehen nach dem Bahnhof fahren lassen . Frau Macket fiel seine Flucht nicht weiter auf , sie kannte ihren Bruder als einen unstäten Geist , der , wie es ihm einfiel , kam und verschwand . - Drei Wochen vergingen ohne das geringste Lebenszeichen , da endlich langte ein Brief aus München von ihm an . Sein Inhalt versetzte alle auf Moosdorf in sprachloses Erstaunen . Ilse aber kam darüber ganz außer Rand und Band . Sie klatschte in die Hände , tanzte im Zimmer umher und rief jubelnd : " Ich bin die Ursache ihres Glückes , durch mich haben sie sich gefunden ! Was wird Leo dazu sagen ? Wie freue ich mich ! " - Doch ich will nicht vorgreifen , sondern lieber den kurzen Inhalt des Briefes mitteilen . " Wir sind auf der Hochzeitsreise . Lotte und ich wollen den Winter in Italien zubringen . Ihr wundert Euch , nicht wahr ? Ist aber gar nichts dabei zu verwundern . Lotte und ich waren schon uralte Brautleute , haben nur niemals davon gesprochen . - Im Frühjahr kehren wir zurück , ich werde Euch dann meine junge Frau vorstellen . - Dem Fischchen besonderen Gruß - sie weiß schon warum . Soll übrigens fleißig weitermalen , wenn der Brautstand ihr die Zeit dazu läßt . " - " Nun bin ich Deine Tante , mein Liebling ! Wer hätte das gedacht ! " schrieb seine Frau , ehemals Fräulein Güssow , unter den Brief . " Wie gern hätte ich Dir längst die ganze wunderbare Geschichte , - und wie alles gekommen ist , mitgeteilt , aber ich durfte es nicht . Onkel Curt wollte erst nach unserer Verheiratung die Erlaubnis dazu geben . Auch heute kann ich nur wenige Zeilen Dir schreiben , mein Mann steht hinter mir und treibt , daß ich aufhöre . " Denkst Du noch an Lucies Geschichte ? - Jene Lucie hieß Lotte und war ich selbst - und der Maler ? - Nun , Du errätst schon , wer es war , ohne daß ich ihn nenne . " Wenn wir zurückkehren , bist Du am Ende auch eine junge Frau ? Wie habe ich mich gefreut über dein sonniges Glück , Herz ! Der Himmel erhalte es Dir ! "